Republik im Experiment: Symbolische Politik im revolutionären Frankreich (1792–1799) 9783412218010, 9783412207830


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Republik im Experiment: Symbolische Politik im revolutionären Frankreich (1792–1799)
 9783412218010, 9783412207830

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Symbolische Kommunikation in der Vormoderne Studien zur Geschichte, Literatur und Kunst Herausgegeben von Gerd Althoff, Barbara Stollberg-Rilinger und Horst Wenzel

Christina Schröer

Republik im Experiment Symbolische Politik im revolutionären Frankreich (1792–1799)

2014 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Dieser Band ist im Sonderforschungsbereich 496 »Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme vom Mittelalter bis zur Französischen Revolution« an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster entstanden und wurde auf seine Veranlassung unter Verwendung der ihm von der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur Verfügung gestellten Mittel gedruckt.

Zgl. Dissertation Universität Münster 2010 (D6) Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://portal.dnb.de abrufbar.

© 2014 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Korrektorat: Frank Schneider, Wuppertal Gesamtherstellung: WBD Wissenschaftlicher Bücherdienst, Köln Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier ISBN 978-3-412-20783-0

V

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.

Einleitung: Symbole und Rituale als Instrumente, Streitobjekte und Waffen im Machtkampf . . . . . . . . 1.1

1 13 24 39 49

Ordnung als Anschauungssache: Die Darstellung offizieller Prinzipien und Institutionen zwischen Repräsentation und Propaganda . . . . . . . . . . . . . .

59

2.1

2.1.1 2.1.2 2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.2.4

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Ordnungsstiftende Hoheitszeichen: Von der revolutionären Protestkultur zu neuen Autoritätssymbolen. . . . . . . . . . . . Umdeutungen der Protestkultur: Trikolore und Freiheitsbäume . . . . . . . . . . . Adaptionen der Gelehrtenkultur: Die politische Ikonographie der neuen Obrigkeit. Legitime Repräsentanten: Visualisierung und Inszenierung der Verfassungsorgane . . . . . . . . Die Amtstracht: Kennzeichnung legitimer Stellvertreterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . Öffentliche Auftritte: Volk, Legislative und Exekutive bei Festen und Zeremonien . . . . . . . Neue Herrschaftsrepräsentation: Republikanischer Pomp . . . . . . . . . . . . . . . Legitimation durch Rationalität: Das Institut national. . . . . . . . . . . . . . . . .

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1

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1.2 1.3 1.4 1.5

2.

Fragestellung und Problemaufriss: Symbolische Politik zwischen Ordnungsideal und Konflikterfahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . Geschichtsbild und Forschung . . . . . . . . . . Begriffsklärungen und Methode . . . . . . . . . Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Historische Einordnung. . . . . . . . . . . . . .

IX

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64

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78

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101

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102

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128

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161

VI 2.3

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170

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170

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190

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201

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205

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230

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244

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252 279

Gesellschaft als Projekt: Die Debatte um die ‚Formung‘ von Staatsbürgern und republikanischen Traditionen zwischen Erziehung und Manipulation . . . . . . . . . .

283

2.3.1 2.3.2 2.4 2.4.1 2.4.2 2.4.3

2.4.4 2.5

3.

Wertevermittelnde Architekturen: Republikanische ‚Paläste‘ und ‚Tempel‘, Festbauten und Denkmäler . . . . . . . . . . . Parlamentarische Sitzungssäle, Amtssitze und Kultorte . . . . . . . . . . . . . Ephemere Kulissen, Denkmal- und Baupolitik in der Hauptstadt . . . . . . . . . . Respektfördernde Zeremonien: Feste und andere Staatsakte . . . . . . . . . . . Die Darstellung der neuen Gesellschaft: Prozessionen und moralische Feste. . . . . . . Die Inszenierung republikanischer Tugenden: Ordnungsliebe, Kampfgeist, Fleiß . . . . . . . Die Sichtbarkeit der Verfassungsordnung: Recht und Gesetz, Volkssouveränität, Einheitsideal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Erfindung der grande nation: Zivile und militärische Größe. . . . . . . . . . Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3.1

Gesellschaft formen: Das Programm der ‚institutions républicaines‘ . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Zeit entchristianisieren: Der Revolutionskalender . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Bindungen und Verbindlichkeiten republikanisieren: Staatsbürgerliche Rituale und Auszeichnungen . . . . 3.3.1 Übergangsriten im Lebenszyklus des Staatsbürgers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Politische Initiations- und Selbstverpflichtungsriten . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3 Staatliche Abzeichen und Auszeichnungen . . . . . . 3.4 Hochfeste instrumentalisieren: Revolutionsfeste und Nationalfeiertage . . . . . . . .

287 315 334 334 341 365 381

VII 3.4.1 Zwei ‚politische Sekten‘: Empfindsamkeit oder Pomp? . . . . . . . . . . . . 3.4.2 Festliche Geschichtspolitik: Orte der Erinnerung, der Gegenwart und der Zukunft . . . . . . . . . . 3.4.3 Schaukelpolitik: Feste als Waffen im Kampf gegen politische Gegner . . . . . . . . . . . . . . . 3.5 Religion rationalisieren: Zivil-, Vernunft- und Naturkulte. . . . . . . . . . 3.5.1 Der Kult der Theophilanthropen: Eine Privatreligion mit staatlicher Unterstützung. . . . 3.5.2 Die Dekadenfeiern: Republikanische Gewohnheiten oder innerweltlicher Staatskult?. . 3.5.3 Bürgerkult als Ersatzreligion? Sakralisierung von Politik durch quasi-religiöse Sprechakte . . . 3.6 Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

4.

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384

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407

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423

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429

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433

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446

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461 467

Gegenmacht als Erfahrung: Kommunikationsund Aktionsformen von gesellschaftlichen Bewegungen zwischen ‚Reaktion‘ und ‚Opposition‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

471

4.1

4.2

4.3

4.3.1 4.3.2 4.3.3 4.3.4

Eine Frage der Perspektive: Revolution zwischen sozialer Bewegung, Ordnungsstiftung und Reaktion . . . . . . . . . . Das Verdikt der Presse: Die Rezeption der offiziellen Symbolpolitik in Druckschriften und Karikaturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die ‚Macht‘ der Kleider: Protest und Reaktion durch Stereotypisierung politischer Gruppen und Typen. . . . . . . . . . . . . . . . . Kleidung als politisches Kennzeichen: Das Bild des sans-culotte . . . . . . . . . . . . . . Von der Jakobinermütze zum bonnet de la liberté: Form und Funktion einer Kopfbedeckung . . . . Bürgerliche Dandys als neue Macht der Straße: Die jeunesse dorée . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stereotypisierung und Entwertung von Symbolik im Fraktionskampf . . . . . . . . . . . . . . . . .

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475

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503

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528

VIII 4.4 4.4.1 4.4.2 4.4.3 4.5 4.5.1 4.5.2 4.5.3 4.5.4 4.6

5.

Kriegserklärung durch Reaktion: Kampagnen, Gegenzeremonien und Symbolschändungen . . . . . Symbolkämpfe im Umfeld der Pantheonisierung Jean-Paul Marats . . . . . . . . . . Gegenzeremonien und Büstenstürze im Kontext der Depantheonisierung Marats . . . . . . . Akte der Umkehrung und symbolischen Infragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Provokation der Bilder: Ordnungsvorstellungen in den Bildwelten der Opposition . . . . . . . . . . . Bildwelten der Thermidorianer: Abgrenzung vom Terror, Hinwendung zu Recht und Ordnung . . . . . Royalistische Bildpublizistik: Zwischen Opposition und Gegenrevolution . . . . . . . . . . . Bildwelten der (Neo-)Jakobiner: Die Republik in der Krise . . . . . . . . . . . . . . . . Selbstdarstellung eines politischen Aufsteigers: Die Erfolge Napoleon Bonapartes . . . . . . . . . . . Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Fazit: Revolution der Werte und Gesetzgebung der Sinne – Intentionen, Funktionen und Wirkungen symbolischer Politik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Symbolpolitik als Instrument politischen Durchsetzungswillens . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Der Funktionswandel politischer Symbole und Rituale im Übergang zur Moderne . . . . . . . . 5.3 Neue Bewertungen des republikanischen Experiments der Ersten französischen Republik Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildungsnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Internetseiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

533 535 550 562 571 571 580 601 619 632

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5.1

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651

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661 679 679 685 685 718 753 754

. . . . . . . .

. . . . . . . .

IX

Vorwort Schon der Titel des Sonderforschungsbereichs 496, in dessen Kontext dieses Buch entstanden ist, fragte implizit nach historischen Brüchen und Kontinuitäten: „Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme vom Mittelalter bis zur Französischen Revolution“. Was änderte sich mit der Französischen Revolution im Bereich der symbolischen Kommunikation? Beziehungsweise: Änderte sich überhaupt etwas? Solche Fragen bildeten den Ausgangspunkt der vorliegenden Studie; zu ihrer Beantwortung konzentrierte sich meine Arbeit auf den Bereich der revolutionären Politik. Nur so viel sei vorweg genommen: Bilder, Symbole und Rituale waren in der Zeit der Französischen Revolution mehr als nur schöner Schein oder gar manipulative Instrumente der neuen Machthaber. Sie generierten, reflektierten und bestritten ganz wesentlich die Politik der Ersten Französischen Republik, waren Motor, Spiegel und Waffe der Republikaner ebenso wie der sich formierenden Opposition. Symbolpolitik wurde nach 1789 zu einem staatstragenden und gesellschaftspolitischen Ressort – und zugleich zu einem Experimentierfeld für gesellschaftliche Gegenmacht. Die damit verbundenen Erfahrungen entfalteten weit über Frankreichs Grenzen hinaus (und bis in unsere heutige Gegenwart hinein) prägende Wirkungen. Diese und andere Thesen meiner Dissertation verteidigte ich im Wintersemester 2009/10 vor Hans-Ulrich Thamer, Barbara StollbergRilinger und Gerd Althoff an der Philosophischen Fakultät der Universität Münster. Die Studie wurde 2010 mit dem Dissertationspreis der Fakultät ausgezeichnet und anschließend für den Druck gekürzt und aktualisiert. Als Mitarbeiterin war ich zuvor im SFB 496 an verschiedenen Projekten und Arbeitsgruppen beteiligt, konnte Zwischenergebnisse zur Diskussion stellen und hatte Gelegenheit, weitgehend eigenständig Tagungen, Publikationen und Transferprojekte zum engeren Themenkreis der Studie vorzubereiten. Meine Arbeit hat davon sehr profitiert. Von den vielen Menschen, die mich auf dem Weg bis zur Fertigstellung des Buches begleiteten, möchte ich mich bei den wichtigsten bedanken: An erster Stelle bei Hans-Ulrich Thamer, der mich als akademischer Lehrer vertrauensvoll beraten und gefördert hat und mir die Möglichkeit gab, alle Facetten des Wissenschaftsbetriebs, von der Forschung und Lehre bis hin zur Popularisierung von Forschungsergebnissen in historischen Ausstellungen (wie 2008 bei der in Magdeburg

X gezeigten SFB-Ausstellung „Spektakel der Macht“) intensiv kennenzulernen. In ähnlicher Weise waren auch Barbara Stollberg-Rilinger und Gerd Althoff wichtige Ratgeber; dem kritischen Geist und der Diskussionsbereitschaft aller drei Betreuer und Prüfer verdanke ich viel. Während des Bearbeitungs- und Schreibprozesses spielten vor allem Kollegen aus dem SFB und dem Historischen Seminar eine große Rolle, allen voran Rüdiger Schmidt und Katrin Bourrée, die stets ein offenes Ohr für mich hatten. Die Projektidee und ersten Untersuchungshypothesen diskutierte ich mit meiner damaligen Kollegin Natalie Scholz; später wurden Ulrike Bock, Katrin Dircksen, Max Livi, Tim Neu und Armin Owzar wichtige Gesprächspartner. Ebenso wie Gisela Weiß, Martin Knauer und meine Schwester Claudia Bürger haben sie Teile der Arbeit gelesen und kommentiert. Mit Barbara Groß, Claudia Strieter und Reemda Tieben hatte ich in einem Theorie-Gesprächskreis kompetente Diskussionspartnerinnen. In Rolf Reichardt fand ich auch über das engere Umfeld der Universität Münster hinaus einen Revolutions- und Bildexperten als Ansprechpartner, der meine Arbeit unterstützte – und mich damit anspornte, die Studie weiter zu verbessern und fertigzustellen; für seine anerkennenden Kommentare und Rückmeldungen bin ich ihm sehr dankbar. Im Rahmen von Tagungen, Kolloquien und Vorträgen in Münster, Berlin, Brighton und Paris lernte ich weitere Bildexperten wie Annie Jourdan und Christian Marc Bosséno kennen, deren Tipps mich buchstäblich klarer sehen ließen. In Frankreich bin ich besonders der équipe des Institut d’Histoire de la Révolution française zu großem Dank verpflichtet. Die Direktoren Jean-Clément Martin und später Pierre Serna haben mir den Zugang zur Forschergruppe ebenso wie zur Institutsbibliothek erleichtert; in Bernard Gainot fand ich einen äußerst hilfsbereiten und kollegialen Diskussionspartner, der während meiner Forschungsaufenthalte in Paris regelmäßig am Fortschritt meiner Arbeit Anteil nahm. Stephen Clay, der mein Interesse für die Epoche des Direktoriums teilt, regte mich mit seinen Nachfragen immer wieder zur Konkretisierung meiner Ideen an. Pierre-Dominique Cheynet (Archives nationales) und Philippe de Carbonnières (Musée Carnavalet) ermöglichten mir den Zugang zu einschlägigem Archiv- und Bildmaterial; den Einladungen von Peter Campbell und Laurent Turcot verdanke ich die Möglichkeit zum Austausch mit angelsächsischen und kanadischen Kollegen. Im Deutschen Historischen Institut hatte ich mit der damaligen Direktorin Gudrun Gersmann eine wichtige Mentorin. Bleibt noch ein großer Dank an diejenigen, die mir organisatorisch unter die Arme griffen: an Maria Hillebrandt von der Geschäftsführung

XI des SFB 496, Elena Mohr und Susanne Kummer vom Böhlau-Verlag sowie an die studentischen Hilfskräfte der SFB- und ExzellenzclusterTeilprojekte, in denen ich in Münster mitarbeitete, und des Lehrstuhls von Jörn Leonhard in Freiburg. Stellvertretend seien hier Sebastian Sokolowski, Annika Hartmann und Christoph Streb erwähnt. Kollegen und Kooperationspartner wie Friedemann Pestel, Max Livi und Caroline Gritschke halfen beim Lektorat der Druckfahnen und der Fertigstellung der Druckvorlage, auch ihnen gebührt mein Dank. In Sebastian Sokolowski hatte ich einen überaus geduldigen und ausdauernden Unterstützer, der beim Satz des Textes und der Erstellung des Registers großartige Arbeit geleistet hat. Zum Schluss danke ich meiner französischen Freundin Julie Clancier sowie ihren Eltern Sylvie und Sylvestre, die mich während meiner Forschungsaufenthalte in Paris immer wieder großzügig in ihre Familie aufnahmen und sich für meine Arbeit interessierten. Mein besonderer Dank gilt meinen Eltern, Mechthild und Theo Schröer, sowie meinem Mann Paul Barthélemy, die immer für mich da waren und mir entscheidend den Rücken gestärkt haben. Ein wunderbarer Anlass, das Manuskript im Oktober 2013 endgültig beim Böhlau-Verlag einzureichen, war die bevorstehende Geburt meines Sohnes Leo. Ihm ist dieses Buch gewidmet. Freiburg, im März 2014

Christina Schröer

XII

1.1 Fragestellung und Problemaufriss

1. Einleitung

1.1 Fragestellung und Problemaufriss

1.

1

Einleitung: Symbole und Rituale als Instrumente, Streitobjekte und Waffen im Machtkampf

1.1 Fragestellung und Problemaufriss: Symbolische Politik zwischen Ordnungsideal und Konflikterfahrung Die Frage nach dem Zusammenhang von Macht und symbolischer Politik ist hochaktuell. Macht wird in symbolischen Handlungen nicht nur sichtbar – sie entsteht und verfestigt sich auch durch symbolische Handlungen sowie deren Repräsentation in Form von Bildern, Gegenständen oder Sprache. Entsprechend vielfältig sind die Konzepte und Praktiken symbolischer Politik, entsprechend komplex ihre gesellschaftlichen Funktionen und Wirkungen, entsprechend umstritten deren Wahrnehmung und Deutung. Angesichts von fortdauernden Integrations- und Identitätsproblemen staatlicher und suprastaatlicher Gemeinschaften werden Chancen und Grenzen symbolischer Politik für die Eroberung und Stabilisierung von Macht und Herrschaft in den Medien regelmäßig diskutiert. Barack Obama begeisterte 2008 mit seinem Charisma und geschickt inszenierten Auftritten im Wahlkampf nicht nur die Mehrheit der US-Amerikaner, sondern auch weite Teile der Weltöffentlichkeit. Gleichzeitig bot dasselbe Verhalten immer wieder Anlass zu Skepsis und Kritik: Das „Rätsel Obama“, so titelte die Süddeutsche Zeitung, werde eines Tages entzaubert und der „Mann wieder Mensch“1 sein. Zwar beherrsche, so die Frankfurter Allgemeine Zeitung, der 44. Präsident der Vereinigten Staaten „das Fach der symbolischen Politik so gut […] wie wenige Vorgänger“, doch frage man sich angesichts der Bilanz der ersten Monate seiner Regierungszeit: „kann er auch regieren?“2 Das Projekt einer gemeinsamen EU-Verfassung warf 2007 die Frage auf, ob und wie viel corporate identity sich der Staatenverbund leisten solle: Gemeinsame Flagge (blaue Grundfarbe mit Kranz aus zwölf goldenen Sternen), Hymne („Ode an die Freude“ der Neunten Symphonie Beethovens), Devise („In Vielfalt geeint“) und ein einheitlicher Feier1

2

„[…] nicht länger jener Halbgott, der urbi et orbi (in Washington wie überall auf Erden) als Magier des gesprochenen Wortes Millionen verzaubert.“ WERNICKE, Christian: Rätsel Obama, in: SZ Nr. 96, 27. April 2009, S. 4. FRANKENBERGER, Klaus-Dieter: Barack Obama. In der Wirklichkeit, in: FAZ Nr. 172, 28. Juli 2009, S. 1.

2

1. Einleitung

tag (9. Mai in Erinnerung an die Schuman-Erklärung vom 9. Mai 1950) sollten im Verfassungstext verankert werden und helfen, die Identität und Akzeptanz der EU zu stärken 3 – wurden jedoch schnell auch zum Gegenstand heftiger Kritik durch EU-Skeptiker, besonders in Großbritannien.4 Selbst in Deutschland, dem nicht selten eine krankhafte ‚Symbolarmut‘ bescheinigt wurde, diskutiert man seit der Kanzlerschaft Gerhard Schröders erneut über ‚symbolische Politik‘ und Strategien der ‚Repräsentation von Macht‘ – sei es in der Form postmodernen Heldentums, sei es durch eine „konsequente […] Vermeidung von Glanz“5, wie sie Angela Merkel immer wieder unterstellt wurde. Und weitere Spielarten symbolischer Politik sind im Zuge umstrittener Wahlkämpfe 6 oder revolutionärer Machtwechsel zu beobachten, wenn beispielsweise neben Fernsehen, Mobiltelefon und Internet auch Rap- oder Hip-HopSongs als wichtige Mobilisierungskanäle des sogenannten arabischen Frühlings von 2011 identifiziert wurden:7 So bezeichnete beispielsweise das Time Magazine den Rap-Song des Tunesiers Hamada Ben Amor 3 4

5

6

7

Vgl. http://www.europarl.de/view/de/Europa/EU_Vorstellung/Symbole_der_EU.html; jsessionid=B6A17A7C5E5A21AAE39F80B11D33AD20 [02/08/09, 15.00h]. Vgl. SCHILTZ, Christoph B.: Keine Flagge, keine Hymne, keine Verfassung, in: Welt Online, 14. Juni 2007, http://www.welt.de/welt_print/article944562/ Keine_Flagge_keine_Hymne_keine_Verfassung.html [02/08/09, 15.10h]. Die britische Regierung sah in der angestrebten Aufwertung der Symbolik einen Angriff auf die nationale Souveränität und lehnte jede Bemühung um eine symbolische Stärkung der gemeinsamen Außendarstellung der EU ab (z. B. auch die Bezeichnungen ‚Verfassung‘ oder ‚europäischer Außenminister‘). Dass Premier Brown jedoch kein prinzipieller Gegner politischer Symbolik war, demonstrierte er ohne Rücksicht auf innereuropäische Empfindlichkeiten noch in demselben Sommer, indem er anregte, den Union Jack nicht mehr nur 18 Tage im Jahr auf öffentlichen Gebäuden des Landes zu hissen, sondern ganzjährig – als Symbol des ‚Britischen‘ und zur Förderung des Bürgersinns. Vgl. Union Jack nun das ganze Jahr: Brown zeigt Flagge, in: süddeutsche.de, http://www.sueddeutsche.de/ panorama/991/375800/text/ [02/08/09, 15.21h]. HAAS, Claude: Die nackte Kanzlerin, in: Die Zeit Nr. 32, 30. Juli 2009, S. 39. Der Artikel bescheinigt Angela Merkel, sie habe im Repräsentationswesen der modernen Politik einen neuen Stil geprägt: Anders als Helmut Kohl, der sich fast schon wie ein vormoderner Herrscher inszeniert habe, anders als Gerhard Schröder, der vom Autor als postmoderne Verkörperung des Helden interpretiert wird, besitze Angela Merkel zwar die Macht, verkörpere sie aber nicht. Im iranischen Wahlkampf von 2009 beispielsweise bedienten sich die Strategen in Hussein Mussawis Wahlkampfteam moderner Methoden der Image-Bildung: Grüne Fähnchen, Armbänder und Luftballons wurden zum Zeichen der Befürworter eines Politikwechsels; vgl. WIEDEMANN, Charlotte: Grün ist die Hoffnung. Mussawi oder Ahmadineschad? Um die Präsidentschaft in Iran wird ein richtiger Wahlkampf geführt, in: Zeit online, 11. Juni 2009, http://www.zeit.de/2009/25/Wahlen-Iran [02/10/13, 15.30h]. Vgl. MATTES, Hanspeter: Die arabischen Protestbewegungen von 2011, http://www.bpb. de/izpb/156619/die-arabischen-protestbewegungen-von-2011 [13/08/13, 18.13h].

1.1 Fragestellung und Problemaufriss

3

alias El Général mit der berühmt gewordenen Verszeile ‚Herr Präsident, Ihr Volk stirbt‘ als ‚Hymne der arabischen Revolution‘.8 Zwar liegen den Beispielen höchst unterschiedliche Auffassungen über ‚symbolische Politik‘ zugrunde, doch kreisen alle genannten Debatten um die Frage nach einer angemessenen Repräsentation von Macht und Politik in der Moderne, genauer gesagt im Medienzeitalter, in dem Schein und Sein nicht immer eindeutig voneinander zu trennen sind. Einerseits, so suggerieren die zitierten Beispiele, transportiert symbolische Politik bestimmte Konzepte, Strategien und Wertvorstellungen. Komplexe Wirklichkeiten werden in konkreten Handlungen oder Zeichen verdichtet und zur Darstellung gebracht. Andererseits wird die strategische Absicht, die sich mit dem zeichenhaften Handeln verbindet, hinterfragt, wenn nicht gar als manipulativ, ‚uneigentlich‘ und sachfremd kritisiert. Dient symbolisches Handeln von Politikern wie Obama und suprastaatlichen Gemeinschaften wie der EU nur der Erzeugung eines ‚schönen Scheins‘, der Ablenkung von ‚realen‘ Problemen in Staat und Gesellschaft? Und welche Chancen und Probleme ergeben sich für Protestbewegungen aus dem Gebrauch von Internet, sozialen Netzwerken, Rapsongs oder anderer Symbolik bei der Weiterentwicklung gemeinsamer Ziele beziehungsweise der Sicherung des Erreichten?9

8

9

In dem Song mit dem Titel Ra’is bladikum (bzw. Rais Lebled) wurde zunächst in Tunesien, anschließend auch in Ägypten und Bahrain zum Protest gegen die Staatsgewalt aufgerufen. Vgl. GOSH, Bobby: Rage, Rap and Revolution. Inside the Arab Youth Quake, in: Time Magazine, 17. Februar 2011, http://www.time.com/time/magazine/article/0,9171,2050022,00.htm [13/08/13, 18.03h]: „the anthem of the young people who have shaken regimes from North Africa to the Arabian Gulf“. Gerade der Einsatz vermeintlich ‚westlicher‘ Protestsymbolik wie farblicher Uniformität, vestimentärer Abzeichen oder metaphorischer Sprache wurde und wird immer wieder der manipulativen Steuerung verdächtigt (‚colour revolutions‘); vgl. in Bezug auf den iranischen Wahlkampf WIEDEMANN: Grün ist die Hoffnung. Andererseits spiegelt die Furcht autoritärer Regime vor einer symbolischen ‚Ansteckung‘ sowie die Bekämpfung von Symbolik sogar im virtuellen Raum eindeutig die politische Macht der Symbole: Die chinesische Regierung ließ 2011 im Anschluss an die Jasmin-Revolution in Tunesien vorsorglich alle Reizwörter, die mit „Jasmin“ in Verbindung stehen, in Internetportalen löschen; vgl. WAGNER, Wieland: Chinas Jasmin-Revolution: Peking fürchtet den Revolutionsfunken, in: Spiegel online, 27. Februar 2001, in: http://www.spiegel.de/politik/ausland/chinas-jasmin-revolution-peking-fuerchtet-den-revolutionsfunken-a-747989.html [13/08/13, 18.25h]; KÖCKRITZ, Angela: Kein Jasmin in Peking, in: Zeit online, 5. März 2011, http://www.zeit.de/2011/10/China-Arabien [13/08/13, 18.28h]. Inwieweit Facebook und Mobiltelefone geeignete Mittel nicht nur zur Kommunikation und Mobilisierung, sondern auch zur dauerhaften Integrationsstiftung sowie zur Institutionalisierung politischer Macht und Meinungen sind, steht noch zu prüfen.

4

1. Einleitung

Darstellung von Macht und Ordnung, Steigerung von Akzeptanz und Autorität, Artikulation von Gegenmeinungen und alternativen Politikmodellen – diese aktuell diskutierten Zielsetzungen symbolischer Politik sowie die Problematik ihrer Realisierung und Wirkung sind auch Gegenstand der vorliegenden Untersuchung. Mit der Französischen Revolution erhielt die (alte) Debatte um symbolische Politik eine neue Dimension: Der Kampf gegen die politische und gesellschaftliche Ordnung des Ancien Régime, der umfassende Bruch mit der Vergangenheit und die Erschaffung eines ‚neuen Frankreich‘ wurden in den zehn Jahren zwischen Ballhausschwur und 18. Brumaire wesentlich durch symbolische Politik vorangetrieben und stets von symbolischen Praktiken begleitet. Zwischen den beiden Polen eines neuen Ordnungsideals im Zeichen der Freiheit und Volkssouveränität auf der einen und unter dem Eindruck permanenter Konflikterfahrungen auf der anderen Seite schickten sich die Revolutionäre an, ein ‚neues Frankreich‘ zu gestalten. Einerseits hoffte man, durch Zeichen der Macht und Rituale der Vergemeinschaftung die revolutionären Errungenschaften zu festigen; andererseits wurde jede erreichte Ordnung durch neue Zeichen des Protests und die Entstehung gesellschaftlicher Gegenbewegungen wiederum in Frage gestellt – eine Beruhigung oder Beendigung der Revolution schien lange Zeit unmöglich. Die Revolutionäre erfuhren in diesem Zusammenhang ebenso wie die politischen Akteure der Gegenwart, dass symbolische Politik stets einen darstellenden, vermittelnden Charakter und eine instrumentelle, zweckgeleitete Komponente besitzt – und dass die Übergänge zwischen diesen beiden Dimensionen fließend sind.10 Zwischen 1789 und 1799 wurden immer wieder neue Vorwürfe des Missbrauchs und der Manipulation laut und zwangen oder ermunterten die Entscheidungsträger zu weiteren Experimenten im Laboratorium einer neuen politischen Kultur, die die Ordnung der Ständegesellschaft und die Herrschaft des Gottesgnadentums durch individuelle Freiheitsrechte, Gleichheit vor dem Gesetz und die Verwirklichung des Prinzips der Volkssouveränität zu ersetzen versprachen. Die vorliegende Arbeit betrachtet das Phänomen der ‚symbolischen Politik‘ in historischer Perspektive und hat es sich zur Aufgabe gemacht, am Beispiel der Ersten französischen Republik Charakteristika und Probleme herauszuarbeiten, die als nach wie vor relevant für die politische Kultur unserer Gegenwart erachtet werden. Zwar hat die Moderne 10

Zur Unterscheidung dieser beiden Dimensionen symbolischer Kommunikation vgl. STOLLBERG-RILINGER, Barbara: Herstellung und Darstellung politischer Einheit: Instrumentelle und symbolische Repräsentation im 18. Jahrhundert, in: ANDRES, Jan (Hrsg.): Die Sinnlichkeit der Macht, Frankfurt am Main 2005, S. 73–92.

1.1 Fragestellung und Problemaufriss

5

seit 1789 das Verhältnis von Symbol und Politik in zahlreichen Ausprägungen neu erfunden und definiert: Die Entstehung der Massengesellschaft, die Erfahrungen von Faschismus und Totalitarismus und aktuell die Herausforderungen durch Medialisierung und Globalisierung haben immer neue Spielarten von symbolischer Politik hervorgebracht. Dennoch bestehen sowohl der Wunsch nach Integrationsstiftung durch diese Spielarten als auch die Praxis der Infragestellung derselben im politischen Machtkampf ungebrochen fort. Alle Gesellschaften, die nach 1789 ihre Legitimität nicht mehr aus einer göttlichen Ordnung ableiteten, sondern sich rein innerweltlich konstituierten, wurden stets aufs Neue durch die Chancen und Probleme symbolischer Politik herausgefordert. Für pluralisierte Gesellschaften erschien sie als Mittel zur Gemeinschaftsstiftung unabdingbar. Andererseits barg sie die Gefahr des Missbrauchs beziehungsweise der Verselbständigung stets in sich. Dabei soll nicht übersehen werden, dass es sich bei der Französischen Revolution um ein singuläres Ereignis handelt.11 Die Geschichte der Revolution ist eine Geschichte extremer politischer Auseinandersetzungen: In den zwölf Jahren zwischen dem Sturz Ludwigs XVI. und der Selbstkrönung Napoleon Bonapartes gab es fünf Verfassungsumbrüche und ebenso viele Staatsstreiche. Verfassung und gesellschaftliche Strukturen wurden von 1789 an als Werk des Menschen aufgefasst, der seine Umwelt selbständig, durch Gebrauch seiner Vernunft, gestalten sollte. ‚Politik‘ entwickelte sich in diesem Verständnis erstmals zu einer Tätigkeit mit scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten: Sie wurde als Agent zielstrebiger Veränderung, als prinzipiell einziger Vermittler von sozialen Beziehungen und staatlichen Institutionen erfahren und eingesetzt.12 Die Zeitgenossen erlebten intensiv, dass Macht keine statische Größe war, sondern dass sie als ein komplexes Geflecht von Akti11

12

Dies bedeutet weder eine Stellungnahme zur Debatte um die sogenannte ‚atlantische Revolution‘, noch sollen strukturelle Parallelen zu anderen Revolutionen des sogenannten ‚bürgerlichen Zeitalters‘ geleugnet werden – im Gegenteil erscheint eine vergleichende Studie unter stärkerer Berücksichtigung symbolpolitischer Fragen sehr wünschenswert. Vgl. grundlegend zu diesem Themenkomplex GODECHOT, Jacques: Les Révolutions (1770–1799), Paris 1963; TILLY, Charles: Die europäischen Revolutionen, München 1993; JOURDAN, Annie: La Révolution, une exception française?, Paris 2004. Wenn hier von ‚Singularität‘ die Rede ist, so soll angesichts der weitgehenden Kontinuitätsbehauptung im Hinblick auf Funktionen und Wirkungen symbolischer Politik vielmehr die Einzigartigkeit des jeweiligen historischen Kontextes, in dem diese zur Entfaltung kommen, betont werden. Vgl. Einleitung und Epilog von HUNT, Lynn: Symbole der Macht, Macht der Symbole. Die Französische Revolution und der Entwurf einer politischen Kultur, Frankfurt am Main 1989 [= dt. Übersetzung zu Politics, Culture and Class in the French Revolution, Cambridge 1984], besonders S. 22–27 sowie S. 253–282.

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1. Einleitung

vitäten und Beziehungen neu gestaltet werden konnte. Diese Erkenntnis setzte bislang unbekannte Kräfte frei – und führte zu einer Serie von Machtkämpfen zwischen wechselnden, sich immer weiter aufsplitternden und ausdifferenzierenden Parteiungen im Lager der Revolution und der Gegenrevolution.13 1792 stürzte die Pariser Volksbewegung die Monarchie; in Frankreich wurde eine Republik errichtet. Diese Entwicklung sollte die politischen Konflikte auf die Spitze treiben und die Idee der ‚neuen Ordnung‘ endgültig als abhängig von konkurrierenden Interessen und Interpretationen offenbaren. Der Krieg gegen die europäischen Monarchien, die Hinrichtung des Königs und der wachsende Widerstand gegen die Revolution in zahlreichen Landesteilen verschärften die Machtkämpfe weiter; die Durchsetzung von Notstandsmaßnahmen und Sondergerichtsbarkeit führten schrittweise in die Zeit der Terreur. Stabilität und Ordnung entwickelten sich zu politischen Gütern von hoher Bedeutung. Stärker noch als ihre Vorgänger setzten daher die Republikaner auf die Macht der Symbole und Rituale, um die Revolution zu beenden, die republikanische Ordnung zu stabilisieren und für die Zukunft zu sichern. Gegenstand der Untersuchung sind zunächst die verschiedenen Praxisfelder, auf denen symbolpolitische Aktivitäten entfaltet wurden: Über offizielle Hoheitszeichen, neue Formen der Herrschaftsrepräsentation, Umgestaltungen des öffentlichen Raumes und Stiftung einer neuen Festkultur setzten die Republikaner ihre Vorstellungen von Macht und Ordnung demonstrativ in Szene. Neben der Darstellung des neuen Regimes dachte man jedoch gleichzeitig auch über Möglichkeiten der Herstellung einer neuen Gesellschaft nach: Um die Akzeptanz für die Revolution zu erhöhen, ersann man neue Zeremonien und Routinen, neue Rituale und ‚Religionen‘, die den Einzelnen an die Republik binden und ihn republikanisch prägen sollten. In einer Zeit, in der noch keine festen Formen der gesellschaftlichen Interessensorganisation existierten, wurden mittels einer revolutionären Sprache, durch neue 13

1791 wurde Frankreich durch seine erste Verfassung zu einer konstitutionellen Monarchie; 1792 beseitigte die Volksbewegung diese Ordnung; nach Neuwahlen wurde eine Republik begründet, die sich im darauffolgenden Jahr eine demokratische Verfassung gab. Im Kontext von Krieg und Bürgerkrieg entwickelte sich das neue Regime über Sondergerichte und Ausnahmegesetzgebung zu einer Diktatur, bis ein Staatsstreich am 9. Thermidor II (27. Juli 1794) einen erneuten Machtwechsel einleitete, der im Jahr 1795 die dritte, nunmehr erneut an ein Zensuswahlrecht gebundene Verfassung hervorbringen sollte. Napoleon Bonaparte beseitigte dieses letzte Regime der Revolution am 18. Brumaire VIII (9. November 1799) und erließ für das sogenannte Konsulat eine vierte Verfassung, die Partizipationsrechte de facto außer Kraft setzte.

1.1 Fragestellung und Problemaufriss

7

Bilder von ‚Recht‘, ‚Staat‘ und ‚Gesellschaft‘ sowie über neue Formen der politischen Praxis (von Versammlungen und Ausschüssen bis hin zu Festen und Banketten) die sozialen Beziehungen fundamental neu gestaltet.14 In der unsicheren Umbruchssituation von der alten zu einer neuen Ordnung war symbolische Politik ein besonders geeignetes und weitestgehend akzeptiertes Instrument zur Beeinflussung politischer Einstellungen sowie zur Untermauerung von Machtansprüchen.15 Kritiker könnten an dieser Stelle zu Recht einwenden, der Gebrauch von Symbolen und Ritualen sei kein besonderes Kennzeichen ‚moderner‘ Politik – wenn man überhaupt geneigt ist, 1789 nach wie vor als die entscheidende Zäsur zur ‚Moderne‘ zu definieren.16 Ausübung von Macht erforderte schließlich auch und besonders in der Vormoderne symbolische Praktiken, wie zahlreiche Studien der vergangenen Jahre erneut bewiesen haben:17 Keine Herrschaft ohne Rituale und Gründungsmythen, ohne Geschichten und Symbole, die ihre Legitimität zeigen; keine soziale Ordnung ohne politischen Zeichengebrauch, der Hierarchien verdeutlicht und gesellschaftliche Rollen zuweist. Die Analyseergebnisse legen jedoch nahe, die Französische Revolution auch und gerade in kulturgeschichtlicher Hinsicht weiterhin als Epochenwende zu betrachten. Durch ihren Willen zum Bruch mit der Alten Ordnung wurde die Legitimität des Ancien Régime und der überkom14 15 16

17

Vgl. HUNT: Symbole der Macht, S. 25. Vgl. ebd., S. 74. Vgl. u. a. das Periodisierungskonzept von Jaeger, der die Moderne nach einer revolutionären Übergangszeit (1750–1850) erst Mitte des 19. Jahrhunderts beginnen lässt: JAEGER, Friedrich: Art. Neuzeit, in: Enzyklopädie der Neuzeit, http://www.enzyklopaedie-der-neuzeit.de/download/neuzeit.pdf [02/08/09, 19.17h]. Einen ähnlichen Ansatz vertritt auch Dipper, der die Moderne ab 1880 definiert: DIPPER, Christof: Moderne, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 25.8.2010, https://docupedia.de/zg/ Moderne?oldid=80259 [24/03/12, 17.50h]. Die vorliegende Arbeit versteht ‚Moderne‘ vor allem als Epochenbegriff, nicht als normative Kategorie, wie die ältere Modernisierungstheorie. Vgl. besonders Arbeiten aus dem Umfeld der Initiatoren des SFB 496 der Universität Münster: ALTHOFF, Gerd: Die Macht der Rituale. Symbolik und Herrschaft im Mittelalter, Darmstadt 2003; STOLLBERG-RILINGER, Barbara: Des Kaisers alte Kleider. Verfassungsgeschichte und Symbolsprache des alten Reiches, München 2008; Ausst.Kat. SPEKTAKEL DER MACHT. Rituale im Alten Europa 800–1800. Katalog- und Essayband, hrsg. von Barbara STOLLBERG-RILINGER, Jutta GÖTZMANN, Gerd ALTHOFF und Matthias PUHLE, Darmstadt 2008; FÜSSEL, Marian: Gelehrtenkultur als symbolische Praxis. Rang, Ritual und Konflikt an der Universität der Frühen Neuzeit, Darmstadt 2006; WELLER, Thomas: Theatrum praecedentiae: Zeremonieller Rang und gesellschaftliche Ordnung in der frühneuzeitlichen Stadt. Leipzig 1500–1800, Darmstadt 2006; KRISCHER, André: Reichsstädte in der Fürstengesellschaft. Politischer Zeichengebrauch in der Frühen Neuzeit, Darmstadt 2006.

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1. Einleitung

menen Herrschaftssymbole und -rituale grundsätzlich in Frage gestellt. Schon die konstitutionelle Monarchie sah sich gezwungen, neue politische Symbole zu erfinden, in denen die Ideale und Prinzipien der neuen Ordnung ausgedrückt werden konnten. 1789 begann somit ein komplexer Prozess der Aneignung, Umdeutung und Neuschaffung der politischen Symbolsprache. Der Sturz der Monarchie und die Einführung der Republik verschärften zusätzlich das Bedürfnis nach Erzeugung von Legitimität. Nach 1792 wurde erstmals eine rein innerweltlich definierte Ordnung von Staat und Gesellschaft gestaltet und in die Praxis umgesetzt. Diese Erfahrung beschleunigte gesellschaftliche Veränderungsprozesse und markiert den Beginn der Entstehung einer neuen politischen Kultur – auch wenn diese sich endgültig erst nach weiteren blutigen Auseinandersetzungen und Regimeumbrüchen im Frankreich des 19. Jahrhunderts durchsetzen sollte. Neu war vor allem der Impuls, die politische Symbolik und Ritualität fortan als politisches Projekt zu verstehen, welches konkret auf die Bedürfnisse der gegenwärtigen und zukünftigen Gesellschaft hin auszurichten sei. Symbolische Politik wurde aus dem Bereich der monarchisch-christlichen Tradition gelöst, sie wurde innerweltlich begründet und damit verhandelbar, sie erhob den Anspruch auf Transparenz und Partizipation aller Bevölkerungsschichten. Aus der prinzipiellen ‚Freiheit der Ordnung‘ sollte eine rational organisierte ‚Ordnung der Freiheit‘ erwachsen. Diese war nach dem 10. August 1792 aufs engste mit der republikanischen Staatsform selbst verbunden: Die Republik war zugleich soziokulturelles Produkt wie diskursives Phänomen, gleichzeitig Produkt und Produzent symbolpolitischer Aktivitäten.18 Neu im Vergleich zum Ancien Régime war auch die Erfahrung einer begrenzteren Wirkung und abnehmenden gesamtgesellschaftlichen Verbindlichkeit politischer Symbole und Rituale. Diese zielten zwar nach wie vor auf Integration und Gemeinschaftsstiftung. Angesichts der Perpetuierung des Machtkampfes und der damit verbundenen wiederholten Herrschaftsumbrüche konnten jedoch in der Regel nur noch Teilgemeinschaften stabilisiert werden: In der Transformationsgesellschaft schien kein umfassender Wertekonsens und damit auch keine gesamtgesellschaftliche Symbolisierung von ‚Einheit‘ mehr möglich. Allenfalls die Ideen des ‚Vaterlandes‘ und der ‚Nation‘ waren geeignet, als neue Größen weite Teile der Gesellschaft zu erreichen. Das kulturrevolutionäre Programm der Entchristianisierung und des Antiklerikalismus des 18

Vgl. ein ähnliches Verständnis der ‚Erschaffung‘ von Staatlichkeit auch bei: LANDWEHR, Achim: Die Erschaffung Venedigs. Raum, Bevölkerung, Mythos, 1570–1750, Paderborn 2007.

1.1 Fragestellung und Problemaufriss

9

Zweiten Direktoriums hingegen konnten sich nicht durchsetzen.19 Auch gelang es nicht, die Staatsform der ‚Republik‘ landesweit als festen Bestandteil der Selbstbeschreibung der politischen Identität der Franzosen zu etablieren. Die ‚Parteien‘ der royalistischen und demokratischen Reaktion entwickelten konkurrierende symbolische Praktiken, welche zur ‚republikanischen‘ Identität konträr waren. 20 Verschiedene Prozesse der Inklusion und Exklusion liefen nebeneinander ab und verstärkten oder blockierten sich gegenseitig. Fraktionskämpfe spalteten die politische Elite nicht nur in der Hauptstadt, sondern im ganzen Land. Die Pluralisierung und Säkularisierung der symbolischen Politik wurden begleitet von einer Verwissenschaftlichung ihrer Methodik sowie von einer Bürokratisierung und weiteren Rationalisierung ihres Einsatzes im politischen Machtkampf. 21 Dies zeigte sich einerseits in den Bemühungen um Normierung und Systematisierung des politischen Zeichengebrauchs, andererseits im wachsenden Kontrollwunsch der Obrigkeit gegenüber nicht-autorisierten Formen politischer Symbolik oder Ritualität. Jeder Einzelne sollte nach den Vorstellungen der Entscheidungsträger in seinem Innersten erreicht und ‚geformt‘ werden. Gleichzeitig mit dem Glauben an die unbegrenzte Gestaltbarkeit politisch-sozialer Verhältnisse erhielt damit auch der Vorbehalt gegenüber Manipulations- und Bevormundungsversuchen eine neue Qualität. Die Idee einer vermeintlich ‚nur‘ symbolischen, ansonsten aber inhaltsleeren Politik erwuchs aus der Erfahrung der permanenten Umund Neudeutung, die allzu offensichtlich die Fragwürdigkeit aller ‚für die Ewigkeit‘ getroffenen Entscheidungen nach kurzer Zeit offenbarte. Zur Untersuchung der skizzierten Themenfelder erscheint besonders die weniger gut bekannte letzte Phase der Französischen Revolution geeignet: die Zeit der Herrschaft von Thermidorianern (1794/95) und Direktorium (1795 bis 1799). Die Anfangsjahre der Republik, von 1792 bis 1794, standen im Zeichen von Krieg, Ausnahmegesetzgebung und der schrittweisen Errichtung der Jakobinerdiktatur. Erst nach dem 19

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Woloch bezeichnet die Auseinandersetzungen im Zweiten Direktorium als „un kulturkampf contre le traditionalisme basé sur la religion“, vgl. WOLOCH, Isser: La République directoriale et l’enseignement primaire, in: VOVELLE, Michel (Hrsg.): Révolution et République. L’exception française, Paris 1994, S. 312–323, S. 312. Dies bedeutete nicht zwangsläufig, dass sie auch konträr zur ‚nationalen‘ oder ‚konstitutionellen‘ Identität waren. Diese Prozesse werden als Basisprozesse von Modernisierung verstanden, die Frankreich in unterschiedlicher Intensität bereits in der Frühen Neuzeit erfassten und durch die Revolution einen Beschleunigungsschub erfuhren. Vgl. auch MAGER, Wolfgang: Zur Entstehung des modernen Staatsbegriffs, Wiesbaden 1968 (= Abhandlungen der Geistesund Sozialwissenschaftlichen Klasse. 9).

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1. Einleitung

Sturz Robespierres konnte sich die Herrschaft der Republikaner stabilisieren: Fortan bemühte man sich demonstrativ um die Einhaltung der verfassungsgemäßen Prinzipien sowie um eine verfassungskonforme Lösung der anhaltenden Machtkämpfe. Trotz zahlreicher Krisen zwischen 1795 und 1799 hatte das Direktorium lange genug Bestand, um nicht nur ein eigenes Stabilisierungsprogramm zu entwickeln, sondern auch verschiedene Wege der Umsetzung dieses Programmes auszuprobieren, dabei Erfolge und Misserfolge zu erfahren und darauf zu reagieren. 22 In dieser Zeit kam die Revolution im Sinne einer gelebten Veränderung der politischen und gesellschaftlichen Ordnung – und nicht im Sinne eines erlebten gewaltsamen Machtwechsels – überhaupt erst in der Provinz an. Der Alltag der Franzosen sollte durch die Republik als Ordnungsmodell auch in seinen kulturellen Grundfesten betroffen und verändert werden. Allen nach wie vor bestehenden Vorbehalten und Widerständen zum Trotz entwickelte sich dadurch erstmals eine republikanische politische Praxis, die nicht nur für den historischen Moment Bedeutsamkeit erreichte, sondern für den weiteren Verlauf der französischen und europäischen Geschichte des 19. Jahrhunderts prägend werden sollte. Die fünf Jahre zwischen der Herrschaft Robespierres und Napoleons sind darüber hinaus ein perfektes Untersuchungsfeld für die symbolische Praxis oppositioneller Politik. Trotz oder gerade wegen der erreichten Stabilisierung spielten sich in dieser Zeit zahlreiche politische Deutungs- und Richtungskämpfe ab. Die demokratische, liberale, monarchistische oder auch royalistische ‚Reaktion‘ auf die Politik von Thermidorianern und Direktorialisten entwickelte jeweils eigene Vorstellungen zur Gestaltung der ‚neuen Ordnung‘, welche die Strategien und Konzepte der Machthaber immer wieder in Frage stellten. In diesem Zusammenhang der anhaltenden Prozesse von ‚Revolution‘ und ‚Reaktion‘ – im Sprachgebrauch der Zeitgenossen noch wertneutral zur Bezeichnung von Angriffen rechter und linker Regimegegner benutzt – entfaltete symbolische Politik sowohl stabilisierende als auch destabilisierende beziehungsweise delegitimierende Wirkungen, je nachdem, von wem sie wann, wo und zu welchem Zweck artikuliert wurde. Ziel der Studie ist es, die symbolische Politik von offiziellen Entscheidungsträgern und Opposition der Ersten Republik genauer als 22

Ohne an dieser Stelle die Mittel und Wege bewerten zu wollen, die die Machthaber einsetzten, um im Inneren und Äußeren Ruhe und Ordnung wiederherzustellen, ist es zunächst einmal bemerkenswert, dass es den wechselnden Regierungen gelang, das aus Krise und Gewaltherrschaft hervorgegangene Regime fünf Jahre lang gegen wachsende Kritik und erstarkende Opposition zu verteidigen.

1.1 Fragestellung und Problemaufriss

11

bisher geschehen in ihrem historischen Kontext zu analysieren und im Hinblick auf die übergeordnete Fragestellung nach einer Änderung der Beziehung zwischen „Macht und Ritual“23 im Übergang zur Moderne zu interpretieren. Insgesamt geht es weniger um den Nachweis der Tatsache, dass sich das ‚Nouveau‘ ebenso wie das ‚Ancien Régime‘ mittels Symbolen und Ritualen selbst darstellte und kommunizierte; diese Erkenntnis haben die Forschungen der Revolutionshistoriker Michel Vovelle, Mona Ozouf, Lynn Hunt oder Annie Jourdan längst zutage gebracht. 24 Es geht um eine genauere Untersuchung des Wie und Wozu, der Mechanismen sowie der Funktionen der beobachteten symbolpolitischen Strategien. Eine gleichzeitig zusammenfassende und empirisch fundierte Studie zu diesem Thema war nach wie vor ein Desiderat der Forschung. Umbrüche in gesellschaftlichen Machtverhältnissen und politischen Verfassungen waren in der Geschichte meist verbunden mit einem Wandel sozialer Werte oder einer Veränderung in ihrer Rangordnung. Dabei ist nicht immer leicht zu entscheiden, ob der Streit um Werte zu den propagandistischen Mitteln des Machtkampfes gehört, oder ob die Verwirklichung bestimmter Werte das Ziel solcher Kämpfe darstellt. 25 Diese Erkenntnis gilt auch für die symbolische Politik der Ersten Republik: Politische Symbole und Rituale waren alltägliche Elemente und Instrumente der revolutionären Politik. 26 Sie sind nicht als bloße Metaphern der Macht zu verstehen, sondern waren Mittel, mit denen konkrete politische Ziele verfolgt wurden. Dabei ist es zunächst sogar unerheblich, 23

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So der Titel des Teilprojektes (C5), aus dem heraus diese Arbeit im Münsteraner Sonderforschungsbereich 496 entstanden ist: „Macht und Ritual im Zeitalter der Französischen Revolution“. Vgl. VOVELLE, Michel: Les métamorphoses de la fête en provence de 1750 à 1820, Paris 1976 (= Bibliothèque d’éthnologie historique); OZOUF, Mona: La fête révolutionnaire. 1789–1799, Paris 1976; HUNT: Symbole der Macht; JOURDAN, Annie: Les Monuments de la Révolution (1770–1804). Une histoire de représentation, Paris 1997. Wertpropaganda kann als Fassade strategische oder ökonomische Ziele verdecken. Traditionen werden im Kontext solcher Wertekonflikte in positiver oder negativer Weise in Anspruch genommen, werden symbolisch verstärkt und unterschiedlich gedeutet. Die Dramatik der Ereignisse geht dabei selbst mit in die Topoi der Argumentation ein. Dies gilt ebenso für die fundamentale Umbruchserfahrung der Französischen Revolution wie für andere Epochenwenden, z. B. für die italienische Renaissance: Vgl. SIEP, Ludwig: Der Streit um die wahren politischen Tugenden in der italienischen Renaissance, in: STOLLBERG-RILINGER, Barbara und Thomas WELLER (Hrsg.): Wertekonflikte – Deutungskonflikte. Internationales Kolloquium des SFB 496 an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, Münster 2007, S. 143–160, S. 143. Lynn Hunt formuliert, sie seien „Mittel und Zweck zugleich“, HUNT: Symbole der Macht, S. 72.

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1. Einleitung

ob diese Zielsetzung bewusst oder unbewusst geschah. Indem Symbole und Rituale eine politische Position manifestierten, machten sie es möglich, ihr anzuhängen, sie abzulehnen oder ihr gleichgültig gegenüberzustehen. Unstrittig erscheint jedoch, dass sie in diesem Prozess explizit zu einem politischen Streitobjekt wurden, dessen Relevanz, Ausgestaltung und Anwendung immer neu ausgehandelt wurde. Mit der ‚Politik‘ wurde in der Französischen Revolution gleichzeitig die ‚Symbolpolitik‘ geboren: ein zusammenhängender Diskurs über den ‚richtigen‘ Einsatz von Symbolen und Ritualen zur Erziehung und Beeinflussung von Meinungen sowie zur Stabilisierung erreichter Machtpositionen und Legitimierung von Herrschaftsansprüchen. Im Zuge der andauernden Auseinandersetzungen wurde diese zu einer Waffe im Machtkampf geschmiedet, die bewusst eingesetzt wurde, um die eigene Ordnungsvorstellung gegen konkurrierende Ideen durchzusetzen. Die Argumentation wird in drei Schritten aufgebaut: Kapitel 2 interessiert sich für die Versuche der Republikaner, ihre Macht durch Repräsentation und Inszenierung ihrer wichtigsten Akteure, Institutionen und Prinzipien zur Anschauung zu bringen. Dabei agierten sie auf denselben Feldern, die traditionell dem Monarchen vorbehalten gewesen waren: Sie setzten neue Hoheitszeichen ein, erfanden neue ‚Ornate‘ und ‚Insignien‘, schufen repräsentative Architekturen und zelebrierten sich selbst anlässlich von Festen und Zeremonien. Gleichzeitig bemühte man sich um ein neues Verständnis dieser Repräsentationsformen, welches die Praxis der Adaption als Umdeutung und Weiterentwicklung rechtfertigte. Kapitel 3 behandelt die instrumentelle Seite der Symbolpolitik: Am Beispiel des Diskurses über die ‚republikanischen Institutionen‘ wird das republikanische Erziehungsprojekt der ‚neuen Gesellschaft‘ erläutert. Auf allen Gebieten, die früher die Kirche mit ihren Traditionen und Ritualen bestritten hatte, wurden neue Routinen und Zeremonien gestiftet; anstelle der Religion wurde über neue Möglichkeiten der Bindung des Einzelnen an das Gemeinwesen nachgedacht (zum Beispiel durch Eide, Feste, Ersatzkulte). Kapitel 4 betrachtet schließlich die ‚inoffizielle‘ symbolische Politik der Republik, die sich in den Kommunikations- und Aktionsformen der Reaktion und der entstehenden Opposition artikulierte. Über symbolische Ausdrucksformen formierten sich die Regimegegner als veritable ‚Gegenmacht‘, die eine Beruhigung des revolutionären Prozesses sowie jede gezielte Gestaltung der republikanischen Ordnung letztlich unmöglich machte. ‚Ordnungsideal‘ und ‚Konflikterfahrung‘ – damit sind die beiden Pole benannt, zwischen denen sich die symbolische Politik der Ersten Republik in den sieben Jahren ihres Bestehens entfalten sollte.

1.2 Geschichtsbild und Forschung

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1.2 Ge1.2 Geschichtsbild und Forschung schichtsbild „Le directoire exécutif est en activité; les ministres sont nommés; enund Forfin nous avons un gouvernement!“ Mit diesen Worten begrüßte Jean schung Jacques Lenoir De La Roche in der Samstagsausgabe der Gazette nationale vom 7. November 1795 das Zusammentreten desjenigen Fünfer-Gremiums, das fortan die Geschicke Frankreichs leiten sollte: „Cet évènement aura sans doute une grande influence sur les affaires comme sur l’esprit public.“27 Die Begeisterung der ersten Tage sollte sich in den 48 Monaten von der Wahl des ersten Direktoriums bis zum Staatsstreich um Emmanuel Joseph Sieyès und Napoleon Bonaparte vom November 1799 kontinuierlich abnutzen. Tatsächlich erholten sich weder die Wirtschaft noch die öffentliche Meinung in diesen späten Jahren der Französischen Revolution dauerhaft. Doch die negative innenpolitische Bilanz erklärt nur zu einem Teil den schlechten Ruf, der dem letzten revolutionären Regime von Beginn des 19. Jahrhunderts an bis in die heutige Zeit anhängt. Denn unter den wechselnden Direktorenkollegien entstand auch vieles, was Frankreich im gesamten 19. und bis in das 21. Jahrhundert hinein prägen sollte: von den Vorläufern des Code civil 28 über die Währung des Franc 29 bis zur Idee der grande nation30. Das Palais Bourbon, bis heute Sitzungsort des französischen Parlaments, wurde erstmals von gewählten Volksvertretern der französischen Republik bezogen: Teile der Innenausstattung des Sitzungssaales stammen noch aus dieser Zeit. Das Palais du Luxembourg, heute Sitz des Senats, wurde 1795 für die Direktoren zum Regierungspalast ernannt und ist seitdem Sitz verfassungsgemäßer Institutionen. Die Wissenschaftsakademie des Institut de France, bis heute Aushängeschild eines rationalen Politik- und Gesellschaftsverständnisses, aus dem heraus der französische Staat sich selbst definiert, wurde 1795 in der dritten Verfassung der Revolution begründet. Minister des Zweiten Direktoriums erfanden die Tradition 27 28 29 30

Gazette nationale ou Le Moniteur universel n° 46, 16 brumaire IV (7. November 1795). Dieser wurde von einer eigenen Kommission seit den Tagen des Thermidor erarbeitet. Der Franc wurde 1795 als nationale Währung und Nachfolger des Livre eingeführt; er war die erste Dezimalwährung Europas. Diese Bezeichnung prägte politische Reden und Debatten des Zweiten Direktoriums von 1797 an; vgl. zur Begriffsgeschichte u. a. GUIOMAR, Jean-Yves: Histoire et significations de ‚la Grande Nation‘ (août 1797–automne 1799): Problèmes d’interprétation, in: DU DIRECTOIRE AU CONSULAT, Bd. 1: Le lien politique local dans la grande nation, hrsg. von Jacques BERNET, Jean-Pierre JESSENNE und Hervé LEUWERS, Villeneuve d’Ascq o. J. [= Table ronde Valenciennes März 1998], S. 317–327. Weitere Hinweise vgl. Kapitel 2.4.4.

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1. Einleitung

der Industrieausstellungen, Vorläufer der späteren Weltausstellungen. Auch im Pariser Stadtbild hat die Zeit ihre Spuren hinterlassen, beispielsweise durch Umbenennungen von Plätzen wie der Place de la Révolution in Place de la Concorde oder von Institutionen wie des Théâtre français in Théâtre de l’Odéon – gemäß dem herrschenden Zeitgeist, der die Antike als Vorbild für die Gegenwart betrachtete.31 Dennoch hat keine französische Regierung dieser Vorgängerrepublik besondere Ehren erwiesen, geschweige denn deren Andenken ausdrücklich gefördert. Die Internetseiten der Nachfolgeinstitutionen, wie zum Beispiel des Sénat, der heute im Palais du Luxembourg residiert, verschweigen dieses Kapitel ihrer Geschichte teilweise ganz32 oder erwähnen es allenfalls am Rande33. Im kollektiven Gedächtnis der Franzosen besteht in Bezug auf das Direktorium ein negatives Geschichtsbild; auch zum 200-jährigen Jubiläum des Regimes war das öffentliche Interesse gering. 2005 wurde die Epoche erstmals ausdrücklich zum Thema einer historischen Ausstellung gemacht – freilich in Verbindung mit dem ungleich populäreren Konsulat Napoleon Bonapartes.34 Immerhin knapp 33.000 Besucher sahen die Inszenierung im Pariser Musée Carnavalet – eine Debatte über die Bedeutung des Direktoriums für die französische politische Kultur blieb jedoch aus.35

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Vgl. RADICCHIO, Giuseppe und Michèle SAJOUS D’ORIA: Les théâtres de Paris pendant la Révolution, Fasano 1990, S. 58. 1793/94 war das Theater bereits umbenannt worden in Théâtre du peuple oder Théâtre de l’Égalité. Der Reisebericht einer Engländerin weist schon 1796 auf die neuerliche Namensänderung hin: In ihrem Brief vom 20. November 1796 beschreibt die Autorin, an dem Gebäude habe, in Erinnerung an griechische Vorbilder, die Inschrift „ODEON“ geprangt. Vgl. A Sketch of Modern France in a Series of Letters to a Lady of Fashion. Written in the Years 1796 and 1797 during a Tour Through France by Lady C. L. Moody, London 1798, S. 162. Vgl. http://www.senat.fr/lng/de/palais_national.html [05/06/09, 12.52h]. Vgl. http://www.senat.fr/histoire/index.html [05/06/09, 12.52h]. Die Ausstellung Au temps des Merveilleuses trug jedoch kaum dazu bei, das negative politische Geschichtsbild des Direktoriums zu differenzieren, zeichnete sie doch in Ausstellungsräumen und Begleitpublikationen ein vorwiegend designhistorisches Bild einer entpolitisiert wirkenden Gesellschaft, die die Revolution in Mode- und Stilfragen kanalisiert zu haben schien. Dass sich die gezeigten kulturellen Praktiken jedoch in einer zutiefst gespaltenen Gesellschaft abspielten, konnte der aufmerksame Ausstellungsbesucher allenfalls in einigen Objektbeschreibungen versteckt erfahren. Vgl. Ausst.Kat. AU TEMPS DES MERVEILLEUSES. La société parisienne sous le Directoire et le Consulat, Musée Carnavalet, 9. März–12. Juni 2005, Paris 2005. Nicht zufällig bot der Museumsshop begleitend zur Ausstellung eine Neuauflage der Gesellschaftsgeschichte der Brüder Goncourt an. Vgl. GONCOURT, Edmond et Jules de: Histoire de la société française pendant le Directoire, Paris 1992 [Nachdruck der Auflage von 1864]. Die Besucherzahl stammt aus der offiziellen Statistik des Musée Carnavalet.

1.2 Geschichtsbild und Forschung

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In ähnlicher Form hatten die Historiker diese Periode lange Zeit in die zweite Reihe der Geschichte verwiesen: Zu Recht bezeichneten François Furet und Denis Richet das Direktorium als „Aschenputtel der französischen Geschichtsschreibung“36; Pierre Serna sprach sogar von einem „Nicht-Erinnerungsort“37. Das Bild oder auch ‚Image‘ der spätrevolutionären Republik war folglich in Wissenschaft und Öffentlichkeit ein negatives – ohne dass diese Epoche je umfassend erforscht worden wäre.38 Denn als selbsterklärtes Regime der politischen ‚Mitte‘ hatte das Direktorium seit seiner Gründung bis zur 200-Jahrfeier der Revolution die linke Tradition der Revolution und die rechte der autoritären Ordnung gleichermaßen gegen sich. Philippe Bourdin und Bernard Gainot, die zum Bicentenaire des sogenannten Zweiten Direktoriums 1997 erstmals ein großes wissenschaftliches Kolloquium zu der Epoche organisierten, beschreiben den negativen Geschichtsmythos, der sich mit dieser Zeit verbindet, als ‚légende noire‘ – als Legende, die das Scheitern der demokratischen Ideen der Volksbewegung nur umso dramatischer, beziehungsweise im entgegengesetzten politischen Lager den Aufstieg Napoleon Bonapartes nur noch schillernder und außergewöhnlicher erscheinen ließ.39 Die Geschichtsschreibung des konservativen ebenso wie des marxistischen Lagers erzählte bis weit ins 20. Jahrhundert hinein die Ge36 37

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FURET, François und Denis RICHET: Die Französische Revolution, Frankfurt am Main 1987, S. 408. SERNA, Pierre: Le Directoire… Un non lieu de mémoire à révisiter, in: LA RÉPUBLIQUE DIRECTORIALE. Actes du colloque de Clermont-Ferrand, 22–24 mai 1997, Textes réunis par Philippe BOURDIN et Bernard GAINOT, Clermont-Ferrand 1998 (= Bibliothèque d’histoire révolutionnaire: Nouvelle série. 3), Bd. 1, S. 37–63. Angesichts neuer Forschungsergebnisse hat Serna seine Ansicht inzwischen zumindest in geschichtswissenschaftlicher Perspektive relativiert, vgl. SERNA, Pierre: Introduction. Le Directoire, miroir de quelle République?, in: Ders. (Hrsg.): Les Républiques sœurs. Le Directoire et la Révolution atlantique, Rennes 2009, S. 7–20. Vgl. VOVELLE, Michel: Introduction, in: LA RÉPUBLIQUE DIRECTORIALE, Bd. 1, S. 25–34, S. 27: „Le Directoire souffre à la fois d’être une période mal connue et mal jugée, les deux traits, on s’en doute n’étant pas indifférents l’un à l’autre.“ BOURDIN, Philippe und Bernard GAINOT: Avant-propos, in: LA RÉPUBLIQUE DIRECTORIALE, Bd. 1, S. 11–24, S. 11: „[…] le Directoire, victime d’une ‚légende noire‘ forgée par les comploteurs de brumaire (et répétée sans nuances depuis) ou réduit par des héritiers d’A. Aulard à une ‚république bourgeoise‘ mortelle pour les conquêtes révolutionnaires“; Serna wies in demselben Band darauf hin, diese ‚légende‘ sei bereits nach dem Staatsstreich von 1797 von den Zeitgenossen gestiftet worden: „Point n’est besoin de trop insister sur la légende noire du Directoire. Tout historien portant son intérêt sur cette période se voit confronté aux ponctifs durables qui ont perdu de réputation cette expérience républicaine.“ SERNA: Le Directoire… Un non lieu de mémoire à révisiter, S. 37.

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1. Einleitung

schichte der Jahre 1794 bis 1799 als eine Geschichte des Scheiterns, die stark von ihrem Ende her bewertet wurde. Bis heute finden neue Forschungsergebnisse nur langsam ihren Weg in Überblicksdarstellungen oder Literaturberichte zum revolutionären Jahrzehnt.40 Zwar, so urteilte Serna 2009, sei es angesichts der Fülle der seit dem Bicentenaire entstandenen neuen Arbeiten zu den Jahren 1794 bis 1799 inzwischen doch eher eine rhetorische Figur oder intellektuelle Fehlleistung, wenn Historiker nach wie vor die stiefkindliche Behandlung der Epoche beklagten.41 Dennoch: Viele der von Serna angeführten Aufsätze und Studien neueren Datums behandeln nur Teilaspekte der Epoche; eine inhaltlich und methodisch neuere Arbeit speziell über die Zeit von Thermidor und Direktorium lässt nach wie vor auf sich warten.42 Als Standardwerk gilt – trotz seines tendenziell moralisierenden und den Republikanern des Direktoriums gegenüber äußerst kritisch eingestellten Tons – die in den Jahren 1942 und 1943 an der Sorbonne gehaltene Vorlesung von Georges Lefebvre, welche leider auch in der überarbeiteten Publikation keinen Anmerkungsapparat aufweist.43 Neben Lefebvre galt lange JeanRené Suratteau als bester Kenner der Epoche, der sich in einer Reihe von Regional- und Einzelstudien unter anderem mit den Wahlen des Direktoriums befasste.44 Zu einigen Aspekten liefert immer noch die 40

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Das gilt auch für die deutschen Überblicksdarstellungen: Vgl. u. a. SCHULIN, Ernst: Die Französische Revolution, 4., überarb. Aufl., München 2004, S. 247–263; THAMER, HansUlrich: Die Französische Revolution, München 2004, S. 103–110. Neuere Forschungsergebnisse finden sich berücksichtigt bei LACHENICHT, Susanne: Die Französische Revolution, Darmstadt 2012 (= Geschichte kompakt), die allerdings auf allzu knappen zehn Seiten abgehandelt werden müssen. Vgl. SERNA: Introduction. Le Directoire, miroir de quelle République, S. 7. Zuletzt vgl. TULARD, Jean: Les Thermidoriens, Paris 2005, der allerdings die neuere Forschung nicht berücksichtigt. Auch der 2005 von Lynn Hunt veröffentlichte Überblick zur politikgeschichtlichen Revolutionsforschung der letzten 15 Jahre schweigt über die neuen Studien zum Directoire: HUNT, Lynn: Relire l’histoire du politique, in: MARTIN, Jean-Clément (Hrsg.): La Révolution à l’œuvre. Perspectives actuelles dans l’histoire de la Révolution française, Rennes 2005, S. 117–124. Vgl. LEFEBVRE, Georges: La France sous le Directoire 1795–1799, nouvelle édition, avantpropos d’Albert SOBOUL, présentation de Jean-René SURATTEAU, Paris 1984 [Erstausgabe von 1977]. Vgl. SURATTEAU, Jean-René: Le département du Mont-Terrible sous le régime du Directoire (1795–1800). Étude des contacts humains, économiques et sociaux dans un pays annexé et frontalier, Paris 1965; ders.: Les élections de l’an VI et le „Coup d’état du 22 floréal“ (11 mai 1798). Etude documentaire, statistique et analytique, Essai d’interprétation, Paris 1971; ders.: Les élections de l’an IV, in: AHRF (1951), S. 374–393 und in: AHRF (1952), S. 32–63; ders.: Les élections de l’an V aux Conseils du Directoire, in: AHRF (1958), S. 21–63; eine Hommage an Suratteau vgl. GAINOT, Bernard: JeanRené Suratteau. Historien politique du Directoire, in: AHRF 316 (2006), mis en ligne le:

1.2 Geschichtsbild und Forschung

17

zwar stark (royalistisch) tendenziöse, aber quellenreiche und gut annotierte Gesamtdarstellung von Ludovic Sciout aus der Zeit der Dritten Republik die meisten Hinweise und (zumindest nachprüfbaren) Informationen.45 Die beste Überblicksdarstellung jüngeren Datums stammt aus der Feder eines Wirtschaftshistorikers.46 In der Tat kann die Untersuchung jedoch an eine Reihe von sehr guten neueren Einzelstudien anknüpfen, wie beispielsweise an die im Umfeld von französischen Kolloquien der 1990er Jahre entstandenen Beiträge zur Demokratiegeschichte des Direktoriums.47 Der gleiche Autorenkreis veröffentlichte auch in monographischer Form eine Reihe von Spezial- und Regionalstudien zum Direktorium.48 Rechtsgeschichtlich war es Patrice Higonnet, der erstmals den äußerst rigiden Charakter der Rechtsprechung nach 1795 und deren Auswirkungen auf die Wahrnehmung und Stabilität der Republik thematisiert hat.49 Zu

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16 mars 2006, http://ahrf.revues.org/document1808.html [15/08/08, 08.31h]. Aus dem Schülerkreis des britischen Historikers Richard Cobb vgl. außerdem: LEWIS, Gwynne und Colin LUCAS (Hrsg.): Beyond the Terror. Essays in French Regional and Social History, 1794–1815, Cambridge u. a. 1983. SCIOUT, Ludovic: Le Directoire, 4 Bde., Paris 1895–1897. WORONOFF, Denis: La République bourgeoise de Thermidor à Brumaire 1794–1799, Paris 1972 (= Nouvelle Historie de la France contemporaine. 3); vgl. außerdem, wenn auch auf knappem Raum und eher an eine nicht-wissenschaftliche Zielgruppe gerichtet (ohne klassischen Anmerkungsapparat) die problemorientierte Synthese in: BIARD, Michel, Philippe BOURDIN und Silvia MARZAGALLI: Révolution, Consulat, Empire: 1789–1815, Paris 2009 (= Histoire de France). Vgl. DUPUY, Roger und Marcel MORABITO (Hrsg.): 1795: Pour une République sans Revolution, colloque international, 29 juin–1er juillet 1995, Rennes 1996; VOVELLE, Michel (Hrsg.): Le tournant de l’an III. Réaction et Terreur blanche dans la France révolutionnaire, Paris 1997; LA RÉPUBLIQUE DIRECTORIALE, 2 Bde.; DU DIRECTOIRE AU CONSULAT, Bd. 1–4, Villeneuve d’Ascq u. a. 1999–2001: Bd. 1: Le lien politique local dans la grande nation, hrsg. von Jacques BERNET, Jean-Pierre JESSENNE und Hervé LEUWERS, Villeneuve d’Ascq o. J. [= Table ronde Valenciennes März 1998]; Bd. 2: L’intégration des citoyens dans la grande nation, hrsg. von Hervé LEUWERS, in Zusammenarbeit mit Jacques BERNET und Jean-Pierre JESSENNE, Villeneuve d’Asq 2000 [= Table ronde Lille März 1999]; Bd. 3: Brumaire dans l’histoire du lien politique et de l’État-Nation, hrsg. von Jean-Pierre JESSENNE, Lille und Rouen 2001 [= Colloque Rouen März 2000]; Bd. 4: L’institution préfectorale et les collectivités territoriales, hrsg. von Pascal DUPUY, Jean-Pierre JESSENNE und Christine LE BOZEC, Lille und Rouen 2001 [= Colloque Rouen März 2000]. Vgl. besonders: BOURDIN, Philippe: Le Puy-de-Dôme sous le Directoire. Vie politique et esprit public, Clermont-Ferrand 1990; GAINOT, Bernard: 1799, un nouveau jacobinisme? La démocratie représentative, une alternative à brumaire, Paris 2001 (= Mémoires et documents d’histoire de la Révolution française. 55). Vgl. HIGONNET, Patrice: Class, Ideology, and the Rights of Nobles during the French Revolution, Oxford 1981. Michel Troper legte außerdem eine juristische Neuinterpretation des Textes der Verfassung des Jahres III vor: TROPER, Michel: Terminer la Révolution. La Constitution de 1795, Paris 2006.

18

1. Einleitung

Recht gilt darüber hinaus Bronislaw Baczko als einer der besten Kenner der späten Revolution:50 Baczkos Verdienst ist es, die Geschichte des Direktoriums als Laboratorium der modernen Politik entdeckt zu haben, dessen Erfahrungen noch weit in das 19. Jahrhundert ausstrahlen sollten.51 Der Schwerpunkt seiner Arbeiten liegt jedoch auf den Jahren 1794/95.52 Wichtige Impulse für die eigene Arbeit konnten auch aus den Studien von Pierre Serna gewonnen werden: Er verfasste eine ausführliche biographische Untersuchung über den Publizisten und Politiker Antonelle, die den politischen Kontext der Direktorialzeit unter methodisch neuen Ansätzen einer Politik- und Sozialgeschichte betrachtet.53 Sernas Republikgeschichte über das Regime der ‚Wendehälse‘ („girouettes“) deutet die französische Geschichte des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts erstmals als Geschichte einer Politik der ‚extremen Mitte‘ („de l’exrême centre“) und distanziert sich damit von der Idee der in Republikaner und Royalisten gespaltenen Nation.54 Damit nimmt er die Erfahrungswelt der Zeitgenossen als Maßstab, nicht die späteren Deutungen der Historiographie. Die Schwerpunktthemen dieser Arbeit, die symbolisch ausgetragenen Macht- und Fraktionskämpfe, tauchen in der neueren Literatur nur am Rande auf.55 Neo-Jakobiner und Royalisten werden in der Regel als getrennte Phänomene behandelt.56 Eine Reihe von neueren Studien aus 50 51 52 53 54 55

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Vgl. SERNA: Introduction. Le Directoire, miroir de quelle République, S. 8. Vgl. BACZKO, Bronislaw: Comment sortir de la Terreur? Thermidor et la Révolution, Paris 1989; ders.: Politiques de la Révolution Française, Paris 2008. Vgl. ebd. sowie BACZKO, Bronislaw: Le tournant culturel de l’an III, in: DUPUY/MORABITO: 1795: Pour une République sans Revolution, S. 17–37. Vgl. SERNA, Pierre: Antonelle. Aristocrate révolutionnaire 1747–1817, Paris 1997. Vgl. SERNA, Pierre: La République des girouettes (1789–1815… et au-delà). Une anomalie politique: La France de l’extrême centre, Paris 2005. Eine Ausnahme stellen die Arbeiten von Clay dar, der die Fraktionskämpfe (wenn auch nicht deren symbolische Dimension) ins Zentrum seiner Arbeiten über Südfrankreich stellt: CLAY, Stephen: ‚Réaction‘ dans le Midi (1795–1800). Le vocable de la vengeance, in: DICTIONNAIRE DES USAGES SOCIO-POLITIQUES (1770–1815), hrsg. von der Equipe „18ème et Révolution“, Bd. 6: Notions pratiques, o. O. 1998, S. 157–186; ders.: Les réactions du Midi: conflits, continuités et violences, in: AHRF 345 (2006), S. 55–91; ders.: Justice, vengeance et passé révolutionnaire: les crimes de la Terreur Blanche, in: AHRF 350 (2007), S. 109–133; ders.: Vengeance, Justice and the Reactions in the Revolutionary Midi, in: French History 23 (2009), S. 22–46. Wobei das Phänomen der Jakobiner deutlich besser erforscht ist. Vgl. u. a. GAINOT: 1799, un nouveau jacobinisme; PEYRARD, Christine: Les jacobins de l’Ouest. Sociabilité révolutionnaire et formes de politisation dans le Maine et la Basse-Normandie (1789–1799), Paris 1996; SCHÖNPFLUG, Daniel: Der Weg in die Terreur. Radikalisierung und Konflikte im Straßburger Jakobinerclub 1790–1794, München 2002.

1.2 Geschichtsbild und Forschung

19

dem anglo-amerikanischen Sprachraum setzt sich vor allem in ideengeschichtlicher Perspektive mit dem Direktorium auseinander: Livesey untersucht die Weiterentwicklung bestehender Konzepte des Republikanismus in Richtung eines ‚commercial republicanism‘57; Jainchill thematisiert die Republik des Direktoriums als Ausgangspunkt der ‚Erfindung‘ des französischen Liberalismus58. Keine dieser Arbeiten macht die symbolische Dimension der Auseinandersetzungen und deren Relevanz für die politische Kultur im Umbruch zur Moderne explizit zum Thema. Diese werden allenfalls in kunsthistorischen Abhandlungen betrachtet, die in der Regel nur in Aufsatzform vorliegen.59 Isser Wolochs Monographie über das „New Regime“ fragt zwar ähnlich wie die vorliegende Arbeit nach den Praxisfeldern und Problemen bei der Durchsetzung der ‚neuen Ordnung‘ – allerdings aus streng sozialgeschichtlicher Perspektive, was zu einer anderen Schwerpunktsetzung führt.60 Die Transformation des zivilen Lebens und seiner Institutionen in den Jahren zwischen 1789 und 1820 wird von Woloch am Beispiel von sechs konkreten Themenfeldern untersucht: der politischen Partizipation, dem dörflichen Leben, der Schule, der Armenfürsorge, der Justizverwaltung und des Militärdienstes. Die vorliegende Untersuchung ist angesiedelt zwischen einerseits klassisch politikgeschichtlich orientierten Analysen zu Thermidor und Direktorium und andererseits kunsthistorischen oder kulturwissenschaftlichen Fallstudien. Für den gewählten Ansatz standen in inhaltlicher wie in methodischer Hinsicht eine Reihe von Monographien Pate, die sich weniger mit Thermidor und Direktorium im Besonderen als vielmehr mit dem Phänomen der symbolischen Politik beziehungsweise Symbolpolitik der Revolution im Allgemeinen beschäftigt haben. Nachdem die Revolutionshistoriographie lange in dem Streit zwischen einer konservativen und einer sozialistischen Interpretationsrichtung

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Vgl. LIVESEY, James: Making Democracy in the French Revolution, Cambridge (Mass.) u. a. 2001 (= Harvard Historical Studies. 140). Vgl. JAINCHILL, Andrew: Reimagining Politics after the Terror. The Republican Origins of French Liberalism, Ithaca (N. Y.) u. a. 2008. Vgl. u. a. BORDES, Philippe: Les arts après la Terreur: Topino-Lebrun, Hennequin et la peinture politique sous le Directoire, in: Revue du Louvre (1979), S. 199–212; BORDES, Philippe und Régis MICHEL: Aux armes et aux arts. Les arts de la révolution 1789–1799, Paris 1988 (= Librairie du bicentenaire de la Révolution Française); POMMIER, Édouard: L’art de la liberté. Doctrines et débats de la Révolution Française, Paris 1991 (= Librairie du bicentenaire de la Révolution Française). Vgl. WOLOCH, Isser: The New Regime. Transformations of the French Civic Order, 1789–1820s, New York und London 1994.

20

1. Einleitung

verharrte, die vor allem ursachen-,61 politik-, ideen- und personengeschichtliche Forschung betrieben haben,62 leiteten die Forschungen von Michel Vovelle in den 80er Jahren einen Paradigmenwechsel zu mentalitäts- und kulturgeschichtlichen Interpretationen der Revolution ein.63 Vovelle sah den entscheidenden Charakter der Revolution nicht in den wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen, sondern in der kollekti61

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So der Vorwurf von Lynn Hunt: Sowohl Marxisten als auch Revisionisten hätten sich stets mehr für die Frage nach den Ursachen und Konsequenzen der Revolution interessiert als für die Revolution ‚als Erfahrung‘; vgl. HUNT: Symbole der Macht, S. 14. Neuere Interpretationen zu den Ursachen der Revolution vgl. bei CAMPBELL, Peter R. (Hrsg.): The Origins of the French Revolution, Basingstoke u. a. 2006. Einen Überblick über die wichtigsten Werke vgl. bei FEHRENBACH, Elisabeth: Vom Ancien Regime zum Wiener Kongress, 5. Aufl., München 2008, S. 162ff.; zum Folgenden vgl. ebd., S. 162–186. Die konservative Geschichtsschreibung bildet die älteste Schule: Kritiker bezeichneten die Jakobiner als Volksverschwörer und die Schreckensherrschaft als ‚das eigentliche Wesen‘ der Revolution. Seit Adolphe Thiers (1823) wurden im liberal-bürgerlichen Lager aber auch Errungenschaften der Revolution hervorgehoben: die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, die Neuordnung Frankreichs durch die Konstituante und die Verfassung von 1791. Alphonse Aulard war der erste, der auch der Jakobinerdiktatur positive Errungenschaften zuschrieb. Auf ganz andere Weise aktualisierten jedoch sozialistische Interpretationen das Erbe der Revolution: Jean Jaurès verfasste 1901–1904 die erste „Histoire socialiste de la Révolution française“, der die Gesamtdarstellungen von Mathiez, Lefebvre und Soboul verpflichtet sind. Sowjetmarxistische Ansätze konzentrierten sich noch stärker auf den Aktivismus der Volksbewegung und das kommunistische Gedankengut bei Vordenkern wie Babeuf. Sozialistische und marxistische Interpretationen deuteten die Revolution als Ergebnis eines Klassenkampfes zwischen Bourgeoisie und Feudaladel. Diese Globaldeutung wurde von der sogenannten ‚revisionistischen‘ Schule streng zurückgewiesen. Cobban erklärte die These von der ‚bürgerlichen Revolution‘ zu einem Mythos. François Furet verfasste 1965 gemeinsam mit Denis Richet eine revisionistische Gesamtdarstellung, die heftige Debatten nach sich ziehen sollte (vgl. Übersicht über die Forschungskontroversen bei SCHMITT, Eberhard: Die Französische Revolution. Anlässe und langfristige Ursachen, Darmstadt 1973, sowie PELZER, Erich (Hrsg.): Revolution und Klio. Die Hauptwerke zur Französischen Revolution, Göttingen 2004). Nicht der Klassenkampf, sondern das Ziel der bürgerlichen Elite, durch liberale Reformen ein kontrolliertes Staatswesen durchzusetzen, galt den Revisionisten als Motor der ‚bürgerlichen‘ Revolution. Die bäuerlichen und städtischen Volksmassen hätten demgegenüber andere Ziele verfolgt, weshalb 1789 letztlich drei Revolutionen stattgefunden hätten: die liberale Verfassungsrevolution in Versailles, die Munizipalrevolution und die Revolution auf dem Land. Vovelle löste 1983 Soboul am Pariser Revolutionsinstitut der Sorbonne ab. Er hatte zunächst in religionsgeschichtlichen Studien den langsamen Wandel barocker Frömmigkeitsformen nachgezeichnet (VOVELLE, Michel: Piété baroque et déchristianisation en Provence au XVIIIe siècle, Paris 1973), sich dann aber stärker der ‚Kreativität des revolutionären Augenblicks‘ zugewandt, den er mit den Prozessen der langen Dauer zu vermitteln suchte (VOVELLE, Michel: Die Französische Revolution. Soziale Bewegung und Umbruch der Mentalitäten, München 1982 (= Ancien régime, Aufklärung und Revolution. 7).

1.2 Geschichtsbild und Forschung

21

ven Umbruchserfahrung der Zeitgenossen. Erstmals wurde die revolutionäre Erfahrung selbst ins Zentrum des Interesses gerückt und danach gefragt, welche Bilder die Revolution von sich selbst hervorbrachte und wie sie darin die Idee einer neuen Zeit ‚imaginierte‘.64 Dieser neue Ansatz eröffnete zahlreiche Arbeitsfelder: Diskursanalysen, Symbolgeschichten und mentalitätsgeschichtliche Studien wurden durch Vovelles Forschungsansatz angeregt. In Deutschland griffen Reinhart Koselleck und Rolf Reichardt das Thema auf und machten nach einem internationalen Kolloquium bereits 1988 die neuen Arbeitsfelder für die deutsche Revolutionshistoriographie fruchtbar.65 Zum Bicentenaire 1989, in dessen Rahmen Vovelle zunächst an den Planungen der großen Jubiläumsausstellung im Grand Palais beteiligt war,66 erschien erstmals eine umfangreiche Dokumentation des revolutionären Bildgedächtnisses.67 Unter amerikanischem Einfluss wurde der kulturhistorische Interpretationsansatz durch eine weitere Dimension gestärkt: die sogenannte ‚Politische Kulturforschung‘, die Spezialdisziplinen von der Mentalitäts- über die Symbol- und Verhaltensforschung bis hin zur Wahl- und Partizipationsgeschichte, der Kommunikations- und Mediengeschichte sowie der Werteforschung umfasste.68 Furet, Ozouf, Baker und Lucas machten „the creation of modern political culture“69 zu einem zentra64

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Vgl. zum Bicentenaire 1989: VOVELLE, Michel (Hrsg.): L’Image de la Révolution française. Communications et rapports présentés lors du Congrès Mondial pour le Bicentenaire de la Révolution, 4 Bde., Paris 1989–1990. Vgl. KOSELLECK, Reinhart und Rolf REICHARDT (Hrsg.): Die Französische Revolution als Bruch des gesellschaftlichen Bewusstseins, München 1988. Vgl. abschließend – freilich ohne Vovelles Beteiligung – Ausst.Kat. LA RÉVOLUTION FRANÇAISE ET L’EUROPE, Galeries nationales du Grand Palais, Paris, 16 mars–26 juin 1989, XXe exposition du Conseil de l’Europe, 3 Bde., Paris 1989. Leider genügt die Veröffentlichung nicht den wissenschaftlichen Standards, da Quellenangaben und Detailinformationen zu den Darstellungen fehlen. Dennoch ist sie eine unverzichtbare ‚Fundgrube‘ für jeden Revolutionshistoriker, der sich mit Bildforschung befasst: VOVELLE, Michel (Hrsg.): La Révolution française. Images et récit (1789–1799), 5 Bde., Paris 1986. Vgl. dazu FEHRENBACH: Vom Ancien Régime, S. 173ff. Eine erste Überblicksdarstellung zur Kulturgeschichte der Revolution legte Kennedy vor: KENNEDY, Robert Emmet: A Cultural History of the French Revolution, New Haven 1989. Für die vorliegende Arbeit sind vor allem folgende Bände interessant: LUCAS, Colin (Hrsg.): The Political Culture of the French Revolution, Oxford u. a. 1988 (= The French Revolution and the Creation of Modern Political Culture. 2); FURET, François und Mona OZOUF (Hrsg.): The Transformation of Political Culture, 1789–1848, Oxford u. a. 1989 (= The French Revolution and the Creation of Modern Political Culture. 3). Als erstes Lehrbuch mit kurzen Quellenbeispielen, das Aspekte der Politischen Kulturforschung berücksichtigt, vgl.: HUNT, Lynn und Jack R. CENSER: Liberty, Equality, Fraternity. Exploring the French Revolution, o. O. 2001.

22

1. Einleitung

len Thema der Revolutionsforschung, das eine Fülle von Einzelstudien und Sammelbänden angeregt hat.70 Auch Fragen der Frauen- und Geschlechtergeschichte wurden in diesem Kontext häufig am Beispiel der Französischen Revolution behandelt und weiterentwickelt.71 Aus der unübersichtlichen Zahl an Publikationen seien hier nur einige besonders einflussreiche Werke zur revolutionären Begriffsgeschichte und Sprachpolitik,72 zur Presserevolution73 und zur Symbolgeschichte74 zitiert. Die Übergänge zwischen kultur- und sozialgeschichtlich ausgerichteten Forschungsansätzen sind teilweise fließend, wie besonders das große Interesse für Fragen der politischen Soziabilität seit den

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Vgl. Forschungsberichte bzw. Forschungsüberblicke bei: DESAN, Suzanne: What’s after Political Culture? Recent French Revolutionary Historiography, in: French Historical Studies 23 (2000), S. 163–196; CENSER, Jack R.: Social Twists and Linguistic Turns. Revolutionary Historiography a Decade after the Bicentennial, in: French Historical Studies 22 (1999), S. 139–167; SCHMALE, Wolfgang: Das Bicentenaire. Ein Forschungsbericht (Teil I), in: Historisches Jahrbuch 113 (1993), S. 447–481; ders.: Das Bicentenaire. Ein Forschungsbericht (Teil II), in: Historisches Jahrbuch 114 (1994), S. 135–174; PELZER, Erich: 200 Jahre Französische Revolution, Erträge der Forschung II: Die Französische Revolution als Kulturereignis, in: NPL 36 (1991), S. 349–391; REICHARDT, Rolf: Stand und Perspektiven der kulturhistorischen Revolutionsforschung. Ein Überblick, in: MIDDELL, Katharina und Matthias (Hrsg.): 200. Jahrestag der Französischen Revolution, Leipzig 1992, S. 234–252; STOLLBERG-RILINGER, Barbara: 200 Jahre Französische Revolution. Bilanz einer historischen Gedenkfeier auf dem deutschen Buchmarkt, in: ZHF 17 (1990), S. 429–490; sowie zuletzt LAPIED, Martine und Christine PEYRARD (Hrsg.): La Révolution française au carrefour des recherches, Aix-en-Provence 2003; MARTIN: La Révolution à l’œuvre; MCPHEE, Peter (Hrsg.): A Companion to the French Revolution, New York 2012. Vgl. u. a. LANDES, Joan B.: Women and the Public Sphere in the Age of the French Revolution, Ithaca (N. Y.) 1988; OUTRAM, Dorinda: The Body and the French Revolution: Sex, Class, and Political Culture, New Haven 1989; HUNT, Lynn: The Familiy Romance of the French Revolution, Berkely 1992; LANDES, Joan B.: Visualizing the Nation. Gender, Representation, and Revolution in Eighteenth-Century France, Ithaca (N. Y.) und London 2001; PARKINS, Wendy (Hrsg.): Fashioning the Body Politic. Dress, gender, citizenship, Oxford u. a. 2002. Vgl. GUILHAUMOU, Jacques: Sprache und Politik in der Französischen Revolution: vom Ereignis zur Sprache des Volkes (1789 bis 1794), Frankfurt am Main 1989; HANDBUCH POLITISCH-SOZIALER GRUNDBEGRIFFE IN FRANKREICH 1680–1820, hrsg. von Rolf REICHARDT u.a., 20 Hefte, München 1985–2000. Vgl. HESSE, Carla: Publishing and Cultural Politics in Revolutionary Paris, 1789–1810, Berkeley 1991; LABROSSE, Claude und Pierre RÉTAT: Naissance du journal révolutionnaire 1789, Lyon 1989; POPKIN, Jeremy D.: Revolutionary News: The Press in France, 1789–1799, London 1990 (= Bicentennial Reflections on the French Revolution). Vgl. ARASSE, Daniel: La Guillotine et l’imaginaire de la terreur, Paris 1987; LÜSEBRINK, Hans-Jürgen und Rolf REICHARDT: Die ‚Bastille‘. Zur Symbolgeschichte von Herrschaft und Freiheit, Frankfurt am Main 1990.

1.2 Geschichtsbild und Forschung

23

1990er Jahren beweist.75 In Frankreich liegt ein Schwerpunkt der Revolutionsforschung nach wie vor auch in der Aufarbeitung regionalgeschichtlicher Kontexte.76 Für die vorliegende Studie war besonders die symbolgeschichtliche Untersuchung von Lynn Hunt relevant. Hunt verstand ähnlich wie Vovelle revolutionäre Bildwelten und Symbole als Generatoren und Multiplikatoren der Revolution, und damit auch als Indikatoren des gesellschaftlichen Bewusstseinswandels.77 Die aufgeworfenen Fragestellungen verstehen sich als Weiterführung und Vertiefung ihrer Studie aus den 1980er Jahren, die die Kulturgeschichtsschreibung zur Französischen Revolution in Deutschland insgesamt stark beeinflusst hat. Einige der dort nur im Überblick sowie in essayistischer Form behandelten Problemfelder und Thesen sollen im Hinblick auf die Zeit von Thermidor und Direktorium durch empirische Forschungen überprüft und in ihrer Zuspitzung stellenweise korrigiert werden. Auch die Studie von Landes über die Visualisierung der Nation kann als Pionierarbeit betrachtet werden.78 Anders als ältere Studien fragt die folgende Untersuchung jedoch weniger nach einzelnen Diskursen79, Formen80 oder

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Vgl. u. a. BOUTIER, Jean und Philippe BOUTRY (Hrsg.): Atlas de la Révolution française, Bd. 6: Les sociétés politiques, Paris 1992; PEYRARD: Les jacobins de l’Ouest; LEUWERS, Hervé (Hrsg.): Elites et sociabilité au XIXe siècle. Héritages, identités, Lille 2001; CHAPPEY, Jean-Luc: La société des observateurs de l’homme (1799–1804): des anthropologues au temps de Bonaparte, Paris 2002. Vgl. exemplarisch BOURDIN, Philippe: Le Puy-de-Dôme sous le Directoire; ders.: Des ganses blanches, une armée grise, les noires forêts d’Auvergne, in: VOVELLE: Le tournant de l’an III, S. 361–396; ders.: Instruire le peuple enfant. Autour de Jacques-Antoine Dulaure et du Second Directoire, in: DICTIONNAIRE DES USAGES SOCIO-POLITIQUES, Bd. 6, S. 81–98; PEYRARD: Les jacobins de l’Ouest; CLAY, Stephen: Le brigandage en Provence du Directoire au Consulat (1795–1802), in: DU DIRECTOIRE AU CONSULAT, Bd. 3, S. 67–89. Vgl. HUNT: Symbole der Macht, Einleitung passim. LANDES: Visualizing the Nation. Vgl. u. a. JOURDAN: Les Monuments. Bereits das Inhaltsverzeichnis lässt dort eine bestimmte Tendenz erkennen, regimeübergreifend die großen Diskurse revolutionärer Symbolpolitik im Zusammenhang zu behandeln (Titel der dem Buch zugrundeliegenden Dissertationsschrift: „Le Discours des Images dans l’Espace parisien, 1789–1804“) und vor allem die Kontinuitäten zu betonen: Chapitre I: L’Éclipse d’un Soleil; l’imagerie de Louis XVI entre 1770 et 1792; Chapitre II: Du Sacre du Philosophe au Sacre du Militaire. Le culte des grands hommes sous la Révolution; Chapitre III: A la recherche de l’immortalité. La Mort et la Révolution; Chapitre IV: France, Liberté, République. L’allégorie révolutionnaire; Chapitre V: La Révolution des arts. Politique artistique et régénération. Vgl. u. a. WRIGLEY, Richard: The Politics of Appearances: Representations of Dress in Revolutionary France, Oxford und New York 2002; dort z. B. Kapitel über ‚Revolutionary Relics‘, ‚Cocardes‘ und ‚Liberty Caps‘.

24

1. Einleitung

Foren von Symbolen81 und Ritualen der Revolution, sondern möchte eine Zusammenschau der verschiedenen Themengebiete leisten. Auch nicht einzelne Praxisfelder, wie der revolutionäre ‚Kult der Großen Männer‘, der Totenkult82, die Kunstpolitik83 oder die Feste84, sollen isoliert betrachtet werden. Gerade in der Synthese ergeben sich überraschende und neue Erkenntnisse über die regimestabilisierende und -destabilisierende Funktion von Symbolen und Ritualen im Machtkampf. Der relativ kurze Untersuchungszeitraum ermöglicht eine kontextnahe Interpretation.85

1.3 Begriffsklärungen 1.3 Begriffsklärungen und Methode und Methode Die Studie versteht sich als Beitrag zu dem größeren Forschungszusammenhang einer ‚Kulturgeschichte des Politischen‘.86 In Anlehnung an die Fragestellungen der neuen Politik- und Kulturgeschichte steht die 81

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Vgl. z. B. DEVOCELLE, Jean-Marc: Costume et citoyenneté, in: RÉVOLUTION FRANÇAISE 1988–1989, hrsg. vom Ministère de l’éducation nationale de la jeunesse et des sports, Comité des travaux historiques et scientifiques, Actes du 113e et 114e Congrès nationaux des sociétés savantes (Strasbourg 1988–Paris 1989), Section d’histoire moderne et contemporaine, Paris 1991, S. 314–332; ders.: La cocarde directoriale. Dérives d’un symbole révolutionnaire, in: AHRF 3 (1992), S. 355–365. Vgl. u. a. BONNET, Jean-Claude: Naissance du Panthéon: Essai sur le culte des grands hommes, Paris 1998 (= L’esprit de la cité); CLARKE, Joseph: Commemorating the Dead in Revolutionary France. Revolution and Remembrance 1789–1799, Cambridge 2007. Vgl. POMMIER: L’art de la liberté; JOURDAN: Les Monuments; BORDES/MICHEL: Aux armes et aux arts. Vgl. OZOUF: La fête. Bislang vorliegende Synthesen zu einzelnen Praxisfeldern erscheinen aufgrund der Wahl eines zu großen Untersuchungszeitraums teilweise problematisch. Die integrative und gemeinschaftsstiftende Wirkung von Symbolen und Ritualen bleibt unter Vernachlässigung des politischen Kontextes, aus dem sie hervorgehen, an vielen Stellen eine Behauptung. Die symbolpolitischen Strategien der Legislative (1791–1792), des Konvents (1792–1795) und der parlamentarischen Räte des Direktoriums (1795–1799) wurden häufig vordergründig harmonisiert, um ein einheitliches Programm ‚der‘ gesamten Revolution zu erkennen – was es so aber nie gab. Vgl. zusammenfassend STOLLBERG-RILINGER, Barbara: Einleitung, in: Dies. (Hrsg.): Was heißt Kulturgeschichte des Politischen?, Berlin 2005 (= ZhF Beiheft 35), S. 9–24. Der Beitrag ist ähnlichen Vorbildern verpflichtet wie diese Arbeit, u. a. CHARTIER, Roger: Die unvollendete Vergangenheit. Geschichte und die Macht der Weltauslegung, Frankfurt am Main 1992; sowie der französischen Kultursoziologie: BOURDIEU, Pierre: Esquisse d’une théorie de la pratique, précédé de trois études d’éthnologie kabyle, Genf 1972; ders.: La distinction. Critique sociale du jugement, Paris 1979. Zu Chancen und Grenzen des Ansatzes für die Geschichtswissenschaft vgl. auch WEHLER, Hans-Ulrich: Die Herausforderung der Kulturgeschichte, München 1998; sowie MERGEL, Thomas: Überle-

1.3 Begriffsklärungen und Methode

25

Analyse politischer und sozialer Sinnkonstrukte im Mittelpunkt des Interesses. Politisches Handeln im einleitend beschriebenen Sinne wird verstanden als kommunikativer Aushandlungsprozess von menschlichen Beziehungen, in dem nicht „von oben nach unten dekretiert“ wird, sondern der durch Erzeugung von Sinnangeboten und Verstehenshandlungen strukturiert wird.87 ‚Das Politische‘ ist entsprechend zu definieren als ein „Handlungsraum, in dem es um die Herstellung und Durchführung kollektiv verbindlicher Entscheidungen geht“88. In Anlehnung an die Arbeiten Chartiers wird nicht nur Politik, sondern jede soziale Strukturbildung als Ergebnis komplexer Aushandlungs- und Auseinandersetzungsprozesse aufgefasst, die sich vor allem durch symbolische Strategien und konkurrierende Sinnentwürfe der an diesem Prozess Beteiligten entfalten. Jede politische Kultur kann folglich als Ergebnis eines „Kampfes um Repräsentationen“89 betrachtet werden, wobei ‚Repräsentationen‘ zunächst im weitesten Sinne des Wortes zu verstehen sind als Vorstellungen, Selbstinszenierungen, Aufführungen, Darstellungen, Abbildungen ‚von etwas‘: Sie werden hervorgebracht durch die unausgesprochenen Werte und Erwartungen, Vorstellungen und Überzeugungen, die jedem sozialen Handeln vorgängig sind. ‚Repräsentationen‘ artikulieren sich in symbolischer Praxis, in Sprache, bildhaften

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gungen zu einer Kulturgeschichte der Politik, in: Geschichte und Gesellschaft 28 (2002), S. 574–606. „‚Aushandeln‘ heißt […], dass Politik sich nicht als eindimensionaler Akt oder Prozess darstellt, in dem von oben nach unten dekretiert, regiert, entschieden wird. Als kommunikatives Handeln beruht Politik nicht nur auf einer Sprechhandlung, sondern auch auf einer Verstehenshandlung. Letztere setzt Partizipation voraus, nicht unbedingt im Sinne einer gleichberechtigten Teilhabe, aber zumindest als wie auch immer generierte Bereitschaft, die Nachricht innerhalb eines vorgegebenen Auswahlbereichs zu situieren und zu lesen.“ FREVERT, Ute: Neue Politikgeschichte: Konzepte und Herausforderungen, in: Dies. und Heinz-Gerhard HAUPT (Hrsg.): Neue Politikgeschichte. Perspektiven einer historischen Politikforschung, Frankfurt am Main 2005, S. 7–26, S. 15. Vgl. STOLLBERG-RILINGER: Einleitung, S. 14; diese definiert ihrerseits in Anlehnung an GÖHLER, Gerhard: Der Zusammenhang von Institutionen, Macht und Repräsentation, in: Ders. und Rudolf SPETH (Hrsg.): Institutionen – Macht – Repräsentation. Wofür politische Institutionen stehen und wie sie wirken, Baden-Baden 1997, S. 11–62; sowie LUHMANN, Niklas: Die Politik der Gesellschaft, Frankfurt am Main 2000. Die Unterscheidung zwischen ‚Politik‘ und ‚dem Politischen‘ spielt für die Definition des methodischen Ansatzes keine Rolle. Allerdings wird zu zeigen sein, inwiefern sich Politik als ausdifferenzierter Funktionszusammenhang im Zuge der Französischen Revolution herausbildete. Vgl. CHARTIER, Roger: Die Welt als Repräsentation, in: MIDDELL, Matthias und Steffen SAMMLER (Hrsg.): Alles Gewordene hat Geschichte. Die Schule der Annales in ihren Texten 1929–1992, Leipzig 1994, S. 320–347, S. 337.

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1. Einleitung

Vorstellungen und Gesten.90 Dieser ‚Kampf von Repräsentationen‘ ist naturgemäß auf solchen Feldern, die ohnehin stark kontrovers sind, wie eben die Politik, besonders intensiv. Es überrascht auch nicht, dass in einer Phase politischen und gesellschaftlichen Umbruchs wie der Französischen Revolution der Kampf keineswegs nur im metaphorischen Sinne, sondern besonders heftig und gewaltsam ausgetragen wurde.91 Dabei soll keineswegs ausschließlich die Herrschaftsebene betrachtet werden. Politische Kulturforschung erschöpft sich nicht in einer Ideen- und Institutionengeschichte, sondern betrachtet ‚das Politische‘ als einen ‚sozialen Kommunikationsraum‘92, der gleichermaßen durch Herrschende und Beherrschte bestimmt wird, die mit je spezifischen Praktiken um die offizielle Deutungsmacht ringen. Dieses Verständnis hat im Blick auf die politische Praxis der Französischen Revolution zahlreiche neue Untersuchungsfelder eröffnet: Nicht mehr allein die Intentionen der Akteure, sondern die Bedeutungen, die sich mit Politik verbinden, und ihre Funktionen innerhalb einer Gesellschaft oder einer sozialen Gruppe rücken ins Zentrum des Interesses. Zu diesem Zweck gilt es, komplexe Sinnkonstruktionen zu hinterfragen und zu entschlüsseln. Sprache ist nur ein Zeichensystem, dessen sich die Politik bedient, daneben treten unter anderem Symbol- und Körpersprache, die ebenfalls Sinndeutungen vorgeben beziehungsweise diese kommunikativ verhandeln. Politische und gesellschaftliche ‚Ordnung‘ entsteht im Zusammenspiel von Institutionen, Werten und Normen. In dieser Perspektive wird vor allem der Frage nachzugehen sein, welche Wertvorstellungen sich in den politischen Visualisierungen und Inszenierungen der Ersten Republik materialisieren.93 ‚Werte‘ werden mit Blick auf die soziokulturelle Entwicklung einer Gemeinschaft als allgemein, beziehungsweise mehrheitlich verinnerlichte Vorstellungen von etwas, das gewünscht, 90

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Vgl. HUNT: Symbole der Macht, S. 22ff. Bereits seit den 80er Jahren zieht die Revolutionsforschung auch Druckgraphik zur Untermauerung der These heran, die Französische Revolution sei weniger ein sozialer Umbruch als ein Bruch in der politischen Kultur gewesen. Hier seien nur stellvertretend genannt: HERDING, Klaus und Rolf REICHARDT: Die Bildpublizistik der Französischen Revolution, Frankfurt am Main 1989; sowie DUPRAT, Annie: Le roi décapité. Essai sur les imaginaires politiques, Paris 1992. Ähnlich auch STOLLBERG-RILINGER: Einleitung. So auch der Titel des Bielefelder Sonderforschungsbereichs 584: „Das Politische als sozialer Kommunikationsraum in der Geschichte“, der von 2001 bis 2012 von der DFG gefördert wurde. Vgl. auch: SCHRÖER, Christina: La représentation du Nouveau Régime: les élites politiques et sociales dans les gravures du Directoire, in: Natalie SCHOLZ und dies. (Hrsg.): Représentation et pouvoir. La politique symbolique en France (1789–1830), Rennes 2007, S. 39–61.

1.3 Begriffsklärungen und Methode

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erstrebt, anerkannt oder ehrfürchtig angeschaut wird, verstanden.94 Sie konstituieren sich als Orientierungsangebote innerhalb einer Gesellschaft und haben für diese eine sinnstiftende Funktion: Menschen richten ihr Leben auf Ziele aus, die wertvoll erscheinen. Werte existieren nur in Beziehung auf den Menschen, dadurch, dass er Werte setzt, das heißt etwas anerkennt oder erstrebt; sie haben insofern nicht überregional, überzeitlich beziehungsweise allgemein Geltung, sondern sind relativ, historisch, gesellschaftlich, kulturell, regional, individuell geprägt. Die soziale Bedeutung von Werten wird erst in ihren verschiedenen Ausdrucksformen, wie eben in politischen Symbolen und Ritualen greifbar. In der Be-Wertung, die diese Ausdrucksformen in einer Gesellschaft erfahren, aktualisiert sich ihre Bedeutung.95 Wenn im Folgenden Wertvorstellungen, Erwartungshaltungen und Handlungsspielräume der Republikaner untersucht und nach sich darin ausdrückenden Rationalitäten und Rationalisierungen befragt werden sollen, so kann die Studie auch hier an vorliegende Arbeiten anschließen.96 Doch trotz des großen Erfolgs der Kulturgeschichte hat sich bis heute kein eindeutiger Gebrauch der Begriffe durchgesetzt. Die in der Einleitung eingeführten Begriffe ‚Symbolpolitik‘ und ‚symbolische Politik‘, aber auch ‚Repräsentation‘ und ‚Visualisierung‘ oder ‚Inszenierung‘ von Politik existieren als Bezeichnungen für ähnliche Sachverhalte nebeneinander; je nach Untersuchung variiert die Schwerpunktsetzung. An dieser Stelle sollen daher einige Definitionen als Arbeitsgrundlage für die Analyse vorgestellt werden. Damit soll auch auf methodische Probleme und in den vergangenen Jahren geäußerte Kritik am Ansatz

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Vgl. Art. Wert, in: HÜGLI, Anton und Paul LÜBCKE (Hrsg.): Philosophie-Lexikon. Personen und Begriffe der abendländischen Philosophie von der Antike bis zur Gegenwart, Reinbek bei Hamburg 1997, S. 670f. – Ursprünglich wurde der Begriff ausschließlich im ökonomischen Sinn des Tauschwerts von Dingen verwendet; erst Ende des 19. Jahrhunderts fand er Eingang in die Philosophie (Lotze, Nietzsche). In der vorliegenden Arbeit wurde er aus heuristischen Überlegungen heraus gewählt; es handelt sich nicht etwa um eine Kategorie der Zeitgenossen. Vgl. auch JOAS, Hans: Die Entstehung der Werte, Frankfurt am Main 1999. Vgl. auch BECKER, Frank, Ute GERHARD und Jürgen LINK: Moderne Kollektivsymbolik. Ein diskurstheoretisch orientierter Forschungsbericht mit Auswahlbibliographie (Teil II), in: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 22 (1997), S. 70–154. Zum Forschungsstand siehe oben, Kapitel 1.2. Vor allem die Arbeiten von Michel Vovelle, Lynn Hunt und Mona Ozouf sind herauszustellen.

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1. Einleitung

der Kulturgeschichtsschreibung reagiert werden.97 Grundsätzlich wird angestrebt, verschiedene Prozesse zu identifizieren, mittels derer das abstrakte Konzept ‚Republik‘ mit Sinn gefüllt wurde, sowie zu hinterfragen, nach welchen Regeln dies geschah.98 Symbolische Politik ‚Symbolische Politik‘ wird im Folgenden als Oberbegriff für politisches Verhalten, das durch die Kraft und Wirkung von Symbolen strukturiert ist, verwandt.99 Prinzipiell kommt damit jedes politische Handeln als Untersuchungsgegenstand in Betracht, da es sich sprachlicher und visueller Symbole bedient, um sich selbst zu generieren und zu kommunizieren. Jede Handlung, die politische Geltungsansprüche erhebt oder in Frage stellt, hat eine symbolische Dimension.100 Dieses weite Begriffsverständnis erscheint in mancher Hinsicht wünschenswert und gerechtfertigt.101 Zur Analyse komplexer historischer Problemfelder ist es jedoch zu wenig trennscharf,102 vor allem 97

Vgl. u. a. NICKLAS, Thomas: Macht – Politik – Diskurs. Möglichkeiten und Grenzen einer Politischen Kulturgeschichte, in: AKG 86 (2004), S. 1–12; ALGAZI, Gadi: Kulturkult und die Rekonstruktion von Handlungsrepertoires, in: L’Homme 11 (2000), S. 105–119; sowie auch RÖDDER, Andreas: Klios neue Kleider. Theoriedebatten um eine Kulturgeschichte der Politik in der Moderne, in: Historische Zeitschrift 283 (2006), S. 657–688. 98 Dabei wurden methodische Anleihen bei der Diskursanalyse gemacht, ohne deren ‚Programm‘ systematisch umzusetzen. Vgl. u. a. SARASIN, Philipp: Geschichtswissenschaft und Diskursanalyse, Frankfurt am Main 2003; ders.: Diskurstheorie und Geschichtswissenschaft, in: KELLER, Reiner u. a. (Hrsg.): Handbuch sozialwissenschaftliche Diskursanalyse, Bd. 1: Theorien und Methoden, Opladen 2001, S. 53–79; LANDWEHR, Achim: Geschichte des Sagbaren. Einführung in die historische Diskursanalyse, Tübingen 2001. 99 Dies entspricht dem allgemeinen Sprachgebrauch, auch in der Presse. Vgl. Art. Symbolische Politik, in: SCHUBERT, Klaus und Martina KLEIN: Das Politiklexikon, 4., aktualisierte Aufl., Bonn 2006. 100 Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Debatte um den von Bourdieu geprägten Begriff von ‚symbolischer Macht‘ bzw. ‚symbolischer Gewalt‘, u. a. GÖHLER, Gerhard und Rudolf SPETH: Symbolische Macht. Zur institutionentheoretischen Bedeutung von Pierre Bourdieu, in: BLÄNKNER, Reinhard und Bernhard JUSSEN: Institutionen und Ereignis. Über historische Praktiken und Vorstellungen gesellschaftlichen Ordnens, Göttingen 1998, S. 17–48. 101 Vgl. einführend zur Rolle von Symbolen in Kommunikationsprozessen SCHLÖGL, Rudolf: Symbole in der Kommunikation. Eine Einführung, in: Ders., Bernhard GIESEN und Jürgen OSTERHAMMEL (Hrsg.): Die Wirklichkeit der Symbole. Grundlagen der Kommunikation in historischen und gegenwärtigen Gesellschaften, Konstanz 2004, S. 9–38. 102 Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt in Bezug auf die Weimarer Republik auch: VAN LAAK, Dirk: Symbolische Politik in Praxis und Kritik. Neue Perspektiven auf die Wei-

1.3 Begriffsklärungen und Methode

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wenn es darum gehen soll, unterschiedliche Strategien und ihre stabilisierende oder delegitimierende Wirkung für ein Regime zu unterscheiden. Von diesem weiten Symbolverständnis abweichend soll daher der Schwerpunkt auf solchen Praktiken liegen, die sich auf sogenannte „Symbole zweiter Ordnung“ beziehen, also „Zeichen, die in verdichteter (visueller, gegenständlicher oder gestischer), nichtdiskursiver Form über sich selbst hinaus auf etwas anderes, auf einen größeren Zusammenhang verweisen, also sprachliche Metaphern, Bilder, Artefakte, Gebärden, komplexe symbolische Handlungssequenzen wie Rituale und Zeremonien, aber auch symbolische Narrationen usf.“103 Zwar kann nach diesem Verständnis grundsätzlich alles zum Symbol werden; doch unterscheidet es sich von dem weiten Symbolbegriff, der die fundamentale Konstituierung der sozialen Welt thematisiert, insofern, als sich der Gegenstandsbereich der Untersuchung auf zeichenhafte Sinnprodukte im politischen Machtkampf reduzieren lässt, die deutlich auf politische Inhalte verweisen. Handlungen politischer Entscheidungsträger und Aktivisten können in diesem Sinne ebenso interessant sein wie diejenigen ihres Gegenübers im Machtkampf, sofern dieser ähnliche Symbolisierungen hervorbringt. Die Französische Revolution ist in doppelter Hinsicht ein besonders reizvoller und besonders schwieriger Untersuchungsgegenstand für eine solche kulturgeschichtliche Fragestellung: Zum einen aufgrund der Fundamentalpolitisierung des Alltags, die seit 1789 vor allem in der Hauptstadt dazu führte, dass alle Lebensbereiche, bis hin zu alltäglichen Gesten und Praktiken, wie die Art und Weise, sich zu kleiden oder sich anzusprechen, mit symbolischer Bedeutung aufgeladen wurden. Eine unübersichtliche Fülle von textlichen und bildlichen Überlieferungen dokumentiert in eindringlicher Weise diese Tatsache. Zum anderen handelt es sich bei der französischen Gesellschaft der Ersten Republik um eine Transformationsgesellschaft, die über das normale Maß hinaus Prozesse der Selbstreflexion und des Kontrollwunsches marer Republik, in: DANIEL, Ute u. a. (Hrsg.): Politische Kultur und Medienwirklichkeiten in den 1920er Jahren, München 2010 (= Schriftenreihe der Stiftung Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte. 14), S. 25–46, S. 25: „Aber was versteht man unter symbolischer Politik? Alles und nichts – möchte selbst meinen, wer sich länger mit diesem Feld beschäftigt hat.“ Anschließend leistet van Laak einen Überblick über theoretische Grundlagen, die die „Wiederentdeckung der symbolischen Ebene in der Politik“ rechtfertigen – ohne daraus jedoch selbst eine klare Definition abzuleiten. Vgl. ebd., S. 26–35. 103 STOLLBERG-RILINGER: Einleitung, S. 11; diese bezieht sich auf WALZ, Rainer: Der Begriff der Kultur in der Systemtheorie, in: STOLLBERG-RILINGER: Was heißt Kulturgeschichte des Politischen?, S. 97–114.

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1. Einleitung

induzierte.104 Symbolisierungen waren keineswegs allein unbewusster Ausdruck einer allgemein verinnerlichten Ordnung, sondern im Kontext des bewussten Bruchs mit der Vergangenheit avancierten sie zu einem politischen Betätigungsfeld mit hoher Relevanz. Gerade weil Symbole so fundamentaler Bestandteil politisch-sozialer Ordnungen sind, schickten sich die Revolutionäre an, diese zu kontrollieren und aus ihrer Macht und ihren Vorstellungen heraus neu zu gestalten – auch wenn sie dabei stets gefangen blieben in ihrem eigenen Erfahrungshorizont und ihrer Weltsicht. Mit anderen Worten, es ist in dieser Zeit besonders fraglich, ob der „dialektische Charakter des symbolischen Weltbezugs“ überhaupt in seine einzelnen Elemente zerlegt werden kann: „das kulturelle Bedeutungsgeflecht ist den einzelnen als objektives und kollektives immer schon vorgegeben, ebenso wie es umgekehrt von den einzelnen stets aufs Neue reproduziert und modifiziert wird.“105 ‚Symbolische Politik‘ definiert sich in der Revolutionszeit nicht über einen eindeutigen Gegenstand oder Anwendungsbereich, sondern über die Sinnzuschreibungen, Geltungsbehauptungen und Deutungskonflikte ihrer Akteure. Diese sollen in einer Perspektive der Fremdheit, in Anlehnung an Geertz formuliert ‚mit einem ethnologischen Blick‘, der auf das vermeintlich Selbstverständliche gerichtet wird, herausgefiltert werden.106 Es soll im Folgenden zwischen zwei Aktionsräumen symbolischer Politik unterschieden werden: 1. dem Raum der offiziellen Entscheidungsträger der Republik, die in Regierung und Parlament über symbolpolitisches Handeln entschieden; 2. dem Raum der symbol104

Vgl. ebd. Ebd., S. 11, in Anlehnung an Berger/Luckmann, Cassirer und Rehberg: BERGER, Peter L. und Thomas LUCKMANN: The Social Construction of Reality. A Treatise in the Sociology of Knowledge, London 1967. Grundlegend dafür außerdem: CASSIRER, Ernst: Philosophie der symbolischen Formen, Darmstadt 1997 [Erstausgabe 1925–1929]; vgl. auch ders.: Der Begriff der symbolischen Form im Aufbau der Geisteswissenschaften, in: Ders.: Wesen und Wirkung des Symbolbegriffs, Oxford 1956, S. 171–200. Vgl. auch REHBERG, Karl-Siegbert: Weltrepräsentanz und Verkörperung: Institutionelle Analyse und Symboltheorien. Eine Einführung in systematischer Absicht, in: MELVILLE, Gert (Hrsg.): Institutionalität und Symbolisierung. Verstetigungen kultureller Ordnungsmuster in Vergangenheit und Gegenwart, Köln u. a. 2001, S. 3–49. 106 Über eine ‚dichte Beschreibung‘ wird versucht, die Regeln des Handelns sowie dahinterliegende Strategien und Verweise auf übergeordnete Zusammenhänge zu erkennen und zu systematisieren. Zu Clifford Geertz und seiner Bedeutung für die Kulturgeschichte vgl. u. a. DANIEL, Ute: Kompendium Kulturgeschichte. Theorien, Praxis, Schlüsselworte, Frankfurt am Main 2001. Zu seiner Methode vgl.: GEERTZ, Clifford: Deep Play, in: BELLIGER, Andréa und David J. KRIEGER (Hrsg.): Ritualtheorien. Ein einführendes Handbuch, Wiesbaden 2006, S. 97–116. 105

1.3 Begriffsklärungen und Methode

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politischen ‚Gegenmacht‘, die gleichzeitig Adressat und Widersacher im Machtkampf um die Zukunft der Republik war. Beide Seiten, die offiziellen Entscheidungsträger ebenso wie die inoffiziell Handelnden, brachten ähnliche symbolpolitische Erscheinungsformen hervor, die ähnliche Dimensionen beinhalteten und für die Republik ähnliche Wirkungen haben sollten; in einer typologischen Annäherung sollen außerdem verschiedene Untersuchungsebenen symbolischer Politik unterschieden werden: – Typische Erscheinungsformen symbolischer Politik sind Identitätssymbole (zum Beispiel Herrschafts- und Staatssymbole, Gesinnungszeichen), bildliche Repräsentationen (im 18. Jahrhundert vor allem Druckgraphik und bildende Kunst), vestimentäre Zeichen (zum Beispiel Kokarde, Farbsymbolik, Amtstracht, Uniform), Rituale und Zeremonien (Feste, Zivilkult, aber auch inszenierte Symbolschändungen oder demonstrative Inszenierungen der traditionellen Religion). – Symbolische Politik entfaltete zwischen 1792 und 1799 generierende, ordnungs- und gemeinschaftsstiftende, stabilisierende und destabilisierende Wirkungen. Wert- und Ordnungsvorstellungen wurden durch symbolische Politik erzeugt und vermittelt (Symbole als Instrumente), symbolische Politik avancierte zum Gegenstand politischer Debatten und Auseinandersetzungen (Symbole als Konfliktgegenstände und Konfliktgeneratoren) und symbolische Politik wurde bewusst zum Angriff auf politische Gegner eingesetzt (Symbole als Waffen im Machtkampf). Die Übergänge zwischen den verschiedenen Wirkungen symbolischer Politik waren fließend. – Jede Form von symbolischer Politik umfasst die beiden Dimensionen der symbolisch-expressiven Darstellung bestimmter Wert- und Ordnungsvorstellungen sowie die Möglichkeit einer strategischinstrumentellen Nutzung des auf diese Weise aktivierten Integrationspotenzials.107 Die politischen Entscheidungsträger reflektierten diese Dimensionen sehr bewusst: So ersannen sie einerseits Maßnahmen, die explizit die Visibilität beziehungsweise Visualisierung von Machtbeziehungen anstrebten (symbolisch-expressive Dimension)108, andererseits debattierten sie ausführlich über die erzieherische Wirkung ihrer Handlungen (symbolisch-instrumentelle 107

Vgl. MÜNKLER, Herfried: Die Visibilität der Macht und die Strategien der Machtvisualisierung, in: GÖHLER, Gerhard (Hrsg.): Macht der Öffentlichkeit – Öffentlichkeit der Macht, Baden-Baden 1995, S. 213–230; CHARTIER: Die Welt als Repräsentation; STOLLBERG-RILINGER: Einleitung. 108 Vgl. dazu MÜNKLER: Visibilität der Macht; und STOLLBERG-RILINGER: Einleitung.

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1. Einleitung

Dimension). Aus heuristischen Gründen soll im Folgenden zwischen den verschiedenen Dimensionen getrennt werden, auch wenn diese in der Praxis stets untrennbar aufeinander bezogen waren. – Visuelle Repräsentation, Symbolpolitik und Showpolitik sollen im Folgenden als drei unterschiedliche Untersuchungsebenen ‚symbolischer Politik‘ differenziert und analysiert werden. Dabei kommt auch die Frage nach den ‚Intentionen‘ erneut ins Spiel. Der zeitgenössische theoretische Diskurs über Symbolpolitik soll auf die ihm zugrundeliegenden Spielregeln sowie die darin aufscheinenden Wert- und Ordnungsvorstellungen hin befragt werden. Visuelle Repräsentation Von dem nach Chartier eingeführten weiten Repräsentationsbegriff soll ein engerer unterschieden werden, der es erlaubt, den Bereich staatlicher beziehungsweise allgemein politisch motivierter Selbstdarstellung im Speziellen in den Blick zu nehmen. Jede politische Gruppierung und jedes politische Herrschaftssystem bedient sich bestimmter Symbole oder symbolischer Akte, um sich darzustellen und damit zu vergegenwärtigen. Die Forschung untersucht solche Formen symbolischer Politik in der Regel unter dem Stichwort ‚Repräsentation‘, im Sinne einer ‚VerGegenwärtigung‘ grundlegender Wert- und Ordnungsmuster eines Systems. Alles, was symbolisch der Bekräftigung und Reproduktion von politisch-sozialen Ordnungen dient – ganz gleich ob im höfischen Zeremoniell des Ancien Régime oder in den republikanischen Ritualen des revolutionären Frankreichs –, kann in diesem Verständnis als ‚Repräsentation‘ bezeichnet werden. In der Regel geht es darum, politische Forderungen und Ziele über symbolische Gegenstände und symbolische Handlungen zu veranschaulichen oder zu bewerten, das heißt, bestimmte Tatbestände oder Fakten zu überhöhen oder herabzusetzen. Über Symbole und Rituale werden Wert- und Ordnungsvorstellungen sichtbar gemacht und inszeniert (‚visuelle Repräsentation‘), die sonst im Abstrakten oder Verborgenen bleiben. In der Ersten französischen Republik wurden beispielsweise anlässlich der staatlich organisierten Nationalfeste Freiheitsstatuen auf Triumphwagen gesetzt und über das Marsfeld gefahren; es wurden Denkmäler zu Ehren bestimmter Gruppen errichtet oder szenische Spiele mit moralischem Inhalt veranstaltet. Die Reihenfolge des Aufmarschs verschiedener Gruppen in Prozessionen und Umzügen visualisierte unmittelbar die Stellung, welche diese in der neuen Gesellschaft einnahmen. Die Verfassung lag anlässlich von zivilen Zeremonien auf dem Altar des Vaterlandes und wurde dadurch als zentraler Bezugspunkt des neuen Regimes anschaulich. Doch nicht

1.3 Begriffsklärungen und Methode

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nur die Obrigkeit, sondern auch die aus der Mitte der Gesellschaft heraus entstehenden politischen Gruppierungen (wie die Jakobiner oder Royalisten) repräsentierten ihre Wert- und Ordnungsvorstellungen über symbolisches Handeln: Abzeichen identifizierten eine Gruppe von Individuen als kollektiven Akteur; gemeinsame Aktionen stifteten überindividuellen Zusammenhalt und kommunizierten gemeinsame Wertüberzeugungen gegenüber Andersdenkenden. Schwerpunkte dieser Untersuchungsebene von symbolischer Politik sind die Bereiche Selbstdarstellung und Identitätsstiftung. Symbolpolitik Alle genannten Beispiele von Repräsentation im Sinne von Selbstdarstellung oder politischer Identitätsstiftung über Symbole und Rituale besitzen neben der auf den ersten Blick dominierenden symbolischexpressiven eine strategisch-instrumentelle Dimension. Erst in dem Moment jedoch, in dem diese Tatsache auch ausdrücklich reflektiert beziehungsweise thematisiert wird, soll im Folgenden von ‚Symbolpolitik‘ gesprochen werden. Das politische Ordnungssystem wurde in der Französischen Revolution über symbolpolitisches Handeln mehrfach bewusst in Frage gestellt und verändert. Über Zeremonien, Routinen und Rituale wurde unmittelbar regulativ in den Alltag der Menschen eingegriffen; wichtigstes Ziel der republikanischen offiziellen ‚Symbolpolitik‘ war dabei die Stabilisierung der neuen Staatsform. Doch auch die Opposition praktizierte Symbolpolitik, wenn sie über bestimmte Zeichen und Aktionen bestehende Geltungs- und Machtansprüche gezielt in Frage stellte, angriff oder delegitimierte. So diskutierten die Abgeordneten im Konvent und in den parlamentarischen Räten des Direktoriums unter dem Stichwort ‚republikanische Institutionen‘ die Sitten und Gebräuche der Franzosen, die durch Einführung neuer Routinen, Zeremonien und Rituale beeinflusst werden sollten. Eine neue Zeitrechnung, der sogenannte calendrier républicain, wurde eingeführt und entwickelte sich immer deutlicher zum Instrument der politischen Durchsetzung des endgültigen Bruchs mit dem Katholizismus. Intensive Debatten drehten sich um Fragen der Religion oder die Möglichkeit der Einführung eines Zivilkultes. Über Verleihung von Ehrenzeichen und Preisen sollten tugendhaftes Verhalten und besondere Leistungen belohnt werden. Auch bei gezielten Angriffen der Opposition auf symbolische Domänen der Machthaber oder bei bewusster Organisation von Wahlkampf handelt es sich um ‚symbolpolitisches‘ Handeln. So beeinflusste beispielsweise im Winter 1794/95 der Feldzug der jeunesse dorée gegen

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1. Einleitung

die Symbole der radikalen Republik äußerst erfolgreich die öffentliche Meinung und führte zum Machtverlust der letzten Jakobiner. Im Wahlkampf von 1797 behaupteten sich die Royalisten gegenüber den Republikanern, indem sie deren Repräsentationsformen lächerlich machten und gleichzeitig republikanische Symbole für die eigene Sache reklamierten. Zur Zeit des Direktoriums waren vor allem solche Fragen Gegenstand der Symbolpolitik, die auf Machterhalt oder Machteroberung zielten – und damit ins Herz des Politischen überhaupt. Schwerpunkt dieser Untersuchungsebene von symbolischer Politik ist die Beeinflussung anderer. Showpolitik Von den genannten Untersuchungsebenen ist eine dritte zu unterscheiden, die im Folgenden nur am Rande thematisiert werden soll, jedoch im alltagssprachlichen und publizistischen Begriffsgebrauch weite Verbreitung erfahren hat. Anders als im hier vorgeschlagenen Sinne wurden ‚Symbolische Politik‘ oder ‚Symbolpolitik‘ in den letzten Jahren im Feuilleton oder in politikwissenschaftlichen Abhandlungen als Bezeichnung für Versuche, fehlendes oder mangelhaftes politisches Handeln zu verschleiern oder zu kompensieren, benutzt.109 Dabei geht es um die Klassifizierung solchen politischen Handelns, das von vornherein die Absicht verfolgt, mittels symbolischer Strategien Realitäten zu beschönigen oder zu verschleiern. Die symbolische Komponente, so die Unterstellung, werde in diesen Fällen nicht zur Darstellung oder Veränderung gesellschaftlicher Zustände, sondern zur Zementierung bestehender Machtverhältnisse benutzt. Es wird vorgeschlagen, für diese Ebene die Bezeichnung ‚symbolisch-manipulative‘ oder ‚symbolisch-verschleiernde‘ Politik anzuwenden. Die Presse sprach häufig in Bezug auf die Selbstdarstellung der US-amerikanischen Regierungen von ‚Showpolitik‘ – etwa, wenn George Bush von einem Flugzeugträger aus den Soldaten im Irakkrieg Mut zusprach. Der etwas sperrige Anglizismus bringt die Idee des Ablenkungsmanövers besser auf den Punkt, als es der Symbolbegriff nach dem hier entfalteten Verständnis kann. Auch bestimmte Handlungen des Direktoriums können als ‚Showpolitik‘ interpretiert werden. So wurde 1798 und 1799 zwar am Vorabend der jährlichen Wahlen ein ‚Fest der Volkssouveränität‘ abgehalten; als jedoch die Wahlergebnisse 109

Vgl. u. a. JESSEN, Jens: Symbolische Politik – Essay, in: APuZ (20/2006), http://www. bpb.de/publikationen/MZVXLY,0,Symbolische_Politik_Essay.html [27/11/08, 17.23h]; SARCINELLI, Ulrich: Politische Kommunikation in Deutschland. Zur Politikvermittlung im demokratischen System, Wiesbaden 2005, S. 124–138.

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nicht nach den Vorstellungen der politischen Entscheidungsträger ausfielen, wurden die Abstimmungen kurze Zeit später jeweils korrigiert oder kassiert – und die Festveranstaltung von den Zeitgenossen als ‚Showpolitik‘ denunziert. Der Politologe Murray Edelman hat mit seinen Studien zum Zustand der US-amerikanischen Demokratie die Debatte über diese Spielart symbolischer Politik stark beeinflusst.110 Die amerikanische Politik, so Edelman, trage ritualhafte Züge, indem sie von Entscheidungsträgern und ihren Beratern als reines Theater inszeniert werde – mit allen Mitteln der theatralen Inszenierung. Die ‚wahre‘ Ebene politischer Entscheidungsprozesse sei jedoch von diesen Inszenierungen getrennt zu betrachten; sie befinde sich quasi dahinter, sei rational strukturiert und werde durch das, was der Öffentlichkeit präsentiert werde, allenfalls nachvollzogen, bestenfalls interpretiert und meist schlicht verschleiert. Diese Überlegungen haben im Rahmen einer demokratiekritischen Debatte durchaus ihre Relevanz, verbergen aber in ihrer einseitigen Stoßrichtung die symbolische Dimension jeder Politik sowie die spezifischen Bedürfnisse eines jeden Regimes nach Selbstdarstellung/Repräsentation und Symbolpolitik. Die Zweiteilung der Politik in Hinter- und Vorderbühne erscheint in symbolpolitischer Perspektive irreführend: Jedes politische Handeln ist zeichenhaft strukturiert und selbstverständlich kann auch Showpolitik Aufschluss über dahinter verborgene Wert- und Ordnungsvorstellungen eines Regimes geben. Der Befund Edelmans, die US-amerikanische Politik des beginnenden 21. Jahrhunderts neige zu Theatralität, ist in diesem Sinne keineswegs falsch, sondern nur anders zu bewerten. Zwar befürwortet die vorliegende Arbeit grundsätzlich das Konzept einer „politischen Semiotik“111, welche es erlaubt, Symbole nicht nur als schönen Schein, sondern als genuine Dimension des Politischen zu definieren.112 Dennoch ist die Frage nach der Möglichkeit eines manipula110

EDELMAN, Murray: Politik als Ritual. Die symbolische Funktion staatlicher Institutionen und politischen Handelns, Frankfurt 1990. Vgl. außerdem VOIGT, Rüdiger: Mythen, Rituale und Symbole in der Politik, in: Ders. (Hrsg.): Symbole der Politik, Politik der Symbole, Opladen 1989, S. 9–37, besonders S. 10ff. 111 Vgl. diese Formulierung bei DÖRNER, Andreas: Politischer Mythos und symbolische Politik. Der Hermannmythos: Zur Entstehung des Nationalbewusstseins der Deutschen, Reinbek 1996. In ähnlicher Perspektive forderte auch Tacke, Bilder und Symbole als Bedeutungsträger ernst zu nehmen und nach ihrer Funktion für Gesellschaften oder soziale Gruppen zu fragen. Vgl. TACKE, Charlotte: Denkmal im sozialen Raum. Nationale Symbole in Deutschland und Frankreich im 19. Jahrhundert, Göttingen 1995. 112 Da Wirklichkeit stets sozial konstruiert ist, vollzieht sich ihre Aneignung über Zeichensysteme, die subjektive Prozesse der Sinndeutung und Sinnzuschreibung anstoßen.

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tiven Einsatzes symbolischer Politik für die differenzierte Beurteilung des Untersuchungsgegenstandes relevant.113 Sie eröffnet den Blick auf verschiedene Intentionen, die sich mit symbolischer Politik verbinden können. Die Kulturgeschichtsschreibung hat zu Recht den Blick weg von Intentionen hin auf Strukturen und kommunikative Prozesse gerichtet. Doch werden die Intentionen in dem Moment wieder bedeutungsvoll, in dem sie erstens Gegenstand zeitgenössischer Debatten waren, und in dem zweitens die Zuschreibung bestimmter Intentionen durch die Zeitgenossen für den weiteren Verlauf der Kommunikation von Bedeutung war. Gerade in einer Zeit des Glaubens an die unbegrenzte Gestaltungsmöglichkeit politisch-sozialer Ordnung, in einer gesellschaftlichen Umbruchssitution, die Transparenz und Volkssouveränität an die Stelle von monarchischer Verschleierung und Willkürherrschaft zu setzen versprach, wurde jede Regierung auf ihre ‚Glaubwürdigkeit‘ hin überprüft. Diese Kategorie gewann zunehmend in der politischen Debatte an Bedeutung. ‚Entlarvung‘ von Verstellung, Täuschung oder manipulativer Absicht, so hatten bereits die ersten Jahre der Revolution gezeigt, konnte zu raschem Machtverlust führen. Nicht umsonst galten Ludwig XVI., Mirabeau, Barnave und Robespierre trotz ihrer unterschiedlichen politischen Vorstellungen im Volksmund einhellig als ‚Schurken‘ und ‚Verräter‘. So kann es zwar nicht Sinn und Zweck dieser Arbeit sein, über ‚gute‘ und ‚schlechte‘ Absichten zu richten, die sich mit symbolischer Politik verbanden. Ebenso wenig sollen ‚wahre‘ und ‚falsche‘ Absichtserklärungen als solche entlarvt werden. Aber die Absichtserklärungen der Revolutionäre und ihrer Gegner sollen als solche gewürdigt werden, um anschließend darüber urteilen zu können, welche Wirkung Gelingen oder Scheitern der selbsterklärten Ziele für das gesamte sozio-politische System haben konnten.114 Dabei bleiben an dieser Stelle noch viele Fragen offen, denen im Verlauf der Untersuchung nachgegangen werden wird und die erst in den Schlusskapiteln abschließend beantwortet werden sollen. Bedeutet Symbolpolitik in der Moderne immer auch eine Ästhetisierung Die politische Kultur ist ein Bestandteil dieser Prozesse. Vgl. BERGER/LUCKMANN: The Social Construction of Reality. 113 Neben ihrer politischen Implikation handelt es sich auch um eine wissenschaftlich relevante Frage. 114 Gerade für den angestrebten Vergleich zwischen Vormoderne und Moderne erscheint die Debatte um ‚Manipulation‘ und ‚Glaubwürdigkeit‘ symbolischer Politik ein wichtiges Untersuchungsfeld. Zur Zeit der Ersten Republik steigerte sich ihre Bedeutung sogar so sehr, dass zu überprüfen sein wird, inwiefern der Verlust an Glaubwürdigkeit nicht entscheidend zum Scheitern des republikanischen Projektes der Direktorialrepublik beigetragen hat.

1.3 Begriffsklärungen und Methode

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Abb. 1: Petit, Simon: L’Anarchiste: je les trompe tous deux, eau-forte, pointillé, roulette, 32,5 × 38 cm, 19. März 1797.

der Politik, die sie von ihren eigentlichen Inhalten entfernt? Handelt es sich hierbei um eine prinzipiell demokratiefeindliche Tendenz, die paradoxerweise in der Französischen Revolution ihren Ausgangspunkt nahm?115 Handelt es sich bei staatlichen Inszenierungen in der Moderne immer häufiger um selbstreferentielle ästhetische Symbolik, die mit einem großen Aufwand an auffordernder Begleitrhetorik betrieben wird und am Ende bloß aufgrund ihrer Effekthascherei eine mediale Resonanz erfährt, ohne jedoch auch nur im Geringsten ihr selbst gestecktes Ziel zu erreichen oder ihren Aufwand zu rechtfertigen?116

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Vgl. dazu u. a. GLASER, Hermann: Ästhetizismus als Entethisierung der Politik, in: KLEIN, Ansgar u. a. (Hrsg.): Kunst, Symbolik und Politik. Die Reichstagsverhüllung als Denkanstoß, Opladen 1995, S. 355–364. 116 Vgl. BUBNER, Rüdiger: Symbolische Politik und praktische Urteilskraft, in: KLEIN u. a.: Kunst, Symbolik und Politik, S. 339–342.

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1. Einleitung

Der Diskurs der Revolution über ‚Verräter‘ und ‚Wendehälse‘, über Doppelgesichtigkeit und Janusköpfigkeit – alles Themen, die auch in der politischen Ikonographie eine eigene Bildsprache hervorgebracht haben (vgl. Abb. 1) – belegt eindringlich die große Bedeutung dieses Themas für politisches Handeln im Übergang zur Moderne.117 Im politischen Diskurs beteuerte man, die Diskrepanz zwischen Form und Inhalt überwunden zu haben. Doch die epochenübergreifend zu beobachtende, grundsätzliche ästhetische Durchformung des Politischen wurde für demokratisch legitimierte Systeme in dem Moment bedrohlich, in dem Herrschaft labiler wurde und Symbolpolitik sich zu verselbständigen drohte. Umgekehrt erwuchs dadurch auf Seiten der Machthaber ein umso größeres Kontrollbedürfnis, welches die Glaubwürdigkeitsfrage weiter zuspitzte, da Kontrolle mit dem selbsterklärten Anspruch auf Transparenz im Widerspruch stand. Auch in der Vormoderne war Politik kommunikativ strukturiert. Neuere Studien zur Frühen Neuzeit haben die These widerlegt, Repräsentation in der Vormoderne sei eine einseitige Demonstration von Herrschaft.118 Überzeugend erscheint jedoch nach wie vor die Erkenntnis, dass im Zuge der wachsenden Bedeutung einer bürgerlichen Öffentlichkeit Repräsentation noch stärker als zuvor zur Legitimation der Herrschaft unerlässlich wurde.119 Gleichzeitig gewannen Medien eine immer wichtigere Funktion, mit deren Hilfe Kommunikation unter Abwesenden gewährleistet werden konnte. Dadurch erhöhte sich jedoch auch die Distanz zwischen Sinnproduzenten und Sinnadressaten; neue Formen von Misstrauen und Missverständnissen traten auf. Medien verbreiten politische Botschaften, deuten sie und sind entscheidend an der kommunikativen Verstehensleistung des Rezipienten beteiligt. Sie sind in diesem Sinne „Verstärker [...] und Multiplikatoren politischer Diskurse, sie definieren die politische Agenda, thematisieren oder dethematisieren politische Fragen und Probleme.“120 Auch die veränderte Wechselwirkung zwischen Medien und Politik ist somit indirekt Gegenstand der vorliegenden Arbeit.

117

Weitere Abzüge bzw. Varianten des in Abb. 1 gezeigten Blattes vgl.: Petit, Simon: L’anarchiste, je les trompe tous deux, eau-forte, pointillé, roulette 32,5 × 38 cm (Paris, BnF, Coll. de l’Histoire de France, Inv. Qb1, 1797, M 103758); ders.: L’anarchiste ou le nouveau janus (Paris, BnF, Coll. de l’Histoire de France, Inv. Qb1, 1797, M 103759). 118 Vgl. HABERMAS, Jürgen: Strukturwandel der Öffentlichkeit, 2. Aufl., Neuwied 1965, S. 14ff. sowie S. 17f. 119 Im Ancien Régime spielte demgegenüber die persönliche Anwesenheit eine viel größere Rolle. FREVERT: Neue Politikgeschichte, S. 16. Vgl. dort auch zum Folgenden. 120 FREVERT: Neue Politikgeschichte, S. 18.

1.4 Quellen 1.4 Quellen

39

1.4 Quellen Symbolische Politik zeichnet sich durch eine hohe Kommunikabilität aus und ist auf unterschiedlichen medialen Ebenen generier- und vermittelbar: über Text und Bild ebenso wie in der unmittelbaren Praxis, über Sprache oder im Kontext von Zeremonien und Ritualen, die dann ihrerseits wieder Bild- und Textproduktionen nach sich gezogen haben. Prinzipiell kommen daher für die Untersuchung Quellen zahlreicher Gattungen und aller Ebenen der politischen Sinnstiftung in Frage. Auswahl und Beschränkung schienen geboten, um die Arbeit sinnvoll zum Abschluss bringen zu können.121 Allgemeine Publizistik Wichtigste Quelle zur Rekonstruktion der Parlamentsdebatten über Fragen der Symbolpolitik war die Zeitungspresse, allen voran die Gazette nationale ou Le Moniteur universel, im Folgenden kurz als Moniteur zitiert.122 Der Moniteur wurde im November 1789 vom Verleger Charles-Joseph Panckouke begründet und avancierte innerhalb kürzester Zeit zur wichtigsten Zeitung, in der täglich über die Debatten der Nationalversammlung berichtet wurde.123 Zwar wurde er erst im Konsulat zum offiziellen Staatsorgan erhoben, doch stand er auch in der Zeit des Thermidor und Directoire der Regierung nahe. Parlamentsdebatten, Proklamationen der Exekutive, ministerielle Rundschreiben oder Erlasse des Direktoriums (auch Festprogramme) wurden im Moniteur unter Wahrung einer neutralen Beobachterposition veröffentlicht. Und symbolpolitische Themen wie Nationalfeste, Amtseinführungen oder auch Amtstrachten waren sogar beliebte Themen für Leitartikel und Kommentare, besonders in der Zeit des Ersten Direktoriums. Der 121

So geht Reichardt davon aus, die Revolution habe innerhalb von zehn Jahren allein schon im Bereich der Druckschriften mehr Quellen hervorgebracht als wahrscheinlich das ganze Jahrhundert, das ihr vorausging. Vgl. REICHARDT, Rolf: Das Blut der Freiheit. Französische Revolution und demokratische Kultur, 3. Aufl., Frankfurt am Main 2002, S. 191. 122 Bei Forschungsaufenthalten in Paris wurde die komplette Ausgabe des Moniteur konsultiert; Nachrecherchen in Münster mussten sich mit dem Nachdruck, der Réimpression de l’ancien Moniteur (abgekürzt RAM) begnügen. 123 Im Februar 1790 hatte Panckouke den Moniteur mit dem Bulletin de l’Assemblée nationale, verfasst von Maret, zusammengefasst. Das Bulletin enthielt die besten Protokolle der Sitzungen der Versammlung. Der Moniteur wurde dadurch zur ersten Adresse der Berichterstattung über die Revolution. Wichtigste Themen der Berichterstattung waren neben Innen- und Außenpolitik Verwaltungsangelegenheiten, Literatur, Wissenschaften und Künste; darüber hinaus publizierte der Moniteur Annoncen sowie einzelne Kommentare zu wichtigen Themen.

40

1. Einleitung

Rückgang kritischer Stellungnahmen in den späten 90er Jahren lässt auf eine verschärfte Kontrolle schließen.124 Neben auf Information und Überblick ausgerichteten Formaten wie dem Moniteur entstand in Frankreich mit der Revolution auch der politische Journalismus: Das Spektrum reichte von republikanischen, sozial engagierten Blättern bis hin zur monarchistischen und royalistischen Presse.125 Die Revolutionsregierung von 1793/94 beschnitt den entstandenen „Wildwuchs“126 und bemühte sich um eine offizielle, staatsnahe Linie.127 Erst nach dem Sturz Robespierres lebte die freie Presse erneut auf – doch die Dynamik der ersten Revolutionsjahre schien in mancher Hinsicht gebrochen. Es waren vor allem die reaktionären, regimekritischen Blätter, die hohe Auflagezahlen verzeichneten. Nach 1797 wurden zahlreiche Zeitungen der rechten Opposition verboten; ab 1798 richtete sich die Regierung angesichts des Wiedererstarkens der Jakobiner gegen die linke Presse.128 Nach dem Wahlsieg der Linken kann für das Jahr 1799 erneut eine Phase der Pressefreiheit konstatiert werden, bevor schließlich Napoleon die Publizistik auf ein Minimum reduzierte und sie stärker denn je zuvor der Kontrolle unterwarf. Verschiedene Periodika des rechten und des linken Lagers wurden auf ihre Berichterstattung beziehungsweise Stellungnahme zu Fragen der symbolischen Politik hin befragt. Gezielt nach bestimmten Ereignissen wie Festen, Regierungswechseln etc. ausgewertet wurden das Journal des hommes libres und der Ami des lois für das linke bezie124

Panckouke entwickelte mit dem Moniteur ein neues Format der quasi-offiziellen Berichterstattung, welches von englischen Vorbildern inspiriert und vor allem auf Nachrichtenübermittlung ausgerichtet war. Bis heute stellt das Blatt daher eine der wichtigsten Quellen zur Revolutionsgeschichte überhaupt dar. Vgl. ALBERT, Pierre: Le Passé de la Presse Française, in: Ausst.Kat FRANZÖSISCHE PRESSE UND PRESSEKARIKATUREN 1789–1992, hrsg. von Rolf REICHARDT, Ausstellung der Universitätsbibliothek Mainz, 3. Juni–17. Juli 1992, Mainz 1992, S. 7–9. 125 Die politische Revolution wurde von einer veritablen Medienrevolution begleitet, die sich unter anderem durch sprunghaften Anstieg der Titelzahl, Aktualisierung der Berichterstattung durch verkürzte Erscheinungsrhythmen, Demokratisierung durch Preissenkungen, höhere Auflagen und volksnähere Schreibweise auszeichnete. Vgl. u. a. LABROSSE/RÉTAT: Naissance du journal révolutionnaire 1789; POPKIN, Jeremy D.: Le Paris révolutionnaire dans le système journalistique européen, in: RETAT, Pierre (Hrsg.): La Révolution du Journal 1788–1794, Paris 1989, S. 109–116; BELLANGER, Claude (Hrsg.): Histoire générale de la presse française, tome I: Des origines à 1814, Paris 1969. 126 REICHARDT: Das Blut der Freiheit, S. 190. 127 Erste Säuberungen erfolgten bereits im Sommer 1792, unmittelbar nach dem Sturz der Monarchie. Vgl. LE POITTEVIN, Gustave: La liberté de la presse depuis la Révolution, Genève 1975, S. 30ff. 128 Vgl. LE POITTEVIN: La liberté de la presse, S. 77ff.; WORONOFF: La République bourgeoise de Thermidor à Brumaire, S. 214.

1.4 Quellen

41

hungsweise republikanische Spektrum; der Accusateur public, Messager du Soir, Miroir und die Quotidienne für das rechte Lager. Für die Zeit des Thermidor wurde der Orateur du peuple von Fréron herangezogen, vormals Organ der Montagnards, der jedoch innerhalb kürzester Zeit eine Wende zum Sprachrohr der Reaktion vollzog. Für symbolpolitische Fragen sensibel war darüber hinaus die Décade philosophique als wichtigstes Organ der Idéologues und des Institut national.129 In die Religion betreffenden Fragen bezogen vor allem die Annales de la religion, das wichtigste Blatt der konstitutionellen Kirche, deutlich Stellung. Von der regimenahen Presse, die durch das Direktorium subventioniert wurde, sind neben dem Moniteur teilweise auch der Rédacteur und der Conservateur berücksichtigt worden; 1796 zählten auch der Linken nahe stehende Blätter wie die Sentinelle (Louvet) zu den subventionierten Titeln.130 Weitere Zeitungen konnten über Quellensammlungen erschlossen werden; da es sich in diesen Fällen nur um Auszüge handelt, wird zusätzlich zum Titel die Edition zitiert.131 Druckgraphik erfasste aktuelle Geschehnisse zeitnah zum Ereignis, kritisierte oder überhöhte sie. Dank Verbesserungen in der Herstellungstechnik konnten Holzschnitte, Kupferstiche und Radierungen innerhalb weniger Tage produziert werden.132 Im Unterschied zu anderen Bildmedien war die Druckgraphik daher in der Lage, auch zu kontroversen Themen Stellung zu beziehen und unterschiedliche Adressatenkreise zu bedienen. Aufgrund des geringen Preises der Stiche konnten über dieses Medium auch die unteren Schichten erreicht werden, die größtenteils Analphabeten waren.133 Betrachtete die ältere Forschung die Druckgraphik ausschließlich als Spiegel der Ereignisse und allenfalls als propagandistisches Instrument zur Stimmungsmache, so unterscheiden neuere Studien differenzierter zwischen verschiedenen Funktionen der Bilder in der politischen Aus129

Vgl. dazu KITCHIN, Joanna: Un journal ‚philosophique‘: La Décade (1794–1807), Paris 1965. 130 Vgl. zur Subventionierung durch das Direktorium LE POITTEVIN: La liberté de la presse, S. 47ff. 131 Vgl. v. a. AULARD, François-Alphonse (Hrsg.): Paris pendant la réaction thermidorienne et le Directoire: Recueil de documents pour l’histoire de l’esprit public à Paris, 5 Bde., Paris 1898–1902. 132 Vgl. KOSCHATZKY, Walter: Die Kunst der Graphik. Technik, Geschichte, Meisterwerke, Salzburg 1972; vgl. zu Bildern als Quellen allgemein auch die Synthese von BURKE, Peter: Augenzeugenschaft. Bilder als historische Quellen, Berlin 2001 [engl. Original London 2001], Kapitel 8: Visualisierte Ereignisse. 133 Zu Entstehungsbedingungen, Verbreitung und Thematik der revolutionären Bildpublizistik vgl. grundlegend HERDING/REICHARDT: Die Bildpublizistik der Französischen Revolution.

42

1. Einleitung

einandersetzung: Sie werden als Ausdruck der teils kontroversen Wahrnehmungen des politischen Geschehens aufgefasst, die maßgeblichen Einfluss auf gesellschaftliche Vorstellungswelten und die politische Meinungsbildung haben konnten. In den Bildwelten der Druckgraphik wurde den Menschen unmittelbar vor Augen geführt, was abstrakte Größen wie ‚Republik‘, ‚Nation‘ oder ‚Vaterland‘ bedeuteten, beziehungsweise was sie sein sollten, konnten und würden. Auch Ereignisse aus der Hauptstadt, wie die journées révolutionnaires oder die großen Nationalfeste, wurden über dieses Medium in die Provinz kommuniziert. In dieser Hinsicht waren Bilder entscheidend mit daran beteiligt, Öffentlichkeit herzustellen und Politik zu gestalten. Die ausgewählten Quellenbeispiele entstammen größtenteils aus den drei großen Sammlungen der Bibliothèque nationale de France (BnF: Collection de Vinck, Collection de l’Histoire de France und Hennin), der umfangreichen Graphiksammlung des Musée Carnavalet oder der zeitgenössischen Presse134. Die Sammlungen der Bibliothèque nationale sind im 19. Jahrhundert entstanden und ihre Anlage erfolgte nicht nach heutigen wissenschaftlichen Kriterien. In den Sammlungsbeständen befinden sich auch Nachdrucke verlorener Originalstücke; viele Zuordnungen, vor allem die Datierungen der Collection de l’Histoire de France (Qb1), sind zweifelhaft, weil nach dem dargestellten Inhalt, nicht nach dem Entstehungsdatum verzeichnet wurde.135 Zur Einordnung der Blätter wurden daher sowohl die Inventare der Collection de Vinck und der Collection Hennin benutzt als auch Informationen aus bereits vorliegenden Veröffentlichungen (Ausstellungskatalogen136, Bildbänden137 134

Z. B. Bildpublikationen im Accusateur public von Jean Thomas Élisabeth Richer-Serisy. Annie Jourdan weist aus diesen Gründen ebenfalls darauf hin, die Sammlungen seien mit Sorgfalt auszuwerten: JOURDAN: Les Monuments, S. 23f. 136 Die Gesamtliste wäre an dieser Stelle zu lang; vgl. Hinweise zu Abbildungen von Bildquellen im Anhang sowie in den Bildunterschriften. Erwähnt seien vorab einige Publikationen aus dem Vor- und Umfeld des Bicentenaire, die auch von Deutschland aus umfangreiche Vorrecherchen ermöglichten: Ausst.Kat. LA RÉVOLUTION FRANÇAISE – LE PREMIER EMPIRE, dessins du Musée Carnavalet, 22 février–22 mai 1982, Paris 1982; Ausst.Kat. LA RÉVOLUTION FRANÇAISE ET L’EUROPE; Ausst.Kat. FREIHEIT – GLEICHHEIT – BRÜDERLICHKEIT. 200 Jahre Französische Revolution, Ausstellung im Germanischen Nationalmuseum, Nürnberg, 24.6.–1.10.1989, hrsg. von Gerhard BOTT u. a., Nürnberg 1989; Ausst.Kat. SKLAVIN ODER BÜRGERIN? Französische Revolution und Neue Weiblichkeit 1760–1830, hrsg. von Viktoria SCHMIDT-LINSENHOFF, Historisches Museum Frankfurt, Frankfurt am Main 1989; HOULD, Claudette: L’image de la Révolution française, produite à l’occasion de l’Exposition „L’Image de la Révolution Française“, présentée au Musée du Québec du 9 février au 26 mars 1989, Québec 1989. 137 Hier führte das Bicentenaire ebenfalls zu einer gesteigerten Nachfrage: Vgl. BAECQUE, Antoine de: La caricature révolutionnaire, Paris 1988; HOCKMAN, Lynne (Hrsg): 135

1.4 Quellen

43

und einzelnen Künstlern gewidmeten Darstellungen138) herangezogen; Vergleiche mit anderen Sammlungsbeständen, insbesondere des Musée Carnavalet, ermöglichten weitere Erkenntnisse. Dort wurden aus der Série histoire systematisch alle Grands formats (G) und Petits formats (P) für den Zeitraum von 1794 bis 1799 durchgesehen.139 Einige der untersuchten Blätter wurden in den analysierten Zeitungen zum Verkauf angepriesen, in Zeitbildern140 oder Memoiren beschrieben, so dass Diskurszusammenhänge aufzuzeigen sind. Bei den anonym veröffentlichten Blättern hingegen waren Einordnung und Datierung oft schwierig. Allein die Interpretation der Bildinhalte sowie des Darstellungstypus und -stils ermöglichte hier neue Erkenntnisse, teilweise gestützt auf frühere Forschungen. Auch die häufig anzutreffende Kombination aus Bild und Text erlaubte Rückschlüsse auf den Entstehungszusammenhang. Das Papier oder die verwandte Druckfarbe, die (oftmals nachträgliche) Kolorierung oder handschriftliche Bezeichnungen hingegen spielten für die Interpretation keine Rolle. Zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen wurde insgesamt keine quantitative, sondern eine qualitative Auswertung angestrebt: Auch anonyme Blätter geben Aufschluss über zentrale Wertvorstellungen, ikonographische Typen und Metaphern der Vorstellungswelt der Zeitgenossen; im Vergleich mit anderen Werken konnten die Inhalte eingeordnet und interpretiert werden. Methodisch orientierte sich die Auswertung am klassisch-ikonographischen Ansatz der Bildanalyse; soweit möglich wurden aber auch Bezüge hergestellt und der serielle Ansatz berücksichtigt.141 French Caricature and the French Revolution, 1789–1799, Los Angeles 1988; HOULD, Claudette (Hrsg.): Iconographie et image de la Révolution française, Montréal 1990; VOVELLE: La Révolution française. Images et récit, Bd. 1–5; BOSSÉNO, Christian-Marc, Christophe DHOYEN und Michel VOVELLE: Immagini della libertà. L’Italia in rivoluzione, 1789–1799, Rom 1988. Auch bei Vovelle sind zahlreiche Zuordnungen und Datierungen fragwürdig. Die neue Einordnung erfolgt im Zuge der Beschreibung und der Interpretation der Blätter im jeweiligen Kapitel. 138 Vgl. u. a. CARBONNIÈRES, Philippe de: Prieur. Les tableaux historiques de la Révolution. Catalogue raisonné des dessins originaux, Paris 2006; ders.: Lesueur, gouaches révolutionnaires. Publié à l’occasion de l’exposition „De la Bastille à Bonaparte, gouaches révolutionnaires de Lesueur“, Paris, Musée Carnavalet, 9 mars–12 juin 2005, Paris 2005. 139 Ich danke an dieser Stelle dem hilfsbereiten Personal des Salle de lecture sowie Philippe de Carbonnières, der mir meine Recherchen erleichtert hat. 140 Vgl. Mercier, Louis-Sébastien: Le nouveau Paris, édité par Jean-Claude BONNET, avec une introduction de Jean-Claude BONNET, Paris 1994. 141 Vgl. zu den unterschiedlichen methodischen Ansätzen: REICHARDT, Rolf: Bild- und Mediengeschichte, in: EIBACH, Joachim und Günter LOTTES (Hrsg.): Kompass der Geschichtswissenschaft. Ein Handbuch, Göttingen 2002, S. 219–230; JÄGER, Jens und

44

1. Einleitung

Neben Zeitungspresse und Druckgraphik stellten Pamphlete eine wichtige Ergänzung des Quellenmaterials dar, vor allem für diejenigen Zeitabschnitte, in denen keine Pressefreiheit gewährleistet war. Pamphlete übernahmen in diesen Momenten die Funktion der Zeitungspresse, indem sie äußerten, was nicht offiziell publiziert werden konnte. Die Fülle des Materials ist erschlagend: Allein der Bestandskatalog der Bibliothèque nationale umfasst für das Revolutionsjahrzehnt 33.985 Schriften einzelner Autoren, ferner 18.159 anonyme Drucke, neben weiteren 1.705 Periodika und Almanachen.142 Diese Quellenflut, zu der umfangreiche Bestände in der Provinz hinzukommen, ist Reichardt zufolge so gewaltig, dass es bis heute „keinen auch nur halbwegs umfassenden Überblick gibt – weder über ihre chronologische und räumliche Verteilung noch über die Anteile, die einzelne politische Gruppierungen und Themen an ihr hatten.“143 Die Auswahl des Materials erfolgte entsprechend mit Hilfe von Sammlungskatalogen144 und abgeschlossenen Bibliographien wie denjenigen von Tourneux, Martin/Walter und Monglond145. Auch die über 1.000.000 Seiten Archivmaterial umfassende Quellensammlung „French Revolution Research Collection“ präsentiert die ausgewählte Pamphletliteratur nach politischen Gruppierungen, Regionen und chronologischen Abschnitten der Revolution geordnet.146 Auch politische Lieder geben Aufschluss über symbolische Politik von Regierung und Opposition im republikanischen Frankreich. Die Sammlungen und Verzeichnisse von Constant Pierre ermöglichten Martin KNAUER (Hrsg.): Bilder als historische Quellen? Dimensionen der Debatten um historische Bildforschung, München 2009. Weiterführende Überlegungen zur Quellenkritik vgl. außerdem bei BECKER, Frank: Historische Bildkunde – transdisziplinär, in: Historische Mitteilungen im Auftrage der Ranke-Gesellschaft 21 (2008), S. 95–110. 142 Vgl. diese Zahlen bei REICHARDT: Das Blut der Freiheit, S. 191. 143 Vgl. ebd. 144 Besonders hilfreich erwies sich der Catalogue de l’histoire de France der BnF, der nicht nur Autorenschriften, sondern auch Pamphlete, Lieder oder andere schwer zugängliche Quellengruppen chronologisch verzeichnet. 145 Vgl. die Bibliographie von Tourneux zur Geschichte der Stadt Paris: TOURNEUX, Maurice: Bibliographie de l’histoire de Paris pendant la Révolution française, 5 Bde., Paris 1890–1913. Darüber hinaus: MARTIN, André und Gérard WALTER: Catalogue de l’histoire de la Révolution française, Bibliothèque Nationale, Département des Imprimés, 5 Bde., Paris 1936–1943 sowie Table analytique, Paris 1969; sowie MONGLOND, André: La France révolutionnaire et impériale. Annales de bibliographie méthodique et description des livres illustrés, 9 Bde., Grenoble und Paris 1931–1963 [Réédition 1976ff.]. 146 Die von Pergamon Press produzierte Sammlung war auch zur Erschließung anderer Quellengruppen nützlich: The French Revolution Research Collection, Editor-in-chief Colin LUCAS, Balliol College, Oxford, assisted by a distinguished international Editorial Board and Section Editors, Oxford u. a. 1989.

1.4 Quellen

45

einen schnellen Zugriff auf Lieder aus der Zeit von Thermidor und Direktorium.147 Vor allem für das Verständnis der Übergangszeit des Thermidor und des Einflusses der Straßenpolitik auf die politischen Entscheidungsträger erscheint die Analyse der zeitgenössischen Liedkultur unverzichtbar. Gegenmacht artikulierte sich nicht selten über neue chansons und Gesänge, wie im Winter 1794/95, als in der Hauptstadt Stimmung für die politische Reaktion gemacht wurde. Darüber hinaus wurden offizielle Hymnen und republikanische Chöre für Nationalfeste oder Staatsakte analysiert. Diese wurden häufig in Verbindung mit den Festprogrammen oder in staatsnahen Zeitungen publiziert; teilweise sind auch Einblattdrucke veröffentlicht worden. Die Studie beschränkt sich auf eine Analyse der Texte.148 Als wichtige Referenz diente in diesem Zusammenhang die Arbeit von Laura Mason.149 Administrative Quellen Als zweite wichtige Gruppe sind administrative Quellen zu benennen. Unveröffentlichte administrative Quellen wurden in den Archives Nationales (AN), den Archives des Affaires Étrangères und in der Bibliothèque historique de la Ville de Paris (BHVP) eingesehen. Symbolkämpfe waren zur Zeit des Direktoriums ein allgegenwärtiges Phänomen; sie waren auf der Ebene der ‚großen Politik‘ ebenso anzutreffen wie im gesellschaftlichen Alltag. So berichteten zum Beispiel Verwaltungsbeamte dem Innenminister über Profanationen von Symbolen der Republik in den Departements: Die ‚Symbolverstöße‘ reichten vom Fällen der Freiheitsbäume über die Entwendung von Jakobinermützen bis hin zur Errichtung von Kreuzen und anderen Zeichen der Kirche oder der Monarchie (vgl. AN F1cIII Ain 1 à Zuyderzée 2). Handschriftliche Protokolle der Sitzungen des Direktoriums bezeugen die nahezu täglichen Angriffe auf das rechtstaatliche Prinzip und die Legitimität des neuen Regimes: Dort finden sich Berichte über das Verbrennen der Trikolore, Auftritte von Verwaltungsbeamten in antijakobinischen Theaterstücken, Anschläge auf Angehörige der lokalen Verwaltung – um 147

Vgl. PIERRE, Constant: Musique des fêtes et cérémonies de la Révolution française, oeuvres de Gossec, Cherubini, Lesueur, Méhul, Catel, etc., recueillies et transcrites par Constant Pierre, Paris 1899; ders.: Les hymnes et chansons de la Révolution: Aperçu général et catalogue avec notices historiques, analytiques et bibliographiques, Paris 1904. 148 Informationen über die Notierung erscheinen für die Fragestellung von nachgeordnetem Interesse – zumal gerade im Kontext der Feste oft ein und dieselbe Melodie für verschiedene, dem Anlass entsprechend aktualisierte Textfassungen verwandt wurde. 149 Vgl. MASON, Laura: Singing the French Revolution. Popular Culture and Politics, 1787– 1799, Ithaca (N. Y.) 1996; außerdem vgl. BOYD, Malcolm (Hrsg.): Music and the French Revolution, Oxford 1991.

46

1. Einleitung

nur einige besonders eklatante Vergehen zu benennen (AN AFIII 1-17). Polizeiberichte (AN F7) informieren über die Zusammenstöße zwischen verschiedenen politischen Gruppierungen auf der Straße, wenn auch seltener über deren symbolische Anlässe oder Details. Aufschluss über die staatliche Organisation symbolischer Politik geben ministerielle Rundschreiben (AN AFIII 95), Sitzungsprotokolle der sogenannten ‚Kunstkommission’ des Innenministeriums (AN F17 1231-1240) ebenso wie gedruckt vorliegende, aber teilweise nur im französischen Nationalarchiv einsehbare Protokolle, Erlasse und Verordnungen der gesetzgebenden Körperschaften (AN AD XVIIIc: Impressions des Assemblées150). Eine thematische Sammlung von Dokumenten zur Debatte um die institutions républicaines, insbesondere die Bürgerstammbücher betreffend, befindet sich in der BHVP (12272, boîte 2, „débats sur institutions civiles en l’an VI“). Die Sitzungsprotokolle des Erziehungsausschusses für die Zeit des Konvents liegen ediert vor; sie dienten unter anderem als Grundlage zur Rekonstruktion und Beurteilung der Symbolpolitik der Thermidorianer.151 Ein weiteres Hilfsmittel zur Erschließung administrativer Quellen ist der Catalogue de l’Histoire de France der Bibliothèque nationale: In der Sektion „Histoire constitutionelle“ verzeichnet er alle Reden, Anträge und Stellungnahmen, die auf Geheiß der revolutionären Parlamente gedruckt worden sind.152 Fortlaufend sind auch die Archives parlementaires veröffentlicht, in der kritischen Edition zum Zeitpunkt der Bearbeitung leider nur bis einschließlich November 1794;153 daneben existieren aber in gedruckter Form auch nach Monaten gesammelte und gebundene Protokolle der beiden parlamentarischen Räte des Direktoriums, die zumindest für einzelne Zeitabschnitte, in denen besonders intensiv über Symbolpolitik diskutiert wurde (wie zum Beispiel im Jahr VI, 1798), zu Rate gezogen wurden.154 150

Vgl. dazu folgendes Findbuch: LES IMPRESSIONS DE LA CONVENTION NATIONALE, 1792– an IV. Inventaire analytique des articles AD XVIIIC 208–357, par Odile KRAKOVITCH, Paris, Archives nationales, 1997. 151 GUILLAUME, James (Hrsg.): Procès-verbaux du comité d’instruction publique de la Convention nationale, 7 Bde., Paris 1891–1910. 152 Unter der Signatur Le38 für den Konvent, Le43 für den Rat der Fünfhundert, Le45 für den Rat der Alten. Vgl. OZOUF, Mona: De thermidor à brumaire: Le discours de la Révolution sur elle-même, in: Revue Historique 243 (1970), S. 31–66, S. 32, Anm. 1. 153 Vgl. ARCHIVES PARLEMENTAIRES DE 1787 À 1860. Recueil complet des débats législatifs et politique des chambres françaises, Publié par l’Institut d’Histoire de la Révolution française, Université de Paris I, Première série (1787–1799), Bd. 1–101, Paris 1867–2005. 154 Vgl. CORPS LÉGISLATIF. Procès-verbal des séances du Conseil des Cinq-Cents, imprimé en vertu de l’Acte constitutionnel, 50 Bde., Paris, 4 Brumaire an IV à 19 Brumaire an VIII [26.10.1795–10.11.1799]; sowie CORPS LÉGISLATIF. Procès-verbal des séances

1.4 Quellen

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Der aktivste und symbolpolitisch kreativste Innenminister des Direktoriums, François de Neufchâteau, hat seine Rundschreiben (circulaires), Erlasse und andere Dokumente seiner Amtszeiten bereits zu Lebzeiten selbst publiziert.155 Sie erlauben eine differenzierte Beurteilung der Maßnahmen zur Durchsetzung der ‚republikanischen Institutionen‘ nach dem Staatsstreich des 18. Fructidor. Die Sitzungsprotokolle des Directoire exécutif wurden mit Hilfe des inventaire analytique von Debidour und Cheynet aufgearbeitet.156 Memoiren Aufgrund der Fülle des Materials konnten Memoiren nur von wichtigen symbolpolitischen Akteuren wie zum Beispiel den Direktoren Barras, La Revellière-Lepeaux, Carnot und Gohier berücksichtigt werden.157 Daneben stellten aufgrund ihres Quellenwertes die Erinnerungen des Abgeordneten Thibaudeau eine wichtige Quelle dar.158 Thibaudeau war in der Zeit des Thermidor und des Ersten Direktoriums, in Zusammendu Conseil des Anciens, imprimé en vertu de l’Acte Constitutionnel, 59 Bde., Paris, an IV–VIII (1795–1799). Ich danke Frau Kuon von der Universitätsbibliothek Konstanz für die Ermöglichung einer umfangreichen Fernleihe. 155 Vgl. François de Neufchâteau, Nicolas: Recueil des lettres circulaires, instructions, programmes, discours, et autres actes publics, Émanés du C.en François (de Neufchâteau), pendant ses deux exercices du Ministère de l’intérieur, 2 Bde., an VII–VIII. 156 Vgl. RECUEIL DES ACTES DU DIRECTOIRE EXÉCUTIF. Procès-verbaux, arrêtés, instructions, lettres et actes divers, par Antonin DEBIDOUR, 4 Bde., Paris 1910–1917 (= Collection de documents inédits sur l’Histoire de France publiés par les soins du ministre de l’Instruction publique); sowie in Fortsetzung dazu: LES PROCÈS-VERBAUX DU DIRECTOIRE EXÉCUTIF AN V–AN VIII. Inventaire des registres des délibérations et des minutes des arrêtés, lettres et actes du Directoire faisant suite au Recueil des actes du Directoire exécutif d’Antonin Debidour, par Pierre-Dominique CHEYNET, 10 Bde., Paris 2000–2005. 157 Vgl. Barras, Paul: Mémoires de Barras, membre du Directoire, hrsg. von George DURUY, 4 Bde., Paris 1895 und 1896, sowie Neuauflage in acht Bänden: Ders.: Mémoires de Barras, 8 Bde., Paris 2004–2006; La Revellière-Lepeaux, Louis-Marie de: Mémoires de Larevellière-Lépeaux, 3 Bde., Paris 1895; Carnot, Hippolyte: Mémoires sur Carnot: 1753–1823, 2 Bde., Paris 1861 und 1863; Gohier, Louis-Jérôme: Mémoires de LouisJérôme Gohier. Président du directoire au 18 brumaire, 2 Bde., Paris 1824 (= Mémoires des contemporains pour servir à l’histoire de France et principalement à celle de la République et de l’Empire). Allgemein vgl. FIERRO, Alfred: Bibliographie critique des mémoires sur la Révolution écrits ou traduits en français, Paris 1988. 158 Vgl. besonders folgende Neuausgabe: Thibaudeau, Antoine-Claire: Mémoires sur la Convention et le Directoire, première édition complète, comportant les modifications et compléments apportés par l’auteur après 1830, établie et annotée par François PASCAL, préface de Jean TULARD, Paris 2007. Für die Arbeit wurde an manchen Stellen mit älteren Ausgaben und Übersetzungen gearbeitet; vgl. Thibaudeau, Antoine Claire: Mémoires sur la Convention et le Directoire, 2 Bde., Paris 1824 (= Collection des mémoires relatifs à la révolution française).

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1. Einleitung

arbeit mit dem Direktor Carnot, ein einflussreicher Entscheidungsträger in symbolpolitischen Fragen. Weitere Beobachter des zeitgenössischen Paris werden zitiert, sofern ihre Schriften Beschreibungen oder Kommentare zur symbolischen Politik beinhalten.159 Alle Memoiren sind quellenkritisch auf ihre Glaubwürdigkeit hin überprüft worden, besonders diejenigen des Direktors Barras, der aufgrund der starken Kritik an seiner Amtsführung sowie als ‚Steigbügelhalter‘ Napoleons unter starkem Rechtfertigungsdruck stand. Bildende Kunst Auch einzelne Gemälde, Aquarelle, Skulpturen und andere Werke der bildenden Kunst, die beispielsweise in Salons ausgestellt waren, wurden zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen herangezogen.160 Es han159

Vgl. u. a. A Sketch of Modern France; Besnard, François-Yves: Souvenirs d’un Nonagénaire, publié par Célestin PORT, Paris u. a. 1880 [Nachdruck Marseille 1979]; Mercier: Le nouveau Paris; Meyer, Friedrich Johann Lorenz: Fragmente aus Paris im IVten Jahr der französischen Republik, Hamburg 1797; Savary Duc de Rovigo: Mémoires du Duc de Rovigo, pour servir à l’histoire de l’Empereur Napoléon, Bd. 1, Paris 1828; Talleyrand-Périgord, Charles Maurice de: Mémoires du Prince de Talleyrand, publié avec une préface et des notes par le Duc de Broglie, d’après l’édition originale, Paris 1998; Malmesbury, Earl of: Diaries and Correspondence of the Earl of Malmesbury. Containing An Account Of His Missions To The Courts Of Madrid, Frederick The Great, Catherine The Second, And The Hague; And Of His Special Missions To Berlin, Brunswick, And The French Republic, 4 Bde., London 1844. 160 Als hilfreich bei der Recherche erwiesen sich in diesem Zusammenhang neben den bereits zitierten Ausstellungskatalogen und Bildbänden auch Museumsinventare wie z. B. BRUSON, Jean-Marie und Christophe LERIBAULT: Peintures du musée Carnavalet, Paris 1999; BORDES, Philippe und Alain CHEVALIER: Catalogue des Peintures, Sculptures et Dessins, Musée de la Révolution française, Vizille 1996. Weitere Hinweise vgl. Anmerkungen sowie Verzeichnis der Bild- und Sachquellen im Anhang. Für die napoleonische Zeit vgl. darüber hinaus zahlreiche Publikationen aus dem Umfeld der ‚Jubiläen‘ der infolge von Krieg und Eroberung neu entstehenden deutschen Territorien: u. a. Ausst. Kat. ZERBROCHEN SIND DIE FESSELN DES SCHLENDRIANS. Westfalens Aufbruch in die Moderne, hrsg. von Gisela WEISS zusammen mit Gerd DETHLEFS, begleitend zur Ausstellung im Westfälischen Landesmuseum für Kunst- und Kulturgeschichte, 27.10.2002– 16.03.2003, Münster 2002; Ausst.Kat. NAPOLEON. TRIKOLORE UND KAISERADLER ÜBER RHEIN UND WESER, Preußen-Museum Nordrhein-Westfalen, Wesel (11.2.–9.4.2007) und Minden (6.5.–1.7.2007), hrsg. von Veit VELTZKE, Köln u. a. 2007; Ausst.Kat. KÖNIG LUSTIK!? JÉRÔME BONAPARTE UND DER MODELLSTAAT KÖNIGREICH WESTPHALEN, Hessische Landesausstellung 2008, Museum Fridericianum, Kassel, 19.03–29.06.2008, München 2008. Zuletzt sei ein deutsch-französisches Kooperationsprojekt genannt, das 2011 in Bonn und 2013 in Paris gezeigt wurde – überraschenderweise mit unterschiedlichen Themen, Szenographien und Katalogpublikationen: Vgl. Ausst.Kat. NAPOLEON UND EUROPA: TRAUM UND TRAUMA, Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, 17. Dezember 2010 bis 25. April 2011, hrsg. von Bénédicte SA-

1.5 Historische Einordnung

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delt sich um besonders aufschlussreiche Stücke, in denen sich bestimmte Positionen oder Ansätze der symbolischen Politik spiegeln beziehungsweise die die symbolische Politik der Regierung abbilden.161 So geben beispielsweise Porträts der Direktoren Aufschluss über deren Selbstverständnis, ebenso wie die Innendekoration von offiziellen Gebäuden oder Versammlungssälen einen Rückschluss auf zentrale Wert- und Ordnungsvorstellungen der für sie verantwortlichen Entscheidungsträger ermöglicht. Im Kapitel über staatliche Selbstdarstellung werden zu diesem Zweck auch architektonische Fragen angesprochen: Wo versammelten sich die parlamentarischen Räte des Direktoriums, wo residierte die Regierung? Ephemere Architekturen symbolisierten bei Festen und 1.5 Histori- Prozessionen zentrale Wertvorstellungen der Machthaber. Der Bereich sche Einord- der Skulptur, vor allem auch der Denkmalsetzung, wurde nur gestreift, zumal hier Vorarbeiten vorliegen.162 nung

1.5 Historische Einordnung In Ergänzung zu der gewählten systematischen Gliederung sollen einige Vorbemerkungen zur Chronologie die Einordnung der Untersuchungsergebnisse erleichtern. Allgemein lässt sich der gewählte (kurze) Untersuchungszeitraum in vier Abschnitte unterteilen: Die Zeit von der Gründung der Republik 1792 bis zum Ende der Terreur 1794, die Übergangszeit des Thermidor bis zur Einrichtung des Direktoriums, die Zeit des ‚Ersten Direktoriums‘ (1795 bis 1797) und die des ‚Zweiten Direktoriums‘ (1797 bis 1799).163 Die im Nachhinein als ‚Terreur‘ bezeichnete Phase der Diktatur des Wohlfahrtsausschusses endete nach der Zeitrechnung des republikanischen Kalenders am 9. Thermidor des Jahres II (27. Juli 1794) mit dem Sturz Robespierres. Der Begriff Thermidor, ursprünglich die Bezeichnung für den Hitzemonat Juli/August, wurde zum Emblem der Zeit der Neuorientierung der Französischen Revolution nach dem Ende der Jakobinerherrschaft. Die Macht lag bis Ende Oktober 1795 zunächst weiterhin beim revolutionären Konvent, VOY,

München 2010; Ausst.Kat. NAPOLÉON ET L’EUROPE, Musée de l’Armée, 27. März– 14. Juli 2013, hrsg. von Émilie ROBBE und François LAGRANGE, Paris 2013. 161 Vgl. allgemein zur Einführung in die revolutionäre Kunstpolitik u. a. BOIME, Albert: Art in an Age of Revolution. 1750–1800, Chicago und London 1987; BORDES/MICHEL: Aux armes et aux arts; BONNET, Jean-Claude (Hrsg.): La Carmagnole des Muses. L’homme de lettres et l’artiste dans la Révolution, Paris 1991; POMMIER: L’art de la liberté. 162 Vgl. JOURDAN: Les Monuments. 163 Vgl. v. a. das Standardwerk von LEFEBVRE: La France sous le Directoire.

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1. Einleitung

häufig auch als ‚Konvent der Thermidorianer‘ bezeichnet. Erst nach Inkrafttreten einer neuen Verfassung (der insgesamt dritten der Revolution), mit den Wahlen zu den neuen gesetzgebenden Versammlungen (Rat der Fünfhundert und Rat der Alten) und mit dem Zusammentreten des Exekutivgremiums der ‚Direktoren‘ beginnt die Zeit des Directoire. Die Begriffe ‚Erstes‘ und ‚Zweites‘ Direktorium täuschen: Keineswegs gab es nur eine einzige Regierungsumbildung. Das Fünferkollegium des Directoire exécutif erneuerte sich jedes Jahr um (mindestens) ein Mitglied. Die Periodisierung erklärt sich aus dem Staatsstreich, der am 18. Fructidor V (4. September 1797) von drei Direktoren gegen ihre Kollegen und die konservative Mehrheit der parlamentarischen Versammlungen durchgeführt wurde. Dies bedeutete eine entscheidende Richtungsänderung der Politik, die zu einer Erneuerung des revolutionären Programms führen sollte. Die Thermidorianer hatten als Nachfolger der Schreckensherrschaft ein schweres Erbe zu verwalten.164 Es ging darum, Ordnung und Stabilität zu gewährleisten und die Revolution zu einem Ende zu führen, ohne dabei jedoch das revolutionäre Ideal der Errichtung einer neuen sozialen Ordnung aufgeben zu müssen. Viele Fragen waren offen: Sollte der Terror fortgesetzt werden, zumindest gegen relativ eindeutig definierbare Feinde wie Rebellen und Royalisten? Oder war es Zeit für eine Mäßigung, für die Rückkehr zu demokratischen Prinzipien?165 Die politische Landschaft war zutiefst gespalten. Der 9. Thermidor war ein Staatsstreich von Mitgliedern des Terrorregimes gegen dessen führende Köpfe, der zunächst durch die bürgerliche ‚Mitte‘ des Konvents (die sogenannte Gruppe der Plaine) Unterstützung gefunden hatte.166 Nach 164

Vgl. besonders BACZKO: Comment sortir de la Terreur, S. 353ff.; ders.: L’expérience thermidorienne, in: LUCAS: The Political Culture of the French Revolution, S. 341–370; sowie LUZZATTO, Sergio: L’automne de la Révolution. Luttes et cultures politiques dans la France thermidorienne, Paris 2001 [trad. de l’italien par Simone CARPENTARI-MESSINA, préf. de Bronislaw BACZKO]. 165 Vgl. dazu auch WAHNICH, Sophie: La question de la responsabilité collective en l’an III, in: VOVELLE: Le tournant de l’an III, S. 85–97; BOSC, Yannick: Arrêter la Révolution, conserver la Révolution. Le débat sur les institutions de l’an III, in: VOVELLE: Le tournant de l’an III, S. 99–108. 166 Die Drahtzieher des 9. Thermidor setzten sich aus Montagnards unterschiedlichster Herkunft zusammen: Da waren alte Gefolgsmänner Dantons wie Thuriot oder Gemäßigte wie Bourdon de l’Oise, der vor allem das Revolutionstribunal reformieren wollte; daneben spielte eine Gruppe von ehemaligen Représentants en mission, wie Fouché, Barras, Fréron und Tallien eine große Rolle, die von den orthodoxen Robespierristen für ihre Politik der Terreur in der Provinz kritisiert worden waren und im Ruf standen, korrupt zu sein; zuletzt gingen Mitglieder des Wohlfahrtsausschusses wie Vadier, Amar und Voulland, die sich angesichts der von Robespierre eingeleiteten Politik der

1.5 Historische Einordnung

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dem Sieg über den vermeintlichen Tyrannen traten rasch Differenzen in der Zweckkoalition zu Tage; bereits drei Monate nach dem 9. Thermidor sollte das Bündnis endgültig zerbrechen. Die Plaine hatte schon früh Zugeständnisse für ihre Unterstützung gefordert: Noch im Sommer 1794 erfolgte eine Säuberung des Wohlfahrts- und des Sicherheitsausschusses, die de facto die Regierungsgewalt innehatten.167 Außerdem wurden die Kompetenzen des Wohlfahrtsausschusses beschnitten und nach und nach die Instrumente der Schreckensherrschaft entschärft: Das Revolutionstribunal, dessen Chefankläger inhaftiert worden war, wurde umgebildet und die Anzahl der Überwachungskomitees drastisch reduziert (in Paris von 48 auf 12). Unter dem Druck der Öffentlichkeit kam es zur Öffnung der Gefängnisse, was jedoch nach einem ersten Gefühl der nationalen Einheit den Ton der Debatten anschließend eher verschärfen sollte. Immer deutlicher stellte sich die Frage nach der Verantwortung für das, was geschehen war. Viele Abgeordnete versuchten, die parallel ablaufenden Fraktionskämpfe auf der Straße für die eigene Sache zu nutzen: Ähnlich wie zuvor die Sansculottenbewegung erfreute sich nun die jeunesse dorée einflussreicher Unterstützer – Ausschreitungen wurden von der Polizei billigend übersehen. Der Einfluss der thermidorianischen Presse auf die öffentliche Meinung war beachtlich. Mittels einer geschlossenen Initiative setzten die gemäßigten Republikaner ihr Programm einer ‚Reaktion‘ (zunächst wörtlich zu verstehen als Rück-Führung der Revolution zu ihren Anfängen) nach und nach gegen die Jakobiner und Anhänger der robespierristischen Bergpartei durch. Die Sozial- und Wirtschaftsgesetzgebung des Jahres II wurde schrittweise zurückgenommen;168 und in einer Atmosphäre von drohender Lynchjustiz erreichte die ‚Goldene Jugend‘ in Paris noch vor dem Jahreswechsel 1794/95 die Schließung des Klubs der Jakobiner. Widerstände gegen die ‚Reaktionäre‘ regten sich sowohl in den Kreisen der Pariser Volksbewegung als auch in den Revolutionsklubs der Provinz, zunächst in Form von Flugblättern, illegalen Versammlungen und Petitionsschriften an den Konvent. Durch den langen Hungerwinter 1794/95 verschärft, erreichte der Protest in den Aufständen vom religiösen Versöhnung und des Kultes des Höchsten Wesens von dem Führer der Revolutionsregierung distanziert hatten, mit den voranstehend Genannten eine Koalition ein. Vgl. LYONS, Martin: France under the Directory, Cambridge 1975, S. 9. 167 Mehrere Robespierristen, unter ihnen der Maler Jacques-Louis David, der zuletzt das Fest des Höchsten Wesens inszeniert hatte, mussten ihren Hut nehmen. Vgl. WORONOFF: La République bourgeoise de Thermidor à Brumaire, S. 10f., auch zum Folgenden. 168 Vgl. LEFEBVRE: La France sous le Directoire, S. 26–30.

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1. Einleitung

Germinal und Prairial des Jahres III (April und Mai 1795) seinen Höhepunkt: Am 1. Prairial III (20. Mai 1795) umzingelten 20.000 bewaffnete Sansculotten den Konvent, der zu ökonomischen und politischen Zugeständnissen genötigt werden sollte. Doch konnten die Aufständischen am Ende von Einheiten der Armee und Bataillonen regierungstreuer Sektionen relativ rasch eingekesselt und besiegt werden. Die Volksbewegung wurde stark dezimiert und endgültig entwaffnet.169 Vor dem Hintergrund dieser Ereignisse entschlossen sich die Thermidorianer zur Ausarbeitung einer neuen Verfassung – dem eigentlichen Herzstück der nunmehr ‚bürgerlich-liberalen‘ Republik. Man trat mit dem Anspruch auf, die Revolution beenden zu wollen: Der Rechtsstaat sollte die Tugenddiktatur ablösen, auf den Schrecken die Gerechtigkeit folgen. Trotz der großen Meinungsvielfalt in ideologischen wie praktischen Fragen einte die Thermidorianer die Überzeugung, dass in der Entwicklung, Durchsetzung und Verteidigung einer republikanischen Verfassung eine reale Möglichkeit zur Bewältigung der Probleme läge.170 Die Legislative wurde auf zwei Räte aufgeteilt, den ‚Rat der Fünfhundert‘ (Conseil des Cinq Cents) und den ‚Rat der Alten‘ (Conseil des Anciens). Die Exekutive (Directoire exécutif ) bestand aus fünf gleichrangigen Direktoren, die die Minister ernannten. Die Judikative umfasste die ordentlichen Gerichte, einschließlich des Tribunal de cassation, sowie die Haute Cour de justice als politisches Gericht. Daneben bestanden als weitere unabhängige Gewalten die Trésorerie mit fünf staatlichen Schatzmeistern sowie die Comptabilité mit fünf unabhängigen Finanzkontrolleuren. Die Idee der Gewaltenteilung war somit noch verstärkt worden, um das grundlegende Ziel der gemäßigten Republikaner, den Schutz der Freiheit des Individuums vor dem Staat, realisieren zu können.171 Die Räte konnten untereinander sowie mit dem Direktorium nicht direkt, sondern nur über Boten (messagers d’État) kommunizieren.172 Die Parlamentssekretariate wurden nur für einen Monat gewählt, einschließlich des Präsidenten der Versammlung, um Parteienherrschaft zu vermeiden. Aus demselben Grund wurden 169

Die Bilanz der Vergeltungsmaßnahmen spricht für sich: 1.200 Verhaftungen, 36 Todesurteile, zahlreiche Entlassungen aus der Nationalgarde und die Auflösung der letzten Volksgesellschaften. Vgl. KUHN, Axel: Die Französische Revolution, 6. Aufl., Stuttgart 2013, S. 130ff.; FURET/RICHET: Die Französische Revolution, S. 387. 170 Vgl. LEFEBVRE: La France sous le Directoire, S. 52ff. 171 Sieyès brachte ein noch weitergehendes Modell der Gewaltenteilung in die Debatte ein; die Enttäuschung darüber, dass dieses Modell nicht einmal diskutiert wurde, führte zum Verzicht des Revolutionärs auf das Amt des Direktors. Vgl. ebd., S. 54. 172 Vgl. ebd., S. 56. Dort wird auch genau erklärt, welche Beschlüsse und Nachrichten ausgetauscht wurden: résolutions, messages, arrêtés etc.

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die Plätze in den Versammlungen verlost: die Lagerbildung von ‚Rechten‘ und ‚Linken‘ war verpönt. Nicht einmal permanente Ausschüsse sollte es geben; zu tief saß die Erfahrung, dass sich der Wohlfahrts- und der Sicherheitsausschuss zur Keimzelle der Jakobinerdiktatur entwickelt hatten.173 Als weitere ‚Sicherungsmaßnahmen‘ gegen eine direkte Volksherrschaft auf der einen und eine Diktatur auf der anderen Seite sollten Verfassungsänderungen durch langwierige bürokratische Prozeduren erschwert werden; und das Recht des Volkes auf Widerstand wurde zurückgenommen, um Aufstände zu vermeiden.174 Selbst der Präsident des Directoire exécutif wurde nur für drei Monate gewählt und zeichnete sich durch keinerlei besonderes Abzeichen aus: Allein in der Rechtskraft seiner Unterschrift manifestierte sich seine herausgehobene Stellung; zudem verwaltete er das Staatssiegel.175 Politisch brachte die neue Verfassung des Jahres III entscheidende Einschnitte mit sich. Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte war umformuliert und durch eine Erklärung der Bürgerpflichten ergänzt worden.176 Das Prinzip der Gleichheit wurde nicht ausdrücklich als politisches Recht aller Menschen erklärt, sondern auf den Bereich der Gleichheit vor dem Gesetz sowie die besonderen Rechte der Bürger beschränkt.177 Immerhin, gegenüber der Verfassung von 1791 waren die Bedingungen, an die sich das Bürgerrecht knüpfte, entschieden gelockert worden. Jeder, der Steuern aufbrachte, egal in welcher Höhe, war Bürger; ebenso alle diejenigen, die im In- und Ausland gegen die Feinde der Revolution gekämpft hatten.178 173

All diese Bestimmungen vgl. ebd., S. 57. Auch die Anklage von Mitgliedern der parlamentarischen Räte wurde erschwert; vgl. ebd. 174 Zu dem schwierigen Versuch der Verbindung des Prinzips der Volkssouveränität mit der Idee des Repräsentativsystems sowie zur Schlüsselrolle von Sieyès in den Debatten um die Verfassung des Jahres III vgl. das entsprechende Kapitel bei GAUCHET, Marcel: La révolution des pouvoirs: La souveraineté, le peuple et la représentation. 1789–1799, Paris 1995. Zum Verfassungstext an sich vgl. TROPER: Terminer la Révolution. 175 In der Praxis wurden nicht alle Sicherheitsvorkehrungen auch tatsächlich umgesetzt. Vgl. ebd., S. 70. 176 Vgl. ebd., S. 31f. 177 Vgl. ebd., S. 33. 178 Vgl. WORONOFF: La République bourgeoise de Thermidor à Brumaire, S. 40ff. Abgeordnete, Departementverwaltungen und Richter wurden in einem gestuften Wahlverfahren in zwei Schritten gewählt; die Stadtverwaltungen wurden direkt bestimmt. Die tatsächliche Einschränkung erfolgte erst auf der Ebene der Wahlmänner („électeurs“): Um Wahlmann einer Stadt mit mehr als 6.000 Einwohnern zu sein, musste man über Grundbesitz verfügen, der Einkünfte von 200 Arbeitstagen einbrachte, oder als Pächter eines Gutes zumindest ein Einkommen von 150 Arbeitstagen aufbringen. Lefebvre hat berechnet, dass dies einem Steueraufkommen von dreißig oder vierzig Francs entsprach – eine Hürde, die nur ein geringer Prozentsatz der Bevölkerung überwinden konnte,

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1. Einleitung

Auch die Monarchisten begrüßten die neue Verfassung, hofften sie doch, die fünf Direktoren nach einem Wahlerfolg durch einen Monarchen ersetzen und auf diesem Weg die Restauration einer konstitutionellen Monarchie nach und nach verwirklichen zu können. Für die Republikaner und Demokraten stellte dies ein ernst zu nehmendes Problem dar – alles deutete darauf hin, dass die Monarchisten bei einer kompletten Erneuerung des Parlaments die Mehrheit gewinnen würden. Die Thermidorianer entschieden sich für eine weitere Vorsichtsmaßnahme: Durch die Dekrete vom 22. und 30. August 1795 wurde festgelegt, dass die neu Gewählten zu zwei Dritteln aus den Reihen der alten Konventsabgeordneten (conventionnels) bestimmt werden müssten; wenn dieses Verhältnis nicht erreicht werden könne, sollten die neuen Repräsentanten kooptiert werden.179 Die Ratifizierung dieser Dekrete im September löste heftigen Protest aus.180 Auch ein Referendum konnte die Glaubwürdigkeit der Konventsmitglieder nicht wiederherstellen – am wenigsten in Paris, wo sich immer deutlicher ein Aufstand der rechten Opposition abzeichnete.181 Die Verfassung wurde zwar offiziell mit mehr als 1.000.000 Ja- gegen 49.000 Nein-Stimmen angenommen und die Zweidritteldekrete erhielten 250.000 abgegebene Ja- (suffrages) gegen 107.000 Nein-Stimmen. Dieses zweite Ergebnis war jedoch umso zweifelhafter, als der Konvent die Stimmen derjenigen Sektionen nicht berücksichtigt hatte, die die Dekrete einstimmig abgelehnt hatten, ohne ein genaues Abstimmungsverhältnis aufzuschlüsseln – dies war unter anderem für 47 der sections parisiennes der Fall. Am 13. Vendémiaire (5. Oktober 1795) kam es zum Aufstand: Es erhoben sich Geschäftsleute, Angehörige der freien Berufe und Beamte, vor allem aus den Westpariser Sektionen. Die mehrheitlich monarchistisch gesonnenen Besitzbürger wollten keineswegs das Ancien Régime wieder einführen; sie lehnten vor allem den Machtanspruch der conventionnels ab, die sich mit den Zweidritteldekreten eine politische Überlebensgarantie ausgestellt hatten.182 Dem Abgeordneten Barras gelang es, die Ordnung wiederherzustellen, da die erhoffte Unterstützung durch die Volksmassen ausblieb. Bei der Niederschlagung der Erhebung zeichnete sich auch erstmals der junge Offizier Napoleon Bonaparte aus. Die anschließen-

vielleicht 300 Personen pro Departement. Auch wurde die Anzahl der Wahlmänner grundsätzlich beschränkt. Dazu vgl. LEFEBVRE: La France sous le Directoire, S. 34f. 179 Vgl. OZOUF, Mona: Les décrets des deux-tiers ou les leçons de l’Histoire, in: DUPUY/ MORABITO: 1795: Pour une République sans Revolution, S. 193–209. 180 Vgl. WORONOFF: La République bourgeoise de Thermidor à Brumaire, S. 40ff. 181 Vgl. LEFEBVRE: La France sous le Directoire, S. 37. 182 Vgl. WORONOFF: La République bourgeoise de Thermidor à Brumaire, S. 42ff.

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den Sanktionen fielen insgesamt im Vergleich zum Prairialaufstand des Frühjahrs milde aus.183 Trotz der Zweidritteldekrete sollten die Wahlen einen deutlichen Rechtsruck verursachen. Der Konvent verabschiedete daher kurz vor seiner Auflösung am 3. Brumaire IV (25. Oktober 1795) noch ein Gesetz zur ‚Rettung der Revolution‘: Emigranten und deren Verwandte wurden explizit vom Zugang zu öffentlichen Ämtern ausgeschlossen, die Gesetze gegen die eidverweigernden Priester (réfractaires) wurden erneut für gültig erklärt, ein umfassendes Erziehungsgesetz beschlossen und eine amnistie générale gegenüber politischen Häftlingen erlassen. Im November 1795 nahm die neue Regierung ihre Arbeit auf. Die fünf Direktoren standen vor einer Vielzahl von Herausforderungen; besonders die Wirtschaftskrise und der andauernde Krieg belasteten das Regime. Im Innern gab es täglich neue Schreckensnachrichten über Verletzungen des rechtsstaatlichen Prinzips in den Provinzen. Im Südosten des Landes zum Beispiel folgte auf die Säuberung der jakobinischen Verwaltung und die Entlassung vormals ‚Verdächtiger‘ (suspects) aus den Gefängnissen eine Zeit des ‚Weißen Terrors‘ (terreur blanche).184 Royalistisch gesonnene Banden sorgten in mehreren Provinzen für Unruhen und verübten politische Morde, und der Guerillakrieg gegen Revolutionsgegner im Westen (Vendée, Chouannerie) dauerte ebenfalls weiter an.185 Nur mit Hilfe der Armee konnte man der Lage Herr werden. 183

Barras erlangte so große Popularität, dass er sich unmittelbar für die Wahl zum Direktor qualifizierte. Er war das einzige Mitglied dieses Gremiums, das sich von 1795 bis 1799 durchgängig an der Macht halten konnte. 184 Vgl. u. a. CLAY: Justice, vengeance et passé révolutionnaire: les crimes de la Terreur Blanche; ders.: Vengeance, Justice and the Reactions in the Revolutionary Midi; ders.: Le massacre du fort Saint-Jean, un épisode de la Terreur blanche à Marseille, in: VOVELLE: Le tournant de l’an III, S. 569–584; COBB, Richard: The Police and the People: French Popular Protest, 1789–1820, London u. a. 1970, S. 131–150; LUCAS, Colin: Themes in Southern Violence after 9 Thermidor, in: LEWIS, Beyond the Terror, S. 152–194; VOVELLE, Michel: Massacreurs et massacres: aspects sociaux de la contre-révolution en Provence, après Thermidor, in: DUPUY, Roger und François LEBRUN: Les résistances à la Révolution, Paris 1987, S. 141–150; MOULINAS, René: Le département du Vaucluse en 1795: la contre-révolution en marche?, in: VOVELLE: Le tournant de l’an III, S. 529–538; LAPIED, Martine: Le Comtat et la Révolution française: naissance des options collectives, Aix-en-Provence 1996; dies.: Réaction et Terreur blanche dans le Comtat en l’an III: évolution ou confirmation des options politiques?, in: VOVELLE: Le tournant de l’an III, S. 539–548; BENOÎT, Bruno: Chasser le mathevon à Lyon en l’an III, in: VOVELLE: Le tournant de l’an III, S. 497–508. 185 MARTIN, Jean-Clément: La Vendée et la Révolution. Accepter la mémoire pour écrire l’histoire, Paris 2007; ders.: Contre-Révolution, Révolution et Nation en France 1789– 1799, Paris 1998; DENYS-BLONDEAU, Sylvie: L’Ouest intérieur en l’an III, vers de nou-

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1. Einleitung

Durch eine Politik der Zugeständnisse auf der einen Seite und repressive Maßnahmen auf der anderen versuchte das Directoire einen Ausgleich zu finden zwischen Revolution und Reaktion sowie zwischen Repräsentativsystem und autoritärem Staat. In Erinnerung an die Jahre 1793/94 fürchtete man die linke Opposition – zum Teil zu Unrecht – stärker als die Traditionalisten und Royalisten. 1796 musste zwar ein Umsturzversuch der radikalen Linken um den Publizisten Babeuf abgewehrt werden.186 Doch nach den Wahlen des Jahres 1797 gerieten die Direktoren zunehmend unter Druck der nun noch stärker von der Rechten dominierten Räte. Zudem stärkten zurückkehrende Emigranten das royalistische Lager. Um einem drohenden Machtverlust zuvorzukommen, führten die drei republikanischen Direktoren nach eigenem Verständnis zur ‚Rettung der Republik‘ am 18. Fructidor V (4. September 1797) einen Staatsstreich durch: 53 Abgeordnete und zwei Direktoren wurden deportiert. Zu früh freute sich die Linke über die vermeintliche Stärkung der eigenen Position – denn de facto bedeutete der 18. Fructidor eine Aufweichung der Repräsentativverfassung. Daran änderte sich auch nichts mehr, als das Parlament im Jahr 1799, durch Neuwahlen nun in einer linken Mehrheit bestärkt, seinerseits die Zusammensetzung des Direktoriums korrigieren konnte. Ein Ausgleich zwischen den verfeindeten Blöcken schien zunehmend unmöglich, immer mehr Politiker (wie der Abbé Sieyès) glaubten, dass Frankreich allein unter der Führung eines starken Mannes vor dem Abgrund der Fraktionskämpfe gerettet werden könnte. Die häufigen Wahltermine waren nicht nur Ausdruck des Gedankens der Volkssouveränität, sondern auch dazu gedacht, Cliquenherrschaft zu erschweren. Aus demselben Grund wurde das Prinzip der Wiederwählbarkeit eingeschränkt.187 Diese Bestimmungen erzeugten jedoch eine ständige Wahlkampfatmosphäre, die das Regime stark beveaux comportements politiques: l’Orne et la Sarthe, deux modèles, in: VOVELLE: Le tournant de l’an III, S. 443–460; PEYRARD, Christine: La justice thermidorienne dans l’Orne, in: VOVELLE: Le tournant de l’an III, S. 461–470; VALIN, Claudy: La Rochelle, face à la Vendée renaissante et à la réaction thermidorienne, in: VOVELLE: Le tournant de l’an III, S. 483–485. 186 Vgl. MAZAURIC, Claude: Babeuf et la conspiration de l’égalité, Paris 1962; sowie ders.: Babeuf en l’an III, in: VOVELLE: Le tournant de l’an III, S. 55–67. Zur Ideengeschichte vgl. THAMER, Hans-Ulrich: Revolution und Reaktion in der französischen Sozialkritik des 18. Jahrhunderts: Linguet, Mably, Babeuf, Frankfurt am Main 1973. 187 Wahlmänner wurden für ein Jahr bestimmt, nach einer Pause von zwei Jahren waren sie wieder wählbar. Abgeordnete waren für drei Jahre gewählt und einmal direkt wiederwählbar, dann nach zwei Jahren. Direktoren konnten nach einer Pause von fünf Jahren neu aufgestellt werden. Verwaltungsangestellte waren einmal wiederwählbar. LEFEBVRE: La France sous le Directoire, S. 46.

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lastete.188 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Verfassung des Jahres III zwar die Vorherrschaft der Besitzbürger sichern wollte, die Ausübung der Souveränität allerdings keinesfalls so stark beschränkt wurde, wie es nach 1799 und nach 1814 geschehen sollte. Die Ergebnisse der Wahlen des Jahres V bis VII zeigen, dass durchaus ein Spielraum für unterschiedliche Entscheidungen und Ergebnisse bestand. Gerade vor diesem Hintergrund reifte in konservativen bürgerlichen Kreisen im Laufe des Jahres VII der Wunsch nach einer raschen Verfassungsreform heran, der letztlich den Staatsstreich um Sieyès und Bonaparte ermöglichen sollte. Neben den Machtkämpfen im Inneren belastete der andauernde Krieg das Regime von Beginn an:189 Zwar hatten die Erfolge des Sommers 1794 den innenpolitischen Machtwechsel zunächst erleichtert.190 Im Herbst konnte eine neue Offensive gestartet werden, Ende Oktober räumten die Preußen das linke Rheinufer und während des Winters wurde Holland erobert, was zur Gründung der Batavischen Republik führte. Doch die Frage, zu welchen Bedingungen ein Friedensschluss realisiert werden solle, spaltete die Abgeordneten ebenso wie die französische Öffentlichkeit. Die Außenpolitik der folgenden Zeit war von Widersprüchen geprägt: Einerseits verhandelte man mit Preußen in Basel, mit Holland in Den Haag. Aber im Konvent forderten manche Mitglieder von Regierung und Parlament weiterhin das System der natürlichen Grenzen, auch wenn dies durch kein explizites Votum bestätigt wurde. Als die neue Exekutive zusammentrat, begann eine Zeit der Rückschläge. Die Idee der natürlichen Grenzen trat hinter die Notwendigkeiten der konkreten Kriegsführung zurück. Carnot wurde als Direktor erneut mit der Kriegspolitik betraut. Er konzentrierte sich stark auf die Planung der Feldzüge des Jahres 1796. Obwohl Italien der Schauplatz 188

Alle zwölf Monate wurden ein Drittel der gesetzgebenden Kammern, ein Fünftel der Departements und die Hälfte der Stadtverwaltungen erneuert. Der Wahlvorgang selbst erfolgte in der Versammlung, nach Aufruf der jeweiligen Namen. Drei verschiedene Versammlungen sind zu unterscheiden: die assemblée communale, bei der sich die Bürger der Kommune versammelten, die assemblée primaire der Kantonsbürger und die assemblée électorale des Departements, die den zweiten Wahlgang durchführte. Die Verfassung des Jahres III schrieb die Wahlen für ein genaues Datum vor: Der 1. Germinal (21. März) war der Tag der Erstwähler, der 20. Germinal (9. April) derjenige der Wahlmänner. Vgl. LEFEBVRE: La France sous le Directoire, S. 45–49, auch zum Folgenden. 189 Dieser Zusammenhang wird im Folgenden ereignisgeschichtlich kaum eine Rolle spielen; vgl. zur Vertiefung u. a. BLANNING, Timothy: The French Revolutionary Wars 1787–1802, London 1992. 190 Zeitgleich mit dem Sturz Robespierres wurden Antwerpen und Lüttich erneut besetzt.

2.

O

Ansch

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1. Einleitung

zweitrangiger Operationen blieb, wurde es von 1796 an dank Bonaparte zu einem Gebiet bemerkenswerter Siege.191 Bonaparte unterzeichnete als kommandierender General der Italienarmee am 29. Germinal V (18. April 1797) mit österreichischen Diplomaten den Vorfrieden von Loeben. Österreich gab Belgien und Mailand auf; die Frage des linken Rheinufers wurde dem Kongress in Rastatt zur Lösung angetragen. Am 18. Fructidor (4. September) wurden infolge des Staatsstreiches im Direktorium Carnot und Barthélemy von der Regierung ausgeschlossen. Bonaparte handelte im Namen Frankreichs den Frieden von Campo Formio mit Österreich aus. 1798 und 1799 waren erneut Jahre des Expansionismus. 1798 wurde erstmals seit der levée en masse von 1793 wieder eine Aushebung durchgeführt. Der Krieg belastete das Regime des Zweiten Direktoriums stark; die ständige Angst vor der Niederlage oder vor einer Einziehung zum Kriegsdienst prägte die öffentliche Meinung.192 Weitere Schwesterrepubliken wurden gebildet – als französisches Satellitensystem: bereits 1797 die Cisalpinische und Ligurische Republik, 1798 die Helvetische Republik, 1799 die Römische und Parthenopäische Republik. Die Verhandlungen in Rastatt steckten jedoch in der Sackgasse. Bonaparte begann 1798 seinen Ägyptenfeldzug – mit begrenztem Erfolg. Die Niederlage bei Aboukir (August 1798) sollte die Bildung der Zweiten Koalition gegen Frankreich beschleunigen: Österreich schloss sich England und Russland an und nahm den Krieg gegen Frankreich ab März 1799 wieder auf. Doch noch bevor Bonaparte im Oktober 1799 umjubelt nach Frankreich zurückkehrte, hatten die anderen Armeen ihre Rückschläge aus dem Frühjahr und Sommer des Jahres wieder wettgemacht. Der General kehrte somit keineswegs, wie es die spätere Legende darstellte, in ein geschlagenes, sondern ein siegreiches Land zurück. Gerade vor dem Hintergrund der anhaltenden Siege beschlossen diejenigen, die das Direktorium stürzen wollten, schnell zu handeln. Als Napoleon Bonaparte infolge des Staatsstreiches vom 18./19. Brumaire (9./10. November) als Erster Konsul an die Spitze der französischen Republik aufrückte, regten sich in der Bevölkerung kaum Widerstände, stellte doch der neue Umbruch für die Zeitgenossen zunächst nichts anderes dar als ein weiteres Glied in einer Kette von Staatsstreichen, die sich seit 1794 als scheinbar legitimes Mittel der Politik etabliert hatten.

191

Dagegen wichen in Deutschland die Sambre- und Maasarmee und die Rhein- und Moselarmee – die im Frühjahr inaktiv gewesen, im Sommer aber in die Offensive gegangen waren – während des Herbstes zurück. 192 Vgl. LEFEBVRE: La France sous le Directoire, S. 50.

Ordnung als

hauungssache 2. Ordnung als Anschauungssache 2. Ordnung als

2.

Anschauungssache

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Ordnung als Anschauungssache: Die Darstellung offizieller Prinzipien und Institutionen zwischen Repräsentation und Propaganda

Durch symbolische Politik wurde das neue Regime zur öffentlichen ‚Anschauungssache‘. Bilder und Symbole verdichteten die Wertvorstellungen der revolutionären Machthaber zu normativen Konzepten; schrittweise entstanden neue Zeichen für Autorität und Staatlichkeit. Anlässlich von Staatsakten und Zeremonien wurden Verfassungsorgane und neue Institutionen visualisiert. Denkmäler und Architekturen kommunizierten republikanische Wert- und Deutungsmuster im öffentlichen Raum. Feste propagierten eine neue Gesellschaftsordnung und visualisierten abstrakte Ideen wie die Volkssouveränität oder die Rechtsgleichheit. Der wichtigste theoretische Bezugspunkt für die politischen Entscheidungsträger der Republik war in diesem Zusammenhang die politische Theorie der Aufklärung, besonders die Lehren Rousseaus. Rousseau zufolge zeigen die Zeichen der Macht (signes de pouvoir) an, wo legitime Autorität residiert.193 Gleichzeitig besitzen sie einen instrumentellen Charakter: Über Symbole, so Rousseau, könne Identität, und damit auch Einheit, erreicht werden. Diese Einheit ist seiner Meinung nach Voraussetzung für jedes funktionierende Gemeinwesen. Erst wenn alle Menschen Staatsbürger seien, könne man sie auch regieren. Aufgabe der Zeichen der Macht sei es demzufolge, den Menschen Respekt einzuprägen, die Regeln der politisch-sozialen Ordnung zum Ausdruck zu bringen sowie Anstand und Würde auszustrahlen. Auch eine gewisse Prachtentfaltung (luxe public oder monumentalité nationale) könne in diesem Sinne der Nation zum Vorteil gereichen: Sie ermahne zum Gehorsam und schaffe ein nationales Gefühl der Zusammengehörigkeit. Viele Revolutionäre machten sich diese Theorie zu eigen. Thibaudeau, selbst eher ein Symbolskeptiker, berichtet in seinen Memoiren: „Lorsqu’il fut question de donner des costumes, de très-bons esprits répétant une opinion de J.-J. Rousseau, croyaient à leur influence, et re-

193

Vgl. JOURDAN, Annie: Représentation et Nation: Rousseau et le pouvoir des signes, in: Jean-Jacques Rousseau, politique et nation. Actes du IIe Colloque international de Montmorency (27 septembre–4 octobre 1995), Paris 2001, S. 267–282, S. 270. Zum Folgenden vgl. ebd., S. 271–278.

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2. Ordnung als Anschauungssache

gardaient les signes du pouvoir comme une puissance.“194 Wie Rousseau waren sich die meisten Republikaner zwar durchaus bewusst, dass der Sehsinn nicht nur sehr lehrreich, sondern auch ausgesprochen missverständlich sein könne; gleichzeitig war man jedoch überzeugt, über eine gezielte Ansprache der Augen sehr viel mehr erreichen zu können als über alle anderen menschlichen Sinne.195 Die Zeichen der Macht sollten der Republik eine Form verleihen und das Gefühl der Zugehörigkeit zu ein und derselben Gemeinschaft symbolisieren. Rousseau sah sie gleichzeitig als eine ‚Bremse‘ für anarchische Bestrebungen des Volkes und als gesellschaftlichen Bezugspunkt zur Identifikation mit der Nation an. In diesem Ansatz verband sich die Theorie des Sensualismus mit der politischen Philosophie. Die Republikaner orientierten sich nicht nur an wissenschaftlichen Grundsätzen, sondern sie reflektierten diese auch und entwickelten eine eigene Theorie der politischen ‚Sprache der Zeichen‘. Grégoire erläuterte beispielsweise deren ‚Eloquenz‘ im Kontext der Debatte um die Amtstrachten. Die Sinne seien bei allen Menschen die ‚Türen zur Seele‘. Entsprechend gelte es, auf diesem Wege tiefe Eindrücke zu erzeugen – anstatt nur über den Diskurs an den Verstand zu appellieren: Le langage des signes a une éloquence qui lui est propre: les costumes distinctifs font partie de cet idiôme; ils réveillent des idées et des sentimens analogues à leur objet, sur-tout lorsqu’ils s’emparent de l’imagination par leur éclat. Vainement diroit-on que cet appareil ne doit frapper que les yeux vulgaires. Nous avons tous des sens qui sont, pour ainsi dire, les portes le l’ame; tous nous sommes susceptibles de recevoir, par leur intermédiaire, des impressions profondes; et ceux qui prétendent gouverner un peuple par des théories philosophiques, ne sont guère philosophes.196

Selbst diejenigen, so Grégoire, die glaubten, allein nach dem Verstand handeln zu können, seien häufig von Sinneseindrücken und ihrer Vorstellungskraft geleitet; deren Wirkung entfalte sich auch unbewusst, gemäß der ‚Natur des Menschen‘. Erobere man die Herzen der Menschen auf diesem Wege, so leite man sie zur Erfüllung ihrer Pflichten an, was die ‚Stabilität der sozialen Ordnung‘ für die Zukunft sichere.197 194

Thibaudeau: Mémoires, Bd. 2, S. 331f. [= Ausgabe von 1824]. Rousseau formulierte: „on parle aux yeux bien mieux qu’aux oreilles“; zitiert nach: JOURDAN: Représentation et Nation, S. 276. 196 Vgl. Grégoire, Henri: Rapport et projet de décret présentés au nom du comité d’instruction publique, sur les costumes des législateurs et des autres fonctionnaires publiques, séance du vingt-huit fructidor, l’an trois (14. September 1795), par Grégoire, Député à la Convention nationale, Paris, 6e jour complémentaire, an 3, S. 2. 197 Vgl. Grégoire: Rapport et projet de décret, S. 2f. 195

2. Ordnung als Anschauungssache

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Unter dem Obertitel ‚Ordnung als Anschauungssache‘ beschreibt das folgende Kapitel, welche konkreten Bilder und Symbole die Republikaner entwickelten, die in Anlehnung an Rousseau als äußere ‚Zeichen der Macht‘ darauf angelegt waren, das neue Regime zu visualisieren und zu stabilisieren.198 Besonders im Direktorium wurde eine Reihe von republikanischen Traditionen gestiftet oder gefestigt, die auch über das Ende der Revolution hinaus Bestand haben sollten. Drei Fragen stehen im Zentrum der Analyse: Erstens: Welche Zeichen und Bilder wurden mit dem neuen Regime verknüpft; zweitens: welches ‚Image‘ von Parlament und Regierung wurde durch Symbolpolitik und Repräsentation erzeugt; drittens: welche Gruppierungen der Gesellschaft waren Teil der offiziellen Selbstdarstellung? Ziel ist in allen Unterkapiteln ein tieferes Verständnis der durch die republikanische Repräsentation propagierten und veränderten Wert- und Ordnungsvorstellungen sowie eine erste Einschätzung hinsichtlich der damit erreichten Wirkung. Auffälligerweise wurden die Republikaner genau in jenen Domänen aktiv, die traditionell die Monarchie zu ihrer Selbstdarstellung bemüht hatte: Sie entwickelten eine neue Art von ‚Herrschaftssymbolik‘ (2.1), inszenierten die wichtigsten Akteure und Institutionen der neuen Ordnung im Rahmen von öffentlichen Auftritten (2.2) und schufen Architekturen, die ihre Prinzipien visuell kommunizierten (2.3). Republikanische Feste waren das wichtigste Medium, in dem mit allen diesen Ausdrucksformen symbolischer Politik experimentiert wurde. Daher ist diesen ein eigenständiger Abschnitt gewidmet (2.4). Die Zeichen der Macht definieren die Symbolzentren des Nouveau Régime. Sie bezogen sich auf die Staatsform der Republik selbst, aber auch auf ihre wichtigsten Institutionen und Repräsentanten; sie markierten sakrale Orte der neuen Ordnung, kommunizierten Idealvorstellungen, setzten Wertmaßstäbe.

198

In ähnlicher Perspektive, allerdings in Bezug auf Italien, vgl. bislang nur die leider unveröffentlichte Dissertation von BOSSÉNO, Christian-Marc: „Les signes extérieurs.“ Diffusion, réception et image de la culture révolutionnaire française dans l’Italie du Triennio (1796–1799). Thèse pour le doctorat, Université Paris I Panthéon-Sorbonne, sous la direction de Michel VOVELLE, Paris 1995 [vgl. Originalexemplar Bibliothek IHRF].

1 Ordnungs-

ftende Ho-

itszeichen

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2. Ordnung als Anschauungssache

2.1 Ordnungsstiftende Hoheitszeichen: Von der revolutionären Protestkultur zu neuen Autoritätssymbolen Im September 1798 sollte sich die Gründung der Republik zum sechsten Mal jähren. Der amtierende Innenminister, Nicolas-Louis François de Neufchâteau, nahm dies zum Anlass, in einem Rundschreiben alle Gemeinden über die Richtlinien für ein auszurichtendes Fest zu informieren. Die großen Kommunen des Landes wurden aufgerufen, das Jubiläum mit besonderem Pomp zu begehen.199 Prinzipiell, so François, könne aber auch jede kleinere Ortschaft die Feier angemessen ausrichten: „Par-tout où s’élève un arbre de liberté, par-tout où le gazon recouvre un autel de la patrie, par-tout où un magistrat du peuple est revêtu du signe sacré de l’écharpe municipale, là peuvent se solenniser, d’une manière simple et touchante, les fêtes établies pour entretenir la fraternité entre les citoyens, et les attacher à la constitution, à la patrie et aux lois.“200 Freiheitsbaum, Vaterlandsaltar und die blau-weiß-rote Schärpe der Verwaltungsbeamten – diese drei Zeichen versprachen nach Ansicht des Innenministers, die Feierlichkeiten zu einer ‚anrührenden Solennität‘ gelingen zu lassen, welche gleichzeitig Brüderlichkeit und Liebe zur Verfassung und zum Vaterland befördern helfe. Alle drei Zeichen waren neun Jahre zuvor im Zuge der Revolution des Sommers 1789 entstanden. Wie waren aus ihnen offizielle Embleme der Republik geworden, die bei offiziellen Anlässen staatliche Autorität anzeigen und festigen konnten? Warum insistierte François gerade auf diesen Zeichen, und wie erklärte er deren mobilisierende, wenn nicht gar erzieherische Wirkung? Das neue Regime hatte sich bereits in der frühen Revolution ausdrücklich von der Repräsentation des Hofes und der bourbonischen Dynastie distanziert und in öffentlichen Akten der Verbrennung den endgültigen Bruch mit der Vergangenheit inszeniert. 201 Fungierte in 199

Vgl. François de Neufchâteau: Circulaire du 10 Fructidor VI, „Fête du 1er Vendémiaire“, in: Ders.: Recueil, Bd. 1, S. 115–128, S. 124. 200 Vgl. ebd. 201 Vgl. THAMER, Hans-Ulrich: Die Aneignung der Tradition. Destruktion und Konstruktion im Umgang der Französischen Revolution mit Monumenten des Ancien Régime, in: Ders., Rolf REICHHARDT und Rüdiger SCHMIDT (Hrsg.): Symbolische Politik und politische Zeichensysteme im Zeitalter der Französischen Revolution 1789–1848, Münster 2005 (= Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme, Schriftenreihe des SFB 496. 10), S. 101–112. In allgemeiner Perspektive interessieren sich Historiker schon seit den 1980er Jahren für Fragen der visuellen Verarbeitung des Umbruchs in der politischen Kultur, so z. B. REICHARDT/HERDING: Die Bildpublizistik; JOURDAN,

2.1 Ordnungsstiftende Hoheitszeichen

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der konstitutionellen Monarchie zwar einerseits der König weiterhin als zentraler Bezugspunkt der offiziellen Selbstdarstellung, so geschah dies andererseits bereits in veränderter Form und neuem Kontext: Das Königsporträt zierte nunmehr die neue Währung der Assignaten und diplomatische Vertretungen, und das monarchische Wappen prangte auf dem verfassungsgemäßen Staatssiegel. Von 1792 an wurde gemeinsam mit der Monarchie jegliche Form staatlicher Repräsentation über Herrscherporträts oder dynastische Symbolik abgeschafft. Auch andere Machtsymbole geistlicher und weltlicher Würdenträger des Ancien Régime, wie Abts- und Bischofsstäbe, Mitren, Kronen und Szepter, wurden als Erkennungsmarken für Unterdrückung und Willkürherrschaft stigmatisiert. Dem damit einhergehenden Prozess einer neuen Traditionsbildung sowie der damit zusammenhängenden Institutionalisierung und Ideologisierung politischer Symbolik wurde bislang noch zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt; häufig werden die Jahre 1792 bis 1799 schlicht als Fortsetzung der ersten Revolutionsphase interpretiert. 202 In der Tat entstanden schon 1789 politische Zeichen und Rituale, welche die neue Ordnung von der monarchischen Idee emanzipieren sollten. 203 Die politische Ikonographie wurde ergänzt: Auf staatlichen Siegeln und Geschäftspapieren visualisierten die Revolutionäre unter anderem den neuen Souverän, ‚das Volk‘, die Grundlage der neuen Rechts- und Gesellschaftsordnung, ‚die Verfassung‘, oder die neue Wertegemeinschaft der ‚Nation‘. Daneben spielten die grundlegenden Prinzipien der Revolution, besonders die ‚Freiheit‘ und die ‚Gleichheit‘, aber auch die ‚Einheit‘ oder die ‚Vaterlandsliebe‘ eine große Rolle. Nach 1792 wuchs die Bedeutung dieser Werte, Institutionen und Kollektivitäten für die offizielle Repräsentation des Regimes weiter an. Statt des Königs wurde nun die neue Staatsform, sowohl in institutioneller Hinsicht als auch als ideelles Gemeinwesen, Bezugspunkt der Repräsentation. Alte Praktiken der Symbolpolitik, wie die Verwendung einer Handelsflagge und eines (Staats-)Siegels, die Einhaltung diplomatischer Umgangsformen Annie: L’Allégorie révolutionnaire. De la liberté à la république, in: Dix-huitième siècle n° 27 (1995), S. 503–532. 202 Eine Ausnahme stellt die Arbeit von Agulhon dar, die freilich aufgrund des gewählten Untersuchungszeitraums nach längerfristigen Entwicklungslinien fragt: AGULHON, Maurice: Marianne au combat. L’imagerie et la symbolique républicaines de 1789 à 1880, Paris 1979, S. 21–53. Innovativ ist außerdem die Studie von Landes, welche Fragen von Körperpolitik und Gender mit solchen nach Ideoligisierungsprozessen der neuen politischen Kultur verbindet – jedoch nur für die Jahre 1789 bis 1795; vgl. LANDES: Visualizing the Nation. 203 Vgl. HUNT: Symbole der Macht, S. 70–109. Vgl. dort auch zum Folgenden.

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2. Ordnung als Anschauungssache

oder auch die Organisation öffentlicher Zeremonien (wie nach dem Tod von Staatsmännern, anlässlich von Friedens- oder Bündnisschlüssen) wurden in der Republik zwar beibehalten, jedoch neu definiert oder inhaltlich umgedeutet. Dabei sind verschiedene Prozesse der Aneignung und Abgrenzung zu beobachten. Die neuen Bezugsgrößen waren allesamt abstrakter Natur; sie erfuhren im Laufe der wechselvollen Geschichte der Republik unterschiedliche Auslegungen und Konkretisierungen über verschiedenste Artefakte oder Praktiken. 204 Dem Selbstbild der neuen Machthaber wurden im Prozess des Sichtbarmachens oder der Inszenierung auch immer wieder seine Grenzen aufgezeigt: Ursprüngliche Ideen und ihre Repräsentationsformen mussten sich im politischen Alltagsgeschäft behaupten; sie wurden weiterentwickelt und entfalteten eine Eigendynamik sowie unbeabsichtigte Nebenwirkungen. Aus der Fülle der ‚ordnungsstiftenden Hoheitszeichen‘ sollen zwei Schwerpunkte herausgearbeitet werden: diejenigen Zeichen, die an die Formensprache der Monarchie oder der Gelehrtenkultur anknüpften, sowie solche, die aus der Dynamik des revolutionären Prozesses selbst entstanden und erst schrittweise von Seiten der Republik vereinnahmt wurden – wie unter anderem auch jene Symbole, die vom Innenminister 1798 als republikanischer Kanon ausgegeben wurden.

2.1.1 Umdeutungen der Protestkultur: Trikolore und Freiheitsbäume Viele der späteren Embleme der Republik entstanden im revolutionären Prozess als Zeichen der Abgrenzung gegenüber der Ordnung des Ancien Régime. Sie avancierten im Zuge des Sieges der Revolution von Gesinnungs- und Protestzeichen zu offiziellen Symbolen einer neuen Ordnung. Anders als häufig dargestellt wurde die Trikolore bereits von der Assemblée nationale im Oktober 1790 zu einem offiziellen Bestandteil der Flagge (pavillon) der Schiffe der konstitutionellen Monarchie erklärt. 205 Das entsprechende Dekret bezeichnete die Verbindung Rot204

Vgl. u. a. THAMER, Hans-Ulrich: Die Wiederkehr des Gleichen oder das Verblassen der Tradition, in: ALTHOFF, Gerd (Hrsg.): Zeichen – Rituale – Werte. Internationales Kolloquium des Sonderforschungsbereichs 496 an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, Münster 2004 (= Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme. Schriftenreihe des SFB 496. 3), S. 573–588. 205 Vgl. Moniteur n° 295, 22 octobre 1790, AN, séance du 21 octobre (Menou): „L’Assemblée nationale, ouï le rapport de ses comités de marine, militaire, diplomatique et des colonies […]; Décrète que le pavillon blanc, qui jusqu’à présent a été le pavillon de

2.1 Ordnungsstiftende Hoheitszeichen

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Weiß-Blau als ‚Nationalfarben‘; erst 1794, im Zuge der Erklärung der Trikolore zur Flagge der Republik, wurde die Kombination in BlauWeiß-Rot umgedreht. Die Farbgebung war in den ersten Tagen der Revolution entstanden. Im Zuge der städtischen Revolution vom Juli 1789 wurden zunächst die Farben von Paris, Blau und Rot, zum Emblem einer neuen Zeit: Die spontan gebildeten Bürgermilizen, aus denen die Nationalgarde hervorgehen sollte, wählten eine blau-rote Anstecknadel (Kokarde) als Erkennungszeichen – in Abgrenzung gegenüber dem von königlichen Offizieren getragenen ‚Weiß‘, das zum Zeichen der Monarchie stilisiert wurde. 206 Nach der erfolgreichen Einnahme der BastilleFestung am 14. Juli verbreiteten sich blau-rote Kokarden in der ganzen Stadt. Doch die Pariser Wahlmänner sowie die wichtigsten Abgeordneten, die aus Versailles in die aufständische Hauptstadt geeilt waren, um die revolutionäre Bewegung zu lenken und die Gewaltbereitschaft der Masse zu kanalisieren, verbanden das Zeichen des Aufstands mit der vermeintlichen Farbe der Monarchie zu einem nationalen Versöhnungsangebot: Als der König drei Tage später die Hauptstadt besuchte, steckten ihm der frisch ernannte Bürgermeister Bailly und der Chef der neu gegründeten Nationalgarde La Fayette eine dreifarbige Kokarde an den Hut. 207 Das Blau-Rot der Revolution war um das mit der Monarchie assoziierte Weiß ergänzt worden – und ermöglichte den symbolischen Kompromiss auf dem Weg zu einer gemeinsamen neuen Ordnung. Indem der König, zwar unter dem Eindruck des Aufstandes, dieses Zeichen akzeptierte, wurde es zu einem Machtzeichen der Revolution, welches gleichzeitig den Machtverlust des Monarchen markierte. Je mehr Menschen die Farben öffentlich zur Schau stellten, umso deutlicher schwand die Legitimationsgrundlage des Ancien Régime. In Paris wurden die Anstecknadeln vielerorts verkauft. Der quasi-offizielFrance, sera changé en un pavillon aux couleurs nationales; mais qu’il ne pourra être arboré sur l’escadre qu’au moment où tous les équipages seront rentrés dans la plus parfaite obéissance.“ Am 24. Oktober 1790 kam es zur Beschlussfassung. 206 Raoul Girardet weist ausdrücklich darauf hin, dass vor 1789 ‚Weiß‘ keineswegs das Zeichen der Monarchie war: Diese wurde durch ihr Wappen visualisiert: „La monarchie capétienne ne se reconnaissait que dans les seules armes de sa maison: les trois fleurs de lis d’or sur fond d’azur. Quant au blanc […] il semble n’avoir jamais eu d’autre signification que de constituer, à partir de la fin du XVIe siècle, la marque distinctive du commandement militaire.“ GIRARDET, Raoul: Les Trois Couleurs, in: NORA, Pierre: Les lieux de mémoire, Bd. 1: La République, Paris 1986, S. 5–35, S. 9. 207 Vgl. REICHARDT: Das Blut der Freiheit, S. 124. Der Besuch des Königs in der Hauptstadt wird in allen Revolutiongeschichten besonders herausgestellt, vgl. auch THAMER: Die französische Revolution, 35f. und FURET/RICHET: Die Französische Revolution, S. 104. Letztere sprechen allerdings nur von einer ‚blauroten‘ Kokarde, in den Farben der Stadt Paris.

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2. Ordnung als Anschauungssache

le Charakter der Kokarde verstärkte sich über eine rasche Verbreitung im militärischen Kontext: La Fayette gestaltete in den drei Farben die Uniformen der Nationalgarde, welche den Fortbestand der revolutionären Ordnung sichern sollte. 1790 wurden die Uniformen anlässlich des Föderationsfestes vereinheitlicht, um Einheit und Geschlossenheit der Revolution zu demonstrieren. Auch wenn es in der Flaggendebatte vom Herbst 1790 noch hieß, man habe im Zeichen der weißen Fahne in Amerika gekämpft und sei in ihrem Zeichen beim Föderationsfest auf dem Marsfeld eingezogen 208 – im Nachhinein wurde der 14. Juli 1790 in blau-weiß-rot erinnert, wie die vielfältigen bildlichen Inszenierungen der Militärprozession eindrücklich belegen. 209 Auch in anderen Zusammenhängen wurde die Trikolore deutlich als äußeres Zeichen einer neuen Zeit ins Bild gesetzt, wenn beispielsweise blaue, weiße und rote Bänder, Kleider oder Dekorationen als modisches Accessoire im Alltag den Anbruch einer neuen Ära visualisierten. Welch hohe Bedeutung den Farben zugemessen wurde, verdeutlicht unter anderem die Tatsache, dass ihre Missachtung oder Schändung sogar Aufstände nach sich ziehen sollten. Gerüchte darüber, dass Mitglieder der königlichen Leibwache bei einem Bankett die revolutionäre Kokarde verunglimpft und sich die Farben des Königs und der Aristokratie angesteckt hätten, veranlassten einerseits im Oktober 1789 die Pariser Marktfrauen zu ihrem Zug nach Versailles, der letztlich die Übersiedlung von König und Nationalversammlung in die Hauptstadt nach sich ziehen sollte. Andererseits versprach man sich von der staatlichen Anerkennung der drei Farben als Teil der französischen Flagge eine Beruhigung der Revolution, wie beispielsweise 1790 angesichts der Meuterei der Soldaten von Brest: Alle Kräfte der Nation sollten unter den Farben der Trikolore ausgesöhnt und gesammelt werden. 210 Die Republik erbte somit 1792 die drei Farben als Symbol der Revolution, das sich fest in den Alltag der Menschen, zumindest in den großen Städten, eingeschrieben hatte. Im Zeichen der Krise der Revolution nach dem Sturz der Monarchie und besonders während des Aufstands 208

Vgl. Redebeitrag von Virieux, in: Moniteur n° 295, 22 octobre 1790, AN, séance du 21 octobre. 209 Vgl. u. a. das Farbenmeer auf dem Ölgemälde von Thévenin: Thévenin, Charles: La Fête de la Féderation, le 14 juillet 1790, au Champs-de-Mars, 127 × 183 cm, an IV [1795/96] (Paris, Musée Carnavalet, Inv. P. 2342, abgebildet in: BRUSON/LERIBAULT: Peintures du musée Carnavalet, S. 27). 210 Vgl. Beiträge von Menou in der Sitzung vom 21. Oktober 1790: Moniteur n° 295, 22 octobre 1790, AN, séance du 21 octobre. Zur Entwicklung des Konflikts in Brest vgl. CORMACK, William S.: Revolution and Political Conflict in the French Navy, 1789– 1794, 4. Aufl., Cambridge 2002, S. 81ff.

2.1 Ordnungsstiftende Hoheitszeichen

67

der Departements im Sommer 1793 sollte diese Symbolik jedoch eine gesteigerte Relevanz gewinnen: Sie wurde zum Instrument der Republikaner im Kampf gegen die Gegenrevolution. Mit dem Gesetz vom 3. April 1793 wurde das Tragen der Kokarde verpflichtend für alle Franzosen in der Öffentlichkeit vorgeschrieben; die Anstecknadel avancierte zum offiziellen Nationalsymbol. Das Gesetz vom 27. Pluviôse des Jahres II (15. Februar 1794) erklärte die Trikolore zur Nationalflagge und schrieb auf Anraten des Malers David vor, dass der blaue Teil an der Fahnenstange zu befestigen sei. 211 Hintergrund war die Einforderung der dreifarbigen Flagge durch die Marine. Ausdrücklich erklärte in diesem Kontext Saint-André die Bedeutung der Flagge als Trägerin von ‚komplexen Ideen‘, weshalb diese Frage seitens der Gesetzgeber größte Aufmerksamkeit verdiene: Un pavillon qui n’est pas celui de la république flotte encore sur nos vaisseaux; les marins s’en indignent; ils appellent à grands cris une réforme que vos principes, que l’honneur de la liberté réclament avec eux. […] Les couleurs nationales sont désormais les seules qui puissent plaire à des Français; il faut qu’on les voie partout, et, si j’osais dire, plus encore dans le pavillon de nos vaisseaux que sur les drapeaux de de nos intrépides bataillons. Le pavillon est pour le marin non seulement le signal du ralliement, le guide matériel qui le conduit à la victoire; il est encore sa grammaire, son langage, le moyen par lequel il communique et reçoit, à de grandes distances, des idées très compliquées. 212

Die Flagge diente exemplarisch als Anlass zur Erläuterung der Bedeutung nationaler Hoheitszeichen für die Republik. Unter monarchischen Zeichen könne man keine republikanischen Befehle erteilen und entgegennehmen, so Saint-André, dies sei ein „scandale politique“. Alles sei seit der Revolution und dem Sturz der Monarchie im Fluss: die Gesetze, die Sitten, die Gebräuche. In diesen Zeiten gelte es auch, die Zeichen zu ändern und anzupassen. 213 Das Volk sei der Tyrannei müde: Die Einführung der Nationalfarben könne die schlechte Erinnerung, auch an den Flaggenstreit von 1790, vergessen machen. Die vermeintliche Kompromisslösung, die weiße Flagge beizubehalten und nur in einer Ecke die ‚republikanischen Farben‘ (sic: „les trois couleurs républicaines“) zu 211

Vgl. Moniteur n° 149, 29 pluviôse II (17. Februar 1794), CN, suite de la séance du 27 pluviôse; außerdem vgl. http://www.elysee.fr/elysee/allemand/die_symbole_der_ republik/die_blauweissrote_fahne/die_blauweissrote_fahne.20720.html [20/03/09, 12.27h]. 212 Moniteur n° 149, 29 pluviôse II (17. Februar 1794), CN, suite de la séance du 27 pluviôse. 213 „Tout change autour de nous: nos lois, nos mœurs, nos usages; que les signes changent aussi.“ Ebd.

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2. Ordnung als Anschauungssache

ergänzen, sei eine „mesquinerie ridicule“ gewesen. Das in seinem Charakter monarchisch gebliebene Zeichen sei weder von den Anhängern des Despotismus noch von den Freunden der Freiheit geliebt worden – entsprechend gelte es, diesen Fehler rasch zu beheben. Im Kampf gegen die äußeren Feinde, vor allem gegen England, dürfe es keine Vermischung mehr mit dem Royalismus geben. Unter Anspielung auf die Situation von 1790 nutzte Saint-André erneut die äußere Bedrohung als Argument für eine Erneuerung der Symbolik. In der aktuellen Krisensituation bedürfe es einer Stärkung des Regimes durch eine schlichte republikanische Flagge, die den Sitten, Ideen und Prinzipien der neuen Ordnung entspreche. Auch die „pavillons de beaupré“ (Bugspriet) und „ordinaire“ sollten gleichermaßen gestaltet sein, bei anderer Größe. Für die „flamme“ (vertikal herabhängendes Banner, im Militär oder bei offiziellen Anlässen) wurde eine leicht andere Aufteilung der Farben beschlossen: Je ein Fünftel Blau und Weiß, und drei Fünftel Rot. Das Gesetz sollte zum 1. Prairial II (20. Mai 1794) in Kraft treten. Es wurde vom Konvent noch am selben Tag angenommen. Die Flagge wurde für die Franzosen zu einem alltäglichen Zeichen der Republik – sei es durch unmittelbare Anschauung, sei es im Diskurs über den Krieg und die Armeen der Republik. In der Hauptstadt wurden vor allem die Fahnen der verschiedenen Einheiten der Nationalgarde, die sich in den Distrikten organisierten, sichtbares Zeichen der neuen Ordnung; die Trikolore schmückte außerdem Versammlungssäle und Festarchitekturen. Jeder kenne sie, so berichtete Mercier; häufig sei sie mit Losungen und Wahlsprüchen („devises“) versehen. 214 Im Thermidor verbürgte die Weiterverwendung der Trikolore bei öffentlichen Festen Kontinuität zur Vorgängerrepublik und vorbehaltlose Unterstützung der republikanischen Armeen. Die drei Farben standen nicht im Verdacht, ein Symbol der Jakobiner und Sansculotten zu sein: zu deutlich waren sie mit der Idee der levée en masse und den Erfolgen des Krieges gegen die Monarchien Europas verbunden. Vor allem bei Festen mit militärischem Charakter spielte die Flagge entsprechend eine große Rolle. Anlässlich eines öffentlich inszenierten Schaukampfes ‚gegen den Royalismus‘ definierte das opulente ‚Siegesfest‘ (Fête des Victoires) vom 30. Vendémiaire III (21. Oktober 1794) die Trikolore als Zeichen der Republikaner. Am 3. Brumaire veröffentlichte der Moniteur die Rede des Konventspräsidenten sowie eine kurze Beschreibung des Festablaufes. 215 Schüler der École de Mars hatten auf dem Festplatz ein Gefecht zwischen Gegenrevolution (weiße Abzeichen) 214 215

Vgl. Mercier: Le nouveau Paris, Chapitre LXVII: Drapeau national, S. 281. Moniteur n° 33, 3 brumaire III (24. Oktober 1794).

2.1 Ordnungsstiftende Hoheitszeichen

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und Republik (blau-weiß-rot) nachgespielt und vor den Augen des Publikums eine Festung eingenommen. 216 Nachdem die Trikolore auf den Türmen des Forts gehisst worden war, zog die Armee auf dem Marsfeld ein, begleitet von einem Kampfwagen der Siegesgöttin; gemeinsam mit den Abgeordneten des Konvents zog eine lange Prozession in Richtung des Tempels der Unsterblichkeit, wo der Konventspräsident die Namen der 14 Armeen in eine Säule eingravierte. 217 Auch bei anderen Staatsakten und bei Staatsbegräbnissen stand die Trikolore stellvertretend für die Republik. Am 14. Prairial III (2. Juni 1795), anlässlich der Gedenkfeier für die 1793 aus dem Konvent ausgeschlossenen Girondisten und des Begräbnisses des beim Prairialaufstand ermordeten Abgeordneten Féraud, wurde Letzterer als Märtyrer der Republik im Sitzungssaal aufgebahrt, gekennzeichnet durch seine Waffe, seinen Hut und den dreifarbigen Schal als Zeichen seines Amtes; zusätzlich lag eine Bürgerkrone auf dem Sarg. 218 Die Zeremonie war einfach gehalten. 219 Ihr Abschluss bestand in einem Geleit zum Friedhof, wo 24 Abgeordnete eine blau-weiß-rote Flagge über ein Massengrab warfen; es wurde eine kurze Rede gehalten und eine Inschrift gesetzt. 220 Das Direktorium setzte solche Traditionen fort. Bei öffentlichen Anlässen wurden die Nationalfarben und die Flagge sichtbar inszeniert. Am 10. Prairial IV (29. Mai 1796) fand auf dem Marsfeld in Paris ein weiteres Siegesfest statt. Der Festplatz war mit 14 Bäumen, die für die 14 Armeen standen, bepflanzt. Jeder Baum trug eine militärische Fahne („flamme tricolore“) sowie Trophäen der verschiedenen Armeen. Abteilungen der Armee des Inneren und der Nationalgarde verbrüderten sich; 14 Fahnen wurden stellvertretend zur Platzmitte getragen und von den Direktoren ‚gekrönt‘ („couronné“). 221 Noch prominenter war die Bedeutung der Flagge am 9. Thermidor IV (27. Juli 1796). Die Ereignisse des 14. Juli 1789, des 10. August 1792 und des 9. Thermidor II wurden gemeinsam begangen: Die Vertre216

Vgl. Darstellung von Malapeau, nach Swebach-Desfontaines: Fête des Victoires, combat des jeunes élèves au Champ-de-Mars, gravure (Paris, BnF, Coll. Hennin, t. 136, Inv. 11959, abgebildet in: VOVELLE: La Révolution française. Images et récit, Bd. 5, S. 166). 217 Vgl. ebd. 218 Vgl. diese Auflistung im Moniteur n° 258, 18 prairial III (6. Juni 1795), CN, séance du 14 prairial. 219 „C’est pour la première fois que la Convention y a parlé la langue des signes, cette langue dont les peuples anciens savaient faire un si grand usage […].“ Moniteur n° 256, 16 prairial III (4. Juni 1795). 220 Vgl. Moniteur n° 259, 19 prairial III (7. Juni 1795), CN, séance du 15 prairial. 221 Vgl. Liberté. Égalité. Programme de la Fête de la Victoire, 10 prairial de l’an 4, Paris o. J.

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2. Ordnung als Anschauungssache

ter der zwölf Stadtverwaltungen von Paris sowie die Amtspersonen der Departementebene zogen von der Bastille über die Place du Carrousel vor dem Tuilerienschloss zum Marsfeld. Auf den Trümmern der Bastille pflanzten sie eine Trikolore mit der Aufschrift „Elle ne se relèvera jamais“; an den Tuilerien wurden Attribute des Royalismus und der Feudalität auf einem Scheiterhaufen verbrannt, um anschließend auch dort eine Trikolore anzubringen, mit der Devise: „10 AOUT 1792; la Royauté en France est abolie, elle ne se relèvera jamais.“ Das Programm bestimmte anschließend eine Verbrennung von ‚Emblemen der Anarchie‘ auf dem Marsfeld. 222 Bis zum Ende des Direktoriums vewandte das Regime die Trikolore auch zur repräsentativen Ausstaffierung von Festsälen. So waren beispielsweise der Innenhof des Palais du Luxembourg, die Grande Galerie des Louvre oder die Kirche Saint Sulpice 1797 und 1799 beim Empfang von Napoleon Bonaparte extensiv mit der Trikolore geschmückt. Im Kontext des Krieges verstärkten sich die militärischen Konnotationen des republikanischen Symbols: Es war stets auch Zeichen der Armee im Kampf für die Freiheit. 223 Thibaudeau schreibt in seinen Memoiren, die Republik sei zu Beginn des Direktoriums von weiten Teilen der Elite akzeptiert worden. Auch ehemalige Adelige und Revolutionsgegner hätten sich in ihren Dienst gestellt; Generäle und Offiziere hätten ihren Ruhm im Zeichen der Trikolore erworben, die Republik mit ihrem Blut gefestigt und bis in den Tod verteidigt. 224 Bewusster noch als im Inland wurde die Trikolore zunächst im Ausland als explizit ‚republikanisches‘ Zeichen wahrgenommen – eine Tatsache, die wiederum auf das nationale Selbstverständnis zurückwirkte. Nicht Frankreich oder die Franzosen, sondern ‚die Republik‘ wurde von den europäischen Monarchien als Herausforderung und Aggressor empfunden; die drei Farben repräsentierten die abstrakte Staatsform. Auf beiden Seiten konnte das Symbol gegebenenfalls sogar einen Kriegsgrund darstellen, wie die Flaggenaffäre in Wien vom Frühling 1797 belegt. Nach dem Frieden von Campo Formio hatten Wien und Paris erneut ihre diplomatischen Beziehungen aufgenommen. 225 Berna222

Vgl. Ordre, Marche et Cérémonies des fêtes qui seront célébrées les 9 et 10 thermidor, et Détail des spectacles, jeux et courses, feu d’artifice, danses et illumination, qui auront lieu au Champ de Mars et aux Champs-Elysées. – Détail des prix décernés aux vainqueurs, Paris o. J. 223 Vgl. LIRIS, Elisabeth: Art. Drapeau tricolore, in: SOBOUL, Albert: Dictionnaire historique de la Révolution française, Paris 1989, S. 367. 224 Thibaudeau: Mémoires [= Ausgabe von 1824], Bd. 2, S. 165. 225 GUYOT, Raymond: Le Directoire et la paix de l’Europe: des traités de Bâle à la deuxième coalition (1795–1799), Paris 1911, S. 688. Dort auch zum Folgenden.

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dotte war am 22. Nivôse des Jahres VI (11. Januar 1798) zum Botschafter ernannt worden; am 8. Februar erreichte er Wien. Dort wurde seine Ankunft skeptisch betrachtet, denn er hatte einen Ruf als Jakobiner. 226 Als Zeichen seines Amtssitzes in der österreichischen Hauptstadt plante er, ein Bild der Freiheit am Eingang anzubringen, wie es seit 1792 Tradition war. Während er jedoch auf die Ausführung eines solchen Gemäldes wartete, befestigte er eine blauweißrote Fahne auf dem Balkon des Hauses. Dieses Zeichen wurde nicht als Nationalsymbol, sondern als Zeichen der Republik und damit als Provokation gegen die Monarchie aufgefasst. Am Abend des 24. Germinal (13. April) kam es zum Aufstand: Vor den Augen der Polizei erbeutete die Menge die Flagge, zerriss sie und überbrachte sie den Wachen der Hofburg. Bernadotte musste sich im Haus verschanzen und mit eigener Hand gegen die Eindringlinge verteidigen; erst nach mehreren Aufforderungen sandte der Kaiser Truppen zu seiner Hilfe. Unmittelbar drohte er mit seiner Abreise, sollten die Schuldigen nicht bestraft und die Flagge ersetzt werden. Nachdem der Kaiser nur eine Entschuldigung aussprach und die Aufständischen öffentlich rügte, keine Rede jedoch von einem Prozess oder von einer Rückerstattung der Flagge war, verließ Bernadotte die Stadt schon am 4. Floréal (23. April) Richtung Rastatt. Die Folgen dieses Konflikts waren beachtlich: Beide Seiten fürchteten eine Wiederaufnahme des Krieges; man strengte Verhandlungen an, die im Mai und Juni in Seltz auf höchster diplomatischer Ebene ausgetragen wurden – und scheiterten. Das Direktorium sperrte sich zunächst gegen jede Diskussion, schließlich gegen jedes Zugeständnis. Aus der Flaggenaffäre wurde ein Präzedenzfall, bei dem die Würde der Republik auf dem Spiel stand. 227 Von spontanen Zeichen der Pariser Munizipalrevolution waren die Farben Blau-Weiß-Rot zu offiziellen Emblemen der neuen Ordnung und schließlich zum Zeichen der Republik avanciert. Andere Symbole 226 227

Vgl. LEFEBVRE: La France sous le Directoire, S. 635. Bonaparte, der noch in Paris weilte, hatte sich als Vermittler angeboten, was das Direktorium zunächst dankbar aufgriff. Doch die Verhandlungen verzögerten sich und der General entschied sich schließlich für einen raschen Aufbruch nach Ägypten. François de Neufchâteau, der soeben aus dem Direktorium ausgeschieden war, sollte an seiner Stelle mit Cobenzl verhandeln. Man traf sich in Seltz, da das ehemalige Staatsoberhaupt durch die Verfassung nicht das Recht hatte, zwei Jahre nach Amtsniederlegung im Ausland zu residieren. Die Verhandlungen begannen am 11. Prairial (30. Mai) – endeten jedoch am 19. Messidor (7. Juli) ohne Ergebnis. François drängte auf eine Satisfaktion in der Flaggenaffäre; Cobenzl war nicht bereit, darauf einzugehen, ohne von Frankreich territoriale Zugeständnisse in Italien zu erhalten. Vgl. GUYOT: Le Directoire et la paix, S. 709.

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2. Ordnung als Anschauungssache

durchlebten eine ähnliche ‚Verstaatlichung‘, ‚Republikanisierung‘ und ‚Ideologisierung‘: So wurden beispielsweise auch die Freiheitsbäume, die 1789 spontan auf dem Land von Anhängern der Revolution gepflanzt worden waren, durch republikanische Verordnungen und Regelungen Schritt für Schritt zu einem Symbol der neuen Staatsform. 228 Der Freiheitsbaum entstammte ursprünglich der ländlichen Volkskultur. 229 Die ersten Exemplare waren umgewidmete Maibäume, unter anderem errichtet während der Aufstände von Bauern im Périgord und im Quercy, die sich im Winter, Anfang 1790, gegen den örtlichen Landadel erhoben. 230 Meist erfolgte die Setzung des Baumes im Zusammenhang mit Akten der symbolischen Zerstörung der alten Ordnung: dem Abnehmen der Wetterhähne und der Zerstörung der Kirchenbänke der ehemals Privilegierten; gleichzeitig bekannte man sich auch verbal zur Idee der Gleichheit. 231 Beamte und Priester, die mit der Untersuchung der Zwischenfälle beauftragt waren, betrachteten die Vorkommnisse zunächst als beunruhigend und als Zeichen einer Revolte. 232 Die Berichterstattung der Presse sollte jedoch vielerorts zur Nachahmung anregen. Die Pflanzung von Freiheitsbäumen entwickelte sich in diesem Zuge zu einem Akt revolutionärer Gesinnung. Im Jahr 1792 standen in französischen Kommunen schätzungsweise 60.000 Freiheitsbäume. 233 Erst als Reaktion auf die Popularität des Symbols griffen die politischen Entscheidungsträger in Paris das Zeichen auf, um es schließlich sogar gesetzlich vorzuschreiben. Dies geschah in dem Moment, in dem die Einheit der Revolutionäre zerbrochen war und Fraktionskämpfe das Land erschütterten. Die politische Radikalisierung hatte 1793 das Lager der Revolutionäre endgültig gespalten. Über Symbole und Zeichen sollte die Autorität der neuen Ordnung bis in die kleinsten Kommunen des Landes sichtbar werden. Die Entscheidung über eine Verschärfung der symbolpolitischen Maßnahmen fiel an einem symbolträchtigen Datum: dem 2. Pluviôse II (21. Januar 1794), Jahrestag der Hinrichtung 228

Vgl. in allgemeiner Perspektive OZOUF: La fête, S. 388–439; VOVELLE: Les métamorphoses de la fête en provence; LIRIS, Elisabeth: Art. Arbres de la liberté, in: SOBOUL: Dictionnaire, S. 30. 229 Vgl. OZOUF, Mona: Du mai de liberté à l’arbre de la liberté: symbolisme révolutionnaire et tradition paysanne, in: Ethnologie française 5 (1975), S. 9–32. 230 Vgl. OZOUF: La fête, S. 390; zusammenfassend dazu: BÜTTNER, Sabine: Symbole der Revolution, zitiert nach: Die Französische Revolution – eine Online-Einführung. Politische Kultur, in: historicum.net, http://www.historicum.net/no_cache/persistent/artikel/505/ [14/08/08, 10.06h]. Dort auch zum Folgenden. 231 Vgl. OZOUF: La fête, S. 395. 232 Vgl. ebd., S. 403. 233 Vgl. diese Zahl bei BÜTTNER: Symbole der Revolution.

2.1 Ordnungsstiftende Hoheitszeichen

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des Königs. Eine Gruppe junger Waisenkinder erschien vor der Parlamentsschranke und empörte sich, das Gedenken an den Sieg über den Tyrannen, welches man am Vortag im Garten des Tuilerienschlosses begangen habe, sei durch einen Freiheitsbaum ‚gestört‘ worden, den der König selbst in der ersten Phase der Revolution dort gepflanzt habe. 234 Die Abordnung stellte sich als den Jakobinern nahestehend vor, was den Verdacht der bewussten Inszenierung des Auftritts erhärtet: Man habe nicht eigenmächtig handeln wollen, ließen die Jugendlichen vernehmen, sondern respektiere die Institution des Parlamentes und bitte daher offiziell um die Erlaubnis, den königlichen Baum fällen zu dürfen und durch einen neuen, lebendigen Baum zu ersetzen. Diesem Wunsch wurde entsprochen: Die jungen Republikaner, so der Präsident, seien die Hoffnung des Vaterlandes und bestens geeignet, das ‚ruhmvolle Symbol‘ im Rahmen einer ‚zivilen Zeremonie‘ zu pflanzen. Im Anschluss an diesen Zwischenfall verabschiedete der Konvent das sogenannte ‚Freiheitsbaumdekret‘: Auch in der Provinz sei eine flächendeckende Errichtung junger Freiheitsbäume zu veranlassen. Man beschloss, dass in allen Kommunen, wo der Freiheitsbaum abgestorben sei, noch vor dem 1. Germinal (21. März) ein neuer Baum gesetzt werden sollte. 235 Damit war aus dem spontanen Symbol ein offizielles Zeichen geworden, welches dem Schutz der Zivilgesellschaft anvertraut wurde: Nicht nur Verwaltungsbeamte, sondern alle ‚guten Bürger‘ sollten mit Pflanzung und Pflege beauftragt werden. Grégoire ging in seiner noch im selben Jahr veröffentlichten ‚Geschichte der Freiheitsbäume‘ davon aus, die Franzosen seien bereit, die Freiheitsbäume so wie ihre Fahne zu verteidigen. 236 Im Rahmen von Nationalfesten und zivilen Zeremonien wurde der Freiheitsbaum benutzt, um die Freiheit als zentrale Idee der neuen Ordnung öffentlichkeitswirksam zu inszenieren. Dabei wurde der Baum zum Propagandainstrument der Republik: Er kündete von dem Weltbild der Revolutionäre, die die Natur als wesentliche Voraussetzung und als Vorbild sozialer Konstrukte betrachteten. Anlässlich des Festes des Höchsten Wesens wurde dieses Ideal facettenreich in Szene gesetzt: Auf dem Marsfeld überragte ein Freiheitsbaum den inmitten des Platzes künstlich errichteten Berg; er diente als unmittelbarer Ausdruck 234

Vgl. ARCHIVES PARLEMENTAIRES, Bd. 83, S. 559. Vgl. dort auch zum Folgenden. Dubois-Crancé hatte zu bedenken gegeben, viele der Freiheitsbäume in der Provinz seien zur falschen Jahreszeit gepflanzt worden und daher nicht richtig verwurzelt. Vgl. ebd. 236 Grégoire, Henri: Essai historique et patriotique sur les arbres de la liberté, Paris, an II, S. 24. 235

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2. Ordnung als Anschauungssache

Abb. 2: Demachy, Pierre-Antoine: Fête de l’Etre suprême, 53,5 × 88,5 cm, Paris, Anfang 19. Jh.

des Strebens der Republik nach der Transzendenz und dem ‚Höchsten Wesen‘. Gemälde (Abb. 2), Aquarelle237 und Drucke238 hielten die Festarchitektur im Bild fest und setzten den Baum als zentralen Bezugspunkt in Szene; auch Kalenderblätter239 griffen das Motiv auf. Die weite Verbreitung der Festdarstellungen lässt auf hohe Auflagen schließen. Der Baum als mystisches Zeichen, welches auf eine höhere Wirklichkeit verweist, war aus anderen Kulturen bekannt. 240 Gerade aufgrund seiner Verbindung zur Volkskultur versprachen sich die Jakobiner einheitsund gemeinschaftsstiftende Wirkungen. Die Überhöhung des Baumes zum republikanischen Symbol passte zum sensualistischen Diskurs der 237

Vgl. Naudet, Thomas-Charles: Fête de l’Etre suprême, Feder und Bleistift, aquarelliert, Gouache und Pastell, 46,8 × 73 cm, Paris 1793 (Paris, Musée Carnavalet, Inv. D 5976). 238 Vgl. Simon, Jean Pierre: Vue du côté oriental de la montagne élevée au Champ de la Réunion, pour la fête qui y a été célébrée en l’honneur de l’Être Suprême, le Decadi 20 Prairial de l’an deuxième de la République Française, gravure à l’eau-forte, coloriée, 25,5 × 39 cm (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6298); [Non-identifié]: Vue du côté oriental de la montagne élevée au Champ de la Réunion pour la fête qui y a été célèbre en l’honneur de l’Être Suprême, le Decadi 20 Prairial de l’an deuxième de la République Francaise, gravure à l’eau-forte, coloriée (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6299, 6300, 6301, 6303, 6306). 239 Vgl. Calendrier pour l’An III de la République Française avec au-dessus la vue de la „Montagne élevée au champ de la Réunion // Pour la Fête de l’Être Suprême“, gravure à l’eau-forte, coloriée, 70,5 × 50,3 cm (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6305). 240 Vgl. Grégoire: Essai historique et patriotique sur les arbres de la liberté, S. 2ff.

2.1 Ordnungsstiftende Hoheitszeichen

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Zeit, der Macht durch die Verbindung von Sinneseindrücken und politischen Institutionen zu stabilisieren suchte. 241 Bei weiteren Festen zierte er Wagen und Festplätze oder diente der Hervorhebung herausragender Würdenträger, die zu seinen Füßen Platz nehmen durften. In Abgrenzung zur ersten Phase der Revolution verlangte die republikanische Deutung, dass lebende Bäume an die Stelle der geschälten Stämme gesetzt werden sollten. 242 Von 1790 bis 1792 waren es in der Regel geschälte Birken, Tannen oder Pappeln gewesen, die geschmückt mit Bändern, Kokarden und bonnet rouge während eines Festaktes mit Bankett und Tanz auf den zentralen Plätzen der Kommunen aufgestellt worden waren. 243 Grégoire propagierte demgegenüber die Idee des lebendigen Baumes, dessen Wachsen und Gedeihen unmittelbarer Ausdruck der dynamischen Kraft der Freiheit sein sollte. 244 Und die Metaphorik des Baumes als Ausdruck der Lebenskraft der Republik wurde offensichtlich fraktionsübergreifend angewandt, denn auch Mercier bescheinigt – freilich nicht ganz ohne Ironie – in seinem Nouveau Paris dem Freiheitsbaum eine sprichwörtliche Zeichenhaftigkeit: Ces travaux furent des amusements: bientôt l’esprit royaliste, l’esprit contrerévolutionnaire laissèrent dessécher ces monuments naturels de notre courage. Un feuillage jaune semblait dire: l’esprit républicain est malade, et n’a plus ses belles et vives couleurs que sur les frontières, où triomphent nos armées. 245

Die Beschreibung der vertrockneten Bäume als Zeichen einer ‚kranken‘ Republik war keineswegs ausschließlich ein literarisches Gedankenspiel. Mit seiner ‚Republikanisierung‘ wurde der Freiheitsbaum seit 1794 und nochmals verstärkt nach 1795 zur beliebten Zielscheibe für die Kritik an der neuen Staatsform und deren Entscheidungsträgern. Infolge der Gesetzgebung zum Schutz der im Rahmen staatlicher Zeremonien gepflanzten Symbole entwickelte sich der Freiheitsbaum zum Zeichen eines politischen Bekenntnisses zur Republik. Seine Schändung oder Zerstörung wurde wie ein Akt des Hochverrats bestraft. Die Direktoren erhielten aus der Provinz Nachricht über Misshandlungen, Verstümmelungen oder Abschlagen der Bäume durch politische Gegner. 246 241

Vgl. OZOUF: La fête, S. 413. Vgl. auch SIMONETTI, Pascal: „Vivants piliers“. Les arbres de la liberté, in: ANDIA, Béatrice de (Hrsg.): Fêtes et Révolution, Paris 1989, S. 156–177. 243 Vgl. BÜTTNER: Symbole der Revolution, Abschnitt V.5. 244 Allein der lebende Baum, so Grégoire, sei ein ‚Bild der Freiheit‘. Vgl. Grégoire: Essai historique et patriotique sur les arbres de la liberté, S. 24f. 245 Vgl. Mercier: Le nouveau Paris, Chapitre XVI: Arbres de liberté, S. 85f. 246 Vgl. LES PROCÈS-VERBAUX DU DIRECTOIRE: Inventaire. 242

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2. Ordnung als Anschauungssache

Nach dem 18. Fructidor V (4. September 1797) wurde beschlossen, dass auf Kosten der jeweiligen Stadtverwaltungen alle Freiheitsbäume, die antirepublikanischen Ausschreitungen oder Vernachlässigungen zum Opfer gefallen waren, neu gepflanzt werden sollten (wiederum am Jahrestag der Hinrichtung des Königs, dem 21. Januar 1798); auf jede Form der Schändung wurden vier Jahre Freiheitsentzug ausgesetzt. 247 Die Nachrichten von Verstößen rissen dennoch nicht ab: Bereits am 25. Ventôse (15. März) wurde im Departement Allier ein städtischer Beamter entlassen, der versäumt hatte, einen verendeten Baum neu zu pflanzen;248 in Apricale (Alpes-Maritimes) und Montagnac-la-Crempse (Dordogne) war es sogar zu gezielten Akten der Zerstörung („abattages“) gekommen 249. Aus Brive (Corrèze) wurde bekannt, dass Anschläge auf die Bäume von seiten der Verwaltung ungestraft blieben;250 in Ecquetot (Eure) hatte ein Priester zur Schändung des Baumes aufgerufen;251 aus dem Departement Manche trafen Nachrichten von Verstümmelungen in der Hauptstadt ein. 252 Nicht selten gingen die Angriffe mit der Schändung anderer republikanischer Symbole einher: In Lorgues (Var) wurde nicht nur der Freiheitsbaum niedergerissen, sondern auch der Altar des Vaterlandes zerstört. 253 Als besonders republikfeindlich ist es zu interpretieren, wenn die Akte der Zerstörung an herausgehobenen Daten des alten Kalenders erfolgten. In Audenhove-Sainte-Marie (Escaut) wurde der Freiheitsbaum beispielswiese in der Nacht vom 8. auf den 9. Prairial (27./28. Mai) pünktlich zu Pfingsten geschlagen: ein deutliches Zeichen dafür, dass der republikanische ‚Kult der Freiheit‘ als Feind des Katholizismus beurteilt wurde. 254 Die Regierung bemühte sich, solche Angriffe durch eine Stärkung der Symbolik und Kanonisierung der damit verbundenen Praktiken zu entkräften: François de Neufchâteau erklärte die Pflanzung zu einem veritablen Zeremoniell. In seinem circulaire zur Feier des 21. Januar 1799 (2. Pluviôse VII) wurde neben der üblichen Eidesleistung und Zeremonie am Altar des Vaterlandes auch die dauerhafte Errichtung von Freiheitsbäumen im öffentlichen Raum empfohlen: „Je vous recom247

Vgl. Gesetz vom 24. Nivôse im Jahr VI; Vorschlag im Rat der Fünfhundert einen Tag zuvor, vgl. u. a. Journal des hommes libres de tous les pays ou le Républicain n° 289, 24 nivôse VI (13. Januar 1798). 248 Vgl. LES PROCÈS-VERBAUX DU DIRECTOIRE, Bd. 4, séance du 25 ventôse VI. 249 Ebd., séances du 14 et 15 ventôse VI. 250 Vgl. ebd., séance du 26 ventôse VI. 251 Vgl. ebd., séance du 4 ventôse VI. 252 Vgl. ebd., séance du 7 nivôse VI: Giéville; séance du 11 nivôse: Valongnes. 253 Vgl. ebd., séance du 27 pluviôse VI. 254 Vgl. ebd., Bd. 5, séance du 28 messidor VI.

2.1 Ordnungsstiftende Hoheitszeichen

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mande particulièrement la pompe touchante qui doit accompagner la plantation des arbres de la liberté, et vous invite à prendre toutes les précautions nécessaires pour assurer à cette plantation et l’éclat et la durée qu’elle a droit d’attendre.“255 Für Schüler sollte es eine Ehre und Belohnung sein, am Tag der Pflanzung die Bänder und Transparente zu halten, die den Baum schmückten. Jede Kommune, so François, sollte mindestens einen Baum besitzen, wie es das Gesetz vorschreibe. Darüber hinaus wünschte er sich weitere Pflanzungen vor allen öffentlichen Institutionen und Privathäusern: „tous les établissemens, que dis-je? toutes les maisons devraient avoir les leurs.“ Männer und Frauen sollten sich versammeln, den Baum auswählen, mit Sorgfalt aufstellen, überwachen, umhegen sowie mit Kokarden und Bändern schmücken. 256 Der Platz werde so zum brüderlichen Versammlungsort, an dem die Idee der Gleichheit unmittelbar erfahrbar sei. Auch bei jeder inscription civique, bei jeder Hochzeit und anderen lebensweltlichen Ritualen, so hatte François bereits im Herbst 1797 geraten, sollten die Bürger Freiheitsbäume pflanzen, die als ‚natürliche Tempel‘ beziehungsweise ‚heilige Wälder der Freiheit‘ weithin sichtbar die Stärke und Lebenskraft der Republik symbolisierten. 257 Die Lokalverwaltungen waren dazu angehalten, regelmäßig nach Paris über die aktuelle Situation vor Ort Bericht zu erstatten. Für diese „comptes décadaires“ entwickelte das Innenministerium Ende 1798 neue Richtlinien, in denen die Schändung von Freiheitsbäumen in einem Atemzug mit Kapitalverbrechen wie Mord und Totschlag genannt wurde – ein deutliches Zeichen dafür, wie ernst das Symbol genommen und wie existenzbedrohend seine Zerstörung empfunden wurde. 258 Daneben blieben auch Staatsakte Schauplatz prominenter Freiheitsbaumpflanzungen, wie zum Beispiel 1798 anlässlich des Umzugs des Rates der Fünfhundert vom Tuilerienschloss ins Palais Bourbon. 259 Die Genese des Freiheitsbaums zum offiziellen Symbol erfolgte somit ähnlich wie diejenige der Trikolore im Wechselspiel von revolutionärer Bewegung und symbolischer Ordnungspolitik. Dies blieb nicht 255

Vgl. François de Neufchâteau: Circulaire du 30 Frimaire 7: „Solennité du 2 pluviôse“, in: Ders.: Recueil, Bd. 1, S. 356–360, S. 360. 256 Vgl. LIRIS: Art. Arbres de la liberté, S. 30. 257 Vgl. François de Neufchâteau: Circulaire du 22 Fructidor 5: „Plantations“, in: Ders.: Recueil, Bd. 1, S. lxxxj-lxxxv. 258 Vgl. François de Neufchâteau: Modèle des comptes à rendre par les administrations centrales de département, in: Ders.: Recueil, Bd. 1, S. 367–458, S. 372. Erneut erinnerte man zudem daran, jeder Bürger sei aufgerufen, einen Baum als weithin sichtbares Zeichen seiner Entwicklung als Bürger und Familienmensch zu pflanzen. Vgl. ebd., S. 390. 259 Vgl. auch Kapitel 2.3.1.

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2. Ordnung als Anschauungssache

ohne Folgen für seine Wirkung: Die Beibehaltung des Freiheitsbaumes über die Regimeumbrüche hinweg offenbarte auch die damit notwendigerweise verbundene Umdeutung sowie deren Abhängigkeit von politischen Interessen. Verschiedene Bedeutungsebenen begannen, sich im Diskurs zu überlagern. 260 Ähnlich wie 1794 die Waisen des Vaterlandes angeprangert hatten, der König habe nur unter Vortäuschung einer falschen Gesinnung einen Freiheitsbaum errichten können, 261 stellten nach 1795 die Gegner der Republik die Allgemeingültigkeit des Symbols in Frage. Nun wurden die Republikaner selbst als Verräter gebrandmarkt, die mit Androhung von Strafen und Freiheitsentzug weniger um Nation und Vaterland als um ihren eigenen Machterhalt kämpften. Die zahlreichen Akte der Schändung waren ein deutliches Zeichen der Schwäche des Symbols – ebenso wie der Ineffizienz der staatlichen Kontrolle.

2.1.2 Adaptionen der Gelehrtenkultur: Die politische Ikonographie der neuen Obrigkeit Neben diesen spontanen Zeichen, die im Zuge der städtischen und ländlichen Revolutionsbewegungen entstanden waren und erst schrittweise Eingang in die offizielle Symbolik fanden, eignete sich die neue Obrigkeit gezielt weitere Symbole und Repräsentationsformen an. Hierbei spielten vor allem allegorische Darstellungen der mit der Revolution verbundenen Prinzipien, wie zum Beispiel der Freiheit und Gleichheit, der erwünschten Bürgertugenden, wie unter anderem der Vaterlandsliebe und des Mutes, sowie zentraler Referenzsysteme, wie beispielswiese der Natur262, eine große Rolle. Besonders in drei Bereichen sind solche Adaptionen bemerkenswert: hinsichtlich der offiziellen Verwaltungspapiere, des republikanischen Staatssiegels sowie der Debatte um eine genuin ‚republikanische‘ Ikonographie. Bewusst waren die beobachteten Adaptionen insofern, als sie von den politischen Entscheidungsträgern selbst in Umlauf gebracht und von 1789 an mit der Idee einer neuen Ordnung verknüpft worden waren. Schrittweise entwickelten sich dabei allegorische Darstellungen einzelner Wertüberzeugungen zu Sinnbildern des gesamten Systems. Dabei ließen sich die Revolutionäre von Künstlern und Architekten beraten, wie beispielsweise von Quatremère de Quincy, einem gemä260

Zur frühen „indécision du vocabulaire“ vgl. OZOUF: Du mai de liberté, S. 26. Vgl. ARCHIVES PARLEMENTAIRES, Bd. 83, S. 559. 262 Vgl. HARTEN, Elke und Hans-Christian: Die Versöhnung mit der Natur. Gärten, Freiheitsbäume, republikanische Wälder, heilige Berge und Tugendparks in der Französischen Revolution, Reinbek 1989. 261

2.1 Ordnungsstiftende Hoheitszeichen

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ßigten Revolutionär und Anhänger der konstitutionellen Monarchie, der mit dem Umbau des Pantheons betraut worden war. 263 Schon früh riet dieser den neuen Machthabern von einer Visualisierung des Königs und der Monarchie auf offiziellen Papieren und Gebäuden ab; mit dem Umbau der Kirche Sainte-Genviève am damaligen Stadtrand der Hauptstadt zum Pantheon realisierte er einen Ruhmestempel für ein neues Heiligtum, das Vaterland („la patrie“). Das dazugehörige Bildprogramm visualisierte nur abstrakte Größen, wie beispielsweise Allegorien des amour de la patrie 264 sowie anderer nunmehr ‚revolutionärer‘ Werte und Errungenschaften, wie der liberté, égalité, nature und loi. Dass es sich dabei um Adaptionen der Gelehrtenkultur handelte, die bereits seit der Aufklärung Konjunktur hatten, sollte durch die weitere politische Entwicklung rasch in Vergessenheit geraten. Bilder und Symbole des Vaterlandes, der Freiheit und der Gleichheit gab es auch in Zeiten der konstitutionellen Monarchie schon auf den Nationalfesten zu sehen, die zur Propagierung der neuen Ordnung in Paris und in der Provinz inszeniert wurden. Beim Föderationsfest von 1790 wurde die Zeremonie an einem ‚Altar des Vaterlandes‘ vollzogen. 265 1792 wurden in Paris ein ‚Fest der Freiheit‘ (bei dem eine Freiheitsstatue auf dem Triumphwagen durch die Hauptstadt fuhr)266 und 263

Vgl. JOURDAN: Les Monuments, S. 154ff. sowie S. 229–241, hier insbesondere S. 229ff. Dieses Motiv war auch ansonsten in der Druckgraphik beliebt: [Non-identifié]: Amour de la patrie, gravure à l’eau-forte, 1795 (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 12169); Mallet, Jean-Baptiste, nach François Marie Beaurain: L’Amour de la patrie, eau-forte, pointillé, monochr. Bistre, ov. 17 × 12,5 cm (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 12170). 265 Der Zelebrationsaltar stand inmitten eines treppenartigen Aufbaus in der Mitte des Marsfeldes, welches insgesamt als ‚Vaterlandsaltar‘ bezeichnet wurde; vgl. zahlreiche Darstellungen, die einen Überblick über den Festplatz lieferten, u. a. Vue panoramique de la fête de la fédération au champ de mars, le 14 jullet 1790, agrémentée de deux figures allégoriques, représentant l’une la renommée, l’autre un génie de la liberté, 1790 (abgebildet in: DAYOT, Armand: La Révolution française, Paris 1896, S. 115); Vue Générale de la Fédération Française. Prise à vôl d’Oiseau au-dessus de Chaillot, gravure à l’eau-forte, coloriée, 31,5 × 48 cm (Montréal, Coll. particulière, abgebildet in: HOULD: L’image de la Révolution française, S. 370); Robert, Hubert: Fête de la Fédération, Öl auf Leinwand, 52 × 96 cm, vermutl. Paris 1790 (Versailles, Châteaux de Versailles et de Trianon, Inv. 7655 – MV 4603, abgebildet in: Ausst.Kat. SPEKTAKEL DER MACHT, Kat. Nr. V.2, S. 223). Eine Nahansicht des Zelebrationsaltars bietet: David, L.: Le serment de Lafayette à la fête de la Fédération, 14 juillet 1790, Signé et daté en bas à droite „L. David 1791“, Öl auf Leinwand, 100 × 81 cm (Paris, Musée Carnavalet, Inv. P 1981, abgebildet in: Ausst.Kat. SPEKTAKEL DER MACHT, Kat.Nr. V.1, S. 222). 266 Zahlreiche Abzüge der Festdarstellung sind überliefert, vgl. u. a. Berthault, PierreGabriel, nach einer Zeichnung von Jean Louis Prieur: Fête de la liberté, 15 avril 1792, Radierung, 24,3 × 28,3 cm (Paris, Musée Carnavalet, Inv. PC histoire 18B, G. 28450, abgebildet in: Ausst.Kat. SPEKTAKEL DER MACHT, Kat.Nr. V.27, S. 234). 264

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2. Ordnung als Anschauungssache

wenig später ein ‚Fest des Gesetzes‘ gefeiert (vgl. Statue „La Loi“ sowie Gesetzestafeln auf dem Thron in der Prozession, Abb. 28); Druckgrafiken kommunizierten die Übersetzung der abstrakten Werte in Skulpturen und Allegorien in weiteren Bildformaten. 267 Nach dem Sturz der Monarchie kam es im Rahmen der Feste zu Ergänzungen und Verschiebungen der Symbolik, auf die im Zusammenhang mit der Analyse der Festorganisation noch genauer eingegangen werden soll. Neben den multimedialen Großinszenierungen revolutionärer Wertvorstellungen im Zuge der Nationalfeste waren Allegorien vor allem in Form von Einblattdrucken im Umlauf, die weite Verbreitung fanden. 268 Am häufigsten wurden die Freiheit und Gleichheit allegorisiert (Abb. 3 und 4), 269 teilweise auch in Kombination miteinander. 270 267

Zum Fest des Rechts vgl. auch die in den Tableaux historiques überlieferte Bildvariante: Berthault, Pierre-Gabriel und Jean Louis Prieur: Pompe funèbre en l’honneur de Simoneau Maire d’Estampes, le 3 juin 1792, 24 × 30 cm (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 3599, abgebildet in: Ausst.Kat. LA RÉVOLUTION PAR LA GRAVURE. Les Tableaux historiques de la Révolution française, une entreprise éditoriale d’information et sa diffusion en Europe (1791–1817), Vizille, Musée de la Révolution française, 21 juin au 4 novembre 2002, Vizille und Paris 2002, Nr. 61, S. 182f.). 268 Vgl. in den Sammlungen der BnF u. a. folgende Figures allégoriques, um nur einige Beispiele zu zitieren: Darcis, Louis, nach Louis-Simon Boizot: La Force, Paris [1794] (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 12001); ders.: La Raison, Paris [1794] (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 12004); ders.: La Fraternité, 1794 (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 12002); ders.: La Probité, 1794 (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 11999); ders.: La Nature, 1794 (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 12005); Debucourt, Philibert-Louis: Fraternité, Deux enfants se donnant la main, 1794 (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 11988); Figure Allégorique. La Raison, 1794 (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 11989). 269 Vgl. in den Sammlungen der BnF u. a. folgende Figures allégoriques: La Liberté, patronne des Français, 1794 (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 11995); L’Égalité, patronne des Français, 1794 (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 11996); La Liberté, 1794, épreuve coloriée (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 11981); La Liberté, patronne des Français, 1794 (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 11986); La Liberté, 1794 (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 11982); La Liberté, 1794 (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 11983); L’Égalité, 1794 (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 11984); L’Égalité, 1794 (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 11994); Figure de l’égalité, 1793 (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 11794); Figure de la liberté, 1793 (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 11795); Figure de la liberté, 1796 (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 11793). 270 Kombinationen vgl. u. a. auf folgenden Blättern: Allais, Louis-Jean, nach Alexandre Fragonard: Le Génie français adopte la liberté et l’égalité, 1794 (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 11978); [Non-identifié]: Figures allégorique de la liberté et de l’égalité, gravure au pointillé, 1793 (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 11797) sowie Figure allégorique. La liberté couronnant l’égalité, 1793 (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 11798). Annie Jourdan betont die Langlebigkeit der Freiheitsallegorie zur Symbolisierung des neuen Regimes, insbesondere, wie sehr sich diese mit den Bildern der Republik selbst vermischte. Überzeugend weist sie nach, dass die Revolutionäre die Werte von Freiheit und Gleichheit von 1789 an zur Repräsentation der neuen Ordnung heranzogen und

2.1 Ordnungsstiftende Hoheitszeichen

Abb. 3: Darcis, Louis, nach Louis-Simon Boizot: L’Égalité, pointillé, col. à la poupée, diam. 8 cm, Paris [ca. 1794].

Abb. 4: Darcis, Louis, nach Louis-Simon Boizot: La Liberté, pointillé, diam. 8 cm, Paris [1794].

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2. Ordnung als Anschauungssache

Die Bildsprache der Gelehrtenkultur war jedoch nicht zwangsläufig geeignet, die Erinnerung an die Repräsentation des Alten Regimes aus der Volkskultur zu verdrängen. Die Republik präsentierte sich ähnlich wie im Zeitalter der Aufklärung bereits die Monarchie als tugendorientiert und prinzipiengeleitet – blieb jedoch weitgehend auf allegorische Repräsentationsformen beschränkt und damit stets ein abstraktes, unpersönliches Gebilde. Das Festhalten an der symbolpolitischen Verwendung der Allegorie spricht für die starke Prägung der Revolutionäre durch die Gelehrtenkultur des 18. Jahrhunderts, was sich auch im ‚traditionellen‘ Stil vieler Darstellungen spiegelt. Nur wenige Ausnahmen sind zu verzeichnen: So gelang es beispielsweise Salvatore Tresca mit seinen Darstellungen der einzelnen Monate des calendrier républicain, die Strömungen des Klassizismus und des Sensualismus oder der Romantik wirkungsvoll miteinander zu kombinieren (vgl. unter anderem die Darstellung des Sommermonats Messidor, Abb. 5). Seine Drucke visualisieren die neuen Werte in Verbindung mit üppigen Frauenkörpern oder lieblichen Mädchengesichtern und sind wohl als Angebot an einen breiteren Geschmack zu verstehen, der eher mit Fleisch und Blut als allein mit antikisierenden Formen und Bildschemata überzeugt werden sollte. Amtliche Autoritätszeichen und Beglaubigungsmittel: En-têtes, Vignetten und Siegel Eine wichtige Neuerung, welche die Nationalversammlung gegenüber der Bürokratie des Ancien Régime einführte, waren Briefköpfe (entêtes) auf offiziellen Papieren. 271 Diese wurden mit Zierbildern (vignettes) ausgestaltet, die von nun an die Papiere der Minister und Regierungen, die Protokolle der revolutionären Versammlungen und Ausschüsse sowie das Briefpapier der Zivil- und Militärverwaltung schmücken sollten. Vor der Revolution hatten allenfalls königliche Verordnungen, militärische Diplome und Papiergeld ein besonderes Frontispiz getragen – Verwaltungskorrespondenz hingegen war mit keinerlei Sinnbild oder Briefkopf geschmückt gewesen. Im Unterschied dazu führte die Assemblée nationale bereits 1789 für ihren Schriftverkehr ein Erkennungszeichen („une marque distinctive“) ein, dessen Gebrauch sehr rasch üblich wurde und sich auf andere Bereiche ausweitete. Die Briefköpfe benannviele Behauptungen von ‚Konjunkturen‘ nicht ausreichend recherchiert worden seien; vgl. JOURDAN: L’Allégorie, S: 503f. sowie dies.: Les Monuments, S. 207–295. 271 Vgl. BOPPE, Auguste: Les vignettes emblématiques sous la révolution: 250 reproductions d’en-têtes de lettres, Texte par Auguste BOPPE, avec la collaboration de M. Raoul BONNET, Paris und Nancy 1911, S. 1. Dort auch zum Folgenden.

2.1 Ordnungsstiftende Hoheitszeichen

Abb. 5: Tresca, Salvatore: Messidor, pointillé, 26,5 × 20,5 cm, [Paris 1793].

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2. Ordnung als Anschauungssache

ten zum einen die drei wichtigsten Bezugsgrößen der frühen Revolution („La Nation. La Loi. Le Roi“); umschlossen war dieser Dreiklang zum anderen mit einem Kranz aus Eichenlaub. 272 Das auffälligste visuelle Symbol waren drei Lilien, die aus dem Wappen der Bourbonen entlehnt waren. Auch die politischen Klubs entwickelten bereits in der Zeit der konstitutionellen Monarchie ähnliche en-têtes, die ihrerseits Losungen mit Lilien und Eichenlaubkränzen kombinierten. Die Jakobiner beispielsweise prägten bereits vor 1792 – erkennbar an der Verzierung mit der Bourbonenlilie – die Losung „Vivre libre ou mourir“. 273 Nach dem Sturz der Monarchie ersetzte der Konvent 1792 auf seinen Protokollen die alte Losung durch die schlichte Formulierung „République française“; auch die königliche Symbolik verschwand selbstverständlich sofort. 274 Immer häufiger zierten nun abstrakte Symbole und allegorische Darstellungen die Verwaltungspapiere, wie zum Beispiel die Freiheitsmütze oder das Auge der Vorsehung die Papiere der parlamentarischen Versammlung, ein Adler (Symbol der Stärke) und Rutenbündel (Zeichen der Einheit) die republikanischen Assignaten. 275 Was zu Beginn der Revolution durch Worte ausgedrückt worden war, wurde nun immer häufiger ins Bild übersetzt: Der Ausschuss für Außenbeziehungen verwendete für seine Selbstdarstellung Attribute des Handels; die Verwaltung der Artillerie symbolisierte ihren Zuständigkeitsbereich durch einen Mörser, eine Kanone und Kanonenkugeln. 276 In Kombination mit diesen Attributen tauchte am häufigsten ein Sinnbild der Freiheit auf (Frauenfigur oder Freiheitsmütze) meist gleichzeitig mit Zeichen der Gleichheit und Gerechtigkeit (Waage), der Vorsehung und Wachsamkeit (Auge), der Einheit und Unteilbarkeit (Rutenbündel) oder der Brüderlichkeit (Handschlag) – alle inspiriert von der Gelehrtenkultur und bereits zur Zeit der Aufklärung weit verbreitet. 277 Die Republik entwickelte diese Formensprache weiter, ergänzte sie und passte sie den eigenen Bedürfnissen an. Man hielt am Vaterlandskult fest, rückte jedoch anstelle der territorialen Einheit des Landes (‚Francia‘ oder ‚Frankreich‘) immer stärker allegorische Darstellungen 272

Vgl. Extrait des procès-verbaux de l’Assemblée nationale constituante (Paris, BnF, abgebildet in: BOPPE: Les vignettes emblématiques, pl. n° 2, S. 1). 273 Vgl. Société des Jacobins avant le 22 septembre 1792 (Paris, BnF, abgebildet in: BOPPE: Les vignettes emblématiques, pl. n° 5, S. 2). 274 Vgl. Extraits des proces-verbaux de la Convention nationale [1792] (Paris, BnF, abgebildet in: BOPPE: Les vignettes emblématiques, Pl. N° 6, S. 3). 275 Vgl. ebd., S. 4f. 276 Vgl. Vignette de l’administration de la grosse artillerie (Paris, BnF, abgebildet in: BOPPE: Les vignettes emblématiques, Pl. N° 18, S. 8). 277 Vgl. ebd., S. 6f.

2.1 Ordnungsstiftende Hoheitszeichen

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revolutionärer Wertvorstellungen ins Zentrum der Repräsentation. 278 Die Attribute der Freiheit oder ihre personifizierte Gestalt selbst wurden in zahlreichen en-têtes und Vignetten, vor allem der Parlamentsausschüsse, aufgegriffen, variiert und durch weitere Symbole ergänzt. Besonders die stehende Frauengestalt, bewaffnet mit einer Pike, auf die eine Freiheitsmütze aufgepflanzt war, entwickelte sich zum beliebten Motiv zur Kennzeichnung der Verwaltungspapiere. Der Briefkopf des Wohlfahrtsausschusses kombinierte beispielsweise die stehende Figur mit dem Auge der Vorsehung, der Waage der Gerechtigkeit und Kanonen oder Kriegsschiffen als Ausdruck der Wehrhaftigkeit der Republik. 279 Allein der Kriegsausschuss visualisierte schon vor 1794 die Freiheit sitzend inmitten eines runden Medaillons; die Darstellungsform erinnert an die vormoderne Ikonographie der Macht, bei der das Sitzen oder Thronen stets als Privileg und Zeichen der Herrschenden inszeniert wurde. 280 In der rechten Hand trägt die Allegorie eine beflügelte Siegesgöttin, die ihr einen Lorbeerkranz entgegenstreckt; in ihrer linken Armbeuge liegt eine Pike, die von einer Freiheitsmütze gekrönt ist. Den linken Arm stützt sie auf eine Kartusche mit der Aufschrift: „Code militaire“; zu ihren Füßen befinden sich Kriegsgerät und Piken. 281 Angesichts der großen Popularität der Freiheitsdarstellung im Kreise der neuen politischen Entscheidungsträger kann es nicht überraschen, dass auch das neu geschaffene Siegel des Nationalarchivs, welches übergangsweise auch als Staatssiegel fungierte, mit einer Freiheitsallegorie geschmückt war. 282 Wenige Tage nach dem Sturz der Monarchie hatte man im August 1792 entschieden, einen provisorischen Regierungsausschuss einzurichten, der fortan die exekutive Gewalt in Frankreich

278

Vgl. JOURDAN: Les Monuments, S. 209–241. Vgl. Vignette du Comité de salut publique (Paris, BnF, abgebildet in: BOPPE: Les vignettes emblématiques, Pl. N° 23, S. 10). 280 Vgl. Vignette du Comité de la Guerre (Paris, BnF, abgebildet in: BOPPE: Les vignettes emblématiques, Pl. N° 24, S. 11). Zur Kontinuität der Machtsymbolik vom Mittelalter bis in die Neuzeit vgl. ALTHOFF, Gerd: Das Grundvokabular der Rituale. Knien, Küssen, Thronen, Schwören, in: Ausst.Kat. SPEKTAKEL DER MACHT, S. 149–154. 281 Erneut zeigt sich hier die Verknüpfung von Militär und Revolution, die sich nach 1792 auf die Republik selbst übertragen sollte. Interessanterweise knüpfen die Briefköpfe der späteren Regierungen der Republik sowohl zur Zeit des Direktoriums wie auch des Konsulats an die Bildspache des en-tête des Militärausschusses an (sitzende Freiheitsstatue, Militärsymbolik – sogar die Statuette einer Siegesgöttin taucht in der Vignette des Direktoriums wieder auf, vgl. Abb. 9). 282 Vgl. Grégoire, Henri: Rapport fait au Conseil des Cinq-cents, sur les sceaux de la République, Séance du 11 pluviôse an IV, Paris, pluviôse an IV. Es handelte sich um einen Entwurf von Gatteaux. 279

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2. Ordnung als Anschauungssache

innehaben sollte. 283 Der Justizminister wurde beauftragt, bis zur Einrichtung dauerhafter neuer Institutionen die Gesetze zu unterschreiben und zu siegeln (Absatz 1 und 9). Zu diesem Zweck sollte umgehend ein neues Staatssiegel angefertigt werden, mit dem Bild der Freiheitsallegorie, bewaffnet mit einer Pike, auf der eine Freiheitsmütze aufsitzt, sowie versehen mit der Umschrift ‚Im Namen des Französischen Volkes‘ (Absatz 6). Die Umsetzung erfolgte zunächst in Form einer stehenden Figur. Angesichts der großen Bedeutung des Staatssiegels als Hoheitszeichen der jungen französischen Republik war dessen Symbolik jedoch keineswegs unumstritten: Am 21. September 1792, dem Tag der ersten Sitzung des republikanischen Konvents, wurden das Einheitsbündel (le faisceau de l’Union) und die Freiheitsmütze (le bonnet de la Liberté) als Embleme eines zukünftig festzulegenden Staatssiegels festgesetzt – von einer Freiheitsallegorie ist in dem zugehörigen Dekret keine Rede mehr. 284 Am darauffolgenden Tag wurde jedoch auf Antrag von Camus zunächst nur das Siegel des Archivs abschließend definiert: Dieses sollte fortan mit einer Frauengestalt geschmückt sein, gestützt auf ein Rutenbündel und in der anderen Hand eine Pike mit Freiheitsmütze haltend. Die Änderung wurde anschließend für alle Siegel der öffentlichen Verwaltung verbindlich gemacht. 285 Ferner wurde bestimmt, das alte Siegel der französischen Monarchie müsse innerhalb kürzester Zeit gemeinsam mit Szepter und Krone Ludwigs XVI. zerstört und zum hôtel des monnaies gebracht werden. 286 Erst während des Direktoriums, vielleicht sogar erst im Konsulat, konnte sich unabhängig von diesem Provisorium endgültig ein neues Staatssiegel etablieren. 287 Die jahrelange Debatte der Republikaner über 283

Vgl. Moniteur n° 230 bis, Supplément à la Gazette nationale du Vendredi 17 Août 1792: „6° Le sceau de l’Etat sera changé; il portera désormais la figure de la Liberté, armée d’une pique, surmontée du bonnet de la liberté, et pour légende: ‚Au nom de la nation française‘.“ 284 Zitiert nach JOURDAN: L’Allégorie, S. 510. 285 Vgl. Grégoire: Rapport sur les sceaux, S. 1. 286 „Le ministre de la justice envoie à la Convention nationale les sceaux de l’Etat en or, avec les masses qui étaient portées par les huissiers de la chancellerie.- Elle décrète que ces objets, ainsi que le sceptre et la couronne du ci-devant roi, et autres attributs du même genre, seront brisés et portés à l’hôtel des monnaies.“ Moniteur n° 281, 7 octobre 1792. 287 Offenbar hatte es vorher immer wieder Rückschläge und Durchsetzungsprobleme gegeben. So beschwerte sich u. a. Fabre d’Eglantine 1793, die Commission des Vingt-et-Un habe sich geweigert, die beschlossenen Neuerungen umzusetzen, und weiterhin das alte Siegel benutzt: „Lorsqu’au 10 août on voulut changer le sceau de l’Etat, la commission des Vingt-et-Un s’y opposa; elle insista pour que les lois fussent scellées du sceau du ty-

2.1 Ordnungsstiftende Hoheitszeichen

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die ‚richtige‘ Ikonographie lässt auf politische Differenzen und Lagerkämpfe rückschließen. Auf den ersten Blick scheint sich die Allegorisierung der Wertvorstellungen von 1789 bis 1799 durch eine große Kontinuität auszuzeichnen. Zu Unrecht haben ältere Studien unterstellt, die Freiheit sei in der Phase der Terreur von Allegorien des Volkes und die Darstellung des neuen Menschen und der Gleichheit in der Phase des Direktoriums zugunsten von Darstellungen des Gesetzes verdrängt worden. 288 Am Beispiel der Geschichte des republikanischen Staatssiegels lassen sich allerdings zumindest verschiedene Vorlieben und Phasen der Revolution unterscheiden, die zu unterschiedlichen Aneignungen und Konkretisierungen der vorherrschenden Grundtypen geführt haben. Je nach politischem Kontext traten neue ikonographische ‚Trends‘ auf. So machte beispielsweise 1793 die Darstellung des Herkules – einst Symbol des tugendhaften Herrschers, 289 nun Sinnbild des Volkes – der Freiheitsallegorie Konkurrenz. Für das erste große Denkmalprojekt der Revolution stand eine Kolossalstatue mit herkulesähnlichen Zügen Pate, der zentrale Werte und Bezugsgrößen der Jakobinerherrschaft beigeordnet wurden: Freiheit, Gleichheit, Aufklärung, Natur und Wahrheit. 290 Romme schlug in diesem Zusammenhang vor, das Abbild des Denkmals zukünftig auch als Staatssiegel zu verwenden. 291 Fabre d’Eglantine wandte daraufhin ein, es bestehe bereits ein Herkules-Siegel, welches ran; ce fut malgré elle qu’on en créa un sur lequel le peuple était représenté sous la forme d’Hercule, et entouré d’un cordon d’étoiles, dont chacune représentait un département. Ce cordon offre l’image de l’indivisibilité de la république; je propose de l’ajouter à la proposition faite par Romme.“ Moniteur n° 59, 29 brumaire II (19. November 1793), CN, suite de la séance du 27 Brumaire. 288 Hunt z. B. behauptet, dass die radikale Republik zu kraftvolleren Inszenierungen geführt hatte. Dies trifft jedoch weniger für die offizielle Seite der Selbstdarstellung zu; vgl. HUNT: Symbole der Macht, S. 119–139. In Anlehnung an Hunt auch SCHRÖER: La représentation du Nouveau Régime, S. 44–46. Die dort formulierte These muss ich korrigieren. Besonders Annie Jourdan hat an verschiedenen Stellen zu Recht darauf hingewiesen, dass regimeübergreifend alle Typen zu jeder Zeit Verwendung fanden. Schon die frühe Revolution hatte so z. B. zahlreiche Allegorien der Freiheit, der Nation und der Verfassung hervorgebracht und auch in Form von narrativen Kontexten aktualisiert; vgl. JOURDAN: L’Allégorie, passim, sowie besonders S. 522. Außerdem vgl. REICHARDT, Rolf: The Heroic Deeds of the New Hercules: The Politicization of Popular Prints in the French Revolution, in: GERMANI, Ian und Robin SWALES (Hrsg.): Symbols, Myths and Images of the French Revolution. Essays in Honour of James A. Leith, Regina, Saskatchewan, 1998, S. 17–46. 289 Sogar mit Ludwig XVI. war die Herkulesfigur zu Beginn der Revolution noch in Verbindung gebracht worden, vgl. ebd., S. 514, Anm. 13. 290 Vgl. Moniteur n° 59, 29 brumaire II (19. November1793). 291 „Le monument que vous avez décrété est vraiment digne du peuple français et de la révolution qu’il a faite. Le peuple s’y présente dans la majesté qui lui convient. Il faut

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2. Ordnung als Anschauungssache

diesen mit einem Sternenkranz umgeben abbilde, der die einzelnen Departements symbolisiere. Diese Vorlage wurde anschließend jedoch abgelehnt – über das Sternenbanner bestanden Differenzen zwischen den Befürwortern einer zentralistischen beziehungsweise einer föderalistisch organisierten Republik. 292 Der Vorschlag Rommes hingegen fand eine Mehrheit. Weder die Liberté, welche eventuell mit der Phase der girondistischen Republik assoziiert wurde, noch die République, die ja nach wie vor in weiten Landesteilen abgelehnt wurde, erschienen als diskussionswürdige Alternativen. Es fällt auf, dass 1793/94 auch auf offiziellen Papieren und bei festlichen Anlässen häufig Repräsentationen des Volkes der Darstellung von Institutionen oder Abgeordneten der Republik vorgezogen wurden. In der populären Druckgraphik tauchte das Volk verschiedentlich als ein vor Kraft strotzender Herkules auf, der die Hydra der Monarchie oder später jene der gegenrevolutionären Bewegungen zerschlägt. 293 Solche Bilder sind aus dem Kontext der Volksbewegung hervorgegangen, die den Jakobinern zur Legitimation ihrer Herrschaft diente. Nach dem Sturz Robespierres war die Idee eines Herkulessiegels für einen Teil der Abgeordneten diskreditiert. Die Herkulesfigur tauchte fortan in der offiziellen Bildsprache eher in einer stark ästhetisierten Form als ‚neuer Mensch‘ auf, der die Idealvorstellung des tugendhaften Bürgers der Republik zum Ausdruck brachte, der durch seine Vergesellschaftung den Traum des republikanischen Gemeinwesens einzulösen versprach. 294 Ab 1794/95 wurde dieses abstrakte Wesen häufig als friedlich und funktional imaginiert, wie in einer allegorischen Darstellung des Sturzes von Robespierre, die das französische Volk in der Figur des neuen Menschen veranschaulicht (Abb. 6): Gekrönt von Allegorien der Einheit und der Freiheit, hält es in seiner rechten Hand zwar nach wie vor eine Keule, wird aber weniger in kämpferischer Pose gezeigt als vielmehr über seine Funktion als Stütze des Nationalkonvents detrouver ainsi son image dans le sceau de l’Etat. […]“ Moniteur n° 59, 19 brumaire II (17. November 1792). 292 Fabre interpretiert den Sternenkranz als Zeichen der Einheit; Romme widerspricht ihm und bezeichnet diesen im Gegenteil aufgrund der Identifizierbarkeit der einzelnen Sterne als Zeichen der Spaltung. Vgl. ebd. 293 Vgl. HUNT: Symbole der Macht, S. 121, Abb. 13: Das französische Volk überwältigt die Hydra des Föderalismus, August 1793. 294 Zur Idee der Hervorbringung des neuen Menschen durch Erziehung vgl. HARTEN, Hans-Christian: Elementarschule und Pädagogik in der Französischen Revolution, München 1990, S. 88ff. In allgemeiner Hinsicht vgl. OZOUF, Mona: La Révolution française et la formation de l’homme nouveau, in: Dies.: L’homme régénéré. Essais sur la Révolution française, Paris 1989, S. 116–157.

2.1 Ordnungsstiftende Hoheitszeichen

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Abb. 6: Allais, Louis Jean: IX. Thermidor. La Convention soutenue par le peuple, pointillé, 19 × 12,5 cm, Paris [ca. 1794].

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2. Ordnung als Anschauungssache

finiert; in der linken Hand stemmt es einen Felsblock empor, der laut Bildunterschrift den über den Tyrannen Robespierre triumphierenden Nationalkonvent symbolisiert. 295 Auf einer frühen Vignette des Direktoriums (Abb. 7) erscheint eine ähnliche Figur als nunmehr vollkommen abstrakter, entpersonalisierter ‚Genius‘, der den Geist der durch die Revolution gewonnenen Freiheit verkörperte. Und selbst auf militärischem Terrain wurden nach 1794 vor allem friedliche und harmonisierende Bilder des neuen Menschen propagiert, wie im Aktbildnis eines Schülers der École de Mars aus den Beständen des Musée de la Révolution française in Vizille, das wohl um 1795 entstanden sein dürfte. 296 Mit dem Staatssiegel wurde die Herkulesallegorie nicht mehr in Verbindung gebracht. Daubermesnil brachte kurz vor der Auflösung des Konvents am 3. Brumaire im Namen des Erziehungsausschusses den Vorschlag ein, das Staatssiegel solle zukünftig einen Bienenstock zeigen, der von Bienen umschwirrt würde. Dieses Emblem solle zukünftig auch offizielle Gebäude kennzeichnen. 297 Anderen Abgeordneten schien jedoch die Gefahr zu groß, dass die Bienen als Reverenz an die Merowinger missverstanden werden könnten, als deren ‚Wappentiere‘ Bienen galten, seit goldene Zikaden in Gräbern der Dynastie gefunden worden waren. Außerdem gab Barailon zu bedenken, dass dem Bienenstaat eine Königin vorstehe – dieses Symbol somit für jede Republik ungeeignet erscheinen müsse. 298 Vielmehr wurden Mütze und Waage, die Zeichen der Freiheit und der Gleichheit, als ‚Embleme der Republik‘ in der Diskussion ins Gedächtnis gerufen und für das Staatssiegel favorisiert. 299 Drei Monate später war die Direktorialrepublik eingerichtet, die Frage des Siegels jedoch nach wie vor offen. Grégoire drängte in seinem Bericht vom 11. Pluviôse IV (31. Januar 1796) auf eine endgültige 295

Die konkreten Ursachen des Umsturzes vom 9. Thermidor sowie der Terreur bleiben in dieser Abbildung ganz ausgeblendet; verherrlicht werden ausschließlich die glücklichen Sieger der thermidorianischen Revolution: das Volk und der Konvent. 296 Es idealisiert den dargestellten Freiheitskämpfer statuengleich und in Gedanken versunken nach dem antiken Schönheitsideal: Nur mit der phrygischen Mütze und einem Schwert ausgestattet lehnt er an einer mit aufwendig drapiertem Tuch verhüllten Stele; vgl. Académie d’élève de l’École de Mars avec glaive et bonnet phrygien, d’un artiste anonyme, membre des „Primitifs“, groupe d’élèves dissidents de l’atelier de David, vers 1795 (Vizille, Musée de la Révolution française, Inv. MRF 2003-7). 297 Vgl. Moniteur n° 41, 11 brumaire IV (2. November 1795), CN, suite de la séance du 3 brumaire. 298 Vgl. ebd. Im Anschluss an diesen Redebeitrag erinnerte Lehary daran, man solle sich auch dringend mit dem Kostüm befassen. 299 Vgl. Art. Baraillon [sic], Jean-François, in: BIOGRAPHIE NOUVELLE DES CONTEMPORAINS ou dictionnaire historique et raisonné […], par MM. A. V. ARNAULT u. a., Bd. 2, Paris 1821, S. 74f.

2.1 Ordnungsstiftende Hoheitszeichen

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Abb. 7: Duplat, Jean Louis und Jean Démosthène Dugourc: Directoire Exécutif, République Française, gravure sur bois, 10,5 × 15,5 cm, [Paris ca. 1795].

Entscheidung – in Erinnerung an das Archivsiegel von 1792.300 Der Berichterstatter referierte den Stand der Debatte: Nachdem eine Parteiung aus dem Kreise der Abgeordneten grundsätzlich die Notwendigkeit eines Siegels bestritten und den Vorwurf erhoben habe, dieses befördere ausschließlich die Ignoranz, hätte der Ausschuss im Gegenteil die unbestreitbare Nützlichkeit des Siegels verteidigt: Jede zivilisierte Nation, so Grégoire, ganz gleich, ob in der Antike oder in der Neuzeit, bediene sich eines Siegels. Als Beleg führte er Beispiele aus dem antiken Athen, aus Spanien und dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation an: Besonders der Stolz, mit dem im Reich die Goldene Bulle aufbewahrt werde, zeige die Bedeutung der Siegel. Aufgrund seiner Konstanz sei diese Form der Beurkundung gegenüber der Unterschrift, welche nie gleich ausfalle, vorzuziehen.301 Wappen gehörten nunmehr der Geschichte an, alles müsse ‚republikanisiert‘ werden – und daher 300

Grégoire: Rapport sur les sceaux; vgl. Zusammenfassung auch in Moniteur n° 136, 16 pluviôse IV (5. Februar 1796), CCC, séance du 11 pluviôse. 301 Vgl. Grégoire: Rapport sur les sceaux, S. 3: „Le sceau est plus connu qu’une signature, un sceau est permanent, tandis qu’une signature change avec l’homme […]; un sceau est plus difficile à contrefaire qu’une signature, et la réunion des deux moyens d’authentiquer un acte augmente la difficulté de la fourberie.“

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auf dem Siegel das Emblem und die Attribute der Freiheit zu sehen sein.302 Damit definiert Grégoire indirekt zwei Dinge, die für die Zeit des Direktoriums charakteristisch bleiben sollten: Erstens, dass die Zeichen der Republik grundsätzlich die Zeichen der Freiheit sein sollten, diese damit von Symbolen der Revolution zu Symbolen der republikanischen Staatsform werden; zweitens, dass es Aufgabe der Gesetzgeber sei, in erzieherischer Absicht über diese Zeichen zu entscheiden. Nicht mehr im Voranstürmen der Revolution, nicht mehr als Reaktion auf die Ereignisse der journées révolutionnaires suchte man nach Autoritätszeichen und Symbolen. Rationale Entscheidungen sollten fortan eine planvolle Politik ermöglichen, auch in diesem Bereich.303 Die Erläuterungen Grégoires lesen sich wie eine theoretische Einführung in die Symbolpolitik der späten Ersten Republik: Der Gesetzgeber dürfe in Anbetracht der Bedeutung der ‚Sprache der Zeichen‘ keine Gelegenheit auslassen, sich der ‚Sinne zu bemächtigen‘, um ‚republikanische Ideen zu erwecken‘. Die Wiederholung dieser Zeichen verspreche dauerhafte Einprägung und Erfolg.304 Als Entscheidungsgrundlage wurden drei verschiedene Zeichnungen im Sitzungssaal des Konvents zur Auswahl ausgestellt: Die erste zeigte eine Personifikation der Republik als Frau. In ihrer rechten Hand hielt sie eine grenade, Symbol der Demokratie; an einer Kette hängend trug sie das Dreieck, hier wohl Symbol der Gleichheit, auf dem eine Eule, im Bericht ausdrücklich motiviert als Zeichen der Vermittlung und des Rates, zu sehen war. Der linke Arm hielt ein Rutenbündel; drei Kronen, aus Eiche, Lorbeer und Olivenzweigen hingen in ihrem Arm, als Garantie dafür, dass man immer bereit sei, die Bürger für ihre zivilen und militärischen Leistungen auszuzeichnen. Zu ihren Füßen waren ein Hahn und das Ruder der Regierung (gouvernail) abgebildet. Die zweite Zeichnung beschreibt Grégoire als Emblem. Ein Dreieck stehe stellvertretend für die Einheit der drei wichtigsten Institutionen der Republik: der beiden parlamentarischen Kammern und der Regierung. Das Rutenbündel, welches die Basis des Dreiecks präge, stehe für die „force publique“, ein Schwert und ein Regierungsruder schlössen das Dreieck. Auch hier war ein Hahn zu sehen, als Symbol des kriegerischen Frankreich, ergänzt durch die Freiheitsmütze. Sonnenstrahlen standen für die Vernunft und die Prinzipien der Aufklärung; eine Schlange, die sich selbst in den Schwanz beißt, verhieß der Republik 302

Vgl. ebd., S. 5. Vgl. HUNT: Symbole der Macht, S. 70–76 (sowie insgesamt Kapitel 2: „Symbolische Formen der politischen Praxis“, passim). 304 Vgl. Grégoire: Rapport sur les sceaux, S. 3. 303

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ewigen Bestand. Die Symbole der dritten Zeichnung ähnelten der zweiten: Hier verbürgten Ketten die Untrenn- und Unbesiegbarkeit der Departements; drei ineinander verschlungene Kreise symbolisierten die drei höchsten staatlichen Institutionen („les autorités supérieures“); Freiheitsmütze, Richtscheit und Hahn füllten die Zentren der Kreise.305 Jourdan zufolge kam aufgrund der Überkomplexität dieser Vorschläge kein einziger zum Abschluss.306 Es scheint so, als sei weiterhin das 1792 erfolgreich eingeführte Archivsiegel mit der stehenden Freiheit (mit Pike und Rutenbündel) benutzt worden. Dieses wurde von der Beschlussvorlage ausdrücklich erwähnt und nicht in Frage gestellt.307 Emblematische und allegorische Darstellungen ‚der Republik‘ Erst allmählich sollte eine eigene Ikonographie der Republik entstehen.308 Aus diesem Prozess hervorgehoben werden sollen im Folgenden einerseits die Bedeutung der republikanischen Repräsentation in Form von Emblemen, andererseits die Visualisieriung der Republik im Rahmen von administrativen Handlungen und öffentlichen Inszenierungen. Republikanische Embleme setzten sich aus verschiedenen typischen Attributen zusammen, die kontextabhängige Interpretationen erfahren konnten. Sie dienten unter anderem als Wandzeitungen zur Dekoration von Versammlungsräumen. Aus den zahlreichen Originalen, die in den druckgraphischen Sammlungen der Bibliothèque nationale oder des Musée Carnavalet überliefert sind, sollen hier nur wenige Belege angeführt werden, wie zum Beispiel eine undatierte Wandzeitung, welche das mit der Jakobinermütze bekrönte Rutenbündel zeigt und darüber die Losung der Republik visualisiert: „Unité et indivisibilité de la République“309. Umkränzt wird das Emblem von Eichenlaub; zwei blau-weiß-rote Fahnen mit der Devise „Liberté Egalité Fraternité ou la Mort“ komplettieren die republikanische Zeichensprache; die Freiheits-

305

Vgl. ebd., S. 4f. Vgl. JOURDAN: L’Allégorie, S. 524. 307 Vgl. Grégoire: Rapport sur les sceaux, S. 7, Projet de résolution, V. 308 Vgl. die bekannten und viel rezipierten Überblicksdarstellungen von AGULHON: Marianne au combat; sowie ders. und Pierre BONTE: Marianne, les visages de la République, Paris 1992. 309 [Non-identifié]: Unité et indivisibilité de la République (Paris, Musée Carnavalet, Inv. PC 27C 87 CAR 3480A); vgl. außerdem u. a. [Non-identifié]: Trophée Republicain. Unité, indivisibilité de la République, épreuve coloriée, 1793 (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 11787). 306

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mütze ist mit einer Kokarde verziert. Andere Varianten ergänzten diese trophée républicain um den gallischen Hahn.310 Ähnlich wie bei den revolutionären Vignetten ist auch in der Umsetzung der Embleme eine starke Verbindung von Text und Bild zu beobachten, die sich im weiteren Verlauf der politischen Entwicklung verschieben beziehungsweise verändern sollte. Ein großformatiges, mit mindestens acht Farben gedrucktes Plakat, welches wohl im Jahr II (1793/94) entstanden ist, setzt das Emblem aus Liktorenbündel, Jakobinermütze, Waage und einer mit blau-weiß-roten Bändern umwickelten Bürgerkrone aus Eichenlaub zusammen (Abb. 8). Inschriften verzeichnen nunmehr die Losungen der radikalen Revolution: „Unité, indivisibilité de la République“ oder „Liberté, Égalité, Fraternité ou la Mort“. Darüber hinaus ist ein Hinweis auf die Herrschaft der Bergpartei ergänzt worden, der diese damit selbst zu einem Bestandteil der Republik erklärt. Das Medaillon in der Bildmitte zeigt einen keulenbewaffneten Herkules, der die Hydra der Tyrannei zerschlägt.311 Neben solchen komplexen Bildbotschaften kursierten in Anlehnung an die allegorische Sprache einer aufgeklärten Gelehrtenkultur auch personifizierte Darstellungen republikanischer Werte und Institutionen, ähnlich wie bereits hinsichtlich der Verbreitung von Freiheits- und Gleichheitsallegorien beobachtet: Es kursierten zahlreiche Varianten, vom ‚republikanischen Frankreich‘312 über die ‚siegreiche Republik‘313 bis hin zur schlichten Personifizierung der ‚Republik‘314 als neuer Staatsform. Demgegenüber war es eine Neuerung, als im September 1796 (1. Vendémiaire V), am ersten Fest der Republikgründung, welches vom Direktorium ausgerichtet wurde, eine Statue ‚der Republik‘ zum Dekor des Marsfeldes zählte. Hier wurde die Staatsform erstmals Gegenstand einer öffentlichen Inszenierung; das Ereignis verdient eine ausführlichere 310

Vgl. [Non-identifié]: Trophée républicain. Unité et Indivisibilité de la Republique, épreuve coloriée, 1793 (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 11788). 311 Vgl. HUNT: Symbole der Macht, Kapitel: Die Bildwelt des Radikalismus. Hunt behauptet, diese Form der Herkulesdarstellung sei erst während der Jakobinerdiktatur aufgekommen und nach dem Ende der Terreur verschwunden oder ‚domestiziert‘ worden. Dem widerspricht Annie Jourdan in: JOURDAN: L’Allégorie, passim, sowie dies.: Les Monuments, S. 251. Vgl. zur „parti de l’allégorie“ auch BORDES, Philippe: L’art et le politique, in: BORDES/MICHEL: Aux armes et aux arts, S. 103–136, S. 113f. 312 Vgl. Darcis, Louis, nach Louis-Simon Boizot: La France républicaine, 1794 (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 12008). 313 Vgl. Darcis, Louis, nach Louis-Simon Boizot: La République triomphante, 1794 (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 12012). 314 Vgl. Figure Allégorique. La République, 1794 (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 11990).

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Betrachtung. Per Erlass hatte das Direktorium kurz zuvor das Fest der Gründung der Republik zum wichtigsten Datum im republikanischen Festkalen der erklärt.315 An diesem Tag, so hieß es im Text, werde nicht nur die Erneuerung des Jahres, sondern gleichzeitig diejenige aller Franzosen begangen. Alle Bürger möchten entsprechend ihre Vorbehalte und ihren Hass vergessen und sich endlich vereinen, um die Republik zu stützen. Es gab genügend tagespolitische Anlässe für diesen eindringlichen Appell der Regierung an die französischen Bürger: Aus Südfrankreich häuften sich die Meldungen über Abb. 8: [Non-identifié]: Unité et indivisibilité Ausschreitungen gegen Pa- de la République, chez Pillot, eau-forte coloriée, trioten im Zuge der terreur 38,5 × 26 cm, Paris [ca. 1793]. blanche, und in Paris hatte man wenige Tage zuvor einen Aufstand von der linken Opposition, die drohende Meuterei der Soldaten des camp de Grenelle, abgewehrt. Große Ambitionen begleiteten entsprechend die Feier des Jahrestages. Sie sollte eine Demonstration der Stärke der Regierung werden, die sich als Herr der Lage zu beweisen suchte. Nicht ohne Grund entschied man sich für eine eindrucksvolle Inszenierung der Republik auf dem Marsfeld. Eine Zeichnung aus dem Planungsstab (Abb. 27) bietet eine Gesamtansicht des Festplatzes, der vor architektonischen Bauten und Dekor überzuquellen scheint. Der Architekt Peter Ludwig van Cleemputte, bekannt durch seine mehrmalige Teilnahme an der Konkurrenz um den Großen Preis der Jury, war im Jahr IV (Ende 1795/Anfang 1796) zum Architekten der Regierung bestellt worden und leitete in dieser

315

Vgl. Directoire exécutif, Arrêté du 13 fructidor, zitiert nach: Moniteur n° 354, 24 fructidor IV (10. September 1796).

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Eigenschaft die öffentlichen Feste.316 Für den 1. Vendémiaire 1796 ersann er eine aufwendige Festarchitektur, die verschiedene Symbole und Traditionen miteinander verband.317 Er ließ einen Triumphwagen mit Sonnensymbolik, verkörpert in der Figur Apollons, prunkvoll auf dem Marsfeld einfahren. Dessen Ankunft unter dem ebensfalls extra für diesen Anlass errichteten Zeichen der Waage löste die Zerstörung einer Ansammlung von Zeichen des Royalismus aus, woraufhin den Zuschauern der Blick auf eine Säule mit der Statue der französischen Republik freigegeben wurde. Diese Personifikation – so legte es das Programm des Innenministers fest, und so zeigt es auch der Stich von van Cleemputte – stützte ihren linken Arm auf ein Liktorenbündel, dessen Pfeile die einzelnen Departements symbolisierten, und wies mit der anderen Hand auf die Freiheitsstatue inmitten des Platzes, vor der die Regierungsmitglieder Platz genommen hatten. Die Republik wurde im Festakt nicht nur unmittelbar visualisiert, sondern auch näher ausgedeutet, durch ihre Integrationskraft für die natürliche und politische Zeitrechnung: Symbole der Tagundnachtgleiche (Tierkreis, Sonne und Waage), des republikanischen Kalenders (Stunden und Monate) sowie der gesellschaftlich-politischen Gleichheit (Waage und Embleme) trugen gemeinsam zu ihrer Qualifizierung und Verherrlichung bei. Der Inszenierung war kein großer Erfolg beschieden – wohl nicht nur aufgrund des schlechten Wetters, sondern der regierungskritischen Presse zufolge auch angesichts ihrer Komplexität und Unverständlichkeit. Der Synkretismus aus verschiedensten Traditionen muss als verzweifelter Versuch der Legitimitätsstiftung in Zeiten der Krise gewertet werden; von einer allgemeinverbindlichen Verkörperung mehrheitlich geteilter Überzeugungen kann keine Rede sein. Es wurde auffällig viel Wert auf Kulisse und Dekor gelegt – Aspekte, die zwangsläufig die symbolpolitische Fraktion der ‚Spartaner‘, welche im Zuge der republikanischen Repräsentation eher auf Schlichtheit und Emotionalität setzte (vgl. Kapitel 3.4.1), sicherlich abschreckte. Auch die Fraktion der Ordnungspolitiker, die militärische Metaphern zur Demonstration von Autorität bevorzugte, fand sich in der gewählten Inszenierung nicht wieder. Das Journal des hommes libres vermisste nicht nur jeden Bezug 316

Vgl. Art. Cleemputte, Peter Ludwig van, in: NAGLER, Georg Kaspar (Bearb.): Neues allgemeines Künstlerlexikon oder Nachrichten von dem Leben und den Werken der Maler, Bildhauer, Baumeister, Kupferstecher, Formschneider, Lithographen, Zeichner, Medailleure, Elfenbeinarbeiter, etc., Bd. 2, München 1835, S. 568. 317 Vgl. Bénézech, Ministre de l’Intérieur: Extrait du programme de la fête de la fondation de la République, pour Paris, zitiert nach: Moniteur n° 364, 4ème jour complémentaire IV (20. September 1796).

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zur Nation, sondern stellte auch die dargebotene Inszenierung der Republik grundsätzlich in Frage.318 Das Ziel der Einheitsstiftung wurde nicht erreicht: Die Aufstellung und Feier der Statue konnte keinen parteiübergreifenden Konsens stiften. Dennoch gilt es festzuhalten, dass ‚die Republik‘ in der zweiten Hälfte der 1790er Jahre auch in anderen Darstellungen, sei es in der volksnahen Druckgraphik, sei es in der oppositionellen Karikatur, verstärkt ins Bild gesetzt und zum Thema gemacht wurde (vgl. auch Kapitel 4.5). In der offiziellen politischen Bildsprache des Direktoriums beanspruchte sie einen immer wichtigeren Ort. Zwar dominierten anlässlich von republikanischen Nationalfesten nach wie vor eher Freiheitsallegorien die offiziellen Inszenierungen;319 auffälligerweise wurde jedoch im en-tête der Regierung die ‚Freiheit‘ sinnfällig zur ‚Republik‘ umgedeutet: Die Vignette des Directoire exécutif (Abb. 9) zeigte in den späten 1790er Jahren eine weibliche Allegorie, mit der Freiheitsmütze behütet, sitzend und im Profil dargestellt. Sie stützt ihren linken Ellenbogen auf eine Stele, deren Inschrift sie identifiziert als: „République Française, Constitution de l’an III, liberté, égalité“; darunter ist ein Richtscheit (gleichschenkliges Dreieck mit Lot) abgebildet, das die Gleichheit symbolisiert. In der herabhängenden Hand hält die Republik einen Eichen- und Lorbeerkranz, Symbole der Auszeichnung, welche die Regierung – so heißt es in der offiziellen Erklärung der Allegorie – jedem Bürger entgegenbringen will, der sich in ihrem Namen hervortut. Die rechte Hand umschließt ein Ruder mit fünf Knäufen, ein Symbol für die fünf gleichberechtigten Mitglieder der neuen Exekutive.320 Neben der Frauengestalt steht ein Rutenbündel – Symbol der Einheit und, wie es im Bildkommentar heißt, der väterlichen Fürsorge der Magistrate –, gekrönt von einem Granatapfel, der als Sinnbild des 318

Vgl. Journal des hommes libres, n° 325, 1796. Die Darstellungen hatten sich bereits in der frühen Revolution immer stärker der Ikonographie Cesare Ripas angepasst. Die Iconologia war 1644 auf Französisch erschienen. Das Emblem der liberté erschien als weibliche Figur in einfacher Kleidung, ein Zepter in der rechten Hand und eine Pike mit Freiheitsmütze in der linken Hand haltend. Vgl. JURT, Joseph: Die Allegorie der Freiheit in der französischen Tradition, in: KNABEL, Klaudia, Dietmar RIEGER und Stephanie WODIANKA (Hrsg.): Nationale Mythen – kollektive Symbole, Göttingen 2005, S. 113–126, S. 118; AGULHON, Maurice: Frauendarstellungen in der republikanischen Symbolik Frankreichs, in: PRIBERSKY, Andreas und Berthold UNFRIED (Hrsg.): Symbole und Rituale des Politischen: Ost- und Westeuropa im Vergleich, Frankfurt am Main u. a. 1999, S. 209–219; JOURDAN: L’Allégorie, S. 504, sowie ebd., S. 526ff. Begleitet wurden solche Repräsentationen auf offiziellen Drucksachen häufig von französischen Nationalsymbolen wie dem Hahn oder der Trikolore. 320 Das Ruder war gemäß der vorrevolutionären ikonographischen Lehre ein Symbol der Demokratie. Vgl. AGULHON: Marianne au combat, S. 23.

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Abb. 9: Roger, Barthélemy Joseph Fulcran und Jean Claude Naigeon: En tête de page. Directoire Exécutif, eau-forte, burin, pointillé, 19 × 23,5 cm, [Paris entre 1795 et 1798].

Volkes und der Demokratie erklärt wird. Aus dieser Frucht geht die Statuette einer Siegesgöttin hervor, Ausdruck der Kraft, Einheit und des Willens des französischen Volkes selbst. Im Bildvordergrund steht ein Hahn, Symbol der Franzosen, aber auch der Wachsamkeit und des Mutes; die Frauengestalt zertritt zu ihren Füßen mehrere Ungeheuer, welche die Tyrannei symbolisieren. Sie ist darüber hinaus umgeben von Attributen der Wissenschaften und Künste, der Landwirtschaft und des Handels, die die Regierung alle zu schützen beabsichtigte. Ein Füllhorn steht für Glück und Wohlstand der Franzosen. Das Direktorium war 1795 mit dem Anspruch angetreten, die Sitten zu erneuern, den Handel wieder zu beleben, Wohlstand zu ermöglichen und Kunst und Wissenschaft zu einer neuen Blüte zu verhelfen. Alle in diesem Anspruch greifbaren Zukunftsversprechen – letztlich ein ‚republikanisierter‘ Katalog monarchischer Tugenden – werden in der Vignette deutlich symbolisiert. Um ein möglichst breites Verständnis zu erreichen, wurde eine detaillierte Beschreibung der Symbolik im offiziellen Gesetzesblatt festgehalten – denn die komplexe allegorische

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Botschaft der Vignette erschloss sich auch den Zeitgenossen keineswegs zwangsläufig.321 Gegenüber der Phase der Volksbewegung lässt sich eine graduelle Verschiebung im offiziell propagierten Wertesystem feststellen. Die Tatsache, dass sich nach und nach der sitzende Darstellungstypus verfestigte, scheint darauf hinzuweisen, dass die Republik im Zuge ihres Bestehens trotz (oder gerade wegen) aller Krisen ein stärkeres Selbstbewusstsein demonstrierte und sich nicht scheute, auch Vorbilder der traditionalen Herrscherikonographie aufzugreifen und weiterzuentwickeln. Zur gleichen Zeit wurde auch auf anderen Praxisfeldern eine genuin republikanische Symbolik gestärkt, wenn zum Beispiel im Treppenhaus des Direktorenpalastes eine Statue der Republik installiert wurde (vgl. Kapitel 2.3.1). Erst im Konsulat sollte der Republik in der Hauptstadt dauerhaft ein öffentliches Denkmal errichtet werden, welches die Idee der Siegessäule mit derjenigen der republikanischen Allegorie kombinierte. An derselben Stelle, wo zuvor lange Zeit die Freiheitsstatue gethront hatte, schloss ab 1801 eine Skulptur von Expercieux die sogenannte ‚Säule der Dankbarkeit des Vaterlandes an seine Verteidiger‘ ab: „une femme debout, couronné de lauriers, vêtu d’une tunique longue et d’un manteau. Elle est armée d’une pique et tient dans la main gauche des épis de blé, symboles de l’Abondance et de la Prospérité.“322 Verschiedene Traditionen flossen zusammen: Siegesgöttin, Friedensengel, Freiheitsallegorie und Kriegssymbolik (Minerva). Die Figur inszenierte nach außen Kontinuität; sie sah dabei großzügig über die Einschnitte und Umbrüche, die die Verfassung des Jahres VIII mit sich gebracht hatte, hinweg. Angestrebt wurde eine Demonstration republikanischer Stärke und revolutionärer Legitimität. Auffällig ist jedoch: Die Verfassung wurde in diesem Zusammenhang – entgegen früherer Traditionen – nicht visualisiert. Zusammenfassend ist festzuhalten: Nach dem Sturz der Monarchie ist im republikanischen Frankreich eine Entpersonalisierung der Repräsentation von Herrschaft zu beobachten: Die Republik stellte sich nicht über Personen, sondern über ihre zentralen Werte und Prinzipien dar. Nur dort, wo bereits die Monarchie Symbole und Allegorien der Gelehrtenkultur aufgegriffen hatte, wie im Falle des Tugendhelden Herkules, gab es Überschneidungen mit den Bildern monarchischer Repräsentation. 1792 ging es zunächst ganz konkret um die Beseitigung der Abzeichen der Monarchie: In derselben Sitzung, in der über 321

Vgl. Arrêté directorial du 4e jour complémentaire de l’an VI (10 septembre 1798), in: Bulletin des Lois n° 227. 322 Les Annales du Musée et de l’École des Beaux-Arts 1 (1801), S. 51.

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die Erneuerung des Staatssiegels abgestimmt wurde, entschied sich die Legislative auch dafür, das Bild Ludwigs XVI. auf den Assignaten sowie im Versammlungssaal des Parlaments zu ersetzen.323 In der unmittelbaren Umbruchssituation stellte noch niemand die republikanische Staatsform als solche in den Mittelpunkt der neuen Repräsentationsformen; häufiger noch wurde die ‚Nation‘ als Bezugspunkt der Autorität bemüht,324 und zur allgemeinen Visualisierung des Nouveau Régime dienten abwechselnd die Freiheitsallegorie, die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte oder die neue Verfassung. Erst im Thermidor und zur Zeit des Direktoriums entstand schrittweise eine eigene Ikonographie der Französischen Republik. Die meisten der hier behandelten Symbole und Allegorien sollten bis zum neuerlichen Regimeumbruch von 1799 weitgehend beibehalten werden. Vergleicht man den Briefkopf des Comité de Salut public und die Vignette des Directoire exécutif, so fällt eine bemerkenswerte Kontinuität hinsichtlich der Bildsprache (Allegorien der Gelehrtenkultur) und der darüber im Bild vorgenommenen Definition von Regierungsaufgaben ins Auge.325 Wertvorstellungen haben sich nur graduell verschoben. Wichtiger als ikonographische Neuerfindungen erscheint der beobachtete Umbruch auf anderem Terrain: hinsichtlich der Funktion der Zeichen im Machtkampf, ihrer Verfestigung zu offiziellen Hoheitszeichen, ihrer Instrumentalisierung und Ideologisierung in der politischen Auseinandersetzung. In den Jahren 1794 bis 1799 war das Bedürfnis nach Stabilität und ordnungsstiftender Symbolik weiter angewachsen. Das zu Beginn dieses Kapitels zitierte Rundschreiben von François de Neufchâteau zum sechsten Jahrestag der Republikgründung enthüllt vor diesem Hintergrund nicht nur die Trikolore, den Altar des Vaterlandes und den Freiheitsbaum als wichtigste Zeichen der neuen Ordnung, sondern gleichzeitig den Wunsch nach Stabilisierung 323

Cambon beantragte, das comité des assignats et monnaies solle vorschlagen, welches Bildnis zukünftig an die Stelle Ludwigs XVI. gesetzt werden sollte: „[…] présenter une effigie à mettre à la place de celle de Louis XVI, que personne ne reconnaît plus pour roi des Français.“ Charlier schlug umgehend vor, man solle das Datum „10 août 1792“ anstelle des Bildes setzen; die Versammlung beauftragte jedoch zunächst den Ausschuss mit der Angelegenheit. Ducos erinnerte im gleichen Zusammenhang daran, dass auch auf den Mauern des Versammlungssaales noch ein Bild des Königs prangte – man beschloss, dieses mit der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte zu verdecken. Vgl. Moniteur n° 230 bis, Supplément à la Gazette nationale du Vendredi 17 août 1792. 324 Zusätzlich zur Änderung des Staatssiegels im August 1792 (s. o.) wurde in der Sitzung vom 9. September auf Antrag eines Abgeordneten hin beschlossen, die Worte „scel royal“, die sich in den Notariatsakten („actes notariés“) befanden, in „sceau de la nation“ zu überführen. Vgl. Moniteur n° 254, 10 septembre 1792. 325 Vgl. so auch die Einschätzung von JOURDAN: L’Allégorie, S. 520.

2.2 Legitime Repräsentanten

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des Erreichten durch Kontrolle und Vereinheitlichung: Das Bestreben, durch Rundschreiben an die Lokalverwaltung eine landesweite Systematisierung der Autoritätszeichen zu erreichen, offenbart als Kehrseite des gesteigerten Geltungsbedürfnisses die tiefe Verunsicherung der Republikaner. Allein in der Strafandrohung und in der konfrontativen Durchsetzung der neuen Ordnung versprach man sich eine Chance auf den Erhalt der Republik. Symbolpolitik diente nach Überzeugung vieler Republikaner zu einer Versicherung und zur Garantie der Freiheit. Aus ehemaligen Protestzeichen wurden im Zuge des Regierungshandelns nach und nach ordnungspolitische Autoritätssymbole – die heftig umstritten waren, ebenso heftig wie die revolutionären Werte selbst. Als Träger komplexer politischer Ideen und Konzepte wurden die Zeichen der Macht mit einzelnen politischen Gruppierungen in Verbindungen gebracht. Sinnbilder entpuppten sich in den Augen von Andersdenkenden als Übermittler von ideologischen Botschaften und wurden für alle beteiligten Gruppen zu Waffen im Machtkampf. 2.2 Legitime Repräsentanten

2.2 Legitime Repräsentanten: Visualisierung und Inszenierung der Verfassungsorgane Staatsform und Verfassungsordnung wurden nicht nur über bildliche Darstellungen vermittelt, sondern auch in den gewählten Stellvertretern der Nation buchstäblich lebendig. Die Assemblée nationale und in ihrer Nachfolge der Konvent und die parlamentarischen Kammern des Direktoriums repräsentierten nicht nur den Souverän, das Volk, sondern genauso das Regime, als dessen Organe sie definiert waren. Bei ihren Sitzungen, über die regelmäßig in der Presse Bericht erstattet wurde, und mehr noch bei öffentlichen Auftritten, zum Beispiel im Rahmen von Festen, Staatsakten und Audienzen, wurden die Abgeordneten selbst zum Zeichen der veränderten Ordnung. Ebenso verhielt es sich mit dem Direktorium, welches als erste legitime Regierung von 1795 an über die Geschicke der Republik bestimmte. Exekutive und Legislative waren nach dem Verständnis der Zeitgenossen die wichtigsten ‚Institutionen‘ des neuen Regimes; sie übernahmen im republikanischen Repräsentationsverständnis den Platz des Königs, standen an der Spitze des republikanischen Gemeinwesens. Die Auftritte der Amtsträger wurden meist aufwendig vorbereitet und für das Publikum öffentlichkeitswirksam in Szene gesetzt. Die Debatte um die Amtstrachten spiegelt deutlich die vielfältigen Interessen wider, die sich mit diesem symbolpolitischen Instrument verbanden. Kleinster

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gemeinsamer Nenner war die Idee einer Inszenierung von Gleichrangigkeit und Legitimität. Darüber hinaus stand jedoch noch weit mehr zur Diskussion als die Festlegung von Schnittmustern und Farbgebung: Mit den unterschiedlichen Vorschlägen verknüpften sich politische Konzepte und Wertvorstellungen – diese sollten mittels einer medialen Aufbereitung, besonders über die Text- und Bildpresse, anschließend im ganzen Land verbreitet und popularisiert werden. Neben Exekutive und Legislative als politischen Gremien kann auch das ‚Volk‘, welches über Wahlen und Abstimmungen Staatsgewalt ausübte, als ‚Verfassungsorgan‘ betrachtet werden. Artikel 2 der Verfassung von 1795 legte fest: „L‘universalité des citoyens français est le souverain.“326 Gleiches gilt in einem weiteren Sinne auch für das Institut national: Artikel 298 bestimmte: „Il y a, pour toute la République, un insitut national chargé de recueillir les découvertes, de perfectionner les arts et les sciences.“ Die genaueren Bestimmungen über Aufbau und Organisation der Einrichtung wurden per Gesetz nachgeliefert. Ausdrücklich erhielt das Institut darin einen Beratungsauftrag für die Politik. Darüber hinaus diente es als Schauplatz und Bühne für Auftritte von Regierungsmitgliedern und Abgeordneten.

2.2.1 Die Amtstracht: Kennzeichnung legitimer Stellvertreterschaft Die Sichtbarkeit der neuen staatlichen Würdenträger und Instutionen sollte nach der Vorstellung vieler Republikaner durch eine gesetzlich vorgeschriebene Amtstracht unterstützt werden. Die konkrete Gestaltung dieses Kleidungsstückes war jedoch – besonders im Hinblick auf die Volksvertreter selbst – von Beginn der Revolution an politisch höchst umstritten: Erst im Brumaire IV (November 1797), im Anschluss an den Staatsstreich gegen die Royalisten, wurde ein entsprechendes Gesetz verabschiedet.327 Ein Bericht, der im Kontext der Ausarbeitung des Gesetzes für das Bureau des Beaux-Arts verfasst wurde, fasst exemplarisch die politischen und moralischen Absichten der Befürworter der Einheitskleidung zusammen. Diese seien einerseits Ausdruck der Prinzipien der Verfassung und könnten andererseits aufgrund ihrer sinnlichen Anmutungsquali326

GODECHOT, Jacques (Hrsg.): Les constitutions de la France depuis 1789, Paris 1970, S. 103. 327 Vgl. MATHIEZ, Albert: La théophilanthropie et le culte décadaire, 1796–1801. Essai sur l’histoire religieuse de la Révolution, Paris 1903, S. 197. Das Gesetz wurde am 29. Brumaire VI (19. November 1797) beschlossen.

2.2 Legitime Repräsentanten

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tät großen Einfluss auf die Menschen ausüben.328 Die Bestimmungen der Verfassung von 1795 sollten von der durch den Staatsstreich gestärkten Republik endlich umgesetzt werden. Ein republikanisches Kostüm müsse jeden ‚unmännlichen Luxus‘ vermeiden; dieser habe zu Zeiten der Monarchie zu Privilegienwirtschaft und Spaltung der Gesellschaft geführt. In der Republik solle auch die Kleidung entsprechend dem Prinzip der Gleichheit einfach gehalten werden. Gold und Silber drohten eine falsche Überlegenheit der Parlamentarier über den Rest der Bürger zu suggerieren, befand der Verfasser einer Randbemerkung zum Bericht. Dies entspreche nicht dem Geist der Verfassung, die vielmehr festlege, dass allein das naturgegebene Talent Unterschiede zwischen den Menschen begründen könne. Daher seien die Stoffe aus Wolle anzufertigen. Diese könne durch eine angemessene Farbe, Formgebung und Verzierung zu einer würdigen Amtstracht verarbeitet werden. Ähnlich wie auch schon bei den Römern oder Griechen solle Geschmack, nicht Reichtum, über die Kleidung zur Schau gestellt werden. Um den gewünschten moralischen Effekt zu erzielen, sei eine strenge („sévère“) Ausstrahlung wünschenswert. Nach der Lehre „Winkelmanns“ [sic] habe die Formgebung Einfluss auf die Ausdruckskraft: Daher seien weite Schnitte und wenige Faltenwürfe oder Draperien zu bevorzugen.329 Um sicherzustellen, dass keine Formen aus dem Ancien Régime mit solchen republikanischen Ursprungs vermischt würden, seien nur die kompetentesten Künstler zu bemühen; der Verfasser schlug namentlich Jacques-Louis David und François-Joseph Talma vor, deren republikanische Gesinnung außer Zweifel stand.330 Wünschenswert sei natürlich, dass langfristig alle Franzosen ihr äußeres Erscheinungsbild der neuen, republikanischen Ordnung anpassten. Zumindest, so beob328

„Sous le rapport politique [sic] le Costume se lie aux principes de la Constitution. Sous le rapport moral [sic] il consacre et dirige l’influence des signes sensibles dont la magie est si puissante.“ Sur les Costumes a [sic] donner aux autorités constituées et aux fonctionnaires publics qui assistent aux fêtes républicaines: Rapport, in: Paris, AN, F17 1232, dossier 3, S. 30–40, S. 31; dort auch zum Folgenden. Eine Notiz auf Seite 40 lässt darauf schließen, dass es sich um ein internes Arbeitspapier des Innenministeriums handelte, welches zwischen den Leitern verschiedener Abteilungen ausgetauscht wurde. Z. T. werden sehr konkrete Vorschläge gemacht; u. a. werden ein kommerzieller Aspekt und ein „rapport d’hygiène“ angeführt. 329 Eine weitere Randbemerkung riet darüber hinaus, rechte Winkel zu vermeiden: Auch die Natur, so heißt es, runde in der Regel scharfe Formen ab; um Natürlichkeit und Würde zu erzeugen, solle der Schnitt der Amtstrachten sich an diesen natürlichen Formen orientieren. Vgl. ebd., S. 35. 330 Auch diese Tatsache deutet auf einen Entstehungskontext im Sommer 1798 hin: Nach dem Staatsstreich von 1797 erlebten die Jakobiner einen Aufschwung und viele Ideen der Republik des Jahres II wurden erneut aufgegriffen bzw. erstmals umgesetzt.

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achtet der Verfasser, verzichteten die meisten bereits darauf, ihre Frisur zu pudern, trügen kurze Paspeln und Westen, lange Hosen und runde Hüte und Stiefel. Sollte diese Tendenz sich weiter fortsetzen, so reiche es eventuell aus, wenn die Beamten ihren Aufzug mit einem Gürtel und einem Mantel ergänzten. Die Farbe des Mantels richte sich nach der ausgeübten Funktion. Strittig erschien dem Verfasser offenbar besonders die Frage, ob und in welcher Form Federbüsche als Erkennungszeichen zu verwenden seien. In der Antike, so heißt es, habe der Federbusch den Helden, nicht den Magistraten gehört. Es erscheine daher eher sinnvoll, auf diesen zu verzichten. Visualisierung von Gleichheit sollte unmittelbar zur Praxis von Gleichheit führen. Das Dokument thematisiert die wichtigsten Aspekte der Debatte um Amtstrachten und Bürgeruniformen. Es verbanden sich mit diesen Maßnahmen pragmatische und strategische Absichten: die Notwendigkeit der eindeutigen Identifizierbarkeit der Volksvertreter, der Wunsch nach würdevoller Darstellung der Versammlung als Repräsentationsorgan, die Idee der Vorbildfunktion der Parlamentarier für die franzöische Gesellschaft sowie die Hoffnung auf Legitimitätssteigerung der Machthaber im Kampf gegen politischen Gegner. Diese Argumente tauchten von 1789 bis 1799 in unterschiedlichen politischen Kontexten immer wieder neu auf; sie wurden bekämpft von denjenigen, die in der Amtstracht ein Zeichen von Distinktion und Zwietracht sahen und Zweifel an Nützlichkeit und Wirkung einer offiziellen Kleiderordnung anmeldeten. Parallel diskutierte man – wie auch im zitierten Dokument angedeutet – über die Möglichkeit einer gesetzlichen Einführung von Bürgeruniformen. Allein die Judikative war von den Debatten ausgenommen: Im Unterschied zur Legislative war sie bereits von Beginn der Revolution an Gegenstand staatlicher Symbolpolitik gewesen. Richter sollten bereits seit 1790 eine schwarze Robe tragen; auch der runde Hut mit Feder im Stile Henri IV war keine Erfindung des Direktoriums.331 Gerichtsdiener und -angestellte erhielten eine Schärpe, Richter einen Hut. Roben waren in der Rechtsprechung auch schon vor 1789 üblich gewesen und dieser Bereich war politisch daher wohl weniger umstritten. Entstehungskontext bis zum 9. Thermidor Der Debatte um die Einführung von Amtstrachten für Parlamentarier wurde seit 1789 große Aufmerksamkeit gewidmet. Die Frage hing eng mit Problemen der Legitimität und Legitimierung der Repräsentanten 331

Vgl. WRIGLEY: The Politics of Appearances, S. 74–77; vgl. dort auch zum Folgenden.

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der neuen Ordnung zusammen. In der Vormoderne hatte Kleidung zur Kennzeichnung und Neubekräftigung von Macht und Herrschaft stets eine große Rolle gespielt.332 Diejenigen Bürger, die nun selbst in der Lage waren, diese Zeichen der Macht zu besitzen und zu gestalten, erhofften sich, darüber ähnlich wie die Herrscher des Ancien Régime das Erreichte zu befestigen und die Revolution zu beenden. Dabei musste jedoch gewährleistet sein, dass der Mythos der Revolution als Bruch mit der Vergangenheit nicht in Frage gestellt wurde: Neue Deutungsansätze und ausführliche Erklärungen erschienen notwendig, um die Funktion der Amtstrachten für die neue Ordnung zu erläutern. Kleidung stand bereits 1789 in dem Ruf, soziale und politische Hierarchien zu zementieren, die mit den Idealen einer neuen Zeit nicht vereinbar zu sein schienen. Anlässlich der Eröffnung der Generalstände hatte die Anwendung der traditionellen Kleiderordnung viel Kritik geerntet: Während sich die Abgeordneten des Ersten und Zweiten Standes in Versailles in prächtigen Farben und Stoffen präsentierten, war dem Dritten Stand ein schlichtes schwarzes Gewand verordnet worden. Mirabeau allerdings hatte dies ausdrücklich begrüßt: Im Unterschied zur Prachtentfaltung, die bei hohem Klerus und Adel zu beobachten sei, drücke die schwarze Tracht der Volksvertreter Würde und Majestät gerade über ihre Einfachheit aus. Mirabeau sah in der Einheitlichkeit der Kleidung ein Symbol der Gleichheit.333 Andere Stimmen befürworteten ein grundsätzliches Verbot jeglicher Kleiderordnung für Abgeordnete, was am 15. Oktober 1789 zur Aufhebung der Vorschriften sowie aller Unterscheidungen von Rang und Stand in den Sitzungen und Zeremonien der Nationalversammlung führte. Am 6. August 1790 wurde per Dekret jede Form von äußerlichen Zeichen und Privilegien, die sich auf das alte Geburtsrecht gründeten, verboten.334 Damit war de facto die Ständeordnung abgeschafft: Mit dem Verbot der Privilegien wurden die alten Eliten einer der wichtigsten Stützen ihrer Macht beraubt. Diese Maßnahmen, die aus dem Geist des Bruchs mit der Vergangenheit heraus ergriffen worden waren, hatten jedoch sehr profane Nebenwirkungen und Konsequenzen. So erschwerte die unterschiedliche Kleidung die Identifikation der Abgeordneten und führte zu 332

Vgl. LINNEMANN, Dorothee: Rituale der Einsetzung. ‚Äußere Formen‘, Funktionen und Bedeutung, in: Ausst.Kat. SPEKTAKEL DER MACHT, S. 68–73, S. 71f.; sowie einzelne Beiträge in: HACKSPIEL-MIKOSCH, Elisabeth und Stefan HAAS (Hrsg.): Die zivile Uniform als symbolische Kommunikation: Kleidung zwischen Repräsentation, Imagination und Konsumption in Europa vom 18. bis zum 21. Jahrhundert, München 2006. 333 Vgl. Lettre à ses commetans, 10. Mai 1789, zitiert nach WRIGLEY: The Politics of Appearances, S. 62. 334 Vgl. ebd.

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Abb. 10: Saint-Aubin, Augustin de, nach Jean Louis Laneuville: Corps législatif Conseil des Cinq-Cents, Constitution française, representant du peuple, Laneuville delin., eauforte, diam. 6 cm, [Paris entre 1795 et 1798].

Problemen bei der Einlasskontrolle zum Sitzungssaal; bereits vom 9. November 1789 an erhielten die Parlamentarier aus diesem Grund eine Art Dienstausweis (carte d’identité), die auch in der späten Revolution beibehalten wurde (Abb. 10).335 Die Frage nach der Notwendigkeit und dem Sinn der Einführung von Amtstrachten trat für kurze Zeit in den Hintergrund.336 Nach dem Systemwechsel von 1792 lebte die Diskussion wieder auf: Die republikanische Ordnung verlangte nach neuen Gesetzmäßigkeiten der staatlichen Repräsentation – und im Kontext des Krieges war das Bedürfnis nach klarer Kompetenzverteilung und rascher Durchsetzung der neuen Autoritäten besonders groß. Allerdings wurde die Debatte zunächst von den Skeptikern dominiert, die in der Auseinandersetzung über die Neuorganisation religiöser Gemeinschaften nicht nur Argumente für die Ablehnung des religiösen Ornats, sondern auch Bedenken gegenüber jeder Form der Distinktion durch Kleidung formulierten: Diese erschiene in einem Regime der Freiheit nicht zeitgemäß, korrumpiere allenfalls die Bürger und verleite sie zu Missbrauch.337 335

Die cartes für den Rat der Fünfhundert existierten in verschiedenen Farben; vgl. auch Carte des membres du Conseil des Cinq-Cents (Paris, BnF, Cartes et Cocardes, t. II., abgebildet in: LAUNAY, Edmont: Costumes, insignes, cartes, médailles des députés 1789–1898, überarbeitet und ergänzt bis 1981 von André SOUYRIS-ROLLAND, Paris 1981 (= Le Guide français des ordres, décorations et médailles) [Original: Paris 1899], S. 41). 336 Vgl. LAUNAY: Costumes, insignes, cartes, médailles, S. 14. 337 Vgl. u. a. Pierre-Anastase Torné, den damaligen Bischof von Paris, der meinte, Mitglieder religiöser Gemeinschaften sollten sich lieber durch vorbildlichen Lebenswandel und ausgezeichnete Tugenden hervortun als durch äußere Abzeichen; Torné, Pierre-

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Es waren die Jakobiner, die sich im Jahr 1794, nach dem Ausschluss der Girondisten aus dem Konvent, stark für die Einführung von Einheitskleidung aussprachen. Ihre Vordenker befürworteten nicht nur Amtstrachten, sondern auch die Idee der Bürgeruniform als Zeichen der prinzipiellen Gleichheit aller citoyens. Das Konzept der Gleichheit, für die die Amtstracht nur ein Symbol neben anderen war, wurde inzwischen freilich sehr viel weitreichender gedeutet als noch bei Mirabeau. Die Jakobiner forderten eine grundlegende Erneuerung (régénération) der Gesellschaft, die mittels Erziehung und Propaganda erreicht werden sollte. Der Kreis der Befürworter von sogenannten ‚Nationaltrachten‘ wurde in der ersten Jahreshälfte 1794 (März bis Juni) von der Société populaire et républicaine des arts dominiert, der auch JacquesLouis David angehörte. Dessen Entwürfe sollten die Weiterentwicklung des Konzeptes stark beeinflussen.338 Zur Erneuerung der französischen Gesellschaft und zum endgültigen Bruch mit den Bestimmungen des despotischen Ancien Régime, so verkündet ein vom Präsidenten der Société veröffentlichtes Pamphlet, bedürfe es einer Erneuerung der Kleidung für alle französischen Männer und Frauen. Diese sollten je nach Alter und öffentlicher Funktion im Dienste der Republik einheitliche Trachten erhalten, welche keineswegs im Gegensatz zum heiligen Prinzip der Gleichheit stünden.339 Es kamen wohl nur wenige Künstler dem Aufruf nach, Entwürfe zu entwickeln; einige testeten die Wirkung der Bürgeruniform im Selbstversuch – ohne jedoch großen Applaus zu ernten. Eine Umsetzung in größerem Stil erfolgte nur kurzzeitig für die Schüler der École de Mars. Die Öffentlichkeit betrachtete das Thema trotz dieser Initiativen mit großer Skepsis.340 Schon vor dem 9. Thermidor erschien die Amtstracht immer dann auf der Tagesordnung, wenn im Zeichen einer Krise oder eines Machtwechsels die Legitimität der neuen Ordnung fraglich erschien und

Anastase: Discours de Pierre-Anastase Torné, évêque de la métropole du Centre, sur la suppression des congrégations séculières et du costume ecclésiastique, 6 avril 1792, Paris 1792, S. 15–16. 338 Vgl. David, Jacques Louis: Entwurf einer Bürgeruniform, Feder, aquarelliert, 30,2 × 20,2 cm, Paris 1794 (Paris, Musée Carnavalet, Inv. D 7058, abgebildet in: Ausst. Kat. SPEKTAKEL DER MACHT, Kat.Nr. V.37, S. 238), sowie ders.: Entwurf einer Amtstracht, Feder, aquarelliert, 31,1 × 22 cm, Paris 1794 (Paris, Musée Carnavalet, Inv. D 7059, abgebildet in: Ausst.Kat. SPEKTAKEL DER MACHT, Kat.Nr. V.38, S. 238). In der Société bevorzugte man als Bürgeruniform ein ‚gallisches Kostüm‘, welches man als ‚natürlicher‘ empfand. Vgl. WRIGLEY: The Politics of Appearances, S. 79. 339 Vgl. [Bienaimé, Président, Wicar, Secrétaire:] Considérations sur les avantages de changer le costume français par la société populaire et républicaine des arts, [Paris] o. J. 340 Vgl. WRIGLEY: The Politics of Appearances, S. 79.

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Stabilisierung besonders dringlich herbeigesehnt wurde. Am 11. Juli 1792, im Kontext der Debatte um das ‚gefährdete Vaterland‘, beschloss schon die Assemblée législative, Beamte der Kommunal- und Departementverwaltungen sowie Generalstaatsanwälte mit Ehrenzeichen auszustatten, um eine bessere Sichtbarkeit und erhöhten Respekt gegenüber den Staatsdienern zu erreichen.341 1793 wurden Abgeordnete des Konvents kommissarisch in die Departements und zu den Armeen entsandt, um gegenrevolutionäre Tendenzen zu bekämpfen. Nur diese Armeekommissare (représentants du peuple aux armées) trugen bereits vor dem 9. Thermidor eine ‚parlamentarische‘ Amtstracht: eine blauweißrote Schärpe um die Hüfte und einen Hut mit dreifarbigen Federn und goldgestreifter Borte.342 Bis zum Sommer 1794 wurden jedoch nur 225 Trachten ausgeliefert; auch ein Entwurf Davids für eine elegantere Ausführung343 wurde wohl nicht realisiert. 1794 war es zwar gelungen, die Krise des vergangenen Sommers mit den Instrumenten der Terreur zu beenden, doch mangelte es der Herrschaft der Jakobiner an Legitimität für ihre Vorgehensweise. In diesem Kontext sollte der Konvent als Gremium, welches die Entscheidungen des Wohlfahrtsausschusses zumindest stillschweigend gebilligt hatte, öffentlich aufgewertet werden. Für alle Abgeordneten wurde im Vorfeld des Festes des Höchsten Wesens Einheitskleidung zur Vorschrift gemacht. Per Dekret beschloss der Konvent drei Tage vor dem Fest, alle Abgeordneten sollten nach Vorbild der Armeekommissare einen Federbusch am Hut und einen Gürtel in den Farben der Trikolore tragen; allein auf den Säbel könne verzichtet werden, da ein ziviles, kein militärisches Amt ausgeübt werde.344 Barère begründete stellvertretend für den 341

Vgl. ebd., S. 77. Diese wurde verschiedentlich auch im Bild festgehalten, vgl. u. a.: [Non-identifié]: JeanBaptiste Milhaud, huile sur toile, 117 × 90 cm, 1793 (Vizille, Musée de la Révolution française, Inv. D 1991-14, abgebildet in: BORDES/CHEVALIER: Catalogue, Kat.Nr. 22, S. 109); Duflos, Pierre: Costume d’un Représentant du Peuple Français près les Armées de la République, institué par la Convention Nationale, l’An Ier de la Répub[li]que 1793 (V[ieux]. S[tyle].) Dessiné d’après nature sur les lieux, kolorierter Kupferstich, 12 × 8 cm, 1795 (Vizille, Musée de la Révolution Française, Inv. L86-189-6, abgebildet in: BORDES/CHEVALIER: Catalogue, Kat.Nr. 22b, S. 108); außerdem LAUNAY: Costumes, insignes, cartes, médailles, S. 25. Nach dem Dekret vom 4. April 1793 wurde diese Ausstattung ab dem 30. April üblich; dazu WRIGLEY: The Politics of Appearances, S. 79. 343 Vgl. David, Jacques Louis: Costume d’un représentant du peuple pendant la Révolution, aquarelle, plume, encre grise, pierre noire, 13,0 cm × 9,6 cm (Paris, Musée du Louvre, Inv. RF 4611, Recto). 344 „Le comité vous propose de décréter que les membres de la Convention assisteront à la fête nationale de l’Etre suprême, le 20 prairial, avec le costume des représentants du peuple près les armées ou dans les départements, quelle que soit la couleur de l’habit, 342

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Wohlfahrtsausschuss die Entscheidung als notwendige Kennzeichnung der Abgeordneten als Beamte (fonctionnaires) der neuen Ordnung, nach dem Modell der anderen autorités constituées: „Les administrations, les tribunaux, les justices de paix, les commissaires de police, tous sont désignés au peuple comme attachés à tel devoir, à telle fonction, et tous portent, sous diverses formes, les couleurs chéries de la liberté.“345 Die Konstituante und Legislative wurden für ihre ablehnende Haltung kritisiert: Erstere, so Barère, hätte de facto lange noch die erniedrigende Kleiderordnung der Generalstände beibehalten, Letztere habe die Einführung einer Litze („cordon“) diskutiert, eine Idee, welche noch stark unter dem Einfluss des ‚Firlefanz‘ („hochets“) der königlichen Symbolpolitik gestanden habe. Wenn sich der Wohlfahrtsausschuss des Themas annehme, gehe es um nicht weniger als um eine ‚Gesetzgebung für die Sinne‘, denn Kleidung sei Ausdruck der ‚äußeren Sitten der Völker‘.346 Um der Vorschrift Folge zu leisten, zum Festakt einheitlich zu erscheinen, wurde ein Provisorium eingeführt: Hut und Schärpe ersetzten zunächst eine alltägliche Amtstracht, an der nach Aussage Barères noch gearbeitet wurde. Der Konvent trat als geschlossene Körperschaft in Erscheinung, wie auch die nachträglichen Darstellungen des Festes erkennen lassen.347 Damit war durchaus auch die Idee einer Hervorhebung der Abgeordneten verbunden. Das Volk, in Paris vertreten durch Sektionsabgeordnete, empfing seine Gesetzgeber auf dem Festplatz erst, nachdem alle Vorbereitungen erledigt waren. Der Konvent, so hieß es, werde sich ‚dem Volke zeigen‘, der Präsident auf einer erhöhten Tribüne Platz nehmen – so wie Monarchen sich im Ancien Régime bei ähnlichen

c’est à dire avec le panache au chapeau et la ceinture tricolore: le sabre est inutile dans les fonctions qui ne sont pas militaires.“ Moniteur n° 259, 19 prairial II (7. Juni 1794). 345 Ebd. 346 „Ce n’est pas le moment de motiver ici l’influence des costumes nationaux; ce sont les moeurs extérieures des peuples, c’est dans un rapport que nous ferons bientôt sur cet objet, qui ne paraît frivole qu’aux hommes légers qui n’ont jamais calculé les effets de la législation des sens, que nous développerons quel costume peut convenir à nos mœurs, à notre gouvernement, à notre climat.“ Ebd. 347 Vgl. u. a. die Ankunft der Abgeordneten am Fuße des Berges inmitten des Marsfeldes: [Non-identifié]: Vue de la montagne elevée au Champ de la Réunion, eau-forte, burin, 25,5 × 39,5 cm, Paris [1794] (Paris, BnF, Coll. De Vinck, Inv. 6299). Das Fest des Höchsten Wesens war somit ein wichtiger Katalysator symbolpolitischen Handelns. Bereits 1790 hatte das Föderationsfest ähnlich beschleunigende Wirkung – für die Uniformierung der Nationalgarde. Vgl. DEVOCELLE, Jean-Marc: Costume politique et politique du costume. Approches théoriques et idéologiques du costume pendant la Révolution française, 2 Bde., Mémoire de maîtrise, Université de Paris I, 1988 [= Unveröffentlichte Qualifikationsschrift], S. 74–76.

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Anlässen in der Öffentlichkeit präsentiert hatten.348 Anschließend bildeten die Parlamentarier das Herzstück der geordneten Prozession von den Tuilerien zum Marsfeld: Zwei parallel geführte Reihen schritten voran, Männer auf der einen, Frauen auf der anderen Seite. Ein Bataillon junger Männer folgte ihnen; anschließend die Sektionen in alphabetischer Reihenfolge. Die Abgeordneten schritten ‚inmitten des Volkes‘, umringt von Symbolen der vier Lebensalter. Zusätzlich zu ihrer Amtstracht trugen sie einen Strauß aus Ähren, Blumen und Früchten, als Zeichen, dass sie sich um Prosperität und Wohlstand für Frankreich bemühen wollten. Diese Symbolsprache wurde nicht von allen Mitgliedern des Konvents gleichermaßen begrüßt. Kritiker meldeten sich jedoch erst nach dem 9. Thermidor zu Wort; zunächst einmal überzeugte der Vorschlag Barères ohne Widerspruch bei der Abstimmung. Die Debatte um die Amtstrachten für Parlamentarier im Thermidor und im Directoire Nach dem 9. Thermidor dominierten zunächst die Gegner der Amtstrachten die Debatte. Diese wurden als Projekt der Montagnards und Ausdruck der Eitelkeit Robespierres denunziert. Ähnlich wie die Gegenrevolutionäre der ersten Stunde, die ‚Aristokraten‘, hätten auch die Jakobiner über Kleidung ihre Vorherrschaft sichern wollen. Die Amtstracht diente erneut als Projektionsfläche zur Anprangerung der Missstände des Vorgängerregimes. Thibaudeau fasste am zweiten Tag der Sansculottiden des Jahres II (18. September 1794) die Bedenken der Thermidorianer prägnant zusammen: J’ai pensé que, pour mettre la représentation nationale en costume, il fallait au moins son approbation. Je me souvenais que ce costume a toujours été un des prétextes de l’aristocratie; lorsque, dans l’Assemblée législative, le parti royaliste voulut une décoration particulière pour les députés, les patriotes énergiques s’y opposèrent avec force. Dernièrement, dans la fête que Robespierre avait consacrée moins à l’Etre suprême qu’à lui-même, le costume fut encore une occasion de flatter sa basse vanité. Les représentants du peuple n’ont pas besoin de costume; je dis plus, ils ne doivent pas en avoir.349

Allerdings, so Thibaudeau weiter, erscheine eine Kennzeichnung von Amtsträgern der Exekutive, vor allem der Verwaltungsbeamten in der Provinz, durchaus sinnvoll. Auch die représentants en mission, also die348

Vgl. Plan de la fête à l’Etre suprême, qui doit être célébrée le 20 prairial, proposé par David, et décrété par la Convention nationale, in: Moniteur n° 259, 19 prairial II (7. Juni 1794). 349 Moniteur n° 326, 2e sansculottide II (18. September 1794).

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jenigen Abgeordneten, die Aufgaben der Exekutive übernähmen, fielen in diese Kategorie.350 Ein Erkennungszeichen („marque distinctive“) könne zur Ausübung ihrer Tätigkeiten nützlich sein, indem es Autorität anzeige und Respekt einflöße. Erstmals wurde der Unterschied in den Funktionen von Exekutive und Legislative betont und als Argument in der symbolpolitischen Debatte verwandt. Vielleicht wäre es bei diesen Bestimmungen geblieben, hätten nicht die Aufstände von Germinal und Prairial des Jahres III (April/Mai 1795) erneut einen ganz pragmatischen Wunsch nach einer besseren Kennzeichnung der Parlamentarier entstehen lassen. Während der Erhebung waren Aufständische und Abgeordnete im Saal kaum zu unterscheiden gewesen; es mehrten sich die Stimmen, die eine klarere Kennzeichnung der Volksvertreter befürworteten. Daraufhin wurde beschlossen, dass der Konvent sich zukünftig nur noch in Amtstracht und bewaffnet versammeln solle.351 Beim Festakt zum Gedenken an den ermordeten Abgeordneten Féraud, am Jahrestag des Ausschlusses der Girondisten aus dem Konvent, wurde diese Neuerung erstmals öffentlichkeitswirksam in Szene gesetzt. Trouvé lobte in seinem Bericht das eindrucksvolle ‚Schauspiel der Zeichen‘; die Einheitskleidung der Abgeordneten habe Ordnung und Regelhaftigkeit ausgestrahlt, wodurch das Vertrauen in die Versammlung und ihren inneren Zusammenhalt gestärkt werde.352 Der Amtstracht wurde eine neue Funktion verliehen: Vom Ausdruck der Eitelkeit Robespierres avancierte sie zum Bollwerk gegen neue Anmaßungen und Fraktionskämpfe innerhalb der Versammlung. Trouvé sprach den Zeichen eine wirklichkeitsverändernde Bedeutung zu: Die Trachten hätten den Abgeordneten Selbstachtung gegeben – diese sei wichtig, um auch ihren Entscheidungen Würde zu verleihen und zur Anerkennung zu verhelfen.353 Aus einer pragmatischen Kennzeichnung sollte ein dauerhaftes Symbol werden. Der 369. Artikel der im August verabschiedeten Verfassung des Jahres III (1795) schrieb für alle Parlamentarier und hohen Staatsbeamten bei der Ausübung ihrer Amtsgeschäfte das Tragen einer Amtstracht oder eines anderen Autoritätszeichens vor.354 Dies war eine entscheidende Neuerung gegenüber allen vorangegangenen Formen re350

Vgl. zum Aufgabenbereich dieser représentants: BIARD, Michel: Missionnaires de la République: les représentants du peuple en mission (1793–1795), Paris 2002. 351 Vgl. Antrag von Legendre im Moniteur n° 246, 6 prairial III (25. Mai 1795), CN, suite de la séance du 1 prairial. 352 Vgl. Moniteur n° 258, 18 prairial III (6. Juni 1795), CN, séance du 14 prairial. 353 Vgl. ebd. 354 „Titre XIV: Dispositions générales. […] Article 369. – Les membres du Corps législatif, et tous les Fonctionnaires publics, portent, dans l’exercice de leurs fonctions, le costume

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publikanischer Repräsentation: Die staatlichen Funktionseliten sollten sich in ihrem Auftreten von den anderen Bürgern unterscheiden; eine schon in der frühen Neuzeit übliche Form der Distinktion, die zwischen Amt und Person trennte, wurde weiterentwickelt und konsequent in den Dienst der Republik gestellt.355 Das Comité d’instruction publique, namentlich der symbolpolitisch erfahrene Abbé Grégoire, wurde mit der Abfassung eines Berichts betraut, der als Grundlage der Ausführungsgesetze dienen sollte.356 Barailon stellte Ende August vor der Versammlung des Konvents nochmals ausdrücklich klar, es gehe darum, ein wirksames Zeichen der Macht und Größe der französischen Nation zu entwickeln, welches zu Respekt für deren Repräsentanten aufrufe und Autorität durchzusetzen helfe. Die Amtstracht wird als Instrument politischen Handelns erläutert; Barailon sprach von ‚Wirksamkeit‘, als handle es sich um ein sicheres Heilmittel gegen die Autoritätskrise. Nach einer zusammenfassenden Rückschau auf die Geschichte der Amtstrachten optierte er allerdings abschließend für eine Minimallösung: Einzelne Zeichen versprächen dieselbe Wirkung, wenn nicht sogar einen größeren Effekt als ein aufwendiges Ornat.357 Auch der Berichterstatter Grégoire betonte, Amtstrachten seien ein wichtiger Teil der staatlichen Symbolik, indem sie Gefühle und Ideen weckten und sich über den unmittelbaren sinnlichen Eindruck der Vorstellungskraft der Bürger bemächtigten. Der Vorwurf, solche Trachten beförderten neue soziale Hierarchien, indem sie Distinktion betrieben und Eitelkeit schürten, wurde Grégoire zufolge leicht durch die großen Vorteile aufgewogen, welche die Maßnahme mit sich brächte. Das Gesetz erhalte mittels der Trachten einen ‚sinnlichen Charakter‘: En adoptant un costume pour les dépositaires de l’autorité publique, vous rentrez dans l’usage de presque tous les peuples anciens et modernes. Quoiqu’une décoration distinctive puisse quelquefois alimenter l’orgeuil et

ou le signe de l’autorité dont ils sont revêtus: la loi en détermine la forme.“ Vgl. GODECHOT: Les constitutions de la France, S. 141. 355 Grégoire spricht in seinem Rapport von der „dignité du costume“, die der „majesté nationale“ entspreche. Vgl. Grégoire: Rapport et projet de décret. Der Bericht war zunächst für den 28. Fructidor geplant, wurde aber erst am 29. vor dem Konvent gehalten. 356 Vgl. ebd.; u. a. abgedruckt in Procès-verbaux du Comité d‘instruction publique, Bd. 6, sowie in DELOCHE, Bertrand und Jean-Michel LENIAUD (Hrsg.): La Culture des sansculottes. Le premier dossier du patrimoine 1789–1798, Paris und Montpellier 1989, S. 295–303. Dazu auch DEVOCELLE: Costume et citoyenneté, S. 313–332. 357 Vgl. Barailon, Jean-François: Projet sur le costume particulier à donner à chacun des deux conseils législatifs, et à tous les fonctionnaires publics de la République française, présenté à la Convention nationale, 13 Fructidor an III (30. August 1795), Paris 1795.

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seconder l’ambition d’un individu, ils n’ont pas cru que cet inconvénient pût jamais balancer l’avantage d’assurer à la loi, qui est un être moral, le respect qui lui est dû, en la personnifiant, pour ainsi dire, par un caractère sensible dans ceux qui en sont les organes.358

Ähnlich wie in Bezug auf die Freiheitsbäume unterstellte Grégoire auch im Hinblick auf die Amtstrachten einen inneren Zusammenhang zwischen der Schauseite des Zeichens und dem Wesen der repräsentierten Institutionen: Zur Zeit der Terreur habe aufgrund der Vernachlässigung der Kleidung die Würde des Konvents abgenommen; erst nach dem Sturz des Tyrannen habe man auf den Weg der Tugend zurückgefunden.359 Der Vorteil der Amtstracht, so fasste er zusammen, bestehe gerade in ihrer doppelten Wirkung: Einerseits kennzeichne sie den Staatsdiener bei der Ausübung seines Amtes, andererseits verkörpere sie die übergeordnete soziale und politische Idee des Repräsentationsprinzips sowie die Herrschaft des Rechtes.360 Die Vorwürfe der Kritiker wurden aufgenommen, um sie im gleichen Zuge zu entkräften. Die Amtstracht sei ein Mittelweg zwischen sinnloser Etikette und gefährlicher Eitelkeit. Sie sei die Antwort auf das Bedürfnis der Menschen nach ‚Ordnung‘, ohne dass sie neue ‚Idole‘ hervorbringe.361 Damit griff der Berichterstatter wohl das wichtigste Stichwort auf, welches nach dem Ende der Terreur und angesichts der erneut auflebenden Fraktionskämpfe die Politik beschäftigte: Symbole galten in der Debatte als wichtiges Mittel, um Ordnung zu realisieren. Der Bericht war keineswegs frei von machtpolitischen Tönen. Ähnlich 358

Grégoire: Rapport et projet de décret, S. 2. Athen und Rom dienten als Vorbilder bei der Verwendung solcher Zeichen der Würde („dignité“) der Magistraten. Grégoire bedauerte, dass die einheitliche Kleidung der Abgeordneten des Dritten Standes bei den Generalständen bzw. in der Nationalversammlung aufgegeben worden sei. Die Eröffnungssitzung in Versailles habe 1789 bewiesen, welche Emotionen durch einheitliche Kleidung ausgelöst werden könnten. Den Kleidungsstil der Sansculotten verurteilte er aufs Schärfste; ebd. 359 „[…] mais l’Assemblée constituante eut le tort de ne pas en substituer un [costume] qui fût commun à ses membres. Dès-lors s’affoiblit la dignité de ses séances; le mal empira jusqu‘à l’époque où les tyrans qui opprimoient la Convention nationale mirent presque la propreté, la décence au rang des crimes contre révolutionnaires et se firent un mérite d’afficher jusque dans leur costume le mépris de la pudeur. Ils ont épuisé l’immense série des crimes, des vices et des sottises; il n’y a plus rien de neuf que dans le genre des vertus, et par lassitude de tout ce qui révolte les ames honnêtes autant que par amour des principes, on est revenu à ce qui est beau, à ce qui est bon.“ Ebd., S. 3. 360 Vgl. ebd., S. 3f. 361 „Un peuple libre ne veut pas d’idole, mais en tout il veut l’ordre, les bonnes mœurs, la justice: il s’honore, il se respecte lui-même, en honorant, en respectant ses législateurs, ses magistrats, c’est à dire, son ouvrage.“ Ebd., S. 4.

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wie bei Barailon hieß es, dem Ausland müsse eine „grande idée de la République“ vor Augen geführt werden; besonders bei diplomatischen Treffen im In- und Ausland sei wünschenswert, mehr Glanz („éclat“) zu vermitteln.362 Der Vorschlag, nur französische Stoffe zu verwenden, spiegelt protektionistisches bis nationalistisches Gedankengut. Grégoire unterschied vier Kategorien von Staatsdienern: corps législatif, pouvoir exécutif, corps administratif und pouvoir judiciaire. Die jeweilige Kleidung sollte den Bedürfnissen und Tätigkeiten des Amtes entsprechend gestaltet werden: Während die Gesetzgeber meist säßen und daher auch lange Gewänder tragen könnten, bräuchten die Verwaltungsbeamten flexiblere Schnittmuster, die sie bei der Ausübung ihrer Tätigkeit unterstützten und nicht behinderten. Vier verschiedene Grundtypen von Trachten, zu denen jeweils weitere Untergruppen gebildet werden könnten, die sich stark ähnelten, versprachen die Bedürfnisse sinnvoll zu befriedigen.363 Die Bürgeruniform war nur als Zukunftsvision Gegenstand des Berichts, insofern, als der Amtstracht für die Volkskleidung eine Vorbildfunktion zugesprochen wurde.364 Die Amtstracht sei sinnlicher Ausdruck der ‚Majestät der Nation‘: „[…] la législature, par la gravité du maintien de la dignité du costume, retracera la majesté nationale, tandis que par les lois sages elle parlera à la raison du Peuple français.“365 Graphische Entwürfe zur Ausgestaltung begleiteten auch diese Debatte (vgl. für den Rat der Alten Abb. 11). Erst Ende Oktober, kurz vor der Auflösung des Konvents, wurde Grégoires Gesetzesentwurf verabschiedet – unter dem Eindruck eines weiteren Aufstandes (vom 13. Vendémiaire, 4. Okober), der den Abgeordneten erneut vor Augen geführt hatte, wie fragil ihre Machtposition war. In diesem Kontext waren auch Skeptiker eher dazu bereit, das Experiment zu wagen. Auf den ersten Blick ging es in der anschließenden Debatte sicherlich auch um Kleinlichkeiten: Defermon gab zu bedenken, die Amts362

„Par exemple, un ambassadeur n’est-il pas un fonctionnaire public? Il importe de donner aux nations étrangères une grande idée de la république. Dernièrement à Constantinople, tous les yeux ont été frappés de la marche imposante et du cortège du ministre français allant à l’audience du sultan; tous les journaux de l’Europe ont fait retenir cette nouvelle. Un costume spécial pour l’agent diplomatique eût peut-être encore ajouté à l’éclat de la cérémonie; cependant nous avons cru devoir attendre vos ordres avant de rien proposer à cet égard.“ Ebd. 363 Vgl. ebd., S. 4–6. 364 Ähnlich wie bereits in den Überlegungen der Société Populaire et Républicaine des Arts ein Jahr zuvor angeklungen, verurteilte auch Grégoire die alten Kleidungsgewohnheiten der Franzosen als ungesund und unzeitgemäß. 365 Ebd., S. 5.

2.2 Legitime Repräsentanten

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tracht dürfe in keinem Fall lästig („embarrassant“) sein: Ein Frack aus blauem Tuch, mit Kragen und bestickten Aufschlägen, erscheine ihm angemessen; dieser Aufzug erlaube, direkt nach den Sitzungen zu anderen Geschäften zu gehen.366 Selbst Barailon wies darauf hin, bei allem Streben nach ‚Würde‘ und ‚Ordnung‘ erschiene es dennoch sinnvoll, eine Kleidung zu entwerfen, die man je nach Belieben an- oder ablegen könne. Boissier, einer der größten Gegner jeder Orientierung an griechischen Vorbildern, berief sich auf das Klima, welches in Frankreich doch vollkommen anders als im Süden Europas sei, um anschließend selbstbewusst für eine ‚französische‘ Symbolpolitik zu werben, die an die Abb. 11: Maillart, Philippe Joseph: Membre du traditionelle Farbsymbolik an- Conseil des Anciens, gravure coloriée, [Bruxelles, entre 1796 et 1799]. knüpfen könnte, wenn Exekutive und Legislative in Purpurrot und Tiefblau gekleidet würden.367 Boissier war es auch, der im Namen des Erziehungsausschusses kurze Zeit später der Versammlung den Entwurf für eine ‚französisch geschnittene Tracht‘ („habit français“) präsentierte: „Ce serait une veste et une culotte blanches, habit gros bleu croisant sur la poitrine, manteau écarlate, descendant jusqu’au genou.“368 Dieser Vorschlag, der 366

Vgl. Moniteur n° 33, 3 brumaire IV (25. Oktober 1795), CN, séance du 28 vendémiaire. „On pourrait donner au corps législatif et au pouvoir exécutif la couleur à laquelle on attache le plus d’idée de la suprême puissance, la couleur pourpre, par exemple, ou bleu foncé. On pourrait choisir pour les administrateurs, le bleu clair; pour les fonctionnaires en sous-ordre, le lilas ou toute autre couleur qui se rapprocherait le plus du bleu. On pourrait conserver au corps législatif l’écharpe tricolore; décoration qui rappellerait sans cesse les beaux jours des triomphes de la république sur ses ennemis. Les juges pourront aussi conserver le ruban en sautoir avec le costume qui leur est assigné.“ Ebd. 368 Moniteur n° 42, 12 brumaire IV (3. November 1795), CN, suite de la séance du 3 brumaire [zitiert nach: RAM]. 367

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zumindest in seiner Farbgebung ebenso wie das Projekt Grégoires ein eindeutiges Bekenntnis zur Nation bedeutet hätte, wurde jedoch abgelehnt. Erneut sollte die Debatte ganz offenkundig als Stellvertreter zur Austragung anderer, politischer Konflikte herhalten. Hardy warf ein, Boissier schlage einen jakobinischen Aufzug vor („un habit de Jacobin“); Chénier sprach – wohl in ähnlicher Zuordnung – von einer Art militärischer Uniform („l‘espèce d’uniforme militaire qu’on vous propose“). Um den Vorschlag zu diskreditieren, verglich er ihn mit der Kleidung des Pantalone in der italienischen commedia dell’arte – und qualifizierte ihn damit als der Ehre der Versammlung unwürdig. Es wurde daran erinnert, dass auch Grégoires Projekt eine große Bequemlichkeit verspreche. Vor allem gehe es doch um eine Frage des Prestiges, welches allein durch die Inspiration an der Antike gewährleistet zu sein schien. Die Formulierung, man müsse auch daran denken, in Stein und Öl verewigt zu werden, entlarvt sicherlich einerseits die persönliche Eitelkeit des Redners, zeugt aber andererseits auch von einem gewissen Selbstbewusstsein der Republikaner, die sich nicht scheuten, an den Vorbildern der politischen Kultur der Antike gemessen zu werden.369 Ironischerweise sollten die wenigen Kunstwerke, welche die Volksvertreter in ihren Roben in Öl visualisieren, schließlich ihren Sturz zeigen – anlässlich der Sitzung vom 18. Brumaire VIII (9. November 1799). Das Bild des Ballhausschwures hingegen, welches Chénier aufgrund seiner Ungeordnetheit kritisierte, wurde gerade aufgrund der darin aufscheinenden Dynamik zu einer Ikone des Umbruchs. Der am 20. Juni 1789 abgelegte Eid, nicht eher auseinanderzugehen, bevor Frankreich eine Verfassung habe, verbürgte in seiner Gleichzeitigkeit stärker noch als die einheitliche Kleidung es gekonnt hätte, einen gemeinsamen Willen. Immerhin kam es im Oktober 1795 zur Beschlussfassung. Das Gesetz wurde nach den Vorstellungen Grégoires, also von klassischen Vorbildern inspiriert, verabschiedet: ein langes weißes Gewand mit blauem Gürtel und rotem Mantel und blauer Kopfbedeckung für den Rat der Alten; ein blauviolettes Gewand mit rotem Gürtel, weißem Mantel und blauvioletter Kopfbedeckung für den Rat der Fünfhundert.370 Da den Abgeordneten angesichts der im ganzen Land bestehenden Lieferschwierigkeiten klar war, dass die Anfertigung einige Zeit in Anspruch nehmen würde, beschloss man sofort auch eine Übergangsregelung: Provisorisch sollten die Mitglieder des Rates der Fünfhundert eine Schärpe um die Hüften, die Mitglieder des Rates der Alten eine um die Schultern tragen. Alle Parlamentarier waren darüber hinaus an ihrem 369 370

Vgl. ebd. Vgl. ebd.

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Hut erkennbar, der mit einem zweiten, kleineren Schal und einem Federbusch in den Nationalfarben geschmückt war.371 Diese Bestimmungen sollten so lange in Kraft bleiben, bis ein neues Gesetz verabschiedet würde. Angesichts der andauernden Meinungsverschiedenheiten wurde aus der Übergangslösung schnell die Regel. Zu heikel erschien es, durch die Umsetzung der von Grégoire inspirierten Beschlüsse die Debatte erneut anzuheizen. Neuauflage des Gesetzes im Krisenjahr 1797 Am 12. Nivôse V (1. Januar 1797) schlug Barailon im Namen einer eigens zu diesem Zweck eingesetzten Kommission vor, sich des Themas erneut anzunehmen.372 De facto hätte der angefügte Gesetzesentwurf eine Reform des Beschlusses von 1795 bedeutet: Die Kleidung der Parlamentarier wurde ihrer antiken Dimension beraubt und konsequent ‚französisch‘ zugeschnitten, gemäß der aktuellen Herrenmode; außerdem sollten sehr viel hochwertigere Stoffe verwendet werden, ein Luxus, der mit den ursprünglichen Vorstellungen Grégoires kaum vereinbar war.373 Erst nach dem Staatsstreich gegen die Royalisten kam es im Anschluss an einen weiteren Bericht durch Calès im November 1797 zur neuerlichen Beschlussfassung:374 Die Räte entschieden sich für einen ‚französischen Frack‘ (ähnlich wie bereits 1794 von Boissier vorgeschlagen, nun aber mehrheitsfähig) in blauer Nationalfarbe, zweireihig und über das Knie reichend. Die Hüfte sollte mit einer golden eingefassten blauweißroten Seidenschärpe umschlungen werden; darüber war ein dunkelroter Wollmantel nach griechischem Vorbild („à la grecque“) vorgesehen, verziert mit Stickereien; ein samtenes Barrett mit 371

Vgl. ebd. Art. III des Gesetzes. Vgl. Moniteur n° 105, 15 nivôse V (4. Januar 1797), CCC, séance du 12 nivôse; Journal des hommes libres n° 88, 13 nivôse V (2. Januar 1797), séance du 12 nivôse. Dazu auch WRIGLEY: The Politics of Appearances, S. 82. Erneut war es der Hinweis auf die ‚Macht der Zeichen‘ („le pouvoir des signes“), welcher den Vorstoß rechtfertigte. 373 „Les membres du corps législatif porteront le chapeau noir, relevé d’une ganse [oder gance] d’or; la redingotte de drap bleu, brodée en soie, avec paremens de soie cramoisie, brandebourg d’argent; houpelande longue, par-dessus la ceinture tricolore, et le chaperon d’hermine.“ Journal des hommes libres n° 88, 13 nivôse V (2. Januar 1797), séance du 12 nivôse. 374 Calès, der als Mitglied der commission des inspecteurs de la salle selbst am Staatsstreich beteiligt gewesen war, hatte seinen Bericht bereits am 27. Fructidor (13. September), d. h. wenige Tage nach dem Staatsstreich gegen die Royalisten, vorgelegt; die Abstimmung erfolgte jedoch erst im November. Vgl. Moniteur n° 364, 4e jour complémentaire V (20. September 1797), CCC, séance du 27 fructidor. Zu Calès vgl. Art. Calès, J. M., in: BIOGRAPHIE NOUVELLE DES CONTEMPORAINS ou dictionnaire historique, Bd. 3, S. 29f. Der Abgeordnete hatte sich schon im Konvent als Erziehungsexperte qualifiziert. 372

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dreifarbiger Feder rundete die Einheitskleidung ab.375 Die Bestimmungen des Gesetzes vom 3. Brumaire IV (25. Oktober 1795) wurden damit außer Kraft gesetzt. Nicht nur die Fünfhundert, auch der Rat der Alten sollte in senatorischem Rot eingekleidet werden, denn dies sei ein ‚Symbol der Souveränität‘.376 Offensichtlich hatte die Exklusivität der Farbe zu Unmut in den Reihen derjenigen geführt, denen sie verwehrt wurde. Die Toga wurde als unpraktisch und unüblich verworfen, zumal sie an Priestergewänder erinnere. Auch wandte Martinel ein, die ursprünglich für die Anciens vorgesehene weiße Toga wäre zu schmutzanfällig gewesen. Der Einheitsgedanke war durch die Revision nochmals verstärkt worden: Durch die einheitlich roten Mäntel waren die Räte als zusammengehörige Institutionen erkennbar. Der Kompromiss blieb jedoch fragil.377 Die neue Tracht sollte eigentlich bereits anlässlich der Eröffnungszeremonie am 2. Pluviôse VI (21. Januar 1798) im neuen Sitzungssaal der Fünfhundert im Palais Bourbon getragen werden; die Mäntel wurden jedoch erst zum 1. Ventôse (19. Februar) geliefert.378 Nach der ersten Sitzung in der neuen Kleidung urteilte der Moniteur, die Amtstracht erinnere an Ornate von Hohepriestern, die der Autor im Theater gesehen habe379 – was als Kompliment gemeint war: Auch wenn das Rot die Augen auf Dauer ermüde, habe die Tracht etwas Respekteinflößendes und ‚Senatorisches‘ an sich. Von der ursprünglich erzieherischen Wirkung für das Volk ist in dem Artikel jedoch keine Rede mehr – eher klingt es so, als wolle der Autor den Abgeordneten Mut machen, sie könnten dank der Amtstracht langfristig vielleicht doch noch den ihnen zustehenden Respekt erreichen: „Plus nos législateurs se familiariseront avec cet habit, plus ils se l’approprieront, et plus ils sentiront qu’il leur donne cette dignité et cette noblesse des grandes choses que les anciens possé375

Martinel präsentierte diesen Vorschlag im Namen der commission des inspecteurs. Vgl. Moniteur n° 64, 4 frimaire VI (24. November 1797), CCC, séance du 29 brumaire. 377 Trotz aller Kompromisse versuchten die Gegner der Amtstrachten die Abstimmung zu verhindern, wenn auch ohne Erfolg. Dank Barailon, Garnier und Lamarque wurden die Bestimmungen angenommen. 378 Unglücklicherweise wurden die Stoffe – entgegen den ausdrücklichen Bestimmungen des ersten Gesetzes – aus dem Ausland geliefert und in Lyon konfisziert. Vgl. Moniteur n° 123, 3 pluviôse VI (22. Januar 1798), CA, séance du 27 nivôse, sowie Moniteur n° 126, 7 pluviôse VI (24. Januar 1798), CCC, suite de la séance 28 nivôse. Waren aus England waren seit dem Gesetz vom 10. Brumaire V verboten. Vgl. LAUNAY: Costumes, insignes, cartes, médailles, S. 39, sowie WRIGLEY: The Politics of Appearances, S. 82. 379 Vgl. Moniteur n° 153, 3 ventôse an VI (21. Februar 1798): „Ce vêtement qui tient beaucoup de la toge et de la chlamyde des Romains, a de différent avec celle-ci qu’il se retrousse sur l’épaule gauche, tandis que la chlamyse se rattachait sur l‘épaule droite. Il ressemble beaucoup à l’habit que portent les grands prêtres sur nos théâtres.“ 376

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daient si éminement.“ Der Hinweis, um jegliche Form des Sarkasmus zu vermeiden, müsse sich fortan jeder Abgeordnete an die neue Kleiderregel halten, deutet darauf hin, dass solcher Sarkasmus offensichtlich erwartbar war; die Grenze zwischen Respekt und Groteske scheint fließend gewesen zu sein. Entsprechend griff auch die englische Karikatur das Thema dankbar auf, um sich über die französische Politik und deren Anhänger im eigenen Land lustig zu machen (vgl. Abb. 12). Gillray veröffentlichte im Frühjahr 1798 eine Serie von zwölf Bildtafeln, Abb. 12: Gillray, James: Les Membres du die englische Politiker in French Conseil des Anciens, eau-forte coloriée, Habits zeigte und ins Lächerli- 25,9 × 19,3 cm. che zog.380 Nur wenige Ausführungen der neuen ‚Ornate‘ sind erhalten geblieben.381 Der scharlachrote Mantel war bodenlang geschnitten und am Rand mit dunkelblauen Stickereien verziert. Druckgraphiken erläuterten die Art und Weise, wie der Mantel getragen werden sollte.382 Einer der wenigen Abgeordneten, die sich in Amtstracht porträtieren ließen, war Bouquerot de Voligny (Abb. 13), Mitglied des Rates der Alten von April 1797 bis November 1799. Schnitt und Farbgebung wurden 1800 380

Vgl. auch die Karikatur der Abgeordneten des Rates der Fünfhundert: Gillray, James: Les Membres du Conseil des Cinq Cents, Farbradierung, 25,9 × 19,3 cm (Paris, Musée Carnavalet, Inv. G. 28067, réserve, abgebildet in: Ausst.Kat. AU TEMPS DES MERVEILLEUSES, S. 214). 381 Ein Exemplar befindet sich im Musée d’Unterlinden: Manteau d’un représentant du peuple, Kaschmir und rote Wolle, schwarz ornamentiert (Saum), 185 × 286 cm, Ortingen 1798 (Colmar, Musée d’Unterlinden, Inv. 97 Cost. 104, abgebildet in: Ausst.Kat. SPEKTAKEL DER MACHT, Kat.Nr. V.40, S. 239). 382 Vgl. dazu auch: Ausst.Kat. MODES ET RÉVOLUTIONS, 1780–1804, Musée de la mode et du costume, Palais Galliera, Paris 1989, no. 70, S. 148; das Musée Carnavalet besitzt einen ‚Manteau de représentant du peuple‘ (Conseil des Anciens ou Conseil des Cinq-cents), 1798, „as decreed 29 brum. an VI/19. November 1797“, nach WRIGLEY: The Politics of Appearances, S. 50 Anm. 78 und DELPIERRE, Madeleine: A propos d’un manteau de représentant du peuple de 1798 récemment offert au musée du Costume, in: Bulletin du Musée Carnavalet (1972), S. 13–23.

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und 1803 nur leicht modifiziert; grundsätzlich wurde die Tracht auch im Konsulat und Empire weiter beibehalten.383 Trotz der komplizierten Beschlussfassung und der relativ späten Einführung der Amtstrachten im Jahr 1798 belegen zahlreiche überlieferte Blätter schon im Vorfeld der Entscheidung eine offizielle Kampagne zur Bekanntmachung der neuen Autoritätszeichen. Bereits am 21. Nivôse IV (11. Januar 1796) kündigte der Moniteur universel eine Publikation von Labrousse Abb. 13: [Non-identifié]: Bouquérot de Voligny an, welche jedes einzelne en costume du Conseil des Anciens, huile sur toile, costume in kolorierten Sti98 × 130 cm. chen mit einem Kommentar versehen präsentierte.384 Die Stichsammlung, so hieß es, solle den Bürger in die Lage versetzen, die verschiedenen Trachten und damit verbundenen Funktionen der Staatslenker und Beamten zu unterscheiden: „En exposant avec exactitude les costumes nouveaux que la loi prescrit à chaque fonctionnaire public, en accoutumant l’œil à les distinguer promtement par leurs dif383

Vgl. LAUNAY: Costumes, insignes, cartes, médailles, S. 105–113 und 129. Neben den Amtstrachten besaßen die Abgeordneten auch persönliche Ausweise und Medaillen, vgl. ebd. 384 Vgl. Labrousse, L. F.: Costumes des représentants du peuple, membres des deux conseils du corps législatif, du pouvoir exécutif, des ministres, des tribunaux, des messagers d’État, huissiers et autres fonctionnaires publics, etc., gravés par le citoyen Labrousse, artiste de Bordeaux, et coloriés avec la plus grande soin, d’après les dessins originaux confiés par le ministre de l’intérieur au citoyen Grasset Saint-Sauveur, 15 pl. eau-forte, outils, coul., 16 × 10 cm, Paris 1795. Der Moniteur setzt hinzu: „Chaque figure est accompagnée d’un texte historique. L’ouvrage complet, grand in-8°, paraîtra vers la fin de nivôse; il coûte en assignats 650 livres franc de port, et se trouve à Paris, chez Deroy, libraire, rue du Cimetière-André-des-Arts, n° 15.“ Vgl. Moniteur n° 111, 21 nivôse IV (11. Januar 1796), siehe Rubrik „Beaux-Arts“.

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Abb. 14: Leconte, Étienne-Chérubin: Projet d’aménagement de la salle du Conseil des Anciens, plume et aquarelle, 30,7 × 44,5 cm.

férents caractères extérieurs, ce recueil devient utile à tous les citoyens; il entre même nécessairement dans l’éducation.“385 Vor allem von der Jugend versprach man sich Begeisterung. Aber auch Zeichnungen und Aquarelle wie der Entwurf für die Neueinrichtung des Versammlungsortes der Alten (Abb. 14)386 spiegeln – wenn auch nicht den parlamentarischen Alltag – mehr als nur ein architektonisches Projekt: Die Parlamentsmitglieder werden in ihrer abstrakten Funktion als Repräsentativkörperschaft dargestellt. Einzelne Personen sind kaum erkennbar; im Vordergrund stehen die einheitliche Robe sowie die repräsentative Kulisse. Die Räte wurden mittels solcher Bilder als Kollektivkörperschaften einmütiger Überzeugung visualisiert. In Erinnerung an die während der Terreur eskalierten Fraktionskämpfe war man um eine Integration nach innen bemüht: Auch wenn mit den turnusgerecht abgehaltenen Wahlen das royalistische Element in den gesetzgebenden Körperschaften bedrohlich anstieg, suggerierte die gleiche Kleidung – vor 1798 zumindest in idealisierter Form auf 385 386

Ebd. Die Federzeichnung von Leconte wurde in früheren Ausstellungskatalogen fälschlicherweise als „Intérieur de la Salle du Conseil des Cinq Cents“ klassifiziert, vgl. Ausst.Kat. LA RÉVOLUTION FRANÇAISE – LE PREMIER EMPIRE, Abb. 64, S. 77.

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Plänen und Entwürfen – den Anspruch der Politik auf Einheit.387 Nicht persönliche Macht, wie in Zeiten der Monarchie des Ancien Régime, sondern das Prinzip der repräsentativen, stellvertretenden Macht wurde hier symbolisch inszeniert. Dahinter verbarg sich der Versuch, die aus der Revolution hervorgegangene Republik zu festigen: Erneut diente Symbolpolitik als Instrument der Ordnungs- und Stabilisierungspolitik. ‚Costumes‘ und Ehrengarde des Direktoriums Weniger umstritten als die Kennzeichnung der Abgeordneten war die Hervorhebung des Direktoriums durch Autoritäts- und Ehrenzeichen. Die Regierungsmitglieder bedurften zur Ausübung ihrer Amtsgeschäfte einer besonderen Sichtbarkeit. Rechte und Pflichten der Direktoren waren in der Verfassung des Jahres III (1795) genau festgelegt – bis hin zu Vorschriften über die Grundformen der offiziellen Repräsentation. Der Konvent entschied im Zuge der Verfassungsarbeiten, die Regierungsmitglieder sollten abgesehen von privaten Handlungen bei ihren Amtsgeschäften und in der Öffentlichkeit stets eine Amtstracht tragen. Außerdem wurde ihnen eine Leibgarde, wohl in Abgrenzung zum Ancien Régime als „garde habituelle“ bezeichnet, zugesprochen.388 In Zeremonien und bei öffentlichen Anlässen nahm die Regierung stets den ersten Rang ein: Titre VI: Pouvoir exécutif […] Article 165. – Les membres du Directoire ne peuvent paraître, dans l’exercice de leurs fonctions, soit au-dehors, soit dans l’intérieur de leurs maisons, que revêtus du costume qui leur est propre. Article 166. – Le Directoire a sa garde habituelle, et soldée aux frais de la République, composée de cent vingt hommes à pied, et de cent vingt hommes à cheval. Article 167. – Le Directoire est accompagné de sa garde dans les cérémonies et marches publiques où il a toujours le premier rang. Article 168. – Chaque membre du Directoire se fait accompagner au- dehors de deux gardes. Article 169. – Tout poste de force armée doit au Directoire et à chacun de ses membres les honneurs militaires supérieurs.389

Die Ausführungsgesetze zu diesen Bestimmungen sahen zwei verschiedene Trachten für die Regierung vor. Deren doppelte Funktion als 387

Wrigley übersieht den einheitsstiftenden Charakter der Amtstracht und analysiert diese vor allem unter dem Gesichtspunkt der Distinktion. Vgl. WRIGLEY: The Politics of Appearances, besonders S. 77ff. 388 Zitiert nach: GODECHOT: Les constitutions de la France, S. 120. 389 Ebd.; zur Abstimmung dieser Regelungen im Konvent vgl. Journal des hommes libres n° 54, 9 thermidor III (27. Juli 1795), S. 215.

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Abb. 15: [Non-identifié]: Roger-Ducos, Membre du Directoire Exécutif, eau-forte, burin, col., 28 × 21 cm, [Paris, ca. 1799].

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aktiver ‚Arm‘ der Franzosen (im Unterschied zum ‚Kopf‘, welcher das Parlament sei) und erster Würdenträger der Nation, dem die militärischen Ehren zustünden, mache eine Differenzierung nach Tätigkeitsbereichen notwendig:390 Für das normale Tagesgeschäft wurde ein ‚costume ordinaire‘391 entworfen, bei besonderen Anlässen ein ‚grand habit‘ (vgl. beispielsweise Abb. 15) getragen.392 Bereits das costume ordinaire war sehr aufwendig gestaltet: Der umhangähnliche Mantel war rot und mit Gold bestickt, ebenso wie das weiße Unterkleid; der als Gürtel umgeschlungene Schal war blau mit goldenen Fransen, die Strumpfhose wiederum weiß, der Hut schwarz, rund und mit trikoloren Federn verziert. Beim großen Staatsornat war das Mantelkleid blau.393 Trotz des durch die prachtvollen Stoffe ausgedrückten Wunsches nach republikanischer Würde und Grandeur wird über die Amtstracht jedoch vor allem ein deutliches Bekenntnis zur republikanischen Staatsform beziehungsweise zur französischen Nation visualisiert: Hatte schon die Besetzung der Exekutive mit einem Kollektivorgan darauf abgezielt, die Gefahr einer erneuten Alleinherrschaft abzuwenden, so wird auch in der einheitlichen Amtstracht Kollektivität und Gleichrangigkeit als eine Art Garant des Gedankens der Volkssouveränität inszeniert. Keiner der fünf Regierungschefs sollte sich im Vergleich zu den anderen besonders hervortun oder aus dem Kollegium herausstechen. Die einheitliche Kleidung symbolisierte Geschlossenheit und Eintracht jenseits der im verbalen Diskurs der Zeit unablässig gebrandmarkten Fraktionskämpfe; darüber hinaus bekannte man sich über die trikolore Farbgebung deutlich zur französischen Nation, als deren Diener man sich verstanden wissen wollte.394 Nur kurz sei an dieser Stelle darauf verwiesen, dass selbstverständlich auch Einzelporträts der Direktoren angefertigt wurden: In der 390

Vgl. Grégoire: Rapport et projet de décret, S. 6. Vgl. Darstellungen in der populären Druckgraphik, z. B.: Bonvalet: Merlin. Reveilliere-L’Épeaux. Barras. N. François de Neufchateau. J. Rewbel, eau-forte coloriée, 24,8 × 38,3 cm (Paris, Musée Carnavalet, Inv. PC mœurs 36 bis, G. 24338, abgebildet in: Ausst.Kat. AU TEMPS DES MERVEILLEUSES, Kat.Nr. 15, S. 28). 392 Vgl. Moniteur n° 42, 12 brumaire 4 (3. November 1795), suite de la séance du 3 brumaire. Druckgraphiken popularisierten die Beschlüsse und boten einen Überblick über die verschiedenen Costumes; vgl. z. B. die beiden Amtstrachten der Direktoren zentral in der ersten Reihe auf folgendem Blatt: Costumes des Représentants du Peuple Français et Fonctionnaires Publics […], Radierung, koloriert, 42,6 × 32,2 cm (Paris, Musée Carnavalet, Inv. Histoire GC IX A, G. 29668). 393 Erläuterung der verschiedenen Ausführungen u. a. bei: [Non-identifié]: Portrait de Paul-François-Jean-Nicolas, ex-comte de Barras (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6586); vgl. auch Grégoire: Rapport et projet de décret. 394 Vgl. dazu auch: SCHRÖER: La représentation du Nouveau Régime, S. 47. 391

2.2 Legitime Repräsentanten

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Regel zeigen sie die Regierungsmitglieder im Brustbild und betonen besonders den Hut mit den dreifarbigen Federn als Zeichen ihrer Macht.395 Ähnliche Abbildungen kursierten vor 1789 auch von Ludwig XVI. oder hochrangigen Würdenträgern des Ancien Régime. Daneben existieren einige wenige Porträts einzelner Direktoren, die zu einer genaueren Analyse von deren Selbstverständnis herangezogen werden können: beispielsweise ein Porträt von Barras396 sowie Gemälde von Carnot397, Letourneur398 und von La Revellière-Lepeaux (Abb. 16). Während Barras und Carnot auch auf diesen Bildern im Abb. 16: Pilastre, Adélaïde und Gérard Staatsornat zu sehen sind, was sie in Van Spaendonck, nach François Gérard: die Tradition des ‚Herrscherbildes‘ Louis-Marie de La Révellière-Lépeaux rücken lässt, wählte La Revellière- (1753–1824), huile sur toile, 65 × 48 cm. Lépeaux bewusst eine andere Darstellungskonvention. Der Jurist aus dem Anjou war überzeugter Rousseauist und glaubte an die Bedeutung der Natur für die Erneuerung der Sitten und der politisch-sozialen Ordnung. Gérard porträtierte den Staatsmann in einer Ideallandschaft, auf romantisierenden Mauerresten sitzend, ein Buch (als Zeichen seiner Bildung) und einen Strauß Blumen (als Zeichen seines der Natur verbundenen Weltbildes) in den Händen 395

Vgl. u. a. Compagnie, Jean-Baptiste, nach François Bonneville: Revellière-Lépeaux, membre du Directoire exécutif, pointillé, 21,5 × 13,5 cm (Paris, BnF, Coll. De Vinck, Inv. 6599, abgebildet in: VOVELLE: La Révolution française. Images et récit, Bd. 5, S. 22); dies.: LeTourneur, président du Directoire exécutif, eau-forte, burin, col., 19 × 12,5 cm (Paris, BnF, Coll. De Vinck, Inv. 6594, abgebildet in: ebd.); dies.: M. Paul. Barras, Membre du Directoire exécutif, burin, col., 18,5 × 12,5 cm (Paris, BnF, Coll. De Vinck, Inv. 6587, abgebildet in: ebd.); dies.: J. Rewbel, Membre du Directoire exécutif, eauforte, pointillé, col., 21 × 13 cm (Paris, BnF, Coll. De Vinck, Inv. 6604, abgebildet in: ebd.). 396 Vgl. Tardieu, Alexandre, nach Hilaire Le Dru: Portrait de Barras, en pied, estampe (Paris, BnF, Coll. Hennin, t. 164, Inv. 14358). 397 Carnot ließ sich als Brustbild im Kostüm des Direktors porträtieren: [Non-identifié]: Lazare Carnot en costume de Directeur, peinture, 1796–1797 (Collection particulière, abgebildet in: BORDES/CHEVALIER: Catalogue, Abb. 58b, S. 218). 398 Vgl. Kat.Nr. 10 und Abb. 10a, in: BORDES/CHEVALIER: Catalogue, S. 68.

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haltend. Die Direktoren besetzten an der Spitze des Staates die Exekutive und hatten damit diejenige Position inne, die noch in der Verfassungsordnung von 1791 dem König vorbehalten gewesen war. Auch das Herrscherbild hatte sich bereits im Laufe des 18. Jahrhunderts ‚verbürgerlicht‘, wie unter anderem Schoch gezeigt hat.399 Doch die Lenkung der Staatsgeschäfte durch vom Volk gewählte Bürger sowie die Unterscheidung zwischen privater und öffentlicher Rolle war eine Neuerung im politischen Repräsentationsgeschäft. Von offizieller Seite wurde Wert darauf gelegt, das Direktorium als Kollektivgremium darzustellen, in Ereignis- und Gruppenbildern (vgl. Abb. 18 und 19). Dass das Ziel der Machtbeschränkung durch Kollektivität keineswegs eingelöst werden konnte, offenbart sich ebenfalls im Bildmedium, wenn einzelne Regierungsmitglieder einen größeren Grad an Popularität erreichten als andere. Die im Vergleich zu seinen Kollegen häufigen Darstellungen des Direktors Barras spiegeln dessen Rolle als einflussreichstes Regierungsmitglied. Sogar ein Tempel der Unsterblichkeit wurde ihm – im Bild – gewidmet.400 Die Bedeutungssteigerung der Exekutive in den späten 90er Jahre scheint sich auch in einer größeren Zahl von Visualisierungen der Regierungschefs niedergeschlagen zu haben. So kursierten nach dem Staatsstreich des 18. Fructidor V (4. September 1797) Bilder der siegreichen Triumvirn401 und des republikanisch erneuerten Fünfergremiums402. Sogar in volksnahen Karikaturen (Abb. 20) wurden die Regierungsmitglieder popularisiert – als Rächer der sogenannten incroyables, der reaktionären Mitglieder der Pariser jeunesse dorée.403 Auffälligerweise tritt auf allen Darstellungen die Individualität der Amtsperson weitgehend hinter ihre Kennzeichnung als ‚Funktionär‘ der Republik zurück: Über die Amtstracht wird das Prinzip der nationalen Stellvertreterschaft inszeniert. Wenn überhaupt scheint sich La Revellière (in 399

Vgl. LANKEIT, Klaus: Vorwort, in: SCHOCH, Rainer: Das Herrscherbild in der Malerei des 19. Jahrhunderts, München 1975 (= Studien zur Kunst des neunzehnten Jahrhunderts. 23), S. 7f., S. 7. 400 Vgl. Crussaire: Temple de l’Immortalité (hommage à Barras), dessin (Paris, Musée Carnavalet, abgebildet in: VOVELLE: La Révolution française. Images et récit, Bd. 5, S. 20). 401 Vgl. [Non-identifié]: La Trinité républicaine, que d’actions de grace les républicains doivent aux trois Directeurs, Barras, Rewbel, et Revelliere-Lépaux! qu’avec plaisir ils les proclament sauveurs de la patrie. C’est a leur union courageuse et sacrée que nous devons la Constitution et la Republique, eau-forte, 29,5 × 19,0 cm, Paris [1797] (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6949). 402 Vgl. Bonvalet: Merlin. Reveilliere-L’Épeaux. Barras. N. François de Neufchateau. J. Rewbel. 403 Zur jeunesse dorée und ihrer bildlichen Inszenierung vgl. ausführlich Kapitel 4.3.3.

2.2 Legitime Repräsentanten

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den Darstellungen erkennbar an seinen lockigen langen Haaren) gegenüber Barras stärker ins Bildzentrum zu drängen.404 Die Erkenntnis, dass sich Politik im Direktorium zwar keineswegs bilderlos, aber weitgehend unter Verzicht auf personale Imaginationen präsentierte, stellt eine interessante Parallele zur Weimarer Republik dar.405 Thomas Mergel bezeichnete die ‚Personalisierung der politischen Kommunikation‘ als Kennzeichen von Demokratien in Mediengesellschaften.406 Die ‚fehlenden‘ Bilder von Politikern interpretiert er einerseits als Zeichen von Distanz zwischen Politik und Gesellschaft. Eine solche Distanz war in der Ersten Republik sicherlich vorhanden. Andererseits war der ‚Zwang der Bilder‘ aber auch in Frankreich kaum zu vermeiden: Karikaturen griffen bereits gezielt einzelne Personen an, wenn das Porträt von Barras durch Textkommentare zu einem Herrscherbild erklärt wurde, das dem einflussreichen Direktor als „Paul Barras premier“407 monarchische Ambitionen unterstellte. Das Staatsporträt hatte seinen Ort überall dort, „wo die Staatsmacht in Gestalt des Souveräns vergegenwärtigt werden soll: in den Prunkräumen ausländischer Höfe und in den Schlössern des einheimischen Adels, in den Botschaftsgebäuden, Ministerien, staatlichen Ämtern und in den Sitzungssälen staatlicher Kommissionen, im Parlament und in den Rathäusern, in den Gebäuden öffentlicher Institutionen wie Kasernen, Theatern, Museen, Universitäten, Schulen etc. In der Verbreitung des Staatsporträts dokumentiert sich die Allgegenwart des Staates.“408 An diesen Stellen prangten im Direktorium in der Regel die Farben und Embleme der Republik oder die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte. Abschließend lässt sich festhalten, dass die Einführung der Amtstrachten ein langer Prozess war, der besonders durch die Wünsche nach Autoritätssteigerung und Werteerziehung immer wieder neu befeuert wurde. Es war einfacher, die neuen Institutionen durch Abzeichen, 404

Vgl. u. a. [Non-identifié]: La Trinité républicaine. Vgl. MERGEL, Thomas: Propaganda in der Kultur des Schauens. Visuelle Politik in der Weimarer Republik, in: HARDTWIG, Wolfgang: Ordnungen in der Krise. Zur politischen Kulturgeschichte Deutschlands 1900–1933, München 2007, S. 531–559, S. 542. In vielen anderen Bereichen verbietet sich jedoch der Vergleich (Anachronismus) bzw. es überwiegen strukturelle Unterschiede. Beispielsweise verzichtete die Weimarer Republik auf mythische Geschichtsbilder zur Legitimation gegenwärtiger Politik, was ihr u. a. als ‚Standortnachteil‘ gegenüber den Nationalsozialisten ausgelegt wurde, vgl. ebd., S. 533. 406 Vgl. ebd., S. 535. 407 [Non-identifié]: Paul Barras premier, 1797, eau-forte col., 13 × 9 cm, [London] o. J. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6588 sowie Coll. Hennin, Inv. 12387). 408 Vgl. SCHOCH: Herrscherbild, S. 13. 405

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Schärpen oder Ausweise zu kennzeichnen als direkt eine vollständige Amtstracht zu produzieren. Dennoch waren alle Zeichen der Macht nicht nur Mittel zur Legitimitätssteigerung, sondern selbst auch der Infragestellung ausgesetzt – ebenso wie die Machthaber, die sie trugen. Um vestimentäre Zeichen entstanden Konflikte und Missverständnisse, gerade aufgrund ihrer Unbeständigkeit, Interpretationsoffenheit und Wandelbarkeit (vgl. auch Kapitel 4.3).409 Sie wurden von konkurrierenden politischen Gruppierungen im Zuge der Neudefinition von politischen Hierarchien in Frankreich sehr bewusst als Instrument zur Durchsetzung bestimmter Ziele und Interessen eingesetzt. Trotz aller Skepsis und der begründeten Sorge eines Rückfalls in alte Zeiten gibt es jedoch auch Anhaltspunkte dafür, dass Einheitskleidung nach 1789 tatsächlich als Symbol der Zeitenwende wahrgenommen wurde. Als fundamental neu ist schließlich die Umdeutung dieser Zeichen zu Symbolen von Rechtsgleichheit und Volkssouveränität zu bewerten, eine Umdeutung, über die keineswegs nur diskutiert wurde, sondern die auch real erfahren werden konnte. So lehnte beispielsweise Ludwig XVI. die Uniform der Nationalgarde ab, wohl aus Unverständnis und Ärger darüber, dass diese prinzipiell jeder Bürger tragen konnte. Auch Widerstände der bürgerlichen Revolutionäre gegen Frauen in Uniform zeigen, dass Kleidung längst zu einem Bedeutungsträger revolutionärer Ansprüche geworden war – diese Interpretation der ‚Gleichheit‘ ging vielen Volksvertretern zu weit.410

2.2.2 Öffentliche Auftritte: Volk, Legislative und Exekutive bei Festen und Zeremonien Einer der wichtigsten Streitpunkte in der Debatte um die Amtstrachten war nicht umsonst die Frage der Wirkung solcher offiziellen Repräsentationsformen auf die französischen Bürger. Den Aktivitäten und Auftritten der Verfassungsorgane in der Öffentlichkeit sowie der damit zusammenhängenden Berichterstattung und Dokumentation in Bild und Text wurde große Aufmerksamkeit gewidmet: Man beabsichtigte die Kommunikation eines positiven Selbstbildes und vertrauensbildender Impulse. Für die junge Republik mit ihren instabilen Institutionen waren besonders Feste ein wichtigstes Medium zur Demonstration von

409 410

Vgl. WRIGLEY: The Politics of Appearances, S. 65. Vgl. ebd.

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Macht und Ordnung.411 Dies bedeutet jedoch keineswegs, dass die Veranstaltungen nur Spiegel der herrschenden Verhältnisse waren. In den Jahren zwischen 1793 und 1799 ist eine innere Dynamik des republikanischen Festes zu erkennen, die durchaus Spielraum zur aktiven Ausgestaltung der neuen politischen Rollen lassen sollte. Erst schrittweise bildete sich eine Festkultur heraus, die den Souverän (das Volk) zugunsten seiner Repräsentanten (im Konvent) und seiner Regierung (dem Direktorium) zurückdrängte. Feste boten Anlass zur Konkretisierung der neuen Machtverhältnisse in einem performativen Akt: Je nachdem, mit welchen Zeichen die Vertreter von Parlament und Regierung sich bei der Inszenierung umgaben, in welcher Reihenfolge sie auftraten, welchen Sitz sie einnahmen und welche Handlung sie ausführten, bestimmten sie ihr Verhältnis untereinander sowie gegenüber dem Volk neu. Jeder Revolutionsschub oder Staatsstreich veränderte diese Verhältnisse. Die schrittweise Verdrängung des Volkes der Hauptstadt aus den Zeremonien: Symbol eines politischen Bedeutungsverlustes Die Anordnungen zum Fest des Höchsten Wesens (20. Prairial II/ 8. Juni 1794) geben deutlich Aufschluss über das Selbstverständnis des Konvents sowie über dessen Einstellung gegenüber dem Volk: Neben seiner unbestrittenen religionsgeschichtlichen Relevanz soll daher an dieser Stelle die repräsentationsgeschichtliche Bedeutung des Ereignisses für die Erste Republik betont werden. Die Abgeordneten, und an ihrer Spitze der Konventspräsident Robespierre, wurden im Rahmen der Inszenierung als Autorität dargestellt, die sich zwar aus der Mitte des Volkes heraus konstituiert hatte, diesem aber als Gesetzgeber gleichzeitig ‚vorstand‘: Erst nach dem Eintreffen der Sektionsvertreter auf dem Festplatz marschierte der Konvent feierlich vom Sitzungssaal zum Amphitheater im Garten hinter dem Tuilerienschloss, begleitet von einer Musikkapelle.412 Bei der anschließenden Prozession zum Marsfeld („champ de la Réunion“) schritten die Repräsentanten in ihren provisorischen Amtstrachten inmitten des Volkes. Ein Band in Nationalfarben umschloss sie, als Zeichen ihrer Einheit und ihres Selbstverständnisses als Diener der Nation. Getragen wurde diese Markierung 411

So die These des Standardwerkes von OZOUF: La fête. Ozouf zufolge verfestigten sich nach 1793 die Feste erneut zu Schauplätzen herrschaftlicher Repräsentation: Sie spiegelten das Bedürfnis der Republikaner nach Ruhe- und Ordnungsstiftung und unterschieden sich von den spontanen, egalitären Festen der frühen Revolution (vgl. dazu ausführlich Kapitel 2.4). 412 Vgl. Détails des cérémonies et de l’ordre à observer dans la fête, in: Moniteur n° 259, 19 prairial 2 (7. Juni 1794).

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von ausgewählten Kindern, Jugendlichen, Erwachsenen und Greisen.413 Vier Stiere zogen in ihrer Mitte einen Wagen, der Attribute der Künste, des Handwerks und der Landwirtschaft transportierte – Zeichen derjenigen Domänen, die dank der Herrschaft der Gesetzgeber florieren und prosperieren sollten.414 Wenn diese Symbolik auch stark die Funktion der Gesetzgeber betonte und ihre Aufgaben gegenüber dem Volk definierte, so präsentierten sich die Volksvertreter gleichzeitig als herausgehobenes Gremium an der Spitze der Gesellschaft. Ihre Stellung wurde auch durch den Platz unterstrichen, der ihnen an den beiden Orten des Festes, in den Tuilerien sowie auf dem Marsfeld, reserviert war: Im Jardin national war eigens ein Amphitheater errichtet worden; auf dem Marsfeld überwölbte ein künstlicher Berg den ehemaligen Altar des Vaterlandes, auf dem die Repräsentanten an höchster Stelle, unter dem ‚Schutz‘ der Zweige des Freiheitsbaumes Platz nahmen; erst unterhalb gruppierten sich die anderen Abteilungen des Festzuges: Väter und junge Männer, Mütter und junge Frauen.415 Besonders hervorgehoben wurde die Funktion des Parlamentspräsidenten im Zeremoniell. Robespierre bekleidete das Amt anlässlich des Festes zum zweiten Mal:416 Er war es, der dem Volk den Festanlass erläuterte, es aufrief, das Höchste Wesen als Schöpfer der Natur zu ehren und Jubelrufe erschallen zu lassen. Anschließend entzündete er den aufgeschichteten Scheiterhaufen der ‚Feinde der öffentlichen Glückseligkeit‘ („ennemis de la félicité publique“): Allegorien des Atheismus, des Ehrgeizes, Egoismus, der Zwietracht und Einfalt gingen gemeinsam mit Symbolen des Königtums in Flammen auf. Davids Festprogramm nahm die reinigende Wirkung des Feuers und die heilsame Erscheinung der hinter den Trümmern auftauchenden Weisheitsstatue bereits vorweg: „Le président s’approche, tenant entre ses mains un flambeau: le groupe s’embrâse; il rentre dans le néant avec la même rapidité que les conspirateurs qu’a frappés le glaive de la loi. Du milieu de ces débris s’élève la Sagesse au front calme et serein […].“417 Berichte der Presse sowie Druckgraphiken und andere überlieferte bildliche Darstellungen – auf denen beispielsweise zu sehen ist, wie Robespierre 413

Vgl. ebd. Vgl. Plan de la fête à l’Etre suprême, in: Moniteur n° 259, 19 Prairial II (7. Juni 1794). 415 Vgl. ebd.; weiter unten im Programm („Détails de la cérémonie“) wird ausdrücklich präzisiert: „La représentation nationale occupera la partie la plus elevée de la montagne, du côté de l’Ecole-Militaire, à la distance qui lui sera indiqué.“ 416 Vgl. SÉGUIN, Philippe: 240 dans un fauteuil. La saga des présidents de l’Assemblée, Paris 1995, S. 379. 417 Plan de la fête à l’Etre suprême, in: Moniteur n° 259, 19 prairial II (7. Juni 1794). 414

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die Stufen des künstlichen Berges herabschreitet418 – belegen auch in der künstlerischen Verarbeitung der Veranstaltung die besondere Rolle des Versammlungspräsidenten.419 Trotz der bereits im Zuge der Diskussion um die Amtstracht angesprochenen Kritik an der Rolle Robespierres und seiner ‚Kostümierung‘ hielt der Konvent nach seinem Sturz zunächst an der Festpraxis der Jakobiner fest. Sogar einzelne Inszenierungsideen sollten übernommen werden – und signalisierten nach außen republikanische Kontinuität. In der Zeremonie zur Pantheonisierung Marats, durchgeführt am letzten Tag des Jahres II (21. September 1794), fanden sich in Bezug auf die Darstellung der Volksvertreter ähnliche Gestaltungselemente wieder wie im Fest des Höchsten Wesens: Der aktuelle Konventspräsident hielt im ersten Abschnitt des Festes eine Rede im Garten der Tuilerien, hinter dem Versammlungssaal. Bei der anschließenden Prozession schritten die Parlamentarier in der Mitte des Festzuges, umschlossen von einem trikolorefarbenem Band, getragen von Vertretern der vier Lebensalter.420 In ähnlicher Form trat der Konvent auch bei der Pantheonisierung Rousseaus am 20. Vendémiaire III (11. Oktober 1794) in Erscheinung.421 Die Gruppe der Abgeordneten beschloss als letzte, und damit wichtigste Abteilung den Festzug, direkt hinter einem mitgeführten Exemplar des Contrat social. Die Repräsentationsformen der Jakobiner waren nicht aufgegeben, sondern in eine bestimmte Richtung weiterentwickelt worden: Nicht das Volk, sondern der Konvent und die Idee des Repräsentativsystems wurden in Szene gesetzt. Durch den Verzicht auf Einheitskleidung und eine Reduzierung der metaphysischen Symbolik bemühte man sich um weitere Abgrenzung gegenüber dem Regime der Schreckensherrschaft. Einheit sollte allein durch den geschlossenen Auftritt am Ende des Festzuges demonstriert werden: „Le comité proposait encore que la Convention fût partagée par moitié; non, point de séparation, point de division; marchons tous et toujours ensemble. (On applaudit.)“ 422

418

Vgl. Naudet: Fête de l’Etre suprême. Vgl. Moniteur n° 265, 25 prairial II (13. Juni 1794). 420 Vgl. Fête sans-culotide des récompenses. Les détails, l’ordre et la marche de toutes les cérémonies qui doivent être observées à la translation des cendres de l’Ami du peuple au Panthéon français, Paris 4e jour des Sans-Culotides, o. O. o. J. 421 „Neuvième groupe: La Convention nationale, entourée d’un ruban tricolore, et précédée du phare des législateurs, le Contrat social.“ Vgl. Moniteur n° 362, 2e sansculottide II (18. September 1794). 422 Die Vorschläge stammten von Thibaudeau und wurden von Collot d’Herbois aufgegriffen. Vgl. Moniteur n° 362, 2e sansculottide II (18. September 1794). 419

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Erst im Vorfeld des kurz danach stattfindenden Fests der Siege diskutierten die Thermidorianer über eine veränderte Form der Selbstdarstellung – in offener Abgrenzung zu und unter polemischer Abrechnung mit den Festen des Jahres II. Im Zuge des wachsenden Drucks der öffentlichen Meinung gegen die Jakobiner erschien eine klare Distanzierung vom Vorgängerregime wünschenswert, wenn nicht notwendig. Chénier machte deutlich, man wolle dem Siegesfest einen „caractère plus mâle et plus sévère“423 verleihen – eine weitere verbale Strategie zur Herabwürdigung der Jakobiner, die als ‚weiblich‘ und damit entsprechend den vorherrschenden Geschlechterrollen als zur Staatsführung unfähig abqualifiziert wurden. Um die „majesté du peuple souverain“ zu visualisieren, solle zukünftig auf einfachere Mittel gesetzt werden. Ausdrücklich distanzierte er sich von einer Interpretation der Feste als Platz der Selbstbespiegelung von Volk und Konvent. Auch Barère nahm die Diskussion zum Anlass, sich öffentlich von der Politik seiner ehemaligen Ausschusskollegen Robespierre und David zu distanzieren – allerdings in anderer Stoßrichtung: Er bezeichnete jede pompöse Inzenierung der Volksvertreter als ‚monarchistisch‘. Die ‚Manie der Prozessionen‘ sei zukünftig abzulegen; diese habe sich als gefährlich für die Sache der Freiheit erwiesen: Il faut que la Convention se défasse enfin de la manie de faire des processions; c’est le peuple qui doit être tout dans ses fêtes; les rois se montraient à lui pour l’endormir sur ses misères, et se faire adorer; ses représentants ne doivent s’occuper que de travailler à son bonheur; ils seront assez payés s’ils ont fait ce bonheur. Renonçons donc à cette manie monarchique de nous donner en spectacle dans les fêtes du peuple: cette manie d’ailleurs peut être funeste à la liberté; c’est à la fête du 20 prairial que le tyran essaya la couronne.424

Die Debatte über das Fest geriet zum Streit über das Wesen der vergangenen und der zukünftigen Republik. Der Wunsch nach republikanischer Selbstdarstellung wurde von Barère mit dem Vorwurf der Selbsterhebung konnotiert. Dies spiegelt Ideen des Rationalitätsdiskurses der Aufklärung wider, welcher sich von jeder Form der Machtsymbolik distanziert hatte.425 Andere Parlamentarier wollten sich die Möglichkeit einer Steigerung ihrer Autorität durch den öffentlichen Auftritt nicht nehmen lassen: Das Fest war ein willkommener Anlass, der Pariser Be423

Moniteur n° 8 bis, Supplément à la Gazette nationale du 8 vendémiaire III (29. September 1794), CN, séance du 7 vendémiaire. 424 Ebd. 425 Freiheit bedeutete in diesem Verständnis auch Befreiung von alten Traditionen, die zur Unterdrückung und ‚Einschläferung‘ der Untertanen beigetragen hätten.

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völkerung den soeben erfolgten neuerlichen Kurswechsel der Revolution vor Augen zu führen. Alle Fraktionen beteiligten sich an der Aussprache über das Programm. Die Debatte spiegelt die Gespaltenheit der Thermidorianer: Symbolpolitische Fragen lassen grundsätzliche Wertekonflikte, unter anderem bezüglich der Auslegung der revolutionären Grundprinzipien Freiheit und Gleichheit, zutage treten. Chénier und Barère waren sich zwar in ihrem Antirobespierrismus einig. Völlig konträr hingegen waren ihre Ansichten hinsichtlich der zukünftigen Bedeutung des Volkes in der Politik – und damit zusammenhängend über dessen Stellenwert bei den Nationalfesten. Chénier denunzierte die vermeintliche Selbstbezogenheit der alten Machthaber als Eitelkeit. Barère griff dies zwar auf, argumentierte jedoch darüber hinaus mit der ‚demokratischen‘ Idee einer Präsenz des Volkes in Abgrenzung zur ‚spektakulären‘ Selbstdarstellung der neuen Institutionen. Damit entlarvte er die Argumente der Gemäßigten zum Teil als Rhetorik: Die demonstrative Verurteilung der Robespierristen war diesen wichtiger als eine Distanzierung von zentralistischen und tendenziell anti-demokratischen Elementen in deren Politik, die sich in den Repräsentationsformen der letzten Monate gespiegelt hatten. So sollte die Zeremonie zum Fest der Siege letzten Endes dann doch wieder stark an die vorhergehenden Inszenierungen des Jahres II erinnern. Der Konvent versammelte sich vor Festbeginn in der École militaire. Erst nachdem die Vertreter der Armee sowie der Invaliden auf dem Festplatz eingetroffen waren, schritt man zur Mitte des Festplatzes und nahm auf der Spitze des dort seit dem Fest des Höchsten Wesens errichteten Felsens Platz. Der Konventspräsident hielt eine Rede. Neu war die Einführung szenischer Spiele: Schüler der École de Mars stellten ein Gefecht zwischen Gegenrevolution (weiße Abzeichen) und Republik (blau-weiß-rot) nach; vor den Augen des Publikums wurde eine Festung erobert. Anschließend zog die Armee mit dem Kampfwagen der Siegesgöttin auf dem Marsfeld ein; zusammen mit dem Konvent marschierte die Festgemeinschaft dann in Richtung des Tempels der Unsterblichkeit.426 Damit hatte die Versammlung der Volksvertreter de facto ihre Stellung im Zeremoniell erneut bekräftigt – auf Kosten des Volkes. Anstelle der von Merlin vorgeschlagenen Prozession der Sektionsvertreter wurde vielmehr das Militär aufgewertet.427 Eine Gedenksäule und eine im Garten der Tuilerien ausgestellte Urne gedachten der Soldaten des Vaterlandes, denen abends durch eine Konventsabordnung 426 427

Vgl. Moniteur n° 33, 3 brumaire III (24. Oktober 1794). Zu Merlins Vorschlägen vgl. Moniteur n° 9 bis, Supplément à la Gazette nationale du nonidi 9 vendémiaire III (30. September 1794), CN, suite de la séance du 7 vendémiaire.

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und durch Illuminationen besondere Ehrungen zuteil wurden, ‚im Namen der Nation‘, wie es im Festprogramm hieß. Nicht das Volk der Hauptstadt, sondern seine Verteidiger und Repräsentanten bestritten damit den Kern des Festaktes.428 Die Feste des Jahres 1795 brachten im Kontext der Machtkämpfe zwischen verschiedenen politischen Fraktionen in der Provinz (terreur blanche) und in der Hauptstadt weitere Veränderungen mit sich. Dabei wurden immer wieder auch die Auslegung und praktische Anwendung der Verfassungsordnung verhandelt. Besonders kontrovers verlief die Debatte im Vorfeld des Jubiläums vom 21. Januar 1795. Nach mehreren Beratungen stellte Barailon am 26. Nivôse III (15. Januar 1795) das endgültige Programm vor – eine ausgefeilte Inszenierung mit stark ordnungspolitischen Zügen.429 Die Abgeordneten sollten die Feierstunde mit Musik an ihrem Versammlungsort beginnen; anschließend war eine öffentliche Zeremonie mit einer Rede des Präsidenten im Garten der Tuilerien geplant.430 Militärmusik und ‚dem Anlass entsprechende Hymnen‘ sollten die Veranstaltung beschließen und den Zug der Abgeordneten zurück in den Sitzungssaal begleiten. Auf eine Beteiligung des Volkes wurde erneut verzichtet. Das Programm war nicht mehrheitsfähig und wurde auf eine Feierstunde im Sitzungssaal ‚reduziert‘. Doch selbst das reichte nicht aus, um die den Konvent in Atem haltenden Fraktionskämpfe zu besänftigen: Die Organisatoren mussten sich für die Auswahl der aufgeführten Musikstücke rechtfertigen; zu lieblich erschien einem Flügel des Konvents deren Charakter, zu uneindeutig daher die Stellungnahme gegenüber der Hinrichtung des Königs von 1793. Die Anhänger der demokratischen Revolution wurden in ihren Erwartungen enttäuscht: Viele hatten davon geträumt, nach dem Sturz Robespierres eine effektivere Umsetzung der republikanischen Institutionen und Verbesserung der demokratischen Erziehungsarbeit über das Instrument der Nationalfeste erreichen zu können.431 Lautstark protestierte man gegen die 428

Vgl. Chénier, Marie Joseph: Rapport sur la fête des victoires, Qui doit être célébrée le décadi 30 vendémiaire, l’an III de la République française une et indivisible, fait à la Convention nationale, au nom du comité d’instruction publique, par Marie-Joseph Chénier, Député par le département Seine-et-Oise, Le 27 vendémiaire, l’an 3e de la République une et indivisible, Paris, vendémiaire an III. 429 Vgl. Moniteur n° 118, 28 nivôse III (17. Januar 1795), CN, séance du 26 nivôse. 430 Diese sollte er mit folgenden Worten „au nom de la nation“ beschließen: „Que le peuple français ne subira jamais le joug d’un roi; il voue à l’exécration des siècles les tyrans et la tyrannie.“ Ebd. 431 Vgl. Art. Thirion, in: BIOGRAPHIE NOUVELLE DES CONTEMPORAINS ou dictionnaire historique, Bd. 19, S. 456. Nach dem Prairial-Aufstand wurde Thirion 1795 festgenommen,

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den Konvent dominierende gemäßigte Fraktion, welche eine öffentliche Zeremonie gescheut hatte. Das Fest war keineswegs konsensstiftend, sondern wurde zum neuerlichen Anlass eines Konflikts. Die politische Krise des Winters 1794/95, gepaart mit Versorgungsproblemen und materieller Not, gipfelte in der Aufstandsbewegung vom Frühling (im Germinal/Prairial, April/Mai), bei denen unter anderem ein Abgeordneter namens Féraud getötet wurde. Die Erhebungen endeten mit der Niederschlagung und Entwaffnung der Sansculotten; die Wortführer des Konvents waren beseelt vom Wunsch nach Kontrolle und Eingrenzung der Macht des Volkes.432 Immer klarere Worte richteten sich gegen die Bewohner der Hauptstadt; deren Verschwinden aus den offiziellen Zeremonien war unmittelbarer Ausdruck ihres politischen Bedeutungsverlustes.433 Am 2. Juni 1795 fand eine Trauerfeier aus doppeltem Anlass statt: einerseits für Féraud sowie andererseits im Gedenken an die Girondisten, die exakt zwei Jahre zuvor aus dem Konvent ausgeschlossen worden waren. Die Feier diente der Abrechnung mit der Volksbewegung, gleichzeitig aber auch einer weiteren Aufwertung des Konvents als einzig legitimem Verfassungsorgan. Vor allem Chénier distanzierte sich explizit von der Sansculottenbewegung: Allein der Konvent habe einen Gesetzgebungsauftrag, jeder Angriff auf das Parlament käme einem Angriff auf das Prinzip der Volkssouveränität gleich.434 Ausdrücklich verwehrte sich Chénier dagegen, die ‚Bürger von Paris‘ mit ‚dem Volk‘ zu identifizieren und sie zu hofieren wie den König zu Zeiten des Ancien Régime; die Versammlung gehöre der ganzen Republik, nicht nur der Hauptstadt: Et vous, citoyens de Paris, sans cesse appelés le peuple par tous les factieux qui ont voulu s’éléver sur les débris de la puissance nationale; vous, longtemps flattés comme un roi, mais à qui il faut enfin dire la vérité, des choses grandes et glorieuses vous ont honorés durant le cours de la révolution; mais la république aurait toutefois de graves reproches à vous faire, si la journée du 4 prairial n’avait réparé les journées exécrables qui l’ont précédée.435 kam aber durch die Amnestie Ende desselben Jahres wieder frei; danach wurde er als commissaire du directoire nach Bruges abbestellt und nahm keinen weiteren Einfluss auf die Geschicke der Direktorialrepublik. 432 Symbolpolitisch konkretisierte sich dies auch im Stimmungswandel bezüglich der parlamentarischen Amtstracht: Nach nur acht Monaten der Ablehnung wurde die Idee der besonderen Ausstattung und Auszeichnung der Repräsentanten erneut aufgegriffen. 433 Vgl. dazu auch: MONNIER, Raymonde: Le tournant de Brumaire: dépopulariser la révolution parisienne, in: VOVELLE: Le tournant de l’an III, S. 187–199. Allgemein zur Masse als Akteur in der Französischen Revolution vgl. RUDE, George: The Crowd in the French Revolution, Oxford 1959. 434 Vgl. Moniteur n° 250, 10 prairial III (29. Mai 1795), CN, séance du 6 prairial. 435 Ebd.

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So klar hatte niemand zuvor die Einstellung der herrschenden Übergangsregierung auf den Punkt gebracht. Sogar vor offenen Schuldzuweisungen machte Chénier nicht halt: Das Volk sollte die Verantwortung für die Entgleisung der Revolution übernehmen; der Konvent hingegen wurde zum ‚Heiligtum der Freiheit‘ stilisiert, Féraud, der beim Aufstand getötete Abgeordnete, zum republikanischen ‚Märtyrer‘. Nur ausgewählte Gäste (Botschafter, Sektionsvertreter, Invaliden, Veteranen und Beamte) nahmen an der Trauerfeier teil. Über die Berichterstattung in der halboffiziellen Presse, wie beispielsweise im Moniteur, sollte die Zeremonie dennoch die Öffentlichkeit erreichen. Der Artikel betonte nicht die vorangegangenen Konflikte, sondern die einheitsstiftende Wirkung der zeremoniellen Symbolpolitik. Schon die „peuples anciens“ hätten sich einer ‚Sprache der Zeichen‘ bedient und deren integrierende Wirksamkeit erwiesen.436 Auf einem schlichten Sarkophag waren im Versammlungssaal die Ehrenzeichen des ermordeten Abgeordneten (Waffe, militärischer Hut und dreifarbiger Schal437) sowie eine Bürgerkrone ausgelegt worden. Die Abgeordneten suggerierten durch ihre Einheitskleidung Ordnung und Regelhaftigkeit. Auch der Sitzungssaal selbst wurde in die Inszenierung mit einbezogen, um die neuen Machtverhältnisse zu symbolisieren. Girlanden aus Eichenblättern schmückten alle Fenster. Der Platz, an dem früher die Montagne gesessen hatte, wurde laut Festbericht demonstrativ von Musikern besetzt.438 Die feierliche Zeremonie legitimierte im Nachhinein das Vorgehen der Abgeordneten gegen die Volksbewegung und den politischen Gegner, die Montagnards. Über die damit verbundenen Konflikte schwieg die Presse. Parlamentarische Repräsentation bis zum Zusammentreten der Institutionen des Direktoriums Den fünften Jahrestag des 14. Juli beging der Konvent ebenfalls ausschließlich in seinem Versammlungssaal. Grégoire argumentierte im Namen des comité d’instruction publique, es gelte, sich auf die Verfas436

„C’est pour la première fois que la Convention y a parlé la langue des signes, cette langue dont les peuples anciens savaient faire un si grand usage […].“ Vgl. Moniteur n° 256, 16 prairial III (4. Juni 1795). 437 Vgl. diese Auflistung im Moniteur n° 258, 18 prairial III (6. Juni 1795), CN, séance du 14 prairial. 438 Im Diskurs bestanden die Differenzen dennoch fort; Louvet hielt eine lange Rede, die vom Autor des Artikels kritisiert wurde. Louvets Rede rühmte Féraud darüber hinaus als idealen und tugendhaften Volksvertreter, dessen Vorbild der Nachwelt als Zeichen dienen solle. Abschließend zogen 24 Abgeordnete zum Friedhof, wo sie auf dem Grab in der Sektion der Tuilerien eine Inschrift anbrachten.

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sungsarbeit zu konzentrieren: Nach deren Fertigstellung waren Wahlen und die Einsetzung einer neuen republikanischen Regierung geplant.439 So versammelten sich die Abgeordneten mit ihren Amtstrachten schlicht am gewohnten Sitzungsort, wo das Institut national de musique verschiedene Stücke zum Besten gab.440 Ähnlich verlief kurze Zeit später auch die Feier des 9. Thermidor (27. Juli).441 Portiez erklärte, die öffentliche Selbstdarstellung sei nach Einsetzung einer neuen Exekutive ohnehin zukünftig den Regierungsmitgliedern zu überlassen.442 Die Möglichkeit der Ausnahme von dieser Regel wurde jedoch bereits während der Feier des 9. Thermidor selbst, in Vorbereitung auf den ebenfalls als Nationalfest zu begehenden 10. August, angesprochen. Grégoire führte an, angesichts der wachsenden Bedrohung durch die Royalisten müsse man am 10. August in die Öffentlichkeit gehen: „Cette fête ne sera pas concentrée dans le lieu de vos séances; il faut qu’elle soit publique, afin d’imposer aux royalistes qui lèvent la tête.“443 Diese Öffentlichkeit sei wichtig, um die Feinde im Innern niederzuschlagen („écraser“).444 Allerdings befürchtete die Mehrheit nach wie vor einen negativen Effekt des öffentlichen Auftritts und beschloss eine minimalistische Zeremonie: Der Konvent solle sich in Amtstracht versammeln und seine Arbeiten nur kurz unterbrechen, um Hymnen zur Ehre der Freiheit und eine Rede seines Präsidenten anzuhören.445 Immerhin war die Tribüne am 10. August außergewöhnlich voll. Trouvé beschrieb im Moniteur die Wirkung des Festes als überwältigend: Während der 14. und der 27. Juli (9. Thermidor) bedauerlicherweise nur im Innern des Konvents begangen worden seien, habe der 10. August einen riesigen Menschenauflauf in der Hauptstadt erzeugt – auch ohne Zwang oder offizielle Ruhetagsregelung.446 Es habe sich um

439

Vgl. Moniteur n° 299, 29 messidor III (17. Juli 1795), CN, séance du 25 messidor. Vgl. Bericht von Trouvé, in: Moniteur n° 298, 28 messidor III (16. Juli 1795). 441 Der Moniteur kritisiert diesen Rückzug hinter verschlossene Türen ausdrücklich; vgl. Artikel von Trouvé, in: Moniteur n° 311, 11 thermidor III (29. Juli 1795): „La Convention aurait dû sentir l’inconvenance d’une fête célébrée, pour ainsi dire, à huis clos; déjà, pour le 14 juillet, le chagrin des bons patriotes avait dû la convaincre, autant que les sarcasmes des mauvais citoyens, du mauvais effet d’une cérémonie clandestine. Grâces au ciel, un membre du comité d’instruction publique a annoncé hier que le 10 août serait consacré d’une manière plus solennelle et plus éclatante.“ 442 Vgl. Moniteur n° 310, 10 thermidor III (28. Juli 1795), CN, séance du 5 thermidor. 443 Moniteur n° 315, 15 thermidor III (2. August 1795), CN, séance du 9 thermidor. 444 Vgl. ebd. Der Berichterstatter vom 15. Thermidor (2. August), Portiez, unterstützte diesen Wunsch, mit Hife des Festes den Royalisten eine Abfuhr zu erteilen. 445 Vgl. Moniteur n° 321, 21 thermidor III (8. August 1795). 446 Vgl. Moniteur n° 325, 25 thermidor III (12. August 1795). 440

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ein wahrhaftiges Fest der Republik gehandelt, welches für die Zukunft hoffen lasse. Bis zum Herbst, der durch Wahlen, den Volksentscheid über die Verfassung und das Zusammentreten der neuen Institutionen des Direktorialregimes geprägt war, vermied der Konvent jeden Auftritt in der Öffentlichkeit. Die letzte Zeremonie, die vor der Einsetzung der neuen parlamentarischen Kammern stattfand, stand im Zeichen des Aufstands der gemäßigten Sektionen gegen die Volksvertreter. Offiziell gedachte man am 11. Vendémiaire (3. Oktober) der Opfer der „tyrannie décemvirale“, doch richtete sich diese neuerliche Trauerfeier indirekt auch gegen diejenigen Teile des Volkes, die die Revolution weiter angeheizt hatten. In Amtstracht und mit einem Trauerflor bekleidet wurde der vollzogene Politikwechsel bekräftigt.447 Die Einsetzung der beiden parlamentarischen Kammern des Direktoriums (Conseil des Anciens und Conseil des Cinq Cents) erfolgte im Oktober 1795 ohne zeremonielles Beiwerk. Die Commission des Onze hatte am 10. Vendémiaire (2. Oktober) festgelegt, die Eröffnung auf den 5. Brumaire IV (27. Oktober 1795) vorzuziehen. Zwei Drittel der Konventsmitglieder verblieben ja in der Versammlung; nur ein Drittel wurde durch Wahlen neu bestimmt. Am 27. Oktober wurde zunächst per Losverfahren festgelegt, welche Abgeordneten der ‚zwei Drittel‘ fortan im Rat der Alten und welche im Rat der Fünfhundert tagen sollten.448 Erst um vier Uhr morgens trennte sich der Konvent mit dem Beschluss, am 6. Brumaire (28. Oktober) um zwei Uhr nachmittags erneut als Generalversammlung zusammenzukommen, um sich dann endgültig aufzulösen. Das Prozedere war zweckmäßig: „on lit la liste des membres que le sort a désignés pour chacun des conseils. Aussitôt l’assemblée se sépare en deux conseils.“449 Die Fünfhundert zogen in den Saal der Manège, in dem bereits die Assemblée constituante getagt hatte, immerhin „escortés par un détachement de troupes“.450 Der älteste Abgeordnete wurde zum vorläufigen Präsidenten, die vier jüngsten Mitglieder zu vorläufigen Sekretären ernannt. Nach einer Lesung des Gesetzes zur Bestellung des Parlamentssekretariats wurden per Wahl ein Präsident (Daunou) und vier 447

Vgl. Moniteur n° 15, 15 vendémiaire IV (7. Oktober 1795), séance du 10 vendémiaire sowie séance du 11 vendémiaire. 448 Réunion générale du corps législatif, in: Moniteur n° 44, 14 brumaire IV (5. November 1795). Dabei wurde streng darauf geachtet, dass die angestrebte Proportionalität in beiden Kammern gewährleistet sei. 449 Ebd. 450 Moniteur n° 44, 14 brumaire IV (5. November 1795).

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Sekretäre (Reubell, Thibaudeau, Chénier und Cambacérès) bestimmt und die erste Sitzung anschließend sofort wieder aufgehoben. Im Rat der Alten, der im Sitzungssaal des Konvents verblieb, ging man nach demselben Prinzip vor: La Revellière-Lepeaux wurde zum Präsidenten, Baudin (des Ardennes), Lanjuinais, Bréard und Ch. Lacroix zu Sekretären bestellt; anschließend vertagte man sich auf den Folgetag. Auch am 7. Brumaire (29. Oktober), dem ersten ordentlichen Sitzungstag beider Räte, fand keine besondere Zeremonie statt: Die Fünfhundert versammelten sich mit dem dreifarbigen Schal um die Hüften, die Alten mit dem Schal um die Schultern gelegt. Die ersten Sitzungen standen in beiden Kammern noch stark unter Eindruck des Aufstands vom 13. Vendémiare (5. Oktober). Charlier forderte am 7. Brumaire im Conseil des Anciens, man solle zumindest ein gemeinsames Bekenntnis für die Republik ablegen: „Puisque la calomnie a poursuivi la Convention que vous remplacerez, a poursuivi ceux qui ont été nommés par les assemblées électorales, vous devez, en imitant le trait de Brutus, dire que vous aurez le poignard à la main pour le malheureux qui voudrait servir à la royauté.“451 Lacroix beantragte die Einhaltung der Tagesordnung: Man habe sich im Namen der republikanischen Verfassung versammelt – niemand der Anwesenden stehe im Verdacht, dieser nicht Folge leisten zu wollen, sonst hätte er das Amt nicht akzeptiert. Der Vorschlag einer gemeinsamen Erklärung wurde abgelehnt. Eine gezielte Ansprache der Zuschauer auf der Tribüne lässt erkennen, dass das Tragen von Gesinnungszeichen wie der Jakobinermütze sowie die Praxis der Zwischenrufe, welche die Arbeit des Konvents stets stark beeinflusst hatten, verboten worden war: Im Rat der Alten wurden die Gäste aufgefordert, den neuen Bestimmungen entsprechend ihre Kopfbedeckungen abzulegen; im Rat der Fünfhundert wies Daunou am 8. Brumaire nach begeistertem Szenenapplaus darauf hin: „Tout signe d’approbation ou d’imapprobation est expressément défendu par la constitution; il doit y avoir un huissier dans la tribune, et il doit faire sortir à l’instant le citoyen qui a enfreint l’article constitutionnel que je cite.“452 Die erste Aufgabe, der sich die Räte anschließend widmeten, war die Wahl der Regierung, des Directoire exécutif. La Revellière, Barras, Reubell, Letourneur und Carnot nahmen am 14. Brumaire (5. November) ihre Tätigkeit auf.453

451

Ebd. Ebd. 453 Vgl. Moniteur n° 45, 15 brumaire IV (6. November 1795). 452

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Symbolpolitische Konkurrenz zwischen Exekutive und Legislative Die Einsetzung der neuen Exekutive ging mit einer Aufwertung und Abgrenzung des Regierungsgremiums gegenüber dem Parlament einher. Es entstand eine neue Hierarchie an der Spitze des Staates. Nach den Unruhen des Jahres 1795, welches durch die Aufstände der linken und rechten Opposition geprägt gewesen war, hatte man sich eine starke Exekutive ausdrücklich gewünscht.454 Zwar war dem Direktorium der direkte Eingriff in die Gesetzgebung nicht möglich:455 Das Initiativrecht lag vollkommen beim Rat der Fünfhundert. Doch markierte bereits seine Ausstattung mit einer Leibgarde, mit Staatsornat und mit Vorrechten im Zeremoniell die führende Rolle, die das Gremium fortan in der republikanischen Ordnung beanspruchte. Viele Parlamentarier waren skeptisch, zumal sie entscheidende Kompetenzen, die sie im Zuge des Kriegsrechts der vergangenen Jahre selbst über ihre Ausschüsse ausgeübt hatten, nun an die Regierung verloren. Da unmittelbar vom Volk bestimmt, fühlte man sich selbst als Zentrum der Verfassungsordnung. Doch die gesetzlich fixierten Spielregeln ließen erneut Gestaltungsspielraum für die konkrete Einrichtung des Mit- und Nebeneinanders der Institutionen. Über Gewährsmänner in den Versammlungen versuchte das Direktorium unermüdlich, seine eigene Politik durchzusetzen. Und daneben nutzte es den ihm zugesprochenen Bereich der Repräsentation und offiziellen Symbolpolitik, um parlamentarische Kursänderungen einzufordern. Dies forderte wiederum die Abgeordneten zu gesetzlichen Gegeninitiativen in der Vergangenheits- und Erinnerungspolitik heraus. Konflikte waren vorprogrammiert. Die Verfassung von 1795 untersagte den Abgeordneten beider Räte die Teilnahme an den öffentlichen Festen.456 Nur die Direktoren selbst 454

Bereits im Vorfeld des Vendémiaire-Aufstandes plädierte Lacombe-Saint-Michel für eine gezieltere Durchsetzung der republikanischen Ordnung: „Les lois ne manquent pas à la république, mais l’énergie ou les moyens manquent au gouvernment pour les faire exécuter. On dénonce une infraction aux lois; mais pourquoi elle n’est pas punie? Lorsque la Convention nationale a confié le pouvoir exécutif à des comités, elle les a revêtus de toute la puisance nécessaire pour faire exécuter les lois et en punir la violation. Pourquoi donc ne sont-elles pas obéies? […] Je demande l’exectution des lois.“ Moniteur n° 15, 15 vendémiaire IV (7. Oktober 1795), CN, séance du 11 vendémiaire. 455 Vgl. ROSANVALLON, Pierre: Le sacre du citoyen. Histoire du suffrage universel en France, Paris 1996, S. 195. 456 Dies wurde auch über die Presse kommuniziert. Der Rédacteur vermeldet nach dem 21. Januar 1796: „Le corps législatif, ne pouvant, aux termes de la Constitution, assister à aucune cérémonie publique, célébra cette fête dans son sein; ses membres se rendirent ensuite individuellement au Champ de la Fédération, où ils jouirent du spectacle d’un peuple immense, bénissant leur ouvrage, jurant le maintien de la Constitution républi-

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traten – im großen Staatsornat – zu den wichtigsten Nationalfeiertagen in Erscheinung. Die erste Gelegenheit dazu bot der Jahrestag der Hinrichtung Ludwigs XVI. am 21. Januar 1796: Um elf Uhr verließ das Fünfer-Gremium hinter seinen Amtsdienern (Huissiers) und Boten (Messagers d’État) seinen Wohn- und Regierungssitz, das Palais du Luxembourg, nach Angaben des offiziellen Protokolls unter vive-laRépublique-Rufen.457 Dort heißt es weiter, zahlreiche Bürger hätten anschließend die Wagen der Direktoren zur Militärschule am Rande des Marsfeldes begleitet und dabei patriotische Lieder gesungen. Ein Kanonenschuss kündigte die Ankunft auf dem Festplatz an. Die Amtspersonen der Pariser Obrigkeit ordneten sich der neuen Regierung unter: Sie begleiteten die fünf Direktoren zu ihren Sitzen in der Mitte des Festplatzes, auf einem Podest neben dem Vaterlandsaltar. Reubell, der amtierende Präsident des Directoire exécutif, hielt eine Festrede.458 Der Festzug bot Gelegenheit, die von nun an geltenden Hierarchien an der Staatsspitze zu visualisieren: Die Verfassung schrieb der Regierung bei solchen Anlässen den ersten Rang vor. Auf die Beteiligung von Sektionsvertretern oder anderen Gruppen der Bevölkerung wurde verzichtet: Le cortège se remit ensuite en marche; les fonctionnaires publics de toutes classes, les officiers généraux et l’état-major de l’armée étaient à en avant du directoire, qui marchait précédé des huissiers, des messagers d’Etat et des ministres. On rentra dans ce cadre à l’Ecole militaire au milieu d’une double haie de citoyens qui s’empressaient à l’envie de manifester leur joie et leur attachement à la République.459

Nach den Erfahrungen der radikalen Revolution und der Aufstände des Jahres 1795 war die Einbindung der Amtsträger der Verwaltungsinstanzen der Hauptstadt sowie des Seine-Departements von großer Bedeutung für die Durchsetzung der neuen Machtverhältnisse. Durch die Einordnung der Beamten und Würdenträger im Festzug zollten diese der neuen Regierung Respekt. Auch anlässlich der Fête de la Victoire am 1. Prairial IV (29. Mai 1796) holten die Präsidenten der anwesenden Institutionen und Körperschaften („présidens des corps constitués“) das Direktorium als eine Art Ehrengarde an der École de Mars ab, um

caine et une haine éternelle à la royauté.“ Zitiert nach AULARD: Paris pendant la réaction, Bd. 2, S. 691: 1er Pluviôse an IV. 457 Vgl. Directoire exécutif. Procès-verbal du 1er Pluviôse an 4 de la République Française, une et indivisible [sur la fête du 21 janvier], Paris, an IV. 458 Vgl. Moniteur n° 125, 5 pluviôse an IV (25. Januar 1796). 459 Ebd.

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es zur Mitte des Festplatzes zu geleiten.460 Darüber hinaus markierten die Regierungsmitglieder durch den Vollzug symbolischer Handlungen ihre Position als ‚Staatsoberhäupter‘: Zum ‚Fest der Siege‘ verteilten sie Kronen aus Eiche und Lorbeer an besonders tapfere Soldaten;461 zum Gedenken an die Revolutionen von 1789, 1792 und den 9. Thermidor entzündeten sie auf dem Altar des Vaterlandes ein ‚heiliges Feuer der Freiheit‘ („feu sacré de la Liberté“)462 – und der Präsident des Gremiums hielt stets die Festrede, worin er eine Deutung der revolutionären Ereignisse den Vorstellungen des Regierungsorgans gemäß vornahm. Jeder Jahrestag bedeutete eine offizielle und öffentliche Stellungnahme zu Ereignissen der revolutionären Vergangenheit; die vom Direktorium getroffenen Entscheidungen und Schwerpunktsetzungen wurden äußerst kritisch beäugt. Die Räte gaben sich keineswegs stillschweigend mit der neuen Rollenverteilung zufrieden: Auch sie beanspruchten die Deutungshoheit über die Vergangenheit und waren bereit, mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln gegen die Regierung um Einfluss zu kämpfen. Bereits im Juli 1796 erregte ein Erlass den Unmut vieler Abgeordneter: Die Feste des 14. Juli und des 10. August sollten nach Wunsch des Direktoriums zusammen mit dem 9. Thermidor (27. Juli) am 9. und 10. Thermidor begangen werden. Das Festprogramm sah einen Umzug der autorités constituées durch die Straßen der Hauptstadt vor: An verschiedenen Stationen (von der Bastille zum Marsfeld) waren Gedenkmomente an die journées révolutionnaires der zurückliegenden Jahre eingeplant – sowie die gleichzeitige Abrechnung mit Monarchie und Jakobinerdiktatur.463 Der Abgeordnete Guyomar protestierte gegen die offizielle Linie der Regierung, welche durch die Zusammenlegung der journées versuche, eine Politik des Vergessens zu betreiben.464 Einen Tag vor der Feier des 9. Thermidor (27. Juli), also erst nach Verstreichen des 14. Juli, aber noch vor dem 10. August, präsentierte Chénier den Fünfhundert den Bericht eines Sonderausschusses für Erziehung und Institutionen, der sich mit diesem Problem befasst hatte. Die 460

Vgl. Liberté. Égalité. Programme de la fête de la Victoire, 10 Prairial de l’an IV. Vgl. ebd. 462 Vgl. Ordre, Marche et Cérémonies des fêtes qui seront célébrées les 9 et 10 thermidor. 463 Vgl. ebd. 464 „Au 14 juillet on a dit que la souveraineté appartenait au Peuple, on la lui a restituée au 10 août. Ces deux jours doivent donc nous être également chers, et, conformément aux lois existantes, doivent être célébrés par des fêtes annuelles qui en perpétuent le souvenir. Cependant le directoire a arrêté qu’une seule et même fête, célébrée le 9 thermidor, rappellerait ces trois mémorables époques. Cette disposition est contraire à la loi. La commémoration du jour où le Peuple de Paris a renversé la Bastille, ne doit être célébrée que le 14 juillet.“ Moniteur n° 296, 26 messidor IV (14. Juli 1796). 461

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Gesetzgeber beschlossen daraufhin in Abgrenzung zum Direktorium, dass fortan jährlich sowohl der 14. Juli als auch der 10. August mit jeweils eigenen Festen begangen werden sollten.465 Die Mehrheit der Abgeordneten teilte entsprechend die Kritik an der vordergründig harmonisierenden Symbolpolitik des Direktoriums. Erstmals tauchte in den Reihen der Abgeordneten auch der Wunsch auf, selbst wieder an den Festen teilnehmen zu dürfen: Ob es nicht sinnvoll sei, an den Festtagen und Dekadi die Sitzungen auszusetzen, um als Bürger den ‚republikanischen Kult‘ beispielhaft vorzuleben, wurde gefragt. Cambacérès wusste dies zu verhindern, indem er auf die Krisenhaftigkeit der aktuellen politischen Lage verwies und vorschlug, ein solches Verhalten gegebenenfalls in einer friedlicheren Zukunft zu realisieren.466 Keine zwei Wochen nach der Zeremonie vom 9. und 10. Thermidor wurde dem neuen Gesetz entsprechend bereits im ganzen Land der 10. August als Feiertag begangen.467 Das Direktorium, ursprünglich Gegner der Veranstaltung, dominierte nun den Pariser Festakt: Gemeinsam mit den Botschaftern und den autorités constituées nahm es auf dem Hügel inmitten des Marsfeldes zu Füßen der Freiheitsstatue Platz und beobachtete von dort aus die Durchführung von sportlichen Wettkämpfen; die übrigen Zuschauer belegten Plätze auf der Böschung rund um das Feld.468 Die Räte hingegen begingen die Feste am 9. Thermidor469 und am 10. August nicht mit eigenen Feierstunden.470 Der Konklikt um die Entscheidungskompetenz war damit jedoch keineswegs beigelegt: Bereits kurze Zeit später spaltete die Frage der angemessenen Inszenierung des Festes der Republikgründung am 1. Vendémiaire V (22. September 1796) den parlamentarischen Erziehungsausschuss und das Direktorium. Der Rat der Fünfhundert bekräftigte zwar grundsätzlich den Wunsch zur Durchführung eines Festes, beabsichtigte aber auch dessen Ablauf selbst zu kontrollieren 465

Vgl. Moniteur n° 312 et 313, 12 et 13 thermidor IV (30. und 31. Juli 1796), CCC, séance du 8 thermidor; der Rat der Alten nahm den Vorschlag in seiner Sitzung vom 10. Thermidor an, vgl. Moniteur n° 317, 17 thermidor IV (4. August 1796). 466 Vgl. Moniteur n° 313, 13 thermidor IV (31. Juli 1796), CCC, suite de la séance du 8 thermidor. 467 Vgl. DE, Arrêté du 13 thermidor, in: Moniteur n° 322, 22 thermidor IV (9. August 1796) sowie Fête nationale du 10 août, fixée au 23 thermidor an IV, in: Moniteur n° 323, 23 thermidor IV (10. August 1796). 468 Vgl. Fête nationale du 10 août, fixée au 23 thermidor an IV. Programme, Paris o. J. [Signé: Le Ministre de l’Intérieur, Bénézech]. 469 Vgl. Moniteur n° 315 et 316, 15 et 16 thermidor IV (2. und 3. August 1796). 470 Vgl. Moniteur n° 332, 2 fructidor IV (19. August 1796).

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– ohne dazu legitimiert zu sein, denn die Ausgestaltung des Festes oblag der Exekutive.471 In einer aufwendigen Inszenierung ließen die Verantwortlichen schließlich ‚die Republik‘ vor den Augen der Pariser auf dem Marsfeld erscheinen.472 La Revellière zeichnete als Präsident des Direktoriums verantwortlich für die komplexe Inszenierung, die von der oppositionellen Presse – wie zu erwarten – stark kritisiert wurde.473 Weder die Exekutive noch die Legislative hatte den Kampf um die Deutungshoheit gewonnen. Solche Konflikte sollten sich ab 1797 weiter verschärfen: Immer deutlicher nahm die Fraktion der modérés über Gesetzesänderungen Einfluss auf die Symbolpolitik der Regierung.474 Auch im Rat der Alten beging man nun den Jahrestag der Hinrichtung des Königs und legte den Eid ab – anders als noch 1796.475 Für das Direktorium gerieten die Feste im öffentlichen Raum gleichzeitig mehr und mehr zu einem Forum der Selbstdarstellung. Die sich dahinter verbergenden Interessen waren unübersehbar: Durch die öffentliche Demonstration der Staatsmacht im Kreise eines großen diplomatischen Korps hoffte man, die eigene Autorität zu festigen. Ein Musterbeispiel für diese Strategie ist der Empfang des osmanischen Botschafters im Palais du Luxembourg am Jahrestag des 9. Thermidor. Esséid Ali Effendi war der erste ständige Vertreter des Osmanischen Reiches in Frankreich.476 Hatten sich die jahrhundertelangen guten Beziehungen zwischen Frankreich und dem osmanischen Reich bislang stets auf außerordentliche diplomatische Gesandtschaften und Missionen beschränkt, so hatte im Kontext des Krieges eine ständige Vertretung in Paris vor allem öffentlichkeitswirksamen Prestigecharakter: Wenn England eine ständige Botschaft aufweisen konnte und auch in Berlin, Sankt-Petersburg und Wien Botschaften eingerichtet wurden, so galt es, mit den europäischen Mächten gleichzuziehen. Umgekehrt war Selim III. an der Unterstützung Frank471

Vgl. ebd sowie Moniteur n° 334, 4 fructidor IV (21. August 1796), CCC, séance du 28 thermidor. 472 Vgl. ausführliche Beschreibung in Kapitel 2.1.2. 473 Das Journal des hommes libres bewertete viele Details schlichtweg als „ridicule“ oder der Phantasiewelt des konservativen Innenministers Bénézech entsprungen. Vgl. Journal des hommes libres, 4 vendémiaire V (25. September 1796). 474 Die republikanische Eidesformel auf die Verfassung und gegen die Monarchie wurde am 21. Januar 1797 eweitert um den Zusatz, man schwöre auch der Anarchie ab. Vgl. dazu LEFEBVRE: La France sous le Directoire, S. 213; Antrag im Moniteur n° 113, 24 nivôse V (13. Januar 1797), CCC, séance du 22 nivôse. 475 Vgl. Moniteur n° 124, 4 pluviôse V (23. Januar 1797), CA, séance du 2 pluviose. 476 Vgl. HERBETTE, Maurice: Une ambassade turque sous le Directoire. Avec neuf planches hors texte, Paris 1902, S. 5. Zum Folgenden vgl. ebd., S. 5ff.

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reichs interessiert, um russische Ambitionen in Schach zu halten. Entgegen den Gepflogenheiten der Monarchie, aber auch ohne Widerspruch durch die parlamentarischen Räte, hatte das Direktorium die Kosten der Unterbringung Esséid Ali Effendis übernommen und ihm das Hotel der ehemaligen Prinzessin von Monaco in der Rue Saint-Dominique zur Verfügung gestellt.477 Am Fest der Freiheit, dem 10. Thermidor, zog der Botschafter in einem bis ins letzte Detail durchgeplanten Festzug zum Palais du Luxembourg, wo er dem Direktorium seine Aufwartung machte und der Festzeremonie beiwohnte. Auch dieses Zusammentreffen wurde protokollarisch minutiös geplant; das Direktorium erhob den Anspruch, ebenso behandelt zu werden, wie vormals die französischen Könige.478 Während der Begrüßung des Botschafters behielten die Direktoren zum Beispiel ihre Kopfbedeckung auf. Die ironischen Reaktionen der oppositionellen Presse belegen in diesem Fall wohl eher den Erfolg als das Scheitern der Inszenierung.479 Das Direktorium hatte einen Achtungssieg erzielt und einen außenpolitischen Erfolg zu verzeichnen, den die Krone nie erreicht hatte. Alle Versuche, den Umzug oder die staatlichen Würdenträger ins Lächerliche zu ziehen, waren angesichts der zusammengekommenen Menschenmenge und der in Paris ausgelösten turcomanie bedeutungslos.480 Bis in die Modewelt hinein verbreitete sich eine nachhaltige Orientbegeisterung: „les marchandes de modes furent sur les dents pour exécuter les commandes de chapeaux turbans, de bonnets turcs, de robes à la turque et à l’odalisque que leur firent avec une sorte de furie leurs clientes affollées par le désir de séduire l’envoyé du Sultan.“481 Vergleichbaren Erfolg hatten die Besuche des Zars im Jahr 1717 oder auch Josephs II. nicht 477

Vgl. ebd., S. 99. Vgl. Ordre, marche et cérémonies qui auront lieu pour la première audience de réception de l’Ambassadeur Ottoman, le 10 thermidor et pour les fêtes des 9 et 10 thermidor. Extrait des régistres des délibérations du Directoire exécutif, du 6 thermidor an 5 (24. Juli 1797), Paris o. J. 479 Besonders der Thé und die Semaines critiques hatten versucht, den Zug der Lächerlichkeit preiszugeben, indem sie ihn als unwürdig, schlecht ausgestattet und schlecht geordnet beschrieben. Vgl. Le Thé, an V, S. 432, wo jede einzelne Abteilung parodiert wurde. Vgl. Semaines critiques n° III, S. 37, die Musiker seien in unpassenden, zerrissenen, verblichenen Lumpen aufmarschiert, mit verschiedensten, nicht zusammen passenden Kopfbedeckungen; die Wagen der Minister seien schmutzig und hässlich gewesen. 480 Herbette kommt zu einem ähnlichen Schluss, vgl. HERBETTE: Une ambassade, S. 139ff. Vier Wochen lang sei Esséid Ali der „König von Paris“ gewesen. Zum Begriff der „turcomanie“ vgl. ebd., S. 168ff. Bereits am 28. Juli, dem Tag des Empfangs beim Direktorium, veröffentlichte das Journal des Dames einen Artikel, in dem öffentlich zu einer Übernahme türkischer Stilelemente zu Ehren des neuen Botschafters aufgerufen wurde. 481 HERBETTE: Une ambassade, S. 142. Zum Folgenden vgl. ebd., S. 142ff. 478

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auslösen können. Sinnfälligerweise wurde auch ein Besuch in Versailles mit in das Programm aufgenommen: Zwei Tage lang organisierte die Departementverwaltung einen Aufenthalt in der alten Hauptstadt, um Esséid Ali die Pracht der untergegangenen Monarchie vor Augen zu führen; die Décade philosophique berichtete, dass die Wasserspiele für den Gast zu neuem Leben erweckt wurden.482 Kein Wunder, dass die oppositionelle Presse Vergleiche mit dem Ancien Régime bemühte.483 Die demokratische Opposition nutzte den Anlass zu einer Fundamentalkritik. In einem fiktiven Rapport des Botschafters an seinen Sultan wurde die Politik vor und nach den Wahlen von 1797 miteinander verglichen und die Haltung von Direktorium und Räten als gegenrevolutionär denunziert.484 Durch die Feier des 10. August pflegte die Regierung kurze Zeit später jedoch demonstrativ auch die republikanische Tradition: Der Tag wurde als „placé au rang des premières fêtes nationales“ ausgewiesen und genutzt, um gegen die Royalisten Stellung zu beziehen:485 Oui, nous le jurons par ce dépôt sacré du pouvoir que la Constitution a remis temporairement dans nos mains; toute tentative pour renverser la République sera vaine, et ceux quitravailleront [sic] à cette œuvre d’iniquité y trouverout [sic] la mort qu’ils préparaient aux Républicains. Les premiers magistrats de la République peuvent se trouver séparés d’opinion sur quelques moyens de l’affirmer; mais on les trouvera toujours réunis quand il faudra la défendre.486

Der Hinweis war eindeutig: Zwar sei man sich nicht immer einig in der Wahl der Mittel zur Festigung der Republik, doch definierte man sich im eigenen Selbstverständnis als „gouvernement populaire“, welches 482

Zitiert nach ebd., S. 164f.: „On fit revivre pour la circonstance‚ le spectacle des eaux jaillissantes, et le bassin de Neptune exita la particulière admiration de l’ambassadeur qui fut salué, en arrivant dans le parc, par la musique de la garde nationale et des trompettes de cavalerie placées sur le sommet du rocher d’Apollon.“ 483 Vgl. zum Empfang beim Direktorium: Le Véridique, 13 thermidor an V (31. Juli 1797). Die Zeitung schrieb, der Zug sei kleinlich, die Wagen mittelmäßig, die Musik barbarisch und unangenehm gewesen; weder Glanz noch Majestät habe man verspürt, wenig Ordnung – kurz gesprochen, man habe alle Formen des Ancien Régime bemüht, jedoch ohne dessen Reichtum und Pracht zu erreichen. Die interessanteste Person sei das Pferd des Botschafters gewesen: „Le personnage le plus brillant de toute la fête a été décidément le cheval de l’ambassadeur, et c’est lui qui a le mieux soutenu aux yeux du peuple l’honneur de la Cour ottomane.“ 484 [Anonym]: Rapport fait au Divan par Esseid-Aly-Effendy, Ambassadeur de la Porte Ottomane près la République française, sur la situation actuelle de la France, et sur l’esprit public, o. O. o. J. 485 Vgl. Arrêté du 17 thermidor, in: Moniteur n° 321, 21 thermidor V (8. August 1797). 486 Moniteur n° 327, 27 thermidor V (14. August 1797).

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mit Liebe und Vertrauen zu regieren versprach. Die Einheit sei das wichtigste Ziel. Wohl um dies zu erreichen und zu erhalten, bemühte das Direktorium sowohl Elemente monarchischer als auch revolutionärer Tradition, machte Zugeständnisse an die rechte und die linke Opposition. Beide Lager denunzierten jedoch diese Praxis als ‚Schaukelpolitik‘; das Ziel der Einheitsstiftung wurde verfehlt.487

2.2.3 Neue Herrschaftsrepräsentation: Republikanischer Pomp Das neue Selbstbewusstsein der republikanischen Exekutive Die Konflikte zwischen den Räten und dem Direktorium sollten sich auf zahlreichen anderen Politikfeldern weiter verstärken, als nach den Wahlen im Frühjahr V (1797) eine konservative Mehrheit die Räte dominierte. Die Abgeordneten schreckten auch vor öffentlicher Kritik an der Regierung nicht zurück und ließen es zur Kraftprobe kommen, die das Direktorium – genauer gesagt die drei Direktoren Barras, Reubell und La Revellière-Lepeaux – mit dem Staatsstreich vom 18. Fructidor (4. September) für sich entscheiden konnte. Im Anschluss daran verstärkte die Regierung ihre symbolpolitische Offensive in verschiedener Hinsicht. Neue Elemente wurden in die Festzeremonien aufgenommen: Anlässlich des Festes zur Gründung der Republik (1. Vendémiere VI / 22. September 1797) zogen die siegreichen Triumvirn durch die Straßen der Hauptstadt – seit 1794 hatte man auf weite Wege und größere Umzüge konsequent verzichtet. Die Festvorbereitungen hatten zum Teil vor dem Staatsstreich begonnen; mit dem 18. Fructidor wurde die erfolgreiche Durchführung gesichert und das Programm fertiggestellt.488 Die Räte hatten sitzungsfrei; Gedenkreden waren dort bereits am 5e jour complementaire (21. September) gehalten worden.489 Die Zeremonie bestand im Wesentlichen aus einer Machtdemonstration des ‚FructidorDirektoriums‘. Zunächst ehrte dieses in der église des Invalides drei Verletzte, um anschließend zum Marsfeld zu fahren, wo der eigentliche Festakt, mit Rede, Musik und sportlichen Wettbewerben, stattfand. Die Regierungsmitglieder nahmen auf einer Tribüne zu Füßen der Freiheitsstatue Platz; La Revellière-Lepeaux nutzte die Gelegenheit, um für eine Neuausrichtung der Regierungspolitik zu werben.490 Die Ehrung der Verletzten steigerte sich zu einer Verherrlichung des Todes 487

Zum Thema Schaukelpolitik vgl. auch Kapitel 3.4.3. Vgl. Moniteur n° 1, 1er vendémiaire VI (22. September 1797). 489 Vgl. Moniteur n° 348, 18 fructidor V (4. September 1797), CCC, séance du 13 fructidor. 490 Vgl. Moniteur n° 3, 3 vendémiaire VI (24. September 1797). 488

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im Dienste der Nation. Erst zu Beginn der sportlichen Kämpfe zog sich das Direktorium in die École militaire zurück. Hatte der Empfang des osmanischen Botschafters noch unter der Kritik der Opposition gelitten, so stand vom Herbst 1797 an einer pompösen Inszenierung der Feste nichts mehr im Wege.491 La Revellière-Lepeaux bemühte sich um die Entwicklung einer veritablen ‚republikanischen Festliturgie‘492. Er regte eine Weiterentwicklung und Verstärkung der visuellen und akustischen Inszenierungsformen (Kleidung, Musik, Spiele) an: Die Protagonisten der vorgesehenen Aufführungen sollten nicht nur einfache Abzeichen erhalten, sondern komplett eingekleidet werden, ‚mit Anmut drapiert‘ und innerhalb der verschiedenen beteiligten Gruppen jeweils ‚vollkommen einheitlich‘.493 Nur über solche Trachten und Uniformen sowie über das Gesamtbild der dabei entstehenden regelmäßigen Vielfalt, so die Meinung La Revellières, könne auch Pomp erreicht werden. Der Direktor mahnte die Räte, sich in naher Zukunft stärker symbolpolitischer Fragen anzunehmen – ein klarer Auftrag, unter anderem auch die in Vergessenheit geratene Debatte um die Amtstrachten wieder aufzunehmen.494 Die Gedenkfeste des Sommers 1798 wurden gemäß der neuen Linie mit großem Aufwand öffentlich auf dem Marsfeld inszeniert. Die Prozession wurde als Festelement wiederentdeckt, Prozessionsordnungen in Festprogrammen akribisch genau definiert – wenn auch kein großer Straßenumzug mehr veranstaltet, sondern kurze Wege bevorzugt wurden.495 17 Abteilungen sollten am 14. Juli von der École de Mars zur Mitte des Festplatzes ziehen und auf dem Altar des Vaterlandes Platz nehmen.496 Erstmals wurden Ordner eingesetzt, welche die Einhaltung der Sitzordnung kontrollierten. Auch die im Festzug mitgeführte Symbolik wurde weiter ausgebaut: Hinter den Mitgliedern des Institut national fuhr ein antiker Kampfwagen mit einem Rutenbündel („faisceau“), 491

Oppositionelle Zeitungen waren geschlossen und die Räte von regierungsfeindlichen Mitgliedern gesäubert worden. 492 MATHIEZ: La théophilanthropie et le culte décadaire, S. 192. Vgl. dort auch zum Folgenden. 493 Vgl. La Revellière-Lepeaux, Louis-Marie de: Essai sur les moyens de faire participer l’universalité des spectateurs à tout ce qui se pratique dans les fêtes nationales, Lu dans la séance du 22 vendémiaire an VI de la classe des sciences morales et politiques de l’Institut national, in: Mémoires de Lareveillière-Lépeaux, membre du Directoire exécutif de la République française et de l’Institut national, Bd. 3: Pièces justificatives, Paris o. J., S. 28–39, S. 33. 494 Zur Debatte um die Amtstrachten vgl. Kapitel 2.2.1. 495 Zum symbolpolitischen Instrument der Prozession vgl. allgemein Kapitel 2.4.1. 496 Vgl. Moniteur n° 288, 18 messidor VI (6. Juli 1798).

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Emblem der Einheit der Departements. Nach den militärischen Spielen stieg ein mit Inschriften versehener Heißluftballon von der Mitte des Marsfeldes auf. Diese aufsehenerregende Demonstration von Fortschritt wurde von Militärmusik begleitet. Kanonendonner strukturierte die Zeremonie und markierte Beginn und Abschluss der Handlungen des Direktoriums. Am 9. und 10. Thermidor VI (27. und 28. Juli 1798) ließ die Regierung die Beutekunst aus Italien triumphal in die Hauptstadt überführen.497 Die Direktoren besichtigten die Objekte am zweiten Veranstaltungstag auf dem Marsfeld (vgl. Abb. 34).498 Wohl um jeden Verdacht auf Selbsterhöhung abzuwehren, erhoben sie während der Zeremonie Brutus ins Pantheon der Revolution. Eine Statue des Römers stand zu Füßen des Vaterlandsaltares und wurde im Zeremoniell von Regierungschefs und Ministern mit Lorbeer geschmückt.499 Der Königsverhinderer Brutus wurde auf diese Weise in eine Traditionslinie mit den Siegern des 9. Thermidor gestellt, die ein Königtum Robespierres verhindert hätten. Diese Interpretation wurde auch durch die „Hymne du IX. Thermidor“ von Desorgues und Lesueur unterstrichen, welche den Kampf gegen den ‚perfiden Tribun‘, seinen ‚Luxus‘ und seine monströsen Gräueltaten erneut aufleben ließ: Levons-nous, un tribun perfide, De son orgeuil foule nos droits; Pour subir son joug homicide, Avons-nous triomphé des rois? […] Réveillons-nous, de sa furie Arrêtons le coupable essor; Entre un rébel et la patrie, Pouvons-nous balancer encor [sic]? Entre un rébel et la patrie, Pouvons-nous balancer encor [sic]?500

497

Zu diesem Fest und der damit verbundenen Ideologisierung der Kunstpolitik vgl. auch Kapitel 2.4.4. 498 Vgl. François de Neufchâteau, Nicolas: Detail officiel, Ordre, marche et cérémonies, Qui seront observés aujourd’hui et demain dans Paris et au Champs de Mars, à l’occasion de la destruction des échaffauds, des bastilles, et du règne infernal de la terreur, Hymne, Qui sera chanté au Champs de mars en l’honneur de cette Fête, Liste et noms des trente chars, et des animaux rares et curieux qui formeront le cortège. Chants: danses, illuminations, divertissements de tous les genres pendant les deux jours de fêtes. Arrêté le 4 thermidor, an 6ème de la République française, o. O. 499 Ebd., S. 6. 500 Ebd., S. 7.

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2. Ordnung als Anschauungssache

Die öffentliche Distanzierung von Tyrannei und Königsherrschaft war als Demutsgeste geschickt platziert und wohl auch ratsam, betrachtet man das ansonsten selbstbewusste Auftreten der Direktoren als ‚Herrscher‘ der Republik: Am 10. August 1798 (23. Thermidor VI) waren die Ränge des Marsfeldes mit Teppichen aus der traditionsreichen und renommierten manufacture nationale des Gobelins geschmückt, die ehemals dem Hause Bourbon gehört hatte und nach ihrer Verstaatlichung mehrere Jahre geschlossen gewesen war.501 Das Direktorium nutzte sie ab 1798, ebenso wie später Napoleon Bonaparte, zu Propagandazwecken; auch als diplomatische Geschenke waren die Tapisserien beliebt. Zeremoniell und Dekoration verfeinerten sich immer weiter: In der École de Mars waren verschiedene Zimmer für den Empfang von Botschaftern, Ministern und ausländischen Beratern reserviert; das Direktorium zog am 10. August 1798 in Begleitung der Minister, des Generalstabs der 17. Armeedivision und „celui de la place“ zu dem Gebäude. Das Rutenbündel, auf dem die Namen aller Departements verzeichnet waren, wurde nun von alten und jungen Männern sowie von Bauern, die bereits während der moralischen Feste ausgezeichnet worden waren, direkt vor dem Regierungsgremium hergetragen und anschließend auf einem Altar in antiker Form inmitten des Platzes aufgestellt.502 Das Dekor wurde durch einen Obelisken komplettiert, zum Andenken an die Kämpfer des 10. August, sowie durch Statuen von Rednern und Generälen um den Altar herum. Die Musikdarbietungen wurden weiter vereinheitlicht: Vor der Rede des Präsidenten gab man eine Symphonie, gefolgt von der „hymne à la liberté“ zum Besten, anschließend ertönte die „hymne du Dix août“, und nachdem das Direktorium gemeinsam mit den ausgewählen Vertretern der Gesellschaft den Obelisken mit einer Girlande bekränzt hatte, beschloss der Gesang „Veillons au salut de l’Empire“ die Zeremonie. Anschließend fanden in Anwesenheit der Direktoren Spiele statt. Auf die Inszenierung des ersten Jahrestages des 18. Fructidor legten die Regierungschefs besonderen Wert, bot er doch Gelegenheit, sich selbst als Hüter der republikanischen Verfassung zu inszenieren. Die Breitseiten des Marsfeldes waren erneut mit „tapisseries de la Manu-

501

Vgl. François de Neufchâteau, Nicolas: Ordre, marche et cérémonie qui auront lieu au Champ-de-Mars pour la célébration de la Fête du Dix Août. Décoration du Cham[sic]de-Mars avec les Tapisseries des Gobelins. – Jeux et Courses à pieds, à cheval, et dans des chars. – Prix qui seront décernés aux Vainqueurs. – Hymnes qui seront exécutés devant le Directoire. – Discours du Président du Directoire. Arrêté le 14 thermidor an 6. 502 Vgl. ebd., S. 2.

2.2 Legitime Repräsentanten

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facture nationale des Gobelins“503 geschmückt. Auch der Obelisk war erneut Teil der Inszenierung, geschmückt mit Trikolore und LorbeerGirlanden, diesmal dem 18. Fructidor geweiht: „Jour de justice et de clémence“504. Trophäen und emblematische Figuren umgaben den Pfeiler; sie symbolisierten die wichtigsten Wertvorstellungen des Zweiten Direktoriums: Freiheit, Triumph, Gerechtigkeit und Milde. Vor dem Obelisken stand eine einzelne Figur, welche die ‚politische Heuchelei‘ („hypocrisie politique“) verkörperte: Sie gab vor, die Verfassung zu bewundern; eine Hand jedoch, die einen Dolch und Ketten trug, hielt sie hinter dem Rücken. Das Direktorium zog hinter Ministern, Botschaftern, Lehrern, Richtern, den autorités etc. auf dem Festplatz ein; der Präsident hielt eine Festrede, gefolgt vom Chant du 18 Fructidor. Danach schritt das Direktorium zu dem Obelisken. Es nahm die Verfassung aus den Händen der hypocrisie und trug das Buch, wie im katholischen Ritus der Priester die Bibel, triumphal vor sich her zum Altar des Vaterlandes. Dort wurde es anschließend aufgeschlagen auf einer eigens bereitgestellten Buchstütze präsentiert.505 Auch weitere Mitglieder der Exekutive, vor allem einzelne Minister, nutzten die Feste des Jahres 1797/98 zur Herausstellung der eigenen Person, so Talleyrand, der im Dezember 1797 Bonaparte nach seiner Rückkehr aus Italien dem Direktorium vorstellte, oder François de Neufchâteau, der am 9. Thermidor VI (27. Juli 1798) den Triumphzug der Beutekunst abnahm und beim ‚Fest der Industrie‘ in einer Prozession als letzter auf dem Marsfeld einzog.506 Nachdem der Zug, einschließlich der Künstler, deren Produkte ausgestellt wurden, den Ausstellungsplatz einmal umrundet hatte, sollte der Innenminister eigentlich sogar auf einem erhöhten Sitz im Tempel der Industrie Platz nehmen; der Moniteur berichtete aber, dass er für seine Rede auf den Hügel des Marsfeldes ausweichen musste, da das Heiligtum nicht rechtzeitig fertiggestellt worden war.

503

Anniversaire du 18 Fructidor. Programme, Paris, fructidor an VI [Signé: Le ministre de l’interieur, François (de Neufchâteau)]. 504 Programme de l’anniversaire du 18 Fructidor, in: Moniteur n° 346, 16 fructidor VI (2. September 1798). 505 Vgl. Anniversaire du 18 Fructidor. Programme, fructidor an VI. 506 Nach ihm folgte nur noch „Un peleton d’infanterie“, vgl. Marche et cérémonies observées le 3e jour complémentaires, à l’ouverture de l’exposition publique des produits de l’industrie française, in: Moniteur n° 1, 1er vendémiaire VII (26. September 1798).

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2. Ordnung als Anschauungssache

Die Inszenierung der Legislative im Zweiten Direktorium Das Parlament hielt in den Jahren 1797 bis 1799 anlässlich der Nationalfeste meist eine Feierstunde im Sitzungssaal ab. Zur öffentlichkeitswirksamen Inszenierung boten ausschließlich besondere Anlässe, wie beispielsweise der Frieden von Campo Formio, Gelegenheit. Die beiden Kammern luden im Winter 1797 die Regierung gemeinsam mit militärischen und zivilen Würdenträgern in die Grande Galérie des Louvre zu einem Verbrüderungs- und Friedensmahl ein;507 anwesend war auch der siegreiche General des Italienfeldzuges, Napoleon Bonaparte. Eine genaue Sitz- und Tischordnung bestimmte die Rangordnung der Anwesenden; die Präsidenten der Räte übernahmen den Vorsitz: Les deux présidens des deux Conseils feront les honneurs de la fête pour tous leurs collègues. Ils seront placés l’un vis-à-vis de l’autre au milieu de la table. A leur droite et à leur gauche seront placés alternativement les membres du Directoire, le général Bonaparte, des députés secrétaires des deux Conseils, des généraux, des ambassadeurs, et entre tous les autres députés, alternativement, des ministres, des membres du corps diplomatique, des généraux, des membres divers des autorités constituées. Cet ordre sera plus spécialement marqué par des cartes posées sur les couverts, auxquels nos collègues sont invités de faire attention.508

Die symbolpolitische Offensive der Regierung des Jahres VI (nach dem Staatsstreich im Herbst) machte auch vor den parlamentarischen Räten nicht halt. Im Rat der Fünfhundert wurden zum Beispiel am 14. Juli 1798 (26. Messidor VI) Vertreter der irischen Unabhängigkeitsbewegung United Irishmen („Irlandais-Unis“) empfangen. Zwar war die Irland-Expedition von Hoche 1796 gescheitert und der irische Aufstand von 1798 nicht durch Bonaparte unterstützt worden. Doch die Iren hatten sich weiter um einen engen Kontakt mit Paris bemüht, und die Einladung zum Festakt des 14. Juli belegte das französische Interesse an der Bewegung. Es war ein Affront gegen den englischen König, die Iren am ‚Tag der Freiheit‘ im Parlament zu empfangen und ihren Mut zu würdigen.509 Damit waren auch die Räte in die Politik der Expansion und des Strebens nach Hegemonie eingebunden. Im Rat der Alten wurde an demselben Tag der Einzug der Abgeordneten von Musik begleitet. Dem Wunsch nach einer größeren Vereinheitlichung der Symbolpolitik 507

Vgl. Robert, Hubert: Banquet offert à Bonaparte dans la Grande Galerie du Louvre, le 30 frimaire an 6, Öl auf Leinwand, 54 × 66,5 cm (Paris, Musée des Arts décoratifs, Inv. Pe 58, abgebildet in: Ausst.Kat. AU TEMPS DES MERVEILLEUSES, Kat.Nr. 28, S. 37). 508 Les Commissaires inspecteurs des deux Conseils à leurs collègues, membres du Corps législatif, Paris, an VI. 509 Vgl. Moniteur n° 298, 28 messidor VI (16. Juli 1798), CCC, séance du 26 messidor.

2.2 Legitime Repräsentanten

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entsprechend, wurde die offizielle Liturgie des Direktoriums über die Wiederholung von religiös anmutenden Sprachformeln aufgenommen und verfestigt: „Grâces vous soient rendues, génies immortels qui avez posé les premières bases de l’édifice de la liberté du monde! Recevez en ce moment l’hommage des représentants du peuple français.“510 Erst 1799 kam es – im Namen der Volkssouveränität – erneut zum offenen Konflikt zwischen Regierung und Gesetzgebern. Ein Jahr nach Einführung der Fête de la Souveraineté du peuple lag bereits der Verdacht im Raum, diese ‚Souveränität‘ solle zwar in Form eines auffälligen Spektakels inszeniert werden, allerdings ansonsten nach Belieben der Regierung missachtet oder zumindest beschnitten werden – wie beispielsweise im Kontext des Staatsstreiches vom 18. Fructidor und der Wahlmanipulation im Jahr 1798. Die Demokraten kritisierten die Maßnahme als ‚Showpolitik‘, die ihren eigentlichen Zweck verfehle. Duhot forderte, das Instrument zu überdenken, zumindest von der Präsenz der „magistrats“ zu befreien, um auf diese Weise die Autorität des Volkes sichtbar zu machen. Kritik erntete auch die Inszenierung der Rutenbündel in der Tradition der Liktoren des antiken Rom: Chez les Français, il n’y a ni licteurs ni faisceaux; mais ne peut-il point se trouver chez eux un usage qui soit le symbole parlant de la déférence que les premiers autorités de l’Etat doivent au Peuple, dont elles tiennent tous les pouvoirs? Ne serait-on point prêt d’atteindre ce but, si par respect pour le Peuple, on le dégageait de la présence de ses magistrats lorsqu’il célèbre sa souveraineté? il me semble qu’en le laissant seul sur la scène, ce serait lui donner une véritable idée de sa puissance; ce serait l’avertir qu’aucune autorité n’existe que par lui et pour lui.511

Die Kommissionen der inspecteurs und der institutions républicaines sollten gemeinsam die Möglichkeit einer Reform prüfen, um Mittel zu finden, die dem Fest der Volkssouveränität würdig seien. Der Antrag wurde jedoch abgelehnt – eine Aufwertung der Rolle des Volkes erschien den Unterstützern des Direktoriums im Frühjahr 1799 alles andere als wünschenswert, zumal sich der Wahlsieg der Jakobiner bereits abzeichnete. Nach dem Staatsstreich des 30. Prairial VII (18. Juni 1799) gerieten die Feste unter den Einfluss der nunmehr linken Mehrheit. Briot schlug in der Sitzung vom 12. Fructidor VII (29. August 1799) in seinem Bericht zur allgemeinen politischen Lage vor, die Feste auf vier zu reduzieren: Die Feier des 14. Juli, des 10. August, des 21. Januar und des

510 511

Ebd., CA, séance du 26 messidor. Vgl. dazu auch Kapitel 3.5.3. Moniteur n° 176, 26 ventôse VII (16. März 1799), CCC, séance du 19 ventôse.

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2. Ordnung als Anschauungssache

1. Vendémiaire.512 Damit wären alle ‚journées‘ der gemäßigten Fraktion, welche die Siege des Konvents vom 9. Thermidor und 13. Vendémiaire sowie den Staatstreich des 18. Fructidor als erinnerungswürdig verteidigte, aber auch das Fest der Volkssouveränität sowie die moralischen Feste, die als unwirksame Showpolitik in der Kritik standen, abgeschafft worden. Zwar kam es vor dem Staatsstreich vom 18. Brumaire (9. November) nicht mehr zur Beschlussfassung, doch sollten sich die Feste des Sommers und Herbstes 1799 zumindest in ihrer Symbolik von denen des Vorjahres unterscheiden. Vor allem ist eine erneute Aufwertung der Legislative zu beobachten. Die Versammlungsorte der Räte wurden durch besondere Symbole geschmückt und im Zeremoniell gewürdigt: Inmitten des Versammlungssaals im Palais Bourbon stand ein Freiheitsbaum; der Sitzungsbeginn wurde mit Kanonensalven in der Hauptstadt verkündet.513 Im Conseil des Anciens hatte man zum Fest der Republikgründung eine Freiheitsstatue errichtet: „A onze heures et demie la séance est ouverte. On voit la statue de la Liberté placée sur l’autel de la patrie, au pied de la tribune; elle est ornée de guirlandes et de couronnes de fleurs et de chêne.“514 Gohier, der den Demokraten nahestand, brach als Direktoriumspräsident im Rahmen der offiziellen Zeremonie auf dem Marsfeld mit den Sprachformeln und der Liturgie seines Vorgängers La Revellière. Seine Rede ehrte den Konvent für seine Werke im Jahr 1792: Der 10. August habe die Macht des republikanischen Frankreichs begründet, aber erst der 22. September habe die Majestät des Volkes offiziell legitimiert und seine Souveränität proklamiert.515 Es war die Losung der Republik des Jahres II, die Gohier anschließend zitierte: „Vivre libre ou mourir“ – nicht die von La Revellière eingeführten zivilreligiösen Dankesformeln an das Höchste Wesen. Bevor diese Wende jedoch weitere Konsequenzen nach sich ziehen sollte, beendete Bonaparte das Experiment der Direktorialrepublik am 18. Brumaire VIII (9. November 1799). Er entwickelte die Idee der grande nation in eine andere Richtung weiter – im Zuge eines Kultes um die eigene Person. Die Inszenierung des Direktoriums im Rahmen von Audienzen Neben den Nationalfesten dienten auch die öffentlichen Sitzungen des Direktoriums zur Entwicklung der neuen republikanischen Herr512

Vgl. Moniteur n° 347, 17 fructidor VII (3. September 1799). Vgl. Moniteur n° 3, 3 vendémiaire VIII (25. September 1799), CCC, séance du 1er Vendémiaire. 514 Ebd., CA, séance du 1er Vendémiaire. 515 Vgl. Moniteur n° 3, 3 Vendémiaire VIII (25. September 1799). 513

2.2 Legitime Repräsentanten

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schaftsrepräsentation: Einerseits waren die ‚audiences publiques‘ bei verschiedenen Festen oder Ereignissen ein Forum für Staatsakte, wenn beispielsweise 1797 Augereau im Namen Bonapartes in einer séance publique die Fahnen der Garnison von Mantua als Kriegstrophäe überbrachte516 oder Bonaparte selbst als Ehrengast im Innenhof des Palais du Luxembourg empfangen wurde. Auch der Empfang des osmanischen Botschafters am 9. Thermidor V sowie weitere Nationalfeste desselben Jahres wurden mit einer audience publique verbunden.517 Andererseits boten die Audienzen Gelegenheit, einen unmittelbaren Kontakt zu Bürgern und Gästen der Republik zu etablieren, der für das Selbstverständnis eines gouvernement populaire unverzichtbar sein musste. Exemplarisch sei daher an dieser Stelle die Erfahrung einer Engländerin zitiert, die 1796 als Ehefrau eines reisenden Militärs nach Paris kam und in einem Brief nach Hause ihren Eindruck der Audienzen, welche die Direktoren im Luxembourg-Palast abhielten, beschrieb.518 Solche Audienzen wurden täglich um ein Uhr nach dem Rotationsprinzip durchgeführt. Der Zugang zum Audienzzimmer („door of admittance“) sei nur durch die Gemächer der Direktoren zu erreichen.519 Deren „petits appartements“ waren laut Beschreibung der englischen Besucherin regelrechte Landhäuser von nicht unbeachtlicher Größe, je mit einem Garten in englischem Stil versehen. Ein großer Hof führte schließlich zu den repräsentativen Räumlichkeiten des Palastes. Für alle Bittsteller gut sichtbar befand sich in dessen Mitte ein Emblem der Republik: „a faisceau d’armes, surrounded by a cap of liberty“. Entlang des Weges standen bewaffnete Husaren zu Pferde, und im Hintergrund patrouillieren Grenadiere; laut Angaben des Briefes befanden sich auf allen Wegen, die zum Palast führten, insgesamt 600 Militärs.520 Der Andrang zur Audienz war groß. Jeden Tag, so berichtet die Dame, außer an Dekaditagen, die als Ruhetage der Regierung und öffentlichen Einrichtungen beachtet würden, fänden diese Anhörungen statt. Viele der vorgetragenen Petitionen amüsierten die Beobachterin; Amtsdiener (huissiers) empfingen die Bittsteller während der Abwesenheit der Regierung hinter einer Schranke. Ihre Amtstracht wird von der Engländerin als altmodisch empfunden: Sie sahen aus, wie einem Gemälde des Künstlers Van Dyke entsprungen („dressed in a costume 516

Vgl. Thibaudeau: Mémoires, première édition complète, S. 382. Vgl. Ordre, marche et cérémonies qui auront lieu pour la première audience de réception de l’Ambassadeur Ottoman. 518 Vgl. Letter IX, Paris, 20. November 1796, in: A Sketch of Modern France, S. 147ff. 519 Vgl. ebd., S. 153, auch zum Folgenden. 520 Vgl. ebd., S. 153f. 517

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2. Ordnung als Anschauungssache

truly Vandyke“521). Der Auftritt des Direktors Carnot löste respektvolles Schweigen aus; die anwesenden Männer nahmen ihre Kopfbedeckungen ab. Auch Carnot war à la Vandyke gekleidet – nun allerdings zeigte sich die Lady beeindruckt von der Schönheit und der Kostspieligkeit der Stoffe der Amtstracht: In a few minutes the Director entered the apartment, wearing the grand costume, also à la Vandyke, superb and extremely costly. As soon as he presented himself, the men uncovered, and a kind of silent respect seemed to diffuse itself round the room; which could scarcely have been carried to greater lengths in the old regime. 522

Angesichts einer solchen Prachtentfaltung drängte sich für die Ausländerin einerseits der Vergleich mit dem Ancien Régime auf. Auch das Ritual der Audienz an sich stand in monarchischer Tradition. Andererseits bescheinigte sie dem Auftritt des Direktors durchaus Würde, welche sich idealerweise auch auf den Geist der Menschen übertrage. Die Visualisierung des Staates und der Militärmacht, so die Meinung der Beobachterin, steigere üblicherweise das Ansehen und die Legitimität der Regierungsmitglieder.523 Der hauptverantwortliche Amtsdiener stellte dem Direktor jeden einzelnen Bittsteller vor; anschließend wurden die Petitionen übergeben und gelesen; auch Nachfragen waren zulässig. Die endgültige Antwort erhielten die Bürger jedoch erst eine Woche später, vom eigens zu diesem Zweck eingerichteten Office des Renseignements. Die Engländerin lobt die Aufmerksamkeit, welche Carnot den Menschen geschenkt habe; alle seien gleich behandelt worden, wenn nicht sogar die Ärmsten am besten: „he attended to all“524. Ausdrücklich betont sie, wie er sich einer armen Frau angenommen habe, deren Äußeres in starkem Gegensatz zu der schönen Umgebung mit ihren prachtvollen Ornamenten gestanden habe.525 Lange verweilt der Brief bei der Beschreibung der Ausstattung der Gemächer, die an den Pomp des Ancien Régimes erinnerten. Die Tapeten des Empfangszimmers seien aus purpurrotem Damast mit Goldrand gesäumt, die Vorhänge, Sofas und Sessel mit tiefgoldenem Rand besetzt; die Scheiben und Kronleuchter kostbar: „the whole displaying vast taste and elegance“526.

521

Ebd., S. 157. Ebd., S. 158. 523 Vgl. ebd., S. 158f. 524 Ebd., S. 159. 525 Vgl. ebd., S. 160. 526 Ebd., S. 161. 522

2.2 Legitime Repräsentanten

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Abb. 17: Chataignier, Alexis: Audience publique du Directoire, eau-forte coloriée, 29,4 × 48,2 cm.

Bildmedien als Multiplikatoren: Die republikanische Repräsentation in der Druckgraphik Neben den Anklängen an die alte Ordnung bemerkte die Engländerin die hohe Militärpräsenz, die sie als Zeichen für Angst und Misstrauen der neuen Regierung deutete.527 In der Tat rahmen auch auf der kolorierten Radierung von Alexis Chataignier Grenadiere in auffälliger Weise den Direktor, der auf der Darstellung im Begriff ist, eine Bittschrift entgegenzunehmen (Abb. 17). Mit ihren hohen Mützen, die wohl aus Pelz und mit Metallschildern versehen waren, strukturieren die Infanteristen das Bild und sind als Eliteeinheit zu erkennen. Auf ihren Musketen sind Bajonette aufgepflanzt; vermutlich trugen sie zusätzlich einen Säbel. Der Direktor wird im Staatsornat gezeigt, dessen Formen und aufwendige Stickereien ihn als wichtigste Person im Bild kennzeichnen; gesteigert wird der Eindruck durch die Demutsgeste der Bittstellerin, die den Kopf vor ihm neigt. Außerdem garantieren Amtsdiener, erkennbar an ihren schwarzen Umhängen und gewölbten Baretten, den Schutz des Regierungsmitglieds sowie die Ordnung der Zeremonie: Zwei von ihnen flankieren den Direktor und taxieren mit ihren Blicken die Petitionäre; der breite Rücken des Amtsdieners im linken Bildvordergrund 527

Vgl. ebd., S. 153.

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2. Ordnung als Anschauungssache

garantiert einen respektvollen Abstand zwischen der Amtsperson und den Bittstellern. Auch in den Details des Dekors und der Szenerie bestätigt die Darstellung die Beschreibung der Engländerin: Prachtvolle Tapisserien, Vorhänge und Leuchter sind zu erkennen; eine große Menschenmenge, die sich offenbar aus allen gesellschaftlichen Schichten zusammensetzt, drängt in den Saal. Der aufgrund seines auffälligen blauen Mantels wohlhabend wirkende Mann am linken Bildrand hat respektvoll den Hut abgelegt. Unklar erscheint nur die Funktion der Personen am vorderen rechten Bildrand: Ein hochrangiger Würdenträger (erkennbar an seinem dreifarbigen Federbusch – eventuell ein General?) darf seinen Hut weiterhin tragen, und die Frau an seiner Seite, welche nach der neuesten Mode gekleidet und frisiert ist, nimmt sogar im Rücken des Direktors Platz. Die Gruppe scheint dem Regierungsmitglied zugeordnet, das sich mit mondänen Personen aus Zivilgesellschaft und Militär umgibt. Die Blicke eines Grenadiers und einer Bittstellerin sind aus dem Bild heraus auf den Betrachter gerichtet und beziehen diesen mit in das Geschehen ein; gleichzeitig wird der Zuschauer zum Zeugen gemacht und zu einer Beurteilung der Szene eingeladen.528 Die Darstellung zeigt die neue Regierung einerseits respektvoll, andererseits väterlich und wohlwollend: Die Arme des Direktors sind geöffnet, mit der rechten Hand nimmt er selbst die Petition entgegen. Damit signalisiert er Offenheit gegenüber den Bedürfnissen der französischen Bürger. Das Blatt ist in mehreren Ausfertigungen (meist unkoloriert) überliefert, was auf eine größere Verbreitung schließen lässt.529 Berthault betont demgegenüber mit seiner Darstellung der Audience publique in den Tableaux historiques stärker die repräsentativen Kulissen des Raumes (Abb. 18). Durch die weite Perspektive ist sogar die Decke erkennbar, die mit Fahnen und anderen Trophäen geschmückt ist. Offensichtlich handelte es sich um einen besonderen Anlass, da alle Direktoren anwesend waren, darüber hinaus wohl auch Botschafter und Minister (rechts und links im Bild). Die Tableaux historiques datieren die Szene auf den 30. Brumaire IV (21. November 1795), also wenige Wochen nach der Einsetzung des Direktoriums: Die neue Regierung hielt ihre erste öffentliche Audienz ab. Anders als im zuvor 528

Vgl. auch SCHRÖER, Christina: Le retour de l’Ancien Régime ou l’apogée de l’idéologie républicaine? Stratégies de la représentation du pouvoir politique dans l’espace parisien à l’époque du Directoire, in: Actes du Colloque „Les histoires de Paris, XVIe–XVIIIe siècle“, Université de Laval, Québec, Bd. II, Paris 2013, S. 547–560, S. 549f. 529 Vgl. u. a. Chataignier, Alexis: Audience publique du Directoire, eau-forte, burin, pointillé, Paris [ca. 1797] (Paris, BnF, Coll. Histoire de France, Inv. Qb1, 1795, M103149, sowie ebd., Coll. Hennin, Inv. 12161 und ebd., Smith-Lesouëf, Inv. 3330).

2.2 Legitime Repräsentanten

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Abb. 18: Berthault, Pierre-Gabriel und Jean Duplessi-Bertaux: Audience du Directoire en costume le 30 Brumaire An 4eme de la République, eau-forte, burin, 24 × 29 cm.

Abb. 19: Berthault, Pierre-Gabriel, nach Abraham Girardet: Premiere séance de l’Institut national, le 15 Germinal, An 4eme de la République, eau-forte, burin, 24 × 29 cm.

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2. Ordnung als Anschauungssache

Abb. 20: [Non-identifié]: Correction croyable, gravure à l’eau-forte, roulette, monochr. bistre, 13,5 × 17,5 cm, [Paris ca. 1797].

untersuchten Beispiel wird hier jedoch weniger väterliche Fürsorge als vielmehr staatliche Autorität ins Bild gesetzt: Die Menge der Bittsteller wird entsprechend durch die huissiers deutlich von den Direktoren getrennt.530 Auch weitere überlieferte Darstellungen zeigen die Regierungschefs in erster Linie als Repräsentanten und Förderer der Republik (vgl. den Vorsitz bei der ersten Sitzung der Wissenschaftsakademie, Abb. 19, oder bei Festakten531). Nur wenige Blätter visualisierten das Direktorium in volksnaher Perspektive, unter anderem nach dem Staatsstreich von 1797 530

Sie ist auch lebhafter gezeichnet; die Grenadiere tragen eine leicht andere Uniform (v. a. breiter Hut statt Haube). Vgl. Duplessi-Bertaux, Jean und Pierre-Gabriel Berthault: Audience du Directoire en costume le 30 Brumaire An 4e de la République, Kupferstich, 19,3 × 25,5 cm, Paris 1795 (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6585). 531 Vgl. u. a. Abb. 30 sowie Berthault, Pierre-Gabriel, nach Abraham Girardet: Fête donné à Bonaparte, au Palais national du Directoire, après le traité de Campo Formio, le 20 Frimaire An 6e de la République, gravure à l’eau-forte et au burin, 24 × 29 cm [= 131e Tableau historique de la Révolution française] (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6932).

2.2 Legitime Repräsentanten

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(vgl. Abb. 20), mit dem die Triumvirn der jeunesse dorée eine – nach Meinung des Autors längst überfällige – Tracht Prügel verpassten. Repräsentative Amtseinführungen Im Zweiten Direktorium lässt sich insgesamt eine Zunahme an Praktiken der offiziellen Selbstdarstellung erkennen, die sich um eine ‚Republikanisierung‘ zahlreicher Elemente traditionaler Herrschaftsrepräsentation bemühten: 1798 fand nach den Wahlen und der Erneuerung eines Mitglieds im Regierungsgremium erstmals eine regelrechte Amtseinführung statt. Treilhard wurde von seinem Haus in der Rue des Maçons zu La Revellière-Lépeaux geleitet, „accompagné du secrétaire-général et du ministre de l’intérieur, précédé de deux messagers d’Etat et quatre huissiers“532. Artilleriegeschütze empfingen ihn mit zwölf Kanonenschüssen und die Kollegen begrüßten ihn mit einer accolade fraternelle in ihrer Mitte. Treilhard hielt eine Rede, die mit einem Amtseid, gerichtet an die anderen Amtsinhaber, endete: „Citoyens directeurs, recevez mon serment. Je jure haine à la royauté, à l’anarchie, attachement et fidélité à la République et à la constitution de l’an 3.“533 Merlin sprach als amtierender Präsident des Direktoriums die Laudatio; die Regierungsmitglieder definierten sich gegenseitig als „anciens compagnons d’armes“, die ihre Dienste ganz dem Wohl der Republik widmen wollten. Dem Gesetzgeber gratulierte man zu seiner guten Wahl und betonte die Einheit zwischen den verschiedenen Verfassungsorganen. Nach den krisenhaften Erfahrungen der Differenzen zwischen Gesetzgebern und Regierung in den zurückliegenden Jahren bemühte man sich um demonstrative Geschlossenheit. Schon im Frühjahr 1799 sollte jedoch der durch die Wahlen verursachte Linksruck in den Räten die Kräfteverhältnisse erneut verändern. Wiederum kam es zu einem Staatsstreich, diesmal allerdings von Seiten der Parlamentarier gegen das Direktorium gerichtet. Die Notwendigkeit und Wirksamkeit des ein Jahr zuvor betriebenen Symbolaufwands wurden dadurch erneut in Frage gestellt.

2.2.4 Legitimation durch Rationalität: Das Institut national Die Einrichtung des Institut national ist an sich bereits zeichenhaft: Sie drückt den Willen der Thermidorianer aus, die Revolution zu beenden und eine Republik mit stabilen Institutionen einzurichten, die von 532 533

Moniteur n° 245, 5 prairial VI (24. Mai 1798). Ebd.

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2. Ordnung als Anschauungssache

rationalen Prinzipien geleitet werden.534 Die neue Verfassung setzte auf eine konsequente Verwirklichung der Idee des Repräsentativsystems: Das Prinzip der Volkssouveränität sollte mit der Ausübung der Macht durch ‚die Besten‘ einer aufgeklärten Elite versöhnt und die Revolution durch eine Rückführung zu ihren Ursprüngen (in der Philosophie der Aufklärung) beendet werden. Das Institut war eine der wichtigsten Grundlagen des neuen Verständnisses der Republik von 1795. La Revellière-Lepeaux formulierte anlässlich der Nominierung der ersten Mitglieder, die Regierung sei sich der großen Bedeutung bewusst, die der Förderung von Wissenschaft und Künsten seitens des Staates zukomme; er versprach, man wolle sich bemühen, den zahlreichen damit verbundenen Anforderungen zum Wohle des Landes gerecht zu werden. Das Glück der Franzosen hänge von einer Perfektionierung der Wissenschaften und Künste ab: [La Convention nationale] Profondément convaincu que le bonheur du peuple français est inséparable de la perfection des sciences et des arts et de l’acroissement de toutes les connaissances humaines; que leur puissance peut seule entretenir le feu sacré de la liberté qu’elle a allumé, maintenir dans toute sa pureté l’égalité qu’elle a révélée aux nations, forger de nouvelles foudres pour la victoire, couvrir les champs mieux cultivés de productions plus abondantes et plus utiles, seconder l’industrie, vivifier le commerce, donner, en épurant les mœurs, de nouveaux garants à la félicité domestique, diriger le zèle de l’administrateur, éclairer la conscience du juge, et dévoiler à la prudence du législateur les déstinées futures des peuples dans le tableau de leurs vertus et même de leurs erreurs passées; Voulant manifester solennellement à la France et à toutes les nations civilisées la ferme résolution de concourir de tout son pouvoir au progrès des lumières et fournir une nouvelle preuve de son respect pour la constitution […] Arrête: Sont membres de l’Institut […].535

Nach der ersten Sitzung des Institut am 15. Frimaire IV (6. Dezember 1795) fanden zunächst die Wahlen statt (in sieben Sitzungen vom 8. bis 15. Dezember). Anschließend beschäftigten sich verschiedene Kommissionen mit der Abfassung des règlement, der Raumfrage und der

534

Vgl. dazu BACZKO, Bronislaw: La Constitution de l’an III et la promotion culturelle du citoyen, in: AZOUVI, François (Hrsg.): L’institution de la raison. La Révolution culturelle des Idéologues, [Paris] 1992, S. 21–37, S. 34. 535 Zitiert nach SIMON, Jules: Une académie sous le Directoire, Paris 1885, S. 170f. Der Text ist in seinen Wertungen politisch gefärbt; er dient vor allem als Informationsquelle zur Rekonstruktion von Orten und Bestimmungen, weniger zur Einordnung und Kontextualisierung.

2.2 Legitime Repräsentanten

163

Bibliothek.536 Das règlement sollte in der Kammer der Fünfhundert präsentiert werden und man entschied sich für ein symbolträchtiges Datum: den 21. Januar 1796, den dritten Jahrestag der Hinrichtung Ludwigs XVI. So wurde das Institut mit in die Zeremonie eingebunden, die den Anwesenden unter anderem den Verfassungseid sowie den Eid des Hasses auf das Königtum abverlangte. Unter dem Vorsitz von Treilhard waren die Abgeordneten in ihren (vorläufigen) Amtstrachten um 10 Uhr versammelt. Verschiedene Gesänge wurden aufgeführt (Veillons au salut de l’empire, mit dem Appell Haine à la royauté; die Marseillaise und der Chant du départ) und der Ratspräsident erinnerte in seiner Rede an die Verbrechen des drei Jahre zuvor hingerichteten Tyrannen. Jeder einzelne Abgeordnete wurde namentlich aufgerufen und schwor: „Je jure haine à la royauté.“537 Im Anschluss an diese Eidleistung durfte die Abordnung des Institut nach vorn treten; Lacépède hielt eine Rede, in der er die neue Einrichtung explizit mit dem republikanischen Neuanfang in Verbindung brachte: „Trop longtemps […] les sciences et les arts, naturellement fiers et indépendants, ont porté le joug monarchique, dont le génie n’a pu les préserver. Aujourd’hui la liberté protège les lumières, et les lumières font chérir la liberté.“538 Und im Namen aller anwesenden Wissenschaftler und Gelehrten sprach er die Eidesformel: „Nous jurons haine à la royauté.“ Die ritualisierte brüderliche Umarmung (accolade fraternelle) durch den Präsidenten Treilhard schloss diesen Antrittsbesuch der neuen Politikberater im Parlament ab. Die 288 Mitglieder und Assoziierte des Institut verteilten sich zu ungleichmäßigen Anteilen auf die drei Klassen: erstens die classe des sciences physiques et mathématiques, zweitens die classe des sciences morales et politiques, drittens die classe de littérature et beaux-arts. Die zweite Klasse stellte im Vergleich zu den königlichen Akademien die wichtigste Neuerung dar.539 Sie hatte die wenigsten Unterabteilungen (sections) und daher auch die geringste Zahl an Mitgliedern (insgesamt 80:36 Stammmitglieder, 36 Assoziierte und acht Ausländer), die jedoch über besonders großen Einfluss auf die Politik verfügten.540 Die erste 536

Mit dem règlement beschäftigten sich u. a. Daunou, Sieyès, de Lisle de Sales, Grégoire; vgl. ebd., S. 143. 537 Ebd., S. 144. Zum Folgenden vgl. ebd., S. 144–164. 538 Zitiert nach ebd., S. 144, vgl. dort auch zum Folgenden. 539 Vgl. dazu STAUM, Martin S.: The Class of Moral and Political Sciences, 1795–1803, in: French Historical Studies 11 (1980), S. 371–397; sowie ders.: Minerva’s Message. Stabilizing the French Revolution, Montreal u. a. 1996. 540 Es handelte sich um folgende sechs Sektionen: 1. analyse des sensations et des idées, 2. morale, 3. science sociale et législation, 4. économie politique, 5. histoire und 6. géogra-

164

2. Ordnung als Anschauungssache

Zusammensetzung der Mitglieder der Institut war insgesamt erstaunlich ausgewogen: Repräsentanten aller politischen Richtungen waren vertreten, von Anhängern der alten Ordnung über Befürworter der konstitutionellen Monarchie bis hin zu régicides; von Atheisten über gemäßigt Religiöse bis hin zu Angehörigen des konstitutionellen Klerus. Innerhalb der zweiten Klasse wurde die section de l’analyse des sensations et des idées von den Idéologues dominiert, die sich in Nachfolge Condillacs für wahrnehmungstheoretische Fragen interessierten.541 Volney, Garat und Cabanis waren Philosophen, ergänzt durch assoziierte Mitglieder wie Destutt de Tracy, La Romiguière und de Gérando; viele von ihnen kannten sich bereits aus den Treffen der sogenannten Société d’Auteuil.542 Es ist auffällig, dass es zwischen den Abgeordneten und Regierungsmitgliedern auf der einen und den Mitgliedern des Instituts auf der anderen Seite zahlreiche Überschneidungen gab. So waren Daunou, Cabanis, Garran-Coulon, Cambacérès, Lakanal, Sieyès und Pastoret Mitglieder des Rates der Fünfhundert; Garat, Deleyre, Baudin des Ardennes, Dupont de Nemours, La Revellière-Lepeaux, Creuzé-Latouche und Lacuée Mitglieder des Rates der Alten beziehungsweise später des Direktorengremiums. Lakanal war auch der Berichterstatter, der im Rat der Fünfhundert das règlement präsentierte. Nach einiger Diskussion über die Frage, ob und wann die Sitzungen der Gelehrten öffentlich abgehalten werden sollten, wurde bereits am 15. Germinal IV (4. April 1796) die Geschäftsordnung im Rat der Alten bestätigt; am selben Tag fand die erste öffentliche Sitzung statt, die aufwendig inszeniert war und die eigentliche Einweihung bedeutete. Das Institut bezog dieselben symbolträchtigen Räumlichkeiten, die zuvor den königlichen Akademien zur Verfügung gestanden hatten.543 Die erste Klasse erhielt die Räume der Académie des sciences, die zweite Klasse diejenigen der Académie française und die dritte die der Académie des inscriptions.544 Alle diese Räume befanden sich in dem Teil des Louvres, der dem Tuilerienschloss gegenüber lag.545 Das Mobiliar phie. Vgl. http://www.asmp.fr/presentation/histoire.htm [22/5/2013, 20.03h]. Vgl. u. a. VOLNEY ET LES IDÉOLOGUES. L’Héritage des Lumières, actes du colloque d’Angers, 14–17 mai 1987, textes réunis par Jean ROUSSEL, Angers 1988. 542 Vgl. ebd., S. 202. 543 Vgl. Abbildungen in: RABREAU, Daniel und Monique MOSSER: Charles De Wailly (1730– 1798), peintre-architecte dans l’Europe des Lumières, Paris 1979. 544 Erst 1805 erfolgte der Umzug ins Palais des Quatre Nations, welches bis heute auf dem linken Seineufer Sitz des Institut de France ist. 545 Vgl. Informationen zur Gebäudegeschichte unter http://www.louvre.fr/histoiredu-louvre [29/5/2013, 17.55h]: insbesondere „1546–1560: Début des travaux de l’aile 541

2.2 Legitime Repräsentanten

165

und die übrige Inneneinrichtung waren in den zwei Jahren nahezu vollständig entfernt worden, so dass zumindest hinsichtlich der Einrichtung ein Neuanfang gemacht werden musste. Die Eröffnungssitzung fand (ebenso wie alle darauffolgenden öffentlichen Sitzungen) in der Salle des Cariatides statt.546 Eine Tribüne und Sitzbänke wurden aufgestellt, um die 1.500 Teilnehmer der Sitzung aufzunehmen: neben den Mitgliedern des Instituts und der Regierung die Ehrengarde, ranghohe Diplomaten, Chorsänger und Musiker. Trotz der beengten Räumlichkeiten und des schlechten Zustands war zu keiner Zeit über einen anderen Tagungsort als den Louvre nachgedacht worden. Von der königlichen Administration des menus zur Verfügung gestellte Lüster, Tapisserien und Fahnen schmückten Decken und Wände. Die Direktoren trugen ihr großes Staatsornat; zwei Regierungsmitglieder waren quasi in doppelter Mission zugegen: Carnot als Mitglied der ersten Klasse, La RevellièreLepeaux als eines der zweiten. Der Präsident hielt eine Ansprache, in der er die wechselseitigen Dienste herausstellte, die sich Wissenschaften und Republik zukünftig leisten sollten. Die symbolpolitische Mission der Institution trat jedoch deutlicher noch in der sich anschließenden Ansprache Daunous zutage, die stark programmatischen Charakter hatte. Auch wenn das Institut keinen direkten Anteil an den staatlichen Gewalten habe, so werde es doch indirekt über seine Arbeit die Regierung begleiten. Über eine Verbreitung der Aufklärung und Verbesserung der Wissenschaften stehe es der Regierung stets zur Verfügung, auch wenn dies natürlich nicht bedeute, dass diejenigen, die bestimmte Arbeiten einforderten, den Gelehrten auch die eigene Meinung vorschreiben könnten. Daunou stellte die Vereinigung aller menschlichen Wissenschaften unter einem Dach als Fortschritt gegenüber der Vergangenheit heraus. Im Hinblick auf die drei Klassen, die innerhalb der neuen Einheit unterschieden wurden, betonte er den besonderen Nutzen der neu geschaffenen classe des sciences morales et politiques.

546

Lescot, pavillon du roi, aile sud“. Vgl. Wailly, Charles de: Vue de la salle des cariatides au Louvre, plume, encre brune, aquarelle, rehauts de blanc, papier beige, mine de plomb, lavis brun, lavis gris, 4,1 × 5,7 cm (Paris, Musée du Louvre, Inv. RF 29454, Recto). Auch dieser Raum war in den vergangenen Jahren wohl als Abstellraum genutzt worden und musste zunächst wieder eingerichtet werden. Jean Goujons Karyatiden, die ihm seinen Namen gegeben hatten, zierten die Säulen und dominierten die Grundanlage. Heute ist dieser Saal Teil des Museums; dort werden griechische Skulpturen präsentiert. Die Anordnung ist so erhalten wie in den Tagen des Musée Napoléon. Vgl. FORSSMANN, Erik: Kunst und Architektur im neuzeitlichen Europa. Ausgewählte Beiträge, hrsg. von Hermann REIDEL, Hildesheim 2004, S. 180.

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2. Ordnung als Anschauungssache

Innerhalb dieser werde der Philosophie endlich der Rang zuteil, der ihr zukomme. Sie habe nicht nur die Revolution ‚gemacht‘, sondern damit auch 25 Millionen Menschen ermöglicht, ihre Rechte zu erlangen. Trotz einer kurzen barbarischen Unterbrechung von zwei Jahren habe man inzwischen den Weg der Freiheit wiedergefunden.547 Im Anschluss an diese feierliche Ansprache in Gegenwart der höchsten staatlichen Autorität wurde erstmals – so wie es die Geschäftsordnung bestimmt hatte – das Prozedere der ‚öffentlichen Sitzung‘ mit Bericht aller drei Klassen durchgeführt. Jeder Bericht beinhaltete 15 Redebeiträge, was insgesamt vier Stunden Zeit beanspruchte.548 Vielfach geäußerter Unmut führte zu einer Abkürzung der Gesamtdauer dieser Veranstaltungen sowie zu einer Kürzung der Rednerliste. Ziel der gemeinsamen öffentlichen Sitzungen war sicherlich deren demonstrativer Gestus, den Daunou in seiner Eröffnungsrede beschworen hatte: Alle Wissenschaften sollten zum Wohl der Republik unter einem Dach zusammenarbeiten. Zudem bot dieses Forum Gelegenheit, die Legitimität der neuen Staatsform als ‚Tochter der Aufklärung‘ zu unterstreichen. Dennoch scheint es den öffentlichen Sitzungen des Institut an der gewünschten Feierlichkeit während der gesamten Zeit des Direktoriums gemangelt zu haben.549 Auch tat sich die zweite Klasse schwer, ihrem Auftrag in angemessener Form nachzukommen: Vor allem die mittelmäßigen Redner beteiligten sich an den öffentlichen Sitzungen, die anderen waren anderweitig beschäftigt oder legten ihre Gedanken lieber ausführlich und schriftlich in Form von Traktaten nieder. Eine der ersten symbolpolitischen Initiativen aus den Reihen des Institut bestand in dem Vorschlag, den Leichnahm Descartes ins Pantheon überführen zu lassen (wohl aus dem Umkreis Chéniers). Dieser war von der Revolution auch geschichtspolitisch vereinnahmt worden: Er habe „die Ketten des menschlichen Geistes gesprengt und so von 547

Zitiert nach SIMON: Une académie, S. 151. Simon kritisiert, dass die Idee, alle Wissenschaften unter einem Dach zu vereinen, nicht zwangsläufig auch hätte bedeuten müssen, die Berichterstattung der einzelnen Klassen in Anwesenheit der gesamten Mitgliederzahl durchzuführen. Die königlichen Akademien hatten sich klassenweise zu öffentlichen Sitzungen versammelt, so dass die Interessen des anwesenden Teilnehmer- und Zuschauerkreises einheitlicher strukturiert gewesen wären. Die Neuregelung erforderte einige Disziplin und Geduld, wenn z. B. Mercier den Naturwissenschaftlern eine komplizierte Abhandlung über den Unterschied von Sprache und Sprechweisen zumutete oder Fourcroy die Historiker, Schriftsteller und Bildhauer über einen Vergleich des menschlichen Urins mit dem von Pferden oder andere Berechnungen im Zusammenhang mit der menschlichen Blase aufklärte. Vgl. ebd., S. 156f. 549 Vgl. ebd., S. 159. Dort auch zum Folgenden. 548

2.2 Legitime Repräsentanten

167

langer Hand die endgültige Zerstörung der politischen Knechtschaft vorbereitet“550, hatte bereits Condorcet formuliert. Und Chénier stellte den neu entdeckten Philosophen der Freiheit in den Kontext des republikanischen Projektes. 1796 griff er seine bereits 1791 vor der Gründung der Republik formulierte Idee auf, dass das republikanische Volk am Ruhm des Denkers teilhaben werde:551 Es sei angebracht, in seinem Andenken die Majestät des französischen Volkes zu feiern; das Direktorium solle persönlich der Zeremonie vorsitzen und die ausländischen Gesandten dazu einladen.552 In der Person Descartes ehre das Direktorium die Philosophie schlechthin und setze ein deutlich sichtbares wissenschaftspolitisches Zeichen. Hinter dem Projekt verbarg sich auch der Wunsch, das Pantheon als Institution des Vaterlandskultes zu rehabilitieren, nachdem es durch die Depantheonisierungen der Jahre 1794 und 1795 diskreditiert worden war (vgl. dazu Kapitel 4.4.2). Die Initiative scheiterte jedoch, unter anderem am Widerstand Merciers, der sich sowohl gegen die Personalie Descartes als auch gegen die Praxis der Pantheonisierungen aussprach. Das Institut sollte die Krone des republikanischen Bildungswesens darstellen. Es war ein offizielles Symbol der revolutionären Ordnung, welche die Ständegesellschaft abgelöst hatte und die Prinzipien der Leistung und des individuellen Verdienstes an die Stelle von Geburtsrecht und Privilegien gesetzt hatte. Nach Abschaffung der königlichen Académies dokumentierte bereits der Namenswechsel hin zum Begriff Institut einen Neuanfang: Nicht die Tradition stand im Zentrum der neuen Einrichtung, sondern die Funktionalität und Stabilität der neuen Ordnung, die durch ‚Institutionen‘ gestützt und auf Dauer gestellt werden sollte. Auch wenn die Idee eines revolutionären Neuanfangs in den Wissenschaften und Künsten bereits 1790 durch Mirabeau und Talleyrand und 1792 durch Condorcet ausgedrückt worden war – die Realisierung erfolgte unter veränderten Vorzeichen, im Kontext der nach Legitimität und Stabilität lechzenden Republik von 1795. Mirabeau war zu diesem Zeitpunkt als revolutionärer Gründungsvater diskreditiert. Der Bericht 550

Zitiert nach: AZOUVI, François: Descartes, in: NORA, Pierre (Hrsg.): Erinnerungsorte Frankreichs, München 2005, S. 411–451, S. 420. 551 1793 hatte der Konvent beschlossen, Descartes ins Pantheon zu überführen; aufgrund der Krise war es nicht zur Ausführung gekommen. 1796 bringt Chénier die Idee erneut ins Parlament ein – und erreicht die Einsetzung einer Kommission (vgl. RAM n° 135, 15 pluviôse IV, 4. Februar 1796, CCC, séance du 10 Pluviose); Mercier widersetzt sich im Mai dem Vorhaben (vgl. RAM n° 235, 25 floréal IV, 14. Mai 1796, CCC, séance du 18 floréal). Der Widerspruch führt erneut zur Vertagung. 552 Zitiert nach: AZOUVI: Descartes, S. 420.

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2. Ordnung als Anschauungssache

von Daunou, der am 3. Brumaire IV (25. Oktober 1795) der offiziellen Gründung der Institution voranging, spiegelt den Geist der Republik des Jahres 1795: Nous avons emprunté de Talleyrand et de Condorcet le plan d’un Institut national, idée grande et majestueuse dont l’exécution doit effacer en splendeur toutes les académies des rois, comme les destinées de la France républicaine effacent déjà les plus brillantes époques de la France monarchique […]. Ce sera en quelques points l’abrégé du monde savant, le corps représentatif de la République des lettres, l’honorable but de toutes les ambitions de la science et du talent, la plus magnifique récompense des grands efforts et des grands succès […].553

Als Minikosmos ‚der gelehrten Welt‘, als ‚Stellvertreter der Republik der Philosophen‘ hatte das Institut eine große symbolische Verantwortung zu tragen. Die Verfassung von 1795 schrieb für alle Staatsdiener eine Amtstracht fest. Es erscheint auf den ersten Blick erstaunlich, dass für die Mitglieder des Institut keine solche Regelung getroffen wurde. Zwar sollten deren Arbeiten und Verdienste nur indirekt der Republik dienen, doch fällt die Geburtsstunde der Einrichtung in eine Zeit, in der Amtstrachten und einheitliche Kleidung grundsätzlich als Beleg einheitlicher Gesinnung in Mode waren. Erst im Konsulat sollten die Wissenschaftler durch eine besondere Robe gekennzeichnet werden.554 Doch auch im Direktorium erfuhren sie höchste Wertschätzung, wenn sie zum Beispiel anlässlich der Nationalfeste im Zeremoniell einen herausgehobenen Rang bekleideten: So waren anlässlich des Festes vom 21. Januar 1798 für sie am Ort der Feierlichkeiten in der Kirche Saint-Sulpice Plätze reserviert; und am ersten Jahrestag des 18. Fructidor (4. September) bildeten sie in der großen Festprozession sogar die 39. Abteilung von insgesamt 44 beteiligten Gruppen. Der 44. Platz war der letzte und ranghöchste: Hinter den Mitgliedern des Institut schritten nur noch das Kassationsgericht, ausländische Botschafter, der Generalstab von Paris, die Minister und die Regierungschefs selbst.555 Als äußeres repräsentatives Zeichen besaßen die Mitglieder des Institut außerdem eine Medaille.556 Der gemeinschaftliche Sitzungssaal, die Salle des Cariatides, wurde durch die Aufstellung von Statuen berühmter Schriftsteller weiter aufgewertet – was zur zwischenzeitlichen Umbenennung des Raumes 553

Zitiert nach: DAMIEN, André: L’institut de France, Paris 1999 (= Que sais-je?), S. 13. Am 7. Prairial an IX (27. Mai 1801), vgl. SIMON: Une académie, S. 134. 555 Vgl. François de Neufchâteau: Anniversaire du 18 fructidor. Programme, in: Ders.: Recueil, Bd. 1, S. 96–100. 556 Vgl. SIMON: Une académie, S. 136. 554

2.2 Legitime Repräsentanten

169

in Salle des Grands Hommes führte. Damit wurde an die Politik des Comte d’Angiviller, Directeur général des Bâtiments du roi unter Ludwig XVI., angeknüpft.557 In seinem Auftrag war eine Serie von Statuen ‚großer Männer‘ angefertigt worden.558 Das Direktorium versammelte 24 Statuen im Institut, die alle vor der Revolution realisiert worden waren: Turenne, Molière, Lafontaine, Corneille und Malherbe wurden nun in den Kanon der republikanischen Repräsentation aufgenommen, die auch auf das vorrevolutionäre französische Kulturerbe zurückzugreifen begann. Zur Zeit der Monarchie hatten die Akademien keine offizielle Funktion für den Staat gehabt. Dies sollte sich durch die Reformen von 1795 ändern: Letztlich wurde die Einrichtung quasi Teil des ‚öffentlichen Dienstes‘ – um den Preis des Verlustes von Unabhängigkeit. Das Gesetz vom 3. Brumaire (25. Oktober) hatte festgelegt, dass Institut solle erstens die Wissenschaften und Künste weiterentwickeln und vervollkommnen und zweitens wissenschaftliche und literarische Arbeiten betreiben, die dem Allgemeinwohl und dem Ruhm der Republik zum Vorteil gereichten.559 In der Konsequenz kam es immer wieder zu Anlässen, bei denen die Regierung die Arbeit des Institut zu beeinflussen versuchte und die Zeit der Mitglieder für sich in Anspruch nahm.560 Zunächst erging der Auftrag, das loi organique de la fixation de l’unité des poids et mesures auszuarbeiten; ebenso war der Rat der Wissenschaftler bei der neuen geographischen Einteilung Frankreichs gefragt. Gemeinsam mit einem Ausschuss des Rates der Fünfhundert wurde bereits im Thermidor des Jahres IV (Juli/August 1796) aus den verschiedenen Klassen eine Kommission zusammengesetzt, welche die Organisation der écoles spéciales ausarbeiten sollte. Das Direktorium beauftragte das Institut außerdem mit der Ausarbeitung eines Systems ‚nationaler Auszeichnungen‘ (recompenses nationales) zur Förderung der Künste und des Handwerks (anstelle des bureau consultatif des arts). Erstmals für das Fest zum Gründungstag der Republik am 1. Vendémiaire an VI (22. September 1797), anschließend in jährlichem Abstand, sollte das Institut einen Bericht über die „productions du génie“ des zurückliegenden Jahres sowie eine Liste mit empfehlenswerter Literatur auf dem 557

Vgl. JOURDAN: Les Monuments, S. 130. Die Liste war am 16. Februar 1778 festgelegt worden; einige Skulpturen wurden 1789 im Salon ausgestellt. 559 Zitiert nach: SIMON: Une académie, S. 103. Vgl. dort auch zum Folgenden. 560 Vgl. auch STAUM, Martin S.: The Enlightenment Transformed: The Institute Prize Contests, in: Eighteenth Century Studies 19 (1985–1986), S. 153–179, sowie ders.: Images of Paternal Power: Intellectuals and Social Change in the French National Institute, in: Canadian Journal of History 17 (1982), S. 425–445. 558

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2. Ordnung als Anschauungssache

3 Werte- Gebiet der moralischen Handbücher erstellen.561 Das Institut erfüllte ermittelnde somit auf mehreren Ebenen und für verschiedene Adressatenkreise seirchitektu- ne Funktion als Stütze und Schaufenster der neuen Ordnung.

n

2.3 Wertevermittelnde Architekturen: Republikanische ‚Paläste‘ und ‚Tempel‘, Festbauten und Denkmäler 2.3.1 Parlamentarische Sitzungssäle, Amtssitze und Kultorte Das Jahr 1795 markierte den Beginn einer verstärkten republikanischen Baupolitik: Drei große Projekte wurden gleichzeitig in Angriff genommen, um den neuen Institutionen angemessene Wirkungsstätten bereitzustellen. Die Aufteilung der Legislative auf zwei Kammern erforderte klar getrennte und doch in Nachbarschaft befindliche Räumlichkeiten – eine Regelung, die erhebliche Kosten nach sich ziehen sollte.562 Zusätzlich benötigte man private und dienstliche Residenzen für das fünfköpfige Direktorium. Allein die Salle de l’Assemblée in den Tuilerien stand bereits zur Verfügung. Aber auch hier forderten viele Republikaner eine verbesserte Ausstattung. Angesichts der finanziellen Krise entschied man sich für Kompromisslösungen: Zwei Adelspalais, das Palais du Luxembourg und das Palais Bourbon, wurden für die Regierung und die zweite Kammer des Parlaments umgebaut und damit ambitionierteren Bauvorhaben, wie der Errichtung eines Neubaus auf dem Platz der Bastille, der Fertigstellung der Madeleine als Parlamentsgebäude oder der Verbindung von Louvre und Tuilerienschloss, eine Absage erteilt. Mit der Inbesitznahme der weit auseinander liegenden Orte dehnte die Republik jedoch auch ihren eigenen Repräsentationsraum in der Hauptstadt erheblich aus; frühere Zentren dynastischer und monarchischer Herrschaft wurden besetzt und für die eigene Repräsentation neu definiert. Im Zuge von Feierlichkeiten und Zeremonien wurden fortan neue Wege beschritten: Die Republik demonstrierte ihren Anspruch auf Inbesitznahme auch der vorrevolutionären Vergangenheit.563 561

Der letztere Auftrag wurde anschließend wieder zurückgezogen. Zum Thema der republikanischen Bildungspolitik über Preise und Auszeichnungen vgl. auch Kapitel 2.4.2 und 3.3.2. 562 Vgl. JOURDAN: Les Monuments, S. 370f. Zum Folgenden vgl. ebd., S. 372ff. 563 Zum Zusammenhang von revolutionärer Utopie und Transformation des Raumes, „von der Zerstörung der Königsstatuen zur republikanischen Idealstadt“ vgl. grundle-

2.3 Wertevermittelnde Architekturen

171

Conseil des Anciens: Die Aneignung des Palais des Tuileries Das „Symbolzentrum eines Parlaments“564 ist der Plenarsaal. Dabei sind keineswegs nur die geometrische Grundform der Sitzreihen oder die Anordnung der Plätze von Abgeordneten im Verhältnis zu ihrem Vorsitzenden, der Regierung oder dem Publikum relevant.565 Auch die Dekoration der Säle sowie deren Kommunikation mit der Umgebung sind Faktoren, die Botschaften transportieren. Die Nationalversammlung war im Oktober 1789 dem Hof nach Paris gefolgt. Sie tagte im erzbischöflichen Palais, bis der Reitsaal der Tuilerien, die Manège, hinreichend eingerichtet worden war.566 Das Gebäude war zwischen 1715 und 1722 für den jungen Ludwig XV., der dort seine Reitübungen abhielt, unweit des Tuilerienschlosses errichtet worden. Es handelte sich um eine schlichte, funktionsorientierte Reithalle, die 120 mal 20 Meter maß.567 Der schmale, längliche Zuschnitt des Raumes war für die Versammlung ein Nachteil; vorteilhaft erschien die Nähe zum Monarchen. Das königliche Stadtschloss, das Palais des Tuileries, war das wichtigste Machtsymbol der Hauptstadt. Nach dem Sturz der Monarchie eignete sich der republikanische Konvent, das nunmehr höchste staatliche Entscheidungsgremium, dieses Gebäude selbst an, indem er seinen Sitzungssaal dorthin verlegte;568 nach der Hinrichtung Ludwigs XVI. wurde als neue Bezeichnung ‚Palais national‘ eingeführt. Die Versammlung bezog das ehemalige Hoftheater, das zwischen 1660 und

gend: HARTEN, Hans-Christian: Transformation und Utopie des Raums in der Französischen Revolution, Braunschweig und Wiesbaden 1994. 564 PATZELT, Werner J.: Parlamentarische Selbstsymbolisierung. Ein Vergleich von vier Vertretungskörperschaften. in: Ders. (Hrsg.): Parlamentarische Parlamente und ihre Symbolik. Programm und Beispiele institutioneller Analyse, Wiesbaden 2001, S. 311– 341, S. 327. 565 Vgl. DÖRING, Herbert: Die Sitzordnung der Abgeordneten. Ausdruck kulturell divergierender Auffassungen von Demokratie?, in: DÖRNER, Andreas und Ludgera VOGT (Hrsg.): Sprache des Parlaments und Semiotik der Demokratie. Studien zur politischen Kommunikation in der Moderne, Berlin und New York 1995, S. 278–289; sowie auch: MEIER, Christian: Die parlamentarische Demokratie, München 1999, S. 217–226. 566 Vgl. MARKOV, Walter: Revolution im Zeugenstand, Frankreich 1789–1799, Bd. 1: Aussagen und Analysen, Leipzig 1982, S. 118. 567 Vgl. Informationen der offiziellen Homepage der Tuilerien: http://www.tuileries.fr/ page.php?id=553 [16/12/08, 18.26h]. 568 Die erste Sitzung des Konvents fand am 10. Mai 1793 dort statt; vgl. JOURDAN: Les Monuments, S. 373, die sich ihrerseits auf die Arbeiten von Boyer bezieht: BOYER, Ferdinand: Les Tuileries sous la Convention & Les Tuileries sous le Directoire, in: Bulletin de la societe de l’histoire de l’art francais (Séance du 9 novembre 1934), Paris 1935, S. 197–241 und S. 242–263.

172

2. Ordnung als Anschauungssache

1662 von Le Vau erbaut worden war.569 Auch dieser Raum war jedoch alles andere als ideal und erschwerte die Arbeit der Parlamentarier. Den wichtigsten Zugang bildete eine schmale und schmutzige Gasse zwischen hohen Hinterhäusern, nach Michelet wohl der Sammelplatz der Abfälle der Rue Saint-Honoré. Von dort aus erreichte man über schmale Treppen und Gänge den für 750 Abgeordnete viel zu engen Saal, in dem bei schlechter Akustik die Sitzungen abgehalten wurden. Ursprünglich für Theateraufführungen konzipiert, verfügte er nur über kleine, hoch angesetzte Fenster, die wenig Tageslicht einließen (Abb. 21). Die Form der Fenster orientierte sich an den fünf rechteckigen beziehungsweise lunettenförmigen Logenemporen im Mittel- und Obergeschoss der gegenüberliegenden Längsseite des Raumes. Entgegen der ursprünglichen Bühnenzentrierung hatte man für die Zwecke der parlamentarischen Versammlung die Sitze im Raum um 90 Grad gedreht. Die ehemalige Logenlangseite war dadurch zur neuen, gegen die Place du Caroussel gerichteten Stirnseite geworden, wo sich die Präsidententribüne mit dem von David entworfenen Präsidentenstuhl befand, darüber eine Uhr. Der Tisch des Präsidenten wurde – weniger erhöht – von den Tischen der Schreiber flankiert. Noch weiter davor und darunter befand sich die Rednertribüne. Direkt gegenüber stiegen auf diese Mittelachse hin ausgerichtet die zehn Sitzreihen der Abgeordneten nach Art eines Amphitheaters an. Diese Anordnung war für künftige Parlamente typenbildend.570 Anräume und Logen boten Platz für 1.400 Zuhörer.571 Auch an der Wand- und Deckendekoration hatte der Konvent nach seinem Einzug Veränderungen vorgenommen:572 Malereien von Gesetz569

1871 wurde der Gesamtkomplex durch einen Brand vernichtet. – Zu den Argumenten für den Umzug im September 1792 vgl. Moniteur n° 254, 10 septembre 1792: „M. Petion: Nous venons vous offrir un projet que nous croyons utile. La salle où vous siégez maintenant présente les plus grandes incommodités; elle est étroite, malsaine; elle ne peut contenir qu’un petit nombre de spectateurs; elle ne convient point à la majesté nationale; à l’importance de vos discussions; les avenues qui y conduisent sont difficiles. Qu’on ne croie pas que la disposition du local soit indifférente. Nous avons jeté les yeux sur un cadre plus vaste; il fait partie du château des Tuileries: c’est l’ancienne salle du théâtre Français. Les palais jusqu’à ce jour, ont été pour les rois, il est temps que le peuple ait le sien. (On applaudit.) Nous vous prions donc d‘attacher quelque importance à nos observations.“ Außerdem vgl. TRAEGER, Jörg: Der Tod des Marat. Revolution des Menschenbildes, München 1986, S. 46. Vgl. ebd. die nachfolgende Beschreibung des Ortes. 570 Vgl. dazu MANOW, Philip: Der demokratische Leviathan – eine kurze Geschichte parlamentarischer Sitzordnungen seit der französischen Revolution, in: Leviathan 32 (2004), S. 319–347. 571 Vgl. TRAEGER: Der Tod des Marat, S. 46f. 572 Vgl. BOYER: Les Tuileries sous la Convention.

2.3 Wertevermittelnde Architekturen

173

Abb. 21: Berthault, Pierre-Gabriel, und Jean Duplessi-Bertaux: Assassinat du député Ferraud dans la Convention nationale, le 1er Prairial, An 3ème de la République, eau-forte, burin, 24 × 29 cm.

gebern (wie Solon) und anderen bedeutenden Persönlichkeiten der Antike (zum Beispiel Demosthenes und Platon) schmückten die Wände. Daneben war eine Reihe von Büsten berühmter Männer und Märtyrer der jüngeren Vergangenheit aufgestellt worden: Rousseau, Lepeletier, Marat und Chalier. Auch Brutus wurde erneut als Motiv aufgegriffen. Das Comité de Salut public hatte am 7. Floréal des Jahres II (26. April 1794) per Dekret entschieden, Kunstwerke aus den alten Königshäusern entfernen zu lassen, um diese fortan in den Dienst der Repräsentation der Republik zu stellen.573 Kurz vor dem 9. Thermidor (27. Juli) war der Transfer von Werken aus den Schlössern Marly und Fontainebleau angeordnet worden. Als 1795 der Versammlungssaal im ehemaligen Hoftheater nunmehr zum Sitz des Rates der Alten erklärt wurde, veränderte man nur Details

573

Vgl. JOURDAN: Les Monuments, S. 374.

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2. Ordnung als Anschauungssache

der Dekoration.574 Diese parlamentarische Kontinuität in den Tuilerien ist durchaus bemerkenswert. Zwar waren die Direktoren bestrebt, das ihnen zugesprochene Palais du Luxembourg aufwendig auszustatten – das Palais national, das Tuilerienschloss als traditioneller Sitz der Macht in der Hauptstadt, tasteten sie jedoch nicht an: Es wurde dem Parlament, genauer gesagt dem Conseil des Anciens, überlassen. Auch der Vorschlag, Versailles als Tagungsort für einen Teil der Versammlung einzurichten, wurde abgelehnt.575 Im Unterschied zu diesem klaren Bekenntnis zum Parlament als zentraler Verkörperung der Idee der Volkssouveränität bezog der Konsul Napoleon Bonaparte das Tuilerienschloss höchstselbst, und zwar keine drei Monate nach dem geglückten Staatsstreich vom 18. Brumaire VIII (9. November 1799), am 30. Pluviôse VIII (19. Februar 1800). In der Verfassung des Jahres VIII war es offiziell zum Regierungssitz erhoben worden. Zwar wurde mit dem Sturz Robespierres 1794 das Comité d’Embellissement aufgelöst – die grundsätzliche Politik der Aneignung der ‚Königskunst‘ durch die Republik jedoch wurde fortgesetzt. Zwar traten in den Gärten hinter dem Schloss Parkanlagen, Orangenbäume sowie andere exotische Pflanzen an die Stelle der Kartoffelbeete der Sansculotten. Parallel beschlagnahmten Gisors und Leconte jedoch weitere Kunstwerke zur dekorativen Ausgestaltung. Sie wählten vor allem antike Sujets und Skulpturen mythologischer Gestalten aus. Aus Marly trafen im Sommer des Jahres IV erste Stücke ein: „Daphné, Hippomène, Atalante de Coustou et de Lepautre“; und die Listen dessen, was noch geholt werden sollte, waren lang: „Diane, Vénus, Cérès, Mercure, Hercule, Bacchus, Ganymède, Centaure, Apollon, Méléagre,

574

Vgl. die Zeichnung von Gilly, Friedrich: Der Saal des Rates der Alten in den Tuilerien, 1797 (Berlin, Staatliche Museen, Nationalgalerie, Kupferstichkabinett, abgebildet in: TRAEGER: Der Tod des Marat, S. 49). 575 André Dumont hatte diesen Vorschlag am 14. August 1795 in die Debatte eingebracht, nachdem ein Petitionär erneut den Verfall und die wirtschaftlichen Probleme von Versailles nach Wegzug des Hofes geschildert hatte: „La commune de Versailles est une de celles qui ont fait le plus de sacrifices à la révolution; elle est celle qui a le plus souffert. Cette commune présente différents établissements qui peuvent être fort avantageux à la république. […] Je demande que la Convention renvoie à la commission des Onze pour examiner s’il ne serait pas plus avantageux de diviser les deux conseils dans deux communes différentes, et si dans ce cas Versailles ne doit pas avoir la préférence.“ Moniteur n° 333, 3 fructidor III (20. August 1795), CN, suite de la séance du 26 thermidor. Die Ablehnung des Vorschlags begründete sich vor allem in der zu großen Entfernung. Die Verfassung sah vor, dass die beiden Räte in derselben Kommune an unterschiedlichen Orten tagten.

2.3 Wertevermittelnde Architekturen

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Muses“576. Es kursierten verschiedene Projekte zur Umgestaltung des Sitzungssaales (Abb. 14). Das Bild- und Skulpturenprogramm macht deutlich: Die Wurzeln des aktuellen Regimes wurden nicht in der Revolution, sondern in der Antike gesucht – in einer weit entfernten Vergangenheit, jenseits der blutigen und aufreibenden Fraktionskämpfe der Gegenwart. Die Dekoration des Sitzungssaales zielte vor allem auf prunkvolle, republikanische, weil auf die Antike zurückgehende, Repräsentation für die neuen Machthaber: Die Künste der Antike sollten dem neuen Regime Glanz und Größe verleihen.577 Diese Tendenz kann als Konsequenz der Erfahrungen der vergangenen Jahre interpretiert werden: Die Aufstellung der Statuen von verstorbenen Revolutionären und Zeitgenossen hatte sich als problematisch erwiesen. Nach den Wirren der Reaktionszeit im Winter 1794/95 war so beispielsweise die Marat-Büste im Versammlungssaal ausgetauscht worden.578 Auch die Depantheonisierungen von Mirabeau (1794) sowie vom Ami du peuple (1795) ließen die Republikaner schlussfolgern, weit zurückliegende Epochen seien eine stabilere Grundlage und Orientierung für die Zukunft als die jüngere, revolutionäre Vergangenheit. Conseil des Cinq-Cents: Von der Manège zum Palais Bourbon Noch aufschlussreicher hinsichtlich des Selbstverständnisses der Legislative in der Direktorialzeit ist die Debatte um die Festlegung des zweiten Versammlungsortes, für den Conseil des Cinq-Cents. Dieser nutzte ab 1795 zunächst die 1793 freigewordene Manège unweit des Tuilerienschlosses.579 Verschiedene Gründe sprachen für einen Umzug: Zum einen schrieb die Verfassung die klare räumliche Trennung der beiden Kammern vor, um erneute Parteibildungen zu erschweren. Zum anderen entsprach die Manège kaum den Anforderungen, die an einen permanenten Sitzungssaal der republikanischen Legislative gestellt wurden: weder architektonisch (Akustik, Verteilung der Sitz- und Zuschauerränge) noch sicherheitspolitisch (freier Standort) oder repräsentativ (dem neuen Souverän würdig). Bereits 1795 entschieden sich die Verantwortlichen daher für einen Neuanfang:580 Das Palais Bourbon, 576 JOURDAN: 577 Vgl. ebd. 578

Les Monuments, S. 375.

Vgl. dazu auch Kapitel 4.4. Im Jahr 1799 beherbergte die Manège einen Nachfolger des Jakobinerklubs, auch ‚Manegeklub‘ (Club du Manège) genannt. 580 Per Dekret bestimmte der Konvent am 18. September 1795 das Palais Bourbon zum Sitzungssaal des zukünftigen Rates der Fünfhundert. 579

176

2. Ordnung als Anschauungssache

welches durch seine Erbauer und Bewohner mit der Geschichte der französischen Monarchie eng verbunden war, sollte eine neue, republikanische Bestimmung erhalten. Seit 1792 war es infolge der Emigrantengesetze in staatlichen Besitz übergegangen. Kurzzeitig war dort ein Gefängnis eingerichtet worden, danach die Militärverwaltung eingezogen und ab 1794 im südwestlichen Flügel die École centrale des travaux publics untergebracht, Keimzelle der späteren École polytechnique, die noch bis 1805 im Hôtel de Lassay untergebracht sein sollte, ebenso wie die ersten Depots des Nationalarchivs (bis 1808). Der Sitzungssaal wurde den Bedürfnissen der Versammlung entsprechend vollkommen neu eingebaut, und die Zusammenkunft der französischen Gesetzgeber erhielt damit zum ersten Mal einen dauerhaften eigenen Ort im Pariser Stadtbild, den sie trotz eines unsicheren Beginns bis heute behauptet.581 Unsicher war der Beginn insofern, als die Wahl des Ortes keineswegs einstimmig begrüßt wurde. Unter anderem aufgrund der hohen Kosten, die der Umbau verschlang, wurden bis Pluviôse IV (Januar/ Februar 1796) verschiedene Lösungen diskutiert. Die zuständige Kommission der inspecteurs de la salle sprach sich gegen den Umzug auf das andere Seineufer aus. Neben den Kosten führten Deleyre und Roux de la Marne vor allem den sakralen Charakter der Tuilerien als Argument ins Feld oder brandmarkten umgekehrt die mangelnde Würde des Palais Bourbon.582 Am 27. Pluviôse (16. Februar) plädierte Deleyre dafür, beide Räte im Palais de Tuileries tagen zu lassen. Nach Vorbild des englischen Feindes, den es gleichzeitig zu besiegen und in seinen guten Einrichtungen zu überbieten gelte, sollte das Parlament an ein und demselben Ort tagen, dem Heiligtum („sanctuaire“) der französischen Nation, welches Westminster entspräche: „Les deux parties de la législature ne doivent point habiter, l’une le sanctuaire, l’autre le parvis; elles doivent être réunies dans le temple élévé à la liberté, à l’indépendance du Peuple français.“ Auch die vermeintlich große Distanz zwischen den beiden gesetzgebenden Kammern, die doch des intensiven Austausches bedürften, wurde kritisiert.583 Treilhard fürchtete die Kritik der öffentlichen Meinung und sah das Risiko, dass die symbolpolitische Wankelmütigkeit der Gesetzgeber einen schwerwiegenden Vertrauensverlust nach sich

581

Vgl. zur späteren Geschichte des Palais Bourbon RIOUX, Jean-Pierre: Le Palais Bourbon. De Gambetta à de Gaulle, in: NORA: Les lieux de mémoire, Bd. 2: La nation 3, S. 487–516. 582 Vgl. Moniteur n° 151, 1er ventôse IV (20. Februar 1796). 583 Vgl. ebd.

2.3 Wertevermittelnde Architekturen

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ziehen würde, der zu Vorwürfen der Verschwendung öffentlicher Gelder führen könnte.584 Letztlich setzten sich die Befürworter des Umzugs durch, die neben dem weit fortgeschrittenen Stand der Arbeiten vor allem den verfassungsgemäßen Auftrag als Argument auf ihrer Seite wussten: Die beiden Kammern, so schrieb es die Constitution des Jahres III (1795) vor, sollten klar getrennt voneinander arbeiten, mit je eigenen Saaldienern, Amtsschreibern und Boten. Auch auf diese Weise hoffte man, Fraktionsbildungen zu erschweren.585 Am 2. Pluviôse des Jahres VI (21. Januar 1798), dem fünften Jahrestag der Hinrichtung Ludwigs XVI., bezog der Rat das Palais Bourbon.586 Drei Tage vorher hatte die Versammlung im Anschluss an den Abschlussbericht von Martinel beschlossen, den Saal der Volkssouveränität zu widmen: „la salle sera dédiée à la Souveraineté du peuple français“587. Jacques-Charles Bailleul, der 1796 noch aus wirtschaftlichen Gründen gegen den Umbau argumentiert hatte,588 eröffnete als Präsident der Versammlung den neuen Plenarsaal.589 Nicht nur der Tagungsort selbst, sondern auch seine Umgebung wurde durch symbolpolitische Entscheidungen neu bewertet: Das Palais Bourbon hatte 1794 den Beinamen Maison de la Révolution590 erhalten, der angrenzende Platz war von Place du Palais Bourbon in Place de la Maison de la Révolution und schließlich Place du Conseil des Cinq-Cents umbenannt worden591. Die Erinnerung an Revolution und Zwietracht sollte offenkundig durch eine weniger konfliktreiche Namensgebung in republikanische Eintracht und Normalität umgemünzt werden. Symbolträchtig führte nunmehr der Pont de la Concorde (geplant als Pont Louis XVI, nach Fertigstellung zunächst umbenannt in Pont de la Révolution) hinüber zum anderen Seineufer, wo der Rat der Alten im Tuilerienschloss tagte. Zeitgenössische Drucke popularisierten diese Verbindungslinie – und das sich dahinter verbergende Konzept der Eintracht (Abb. 22).592 584

Vgl. Moniteur n° 152, 2 ventôse IV (21. Februar 1796), suite de la séance du 27 pluviôse im CCC. 585 Vgl. Moniteur n° 151, 1er ventôse IV (20. Februar 1796). 586 Vgl. Moniteur n° 126, 6 pluviôse VI (25. Januar 1798); Moniteur n° 127, 7 pluviôse VI (26. Januar 1798). 587 Moniteur n° 126, 6 pluviôse VI (25. Januar 1798) [zitiert nach RAM]. 588 Vgl. Moniteur n° 152, 2 ventôse IV (21. Februar 1796). 589 Vgl. Moniteur n° 126 und n° 127, 6 et 7 pluviôse VI (25. und 26. Januar 1798). 590 Vgl. Art. Jacques-Charles Bailleul, in: SÉGUIN: 240 dans un fauteuil, S. 616–622, S. 619. Vgl. dort auch zum Folgenden. 591 Vgl. http://www.assemblee-nationale.fr/histoire/place-bourbon.asp [06/01/09, 16.06h]. 592 Es existieren verschiedene Varianten; zusätzlich zur Abb. 22 vgl. [Non-identifié]: Pont de la Concorde, gravure à l’aquatinte, 18,4 × 31,6 cm (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6582).

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Abb. 22: [Non-identifié]: Vue de Pont de la Concorde et du Palais du Corps Législative [sic]: Executée par Peronet, gravure à l’eau-forte, coloriée, vue d’optique, 25 × 37 cm, Paris [entre 1795 et 1799].

Bailleuls Eröffnungsrede bezog sich auf den republikanischen Gedenktag des 21. Januar 1793, in dessen Kontinuität er sich stellte, obwohl er einst gegen den Königsmord gestimmt hatte.593 Die Presse berichtete über die Eröffnungszeremonie, die parallel zum offiziellen Festakt des Direktoriums (in Anwesenheit von Bonaparte) in der Kirche SaintSulpice stattfand: Um halb zwei Uhr nachmittags kündigten Kanonenschüsse den Beginn an. Bailleul bestieg, begleitet von Parlamentsboten und Gerichtsdienern, den Präsidentenstuhl; erst danach nahmen alle Anwesenden Platz und die Marseillaise wurde zum Besten gegeben:594 La musique des grenadiers de la représentation nationale fait entendre l’hymne des Marseillais. Le peuple répond par des cris de Vive la République! Les tambours battent aux champs, à l’instant et près d’une des portes latérales paraissent les huissiers du Conseil, les messagers d’État, 593

Seiner Meinung nach hätte ein lebendiger Ludwig XVI. im Krieg die Verhandlungsposition der Republik gestärkt und als Geisel gegen den Frieden ausgetauscht werden können; vgl. SÉGUIN: 240 dans un fauteuil, S. 617. 594 Vgl. Journal des hommes libres, 3 pluviôse VI (22. Januar 1798).

2.3 Wertevermittelnde Architekturen

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les secrétaires, les rédacteurs, le président et tous les membres du Conseil. Ils défilent au bruit des instruments guerriers, et vont occuper la place qui leur est assignée. Les huissiers et messagers d’État attachés au Conseil sont revêtus de leur costume. Les représentants portent tous leur costume provisoire en habit bleu, retenu par une écharpe tricolore, ornée de franges d’or. A la solennité de cette marche, à l’extrême beauté du lieu, à la régularité des costumes, à l’ensemble majestueux qui règne dans cette cérémonie, le peuple reconnaît ses représentants entrant dans le sanctuaire de la liberté; ses applaudissements et ses acclamations éclatent de toutes parts.595

Als gelte es, die Vorwürfe der Kritiker von 1796 endgültig zu entkräften, greift der Autor des Artikels das Bild des ‚Heiligtums‘ auf, in das die Diener des Volkes und der Freiheit würdevoll einziehen. Hatte Deleyre die Tuilerien noch als ‚Heiligtum‘ bezeichnet, mit dem das Palais Bourbon nicht konkurrieren könne, so wird nunmehr der neue Sitzungssaal zum ‚Heiligtum der Freiheit‘ stilisiert. Auch Bailleul bediente sich religiöser Metaphorik, um die Bedeutung des 21. Januar als unwiderrufliches Bindeglied zwischen Monarchie und Republik zu unterstreichen: „Il méritoit d’être un jour religieux le jour qui creusa un abyme entre une monarchie qui n’étoit déjà plus et la République naissante; le jour où des milliers de créatures humaines cessèrent d’être les sujets, c’est-à-dire la propriété d’un homme […].“596 Der Ratspräsident bezog sich auf die Widmung des Saales597 und stellte die Volkssouveränität ausdrücklich als revolutionäre Errungenschaft heraus, in der die Französische Revolution andere Revolutionen übertroffen habe: Die besondere Leistung der Revolution in Frankreich, so Bailleul, bestehe nämlich darin, nicht nur einen ideellen Kampf gegen Unterdrückung und Tyrannei geführt, sondern dauerhafte Institutionen wie die Menschen- und Bürgerrechte, die Gleichheit aller Bürger und die Souveränität des Volkes auch de facto begründet zu haben; erstmals habe eine geistige Revolution auch politisch umgesetzt werden können.598 Die Zeremonie scheint umstritten gewesen zu sein. Bion forderte nach der Rede des Präsidenten, man sollte direkt zur Eidesleistung 595

Zitiert nach: SÉGUIN: 240 dans un fauteuil, S. 620. Bailleul, Jacques-Charles: Corps législatif, Conseil des Cinq-cents, Discours prononcé par J.-Ch. Bailleul, président du Conseil des Cinq-cents, le 2 pluviôse répondant au 21 janvier (ancien style), avant la prestation de serment de haine à la royauté et à l’anarchie, Séance du 2 pluviôse an VI, S. 2; vgl. auch Moniteur n° 126, 6 pluviôse VI (25. Januar 1798), séance du 2 pluviôse; sowie ders.: Corps législatif, Conseil des Cinqcents, Discours prononcé par J.-Ch. Bailleul, président du Conseil des Cinq-cents, le 2 pluviôse répondant au 21 janvier, pour la plantation des arbres de la liberté dans les cours du palais du Conseil des Cinq-cents, Paris, an VI. 597 Vgl. Bailleul: Discours avant la prestation, S. 11f. 598 Vgl. SÉGUIN: 240 dans un fauteuil, S. 621. 596

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2. Ordnung als Anschauungssache

übergehen, da der Hass auf das Königtum dadurch bereits ‚elektrisiert worden‘ sei. Aber die inspecteurs de la salle hatten die Pflanzung eines Freiheitsbaumes im Hof des Palais Bourbon als Auftakt zur Eidesleistung vorgesehen. Trotz des Protests wurde an diesem Programm festgehalten; in derselben Reihenfolge, in der man den Saal betreten hatte, verließ man ihn auch wieder. Kanonendonner informierte die Bevölkerung in der Hauptstadt über den Beginn der Pflanzungszeremonie – diese antwortete laut Berichterstattung des Moniteur darauf mit Begeisterungsrufen: „Le peuple, qui garnit le pont, les quais, les grilles et les échafauds dressés par les ouvriers, fait retentir les cris de vive la République. Tous les chapeaux, tous les bras sont agités de signes d’allégresse: le bruit du canon cesse un moment.“599 Die Abgeordneten beschworen einzeln ihren Hass auf Königtum und Anarchie sowie ihre Verbundenheit und Treue gegenüber der Republik und der Verfassung des Jahres III.600 Der neue Saal wurde mit diesem Ritual der Republik geweiht. Nur wenige Relikte erinnern im heutigen Sitzungssaal der französischen Assemblée nationale an die Eröffnung von 1798, so der Stuhl und Schreibtisch des Parlamentspräsidenten, einschließlich des Flachreliefs von Lemot, welches die der Versammlung zugewandte Seite der Rednertribüne ziert.601 Diese Möbel und Dekorationselemente sind seit 1797 nicht ausgetauscht worden und verbürgen die Kontinuität zwischen der Ersten und der Fünften Republik.602 Auch die Anlage des Sitzungssaales im Halbkreis – im Laufe der inzwischen 220-jährigen Geschichte des Versammlungsortes immer wieder Gegenstand heftiger Kritik – wurde durch den Umbau von Jules de Joly zwischen 1828 und 1832 nicht angetastet, ebenso wenig wie die Kolonnaden, so dass die heutige Raumaufteilung603 zumindest noch eine Idee des Ursprungsraumes, von dem nur wenige Drucke und Beschreibungen in Memoiren erhalten sind, vermitteln kann. Gisors und Leconte waren mit der Innenarchitektur betraut worden. Sie ordneten die Sitze in einem stufenartig ansteigenden Halbkreis

599

Moniteur n° 127, 7 pluviôse VI (26. Januar 1798), suite de la séance du 2 pluviôse. Vgl. Bailleul: Discours avant la prestation. 601 Vgl. http://www.assemblee-nationale.fr/connaissance/collection/10.asp#P43_28467 [06/01/09, 20.27h]. Dort auch zum Folgenden. 602 Vgl. Le bureau et le fauteuil du Président (1797), abgebildet auf: http://www.assembleenationale.fr/histoire/presidents/fauteuil.asp [14/08/13, 21.05h]. 603 Vgl. Einblick Halbrund Assemblée Nationale, Paris (abgebildet auf: http://www.assemblee-nationale.fr/infos/assister.asp [04/12/09, 12.05h]). 600

2.3 Wertevermittelnde Architekturen

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Abb. 23: Rolfe, nach Gisors: La salle des Cinq-Cents, au palais Bourbon, gravure anglaise.

wie in einem Amphitheater an (Abb. 23).604 Die Plätze waren mit rotem Saffianleder bezogen. Sieben Treppen führten zu den sieben Eingängen des Saales, die in einem Rundgang mündeten. Hinter den Sitzreihen der Abgeordneten erhob sich die Publikumsgalerie, vom Saal durch 32 ionische Säulen in weißem Stuck abgetrennt. Das Gewölbe war durch achteckige Kassetten strukturiert, diese wiederum ausgemalt mit Rednern und Gesetzgebern der Antike. Insgesamt herrschte ein antikisierender Stil vor. An der Wand gegenüber dem Halbrund erhob sich vor einer Nische der Schreibtisch des Präsidenten, auf derselben Höhe wie die letzten Ränge der Abgeordneten im Saal. Unterhalb seines Sitzes befand sich die Rednertribüne. Sessel und Schreibtisch werden dem Atelier von Jacob zugeschrieben, der sie nach einer Zeichnung von David realisiert haben soll.605 Die vergoldeten Bronzearbeiten, die sie dekorieren, wurden von Lemot und Michallon ausgeführt. Der Tisch ist aus Mahagoniholz und

604

Vgl. auch Palais national des Cinq-Cents, par Gisors et Leconte architectes, gravure (Paris, Musée Carnavalet, abgebildet in: VOVELLE: La Révolution française. Images et récit, Bd. 5, S. 14). 605 Vgl. http://www.assemblee-nationale.fr/histoire/presidents/fauteuil.asp [06/01/09, 20.18h].

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wird durch vier Karyatiden in vergoldeter Bronze getragen. Auf der linken Seite befindet sich eine Waage, Symbol der Gerechtigkeit. Das Flachrelief, welches die Rednertribüne bis heute schmückt, stammt von Lemot, der die Figur der Freiheit mit dem Gott Janus, der gleichzeitig in die Vergangenheit und in die Zukunft schauen kann, in Verbindung brachte. Außerdem sind Personifikationen der Geschichte und der Fama dargestellt, die sich explizit in den Dienst der Republik stellen (Abb. 24): Die Geschichte notiert alles, was Fama ihr mitteilt, unter dem Titel: „L’Histoire écrit le mot de République, la Renommée publie les grands évènements de la Révolution“606 – die einzige ausdrückliche Anspielung auf die unmittelbare Gegenwart inmitten der ansonsten antiken und mythologischen Symbolik. Der Kommission der inspecteurs de la salle wird in der Literatur häufig eine royalistische Haltung unterstellt. Dieses an zentraler Stelle realisierte Bekenntnis zur Republik scheint dem zu widersprechen und Ausdruck der Politik des gemäßigt-republikanischen Zentrums der Direktorialrepublik zu sein. Farblich dominierten im ursprünglichen Sitzungssaal die Farben rot und grün (die Farben der Draperien an der Wand der Präsidententribüne). Gisors und Leconte hatten zur Dekoration des Saales außerdem aus den königlichen Sammlungen in Meudon, Bellevue, Saint-Cloud und Marly Statuen und Vasen besorgen lassen.607 Ähnlich wie für die Ausstattung des Rates der Alten wurden vor allem antike Statuen angefordert: Götterbilder von Venus, Bacchus, Diana und Apollon, aber auch ein Gladiator, ein Senator oder ein Faun. Maler und Bildhauer sollten die Innenausstattung komplettieren. Dubois, Marchais, Strasbaux und Lemire malten die Decke aus. Sie kombinierten mythologische Motive mit Naturallegorien oder historischen Figuren und Bildprogrammen: „les portraits de Thémistocle. Socrate, Brutus et Timoléon se marient avec des allégories hermétiques: La Nature seule dicte des lois éternelles, Thémis venge la nature outragée, Némésis ronge le cœur de l’homme criminel. Strasbaux et Lemire peignent sur l’arc-doubleau: L’entrée des Gaulois à Rome, Le départ de Régulus pour Carthage, Epaminondas refusant les présents des Ambassadeurs de Perse, Aristide écrivant son nom sur une coquille.“608 Lemot und Michallon realisierten abgesehen von der Rednertribüne gemeinsam mit Masson, Ramey und Dupasquier sechs Statuen, die an der Stirnseite des Saales, rechts und links gegen606

Zitiert nach JOURDAN: Les Monuments, S. 378. Dort auch zum Folgenden. Vgl. BOYER, Ferdinand: Le Conseil des Cinq cents au Palais Bourbon, in: Bulletin de la Société de l’Histoire de l’Art français (1935), S. 59–83; dort auch zum Folgenden. Siehe auch JOURDAN: Les Monuments, S. 377. 608 JOURDAN: Les Monuments, S. 378. 607

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Abb. 24: Lemot, François-Frédéric: L’histoire et la Renommé, relief.

über der Reihen der Abgeordneten, aufgestellt werden sollten: „Solon, Lycurgue, Démosthène seraient placés à droite face aux législateurs; Cicéron, Brutus et Caton à gauche.“609 Nur zwei Statuen wurden in Marmor ausgeführt: Lykurg und Cato, wodurch diesen beiden Figuren eine besondere Vorbildfunktion zugesprochen wurde. Die Gesetzgeber der Gegenwart verpflichteten sich auf die Bewahrung des rechtsstaatlichen Prinzips. Damit war die Inneneinrichtung des Nationalpalastes jedoch keineswegs endgültig abgeschlossen. Kaum mehr als ein Jahr später beschloss der Rat der Fünfhundert, die Skulpturenausstattung durch eine Reihe von Gemälden zu ergänzen.610 Betrachtet man die Bildinhalte der ausgewählten Stücke, liegt es nahe, einen Zusammenhang zwischen diesem Anliegen und der veränderten politischen Lage herzustellen. Bermerkenswert erscheint, dass die Bestellung bereits im Frühjahr des Jahres VII (1799) erfolgte, während der Wahlen, das heißt vor der Verschiebung der Mehrheitsverhältnisse in den Räten zugunsten der Gruppe der Linken um die ‚Neojakobiner‘. Der Rat der Fünfhundert 609

Ebd., vgl. auch GARRIGUES, Jean (Hrsg.): Histoire du Parlement de 1789 à nos jours, [Paris] 2007, S. 94. 610 Vgl. JOURDAN: Les Monuments, S. 379.

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bestellte nur solche Gemälde, die von den „meilleurs maîtres français“ stammten. Einige der gewählten Stücke spielten sehr deutlich auf die Revolution an und waren in der jüngeren Vergangenheit teilweise Gegenstand heftiger Kontroversen gewesen: La mort de Caïus Gracchus von Topino-Lebrun, La Liberté et la Mort von Regnault, Le Triomphe du Peuple von Hennequin. Andere Gemälde hatten Preise bei nationalen Wettbewerben gewonnen und waren weniger umstritten, zum Beispiel Héro et Léandre von Taillasson oder Philoctète gravissant les rochers von Guillon-Lethière; wieder andere stammten noch aus den Zeiten der Monarchie und besaßen eine revolutionäre Konnotation, wie der Brutus oder der Serment des Horaces von David, die jedoch das Konservatorium des Museums als Leihgaben an das Parlament ablehnte. Auf der anderen Seite wurden auch La Mort de Socrate von Peyron und Cornélie et les Gracques von Suvée, die beide stark politische Konnotationen trugen, für die Ausstattung angefragt.611 Besonders die Wahl derjenigen Bilder, die eine Verbindung zur Revolution des Jahres II (Motive der Künstler Hennequin und Regnault und Bilder von David) oder zur Verschwörung der Gleichen (Motiv Gracchus) aufwiesen, kann Jourdan zufolge im Kontext der andauernden Machtkämpfe und Krisen als handfestes ‚Glaubensbekenntnis‘612 der Entscheidungsträger zur Jakobinerrepublik gedeutet werden, für deren Erneuerung man sich indirekt aussprach. Das Palais du Luxembourg als Sitz der ersten legitimen Regierung der Republik Die Arbeiten am Palais du Luxembourg setzten sich nach dem Einzug der Mitglieder des Direktoriums im Brumaire IV (November 1795) in den Jahren IV bis VII (1796 bis 1799) weiter fort. Das Palais war in schlechtem Zustand, wie La Revellière in seinen Memoiren beschreibt: Nous trouvâmes tous les appartements littéralement nus: il n’y avait pas un meuble de quelque nature que ce fût. Après une recherche inutile, nous nous 611

Vgl. ebd., S. 273, die sich hier auf Archivmaterial bezieht: AN, Paris, F21 584: Lettre du Bureau des Beaux-arts et des fêtes nationales au Ministère de l’intérieur, 25 germinal an VII [14. April 1799]. François de Neufchâteau hat als Innenminister die Auswahl gebilligt. La Mort de Socrate spielte auf die Undankbarkeit gegenüber und Verfolgung von Philosophen an; Cornélie propagierte ein Mutterbild, welches der konservativen Politik von Jakobinern und Direktorialisten entsprach. François de Neufchâteau brachte sie u. a. auch in seinem Schreiben an die zentralen und lokalen Verwaltungen anlässlich der Fête des Époux vom 21. Germinal VII [10. April 1799] als Vorbild ins Spiel, ebenso wie Rousseau, der wieder als philosophische Referenz dienen sollte; vgl. François de Neufchâteau: Recueil, Bd. 2, S. 158. 612 Vgl. JOURDAN: Les Monuments, S. 381.

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réfugiâmes dans un petit cabinet. Le concierge Dupont nous y fit placer une petite table boiteuse, dont un pied était rongé de vetusté, et quatre chaises, le tout à lui appartenant. Il nous prêta aussi quelques bûches, car le temps était assez froid. Ce ne fut guère que dans le délai de quatre ou cinq mois que nous obtînmes un très-médiocre assortiment des choses les plus indispensables, tant pour le service immédiat du Directoire exécutif que pour l’usage particulier de ses membres. La situation des choses paraissait si désespérée qu’on ne croyait pas à la durée de notre existence politique; aussi personne ne s’empressait de nous servir. 613

Während seiner Verwendung als Gefängnis in der Zeit der Terreur hatte das Gebäude weiteren Schaden genommen. Chalgrin, der mit der Instandsetzung beauftragt worden war, führte Restaurierungs- und Sanierungsarbeiten durch, bevor er sich der Verschönerung und Dekoration des Palastes zuwenden konnte. Reiseberichte dokumentieren das Gebäude vor allem als Baustelle. Die bereits obenstehend zitierte englische Militärsgattin besuchte die Residenz im Zuge einer Audienz.614 Die Direktoren, so berichtete sie, nähmen zahlreiche Verbesserungen vor, zum Beispiel würden die dunklen Fassaden gereinigt und die Embleme des Königtums konsequent durch andere ersetzt, die dem aktuellen System entsprächen. Das Audienzzimmer stehe in seiner luxuriösen Ausstattung dem Ancien Régime in nichts nach.615 Offensichtlich wurden die aufwendigen Umbauarbeiten am Ende des Regimes mit Erfolg gekrönt. Am 26. Pluviôse VII (14. Februar 1799) ließ Chalgrin dem Innenminister einen Bericht über den Stand der Arbeiten und wünschenswerte Verbesserungen zukommen, der ein bedeutendes Bildprogramm zur Innenausstattung umfasste.616 Die Vorschläge zeugen von dem Willen des Direktoriums, explizit republikanische Repräsentationsformen zu wählen: Im Treppenhaus sollte eine große Statue der französischen Republik aufgestellt werden; in einem der Audienzzimmer eine thronende Freiheitsstatue; acht Skulpturen aus Marmor und Stein waren für das Vestibül vorgesehen; Trophäen sollten den Hof schmücken, nach Vorbild des römischen Kapitols. Die geplante Innenausstattung war ebenfalls strikt dem republikanischen Geist verpflichtet: verschiedene Figuren und Flachreliefs wurden vorgeschlagen, daneben auch antike Statuen und zwei große Kandelaber. Größe und Stärke der Nation, die wichtigsten historischen Stationen der Republik und die Wertschätzung der Regierung für Wissenschaften 613

La Revellière-Lépeaux: Mémoires, Bd. 1, S. 317. Vgl. A Sketch of Modern France, S. 148f. 615 Vgl. in diesem Zusammenhang auch Kapitel 2.2.3. 616 Vgl. JOURDAN: Les Monuments, S. 385, die sich auf Archivmaterial bezieht: AN, Paris, F21 586. 614

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und Künste sollten auf diese Weise zur Anschauung gebracht werden, all das, was die Republik festigen könne und die Würde der Regierung kommuniziere.617 Dabei überließ Chalgrin seinen Malern zunächst die Wahl der konkreten Motive: Berthélemy entschied sich für La République triomphante, protectrice des sciences et des arts und Le Triomphe de la Philosophie et l’encouragement des arts par le gouvernement sowie Le Triomphe de l’Agriculture oder Le Triomphe de l’Industrie; Moitte hingegen betonte in seinen Reliefs unpassenderweise die besondere Rolle der Generäle – in einer Zeit, in der Bonaparte bereits mit dem Direktorium um die Macht rivalisierte (vgl. Kapitel 4.5.4). Korrigierende Eingriffe waren notwendig, um die Harmonie des Gesamtkunstwerks und die Zustimmung der Direktoren zu sichern: Chalgrin entschied sich für eine Betonung der republikanischen Bildungsmission, indem er ergänzend Bildnisse wie Le Triomphe de l’Instruction publique oder Le Triomphe de la Morale vorschlug; die Idee, die feierliche Überführung der von Bonaparte in Italien zusammengetragenen Beutekunst nach Paris im Palais der Direktoren zu verewigen, wurde abgelehnt.618 Als Ende des Jahres 1799 das Direktorium durch Sieyès, Bonaparte und ihre Verbündeten gestürzt wurde, war nur ein Teil des Programmes realisiert worden.619 Chalgrin appellierte an die neuen Machthaber, die Arbeiten fortzusetzen. Das Bildprogramm des Luxembourg-Palastes, welches sein späterer Bericht an den Kaiser Napoleon erwähnte, erinnert an einen Katalog der Werte der späten Direktorialrepublik, wie bereits Annie Jourdan beobachtet hat: Les principes révolutionnaires s’y conjugent curieusement avec les vertus cardinales de l’Eglise: Prudence, Justice, Force et Tempérance […] et avec des vertus à connotation chrétienne, telles que la Modestie, la Clémence, l’Innocence, la Gratitude, la Fidélité. S’y ajoutent des allégories – devenues – révolutionnaires comme l’Egalité, la Liberté, la Sagesse, l’Humanité, le Courage, la Vigilance, l’Abondance, la Vérité, la Concorde et des allégories intellectuelles témoignant des progrès de l’esprit humain: l’Histoire, la Science, l’Instruction publique, l’Etude, l’Industrie. 620

617

Vgl. JOURDAN: Les Monuments, S. 383–386. Vgl. ebd. zum Folgenden. Anhand eines Kaiser Napoleon 1808 vorgelegen Berichtes über die Arbeiten am Palais kann rekonstruiert werden, welche Arbeiten letztlich auch ausgeführt worden sind: Vgl. Le Breton, Joachim: Architecture, in: Ders.: Rapports à l’Empereur sur le progrès des sciences, des lettres et des arts depuis 1789, Bd. 5: Beaux-Arts, Préface de Denis WORONOFF, Présentation et notes sous la direction de Udolpho VAN DE SANDT, Paris 1989, S. 199–229. 619 Vgl. Chalgrin: Etat des travaux de sculpture pour le ministre de l’Intérieur, thermidor an VIII, zitiert nach Le Breton: Rapports à l’Empereur, Bd. 5, S. 157–197. 620 JOURDAN: Les Monuments, S. 276. Vgl. dort auch zum Folgenden. 618

2.3 Wertevermittelnde Architekturen

187

Die gewählte Vielfalt an aus Revolution und christlicher Tradition abgeleiteten staatsbürgerlichen Werten, die mit der Idee der Republik verknüpft werden sollten,621 erschwerte jedoch die Formulierung einer klaren und im eigentlichen Sinne republikanischen Botschaft. Immerhin – am Fuß der Treppe im Palais du Luxembourg war unter Federführung von Chalgrin tatsächlich eine sitzende Statue der Republik realisiert worden, die suggerierte, die Macht habe mit der Direktorialregierung am Ende der Revolution einen neuen Platz gefunden. Dass bereits wenige Monate später der Staatsstreich Napoleon Bonapartes einen weiteren Umbruch einleiten sollte, konnte zu diesem Zeitpunkt niemand wissen. Doch der spätere Erste Konsul entschied sich mit Bedacht gegen eine Umsetzung des von Chalgrin im Thermidor des Jahres VIII entwickelten skulpturalen Tugendkataloges. Er setzte auf eindeutigere Botschaften, indem er den Palast mit Statuen von antiken und zeitgenössichen Gesetzgebern und Feldherren dekorieren ließ: Vergniaud, Thouret, Mirabeau, Barnave, Condorcet und Le Chapelier an der Seite von Solon, Aristeides, Demosthenes, Cato, Lykurg und Camillus; Kléber, Hoche, Beauharnais, Dugommier, Desaix, Caffarelli, Marceau und Jourdan neben Scipio Africanus, Leonidas, Miltiades, Phokion und Perikles – eine in Stein gemeißelte Parade der ‚Aussöhnung‘ zwischen Vergangenheit und Gegenwart.622 Als Amtssitz für die Exekutive wählte Bonaparte mit dem Tuilerienschloss einen symbolträchtigeren Ort; die Gesetzgeber wurden damit endgültig aus dem alten Machtzentrum der Monarchie verdrängt. Dennoch galt in der Meinung des Berichterstatters Heurtier, der im Namen des Institut dem Kaiser Napoleon Rechenschaft über den Stand der Entwicklung der Architektur zu Zeiten der Revolution ablegte, das Palais du Luxembourg noch 1808 als eines der wichtigsten vor der Revolution ‚überhaupt‘ hervorgebrachten beziehungsweise umgestalteten Bauwerke.623

621

Katechismen und Feste feierten in ähnlicher Weise das Direktorium als Regime „de toutes les vertus“; vgl. Quinette, de Rochemont, Nicolas-Marie: Programme de la Fête de la Fondation de la République, 14 fructidor an VII [31. August 1799]. 622 Vgl. JOURDAN: Les Monuments, S. 386. 623 Vgl. Le Breton: Rapports à l’Empereur, Bd. 5, S. 213. Dort findet man eine überaus detaillierte Beschreibung des gesamten Palais und seiner Innenausstattung zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Quellenkritisch gilt es anzumerken, dass Heurtier den Kreisen der gemäßigten Royalisten nahestand; seine Abrechnung mit der Architektur des Jahres II/III erscheint in diesem Licht politisch motiviert.

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2. Ordnung als Anschauungssache

Sakralbauten der Hauptstadt Neben Regierungssitzen und parlamentarischen Versammlungsräumen können weitere Gebäude als ‚republikanische Heiligtümer‘ interpretiert werden, vor allem das Pantheon und die Dekadentempel. Am 23. Oktober 1793 veröffentlichte Quatremère seinen Abschlussbericht über die Arbeiten am Pantheon. Dessen Bestimmung als Multifunktionsgebäude, „offrant un mélange d’emplois & de caractères, se combinant des idées de sépulture & de temple, de fêtes & de monumens historiques“624, sei nun im Einklang mit den neuen Prinzipien umgesetzt worden: Die Aufgabe, „de tendre à supprimer tout ce qui pouvait rappeler les anciennes idées, soit à l’extérieur, soit à l’intérieur, & de rajouter tout ce qui pouvoit y rendre lisible l’intention actuelle“625, sei vollbracht. Die Abzeichen des Katholizismus waren verbannt worden, die säkularen Symbole des neuen Regimes gesetzt; aus der ehemaligen Kirche war ein Ruhmestempel zu Ehren der großen Männer der Nation geworden.626 Das Projekt stammte aus den Zeiten der konstitutionellen Monarchie, die einen intensiven Vaterlandskult betrieben hatte; es wurde von den Republikanern jedoch schnell für die eigenen Zwecke angeeignet. Die Geschichte des Pantheons ist bereits gut erforscht;627 im Folgenden sollen daher schwerpunktmäßig einige weniger bekannte Planungen der Direktorialzeit vorgestellt werden. Angesichts der beobachteten Bemühungen um repräsentative Architekturen in der Hauptstadt erscheint es unangemessen, den Initiativen der politischen Entscheidungsträger der späten 1790er Jahre ihre Originalität abzusprechen, auch wenn einige Projekte bereits im Jahr II (1793/94) angestoßen, andere erst nach dem Jahr VIII (1799/1800) zur Perfektion geführt wurden. Zum einen ist es fraglich, ob die Jakobinerrepublik ihre ambitionierten Vorhaben in vollem Umfang hätte realisieren können. Zum anderen ist es aufschlussreich, dass selten darauf verwiesen wird, wie viele Projekte des Jahres VI (1797/98) von Napoleon Bonaparte aufgegriffen und weitergeführt wurden – ohne diesem man-

624

Quatremère, Antoine: Rapport fait au Directoire du département de Paris, Sur les travaux entrepris, continués ou achevés au Panthéon Français depuis le dernier compte, rendu le 17 Novembre 1792, & sur l’état actuel du monument, le deuxième jour du second mois de l’an 2 de la République Française, une & indivisible, Paris, an II, S. 71. 625 Ebd. 626 Vgl. dazu auch: CLARKE: Commemorating the Dead, S. 170. 627 Vgl. u. a. BONNET: Naissance du Panthéon, sowie OZOUF, Mona: Das Pantheon – Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit: Zwei französische Gedächtnisorte, aus dem Französischen von Hans Thill, Berlin 1996 [frz. Originale 1984 und 1992].

2.3 Wertevermittelnde Architekturen

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gelnde Originalität zu unterstellen, geschweige denn ihn an dem demokratischen Charakter oder Nachhall seiner Symbolpolitik zu messen. Unabhängig von einer konkreten Bautätigkeit im Namen der Republik ist ein bemerkenswerter Wille zur Besetzung des öffentlichen Raumes durch Umwidmungen und Umdeutungen bestehender Gebäude zu beobachten: Besonders erwähnenswert erscheint die im Jahr 1798 vom Département de la Seine ergriffene Initiative zur Umwidmung von Kirchen, die sicherlich nicht zufällig zeitgleich mit der symbolpolitischen Offensive des Fructidor-Direktoriums erfolgte.628 Nicht mehr Heilige, sondern Tugenden, Werte und Institutionen der Republik sollten fortan ‚Patron‘ über die Kirchenbauten sein: L’administration centrale de la Seine a arrêté le tableau suivant des édifices remis à l’usage des citoyens du canton de Paris, par la loi du 11 prairial an III.– Ier arrodissement. L’église de Saint-Philippe du Roule est consacrée à la Concorde. (Ce Ier arrondissement renferme les promenades des Tuileries et les Champs-Elysées, et tous les jardins où, depuis deux ans, les citoyens se réunissent pour y jouir des fêtes qu’on y donne. Ces réunions supposent nécessairement la concorde.). 629

Begleitet von ähnlich ausführlichen Erläuterungen werden auch alle anderen Kirchen in den zwölf Arrondissements der Hauptstadt umgewidmet: Saint-Roch (IIe arrondissement) sollte dem „Génie“ gewidmet werden, Saint-Eustache (IIIe) „à l’Agriculture“, Saint-Germain-l’Auxerrois (IVe) „à la Reconnaissance“, Saint-Laurent (Ve) „à la Vieillesse“, SaintNicolas-des-Champs (VIe) „à l’Hymen“, Saint-Merri (VIIe) „au Commerce“, Saint-Marguerite (VIIIe) „à la Liberté et à l’Égalité“, Saint-Gervais (IXe) „à la Jeunesse“, Notre-Dame „à l’Être suprême“, Saint-Thomas d’Aquin (Xe) „à la Paix“, Saint-Sulpice (XIe) „à la Victoire“; im 12. Arrondissement gab es gleich drei Gebäude mit besonderer Bestimmung: Saint-Jacques du Haut-Pas (XIIe) „à la Bienfaisance“, Saint-Médard „au Travail“, Saint-Etienne-du-Mont „à la Piété filiale“. Aufschlussreich sind auch die Begründungen, mit der die Patrozinien beziehungsweise Titularien vergeben wurden. In der Regel versuchten die Behörden, Zusammenhänge mit dem Charakter und der gewachsenen Struktur des Viertels herzustellen, wie im fünften Arrondissement, wo ein Hospiz den Bezug zur Gruppe der ‚Alten‘ erklärt, oder im siebten Arrondissement, dessen Kirche aufgrund der dort vorhandenen hohen Dichte 628

Zur Bedeutung und Repräsentation der Exekutive im Zweiten Direktorium vgl. Kapitel 2.2.3. 629 Journal des Débats, 24 vendémiaire an VII (15. Oktober 1798), zitiert nach: AULARD: Paris pendant la réaction, Bd. 5, S. 150. Dieselben Informationen wurden am 6. Brumaire im Moniteur veröffentlicht, vgl. Moniteur n° 36, 6 brumaire an VII (27. Oktober 1798).

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an Märkten dem ‚Handel‘ gewidmet wurde. Die Zuordnungen verkörpern jedoch meist Idealvorstellungen seitens der politischen Entscheidungsträger, was besonders in jenen Fällen deutlich wird, in denen die symbolische Dimension der Entscheidung offensichtlich erscheint: Die Kirche des Faubourg Saint-Antoine, der Keimzelle der demokratischen Revolution, wurde aufgrund des revolutionären Mutes der Anwohner der „Freiheit und Gleichheit“ gewidmet,630 Saint-Sulpice, ein Kirchenbau unweit des Palastes der Direktoren am Luxembourg, erinnerte an den ‚Sieg‘. Im Jahr 1797 einer der Haupttempel des Kultes der Theophilanthropie, wurde Saint-Sulpice von 1798 an schließlich zu einem wichtigen Veranstaltungsort offizieller staatlicher Zeremonien, unter anderem am Gedenktag der Hinrichtung Ludwigs XVI. oder beim Bankett für Bonaparte nach dessen Rückkehr aus Ägypten. Über Umwidmungen und Umbenennungen waren die revolutionären Werte im Stadtbild der Hauptstadt präsent. Besonders der republikanische Festkalender bot immer wieder Anlass zur repräsentativen Nutzung der Dekadentempel.631 Ab 1799 dienten diese anlässlich bestimmter Feierlichkeiten, wie der Fête de la Souveraineté du peuple und des Festes vom 14. Juli, in allen Arrondissements als Austragungsort von Veranstaltungen und Feierstunden. So begaben sich am 14. Juli 1799 alle autorités et administrations locales in ihren festlich geschmückten Tempel, der mit Bildern von Gesetzgebern, Kriegern und Philosophen dekoriert worden war: „Le temple sera plus orné que dans les jours de solennités ordinaires; on y verra les images des grands législateurs, des guerriers et des philosophes dont les noms sont chers aux amis de la liberté, et on y lira des inscriptions analogues à l’objet de la fête.“632

2.3.2 Ephemere Kulissen, Denkmal- und Baupolitik in der Hauptstadt Neben den baupolitischen Maßnahmen in Bezug auf Amtssitze und Sakralbauten lassen weitere stadtplanerische Projekte in der Hauptstadt den eigenständigen Gestaltungswillen der Direktorialrepublik 630

„Ce nom doit particulièrement appartenir au lieu de la réunion des habitants du faubourg Antoine; on sait le courage qu’ils ont déployé dans tous les temps et à toutes les époques pour renverser le despotisme et établir la République.“ Ebd. 631 Dazu vgl. auch Kapitel 3.5.2. 632 Ministère de l’intérieur. Liberté, égalité. Fête de l’anniversaire du 14 juillet. Programme, Paris, messidor an VII [Signé: Le ministre de l’intérieur, Quinette]. In ähnlicher Weise war für den gleichen Tag auch das Marsfeld für die offizielle Zeremonie mit dem Direktorium hergerichtet worden.

2.3 Wertevermittelnde Architekturen

191

erkennen. Schon die Thermidorianer hatten am 4. Brumaire IV (26. Oktober 1795) den Revolutionsplatz in Place de la Concorde umbenannt; die Straße, welche von den Boulevards zu diesem Platz hinführte, sollte fortan Rue de la Révolution heißen (heute: Rue Royale).633 Diese Entscheidungen fielen im Zusammenhang mit dem Beschluss zur Abschaffung der Todesstrafe am Tag des zukünftigen Friedensschlusses und der Amnestie für alle aufgrund der Revolution Inhaftierten – abgesehen von den Aufständischen des 13. Vendémiaire IV (4. Oktober 1795). Es handelte sich um eine Versöhnungsgeste, die dauerhaft im Stadtbild der Hauptstadt sichtbar bleiben sollte und die Politik des Thermidorianerkonvents eindrücklich symbolisierte.634 Anfang Floréal IV (Ende April 1796), knapp sechs Monate nach Zusammentreten der neuen Regierung, veranlasste das Direktorium die Ausschreibung eines Wettbewerbs zur Neugestaltung zentraler Erinnerungsorte in Paris, genauer gesagt der Place de la Concorde, des Vaterlandsaltares auf dem Marsfeld sowie der Place des victoires.635 Alle drei Projekte hatten einen hohen symbolischen Wert – es ging um Stellungnahmen gegenüber einigen der wichtigsten Schauplätze der revolutionären Vergangenheit. Dem Marsfeld haftete noch die Erinnerung an das Fest des Höchsten Wesens an – ein neuer Vaterlandsaltar sollte den republikanischen Neuanfang visualisieren. Die Place de la Concorde war geschichtspolitisch aufgeladen, da hier während der Terreur lange Zeit die Guillotine gestanden hatte. Die Verschönerung sollte dem Platz wohl einen neuen Charakter verleihen und die Erinnerung an die Revolution überdecken. Und auf der Place des Victoires sollte ein neues Denkmal die gestürzte Königsstatue ersetzen. In der Ausschreibung wurde auch eine Akzentverschiebung in der Denkmalpolitik deutlich: Keine kolossale Herkulesstatue, wie sie von David als Hommage an das Volk geplant worden war, sollte hier errichtet werden, sondern der Armee und ihrer Siege gedacht werden, die als wichtigste Vorbilder der erneuerten Republik propagiert wurden. Innenminister Bénézech lobte in einem „Appel aux artistes“ einen allgemeinen Wettbewerb zur

633

Laut der Pariser Stadtverwaltung hieß die Straße ab 1795 „rue de la Concorde“; der Moniteur spricht aber von der „rue de la Révolution“. Vgl. http://www.v2asp.paris. fr/v2/nomenclature_voies/Voieactu/8375.nom.htm [28/06/09, 23.09h], sowie Moniteur n° 44, 14. Brumaire 4 (5. November 1795), suite de la séance du 4 Brumaire. 634 Quirot betont, das Gesetz des 4. Brumaire solle die Revolution beenden: „Vos comités, en vous présentant cette loi, ont eu surtout en vue de l’amnistie qu’elle renferme et qu’ils regardent comme le seul moyen de terminer la révolution.“ Ebd. 635 Vgl. Le directoire exécutif au ministre de l’intérieur, du 8 floréal, l’an 4, in: Moniteur n° 225, 15 floréal IV (4. Mai 1796).

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Errichtung von öffentlichen Denkmälern in Paris aus.636 Nachdem das französische Volk die Freiheit errungen habe, seien die Embleme seiner langen Knechtschaft aus dem Stadtbild verschwunden. Nun warteten die öffentlichen Plätze auf die Errichtung neuer Denkmäler, die dem Geist der neuen Generation entsprächen und zur Erziehung des Volkes beitrügen: „Qu’ils s’élèvent simples et majestueux; qu’en frappant les yeux, ils parlent à la pensée et au sentiment; qu’ils offrent de grands exemples, qu’ils donnent de grandes leçons, que leur aspect laisse de grands souvenirs.“637 Das Direktorium, so Bénézech, habe zur Förderung der Kunst einen umfassenden Plan. Der Wettbewerb solle ab sofort beginnen: Projekte zur Gestaltung eines neuen Vaterlandsaltares, zur Errichtung eines Denkmals auf der Place des Victoires sowie zur Verschönerung der Plätze Vendôme, de la Concorde, de l’Indivisibilité und de la Bastille seien ab sofort willkommen. Bis hinein in den Stil der Denkmäler und über architektonische Umgestaltungen der Hauptstadt sollte der republikanische Neuanfang nach Vorstellung der Entscheidungsträger spürbar sein: ‚Einfachheit‘ und ‚Erhabenheit‘, nicht Pomp und Überladenheit sollten die Inszenierungen prägen. Ausdrücklich wurde die erzieherische Wirkung der visuellen Eindrücke thematisiert und die Bedeutung der Verbindung von Sehsinn und Verstandesleistungen erläutert (vgl. auch Kapitel 3.4.1). Es ist bekannt, dass in den 16 Monaten bis zum Staatsstreich vom September 1797 kein Denkmalprojekt verwirklicht werden konnte.638 Der Staat litt unter der andauernden finanziellen Krise, und die Kritik an den zu hohen Ausgaben für Feste und Repräsentation ließ wohl auch die Kunstförderung stagnieren; dennoch führten die Thermidorianer und Direktorialisten grundsätzlich die Idee der Jakobiner weiter: Die Kunst sollte zur Erneuerung Frankreichs und der Franzosen beitragen. Differenzen entstanden erst bei der Frage, wie weit diese Erneuerung gehen und welche Rolle die Vergangenheit dabei spielen sollte. Vor allem der Umgang mit der Kunst des Ancien Régime war umstritten. Die Stimmung hatte sich nach der Phase des Bildersturms hin zu einer bewussten Gestaltung der Kulturpolitik weiterentwickelt, die verantwortlich mit dem Kulturerbe umzugehen versprach.639 Diese Politik wurde 636

Vgl. Bénézech: Appel aux artistes, Paris, Floréal an IV. Ebd. 638 Vgl. u. a. JOURDAN: Les Monuments, S. 388f. 639 Die Untersuchungen zu diesem Thema sind vielfältig und perspektivenreich; vgl. v. a. POMMIER: L’art de la liberté; ders.: Boissy d’Anglas: culture et conscience de l’Histoire en l’an II, in: JOUTARD, Philippe (Hrsg.): L’espace et le temps reconstruits. La Révolution française, une révolution des mentalités et des cultures?, Aix-en-Provence 1990, S. 153–167; BORDES/MICHEL: Aux armes et aux arts. 637

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mit großer Konsequenz umgesetzt, bis hinein in die bislang noch nicht systematisch erforschten ephemeren Festarchitekturen. Grundsätzlich gilt es festzuhalten: Auch die Republik der späten 1790er Jahre nutzte Kunst und Kultur zur Visualisierung ihrer Wert- und Ordnungsvorstellungen und erhoffte sich dadurch eine Steigerung der Legitimität ihrer Repräsentanten. Es ist ein planvolles Handeln in der Tradition der Jakobinerzeit zu erkennen,640 wenngleich neue Akzente gesetzt wurden.641 Kontinuität gewährleistete unter anderem auch der persönliche Einfluss bestimmter Abgeordneter: Einige Akteure der Kunstpolitik von 1793/94, wie zum Beispiel Grégoire, Chénier und Mathieu, blieben auch in Thermidor und Directoire weiter aktiv. Instrumente der Kunstförderung des Jahres II, wie Wettbewerbe und Salons, wurden weitergeführt. Gérard gewann beispielsweise erst 1795 mit seiner Zeichnung, welche die Ereignisse des 10 Août festhielt, einen concours, der von Robespierre ausgelobt worden war.642 Allerdings war dies der letzte Salon, der nach Maßgaben der Ideale des Jahres II funktionierte. Jacques-Louis David, der Großmeister der republikanischen Zeremonien der Jahre 1793/94, war durch seine offensive Beteiligung am Regime der Schreckensherrschaft zunächst diskreditiert; neue Leitfiguren und Leitideen mussten gefunden werden. Das sogenannte Zweite Direktorium setzte in der staatlichen Kunstförderung wieder nennenswerte Akzente; 1798 wurde wieder ein Salon abgehalten. Unter Federführung des Innenministers François de Neufchâteau wurde die Historienmalerei wieder gefördert, was auch einer Reihe von Künstlern, die aufgrund ihrer jakobinischen Vergangenheit 1794/95 in Bedrängnis geraten waren, neuerliche Unterstützung sicherte.643 Unter demselben Innenminister wurden auch erstmals die Champs-Élysées ausgebaut.644 Dennoch überwiegt der Eindruck, es sei

640

Diese Kontinuität beobachtet auch JOURDAN: Les Monuments, u. a. S. 383; und dies.: L’Allégorie, u. a. S. 523. 641 Vgl. u. a. POMMIER: L’art de la liberté, passim. Zur Propaganda über die Kunst vgl. allgemein LEITH, James A.: The Idea of Art as Propaganda in France, 1750–1799. A Study in the History of Ideas, Toronto 1969. 642 Vgl. Gérard, François: Le 10 août 1792, Bleistift, braune Tinte, 67 × 92 cm (Paris, Musée du Louvre, Inv. 26713, abgebildet in: RIBEIRO, Aileen: Fashion in the French Revolution, London 1988, S. 66). Dazu vgl. BORDES: Les arts après la Terreur, S. 199–212. 643 Vgl. ebd., S. 204. 644 Vgl. François de Neufchâteau: Programme pour l’embellissement des Champs-Élysées, in: Ders.: Recueil, Bd. 1, S. 242–245.

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2. Ordnung als Anschauungssache

weitaus mehr geplant als gebaut worden – was freilich auch für die Napoleonische Zeit gilt.645 Ein Schwerpunkt der Aktivitäten lag wohl in der Umgestaltung des Marsfeldes, das nach wie vor wichtigster Austragungsort der Nationalfeste blieb. Hatte der von den Jakobinern im Jahr 1793 errichtete künstliche Berg über dem Vaterlandsaltar bei den Zeremonien Ende des Jahres 1794 noch als Kulisse gedient (Abb. 25), so war er für den 21. Januar 1796, rechtzeitig für die erste öffentliche Feier der erneuerten Direktorialrepublik, abgetragen worden. Am dritten Jahrestag der Hinrichtung des Königs endete damit die Herrschaft der Montagne vor den Augen der Pariser Bevölkerung auch symbolisch zum wiederholten Male. In der Mitte des Festplatzes war ein Hügel aufgeschüttet und eine Plattform angelegt worden; darauf stand in erhöhter Position eine Freiheitsstatue.646 In den Zeitungsberichten wurde die Statue als ‚kolossal‘ beschrieben; sie habe herkulesähnliche Züge getragen – eine Reminiszenz an das Denkmalprojekt Davids?647 Sie saß auf einem Kubus, als Sinnbild der Natur, und trat die Abzeichen des Königtums mit Füßen. Die Darstellung griff zentrale Topoi der Revolutionssymbolik auf und bettete diese neu ein. Umringt war die Statue von einer kreisförmigen Szenographie, die ein Heiligtum („sanctuaire“) formte, welches aus 14 Wappenschilden mit den Namen der 14 Armeen zusammengesetzt war, deren Wert („valeur“) die Republik festige. Über diesen Schilden wurden in 14 Schalen („cassolettes“) Aromen zu Ehren derjenigen Verteidiger des Vaterlandes verbrannt, die ihr Leben im Kampf um die Republik gelassen hatten. Rechts und links neben der Freiheitsstatue befanden sich Füllhörner als Zeichen des öffentlichen Wohlstands. Auf dem Sockel des Throns der Freiheitsstatue war ein Flachrelief angebracht, welches zwei Gestalten der Fama („Rénommées“) zeigte, die – inspiriert von der Symbolsprache der Freimaurer – einerseits eine zum Ring geschlossene Schlange hielten („symbole de l’immortalité“), andererseits einen Pelikan umschlossen, der für seine Kinder Blut lässt (im Programm ausgewiesen als „emblème du gouvernement Républicain“). 645

Vgl. MYSSOK, Johannes: Als Friedensbringender ‚Mars‘ in Italien, wie kein Gott in Frankreich. Monumente zu Ehren Napoleons, in: REICHARDT/SCHMIDT/THAMER: Symbolische Politik und politische Zeichensysteme, S. 155–185, S. 155; in diesem Sinne auch BIVER, Marie Louise: Le Paris de Napoléon, Paris 1963, S. 26. 646 Vgl. Célébration de l’anniversaire de la juste punition du dernier roi des Français. 647 Vgl. Corrier républicain du 3 pluviôse: „[...] A midi toutes les autorités constituées de Paris étaient rassemblées autour d’une grande statue, assise comme celle de la Liberté, mais qui, par ses formes et ses attributs, a paru plutôt représenter Hercule ou la Force. Le Directoire exécutif présidait, en grand costume [...].“ Zitiert nach: AULARD: Paris pendant la réaction, Bd. 2, S. 689.

2.3 Wertevermittelnde Architekturen

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Abb. 25: Malbeste, Georges und Jean-Baptiste Liénard, nach Bourjot: Fête militaire, exécutée par les élèves de l’école de mars, en célébration de l’expulsion des ennemis du territoire français, cette fête eut lieu à Paris au Champ de Mars le 30 vendemiaire de l’an 3e de la R. F., eau-forte, 23 × 29,5 cm, Paris [1794].

Der Stylobat, die oberste Stufe vom Unterbau des Heiligtums, wurde mit weiteren allegorischen Symbolen geschmückt; in zwölf antiken Kandelabern brannte Feuer. Die antik anmutende Kulisse wurde durch zwei Dreifüße abgerundet, welche an den beiden Stirnseiten des Stylobats ebenfalls Parfum verbrannten. Unterhalb der Freiheitsstatue waren Sitzreihen für Musiker aufgebaut, davor eine Tribüne, auf der ein Altar des Vaterlandes stand. Für das ‚Fest der Siege‘ wurde im Mai die Szenographie weiter verfeinert. Vier Rampen führten zu der Anhöhe hinauf, deren Eingänge nun jeweils flankiert waren von zwei Löwenfiguren, Symbole der Stärke, des Mutes und der Freigiebigkeit („générosité“).648 Ein Kreis von

648

Vgl. Liberté. Égalité. Programme de la fête de la Victoire, 10 Prairial de l’an IV. Außerdem vgl. Tableaux historiques, Paris 1798, II, S. 507, zitiert nach BORDES/CHEVALIER: Catalogue, S. 21; dort auch zum Folgenden.

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Abb. 26: Berthault, Pierre-Gabriel, nach Abraham Girardet: Fête des victoires, au Champ de Mars, le 10 Prairial, An 4ème de la République, eau-forte, burin, 24 × 29 cm.

Abb. 27: Cleemputte, Peter Ludwig van: Fête au Champ-de-Mars le 1er vendémaire an V, eau-forte, 25,5 × 37,5 cm, 1796.

2.3 Wertevermittelnde Architekturen

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Kanonen definierte den für die Zeremonie vorgesehenen Bereich.649 Die 14 Armeen wurden nunmehr durch 14 Bäume symbolisiert, an denen erbeutete Fahnen und Feldzeichen der feindlichen Armeen befestigt worden waren. Die Freiheitsstatue thronte auf verschiedenen militärischen Trophäen; mit einer Hand stützte sie sich auf die Verfassung, in der anderen hielt sie einen Stab, auf dessen Spitze die Mütze ‚Wilhelm Tells‘ saß – jede Anspielung auf den bonnet rouge der Jakobiner wurde hingegen vermieden. Zwei Siegesgöttinnen standen der Freiheit zur Seite; zur Abrundung des Sinneseindrucks wurden Weihrauch und andere Aromastoffe verbrannt (Abb. 26). Löwen und Kanonen sind traditionelle Symbole für Kraft und Stärke. Die neue Regierung versuchte über solche Szenographien selbstbewusst ihre Autorität zu demonstrieren und das Vakuum auszufüllen, welches der König hinterlassen hatte. Die komplexe Symbolik des Pelikans als Zeichen eines ‚gouvernement républicain‘ blieb jedoch vermutlich vielen Besuchern des Festes verschlossen. Die Feierlichkeit des Ortes, der letztlich wie ein Tempelberg gestaltet war und durch Kandelaber und Weihrauch eine sakrale Aura erhielt, war jedoch unmissverständlich. Fraglich blieb allenfalls, ob die Sakralität sich für die Zuschauer auch wirklich auf die Regierung übertrug – oder nicht vielmehr der inzwischen symbolpolitisch omnipräsenten Armee zu Ehren gereichte. Eine weniger sakrale, sondern vielmehr pompöse und an die Spiele des antiken Roms oder Spartas erinnernde Kulisse ersannen die Festorganisatoren für die moralischen Feste des republikanischen Kalenders. Die erste Fête de l’Agriculture wurde im Sommer 1796 in der Hauptstadt mit besonderem Pomp begangen. Der Sohn des Architekten Peyre, der den Saal der Comédie française konstruiert hatte, verkleinerte das Marsfeld durch Einbau einer halbkreisförmigen Schranke, an deren Kopfseiten sich zwei weiße Stiere erhoben, „de grandeur colossale et d’une superbe exécution“ – so jedenfalls das Urteil von Trouvé im Moniteur.650 Wie in allen Kommunen des Landes gab es auch in Paris zwei Wagen, die im feierlichen Umzug auf dem Festplatz einfuhren: Der Pariser Pflug war jedoch vergoldet und auf einen Triumphwagen gesetzt, der von zwei fast weißen Ochsen gezogen wurde; der zweite Wagen, mit einer Freiheitsstatue, übertraf ihn noch an Größe und wurde von acht Ochsen, die in zwei Viererreihen eingespannt waren, geführt; landwirtschaftliche Attribute wie Blumen, Früchte, Garben umgaben die Statue, beschattet von einer mitgeführten Eiche; zwei junge Frauen verbrannten Duftstoffe. 649 650

Vgl. Liberté. Égalité. Programme de la fête de la Victoire, 10 Prairial de l’an IV. Vgl. Moniteur n° 285, 15 messidor IV (3. Juli 1796).

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Solch aufwendige Inszenierungen dienten der Propaganda für das neue Regime. Trotz der anhaltenden Finanz- und Wirtschaftskrise demonstrierte man Wohlstand und Überfluss – um den Verdacht abzuwenden, die Republik bringe den Franzosen nichts als Krieg und Krise. Von ähnlichen Motivationen war sicherlich auch die Inszenierung des ersten Festes der Republikgründung in der Direktorialzeit geleitet: Am 1. Vendémiaire V (22. September 1796) wurde unter Federführung von Cleemputte auf dem Marsfeld eine spektakuläre Selbstbespiegelung der republikanischen Ordnung veranstaltet (Abb. 27). Zu diesem Anlass wurde erstmals eine Statue der Republik auf dem Festplatz gezeigt, im Kontext einer komplexen Symbolik aus mythologischer und kosmischer Tradition.651 Ein Abschnitt des Tierkreises war nachgebildet worden und überwölbte das Marsfeld; auf seiner Spitze prangte das Zeichen der Waage, Sinnbild der Gleichheit.652 Auf einem Triumphwagen fuhr eine Sonne, verkörpert in der Figur des Apollon, sowie auf weiteren Wagen Embleme der Stunden und Jahreszeiten auf dem Festplatz ein. Embleme des Royalismus visualisierten die alte Ordnung. Zwar orientierte man sich im Vergleich zur Jakobinerzeit offensichtlich an neuen Vorbildern – der betriebene Aufwand erinnert insgesamt jedoch durchaus an die im Diskurs gegeißelten Feste des Jahres II (1793/94). Neu war, dass nicht die Erinnerung an die revolutionäre Vergangenheit, sondern die Verheißung einer besseren Zukunft im Mittelpunkt der Inszenierungen stand. Die gewählten Allegorien hatten einen stark didaktischen Impuls, auch wenn vermutlich große Teile der Pariser Bevölkerung nichts mit den Personifikationen anfangen konnten. Die Direktorialrepublik inszenierte sich als neues Sparta: Der Lichtgott Apollon war eine zentrale Figur der Feste und Kulte der griechischen Polis, deren Mythologie diesen auch mit ihrer Verfassungsordnung verknüpfte. Er hatte Sparta eine ruhmvolle Geschichte vorausgesagt, solange es die Verfassung des Lykurg beibehalte.653 Solche Bindungskräfte sollten durch ein Anknüpfen an die Traditionen der Antike auch für die Gegenwart der Republik mobilisiert werden. Andere ambitionierte Architekturprojekte blieben unvollendet: So entwarf der Architekt Brongniart wohl für das Fest des 9. Thermidor 651

Zur Visualisierung der Republik vgl. allgemein auch Kapitel 2.1.2. Vgl. Bénézech: Extrait du programme de la fête de la fondation. 653 Zum Mythos über den Gesetzgeber Lykurg, über den es keinerlei Spuren einer nachprüfbaren Existenz gibt, vgl. BALTRUSCH, Ernst: Sparta. Geschichte, Gesellschaft, Kultur, 2. Aufl., München 2003, S. 17–19. Lykurg fungiert als Mittler zwischen dem Gott Appollon von Delphi und den Spartanern. Die Legende besagt, dass sein Gesetzgebungswerk durch das Orakel von Delphi abgesichert wurde, was diesem einen göttlichen Ursprung verschaffte. 652

2.3 Wertevermittelnde Architekturen

199

im Jahr IV (27. Juli 1796) eine Abfolge von Kulissen einer monumentalen Inszenierung der Hauptereignisse der Revolution; als Höhepunkt der theaterähnlichen Inszenierung war die Annahme der neuen Verfassung geplant.654 Doch selbst weniger pompöse Inszenierungen stießen im Kontext der wirtschaftlichen Krise des Jahres 1796 beim Publikum auf Kritik, so dass 1797 ein verminderter Aufwand betrieben werden sollte. Im Vorfeld des 14. Juli ließ die Regierung verlautbaren, die schwierige Finanzlage erlaube es nicht, den Nationalfesten so viel Feierlichkeit zu verleihen, wie sie es eigentlich verdient hätten.655 Dennoch sei man bemüht, zumindest durch schlichte und wenig kostspielige Zeremonien die wichtigsten Gedenktage der Revolution zu begehen. Die staatlichen Würdenträger sollten sich im Regierungssitz, dem LuxembourgPalast, versammeln. Immerhin wurden dort repräsentative Umbauten vorgenommen, um eine angemessene Wirkung zu erzeugen: Das Fest wurde mit einer audience publique zusammen im Innenhof des Palais abgehalten. Dort war ein Amphitheater errichtet worden, welches von einer Freiheitsstatue überragt wurde und mit militärischen Trophäen geschmückt war.656 Die Plätze des Direktoriums an der Kopfseite waren besonders hervorgehoben. Die offiziellen Zeremonien zum Gedenken an den 9. Thermidor und den 10. August fanden ebenfalls vor dieser Kulisse statt. Sie blieb bis 1799 ein wichtiger Schauplatz der Repräsentation des neuen Regimes, bei Besuchen hochrangiger Botschafter und Diplomaten ebenso wie zu Feierstunden anlässlich der Nationalfeste.657 Opulente Festarchitekturen kehrten nach dem Staatsstreich vom 18. Fructidor V (4. Oktober 1797) in den öffentlichen Raum zurück: Sie boten eine Kulisse für die Inszenierung der gestärkten Macht der republikanischen Entscheidungsträger. Laut späterer Berichte war vor allem Chalgrin verantwortlicher Architekt und Baumeister der Feste des Jahres 1798: Noch zur Zeit des Empire hieß es, er habe die ‚brillantesten Festarchitekturen, welche die Revolution hervorgebracht habe‘, geschaffen.658 Chalgrin führte Regie bei der Entrée triomphale des objets 654

Vgl. Brongniart: 14 juillet 1789, 10 aoust 1792, 9 et 10 thermidor de l’an II, Constitution acceptée (Collection Sylvestre de Sacy, alle abgebildet in: VOVELLE: La Révolution française. Images et récit, Bd. 5, S. 168). 655 Vgl. Moniteur n° 289, 19 messidor V (7. Juli 1797). 656 Vgl. Extrait du procès-verbal de la séance publique du Directoire exécutif, du 26 messidor an V, in: Moniteur n° 298, 28 messidor V (16. Juli 1797). 657 Z. B. des osmanischen Botschafters am 9. Thermidor V (27. Juli 1797) oder Napoleon Bonapartes nach dessen Rückkehr in die Hauptstadt am 5. Dezember 1797. 658 Vgl. Le Breton: Rapports à l’Empereur, Bd. 5, S. 211: „Jusqu’en l’an 4 donc, l’architecture ne parut que dans les fêtes publiques; mais ces fêtes nombreuses firent presque constamment honneur à l’art. On se propose de graver les principales, et elles justifie-

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de sciences et d’arts am 9. und 10. Thermidor (27./28. Juli) sowie bei der Feier der „industrie nationale“ während der jours complémentaires (im September). Hatte er zum Einzug der Beutekunst in die Hauptstadt 50 Wagen mit Girlanden, Trophäen und Inschriften schmücken lassen, welche nacheinander auf dem Festplatz des Marsfeldes einfuhren, so errichtete er im September inmitten eines Säulenumgangs, wo die französischen Kunsthandwerker und Manufakturisten ihre Waren präsentierten, einen „Tempel der Industrie“: Auf einer quadratischen Grundfläche erhoben sich zwei Reihen von 16 dorischen Säulen, die eine Personifikation des Handels umschlossen. Diejenigen Produkte, die von der Jury mit Preisen ausgezeichnet worden waren, wurden in diesem Tempel ausgestellt. Am Abend verwandelte sich der Säulenumgang in ein Podium, auf dem die Musiker des Konservatoriums Symphonien und andere ausgewählte Musikstücke zum Besten gaben. Auch die aufwendigen Inszenierungen zum Jahresanfang des Jahres VII standen wohl unter seiner Federführung: Stiche vom Festgeschehen auf dem Marsfeld wurden auch in den Schwesterrepubliken verbreitet – wohl zum Vorbild für die dort stattfindenden Zeremonien.659 Ebenso vielfältig wie die Gedenk- und Festanlässe waren somit auch die Architekturen, die zu ihren Ehren erdacht wurden. Gemeinsam war ihnen vor allem ihre Funktion als Spiegel aktueller Wertvorstellungen und politischer Schwerpunktsetzungen der Machthaber: Besonders die Ideen der Freiheit und der Gleichheit erfuhren unterschiedliche Darstellungen und Auslegungen; ebenso nahm im Direktorium die Bedeutung von Militärpräsenz im Rahmen von symbolischer Ordnungspolitik weiter zu. Erst nach 1796 wurde die Republik selbst häufiger zum Thema von Visualisierungen. Die neue Staatsform sollte an Würde und Größe der Monarchie in nichts nachstehen. Beflügelt durch außenpolitische Erfolge und beseelt von dem Willen der Beendigung der Fraktionskämpfe im Innern gewannen die Republikaner an Selbstbewusstsein. Ihre Entscheidungen stießen jedoch keineswegs auf die Zustimmung aller Franzosen – die Ansätze einer republikanischen Herrschaftsrepräsentation waren höchst umstritten und boten regelmäßig Anlass zur Äußerung von fundamentaler Regimekritik.660

ront cet éloge“. Chalgrin habe insgesamt mehr als ein Dutzend Feste organisiert und ausgestattet. Zur Beschreibung der beiden Beispiele aus dem Jahr VI (1798) vgl. ebd., Anm. 123. 659 Vgl. [Non-identifié]: Vue du Champ-de-Mars, le 1er vendémiaire de l’an VII, gravure hollandaise (Paris, Musée Carnavalet, zwei verschiedene Ansichten abgebildet in: VOVELLE: La Révolution française. Images et récit, Bd. 5, S. 171). 660 Diese Aspekte werden in Kapitel 3 und 4 ausführlich thematisiert.

2.4 Respektfördernde Zeremonien

2.4 Respektfördernde Zeremonien

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2.4 Respektfördernde Zeremonien: Feste und andere Staatsakte Die vorangegangenen Kapitel haben gezeigt: Die Republik hatte in der Zeit ihres Bestehens verschiedene Gesichter. Die zahlreichen Verfassungsänderungen und Regierungswechsel machten eine einheitliche Repräsentation des neuen Regimes unmöglich: Komplexe Prozesse der Abgrenzung und Umdeutung waren notwendig. Es ist Pierre Nora zuzustimmen, der auch 200 Jahre nach der Revolution der ‚Republik‘ in Frankreich einen „hohen emotionalen […] und einen schwachen institutionellen Gehalt“661 bescheinigte. Letztlich, so Nora, handele es sich um eine „machtvolle politische Kultur“, aber eine „leere politische Form“. So habe es seit der Revolution bis in die Gegenwart keineswegs nur fünf französische Republiken gegeben: Allein die Revolution habe eine girondistische Republik, eine Republik der Bergpartei, eine thermidorianische Republik, eine Republik des Direktoriums, eine Republik des Konsulats und eine Republik des Kaiserreichs gekannt. Selbst innerhalb dieser Republiken können in Verbindung mit Staatsstreichen oder Regierungsumbildungen weitere Varianten der republikanischen politischen Kultur unterschieden werden. ‚Die‘ Republik bemühte sich zwischen 1792 und 1799 beständig um eine Stabilisierung ihrer äußeren Form, inhaltlich erfuhr sie jedoch eine lange Reihe von Neuinterpretationen. Nicht umsonst beschwor man seit 1792 im politischen Diskurs unablässig die ‚eine und unteilbare‘ Republik („une et indivisible“) – denn de facto existierte sie nicht, und die Machthaber befürchteten territoriale ebenso wie ideelle Spaltung.662 Die Devise der Unteilbarkeit wurde 1793 in der Verfassung verankert und auch 1795 als erster Artikel der Constitution de l’an III beibehalten.663 Die Nationalfeste waren in den Augen vieler Republikaner das beste Mittel, um die gewünschte Einheit auch praktisch umzusetzen. Damit standen sie in der Tradition der frühen Revolution, die bereits in Anlehnung an Rousseau Veranstaltungen unter freiem Himmel als Gegenmodell zu den höfischen Festen des Ancien Régime inszeniert hatte. Rous661

NORA, Pierre: Art. Republik, in: FURET, François und Mona OZOUF: Kritisches Wörterbuch der Französischen Revolution, Bd. 2, Frankfurt am Main 1996, S. 1266–1288, S. 1266. 662 Vgl. Décret du 21 septembre 1792, in: GODECHOT: Les constitutions de la France, S. 79. 663 Der entsprechende Satz lautet in der Verfassung von 1793 und von 1795 gleichermaßen: „Article Premier. – La République française est une et indivisible.“ GODECHOT: Les constitutions de la France, S. 83 und 103. Als Beispiel für eine Popularisierung der Devise über die Druckgraphik vgl. u. a.: [Non-identifié]: Indivisibilité, eau-forte, burin, pointillé, ov. 15,5 × 13 cm, 1793 (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 11799).

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seau hatte bereits in einem Brief vom März 1758 an d’Alembert sowie nochmals in den Considérations sur le gouvernement de Pologne 1771 seine Idee von der erzieherischen Wirkung von Volksfesten dargelegt.664 Der Anschauungs- und Mobilisierungscharakter der Feiern sollte als Instrument der Politik eingesezt werden: C’est en plein air, c’est sous le ciel qu’il faut vous rassembler et vous livrer aux doux sentiments du bonheur […]. Plantez au milieu d’une place un piquet couronné de fleurs, rassemblez-y le peuple et vous aurez une fête. Faites mieux encore: donnez les spectateurs en spectacle, rendez-les acteurs eux-mêmes, faites que chacun se voie et s’aime dans les autres afin que tous soient mieux unis. 665

Über Bilder und multimediale Inszenierungen sollten die Franzosen von der Legitimität und Stabilität der neuen Ordnung überzeugt werden, über Hymnen und Gesänge deren wichtigste Prinzipien wiederholen und verinnerlichen. Sie sollten die neuen Institutionen und politischen Akteure kennenlernen und sich gleichzeitig selbst als Teil einer neuen Gemeinschaft, der Nation, erleben. Respektförderung sollte nach Vorstellung der Republikaner nicht nur durch staatliche Verordnung und minutiöse Planung, sondern vor allem durch Gemeinschaftserlebnis und Teilhabe erfolgen. Ironischerweise spiegelt jedoch aus heutiger Perspektive kaum eine Veranstaltung besser die verschiedenen ‚Gesichter‘ der Republik als die Feste der Jahre 1792 bis 1804. Die unterschiedlichen Visualisierungen und Inszenierungen offenbaren die ihnen zugrundeliegenden Werteund Deutungskonflikte – teilweise im Rahmen ein und derselben Zeremonie, teilweise im Vergleich untereinander. Reichardt bezeichnet die Feste als „‚Gesamtkunstwerke‘, bei denen Reden und gedruckte Texte, Gesänge und Instrumentalmusik, Bilder und Skulpturen, Symbole und 664

Vgl. Rousseau, Jean-Jacques: Lettre à M. d’Alembert (1758), in: Rousseau, Jean-Jacques: Oeuvres complètes, hrsg. von B. GAGNEBIN und M. RAYMOND, Bd. 5, Paris 1995, S. 3–125, S. 114ff.; ders.: Considérations sur le gouvernement de Pologne (1771), zitiert nach: Ders.: Sozialphilosophische und politische Schriften, München 1981, S. 575; dazu vgl. NARR, Dieter: Fest und Feier im Kulturprogramm der Aufklärung, in: Ders.: Die Aufklärung im deutschen Südwesten, Stuttgart 1979, S. 208–226; auch STOLLBERGRILINGER, Barbara: Verfassung und Fest. Überlegungen zur festlichen Inszenierung vormoderner und moderner Verfassungen, in: BECKER, Hans-Jürgen (Hrsg.): Interdependenzen zwischen Verfassung und Kultur. Tagung der Vereinigung für Verfassungsgeschichte in Hofgeismar vom 22.–24.3.1999, Berlin 2003 (= Beihefte zu ‚Der Staat‘: Zeitschrift für Staatslehre und Verfassungsgeschichte, deutsches und europäisches öffentliches Recht 15, 2003), S. 7–37, S. 33. 665 Rousseau: Lettre à M. d’Alembert, S. 114ff.; vgl. Zitat auch bei VOVELLE, Michel: Art. Fêtes révolutionnaires, in: SOBOUL: Dictionnaire, S. 449–451, S. 449.

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Allegorien, Architektur und Feuerwerkskunst, Amtsträger, Militärs und ‚Volk‘ zusammenwirken“666. Spannend seien sie vor allem aufgrund ihres Quellenwertes als „authentische Selbstinterpretation der Revolution“. Nacheinander spiegelten sie die verschiedenen Schwerpunktsetzungen in den Wertvorstellungen der Revolutionäre, vom Patriotismus plebejischer Revolutionsaktivisten wie Palloy über den Disziplinierungswillen der Montagnards bis hin zu den imperialen bis nationalistischen Tendenzen des späten Direktoriums. Allenfalls der szenische Grundablauf der politischen Großinszenierungen ähnelte sich dabei stark: Je nach Anlass und Kontext traten verschiedene Akteure auf, die ihre programmatisch festgelegten Rollen spielten. Zu Beginn und zum Abschluss fand häufig ein Umzug statt; der Hauptakt strukturierte sich durch Reden, Musik und symbolische Handlungen wie Eidesleistungen, rituelle Verbrennungen von Gegenständen oder repräsentative Würdigungen neuer Institutionen.667 Die Forschung hat sich bislang auf die Jahre 1789 bis 1794 konzentriert; die Feste aus den Epochen des Thermidor und Direktoriums sind weniger gut bekannt. Wie Jourdan schon 1993 formuliert hat, ist dies ein erstaunlicher Befund: Trotz der zahlreichen Staatsstreiche sei das Regime schließlich relativ stabil geblieben und hätte über eine Zeit von fünf Jahren seine eigenen Vorstellungen von einer revolutionären Festkultur entwickeln können.668 Mona Ozouf widmet in ihrer Studie La fête révolutionnaire dem Direktorium zwar ein Teilkapitel,669 erzählt darin jedoch vor allem die Geschichte eines Niedergangs im Vergleich zur Phase der Volksbewegung – eine prononcierte und tendenziell provokante These, da sie die spontane Praxis der früheren Revolution zum Maß aller Dinge erklärt. Ozouf argumentiert überzeugend, dass die Feste des Direktoriums an die vorangehenden Erfahrungen und Diskurse der Revolution anschlossen, und belegt auf diese Weise die strukturelle und ideologische Einheitlichkeit ‚des‘ Revolutionsfestes (de la fête révolutionnaire), das zahlreiche Neuauflagen und Wiederholungen 666

Vgl. REICHARDT: Das Blut der Freiheit, S. 256; dort auch nachfolgendes Zitat. Vgl. SCHRÖER, Christina: Spektakel des Umbruchs. Politische Inszenierungen in der Französischen Revolution zwischen Tradition und Moderne, in: Ausst.Kat. SPEKTAKEL DER MACHT, S. 216–221. 668 Vgl. JOURDAN: Les Monuments, S. 370f. Prononcierter noch formulierte Jourdan diese These im Original der für die Veröffentlichung überarbeiteten Dissertationsschrift, die sie dankenswerterweise der Verfasserin der vorliegenden Studie zur Verfügung gestellt hat: Vgl. dies.: Les Monuments de la Révolution française. Le Discours des Images dans l’Espace parisien 1789–1804, Academisch Proefschrift, Unversiteit van Amsterdam, 1993 [Originaldokument Diss.], S. 267 und S. 438, Anm. 296. 669 Vgl. OZOUF: La fête, S. 191–204. 667

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erfuhr.670 Ergänzend dazu erscheint es jedoch sinnvoll, Feste nicht nur als Schaubühnen der sich wandelnden Wert- und Ordnungsvorstellungen, sondern auch als strategische Instrumente der republikanischen Politik sowie als Orte des Konflikts zu betrachten. Ozoufs These des Disziplinierungsprozesses der Feste im Direktorium stützt sich auf wenige Beispiele und vernachlässigt die Kontexte, vor deren Hintergrund sich Choreographie und Szenographie der politischen Inszenierungen immer wieder änderten. Vor allem die politisch stark prägende Übergangszeit des Thermidor verdient eine intensivere Untersuchung, um Aufschluss über die republikanische politische Kultur, den Grad der gesellschaftlichen Politisierung und Pluralisierung zu erhalten. Und auch das Direktorium sollte nicht auf seine „imperiale[n] Tendenzen […] und seine Neigung, die Revolution zu beenden und ihre Freiheitsdynamik durch nationalen Ruhm zu ersetzen“671, reduziert werden. Es gilt, genauer zu untersuchen, ob und inwiefern es erneut an die von den Montagnards entwickelten Repräsentationsformen anknüpfte. Die Feste zwangen die politischen Akteure im Jahresrhythmus, unbewusste Annahmen und Verhaltensrollen sichtbar zu machen – dies provozierte Reaktionen, vom Widerspruch bis hin zu Gegeninszenierungen und Neuinterpretationen. Gleiche Anlässe wurden jeweils unterschiedlich begangen und in eine tagespolitisch gewünschte Gesamterzählung der Republik eingewoben. Im Folgenden soll schwerpunktmäßig herausgearbeitet werden, mittels welcher Bilder und Praktiken die ‚neue Gesellschaft‘ in Szene gesetzt wurde. Anschließend werden verschiedene ‚Projektionsflächen‘ und ‚Darstellungsinhalte‘ typisiert, die der republikanischen Ordnung eine äußere Form geben sollten, besonders: die wehrhafte Republik, die tugendhafte Republik, die betriebsame Republik und die ruhmvolle oder universelle Republik. Es geht zunächst weiterhin um die Schauseite des Phänomens; weitere Aspekte, wie die Analyse der damit verbundenen Zielsetzungen und Wirkungen, finden an späterer Stelle noch stärker Berücksichtigung.

670

Vgl. OZOUF: La fête, S. 203: „Il s’agit donc d’une répétition: les organisateurs des fêtes thermidoriennes et directoriales n’éliminent de leurs créations que les éléments qui étaient déjà suspects à Robespierre. Et, de fait, chaque fois que contre leurs détracteurs les thermidoriens ont eu à défendre les fêtes nationales, ils ont eu recours à des arguments robespierristes. Daunou […]; François de Neufchâteau […]; La Revellière […]: toujours et partout, c’est la voix de floréal an II qu’on entend.“ 671 REICHARDT: Das Blut der Freiheit, S. 256.

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2.4.1 Die Darstellung der neuen Gesellschaft: Prozessionen und moralische Feste Prozessionen als Ausdruck gesellschaftlicher Ordnung Im Ancien Régime gehörte die Prozession zum Standardrepertoire der symbolischen Kommunikation von Macht und Herrschaft im öffentlichen Raum. Trotz des meist religiösen Anlasses war der politische Charakter solcher Aufmärsche allen Beteiligten bewusst und wurde immer wieder genutzt, um Machtverhältnisse zu bekräftigen oder neu zu ordnen. Je nachdem, an welcher Stelle man in der Prozession auftrat, wie weit der Abstand zum Allerheiligsten oder zum mitziehenden Herrscher war, bestimmte sich der eigene Platz in der gesellschaftlichen Ordnung. Städtische und regionale, landesherrliche oder territoriale Obrigkeiten platzierten sich festlich gekleidet in der Nähe des Altarsakraments; ausgewählte Repräsentanten trugen Baldachin, Bilder oder Reliquienschrein. Im religiösen Ritual wurde auf diesem Weg auch politische Ordnung sichtbar. Die Aura des Göttlichen übertrug sich auf die an der Prozession Beteiligten und bekräftigte damit deren Legitimität.672 Auch anlässlich genuin weltlicher Ereignisse, zum Beispiel bei Königseinsetzungen, Universitäts- oder Zunftritualen, wurde die Prozession zur Darstellung der hierarchischen Ordnungen der Ständegesellschaft genutzt.673 Meist bot der Zug von der Messe zum Versammlungsort, an dem der eigentliche Anlass der Zusammenkunft verhandelt wurde, Gelegenheit zu einer geordneten Präsentation der Rangfolge der Beteiligten in der Öffentlichkeit. So kann die Prozession, die anlässlich der Eröffnung der Generalstände 1789 in Versailles stattfand, als letzte Großinszenierung dieser Art im vorrevolutionären Frankreich bezeichnet werden.674 Knapp 1.200 Abgeordnete waren mit zum Teil großen Reformhoffnungen aus allen Landesteilen in die Residenzstadt entsandt worden, um an den Beratungen teilzunehmen. 672

Vgl. z. B. BRADEMANN, Jan: Die Sakralisierung der Ordnung. Prozessionen im Kirchspiel Ascheberg in der Konfessionalisierung, in: FREITAG, Werner und Christian HELBICH (Hrsg.): Bekenntnis, soziale Ordnung und rituelle Praxis. Neue Forschungen zu Reformation und Konfessionalisierung in Westfalen, Münster 2009 (= Westfalen in der Vormoderne. 4), S. 279–298. 673 Vgl. dazu u. a.: Ausst.Kat. SPEKTAKEL DER MACHT, S. 83–87. 674 Vgl. Tardieu, Jacques Nicolas: L’Accomplissement du vœu de la Nation. Vue de la Procession de l’ouverture des États-Généraux sortant de Notre-Dame pour aller à SaintLouis, Prise de la Place Dauphine, à Versailles le 4 may 1789, Radierung, 29,3 × 59,3 cm (Paris, BnF, Coll. Hennin. Inv. 10228 fol. ft 4, abgebildet in: Ausst.Kat. SPEKTAKEL DER MACHT, Kat.Nr. IV.16, S. 215).

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Bereits am Vortag der Eröffnungssitzung, am 4. Mai, wurden die Erwartungen jedoch klar enttäuscht: Der Dritte Stand war von der höfischen Regie an die Spitze der Prozession, direkt hinter die kirchlichen Würdenträger aus Versailles, beordert worden.675 Damit war er am weitesten vom König entfernt, der die Prozession hinter dem Erzbischof von Paris, der das Allerheiligste unter einem Baldachin mit sich führte, beschloss. Die Vertreter der Bürger und Bauern mussten schwarze Kleidung tragen, während die hochrangigen Kleriker und die Adeligen in kostbaren Aufzügen ihren herausgehobenen gesellschaftlichen Rang zur Schau stellten. Das pompöse Spektakel bekräftigte ein letztes Mal die Gültigkeit der ständisch-monarchischen Herrschaftsordnung. Die Revolutionäre bedienten sich nach ihrer Machtübernahme ebenfalls des Instruments der Prozession – freilich zur Darstellung einer veränderten Gesellschaftsordnung, die Hierarchien zumindest der Theorie nach ablehnte. Das erste Beispiel dafür war die eindrucksvolle Militärprozession zur Verbrüderung von Waffenträgern der Nationalgarde und der Armee, die 1790 zum Jahrestag des 14. Juli aus allen Departements in die französische Hauptstadt einmarschierten.676 Sie schlossen in ihren Reihen die Wahlmänner von Paris, die Versammlung der Représentans de la Commune sowie die Präsidenten der Wahlbezirke und andere Würdenträger der neuen Ordnung mit ein. Auf dem Marsfeld defilierten sie vor dem König und einer Menge von mehreren 100.000 Zuschauern. Nach dem großen Erfolg dieses ‚Föderationsfestes‘, das mit einer Eidesleistung auf dem Marsfeld am Altar des Vaterlandes endete, wurden Umzüge oder Prozessionen zu einem beliebten Bestandteil der Revolutionsfeste. Nach und nach traten neue gesellschaftliche Gruppen in Erscheinung; Monstranzen und Schreine wurden durch andere, innerweltlich begründete Heiligtümer, wie die Verfassung oder Freiheitsallegorien, ersetzt. Allerdings erzielte das Bemühen, neue Werte durch alte Formen auszudrücken, nicht immer den gewünschten Erfolg.677 Anspielungen auf Revolutionsereignisse sowie die Interpretation der mitgeführten Objekte und Allegorien waren zwischen den politischen Fraktionen umkämpft; nicht selten überforderte die Komplexität der 675

Vgl.: SCHRÖER, Christina: Eröffnungsprozession der Generalstände vom 4. Mai 1789, in: Ausst.Kat. SPEKTAKEL DER MACHT, S. 215. 676 Vgl. Confédération nationale, Ordre de Marche, Pour la Confédération, Qui aura lieu le 14 Juillet, & dispositions dans le Champ-de-Mars, o. O. o. J. [Signé Bailly, Maire, La Fayette]. Dort zum Folgenden. 677 Vgl. KNAUER, Martin: Die öffentliche Darstellung der neuen Prinzipien. Revolutionäre Festumzüge und Prozessionen, in: Ausst.Kat. SPEKTAKEL DER MACHT, S. 234f.

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Abb. 28: La fête de la loi, Le 3 juin 1792, nach Pierre-Gabriel Berthault, gravure sur cuivre, 13 × 20 cm.

Inszenierungen die Zuschauer. Im Kontext des Machtkampfes zwischen den Anhängern der konstitutionellen Monarchie und der Republik wurden 1792 zwei Festprozessionen zum Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen.678 Anlass für das Freiheitsfest vom 15. April war die Befreiung 40 ehemaliger Soldaten des Regiments Château-Vieux, die 1790 in Nancy gemeutert hatten. Im Triumph waren sie von Brest nach Versailles gezogen; nun wurde ihnen zu Ehren in der Hauptstadt eine Zeremonie veranstaltet, angeregt durch Sansculotten und Vertreter der Sociétés patriotiques. Man feierte die Befreiung der Gefangenen als einen Sieg des Volkes; eine Göttin der Freiheit wurde auf einem aufwendig dekorierten Wagen über die Place Louis XV gefahren.679 Ein anderer Festzug, am 3. Juni 1792, war demgegenüber von offizieller Seite organisiert (Abb. 28). Er verfolgte eine entgegengesetzte Absicht: Keineswegs ein Sieg des Volkes, sondern die geltende Ordnung und das geltende Recht wurden hier gefeiert, während man gleichzeitig das Opfer einer Volkserhebung betrauerte. Der Bürgermeister von Etampes, Simonneau, hatte sich wenige Monate zuvor mit Hilfe von Soldaten dem Volk entgegengestellt, das aufgrund von Versorgungsengpässen revoltierte. Die Anhänger der konstitutionellen Monarchie nahmen die Tötung des maire zum Anlass für eine Machtdemonstration. 678 679

Vgl. dazu und zum Folgenden ausführlicher OZOUF: La fête, S. 110–129. Gemälde an den Seiten des Wagens erzählten die Geschichten von Wilhelm Tell und Brutus dem Älteren, der seine Söhne dem Wohle der Republik opferte. Eine Jakobinermütze und eine Pike symbolisierten das wehrhafte Vaterland. Das von Demonstranten eingenommene Reiterstandbild Ludwigs XV. in der Platzmitte sollte noch im selben Sommer gestürzt und durch eine Kolossalstatue der Liberté ersetzt werden.

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Mitgeführt wurden ein auf eine Pike gespießter papierener Haifisch mit einer Inschrift (‚Beachte das Recht‘), die Amtsschärpe und eine Büste Simonneaus sowie ein Freiheitsbaum. Darauf folgte ein vergoldeter, aber unbesetzter Thron, auf dem die Verfassung als offenes Gesetzbuch lag – als Zeichen dafür, dass das Recht, und nicht das Volk über die Ordnung des neuen Regimes entschied. Zum Schluss visualisierte eine Statue das Gesetz selbst; sie breitete ihren Mantel schützend über den Menschenrechten aus. Freiheit oder Recht (und Ordnung)? Die Gegensätzlichkeit der Prozessionen und die darin aufscheinenden Wertekonflikte wurden 1792 von der Presse erkannt und kommentiert. Die Tatsache, dass beide Ereignisse im gleichen Jahr stattfanden, beweist die Konkurrenz unterschiedlicher politischer Parteiungen um die Macht in der Hauptstadt. Die Konflikte führten jedoch keineswegs zu einem Verzicht auf öffentliche Festumzüge: Diese entwickelten sich im Gegenteil zu Manifestationen einer politischen Option neben anderen im öffentlichen Raum.680 Solche Konkurrenz beunruhigte die politischen Machthaber: Nach Einrichtung der Republik ist zu erkennen, dass man sich um eine stärkere Kontrolle und Zentralisierung der Veranstaltungsorganisation bemühte. Besonders Jacques Louis David nahm von nun an maßgeblichen Einfluss auf die Weiterentwicklung des Festes als Instrument der Politik. Er wurde zum Regisseur des ‚Festes der Einheit‘ vom 10. August 1793 bestimmt, mit dem die Republik den Jahrestag des Sturzes der Monarchie und die Einführung der republikanischen Verfassung gleichzeitig beging. David distanzierte sich von den bisherigen Praktiken: „Ne vous étonnez pas, citoyens, si dans ce rapport je me suis écarté de la marche utilisée jusqu’à ce jour. Le Génie de la liberté, vous le savez, n’aime pas les entraves.“681 Das Volk selbst sollte von nun an dem Höchsten Wesen zum Gefallen als ‚Spektakel‘ inszeniert werden: „[…] peuple français, c’est toi que je vais offrir en spectacle aux yeux de l’Eternel.“ Die Prozession, die von der Bastille durch die Stadt zum Marsfeld ziehen sollte, 680

Vgl. zu den unterschiedlichen Möglichkeiten der Aneignung des öffentlichen Raums in der Hauptstadt auch: OZOUF, Mona: Le cortège et la ville. Les itinéraires parisiens des fêtes révolutionnaires, in: ANDIA: Fêtes et Révolution, S. 74–111; sowie SCHMIDT, Rüdiger: Die Eroberung des revolutionären Raums: Paris im Revolutionszeitalter, in: DARTMANN, Christoph, Stefanie RÜTHER und Marian FÜSSEL (Hrsg.): Raum und Konflikt. Zur symbolischen Konstituierung gesellschaftlicher Ordnung in Mittelalter und Früher Neuzeit, Münster 2004 (= Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme. Schriftenreihe des SFB 496. 5), S. 225–240. 681 David, Jacques Louis: Convention nationale. Rapport et décret sur la fête de la réunion républicaine du 10 août, présentés au nom du Comité d’instruction publique (le 11 juillet 1793), par David, [Paris] o. J. Vgl. dort auch zum Folgenden.

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wurde von den ‚massenhaft‘ versammelten Mitgliedern der Volksgesellschaften angeführt. Darauf folgten die Mitglieder des Konvents, in einheitlichem Grau (Zeichen der Eintracht) gekleidet und durch ein Band in den Farben der Trikolore umschlungen. In ihrer Mitte wurden auf ‚Gesetzestafeln‘ die Menschen- und Bürgerrechte und die Verfassung getragen. Darauf folgte die größte Gruppe des Zuges: die ‚ehrwürdige Masse des Souveräns selbst‘, ohne jede Trennung nach Gruppen: „Ici tout s’éclipse, tout se confond en présence des assemblées primaires; ici, il n’y a plus de corporation, tous les individus utiles à la société, seront indistinctement confondus […].“682 Alle Individuen, die der Gesellschaft dienten, so erläuterte das Festprogramm, sollten vermischt auftreten, wenn sie auch an ihren einzelnen Amts- und Berufszeichen zu unterscheiden seien: Der Präsident des Exekutivrates sollte neben dem Schmied, der Bürgermeister mit seiner Schärpe neben dem Köhler und Maurer gehen; Schwarzafrikaner sollten neben weißen Europäern und Blinde neben Sehenden laufen; Findelkinder schritten neben weiteren ehrenwerten Handwerkern; ein hochbetagtes Ehepaar wurde von seinen Kindern auf einem Wagen mitgezogen.683 Die visuelle Botschaft wurde durch eine Inschrift verstärkt: „Voilà le service que le peuple infantile rend à la société humaine.“ Dahinter marschierten Soldaten, die auf einem von acht Schimmeln gezogenen Prunkwagen in einer Urne Asche von ‚ruhmreich für das Vaterland gefallenen Helden‘ eskortierten. Den Abschluss bildeten Einheiten der Infanterie und der Kavallerie mit Karren, auf denen Szepter, Kronen, Wappen und Adelsurkunden lagen; auch hier ergänzte eine Inschrift die visuelle Rhetorik: „Peuple, voilà ce qui a fait toujours le malheur de la société humaine.“ Gemeinsam boten alle Gruppen ein Abbild der ‚neuen Gesellschaft‘, die sich, in Abgrenzung zu den strengen Trennungen der Ständegesellschaft, beim Fest der Einheit verbrüdern sollte. Dies geschah in der gemeinsamen Praxis, im Abschreiten der wichtigsten Etappen der bisherigen Revolution (vom 14. Juli über den Zug der Frauen nach Versailles bis zum 10. August 1792), die im Pariser Stadtbild an Originalschauplätzen oder durch Festarchitektur symbolisiert wurden.684 Allein im Zeremoniell wurden einzelne Gruppen, vor allem der Konvent in Person seines Präsidenten, hervorgehoben; im Festumzug waren alle Bürger gleich. Nicht Rang und Stand, sondern die Gleichheit und Gemeinschaft der Bürger standen im Mittelpunkt der Inszenierung. Das Fest endete mit 682

Ebd. Vgl. ebd. sowie: WRIGLEY: The Politics of Appearances, S. 83. 684 Vgl. eine ausführliche Beschreibung in OZOUF: La fête; deutschsprachig vgl. REICHARDT: Das Blut der Freiheit, S. 246ff. 683

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2. Ordnung als Anschauungssache

einem ‚einfachen Mahl‘ („banquet frugal“): Auf dem Marsfeld aufgeschlagene Zelte empfingen die Bürger ohne Unterschied zu einem Gemeinschaftsessen, das die Presse vorher angekündigt hatte: Jeder sollte seine Mahlzeit mitbringen und mit den anderen teilen. Zahlreiche Toasts wurden auf die Gleichheit und Brüderlichkeit ausgesprochen. Die wenige Monate später stattfindende Prozession des ‚Festes des Höchsten Wesens‘ setzte bereits andere Akzente – obwohl sie ebenfalls von David geplant worden war. Durch die Hervorhebung bestimmter Bevölkerungsgruppen wurde die Vision einer neuen Gesellschaftsordnung kommuniziert, die durchauch disziplinierende Züge trug. Mit blumigen Worten beschrieb der Künstler und Zeremonienmeister seine Vorstellungen im Festprogramm: Beim Morgengrauen sollte in allen Ecken der Stadt ‚kriegerische Musik‘ erklingen und die Gesellschaft zum ‚Fest der Gottheit‘ („fête de la Divinité“) zusammenrufen. Ein Böllerschuss und Trommeldonner dienten anschließend als Zeichen dafür, dass sich ‚alles neu ordne‘ oder, wie es im Programm hieß, ‚alles eine neue Form annehme‘: Les tambours roulent; tout prend une forme nouvelle. Les adolescents, armés de fusils, forment un bataillon carré autour du drapeau de leurs sections respectives. Les mères quittent leurs fils et leurs époux: elles portent à la main des bouquets de roses; leurs filles, qui ne doivent jamais les abandonner que pour passer dans les bras de leurs époux, les accompagnent et portent des corbeilles remplies de fleurs. Les pères conduisent leurs fils, armés d’une épée; l’un et l’autre tiennent à la main une branche de chêne. Tout est prêt pour le départ […]. 685

Jugendliche Sektionsvertreter, Mütter und Töchter, Väter und Söhne versammelten sich im Garten der Tuilerien, dem Jardin national, um ein Amphitheater, das für den Konvent reserviert war. Nach einer kurzen Ansprache Robespierres, der in seiner Funktion als Konventspräsident auch die anschließende Zeremonie leitete, stellte sich das Volk erneut ‚geordnet‘ auf: […] le son perçant de la trompette éclate dans les airs; le peuple se dispose; il est en ordre, il part. Deux colonnes s’avancent; les hommes d’un côté, les femmes de l’autre, marchent sur deux files parallèles. Le bataillon carré des adolescents marche toujours dans le même ordre. Le rang des sections est déterminé par la lettre alphabétique.

685

Plan de la fête à l’Etre suprême, in: Moniteur n° 259, 19 prairial II (7. Juni 1794); später auch: Ordre, marche et cérémonies de la fête à l’Être suprême, qui doit être célébrée le 20 prairial (an II), d’après le plan proposé par David et décrété par la Convention nationale, o. O. o. J.

2.4 Respektfördernde Zeremonien

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Zur Aufreihung der Sektionen war die Ordnung des Alphabets an die Stelle der Ordnung der Stände getreten. Dennoch lassen die scheinbar unpolitischen Vorgaben handfeste Hierarchien und Wertvorstellungen des Regimes erkennen. Männer und Frauen wurden nach Davids Vorstellung nach ihren ‚natürlichen‘ Funktionen als Krieger und Mütter definiert: Die ihnen zugeordneten Symbole deutete der Festbericht als Zeichen des Dankes („bouquets de roses, symbole des grâces“), der Jugend („des corbeilles remplies de fleurs, symbole de la jeunesse“) sowie der Kraft und Freiheit („des branches de chêne, symbole de la force et de la liberté“).686 Auch die Hymne à l’Etre suprême widmete den verschiedenen Gruppen unterschiedliche Strophen, in denen sie unabhängig voneinander gelobten, ihre Kräfte (und Kinder) dem Vaterland zu weihen. Auch weitere Dekorationen in der Hauptstadt, in der alle Häuser mit Zweigen und Blumengirlanden geschmückt waren, sowie die Aufbauten des Marsfeldes, auf dem eine Berglandschaft errichtet worden war, lassen erkennen, dass die Veranstalter eine enge Verbindung von Natur, Verstand und Göttlichkeit als entscheidende Basis der neuen gesellschaftlichen Ordnung ansahen. Neben den genannten Gruppen erhielten ‚die Alten‘ erneut eine herausgehobene Rolle. Alle Teilnehmer der Prozession fanden abschließend auf dem Berg Platz, der inmitten des Marsfeldes den Vaterlandsaltar überwölbte; dieses Idealbild der ‚neuen Gesellschaft‘ zog die Blicke der Zuschauer auf sich.687 Die Abgeordneten, welche vorher einheitlich gekleidet inmitten der Bevölkerungsgruppen gelaufen waren, wurden als Krone der neuen Ordnung visualisiert: Sie nahmen auf der Spitze des Berges Platz.688 Das hier erkennbare Gesellschaftsmodell wurde nach dem Sturz Robespierres zunächst teilweise wieder in Frage gestellt. Das Fest des 23. Thermidor II (10. August 1794), welches nur eineinhalb Dekaden nach der Hinrichtung der führenden Mitglieder des Wohlfahrtsausschusses stattfand, distanzierte sich von der disziplinierend angelegten, streng geordneten Symbolpolitik der Montagnards. Es gebe keine Prozessionsordnung, hieß es ausdrücklich im Festprogramm: Die ‚massenhafte‘ Versammlung des Volkes der freien Bürger sei selbst der schönste Schmuck der Nationalfeste: La réunion des citoyens en masse, étant le plus bel ornement des fêtes nationales, il n’y aura dans celle-ci aucune espèce de marche: le peuple libre 686

Vgl. dazu auch den nachträglichen Bericht über das Fest im Moniteur n° 265, 25 prairial II (13. Juni 1794). Dort auch zum Folgenden. 687 Vgl. ebd. 688 Zur Interpretation der öffentlichen Auftritte des Parlaments vgl. allgemein auch Kapitel 2.2.2.

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2. Ordnung als Anschauungssache

se rassemblera pour ses plaisirs dans le même lieu où il se battit pour son indépendance. 689

Dennoch wurden auch von den Thermidorianern bestimmte Gesellschaftsgruppen besonders geehrt: Nachmittags sollten sich in allen Sektionen die Bürger versammeln und die mutigsten Kämpfer aus ihren Reihen auswählen: „les guerriers dont les honorables blessures attestent le courage & le dévouement“. Für diese Soldaten war abends ein Empfang im Jardin national geplant, wo Ehrenplätze für sie reserviert bereitgehalten wurden. Ein Konzert, republikanische Gesänge und die Verbrennung von Abzeichen des Föderalismus – ein Zeichen dafür, dass eine Reihe von Montagnards nach wie vor großen Einfluss in den Regierungs- und Erziehungsausschüssen besaß – und der Tyrannei sollten den offiziellen Teil der Veranstaltung beschließen. Abends wurde der Garten Schauplatz eines Volksfestes mit Tanz und Gesang. Das Programm distanzierte sich von der Inszenierung einer Idealgesellschaft wie zur Feier des Höchsten Wesens. Dafür verstärkte sich die Tendenz, das Militär nicht nur als Garanten der Ordnung, sondern gleichzeitig als exemplarische gesellschaftliche Gruppe zu visualisieren. Ähnliche Schwerpunktsetzungen sind im Hinblick auf die Feiern des Herbstes 1794 erkennbar.690 Besonders interessant für die Rekonstruktion des Gesellschaftsideals der Thermidorianer erscheint die Pantheonisierung Marats, die am letzten Tag des Jahres II, dem fünften Tag der Sansculottiden (21. September 1794), zum ‚Fest der Belohnungen‘ (fête des récompenses) durchgeführt wurde. Zu diesem Zeitpunkt war der Machtkampf zwischen den verschiedenen Fraktionen im Konvent noch nicht entschieden: Die Vorstellungen über die Zukunft der Republik nach Überwindung der Terrorherrschaft gingen stark auseinander.691 Die Festorganisation geriet zum Kampffeld, auf dem man bemüht war, das eigene symbolische Kapital zu erhöhen, um dieses anschließend im Parlament in unmittelbaren politischen Einfluss umwandeln zu können. Verschiedene Programmentwürfe kursierten – und schwankten zwischen dem 689

Convention nationale. Rapport sur la fête du 10 août de l’an II de la République française une et indivisible [Signé: Barère], Paris o. J. Dort auch zum Folgenden. 690 Soldaten und Bürgerwehr waren auch in der Vergangenheit geehrt worden – wurden nun aber zum alleinigen bzw. wichtigsten Akteur vieler Feste. Grundsätzlich entsprach ihre Auszeichnung einem gesellschaftlichen Konsens, der parteiübergreifend geteilt wurde. 691 Vgl. SCHMIDT, Rüdiger und Christina SCHRÖER: Ordre public und homme nouveau: Symbolische Auseinandersetzungen um die Neuordnung der ersten französischen Republik nach dem Ende der Schreckensherrschaft, in: STOLLBERG-RILINGER, Barbara und Thomas WELLER (Hrsg.): Wertekonflikte – Deutungskonflikte, S. 301–326.

2.4 Respektfördernde Zeremonien

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Wunsch nach der Inszenierung eines Neuanfangs (von Seiten der Gemäßigten) und der jakobinischen Kontinuität (über eine festliche Legitimation der Terreur in der Person Marats; vgl. Kapitel 4.4.1). Die Hauptstadt sollte Zeuge eines schwierigen Kompromisses werden. Der Ami du peuple wurde im Rahmen eines feierlichen Umzugs vom Garten der Tuilerien zum Pantheon gebracht: über den Revolutionsplatz (heute Place de la Concorde), durch die Straßen Rues de la Révolution, Honoré, du Roule und de la Monnaie zum Pont Neuf, wo die Seine überquert wurde, durch die Rues de Thionville, Française, de la Liberté, über die Place Michel und schließlich die Rues Hyacinthe und Jacques die Anhöhe zum Vaterlandstempel hinauf.692 Einige erhaltene Verwaltungsquellen geben Auskunft über den im Vorfeld der Veranstaltung betriebenen Aufwand: Man erwartete wohl insgesamt ungefähr 18.000 Personen, für die Partituren gedruckt worden waren.693 Die Commission des travaux publics hatte die Polizeikommissare des Bezirks Montagne angehalten, die zu durchquerenden Straßen von Schlamm und Bauschutt zu säubern; Unternehmer mussten ihre Materialien entfernen.694 Kein Wagen durfte zwischen acht Uhr morgens und sechs Uhr abends die Straßen befahren. Festliche Dekorationen an den Häusern waren zwar erwünscht, durften aber nicht über die Straße gespannt werden, um die sichere Durchfahrt des Triumphwagens nicht zu gefährden. Der Trauerwagen war so hoch, dass mancherorts sogar die Straßenlaternen abgenommen werden mussten, damit er ungehindert passieren konnte.695 Die Inszenierung sollte das Volk der Hauptstadt, das Marat nach wie vor wie einen Heiligen verehrte, wohl nicht nur zufriedenstellen, sondern ihm gleichzeitig Respekt einflößen. Die Festgesellschaft versammelte sich zum Eröffnungsakt im Garten der Tuilerien, wo wenige Monate zuvor auch ein erster Akt des Festes des Höchsten Wesens begangen worden war.696 Die Auswahl scheint auf den ersten Blick einen Kompromiss der verschiedenen Parteien 692

Vgl. Fête sans-culotide des récompenses. Vgl. AN, Paris, AF II 17, pl. 119, pièce 76; sowie GENDRON, François: La Jeunesse Dorée. Episodes de la Révolution française, avec une préface d’Albert SOBOUL, Québec 1979, S. 91. 694 APP, Paris, AA/95 191: Lettre de la Commission des travaux publics au commissaire de police de la section Montagne, 4e sans-culottide an II; siehe GENDRON: La Jeunesse Dorée, S. 91. 695 Vgl. GENDRON: La Jeunesse Dorée, S. 91. Eine Abbildung des Wagens findet sich bei Vovelle: [Non-identifié]: Translation du corps de Marat, gravure (Paris, BnF, Coll. de l’Histoire de France, Inv. Qb1 1794 (août-décembre), M102977, abgebildet in: VOVELLE: La Révolution française. Images et récit, Bd. 5, S. 164). 696 Vgl. Fête sans-culotide des récompenses; dort auch zum Folgenden. 693

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2. Ordnung als Anschauungssache

innerhalb der Gruppe der Thermidorianer widerzuspiegeln: Es waren Vertreter der Bezirksverwaltungen, Kriegsverwundete, Mitglieder der Volksgesellschaften, Rekruten der Militärschule, Waisenkinder von Kriegsgefallenen sowie die komplette Gruppe der Abgeordneten des Konvents anwesend. Studiert man jedoch das Festprogramm, so fällt auf, dass der militärische Charakter der Veranstaltung alle anderen Elemente dominierte, wenn nicht das Andenken an den Ami du peuple und seine Anhänger sogar ganz in den Schatten stellte. Vor dem eigentlichen Trauerzug und dem Festakt für Marat fand eine Zeremonie zu Ehren des Militärs statt: Der Präsident des Konvents, der überzeugte Montagnard André Antoine Bernard,697 erklärte feierlich „et en présence du peuple“, den Armeen der Republik gebühre der Dank des Vaterlandes.698 An die Proklamation schloss sich eine zivile Fahnenweihe an: Jeder einzelnen Armee hatten die Organisatoren des Festes eine neue Fahne gewidmet, die unter Trommelwirbeln und Trompetenfanfaren vor den Augen des Volkes entfaltet und mit Lorbeerzweigen („laurier civique“) geschmückt wurde. Unter den wiederholten Ausrufen „vive la république“ nahmen Soldaten als Stellvertreter ihrer Armeen die Fahnen in Empfang und erhielten die feierliche Umarmung („accolade fraternelle“) durch den Präsidenten. Erst im Anschluss an diese Handlungen formierte sich der Festzug für Marat, der ebenfalls militärische Züge trug, gleichzeitig aber auch das Volk über die Anwesenheit verschiedener idealisierter Bevölkerungsgruppen zu integrieren suchte: Vorweg ritt eine Abteilung der Kavallerie mit Trompetern; darauf folgten Trommler; anschließend Mitglieder der Volksgesellschaften; dann wieder eine Musikgruppe, gemeinsam mit Rekruten der Militärschule; daraufhin in ungeordneter Formation die Vertreter der Pariser Sektionen („marchant en masse“); erneut gefolgt von Schülern der École de Mars, von Richtern, weiteren Militärschülern, Künstlern, die das Volk repräsentierten („représentant la masse du peuple“); es folgten die Musiker des Nationalen Musikinstituts; eine Gruppe von knapp 90 Frauen verkörperte die verschiedenen Departements und streute Blumen auf den Sarg des Revolutionshelden; hinter den Frauen folgte der Triumphwagen mit dem Sarg; 697

Vgl. SURATTEAU, Jean-René: Art. Bernard, André Antoine, dit Bernard de Saintes, in: SOBOUL: Dictionnaire, S. 108–110: Bernard war Abgeordneter der Legislative und des Konvents, von Januar 1793 an Mitglied des Comité de sûreté générale, als Représentant en mission verstrickt in die Terreur und auch nach dem Sturz Robespierres Anhänger der Revolutionsregierung. Ab dem Herbst 1794 verlor er mehr und mehr an Einfluss und wurde im Anschluss an die letzten Aufstände der Volksbewegung 1795 gefangen genommen. 698 Vgl. Fête sans-culotide des récompenses; dort auch zum Folgenden.

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gefolgt von den Abgeordneten des Konvents, deren Gruppe von einem Band in den Farben der Nation („rubans tricolore“) eingerahmt war, getragen von Generationsvertretern der vier menschlichen Lebensalter; den Abschluss bildeten Kriegswaisen und Kriegsverletzte, erneut Militärschüler, Trommler und eine zweite Abteilung der Kavallerie. Die republikanische Gesellschaft präsentierte sich als militärisch, politisch und gesellschaftlich klar organisiert und institutionell verfasst (Militärschüler, Volksgesellschaften, Sektionen, Konvent, Departements) sowie bestimmten Werten und Zielen verpflichtet (Nation, Recht, Kunst, Volkssouveränität, Zukunft). Gerahmt und strukturiert wurde der Zug jedoch eindeutig von militärischen Gruppen. Das Nationale Musikinstitut war angehalten worden, während der Prozession Militärmusik und Hymnen an die Brüderlichkeit zu spielen. Auf dem Platz vor dem Pantheon stoppte die Prozession: Ein Amtsdiener des Konvents verlas den 1793 gefassten Parlamentsbeschluss, den Leichnam Honoré Riquettis, besser bekannt unter dem Namen Mirabeau, aus dem nationalen Ruhmestempel zu entfernen. Gesagt, getan: Mirabeaus sterbliche Überreste wurden Polizeibeamten der Sektion übergeben und Marat „triomphalement“ ins Pantheon überführt, wo er auf einem Podium vor dem Sitz des Konventspräsidenten aufgebahrt wurde. In einer Ansprache lobte dieser die Tugenden des Journalisten und Abgeordneten, dessen Andenken als erinnerungswürdig für die gesamte Nation erklärt wurde. Über die anschließende Begräbniszeremonie schweigt sich das Programm aus. Es erläutert jedoch noch kurz den Abschied der Stellvertreter der 14 Armeen, für die Wagen bereitgestellt wurden, um sie direkt zurück zu ihrer Truppe zu befördern. Der Rückweg der Konventsabgeordneten zum Versammlungsort in den Tuilerien sollte geordnet erfolgen, alle Gruppen möglichst in Sechserreihen marschieren („Tous les groupes marcheront sur six de front“). Trotz der minutiösen Vorbereitung verfehlte das Fest den angestrebten Publikumserfolg. Selbst die Konventsmitglieder schenkten dem Festakt kaum Aufmerksamkeit; nur dünn besetzt kam der Zug überhaupt am Pantheon an.699 Besonders die Anhänger Marats mussten von der realisierten offiziellen Zeremonie zutiefst enttäuscht sein – strebten sie doch nach einer ganz anderen Form der ‚neuen Gesellschaft‘, die sich in der Veranstaltung kaum wiederfand. Autoren wie Gence hatten sich klar für eine stärkere Präsenz der Sansculotten sowie eine

699

Vgl. OZOUF, Mona: Thermidor ou le travail de l’oubli, in: Dies.: L’école de la France. Essais sur la Révolution, l’utopie et l’einseignement, Paris 1984, S. 91–108, S. 95.

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2. Ordnung als Anschauungssache

Art Krönungszeremonie für den Ami du peuple ausgesprochen700 – Elemente, die im realisierten Zeremoniell in keiner Weise vertreten beziehungsweise zu Ehren der Armee uminterpretiert worden waren. Die Krönung der Fahnen auf dem Höhepunkt der Zeremonie mussten die Aktivisten der Volksbewegung ernüchtern; auch standen Marats Taten und Tugenden keineswegs im Zentrum des Festes, sondern wurden nur verbal in der Rede des Konventspräsidenten gewürdigt. Ebenso wenig konnte die Fraktion der im Konvent verbliebenen Jakobiner von dem Andenken an Marat profitieren: Hatten sie vielleicht gehofft, durch die Ehrung des ‚Terroristen‘ eine nachträgliche Legitimierung der Terreur zu erreichen, geriet das Spektakel am Ende eher zum Zeichen des Stimmungsumschwungs zugunsten der Gemäßigten. Das einfache Volk war zugunsten anderer Gruppen aus der Prozessionsordnung verdrängt worden. Die Distanz, die sich bereits seit dem Frühjahr 1794 zwischen den Pariser Machthabern und der Bevölkerung der Hauptstadt bemerkbar gemacht hatte, wurde durch die mangelnde Zuschauerzahl und den geringen Zuspruch zu der Zeremonie unübersehbar. Prozessionen im öffentlichen Raum erschienen in diesem Kontext als ein problematisches symbolpolitisches Instrument: Die planvolle Selbstdarstellung wurde als demonstrativer Straßenumzug entlarvt, dem man mit Ablehnung begegnete. Dies erhöhte auch das mit den Veranstaltungen verbundene Konfliktpotenzial. Der Präsident und Festredner Bernard wurde am darauffolgenden Tag als Konventspräsident durch André Dumont, einen geläuterten Montagnard und großen Verfechter der politischen Reaktion, abgelöst.701 Ein unmittelbarer Zusammenhang mit der gescheiterten Inszenierung ist zwar nicht herzustellen, jedoch bekräftigte diese Entscheidung den allgemeinen politischen Richtungswechsel. Innerhalb kürzester Zeit sollte sich die Partei der Reaktion endgültig im Konvent durchsetzen. Dumont war es auch, der im Februar das Dekret einbrachte, niemanden zu pantheonisieren oder seine Büste im Konvent aufzustellen, der nicht zehn Jahre tot sei – die Voraussetzung für die spätere Depantheonisierung des Ami du peuple.702

700

Vgl. Gence, Jean-Baptiste-Modeste: Vues sur les fêtes publiques, et application de ces vues à la Fête de Marat, par le citoyen Gence, de la Section Chalier, ci-devant Beaurepaire, Paris, An IIème de la République, une et indivisible. Dazu auch Kapitel 4.4. 701 Auch Dumont war Montagnard gewesen; betrieb aber im Sommer 1794 den Sturz Robespierres und galt als einer der Drahtzieher der Reaktion; vgl. BIANCHI, Serge: Art. Dumont, André, in: SOBOUL: Dictionnaire, S. 377f. 702 Vgl. Moniteur n° 142, 22 pluviôse III (10. Februar 1795), CN, séance du 17 pluviôse. Vgl. auch Kapitel 4.4.

2.4 Respektfördernde Zeremonien

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Die nächsten Feste und Umzüge brachten die Entfremdung zwischen Parlamentariern und Bevölkerung sowie Aktivisten der Hauptstadt noch klarer zum Ausdruck: Anlässlich der Pantheonisierung Rousseaus marschierte der Konvent nicht mehr inmitten der Abteilungen des Volkes, sondern am Ende des Zuges – Ausdruck seines gewachsenen Selbstbewusstseins sowie Demonstration des Vertretungsanspruchs für alle Franzosen, auch über Paris hinaus. Die ‚neue Gesellschaft‘ wurde nunmehr als zu erreichendes Fernziel definiert, wenn etwa Dumont in seiner Rede zum ‚Fest der Siege‘ zu Beginn des Jahres III (Oktober 1794) allen Bürgern („citoyens de tous les âges, de tous les sexes“, „jeunes guerriers“) eine Zukunft in Glück und Überfluss versprach: Bald könne man endlich die Früchte der Revolution ernten, welche die Grauen der Vergangenheit vergessen machen sollten.703 Die Ansprache endete mit einem Appell an die Kinder, deren Tugend, Einsatz und Einsicht das Fundament der gesellschaftlichen Ordnung und einer stabilen Regierung sei: Heureux enfants! ... jouissez du labeur de vos pères; conservez avec soin le précieux héritage de la liberté; songez que toujours on cherchera à vous ravir ce dépôt sacré: défendez-le par votre courage, par votre union, par votre sagesse, par votre dévouement aux vérités éternelles sur lesquelles reposent l’ordre social et la stabilité du gouvernement républicain.704

Im Jahr 1795 hielt sich der Konvent im Kontext der wachsenden Auseinandersetzungen um die neue Verfassung der nachthermidorianischen Republik mit Auftritten in der Öffentlichkeit zurück. Nicht mehr über Prozessionen, sondern allenfalls über Festreden und Gesänge kommunizierte man an Feiertagen Vorstellungen über die ‚richtige‘ Ordnung der neuen Gesellschaft, wenn zum Beispiel am Jahrestag des 9. Thermidor von den „rayons de la liberté“ die Rede war: „Vièrges du peuple français“, „Pères, enfants, époux“, „Le peuple et le sénat“, „Femmes, guerriers, viellards, beautés, talents, vertus“. Eine von Tugend und Menschlichkeit geprägte Gesellschaft sollte in dieser Vision die Ideologie des Jahres II ablösen: „Oui pour la République, un nouveau jour commence; / Nous verrons, à la voix de vos mânes proscrits, / L’Humanité dressant l’autel de la clémence / Sur vos respectables débris.“ 705 Erst das Direktorium sollte wieder Festumzüge zur öffentlichen Darstellung der neuen Gesellschaftsordnung nutzen – freilich im Unterschied zu den früheren Revolutionsfesten meist beschränkt auf das

703

Vgl. Moniteur n° 33, 3 brumaire III (24. Oktober 1794). Ebd. 705 Moniteur n° 314, 14 thermidor III (1. August 1795), CN, séance du 9 thermidor. 704

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2. Ordnung als Anschauungssache

Marsfeld, wo die Zuschauer im Sitzen den Aufmarsch der Abteilungen verfolgten.706 Beamte und andere Würdenträger verdrängten das Volk und die Gesetzgeber aus den staatlichen Zeremonien.707 Im Jahr VI (1797/98) wurden wieder Prozessionsordnungen veröffentlicht, die in ihrer Ausführlichkeit beinahe schon dem monarchischen Zeremoniell des Ancien Régime glichen. Exemplarisch sei nur auf zwei Beispiele verwiesen. Die Feier des Jahrestages des 18. Fructidor V (4. September 1797) wurde im ganzen Land durch Wandzeitungen proklamiert und begründet. In allen Kommunen, beispielsweise auch in Lyon708, sollte die Obrigkeit geordnet und begleitet von wichtigen Repräsentanten der Republik zum Festplatz ziehen. In der Hauptstadt ließ Innenminister François de Neufchâteau um vier Uhr nachmittags 44 Abteilungen auf dem Marsfeld aufmarschieren: 1.° Trois membres de chacun des Comités de bienfaisance; / 2.° La Commission des hospices civils; / 3.° Les Inspecteurs du Conseil de santé près le Ministère de la guerre; / 4.° Les Administrateurs et Professeurs de l’École gratuite de dessin; / 5.° Les Professeurs de l’École nationale de peinture, sculpture et architecture; / 6.° Les Administrateurs et Conservateurs du Musée central, du Musée spécial de l’École française, de celui des Monumens français; / 7.° Les Administrateurs et Conservateurs du Muséum d’histoire naturelle; / 8.° Le Conservatoire des arts et métiers; / 9.° Les Professeurs de l’École des langues orientales près de la Bibliothèque nationale; / 10.° Les Professeurs de l’École d’antiquités près la Bibliothèque nationale; / 11.° Les Professeurs de l’École des mines; / 12.° Les Professeurs de l’École des ponts et chaussées; / 13.° Les Professeurs de l’École polytechnique; / 14.° Les Professeurs de l’École de santé; / 15.° Les Professeurs du Prytanée français; / 16.° Les Professeurs des Écoles centrales; / 17.° Les Professeurs du Collège de Frances; / 18.° Le Jury des Écoles primaires; / 19.° Le Jury des Écoles centrales; / 20.° Les Administrateurs des quatre gands Bibliothèques nationales et publiques; / 21.° Les Juges de paix et leurs Assesseurs; / 22.° Le Tribunal de commerce; / 23.° Le Tribunal correctionnel; / 24.° Le Tribunal civil; / 25.° Le Tribunal criminel; 26.° La Régie des poudres et des salpêtres; / 27.° La Ferme des postes, 28.° Les Commissaires à la recherche des titres dominiqux et judiciaires; / 29.° L’Administration de la loterie 706

Vgl. BEN-AMOS, Avner: Funerals, Politics, and Memory in Modern France 1789–1996, Oxford 2000, S. 51. 707 Am Jahrestag der Hinrichtung Ludwigs XVI. 1796 war folgender Festzug nach Abschluss der Zeremonie zu beobachten: „Le cortège se remit ensuite en marche; les fonctionnaires publics de toutes classes, les officiers généraux et l’état-major de l’armée étaient à en avant du directoire, qui marchait précédé des huissiers, des messagers d’État et des ministres. On rentra dans cet cadre à l’École militaire au milieu d’une double haie de citoyens qui s’empressaient à l’envi de manifester leur joie et leur attachement à la République.“ Moniteur n° 125, 5 pluviôse IV (25. Januar 1796). Vgl. auch Kapitel 2.2.2. 708 Vgl. Arrêté du Bureau central du canton de Lyon relative à la „fête commemorative du 18 fructidor“, placard, papier, 58,7 × 42,0 cm (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6963).

2.4 Respektfördernde Zeremonien

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nationale; / 30.° La Commission de la liquidation du temps intermédiaire; / 31.° La Régie de l’enregistrement et des domaines nationaux; / 32.° La Direction de la liquidation de la dette des émigrés; / 33.° La Direction de la liquidation générale de la dette publique; / 34.° L’Administration de la monnaie; / 35.° Les Administrations municipales des douze arrondissemens; / 36.° Le Bureau central; / 37.° L’Administration du département de la Seine; / 38.° Les Commissaires de la Comptabilité et de la Trésorerie nationale; / 39.° L’Institut national des sciences et arts; / 40.° Le Tribunal de cassation; / 41.° L’État-major de la 17e division militaire et celui de la place; / 42.° Les Ambassadeurs, Ministres et Envoyés des Puissances étrangères; / 43.° Les Ministres de la République française; / 44.° Le Directoire exécutif. / Suivra la garde du Directoire.709

Ein Jahr nach dem Staatsstreich demonstrierte das Zweite Direktorium hier die Stützen seiner Macht: Als Regierung einer elitären Republik der Gelehrten und Experten, orientiert an den Prinzipien der Bildung, des Rechts, der rationalen Verwaltung und der Ordnung, beschloss das Directoire exécutif mit seiner Garde den Festumzug. Die neue Gesellschaft beruhte nicht mehr auf Ständeordnung, Gottesgnadentum und dynastischem Prinzip, sondern die Zukunft der Republik wurde in die Hände der Verwalter von Bildung, Recht und Leistung gelegt. Der bürokratische Unterton der Aufzählung verweist dabei gleichzeitig auf die Probleme eines solchen Verständnisses der Republik als Verwaltungsstaat: Die Funktionseliten verkörperten für die Direktorialzeit zwar in der Tat die Spitzen der neuen Gesellschaft. Zu Repräsentationszwecken taugten sie jedoch nur bedingt: Der charismatische General Napoleon Bonaparte sollte ihnen mit einer auf seine Person zugeschnittenen Propaganda bereits wenige Monate später den Rang ablaufen. ‚Das Volk‘ wurde nur noch zu besonderen, stark von der Obrigkeit inszenierten und damit auch gut kontrollierbaren Anlässen in Szene gesetzt – teilweise sogar in ähnlichen Abteilungen oder Bilder wie zur Jakobinerzeit. Zum ‚Fest der Volkssouveränität‘ (30. Ventôse VII, 20. März 1799) zogen so beispielsweise um acht Uhr morgens aus allen Stadtbezirken Prozessionen zu den Dekadentempeln. Die einzelnen Stadtverwaltungen umgaben sich mit Gruppen, die die Landwirtschaft, die „industrie“, den Handel, die Künste und Wissenschaften repräsentierten, gekennzeichnet jeweils mit Attributen ihres Berufes oder Standes.710 Auch diese Einteilung der Gesellschaft hatte jedoch etwas

709 710

François de Neufchâteau: Anniversaire du 18 frucidor. Programme. Vgl. Directoire exécutif. Arrêté du du 23 pluviôse an VI, in: Moniteur n° 148, 28 pluviôse VII (16. Februar 1799); sowie Proclamation du Directoire exécutif à tous le Français, sur les élections des assemblées primaires et électorales de l’an VII, précédé de son

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2. Ordnung als Anschauungssache

Künstliches an sich und spiegelte stärker das Wunschbild der Veranstalter denn die gesellschaftliche Realität wider. Immer mehr verfestigte sich die Idee der grande nation und damit verbunden nationalistische Tendenzen, die anlässlich der Festumzüge besonders greifbar wurden. Die Herausstellung von exemplarischen gesellschaftlichen Gruppen verknüpfte sich mit der Verherrlichung vergangener Zeiten und imperialen Zukunftsphantasien (vgl. Kapitel 2.4.4). Am 1. Vendémiare VII (22. September 1798) fuhren zum sechsten Jahrestag der Republikgründung nach den sportlichen Wettkämpfen und Spielen des Vormittags auf dem Marsfeld zwei Kampfwagen mit Bürgern ein, die laut Programm das „PEUPLE FRANÇAIS“ verkörperten, bekrönt mit Eichen- und Lorbeerkränzen.711 Zwei Inschriften erinnerten an die Siege des Volkes vom 14. Juli und 10. August. Inmitten der Arena stiegen die Bürger vom Wagen. Sie selbst, nicht die anwesenden Amtspersonen und Würdenträger, entzündeten die aufgebauten Figuren des despotisme und fanatisme und umringten anschließend die Feuer zum Freudentanz. Orchestermusik und Gesang begleiteten ihren Auftritt. Nachmittags wurde das Direktorium zur Zeremonie auf dem Festplatz erwartet. Zu dessen feierlichem Einzug wurden die gallischen Stämme zu neuem Leben erweckt; ein Rutenbündel, Sinnbild der union der Departements, wurde vor dem Direktorium her zum Festplatz getragen: Des hommes vêtus des anciens habits des principaux peuples, qui occupent les Gaules, porteront le faisceau. Avant eux marchera une bannière qui portera pour inscription: La république les a tous réunis. Ce n’est plus qu’un même peuple.712

Die Republik wurde zur Ermöglicherin der Einheit Frankreichs stilisiert; Trophäen machten deutlich, welch große Rolle der Krieg als Voraussetzung des Ruhmes der Nation gespielt hatte. Auch die Schwesterrepubliken wurden in die Einheitsvision einbezogen: A côté du faisceau départemental et sur une ligne parallèle, on portera un trophée formé des écussons des républiques batave, cisalpine, ligurienne, helvétique, romaine, et soutenu par des figures emblématiques. Au-devant d’eux, une bannière portera ces mots: Que leur alliance avec le peuple français soit éternelle!713 arrêté concernant l’ordre, la marche et le detail des cérémonies qui seront observées pour la fête de la souveraineté du peuple [23 pluviôse an VI–11 février 1798], Paris o. J. 711 Vgl. Fête de la fondation de la République. Programme [Le Chant du 1er vendémiaire, par M.-J. Chénier], Paris, Fructidor an VI. 712 Ebd. 713 Ebd.

2.4 Respektfördernde Zeremonien

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Im Rahmen des Festaktes ehrte das Direktorium Soldaten und Zivilisten für herausragende Taten. Kein Detail wurde dem Zufall überlassen, bis hin zur Festlegung einheitlicher Kostüme für die Konkurrenten der Wettkämpfe des Nachmittags.714 Herolde verkündeten die Namen der Sieger, unterstützt von Trompetenfanfaren. Die Sieger wurden zu einem gemeinschaftsstiftenden Bankett im Kreise ihrer Preisrichter geladen. Wenn nun vom ‚französichen Volk‘ die Rede war, handelte es sich jedoch nicht mehr, wie im Jahr II, um Abordnungen der Pariser Sektionen und Sansculotten, die im Festzug mitmarschierten. Die politischen Aktivisten waren idealtypischen Gruppen gewichen, die gemäß einem nationalistischen republikanischen Gesellschaftsideal den Franzosen zum Vorbild gereichen sollten. Die Darstellung exemplarischer gesellschaftlicher Gruppen auf den moralischen Festen Zur Inszenierung der funktionalen Bestimmung und der zivilen Aufgaben der neuen Gesellschaft wurde ein eigener Festzyklus geschaffen: Die sogenannten moralischen Feste, die zwar ebenfalls auf nationaler und lokaler Ebene organisiert, aber von den Staatsakten zum Gedenken an die grandes journées révolutionnaires getrennt betrachtet wurden. Das Erziehungsgesetz vom 3. Brumaire IV (25. Oktober 1795) hatte sieben republikanische Nationalfeste bestimmt, von denen fünf als ‚moralische Feste‘ ausgewiesen wurden und auf einen Dekadi fielen:715 Das Fest der Jugend, des Alters, der Eheleute, der Dankbarkeit und der Landwirtschaft (Fêtes de la Jeunesse, de la Viellesse, des Époux, de la Reconnaissance, de l’Agriculture). Das Schwergewicht des Festkalenders lag damit auf den moralischen Dekadenfeiern, die 714

Für die courses à pied waren „veste et pantalon“ aus „nankin“ bzw. aus weißem Stoff vorgesehen. Mehrere Gruppen starteten gleichzeitig; das Ziel war beim Vaterlandsaltar. Die Teilnehmer der courses à cheval sollten wie Knappen bzw. Reiter gekleidet sein: „veste à l’écuyère“, „chapeau rond, surmonté d’une plume, attaché sous le menton par un ruban“, „ceinture de soie de couleurs différentes“. Ihre Pferde starteten inmitten der Arena, umrundeten diese zweimal, um dann zum Ausgangspunkt zurückzukehren. Beim Wagenrennen war ein habit français vorgeschrieben („espèce de tunique courte, ouverte par le milieu et attachée par des gances sur la poitrine“, „chapeau relevé pardevant et surmonté d’une plume“, „manteau de couleurs différentes“). Die Wagen starteten am Vaterlandsaltar. Vgl. ebd. 715 Die Loi Daunou schrieb jedem Kanton insgesamt sieben Nationalfeste vor: am 1. Vendémiaire die Fête de la Fondation de la République, am 10. Germinal die Fête de la Jeunesse, am 10. Floréal die Fête des Époux, am 10. Prairial die Fête de la Reconnaissance, am 10. Messidor die Fête de l’Agriculture, am 9. und 10. Thermidor die Fête de la Liberté, am 10. Fructidor die Fête de la Viellesse. Vgl. Kapitel 3.4.1.

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2. Ordnung als Anschauungssache

auf den menschlichen Lebenszyklus und Lebensalltag bezogen waren. Daneben waren zunächst nur zwei Gedenkfeste zur Erinnerung an die Revolution geplant.716 Fünfmal im Jahr wurden verschiedene Gruppierungen der idealen republikanischen Gesellschaft von den Behörden so in Szene gesetzt, dass sie möglichst die Wertvorstellungen der französischen Bürger beeinflussen und darüber langfristig die tatsächliche Sozialstruktur des Landes ändern sollten. Am 10. Germinal IV (30. März 1796) wurde erstmals in der erneuerten Republik die Fête de la jeunesse begangen. Das Direktorium bestimmte den Rahmen:717 Ein Erlass kündigte die Feier in allen Kommunen des Landes an, „de manière à donner à la jeunesse une grande idée de ses devoirs, et à diriger son émulation vers les récompenses décernées par la patrie.“718 Zu diesem Anlass sollten erstens alle jungen Männer, die das 16. Lebensjahr vollendet hatten, in die Nationalgarde aufgenommen werden und eine Waffe erhalten; zweitens sich alle 21-Jährigen als Bürger registrieren lassen, sodass sie zukünftig von ihrem Wahlrecht in den assemblées primaires Gebrauch machen könnten („inscription civique“); drittens nationale Auszeichnungen vergeben werden an diejenigen Schüler, die sich in den nationalen Lehranstalten besonders hervorgetan hätten. Genaue Anweisungen regelten die Gestaltung des Festortes und den Ablauf der Veranstaltung: An einem Altar des Vaterlandes sollte die Zeremonie in unmittelbarer Nähe zum Bürgerhaus begangen werden; patriotische Gesänge und moralische Reden unterbrachen den Ablauf; im Anschluss daran wurden Spiele oder öffentliche Körperübungen empfohlen. Greisen, Soldaten und Invaliden standen Ehrenplätze zur Verfügung. Insgesamt sei auf Pomp und Luxus zugunsten von Patriotismus und Brüderlichkeit zu verzichten: „Les citoyens sont invités à porter à ces fêtes, dépourvues de pompe et de luxe, l’esprit de patriotisme et de fraternité qui anime les vrais républicains.“719 Allerdings verfehlte das Fest 1796 die gewünschte Wirkung in den zwölf Pariser Stadtbezirken: „Le génie du mal, qui ne veille que pour exciter le trouble ou l’inquiétude dans la République, avait déjà répandu des bruits absurdes, par lesquels il espérait détruire l’effet et faire manquer le but de cette cérémonie.“720 Der Redakteur des Moniteur bemühte sich, seiner Leserschaft die Vision des antiken Rom als Vorbild 716

Das Fest der Gründung der Republik am 1. Vendémiaire sowie die Feier des 9. Thermidor. Vgl. OZOUF: La fête, S. 193f. Dort auch zum Folgenden. 717 Vgl. Moniteur n° 174, 24 ventôse IV (14. März 1796). 718 Arrêté du 19 ventôse IV, in: ebd. 719 Ebd. 720 Vgl. Moniteur n° 195, 15 germinal IV (4. April 1796). Dort auch zum Folgenden.

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auferstehen zu lassen, um Kritikern zu zeigen, welch ruhmvolle Tradition die ‚unsterbliche Republik‘ zu erneuern anstrebe: „lorsqu’un jeune homme prenait la robe virile à l’âge de dix-sept ans, c’était l’occasion d’une [gr]ande fête; le père donnait un festin à sa famille et à ses amis, en réjouissance de ce que son fils était en état de servir la République.“ Nach einer Mahlzeit habe der Vater den Sohn zunächst in den Tempel begleitet und dann auf den öffentlichen Platz der Kommune, „comme pour l’initier aux affaires de sa patrie“. Ebenso sei auch in Frankreich das Fest als Institution geplant worden, welche den Übergang von der Jugend zum Mannesalter und zum Bürger markiere. Die jungen Männer wurden vor diesem Hintergrund dazu aufgerufen, die aktuelle Kritik zu ignorieren. Als ähnlicher Misserfolg muss wohl auch das ‚Fest der Eheleute‘ verzeichnet werden, welches laut Festkalender bereits einen Monat später begangen werden sollte. Am 10. Floréal IV (29. April 1796) feierte man auch in der Hauptstadt die Fête des époux. Das den Jakobinern nahestehende Journal des hommes libres qualifizierte einen Tag später das Ereignis als ‚traurige‘ Veranstaltung.721 Statt über das Fest zu berichten, kritisiert der Artikel vor allem den militärischen Charakter, von dem es begleitet wurde: Ein großes Aufgebot an Waffen und Soldaten sei zu beobachten gewesen, Letztere hätten sich in unangemessener Weise produziert; die Bürger hingegen seien aus dem Garten der Tuilerien vertrieben worden. Mehr als je zuvor umgebe sich die Macht mit dem Militär.722 Der Garten der Tuilerien war bereits am Vorabend geschlossen worden: „on en a chassé les citoyens pour faire place aux canons.“ Die Offiziere hätten eine regelrechte Show veranstaltet, die Pferde tänzeln und im vollen Galopp laufen lassen; unter ihnen habe sich ein ehemaliger ‚Terrorist‘, Salignac, befunden, der offensichtlich vom enragé zum Diener der Herren im Luxembourg-Palast mutiert sei. Hatten die Direktoren gehofft, durch Militärpräsenz ihre Hoheit über die Streitkräfte und vielleicht auch die Idee der öffentlichen Ordnung zu visualisieren, so erschien dieses Verhalten dem Journalisten offensichtlich als befremdlich, wenn nicht verwerflich, da es ihn an die Sitten des Ancien Régime erinnerte.723 Von einem Auftritt von Ehepaaren als 721

„Paris, 10 floréal. On vient de célébrer assez tristement la fête des époux.“ Journal des hommes libres n° 183, 11 floréal IV (30. April 1796). Vgl. dort auch zum Folgenden. 722 „Le pouvoir s’entoure plus que jamais d’armes et de soldats.“ Ebd. 723 Überhaupt seien nur wenige Menschen anwesend gewesen: „Trois détachemens, avec chacun une pièce de canon, se sont portés aux trois casernes de la légion de police; il y avoit très peu de monde; et ceux qui s’y sont trouvés, se sont retirés, selon l’ordre qu’on leur en a donné, à l’Ecole Militaire.“ Ebd.

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2. Ordnung als Anschauungssache

vorbildliche Gesellschaftsmitglieder ist nicht die Rede, auch nicht in den regimenahen Zeitungen wie dem Moniteur. Eine im Musée Carnavalet aufbewahrte Zeichnung mit dem Titel Vue de la fête des Époux veranschaulicht den Charakter des Festes – auch wenn die Datierung nicht eindeutig zu klären ist: Vor einer Kulisse in der Formensprache der Antike schützt eine Reihe von Gardisten die anwesenden Würdenträger. Im Bildvordergrund bewegt sich eine Prozession von Frauen zum Feuer der Freiheit, welches auf einem Altar unter dem Baldachin entzündet ist.724 Noch sorgfältiger plante man wohl die Inszenierung vom 10. Messidor IV (28. Juni 1796), anlässlich der Fête de l’Agriculture.725 Die Landwirtschaft wurde im Erlass des Direktoriums zur ‚ersten Kunst‘ erklärt, welche insbesondere in einer Republik und in einem großflächigen Territorium die Freiheit des Volkes garantiere.726 Sie sei Quelle des öffentlichen Wohlstands und des nationalen Reichtums. Mehr noch: Die Landwirtschaft wurde aufgrund ihrer Ursprünglichkeit und Naturverbundenheit zum eigentlichen Kern des gesellschaftlichen Glücks erklärt, welcher die Einfachheit und Reinheit der Sitten garantiere.727 Entsprechend stünde diesem Sektor öffentliche Ehrung zu, jede Vernachlässigung sei in einem freiheitlichen Regime sträflich. Das Fest sollte vor allem folgende Aspekte betonen: 1. Ordnung, im Sinne einer neuen Ordnung der Gesellschaft; 2. Auszeichnung, für diejenigen laboureurs, die langjährigen Erfolg vorweisen konnten sowie durch Klugheit, Auftreten und Engagement vorbildlich seien; 3. Gemeinschaftsstiftung, durch die Versammlung um den Altar des Vaterlandes und die Freiheitsstatue sowie durch die Verknüpfung der landwirtschaftlichen (Pflüge, Ochsen oder Pferde, Werkzeug, Blattwerk und Blumen) mit der nationalen Symbolik (dreifarbige Bänder, Füllhorn, Vaterlandsaltar, Freiheitsstatue). Vergleichbare Ideen durchzogen alle moralischen Feste des Jahres IV (1796). Auffällig erscheinen die hohe Bedeutung, die sowohl der Freiheitsstatue als auch dem Altar des Vaterlandes beigemessen wurden, sowie die Verknüpfung der zivilen mit der militärischen Gesellschaft. Zum Fest der Landwirtschaft sollte die 724

Vgl. [Non-identifié]: Vue de la Fête des Époux, dessin (Paris, Musée Carnavalet, abgebildet in: VOVELLE: La Révolution française. Images et récit, Bd. 5, S. 173). 725 Eine volksnahe Darstellung vgl. Lesueur: Fête de l’Agriculture, aquarelle (Collection André Claude Bidault de I’Isle, abgebildet in: VOVELLE: La Révolution française. Images et récit, Bd. 5, S. 172f.). Zu der Bildserie von Lesueur siehe auch CARBONNIÈRES, Philippe de: Les gouaches révolutionnaires de Lesueur au Musée Carnavalet, in: AHRF 1 (2006), S. 93–122, sowie ders.: Lesueur, gouaches révolutionnaires. 726 Vgl. DE, Arrêté du 24 prairial an IV, in: Moniteur n° 275, 5 messidor IV (23. Juni 1796). 727 Vgl. ebd.

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Freiheitsstatue, sofern möglich, auf einem Triumphwagen hinter dem geschmückten Ochsenkarren auf dem Festplatz einfahren. Damit wurde die Idee der Freiheit als Leitprinzip des neuen Regimes selbst in den hintersten Winkeln des Landes gefeiert und diese als Schutzherrin des Landes, seiner Bewohner und Arbeitsformen propagiert. Im Laufe des Festes wurde die enge Verknüpfung von Landbevölkerung und Landesverteidigung visualisiert: Nach der Versammlung der Festgemeinde auf dem ‚öffentlichen Platz‘ der Kommune sollte eine geordnete Prozession auf das Land ziehen, wo Bauern und Bürger symbolisch Waffen und Werkzeuge tauschten und der Verwaltungspräsident mit der Pflugschar eine Furche in den Acker zog. In der Hauptstadt wurde die Zeremonie mit besonderem Pomp begangen: Auf dem Marsfeld waren eigens Umbauten vorgenommen worden (siehe Kapitel 2.3.2); Soldaten und junge, weiß gekleidete Frauen bestimmten das Bild der Zeremonie. Gemeinsam mit Amtsträgern und Musikern bildeten sie den Festumzug, der das Marsfeld umrundete.728 Nicht ein, sondern zwei laboureurs wurden vom Verwaltungschef als vorbildlich herausgestellt, um das Gleichheitsideal nicht zu verletzen. Im Anschluss an die öffentliche Proklamation ihrer Namen erhielten sie eine Bürgerkrone. Anschließend wurde rund um den Altar des Vaterlandes, unter Musik und Applaus eine symbolische Furche gezogen. Allerdings bemangelte Trouvé im Moniteur erneut, es habe wenig öffentliches Interesse an der Veranstaltung gegeben: „Un temps viendra où les citoyens montreront moins d’indifférence pour les fêtes publiques; l’enthousiasme et la gaieté reviendront avec la paix et le bonheur.“729 Die Einrichtung eines „cirque“, groß genug, um alle Bewohner der Hauptstadt zu versammeln, erscheine ihm wünschenswert. Auf diese Weise könnten die Feste noch mehr als bislang der „gloire“ und „grandeur de la République“ genügen. Außerdem sei wünschenswert, dass das Direktorium selbst an der Zeremonie teilnehme. Zwar sei dessen Zurückhaltung bescheiden und lobenswert, aber von einer Beteiligung der Regierung verprach sich Trouvé eine deutlich verbesserte ‚Wirkung und Wahrheit‘ der Veranstaltung. Die letzte Station im Zyklus der moralischen Feste bildete die Fête de la vieillesse beziehungsweise des viellards, die am 10. Fructidor IV (27. August 1796) stattfand. Zwei betagte Männer und Frauen, die einen tadellosen Ruf bezüglich ihrer Rechtschaffenheit, ihres Patriotismus und ihrer Tugend hatten, sollten am Vorabend des Festes durch die

728 729

Vgl. ebd. Moniteur n° 285, 15 messidor IV (3. Juli 1796). Dort auch zum Folgenden.

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Verwaltungsbeamten ausgewählt werden.730 Ihre Haustüren erhielten besonderen Blattschmuck. Am Festtag wurden sie durch Beamte, begleitet von Kindern, jungen Soldaten und Musikern, zu Hause abgeholt und zum Festplatz geleitet, wo sie Ehrenplätze einnahmen und nach einer Rede über den Respekt, der dem Alter geschuldet werden müsse, mit Blätterkränzen gekrönt wurden. Junge verheiratete Frauen präsentierten Körbe mit Obst und Blumen. Nachdem ‚die Alten‘ zurück nach Hause geleitet worden waren, beschlossen Spiele und Tänze und Theateraufführungen den Abend. In Paris wurde das Fest in jedem Stadtteil begangen. Der Historien pries den darin erkennbaren Versuch, die Gebräuche der Antike wiederzubeleben. In Paris seien zwölf Theaterlogen geschmückt und reserviert gewesen; aber auch im Dorf hätte ein anrührendes Schauspiel („touchant et nouveau“) stattgefunden.731 Es existieren verschiedene druckgraphische Blätter, die ein solches Fest der Alten nachzeichnen: so zum Beispiel ein koloriertes Blatt aus der Sammlung Hennin mit dem Titel „La fête de la Réunion dédiée à tous les bons citoyens“, welches meist auf das Jahr 1794 datiert wurde.732 Das Inventar der Bibliothèque nationale verzeichnet, die Zeichnung sei 1794, der Stich 1795 entstanden, und die Radierung sei im Salon von 1795 gezeigt worden – vielleicht ist dies der Grund, warum die Verfassungstafel zu Füßen der Freiheitsstatue noch unbeschriftet ist.733 Am rechten Bildrand ist auf erhöhtem Sitz das zu ehrende Paar zu erkennen. Nach offizieller Bestätigung und Einrichtung des Festes durch das Gesetz vom 4. Brumaire (26. Oktober) und dessen Durchführung des Jahres IV (1795/96) wurde die Darstellung wohl unter dem neuen Titel „Fête dédiée à la vieillesse“ aktualisiert (Abb. 29).734 Die Formulierung „Respect à la vieillesse“, die bereits auf der ersten Fassung verzeichnet ist, wurde vom Direktorium im Erlass vom 27. Thermidor IV (14. August 1796) ausdrücklich als Festmotto vorgegeben. Die Idee der Gerontokratie sowie die Überhöhung der verschiedenen Lebensalter im Rahmen moralischer Feste prägten alle republikanischen Regime von 1792 bis 1799. Bei der zweiten Druckplatte (Abb. 29) fehlen Pike und Jakobinermütze in der rechten Hand der Freiheits730

Vgl. DE, Autre arrêté du 27 thermidor IV, in: Moniteur n° 337, 7 fructidor IV (24. August 1796). 731 Vgl. Moniteur n° 345, 15 fructidor IV (1. September 1796). 732 Vgl. Duplessi-Bertaux, Jean, nach Pierre-Alexandre Wille: La Fête de la Réunion dédiée à tous les bons citoyens, eau-forte, col., 50,5 × 65 cm, Paris [1795] (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 11972). 733 Vgl. ebd. 734 Vgl. dazu auch BAXMANN, Inge: Die Feste der Französischen Revolution. Inszenierung von Gesellschaft als Natur, Weinheim und Basel 1989, S. 150.

2.4 Respektfördernde Zeremonien

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Abb. 29: Duplessi-Bertaux, Jean, nach Pierre-Alexandre Wille: Fête dédiée à la vieillesse, gravure à l’eau-forte, 43,5 × 62 cm, 1795.

statue – dieses Detail deutet auf eine Realisierung nach dem Ende der Jakobinerherrschaft hin. Die réunion villageoise, die alle Generationen beispielsweise zum Mahl auf einem öffentlichen Platz vereinte, war allgemein schon zu Zeiten des Ancien Régime ein beliebtes Bildmotiv.735 Die Revolution knüpfte an diese Tradition an. 1797 wurde den moralischen Festen weniger Aufmerksamkeit geschenkt. Erst nach dem Staatsstreich vom 18. Fructidor (4. September) sollten sie verstärkt als Waffe im Kampf gegen Kirche und Gegenrevolution eingesetzt werden. Die Fête de l’Agriculture vom 10. Messidor VI (28. Juni 1798) inszenierte die Ideen der „simplicité champêtre“ und der „magnificence nationale“ als Leitbilder der neuen Gesellschaft. Die Departementverwaltung Seine richtete das Pariser Fest aus. Nicht das Marsfeld, sondern die Champs-Élysées, auf denen man einen Tempel ‚aus Grün‘ („de verdure“) errichtet hatte, war Austragungsort. Dort fuhr ein mit landwirtschaftlichen und nationalen Symbolen geschmückter Wagen vor:

735

Vgl. u. a. Van Tilborch Gillis: Réunion villageoise, huile sur toile, 131 × 206 cm, 17e siècle (Lille, Palais des Beaux-Arts, Inv. P. 130).

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2. Ordnung als Anschauungssache

Un char décoré de tous les produits de la terre, accompagné de la société libre de l’agriculture, de l’administration du Muséum de l’histoire naturelle, et de l’école vétérinaire, portant un faisceau d’instruments de l’agriculture, surmonté d’une gerbe d’épis, au dessus de laquelle flottait l’oriflamme nationale, s’avançait vers un temple de verdure qu’on avait érigé à Cybèle, au milieu du grand carré des Champs-Elysées. Le char était traîné par six bœufs, ornés de guirlandes, de bandelettes, d’étoles; les cornes des bœufs et leurs sabots étaient dorés. La forme antique de ce char, les groupes de laboureurs, de gardes sédentaires enlacés dans les bras l’un de l’autre, et indiquant pas là que ceux qui tour à tour cultivent et défendent les champs, servent également l’agriculture, représentaient à l’imagination ces anciennes fêtes que la fertile Phrygie célébrait en l’honneur de la déesse des moissons, au pied du mont Ida.736

Die Ideen der Bearbeitung und Verteidigung des Landes verschmolzen in der Symbolik miteinander: Stärke (symbolisiert durch die Stiere sowie die Bürgermilizen) und Fleiß (symbolisiert durch die erwirtschaftete Ernte) garantierten den Wohlstand (goldene Hörner der Stiere, Ährengarbe) der Nation (dreifarbige Kriegsflagge). Schon das Programm erläuterte, man wolle die „imagination“ beziehungsweise „illusion“ der Menschen ansprechen, auch über die Einführung eines Kindes als Weingott Bacchus, welches gleichzeitig dessen Charakter als Kämpfer und Weinbauer verkörperte.737 Diese Vision einer kriegerischen Landbevölkerung (wiederum in Anlehnung an die Antike: der Bürger als Bauernsoldat) wurde über die Feste in allen Landesteilen propagiert, boten diese doch eine Möglichkeit, in den Alltag der Dorfgemeinschaften vorzudringen. In Paris hingegen muss die Zeremonie artifiziell gewirkt haben; die mangelnde agrarische Realität wurde entsprechend durch Pomp (Vergoldungen und überdimensionale Kulissen) kompensiert. Ein weiteres Beispiel für die moralischen Feste des Zweiten Direktoriums ist die Fête de la Vieillesse vom 10. Fructidor VI (27. August 1798), für die Innenminister François de Neufchâteau die Richtlinien bestimmte: Landesweit sollten die Stadtverwaltungen die Veranstaltungen ausrichten, in Paris in allen zwölf Arrondissements.738 In der Hauptstadt wurden aus jedem Arondissement sechs Greise ins Théâtre de la République et des Arts eingeladen, in dem man zwölf Logen reservierte (‚wie im Jahr zuvor‘739). Letztlich ist somit offenbar weniger eine 736

Moniteur n° 284, 14 messidor VI (2. Juli 1798). „Le char de Bacchus orné de fruits et de pampres verts, prêtait aussi à l’illusion; l’enfant assis sur un tonneau, représentait ce jeune dieu revenant vainqueur du Gange, lorsque lassé d’effrayer les humains, il vint leur enseigner l’art de cultiver la vigne.“ Moniteur n° 284, 14 messidor VI (2. Juli 1798). 738 Vgl. Moniteur n° 337, 7 fructidor VI (24. August 1798). 739 Vgl. ebd. 737

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qualitative (oder programmatische) Änderung in der Ausgestaltung der Feste zu beobachten, als vielmehr ein verstärkter Durchsetzungswille gegenüber 1796. Die wechselnden Direktorenkollegien versuchten von 1795 bis 1799, ihre Idealvorstellungen der griechischen Polis durch öffentliche Inszenierungen in Frankreich zu verwirklichen. In Kombination mit den Festen wurde vor allem Musik gezielt zur Inszenierung der exemplarischen Gruppen der neuen Gesellschaft eingesetzt. Die meisten Gesänge, die anlässlich von Nationalfesten, Staatsbegräbnissen oder offiziellen Zeremonien vorgetragen wurden, wiesen die einzelnen Strophen unterschiedlichen Gruppen von Sängern zu. Diese Idee beschränkte sich nicht nur auf die moralischen Feste: Der Chant de retour beispielsweise, den Chénier und Méhul zur Rückkehr von Bonaparte nach Paris komponierten, wurde bei der Zeremonie im Palais du Luxembourg vom 20. Frimaire VI (10. Dezember 1797) von Greisen, Barden, jungen Frauen und Kriegern im Wechsel mit dem Hauptchor vorgetragen.740 Neben der Marseillaise kann auch der Chant du départ (1794 komponiert von Méhul und Chénier) bereits für die Direktorialzeit als eine Art Nationalhymne angesehen werden, ohne dass es ein entsprechendes Gesetz gab. Beide Lieder wurden regelmäßig anlässlich der offiziellen Zeremonien und Feiertage intoniert. Erst Napoleon Bonaparte machte von 1804 bis 1815 den Chant du départ auf Kosten der Marseillaise zur französischen Nationalhymne. Interessanterweise handelt es sich um ein explizit republikanisches Lied – ein weiterer Beleg dafür, dass Napoleon die Republik als Staatsform des Kaiserreichs ansah. Ein Abgeordneter trug im Wechsel mit Soldaten und verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen (Müttern, Kindern, Kriegern, Alten) seine Verse vor, die dem ‚Sieg der Republik‘ entgegenfieberten.741 Die Verankerung der neuen Idealgesellschaft in der Kultur des Empire kann in dieser Hinsicht als Erfolg der symbolpolitischen Bemühungen des Direktoriums gewertet werden. Die Tatsache hingegen, dass die Marseillaise durch den Chant du départ ersetzt wurde, verdeutlicht, dass dieses Lied tendenziell nach wie vor mit der demo740

Vgl. Recueil complet des discours prononcés par le citoyen BARRAS, président du Directoire, par le général BONAPARTE, par les ministres des relations extérieures et de la guerre, et par le général JOUBERT et le chef de brigade ANDRÉOSSY, à l’audience solennelle donnée par le Directoire, le 20 frimaire an VI (10. Dezember 1797), pour la ratification du traité de paix conclu à Campo-Formio par le général Bonaparte, et la présentation du drapeau de l’armée d’Italie; accompagné de la description fidèle de cette fête et des hymnes qui y ont été chantés, Paris o. J. 741 Vgl. PIERRE, Constant: Musique des fêtes et Cérémonies de la Révolution française, Paris 1899; sowie Nachdruck in: MARTY, Ginette und Georges: Dictionnaire des chansons de la Révolution, 1787–1799, Paris 1988, S. 185–188, n° 8 (1794).

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kratischen Republik assoziiert werden konnte. Um möglichen Konflikten zu entgehen, bemühte der Kaiser lieber den kriegerischen Chant du départ zur Beschwörung des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Wann genau welche Strophen ergänzt wurden, ist nicht bekannt. Im Liedtext verpflichten sich alle Generationen der Gesellschaft auf die Republik, der sie bis in den Tod hinein dienen wollen: Ein Abgeordneter richtet ermutigende Worte an die Wehrpflichtigen, die zum Kampf aufbrechen; eine Mutter weiht ihre Kinder nach dem Vorbild der Spartiatinnen der Republik; zwei alte Männer geben ihre Erfahrungen im Gespräch an junge Männer weiter; ein Kind ehrt die Märtyrer Bara und Viala, die ihr Leben für die Republik ließen. Ehefrauen und Freundinnen, Helden und Krieger – sie alle widmen ihr dévouement der Republik.742

2.4.2 Die Inszenierung republikanischer Tugenden: Ordnungsliebe, Kampfgeist, Fleiß Die Feste waren Orte, an denen von staatlicher Seite gewünschte Tugenden sinnfällig über Skulptur, Architektur, szenisches Spiel oder zeremonielle Ehrung vor Augen geführt werden konnten. Sparta stand auch für die wichtigsten Tugenden der Thermidorianer und Direktorialisten Pate: Ordnungsliebe, Kampfgeist und Fleiß können als diejenigen Konzepte ausgemacht werden, die durch Aufführungen und Allegorisierungen am häufigsten visualisiert wurden. Gerierte sich die Republik bereits seit 1792 als ‚tugendhaft‘, so sollten sich ihre zentralen Referenzwerte sowie deren Auslegungen im Zuge der wiederholten Herrschaftsumbrüche jedoch mehrfach verschieben, wenn nicht sogar ganz ändern. Die vorangegangenen Kapitel liefern bereits eine Reihe von Belegen für diese These: So waren in den letzten Monaten der Jakobinerdiktatur verstärkt die Ideen der ‚Einfachheit‘ und ‚Natürlichkeit‘ inszeniert worden, wie unter anderem im Rahmen der allgegenwärtigen Naturmetaphorik zum Fest des Höchsten Wesens. Der Kult des Höchsten Wesens war von Robespierre als Naturkult inszeniert worden; das Höchste Wesen selbst war eine Art Naturgottheit. Die Berglandschaft inmitten des Marsfeldes sowie die von den Akteuren getragenen Zweige und Früchte symbolisierten die Verbindung der Revolution mit der Natur. Dies hatte auch Konsequenzen für die Verteilung der sozialen Rollen: 742

Vgl. Art. ‚Chénier‘ und ‚Méhul‘, in: TULARD, Jean (Hrsg.): Le Dictionnaire Napoléon, Paris 1999; BOUZARD, Thierry: Anthologie du chant militaire français, Paris 2000, S. 30–32; CHANTS ET CHANSONS POPULAIRES DE LA FRANCE, hrsg. von H.-L. DELLOYE, première série, Paris 1843; sowie http://www.napoleon.org/fr/friandises/musique/ index.asp#depart [12/01/09, 11.16h].

2.4 Respektfördernde Zeremonien

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Frauen wurden über ihre ‚natürliche Funktion‘ als Mütter, Männer als Krieger dargestellt. Die moralischen Feste des Direktoriums knüpften in ihrer Metaphorik an solche Idealvorstellungen an, setzten darüber hinaus aber durchaus auch andere Schwerpunkte. Im Folgenden sollen drei weitere Wertkomplexe hervorgehoben werden, die für die Selbstdarstellung der Republikaner in Thermidor und Direktorium eine besondere Rolle gespielt haben: Ordnungsliebe zwischen Einheitsideal und totalitärem Anstrich; Kampfgeist, Liebe und Opferbereitschaft für das Vaterland; sowie Ideale der Leistung, der Betriebsamkeit und des Fleißes. Die Idee der ‚Ordnung‘ wurde anlässlich der Nationalfeste im Direktorium bereits über eine strenge Aufteilung des Festplatzes in verschiedene Zeremonialräume visualisiert. So strahlte das Marsfeld beispielsweise am 10. Prairial IV (29. Mai 1796) zum ‚Fest der Siege‘ eine strenge Geordnetheit aus.743 Das Journal de Paris informierte, alle Anwesenden seien zur äußersten Disziplin angehalten worden, um jegliche „confusion“ zu vermeiden; Nationalgardisten schirmten das Marsfeld von der Zuschauermenge ab: Tous les personnages actifs, ou témoins nécessaires de la fête, sont invités à se conformer à l’ordre qu’il a paru convenable d’établir, pour éviter la confusion. L’enceinte du Champ-de-Mars, destinée à la fête, sera, en conséquence, fermée par un cordon de la garde Nationale parisienne.744

Girardet (Zeichner) und Berthault (Stecher) hielten diese Szene im Bild fest (Abb. 26). Die Direktoren nahmen laut Beschreibung der Tableaux historiques zu Füßen der Statue Platz. Den Bildeindruck dominiert jedoch die geschlossene Reihe der Nationalgardisten im Vordergrund, die mit ihren Bajonetten den Festplatz kontrollieren. Auch Artilleriegeschütze (rechts und links des Löwentores) und eine Abteilung der Kavallerie (am linken Bildrand) sind zu erkennen. Ordnung wurde durch Militärpräsenz gewährleistet. In seiner Rede vom 22. Vendémiaire VII (13. Oktober 1798) vor der Classe des sciences morales et politiques am Institut national kritisierte La Revellière, es habe am letzten Gedenktag der Republikgründung unerfreuliche Anzeichen der Unordnung gegeben: „Le désordre qui dérangea un peu celle du 1er vendémiaire, d’ailleurs si belle, me les rappela avec plus de force.“745 Solche Unordnung erinnere an die „processions maratiques“ der Jakobinerzeit – und sei zukünftig zu vermeiden: 743

Vgl. dazu auch Ausst.Kat. LA RÉVOLUTION PAR LA GRAVURE, S. 221. Journal de Paris, an IV, S. 627, 1007 und 1015, zitiert nach: BIVER, Marie-Louise (Hrsg.): Fêtes revolutionnaires à Paris, Préface de Jean TULARD, Paris 1979, S. 107. 745 La Revellière-Lepeaux: Essai sur les moyens, S. 38. 744

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2. Ordnung als Anschauungssache

L’ordre et la propreté dans les spectateurs, l’ordre et une pompe bien entendue dans ceux qui figurent sont indispensables pour donner toute leur force aux images qui doivent ici agrandir l‘âme des citoyens, améliorer leur cœur, en même temps les attacher à la patrie par l’attrait de nobles et innocents plaisirs.746

La Revellières Vision von ‚Ordnung‘ und ‚Einheitlichkeit‘747 nahm totalitär anmutende Züge an, wenn er in seinen programmatischen Schriften davon träumte, in Paris die Masse des Volkes durch einheitliche Kleidung, gleichzeitige Gesänge und Handlungen als Gemeinschaft in Szene zu setzen: Par un tel concours de moyens, deux ou trois cent mille spectateurs éprouvent à la fois les mêmes impressions et partagent les mêmes jouissances. Je vais plus loin: je veux que pendant quelques instants tous ensemble [sic] ils soient acteurs eux-mêmes. […] Je n’imagine rien de plus sublime au monde qu’un chœur de deux ou trois cent mille voix, chanté par des hommes pénétrés du même sentiment. Son effet serait toujours nouveau.748

Jeder Zuschauerblock sollte durch im Voraus vereinbarte Signale über die feierlichen Handlungen in der Mitte der Arena informiert werden, um jegliches ‚Durcheinander‘ zu vermeiden: „Enfin, pour qu’il n’existe pas de confusion, chaque série avertit par un signal convenu qu’elle a terminé son discours, ses chants, entendu le détail des cérémonies, etc.“749 Ebenso wie die Einheitskleidung der Wettkampfteilnehmer sollten auch die Amtstrachten für Beamte und Parlamentarier Ordnung und Regelhaftigkeit demonstrieren.750 Prozessionsordnungen und minutiöses Zeremoniell prägten alle Feste des Direktoriums. Der Topos des ‚geordneten Festablaufs‘ war zwar bereits den Festen der Frühen Neuzeit geläufig. Im Kontext der erweiterten Akteursebene und der damit verbundenen neuen politischen Zielsetzungen ist jedoch davon auszugehen, dass die Bestimmungen für das neue Regime eine größere politische Brisanz beinhalteten. Freiheitsideal und Ordnungswunsch waren nur schwer miteinander zu vereinen – und die Gegner der Regierung 746

Ebd., S. 30. „Tout ce qui paraît dans le cortège sur l’autel de la patrie et dans le cirque, n’importe à quel titre, porte, non pas un simple signe, mais un costume complet, drapé avec grâce, et parfaitement uniforme pour tout ce qui remplit le même emploi ou les mêmes fonctions. La pompe ne peut naître que d’une belle forme dans les vêtements, et de la diversité entre les groupes, et non de la coupe ridicule de nos habits anguleux et rétrécis, et de la bigarrure des individus entre eux.“ Ebd., S. 33. 748 Ebd., S. 35. 749 Ebd. 750 Vgl. Moniteur n° 258, 18 prairial III (6. Juni 1795), CN, séance du 14 prairial. Vgl. zum Thema Amtstrachten Kapitel 2.2.1. 747

2.4 Respektfördernde Zeremonien

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wurden nicht müde, die Diskrepanzen zwischen Anspruch und Wirklichkeit in der republikanischen Repräsentation offenzulegen. Die bei vielen Festen des Direktoriums zu beobachtende starke Militärpräsenz sollte nicht nur das Ende der Revolution und die Rückkehr zu geordneten Verhältnissen visualisieren, sondern erhob gleichzeitig die ‚Wehrhaftigkeit‘ und den ‚Kampfgeist‘ der Franzosen in den obersten Rang der republikanischen Tugenden. In der Presse wurde das Militär in vielfacher Weise zum Garanten der Ordnung stilisiert. 1795 schrieb Trouvé im Kontext der Feier vom 10. August, in dem Moment, in dem die Repräsentanten im Parlament versagt hätten, sei die Republik indirekt über die Siege der Armee ‚repräsentiert‘ worden: Et comment en effet lui refuser son admiration, à cette république, qui, lorsque sa représentation était opprimée, dissoute, égorgée à Paris, se faisait représenter aux frontières par la victoire, donnait à douze cent mille héros la liberté de guide, et la gloire pour récompense!751

Wehrhaftigkeit und Stärke der Armee sollten den französischen Bürgern zum Vorbild gereichen; sie wurden von 1794 an anlässlich der Nationalfeste häufig über szenische Spiele und besondere Auszeichnungen inszeniert. So spielten beispielsweise im Herbst 1794 Schüler der École de Mars zum Fest der Siege auf dem Marsfeld ein Gefecht nach (Abb. 25).752 Die Armee zog anschließend triumphal auf dem Festplatz ein; ein Kampfwagen mit einer Siegesgöttin visualisierte den Festanlass. Der Konventspräsident gravierte am Tempel der Unsterblichkeit die Namen der 14 Armeen in eine Säule ein.753 Selbst in Zeiten der Finanznot und der innenpolitischen Krise, wie im Sommer 1797, wurde am militärischen Charakter der Feste nicht gespart. Auf dem Marsfeld sollte die Garnison am 14. Juli ein kleines Kriegsschauspiel („une petite guerre“) veranstalten.754 Anschließend gab es eine Militärparade – allerdings nur für ein handverlesenes Publikum – im Garten des Regierungssitzes Palais du Luxembourg, wo sich die staatlichen Würdenträger versammelt hatten.

751

Vgl. in Moniteur n° 325, 25 thermidor III (12. August 1795). Die Collection Hennin verzeichnet eine weitere Darstellung des Festes, welches (bewusst?) die Perspektive auf die Berglandschaft inmitten des Marsfeldes ausblendet: Malapeau, Claude Nicolas: Fête des Victoires, Combat des jeunes élèves au Champ de Mars (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 11959). 753 Vgl. Chénier: Rapport sur la fête des victoires, Qui doit être célébrée le décadi 30 vendémiaire, l’an III; sowie Moniteur n° 33, 3 brumaire III (24. Oktober 1794). 754 Vgl. Extrait du procès-verbal de la séance publique du Directoire exécutif, du 26 messidor an V, in: Moniteur n° 298, 28 messidor V (16. Juli 1797). 752

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2. Ordnung als Anschauungssache

In größerem Stil wurden erst ein Jahr später, zum Beispiel zum sechsten Jahrestag der Republikgründung (1. Vendémiaire VII, 22. September 1798), auf dem Marsfeld wieder Kämpfe ausgetragen.755 Bereits um sechs Uhr morgens riefen Artilleriesalven das Volk zum Festplatz, der für die militärischen Exerzitien des Vormittags und die sportlichen Wettkämpfe sowie die Zeremonien des Nachmittags in zwei Hälften geteilt worden war. Inmitten des südlichen Abschnitts hatte man eine Festung errichtet. Um acht Uhr begann ein Schifferstechen auf einem künstlichen See.756 Zwei sogenannte ‚Banden‘ nahmen an der Übung teil: Blaue gegen Rote. Wer es schaffte, sein Gegenüber niederzustrecken, erhielt als Auszeichnung einen farbigen „ruban“ der gegnerischen Partei; Sieger war derjenige, der die meisten Gegner überwand. Nachmittags wurden weitere Wettkämpfe durchgeführt. Solche „évolutions militaires“ fanden auch 1799 anlässlich der wichtigsten Gedenktage statt und dienten erneut der Einschwörung der Bürger auf Rache und Krieg.757 Der ‚Kampfgeist‘ hatte sich inzwischen auf weitere Gestaltungselemente übertragen, die ebenfalls martialischen Charakter annahmen. Das Direktorium verließ am 14. Juli das Feld unter den Klängen von Kriegsmusik: „La musique militaire exécutera, au retour, une marche guerière.“758 Über Ehrenplätze und Auszeichnungen wurde Soldaten, Invaliden oder Veteranen eine besondere Annerkennung zuteil.759 Die Tugend der Opferbereitschaft wurde besonders in Reden und Gesängen inszeniert. Der bereits angesprochene Chant du départ kann hier als Musterbeispiel gelten: ‚Siegen oder sterben‘, das sind die beiden 755

Vgl. La Marche des cérémonies qui se feront le 3e jour complémentaire et le 1er vendemiaire, dans lesquelles il y aura une foire au Champ de Mars où les objets les plus précieux de nos manufactures y seront exposés. Joutes sur l’eau; luttes de différents jeux; masses de feu sur les tours, les dômes et les télégraphes; explosion de six cents fusées volantes; enlèvement d’un ballon et de plusieurs physiciens qui incendieront un bâtis [sic] représentant une fortification et une redoute; courses à pied, courses à cheval, courses en chars, danses et illuminations. La liste et le nom des membres de l’Institut qui feront l’ouverture de l’exposition publique des produits de l’industrie française. Les hymnes qui seront chantés, Paris o. J. 756 „1. Dans une joute sur l’eau, au bas du Champ-de-Mars, les marins, vêtus en blanc, développeront leur adresse. Elle commencera à huit heures. Les bateaux seront ornés de drapeaux tricolors. Les quatre plus anciens marins seront les juges de la joute. 2. La lutte succèdera. Ce jeu s’exécutera dans une portion de la moitié septentrionale du cirque.“ Ebd. 757 Z. B. am 14. Juli 1799, vgl.: Ministère de l’intérieur, Fête de l’anniversaire du 14 juillet, messidor an VII. 758 Ebd. 759 Vgl. ebd.

2.4 Respektfördernde Zeremonien

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Optionen der republikanischen Gesellschaft im Kampf gegen ihre Feinde, ‚vom Norden bis zum Süden‘ des Landes: Un député du Peuple La victoire en chantant Nous ouvre la barrière. La Liberté guide nos pas. Et du Nord au Midi La trompette guerrière A sonné l’heure des combats. Tremblez ennemis de la France Rois ivres de sang et d’orgueil. Le Peuple souverain s’avance, Tyrans descendez au cercueil. La République nous appelle Sachons vaincre ou sachons périr Un Français doit vivre pour elle Pour elle un Français doit mourir. Refrain – Chœur des Guerriers La République nous appelle Sachons vaincre ou sachons périr Un Français doit vivre pour elle Pour elle un Français doit mourir.760

In weiteren Strophen brachten verschiedene Gruppen von Frauen ihre Opferbereitschaft zum Ausdruck und weihten ihre Söhne, Männer und Gefährten der Republik. Das Leben gehöre dem Vaterland, das zur ‚Mutter erster Ordnung‘ erklärt wurde: Une mère de famille De nos yeux maternels ne craignez pas les larmes; Loin de nous de lâches douleurs! Nous devons triompher quand vous prenez les armes: C’est aux rois à verser des pleurs. Nous vous avons donné la vie; Guerriers, elle n’est plus à vous; Tous vos jours sont à la patrie; Elle est votre mère avant nous. Refrain - Chœur de mères de famille

Andere Fassungen verzeichnen auch Strophen, die von Kindern gesungen wurden, welche die getöteten Kindersoldaten und Kriegshelden zu Märtyrern stilisierten, deren Tod ein Sieg für die Republik sei. Die zunehmende Ehrung von Soldaten und Offizieren, die für das Vater760

Le Chant du départ, paroles de Marie-Joseph de Chénier, musique de Méhul, zitiert nach: MARTY: Dictionnaire des chansons, S. 185–187. Vgl. dort auch folgende Zitate.

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land gestorben waren, diente der Heroisierung des Todes und der Propagierung der ‚Ehre des Vaterlandes’. Im Christentum waren die Leistungen für die Gemeinschaft in der Regel als Mittel zum Erwerb des ewigen Lebens relativiert worden: Gläubige Gesinnung war wichtiger als tapferer Kampf und ruhmreicher Tod. In der humanistischen Tradition und besonders im Republikanismus sollten demgegenüber alle Kräfte stärker auf das Diesseits und die ‚gemeinsame Sache‘ sowie deren Ruhm und Größe gerichtet werden. Den Tugenden kam dabei ein instrumenteller und intrinsischer Charakter zu: Sie dienten einerseits dem Ruhm der Stabilität der Republik, machten aber zugleich deren Vorzug vor anderen Staatsformen mit aus und motivierten zum Kampf um den Selbsterhalt. Im Zweiten Direktorium wurde die Opferbereitschaft als republikanische Tugend betont, zum Beispiel in der Zeremonie vom 1. Vendémiaire VI (22. September 1797), bei der Veteranen geehrt wurden: „Pour l’honneur de la France et le maintien de la liberté, ils se dévouèrent courageusement à la mort au sein des combats, et s’exposèrent à des mutilations souvent plus pénibles que la perte de vie.“761 La Revellière wetterte gegen die jeunesse dorée, die den Kampf für das Vaterland verweigert habe (viele muscadins hatten Krankheit vorgetäuscht, um nicht in den Krieg ziehen zu müssen). Drei Lorbeerkränze, die die Veteranen erhalten sollten, wurden zu Symbolen der Unsterblichkeit umgedeutet: Ces couronnes posées sur la tête de vos trois camarades désignés par vous, sont l’emblème du laurier décerné par le peuple français à nos invicibles armées; laurier qui reverdira d’âge en âge, jusque dans les temps les plus reculés. Les trois médailles remises entre leurs mains, perpétueront le souvenir de cette heureuse journée.762

Einen Tag vorher war bereits eine Proklamation erfolgt, die die Nation auf den Krieg einschwor. Durch geschlossene Reihen sollte dem Feind die Stärke der einheitlichen republikanischen Gesinnung demonstriert werden. Auch die Trauer um die Verluste in Krieg und Bürgerkrieg wurde zur Mobilisierung neuer Kräfte, wenn nicht gar von neuem Kampfgeist genutzt. 1795 inszenierte der Konvent mehrere Feste als gleichzeitigen Ausdruck von Trauer und Neuanfang der Republik. Beim Festakt zu Ehren des ermordeten Abgeordneten Féraud sowie der zwei Jahre zuvor aus dem Konvent ausgeschlossenen Girondisten (14. Prairial III, 761

Discours prononcé par le citoyen Revellière-Lépeaux, président du Directoire exécutif, aux Invalides, dans la station qui a été faite le jour de la fête de la République, in: Moniteur n° 2, 2 vendémiaire VI (23. September 1797). 762 Vgl. ebd.

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2. Juni 1795) wurden die Opfer zu Verteidigern der Freiheit stilisiert.763 Am 11. Vendémiaire III (3. Oktober 1795) stand bei einer weiteren Gedenkfeier unterhalb der Tribüne eine Urne, die mit Bändern und Kronen („couronnes funèbres“) bedeckt war; daneben erhoben sich eine Palme aus Blattwerk, Girlanden aus Eichenlaub und Zypressen.764 Eine Inschrift erläuterte den Anlass der Zeremonie: „Aux magnanimes défenseurs de la liberté, morts dans les prisons ou sur les échafauds, pendant la tyrannie.“ Die Beschwörung solcher Feindbilder erschwerte eine Aussöhnung der Parteien und mobilisierte ‚Kampfgeist‘ auch im Hinblick auf innenpolitische Auseinandersetzungen. So stilisierte die ‚Trauer‘ über die Opfer der Terreur die Fraktion der Demokraten und Jakobiner indirekt zu Verbrechern und Verfassungsfeinden. Negative Bilder drangen in die Feste ein: Ebenso wie durch Verbrennungen von Abzeichen der Monarchie der Hass auf das Königtum geschürt wurde, hielt fortan eine Geißelung der ‚anarchistischen Republik‘ von 1793/94 die Erinnerung an die Schreckensherrschaft wach. Im Kontext der anhaltenden Fraktionskämpfe entstand das Bedürfnis, die Schreckensvision der entgleisten Republik des Jahres II in regelmäßigen Abständen zu aktualisieren. Den Jahrestag des 9. Thermidor V (27. Juli 1795) beging der Konvent in seinem Sitzungssaal.765 Nach einer allgemeinen Eröffnung wurde Robespierre als ‚König der Sansculotten‘ bezeichnet, der sich mit persönlichen Hoheitszeichen geschmückt habe und eine Prätorianergarde formieren wollte. Als Beweis präsentierte Lemoine der Versammlung einen Säbel, der nach Zeichnungen Davids für Robespierre angefertigt worden war.766 Die Unterschiede zwischen den radikalen Demokraten auf der einen und den Royalisten auf der anderen Seite wurden von den Machthabern der republikanischen Mitte teilweise bewusst verwischt. Auch Tallien präsentierte der Versammlung an demselben Tag eine Waffe – einen Dolch, den er einem Aufständischen von Quibéron abgenommen hatte, um die Perfidie und Gefährlichkeit des Royalismus zu beweisen.767 Seine Rede über den Hergang von Aufstand und Niederschlagung verlieh der Feier einen militärischen Anstrich und 763

Vgl. Moniteur n° 256, 16 prairial III (4. Juni 1795). Vgl. Moniteur n° 15, 15 vendémiaire IV (7. Oktober 1795), CN, séance du 11 vendémiaire; dort auch zum Folgenden. Alle Abgeordneten erschienen en costume und mit Trauerflor am Arm. 765 Vgl. Artikel von Trouvé, in: Moniteur n° 311, 11 thermidor III (29. Juli 1795): „l’inconvenance d’une fête célébrée, pour ainsi dire, à huis clos.“ 766 Vgl. Moniteur n° 314, 14 thermidor III (1. August 1795), CN, séance du 9 thermidor. 767 Eventuell bezieht sich die Abbildung „Tallien à la Tribune“, die ihn mit einem erhobenen Dolch zeigt, daher auf den Jahrestag des 9. Thermidor: Vgl. Blanchard: Tallien 764

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2. Ordnung als Anschauungssache

mobilisierte die Abgeordneten zum Kampf gegen jeden Gegner der Republik; im Anschluss daran wurden Kriegslieder wie die Marseillaise und der Chant du départ gespielt. Chénier hatte eigens für den Anlass eine Hymne verfasst, die den 9. Thermidor als Tag der Befreiung verklärte und über Formulierungen wie „sol ensanglante [sic]“, „tyrans populaires“, „tyrans épouvantés“, „sanguinaire empire“, „crimes“ und „oppresseurs“ die Schreckensbilder der Jakobinerdiktatur verfestigte.768 Das Schreckensszenario endete in einem Appell an die Freiheit, diese Vergangenheit ein für alle Mal zu beenden: Renverse, ô Liberté! cet autel homicide, Où l’horrible Anarchie, un poignard à la main, Comme autrefois Diane aux monts de la Tauride, S’apaisait par du sang humain.769

Am 9. Thermidior V (27. Juli 1797) übertrug man im Rahmen der offiziellen Zeremonie sogar das Symbol des Thrones auf die Jakobinerdiktatur: Dieser stand zukünftig stellvertretend für alle Formen des Despotismus und der Tyrannei. In Toulouse wurde auf dem Platz vor der Maison Commune 1797 im Gedächtnis an die Terreur ein Thron mit einem rot-weiß-blauen Mantel bedeckt. Dolche, Fackeln und die Verfassung von 1793 ließen keinen Zweifel daran, welcher Form der Alleinherrschaft hier abgeschworen werden sollte.770 Im Zeichen eines neuen Krieges fokussierten sich die Rachegedanken ab 1799 wieder stärker auf das Ausland. Das Direktorium praktizierte nach dem Mord an den Gesandten von Rastatt eine veritable ‚Politik der Rache‘. Bei der Fête funèbre (20. Prairial VII, 8. Juni 1799) prangte auf dem Marsfeld eine Pyramide mit Inschriften, die das Attentat benannten und Zitate der Beteiligten vorbrachten; darunter war unter anderem auch ein expliziter Aufruf zur „VENGEANCE!“.771 Die Asche der beiden Toten wurde in zwei Urnen vor einer Zypressenkulisse gewürdigt; eine Statue der „Justice des Nations“ hielt in einer Hand ein à la Tribune, 9 Thermidor (Paris, BnF, Coll. de l’Histoire de France, Inv. Qb1 1794, M102913). 768 Vgl. Moniteur n° 315, 15 thermidor III (2. August 1795), CN, séance du 9 thermidor. 769 Ebd. 770 Vgl. Procès-verbal de la fête de la liberté, célébrée les 9 et 10 thermidor an 5 (27./28. Juli 1797), Toulouse o. J. In Paris wurde der osmanische Botschafter empfangen, der die Allianz zwischen Frankreich und dem osmanischen Reich erneuerte – bevor kurze Zeit später der Ägyptenfeldzug die Beziehungen schlagartig verschlechtern sollte. 771 Vgl. Ministère de l’intérieur. Liberté, égalité. Cérémonie funèbre en mémoire des ministres français assassinés près de Rastadt par les troupes autrichiennes. Programme [3 prairial], Paris, prairial an VII [Signé: François (de Neufchâteau)].

2.4 Respektfördernde Zeremonien

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Schwert und zeigte mit der anderen die Kleider, die Jean Debry am Tag des Mordes getragen hatte.772 Die Freiheitsstatue stand inmitten von Eichen; vor ihr wurden Duftstoffe verbrannt. Junge Männer, die mit den Nationalfarben geschmückt waren, heizten das Feuer an. Die eigentlichen Trauerfeiern fanden landesweit in den Dekadentempeln statt. In der (vermeintlichen) Trauer dominierte jedoch deutlich der Ruf nach Vergeltung – wohl der eigentliche Festanlass, für den das Andenken an die ermordeten Gesandten instrumentalisiert wurde. Im Rahmen der Zeremonie wurden Namen von Wehrpflichtigen verlesen, welche sich zum Kampf um Frankreich rüsten sollten; im gleichen Zuge wurden Deserteure und Kriegsdienstverweigerer durch öffentliche Bekanntgabe ihrer Namen entehrt. Die Republikaner schworen die Nation auf Gehorsam ein – Andersdenkenden wurde mit Statusverlust gedroht. Auch der Rat der Alten entschied sich angesichts der Ermordung eines seiner Mitglieder für eine demonstrative Geste: Die Amtstracht des Abgeordneten, so lautete der Beschluss, sollte mit einem Trauerflor versehen für zwei Jahre im Sitzungssaal auf einem der Plätze ausliegen, so dass der Eindruck entstehe, der Repräsentant sei noch anwesend. Eine Inschrift erinnerte an das Verbrechen und seine Urheber: „Bonnier, assassiné par les ordres de l’Autriche“.773 Die intendierte abschreckende und mobilisierende Wirkung verdeutlicht, welche Werte hier de facto durch Symbolpolitik vermittelt werden sollten. Noch bis kurz vor dem Staatsstreich des 18. Brumaire VIII (9. November 1799) bemühte man sich, den Kampfgeist der Franzosen auf die Verteidigung der Republik einzuschwören: Zum Fest des 18. Fructidor VII (4. September 1799) veröffentlichte das Direktorium eine Proklamation,774 welche erneut zur Versammlung aller Franzosen um die eine Idee der Einheit und der Republik aufrief – in Abgrenzung zu den Praktiken der Opposition, die Agitation betreibe, Verschwörungen

772

Der Rédacteur veröffentlichte am 22. Prairial (10. Juni) einen ausführlichen Bericht über die Zeremonie, die in Paris am 20. Prairial begangen worden war; vgl. AULARD: Paris pendant la réaction, Bd. 5, S. 553f. sowie die Zusammenfassung bei MATHIEZ: La théophilanthropie et le culte décadaire, S. 443. 773 Vgl. Moniteur n° 278, 8 messidor VI (26. Juni 1799), CA, séance du 4 messidor. 774 Vgl. Proclamation du Directoire exécutif aux Français, en date du 17 Fructidor an VII de la République une et indivisible, et Réponse des Français au Directoire exécutif, le 4 septembre, époque très remarquable, 1799, onzième année de la révolte, de l’anarchie, de tous les crimes réunis, de tous les genres de fléaux, de toute espèce de misères, Paris, o. J. Zum Festprogramm vgl. Ministère de l’intérieur. Liberté, égalité. Fête de l’anniversaire du 18 fructidor. Programme, Paris, fructidor an VII [Signé: Le ministre de l’intérieur, Quinette].

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2. Ordnung als Anschauungssache

anzettle, Söldner im Ausland bezahle und Zwietracht stifte.775 Angesichts der vielfältigen Verfassungsbrüche und Zweideutigkeiten, in die sich das Regierungsgremium verstrickt hatte, konnte solche Rhetorik die Spaltung der französischen Gesellschaft jedoch kaum mehr überwinden. Nach sieben Kriegsjahren war diese Gesellschaft eine andere als in den ersten Tagen der Republik. Die Opferbereitschaft der Franzosen war kaum mehr zu mobilisieren. Doch nicht nur im militärischen Sektor, sondern auch im zivilen Leben bemühte sich die Regierung, durch besondere Initiativen Anreize zu tugendhaftem Handeln zu schaffen: durch öffentliche Belobigung von ‚Leistung‘, ‚Betriebsamkeit‘ und ‚Fleiß‘ als Grundlagen des Glückes und des Ruhmes der Republik. Anlässlich der moralischen Feste wurde bereits die Hervorhebung verschiedener ‚exemplarischer‘ gesellschaftlicher Gruppen, wie zum Beispiel der Landwirte über die Auszeichnung von ‚Musterbauern‘, beobachtet. Sogenannte ‚Preisfeste‘ waren zur Zeit der Aufklärung schon im Ancien Régime veranstaltet worden.776 Dahinter stand unter anderem die Hoffnung auf Steigerung landwirtschaftlicher Effektivität, welche in physiokratischem Gedankengut wurzelte. Auch durch die Herausstellung moralischer Vorbilder versuchte man, die ländliche Bevölkerung anzuspornen und ihre Sitten zu verbessern. So waren die Forderungen nach Aufwertung handwerklicher Tugenden und bürgerlichen Fleißes bereits im Festdiskurs der Aufklärung gängige Topoi: ‚Nützliche Tugendfeste‘ sollten die alten Traditionen ablösen,

775

Ein Pamphlet unterstellt umgekehrt den Direktoren genau diese Taktiken, die von der Regierung nur beim Gegner gesucht würden: „Réponse des Français au Directoire Exécutif / Directeurs, / C’est au nom de notre salut particulier, au nom de notre intérêt personnel, qui compose collectivement l’intérêt de la patrie, que nous nous adressons à vous, pour ne vous laisser plus ignorer que, malgré vos cajoleries, vos bassesses, vos ruses, vos menaces, vos poursuites, vos rigueurs, votre tyrannie, nous ne voulons, en aucune façon, nous réunir autour de l’étendard sanglant du despotisme ochlocratique, oligarchique, pentarchique. / En vain vous agitez les factions, en vain vous salariez, soulevez et faites gronder les plus viles passions; en vain le crime conspire ...“ Proclamation du Directoire exécutif aux Français, en date du 17 Fructidor an VII de la République une et indivisible, et Réponse des Français au Directoire exécutif, le 4 septembre, époque très remarquable, 1799, onzième année de la révolte, de l’anarchie, de tous les crimes réunis, de tous les genres de fléaux, de toute espèce de misères, Paris o. J. 776 Dass die Festkultur eines Volkes mit dessen Moral korrespondiert, war im aufklärerischen Diskurs über das Fest zu einem Gemeinplatz geworden; Feste sollten auf den ‚moralischen Volkscharakter‘ einwirken. Vgl. HEIDRICH, Beate: Fest und Aufklärung. Der Diskurs über die Volksvergnügungen in bayerischen Zeitschriften (1765–1815), München 1984, S. 160–189. Zur Politik des Direktoriums in diesem Bereich vgl. auch Kapitel 3.3.3.

2.4 Respektfördernde Zeremonien

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zum Beispiel im französischen Rosenfestkult nach 1766.777 Im Kontext einer moralischen Volkserziehung sollten Einzelne durch Ehre, öffentliches Ansehen und Geschenke für die neuen Tugenden begeistert und der Gemeinde mit der Person des Ausgezeichneten oder Preisträgers ein konkret erfahrbares Beispiel aufklärerisch-tugendhafter Lebensführung vor Augen gestellt werden. Diese Initiativen wurden im Zweiten Direktorium von Seiten des Staates aufgegriffen und systematisiert. Die Preise wurden dabei stärker als zuvor auf den Fortschritt und die Leistungskraft der nationalen Wirtschaft hin ausgerichtet. Livesey geht davon aus, das Direktorium habe in diesem Zusammenhang ein eigenes Konzept eines „commercial republicanism“ (Wirtschaftsrepublikanismus) hervorgebracht, das großes Innovationspotenzial besessen und eine reale Alternative zur napoleonischen Herrschaftsform dargestellt habe.778 Wirtschaft und Kultur seien in diesem Verständnis von Republik keine entgegengesetzten Phänomene, sondern durchdrängten und beeinflussten sich wechselseitig. In der politischen Theorie der Zeit hatten die Lehren Jean-Baptiste Says, Guillaume Le Fébures sowie Jean-Baptiste Salavilles Konjunktur, die Fleiß und Arbeit als die wichtigsten Prinzipien der moralischen Verfasstheit des modernen Menschen betrachteten.779 In dieser Perspektive schlossen sich auch die beiden Prinzipien des Überflusses/Vergnügens und der Freiheit/Selbstbestimmung, die in der Theorie des klassischen Republikanismus Gegensatzpaare gebildet hatten, keineswegs aus: „Alors, il n’y aura plus rien de contradictoire dans les deux systèmes: l’opulence et la liberté, le bonheur et le plaisir se combineront dans l’économie sociale par le même artifice qui combine les penchans avec la liberté dans l’économie humaine.“780 Salaville verwandte den Ökonomiebegriff zur Beschreibung der inneren und äußeren Welt des modernen Staatsbürgers; die moderne Republik erschien zwangsläufig durch ökonomische Beziehungen geprägt. Durch seine Tätigkeit im Kontext der Gesellschaft erschaffe der Staatsbürger aktiv sein sittliches Selbst. In seinem Werk L’Homme et la société stellte der Autor explizit die 777

Vgl. EVERDELL, William: The Rosière mouvement, 1766–1789. A Clerical Precursor of the Revolutionary Cults, in: French Historical Studies 9 (1975), S. 23–26; sowie CHARTIER, Roger: Phantasie und Disziplin. Das Fest in Frankreich vom 15. bis 18. Jahrhundert, in: VAN DÜLMEN, Richard und Norbert SCHINDLER: Volkskultur. Zur Wiederentdeckung des vergessenen Alltags (16.–20. Jahrhundert), Frankfurt am Main 1984, S. 153–176, S. 167. 778 Vgl. LIVESEY: Making Democracy, S. 58ff. 779 Ebd., S. 56. 780 Salaville, Jean-Baptiste: L’homme et la société, ou, nouvelle théorie de la nature humaine et de l’état social, Paris, an VII, S. 77.

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Verbindung zwischen der Idee des Menschen als sittlichem Wesen, der sozialen Natur des Menschen und der Staatsform der Republik her. Solche Ansätze wurden vom Innenminister François de Neufchâteau im Rahmen von politischen Inszenierungen und Festen aufgegriffen, den Bedürfnissen der Republik entsprechend interpretiert und in symbolpolitische Praxis übersetzt. Zum Ende des Jahres VI (September 1798) fand auf dem Marsfeld erstmals eine Industrieausstellung statt – ein Vorläufer der späteren Weltausstellungen.781 Die Leistungsschau mit Produkten aus französischen Manufakturen propagierte indirekt die Tugenden von Betriebsamkeit und Fleiß, deren Früchte der nationalen Gemeinschaft zum Ruhme gereichten. Fünf Tage lang wurden in einem eigens errichteten Tempel inmitten des Marsfeldes die „objets les plus précieux de nos fabriques et manufactures“ präsentiert.782 Ein Katalog informierte die Besucher über Herkunft, Herstellung und Preis der Produkte. Die Säulen des Tempels wurden nachts beleuchtet und verliehen der geleisteten Arbeit eine sakrale Aura. Inmitten der Ausstellung war außerdem ein Orchester vorgesehen, welches jeden Abend eine Stunde lang ‚die schönsten Symphonien von zeitgenössischen Künstlern‘ zu Ehren der Werke zum Besten gab. Eine von der Regierung bestellte Jury, unter den besten manufacturiers und savans ausgesucht, begutachtete die Ausstellungsstücke. Zwei Objekte wurden als vorbildlich für die französische Industrie ausgewählt, proklamiert und getrennt von den anderen in einem „temple à l’industrie“ gezeigt.783 Am letzten Tag des Jahres VI (21. September 1798) wurde außerdem noch ein Feuerwerk veranstaltet: 600 Raketen stiegen gleichzeitig vom Pont Neuf aus in die Luft; Feuer wurden auf Türmen, Kirchen und thélégraphes entzündet. Die Sieger der Ausstellung erhielten einen Ehrenplatz in der am darauffolgenden Tag abgehaltenen Zeremonie.784 Der président de l’institut national übergab dem Direktorium verschiedene Listen mit auszeichnungswürdigen Büchern: „des ouvrages sur les sciences distingués“, „livres élémentaires de morale“. Aber auch die besten Komödien- und Tragödienautoren, die besten Musiker, Preisträger der grands prix der Classe de littérature et des beaux-arts, sowie die schönsten Kunstwerke, 781

Vgl. GROSSBÖLTING, Thomas: Im Reich der Arbeit. Die Repräsentation gesellschaftlicher Ordnung in den deutschen Industrie- und Gewerbeausstellungen 1790–1914, München 2008 (= Ordnungssysteme. 21). 782 Vgl. La Marche des cérémonies qui se feront le 3e jour complémentaire et le 1er vendemiaire. 783 Vgl. ebd. 784 Diese inszenierte über Kriegsspiele und Wettkämpfe besonders militärische Tugenden.

2.4 Respektfördernde Zeremonien

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die im Salon Musée ausgestellt waren, wurden geehrt. Die Namen wurden nach der Verlesung durch die Direktoren von Herolden dem Volk mitgeteilt. Im Anschluss daran verteilte man gedruckte billets mit den Namen der Ehrenbürger sowie Liedtexte an das Publikum. Auch die zum wiederholten Male durchgeführten „expériences aérostatiques“785 dienten der Verherrlichung der technischen Fähigkeiten und belegten den überragenden Kenntnisreichtum der Franzosen. Eine eigene Publikation veröffentliche diejenigen „actions héroïques“, die im Rahmen der Zeremonie ausgezeichnet worden waren.786 ‚Mut‘, ‚Selbstlosigkeit‘ und ‚Menschlichkeit‘ wurden den Geehrten bescheinigt: „Actions de courage et de dévouement et d’humanité“787. Das Jahr VIII wurde ebenfalls durch eine Industrieausstellung eingeläutet. Während der sechs jours complémentaires des Jahres VII wurden im Innenhof des Palais-National des sciences et arts (wohl der Louvre, als damaliger Sitz des Institut) eine Serie von Tapisserien der Manufacture des Gobelins sowie eine Tapisserie des Vatikans, die nach Zeichnungen Raphaels gefertigt worden war, ausgestellt.788 Inmitten des Hofes erhob sich eine Statue, die das produzierende Gewerbe verkörperte, „appuyée d’un coté sur un cabestan, et tenant de l’autre un caducée, surmonté d’une main.“ Im Säulengang des „escalier du télégraphe“ wurden die Objekte präsentiert, die im Vorjahr mit Preisen ausgezeichnet worden waren. Auch der dort aufgestellte Telegraph selbst wurde als Symbol des Fortschritts gedeutet: Der Thermidorianerkonvent hatte ihn im Juli 1795 in der Nähe seines Sitzungssaales errichten lassen und das Tuilerienschloss (Palais de l’Unité) zum „centre de l’autorité nationale“ erklärt, welches dringend neuer Kommunikationslinien bedürfe (vor allem, um Kontakt zu den Armeen zu halten).789 Konsul Napoleon Bonaparte griff diesen Strang der Symbolpolitik der Direktorialzeit ohne größere Veränderungen auf. Eine überlieferte Darstellung

785

La Marche des cérémonies qui se feront le 3e jour complémentaire et le 1er vendemiaire. Vgl. Notices des actions héroïques et des productions dans les sciences, la littérature et les beaux-arts, dont les auteurs ont mérité d’être désignés à la reconnaissance et à l’estime publique, dans la fête du 1er vendémiaire an VII, Paris an VII [bei Tourneux, Nr. 5125 fälschlicherweise datiert auf das Jahr VIII (23. September 1799)]. 787 Ebd. 788 Vgl. Moniteur n° 3, 3 vendémiaire VIII (25. September 1799). 789 Neben dem Telegraphen war ein „tocsin national“ vorgesehen. Der Beschluss, ein weiteres Gerät zur verbesserten Informationsvermittlung auf dem Tuilerienschloss selbst anzubringen, war zunächst aufgeschoben worden. Vgl. Moniteur n° 304, 4 thermidor III (22. Juli 1795), CN, suite de la séance du 29 messidor; sowie Moniteur n° 358, 28 fructidor VI (14. September 1798), CA, séance du 26 fructidor. 786

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2. Ordnung als Anschauungssache

der Industrieausstellung von 1801 könnte ebenso gut aus dem Jahr 1799 stammen.790

2.4.3 Die Sichtbarkeit der Verfassungsordnung: Recht und Gesetz, Volkssouveränität, Einheitsideal Die Feste der Revolution inszenierten jedoch nicht nur die Mitglieder und Tugenden der neuen Gesellschaft. Ein wesentliches Ziel der Inszenierungen war die Veranschaulichung und Verlebendigung der wichtigsten Prinzipien der neuen politischen Ordnung. Neben den republikanischen Grundpfeilern der Freiheit, Gleichheit und Einheit (vgl. Kapitel 2.1.2) spielten dabei vor allem die Idee der Volkssouveränität sowie die Institution der Verfassung eine große Rolle. Recht und Gesetz: Inszenierungen der Verfassung Die Verfassung war die wichtigste Grundlage der neuen Ordnung. Beim Fest des Rechtes hatte man 1792 die Verfassung der konstitutionellen Monarchie auf einem Thron durch die Straßen der Hauptstadt getragen (Abb. 28). Am 10. August 1793 feierte man in Paris mit einer Prozession aufwendig die Annahme des neuen, nunmehr republikanischen, Grundgesetzes – welches jedoch aufgrund von Krieg und Bürgerkrieg gleich wieder suspendiert wurde. Nach dem Ende der Terreur entschieden die Thermidorianer im Frühjahr 1795, eine dritte Verfassung auszuarbeiten – die sich zwar nach wie vor republikanisch-demokratisch verstand, gleichwohl aber Partizipationsmöglichkeiten in verschiedener Hinsicht einschränkte.791 Als ‚Verfassung des Jahres III‘ sollte sie ab 1796 regelmäßig im Rahmen von Festakten inszeniert werden.792 790

Vgl. [Non-identifié]: Exposition des produits de l’industrie dans la cour du Louvre en l’an IX (1801), gouache/aquarelle, 43,2 × 69,5 cm (Paris, Musée Carnavalet, Inv. D. 6002, abgebildet in: MARCHIONI, Jean: Les mots de l’Empire, Paris 2004, S. 58). 791 Nach wie vor ein Klassiker der Französischen Verfassungsgeschichte ist GODECHOT, Jacques: Les institutions de la France sous la Révolution et l’Empire, 4. Aufl., Paris 1989. Zur Verfassung des Jahres III vgl. CONAC, Gérard und Jean-Pierre MACHELON: La Constitution de l’an III. Boissy d’Anglas et la naissance du libéralisme constitutionnel, Paris 1999; LA CONSTITUTION DE L’AN III OU L’ORDRE RÉPUBLICAIN. Actes du colloque de Dijon, 3 et 4 octobre 1996, organisé par le Centre Georges Chevrier pour l’Histoire du Droit, textes réunis par Jean BART u. a., Dijon 1998; HANDBUCH DER EUROPÄISCHEN VERFASSUNGSGESCHICHTE IM 19. JAHRHUNDERT. Institutionen und Rechtspraxis im gesellschaftlichen Wandel. Bd. 1: Um 1800, hrsg. von Peter BRANDT, Martin KIRSCH und Arthur SCHLEGELMILCH, Bonn 2006, S. 238–241. 792 Vgl. auch SCHRÖER, Christina: Symbolic Politics and the Visualisation of the Constitutional Order in the First French Republic, 1792–1799, in: HENSEL, Silke u. a. (Hrsg.):

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Abb. 30: Fête des Victoires au Champ-de-Mars, le 10 prairial an VI (29. Mai 1796).

Wohl auch aufgrund der mehrfachen Verfassungsumbrüche der zurückliegenden Jahre hielt man sich zunächst zurück: Im Mai 1796 stützte sich anlässlich der Fête des Victoires die Freiheitssstatue auf dem Marsfeld mit einer Hand auf eine Verfassung, während sie in der anderen Hand einen Stab mit einer Freiheitsmütze hielt (Abb. 30).793 Zwei Allegorien des Sieges (dargestellt als Fama, einmal mit Palmzweig und Kronen, einmal mit Trompete) visualisierten neben der Freiheit nicht nur den Triumph der Armeen, sondern auch denjenigen des Rechts als Voraussetzung für die errungenen Erfolge.794 Der Schwerpunkt Constitutional Cultures. On the Concept and Representation of Constitutions in the Atlantic World, Newcastle upon Tyne 2012, S. 163–188. Einen Überblick über unterschiedliche Visualisierungen der Verfassungen der Revolutionszeit in der Druckgraphik gibt REICHARDT, Rolf: L’imaginaire de la Constitution de 1789 à 1830: symbolique d’union ou de division politique?, in: SCHOLZ/SCHRÖER: Représentation et pouvoir, S. 101–115. 793 Vgl. Liberté. Égalité. Programme de la fête de la Victoire, 10 Prairial de l’an IV. 794 Vgl. ebd.: „Aux deux côtés et à la distance de trente pieds, seront placées sur des piédestaux un peu moins élevés, des Victoires sous la figure de Renommées: chacun d’elles tiendra d’une main une palme ornée de couronnes; de l’autre elles emboucheront la trompette guerrière: ces statues seront debout.“

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der Veranstaltung lag jedoch insgesamt deutlich auf der Freiheits- und Militärsymbolik. Am 21. Januar begingen die Republikaner jährlich mit einem Festakt nicht nur den Jahrestag der Hinrichtung des Königs, sondern gleichzeitig auch das Ende der Monarchie und die Durchsetzung einer republikanischen Verfassungsordnung. Die Verfassung wurde dabei in Reden und Proklamationen beschworen, teilweise gegenständlich in Buchform inszeniert sowie eindrucksvoll im performativen Akt des Verfassungseides vergegenwärtigt.795 Die Regierung des Direktoriums verpflichtete sich von 1796 an stets am 21. Januar mit einem serment auf die republikanische Grundordnung: Am 1. Pluviôse IV (21. Januar 1796) bezog sich die Eidesformel zunächst nur auf die ‚Republik‘: „Je jure d’être sincèrement attaché à la République, et je voue une haine éternelle à la royauté.“796 Am 9. Thermidor IV (27. Juli 1796) legten die Regierungschefs vor einem ‚Feuer der Freiheit‘ auf dem Marsfeld den Treueid ausdrücklich auch im Namen der Verfassung des Jahres III ab.797 Das Zeremoniell der Nationalfeste sollte sich von Jahr zu Jahr weiter verfeinern: 1797 fanden Eidesleistung und Zeremonie zum 21. Januar erstmals in einem Sakralbau, genauer gesagt in der Kathedrale NotreDame, statt. Die Kirche war durch Einbauten stark verändert worden: An der Eingangstür zum Chor war ein rundes Amphitheater für die Musiker errichtet, sodass der Blick auf den Altar und das Chorgestühl versperrt wurde.798 Davor stand das Podest, auf dem das Direktorium Platz nahm. Der Sakralität des Kirchenraumes wurde eine neue Richtung gegeben: In der Nähe des Podests erhob sich ein Altar, auf dem die Verfassung („le livre de la loi“) präsentiert wurde. Nach einer Rede des 795

Zum Thema Eid vgl. ausführlich Kapitel 3.3.1. Procès-verbal du 1er Pluviôse, an 4 de la République française, une et indivisible, [Paris] o. J., S. 6, sowie Moniteur n° 125, 5 pluviôse IV (25. Januar 1796). Vor den Augen der Pariser Öffentlichkeit wurde damit eine Art nachträglicher Amtseid geleistet; Kanonendonner begleitete das Bekenntnis zur Republik. Vgl. Célébration de l’anniversaire de la juste punition du dernier roi des Français, Qui doit avoir lieu au Champ de la Fédération, le premier Pluviôse de l’an IV de la République Française, une et indivisible, conformément à l’arrêté du Directoire exécutif du 22 Nivôse de la même année, o. O. o. J. 797 Vgl. Programme de la Fête de la liberté, A célébrer les 9 et 10 Thermidor de l’an 4.e, en exécution de l’article Ier du titre VI de la Loi du 3 Brumaire, Paris o. J. [Signé Benezech und Ginguené], S. 3; außerdem vgl. Ordre, Marche et Cérémonies des fêtes qui seront célébrées les 9 et 10 thermidor; sowie die anschließende Berichterstattung im Moniteur n° 313, 13 thermidor IV (31. Juli 1796). 798 Für die autorités constituées, die verfassungsgemäß eingesetzte Obrigkeit, waren Sitzbänke im vorderen Teil der Kirche reserviert; Militärpräsenz sicherte die Ordnung während der Veranstaltung. Vgl. Moniteur n° 118, 28 nivôse V (17. Januar 1797). 796

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Präsidenten legten die anwesenden Regierungmitglieder und Amtsträger als wichtigste Zeremonialhandlung den Eid auf die Verfassung und ‚gegen Königtum und Anarchie‘ ab. Ein- und Auszug durch das Hauptportal der Kathedrale unterstrichen die Würde der Regierung und die Sakralität der republikanischen Ordnung. Die Zeremonie des Jahres 1798 fand in Saint-Sulpice statt.799 Erneut zog das Directoire durch das Hauptportal in die Kirche ein und nahm auf einem Podium inmitten des Kirchenraumes Platz, umringt von Trophäen, Freiheitsstatuen sowie Statuen der Gleichheit und der Weisheit.800 Dem Podium gegenüber war wie zuvor in Notre-Dame auf einem Vaterlandsaltar die Verfassung ausgelegt.801 Solche quasireligiösen Momente der Inszenierung spiegeln das Bedürfnis nach einer Steigerung der Legitimität der republikanischen Ordnung in sakralem Rahmen. Die Verfassung wurde nach dem 18. Fructidor V (4. September 1797) sogar in den parlamentarischen Räten anlässlich von Feiertagen besonders inszeniert. Zur Fête de la Fondation de la République vom 1. Vendémiaire VII (22. September 1798) war das Palais Bourbon innen und außen mit den Zeichen der Republik dekoriert: Neben der Brücke, die die rive gauche der Seine mit der rive droite und dem Tuilerienschloss verband, war ein Triumphbogen errichtet worden. Auf einer scharlachroten Fahne prangte eine Allegorie der Unsterblichkeit neben der Inschrift „Constitution de l’an III“.802 Die Füße der Allegorie stützten sich auf zwei Löwen. Über dem Palais Bourbon selbst erhob sich ein Kreisabschnitt, auf dem zu lesen stand: „Hommes libres, voyez votre ouvrage“. Im Sitzungssaal lag die Verfassung auf einem Altar in antiker Formensprache. 1799 sollte das Fest der Republikgründung auch ausdrücklich als ‚Verfassungsfest‘ begangen werden: Parent-Réal schlug am 13. Fructidor VII (30. August 1799) vor, den Titel in „fête de la République et de la constitution“803 zu ändern. In Paris sollten die „tables de la République 799

Vgl. Arrêté du 20 nivôse an 6, in: Moniteur n° 117, 27 nivôse VI (16. Januar 1798). Vgl. Extrait du procès-verbal de la séance du Directoire exécutif, du 2 pluviôse, an 6, in: Moniteur n° 124, 4 pluviôse VI (23. Januar 1798). 801 Religiöse Andacht prägte das Fest. Das Protokoll erwähnt erstmals auch das Publikum im Hauptschiff der Kirche: „la force armée remplit la nef, et le surplus du local est occupé par une foule de citoyens de toutes les classes.“ Ebd. 802 Moniteur n° 5, 5 vendémiaire VII (26. September 1798), CCC, séance du 1er vendémiaire; dort auch zum Folgenden. Viele Abgeordnete wurden von ihren Söhnen zum Festakt begleitet. 803 Parent-Réal, Nicolas-Joseph-Honoré: Corps législatif. Conseil des Cinq-cents. Motion d’ordre, Tendante à faire consacrer, par la fête du premier vendémiaire, l’accord parfait 800

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2. Ordnung als Anschauungssache

et de la constitution“ von Herolden vor dem Direktorium auf das Marsfeld getragen werden. Folgende Beschriftung war vorgesehen: A gauche de chaque face, sera écrit en lettres d’or, République; et suivra le décret de la Convention nationale du 21 septembre 1792, portant abolition de la royauté. A droite, sera écrit Constitution; et suivront la loi du premier vendémiaire an IV, portant proclamation de son acceptation, et l’art. 377 de la constitution, par lequel le peuple français en a remis le dépôt. 804

Nach der Rede sollte der Präsident des Direktoriums die Tafeln verlesen, unmittelbar vor der Eidesleistung des serment civique.805 Volkssouveränität und Einheitsideal Die Idee der ‚Volkssouveränität‘ steckte nach den Erfahrungen des Jahres 1793, in dem die Pariser Sansculottenbewegung de facto die Hauptstadt regiert hatte, zunächst in einer Krise. Die offizielle Selbstdarstellung der Republik konzentrierte sich eher auf die Repräsentativkörperschaften der parlamentarischen Räte und auf die Inszenierung der Exekutive.806 Der Begriff ‚Volkssouveränität‘ und der damit verbundene Anspruch auf die Vertretung der Nation waren umstritten: Chénier erklärte nach der Erfahrung des Prairialaufstands von 1795 die Bürger des Faubourg Saint-Antoine zu Gegnern der Volkssouveränität – diese werde allein durch die gewählten Vertreter im Konvent ausgeübt.807 Die Begriffsverwirrung verstärkte sich weiter dadurch, dass auch die rechte Opposition im Zuge ihrer – häufig gewaltsamen – Abrechnung mit den Entscheidungsträgern des Jahres II den Begriff ‚Volkssouveränität‘ für sich reklamierte. Lecointe-Puiravaux beschwerte sich im Rat der Fünfhundert, der Begriff werde durch die Reaktion ‚missbraucht‘ und sei seither missverständlich.808 Die Debatte über dieses Problem beschäftigte die Cinq-cents in ihrer ersten inhaltlichen Sitzung.809 Erst im Zweiten Direktorium sollte das Prinzip der Volkssouveränität im Rahmen von Nationalfesten erneut positiv aufgewertet werden. qui existe dans l’histoire de la révolution française, entre l’époque de la fondation de la République et celle de l’acceptation de la constitution, suivie de deux projets de résolution et d’un projet d’arrêté, par Parent-Réal, du Pas-de-Calais, Séance du 13 fructidor VII, [Paris], fructidor an VII, S. 12. Vgl. dort auch zum Folgenden. 804 Ebd., S. 15. 805 Ebd., S. 18. 806 Vgl. Kapitel 2.2.2. 807 Vgl. Moniteur n° 250, 10 prairial III (29. Mai 1795), séance du 6 prairial. 808 Vgl. Moniteur n° 44, 14 brumaire IV (5. November 1795), CCC, séance du 8 brumaire. 809 Vgl. zur ambivalenten Bedeutung von ‚Volkssouveränität‘ nach dem 9. Thermidor auch JOURDAN: Les Monuments, S. 265–269.

2.4 Respektfördernde Zeremonien

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Symbolische Signalwirkung hatte unter anderem die Widmung des parlamentarischen Sitzungssaales im Palais Bourbon: Dieser wurde bereits vor seiner Eröffnung der Volkssouveränität geweiht, und die Zuschreibung wurde bei der Einweihung am 2. Pluviôse VI (21. Januar 1798) über Reden und das Zeremoniell einer Freiheitsbaumpflanzung bekräftigt.810 Zwei Wochen später beschloss der Rat der Fünfhundert, für den Vorabend der Wahlen, den 30. Ventôse (20. März), ein zusätzliches Nationalfest ‚der Volkssouveränität‘ einzuführen.811 Zur ersten Fête de la souveraineté du peuple wurden 1798 in Paris alle Arrondissements aufgerufen, eine Freiheitsstatue als Zielpunkt der jeweiligen Festumzüge zu errichten: „et le cortège s’y rendra avec toute l’appareil que mérite la Souveraineté du Peuple.“812 Zehn Tage vor dem Fest begannen die Vorbereitungen in allen Gemeinden, um dem Anlass die notwendige Würde zu verleihen; ausgewählte Bürger, einige der ältesten Ehepaare des jeweiligen Viertels, wurden zu Repräsentanten des Volkes bestimmt und übernahmen in den Zeremonien besondere Ämter und Funktionen.813 Alle Kommunen des Landes waren aufgerufen, das Fest auf ihrem wichtigsten öffentlichen Platz zu begehen. Dort sollten ein Freiheitsbaum, ein Altar des Vaterlandes sowie eine Trikolore die Republik als Rahmenordnung der Veranstaltung kennzeichnen.814 Der Altar des Vaterlandes diente wiederum als Präsentationstisch für die Verfassung: „le livre de la constitution sera placé sur l’autel“815. Im Rahmen von Prozessionen führten junge Bannerträger Sprüche mit sich; die Alten hielten jeweils einen weißen Stab in der Hand. Im Anschluss an mehrere Gesangsdarbietungen sollten diese mit trikoloren Bändern zu Bündeln zusammengeschnürt werden, um die Einheit der Nation zu symbolisieren. 810

Vgl. Moniteur n° 126, 6 pluviôse an VI (25. Januar 1798) [zitiert nach RAM]. Vgl. Debry, Jean: Corps législatif, Conseil des Cinq-cents, Motion d’ordre sur la célébration d’une fête consacrée à la souveraineté du peuple, Séance du 11 pluviôse an 6, Paris, pluviôse an 6. Außerdem vgl. Moniteur n° 133 und n° 134, 13 und 14 pluviôse VI (1. und 2. Februar 1798), CCC, séance du 11 pluviôse [zitiert nach RAM]. Auf einen Antrag von Villers hin entschied sich die Versammlung sogar für eine jährliche Durchführung dieser Veranstaltung. 812 Ordre, Marche et Cérémonies qui auront lieu pour la célébration de la fête de la souveraineté du peuple. Arrêté du Directoire exécutif à ce sujet, le 30 ventôse an VI (20. März 1798), (Imp. Marchant), o. J., S. 7. 813 Ihre Anzahl sollte proportional zur Bevölkerung bestimmt werden, insgesamt sollten nicht weniger als zwölf, nicht mehr als 100 auftreten. Vgl. ebd., S. 2. 814 Zu dieser Symbolik, die aus der revolutionären Protestkultur hervorgegangen war, vgl. Kapitel 2.2.1. 815 Ordre, Marche et Cérémonies qui auront lieu pour la célébration de la fête de la souveraineté du peuple, S. 3. Zum Folgenden vgl. ebd., S. 4f. 811

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Damit wurden de facto nicht das Volk als Souverän, sondern die bereits bestehende Verfassungsordnung sowie der Wunsch nach deren Unterstützung durch die Bürger visualisiert. Die Bündel waren Zeichen der Einheit, aber auch der Einmütigkeit, welche bei den Wahlen regieren sollten. Nicht eine freie Wahlentscheidung, sondern eine Bestätigung und Unterstützung der Regierung durch die Stimmen der Bürger wurde propagiert. Das Fest war weniger ein Aufruf zu aktiver Partizipation als vielmehr ein Instrument zur Disziplinierung und Lenkung der Franzosen.816 Auch die Inszenierungen des zweiten Festes der Volkssouveränität von 1799 lassen auf ähnliche Zielsetzungen rückschließen: Auf den Mauern der Dekadentempel, in denen die Feiern nun landesweit begangen wurden, prangten Inschriften mit Auszügen der Menschen- und Bürgerrechte sowie der Verfassung des Jahres III, „rappelant aux citoyens leurs droits et leurs devoirs“817, wie es in der proclamation des Direktoriums hieß. Die Verfassung wurde in der Festprozession mitgeführt: Inmitten der autorités constituées sowie der Abordnungen von Bürgern („grouppess [sic] représentant l’agriculture, l’industrie, le commerce, les arts et les sciences, figurés par des cultivateurs, des onvriers [sic – wohl ouvriers], des négocians, des artistes et des hommes de lettres, munis chacun des attributs de leur profession, sortiront de la maison commune, en ordre, et précédés d’un corps de musique“) wurden die Gesetzestafeln ‚mit Pomp‘ getragen. Die garde nationale begleitete den Zug; appariteurs trugen Rutenbündel vor den Amtsträgern her. Doch hatte man sich 1799 sogar dazu entschieden, das Volk und die Volkssouveränität darüber hinaus in allegorischer Form zu visualisieren. In allen Dekadentempeln wurden zwei Figuren aufgestellt: Erstere (le peuple) stehend, Letztere (la souveraineté du peuple) sitzend, gekrönt mit Eiche und Lorbeer, „a leurs pieds sera enchaîné le despotisme“818. Die Rutenbündel wurden vor der Statue der Volkssouveränität abgestellt. Der älteste Teilnehmer des Festzuges verlas folgenden Text: La souveraineté du peuple est inaliénable. Comme il ne peut exercer par luimême tous les droits qui en découlent, il délègue une partie de sa puissance à 816

Spitzfindig hatte Debry bereits bei der Einführung des Festes argumentiert, die Gesetzgeber sollten das Volk zwar nicht lenken, aber es durchaus bewusst aufklären, damit es seine Interessen noch besser wahrnehmen und Glück und Einheit erreichen könne. Als oberste Werte, die dieses Glück vermeintlich verbürgten, tauchten in seiner Rede liberté, propriété und sûreté auf. Vgl. Debry: Motion d’ordre sur la célébration d’une fête consacrée à la souveraineté du peuple. Dazu auch Kapitel 3.3.1. 817 Proclamation du Directoire exécutif à tous le Français, sur les élections des assemblées primaires et électorales de l’an VII. Dort auch zum Folgenden. 818 Ebd.

2.4 Respektfördernde Zeremonien

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des législateurs et à des magistrats choisis par lui-même ou par des électeurs qu’il a nommés. C’est pour se pénétrer de l’importance de ces choix, que le peuple se rassemble aujourd’hui. 819

Der hochrangigste der anwesenden Amtsträger antwortete darauf: Le peuple a su, par son courage, reconquérir ses droits trop longtemps méconnus; il saura les conserver par l’usage qu’il en fera; il se souviendra de ce précepte qu’il a lui-même consacré par sa charte constitutionnelle, que c’est de la sagesse des choix dans les assemblées primaires électorales, que dépendent principalement la durée, la conservation et la prospérité de la République.

Wie im Vorjahr wurde zum Abschluss eine proclamation du Directoire Exécutif verlesen, die zu den Wahlen Stellung nahm. Erneut ist der deutliche Wunsch der Einflussnahme im Sinne eines für die Republik positiven Wahlergebnisses zu erkennen. Spiele, Tänze, Exerzitien und Wettrennen sollten zusätzlich am Nachmittag die Bürger von den Vorteilen der aktuellen Regierung überzeugen; ähnlichen Zwecken dienten wohl Illuminationen der palais nationaux sowie die Errichtung einer Statue der Volkssouveränität im Garten der Tuilerien.820 Am Abend wurden Theaterstücke aufgeführt, welche Anarchie und Royalismus als ‚Feinde der Volkssouveränität‘ brandmarkten und zur Einheit und Eintracht aufriefen: „[les théâtres] doivent retenir de chants patriotiques, et n’offrir que des spectacles propres à inspirer l’horreur du royalisme et de l’anarchie, ces deux éternels ennemis de la souveraineté du peuple“821. Damit wurde die Gemeinschaft der Bürger, die von dem Prinzip der Volkssouveränität profitieren sollte, deutlich beschränkt: Auch linke Demokraten oder liberal denkende Konstitutionelle, die sich durchaus mit der aktuellen Verfassung arrangiert hatten, wurden prinzipiell als Verfassungsfeinde stigmatisiert. Die oppositionelle Presse brandmarkte die Veranstaltung als ‚Showpolitik‘.822

819

Ebd., dort auch zum Folgenden. Vgl. Programme de la fête de la souveraineté du peuple, qui doit se célébrer le 30 ventôse an VII (20 mars 1799) de la République, dans l’enceinte du palais du Conseil des Anciens, Paris, ventôse an VII. 821 Ebd. 822 Zur Rezeption der Symbolpolitik in der Presse vgl. ausführlich Kapitel 4.2. 820

252

2. Ordnung als Anschauungssache

2.4.4 Die Erfindung der grande nation: Zivile und militärische Größe Zivile und militärische ‚Größe‘ (grandeur) wurden von Beginn der Republik an auf den Festen inszeniert. Die Republik hoffte, durch Erfolge im Krieg sowie den Nachweis ihrer Produktivität und Kreativität die Legitimität der neuen Ordnung im In- und Ausland zu steigern. In einer Zeit des Umbruchs und der Bewährung diente jeder Erfolg dazu, die Leistungskraft des Nouveau Régime unter Beweis zu stellen. Dies geschah unter anderem über die Würdigung ‚großer Männer‘ (Philosophen, Politiker und militärische Helden), die Feier der Siege der Armeen sowie die Demonstration kultureller Überlegenheit gegenüber den europäischen Nachbarländern. Aus den zahlreichen Belegen, die diese Thesen untermauern könnten, sollen drei Beispiele exemplarisch herausgegriffen werden: die Weiterentwicklung des ‚Kults der großen Männer‘ zum ‚Kult des Vaterlandes und der Armee‘, der Aufstieg des außerordentlichen Kriegshelden Napoleon Bonaparte zum Repräsentanten der Republik sowie die Ideologisierung der Kunstpolitik als Ausdruck des Sendungsbewusstseins der Republikaner im Jahr 1798. Der Kult der großen Männer: Von den ‚Lumières‘ zum Kult des Vaterlandes und der Armee Die Revolution konnte 1789 an den ‚Kult der großen Männer‘ anknüpfen, der seit der Herrschaft Ludwigs XV. in Frankreich weit verbreitet war.823 Im Genre der éloge sowie durch Musealisierungsbestrebungen und Geburtsorttourismus waren die großen Philosophen der Aufklärung, vor allem Voltaire und Rousseau, schon lange vor 1789 verehrt worden. Bestimmte Ehrungen blieben ihnen jedoch versagt, weil sie nach dem Verständnis der alten Ordnung dem König vorbehalten waren. Mit der Revolution erfuhr dieser Kult eine Bedeutungsveränderung, Popularisierung und Politisierung. Damit, so Bonnet, wie auch durch den unbedingten Willen zum Bruch mit der Vergangenheit begann in Frankreich eine ‚neue Epoche‘.824 Die Idee, einen besonderen Ort für die großen Männer des Vaterlandes zu schaffen, war schon am Vorabend des 14. Juli bei Charles Vilette gegenwärtig und den Voltairianern vertraut. Sie wurde in die Praxis umgesetzt, nachdem am 2. April 1791 der erste ‚große Mann‘ der Revolution starb: Mirabeau. Quatremère de Quincy wurde beauftragt, aus 823 824

Vgl. BONNET: Naissance du Panthéon. Ebd., S. 257.

2.4 Respektfördernde Zeremonien

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der Kirche Saint-Genviève ein ‚sichtbares Elysium‘, einen Ort kollektiven Gedächtnisses, zu erschaffen. Er nahm seinen Auftrag ernst: Das Pantheon sollte nicht nur über große Taten berichten, sondern solche Taten auch mit anregen und hervorbringen.825 In der Republik wurde jedoch das Pantheon dem eigenen Anspruch nicht (mehr) gerecht: Es wurde zu einem Symbol der Spaltung, der Konfrontation und des Ausschlusses. Nach 1792 ging jeder Vorschlag zur Überführung der Asche eines ‚großen Mannes‘ einher mit dem Vorschlag eines Ausschlusses: Als im Nivôse des Jahres II (Dezember 1793/ Januar 1794) die Asche von Chalier überführt werden sollte, wünschte man gleichzeitig die Aberkennung aller Ehren für General Dampierre, weil man ihn geheimer Verbindungen zu Custine verdächtigte; im Floréal II (April/Mai 1794) erwog man, die Namen von Haxo und Moulin auf eine Säule aus schwarzem Marmor gravieren zu lassen, was Tallien mit der Gegenforderung beantwortete, man solle die Schärpe von Simonneau im Gewölbe abhängen: In dem Augenblick, in dem man die Ehren der Apotheose an zwei Männer verleihe, die ihre Pflicht getan hätten, dürfe man nicht zulassen, dass ihre Namen neben jenen stünden, die nichts geleistet hätten, um diese Ehrung zu verdienen.826 Nicht mehr die Eloge, sondern eine Art Gutachten war fortan die Voraussetzung einer Pantheonisierung. Am Tag der Pantheonisierung Marats hatte man Mirabeau ‚depantheonisiert‘, wenige Monate später auch den Ami du peuple wieder aus dem Kreis der großen Männer entfernt.827 Allein diese Möglichkeit der Aberkennung der Ehre des Pantheons bedeutete das Eingeständnis seiner Schwäche: Ruhm konnte nicht per Gesetzesbeschluss, sondern nur durch öffentliches Ansehen, durch zeitlosen und dauerhaften Nachruf verliehen werden. Louis-Sébastien Mercier, ein Gegner der Pantheonisierung Descartes, brachte dies auf den Punkt: Man benötige ein Tribunal oder eine Versammlung von mehreren Jahrhunderten, um in dieser Hinsicht ein Génie zu beurteilen.828 So erklärt sich vielleicht, warum nur Voltaire und Rousseau829 als große Vordenker der Revolution im Pantheon ihre Ruhestätte fanden; 825

Vgl. zu diesem Abschnitt OZOUF: Das Pantheon, S. 18. Zum Folgenden vgl. ebd. ff. Eine Sammlung mit Texten und Bildern zum Pantheon der Revolutionszeit hat vorgelegt: BIVER, Marie-Louise: Le panthéon à l’époque révolutionnaire, Paris 1982. 826 Zitiert nach: OZOUF: Das Pantheon, S. 26. 827 Vgl. dazu Kapitel 4.4. 828 Zitiert nach: OZOUF: Das Pantheon, S. 28. 829 Vgl. Darstellung seiner Pantheonisierung im Oktober 1794: Girardet, Abraham und Pierre-Gabriel Berthault: Apothéose de J. J. Rousseau. Sa translation au Pantheon le 11 Octobre 1794 ou 20 Vendémiaire An 3eme de la Republique, eau-forte, burin, 24 × 29 cm (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6348, sowie ebd., Coll. Hennin, Inv. 11958).

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2. Ordnung als Anschauungssache

Fénélon, Descartes, Buffon oder Mably wurden zwar vorgeschlagen, aber fielen bei der ‚Begutachtung‘ durch. Von Beginn seiner Nutzung an war das Pantheon damit kein Ort der Einmütigkeit, sondern der Konkurrenz und des Wettbewerbs. Keineswegs wurde es zum zentralen Ort des nationalen Gedächtnisses, sondern blieb eine politische Form des Gedächtnisses neben anderen – trotz des Wunsches der Einheit, der sich im Kult der großen Männer ursprünglich ausdrückte. Das Bild der grands hommes unterlag einem Wandel sowie Prozessen der Auswahl und Bewertung. Der ‚Kult der großen Männer‘ wurde jedoch nicht nur im Pantheon betrieben, sondern auch durch Verbreitung von Porträts oder Kalenderblättern (Abb. 31).830 Auf Festen wurden vorbildliche Gesetzgeber, Krieger und Philosophen an den Altären des Vaterlandes in ganz Frankreich inszeniert, wie zum Beispiel Phokion, Brutus, Cato, Rousseau, Franklin am 14. Juli 1799 zur Feier des ‚Triumphes der Freiheit‘.831 Der Kult wurde in den Festkalender der Republik integriert. Statuen der großen Philosophen schmückten alle Dekadentempel. Zusätzlich zu der Zeit vor der Revolution sah das Direktorium in den Generälen und Soldaten eine neue Spezies großer Männer entstehen, beziehungsweise förderte deren Entstehungsprozess. Dies spiegelt sich besonders in der Praxis des Totenkultes zu Ehren von im Kampf getöteten Soldaten und Offizieren. Nach der Erfahrung der Pantheonisierung und Depantheonisierung Marats sollte keinem Politiker der Revolutionszeit mehr ein Staatsbegräbnis zuteil werden – und auch hinsichtlich der posthumen Ehrung von Angehörigen des Militärs ließ man Vorsicht walten. Daubermesnil verfasste im Thermidor IV (Juli 1796) einen Bericht, der klar zwischen drei Stufen von Ehrungen unterschied, die ein ‚mit der Waffe in der Hand gestorbener Krieger‘ erreichen konnte: die sogenannten Ehrenbezeugungen (honneurs funèbres), die einfache Bestattung (funérailles) und die Apotheose oder Pantheonisierung, welche Begräbnis und Ehrerbietung in einem war. Für Letztere galt es, einen zeitlichen Abstand zwischen Tod und Durchführung zu respektieren.832 Die funérailles waren Begräbnisfeierlichkeiten privaten Charakters. Eine Mittelstellung nahmen die honneurs funèbres als 830

Die Sammlungen der BnF verzeichnen weitere Beispiele, u. a.: Queverdo, François-Marie-Isidore: Nouveau Calendrier de la République française pour la 3e année (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 11955). 831 Vgl. Ministère de l’intérieur, Fête de l’anniversaire du 14 juillet, messidor an VII. 832 Vgl. Daubermesnil, François-Antoine: Corps Législatif. Conseil des Cinq-cents. Rapport sur les honneurs à rendre aux guerriers morts les armes à la main, Par Daubermenil, Séance du 5 Thermidor (23. Juli 1796), [Paris], thermidor an IV.

2.4 Respektfördernde Zeremonien

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Abb. 31: Lefèvre: Décadaire des Hommes célèbres, dédié au Peuple Français, eau-forte, outils, 58 × 43 cm, Paris [1794].

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Ehrenbegräbnisse ein, die als öffentliche Akte der Auszeichnung durch die Republik nicht nur Gelegenheit boten, das Leben der Verstorbenen in den Dienst der eigenen Sache zu stellen, sondern gleichzeitig die bestehende Ordnung zu bekräftigen.833 Daubermesnils Vorschläge wurden 1796 in den parlamentarischen Räten begrüßt: Der Totenkult sollte als ‚republikanische Institution‘ mit demokratischem Charakter reformiert werden. Der General und Abgeordnete Marbot unterstützte die Idee, nicht (wie in der Monarchie) ausschließlich die hohen Offiziere, sondern auch einfache Soldaten zu ehren, die ihr Leben für das Vaterland geopfert hätten.834 In Paris sollten auf einem Denkmal die Namen der Verstorbenen eingraviert werden,835 und darüber hinaus wurde jeder Kommune nahegelegt, zumindest eine Gedenksäule zu errichten, die an die Toten erinnere.836 Soweit die Rhetorik. In der Praxis wurde schnell deutlich, dass der Kreis derjenigen, die ein ehrenvolles Begräbnis erhielten, weiterhin sehr elitär bleiben sollte. Die Idee, jeden gleich behandeln zu können, entpuppte sich rasch als Illusion: Dies wäre de facto einem Verzicht auf jede Form der Ehrung gleichgekommen. Auch in Ermangelung finanzieller Mittel sollten daher bis zum Ende des Direktoriums nur zwei Staatsbegräbnisse nach dem Tod von Generälen stattfinden: von Louis Lazare Hoche im Jahr 1797 sowie von Barthélemy Catherine Joubert 1799. Dabei wurde auf viele Inszenierungspraktiken von Fürstenbegräbnissen zurückgegriffen, hinter denen man nicht zurückstehen wollte und an deren Zuschauerwirkung man anzuknüpfen hoffte. Insofern kann nur begrenzt von der Etablierung einer ‚neuen Form republikanischen Totenkults‘, wie die Berichte gefordert hatten, die Rede sein. Der Tod von Hoche, der infolge der Niederschlagung des VendéeAufstands von 1795 in ganz Frankreich als Pacificateur de la Vendée bekannt war und auch als Kandidat für eine politische Karriere gehandelt 833

Vgl. diesen Überblick bei GAINOT, Bernard: Rites et contexte dans les cérémonies funèbres en l’honneur des généraux de la République (1796–1800), in: SCHOLZ/SCHRÖER: Représentation et pouvoir, S. 83–91. 834 Vgl. Marbot, Antoine: Corps Législatif. Conseil des Anciens. Rapport sur les honneurs à rendre aux militaires blessés, par Antoine Marbot (de la Corrèze), Séance du troisième jour complémentaire, [Paris], Vendémiaire an 5. 835 Das Projekt von Daubermesnil sah folgendes Denkmal vor: „grande table de marbre blanc, verticalement soutenue par la Vertu et la Liberté; d’un côté sera la Patrie assise, indiquant la table à la Postérité, conduite par le Temps, qui sera de l’autre côté.“ Daubermesnil: Corps Législatif. Conseil des Cinq-cents. Rapport sur les honneurs à rendre. 836 Prinzipiell wurden solche Ehren auch keineswegs auf das Militär beschränkt (was der Titel des Berichts von Daubermesnil zunächst nahelegt). Auch Zivilpersonen, welche sich um die Republik verdient gemacht hätten, seien auf den Gedenksäulen zu verzeichnen.

2.4 Respektfördernde Zeremonien

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wurde, erfolgte in einem wichtigen Schlüsselmoment: Am 18. Fructidor V (4. September 1797) hatte das Triumvirat im Direktorium mit einem Staatsstreich die royalistische Opposition ausgeschaltet; im Anschluss daran radikalisierte sich die Politik der Republikaner erneut; eine Zeit intensiver Republikanisierungspolitik brach an. Hoche war als Oberbefehlshaber der ‚Armee an den deutschen Grenzen‘ noch vor Eröffnung des Feldzugs am 19. September in seinem Hauptquartier in Wetzlar gestorben. Sein Leichnam wurde nach Koblenz überführt und auf dem Petersberg begraben: Auf dem Weg dorthin wurden ihm abgesehen von den Ehrungen durch seine Soldaten auch Ehrbezeugungen aller Städte und Dörfer, durch die der Konvoi führte, zuteil; der Fürst zu Braunfels gewährte ihm Geleit und bezeugte in traditioneller Form seinen Respekt; der österreichische Kommandant der Feste Ehrenbreitstein ließ seine Männer gemeinsam mit Truppenteilen der Franzosen ein Spalier bilden; deutsche und französische Inschriften zierten den Sarg.837 Am 2. Vendémiaire (23. September) veranlasste das Direktorium die Durchführung von Trauerfeiern in ganz Frankreich. Besonders in der Hauptstadt, so beschloss anschließend der Rat der Fünfhundert, sollte am 10. Vendémiaire (2. Oktober) eine große Veranstaltung stattfinden; die Kommunen wurden aufgerufen, ein Fest für den 30. Vendémiaire (21. Oktober) auszurichten. Bei der Feier in Paris wurden sowohl das Gedenken an den Verstorbenen als auch das Selbstbewusstsein der republikanischen Regierung pompös inszeniert: Auf dem Marsfeld erhob sich vor dem Altar des Vaterlandes eine Pyramide, auf welcher der Name des Generals sowie seine wichtigsten Siege verzeichnet waren.838 Der Platz um den Vaterlandsaltar war umringt von „colonnes funéraires, de trophées, d’inscriptions et de drapeaux, dont les cravates seront de crêpes et de rubans noirs.“839 Die Pyramide verhieß dem Verstorbenen Unsterblichkeit. Sie knüpfte an die freimaurerische Symbolsprache an, die vielen Republikanern bestens vertraut war. Doch auch Elemente des monarchischen 837

Vgl. FRANCE MILITAIRE. Histoire des armées françaises de terre et de mer, de 1792 à 1837. Ouvrage redigé par une société de militaires et de gens de lettres, d’après les bulletins des armées, le Moniteur, les documents officiels, les notes, mémoires, rapports et ouvrages de l’Empéreur Napoléon, des Maréchaux, Amiraux, Généraux en chef […], revu et publié par A. HUGO, Bd. 2, Paris 1838, S. 176f. 838 Vgl. Programme officiel de la cérémonie funèbre en mémoire du général Hoche, mort à Wetslar, le 3ème jour complémentaire de l’an V de la République, dans la trentième année de son âge, in: Moniteur n° 10, 10 vendémiaire VI (1. Oktober 1797); vgl. auch Procès-verbal, De la cérémonie funèbre qui a eu lieu au Champ-de-Mars, à Paris, le 10 Vendémiaire an VI, en mémoire du général HOCHE, Paris, vendémiaire an VI. 839 Ebd.

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Totenkults wurden aufgegriffen, wenn statt der königlichen Effigie im Festumzug eine Büste von Hoche mitgetragen wurde:840 Au milieu du cortège, et devant le Directoire, sera portée l’effigie du général Hoche, placée sur un brancard, avec un trophée et les enseignes militaires, qui distinguent un général en chef. Le tout sera porté par quatre anciens militaires. 841

Die Mitglieder des Directoire exécutif trugen einen Lorbeerzweig (als Zeichen von Krieg und Sieg) sowie einen Eichenzweig (als Zeichen der Republik) mit sich. Auch die anderen Abteilungen des Festzuges spiegelten gleichzeitig die militärische und die zivile Dimension der Republik: Würdenträger aus beiden Bereichen boten ein Abbild der öffentlichen Sphäre. Chénier hatte eine Hymne zu Ehren des militärischen Helden verfasst; Frauen und ein Bauer der Vendée kamen in der Zeremonie zu Wort, um einen Klagegesang beziehungsweise stellvertredenden Dank zu artikulieren. Ein gemeinsamer Gesang über die ‚Liebe zum Vaterland‘ präsentierte zum Abschluss erneut die Idealvorstellung der neuen Gesellschaft: „Un chœur d’hommes et de femmes, accompagné de la symphonie, chantera la strophe Amour sacré de la Patrie. Elle sera suivie du Chant de départ.“842 Auch wenn der Vater von Hoche auf dem Höhepunkt der Zeremonie in Tränen ausbrach und den Verlust seines Sohnes beklagte, diente die Inszenierung insgesamt eher der Mobilisierung eines nationalen Kampfgeistes: Die Zuschauer stimmten lauthals in den Gesang der Marseillaise mit ein und schwenkten bei der Zeile „Aux armes, citoyens“ begeistert ihre Hüte.843 Joubert wurde fast genau zwei Jahre später, im Sommer VII (August 1799), auf dem Schlachtfeld von Novi getötet. Die offiziellen Gedenkfeiern zu seinen Ehren fanden Ende des Jahres VII844 und zu Beginn des Jahres VIII (September 1799) statt und vermischten sich mit den Feiern zur Republikgründung des 1. Vendémiaire (23. September). Der 840

Vgl. diese Interpretation bei GAINOT: Rites et contexte, S. 85. Programme officiel de la cérémonie funèbre en mémoire du général Hoche. 842 Ebd. Erneut stand die Antike Pate für die didaktische Absicht der Zeremonie; vgl. dazu grundsätzlich LORAUX, Nicole: L’invention d’Athènes, Paris 1993; GAINOT, Bernard: Les mots et les cendres. L’héroïsme au début du Consulat, in: Annales historiques de la Révolution française 324 (2001), S. 127–138. 843 Vgl. Bericht über die Zeremonie im Moniteur sowie BESSONNET-FAVRE, C.: Les Fêtes républicaines depuis 1789 jusqu’à nos jours, d’après des documents authentiques, Paris [1909], S. 121, und BEN-AMOS: Funerals, Politics, and Memory in Modern France, S. 51f. 844 Vgl. Corps législatif. Conseil des Anciens. Fête funèbre du 25 fructidor, ordonnée par la loi du 19, consacrée à la mémoire du général Joubert et de ses braves compagnons d’armes, Paris, fructidor an VII. 841

2.4 Respektfördernde Zeremonien

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Festredner Riboud appellierte im Angesicht menschlichen Verlusts und heroischer Vergangenheit an die Einheit der Franzosen: „que la discorde cesse d’agiter ses brandons funestes, que l’union vienne enfin ramener le calme, que la confiance soit établie par la raison et la justice, et bientôt l’aurore de jours plus heureux se lèvera pour la France!“845 Die Trauerfeier transportierte jedoch mittels der gewählten Inszenierungsformen noch ganz andere Botschaften: Es wurde Rache eingefordert – der Kult des großen Mannes wurde in den Dienst einer Mobilisierung der Bürger für den Kampf um das Vaterland gestellt. Der Präsident des Rates der Alten, General Laveaux, verlas öffentlich die zum Andenken an den Toten neu gesetzten Inschriften und wiederholte danach jeweils die Formel ‚sie werden gerächt werden‘; jeder Abgeordnete sprach ihm nach – mit der Hand auf dem Altar des Vaterlandes.846 Sonthonax, eines der wichtigsten Mitglieder der demokratischen Bewegung in der Hauptstadt,847 hatte im Kreise einer Abordnung des Departement Ain bereits einige Tage zuvor Rache und Vergeltung beschworen. Er schloss seine Ansprache am Grab Turennes (!) im Muséum des Antiques im ehemaligen Konvent der Petits-Augustins mit einem Aufruf zur Mobilmachung, nicht etwa zur Eintracht.848 Turenne selbst sollte zwar erst im Konsulat in die Invalides überführt werden. Die Tendenz jedoch, auch die großen Feldherren der französischen Geschichte in den Dienst der Nation und der Größe der Republik zu stellen, war bereits 1799, nach dem Staatsstreich gegen das Zweite Direktorium, unübersehbar. So war anlässlich des Festes der Republikgründung am 1. Vendémiaire VIII (23. September 1799) auffälligerweise der Statuenkreis am Altar des Vaterlandes – der in der Presse auch als ‚Altar der Eintracht‘ bezeichnet wurde – um Repräsentationen großer Generäle erweitert worden: Bildnisse „des grands hommes dont

845

Ebd. Vgl. Ministère de l’intérieur. Liberté, égalité. Fête funèbre, pour honorer la mémoire du général Joubert. Programme, Paris, Fructidor an VII [Signé Le ministre de l’intérieur, Quinette]. 847 Vgl. GAINOT: Rites et contexte, S. 87. 848 Vgl. Sonthonax, Léger-Félicité: Éloge funèbre du général Joubert, prononcé dans la salle du tombeau de Turenne, aux ci-devants Petits-Augustins, le 19 fructidor an VII, in: Honneurs funèbres rendus au général Joubert par les citoyens de son département qui se sont trouvés à Paris en fructidor an VII, [Paris] o. J., S. 17–25; ein Hinweis auf diese Rede sowie diejenige von Riboud findet sich in: Moniteur n° 354, 24 fructidor VII (10. September 1799). Die Anmerkung bei GAINOT: Rites et contexte zu diesem Dokument ist fehlerhaft. 846

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2. Ordnung als Anschauungssache

Abb. 32: Motte, nach Grenier et Courtin: Banquet donné aux généraux Buonaparte et Moreau, gravure.

les écrits ont éclairé le monde et préparé la Révolution et celles des généraux morts au champ d’honneur en défendant la République“849. Siegesfeiern und Militärbegräbnisse betonten immer weniger individuelle Leistungen der Verstorbenen, sondern deren Aufopferung für das Vaterland.850 Im Vorfeld des Festes vom 1. Vendémiaire VIII überlegte man, auf dem Champ d’honneur den toten Helden eine Gedenksäule zu widmen;851 gleichzeitig diskutierte man in den Räten über 849

Ministère de l’intérieur. Marche et cérémonies observées le 3e jour complémentaire, à l’ouverture de l’exposition publique des produits de l’industrie française, abgedruckt in: Moniteur n° 1, 1er vendémiaire VII (26. September 1798). 850 Nur 1795 war die patrie für kurze Zeit diskreditiert: „Il faut en convenir, depuis longtemps on n’osait parler de patrie. Tout Paris retentissait d’outrages contre la représentation nationale, et ceux qui voulaient défendre sa cause […].“ Moniteur n° 22, 22 vendémiaire IV (14. Oktober 1795). 851 Vgl. Rollin de La Farge, Antoine: Corps législatif. Conseil des Cinq-Cents. Rapport fait par Rollin, au nom de la Commission d’instruction publique, sur la célébration de la fête du 1er vendémiaire, anniversaire de la fondation de la République, Séance du 13 fructidor an VII, Paris, an VII.

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militärische Auszeichnungen und Ehrenzeichen.852 Jourdan brachte einen Antrag ein, der das Vaterland erneut als gefährdet („la patrie en danger“) erklärte, für neue Maßnahmen der Wohlfahrt („salut public“) plädierte und der Parole La Liberté ou la Mort neue Bedeutung verleihen wollte; Lucien Bonaparte interpretierte sie als Forderung nach einer bedingungslosen Hingabe an das Vaterland.853 Zu Ehren seines Bruders Napoleon (sowie des Generals Moreau) wurde nach der Rückkehr aus Ägypten am 15. Brumaire VIII (6. November 1799) in der Kirche SaintSulpice ein Fest veranstaltet – das erste seiner Art, denn vorher waren solche Feiern großen Daten, Ideen oder Toten vorbehalten gewesen (Abb. 32).854 Drei Tage später erfolgte der Staatsstreich. Feste und Zeremonien für Napoleon Bonaparte Der Aufstieg des Generals Napoleon Bonaparte erscheint – zumindest aus deutscher Perspektive – rückblickend untrennbar mit der Idee der grande nation verbunden und verdient daher auch im Rahmen dieses Kapitels eine kurze Betrachtung.855 Dabei gilt es festzuhalten, dass 852

Vermutlich wurden die Soldaten und Offiziere im Zeichen der zahlreichen Niederlagen des Jahres VII besonders hofiert, um die Motivation für den Krieg zu steigern. Vgl. JOURDAN: Les Monuments, S. 131, Anm. 52, sowie dies.: Les Monuments de la Révolution française. Le Discours des Images, S. 351f., Anm. 215. Zur Debatte um Auszeichnungen für Verdienste um die Republik vgl. auch Kapitel 3.3.2. 853 Vgl. Journal de Paris n° 358, séance du 27 fructidor an VII sowie Moniteur n° 359 und 360, 29 fructidor und 30 fructidor VII (15. und 16. September 1799), séance du 27 fructidor. 854 Vgl. JOURDAN: Les Monuments, S. 131. 855 Vor einigen Jahren hat sich interessanterweise im Feuilleton der deutschen und deutsch-französischen Medien eine Debatte darüber entwickelt, warum der Begriff in Deutschland nach wie vor zur ironischen Bezeichnung für Frankreich verwendet wird, in Frankreich jedoch so gut wie unbekannt ist. Die in diesem Zusammenhang veröffentlichten Artikel gingen sogar so weit zu behaupten, der Begriff sei eine deutsche Erfindung – von Goethe: Vgl. KRUSE, Hajo: Der Ausdruck die „Grande Nation“ [für: ARTE Karambolage], erstellt: 25/06/09, letzte Änderung: 10/09/09, http://www.arte.tv/de/ der-ausdruck-die-grande-nation/2711422,CmC=2711430.html [18/08/13, 12.15h]. Zuvor vgl. bereits HEINE, Matthias: La Grande Nation, in: Die Welt online (05/07/06), http://www.welt.de/print-welt/article227194/La-Grande-Nation.html [18/08/13, 12.29h]. – Der französische Ursprung des Ausdrucks ist hingegen in der Geschichtswissenschaft keineswegs umstritten und für das Direktorium und die napoleonische Zeit begriffsgeschichtlich gut aufgearbeitet; auch an französischen Hochschulen wird dies nach wie vor thematisiert – zumindest in Bezug auf die territoriale Dimension: Vgl. u. a. BOUTRY, Philippe: L’héritage de l’Empire napoléonien, http://sciencespocours.overblog.fr/article-24137773-6.html [18/08/13, 12.32h]. Differenziertere Untersuchungen und Argumentationen vgl. bei MATHIEZ, Albert: Origine de l’expression: la „Grande Nation“, in: AHRF 6 (1929), S. 290; LAURENS, Henry: Bonaparte, l’Orient et la Grande Nation, in: AHRF 273 (1988), S. 289–301; GUIOMAR: Histoire et significations de ‚la

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keineswegs allein der selbstbewusste General und seine effektvolle Imagepflege (vgl. Kapitel 4.5.4) dafür verantwortlich waren, den Namen Bonaparte im ganzen Land ‚groß‘ zu machen, sondern die Idee der ‚großen Nation‘ vielmehr vom Direktorium selbst im Jahr VI (1797/98) zu einem politischen Konzept verdichtet wurde, das sich auf die territoriale ebenso wie die geistige Größe des nachrevolutionären Frankreichs bezog (vgl. dazu auch den nachfolgenden Abschnitt). Die Forschung legt zwar nahe, dass Bonaparte den Regierungsmitgliedern entscheidende Anstöße für die Begriffsprägung lieferte und über die Italienarmee sowie seine Orientpolitik auch selbst an dessen Verbreitung und Durchsetzung beteiligt war.856 Wesentlich größeren Anteil daran hatte jedoch, so scheint es, das Direktorium selbst. Im Folgenden wird ein Schlüsselmoment näher betrachtet, in dessen Kontext das Konzept der grande nation entstand: Es handelt sich um die Zeit im Anschluss an die Regierungskrise des Sommers und den Staatsstreich vom Herbst 1797. Paris erwartete die Rückkehr des ‚Helden von Italien‘ in seine Heimat. Über eine Reihe von symbolpolitischen Balanceakten bemühten sich Regierung und Parlamentarier, den Ruhm des siegreichen Feldherrn einerseits für die eigene Sache zu nutzen, dessen politischen Ambitionen andererseits ihre Grenzen aufzuzeigen.857 Das Direktorium hatte ein großes Interesse daran, die Erfolge Bonapartes für die Republik zu nutzen. Zwar hatte man die innenpolitischen Krisen des Jahres 1796 (unter anderem ausgelöst durch die Babeuf-Verschwörung und die Chouannerie-Bewegung858) überstanden, doch die Zukunft der Republik war keineswegs gesichert. Spätestens der Wahlkampf und das Wahlergebnis des Jahres V (1797) zeigten deutlich, wie umstritten die Politik der Partei der Mitte und wie stark die oppositionellen Kräfte im Land waren. Die außenpolitischen Erfolge in Italien stärkten der Regierung ideell und finanziell den Rücken und

Grande Nation‘ (août 1797–automne 1799); LEONHARD, Jörn: Bellizismus und Nation. Kriegsdeutung und Nationsbestimmung in Europa und den Vereinigten Staaten, 1750– 1914, München 2008, S. 168–177: „Napoleon als Verkörperung der Grande nation und das fragile Legitimationsmuster des Krieges“. 856 Vgl. LAURENS: Bonaparte, l’Orient et la Grande Nation, S. 289–301; GUIOMAR: Histoire et significations de ‚la Grande Nation‘ (août 1797–automne 1799). 857 Zu diesem Aspekt bereits ausführlich: SCHRÖER, Christina: Vive la République oder Vive Bonaparte? Die Inszenierung Napoleon Bonapartes als Staatsmann (1795–1815), in: SCHMIDT, Rüdiger und Hans-Ulrich THAMER (Hrsg.): Die Konstruktion von Tradition: Inszenierung und Propaganda napoleonischer Herrschaft (1799–1815), Münster 2010, S. 153–189, hier besonders S. 155–163. Vgl. dort zum gesamten Abschnitt. 858 Vgl. u. a. DUPUY, Roger: Chouannerie et pouvoir local sous le Directoire, in: Du Directoire au Consulat. Bd. 1: Le lien politique local dans la grande nation, S. 71–77.

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versprachen, das Ansehen der Nation im In- und Ausland zu fördern. Außerdem war Bonaparte den Direktoren zunächst als politisch ungefährlich erschienen: Der ehemalige Anhänger der Jakobiner hatte dem Regime bereits in seiner Gründungsphase Loyalität erwiesen, indem er es in Paris gegen den royalistischen Aufstand vom 13. Vendémiaire IV (5. Oktober 1795) verteidigt hatte. Doch der erfolgreiche Feldzug änderte die Verhältnisse. Aufgrund seiner Popularität war Bonaparte zu einem ernstzunehmenden Machtfaktor geworden, den es zu kontrollieren galt. Und seine politischen Ambitionen in Italien waren unübersehbar: Seit dem Einzug in Mailand im Mai 1796 war das Verhältnis zur Regierung belastet.859 Vor allem im Rahmen der Friedensverhandlungen überschritt der General immer wieder seine Befugnisse, indem er Instruktionen der Pariser Machthaber ignorierte, die Bevollmächtigten vor den Kopf stieß und eigenmächtige Entscheidungen traf. Das Direktorium konnte kaum etwas dagegen ausrichten – immer stärker verstrickte man sich im Gegenteil in eine Abhängigkeit von dem jungen General: Im Sommer 1797 setzte das republikanische ‚Triumvirat‘ der drei Direktoren Barras, Reubell und La Reveillière-Lepeaux im Vorfeld des Staatsstreiches gegen die Royalisten vom 18. Fructidor (4. September) auf dessen unbedingte Loyalität. Seine militärische Macht wurde erstmals zur Lösung innenpolitischer Probleme in Anspruch genommen: Bonaparte entsandte den republiktreuen General Augereau aus Italien nach Paris, wo dieser die Führung der hauptstädtischen Militärdivision übernahm und den Staatsstreich mit seinen Truppen ermöglichte. Im Dezember 1797, als Bonaparte selbst erstmals aus Italien nach Paris zurückkehren sollte, stand das Direktorium entsprechend vor einem Dilemma: Einerseits beabsichtigte man, dem General verdienten Dank und angemessene Ehrerbietung zukommen zu lassen, andererseits wünschte man, seine Popularität zu kontrollieren und seine Einmischung in die Innenpolitik zu verhindern. Parallel zu diesem Drahtseilakt entwickelten und verbreiteten La Revellière und seine Kollegen bereits Kernideen der sogenannten grande nation – freilich im Kontext einer Erneuerung des republikanischen (Erziehungs-)Programms und in keiner Weise bezogen auf die Person des Feldherren selbst.860 Das adäquate Mittel, um Bonaparte seine Rolle und Bedeutung für die Republik vor Augen zu führen, bestand für die Direktoren in symbolpolitischem Handeln: Fünf Tage nach der Rückkehr des Generals nach Paris, am 20. Frimaire VI (10. Dezember 1797), richtete das 859 860

Vgl. FURET/RICHET: Die Französische Revolution, S. 478. Vgl. dazu den nachfolgenden Abschnitt.

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Regierungsgremium im Luxembourg-Palast einen großen Empfang aus, nominell, um die Ratifikation des Vertrages von Campo Formio zu feiern.861 Trotz des kalten Winterwetters hatte man sich entschieden, den Hof des Palastes herrichten zu lassen.862 Alle fünf Regierungschefs waren anwesend. Sie trugen das grand costume, ihre Amtstracht, die den höchsten Staatsakten vorbehalten war. Gefeiert wurde de facto jedoch weniger der Vertrag selbst als vielmehr sein Ermöglicher und Aushandler: Die Zeitungen berichten von einem ‚Festakt zu Ehren Buonapartes‘. In diesem festlichen Rahmen wurde Bonaparte zweifellos große Ehre zuteil – allerdings fällt bei näherem Hinsehen auf, dass die Inszenierung gleichzeitig bemüht war, dem General seine Grenzen vor Augen zu führen. Es entsprach einem politischen Kalkül, die Veranstaltung nicht etwa auf dem Marsfeld, wo sich eine große Volksmenge eingefunden hätte, sondern im Innenhof des Regierungssitzes, dem Palais du Luxembourg, durchzuführen. Hier wurde ein Ehrengast der Republik empfangen, neben anderen: Nachdem Bonaparte dem Direktorium den Friedensvertrag präsentiert hatte, erhielt auch General Joubert als Fahnenträger der Italienarmee anhaltenden Applaus. Die längste Redezeit stand dem Präsidenten des Direktoriums, Barras, zu – und über solche symbolischen Fingerzeige hinaus dankte Barras demonstrativ der ganzen Italienarmee für ihren unermüdlichen Einsatz im Namen von Freiheit und Republik, eben jenen Prinzipien, auf die sie einen Eid geleistet hätte.863 Persönlichem Ehrgeiz wurde demgegenüber eine deutliche Absage erteilt: „le directoire veillera donc sur toutes les ambitions; il les connaît toutes, il les réprimera toutes“864. So nahm Bonaparte auch keineswegs bei den Direktoren Platz, sondern deutlich abgegrenzt ihnen gegenüber, wenn auch als eine Art ‚Chefdiplomat‘ auf hervorgehobenem Sitz vor den Reihen der übrigen Diplomaten. Die Inszenierung sowie die Regieanweisungen zu ihrer Planung und Durchführung zeugen von einem Rangkonflikt, der im Zuge einer symbolischen Handlung ausgetragen wurde, ohne zwischen den beteiligten Parteien diskursiv erörtert zu werden. Die Zeremonie geriet zu einem sogfältig ausgeklügelten politischen Balance-Akt: Nicht der militärische Held und dessen Kriegstaten wurden im Palais du Luxembourg gefeiert, sondern der Friedensbringer für die Republik: „c’est 861

Vgl. den Bericht im Journal des hommes libres n° 206, primidi 21 frimaire VI (11. Dezember 1797), S. 856. Vgl. dort auch zum Folgenden. 862 Vgl. Berthault/Girardet: Fête donné à Bonaparte, au Palais national du Directoire. 863 Vgl. Journal des hommes libres n° 206, 21 frimaire VI (11. Dezember 1797): „nous avons entendu tes sermens“. Vgl. dort auch zum Folgenden. 864 Ebd.

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sur-tout comme pacificateur du continent que le directoire exécutif se plaît à vous contempler“865. Bonapartes ‚Größe‘ bestand in den Augen der Machthaber in seiner Dienstbarkeit für die Republik; allein als Unterhändler und Diener der grande nation galt es ihn folglich zu würdigen. So war es auch Außenminister Talleyrand, nicht der Kriegsminister, der den General dem Regierungsgremium vorstellte.866 Das Ereignis wurde auch mit einem Blatt in der Reihe der Tableaux historiques dokumentiert und kommentiert.867 Die gewählte Vogelperspektive ist in mehrfacher Hinsicht aussagekräftig: Einerseits erscheinen alle Protagonisten der Zeremonie auffällig klein; als einzig herausgehobener Ort fällt die mit Standarten geschmückte Freitreppe im Bildhintergrund auf, auf der die fünf Direktoren Platz nahmen. Der eigentliche Held des Tages ist zunächst nicht auszumachen.868 Eine personelle Konfrontation der Machtrivalen ist entsprechend allerdings ebenso wenig erkennbar – eventuell zum Nachteil der republikanischen Regierung, die die imposante Kulisse ja eigentlich gewählt hatte, um den eigenen Machtanspruch zu untermauern. In ähnlicher Art und Weise hoffte wohl auch die Legislative, dass ein Teil des Glanzes von Bonapartes Erfolgen auf die eigene Institution abfärben möge, als man diesen für den 30. Frimaire VI (20. Dezember 1797) zu einem prunkvollen Festbankett in die repräsentative Kulisse der grande galérie des Louvre einlud. Dieser Anlass wurde von Robert sogar in Öl festgehalten – doch auch auf diesem Gemälde ist Bonaparte kaum in den Reihen der Parlamentarier auszumachen.869 Nach dem Wahldebakel, den innenpolitischen Auseinandersetzungen des Sommers und dem Staatstreich vom September präsentierten sich die Abgeordneten demonstrativ als einheitliche Körperschaft; gleichzeitig sonnte man sich im Erfolg der Armee. Das Museum im ehemaligen Königsschloss bot eine national aufgeladene Kulisse: Die Galerie war mit Trophäen dekoriert worden, die den Erfolg und die Größe der Europa

865

Journal des hommes libres n° 206, 21 frimaire VI (11. Dezember 1797). In seinen Memoiren erinnert sich Barras, wie er vor der Ankunft Bonapartes in Paris Außenminister Talleyrand in seine Aufgaben einwies; vgl. Memoiren von Paul Barras, Mitglied des Direktoriums, hrsg. von George DURUY, Bd. 3, Stuttgart u. a. 1896, S. 115. 867 Vgl. Berthault/Girardet: Fête donné à Bonaparte, au Palais national du Directoire. 868 Da wir wissen, dass Bonaparte vor den Reihen der Diplomaten Platz nahm, müssen wir seinen Sitz wohl in der rechten Bildhälfte vermuten, die der Künstler – vermutlich getreu der Tageszeit, zu der die Zeremonie stattfand – in Schatten gehüllt zeigt. 869 Vgl. Robert: Banquet offert à Bonaparte dans la Grande Galerie du Louvre, le 30 frimaire an 6. 866

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dominierenden Republik vor Augen führen sollte.870 Am 14. Nivôse (3. Januar) gab darüber hinaus Außenminister Talleyrand ein Bankett ‚zu Ehren des Friedens‘, zu dem Bonaparte als Ehrengast geladen war – es handelte sich wohl um eine Art inoffiziellen Neujahrsempfang.871 Anwesend waren Generäle, Künstler, Wissenschaftler und sämtliche Botschafter. Die Rolle Bonapartes als Ehrenbürger und Diplomat im Dienste der Republik wurde erneut symbolisch bekräftigt. Auch ein offizieller Staatsakt sollte in die Zeit des Aufenthalts des Generals in Paris fallen: Am 2. Pluviôse VI (21. Januar 1798) beging die Hauptstadt den vierten Jahrestag der Hinrichtung Ludwigs XVI. Barras schildert in seinen Memoiren die Debatte über eine mögliche Beteiligung Bonapartes an der Zeremonie. Dieser habe schließlich keine politische Funktion und keine Stellung im aktiven Militärdienst mehr, die ihn zwinge, von Amts wegen der Feier beizuwohnen; allein sein Auftreten scheine ihm nach Meinung der Öffentlichkeit ein ‚Recht‘ zu geben, überall dort zu erscheinen, wo auch eine Staatsbehörde sich öffentlich zeige.872 Das Direktorium sah sich mit einem Dilemma konfrontiert: Ein Fehlen Bonapartes bei der Zeremonie konnte den Unmut des Volkes auslösen; seine Anwesenheit drohte jedoch die Autorität des Direktoriums zu überstrahlen. Bonaparte ließ sich darauf ein, in den Reihen der Wissenschaftsakademie, des Institut national, dessen Mitglied er seit Ende Dezember war, an dem Fest teilzunehmen. So zog er nicht mit der feierlichen Prozession zur ehemaligen Kirche SaintSulpice durch die Straßen, sondern erwartete die Ankunft der höheren Würdenträger im Innenraum des Tempels. Vive la République-Rufe begleiteten den Festakt und im Rahmen des Chorgesanges Serment républicain wurden erneut warnende Töne laut: Zukünftigen Usurpatoren und Alleinherrschern wurde gedroht; es drohe ihnen ein ähnliches Schicksal wie dem letzten Bourbonenkönig.873 Die symbolpolitischen Akteure in den Festkomitees schienen insgesamt darauf bedacht zu sein, die ‚Größe‘ des siegreichen Generals auf die Republik als Ganzes zu übertragen. Diese These wird auch durch verschiedene überlieferte allegorische Darstellungen zum Friedensschluss 870

In derselben Galerie, die laut Angaben der inspecteurs bereits vor dem Bankett fast leer war, sollte kurze Zeit später die Beutekunst ausgestellt werden. Vgl. Les Commissaires inspecteurs des deux Conseils à leurs collègues, membres du Corps législatif, Paris, an VI. 871 Vgl. Le Rédacteur, 18 nivôse an VI, zitiert nach AULARD: Paris pendant la réaction, Bd. 4, S. 520. 872 Vgl. Memoiren von Paul Barras, Bd. 3, S. 138. 873 Vgl. Séance du Directoire exécutif, 2 pluviôse VI (21. Januar 1798), zitiert nach: AULARD: Paris pendant la réaction, Bd. 4, S. 537.

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Abb. 33: [Non-identifié]: Eventail célébrant les bienfaits de la Paix de Campo-Formio, eauforte,16 × 47,5 cm, [Paris 1797].

von Campo Formio gestützt. Ein dreigeteilter Fächer beispielsweise visualisiert Bonaparte im mittleren Bildfeld als Diener und Mittelsmann des neuen Regimes (Abb. 33): Der Triumph gebührt nicht ihm persönlich, sondern der Republik, die – allegorisch als Frauenfigur visualisiert – den Helden der Italienarmee (links von ihr im Bild) mit einem Lorbeerkranz krönt. Erst bei genauerem Hinsehen wird deutlich, dass sich gleichzeitig der Ruf des Friedensbringers bereits verselbständigt; ihm allein, nicht der Republik, und schon gar nicht den Mitgliedern des Direktoriums, ist in seinem Rücken ein Tempel gewidmet. Am rechten Bildrand tanzen die französischen Bürger einen Reigen rund um ein Monument zu seinem Gedächtnis. Anlässlich von diplomatischen Empfängen und repräsentativen Festen oder Eröffnungssitzungen hatten die Direktoren noch selbst – wenn auch als kollektives Gremium – das Bildzentrum besetzt (vgl. Abb. 18, 19, 30). Durch ihre wachsende Abhängigkeit von den militärischen und Verhandlungserfolgen des Generals gerieten sie mehr und mehr ins visuelle Abseits. Bonaparte war durch die Friedensverträge, die er im Namen Frankreichs ausgehandelt hatte, vor allem durch den Frieden von Campo Formio, zu einem anerkannten Akteur auf dem internationalen Parkett geworden. Nach dem Flaggenstreit an der Wiener Botschaft im Frühjahr 1798 erwartete Cobenzl niemand anderen als den General, um die Affäre aus der Welt zu schaffen und erneut über die eroberten Gebiete zu verhandeln.874 Allein ein ranghohes Mitglied der Regierung konnte 874

Vgl. GUYOT: Le Directoire et la paix, S. 697–701.

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angemessener Ersatz sein, nachdem der General sich entschieden hatte, lieber nach Ägypten aufzubrechen. François de Neufchâteau übernahm die Verhandlungen – nicht jedoch, ohne von Cobenzl ein Geschenk für den Feldherrn, ein mit Diamanten besetztes Schwert, anzunehmen und diesem neben einer wertvollen Uhr selbst auch noch eine Büste des ‚französischen Helden‘ zu überreichen.875 Der General war somit als eine Art Garant der diplomatischen Beziehungen sogar trotz seiner physischen Abwesenheit präsent. Solcher Respekt sollte seine Autorität auch im Inland stärken, während das Direktorium vergeblich versuchte, über den Ausbau der Ideologie der Freiheit sowie der grande nation die eigene Position zu festigen. Verdichtung des Konzepts der ‚grande nation‘: Die Ideologisierung der Freiheitsidee im Rahmen von Festen und Kunstpolitik Der Kult der großen Männer verband sich während des Zweiten Direktoriums immer enger mit dem Kult des Vaterlandes und der Armee.876 Parallel dazu verdichtete sich im Winter 1797/98, ungefähr zeitgleich mit dem Aufenthalt von Bonaparte in Paris, die Idee der ‚grande nation‘ zu einer Art Regierungsprogramm.877 Die Zeremonie vom 2. Pluviôse VI (21. Januar 1798) war in dieser Hinsicht stilbildend: Die Nation wurde fortan konsequent mit einer sakralen Aura umgeben und Frankreich zum Vorreiter in einer quasi göttlichen Mission der Freiheit erklärt.878 In der Kirche Saint-Sulpice beschwor der Festredner die neue Größe und verwies auf den universellen Auftrag des französischen Volkes: „Peuple français! vous que désormais on n’appellera plus sur terre que la grande nation […].“879 Das Projekt der Republik wurde geschichtspolitisch als Wunsch des Volkes interpretiert:880 Der 14. Juli habe den 875

Vgl. ebd., S. 702. Zur Bedeutung der Revolutionserfahrung für eine Veränderung diplomatischer Gepflogenheiten vgl. auch FREY, Linda und Marsha FREY: ‚The Reign of the Charlatans Is Over‘: The French Revolutionary Attack on Diplomatic Practice, in: The Journal of Modern History 65 (1993), S. 706–744. 876 Auch Annie Jourdan beschreibt für diese einen wachsenden ‚Synkretismus‘ der beiden Kulte, vgl. JOURDAN: Les Monuments, S. 125–131. 877 Zur Idee der ‚grande nation‘, wenn auch mit anderer Schwerpunktsetzung, vgl. nach wie vor das Standardwerk von GODECHOT, Jacques: La Grande nation: l’expansion révolutionnaire de la France dans le monde de 1789 à 1799, 2 Bde., Paris 1956; sowie die Sammelbände: DU DIRECTOIRE AU CONSULAT, Bd. 1–4, insbesondere GUIOMAR: Histoire et significations de ‚la Grande Nation‘ (août 1797–automne 1799). 878 Vgl. auch Kapitel 3.5.3. 879 Séance du Directoire exécutif, 2 pluviôse VI (21. Januar 1798), zitiert nach: AULARD: Paris pendant la réaction, Bd. 4, S. 537. 880 Zur Verherrlichung vgl. die ebd. abgedruckte Hymne von Lebrun, Musik von Lesueur: „République! Tu nais pour venger l’univers […].“

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Anstoß gegeben, „jour à jamais sacré pour le souvenir de tous les amis de la liberté“881. Die Republik sei folglich weder per Zufall noch im ‚revolutionären Wirbel‘ entstanden, sondern aus dem Wunsch des Volkes heraus, die Sklaverei gegen die Freiheit einzutauschen: „Vous voulûtes le gouvernement républician, et le trône s’humilia devant cette toutepuissante volonté de la nation. Vous entourâtes alors ce gouvernement naissant de toute votre valeur, et ses ennemis coalisés furent terrassés.“ Damit war ein neuer Mythos als Grundlage für die Zukunft der grande nation gestiftet. Die Spaltung der Gesellschaft im Zuge der andauernden Fraktionskämpfe wurde schlicht geleugnet. Die Regierung solle vielmehr ‚weiterhin‘ gestützt und alle Fraktionen ‚vernichtet‘ werden: „Entourez-le [le gouvernement] de votre attachement, et il anéantira toutes les factions intérieures qui empêchent votre bonheur.“ Im Lichte dieser neuen Vision, die vom Zweiten Direktorium programmatisch und praktisch vorangetrieben wurde, sind auch die Bemühungen um die nationale Landwirtschaft und Industrie zu bewerten: Die Leistungskraft und die Produkte der grande nation sollten in ganz Europa von Frankreichs Überlegenheit künden. Solche Ideen wurden besonders im Rahmen von Festen in Szene gesetzt: Die Ideen von ‚Betriebsamkeit und Fleiß‘, in allgemeinerer Perspektive aber auch der ‚Fortschritt‘ schlechthin wurden beispielsweise anlässlich der Gewerbeausstellung von 1798 zum Schrittmacher der Nation erklärt. Schritt für Schritt sollte sich dabei das Überlegenheitsgefühl zu einer veritablen Ideologie verdichten. Am Beispiel des Festes der Beutekunst vom 9./10. Thermidor VI (27./28. Juli 1798) kann der Ideologisierungsprozess exemplarisch nachvollzogen werden. Es macht deutlich, wie sehr einzelne Medien und Praxisfelder im Kontext des Krieges und der anhaltenden Infragestellung der Republik sich regelrecht verselbständigten, eine eigene Rationalität und schließlich eine eigene Wirkmächtigkeit hervorbringen sollten.882 Im Zuge dieser Entwicklung wurde Frankreich vom ‚Land der Freiheit‘ schließlich zur ‚Heimstätte der europäischen Künste‘ stilisiert. Es beerbe Griechenland als Hort der Freiheit und Vaterland der Künste, hieß es 1798 in offiziellen Velautbarungen. Diese Bestimmung rechtfertige die Beschlagnahmung von Kunst im Zuge einer ‚Rettungsaktion‘

881

Séance du Directoire exécutif, 2 pluviôse VI (21. Januar 1798), zitiert nach: AULARD: Paris pendant la réaction, Bd. 4, S. 537. Dort auch nachfolgende Zitate. 882 Neuere Untersuchungen thematisieren besonders die spätere napoleonische Praxis der Beutekunst, vgl. SAVOY, Bénédicte: Patrimoine annexé. Les biens culturels saisis par la France en Allemagne autour de 1800, 2 Bde., Paris 2003 (= Passages. 5).

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2. Ordnung als Anschauungssache

beziehungsweise zur ‚Rückführung‘ in eine historisch-weltgeschichtlich vorbestimmte ‚Heimat‘. Die politischen Entscheidungsträger des Direktoriums knüpften direkt an die Diskurse der radikalen Republik des Jahres II (1793/94) an.883 Schon 1791 hatten Künstler und Intellektuelle geäußert, Griechenland solle den Franzosen als Vorbild dienen und Paris das „Athènes moderne“ und eine „capitale des arts“ werden.884 Nach 1792 nutzte auch die Politik solche Argumente zur symbolischen Absicherung und Legitimation der eigenen Situation (neben anderen Maßnahmen, vom Kalender bis hin zur Ankündigung, andere Völker im Freiheitskampf zu unterstützen). Im Konvent entstand die Idee, der eigenen Nation komme zukünftig diejenige künstlerische und kulturelle Suprematie zu, die das 18. Jahrhundert dem antiken Griechenland zugeschrieben hatte.885 Boissy d’Anglas bezeichnete am 25. Pluviôse II (13. Februar 1794) die Griechen als Meister und Vorbilder Frankreichs („nos maîtres et nos modèles“) und sagte Paris eine glorreiche Zukunft als ‚Hauptstadt der Kunst‘ voraus.886 Am Beispiel des Umgangs mit dem Kulturerbe machte er im Konvent deutlich, der Ruhm der Revolution hänge nicht nur mit der Zukunft zusammen, sondern im Hinblick auf das zu verwaltende Erbe auch mit der Vergangenheit. Hintergrund dieser Überlegungen war die Welle des Bildersturms, der 1793/94 Paris erschüttert und zahlreiche Monumente beschädigt hatte. Die Abgeordneten bemühten 883

Vgl. ausführlich POMMIER, Édouard: La Fête de thermidor an VI, in: ANDIA: Fêtes et Révolution, S. 178–215. Pommier beobachtet eine republikanische Kontinuität: 1798, so Pommier, habe das Direktorium die Kunstpolitik der Jakobiner perfektioniert und die damit verbundene Ideologie weiter auf die Spitze getrieben und zur Entfaltung gebracht. Vgl. ebd., S. 180. 884 Vgl. ebd.ff., auch zum Folgenden. 885 Vgl. u. a. Grégoire, Henri: Convention nationale. Rapport et projet de décret, présenté au nom du comité d’instruction publique, à la séance du 8 août [1793], par Grégoire, député du département de Loir-et-Cher. Imprimés par ordre de la Convention nationale, [Paris] o. J.; Romme, Gilbert: Convention nationale. Rapport par G. Romme, au nom du comité d’Instruction publique, sur les abus qui se commettent dans l’exécution du décret du 18 du premier mois, relatif aux emblèmes de la féodalité et de la royauté, suivi d’un nouveau décret rendu dans la séance du 3 du deuxième mois ou du brumaire [3 brumaire II/24. Oktober 1793], [Paris 1793], u. a. abgedruckt in: GUILLAUME: Procès-verbaux du comité d’instruction publique, Bd. 2, S. 659–661. Dort plädiert Romme auch bereits für das Ende des Bildersturms. 886 Vgl. Boissy d’Anglas, François-Antoine de: Quelques idées sur les arts, Sur la nécessité de les encourager, sur les institutions qui peuvent en assurer le perfectionnement, & sur divers établissemens nécessaires à l’enseignement public, adressé à la Convention, et au Comité d’instruction publique, par Boissy d’Anglas, 25 pluviôse an II (13. Februar 1794), Paris, l’an 2. Vgl. dazu auch: POMMIER: La Fête de thermidor an VI, S. 181f. Dort auch zum Folgenden.

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sich, diesem Treiben ein Ende zu setzen, und suchten Argumente, die ihr Vorhaben stützten. Parallel dazu startete eine Reihe von republikanischen Künstlern eine eigene Initiative: Nach Abschluss einer Dokumentation über die königlichen Sammlungen, vor allem über den Zustand der Gipsabdrücke antiker Plastiken, erstellte der Maler Wicar, ein Freund und Schüler Davids, einen alarmierenden Bericht. Entsetzt über den schlechten Zustand der Repliken (!) forderte er die Republik zum Handeln auf und erklärte seinerseits das neue Frankreich zum Erben Griechenlands und seiner Hochkunst.887 Am 16. Ventôse (6. März) wurde der Bericht in der Zeitung Aux armes et aux arts veröffentlicht. Junge Künstler schworen, die nachlässige Praxis der Monarchie im Angesicht der Freiheit zu rächen. Eine Jahrhunderte überdauernde Seelenverwandtschaft zwischen Griechenland und dem revolutionären Frankreich wurde beschworen – und damit der Grundstein einer neuen Kunstpolitik gelegt. Pommier weist zu Recht darauf hin, dass hinter diesem Bericht sicherlich auch eine pragmatische Absicht verborgen lag: der Wunsch des Künstlers, mit Hilfe originaler Modelle den republikanischen Auftrag, eine neue ‚Kunst der Freiheit‘ zu erschaffen, auch realisieren zu können. Dieser konkrete Wunsch wurde jedoch ideologisch aufgeladen – so überzeugend, dass daraus innerhalb kürzester Zeit ein revolutionäres Dogma entstand.888 Das Thema hatte auch in der Presse Konjunktur: Einerseits spekulierte man bereits auf die Besitzungen der Rheinfürsten oder äußerte den Wunsch, das Direktorium möge die Kunstwerke Italiens sicherstellen. Andererseits verfestigte sich die Vorstellung, Frankreich habe ein moralisches Recht darauf, sein legitimes Erbe anzutreten: la liberté vient à sourire […] le génie respire […] tout ce qu’il y a de grand, de sublime dans les efforts de l’énergie nationale, d’héroïque dans la valeur républicaine, de touchant dans les mœurs et les vertus domestiques, vient échauffer l’imagination, faire battre le cœur, provoquer la main des artistes; et la Nation entière, resaisie à la fois de ses plaisirs et de ses droits, apprendra à jouir des beaux-arts comme de la liberté. 889

887

Vgl. Rapport du peintre Wicar, Société populaire et républicaine des arts, 6 pluviôse an II (25. Januar 1794), in: PROCÈS-VERBAUX DE LA COMMUNE GÉNÉRALE DES ARTS DE PEINTURE, SCULPTURE, ARCHITECTURE ET GRAVURE (18 juillet 1793–tridi de la 1ère décade du 2e mois de l’an II), et de la Société populaire et républicaine des arts (3 nivôse an II–28 floréal an III), avec une introduction et des notes par Henry Lapauze, Paris 1903. 888 Vgl. POMMIER: La Fête de thermidor an VI, S. 184. 889 Décade n° 1, 10 floréal II (29. April 1794): Artikel „beaux-arts“.

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Es wurden Listen mit Kunstwerken zusammengestellt, deren Überführung nach Frankreich wünschenswert erschien890 – und dank der günstigen militärischen Entwicklung verloren die Überlegungen rasch ihren hypothetischen Charakter. Am 8. Messidor (26. Juni) erzielte die Armee bei Fleurus einen entscheidenden Sieg und besetzte am 20. Messidor (8. Juli) Brüssel. Auf politischer Seite dachte man darüber nach, ob nicht durch Beschlagnahmung von Kulturgütern auch die Kriegsschulden getilgt werden könnten. Das Comité d’instruction publique empfahl am 29. Prairial (17. Juni), Kommissare zu den Armeen zu schicken, um Kunstwerke, die ‚unter Bedingungen der Unfreiheit‘ geschaffen worden seien, zukünftig in Frankreich in neuem Glanz erstrahlen zu lassen.891 Damit waren sich Politik und Künstler endgültig einig: Das Dogma der Kunst der Freiheit, deren eigentlicher Bestimmungsort in Frankreich lag, war geboren.892 Noch im Sommer wurden Kommissare ernannt, die bei den Armeen für die Beschlagnahmungen zuständig sein sollten, darunter auch Künstler. Nach dem Sturz Robespierres und dem Ende der Jakobinerherrschaft hielt dieser Diskurs weiter an. Die Bilderstürmer von 1793 wurden nun zwar deutlicher noch als zuvor als „ennemis de la République“ angeprangert – doch die These des Zusammenhangs zwischen Kunst und Freiheit wurde aufrechterhalten: „C’est la Grèce qui a décoré Rome; mais les chefs-d’œuvre des républiques grecques doivent-ils décorer le pays des esclaves? La République française devrait être leur dernier domicile“893. Die Theorie der ‚Heimführung‘ der Kunst an ihren finalen Bestimmungsort lebte weiter fort.894

890

Besson empfahl der Commission temporaire des arts, die ‚schönsten Gemälde Belgiens‘ zu beschlagnahmen. Dazu reiche schließlich bereits das Recht des Siegers als Argument, doch darüber hinaus sei ein solches Vorgehen gerechtfertigt, da Frankreich den Kunstwerken auch eine bessere Behandlung zukommen ließe (20 messidor II/8. Juli 1794). Vgl. POMMIER: La Fête de thermidor an VI, S. 186f. Dort auch zum Folgenden. 891 Zitiert nach: GUILLAUME: Procès-verbaux du comité d’instruction publique, Bd. 4, S. 658. 892 Vgl. POMMIER: La Fête de thermidor an VI, S. 188ff. 893 Grégoire, Henri: Rapport sur les destructions opérées par le vandalisme et sur les moyens de les reprimer, Séance du 14 fructidor l’an II (31. August 1794), Paris o. J. 894 Luc Barbier (Maler und Leutnant der Husaren der Nordarmee) präsentierte der Regierung am 4e jour complémentaire II (20. September 1794) erste Rubens-Gemälde aus Belgien. Er argumentierte, die flämischen Meister seien nicht mehr im Ausland („terres étrangères“), sondern in der Heimat angekommen („dans la patrie des arts et du génie, dans la patrie des la liberté et de l’égalité sainte, dans la République française“). Dank der Presse erhielt das Ereignis große Aufmerksamkeit: Die Décade kündigte eine Ausstellung der Werke aus Antwerpen an. Die Bilder, so hieß es, seien ihrer ‚tatsächlichen

2.4 Respektfördernde Zeremonien

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Mit dem Beginn des Italienfeldzugs am 22. Germinal IV (11. April 1796) sollte die Doktrin eine neue Bedeutung und größere Tragweite erhalten: Die Sammlungen Roms rückten in greifbare Nähe. Das Direktorium setzte Bonaparte per Brief über seine Vorstellungen in Kenntnis und rief eine Sonderkommission ins Leben: die Commission pour la recherche des objets de sciences et arts en Italie.895 Die Friedensverträge mit dem Herzog von Parma (9. Mai 1796), dem Herzog von Modena (17. Mai 1796), dem Papst (Waffenstillstand von Bologna, 23. Juni 1796, bestätigt im Frieden von Tolentino, 19. Februar 1797) und mit der Republik Venedig (16. Mai 1797) beinhalteten Klauseln über die Überlassung von Kunstwerken an den Sieger. In mehreren Schüben wurde die Beute in die französische Hauptstadt verbracht: Die erste Lieferung erfolgte am 18. Brumaire V (8. November 1796), die zweite am 13. Thermidor V (31. Juli 1797). Ausschließlich dem letzten Transport wurde ein triumphaler Empfang in der französischen Hauptstadt bereitet. Er beinhaltete die Beutekunst aus Rom, die in vier Abteilungen vom 9. April bis zum 4. Juli 1797 die besiegte Stadt verließ, am 15. August in Marseille eintraf und im März 1798 mit zwei weiteren Kunsttransporten zusammengeführt wurde, die aus Venedig stammten. Im darauffolgenden Juli erfolgte zum Jahrestag des 9. Thermidor (27. Juli) der feierliche Einzug nach Paris.896 Eine von Quatremère de Quincy ausgelöste Kontroverse über die Bestimmung der Kunst und die Idee eines europäischen Kulturerbes konnte an diesen Plänen nichts mehr ändern.897 Das Fest von 1798 markiert den Höhepunkt der neuen Kunstpolitik. Die Festidee entstand mit hoher Wahrscheinlichkeit in den Reihen der Mitglieder der Commission pour la recherche des objets und im Institut (die meisten Kommissare waren ohnehin Mitglieder des Institut). Thouin berichtete der Regierung über den Erfolg und die Wirkung, die der Kunsttransport schon in Italien habe; von Marseille aus schrieb er persönlich an La Revellière-Lepeaux als amtierenden Präsidenten des Heimat‘ zurückgegeben worden. Zitiert nach POMMIER: La Fête de thermidor an VI, S. 190. 895 Zwar hatte Bonaparte am 17. Floréal an IV (6. Mai 1796) beim Direktorium eine ähnliche Expertenkommission beantragt, die Auswahl und Transport der Kunstwerke nach Frankreich überwachen sollte. Allerdings scheint das Direktorium zu diesem Zeitpunkt schon eigene Pläne gehabt zu haben, von denen es Bonaparte in Kenntnis setzte. Vgl. ebd., S. 192 sowie BLUMER, Marie-Louise: La commission pour la recherche des objets des sciences et arts en Italie (1796–97), in: La Révolution française 87 (1934), S. 62–88, 124–150 und 222–259. 896 Vgl. BLUMER, Marie-Louise: La commission pour la recherche des objets sowie dies.: Le transport en France des objets d’art cédés par le traité de Tolentino, in: Revue des Études italiennes 1 (1936), S. 11–23. 897 Vgl. POMMIER: La Fête de thermidor an VI, S. 194ff.

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Directoire exécutif. Er schlug vor, die Überführung der Kunst zu einer ‚nationalen und moralischen‘ Zeremonie zu stilisieren, die die Überlegenheit der Republik demonstriere: „destinée à montrer la supériorité d’un ‚gouvernement républicain‘, qui a pour but ‚la fertilisation du sol de la République, la propagation des sciences et des arts, la gloire la plus solide et la plus éclatante de la Nation‘“.898 Der Innenminister griff diese Vorschläge auf. Eine eigens vom Institut eingerichtete Kommission unterstützte die Planungen: Auf mit Lorbeer geschmückten Wagen sollten die Objekte Paris erreichen und auf dem Marsfeld einziehen. Andrieux legte in seinem Bericht großen Wert auf den pädagogischen Aspekt der Veranstaltung: An den Wagen gut sichtbar angebrachte Inschriften sollten die Objekte erläutern. Man informierte die Öffentlichkeit über das bevorstehende Ereignis.899 In den Akten des Direktoriums wurde das Ereignis erstmals am 7. Floréal VI (26. April 1798) als ‚Triumphzug‘ („entrée triomphale“) bezeichnet.900 Die ‚Heimführung‘ der Kunst am 9. Thermidor bewies, dass die Freiheit nicht nur den Sieg über die Feinde ermöglicht hatte, sondern auch dem eigenen Land zum Vorteil gereichte, da sie ‚Größe‘ und ‚Vorherrschaft‘ („grandeur“, „suprématie“) ermöglichte.901 In letzter Minute wurden die Einladungen an die Parlamentarier ausgesprochen.902 Der Moniteur veröffentlichte am 9. Thermidor das Programm.903 Der universelle Charakter der grande nation wurde bereits in den einleitenden Erläuterungen zur Szenographie greifbar; Pflanzen aus der Karibik und exotische Tiere ‚schmückten‘ das Marsfeld: Le bananier, le palmier, le cocotier, le papayer que le citoyen Baudin vient d’apporter de l’île de la Trinité, les [les objets de sciences et d’art recueillis en Italie] couvriront de leur ombrage; des animaux des déserts brûlants d’Afrique, d’autres venus des climats glacés du Nord les accompagneront. Ainsi toutes les parties du monde ont été mises à contribution pour enrichir la plus belle de nos fêtes, pour la rendre aussi pompeuse que le fut chez les Romains le triomphe de Paul Emile.904 898

Zitiert nach: Ebd., S. 201. Die Décade druckte den Bericht von Andrieux. 900 Vgl. POMMIER: La Fête de thermidor an VI, S. 178. 901 Die genaue Inszenierung wurde erst in letzter Minute geplant. Ursprünglich war der Einzug für den 14. Juli vorgesehen, erst nachdem sich die Ankunft verzögerte, entschied man sich für den 9. Thermidor. Die Durchführung des Festes trug deutlich die Handschrift François de Neufchâteau, der erneut das Innenministerium bekleidete. Er nutzte die Gelegenheit, das Nationalgefühl der Franzosen gleichzeitig auf Prinzipien der Revolution und auf die militärischen Siege der Armeen zu begründen. 902 Zitiert nach: Ebd., S. 205. 903 Vgl. Moniteur n° 309, 9 thermidor VI (27. Juli 1798). 904 Ebd. 899

2.4 Respektfördernde Zeremonien

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Abb. 34: Berthault, Pierre-Gabriel, nach Abraham Girardet: Entrée triomphale des monuments des sciences et arts en France, eau-forte, burin, 24 × 29 cm.

Die weiteren Gestaltungsideen verbanden die Ideologie der Kunst der Freiheit mit einer kosmischen Symbolsprache, die eine ganzheitliche Vision der Weltordnung auf dem Pariser Marsfeld auferstehen ließ (Abb. 34): Die Abteilung „histoire naturelle“ rangierte in diesem Sinne noch vor der Kunst, was als Hommage an die Natur verstanden wurde.905 Über die Idee des ‚Triumphzugs‘ wurde wiederholt das römische Vorbild bemüht; der Rédacteur behauptete anschließend sogar, der revolutionäre Triumph sei dem römischen noch überlegen gewesen: „Le triomphe romain est celui de l’oppression; le triomphe révolutionnaire est celui de la Liberté.“906 Inschriften, Lieder und Reden übersetzten die abstrakten Ideen des Festes für die Zuschauerschaft, zum Beispiel: „Les sciences et les arts soutiennent et embellissent la liberté“, „Ils sont enfin en terre libre“ (angebracht am Wagen mit den Pferden vom Markusdom), „Artistes accourez! vos maîtres sont ici“ (vor der Kiste mit Renaissance-Gemälden). Lieder betonten die Einheit Frankreichs, aber 905

Vgl. ebd. Die Sonnensymbolik erinnert an die Inszenierung des 1. Vendémiaire V (22. September 1796). 906 Zitiert nach: POMMIER: La Fête de thermidor an VI, S. 207.

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2. Ordnung als Anschauungssache

auch den Triumph der Künste. François de Neufchâteau, der in seiner Funktion als Innenminister am ersten Festtag die Wagen in Empfang nahm, hielt eine Dankesrede, in der die Programmatik gegenüber den Fakten deutlich überwog – seine Ausführungen vollenden die ‚Apotheose‘907 der Ideologie des Jahres II: François bezeichnete die Beutekunst als „patrimoine de la liberté“. Die Künstler hätten mit ihren Werken die Zukunft vorweggenommen: „C’était pour la France que vous enfantiez vos chefs-d’œuvre. Enfin donc ils ont retrouvé leur destination.“ Am zweiten Tag fand die Präsentation vor dem Direktorium statt; die Rede des Präsidenten (eigentlich Reubell, der aber von Merlin vertreten wurde) war vergleichsweise politisch und sachlich; die Kommissare erhielten als Dank für ihre Arbeit Gedenkmedaillen. Druckgraphische Blätter kündeten in ganz Europa von dem Ereignis.908 Pommier kommt abschließend zu dem Urteil, die Kulturpolitik der Revolution sei eine erstaunliche Leugnung der Geschichte und der Historizität der Kunst gewesen – und dies bedeute nichts anderes als eine „manipulation totalitaire de l’histoire“909. Dabei sei eine deutliche Tendenz zur Sakralisierung zu erkennen: Das Direktorium wurde von François zum „organe de la grande nation“ stilisiert, den Trophäen ein „caractère sacré“ zugesprochen, der sie zu ‚Opfergaben‘ („offrande“) für die Freiheit machte. Die Freiheit nationalisierte und annektierte das Weltkulturerbe. Und Pommier geht noch weiter: Damit erscheine die Freiheit letztlich wie ein neuer Absolutismus, zugeschnitten als Gegenstück zu demjenigen des Royalismus und der Anarchie, „comme un mythe au nom duquel la Révolution refait l’histoire, celle de France et celle du monde. Rien ne marque mieux, à la veille de la derniére année du cycle révolutionnaire, la force confiante et totalisante de l’idéologie de la Liberté, que cette Fête de l’an VI“910. Es war der Prestigewert der Kunst, der Künstler und Politiker zum gemeinsamen Handeln motiviert und zur Verfestigung der Freiheitsideologie geführt hatte. Die Demonstration von Nationalstolz (zentrale Idee der grande nation) sollte die Republik stabilisieren; der Missionsgedanke diente der Mobilisierung gesellschaftlicher Kräfte für das aktuelle Regime. Der Kontext im Jahr VI (1797/98) war ähnlich wie der des Jahres II (1793/94): Angesichts der Bedrohung von innen und außen erschien es notwendig, den inneren Zusammenhalt Frankreichs 907

So die Formulierung von Pommier, ebd., S. 180. Zum Folgenden vgl. S. 208ff. Vgl. ergänzend zu Abb. 34 auch: Ausst.Kat. AU TEMPS DES MERVEILLEUSES, Kat.Nr. 30, S. 39. 909 Vgl. ebd., S. 209. Dort auch zum Folgenden. 910 Ebd., S. 212. 908

2.4 Respektfördernde Zeremonien

277

zu fördern. Doch die Erfahrung des bereits sechs Jahre andauernden Krieges hatte die Politik verändert: Es ging um mehr als um die ‚Rettung der Republik‘: Die französische Vorherrschaft in Europa sollte behauptet werden. Nach dem Staatsstreich vom 18. Fructidor V (4. September 1797) schlug die Republik nationalistische Töne an. ‚Überlegenheit‘ wurde fortan nicht mehr rein militärisch aufgefasst und begründet. Man bemühte sich um eine kulturelle Legitimation, die sich aus dem revolutionären Sendungsbewusstsein (Frankreich als Schutzund Exportmacht der Freiheit) ableitete (vgl. bereits die Dekrete vom 19. November und 15. Dezember 1792). Nicht ohne Grund haben sich die Organisatoren 1798 zur Überführung der Beutekunst für den Titel ‚Fest der Freiheit‘ entschieden:911 Die Freiheit wurde damit zu einer Bedingung für die Macht, den Reichtum und die Größe der französischen Republik erklärt. Dies war auch schon den Zeitgenossen bewusst: Delécluze, ein Schüler Davids, erinnerte sich in seinen Memoires an den politischen Kern des Festes, mit dem die Regierung geschickt eigene Ziele verfolgte: „ramener, autant qu’il était possible, les coeurs français à la concorde, par un sentiment commun, l’orgueil national.“912 Bemerkenswert ist die geschichtspolitische Aneignung der Antike für die republikanische Ideologie der Freiheit. Man bediente sich verschiedener historischer Versatzstücke, um die tagespolitischen Motivationen zu legitimieren. Nahm man einerseits die republikanische Tradition der griechischen Polis für sich in Anspruch, die unter dem Begriff der ‚liberté‘ zusammengefasst wurde, so diente andererseits der Ruhm des römischen Imperiums und seiner Kulturpolitik (die de facto nichts anderes als kulturelle Vorherrschaft bedeutet hatte) als Vorbild: „soyons à leur imitation les instituteurs des générations à venir; qu’elles viennent s’instruire à notre école, comme on allait ci-devant à Rome, dont les chefs-d’œuvre égyptiens, grecs et romains finiront par compléter nos musées et nos arènes.“913 Die Akzentverschiebung hin zu einer imperialistischen, nationalistischen Aufladung war allerdings nicht zwangsläufig von Beginn an in der revolutionären Kunstpolitik angelegt. Sie erklärt sich vor dem Hintergrund des Krieges und der Dynamik der

911

Vgl. Moniteur n° 309, 9 thermidor VI (27. Juli 1798): Im Französischen wurde im Plural von „fêtes de la Liberté“ gesprochen, wohl da diese sich über zwei Tage erstreckten. 912 Delécluze, Etienne J.: David, son école et son temps. Souvenirs […], Préface et notes de J. P. Mouilleseaux, Paris 1983 [Original Paris 1855]. 913 Besson, zitiert nach TUETEY, Louis: Procès-verbaux de la Commission temporaire des arts, Bd. 1, Paris 1912, S. 227. Vgl. auch PAPENHEIM, Martin: Die Helden Roms und die Helden Frankreichs. Die Vaterlandsliebe in Antike und Französischer Revolution, in: Francia 21 (1994), S. 241–244.

278

2. Ordnung als Anschauungssache

Reaktionen im Ersten und Zweiten Direktorium.914 Allein durch die Einbeziehung des Kontextes erscheint es erklärlich, wie es zum Fest des 9. Thermidor VI (27. Juli 1798) kommen konnte. Erst im Zweiten Direktorium wurde den idealisierten Gruppen der Bauern und Soldaten in diesem Sinne ein zweites, historisch begründetes und nationalistisch aufgeladenes Gesellschaftsbild nebengeordnet, wenn am 1. Vendémiaire VII (22. September 1798) Bürger in antikisierenden Gewändern auf dem Marsfeld die verschiedenen Stämme des ehemaligen Galliens darstellten.915 Trophäen unterstützten die Botschaft, dass die errungene Einheit letztlich dem Krieg zu verdanken sei. Im Zeichen der Siege der Armee inszenierte das Direktorium auf dem Höhepunkt seiner Macht offen imperialistische Ambitionen. Auch die Schwesterrepubliken wurden nun für die Selbstdarstellung des Regimes instrumentalisiert: Neben dem Einheitsbündel wurde im Kreise weiterer Embleme eine Trophäe aus den Wappen der Batavischen, Cisalpinischen, Ligurischen, Helvetischen und Römischen Republik mitgeführt; ein Banner sprach den Wunsch aus, die ‚Allianz‘ dieser Republiken mit Frankreich möge ‚ewig‘ halten.916 Im Rahmen der Zeremonie ehrte das Direktorium sowohl für das Vaterland gefallene Soldaten als auch Gewinner der brevets d’invention. Die ideale Gesellschaft der grande nation gab sich vor den Augen der Pariser Öffentlichkeit im Festzug die Ehre. In dieser Zusammensetzung sollte sie jedoch nur für kurze Zeit tatsächlich die ‚Größe‘ der Republik spiegeln. Militärische Niederlagen und anhaltende Agitation der Opposition sollten dafür sorgen, dass kaum ein Jahr später der Staatsstreich des 18. Brumaire VIII (9. November 1799) dem Idealbild ein Ende bereitete.917

914

Vgl. zur Definition und revolutionären Erfahrung von ‚Reaktion‘ Kapitel 4.1. „Des hommes vêtus des anciens habits des principaux peuples, qui occupent les Gaules, porteront le faisceau. Avant eux marchera une bannière qui portera pour inscription: La république les a tous réunis. Ce n’est plus qu’un même peuple.“ Fête de la fondation de la République. Programme, Fructidor an VI. Vgl. dort auch zum Folgenden. Vgl. auch Kapitel 2.4.1. 916 Vgl. ebd. Grundlegend vgl.: BELISSA, Marc: Fraternité Universelle et Intérêt National, Paris 1997. 917 Die Idee der grande nation war außerdem schon für die Zeitgenossen keineswegs alternativlos, vgl.: GAINOT, Bernard: Vers une alternative à la ‚Grande Nation‘: le projet d’une confédération des États-nations en 1799, in: SERNA: Républiques sœurs, S. 75–86. 915

2.5 Zwischenfazit 2.5 Zwischenfazit

279

2.5 Zwischenfazit Das Kapitel hat gezeigt, inwiefern symbolische Artefakte und Handlungen daran beteiligt waren, das ‚Nouveau Regime‘ in der Tradition sowie in der Abgrenzung zum ‚Ancien Régime‘ Gestalt annehmen zu lassen. Materielle Symbole und nationale Hoheitszeichen wie Flagge, Amtstracht oder offizielle Architektur visualisierten die Ordnung der Ersten Französischen Republik ebenso wie die offizielle Symbolpolitik im Rahmen von Festen und Kulten. Die unterschiedlichen Repräsentationsformen machten die Wert- und Ordnungsvorstellungen des neuen Regimes öffentlich sichtbar. Die beobachteten Praktiken schlossen an die Praxisfelder und Erfahrungen mit der Repräsentation von Macht in der Monarchie an. Die Repräsentation des neuen Regimes hat sich insgesamt als Experimentierfeld und Projektionsfläche für republikanische Wertvorstellungen erwiesen. In allen analysierten Praxisfeldern, von der Selbstdarstellung durch Hoheitszeichen über die Inszenierung von Autorität in Amtstrachten und Architekturen bis hin zur Praxis der Feste: Stets ging es bei der Darstellung der neuen Ordnung auch um die Herstellung legitimer Autorität. Anders als es die systematische Gliederung der Arbeit suggerieren könnte, dienten dabei alle eingesetzten Medien der Ordnungsstiftung, Legitimitätssteigerung, Wertevermittlung und Respektförderung; allenfalls waren unterschiedliche Akzentsetzungen erkennbar. Ein neues Regime sollte erschaffen werden; dies gewann jedoch aufgrund von Wertekonflikten noch keine feste Form. Das Aufkommen unterschiedlicher politischer Ordnungsvorstellungen, unter anderem des basisdemokratischen in Konkurrenz zum repräsentativen politischen System oder auch von Konzepten autoritärer Herrschaft in Konkurrenz zur Idee der Herrschaft der volonté générale, führten zu einem Nebeneinander verschiedener politischer Rechtfertigungsansprüche, die in den Festen visualisiert wurden. Die Symbolpolitik im Direktorium zielte auf eine Integration der französischen Gesellschaft im Zeichen der neuen Staatsform. Einerseits versuchte man über staatlich gesteuerte Politik mit und um materielle Symbole und nationale Hoheitszeichen die Franzosen zu einen (integrativ). Andererseits hoffte man durch das Verbot von unliebsamen ‚äußeren Zeichen‘ für Versammlungen, die einen bestimmten Kultus pflegten, die öffentliche Meinung zu steuern (exklusiv). Diese Idee wurde auch gesetzlich verankert (Gesetz vom 7. Vendémiaire an IV,

280

2. Ordnung als Anschauungssache

29. September 1795).918 Darin wird der Wunsch erkennbar, den Umgang mit Symbolen gänzlich in die Gewalt des Staates zu bringen, gewissermaßen ein öffentliches Symbolmonopol zu erhalten. Nur im privaten Raum durften Bürger darüber hinaus ihre Anhängerschaft für bestimmte Gruppierungen kundtun und für sie werben. Symbole wurden somit gleichzeitig als Chance und als Bedrohung wahrgenommen: Bemühte man sich einerseits darum, sie konsequent in den Dienst der Erziehung des französischen Volkes zu stellen, so wollte man andere Auswüchse des Symbolgebrauchs kontrollieren (vgl. auch die Bestimmungen der Verfassung des Jahres III, Article 362). Die Einführung der neuen politischen Abzeichen, Kleidung und Symbolik garantierte keineswegs uneingeschränkte Zustimmung und automatische Anerkennung der darin verbürgten Autorität. Im Gegenteil: Die Gesetzgebung in diesem Bereich war extrem kontrovers und stellte sich über die verschiedenen Regimeumbrüche hinweg als schwierig dar. Semantisch komplexe Prozesse der Neu- und Umdeutung erforderten eine Zeit der Einübung und Gewöhnung, bevor tatsächlich eine Substitution des alten symbolischen Wortschatzes möglich war. Umso wichtiger erschien den Vertretern der Symbolpolitik die rasche Umsetzung ihrer Ideen – der Wirtschaftskrise, den schlechten Produktionsbedingungen und der Kritik ihrer politischen Gegner zum Trotz. Für sie stand das angestrebte Ziel der Erneuerung der Gesellschaft über den tagespolitischen Bedenken. Doch selbst nach einer erfolgreichen Einführung der verschiedenen Instrumente galt es, die Prüfung durch die öffentliche Meinung zu überstehen: In beinahe jedem Fall waren Probleme von Anfechtung, Missbrauch und Missverständnissen zu beobachten. Jede Wahl und anschließende Erneuerung des politischen Personals im Direktorium und in den Räten führte zu weiteren Prozessen der Revision, des Ersatzes oder gar der Verwerfung symbolpolitischer Maßnahmen der Vorgänger.919 Diese grundsätzliche Anfeindbarkeit und Veränderbarkeit symbolischer Politik hatten bereits die Revolutionäre der ersten Stunde erfahren, indem sie mit den Praktiken der Monarchie des Ancien Régime brachen. Zeichen der neuen Ordnung eroberten den öffentlichen Raum und lösten die Bourbonenlilie und andere Zeichen der Macht ab. Doch mit dem Fortschreiten der Revolution hatte sich das Lager ihrer Anhänger gespalten, was zu einer Vervielfältigung der symbolpolitischen Konzepte und zu einer Intensivierung der Kämpfe führte. Neue 918

Vgl. Loi du 7 vendémiaire an IV sur la police des cultes, Art. 13, sect. II, zitiert nach: MATHIEZ: La théophilanthropie et le culte décadaire, S. 140, Anm. 5. 919 Vgl. dazu WRIGLEY: The Politics of Appearances, S. 60.

2.5 Zwischenfazit

281

Gegensätze traten zutage und wurden im Medium der Symbolpolitik verhandelt. So sollte das Staatssiegel nach dem Sturz der Monarchie am 10. August 1792 eigentlich eine Freiheitsstatue zeigen – doch die konservative Mehrheit der Commission des Vingt-et-Un wusste dies zunächst zu verhindern. Als Ende des Jahres 1793 darüber debattiert wurde, ob fortan ein Herkules als Sinnbild des Volkes das Siegel zieren solle, verhandelte man dabei letztlich auch die Frage der Staatsform oder des besten Herrschaftsmodells. Das zentralistische Prinzip konkurrierte mit Ansätzen einer föderalen Organisation des Landes, die Idee der direkten Demokratie mit derjenigen des Repräsentativsystems.920 Die Zeichen der Macht waren keineswegs festgelegt, sondern interpretationsoffen und mehrdeutig. Was sich in anderen Zeiten als konsensstiftend bewährt hatte, vertiefte in der Revolution häufig die politischen Konflikte – und sei es nur in der Frage, ob ein Sternenbanner, wie wir es heute unter anderem aus der Flagge der Vereinigten Staaten oder der Europäischen Union kennen, eher dazu geeignet ist, ‚Einheit‘ oder ‚Spaltung‘ zu symbolisieren.

920

Vgl. einen weiteren Beleg aus der Debatte um das republikanische Staatssiegel in: Moniteur n° 59, 19 brumaire II (17. November 1793); siehe besonders die Redebeiträge von Fabre d’Eglantine und Romme.

282

3. Gesellschaft als Projekt

3. Gesellschaft als Projekt 3. Gesellschaft als Projekt

3. Gesellschaft als Projekt

3.

283

Gesellschaft als Projekt: Die Debatte um die ‚Formung‘ von Staatsbürgern und republikanischen Traditionen zwischen Erziehung und Manipulation

Symbolpolitik diente nicht nur dem Ziel der Darstellung, sondern auch dem der Herstellung der neuen politisch-sozialen Ordnung. Die Mittel und Wege, über die das Ziel einer Vergemeinschaftung der Bürger und deren Erziehung zu Staatsbürgern der Republik erreicht werden sollte, waren Gegenstand besonders intensiver parlamentarischer Debatten. Die Jahre des Direktoriums zeichneten sich trotz der erlittenen Desillusionierung der Revolutionäre im Zuge der Schreckensherrschaft durch das Festhalten an dem Glauben der Machbarkeit und Gestaltbarkeit von Politik und Gesellschaft aus. Die Vision, eine Republik zu gründen, machte selbst vor dem Privatleben nicht halt. Erziehung wurde von den Republikanern als umfassende Lebensaufgabe verstanden – im öffentlichen Leben wie im Privaten: „Mon père […] me traita comme une République à fonder“921. Dieser Ausspruch von Philarète, Sohn des Ex-Parlamentariers Chasles, war Programm:922 Ein neues Sparta sollte nach dem Willen der bürgerlichen Elite in Frankreich entstehen. Angesichts von Unzufriedenheit und Unverständnis großer Bevölkerungsteile im ganzen Land, die unter anderem auch in den Revolten und Aufständen der Jahre 1793 und 1795 ihren Ausdruck gefunden hatten, 921

Chasles, Philarète: Mémoires, 2 Bde., Paris 1877, hier Bd. 1, S. 6, zitiert nach: LUZZATTO, Sergio: Mémoire de la Terreur. Vieux Montagnards et jeunes républicains au XIXe siècle, aus dem Italienischen übersetzt von Simone Carpentari-Messina, Lyon 1991 [italien. Original Genua 1988], S. 145. 922 Philarète wurde 1798 geboren. Der spätere Schriftsteller wurde nach dem Vorbild Spartas, nicht nach dem Prinzip der Natur erzogen: Glaubt man seinen Memoiren, verbrachte er ganze Tage in dunklen Kellern, musste mit lauter Stimme Texte von Plutarch und Rousseau vorlesen und jeden Tag eine Seite lateinischer Prosa aus der Revolutionszeit abschreiben. Chasles und Goujon, die im Zuge der Unterdrückung der Volksbewegung im Prairial III (Mai 1795) inhaftiert worden waren, hatten sich während ihrer Gefangenschaft wechselseitig geschworen, sollten sie überleben, den ersten Sohn, der ihnen geschenkt würde, Philarète zu nennen. Chasles hielt Wort, wohl in der Hoffnung, dass ‚Philarète‘ nicht im katholischen Heiligenkalender erscheinen werde, so dass der Sohn ganz nach eigenen Vorstellungen geprägt werden könne. Andere Väter nannten ihre Kinder nach Freiheitskämpfern gegen die Sklaverei oder nach Orten bzw. revolutionären Ereignissen, an denen sie beteiligt gewesen waren: Barbaroux nannte seinen Sohn Ogé nach dem Anführer der Revolte gegen die Sklaverei von Saint-Domingue; Tallien nannte seine Tochter Thermidor. Vgl. ebd., S. 146f.

284

3. Gesellschaft als Projekt

setzte man alle Hoffnung auf die Kraft der Erziehung, im Kreise der Familie ebenso wie auf nationaler Ebene. Der Glaube an die Gestaltbarkeit der Verhältnisse bestimmte das Bewusstsein. Dabei machten sich die Direktorialisten spätestens seit den Erfahrungen der Monate nach dem 9. Thermidor II (27. Juli 1794) keine Illusionen darüber, dass sie trotz des formalen Bestehens der republikanischen Ordnung seit drei Jahren letztlich bei null anfangen mussten. Eine Republik, so formulierte Mathiez bereits vor 100 Jahren im Rahmen seiner Forschungen zum Direktorium, habe 1795 in Frankreich de facto nicht existiert.923 Die politischen Eliten hätten zwar gewisse Formen eingeführt, die republikanischen Charakters waren, aber die Masse der Bevölkerung hatte man dadurch nicht erreicht, im Gegenteil: „la République […] n’apparaît à la masse que comme un expédient passager, trop souvent même comme une invention diabolique de l’impiété et du crime. [Elle] reste à fonder dans les âmes.“924 Die Entscheidungsträger mussten sich intensiver als je zuvor mit der Frage auseinandersetzen, wie man die neue Staatsform in den Herzen der Menschen verankern könne. Die Antwort war einstimmig: „par des institutions!“925 Thirion formulierte es nachdrücklich als Auftrag an den thermidorianischen Konvent: „Je le dirais volontiers que, pour constituer une république, il faut trois choses: 1° des institutions; 2° des institutions; 3° des institutions.“ Es gelte, nicht mehr nur Prinzipien zu verkünden, sondern diese in der Praxis zu leben: „Que me font en effet les principes que nous professons, si dans la pratique nous sommes sans cesse en opposition avec ces principes?“926 ‚Republikanische Institutionen‘, so lautete das Zauberwort der politischen Debatten über die nationale Erziehung bereits seit den Tagen des Konvents. Was man jedoch genau darunter verstand, war zwischen den verschiedenen politischen Lagern höchst umstritten. Je nach parlamentarischer Mehrheit oder Meinungsführerschaft änderte sich auch die Gesetzgebung. Das folgende Kapitel betrachtet die verschiedenen Initiativen und Praxisfelder, die unter dem Oberbegriff ‚republikanische Institutionen‘ verhandelt wurden, erstmals in der Zusammenschau.927 Entgegen 923

Vgl. MATHIEZ: La théophilanthropie et le culte décadaire, S. 15f. Ebd. 925 Zitiert nach ebd., S. 16. 926 Thirion, CN, séance du 29 nivôse II (18. Januar 1795), zitiert nach: Moniteur n° 122, 2 pluviôse II (21. Januar 1795). 927 Wichtige Vorarbeiten lieferten besonders folgende Einzelstudien und Aufsätze: allgemein zu den Kulten der Republik vgl. MATHIEZ: La théophilanthropie et le culte décadaire; zum republikanischen Kalender vgl. Auszüge von MEINZER, Michael: Der französische Revolutionskalender (1792–1805). Planung, Durchführung und Scheitern einer 924

3. Gesellschaft als Projekt

285

dem heutigen Begriffsverständnis wurde zwischen 1794 und 1799 unter diesem Stichwort keineswegs über Praktiken wie die jährlich stattfindenden Wahlen oder die Geschäftsordnung der parlamentarischen Kammern diskutiert. In der Tradition der Aufklärung drehte sich die Debatte um die Frage, wie ein mündiger Staatsbürger ‚geschaffen‘ werden könne, der in der Lage sei, als Teil der Gesellschaft in Freiheit selbstbestimmt zu leben. Um dies zu ermöglichen, erschien eine grundlegende Erneuerung der gesellschaftlichen Sitten und Gebräuche notwendig – ein ‚neuer Mensch‘ sollte hervorgebracht werden.928 Die Gesetzgeber hielten es für ihre Aufgabe, an diesem Projekt regulativ mitzuwirken. Die Gedanken der politischen Theorie der Aufklärung (und vor allem Jean-Jacques Rousseaus) sollten mittels einer rationalen Gesetzgebung endlich soziale Realität werden. Die Instrumente, die dies zu ermöglichen versprachen, wurden von der Theorie jedoch nur in Ansätzen bereitgestellt: Dort wurden zum Beispiel nationale Feste als lehrreiche Spektakel für das Volk erörtert; auch die Schaffung staatlicher Bildungsinstitute als Kaderschmieden für Bürger (und vor allem Beamte) der Republik waren keine neue Idee. Daneben ersannen die politischen Akteure jedoch ein breites Spektrum weiterer Maßnahmen, die zwar ebenfalls im Gedankengut der Aufklärung wurzelten, aber gleichzeitig stark durch die revolutionären Ereignisse selbst geprägt waren: von der konsequenten Durchsetzung und Kontrolle der neuen Zeitrechnung des republikanischen Kalenders über die besondere Verstärkung der Wehrerziehung bis hin zur Einführung von zivilen Zeremonien und Gebräuchen im Personenstandsrecht, wie Praktiken der ‚Jugendweihe‘ oder der Auszeichnung vorbildlichen staatsbürgerlichen Verhaltens über Preise und Bürgerstammbücher. In der hier gewählten systematischen Perspektive wird die Debatte um die ‚republikanischen Institutionen‘ als zusammenhängender Diskurs und Versuch der Konzeption eines nationalen Erziehungsprogramms erkennbar. Länge und Intensität der Debatte um die ‚republikanischen Institutionen‘ zeugen von der hohen Bedeutung, die dem Thema zugeschrieben wurde. Die Akteure waren sich der Relevanz ihres Tuns sehr wohl bewusst und reflektierten dies auch ausdrücklich:

politischen Zeitrechnung, München 1992, sowie WOLOCH, Isser: ‚Republican Institutions‘, 1797–1799, in: LUCAS: The Political Culture of the French Revolution, S. 371–387; zu den Festen: OZOUF: La fête. 928 Vgl. u. a. OZOUF, Mona: Art. Erneuerung, in: FURET/OZOUF: Kritisches Wörterbuch, Bd. 2, S. 1071–1086; LIRIS, Elisabeth: Eduquer l’homme nouveau, in: BOULAD-AYOUB, Josiane: Former un nouveau people. Pouvoir, éducation, révolution, Montreal 1996, S. 303–313.

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3. Gesellschaft als Projekt

Mit dem Erfolg oder Misserfolg der Etablierung und Popularisierung der Ersten französischen Republik entschied sich ihrer Meinung nach auch die grundsätzliche Frage nach der Möglichkeit der Ablösung der traditionalen durch eine ‚moderne‘ Gesellschaft. Paradoxerweise standen zum Erreichen dieses Ziels nicht selten die ‚alten‘ Modelle Pate: Zwar zielte man darauf ab, den Einfluss des Katholizismus zu brechen, doch beschritt man dieselben Wege wie die katholische Kirche, um den ‚neuen‘ Menschen zu formen. Der Alltag der Menschen sollte von republikanischen Routinen und Ritualen geprägt sein, wie zuvor von katholischen Sonn- und Feiertagen; die Bürger sollten an den wichtigen Wendepunkten ihres Lebens von der Republik begleitet werden, so wie sie früher bei Taufe, Hochzeit oder Tod in traditioneller Form begleitet waren; bürgerliche Vernunftkulte sollten die alten Katechismen und Liturgien ersetzen, und Festveranstaltungen – auch über ihre repräsentative Funktion zur Selbstdarstellung von Autorität und Ordnung hinaus (siehe Kapitel 2) – als Schulen der Republik dienen. Die offensichtliche Parallele zu den Praktiken des Katholizismus wurde in Kauf genommen. Man glaubte, über eine bewusste Politik der Aneignung aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt zu haben und die katholische ‚Bevormundung‘ und ‚Manipulation‘ durch republikanische ‚Aufklärung‘ und ‚Erziehung‘ ersetzen zu können. In der Debatte um die Durchsetzung des republikanischen Kalenders betonte der Abgeordnete Sherlock, die Kirche habe sich schließlich stets erfolgreich der verschiedenen Stationen des menschlichen Lebens bemächtigt (‚von der Wiege bis zum Grab‘) und müsse daher als Modell ernst genommen werden: Observez, mes collègues, avec quelle adresse les ministres du culte catholique, ou, pour mieux dire, ceux de tous les cultures, se sont emparés de l’homme; comme ils ont su l’enlacer dans leurs inextricables filets: ils le saisissent au berceau, & ne le quittent pas même au tombeau. Non seulement ils ont voulu occuper toute sa vie, mais tout ce qui l’environne est devenu leur proie [...].929

Auch der christliche Kalender sei nur durch politisch konsequentes Handeln durchgesetzt worden, weshalb Sherlock nun ein ebenso hartes Durchgreifen im Namen der Republik befürwortete. Solche Argumentationen belegen, dass die symbolpolitischen ‚Experimente‘ der Direktorialzeit ebenso wenig vor Übereifer und Entgleisungen gefeit waren, wie die Umerziehungsvorstellungen der Jakobiner oder die Missions-

929

Sherlock, Sauveur-François-Louis: Conseil des Cinq-cents, Opinion de Sherlock, Député de Vaucluse, Sur le projet de résolution relatif au calendrier républicain, Séance du 12 thermidor an 6, Paris, an VI, zitiert nach: AN, Paris, AD XVIIIc, 468, Dok. 3, S. 2.

3.1 Gesellschaft formen

3.1 Gesellschaft formen

287

tätigkeit der christlichen Kirche. Die Grenze zwischen Erziehung und Manipulation war auch in der neuen politischen Kultur fließend. Institutionen kanalisieren menschliches Handeln, sie begrenzen die zur Verfügung stehenden Handlungsoptionen. Damit erzeugen sie gleichzeitig Strukturen, die auch Macht ausüben. Rehberg betont die Institutionen inhärente symbolische Dimension: „Idealtypisch sollen als ‚Institutionen‘ solche Sozialregulationen bezeichnet werden, in denen die Prinzipien und Geltungsansprüche einer Ordnung symbolisch zum Ausdruck gebracht werden […]. Auf diese Weise schaffen ‚Institutionen‘ Synthesen zwischen den personellen und den sozialstrukturellen Voraussetzungen eines Ordnungsarrangements […]. Institutionen sind somit Vermittlungsinstanzen kultureller Sinnproduktion, durch welche Wertungs- und Normierungs-Stilisierungen verbindlich gemacht werden.“930 Es gilt zu überprüfen, welche Wertungs- und Normierungsleistungen von den Zeitgenossen über die ‚republikanischen Institutionen‘ vorgenommen wurden.

3.1 Gesellschaft formen: Das Programm der ‚institutions républicaines‘ Die parlamentarische Debatte über die ‚republikanischen Institutionen‘ schreibt sich ideengeschichtlich in den allgemeinen Diskurs über ‚Herrschaft‘ und/oder ‚Republikanismus‘ ein, der seit der Aufklärung die politische Philosophie beschäftigte. Im späten 18. Jahrhundert koexistierten bereits verschiedene Auffassungen von ‚Republikanismus‘ (besonders Interpretationen des klassischen und des amerikanischen Modells). Der Diskurs der Volksvertreter über ‚republikanische Institutionen‘ zeigt, dass sie als Repräsentanten der gebildeten Elite des Landes mit diesen Theorien vertraut waren, auch wenn wohl davon auszugehen ist, dass die wenigsten von ihnen die großen philosophes im Original gelesen hatten.931 Im Zentrum stand vor allem das Nachdenken über die Natur des modernen Staatsbürgers. Das Problem der mœurs, der menschlichen Sitten und Gepflogenheiten, die es im Sinne 930

Vgl. REHBERG, Karl-Siegbert: Institutionen als symbolische Ordnungen. Leitfragen und Grundkategorien zur Theorie und Analyse institutioneller Mechanismen, in: GÖHLER, Gerhard (Hrsg.): Die Eigenart der Institutionen, Baden-Baden 1994, S. 47–84, S. 56f.; ders.: Die stabilisierende ‚Fiktionalität‘ von Präsenz und Dauer. Institutionelle Analyse und historische Forschung, in: BLÄNKNER/JUSSEN: Institutionen und Ereignis, S. 381– 407. 931 Vgl. THAMER: Die Französische Revolution, S. 19.

288

3. Gesellschaft als Projekt

der modernen Gesellschaft zu verändern galt, sowie die Frage der Mittel und Institutionen, mit denen dies geschehen konnte, wurde nicht nur im Parlament, sondern auch in einer umfangreichen Pamphletliteratur, in Zeitschriften wie der etablierten Décade philosophique, bis hin zur Zweiten Klasse des neu eingerichteten Institut National erörtert. Es ging um nicht weniger als den Versuch der bewussten Erschaffung des modernen Staatsbürgers. Dabei konnte für die Parlamentarier der Sensualismus eines Condillac oder die Empfindsamkeitstheorie eines Rousseau – vermittelt unter anderem über die Sprachtheorie von Destutt de Tracy – ebenso Pate stehen wie die moralphilosophischen Überlegungen von Vordenkern der Nationalökonomie wie Adam Smith oder Jean-Baptiste Say.932 Auch Condorcets im Jahr III veröffentlichte Esquisse d’un tableau historique du progrès de l’esprit humain entstammt diesem Diskurszusammenhang.933 Sophie de Grouchy entwickelte die Theorie der egalitären Republik in Auseinandersetzung mit den Thesen Adam Smiths weiter, indem sie Einspruch gegen die Idee der hierarchischen Ordnung von allem Sozialen erhob, und argumentierte, nur das Festhalten am Ideal der Gleichheit könne die Moral des Einzelnen gewährleisten, der über Mitgefühl und Reflexion seinem Mitmenschen verbunden sei.934 Neben solchen theoretischen Versatzstücken nahmen zwei konkrete Ereignisse Einfluss auf die semantische Entwicklung des Konzeptes ‚Republik‘ und die daraus resultierende politische Praxis in Frankreich: die Gründung der Republik der Vereinigten Staaten von Amerika und die Errichtung der Jakobinerdiktatur. Besonders die Erfahrung von Krieg und Bürgerkrieg im eigenen Land sowie die daraus hervorgehende Konzentration der Macht in den Händen einer kleinen Gruppe von Entscheidern hatten unter den Revolutionären das Bedürfnis nach einem Neuanfang entstehen lassen, den der 9. Thermidor II (27. Juli 1794) zu ermöglichen versprach. Doch wie weit sollte man gehen? Reichte eine graduelle Korrektur aus, vorgeschlagen zum Beispiel von Barère als einem Mitglied der Revolutionsregierung,935 oder sollte man eine

932

Vgl. LIVESEY: Making Democracy, besonders S. 48–87. Zu Say vgl. WHATMORE, Richard: Republicanism and the French Revolution: An Intellectual History of Jean-Baptiste Say’s Political Economy, New York 2000. 933 Vgl. Condorcet, Jean-Antoine-Nicolas de Caritat: Esquisse d’un tableau historique du progrès de l’esprit humain. Ouvrage posthume, Paris, l’an III de la République, une et indivisible. 934 Vgl. LIVESEY: Making Democracy, S. 53ff. Vgl. dort auch zum Folgenden. 935 Barère stellte die Ereignisse als eine in ihrem Ausmaß begrenzte Erschütterung („commotion partielle“) dar, die die Revolutionsregierung als Institution nicht betreffe („qui

3.1 Gesellschaft formen

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grundsätzlich ‚andere‘ Republik erschaffen?936 Diese Diskussion war zunächst ergebnisoffen: Es dominierte der Wunsch, aus der Vergangenheit im Positiven wie im Negativen zu lernen, in jedem Fall der Theorie endlich Praxis folgen zu lassen. Die Vorbilder wurden weiterhin in der Antike gesucht, wobei es durchaus zur Aneignung neuer Persönlichkeiten und Epochen kam. Ähnlich wie bereits auf dem Gebiet der offiziellen Repräsentation beobachtet, musste ein Spagat geleistet werden: zwischen der Betonung republikanischer Kontinuität in Abgrenzung zur Monarchie auf der einen und einem republikanischen Neuanfang in Abgrenzung zur Phase der Jakobinerdiktatur auf der anderen Seite. Um die Maßnahmen der Direktorialrepublik besser einordnen zu können, gilt es daher zunächst, die bereits vor dem 9. Thermidor erfolgten Ansätze staatlicher Moralerziehung genauer unter die Lupe zu nehmen. Ansätze staatlicher Moralerziehung vor dem 9. Thermidor Der Wunsch nach der Erneuerung des Menschen begleitete die Revolution von Beginn an.937 Das revolutionäre Selbstverständnis, einen vollkommenen Bruch mit der Vergangenheit des Ancien Régimes zu vollziehen, implizierte bereits den Erziehungsgedanken. Nicht nur der Jugend und den zukünftigen Generationen sollte eine Zukunft in Freiheit ermöglicht werden, sondern das ganze Volk von den Auswüchsen der Herrschaft ‚der Willkür und des Aberglaubens‘ befreit werden, um der Verfassung genügen und persönliches wie gesellschaftliches Glück erreichen zu können.938 Damit wurde die Erziehung zum Herzstück des revolutionären Projektes. Doch war das Lager ihrer Verfechter stets uneins. Schon die Konstituante stritt über das pädagogische Paradox der Möglichkeit einer gleichzeitigen Erziehung in und zur Freiheit. Zunächst widmete man sich Fragen des Schulwesens, das staatlich zentralisiert und in rationalem und demokratischem Geiste vollkommen umgestaltet werden sollte. Unter Leitung Condorcets erarbeitete der eigens zu diesem Zweck eingerichtete Bildungsausschuss (Comité d’instruction publique) der Législative das erste Konzept eines modernen, wissenschaftsorientierten Bildungssystems, welches die Religion laissait le gouvernement dans son intégrité“), zitiert nach WORONOFF: La République bourgeoise de Thermidor à Brumaire, S. 10. 936 Vgl. SCHMIDT/SCHRÖER: Ordre public und homme nouveau, passim. 937 Vgl. BAECQUE, Antoine de: La Révolution acceuille la régénération. Naissance, education et pretention du nouvel homme, in: LA RÉVOLUTION FRANÇAISE ET LES PROCESSUS DE SOCIALISATION, S. 661–668. 938 Vgl. JULIA, Dominique: Art. Instruction publique/éducation nationale, in: SOBOUL: Dictionnaire, S. 575–581, S. 575.

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komplett aus dem Unterricht ausschloss und Prinzipien eines wissenschaftlichen Universalismus an ihre Stelle setzte. Doch erst der Konvent sollte nach dem Sturz der Monarchie ein umfassendes Unterrichtsgesetz verabschieden – nach langen, teilweise widersprüchlichen Debatten und im Kontext der Terreur. 939 Neben der Notwendigkeit der Neuorganisation des Schulwesens dachte man seit 1791 über die Möglichkeiten einer staatlichen Moralerziehung nach, die vor allem über Feste erreicht werden sollte. Mirabeau und Talleyrand hatten die Feste als Medien einer moralisch-patriotischen Erziehung vorgeschlagen, die zunächst durchaus noch mit traditionellen, religiösen Feiern koexistieren sollten. Sie waren von Vorbildern der Antike inspiriert,940 sollten Austragungsort für Wettbewerbe, Schauplatz von Preisverleihungen und Auszeichnungen patriotischer, schulischer, literarischer, künstlerischer und wissenschaftlicher Leistungen sein, gemäß den Vorstellungen Rousseaus und der Physiokraten.941 Erst in Zeiten der Republik entwickelte sich jedoch die Idee, die traditionellen religiösen durch ein System patriotisch-pädagogischer Feste komplett zu ersetzen. Raubaut Saint-Etienne stellte im Dezember 1792 ein Erziehungskonzept vor, welches im Gegensatz zu den Vorstellungen Condorcets argumentierte, Staat und Religion sollten nicht getrennt werden, sondern sich in neuer Weise gegenseitig durchdringen. Er entwickelte ein umfassendes Konzept der Vergemeinschaftung durch einen republikanischen Kult, welcher anlässlich von öffentlichen ‚Spektakeln‘, um die sich die Nation versammeln könne, zu realisieren sei: „L’instruction publique demande des cirques, des gymnases, des armes, des jeux publics, des fêtes nationales, le concours fraternel de tous les âges et de tous les sexes, le spectacle imposant et doux de la société humaine rassemblée.“942 In den Kantonshauptstädten sollten temples nationaux eingerichtet werden, in denen sonntags die Erklärung der 939

Zusammenfassung nach HARTEN: Elementarschule und Pädagogik, S. 25–67; vgl. dort auch zum Folgenden. 940 „[…] où, au milieu des jeux, des luttes, de toutes les émotions d’une allégresse universelle, l’amour de la patrie, cette morale presque-unique, des anciens peuples libres, s’exaltait jusqu’à l’enthousiasme, et se préparait à des prodiges“; Talleyrand, Charles Maurice de: Rapport sur l’instruction publique, fait au nom du Comité de constitution, à l’Assemblée nationale, les 10, 11 et 19 septembre 1791, par M. de Talleyrand-Périgord, Paris 1791, zitiert nach: ARCHIVES PARLEMENTAIRES, Bd. 30, S. 476ff. 941 Vgl. HARTEN: Elementarschule und Pädagogik, S. 47f. 942 Rabaut Saint-Etienne, Jean-Paul: Projet d’éducation nationale, du 21 décembre 1792, Paris ca. 1792–1793, zitiert nach: GUILLAUME: Procès-verbaux du comité d’instruction publique, Bd. 1, S. 232. Die Formulierung erinnert an Rousseau, vgl. Rousseau: Considérations, S. 967: „Dans tous les collèges il faut établir un gymnase ou lieu d’exercises corporelles, pour les enfants.“

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Rechte und Pflichten der Bürger verlesen, patriotische Lieder gesungen und moralische Reden gehalten würden. Im Schulunterricht sollten Kinder die Menschenrechtserklärung und die wichtigsten „hymnes civiques“ kennenlernen; ein ‚Fest der Kinder‘ und ein ‚Fest der Jugend‘, welches gleichzeitig der Überprüfung der staatsbürgerlichen Kenntnisse und Fähigkeiten zu dienen hatte, rundeten diese erste Phase der republikanischen Sozialisation ab. Diese erfuhr jedoch im Erwachsenenleben eine Fortsetzung: Unterschiedliche Kleidung war zur Abgrenzung der verschiedenen Altersstufen geplant; die ‚Alten‘ sollten sich in einem Senat versammeln, dem eine Art moralische Kontrolle über das Gemeinwesen zukam. Auf diese Weise würden auch die Erwachsenen der „pädagogischen Gerontokratie“943 unterworfen. Die Vorstellung einer ‚natürlichen‘ Erziehung im Einklang mit der Abfolge der biologischen Lebensalter sowie die Idee der Vergesellschaftung durch eine quasi-religiöse Moral, die in einem eigenen Kult zu pflegen sei, wurde parteiübergreifend geteilt. Entsprechend erfuhr sie in den darauffolgenden Jahren immer neue Variationen und Adaptionen.944 Strittig blieben jedoch die Fragen nach der Rolle des Staates und der konkreten Organisation des Kultes. Die Fraktionskämpfe zwischen Girondins und Montagnards erschwerten im Jahr 1793 die Beschlussfassung. Rabaut selbst zählte zum Lager der gemäßigten Republikaner (Gironde)945 und wurde im Dezember 1793 als vermeintlicher Gegenrevolutionär auf der Guillotine hingerichtet.946 Sein Programm staatlicher Moralerziehung war von der Vision geleitet, die strenge Moral des antiken Sparta in Frankreich zu neuem Leben zu erwecken. Der Entwurf, welchen Lakanal im Anschluss an Rabaut zur Abstimmung vorlegte, entschärfte viele Ideen, hielt aber allgemein an der Idee der Erziehung durch ein umfassendes Festprogramm fest; dies sollte auf Kosten der Nation auf Kantons-, Distrikts- und Departementebene sowie in der

943

HARTEN: Elementarschule und Pädagogik, S. 49. Zum gesamten Abschnitt vgl. ebd., S. 47–49. 944 Zur Politik der institutions républicaines vor dem Jahr VI (1798) vgl. BRUNEL, Françoise: Les institutions républicaines: projet démocratique, horizon d’attente et/ou utopie (an II–an V), in: CHAGNY, Roger (Hrsg.): La Révolution française: Idéaux, singularités, influences. Journées d’études en hommage à Albert Soboul, Jacques Godechot et Jean-René Suratteau, Musée de la Révolution Française, Vizille und Grenoble 2002, S. 319–328. 945 Dies erklärt auch, warum seine Ideen nach dem 9. Thermidor und vor allem zur Zeit des Direktoriums wieder aufgenommen wurden. 946 Vgl. DUPONT, Anne-Marie: Art. Rabaut Saint-Etienne, Jean-Paul, in: SOBOUL: Dictionnaire, S. 879–881, S. 881.

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Hauptstadt organisiert werden.947 Es kam erneut zu keinem Beschluss. Die Gegner monierten den zu starken administrativen Zentralismus, welcher der Idee der individuellen Freiheit widerspreche. Damit tendierte der Konvent bereits vor dem 9. Thermidor zu Positionen, welche im Ersten Direktorium verwirklicht werden sollten: einer Institutionalisierung der staatlichen Erziehung – aber in liberalem Geiste. Daunou, als ein der Gironde nahestehendes Mitglied des Erziehungsausschusses, veröffentlichte im Kontext der Debatte im Sommer 1793 seinen einflussreichen Essai sur l’instruction publique, in dem er ausdrücklich zwischen zwei Bereichen des Erziehungswesens unterschied: der éducation nationale, welche den Bereich der Schulen und Bildungseinrichtungen umfasse, sowie den Bereich der instruction publique, welche die Gesamtheit derjenigen ,Institutionen‘ betreffe, die den republikanischen Geist stützen sollten („l’ensemble des institutions publiques destinées à repandre sur tous les âges, sur la nation tout entière, les connaissances et les habitudes propres à nourrir l’ésprit républicain et maintenir la liberté“).948 Angesichts der nach wie vor in Frankreich vorhandenen Gewohnheiten und Traditionen der Monarchie sei es wichtiger, die Sitten zu verändern als Gesetze zu machen: „certes, on voit trop qu’un tel peuple a plus besoin encore de mœurs que de lois, et d’instruction que de gouvernement“949. Trotz einer ausführlichen Debatte kam bis zum Ende des Jahres nur eine Kompromisslösung zustande, welche in Anlehnung an die liberaleren Konzepte zunächst den Primarschulunterricht institutionalisierte. Das Unterrichtsgesetz vom 29. Frimaire II (19. Dezember 1793) formulierte zu diesem Zweck wesentliche Grundsatzbestimmungen, welche durch weitere Anweisungen der Ausschüsse sowie durch Ausführungsgesetzgebung präzisiert werden sollten.950 Gerade im Zeichen der Krise der Jahre 1793/94 erschien jedoch die moralisch-patriotische Integration der Jugend und der Bevölkerung 947

Vgl. Lakanal, Joseph: Convention nationale. Projet d’éducation du peuple français, présenté à la Convention nationale, Au nom du comité d’instruction publique, le 26 juin 1793, l’an II de la République, Paris 1793, S. 15–20. 948 Daunou, Pierre Claude François: Essai sur l’Instruction publique, Paris 1793 [27. Juli 1793], zitiert nach GUILLAUME: Procès-verbaux du comité d’instruction publique, Bd. 1, S. 581–704, S. 581. 949 Ebd. 950 Der Unterricht sollte allgemein, kostenlos und obligatorisch sein – unter Voraussetzung eines ordentlichen Antrags und eines „certificat de civisme“ von Seiten der regionalen staatlichen Repräsentanten. Religiöse Unterrichtsinhalte sollten durch republikanische Texte ersetzt werden. Vgl. HARTEN: Elementarschule und Pädagogik, S. 51ff. Vgl. dort auch zum Folgenden.

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durch öffentliche Erziehung wichtiger denn je. Die Zielsetzung der Redebeiträge gewann dabei einen stärker politischen Charakter. Nicht nur ideelle Ziele, sondern auch die Sicherung des Erreichten und die Überwindung des politischen Gegners erforderten eine Institutionalisierung republikanischer Sitten und Gebräuche. Schon im Juli 1793 hatte Daunou formuliert: Pour fonder une République, il ne suffit pas de renverser un trône, si l’on n’abolit encore tous les ouvrages de la royauté, si l’on ne ruine ses créations morales, si l’on ne déracine les habitudes qu’elle imprima, si l’on ne s’empare enfin des idées et des mœurs politiques pour les mettre en accord avec une constitution républicaine.951

Infolge des Bürgerkrieges galt es, nicht mehr ausschließlich die royauté, sondern auch einen innenpolitischen Gegner zu bekämpfen. Die Dechristianisierungswelle hatte einen erneuten Machtzuwachs der Sansculotten ausgelöst, dem der Konvent 1794 durch die Institutionalisierung eines republikanischen Kultes entgegenzuwirken versuchte. Das Projekt der öffentlichen Erziehung durch republikanische Feste wurde erneut aufgenommen und nun deutlicher als bislang geschehen als ‚staatsbürgerlicher Kult‘ im Rousseauschen Sinne geplant. Der Deismus sollte mit Mitteln staatlichen Zwangs durchgesetzt werden, um die Kirche in ihren nach wie vor bestehenden Machtpositionen zurückzudrängen und gleichzeitig dem Atheismus der Dechristianisierungswelle eine Absage zu erteilen. Auch die Proklamation des Glaubens an das ‚Höchste Wesen‘ und die Anerkennung der Unsterblichkeit der Seele sowie die Planung der Fête de l’Être suprême sind in diesem Kontext zu verstehen. Mittels einer staatlich-bürokratischen Regelung hoffte man, die gesellschaftliche Einheit auf der Grundlage eines gemeinsam geteilten religiösen Gefühls neu zu errichten.952 Vor dem 9. Thermidor wurde für den republikanischen Kult noch keine befriedigende Form gefunden, aber es entstanden verschiedene Ansätze, die Thermidorianer und Direktorialisten später wieder aufgriffen: Mathieu stellte im Namen des Comité d’instruction publique im Februar 1794 einen ersten Gesetzesentwurf zum Dekadenkult vor, der ein Versuch war, das von Lakanal vorgeschlagene Festprogramm stärker mit dem Revolutionskalender in Einklang zu bringen und präziser zu definieren.953 Erstmals war von „fêtes décadaires“ die Rede, die 951

Daunou: Essai sur l’Instruction publique, S. 583f. Vgl. HARTEN: Elementarschule und Pädagogik, S. 59–67. 953 Vgl. Mathieu, Jean-Baptiste-Charles: Projet de fêtes nationales, présenté au nom du comité d’instruction publique, Paris, an II, zitiert nach: GUILLAUME: Procès-verbaux du comité d’instruction publique, Bd. 3, S. 508–512. Dort auch zum Folgenden. 952

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landesweit am 10. Tag der Woche in „Temples de la Raison“ abzuhalten seien: Jeder (!) Dekadi wurde einem bestimmten Thema oder Wert gewidmet, welcher mit einem Nationalfest begangen werden sollte.954 Der Wertekanon wurde im Vergleich zu früheren Entwürfen überarbeitet und stärker auf die republikanische Gesellschaft (deren Werte und Tugenden, Vorbilder und Lebensabschnitte hin) zugeschnitten. Im Fest sollte sich die mythische Einheit der Nation visualisieren, welche die Revolution als Zeit der Zwietracht und Entzweiungen beendete.955 Der Wille zur Vereinheitlichung der Feiern in der ganzen Republik stand im Vordergrund des Entwurfs; wichtigstes Medium zur Übermittlung von Ideen sollten ‚Hymnen und Nationalgesänge‘ sein, welche über einen Wettbewerb ausgewählt und durch die Gesetzgeber bewilligt werden sollten. Auf diese Weise sicherte sich der Staat die Inhaltskontrolle. Der Wohlfahrtsausschuss erklärte die Angelegenheit zur Chefsache. Die Oberbegriffe ‚staatsbürgerliche‘ beziehungsweise ‚gesellschaftliche Institutionen‘ sollten sich weiter verfestigen, schienen sie doch zu verdeutlichen, weshalb der Sachverhalt in den Zuständigkeitsbereich der Gesetzgeber fiel. Couthon erinnerte stellvertretend für das Comité de salut public in der Konventssitzung vom 3. Floréal II (22. April 1794) die Versammlung daran, dass die loi sur la police générale de la république die Einsetzung von zwei Ausschüssen vorgesehen habe: einen zur Erstellung eines einheitlichen Gesetzbuches der Republik („en un code clair, simple et succinct, toutes les lois rendues jusqu’à ce jour“),956 einen anderen, um Richtlinien für die gesellschaftlichen oder zivilen Institutionen („le code des institutions sociales“, weiter unten „institutions civiles“) zu erstellen.957 Mit den Begriffen ‚Gesetze‘ und ‚Institutionen‘ benannte er die beiden wichtigsten Säulen der republikanischen Ordnung. Anders als die Bezeichnungen ‚Ritual‘, ‚Zeremonie‘ oder ‚Gewohnheit‘ betont die Formulierung ‚Institution‘ den weltlichen und öffentlichen Charakter der sich dahinter verbergenden Praktiken. Couthon appellierte an die Versammlung, sie dürfe diese wichtige Aufgabe nicht vernachlässigen – über Institutionen würden die Menschen entsprechend der von ihnen gewählten Regierungsform geprägt: „Nous 954

Vgl. tabellarische Ansicht im Anhang des Projektes: ebd., S. 511. Vgl. so die Hauptthese von OZOUF: La fête. 956 Dies war der Vorläufer des späteren Code civil. Der Konvent setzte im Anschluss an Couthons Redebeitrag die Abgeordneten Cambacérès, Merlin (de Douai) und Couthon zur Erarbeitung des Gesetzbuches ein. Cambacérès veröffentlichte 1796 ein „Projet de Code civil“ und wurde unter Napoleon Vorsitzender der Expertenkommission zur Redaktion des Code civil. 957 Vgl. Couthon, au nom du comité de salut public, zitiert nach: Moniteur n° 214, 4 floréal II (23. April 1794), CN, séance du 3 floréal. 955

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avons la démocratie, il faut que nos institutions soient démocratiques.“958 Analog zu der Parole ‚Krieg den Schlössern, Friede den Hütten‘ gab er in Bezug auf die zivilen Institutionen eine neue Losung aus: ‚Krieg den Schurken und Nichtswürdigen; Frieden und Ehre der Tugend‘.959 Da bereits ein Mitglied des Wohlfahrtsausschusses mit dem Thema befasst sei, schlug er vor, auf die Einsetzung einer weiteren Kommission zu verzichten und das Comité de salut public selbst mit dem Projekt zu betrauen; dieser Vorschlag wurde angenommen. Dasjenige Mitglied, welches sich mit dem Konzept der staatsbürgerlichen Moralerziehung beschäftigte, war Robespierre. Bereits zwei Wochen später legte dieser das Ergebnis seiner Reflexionen zur Abstimmung vor: das Gesetz vom 18. Floréal II (7. Mai 1794), welches in seinen beiden ersten Artikeln den Glauben des französischen Volkes an das Höchste Wesen und die Unsterblichkeit der Seele dekretierte. Die Verankerung der Idee der Staatsbürgernation in der Transzendenz erschien Robespierre unverzichtbare Grundlage jedes habitualisierend wirkenden (und wirksamen) neuen Kultes.960 Im Anschluss an dieses Dogma folgte ein Kanon der zu begehenden Revolutionsfeste und Dekadenfeiern; den Abschluss bildete der Beschluss zur Durchführung der Fête de l’Étre suprême am 20. Prairial II (8. Juni 1794).961

958

Ebd.; dort auch: „Nous sentons tous combien sont importantes les institutions civiles; ce sont les institutions qui façonnent les hommes à la forme du gouvernemet qu’ils ont adopté.“ 959 Vgl. ebd. „Nous avons dit dans nos opérations révolutionnaires: ‚Guerre aux châteaux, paix aux chaumières;‘ [sic] nous dirons dans nos institutions civiles: ‚Guerre aux fripons, aux infâmes; paix, honneur à la vertu.‘ (Les plus vifs applaudissements se font entendre de toutes parts.)“ 960 Vgl. HARTEN: Elementarschule und Pädagogik, S. 59–62. 961 Vgl. Robespierre, Maximilien: Rapport fait au nom du comité de salut public, Sur les Rapports des idées religieuses et morales avec les principes républicains, et sur les fêtes nationales, Paris An II; dort werden die 36 zu begehenden Dekadenfeste aufgelistet (S. 40f.): „[1] A l’Être suprême et à la Nature. Au Genre humain. Au Peuple français. Aux bienfaiteurs de l’humanité. Aux martyrs de la liberté. A la liberté et à l’Égalité A la République. A la liberté du Monde. A l’amour de la Patrie.

A la haine des tyrans et des traîtres. A la Vérité. A la Justice. A la Pudeur. A la Gloire et à l’Immortalité. A l’Amitié. A la Frugalité. Au Courage. [18] A la Bonne-foi.

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Robespierres Entwurf korrigierte die Liste der Tugendfeste, welche an den 36 Dekaditagen über das Jahr verteilt zu begehen seien – wenn auch in Anlehnung an Mathieu.962 Vor allem die natur- und jahreszeitenbezogenen Feste wurden zugunsten von gesellschaftlichen Gruppen oder staatsbürgerlichen Tugenden eliminiert; implizit wurde dabei auch eine Hierarchie der Anlässe eingeführt. Ansonsten war das Dekret in mancher Hinsicht sogar weniger konkret als der Vorschlag Mathieus, da keine genauen Vorschriften über die Festredner, die Organisation und den Ablauf der Feiern gemacht wurden. Wohlfahrts- und Bildungsausschuss wurden gemeinsam mit der weiteren Ausarbeitung betraut. Allerdings blieb dem Konvent bis zum 9. Thermidor kaum noch Zeit, den Dekadenkult auch konsequent umzusetzen. Letztlich war nur ein Rahmen gestiftet worden, der nach 1794 praktisch gefüllt werden musste.963 Für die Frage nach der weiteren Entwicklung des Konzeptes der institutions républicaines erscheint bedeutsam, dass Robespierre an mehreren Stellen den Begriff ‚institution‘ in Verbindung mit den Festen verwandte;964 außerdem verband der Titel seines Berichtes erstmals ausdrücklich ‚religiöse und moralische Grundsätze‘ mit den

[19] A l’Héroïsme. Au Désintéressement. Au Stoïcisme. A l’Amour. A la Foi conjugale. A l’amour paternel. A la Tendresse maternelle. A la Piété filiale. A l’Enfance. 962

A la Jeunesse. A l’Age viril. A la Veillesse. Au Malheur. A l’Agriculture. A l’Industrie. A nos Aïeux. A la Posterité. [36] Au Bonheur.“

Vgl. GUILLAUME: Procès-verbaux du comité d’instruction publique, Bd. 3, S. 512: Mathieu sollte sich mit Robespierre abstimmen, schließlich wurde sein Entwurf aber ganz zurückgezogen und der Kopf der Revolutionsregierung selbst mit Bericht und Entwurf betraut. Die Ausarbeitung legt jedoch einen Abgleich mit dem Entwurf Mathieus nahe. 963 Harten weist darauf hin, dass das Gesetz vom Floréal II in mancher Hinsicht nur die Legalisierung und Generalisierung von Praxisformen bedeutet habe; vgl. HARTEN: Elementarschule und Pädagogik, S. 62. Allerdings trifft dies nur für wenige Regionen des Landes zu. 964 Vgl. Robespierre: Rapport, S. 31: „Il est cependant une sorte d’institution qui doit être considérée comme une partie essentielle de l’éducation publique, et qui appartient nécessairement au sujet de ce rapport: je veux parler des fêtes nationales“; sowie ebd., S. 39: „IV. Il sera institué des fêtes pour rappeler l’homme à la pensée de la Divinité, et à la dignité de son être.“

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‚republikanischen Prinzipien‘965. Diese Idee wird auch in den einleitenden Ausführungen erläutert: Angesichts der errungenen Siege müsse der Gesetzgeber die Atempause im Krieg nutzen, um mehr als bislang geschehen an sich selbst und das Vaterland zu denken; jetzt gehe es darum ‚diejenigen Prinzipien zu festigen, auf denen die Stabilität und die Glückseligkeit der Republik‘ beruhten.966 Bislang sei nur ‚die Hälfte der Revolutionierung der Welt‘ geleistet, die andere Hälfte, ‚die moralische und politische Ordnung‘ betreffend, müsse noch vollendet werden.967 Diese Formulierungen erschreckten sowohl diejenigen, die ein Interesse daran hatten, die Revolution so schnell wie möglich zu beenden, als auch diejenigen Gegner Robespierres, die Angst hatten, selbst von seiner Kritik getroffen zu werden. Allerdings finden sich – das Desiderat der staatsbürgerlichen, moralisch-patriotischen Erziehung und das Fernziel der Stabilisierung der Republik betreffend – fast identische Formulierungen in allen Debatten der Thermidorianer und Direktorialisten, welche um die republikanischen Institutionen kreisten. Erst das Fructidor-Direktorium sollte sich jedoch konsequent bemühen, diese Ziele auch tatsächlich zu erreichen. Die diskutierten symbolpolitischen Konzepte lassen sich nicht eindeutig politischen Lagern oder gesellschaftlichen Interessengruppen zuordnen. Im Konvent wurden gleichzeitig liberale, demokratische Unterrichtsprojekte und staatlich-bürokratisch geregelte Maßnahmen zur staatsbürgerlichen Erziehung unterstützt.968 In der Tendenz neigten die Montagnards stärker zu einer staatlich-bürokratischen Lösung, wogegen die gemäßigten Republikaner oder ehemaligen Konstitutionellen eher liberale Positionen vertraten. Doch pragmatische Zwänge, wie die Notwendigkeit der Reaktion auf die Widerstände in der Provinz sowie die Kriegserklärung an die Traditionen der katholischen Kirche, ermöglichten auch Mehrheiten jenseits der Lagergrenzen.969 965

Vgl. ebd.; der volle Titel lautet: „Rapport fait au nom du comité de salut public, sur les rapports des idées religieuses et morales avec les principes républicains, et sur les fêtes nationales.“ 966 Vgl. ebd., S. 1. 967 Vgl. ebd., S. 3: „Tout a changé dans l’ordre physique; tout doit changer dans l’ordre moral et politique. La moitié de la révolution du monde est déjà faite; l’autre moitié doit s’accomplir.“ 968 Vgl. so auch die Einschätzung von HARTEN: Elementarschule und Pädagogik, S. 62. 969 Für eine noch detailliertere Einschätzung der Willensbildung müsste die Interaktion zwischen der Revolutionsregierung und den Ausschüssen bzw. dem Plenum des Konvents genauer untersucht werden. Bezüglich der Abstimmung zwischen Mathieu und Robespierre vgl. GUILLAUME: Procès-verbaux du comité d’instruction publique, Bd. 3, S. 512. Dort werden auch die Widmungen der 36 Dekadenfeiern miteinander verglichen.

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Da jede Form der parteilichen Organisation abgelehnt und als Angriff auf die gesellschaftliche Einheit denunziert wurde, existieren nur wenige Texte, die es erlauben, die Meinung der verschiedenen Gruppierungen im Konvent klar zu definieren. Umso bedeutsamer für die Forschung ist daher die im Nachlass von Saint-Just aufgefundene Sammlung von Texten, die wohl als Grundlage für ein politisches Traktat verfasst worden waren und in einzigartiger Weise zusammenhängende Gedanken der Anhänger Robespierres zum Thema der republikanischen Moralerziehung überliefern. Entsprechend groß war auch der Einfluss des erstmals 1800 unter dem Titel Fragments des Institutions républicaines veröffentlichten Textkonglomerats auf die historische Interpretation.970 Hauptgedanken und vorgeschlagene Maßnahmen sollen an dieser Stelle kurz vorgestellt werden, um anschließend das Programm des Direktoriums besser einordnen zu können. Saint-Just: „Fragments des Institutions républicaines“ Die Bezeichnung Fragments des Institutions républicaines ist in der Forschung umstritten, da die Sammlung Texte ganz unterschiedlicher Natur und unterschiedlichen Entstehungsdatums ungeordnet zusammenfasst.971 Die einzelnen Bestandteile wurden bei Saint-Just nach dessen Tod aufgefunden; darunter waren ebenso Manuskripte aus seiner Jugendzeit in Blérancourt (1791–1792) wie Schmierzettel für politische

970

Vgl. VINOT, Bernard: Art. Institutions républicaines, in: SOBOUL: Dictionnaire, S. 570. Zum Folgenden vgl. ebd., S. 570f. 971 Außerdem genügt die Edition von 1800 in keiner Weise den Ansprüchen der geschichtswissenschaftlichen Quellenkritik. Albert Soboul hat 1948 ein erhaltenes Manuskript mit den verschiedenen Veröffentlichungen verglichen und kam zu dem Ergebnis, dass der Herausgeber von 1800 politisch brisante Passagen, wohl in vorauseilendem Gehorsam im Hinblick auf eine mögliche bzw. wahrscheinliche Zensur, unterdrückt hat; auch die Reihenfolge der Fragments entspricht nicht der Reihenfolge des in der BnF aufbewahrten Manuskriptes. Allerdings verzeichnet die Veröffentlichung von 1800 eine Reihe von Passagen, deren Vorlage eventuell verlorengegangen ist; zumindest ist zum heutigen Datum keine archivierte handschriftliche Entsprechung bekannt. Ich stütze meine Ausführungen auf die Textausgabe der 2004 bei Gallimard veröffentlichten Oeuves complètes, die alle Textbausteine berücksichtigt und mit einem ausführlichen Anmerkungsapparat versieht: Saint-Just, Antoine-Louis de: Institutions républicaines, in: Ders.: Œuvres complètes, Édition établie et présentée par Anne KUPIEC et Miguel ABENSOUR, Paris 2004, S. 1085–1147. Die Seitenzahlen in runden Klammern beziehen sich auf diese Ausgabe. Dazu vgl. SOBOUL, Albert: Les institutions républicaines de Saint-Just d’après les manuscrits de la Bibliothèque Nationale, in: Annales historiques de la Révolution française (1948), S. 193–213 sowie ders.: Un manuscrit inédit de Saint-Just, „De la nature, de l’État civil, de la Cité ou les Règles de l’indépendance du Gouvernement“, in: Annales historiques de la Révolution française (1951), S. 321–359.

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Reden im Konvent oder vereinzelte Randbemerkungen und Notizen. Gemeinhin wird der Gesamtkorpus als Rohentwurf eines zukünftigen politischen Traktats gewertet – trotz der insgesamt wenig überzeugenden Ausarbeitung und Gedankenführung.972 Zumindest grobe Linien sind in der Gesamtsicht erkennbar: Saint-Just wollte auf Basis einer Umverteilung des Bodens eine egalitäre Gesellschaft verwirklichen. Jede Familie sollte ein Stück Land erhalten, welches ihr wirtschaftliche Unabhängigkeit zusicherte. In Erziehungsfragen favorisierte Saint-Just (wie Robespierre) eine als Internat organisierte Einheitsschule, in der die Kinder bis zum Alter von 16 Jahren eine militärische und zivile Erziehung nach dem Vorbild Spartas erhalten sollten. Die Tugend sollte auf allen Ebenen der Gesellschaft und für alle Altersgruppen ‚institutionalisiert‘ werden. Brüderlichkeit und die Anerkennung des Höchsten Wesens und der Unsterblickeit der Seele verbürgten die Gemeinschaft der Bürger, die sich in Tempeln versammeln und dort öffentlich Rechenschaft für ihr Verhalten ablegen sollten. Zu Unrecht hat die Forschung in der Debatte um die institutions républicaines den Blick auf Saint-Just verengt.973 Der Titel wurde den Manuskripten erst nachträglich hinzugefügt und das Projekt entstand, wie wir gesehen haben, im Kontext eines breiten, von der Aufklärung inspirierten Diskurses über Fragen der politischen Philosophie, welcher inner- und außerparlamentarisch Mitte der 90er Jahre in Frankreich große Relevanz besaß. Saint-Justs Gedanken sind daher nicht unbedingt innovativ. Er knüpft an die Ideen Montesquieus und vor allem Rousseaus an, indem er die Notwendigkeit der Tugend in einem demokratischen System betont, exzessiv die Antike bewundert und den Bezug zum Höchsten Wesen als wichtige Grundlage der Gemeinschaft der Bürger voraussetzt. Die Strukturen der neuen Cité, so Saint-Just, könnten unmöglich allein mit Gesetzen gefestigt werden, sie müssten an höheren Prinzipien aufgehängt werden, die aus dem Transzendenten

972

Vinot kritisiert im Hinblick auf die Möglichkeit eines eventuellen Traktatentwurfs vor allem die scheinbar willkürliche Auswahl der Themen und deren zusammenhanglose Aneinanderreihung. Langatmige Anspielungen an die Antike lähmten den Gedankenfluss und die emotionale Aufladung der Formulierungen grenze an mangelnden Realitätssinn. So könne man die merkwürdigsten Aussagen finden, wie z. B. ‚die Undankbaren werden verbannt‘, ‚wer keine Freunde hat, wird verbannt‘, ‚die Kinder essen kein Fleisch, bevor sie 16 Jahre alt sind‘; während der Feiertage könne ‚eine Jungfrau, die älter als zehn Jahre ist, nicht ohne ihre Mutter, ihren Vater oder Vormund in der Öffentlichkeit erscheinen‘ etc. Vgl. VINOT: Art. Institutions républicaines, S. 570f. 973 Vgl. ebd., passim: Vinot beschreibt nur die Fragments, ohne auf den parlamentarischen Diskurs der Jahre VIff. (1798ff.) zu verweisen.

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hervorgehen. Ohne die Grundlage einer zivilen Ethik erschienen ihm Demokratie und Republik nicht realisierbar. An dieser Stelle kommt der Begriff ,Institutionen‘ ins Spiel. SaintJust definiert sie als notwendige Einrichtungen jeder Republik: Allein über institutionelle Verankerungen könne sich eine Regierung gegenüber dem ihr untergebenen Volk absichern und umgekehrt das Volk gegenüber der Regierung schützen: „Les institutions sont la garantie du gouvernement d’un peuple libre contre la corruption des mœurs, et la garantie du peuple et du citoyen contre la corruption du gouvernement“ (1087).974 Neben den Verdiensten und Kompetenzen Einzelner verspricht die überpersönliche Institution größere Stabilität und Kontinuität für ein Staatswesen (u. a. 1140). Entscheidend sei deren soziales Ziel, welches in der dauerhaften Herstellung, Verbesserung und Regelung der Wertvorstellungen und Gebräuche des Volkes bestehe (1089). Tugend, Mut, Gerechtigkeitsempfinden, Einheit und Freundschaft sollten befördert werden, um ‚das Vaterland zu formen‘. Regierung und Gesellschaft (mit dem Begriff état civil, ‚Zivilstand‘, bezeichnet, 1087) sollten ‚moralisiert‘ (1087), das heißt von den neuen Normen durchdrungen werden, um die Verderbtheit der Sitten zu überwinden. Gleichzeitig werde auf diese Weise die Revolution ‚gefestigt‘ (1091). Institutionen seien in diesem Sinne ‚soziale und individuelle Garantien‘, welche Zwietracht und Gewalt verhindern könnten. Mehrfach wird der Gedanke wiederholt, es gebe zu viele Gesetze (1135f.); der Autor fordert: „Il faut peu de lois“ (1136). Zivile Institutionen sollen die Gesetze flankieren, nur durch sie sei die Freiheit auf Dauer zu gewährleisten (1135). Die Ausführungen sind weitgehend philosophischer Natur. Es geht um die allgemeinen Strukturen der neuen Cité und der in ihr vorherrschenden Beziehungen zwischen Regierenden und Regierten (u. a.

974

Vgl. Saint-Just: Institutions républicaines. Die im Fließtext angegebenen Zahlen in runden Klammern beziehen sich auf Seiten in dieser Ausgabe. Ähnliche Gedanken formulierte Saint-Just auch noch in seiner letzten Rede vor dem Konvent, am 9. Thermidor II (27. Juli 1794). Vgl. Convention nationale. Discours Commencé par Saint-Just, En la séance du 9 thermidor, Dont le dépôt sur le bureau a été décrété, par la Convention nationale, et dont elle a ordonné l’impression par décret du 30 du même mois. Zitiert nach: ARCHIVES PARLEMENTAIRES, Bd. 93, S. 558–562. Vgl. besonders S. 558: „Je ne suis d’aucune faction: je les combattrai toutes. Elles ne s’éteindront jamais que par les institutions qui produiront les garanties, qui poseront la borne de l’autorité, et feront ployer sans retour l’orgueil humain sous le joug de la liberté publique.“ Sowie S. 562: „Je propose donc le décret suivant: La Convention nationale décrète que les institutions, qui seront incessament [sic] rédigées, présenteront les moyens que le gouvernement, sans rien perdre de son ressort révolutionnaire, ne puisse tendre à l’arbitraire, favoriser l’ambition, et opprimer ou usurper la représentation nationale.“

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1138ff.).975 Aber die Textsammlung enthält auch Absätze, welche die Vorstellungen konkretisieren und Maßnahmen zum Erreichen der Ziele formulieren. Im fünften Fragment der 1800 veröffentlichten Fassung wird ausdrücklich zwischen zwei Typen französischer Institutionen unterschieden, solchen ‚moralischer, ziviler und häuslicher‘ Natur sowie ‚sozialen und politischen‘ Institutionen: 1. Des institutions morales, civiles et domestiques, sur l’éducation, les affections, et en ce qui concerne le code civil, la tutelle, l’adoption, l’hérédité et les transactions; sur les fêtes, les assemblées dans les temples, les vieillards et la censure; les lois rurales et somptuaires, les funérailles; 2. Des institutions sociales et politiques, sur les mœurs du gouvernement et des armées, sur l’établissement des censeurs, sur le militaire, sur la marine, sur le commerce, sur les garanties et sur le domaine public. (1142f.)

Hier sind zahlreiche Themen angesprochen, die in den darauffolgenden Jahren in den parlamentarischen Räten diskutiert werden sollten: Erziehung, Code civil, Angelegenheiten des Personenstandes, familiäre Beziehungen, Feste, bürgerlicher Kult, die Rolle der ‚Alten‘ für die neue Gesellschaft, der Umgang mit Besitz und Luxus sowie der Totenkult. Von diesem als ‚privat‘ gekennzeichneten Bereich geschieden werden Fragen der Kontrolle der Sitten der Regierung, des Militärs, der Organisation des Handels und des öffentlichen Sektors. Wie Robespierre betont auch Saint-Just die Notwendigkeit der Verbindung von Religion und Politik. Der Rückbezug auf ein Höchstes Wesen ist gleichermaßen die Garantie für die Tugendhaftigkeit von Regierenden und Gesellschaft.976 Der Tempel wird in diesem Sinne zum zentralen Versammlungsort der Nation erklärt; er ist folgerichtig auch der Ort, an dem feierlich die Gesetze verkündet werden sollen (1143). Die ‚Institutionalisierung‘ der Tugend vollzieht sich auf all diesen Praxisfeldern vor allem über symbolische Handlungen oder Zeremonien, bei denen die zu vermittelnden Werte gleichzeitig zur Anschauung gebracht werden. Beispielhaft werden das Erziehungsparadigma und die Festkultur genauer entwickelt: Männliche Kinder ‚gehörten‘ ab ihrem fünften Lebensjahr der Republik. Sie sollten eine gestaffelte Ausbildung genießen, die von der Grundschule über die Volksschule zur Berufsausbildung und zum Militärdienst führte (ebd.). Über einheitliche Kleidung sollte die Gleichheit visualisiert werden und die Grenze zwischen

975

Die Cité solle ‚geformt‘ (1138) werden – überraschenderweise sei dieser Gedanke von den Revolutionären lange Zeit vernachlässigt worden. Das Vaterland sei eine „communauté des affections“ (1137). 976 Vgl. VINOT: Art. Institutions républicaines, S. 571.

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arm und reich verschwinden: Alle Kinder trügen zunächst die gleichen Leinengewänder, junge Männer später die gleichen Uniformen; alle Mahlzeiten sollten gemeinsam eingenommen und gleiche Schlafstätten für alle bereitgehalten werden. Ihre Aufnahme in die Erwachsenengesellschaft der Bürger erfolge im Zuge eines Initiationsrituals: Unter den Augen des Volkes solle jeder einzelne einen Fluss durchschwimmen, um auf diese Weise seine Mannhaftigkeit unter Beweis zu stellen. Die Initiation erfolge beim ‚Fest der Jugend‘; anschließend wechsle man von der Schuluniform ins Handwerkergewand.977Alle ‚zivilen Zeremonien‘ von der Scheidung bis hin zur Übertragung der Vormundschaft oder Adoption fänden im Tempel statt. Selbst Freundschaftsbande sollten dort rituell bekannt und gefestigt werden – was nach Ableben eines Freundes auch zivilrechtliche Konsequenzen haben konnte.978 Anlässlich der Nationalfeste sollte das Dogma der Existenz des Höchsten Wesens und der Unsterblichkeit der Seele gefeiert werden – stets in Verbindung mit einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe oder mit einem republikanischen Wert (1118).979 Anders als die im Parlament eingebrachten Vorlagen zum Dekadenkult erklärte Saint-Just die ersten Tage aller Monate des Revolutionskalenders zu Festtagen. Die Gleichheit aller Bürger sollte am 1. Floréal durch die Hochzeit eines Reichen mit einem Mädchen aus armen Verhältnissen symbolisch zum Ausdruck gebracht werden (1107) – eine Idee, die bereits im Zuge der Rosenfestinitiative in Frankreich verfolgt worden war.980 Neben den Festen sollten aber auch im Alltag bestimmte Personengruppen oder Werte besonders herausgestellt werden, vor allem über das Mittel der Kleidung. So sollte beispielsweise jeder Mann, der ohne Tadel gelebt habe, ab seinem 60. Lebensjahr einen weißen Schal tragen; Soldaten

977

Diese Passage fehlt in dem von Soboul entdeckten Manuskript; Soboul präsentiert sie im Anhang. In der Originalveröffentlichung von 1800 befinden sich diese Ausführungen im Sechsten Fragment („Quelques institutions civiles et morales“), erster Abschnitt („Sur l’éducation“). 978 Vgl. S. 1102: „Tout homme âgé de 21 ans est tenu de déclarer dans le temple quels sont ses amis et cette déclaration doit être renouvelée tous les ans pendant le mois de ventôse.“ 979 Die Natur und das Volk (im Germinal), die Liebe und die Eheleute (im Floréal), der Sieg (im Prairial), die Adoption (im Messidor), die Jugend (im Thermidor), das Glück (im Fructidor), das Alter (im Vendémiaire), die unsterbliche Seele (im Brumaire), die Weisheit (im Frimaire), das Vaterland (im Nivôse), die Arbeit (im Pluviôse), die Freunde (im Ventôse). Vgl. ebd. 980 Vgl. EVERDELL: The Rosière mouvement. Im französischen Dorf Salency war auf adlige Initiative ein unversorgtes Mädchen mit einem tugendhaften Mann verheiratet und beiden aus adligem Stiftungsvermögen eine jährliche Rente zur Verfügung gestellt worden.

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dürften an den Stellen, an denen sie verletzt wurden, goldene Sterne auf ihre Uniformen nähen oder nach besonders schweren Verletzungen einen Stern auf dem Herzen tragen (vgl. ebd.). Saint-Justs Konzept der republikanischen Institutionen geht weit über das Gesetz vom 18. Floréal (7. Mai) hinaus und zeigt, wie vielschichtig die Debatte war. Die Feste waren nur der vorderste Posten, auf dem um die staatsbürgerliche Moral gekämpft wurde; daneben spielten zum Beispiel schulische Einrichtungen sowie die institutionalisierte Erinnerung an die Revolution stets eine große Rolle. In allen Bereichen sollten jedoch äußere Abzeichen sowie ritualisierte Praktiken die Republik sicht- und erfahrbar machen und auf diesem Wege neue Traditionen begründen. Grundzüge der Debatte nach dem 9. Thermidor Im Thermidor 1794 war die Idee der institutions républicaines somit bereits als parteiübergreifendes Thema etabliert. Unter diesem Begriff wurden zwei eng miteinander verknüpfte Ziele angestrebt: die Stärkung der bürgerlichen Moral und der Erhalt der Republik im Kampf gegen ihre Feinde; beide Ideen waren bereits im Konzept des Staatsbürgers untrennbar aufeinander bezogen. Angesichts der Unruhen im Inland und des Krieges mit dem Ausland erschien jedoch die republikanische Staatsform selbst stärker denn je in Gefahr. Mehr und mehr entwickelte sich die Debatte weg von ihrem philosophisch-theoretischen Ursprung hin zu einem Diskurs über den Fortbestand oder das Scheitern des gesamten republikanischen Projektes. Die vertu républicaine 981 sollte in festen institutions républicaines verankert werden. Die Republik wurde zu einer unantastbaren Errungenschaft stilisiert: Ihre Befürworter erklärten sie (zumindest indirekt) zur einzig legitimen Regierungsform, welche Volkssouveränität und Rechtsgleichheit, und damit den langfristigen Erfolg der Revolution, ermögliche. Das Ende der Monarchie und die Hinrichtung Ludwigs XVI. wurden nicht in Frage gestellt – zu sehr befürchtete man den Rückfall in alte Zeiten und den Verlust der revolutionären Errungenschaften. Immer eindringlicher legitimierte man die ‚republikanischen Institutionen‘ als notwendige Waffen im Kampf gegen die Feinde der Republik. Neben dem verbal beschworenen Wunsch, die Revolution zu beenden und in feste Bahnen zu lenken, ging es de facto häufig auch um eine Rechtfertigung von zurückliegen

981

Diese wurde ebenfalls allegorisch zur Darstellung gebracht: vgl. u. a. Darcis, Louis, nach Louis-Simon Boizot: Le Triomphe la Vertu républicaine, pointillé, col. à la poupée, ov. 11 × 9,5 cm (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 12016).

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den politischen Entscheidungen oder die Absicherung zukünfigen politischen Überlebens. Aber das Lager der Republikaner war zerstritten. Die Meinungen, welche Institutionen in welcher Weise zu befördern seien, gingen auseinander, und die Umsetzung der Maßnahmen war durch das Erbe der Terreur und die Notwendigkeit der Abgrenzung zu ihren Drahtziehern schwieriger denn je. Ungeklärt waren nach wie vor die Frage nach der Rolle des Staates sowie nach der Abgrenzung der Symbolpolitik gegenüber religiösen beziehungsweise privaten Kulten und Initiativen. Die parlamentarische Debatte um die institutions républicaines umfasste von 1794 bis 1799 immer wieder dieselben eng miteinander verwobenen Themen: erstens die Einrichtung eines staatsbürgerlichen Kultes, vor allem mittels eines nationalen Festkalenders, wobei umstritten war, ob die Feiern offiziell als ‚Kulthandlungen‘ bezeichnet werden beziehungsweise inwieweit sie einen religiösen Charakter besitzen sollten; eng damit verbunden war die Streitfrage, welche Rolle der Staat bei der Regulierung dieser Veranstaltungen zu spielen habe. Zweitens entstanden zeitgleich Zivilkulte aus privaten Initiativen, welche später teilweise auch staatlich subventioniert wurden. Dies implizierte eine Trennung der Diskurse um ‚Nationalfeste‘ und ‚Zivilreligion‘. Gemeinsam blieb allerdings beiden Feldern das Idealbild der ‚natürlichen‘ und ‚tugendhaften‘ Staatsbürgergesellschaft – wobei umstritten war, wie diese Bezüge anlässlich der Feste und Rituale genau umgesetzt werden sollten. Drittens ging es um die Einführung von weiteren gemeinschafts- und identitätsstiftenden Praktiken (wie Eidesleistungen) und Artefakten (wie Kokarden, republikanischen Katechismen oder Bürgerstammbüchern), auch jenseits der Feste oder Zivilkulte – wobei unter anderem umstritten war, wie genau die Eidesformeln zu lauten hatten und ob die Artefakte als Zeichen der Egalität oder der Distinktion zu verstehen seien. Die Frage nach der Etablierung eines republikanischen Schulwesens wurde nach 1795 kaum noch unter dem Oberbegriff institutions républicaines thematisiert. Um die Schule entstand ein eigener Diskurszusammenhang, der zur Einführung eines dreistufigen Modells führte (écoles primaires, spezialisierte weiterführende Schulen und Institut national). Umstritten blieb aber auch auf diesem Gebiet die Frage, wie weit der Staat in das Leben der Schüler eingreifen sollte (von spartanischer Internatserziehung bis hin zu Vorstellungen eines liberalen Schulsystems, welches unter Umständen sogar kirchliche Trägerschaften zuließ); angesichts der knappen Kassen stellten sich außerdem Fragen nach Finanzierbarkeit und Prioritäten; auch Probleme der Militär-

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erziehung über landesweit einzurichtende Écoles de Mars fielen in diesen Bereich.982 Zögerliche Entwicklung der Republikanischen Institutionen bis 1797 Die umgestaltete Revolutionsregierung hielt nach dem 9. Thermidor an dem Programm der institutions républicaines fest – wenn auch unter leicht veränderten Vorzeichen. Lanthenas setzte sich im Konvent für ein Grundsatzpapier des Exekutivgremiums ein, welches in zwölf Punkten die Rechte und Freiheiten des Bürgers garantierte, sich von Robespierre als einem „tyran d’odieuse mémoire“ distanzierte und gleichzeitig einen Teil des Programms der gestürzten Regierung übernahm. In Artikel XI hieß es, die Organisation der republikanischen Institutionen, welche immer wieder durch Fraktionskämpfe und Verschwörer verhindert worden sei, solle fortan beschleunigt werden.983 Der zweite Titel des Programms griff außerdem die Idee der Errichtung einer Zensurbehörde, den Wunsch einer ‚institutionalisierten Erklärung zur republikanischen Moral‘ für Beamte und Bürger sowie Ansätze des Dekadenkultes (mit öffentlichen Lektüren in einem zu errichtenden Amphitheater) auf.984 Auch Barère, der bis zum 15. Fructidor III (1. September 1794) noch Mitglied der Revolutionsregierung gewesen war, machte sich wenige Tage nach seinem Rücktritt von diesem Amt in seiner Funktion als Abgeordneter weiterhin stark für das Anliegen einer staatlichen Moralerziehung: Er kritisierte die Arbeit und Vorschläge Robespierres, welche im Ergebnis enttäuschend gewesen seien.985 Seit April sei die – damals von Couthon eingeforderte – Arbeit am Code civil als übersichtlichem Gesetzbuch der Republik weit fortgeschritten. Aber der zweite Flügel des Zivilrechts (sic: „la législation civile“), der in den institutions républicaines bestehe, sei dringend neu zu organisie982

Da diese Fragen bereits Gegenstand verschiedener spezialisierter Studien geworden sind, werden sie im Folgenden nur dort bearbeitet, wo es zu Überschneidungen mit den anderen Themenbereichen kommt (vgl. zum Beispiel Schüler und Jugendliche im Dekadenkult). Vgl. besonders BACZKO: Comment sortir de la Terreur; zu den Festen: OZOUF: La fête; zur Schule: HARTEN: Elementarschule und Pädagogik. 983 Vgl. Déclaration des principes du gouvernement révolutionnaire; garantie des droits et de la liberté du citoyen [16 thermidor an II], zitiert nach: Moniteur n° 351, 21 fructidor II (7. September 1794), CCC, séance du 19 fructidor an II (5. September 1794). Artikel XII definiert die ‚republikanischen Institutionen‘ als ‚all das, was eine Verbindung zur Entwicklung der Moral und der Erziehung‘ habe. 984 Vgl. ebd., Titre II: Moyens du gouvernement révolutionnaire, X.–XII. 985 Vgl. Barère, CN, séance du 20 Fructidor an II (6. September 1794), zitiert nach: Moniteur n° 352, 22 fructidor II (8. September 1794); hier klingt unter anderem erneut der Konflikt zwischen den Anhängern eines Vernunftkultes und eines Deismus an, der nicht unwesentlich zum Staatsstreich des 9. Thermidor beigetragen hatte.

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ren: „Citoyens, sans les institutions, il n’est point de république organisée, sans les institutions bien ordonnées il n’est point de république durable“986. Eindringlich ermahnte er die Abgeordneten, es handele sich bei diesem speziellen Bereich der Erziehungspolitik nicht um die bloße Organisation von Einrichtungen oder die Kanonisierung von Bildungsinhalten, sondern um eine verfassungspolitische Frage, welche das Regime in seinem Kern betreffe – und damit entweder stabilisiere oder destabilisiere: Prenez garde, cet objet n’est pas du ressort ordinaire de l’instruction publique: des écoles, des collèges, des théâtres ou quelques espèces d’académies, ne sont point des institutions républicaines; cet objet est entièrement politique-constitutionnel et attaché aux grands principes de la révolution et des gouvernements démocratiques.987

In der anschließenden Debatte setzten sich jedoch die Gegner der Montagnards (besonders Chénier und Reubell) durch: Obwohl das Comité d’instruction publique bereits mit der Organisation von Schulwesen, Kunstförderung und Theaterverwaltung vollkommen überfordert war,988 verblieb die Organisation der institutions républicaines in seinem Zuständigkeitsbereich. Die von Barère eingeforderte zusätzliche Kommission wurde abgelehnt.989 So war es der von gemäßigt-republikanischen Kräften dominierte Erziehungsausschuss, der die bevorstehenden Nationalfeste, welche noch unter Robespierre beschlossen worden waren, organisierte: die Pantheonisierung Marats und Rousseaus.990 Bereits im Winter 1794/95, im Kontext der anhaltenden Machtkämpfe um die politische Ausrichtung der nachthermidorianischen Republik, lebte die Debatte um die republikanischen Institutionen erneut auf – wenn auch konzeptionell zunächst kaum Neuerungen zu beobachten waren. In Anknüpfung an die bereits vorgelegten Projekte zum Dekadenkult entbrannte eine Auseinandersetzung um die Notwendigkeit und Rechtfertigung der staatlichen Kontrolle des republikanischen Kultes. Es kam jedoch zu keiner gesetzlichen Regelung. Die im September 1794 vollzogene Trennung von Staat und Kirche bedeutete den klaren Verzicht auf den Anspruch einer Staatsreligion; im Verlauf des

986

Ebd. Ebd. 988 Vgl. Moniteur n° 353, 23 fructidor II (9. September 1794). 989 Vgl. ebd. 990 Vgl. Moniteur n° 362, 2e sansculottide II (18. September 1794). Zu den Pantheonisierungen vgl. auch Kapitel 2.4.1 und 4.4.1. 987

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Jahres 1795 wurden viele Kirchen wieder für die katholische Kultausübung geöffnet.991 Dies konnte die Anhänger einer weitergehenden staatsbürgerlichen Moralerziehung kaum zufriedenstellen, was Thirion im Januar 1795 veranlasste, erneut die Einrichtung eines eigenen Ausschusses zur Pflege der institutions républicaines zu fordern.992 Der Abgeordnete kritisierte die Verengung der Gesetzgebung zu den republikanischen Institutionen auf die Dekadenfeiern und forderte ausdrücklich eine Ausweitung der gesetzgeberischen Tätigkeit zur Regulierung der gesellschaftlichen und republikanischen Vergemeinschaftungsformen: „un plan général d’institutions sociales et républicaines.“ Der Dekadenkult könne ein Bestandteil im Ensemble der einzurichtenden Praktiken sein, müsse jedoch notwendigerweise durch andere Institutionen ergänzt werden. Wolle man nicht riskieren, dass das Volk nach Beendigung der Revolution in seine alten Gewohnheiten verfalle, gelte es schnell zu handeln. Eine Expertenkommission sei mit dem Thema zu betrauen; die Ideen, welche im Comité d’instruction publique eingingen, seien zu heterogen, um eine zufriedenstellende Lösung zu ermöglichen. Die Argumentation verlagerte sich vom ideellen Diskurs um die Herausbildung des Staatsbürgers hin zu pragmatischeren Überlegungen – in dem Bewusstsein, von der erfolgreichen Republikanisierung der Bevölkerung hänge nicht zuletzt die Stabilität der Regierung und der demokratische Charakter des von der Reaktion bedrohten Systems ab: „Fixons, surtout en ce moment, l’attention de tous les philosophes de la république sur les institutions qu’il convient de donner aux Français pour assurer leur liberté et maintenir leur gouvernement démocratique; tel est le véritable problème à résoudre […].“993 Doch die Erziehungsdebatte tendierte 1795 zunächst zu liberaleren Bestimmungen, welche das Prinzip der bürgerlichen Freiheit über die Idee der Erziehung stellten. Angesichts der traditionalistischen Haltung in der Bevölkerung hegten viele Abgeordnete wohl auch Bedenken, ob ambitioniertere Projekte, welche die Erneuerung der Sitten per Gesetz voranzutreiben versuchten, überhaupt realisierbar seien. Im Laufe des Jahres entwickelte sich Daunou, der nach seiner Inhaftierung durch das Dekret von 18. Frimaire III (8. Dezember 1794) erneut in den Konvent aufgenommen worden war, rasch zu einem der einflussreichsten Bildungspolitiker in der Versammlung. Er prägte maßgeblich die 991

Vgl. HARTEN: Elementarschule und Pädagogik, S. 64. Vgl. Thirion, CN, séance du 29 nivôse II (18. Januar 1795), zitiert nach: Moniteur n° 122, 2 pluviôse II (21. Januar 1795). Dort auch zum Folgenden. 993 Ebd. 992

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Verfassung des Jahres III (1795) mit und war der Hauptverfasser des Unterrichts- und Erziehungsgesetzes vom 4. Brumaire IV (26. Oktober 1795). Dabei knüpfte er durchaus an seine oben erwähnte Schrift aus dem Jahr 1793994 an – allerdings hatte die Erfahrung der Terreur ihn eine liberalere Haltung einnehmen lassen.995 Die Loi Daunou entschied sich gegen die Institutionalisierung des Dekadenkultes, um eine Konkurenz mit dem christlichen Kult zu vermeiden; statt von ‚culte‘ ist ausschließlich von ‚solennités nationales‘ die Rede.996 Die Zahl der Dekadenfeiern sei zu hoch gewesen und habe die Einrichtung der öffentlichen Feste daher verlangsamt. Größeres Gewicht wurde nun auf die weniger häufig stattfindenden Nationalfeste gelegt, welche zumindest teilweise noch auf die Dekadenordnung bezogen blieben. Republikanische Institutionen sollten sich neben anderen sozialen Praktiken entwickeln und auch einen Kompromiss mit der katholischen Kultur ermöglichen; der Konvent beschloss sein Erziehungswerk mit einem Plädoyer für die friedliche Koexistenz von neuen und alten Traditionen zum Zwecke der Stabilisierung.997 Die allgemeine Idee der institutions républicaines als Instrument staatlicher Symbolpolitik zur Stabilisierung und Erziehung war damit jedoch keineswegs vollkommen aufgegeben worden. Vor allem im Rahmen der Feste wurde dieses Basisprogramm unmittelbar weiter verfolgt – und teilweise die Bezeichnung ‚institution‘ trotz der sprachlichen Analogie zur Jakobinerdiktatur auch weiterhin benutzt. Trouvé berichtet in der regierungsnahen Presse von der Fête des Victoires vom 10. Prairial IV (29. Mai 1796) als „institution républicaine“.998 Das Fest sei ein Zeichen für die republikanische Gesinnung der Regierung, die bemüht sei, im Geiste der Antike und nach den Lehren Rousseaus den Bürger durch imposante und sublime Spektakel zu formen und die Stärke der Republik zu demonstrieren: Les anciens législateurs, dit J.J. Rousseau, chercherent dans leurs institutions des liens qui attachassent les citoyens à la patrie et les uns aux autres, et ils les trouverent dans des usages particuliers, dans des cérémonies reli994

Vgl. Daunou: Essai sur l’Instruction publique, S. 581–704. Vgl. DORIGNY, Marcel: Art. Daunou Pierre Claude François, in: SOBOUL: Dictionnaire, S. 234f. 996 Vgl. Daunou, Pierre Claude François: Rapport sur l’instruction publique présenté au nom de la Commission des Onze et du Comité de salut public, dans la séance du 23 vendémiaire, Paris, vendémiaire an IV, zitiert nach Moniteur n° 32 und n° 33, 2 et 3 brumaire IV (24. und 25. Oktober 1795), CN, séance du 27 vendémiaire an IV (19. Oktober 1795). 997 Vgl. HARTEN: Elementarschule und Pädagogik, S. 67. 998 Vgl. Trouvé: Paris, le 11 prairial, in: Moniteur n° 253, 13 prairial IV (1. Juni 1796). 995

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gieuses qui par leur nature étaient toujours exclusives et nationales, dans des jeux qui tenaient beaucoup les citoyens rassemblés, dans des exercices qui augmentaient, avec leur vigeur et leurs forces, leur fierté et l’estime d’euxmêmes, dans des spectacles qui, leur rappelant l’histoire de leurs ancêtres, leurs malheurs, leurs vertus, leurs victoires, intéressaient leurs cœurs, les enflammaient d’une vive émulation, et les attachaient fortement à cette Patrie dont on ne cessait pas de les occuper. Cet esprit des anciens a guidé nos législateurs et leurs institutions vraiment républicaines réussiront à former des citoyens, comme l’amour de la gloire et l’enthousiasme de la liberté ont fait des héros de tous les soldats de la France. Qu’elle était belle, cette fête des victoires, célébrée hier au Champ de la Réunion!999

Der Artikel richtete sich eindeutig an die Adresse der Jakobiner, welche ihrerseits im Journal des hommes libres das Fest aufgrund seiner kühlen Rationalität kritisiert hatten. Entwicklung einer geschlossenen Programmatik nach dem 18. Fructidor Erst nach dem Staatsstreich vom 18. Fructidor V (4. September 1797) wurde die Debatte um die ‚republikanischen Institutionen‘ wieder explizit und unter diesem Namen aufgegriffen sowie weiter präzisiert. Schon einen Tag nach dem Staatsstreich schlug Audouin vor, eine neue Kommission einzuberufen: Angesichts der bedrohlichen Verbindung von Katholizismus und Royalismus, welche die Republik schon zu lange toleriert habe, müsse man endlich systematisch ‚republikanische Institutionen‘ ins Leben rufen, welche dem Geist der Freiheit konform seien und die Praktiken und Vorurteile der Monarchie vergessen ließen.1000 Es reiche nicht aus, mit Gewalt dem Royalismus seine Grenzen aufzuweisen; nach dem errungenen Sieg gehe es um eine sinnvolle Nutzung der wiedergewonnenen Stärke des republikanischen Lagers. Eine Kommission mit fünf Mitgliedern sollte ins Leben gerufen werden, „chargée de vous présenter un travail sur les institutions qui doivent garantir la durée de la République“. Diesmal hatte das Anliegen Erfolg: Jean Debry, Duhot und Jean-Baptiste Leclerc brachten in den folgenden Dekaden und Monaten im Namen dieses Ausschusses, der eng mit dem Comité d’instruction publique kooperierte, eine Reihe von Projekten und Vorschlägen in den Rat der Fünfhundert ein. Viele Themen wurden

999 1000

Ebd. Vgl. Audouin, Pierre-Jean: Motion d’ordre, Pour la formation d‘une commission qui soit chargée de présenter un travail sur les institutions républicaines, Séance du 19 Fructidor soir, an V, zitiert nach: Paris, BHVP, 12272, boîte 2 [débats sur les institutions civiles en l’an VI]. Dort auch zum Folgenden.

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aufgrund der bevorstehenden Wahlen zunächst vertagt. In der neuen Legislaturperiode kamen sie jedoch 1798 zur Abstimmung. Erst angesichts des wiedererstarkenden Royalismus schwenkte somit die Regierung 1797 erneut auf einen revolutionären Kurs ein. Der Rückzug aus dem Projekt der republikanischen Kultur, Bildung und Erziehung hatte im Ersten Direktorium landesweit, vor allem in der Provinz, zu einer Stabilisierung der traditionalen Kultur geführt; nach dem Staatsstreich sollten nun neue Anstrengungen zur Stärkung der republikanischen Erziehung und Kultur unternommen werden.1001 Das Motto des 18. Fructidor, die ‚Rettung der Republik‘, wurde auf die Zukunft ausgedehnt; republikanische Institutionen sollten nun langfristig und flächendeckend ausgebaut werden. An die Spitze der Bewegung stellte sich der Direktor La RevellièreLepeaux, der über mehrere Reden als Mitglied der Wissenschaftsakademie im Institut national bereits den allgemeinen Fahrplan zur Ausgestaltung der institutions républicaines vorgegeben hatte. Dort hatte er drei verschiedene Typen von Institutionen unterschieden: den religiösen Kult, die zivilen Zeremonien und die Nationalfeste. Der Direktor definierte alle drei Typen als Stützen der Verfassung, die untereinander verbunden seien und gemeinsam demselben Ziel zuarbeiteten: der Bewahrung der Sitten und dem Erhalt der Republik.1002 Die Religion sei eine notwendige Institution für das Volk, müsse aber Privatsache der Bürger bleiben; der Gesetzgeber dürfe hier allenfalls empfehlend und unterstützend tätig werden.1003 Seiner Meinung nach sollte sich der religiöse Kult auf eine geringe Zahl an Glaubensinhalten beschränken sowie durch ausgesprochene Schlichtheit auszeichnen; es gehe nicht darum, möglichst beeindruckende Bilder und Inszenierungen zu erreichen, sondern einen „goût de l’ordre et de simplicité decente“1004 zu befördern, wie dies auch im Kreise der Familie wünschenswert sei. Zivile 1001

Vgl. HARTEN: Elementarschule und Pädagogik, S. 67. Die Programmschrift beginnt mit dieser Unterscheidung: „Les institutions sont le plus ferme appui des constitutions et doivent former avec elles un parfait ensemble. Je distingue trois sortes d’institutions principales, le culte religieux, les cérémonies civiles et les fêtes nationales; toutes doivent être liées entre elles, et, pour ainsi dire, modelées sur le même type, afin que rien ne porte à faux, et que tout marche avec une force irrésistible au but commun: la conservation des mœurs et le maintien de la république.“ La Revellière-Lépeaux: Réflexions sur le culte, sur les cérémonies civiles et sur les fêtes nationales, lues dans la séance du 12 floréal an V de la classe des sciences morales et politiques de l’Institut national, in: La Revellière-Lépeaux: Mémoires, Bd. 3: Pièces justificatives, S. 7–27, S. 7. Diese Ausgabe datiert die Rede fälschlicherweise auf das Jahr VI. 1003 Vgl. ebd., S. 12 sowie dazu ausführlich Kapitel 3.5. 1004 Ebd., S. 13. 1002

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Zeremonien sollten hingegen mit ein wenig mehr Aufwand begangen werden, handle es sich doch um solche Anlässe, bei denen die wichtigsten Phasen des Lebens gefeiert würden: Geburt, Hochzeit und Tod.1005 Es sei eine Schande, dass aktuell eine Praxis zu beobachten sei, welche Kinder wie Stoffballen beim Zoll registriere; auch bedauere er, dass Zeugen und Paten nach den neuen Gesetzen des Personenstandsrechtes abgeschafft worden seien. Hier müsse der Gesetzgeber regulierend eingreifen, denn sonst verpasse er die Gelegenheit, die Bande von Eintracht und Verbundenheit zu fördern, welche für die Republik so bedeutsam seien.1006 Die zivilen Institutionen stellten für ihn das Bindeglied zwischen der Religion und den Nationalfesten dar.1007 Letzteren widmete er sich zum Schluss seiner Überlegungen. Nationalfeste sollten die Beziehung zwischen den Menschen und dem Vaterland sichtbar machen, welche ansonsten nur abstrakt vorstellbar sei.1008 In diesem dritten Typ müssten alle zur Verfügung stehenden Mittel benutzt werden, um ‚nationalen Pomp‘ zu entfalten; es gehe um die ‚Perfektionierung des sozialen Menschen‘: Nous avons tâché, par le culte, de rendre l’homme, en général, bon et juste; dans les institutions civiles, nous avons cherché plus particulièrement les moyens de reserrer les liens des familles et de faire chérir et pratiquer les devoirs de la vie civile; ici, il faut achever le perfectionnement de l’homme social; il faut ajouter à tant de qualités précieuses la force de l’âme, la grandeur de la pensée et le feu de l’imagination.1009

Alle drei Typen von Institutionen seien gleich wichtig, um eine Verbesserung des Menschen, des Lebensglücks und der Größe und des Wohlstands des Staates zu erreichen.1010 Die Typisierung war Grundlage einer Warnung La Revellières: Die Religion dürfe nicht mit dem Typ der Nationalfeste vermischt werden: „Rien n’est plus pernicieux qu’une telle entreprise.“1011 Wenn man es der Religion gestatte, sich in die öffentlichen Dinge einzumischen, sei der Weg zu Dominanz, Fanatismus und Aberglauben nicht mehr weit; das Weihrauchfass werde erneut die Herrschaft des Gesetzes verdrängen. Zweitens gefährde man mit 1005

Vgl. ebd., S. 16–21. Vgl. ebd., S. 17: „C’est ainsi que s‘étendent les liens de la concorde et ceux d’un attachement réciproque“; S. 18: „Si chacun est pour soi dans la famille, à plus forte raison chacun sera pour soi dans la république.“ 1007 Vgl. ebd., S. 21: „Les institutions civiles sont, pour ainsi dire, le terme moyen entre le culte religieux et les fêtes nationales.“ 1008 Vgl. ebd. 1009 Ebd., S. 22. 1010 Vgl. ebd., S. 23. 1011 Ebd. 1006

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einer solchen Vermischung die gesetzlich garantierte Gewissensfreiheit („liberté des consciences“); sobald der Staat Partei ergreife, würden zwangsläufig bei den zivilen Zeremonien und Festen religiöse Dogmen und Riten eine Rolle spielen; das Parlament würde sich über kurz oder lang in eine Schule von Theologen verwandeln.1012 Jedem Typus solle sein eigener Platz zugestanden werden: Le culte religieux ne doit être qu’une réunion d’hommes rassemblés pour rendre des actions de grâces à l’Éternel et s’exciter respectivement à la justice et à la bonté. Tout ce qui est extérieur appartient à la loi ou au gouvernement. Le mélange des choses qui ne doivent pas être confondues, quoique toutes bonnes en elle-mêmes, ne produit rien de satisfaisant. Avec cette confusion, l’homme ne sera jamais ni vraiment religieux, ni vraiment citoyen.1013

Damit wurde erneut die Politik des Jahres II (1793/94) verurteilt: In früheren Zeiten der Revolution habe es zwar bereits Ansätze zur Etablierung von Institutionen gegeben – allerdings seien diese weder konsequent noch ganzheitlich oder systematisch verfolgt worden. Alles sei in ‚Bewegung und Veränderung begriffen‘ gewesen, wohingegen mit der Einrichtung einer regulären Regierung inzwischen die Herrschaft des Gesetzes begonnen habe. Diese sei die Basis, auf der die ‚Institutionen‘ nun errichtet werden könnten.1014 Es käme dem Gesetzgeber zu, das allgemeine Fundament zu errichten; allein der Regierung obliege hingegen die Ausgestaltung mit detaillierten Inhalten.1015 Insgesamt sollten die institutions landesweit vereinheitlicht werden, so dass der Bürger überall zu Hause sei und sich mit seinen Mitbürgern ohne Schwierigkeiten zum gemeinsamen Gebet und Ritus versammeln könne.1016 Wichtigstes Medium aller Institutionen sei der Gesang, da dieser eine besonders nachhaltige Wirkung beim Menschen hinterlasse. Zu diesem Zweck seien möglichst gut einprägsame Texte und Melodien zu erfinden, welche der Staatsbürger von früher Jugend an verinnerlichen sollte.1017 Damit lieferte La Revellière einen Ausweg, die republikanischen Institutionen endgültig von ihrer robespierristischen Vergangenheit zu bereinigen und für die ‚andere‘ Republik des Jahres V (1797) hoffähig zu machen. Im Vergleich zu den bisher praktizierten Konzepten 1012

Dabei habe man doch mit den politischen Richtungskämpfen bereits genug zu tun – wie solle es erst werden, wenn religiöse Konflikte hinzuträten; vgl. ebd., S. 23. 1013 Vgl. ebd., S. 24. 1014 Vgl. ebd., S. 26. 1015 Vgl. ebd., S. 26f. 1016 Vgl. ebd., S. 24. 1017 Vgl. ebd., S. 25f.

3.1 Gesellschaft formen

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handelte es sich gewissermaßen um einen dritten Weg zwischen tendenziell liberalen Ansätzen und dem jakobinischen Konzept einer staatlich-bürokratischen Einflussnahme auf alle Lebensbereiche der Bürger, einschließlich der Religion. Zentraler Bezugspunkt dieses Mittelweges war die Idee der Republik, welche sich vor allem an den Vorstellungen des klassischen Republikanismus der Antike orientierte.1018 Hinzu kam eine verstärkt antiklerikale Stoßrichtung der Symbolpolitik, die nach dem Staatsstreich sogar noch stärker konturiert wurde als im Jahr II. Erstmals war man gewillt, die eigenen Ziele auch landesweit durchzusetzen. Mehrheitsfähig war diese Vorgehensweise jedoch nur für kurze Zeit im Jahr VI (1798). Routinen, Rituale und Zeremonien: Instrumente der republikanischen Vergemeinschaftung Der nach dem 18. Fructidor V (4. September 1797) einsetzende Diskurs über die institutions républicaines stellt die „längste und ausführlichste zusammenhängende Diskussion der Revolutionsdekade über politische Institutionen“1019 dar. Die Debatte spiegelt wider, wie stark sich der politische Kontext seit 1795 gewandelt hatte: Nicht mehr das Harmoniebedürfnis der Thermidorianer, sondern nüchterne Analysen und ideologisch aufgeladene Argumente prägten 1798 und 1799 die Reden der Abgeordneten.1020 Man ging nun davon aus, dass der Widerstand gegen die Revolution nicht allein aus einer momentanen Unzufriedenheit resultierte, sondern tiefergehende Wurzeln hatte: „la monarchie à côté de la République; en un mot, l’intervalle de deux siècles entre les habitants de la même patrie“1021. Der Gegner wurde nun klar beim Namen benannt – Royalismus und Katholizismus wurden zur Wurzel allen Übels erklärt und systematisch bekämpft. Die Änderung des Bewusstseins der Menschen sollte nicht mehr nur rhetorisch postuliert werden; man war überzeugt, dass der Fortbestand der Republik vom Gelingen oder Scheitern dieses Projektes abhänge. Die Diskussion erreichte ein neues Niveau: „l’institution des peuples, c’est à dire cette partie de la législation qui forme les mœurs et la morale des nations, est une science toute

1018

Vgl. zur Antikenrezeption und zu konkurrierenden Republikanismus-Konzepten ausführlich JAINCHILL: Reimagining Politics after the Terror. 1019 MEINZER: Der französische Revolutionskalender, S. 64. 1020 Vgl. ebd., S. 71. 1021 Bonnaire, Félix: Conseil des Cinq-cents: Rapport fait par Bonnaire, sur le calendrier républicain, Séance du 4 thermidor an 6, Paris, an VI [zitiert nach: AN, Paris, AD XVIIIc, 468, Dok. 1].

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3. Gesellschaft als Projekt

nouvelle, sur laquelle on n’a presque point écrit, et qui d’ailleurs reçoit des modifications infinies“1022. Der grundsätzliche Glaube an die Möglichkeit der Erneuerung der Gesellschaft prägte seit 1789 die Debatten. Nach 1795 ist eine starke Fokussierung der Entscheidungsträger auf die Republik zu beobachten; man bemühte sich, neue Akzente zu setzen und diese auch praktisch durchzuführen. Infolge des Erbes der jakobinischen Republik sowie aufgrund des eigenen schwankenden Politikstils schaffte es das Direktorium jedoch nicht, mit seinen symbolpolitischen Maßnahmen Glaubwürdigkeit oder auch nur eine Beruhigung der Situation zu erreichen. Ein Gesetz folgte dem anderen und ließ kaum stabile Entwicklungen zu. Aufwendige Feiern wie Verfassungsfeste oder Staatsbegräbnisse blieben wirkungslos, wenn wenige Monate später bereits eine neue Verfassung zelebriert wurde oder die Ehrung neuer Helden zu einer Verwerfung der alten Vorbilder führte. Zusammenfassend lassen sich die ‚republikanischen Institutionen‘ als kulturelle Transmissionsriemen bezeichnen, mittels derer die Ideen der Revolution auch diejenigen erreichen sollten, denen sie – sei es aus Unkenntnis oder aus Ablehnung heraus – bislang verschlossen geblieben waren. Die in der Verfassung und im Gesetz verankerten Werte und Prinzipien sollten Teil der Lebenswirklichkeit der Menschen werden, ihre Sitten und Gebräuche beeinflussen und die immer wieder bedrohlich aufklaffende Kluft zwischen Regierenden und Regierten im Sinne der Idee der einen, unteilbaren Nation schließen. Die Republik sollte nicht nur eine staatliche, rechtlich-politische Ordnungshülle sein, sondern für die Bürger als Gemeinschaft erfahrbar werden – durch institutionalisierte Praktiken republikanischer Vergemeinschaftung.1023 Die Gesellschaft war zu einem ‚Projekt‘ geworden; es wurde über Chancen und Grenzen ihrer Gestaltung und die dabei einzusetzenden Medien politisch gestritten. Verschiedene Akteure benutzten die Idee 1022

Desplanques[-Dumesnil, Charles]: Opinion de Desplanques sur les institutions républicaines, Séance du 24 frimaire an VI (14. Dezember 1797), [Paris, an VI] [zitiert nach: Paris, AN, AD VIII, 18]. 1023 Damit bleibt der Begriff auch anschlussfähig an Definitionen der heutigen Soziologie, die soziale Institutionen als „relativ auf Dauer gestellte, durch Internalisierung verfestigte Verhaltensmuster und Sinngebilde mit regulierender und orientierender Funktion“ definiert; vgl. GÖHLER, Gerhard: Politische Institutionen und ihr Kontext. Begriffliche und konzeptionelle Überlegungen zur Theorie politischer Institutionen, in: Ders.: Die Eigenart der Institutionen, S. 19–46, S. 22. Institutionen verstetigen und stabilisieren menschliches Handeln; die wichtigsten Mechanismen, die dafür von Bedeutung sind, sind Akzeptanz und Verinnerlichung. Vgl. ebd. auch zur Ausdifferenzierung von politischen und sozialen Funktionen.

3.2 Zeit entchristianisieren

315

der institutions républicaines, um ideelle, politische oder pragmatische Ziele zu verwirklichen. Im Folgenden werden die bislang nur über3.2 Zeit blicksartig angesprochenen Fragen nach Intentionen, Problemen und entchristiani-Wirkungen der Maßnahmen an einzelnen Praxisfeldern in systematischer Perspektive untersucht. sieren

3.2 Zeit entchristianisieren: Der Revolutionskalender 1793 beschloss der Konvent die Einführung einer neuen Zeitrechnung: des calendrier républicain. Von der Säkularisierung der Zeit versprachen sich die Revolutionäre einen grundlegenden Bewusstseinswandel der Landbevölkerung. Nach 1789 hatte man erlebt, dass alle politischen und sozialen Verhältnisse veränderbar und planbar waren – die Kalenderreform schien nur eine logische Konsequenz, die den Anbruch einer neuen Zeit im Alltag nach außen hin sichtbar machte. Gleichzeitig erhoffte man sich, buchstäblich die Lebenszeit der Menschen zu erneuern, vor allem die katholischen Sitten und Gebräuche aus dem Alltag zu verbannen, wenn nicht sogar durch republikanische und nationale Routinen und Feste zu ersetzen.1024 Ein Jahrbuch-Frontispiz, welches 1794 veröffentlicht wurde,1025 spiegelt den erzieherischen Anspruch des Kalenders, der während der gesamten Zeit des Bestehens der Ersten Republik die Debatten kennzeichnete: Im Bildhintergrund ist ein ‚Jahrestempel‘ („temple de l’année“) zu sehen, der von zwölf Säulen, die die Monate symbolisieren, getragen wird. Inschriften verzeichnen die Monatsnamen und Tage. Am linken Bildrand führt eine Frauengestalt, die die Natur verkörpert, einen Bauern an den Tempel heran; den beiden folgt eine Gruppe von Repräsentanten der Landbevölkerung, die Tiere und Ackergeräte mit sich führen, welche für die Nomenklatur der Tage des Revolutionskalenders Pate gestanden haben. Der Rauch in der Bildmitte macht deutlich, dass der Tempel durch die Menschen verehrt wird. Infolge dieser Verehrung erscheinen der Landbevölkerung die Prinzipien der Freiheit (erkennbar an der Freiheitsmütze) und der Vernunft (erkennbar an dem Auge im Zentrum eines Lichtkreises). Die beiden halten sich an der rechten Hand; gemeinsam besiegen sie eine Gruppe von Päpsten (unter anderem Gregor und Pius, identifizierbar 1024

Vgl. BACZKO, Bronislaw: Le calendrier républicain. Décréter l’éternité, in: NORA, Pierre (Hrsg.): Les lieux de mémoire. I: La République, Paris 1984, S. 37–83. 1025 Vgl. Millin, Eleuthérophile: Annuaire du républicain, ou légende physico-économique, avec l’explication des trois cents soixante-douze noms imposés aux mois et aux jours […], Paris, L’An II de la République Française.

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3. Gesellschaft als Projekt

über Schriftstücke im Bildvordergrund), Herrschern (zum Beispiel Karl den Großen und Ludwig) und Heiligen (unter anderem Benedikt und Franz) – die Protagonisten und Namensgeber des alten Kalenders. ‚Natur‘, ‚Vernunft‘ und ‚Freiheit‘ waren die wichtigsten Werte, die die neue Zeitrechnung begründeten. Sie dienen hier gemeinsam zur Erziehung der Landbevölkerung. Ganz in diesem Sinne war die symbolpolitische Debatte um den Kalender 1793 zunächst von allgemeinen Diskursen der Aufklärung geprägt.1026 Der alte Kalender wurde als Machwerk der Priesterherrschaft denunziert, die seit Jahrhunderten die Menschen in ihre Gefolgschaft zwinge. Demgegenüber schien sich die Einteilung des Jahres nach dem Dekadenrhythmus als sinnvolle Ergänzung der Reform der Gewichtsund Maßeinheiten anzubieten, die bereits auf das Dezimalsystem umgestellt worden waren. Die Neuerung erschien rational und zweckmäßig. Die Durchführung der Reform war aufgrund ihrer rationalistischen und antiklerikalen Stoßrichtung, die dem Selbstverständnis der tonangebenden politischen Elite des Bürgertums eindeutig entsprach, kaum umstritten. Die symbolpolitische Debatte der späten 1790er Jahre erklärt sich erst vor dem Hintergrund der Tatsache, dass über den geteilten aufklärerischen Grundgedanken hinaus mit der Einführung des Kalenders ein republikanischer Gründungsmythos gestiftet worden war – was diesem einen unleugbar politischen Charakter verschaffen sollte. Zur Legitimierung der Reform hatte man scharfe Geschütze aufgefahren: Nicht der 14. Juli 1789, nicht der 10. August 1792 waren als ‚Tag Eins‘ einer neuen Ära der Geschichte gewählt worden, sondern der 22. September 1792, also derjenige Tag, an dem der neu gewählte Konvent seine Arbeit aufgenommen und de facto die Erste französische Republik begründet hatte. Mit dieser Entscheidung war ein weitreichender Anspruch verknüpft: Die Abgeordneten schufen mit dem calendrier républicain, wie er im Französischen heißt, ein sichtbares und wirksames Symbol der Republik als neuer Staatsform. Die neue Zeitrechnung begründete damit nicht nur ein neues Zeitalter, sondern zunächst ganz konkret die Republik selbst, zu deren Erhalt es Legitimität und stabilisierender Maßnahmen bedurfte. Der Kalender verlieh den Ereignissen rund um den Sturz der Monarchie, den danach abgehaltenen Neuwahlen und dem Zusammentritt des neuen, nunmehr republikanisch gesonnenen Parlaments eine tiefere Bedeutung. Durch die Kalenderreform wurde ein zufälliges Datum zu einer historisch einzigartigen Zäsur stilisiert und mit einer rationalen, 1026

Vgl. MEINZER: Der französische Revlutionskalender, S. 46ff. Vgl. auch PEROVIC, Sanja: The Calendar in Revolutionary France, Cambridge u. a. 2012.

3.2 Zeit entchristianisieren

317

naturrechtlichen, wenn nicht sogar sakralen Aura aufgeladen. Romme definierte den 22. September als historischen Neuanfang, der das Kontinuum der französischen Geschichte unterbreche und als „ère des Français“ sogar über das eigene Land hinaus Bedeutung erlangen könnte.1027 Drei Argumente stützen das Plädoyer für den Jahresbeginn am 22. September: erstens der Wunsch, sich von der „ère vulgaire“, welche durch Fanatismus, Erniedrigung, Stolz, Laster und Unvernunft geprägt gewesen sei, zu distanzieren; zweitens die bemerkenswerte und laut Romme vermutlich historisch einzigartige Möglichkeit, die Zeitrechnung nunmehr den Naturgesetzen anzupassen; drittens die Rationalität des Zehnersystems. Besonders das zweite Argument verlieh dem Kalender ideologisches Gewicht. Dem Berichterstatter zufolge konnte die Tatsache, dass die Republik ausgerechnet am 22. September 1792 in Paris bekannt gemacht worden sei, kein Zufall sein: handele es sich doch sich um den Tag der Herbsttagundnachtgleiche, an dem die Sonne in das Zeichen der Waage eintrat.1028 Diese zeitliche Koinzidenz von Gleichheitserscheinungen in Natur und Politik deutete Romme als Fingerzeig für den Beginn eines neuen Zeitalters, dessen Kalender von nun an das öffentliche Leben bestimmen solle. Aber auch das Rationalitätsargument passte gut in das übrige politische Programm der Republikaner: Die vorgeschlagene Einteilung des Jahres in zwölf gleichlange Monate mit jeweils 30 Tagen, die ihrerseits in drei Dekaden zerfielen, die die alte Woche ablösen sollten, sei den angebrochenen „siècles éclairées“ angemessener, die ihre sozialen Ordnungssysteme aus dem Prinzip der Vernunft ableiteten, statt aus simpler Routine und religiösem Aberglauben.1029 Nun, da die Republik bereits die Vorteile des Dezimalsystems für die Neuregelung von Maßen und Gewichten erkannt habe, gebe es keinerlei überzeugende Argumente mehr gegen einen zeitlichen Dekadenrhythmus. Dieser helfe vielmehr, die gesellschaftliche Relevanz des Zehnersystems weiter zu verfestigen. Die starke Betonung der astronomischen Konstellation der Herbsttagundnachtgleiche sollte in der Folgezeit zum Herzstück eines republikanischen Gründungsmythos avancieren;1030 sie verlieh nicht nur dem Kalender, sondern der republikanischen Staatsform an sich einen 1027

Vgl. Romme, Gilbert: Convention nationale. Rapport sur l’ère de la République, Séance du 10 Septembre 1793, o. O. o. J., S. 6. Vgl. zu Rommes Kalendervorschlag auch MEINZER: Der französische Revlutionskalender, S. 20–24 sowie S. 32–34. 1028 Vgl. ebd., S. 5. 1029 Vgl. ebd., S. 6f. Abschnitt „De la division & sous-division de l’année.“ 1030 Vgl. ebd., S. 5. Dies betont auch MEINZER: Der französische Revolutionskalender, S. 33; zum Folgenden vgl. ebd., S. 33f. sowie S. 54f.

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3. Gesellschaft als Projekt

sakralen Charakter. Vergessen zu sein schien die Tatsache, dass die Reform erst 1793, ein Jahr nach Eröffnung des Konvents erdacht und verabschiedet wurde; vergessen die bereits vorher zur Anwendung gekommene Zeitrechnung, die den 14. Juli als Tag Eins einer ‚Ära der Freiheit‘ oder den 10. August als ersten Tag des ‚Zeitalters der Gleichheit‘ festgelegt hatte. Die Rhetorik war geschickt gewählt, so dass der Konstruktcharakter des Kalenders den Abgeordneten des Konvents zweitrangig erscheinen musste oder ganz verborgen blieb. Elegant verknüpfte Romme die politischen Ziele mit den sozial-erzieherischen: Die Revolution ‚forme‘, so Romme, die Franzosen jeden Tag im Sinne der republikanischen Tugenden; über die Zeitrechnung könne dieser Prozess gleichermaßen verstetigt werden. Ein neues Geschichtsbuch werde geöffnet, welches den Siegeszug der Gleichheit einläute.1031 Rommes Vorschläge stießen auf breite Zustimmung; allein die Namensgebung für die neuen Monate und Tage bot weiterhin politischen Diskussionsbedarf. Rommes stark ideologisch geprägtes Konzept der Namensgebung wurde zurückgewiesen1032 und durch die eher natur- und jahreszeitenbezogenen Monatsnamen nach Vorschlag von Fabre d’Eglantine ersetzt.1033 Der Konsens der Abgeordneten sollte jedoch endgültig an Fragen der praktischen Umsetzung des republikanischen Erziehungsprogramms zerbrechen. Vor allem die Idee der Einführung eines bürgerlichen Kultes am Dekadi ging einem Teil der Versammlung zu weit, zumal Vorbehalte gegen die Republik in der Bevölkerung unübersehbar waren.1034 Die Reform von 1793 hatte den gregorianischen Kalender keineswegs abgeschafft, wodurch eine Konkurrenz zwischen zwei unterschiedlichen Systemen der Zeiteinteilung, Terminierung und Periodizität von sozialen Praktiken entstanden war; in vielen Landesteilen fand die neue Zeitrechnung kaum Anwendung. Meldungen der Missachtung oder gar des aktiven Widerstands gegen den Kalender aus der 1031

Vgl. Romme: Rapport, S. 5. Monatsnamen: „Régénération“, „Réunion“, „Jeu de paume“, „Bastille“, „Peuple“, „Montagne“, „République“, „Unité“, „Fraternité“, „Liberté“, „Justice“, „Egalité“; Wochentage: „Niveau“, „Bonnet“, „Cocarde“, „Pique“, „Charrue“, „Compas“, „Faisceau“, „Canon“, „Chêne“, „Repos“, ebd., S. 11–14. 1033 Vgl. Fabre-d’Eglantine: Convention nationale, Rapport dans la séance du 3 du second mois de la seconde année de la République française, au nom de la Commission chargée de la confection du calendrier, o. O. o. J., S. 8: Monatsnamen Herbst: „Vendémiaire, Brumaire, Frimaire“, Winter „Nivôse, Pluviôse, Ventôse“, Frühling „Germinal, Floréal, Prairial“, Sommer „Messidor, Thermidor, Fructidor“; ebd., S. 10: Tagesnamen „Primidi, Duodi, Tridi, Quartidi, Quintidi, Sextidi, Septidi, Octidi, Nonidi, Décadi“. 1034 Vgl. dazu ausführlicher Kapitel 3.5.2. 1032

3.2 Zeit entchristianisieren

319

Provinz bedeuteten de facto auch eine Infragestellung der republikanischen Autorität selbst. Leiteten daraus die einen die Forderung nach der Notwendigkeit einer schnellen Durchsetzung ab, so gaben andere zu bedenken, die Maßnahme bedürfe mehr Zeit, um erfolgreich zum Abschluss gebracht werden zu können.1035 Die ‚republikanische Institution‘ des Kalenders wurde nach dem Ende der Jakobinerherrschaft zu einem prominenten Konfliktfall in der Auseinandersetzung zwischen den verschiedenen politischen Lagern. Zwar wich die offizielle symbolpolitische Linie des Regimes zwischen 1794 und 1799 nie von dem Kalender als bildungspolitischem Instrument ab. Doch erwies sich Symbolpolitik am Beispiel der Kalenderdebatte erneut als explosive Mischung zwischen Bildungs- und Machtpolitik. Nicht nur bürokratische Fragen über Periodizitäten oder Ruhetagsregelungen standen auf dem Spiel. Es ging um Charakter und Zukunft des republikanischen Systems selbst. Dies war vor allem 1794/5 sowie 1798 der Fall: Verhandelte man nach dem Sturz der Jakobinerdiktatur und im Kontext der konservativen Reaktion zunächst die Frage der grundsätzlichen Beibehaltung oder Abschaffung des Kalenders sowie um die Erarbeitung einer Ausführungsgesetzgebung zu den Dekadenfeiern, so gewann im Zweiten Direktorium angesichts deutlicher Missachtung und wachsender Widerstände die Frage nach den richtigen Instrumenten zur landesweiten Durchsetzung des Kalenders Priorität. Der Machtkampf im Winter und im Frühjahr 1794/95 endete mit einer Niederlage der Jakobiner gegen die Partei der ‚Reaktion‘ beziehungsweise der ‚gemäßigten Republikaner‘. Infolgedessen hätte sich zumindest theoretisch die Frage stellen können, ob der republikanische Kalender, welcher als Symbol mit der gescheiterten (basis)demokratischen Republik verknüpft war, abgeschafft werden sollte. Doch waren es nur einzelne Stimmen, die solch grundlegende Forderungen stellten. Am 10. Thermidor III (28. Juli 1795), dem Jahrestag der Hinrichtung Robespierres und seiner engsten Vertrauten, sprach sich ein pétitionnaire vor dem Konvent für die Abschaffung des Kalenders aus; dieser werde auf dem Land nicht beachtet, behindere die Geschäfte und verlangsame den Handel.1036 Zumindest Boissieu schloss sich diesem Anliegen an; früher oder später gehöre der Kalender, den niemand haben wolle, ohnehin ‚ins Feuer geworfen‘. La Revellière, zu diesem Zeitpunkt noch in seiner Funktion als Abgeordneter im Rat der Fünfhundert, 1035

Vgl. dazu auch SHAW, Matthew: Reactions to the French Republican Calender, in: French History 15 (2001), S. 4–25. 1036 Vgl. Moniteur n° 315, 15 thermidor III (2. August 1795), séance du 10 thermidor an III (28. Juli 1795). Dort auch nachfolgende Zitate.

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3. Gesellschaft als Projekt

wies die Kritik scharf zurück, indem er aufforderte, zwischen der Sache („la chose“) und den Menschen („les hommes“) zu unterscheiden. Nur Ignoranten und Aristokraten würden den Kalender ablehnen, denn dieser sei zwar von zweifelhaften Menschen eingeführt worden, sachlich jedoch äußerst nützlich („de la plus grande utilité“) und vorteilhaft („on en sentira les avantages“). Der Redakteur des Journal des hommes libres denunzierte die Kalendergegner empört als „royalistes“1037. Die Argumentation macht deutlich: Die Beibehaltung des Kalenders war diskursiv auf engste mit der Existenz der Republik selbst verknüpft; die Möglichkeit seiner Abschaffung lag offenbar nicht einmal im Vorstellungshorizont der Anführer der gemäßigten Partei. Der Kalender war ein Symbol des als historisch unumkehrbar postulierten Bruches; seine Infragestellung wäre einer republikanischen Selbstaufgabe gleichgekommen. Wie bereits Woloch argumentiert hat, stellte sich 1794/95 gar nicht mehr die Frage, ob man das Schicksal der Republik mit demjenigen der neuen Zeitrechnung verknüpfen wollte;1038 diese Verbindung war bereits 1793 von den Gründungsvätern des Kalenders geschaffen worden. Thermidorianer und Direktorialisten traten vielmehr ein belastetes und belastendes Erbe an – in einem politischen Kontext, in dem sich landesweit Zeichen der Ablehnung und des Widerstands mehrten.1039 Furet urteilte rückblickend, die Republikaner des Jahres III (1794/95) seien ‚Gefangene ihrer eigenen Idee des vollkommenen Bruches mit der Vergangenheit‘ gewesen.1040 Dennoch: Trotz der ungebrochenen republikanischen Kontinuität lassen sich in Thermidor und Direktorium deutlich unterschiedliche Phasen der Kalenderpolitik voneinander unterscheiden. Das Jahr 1795 wurde Zeuge einer Mäßigung der erziehungspolitischen Verve der Republikaner; eine größere Toleranz gegenüber dem nach wie vor parallel fortbestehenden gregorianischen Kalender machte sich breit. Der Konvent einigte sich im Erziehungsgesetz vom 3. Brumaire IV (25. Oktober 1795) darauf, für die Zukunft des Direktoriums nur fünf Dekadenfeste als Nationalfeiertage zu verankern.1041 Auf monatliche oder gar im 1037

Journal des hommes libres n° 56, 11 thermidor III (29. Juli 1795). Vgl. WOLOCH: ‚Republican Institutions‘. 1039 Vgl. u. a. Journal des hommes libres n° 56, 11 thermidor III (29. Juli 1795). 1040 Vgl. die erste Formulierung dieser Idee bei FURET, François: Le Catéchisme révolutionnaire, in: Annales E.S.C. (1971), S. 255–289. 1041 Die Loi Daunou fixierte neben den Gedenkfesten zum 1. Vendémiaire (22. September, Fête de la Fondation de la République) und 9./10. Thermidor (27./28. Juli, Fête de la Liberté) folgende fünf Dekadenfeste: 10. Germinal (30. März, Fête de la Jeunesse), 10. Floréal (29. April, Fête des Époux), 10. Prairial (29. Mai, Fête de la Reconnaissance), 10. Messidor (28. Juni, Fête de l’Agriculture), 10. Fructidor (27. August, Fête de la 1038

3.2 Zeit entchristianisieren

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zehntägigen Abstand stattfindende Dekadenfeiern wurde verzichtet, unter anderem wohl auch, um indirekt die Institution des Sonntags für den privaten Bereich zu sichern.1042 Erst im Zuge des Erstarkens der royalistischen Opposition sowie des weit verbreiteten Wiederaufblühens der katholischen Traditionen gewann die Frage des Kalenders neue Relevanz. Diese Entwicklungen schienen das republikanische Projekt erneut zu bedrohen – die Durchsetzung der neuen Zeitrechnung erschien somit sowohl in erzieherischer als auch in ordnungspolitischer Perspektive von größter Bedeutung. Die beiden Waffen, die die Republikaner im Kampf gegen Royalisten und Katholiken zu schmieden beabsichtigten, waren die Neuordnung der Ruhetagsregelung für öffentliche Angelegenheiten (fortan am zehnten statt am siebten Tag der Woche) sowie die Ausgestaltung des sogenannten ‚Dekadenkultes‘, welcher den letzten Tag der Woche mit besonderen Zeremonien und Versammlungen zu gestalten versprach. Die Missachtung des Kalenders war eines der Argumente für die Durchführung des Staatsstreiches vom 18. Fructidor V (4. September 1797) – und diente anschließend zur Legitimation der durchgeführten Säuberungen von Exekutive und Legislative: Die neu eingesetzte Commission des institutions républicaines erklärte die Frage der Durchsetzung der republikanischen Zeitrechnung zum entscheidenen Kampfschauplatz um den Erhalt der Republik. Gesetzgeberische Maßnahmen sollten die republikanische Ordnung endlich landesweit und kompromisslos durchsetzen. Die Debatte erreichte im Sommer des darauffolgenden Jahres ihren Höhepunkt: Am 4. Thermidor VI (22. Juli 1798) zeichnete Bonnaire in seinem Bericht über den calendrier républicain in drastischen Worten ein Bild des Machtkampfes, der Frankreich erschüttere. Zwei verfeindete Nationen, so Bonnaire, stünden sich gegenüber; diejenige der Monarchie, welche er mit den Gegnern der Revolution gleichsetzte, und diejenige der Republik, die den revolutionären Anspruch weiter aufrechterhalte: la France présenta le spectacle de deux nations ennemies, toujours prêtes à s’entre déchirer, opposées dans leurs mœurs, leur langage, comme dans leurs opinions: on vit d’une part le règne de la philosophie, de l’autre celui des préjugés; ici, l’enthousiasme de la liberté; là, toute la bassesse de la

Vieillesse); für die Wintermonate waren keine Feiern vorgesehen. Vgl. zu den moralischen Festen Kapitel 2.4.1, zu den Dekadenfeiern 3.5.2. 1042 So die Ansicht von MEINZER: Der französische Revolutionskalender, S. 62.

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3. Gesellschaft als Projekt

servitude; la monarchie à côté de la République; en un mot, l’intervalle de deux siècles entre les habitans de la même patrie.1043

Die Monarchie bestehe neben der Republik fort, und sie habe einflussreiche Fürsprecher, denen es gelinge, das Volk zu verführen. Mit System („ce système effrayant d’opposition“1044) habe man sich in der Vergangenheit gegen die republikanischen Institutionen gewandt, indem man das Volk bei seiner Sprache, seinen Gewohnheiten und Gebräuchen packte, wohl wissend, dass man in diesem Bereich und vor dem Hintergrund einer allgemeinen Unzufriedenheit leicht Siege werde verzeichnen können. Unter dem Vorwand, dies sei der Religion dienlich, hätten die Royalisten eine tiefe Abneigung gegenüber dem republikanischen Kalender geschürt. Bonnaire verstand diese Aktivitäten als geschickten Angriff auf die Republik: Diese werde nicht im offenen Kampf, sondern indirekt, über ihre Symbole, attackiert. Die neue Zeitrechnung sei eine Frucht des Fortschritts, von der alle aufgeklärten „bons esprits“ aufgrund ihrer Rationalität, Einfachheit und Übereinstimmung mit der Natur überzeugt sein müssten. Sie ziehe den Hass all derjenigen auf sich, die Revolution und Republik insgesamt ablehnten. Zahlreiche Departements, so Bonnaire, hätten aufgrund der anhaltenden antirepublikanischen Agitation den Erlass des Direktoriums vom April 1798 vollkommen missachtet und richteten ihren Alltag weiterhin nach ‚den Zeiten der Monarchie‘1045 aus. Vor diesem Hintergrund sei es an der Zeit, die symbolische Kriegserklärung ernst zu nehmen und selbst in den Alltag der Menschen einzugreifen, um ihre Sitten zu erneuern: il faut que la république s’empare de toutes les époques, de tous les usages de la vie; qu’elle ne cesse de frapper les regards du peuple, de parler à tous les sens: il faut que tout ce qui est destiné à paroître, soit dans les administrations, soit dans les tribunaux, porte exclusivement les enseignes de la République.1046

Auffällig erscheint die Wortwahl Bonnaires: Es gehe darum, sich aller Gebräuche zu ‚bemächtigen‘, den Blick des Volkes zu ‚verblüffen‘ und ‚alle seine Sinne‘ anzusprechen; das äußere Erscheinungsbild der 1043

Conseil des Cinq-cents: Rapport fait par Bonnaire, sur le calendrier républicain. Séance du 4 thermidor an 6, zitiert nach: AN, Paris, AD XVIIIc, 468, Dok. 1. 1044 Ebd., S. 2; vgl. dort auch zum Folgenden. 1045 Vgl. ebd., S. 3: „Dans les départemens où n’a point été exécuté l’arrêté du Directoire exécutif du 14 germinal dernier, les foires, les marchés, les étalages de comestibles, sont encore fixés à des jours périodiques de la semaine ou de l’ancien mois; tous les usages y reproduisent les temps de la monarchie.“ 1046 Ebd., S. 3.

3.2 Zeit entchristianisieren

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Verwaltung und der Gerichte solle durch die ‚Abzeichen der Republik‘ geprägt werden. Dabei solle man keinesfalls glauben, eine Absichtserklärung genüge schon zur Erreichung des Zieles, nicht einmal der erfolgreiche Staatsstreich vom 18. Fructidor und die Richtlinien des Direktoriums hätten ja die gewünschte Wirkung nach sich gezogen. Der Gesetzgeber, so Bonnaire, müsse dem Missbrauch der Gutgläubigkeit und der Gewohnheiten des Volkes entgegenwirken. Der Vorschlag, den er zur Abstimmung einbrachte, enthielt klare Vorstellungen über neue ordnungspolitische Maßnahmen: Die polizeiliche Kontrolle sollte verstärkt werden, und bei Nichtbeachtung des Kalenders drohten hohe Geldstrafen, besonders im Falle der Datierung von Plakaten oder infolge des Abhaltens von Märkten nach der Periodizität des alten Kalenders. Alle Befürworter einer solchen Verschärfung der Kalendergesetze gingen davon aus, dass die Entscheidung über den Kalender letztlich auch eine Entscheidung über Erfolg oder Misserfolg der Politik der republikanischen Mitte insgesamt bedeute. Duplantier bemerkte, man solle sich nicht über die Relevanz dieser Frage täuschen: Zwar gehe es vermeintlich um ‚Kleinigkeiten‘1047, doch diese hätten häufig ‚größten Einfluss‘ auf die Politik. Die Taktik der Royalisten – wobei dieses Wort in der Debatte ausdrücklich vermieden wird, man sprach lieber allgemein vom „esprit de parti“1048 – sei es, die Gesetzgeber ins Lächerliche zu ziehen und damit alle Versuche, das Volk an das ‚republikanische Vokabular‘ zu gewöhnen, zunichte zu machen. Sherlock ging sogar noch einen Schritt weiter, indem er ausdrücklich die Effizienz der Praktiken der katholischen Kirche hervorhob.1049 Der Mensch sei schwach, träge und stur; er neige dazu, sich zum Sklaven der ihn umgebenden Gewohnheiten zu machen. Wenn es um das ‚Reich der Gewohnheiten‘ („empire de la routine“) gehe, könne der Gesetzgeber entsprechend gar nicht aktiv genug sein. Auch der christliche Kalender sei nur infolge politisch konsequenten Handelns durchgesetzt worden: Neben der Festlegung von Strafen solle die Reform daher auch auf die Vergangenheit ausgeweitet werden, das heißt alle Bücher, Plakate und Periodika, die sich auf die Zeit vor 1792 bezogen, sollten auf das erste, zweite etc. Jahr vor der republikanischen Ära datiert werden. Die Gründung der 1047

Vgl. Duplantier, Jacques-Paul-Fronton: Conseil des Cinq-cents: Opinion de J. P. F. Duplantier, Député du département de la Gironde, sur le projet relatif au calendrier républicain, Séance du 12 thermidor an 6, zitiert nach: AN, Paris, AD XVIIIc, 468, Dok. 2. Dort auch zum Folgenden. 1048 Ebd., S. 2 1049 Vgl. Conseil des Cinq-cents, Opinion de Sherlock, Député de Vaucluse, Sur le projet de résolution relatif au calendrier républicain, Séance du 12 thermidor an 6, zitiert nach: AN, Paris, AD XVIIIc, 468, Dok. 3.

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Republik nahm im Selbstverständnis des Abgeordneten denselben Stellenwert wie die Geburt Jesu Christi ein; die republikanische Geschichte erscheint als der bessere, weil aufgeklärte und zeitgemäßere Entwurf einer neuen Heilsgeschichte.1050 Doch auch Kritiker meldeten sich zu Wort, sowohl diejenigen, denen die Vorschläge Bonnaires noch nicht weit genug gingen, als auch tatsächliche Gegner der Reformen. Mansord beispielsweise gab zu bedenken, dass eine Neuauflage des Gesetzes zur Kalenderreform bereits wie ein Eingeständnis des eigenen Scheiterns wirken könne.1051 Vielleicht solle man aus diesem Grund lieber an der Regelung vom 4. Frimaire II (24. November 1793, Dekret nach Robespierre-Rede) festhalten, die doch schon viele Punkte entschieden habe.1052 Andere äußerten Bedenken, in dem Moment, in dem der Dekadi zum Ruhetag erklärt würde, werde indirekt das Prinzip der Religionsfreiheit verletzt, da Katholiken Schwierigkeiten in der Ausübung des Sonntagsgebotes bekämen. Wieder andere argumentierten, auch geschlossene Boutiquen seien äußere Zeichen eines Kultes. Abbé Grégoire schlug vor, es bei der Verwendung des Kalenders nur für den öffentlichen Gebrauch zu belassen;1053 Faulcon hielt die neue Zeitrechnung allenfalls in den Städten für durchsetzbar, da die Landbevölkerung kaum ihre katholischen Gewohnheiten aufgeben werde.1054 1050

Das Argument, von der katholischen Kirche zu ‚lernen‘, war nicht neu. Schon im Jahr II waren Ideen laut geworden, man solle deren Praktiken kopieren: „il faut faire aujourd’hui pour le maintien de la liberté et de l’égalité, ce qu’on fit trop souvent pour l’esclavage et le mensonge“, Esprit des fêtes sans-culottides ou Idée générale de l’exécution de ces fêtes, présentée à la Société des Jacobins de Grenoble au nom de son comité d’Instruction publique et imprimé en exécution de son arrêté du 18 fructidor an IIe de la République française une et indivisible, Fonds Gazier, zitiert nach: MATHIEZ: La théophilanthropie et le culte décadaire, S. 17. 1051 Vgl. Mansord, Charles-Antoine: Conseil des Cinq-cents, Discours prononcé par Mansord (du Mont-Blanc), sur le projet relatif au calendrier, ou, pour mieux dire, à l’annuaire républicain, Séance du 12 thermidor an 6, Paris, an VII, zitiert nach: AN, Paris, AD XVIIIc, 468, Dok. 4. 1052 Konflikte mit dem Prinzip der Kultfreiheit sah Mansord keine entstehen, schließlich dürfe jede Religion nur dann ausgeübt werden, wenn sie sich auf dem Boden der Gesetze bewege. Um sicherzugehen, dass der alte Sonntag zukünftig an Bedeutung verlöre, sollte man daher besser per Gesetz vorschreiben, dass an allen Wochentagen Arbeitspflicht bestehe; nur der Dekadi sei ein Ruhetag, und wer immer seine Religion auszuüben gedenke, könne dies ja an diesem Tag tun. Vgl. ebd., S. 12. 1053 Vgl. Grégoire, Henri: Discours sur la liberté des cultes lors de la discussion du rapport fait par Duhot, concernant la célébration du décadi, Conseil des Cinq-cents, 26 Frimaire VI (16. Dezember 1797), zitiert nach: AN, Paris, AD VIII 17. 1054 Vgl. Faulcon, Félix: Corps législatif. Conseil des Cinq-Cents. Opinion de Félix Faulcon, député de la Vienne, sur la célébration des décadis. Séance du 25 frimaire

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Im Anschluss an diese Debatte wurden in den parlamentarischen Räten drei Gesetze verabschiedet, die darauf abzielten, die Anwendung des Kalenders zu sichern: erstens das Gesetz zur Feiertagsregelung vom 17. Thermidor VI (4. August 1798); zweitens das Gesetz zur Einführung von Dekadenfeiern vom 13. Fructidor VI (30. August 1798) sowie drittens das Gesetz zur Umstellung der periodischen Druckerzeugnisse und Gewohnheiten auf den republikanischen Kalender von 23. Fructidor VI (9. September 1798).1055 Monate zuvor hatte die Regierung bereits die Initiative ergriffen: Ein Rundschreiben des Innenministers (19. Brumaire VI, 9. November 1797) hatte die Lokalbehörden aufgefordert, den décadi als Ruhe- und Feiertag zu beachten. Es sei wünschenswert, dass alle Kulthandlungen an diesem Tage stattfänden, so François de Neufchâteau; die Arbeit solle in jedem Fall ruhen. Märkte und Messen seien möglichst ebenfalls auf den Revolutionskalender umzustellen. Das Direktorium bestätigte mit einem Erlass diese Richtlinie der Politik (14. Germinal VI, 3. April 1798): In 18 Artikeln wurde erläutert, für wen genau der Dekaditag als Ruhetag zu gelten habe und welche periodisch anfallenden Tätigkeiten nunmehr auf den Zehntagesrhythmus umzustellen seien: Verwaltung und Sitzungen (Art. 1), Justiz (2), Märkte und Messen (3 und 5), Börse (6), Schleusen (7), Post (8), öffentlich vergebene Arbeiten (9), öffentliche Kassen (10), Paraden und militärische Übungen (11), Theater (12), öffentliche Versammlungen aller Art (13), zeitliche determinierte Mietverträge (14), Druckerzeugnisse (16), Beginn von Erntezeiten (17). Die Durchführung der Bestimmungen des Erlasses sollte überwacht werden; bei Nichtbeachtung drohte Strafe.1056 Die drei Gesetze des Jahres 1798 bedeuteten de facto die juristische Kodifizierung des Willens der Regierung: Der décadi wurde zum Ruhetag erklärt, die Ausgestaltung der Dekadenfeiern präzisiert und die Rhythmusumstellung für Messen und Märkte sowie für alle weiteren periodisch stattfindenden Tätigkeiten oder Praktiken unter Androhung von Strafe verbindlich. Die erwünschte Wirkung war damit allerdings noch lange nicht erreicht: Das Problem der Missachtung des Revolutionskalenders durch lokale Amtsträger wurde im Laufe des Zweiten Direktoriums immer virulenter. Infolge der Berichtspflicht an VI (15. Dezember 1797), Paris, an VI. [zitiert nach: Paris, BHVP boîte 12272]. Vgl. auch Moniteur n° 304, 4 thermidor VI (22. Juli 1798), CCC, séance du 29 messidor an VI: Debatte über den Zusatz, dass der Dekadi einziger Ruhetag sein solle. 1055 Vgl. zu dieser Übersicht und zum Folgenden MEINZER: Der französische Revolutionskalender, S. 63–74. 1056 Vgl. ebd., S. 67.

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häuften sich Eingaben bei der Pariser Exekutive über lokale Verstöße; das Thema absorbierte viel politische und administrative Energie.1057 Fast täglich trafen Berichte von Missachtungen durch Mitglieder der öffentlichen Verwaltung1058 oder über Widerstände von Seiten der 1057

Die Protokolle des Direktoriums berichten ab dem Jahr VI regelmäßig von Verstößen – mit steigender Tendenz; vgl. LES PROCÈS-VERBAUX DU DIRECTOIRE, Bd. 4 Berichte aus: Rhône und Seine-et-Oise; Bd. 5 aus: Charente-Inférieure, Deux-Nèthes, Yonne; Bd. 6 aus: Aisne, Charente-Inférieure, Cher, Dyle, Escaut, Eure, Eure-et-Loir, Haute-Garonne, Ille-et-Vilaine, Jemappes, Loiret, Marne, Haute-Marne, Orne, BasRhin, Seine, Seine-et-Oise, Somme, Vosges; Bd. 7 aus: Aisne, Charente-Inférieure, Cher, Côte-d’Or, Côtes-du-Nord, Escaut, Eure, Gironde, Indre-et-Loire, Jemappes, Marne, Haute-Marne, Meurthe, Morbihan, Oise, Pas-de-Calais, Saône-et-Loire, Seine-et-Marne, Seine-et-Oise, Vendée, Yonne; Bd. 8 aus: Ariège, Charente-Inférieur, Cher, Eure. Gard, Gironde, Hérault, Lot-et-Garonne, Manche, Maine-et-Loire, Marne, Morbihan, Nord, Oise, Bas-Rhin, Yonne; Bd. 9 aus: Ain, Ardèche, Doubs, Haute-Garonne, Meurthe, Saône-et-Loire, Seine-et-Marne, Vaucluse, Yonne; Bd. 10 aus: Aisne, Ardennes, Charente-Inférieure, Dordogne, Eure, Eure-et-Loir, Finistère, Haute-Garonne, Ille-et-Vilaine, Jemappes, Loiret, Marne, Meurthe, Oise, Bas-Rhin, Haute-Saône, Sambre-et-Meuse, Sâone-et-Loire, Seine-Inférieure, Seine-et-Oise, Deux-Sèvres, Yonne. 1058 Vgl. ebd., u. a. Bd. 6: Charente-Inférieure, Plassay, adjoint municipal n’ayant pas dispersé les participants d’une fête […] un jour de l’ancien calendrier: 19 vendémiaire an VII; Eure, la Heunière, adjoint municipal ayant reçu chez lui des danseurs et des musiciens un jour de fête non décadaire: 27 thermidor an VI; Eure-et-Loir, Dangeau, municipalité, membres ne respectant pas le décadi: 27 vendémiaire an VII; Haute-Garonne, Boulogne, agent municipal, et Montréjeau, agent et adjoint maintenant les marchés aux dates de l’ancien calendrier: 17 fructidor an VI; Le Burgaud et Launac, agents municipaux idem: 23 fructidor an VI; Ille-et-Vilaine, Plélan, agent municipal ayant supprimé les dates des marchés suivant le calendrier républicain: 27 fructidor an VI; Jemappes, Charleroi, agent municipal résistant à son application: 23 fructidor an VI; Loiret, Chambon, agent municipal laissant chômer le dimanche: 17 thermidor an VI; Marne, Rosay, adjoint municipal travaillant le décadi: 23 vendémiaire an VII; HauteMarne, Reclancourt, agent municipal tenant l’état civil suivant l’ancien: 7 thermidor an VI; Songeons, agent municipal faisant travailler ses ouvriers le décadi: 27 vendémiaire an VII; Orne, Cormeilles, municipalité, président prêtre, chômant un jour de fête du calendrier romain: 7 thermidor an VI; Bas-Rhin, Strasbourg, municipalité, membre laissant les marchands s’installer dans sa cour aux anciens jours de marché: 17 fructidor an VI; Somme, Fourcigny, agent municipal ayant tenu l’assemblée communale un dimanche: 27 vendémiaire an VII; Vosges, Martigny [-les-Bains], idem résistant à un arrêté de l’administration centrale sur les décadis: 17 thermidor an VI; Bd. 7: Aisne, Agnicourt, agent municipal violant le décadi: 19 pluviôse an VII; Charente-Inférieure, Siecq, adjoint municipal condamné à amende par le juge de paix de Beauvais pour non-respect du calendrier républicain: 9 frimaire an VII; Cher, Savigny [-en-Cheptaine], adjoint municipal ne respectant pas le décadi: 27 brumaire an VII; Côte-d’Or, Chamblanc, agent municipal convoquant au culte le dimanche et le célébrant: 9 frimaire an VII; Côtes-du-Nord, Lamballe, idem n’ayant assisté qu’à une seule fête décadaire: 7 nivôse an VII; Escaut, Bassevelde, idem recevant les promesses de mariage le dimanche: 3 pluviôse an VII; Eure, Quillebeuf, adjoint municipal travaillant le décadi:

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Geistlichen1059 und der Bevölkerung1060 aus den Departements in der 29 nivôse an VII; Gironde, Saint-André-de-Cubzac, agent municipal faisant travailler le décadi: 19 frimaire an VII; Marne, Cormicy, commissaire municipal et assistant aux fêtes de l’ancien calendrier: 2 frimaire an VII; Frignicourt, adjoint municipal condamné pour violation du décadi: 19 pluviôse an VII; les Mesneux, agent municipal travaillant le décadi: 29 nivôse an VII; Villotte, idem ne respectant pas le décadi: 9 frimaire an VII; Haute-Marne, Bricon, agent municipal refusant la lecture des lois à l’église et absent le 30 vendémiaire lors d’une manifestation violente des habitants contre la fête décadaire: 9 frimaire an VII; Meurthe, Thiaucourt, agent municipal laissant travailler le décadi: 13 pluviôse an VII; Oise, Catenoy, agent municipal ne faisant pas respecter le décadi: 29 nivôse an VII; Ermenonville, idem condamné à amende pour violation du décadi: 7 nivôse an VII; Fresneaux, municipalité, président violant le décadi: 29 nivôse an VII; Macquelines, adjoint municipal ne respectant pas le décadi: 19 frimaire an VII; Noailles, commissaire municipal ex-prêtre, ne faisant pas appliquer le décadi: 3 nivôse an VII; Noyon, municipalité ne faisant pas célébrer les décadis et laissant les foires aux anciens jours: 14 pluviôse an VII; Saint-Quentin, agent municipal travaillant le décadi: 29 nivôse an VII; Pas-de-Calais, Blangy, agent et adjoint tolérant des danses les jours de fête du calendrier romain: 3 pluviôse an VII; Framecourt, municipalité, membres négligeant les lois sur le calendrier républicain: 27 brumaire an VII; Saône-et-Loire, Mervans, municipalité autorisant par délibération l’exercice du culte catholique tous les jours: 29 frimaire an VII; Seine-et-Marne, Beauvoir, Guignes, Suisnes et Verneuil, adjoints municipaux prêtres travaillant le décadi: 27 brumaire an VII; Brie-Comte-Robert, agent municipal prêtre ne faisant pas respecter le décadi, ex-adjoint déjà destitué en l’an VI: 3 nivôse an VII; Vendée, Sainte-Hermine, adjoint municipal ayant fait un scandale lors de la célébration des mariages le décadi pour exiger d’être désigné pour remplacer l’agent municipal: 19 nivôse an VII; weitere Berichte in den Bänden 8 bis 10. 1059 Vgl. ebd. Bd. 5: Yonne, Courgenay, curé ayant poussé les citoyens contre la célébration du décadi à l’église: 8 germinal an VI; Bd. 6: Cher, Dun-sur-Auron, sédition fomentée par des chanoines: 4 fructidor an VI; Eure-et-Loir, Arrou, curé hostile au décadi: 6 brumaire an VII; la Loupe, prêtre ayant occupé l’église le 30 vendémiaire an VII pour empêcher la fête décadaire: 14 brumaire an VII; Bd. 7: Haute-Marne, Montmirail, prêtre ayant fait un discours contre le décadi en présence de la municipalité: 26 frimaire an VII; Seine-et-Oise, Villers-en-Arthies, curé, Gallaher, irlandais, célébrant le culte le décadi, voué aux enfers par des prêtres de la région: 6 nivôse an VII; Yonne, Marchais-Beton et Villefranche, prêtres ayant remis les cérémonies du décadi au dimanche: 24 nivôse an VII. Weitere Berichte in den Bänden 8 bis 10. 1060 Vgl. ebd. Bd. 4: Rhône, Lyon, non-respect: 14 pluviôse an VI; Seine-et-Oise, Arpajon, marché les anciens jours de la semaine: 27 pluviôse an VI; Bd. 5: Charente-Inférieure, Dompierre [-sur-Mer] et Jonzac, marchés tenus aux anciens jours: 28 messidor an VI; Deux-Nèthes, Berchem, Colbert, notaire ne l’utilisant pas, destitué: 14 messidor an VI; Bd. 6: Oise, Mouy, jeux un jour de fête de l’ancien calendrier: 27 fructidor an VI; Bd. 7: Charente-Inférieure, Saintes, receveur du timbre tenant des propos contre l’obligation de célébrer les mariages le décadi: 15 nivôse an VII; Jemappes, Masnuy-Saint-Pierre, bals du dimanche: 27 brumaire an VII; Marne, Vitry [-le-François], tribunal correctionnel, référé rejeté sur le respect du décadi par les marchands de la halle, propriété d’un particulier: 16 pluviôse an VII; Saône-et-Loire, Jambles, foire de deux jours dite Apport du 25 août [de la Saint-Louis], remplacement par deux foires: 19 frimaire an VII; Mervans; weitere Berichte in den Bänden 8 bis 10.

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Hauptstadt ein. Mancherorts wurden die Festtage des katholischen Kalenders weiter begangen, anderenorts kollidierten die verschiedenen Terminsysteme bei Abhaltung von Märkten, Ratssitzungen oder anderen periodisch wiederkehrenden Handlungen. In Paris und Umgebung gab es unter anderem Konflikte um die nach wie vor ‚sonntäglich‘ stattfindenden Bälle und Feuerwerke;1061 außerdem wurde berichtet, eine zu große Anzahl von Menschen nutze den Sonntag als Ruhetag – auch ohne religiöse Motive1062. Widerstand gegen die massiven Eingriffe der Pariser Entscheidungsträger in die Gewohnheiten des alltäglichen Lebens regte sich jedoch vor allem in ländlichen Regionen. Im Calvados beispielsweise interessierte man sich mehr für die Feldarbeit als für politische Gedenktage.1063 Seit dem Wiederaufleben des katholischen Gottesdienstes im Jahr 1795 war der Dekadenkult tendenziell nur noch eine Angelegenheit der Beamten und allenfalls der Schulen, an der der Großteil der Bevölkerung keinen besonderen Anteil nahm. Solche Zustände wollte man durch die neuen Kalendergesetze ändern – doch die Berichte über die zahlreichen Verstöße bezeugen eindrucksvoll das Scheitern der Maßnahmen. Aus Agnicourt, im Departement Aisne, wurde beispielsweise gemeldet, dass ein städtischer Angestellter seinen Sohn demonstrativ am décadi arbeiten lasse;1064 im Calvados wurde in der Gemeinde Beaumont der Präsident der Stadtverwaltung entlassen, nachdem er den Beschluss des Stadtrates annulliert hatte, den Markt fortan am siebten Tag der Woche abhalten zu lassen;1065 in Chérac (Charente-Inférieure) weigerte sich ein Geistlicher, an anderen Tagen als am alten Sonntag Taufen durchzuführen;1066 im Departement Cher beschuldigte man einen Mitarbeiter der Stadtverwaltung, am Pfingstsonntag eine kommunale Versammlung zugelassen zu haben;1067 im Departement Escaut habe es Freudenfeuer anlässlich eines Festes des alten Kalenders gegeben;1068 ähnliche Meldungen von abweichlerischem Verhalten wurden allein 1061

Vgl. ebd. Bd. 5: Seine, Paris, entrepreneurs de bals et de feux d’artifice faisant atteinte au calendrier républicain: 26 floréal an VI; Bd. 6: Escaut, Maldegem, feux de joie un jour de fête de l’ancien calendrier: 19 vendémiaire an VII. 1062 Vgl. ebd. Bd. 6: Seine, Paris, nombre élevé de personnes se reposant le dimanche sans raison religieuse: 19 thermidor an VI. 1063 Vgl. PATRY, Raoul: Le régime de la liberté des cultes dans le département du Calvados pendant la première séparation (1795–1802), Paris 1921, S. 93. 1064 Vgl. LES PROCÈS-VERBAUX DU DIRECTOIRE, Bd. 6: 3 brumaire an VII. 1065 Vgl. ebd., Bd. 8: 27 thermidor an VII. 1066 Vgl. ebd., Bd. 6: 4e jour complémentaire an VI. 1067 Vgl. ebd., 27 fructidor an VI. 1068 Vgl. ebd., Bd. 8: 19 vendémiaire an VII.

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zwischen Juli und November 1798 aus den Departements Eure-et-Loir, Forêts, Haute-Garonne, Jemappes, Loiret, Marne, Haute-Marne, Oise, Orne, Haute-Pyrénées, Bas-Rhin, Seine, Seine-et-Oise, Somme und Vosges vermeldet.1069 In der Regel führte dies zu Abmahnungen oder vorübergehenden Suspendierungen, teilweise aber auch zu Amtsenthebungen oder Deportationen.1070 Die republikanische Gesetzgebung kam einer Kriegserklärung an die katholische Kirche gleich – die zunehmenden Berichte über Verstöße können daher auch als Quelle für die fortbestehende Kraft des Katholizismus gelesen werden. Zwar wurde selbst mit dem Gesetz vom 17. Thermidor VI (4. August 1798) die Praxis des Sonntags nicht verboten. Der Dekadi galt fortan als uneingeschränkter Ruhetag, auch über den öffentlichen Bereich hinaus – aber alle Anträge, die ihn zum alleinigen Ruhetag der Republik erklären wollten, indem religiöse Kulte nur noch am zehnten Wochentag hätten stattfinden dürfen, wurden abgelehnt. Die Einhaltung des Sonntags blieb somit durchaus möglich.1071 Man hoffte, die neue Praxis werde langfristig von allein den Niedergang des Sonntags nach sich ziehen. Besonders problematisch erscheint, dass die Regelung von 1798 endgültig die Gruppe derjenigen konstitutionellen Priester gegen die Republik verprellte, welche eigentlich republikanisch gesonnen waren und von Beginn der Revolution an den Kompromiss zwischen Kirche und Staat gesucht hatten.1072 Diese konnten in keinem Fall auf den Sonntag verzichten; zu fest war der Siebentagerhythmus in der katholischen Theologie verankert.1073 Infolgedessen bemühten sie sich, Argumente zu finden, die einen Ausgleich ermöglicht hätten – unter anderem mit dem Versuch nachzuweisen, dass der Revolutionskalender zunächst einmal mit der ‚Republik‘ doch gar nichts zu tun habe. In den Annales de la religion, dem wichtigsten Publikationsorgan der konstitutionellen Kirche, demontierte Robert am 4. Nivôse VIII (25. Dezember 1799) 1069

Vgl. ebd., Bd. 6: Index „Calendrier républicain“ (bezogen auf den Zeitraum vom 1. Thermidor VI bis 20. Brumaire VII, 19. Juli bis 10. November 1798). 1070 So im Falle eines Priesters der Gemeinde Saint-Germain-en-Laye im Département Seine-et-Oise, der Frauen gegen die neue Gesetzgebung aufgebracht und zur Einhaltung des Sonntags aufgerufen habe. Vgl. ebd., Bd. 6: 4e complémentaire an VI: „déporté 4e jour complémentaire an VI“. 1071 Vgl. MEINZER: Der französische Revolutionskalender, S. 68. 1072 Auch Marcel Reinhard kommt in seiner umfangreichen Studie über das Sarthe-Departement zu dem Schluss, die Republik des Direktoriums sei maßgeblich aufgrund ihrer Religionspolitik gescheitert, vgl. REINHARD, Marcel: Le Département de la Sarthe sous le Régime directoral, Saint-Brieuc [1936]. 1073 Vgl. MEINZER: Der französische Revolutionskalender, S. 72.

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sehr klug den republikanischen Gründungsmythos und entlarvte ihn als politische Konstruktion, die den Namen ‚institution républicaine‘ kaum verdiene: Se persuader que le changement de calendrier fût nécessairement à l’établissement de la République, serait la chose la plus complètement ridicule. Comme si, avec le calendrier grégorien, on n’eut pas vu fleurir la république de Hollande, et toutes celles de la Suisse, et Gênes, et Venise! […] Ce serait très abusivement qu’on qualifierait d’institution républicaine le nouveau calendrier. Une institution républicaine est celle qui tient à la nature et à l’essence d’un gouvernement libre. Or, le nouveau calendrier n’a rien de commun avec la constitution républicaine; bon ou mauvais, il peut indifféremment être usuel sous le régime despotique comme sous l’empire de la loi. Serait-il dit institution républicaine parce qu’il aurait pris naissance sous la république? Mais alors le code civil, l’administration forestière, l’établissement des barrières, la loi sur le divorce, etc. seraient autant d’institutions républicaines; ce qui ne viendra jamais à l’esprit de personne.1074

Solche Argumente dienten jedoch nicht der Beilegung des Konflikts, sondern verschärften ihn letztlich nur noch weiter.1075 Die meisten Abgeordneten hielten parteiübergreifend am republikanischen Gründungsmythos des Jahres 1792 fest; zu tief saß der Glaube an die Eröffnung eines neuen Zeitalters durch die Revolution, zu sehr befürchtete man, dass ein Umschwenken in der Symbolpolitik einen erneuten reaktionären Schub auslösen könne und den Anhängern der Monarchie zum Vorteil gereichen werde. Propaganda und Durchsetzung Zur Propagierung des Kalenders wurden von den Thermidorianern und Direktorialisten – ähnlich wie zuvor bereits von den Jakobinern – besondere Mittel bemüht: Neben dem Druck von Reden und Dekreten, die mit der Einführung des Kalenders befasst waren, wurde die Publikation von Almanachen und illustrierten Kalenderblättern staatlich subventioniert und die Druckerzeugnisse entsprechend in hoher Auflage in Umlauf gebracht (Abb. 35).1076 Auf Vorschlag von Romme war am 1074

Annales de la religion X, Nr. 5, S. 193–204: Robert (de la Côte-d’Or), géographe, Dijon, 4 Nivôse VIII (25. Dezember 1799): Dans la régénération politique de la France, convient-il de laisser substituer le nouveau calendrier? Zitiert nach ebd., S. 73. 1075 Vgl. in stärker kirchen- bzw. geistesgeschichtlicher Perspektive die Überlegungen zu den republikanisch-nationalen Implikationen der französischen Klerusversammlungen der Jahre 1797 und 1801 bei: TUFFERY-ANDRIEU, Jeanne-Marie: Le concile national en 1797 et en 1801 à Paris. L’Abbé Grégoire et l’utopie d’une Eglise républicaine, Bern u. a. 2007. 1076 In den Sammlungen der BnF und des Musée Carnavalet befinden sich weitere Blätter, u. a. Queverdo: Nouveau Calendrier de la République française. Vgl. auch MEINZER:

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Abb. 35: Debucourt, Philibert-Louis: Calendrier Républicain, An III, eau-forte, outils, aquatinte, 43 × 36,5 cm, Paris [1794].

11. Pluviôse II (30. Januar 1794) der Druck von 2.000 Exemplaren eines Annuaire du cultivateur beschlossen worden, in dem in tabellarischer Form die Konkordanz von Monats- und Tagesnamen mit ausgewählten Naturbegriffen präsentiert und erläutert wurde.1077 Ein Jahr später erfuhr dieser Annuaire eine zweite, überarbeitete Auflage.1078 Das Der französische Revolutionskalender, S. 43–46. Vgl. GUILLAUME: Procès-verbaux du comité d’instruction publique, Bd. 3, S. 376. 1078 Vgl. Romme, Gilbert: Annuaire du cultivateur, pour la troisième année de la République, présenté le 30 Pluviôse de l’An IIe à la Convention nationale […], Paris, An IIIe 1077

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Comité d’instruction publique beschloss 1795, dass alle Abgeordneten sowie Beamte und Lehramtsanwärter ihr eigenes Exemplar erhalten sollten; insgesamt ging es um 1.500 Abzüge.1079 Auch Lieder verbreiteten die Idee der neuen Zeitrechnung;1080 Feste wurden ihr zu Ehren ausgerichtet, wie zum Beispiel die aufwendige Inszenierung anlässlich des Festes der Republikgründung von 1796 belegt.1081 Und die Aktivität beschränkte sich nicht allein auf Frankreich: Am 8. Ventôse IV (27. Februar 1796) bewilligte das Direktorium in seiner täglichen Sitzung dem französischen Botschafter in Genua, Faipoult, auf Staatskosten den Druck der Auflage von 300 Exemplaren eines Gedichtes, welches den Kalender in Alexandrinern und mittels antiker Bildsprache verherrlichte.1082 Es handelte sich um das Poëme Le calendrier républicain von Michel Cubières-Palmézeau, genannt Dorat-Cubières, welches erstmals am 10. Frimaire III (30. November 1794) in einer öffentlichen Versammlung des Lycée des Arts in Paris verlesen worden war.1083 Im Vorwort der Druckversion heißt es unmissverständlich, die Existenz der Republik sei untrennbar mit der Existenz des Revolutionskalenders verquickt;1084 der Kalender sei das beste Gegengift („contre-poison“) gegen den priesterlichen Fanatismus, der die Revolution nach wie vor bedrohe1085. Aus dem ursprünglichen ‚erzieherischen Instrument‘ wurde hier gleichzeitig ganz offenkundig eine ‚Waffe im Machtkampf‘ geschmiedet. Der Erziehungsgedanke diente zur Legitimation des Feldzugs gegen die Kirche, welche mit der Gegenrevolution gleichgesetzt wurde: Pour un sot orgueilleux, qu’il soit en vers, en prose, Un almanach n’est rien, ou du moins peu de chose; de la République. Im Avertissement heißt es, eine Reihe von Fehlern sei korrigiert worden und der Monat Prairial sei in die Erläuterungen mit einbezogen worden. 1079 Vgl. GUILLAUME: Procès-verbaux du comité d’instruction publique, Bd. 5, S. 446. 1080 Vgl. u. a. Ducroisi: Le mois de février aux mois de janvier et de mars. Couplets sur le Calendrier républicain, par le citoyen Ducroisi, chef de la deuxième division du Comité des Décrets de la Convention nationale, o. O. o. J. 1081 Vgl. dazu Kapitel 2.3.2. 1082 Vgl. Séance du 8 ventôse an IV, 27 février 1796, zitiert nach: RECUEIL DES ACTES DU DIRECTOIRE EXÉCUTIF, Bd. 1, S. 685. 1083 Vgl. Le calendrier républicain, poëme, Lu à l’assemblée publique du Lycée des Arts, le 10 Frimaire de l’an 3; suivi d’une Ode au Vengeur, et de quelques autres poëmes sur les victoires de la République en Italie, en Espagne, en Allemagne; sur la conquête de la Hollande; sur la paix avec la Toscane, et d’une douzaine d’Hymnes civiques ou Chansons, par le Poète de la Révolution Dorat-Cubières […], Paris, An IV de la République. 1084 Vgl. ebd., Préface, S. V. 1085 Der Autor beruft sich auf La Revellière-Lépeaux, der sich bereits im Sommer 1795, noch in seiner Funktion als Präsident des Konvents, klar für die Beibehaltung des Kalenders ausgesprochen habe; s. o.

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Un sot jamais ne pense et voit tout en courant; Mais pour un sage, amis, rien n’est indifférent; Dans notre ère nouvelle, avec joie et surprise Il voit, n’en doutez point, la chûte de l’église; De cette église absurde et cruelle à la fois, Qui prêche la concorde et se bat pour les rois; Il la voit remplacer au temple de mémoire L’almanach commandé par le pape Grégoire; Et le pape Braschi, son dévot héritier, Suivre, en tombant, les saints de son calendrier. La superstition meurt avec ses idoles.1086

Die Idealvorstellung der liberal gesonnenen Thermidorianer (wie Daunou), die neue Routine der Zeitrechnung werde von allein eine Veränderung der Sitten herbeiführen, hatte sich freilich zerschlagen.1087 Nur durch Zwang schien Schadensbegrenzung möglich. Von 1798 an erfuhr die französische Provinz die Republik vor allem als Ordnungsmacht, die sich über Verordnungen und Strafen in die lokalen Verhältnisse einmischte – stärker als zuvor die Monarchie es getan hatte. Die dadurch hervorgerufene Abwehrhaltung bewirkte das Gegenteil der ursprünglichen Absichten der Kalenderväter. Als 1798 die Regierung den Revolutionskalender offen als Instrument im Kreuzzug gegen die Kirche einsetzte und den Dekaditag anstelle des Sonntags als Tag der Ruhe und der Religionsausübung zu etablieren versuchte, sollte die Polemik ihren Höhepunkt erreichen. In einem anonym veröffentlichten Streitgespräch, welches vermutlich aus dem Sommer 1798 stammt,1088 schlichtet der Teufel einen Streit zwischen Monsieur Dimanche und Citoyenne Décadi, indem er für wechselseitige Toleranz und Brüderlichkeit wirbt. Der Verfasser des Pamphlets führt diese Begriffe jedoch gleichzeitig ad absurdum, indem er sie dem Diable selbst in den Mund legt: Von der Bürgerin Décadi auf schärfste angegriffen, dass er sich selbst ebenfalls als Bürger bezeichne, erwidert er nur müde, es hätten inzwischen schon so viele Unwürdige 1086

Le calendrier républicain, poëme, S. 1f. Dorat-Cubières weist in seinem Vorwort auf Probleme im Kontext der europäischen Kommunikation und des Handels hin, weswegen einige Departements sich vollkommen weigerten, die neue Norm zu akzeptieren; vgl. ebd., Préface. 1088 Vgl. das Auftreten eines „pasteur des Théophilantropes“, somit des Mitglieds einer Religionsgemeinschaft, die verstärkt erst nach dem Staatsstreich vom 18. Fructidor 1797 von staatlicher Seite gefördert worden war: [Anonym]: Dispute du diable. Entre monsieur Dimanche, la citoyenne Décade, le Curé de la paroisse des Innocens, le Curé des Théophilantropes. – Réconciliation de la Décade avec le Dimanche. Signé Artaoth, traduit de l’Hébreu par Isaac-Nathan. Se distribue rue des Prêtres-Severin, n° 169. De l’imprimerie de la rue du Four-Honoré, N.° 117, o. O. o. J. 1087

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diesen ‚Titel‘ missbraucht, dass er selbst keinen Grund sehe, darauf zu verzichten. Diese Argumentation zeigt: Die Titel und Institutionen der Republik sind für die meisten Franzosen nur Schall und Rauch, die von allen politischen Lagern gleichermaßen ‚missbraucht‘ werden; wenn überhaupt noch etwas zählt, so sind es die dahinter liegenden Werte. Der Vorwurf des Teufels, die meisten Aktivbürger des Direktoriums handelten vor allem aus Eigennutz, wenn sie vorgäben, sich um das Wohl des Volkes zu kümmern („le bien du peuple“), obwohl sie sich in Wirklichkeit dessen Besitz (Wortspiel bien – les biens) aneignen wollten („pour se l’approprier“), bringt die Problematik auf den Punkt: Die politische Sprache entpuppt sich als bloße Rhetorik; ein und derselbe Begriff konnte bestimmte politische Intentionen ebenso gut erläutern wie verschleiern – keineswegs jedoch stand er stellvertretend für eine feste politische Position. Der Streit um den Revolutionskalender war 3 Binein erstes Gefecht in dem noch das ganze 19. Jahrhundert andauernden ungen und Kampf zwischen den deux France: einem republikanisch-laizistischen und einem katholischen Lager. Das symbolpolitische Instrument des erbindKalenders hat die ursprünglich angestrebte Stabilisierung des Landes in chkeiten keiner Weise erreichen können.1089 publikanieren

3.3 Bindungen und Verbindlichkeiten republikanisieren: Staatsbürgerliche Rituale und Auszeichnungen 3.3.1 Übergangsriten im Lebenszyklus des Staatsbürgers Das Direktorium behielt nicht nur die republikanische Zeitrechnung bei und fixierte erstmals verbindlich die dazugehörigen kalendarischen Rituale. Es ergänzte diese Instrumente staatlicher Moralerziehung durch eine Reihe von auf die Lebenswelt des Staatsbürgers bezogenen Übergangsriten und Auszeichnungen, bei denen die Republik als Lebensbegleiterin und Hüterin der guten Sitten in Erscheinung treten sollte. Zwar knüpfte man auch in diesem Bereich an Vorlagen aus der der Zeit der frühen Republik an. Gestärkt durch den Staatsstreich gegen die royalistische Opposition vom 18. Fructidor V (4. September 1797) war es jedoch besonders das Zweite Direktorium, welches sich 1089

Zu Problemen in der Provinz vgl. u. a. BIANCHI, Serge: La Révolution et la Première République au village. Pouvoirs, votes et politisation dans les campagnes d’Ile-deFrance 1787–1800, Paris 2003, S. 470ff.

3.3 Bindungen und Verbindlichkeiten republikanisieren

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anschickte, die existierenden Ansätze programmatisch zu unterfüttern und konsequent in die Praxis umzusetzen. Der Abgeordnete Leclerc aus dem Departement Maine et Loire, eines der Mitglieder der Commission des institutions républicaines, formulierte in seinem Bericht im Brumaire VI (November 1797), man wolle nun erstmals ‚Solennitäten‘ etablieren und gestalten, die den ‚Zivilstand‘ (état civil, im Deutschen besser noch mit ‚Personenstand‘1090 zu übersetzen) beträfen – eine bislang zu Unrecht vernachlässigte Aufgabe, der man sich dringend zu stellen habe.1091 Leclerc bedauerte, dass denjenigen Institutionen, die damit betraut waren, Geburten, Vermählungen oder Todesfälle zu dokumentieren (dem heutigen Standesamt), jeglicher zeremonieller Charakter oder Rahmen fehle. Daher seien diese Vorgänge ‚wenig beliebt‘ (6), was sich dringend ändern müsse, stellten sie doch die optimale Gelegenheit dar, Zeugnis von der Verbindung des Staates mit seinen Bürgern abzulegen und diese gleichzeitig zu festigen. Ausführlich entwickelte der Abgeordnete seine Auffassung darüber, warum und wie der Gesetzgeber hier regulativ einschreiten müsse. Seine Überlegungen standen unter der Prämisse, dass die französische Nation den Gesetzgebern auch ihre Moral anvertraut habe (1). Diese Moral gelte es, in Richtung ‚stabiler Neigungen‘, ‚Anhänglichkeit an das Vaterland‘, ‚republikanischer Unabhängigkeit‘, ‚Menschenwürde‘, ‚Frömmigkeit‘ und ‚Brüderlichkeit‘ weiterzuentwickeln (7f.). Kein Moment des Lebens der Bürger, keine ihrer Handlungen, keine Gefühlsregung, kein Interesse dürften dem Gesetzgeber gleichgültig sein: Er müsse ein Auge auf das Alltagshandeln jedes Individuums haben, um alle in Richtung des gemeinsamen Zieles zu führen, auf dem die gesellschaftliche Einheit beruhe (8). Zum Zwecke der ‚häuslichen Kontrolle‘ sollte ein ‚Familienstammbuch‘ (livre de famille) eingeführt werden, das neben den Informationen, die in den öffentlichen Registern verzeichnet waren, auch Auskünfte über ‚die wichtigsten Lebensabschnitte in ihrer moralischen Dimension‘ (9) enthielt. Leclerc schlug vor, das Buch bei allen Feierlichkeiten („solemnités“, 9), die sich mit dem Zivilstand verbänden, 1090

‚Etat civil‘ wird im älteren Sprachgebrauch mit ‚Zivilstand‘ wiedergegeben. Staatliche Aufsichtsbehörden kontrollierten fortan die Register, die vorher von der Kirche gekürzt worden waren. Nach Aufhebung der Ständeordnung betonten Formulierungen wie ‚Zivilstand‘ die Gleichheit aller Bürger in öffentlichen Dingen. Heute spricht man eher von ‚Personen-‘ oder ‚Familienstand‘. 1091 Vgl. Leclerc, Jean-Baptiste: Corps législatif, Conseil des Cinq-cents, Rapport fait par Leclerc (de Maine-&-Loire), ‚Sur les institutions relatives à l’état civil des citoyens‘, Séance du 16 Brumaire an 6, S. 17ff. Im Folgenden werden die Seitenzahlen in runden Klammern direkt im Text zitiert.

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3. Gesellschaft als Projekt

besonders zu inszenieren. Die Formulierungen, die der Beamte eintrüge, seien in einem ‚moralischen und ergreifenden Stil‘ (11) auszuführen, um die ‚Gefühle der Anwesenden zu wecken‘. Neben Hochzeit, Geburt und Tod gelte es, auch solche Ereignisse zu vermerken, bei denen sich ein Bürger besonders im republikanischen Geiste hervorgetan habe, zum Beispiel durch den Gewinn von nationalen Preisen bei Wettkämpfen (12). Auf diese Weise werde das Familienstammbuch zu einer Quelle republikanischen Wetteifers und nationaler Wertschätzung (12f.). Wie die Hausgötter in der Antike (14) begleite es seine Inhaber ein Leben lang und leite sie zum Guten an. Bei Familienfesten verschmölzen Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft durch die neuen Einträge in und die gemeinsame Leküre aus diesem Buch zu einer neuen Einheit (14f.). Aufgrund seiner herausragenden moralischen Bedeutung solle ihm jede Familie einen eigenen Jahrestag widmen (15). Unterschriften aller Anwesenden besiegelten die Wahrhaftigkeit der Formulierungen. An diese eher allgemeinen Überlegungen schlossen sich genaue Anweisungen über Mittel („moyens“, 20–31) und Ablauf („formes“, 31–46) verschiedener ziviler Zeremonien an. Bei allen Beispielen handelte es sich um eine Art republikanischer ‚Ersatzrituale‘, die an die Stelle der kirchlichen Zeremonien treten sollten, mit welchen traditionell die Hoch- und Wendepunkte des Lebens begangen worden waren. Geburten sollten in der Vision Leclercs zukünftig mit einer ‚solemnen Darstellung‘ von Mutter und Kind gefeiert werden (32ff.), die mit einer Prozession in den republikanischen Tempel des Ortes geleitet würden: Voran schritten Jungen und Mädchen mit Blumenkörben, dann folgten Seite an Seite die Mutter mit dem Kind und der Vater, der deutlich sichtbar („ostensiblement“) das Bürgerstammbuch trüge; die Darstellungszeugen („témoins“), Verwandte und Freunde in Festkleidung bildeten das Ende des Zuges.1092 Die eigentliche Zeremonie sollte im Tempel stattfinden: Für den Einzug war eine Hymne an die Ewigkeit vorgesehen; das Familienstammbuch sollte anschließend erneut feierlich präsentiert und am Altar des Vaterlandes durch den Vater, die Zeugen und einen Beamten unterzeichnet werden; nach einer kurzen Rede schlössen Sinnbilder und Gesänge die Zeremonie ab (33). Die Zeugen übernähmen gegenüber dem neu geborenen Staatsbürger die gleiche Funktion wie die Paten für den Täufling in der christlichen Kirche (33f.). Eine ähnliche, etwas weniger aufwendige Zeremonie sollte bei einer Adoption durchgeführt werden (34f.). Weitere ‚Zivilrituale‘ seien Hochzeiten und Scheidungen, deren Zeremoniell Leclerc an anderem Ort ebenso detail1092

Ähnlich trugen Priester bei katholischen Prozessionen die Bibel oder das Allerheiligste; Zeugen sind ebenfalls aus der christlichen Sakramentenlehre und Liturgie bekannt.

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liert darzulegen beabsichtigte (39). Die Scheidung sei das einzige Ritual, welches am Quintidi zu vollziehen sei, um nicht parallel zu den Hochzeiten stattzufinden (20 und 39). Beerdigungen, so Leclerc, hätten in der Vergangenheit einen besonderen Streitfall dargestellt, da viele Angehörige um das Seelenheil ihrer Verstorbenen fürchteten, wenn diesen eine Bestattung nach katholischem Kultus versagt blieb. Eine zivile Bestattungszeremonie („pompe funèbre“) solle fortan das Versprechen einlösen, dass der Gesetzgeber auch über den Tod hinaus diejenigen nicht vergesse, die sich für die Staatsgemeinschaft ausgezeichnet hätten (40f.). Aber nicht nur der natürliche Lebenszyklus, welcher den Menschen als ein auf Fortpflanzung und Familie hin ausgerichtetes Wesen entwarf, sondern auch der Werdegang und die Entwicklung des Staatsbürgers sollten nach Wunsch Leclercs durch Übergangsrituale markiert werden. Ausführlich nahm der Abgeordnete zur inscription civique Stellung, einer Art staatsbürgerlicher Initiationsfeier, anlässlich derer junge Männer ihr Bürgerstammbuch erhielten, in die Nationalgarde aufgenommen und für politisch mündig erklärt würden (35ff.). Diese ‚staatsbürgerliche Einschreibung‘ sollte im Alter von 18 Jahren erfolgen (35) und setzte voraus, dass die jugendlichen Anwärter eine Reihe von Bedingungen erfüllten, die im Zuge einer Musterung zu überprüfen seien: Die künftigen citoyens müssten lesen und schreiben können und einen ordentlichen Beruf ausüben („profession mécanique“); darüber hinaus wurde erwartet, dass sie ein moralisch tadelloses Leben führten und in der Lage seien, eine Waffe zu tragen. Nur wenn all diese Bedingungen erfüllt seien, werde der junge Erwachsene zur staatsbürgerlichen Initiationsfeier zugelassen, die seine Aufnahme in die nationale Gesellschaft mit Glanz begehe: „L’inscription civique étant l’acte par lequel commencent les rapports des citoyens avec la société toute entière, sa solemnité sera l’objet d’une fête nationale pompeuse, & se fera dans le chef-lieu du département.“ (37) Das Fest sollte einen ganzen Tag dauern. Vertreter aller Zivilbehörden nähmen daran teil: Nationalgardisten, Lehrer und Schüler, Professoren und Studenten, Bildungspolitiker („le jury d’instruction“) und Vertreter der lokalen Behörden; Verwandte, Eltern und Kinder, die Eichenzweige trügen, ergänzten ihre Reihen. Nach einer Rede, die die neuen Staatsbürger über ihre Rechte und Pflichten aufklären sollte, erfolge die Zeremonie des Statuswechsels: die individuelle Eidesleistung jeden Mannes. Im „serment civique“ erkläre dieser seine Verachtung für die alten Institutionen, die auf Ungleichheit durch Geburt beruhten; mit dem Hassschwur gegenüber Königtum und Anarchie werde gleichzeitig die Treue zur Verfassung des Jahres III (1795) verbürgt. Die Unterschrift des Verwaltungschefs

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3. Gesellschaft als Projekt

diene dazu, den neu erworbenen Status im Familienstammbuch zu bescheinigen; zum Abschluss gebe es Glückwunschworte („formules“) des Präsidenten und Musik. Die mitgebrachten Eichenzweige würden verteilt, in Erinnerung daran, dass jeder Staatsbürger potenziell auch die Bürgerkrone („couronne civique“) erhalten könne (38). Tänze und Spiele ließen den Tag ausklingen. Für jede Kantonshauptstadt plante Leclerc die Einrichtung eines ‚Tempels‘, an dem die Zeremonie stattfinden könne (manchmal „temple républicain“1093, manchmal „temple décadaire“ genannt). Das gesetzliche règlement sah dafür den Hauptkirchenbau des jeweiligen Ortes vor. So unterschiedlich diese Bauten auch von ihrer Architektur her sein mochten, im Inneren sah der Gesetzgeber eine einheitliche Gestaltung vor:1094 einen Altar, geschmückt mit Blumen, und eine Tafel, auf der die Sprechformeln der verschiedenen zivilen Zeremonien zu verzeichnen seien. Neben Tischen für Schreiber und Assistenten sollte ein leicht erhobener Sitz für den Präsidenten der Zeremonie eingerichtet werden, der diesen aus dem Kreise der Teilnehmer heraushebe. Dahinter sollte eine Inschrift prangen: „Les actes relatifs à l’état civil des citoyens français se font au nom de la République, en présence & sous les auspices de l’Etre suprême.“ Das Être suprême war mit diesem Vorschlag zurück auf der gesetzgeberischen Tagesordnung. Die Rolle, die die Verwaltungsbeamten anlässlich der Zeremonien einnehmen sollten, erinnerte an diejenige eines Priesters (Darstellung des Bürgerstammbuchs, Sprechakte, Zeugenfunktion): Es sei besser, so Leclerc, der président halte nicht selbst die Festrede – seine Aufgabe seien die ‚sakramentarischen‘ Worte im Kern der Zeremonie, nicht das ‚Beiwerk‘ (39). Die Ausführungen Leclercs standen in unmittelbarem Zusammenhang mit den Vorstellungen La Revellière-Lepeauxs von der Notwendigkeit einer zivilen Religion (siehe Kapitel 3.1 sowie 3.5), welche dieser bereits im Frühjahr V (Mai 1797) bei einem Vortrag im Institut national entwickelt hatte.1095 Trotz der prorepublikanischen Stimmung nach dem 18. Fructidor erntete Leclercs Vorstoß heftige Kritik, was dazu führte, dass die Verabschiedung des Gesetzes vertagt wurde.1096 Barailon kritisierte das Familienstammbuch als Grundlage einer neuen Form des Adels: „la 1093

So auch im offiziellen „Règlement“, vgl. Leclerc: Corps législatif, Conseil des Cinqcents, Règlement proposé par Leclerc (de Maine-&-Loire), A la suite du Rapport ‚Sur les institutions civiles‘, Séance du 17 Brumaire an 6. Vgl. dort auch zum Folgenden. 1094 Vgl. Leclerc: Corps législatif, Conseil des Cinq-cents, Rapport fait par Leclerc, S. 55. Vgl. dort auch zum Folgenden (Seitenangaben in runden Klammern im Text). 1095 Vgl. MATHIEZ: La théophilanthropie et le culte décadaire, S. 198. 1096 Vgl. ebd., S. 198ff. Dort auch zum Folgenden.

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noblesse des riches“. Eschassériaux l’aîné argumentierte in eine ähnliche Richtung, wenn er darin eine modernisierte Variante der alten Adelsarchive („anciens chartriers“) zu erkennen glaubte, derer sich die Revolution doch erst jüngst erfolgreich entledigt habe. Pison Du Galland störte sich an der Bezeichnung republikanischer ‚Tempel‘, die zu dicht am religiösen Vokabular orientiert sei. Dies spiegelt die in Religionsfragen auch nach dem Staatsstreich vom 18. Fructidor mehrheitlich liberale (wenn nicht teilweise sogar prokatholische) Grundhaltung der Räte. Jenseits des Streits in Religionsfragen wurden außerdem erneut grundsätzliche Vorbehalte gegenüber der Symbolpolitik des Direktoriums laut. Der Abgeordnete und Schriftsteller Louis-Sébastien Mercier beklagte sich laut Peltier, man wolle den Franzosen mit einer Art ‚Vogelorgel‘ (die unterschiedliche Vogelstimmen nachzuahmen vermag) verschiedene Traditionen beibringen, die sie ihrer Entscheidungsfreiheit beraubten und deren Sinn niemand mehr verstehe. Letzlich gehe es um ein Projekt, welches den ‚Charakter‘ beziehungsweise den ‚Geist‘ einer ganzen Nation ändern wolle: Entreprendre de changer le caractère, l’esprit d’une nation, c’est un ouvrage très difficile […]. Il faut gémir de la quantité désordonnée de lois et de règlements qu’on nous apprête d’après le très singulier rapport de Leclerc (de Maine-et-Loire); on dépouille tous les codes, on va puiser chez toutes les nations de la terre de vaines formules. Bientôt nous aurons de rites chinois, des rites égyptiens, mélangés avec ceux des Grecs et des Tartares… Avec toutes ces institutions civiles, la vie civile deviendrait une espèce de serinette, où l’on ne pourrait s’écarter de tel air, et il nous faudrait répéter servilement la gamme fantasque de tel législateur… Vous voulez que je pérore et que j’écoute de la musique, et que je couronne de fleurs le jour de mon mariage, eh! laissez-moi faire cela le surlendemain et je verrai si je dois rire ou pleurer!... Vous voulez ensuite que je compose journellement le Livre de famille? Eh! bon Dieu, toujours des livres, des phrases et des écritures […].1097

Die meisten Vorschläge Leclercs scheiterten; vor allem das Familienstammbuch blieb ein Verwaltungsdokument ohne zeremonielle Bedeutung. Das Fest der Jugend, welches seit 1796 Teil des offiziellen republikanischen Festkalenders war, hätte sich als Ort zur Verwirklichung einiger Pläne angeboten; doch gibt es kein Zeugnis über eine Änderung der Rahmenbestimmungen. Das Zweite Direktorium, als dessen Sprachrohr Leclerc aufgetreten war,1098 umging im Folgenden das Parlament, um seine symbolpolitischen Pläne zu verwirklichen: La 1097

Peltier, Jean-Gabriel: Paris pendant l’année 1795[–1802], 35 Bde., London 1795–1802, Bd. 16, S. 35f.: n° du 30 décembre; zitiert nach ebd., S. 199. 1098 Vgl. MATHIEZ: La théophilantropie et le culte décadaire, S. 200.

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Revellière unterstützte für einige Monate den Privatkult der Theophilanthropen, der in seiner Liturgie viele Ideen Leclercs aufgriff (vgl. Kapitel 3.5). Für den Direktor und seine Entourage eröffnete sich damit eine andere Möglichkeit, den antiklerikalen Kurs und den Kampf gegen die Rituale der katholischen Kirche zu verschärfen.1099 Die gesetzgebenden Räte befassten sich in der Folgezeit in einem profaneren Sinne mit der Ausgestaltung der inscription civique – als schlichtem Akt der Registrierung von Wählern und Nationalgardisten. Man sprach 1798 weniger über zeremonielle Aspekte als offen über die Chancen und Probleme der Kontrolle der Bürger bei der ‚vollen und freien Ausübung‘ des Wahlrechts. Dabei strebten die Linken eine Veränderung der Fristen der „ouverture des registres civiques“1100 an, die die Zahl der demokratischen Wähler und élécteurs zu erhöhen versprach, während die Partei der Direktorialisten die Abhaltung der assemblées primaires an republikfeindlichen Orten zu verhindern trachteten.1101 Viele Vorschläge der Fünfhundert scheiterten am Widerstand des Rates der Alten; eine veritable Debatte um das Wahlrecht entstand – und ließ das Misstrauen des Direktoriums gegenüber der demokrati-

1099

Zusätzlich zu den nationalen Gedenk- und Tugendfesten wurde zudem im Vorfeld der Wahlen noch das ‚Fest der Volkssouveränität‘ eingerichtet (jährlich am 30. Ventôse bzw. 20. März), das ebenfalls auf Kontrolle und Einflussnahme auf die Staatsbürger zielte; besonders junge Männer und Greise standen im Mittelpunkt der Zeremonien. Vgl. Loi du 13 pluviôse VI sowie Arrêté in: Moniteur n° 153, 3 ventôse VI (21. Februar 1798). 1798 wurde zur Eröffnung der éléctions eine lange Erklärung an das Wahlvolk herausgegeben; vgl. Proclamation relative aux assemblées primaires de l’an 6, du 9 ventôse an 6 de la République, une et indivisible, Le directoire exécutif aux Français, in: Moniteur n° 164, 14 ventôse VI (4. März 1798). 1100 Vgl. die Résolution relative au plein et libre exercice des droits constitutionnels von Pons (du Verdun), die zunächst angenommen, dann aber verworfen wurde, Moniteur n° 117, 27 nivôse VI (16. Januar 1798), CCC, séance du 22 nivôse, sowie n° 151, 1er ventôse VI (19. Februar 1798), CCC, séance du 27 pluviôse; n° 152, 2 ventôse VI (20. Februar 1798), CA, séance du 28 pluviôse; ein neuer Vorschlag von Pons zur „ouverture des registres civiques“ vgl. Moniteur n° 157, 7 ventôse VI (25. Februar 1798); vgl. Moniteur n° 159, 9 ventôse VI (27. Februar 1798), CA, séance du 5 ventôse sowie n° 161, 11 ventôse VI (1. März 1798), CCC, séance du 8 ventôse; CA, séance du 8 ventôse; für einen letzten Vorstoß von Lacombe-Saint-Michel vgl. Moniteur n° 162, 12 ventôse VI (2. März 1798), CA, séance du 9 ventôse und n° 163, 13 ventôse (3. März 1798), suite de la séance du 9. 1101 Dies wurde wiederum von anderen als verfassungswidrig kritisiert. Vgl. u. a. Journal des hommes libres n° 271, 26 pluviôse VI (14. Februar 1798); vgl. Moniteur n° 159, 9 ventôse VI (27. Februar 1798), CA, séance du 5 ventôse sowie n° 161, 11 ventôse VI (1. März 1798), CCC, séance du 8 ventôse, CA, séance du 8 ventôse; vgl. Journal des hommes libres n° 295, 20 ventôse VI (10. März 1798).

3.3 Bindungen und Verbindlichkeiten republikanisieren

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schen Opposition weiter anwachsen sowie die Rivalität zwischen Exekutive und Legislative neu aufleben.1102 Ein Teil der Ideen Leclercs konnte mit den Gesetzen zur Neuregelung des Dekadenkultes nach den Wahlen verwirklicht werden. Im Zuge der Aufwertung des décadi verlegte man die Hochzeitsfeierlichkeiten auf den zehnten Tag der Woche, was eine Anbindung dieses lebensweltlichen Rituals an den wöchentlichen republikanischen Kult, mit Lesungen und Gesängen im temple décadaire, implizierte. Es war der von Leclerc nur am Rande angesprochene Bürgereid (serment civique), der zwischen 1794 und 1799 von den parlamentarischen Räten als wichtigstes Instrument der Bindung der Bürger an die Republik betrachtet wurde. Gerade aufgrund seiner herausgehobenen Bedeutung sollte dieser jedoch bis zum napoleonischen Staatsstreich auch ein Streitobjekt bleiben, welches die Versammlungen häufig beschäftigte (vgl. Kapitel 3.3.2).

3.3.2 Politische Initiations- und Selbstverpflichtungsriten Staatsbürgerliche Initiationsriten Eine Bindung an das neue Regime wurde nicht nur über lebensweltlich oder erziehungspolitisch ausgerichtete Rituale, sondern auch ganz konkret in der Ausübung staatsbürgerlicher Rechte und Pflichten erzeugt. Schon die Durchführung der Wahlen selbst kann als ‚staatsbürgerlicher Initiationsritus‘ gewertet werden: Die Erfahrung, dass seit 1791 Verwaltung, Gesetzgeber und kirchliche Würdenträger, nach 1792 auch die Regierung ‚wählbar‘ waren, hat das Bewusstsein derjenigen, die den wechselnden Bestimmungen des Wahlrechts zufolge partizipieren durften, entscheidend verändert.1103 Die Etablierung des Wahlprinzips war eines der wichtigsten Anliegen der Französischen Revolution überhaupt (als zentrales Mittel zur Legitimation der Errichtung einer ‚Volksherrschaft‘); das Wahlrecht war für jeden citoyen das Symbol seiner Teilhabe

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Lefebvre deutet den Vorstoß von Pons de Verdun als das auslösende Moment eines Stimmungsumschwungs gegen die Linke, vgl. LEFEBVRE: La France sous le Directoire, S. 474 sowie S. 479. 1103 Vgl. CROOK, Malcolm: Elections in the French Revolution. An Apprenticeship in Democracy, 1789–1799, Cambridge u. a. 2002; speziell zum Direktorium vgl. ders.: Élections et comportement électoral sous le directoire, 1795–1799, in: DUPUY, Roger (Hrsg.): Pouvoir local et Révolution 1780–1850. La frontière intérieure, Rennes 1995, S. 415–428.

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an der neuen Souveränität.1104 Letzteres beinhaltete Gueniffey zufolge bereits von 1789 an eine ‚republikanische Logik‘1105: Die Verfassung von 1791 versuchte zwar noch, Wahlen eine rein technische Funktion der Auswahl von Stellvertretern zuzuschreiben, doch die symbolische Bedeutung der Partizipation an politischen Entscheidungen sollte sich rasch verselbständigen. Der Konflikt um das königliche Veto im Zuge der Verfassungsverhandlungen demonstrierte deutlich die Existenz zweier widerstreitender Legitimationsprinzipien: „héridité“ versus „représentation“.1106 Erst die Republik beseitigte diesen Widerspruch und verhalf dem Wahlprinzip vollkommen zum Durchbruch: Als wichtigstes Legitimationsprinzip der neuen Ordnung schuf es eine greifbare Verbindung zwischen dem Volk und seinen Repräsentanten; gleichzeitig verkörperte es den Gleichheitsgedanken (zumindest für alle, die wählen durften) und begründete den Anspruch auf Respekt und Verbindlichkeit gegenüber den neuen Institutionen (wie zum Beispiel auch im Rahmen der beiden Verfassungsplebiszite von 1793 und 1795). ‚Staatsbürgerliche Initiation‘ fand darüber hinaus im parlamentarischen Alltag, mit all seinen Debatten, Konflikten, Krisen und Richtungswechseln, statt – aber auch in der Rezeption desselben, seiner Kommentierung oder dem Versuch seiner Beeinflussung, ob befürwortend oder ablehnend. Timothy Tackett und Simon Schama argumentieren in diese Richtung, wenn sie die individuelle und kollektive Erfahrung der Revolution als Emanzipation des Untertanen zum ‚Revolutionär‘ beziehungsweise zum ‚Staatsbürger‘ (citoyen) deuten.1107 Die Erste Republik nahm aufgrund solcher Erfahrungen innerhalb kürzester Zeit einen ‚modernen‘, de facto pluralistischen Charakter an. Gueniffey geht davon aus, dass die Verfassung des Jahres III zwar einerseits von klassischen Modellen inspiriert gewesen sei, andererseits aber bereits auf einen modernen politischen Raum angewandt wurde: „devenu de facto 1104

Vgl. GUENIFFEY, Patrice: Le nombre et la raison. La Révolution française et les élections, Paris 1993, S. 107. 1105 Gueniffey argumentiert, auch schon vor dem Sturz der Monarchie habe diese ‚republikanische Logik‘ die Legitimität der monarchischen Herrschaft zutiefst in Frage gestellt: In dem Moment, in dem die Ausübung legitimer Herrschaft an das Prinzip der Wahl geknüpft wurde – was im Diskurs der Legislative bereits geschah –, wurde die neue Ordnung an diese ‚republikanische Logik‘ gebunden, was die Beibehaltung der Monarchie zumindest problematisch erscheinen ließ; vgl. ebd., S. 109. 1106 Vgl. ebd., S. 111ff. 1107 Vgl. TACKETT, Timothy: Becoming a Revolutionary. The Deputies of the French National Assembly and the Emergence of a Revolutionary Culture (1789–1790), Princeton (N. J.) 1996; SCHAMA, Simon: Der zaudernde Citoyen. Rückschritt und Fortschritt in der Französischen Revolution, München 1989 [übersetzt von Gerda Kurz und Siglinde Summerer].

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pluraliste avec la fin de la Terreur et le retour des proscrits“.1108 Der Meinungsstreit hatte sich zur alltäglichen Politikerfahrung entwickelt; der öffentliche Raum wurde dadurch komplett neu strukturiert. Gerade diese de facto bestehende Pluralität jedoch bereitete den politischen Entscheidungsträgern größte Sorgen. Im offiziellen politischen Diskurs waren das Fraktionswesen und jegliche Form der Spaltung der Wählerschaft verpönt; man bemühte sich im Gegenteil um Einheitsstiftung und Homogenisierung der politischen Meinung der Bürger. Die staatsbürgerliche Initiation im Alltag sollte in sichere Bahnen gelenkt und damit kontrollierbar werden. Ein wichtiges Instrument war in diesem Zusammenhang der sogenannte serment civique, der von allen Beamten und staatlichen Würdenträgern gefordert, teilweise aber auch von Wählern und Bürgern geleistet werden konnte: Als Amtseid band er die Vertreter der neuen Ordnung an die Verfassung, als Bürgereid verpflichtete er diejenigen, die ihn sprachen, auf ihre Treue zur Republik. Die Debatte um die Fragen, wer diesen Eid ablegen sollte und welche Formel dabei genau zu sprechen war, kam bis zum Ende der Revolution nie zur Ruhe: Erschien es doch fraglich, ob die Einforderung des Eides nicht prinzipiell der Gewissens- und Religionsfreiheit widerspreche – oder ob die Eide notwendige, und daher lebenswichtige Garantien für die republikanische Ordnung darstellten. Bereits 1789 hatte sich der Eid im Alltag und als Sujet der revolutionären Kunst großer Beliebtheit erfreut.1109 Die Revolutionäre knüpften an eine lange Tradition von Treue- und Machtritualen an: Die Ableistung von Eiden hatte die legitime Ausübung von Herrschaft im Verlaufe der Geschichte immer wieder und in ganz unterschiedlichen Kontexten versinnbildlicht und garantiert. So wurden auf allen Ebenen der ständischen Gesellschaft durch Eidesleistungen Verpflichtungen begründet und Rechte gewährleistet: im Kreise der Fürsten ebenso wie unter Klerikern, Zunftbürgern und Gelehrten.1110 In der Feudalgesellschaft wurde dabei häufig ein unmittelbares Abhängigkeitsverhältnis zwischen einzelnen Personen gestiftet;1111 aber auch andere Beispiele sind bekannt, wenn beispielsweise Ratsherren in mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Städten im Eid eine „Herrschaft der ‚Gleichen über 1108

GUENIFFEY: Le nombre et la raison, S. 487. Zur künstlerischen Verarbeitung des Eidesthemas, vor allem bei Jacques Louis David, vgl. STAROBINSKI, Jean: 1789 – Die Embleme der Vernunft, Paderborn u. a. 1981, S. 81–89. 1110 Vgl. ALTHOFF, Gerd und Barbara STOLLBERG-RILINGER: Spektakel der Macht? Einleitung, in: Ausst.Kat. SPEKTAKEL DER MACHT, S. 15–19, S. 17. 1111 Vgl. BIANCHI, Serge: Art. Serments, in: SOBOUL: Dictionnaire, S. 979f. Vgl. dort auch zum Folgenden. 1109

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Gleiche‘“1112 inszenierten, die (zumindest nominell) zeitlich begrenzt war.1113 Der Eid stand jedoch stets in einem religiösen Kontext: Er wurde meist vor christlichen Symbolen oder an ‚heiligen‘ Orten und stets im Namen Gottes geleistet. Das Amt wurde damit in einen sakralen Zusammenhang gestellt und erhielt selbst sakrale Legitimation. In der Französischen Revolution sollte sich die Institution des Eides radikal verändern – trotz aller Kontinuitäten in der äußeren Form.1114 Die Revolutionäre praktizierten bereits von 1789 an Mischformen zwischen den christlich kontextualisierten Treueeiden und einem neuen Typus des Eides als politischer Selbstverpflichtung auf die neuen ‚Heiligtümer‘ von Verfassung, Staat oder Vaterland.1115 Spätestens die Republikaner beriefen sich nach 1792 in ihrem Wunsch nach einem vollkommenen Bruch mit der Vergangenheit auf die Zeit der römischen Antike, in der Eide von Magistraten, Soldaten und Bürgern eingefordert worden waren, um sicherzustellen, dass diese bestimmte Regeln, Pflichten oder auch Gesetze respektierten. Die zweite Traditionslinie, in die man sich stellte, war die politische Theorie Rousseaus, der den Eid zum ursprünglichsten Instrument der „Fusion des Individuums mit dem gesellschaftlichen Körper“ erklärt hatte und damit letztlich dem „säkularisierten Gelübde“ gleichzeitig zu einer neuen Sakralität verhalf, begründet in dem „Mysterium des Vaterlandes“.1116 Die Individuen sollten im Gesellschaftsvertrag ihre persönliche Freiheit an den gemeinsamen kollektiven Körper abtreten, an den sie damit bedingungslos gebunden seien. In diesem Sinne war der Gesellschaftsvertrag kein Ver-

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RÜTHER, Stefanie: Herrschaft auf Zeit. Rituale der Ratswahl in der vormodernen Stadt, in: Ausst.Kat. SPEKTAKEL DER MACHT, S. 33–37, S. 33. 1113 Der Stadtrat vertrat und verwaltete die Gemeinde durch stellvertretende ‚Repräsentanten‘. Das turnusmäßig wiederkehrende Ritual der Ratswahl inszenierte die Kür der Auserwählten als Akt der Machtübertragung durch die Gemeinde. Je nach Grad der städtischen Autonomie spiegelte der Eid stets auch die städtischen Herrschaftsverhältnisse wider: Ratsherren in Städten mit einem weltlichen oder geistlichen Stadtherren verpflichteten sich so beispielsweise, dessen Recht zu wahren; Reichsstädte bekräftigten demgegenüber ihre enge Bindung ans Reich und versprachen, dessen Ehre zu befördern. Vgl. RÜTHER: Herrschaft auf Zeit, S. 36. 1114 Vgl. PRODI, Paolo: Das Sakrament der Herrschaft. Der politische Eid in der Verfassungsgeschichte des Okzidents, Berlin 1997 (= Schriften des Italienisch-Deutschen Historischen Instituts in Trient. 11) [übersetzt von Judith Elze], S. 375. 1115 Auch das 19. Jahrhundert sollte noch lange Zeit Zeuge solcher Mischformen sein; vgl. ebd., S. 403. 1116 Direkte Zitate vgl. ebd., S. 395.

3.3 Bindungen und Verbindlichkeiten republikanisieren

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trag im herkömmlichen Sinne, und der Eid wandelte sich endgültig zum kollektiven Initiationsakt.1117 Als Bollwerk zur demonstrativen Abgrenzung von der alten Ordnung kam der serment civique schon zu Beginn der Revolution in Mode.1118 1789 leisteten die Abgeordneten des Dritten Standes mit dem Ballhausschwur das Versprechen, gegen alle Widerstände eine neue Ordnung zu verteidigen. Es war der erste rein politische Eid der Revolution, der aus einem kollektiven Bewusstsein heraus ‚einstimmig‘ abgelegt wurde.1119 Für die Konstituante wurde der Eid zum unverzichtbaren Medium der Konsensstiftung und der Integration. Es überrascht kaum, dass es dabei in der Phase der Konstitutionellen Monarchie (ähnlich wie beim Wahlprinzip beobachtet) noch häufiger zu einer Mischung unterschiedlicher (religiöser, monarchischer und revolutionärer) Legitimationsmuster kam: Der Pariser Bürgermeister und die Stadtverwaltung gelobten, die Autorität des Königs anzuerkennen;1120 die assemblées primaires sollten

1117

Ende des 18. Jahrhunderts erlebte dieses symbolpolitische Instrument eine Metamorphose „vom Eid als Vertrag, der durch den Bezug auf die Gottheit gesichert war, zum Eid als Annullierung der Einzelnen im Gemeinwillen“, PRODI: Das Sakrament der Herrschaft, S. 400. Eine ähnliche Interpretationslinie verfolgt Jean Starobinski, der jedoch im Unterschied zu Prodi stärker die überzeitlichen Gemeinsamkeiten des Eides in seiner Funktion als politisches Instrument betont: Er formuliert, der Revolutionseid schaffe „die unumschränkte Herrschaft – während der Monarch sie vom Himmel empfing. Der besondere Wille jedes Einzelnen verallgemeinert sich in dem Augenblick, in dem alle die Eidesformel sprechen: vom Grund eines jeden individuellen Lebens steigt das gemeinsam gegebene Versprechen auf, in dem das zugleich unpersönliche und menschliche Gesetz der Zukunft seine Quelle finden wird.“ STAROBINSKI: 1789, S. 79f. [Hervorhebungen im Original]. 1118 Das Bild vom Schwur der Horatier, welches David im Salon von 1785 präsentiert hatte, war in diesem Zusammenhang eine wichtige Referenz, die auch in zahlreichen druckgraphischen Blättern aktualisiert wurde. Vgl. dazu STAROBINSKI: 1789, S. 81ff. 1119 David hielt auch diesen Eid im Bild fest: David, Jaques Louis: Le Serment du Jeu de Paume, à Versailles, le 20 juin 1789, lavis bistre, plume (dessin), rehauts de blanc, 66 × 101cm, 1791 (Versailles, châteaux de Versailles et de Trianon, Inv. MV 8409, INV Dessins 736, RF 1914). Zum Aufbau und zur Wirkung des Bildes vgl. u. a. WRIGLEY, Richard: The Politics of Composition: Reflections on Jacques-Louis David’s Serment du Jeu de paume, in: QUIVIGER, François und Paul TAYLOR (Hrsg.): Pictorial Composition from Medieval to Modern Art, London und Turin 2000, S. 198–216. 1120 Vgl. Moniteur n° 104, 4 décembre 1789: Administration. Municipalité de Paris: Extrait du procès-verbal de la prestation de serment de M. Bailly, maire de Paris, entre les mains du roi: „Sire, je jure à Dieu, entre les mains de Votre Majesté, de faire respecter votre autorité légitime, de conserver les droits sacrés de la commune de Paris, et de rendre la justice à tous.“ Dieser Eid wurde mit abweichenden Worten am 4. Februar 1790 folgendermaßen erneuert: „d’être fidèle à la nation, à la loi, au roi, et de maintenir la constituion décrétée par l’Assemblée nationale et acceptée par le roi.“ Vgl. Moniteur

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einen Eid auf Verfassung, Nation, Gesetz und König ablegen;1121 ebenso wie die Mitglieder der Nationalgarde1122 und schließlich die Abgeordneten; auch der König selbst wurde jedoch bereits durch einen Eid an die neue Ordnung gebunden1123. Kein Abgeordneter, der sich dem Ritual verweigerte, wurde weiterhin zur Versammlung zugelassen.1124 Man legte Wert auf einen festlichen Rahmen1125 und erneuerte das Gelöbnis im Kontext einer Messe in der Kathedrale Notre-Dame.1126 Im Gedächtnis an den Ballhausschwur erschuf man Gedenktafeln,1127 die an der Salle du Jeu de Paume angebracht wurden,1128 und veranstaltete eine Bürgerwallfahrt („Pélerinage civique“)1129 zu seinen Ehren. Beim Föderationsfest von 1790 wurden die Nationalgardisten aus allen Landesteilen auf die konstitutionelle Monarchie eingeschworen, bevor überhaupt die Verfassung fertiggestellt worden war;1130 die anwesenden Abgeordneten der Nationalversammlung und der König legten öffentlich einen n° 37, 6 février 1790: Administration. Municipalité de Paris. Assemblée des représentants de la commune. 1121 Vgl. Moniteur n° 129, 29 décembre 1789, AN, séance du 29 décembre: „lorsque les assemblées primaires […] auront été formées, […] il sera, avant de procéder à aucune élection […], prété le serment de maintenir de tout leur pouvoir la constitution, d’être fidèles à la nation, à la loi et au roi, de faire, en leur âme et conscience, le choix qui leur paraîtra le meilleur, et de remplir avec courage les fonctions qui leur seront confiées.“ 1122 Vgl. Moniteur n° 9, 9 janvier 1790, AN, séance du 7 janvier au matin. Barnave und Mirabeau sprachen sich dafür aus, auf die Nennung des Königs im Verfassungseid zu verzichten, da dieser integraler Bestandteil derselben sei und die Nationalgarde in besonderer Weise zur Verteidigung der Verfassung, nicht des Staates gebildet worden sei. Dennoch wurde zunächst die Formel „à la nation, à la loi et au roi“ beibehalten. 1123 Vgl. Moniteur n° 37, 6 février 1790, AN, séance du 4 février. 1124 Vgl. ebd. 1125 Vgl. Moniteur n° 43, 12 février 1790. 1126 Vgl. Moniteur n° 52, 21 février 1790. 1127 Vgl. Moniteur n° 172, 21 juin 1790, AN, séance du 19 juin: „Une députation de citoyens de Paris est introduite dans la salle; on porte devant elle une plaque de bronze sur laquelle est gravé le serment prêté par l’Assemblée nationale au jeu de paume, le 20 juin 1789. Un de ces citoyens lit une adresse dans laquelle il expose les sentiments de la Société au nom de laquelle il parle, et annonce que demain, jour de l’anniversaire du serment par lequel les députés ont juré de rendre la France libre, ce monument sera porté religieusement dans le lieu consacré par cet acte mémorable.“ 1128 Vgl. Moniteur n° 186, 5 juillet 1790, AN, séance du 3 juillet au soir. 1129 Vgl. Moniteur n° 172, 20 juin 1792: Pélerinage civique à Versailles: „Les amis de la liberté, membres des sociétés patriotiques ou autres, sont invités à se trouver, mercredi prochain, 20 de ce mois, au neuvième mille, sur la route de Versailles, à dix heures du matin au plus tard, pour de là se rendre tous ensemble au Jeu de paume de Versailles, et y renouveler l’expression de leurs vœuxs et de leurs sentiments civiques, en commémoration de l’anniversaire de la séance à jamais mémorable du 20 juin 1789.“ 1130 Im Bild festgehalten von Thévenin: La Fête de la Fédération.

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Eid auf die Verfassung ab.1131 Fand dieses Fest zwar durchaus noch in einem religiösen Rahmen statt, so war doch der Bezugspunkt des Eides bereits die neue Ordnung (vgl. Altar des Vaterlandes und Trikolore): ‚Nous jurons de rester à jamais fidèles à la nation, à la loi et au roi; De maintenir de tout notre pouvoir la constitution décrétée par l’Assemblée nationale, et acceptée par le roi; De protéger conformément aux lois, la surêté des personnes et des propriétés, la libre circulation des grains et subsistances dans l’intérieur du royaume, et la perception des contributions publiques, sous quelque forme qu’elles existent; De demeurer unis à tous les Français, par les liens indissolubles de la fraternité.‘1132

Die Zivilverfassung des Klerus forderte von allen kirchlichen Würdenträgern ein Bekenntnis zur Verfassung.1133 Nachträglich wurde diese Pflicht auf alle Beamten und Offiziere der Monarchie sowie auf Beschäftigte im Bildungs- und Finanzwesen ausgedehnt, zu denen sich auch Veteranen und Studenten gesellten; je nach Funktion teilweise unter Androhung von Amtsenthebung oder Strafe bei Missachtung.1134 Die Formel und das Prozedere der Ableistung wurden mehrfach geändert; teilweise wurde auch die Unterschrift unter eine déclaration eingefordert.1135 Im Zuge des Erstarkens der republikanischen Bewegung im 1131

Vgl. Moniteur n° 186, 5 juillet 1790, AN, séance du 4 juillet; n° 191, 10 juillet 1790, AN, séance du 8 juillet au soir; n° 192, 11 juillet 1790, AN, suite de la séance du 8 juillet au soir. 1132 Moniteur n° 186, 5 juillet 1790, AN, séance du 4 juillet. 1133 Moniteur n° 332, 28 novembre 1790, AN, suite de la séance extraordinaire du 26 novembre; n° 333, 29 novembre 1790, AN, suite de la séance du 27 novembre; n° 334, 30 novembre 1790, AN, suite de la séance du 27 novembre. Vgl. dazu auch TACKETT, Timothy: Religion, Revolution and Regional Culture in Eighteenth-Century France. The Ecclesiastical Oath of 1791, Princeton 1986, S. 16–33; PLONGERON, Bernard: Les réguliers de Paris devont le serment constitutionnel. Sens et conséquences d’une option, 1789–1801, Paris 1964. 1134 Für die fonctionnaires publics vgl. Moniteur n° 4, 4 janvier 1791, AN, suite de la séance du 3 janvier; n° 6, 6 janvier 1791, AN, suite de la séance du mardi 4 janvier; n° 106, 16 avril 1791, AN, suite de la séance du 15 avril; für die officiers de l’armée vgl. n° 162, 11 juin 1791, AN, suite de la séance du 10 juin; n° 163, 12 juin 1792, AN, suite de la séance du jeudi au soir; n° 164, 13 juin 1791, AN, suite de la séance du 11 juin; für die employés de la caisse de l’extraordinaire, die vétérans und die étudiants de l’Université vgl. n° 185, 4 juillet 1791, suite de la séance du 2 juillet. Allgemein vgl. zum Thema des politischen Eides den frühen Essay von COLFAVRU, Jean-Claude: Le serment. De son importance politique pendant la Révolution, in: Révolution Française 2 (1882), S. 970–982. 1135 Vgl. z. B. die Formel für officiers de tout grade sowie für die soldats in: Moniteur n° 261, 18 septembre 1791, AN, suite de la séance du 17 septembre; zur individuellen Ableis-

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Sommer 1792 bediente sich die Legislative verschiedener Sonderschwüre: Am 10. August erklärte man zunächst, die Freiheit und Gleichheit für Frankreich erhalten zu wollen,1136 und verschärfte anschließend das Beamtengesetz nochmals1137; später legitimierte man mit einem Eid gegen die Monarchie den vollzogenen Umsturz der Machtverhältnisse im Nachhinein1138. Republikanische Amtseide Die Republik etablierte den Eid endgültig als ‚kollektiven Initiationsakt‘ beziehungsweise ‚säkularisiertes Gelübde‘.1139 Die neue Staatsform bedurfte aufgrund ihrer schwachen Legitimität besonderer Bekräftigung durch symbolische Sprechakte und deren mediale Inszenierung.1140 Die genaue Umsetzung blieb jedoch unter den Abgeordneten umstritten: In seinen ersten Sitzungen diskutierte der Konvent über verschiedene mögliche Eidesformeln;1141 nur in Krisensituationen konnte man sich meist rasch einigen, wie auch am 31. Mai 1793, als man sich mittels eines Eides mit den Aufständischen der Pariser Volksbewegung auf eine gemeinsame Linie verständigte. Spätestens während der Regierungszeit des Wohlfahrtsausschusses und der Montagne schien ein parteiübergreifender Konsens jedoch unmöglich geworden: Durch Eide wurden in der Regel Fraktionen ‚geschmiedet‘; Eide auf Brutus, auf die Revolutionsmärtyrer, auf „la liberté ou la mort“ richteten sich explizit gegen die Gegner der Revolution; sie wurden damit zum Instrument eines Ausschlusses, nicht mehr der Integration. Gleichzeitig entpuppten sich die Eide damit als voluntaristische Zeichen – und ihr Nutzen für die Republik wurde in den Augen vieler Republikaner fragwürdig. Schon in der Eröffnungssitzung des Konvents hatte Bazire darauf hingewiesen, seit vier Jahren seien unzählige Eide abgelegt und gebrochen worden – ohne eine dauerhafte Stabilität der neuen Ordnung erreicht zu haben.1142 Eide waren in dieser Zeit dennoch als republikanisches ‚Bindungsmittel‘ für Soldaten, Kleriker oder Beamte weiter in Gebrauch. Auch im tung vgl. n° 278, 5 octobre 1791, AN, suite de la séance du 4 octobre; für allgemeine Überlegungen dazu vgl. n° 335, 1er décembre 1791: Mélanges. Du serment civique. 1136 Vgl. Moniteur n° 225, 12 août 1792, AN, suite de la séance du 10 août. 1137 Vgl. Moniteur n° 230, 17 août 1792, AN, suite de la séance du 15 août. 1138 Vgl. Moniteur n° 250, 6 septembre 1792, AN, suite de la séance du 4 septembre. 1139 Vgl. PRODI: Das Sakrament der Herrschaft, S. 375f. sowie S. 399–403. 1140 Zur sozialen Funktion von Einsetzungsriten vgl. in allgemeiner Perspektive: BOURDIEU, Pierre: Einsetzungsriten, in: Ders.: Was heißt sprechen? Die Ökonomie des sprachlichen Tausches, Wien 1990, S. 84–93. 1141 Vgl. Moniteur n° 266, 22 septembre 1792, CN, suite de la séance du 21 septembre. 1142 Vgl. ebd.

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Thermidor und im Direktorium wollte man nicht auf dieses symbolpolitische Instrument verzichten, erweiterte sogar erneut den Kreis derjenigen, die den serment civique zu leisten hatten, und beschloss die konsequente Verfolgung von Eidverweigerern und -brüchigen. Ähnlich wie der Kalender, die Feste und andere Medien der Symbolpolitik entpuppte sich damit auch der Eid immer deutlicher als politische Waffe, auch wenn im offiziellen Diskurs weiterhin besonders seine Funktion als Bindemittel zwischen Inividuum und Gemeinwesen betont wurde. Zum wichtigsten Tag der Erneuerung dieser Bindung wurde der 21. Januar:1143 Damit erhielt der Jahrestag der Hinrichtung Ludwigs XVI. selbst eine sakrale Aura, in enger Verbindung mit der republikanischen Ordnung, die sich als ‚unantastbare‘ Nachfolgerin der Monarchie inszenierte.1144 Der 21. Januar 1795 stand im Zeichen des Machtkampfes zwischen Jakobinern und Thermidorianern, was eine Feier so gut wie unmöglich machte.1145 Anders jedoch ein Jahr später, nach der Einsetzung des Direktoriums: Die Wirren der Übergangszeit sollten endgültig durch einen feierlichen Staatsakt überwunden werden. Zwar hatte das Gesetz vom 4. Brumaire IV (26. Oktober 1795) den Feiertag aufgrund seiner Konfliktträchtigkeit zunächst gestrichen. Als Signal der republikanischen Kontinuität und als Versöhnungsgeste an die linke Opposition war er jedoch erneut auf die Tagesordnung gesetzt worden: Ein Eid sollte am 1. Pluviôse IV (21. Januar 1796) das Einheitsideal in den parlamentarischen Kammern des Direktoriums reaktivieren. Duhot argumentierte, gerade weil die republikanische Regierung noch jung sei, gelte es, von Anfang an politische Apathie in der Bevölkerung zu vermeiden und die Bürger zu einem energischen Engagement gegen die Überreste des Royalismus zu motivieren. Die Versammlung solle ein Zeichen setzen, indem sie der Tyrannei abschwöre und ihre Freiheitsliebe bekunde.1146 Durch das Vorbild der Volksvertreter könne in einem zweiten Schritt auch die Einheit des Volkes wiederhergestellt werden: „l’opinion politique se compose toujours de l’opinion des législateurs, […] lorsqu’il y a parmi eux unité d’opinions, il n’y en a bientôt aussi qu’une seule parmi le peuple“1147.

1143

Vgl. zur Bedeutung des 21. Januar in der Verfassungskultur der Ersten Republik auch SCHRÖER: Symbolic Politics, S. 170–174. 1144 Für viele Katholiken und Konstitutionelle bedeutete diese Verknüpfung jedoch nur eine weitere Steigerung ihrer Abneigung gegen die Republik. 1145 Vgl. dazu ausführlicher Kapitel 4.4. 1146 Vgl. Moniteur n° 117, 27 nivôse IV (17. Januar 1796), CCC, séance du 22 nivôse (Duhot). 1147 Ebd.

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Die Idee des Repräsentativsystems wurde durch solche Formulierungen auf den Kopf gestellt: Die Versammlung erscheint nicht mehr als repräsentatives Abbild der politischen Überzeugungen des Volkes, sondern die Bürger sollen umgekehrt aus der bestehenden Versammlung die Grundregeln für ihre persönliche politische Willensbildung ablesen. Um die gesellschaftliche Zerrissenheit („le corps social déchiré“) zu überwinden, habe man seitens der Gesetzgeber eine klare Aussage für die Republik ersonnen: „Oui, représentants, prononçons-nous pour la liberté, prononçons nous pour la république, et tous les Français voudront rester libres, voudrons rester républicains.“1148 Jeder Parlamentarier sollte diese Einstellung individuell im Eid bekräftigen. Die Formel beschwor sowohl den ‚Hass auf das Königtum‘ als auch die ‚Treue zur Verfassung von 1795‘. In diesem Sinne kann der Gedenktag auch als nachträgliches Fest der Verfassung des Jahres III gewertet werden. Die beim Festakt anwesenden Mitglieder des Institut national wurden durch einen Eid in die neue Verfassungsordnung mit einbezogen. Doch die demonstrative Einigkeit erwies sich trotz aller in der Theorie geforderten und in der Praxis geleisteten Eide rasch als brüchig: Zu offensichtlich war der Wunsch nach Einigkeit hier Vater des Gedankens; zu unglaubwürdig deren tatsächliche Umsetzung in den Reihen der republikanischen Repräsentanten. Thibaudeau gab angesichts der Geschichte der zahlreichen vermeintlich unumstößlichen, inzwischen aber gebrochenen Eide zu bedenken, ob das gewählte Mittel die gewünschte Wirkung überhaupt entfalten könne. Sophistisch kritisierte er zunächst die Doppelung des Treueids auf die Republik und die Verfassung des Jahres III – beides sei in der Konsequenz identisch. Darauf folgte jedoch eine fundamentale Kritik am symbolpolitischen Instrument des Eides, der letztlich nur ein äußeres Zeichen bleibe, welches vom Bewusstsein der Menschen getrennt sei. Treuebindungen ließen sich nicht per Gesetz dekretieren: Cependant nous avons eu tant d’exemples d’inutilité de serments pareils, que nous avons dû reconnaître combien il est dérisoire de placer des hommes entre leur conscience et des signes extérieurs. Ce n’est point une loi qui peut faire prononcer des serments de fidélité. Les républicains défendront la république et la constitution que le peuple a acceptée, sans prêter serment de leur être fidèle. Rien, selon moi, ne serait inconvenant, rien ne serait contraire à la stabilité du gouvernement, comme une telle profession.1149

1148

Ebd. Auch 1796 werden bereits die royalistes und anarchistes als einzige verbleibende Feinde der Republikaner bezeichnet. 1149 Moniteur n° 117, 27 nivôse IV (17. Januar 1796), CCC, séance du 22 nivôse (Thibaudeau).

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Anders als noch ein Jahr zuvor entschied sich die Mehrheit der Versammlung dennoch für die Eidesleistung; es überwog wohl die Hoffnung, durch demonstratives Handeln die Krise letztlich überwinden zu können.1150 Im Gegensatz zum propagierten Einheitsideal trug die Eidesformel jedoch deutlich ausgrenzende Züge: Bereits die Formulierung „haine à la royauté“1151 erschwerte die Integration der Konstitutionellen und Royalisten; Beamten, die sich der Eidleistung verweigerten, drohte gar die Deportation.1152 Ähnlich wie der republikanische Kalender wurde auch das symbolpolitische Instrument des Eides letztlich zu einem Wesensmerkmal der Republik selbst aufgewertet: Der Eid allein schien Loyalität glaubhaft verbürgen zu können; wer dies anzweifelte, galt schon als Gegenrevolutionär.1153 Erneut diente die Antike als Referenz, in der sich die Bürger gleichermaßen im Eid ihrer republikanischen Gesinnung vergewissert und Abweichler bestraft hätten.1154 Die innenpolitischen Krisen des Ersten Direktoriums sorgten dafür, dass die Debatte bereits ein Jahr später, nach Aufdeckung von oppositionellen Aktivitäten wie der Babeuf-Verschwörung, aber auch im Zeichen einer wachsenden Konkurrenz zwischen Legislative und Exekutive, erneut auflebte. Der Abgeordnete Guyomar forderte, die Eidesleistung solle fortan jährlich am 21. Januar im Rahmen eines Nationalfestes verankert werden – als abschreckendes Zeichen in Richtung all derjenigen, die auf eine Wiederherstellung der Königsmacht hofften.1155 Mit der erfolgreichen Verabschiedung eines entsprechenden Beschlusses nahmen 1150

Reubell bezeichnete in seiner Ansprache auf dem Marsfeld die Terreur als einen Irrweg, der nunmehr beendet sei; er beschwor gleichzeitig die Volkssouveränität als einigendes Prinzip aller Franzosen; vgl. Moniteur n° 125, 5 pluviôse IV (25. Januar 1796). 1151 Zuvor hatte man seit 1792 zumindest auch schon einem König abgeschworen, sogar noch zur Zeit der Législative, vgl. Moniteur n° 250, 6 septembre 1792, AN, suite de la séance du 4 septembre. 1152 Vgl. Moniteur n° 166, 16 ventôse IV (6. März 1796), CCC, suite de la séance du 11 ventôse. 1153 Lenoir-Laroche verteidigte im Moniteur kurz vor dem Gedenktag des 21. Januar die Regierungspolitik, die auch strengere Maßnahmen ergreife, um den „esprit public“ zu verbessern. Vgl. Moniteur n° 118, 28 nivôse IV (18. Januar 1796), Mélanges: Quelques réflexions sur l’état actuel de l’esprit public, et sur les mesures du gouvernement. 1154 Vgl. Moniteur n° 117, 27 nivôse IV (17. Januar 1796), CCC, séance du 22 nivôse. Treilhard bezog sich auf Solon, wenn er eine Verschärfung der Maßnahmen gegen eidverweigernde Beamte einforderte: Der Gesetzesvorschlag zur Absetzung und Deportation der entsprechenden Beamten (bei Verweigerung binnen drei Tagen!) wurde im Eilverfahren angenommen. Der Rat der Alten bestätigte das Gesetz am 19. Ventôse: Moniteur n° 174, 24 ventôse IV (14. März 1796), CA, séance du 19 ventôse. 1155 Vgl. Moniteur n° 109, 19 nivôse V (8. Januar 1797), CCC, séance du 17 nivôse. Der Vorschlag wurde bereits am nächsten Tag im Rat der Alten angenommen. Vgl. Moniteur n° 110, 20 nivôse V (9. Januar 1797), CA, séance du 18 nivôse.

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die Volksvertreter der Regierung das Heft des Handelns aus der Hand. Doch auch die gemäßigte Fraktion konnte einen Sieg verzeichnen: Anlässlich des nunmehr jährlichen Festes sollte nicht nur der Hass auf das Königtum, sondern auch derjenige auf die Anarchie beschworen werden.1156 Dies bedeutete eine klare Absage an die Verfassung von 1793 und die demokratische Republik. Ein Jahr zuvor hatte der Abgeordnete André fils im Rat der Fünfhundert noch Protest ausgelöst, als er entgegen der offiziellen Formel „Je jure haine à la royauté“ den Zusatz „et à toute espèce de tyrannie“ ergänzt hatte.1157 Auch der als modéré und Kritiker des Direktoriums bekannte Dupont de Nemours hatte 1796 die Eidesformel eigenmächtig verändert: „Je jure haine à la royauté et résistance intrépide à toute espèce de tyrans, quels que soient leur nombre et leur puissance.“1158 Zwölf Monate später waren solche Formulierungen konsensfähig. Gemeinhin wird dies in der Literatur dahingehend interpretiert, dass die Angst der Direktorialisten vor der Linken größer war als diejenige vor der Rechten.1159 Doch kann darüber hinaus beobachtet werden, dass die Abgrenzung gegenüber der Jakobinerdiktatur zu einem beliebten Topos der Symbolpolitik des Direktoriums geworden war und ins Zentrum des Selbstbildes der ‚erneuerten‘ Republik traf. Der Eid kann in diesem Sinne auch als ein Zeichen der politischen Mäßigung interpretiert werden – entsprechend der Idee einer „République de l’extrême centre“1160, deren Regierungen alle für sich in Anspruch nahmen, die Mitte der Gesellschaft zu repräsentieren. Republikanische Wählereide Mäßigung erwartete man jedoch nicht nur von den Abgeordneten, sondern auch von den Bürgern der Republik. Im Vorfeld der Wahlen von 1797 wurde nach heftigen Debatten des Für und Wider entschieden, 1156

Vgl. dazu LEFEBVRE: La France sous le Directoire, S. 213; Antrag im Moniteur n° 113, 24 nivôse V (13. Januar 1797), CCC, séance du 22 nivôse. 1157 Vgl. Moniteur n° 127, 7 pluviôse IV (27. Januar 1796): „Des murmures s’élevent:/ Plusieurs voix: Ce n’est pas la formule préscrite par la loi./ Le président [Treilhard]: Je dois faire observer à notre collègue qu’une loi a prescrit la formule du serment que prêteront les membres du corps législatif, et que nous ne pouvons ni l’altérer, ni l’étendre./ L’appel nominal continue.“ 1158 Ebd. 1159 Vgl. u. a. LEFEBVRE: La France sous le Directoire, S. 213–217. 1160 SERNA: La République des girouettes, S. 22–25 (und passim). Serna geht im Unterschied zu den Autoren Furet, Julliard und Rosanvallon davon aus, dass sich die Frage einer ‚République du Centre‘ bereits sehr früh, letztlich schon vom Sommer 1789 an gestellt habe und neben den beiden politischen Polen der ‚Ultras‘ und der ‚Gegenrevolutionäre‘ eine ‚dritte Partei‘ (der Mitte) entstanden sei. Vgl. ebd. sowie FURET, François, Jacques JULLIARD und Pierre ROSANVALLON: La République du Centre, Paris 1988.

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den Bürgereid auch von allen électeurs einzufordern.1161 Diese Praxis war bereits von der Konstituante diskutiert worden: Vor der Ausübung des Wahlrechtes sollten sich die Mitglieder der assemblées primaires im Eid auf die geltende Ordnung verpflichten. Der Vorschlag von 1797 erstreckte sich zunächst nur auf die Wahlmänner der zweiten Instanz. Per message hatte das Direktorium in dieser Frage selbst die Initiative ergriffen: Am 25. Ventôse V (15. März 1797) hielt es den Rat der Fünfhundert an, wie im Vorjahr erneut Strafen gegen diejenigen Beamten der Republik zu verhängen, die den Amtseid bei Dienstantritt verweigert hätten. In diesem Zusammenhang sei es auch wünschenswert zu überprüfen, ob man den „serment de haine à la royauté et à l’anarchie, d’attachement et fidélité à la République et à la Constitution de l’an III […] prescrit par la loi du 24 nivôse dernier“1162 nicht ebenfalls von den électeurs verlangen solle. Man begründete dieses Anliegen mit der anhaltenden Stärke des Royalismus und der Anarchie, „opposé dans leurs moyens, mais réunis dans leur but“, und der daraus resultierenden Bedrohung für die Republik. Dumolard gab in der anschließenden parlamentarischen Debatte zu bedenken, dass grundsätzlich kein Eid von der Verfassung vorgeschrieben sei. Wolle man jedoch zukünftig die Wahlmänner vereidigen, müsse dies auch für die Wählerversammlungen („assemblées primaires“) gelten.1163 Pastoret sprach sich mit Nachdruck gegen einen Wählereid aus: Die Wähler seien schließlich keine Beamten. Auch warf er dem Direktorium Amtsanmaßung über den ihm zugewiesenen Zuständigkeitsbereich hinaus vor: Die Direktoren seien bestellt, die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten; mit der Forderung nach der Eidesleistung säten sie im Gegenteil nur neue Zwietracht und würden zum „ferment d’agitation“. Der liberal gesonnene Boissy d’Anglas ging noch weiter, indem er sogar den Priestereid in Frage stellte: Schon dieser verletze tendenziell das Prinzip der Kultfreiheit; eine Sonderkommission solle zunächst prüfen, ob die Einführung eines Wählereides im politischen Leben überhaupt zulässig sei. Die Unruhe in der Versammlung stieg. Viele Abgeordnete verlangten erfolglos das Wort; andere riefen nach einer namentlichen Abstimmung. Thibaudeau ergriff das Wort, um zu 1161

Vgl. Moniteur n° 180, 30 ventôse V (20. März 1797), CCC, suite de la séance du 25 ventôse sowie n° 185, 5 germinal V (25. März 1797), CA, séance du 30 ventôse; Journal des hommes libres n°166, 1er germinal V (21. März 1797), CA, séance du 30 ventôse. 1162 Moniteur n° 179, 29 ventôse V (19. März 1797), CCC, séance du 25 ventôse. Dort auch nachfolgendes Zitat. 1163 Vgl. Moniteur n° 180, 30 ventôse V (20. März 1797), CCC, suite de la séance du 25 ventôse. Dort auch zum Folgenden.

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erklären, der geforderte Eid sei „inconstitutionnel“ und „impolitique“: Letzlich bedeute er nichts anderes, als dass man die gesamte Nation falscher Gesinnung verdächtige; der unübersehbare Wille, die Wahlen zu kontrollieren, müsse zwangsläufig zu neuen Unruhen führen. Trotz des zustimmenden Beifalls wurde der Druck seiner Rede abgelehnt. Man vertagte sich auf den Folgetag – an dem jedoch erneut die begrenzte Wirksamkeit politischer Eide im Zentrum der Argumentation stand:1164 Bion rief erneut die Wirkungslosigkeit all jener Eide ins Gedächtnis, die man zwischen 1789 und 1791 auf die Verfassung der konstitutionellen Monarchie, 1793 auf die republikanische Verfassung und anschließend auf die Revolutionsregierung geleistet habe. Siméon erinnerte an die schwache Verbindung, welche auch die Amtseide bislang gestiftet hätten; der Vorschlag des Direktoriums sei daher unnütz und unklug – wenn nicht sogar verfassungswidrig und ein Angriff auf die Rechte des Volkes. Andere argumentierten daraufhin genau entgegengesetzt und versuchten – wie Ludot – zu demonstrieren, weshalb die Eidesformel der Wähler nicht verfassungswidrig sei, sondern im Gegenteil höchst nützlich sein könnte. Den Abschluss der Aussprache markierte eine lange Rede von Jean Debry, der die Vorschläge des Direktoriums ebenfalls befürwortete. Der Versuch, damit der Debatte ein Ende zu setzen, führte zu Tumult im Versammlungssaal: Lesage-Sénault bezichtigte die Regierung, eine neue Diktatur errichten zu wollen: „C’est une nouvelle Montagne qui se forme.“1165 Dennoch entschieden sich die Abgeordneten mehrheitlich, den Mitgliedern der Wahlversammlungen der zweiten Stufe („assemblées éléctorales“) im Anschluss an ihre vorläufige Konstituierung folgenden Eid abzuverlangen: ‚Je promets attachement et fidélité à la République et à la Constitution de l’an III. Je m’engage à les défendre de tout mon pouvoir, contre les attaques de la royauté et de l’anarchie.‘ 1166

Der Rat der Alten wurde anlässlich der Abstimmung über den Gesetzesentwurf Zeuge ähnlich heftiger Auseinandersetzungen. Schließlich entschied man sich für eine namentliche Abstimmung. Mit der knappen Mehrheit von 114 gegen 94 Stimmen wurde das Gesetz zum Wahlmännereid angenommen.

1164

Vgl. Moniteur n° 181, 1 Germinal V (21. März 1797), CCC, séance du 26 ventôse. Zitiert nach RAM n° 182, 2 germinal V (22. März 1797), suite de la séance du 26 ventôse. 1166 Zitiert nach ebd. 1165

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Priestereide Allen geleisteten Eiden und anderen getroffenen Vorkehrungen zum Trotz gewannen die gemäßigte Partei sowie die rechte ‚Opposition‘ im Jahr 1797 die Wahlen mit deutlichem Vorsprung. Durch die Erneuerung eines Drittels der Versammlungen verschoben sich die Mehrheitsverhältnisse zugunsten derjenigen Partei, die dem Instrument des Eides als politischem Selbstverpflichtungsritual bereits im Vorfeld der Wahlen skeptisch gegenüberstanden hatte. Die Debatte um den serment civique sollte erneut aufleben – jedoch mit erneut veränderten Schwerpunktsetzungen. Nun stand besonders der Priestereid in der Kritik, der für viele Abgeordnete der neuen Mehrheit de facto einen Angriff auf das Prinzip der Kultfreiheit bedeutete. Täglich trafen in den Räten Petitionen ein, die eine Abschaffung der Maßnahmen gegen die eidverweigernden Priester und eine Neuregelung des Gesetzes über die Religionsfreiheit forderten.1167 Eine Abordnung von Pfarrern aus Lüttich bat am 4. Prairial (23. Mai) um Aufschub für ihre Eidesleistung, da man in einem Gewissenskonflikt sei, solange sich der Papst noch nicht geäußert habe. Pastoret schlug vor, das Gesetz vom 3. Brumaire IV (25. Oktober 1795) abzuschaffen, welches die republikanischen Gesetze von 1792 und 1793 gegen die Eidverweigerer wieder ins Leben gerufen hatte. Das Problem spitzte sich in dem Moment weiter zu, als Camille Jordan, ein Abgeordeter aus Lyon, am 28. Prairial V (16. Juni 1797) seinen berühmten Bericht über die Religionsfreiheit vortrug. Er verurteilte die Eide und Gelöbnisse, indem er erläuterte, viele Priester würden nicht aus Abneigung gegen die Republik, sondern aus Gewissenskonflikten gegenüber der Kirche den Eid verweigern: Die Frage sei doch, ob sie sich republikanischen Gesetzen überhaupt unterwerfen könnten, die teilweise konträr zu den Dogmen der katholischen Kirche seien, wie im Falle der Ehescheidung. Zwar müssten die Priester selbstverständlich, wie alle Bürger, den Gesetzen gehorchen, auch wenn sie nicht mit allen Einzelheiten einverstanden seien. Doch hätten sie auch dasselbe Recht auf den Wunsch nach einer Änderung der Gesetze und seien keiner feindlichen Gesinnung verdächtig. Es erscheine ratsam, zukünftig auf jede Form von Eiden zu verzichten. In der Tat schrieb die Verfassung Religionsfreiheit vor, und die vorgetragenen Argumente waren gut begründet. De facto bedeutete die Debatte um den Priestereid jedoch gleichzeitig eine Systemdebatte: Die Republik des Direktoriums definierte sich als antiklerikal und 1167

Zitiert nach LEFEBVRE: La France sous le Directoire, S. 281. Vgl. dort auch zum Folgenden.

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propagierte nach wie vor die Idee des umfassenden Bruchs mit der Vergangenheit. Jordan schien diesen Bruch in Frage zu stellen, wenn er in demselben Bericht nicht nur die Abschaffung der Priestereide, sondern generell auch eine ‚Rückkehr der Glocken‘ einforderte. Solche Positionen waren Lefebvre zufolge eben keineswegs schlicht religiösen Motiven geschuldet, sondern bedeuteten im Kontext der Debatte um die Rolle der Religion für die ‚neue Gesellschaft‘ eine klare politische Stellungnahme. Die antiklerikalen Republikaner diskreditierten den Abgeordneten prompt mit dem Beinamen „Jordan-des-cloches“, welcher auch in der Bildpresse visualisiert wurde (Abb. 36).1168 Realistischerweise müssen Jordans Vorschläge jedoch eher als Ausdruck der Meinung vieler Gemäßigter betrachtet werden. So wurde die konsequente Verwirklichung der Religionsfreiheit nur für den Raum innerhalb der Kirche eingefordert: Außerhalb sollte niemand religiöse Gewänder tragen dürfen – aus katholischer Perspektive bereits ein weitreichender Kompromissvorschlag. Diejenigen, die die freie Ausübung der Religion störten, sollten ebenso bestraft werden, wie Priester, die die Messe zur Verfolgung politischer Ziele instrumentalisierten. Spätestens am 20. Messidor (8. Juli) wurde das Thema explizit als ein politisches verhandelt. Der General und Abgeordnete Jourdan (Haute-Vienne), der mit seiner Meinung der Regierung nahestand, ließ vernehmen, die Unruhen von 1793 seien maßgeblich im Zeichen des Katholizismus ausgelöst worden; ihr Wahlspruch vive le roi sei verfassungswidrig gewesen.1169 Der Eid sei vor diesem Hintergrund eine notwendige Garantie für die Republikaner. Diese Haltung wurde von Eschassériaux und Lamarque unterstützt. Andere, wie Lémérer, nahmen die Debatte um den Priestereid zum Anlass, nicht nur allgemein die Religionsfreiheit, sondern sogar darüber hinaus eine Wiederherstellung der alten Religionspraxis („la religion de nos pères“) zu fordern, was unter anderem auch Boissy d’Anglas und Royer-Collard befürworteten – durchaus im Sinne des politischen Wohles der Republik. Auch Royer-Collard verknüpfte die Religionsfrage mit der politischen, wenn er schlussfolgerte: „Quand il y a une religion ancienne, le gouvernement doit composer avec elle ou la détruire, au risque d’être détruit.“1170 Ausgerechnet am Jahrestag des 14. Juli (26. Messidor) kam es zur Abstimmung: Die Gesetze von 1792 und 1793 zur Verfolgung der eidbrüchigen Priester wurden fast einstimmig aufgehoben. Damit war die Diskussion jedoch nicht beendet: Die Eidfrage selbst musste geklärt 1168

Vgl. ebd., S. 282. Eine ausführlichere Bildinterpretation vgl. Kapitel 4.5.3. Vgl. ebd., S. 283. Dort auch zum Folgenden. 1170 Zitiert nach ebd. 1169

3.3 Bindungen und Verbindlichkeiten republikanisieren

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Abb. 36: Lemonnier, I. S.: A Clichy, gravure à l’eau-forte et à la roulette, 18,5 × 26,0 cm, [Paris 1797].

werden. Am selben Tag erinnerten Pérès (de la Haute-Garonne) und Boulay (de la Meurthe) an dieses Problem. Lefebvre erkannte in Boulays Rede fast schon eine Skizze des späteren Konkordats:1171 Man dürfe die Religionsfreiheit nicht antasten; der Staat könne zwar im eigenen Interesse eine dominierende Religion dulden, jedoch dürfe man nicht akzeptieren, dass eine Kirche einen Staat im Staate bilde; die Kirche müsse dem Staat untergeordnet sein; der Eid („la promesse“) sei elementarster Ausdruck dieser Unterwerfung unter die Gesetze. Am 28. Messidor kam es zur namentlichen Abstimmung: mit 210 Stimmen gegen 204 entschied man sich für eine Erklärung durch die Priester.1172 Bevor jedoch entschieden war, wie der Text der Formulierung zukünftig genau lauten sollte (Vorschlag am 10. Fructidor, 27. August), kam es zum Staatsstreich des 18. Fructidor (4. September). Die Frage des Verhältnisses zwischen 1171 1172

Vgl. ebd., S. 284. Auch Leclerc insistierte auf der Maßnahme und bezeichnete den Eid, der von den Priestern gefordert werde, wörtlich als „garantie“, die der Gesetzgeber einfordern müsse. Vgl. Leclerc, J. B.: Discours sur l’existence et l’utilité d’une religion civile en France. Prononcé à la tribune du Conseil des Cinq-cents, dans la séance du 9 Fructidor an 5, Paris, An 5ieme, S. 9.

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Staat und Kirche war zu diesem Zeitpunkt noch weitgehend ungeklärt – das republikanische Triumvorat im Direktorium wollte jedoch offensichtlich die Abhängigkeit der Antwort von den Parlamentsmehrheiten nicht akzeptieren.1173 Auch die von Gibert-Desmolières aufgebrachte Frage nach einer Verbesserung der moralischen Erziehung und der Entscheidung zwischen laizistischem und konfessionellem Schulunterricht beunruhigte die antiklerikalen Kräfte der Regierung, vor allem die Direktoren La Revellière und Reubell.1174 Gesinnungsbekenntnis oder Gesinnungskontrolle? Mit dem Gesetz vom 19. Fructidor (5. September) erfolgte ein Richtungswechsel und damit eine erneute Verschärfung des Vorgehens gegen eidverweigernde Priester. Das Gesetz vom 7. Fructidor (24. August) wurde aufgehoben und Deportationen nach Guyana veranlasst. Die neue Eidesformel drückte nun unmittelbar den Hass auf das Königtum und die Verfassung von 1793 aus.1175 Gleichzeitig wurde ein Eid nunmehr auch für die Wahlmänner und Geschworenen endgültig verbindlich eingeführt. Im Januar 1798 diskutierte man, ob zukünftig nicht sogar jeder Mann, der einmal Priester gewesen sei, den serment leisten müsse.1176 Anlässlich offizieller Zeremonien wurden auch die Zuschauer mit in die gewünschte Verbindichkeit einbezogen: Am fünften Jahrestag des 21. Januar transportierte die Hymne „Serment républicain“ mit großem Chor (Text von Chénier, Musik von Gossec) unmissverständlich die Einheitsbotschaft:1177 Jurons, le glaive en main, jurons à la patrie, De conserver toujours l’égalité chérie; De vivre, de périr pour elle et pour nos droits, De venger l’univers, opprimé par les rois, Si quelqu’usurpateur vient asservir la France, Qu’il éprouve aussitôt la publique vengeance, Qu’il tombe sous le fer; que ses membres sanglants 1173

Vgl. LEFEBVRE: La France sous le Directoire, S. 285. Vgl. ebd., S. 286. Dieses Thema wurde im Kontext mit dem Finanzbericht aufgebracht. 1175 Vgl. ebd., S. 431f. 1176 Vgl. Moniteur n° 124, 4 pluviôse VI (23. Januar 1798). Vgl. Moniteur n° 109, 19 nivôse VI (8. Januar 1798), CCC, séance du 13 nivôse. 1177 Gossec, François-Joseph und Chénier, Marie-Joseph de: Serment républicain / Chœur. [Paris, ca. 1797/98]; vgl. LES PROCÈS-VERBAUX DU DIRECTOIRE, Bd. 4, Index: ‚Chénier‘, 2 pluviôse an VI; vgl. außerdem Moniteur n° 124, 4 pluviôse VI (23. Januar 1798). Diese Hinweise sprechen dafür, dass die Hymne erst für das Fest von 1798 geschrieben worden sein könnte; die BnF datiert die dort aufbewahrten Dokumente allerdings schon auf 1795/96. 1174

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Soient livrés dans la plaine aux vatours dévorants. Jurons, etc.1178

Eine Beruhigung der politischen Auseinandersetzungen wurde damit jedoch nicht erreicht. In der Provinz gab es nach wie vor massive Probleme mit der öffentlichen Ordnung, auch die Beziehungen mit dem europäischen Ausland waren nach wie vor nicht geklärt, und im Kontext der Verhandlungen in Rastatt wurde der Eid sogar erneut als Instrument der Selbstverpflichtung und der Einheitsstiftung im Kreise der Abgeordneten selbst diskutiert. 1798 war die Stimmung im Rat der Fünfhundert zum Jahrestag der Republikgründung emotional stark aufgeladen. Stevenotte verlangte im Anschluss an die Rede Daunous und anhaltende vive la république-Rufe das Wort: Die Verfassung wurde als ‚heiliges Buch der Franzosen‘ bezeichnet, in dessen Angesicht man die Treuebindung an die Republik erneuern solle: „Renouvelons ici un serment qui, entendu à Rastadt, y détruiera peut-être de vaines espérances et mettra un terme à tant de lenteurs […]. Que l’année VIIe de la république s’ouvre sous les auspices heureux d’un serment de fidelité […].“1179 Lucien Bonaparte ging sogar noch weiter, indem er vorschlug zu schwören, notfalls für die Verfassung des Jahres III zu sterben; einstimmig soll die Versammlung geantwortet haben: „Nous le jurons!“ Nach dem Wahlsieg der Neo-Jakobiner im Jahr 1799 und dem erfolgreichen Staatsstreich vom 30. Prairial (18. Juni) gegen das Direktorium kam es zur neuerlichen Trendwende: Kritik am ‚undemokratischen‘ Politikstil des Direktoriums wurde laut – nun berief man sich erstmals wieder in positiver Absicht auf die als ‚demokratisch‘ gelobte Republik des Jahres II (1793/94). Die Wiederaufnahme der Debatte um den serment civique diente der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit der Republik und einer Richtungsentscheidung über den Charakter des zukünftigen politischen Systems. Coignart sprach sich im Club du Manège offen gegen die Eidesformel „haine à l’anarchie“ aus.1180 Der Begriff anarchie sei von der Regierung zu Unrecht als „titre de proscription“ gehandelt worden: Unter dem Vorwand vermeintlich ‚anarchistischer‘ Bestrebungen seien die besten und tadellosesten Republikaner verfolgt worden. Das Zweite Direktorium habe gehandelt wie die englischen Presbyterianer, die diesen Namen all denjenigen verpasst hätten, die sich ihren „projets liberticides“ widersetzt hätten. Sein Vorschlag 1178

Zitiert nach: Moniteur n° 124, 4 pluviôse VI (23. Januar 1798). Moniteur n° 5, 5 vendémiaire VII (26. September 1798), CCC, séance du 1er vendémiaire. Dort auch zum Folgenden. 1180 Vgl. Moniteur n° 305, 5 thermidor VII (23. Juli 1799), séance de la réunion du Manège du 1er thermidor. 1179

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für eine adresse an den Rat der Fünfhundert wurde unter großem Applaus angenommen: Die neue Eidesformel sollte fortan „haine à la royauté et attachement inviolable à la République française, une, indivisible et démocratique“ lauten. Und zum wiederholten Male debattierte man über die möglichen Wirkungen des politischen Eides. Die Regierung bemühte sich um Besänftigung der Gemüter: Innenminister Quinette informierte in einem Rundschreiben die Departementverwaltungen, der Eid der Pariser Abgeordneten vom 14. Juli 1799 habe den vorangegangenen Konflikt zwischen den Institutionen der Republik beigelegt; Exekutive und Legislative seien in ihrer Treue zur Republik geeint; dies solle den Bürgern zum Vorbild dienen.1181 Ähnlich wie Quinette sah auch Jourdan in der parlamentarischen Debatte des Sommers den Eid als funktionales Mittel der Politik: Der Eid sei Ausdruck des nationalen Wunsches nach Freiheit und Verfassungsstaat, Sammlungspunkt für alle Republikaner unterschiedlichster politischer Ausrichtung und Schrecken der Royalisten – und damit insgesamt Erinnerung an die Bürgerpflichten, Bindung an die große Familie, Erneuerung des contrat social.1182 Dennoch war auch Jourdan für eine Reform der geltenden Praxis; er plädierte für die Unterdrückung des Begriffes anarchie. Er äußerte die Sorge, die ständige Erinnerung an die Verbrechen und Entgleisungen der Republik des Jahres II würden das Lager der Republikaner spalten. Die Royalisten, so Jourdan, betrieben diese Spaltung bewusst, denn sie wüssten um die Stärke und Unbesiegbarkeit des republikanischen Lagers, sofern dieses zusammenhalte. Schon die Annahme, es gebe in Frankreich überhaupt eine anarchistische Partei, die diesen Namen verdiene, sei eine Unterstellung: Als Anarchie bezeichne man die Abwesenheit jeder Form von Regierung. Dieses Ziel habe seit 1789 niemand, nicht einmal die Revolutionsregierung der Jakobiner, angestrebt. Indem man den Begriff als Bezeichnung für die schwierigen republikanischen Geburtsjahre verwende, leiste man am Ende noch eine Art Abbitte dafür, die Monarchie zerstört zu haben, und dem Royalismus damit einen Ehrendienst: „Ce serment, qui ne devrait inspirer que de la haine à l’ancien régime et la ferme volonté de conserver la liberté que nous avons conquise si difficilement, rappelle sans cesse, par le mot anarchie, les maux que nous avons soufferts, les dangers que nous avons courus.“1183 1181

Vgl. Ministre de l’intérieur, aux administrateurs de département, et aux commissaires centraux, Paris, le 1er thermidor, in: Moniteur n° 306, 6 thermidor VII (24. Juli 1799). 1182 Vgl. Moniteur n° 308, 8 thermidor VII (26. Juli 1799), CCC, séance du 6 thermidor. Dort auch zum Folgenden. 1183 Ebd.

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Die Auseinandersetzungen belegen eindringlich, wie wenig man sich in der Beurteilung der Vergangenheit einig war, wie umstritten selbst die Bezeichnung politischer Gruppierungen und damit zusammenhängend die Bewertung ihrer Rolle im revolutionären Prozess waren. Montellier machte im Hinblick auf den serment civique deutlich, dass auf Begriffe (und damit letztlich auch auf Symbole) ohnehin kein Verlass sei.1184 In ähnlicher Weise fasste der gemäßigte Republikaner Chollet zusammen, dass ‚Anarchie‘ oder ‚Anarchist‘ höchst unterschiedliche Bedeutungen annähmen, je nachdem, wer den Begriff im Mund führe: dans la bouche des royalistes, république et anarchie, républicain et anarchiste sont synonymes, cela est très-vrai; mais dans le sens généralement réçu, par tous les citoyens, mais les moins suspects de royalisme, dans celui que la loi du 19 fructidor et tant d’autres ont consacré, le mot anarchie désigne sans équivoque un régime tel que celui eut lieu depuis le 31 mai 1793, jusqu’au 9 thermidor an 3.1185

Man kenne doch das Spiel, ergänzte Montpellier: Ein vager Begriff werde von der siegreichen Parteiung im eigenen Interesse gedeutet, angewandt und Andersdenkende verfolgt. Der Begriff ‚anarchie‘ sei in einer Phase der Reaktion etabliert worden; letztlich handele es sich um einen Kampfbegriff, der bei genauem Hinsehen die gesamte Republik diskreditiere.1186 Aus dem Problem wurden unterschiedliche Schlüsse 1184

Vgl. Moniteur n° 309, 9 thermidor VII (27. Juli 1799), CCC, suite de la séance du 6 thermidor. 1185 Moniteur n° 308, 8 thermidor VII (26. Juli 1799), CCC, séance du 6 thermidor. Chollet sprach sich dafür aus, der Eid solle so bleiben, wie er sei. Er werde in gleicher Weise von den Volksvertretern, Beamten der Republik, Armeen und allen Bürgern, die in den assemblées primaires ihr Wahlrecht ausüben wollten, ausgeübt – und diese müssten genauso vor dem Royalismus wie vor der ‚dritten‘ Partei geschützt werden, die gegen jede Form der Regierung sei, vgl. ebd. 1186 Lesage-Sénault und Mont[p]ellier gingen in der Debatte um die Bedeutungsdefinition von ‚anarchie‘ noch weiter als Jourdan: Der Begriff habe nicht nur einen reaktionären Beigeschmack, weil er von Vertretern des Club de Clichy eingeführt worden sei und durch die Aufständischen der Vendée Verbreitung erfahren habe; schlimmer noch, in seinem Namen und unter seinem Deckmantel seien in der Provinz ungestraft Morde an republikanischen Beamten verübt worden: „cette expression a toujours été le moyen magique avec lequel on a su persécuter et assassiner les républicains“; Moniteur n° 309, 9 thermidor VII (27. Juli 1799), CCC, suite de la séance du 6 thermidor. Andere Abgeordnete hielten dagegen, im allgemeinen Sprachgebrauch werde der Begriff doch sehr genau mit dem Regime Robespierres assoziiert. Curée ging davon aus, es gebe sehr wohl einen „état des choses“, der mit diesem Begriff klar zu bezeichnen sei und welchen man durch den Eid habe bannen wollen; vgl. Moniteur n° 311, 11 thermidor VII (29. Juli 1799), CCC, séance du 7 thermidor. Auch die Bedrohung durch die Babeuf-Verschwörung führte man in diesem Zusammenhang an: Vgl. Grenier, Moniteur n° 312, 12 thermidor VII (30. Juli 1799), CCC, séance du 8 thermidor.

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gezogen: Während Chollet schlussfolgerte, man könne wohl kaum zukünftig alle Begriffe, die missbraucht würden, auch gesetzlich verbieten, sah Jourdan im Missbrauch der Sprache eine der wesentlichen Ursachen für die Spaltung des republikanischen Lagers, weshalb dieser dringend bekämpft werden müsse.1187 Die Debatte um den Eid hatte sich von der ursprünglichen Idee der Republikanisierung der Lebenswelt und der Treuebindungen völlig entfernt. De facto handelte es sich um eine Auseinandersetzung über den Umgang mit der Opposition und über Maßnahmen zur Stabilisierung der Republik. Symbolpolitik war einmal mehr der Ort, an dem solche Themen zwar konfliktreich, aber doch im Rahmen des Systems ausgefochten werden konnten. In diesem Zusammenhang fielen auch deutliche Worte gegen das Direktorium. Mont[p]ellier deutete den 30. Prairial als Sieg der Räte über die ‚Anarchie‘ des Direktoriums.1188 Die Entscheidung über den Eid, so Montellier, sei letztlich auch eine Entscheidung über das System: Die Beibehaltung der alten Formel sei mit einer Perpetuierung der Reaktion gleichzusetzen, die Änderung ermögliche ein Ende der Ungerechtigkeiten, der Verfolgungen und der Spaltung der Republikaner. Lamarque brachte die erörterten Fragen auf den Punkt, wenn er formulierte, es gehe letztlich um die Frage, wie genau die zukünftige Regierung Frankreichs aussehen solle: „Disons-le franchement, il n’est ni ne doit être question de ces nuances particulières, mais seulement de la substance du gouvernement.“1189 Lamarque führte aus, es existierten in Frankreich konkurrierende politische Ordnungsvorstellungen von der Anarchie über die Oligarchie, Aristokratie und direkte Demokratie bis hin zur Revolutionsregierung – und von diesen verschiedenen Herrschaftsformen habe man die Anarchie wohl am wenigsten zu fürchten.1190 Erst Boulay de la Meurthe fand schließlich zu einer Kompromissformel, auf die man sich einigen konnte.1191 Zwar unterstütze er die Vorstellung, dass in friedlichen Zeiten der Treueeid auf Verfassung und Republik ausreichen müsse und per se eine Abneigung 1187

Vgl. ebd. „Or, depuis que la formule a été adoptée, où pensez-vous qu’il y ait eu anarchie et usurpation? Le 30 prairial l’a véritablement abattue; c’est sur le fauteuil directorial que vous l’avez saisie en flagrant délit.“ Vgl. Montellier, in: Moniteur n° 309, 9 thermidor VII (27. Juli 1799), CCC, suite de la séance du 6 thermidor. 1189 Vgl. Moniteur n° 311, 11 thermidor VII (29. Juli 1799), CCC, séance du 7 thermidor. 1190 Es kam zum Tumult: Der Abgeordnete Briot vermutete, nicht wenige derer, die den Hass auf die Terreur weiter am Leben hielten, seien in Wirklichkeit Gegner der Republik; Hardy protestiert daraufhin lautstark und bezeichnet Briot als Agenten der Gegenrevolution. Vgl. Moniteur n° 311 und n° 312, 11 et 12 thermidor VII (30. Juli 1799), CCC, séance du 7 thermidor. 1191 Vgl. Moniteur n° 312, 12 thermidor VII (30. Juli 1799), CCC, séance du 8 thermidor. 1188

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gegenüber Anarchie und Royalismus mit einschließe. Besondere Umstände erforderten aber besondere Maßnahmen: Man müsse die Bürger so nehmen, wie sie seien; allein der symbolische Ausdruck in einer Formel biete dem Ungebildeten Sicherheit.1192 Der Eid sei für die Gegner der Monarchie eine Art Versicherung, dass sich der Gesetzgeber bemühe, den Rückfall in alte Zeiten zu verhindern. Gleichermaßen sei er eine Garantie für die Gegner der Terreur, die zwar grundlos eine Rückkehr des Regimes von 1793 fürchteten, aber in ihren Ängsten ebenfalls ernstgenommen werden müssten. Um die Zwietracht zu überwinden, die die verschiedenen Bezeichnungen ausgelöst hätten, schlug Boulay vor, unter dem Begriff der ‚Tyrannei‘ die verschiedenen Ausprägungen von Feindbildern der Republik zusammenfassend zu stigmatisieren: die „tyrannie royale“ und die „tyrannie sanguinaire de 1793“, die „tyrannie réactionnaire“ der Thermidorianer ebenso wie die „tyrannie […] dans les conseils“ nach dem 13. Vendémiaire oder die „tyrannie du directoire“ nach dem 18. Fructidor. Die Formel, die Boulay vorschlug, wurde einstimmig angenommen: ‚Je jure fidélité et attachement à la république et à la constitution de l’an 3; je jure de m’opposer de tout mon pouvoir au rétablissement de la royauté en France, et de toute espece [sic] de tyrannie.‘1193

Das Wort ‚Hass‘ war gestrichen worden. Der Zusatz „en France“ richtete sich darüber hinaus auch an die Vertreter und Botschafter der europäischen Monarchien: Das Gerücht, Frankreich wolle die Republik exportieren und auch den Nachbarländern aufzwingen, sollte ausgeräumt werden.1194 Die Versammlung stimmte auch zu, dass der Beschluss nicht nur für die Nationalgarde, sondern fortan für den serment civique im Allgemeinen gelte, das heißt bei allen Wahlversammlungen, Amtseinführungen, Armeevereidigungen und ähnlichen Anlässen.1195 Nur ein Abgeordneter sprach sich erneut und grundsätzlich gegen jeden Eid aus: Dieser sei ein religiöser Akt, unwirksam, wenn derjenige, der ihn auspreche, nicht wirklich glaube.1196 Die Verfassung erlaube es 1192

Vgl. ebd., Boulay de la Meurthe. Dort auch die nachfolgenden Zitate. Ebd. 1194 „Notre collègue Jourdan a rendu un véritable et signale service à la patrie en proclamant nos véritables principes à l’égard de l’étranger. On ne saurait croire combien cette accusation de projets d’envahissement et d’intention de républicaniser les pays étrangers a fait tort à la France.“ Ebd. 1195 Vgl. ebd. 1196 „Le serment est un acte religieux, nul, si la croyance de celui qui le prête, ne le garantit. Notre organisation constitutionnelle ne nous permet pas d’en exiger.“ Vgl. Moniteur n° 311, 11 thermidor VII (29. Juli 1799), CCC, séance du 7 thermidor. 1193

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eigentlich nicht, solche Eide zu fordern; letztlich seien diese ein Mittel für Verräter, die darüber Glaubwürdigkeit suggerierten; treue Bürger bedürften einer solchen Sicherheitsmaßnahme gar nicht: alle Eide seien aus diesem Grund abzuschaffen. Diese Ansicht wurde jedoch in der Krisenzeit des Direktoriums nicht geteilt: „Cet avis n’est pas appuyé.“1197 Am 12. Thermidor (30. Juli) wurde das Gesetz im Rat der Alten angenommen. Laloi betonte nochmals, die Subtilität der alten Formulierung sei zu missverständlich gewesen, die neue sei ‚natürlicher‘ und entspreche besser der Verfassung des Jahres III.1198 Auch kurz vor dem Staatsstreich durch Napoleon wurde der serment civique als symbolpolitisches Instrument nochmals bestätigt: Im Rahmen der Feierlichkeiten zum Jahrestag der Republikgründung sollte zukünftig auch des Verfassungsplebiszits des Jahres III gedacht werden, dessen Ergebnisse am 1. Vendémiaire IV (23. September 1795) veröffentlicht worden waren. Anlässlich der Fête de la République, so schlug Parent-Réal vor, sollten alle Anwesenden, vom Direktorium über die Beamten bis hin zu den Zuschauern, den serment civique fortan jährlich erneuern.1199 Interessanterweise hätte damit eine Verschiebung stattgefunden, die einen Ausgleich erleichtert hätte: Hatte zuvor das Direktorium gerade mit der jährlichen Erneuerung des Eides am 21. Januar, dem ‚republikanischsten aller Nationalfeste‘1200, wie es Mathiez nannte, den Widerstand der Monarchisten und Royalisten geweckt, so schien die Reform von 1799 auf eine Entpolitisierung abzuzielen. Der Staatsstreich vom 18. Brumaire sollte jedoch kurze Zeit später zu noch grundlegenderen Neuregelungen führen. Für eine anhaltende politische Dimension des Eides im Jahr 1799 spricht wiederum, dass die Formulierung des Jahres II „La liberté ou la mort“ auch wieder in Staatsakten aufgegriffen werden konnte: Zum Fest des 9. Thermidor VII (27. Juli 1799) hatte man diesen Eid öffentlich erneuert: [Concitoyens,] A l’instant où vous verrez s’élever un drapeau tricolor [sic] près de la statue de la Liberté, et où le feu allumé sur l’autel de la patrie semblera briller d’un nouvel éclat, jurez de seconder les efforts de vos Magistrats et de vos défenseurs, de ne souffrir jamais d’autres maîtres que les lois; jurez la liberté ou la mort. A ce serment redoutable, qui sera répété dans toute la France, qui retentira dans toute l’Europe, le Magistrat, pénétré d’un respect religieux pour la volonté nationale, frappera au nom du peuple tous les ennemies des lois; le défenseur de la patrie, animé d’un saint dévouement, portera la terreur 1197

Ebd. Vgl. Moniteur n° 317, 17 thermidor VII (4. August 1799), CA, séance du 12 thermidor. 1199 Vgl. Parent-Réal: Motion d’ordre, S. 12 und S. 18. 1200 Vgl. MATHIEZ: La théophilanthropie et le culte décadaire, S. 437. 1198

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dans les rangs des esclaves et des barbares; et bientôt la nation française, grande au-dedans et au-dehors, offrira aux peuples attentifs l’utile leçon, l’étonnant exemple de ses efforts, de ses sacrifices, de son courage, de ses vertus, de sa gloire, de sa prospérité, de la paix donnée par elle au monde, et du triomphe imposant de ses institutions républicaines.1201

Dies entsprach einer öffentlichen Würdigung der Errungenschaften der Revolutionsregierung des Jahres II – ähnlich wie vorangehend in der parlamentarischen Debatte.1202 Die Befürworter eines autoritären Regimewechsels rückten angesichts solcher Worte nur noch enger zusammen. Jede Form der ‚Sakralisierung von Politik‘1203, wie sie über die verschiedenen Typen republikanischer Eide betrieben wurde, hatte ihre eigenen Gegner: Fürchteten die einen, mit dem Verzicht auf die Eidesleistung gehe die Republik selbst unter, so kritisierten andere die Unvereinbarkeit jeglicher Form des Eides mit liberalen politischen Positionen. Durchsetzen sollten sich im Brumaire VIII (November 1799) schließlich die Anhänger einer autoritären Lösung – die den Eid letztlich zum Instrument einer widersprüchlichen ‚Showpolitik‘ entwerteten.1204

3.3.3 Staatliche Abzeichen und Auszeichnungen Im Zuge ziviler und militärischer Ehrungen oder Preisverleihungen machte das neue Regime deutlich, welchen Werten es verpflichtet war und welche Tugenden es zu fördern gedachte. Als parlamentarische Formen der Auszeichnung hatten sich seit Beginn der Revolution die 1201

Ministère de l’intérieur. Liberté, Égalité. Fête de la liberté, Fixée au 9 et 10 Thermidor par la loi du 4 Brumaire an 4. Avis et Programme. Le Ministre de l’Intérieur à ses consitoyens, Paris, Thermidor an VII [Signé Quinette]. 1202 Zwar habe diese zweifelsohne Fehler und Verbrechen zu verantworten, argumentierte Jourdan, aber sie habe auch Großes hervorgebracht („sous ce gouvernement il s’est fait de grandes choses“); vgl. Moniteur n° 308, 8 thermidor VII (26. Juli 1799), CCC, séance du 6 thermidor. Zwar hätten einige Männer die Idee der Demokratie überstrapaziert und die Revolution zu weit getrieben, doch sei die Revolution an sich notwendig gewesen und niemand habe je ernsthaft angestrebt, diesen Zustand bis ins Unendliche zu verlängern („il n’a jamais pu s’en trouver un seul, à quelque époque et dans quelque pays que ce soit, qui ait voulu ériger l’anarchie, c’est à dire, le désorde en système“); vgl. Lamarque, Moniteur n° 311, 11 thermidor VII (29. Juli 1799), CCC, séance du 7 thermidor. 1203 Vgl. PRODI: Das Sakrament der Herrschaft, S. 375–412. 1204 Zur Ambivalenz der bonapartistischen bzw. napoleonischen Herrschaft vgl. die Beiträge im Tagungsband: SCHMIDT/THAMER: Die Konstruktion von Tradition, besonders den Aufsatz zum napoleonischen Krönungsritual von 1804: MIERSCH, Martin und Rolf REICHARDT: Die Kaiserkrönung Napoleons I. Symbolische Inszenierung und gesellschaftliche Wahrnehmung, in: ebd., S. 89–151.

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accolade fraternelle und die mention honorable beziehungsweise die Formulierung avoir bien mérité de la patrie eingebürgert. Die Akkolade gehörte in Frankreich zum zeremoniellen Grundvokabular: Beim Ritterschlag oder bei der Belehnung war dem Kandidaten ein Schwert auf die Schulter gelegt worden, begleitet von einer angedeuteten Umarmung; diese Umarmung wurde im Zeichen der Brüderlichkeit umgedeutet zur ‚accolade fraternelle‘, die nicht mehr Ausdruck von Hierarchie, sondern von Gleichrangigkeit sein sollte. Allein schon die Tatsache, dass nur Einzelne mit der Geste geehrt wurden, stellte die Auserwählten jedoch zumindest als vorbildlich heraus. Eine andere Form der Auszeichnung bestand in der Verleihung von Ehrenzeichen. Das früheste Beispiel hierfür stellten die an die vainqueurs de la Bastille überreichten Medaillen und Diplome dar.1205 Marat und andere radikale Republikaner verurteilten diese Art der Ehrbezeugung als in einem Regime der Gleichheit nicht mehr zeitgemäß; ähnliche Debatten entstanden rund um die Auszeichnung der Beteiligten vom Oktoberaufstand des Jahres 1789.1206 Am 30. Juli 1791 wurden alle Orden und äußere Abzeichen, die auf dem Geburtsrecht basierten, abgeschafft; in den Jahren 1793 und 1794 konnten sie Anlass für Ächtung und Verfolgung werden.1207 Die Révolutions de Paris lehnten Auszeichnungen als ‚Spielzeug‘ der ‚Eitelkeit‘ ab, welche ausschließlich versklavte Nationen benötigten; außerdem spalteten solche Abzeichen die Gesellschaft, die doch eigentlich unter dem Zeichen der Gleichheit vereint werden solle.1208 Im Kontext der Forderungen nach Transparenz und Tugend in der Politik schienen Auszeichnungen nicht wünschenswert. Dennoch kam es auch während der Jakobinerherrschaft zu Ausnahmen, zum Beispiel im Kontext militärischer Ehrungen. So erhielten die Sieger von Jemappes im Rahmen einer offiziellen Zeremonie einen Ehrensäbel und weitere Auszeichnungen für ihre Verdienste.1209 Die Praxis der‚récompenses nationales‘ Im Thermidor und während der Herrschaft des Direktoriums nahm die Praxis der Herausstellung einzelner Bürger weiter zu. Um tugendhaftes Handeln zu erreichen, wurde an den Diskurs des ‚Exempels‘ und ‚Vorbildes‘ angeknüpft, der nicht nur für die antike Rhetorik und die 1205

Vgl. LÜSEBRINK/REICHARDT: Die ‚Bastille‘, S. 100–122, besonders S. 101–110. Vgl. WRIGLEY: The Politics of Appearances, S. 71. 1207 Vgl. ebd., S. 73. 1208 Vgl. Révolutions de Paris, 20.–27. Oktober 1792, S. 214–218. 1209 Vgl. CHARLES, Robert-Jean: Armes de récompense et armes d’honneur, in: Revue de la société des amis du Musée de l’Armée 60 (1957–58), S. 16–18. 1206

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christlichen Tugendlehren, sondern auch für Konzepte der Moralerziehung in der Aufklärung eine große Rolle gespielt hatte. Récompenses sollten freilich nicht zu neuen Hierarchien führen, sondern ‚gutes‘ Verhalten belohnen und damit sichtbar fördern. Sie konnten als Ehrenzeichen verliehen oder auch in Form von finanzieller Unterstützung ausgezahlt werden. Den Anfang machte das Comité d’instruction publique im Winter 1795 mit einem Vorschlag zur Auszeichnung von Künstlern und Schriftstellern. Chénier argumentierte, nachdem die Künste und Wissenschaften lange Zeit von einer Gruppe „d’ambitieux ignorants“ dominiert worden seien, solle die freie Nation zukünftig diejenigen Männer ehren, die mit ihren Werken Trost und Aufklärung schenkten. Diese seien ebenso „défenseurs de la patrie“ wie die Soldaten oder Offiziere.1210 Daher verdienten sie staatliche Unterstützung: 300.000 Livres wurden auf verschiedene Wissenschaftler oder Künstler verteilt und Erziehungs- und Finanzausschuss beauftragt, Pensionen festzusetzen.1211 Von dieser Vorgehensweise erhoffte man sich nicht nur Wiedergutmachung, sondern einen Dienst am Volke.1212 Künstler und Wissenschaftler erhielten auch in den Festen des Direktoriums einen besonderen Rang: Als Mitglieder im Festumzug oder durch öffentliche Proklamation ihrer Leistungen.1213 Ebenso wichtig wie die Belohnung von Talent sollte in den Jahren zwischen 1795 und 1799 auch die Auszeichnung von Mut und Tapferkeit werden. Auf der Fête de la Victoire vom 10. Prairial IV (29. Mai 1796) verteilte das Direktorium im Namen des Vaterlandes Kronen aus Eichenlaub und Lorbeer an die Soldaten.1214 Auch Bilder propagierten den dahinterliegenden Erziehungsgedanken: Eine im Musée de la Révolution française in Vizille aufbewahrte Zeichnung, die eventuell Desrais zugeschrieben werden kann, hat die Zeremonie auf dem Marsfeld, zu

1210

Vgl. Chénier, Marie-Joseph de: Convention nationale. Rapport fait sur les récompenses aux artistes et gens de lettres, au nom du Comité d’instruction publique, par Marie-Joseph Chénier, suivi du décret rendu en conséquence à la séance du 14 nivôse l’an IIIe (3. Januar 1795), Paris, an III; auch abgedruckt in: Moniteur n° 106, 16 nivôse III (5. Januar 1795), CN, séance du 14 nivôse III. 1211 Vgl. Moniteur n° 107, 17 nivôse III (6. Januar 1795), CN, suite de la séance du 14 nivôse III. 1212 Vgl. Convention nationale. Rapport sur les récompenses à distribuer aux savants et aux artistes, présenté au nom des comités d’instruction publique et des finances, dans la séance du 27 germinal, l’an III, par P.-C.-F. Daunou, représentant du peuple. Imprimé par ordre de la Convention nationale [Texte imprimé] Paris germinal III, abgedruckt in: Moniteur n° 209, 29 germinal III (18. April 1795), CN, séance du 27 germinal. 1213 Vgl. dazu auch Kapitel 2.4. 1214 Vgl. Liberté. Égalité. Programme de la fête de la Victoire, 10 Prairial de l’an IV.

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Füßen der Freiheitsstatue, vergrößert im Bild festgehalten (Abb. 30).1215 Die Szene ist lebhaft: Links im Bild ehren Offiziere der Italienarmee die Büste eines Soldaten, der vermutlich während des Feldzugs gefallen war, mit einem Lorbeerkranz. In der Bildmitte sieht man die Direktoren im großen Festornat, die von einem Altar des Vaterlandes, der den Armeen der französischen Republik geweiht ist, Bürgerkronen verteilen. Von rechts nähern sich Soldaten der Szene; drei von ihnen umarmen sich. Der Betrachter hat den Eindruck, Zeuge eines militärischen Kultes zu werden.1216 Auch unabhängig von der Festpolitik unterstützte die Regierung die Verbreitung positiver Bilder von Soldaten. Im Jahr 1796 publizierte der Verleger Jacques Grasset Saint-Sauveur 14-tägig unter dem Obertitel Les Fastes du peuple français1217 Darstellungen ausgewählter heroischer und staatsbürgerlicher Taten französischer Bürger samt erläuternden Texten.1218 Es handelte sich nicht um das erste Projekt dieser Art,1219 spiegelt aber in der Auswahl der Darstellungen unmittelbar den Zeitgeist des Directoire. Die Drucke visualisierten zwar auch Zivilisten, wie den Gefängniswärter (commissionaire de la prison) Michel Cange, der Gefangenen während der Terreur geholfen haben soll (Abb. 37). Das

1215

Vgl. so auch die Einschätzung von Philippe Bordes in BORDES/CHEVALIER: Catalogue, S. 212, der sogar unterstellt, die Zeichnung nehme bereits den Militärkult des Empire vorweg: „Cette dimension anecdotique, qui distrait l’attention de l’allégorie politique, annonce le culte militaire qui sous l’Empire supplantera les idéaux révolutionnaires.“ 1216 Vgl. Abb. in BORDES/CHEVALIER: Catalogue, S. 212. Die ins Bild gesetzte Szene erscheint jedoch spontaner als es die Wirklichkeit des Festes gewesen sein kann: Minutiös hatte das Festprogramm Szenerie und Zeremonie beschrieben; nichts war dem Zufall überlassen worden. Vgl. Liberté. Égalité. Programme de la fête de la Victoire, 10 Prairial de l’an IV. 1217 Vgl. Grasset Saint-Sauveur, Jacques: Les Fastes du peuple Français, ou Tableaux raisonnés de toutes les actions héroïques et civiques du soldat et du citoyen français. Edition ornée de gravures d’après les dessins du Citoyen Labrousse. Par Jacques Grasset Saint-Sauveur, A Paris, Chez Deroy, Libraire, rue du Cimetière André-des Arts, N° 15, 1796. An 4e de la République française. Die Darstellungen sind in den Sammlungen der BnF katalogisiert, vgl. Labrousse, L. F.: Les Fastes du peuple français, gravures au pointillé (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 7106-7133). Zum Folgenden vgl. ebd., Erläuterungen des Inventars. Auch die anderen großen Sammlungen der BnF (Collection de l’Histoire de France, Collection Hennin) verzeichnen dieses Thema. 1218 Vgl. dazu bereits SCHRÖER: La représentation du Nouveau Régime, S. 56f. Der Soldat wurde zum gesellschaftlichen Vorbild und Garanten der neuen Ordnung stilisiert. 1219 Vgl. u. a. Grégoire: Convention nationale. Rapport sur les moyens de rassembler les matériaux nécessaires à former les annales du civisme, et sur la forme de cet ouvrage; par le citoyen Grégoire, Séance du 28 septembre 1793, [Paris 1793].

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Frontispiz1220 sowie die meisten anderen Motive zeigen jedoch Nationalgardisten oder Soldaten im Kriegseinsatz. Der soldatische Alltag dient der Verherrlichung militärischer Tugenden des Mutes und Kampfgeistes als Kulisse. Beispielsweise wird ein mutiger Reiter über die Bildunterschrift als in seinem Kampfgeist „nicht aufzuhalten“ erläutert;1221 auf einem anderen Druck wird an eine Seeschlacht erinnert, deren Kommandant sein Leben für die Kameraden opferte: „Rette sich wer kann! Ich bleibe auf meinem Posten“.1222 Militärische Tugenden gewannen für die Idealvorstellung der französischen nachrevolutionären Gesellschaft zunehmend an Bedeutung. Nicht Abb. 37: Labrousse, L. F.: Michel Cange et die Verwaltung, auch nicht die George: ah! vertueux ami! je vous dois la vie... Je n’avais que cent livres, j’aurais vouRegierung wurde in der popu- lu en posseder davantage. 10 thermidor an lären Druckgraphik als Hüterin 3, eau-forte, outils, coul., 19 × 14 cm, [Paris, der republikanischen Werte vi- entre 1796 et 1805]. sualisiert: Wenn überhaupt, so war es der Soldat, der als Ordnungsbringer einschritt; ihm allein wurde anscheinend jenseits eigener Interessen zugetraut, über den Fraktionen zu stehen. Im Zweiten Direktorium, nach dem 18. Fructidor V (4. September 1797), wurden militärische und zivile Leistungen im Dienste der Republik nochmals stärker betont. Erneut dienten Feste als Forum der 1220

Vgl. Labrousse, L. F.: Les Fastes du peuple français, frontispice, eau-forte, outils, coul., 20 × 14 cm, [Paris 1796] (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 7105). 1221 Vgl. Labrousse, L. F.: Louis Joseph Moreau, trompette: non, vous ne le retiendrez pas. An 2, L. F. Labrousse aq. fo., eau-forte, outils, coul.; 15 × 18,5 cm (élt d’impr.), [Paris, entre 1796 et 1805] (Paris, BnF, Coll. de l’Histoire de France, Inv. Qb1, 1794, aoûtdécembre, M102981). 1222 Vgl. Labrousse, L. F.: Mort de Carouge commandt [sic] la corvette l’Assemblée nationale: sauvez-vous, mes amis, moi je reste à mon poste. 16 fructidor an 4.e [i.e. 2] (2 sept. 1794 v.s.), Labrousse del. et sculp., St Sauveur direx., eau-forte, outils, coul., 14 × 20 cm (Paris, BnF, Coll. de l’Histoire de France, Inv. Qb1, 1794, août-décembre, M102974).

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Erziehungspolitik: Beim Fest der Republikgründung ehrte man am 1. Vendémiaire VI (22. September 1797) besonders Kriegsveteranen und Invaliden, denen das Direktorium persönlich einen Besuch abstattete. Bei der offiziellen Zeremonie auf dem Marsfeld waren drei ausgewählte invalides zugegen, die gemeinsam mit den Regierungsmitgliedern auf dem Festplatz einfuhren, wo sie umgeben von Ministern und Generalstab Ehrenplätze einnehmen durften.1223 Trophäen schmückten den Platz; Inschriften rühmten abgesehen von den Soldaten noch weitere vorbildliche Gruppen der Gesellschaft: „aux Braves qui sont morts pour la République, à nos intrépides Armées, aux Législateurs de la République, aux Magistrats de la Rép., aux Ecrivains patriotes, aux vrais amis de la Constitution de l’an III“1224. Die Zeremonie der öffentlichen Ehrungen sollte sich in der Folgezeit weiter verfeinern: Zu Beginn des Jahres VII (22. September 1798) übergab der Innenminister dem Direktorium ausführliche Namenslisten, auf denen all diejenigen verzeichnet waren, die sich im zurückliegenden Jahr um das Vaterland verdient gemacht hatten.1225 Herolde machten auf beiden Seiten des „Cirque“ den anwesenden Zuschauern die entsprechenden Persönlichkeiten mündlich bekannt; außerdem ließ man „billets imprimés“ mit denselben Informationen verteilen.1226 Das Fest der Republikgründung war der Höhepunkt des republikanischen Jahres: Zu diesem Anlass wurden verschiedene Gruppen von Ehrenbürgern in der Hauptstadt versammelt. Zusätzlich boten die über das Jahr verteilten moralischen Feste Gelegenheit, einzelne Personen zu würdigen. Der Innenminister bestimmte die Richtlinien. Bei der Fête de la Jeunesse am 10. Germinal VII (30. März 1799) sollten so beispielsweise Preise an Schüler verteilt werden, die sich im Unterricht der écoles nationales besonders hervorgetan hätten: „par leurs vertus, leurs mœurs

1223

Vgl. Moniteur n° 2, 2 vendémiaire VI (23. September 1797) sowie Moniteur n° 3, 3 vendémiaire VI (24. September 1797). 1224 Ebd. 1225 Vgl. Fête de la fondation de la république. Programme, Fructidor an VI; vgl. auch: Détail circonstancié de toutes les cérémonies, Qui vont être observées pendant les cinq jours Complémentaires et le premier Vendémiaire, Paris [1798], S. 4. Dort findet man eine noch detailliertere Beschreibung des Vorgangs: Der Präsident des Institut national überreichte dem Direktorium die Listen mit den besten Neuerscheinungen auf den Gebieten der Naturwissenschaften, der livres élémentaires de morales, der Belletristik und der Musik; der Vorsitzende der classe de littérature et des beaux-arts übergab Listen der besten Gemälde, Skulpturen und Architekturen. 1226 Vgl. Détail circonstancié de toutes les cérémonies, Qui vont être observées pendant les cinq jours Complémentaires et le premier Vendémiaire, S. 5.

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et leurs talents“1227. Die Namen der Laureaten sollten auf einem „monument d’honneur“ verzeichnet werden, demgegenüber ein „poteau d’infamie“ diejenigen schmähte, die den Wehrdienst verweigert hätten. In ähnlicher Weise wurden auch auf dem Fest der Landwirtschaft1228, dem Fest der Eheleute1229 und der Dankbarkeit1230 „récompenses“ verteilt, um die fleißigsten Bauern, die tugendhaftesten Eheleute (ordentlicher Haushalt; viele Kinder; Mütter, die ihre Kinder stillen), die treusten Soldaten und Beamten, die begabtesten Künstler und die wohltätigsten Bürger der jeweiligen Gemeinden des Landes auszuzeichnen. Die administrations sollten bei der Fête de la Reconnaissance die Namen der verdientesten Bürger öffentlich bekanntgeben; Kinder sollten ihren Eltern mit Kronen, ihren Lehrern mit Palmen danken. Eine Kollekte für die Armen rundete die Inszenierung ab.1231 Ein Vorstoß, militärische Leistungen für das Vaterland noch einmal besonders auszuzeichnen, sollte sich erst kurz vor dem Sturz des Direktoriums, zu Beginn des Jahres VIII, durchsetzen:1232 Am 11. Vendémiaire VIII (3. Oktober 1799) beschloss der Rat der Alten, nicht nur „récompenses nationales“ für alle Armeen der Republik einzuführen, sondern auch die Namen der „armées victorieuses“ anlässlich der Nationalfeste publik zu machen. Der Schwerpunkt des Festes der Dankbarkeit lag damit eindeutig im militärischen Bereich: „la Fête de la Reconnaissance est particulièrement consacrée à honorer la mémoire et célébrer les belles actions des guerriers; elle est une des grandes fêtes nationales.“1233 Für Soldaten und Offiziere, die als erste zum Angriff 1227

Vgl. François de Neufchâteau: Circulaire du 17 ventôse VII: „Fête de la jeunesse“, in: Ders.: Recueil, Bd. 2, S. 106–111. 1228 Vgl. François de Neufchâteau: Circulaire du 21 ventôse VII: „Dispositions pour la Fête de l’agriculture, qui doit être célébrée le 10 messidor an 7“, in: Ders.: Recueil, Bd. 2, S. 121–127. 1229 Vgl. François de Neufchâteau: Circulaire du 21 germinal VII: „Fête des Époux“, in: Ders.: Recueil, Bd. 2, S. 155–162. 1230 Vgl. François de Neufchâteau: Circulaire du 21 floréal VII: „Fête de la Reconnaissance“, in: Ders.: Recueil, Bd. 2, S. 211–216. 1231 Vgl. MATHIEZ: La théophilanthropie et le culte décadaire, S. 441. 1232 Zuvor hatte zwar bereits Lecointe-Puyraveau im Thermidor VI (August 1798) vorgeschlagen, Bürger, die für das Vaterland verletzt worden oder gar gestorben seien, zukünftig außerordentlich zu würdigen. Am 4e jour complémentaire wurde das entsprechende Gesetz auf den Weg gebracht, am 9. Vendémiare allerdings von den Alten abgelehnt. Vgl. Corps législatif. Conseil des Cinq-cents. Rapport fait par LecointePuyraveau sur les récompenses à accorder aux citoyens qui seront blessés en prêtant main-forte à la loi. Séance du 16 thermidor an VI; sowie: Moniteur n° 321, 21 thermidor VI (8. August 1798), CCC, séance du 16 thermidor. 1233 Moniteur n° 12, 12 vendémiare VIII (4. Oktober 1799), CA, séance du 11 vendémiaire.

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übergegangen waren, sah man fortan ein besonderes Ehrenzeichen vor. Als Verzeichnis aller militärischen Heldentaten für die Republik schlug man ein eigenes Buch vor, mit dem Titel „les Fastes Militaires“: „les noms, le département, la commune, la famille de ceux qui auront fait quelque action d’éclat, ou qui seront morts pour leur pays, y seront honorablement inscrits. L’inscription se fera d’après un acte du Corps Législatif: ce livre national sera déposé au Panthéon sur un autel antique, formé de trophées militaires.“1234 Jedes Jahr sollte dieses Buch anlässlich der Fête de la Reconnaissance vom Direktorium zum Marsfeld getragen werden, inmitten einer „marche triomphale“, und dort auf dem Vaterlandsaltar ausgelegt werden. Nachdem das Direktorium die Namen all derjenigen verkündet habe, die auf dem ‚Ehrenfeld‘ gefallen seien, würden die tapferen Soldaten der ewigen Dankbarkeit anempfohlen, mit immer derselben Formel: „‚La patrie recommande à la reconnaissance éternelle des citoyens la mémoire de tous les braves qui ont servi la république, et qui sont morts en combattant pour elle.‘“ Verstorbene Generäle durften besondere Ehrungen erwarten. Auch die Formel ‚avoir bien mérité de la patrie‘ sollte standardisiert und zu einem Ehrenzeichen der Armee weiterentwickelt werden; Flaggen würden wie Reliquien im Pantheon ausgestellt. Auch diejenigen Bürger, die im Bürgerkrieg gefallen seien, sollten in den Fastes Militaires verzeichnet und im Rahmen der Nationalfeste geehrt werden.1235 Eine solche Praxis hätte die ursprünglich von Leclerc angestrebte Institution des Familienstammbuches zu einem nationalen Heldenstammbuch weiterentwickelt. Sicherlich kann es als unstrittig gelten, dass der Krieg im Allgemeinen zur Zeit des Direktoriums zur Herrschaftslegitimation eingesetzt wurde.1236 Dennoch fällt auf, dass sich die unverhältnismäßige Aufwertung des Militärischen im Vergleich zum Zivilen erst im Jahr 1799, also unter veränderten innen- und außen-

1234

Ebd. Vgl. dort auch zum Folgenden. Vgl. ebd. Zwar finden in den Ausführungen auch zivile Leistungen Erwähnung – der Schwerpunkt ist dennoch klar hin zum Militärischen verschoben. „La patrie reconnaissante“ sollte immerhin als Motto auch für all diejenigen gelten, die sich als „administrateurs“, „gardes nationales“ und „citoyens“ durch „actions éclatantes de dévouement“ ausgezeichnet hätten, besonders in denjenigen Departements, die von Unruhen heimgesucht wurden. Ihre Namen sollten nach Vorschlag des Direktoriums und Zustimmung der parlamentarischen Räte in den Hauptstädten der Departements auf Marmorsäulen (mit der Aufschrift „Au couage et au dévouement“) eingraviert werden. 1236 So z. B. KRUSE, Wolfgang: Die Erfindung des modernen Militarismus. Krieg, Militär und bürgerliche Gesellschaft im politischen Diskurs der Französischen Revolution 1789–1799, München 2003, S. 271ff. 1235

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politischen Bedingungen vollzog.1237 Erklärte sich die hohe Präsenz bei vielen Zeremonien und Festen zu Beginn des Regimes vor allem aus seiner Unsicherheit und Instabilität heraus, die in der Demonstration des Machtapparates eine Stütze suchte, so inszenierte das Zweite Direktorium keineswegs nur den militärischen Helden, sondern ebenso demonstrativ die Ehrenbürger der zivilen Gesellschaft beziehungsweise der ‚Republique des Lettres‘. Erst im Kontext der Formierung der Zweiten Koalition sowie unter dem wachsenden Einfluss der Neo-Jakobiner einerseits, der Revisionisten um Sieyès andererseits wurde ein neues Gesetz über die „récompenses nationales“ verabschiedet. Kurze Zeit später wurde der nach Paris zurückgekehrte Bonaparte in der Kirche Saint-Sulpice sogar mit einem eigenen Fest geehrt – die erste Veranstaltung dieser Art für einen einzelnen Kriegshelden. Von einer ‚Militarisierung‘ der Symbolpolitik kann frühestens ab 1799, besonders nach Bekanntwerden der militärischen Niederlagen und mit dem beginnenden Rückzug der französischen Armeen aus Deutschland und Italien gesprochen werden – und nachdem zusätzlich das tödliche Attentat auf die Delegierten in Rastatt und die Nachrichten von neuen royalistischen Aufständen die Stimmung angeheizt hatten: „La guerre contre la Liberté s’est rallumé“1238 stellte die Décade fest. In diesem Kontext kam das Direktorium in Erklärungsnot, hatte es sich in den Jahren zuvor doch zumindest im Erfolg der Armeen gesonnt und diese zur Stärkung der eigenen Autorität benutzt. Doch obwohl die gesellschaftliche und politische Macht des Militärs kontinuierlich anwuchs, gibt es bis zum Herbst 1799 keine Anzeichen dafür, dass die Endphase des Direktoriums bereits Züge einer Militärdiktatur trug.1239 Dem Ausbau der Herrschaftspositionen des Militärs in Staat und Gesellschaft entsprach zu diesem Zeitpunkt noch kein militärischer Führungs- und Gestaltungswille.1240 Es bedurfte der Rückkehr Bonapartes und des Einflusses

1237

In der Tendenz bewertet auch Kruse den Sachverhalt ähnlich: Vgl. ebd., S. 312. Vgl. Décade, 30 floréal VII (19. Mai 1799). 1239 Eine andere Meinung vertreten GODECHOT, Jacques: Les commissaires aux armées sous le Directoire: contribution à l’étude des rapports entre les pouvoirs civils et militaires, 2 Bde., Paris 1941, hier Bd. 1, S. 381 und BROWN, Howard G.: From Organic Society to Security State: The War on Brigandage in France, 1797–1802, in: Journal of Modern History 69 (1997), S. 661–695; ders. und Judith MILLER (Hrsg.): Taking Liberties: Problems of a New Order from the French Revolution to Napoleon, Manchester u. a. 2002. 1240 Vgl. KRUSE: Die Erfindung des modernen Militarismus, S. 351. 1238

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seiner charismatischen Persönlichkeit, damit sich die Situation endgültig zum Militärputsch vom 18. Brumaire zuspitzte.1241 Als Beleg für die Bemühungen des Direktoriums um die Zivilgesellschaft kann auch das Recueil des belles actions civiles gewertet werden, welches im Zweiten Direktorium von Innenminister François de Neufchâteau propagiert wurde. In einem Rundschreiben an die Commissaires du Directoire exécutif près des Administrations centrales de département belehrte dieser seine Beamten über die Wichtigkeit der Vorbildfunktion für das Vaterland – die Tugendhaften verliehen dem Vaterland Ewigkeit; daher müsse man ihnen ewigen Ruhm (‚Unsterblichkeit‘) durch die Nachwelt sichern: La Patrie ne s’acquitte qu’à moitié envers l’homme qui se distingue par quelque acte d’une vertu sublime, quand elle l’entoure de l’estime, de la gratitude et de la vénération de ses contemporains; elle lui doit encore une récompense impérissable. Si les vertus des citoyens assurent l’immortalité à la patrie, la patrie à son tour doit dispenser l’immortalité aux citoyens vertueux; son devoir est de les présenter à la posterité, tels qu’eux-mêmes se sont présentés à leur siècle, et d’appeler sur eux l’admiration ou l’estime des âges à venir.1242

Aus diesem Grund habe das Direktorium sich entschlossen, in einem einzigen Buch alle Taten zusammenzufassen, die in Frankreich von tugendhaften und wohltätigen Bürgern begangen worden seien. Dieses „monument national“ sollte mit Hilfe der Beamten aller Departements erschaffen werden. Die Tugend zu ehren, so François, sei eine der wichtigsten Aufgaben jeder Regierung; sein Schlussappell klingt wie ein Vorgeschmack auf den zu erwartenden ‚Lobpreis der Revolution‘: Prouvons à nos contemporains, apprenons à nos successeurs que l’ère de la liberté a été favorable au développement de tous les genres d’héroïsme; et félicitons-nous de trouver, dans ces grands exemples, de nouveaux motifs de bénir la révolution.1243

Die Größe der Republik wird hier keineswegs allein über militärische Leistungen, sondern über ‚heldenhaftes‘ Handeln im Allgemeinen 1241

Bereits seit dem Italienfeldzug inszenierte dieser sich als neuer Held und Beschützer der Republik, z. B. in Porträts oder über allegorische Darstellungen. Seine Position festigen konnte er als Beauftragter des Direktoriums zur Aushandlung des Friedens von Campo Formio sowie als Stütze des Regimes anlässlich des Staatsstreiches vom 18. Fructidor V. Vgl. dazu (mit zahlreichen Abbildungen) SCHRÖER: Vive la République versus Vive Bonaparte, S. 163–170 sowie Kapitel 4.5.4. 1242 François de Neufchâteau: Circulaire du 1er brumaire VII: „Recueil des belles actions civiles“, in: Ders.: Recueil, Bd. 1, S. 246–250. 1243 Ebd.

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definiert. Das ändert nichts an der Aggressivität und Problematik der damit verbundenen Großmachtphantasien. Wohl aber lässt es die Politik des Direktoriums in einem differenzierteren Lichte erscheinen, als dies in der neueren amerikanischen Forschung angesichts vorschneller Kontinuitätsbehauptungen zwischen Directoire und Consulat teilweise der Fall ist.1244 Die Debatte um die Aufwertung der Kokarde zum Distinktionszeichen In den Kontext der Auseinandersetzungen des Jahres VII (1798/99) um die Rolle des Militärs gegenüber der Zivilgesellschaft gehört auch die symbolpolitische Debatte über die Kokarde: Die dreifarbige Anstecknadel wurde seit 1789 an Hut oder Kleidung getragen (siehe Kapitel 2.1.1).1245 In der Spätphase des Direktoriums wurde sie (erneut) Gegenstand der parlamentarischen Debatte – im Kontext der Erziehungspolitik der institutions républicaines –, wobei die Meinungen der Abgeordneten auseinander gingen, ob es sich bei dem Abzeichen tatsächlich um eine ‚Institution‘ handle oder nicht. Zumindest bemühte man sich um eine Erneuerung und Vereinheitlichung der Tragepflicht. Umstritten war, ob die Kokarde als republikanisches Gesinnungs- oder als militärisches Ehrenzeichen zu behandeln sei.1246 Die parlamentarischen Räte widmeten der gesellschaftlichen Funktion der Kokarde zwischen dem Frimaire und Floréal des Jahres VII (von November 1798 bis April 1799) überraschend lange Zeit ihre Aufmerksamkeit.1247 Ähnlich wie die Aussprachen über die Kalendergesetze fand auch diese Debatte aus der Defensive heraus statt, angesichts von Missbrauch und Unverständnis gegenüber dem Symbol und aus dem Bedürfnis heraus, dies abzustellen: Bereits am 6. Fructidor VI (23. August 1798) hatte das Direktorium in einer Mitteilung die Räte darüber 1244

Brown und Miller gehen meiner Meinung nach zu Unrecht von einer Kontinuität militaristischer Politik und der Errichtung eines ‚Sicherheitsstaates‘ seit 1797 aus. Vgl. BROWN: From Organic Society to Security State, passim; sowie ders./MILLER: Taking liberties. 1245 Vgl. POUY, Ferdinand: Histoire de la cocarde tricolore, Paris 1872. 1246 Vgl. LEFEBVRE: La France sous le Directoire, S. 452. Dieser schreibt, im Dezember 1797 und März 1798 sei eine Debatte über die Frage „de rétablir la cocarde“ entbrannt. Das Projekt habe viele Befürworter gefunden, sei aber am Ende abgelehnt worden. Eine Überprüfung der Quellen hat ergeben, dass Lefebvre sich vermutlich um ein Jahr irrt: Die Debatte erfolgte erst 1798/99. 1247 Vgl. dazu maßgeblich: DEVOCELLE, Jean-Marc: La cocarde directoriale. Dérives d’un symbole révolutionnaire, in: AHRF 3 (1992), S. 355–365, insbesondere S. 360ff.; sowie: HEUER, Jennifer: Hats on for the nation! Women, Servants, Soldiers and the Sign of the French, in: French History 16 (2002), S. 28–52, S. 33ff.

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informiert, es bestünden Lücken in der Gesetzgebung gegenüber Individuen, die sich weigerten, die Nationalkokarde („cocarde nationale“) zu tragen.1248 Ein weiteres Kapitel der Symbolpolitik des Konvents sollte neu geordnet werden, um es in eine nachrevolutionäre Zeit zu überführen. Eine eigene Kommission wurde mit der Frage betraut, zusammengesetzt aus den Abgeordneten Félix Bonnaire, Pierre-Anselm Garrau, Michel Louis Talot, Jean Gilles Denis Porte und Charles-Clément Roëmers.1249 Roëmers brachte am 8. Frimaire (28. November) ein erstes Projet de résolution ein, das sich auf drei Ideen konzentrierte:1250 Die Kokardenpflicht sollte grundsätzlich beibehalten und auf in Frankreich anwesende Ausländer ausgeweitet werden; außerdem sei ein angemessenes Strafmaß bei Missachtung dieser Bestimmungen festzulegen.1251 Die Debatte verzögerte sich.1252 Bei der Aussprache war es vor allem der Protest gegen die Tragepflicht für Ausländer, der Anlass zur Diskussion darüber gab, ob nicht eher eine Beschränkung der Gruppe der Kokardenträger wünschenswert sei, um das Zeichen dadurch aufzuwerten und als Distinktionszeichen nutzen zu können.1253 Auf diese Weise werde das Accessoire zum Erkennungszeichen der französischen Bürger, „le signe exclusif de ralliement des Français“1254. Bonnaire formulierte erstmals die Idee, das Tragerecht der Kokarde auf den citoyen-soldat zu beschränken und das Zeichen damit zurück zu seiner ursprünglichen, militärischen Bedeutung zu führen: „La cocarde est un signe militaire. Les Français la portent parce qu’ils sont tous soldats. Elle est donc en 1248

Vgl. Séance du 8 frimaire, in: CORPS LÉGISLATIF. Procès-verbal des séances du conseil des cinq-cents, Bd. 39: Frimaire, an VII, Paris o. J., S. 166, sowie Moniteur n° 75, 15 frimaire VII (5. Dezember 1798). 1249 Vgl. DEVOCELLE: La cocarde directoriale, S. 360. Dort auch zum Folgenden. 1250 Vgl. Roëmers, Charles-Clément: Corps législatif. Conseil des Cinq-cents. Projet de résolution présenté par Roëmers au nom d’une commission spéciale, sur le port de la cocarde nationale. Séance du 8 frimaire an VII (28. November 1798), Paris, An VII. 1251 Roëmers: Projet de résolution au nom d’une commission spéciale, sur le port de la cocarde nationale. 1252 Sie wurde zunächst aufgeschoben und am 2. Nivôse (27. Dezember) wieder aufgenommen. Offensichtlich bestanden bereits innerhalb der commission selbst große Differenzen, die vor der Versammlung diskutiert wurden. Immer wieder wurde die Diskussion vertagt, die Vorlage an die commission zurückgeschickt. 1253 Garr[e]au (de la Gironde) schlug vor, Ausländern sollte das Tragen allenfalls nach ausdrücklicher Genehmigung durch die Regierung erlaubt sein; vgl.: Séance du 2 nivôse, in: CORPS LÉGISLATIF. Procès-verbal des séances du conseil des cinq-cents, Bd. 40: Nivôse, an VII, Paris o. J., S. 62, sowie Moniteur n° 97, 7 nivôse VII (27. Dezember 1798). 1254 Garrau, Pierre-Anselm: Corps législatif. Conseil des Cinq-cents, Opinion de P.-A. Garrau (de la Gironde) sur le projet de résolution présenté par Rœmers sur le port de la cocarde nationale, Séance du 2 nivôse an VII, Paris, nivôse an VII, S. 3.

3.3 Bindungen und Verbindlichkeiten republikanisieren

377

France le signe de Cité.“1255 Ein weiterer Redner schlug mit ähnlicher Stoßrichtung vor, das Tragerecht ausdrücklich an den Besitz des französischen Bürgerrechtes zu knüpfen.1256 Der Wunsch einer Beschränkung der Kokardenpflicht entstand entsprechend aus der Absicht heraus, das Symbol zu stärken. Gleichzeitig hätte dies die endgültige Umwandlung des Symbols von einem politischen Bekenntniszeichen in ein Distinktionsmerkmal mit nationalistischer und militärischer Konnotation bedeutet. Andere Abgeordnete strebten demgegenüber eher nach einer verstärkten Kontrolle der Tragepflicht, zur besseren Absicherung der republikanischen Ordnung (der Grundidee der institutions républicaines entsprechend). Die meisten Mitglieder der Kommission hielten es am Ende für wünschenswert, die Gesetze zur Kokardenpflicht zu lockern und den Trägerkreis zu beschränken, um auf diese Weise das Symbol umso wirksamer erscheinen zu lassen und den sozialen Konsens wiederherzustellen. Nur wenige Abgeordnete teilten hingegen die Ansicht Duplantiers, der in integrativer Absicht auch Frauen aufgrund ihrer Bedeutung für die Nation das Recht der Kokarde zugestehen wollte.1257 Kinder, Kriminelle und Ausländer sollten nach Meinung der Mehrheit ohnehin kein ‚Recht‘ auf die Kokarde erhalten.1258 In unterschiedlichem Ausmaß waren sich die Abgeordneten bewusst, dass sie mit einer solchen Politik neue ‚Distinktionsformen‘ schufen. Bonnaire präsentierte am 19. Ventôse VII (9. März 1799) dem Conseil des Cinq-cents einen umfangreichen Bericht und Gesetzesvorschlag, in dem er sich deutlich dafür aussprach, das Zeichen als positives Unterscheidungsmerkmal neu zu beleben: „ce n’est pas ce que nous avons de commun avec tous les autres qui nous flatte le plus, c’est ce qui nous en distingue“1259. Im Kontext der Formierung der Zweiten Koalition steigerte sich das Nationalgefühl bis hin zu xenophoben Auswüchsen. 1255

Bonnaire, Félix: Corps législatif. Conseil des Cinq-cents. Opinion de Bonnaire (du Cher) contre le projet de résolution présenté au nom d’une commission spéciale par Roëmers sur la cocarde nationale, Séance du 6 nivôse an VII (26. Dezember 1798), Paris, nivôse an VII. 1256 Vgl. Moniteur n° 110, 11 nivôse VII (31. Dezember 1798). 1257 Vgl. Duplantier, Jacques-Paul-Fronton: Corps législatif. Conseil des Cinq-cents. Opinion de J. P. F. Duplantier, député du département de la Gironde, sur le projet relatif à la cocarde nationale, Séance du 3 floréal an VII (22. April 1799), S. 5. 1258 Vgl. WRIGLEY: The Politics of Appearances, S. 119. 1259 Bonnaire, Félix: Corps législatif. Conseil des Cinq-cents. Rapport fait par Bonnaire (du Cher), au nom d’une commission spéciale, sur la cocarde nationale, Séance du 19 ventôse an VII, Paris, ventôse an VII, S. 4. Bestimmten Kreisen sollte das Recht aberkannt werden, die Kokarde zu tragen: allen voran den Ausländern, in der Konsequenz aber auch allen, denen die Verfassung des Jahres III (Artikel 12 und 14) die Bürgerrechte

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3. Gesellschaft als Projekt

Die Idee der grande nation bestimmte gleichzeitig die politischen Debatten, der Wunsch nach einer hegemonialen Stellung in Europa war trotz der zahlreichen Rückschläge im Kriegsgeschehen ungebrochen.1260 Bonnaire argumentierte erneut: Alle Franzosen seien Soldaten, einige darüber hinaus gemäß Titre II der Verfassung auch Bürger; diese sollten die Kokarde als Zeichen ihrer Stellung tragen dürfen.1261 Umgekehrt bedeutete dies, dass all diejenigen, die ohne Kokarde in der Öffentlichkeit gesehen wurden, fortan damit rechnen mussten, für einen Ausländer, zurückgekehrten Emigranten oder Gesetzesbrecher gehalten zu werden.1262 Aus der ursprünglich vorgeschriebenen Tragepflicht hätte sich ein verfassungsmäßig verbrieftes Tragerecht entwickelt. Die Franzosen könnten über das Zeichen in der Öffentlichkeit selbstbewusst von der Überlegenheit der französischen Nation Zeugnis ablegen: „un signe de prééminence sur les autres nations de l’Europe“1263. Die Idee Lafayettes, das dreifarbige Zeichen werde ausgehend von Frankreich die Welt erobern, war damit um einen imperialistischen Unterton erweitert worden.1264 Auffällig erscheint, dass auch dieses Instrument der Symbolpolitik eng mit der Systemdebatte und der Frage nach der Zukunft der Republik verknüpft wurde. Der Idee der Kokarde als militärischem Ehrenzeichen widersetzte sich eine Gruppe von Abgeordneten, die sich eher für eine Wiederbelebung des Symbols der Kokarde als allgemeines Zeichen der Republik aussprachen. Jacques Paul Fronton Duplantier, François Guillaume Jean Stanislas Andrieux und Jean-François Eude verstanden die Kokarde als „un emblème de républicanisme, un signe d’esprit public“1265. Sie werteten das Abzeichen als ein Symbol der erneuerten Nation gegen den Despotismus und sprachen sich infolgedessen für ein uneingeschränktes Tragerecht aus, unabhängig von versagte, d. h. Emigranten, Hausangestellten, Geisteskranken und zu ehrenrührigen Strafen Verurteilten; vgl. dazu auch DEVOCELLE: La cocarde directoriale, S. 362. 1260 Vgl. dazu allgemein BÉLISSA, Marc: Repenser l’ordre européen 1795–1802, Paris 2006. 1261 Frauen und Kinder waren dieser Logik zufolge erneut vom Tragen der Kokarde ausgeschlossen, ebenso wie all jene, denen keine Bürgerrechte zustanden. Zur Idee der grande nation vgl. Kapitel 2.4.4. 1262 Die Kokarde sollte in diesem Sinne weniger aktiv benutzt werden, um Politik zu machen (wie z. B. der Kalender); sie spiegelte eher eine bestimmte politische Entwicklung wider. 1263 Bonnaire: Opinion contre le projet de résolution. 1264 Vgl. DEVOCELLE: La cocarde directoriale, S. 363. 1265 Andrieux, François: Corps législatif. Conseil des Cinq-cents. Opinion d’Andrieux (de la Seine) sur le projet de loi relatif à la cocarde nationale, Séance du 12 floréal an VII (1. Mai 1799), Paris, Floréal an VII, S. 3. Der Moniteur erwähnt diesen Redebeitrag nicht. Vgl. dazu DEVOCELLE: La cocarde directoriale, S. 364.

3.3 Bindungen und Verbindlichkeiten republikanisieren

379

Geschlecht, Alter oder sozialer Stellung. Andere Beiträge beschworen den gemeinschaftsstiftenden Charakter der Kokarde als adäquates Mittel zur Wiederherstellung der gesellschaftlichen Einheit. Vergangenheit und Zukunft könnten in dem erneuerten Symbol miteinander versöhnt und die Nation in eine postrevolutionäre Ordnung überführt werden. Einzelne Redner stellten eine ähnliche Schicksalsverbindung zwischen der Kokarde und der Republik her, wie sie im Diskurs über den Revolutionskalender beobachtet werden konnte. Eschassériaux betonte, die Kokarde sei ‚eine derjenigen republikanischen Institutionen, deren Aufrechterhaltung wesentlich mit unserer politischen Existenz zusammenhängt‘.1266 Die ruhmvolle Erinnerung an die Revolution werde immer wieder den Geist der Menschen wachrufen, würde ihre Rechte, ihre Macht und ihre Würde sinnlich erfahrbar machen: Die Kokarde sei ein Schild, an dem sich die Anstrengungen ihrer Feinde brechen würden. Gerade aus diesem Grund dürfe das Tragerecht nicht auf eine soziale Schicht begrenzt werden und damit neue Hierarchien hervorbringen: In einem republikanischen Staat werde nur ‚ein einziger Körper‘ und ‚ein einziger Geist‘ gebraucht; Toleranz sei daher empfehlenswerter als Einschränkung und verspreche starke Impulse für eine Stabilisierung der Gesellschaft. Auch die Verfassung diente als Argumentationshilfe: Jean-François Eude kritisierte, zur Ausübung der Bürgerrechte, wie zum Beispiel des Wahlrechtes, sei kein äußeres Zeichen nötig. Im Gegenteil sah Eude darin einen Widerspruch zur Verfassung des Jahres III, die Distinktionszeichen außerhalb der Amtsführung von Beamten und Staatsdienern ausdrücklich verbiete.1267 Die Befürworter einer Ausweitung des Trägerkreises beklagten stärker als ihre Kollegen die Missachtung und demonstrative Ablehnung der dreifarbigen Ansteckschleife während der Jahre des Direktoriums; die Kokarde sei mehr und mehr aus dem öffentlichen Raum verschwunden.1268 Hätten 1794/95 die Gegner der Republik die Kokarde zerrissen, getreten oder anderweitig geschändet,1269 würde sie seither schlicht nicht getragen oder geschickt durch Bänder, Hüte oder 1266

Vgl. Eschassériaux, René: Corps législatif. Conseil des Cinq-cents. Opinion d’Eschassériaux jeune sur le projet de résolution relatif à la cocarde nationale, Séance du 3 floréal an VII (22. April 1799), Paris, floréal an VII, S. 1. 1267 Vgl. WRIGLEY: The Politics of Appearances, S. 119. 1268 Vgl. Rapports de surveillance du Bureau Central du Canton de Paris, in Auszügen veröffentlicht bei AULARD: Paris pendant la réaction. Außerdem vgl. Procès-verbaux des commissaires de police des sections, A.P.P., AA 48 bis 266. Für das Jahr VII außerdem in den Archives nationales Série Esprit public F1 C-III, Seine 20 und F7 3843. 1269 So zumindest der Katalog der Schändungen bei Gastin, Louis-Alexandre: Corps législatif. Conseil des Cinq-cents, Opinion de Gastin, sur le projet de résolution relatif à la

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3. Gesellschaft als Projekt

Ähnliches verborgen, wenn nicht einfach in der Tasche getragen. Die ursprüngliche Idee der Gesetzgeber, über die unmittelbare Sichtbarkeit des Bekenntniszeichens die Einstellungen der Bürger zu Revolution und Republik zu kontrollieren, erschien damit gescheitert. Eine Erneuerung der ‚Institution‘ versprach somit auch einen erneuten Zugewinn an Schutz für die Patrioten: Eschassériaux meinte, durch die Kokardenpflicht könne verhindert werden, dass diese in Krisenregionen zur leichten Zielscheibe der Gegenrevolutionäre würden. Gastin sah in dem Abzeichen gar eine Art Heilmittel gegen die Gruppe der Royalisten: Wie ein Hydrophober das Wasser scheue, so fürchteten die Royalisten das Zeichen der politischen Erneuerung (régénération).1270 Nur ein Abgeordneter sprach sich gegen jede Form der Symbolpolitik mittels Kokarden aus.1271 Andrieux fragte sich, ob die Kommission nicht Zeichen und Inhalt verwechsle, Schein mit Wirklichkeit oder auch Wirkung und Ursache. Die öffentliche Meinung sollte doch besser solcherart gefördert und ermutigt werden, dass das Tragen der Kokarde eine natürliche Folge dieser Politik sei, und nicht umgekehrt. Die Möglichkeiten der Gesetzgebung seien begrenzt, und bevor man über die Kokarde berate, sei es doch vielleicht wichtiger, über die republikanischen Institutionen1272, das Erziehungswesen oder die Finanzen zu entscheiden. Der Parteiengeist sei zu überwinden und zu vernachlässigen; zuallererst gehe es darum, die öffentliche Ordnung und die Wirtschaft wiederherzustellen. Andrieux sah in der Kokarde ein kleines, unauffälliges Zeichen, welches viele Völker benutzten – mit völlig unterschiedlicher Bedeutungszuschreibung.1273 Den Vorschlag, das Zeichen fortan im Rahmen von Zeremonien feierlich zu überreichen, lehnte er als ‚leblos‘ und uninteressant ab. Er sprach sich demgegenüber für ergreifende, mitreißende und emotionale Institutionen aus, wie sie die Kirche und die Alten für sich zu nutzen verstanden hätten und die im modernen Frankreich fehlten. Das Bulletin décadaire spende den sterbenden Soldaten auf dem Schlachtfeld wohl kaum Trost. Letztlich blieb es Bonaparte und dem Konsulat überlassen, eine Lösung für dieses Bedürfnis nach Auszeichnung und Ehrung zu finden und dabei zumindest dem Anschein nach das republikanische Gleichcocarde nationale, Séance du 29 floréal an VII (18. Mai 1799), Paris An VII, S. 8. Der Moniteur erwähnt diesen Redebeitrag nicht. 1270 Vgl. ebd. 1271 Vgl. Andrieux: Opinion sur le projet de loi relatif à la cocarde nationale, 12 floréal an VII, S. 3. Zum Folgenden vgl. ebd., S. 3ff. 1272 Andere Abgeordnete zählten die Kokarde zu diesen Institutionen, s. o. 1273 Vgl. Andrieux: Opinion sur le projet de loi relatif à la cocarde nationale, S. 15f. Zum Folgenden vgl. ebd., S. 17.

3.4 Hochfeste instrumentalisieren

381

heitsideal aufrechtzuerhalten. Die Debatte des Direktoriums endete ohne Beschlussfassung am 29. Floréal VII (18. Mai 1799) mit dem Redebeitrag von Gastin.1274 Die von den Neo-Jakobinern geprägte Versammlung nahm das Thema entsprechend nach dem Staatsstreich gegen das Direktorium nicht mehr auf. Im Konsulat wurden Kokarden weiterhin getragen. Öffentliche Debatten darum gab es aber kaum noch.1275 Am 1. Pluviôse VIII (21. Januar 1800) vermerkt ein Polizeibericht, Teilnehmer an der Zeremonie, die keine Kokarden getragen hätten, seien durch abfällige Bemerkungen über die republikanischen Institutionen aufgefallen; das Tragen von Kokarden sollte folglich besser überwacht und gewährleistet werden.1276 Am 4. Prairial (24. Mai), ungefähr ein Jahr nach der Debatte im Rat der Fünfhundert, war in der Gazette de France zu lesen, das Tragen der gesetzlich vorgeschriebenen Kokarde sei nach wie vor weit verbreitet.1277 Bonaparte trug noch als Kaiser Napoleon – ebenso wie seine Soldaten – stets das dreifarbige Abzeichen am Hut. Und Kokarden hatten auch nach 1815 noch politische Bedeutung: als Zei3.4 Hoch- chen der bourbonischen Restauration. In Abgrenzung zu der dreifarbifeste instru- gen Kokarde der Revolution wählten die Anhänger der Monarchie die 1278 mentalisierenweiße Anstecknadel als Gesinnungszeichen aus.

3.4

Hochfeste instrumentalisieren: Revolutionsfeste und Nationalfeiertage

Warnen, Bekräftigen, Bekämpfen, Rächen, Erinnern, Vergessen, Sensibilisieren, Stabilisieren, Versöhnen, Zusammenbringen, Zeigen, Erziehen, Bewerten, Erneuern, Beenden, Verherrlichen, Heroisieren, Sakralisieren – die Ziele, welche sich mit der Durchführung von Festen verbanden, waren vielfältig. Feste boten Gelegenheit, Herrschaft durch performative Akte neu zu begründen, das Bild der gewählten Reprä1274

Vgl. Gastin: Opinion sur le projet de résolution relatif à la cocarde, S. 4; dazu auch DEVOCELLE: La cocarde directoriale, S. 364. 1275 Vgl. WRIGLEY: The Politics of Appearances, S. 121f. 1276 Vgl. AULARD, François-Alphonse (Hrsg.): Paris sous le Consulat. Recueil de documents pour l’histoire de l’esprit public à Paris, 4 Bde., Paris 1903–1909, Nachdruck New York 1974, Bd. 1, S. 113. 1277 Gazette de France, 4 Prairial an VIII (14. Mai 1800), zitiert nach WRIGLEY: The Politics of Appearances, S. 122. Dort auch zum Folgenden. 1278 Louis Dessaux-Lebrethon erhob in einem Pamphlet den Anspruch, als Erster dieses alte Gesinnungszeichen wieder reaktiviert zu haben: Dessaux-Lebrethon, Louis: Mes Angoisses de 30 heures, dans les journées des 5 et 6 Avril 1814, pour avoir, le premier, aboré le signe chéri des Français: la cocarde blanche, Gent, Mai 1815, S. 1 und S. 39.

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3. Gesellschaft als Projekt

sentanten öffentlich zu kommunizieren und eine Anhängerschaft für die eigene Sache zu mobilisieren. Die Hochfeste des katholischen Kirchenjahres sollten nach Wunsch der Republikaner durch ‚neue‘ Veranstaltungstypen ersetzt werden. Als aus dem Alltag herausgehobene Ereignisse versprachen sie, eine besondere Wirkung auf die Bürger zu entfalten.1279 Gerade die Debatte über die revolutionäre Festpolitik spiegelt den Wunsch der Republikaner, die Gesellschaft ‚als Projekt‘ bewusst zu gestalten. Die Feste waren vielleicht die wichtigsten ‚republikanischen Institutionen‘ zur politischen und moralischen Erziehung der Staatsbürger; gleichzeitig ermöglichten sie die Kontrolle politischer Einstellungen und dienten als Instrumente zur Bekämpfung unerwünschter Meinungen. Die Etablierung eines Festkalenders durch Thermidorianer und Direktorialisten knüpfte an Überlegungen der Konstituante und Legislative an, welche jedoch ohne Ergebnis geblieben waren.1280 Über Feste sollte die affektive Seite der Franzosen angesprochen werden, um sie von innen heraus zu ändern: Schon Mirabeau hatte davon gesprochen, die Menschen über öffentliche Feiern ‚bei allen ihren Sinnen zu packen‘ („ce qui saisit l’homme par tous les sens“1281); spätestens 1279

‚Neu‘ waren diese Feste insbesondere in ihrer flächendeckenden Verbreitung und antiklerikalen Stoßrichtung. ‚Öffentliche‘ Feste mit politisierender Tendenz kannte man bereits lange vor dem 18. Jahrhundert; bereits die Entwürfe der Aufklärungszeit gaben den Festen den Charakter von staatlichen Veranstaltungen. Vgl. u. a. MÜNCH, Paul: Fêtes pour le peuple, rien par le peuple. ‚Öffentliche‘ Feste im Programm der Aufklärung, in: DÜDING, Dieter, Peter FRIEDEMANN und ders. (Hrsg.): Öffentliche Festkultur. Politische Feste in Deutschland von der Aufklärung bis zum Ersten Weltkrieg, Reinbek bei Hamburg 1988, S. 25–45; zu den Gestaltungsprinzipien der Feste der Aufklärung vgl. HEIDRICH: Fest und Aufklärung, S. 50–157. 1280 Bei den Nationalfesten vor 1794 hatten dabei stets auch pragmatische Sachzwänge eine große Rolle gespielt: So zielte beispielsweise das Föderationsfest vom 14. Juli 1790 auf eine Rückgewinnung der Kontrolle über alle Waffenträger des Landes, die auf den revolutionären Geist der Hauptstadt eingeschworen werden sollten; 1791 geriet die Pantheonisierung Voltaires zur Drohkulisse gegenüber dem revolutionsfeindlichen König, und 1792 musste sich die Legislative mit Inszenierungen wie dem Fest des Rechts gegen die wachsende radikal-republikanische Opposition behaupten. Nach dem Sturz der Monarchie bemühte man sich verstärkt um eine Systematisierung und Vereinheitlichung der Feste, welche als Inszenierungen der Volksgemeinschaft dazu beitragen sollten, das Legitimitätsdefizit der Republik zu verringern. Das Fest der Einheit vom 10. August 1793 stellte den Versuch dar, den Bürgerkrieg zu überwinden, das Fest des Höchsten Wesens von 1794 war der Versuch der Partei Robespierres, den atheistischen Vernunftkulten des Winters 1793/94 eine Absage zu erteilen und die eigene Vision staatlich-bürokratischer Moralerziehung durchzusetzen – um nur die wichtigsten aus einer Liste möglicher Beispiele zu nennen. 1281 Mirabeau, in: ARCHIVES PARLEMENTAIRES, Bd. 30, S. 528, séance du 10 septembre 1791.

3.4 Hochfeste instrumentalisieren

383

jedoch nach der Krise des Sommers 1793 avancierten die Nationalfeste im politischen Diskurs zu Heilmitteln gegen nahezu jedes gesellschaftliche Übel beziehungsweise – positiv gewendet – zu den beliebtesten Hilfsmitteln zur Errichtung der ‚neuen Gesellschaft‘.1282 Als öffentliche Bürgerversammlungen schienen sie ein idealer Ort für die Belehrung des Einzelnen über seine Rechten und Pflichten gegenüber der staatsbürgerlichen Gemeinschaft.1283 Unabhängig von ihren Differenzen experimentierten alle politischen Lager mit dem gemeinschaftsstiftenden Ferment der nationalen Feste. Dennoch wird die einseitige Betonung der Kontinuitätsthese1284 dem komplexen Phänomen nicht gerecht: Die Feiern zeichneten sich gerade durch ihre Aktualität, durch ihre Wandlungsfähigkeit und Kontextgebundenheit aus. Wie viele Feste insgesamt zu feiern seien, aus welchem Anlass, moralisch oder politisch motiviert, pompös oder schlicht, mit Rahmenprogramm, Theateraufführungen oder sportlichen Wettkämpfen – alle diese Fragen waren politisch umstritten. Hinter verschiedenen Konzepten verbargen sich unterschiedliche Auffassungen über die Aufgaben und die Rolle des Staates, und dies keineswegs nur bezüglich der Moralerziehung und Religionspolitik. Je nachdem, wer in Paris das Parlament dominierte oder die Regierungsgeschäfte lenkte, sollte die Festkultur höchst unterschiedliche Ausprägungen annehmen. Der Festdiskurs war untrennbar mit machtpolitischen Auseinandersetzungen verwoben. Durch die doppelte Funktionalisierung der Feste als ‚Schulen‘ der Republik und ‚Waffen‘ im Kampf gegen Gegenrevolution und Republikfeinde ergaben sich in der republikanischen Rhetorik Widersprüche. Kaum ein Fest der Jahre 1794 bis 1799 wurde konfliktfrei geplant, geschweige denn eine dauerhafte Vereinheitlichung des Festkalenders erreicht – trotz mehrfacher gesetzlicher Regelungsversuche. Erst das Konsulat löste dieses Problem, durch eine Beschränkung 1282

Mittels der Feste hoffte man, der Republik zur Ruhe zu verhelfen: „Citoyens, vous cherchez au milieu des orages révolutionnaires de rendre le calme à la République.“ Chénier, in: ARCHIVES PARLEMENTAIRES, Bd. 78, S. 373, séance du 5 novembre 1793. 1283 „Ces fêtes, instituées sous les auspices de l’Etre suprême, auront pour objet de réunir tous les citoyens, de leur retracer les droits et les devoirs de l’homme en société, de leur faire chérir la nature et toutes les vertus sociales.“ Ebd. Meinzer geht davon aus, dass trotz der ausdrücklichen Erwähnung des Höchsten Wesens die Konzepte des Jahres 1793 aus dem Kreis der Anhänger des Vernunftkultes stammten (vgl. „Temples de la Raison“, Anlässe von Natur, Wahrheit und Patriotismus bis hin zu Elektrizität). Vgl. MEINZER: Der französische Revolutionskalender, S. 54. Zumindest ist die antiklerikale Stoßrichtung deutlich zu erkennen. 1284 Vgl. Ozoufs zusammenfassende Beschreibung des Revolutionsfestes („La fête révolutionnaire“): OZOUF: La fête, passim. Dazu vgl. auch SCHRÖER: Spektakel des Umbruchs, passim.

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3. Gesellschaft als Projekt

von zwölf1285 (!) auf zwei kalendarische Nationalfeste pro Jahr (14. Juli und 1. Vendémiaire). Neue revolutionäre journées oder Staatsstreiche, die zu solchen erklärt wurden, führten im Direktorium immer wieder zu neuen Interpretationen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und machten die Festveranstaltungen zu geschichtspolitisch aufgeladenen Orten der republikanischen Selbstvergewisserung. 1799 glaubte niemand mehr ernsthaft, das Fest sei spontaner Ausdruck revolutionärer Gesinnung. Die minutiöse Planung entlarvte die Veranstaltungen als eine neue Form der Einflussnahme auf die Bürger und die öffentliche Meinung – in ähnlicher Form, wie man es für das Ancien Régime der Kirche unterstellt hatte.

3.4.1 Zwei ‚politische Sekten‘: Empfindsamkeit oder Pomp? Im Hinblick auf Fragen des Inszenierungsstils der Feste bildeten sich nach und nach zwei republikanische Lager heraus: Anhänger pompöser allegorischer Bildwelten einerseits, Vertreter spartanischer Nüchternheit, wenn nicht gar prinzipielle Symbolskeptiker andererseits. Die Übergänge zwischen den Positionen waren teilweise fließend: Auch pompöse Inszenierungen konnten mit ‚sterilen‘ Bildern arbeiten; ebenso bedienten sich ‚schlichte‘ Zeremonien häufig einer gewissen Allegorik zur Veranschaulichung einer Kernbotschaft. Es wurden durchaus auch Kompromisse gesucht; beide Ansätze waren prinzipiell mit der Idee einer gefühlsbetonten Empfindsamkeit (zum Beispiel über Natursymbolik) kombinierbar. Dennoch: Im Zuge der politischen Auseinandersetzungen entstanden immer deutlicher zwei Lager, die sich in der Wahrnehmung der Zeitgenossen (sowie durch deren aktives Vorantreiben des Polarisierungsprozesses) klar voneinander unterschieden. Die beiden zu beobachtenden Inszenierungsstrategien stehen am Ende für unterschiedliche Konzepte republikanischer Bildungs- und Religionspolitik. Thibaudeau spricht im Zusammenhang mit der Debatte um die Amtstrachten in seinen Memoiren von zwei ‚politischen Sekten‘, die

1285

Und damit sind nur die kalendarischen Feste des Zweiten Direktoriums gezählt: 21. Januar, 14. Juli, 9. Thermidor (27. Juli), 10. August, 18. Fructidor (4. September), 1. Vendémiaire (22. September); Fête de la Souveraineté du Peuple (30. Ventôse, 20. März), de la Jeunesse (10. Germinal, 30. März), des Époux (10. Floréal, 29. April), de la Reconnaissance (10. Prairial, 29. Mai), de l’Agriculture (10. Messidor, 28. Juni), de la Vieillesse (10. Fructidor, 27. August). Zusätzlich hatte man 1799 z. B. des Mordes an den Gesandten von Rastatt (20. Prairial, 8. Juni) sowie des Todes von General Joubert (Fructidor VII–Vendémiaire VIII, August–September 1799) mit Nationalfesten gedacht.

3.4 Hochfeste instrumentalisieren

385

sich herausgebildet hätten. Er vergleicht sie mit den beiden Konfessionen der christlichen Religion: Nous formions à cet égard deux sectes politiques, comme les catholiques et les protestants en fait de religion: l’une voulait commander le respect par l’appareil du pouvoir, l’autre par la simplicité et de bonnes lois. On citait l’exemple des deux seuls peuples libres sur la terre, l’Angleterre et les EtatsUnis, où les représentants n’ont aucune distinction. On opposait celui du clergé catholique et des anciennes républiques; la secte des costumes l’emporta.1286

In Abgrenzung zu den Festen des Jahres II (1793/1794), die als ‚pompös‘ und ‚monarchisch‘ abqualifiziert wurden, bemühten die Thermidorianer im Jahr III (1794/95) schwerpunktmäßig das ‚protestantische‘ Modell – ohne dabei jedoch ganz auf Inszenierungen im öffentlichen Raum verzichten zu wollen, wie es grundsätzlichen Symbolskeptikern wie Thibaudeau sicherlich noch lieber gewesen wäre. Über einfache und empfindsame Zeremonien sollte das Projekt der staatsbürgerlichen Erziehung wieder aufgenommen werden. Der Abgeordnete Chénier plädierte für einen weniger sterilen, dafür aber umso feierlicheren Charakter bei der Ausgestaltung der zukünftigen Feiern: il est nécessaire, il est instant d’imprimer aux fêtes nationales un caractère solennel, et d’en écarter sans retour les détails minutieux, les images stériles, également indignes du génie du peuple, et des talents qu’il rallie autour du char de la liberté.1287

Weiterhin stand Rousseau für viele Ideen Pate – stärker noch als zuvor wurde nun jedoch die in dessen Werken ebenfalls zitierte Antike zum eigentlichen Vorbild der Festkultur erklärt. Rousseau hatte die höfischen ‚Belustigungen‘ als gemeinschaftsfeindliche, das Publikum zur Passivität ermutigende Veranstaltungen kritisiert, welche den Menschen von seinen Pflichten ablenkten.1288 Heimische Festbräuche sollten erneuert und unter Rückgriff auf antike Traditionen ergänzt werden; Pomp sollte durch Einfachheit und Naturbezogenheit ersetzt und so der ‚natürliche‘ Zusammenhang von Kunst, Religion und Politik wiederhergestellt werden.1289 Der Abgeordnete Chénier argumentierte im 1286

Thibaudeau, Mémoires [= Ausgabe von 1824], Bd. 2, S. 331. Moniteur n° 8 bis, Supplément à la Gazette nationale du 8 vendémiaire III (29. September 1794), CN, séance du 7 vendémiaire. 1288 Vgl. Rousseau: Considérations, S. 962. 1289 Vgl. OESTERLE, Günter: Suchbilder kollektiver Identitätsfindung. Die öffentlichen Feste während der Französischen Revolution und ihre Wirkung unter den Deutschen, in: SCHÜTZ, Erhard und Klaus SIEBENHAAR: „Vergangene Zukunft“. Revolution und Künste 1789–1989, Bonn u. a. 1989, S. 129–152, S. 135 und S. 141. 1287

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3. Gesellschaft als Projekt

Rat der Fünfhundert, das ganze System der instruction publique sei durch die Dominanz einer kleinen Gruppe von Bevormundern in Gefahr geraten.1290 Keine Spiele, keine Arenen, keine Bankette im Sinne des spartanischen Vorbilds habe man in den letzten Jahren gesehen; viele der talentiertesten Künstler des Landes hätten in Verstecken oder Gefängnissen ihre Talente verbergen müssen.1291 Allein die Komponisten und Autoren von republikanischen Hymnen und Gesängen (wie unter anderem Chénier selbst) seien der Idee der Republik treu geblieben; diese wahrhaft volkstümliche Kunst gelte es auch in Zukunft hochzuhalten. Man könne nicht von heute auf morgen Wunder vollbringen. Aber republikanische Lieder und szenische Spiele seien diejenigen Medien, mit denen man von nun an arbeiten wolle. Der Befund aus Kapitel 2.4 zur Darstellungsseite der Festpolitik kann durch eine genauere Analyse der damit verbundenen Intentionen und Argumentationsstrategien erhärtet werden: Die Selbstdarstellung der Republik war nach dem Ende der Jakobinerherrschaft in einer schweren Krise; die symbolpolitischen Kontroversen rund um den Jahreswechsel 1794/95 zeugen von einer politischen Übergangszeit, die nicht widerspruchsfrei war. Erst nach und nach bildeten sich klare Lager heraus, die für verschiedene politische Konzepte standen. Zunächst wurden republikanische Kontinuität und republikanischer Neuanfang gleichzeitig auf verschiedensten Politikfeldern verhandelt. Gerade in Zeiten der Unsicherheit und des Umbruchs sollte dabei der Organisation der Nationalfeste eine gewisse Schlüsselrolle zukommen: Boten sie den zertrittenen ‚Parteien‘ doch gleichermaßen die Möglichkeit zur Mobilisierung von Anhängerschaft sowie zur Verbreitung der eigenen Ideen in allen Landesteilen, auch über die Hauptstadt hinaus. Die republikanische Institution ‚Fest‘ galt allen Parteien als eine Art Fundament für weitere Richtungsentscheidungen. Erste Kontroversen zwischen Jakobinern und der infolge des Staatsstreiches gegen Robespierre entstandenen ‚neuen‘ politischen Gruppierung der ‚Thermidorianer‘ (zunächst eine Sammelbezeichnung für ‚gemäßigte‘ Republikaner)1292 entstanden rund um die Inszenierung des Festzugs zur Pantheonisierung von Jean-Paul Marat (5e jour des sans1290

Vgl. Moniteur n° 8 bis, Supplément à la Gazette nationale du 8 vendémiaire III (29. September 1794), CN, séance du 7 vendémiaire. 1291 Das Fest der Einheit vom 10. August 1793 habe allein 1.200.000 Livres gekostet – eine Summe, von der zahlreiche Artisten dauerhafte Meisterwerke in Bronze oder Marmor hätten erschaffen können (und sollen). Vgl. ebd. Dort auch zum Folgenden. 1292 Vgl. BACZKO, Bronislaw: Art. ‚Die Thermidorianer‘, in: FURET, François und Mona OZOUF: Kritisches Wörterbuch der Französischen Revolution, Bd. 1, Frankfurt am Main, S. 660–680.

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culottides II, 21. September 1794) – einer höchst widersprüchlichen Veranstaltung, die Inszenierungsstrategien der Jakobiner mit neuen Elementen kombinierte und deren Glanzlosigkeit im Ergebnis eher den Thermidorianern zum Vorteil gereichen sollte.1293 Anschließend nutzte die Fraktion der Gemäßigten in den Parlamentsausschüssen ihren gewachsenen Einfluss, um anlässlich der weiteren bevorstehenden Feste (Apotheose Rousseaus am 20. Vendémiaire III, 11. Oktober 1794, sowie ‚Fest der Siege‘ vom 30. Vendémiaire, 21. Oktober) einen eigenen, vermeintlich ‚neuen‘ Inszenierungsstil zu entwickeln. Die Pantheonisierung Rousseaus war durch den politischen Umbruch des Sommers nicht in Frage gestellt worden; erklärtes Ziel war es im Gegenteil, die Franzosen beim Festakt für den großen republikanischen Vordenker Streit und Bürgerkrieg der vergangenen Jahre vergessen zu machen und sie auf ihrem Weg zur (republikanischen) Tugend weiter zu bestärken.1294 Lakanal lobte Rousseau als Erfinder der ‚Wissenschaft der Freiheit‘, der inmitten von Ablehnung und Unverständnis mit seinem Émile die Basis für die Revolution geschaffen habe:1295 Seine Schrift habe der Menschheit den Weg zur Tugend gewiesen und eine Revolution der Institutionen und Sitten eingeleitet. Inzwischen habe man auch die Bedeutung des Contrat social verstanden und begonnen, nach dessen Vorbild das ‚soziale Gebäude‘ in Frankreich neu zu errichten. Im Anschluss an die Pantheonisierung bemühten sich führende Köpfe der Thermidorianer, wie unter anderem Chénier, den Erfolg der Veranstaltung als Ergebnis der eigenen Festpolitik zu interpretieren. Chénier sprach von tiefen Emotionen beziehungsweise einer ‚religiösen Melancholie‘, welche durch die Feierlichkeiten bei den Anwesenden wachgerufen worden seien: „tout remplissait l’ame d’une mélancholie religieuse, d’un sentiment délicieux & profond, digne du bon, du sensible Jean-Jacques“1296. Nach diesem Vorbild, so Chénier, solle auch das zehn Tage später stattfindende Fest der Siege beim Publikum große Wirkungen erzielen, gleichzeitig jedoch einen noch ‚männlicheren und ernsteren Charakter‘ haben. Die Zeiten des ‚Despotismus der Imaginationen‘ mit seinem ‚zivilen Rauschgold‘ und seinen ‚prätentiösen Lumpen‘ sei vorbei – ‚einfach und groß‘ sollten sich die Feste fortan dem 1293

Vgl. Kapitel 2.4.1 und 4.4. Vgl. auch die Darstellung des Festes als ‚Apotheose‘: Girardet/Berthault: Apothéose de J. J. Rousseau. 1295 Vgl. Moniteur n° 362, 2e sansculottidie de l’an IIe (18. September 1794), CN, séance du 29 fructidor. 1296 Chénier: Rapport sur la fête des victoires, Qui doit être célébrée le décadi 30 vendémiaire, l’an III, S. 3. 1294

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Publikum präsentieren.1297 In ähnlicher Stoßrichtung reflektierte auch Merlin im Vorfeld der Fête des Victoires den Unterschied zwischen dem Fest als ‚bloßem Spektakel‘ oder als ‚vorbildlicher Ordnungserfahrung‘ für jeden einzelnen Bürger: Je conclus donc que dans une fête nationale le spectacle ne doit être qu’un accessoire, et non l’objet principal, non la fête toute entière; que le spectacle doit être court et ne point se faire attendre, afin qu’il y ait de l’ordre, et que cet ordre ne soit point pénible à ceux qui l’observent; et enfin que la partie de la fête où le peuple est acteur est la partie essentielle et doit être l’objet principal.1298

Um die selbstgesteckten Ziele zu erreichen, wollte Merlin jeden anwesenden Zuschauer möglichst aktiv am Festakt beteiligen – zumindest über das Medium der Musik. Zu diesem Zweck gelte es, nicht ein, sondern 13 Platzorchester bereitzustellen. Liedpassagen, welche am unmittelbarsten ein Gemeinschaftsgefühl ausdrückten, sollten von allen Anwesenden gemeinsam in einem großen Chor vorgetragen werden. Indem das Volk selbst singe, sei es gleichzeitig „spectateur, auteur et spectacle“; durch die ‚Masse der Stimmen‘ würden alle Anwesenden in ihren Gefühle angesprochen.1299 Die Feste des Jahreswechsels wurden genutzt, um der Öffentlichkeit einen Politikwechsel vor Augen zu führen. Die endgültigen Festprogramme realisierten zwar nicht alle vorgeschlagenen Ideen.1300 Dennoch wurden erkennbar neue Schwerpunkte gesetzt, die die Bindung zwischen dem Staat und seinen Bürgern anders als zur Zeit der Jakobinerdiktatur definierten und in Szene setzten. Beim Fest der Siege wurde eine quasi-religiöse Stimmung erzeugt, als der ‚Tempel der Unsterblichkeit‘ vor den Augen des Volkes und seiner Repräsentanten im Namen der Siege der französischen Armee geöffnet wurde und der Präsident 1297

Vgl. ebd. Moniteur n° 9 bis, Supplément à la Gazette nationale du nonidi 9 vendémiaire III (30. September 1794), CN, suite de la séance du 7 vendémiaire. 1299 Vgl. ebd. 1300 Chénier präsentierte drei Tage vor dem Festtag das überarbeitete Programm. Erneut nutzte er den Anlass zu einer Abrechnung mit der Symbolpolitik des Jahres II, die als ‚dumm‘, ‚verschwörerisch‘, ‚ignorant‘ und ‚barbarisch‘ abqualifiziert wird: „Une commission sage, éclairée, labourieuse, amie de la philosophie, et par conséquent des hommes, puisque la philosophie les rend meilleurs, a remplacé cette commission imbécile et conspiratrice, qui sous le joug sanglant de Robespierre, organisait avec tant de soin l’ignorance et la barbarie. Il faudra bien encore épurer la commission temporaire des arts, et y porter comme en triomphe ces artistes célèbres et opprimés, qui n’avaient commis d’autre délit que d’avoir offensé, par des succès mérités, l’orgueil d’un rival bassement jaloux.“, Moniteur n° 31, 1er brumaire III (22. Oktober 1794), CN, suite de la séance du 27 vendémiaire. 1298

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im Namen des französischen Volkes auf einer Pyramide die Namen der republikanischen Armeen und deren Siege verzeichnete. Nach der Rede des Konventspräsidenten versuchte man über gemeinsame Gesänge eine unmittelbare Gemeinschaftserfahrung zu erreichen; ausgewählt worden war der Chant du départ von Chénier und Méhul.1301 Die Kulisse auf dem Marsfeld war freilich noch dieselbe wie zum Fest des Höchsten Wesens und suggerierte visuell Kontinuität zur Republik des Jahres II (Abb. 25): Besonders der Berg in der Platzmitte erinnerte sicherlich viele der Anwesenden an die Zeit der Herrschaft der Montagne. Die ‚empfindsame‘ Dimension der Feste sollte im Jahr 1795 weiter gestärkt werden – als klares Signal der Ablehnung gegenüber dem opulenten und allegorielastigen Inszenierungsstil der Jakobinerdiktatur. Angesichts der anhaltenden Unruhen in der Hauptstadt sah man sich gezwungen, bestimmte Festakte nicht auf dem Marsfeld, sondern ausschließlich im Sitzungssaal des Konvents durchzuführen. Kaum jemand zog jedoch ernsthaft in Betracht, ganz auf das symbolpolitische Instrument der Feste zu verzichten; die jeweils mehrheitsfähige Fraktion bemühte sich, den Gedenkveranstaltungen die eigene Handschrift zu verleihen. So spielte am 2. Pluviôse III (21. Januar 1795) das Institut national de Musique zum Gedenken an die Hinrichtung des Königs eine sanfte und getragene Melodie auf. Es kam zum Tumult: Gemurmel und Rufe unterbrachen die Aufführung. Ein Abgeordneter stellte die Frage, ob die Feierstunde für oder gegen den Tyrannen Ludwig XVI. abgehalten werden solle – und unterstellte den Organisatoren indirekt eine royalistische Gesinnung: „J’ai seulement voulu demander si les musiciens, dans le morceau qu’ils viennent d’exécuter avaient entendu déplorer la mort du tyran, ou bien célébrer l’anniversaire de cette journée. (Quelques applaudissements.) Je demande qu’ils s’expliquent.“1302 Das Institut antwortete mit patriotischen Hymnen (unter anderem dem Ça ira) und einer offiziellen Erklärung seiner Treue zur Republik durch Gossec. Der Zwischenfall offenbart die hohe Politisierung der Symbolsprache, welche keinesfalls nur ‚schönes Beiwerk‘ war, sondern als unmittelbarer Ausdruck politischer Botschaften ernstgenommen wurde. Die Montagnards mussten jedoch trotz ihres erfolgreichen Protestes noch während des Festes eine weitere symbolische Niederlage hinnehmen: Nach der Rede des Konventspräsidenten zu Füßen der Freiheitsstatue im Garten der Tuilerien regte Olivier-Gérente die Einführung eines Festes zum 1301

Verletzte und Invaliden wurden in der Zeremonie besonders hervorgehoben; Rekruten der Militärakademie führten Manöver aus. Vgl. Chénier: Rapport sur la fête des victoires, Qui doit être célébrée le décadi 30 vendémiaire, l’an III, S. 5f. 1302 Moniteur n° 125, 5 pluviôse III (24. Januar 1795), CN, séance du 2 pluviôse.

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Jahrestag des 10. Thermidor (28. Juli) an, in Erinnerung an die Hinrichtung Robespierres. Der 21. Januar als Tag des Gedenkens an den gestürzten königlichen ‚Tyrannen‘ von 1792/93 stand somit sichtbar unter dem Eindruck der Verarbeitung der ‚zweiten Tyrannei‘ von 1794. Beifall brandete auf und bekundete Zustimmung zu dem Antrag; Gegenstimmen (unter anderem von Duhot) wurden übertönt.1303 Zwischen den Tyrannen der rechten und der linken Opposition gab es aus Sicht der Thermidorianer keinen Unterschied. Die Politik der ‚schlichten‘ und ‚empfindsamen‘ Zeremonien wurde weiter fortgesetzt. Die Trauerfeier für Féraud, der bei dem Sansculottenaufstand vom 1. Prairial III (20. Mai 1795) im Konvent ermordet worden war, war die erste ihrer Art seit Bestehen der Republik. Der Tod des Abgeordneten wurde zum Anlass genommen, gleichzeitig der Opfer weiter zurückliegender revolutionärer Volkserhebungen zu gedenken.1304 Die Thermidorianer betonten die instrumentelle Dimension der Zeremonie: Die Ehrung des neuen ‚Märtyrers‘1305 der republikanischen Sache erfolge im Dienste und zur Stützung der Republik; Féraud diene als ‚Vorbild‘, an welchem die französischen Bürger zukünftig ihre persönliche Pflicherfüllung für das Vaterland messen könnten. Gleichzeitig nutzte man den Anlass zur weiteren Abrechnung mit der Herrschaftspraxis der Jakobiner, insbesondere mit deren Komplizenschaft mit der Pariser Volksbewegung. Der Konvent (das ‚Heiligtum der Freiheit‘) wurde zum Schauplatz einer ‚erhabenen Zeremonie‘ für den Märtyrer erklärt, von der man sich größere Wirkung versprach als von einer pompösen Prozession mit anschließender Pantheonisierung. Eine Rede im Parlament und die anschließende Anbringung einer Inschrift auf dem Grab des Abgeordneten waren die einzigen vorgesehenen Programmpunkte.

1303

Vgl. ebd. Zur symbolpolitischen Verarbeitung zurückliegender Gewalterfahrungen vgl. auch: SCHRÖER, Christina: Sinnstiftung im Ausnahmezustand. Symbolik und Gewalt im Zeitalter der Französischen Revolution, in: STOLLBERG-RILINGER, Barbara, Tim NEU und Christina BRAUNER (Hrsg.): Alles nur symbolisch? Bilanz und Perspektiven der Erforschung symbolischer Kommunikation, Köln 2013, S. 209–239; THAMER, HansUlrich: „Freiheit oder Tod“. Zur Heroisierung und Ästhetisierung von Krieg und Gewalt in der Ikonographie der Französischen Revolution, in: KUNISCH, Johannes und Herfried MÜNKLER (Hrsg.): Die Wiedergeburt des Krieges aus dem Geist der Revolution. Studien zum bellizistischen Diskurs des ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts, Berlin 1999, S. 75–91. 1305 Vgl. Moniteur n° 250, 10 prairial III (29. Mai 1795), CN, séance du 6 prairial. Dort auch zum Folgenden. 1304

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Der Moniteur berichtete nachher, die Zeremonie sei von ‚Empfindsamkeit‘ und ‚Sensibilität‘ geprägt gewesen.1306 Eben diese Ideen wollte man in vermeintlich erzieherischer Absicht dem ‚Pomp‘ und der ‚Selbstbezogenheit‘ der Inszenierungen des Jahres II entgegensetzen. Der Ablauf der Veranstaltung spiegelte jedoch de facto vor allem die Zerstrittenheit des republikanischen Lagers wider: Weder gelang es den Gemäßigten, die eigene Macht zu stabilisieren, noch Impulse für eine allgemeine Beruhigung der Fraktionskämpfe in der Hauptstadt zu setzen – zu tief war der Konvent hinsichtlich der Beurteilung der Aufstands und seiner Folgen gespalten. Während einige Abgeordnete die neue ‚Sensibilität‘ unter dem Aspekt der ‚Versöhnung‘ interpretierten,1307 war bei anderen durch die neuen Vorfälle ein umso größerer Wunsch nach ‚Wiedergutmachung‘ und öffentlichem ‚Bedauern‘ entstanden. Thibaudeau forderte die Durchführung einer nachträglichen „pompe funèbre“ für die 1793 ermordeten Girondisten: Am zweiten Jahrestag ihrer Hinrichtung, dem 31. Oktober 1795, solle ein Staatsakt stattfinden, gleichzeitig als postume Würdigung für die Toten und Trost für die Überlebenden.1308 Hier ging es nicht mehr um das in der Festpolitik allgemein beschworene republikanische Einheitsideal oder gar den ideellen Anspruch auf Staatsbürgererziehung: Die Feste erscheinen als Instrumente einer bewussten Geschichtspolitik im Dienste von aktuellem Tagesgeschehen und Vergangenheitsbewältigung.1309 Festtheoretiker und Bildungspolitiker beschworen gleichzeitig stärker denn je zuvor die Bedeutung der Feiern für eine Neuausrichtung und Stabilisierung der Republik. In der Vorbereitung auf den sechsten Jahrestag des 14. Juli plädierte Grégoire für eine Verbesserung der nationalen Erziehungsarbeit („une véritable éducation nationale“) im Rahmen der Feste, von der er sich eine Steigerung der Beliebtheit der Republik versprach: „Après avoir déclaré les droits des citoyens, après avoir organisé avec le calme de la raison un gouvernement républicain, vous créerez des institutions sociales qui en prouveront l’excellence, et qui le

1306

Vgl. die einleitenden Worte von Dussaulx, der am nächsten Tag über die Setzung der Inschrift am Grab des Abgeordneten berichtete: Moniteur n° 259, 19 prairial III (7. Juni 1795), CN, séance du 15 prairial. Vgl. Trouvés Artikel im Moniteur n° 256, 16 prairial III (4. Juni 1795) sowie die Trauerrede Louvets, der gegen die Politik der Rache argumentierte, in: Moniteur n° 258, 18 prairial III (6. Juni 1795), CN, séance du 14 prairial. 1307 Vgl. Louvets Plädoyer für eine fête de la réconciliation, Moniteur n° 258, 18 prairial III (6. Juni 1795), CN, séance du 14 prairial. 1308 Vgl. Moniteur n° 259, 19 prairial III (7. Juni 1795), CN, suite de la séance du 14 prairial. 1309 Vgl. auch Kapitel 3.4.2.

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feront aimer.“1310 Einfache und schlichte Zeremonien sollten die Ideen der Philosophie mit sichtbaren Objekten in Verbindung bringen und darüber auf die Sinne der Anwesenden einwirken. Die gemeinsame Feier mache Frankreich zu einer großen Familie, welche durch Bande der Freundschaft verbunden sei und sich mit ihrer Verfassung identifiziere.1311 Im Kontext der Arbeiten an der neuen Verfassung und angesichts der Unruhen in vielen Landesteilen (terreur blanche) beschränkte man sich jedoch wiederum auf eine Gedenkveranstaltung mit musikalischen Aufführungen im Versammlungssaal des Konvents.1312 Dabei erinnerte man gleichzeitig an den 14. Juli 1789 und den 9. Thermidor II (27. Juli 1794). Für den 23. Thermidor (10. August) plante man eine ähnlich minimalistische Zeremonie, wenn auch vor größerem Publikum, denn die Besuchertribüne war außergewöhnlich voll.1313 Die Organisatoren erhofften sich eine besondere Wirkung vom Zusammenkommen der Abgeordneten in ihrer Amtstracht, der Aufführung von Hymnen zur Ehre der Freiheit sowie einer Rede ihres Präsidenten.1314 Die blutigen Begleitumstände des 10. August 1793 wurden im Vorfeld der Planungen nicht verschwiegen: Es habe Kanonenfeuer und Tote gegeben. An deren Stelle sollten jedoch 1795 Freudenschüsse und besänftigende Gesangs- und Musikaufführungen treten, um die ‚Einheit der Bürger‘ wiederherzustellen. Gedruckte Exemplare der Festrede wurden an alle Departements und Armeen der Republik gesandt, um den ‚moralischen Effekt‘ zu vervielfachen.1315 Symbolpolitik überschnitt sich erneut mit Machtpolitik, wenn Daunou in seinem Redebeitrag mit den Festen des Jahres I und II abrechnete. 1795 werde der Jahrestag des Sturms auf die Tuilerien erstmals in seinem ursprünglichen Sinne begangen, ließ er verlauten.1316 Das Fest von 1793 habe stark den Festen des Königs geähnelt; letztlich sei es nichts anderes als ein Vorspiel für neue Formen der Sklaverei gewesen, indem es die Terreur eingeläutet habe. 1794 habe der Konvent noch zu stark unter dem Einfluss der verbliebenen 1310

Moniteur n° 299, 29 messidor III (17. Juli 1795), CN, séance du 25 messidor. Vgl. ebd. 1312 Den 14. Juli und den 9. Thermidor begingen die Konventsabgeordneten mit schlichten Zeremonien im Versammlungssaal. Vgl. ebd. sowie Moniteur n° 314, 14 thermidor III (1. August 1795), CN, séance du 9 thermidor. 1313 Vgl. Moniteur n° 325, 25 thermidor III (12. August 1795). 1314 Vgl. Moniteur n° 321, 21 thermidor III (8. August 1795). Zur Amtstracht vgl. Kapitel 2.2.1. 1315 Vgl. ebd., CN, séance du 15 thermidor. 1316 Vgl. Moniteur n° 328, 28 thermidor III (15. August 1795), CN, séance du 23 thermidor. Dort auch zum Folgenden. 1311

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Montagnards gestanden, als dass die Tugend bereits habe triumphieren können. Doch im Jahr 1795 sei der ‚glückliche Moment‘ erreicht, in dem das freie und siegreiche Frankreich sich seiner Ursprünge habe erinnern können. Die diesjährige „fête de la liberté“ kündige Frieden und Einheit an. Die Fackeln der Rache seien zu löschen und ein Altar der Gnade („l’autel de la clémence“) zu errichten. Das Szepter des Rechts und der Gesetze sei endlich im Tuilerienschloss eingezogen. Ausdruck finde diese Tatsache in einer gefühlsbetonten Festpolitik. Erneut wurde die Idee der ‚nationalen Familie‘ beschworen, die durch die Taten ihrer Vorfahren zur Nachahmung angeregt werde: Citoyens, dans les états libres, les fêtes ne célèbrent et ne consacrent que les immortels événements de la famille nationale. En même temps qu’elles reproduisent aux yeux du peuple les monuments et les titres de sa puissance, on peut dire encore qu’elles recommencent en quelque sorte sa gloire, ses succès et ses triomphes, car elles excitent aux grandes actions, en faisant revivre de pareils souvenirs; et si elles sont, parmi les institutions morales, ce qu’il y a de plus doux et de plus noble, elles sont aussi ce qu’il y a de plus utile, quisqu’elles recommandent fortement aux hommes la volonté de tout ce qui est sage, et l’amour de tout ce qui est bon.1317

In ähnlicher Absicht schlug Gamon am Festtag selbst (23. Thermidor, 10. August) vor, zur symbolischen Beilegung der ‚Zerrissenheit der Nation‘ im Moment der Verkündung der neuen Verfassung des Jahres III ein ‚Fest der Aussöhnung‘ („Fête de la Reconciliation“) auszurichten.1318 Dieses hat allerdings nie stattgefunden: Schon die Trauerfeier zur Erinnerung an die Opfer der Terreur vom 11. Vendémiaire (3. Oktober) stand im Zeichen neuer politischer Unruhen: Der Aufstand der gemäßigten Pariser Sektionen gegen die Konventsmehrheit zeichnete sich ab.1319 Die Idee der Aussöhnung, welche durch die ‚schlichten‘ und ‚empfindsamen‘ Festakte ja eigentlich befördert werden sollte, schien gescheitert. Gamons zweiter Vorstoß, am 17. Vendémiaire (9. Oktober), vier Tage nach dem Vendémiaire-Aufstand, erneut ein Fest der Aussöhnung 1317

Ebd. Vgl. Gamon, François-Joseph: Discours sur les moyens de rallier l’opinion publique aux vrais principes de la révolution, et de rétablir la concorde entre tous les Français; contenant un résumé historique des principaux événemens qui ont eu lieu depuis le 10 août 1792; prononcé dans la séance du 23 thermidor, l’an 3e de la République Française, Paris, Thermidor l’an 3; der Hinweis auf die Forderung nach dem Fest findet sich in: Moniteur n° 328, 28 thermidor III (15. August 1795), CN, séance du 23 thermidor; außerdem ist die Rede inklusive des Entwurfs für ein Dekret abgedruckt in Moniteur n° 358, 28 fructidor III (14. September 1795). 1319 Vgl. Moniteur n° 15, 15 vendémiaire IV (7. Oktober 1795), CN, séance du 11 vendémiaire. 1318

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anzuregen, fand ebenso wenig Gehör. Lecomte argumentierte, es sei keine Aussöhnung erforderlich: Die Republikaner seien schon immer geeint gewesen, während eine Aussöhnung mit den Royalisten zwecklos beziehungsweise unerwünscht sei.1320 Die Neuausrichtung der Festpolitik nach den Vorstellungen der Thermidorianer (oder auch der ‚politischen Sekte‘ der ‚Spartaner‘) sollte somit 1794/95 keineswegs zur Beruhigung der Fraktionskämpfe beitragen – sondern ist als elementarer Teil dieser Kämpfe selbst zu bewerten. Der Erfolg symbolpolitischen Handelns und die Wahrhaftigkeit brüderlicher Gefühle erschienen angesichts der andauernden Konflikte im Lager der Republikaner fraglicher denn je: Roux de la Marne erinnerte im Oktober 1795 an die Verbrüderungsszenen nach dem Kuss des Lamourette in der Législative, welche sich letzten Endes als „farce ridicule“ entpuppt hätten.1321 Die im Französischen sprichwörtlich gewordene Geste des Abgeordneten Lamourette, der im Juli 1792 seinen politischen Gegner im Angesicht der Bedrohung des Vaterlandes durch ausländische Truppen geküsst hatte, erschien im Rückblick als vordergründig und inhaltsleer – die politische Entwicklung hatte diejenigen, die an die Macht der Symbolik geglaubt hatten, eines besseren belehrt. Der Kuss wurde zu einem geflügelten Wort für politische Versöhnungsrituale, die in der Konsequenz eben nicht zu einer tatsächlichen Beilegung der Streitsache und des Hasses führen sollten. Anstelle leerer Gesten forderte Roux die tatsächliche Versammlung aller Franzosen um das Gesetz. Systematisierung und Neuausrichtung der Feste im Ersten Direktorium Entgegen aller Bedenken und trotz des politischen Streits um die ‚richtige‘ Durchführung war man nicht bereit, auf das gesellschaftliche 1320 1321

Vgl. Moniteur n° 22, 22 vendémiaire IV (14. Oktober 1795). Vgl. Moniteur n° 22, 22 vendémiaire IV (14. Oktober 1795). Lamourette war Mitglied der Legislative und als Redenschreiber Mirabeaus bekannt geworden. In die Geschichte ging er jedoch im Kontext des Krieges ein, als im Juli 1792 die Invasion feindlicher Truppen in Paris bevorzustehen schien. Die Revolutionäre, die Frankreich in den Krieg geführt hatten, waren zu diesem Zeitpunkt bereits tief zerstritten: Die Königstreuen schlossen Geheimpakte mit den Österreichern, die Brotpreise stiegen, die Revolution schien besiegt. In dieser Situation mahnte Lamourette die Versammlung zu brüderlicher Liebe. Um ein Beispiel zu geben, küsste er einen seiner politischen Gegner – woraufhin sich die Repräsentanten allseits umarmten und sich brüderliche Treue versprachen. Die Revolution war damit – allerdings nur für wenige Wochen – vor Schlimmerem bewahrt. Der Sturz der Monarchie ließ die revolutionäre Geschlossenheit jedoch endgültig zerbrechen. Vgl. DARNTON, Robert: The Kiss of Lamourette, New York u. a. 1990, S. 3–20.

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‚Heilmittel‘ der Feste ganz zu verzichten. Es sollte nach Wunsch der Väter der Verfassung des Jahres III zukünftig allenfalls mit größerem Bedacht und in kleineren Dosen eingesetzt werden. Man beschränkte sich im Verfassungstext selbst auf eine Absichtserklärung: „Article 301. – Il sera établi des fêtes nationales, pour entretenir la fraternité entre les citoyens et les attacher à la Constitution, à la patrie et aux lois.“1322 Die genaueren Ausführungsbestimmungen legte der Konvent mit dem Gesetz vom 3. Brumaire IV (25. Oktober 1795) fest. Das Gesetz Robespierres vom Floréal II (Mai 1794) wurde außer Kraft gesetzt und der Festkalender völlig neu geregelt: National- und Dekadenfeste waren fortan in einem einheitlichen Konzept zusammengefasst. Nur sieben Nationalfeste sollten begangen werden, von denen die Mehrheit von fünf auf einen décadi fielen:1323 Die Feste der ‚Jugend‘, des ‚Alters‘, der ‚Eheleute‘, der ‚Dankbarkeit‘ und der ‚Landwirtschaft‘. Neben diesen ‚moralischen‘ Feiern sollten zunächst nur zwei politische Gedenkfeste Bestand haben: das Fest der Gründung der Republik am 1. Vendémiaire sowie die Feier des 9. Thermidor, eine Art Fest der republikanischen Neugründung und Neuerfindung als Basis des aktuellen Regimes.1324 Doch auch mit der Loi Daunou war die Diskussion um Auswahl und konkrete Ausgestaltung der Feiertage und Festpraktiken nicht beendet. Die republikanischen ‚Sekten‘ oder Glaubensgemeinschaften von ‚Pomp‘ und ‚Schlichtheit‘ lieferten sich in den folgenden Jahren weitere Schlachten – wobei besonders die politischen Gedenkfeste immer wieder als Anlass zur Austragung inhaltlicher Kontroversen herhalten mussten und sich die Frontstellung leicht verschob: Nicht mehr Parlamentsfraktionen rivalisierten untereinander um die Deutungshoheit über die Festpolitik, sondern die Regierung musste sich fortan mit den wechselnden Parlamentsmehrheiten auseinandersetzen. Das Direktorium versuchte, durch wechselseitige Zugeständnisse an die rechte und 1322

Zitiert nach GODECHOT: Les constitutions de la France, S. 134. Zur Erinnerung: Die Loi Daunou schrieb für die insgesamt sieben Nationalfeste, die in jedem Kanton begangen werden sollten, im Laufe des Kalenderjahres folgende Daten vor: Fête de la Fondation de la République (1. Vendémiaire), Fête de la Jeunesse (10. Germinal), Fête des Époux (10. Floréal), Fête de la Reconnaissance (10. Prairial), Fête de l’Agriculture (10. Messidor), Fête de la Liberté (9. und 10. Thermidor), Fête de la Viellesse (10. Fructidor). Vgl. dazu Kapitel 2.4.1 (Anm. 715). 1324 Die Erinnerungen an die städtische Revolution vom 14. Juli 1789 sowie die journées der Volksbewegung (10. August 1792 und 31. Mai 1793) oder die Hinrichtung des Königs (21. Januar 1793), die man bis 1794 und auch noch 1795 hochgehalten hatte, wurden nicht in den offiziellen Kalender aufgenommen. Die geschichtspolitische Dimension der Feste trat damit im Wunschdenken zunächst hinter die moralische Dimension des Festkultes zurück, was wohl auch einem Bedürfnis nach Entpolitisierung geschuldet war. Vgl. OZOUF: La fête, S. 193f. Dort auch zum Folgenden. 1323

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linke Opposition Stabilität zu erreichen; letztlich war es aber genau diese Schaukelpolitk, die jede langfristige Stabilisierung verhindern musste. Einigkeit erzielten die verschiedenen politischen Lager zunächst nur hinsichtlich der Planung der sogenannten ‚moralischen‘ Feiern. Das Direktorium nahm sich von 1796 an persönlich der Ausführungsgesetzgebung zu den einzelnen Festen an.1325 Um das ‚moralische und nützliche Ziel‘ zu erreichen, welches bereits der Konvent angestrebt hatte, versprach man, sorgfältige Festprogramme zu erarbeiten, unter Berücksichtigung der bereits existierenden Gesetzgebung. Die Rhetorik der republikanischen ‚Einfachheit‘ und ‚Empfindsamkeit‘ des Thermidorianerkonvents wurde aufgegriffen und erneut der Erziehungsgedanke propagiert: Erster Anlass war das ‚Fest der Jugend‘, welches per Erlass für den 10. Germinal (30. März) in allen Kommunen des Landes angekündigt wurde: „de manière à donner à la jeunesse une grande idée de ses devoirs, et à diriger son émulation vers les récompenses décernées par la patrie.“1326 Um auf der außerordentlichen Fête des Victoires Ende Mai die ‚Majestät der Republik‘ aufscheinen zu lassen, schlug Daubermesnil im Rat der Fünfhundert die Aufführung von ‚einfachen, majestätischen und sanften‘ Hymnen vor.1327 Diese könnten auch bei zukünftigen Siegesfeiern gebraucht werden, da sie in allgemeiner Hinsicht die ‚Tugend‘ und die ‚Eintracht‘ bekräftigten. Es sei die Aufgabe der Gesetzgeber, die Menschen zum Glück zu führen; der Weg dazu führe über ihre Sinneseindrücke: „Conduire les hommes au bonheur, voilà le but; les conduire par l’impression des sens, voilà les moyens.“1328 Neben der Musik erschienen Bilder als besonders geeignet: „Vulgaires, philosophes, illitéres, tous sont conduits par les sens, et tous sont à leur tour frappés par les images qui ne sont que la pensée en relief.“ Ähnlich wie die Kirche

1325

Vgl. Arrêté du 19 ventôse IV: „Le Directoire, considérant que, par l’art. Ier du titre VI de la loi du 3 brumaire an IV, le nombre annuel des fêtes et leur dénomination sont fixés, mais que rien n’en détermine le mode, ni les cérémonies; Considérant qu’il faudrait, pour l’exécution des décrets qui les ont ordonnées, et pour remplir le but moral et d’utilité qu’on s’est proposé en les instituant, composer un programme pour chacune d’elles, et rechercher avec soin, dans la constitution et dans les lois organiques, tous les décrets épars qui peuvent les motiver ou les embellir“, in: Moniteur n° 174, 24 ventôse IV (14. März 1796). 1326 Arrêté du 19 ventôse IV, in: Moniteur n° 174, 24 ventôse IV (14. März 1796). 1327 Vgl. Moniteur n° 233, 23 floréal IV (12. Mai 1796), CCC, séance du 17 floréal und Moniteur n° 234, 24 floréal IV (13. Mai 1796), CCC, suite de la séance du 17 floréal; der Rat der Alten bestätigte am 18. die Resolution. Vgl. ebd. 1328 Ebd., dort auch zum Folgenden.

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Heiligenbilder verbreitet habe, solle der Gesetzgeber die Heldentaten der siegreichen Armeen über Drucke verherrlichen.1329 Mit dem abschließenden Arrêté vom 20. Floreal IV (9. Mai 1796) wurde der politische Charakter der Siegesfeier gegenüber ihren moralischen Implikationen nochmals deutlich verstärkt; neue Praktiken ergänzten das bisherige Programm und wurden von neuen Tönen begleitet. Das Direktorium ordnete an, die municipalités sollten dem Fest im ganzen Land ‚Pomp und Würde‘ verleihen.1330 Die Ideen der ‚Auszeichnung‘ und des ‚Verdienstes‘ wurden gegenüber dem Tugend- und Einheitsideal in den Vordergrund gerückt. Die Namen der Vaterlandsverteidiger sollten in ein öffentliches Register eingetragen und die Siege der einzelnen Armeen öffentlich verkündet werden; besondere Ehre wurde denjenigen Soldaten und Offizieren zuteil, die einen ‚glorreichen Tod‘ für das Vaterland gestorben waren. Ein symbolpolitischer Konflikt zwischen der Regierung und den Räten zeichnete sich ab; das Direktorium setzte in der Festpolitik andere Akzente als die Parlamentarier: Empfindsame und gefühlsbetonte Zeremonien widersprachen dem Wunsch der Regierung, über selbstbewusste und repräsentative Auftritte in der Öffentlichkeit die eigene Autorität und das Ansehen der Republik zu steigern. Die Idee der ‚republikanischen Institutionen‘ zielte in dieser Perspektive stärker noch auf Ordnungspolitik denn auf Tugendförderung.1331 Auch die Durchführung von Wettkämpfen, nach Vorbild der antiken Arenen und Kampfspiele, eignete sich hervorragend zu diesem Zweck: Diese versprachen die Leistungskraft der Republik zu demonstrieren, ohne an politische Konflikte zu rühren. Die Bürger konnten über die Wettkämpfe ‚aktiv‘ ins Festgeschehen eingebunden werden, ohne dass sie allzu eigenständige ‚Aktivitäten‘ entwickelten. Es ging darum, der republikanischen Regierungsform ein positives Image zu verschaffen: ‚Pomp‘ schien dafür erneut ein geeignetes Instrument zu sein – wenn auch begleitet von anderen Diskursen als noch zur Jakobinerzeit. Im Sommer 1796 wurden in Paris erstmals ‚Spiele‘ veranstaltet, im Rahmen der Feierlichkeiten zum 9. Thermidor (27. Juli), der gemeinsam an die journées révolutionnaires des 14. Juli, 9. Thermidor (27. Juli) und 10. August erinnerte.1332 Um die gewünschte Wirkung zu erreichen, 1329

Réal lehnte diese Form der Auszeichnung für das neue Regime als unangemessen ab: „Ce n’est pas le caractère de la récompense que les représentants d’une grande Nation doivent à des guerriers qui ont si bien mérité de la Patrie.“ Zudem erinnerte er daran, es stehe allein dem Direktorium zu, den näheren Festablauf zu bestimmen. Seine Einwände wurden mehrheitlich geteilt. 1330 Vgl. DE, Arrêté du 20 floréal, an 4, in: Moniteur n° 241, 1er prairial IV (29. Mai 1796). 1331 Vgl. auch Kapitel 2.2.2 und 2.2.3. 1332 Vgl. Ordre, Marche et Cérémonies des fêtes qui seront célébrées les 9 et 10 thermidor.

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wurde nichts dem Zufall überlassen. Die Teilnehmer wurden mit einer besonderen (Einheits-)Kleidung ausgestattet: „[ils] seront tous en pantalon et en gilet, avec une ceinture aux trois couleurs, et porteront sur la tête une toque légère, garnie d’une longue plume: chaque plume sera de couleur différente.“1333 Als Anreiz wurden je zwei Preise ausgelobt: Für das Wettrennen „un beau Sabre“ sowie ein Pistolenpaar aus der Fabrik von Versailles; beim Pferdesport ‚ein Pferd mit Ausrüstung‘ und zweitens ein Pistolenpaar „d’arçon“ (für den Sattelbogen). Die Sieger wurden nach Abschluss der Wettkämpfe unter dem Klang von Fanfaren geehrt, ihre Namen öffentlich verkündet und per Inschrift im nationalen Gedächtnis verewigt; im Triumph führte man sie zu den Champs-Élysées, wo sie am abschließenden Festkonzert teilnahmen.1334 Unterhaltung und Zerstreuung standen auf der Tagesordnung, weniger empfindsame Trauerarbeit – und noch nicht einmal erziehungspolitische Reden. In ähnlicher Form wurde die Hauptstadt auch am 23. Thermidor IV (10. August 1796) durch Spiele unterhalten. Bereits der Einzug der „concurrens“ auf dem Marsfeld erfolgte in geordnetem, ‚pompösen‘, Marsch von der École de Mars zum Wettkampfort.1335 Das Sportprogramm war noch erweitert worden: Eine Course à Pied, Course à Cheval, Course de Bagues und Exercice Aérostatique wurden nacheinander durchgeführt. Der Nationalstolz der Veranstalter drückte sich erneut in Wettkampfregeln und Preisen aus: Nur in Frankreich geborene Pferde durften starten; als Preise, so wurde betont, gab es Säbel, Pistolen, Karabinergewehre (carabines), „de la Manufacture nationale de Versailles“1336. Die Sieger der Wettkämpfe wurden auf einem Kampfwagen durch das zum Stadion umfunktionierte Marsfeld gefahren; es handelte sich um einen „char de forme antique, traîné par quatre chevaux, précédé de différens corps de musique et suivi d’un nombreux cortège“.1337 Im Bild wurden die Spiele anlässlich der wenige Wochen später stattfindenden Fête de la fondation de la République festgehalten.1338

1333

Ebd. Vgl. ebd. 1335 Vgl. Fête nationale du 10 août, fixée au 23 thermidor an IV. Dort auch zum Folgenden. 1336 Ebd. 1337 Ebd. Anschließend zog man erneut zu den Champs-Élysées (am Fluss entlang). Bei der Ankunft der Sieger begann das Festkonzert. Illuminationen, ein Feuerwerk und ein Ball schlossen den Gedenktag ab. 1338 Vgl. Berthault, Pierre-Gabriel, nach Abraham Girardet: Fête de la fondation de la République, 1er Vendemiaire An V, gravure à l’eau-forte et au burin, 24 × 29 cm (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6787). 1334

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Ähnliche Veranstaltungen prägten auch in der Provinz die republikanische Festtradition des Direktoriums. In Toulouse fanden auf der Garonne sogenannte „exercices nautiques“ statt: On avoit placé au milieu de la rivière un bateau, sur la proue duquel il y avoit un mât de beaupré incliné & enduit de savon; il y avoit à l’extrêmité de ce mât un bonnet de Liberté porté par un roseau, qu’il falloit atteindre, en marchant debout, pour gagner le prix. Les juges de cet exercice furent placés sur le bateau, ainsi que la musique […]. Les deux rives du fleuve étoient remplies de spectateurs nombreux, que ces exercices ne manquent jamais d’attirer. […] La musique encourageoit les athlètes […].1339

Ernst schildert das Protokoll, wie offensichtlich die Musik jeden erfolgreichen Schritt anfeuerte, während andererseits das Abgleiten auf rutschigem Untergrund wohl ebenso zum Schauspiel gehört. Der Sieger erhielt ein Paar Pistolen, mit denen er das Vaterland zu verteidigen versprach. Und Vertreter der ‚neuen Gesellschaft‘ beobachteten einträchtig das Spiel: „Aucun mot injurieux, aucune rixe ne troubla cette touchante cérémonie; tous les sexes, tous les âges, toutes les opinions étoient confondus, & les magistrats jouissoient de voir que malgré toutes les provocations, leurs concitoyens étoient heureux & goûtaient les bienfaits de la constitution.“1340 Soweit zumindest der offizielle Bericht. Auch am 23. Thermidor V (10. August 1797) wurden in der Hauptstadt sportliche Wettkämpfe auf dem Marsfeld veranstaltet.1341 Die Sieger wurden wie im Vorjahr mit Pomp und Musik auf die ChampsÉlysées begleitet, wo Tänze das Fest beschlossen.1342 Die Leitkategorien der ‚Schlichtheit‘ und ‚Einfachheit‘ im Sinne des staatsbürgerlichen Erziehungsprogramms der institutions républicaines waren zur Zeit des Ersten Direktoriums keinesfalls aus dem Festdiskurs, geschweige denn von der nationalfestlichen Bildfläche verschwunden. Sparta diente auch in der Veranstaltung von Sportveranstaltungen und Wettkämpfen als Vorbild. Die ‚Exemplarität‘ der Soldaten und Athleten verband sich gemeinsam mit der ‚Aktivierung‘ der Zuschauer über gemeinsames Sprechen (von Eiden) und Singen (von Festhymnen) zu einem Erziehungsprogramm – ganz im Sinne der institutions républicaines. Im Rahmen der moralischen Feste wurde ‚Schlichtheit‘ in Abgrenzung zur Jakobi1339

Procès-verbal de la fête de la liberté, célébrée les 9 et 10 Thermidor an 5. A Toulouse. Ebd. 1341 Vgl. Arrêté du 17 thermidor, in: Moniteur n° 321, 21 thermidor V (8. August 1797). Das Programm sah eine Rede, Gesänge und Hymnen vor; auf dem Marsfeld wurden Wett- und Pferderennen veranstaltet. 1342 Bericht und Rede der offiziellen Zeremonie, welche im Innenhof des palais directorial abgehalten worden war, wurden im Moniteur veröffentlicht: Moniteur n° 327, 27 thermidor V (14. August 1797). 1340

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nerdiktatur auch nach wie vor ganz ausdrücklich als Referenz betont, wenn es zum Beispiel 1796 im Zuge des Festes der Landwirtschaft hieß, man wolle die ‚wahren Freuden der Natur an die Stelle der gekünstelten Bedürfnisse des Luxus und des Müßiggangs setzen‘, um solcherart die ‚Einfachheit und Reinheit der Sitten‘ aufrechtzuerhalten.1343 Vergleichbare Argumente fand das Direktorium 1796 auch bei der Auszeichnug von betagten Männern und Frauen aus dem Volk im Rahmen der Fête des Veillards1344 sowie im Rahmen der anderen Dekadenfeiern des Festkalenders. Anlässlich der politischen Nationalfeiertage inszenierte die Regierung demgegenüber unverblümt republikanischen Pomp und unterhaltsames Spektakel – achtete jedoch auch hier auf eine Abgrenzung gegenüber der Jakobinerzeit: Öffentliche Straßenumzüge unter Beteiligung der Volksmassen wurden durch Prozessionen von Amtsträgern und durch die Wettkämpfe auf dem Festplatz des Champs de Mars abgelöst. Die allegorische Bildsprache wurde weitgehend auf die Symbolik von Freiheit und Republik reduziert;1345 den Jakobinern warf man demgegenüber Eklektizismus und manipulative Showpolitik im Rahmen ihrer Festpolitik vor. Solche Polemik diente den Direktorialisten jedoch vor allem der Stigmatisierung des politischen Gegners, und damit der Stabilisierung der eigenen Position: Gleichzeitig Fortsetzer und Erneuerer der republikanischen Ordnung, hatten die Direktoren einen riskanten Drahtseilakt zu bewältigen. Die Festpolitik schien eine Möglichkeit der eigenen politischen Profilierung zu bieten. Umso mehr Aufmerksamkeit widmete man den Festprogrammen – und umso problematischer musste der schwache Zuspruch beziehungsweise Erfolg der Zeremonien in den Augen der Verantwortlichen erscheinen.1346 Vor allem der Direktor La Revellière strebte eine Verstärkung und konsequentere Durchsetzung der Erziehungspolitik der institutions républicaines, gerade auch über das Medium der Feste, an. Nach 1797 ergänzte er die thermidorianische Idee der ‚schlichten‘ und ‚empfindsamen‘ Zeremonien um ein eigenes politisches Programm, welches erneut die Religionsfrage aufwarf und damit prinzipiell auch Anklänge an die robespierristische Festpolitik aufwies.

1343

Vgl. DE, Arrêté du 24 prairial an IV, in: Moniteur n° 275, 5 messidor IV (23. Juni 1796). Vgl. DE, Autre arrêté du 27 thermidor an IV, in: Moniteur n° 337, 7 fructidor IV (24. August 1796). 1345 Eine Ausnahme stellte in dieser Hinsicht noch das Fest der Republikgründung von 1796 dar, welches jedoch nicht die gewünschte Wirkung erzielen konnte; vgl. Bénézech: Extrait du programme de la fête de la fondation de la République. 1346 Vgl. dazu Kapitel 4.2. 1344

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Verbindung und Steigerung von Pomp und Empfindsamkeit im Zweiten Direktorium: Nationale Größe und quasi-religiöse Ehrfurcht Wie wir gesehen haben, realisierte das Direktorium bereits vor dem Staatsstreich vom 18. Fructidor V (4. September 1797) sowohl pompöse Kulissen als auch empfindsame Zeremonien, um die Franzosen anlässlich von Nationalfesten zu Staatsbürgern zu erziehen und als nationale Gemeinschaft zu formen:1347 Macht- und Erziehungspolitik gingen Hand in Hand. Der Erziehungsgedanke beherrschte die republikanische Symbolpolitik ungebrochen von 1792 über 1793/94, 1795 und 1797 bis zum Ende des Direktoriums; die Unterschiede liegen in der Rechtfertigung, inszenatorischen Umsetzung und konkreten Durchsetzung dieses Gedankens. Das sogenannte Zweite Direktorium besaß im Anschluss an den Staatsstreich vom 18. Fructidor V (4. September 1797) neue Handlungsspielräume, die es ihm erlaubten, seine Ideen notfalls auch gegen den Willen von Parlamentsmehrheiten oder Bevölkerung zu verwirklichen.1348 Legitimiert wurde die neue Machtpolitik der Regierung dabei gerade durch den Erziehungsgedanken – der vom Direktor La Revellière-Lepeaux federführend in verschiedenen Reden vor dem Institut national neu systematisiert und weiter zugespitzt worden war. Erneut spielte auch die Frage der Religion in diesem Zusammenhang eine große Rolle. Die Nationalfeste waren für La Revellière neben der Religion und den ‚zivilen Institutionen‘ die letzte Stufe der Vergesellschaftung des Menschen, bei der dieser zu einem Höchstgrad an Perfektion geführt werden sollte.1349 Um das Gute zu erkennen und dem Schlechten zu widerstehen, bedürfe der Mensch einer charakterfesten Seele („une âme 1347

Für das ‚Fest der Landwirtschaft‘ etwa war das Marsfeld 1796 aufwendig umgebaut worden (vgl. Kapitel 2.3.2 sowie DE, Arrêté du 24 prairial an IV, in: Moniteur n° 275, 5 messidor IV, 23. Juni 1796); und noch imposanter gerierte sich die Republik zum Jahrestag ihrer Gründung, am 1. Vendémiaire V (22. September 1796, vgl. Abb. 27), für den van Cleemputte sich nicht scheute, das historisch in Frankreich untrennbar mit der Königsmacht verbundene Sonnensymbol im Festzug zu visualisieren (vgl. Kapitel 2.1.2 und 2.3.2 sowie Moniteur n° 364, 4ème jour complémentaire IV, 20. September 1796). Gleichzeitig beschrieb das Direktorium den moralischen Festzyklus als ‚eine der interessantesten und nützlichsten Institutionen‘, welche zur ‚Verbesserung der Sitten‘ beitragen solle; hier wurden besonders der Erziehungsdiskurs und die Idee der Verbindung von Natur und Gesellschaftsideal gepflegt (vgl. u. a. DE, Autre arrêté du 27 thermidor an IV, in: Moniteur n° 337, 7 fructidor IV, 24. August 1796). 1348 Reichardt geht davon aus, die Führungseliten des Direktoriums hätten die demokratische Kultur an der Basis ebenso erstickt wie auf der parlamentarischen und der Regierungsebene; vgl. REICHARDT: Das Blut der Freiheit, S. 168. 1349 Vgl. La Revellière-Lépeaux: Réflexions sur le culte, passim. Einführend dazu Kapitel 3.1.

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ferme“), einer von der Liebe zum wahrhaft Schönen entbrannten Vorstellungskraft („une imagination embrasée par l’amour du vrai beau“) und einer unnachgiebigen Entschlossenheit („une résolution opiniâtre de pratiquer le bien et de résister au mal“).1350 Dies alles sei anlässlich der Nationalfeste zu schulen und zu festigen. Gewalt, so formulierte La Revellière auch nach dem Staatsstreich, reiche nicht aus, um ein Regime zu stützen und aufrechtzuerhalten.1351 Der Staatsstreich vom 18. Fructidor V (4. September 1797) sei nur eine Notlösung gewesen; niemand könne voraussagen, wie lange die Armee das Regime weiter stützen werde. Nichts sei gewiss, solange man nicht die Menschen selbst in ihrem Kern verändert habe: Je veux dire qu’il importe surtout de mettre en usage tout ce qui peut modifier, pour ainsi dire, la substance de l’homme, de manière à l’identifier avec la forme du gouvernement, et à faire de l’amour de la liberté sa passion dominante […].1352

Der Mensch müsse sich mit der Staatsform, in der er lebe, identifizieren. Sei dies der Fall, werde zukünftig der Gebrauch von Gewalt überflüssig. Die Nationalfeste waren La Revellière zufolge die beste Instanz, diese gewünschte Veränderung der Menschen herbeizuführen. Jedes Departement und jeder Kanton sollten nach seinen Vorstellungen zu diesem Zweck eine Festarena, Paris als Hauptstadt sogar ein Amphitheater für bis zu 300.000 Menschen erhalten.1353 Die Mitte des Theaters sei landesweit für einen Vaterlandsaltar zu reservieren, auf dem nur staatliche Repräsentanten in ihrer festlichsten Amtstracht Platz nehmen dürften. Sie sollten mit offenen Wagen in die Arena einfahren, nach dem Vorbild der Antike. Auf dem Altar hielten sie Reden und führten dem Anlass entsprechende Zeremonien durch. Zur Gewährleistung der Einbeziehung aller anwesenden Zuschauer sollten in den einzelnen Sektionen die am Vaterlandsaltar gesprochenen Worte wiederholt und über die einzelnen Tribünenabschnitte mehrere Orchester zur Begleitung der Gesänge verteilt werden. Über Standardisierungen sollte ein größerer Wiederholungs- und Lerneffekt erzielt werden. Jede Zeremonie begann in der Vision des Direktors mit einer Anrufung der Ewigkeit („à l’Éternel“) und einer Fürbitte für die französische Freiheit, und sie endete mit einer Danksagung („action de grâces“); die religiösen Anklänge in der Sprachwahl waren dabei durchaus beabsichtigt. Die zu verwendenden Sprachformeln sollten vereinheitlicht werden. 1350

Vgl. ebd., S. 22. Vgl. La Revellière-Lepeaux: Essai sur les moyens, S. 28–39. 1352 Ebd., S. 29. 1353 Vgl. ebd., auch zum Folgenden. 1351

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Spiele, Wagenrennen oder ähnliche Veranstaltungen strukturierten den Ablauf des Festaktes, um Langeweile oder Monotonie zu vermeiden. Die Idee der ‚Empfindsamkeit‘ und der Erziehung der Bürger ‚über ihre Sinneseindrücke‘ wurde durch einen quasi-religiösen Diskurs ergänzt und teilweise überformt. De facto sollte eine Art republikanischer Kult errichtet werden.1354 Was die Musik anbelangte, ging La Revellière besonders ins Detail: Seine Vorstellungen waren mit dem Komponisten Méhul, der ebenfalls Mitglied des Institut war, abgestimmt. Alle Teilnehmer des Festes sollten gemeinsam singen. Um sie ‚einzustimmen‘, beginne der Gesang mit der Intonation eines Dreiklanges: Von der Tonika über die Terz, die Dominante und die Oktave solle das Publikum in vier Gruppen eingeteilt werden und seine Stimmen angleichen. Anschließend erschalle der gemeinsame Gesang, in Paris von Hunderttausenden, wovon sich La Revellière die ‚schönsten‘ und ‚größten‘ Wirkungen versprach.1355 Dieses Gleichheitsszenario, welches beim heutigen Betrachter Erinnerungen an die totalitären Regime des 20. Jahrhunderts wachruft, war 1797 revolutionär neu. Der Wunsch, die anwesenden Individuen in ihrem Kern zu verändern, der Wille, durch Symbolpolitik politische Ziele zu erreichen, ist in den Ausführungen klar spürbar. Glaubt man seinen Worten, experimentierte der Direktor mit den Formen der Massenpädagogik aus einem aufklärerischen Anspruch heraus: Anders als zur Zeit des Ancien Régime sollte das politische Ritual jeden Einzelnen mit einbeziehen und auf diese Weise den Traum des 18. Jahrhunderts, die ‚neue Gesellschaft‘, befreit von Unterdrückung und alten Traditionen, Wirklichkeit werden lassen. Entgegen dem häufig erhobenen Vorwurf, das Direktorium habe die Distanz zwischen Machthabern und Volk im Rahmen der Feste zementiert, wenn nicht sogar vergrößert,1356 muss angesichts solcher Äußerungen davon ausgegangen werden, dass dem eigenen Selbstverständnis zufolge genau das Gegenteil angestrebt wurde: Die Zuschauer selbst sollten zu ‚Akteuren‘ und damit Teil des Festgeschehens werden.1357 Dabei spielte auch die Inszenierung von Gleichheit eine große Rolle. La Revellière schlug vor, nach den Wettbewerben nicht einen, sondern stets zwei ‚gleiche‘ Sieger auszuzeichnen.1358 Niemand 1354

Vgl. Kapitel 3.5.3. Vgl. ebd., S. 35: „Je n’imagine rien de plus sublime au monde qu’un chœur de deux ou trois cent mille voix, chanté par des hommes pénétrés du même sentiment.“ 1356 Vgl. OZOUF: La fête, S. 191ff. 1357 Vgl. La Revellière-Lepeaux: Essai sur les moyens, S. 35. 1358 „Avant de quitter ce sujet, je reviens sur l’idée de’avoir deux vainqueurs égaux dans chaque jeu.“ Ebd., S. 37. Dort auch zum Folgenden. 1355

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sei einzigartig, daher halte er es für „très politique et très moral de ne présenter au peuple assemblé un citoyen vivant comme étant unique en son genre.“ Die Geschichte habe gelehrt, dass es für eine Gesellschaft nicht wünschenswert sei, wenn sich einzelne Mitglieder über die anderen erhöben: Wetteifer sei die Mutter der Talente, Stolz ihr Grab. Die zwei gleichzeitig gekrönten Rivalen böten außerdem Gelegenheit, die wichtigste Botschaft der Nationalfeste, die Werte der Brüderlichkeit, Harmonie, Einheit und Frieden jedem Zuschauer eindringlich vor Augen zu führen. Fraglich erscheint in diesem Zusammenhang, ob die entindividualisierende Nebenwirkung solcher Massenveranstaltungen von den Zeitgenossen nicht bereits hätte reflektiert werden können und müssen.1359 Der Diskurs über den zu ‚belehrenden‘ beziehungsweise gar zu ‚formenden‘ citoyen nahm in den späten 1790er Jahre immer ausgrenzendere Züge an: Setzte doch die ‚richtige‘ Erziehung eine abgeschiedene Klasse derjenigen voraus, die bereits in Kenntnis des gesellschaftlichen Guten waren und dieses stellvertretend für alle anderen verwalteten. Die Idee der Erziehung zur Freiheit in Freiheit wich der Vorstellung einer Umerziehung nach – zumindest zeitweiliger – Entmündigung, welche rasch den Verdacht auf Manipulation laut werden ließ. Dabei nahmen im Vergleich zu den vorangegangenen Jahren der Revolution auch solche Töne zu, die die nationale Größe und die weltgeschichtliche Bedeutung der Französischen Revolution herausstellten und verherrlichten: Je crois, quant à moi, que nous pouvons, avec la volonté de le faire, produire en général, des effets d’une étonnante grandeur. […] la jeunesse de l’un et de l’autre sexe sera instruite dans les chants et dans les rites des cérémonies civiles et des fêtes nationales, comme elle l’était autrefois à fredonner des noëls et à chanter des antiennes.1360 Puisse chacun de nous concourir à rendre la république si grande qu’elle fasse l’admiration de l’univers, si florissante qu’elle soit l’objet de l’émulation de tous ses voisins, si forte qu’aucun de ses ennemis n’ose l’attaquer.1361

Das Direktorium und die parlamentarischen Räte unterstützten das Programm La Revellières mit einer Reihe von Maßnahmen. Auch der Erlass des Direktoriums zur Einhaltung des republikanischen

1359

Vgl. zur weiteren Entwicklung von Diskurs und Praxis im 19. und frühen 20. Jahrhundert: MOSSE, George: Die Nationalisierung der Massen. Politische Symbolik und Massenbewegungen von den Befreiungskriegen bis zum Dritten Reich, Frankfurt am Main u. a. 1976. 1360 Ebd., S. 36. 1361 Ebd., S. 38. Zur grande nation vgl. auch Kapitel 2.4.4.

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Kalenders (siehe Kapitel 3.2) stand in diesem Zusammenhang.1362 Nachdem François de Neufchâteau erneut das Innenministerium bekleidete, fand La Revellière in ihm seinen Meister: Unter François Ägide wurde ein veritables republikanisches Propagandaministerium errichtet und die Organisation von Gedenkfeiern, moralischen Festen und Dekadentagen generalstabsmäßig organisiert.1363 Über Rundschreiben richtete er sich an die lokalen Verwaltungen, denen er abwechslungsreiche Vorschläge zur Organisation der Prozessionen und Zeremonien, zur Auswahl der Symbole, Lieder und Zitate sowie zur Entwicklung von Festreden machte. Die Nationalfeste des Jahres 1798 wurden in diesem Sinne zweifellos mit republikanischem ‚Pomp‘ begangen.1364 Zwei neue Anlässe waren dem Festkalender sogar noch hinzugefügt worden, das ‚Fest der Volkssouveränität‘, als zusätzliches Dekadenfest im Frühjahr (30. Ventôse, 20. März), und der Gedenktag an den 18. Fructidor (4. September) im Herbst – einmal, um das Wahlvolk an seine staatsbürgerlichen Pflichten zu erinnern, das andere mal, um die Mitglieder der Regierung selbst als Diener und Beschützer der Republik in Szene setzen zu können. Pomp erschien bis einschließlich 1799 keineswegs unvereinbar mit der Idee der ‚empfindsamen‘ Staatsbürgererziehung. In dieser Hinsicht muss Reddy widersprochen werden, der in seiner History of Emotions für die Phase des Direktoriums einen grundsätzlichen Niedergang von Emotionalität und Gefühlsbezogenheit unterstellt.1365 So kam es zum Beispiel anlässlich der Feierlichkeiten zum Frieden von Campo Formio zur demonstrativen Inszenierung von Emotionalität, als Berthier und Monge dem Direktorium am 10. Brumaire VI (31. Oktober 1797) den Friedensvertrag überreichten. ‚Der Held‘ und ‚der Wissenschaftler‘ wurden in einer emotionalen Geste der Umarmung und des Dankes verabschiedet. Ganz wie in den frühen Tagen der Revolution diente die

1362

Innenminister Letourneux verfasste ein Rundschreiben an alle Verwaltungseinrichtungen. Vgl. Erlasse des Direktoriums vom 13. Vendémiaire, 6. Brumaire, 27. Brumaire und 17. Pluviôse an VI sowie Circulaire du 18 brumaire an VI. 1363 Zur Biographie sowie v. a. zu literarischem Werk und Wirken vgl. MARGAIRAZ, Dominique: François de Neufchâteau. Biographie intellectuelle, Paris 2005, sowie JACQUOT, Alain: François de Neufchâteau 1750–1828, Paris 1997. Seine bedeutende Rolle, vor allem in der Funktion als Innenminister, wird dort jedoch nicht hinreichend herausgearbeitet. 1364 Vgl. z. B. Moniteur n° 288, 18 messidor VI (6. Juli 1798): Die Zeremonien fanden erneut auf dem Marsfeld statt. 1365 Vgl. REDDY, Wiliam M.: The Navigation of Feeling. A Framework for the History of Emotions, Cambridge u. a. 2001, S. 199–210.

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Inszenierung von Emotionalität als Ausdruck von Aufrichtigkeit und Unverfälschtheit: En terminant, le président du Directoire, entraîné par le sentiment, se porte au-devant des citoyens Berthier et Monge; il serre avec émotion, dans ses bras, l’héros et le savant, et leur donne l’accolade fraternelle. Chacun des assistants regrette de ne pouvoir aussi les presser contre son sein; on verse des larmes de joie et d’attendrissement. Les cris de vive le République se mêlent au son bruyant du clairon et des instrumens guerriers; vive la grande nation! répète-t-on de toute part; vive Bonaparte! vive les fondateurs, vivent les défenseurs de la liberté! vive la constitution de l’an 3. Les citoyens se félicitent et s’embrassent; l’alégresse la plus pure échauffe toutes les âmes, et se manifeste par les plus touchantes expressions.1366

Erst der Staatsstreich der parlamentarischen Räte gegen das Direktorium vom 30. Prairial VII (18. Juni 1799) sollte eine Wende in der Symbolpolitik nach sich ziehen. Briot schlug vor, die Zahl der Feste fortan auf vier zu begrenzen: auf den 14. Juli, 10. August, 21. Januar und 1. Vendémiaire.1367 In seinem Bericht zur Lage der Republik vom 12. Fructidor (29. August) beschuldigte der Abgeordnete das letzte Direktorium der Misswirtschaft und Gefährdung der Republik. Der Esprit public müsse zukünftig mit anderen Mitteln erneuert, die Verfassung stärker ‚popularisiert‘, die Fraktionskämpfe ‚nationalisiert‘ werden. Das Fest der Republikgründung zu Beginn des Jahres VIII (September 1799) betrachteten viele Abgeordnete als einen Markstein auf dem Weg zur neuen Eintracht.1368 Der Rat der Alten verhinderte jedoch ambitioniertere Reformprojekte. Kurz darauf beendete die Konsulatsverfassung die Debatte um die Feste mit einer radikalen Neuregelung.

1366

Directoire exécutif. Extrait du procès-verbal de la séance publique du 10 brumaire, an 6, Paris o. J. Monge erhielt im Anschluss an Berthier das Wort; seine Rede war äußerst politisch und vor allem durch Überlegungen zur Innen- und Außenpolitik gekennzeichnet. Er richtete sich gegen die englische Regierung, die nicht mit den Prinzipien der Französischen Republik vereinbar sei und folglich bekämpft werden müsse. Der Auftrag des Direktoriums sei noch nicht erfüllt; durch Bildung und Symbolpolitik müsse Frankreich im Inneren, durch Waffengewalt und Tapferkeit gegenüber dem Ausland verteidigt werden. 1367 Vgl. Moniteur n° 347, 17 fructidor VII (3. September 1799), CCC, suite de la séance du 12 fructidor. 1368 Vgl. Moniteur n° 346, 16 fructidor VII (2. September 1799), CCC, suite de la séance du 12 fructidor.

3.4 Hochfeste instrumentalisieren

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3.4.2 Festliche Geschichtspolitik: Orte der Erinnerung, der Gegenwart und der Zukunft Geschichte hatte bereits im Ancien Régime identitätsprägende Funktion, sowohl in der religiösen als auch in der säkularen Erinnerungskultur. Dass sie jedoch zu einem Kampffeld der Vergangenheitsinterpretationen und Zukunftserwartungen werden konnte, lag in einem Wandel des Geschichtsverständnisses begründet, der im 18. Jahrhundert um sich griff.1369 Vergangenheit und Zukunft zugleich umfassend, wurde Geschichte zu einem regulativen Axiom für alle gemachte und die noch zu machende Erfahrung; sie rückte zu einem Erwartungs- und Leitbegriff auf. Mit der Revolution erfuhr diese Entwicklung eine bemerkenswerte Beschleunigung. Angesichts des Willens zum Bruch mit der Vergangenheit sowie angesichts der Ungewissheit über den Ausgang des revolutionären Projektes wurden die ‚Aufgaben‘ der Geschichte von nun an auf verschiedene Art und Weise wahrgenommen: Interessengruppen beriefen sich in unterschiedlicher Form auf die Vergangenheit. Diese wurde damit ideologieanfällig und instrumentalisierbar: Der Kampf um die Herrschaft war immer auch ein Kampf um die Deutungsmacht über die Geschichte, über Erinnern und Vergessen.1370 Dabei stritten die verschiedenen Parteien in der republikanischen Zeit vor allem um die Deutung der zurückliegenden Ereignisse der Revolution. Vor den Augen der Öffentlichkeit trachteten sie nach legitimierenden, mobilisierenden, politisierenden, skandalisierenden, diffamierenden oder ähnlichen Wirkungen in der politischen Auseinandersetzung. Alle Deutungseliten, von Politikern über Journalisten bis hin zu Intellektuellen und Wissenschaftlern, beteiligten sich an diesem geschichtspolitischen Geschäft.1371

1369

Vgl. KOSELLECK, Reinhart: Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt am Main 1979, u. a. S. 54f., S. 142f., sowie ders.: Zeitschichten. Studien zur Historik, Frankfurt am Main 2003, S. 225–239. 1370 Vgl. nach wie vor als beste Zusammenfassung zu diesem Thema: FURET, François: 1789 – Vom Ereignis zum Gegenstand der Geschichtswissenschaft, Frankfurt am Main u. a. 1980 (= Sozialgeschichtliche Bibliothek) [frz. Original: Penser la Révolution française, Paris 1978]. Zur Aktualität der konkurrierenden Interpretationen der Revolution anlässlich des Bicentenaire von 1989 vgl. KAPLAN, Steven L.: Adieu 89, Paris 1993. 1371 Vgl. zur Definition und Anwendung des Begriffes ‚Geschichtspolitik‘ u. a. WOLFRUM, Edgar: Geschichtspolitik in der Bundesrepublik Deutschland. Der Weg zur bundesrepublikanischen Erinnerung, 1948–1990, Darmstadt 1999, S. 17–28. Als Kategorie wird der Terminus wertneutral verwendet, kann ebenso aufklärerische, emanzipatorische Funktionen, Intentionen und Wirkungen haben wie allein legitimatorische oder traditionale. Vgl. ebd., S. 26f.

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3. Gesellschaft als Projekt

Im Kontext der jährlichen Nationalfeste fand in Frankreich ein öffentlicher Kampf um die Hegemonie von Diskursen und Deutungsmustern im Blick auf die Geschichte statt.1372 Im Folgenden ist bei der Analyse von Festvorbereitungen und Festreden nicht die Frage nach dem ‚Wahrheitsgehalt‘ der dabei vermittelten Geschichtsbilder entscheidend, sondern die Frage durch wen, mit welchen Mitteln und welcher Absicht Erfahrungen mit der Vergangenheit thematisiert und politisch relevant wurden. In chronologischer Reihenfolge werden verschiedene Deutungen der revolutionären Ursprünge der Republik thematisiert. In Kapitel 3.4.1 konnte bereits gezeigt werden, wie stark die Feste des Sommers 1795 unter dem Eindruck der Volksaufstände vom April und Mai sowie der erstarkenden Gegenrevolution im Landesinneren standen. Die gemäßigte Mitte fühlte sich während ihrer Arbeit an der neuen Verfassung von rechts und links bedroht. In diesem Kontext bemühte man sich um Ausgleich – keiner der beiden oppositionellen Strömungen sollte durch die Symbolpolitik des Konvents neuer Auftrieb gegeben werden. Immer klarer setzten sich die gemäßigten Anhänger der Partei der Mitte beziehungsweise des ‚Zentrums‘ durch – was sich unter anderem im Gedenken an die zurückliegenden journées révolutionnaires zeigte, die geschichtspolitische Positionierungen erforderlich machten: Welche Ereignisse waren es wert, ‚gefeiert‘ zu werden, welche anderen Anlässe galt es zu ‚vergessen‘? Welche Auswirkungen hätte diese oder jene Entscheidung auf die Haltung der Opposition? Welche Zugeständnisse musste man machen, um den Fortbestand der Republik zu sichern? Aus den verschiedenen Redebeiträgen geht deutlich hervor, dass sich die Abgeordneten der Krisenhaftigkeit der Situation bewusst waren: Man verstand sich als Sachwalter einer Übergangszeit, in der man sich mit großen öffentlichen Inszenierungen eher zurückhielt. Neue Impulse in der Festpolitik sollten der Zukunft der Republik nach Errichtung des Direktoriums vorbehalten bleiben. Und dennoch bezog man mit jedem Festakt, der überhaupt begangen wurde, deutlich Stellung.1373 Laut Dekret vom 18. Floréal II (7. Mai 1794) war der 31. Mai im Jahr 1795 nach wie vor ein Nationalfeiertag: zur Erinnerung an den 1372

Vgl. zu den im Folgenden angestellten Überlegungen: OZOUF: De thermidor à brumaire, passim. 1373 Die Feste vom Ende des Jahres 1794 sollen an dieser Stelle nicht analysiert werden. Zu diesem Zeitpunkt waren die Machtverhältnisse noch so unklar, dass keine Aussage über eine ‚offizielle‘ Geschichtspolitik des Regimes gemacht werden kann. Am Beispiel der Pantheonisierung Marats werden in Kapitel 4.4 Strategien oppositioneller Symbolpolitik analysiert.

3.4 Hochfeste instrumentalisieren

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Volksaufstand vom 31. Mai bis zum 2. Juni 1793 gegen die Gironde, der zur Ächtung von 27 Abgeordneten, zum Ausschluss von 76 weiteren Konventsmitgliedern aufgrund ihrer Solidaritätsbekundungen sowie zu anschließenden Verhaftungen und Hinrichtungen geführt hatte.1374 Robespierre hatte die Ereignisse im Nachhinein als Sieg der Revolution interpretiert und den ersten Tag des Aufstands zum Nationalfeiertag gekürt. Ein Jahr später waren aufgrund der veränderten politischen Lage die Überlebenden bereits in die Versammlung zurückberufen worden. Der Aufstand wurde nunmehr als Höhepunkt der revolutionären Krise von 1793 gedeutet; eine positiv besetzte Erinnerung war undenkbar.1375 Durch den unmittelbaren Eindruck der erneuten Aufstände in der Hauptstadt, besonders desjenigen vom 1. Prairial III (20. Mai 1795), wurde im Gegenteil der Wunsch nach einer deutlichen Distanzierung von der Sansculottenbewegung bestärkt: Erneut hatte die Volksbewegung den Konvent als Institution bedroht; der Abgeordnete Féraud war ermordet worden. Die Erinnerung an die Bluttat wurde mit dem Gedenken an die Opfer von 1793 verknüpft. Symbolpolitisch wirkungsvoll beschloss man, am 14. Prairial (2. Juni) eine Trauerzeremonie zu veranstalten: Am 2. Juni 1793 waren die 22 führenden Mitglieder der Gironde verhaftet worden. Der zweite Jahrestag sollte als Zeichen der Trauer und des Kampfes gegen die letzten Vertreter der Volksbewegung und ihre Fürsprecher im Konvent gestaltet werden. Férauds Tod wurde zum Symbol der Bedrohung durch die Sansculotten stilisiert und zu einer Abrechnung mit der Partei Robespierres genutzt. Bereits im Kontext des Aufstandes selbst hatten die Abgeordneten an den 31. Mai 1793 erinnert: Erneut habe das Volk versucht, der Versammlung seinen Willen aufzuzwingen. Doch dank des mutigen Eingreifens zahlreicher Volksvertreter und Bürger, so ließ eine proclamation des Konvents am 2. Prairial (21. Mai) verlautbaren, habe sich die Geschichte nicht wiederholt.1376 Durch diese Parallelisierung wurde den Aufständischen vom 1. Prairial jede Legitimität für ihr Handeln abgesprochen, ihnen letztlich sogar die Schuld an der aktuell herrschenden Hungersnot zugeschrieben: La Convention veut s’occuper et s’occupe sans cesse de l’arrivage des grains; mais elle ne saurait créer des grains. Sans le 31 mai, Robespierre n’aurait pas régné; s’il n’avait pas régné, vous ne seriez point tourmentés de la disette qui vous afflige aujourd’hui.

1374

Diese Zahlen vgl. bei REICHARDT: Das Blut der Freiheit, S. 155. Vgl. dazu und zum Folgenden SCHRÖER: Sinnstiftung im Ausnahmezustand, S. 225f. 1376 Vgl. Moniteur n° 247, 7 prairial III (26. Mai 1795), CN, suite de la séance du 2 prairial. 1375

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3. Gesellschaft als Projekt

Citoyens de Paris, c’est encore la disette, la terreur et la tyrannie que veulent nous donner les hommes qui vous poussent à faire un nouveau 31 mai.1377

Die proclamation bekannte sich positiv zu den Aufständen vom 14. Juli, 10. August und 9. Thermidor, an denen die Abgeordneten ‚Seite an Seite‘ mit dem Volk für die Freiheit und später für die Republik gekämpft hätten. Der 31. Mai wurde kompromisslos als Wegbereiter der Terreur interpretiert; der 1. Prairial wurde demgegenüber zum Triumph des Konvents über ‚Demagogen‘ und ‚Rebellen‘ aufgewertet, zum endgültigen Beginn einer Herrschaft des Rechts stilisiert. Chénier nutzte den Anlass zur Untermauerung der politisch gewollten Trendwende: Nicht mehr das Volk, sondern seine Repräsentanten seien die ‚Stütze‘ und damit das eigentliche Zentrum der neuen Ordnung. Bemerkenswert erscheint, dass der Thermidorianerkonvent im Zuge der Planungen zur Trauerfeier des 14. Prairial (2. Juni) weniger – wie beispielsweise Mona Ozouf angenommen hat1378 – um ein Vergessen der Vergangenheit bemüht war, sondern im Gegenteil die Erinnerung an die Verbrechen der Vergangenheit wachhalten wollte: „n’oubliez jamais“, leitete Chénier in mehrfacher Wiederholung seine Interpretation der Ereignisse von 1793 ein.1379 Zur Konsolidierung der eigenen Herrschaft vereinnahmten die Thermidorianer nun immer häufiger auch die Ereignisse der frühen Revolution. Zur Erinnerung an den 14. Juli 1789 ließ man verlautbaren, vor sechs Jahren habe das Volk zum ersten Mal gespürt, dass es die Kraft habe, den Thron zu stürzen: „c’est le jour où […] le peuple a recouvré sa dignité en recouvrant la charte de ses droits sous les décombres de la Bastille: là il acquit le sentiment de sa force et apprit à renverser le trône.“1380 Auch Ereignisse aus der Phase der konstitutionellen Monarchie konnten somit geschichtspolitisch für die republikanische Geschichte vereinnahmt werden. Für das Selbstverständnis der Republik noch wichtiger waren die Jahrestage des 9. Thermidor (27. Juli) und 10. August. Die Meinungen darüber, ob die beiden Tage beziehungsweise welcher von ihnen gefeiert werden sollte, gingen im Konvent auseinander: Machte sich der linke Flügel der Republikaner für den 10. August als Tag des Siegs über die 1377

Ebd. Vgl. OZOUF: De thermidor à brumaire, S. 57. Ozouf geht davon aus, dass sich in allen Festen der Jahre 1794 bis 1799 der Wunsch nach Beendigung der Revolution und Vergessen der grausamen Vergangenheit ausdrückte; dies entspreche dem „conformisme de juste milieu“. 1379 Vgl. Moniteur n° 250, 10 prairial III (29. Mai 1795), CN, séance du 6 prairial. 1380 Moniteur n° 299, 29 messidor III (17. Juli 1795), CN, séance du 25 messidor. 1378

3.4 Hochfeste instrumentalisieren

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Monarchie stark, so tendierte der rechte Flügel eher zu einer Feier in Erinnerung an den 9. Thermidor als Tag des Sieges über die radikale, vermeintlich ‚anarchistische‘ Republik. Als Kompromissvorschlag kam 1795 erstmals die Idee auf, beide Anlässe gemeinsam zu begehen – was der Berichterstatter Portiez jedoch als eher konfliktförderlich denn konfliktvermeidend zurückwies.1381 Er erläuterte die seiner Meinung nach unterschiedlichen ‚Charaktere‘ der beiden Feste. Repräsentiere das eine den Sieg der Freiheit und Gleichheit über die jahrhundertelange Knechtschaft der Monarchie, so sei am 9. Thermidor ein anderer Thron, nämlich derjenige der Terreur gestürzt worden.1382 Beide Tage würden von den Freunden der Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit gleich hoch geschätzt, denn die Republik sei in gleicher Weise durch die Royalisten und Terroristen bedroht. Wenn man nun jedoch beide Anlässe an demselben Tag begehe, spiele man den oppositionellen Strömungen in die Hand, die dem Konvent Parteilichkeit vorzuwerfen drohten: Les royalistes diraient que la Convention veut établir le règne de la terreur, puisqu’en célébrant le 10 août elle veut faire oublier le 9 thermidor, jour auquel le règne de la terreur fut détruit; les terroristes crieraient de leur côté au royalisme. La Convention, diraient-ils, veut rétablir la royauté, car elle ne célèbre pas l’anniversaire de la destruction de la royauté. Réunir la fête du 10 août à celle du 9 thermidor, n’est pas neutraliser l’effet de la première?1383

Da beide Anlässe so unterschiedliche Begründungen hätten, müssten sie getrennt voneinander begangen werden. Die geschickte Argumentation verbirgt nicht, dass in Wirklichkeit die Krise inzwischen so groß war, dass man glaubte, beiden Lagern durch die Durchführung von Feierlichkeiten genügen zu müssen.1384 Dies sollte jedoch die außerparlamentarische Opposition keineswegs davon abhalten, die von Portiez befürchteten Vorwürfe lautstark zu formulieren – getrennt voneinander und verteilt auf die beiden unterschiedlichen Gedenktage. Schon im Rahmen des Festakts zum 9. Thermidor kam es im Sitzungssaal zu einem Zwischenfall, der an die parallel stattfindenden Fraktionskämpfe auf der Straße erinnerte: Girard kritisierte kurz nach Beginn der Zeremonie, dass die Marseillaise, die inoffizielle Hymne der Republik des Jahres II, nicht gespielt worden sei – doch sein Einwand wurde zunächst übergangen.1385 Im Anschluss an die Rede Talliens und die Bekanntgabe des Sieges über die Aufständischen in Quibéron gab 1381

Vgl. Moniteur n° 310, 10 thermidor III (28. Juli 1795), CN, séance du 5 thermidor. Vgl. ebd. 1383 Ebd. 1384 Vgl. SCHRÖER: Sinnstiftung im Ausnahmezustand, S. 227. Außerdem Kapitel 3.4.3. 1385 Vgl. Moniteur n° 314, 14 thermidor III (1. August 1795), CN, séance du 9 thermidor. 1382

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das Orchester nach dem Ça ira dann zumindest die erste und letzte Strophe des Kriegsliedes zum Besten – was jedoch ebenfalls Einspruch hervorrufen sollte.1386 Bailleul erklärte die Marseillaise als ‚heilig‘, man dürfe sie nicht verbieten („proscire“), nur weil sie während der Terreur die Wagen zur Hinrichtung begleitet habe.1387 Gleichzeitig sprach er sich jedoch auch für eine Ergänzung der Marseillaise durch den Réveil du peuple aus, der sich im Winter als Kampflied der Reaktion großer Beliebtheit erfreut hatte und inzwischen in republikanischen Kreisen im Verdacht gegenrevolutionärer Gesinnung stand.1388 Die verbliebenen Mitglieder der Montagnards im Konvent protestierten angesichts der antirobespierristischen Rhetorik – doch das Institut de musique übertönte ihren Protest durch die Aufführung des Réveil; der Chant du départ beschloss das Fest. Zum ‚Vergessen‘ der Vergangenheit schien die Zeremonie nicht beigetragen zu haben – noch weniger aber offenbar zur Versöhnung der verfeindeten Lager. Erneut hatte sich der Festanlass vor allem als Auslöser (geschichts-)politischer Kontroversen erwiesen. Der 10. August wurde im Vorfeld seines zweiten Jubiläums als ‚Gründungstag der Gleichheit‘ neudefiniert, der die ‚verschwenderische‘, ‚despotische‘, ‚unterdrückende‘ und ‚verlogene‘ Monarchie beendet habe.1389 Zwar dauere der Krieg fort, doch das Blatt habe sich zum Guten gewendet und die verheißenen Siege seien nah, ebenso wie eine gute Verfassung. Portiez verknüpfte seine Vision mit einer Reihe von Zukunftsversprechen (Frieden, Sicherheit, Wohlstand). Einzelne Abgeordnete würdigten in demselben Zusammenhang die Girondisten (vor allem Vergniaud, Guadet, Condorcet), welche in Abgrenzung zu den „terroristes“ zu den ‚wahren‘ beziehungsweise ‚reinen‘ Republikanern („républicains purs“) stilisiert wurden, denen das Verdienst der Republikgründung zukomme.1390 Der Ruf nach Versöhnung wurde laut – und transportierte gleichzeitig bereits den nächsten Konfliktanlass: Um den 10. August als Tag der Republikgründung verstehen zu können, müsse zwischen ‚verschiedenen Typen von Republikanern‘ unterschieden werden, hieß es, was nicht immer einfach sei, obwohl diese unter1386

Vgl. Moniteur n° 315, 15 thermidor III (2. August 1795), CN, suite de la séance du 9 thermidor. 1387 Vgl. ebd. Dort auch zum Folgenden. 1388 Vgl. Kapitel 4.4. 1389 Vgl. Moniteur n° 321, 21 thermidor III (8. August 1795), CN, séance du 15 thermidor: „Le 14 juillet avait fondé la liberté, le 10 août a établi l’égalité.“ Ebd. auch zum Folgenden. 1390 Vgl. Gamon: Discours sur les moyens de rallier l’opinion puplique aux vrais principes de la révolution; außerdem vgl. Moniteur n° 328, 28 thermidor III (15. August 1795), CN, séance du 23 thermidor; sowie ebd. n° 358, 28 fructidor III (14. September 1795).

3.4 Hochfeste instrumentalisieren

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einander keineswegs – wie häufig behauptet würde – freundschaftliche Beziehungen gepflegt hätten.1391 Der Parteiengeist habe den Konvent regiert und ein ‚Reich der Aufrührer‘ („empire des factions“) errichtet.1392 Der ‚wahrhaft‘ republikanische Geist sei im Konvent nie erloschen und durch den 9. Thermidor zu neuem Leben erweckt worden, nunmehr seien ‚Gerechtigkeit‘ und ‚Mäßigung‘ die wichtigsten Prinzipien der Republik;1393 seit ihrem Beginn habe die Revolution dadurch erstmals zu ‚Ordnung‘ und ‚Stabilität‘ gefunden.1394 In dem Moment, wo die Verfassung eingesetzt würde, gelte es nun, mit gutem Beispiel voranzugehen und „réconciliation“ zu demonstrieren – wohlbemerkt, nachdem man sich der letzten Anhänger der Tyrannei entledigt und den Konvent gesäubert habe.1395 Zum Jubiläum der Republikgründung fand 1795 trotz verschiedener Vorschläge ausnahmsweise keine besondere Zeremonie statt. Der Erziehungsausschuss und die Commission des Onze hatten zugestimmt, die Feier auf den Tag zu verschieben, an dem ganz Frankreich durch Wahl und Referendum die neue Verfassung akzeptiert habe.1396 Die zu erwartende breite Zustimmung sei dann Anlass für eine große Feier im Geiste der Aussöhnung. Ganz wurde auf die Symbolik aber doch nicht verzichtet. Schneller als man es zunächst für möglich gehalten hätte, präsentierte Gomaire im Namen des comité des décrets noch am 1. Vendémiaire (23. September) die Ergebnisse des Plebiszits über die Verfassung und die Zweidritteldekrete, die beide mit großer Mehrheit angenommen worden waren.1397 Grund zum Feiern hatten die Abgeordneten 1391

Vgl. Gamon: Disours, S. 3f. Vgl. ebd., S. 5. 1393 Vgl. ebd., S. 6. 1394 Vgl. ebd., S. 7. 1395 Vgl. ebd., S. 8. Boissy d’Anglas wandte ein, man dürfe nicht nur an die Gironde erinnern, sondern müsse alle ‚Märtyrer der Terreur‘ mit ins Gedenken einschließen; es gelte, ein ‚Sühnefest für alle Untaten‘ zu veranstalten (vgl. Moniteur n° 366, 6e jour complémentaire III, 22. September 1795, CN, suite de la séance du 2e jour complémentaire). Da das dritte Gründungsjubiläum der Republik bevorstehe, könnten die Anlässe zusammen begangen werden. Die Verstorbenen hätten der Republik ihren Mut, ihre Tugend und ihr Leben gewidmet, daher sei der 1. Vendémiaire der ‚schönste‘ Anlass, um ihrer Opferbereitschaft zu gedenken. Die Idee scheiterte jedoch am Widerspruch anderer Abgeordneter. 1396 Die Abstimmungsergebnisse des Verfassungsreferendums lagen allerdings am 1. Vendémiaire bereits vor und wurden auch in derselben Sitzung verkündet. Vgl. Portiez, in: Moniteur n° 5, 5 vendémiaire III (27. September 1795), CN, séance du 1er vendémiaire. 1397 Die Verfassung mit 914.853 Ja- gegenüber 41.692 Neinstimmen; die Zweidritteldekrete mit 167.758 zu 95.373 Stimmen. Vgl. Moniteur n° 4, 4 vendémiaire IV (26. September 1795), CN, séance du 1er vendémiaire. Dort auch zum Folgenden. 1392

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in der Hauptstadt dennoch nicht: Nur eine Pariser Sektion hatte ihre Zustimmung zu den Dekreten bekundet; die meisten Wahlversammlungen der Hauptstadt waren längst Zentren der Agitation gegen den Konvent.1398 Der anschließend verlesene Abschlussbericht der Commission des Onze beinhaltete eine umfassende geschichtspolitische Deutung der revolutionären Vergangenheit vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Situation. Die Idee der Volkssouveränität, so hieß es, sei trotz der politischen Krise die entscheidende Grundlage der neuen Ordnung. Anders als im Jahr 1793 habe man daher die neue Verfassung dem Votum des Volkes unterworfen; anders als 1793 habe man nicht vor, diesem Willen durch Notstandsmaßnahmen und Suspension der Grundrechte zu widersprechen. Die Mehrheit der Bürger Frankreichs stehe deutlich hinter seinen Repräsentanten und der Verfassung.1399 Paris wurde zum Zentrum der Erneuerung der Gesellschaft und der Perfektion der Wissenschaften und Künste erklärt. Und selbst die faubourgs wurden in einer Umarmungsgeste wieder in die nationale Gemeinschaft aufgenommen – als „peuplés d’hommes utiles et labourieux“, die den „commerce national“ förderten und sicherten. Offensichtlich wusste man um die Bedeutung der Unterstützung durch das Volk angesichts des drohenden Aufstands der ‚rechten‘ Opposition. Der Text kann jedoch auch als Bekenntnis zum Parlamentarismus gewertet werden, der sich von den Notstandsmaßnahmen des Jahres II distanzierte. Die für den 11. Vendémiaire IV (3. Oktober 1795) anberaumte Trauerfeier zur Erinnerung an alle Opfer der Terreur wurde Zeuge einer heftigen tagespolitischen Debatte – im Zeichen der Vergangenheit. Die Agitation der Pariser Sektionen gegen den Konvent, die zwei Tage später in einem Aufstand gipfeln sollte, war unübersehbar. Bereits vor dem eigentlichen Beginn beschwerten sich Bürger aus Valenciennes, der Konvent gehe nicht energisch genug gegen die reaktionäre Stimmungsmache in der Hauptstadt vor. Die Durchführung der Zeremonie war gefährdet; erst Tallien überzeugte seine Kollegen, eine Verschiebung käme einem Eingeständnis von Schwäche gleich. Man wolle gemeinsam weinen und anschließend gemeinsam das Schwert ziehen im Kampf

1398

Immerhin zogen alle Anwesenden, Zuschauer und Abgeordnete respektvoll ihren Hut, als der Präsident im Namen des Volkes die Annahme der Verfassung proklamierte. Langanhaltender Beifall und Vive-la-République-Rufe bekräftigten die Einsetzung der neuen Rechtsgrundlage. Vgl. ebd. 1399 Vgl. Moniteur n° 5, 5 vendémiaire IV (27. September 1795), CN, suite à [sic] la séance du 1er vendémiaire.

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gegen die Feinde der Republik, welche als Chouans und Royalisten denunziert wurden („la nouvelle horde de Charette“). Die Ereignisse überstürzten sich. Nachdem das Conservatoire eine Totenklage gespielt hatte, beschuldigte Bailleul die Anführer der Pariser Sektionen, einen baldigen Frieden und die Einrichtung der verfassungsgemäßen Regierung verhindern zu wollen. Legendre ging noch weiter, indem er den Sektionsführern sogar unterstellte, diese wollten den Konvent ‚vernichten‘, nie sei das Vaterland in größerer Gefahr gewesen: „Prévenons la guerre civile, il ne serait peut-être plus temps de l’arrêter quand elle aurait éclaté.“1400 Die Versammlung beschloss, fortan ohne Unterbrechung zu tagen. Man wollte als einheitliche Körperschaft die Verantwortung für die Situation übernehmen. Parallel stritt man wiederum über die ‚richtige‘ Erinnerung an die Vergangenheit: Hardy kritisierte, die aus Anlass der Trauerfeier gespielte Hymne erwähne nur die Namen von 22 hingerichteten Volksvertretern, wohingegen doch insgesamt 47 Abgeordnete der Terreur zum Opfer gefallen seien.1401 Erst nach mehrfachen Unterbrechungen konnte der Präsident überhaupt seine Trauerrede halten, bevor verschiedene Marsch- und Kriegslieder die Feier beenden sollten. Spätestens in der anschließenden Nachtsitzung wurde deutlich, wie sehr konkurrierende Vorstellungen vom Umgang mit der Vergangenheit die Reihen der Abgeordneten spalteten: Philippe Deleville, einer derjenigen Girondisten, die 1793 gegen den 31. Mai protestiert hatten und dafür selbst verfolgt worden waren, schlug vor, den Abgeordneten, die während der Terreur hingerichtet worden waren, im Sitzungssaal eine Gedenksäule zu widmen; Legendre widersprach, indem er daran erinnerte, die Trauerfeier sei nicht für die Gironde, sondern im Andenken an alle Opfer der Terreur abgehalten worden. Und trotz lauter Zwischenrufe, welche die Einhaltung der Tagesordnung forderten und die Erinnerungspolitik der Nachwelt überlassen wollten, fand die Idee des Denkmals für die Märtyrer der Freiheit weitere Fürsprecher. Thibaudeau wehrte die Vorschläge mit dem Argument ab, auch hinsichtlich einer Denkmalsetzung gelte das Gesetz vom Frühjahr, welches – unter dem Eindruck der Depantheonisierung Marats – festgesetzt habe, öffentliche Ehrungen könnten frühestens zehn Jahre nach dem Tod erreicht werden. Die Sitzung wurde anschließend noch durch 1400

Moniteur n° 15, 15 vendémiaire IV (7. Oktober 1795), CN, séance du 11 vendémiaire. Andere Stimmen, unter anderem Barras, rieten zwar zur Mäßigung, doch schließlich wurde per Gesetz die sofortige Auflösung der Wahlversammlungen nach Abschluss des Verfahrens verfügt. 1401 Die vollständige Namensliste wird verlesen und ins Protokoll aufgenommen; vgl. ebd.

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einen jungen Reaktionär gestört, dessen auffälliges Erscheinungsbild den Unmut der Tribüne auf sich zog: Zopf und grüner Kragen ließen ihn als Royalisten erkennen.1402 Zwei Tage später kam es zum Aufstand der politisch gemäßigten Sektionen von Paris, den der Konvent nur mit Hilfe der Armee niederschlagen konnte. Solche Erfahrungen sollten die Parlamentarier mit veranlassen, im Erziehungsgesetz vom 4. Brumaire IV (26. Oktober 1795) den Festkalender zu begrenzen. Den geschichtspolitischen Debatten ließ sich aber damit kein Riegel vorschieben. Im Gegenteil: Im Kontext der andauernden Fraktionskämpfe wurden immer wieder Neuregelungen und Ergänzungen von Feiertagen beschlossen. Keine Partei war bereit, auf den ‚eigenen‘ Gedenktag zu verzichten. Der 21. Januar wurde bereits 1796 erneut zum Nationalfeiertag erklärt;1403 ebenso verfuhr man im Sommer 1796 mit den Festen des 14. Juli und des 10. August.1404 Dieser Kanon von fünf Gedenkfesten (14. Juli, 10. August, 1. Vendémiaire, 21. Januar, 9. Thermidor) blieb während des gesamten Direktoriums bestehen. Zusätzlich erinnerte man nach 1797 den Jahrestag des Staatsstreiches vom 18. Fructidor (4. September).1405 Die Debatten um die richtige Deutung der revolutionären Vergangenheit wurden im Jahresrhythmus fortgesetzt. Die Konfliktlinie spaltete sogar das neue Regierungsgremium: Glaubt man den Mémoiren von Barras, wollte Carnot auf das Gedenken an den 14. Juli verzichten.1406 Das Fest des 9. Thermidor IV (27. Juli 1796) fand während der Präsidentschaft Carnots statt und gedachte zusammenfassend der Errungenschaften des 14. Juli, 10. August und des 9. Thermidor. Die Regieanweisungen zur Durchführung benannten zwar den 14. Juli als ‚ersten Tag auf dem Weg zur Rückeroberung der Bürgerrechte‘ und den

1402

Vgl. ebd. Vgl. das Gesetz vom 21. Nivôse IV (11. Januar 1796), in: Extrait des registres [sic] des délibérations du Directoire exécutif, du 22 Nivôse, an 4 de la République française, une et indivisible, signé Reubell. Genaugenommen konkurrierten somit zwei republikanische Gründungsdaten miteinander. 1404 Vgl. den Beschluss des Conseil des Anciens vom 10. Thermidor des Jahres IV (28. Juli 1796). 1405 Außerdem gab es außerordentliche Erinnerungsanlässe wie die Begräbnisfeiern für Hoche und Joubert oder Triumph- und Siegesfeiern wie am 20. Nivôse an VI (9. Januar 1798) anlässlich der paix continentale. Und nach dem Staatsstreich des 18. Fructidor wurden gemäß einer neuen politischen Ausrichtung die Fête de la Souveraineté du Peuple (Gesetz vom 13. Pluviôse an VI/1. Februar 1798) eingeführt. Das Fest der Souveraineté du Peuple wurde auf den 30. Ventôse (20. März) gelegt, d. h. den Vorabend der Zusammenkunft der jährlichen Wahlversammlungen. 1406 Vgl. Barras: Mémoires, Bd. 2 [= Ausgabe von 1896], S. 169–172. 1403

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10. August als ‚Tag des Thronsturzes‘,1407 aber die Zeremonie konzentrierte sich vor allem auf die Erinnerung an den 9. und 10. Thermidor, die – entgegen den Tatsachen – zur Geburtsstunde der neuen Verfassung überhöht wurden. Die Siege über die Monarchie und über die Jakobinerherrschaft sollten landesweit als doppelter Verfassungs- und Thronsturz nachempfunden werden;1408 in der Hauptstadt wurden die Akte der Zerstörung der Bastille ebenso wie die Ereignisse des 10. August 1792 sogar szenisch nachgestellt.1409 Mit der Feier des 10. August reagierte das Direktorium schließlich auf Vorwürfe, die die Regierung einer ‚Politik des Vergessens‘ beschuldigt hatten.1410 Der 14. Juli 1789 und 10. August 1792 wurden im Sommer 1796 zu gleichwertigen ‚Gründungsereignissen‘ der Freiheit und der Republik erklärt: Gloire immortelle au 9 thermidor qui a renversé la tyrannie décemvirale, ou, si l’on veut, triumvirale! Mais aussi, gloire immortelle au 14 juillet, premier jour de la révolution française! Gloire immortelle au 10 août, dernier jour du despotisme royal!1411

Die Republik hatte inzwischen mindestens vier Geburtstage. Trotz der Beschlussfassung wiederholte sich im Sommer V (1797) die Diskussion über Sinn und Unsinn einer Zusammenlegung der Gedenkfeiern im Juli und August – die Wahlen hatten die Mehrheitsverhältnisse erneut verschoben. Jean Debry schlug vor, nunmehr den 14. Juli als idealen 1407

Vgl. DE, Arrête du 17 messidor an IV, in: Moniteur n° 299, 29 messidor IV (17. Juli 1796). 1408 Rufe „haine à la tyrannie, vive la liberté“ sowie „Vive la constitution! vive la République“ sollten die Akte der Zerstörung des Throns und der Verfassung von 1791 bzw. des Verbrennens des Throns und der Verfassung von 1793 begleiten. Das Fest war jedoch von den Zuschauerzahlen her zu urteilen erneut ein Reinfall: Das Wetter war miserabel, und die Zeitungen berichteten, dass in Paris die Geschäfte geöffnet hatten, wie an normalen Werktagen. Vgl. Moniteur n° 313, 13 thermidor IV (31. Juli 1796). 1409 Vgl. Programme des fêtes des 7 [sic] et 10 thermidor, pour le canton de Paris, in: Moniteur n° 304, 4 thermidor IV (22. Juni 1796). 1410 Guyomar bezeichnete den Verzicht auf die Erinnerung an den 14. Juli als ‚Gesetzesbruch‘ durch die Regierung: „Au 14 juillet on a dit que la souveraineté appartenait au Peuple, on la lui a restituée au 10 août. Ces deux jours doivent donc nous être également chers, et, conformément aux lois existantes, doivent être célébrés par des fêtes annuelles qui en perpétuent le souvenir. Cependant le directoire a arrêté qu’une seule et même fête, célébrée le 9 thermidor, rappellerait ces trois mémorables époques. Cette disposition est contraire à la loi. La commémoration du jour où le Peuple de Paris a renversé la Bastille, ne doit être célébrée que le 14 juillet.“ 1411 Zitiert nach Moniteur n° 312, 12 thermidor IV (30. Juli 1796), CCC, séance du 8 thermidor. Im Hinblick auf den 10. August vgl. DE, Arrêté du 13 thermidor, in: Moniteur n° 322, 22 thermidor IV (9. August 1796) sowie Fête nationale du 10 août, fixée au 23 thermidor an IV, in: Moniteur n° 323, 23 thermidor IV (10. August 1796); Anniversaire du 10 août, in: Moniteur n° 329, 29 thermidor IV (16. August 1796).

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Feiertag für alle drei revolutionären Ereignisse (14. Juli, 10. August und 9. Thermidor) zu begehen – ohne Erfolg.1412 Immerhin bemühte sich die Regierung des Direktoriums um Kontinuität: Im offiziellen Festakt wurde der 14. Juli erneut zum ‚Fest der Freiheit‘ erklärt.1413 Wohl als Reaktion auf die wachsenden Differenzen zwischen der Regierung und den Räten durchzog ein warnender Appell an die Einheit die Festrede: „portons, jusqu’aux pieds de l’Eternel, notre hommage libre et pur, que chacun l’adore à sa manière, pourvu que l’offrande commune soit un esprit de concorde et d’amour.“ Die Revolution wurde zum wiederholten Male für beendet erklärt: „La Révolution est terminée“. Das ‚Konzert‘, welches am 14. Juli in der Hauptstadt begonnen habe, müsse nunmehr durch jeden einzelnen in ganz Frankreich weitergeführt werden. Nach dem Staatsstreich vom 18. Fructidor (4. September) konnte das Direktorium seine Vision der Vergangenheitsdeutung im Rahmen von Festen und anderen öffentlichen Zeremonien sehr viel gezielter als zuvor durchsetzen. Dabei bemühte man durchaus ähnliche Topoi wie in den Jahren 1794 bis 1797. Die Rhetorik wurde darüber hinaus jedoch um eine nationalistische Dimension erweitert: Nicht mehr ausschließlich die Geschichte der Republik oder der Revolution, sondern die gesamte französische Geschichte sollte nunmehr vor dem Hintergrund der republikanischen Gegenwart neu gedeutet werden. Barras interpretierte bei seiner Festrede zum 2. Pluviôse VI (21. Januar 1798) die zurückliegenden Jahrhunderte als gemeinsam durchlittene Geschichte der ‚Versklavung‘ des eigentlich freiheitsliebenden französischen Volkes (fortan zu bezeichnen als ‚große Nation‘). Gegen die Römer habe man die ‚Freiheit der Felder‘ aufgeboten, gegen die Wikinger die Reinheit der Sitten bewahrt: Peuple français! Vous que désormais on n’appellera plus sur la terre que la grande nation, faut-il rappeler à votre ame indignée, que sans de barbares et sauvages conquérans, vous n’eussiez jamais connu la honte de gémir sous des rois. Long-temps objet de la terreur et de la vénération de ces Romains qui subjuguèrent le monde, libres et fortunés dans vos fertiles champs, vous ne connaissiez d’autres maîtres que la simplicité de vos lois; gouvernés par des magistrats élus librement aux champs de Mars, vous étiez déjà l’exemple des nations, lorsque des hordes du nord se débordèrent dans vos plaines, et

1412

Vgl. Moniteur n° 301, 1er thermidor V (19. Juli 1797) und n° 302, 2 thermidor V (20. Juli 1797), CCC und CA, séances du 26 messidor. Die konservative Mehrheit der Räte setzte andere Schwerpunkte: Man verzichtete sogar auf die übliche Feierstunde und setzte die Debatte über die cultes fort. 1413 Vgl. Extrait du procès-verbal de la séance publique du Directoire exécutif, du 26 messidor an V, in: Moniteur n° 298, 28 messidor V (16. Juli 1797). Dort auch zum Folgenden.

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vous apportèrent des fers et des tyrans. Quel contraste avec la pureté de vos mœurs [...]!1414

Der Hass auf das Königtum sei die Grundlage jeder Zukunft. Die Revolution des 14. Juli habe dem ‚Stolz‘ eines Ludwigs XIV. und der ‚Verschwendungssucht‘ eines Ludwigs XV. ein ‚blitzartiges‘ Ende bereitet: mais enfin l’orgueil de Louis XIV, les débauches de Louis XV, et la perfidie de leur fils comblèrent la mesure, et le 14 juillet vint comme la foudre renverser dans un instant ce hideux colosse de puissance que la barbarie, l’orgueil et l’ambition avaient mis tant de siècles à former. O jour mémorable, jour à jamais sacré pour le souvenir de tous les amis de la liberté! D’un côté vingt-cinq millions d’hommes et leurs vertus, de l’autre un trône décrépit et le crime impuissant. Alors l’épouvantable écroulement de la Bastille fut le premier effet de l’inviolable haine que jurait aux rois une nation si justement irritée, et qui cependant n’avait pas encore fait l’épreuve de tous les attentats dont la royauté était capable.1415

Trotz aller Versuche des ehemaligen Königs, die Herrschaft der Freiheit zu behindern oder zu beenden, sei der Siegeszug der Revolution unaufhaltsam gewesen. Hinterhältigkeit und Machiavellismus hätten den Hass der Franzosen notwendigerweise auf sich gezogen. Der Hass auf das Königtum sei weder dem Zufall noch einem Irrweg der Revolution, weder dem Übereifer noch persönlichem Ehrgeiz geschuldet. Er erkläre sich durch ‚Nachdenken‘ und ‚Reife der Weisheit‘; die Franzosen hätten eine republikanische Regierung gewünscht: Vous voulûtes le gouvernement républicain, et le trône s’humilia devant cette toute-puissante volonté de la nation. Vous entourâtes alors ce gouvernement naissant de toute votre valeur, et ses ennemis coalisés furent terrassés. Entourez-le aujourd’hui de votre attachement, et il anéantira toutes les factions intérieures qui empêchent votre bonheur.1416

Aus der Deutung der Vergangenheit wurden Handlungsanweisungen für die Zukunft abgeleitet. Zwar seien die Anhänger des Königtums geschwächt, aber noch nicht geschlagen; besonders anlässlich der Wahlen sei daher höchste Vorsicht geboten.1417 Bewaffnete brigands versuchten in den Städten, ebenso wie Priester auf dem Land, einen neuen Bürger1414

Barras, Paul-Jean-François-Nicolas: Discours prononcé par le citoyen Barras, président du Directoire exécutif, le 2 Pluviôse an VI, jour de l’anniversaire du supplice du dernier tyran des Français, Paris, an VI, S. 1f. 1415 Ebd., S. 3f. 1416 Ebd., S. 4f. 1417 „Car, n’en doutez pas, c’est surtout à l’approche des élections, ces crises annuelles et tutélaires des gouvernemens représentatifs, que ces monstres redoublent d’efforts pour en dénaturer le principe, en contester la nécessité, ou, comme l’anné dernière, les maîtriser et les régulariser, conformément à leurs royales instructions […].“ Vgl. ebd.

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krieg anzuzetteln und diesen mit dem äußeren Krieg zu verbinden. Die Erneuerung des Eides, gemäß der Formel der loi du 21 nivôse, erschien vor diesem Hintergrund als notwendiges Bindemittel zum Kampf für die Sicherung der republikanischen Zukunft: „Je jure haine à la royauté et à l‘anarchie; je jure attachement et fidélité à la République et à la constitution de l’an 3.“1418 Auch die Räte beteiligten sich an der neuen Geschichtspolitik im Zeichen der grande nation. Im Vorfeld des 26. Messidor VI (14. Juli 1798) bemühte Housset die üblichen Topoi und Feindbilder (wie zum Beispiel die Dichotomie von „crime“ und „vertu“), um die symbolpolitische Initiative des Direktoriums über die institutions républicaines als Stabilisierungsmaßnahme im Dienste der Republik zu begründen.1419 Der 14. Juli sei der erste Schritt zur Etablierung einer Verfassungsordnung gewesen. Zwar sei es den Gesetzgebern nach wie vor verboten, an den öffentlichen Feierlichkeiten teilzunehmen, doch wollte man im Rahmen einer Gedenkstunde eine „hommage public à la liberté“ formulieren – auch um die Versäumnisse und Fehlleistungen der parlamentarischen Kammern vom Vorjahr zu kompensieren: „Par une séance si bien employée vous réparerez celle du 26 messidor de l’an 5, qui ne fut consacrée qu’à des discussions qui préparoient l’anéantissement de la République.“1420 Chénier feierte in seiner Funktion als Ratspräsident 1798 den 14. Juli als ersten Tag der Volkssouveränität. Zur Beschwörung der Einheit des französischen Volkes bemühte er erneut die Familienmetapher – und suggerierte durch seine Ausführungen, der Sturm auf die Bastille sei völlig einstimmig und unblutig verlaufen: de rue en rue, de bouche en bouche se prolonge avec la rapitdité de la foudre, ce cri touchant et sublime: Vive la liberté! la Bastille est prise! Le reste du jour fut une fête: et quelle fête, représentants du peuple! tous les fronts étaient jouyeux; tous les yeux étaient attendris; tous les élans étaient sincères; toutes les passions étaient sublimes. Dans les rues, dans les jardins, dans les places publiques, les citoyens indistinctement se parlaient, se connaissaient, sentaient le besoin de se rapprocher.

1418

Vgl. auch Kapitel 3.3.2. Vgl. Housset, Étienne-François: Corps législatif. Conseil des Cinq-cents, Opinion de Housset sur le 14 juillet, Séance du 12 messidor an 6 (30. Juni 1798); dort auch zum Folgenden. 1420 Ebd. 1419

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Cette immense population n’était plus qu’une seule famille. Les amis s’aimaient d’avantage; les ennemis oubliaient leur haine et commençaient à s’aimer.1421

Die Nationalgarde wurde nicht weniger anachronistisch als Befreiungsarmee der grande nation überhöht, welche inzwischen ganz Europa gedient habe. Der 14. Juli sei daher als Tag des ‚Erwachens der grande nation‘ der wichtigste Gedenktag aller freien Völker. Den zum Festakt im Rat der Fünfhundert geladenen Iren versprach Chénier, dass ‚ihr‘ 14. Juli dank des unaufhaltsamen Fortschritts bald kommen werde. Der Ehrgeiz Einzelner habe die Erbmonarchie und privilegierte Klassen erfunden – aber die Natur kenne nur die Völker. Im Rat der Alten wurde bei gleichem Anlass der 14. Juli sogar für die Rechtfertigung der aktuellen Repressionspolitik herangezogen, wenn der Staatsstreich des 18. Fructidor V (4. September 1797) als Akt zur Rettung ‚seiner‘ Errungenschaften motiviert wurde: 14 juillet!!! que serais-tu devenu sans le 18 fructidor, sans ce jour où la minorité du Corps législatif, s’unissant à la majorité du directoire, le montre royal fut frappé au cœur, les conspirateurs saisis ou dispersés?1422

In die neue Erinnerungspolitik waren auch die Helden der Revolution von 1789 integriert. Die Rede verklärte die ersten Tage der Freiheit; sogar ein Porträt Mirabeaus wurde vom Rat der Alten als Geschenk akzeptiert: „quel délicieux épanchement de confiance! quelle union de sentimens! Tout, oui tout fut alors donné au premier besoin de l’homme, la liberté.“1423 Die Männer des 14. Juli wurden in beiden Räten mit denselben Worten als vorbildlich geehrt, was auf Absprachen im Vorfeld rückschließen lässt: Hommes du 14 juillet, [...] c’est vous [...] qui, en posant les premières pierres de l’édifice républicain, avez écrit avec la pointe de vos fabres, sur les tables de l’immortalité, les premières lignes de la constitution de l’an 3, source féconde ouverte par les volcans révolutionnaires pour le bonheur des nations.1424 1421

Moniteur n° 298, 28 messidor VI (16. Juli 1798), CCC, séance du 26 messidor. Ebd. 1423 Moreau de Vormes, Jacob-Augustin-Antoine: Corps législatif. Conseil des Anciens. Motion d’ordre par Moreau (de l’Yonne) sur le 14 juillet. Séance du 15 messidor an 6 (3. Juli 1798), Paris, an VI, S. 2. 1424 Ebd. Selbst Merlin, der Festredner des Direktoriums, benutzte ähnliche Metaphern; Natur und Familie standen Pate für die Idee der Einheit und der erneuerten Republik: „Chaque année ramènera pour nous cette époque mémorable […]. Nous en déposeront l’hommage sur l’autel de la patrie, et nous présenterons au Ciel et à la Terre le plus sublime des spectacles, un grand peuple dans toute la dignité de sa nature, s’avancant vers le terme de ses destinées, aussi heureuses que brillantes. […] La France entière 1422

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3. Gesellschaft als Projekt

Jede Distanzierung von der ersten Phase der Revolution wurde im Zeichen der Wiederherstellung der gesellschaftlichen Einheit als grande nation aufgegeben. Nach der Korrektur der Wahlen des Jahres VI (1798) betrieben Regierung und Parlament zur Stabilisierung der Republik eine konzertierte Geschichtspolitik; parallel dazu wurden die Gesetze zum Kalender und Dekadenkult verabschiedet (siehe Kapitel 3.5.2). Auch der 9. Thermidor1425 und der 10. August1426 wurden in diesem Jahr von allen Institutionen geschichtspolitisch linientreu gedeutet. Jedes Fest hatte nun seine eigene Hymne und Szenographie. Immer wieder bemühten die Festredner die Metaphern der ‚nationalen Familie‘1427, des ‚Kultes der Menschlichkeit‘ und der ‚heiligen Freiheit‘1428. Die Idee der institutions républicaines wurde wieder öffentlich propagiert – in scharfer Abgrenzung zur Praxis der Monarchie des Ancien Régime.1429 Ihrer Pracht beraubt, stehe die Monarchie letztlich nackt dar; sie habe sich allein auf Staffage und die Macht der Priester gestützt: Lorsque les rois se montrent avec tout l’éclat du trône, entourés de gardes et de courtisans, que leur politique adroite se fait prodiguer des signes d’attachement et d’amour, on les croit invicibles et inattaquables; mais vient-on les attaquer, on s’étonne de les avoir crus forts, et les peuples cherchent en vain des hommes dans ceux que d’abord ils avaient cru au-dessus de l’humanité: ce sont des fantômes qui disparaissent lorsqu’on s’en approche avec

semblait ne respirer qu’un même sentiment, n’être animée que d’une seule volonté, ne former qu’une seule famille.“ Merlin erklärte den 14. Juli ausdrücklich als Willenserklärung des französischen Volkes für eine Republik: „quoique le prestige des formes monarchiques ait survécu quelque temps au 14 Juillet, le peuple français, depuis cette glorieuse journée, n’a jamais failli dans ses vœux: il voulait la liberté, il voulait l’égalité, il voulait donc la République.“ Moniteur n° 299, 29 messidor VI (17. Juli 1798). 1425 Vgl. Vorschlag von Jourdan und Beschluss in Moniteur n° 312, 12 thermidor VI (30. Juli 1798), séance du 7 thermidor; die discours commémoratifs vgl. ebd., n° 314 und n° 315. 1426 Vgl. Moniteur n° 321, 21 thermidor VI (8. August 1798), séance du 16 thermidor. 1427 So z. B. Laveaux, président du conseil des anciens, am 10. August; vgl. Moniteur n° 326, 26 thermidor VI (13. August 1798); außerdem beschwor er die ‚Einheit‘ als Grundprinzip der Republik: „L’union […] est le fondement des Républiques.“ Rom bestünde vielleicht noch fort, wenn nicht die Zwietracht die Republik gespalten hätte. Daher gelte es, sich nun um die Verfassung zu versammeln. 1428 „Liberté sainte! fixe à jamais ta demeure parmi les Français […]; propage les vérités bienfaisantes, le culte de l’humanité; maintiens l’union et la concorde entre les législateurs et les magistrats […].“ Vgl. Festrede zum 1. August von Merlin auf dem Marsfeld, in: Moniteur n° 325, 25 thermidor VI (12. August 1798). 1429 Vgl. Laveaux, in: Moniteur n° 326, 26 thermidor VI (13. August 1798), CA, séance du 23 thermidor.

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assurance. […] Enlevons aux rois l’appui de la divinité […] et les rois sont dans le néant.1430

Mit dem Wahlsieg der Neo-Jakobiner erfolgte im Jahr VII (1799) eine weitere geschichtspolitische Wende. Die Republik der zweiten Hälfte des Jahres VII stellte sich bewusst in die Tradition der radikalen Republik des Jahres II (1793/94): Erstmals wurden politische Entscheidungen der Jakobinerzeit, in sozialer und politischer Hinsicht, wieder als positive Errungenschaften gewürdigt.1431

3.4.3 Schaukelpolitik: Feste als Waffen im Kampf gegen politische Gegner Die vorangehenden Kapitel haben gezeigt: Festdiskurs und Festpraxis entfernten sich in de facto immer wieder von der idealtypischen Idee der institutions républicaines und der Erziehung des ‚neuen Menschen‘ zum mündigen Staatsbürger. Der Erziehungsgedanke trat hinter tagesaktuelle Bedürfnisse zurück oder entpuppte sich als legitimationsstiftendes Argument mit dem Ziel einer strategischen Machtsicherung. Im Folgenden soll noch einmal zusammenfassend herausgestellt werden, inwiefern die Entscheidungsträger des Direktoriums im Rahmen der Nationalfeste eine Schaukelpolitik zwischen rechter und linker Opposition betrieben – je nachdem, wessen Unterstützung man im Kampf gegen außerparlamentarische Kräfte und Gegenrevolution für den eigenen Machterhalt zu mobilisieren beabsichtigte. Bereits 1795 nahmen die Abgeordneten des Konvents kein Blatt vor den Mund, wenn sie im Kontext der Bekämpfung der terreur blanche verkündeten, im Anschluss an die erreichten außenpolitischen Erfolge wolle man nun mit aller Kraft die Feinde im Inneren ‚auslöschen‘ („écraser“).1432 Den Royalisten sollte über die Erinnerung an den Sturz der Monarchie mit dem Fest vom 10. August eine eindeutige Abfuhr erteilt werden, ohne jedoch die Angst vor der Terreur neu zu beleben.1433 Solche Rhetorik sollte sich in den folgenden Jahren noch häufig wiederholen: Feste wurden nach Aufständen der linken und rechten Opposition immer wieder als symbolpolitische Maßnahmen zur Stärkung der Republik gegen die Opposition organisiert. Nach der Aufdeckung 1430

Lecointe-Puyraveau, in: Moniteur n° 325, 25 thermidor VI (12. August 1798), CCC, séance du 23 thermidor. 1431 Vgl. dazu auch Kapitel 3.3.2, Beispiel des serment civique. 1432 Vgl. Moniteur n° 315, 15 thermidor III (2. August 1795), CN, séance du 9 thermidor. 1433 Vgl. Moniteur n° 321, 21 thermidor III (8. August 1795), CN, séance du 15 thermidor.

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3. Gesellschaft als Projekt

der Babeuf-Verschwörung am 21. Floréal IV (10. Mai 1796) wurde eine verstärkt antijakobinische Symbolpolitik betrieben.1434 Das ‚Fest der Siege‘ bot nicht nur Anlass, die Verteidiger des Vaterlandes feierlich zu ehren:1435 Falschmeldungen der politischen Gegner über das Kriegsgeschehen sollten im Rahmen der Zeremonie widerlegt, neue Anhänger gewonnen werden: „Il est temps, sans doute […] d’atterer, par ce bruit triomphal, le malveillant qui, mentant à la conscience, nie ou tout au moins atténue le succès des armes françaises […].“1436 Das ‚Fest der Republikgründung‘ (1. Vendémiaire V, 22. September 1796) hingegen wurde angesichts der anhaltenden Unruhen in der Provinz zur Abrechnung mit der rechten Opposition benutzt, die Chénier als Feind der Freiheit und Gegner des Direktoriums sowie der aktuellen Verfassungsordnung denunzierte;1437 das Fest wurde als Versuch ausgegeben, die Franzosen auf den ‚rechten Weg‘ zurückzuführen.1438 Solche offenen Bekenntnisse zur politischen Dimension der Festpolitik blieben jedoch in der von den gemäßigten Republikanern dominierten Versammlung nicht unwidersprochen. Mercier stellte den Festcharakter des 1. Vendémiaire gar grundsätzlich in Frage: Unmöglich könne man eine Zeit, in der Männer wie Lavoisier und Condorcet hingerichtet worden seien, als Ausgangspunkt der Gegenwart definieren. Die Republik, so Mercier, existiere de facto erst seit Inkrafttreten der Verfassung des Jahres III.1439 Die Versammlung erwies sich erneut als gespalten.1440 Der 21. Januar, Jahrestag der Hinrichtung Ludwigs XVI., wurde zu Beginn des Jahres 1797 als Reaktion auf eine antirepublikanische Kampagne der royalistischen Presse zum jährlichen Feiertag erklärt.1441 Der ‚Hass auf das Königtum‘ wurde von Riou komplementär zur Liebe 1434

Vgl. LEFEBVRE: La France sous le Directoire, S. 212f. Vgl. Moniteur n° 233, 23 floréal IV (12. Mai 1796), CCC, séance du 17 floréal. 1436 Ebd. 1437 Vgl. Journal des hommes libres, 29 thermidor IV (16. August 1796). 1438 Vgl. Moniteur n° 334, 4 fructidor IV (21. August 1796), CCC, séance du 28 thermidor. 1439 Vgl. ebd. 1440 Nachdem der Präsident zur Tagesordnung übergegangen war, versuchte die unterlegene Minderheit weiterhin lautstark, ihre Interessen durchzusetzen und das von Chénier vorgeschlagene Programm zu verabschieden, wenn auch ohne Erfolg. Vgl. Journal des hommes libres, 29 thermidor IV (16. August 1796). Auch das endgültige Festprogramm, welches unter Federführung von La Revellière beschlossen wurde, blieb stark umstritten; vgl. Festkritik im Journal des hommes libres, 4 vendémiaire V (25. September 1796). 1441 Vgl. Moniteur n° 109, 19 nivôse V (8. Januar 1797), CCC, séance du 17 nivôse. Der Vorschlag wurde bereits am nächsten Tag im Rat der Alten angenommen. Vgl. Moniteur n° 110, 20 nivôse V (9. Januar 1797), CA, séance du 18 nivôse. Dort auch zum Folgenden. 1435

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der Republik gedeutet; gleichzeitig wurde jedoch auch die „dictature populaire“ als Irrtum der Revolution gebrandmarkt. Capet und Robespierre hätten der Verfassungsordnung gleichermaßen geschadet; allein in der Mitte des „juste milieu“ liege der Schlüssel zur Tugend und zum Glück der Republik. Dies sollte das Fest des 21. Januar im ganzen Land demonstrieren: „Ni Tarquin, ni César, disait à Rome l’ami de la liberté: Amis de la constitution française, écrions-nous, ni Capet, ni Robespierre.“1442 Nach den Wahlen des Frühjahrs und dem damit verbundenen Rechtsruck der Räte war eine solche Politik der Mitte für Monate nicht mehrheitsfähig. Das Direktorium hielt im Rahmen seiner kulturpolitischen Gestaltungsmacht bei offiziellen Festakten zwar an einer ausgleichenden Position fest, indem gleichermaßen der 14. Juli, 10. August und 9. Thermidor als Gedenkfeste begangen wurden.1443 Die parlamentarischen Kammern stellten jedoch ihrerseits diese Politik in ihrer Ausrichtung und Wirkungsabsicht fundamental in Frage.1444 Jean-Jacques Aymé argumentierte im Vorfeld des 9. Thermidor (27. Juli), die getrennte Feier der einzelnen Epochen der Revolution aktiviere nur jeweils die daran beteiligten Parteien, was zwangsläufig den Unmut der Gegenpartei erzeuge. Er schlug vor, zukünftig nur noch den 1. Vendémiaire (22. September) als Tag der Republik zu begehen. Längst war vielen Volksvertretern klar, dass die Idee des Nationalfestes als Medium zur gesellschaftlichen Einheitsstiftung gescheitert war beziehungsweise dass die Feste in regelmäßigen Abständen vor allem Anlass zur Austragung politischer Konflikte darstellten. Denn selbst wenn die Regierungsmitglieder weiterhin offizielle Feierstunden mit Reden und zeremoniellem Beiwerk abhalten ließen: Fast jedes Fest hinterließ politischen Schaden. Die Festreden des Direktoriums vom Sommer 1797 zeugen von einer konfrontativen Haltung gegenüber den Royalisten. Am 10. August verwies man jede Hoffnung der Royalisten auf einen Sturz der republikanischen Ordnung in ihre Schranken zurück:1445

1442

Ebd. Pompös wurde u. a. der Empfang des osmanischen Botschafters im Palais du Luxembourg am Jahrestag des 9. Thermidor inszeniert (siehe Kapitel 2.2.2). Vgl. HERBETTE: Une ambassade, S. 5. Zum Folgenden vgl. ebd., S. 5ff. 1444 Vgl. Moniteur n° 310, 10 thermidor V (28. Juli 1797), CCC, suite de la séance du 6 thermidor. 1445 Dem genuin republikanischen Fest wurde angesichts der erneuten Stärke der Partei der Reaktion besondere Bedeutung beigemessen; vgl. Arrêté du 17 thermidor, in: Moniteur n° 321, 21 thermidor V (8. August 1797). 1443

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Oui, nous le jurons par ce dépôt sacré du pouvoir que la Constitution a remis temporairement dans nos mains; toute tentative pour renverser la République sera vaine, et ceux quitravailleront [sic] à cette œuvre d’iniquité y trouverout [sic] la mort qu’ils préparaient aux Républicains. Les premiers magistrats de la République peuvent se trouver séparés d’opinion sur quelques moyens de l’affermir; mais on les trouvera toujours réunis quand il faudra la défendre.1446

Diese Grundstimmung hielt auch nach dem geglückten Staatsstreich gegen die Royalisten im September 1797 weiter an: Die Verstärkung des Programms der institutions républicaines in den programmatischen Schriften des Fructidor-Direktoriums zeugt von einer bewussten Stabilisierungspolitik im Kampf gegen die Opposition.1447 In den parlamentarischen Räten waren die damit verbundenen Maßnahmen, besonders die Einrichtung neuer Feste zum Gedenken an den 18. Fructidor und zur Feier der Volkssouveränität, auch nach der Säuberung von vermeintlich ‚royalitisch‘ gesonnenen Abgeordneten keinesfalls unumstritten.1448 Unterstützer des Direktoriums wie Boulay de la Meurthe propagierten die Feier des 18. Fructidor als Symbol der ‚Mäßigung‘, die helfen solle, die Fraktionskämpfe zu beruhigen: La journée du 18 fructidor doit donc être à jamais célébrée parmi nous comme l’époque où la modération dans les dissensions politiques a commencée à se déployer et à répandre dans la République sa salutaire influence.1449

Das Fructidor-Direktorium machte den Erziehungsgedanken wieder ausdrücklich zum Thema seiner Festpolitik. Angesichts der Schaukelpolitik der zurückliegenden Jahre hatten die Regierungsmitglieder jedoch stark an Glaubwürdigkeit verloren; immer wieder wurde ihnen ideologisch motiviertes, undemokratisches Handeln unterstellt.1450 So war zwar einerseits das Fest der Volkssouveränität ausdrücklich allen

1446

Moniteur n° 327, 27 thermidor V (14. August 1797). Vgl. La Revellière-Lepeaux, Louis-Marie de: Proclamation du Directoire exécutif aux Français, du 23 fructidor, an V de la République française, une et indivisible, signé L. M. Reveillère Lépeaux, [Paris, an V, 1797], auch abgedruckt in: Moniteur n° 358, 28 fructidor V (14. September 1797). Zwei weitere Feste wurden in diesem Zusammenhang institutionalisiert: der Gedenktag an den 18. Fructidor (4. September) selbst sowie das ‚Fest der Volkssouveränität‘, welches zukünftig jährlich am Vorabend der Wahlen begangen werden sollte (vgl. auch Kapitel 2.4.3). 1448 Vgl. Moniteur n° 6, 6 vendémiaire VI (27. September 1797), CCC, séance du 3 vendémiaire. 1449 Moniteur n° 7, 7 vendémiaire VI (28. September 1797), CCC, suite de la séance du 3. 1450 Vgl. Kapitel 4.2. 1447

3.4 Hochfeste instrumentalisieren

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Bürgern sowie der Verfassung der Republik gewidmet:1451 Der Abgeordnete Debry sah im Fest eine Möglichkeit, die Zersplitterung der Gesellschaft zu überwinden („un tel spectacle soit propre à glacer les factions“), den Einfluss der englischen Regierung zurückzudrängen und dem Parlamentarismus („système représentatif“) Glanz und Auftrieb zu verleihen. Seine Vision der Feste als Heilmittel gegen den Parteigeist gründete in dem Wunsch nach einer Aussöhnung der Revolution mit ihrer Vergangenheit und einer Stärkung der Republik durch die Rückbesinnung auf allgemeine Grundüberzeugungen und Grundwerte – jenseits aller Parteigrenzen.1452 Die Realität entlarvte solche Reden jedoch andererseits als allzu idealistisch: Keineswegs gelang es, im Anschluss an das Fest einen Wahlsieg der ‚Partei der Mitte‘ zu erringen; erneut konnten 1798 die Republikaner nur um den Preis von Wahlmanipulation weiterregieren. Die Erinnerungsfeste des Sommers standen deutlich im Zeichen einer selbstbewussten Machtpolitik seitens des Direktoriums. Besonders hinsichtlich der geplanten Feierlichkeiten des Jahrestages vom 18. Fructidor kam es zum offenen Konflikt: Überlegungen wurden laut, den Festanlass zum gemeinsamen Gedenken auch an den 9. Thermidor II (27. Juli 1794) und den 13. Vendémiaire IV (5. Oktober 1795) zu nutzen. Chollet befürchtete jedoch, damit würde man dem „esprit public“ eine falsche Richtung weisen: Es gebe schließlich nur zwei verfeindete Fraktionen in Frankreich, diejenige der Royalisten und die der Anarchisten. Diese dürften weder verwechselt noch für identisch erklärt werden – jedem Anlass gebühre ein eigenes Erinnerungsfest.1453 Der Wunsch, über die Festpolitik regelmäßig beiden gegnerischen Fraktionen die Stirn zu bieten, sollte letztlich dazu führen, die Dynamik der Schaukelpolitik nicht nur zu spiegeln und zu perpetuieren, sondern auch den Polarisierungsprozess zwischen den Lagern entscheidend mit anzutreiben. Argumentierte Chollet, die Fraktion der Anarchisten sei am Ende doch die ‚schlimmste von allen‘,1454 so aktualisierte die Feier vom 18. Fructidor gleichzeitig in besonderer Form die Angst vor einer möglichen Wiederkehr des Royalismus.1455 Im Rahmen der Festvorbereitungen interpretierte man alle politischen Aufstände der Jahre 1795 und 1797 zusammenfassend als Ausdruck einer ‚Maskierung des 1451

Vgl. Debry: Motion d’ordre sur la célébration d’une fête consacrée à la souveraineté du peuple. 1452 Abschließend zitierte Debry den Girondisten Vergniaud, der am 31. Oktober 1793 auf der Guillotine hingerichtet worden war. Vgl. ebd. 1453 Vgl. Moniteur n° 313, 13 thermidor VI (1. Juli 1798), CCC, suite de la séance du 8. 1454 Vgl. ebd. 1455 Vgl. Moniteur n° 331, 1er fructidor VI (18. August 1798), CCC, séance du 29 thermidor.

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3. Gesellschaft als Projekt

Royalismus‘: Am 1. Prairial III (20. Mai 1795, dem Datum des letzten Aufstandes der Sansculotten in Paris!), am 13. Vendémiaire IV (4. Oktober 1795) ebenso wie am 18. Fructidor V (4. September 1797) habe man gleichermaßen versucht, die Verfassungsordnung zu stürzen.1456 Die Neo-Jakobiner setzten 1799 noch einmal neue Akzente. Nationalfeste propagierten nun explizit die Idee einer politischen ‚Rache‘ an der Gegenrevolution, so zum Beispiel anlässlich der Trauerfeier zur Erinnerung an den Gesandtenmord von Rastatt. Der Staatsstreich der Räte gegen das Direktorium sollte den Handlungsspielraum der Regierung schwächen. Dennoch: Die Schaukelpolitik des Regimes wurde letztlich bis zum Staatsstreich des 18. Brumaire VIII (9. November 1799) fortgesetzt; nie gelang eine stabile Koalition zur Festigung der Republik, zu tief waren die Vorbehalte gegen die Gegner auf beiden Seiten des politischen Spektrums. Bildmedien unterstützten die wechselseitigen Provokationen, wenn zum Beispiel in den Tableaux historiques nach 1794 auch solche Ereignisse aufgenommen werden sollten, die nur eine republikanische Partei als Sieg für sich reklamieren konnte. Der 13. Vendémiaire IV (4. Oktober) wurde zu einem ersten Sieg über den Royalismus stilisiert und war im republikanischen Bildgedächtnis sehr präsent;1457 Bonaparte, der an der Niederschlagung des Aufstandes beteiligt gewesen war, sollte von diesem Mythos profitieren. Die Aufnahme der Darstellung der Ereignisse vom 30. Prairial VII (18. Juni 1799) in die Bildserie der Tableaux ist Ausdruck des Erfolgs der NeoJakobiner: Dargestellt wird die Szene der Erneuerung des Direktoriums – ein Sieg des Parlaments über die Exekutive (Abb. 38). Eine Reihe von Abgeordneten, erkennbar an ihren Amtstrachten, zwingt die Regierung – am linken Bildrand zu sehen und bereits in der Auflösung begriffen – zur Rechenschaft und dominiert die Bildmitte. Zwar sollte der Staatsstreich vom 18. Brumaire verhindern, dass auch das Gedenken an diesen letzten Staatsstreich der Zeit des Direktoriums noch zu einem Festtag deklariert wurde. Doch zeigt die Konfrontation der verschiedenen Entscheidungsträger im Bild deutlich: Das Lager der Republikaner war unversöhnlich gespalten. Die Festpolitik hatte weder im ideellen noch im machtpolitischen Bereich die Herrschaft des Direktoriums 1456

Vgl. Moniteur n° 336, 6 fructidor VI (23. August 1798) sowie Programme de l’anniversaire du 18 Fructidor, in: Moniteur n° 346, 16 fructidor VI (2. September 1798). 1457 Vgl. Berthault, Pierre-Gabriel, nach Abraham Girardet: Attaque de la Convention Nationale, Journée memorable du 13 vendémiaire, An 4ème de la République Francaise, gravure en taille-douce, 19,2 × 25,2 cm (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6580); sowie Helman, Isidore-Stanislas und Jean Duplessi-Bertaux, nach Charles Monnet: Journée du XIII Vendemiaire, l’an IV, Eglise St Roch, rue honoré, eau-forte, burin, 36,5 × 48 cm (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6579).

3.5 Religion rationalisieren

429

Abb. 38: Dupréel, Jean-Baptiste-Michel und Jean Duplessi-Bertaux: Journée des 28, 29, 30 Prairial, An sept, Démission de plusieurs Directeurs, eau-forte, burin, 24 × 29 cm.

3.5 Religion stabilisieren können. In der Karikatur wurde die Schaukelpolitik der rationalisie- Regierung buchstäblich ins Bild übersetzt – und als Ursache für einen zukünftigen Sturz der Direktoren ausgemacht (Abb. 65).1458 ren

3.5 Religion rationalisieren: Zivil-, Vernunft- und Naturkulte Im letzten Kapitel des Contrat social hatte Rousseau über die ‚staatsbürgerliche Religion‘ reflektiert, welche (anders als der bereits bei Machiavelli geforderte vage ‚offizielle Kult‘) ein vom Herrscher festgelegtes, rein weltliches ‚Glaubensbekenntnis‘ beinhalten müsse. Ähnlich wie in den Staaten der Antike sollten Kult und Regierung, Götter und Gesetze in diesem Verständnis wieder vereint werden. Der Herrscher könne zwar andere tolerante Religionen dulden, müsse aber diejenigen konsequent verurteilen, welche den offiziellen Dogmen nicht treu seien.1459 1458 1459

Vgl. dazu Kapitel 4.5.3. Vgl. Rousseau, Jean-Jacques: Oeuvres complètes. Préface de Jean Fabre, introduction, présentation et notes de Michel Launay, Bd. 2: Œuvres philosophiques et politiques:

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3. Gesellschaft als Projekt

Für den Staat sei die Religion insofern erforderlich, als sie garantiere, dass jeder Staatsbürger seine Pflichten erkenne und liebe. Hinter diesen Überlegungen verbarg sich die Annahme, dass keine Gesellschaft ohne geistigen Konsens, ohne ein Mindestmaß gemeinsamer Grundüberzeugungen, zu existieren vermag.1460 Die französische Republik erfuhr verschiedene Adaptionen dieser Gedanken, teilweise rein weltlich argumentierend, teilweise deistisch überformt. Die Frage der republikanischen Institutionen überschnitt sich bereits bei Saint-Just mit derjenigen nach der Religion und der Beziehung zu einem ‚Höchsten Wesen‘.1461 Die Erfahrung der Vergangenheit habe gelehrt, dass es unmöglich sei, die Verbindung zu Gott völlig abzuschneiden. Für den Erhalt des Staates sei es konsequenterweise notwendig, neben den Gesetzen auch am Dogma der Existenz Gottes festzuhalten – ohne damit jedoch einen bestimmten Kultus zu bevorzugen. Alle republikanischen Zeremonien sollten zumindest ‚fromme‘ Elemente beinhalten: ihres Amtes würdige Beamte und Schreiber, ein angemessenes Gebäude, Gesänge und Musik sowie einen Umzug oder eine Prozession. Damit waren die wichtigsten Bestandteile benannt, aus denen sich die säkularisierten Rituale zusammensetzen sollten. Besondere Bedeutung kam dem Dekadentag zu, dem „jour de repos civil“, an dem diese Zeremonien abgehalten werden sollten.1462 Der von Robespierre mit dem Dekret vom 18. Floréal II (7. Mai 1794) und dem Fest vom 20. Prairial (8. Juni) für wenige Wochen propagierte ‚Kult des Höchsten Wesens‘ strebte einen religionsübergreifenden Deismus an, welcher durch ein Mindestmaß an Gesetzgebung staatlich gerahmt und gefördert werden sollte. Dies war eine Antwort auf die Vorherrschaft der Kirche und den im Zuge der Dechristianisierungsdes premiers écrits au Contrat social, Paris 1971, S. 573ff. Zusammenfassung nach PRODI: Das Sakrament der Herrschaft, S. 396ff. 1460 Vgl. dazu Beitrag von ISER, Mattias: Glauben als Pflicht? Zivilreligion bei Jean-Jacques Rousseau, in: BUCHSTEIN, Hubertus und Rainer SCHMALZ-BRUNS (Hrsg.): Politik der Integration. Symbole, Repräsentation, Institution, Festschrift für Gerhard Göhler zum 65. Geburtstag, Baden-Baden 2006, S. 303–322. Iser setzt sich mit den Problemen auseinander, wie Rousseaus Bedürfnis nach Loyalitätssicherung durch die Einheit von Religion und Politik einerseits und die religiöse Fundierung der Moral andererseits entstehen. Zivilreligion wurde nicht als vorpolitische Sittlichkeit definiert, sondern sollte gesetzlich verordnet und kontrolliert werden, unter Androhung von Verbannung und Todesstrafe; vgl. ebd., S. 304 sowie grundlegend Rousseau, Jean-Jacques: Brief an Voltaire, in: Ders.: Schriften, Bd. 1, hrsg. von Henning RITTER, Frankfurt am Main 1988, S. 313–332. 1461 Vgl. Kapitel 3.1. 1462 Vgl. Saint-Just: Institutions républicaines, in: Ders.: Oeuvres complètes, S. 966–1009, S. 984ff. Dazu vgl. VINOT: Art. Institutions républicaines, S. 570f.

3.5 Religion rationalisieren

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welle im Winter des Jahres II (1793/94) entstandenen ‚Vernunftkult‘ (culte de la raison), welcher sich explizit gegen den Katholizismus und dessen Traditionen richtete.1463 Der Kult des Höchsten Wesens trachtete im Unterschied dazu nach einer Neutralisierung des Katholizismus. Beide Kulte des Jahres II waren stark politisch motiviert. Fragen des religiösen Bekenntnisses wurden als dem Aufgabenbereich des Staates zugehörig definiert. Gemeinsames Ziel der verschiedenen Ausprägungen war es, den Bruch mit der Vergangenheit auch auf dem Gebiet der Religion endgültig zu vollziehen und gleichzeitig die neue politischsoziale Ordnung zu festigen. Trotz ihrer verschiedenen Wurzeln und Ausprägungen war allen Ansätzen von Zivilkulten oder -religionen eines gemeinsam: Sie glaubten, dass gesellschaftliche Veränderungen nicht ohne eine Änderung der Religion zu erreichen wären. Mit welchen Mitteln dies zu bewerkstelligen sei, welche Organisationsform für die neuen religiösen Bindungen der Franzosen angemessen erscheine, welche Haltung man gegenüber dem Katholizismus einnehmen und welche Rolle der Staat dabei spielen solle, war umstritten. Die Einführung der Religionsfreiheit und die Trennung von Staat und Kirche im Jahr III (1794/95) bedeuteten gegenüber den Ansätzen des Vorjahres einen radikalen Neuanfang: Die Religion wurde von den Thermidorianern der privaten Sphäre zugeordnet und dem Staat damit weitgehend entzogen. Die große Bedeutung, welche der Religionspolitik jedoch weiterhin im Zuge der ‚Erschaffung der Republik‘ zugesprochen wurde, führte zu neuen Bemühungen, zumindest um eine indirekte Kontrolle und Einflussnahme auf diesen Bereich. Der wichtigste Protagonist in diesem Zusammenhang war La RevellièreLepeaux, welcher von 1795 bis 1799 durchgängig Mitglied des Directoire exécutif war. Als sich abzeichnete, dass die laissez-faire-Politik des Staates allein der katholischen Kirche zugutekam, welche sich auf breiter Front erholte und ihren gesellschaftlichen Einfluss zur Stärkung gegenrevolutionärer Tendenzen nutzte, entschied sich der Direktor zum Handeln. Zwar dürfe, so La Revellière 1797 in seiner Rede vor dem Institut national, der Gesetzgeber nicht einen bestimmten Kultus gegenüber anderen bevorzugen.1464 Allerdings befinde sich Frankreich 1463

Als Standardwerke gelten nach wie vor AULARD, Alphonse: Le Culte de la Raison et de l’Etre suprême (1793–1794). Essai historique, Paris 1892; MATHIEZ, Albert: Les Origines des cultes révolutionnaires (1789–1792), Paris 1904; ders.: La théophilanthropie et le culte décadaire; außerdem vgl. den Überblick von OZOUF, Mona: Revolutionäre Religion, in: FURET/OZOUF: Kritisches Wörterbuch, Bd. 2, S. 833–849; BIANCHI, Serge: Art. Cultes révolutionnaires, in: SOBOUL: Dictionnaire, S. 312–315. 1464 Vgl. La Revellière-Lepeaux: Réflexions sur le culte, S. 12.

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3. Gesellschaft als Projekt

in einer besonderen Situation: Nachdem man durch die Revolution einen unvernünftigen und unsozialen Kult beseitigt habe, müsse man nun einen Ersatz schaffen, da das Volk einer Religion bedürfe.1465 Trotz der Stärke der Verfassung und trotz der militärischen Siege erlebe man tagtäglich die schädlichen Einflüsse des Katholizismus auf die Politik, welche es nun ein- für allemal zurückzudrängen gelte.1466 Die Regierung müsse unbedingt handeln, auch wenn es auf den ersten Blick den Prinzipien der Republik zu widersprechen scheine: „il est du devoir des chefs de l’Etat de favoriser, sans le paraitre, l’établissement de nos maximes et leur propagation par tous les moyens possibles de gouvernement et d’administration“1467. Allerdings könne es nicht darum gehen, eine bestimmte Religion vom Gesetzgeber vorschreiben zu lassen, da dies schnell zur Ausbildung einer neuen Priesterkaste führen oder eine Hierarchisierung der verschiedenen Religionsgemeinschaften nach sich ziehen würde. Der Gesetzgeber müsse in diesem Sinne die Religionsfreiheit („liberté des consciences“) akzeptieren und garantieren. Allein die Exekutive verfüge über ‚inoffizielle‘ Mittel und Wege, um eine bestimmte Religion zu fördern: „ce n’est que par l’opinion et par les voies non publiques de la part du gouvernement que de pareilles institutions doivent se propager et se soutenir.“1468 Als Regierungsmitglied hielt es La Revellière für geboten, seine Vorstellungen über die ‚richtige‘ Religion kundzutun – in der Hoffnung, damit eine Richtlinie für die Bürger entwickeln zu können. Der culte religieux war seiner Meinung nach neben den zivilen Zeremonien und den Nationalfesten die dritte Säule, welche die Verfassung stützen und ergänzen sollte. Ein einzelner Mensch könne zwar unter Umständen durch eine besondere Erziehung und vertiefte Studien von allein die Liebe zur Ordnung erwerben und soziale Tugenden praktizieren. Von dem gesamten Volk hingegen könne man dies nicht erwarten; dieses bedürfe der Stütze durch ein Dogma, welches die Grundlage seiner Moralität sei: […] la multitude ne peut s’élever à ces idées d’ordre et de convenance qui supposent un esprit exercé à la médiation et un goût délicat; il faut lui donner un point d’appui positif, un dogme ou deux qui servent de base à sa morale, et un culte qui en dirige l’application ou du moins qui l’y rappelle. 1465

Vgl. ebd., S. 11. „Ce n’est pas que je craigne toutefois que jamais le clergé romain revienne à former en France un corps reconnu par l’État: c’est une pure chimère. Mais que de maux il nous a faits, et que de maux il doit nous faire encore, si nous ne tentons la voie la plus simple et la plus sûre pour lui ôter tout reste d’influence.“ Ebd. 1467 Ebd., S. 12. 1468 Ebd., S. 16. 1466

3.5 Religion rationalisieren

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Sans cela le peuple se perdra dans la vague de ses idées, et jamais vous ne l’amènerez à la pratique fixe et constante de ses devoirs par les arguties d’une subtile métaphysique.1469

Dogmen und Ritus der idealen Religion sollten im Unterschied zur „religion romaine“ möglichst einfach gehalten werden: Nützlich für eine Volksreligion seien vor allem der Glaube an die Existenz Gottes und die Unsterblichkeit der Seele (genau jene Elemente, die bereits Robespierre betont hatte).1470 Es könne nicht darum gehen, mit großem Pomp die Menschen zu überwältigen, sondern mittels einer sanften und eindringlichen Zeremonie das Herz der Menschen zu gewinnen. Eine große Rolle spielten dabei Gesänge und Gebete, die in einer bestimmten Reihenfolge zelebriert würden. Indem man den Menschen zur Liebe erziehe, erziehe man ihn zum Guten.1471 Und dies unterstütze langfristig den freien Staat. Welche Art von Religion hatte La Revellière vor Augen? Und wie genau nahm die staatliche Kontrolle zur Erschaffung der Republik in diesem Bereich Gestalt an? Die Überlegungen des Direktors sollten bereits kurze Zeit nach seiner Rede in die Praxis umgesetzt werden. In einem kurzen Überblick soll im Folgenden eine Religionsgemeinschaft vorgestellt werden, die staatliche Schützenhilfe erhielt.

3.5.1 Der Kult der Theophilanthropen: Eine Privatreligion mit staatlicher Unterstützung Die Theophilanthropie wurde nicht von staatlicher Seite begründet, sondern entstand aus privater Initiative. In der kleinen Kirche SainteCathérine des ehemaligen Pariser Konvents der Catherinettes, Ecke Rue Saint-Denis/Rue des Lombards, fand am 26. Nivôse V (15. Januar 1797) die erste Zusammenkunft der neuen Religionsgemeinschaft statt. Die Wände trugen einige kurze moralische Inschriften; ein Altar, dekoriert mit Blumen und Früchten, stand im hinteren Teil des Raumes, nicht weit vom Chor entfernt. Ihm gegenüber befand sich die Kanzel. Schlicht und würdevoll sollte der Raum für den neuen Kult gestaltet sein. So hatte es sein Begründer, der Buchhändler Jean-Baptiste

1469

Ebd., S. 8. Vgl. ebd., S. 8 und 10: „L’existence d’un Dieu rémunérateur de la vertu et vengeur du crime, l’immortalité de l’âme, conséquence, pour ainsi dire, naturelle de cette première proposition; voilà les fondements d’un culte utile à un peuple.“ 1471 Vgl. ebd., S. 16. 1470

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3. Gesellschaft als Projekt

Chemin-Dupontès, vorgeschlagen.1472 Der gemäßigte Republikaner hatte sich während des Jahres IV (1795/96) aufs Land zurückgezogen, um in philosophischer Einsamkeit die grundlegende Schrift einer neuen Spielart der Naturreligion zu verfassen, das „Manuel des théoanthropophiles“, welches Anfang Vendémiaire V (im September 1796) in Paris erschien.1473 Der Name der Mitglieder der Gemeinschaft, der schon bald in das wohlklingendere „théophilanthropes“ korrigiert wurde,1474 veranschaulicht die beiden Grundideen, auf denen Chemin seine Lehre aufbaute: die Liebe zu Gott und zu seinem Nächsten. Einziger Lehrsatz der Naturreligion war der Glaube an die Existenz Gottes und die Unsterblichkeit der Seele. Nach diesem Verständnis war jeder Mensch, der an Gott glaubt, auch Mitglied der Gemeinschaft der Theophilanthropen; die Gemeinschaft, so Chemin, bestehe längst überall dort, wo Menschen ihr Leben nach moralischen Gesetzen organisierten. Die Theophilanthropie verstand sich somit nicht als Konkurrent zu anderen Religionsgemeinschaften; sie lehnte den Missionsgedanken ausdrücklich ab. Vielmehr, so Chemin, gehe es um eine Aussöhnung der alten Religionen im Dienste und Interesse der Gesellschaft, die zu stärken die Absicht der Theophilanthropen sein müsse. Es handele sich um „une institution de paix sociale“, die die Wunden der Vergangenheit heilen helfen sollte.1475 Der Kultus vollzog sich auf zwei Schauplätzen: zu Hause und in der Öffentlichkeit. Der Théophilanthrop sollte den Tag mit einem Gebet und einer kurzen Anbetung des Höchsten Wesens beginnen; am Abend beschloss er sein Tagwerk mit einer Gewissensprüfung. Sein Tempel sei prinzipiell die Natur und das Universum; am Ruhetag der Woche jedoch sollte man sich zusätzlich regelmäßig in einem aus Steinen errichteten Tempel treffen, um dort an Lesungen und Unterricht teilzunehmen und die Glaubensgemeinschaft in Gebet und Gesang zu bekräftigen. Ein Familienvater (père de famille) rief zu Beginn der Zeremonie den père de la Nature an; danach unterstützte er mit einigen Fragen die Anwesenden bei ihrer Gewissenserforschung; die Antwort 1472

Vgl. zur Person und Biographie Chemins MATHIEZ: La théophilanthropie et le culte décadaire, S. 79–82. 1473 Vgl. Chemin-Dupontès, Jean-Baptiste: Qu’est-ce que la théophilanthropie? Paris: A la librairie classique, An X (1801); vgl. MATHIEZ: La théophilanthropie et le culte décadaire, S. 84. 1474 Vgl. MATHIEZ: La théophilanthropie et le culte décadaire, S. 91. Zum Folgenden vgl. ebd.ff. 1475 Vgl. Qu’est-ce que la théophilanthropie, S. 9. Der Text wurde von Chemin Ende des Jahres VII (Sommer 1799) verfasst, aber erst im Jahr X veröffentlicht, mit einem ausführlichen Anmerkungsapparat.

3.5 Religion rationalisieren

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erfolgte jedoch schweigend. Im Sitzen wurden im Anschluss daran Lesungen oder moralische Reden angehört, unterbrochen durch gemeinsamen Gesang.1476 Zu Beginn seiner Ausübung war der Kult ansonsten frei gestaltbar; einzig einige ‚Ersatz-Sakramente‘ waren in Chemins Manuel noch verzeichnet: Taufe, Erstkommunion, Hochzeit und Beerdigung, die sich alle durch schlichte Zeremonien und Erinnerung an die Bürgerpflichten und die Bürgergemeinschaft auszeichneten. Von der ersten Zusammenkunft im Konvent der Catherinettes an erfreute sich die Theophilanthropie einer einflussreichen Anhängerschaft. Mehrere namhafte Abgeordnete des Rates der Alten wohnten der Veranstaltung bei (Goupil de Préfelne, Dupont de Nemours, Creuzé-Latouche), ebenso wie ein Abgeordneter des Rates der Fünfhundert (Rallier).1477 Daneben waren eine Reihe von Ex-Priestern („curés rouges“), alte Magistrate, Geschworene und Vertreter des Großbürgertums anwesend. Politisch verschwammen in der Anhängerschaft die üblichen Lagergrenzen; schon die Gründerväter Chemin, der ein gemäßigter Republikaner war, und Haüy, ein ehemals begeisterter Befürworter der Terreur, vereinten in sich gegensätzliche Positionen. Dupont de Nemours stand 1796 bereits der Parteiung der Clichiens nahe; Creuzé-Latouche war ein Vertrauter La Revellières und galt als Stütze des Direktorialregimes. Einheitlicher als die politische Gesinnung scheint jedoch die soziale Ausrichtung der Versammlung gewesen zu sein: Es handelte sich um eine durchgehend bürgerliche und gebildete Klientel.1478 Vier Monate lang blieb es relativ still um die neue Religionsgemeinschaft, die sich jedoch beständig vergrößerte und ihre öffentlichen Zeremonien schließlich zweimal pro Woche zu zwei verschiedenen Uhrzeiten anbot.1479 Die Décade philosophique berichtete in ihrer Ausgabe vom 20. Pluviôse V (8. Februar 1797) erstmals, wenn auch noch zögerlich, von der Einrichtung der neuen Religion; im April jedoch kam es zu einer auffällig gleichzeitigen Berichterstattung in mehreren regierungsnahen Blättern.1480 Diese Berichte standen im Kontext der Annäherung des Direktors La Revellière-Lepeaux an die Gemeinschaft. Seine Rede, 1476

Vgl. MATHIEZ: La théophilanthropie et le culte décadaire, S. 99. Vgl. ebd., S. 107ff. Dort auch zum Folgenden. 1478 Vgl. ebd., S. 120. 1479 Vgl. ebd., S. 106. 1480 Vgl. Journal des campagnes et des armées, 8 floréal V (27. April 1797); Moniteur n° 219, 9 floréal V (28. April 1797). Am 10. Floréal erschien dann noch ein weiterer Artikel in der Décade, der nahezu programmatischen Charakter hatte und die Gründung von weiteren theophilanthropischen Gesellschaften in Paris und in der Provinz ankündigte. 1477

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3. Gesellschaft als Projekt

die er am 12. Floréal V (1. Mai 1797) als Mitglied der Wissenschaftsakademie und nicht in seiner Funktion als Direktor vor dem Institut gehalten hatte, war in ihren Ausführungen über den culte religieux deutlich auf die Praxis der Theophilanthropen bezogen. Anschließend sollte sich daher auch für die Gemeinde, die bislang relativ unbemerkt von der öffentlichen Meinung in einem einzigen Tempel in Paris ihre Zusammenkünfte gepflegt hatte, vieles verändern. Die Frage, ob der Kult zur offiziellen Staatsreligion erhoben werden sollte, beschäftigte bereits im Sommer die gesetzgebenden Versammlungen. Im Kontext der wachsenden Differenzen zwischen Regierung und Gesetzgebern, Republikanern und Gemäßigten gewann die Frage immer größere Relevanz. Die Debatte um die Verbindung von staatsbürgerlichem und religiösem Kult Am 9. Fructidor (26. August) brachte der Abgeordnete Leclerc, der La Revellières Überzeugungen teilte (wenn nicht sogar übertraf), das Thema der ‚staatsbürgerlichen Religion‘ („religion civile“) im Rat der Fünfhundert ein.1481 Im Kontext des Streits um die loi sur la police des cultes nahm er mit seinem Plädoyer für eine staatliche Einflussnahme auf die bürgerliche Moral eine extreme Gegenposition ein: Bemühten sich Thibaudeau und andere um eine Lockerung der staatlichen Interventionen in Religionsfragen, so begründete Leclerc die Notwendigkeit einer gesetzgeberischen Verantwortungsübernahme mit dem Verweis auf die anhaltende Instabilität der Republik. Eine Gesellschaft könne nur in Frieden leben, wenn zwischen privater Moral (Werten) und öffentlicher Teilnahme am Gemeinwesen (Praktiken) eine gewisse Übereinstimmung herrsche: Cette […] garantie est fondée sur les rapports qui existent entre tous les cultes et les institutions civiles: c’est de leur accord et de leur équilibre que dépendent la paix intérieure, la morale publique, la stabilité de la Constitution; et je pense que cet objet doit marcher de front avec une loi sur la police des cultes.1482

Weniger trennscharf als La Revellière im Institut zählte Leclerc zu den institutions civiles alle Ereignisse, die Anlässe für ‚Beziehungen‘ zwischen dem Individuum und der Gesellschaft darstellten: Geburt, Erziehung, Hochzeit, Nationalfeste und Tod; aber auch den Respekt vor dem Alter, die Erinnerung an Verwandte und Freunde, die Verehrung von Helden – all diese Bereiche seien von so großer Bedeutung für das 1481 1482

Vgl. Leclerc: Discours sur l’existence et l’utilité d’une religion civile en France. Ebd., S. 10.

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Vaterland, dass der Gesetzgeber sich keinesfalls aus ihnen zurückziehen und sie ‚dem Zufall‘ oder ‚der Beliebigkeit‘ der Religionsgemeinschaften überlassen dürfe. Ergänzend zu den Menschen- und Bürgerrechten und dem Glauben des französischen Volkes an die Existenz Gottes sollten folglich auch Prinzipien wie Respekt, Erinnerung und Verehrung von Vorbildern die Grundlage ‚einer Art staatsbürgerlichen Religion‘ bilden, welche als gemeinsamer Kern aller Religionen verstanden werden könne: „une sorte de religion civile qui lie tous les cultes entre eux par une communion fondamentale.“1483 Damit war das zentrale Anliegen des Projektes der Zivilreligion benannt: die Wiederherstellung der Einheit der Gesellschaft durch eine Annährung zwischen privatem und öffentlichem Leben.1484 Sie sei die ‚Mutter aller Religionsgemeinschaften‘, aus der sich alle anderen ableiten ließen. Um dies zu erreichen, benötige man drei Dinge: ein Dogma, religiöse Praktiken und eine Priesterschaft. Son dogme, c’est comme je l’ai déjà dit, l’existence de Dieu, reconnue par la déclaration des droits, ses pratiques seront les institutions lorsque vous les aurez ordonnées d’une manière digne de leur objet; ses prêtres enfin sont les officiers civils. La réunion de tous ces objets forme une religion mère, si je peux m’exprimer ainsi, de laquelle derivent toutes les autres religions […].1485

Auf diese Weise könne auch der Kritik begegnet werden, der Rückzug der Kirche aus dem Unterrichtswesen führe zu Widerständen in der Bevölkerung, da die Eltern um die Moralerziehung ihrer Kinder fürchteten.1486 Eine universelle Moral, die Essenz aller bestehenden Religionen, sei fortan Unterrichtsgegenstand; auf dieser Basis könnten die anhaltenden Konflikte zwischen Kirche und Republik ein für alle Mal überwunden werden.1487

1483

Ebd., S. 11. Vgl. ebd., S. 12: „Citoyens Représentans, heureux le Législateur qui peut trouver dans ses loix une digue à opposer aux querelles de religion, et fonder l’union publique sur les objets mêmes qui servoient autrefois de prétextes aux divisions!“ 1485 Ebd, S. 13. 1486 Vgl. ebd., S. 17. 1487 Vgl. ebd., S. 17f.: „Il n’est qu’un moyen de sortir de ce défilié: c’est de convenir qu’il existe une morale universelle, commune à toutes les religions et dont le principe se trouve dans nos lois fondamentales, et alors il faut avouer qu’on s’est livré à des déclamations oiseuses, dont l’effet devoit être de discrediter de plus en plus les loix républicaines. Non, la morale n’est point incompatible avec l’instruction publique, puisqu’elle découle naturellement de la religion civile dont j’ai démontré l’existence. […] Citoyens Législateurs, ordonnez que les livres élémentaires seront faits sur ce principe, et bientôt vous serez convaincus que l’instruction publique se concilie d’autant plus avec la morale et le libre exercice des cultes, que, sans exclure les idées religieuses, elle les 1484

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3. Gesellschaft als Projekt

Die Rede stieß im Rat der Fünfhundert auf vehemente Kritik. Bérenger vermutete hinter dem Versuch, eine ‚Mutterreligion‘ zu schaffen, eher das Bemühen, eine neue Religionsgemeinschaft, nämlich diejenige der Theophilanthropen, zum neuen „culte dominant“ zu erklären, der mit den bereits bestehenden ‚rivalisiere‘; es gehe entsprechend weniger um Toleranz als um eine neue Form der Bevormundung und eine Kriegserklärung an den Katholizismus.1488 Auch Dumolard argumentierte, Leclerc wolle eine politische Staatsreligion etablieren, was dem Verfassungsgrundsatz der Religionsfreiheit widerspreche.1489 Nicht sozialer Frieden, sondern neue Unruhen seien damit vorprogrammiert. Die republikanischen Institutionen, so Dumolard, seien von den religiösen zu trennen. Der Erziehungsausschuss solle sich Ersteren zuwenden; aus Religionsfragen müsse sich der Gesetzgeber so weit wie möglich heraushalten.1490 Einerseits spiegeln die vorgebrachten Einwände die Position der konservativen Mehrheit wider: Der Staat sollte sich aus den Religionsangelegenheiten zurückziehen. Andererseits nahm die damit verbundene Polemik, welche auch über die royalistische Presse verbreitet wurde, immer stärker politischen Charakter an. Schon im Frühjahr 1797 war der Verdacht geäußert worden, die Theophilanthropie diene nur als Vorwand zur Tarnung von Jakobiner-Versammlungen; eine entsprechende Beschuldigung war im Polizeiministerium eingegangen und Cochon ließ fortan die Kultgemeinschaft skeptisch überwachen.1491 In den folgenden Monaten wurde diese Behauptung häufig wiederholt und systematisch weiterentwickelt. La Quotidienne fragte sich am 7. Messidor (25. Juni 1797), weshalb die Verantwortlichen es tolerierten, dass gegen das Prinzip der Verfassung immer mehr Klubs und Gesellschaften entstünden: „Voudroit-on nous ramener sous le régime de la terreur?“1492 Wenige Tage vor dem Staatsstreich vom 18. Fructidor (4. September) verschärfte sich der Ton der Auseinandersetzungen; den Theophilanthropen wurden kriminelle Machenschaften vorgeworfen, welche unter dem Deckmantel der Religion verborgen seien: „Ce n’est pas de nos jours seulement qu’on a vu des scélérats cacher leurs criminelles associations sous le voile de certaines initiations et cérémonies

employera au contraire, non pas ainsi que le font les sectes, comme un moyen de haine et de persécution, mais comme un principe de sociabilité et de tolérance.“ 1488 Vgl. ebd., S. 29: Dort ist auch ein Auszug aus dem Moniteur abgedruckt. 1489 Vgl. ebd., S. 30: Auszug Moniteur. 1490 Vgl. ebd. 1491 Vgl. MATHIEZ: La théophilanthropie et le culte décadaire, S. 142. 1492 Vgl. La Quotidienne ou Feuille du jour n° 424, 25 juin [1797], 7 messidor [V], S. 2.

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religieuses.“1493 Schon Mathiez hat nahegelegt, dass die ablehnende Haltung der Presse und das Scheitern des Antrags von Leclerc im Rat der Fünfhundert für La Revellière eine entscheidende Rolle gespielt haben könnten, sich der Idee des Staatsstreiches anzuschließen. Die Kritik an den Theophilanthropen hatte republikfeindliche Untertöne angenommen.1494 Missverständliche Fomulierungen der Rede Leclercs hatten den Verdacht erhöht, es solle der robespierristische Kult des Höchsten Wesens retabliert werden, beziehungsweise eine neue Staatsreligion gegen das Prinzip der Kultfreiheit durchgesetzt werden. Der Kreis der Skeptiker hatte sich entsprechend eher erweitert als verkleinert. Mathiez ging davon aus, dass Leclerc den Ideen La Revellières streng verpflichtet war. Dies würde bedeuten, dass seine Idee der religion civile sich letztlich in den ihr zugrundeliegenden Dogmen erschöpfte, ohne einen eigenen Ritus ausbilden zu wollen. Doch wies die Rede Leclercs nicht nur Formulierungs- und Strukturierungsschwächen auf, sondern angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Parlament war auch das Klima für eine Realisierung der Ideen äußerst ungünstig. Staatliche Unterstützung des Kultes nach dem Staatsstreich von 1797 Das Programm des Triumvirats, welches nach dem Staatsstreich am 23. Fructidor V (9. September 1797) verkündet wurde, war sehr stark von den Ideen La Revellières geprägt, der nun deutlich in die Offensive ging.1495 Die Proklamation liest sich wie eine Ergänzung zur Rede über den culte vom 12. Floréal (1. Mai). Offen prangerte das Direktorium den Verfall der republikanischen Sitten an. Die Bürger hätten das Vertrauen der Regierung enttäuscht und den geleisteten Eid missachtet. Angesichts ihrer Korrumpierbarkeit durch die Gegner der Republik gelte es fortan, den republikanischen Geist, die republikanische Moral, die republikanischen Institutionen und die republikanischen Gebräuche stärker denn je zu fördern. Die Ideen der Rede vom 12. Floréal durchziehen die Proklamation wie ein roter Faden, der die einzelnen Maßnahmen verbindet und leitet. Die Liebe zur Natur, die Bindung an Familie und Freunde sowie Grundsätze des Kultes der Theophilanthropen sollen bereits im häuslichen Bereich gepflegt werden, um nachher umso besser der öffentlichen Sache dienen zu können. Die Tugend wurde erneut zur Basis der republikanischen Staatsform erklärt:

1493

Ebd. Vgl. MATHIEZ: La théophilanthropie et le culte décadaire, S. 166. 1495 Vgl. La Revellière-Lepeaux: Proclamation du Directoire exécutif aux Français, du 23 fructidor an V. 1494

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Les sentiments de la nature les plus doux, les plus purs; le respect pour l’âge avancé; l’union conjugale; la tendresse paternelle et la piété filiale, honorés en public, règnent dans le sein des familles, et font de tous les nœuds du sang des liens de fraternité, d’amour et de bonheur. […] Peuple français […] Sois humain et compatissant; c’est chez les peuples libres que respire l’humanité, foulée aux pieds par les despotes: l’autel de la miséricorde est dans le cœur de l’homme libre. Souviens-toi des principes que ton immortel Montesquieu [sic] assigne aux trois gouvernements; il donne au despotisme le fondement de la terreur: l’honneur est le fantôme qui marche à la suite des rois, mais la base des républiques, leur essence, c’est la vertu. […] sois vertueux, aime ta Constitution, ton gouvernement, ta patrie, et tu seras républicain, et rien n’égalera ta gloire et ton bonheur.1496

Wenn in dieser Proklamation das Bekenntnis zu einem deistischen Weltbild und die Anrufung des Höchsten Wesens fehlen, so vermutlich, um noch größere Anklänge an die Revolutionsregierung des Jahres II zu vermeiden. Die Unterstützung der Theophilanthropie erfolgte, wie von La Revellière im Frühjahr angedacht, auf inoffiziellem Weg, parallel zu anderen Maßnahmen zur Verbesserung der republikanischen Sitten. Auch wenn die Zivilreligion nicht mehr Gegenstand der parlamentarischen Debatten wurde, zählte sie nach Ansicht La Revellières de facto weiterhin zu den institutions républicaines. In seinen Memoiren erinnert sich der Direktor, dass er das Regierungsgremium überzeugen konnte, den Kult der Theophilanthropen fortan mit Geld und wohlwollender Begleitung durch das Polizeiministerium zu unterstützen: Je me chageai d’en parler au Directoire et de lui faire sentir que cette institution pouvait avoir les plus heureux résultats politiques. Le Directoire en jugea ainsi et donna des ordres au ministre de la police Sotin pour protéger les fondateurs de cette nouvelle institution, et pour leur accorder sur les fonds de la police les très modiques secours, dont ils pouvaient avoir besoin pour la célébration d’un culte aussi simple et aussi peu dispendieux. Certes, les fonds secrets des gouvernements n’ont pas toujours un emploi aussi honnête et aussi utile […].1497

La Revellière protegierte die Zeremonien aus der Distanz; er und seine Familie waren keine Mitglieder der Gemeinde. Finanzielle Subventionen, ideelle Schützenhilfe sowie administrative und polizeiliche Bevorzugung sollten jedoch rasch Erfolge zeitigen: Nach und nach eroberte der Kult mehrere Kirchen der Hauptstadt; im Allgemeinen bewilligte die Stadtverwaltung Nutzungsrechte für alle décadi, quintidi und diejenigen Tage, welche den alten Sonntagen entsprachen.1498 Die Schlüssel 1496

Ebd. La Revellière-Lépeaux: Mémoires, Bd. 2, S. 166. 1498 Vgl. MATHIEZ: La théophilanthropie et le culte décadaire, S. 210. 1497

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der Kirchen wurden fortan von Polizisten verwaltet, die ihn der jeweiligen Gemeinde zur Verfügung stellten. Jeder neue Kultort wurde bereits wenige Tage nach der Bereitstellung durch die Stadtverwaltung mit einer Eröffnungszeremonie eingeweiht; die Zeichen des Katholizismus wurden zu diesem Zweck verhüllt.1499 Ganz wie es La Revellière gewünscht hatte, wurde kein großer Pomp betrieben: Blumen und moralische Inschriften dekorierten den Raum, Gebete und Gesänge strukturierten die Liturgie. In weniger als vier Monaten wurden 13 Kirchen in Paris auf diese Weise ‚eingeweiht‘, darunter Saint-Sulpice, nunmehr mit dem Namen Concorde beziehungsweise Luxembourg, oder Saint-Eustache, nunmehr Contrat social. Weitere sollten in den nächsten Monaten folgen, vom 10. Floréal VI (29. April 1798) an unter anderem auch die Kathedrale Notre-Dame, umgetauft auf Cité. Renommierte Volksvertreter, wie zum Beispiel Daunou, schlossen sich dem Kult an, der infolge des Staatsstreiches von 1797 einige Veränderungen in Struktur und Mitgliedschaft erfahren hatte: Die Gruppierung der clichiens, einst um Dupont de Nemours, verlor zugunsten der Jakobiner an Einfluss.1500 Das Journal des hommes libres empfahl von nun an seinen Lesern die Unterstützung der Theophilanthropen. Diese Verschiebung bedeutete auch eine Steigerung der Konkurrenz zum Katholizismus, der immer deutlicher in seiner Praxis behindert und zurückgedrängt wurde. Nach einigem Zögern stimmte La Revellière zu, dass gegenüber den katholischen Altären eigene für die Theophilanthropie eingerichtet werden durften; die gemeinsame Nutzung der Kirchen lief selten konfliktfrei ab.1501 Innerhalb kurzer Zeit verbreitete sich die Naturreligion in ganz Frankreich, in der Regel gestützt durch lokale Verfassungszirkel (cercles constitutionnels).1502 Vor allem innerhalb des bildungsbürgerlich-aufgeklärten Milieus kam es zu einer richtiggehenden Modeerscheinung: Am 10. Vendémiaire VI (1. Oktober 1797) gingen in Saint-Roch mehr als 20 Kinder nach theophilanthropischen Vorstellungen zur ‚Ersten Kommunion‘; theophilanthropische Hochzeiten und Taufen sind ebenfalls belegt. Der Kult war damit zwar anti-katholisch geprägt, knüpfte aber unmittelbar an christliche Formen an. Parallel dazu verfestigte sich die Programmatik der Religionsgemeinschaft: Chemin publizierte regelmäßig Ausgaben der sogenannten Année religieuse, die eine Sammlung aus Reden, Lesungen, Hymnen und Gesängen beinhaltete. Antike und moderne Autoren, religiöse und moralische Texte wurden 1499

Vgl. ebd., S. 233ff. Vgl. dort auch zum Folgenden. Vgl. ebd., S. 206ff. Dort auch zum Folgenden. 1501 Vgl. ebd., S. 229ff. 1502 Vgl. ebd., S. 243f. 1500

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dort zusammengefasst.1503 Außerdem brachte Chemin ein Recueil de cantiques heraus, worin versucht wurde, für die theophilanthropische Messe eine klarere Liturgie zu entwickeln.1504 Sie teilte sich fortan in drei Abschnitte: Einen Eröffnungsteil mit Eröffnungsgesang, Gottesanrufungen, Hymnen und Gewissenserforschung, den Wortgottestdienst, welcher Reden und Lektüren umfasste, und eine abschließende Anrufung des Vaterlandes („Invocation pour la patrie“) sowie eine Ermahnung („Exhortation finale“). Hier bot sich die Gelegenheit, den Bezug zur Republik und zu ihrer Regierung explizit zu machen: Der Vorleser bat Gott, „‚de protéger le sol natal contre l’invasion ennemie, de faire régénérer les vertus publiques, d’éloigner les guerres civiles, d’inspirer aux magistrats […] l’esprit de justice et de désintéressement; il proteste de son désir de tolérance, de son attachement sincère au gouvernement.‘“1505 Nach dem 18. Fructidor V (4. September 1797) erschien ein ergänzendes, teilweise korrigiertes1506 Messbuch mit dem Titel Rituel, erneut aus der Feder von Chemin.1507 Die staatliche Ausrichtung des Kultes wurde vor allem durch eine Anpassung der Hochfeste an den republikanischen Kalender und die Nationalfeste weiter forciert. Dies war die wichtigste Neuerung, die im Rituel gegenüber dem Recueil eingeführt wurde. Die Theophilanthropen begingen fortan alle Nationalfeste – und hatten für jeden Anlass eigene Hymnen und Gesänge, die die Republik sowie ihre Grundlagen und Wertvorstellungen priesen. Zur Fête de la Fondation de la République beispielsweise wurde in der zweiten Strophe der Festhymne die unsterbliche und universelle Republik beschworen, die – ausgehend von Frankreich – allen Völkern zum Vorbild gereiche: Salut, honneur au nom français, A la république immortelle, 1503

Die erste Ausgabe wurde im Moniteur vom 24. Floréal (13. Mai) angekündigt; in der BnF existieren zwei verschiedene Auflagen mit den Signaturen Ld188-5 A und B. 1504 Vgl. Recueil de cantiques, hymnes et odes pour les fêtes religieuses et morales des théophilanthropes, ou adorateurs de Dieu et amis des hommes, précédé des invocations et formules qu’ils récitent dans les dites fêtes, Paris, an VI. Der Recueil wurde im zweiten Band der Année Religieuse angekündigt und erschien um den 18. Fructidor. 1505 Zitiert nach MATHIEZ: La théophilanthropie et le culte décadaire, S. 174. 1506 U. a. wurde in der Abschlussanrufung der Begriff ‚gouvernement‘ durch ‚patrie‘ ersetzt etc. Vgl. MATHIEZ: La théophilanthropie et le culte décadaire, S. 246. 1507 Vgl. Rituel des théophilanthropes, contenant l’ordre de leurs différents exercices et le recueil des cantiques, hymnes et odes adoptés dans les différents temples, tant de Paris que des départements; rédigé, quant à la partie des invocations et formules, publié et distribué, quant à la partie des chants, par J.-B. Chemin, auteur des livres élémentaires de la théophilanthropie, Paris, an VI.

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Qui doit aux peuples pour jamais Servir de lien, de modèle! Vers sa naissance avec respect Les yeux se tourneront sans cesse, Et, dans le plus lointain aspect, Ils ne verront point sa vieillesse.1508

Gemäß den Vorstellungen einer Trennung von Staat und Religion sollten diese Zeremonien nur als Einstimmung auf den öffentlich zu begehenden staatsbürgerlichen Kult dienen.1509 Auch die außerordentlichen Nationalfeste, wie zum Beispiel das Begräbnis des Generals Hoche, wurden von den Theophilanthropen begangen – der Innenminister stellte ihnen ausdrücklich Dekorationsmaterial aus den staatlichen Depots zur Verfügung.1510 Vereinheitlichte Reden stärkten die Kontrolle über die verbreiteten Inhalte. Am 30. Ventôse VI (20. März 1798) wurde in allen Pariser Tempeln die Rede von Dubroca zum Fest der Volkssouveränität verlesen, die im Vorfeld vom comité directeur gebilligt worden war: Darin gab es klare Empfehlungen von der Religionsgemeinschaft zu den am nächsten Tag beginnenden Wahlen.1511 Eine Reihe von Graphiken propagierte den neuen Kult als „Culte Naturel“ (Abb. 39). Die im Hintergrund der Darstellung zu erkennende, aus Stoffbahnen errichtete Abtrennung kann als Beleg gewertet werden, dass tatsächlich in vielen Kirchen ein spezieller Raum für die zivilen Zeremonien reserviert worden war. Zwar unterschieden die Theoretiker deutlich zwischen Staats- und Privatkult.1512 Doch bestand die Möglichkeit, in die zivilen Zeremonien Elemente privater Kulte (wie unter anderem der Theophilanthropie) einzubauen. So wahrte der Staat zwar die selbstverordnete Neutralität, partizipierte aber gleichzeitig am festlichen Rahmen der Religion. Abgebildet ist der Akt der Präsentation eines Neugeborenen: In der Bildmitte treten die Eltern zum Altar. Die Mutter nimmt eine auffallend zentrale Position ein, entsprechend der Formulierung in dem Gesetzesentwurf durch Leclerc, sie sei an diesem Tag die Hauptperson.1513 Der Culte Naturel war in diesem Sinne auch ein Mutterkult: War die staatsbürgerliche Initiation den Männern vorbehalten, trat die Mutter am Tag der Präsentation ihres neugeborenen 1508

MATHIEZ: La théophilanthropie et le culte décadaire, S. 248f. Vgl. ebd., S. 250. 1510 Vgl. Le Rédacteur, 13 brumaire an VII. 1511 Vgl. MATHIEZ: La théophilanthropie et le culte décadaire, S. 250. 1512 Vgl. ebd., S. 200. Dort auch zum Folgenden. 1513 Vgl. Leclerc: Corps législatif, Conseil des Cinq-cents, Rapport fait par Leclerc, op. cit., S. 32. Auch der in der Graphik dargestellte Blumenkorb auf dem Altar entspricht den Vorstellungen des Berichtes. 1509

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Abb. 39: Mallet, Jean-Baptiste: Le Culte Naturel, gravure à eau-forte, 35 x48 cm, Paris [ca. 1797].

Kindes öffentlich mit der Gesellschaft in Kontakt. Nicht der Vater, sondern sie selbst trug die „fruit de l’hymen“ und zeigte sie „à la société reconnoissante“1514. Im Hintergrund sind die Musiker zu erkennen, die vermutlich die Festgemeinde in der vorgeschriebenen Prozession zur Kirche begleitet hatten: eine Harfenspielerin, ein Posaunist und ein Trommler.1515 Auffällig ist auch der Platz des Zeremonienmeisters: Auf einem durch zwei Stufen zu erreichenden Podest ist er nicht nur leicht aus dem Kreise der Anwesenden herausgehoben, sondern besticht durch seine Verzierung mit Reliefs, Blumen- und Tiersymbolen. Seine Grundform erinnert an die antike sella curulis, den Sitz der höheren römischen Magistrate. Der Mutterkult wurde auch über eine Reihe von

1514 1515

Ebd., S. 32. Laut dem Reglement, das Leclerc ursprünglich vorgeschlagen hatte, sollten in jedem Tempel mindestens sechs Musiker für die Dienste im Rahmen der zivilen Zeremonien angestellt werden; vgl. ebd., S. 57.

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anderen Druckgraphiken propagiert, wie zum Beispiel L’alaitement maternel encouragé.1516 Niedergang Schon der Wahlsieg der Jakobiner bedeutete 1798 einen kurzzeitigen Einbruch in der Expansion des Kultes.1517 Es kam zu einer Spaltung des bürgerlichen und des demokratischen Lagers der Republikaner: Die Angst vor einer Erneuerung der Jakobinerherrschaft führte zu einer Reihe von kontrollierenden und einschränkenden Maßnahmen seitens der Regierung. Viele cercles constitutionnels wurden geschlossen,1518 die Wahlen an Orten mit unliebsamen Ergebnissen kassiert. Das Verhältnis zwischen Regierung und Kultgemeinschaft kühlte sich deutlich ab. Die Regierung verdächtigte die lokalen Gemeinden politischer und regierungsfeindlicher Aktivitäten, vor allem im Kontext der Wahlen. Fortan wurde seitens des Direktoriums und der Parlamentarier der Organisation des Dekadenkultes größere Aufmerksamkeit geschenkt. Dieser bedeutete eine Konkurrenz, der die Theophilanthropie langfristig nicht standhalten konnte.1519 Die Bedeutung der theophilanthropischen Glaubensgemeinschaft für die Geschichte des Direktoriums sollte dennoch nicht unterschätzt werden. Die erneute Verbindung der politischen mit der religiösen Frage hatte 1797 alte Wunden wieder aufgerissen und neue Probleme geschaffen. Statt die Idee des Laizismus konsequent zu entwickeln, das heißt die Trennung von Staat und Kirche durchzufüh- Abb. 40: Copia, Jacques-Louis: Le Direcren, hat man durch die Verfolgung teur Reveillere, Pape des Théophilantroder Eidverweigerer sowie durch die pes, eau-forte, pointillé, 22,5 × 16 cm. 1516

Vgl. Voysard, E., nach Antoine Borel: L’alaitement maternel encouragé, gravure au burin, 24 × 36,6 cm (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6354). 1517 Vgl. MATHIEZ: La théophilanthropie et le culte décadaire, S. 242. 1518 Vgl. Arrêté du directoire exécutif du 24 ventôse an VI, zitiert nach MATHIEZ: La théophilanthropie et le culte décadaire, S. 401f. 1519 Vgl. Kapitel 3.5.2.

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Kampfhaltung gegenüber der monarchistischen, aber durchaus konstitutionellen Kirche das Regime mit einer großen Schar von Gegnern belastet, die kaum noch zu integrieren war.1520 Und der Schaden für das Ansehen der Regierung war beträchtlich, wie auch eine Reihe von gegen La Revellière gerichteten Karikaturen beweist, die den Direktor als ‚Papst der Theophilanthropen‘ (Abb. 40) denunzierten.

3.5.2 Die Dekadenfeiern: Republikanische Gewohnheiten oder innerweltlicher Staatskult? Die Idee der Dekadenfeiern wurde erstmals mit dem Dekret vom 18. Floréal II (7. Mai 1794) politisch verankert, im Anschluss an die Robespierre-Rede zur Notwendigkeit des Glaubens an ein ‚Höchstes Wesen‘, zur metaphysischen Absicherung von Politik und Moral.1521 Angesichts der politischen Krise und des anschließenden Regimewechsels war man über eine Willenserklärung jedoch nicht hinausgekommen; Nähere Ausführungsbestimmungen sollten vom Erziehungsausschuss erarbeitet werden. Erst im Thermidor und zur Zeit des Direktoriums kam es zu abschließenden gesetzlichen Regelungen – bei denen erneut der Erziehungsgedanke und in diesem Zusammenhang die Frage der Religion eine große Rolle spielten. Der Dekadenkult hatte im Kreise einflussreicher Antirobespierristen weiterhin hohe Konjunktur. Er galt als wichtigstes Instrument, die erreichte Freiheit langfristig zu sichern: „La liberté conquise par la puissante énergie du peuple ne s’affermit que par des lois sages, ne s’éternise que par des moeurs.“1522 Die Geschichte ‚beider Kontinente‘ lehre, welches Unglück die miteinander rivalisierenden Religionen über die Menschheit gebracht hätte: vor allem solche Kulte, welche gegen die freiheitliche Ordnung gerichtet seien, da sie mit „idées mystiques“ die Vorstellungskraft der Menschen besetzten, ohne dabei an den Verstand zu appellieren. Wenn Chénier anschließend dazu aufrief, diese ‚tyran1520

Vgl. LEFEBVRE: La France sous le Directoire, S. 22f. Bereits in der Terreur hatte sich die Gruppe der vermeintlichen Revolutionsgegner, die es zu bekämpfen galt, durch die Politik der Revolutionsregierung auf weite Teile des Klerus, der zu den ‚Verdächtigen‘ zählte, ausgeweitet. 1521 Vgl. Robespierre, Maximilien: Rapport fait au nom du comité de salut public, Sur les Rapports des idées religieuses et morales avec les principes républicains, et sur les fêtes nationales, Paris, an II. Zum Folgenden vgl. MEINZER: Der französische Revolutionskalender, S. 57ff. 1522 Chénier, au nom du comité d’instruction publique, in: Moniteur n° 93, 3 nivôse II (23. Dezember 1794), CN, séance du 1er nivôse. Dort auch zum Folgenden.

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nischen Institutionen‘ nicht länger zu dulden, sondern anzugreifen und zu zerstören, kam das einer Kriegserklärung an die katholische Kirche gleich: „C’est avec une raison active et pratique, c’est avec des institutions tutélaires de la liberté, qu’il faut attaquer des institutions tyranniques et anti-sociales.“ Die Philosophie folge ausschließlich der Natur, sie befehle nicht, an Dogmen, Mysterien oder Wunder zu glauben. Entsprechend habe der Erziehungsausschuss nach längeren Diskussionen den Beschluss gefasst, dass die Dekadenfeste nicht in das Korsett eines „règlement minutieux“ gepresst werden sollten, sondern, nach einfachen Grundsätzen gestaltet, die „majesté de la nation“ nur umso besser zum Ausdruck brächten. Es könne nicht verschwiegen werden, dass der Weg zu einer grundlegenden Erneuerung der Sitten bislang durch zahlreiche Hindernisse verstellt worden sei. Nicht zuletzt die Irrwege und persönlichen Fehler der Verantwortlichen der letzten Jahre habe verhindert, dass eine Stabilisierung erreicht worden sei; die Moral des Volkes suche noch einen „point d’appui solide“.1523 Für die Zukunft müsse ein genauer Plan für die institution der Nationalfeste erarbeitet werden, der jedem Fest seinen Namen und Anlass, seine spezifischen Zeichen und Zeiten zuweise. Vorerst müsse man sich mit der Fixierung einiger Grundregeln begnügen: der Formulierung moralischer Grundsätze, dem Abfassen staatsbürgerlicher Hymnen, der Empfehlung einfacher Tänze, die nicht mehr wie bei Hofe Theatralität und Verstellung widerspiegelten, sondern die Freude und Freiheit des Volkes. Doch müsse man auch mit einem starken Gegner rechnen: Vorurteile seien eine ‚chronische Krankheit‘, die man nicht mit Kanonen bekämpfen könne. Ein ‚philosophischer Krieg‘ müsse den militärischen ergänzen, um die Meinungen der Anhänger des alten ‚Aberglaubens‘ im übertragenden Sinne zu ‚töten‘.1524 Deutlich wurde Anklage gegen die Allianz von Thron und Altar, beziehungsweise von ‚Szepter‘ und ‚Tiara‘ erhoben, die mit aller Kraft bekämpft werden müsse: Certes des législateurs ne doivent jamais perdre de vue que le sceptrte et la tiare sont unis par une chaîne qui pèse sur les peuples. Certes les rois et les prêtres ont toujours été des alliés naturels, et la Convention nationale a besoin de toute sa fermeté pour réprimer, pour anéantir les scélérats qui voudraient faire de l’autel le piédestal de leur statue ou la première marche de leur trône […].1525

Genauso sei jedoch das Geschrei der Atheisten mit Vorsicht zu genießen, welche mit ihren „abstractions délirantes“ der öffentlichen Sache 1523

Moniteur n° 93, 3 nivôse II (23. Dezember 1794), CN, séance du 1er nivôse. Vgl. ebd. 1525 Moniteur n° 93, 3 nivôse II (23. Dezember 1794), CN, séance du 1er nivôse. 1524

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schadeten. Allein die Trias von Vernunft, Gerechtigkeit und Menschlichkeit sei als Basis aller Politik akzeptabel. Die Dekadenfeste sollten als moralische Veranstaltungen, möglichst unter freiem Himmel und bei besonderer Berücksichtigung der Alten sowie der Familienväter, diese Ideen im ganzen Volk verbreiten. In eine ähnliche Richtung gingen die Überlegungen von Eschassériaux, der im Februar 1795, unter dem unmittelbaren Eindruck des Symbolkriegs der reaktionären Bewegung gegen die Republik, ein ausführliches Konzept zur Gestaltung der Dekadenfeiern vorlegte, Details der Szenographie mit eingeschlossen (Trikolore, Verfassung auf dem Altar des Vaterlandes etc.).1526 Eschassériaux betrachtete die „institutions“ als die Krone der neuen Ordnung: Der Konvent solle sein Werk vollenden, indem er neue Traditionen schaffe, die die Dauerhaftigkeit des Erreichten garantierten. Dieser letzte Schritt zur Vollendung der Revolution dürfe nicht den Nachfolgern überlassen werden. Die politischen Gesetze seien das Fundament der Freiheit. Aber erst die institutions erschüfen die Moral und den ‚Charakter‘ der Nation. Die Dekadenfeiern seien das adäquate Mittel, um Menschen und Bürger neu zu formen. Frankreich wird als „grande république“ bezeichnet, das Volk als „grand peuple“. Doch sei bislang das Projekt der Aufklärung gescheitert: Nicht mehr aus dem Himmel solle der neue Gesetzgeber seine Macht ableiten, sondern aus dem Gefühl der Liebe und der Autorität der Gesetze. Um dies zu erreichen, müsse man das Herz und den Verstand jedes einzelnen Bürgers ansprechen. Über eine Annäherung an die Natur werde der Bürger tugendhaft und glücklich. Die staatsbürgerlichen Feste sollten im Zehntagesrhythmus einer Tugend oder ‚Wohltat der Natur‘, der Gesellschaft oder der revolutionären Vergangenheit gewidmet sein. Es handele sich um einfache Ideen und Grundprinzipien, mittels derer jedoch größte Wirkungen erreicht werden könnten: Répandre parmi le peuple les éléments de la morale républicaine, l’enflammer par le récit et les souvenirs des belles actions, lui inspirer l’amour des lois, lui retracer sans cesse ses droits et ses besoins, produire en lui l’énergie des passions généreuses, lui imprimer de grandes pensées de la liberté, l’attacher à la patrie par tout ce que peut avoir l’instruction de plus touchant, et le plaisir de plus innocent: voilà le plan de l’institution que nous avons tracé.

1526

Vgl. Eschassériaux le jeune: Rapport sur les fêtes décadaires, fait par Eschassériaux le jeune, au nom du comité d’instruction publique, dans la séance du 17 pluviôse, in: Moniteur n° 115, 25 nivôse III (14. Januar 1795), CN, séance du 23 nivôse. Dort auch zum Folgenden. Zum Symbolkrieg vgl. Kapitel 4.4.

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Vor allem könne aus vielen Individuen auf diese Weise eine Gemeinschaft werden. Das Ziel der Feste bestehe darin, die Bürger möglichst häufig zusammenzurufen, damit die gewünschte Wirkung – eine Ausprägung gemeinsamer Gewohnheiten – eintreten könne. Zu diesem Zweck sollten nur die anrührendsten („de plus touchant“) und bedeutsamsten („de plus cher“) Elemente des Vaterlandes, wie zum Beispiel die Greisen und Kinder, als „ornements des fêtes civiques“ eingesetzt werden. Als Vorbild wurde ausdrücklich Sparta zitiert.1527 Musik und Gesang galten den Befürwortern des Dekadenkultes als wichtigste Mittel, um Gefühle und Leidenschaften zu wecken. Die Macht der Zeichen sollte den Bürgern die Liebe zum Vaterland vermitteln. Objekte und Inschriften seien daher geeignet, die Gesänge zu ergänzen, „emblèmes des arts et métiers“ sowie „des armes“ seien die schönsten „décorations patriotiques“. Wie in der römischen Antike seien auf dem Marsfeld Militärübungen abzuhalten: „parce qu’ils servent à la défense de la patrie, et qu’ils doivent être la première institution d’un peuple qui veut conserver sa liberté.“ Läufe, Kämpfe und Tänze seien diesem obersten Ziel nachzuordnen. Bürgerbankette könnten dazu dienen, die Freundschaft zu festigen, um so eine feierliche Union zu erreichen – die Römer hätten nicht umsonst der Eintracht einen Tempel errichtet. Getreu den Vorstellungen der Aufklärung sollten die Feste unter freiem Himmel veranstaltet werden, sofern das Wetter dies zulasse. Es gelte, das Höchste Wesen in der Natur selbst zu ehren: Nicht wie in der Vergangenheit (eine Anspielung auf Robespierre) aus Stolz und Ehrgeiz solle es angerufen werden, sondern durch Hymnen und Gesänge, die aus der Freiheit, Unschuld und Tugend heraus geboren würden. Dieser Plan sei in allen Kommunen des Landes problemlos durchführbar. Zum Abschluss benannte Eschassériaux die 36 Festanlässe: A la nature; à l’Amour; à la Reproduction des êtres; à la Tendresse paternelle; à la Piété filiale; à l’Amitié; à la Reconnaissance; à la Vérité; à la Raison; au Génie; à la Force; au Courage; à la Société; aux Lois; à la Justice; aux Arts et aux Sciences; aux Lois; à la Justice; aux Arts et aux Sciences; à l’Instruction; au Travail; à l’Agriculture; à l’Industrie; à la bonne Foi; à l’Union; aux Devoirs de l’homme et du citoyen; aux Vertus sociales; au Bonheur commun; à la Destruction de la tyrannie; aux Droits de l’homme; à la Sou1527

„Quel spectacle attendrissant n’offraient pas les fêtes de Sparte, où les vieillards et la jeunesse venaient tour à tour, en chantant, célébrer les belles actions de leurs ancêtres, et jurer de les surpasser en bravoure et en vertu; ces fêtes où les mères venaient, avec des larmes de joie, vouer leurs enfants à la république ! Près de trois mille ans sont écoulés, et les institutions de Lycurgue retentissent encore avec honneur jusqu’à nous.“ Ebd., vgl. dort auch zum Folgenden.

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veraineté du peuple; à la République; à la Constitution; à la Haine des tyrans; à l’Amour de la liberté; à l’Egalité, la Fraternité; à la Patrie; à la Gloire nationale; à l’Education publique; à la Régénération du peuple français.1528

Hintergrund der Rede war der Symbolkrieg in der Hauptstadt zwischen Jakobinern und muscadins: Wenige Tage später sollte der Konvent beschließen, die Büsten Marats aus allen Theatern, in denen sie noch nicht zerstört worden waren, zu entfernen; zwei politische Klubs in den Faubourgs Marceau und Antoine wurden geschlossen und Babeuf aufgrund seiner wiederholten Aufrufe zum guerre civile verhaftet; auch die Depantheonisierung Marats stand unmitelbar bevor.1529 Mathieu berichtete in seinem Rapport zur Lage in der Hauptstadt, eine MaratBüste habe als Vorwand für Angriffe gegen das Parlament gedient und sei bei einer Prozession in den Vorstädten herumgetragen worden;1530 am 20. Pluviôse III (8. Februar 1795) wurden die Büsten Marats, Lepeletiers, Beauvais und Dampierres sowie die Gemälde Davids von Lepeletiers Begräbnis und Marats Leichnam aus dem Sitzungssaal entfernt.1531 Der Kult um die republikanischen Märtyrer wurde als zu stark politisch aufgeladen betrachtet und spaltete de facto die Gesellschaft. Die Dekadenfeiern sollten das Gegenteil erreichen. Andere Stimmen, die den Katholiken nahestanden, kritisierten zur gleichen Zeit offen den religiösen Charakter der Feste des Jahres II (1793/94). Grégoire gab zu bedenken, es sei der nationalen Sache schädlich, wenn man eine Religionsgruppe kollektiv für die Fehler der Vergangenheit stigmatisiere; es sei im Einzelnen zu überprüfen, ob die verschiedenen Bekenntnisse mit der Verfassung vereinbar seien: Falls ja, müsse die Kultfreiheit respektiert werden. Kein Bekenntnis dürfe vom Staat gegenüber den anderen bevorzugt, niemand aus der republikanischen Ordnung ausgeschlossen werden, der sich zu ihren Grundfesten bekenne, wie die konstitutionelle Kirche.1532 Damit waren die wichtigsten Argumente benannt, die gegen eine Etablierung der Dekadenfeste als Staatskult sprachen. Das Gesetz zur Religionsfreiheit erteilte zunächst allen Gedankenspielen, die mit einer vollständigen Ablösung des katholischen durch einen republikanischen Kult geliebäugelt hatten, eine Absage. 1795 1528

Ebd. Vgl. Moniteur n° 141, 21 pluviôse III (9. Februar 1795). 1530 Vgl. Moniteur n° 142, 22 pluviôse III (10. Februar 1795). 1531 Vgl. Moniteur n° 143, 23 pluviôse III (11. Februar 1795). Nur die Büste des Brutus verblieb im Saal. 1532 Diese Argumente wurden in der gleichen Sitzung vorgetragen wie Chéniers Projekt zum Dekadenkult. 1529

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bemühten sich Teile der republikanischen Führungsriege sogar um eine Politik der Aussöhnung mit der katholischen Kirche. Und auch die Tatsache, dass der Konvent im Zuge des Erziehungsgesetzes vom 3. Brumaire IV (25. Oktober 1795) nur fünf Dekadenfeste verankerte, sollte wohl indirekt den Sonntag für den privaten Lebensbereich schützen.1533 Dieser Kurs wurde während des Ersten Direktoriums weitgehend beibehalten. Erst das Zweite Direktorium sollte einen neuen Vorstoß zur Etablierung und Ausgestaltung der Dekadenfeiern unternehmen und diese erneut als republikanische ‚Ersatzreligion‘ propagieren. Mit wachsender Skepsis gegenüber den Theophilanthropen suchte man offensichtlich nach alternativen Möglichkeiten, den Einzelnen an das Gemeinwesen zu binden. Das Gesetz vom 13. Fructidor VI (30. August 1798) regelte die fêtes décadaires neu.1534 Es knüpfte an die Ideen des Jahres II (1793/94) an, definierte den Kult jedoch anders als Robespierre als eine rein innerweltliche Angelegenheit, welcher sich von religiösen Praktiken, die im Privaten durchgeführt werden sollten, unterschied. Nachdem kurz zuvor der décadi als Ruhetag eingeführt worden war, ging es nunmehr um die genauere Ausgestaltung des Tages: Er sollte der Unterweisung der Franzosen in öffentlichen Dingen sowie der Gemeinschaftsstiftung dienen. An jedem zehnten Tag der Woche sollten zu diesem Zweck unter der Leitung der städtischen Obrigkeit Bürgerversammlungen stattfinden, an einem Ort, der eigens zu diesem Zweck bestimmt wurde. Den Amtspersonen war vorgeschrieben, „en costume“ zu erscheinen, so dass sie in ihrer Autorität klar von den einfachen citoyens zu unterscheiden waren. Einer der ihren oder der ihnen zugeordnete Kommissar des Direktoriums sollte an erster Stelle die in der Dekade neu verabschiedeten Gesetze oder Verordnungen bekanntgeben und danach das Bulletin décadaire des affaires générales de la République verlesen, in dem über mutige Taten und andere Handlungen, die zu Bürgersinn und Tugend inspirieren könnten, berichtet wurde; außerdem enthielt das Bulletin jeweils einen lehrreichen Artikel über die Landwirtschaft und die Maschinenkunst. Nach den Lesungen sollten am selben Ort Brautpaare getraut werden, denn Hochzeiten konnten fortan nur noch am Dekadi stattfinden. Zum Schluss war eine Reihe von Bekanntmachungen vorgesehen: Geburten und Sterbefälle, Adoptionen, Vaterschaftsübernahmen („reconnaissances d’enfants“) und Scheidungen. Um sich eines gewissen Publikums sicher zu sein, schrieb das Gesetz 1533 1534

Vgl. MEINZER: Der französische Revolutionskalender, S. 62. Vgl. MATHIEZ: La théophilanthropie et le culte décadaire, S. 424f. sowie MEINZER: Der französische Revolutionskalender, S. 69ff. Dort auch zum Folgenden.

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vor, dass alle Lehrer von öffentlichen und privaten Schulen mit ihren Zöglingen an den Dekadenfeiern teilnehmen sollten; außerdem wurde der Exekutive empfohlen, über Maßnahmen nachzudenken, die weiteres Publikum anzulocken versprächen, wie zum Beispiel das regelmäßige Veranstalten von Spielen und gymnastischen Übungen. Viele dieser Ideen waren bereits im Jahr II (1793/94) formuliert worden – nun erhielten sie erstmals gesetzliche und praktische Wirksamkeit. Die Debatte hatte die Verabschiedung des Gesetzes verzögert; mehrfach war der Entwurf überarbeitet worden.1535 Grundlage der Auseinandersetzungen war der zweite Gesetzesentwurf vom 19. Messidor VI (7. Juli 1798), welcher sich aus dem Vorschlag vom 24. Vendémiare VI (15. Oktober 1797) entwickelt hatte.1536 Bonnaire, der als Berichterstatter der vereinten Ausschüsse für instruction publique und institutions républicaines den Fünfhundert den Entwurf präsentierte, stellte den Erziehungsgedanken und den Wunsch der lokalen Behörden, dem katholischen Kult und seinem Kalender die Stirn zu bieten, an den Anfang seiner Überlegungen.1537 Er zeichnete ein finsteres Bild von der Situation der Republik: Diese existiere bald nur noch auf dem Papier, in den Gesetzen, im Parlament und in den Herzen einiger weniger aufgeklärter Männer aus dem Volke; mehrheitlich sei jedoch zu beobachten, dass die „moeurs de la monarchie“1538 die Republik regierten. 1793 und 1795 werden als Krisenzeiten bezeichnet, in denen dem Gesetzgeber die Hände gebunden waren – jetzt gelte es jedoch endlich zu handeln. Der Dekadenkult wurde weniger als Ritual oder andere Kulthandlung beschrieben, sondern in den Kontext der anderen Gesetze zur Durchsetzung des republikanischen Kalenders gestellt.1539 Es reiche nicht aus, eine neue Ruhetagsregelung einzuführen, solange diese nicht auch mit Inhalten gefüllt werde: Wolle man weitere Unruhen und weiteren Missbrauch verhindern, erscheine es sinnvoll, den Menschen die Praxis der republikanischen Gebräuche und Tugenden beispielhaft

1535

Umso mehr drängten einige Abgeordnete im Fructidor zur Entscheidung: Trotz seiner Bedenken riet z. B. Baret zur Eile, da das neue Jahr (VII) bald beginne und es ein großes Interesse gebe, die anstehenden Feste angemessen zu begehen, vgl. Moniteur n° 346, 16 fructidor VI (2. September 1798). 1536 Vgl. Bonnaire (du Cher), Félix: Rapport, Au nom des commissions d’instruction publique et des institutions républicaines, réunies, Sur les fêtes décadaires, Séance du 19 messidor an 6, Paris, messidor an 6, zitiert nach: AN, Paris, AD XVIIIc, 468, Dok. 8. 1537 Vgl. Bonnaire: Rapport, Au nom des commissions, S. 2. 1538 Ebd. 1539 Vgl. ebd., S. 4f.

3.5 Religion rationalisieren

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vor Augen zu führen.1540 Die Lesungen seien hierzu ein vortreffliches Mittel, zumal sie gleichzeitig Information der Landbevölkerung und Transparenz der Herrschaftsstrukturen gewährleisteten. Die eher trockene Auslegung der Gesetze sei um die Lektüre moralischer Exempel und die Empfehlung alltagspraktischer Tipps für Handwerk und Landwirtschaft zu ergänzen, um den Anreiz des Treffens zu erhöhen. Zusätzlich empfahl Bonnaire, die Neugierde und die Sensationslust der Menschen gezielt für die eigene Sache zu nutzen, indem man am selben Tag Geburten und Eheschließungen sowie Sterbefälle oder andere Neuigkeiten verkünde sowie öffentliche Spiele und Körperübungen mit auf die Tagesordnung setze.1541 Das Schlussplädoyer spiegelt den Glauben des Abgeordneten an die Machbarkeit und Gestaltbarkeit der Verhältnisse wider, identifiziert aber ebenso deutlich den politischen und moralischen Gegner, welchen es zur Erreichung des Ziels zu überwinden gelte. Bonnaire rief im gleichen Atemzug zu einem Akt der Schöpfung und des Sturzes auf: Eh bien, citoyens collègues, créons un esprit public […]! créons des institutions nouvelles, donnons des mœurs au peuple qui a été trop négligé! […] osons tout ce qui est juste et utile, & n’oublions pas que, si nous ne frappons les fanatiques en même temps que les émigrés […] bientôt par des secours mutuels ils se seront relevés de leur chûte.1542

An keiner Stelle wird den Dekadenfeiern eine religiöse Dimension zugeschrieben. Das vorgeschlagene Programm hatte eine stark philosophische Tendenz, welches religionspolitische Neutralität suggerierte. Über die Wortwahl nimmt jedoch der eigentliche ‚Feind‘ vor den Augen der Zuhörer (und Leser) deutlich Gestalt an, wurde mit den Adjektiven ‚fanatisch‘, ‚abergläubisch‘, ‚unverschämt‘, ‚intolerant‘ und ‚dominant‘ doch seit 1793 stereotyp der Katholizismus beschrieben.1543 Hatte La Revellière mit seiner Rede vor dem Institut die theoretische Unterscheidung von „culte“, „cérémonies“ und „fêtes“ eingefordert, so schien diese in der Praxis zu verschwimmen. Die Wirkung der Symbole war nicht exakt programmier- und vorhersehbar; die regelmäßige Wiederholung und symbolische Aufladung durch bestimmte Formeln, Orte und Gegenstände führte zu nicht indendierten Nebenwirkungen. Immerhin wurde der décadi von seinen Befürwortern als ‚Institution‘ 1540

Vgl. ebd., S. 6. Vgl. ebd., S. 9f. 1542 Ebd., S. 10. 1543 Insofern muss Mathiez widersprochen werden, der 1904 davon ausging, es solle vor allem die Theophilanthropie ersetzt werden; diese Perspektive verengt den Blickwinkel, vgl. MATHIEZ: La théophilanthropie et le culte décadaire, S. 427. 1541

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gehandelt, vor allem nach der gesetzlichen Ruhetagsneuregelung.1544 Bonnaire vermied es zwar, von einem ‚culte‘ zu sprechen, doch die Tatsache, dass die Feiern im Dekadenrhythmus und nach immer gleichem Schema stattfinden sollten, erinnerte stark an eine Ersatzhandlung für die traditionelle Messfeier des christlichen Sonntags; die Zeremonien hatte somit zumindest große Ähnlichkeit mit einer kultischen oder rituellen Handlung. Auch verband sich mit den Versammlungen ja durchaus ein Wunsch nach einer Veränderung und Wandlung der Teilnehmer: Diese sollten zwar (auch) durch Beweggründe wie Neugier oder Geselligkeitsdrang angelockt werden, die Zusammenkunft aber nach den Lesungen von Gesetzestexten und moralischen Lehrstücken gebildeter und geläutert verlassen.1545 Auch die häufig wiederholte Formulierung, mit dem herrschenden „culte intolérant & dominateur“ beziehungsweise den praktizierten „cérémonies mystiques“ aufräumen zu wollen, ließ wohl bei manchen Abgeordneten erneut den Wunsch aufkommen, die Feiern zu einem eigenständigen Kult oder einer Religion weiterzuentwickeln. Im Rat der Alten bedauerten Cornet du Loiret und Rabaut le Jeune, dass man sich nicht stärker des „véhicule de la religion“ bedient habe, um den décadi zu gestalten und „l’amour du bon, du juste, de l’honnête“ zu befördern.1546 Decomberousse wies diese Idee klar zurück: Zu groß sei die Gefahr, dass man durch den Verdacht einer Verletzung der Religionsfreiheit den Erfolg der neuen Institution eher beschädige als befördere. Si l’on fait intervenir la divinité dans les fêtes décadaires, quelle que soit l’adresse que l’on mette en usage pour écarter l’idée de l’introduction d’un culte nouveau, il sera impossible d’y parvenir; on ne verra que l’institution d’un nouveau culte et il n’en faudra pas davantage pour éloigner de ces réunions civiques les citoyens souvent les plus éclairés et les plus propres à rendre ces réunions utiles.1547

Duplantier erklärte eine solche Einstellung als allzu vorschnellen Rückzug. Er unterstützte zwar prinzipiell Bonnaires Programm, wollte darüber hinaus aber die Chance nutzen, den Menschen bei den Dekadenfeiern religiöse Orientierung zu geben.1548 Er plädierte dafür, die Liebe 1544

Vgl. u. a. Bonnaire: Rapport, Au nom des commissions, S. 7: „L’institution du décadi nous donne le moyen de remédier à ce mal trop réel & trop fréquent.“ 1545 Vgl. ebd. Formulierungen wie „régénération politique“ (S. 4), „dompter cet orgueil“ (S. 9), „créons un esprit public“ (S. 10). Dort auch zum Folgenden. 1546 Vgl. eine Sammlung von Stellungnahmen zu diesem Thema in: Paris, BHVP, 12272 sowie im Moniteur. 1547 Zitiert nach MATHIEZ: La théophilanthropie et le culte décadaire, S. 426. 1548 Vgl. ebd., S. 427.

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für das Vaterland und die religiösen Gefühle der Bürger in einem gemeinsamen Kult zu vereinen, der anlässlich jeder offiziellen Zeremonie, und somit auch am Dekadi, gepflegt werden sollte: „Eh! plût au génie de la liberté que tous les cultes puissent venir insensiblement se fondre dans un seul, celui de la patrie.“1549 Entsprechend sollten mehr Anregungen Leclercs in die Dekadenfeiern aufgenommen werden.1550 Gegner des Entwurfs monierten vor allem den Heiratsparagraphen: Eheschließungen auf einen Tag zu beschränken, habe nicht einmal der Papst gewagt, gab Creuzé-Latouche im Rat der Fünfhundert zu bedenken.1551 Wieder andere, prorepublikanische Stimmen befürchteten, die Hochzeiten könnten den Nationalfesten Konkurrenz machen.1552 Im Rat der Alten kritisierte man die Idee einer Durchführung der Veranstaltungen in den Kantonshauptstädten – dadurch sei der Gleichheitsgrundsatz verletzt, weil indirekt ein großer Teil der Landbevölkerung ausgeschlossen werde.1553 Trotz des Gewichts solcher Einwände herrschte im Unterschied zu anderen Auseinandersetzungen über die republikanischen Institutionen vergleichsweise große Einigkeit. Am 13. Fructidor (30. August) wurde das Gesetz über die Dekadenfeiern ohne größere Änderungen nach dem Vorschlag Bonnaires angenommen.1554 Das Direktorium und der Innenminister hatten nun die gesetzliche Legitimation für ihr weiteres Vorgehen. François de Neufchâteau setzte mit dem Rundbrief vom 20. Fructidor VI (6. September 1798) die Rahmenbedingungen fest: Am décadi sollten fortan alle Mitglieder der städtischen Obrigkeit in ihrer Amtstracht den zentralen Versammlungsort der Bürger der Kommune aufsuchen, um dort Gesetzestexte, Akten und das Bulletin über allgemeine Belange der Republik zu verlesen. An gleicher Stelle sollten anschließend die Trauungen vollzogen werden. Schüler seien zu diesen Anlässen einzuladen. Die Versammlungsorte seien mit Bedacht zu wählen und zu gestalten:1555 Die städtischen 1549

Vgl. ebd. Vgl. MEINZER: Der französische Revolutionskalender, S. 248, Anm. 128. Zu Leclerc Kapitel 3.3.1. 1551 Vgl. Creuzé-Latouche, CCC, séance du 1er thermidor VI. 1552 Vgl. Guesdon, CCC, séance du 6 thermidor VI. 1553 Vgl. Rabaut Le Jeune, CA, séance du 20 thermidor, zitiert nach MEINZER: Der französische Revolutionskalender, S. 248, Anm. 132. 1554 Vgl. Decomberousse, Benoît-Michel: Corps législatif. Conseil des Anciens. Discours de B.-M. Decomberousse en réponse aux objections présentées contre la résolution du 6 thermidor sur les fêtes décadaires. Séance du 13 fructidor an VI, Paris, an VI. 1555 Im Zentrum standen ein Altar des Vaterlandes und zivile Symbole („emblèmes civiques“) sowie ein Aushang der Menschen- und Bürgerrechte; in Ergänzung dazu schlug man vor, Büsten berühmter Männer aufzustellen. Sollte als Versammlungsort eine 1550

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Beamten erhielten einen abgetrennten Sitzbereich; Ehrenplätze würden außerdem für die älteren Teilnehmer und Veteranen reserviert sowie eine Tribüne für die Lektoren und ein angemessener Bereich für das Orchester eingerichtet. Die Schüler sollten eine aktive Funktion übernehmen, um sich stärker mit den vorgetragenen Inhalten auseinandersetzen und identifizieren zu können. In den Hauptstädten der Kantone sollten Spiele und sportliche Exerzitien abgehalten werden.1556 Genaue Angaben zum zeitlichen Ablauf des Rituals der Bürgergesellschaft beschlossen das Schreiben. Ein engmaschiges Berichtssystem über Protokolle der Zusammenkünfte sowie Besuche der kommissarischen Vertreter des Direktoriums in der Provinz sollten den Pariser Machthabern eine Kontrolle über die Umsetzung der neuen Bestimmungen ermöglichen. Aufklären, erinnern und belehren – dies waren die wichtigsten Stichworte für die neuen ‚wöchentlichen‘ Feiern. Die katholische Kirche sollte dabei allenfalls als abschreckendes Beispiel dienen: Vous éclairerez les citoyens, vous leur rappellerez les désastres et les horreurs de ces guerres horribles, nommées guerres de religion, toutes les atrocités, dont le tissu compose l’histoire de l’Eglise; vous leur apprendrez à distinguer la morale, qui est l’essentiel des cultes, d’avec les rites, inventés pour l’intérêt des ministres. Vous séparerez Dieu du prêtre, vous recommanderez la tolérance envers les sectaires paisibles, mais vous prendrez des renseignements précis sur les perturbateurs, qui cherchent dans le ciel un levier pour remuer la terre.1557

In einem gesonderten Rundschreiben an die Lehrer machte François deutlich, dass philosophische Ideen, nicht Dogmen oder bestimmte religiöse Riten die Versammlungen inspirieren sollten: Vous devez écarter de vos instructions tout ce qui appartient aux dogmes et aux rites des cultes ou sectes quelconques. La Constitution les tolère sans doute, mais leur enseigenment n’est pas l’enseignement public et ne peut jamais l’être.1558

ehemalige Kirche ausgewählt werden, so sei diese dem Ziel und Charakter der neuen Veranstaltung anzupassen. Vgl. ebd. 1556 Vgl. AN, Paris, AF III 95: Intérieur, circulaires imprimés, dossier 411, pièce 63: 1er et 5e divisions, Réunion décadaires; Paris, le 20 Fructidor, an 6 […] aux administrations centrales et municipales de la République et aux Commissaires du Directoire exécutif placés près de ces Administrations. 1557 Vgl. François de Neufchâteau: Circulaire du 20 Fructidor an VI, zitiert nach: Ders.: Recueil, Bd. 1, S. 257–264: Réunions décadaires. 1558 François de Neufchâteau: Circulaire du 17 vendémiaire an VII: Livres élémentaires. Ordre des études, zitiert nach: Ders.: Recueil, Bd. 1, S. 207–225, S. 224. Dort werden auch genaue Anweisungen zur Gestaltung der „réunions décadaires“ gemacht.

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Entsprechend wurde ein eigenständiger, stark philosophisch ausgerichteter Kanon an Lehr- und Unterrichtsmaterialien entwickelt. Das Bulletin décadaire, welches das Direktorium selbst zusammenstellte, wurde nicht nur zum offiziellen Organ, sondern gewissermaßen zum „bréviaire périodique“1559 der republikanischen Versammlungen. Neben Berichten zur allgemeinen politischen Situation fand man dort Informationen über die in der Hauptstadt abgehaltenen Feste, Kommentare der Mitteilungen der Exekutive oder der militärischen Operationen; ergänzt wurde diese Verteidigung der Regierungspolitik durch lobende Erwähnung linientreuer Priester und Bürger oder solcher Stadtverwaltungen, die die republikanischen Feste mit besonderem Pomp begingen.1560 Ähnlich wie schon im Jahr II rundeten Berichte über staatsbürgerliche Heldentaten das Programm ab.1561 Der Innenminister ergänzte diese Wochenschrift durch eine Art zusätzlichen Katechismus: den Manuel républicain.1562 Gleichzeitig wurde auch eine überarbeitete Version des Recueil des belles actions projektiert, welches zivile und militärische Heldentaten der Bürger zusammenfassen sollte.1563 Die Dekadenfeiern wurden damit ebenso wie die Nationalfeste zu einem Kernstück der Symbolpolitik des Fructidor-Direktoriums. Mathiez begrenzte jedoch in seiner Untersuchung die Perspektive weitgehend auf die Konkurrenzstellung zwischen Theophilanthropie und Dekadenfeiern, welche er – entgegen der Sprachregelung der Zeitgenossen – durchgängig als ‚culte décadaire‘ bezeichnete. Dabei wurden zwangsläufig andere Anknüpfungsmöglichkeiten dieses symbolpolitischen Instruments ausgeblendet. Überzeugend erscheint jedoch nach wie vor das Argument, der Dekadenkult sei keine ‚Zivilreligion‘ gewesen: Im Unterschied zur Theophilanthropie, die zur gleichen Zeit Konjunktur hatte, war er nicht spirituell geprägt, sondern eine Art republikanische Schule für Erwachsene. Die Konfrontation mit dem Katholizismus wurde nur indirekt (wenn auch bewusst) gesucht. Mathiez zog daraus die Schlussfolgerung, das Direktorium sei vermutlich besser beraten 1559

MATHIEZ: La théophilanthropie et le culte décadaire, S. 446. Vgl. z. B. Bulletin décadaire n° 6: Dominique Bessan, Priester in Barbaste (Lot-et-Garonne), hatte die katholische Messe auf den Dekadi verlegt; die Stadtverwaltung von Toulouse hatte sich durch besonders vorbildliche Feste hervorgetan. 1561 Vgl. MATHIEZ: La théophilanthropie et le culte décadaire, S. 447. 1562 Vgl. Manuel républicain. Première partie, contenant la constitution de la République française suivie d’instructions sur les nouveaux poids et mesures, sur les monnaies républicaines […] sur l’annuaire républicain […] des tables des matières sous la forme de questions, Paris, an VII. 1563 Vgl. MATHIEZ: La théophilanthropie et le culte décadaire, S. 450. Dort auch zum Folgenden. 1560

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gewesen, wenn es konsequent die Auseinandersetzung zwischen zwei geistlichen Systemen, dem katholischen und dem theophilanthropischen Kult, begünstigt hätte. Das Festhalten an der Verbindlichkeit des Dekadenkultes habe die Integrationsfähigkeit des Regimes stark geschwächt und diesem daher eher geschadet als genutzt.1564 Dennoch wäre es falsch zu behaupten, die Maßnahmen seien auf der ganzen Linie gescheitert. Zumindest kurzfristig hatten die Dekadenfeiern einen gewissen Zulauf.1565 Bereits im Oktober 1798 gab jedoch der Bericht der Departementverwaltung Seine zu bedenken, das Programm müsse weiterentwickelt werden, wenn es zum gewünschten Erfolg führen solle. Im Vergleich zu den Nationalfesten würden die Dekadenfeiern sich geringerer Beliebtheit beim Volk erfreuen; die Lesungen würden häufig als steif und wenig attraktiv empfunden; um größeren Zuspruch zu erhalten, sollte man eventuell über einen Ausbau der unterhaltsamen Elemente nachdenken.1566 Das Departement zeichnete sich durch besonderes Engagement aus: Kirchen wurden nach neuen Prinzipien und Wertvorstellungen umbenannt;1567 die katholischen Priester zunehmend an der Ausübung ihres Kultes behindert; das Direktorium ließ zahlreiche Priester stillschweigend deportieren1568. Generell waren die Erfolge in der Stadt größer als auf dem Land. Dennoch zeichnete sich Mathiez zufolge ein Misserfolg bereits vor dem Machtwechsel im Frühjahr 1799 ab: Die militärischen Niederlagen sollten dem Katholizismus rasch neuen Auftrieb verleihen.1569 Am 1. Germinal VII (21. März 1799) zog Moreau im Rat der Alten ein vernichtendes Fazit: Cette sublime institution est déjà tombée dans l’oubli. Si les cités départementales, se saisissant de l’esprit qui les a dictées, sont réceillées par l’infatigable sollicitude du Directoire, à ces époques célèbres, l’immense majorité du peuple français, ou plutôt des communes qu’il habite, reste insensible aux grandes idées qu’elles développent.1570 1564

Ähnlich urteilt auch WOLOCH: ‚Republican Institutions‘, S. 371–387. Vgl. Patriote français, 22 thermidor VI, zitiert nach: AULARD: Paris pendant la réaction, Bd. 5, S. 31; Clef du Cabinet, 2 fructidor VI, zitiert nach: ebd., S. 45. 1566 Vgl. Tableau analytique de la situation du département de la Seine, pendant le mois de vendémiaire an VII, présenté au ministre de l’intérieur par le commissaire du Directoire exécutif près l’administration centrale dudit département, zitiert nach: Ebd., S. 167: Abschnitt: „fêtes décadaires“. 1567 Vgl. Moniteur n° 36, 6 brumaire an VII (27. Oktober 1798); dazu u. a. MATHIEZ: La théophilanthropie et le culte décadaire, S. 464f. Vgl. auch Kapitel 2.3.1. 1568 Vgl. MATHIEZ: La théophilanthropie et le culte décadaire, S. 453ff. 1569 Ebd., S. 483 und S. 532ff. 1570 Moreau de Vormes, Jacob-Augustin-Antoine: Corps législatif. Conseil des Anciens. Motion d’ordre sur la célébration des fêtes nationales instituées par la loi du 3 brumaire an IV, Séance du 1er germinal an VII, Paris o. J. [zitiert nach: Paris, BHVP, boîte 12272]. 1565

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Hatte in der Hauptstadt zumindest für kurze Zeit der Dekadenkult die Theophilanthropie verdrängt, behauptete Letztere auf dem Land offenbar sogar eine vergleichsweise höhere Attraktivität für die Franzosen.1571 Die prairialistes erkannten 1799 die gesellschaftlich polarisierende Wirkung der Dekadenfeiern und leiteten erneut eine Politik der Versöhnung gegenüber der katholischen Kirche ein. Im Namen der Religionsfreiheit wurde die Aktivität des Direktoriums als neue Form des priesterlichen Fanatismus denunziert, deren „burlesque pontificat était dans le Directoire même“1572. Um das Volk erneut in großer Zahl um die Verfassung zu versammeln, sollte den willkürlichen Deportationen von konstitutionellen Priestern ein Ende bereitet werden. Diese Meinung wurde keineswegs von allen Abgeordneten geteilt – vor allem im Rat der Alten wurden nunmehr die Neojakobiner als Vertreter des Katholizismus denunziert; es kam zu einer neuen Religionsdebatte, die jedoch bis zum bonapartistischen Staatsstreich keine entscheidende Beschlussfassung mehr nach sich ziehen sollte.1573 Quinette bemühte sich zwar durchaus um eine Förderung des Dekadenkultes; doch die Berichte aus den Departements schwiegen sich über die schlecht besuchten Zeremonien weitgehend aus.1574 Bonaparte reduzierte nach seiner Machtübernahme den Festkalender auf das Minimum der zwei ohnehin beliebtesten Nationalfeste: den 14. Juli und den 1. Vendémiaire.1575 Der serment civique wurde ebenfalls auf die schlichte Formel „Je promets fidélité à la Constitution“ reduziert.1576 Am 9. Nivôse (30. Dezember) erklärte ein Erlass der Konsuln, der Leichnam von Pius VI., welcher sich in Valence befinde, solle dem Rang des Papstes entsprechend mit höchsten Ehren zu Grabe getragen und dem Kirchenfürsten ein Denkmal gesetzt werden. Lucien Bonaparte konnte seine prokatholischen Positionen nun als Mitglied der Regierung entfalten. Dies bedeutete de facto das Ende der antiklerikalen Politik des Zweiten Direktoriums. Nachdem Bonaparte den Dekadenkult zunächst zumindest noch neu geregelt hatte,1577 1571

Häufig wurden die Kulte trotz ihrer Unterschiedlichkeit sogar verwechselt. Vgl. MATHIEZ: La théophilanthropie et le culte décadaire, S. 555–561. 1572 François (de Nantes): Conseil des Cinq-cents, au nom de la commission des Onze, Séance du 3 messidor an VII. 1573 Vgl. MATHIEZ: La théophilanthropie et le culte décadaire, S. 567. 1574 Vgl. ebd., S. 578. 1575 Vgl. Anordnug von Bonaparte, Bericht von Laplace und Message consulaire in: CORRESPONDANCE DE NAPOLÉON IER, publié par ordre de l’empereur Napoléon III, Bd. 6: 1799–1801, Paris 1861, Nr. 4442, S. 34f. 1576 Vgl. MATHIEZ: La théophilanthropie et le culte décadaire, S. 591. Dort auch zum Folgenden. 1577 Vgl. Arrêté du 2 pluviôse VIII.

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distanzierte er sich weniger als ein Jahr nach seiner Machtübernahme deutlich von diesem symbolpolitischen Instrument, indem er die Ruhetagsregelung erneut nur für die Beamten und Angestellten der Republik als verbindlich erklärte.1578 Nur zwei Bestimmungen der alten institutions républicaines blieben in Kraft: die Orientierung der Wochen- und Jahrmärkte nach dem annuaire républicain sowie die Bekanntgabe von Eheschließungen am décadi. Ansonsten, so hieß es ausdrücklich, dürfe jeder Bürger nach seinem eigenen Dafürhalten ruhen und arbeiten, wie es ihm beliebe. Neben den normativen Quellentexten zeugen nur wenige Über reste und Abbildungen davon, dass die Vorschriften des Jahres 1798 auch tatsächlich umgesetzt wurden. Im Kunstmuseum von Angers ist ein Vaterlandsaltar überliefert, vermutlich der einzige seiner Art, der in ganz Frankreich noch existiert.1579 Der Holzaltar stand zur Zeit der Revolution in der zum Dekadentempel umgewidmeten Kathedrale von Angers. Er erinnert in seiner Grundform und Ausführung an antike Grabstelen, vor allem durch die girlandenförmige Dekoration und Riffelung, während die Ornamente im Stil Ludwigs XVI. ausgeführt sind.1580 Seine plastische Dekoration beinhaltet jedoch keinerlei unmittelbar revolutionären oder republikanischen Symbole oder Inschriften. Lediglich die Museumsbeschriftung (wohl von 1839) bezeugt die ursprüngliche Funktion. Bei den Dekadenfeiern symbolisierte der Vaterlandsaltar die Gemeinschaft der Nation und markierte den Ort der Selbstverpflichtung des Einzelnen gegenüber der neuen Gesellschaft. Er kann als materieller Ausdruck „des Bewusstseins der Revolutionäre und ihres heilsgeschichtlichen Anspruchs, eine neue, säkulare Zeit menschlicher wie auch politischer Selbsterlösung und Selbstbestimmung zu eröffnen“1581, interpretiert werden. Parallelen zwischen den Dekadenfeiern und dem katholischen Kult drängen sich auch im Hinblick auf die musikalische Begleitung der Zeremonien auf. Ehemalige Kirchenorgeln dienten zur Unterstützung des

1578

Vgl. Arrêté du 7 thermidor an VIII sowie entsprechend Cirulaire du 28 thermidor von Lucien Bonaparte. 1579 Vgl. David, Pierre-Louis: Autel de la patrie, Angers 1797, Holz, bemalt, geschnitzt, 125 × 115 cm, Durchmesser 96 cm (Angers, Musée des Beaux-Arts, Inv. MBA 736 J1881, abgebildet in: Ausst.Kat. SPEKTAKEL DER MACHT, Kat.Nr. V.26, S. 233). 1580 Vgl. Ausst.Kat. LA RÉVOLUTION FRANÇAISE ET L’EUROPE, Bd. 3, S. 729, Kat.Nr. 956. Vermutlich wurde der Altar nur deshalb im Museum von Angers aufbewahrt, weil der Sohn des Künstlers eine bedeutende Militärkarriere absolvierte. 1581 KOCH, Rhiana: Art. Altar des Vaterlandes, in: Ausst.Kat. SPEKTAKEL DER MACHT, S. 233.

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Gesangs, wie ein Dokument aus dem Jahre 1799 belegt:1582 In der ganzen Republik bestehe Interesse am Erhalt der Orgelgehäuse, denn das Volk liebe den Klang dieses Instruments und habe es bei den Festen der Republik bislang vermisst: „c’était d’ailleurs un moyen d’intérêt ôté aux fêtes républicaines.“ Ein Problem sei, dass Orgeln Bestandteil des mobilier national seien: „je ne pouvais qu’inviter le Ministre des finances à les en distraire et à les faire rendre à leur première destination. C’est ce que je viens d’obtenir.“ Der Administration centrale im ganzen Land sollten möglichst ab sofort alle Orgelgehäuse, die im Besitz der Republik seien, zur Verfügung gestellt werden, es sei denn, sie seien reparaturbedürftig oder kaputt. Solcherart erhielten auch die republikanischen Versammlungen einen festlichen Charakter, wie die Messe in der katholischen Kirche.

3.5.3 Bürgerkult als Ersatzreligion? Sakralisierung von Politik durch quasi-religiöse Sprechakte „Die Französische Revolution war erfüllt von der Sehnsucht nach Sakralem […].“1583 Mona Ozouf prägte in ihrer Studie zu den Festen der Französischen Revolution den Ausdruck des ‚Transfers von Sakralität‘1584. Sie konnte nachweisen, dass in den Revolutionsfesten Elemente religiöser Volkskultur, wie zum Beispiel die Vorliebe für Glocken, Kreuze und Prozessionen, weiterlebten und die großen Fragen der Religion (Herkunft, Sinn und Gestaltung guten Lebens) zu Themen der politischen, innerweltlichen Ordnung wurden. Byrnes stellte zwar zu Recht die Frage, ob Ozoufs Begriff von ‚Sakralität‘ angemessen sei,1585 bestätigte jedoch die Existenz des Phänomens und dessen Relevanz für die politische Kultur der Revolution.1586 Es habe in den Revolutionsfesten ganz offensichtlich sichtbare Elemente einer religiösen Tradition gegeben, die erstmals aus ihrem Ursprungskontext heraus isoliert und 1582

Vgl. Buffets d’orgues conservés pour les Temples décadaires, Paris, le 25 Prairial, an 7 […], Paris, AN, AF III 95: Intérieur, circulaires imprimés, Dossier 410. 1583 OZOUF: Das Pantheon, S. 18. 1584 Vgl. OZOUF: La fête; Kapitel: „Le transfert de la sacralité“. 1585 Vgl. BYRNES, Joseph F.: Celebration of the Revolutionary Festivals under the Directory: A Failure of Sacrality, in: Church History 63 (1994), S. 201–220. Vor allem betont er, es gebe keine einheitliche ‚westliche‘ Definition von Sakralität. Diese sei zwangsläufig immer geographisch, konkret und stehe in Beziehung zum Göttlichen, wie die übliche Unterscheidung zwischen ‚profan‘ und ‚sakral‘ belege. Dabei bezieht er sich auf COLPE, Carsten: The Sacred and the Profane, in: THE ENCYCLOPEDIA OF RELIGION, Bd. 12, hrsg. von Mircea ELIADE, New York 1987, S. 511–526. 1586 Vgl. BYRNES: Celebration of the Revolutionary Festivals under the Directory, S. 202.

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3. Gesellschaft als Projekt

neu angeeignet werden konnten – ein Vorgang, der für uns heute alltäglich geworden ist, damals jedoch außerordentlich war. Allerdings, so Byrnes, habe dabei keineswegs, wie behauptet, ein ‚Transfer von Sakralität‘ stattgefunden. Dieser Transfer sei vielleicht intendiert gewesen, letztlich aber gescheitert. Besonders die Feste des Direktoriums, so Byrnes in der Nachfolge von Mathiez, seien in dieser Hinsicht ein Misserfolg gewesen. Während Byrnes für seine Interpretation vor allem nach der abschließenden Wirkung der Inszenierungen fragte, soll im Folgenden zunächst auf die Intention der Akteure sowie daran anschließend auf die Praktiken des Direktoriums abgehoben werden. Das Thema verdiente eine ausführlichere Abhandlung: Die republikanischen Bemühungen um eine Säkularisierung von Staat und Gesellschaft wurden von 1792 an flankiert von einer Debatte um die Erzeugung alternativer Formen sozialer ‚Bindung‘, die teilweise quasi-religiöse Züge annehmen konnten. ‚Transfer von Sakralität‘ fand dabei auf verschiedenen Ebenen und in verschiedener Intensität statt. Bemerkenswert erscheint so zum Beispiel die bereits beschriebene Aneignung sakraler Bauten und Orte durch die Republikaner. Besonders das Gedenken an die Hinrichtung des Königs (21. Januar) wurde bevorzugt an sakralen Orten begangen: Errichtete man 1796 eine Art Tempel auf dem Marsfeld, so feierte man 1797 in der Kathedrale Notre-Dame und 1798 im Vernunfttempel Saint-Sulpice – als bedürfe die Hinrichtung des Königs nachträglich einer zusätzlichen, quasi-religiösen Legitimation. Gleichzeitig wurde in diesem Zusammenhang die republikanische Verfassungsordnung zelebriert und sakralisiert. Aber auch alle anderen Gedenkfeiern des republikanischen Festkalenders inszenierten sakrale Elemente, unter anderem über ephemere Festarchitekturen wie den ‚Altar‘ des Vaterlandes oder über das Verbrennen von Aromen, die an den Weihrauch der katholischen Kirche erinnerten. Selbst die Sprachformeln der christlichen Liturgie dienten als Repertoire zur Propagierung neuer moralischer ebenso wie politischer Ansprüche. In seiner Festrede zum 23. Thermidor IV (10. August 1796) übertrug La Revellière so beispielsweise Redewendungen katholischer Dankrituale auf den Bereich der Politik, wenn er abschließend ausrief: „Grâces te soient rendues, immortelle journée du 10 août!“1587 Gleichzeitig betonte man, allein der Verstand sei die Grundlage jeder freiheitlichen Ordnung, lobte das amerikanische Vorbild und propagierte Gleichheit und

1587

Anniversaire du 10 août, in: Moniteur n° 329, 29 thermidor IV (16. August 1796).

3.5 Religion rationalisieren

463

Eintracht als Leitwerte der Direktorialrepublik.1588 Die neue Staatsform wurde jedoch durch rhetorische Emphasen und Entlehnungen aus dem kirchlichen Vokabular selbst Objekt einer Sakralisierung: Sie erschien als höherer Wert ‚an sich‘, der neue Formen von Unsterblichkeit und Transzendenz zu ermöglichen versprach: Enfin, l’histoire dira à la posterité que c’est à l’immortelle journée du 10 août que nous devons la République!..... la République!.... Eh! quel est celui qui possède un coeur assez froid et un esprit assez rampant pour ne pas sentir son être s’agrandir et son ame s’élever, à la seule idée d’y vivre et d’en être membre!... [sic]1589

Der Weiterentwicklung der Republik, ihrer Stabilisierung und Konsolidierung seien fortan alle Kraft zu widmen: Réjouissez-vous, républicains, dignes d’un nom si glorieux! Bientôt nos sages institutions auront produit ces précieux effets, et tous les Français réunis par un même sentiment, goûtant avec ivresse les fruits qu’ils en auront cueillis, béniront à jamais l’immortelle journée du 10 août.1590

Die gesamte Rede wurde von einer sakralen Metaphorik (‚Unsterblichkeit‘, ‚Lobpreis‘, ‚Danksagung‘ etc.) durchzogen, um den geäußerten Anliegen größeren Nachdruck zu verleihen. Die Atheisten unter den Abgeordneten beobachteten solche Entwicklungen mit Skepsis; Erinnerungen an den Kult des Höchsten Wesens wurden wach. Erst der Staatsstreich vom 18. Fructidor V (4. September 1797) ermöglichte dem Zweiten Direktorium eine Wiederaufnahme solcher Sakralisierungen der republikanischen Ordnung: einerseits durch das dezidiert antiklerikale Erziehungsprogramm der ‚institutions républicaines‘, andererseits durch eine quasi-religiöse Überhöhung der neuen Staatsform im Sinne einer ‚Eschatologie der Freiheit‘.1591 Sprechakte spielten in diesem Zusammenhang eine große Rolle. Kurze Zeit nach dem Staatsstreich bezog La Revellière mit der Festrede zum Jahrestag der Republikgündung (1. Vendémiaire VI, 22. September 1797) deutlich Position.1592 Veteranen wurden mit Lorbeerkränzen als Zeichen der Unsterblichkeit geehrt. Für die Zukunft verhieß La Revellière „stabilité“, „tranquilité“, „prospérité“ und „gloire de la République“. Religiös anmutende Sprachformeln rundeten die Inszenierung 1588

Vgl. DE, Arrêté du 13 thermidor, in: Moniteur n° 322, 22 thermidor IV (9. August 1796) sowie Fête nationale du 10 août, fixée au 23 thermidor an IV, in: Moniteur n° 323, 23 thermidor IV (10. August 1796). 1589 Moniteur n° 329, 29 thermidor IV (16. August 1796). Dort auch zum Folgenden. 1590 Ebd. 1591 Vgl. POMMIER: La Fête de thermidor an VI; dazu Kapitel 2.4.4. 1592 Vgl. Moniteur n° 3, 3 vendémiaire VI (24. September 1797). Dort auch zum Folgenden.

464

3. Gesellschaft als Projekt

ab („graces te soient rendues, souverain arbitre“). Der „souverain arbitre des destinées de l’univers“ wurde dazu aufgerufen, die Geschicke der Republik gnädig zu begleiten. Viele Formulierungen klangen wie ein Gebet: Maintenant, achève ton ouvrage: consolide pour jamais cette République. […] Inspire […] à tous les Français des sentiments grands, élevés, généreux, désintéressés. Fais régner parmi eux un esprit de paix, une mutuelle bienveillance, un grand attrait pour la vérité et la franchise, une grande aversion pour le mensonge et l’hypocrisie, un profond respect pour la vertu, une haine égale pour le vice, un amour ardent pour la liberté, un dévouement sans bornes à la cause de leur pays. […] Grâces te soient rendues, souverain arbitre des destinées de l’univers; grâces te soient rendues, la France est République.

Die Nation wurde gleichzeitig auf den bevorstehenden Krieg eingeschworen.1593 Es gebe nur ein Mittel, um die Vorherrschaft von Wien und London zu brechen, nämlich den Krieg: „Puisque vos ennemis, en feignant de négocier, se tiennent dans l’état hostile, leur exemple vous force à reprendre les armes […].“ Auch an die Bedeutung der Wehrpflicht wurde erinnert. Militarisierung und Sakralisierung der Republik gingen Hand in Hand. Im weiteren Verlauf des Zweiten Direktoriums bemühte sich La Revellière-Lepeaux, seine bislang vor allem theoretisch entwickelten Ideen einer ‚republikanischen Liturgie‘1594 in den Nationalfesten dauerhaft zu verwirklichen. Diese sollten, ähnlich wie andere Kulthandlungen, nach einem bestimmten Grundmuster ablaufen, in dem sich Sprechakte und liturgische Praxis wiederholten. Die Formulierung „grâces soient rendues“ tauchte am 26. Messidor VI (14. Juli 1798) sowohl in der Rede des Präsidenten der Anciens als auch in der Ansprache des Direktors Merlin auf. Innenminister François de Neufchâteau empfahl seinerseits den Ausdruck in einem Runderlass zum Fest des 1. Vendémiaire VII (22. September 1798). Ausdrücklich wird der Vergleich mit einem ‚erhabenen Lobgesang‘ oder einem ‚Gebet‘ angestellt: Rappelez-vous le discours solennel que prononça au Champ de Mars, à l’occasion même de la fête dont il s’agit, le Président du Directoire (1er vendémiaire an 6). Souvenez-vous que ce discours ou plutôt cet hymne sublime, 1593

Vgl. ebd. Als wichtigstes Ziel gab La Revellière die Losung aus, den Feind durch die Stärke der einheitlichen republikanischen Gesinnung zu besiegen: „Il importe surtout de bien convaincre l’ennemi qu’il n’y a plus en France qu’un seul et unique parti, qu’un sentiment, qu’un intérêt, celui du peuple souverain qui connait sa grandeur, et veut garder sa liberté.“ 1594 Vgl. MATHIEZ: La théophilanthropie et le culte décadaire, S. 192. Vgl. dort auch zum Folgenden.

3.5 Religion rationalisieren

465

était une invocation à la Divinité, et une sorte de prière qui commençait et finissait par ces mots remarquables: Graces te soient rendues, souverain Arbitre des destinées de l’univers! graces te soient rendues, la France est République!1595

Musikeinlagen verstärkten den sakralen Charakter vieler Nationalfeste zusätzlich. Die Vorstellung, Reden und Gesänge über Herolde und verstreute Musikkapellen auf dem Marsfeld zu kommunizieren, wurde beim Begräbnis der in Rastatt ermordeten Gesandten erstmals in die Tat umgesetzt.1596 Von 1798 an wurden die Dekadentempel in den offiziellen Festkalender mit eingebunden (siehe Kapitel 3.5.2), unter anderem auch noch im Rahmen des Totenkultes um den verstorbenen General Joubert im September 1799. Die Zeremonie des 2. Pluviôse VII (21. Januar 1799) war die letzte Feier unter der Ägide des Fructidor-Direktoriums. Bereits am 3. Frimaire (23. November) beschäftigte sich ein Gremium mit der Planung der Zeremonie.1597 Der serment républicain, wie er nunmehr hieß, sollte erneuert werden. Anders als noch ein Jahr zuvor, wurde zusätzlich zur mündlichen Wiederholung des ‚Hasses auf Königtum und Anarchie‘ sowie der Bekräftigung der ‚Treue zur Republik und zur Verfassung des Jahres III‘ (durch Nachsprechen: „Nous le jurons“) nunmehr auch eine Unterschrift gefordert: Les fonctionnaires présents prendront le même engagement, en répétant à haute voix: Nous le jurons. Ils signeront ensuite individuellement le serment ci-dessus, en énonçant après leur signature la nature de leurs fonctions.1598

Die Departementverwaltungen sollten das Protokoll der Zeremonie von allen Mitgliedern unterschrieben zur Kontrolle nach Paris schicken. Ausdrücklich wurden eine Anrufung des Höchsten Wesens sowie eine ritualisierte Verwünschung aller Eidbrüchigen neu ins Zeremoniell aufgenommen: V. La cérémonie sera terminée par des imprécations contre les parjures, et par une invocation à l’Etre suprême pour la prospérité de la République. Les professeurs de l’école centrale de chaque département sont invités à com1595

François de Neufchâteau: Circulaire du 10 fructidor VI: „Fête du 1er Vendémiaire“, in: Ders.: Recueil, Bd. 1, S. 115–128, S. 125, sowie Moniteur n° 352, 22 fructidor VI (8. September 1798). 1596 Vgl. Moniteur n° 22, 22 prairial VII (10. Juni 1799), wo allerdings auch darauf hingewiesen wird, dass der gewünschte Effekt ausblieb, da: „les tribunes n’étaient pas assez multipliés“. 1597 Vgl. Arrêté du 3 frimaire (23. November 1798), in: Moniteur n° 69, 9 frimaire VII (29. November 1798). 1598 Ebd. Dort auch zum Folgenden.

466

3. Gesellschaft als Projekt

poser, soit en vers soit en prose, tant l’invocation à l’Etre suprême, que la formule des imprécations contre les parjures.

Lehrer und Schüler sollten durch Formulierungsvorschläge als wichtigste Zielgruppen direkt in das republikanische Erneuerungsritual einbezogen werden. An demselben Tag wie die zivilen Würdenträger der Republik sollten außerdem alle „militaires“ den Eid ablegen. Die Nationalfeiertage wurden 1799 in den Dekadentempeln und auf dem Marsfeld begangen. Nach dem Staatsstreich gegen das Fructidor-Direktorium sollte es jedoch zu erneuten Verschiebungen in der Symbolpolitik kommen. Am 9. Thermidor VII (27. Juli 1799) wurde in diesem Zusammenhang der Eid „La liberté ou la mort“ erneuert: Auch die linke Parlamentsmehrheit nutzte quasi-religiöse Leitmotive zur Steigerung der eigenen Legitimität – in Erinnerung an die Republik des Jahres II.1599 Die revolutionäre Ideologie prägte ein eigenes Interpretationssystem aus, das sich aus den Siegen der Revolution nährte und zu einem veritablen Glaubensbekenntnis entwickelte, dem man nur anhängen oder abschwören konnte.1600 In diesem Sinne ist wohl auch die Einführung von sogenannten „catéchismes révolutionnaires“ zu verstehen, die die Erziehung der Staatsbürger in der Schule unterstützen sollten.1601 Nachdem im Dezember 1793 (Dekret vom 29. Frimaire II) die Einführung von Primarschulen (enseignement primaire) beschlossen worden war, die als weltliche Schulen staatlich kontrolliert wurden, hatte der Erziehungsausschuss bereits öffentlich dazu aufgerufen, diese neue Form des Schulbuchs zu entwickeln; die alten, religiös geprägten Schulbücher sollten abgelöst werden. Die Bezeichnung als ‚Katechismus‘ war keineswegs zufällig: Bewusst wurde ein Transfer des Sakralen aus dem Bereich der Religion in den zivilrechtlichen, nationalen Bezugsrahmen angestrebt. Auch außerhalb der Schulen wurden die Katechismen von republikanischen Amtspersonen und Kultvorstehern verlesen, um das Volk ‚aufzuklären‘.1602 Neuere Forschungen konnten zeigen, dass dadurch eine Traditionsbildung erfolgte, der eine prägende Wirkung für

1599

Vgl. Ministère de l’intérieur. Liberté, Égalité. Fête de la liberté, Fixée au 9 et 10 Thermidor par la loi du 4 Brumaire an 4. Avis et Programme. Le Ministre de l’Intérieur à ses consitoyens, Paris, Thermidor an VII [Signé Quinette]. 1600 Vgl. FURET: 1789 – Vom Ereignis zum Gegenstand, S. 67. 1601 Vgl. LIRIS, Elisabeth: Art. Catéchismes républicains, in: SOBOUL: Dictionnaire, S. 194f.; sowie KENNEDY, Robert Emmet: The French Revolutionary Catechisms. Ruptures and Continuities with Classical, Christian and Enlightenment Moralities, in: Studies on Voltaire and the Eighteenth Century 199 (1981), S. 353–362. 1602 Vgl. KENNEDY: The French Revolutionary Catechisms, S. 353–362.

3.6 Zwischenfazit

3.6 Zwischenfazit

467

die französische und europäische politische Kultur des 19. Jahrhunderts zuzusprechen ist.1603

3.6 Zwischenfazit In den Debatten um die ‚republikanischen Institutionen‘ lassen sich abschließend drei grundsätzliche Intentionen unterscheiden: erstens der Wunsch, eine Revolution der Sitten und Gebräuche einzuleiten, zweitens die Absicht, den neuen Werten und Normen einen ‚solennen‘, das heißt festlichen und zugleich würdevollen Charakter zu verleihen, drittens das Ziel, die öffentliche Ordnung wiederherzustellen. Alle diese Intentionen haben eine hohe symbolische Implikation. Zur Umsetzung des Programms ersannen die Republikaner eine Reihe unterschiedlicher Handlungsabläufe, die rituelle Züge trugen: Sie sollten regelmäßig wiederholt werden, immer aus denselben Handlungsfolgen bestehen und durch bestimmte Symbole und Sprechakte einen festen Rahmen erhalten. Diese ‚republikanischen Rituale‘ sollten sich (zumindest der Theorie nach) deutlich von denjenigen des Ancien Régime unterscheiden. Dass man sich des Mittels der symbolischen Kommunikation bedienen sollte, um die Republik in Frankreich zu verankern, stellte spätestens nach dem 18. Fructidor V (4. September 1797) kaum jemand mehr grundsätzlich in Frage – zurückhaltendere Regierungsmitglieder wie Carnot oder skeptische Abgeordnete wie Thibaudeau wurden entweder ganz ausgeschaltet oder verloren zumindest an Einfluss. Die wichtigsten ‚Entscheider‘ in symbolpolitischen Fragen waren neben den Direktoren die Abgeordneten des parlamentarischen Erziehungsausschusses. Wichtigste Projektionsfläche aller Überlegungen war die Republik, welche durch die verschiedenen Maßnahmen im wahrsten Sinne des Wortes ‚Gestalt‘ annehmen sollte. Alle ‚republikanischen Institutionen‘ transportierten Bilder und Vorstellungen der Republik, welche über verschiedene Inszenierungsstrategien einerseits den Alltag sowie andererseits die Hochfeste im Leben der Menschen prägen sollten. Die 1603

Vgl. BUTTIER, Jean-Charles und Émilie DELIVRÉ (Hrsg.): Les catéchismes républicains, Paris 2009 (= La Révolution française, Cahiers de l’Institut d’histoire de la Révolution françasie 1/2009), http://lrf.revues.org/107 [20/08/13, 19.01h]; darin u. a. Beiträge von Emilie Delivré, Jean-Charles Buttier, Jean-René Aymes, Norman Domeier. Außerdem vgl. DELIVRÉ, Emilie: The Pen and the Sword: Political Catechisms and Resistance to Napoleon, in: ESDAILE, Charles J. (Hrsg.): Popular Resistance in Napoleonic Europe. Patriots, Partisans and Land-Pirates, Basingstoke 2005, S. 161–180.

468

3. Gesellschaft als Projekt

abstrakte Staatsform wurde auf diese Weise als konkrete Wertorientierung und sinnvolles Ordnungsmuster erfahrbar. Folgende Grundmuster durchzogen alle untersuchten Beispiele: 1) Die Republik als alltägliches Ordnungsprinzip: Das neue Regime wurde über Routinen im Alltag erfahrbar. Die Datierungsgewohnheit nach dem republikanischen Kalender ging über in eine lebensweltliche Erfahrung; gleichzeitig beabsichtigte man eine Steigerung von Rationalität (rationales Ordnungsprinzip). Auch die Einführung des décadi als Ruhetag gehört in diesen Bereich. 2) Die Republik als Lebensbegleiterin von der Wiege bis zur Bahre: Übergangsrituale zwischen den biologischen und sozialen Lebensabschnitten, beziehungsweise von den Lebensaltern bis hin zu beruflicher und familiärer Lebensführung, sollten auf die Republik bezogen und staatlich-bürokratisch organisiert werden. Die Herausbildung des Staatsbürgers wurde als im Einklang mit der Natur vorgestellt und veranschaulicht; die republikanische Ordnung erschien als natürliches Entwicklungsmodell, welches Vergesellschaftung im Einklang mit der Natur zu ermöglichen versprach (Anlässe: Geburt, Jugend, Hochzeit, Tod etc., Medien: Bürgerstammbücher, inscription civique etc.). 3) Die Republik als Schicksals- und Wertegemeinschaft: Über gemeinsame Abzeichen und Auszeichnungen, Hochfeste und Erinnerungsrituale wurde die Republik als nationale Wertegemeinschaft mit gemeinsamer Geschichte erfahrbar (‚Tugendfeste‘, ‚Gedenkfeiern‘, ‚Kokarde‘, ‚Freiheitsbäume‘) – und die Nation als Wertegemeinschaft begründet. 4) Die Republik als Glaubensinhalt: Durch die Befürwortung und Pflege gemeinsamer Kulte, die teilweise privat, teilweise öffentlich zu organisieren waren, wurde die republikanische Gesellschaft zur Kultgemeinschaft. Dabei muss prinzipiell zwischen privatem Kult, zivilen Zeremonien im Dekadenrhythmus und nationalen Hochfesten (Festtage mit dem höchsten liturgischen Rang zur Feier besonders wichtiger ‚Glaubensinhalte‘, ‚Märtyrer‘ oder ‚Heiliger‘) differenziert werden. Verschiedene Konzepte konnten unterschieden werden, vermischten sich aber in der Praxis miteinander (zum Beispiel Vaterlandskult, Dekadenkult, Theophilanthropie, ‚Kult der großen Männer‘, ‚Kult der Armee‘ oder republikanischer Totenkult). 5) Die Republik als Leistungsmotivatorin: Über Kontrolle, Förderung und Auszeichnungen besonderer Leistungen bis hin zu Zensur und Zertifizierung staatsbürgerlicher Tugenden erfolgte eine Bindung an die Republik (Republik als Wertmaßstab, Richterin und Ansporn zur Perfektionierung, Erziehungsanstalt). Dies geschah im Wesentlichen über Zertifikate, Auszeichnungen und Wettbewerbe.

3.6 Zwischenfazit

469

Großen Konsens in der politischen Elite erzielte besonders die geschichtspolitische Offensive der Republikaner: Von der Kalenderreform bis zur Rhetorik der Festreden – die Republik eignete sich die Vergangenheit und die Zukunft gleichermaßen an, um die neue Ordnung zu stabilisieren und das eigene Überleben zu sichern. Es ging darum, die blutige Erinnerung an die Revolution in eine positive Tradition zu überführen und eine neue, republikanische Tradition zu begründen. Dabei kann zunächst eine Tendenz zur Ausweitung der Geschichtspolitik auch in die vorrepublikanische Zeit hinein konstatiert werden. Das Innenministerium startete bereits 1796 eine Initiative, die Geschichte der Revolution wieder in die Geschichte Frankreichs einzubetten.1604 Bénézech forderte, dass alle Aktionen, die Frankreich zu Ehren gereichten, auch öffentlich dargestellt werden sollten. Zunächst beschränkte man sich auf eine Traditionsbildung, die alle Phasen der Revolution für sich entdeckte und nutzte. Im Zweiten Direktorium wurden darüber hinaus d’Angiviller und die ‚großen Männer‘ des Ancien Régime rehabilitiert.1605 Die Historisierung der Revolution sollte außerdem zu einer Normalisierung und Veralltäglichung der Republik beitragen. Mythen und Traditionen der frühen Revolution wurden fortgeschrieben, wie der Mythos der Volksrevolution vom 14. Juli, der sich als einer der unstrittigsten Feiertage etablieren konnte. Auch der Mythos der Kokarde von 1789 wurde nach zehn Jahren erneut aktualisiert, wenn die Anstecknadel 1799 als geboren in den ‚heroischen ersten Tagen der Revolution‘ gerühmt wurde. Der Abgeordnete Faulcon identifizierte sie mit der ‚schönen Erinnerung an die ersten Tage der Revolution‘, diese ‚wundervolle Epoche, in der die Franzosen, ergriffen von brennendem Enthusiasmus, voller elektrisierender und reiner Emotionen, einstimmig die Kokarde als Zeichen und Pfand ihrer aufkeimenden Freiheit‘ gewählt hätten.1606 Allerdings war es gleichzeitig auch diese Überhöhung, welche den Prozess der Gesetzgebung erschwerte: Heilige Traditionen mussten in profane Verfahren der Definition und Kontrolle übersetzt werden. Das hatte polarisierende Wirkungen, die systematischen Korrekturen und 1604

Vgl. JOURDAN: Les Monuments, S. 130. In repräsentativen Einrichtungen, wie beispielsweise dem Institut national, wurden Statuen versammelt, die bereits vor 1789 geschaffen worden waren. Turenne, Molière, Lafontaine, Corneille und Malherbe erhielten die Ehren der Nation; ihnen wurden Tempel geweiht und ihre Körper 1798 ins Musée des Monuments français überführt. Vgl. ebd. sowie AULARD: Paris pendant la réaction, Bd. 5, S. 150. 1606 Vgl. Faulcon, Félix: Corps législatif. Conseil des Cinq-Cents. Opinion de Félix Faulcon, député de la Vienne, sur le projet de résolution relatif à la cocarde nationale. [8] prairial an VII (27. Mai 1799). 1605

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3. Gesellschaft als Projekt

Veränderungen ‚der‘ Erinnerung wurden von oppositionellen Kräften entlarvt – und damit ihrem Anspruch auf Legitimation und Stützung der neuen Herrschaft nicht gerecht. Fraglich bleibt, ob eine kritischere Geschichtspolitik im Sinne einer zivilgesellschaftlichen Aufarbeitung der Vergangenheit im Kontext einer politisch weitgehend unerfahrenen Gesellschaft überhaupt möglich gewesen wäre. Die Entscheidungsträger sahen sich ihren Selbstaussagen zufolge außer Stande, eine rein demokratische Konsolidierung des Gemeinwesens zu bewerkstelligen. Sie setzten ergänzend auf symbolpolitische Strategien der Sakralisierung, Militarisierung1607 und Nationalisierung – laut offizieller Sprachregelung, um die Franzosen zu mündigen Staatsbürgern zu erziehen, sowie zur ‚Rettung der Republik‘. Bis zum 30. Prairial VII (18. Juni 1799) blieb wenig Zeit, das Programm der institutions républicaines vollständig umzusetzen. Immerhin spricht das Interesse des Volkes anlässlich der großen Nationalfeste des Jahres 1798 dafür, dass ein kurzfristiger Erfolg erreicht werden konnte. In dieser Hinsicht erscheint der 18. Brumaire keineswegs unvermeidlich gewesen zu sein.

1607

Vgl. dazu über das obenstehend Betrachtete hinaus: KRUSE, Wolfgang: ‚Vive libre ou mourir!‘ Zur kriegerischen Formierung der bürgerlichen Gesellschaft im politischen Diskurs der Französischen Revolution 1789 bis 1799, in: GRÜTTNER, Michael, Rüdiger HACHTMANN und Heinz-Gerhard HAUPT (Hrsg.): Geschichte und Emanzipation. Festschrift für Reinhard Rürup, Frankfurt am Main und New York 1999, S. 163–188.

4. G als E

4. Gegenmacht als Erfahrung

Gegenmacht Erfahrung

4. Gegenmacht als Erfahrung

4.

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Gegenmacht als Erfahrung: Kommunikations- und Aktionsformen von gesellschaftlichen Bewegungen zwischen ‚Reaktion‘ und ‚Opposition‘

Politische Ordnung und soziale Bewegung – so heißen die beiden Pole, zwischen denen sich symbolpolitisches Handeln in der Ersten französischen Republik abspielte. Kokarden und Gesinnungszeichen, Freiheitsbäume und neue Nationalfarben, Festveranstaltungen und Eidesleistungen hatten mit dazu beigetragen, die Massen gegen die politische Ordnung des Ancien Régime zu mobilisieren. Über neue Amtsuniformen und Architekturen, über zivile Zeremonien und einen republikanischen Kalender sollte die neue Ordnung in eine vollendete Form gebracht und ihre Legitimität erhöht werden. Solche Versuche der staatlichen Autoritätssteigerung und offiziellen Sinnstiftung riefen jedoch neue Widerstände und Gegenbewegungen hervor. Es entfaltete sich eine Dynamik konkurrierender Bemühungen um Gemeinschaftsstiftung und -auflösung, um Integration und Exklusion, um Stiftung von Legitimität und deren systematische Unterwanderung. Die vorangehenden Kapitel haben gezeigt, wie Demokraten1608, Gemäßigte (Bürgerlich-Liberale)1609

1608

Dies war selbstverständlich noch kein ‚Parteibegriff‘ im heutigen Sinne, diente allerdings bereits den Zeitgenossen zur Gruppen- und/oder Selbstbeschreibung; vgl. DIPPEL, Horst: Démocratie, Democrates, in: HANDBUCH POLITISCH-SOZIALER GRUNDBEGRIFFE IN FRANKREICH, Heft 6, München 1986, S. 57–97, hier besonders S. 82ff. 1609 Zum modérantisme, einer politischen Strömung, die sich im Gegensatz zum jacobinisme nach 1793/94 entfaltete, vgl. BENREKASSA, Georges: Modération, Modérantisme, in: HANDBUCH POLITISCH-SOZIALER GRUNDBEGRIFFE IN FRANKREICH, Heft 16–18, München 1996, S. 123–158, hier S. 142ff. Erst nach und nach sollte sich der Begriff ‚liberal‘ von einem allgemeinen Bezug zu gemäßigter Freiheit in Abgrenzung zur Jakobinerzeit zu einem politisch-programmatischen Begriff weiterbilden, der sich je nach Kontext als Parteibegriff, aber auch überparteilich aktualisieren ließ, vgl. LEONHARD, Jörn: Sprache der Revolution – Revolution der Sprache. Die Anfänge des politischen Etiketts liberal in europäischer Perspektive, in: THIEMEYER, Guido (Hrsg.): Europäische Perspektiven der Demokratie: historische Prämissen und aktuelle Wandlungsprozesse in der EU und ausgewählten Nationalstaaten, Frankfurt am Main 2005, S. 33–66, hier S. 38; sowie ders.: Liberalismus. Zur historischen Semantik eines europäischen Deutungsmusters, München 2001 (= Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts London. 50), besonders S. 127ff. (zu den idées libérales als sprachliches Erbe der Französischen Revolution).

472

4. Gegenmacht als Erfahrung

und Monarchisten1610 um die Herstellung und Darstellung einer nachrevolutionären Ordnung in Frankreich gerungen haben, welche Ideale sie dabei verfolgten und welche Praktiken sie anwandten, um ihr Ziel zu erreichen. Die Bemühungen um die Inszenierung und Visualisierung der Republik auf der einen Seite, der Diskurs über die bestmögliche ‚Erziehung‘ und ‚Erneuerung‘ der Gesellschaft auf der anderen Seite haben offenbart, wie umstritten das gemeinsame Projekt der Errichtung eines ‚neuen Regimes‘ war. Die historische Situation entpuppt sich jedoch als noch komplexer, wenn im Folgenden auch die symbolpolitische Praxis von außerparlamentarischen politischen und sozialen Gruppierungen berücksichtigt wird. Dabei werden an erster Stelle Reaktionen auf die Regierungspolitik der Republikaner, von einfacher Kritik über aktive Mobilisierung bis hin zur systematischen Organisation oppositioneller Politik, betrachtet. In einem System, das keine ‚Parteien‘ kannte, keine Aufgabenteilung zwischen ‚Regierung‘ und ‚Opposition‘ und häufig nicht einmal das demokratische Prinzip von ‚Rede‘ und ‚Gegenrede‘ akzeptierte, spielten symbolische Ausdrucksformen eine große Rolle zur Darstellung und Kommunikation von politischen Ansichten. Nicht die Mitgliedschaft in einer bestimmten Partei, sondern die Art und Weise zu reden oder sich zu kleiden verdeutlichte häufig die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe. Es war die Teilnahme an oder die Ablehnung von bestimmten Festtagen oder Verhaltensweisen, die politische Gesinnungen sichtbar machte und politische Identitäten stiftete – wohl stärker noch als die bewusste Identifikation mit einer politischen Theorie oder Leitfigur. So entstanden neben der immer wieder beschworenen nationalen Gesamtgemeinschaft im Prozess von Revolution und Reaktion unterschiedliche, teilweise konkurrierende, politische Identitäten. Im Folgenden kann daher auch für den außerparlamentarischen Bereich die These belegt werden, dass politische Auseinandersetzungen in der Ersten französischen Republik sich in besonderer Intensität symbolisch 1610

Vgl. eine Begriffsdefinition bei: HALÉVI, Ran: Art. ‚Die Monarchisten‘, in: FURET/ OZOUF: Kritisches Wörterbuch, Bd. 1, S. 614–628. Halévi geht leider nicht auf die weitere Entwicklung der Gruppe nach dem Sturz der Monarchie ein. Hinweise auf neuere Forschungsansätze zu den monarchiens in transnationalem Kontext vgl. u. a. bei PESTEL, Friedemann: Les monarchiens – acteurs français et européens. Aspects transnationaux de l’émigration française après 1789, in: CHARRIER, Landry, Karine RANCE und Friederike SPITZL-DUPIC (Hrsg.): Circulations et réseaux transnationaux en Europe (XVIIIe-XXe siècles). Acteurs, pratiques, modèles, Bern 2013 (= Convergences. 72), S. 31–44. Zur wachsenden Akzeptanz zumindest eines Teils der „monarchistes constitutionnels“ gegenüber der republikanischen Ordnung vgl. einleitend LEFEBVRE: La France sous le Directoire, S. 247–263 sowie S. 273ff.; WORONOFF: La République bourgeoise, S. 65ff.; MARTIN: Contre-Révolution, Révolution et Nation, S. 275–285.

4. Gegenmacht als Erfahrung

473

manifestierten. Politische Symbole und Rituale entfalteten zwar innerhalb der verschiedenen Gruppierungen integrierende Wirkungen, waren aber als offensichtliche Artikulationen einer politischen Richtung neben anderen auch immer wieder Anlass für Konflikte. Die öffentliche Meinung war nach der Erfahrung des Sturzes der Monarchie und den Monaten der Schreckensherrschaft extrem gespalten: Zahlreiche Splittergruppen publizierten ihre Ansichten in der wiederaufblühenden Presse.1611 Dabei konkurrierten weit mehr ‚Parteiungen‘ miteinander als das spätere Parteienspektrum des 19. Jahrhunderts kennen sollte. Das linke Spektrum wurde nach 1794 dominiert von den Hebertisten und Jakobinern, wobei sich Letztere in ein radikal-demokratisches und gemäßigt-republikanisches Lager spalteten. Die ‚Parteien‘ der Mitte wurden teilweise nach den Regimen, welche sie stützten, als ‚Thermidorianer‘ und ‚Direktorialisten‘ bezeichnet; sie orientierten sich an liberalen und ‚konstitutionellen‘ Politikmodellen. Das royalistische Lager kannte Monarchisten und Traditionalisten, bei denen es wiederum zwischen monarchiens und constitutionnels beziehungsweise zwischen Absolutisten (die eine Rückkehr zum Ancien Régime befürworteten) und Präabsolutisten (Anhänger des Ancien Régime mit Generalständen) zu unterscheiden gilt. Die Bezeichnungen, die diese Gruppen sich gegenseitig im Machtkampf zuschrieben, waren noch vielfältiger: Von anarchistes und terroristes, buveurs de sang und réagisseurs oder victimes war die Rede; dem Lager der Thermidorianer wurden die jeunesse de Fréron beziehungsweise die Fréronistes oder messieurs à bâton zugeordnet; zum rechten Spektrum zählten daneben noch die compagnons de Jéhu, die collets noirs oder collets verts; nach der Zugehörigkeit zu bestimmten Klubs oder Fraktionen unterschied man außerdem unter anderem zwischen clichiens, salmichiens oder vendémiaristes. Die Namen inspirierten sich häufig aus markanten Abzeichen oder Versammlungsorten der Gruppierungen. In den Fraktionskämpfen bildeten sich erst langsam diejenigen Richtungen heraus, die die französische Geschichte des 19. Jahrhunderts prägen sollten: ein liberal-konstitutionelles Lager, eine autoritär-plebiszitäre Strömung und ein geschlossener auftretendes republikanischdemokratisches Lager. Die politische Kultur Frankreichs sollte bis 1880 von permanenten Konflikten antagonistischer Ordnungsmodelle 1611

Der öffentliche Raum entwickelte seine eigenen politischen Dynamiken, unabhängig von den Debatten und Mehrheitsverhältnissen in der Volksvertretung – was immer wieder den Wunsch nach Kontrolle und Reglementierung aufkommen ließ. Zum Direktorium vgl.: MONNIER, Raymonde: L’Espace public démocratique: étude sur l’opinion à Paris de la Révolution au Directoire, Paris 1994.

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4. Gegenmacht als Erfahrung

geprägt werden, welche ihren Ursprung im Revolutionsjahrzehnt nahmen. Die Kämpfe wurden auch nach 1799 wesentlich auf symbolischem Terrain ausgetragen;1612 gleichzeitig verliehen in diesem Prozess die unterschiedlichen Symbole und Deutungskulturen den Parteien ihre äußere Kontur. Im Zuge der anhaltenden Wertekonflikte und Deutungskämpfe wurde schrittweise aus Kritik ‚Reaktion‘ und aus Reaktion ‚Opposition‘. Dabei fällt auf, dass das rechte und linke politische Spektrum zwar ähnliche Aktionsfelder anstrebten, diese aber unterschiedlich ausgestalteten und symbolisch besetzten. Das Regierungslager verstand sich seit 1794 als ‚Partei der Mitte‘, schwankte aber immer wieder zwischen der Begünstigung rechter oder linker Politikmodelle, um die eigene Mehrheit zu sichern. Die Macht des Wohlfahrtsausschusses und der Jakobiner konnte erst im Winter 1794/95 und nur mit Hilfe der thermidorianischen Bewegung und der jeunesse dorée gebrochen werden. Angesichts des Wiedererstarkens der Royalisten im Jahr 1795 machte das Direktorium anschließend Zugeständnisse an die linke Opposition. Diese Schaukelpolitik sollte sich bis 1799 fortsetzen. Als Preis für die kurzzeitig erreichten Stabilisierungen entstanden immer wieder neue ‚Reaktionen‘ und ‚Gegenbewegungen‘. Rechts und links der Mitte verfestigten sich auch solche politischen Gruppierungen, die nicht mehr auf dem Boden der republikanischen Verfassung standen. Alle oppositionellen Strömungen bedienten sich ihrerseits der Presse, betrieben eine (teilweise bewusste) Sprachpolitik und Bildpropaganda oder praktizierten sogar eigene Zeremonien und Rituale. Zentren der Organisation waren Cafés, Versammlungen und Klubs. Die demokratische Opposition setzte stärker noch als das rechte Lager auf die Macht des Wortes: Sie veröffentlichte Zeitungen und Pamphlete, organisierte sich in konspirativen Zirkeln (Babeuf) und fand gegen Ende des Regimes mit dem Club du Manège zurück zu parteiähnlichen Organisationsformen. Die Konstitutionellen und Royalisten setzten darüber hinaus auch geschickt Bildmedien ein, um für ihre Positionen zu werben. Dabei operierten die Gruppierungen keineswegs ausschließlich ‚reaktiv‘: Sie entwarfen auch eigene Politik- und Ordnungsmodelle, die symbolisch kommuniziert wurden. Einen Sonderfall stellt die Person Napoleon Bonapartes dar: Dieser entwickelte sich nach dem Erfolg des Italienfeldzugs mehr und mehr zu einem eigenständigen Machtfaktor. Über eine selbstbewusste Inszenierung in Bild- und Textdokumenten 1612

Vgl. u. a. KROEN, Sheryl: Politics and Theater: The Crisis of Legitimacy in Restoration France, Berkeley 2000; FREDERKING, Bettina: ‚Les funérailles de la monarchie‘ ou ‚l’impossible oubli‘, in: SCHOLZ/SCHRÖER: Représentation et pouvoir, S. 213–233.

4.1 Eine Frage der Perspektive

475

artikulierte er bereits vor 1799 deutlich politische Ambitionen. Ohne den Anspruch zu haben, ereignisgeschichtlich die Dynamik der Fraktionskämpfe in der Ersten französischen Republik umfassend aufzuarbeiten, soll das Kapitel vor allem erklären, wie symbolische Politik dazu 4.1 Eine beitrug, Gruppen und Identitäten zu bilden und zu stabilisieren – und damit die politische Kultur der Republik prägte. Vorab werden kurz die Frage der Perspektive verwendeten Begriffe problematisiert.

4.1 Eine Frage der Perspektive: Revolution zwischen sozialer Bewegung, Ordnungsstiftung und Reaktion Die Französische Revolution war die erste ‚soziale Bewegung‘ im modernen Sinne. Von der Phase der ‚Bewusstwerdung‘ über den Kampf gegen die Strukturen und Herrschaftsformen des Ancien Régime bis hin zur Institutionalisierung einer neuen Ordnung erfüllt sie alle Kriterien der üblichen sozial- und geschichtswissenschaftlichen Definitionen par excellence. Mit Raschke gesprochen kann sie als ‚mobilisierender kollektiver Akteur‘ bezeichnet werden, der mit einer gewissen Kontinuität auf der Grundlage hoher symbolischer Integration und geringer Rollenspezifikation mittels variabler Organisations- und Aktionsformen das Ziel verfolgte, grundlegenden sozialen Wandel herbeizuführen, zu verhindern oder rückgängig zu machen.1613 Dies darf jedoch nicht den Blick dafür verschließen, dass das revolutionäre Jahrzehnt seinerseits in verschiedene Phasen und Abschnitte zerfällt, die durch je eigene ‚Bewegungen‘ charakterisiert sind: ‚Die‘ Revolution entpuppt sich als Wechselspiel von Aktion und Reaktion. Bereits 1789 ereigneten sich in Frankreich drei verschiedene Revolutionen: Die Verfassungsrevolution in Versailles, die Volksrevolution in Paris und anderen Städten Frankreichs (auch ‚Munizipalrevolution‘ genannt) sowie die Revolution der Bauern in den Provinzen des Landes. Erst in der Verschränkung der verschiedenen Ereignisse entstand ‚die große Revolution‘ des Jahres 1789. Furet beschrieb den Vorgang der Verschränkung als ein ‚teleskopartiges Ineinanderschieben‘, bei dem am Ende kaum noch Trennlinien erkennbar waren. Dennoch kann das Ergebnis, der Bruch mit dem Ancien Régime, nur verstanden werden, wenn man die einzelnen Akteure, ihre unterschiedlichen Ziele und Aktionsformen auch getrennt voneinander betrachtet. Es war gerade die 1613

Vgl. RASCHKE, Joachim: Soziale Bewegungen. Ein historisch-systematischer Grundriß, Frankfurt und New York 1987, S. 76–78; allgemein zur Einführung vgl. auch TILLY, Charles: Social Movements, 1768–2004, Boulder 2004.

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4. Gegenmacht als Erfahrung

Verschränkung der Teilrevolutionen, die – neben äußeren Einwirkungen wie Krieg, Finanzkrise oder Gegenrevolution – zur Dynamisierung und Radikalisierung der Revolution führte. Dadurch veränderte sich auch der revolutionäre Prozess selbst. In der ‚zweiten‘ Revolution des Jahres 1792 und ‚dritten‘ von 1793 wurden die Trägerschichten ausgewechselt und neue Ziele definiert.1614 Die Dynamik der Revolution führte zu organisatorischen und programmatischen Veränderungen, Abspaltungen und Neubegründungen politisch-sozialer Gruppierungen. Infolge der Auflösung der ständisch-korporativen Ordnung wurden Individualisierungs- und Mobilisierungsprozesse, die bereits in der Frühen Neuzeit begonnen hatten, beschleunigt. Zudem fand eine Fundamentalpolitisierung statt. Die Betonung des Prozesscharakters liefert einen wichtigen Schlüssel zum Verständnis der Dynamik und der inneren Widersprüchlichkeiten der Revolution. Schon die Zeitgenossen reflektierten diese Tatsache. Sie sprachen jedoch nicht wie die heutige Wissenschaftssprache von ‚sozialer Bewegung‘ und ‚Oppositionsbildung‘, sondern von der Abfolge mehrerer ‚Revolutionen‘ und darauffolgender ‚Reaktionen‘. Benjamin Constant veröffentlichte im Frühjahr 1797 seinen Essay Des réactions politiques, in dem er darauf verwies, dass die Stabilität jeder gesellschaftlichen Ordnung zwangsläufig von einer Übereinstimmung zwischen ihren Wertüberzeugungen (Constant spricht von „idées“) und ihren Gewohnheiten beziehungsweise den daraus hervorgegangenen Institutionen („institutions“) abhänge: Pour que les institutions d’un peuple soient stables, elles doivent être au niveau de ses idées. Alors il n’y a jamais de révolutions proprement dites. Il peut y avoir des chocs, des renversements individuels, des hommes déthrônés par d’autres partis; mais tant que les idées et les institutions sont de niveau, les institutions subsistent.1615

Sollte diese Übereinstimmung zwischen den Werten und den Institutionen aus dem Gleichgewicht geraten, seien Revolutionen unvermeidlich. Diese strebten danach, das Gleichgewicht wiederherzustellen; idealerweise gelänge dies auch bereits beim ersten Versuch, was das Ende der Revolution bedeuten würde. ‚Reaktionen‘, so Constant, entstünden in dem Moment, in dem eine Revolution ihr Ziel überschreite, indem sie Institutionen schaffe, die den in der Gesellschaft vorherrschenden Werthaltungen nicht mehr entsprächen.1616 In England habe die gegen

1614

Vgl. diese Phaseneinteilung zuletzt erneut bei THAMER: Die Französische Revolution. Constant, Benjamin: Des réactions politiques, o. O. 10 germinal an V, S. 1. 1616 Vgl. ebd., S. 2. 1615

4.1 Eine Frage der Perspektive

477

den Papismus gerichtete Revolution ihr Ziel verfehlt, da sie das Königtum abgeschafft habe; eine heftige Reaktion habe stattgefunden, und 28 Jahre später sei eine neue Revolution notwendig gewesen, um die Wiederkehr des Papismus zu verhindern. Die Französische Revolution habe sich gegen die Herrschaft der Privilegien gerichtet und anschließend ihr Ziel durch die Infragestellung des Eigentums überschritten. Die Folge dessen sei zwangsläufig eine politische ‚Reaktion‘ gewesen, die – so hoffte Constant – zwar nicht unbedingt in eine weitere Revolution münden müsse, zumindest aber große Vorsicht gebiete: „une réaction terrible se fait sentir, et il faudra, non pas, j’espère, une révolution nouvelle, mais de grandes précautions, et un soin extrême, pour s’opposer à la renaissance des privilèges.“1617 Constant betrachtete die Reaktion als einen Prozess der ‚Rück-kehr‘ oder auch ‚Rück-führung‘ der Revolution. Je weiter man über das Ziel hinausgeschossen sei, umso weiter ginge man auch zurück. Mäßigung sei in diesem Zuge als Option fast unmöglich: Die Dynamik der Reaktionen sei unaufhaltsam; sie richte sich in zwei verschiedenen Ausprägungen einerseits gegen Menschen, andererseits gegen bestimmte Ideen (Werte). Problematisch erschien Constant vor allem die Tatsache, dass Reaktionen sich außerhalb des Gesetzes abspielten; Willkür und Leidenschaft seien ihre Motoren, nicht Gesetz und Vernunft. Auf diese Weise würde die Dauer der Revolution weiter verlängert; auf Aktion folge Reaktion, auf Reaktion weitere, zukünftige Reaktionen.1618 Derjenige, der sich an die Spitze der Reaktion stelle, um sie zu bekämpfen, verlängere damit das Problem nur aufs Neue. Als Beleg für seine Thesen führte Constant ausdrücklich die Ereignisse des Jahres 1795 an, welches gleichermaßen Zeuge der terreur blanche gegen die Jakobiner wie des Prairial-Aufstands der Pariser Volksbewegung und der royalistischen Erhebung vom 13. Vendémiaire IV (5. Oktober 1795) geworden war. Die Fraktionskämpfe hatten damit nicht nur die Hauptstadt, sondern auch weite Teile des Landes erfasst. Constant folgerte aus dieser Erfahrung, es reiche nicht aus, allein die Freiheit und die Herrschaft der Aufklärung zu erringen: Die Regierung müsse darauf bedacht sein, die ‚rückwärtsgewandte Bewegung‘, die durch die Ereignisse ausgelöst worden sei, zu kontrollieren und auf ein angemessenes Maß zu beschränken.1619 Diese Überlegungen wurden im Kontext der Wahlen von 1797 veröffentlicht, die zu einem deutlichen Rechtsruck in den Räten führen sollten. Drängender denn je zuvor stellte sich die Frage nach dem 1617

Ebd., S. 2f. Vgl. ebd., S. 4. 1619 Vgl. ebd., S. 8f. 1618

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4. Gegenmacht als Erfahrung

richtigen Maß der Akzeptanz und der Bekämpfung der ‚Reaktion‘ zur ‚Rettung der Republik‘. Der Text spricht klare Empfehlungen aus: Allein das Gesetz, so Constant, könne auf Dauer Legitimität herstellen. Weder ein Rückfall in alte Zeiten noch eine ständige Erneuerung der revolutionären Dynamik verspreche Stabilität: Il faut que le gouvernement repousse cette réminiscence révolutionnaire, qui lui fait rechercher une autre approbation que celle de la loi. Il doit trouver son éloge, là où sont écrits ses devoirs, dans la constitution qui est toujours la même, et non dans les applaudissemens passagers des opinions versatiles.1620

Die Historiographie des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts beschrieb die Revolution in ähnlicher Weise als dynamischen Prozess zwischen Aktion und Reaktion.1621 Challamel, einer der wenigen Historiker, die sich für die Versammlungen und Klubs der Gegenrevolution interessierten, betonte, dieser Prozess habe bereits vor 1789 begonnen und sei durch die Revolution nur beschleunigt worden. Schon zur Zeit der Aufklärung habe man über die neuen Theorien gestritten; bereits in den Salons des Ancien Régime habe es Fortschrittsgläubige und Traditionalisten gegeben. Doch 1789 markiere das Jahr, von dem an die Theorie an breiter Front in die Praxis umgesetzt worden sei, in dem aus Debatte ‚Aktion‘ wurde.1622 Parallel dazu beobachtet Challamel bereits die erste Welle der ‚Reaktion‘, und zwar von 1789 bis 1793.1623 Diese erste Reaktion sei monarchisch, religiös und adelig geprägt gewesen; sie wurde von den ‚Patrioten‘, die die Revolution befürworteten, einhellig verurteilt. Emigranten, eidverweigernde Priester und die Aufständischen in Westfrankreich waren ihre wichtigsten Träger und Multiplikatoren. Challamel warnt davor, ihre Wirkung zu unterschätzen, und betrachtete die permanenten Angriffe und Unterwanderungen der revolutionären Sache als tiefere Ursache der Terreur: Journalistes, clubistes, administrateurs, tous les Français voués à la politique s’engagèrent dans une série de luttes où chacun finit par perdre le calme nécessaire aux hommes qui dirigent les affaires d’un pays. La mêlée faisait présager des années effroyables. Le point de départ de la Terreur est, quoi qu’on ait pu dire, la première période de réaction, pendant laquelle, 1620

Ebd., S. 16. Vgl. in Bezug auf den Thermidor die Titelwahl von MATHIEZ, Albert: La Réaction thermidorienne, Genf 1975 [= Nachdruck der Ausgabe Paris 1929]. 1622 Vgl. CHALLAMEL, Augustin: Les Clubs contre-révolutionnaires. Cercles, comités, sociétés, salons, réunions, cafés, restaurants et librairies, Paris 1895, S. 2. Die Wahrnehmung der Revolution als ‚Aktion‘ war in der Literatur des 19. Jahrhunderts weit verbreitet; man sprach von der „action révolutionnaire“. 1623 Vgl. diese Einschätzung ebd., S. 11. 1621

4.1 Eine Frage der Perspektive

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déjà, des trahisons à l’intérieur et aux armées, des provocations perpétuelles adressées aux patriotes, des paniques causées par les alarmistes rendirent tout accord impossible et firent dévier plus d’un caractère honorable.1624

Die zweite Phase der Reaktion verortet er von 1793 bis zum Sommer 1794; sie sei im Wesentlichen durch die Aufspaltungen des republikanischen Lagers gekennzeichnet gewesen. ‚Reaktionäre‘ seien nun jene Gruppen gewesen, die die Politik der Montagnards um Robespierre nicht mittragen wollten: „réactionnaires furent les hommes de la Gironde en face des hommes de la Montagne, puisqu’ils n’adoptaient pas la marche suivie par leurs adversaires; réactionnaires furent les Dantonistes, puisqu’ils s’arrêtèrent, eux aussi, devant les Robespierristes, et devinrent les modérés de la Montagne, puisqu’ils voulurent terminer la Révolution par la clémence.“ Mit dem Sturz Robespierres habe die dritte Phase der Reaktionen begonnen: in Thermidor und Directoire. Nach einer Übergangszeit, die Challamel als besonders turbulent, da kaum auf eine politische Tendenz festlegbar, beschreibt,1625 gewann die Reaktion in seiner Interpretation der Ereignisse wieder stark royalistischen Charakter. Sind diese Beschreibungen des späten 18. und 19. Jahrhunderts auch beide tendenziös und allzu vorschnell in ihren Urteilen,1626 so beobachten Constant und Challamel doch sehr scharfsinnig die Dynamik der Fraktionskämpfe und der nicht zur Ruhe kommenden Revolution. Aktuelle wissenschaftliche Untersuchungen bestätigen ihre Beobachtungen. Jean-Clément Martin hat im Zuge seiner Untersuchungen zur Gegenrevolution für eine stärker dynamisch verstandene Revolutionsgeschichtsschreibung plädiert: Die Gegenrevolution, so Martin, verstehe man nicht ohne ein differenziertes Bild der Revolution.1627 1624

Ebd., S. 12. „La population parisienne perdait en partie les convictions républicaines; l’orientation de la politique variait d’un jour à l’autre; les hommes et les choses changeaient presque à vue d’œil.“ Ebd., S. 14. 1626 So wird z. B. das Direktorium als quasi monarchistische Institution bezeichnet: „Sous le Directoire, succédant à la Convention décimée, ressemblant à une monarchie représentative, la troisième période de réaction redevint principalement royaliste comme la première, à cause de la faiblesse du gouvernement.“ Ebd. Etwas später heißt es: „Le gouvernement lui-même servit imprudemment la réaction royaliste, en se figurant qu’il consolidait ainsi sa puissance, à l’aide de ralliés. Trompé par les apparences, il sévit à la fois, dans les premiers temps de son existence, contre les réunions républicaines ou anti-républicaines, indistinctement.“ 1627 Vgl. MARTIN: Contre-Révolution, Révolution et Nation en France, S. 9f.: „Ce livre souhaite historiciser la Contre-Révolution – ainsi donc que la Révolution – et montrer que Révolution et Contre-Révolution participent au même processus culturel et politique, que leurs radicalités spécifiques se sont alimentées à cette naissance commune 1625

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4. Gegenmacht als Erfahrung

Diese These gilt auch im Umkehrschluss. Stephen Clay, einer der besten Kenner der terreur blanche, die 1795 als Reaktion auf die Terreur in Südfrankreich ausgeübt wurde, beschreibt den dort stattfindenden Prozess der Radikalisierung mit ähnlichen Worten wie Constant und Challamel: The key to understanding the Reaction lies in the history of the years preceding the fall of Robespierre, above all in the conflict between rival factions that divides towns and villages throughout France. From 1789 onwards, in communities large and small, two or more factions, or partis, as they were called interchangeably, competed for ascendancy. Divided by socio-economic and political differences or divergent ideological outlooks, not to mention personal rivalries, some of them predating the Revolution, these factions engaged in a prolonged power struggle, often bloody and uncontrollable. Each passing phase of the Revolution intensified the conflict between the factions, whose core members remained for the most part the same.1628

Clay beruft sich seinerseits auf zeitgenössische Stimmen. Im Midi, einer der Regionen, die am stärksten durch die Fraktionskämpfe erschüttert wurden, beklagte 1795 der Marseillaiser Journalist Ferréol Beaugeard, der selbst jahrelang aktiv am politischen Geschehen teilgenommen hatte, den ständig fortdauernden Machtkampf zwischen den verfeindeten Lagern: „Espérons que nous allons sortir de cet état de lutte pénible et continuelle dans lequel nous nous traînons depuis sept ans. S’il faut toujours voir une vengeance succéder à une vengeance, et une réaction emener une réaction, il vaut mieux vivre dans les bois.“1629 Dass diese Reaktionen gleichermaßen aus dem rechten wie linken politischen Spektrum zu befürchten waren, bestätigte auch ein Chronist der Stadt Aix, Roux Alphéran, unmittelbar nach dem 18. Fructidor V (4. September 1797): Eine neue Reaktion der Terroristen gegen die Oppositionspartei habe begonnen. Es handele sich inzwischen um die vierte Reaktion, seit der Autor mit dem Abfassen des Journal historique begonnen habe.1630

et se sont exacerbées sous l’effet de leurs rivalités comme de leurs divisions internes. L’attention portée à l’emploi des termes explique que ce livre prenne en compte autant ce qui a été pensé et voulu comme Contre-Révolution que les usages reçus dans les polémiques. Cette position est centrale. Il n’est pas possible de prendre parti dans le labyrinthe sans fin des opinions des acteurs de l’histoire, et le tri serait interminable pour qui prétendrait établir ce qui est Contre-Révolution ‚authentique‘ (doté d’un projet politique), Anti-Révolution, mécontentements … ou calomnies! – sauf à partir de ses propres convictions.“ 1628 CLAY: Vengeance, Justice and the Reactions in the Revolutionary Midi, S. 24. 1629 Journal de Marseille n° 5, 16 brumaire IV (7. November 1795). 1630 Vgl. CLAY: Vengeance, Justice and the Reactions, S. 44.

4.1 Eine Frage der Perspektive

481

Auch die vorliegende Arbeit versteht ‚die‘ Französische Revolution als eine Abfolge von Revolutionen und Reaktionen. Jedoch wird es im Folgenden nicht darum gehen, lokale Ursachen für die nicht zur Ruhe kommenden Konflikte aufzuspüren, sondern Formen und Funktionen symbolischer Politik als wesentliche Konfliktgeneratoren zu analysieren. Die symbolische Artikulation bestimmter Ideen und Positionen rief immer neuen Widerspruch hervor: Es waren die Symbole der Republik, welche die Gruppe ihrer Widersacher in ihrer Ablehnung einten und zum Entwurf von Gegenmodellen inspirierten. Wenn auch weniger geplant als die ‚offizielle‘ Symbolpolitik des Staates, so ist doch eine bemerkenswerte Kohärenz in den verfolgten Praktiken zu beobachten. Rituale wurden mit Gegenritualen beantwortet, Bilder mit Gegenbildern kommentiert. In diesem Prozess erfuhr der Begriff ‚Reaktion‘ eine Bedeutungsverengung. Jean Starobinski hat überzeugend beschrieben, wie das Wort sich in den späten 90er Jahren zu einem Kollektivsingular verdichtete und immer stärker zum Antonym zu ‚Revolution‘ wurde.1631 Während ‚Revolution‘ mit der Assoziation von ‚Fortschritt‘ verbunden wurde, erhielt ‚Reaktion‘ den Beigeschmack des ‚Rückschritts‘ im Vergleich zum zeitgenössischen Wertehorizont. Besonders Constants Essay beeinflusste spätere Definitionen: Indem er schrieb, Revolutionen zielten auf einen neuen Ausgleich zwischen Werten und Institutionen, erklärte er die Revolution zu einem legitimen, wenn auch nicht frei wählbaren Instrument der Politik.1632 ‚Reaktion‘ definierte er demgegenüber als „chose terrible et funeste“: Diese begünstige neue Willkürherrschaft („elles assurent l’empire de l’arbitraire“); allein eine prinzipiengeleitete Herrschaft könne ihrer destruktiven Wirkung entgegenwirken.1633 Réaction wird an dieser Stelle mit agitation politique gleichgesetzt: „Le système des principes offre seul un repos durable. Seul il présente aux agitations politiques un inexpugnable rempart.“1634 Die Idee der Einheit und Unteilbarkeit der Nation und der Ausübung der einen volonté générale durch die gewählte Stellvertreterschaft schien mit der Idee eines Konkurrenzkampfes verschiedener Meinungen und Parteiungen unvereinbar. Die factions, die verschiedenen politischen Gruppierungen, die 1631

STAROBINSKI, Jean: Benjamin Constant: la pensée du progrès et l’analyse des réactions, in: Annales Benjamin Constant 23/24 (2000), S. 39–62, sowie ders.: Aktion und Reaktion: Leben und Abenteuer eines Begriffspaars. Aus dem Französischen übersetzt von Horst Günther, Frankfurt am Main 2003. 1632 Vgl. dazu auch WEBER, Florian: Benjamin Constant und der liberale Verfassungsstaat. Politische Theorie nach der Französischen Revolution, Wiesbaden 2004. 1633 Vgl. Constant: Des réactions, S. 99. 1634 Ebd.

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4. Gegenmacht als Erfahrung

sich in Abgrenzung zur herrschenden ‚Partei‘ formierten, wurden im politischen Diskurs des Direktoriums als ‚Verräter‘ und ‚Schurken‘ gebrandmarkt und bildeten ein Feind- beziehungsweise Schreckensbild. Dennoch wurde der Begriff ‚Opposition‘ von den Zeitgenossen zur Beschreibung einer legitimen, systemimmanenten Gegenmacht zumindest reflektiert. Réal veröffentlichte 1795 eine Zeitung mit dem Titel Journal d’Opposition.1635 Boulay de la Meurte sprach von der Gruppe der Abgeordneten des Club de „Clichi“ [sic] als „parti d’opposition“.1636 Zwar lehnte er deren Überzeugungen ab – doch müsse wohl das Prinzip der Diskussion zukünftig als der Freiheit inhärent akzeptiert werden: Le Directoire ne trouvera plus ici d’ennemis, mais il y trouvera toujours des amis sévères de la vraie liberté. C’est elle qui présidera désormais à nos délibérations. Cette noble liberté appelle la discussion; elle n’est point ennemi de la contradiction, de l’opposition; elle souffre les écarts, et sait même, quand il le faut, supporter le langage de la déraison.1637

Auch die Rede von ‚Bewegungen‘, welche aus der Gesellschaft heraus entstünden und die staatliche Autorität herausforderten, kann in den zeitgenössischen Quellen belegt werden. Mathieu erläuterte im Februar 1795 die Entscheidung des Sicherheitsausschusses, auf die durch Individuen und andere Unruhestifter ausgelösten ‚Bewegungen‘ zu reagieren. Der Gesetzgeber dürfe solchen Entwicklungen nicht gleichgültig gegenüberstehen: Ce n’est pas lorsque la Convention, jalouse de conserver dans toute son intégrité la liberté de la presse et le droit de pétition, se montre disposée à accueillir les réclamations et les demandes qui portent l’empreinte de la justice et le sceau repectable de l’utilité générale; ce n’est pas lorsqu’elle prouve, par les lois et les actes qui émanent de son autorité, combien elle désire et veut fixer la tranquillité publique par des mesures de sagesse et d’humanité dont la volonté du peuple lui fait un devoir, qu’elle doit voir indifféremment des mouvements partiels et inconsidérés de la part de quelques individus, des mouvements et des tentatives coupables de la part de quelques autres: réprimer les écarts de ceux-là, les manœuvres et les complots sinistres de ceux-ci, tel était le devoir de votre comité de surêté générale; il a su le remplir.1638

Die Unterscheidung zwischen ‚mouvements inconsidérés‘ der jeunes gens, die ohne böse Absicht gehandelt hätten, und ‚mouvements et tentatives coupables‘ der linken Opposition, wie beispielsweise der Gruppe 1635

Vgl. Ankündigung im Moniteur n° 141, 21 Pluviôse III (9. Februar 1795). Der Verfasser der Rubrik „Variétés“ lobt Réals vorbildliche Zivilcourage als „substitut du procureur de la commune“ am 31. Mai 1793. 1636 Moniteur n° 7, 7 vendémiaire VI (28. September 1797), CCC, suite de la séance du 3. 1637 Moniteur n° 8, 8 vendémiaire VI (29. September 1797), CCC, suite de la séance du 3. 1638 Moniteur n° 142, 22 pluviôse III (10. Februar 1795), CN, séance du 17 pluviôse.

4.2 Das Verdikt der Presse

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um Babeuf, spiegelt eine folgenschwere Grundüberzeugung der meis4.2 Das ten Thermidorianer und Direktorialisten wider: Die Bedrohung durch Verdikt der die linke Opposition wurde im Vergleich zum rechten Lager deutlich überbewertet.1639 Presse

4.2 Das Verdikt der Presse: Die Rezeption der offiziellen Symbolpolitik in Druckschriften und Karikaturen Die offizielle Symbolpolitik der Republik wurde nicht nur im Parlament oder im Regierungsgremium kontrovers diskutiert. Sie stieß im öffentlichen Diskurs auf starke Kritik, die von Äußerungen des Unverständnisses bis zu Aufrufen zum Widerstand reichte. Aus der Fülle der über die Presse verbreiteten Kommentare und Reaktionen sollen im Folgenden exemplarisch einige prominente Beispiele herausgegriffen werden. In der Zeit von Thermidor und Direktorium kam der Presse trotz der bekannten Rückschläge und Verbotsversuche eine wesentliche demokratische Kontrollfunktion zu.1640 Es waren die gemäßigten Republikaner und Anhänger der konstitutionellen Monarchie, die nach der Erfahrung der Terreur 1794 auf die Einführung der Pressefreiheit drängten. Die Demokraten und linken Republikaner wehrten sich jedoch gegen das Gesetz, da sie fürchteten, dies habe für sie negative Konsequenzen. Die Verfassung von 1795 verankerte im Article 353 immerhin eine prinzipielle Pressefreiheit. Diese Bestimmung hielt die Machthaber jedoch nicht davon ab, in Zeiten der Bedrohung und der Krise von Sondermaßnahmen Gebrauch zu machen. Einerseits subventionierte man eine Reihe regimefreundlicher Blätter, um die eigene Position zu festigen, andererseits griff das Zweite Direktorium mit Verboten und Deportationen gegen regimekritische Journalisten durch.1641 1639

Vgl. Moniteur n° 141, 21 pluviôse III (9. Februar 1795), N. B. Vgl. allgemein zum Medium der Zeitung in der Revolution den Überblicksartikel von: POPKIN, Jeremy D.: Journals. The New Face of News, in: DARNTON, Robert und Daniel ROCHE (Hrsg.): Revolution in Print: The Press in France 1775–1800, Berkeley 1989, S. 141–164; zur jakobinischen Presse während des Direktoriums vgl. GOUGH, Hugh: National Politics and the Provincial Jacobin Press during the Directory, in: History of European Ideas 10 (1989), S. 443–454. 1641 Zur republikanischen und demokratischen Presse vgl. u. a. LAMBRICHS, Nathalie: La liberté de la presse en l’an IV: les journaux républicains, Paris 1976; POPKIN, Jeremy D.: Les journaux républicains, 1795–1799, in: Revue d’histoire moderne et contemporaine 31 (1984), S. 143–175.; ders.: The Directory and the Republican Press: The Case of the ‚Ami des Lois‘, in: History of European Ideas 10 (1989), S. 429–442. 1640

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4. Gegenmacht als Erfahrung

Kritik an den Amtstrachten und Repräsentationsformen des Direktoriums Im Kontext des Salon von 1795 zogen neben den Uniformen der Nationalgarde besonders die Federbäusche der Abgeordneten Unmut auf sich. Amaury Duval veröffentlichte eine Kritik unter seinem üblichen Pseudonym „Polyscope“ in der Décade. Nachdem er sich in der Erwartung zur Ausstellung begeben hätte, dort den Einfluss von Revolution und Volksherrschaft auf die Künste zu sehen, sei er enttäuscht worden. Zwar seien Hofdamen, Adelige und Minister von den Gemälden verschwunden, doch an ihrer Stelle ziere nun die Eitelkeit einer neuen Generation von Federbäuschen und Ehrenzeichen die Porträts: Quel fut mon étonnement! Je n’apperçus, au premier coup d’oeil, qu’un ramas de portraits, de toutes formes, de toutes grandeurs, de tout costume, de tout âge. […] Le salon n’offre plus à la vérité des portraits de marquises en habits de cour, de présidens en simar, de ministres chamarés de cordons: mais on y voit le représentant au panache tricolore, l’officier de garde nationale avec ses brillantes épaulettes, etc., etc. O vanité! Tu es donc le plus inguérissable des vices qui affectent l’espèce humaine.1642

Ein stark satirisches Pamphlet, welches mit dem sprechenden Pseudonym „Sandalo-Philos“ unterzeichnet wurde, sprach sich in ironischer Weise dafür aus, die Amtstrachten sollten in jedem Falle lieber pseudopriesterhaft als weltmännisch oder extravagant sein.1643 Gerade anlässlich der Feste wurden die Amtstrachten nicht selten zum Prüfstein der Einstellung der Öffentlichkeit gegenüber der Regierung. Schon 1792, im Kontext des Fests des Rechts, war der Auftritt der Sektionspräsidenten mit dem von Kirchenvorstehern verglichen worden.1644 In ähnlicher Weise hatte auch das Kostüm Robespierres anlässlich des Festes des Höchsten Wesens Anstoß erregt. Doch die rechte Presse benötigte keine besonderen Anlässe, um ihre Verachtung für die Repräsentationsformen der Regierung kundzutun. Vor allem das Direktorium wurde zur Zielscheibe der Satire; Karikaturen visualisierten die Regierungsmitglieder als Tiere oder infantile Marionetten. Im Frühjahr 1797, als die royalistische Opposition einen regelrechten Wahlkampf betrieb, um die Macht in den Räten mit legalen 1642

Vgl. Décade, 30 vendémiaire an IV (21. Okober 1795), Bd. 7, an IV, S. 145. Zur Identifikation des Autors als Amaury Duval vgl. HALLIDAY, Anthony: Facing the Public. Portraiture in the Aftermath of the French Revolution, Manchester und New York 2000, S. 48. 1643 Vgl. Le costume des représentants conforme à la religion de nos pères, o. O. o. J., S. 2–3; zitiert nach WRIGLEY: The Politics of Appearances, S. 95, Anm. 131. 1644 Vgl. OZOUF: La fête, S. 102–135, bes. S. 116.

4.2 Das Verdikt der Presse

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Mitteln zu erobern, kam es zur Veröffentlichung dutzender Pamphlete, Karikaturen und Zeitungsartikel gegen die Regierung.1645 Einige Künstler und Autoren kritisierten gezielt bestimmte Mitglieder des Directoire exécutif. Barras etwa wurde als aus der Revolution hervorgegangener König denunziert: ‚Paul Barras der Erste‘1646 sei ein Despot, schlimmer als Nero, so behauptete ein Blatt, das Barras mit den Titeln der französischen Könige belegte und seine nach Autorität und Respekt suchende Geste als herrisch und überheblich brandmarkte.1647 Zu deutlich erschien dem Autor die Verbindung zwischen den neuen Repräsentationsformen und den traditionellen Herrscherporträts des bourbonischen Hauses: Rot war auch die Farbe des Königsmantels gewesen, und der König ließ sich in ähnlicher Pose abbilden. Hatten die politischen Entscheidungsträger versucht, die Druckgraphik als Instrument zur Propagierung der neuen Institutionen und deren ‚nationaler Majestät‘ zu instrumentalisieren, so entwickelte sie sich gleichzeitig zum Sprachrohr ihrer schärfsten Kritiker.1648 Richer-Serisy, der bereits beim Aufstand des 13. Vendémiaire IV (5. Oktober 1795) beteiligt gewesen war, hetzte in seinem Accusateur public gegen die Anmaßung der Direktoren, ihren Regierungssitz ‚Palast‘ zu nennen, sowie gegen ihre Eitelkeit, sich mit ‚Purpurmänteln‘ und ‚Papageienfedern‘ zu schmücken; hier werde wohl das Äußere mit dem Inneren verwechselt, befand er in seiner Ausgabe vom 22. Juni: Le vulgaire a tellement l’habitude de prendre l’habit pour l’homme, qu’il faut dire un mot de cette pompe extérieure et de cet éclat emprunté qui environnent la maison du Luxembourg; je l’appelle ainsi, car je ne connois d’autre palais que celui de la représentation nationale; et il n’appartient pas à une autorité secondaire et essentiellement obéissante, de donner ce nom à sa fastueuse demeure. C’est encore une des inconséquences de la philosophie moderne, de s’être éloigné dans ses institutions, de la simplicité de ses premiers maîtres, et de nous montrer le cynisme et la morale du sale Diogènes en habit de pourpre. 1645

Vgl. ausführlich Kapitel 4.5. Unter dem Bild beginnt ein kurzer Text mit den Worten: „Plus que Neron, Mon Vicomte est despote“, vgl. [Non-identifié]: Paul Barras premier. 1647 Es handelte sich um eine Kopie einer Radierung von 1795 aus dem von Grasset SaintSauveur veröffentlichten Werk Costumes des représentans du peuple: Grasset SaintSauveur, Jacques: Costumes des représentans du peuple, membres des deux Conseils, du Directoire exécutif, des Ministres, des Tribunaux, des Messagers d’Etat, Huissiers et autres fonctionnaires publics / dont les dessins originaux ont été confiés par le Ministre de l’Intérieur au citoyen Grasset S. Sauveur, o. O. 1795. Vgl. Erläuterung zu Coll. de Vinck, Nr. 6588. 1797 wurde der Druck mit einer feindlichen Bildumschrift versehen erneut veröffentlicht. 1648 Vgl. SCHRÖER: La représentation du Nouveau Régime, S. 39–61. 1646

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4. Gegenmacht als Erfahrung

Si effectivement le gouvernement républicain n’est que la raison perfectionnée; dès-lors doivent en disparoître tous les prestiges et toutes les illusions qui peuvent frapper les sens. Il importe peuau [sic] sage que celui qui parle au nom de la loi, ait un habit brodé, ou une plume de perroquet; mais ce qui lui importe, c’est de ne point voir déroger à l’esprit de son institut, et s’attribuer insensiblement des honneurs qui peu-vent [sic] en imposer à la plèbe, et saper lentement la liberté.1649

Als problematisch empfand Richer-Serisy weniger die zur albernen Verkleidung herabgewürdigte Amtstracht der Direktoren, sondern die Tatsache, dass diese getragen werde, um ‚die Sinne zu frappieren‘ und ‚das Volk zu beeindrucken‘. Diese Haltungen ‚erniedrigten‘ langfristig die neuen Institutionen und ‚unterhöhlten‘ schleichend die Freiheit selbst. Ähnlich verständnislos zeigte sich der Journalist gegenüber der Gewohnheit der Direktoren, ihre ‚Bewegung‘ im Stadtgebiet durch Salutschüsse anzukündigen. Diese Praxis war nicht nur an Festtagen üblich, sondern wurde offenbar auch zu privaten Zwecken missbraucht. Richer-Serisy unterstellt, mit Kanonendonner sei die Niederkunft von Frau La Revellière-Lepeaux angekündigt worden: Il faut que la manie de tapoter le tambour et de tirailler le canon, soit bien forte parmi nous, pour qu’au moindre mouvement que fait un Directeur, il se plaise à la faire retentir d’un bout de Paris à l’autre, et à effrayer ainsi le paisible citoyen, qui le croira long temps chargé à mitraille. Madame de la Reveillère accouche; que le papa, dans sa joie, brûle un ou deux pétards, rien de mieux; mais que le canon l’annonce aux deux rives de la Seine indignée, rien de plus insolent.1650

Die Passage ist voller Polemik: Die Zeremonie zur Einführung der neuen Direktoren wird als lächerlich („ridicule“) entlarvt; die Eitelkeit von Zwergen („la vanité du nain“) werde mit Stelzen („échasses“) befriedigt.1651 Die Kleidung der Direktoren verglich der Autor mit betressten Livreen vom Hofe des Sonnenkönigs. Allein der Gesetzgeber erscheint in den Augen von Richer-Serisy noch in der Lage, dem Jahrmarkt der Eitelkeiten Einhalt zu gebieten. Ansonsten befürchtete er die Rückkehr der übrigen höfischen Etikette, die dem ‚Spektakel und der Magie der Ehrenzeichen‘ auf den Fuß folgen werde: Ah! Si la République nouvelle a besoin, pour se soutenir, du spectacle et de la magie des décorations; s’il faut que le Directoire soit galonné comme un beau-père de la cour de Louis XIV dans une comedie de Molière; s’il nous

1649

Accusateur public n° XXXI: Jeudi, 22 juin 1797 (4 Messidor), S. 34f. Ebd., S. 35. 1651 „j’entrevois dans tout cet appareil d’orgueil, moins le désir d’honorer un collègue, que celui de se grimper sur des échasses“, ebd., S. 35f. 1650

4.2 Das Verdikt der Presse

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faut, toujours enfans, imiter cette pompe asiatique et barbare qu’Athènes reprochoit avec tant d’amertume au grand roi; que les deux Conseils se couvrent du moins de l’habit simple et modeste du législateur; que du moins aussi ils limitent, dans de justes mesures, ces honneurs qu’usurpent une autorité déja [sic] si puissante; ou bientôt dans ce grand procès de la vanité, nous allons voir reparoître au Directoire le tabouret, le pliant, la chaise à dos, le fauteuil à bras, la main droite, la main gauche; demain les membres qui le composent se croiront plus que des citoyens, [...] plus que des dieux.

Die Anspielungen auf das höfische Zeremoniell erheben den Vorwurf, das Direktorium habe mit seiner Politik einen Rückschritt in die Verhältnisse des Ancien Régime gemacht. In solchen Äußerungen zeigt sich, dass die rechte Opposition keineswegs undifferenziert eine Restauration der Herrschaft der Bourbonen anstrebte. Auch die Tatsache, dass Richer-Serisy die Regierung als Institution ‚zweiter Ordnung‘ beschreibt, die dem Parlament nachgeordnet sei und vor allem ausführende Kraft habe, macht deutlich, dass seine Kritik sich auf dem Boden einer Verfassungsordnung verstand. Die Repräsentationsformen der Regierung werden jedoch nicht als Instrument einer Stabilisierungspolitik anerkannt, sondern als Entgleisung gewertet, die der Sache der Revolution nicht dienlich sei. Solche Kritik setzte sich auch nach dem Staatsstreich gegen die rechte Opposition 1797 fort: Eine Karikatur visualisierte (in Anlehnung an ein Gemälde von David Teniers dem Jüngeren) die Direktoren als behütete Affen (Abb. 41), wohl neben der intendierten Verunglimpfung als Seitenhieb auf die Eitelkeit und ‚Verkleidung‘ der Amtsinhaber gemeint;1652 ein anderes Blatt ging noch weiter, indem es die Themen Luxus und Bereicherung mit der verfehlten Finanzpolitik des Direktoriums verknüpfte: „Les cinq … singes“1653 empfangen in einem Ladenlokal brave Rentenempfänger aus dem Volk und nehmen deren Bittschrift entgegen – ihre Situation verbessern werden sie jedoch nicht. Die Verfassung liegt im Bildvordergrund auf dem Boden und dient offenbar zur Befeuerung des Ofens.1654

1652

Es handelt sich in Anlehnung an die Affen von David Teniers dem Jüngeren um eine subtile Karikatur auf die Fraktionsbildung im Direktorium, entweder im Jahre 1797 oder 1799. 1653 Vgl. [Non-identifié]: Les cinq... singes, Stich (Paris, BnF, Coll. de l’Histoire de France Qb1, Inv. M 103205 sowie auch: Paris, Musée Carnavalet, Inv. PC histoire 25D, G. 25997). 1654 Vgl. SCHRÖER, Christina: Die Gegenrevolution in der Opposition. Visualisierung royalistischer Regimekritik im Direktorium, in: CILLESSEN, Wolfgang und Rolf REICHARDT (Hrsg.): Revolution und Gegenrevolution in der europäischen Bildpublizistik 1789– 1889, Hildesheim u.a. 2010, S. 123–150, S. 140f.

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4. Gegenmacht als Erfahrung

Abb. 41: [Non-identifié]: La minorité directoriale – et la majorité, gravure à l’eau-forte.

In dieser Kritik drückt sich einerseits ein Defizit an Glaubwürdigkeit und Vertrauen in die Regierung, andererseits der Wunsch nach einer Stabilisierung der Verhältnisse aus. Das Kalkül der Machthaber, über die Einführung von Amtskleidung und den Ausbau der republikanischen Repräsentation die eigene Autorität zu stärken und dem neuen Regime Stabilität zu verleihen, war offensichtlich nicht aufgegegangen: Die Symbolpolitik bot im Gegenteil den politischen Gegnern eine Angriffsfläche für Kritik. Selbst solche Politiker, die eigentlich loyal zur Republik standen, wie Thibaudeau, beobachteten die Repräsentation im Palais du Luxembourg mit wachsender Skepsis. Thibaudeau bestätigte in seinen Memoiren die Vorwürfe des unangemessenen Luxus und des Amtsmissbrauchs, die gegen Barras erhoben wurden und nicht mit den republikanischen Sitten zu vereinbaren seien. Die anderen Regierungsmitglieder werden von seiner Kritik jedoch ausdrücklich ausgenommen: Letourneur, Carnot, La Revellière avaient vécu sans faste, avec une représentation décente, comme de vrais républicains élevés momentanément au gouvernement de l’Etat, pour retourner à la classe des citoyens, réglant leur dépense sur leur traitement, plutôt économes que prodigues. Leurs mœurs étaient exemplaires, leur probité était au-dessus de tout soupçon. Il s’était élevé quelques nuages sur Reubell, je l’ai déjà dit. A sa mort, ils se dissipèrent.

4.2 Das Verdikt der Presse

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Un seul directeur, Barras, faisait exception: celui-là avait développé tous les vices qu’un mauvais prince, qu’un prince mal élevé peut apporter sur le trône: il était adonné aux plaisirs de table, de la chasse et à des plaisirs plus sensuels encore; il avait une cour composée d’hommes tarés, de femmes galantes et même de mignons, et, ce qui est le pire de tous les vices dans un homme placé au timon de l’Etat, il faisait argent de toutes mains pour subvenir à ses goûts, à ses dépenses et à ses prodigalités. Il avait des velléités de despotisme qui l’y auraient conduit, et en auraient peut-être fait un tyran s’il avait eu plus de force de caractère, de vigueur de tête et de suite dans les idées. De semblables mœurs formaient un grand contraste avec celles d’une République.1655

Vorwürfe der Verschwendung waren auch angesichts des Umbaus des Palais Bourbon für den Rat der Fünfhundert laut geworden. Das Bauvorhaben hat über eine Million Livres verschlungen – Ausgaben in einer Größenordnung, die angesichts der fortdauernden Finanzkrise und des Krieges Kritik in den Bänken der Opposition und in der Presse nach sich ziehen musste.1656 Grundsätzlich wurden die Parlamentarier jedoch seltener Opfer der Karikatur und der Ironie der Presse als die Regierungsmitglieder. Kritik an den Festen Der Streit über die Feste begleitete die Erste französische Republik von Beginn an. Nach dem Wegfall der Zensur infolge des 9. Thermidor konnte sich die Kritik besonders ungezügelt entfalten. Zunächst richteten sich die Journalisten gegen die zurückliegende Festpraxis der Jakobiner. Doch auch die Aktivitäten des Thermidorianerkonvents wurden kritisch beobachtet. Trouvé kritisierte im Sommer 1795 die ‚Heimlichkeit‘, mit der die Nationalfeste des 14. Juli und des 9. Thermidor begangen worden seien: Die Abgeordneten hätten in ihrem Versammlungssaal eine „cérémonie clandestine“ begangen.1657 Damit schienen die Feste sich erneut ins ‚Arkanum‘ zurückzuziehen, aus dem die Aufklärung bereits das höfische Zeremoniell zu vertreiben gesucht hatte: Kritiker der Praxis des Ancien Régime hatten schon im 18. Jahrhundert öffentliche Feste propagiert und ländliche Traditionen und Bräuche als Modelle für die Erneuerung der Herrschaftspraxis angeführt.1658 Die Tatsache, dass 1655

Thibaudeau: Mémoires, première édition complète, S. 387. Vgl. BOYER: Le Conseil des Cinq cents au Palais Bourbon; Décade, an IV, S. 304: „on gâte à grands frais le Palais Bourbon et le Luxembourg“; Moniteur n° 151, 1er ventôse IV (20. Februar 1796): Diskussion vom 27. Pluviôse an IV. Einige Abgeordnete sprachen sich deutlich gegen die hohen Kosten aus, u. a. auch Bailleul. 1657 Vgl. Moniteur n° 311, 11 thermidor III (29. Juli 1795). 1658 Vgl. HEIDRICH: Fest und Aufklärung, S. 160–189. 1656

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4. Gegenmacht als Erfahrung

sich der Rückzug des Konvents in der Krise der Republik, die mit Aufstandsversuchen von rechts und links zu kämpfen hatte, begründete, wurde von dem Autor nicht anerkannt. Nach Einrichtung der neuen Institutionen beschwerte sich die demokratische Presse über den Ausschluss des Volkes von den Veranstaltungen des Direktoriums. Die Zeremonien waren nunmehr geladenen Gästen vorbehalten. Entsprechend verweigerte das Journal des hommes libres schlicht die Berichterstattung: Nous n’avons rien dit de la fête de la Victoire; le programme nous ayant avertis qu’il n’y avoit de places que pour les témoins nécessaires, que ces témoins nécessaires auroient leur carte d’entrée, nous sommes restés éloignés avec le peuple comme témoin inutile. On dit que c’étoit bien beau, mais nous n’en pouvons rendre compte; et nous nous réservons pour la prochaine fête nationale, où il n’y aura point de témoins privilégiés, et qui se donnera sans doute bientôt, car le directoire, à ce que disent tous les journaux chouans, aime beaucoup la constitution. En conséquence, nous espérons qu’il s’empresse de se ressouvenir que la constitution prescrit des fêtes nationales, c’est-à-dire des fêtes où il n’y aura point de témoins nécessaires et privilégiés.1659

Der Autor hoffte, zukünftige Feste würden erneut als nationale Ereignisse begangen, die den Verfassungsstaat ins Zentrum rückten, indem sie für das Volk geöffnet seien. Über solche Feste wolle man dann auch wieder berichten; in der Zwischenzeit müsste sich der Leser mit der Lektüre des Ami du Peuple, der Patriotes de 89 oder des CenseurGallais begnügen. Diese als „journaux chouans“ abqualifizierten Blätter verschwiegen jedoch ihrerseits bestimmte Details, die dem Bild der neuen Regierung schädlich sein konnten. So kritisierte der Journalist die Gewohnheit der Direktoren, nach den Festen zu einem exklusiven Bankett einzuladen – unter Ausschluss derer, die man zu feiern vorgebe: C’est que chaque directeur avoit invité trente convives à un repas, où l’on a bu à la santé de nos frères d’armes; mais où l’on n’a vu aucun de ces vainqueurs dont on faisait la fête, sans doute par distraction, et que le peu de témoins inutiles qui s’y trouvoit est rentré chez soi manger sobrement ses trois quarterons de pain.1660

Auch die späteren Feste des Direktoriums wurden von der linken Presse mit Skepsis betrachtet. Nach einer Verschärfung der Zensur dienten Pamphlete als Sprachrohr der Kritik. Dabei war die Grenze zwischen Kritik und Ironie fließend. So begrüßte der Autor der Schrift La tête ou l’oreille de cochon im Januar 1796 zwar grundsätzlich, dass die 1659 1660

Journal des hommes libres n° 213, quartidi 14 prairial IV (2. Juni 1796), S. 858. Ebd.

4.2 Das Verdikt der Presse

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Regierung und die Behörden von Paris Feste begingen, die die wichtigsten Ereignisse der Revolution feierten.1661 Gleichzeitig kritisierte er jedoch nachdrücklich, dass das Volk bloßer Zuschauer der Zeremonien, Eide, Gesänge etc. bleibe. Er schlug eine pragmatische Lösung des Problems vor, die er aufgrund ihrer leichten Umsetzbarkeit propagierte: Jede Familie, ob reich oder arm, solle sich an den Jahrestagen der Revolution zum gemeinsamen Mahl versammeln. Schließlich seien von jeher die wichtigsten Feste zu Hause gefeiert worden: Il est imposant sans doute de voir toutes les autorités constituées de la république se réunir aux époques les plus intéressantes de notre révolution, et nous les rappeller par des cérémonies augustes, par des chants, par des sermens; mais on voit en même temps avec quelque peine le peuple rester, ces jours là, simple spectateur de ce qui se passe et n’y participer que par les yeux. Aurait-on oublié qu’il a de tout temps célébré dans ses foyers les fêtes les plus intéressantes, et qu’on lui a toujours vu réunir autour d’un banquet joyeux, ses proches et ses amis.

Doch nicht nur die Tischgemeinschaft selbst sollte im gemeinsamen Mahl ein Ritual vollziehen, auch die gereichten Speisen hatten nach Vorstellung des Autors symbolischen Charakter: „S’il nous faut des symboles, des signes caractéristiques qui nous retracent sur nos tables des époques aussi fameuses, ils sont faciles à imaginer.“ Am 14. Juli, so empfahl er, sollten Konditormeister die Bastille aus Biskuit nachbilden, damit man sie jedes Jahr genussvoll aufs Neue zerstören könne. Am 10. August sei ein dickes, fettreiches Hähnchen zu verzehren, das an den Dummkopf und Eidbrecher von König erinnere, der zu Unrecht geglaubt habe, das Volk überlisten zu können. Am 21. Januar, dem Jahrestag der Hinrichtung Ludwigs XVI., solle in Erinnerung an dessen abgeschlagenes Haupt symbolträchtig der Kopf oder ein Ohr vom Schwein serviert werden. Der Phantasie seien keine Grenzen gesetzt: Wer sich nicht leisten könne, sein Schwein zu schlachten, solle Wurst oder anderes essen; seine Vorstellungskraft könne ihn entschädigen für seine Armut; wesentlich sei allein, dass jeder am gemeinsamen Mahl teilnehme. Durch diese neuen Traditionen auf familiärer Ebene könnten auch die christlichen Feste aus dem Alltag vertrieben werden, die bedauerlicherweise weiter begangen würden: der Sankt-Martinstag (an dem üblicherweise eine Gans geschlachtet wurde), das Dreikönigsfest, welches der republikanische Autor aufgrund der üblichen 1661

Vgl. La tête ou l’oreille de cochon. Proposition faite à tous les citoyens de célébrer, dans le sein de leurs familles, les époques les plus intéressantes de la Révolution, et d’y manger, en commémoration de celle du 21 Janvier, une tête ou une oreille de cochon, Paris o. J. [Signé Romeau]. Vgl. dort auch die folgenden direkten und indirekten Zitate.

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4. Gegenmacht als Erfahrung

volkstümlichen Nachahmung des Krönungsrituals besonders abzulehnen scheint („L’abominable Roi-Boit“), sowie der Karneval. Nachdem es gelungen sei, die Monarchie zu zerstören, sei es umso erstaunlicher, dass deren traditionale Feste weiter fortbestünden. Alle drei Feste sollten daher auch in der häuslichen Tischgemeinschaft mit einem Eid beschlossen werden, der das Königtum sowie alle Verräter und Eidbrecher verdamme: Et si [...] nous avons assisté à la cérémonie du serment ainsi qu’aux imprécations que nos magistrats font ce jour là contre les traîtres et les parjures; que nos femmes [...] nous préparent notre dîner, afin qu’en rentrant dans nos foyers nous trouvions sur table le MORCEAU SYMBOLIQUE [sic], et qu’on nous entende prononcer aux cris de vive à jamais la république Française, le serment suivant: Nous jurons haine à la royauté, à l’anarchie; nous promettons de rester fidèles à la constitution de l’an III. Périssent a [sic] jamais les traîtres et les parjures.

Möglicherweise stand der Autor des Pamphlets den Jakobinern nahe: Zwar begrüßte er die Feierlichkeiten zum Jahrestag der Hinrichtung Ludwigs XVI., doch vermisste er in den offiziellen Zeremonien den demokratischen Impuls und die Vermittlung des Festes auf die Ebene des Volkes. Vermutlich sind seine Vorschläge für die patriotischen Mahlzeiten am 14. Juli, 10. August und 21. Januar nicht wörtlich zu verstehen. Sie dienten ihm zur Abrechnung mit dem Königtum und als Ausdruck seiner politischen Gesinnung, die nicht davor zurückschreckte, den Bruch mit der Vergangenheit auch in zynischen Tischritualen zu bekräftigen. Eindringlich appellierte er an die politischen Entscheidungsträger, die Familie als Keimzelle der Gesellschaft und des Vaterlandes ernst zu nehmen: „Ne perdons jamais de vue que c’est dans les repas des familles que l’on voit la gaîté succéder à l’épanchement des cœurs et s’y associer à l’amour de la patrie et de ses devoirs.“ Nicht auf den Plätzen der Hauptstadt, sondern in den Familien sollten die Feiertage gewürdigt und die neuen Feste begangen werden. Zwar wurde somit die grundsätzliche Auffassung geteilt, über Rituale und Eide Verbindlichkeiten herstellen zu können. Der Einschluss der Verfassung des Jahres III in die zu sprechende Eidesformel zeigte außerdem, dass der Autor auf dem Boden der geltenden Ordnung argumentierte. Dennoch distanzierte er sich ausdrücklich von der Exklusivität der Veranstaltungen der neuen Regierung. Neben der Publikation von Pamphleten äußerte die linke Opposition ihre Kritik auch durch das gezielte Stören von Festveranstaltungen: Der Courrier républicain berichtete nach Durchführung des Festes vom 10. August 1796 ausführlich über Zwischenfälle, zum Beispiel, dass

4.2 Das Verdikt der Presse

493

während der Intonation der Marseillaise eine Gruppe von „exclusifs“ beim Beginn der Strophe „Tremblez tyrans et vous...“ auf das Directoire gezeigt hätte.1662 Angesichts der in den folgenden Jahren noch weiter verstärkten Repräsentation und Prachtentfaltung durch die Direktoren sollte solche Kritik bis zum Ende des Regimes nicht verstummen. Radikaler noch formulierte die rechte Presse ihre Kritik. Erneut kann der Accusateur public von Richer-Serisy als exemplarisch angeführt werden. Dieser entlarvte die Gedenktage an die Revolution als geschichtspolitisch instrumentalisiert, wenn er darauf hinwies, dass die begangenen Bluttaten zugunsten eines ‚Mythos der Freiheit‘ verschwiegen würden. Der 14. Juli sei Tag eines blutigen Volksaufstands gewesen und am 21. Januar habe man keinesfalls die Republik begründet, wie es die offizielle Lesart wünsche, sondern einen Mord begangen: Si le 14 juillet renversa la Bastille, je vois promener sur des piques des têtes humaines, l’homme dévorer sanglant coeur de l’homme son semblable, et les mille échaffauds de Robespierre s’élèvent sur de vieilles et d’antiques décombres que la clémence minoit depuis long-temps en silence. Si le 21 janvier fonda la république, l’homme juste aussi tomba ce jour sous le couteau des assassins.1663

Die moralischen Feste dienten nach Meinung des Journalisten ausschließlich der Verschleierung der Leiden der Bevölkerung. Wie könne man diese Tage ‚feiern‘, wenn sie doch nur von Not und Kriegstreiberei ablenkten und dem Volk ein Glück vorgaukelten, das es längst verloren habe: Que m’importe la fête de la vieillesse et ce mercenaire de louage à tête chenue, dont le peu de cheveux blancs qui lui restent sont souillés d’une couronne de roses de toile peinte, et que l’on traîne en triomphe! Qu’il prenne garde, ce charlatan homicide, d’écraser sous les roues de son char ces vieillards qui tombent d’épuisement, et que l’on contraint d’applaudir! Que m’importe la fête de l’enfance, si j’entends avec horreur les vagissemens de ces nouveaux-nés, victimes d’une nature marâtre, sans père, sans secours, sans patrie, qui chaque jour, chaque heure, chaque seconde, expirent en foule dans les hôpitaux, faute d’un peu de lait qu’on dédaigne de payer. Que m’importe la fête de l’agriculture, la fête des époux, la fête des victoires, si la victoire est une boucherie, le mariage un enfer, l’agriculture un champ désert et couvert de ronces!

Im Unverständnis gegenüber den opulenten Inszenierungen der neuen Regierung und den Ausgaben für Dekoration und Architektur 1662 1663

Zitiert nach AULARD: Paris pendant la réaction, Bd. 3, S. 380ff.: 23 Thermidor an IV. Accusateur public n° XXXII: Lundi 10 juillet 1797 (22 Messidor V), S. 31. Vgl. dort auch zum Folgenden.

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4. Gegenmacht als Erfahrung

anlässlich der moralischen und kommemorativen Feiertage traf sich die Kritik der beiden oppositionellen Lager. Der Topos der Sparsamkeit war seit der Aufklärung auch schon im Ancien Régime bekannt:1664 Die Bedeutung von Repräsentationsformen, welche Herrscherlob mit Maximen der Nützlichkeit, Sparsamkeit und Bescheidenheit verbanden, hatte seit Mitte des 18. Jahrhunderts deutlich zugenommen.1665 Das Journal des hommes libres de tous les pays fragte sich im Dezember 1797 auch im Hinblick auf die neue Regierung, wie die hohen Ausgaben angesichts von Armut und Hunger im Volk zu rechtfertigen seien – keinem Bürger gehe es dank der Veranstaltung der Nationalfeste besser.1666 Das den demokratischen Republikanern nahestehende Blatt wünschte sich schlichtere Zeremonien, so dass das Volk schließlich von sich aus Grund zum Feiern fände und tugendvolle Taten an die Stelle der leeren Reden treten würden: „le peuple dans sa majestueuse joie sera son plus beau spectacle à lui-même, ou des actes de vertu et de bienfaisance publique combleront le vide de l’ame [sic] et mettront en pratique tout ce qu’on n’a vu jusqu’ici qu’en discours.“1667 Die Polizeiberichte bestätigen diese Unzufriedenheit auch für einen Teil der Zuschauer, welche die schlechte Versorgungslage moniert hätten und angesichts der großen Sorgen des Volkes Feste für unangebracht hielten. Schon nach der Fête de la Victoire vom 10. Prairial IV (29. Mai 1796) vermeldeten die Polizeiberichte eine ambivalente Stimmung in der Hauptstadt: Le soir on faisait l’éloge de la fête dans les cafés. Quelques citoyens de service se plaignaient de n’avoir été commandés que pour former le cordon; mais, aux observations qui leur étaient faites que, ne sachant pas manœuvrer comme la troupe de ligne, on ne pouvait pour l’ordre leur assigner d’autres postes, leurs plaintes ont cessé. […] Dans quelques groupes cependant, on s’entretenait de la misère, de ses effets; on ne voyait que le renchérissement progressif de toutes les denrées, la difficulté d’exister avec des assignats sans valeur [...]; on déclamait avec aigreur contre les dépenses que la fête a pu occasionner, et les ennemis du repos public savent mettre à profit tous les extrêmes. On s’occupe des fêtes, et le peuple est malheureux: c’est le cri de la rage et de la haine [...].1668 1664

Vgl. STOLLBERG-RILINGER: Verfassung und Fest, S. 27ff. Vgl. u. a. MÜNCH: Fêtes pour le peuple, rien par le peuple, S. 25–45; auch WEBER, Hermann: Das Sacre Ludwigs XVI. vom 11. Juni 1775 und die Krise des Ancien Régime, in: HINRICHS, Ernst, Eberhard SCHMITT und Rudolf VIERHAUS (Hrsg.): Vom Ancien Régime zur Französischen Revolution. Forschungen und Perspektiven, Göttingen 1978 (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte. 55), S. 539–569. 1666 Vgl. Journal des hommes libres n° 210, quintidi 25 frimaire VI (15. Dezember 1797), S. 872. 1667 Ebd. 1668 Zitiert nach AULARD: Paris pendant la réaction, Bd. 3, S. 217: 10 Prairial an IV. 1665

4.2 Das Verdikt der Presse

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Weiter heißt es, in den Café-Gesprächen sei durchaus Kritik an der neuen Regierung geübt worden: Man warte auf Frieden, hoffe einerseits auf die Regierung, dass diese die Situation verbessere, doch andererseits mache man sich über die Direktoren lustig: „D’un autre côté, on emploie les injures contre le gouvernement, on se permet des sarcasmes et des plaisanteries contre la fête, et l’on compare perfidement sa magnificence à la situation actuelle du peuple.“1669 Nach dem Staatsstreich von 1797 wurde die rechte Presse in den Untergrund gedrängt. Kritik an der Symbolpolitik der Republik wurde nun häufig als Anlass für eine fundamentale Abrechnung mit dem Regime und seinen Entscheidungsträgern benutzt. So beschwerte sich ein 1798 in Hamburg veröffentlichtes Pamphlet mit dem Titel Le 18 Fructidor ou Anniversaire des fêtes directoriales über die Illegalität des Staatsstreiches, der im Kontext des Jahrestages als Tyrannenstreich denunziert wurde. Die Tatsache, dass ein Nationalfeiertag an dieses Verbrechen erinnere, sei ein reines Täuschungsmanöver (in heutigen Worten: ‚Showpolitik‘), das von aktuellen Problemen abzulenken versuche. Der gesamte Festkalender der Ersten Republik wurde durch den Autor in Frage gestellt: Die moralischen Feste seien eine Beleidigung für die vermeintlich ‚geehrten‘ und ausgezeichneten Gruppen der Bevölkerung, die in Wirklichkeit unter der Republik litten. Am 21. Januar solle zukünftig nicht der gerechten Bestrafung eines Verbrechers, sondern der Wahrheit gemäß des Mordes an einem König gedacht werden. Das Recht werde von der aktuellen Regierung mit Füßen getreten: Quoi! Toujours des fêtes! en avons-nous besoin pour nous rappeler les atrocités commises par de vils usurpateurs? pensent-ils que le souvenir ne passera pas jusqu’à nos arrières pétits neveux? Aujourd’hui c’est la fête de l’agriculture, tandis qu’ils ont privé les campagnes des bras nécessaires pour les cultiver; demain la fête de la vieillesse, tandis qu’elle est réduite à pleurer le sort de ses rejettons, ou à croupir dans la plus affreuse misère; un autre jour la fête de la jeunesse, tandis qu’elle est livrée à la discrétion de vautours dont on n’avoit jamais connu l’espèce; tantôt l’anniversaire de l’assassinat d’un Roi qui n’a jamais eu de modèle en justice et en humanité, et dont le plus grand crime est d’avoir épargné cette pourriture fangeuse qui a empesté le plus beau sol de l’Europe, qui a violé tous les droits les plus sacrés, qui a paralysé ou assassiné tout ce qu’il y avoit de plus honnête en France, qui a mis en pratique tout ce que le satrapatisme de la Syrie n’avoit su inventer.1670

Den Höhepunkt der Frechheit sah der anonyme Autor jedoch mit dem Fest zum Gedenken an den 18. Fructidor V (4. September 1797) 1669 1670

Ebd. Le 18 fructidor ou Anniversaire des fêtes directoriales, Hamburg 1798, S. 5f.

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4. Gegenmacht als Erfahrung

erreicht. An diesem Tag hätten die ‚Monster‘ von Direktoren die Souveränität des Volkes endgültig begraben. Das Volk wurde aufgerufen, die ‚blutigen Harlekinaden‘ seiner Regierung nicht länger zu dulden.1671 Nach der Ermordung des Königs und der Niederschlagung der Erhebung vom 13. Vendémiaire IV (5. Oktober 1795) habe sich die Regierung inzwischen der dritten „usurpation“ schuldig gemacht. Völlig unglaubwürdig sei die These, dass jemand wie Carnot des Royalismus verdächtig sei; vorgeschoben auch der Grund, die Mehrheit der Räte neige zum Royalismus. Ausdrücklich war vom „trône directorial“1672 die Rede, welchen die Triumvirn zu beschützen beabsichtigten. Der Autor scheint aus dem Lager der modérés oder der constitutionnels zu stammen, denn er verteidigt die Vorstöße Camille Jordans, Lenormands und Lemarchand-Gornicourts für die katholische Religion im so genannten ‚Glockenstreit‘.1673 Die drei Direktoren wurden als Tyrannen bezeichnet, die aus einem Gefühl der Angst heraus regierten und alle Kräfte gegen die Nation richteten.1674 Die Feste dienten nur als Ablenkungsmanöver von der Tatsache, dass das Volk in einen Zustand der Sklaverei zurückgeführt werde: „Employer, pour retenir le peuple dans l’esclavage, tantôt la voix des fêtes et des spectacles, tantôt celle de la violence et de la cruauté; le distraire du sentimens de ses maux, en le conduisant à des conquêtes brillantes.“1675 Auch die anderen Instrumente der Symbolpolitik waren nach Meinung des Verfassers interessengeleitet und damit der öffentlichen Sache schädlich: Man umgebe sich mit ‚Schmeichlern‘, ziehe sich in einen ‚Palast‘ zurück, wenn man es für richtig halte, benutze schamlos das ‚Mittel der Eide‘ – um nur einige Elemente dieser neuen Form des „règne“ zu benennen. Es gebe daher

1671

„Peuple français! as-tu jamais été consulté dans la moindre des actions commises par tes délégués? Voudras-tu toujours te faire regarder, par l’univers entier, comme le complice des scélérats qui, muni de ta confiance, en ont abusé au point de te museler, pour que tu ne puisse t’opposer à ce que tes sentimens improuvoient? Verras-tu de sangfroid les arlequinades ensanglantées des mannequins qui se sont emparés des rênes du gouvernement? assisteras-tu à une fête qui n’est que la triste preuve d’un abus de pouvoir, et l’approuveras-tu par ta présence? Loin de moi une idée aussi odieuse!“ Ebd., S. 6. 1672 Ebd., S. 8. 1673 „Lenormand, Lemarchand-Gomicourt, Camille-Jordan, redemandoient les cloches, soutenoient les prêtres [...]. Quoi c’est conspirer que de se déclarer les amis, les défenseurs de la religion de nos pères? [...] Votre fanatisme philantropique n’est il pas plus révoltant?“ Ebd., S. 9f. Vgl. auch Kapitel 3.3.2. 1674 Vgl. ebd., S. 23f. 1675 Ebd., S. 25.

4.2 Das Verdikt der Presse

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am Jahrestag des Staatsstreiches nichts zu feiern.1676 Nicht einmal Nero oder Tiberius hätten solche Grausamkeit an den Tag gelegt.1677 Auch die Herrschaft der Direktoren sei endlich; das französische Volk werde dieses Unrecht nicht mehr lange erdulden und den Tyrannen dasselbe Ende bereiten, welches einst Robespierre ereilt habe: „Directeurs, il est un terme pour le crime comme pour le succès: le 9 thermidor fit justice de Robespierre; il trouva l’échafaud au lieu du trône qu’il ambitionnoit. Le même sort vous attend.“1678 Ein Lied fasste im Anschluss an diese Abrechnung die Essenz der Vorwürfe zusammen und sollte wohl der leichteren Verbreitung der geäußerten Ideen dienen: A nos magistrats suprêmes, sur la prétendue descente en Angleterre. AIR: Femmes voulez-vous éprouver En ballon vous passez les mer, J’admire votre politique; On croit déjà voir dans les airs S’envoler votre République. [...] II. Ce guerrier [Bonaparte] vaut son pesant d’or, En France personne n’en doute. Mais il vaudroit bien plus encor, S’il valoit tout ce qu’il nous coûte. [...] IV. Philouse marche sur les eaux Comme autrefois Simon Barjone; Les Dieux ont perdu leur carreaux; C’est le Directoire qui tonne. Messieurs, pacifiez les mers, Mais laissez Georges sur le trône: Donnez la paix à l’Univers Et qu’ensuite Dieu vous pardonne.

1676

„Le 18 Fructidor, la France se trouve sans représentation, la capitale est hérissée de canons, les coins des rues sont salis par des palcards, la stupeur s’empare de tous les habitans, et chacun se croità sa dernière heure. Ce qui restoit de députés libres court à son poste; il est barré par des bayonettes: les partisans de la tyrannie se réunissent, les uns à Odéon, les autres à l’Ecole de médecine, où ils attendent, en esclaves, les ordres du triumvirat.“ Ebd., S. 27. 1677 Vgl. ebd., S. 38. 1678 Ebd., S. 44.

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4. Gegenmacht als Erfahrung

Trotz der unterschiedlichen politischen Haltungen kritisierten beide oppositionellen Lager den Hang der Direktoren zur Verschwendung und Selbstdarstellung; beide beriefen sich auf die Verfassung als zu bewahrende Größe. Während jedoch das Journal des hommes libres stärker von den Belangen des Volkes her argumentierte, ging die Polemik der Rechten wesentlich weiter und bezichtigte das Direktorialregime der Errichtung einer neuen Willkürherrschaft. Weit weniger polemisch, aber dennoch auch in politischer Hinsicht interessant, erscheint das Gemälde La Marche incroyable von Boilly.1679 Es kommentiert indirekt die Idee der Prozessionen oder der Umzüge im republikanischen Festkult. Die vorbildliche Ordnung der Gesellschaft war in der Republik dauerhaft Thema politischer Auseinandersetzungen gewesen. Vor 1795 waren die Sansculotten, die sich freilich stark über ihre politische Aktivität definierten, die prominentesten Repräsentanten der ‚neuen Gesellschaft‘. Nach 1795 erfolgte ein entscheidender Bruch: Eine Reihe von neuen gesellschaftlichen ‚Typen‘, die bisher im Hintergrund gestanden hatten, eroberte die Straßen und Plätze. Der Maler Louis-Léopold Boilly hat sie in seinen Werken in Öl gebannt; er war ein scharfer Beobachter und Dokumentar des gesellschaftlichen Wandels seiner Zeit. Das Gemälde La Marche Incroyable wurde auch als Druck popularisiert. Es zeigt eine Prozession skurriler Typen in scheinbar willkürlicher Anordnung: Standesgrenzen spielen in dieser Darstellung keine Rolle, sondern ästhetische Vorlieben, politische Überzeugungen oder ökonomisches Kapital.1680 Boillys fiktive Parade wird angeführt von einem Soldaten, dem ein Sansculottenpaar folgt, eine Gruppe Neureicher, Spekulanten mit den von ihnen Betrogenen sowie am Ende eine Gruppe alter Rentenempfänger und ein Verkäufer. Boilly verwendete für die Komposition Figuren aus seinen vorangegangenen Werken: In der ‚Unglaublichen Parade‘ wurden sie zu einem Ensemble verschiedener gesellschaftlicher Gruppen zusammengefügt, die die Revolution hervorgebracht hatte. Im Hintergrund der merkwürdigen Prozession gerät die elegante Kutsche eines Neureichen außer Kontrolle: Die aufgewirbelten Staubwolken überschatten das Miteinander der Personen im Bildvordergrund; die Stabilität der neuen sozialen Ordnung erscheint ungewiss und gefährdet – das Gemälde enthüllt seine satirischen Nebentöne.

1679

Vgl. Boilly, Louis-Léopold: La Marche incroyable, Öl auf Leinwand (Collection privée, abgebildet in: SIEGFRIED, Susan L.: The Art of Louis-Léopold Boilly: Modern Life in Napoleonic France, Yale 1995, S. 75). 1680 Vgl. dazu ebd., S. 75ff., auch zum Folgenden.

4.2 Das Verdikt der Presse

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Kritik an religiösen Ersatzkulten und -zeremonien Auch die Versuche, die Idee der institutions républicaines zu einer Art religiösem Ersatzkult weiterzuentwickeln, wurden heftig kritisiert. Die letzte Ausgabe des Accusateur public erschien am 21. November 1798, nach dem Staatsstreich des 18. Fructidor, infolgedessen Richer-Serisy zur Deportation verurteilt worden war. Der Journalist rechnet umfassend mit der Politik der Direktoren ab, die er bereits im Vorwort als ‚Tyrannen‘ und ‚Monster‘ bezeichnet.1681 Er warf La Revellière vor, dem Volk seine alte Religion mit Gewalt vorenthalten zu haben. Die Versuche der Durchsetzung eines neuen Kultes werden aufgrund ihrer Tendenz zu ‚Vernichtung‘ und ‚Atheismus‘ als unmenschlich und irrational bezeichnet. [...] dis-moi, malheureux Lépaux […] si dans la théologie philantropique, je dois chercher tes lumières et ton génie ? Si du moins, apôtre de l’anéantissement, grotesque pontife de l’athéisme, en privant avec violence ce peuple infortuné de son ancien culte et d’une religion qui lui commandoit de te pardonner, tu avais su, au défaut d’une raison supérieure, tirer d’une imagination brillante des prestiges des riantes féeries pour endormir un moment ses douleurs.

Der neue Kult hingegen sei eine ‚heitere Märchenwelt‘, die die Franzosen allenfalls kurzfristig ablenken könne, aber auf Dauer wurzel- und seelenlos bleibe: [...] tu présentes à ce peuple un culte sans racines, dépouillé d’espérances et de craintes; tu ignores que la religion de sens doit s’unir à la religion de l’ame; qu’un culte personnel est mieux adapté à la foible intelligence de la nature humaine, que l’idée seule de la divinité est à la fois trop grande et trop abstraite pour le vulgaire, qui n’étant point accoutumé aux spéculations, a besoin de quelque chose de sensible et d’apparent pour fixer son attention. L’habile Mahomet, en fondant comme toi son culte avec le sabre, savoit au moins, par les espérances d’une autre vie, enchanter tous les sens; tu ignores que la piété des peuples est même la sauve-garde des tyrans tels que toi [...].1682

Zwar habe der Direktor vorgeblich ‚das Höchste Wesen‘ proklamiert, doch alle seine Handlungen belegten, dass er nicht an die Existenz dieses Wesens glaube, wodurch seine Theologie im Zustand einer ‚zauberhaften Mythologie‘ („mythologie enchanteresse“) verharre. 1681

Accusateur public n° XXXV: L’an VII, 1er Frimaire (21. November 1798). Diese Ausgabe verfasste der Autor nach seiner Flucht vor der Deportation in Bordeaux. Vor allem in der Außenpolitik unterstellt der Journalist Anmaßung, Verbrechen und Unfähigkeit. 1682 Ebd., S. 84f.

500

4. Gegenmacht als Erfahrung

Dennoch bescheinigt ausgerechnet diese Kampfschrift am Ende des Jahres 1797 der Symbolpolitik der Thermidorianer und des Ersten Direktoriums einen gewissen Erfolg: Trotz aller Verfassungsverletzungen, trotz aller Beschneidung der Demokratie zugunsten eines Scheinparlamentarismus,1683 so Richer-Serisy, übertreffe das Direktorium frühere Tyrannen wie Caligula und Sulla durch den Eindruck, den es auf das Volk mache; Spiele, Vergnügen und Feste hätten die Jugend korrumpiert.1684 Verführung und Gewalt hätten dazu geführt, dass sich das Volk von den öffentlichen Dingen abwende. Neben solchen inhaltlichen Auseinandersetzungen zirkulierten druckgraphische Blätter, die die verschiedenen Ansätze zur Errichtung eines republikanischen Ersatzkultes ins Lächerliche zogen. Die Zeremonie der Dekadenfeiern wurde als steril und langweilig karikiert: Die Darstellung L’ennui des prêches civiques zeigt ein gelangweiltes Publikum, welches durch den engagierten Redner auf der Kanzel kaum begeistert werden kann.1685 Am linken Bildrand und in der ersten Stuhlreihe schlafen die meisten Anwesenden; ein Paar in der Bildmitte scheint eher mit sich selbst beschäftigt als mit republikanischer Gewissenserforschung. Ein Perrückenträger dreht dem Redner sogar demonstrativ den Rücken zu und gähnt den Betrachter des Bildes unverhohlen an. Allein einige Veteranen und einfache Leute aus dem Volk (erkennbar am langen Beinkleid) folgen den Ausführungen. Ein Nationalgardist am rechten Bildrand nutzt den Moment zur Entspannung und nimmt einen Schluck aus einer Weinflasche. Besonders La Revellière geriet als Förderer des Kultes der Theophilanthropie und der Idee einer religion civile immer wieder in den Fokus der Kritik. Er wurde als ‚Papst der Theophilanthropen‘ (Abb. 40) und neuer ‚Mohamed‘ (Abb. 42) denunziert. Der 18. Fructidor V (4. September 1797) bescherte dem Direktor laut Aussage des Blattes Mahomet1683

„Et voilà ce qu’ils appelleront la constitution! C’est que des fripons ou des imbécilles qui se croient républicains de la meilleure foi du monde, regarderont comme telle, parce qu’ils verront deux conseils squelettes, de prétendues élections, et chaque année de honteuse mascarades sous le nom d’assemblées primaires. Mais ne sont-elles pas connues les formes qui ne changent rien à rien, et qui font tout supporter?“ Ebd., S. 25f. 1684 Vgl. ebd., S. 26f. 1685 Vgl. den Namen des Blattes so bei Vovelle: [Non-identifié]: L’ennui des prêches civiques, gravure (Paris, BnF, abgebildet in: VOVELLE: La Révolution française. Images et récit, Bd. 5, S. 195); vermutlich handelt es sich um folgende in der BnF als Scène humoristique verzeichnete Radierung: [Non-identifié]: [Culte théophilantropique], eauforte, 8 × 11,5 cm, [Paris? ca. 1797] (Paris, BnF, Coll. Histoire de France, Qb1 179704-28, M103689).

4.2 Das Verdikt der Presse

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Abb. 42: Mahomet-Théophilanthrope, gravure à l’eau-forte et au pointillé, 9 × 6 cm, Extr. de: Etrennes aux amis du dix-huit, ou Almanach pour l’an de grâce mil sept cent quatre vingt dix huit, Paris 1798.

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4. Gegenmacht als Erfahrung

Theophilantrope den Höhepunkt seiner Macht: Er balanciert erhobenen Hauptes auf dem Rad des republikanischen Kalenders, direkt über dem Monat ‚Fructidor‘. Seine gestürzten Kollegen sind nur noch über den zu Boden gefallenen und mit Federn geschmückten Hut ihrer Amtstracht zu identifizieren; die parlamentarischen Räte werden als geschichtete Holzkeile oder Ährengarbe am rechten und linken Bildrand dargestellt. Die zentrale Aussage des Blattes bezieht sich jedoch auf den neuen ‚Mohamed‘ selbst: Ihm wird die Errichtung einer Tyrannei vorgeworfen (siehe den Schriftzug auf dem Balken in seiner linken Hand), die zwischen revolutionärer Erfahrung und monarchischer Tradition schwanke: Eine Jakobinermütze und eine Krone visualisieren die beiden Ordnungsmodelle, aus denen der vermeintliche Usurpator Inspiration für seine Herrschaft bezieht. Auch weniger polemische Blätter erklärten La Revellière indirekt zum entscheidenden Drahtzieher des Staatsstreiches, wenn er in der Mitte der neuen republikanischen ‚Dreifaltigkeit‘ (bestehend aus den drei Direktoren Barras, Reubell und La Revellière) abgebildet wurde.1686 Pamphlete kommentieren in satirischer Form das religiöse Engagement des Direktors.1687 Die analysierten Beispiele belegen exemplarisch, wie sich zwischen 1794 und 1799 die ‚öffentliche Meinung‘ als eine Art vierte Gewalt artikulierte und eine Gegenmacht zu den staatlichen Institutionen bildete. Der Staatsstreich vom 18. Fructidor sollte die Publikationstätigkeit der oppositionellen Presse zwar stark erschweren, brachte diese aber keineswegs zum Verstummen; im Zweifelsfall wurde auf dem Umweg über das Ausland veröffentlicht. Symbolische Politik wurde jedoch außerhalb des Parlaments keineswegs nur reaktiv und in Auseinandersetzung mit einer offiziell betriebenen Geschichts- und Deutungskultur betrieben. Im Gegenteil ist davon auszugehen, dass symbolisch-expressiven Formen auch unbewusst eine entscheidende Funktion im Prozess der Identitätsbildung politischer Gruppen zukam. Der Überprüfung dieser These widmet sich – unter anderem – das folgende Kapitel.

1686

Der Direktor ist an Frisur und Körperhaltung erkennbar: vgl. [Non-identifié]: La Trinité républicaine. 1687 [Anonym]: Dispute du diable. Entre monsieur Dimanche, la citoyenne Décade, le Curé de la paroisse des Innocens, le Curé des Théophilantropes. – Réconciliation de la Décade avec le Dimanche, signé Artaoth, traduit de l’Hébreu par Isaac-Nathan, se distribue rue des Prêtres-Severin, n° 169, de l’imprimerie de la rue du Four-Honoré, n° 117, o. O. o. J.

4.3 Die ‚Macht‘ der Kleider

4.3 Die ‚Macht‘ der Kleider

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4.3 Die ‚Macht‘ der Kleider: Protest und Reaktion durch Stereotypisierung politischer Gruppen und Typen 4.3.1 Kleidung als politisches Kennzeichen: Das Bild des sansculotte Schon der Name ist symbolpolitisches Programm: Die sans-culottes, zu Deutsch ‚Ohne-Hosen‘, definierten sich über ihre Kleidung in Abgrenzung zur adeligen Kniebundhose (‚culotte‘). Zahlreiche Studien haben versucht, dem Phänomen auf den Grund zu gehen: Die Sozialstruktur der ‚Sansculotterie‘ beziehungsweise die Organisation und Konzeption der aus ihr hervorgehenden sozialen Bewegung wurden bis in die 1980er Jahre hinein kontrovers diskutiert.1688 Soboul beschrieb sie als aus dem Volk stammende Aktivisten, gleichzeitig Hervorbringer und Profiteure einer neuen politischen Kultur, die sich, beeinflusst von Schriftstellern und Philosophen wie Rousseau, für eine radikale Demokratie einsetzten; Cobb hielt demgegenüber die Rolle, die Ideen und Ideologien für den Aufstieg der sans-culottes gespielt hätten, für vernachlässigenswert. De facto prägten sie die Politik der Hauptstadt und damit auch der gesamten Revolution maßgeblich mit: Sie regierten Paris im Einklang mit dem Konvent vom Sommer 1793 bis zum Sturz Héberts. An dieser Stelle soll es jedoch weniger um die Nachzeichnung der Debatten über den politischen und sozialen Charakter der Bewegung gehen. Stärker als bislang geschehen, soll die symbolischpolitische Dimension des Phänomens herausgearbeitet werden – ausgehend von den Fragen, wie die Sansculotten über Sprache, Bilder und andere Repräsentationsformen von den Zeitgenossen dargestellt und wahrgenommen wurden und welche politische Wirkung dies in verschiedenen Kontexten

1688

Einen Überblick über die Debatte liefert HIGONNET, Patrice: Art. ‚Sans-culottes‘, in: FURET/OZOUF: Kritisches Wörterbuch, Bd. 1, S. 650–659. Dazu vgl. SOBOUL, Albert: Les Sans-Culottes parisiens en l’an II. Histoire politique et histoire sociale des sections de Paris, 2 juin 1793–9 thermidor an II, La Roche-sur-Yon 1958; ders.: Les sansculottes parisiens en l’an II. Mouvement populaire et gouvernement révolutionnaire (1793–1794), 3. Aufl., Paris 1979 [überarbeitete Neuauflage der Ausgabe von 1958]; ANDREWS, Richard Mowery: Social Structure, Political Elites and Ideology in Revolutionary Paris, 1792–1793: A Critical Evaluation of Albert Soboul’s ‚Les Sans-Culottes parisiens en l’an II‘, in: Journal of Social History 19 (1985), S. 71–112; COBB, Richard: The Police and the People; ROSE, R. B.: The Making of the Sans-culottes: Democratic Ideas and Institutions in Paris, 1789–1792, Manchester 1983.

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4. Gegenmacht als Erfahrung

hatte.1689 Von einflussreichen politischen Akteuren der frühen Republik entwickelte sich die Gruppierung zunächst zu einem Symbol für ein bestimmtes Modell der Herrschaftsausübung: dasjenige der direkten Demokratie. Nach der Entmachtung der Volksbewegung wurde ihre symbolische Bedeutung auffälligerweise sogar nochmals gesteigert – nun allerdings unter umgekehrten Vorzeichen: Die sansculotterie galt fortan als unkontrollierbarer Pöbel, der mit dem Repräsentationsprinzip auch die Idee der Volkssouveränität selbst in Frage gestellt habe. Erst nach dem 9. Thermidor II (27. Juli 1794) sollte sich ‚das‘ Bild ‚des‘ Sansculotten verfestigen – einhergehend mit dem endgültigen Verlust von politischem Einfluss. Wenn die Emblematisierung für diesen Bedeutungsverlust auch sicherlich nicht verantwortlich gemacht werden kann, so sollte sie dennoch dazu beitragen, diesen unumkehrbar zu verstetigen. Im kollektiven Gedächtnis ist der Sansculotte vor allem über seine Kleidung präsent. Die Kleiderordnung der Ständegesellschaft war von der Revolution abgeschafft worden; sie schien nicht mehr zeitgemäß für eine Gesellschaft, die sich durch Transparenz, republikanische Schlichtheit und Diskursivität auszeichnen sollte. Die Trägerschichten der Volksbewegung distanzierten sich in bewusster Abgrenzung vom Ancien Régime von jeglicher Kleidungsvorschrift.1690 Ihr ‚Kostüm‘ bestand aus langer Hose und kurzer Weste (carmagnole) – festgehalten unter anderem in dem Gemälde von Boilly,1691 für das wohl der Schauspieler und Sänger Chénard Modell stand, der 1793 im Konvent und auf der Place Louis XV die Marseillaise zum Besten gegeben hatte.1692 Selbstbewusst präsentiert er die Farben der Revolution und bekennt sich zur Parole der radikalen Republik: ‚Freiheit oder Tod‘.1693 Ähnliche Bilder des ‚idealen‘ Sansculotten wurden seit 1792 bereits über Schriften verbreitet. Vor allem Hébert prägte in seinem Père Du1689

Ähnliche Fragen stellte bislang nur WRIGLEY, Richard: The Formation and Currency of a Vestimentary Stereotype: The Sans-culotte in Revolutionary France, in: PARKINS: Fashioning the Body Politic, S. 19–47. 1690 Zum Ancien Régime vgl. ROCHE, Daniel: The Culture of Clothing: Dress and Fashion in the Ancien Regime, Cambridge u. a. 1994 [frz. Original: La Culture des apparences, Paris 1989]. 1691 Vgl. Boilly, Louis-Léopold: Le chanteur Chénard en costume de sans-culotte, Öl auf Leinwand, 22 × 34 cm, Paris 1792 (Paris, Musée Carnavalet, Inv.-Nr. P. 8, abgebildet in: Ausst.Kat. SPEKTAKEL DER MACHT, Kat.Nr. V. 36, S. 238 und Abb. 55, S. 220). 1692 Vgl. Moisset, Ch., in: DICTIONNAIRE DE BIOGRAPHIE FRANÇAISE, hrsg. von Michel PRÉVOST, Bd. 8, Paris 1959, S. 223–226, zitiert nach: WRIGLEY: The Formation and Currency of a Vestimentary Stereotype, S. 45, Anm. 41. 1693 Durch die Wahl der Perspektive und des Hintergrundes gelingt es Boilly zudem, die Idee der städtisch geprägten Volksbewegung mit dem ländlichen Frankreich in Einklang zu bringen.

4.3 Die ‚Macht‘ der Kleider

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chesne den Typus des aufrechten Manns aus dem Volke: Einerseits guter Vater und Ehemann, sei der Sansculotte, so Hébert, gleichzeitig ein ausgewiesener Handwerker und politisch engagierter Sektionär. Den Perücken der Adeligen setzte er seine glatten Haare entgegen, statt Hut trug er eine rote Wollmütze, statt Kniebundhose bevorzugte er lange, gestreifte Hosen; anstelle von feinen Lederschuhen trug er einfache Holzschuhe; die Pike war sein Emblem, die Kanone Zeichen des gemeinsamen Kampfes und des Siegs über die Monarchie.1694 Diese Propagierung eines Idealtypus beabsichtigte die Aufwertung der gesamten Trägerschicht.1695 In den ersten Jahren der Revolution war der Begriff ‚sans-culotte‘ noch ausschließlich negativ konnotiert gewesen: Die royalistische Presse benutzte ihn zur Bezeichnung der ‚zerlumpten‘ Horde von Männern aus dem Volk, die um das Palais Royal herumlungerten und Kontakt zu den Abgeordneten der Linken pflegten.1696 Die Formulierung trat an die Stelle dessen, was man ehemals als ‚canaille‘ bezeichnet hatte. Erst nach und nach, vor allem im Zuge der für die Revolution so typischen bipolaren Zuspitzung der kollektiven Identitäten in Richtung ‚aristocratie‘ versus ‚peuple‘, wurde der Begriff positiv aufgeladen und immer stärker mit ‚dem Volk an sich‘ in Verbindung gebracht. Soziale und politische Definitionen ‚des‘ Sansculotten kursierten ab 1792 nebeneinander: Definierte die Gironde die Sektionäre stärker nach ihrer Herkunft und Profession (meist einfache Handwerker), so benutzten Robespierre und die Montagnards den Begriff als politische Bezeichnung für die Aktivisten im Machtkampf um die revolutionäre Sache. Die Ausweitung des Bedeutungsspektrums auf die ‚Masse des Volkes‘ in der Hauptstadt sowie die unterschiedlichen Ansichten darüber, welche politische Rolle diese in der Zukunft spielen sollte, gewann in der Auseinandersetzung des Jahres 1793 an Bedeutung – in dem Moment, in dem die Volksbewegung de facto die politische Gestaltungsmacht übernahm. Zur Einordnung der symbolischen Bedeutung des Phänomens erscheint eine kurze Kontextualisierung notwendig. Infolge des gewaltsamen Sturzes der Monarchie war ein politisches Vakuum entstanden,

1694

Vgl. diese Zusammenfassung bei MAZAURIC, Claude: Art. Sans-culottes/Sans-culotterie/Sans-culottisme, in: SOBOUL: Dictionnaire, S. 957–964, S. 957. 1695 Das Bild von Boilly wurde – neben anderen – auch als Druck verbreitet, vgl. u. a. Copia, Jacques-Louis, nach Louis-Léopold Boilly: Le porte Drapeau de la Fête Civique (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 12474 und 12475). 1696 Vgl. u. a. Le Journal de la Cour et de la Ville („Le Petit-Gautier“) 1791, zitiert nach MAZAURIC: Art. Sans-culottes, S. 957. Vgl. dort auch zum Folgenden.

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4. Gegenmacht als Erfahrung

das der Konvent erst nach und nach füllen konnte.1697 Die Bedrohung durch den inneren und äußeren Krieg hatte Anfang des Jahres 1793 die angesichts der schlechten Wirtschaftslage ohnehin schon bestehende Unruhe im Volk noch weiter gesteigert; die Organisatoren der Volksbewegung intensivierten infolgedessen ihre Aktivitäten. Ihre Forderungen lauteten: Beschlagnahmungen, Einführung von festen Höchstpreisen und Lenkung der Geldwirtschaft. Zu Anfang weigerten sich die Abgeordneten des revolutionären Konvents noch einmütig, dem Druck der Straße nachzugeben. Sowohl die Bergpartei (Montagne) als auch die Gironde befürworteten die wirtschaftliche Freiheit. Es kam zu einer vergleichsweise unkontrollierten Gesetzgebung, gerechtfertigt vor dem Hintergrund der allgemeinen Notstandssituation; ein Sondergericht und revolutionäre Überwachungsausschüsse wurden ins Leben gerufen und ein Wohlfahrtsausschuss mit der Überwachung der Staatsverwaltung betraut. Unter dem anhaltenden Druck der Straße, gestützt durch die Propaganda der sogenannten Enragés um Jacques Roux, rang sich der Konvent schließlich zu wirtschafts- und sozialpolitischen Zugeständnissen durch (Verschärfung der Emigrantengesetze, Einführung des Zwangskurses für die Assignaten, Maximum für Korn und Mehl, Zwangsanleihe von einer Milliarde bei den ‚Reichen‘) – was die Unruhen jedoch nicht beenden sollte. Erneut bedrohten die Sansculotten Anfang Juni 1793 (31. Mai bis 2. Juni) den Konvent und setzten die Entmachtung der Girondisten, die gegen die Notstandsgesetze und weiterreichende Zugeständnisse gestimmt hatten, durch (häufig bezeichnet als sogenannte ‚dritte Revolution‘). In der revolutionären Versammlung dominierte daraufhin die Montagne, die auch im Besitz der entscheidenden Positionen in den Ausschüssen mit Regierungsgewalt war. Die Krise dauerte den Sommer über weiter an und spitzte sich durch schlechte Nachrichten von der inneren und äußeren Kriegsfront zu. Die Forderungen von Seiten der Straße gewannen nun stärker politischen Charakter.1698 Erst nach einem weiteren großen Aufstand der Sansculotten gelang es den Montagnards im September 1793, die Handlungsmacht durch eine Reihe von systematisch-institutionalisierten Maßnahmen im Namen von Tugend und Terror zurückzuerobern.1699 Die 1697

Vgl. FURET/RICHET: Die Französische Revolution. S. 204–331. Dort auch zum Folgenden. 1698 Ausschluss der Adeligen von allen Ämtern in Verwaltung und Armee, Verhaftung und Bestrafung aller Verdächtigen, Aushebung eines ‚Großes Aufgebotes‘ an Soldaten, Errichtung einer Revolutionsarmee zur Sicherung der Lebensmittelversorgung. Vgl. ebd. 1699 Vgl. GUENIFFEY, Patrice: La politique de la Terreur. Essai sur la violence révolutionnaire, Paris 2000; einen kurzen Überblick gibt THAMER: Die Französische Revolution, S. 80–85.

4.3 Die ‚Macht‘ der Kleider

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Dynamik der Volksbewegung war gebrochen. Als Zugeständnis wurden Collot d’Herbois und Billaud-Varenne, die die Sansculottenbewegung unterstützt hatten, in den Wohlfahrtsausschuss gewählt. Aus den Mitgliedern der Bewegung wurde eine ‚Revolutionsarmee‘ (Armée révolutionnaire) gebildet; Teilnehmer der Sektionsversammlungen erhielten fortan Geldleistungen für den ihnen entstehenden Verdienstausfall. Ende September wurde schließlich das ‚Allgemeine Maximum‘ (Maximum général oder ‚großes‘ Maximum) der Preise und Löhne erlassen. Als kollektiver Akteur manifestierte sich die Volksbewegung im öffentlichen Raum besonders aufgrund ihres hohen symbolischen Integrationswertes. Ähnliche Kleidung, eine gemeinsame Sprache und gemeinsame Praktiken einten sie nach innen und stärkten ihr Gruppengefühl gegenüber Dritten. Selbstverständlich hatten gemeinsame inhaltliche Zielsetzungen, wie der Streit um die Durchsetzung der Preisbindung für Brot, ebenfalls eine stark integrative Wirkung.1700 Doch in der Erfahrungswelt der Zeitgenossen wurden die Sansculotten von Beginn an als ‚kulturelles‘ Phänomen wahrgenommen, und ihre symbolische Dimension stand auch im Fokus vieler Auseinandersetzungen um die Rechtmäßigkeit oder Unangemessenheit ihrer Forderungen. Es war besonders ihre Kleidung, die im politischen Diskurs der Republik von den einen zum Ausdruck ihrer Stärke stilisiert, von anderen als Aufhänger für Spott und Kritik genutzt wurde. Über ihre äußere Erscheinung und ihre gemeinsamen Aktionen anlässlich der journées des Jahres 1793 wurden die Aufständischen als ‚Bewegung‘ erkennbar – und für weite Teile des bürgerlichen Lagers zur leibhaftigen Verkörperung eines Alptraums.1701 So erklärt es sich auch, dass im bürgerlich dominierten Jakobinerklub große Vorbehalte gegen eine Verbrüderung mit der Straße vorherrschten. Noch im Juli 1793 publizierte La Chronique de Paris ein chanson mit dem Titel „Conseil aux sans-culottes“, das von den Auseinandersetzungen um die ‚richtige‘ Gangart der Revolution zeugt. Wortspiele über die Kleidung werden benutzt, um dem Volk den politisch gewünschten Weg zu weisen: Man solle die Hosen wieder anziehen und sich von den begangenen Ausschreitungen distanzieren. Der Idealtypus des französischen Volkes wird im Kontrast zu den ‚Ohnehosen‘ entworfen:

1700 1701

Vgl. MAZAURIC: Art. Sans-culottes, S. 961. „Il faut raccourcir les géants /Et rendre les petits plus grands / Toute à la vraie hauteur / Voilà le vrai bonheur“. Solche Liedtexte versetzten die Bürgerlichen in Schrecken. Zitiert nach: Ebd.

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4. Gegenmacht als Erfahrung

Rhabillez-vous peuple françois, Ne donnez plus dans les excès De nos faux patriotes; Ne croyez plus que d’être nu Soit une preuve de vertu; Remettez vos culottes. Distinguez donc l’homme de bien Du paresseux et du vaurien, Et des faux patriotes. Peuple honnête et laborieux, Ne vous déguisez plus en gueux; Remettez vos culottes.

Ne jugez jamais par l’habit Du sot ou de l’homme d’esprit, Ni de bons patriotes. Bourgeois, rentiers, richards, marchands, Feroient périr mille artisants [sic] S’ils alloient sans culottes. N’imitez plus, il est temps, Ces populaires charlatans Pillant les patriotes. Dieu fit l’industrie et les mains Pour faire vivre les humains Et gagner des culottes.

De l’homme soutenez les droits, Mais sans désobéir aux loix, Soyez bon patriotes. Concitoyens, sans vous fâcher, Cachez ce que l’on doit cacher: Remettez vos culottes.1702

Die Zeitung stand den Girondisten nahe und dokumentierte mit dieser Veröffentlichung auch die innere Zerrissenheit des Jakobinerklubs im Sommer 1793.1703 Bei dem Lied handelte sich um eine neue Textfassung zur alten Melodie „On doit soixante mille francs“.1704 1790 hatten zu dieser Melodie Revolutionsgegner die Nationalgarde und ihre Anführer angegriffen – allein schon in dieser Hinsicht bedeutete die Aktualisierung einen Affront gegenüber den Sansculotten und ihren Unterstützern. Der Konflikt wurde im Medium des Liedes keineswegs aufgehoben, sondern verschärft. So unterscheidet der Autor ausdrücklich zwischen einem ‚guten‘ und ‚schlechten‘ Volk, zwischen „faux patriotes“ und „bons patriotes“, zwischen einem „Peuple honnête et laborieux“ und den „populaires charlatans“ – zu denen offensichtlich die Aktivisten der Volksbewegung gezählt werden. Letzteren wird gedroht, während das Lied, welches sich ja direkt an die Masse der Sansculotten richtete, diese zur Achtung der Gesetze aufruft. Die heruntergelassene 1702

Despréaux: Conseils aux sans-culottes, air: „On doit soixante mille francs“, in: La Chronique de Paris, juillet 1793, zitiert nach: DAMADE, Louis: Histoire chantée de la première République, 1789–1799, Paris 1892, abgedruckt in: MARTY: Dictionnaire des chansons, S. 162, n° 5 (1793). 1703 Vgl. MARTY: Dictionnaire des chansons, S. 303. Die Chronique de Paris, gegündet von Millin und Noël, erschien vom 24. August 1789 bis zum 25. August 1793. 1704 Vgl. ebd., S. 162. Dort auch zum Folgenden.

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oder auch wieder angezogene Hose wird als zweideutige Metapher eingesetzt.1705 Im Zuge der Politisierung der Sansculotten hatte bis zum Sommer 1793 bereits ein erster symbolischer Umdeutungsprozess stattgefunden. Ihr ‚Kostüm‘ bestand bereits vor der Revolution, weshalb Geffroy argumentiert, dass 1792 die Kleidung infolge der semantischen Aufwertung des einfachen Volkes zu einem Symbol werden sollte – und nicht umgekehrt das Volk aufgrund seiner Kleidung.1706 Die Tatsache, dass bereits vor 1792 bestimmte Konventionen existiert hätten, typische Volksvertreter darzustellen, hätte letztlich die Verfestigung des Sansculotten zu einem paradigmatischen Typus begünstigt, wenn nicht gar erst ermöglicht. Zu einem Medium politischer Identitätsbildung wurde die Kleidung erst in einem zweiten Schritt.1707 Wrigley geht davon aus, dass es besonders die Momente der politischen Krise waren, die zu einer „emblematization of ordinary dress“ führten, was er am Beispiel des 20. Juni 1792 illustriert: „For example, the events surrounding the invasion of the Tuileries on 20 June 1792 – a key moment in the radicalization of revolutionary politics – in fact see dress being representend in manifold emblematic ways.“1708 Zwar sei das bemerkenswerteste Kleidungsstück, das dieser Tag zum Symbol erhoben habe, die Jakobinermütze, die Ludwig XVI. aufsetzen musste. Zahlreiche Abbildungen dokumentierten diese Szene und legitimierten darüber die Umkehrung des Krönungsrituals durch die Sansculotten (Abb. 43). Doch auch andere Kleidungsstücke, wie die lange Hose, sollten durch den Aufstand eine Bedeutungsverschiebung erfahren. Bereits einen Tag zuvor waren die Deputationen aus den Faubourgs Saint-Antoine und Saint-Marcel durch lange Hosen gegenüber den Abgeordneten aufgefallen: Die Hosen wurden zu einem politischen Symbol. Die Presse stilisierte den 1705

Die Chronique vermerkt beinahe schon sarkastisch, es gebe eigentlich nicht viel Anlass zu lachen in diesem Sommer 1793. Aber wenn schon die ganze Stadt singe, sollte man zumindest versuchen, einstimmig („à l’unisson“) die Stimme zu erheben – ein Wunsch, der jedoch keineswegs Realität werden sollte. Zitiert nach: Ebd. 1706 Vgl. GEFFROY, Annie: Désignation, denegation: la legende des sans-culottes (1780– 1980), in: CROISILLE, Christian, Jean EHRARD und Marie-Claude CHEMIN (Hrsg.): La Légende de la Révolution. Actes du colloque international de Clermont-Ferrand (juin 1986), Université de Blaise Pascal (Clermont II), Centre de Recherches Révolutionnaires et Romantiques, Clermont-Ferrand 1988, S. 581–593, S. 586; sowie im Anschluss an Geffroy WRIGLEY: The Formation, S. 20. 1707 Vgl. auch SONENSCHER, Michael: Sans-culottes. An Eighteenth-Century Emblem in the French Revolution, Princeton (N. J.) 2008; sowie jüngst auch: LINTON, Marissa: Choosing Terror. Virtue, Friendship, and Authenticity in the French Revolution, Oxford 2013. 1708 WRIGLEY: The Formation, S. 27. Dort auch zum Folgenden.

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Aufstand erstmals ausdrücklich zu einer „journée des sansculottes“1709: Damit war der Begriff mit einem kollektiven Akteur verbunden, der politische Ziele verfolgte. Diese Terminologie sollte sich nach dem zweiten Eindringen in die Tuilerien und dem endgültigen Bedeutungsverlust der Monarchie weiter erhärten: So benannte sich am 13. August 1792 die Sektion Jardin-des-Plantes in „Section des Sansculottes“ um.1710 Trotz einiger Bemühungen des gemäßigt republikanischen Lagers, die Bezeichnung ins Lächerliche zu ziehen, und trotz des Fortbestehens verschiedener Begriffsverständnisse nebeneinander (je nach politischer Einstellung) war damit der Weg zur ‚Nutzung‘ des Begriffs für öffentliche InstituAbb. 43: [Non-identifié]: Louis Seize, Roi tionen und politische Ziele geebnet. des Français, pointillé, col., 23,5 × 16 cm. Erst Ende 1793 wurde die Bezeichnung Gegenstand von offizieller Propaganda und Gesetzgebung. Dies war jedoch der Moment, in dem die Volksbewegung de facto ihre Schlagkraft verlor. Fabre d’Eglantine dichtete dem Begriff im Rahmen seines Berichtes zum republikanischen Kalender gallische Wurzeln an;1711 die Organisatoren des Festes der Vernunft ließen im Dezember 1793 erstmals eine Gruppe von Sansculotten im offiziellen Festzug auftreten;1712 und Mathieu 1709

Vgl. Révolutions de Paris n° 154, S. 554: „Les citoyens du faubourg St-Antoire et StMarcel chez le Roi, lui font une pétition, Louis 16 prend un bonnet rouge et le met sur sa tête en criant vive la Nation et buvant à la santé des sans-culottes.“ 1710 Vgl. WRIGLEY: The Formation, S. 44, Anm. 39, auch zum Folgenden. Dort auch der Hinweis, dass der ursprüngliche Name am 10. Ventôse III (8. Februar 1795) wieder angenommen wurde. 1711 Vgl. Fabre d’Eglantine: CN, Rapport dans la séance du 3 du second mois de la seconde année de la République française, au nom de la Commission chargée de la confection du calendrier, o. O. o. J. [24 octobre 1793]. 1712 Vgl. L’ordre de la marche de la fête qui aura lieu décadi prochain 10 nivôse, l’an 2e de la République une et indivisible, en mémoire des armées françaises, et notamment à l’occasion de la prise de Toulon, o. O. o. J., S. 1: „Le char de la Victoire, portant le

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widmete ihnen in seinem Entwurf eines republikanischen Festkalenders einen festen Platz als Namenspatron der ‚Ergänzungstage‘ am Jahresende (‚sans-culottides‘).1713 Die Kleidung hatte normativen Charakter gewonnen: Sie stand für ein bestimmtes, politisch gewolltes ‚Bild‘ des Volkes – und wurde zeitgleich auch verstärkt Objekt von Missbrauch, Kritik und Ablehnung. In Paris beispielsweise kleidete sich der ci-devant Marquis d’Audelot in der Weise des einfachen Volkes, was Verwunderung hervorrief: „[il] se promène en sans-culotte; il ne lui manque que le bonnet rouge pour que ceux qui ne conoissent pas le royaliste le prennent pour un patriote, qu’il ne sera jamais.“1714 Es häuften sich bereits im Frühjahr 1794 Beispiele einer satirischen, wenn nicht gar abwertenden Darstellung der ‚Hosenlosen‘. In der Druckgraphik finden sich nebeneinander Beispiele einer ‚légende blanche‘ und einer ‚légende noire‘: Entweder wurden die Sansculotten ins Lächerliche gezogen oder idealisiert dargestellt.1715 Nach dem Sturz Robespierres wurden nur noch abwertende Bilder in Umlauf gebracht, was auf eine gesteuerte Kampagne hindeutet: Die Sansculotten wurden fortan als schmutzige und grobe Typen visualisiert. Im gleichen Maße, wie in der Bevölkerung der Wunsch nach Abrechnung mit der Terreur laut wurde, stieg die Popularität der thermidorianischen Reaktion, die um Abgrenzung von den Jakobinern und deren Klientel bemüht war.1716 Es kursierten zahlreiche Visualisierungen der revolutionären Überwachungskomitees, welche die mit der Freiheitsmütze behüteten Sansculotten als grobschlächtige, ungebildete Typen denunzierten, die den braven Bürger durch Willkürjustiz terrorisiert hätten (Abb. 44).1717 In Anlehnung an ein faisceau national, surmonté de la statue de la Victoire“ war umringt von „50 Invalides et de 100 braves sans-culottes en bonnets rouges“. 1713 Die Bezeichnung „sans-culottides“ wurde im Thermidor wieder abgeschafft und durch die neutrale Bezeichnung „jours complémentaires“ ersetzt; vgl. WRIGLEY: The Formation, S. 44. 1714 Vgl. CARON, Pierre: Paris pendant la Terreur. Rapports des agents secrets du Ministre de l’Interieur, Bd. 2: 6 nivose an II–27 nivose an II (26 dec. 1793–16 janv. 1794), Paris 1914, S. 36: 7. Nivôse II (27. Dezember 1793). 1715 Vgl. zwei Bildbeispiele bei WRIGLEY: The Formation, S. 35f. 1716 Vgl. SCHMIDT/SCHRÖER: Ordre public und homme nouveau, S. 301–326. 1717 Abgesehen von Abb. 44 vgl. Boulet: L’Intérieur du comité révolutionnaire, Scène dernière, eau-forte, outils, roulette, 43 × 59,5 cm, Se vend à Paris chez le c.en Boulet, 1797 (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6485 sowie ebd., Coll. Hennin, 12055); bzw. [Non-identifié]: Intérieur d’un comité révolutionnaire (Paris, BnF, Coll. de l’Histoire de France, Inv. Qb1, 1794, M102764); [Non-identifié]: Comment a-t-il la dessus? – il y a vin d’Espagne. ah! soutiens encore que tu n’es pas en correspondance avec les Espagnols (Paris, BnF, Coll. de l’Histoire de France, Inv. Qb1, 1794, M102765); [Non-

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zeitgenössisches Theaterstück wurden die Ausschussmitglieder der Bereicherung (vgl. Kiste im Bildvordergrund sowie Münzen in der Hand des freilich bürgerlich gekleideten Mannes am rechten Bildrand) und des Machtmissbrauchs angeklagt.1718 Besonders die vormaligen ‚présidents‘1719 der comités révolutionnaires wurden Opfer von Spott und Kritik. Die Kleidung der Aktivisten wurde daraufhin im öffentlichen Diskurs mit Anarchie und Schrecken assoziiert und verlor in den folgenden Monaten jede Bedeutung für die Selbstdarstellung der Republik.1720 Im positiven wie im negativen Sinne wurde die Symbolik der Sansculotten im Frühjahr 1795 besonders mobilisiert, während des Pariser Volksaufstandes vom 1. bis zum 4. Prairial III (20. bis 23. Mai 1795).1721 Nachdem man im Dezember 1794 den Getreidehandel in der Republik wieder freigegeben hatte, war es zur verstärkten Spekulation mit lebensnotwendigen Nahrungsmitteln gekommen, woraufhin die Sansculotten aus den Pariser Vorstädten sich zunächst mit Petitionen an den Konvent gewandt hatten. Die vorgebrachten Forderungen waren jedoch nicht nur sozialer Natur: Neben einer Verbesserung der Lebensverhältnisse hofften viele Aktivisten auf die Inkraftsetzung der Verfassung von 1793. Am Morgen des 1. Prairial (20. Mai) kam es zum letzten großen

identifié]: Comité de l’an deuxieme, 1794 (Paris, BnF, Coll. de l’Histoire de France, Inv. Qb1, 1794, M102766); [Non-identifié]: Comité révolutionnaire sous la terreur (Paris, BnF, Coll. de l’Histoire de France, Inv. Qb1, 1794, M102901); [Non-identifié]: L’Intérieur du comité révolutionnaire (Paris, BnF, Coll. de l’Histoire de France, Inv. Qb1, 1794, M102310 und 102311). 1718 Vgl. Charles-Pierre Ducancel: L’Intérieur des comités révolutionnaires, ou les Aristides modernes, [Paris] 1796. Vgl. Hinweis bei KIEFER, Klaus: Die „Schmetterlinge“ der Revolution. Goethes „Recension einer Anzahl französischer satyrischer Kupferstiche“ 1797, http://www.goethezeitportal.de/wissen/illustrationen/johann-wolfgang-vongoethe/goethe-kupferstiche.html [22/08/13, 11.10h], [Nr. 12]. 1719 Vgl. [Non-identifié]: Président d’un Comité Révolutionnaire s’amusant de son Art, en attendant la levée d’un Scellé, gravure en pointillé, coloriée, 19 × 15,9 cm (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6488); [Non-identifié]: Président d’un Comité Révolutionnaire, après la levée d’un Scelé, gravure en pointillé, coloriée, 19,1 × 16 cm (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6489). 1720 Allegorien, die die neue Verfassung begleiteten, kamen z. T. ganz ohne die Freiheitsmütze aus, wie u. a. [Non-identifié]: Acte constitutionnel du peuple français (Paris, BnF, Coll. de l’Histoire de France, Inv. Qb1, 1794, M103021 und Coll. Hennin, Inv. 11593). 1721 Vgl. SCHMIDT/SCHRÖER: Ordre public und homme nouveau, S. 316f. Weitere Quellen zu dem Ereignis vgl. bei BRUNEL, Françoise und Sylvain GOUJON: Les martyrs de prairial. Textes et documents inédits, avant-propos de Bronislaw BACZKO, Genf 1992.

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Abb. 44: Huet, Jean-Baptiste: Comité de l’an deuxième, gravure au pointillé, eau-forte, col., 34,5 × 41,5 cm.

Aufstand der Volksbewegung:1722 In den Vorstädten Saint-Antoine und Saint-Marceau sowie im östlichen Zentrum von Paris läuteten die Glocken, um die Bevölkerung zum Sturm auf den Konvent aufzurufen. Die Demonstranten trugen die Losungen des Tages ‚Brot oder Tod‘ sowie ‚Brot und die Verfassung von 1793‘ auf ihren Jacken und Hüten; rund 20.000 gewaltbereite Sansculotten umlagerten schließlich den Konvent. Der Sturm des Sitzungssaales forderte ein Todesopfer: Dem Abgeordneten Féraud, wurde der Kopf abgeschnitten und sein Haupt anschließend auf einer Pike dem Sitzungspräsidenten Boissy d’Anglas entgegengehalten (Abb. 30)1723. Der Aufstand war ein neuerlicher Versuch, durch 1722

Vgl. REICHARDT, Rolf: Zwischen Satire und Heroisierung. Bildpublizistische Verarbeitung von Revolutionsniederlagen in Frankreich 1793–1871, in: CARL, Horst u. a. (Hrsg.): Kriegsniederlagen. Erfahrungen und Erinnerungen, Berlin 2004, S. 375–392, hier S. 376. 1723 Außerdem vgl. Helman, Isidore-Stanislas und Jean Duplessi-Bertaux, nach Charles Monnet: Journée du 1er Prairial de l’an IIIe , Ferraud. Representant du Peuple assassiné

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unmittelbare revolutionäre Aktion gegenüber dem Repräsentativorgan die Gestaltungsmacht zurückzugewinnen. Nur einige Mitglieder der Montagnards unterstützten die Menge. Gegen Mitternacht gelang es Einheiten der Nationalgarde, die Aufständischen in die Flucht zu schlagen. Zwei Tage später hatten die Regierungsgremien die Kontrolle zurückerobert; eine Armee aus Freiwilligen besetzte den Faubourg Saint-Antoine. Nach der endgültigen Kapitulation wurden 1.200 Personen verhaftet, und der Konvent erfuhr eine weitere politische Säuberung;1724 am 9. Thermidor (27. Juli) – dem Jahrestag der politischen Entmachtung Robespierres – wurden 36 Todesurteile ausgesprochen. Die letzten Volksgesellschaften wurden aufgelöst; die Sansculotten wurden entwaffnet und einkommensschwache Mitglieder aus der Nationalgarde ausgeschlossen.1725 Die Niederlage der Volksbewegung wurde von der thermidorianischen Presse in Text und Bild kommentiert. Viele Darstellungen setzten die Sansculotten mit den Jakobinern gleich. Im zeitgenössisch beliebten Vorher-Nachher-Schema zeigte beispielsweise eine Druckgraphik zwei ‚jacobins‘, am ersten und am vierten Prairial.1726 Die dargestellte Figur links im Bild ist über ihre Kleidung eindeutig als Sansculotte zu identifizieren. Mit selbstbewusster Geste weist der Aufständische auf seinen Hut, auf welchem die Losung „du pain et la constitution de 93“ geschrieben steht.1727 Drei Tage später jedoch nimmt er eine Verliererpose ein: Zwar trägt er noch seine Pike, doch weist diese mit ihrer Spitze nach unten. Das entblößte Haupt dokumentiert die Niederlage und den Verzicht auf die politischen Ziele des Aufstands; nun bittet der vormalige Rebell um Gnade. Die Bildunterschrift („Le jacobin du 1ier prairial – Le jacobin du 4ème prairial“) schließt die Jakobiner in die Kritik an der Volksbewegung mit ein; das Blatt entstand im Zuge einer Kampagne gegen die Klubmitglieder. Die Thermidorianer distanzierten sich mit solchen Bildern und Stereotypisierungen von ihren revolutionären Vorgängern und den ihnen vermeintlich nahestehenden Aktivisten: Die Idee des Sansculottismus als einem gelebten Bild vom Volk, wenn nicht

dans la Convention Nationale, eau-forte, burin, 36,5 × 47,5 cm (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6574). 1724 Vgl. BRUNEL, Françoise: L’épuration de la Convention nationale en l’an III, in: VOVELLE: Le tournant de l’an III, S. 15–26. 1725 Vgl. FURET/RICHET: Die Französische Revolution, S. 387. 1726 Vgl. Le jacobin du 1ier prairial – Le jacobin du 4ème prairial, gravure à l’eau-forte, coloriée, 14,4 × 19,8 cm (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6464). 1727 Vgl. SCHMIDT/SCHRÖER: Ordre public und homme nouveau, S. 317.

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gar als einem ‚aktiven Kollektivsubjekt‘ hatte ausgedient.1728 Die Macht des Symbols wurde nach dem gescheiterten Aufstand weiter demontiert und schließlich ganz gebrochen.

4.3.2 Von der Jakobinermütze zum bonnet de la liberté: Form und Funktion einer Kopfbedeckung Ähnliche wie die Beinkleider der Sansculotten erfuhr auch die im Deutschen sogenannte ‚Jakobinermütze‘ (im Französischen spricht man demgegenüber vom bonnet rouge, der ‚roten Mütze‘) eine schrittweise Politisierung sowie mehrfache Um- und Neubewertungen.1729 Obwohl die Freiheitsmütze seit 1789 in der revolutionären Bildsprache benutzt wurde, ist erst ab 1792 nachweisbar, dass sie auch häufig getragen wurde.1730 Vom Sturz der Monarchie bis zum Sturz Robespierres gehörte sie, ähnlich wie die carmagnole, die lange Hose und die Holzschuhe der Sansculotten, zur ‚Uniform‘ der Aktivisten der Volksbewegung. Anders als diese Attribute wurde die Mütze jedoch nach 1794 als Nationalsymbol beibehalten. Zwar verlor sie im Zuge der thermidorianischen Reaktion ihre Bedeutung als politisches Streitobjekt, doch diente sie in der offiziellen Ikonographie weiterhin als Zeichen der Freiheit. Zahlreiche polemische Debatten, mehrere Prozesse der Umdeutung und Aneignung rankten sich auch um dieses Symbol. Der zeitgenössische Diskurs schwankte zwischen spontaner Interpretation und ideologisch motivierter nachträglicher Rationalisierung des Tragens der roten Mütze. Diese konnte Zeichen einer sozialen Herkunft, politisches Bekenntnis oder Provokation, aber auch strategisches Ablenkungsmanöver sein – je nachdem, wer sie trug, zeichnete oder anderweitig in Szene setzte.1731 Die Mütze des Volkes hatte zu Beginn der Revolution keine einheitliche Farbe (vor allem grüne Mützen spielten neben roten noch eine Rolle); auch die Deutung der Mützen als Freiheitsmützen verlief in einem vielschichtigeren Prozess als häufig angenommen wurde.1732 Fest steht, dass die Jakobiner rote Mützen für kurze Zeit während ihrer 1728

Vgl. VOVELLE: Die Französische Revolution. Soziale Bewegung und Umbruch der Mentalitäten, S. 110 und 121. 1729 Vgl. eines der wenigen erhaltenen Originale: Bonnet rouge, Wolle, rot, Messing (Knopf), [Umschrift des Knopfes: „République Française“], 24 × 34 cm, Frankreich 1792 (Bad Homburg v. d. Höhe, Museum im Gotischen Haus, Inv. 1989/478, abgebildet in: Ausst.Kat. SPEKTAKEL DER MACHT, Kat.Nr. V.33, S. 238). 1730 Vgl. WRIGLEY: The Politics of Appearances, S. 135. 1731 Vgl. ebd., S. 158–166. 1732 Vgl. ebd., S. 143ff.

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Sitzungen trugen und damit die Wahrnehmung des Kleidungsstücks als politisches Zeichen sowie dessen Weiterverbreitung stark beeinflussten.1733 Im Protokoll der Sitzung vom 19. März 1792 heißt es, ‚seit einigen Tagen‘ hätte sich die Gewohnheit eingestellt, dass der Redner sich die rote Mütze aufsetze, bevor er das Wort ergreife: M. Dumouriez, ministre des affaires étrangères, entrait dans la salle; il s’inscrit pour demander la parole après la correspondance. Il monte à la tribune, et se conforme à l’usage adopté depuis quelques jours par les orateurs de la Société: il se coiffe du bonnet rouge. Cette action excite les plus vifs applaudissements de toutes les parties de la salle.1734

Der Applaus bescheinigte der Geste die wohl auch beabsichtigte gemeinschaftsstiftende Wirkung: Der Minister bekannte sich über die Mütze als Mitglied des Klubs. Dennoch löste der Auftritt Unruhe aus. Collot d’Herbois fragte nach, in welcher Rolle Dumouriez gesprochen habe: als Minister oder als Klubmitglied. Die Geste schien in zweierlei Hinsicht interpretierbar: einerseits als Zeichen der ernsthaften Verbrüderung, andererseits als Zeichen der Verstellung oder des Vortäuschens von Verbundenheit und Gemeinschaft. Robespierre sorgte für Ausgleich, indem er die Gleichheit aller Bürger vor der Versammlung, egal welches Amt sie bekleideten, herausstellte: Allein ihre Liebe zur Freiheit und zur Nation sei Bedingung für eine Zulassung zu den Klubsitzungen. Eine demonstrative Umarmung besiegelte das Einverständnis zwischen Klubmitglied und Minister, im Protokoll ausdrücklich gedeutet als beispielhaft für die Eintracht zwischen Volk und Regierung.1735 Für die Frage nach der Integrationskraft und Wirkmächtigkeit politischer Symbole in der Ersten Republik erscheint vor allem die anschließende Diskussion um den Verzicht der Jakobiner auf den bonnet rouge interessant. Noch in derselben Sitzung wurde ein Brief des Bürgermeisters Pétion verlesen, der dem Klub dringend dazu riet, in Anbetracht einer Reihe blutiger Zusammenstöße in der Hauptstadt, die durch Auseinandersetzungen aufgrund von demonstrativer Zurschaustellung und Provokation durch das Tragen von roten Mützen motiviert worden waren, künftig auf dieses Zeichen zu verzichten. Die Kopfbedeckung leiste keinen genuinen Beitrag zur Sache der Freiheit, sondern stifte Zwietracht und gereiche dadurch den Gegnern der Jakobiner zum 1733

Vgl. ebd., S. 152. Zitiert nach: AULARD, François-Alphonse (Hrsg.): La Société des Jacobins. Recueil de documents pour l’histoire du club des Jacobins de Paris, 6 Bde., Paris 1889–1897 [Nachdruck New York 1973], hier Bd. 3, S. 439 (séance du 19 mars 1792). 1735 Vgl. ebd., S. 441. 1734

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Vorteil.1736 Einerseits, so Pétion, gebe es eine große Zahl von Bürgern, die zu Recht danach strebten, die Ideen der Menschenrechte und der Verfassung mit Stolz öffentlich zu machen und ihnen solcherart Würde und Anerkennung entgegenzubringen. Andererseits würden die Feinde der Verfassung jeden möglichen Anlass nutzen, diesen Bürgern Parteigeist und Eigeninteresse zu unterstellen, das sich im Tragen besonderer Abzeichen spiegele: Ils [des ennemis de la liberté] voudraient bien présenter les Sociétés patriotiques comme un parti, comme une faction; et ne serait-ce pas en quelque sorte les seconder que de séparer par des signes extérieurs les citoyens qu’il faut rallier aux mêmes principes et à l’intérêt général? Quelque vogue que ces signes puissent avoir, ils ne seront jamais adoptés par tous les patriotes, et tel homme passionné pour le bien public sera très indifférent pour un bonnet rouge. Sous cette forme, la liberté ne paraît ni plus belle, ni plus majestueuse: une telle forme n’ajoutera rien à l’amour naturel que le Français a pour la constitution. […] Si le torrent de la mode nouvelle n’est arrêté, qu’arrivera-t-il? Les hommes qui paraîtront en public avec des bonnets rouges seront désignés sous le nom des Jacobins; les ennemis de cette Société seront les premiers à prendre ce costume pour la compromettre. Ils exciteront des troubles, des désordres, et on les imputera à la Société.1737

Das Tragen der Mützen konnte der Sache der Freiheit nach Ansicht Pétions sogar abträglich sein, indem es die Spaltung der Gesellschaft weiter vorantreibe und zwangsläufig zu Missbrauch oder entgegengesetzten Positionierungen ermuntere. Interessanterweise betonte Pétion im gleichen Atemzug, man habe bereits ein anderes ‚öffentlich anerkanntes‘ Zeichen gefunden – ohne dies jedoch zu benennen. Die Feinde der Freiheit würden sich aufgrund von dessen großer Beliebtheit nicht trauen, es anzugreifen. Gemeint war hier die Kokarde, die sich durch ihren vielfältigen und öffentlichkeitswirksamen Gebrauch seit 1789 als allgemeines Zeichen ‚der‘ Revolution durchgesetzt hatte.1738 Alles deutet auf eine wohlgeplante Inszenierung der Klubsitzung hin: Offensichtlich gab es ein Interesse daran, die Mütze nicht als Zeichen der Jakobiner zu etablieren. Doppet, der stellvertretend für Mailhe den Vorsitz übernommen hatte, verlas den Brief des Bürgermeisters noch mit der Mütze auf dem Kopf, doch schon während der Lektüre steckte er die Kopfbedeckung in die Tasche, und das Protokoll vermerkt

1736

Vgl. Abdruck des Briefes im Anmerkungsapparat: Ebd., S. 442f. Dort auch zum Folgenden. 1737 Ebd. 1738 Vgl. dazu auch Kapitel 2.1 und 3.3.3.

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„à la fin de la lettre il n’en restait plus dans la salle“1739. Anschließend ergriff Robespierre, ein erklärter Gegner des bonnet rouge, das Wort und unterstützte nachdrücklich das Anliegen Pétions. Wenn es abgesehen von der Menschenrechtserklärung, den gesprengten Ketten der Soldaten von Château-Vieux und der anderen Zeichen des Patriotismus, die die Volksgesellschaften hervorgebracht hätten, noch einer weiteren Kennzeichnung zur demonstrativen Unterstützung der Revolution bedürfe, so solle man sich der Kokarde bedienen. Diese sollte nicht durch ein weiteres, womöglich konkurrierendes Emblem ersetzt, sondern nur noch stärker als zentrales Symbol gefestigt werden.1740 Besonderen Wert legte er auf die Tatsache, dass es falsch sei, das Volk durch äußere Zeichen anleiten und antreiben zu wollen: Il faut, dit-on, employer de nombreux moyens pour ranimer le peuple. Non, car le peuple a conservé le sentiment le plus profond du patriotisme; […] le peuple n’a pas besoin d’être poussé, il faut qu’il soit seulement bien défendu; c’est le dégrader que de croire qu’il est sensible à des marques extérieures.

Die ganze Debatte lenke nur vom wahren Ziel ab: den Prinzipien der Freiheit, die nicht durch irgendwelche Objekte („des objets qui n’ont rien de décisif“) ersetzt werden könnten. Was die einen ablehnten, war den anderen Grund, an der Praxis festzuhalten. Die provozierende Wirkung der roten Mütze hatte auch integrierende Wirkung auf den Kreis ihrer Träger; diejenigen, die an einer Organisation des Volkes als ‚Bewegung‘ interessiert waren, nutzten das mobilisierende Potenzial, das die Mütze als Zeichen der demokratischen Revolution mitzubringen versprach.1741 Besonders in den Theatern wurde die Kopfbedeckung weiterhin begeistert gefeiert und als Insignie zur Krönung der Philosophen der Aufklärung benutzt. Im Théâtre de la Nation beispielsweise hatte man am 17. März 1792 nach einer Aufführung über das Ende Cäsars eine Voltaire-Büste mit der Freiheitsmütze geschmückt.1742 Hinsichtlich der Wirkung solcher Aktionen existierten allerdings bereits zur Zeit der konstitutionellen Monarchie verschiedene Wahrnehmungen nebeneinander: Einerseits vermeldeten die Révolutions de Paris, auf allen Promenaden, in Cafés, Theatern und patriotischen Versammlungen sei der bonnet rouge zu sehen, während andererseits die Anhänger der konstitutionellen Monarchie bezeugten, 1739

Vgl. ebd., S. 442. Vgl. ebd., S. 444. 1741 Zur mobilisierenden Wirkung revolutionärer Symbole vgl. in anderem Zusammenhang auch LIRIS, Elisabeth: Le symbolisme révolutionnaire, in: VOVELLE: L’État de la France pendant la Révolution, S. 167–170, hier u. a. S. 170. 1742 Vgl. Patriote français n° 954, 21. März 1792, S. 524. 1740

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dieser hätte trotz größerer Anstrengungen durch radikale Aktivisten kaum eine Chance bei der Pariser Bevölkerung.1743 Auffällig ist, dass das negative Stereotyp des vermeintlichen ‚Jakobiner-Aufzugs‘, zu dem die rote Mütze gezählt wurde, bereits vor dem Sturz der Monarchie in der rechten Presse kolportiert wurde: Tendenzen zu einer Vermischung von Jakobinern und Sansculotten existierten entsprechend schon lange vor dem 9. Thermidor.1744 Zu einem Zeichen politischer Provokation wurde die rote Mütze endgültig durch die Ereignisse des Sommers 1792. Sie war die Kopfbedeckung der fédérés, die zur Unterstützung der Republikaner in die Hauptstadt marschierten und an den Aufständen vom 20. Juni und 10. August beteiligt waren. Dies sollte ihr neue Bedeutung verleihen: In einer Phase größter öffentlicher ‚Unordnung‘, in einer Umbruchsund Krisenzeit wurde sie zum Emblem der Akteure und Anhänger der Volksbewegung. Nur vordergründig war der dritte Jahrestag des Ballhausschwurs (20. Juni 1792) Anlass für den Aufmarsch der Aktivisten in der Hauptstadt. Eine größere Rolle spielte der Wunsch nach Protest gegen die kurz zuvor erfolgte Entlassung der girondistischen Minister durch den König. Letztlich wurden durch die Ereignisse sowohl die Autorität des Königs als auch diejenige der Legislative in Frage gestellt. Nach einem Zug durch die parlamentarische Versammlung drang die Menge ins Tuilerienschloss ein und überreichte Marie-Antoinette eine Kokarde, Ludwig XVI. und dem dauphin einen bonnet rouge. Der Augenzeuge Chuquet berichtet, man habe den König gezwungen, die Kopfbedeckung aufzusetzen.1745 Ludwig wurde in dieser Parodie des Krönungsrituals zum ‚Gleichen unter Gleichen‘ herabgewürdigt. Zahlreiche Drucke visualisierten das Ereignis – teilweise, um den König zu feiern, häufiger, um ihn zu erniedrigen (vgl. Abb. 43).1746 Nach Einrichtung der Republik verbreitete sich die Mütze als quasi-offizielles Kleidungsstück für Mitglieder patriotischer Klubs;

1743

Vgl. Révolutions de Paris n° 141, 17.–24. März 1792, S. 534 sowie Chénier, André: Idées sur le moment présent, zitiert nach: WRIGLEY: The Politics of Appearances, S. 178, Anm. 89. Wrigley beobachtet eine Häufung des Themas in der Pariser Presse ab März 1792. 1744 Vgl. WRIGLEY: The Politics of Appearances, S. 152f. 1745 Vgl. Chuquet, Arthur: Lettres de 1792, 1ère série, Paris 1911 (= Bibliothèque de la Révolution et de l’Empire. 4), S. 18. 1746 Eindeutig negativ konnotiert erscheint folgendes Blatt: [Non-identifié]: Nouveau Pacte de Louis XVI, avec le peuple le 20 juin l’an 4me de la liberté, 20,8 × 141cm, 238 × 17,3 cm (Paris, BnF, Inv. Qb1, 20 juin 1792, M101233, abgebildet in: HOCKMAN: French Caricature and the French Revolution, S. 37).

520

4. Gegenmacht als Erfahrung

auch die Jakobiner trugen nun wieder bonnets rouges.1747 Auf Empfehlung der Section du Bonnet Rouge, deren Bewohner für die Mütze warben, führte auch die Pariser Stadtverwaltung die Kopfbedeckung am 16. Brumaire II (6. November 1793) offiziell für all ihre Mitglieder ein.1748 In der Provinz verbreitete sich das Zeichen ebenfalls – und sorgte vielerorts für Konflikte: einerseits um Form und Farbe, andererseits infolge von Angriffen auf ihre Träger, motiviert durch abweichende politische Ansichten. Wrigley geht davon aus, dass die Mütze 1793/94 in verschiedenen Teilen des Landes mit unterschiedlichen Motiven getragen wurde: „as with the case of the term sans-culotte, the bonnet rouge was a badge and a piece of political vocabulary suscribed to by a heterogeneous set of people for different reasons“1749. Keine Rede, so Wrigley, könne hingegen von einer damit verbundenen einheitlichen Ideologie sein.1750 Nach dem 9. Thermidor sollte eine Umbewertung der Kopfbedeckung erfolgen.1751 Im Winter 1794/95 wurde in Paris Jagd auf die Träger von roten Wollmützen gemacht, was selbst die Anführer der jeunesse dorée wie Fréron veranlasste, zur Mäßigung zu mahnen. Auffälligerweise wurde von nun an genauer zwischen den Bezeichnungen bonnet de la liberté, bonnet rouge und bonnet phrygien differenziert. Die jeweiligen Modelle unterschieden sich vor allem durch die Ausformung des Zipfels der Mütze, der nach vorn in die Stirn oder zurück in den Nacken fiel. Die Typen standen offensichtlich in den verschiedenen Phasen der Revolution für verschiedene Konzepte.1752 Während des Direktoriums beschäftigte sich sogar erstmals ein theoretischer Essay mit dem Thema.1753 Der Maler Gibelin warb dafür, die Künstler sollten die Quellen besser studieren: Die Freiheitsmütze sei in der phrygischen Form darzustellen. Dies kann als Zeichen einer bewussten Um- und Neudeutung des Symbols nach dem Sturz Robespierres interpretiert werden.1754 Die rote Mütze sollte nach dem 9. Thermidor als politisches 1747

Vgl. WRIGLEY: The Politics of Appearances, S. 158. Vgl. Moniteur n° 48, 18 brumaire II (8. November 1793) [zitiert nach RAM]. 1749 WRIGLEY: The Politics of Appearances, S. 163. 1750 Vgl. ebd., S. 162f. 1751 Hier muss Wrigley widersprochen werden, der davon ausgeht, die Thermidorianer hätten das gesamte ‚emblematische Erbe‘ der Jakobinischen Republik abgelehnt. Es fand vielmehr ein Prozess der Differenzierung und Neubewertung statt. 1752 Vgl. WRIGLEY: The Politics of Appearances, S. 136. 1753 Vgl. Gibelin, Alexandre-Esprit: De l’origine et de la forme du bonnet de la liberté, Paris, an IV. 1754 Wrigley geht demgegenüber von einer ‚Offenheit der Debatte‘ aus, zu welcher der Essay allenfalls als Beitrag gewertet werden könne. Auch Wrigleys Meinung, dass nach 1748

4.3 Die ‚Macht‘ der Kleider

521

Gesinnungszeichen stigmatisiert, aber als allgemeines Nationalsymbol beibehalten werden. Zur Erklärung stand – wie auch in anderen Bereichen der Symbolpolitik – erneut die Antike Pate. Über Gedichte wurde die phrygische Mütze als die ‚wahre‘ Freiheitsmütze propagiert und von der ‚Mütze der Galeeren‘, die die Jakobiner getragen hätten (also dem bonnet rouge), abgegrenzt: Soit erreur soit prévoyance, Les jacobins ont adopté Le bonnet de la malfaisance, Non celui de la liberté; Car remarquable par sa forme, C’est le bonnet des Phrigiens, Mais ils ont pris pour uniforme, Le bonnet des galériens.1755

Keineswegs distanzierte man sich somit im Thermidor grundsätzlich von der roten Mütze noch von ihren Wurzeln in der Antike: Allerdings bemühte man andere Quellen, um ihre Existenz zu rechtfertigen und die politisch gewünschte Abgrenzung zur Terreur sicherzustellen. Im politischen Alltag blieb die rote Kopfbedeckung präsent. 1795 versuchte man zunächst, per Dekret dreifarbige Mützen, als Zeichen der nationalen Versöhnung, zu etablieren.1756 Nachdem diese Variante sich jedoch nicht durchsetzen konnte, erklärte man von 1796 an die rote Mütze schlicht zum bonnet de la liberté. Im Kontext von Festen und anderen offiziellen Zeremonien wurde sie als abstraktes Attribut der Freiheit inszeniert – und gewann damit gegenüber dem bonnet rouge der Sansculotten und Jakobiner eine neue, nationale Bedeutung. Formulierungen wie bonnet de Guillaume Tell1757 oder bonnet de la République1758 tauchten in den Festprogrammen auf und eröffneten einen neuen Deutungsrahmen.1759 Es war ein Drahtseilakt, auf diese Weise über die Begrifflichkeit zwischen der Mütze als allgemeinem ‚Symbol der dem Thermidor eine Distanzierung von der Symbolsprache der Antike stattgefunden habe, erscheint angesichts der Ergebnisse der vorliegenden Arbeit als abwegig. Vgl. WRIGLEY: The Politics of Appearances, S. 141: „Classical names had lost their authority through having become too familiar as alibis for butchery and disorder.“ 1755 Chaulsit, Hector: Couplets sur le bonnet rouge, in: Portefeuille politique et littéraire par le citoyen L***, 27 germinal III (16. April 1795), zitiert nach WRIGLEY: The Politics of Appearances, S. 171, Anm. 17. 1756 Vgl. WRIGLEY: The Politics of Appearances, S. 164. 1757 Vgl. Liberté. Égalité. Programme de la fête de la Victoire, 10 Prairial de l’an IV. 1758 Vgl. WRIGLEY: The Politics of Appearances, S. 165. 1759 Auch in den Vignetten der Verwaltungspapiere (vgl. Kapitel 2.1) spielte die Mütze weiterhin eine Rolle. Vgl. dazu allgemein: LIRIS, Elisabeth: Autour des vignettes révo-

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4. Gegenmacht als Erfahrung

Revolution‘ und als politischem ‚Gesinnungszeichen‘ unterscheiden zu wollen. Solche Spitzfindigkeiten leuchteten sicherlich nicht jedem Bürger ein. Den gemäßigten Republikanern ermöglichte diese Lösung, an dem eng mit der Freiheitsallegorie verbundenen Symbol festzuhalten und gleichzeitig einen Neuanfang jenseits der Terreur zu kommunizieren. Die symbolische Kontinuität ließ Demokraten und Radikalen gleichzeitig (berechtigterweise) hoffen, die revolutionäre Traditionslinie eines Tages erneut für die eigene Sache aktualisieren zu können. Die linke Opposition nutzte das Zeichen weiterhin zur Demonstration von (oder des Anspruchs auf) Gegenmacht – sowie zur selbstbewussten Erinnerung an die eigenen Leistungen im Zuge der Durchsetzung der republikanischen Staatsform.

4.3.3 Bürgerliche Dandys als neue Macht der Straße: Die jeunesse dorée Hinter dem beliebten Schlagwort ‚Reaktion‘ verbargen sich im Winter 1794/95 ganz unterschiedliche Positionen, die das ganze Spektrum von einem liberalen Republikanismus bis hin zu einem kompromisslosen Royalismus abdecken konnten, je nachdem, ob der Begriff von einem Jakobiner, einem Thermidorianer oder einem Anhänger der Monarchie verwendet wurde.1760 Re-Aktion wurde diskutiert als Idee der Rück-Führung beziehungsweise Rück-Besinnung der Revolution auf ihre ursprünglichen Prinzipien; umstritten war jedoch, in welche Richtung und wie weit dieser Prozess letztendlich gehen sollte. Werte- und Deutungskonflikte führten zu heftigen Auseinandersetzungen im Parlament und auf der Straße. Die Thermidorianer rund um Tallien und Fréron versuchten, die Fraktionskämpfe für die eigene Sache (und damit gegen die Jakobiner, die nach wie vor die Regierungsausschüsse dominierten) zu nutzen. Vor allem Einstellungen und Aktivitäten der sogenannten ‚Goldenen Jugend‘ (jeunesse dorée) wurden von führenden Antirobespierristen geteilt oder gebilligt; ihre Ausschreitungen wurden von der Polizei geflissentlich übersehen.1761 lutionnaires: la symbolique du bonnet phrygien, in: VOVELLE: Les images de la Révolution française, S. 303–317. 1760 Vgl. MONNIER, Raymonde: Un mot nouveau en politique. ‚Réaction‘ sous Thermidor, in: DICTIONNAIRE DES USAGES SOCIO-POLITIQUES, Bd. 6, S. 127–156, insbes. S. 137–145. Außerdem vgl. SCHRÖER/SCHMIDT: Ordre public und homme nouveau, S. 310, dort auch zum Folgenden. 1761 In dieser Hinsicht weist das Phänomen strukturelle Parallelen zur Unterstützung der Sansculottenbewegung durch die Montagnards in den Jahren 1793/94 auf. Vgl. GEN-

4.3 Die ‚Macht‘ der Kleider

523

Die Mitglieder der Goldenen Jugend, auch muscadins genannt, waren relativ gut situierte junge Leute, die ihren gesamten Lebensstil hochgradig inszenierten und öffentlich zur Schau trugen. Durch exzentrische Kleidung propagierte man die kulturelle und politische Reaktion und machte sich über die ‚republikanische Schlichtheit‘ der Volksbewegung lustig. Man kultivierte neue Formen der Distinktion und knüpfte an die gesellschaftlichen Praktiken des Ancien Régime an, indem man salons abhielt, regelmäßig ins Theater ging oder auch einfach nur mit besonderer Affektiertheit miteinander sprach, das republikanische ‚Du‘ und die Anrede citoyen geflissentlich vermeidend. Kleidung und Lebenswandel wurden im Kontext der anhaltenden Fraktionskämpfe zu politischen Symbolen, die der ‚Reaktion‘ in der Öffentlichkeit ein markantes Gesicht verliehen. Bis heute sind die muscadins und merveilleuses (ihre weiblichen Pendants) im kollektiven Gedächtnis der Franzosen sehr präsent – und dominieren geradezu die Erinnerung an die Zeit von Thermidor und Direktorium. Druckgraphiken nach Carle Vernet und anderen Künstlern finden sich in vielen Sammlungen und Ausstellungen zur Revolutionszeit wieder.1762 Einerseits verstanden sich die jungen Leute als Überwinder der künstlichen Mode des Rokoko (Abb. 45); andererseits war ihr eigener Stil nicht minder ausgefallen und provozierte zu zahlreichen Karikaturen.1763

DRON:

La Jeunesse Dorée, S. 9ff. sowie S. 34: „[…] la Jeunesse dorée fut comme la milice privée du Comité de sûreté générale et son ‚pouvoir exécutif‘ contre les Jacobins“; WORONOFF: La République bourgeoise de Thermidor à Brumaire, S. 17; MASON: Singing the French Revolution, S. 132. Vgl. dort auch zum Folgenden. Zu dem Phänomen der jeunesse dorée allgemein vgl. den Überblicksartikel von HÖFER, Anette: Artikel ‚Petits-maîtres, Muscadins, Incroyables, Merveilleuses‘, in: REICHARDT/LÜSEBRINK (Hrsg.): Handbuch, Heft 10, S. 207–233. 1762 Vgl. beispielsweise Darcis, Louis, nach Carle Vernet: Les mérveilleuses, gravure au pointillé, 28,2 × 32,5 cm (Paris, Musée Carnavalet, Inv. G. 4404, réserve, abgebildet in: Ausst.Kat. AU TEMPS DES MERVEILLEUSES, Kat.Nr. 74, S. 73). 1763 Vgl. z. B. [Non-identifié]: Merveilleuses et Incroyables, gravure coloriée (Paris, Musée Carnavalet, abgebildet in: VOVELLE: La Révolution française. Images et récit, Bd. 5, S. 99); Vernet, Carle [nach]: Incroyable (Paris, Musée Carnavalet, Inv. D. 5267 und D. 2164). Weitere Beispiele vgl. Ausst.Kat. AU TEMPS DES MERVEILLEUSES: Die Karikatur von Le Petit Coblence ist eine der bekanntesten und kann am ehesten der Zeit des Thermidor 1794/1795 zugeschrieben werden: Isabey, Jean-Baptiste: Le petit Coblence, plume et aquarelle, 45 × 37cm (Paris, Musée Carnavalet, Inv. D.7945, abgebildet in Ausst.Kat. AU TEMPS DES MERVEILLEUSES, Kat.Nr. 117, S. 115). Es existieren verschiedene Versionen des Blattes; vgl. auch BnF, Collection de l’Histoire de France, Nr. M103202. Weitere Karikaturen der muscadins entstanden im Umfeld des Staatsstreiches vom 18. Fructidor V. Dazu u. a.: SCHRÖER: La représentation du Nouveau Régime, S. 52–54.

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4. Gegenmacht als Erfahrung

Abb. 45: Chataignier, Alexis: Ah! Quelle Antiquité!!! – Oh! Quelle folie que la nouveauté..., eau-forte, roulette, burin, 24,5 × 39,5 cm, Paris [ca. 1797].

Die muscadins kultivierten aber nicht nur feminine Kleidung und Frisuren und entpuppten sich auf diese Weise als Anti-Typus des rauhe Männlichkeit betonenden Ideals der Sansculotten: Sie trugen ihre Auseinandersetzungen in Paris, Lyon und anderen Zentren der Revolution durchaus auch handgreiflich aus – auch dies wurde Gegenstand von Drucken oder anderen künstlerischen Verarbeitungen (Abb. 46).1764 Muscadins griffen öffentlich all diejenigen an, die durch ihr Verhalten, ihre Redeweise oder auch nur ihre äußere Erscheinung mit den Jakobinern in Verbindung gebracht werden konnten. Sie wandten sich gegen den bonnet rouge, gegen den Maratkult und mit ihrer Hymne Le Reveil du peuple gegen die Marseillaise: drei symbolpolitische Institutionen, die ein Jahr zuvor noch als unangefochtene Ikonen der Revolution hochgehalten wurden. Immer stärker entwickelten sie in diesem Zuge fundamental gegenrevolutionäre Tendenzen, die teilweise auch programmatisch zum Ausdruck gebracht wurden – was schließlich in den

1764

Vgl. in anderem Kontext so auch bei SCHMIDT/SCHRÖER: Ordre public und homme nouveau, S. 311.

4.3 Die ‚Macht‘ der Kleider

525

Abb. 46: Boilly, Louis-Léopold: Scéne de rixe entre Jacobins et muscadins, plume et lavis d’encre de Chine avec rehauts de gouache blanche, 40,0 × 53,6 cm.

Kreisen der gemäßigten Republikaner zu einer stärkeren Distanzierung führen sollte.1765 Ihre Kleidung wurde Gegenstand ähnlich kontroverser Beurteilungen und Umdeutungen wie diejenige der Sansculotten. Die Belege dafür sind vielfältig und lassen sich in Zeitungen, Pamphleten, aber auch in Parlamentsprotokollen auffinden. So störte beispielsweise am 11. Vendémiaire III (2. Oktober 1794) ein Mitglied der jeunesse dorée, erkennbar an seinem Zopf und seinem grünen Kragen, den Konvent bei der Trauerfeier zum Gedenken an die Märtyrer der Terreur.1766 Poultier bezeichnete die Aufmachung als „costume des chouans“ – die Anhänger der Reaktion wurden damit den Gegenrevolutionären im Westen Frankreichs gleichgesetzt. Der Abgeordnete erklärte die Parallele zwischen den beiden Gruppierungen aus Sicht der Republikaner: Nur, wer die öffentliche Ordnung bewusst zu stören suche, trage solche Gesinnungszeichen: „Tous les prisonniers qu’on fait sur les Vendéens ont une 1765

Gendron zeichnet anhand von zahlreichen Belegstellen, wie die jeunesse dorée sich nach und nach von der Revolution abwandte; GENDRON: La Jeunesse Dorée, S. 62–126. Vgl. dort auch zum Folgenden. 1766 Vgl. Moniteur n° 15, 15 vendémiaire IV (7. Oktober 1795), séance du 11 vendémiaire.

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4. Gegenmacht als Erfahrung

tresse, un collet vert et une cravate verte. Tout citoyen qui ne veut pas troubler l’ordre public ne doit pas porter ce signe de ralliement.“1767 Der Diskurs über die muscadins sollte sich im Verlauf des Jahres 1795 mehrmals wandeln. Deutlich lässt sich in den Polizeiberichten herauslesen, wie sie innerhalb weniger Wochen von bemerkenswerten ‚Verdächtigen‘ zu den eigentlichen ‚Stimmungsmachern‘ der Straße avancierten. Am 24. Fructidor (10. September) halten Viard und Ollivier noch skeptisch fest: On remarque que, dans les groupes, chacun témoigne de l’inquiétude sur la situation de la Convention. Enfin, on s’aperçoit, dans les objets de commerce, de spectacles, de plaisirs, que le plus petit détail contribue à ralentir l’énergie de l’esprit public. Par exemple, on se soucie peu de porter sur les bijoux les emblèmes de la liberté et autres. Aux spectacles on applaudit aux allusions qui flattent le modérantisme. Les muscadins fourmillent partout…. L’administration de police, conjointement avec le commissaire des guerres, a fait une battue sur le boulevard et lieux suspects à l’effet de s’emparer des déserteurs, mauvaises sujets et jeunes gens de la première réquisition. De trente, amenés à l’administration, il s’en est trouvé cinq qui en sont.1768

Einen Tag später wird die Gruppierung bereits als ‚frech‘ und unruhestiftend beschrieben: On remarque aux environs de la Maison Egalité une foule de muscadins et des gens de la première réquisition qui lèvent la tête avec impudence. Le commerce de l’argent se fait avec tant d’adresse qu’il paraît impossible de surprendre les auteurs.1769

Die Thermidorianer schwankten in der Bewertung der neuen Aktivisten der Straße. Die Mehrheit der modérés entschied sich jedoch in bewusster Abgrenzung zur Volksbewegung zunächst für eine Unterstützung der jeunesse dorée. Diese wurde nun ebenfalls idealisiert dargestellt, wenn zum Beispiel der Moniteur im Anschluss an einen Bericht des Sicherheitsausschusses im Februar 1795 erläuterte, man müsse zwischen den ‚mouvements inconsidérés‘ der jeunes gens, die ohne böse Absicht gehandelt hätten, und den ‚mouvements et tentatives coupables‘ der linken Opposition unterscheiden.1770 In der Auseinandersetzung mit den Demokraten wurde die jeunesse dorée zu einem Symbol stilisiert. Erst als immer deutlicher wurde, dass sich die reaktionäre Bewegung nicht nur 1767

Ebd. Zitiert nach AULARD: Paris pendant la réaction, Bd. 1, S. 90. 1769 Ebd., S. 92. 1770 Vgl. Moniteur n° 141 und 142, 21 et 22 pluviôse III (9. und 10. Februar 1795), CN, séance du 17 pluviôse et N. B. 1768

4.3 Die ‚Macht‘ der Kleider

527

Abb. 47: [Non-identifié]: L’ami de la justice et de l’humanité, Peuple Français, Peuple de Freres!, eau-forte, pointillé, 24 × 18 cm.

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4. Gegenmacht als Erfahrung

gegen die Terreur, sondern auch gegen die Republik und ihre Entscheidungsträger im Allgemeinen richtete und dass ein Teil der muscadins offen mit dem Royalismus sympathisierte, prangerten die regimetreue sowie die linke Presse deren Ausschreitungen stärker an. Visuelle Stereotype sorgten für eine Vereindeutigung und Polarisierung der Lager. So ist das Blatt L’ami de la justice (Abb. 47) einer regimetreuen, wenn nicht sogar jakobinischen Bildpublizistik zuzurechnen, die den im Vordergrund abgebildeten muscadin als royalistisch denunziert: Er droht dem Beobachter wütend mit einem Dolch, der traditionellen Waffe der Aristokratie.1771 Auf seiner Brust trägt er eine Sonne, Abzeichen der royalistischen Schlägertruppen aus Westfrankreich. Die Verfassung des französischen Volkes wird von ihm zerrissen und mit Füßen getreten. Im Bildhintergrund schlägt eine Gruppe von muscadins einen einfachen Mann aus dem Volk – erkennbar an seiner langen Hose – zusammen, in Anwesenheit von dessen Frau und Kind. Der Titel L’ami de la justice et de l’humanité ist zutiefst ironisch: Die sich im Hintergrund abspielenden Szenen werden für jeden Zeitgenossen klar verständlich verurteilt und als Gefahr für die Republik und die verfassungsmäßige Ordnung entlarvt. Der muscadin erscheint als Sinnbild der gegenrevolutionären Reaktion.

4.3.4 Stereotypisierung und Entwertung von Symbolik im Fraktionskampf Es sind nur wenige Beispiele bekannt, die den muscadin als positive Integrationsfigur des Regimes propagieren. Eine Radierung von Quéverdo beispielsweise zeigt einen Thermidorianer, der – gekleidet wie ein muscadin, mit Gehrock und elegantem Schuhwerk – die Verfassung auf den Sockel der Legitimität erhebt (Abb. 48). Er steht auf der niedergeworfenen Volksbewegung, gekennzeichnet durch einen stereotypisierten Sansculotten, dem über am Boden verstreut liegende Notizzettel die Verbrechen der Terreur angelastet werden. Die Darstellung zeigt den muscadin somit zwar als Vertreter von Ordnung und Stabilität, stellt die Verfassung aber gleichzeitig in den Zusammenhang einer politischen Revanche.1772 Nach und nach führte die wechselseitige Bemühung von Feindbildern zu einer deutlichen Lagerbildung: Karikaturen 1771

Der Untertitel zitiert die ersten Zeilen der Hymne der muscadins, „Le Réveil du peuple“: „Peuple français, peuple de frères“, deren Intonation per Dekret des Directoire ab Januar 1796 in den Pariser Theatern verboten wurde. 1772 Vgl. dazu in anderer Zuspitzung auch SCHRÖER: Symbolic Politics, S. 182f. sowie Fig. 5.

4.3 Die ‚Macht‘ der Kleider

529

Abb. 48: Massol, A. B., nach François-Marie Isidore Quéverdo: La Tyrannie révolutionnaire écrasée par les Amis de la Constitution de l’an III, eau-forte, pointillé, Paris 1795.

530

4. Gegenmacht als Erfahrung

unterstellten den dargestellten Akteuren bestimmte Eigenschaften, mit denen diese anschließend auch in der diskursiven Auseinandersetzung identifiziert wurden. Solche Darstellungen beeinflussten die politische Kultur der Spätphase der Revolution maßgeblich. Das Ergebnis der thermidorianischen Reaktion war eine zutiefst gespaltene politische Landschaft, die mit starken Feindbildern nach rechts und links operierte.1773 Ebenso wie den Reaktionären zum Vorwurf gemacht wurde, die Verfassung mit Füßen zu treten (Abb. 47), machte eine demokratische Presse dem neuen Regime zum Vorwurf, auf Kosten der Volksbewegung zu agieren (Abb. 48). Trotz der erfolgreichen Ausbildung visueller Typen verschwammen in der Dynamik der Vorwürfe die Feindbilder immer stärker. Kritik wurde in ihr Gegenteil verkehrt, wenn die Parteien sich wechselseitig des Opportunismus und politischen Doppelspiels bezichtigten. Das Bild des doppelgesichtigen Janus hatte bereits 1792 zur Denunziation der Anhänger des Königs gedient. Diese nutzten im Direktorium dieselbe Metaphorik, wandten sie aber nunmehr auf die Gegner im linken politischen Spektrum an. Die Karikatur L’anarchiste (Abb. 1) prangert das vermeintliche politische Täuschungsmanöver der Jakobiner an:1774 Eine janusköpfige Gestalt sympathisiert auf der einen Seite mit einem bürgerlich gekleideten muscadin, auf der anderen mit einer einfachen Frau aus dem Volk, die stellvertretend für die Anhängerschaft der Jakobiner steht; umgekehrt kritisierte die linke Opposition die Schaukelpolitik der Direktoren als janusköpfig (Abb. 65). Sogar Jakobinismus und Royalismus konnten zu austauschbaren Begriffen werden, wenn der 1773

Baczko analysiert in noch allgemeinerer Stoßrichtung den Diskurs der Thermidorianer über die Terreur und fragt nach der Erzeugung gesellschaftlich wirksamer Bilder: Vgl. BACZKO, Bronislaw: ‚Monstres sanguinaires‘ et ‚circonctances fatales‘. Les discours thermidoriens sur la Terreur, in: FURET/OZOUF: The Transformation of Political Culture, S. 131–157. 1774 Die Bildunterschrift dort ist eindeutig: ‚Ich täusche sie beide‘. In der Sammlung de Vinck wird die Karikatur zeitlich dem Directoire zugeschrieben; sie nehme dessen Schaukelpolitik aufs Korn. Furet/Richet stellen die Abbildung in den Kontext der Politik der letzten Monate des revolutionären Konvents, vgl. FURET/RICHET: Die Französische Revolution, S. 12. Die vorliegende Arbeit geht davon aus, dass es sich um eine gegenrevolutionäre Karikatur handelt, die aus dem Wahljaht V (1797) stammen könnte (vgl. dazu Kapitel 4.5.2). Doppelgesichtigkeit prangert in ähnlicher Form auch die Darstellung der janusköpfigen Modérés an: Portraits des impartiaux, des modérés, des modérateurs, autre fois dits, les aristocrates, eau-forte, 14 × 9,5 cm (Paris, BnF, Coll. de l’Histoire de France, Inv. Qb1, 1795, septembre-décembre, M103204, publiziert in: Révolutions de France et de Brabant; abgebildet in VOVELLE: La Révolution française. Images et récit, Bd. 2, S. 200). Vgl. auch: Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 3685, Coll. Hennin, Inv. 10616.

4.3 Die ‚Macht‘ der Kleider

531

‚Jacobin royaliste‘ als Muskelprotz mit Lilientattoo visualisiert wurde (Abb. 49). Sowohl von linker als auch von rechter Seite aus wurden Darstellungen bemüht, die zeigen, wie der politische Gegner die Verfassungsurkunde mit Füßen tritt oder in anderer Weise missachtet. Auf beiden Seiten bemühte man ähnliche Visualisierungsstrategien.1775 Aus Sicht der ‚Mitte‘ waren somit die Praktiken der beiden extremen Lager vergleichbar – und gleichermaßen schädlich für die Republik. Ein Pamphlet denunzierte im Sommer 1797 das Verhalten der rechten und lin- Abb. 49: [Non-identifié]: Le Jacobin royaken Opposition als nahezu iden- liste, Apres avoir longtemps gouverné les Galères, Maintenant il voudrait gouverner les tisch: Manipulation, Täuschung, affaires, eau-forte, col., 19 × 17 cm. Verschwörung und systematische Ausschaltung von Gegnern kennzeichnen die Machtstrategie von ‚weißen‘ und ‚roten‘ Jakobinern, die als ‚royaliste‘ und ‚anarchiste‘ ein fiktives Gespräch führen.1776 Der Jakobiner war Abgeordneter in der Assemblée législative, seine äußere Erscheinung ist jedoch verwahrlost. Mit fettigen Haaren tritt er einem besser gekleideten Vertreter des Club de Clichy (gemäßigte Republikaner und Konstitutionelle) gegenüber, der im Sommer 1797 eine ähnliche Führungsrolle beanspruchte wie einst der Jakobinerklub. Das Pamphlet erläutert ausdrücklich den Umgang der Fraktionen mit politischen Symbolen: [le royaliste veut] conserver les apparences pour nous. Vous qui êtes sanguinaires, vous avez établi la terreur en arborant le bonnet rouge et faisant fabriquer des milliers de guillotines; nous, qui n’aimons pas le sang, nous 1775

Vgl. auch Karikaturen aus dem Umfeld des Staatsstreiches der republikanischen Direktoren vom 18. Fructidor V, u. a. Abb. 65: Entre deux chaises le cul par terre; Abb. 42: Mahomet-Théophilantrope. Die Bewegung der cercles constitutionnels bzw. der amis de la Constitution versammelte sich umgekehrt ausdrücklich um die Verfassung als vermeintlicher ‚Garantin‘ der Republik. Dazu WORONOFF: La République bourgeoise de Thermidor à Brumaire, S. 198f. 1776 Vgl. Cousin, Jacques-Antoine-Joseph: Les Jacobins blancs et les jacobins rouges, o. O. [Juli /August] 1797.

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4. Gegenmacht als Erfahrung

l’établirons en arborant le bonnet blanc et faisant dresser des potences: nos couleurs et nos formes seront au moins plus douces que les votres.1777

Eine Patrouille beendet die Unterhaltung; der Zuhörer des Gesprächs ist sich sicher, dass die weißen Jakobiner genauso viel Elend über das Land bringen würden wie die roten. Die ‚Macht‘ der Kleider, Abzeichen und Insignien, so lässt sich abschließend sagen, bestand nicht allein darin, dass diese zwangsläufig Gruppenbildungen initiierten. Wichtiger noch erscheint, dass diese Objekte infolge von Politisierungen und symbolischer Aufladung zu einem Instrument, und damit auch zu einem Streitobjekt sowie zu einer Waffe im Machtkampf werden konnten. Die bürgerlich geprägten Republikaner bemühten sich, den Einfluss der Kleidung auf Sinne, Einstellungen und Verhalten der Menschen nach ihren Vorstellungen zu lenken und für die Revolution dienstbar zu machen.1778 Kokarden, Kopfbedeckungen, Stoffe, Schnittmuster und Stile drückten ebenso eine politische Gesinnung aus, wie das bewusste Verbergen oder NichtTragen gesetzlich vorgeschriebener Abzeichen (wie beispielsweise der Kokarde). Die Zeitgenossen waren sich der veränderten Bedeutung, die ihrer Kleidung zu Lebzeiten zukam, durchaus bewusst, wie Selbstzeugnisse oder Abhandlungen über einzelne Abzeichen (wie die Jakobinermütze1779) belegen.1780 Bestimmte Accessoires oder auch der gesamte Aufzug einer Person gaben Auskunft über deren Einstellungen und Werte. Ein Pamphlet über verschiedene politische ‚Typen‘ aus dem Jahr 1797/98 beschrieb, man erkenne die Gruppe der „exclusifs“, welche sich durch ihre besondere Radikalität auszeichne, daran, dass sie nach dem 9. Thermidor nicht aufgehört hätte, ‚republikanische Kleidung‘ zu tragen.1781 Begriffe wie ‚cocarde nationale‘, ‚écharpe municipale‘, ‚tricolore‘ oder ‚carmagnole‘ wurden in die fünfte Auflage des Dictionnaire de l’Académie française aufgenommen.1782 Vestimentäre Abzeichen boten die Möglichkeit, politisch-gesellschaftliche Identitäten öffentlich zu kommunizieren und zu propagieren – dies galt jedoch gleichermaßen für die neue Regierung wie für einzelne Individuen oder gesellschaft1777

Ebd., S. 7f. Vgl. Kapitel 3.1. 1779 Vgl. z. B. Gibelin: De l’origine et de la forme du bonnet de la liberté. 1780 Leider sind nur wenige Originale aus dem 18. Jahrhundert erhalten, was u. a. der Tatsache geschuldet ist, dass offenbar Kleidung zu dieser Zeit noch nicht zu den erinnerungswürdigen und daher musealen Objekten zählte. Vgl. WRIGLEY: The Politics of Appearances, S. 13. Vgl. auch Kapitel 4.4.3. 1781 Vgl. L’exclusif, in: Beauvert, Antoine Joseph de: Caricatures politiques, Paris, an VI, S. 7f. 1782 Vgl. DEVOCELLE: La cocarde directoriale, S. 356. 1778

4.4 Kriegserklärung durch Reaktion

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liche Gruppen. Der Autor der Karikatur Collets dit parasabre führt die Absurdität der Kleidungs- und Symbolkämpfe in der Hauptstadt bildlich vor Augen, indem er den französischen Bürgern vorschlägt, sich einen vielfarbigen Kragen zuzulegen, der die Erwartungen aller Lager bediene und sie somit vor jeglichem Angriff schütze (Abb. 52). 4.4 Kriegs- Robespierre sollte am Ende Recht behalten: Die Macht der Kleider bedeutete in der Ersten französischen Republik weniger Einheitsstiftung erklärung durch Reak- als Konflikterfahrung. tion

4.4 Kriegserklärung durch Reaktion: Kampagnen, Gegenzeremonien und Symbolschändungen 1794 fand zwar keine weitere ‚Revolution‘ statt, doch löste der Sturz Robespierres eine neue Welle von Bewegungen aus, die sich gegen die Politik der Revolutionsregierung und der im Wohlfahrtsausschuss verbliebenen Montagnards richtete. Im Spätsommer 1794 rivalisierten im Konvent zunächst vor allem drei Gruppen um die Macht: die Jakobiner, die auch in der umgebildeten Regierung nach wie vor eine solide Stellung innehatten (unter anderem im Comité de sûreté générale), die ‚Gemäßigten‘ (modérés), die über die Aktionsmittel der Presse und der Straße das Image der Jakobiner beschädigten und mit Hilfe der jeunesse dorée die öffentliche Meinung gegen die ‚buveurs du sang‘ aufzubringen versuchten, und die Neo-Hebertisten, die als Sammelpunkt der Reste der Volksbewegung gewertet werden können und in ihren Schriften die unbegrenzte Pressefreiheit, Neuwahlen zum Stadtrat und die Einführung der Verfassung von 1793 forderten.1783 Außerhalb der parlamentarischen Versammlung erwachten zudem die Anhänger des Royalismus zu neuer Kraft, in sich wiederum gespalten in Konstitutionelle (wie unter anderem die Orléanisten) sowie Befürworter einer Restauration der Bourbonenherrschaft. Die Jakobiner sahen sich von rechts und links bedrängt, und im Herbst 1794 waren viele der Forderungen ihrer Gegner identisch, so unterschiedlich deren Ziele auch sein mochten: Man wollte den Einfluss der Revolutionsregierung zurückdrängen, die Pressefreiheit durchsetzen, um für die eigene Position werben zu können, sowie mit der Terreur abschließen und abrechnen. Die Verfassung von 1793 war weiterhin suspendiert, die Entscheidung, ob eine neue Verfassung ausgearbeitet werden sollte, noch nicht gefallen. 1783

Vgl. WORONOFF: La République bourgeoise de Thermidor à Brumaire, S. 12–14. Dort auch zum Folgenden.

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4. Gegenmacht als Erfahrung

In dieser Übergangszeit wurde Jean-Paul Marat ins Pantheon überführt – und kurze Zeit später bereits wieder ‚depantheonisiert‘. Hierbei handelte es sich, wie im Folgenden gezeigt werden soll, keineswegs ausschließlich um inhaltsleere ‚Zeremonien‘ oder ‚Showpolitik‘. An den Vorgängen rund um das Ereignis lässt sich exemplarisch verdeutlichen, wie symbolische Politik gerade in Zeiten des Umbruchs unmittelbar an der Aushandlung von Machtverhältnissen beteiligt war und welchen Stellenwert sie für den Erfolg oder das Scheitern bestimmter politischer Parteiungen hatte. Im September hatten sich die politischen Auseinandersetzungen stark zugespitzt. Der Konvent musste ein Signal setzen: Wie stand die Versammlung zur Vergangenheit, welche Kontinuitäten bestanden zwischen der vor- und der nachthermidorianischen Republik? Die Pantheonisierung Marats zwang dazu, sich zu zwei wirkungsmächtigen Momenten der jüngeren Geschichte der Revolution zu positionieren: zum Sturz der Monarchie und zum Sturz Robespierres. Marat hatte durch seine Angst und Gewaltbereitschaft schürenden Schriften zum Ende der konstitutionellen Monarchie und zur Dynamisierung der Volksbewegung beigetragen. Er hatte Mirabeau und die Volksvertreter der Assemblée législative zum Feindbild der Republikaner stilisiert und stand bis zu seinem Tod jeder Form von Regierung und Machtkonzentration skeptisch gegenüber, auch und vor allem in der Person Robespierres. Marat zu pantheonisieren bedeutete nach dem 9. Thermidor ein deutliches Bekenntnis zur so genannten ‚Zweiten Revolution‘ von 1792 und zur Staatsform der Republik, wenn nicht sogar den Versuch, die Terreur indirekt zu legitimieren. Dieses Bekenntnis erfolgte jedoch bei gleichzeitiger Distanzierung von Robespierre und den Drahtziehern des Wohlfahrtsausschusses – ein Drahtseilakt, der den verschiedenen Parteiungen unterschiedlich gut gelang und besonders die Jakobiner unter Druck setzte. Alle Fraktionen waren sich bewusst: Sie benötigten die Unterstützung des Volkes, um die Macht zu erhalten oder zu erobern. Symbolpolitik im öffentlichen Raum diente der Werbung für die eigene Sache und der Errichtung neuer Bündnisse mit dem Volk. Wer hätte zu diesem Zweck besser taugen können als Jean-Paul Marat, dessen Name und Popularität in der Bevölkerung der Hauptstadt nach wie vor seinesgleichen suchte?

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4.4.1 Symbolkämpfe im Umfeld der Pantheonisierung Jean-Paul Marats Le dernier jour de l’an second, La justice nationale Fit mettre hors du panthéon Mirabeau, le Caméléon; Dedans, Marat, le cannibale. Oh! des décrets l’heureux accord: Après sa pompe triomphale, Marat entre et voit comme on sort.1784

Auf den Straßen von Paris häuften sich seit September 1794 die Ausschreitungen der muscadins gegen die Jakobiner.1785 Flankiert wurden ihre Aktionen durch eine Offensive der Presse. Zeitungen und Polizeiberichte bezeugen lebhafte Diskussionen und Auseinandersetzungen; man bezeichnete die Antagonisten entweder als „les groupes“ oder „les partis“, die sich in einem krisenhaften,1786 wenn nicht kriegsähnlichen Zustand befänden, dem ‚Krieg der Pamphlete‘ („guerre des pamphlets“1787). Immer offensichtlicher wurden die Konflikte zwischen den gemäßigten Republikanern beziehungsweise ‚Thermidorianern‘ im engeren Sinne und den nach wie vor in einflussreichen Positionen verbliebenen Vertretern der Montagne, die sich aus Angst vor der Macht der gemäßigten Presse verzweifelt gegen die gesetzliche Einführung der Pressefreiheit wehrten.1788 1784

Messager du soir, 4 pluviôse. Diese Worte soll angeblich ein Abgeordneter („député, homme d’État“) am zweiten Tag der Sansculottiden II angesichts der Überführung Marats ins Pantheon geprochen haben, in weiser Voraussicht dessen, was kommen würde. Zitiert nach: AULARD: Paris pendant la réaction, Bd. 1, S. 413. 1785 Vgl. GENDRON: La Jeunesse Dorée, S. 62–126. Dort auch zum Folgenden. 1786 Vgl. Messager du soir, 2 vendémiaire III: „Au demeurant, notre situation politique se trouve dans une crise qui annonce des événements tout nouveaux. Il faut que le gouvernement ramasse toutes ses forces pour comprimer les égorgeurs; leur soif de sang n’est pas encore étanché“. 1787 So u. a. in der Gazette historique et politique de la France et de l’Europe, 1er vendémiaire an III. Vgl. auch die Analyse der Situation in: Courrier républicain, 1re sansculottide: „Du 30 fructidor. – Notre horizon est obscurci par les nuées de pamphlets qui s’élèvent de toutes parts contre les Jacobins, ceux d’aujourd’hui cassent tout à fait les vitres; ils sont intitulés: les Jacobins convaincus d’imposture; Dénonciation contre les Jacobins; on n’a encore rien vu de plus violent. La Société, croyant au-dessous d’elle de répondre à tant de diatribes, n’en parle que dans son sein pour alimenter seulement la discussion, et garde le silence à l’extérieur. Cependant Vadier a invité les écrivains montagnards à reprendre la plume pour foudroyer tous ces écrivailleurs à gages, et faire triompher les principes [sic].“ 1788 Vgl. WORONOFF: La République bourgeoise de Thermidor à Brumaire, S. 12ff.

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De facto bestand diese jedoch bereits.1789 An demselben Tag, an dem das von Fréron vorgebrachte Dekret zur Pressefreiheit im Konvent scheiterte (9. Fructidor II, 26. August 17941790), erschien in hoher Auflage das Pamphlet La Queue de Robespierre, das die an der Macht verbliebenen Montagnards als Erben des Tyrannen anprangerte: Der Kopf des Ungeheuers sei abgeschlagen, doch dessen Schwanz lebe bedrohlich weiter.1791 Der Stil des Originaltextes sowie seiner zahlreichen Kopien in leicht abgewandelter Form war aufwieglerisch; einige gingen soweit, öffentlich zum Totschlag aufzurufen: „La mort des Assassins, ralliement à la Convention.“1792 Die Société des Jacobins wehrte sich mit einer Reihe von Gegendarstellungen,1793 darum bemüht, sich von ihrer alten Führungsclique zu distanzieren und die Organisationsform der politischen Klubs und Volksgesellschaften peinlichst von den begangenen Exzessen zu trennen: „La masse des Jacobins est bonne, mais elle est maintenant dans l’erreur. Une poignée d’intrigans la dirigent, mais le voile est prêt à se déchirer.“1794 Die Versuche blieben jedoch erfolglos, zu wirkmächtig waren die von den gemäßigten Republikanern erzeugten Bildwelten. Die Offensive der rechten Presse zeichnete sich durch starke Geschlossenheit in der Argumentation aus, und ihr Einfluss auf die öffentliche Meinung war beachtlich. Neben den libellistes beteiligten sich zunehmend auch Zeitungen an der Stimmungsmache und steigerten die Auseinandersetzungen immer weiter in Richtung einer Debatte um die Verantwortlichkeit der gesamten Gruppe der Jakobiner für die Verbrechen der Terreur. Die Jakobiner reagierten: Marat sollte ins Pantheon überführt werden. Man hoffte wohl, durch eine öffentliche Inszenierung die Hand1789

Vgl. SCHMIDT/SCHRÖER: Ordre public und homme nouveau, S. 307. Zum Folgenden vgl. ebd., S. 307–309. 1790 Vgl. Moniteur n° 342, 12 fructidor II (29. August 1795), CN, suite de la séance du 9 fructidor. 1791 Vgl. La Queue de Robespierre, zitiert nach GENDRON: La Jeunesse Dorée, S. 35. Zum Folgenden vgl. ebd., S. 35ff. Von dem Pamphlet erschienen 70.000 Exemplare, die innerhalb einer Woche in ganz Frankreich verbreitet und mit ähnlichen Inhalten nachgeahmt wurden. Eine Interpretation der Symbolsprache des Pamphlets liefert BIARD, Michel: Après la tête, la queue! La rhétorique antijacobine en fructidor an II–vendémiaire an III, in: VOVELLE: Le tournant de l’an III, S. 201–213. 1792 Richer-Serisy: Aux jacobins, Paris 1794. 1793 Vgl. u. a. Damien, Joseph: Justification complète, de plusieurs membres de la Société des Jacobins, et leurs fureurs contre Merlin-de-Thionville, qui a osé demander leur fermeture. Preuve de leur utilité, par un Jacobin à la vie, à la mort, Paris o. J.; Réponse de plusieurs jacobins patriotes à la feuille intitulée: ‚Les Jacobins démasqués‘, Paris o. J. 1794 Calben, M. L.: Réponse à un écrit intitulé ‚Les Jacobins démasqués‘, Paris o. J.

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lungsmacht zurückerlangen zu können. Der Zeitpunkt war günstig: Am 31. August 1794 war im Château de Grenelle, unweit der École militaire und des Marsfeldes, ein Pulvermagazin explodiert, was den Quellen zufolge 1.000 Opfer unter den anwesenden 2.000 Arbeitern und Anwohnern der umliegenden Stadtviertel gefordert hatte; zudem wurden unzählige Häuser und Gebäude zerstört. Die Ursache der Explosion blieb ungeklärt, doch schnell machte das Gerücht die Runde, entlassene Gefangene hätten Brandstiftung betrieben. Der Ruf nach Ordnung wurde laut. Einige Mitglieder der Jakobiner forderten erstmals offen die Wiederaufnahme des Terrors.1795 Die Überführung des Ami du peuple ins Pantheon hätte dazu dienen können, Kontinuität zur radikalen Republik zu demonstrieren und ein hartes Durchgreifen zu legitimieren. Persönliche Konflikte vermischten sich mit politischen. Nach seinem Ausschluss aus dem Jakobinerklub wurde Tallien Opfer eines Anschlags, den die thermidorianische Presse geschickt für die eigene Sache zu nutzen verstand. In Aneignung der Praxis des Jahres II feierte man Tallien als ‚Märtyrer der Freiheit‘ – auch wenn dieser den Angriff bekanntermaßen überlebt hatte. Dabei berief sich Fréron, ganz im Stile der Rhetorik der radikalen Republikaner, auf zwei Instanzen: den Konvent und das Volk. Diese waren die beiden Größen, die es zu erobern galt. In seinem Orateur du peuple machte er die Jakobiner unmittelbar für den Anschlag verantwortlich und erklärte sie zu Gegnern der Versammlung und des Volkswillens.1796 Das Thema beschäftigte die öffentliche Meinung sehr.1797 Zur gleichen Zeit wurden weitere Pamphlete über den ‚Schwanz von Robespierre‘ herausgebracht.1798 Mehrere Zeitungen berichteten, dass in Umkehr der früheren Praxis nicht die Verkäuferin dieser Publikationen, sondern der Jakobiner, der eine Anzeige beim Sicherheitsausschuss erstatten wollte, festgenommen worden war. Im Kontext der aktuellen Situation, so urteilte der Courrier républicain am 30. Fructidor (16. September), wachse solchen Ereignissen große Bedeutung zu: Die Verhaftung war sichtbares Zeichen eines Stimmungsumschwungs. Die Polizeiberichte bemerken die Sensibilität der Zeitgenossen für die Bedeutung kleiner symbolischer Gesten auch am Beispiel des Umgangs mit den revolutionären Kokarden, die immer häufiger verdeckt oder verborgen getragen wurden.1799 Es waren diese feinen Unterschiede, die den Machtverfall der Jakobiner anzeigten. 1795

Vgl. WORONOFF: La République bourgeoise de Thermidor à Brumaire, S. 13f. Vgl. Orateur du peuple, 25 fructidor. 1797 Vgl. Courrier républicain, 26 fructidor; Gazette française, 26 fructidor. 1798 Vgl. ebd., 29 fructidor und 30 fructidor; Gazette française, 30 fructidor. 1799 Vgl. Rapport du 27 fructidor, AULARD: Paris pendant la réaction, Bd. 1, S. 95. 1796

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Die Berichterstattung darüber sollte den politischen Stimmungsumschwung weiter stabilisieren. Die Zeit drängte: Angesichts der Unruhen ging es darum, Handlungsmacht zu gewinnen. Die Jakobiner und die Partei der gemäßigten Republikaner hofften gleichermaßen, von der geplanten Pantheonisierung Marats politisch profitieren zu können.1800 Auch Fréron berief sich nun ausdrücklich auf den Ami du peuple, wenn er im September 1794 in seinem Orateur schrieb: Ô Marat! Toi qui tant de fois m’as appelé ton disciple chéri […] Ombre immortelle, viens m’environner de ta puissance […] Frappe cette nouvelle faction […] Car si le cendre du tyran fume encore, son système de terreur et de compression est plus que jamais à l’ordre du jour.1801

Die Tatsache, dass sich Männer wie Fréron ebenso wie Hébertisten und Jakobiner auf die Ikone der Volksbewegung beriefen, zeugt von der hohen Integrationskraft der Figur des Ami du peuple. Der Journalist und Politiker war durch seine Ermordung zu einem Symbol geworden, das als Projektionsfläche für höchst unterschiedlichste Interessen diente: Während die Sansculotten sein Andenken mit einem veritablen Kult ehrten, schätzten ihn viele Jakobiner als Sprachrohr des Volkes, und einige Thermidorianer erkannten in ihm eine Gegenfigur zu Robespierre. Doch anlässlich seiner Pantheonisierung war nur eine Zeremonie realisierbar; spätestens im Zuge der Durchführung mussten die Wertekonflikte offen zutage treten. Das Kultobjekt Marat entwickelte sich zu einer bedeutsamen Schlüsselfigur im politischen Machtkampf.

1800

Entgegen einer nach wie vor weit verbreiteten Meinung wurde der Leichnam Jean-Paul Marats nicht während der Jakobinerdiktatur, sondern in den ersten Monaten der Herrschaft des thermidorianischen Konvents in das Pariser Pantheon überführt. Eventuell führten Probleme im Umgang mit dem Revolutionskalender zu der Verwirrung, sicherlich hatte diese aber auch inhaltliche Gründe, suggerieren doch die meisten Überblicksdarstellungen zum Thermidor einen vollkommenen Bruch mit der Symbolik der Republik des Jahres II von einem Tag auf den anderen. Vgl. auch DE COCK, Jacques: Marat en l’an III, au Capitole et à la Roche tarpéienne, in: VOVELLE: Le tournant de l’an III, S. 215–220, S. 215. 1801 Ausgabe der letzten Tage des Jahres II, zitiert nach ebd., S. 217. Derjenige, der hier den Geist des journalistischen Vorbilds um Hilfe anruft, war seit dem 9. Fructidor das wichtigste Sprachrohr der thermidorianischen Fraktion und lobte in seinen Publikationen den Sturz Robespierres, der zur ‚vierten Revolution‘ stilisiert wurde, die die Schreckensherrschaft beendet habe. Unter anderem aufgrund dieser ‚reaktionären‘ Ansichten war er Anfang September (17. Fructidor) aus dem Jakobinerklub ausgeschlossen worden.

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Die Pantheonisierung Der grundsätzliche Beschluss, den Leichnam von Marat ins Pantheon zu überführen, war bereits im November 1793 per Dekret ergangen.1802 Robespierre hatte dieser Entscheidung skeptisch gegenübergestanden; erst nach seinem Sturz wurde das Projekt erneut aufgegriffen. Vermeintlich im Namen des Erziehungsausschusses, de facto vorher auch im Jakobinerklub diskutiert,1803 entschied der Konvent in seiner Sitzung vom 12. September, die Überführung des Ami du peuple bereits neun Tage später in die Tat umzusetzen.1804 Die Wahl des Datums war symbolisch von hoher Bedeutung: Am 21. September 1794 beging man den zweiten Jahrestag der Eröffnung des Konvents (und damit des Endes der Monarchie). Zudem handelte es sich nach der Zeitrechnung des revolutionären Kalenders um den letzten Tag des Jahres, den 5. Tag der Sansculottiden des Jahres II der Republik, der ebenso wie die anderen Sansculottiden für besondere Feste reserviert war. Wenige Tage vor dem 12. September hatte man sich geeinigt, anlässlich dieses Jahresabschlusses ein Nationalfest der Brüderlichkeit im Gedenken an die Siege der republikanischen Armeen zu begehen, eine Entscheidung, die zwangsläufig zu Konflikten zwischen den beiden Festanlässen führen musste. Der Konvent entschied dennoch, die Zeremonien zusammenzulegen. Bourdon argumentierte als Vertreter des Erziehungsausschusses, man könne problemlos gleichzeitig der nationalen Siege über die Feinde im Inneren (dank Marat) und über die äußeren Feinde (dank der Armee) gedenken.1805 Als die Details des Festprogrammes bekannt wurden, regte sich dennoch Protest. Fouché, nach wie vor einer der einflussreichsten Montagnards der Versammlung, kritisierte, die geplante Veranstaltung werde der Bedeutung Marats nicht gerecht und erinnere ihn eher an eine kirchliche Prozession als an einen Triumphzug.1806 Die Mehrheit der Plaine verfolgte jedoch ohnehin andere Pläne mit der Zeremonie der Überführung. Die Kritik fand somit auch kein Gehör; der ‚Triumph‘

1802

Vgl. Moniteur n° 56 und n° 67, 24 brumaire et 5 frimaire II (16. und 27. November 1793). 1803 Vgl. Moniteur n° 356, 26 fructidor II (12. September 1794): „Bouin: La plus belle fête qu’on puisse célébrer en l’honneur de Marat est de rendre justice aux patriotes opprimés.“; vgl. auch ebd. n° 357, 27 fructidor II (13. September 1794), S. 730ff. De Cock stellt klar, die Initiative der Jakobiner sei jedoch nicht weiter verfolgt worden: vgl. DE COCK: Marat en l’an III, S. 215. 1804 Vgl. Moniteur n° 358, 28 fructidor II (14. September 1794). 1805 Vgl. Moniteur n° 363, 3e sansculottide de l’an IIe (19. September 1794). 1806 Vgl. Moniteur n° 362, 2e sansculottide de l’an IIe (18. September 1794).

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des Marat fügte sich am 21. September in eine insgesamt militärisch inspirierte Festzeremonie ein.1807 Die sterblichen Überreste des ermordeten Journalisten waren ein Jahr zuvor auf dem Gelände des ehemaligen Klosters der Cordeliers beigesetzt worden, das sich unweit des Pantheons befand.1808 Für ein festliches Staatsbegräbnis erschien die Entfernung zum Pantheon als zu gering. Man beauftragte daher die nach dem Ami du peuple benannte Section Marat, den Leichnam vorab in den Konvent zu transportieren: Am Abend des 4. Ergänzungstages der Sansculottiden (20. September) sollte er im Vorraum der parlamentarischen Versammlung von Sonderbeauftragten in Empfang genommen, auf einem Podest zu Füßen einer Freiheitsstatue aufgebahrt und dort bis zum nächsten Tag bewacht werden.1809 Mit der Öffnung des Grabmals wurden dessen Schöpfer, der Bildhauer Martin und der Maurer Haret, betraut; der Bezirk selbst musste einen Wagen, Tücher und Dekorationen bereitstellen.1810 Am nächsten Tag, laut republikanischem Festkalender zum ‚Fest der Belohnungen‘ (fête des récompenses), erfolgte die feierliche Überführung, welche de facto einen fragilen Kompromiss zwischen den verschiedenen Parteiungen der Thermidorianer darstellte.1811 Der Festredner war ein ehemaliger Montagnard, weshalb seine Rede zu Ehren Marats keineswegs von vornherein als ‚bloße Rhetorik‘1812 abgetan werden kann.1813 Auch kann man den Mitgliedern des Erziehungsaus1807

Vgl. das Programm in: Moniteur n° 358, 28 fructidor II (14. September 1794). Vgl. u. a. GUILHAUMOU, Jacques: 1793: La mort de Marat, Paris 1989. 1809 Vgl. AN, Paris, AF II 17, pl. 119, pièce 72 sowie GENDRON: La Jeunesse Dorée, S. 90f. 1810 Vgl. AN, Paris, AF II 17, pièce 78–80. 1811 Vgl. Fête sans-culotide des récompenses. Dort auch zum Folgenden. Vgl. Kapitel 2.4.1. 1812 Vgl. OZOUF: Thermidor ou le travail de l’oubli, S. 95. 1813 Die Jakobiner waren nach dem 9. Thermidor selbst gespalten: Einerseits kämpfte man um Erhalt des Einflusses, andererseits bedurfte es der Abgrenzung von Robespierre, um die Revolutionsregierung zu retten. Carrier betont in der Sitzung vom 24. Fructidor nochmals ausdrücklich: „Dans la Société comme dans la Convention, il n’est pas un citoyen qui ne déteste le système affreux de Robespierre; on n’a pas oublié que la Convention s’est levée spontanément contre ce tyran, et qu’elle a voté à l’unanimité pour son arrestation et pour sa mise hors la loi. Il est nécessaire que cette vérité vole de bouche en bouche, et que les malveillants, à l’aide des expressions absurdes de continuateurs de Robespierre, ne puissent pas calomnier les patriotes. Que veulent les Jacobins, que veulent les bons députés qui forment la très-grande majorité de la Convention? Ils désirent que le gouvernement révolutionnaire marche avec rapidité, et qu’il arrive promptement au terme auquel nous aspirons. Il demande que les patriotes ne soient pas opprimés, et que l’aristocratie soit réduite à l’impuissance de nuire. Ils ne sauraient souffrir qu’on veuille anéantir le gouvernement révolutionnaire.“ Vgl. Moniteur n° 357, 27 fructidor II (13. September 1794); auch Leblois und Raisson argumentieren in diesem Sinne; vgl. ebd. 1808

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schusses kaum Desinteresse oder Nachlässigkeit bei der Planung der Veranstaltung vorwerfen. Doch am Ende verfehlten Festprozession und Begräbniszeremonie ihre Wirkung. Die Polizeiberichte halten fest, es hätten sich nur wenige Zuschauer eingefunden sowie weniger Freude und Enthusiasmus geherrscht als üblicherweise während der Nationalfeste. Offensichtlich hatten auch Gerüchte über einen möglichen Gewaltakt das Volk eingeschüchtert: „On a remarqué très peu de monde partout.“1814 Kaum dreißig Mitglieder der Jakobiner erschienen zu der Zeremonie, der auch die Masse des Volkes fernblieb; es herrschte eine gewisse ablehnende ‚Kälte‘ vor, glaubt man dem Messager du soir vom 2. Vendémiaire (23. September).1815 Mehrere Zeitungen belegen, dass das Volk abends immerhin der Einladung der Organisatoren nachkam, die Theater zu besuchen, in denen dem Festanlass entsprechende Stücke gespielt wurden, wie Brutus oder Guillaume Tell.1816 Dennoch muss es als offensichtlich gelten, dass die Botschaft des Festes als allzu vordergründiger Kompromiss zwischen konkurrierenden Zielsetzungen wahrgenommen worden war. Die Diskrepanz, die nach dem Verlust des direkten politischen Einflusses der Pariser Bevölkerung zwischen dem im Fest visualisierten Ideal und der gesellschaftlichen Wirklichkeit entstanden war, kann für das wachsende Desinteresse an den Veranstaltungen verantwortlich gemacht werden.1817 Das Bemühen, die Bindungskräfte der Vergangenheit für die Gegenwart und Zukunft zu mobilisieren, blieb ohne Erfolg. Die Beziehung zwischen dem Konvent und den Trägerschichten der ehemaligen Volksbewegung war im September 1794 zutiefst gestört, nicht zuletzt aufgrund der Duldungspolitk gegenüber der Agitation der muscadins. Aus heutiger Perspektive ist deutlich erkennbar, dass es am Ende die Thermidorianer waren, die vom Scheitern des Festes profitieren sollten. So wie sie durchgeführt und frequentiert wurde, war die Pantheonisierung Marats zu einem Fest des Sieges über Robespierre und seine Vertrauten geraten. Am 21. September 1794 wurde zwischen dem ‚Volksfreund‘ (Marat) und dem ‚Unbestechlichen‘ (Robespierre) erstmals offiziell ein Gegensatz inszeniert – was für die Legendenbildung im 19. Jahrhundert Konsequenzen haben sollte. Die Namen Marat und 1814

AN, Paris, AF II 139, pl. 1089, pièce 2. Vgl. AULARD: Paris pendant la réaction, Bd. 1, S. 121. 1816 Vgl. ebd., S. 121ff. 1817 Ben-Amos interpretiert das Fest dennoch unter dem Aspekt der Konsensstiftung: Anders als zur Zeit der Terreur sei bei der Pantheonisierung Marats nicht der Freiheitsmärtyrer gefeiert worden, um das Volk zu mobilisieren, sondern man habe unter empfindsamer Musik eine versöhnliche Gedächtniszeremonie inszeniert. Vgl. BEN-AMOS: Funerals, Politics, and Memory in Modern France, S. 48. 1815

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Robespierre stehen im kollektiven Gedächtnis für unterschiedliche Auffassungen der Republik: auf der einen Seite der volksnahe Journalist, der zu Selbstjustiz und Tyrannenmord und zur Perpetuierung der Revolution aufforderte; auf der anderen Seite der Jurist, der tiefe Vorurteile gegenüber dem Volk hegte, dessen Präsenz und Gewaltbereitschaft allerdings nutzte, um die eigene Herrschaft zu festigen. Die Verlierer des 9. Thermidor wurden durch die Zeremonie stigmatisiert: Hatten diese das Andenken des allseits geliebten Marat vernachlässigt, so wollte die Gegenpartei eine neue Allianz mit dem Volk errichten, das im Festzug in sechsfach verschiedener Gestalt anwesend war: 1. über Mitglieder der Klubs, 2. in den Vertretern der Sektionen, 3. in den Künstlern, die es ausdrücklich ‚repräsentierten‘, 4. über Frauen, die die Departements verkörperten, 5. in den Konventsabgeordneten, den gewählten Volksvertretern, 6. in den Generationenvertretern, den Vertretern der natürlichen Hierarchie der Gesellschaft. Die Volksbewegung hätte sich eine andere Inszenierung für den ‚Märtyrer der Freiheit‘ gewünscht. Gence hatte bereits früher in seiner Denkschrift gefordert, die Überführung solle mit kleineren Aufführungen und Illustrationen aus dem Leben Marats gestaltet werden.1818 Seiner Vision der ‚neuen Gesellschaft‘ zufolge gehörten die Sansculotten, mit dem typischen Werkzeug ihres Berufsstandes ausgestattet, an die Spitze des Zuges. In ihrer Mitte trügen sie ein Banner: „IL FUT NOTRE FRÈRE ET AMI! C’est en montrant ses actions, que nous le célébrons.“1819 Anschließend hätten Gruppen des Volkes die öffentlichen und privaten Tugenden Marats repräsentiert und seine Taten verherrlicht: seinen Beitrag zum Sturz Ludwigs XVI. am 10. August, die unerbittliche Anklage verräterischer Generäle, seine Verdienste als Gegner der Föderalisten und als Kämpfer für die Einheit der Republik. Mitglieder der Cordeliers, Jakobiner und Montagnards sowie die Familie Marats, aber auch Beamte und Abgeordnete hätten sich nach Vorstellung des Autors in den Festzug eingereiht und Reliquien des Revolutionsmärtyrers mitgeführt. Vor dem Pantheon hätte eine Art Krönungszeremoniell stattgefunden: Der Präsident des Nationalkonvents sollte Marat einen Eichenkranz verleihen, ein weiteres Banner für alle unmissverständlich den Zweck der Veranstaltung erläutern: „Les représentans du peuple vont couronner l’ami du peuple“. Es konnte weder Anhängern des Maratkultes noch den Jakobinern, die auf eine Fortsetzung der Terreur drängten, gefallen, dass das Leben und die Taten Marats letzten Endes nur in der Rede des Konventspräsidenten gewürdigt wurden. Die Zeremonie hatte nicht die gewünschte, 1818 1819

Vgl. Gence: Vues sur les fêtes publiques. Ebd.

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sondern eine andere republikanische Kontinuität inszeniert: nicht diejenige zur Terreur, sondern die zur Staatsform der Republik und zum Willen der Disziplinierung des Volkes, welches in geordneten Abteilungen im Zug mitlief.1820 Die Fraktion der Gemäßigten im Konvent konnte angesichts des geringen Erfolges der Veranstaltung in der Hauptstadt entscheidende Punkte für sich sammeln. Krieg der Pamphlete, Krieg der Theater, Krieg der Lieder Bevor es im Frühjahr 1795 zum endgültigen Sieg der Modérés über die Jakobiner sowie in diesem Zusammenhang auch zur Depantheonisierung Marats kommen sollte, erschütterte eine Reihe von anderen symbolischen Thronstürzen die Hauptstadt.1821 Das Gerichtsverfahren gegen den Jakobiner und représentant en mission Carrier, der sich für grausamste Ausschreitungen der Terreur in der Stadt Nantes verantworten musste, entwickelte sich zu einem politischen Schauprozess mit weitreichenden Folgen.1822 Über 140 Zeugen enthüllten regelrechte Horrorszenarien: In Nantes sei es zu mehr als 23 kollektiven Ertränkungen in der Loire gekommen, darunter einmal 600 Kinder; im Rahmen von ‚republikanischen Hochzeiten‘ (mariages républicains ) habe man junge Männer und Frauen nackt zusammengebunden in den Fluss geworfen; 40 Neugeborene seien in Exkrementen ertränkt worden; Soldaten hätten einen Becher Blut als Initiationsritus trinken müssen, und Carrier habe in der société populaire von Nantes gesagt, dass man mit den Köpfen der Nanteser boule spielen solle – um nur einige von der langen Liste der Anklagepunkte aufzuzählen.1823 Vor allem der Vorwurf der Ermordung junger Paare in der Loire wurde mittels der Bildpublizistik aufgegriffen

1820

So erklärt sich auch der Einspruch Fouchés, nachdem das Festprogramm bekannt wurde. 1821 Vgl. dazu SCHMIDT/SCHRÖER: Ordre public und homme nouveau, S. 308. Zum Folgenden vgl. ebd., S. 308–310. 1822 Vgl. verschiedene Einordnungen des Prozesses bei SUTHERLAND, Donald: Le procés de Carrier: La terreur blanche et l’échec de l’homme nouveau, in: LA RÉVOLUTION FRANÇAISE ET LES PROCESSUS DE SOCIALISATION, S. 517–524; DUPÂQUIER, Jacques: Le procès de Carrier, in: VOVELLE: Le tournant de l’an III, S. 27–34; ders.: Le procès de Carrier, in: LE ROY LADURIE, Emmanuel (Hrsg.): Les Grands procès politiques. Une pédagogie collective, Actes du colloque organisé le vendredi 28 septembre 2001, Paris 2002, S. 55–65; MARTIN, Jean-Clément: Le procès de Carrier, un procès politique?, in: ebd., S. 67–80. 1823 Vgl. diese Zusammenfassung der Anklagepunkte u. a. bei Babeuf, Gracchus: On veut sauver Carrier, on veut faire le procès au Tribunal révolutionnaire. Peuple, prend garde à toi, o. O. o. J.

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und rasch in ganz Frankreich verbreitet.1824 Andere Abbildungen argumentierten stärker metaphorisch und verknüpften die Darstellung der Verbrechen mit positiven Wertzuschreibungen für die Gegenwart: So wurde beispielsweise Carrier als feuerspeiendes Monster mit menschlichem Kopf visualisiert (Abb. 50), das mit seinen Armen zwei Priester und ein junges Paar getötet hat; im Bildhintergrund stehen Häuser in Flammen, und die Bevölkerung befindet sich in einem Zustand der Panik. Im Himmel thronen jedoch die allegorischen Figuren der Wahrheit und Gerechtigkeit, was bereits darauf hindeutet, dass der Schandtäter bestraft werden wird. Carrier wurde am 26. Frimaire III (16. Dezember 1794) zum Tode verurteilt und am 24. Dezember 1794 hingerichtet – die Verantwortlichen der regierenden Ausschüsse inszenierten an seinem Exempel eine symbolische Abrechnung mit der Terreur. Allerdings dauerte der Symbolkrieg dennoch weiter fort: Nach dem Prozess gegen Carrier gerieten nach und nach auch der Wohlfahrtsausschuss und anschließend alle Jakobiner und Entscheidungsträger des Jahres II ins Visier der öffentlichen Meinung.1825 In einer Atmosphäre von drohender Lynchjustiz setzten die reaktionären Schlägertruppen der jeunesse dorée in den Straßen von Paris nach mehreren Übergriffen auf den Versammlungsort noch vor dem Jahreswechsel 1794/95 die Schließung des Jakobinerklubs in der Rue Saint-Honoré durch.1826 Die reaktionäre Politik der Straße hatte dem Konvent ihren Willen aufgezwungen. Der Konvent riskierte mit der hochgradig symbolischen Geste der Schließung des Klubs eine Distanzierung von der gesamten Revolution. Selbst die konsensfähige Abgrenzung von der Terreur implizierte eine Infragestellung der Revolution und der Republik. Das Lager der Republikaner war gespalten – zumal durch die Kooperation mit der jeunesse dorée eine neue Abhängigkeit des Parlaments von der Straßenpolitik 1824

Der ‚Erfolg‘ solcher Blätter erklärt sich vermutlich auch durch die Darstellung von Nacktheit: Während einige Drucke den Vorgang des Verbrechens als weitläufiges Panorama abbildeten, prangerten andere die Amoralität des Geschehens durch Nahansichten der verängstigten Opfer an. Vgl. Berthault, Pierre-Gabriel: Noyades dans la Loire, par ordre du féroce Carrier, les 6 et 7 décembre 1793, ou 5 et 6 frimaire an 2.eme de la République, eau-forte, burin, 24 × 29 cm, [Paris o. J.] (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6383); sowie [Non-identifié]: Les noyades de Nantes, eau-forte, burin, 12,5 × 8 cm, [Paris, entre 1794 et 1799] (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6388). 1825 Nach WORONOFF: La République bourgeoise de Thermidor à Brumaire, S. 15. Vgl. dort auch zum Folgenden. 1826 Das Ereignis wurde auch durch Drucke popularisiert: Malapeau, Claude Nicolas und Jean Duplessi-Bertaux: Cloture de la salle des Jacobins, dans la nuit du 27 au 28 juillet 1794, ou du 9 au 10 Thermidor, An 2 de la République, eau-forte, burin, 24 × 29 cm (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6476).

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Abb. 50: [Non-identifié]: Le Flot qui l’apporta, recule epouvanté, eau-forte, 9,5 × 6 cm, Extr. de: Almanach des gens de bien, Paris 1795.

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drohte, nachdem man doch erst wenige Monate zuvor mühsam den Einfluss der Volksbewegung unter Kontrolle gebracht hatte.1827 Die muscadins agierten seit dem Winter auch in den Theatern, wo sie neue Bühnen für ihren Symbolkrieg fanden:1828 Schauspieler wurden gezwungen, reaktionäre Lieder zu singen oder öffentliche Distanzierungserklärungen von ihrer jakobinischen Vergangenheit zu verlesen.1829 Es ist auffällig, dass viele Praktiken, die zur Zeit der Terreur von Seiten der Volksbewegung betrieben worden waren, nun von der politischen Gegenseite adaptiert wurden: 1793 hatte man die Comédie française nach 113-jährigem Bestehen geschlossen und den Schauspielern des Théâtre de la Nation das Auftreten verboten,1830 außer ihrem Leiter Molé, der sich dadurch schützte, dass er ein politisches Bekenntnis an seine Haustür schreiben ließ: „C’est ici qu’habite le républicain Molé.“1831 Nur die Gruppe um Talma, die das Theater verlassen und den neuen Saal „de la République“ gegründet hatte, konnte problemlos weiterspielen. Nach dem 9. Thermidor wurden innerhalb kürzester Zeit die gefangen gesetzten Schauspieler befreit, und das gemäßigte politische Theater erlebte eine Renaissance.1832 Der Applaus für diejenigen Stellen, an denen ein Tyrann gestürzt wurde,1833 erhielt eine neue Bedeutung: nicht mehr der Sturz der Monarchie, sondern der Sturz Robespierres wurde nun gefeiert. Es wurde zur Mode, Zettel mit politischen Bekenntnissen, Aufrufen oder Forderungen auf die Bühne zu werfen, die von den Darstellern 1827

Der 9. Thermidor war die erste journée révolutionnaire gewesen, die einen Sieg des Konvents über die Straße, und nicht umgekehrt, darstellte; die Volksmassen der Hauptstadt wurden anschließend immer deutlicher für die Terreur verantwortlich gemacht; die Aktivitäten der jeunesse dorée hingegen wurden geduldet. Vgl. FURET, François: La Terreur sous le Directoire, in: Ders./OZOUF: The Transformation of Political Culture, S. 173–186, hier S. 174. 1828 Auch die Theaterprogramme selbst sind aufschlussreiche symbolpolitische Indikatoren; vgl. dazu u. a. bereits: BOURDIN, Philippe: Les factions sur les tréteaux patriotiques (1789–1799): combats pour une représentation, in: SCHOLZ/SCHRÖER: Représentation et pouvoir, S. 23–37; ders. und Gérard LOUBINOUX (Hrsg.): Les Arts de la scène et la Révolution française. Clermont-Ferrand 2004; SCHMIDT, Rüdiger: Le théâtre se militarise: le soldat-citoyen dans le théâtre de la Révolution française, in: SCHOLZ/SCHRÖER: Représentation et pouvoir, S. 63–82. 1829 Vgl. GENDRON: La Jeunesse Dorée, S. 110–120 („La guerre des théâtres“). 1830 Vgl. CARLSON, Marvin A.: The Theater of the French Revolution, Ithaca (N. Y.) 1966, S. 129–168. 1831 Zitiert nach GENDRON: La Jeunesse Dorée, S. 110. 1832 Vgl. zum Folgenden: Ebd., S. 110ff. Gendron beruft sich bezüglich der Freilassung der Schauspieler auf den Abréviateur universel vom 20. Thermidor, der berichtet, die Freilassung sei am 18. Thermidor erfolgt. 1833 Vgl. AULARD: Paris pendant la réaction, Bd. 1, S. 38.

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verlesen werden sollten. Die Aktionen waren zentralisiert und geplant: Polizeiberichte zeigen, dass im Café de Chartres, einem der zentralen Treffpunkte der jeunesse dorée, eine Art Zensurbehörde errichtet wurde, die darüber entschied, welche Botschaften wann und wo verlesen werden sollten.1834 Sie richteten sich gegen all diejenigen, die mit dem Regime des Jahres II ‚kooperiert‘ hatten. Neben der Verlesung einzelner billets forderten die Reaktionäre häufig auch die Aufführung der Hymne ‚Le Réveil du peuple‘, die sich großer Beliebtheit erfreute. Es handelte sich um einen Text von Souriguère zu einer Melodie von Gaveau.1835 Die erste Strophe enthielt eine Abrechnung mit der Terreur, deren Verbrechen mit ausdrucksstarken Begriffen belegt wurden. Souriguère rief das ‚französische Volk, ein Volk von Brüdern‘, zur Gegenwehr auf: ‚Was ist das für eine barbarische Langsamkeit? Beeil Dich, souveränes Volk, den Monstern des Taenarus all’ diese Säufer menschlichen Bluts auszuliefern‘, heißt es im Liedtext.1836 Am Ende stand ein Appell an den Konvent, die Gerechtigkeit wiederherzustellen, um auf diese Weise selbst Unsterblichkeit zu erlangen: Représentants d’un peuple juste, Ô vous, législateurs humains, De qui la contenance auguste Fait trembler nos vils assassins, Suivez le cours de votre gloire; Vos noms chers à l’humanité Volent au temple de la mémoire, Au sein de l’immortalité.1837

Der Réveil du peuple wurde über die Presse verbreitet: Zuerst wurde er im Messager du soir abgedruckt – pünktlich zum 21. Januar 1795, dem Jahrestag der Hinrichtung des Königs, an dem die Reaktionäre eine Zeremonie mit öffentlicher Verbrennung einer Jakobinerpuppe geplant hatten (siehe auch Kapitel 4.4.2).1838 Trotz seines versöhnlich und harmonistisch wirkenden Schlusses hatte die Intonation des Liedes eine mobilisierende Wirkung. Die Gazette française berichtete, dass in den

1834

Vgl. ebd., S. 449. Vgl. Souriguières, Jean-Marie und Pierre Gaveaux: Le Réveil du peuple, gedruckte Partitur, 21,5 × 17,5 cm (Paris, Musée Carnavalet, Inv. PC histoire 28A, G. 29928, abgebildet in: Ausst.Kat. AU TEMPS DES MERVEILLEUSES, Kat.Nr. 9, S. 23). Zur Interpretation des Liedes vgl. MASON: Singing the French Revolution, S. 134. Vgl. dort auch zum Folgenden. 1836 Vgl. ebd., S. 131. 1837 Ebd. 1838 Vgl. Le Messager du soir, 2 pluviôse an III. 1835

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Theatern allabendlich die Zeile „Quelle est cette lenteur barbare“ mit tosendem Applaus bejubelt wurde – und dieser Zuspruch bestärkte die Reaktionäre in ihrem Handeln und ermutigte sie zur Planung weiterer Aktivitäten. Zunächst hatten solche Aktionen keine anti-republikanische Stoßrichtung. Argumentierte noch die ältere, pro-jakobinische Geschichtsschreibung, der Réveil du peuple sei eine ‚Hymne von Royalisten‘ gewesen, mit der diese versucht hätten, die Republik zu diskreditieren, so kann diese Meinung inzwischen als widerlegt betrachtet werden. Das Lied fand im Gegenteil gerade aufgrund seiner fraktionsübergreifenden Anschlussfähigkeit weite Verbreitung: Gemäßigte Republikaner, Monarchisten und Royalisten nutzten es während des Frühjahrs und Sommers 1795 gleichermaßen, um eine Debatte über den Weg des zukünftigen Frankreichs anzustoßen.1839 Selbst derjenige Teil der Jakobiner, der sich stets von dem Bündnis mit der Sansculottenbewegung distanziert und für eine konsequente Repräsentativverfassung plädiert hatte, musste die Schlussformel des Liedtextes begrüßen. Bei offiziellen Veranstaltungen wurde die Hymne somit 1795 auch häufig gleichwertig mit der Marseillaise gespielt. Inhaltlich vor allem ein Aufruf zur Bestrafung der Terroristen, bezog sich das Lied jedoch fast ausschließlich auf die Vergangenheit, die abgelehnt wurde. Eine Vision für die Zukunft oder gar ein revolutionärer Appell, wie er 1790 in einem Vers des Ça ira angelegt gewesen war – „celui qui s’élève on l’abaissera“ –, fehlte im Réveil du peuple. Der Aufruf an den ‚humanen Gesetzgeber‘ sollte trotz der offensichtlich geschickten Rhetorik der reaktionären Bewegung ernst genommen werden. Nicht nur im Liedtext priesen die muscadins den Konvent; auch bei ihren Zügen durch die Pariser Theater erklärten sie sich zu Verteidigern des Parlaments gegen die vermeintlich ‚anarchistischen‘ Jakobiner. Auf dem Höhepunkt des Theaterkrieges sollten sich die wechselseitigen Vorwürfe und Ansprüche endgültig zu Parolen verdichten: Vive la Convention, À bas les Jacobins! versus À bas la Convention! Vive les Jacobins! – so zumindest einer Darstellung Martainvilles zufolge, einem der publizistisch produktivsten Anhänger der goldenen Jugendbewegung im Winter 1794/95.1840 Martainville veröffentlichte diese Zeilen als Protest gegen die im Frühjahr 1795 zunehmenden Versuche, in der Hauptstadt die Aktivitäten der jeunesse dorée zu unterbinden. Im 1839

Vgl. SCHMIDT/SCHRÖER: Ordre public und homme nouveau, S. 319f. Dort auch zum Folgenden. 1840 Vgl. Martainville, Alphonse-Louis-Dieudonné: La Nouvelle Henriotade ou récit de ce qui s’est passé relativement à la pièce intitulée: „Concert de la rue Feydeau“, Paris o. J.

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Theater Ambigu-Comique war ein Stück auf die Tagesordnung gesetzt worden, das sich offen über die muscadins lustig machte und Kritik an ihrer politischen Einstellung sowie an ihrer Lebenspraxis übte.1841 Ein eingebildeter, untätiger muscadin beschwerte sich über das Volk der Vorstädte und verherrlichte die Gesellschaft der Cafés im Palais Royal (bekannt als Treffpunkt der jeunesse dorée). Der Autor des Stückes bezeichnete ihn als ‚reichen Nichtsnutz‘, den man wohl oder übel in Ruhe lassen müsse: „Laissons ces riches fainéants cacher leur nullité sous un luxe honteux.“1842 Proteste aus den Reihen der muscadins begleiteten die Aufführungen und führten am 18. Pluviôse (6. Februar) zur Absetzung des Stückes. Doch der Sieg war keineswegs vollkommen: Militär hatte das Theater umstellt, ließ den Saal räumen und auf die Polizeistation des 6. Arrondissements bringen. Dort hat Martainville zufolge eine Befragung stattgefunden, aus der die zitierten Parolen der beiden verfeindeten Lager stammen. Es war zunächst wohl gerade seine Mehrdeutigkeit, die dem Réveil du peuple zunächst große Popularität bescherte.1843 Erst als sich auch aus der Provinz die Nachrichten häuften, dass zu seinen Klängen Ausschreitungen gegen republikanische Würdenträger und Symbole verübt würden (terreur blanche), distanzierte sich der Konvent ausdrücklich von dem Lied. Gleichzeitig avancierte die Marseillaise zu einem „Sammlungs- und Verteidigungslied der revolutionären Errungenschaften“1844. Hatte sie bereits in der frühen Republik de facto den Status einer Nationalhymne angenommen, da sie bei besonderen Anlässen, an Dekadentagen oder auch immer, wenn das Volk es verlangt hatte, im Konvent gesungen worden war, so wurde sie vom Thermidorkonvent am 26. Messidor III (14. Juli 1795) offiziell zur ‚Hymne der Republik‘ erklärt: Das Dekret legte fest, die Marseillaise sei jeden Tag von der garde, die vor dem Palais national aufzog, zu singen, und dass sie künftig von allen Musikkorps der Nationalgarde und der Linientruppen gespielt werden solle. Dies kam einer Rehabilitation des Kampfliedes nach

1841

Vgl. GENDRON: La Jeunesse Dorée, S. 113. Périn, René und Commaille Saint-Aubin: Le Concert de la rue Feydeau ou la Folie du jour. Comédie en 1 acte, en prose... par les citoyens René Périn et Cammaille, Paris, an III. 1843 Erst im Januar 1796, nach der Erfahrung des Vendémiaire-Aufstandes und dem Zusammentreten der neuen Institutionen des Direktoriums, wurde es als ‚Hymne der Reaktion‘ verboten. 1844 VOVELLE, Michel: Die Marseillaise. Krieg oder Frieden, in: NORA: Erinnerungsorte Frankreichs, S. 63–112, S. 78. 1842

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Monaten der Ungnade gleich.1845 Fortan galt die Marseillaise gleichermaßen als Hymne des Vaterlandes und der Republik. Der Krieg gegen den Réveil du peuple dauerte jedoch noch weiter an, auch nachdem das Singen bei Theateraufführungen grundsätzlich verboten worden war. Das Verbot wurde zurückgenommen, gleichzeitig aber im Nivôse des Jahres IV (Dezember 1795–Januar 1796) eine Liste republikanischer ‚Lieblingslieder‘ beschlossen, deren Singen im Theater erlaubt, wenn nicht sogar obligatorisch sei: Darauf standen die Marseillaise, das Ça ira, der Chant du départ und Veillons au salut de l’empire – während der Réveil du peuple fehlte. Tatsächlich verlor das Lied daraufhin an Bedeutung, wohingegen die Marseillaise dank der verstärkten Bemühungen des Direktoriums um eine Volkserziehung über Feste und Zeremonien immer wichtiger werden sollte. Der Text erfuhr je nach Anlass Bearbeitungen und Adaptionen. François de Neufchâteau empfahl beispielsweise zum Fest des Ackerbaus folgende Zeilen: „Die Waffen in die Hand, auf Bauern, treibt euer Vieh mit Stachel an, Marschiert, marschiert; und ein williger Ochse, soll öffnen die Furchen eures Felds“1846. Der Erfolg dieser Zeilen erscheint fraglich, nicht aber die mobilisierende Wirkung des Liedes bei der Armee: Man sang die Marseillaise während des Italienfeldzugs ebenso inbrünstig wie anlässlich der Feierlichkeiten zur Beisetzung Hoches am 1. und 2. Vendémiaire VI (22./23. September 1797) oder zum Begräbnis von Joubert im Vendémiaire VIII (September 1799). Am Abend des 18. Brumaire VIII (9. November 1799) leisteten zu ihren Klängen die letzten Abgeordneten des Rats der Fünfhundert – erfolglos – Widerstand gegen den Staatsstreich der Clique um Sieyès und Napoleon Bonaparte.1847

4.4.2 Gegenzeremonien und Büstenstürze im Kontext der Depantheonisierung Marats Die Theater waren auch der Ort, an dem die Depantheonisierung Marats ihren Anfang nahm: Am 28. Nivôse III (17. Januar 1795) entdeckte man, dass seine Büste im Theater Favart schwer beschädigt worden war.1848 Vier Tage später beging man den zweiten Jahrestag der Hinrichtung des Königs. Vermutlich aus Angst vor einer Eskalation der Agitati1845

Vgl. Anordnung des Konvents vom 4. Frimaire II (24. November 1793), zitiert nach: Ebd., S. 77. Zum Folgenden vgl. ebd., S. 77ff. 1846 Zitiert nach ebd., S. 80. 1847 Vgl. ebd., S. 80. 1848 Vgl. Rapport du 29 nivôse, zitiert nach: AULARD: Paris pendant la réaction, Bd. 1, S. 400.

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on verlegte der Konvent die offizielle Zeremonie einen Tag vor (auf den 1. Pluviôse, 20. Januar) – vom Revolutionsplatz weg in die geschlossene Einheit der Tuilerien.1849 Die Quellen berichten erneut von einer geringen Beteiligung des Volkes, angeblich aufgrund der Kälte. Derselben Kälte trotzten jedoch am nächsten Tag problemlos 3.000 Teilnehmer1850 bei einer Gegenzeremonie, die in verschiedenen Blättern angekündigt worden war1851. Einem Polizeibericht zufolge versammelten sich zunächst um sieben Uhr abends 200 bis 300 Personen im im Jardin-Égalité (Palais Royal).1852 Es handelte sich um Mitglieder der jeunesse dorée, die Stammgäste im Café de Chartres waren und sich dort aus gegebenem Anlass mit einer Gesandtschaft aus dem Faubourg Saint-Antoine verabredet hatten – der ursprünglichen Keimzelle der Volksbewegung. Die Aktion war offensichtlich gut vorbereitet. Die Vertreter des Vorortes brachten eine Puppe mit, die als ‚Jakobiner‘ bezeichnet wurde und mit den entsprechenden Erkennungszeichen versehen war: „portant une perruque noire et un bonnet rouge sur la tête, une bourse et une portefeuille dans une main, et une torche dans l’autre“1853. Nach einer kurzen Zeremonie, mit Reden und Gesängen, machte man sich zur Place de la Réunion auf, wo das Andenken Marats öffentlich beleidigt wurde, dann ging es weiter zum Hof des Jakobinerklubs, wo die Puppe öffentlich verbrannt wurde. Die Asche wurde in einen Nachttopf gegeben und anschließend in den Abwasserkanal des Montmartre geschüttet, denjenigen Ort, der, wie es hieß, ‚das Pantheon aller Jakobiner und Blutsäufer‘ (buveurs de sang) repräsentiere. Anders als wenige Monate zuvor anlässlich der Pantheonisierung des Ami du peuple geschehen, wurde hier keineswegs mehr zwischen Cordeliers und Jakobinern unterschieden, sondern die Anhänger Marats und die Robespierristen gemeinsam als Verantwortliche der Terreur denunziert. Die Zeremonie muss als Versuch einer ‚Verbrüderung‘ zwischen den Stadtbürgern und den Bewohnern der Vororte gewertet werden – ein im Kontext des Thermidor äußerst bemerkenswerter Vorgang, der eventuell von Abgeordeten aus den Reihen der Thermidorianer bewusst unter1849

Vgl. Courrier républicain, 3 pluviôse, zitiert nach AULARD: Paris pendant la réaction, Bd. 1, S. 408. Dort auch zum Folgenden. 1850 Vgl. Messager du soir, 4 pluviôse; der Courrier républicain, 4 pluviôse, spricht sogar von 5.000 bis 6.000 Teilnehmern; die Gazette française, 4 pluviôse, von einer „foule nombreuse de républicains“. Zitiert nach: AULARD: Paris pendant la réaction, Bd. 1, S. 414f. 1851 Vgl. Messager du soir, 2 pluviôse; Courrier républicain, 3 pluviôse, zitiert nach: AULARD: Paris pendant la réaction, Bd. 1, S. 408ff. 1852 Vgl. AULARD: Paris pendant la réaction, Bd. 1, S. 411. 1853 Ebd.

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stützt wurde. Das Presseecho war entsprechend groß. Auch wenn der Courrier républicain vom 4. Pluviôse (23. Januar) den Vorwurf erhob, diejenigen, die hier feierten, seien dafür bezahlt worden,1854 berichteten doch Zeitungen verschiedenster politischer Couleur von einem großen Interesse an der Veranstaltung, trotz der Kälte („malgré l’extrême rigeur du froid“1855). Nichts war dem Zufall überlassen worden: Eine rhetorisch ausgefeilte Anklageschrift wurde verlesen und die Puppe unter den Rufen „A bas les Jacobins, les terroristes, les royalistes! Vive la République! vive la Convention nationale!“ auf einem sorgsam vorbereiteten Scheiterhaufen verbrannt.1856 Neben dem Réveil du peuple, der das Volk aufrief, die Verantwortlichen der Schreckensherrschaft gemeinschaftlich zu strafen, wurde das Bild der ‚Familie‘ bemüht, um eine neue Eintracht und Einheit zu stiften. Der Narrateur impartial druckte unter anderem folgende patriotische Hymne ab, die in diesem Kontext gesungen wurde: Air: Le plaisir qu’on goûte en famille Voici l’instant de terminer Notre banquet patriotique; Mais il faut, pour le couronner, Etonner un refrain civique. Invoquons la liberté La sensible et touchante fille; Descends, douce fraternité, Viens voir un repas de famille. Des faubourgs, braves habitants, Chacun de nous et votre frère; On nous fit oublier longtemps Que nous avions la même mère: Embrassons-nous, et que toujours, Chez nous, la fraternité brille: Ah! que la ville et les faubourgs Ne fassent plus qu’une seule famille. Indulgence pour les erreurs, Mais prompte vengeance des crimes; N’épargnons point les égorgeurs De tant d’innocentes victimes. Chaque jour un crime nouveau 1854

Zitiert nach: AULARD: Paris pendant la réaction, Bd. 1, S. 415: „Sur leur route, ils ont rencontré une femme qui s’est permise de dire que ceux qui insultaient ainsi aux Jacobins étaient des gens payés. Cette observation, au moins extrêmement imprudente, lui a valu le fouet, qui lui a été appliqué par trois fois“. 1855 Courrier républicain, 4 pluviôse, zitiert nach: AULARD: Paris pendant la réaction, Bd. 1, S. 414. 1856 Vgl. ebd.

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Pour eux n’était qu’une vétille; Proscrivons-les, qu’aucun bourreau Ne soit admis dans la famille.1857

Anstelle des Geistes der Bankette der Schreckenszeit wurde ein ‚Familienmahl‘ („repas de famille“) beschworen, von dem allein die Schlächter und Henker der Terreur ausgeschlossen sein sollten.1858 Die Berichterstattung bestärkte die öffentliche Meinung in ihrer Tendenz zur Reaktion; zunehmend wandte sich die Stimmung gegen die Terreur und all ihre ‚Verantwortlichen‘. Die Depantheonisierung des Ami du peuple war nur noch eine Frage der Zeit. Als kleinster gemeinsamer Nenner vieler Oppositioneller stellte sich zu Beginn des Jahres 1795 die Ablehnung gegenüber den Jakobinern oder zumindest gegenüber Robespierre heraus. Schließlich hatte dieser die Herrschaft der Volksbewegung de facto gebrochen und den Kontakt zu den Sansculotten abgebaut. Dass jedoch die Bewohner der faubourgs ihren Hass mehrheitlich auch gegen Marat wandten, ist kaum wahrscheinlich. Hier ist tatsächlich von einer einmaligen, von einflussreichen Drahtziehern finanzierten Aktion am Jahrestag des Königsmordes auszugehen. Zehn Tage später begann die Agitation gegen die Bildnisse des Ami du peuple. Am 12. Pluviôse (31. Januar) wurde im Theater Feydeau die erste Büste zerschlagen; es kam zum Aufruhr. Man spottete, Marat habe sein Abonnement nicht verlängert.1859 Aller Mahnungen der Regierung1860 oder selbst der Anführer aus dem reaktionären Lager1861 zum Trotz weiteten sich die Aktionen weiter aus. Martainville tat sich als Organisator der Proteste hervor. Am 14. Pluviôse (2. Februar) verlas er im Théâtre de la République einen Bericht des Sicherheitsausschusses, der den Büstensturz als ‚Erniedrigung des Konvents‘ anprangerte und davon ausging, die jungen Leute seien Opfer der Regimegegner geworden.1862 Unter den Worten „Vive la Convention“1863 wurde jedoch der 1857

Narrateur impartial, 3 pluviôse, zitiert nach: AULARD: Paris pendant la réaction, Bd. 1, S. 413. 1858 Aus demselben Kontext stammt wohl auch folgende Hymne von Martainville: Martainville, Alphonse-Louis-Dieudonné: Couplets en l’honneur des mémorables journées du 21 et 22 brumaire, signé A. Martainville, Paris [hss.] 1794. 1859 Vgl. DE COCK: Marat en l’an III, S. 217. Dort auch zum Folgenden. 1860 Vgl. Bericht von Laignelot vor dem Konvent im Auftrag des Comité de sûreté générale vom 13. Pluviôse des Jahres III, Moniteur n° 136, 16 pluviôse III (4. Februar 1795), séance du 13 pluviôse. 1861 Vgl. Artikel von Fréron im Orateur du peuple, Ende des Monats Nivôse/Anfang Pluviôse. 1862 Vgl. GENDRON: La Jeunesse Dorée, S. 95. 1863 Messager du Soir, 15 pluviôse an III; AULARD: Paris pendant la réaction, Bd. 1, S. 450.

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Aufruf ignoriert und eine Marat-Büste zerbrochen. Es handelte sich um eine konzertierte Aktion: Nicht nur im Théâtre de la République, auch im Vaudeville sowie in den Theatern Favart, des Arts und Montasier wurden Marat-Büsten geköpft.1864 Im Théâtre Feydeau wurde aus einem Pamphlet gegen den Ami du peuple und ‚andere Mörder‘ („autres égorgeurs“) vorgelesen.1865 Im Winter 1794/95 war Marat für Teile der Bevölkerung immer noch ein Heiliger. Seit August 1793 hatten die Sansculotten der Pariser Sektionen Trauerfeierlichkeiten veranstaltet, die deutlich quasi-religiösen Charakter annahmen.1866 Der Märtyrerkult, auch im Andenken an Lepeletier und Chalier, hatte sich im Winter 1793/94 intensiviert: Büsten der Revolutionsheiligen schmückten die Versammlungsräume der Revolutionskomitees,1867 und ihre Bildnisse wurden in den zu Tempeln der Vernunft umgewidmeten Kirchen an die Stelle katholischer Heiligenbilder gesetzt.1868 So urteilt Gendron zu Recht, die Kampagne der muscadins gegen den ‚Märtyrer‘ habe den Anstrich eines Sakrilegs gehabt.1869 Seine Büste war an solchen Stellen aufgestellt worden, die zuvor von Marienstatuen geziert wurden, wie beispielsweise in einem Hauswinkel der Rue aux Ours, in dem von 1418 bis 1790 eine wundertätige Madonna verehrt worden war. Am 2. Brumaire II (23. Oktober 1793) 1864

Vgl. Le Courrier républicain, 15 pluviôse an III; AULARD: Paris pendant la réaction, Bd. 1, S. 445f. 1865 Vgl. Maton de La Varenne, Pierre-Anne-Louis de: Les Crimes de Marat et des autres égorgeurs; ou Ma Ressurrection. Ou l’on trouve non-seulement la preuve que Marat et divers autres scélérats, membres des Autorités publiques, ont provoqué tous les massacres des prisonniers; mais encore des matériaux précieux pour l’histoire de la Révolution française, Paris, an III (1795). 1866 Vgl. SOBOUL, Albert: Sentiment religieux et Cultes populaires pendant la Révolution: Saintes patriotes et martyrs de la liberté, in: AHRF XXIX (1957), S. 193–213, sowie ders.: Die Große Französische Revolution. Ein Abriß ihrer Geschichte (1789–1799), Frankfurt am Main 1983 [frz. Original Précis de l’histoire de la revolution française, Paris 1962], S. 314. Vgl. dort auch zum Folgenden. Außerdem vgl. BONNET, JeanClaude: Les formes de la célébration, in: Ders. (Hrsg.): La Mort de Marat, Paris 1986, S. 101–127. 1867 Vgl. u. a. Boulet: L’Intérieur du comité révolutionnaire; Berthault, Pierre-Gabriel und Claude Nicolas Malapeau, nach Alexandre Fragonard: Intérieur d’un Comité révolutionnaire sous le régime de la Terreur. Années 1793 et 1794, ou Années 2e et 3e de la République, Gravure eau-forte, burin, 24 × 29 cm (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6483). 1868 Vom Dezember 1793 an distanzierten sich Regierung und Bürgertum verstärkt von Entchristianisierung und quasi-religiösen Ersatzkulten. Dennoch: Keine Maßnahme, nicht einmal der von Robespierre geprägte ‚Kult des Höchsten Wesens‘ sollten es schaffen, den Vernunftkult ganz zu verdrängen. Vgl. SOBOUL: Die Große Französische Revolution, S. 315f. sowie S. 373. 1869 Vgl. GENDRON: La Jeunesse Dorée, S. 100.

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war die Marienstatue aus der Nische entfernt und durch eine MaratBüste ersetzt worden. Und auch ein Jahr später war das Andenken Marats dem Volk noch heilig; er war ein „symbole civique par excellence de la fidélité au nouveau régime et à la liberté“1870. Die reaktionäre Presse machte sich nun allerdings über den betriebenen Kult lustig und berichtete von ersten Angriffen auf den Ort und seine ‚Minister‘: Hier soir, dans la rue aux Ours, un Jacobin passant devant une niche où l’idole de Marat a remplacé celle de la Vierge Marie, surprit un citoyen dans une posture qui n’était rien moins que suppliante. Mais, comme il faisait très noir, il s’y méprit et dit au malhonnête camarade: Ce n’est pas à genoux qu’il faut adorer Marat, c’est en prêchant sa sublime morale. Il a demandé quatre cent mille têtes, mais nous n’en avons encore eu que deux cent cinquante mille. Reste cent cinquante mille qu’il nous faut. C’est en les faisant tomber que nous apaiserons ses mânes et honorerons sa mémoire. – Tu te trompes, reprend le Modéré, sans se déconcerter. Je ne suis point à genoux. J’offre, il est vrai, un holocauste au grand Marat.1871

Mag man auch zweifeln, ob das Gespräch überhaupt stattgefunden hat: Fakt ist, dass es zu Konfrontationen kam, die bewusst von Seiten der jeunesse dorée provoziert wurden. Ein Versuch der Beschädigung der Statue in der Rue aux Ours wurde zwar vereitelt, doch verbrannte man auf den Büstensockeln nach geglückten Zerstörungsaktionen häufig Papier, als müssten diese von der Berührung mit Marat gereinigt werden.1872 Andere sprachen davon, die Büsten mit Bürgerkronen aus den Eingeweiden der Terroristen zu schmücken.1873 Im Marktviertel der Halles beschmierte ein Schlachter eine Statue mit Blut, „pour le montrer avec l’attribut qui lui convenait“1874. Die reaktionäre Presse wiegelte die Stimmung weiter auf. Der Messager du Soir vom 15. Pluviôse (3. Februar) beschrieb Marat mit den Attributen eines ‚schmutzigen‘ Sansculotten: „Ce cynique dégoûtant vivait publiquement avec ces misérables filles qu’on rencontre dans les rues les plus sales, et qu’un honnête homme ne voudrait pas toucher du bout de son soulier.“1875 Der Sicherheitsausschuss rief zur Ordnung auf – schließlich zierte sogar

1870

Vgl. ebd., S. 98f. Vgl. Messager du soir, 15 pluviôse, an III. 1872 Vgl. Le Courrier républicain, 15 pluviôse an III, zitiert nach GENDRON: La Jeunesse Dorée, S. 101. 1873 Vgl. AULARD: Paris pendant la réaction, Bd. 1, S. 456. 1874 Moniteur n° 143, 23 pluviose III (11. Februar 1795). 1875 Le Messager du Soir, 15 pluviôse an III, zitiert nach: GENDRON: La Jeunesse Dorée, S. 96. 1871

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eine Statue des Ami du peuple den Versammlungssaal des Konvents.1876 In seinem Bericht versicherte Laignelot, die zerstörte Skulptur des Théâtre de la République würde erneuert werden.1877 Doch schon zwei Tage später sollten die Unruhen auf fünf oder sechs weitere Theater übergreifen. Außerdem geriet das Marat-Denkmal am Carrousel in die Debatte, und Berichte machten die Runde, es seien Abbilder von Marat in den Kanal der Rue Montmartre geworfen worden. Dabei fanden diese Zerstörungen keineswegs spontan statt, sondern trugen, wie schon die Zeremonie am 1. Pluviôse (21. Januar), deutlich rituelle Züge. Der Polizeibericht vom 16. Pluviôse (4. Februar) bezeugt, dass im Théâtre de Louvois nach der Zerstörung der Marat-Büste Weihrauch verbrannt wurde, um die Stelle zu reinigen, auf die die Büste gefallen war;1878 und der Abréviateur universel sprach am nächsten Tag von ‚Kinderprozessionen‘, die kleine Figuren des gestürzten Revolutionsheiligen in den Kanal geworfen hätten.1879 In den Vorstädten kam es zu Gegenveranstaltungen. Im Faubourg Saint-Antoine krönte man eine Marat-Büste und trug sie im Triumph durch die Straßen.1880 Eine kleine Gruppe von etwa zehn Sansculotten forderte am 14. Pluviôse (2. Februar) auf der Place du Grève vor dem Rathaus dazu auf, die Beleidiger des Ami du Peuple zusammenzuschlagen.1881 Hetzschriften und Karikaturen begleiteten die Ausschreitungen. Gleichzeitig beschworen andere Stimmen weiterhin eine neue Gemeinschaft von Bürgerlichen und Volk – teilweise mit spöttischem, teilweise in belehrendem, wenn nicht vorwurfsvollen Ton. Auf der Radierung Les trois epoques de la vie de jean paul Marat stehen im untersten Bild Vertreter der Sansculotten zumindest als Zeugen am Rande des Geschehens (Abb. 51). Im Text des dazugehörigen Pamphlets Vie criminelle et politique de J. P. Marat hieß es, nachdem die öffentliche Meinung im Hinblick auf Marat lange Zeit gespalten gewesen wäre, solle nun der ‚Schleier gelüftet‘ werden.1882 Ein Teil des Volkes halte ihn offenbar auch 1876

Vgl. dazu auch: TRAEGER: Der Tod des Marat, S. 46ff.: „Der Sitzungssaal und seine Ausstattung“. 1877 Vgl. GENDRON, François: La jeunesse sous Thermidor, Paris 1983, S. 77. 1878 Vgl. AULARD: Paris pendant la réaction, Bd. 1, S. 450. 1879 Vgl. ebd., S. 445. 1880 Vgl. Moniteur n° 142, 22 pluviose III (10. Februar 1795). 1881 AULARD: Paris pendant la réaction, Bd. 1, S. 445. Auch in den darauffolgenden Tagen sowie nach dem Konventsbeschluss zur ‚Demaratisierung‘ fanden ähnliche Aktionen statt, vgl. GENDRON: La Jeunesse, S. 103. 1882 Vgl. Vie criminelle et politique de J.-P. Marat, se disant l’ami du peuple, Adoré, porté en triomphe comme tel, et après sa mort, projeté Saint par la Jacobiniaille. OU L’homme aux 200.000 têtes, le vampire le plus remarquable de la République Française. SUIVIE,

4.4 Kriegserklärung durch Reaktion

Abb. 51: [Non-identifié]: Les trois époques de la vie de jean paul Marat, eauforte, 11,5 × 6,5 cm, Extr. de: Vie criminelle et politique de Marat, [Metz 1795].

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nach seinem Tode noch für außergewöhnlich und rufe aus: „érigeonslui des autels; prosternons-nous devant sa statue, brûlons de l’encens à ses pieds“1883. Der Sprecher verurteilte diese Haltung aufs Schärfste und rief zur Umkehr auf: „Idolâtres, c’est au moment où vous détruisez les monumens du fanatisme que vous en élevez d’autres aussi ridicules sur les mêmes ruines […].“ Das Volk, so räsonnierte er weiter, glaube wohl kaum, Marat sei der neue Messias: Jacobins adorez Marat, si vous voulez; faites un saint-suaire de sa chemise ensanglantée, des reliques de sa baignoire, des diadèmes de sa vieille couronne, un évangile de ses journaux ou même de sa constitution monarchique, vous êtes libres: les Indiens adorent bien les excrémens du grand Lama, ils en font même des repas assez ragoûtans; chacun à sa fantaisie, il faut laisser à chacun quelle qu’absurde qu’elle soit. Mais on ne peut pas me forcer d’adorer l’image d’un mort que j’ai cru un assassin ou un insensé.1884

Diese absurde Verehrung könne man nicht ernst nehmen. Stattdessen solle man lieber von seinem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch machen: „C’est d’après ces principes, sans doute, qu’on n’a pas voulu voir reparaître hier les bustes de Marat sur la scène de nos divers théâtres, où il fut remplacé par J. J. Rousseau.“1885 Der Text des Pamphlets, das Martainville am 14. Pluviôse (2. Februar) im Théâtre Feydeau verlesen hatte, stellte gleich zu Beginn klar: Revolutionen könnten noch so sehr das Beste für die Menschheit fordern, sie beförderten stets auch den Abschaum der Menschheit ans Tageslicht.1886 Das Frontispiz der Kampfschrift zeigte Marat als Leitfigur inmitten einer Szene der Raserei und des Mordens.1887 Die Schlägertruppe wird über ihre Kleidung als dem Volk zugehörig identifiziert. Mit Säbeln und Knüppeln bewaffnet haben sie eine Reihe von jungen Männern niedergestreckt, die durch ihre Kleidung (Gehröcke oder eng D’un Recueil exact de ce qui s’est passé à son sujet, sur plusieurs places publiques, Metz und Paris 1795. Das dritte Medaillon des Frontispiz zeigt den Sturz einer überlebensgroßen Marat-Büste in einen Kanal, der mit den Worten „Panthéon des Jacobins“ überschrieben ist; die versammelte jeunesse républicaine setzt sich vorgeblich aus bürgerlichem und einfachem Volk zusammen. 1883 Ebd., S. 34. 1884 Ebd., S. 35. 1885 Ebd., S. 36. 1886 „Si les révolutions qui régénèrent les empires y trouvent des écrivains philosophes dont les travaux n’ont pour objet que le bonheur de la patrie, elles font aussi sortir de leurs repaires des monstres, dont, si l’on peut s’exprimer ainsi, l’existence est un tort […].“ Maton de La Varenne: Les Crimes de Marat et des autres égorgeurs. 1887 Vgl. Frontispice, aus Maton de La Varenne: Les Crimes de Marat et des autres égorgeurs. Dazu in anderem Zusammenhang auch: SCHRÖER: Sinnstiftung im Ausnahmezustand, S. 232ff.

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anliegende Anzugjacken) als Angehörige einer besser gestellten Schicht zu erkennen sind. Am linken Bildrand wird gerade ein typischer Vertreter der jeunesse dorée (vgl. Kniebundhosen und Gehrock) niedergestreckt. Der Autor des Pamphlets signalisiert über die Bildunterschrift, er sei der Bedrohung entronnen, und gibt sich damit ebenfalls als Mitglied der jeunesse dorée zu erkennen. Das Gebäude im rechten Bildhintergrund wird durch den vergitterten Kellereingang als Gefängnis erkennbar. Die Graphik veranschaulicht wohl eine fiktive Szene im Zuge der Septembermassaker, als deren Auslöser und Antreiber Marat hier stilisiert wird. Rechts neben ihm betrachtet ein Komplize billigend das Geschehen. Solche Texte und Bilder trugen zur Mobilisierung der reaktionären Bewegung in der Hauptstadt bei. Entgegen aller Warnungen und Aufrufe zur Mäßigung kam es am 15. und 16. Pluviôse (3./4. Februar) zu einer konzertierten Zerstörungsaktion in der ganzen Stadt. Drei Tage später sah sich der Sicherheitsausschuss veranlasst, die Büsten Marats aus allen Theatern entfernen zu lassen. Der Club Lazowski sowie die Société de Quinze-Vingt wurden geschlossen und eine Reihe von Verhaftungen vorgenommen. Am Folgetag dekretierte der Konvent offiziell die ‚Demaratisierung‘: Die Marat-Büste im Konvent wurde durch die des Brutus ersetzt, die Zerstörung des Denkmals am Carroussel veranlasst, die Depantheonisierung festgelegt – und am 8. Ventôse (26. Februar) in aller Heimlichkeit durchgeführt. Damit gaben die gemäßigten Republikaner sich im Symbolkrieg der Stärke der jeunesse dorée geschlagen – wohl auch, um sich weiterhin einer Unterstützung im Kampf gegen die Jakobiner zu versichern. Eine Reihe von Verhaftungen, unter anderem auch von Babeuf, begleitete die Entscheidung.1888 Der Beschluss zur Depantheonisierung wurde mit der Notwendigkeit begründet, kein Bürger dürfe früher als zehn Jahre nach seinem Tod mit einer Bestattung im Pantheon geehrt werden.1889 Diese Entscheidung betraf also nicht nur den Ami du peuple, sondern auch Lepeletier, Dampierre, Bara und Viala, denen die Ehren des Pantheons versagt bleiben sollten. Trotz des Protests und der Unruhen in circa 14 Pariser Sektionen wurden rasch Tatsachen geschaffen. Beim Abriss des Denkmals wollte man wohl auch einer Zerstörung durch die jeunesse dorée vorgreifen, die erneut den Zorn des Volkes auf sich gezogen hätte. Ein Protestzug von Handwerkern aus dem Faubourg Saint-Antoine wurde im Keim erstickt. In einem Spottlied, das wohl am 21. Pluviôse (9. Februar) in den Theatern

1888 1889

Vgl. Moniteur n° 141 und n° 142, 21 et 22 pluviose III (9. und 10. Februar 1795). Vgl. Moniteur n° 142, 22 pluviose III (10. Februar 1795).

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zum Besten gegeben wurde, feierten sich die muscadins als die ‚wahren‘ Republikaner: Marat dont les anarchistes Prônaient la divinité Par les Français athéistes Est dépanthéonisé […]! Le Jacobin engagera Et le républicain rira Le beau contraste que voilà Dépit par ci, gaieté par là De voir ainsi son culte à bas.1890

Der Leichnam Marats wurde am 8. Ventôse (26. Februar) auf einem nahen Friedhof bei der Kirche Saint-Étienne-du-Mont begraben.1891 Die Zeremonien und Gegenzeremonien des Winters 1794/95 können abschließend als Beleg für die ambivalenten Wirkungen symbolischer Politik gewertet werden. Konnte die Mehrdeutigkeit eines Symbols einerseits hilfreich sein, um die Interessen verschiedener Gruppen in einem Kompromiss auszugleichen, ohne dass eine von ihnen nach außen das Gesicht verlor, so wurde sie andererseits zur Bedrohung, wenn keine gemeinsame Basis das Einhalten des Kompromisses garantierte und ein erneuter Kampf um die Deutungshoheit ausgelöst wurde. Ende des Jahres II (September 1794) hatten die verschiedenen rivalisierenden Gruppierungen versucht, die Pantheonisierung Marats für die eigene Sache zu nutzen: Die Thermidorianer um Fréron und Tallien fanden sich in der Inszenierung republikanischer Kontinuität ebenso wieder wie die Jakobiner, die wohl ursprünglich auf eine Legitimierung der Terrorherrschaft durch die Zeremonie gehofft hatten. Letztlich legte der in der Pantheonisierung inszenierte symbolische Kompromiss die bestehenden Fraktionskämpfe nur umso eindeutiger offen – und fachte sie weiter mit an. So entschied im Winter 1794/95 letztlich nicht der Konvent über die Richtlinien der zukünftigen Politik, sondern ganz wesentlich auch der Druck seitens der reaktionären Straße, die sich in ihren Aktionen immer stärker verselbständigt hatte. Die Versuche Frérons, die jungen Leute zur republikanischen Raison zu rufen, erwiesen 1890 1891

BN, Paris, Ye, pièce 5295. Zitiert nach GENDRON: La Jeunesse, S. 109. Vgl. Procès-verbal de la Commission exécutive de l’instruction publique, zitiert nach: FASSY, Paul: Marat, sa mort, ses véritables funérailles, Paris 1867. Die Gazette française vom 17. Prairial des Jahres III sowie die Annales patriotiques vom 16. Prairial berichten außerdem, aufgrund starker Regenfälle sei der nicht allzu tief eingelassene Sarg aufgespült worden; der commissaire civil der Sektion Panthéon-Français ließ anordnen, ihn erneut zu vergraben. Zitiert nach GENDRON: La Jeunesse, S. 105.

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sich als vergeblich; zuletzt fiel das Blatt selbst einer Verbrennung zum Opfer: „le n° 59 de Fréron a été brulé au milieu des plus vifs applaudissements, à cause de certains passages dont il venait d’être fait lecture, et surtout des reproches faits à la jeunesse française.“1892 Die Auseinandersetzungen wurden vorrangig um die Deutungshoheit gegenüber der Vergangenheit geführt. Dabei kam der gesamten Bandbreite der politischen Symbolik eine große Bedeutung zu. Alle Parteien sprachen sich für den Konvent und zumindest die meisten gegen die Terreur aus. Doch was sich hinter diesen Begriffen und ihren Symbolen verbarg, schien völlig offen zu sein. Die (gegenrevolutionäre) Eigendynamik, die die Aktivitäten der jeunesse dorée entwickelte, mag den überzeugten Republikanern im Kreise der Thermidorianer missfallen haben. Dennoch verdankten sie eben diesen einen entscheidenden Sieg: die Ausschaltung ihrer gefährlichsten Gegner, der Jakobiner. Die Thermidorianer distanzierten sich erst von ihren Helfershelfern, als deren Haltung eindeutig anti-republikanischen, wenn nicht sogar royalistischen Charakter annahm.1893 Marat selbst war zu Lebzeiten ironischerweise einer der schärfsten Kritiker des Pantheons und hatte selbst das Thema auf die Möglichkeit und Notwendigkeit von Depantheonisierungen gebracht: Rousseau et Montesquieu rougiraient de se voir en si mauvaise compagnie, et l’Ami du peuple en serait inconsolable. Si jamais la liberté s’établissait en France, et si jamais quelque legislature, se souvenant de ce que j’ai fait pour la patrie, était tentée de me décerner une place dans Sainte-Geneviève, je proteste ici hautement contre ce sanglant affront.1894

Der Tag seiner Pantheonisierung blieb gleichzeitig stets auch als Feier der ersten Depantheonisierung – von Mirabeau – im Gedächtnis. Das eingangs zitierte Gedicht sollte sich damit bewahrheiten: „Marat entre et voit comme on sort.“1895 Paris hatte seine zweite Welle des Denkmalsturzes erfahren, die nicht weniger gewalttätig und folgenschwer sein 1892

Rapport du 28 nivôse, zitiert nach AULARD: Paris pendant la réaction, Bd. 1, S. 397. Man hatte versucht, eine konsensfähige republikanische Erinnerungskultur zu stiften, republikanische Kontinuität zu gewährleisten und zu inszenieren. Dabei wurde aus Marat, dem Säulenheiligen der Terreur, Marat, das Vorbild der Rächer der Terroristen – eine gewagte Umdeutung, die sich im unmittelbaren zeitgenössischen Kontext nicht durchsetzen sollte. Allerdings hat die Geschichtsschreibung des 19. und auch des 20. Jahrhunderts den Gegensatz, den die Thermidorianer zwischen Marat und Robespierre aufzubauen gesucht hatten, in verschiedener Hinsicht aufgegriffen und perpetuiert. Vgl. DE COCK: Marat en l’an III, S. 219f. 1894 L’Ami du peuple n° 421. 1895 Messager du soir, 4 pluviôse, zitiert nach: AULARD: Paris pendant la réaction, Bd. 1, S. 413. 1893

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sollte als diejenige der Dechristianisierungswelle von 1793, die Marat einst groß gemacht hatte.

4.4.3 Akte der Umkehrung und symbolischen Infragestellung Die Verbrennung der Jakobinerpuppe, der Büstensturz und die anschließende Depantheonisierung Marats blieben nicht die einzigen Gegenzeremonien des Winters 1794/95. Die muscadins richteten sich gegen ihre geistigen Anführer: Das Pamphlet Le Dernier Coup de tocsin de Fréron, vermutlich von Châles verfasst, wurde am 17. Pluviôse (5. Februar) im Hof des Palais Royal verbrannt.1896 Auch die Provinz wurde Zeuge vergleichbarer symbolpolitischer Auseinandersetzungen. Das Journal des hommes libres berichtete am 26. Thermidor (13. August), in Blois habe man mit einer geringen Anzahl von Teilnehmern den Jahrestag des Sturzes von Robespierre gefeiert, eine Robespierre-Karikatur verbrannt und dabei gleichzeitig fast auch die beiden Tauben, die als Freiheitssymbol fungieren sollten – was der Journalist als aufschlussreichen Zufall bezeichnete. Solche Akte der Umkehrung und Parodie von offiziellen Ritualen und Symbolen hatten die Revolution von Beginn an begleitet. So war es im Zuge der Dechristianisierungswelle im Winter 1793 zu verschiedenen karnevalesken Inszenierungen gekommen, anlässlich derer klerikale Gewänder in einer Spottprozession vorgeführt und anschließend verbrannt wurden. Auch im Rahmen von Theaterstücken wurden die Kleider und Abzeichen der alten Ordnung komischen Figuren angelegt und der Lächerlichkeit preisgegeben.1897 Und als ‚Büstensturz‘ kann auch die Entfernung der Büste Mirabeaus aus dem Versammlungssaal der Jakobiner vom 5. Dezember 1792 bezeichnet werden. Das Sitzungsprotokoll spricht von einer „céremonie civique“; und sogar von ‚Blutmonstern‘ („monstres sanguinaires“) war damals schon die Rede – freilich in Abgrenzung zu der Zeit der konstitutionellen Monarchie:1898

1896

Philodème: Le Dernier Coup de tocsin de Fréron, o. O. o. J. [signé: Philodème, Paris, 12 pluviôse an III]. 1897 Vgl. WRIGLEY: The Politics of Appearances, S. 64 sowie Anm. 18–20. 1898 „[…] Boissel propose à la Société quelques réformes à faire dans l’hymne des Marseillais: il veut qu’aux quatre derniers vers de l’avant dernier couplet on substitue ceux-ci: ‚Frappez ces monstres sanguinaires, ces vils complices de Motier, etc.‘ La Société, par ses applaudissements, a prouvé qu’elle adoptait le changement proposé par Boissel.“ ‚Motier‘ spielt wohl auf Lafayette an; Vgl. AULARD: La Société, Bd. 4, S. 550: séance du 5 décembre 1792, l’an Ier de la République.

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Duplay demande que la Société fasse disparaître le buste de Mirabeau. […] Robespierre ainé. – Il était démontré aux yeux de tout patriote éclairé que Mirabeau était un intrigant qui se parait des dehors imposants de patriotisme pour mieux tromper le peuple. Les preuves de sa corruption sont aujourd’hui complètes; je demande donc que le buste de ce charlatan politique disparaisse du temple de la liberté. […] Je ne vois ici que deux hommes dignes de notre hommage, Brutus et J.-J. Rousseau. Mirabeau doit tomber, Helvétius doit tomber aussi […]. L’enthousiasme que produit ce discours n’attend pas que la Société ait pris une délibération: on se précipite sur les couronnes qui étaient suspendues aux murs de la salle, on se les arrache, on se les dispute, on les brûle, et bientôt elles sont réduites en cendres. L’assemblée se lève et demande qu’à l’instant on descende les bustes de Mirabeau et d’Helvétius. Tandis que chacun les menaçait des yeux, on introduit deux échelles au milieu des applaudissements, on descend Mirabeau et Helvétius. Bientôt ces deux bustes sont brisés, on se précipite dessus, et chacun veut avoir la gloire de les fouler aux pieds. La Société, après cette cérémonie civique, passe à l’ordre du jour, et, après avoir fait le procès de Mirabeau et à Helvétius de la manière la plus expéditive, on s’occupe des moyens de faire le procès de Louis XVI le plus promptement possible.1899

Auch diese Praktiken waren nicht ohne Widerspruch geblieben: Als zwei Tage später Loustallot und Machenaut mit zwei Bürgerkronen geehrt wurden, beschwerte sich ein Mitglied, in einem freien Staat sollten keine solchen Zeremonien mehr stattfinden; die öffentliche Wertschätzung sei die schönste aller Kronen.1900 Auch regte sich Widerspruch gegen die Zerstörung der Helvétius-Büste: Befürworter seiner Schriften beschwerten sich darüber, dass ihnen das Wort verboten worden sei. Statt Stabilität zu stiften, wurde die Pantheonisierung Marats ein Fest der Verunsicherung, ein Zeichen dafür, dass es im revolutionären Prozess keine Gewissheiten gab und auch zukünftig nicht mehr geben könne. Pädagogisch gewollt war in jedem Fall die Gleichzeitigkeit der Pantheonisierung Marats und der Depantheonisierung Mirabeaus – Tilgung und Einsetzung von Gedenken wurden unmittelbar zusammengebracht. Damit wurde gleichzeitig die Vorläufigkeit und politische Entscheidbarkeit allen Gedenkens offensichtlich: Stets handelte es sich bei Gedenkfeiern um eine Auswahl von erinnerungswürdigen Personen und Akten, und sogar die Unsterblichkeit war ein ‚fragwürdiger Status‘, denn es bestand die Möglichkeit der Überprüfung und Korrektur früherer politischen Entscheidungen.1901 1899

Ebd. Vgl. ebd., S. 552: séance du 7 décembre 1792, l’an Ier de la République. 1901 Vgl. so formuliert bei OZOUF: Thermidor ou le travail de l’oubli, S. 96. 1900

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Die Symbolkämpfe dauerten während der gesamten Herrschaft des Direktoriums weiter an. Im Midi wurden im Sommer 1795 Verbrechen im Zeichen der Sonne der „Compagnons de Jésus“1902 verübt. Seit November 1794 war die Stadt Lyon Zeuge eines Krieges der Lieder und vermehrter Zusammenstöße zwischen den mathevons, wie man lokal die Jakobiner, Terroristen und Sansculotten bezeichnete, und den Aktivisten der Reaktion. Seit Februar 1795 kam es zu kollektiven Ausbrüchen der Gewalt, die unter dem Namen ‚terreur blanche‘ bekannt geworden sind.1903 Die Compagnons de Jésus charakterisiert Benoît als junge Royalisten, die ihre Aktionen Gott und dem König widmeten. Bei der Bevölkerung von Lyon stieß ihre Agitation auf Zustimmung, da man darin eine Chance auf Rache gegen die republikanische Revolution, insbesondere gegen den ‚Terroristen‘ Chalier, sah. Chénier berichtete vor dem Pariser Konvent über die Ereignisse in der Rhône-Metropole: Une association de scélérats ligués pour le meurtre s’est organisée à Lyon. Cette compagnie mêlant les idées religieuses aux massacres, le cri du royalisme aux mots de justice et d’humanité, se fait appeler compagnie de Jésus. C’est elle qui répand dans cette commune une terreur nouvelle plus active encore que celle qu’y répandaient Chalier et ses sanguinaires complices. C’est elle qui, sous prétexte de punir les atrocités commises par les brigands qui égorgeaient au nom du peuple, commet elle-même […] des atrocités plus révoltantes.1904

Zwei Wellen der Gewalt erschütterten die Stadt: Einmal im Kontext der Ermordnung von Joseph Fernex am 26. Pluviôse III (14. Februar 1795);1905 dann wieder kaum zwei Monate später, am 15. Floréal III (4. Mai 1795), nach dem Bekanntwerden der Verhaftung von Collot d’Herbois, die Gefängnismassaker auslösen sollte. Insgesamt fielen der Gewalt circa 400 Personen zum Opfer. Doch auch in den kommenden Monaten sollte es zu Unruhen kommen: Das Direktorium autorisierte

1902

Häufig wird dieser Name mit der fiktiven Bezeichnung durch Alexandre Dumas „Jéhu“ verwechselt; dazu vgl. BENOÎT, Bruno: Les compagnons de Jéhu ont-ils existés?, in: L’Histoire 185 (1995), S. 16–18. 1903 Vgl. BENOÎT, Bruno: L’identité politique de Lyon. Entre violences collectives et mémoire des élites (1786–1905), Paris 1999, S. 42. Neben dem Réveil du peuple erklang u. a. der chant ‚Des Jacobins‘, der diese in einer Strophe zu Verantwortlichen von Krieg und Bürgerkrieg erklärt: „On n’aura point de paix en France // tant qu’on aura des Jacobins: // on s’égorgera dans la France // tant qu’on aura des Jacobins; on aura la famine en France // tant qu’on aura des Jacobins; // et l’on aura la peste en France // si l’on garde les jacobins.“ Ebd. 1904 Moniteur, n° 279, 9 messidor III (27. Juni 1795), CN, séance du 6 messidor. 1905 Benoît zitiert ein falsches Datum, wenn er von einer Verhaftung am 26. Pluviôse II spricht.

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daher am 14. Pluviôse VI (2. Februar 1798) den Militärkommandanten von Lyon zur Proklamation des „état de siège“.1906 In der Vendée diente die Farbe ‚Weiß‘ beziehungsweise die weiße Kokarde als Gesinnungszeichen der Royalisten. Weiß hatte sich bereits 1789 von einem Zeichen der königlichen Armeekommandanten zur Farbe der Gegenrevolution entwickelt: Seit dem Versailler Bankett am folgenreichen Abend des 1. Oktobers 1789, bei dem die Garde des Königs vermeintlich die dreifarbige Kokarde der Nationalgarde La Fayettes geschändet hatte, bedurfte auch die Gegenrevolution eines Abzeichens (signe de ralliement), das demjenigen der Sieger des 14. Juli entgegengehalten werden konnte.1907 Die weiße Fahne wurde zum Zeichen des Aufstandes der Vendée und der Freiwilligen in der Armee der Gegenrevolution. Im Winter 1795 benutzten die Anhänger der Reaktion laut Meldung des Journal des hommes libres darüber hinaus auch die traditionellen Gesinnungszeichen der Monarchie, wie die Lilie, zur Propagierung ihrer Bewegung: „Il a été affiché avant-hier, 15 frimaire, dans quelques rues de Paris, un placard, conçu en ces termes: A bas les cinq et les terroristes du 13, et vous aurez du pain. Au [sic] quatre coins étaient des fleurs de lys; au milieu une main de justice; au bas étoit écrit: Vive le roi.“1908 In ähnlicher Weise konnte die katholische Symbolsprache zum politischen Zeichen werden, wenn sich etwa in Lyon 1797 zum Jahrestag des Sturzes von Robespierre Kanonendonner mit Glockengeläut vermischte.1909 Camille Jordan hatte sich zuvor in der Debatte um den culte für eine ‚Rückkehr‘ beziehungsweise Wiedereinführung der Kirchenglocken eingesetzt. Die Royalisten applaudierten; die Republikaner erklärten Lyon erneut zu einer Hochburg des Bürgerkriegs.1910 Über Gegenzeremonien, wie sie im Winter 1794/95 in Paris stattgefunden haben, ist nach 1795/96 wenig bekannt. Es ist davon auszugehen, dass vielerorts durch das Festhalten am katholischen Festkalender Protest demonstriert wurde. In Bienne-le-Château (Aude) nahm 1798 die Nationalgarde am 19. Prairial (7. Juni) bewaffnet am Fronleichnamsfest sowie an der katholischen Messe des darauffolgenden Sonntags teil.1911

1906

Mit Camille Jordan und Jacques Pierre Imbert-Colomès hatte das Departement zwei den Royalisten nahestehende Abgeordnete in die parlamentarischen Räte entsandt. 1907 Vgl. GIRARDET: Les Trois Couleurs, S. 18. 1908 Journal des hommes libres n° 41, 18 frimaire IV (9. Dezember 1795). 1909 Vgl. BENOÎT: L’identité politique de Lyon, S. 93. 1910 Vgl. Journal de Lyon, 12 août 1797. 1911 Vgl. LES PROCÈS-VERBAUX DU DIRECTOIRE, Bd. 5: Fête, Fêtes religieuses: „Aube, Brienne [-le-Château], participation de la garde nationale sédentaire en armes à la Fête-Dieu

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Am Pfingstfest desselben Jahres wurde im Escaut ein Freiheitsbaum gefällt, und im Departement Eure läuteten die Glocken.1912 Andernorts nutzte man die Nationalfeste als Anlass für Unruhestiftung oder zu gezielten Angriffen auf die republikanische Symbolik. Die Protokolle der Sitzungen des Direktoriums bezeugen beispielsweise für die Feier des 9. Thermidor V (27. Juli 1797) „troubles“ in der Stadt Tours, die sogar ein Todesopfer forderten: „dus, suivant certains, à des exagérés qui auraient levé des listes de proscription et levé des contributions“1913. Nach dem 23. Thermidor V (10. August 1797) wurde in Eymet in der Dordogne ein ehemaliger Beamter der Stadtverwaltung wegen einer Rede gegen die Marseillaise verurteilt.1914 In Laluque (Landes) wurde ein auf Bürgerinitiative hin gepflanzter Freiheitsbaum in der Nacht des Jahrestages der Hinrichtung Ludwigs XVI. gefällt.1915 Die Liste solcher Beispiele ließe sich für die übrigen Jahre des Direktoriums sowie hinsichtlich anderer republikanischer Feiertage beliebig fortsetzen. Die rechte Presse unterstützte die Aktionen der Opposition. So wurde beispielsweise im Januar 1797 vorgeschlagen, statt der offiziellen Zeremonie der Direktoren besser eine Trauerfeier für Ludwig XVI. zu organisieren.1916 In einer Art Gegenentwurf zu den Festen des Direktoriums imaginierte der Autor einen Festzug, eine Zeremonie und sogar Lieder zu Ehren des toten Monarchen. In allen Kirchen und Gemeinden sollte eine Gedenkfeier ausgerichtet werden, ein Zug zur Manège erfolgen, wo die régicides das Todesurteil gesprochen hatten, Gebäude le 19 prairial et au culte du dimanche le 22 suivant: 17 messidor an VI.“ Vgl. weitere Beispiele Kapitel 3.2. 1912 Vgl. ebd.: Fête, Fêtes religieuses: „[…] Escaut, Audenhove-Sainte-Marie, arbre de la Liberté abattu dans la nuit du 8 au 9 prairial, à la Pentecôte: 28 messidor an VI. Eure, [...] Fauville, assemblée des habitants un jour de fête catholique: 13 messidor an VI; Saint-Vincent-du-Boulay, sonnerie de cloches le 8 prairial, jour de la Pentecôte: 13 messidor an VI.“ 1913 Vgl. ebd.: Fête, Fête du Neuf-Thermidor de l’an V: „Indre-et-Loire, Tours, troubles ayant entraîné un mort, dus, suivant certains, à des exagérés qui auraient levé des listes de proscription et levé des contributions, rapport attestant que les agresseurs ont payé les agressés pour qu’ils se désistent de la partie civile: 16 messidor an VI.“ 1914 Vgl. ebd.: Fête, Fête du Dix-Août de l’an V: „Dordogne, Eymet, ex-adjoint municipal jugé comme l’ex-agent pour discours contre le chant de la Marseillaise: 19 messidor an VI.“ 1915 Vgl. ebd.: Fête, Fête de la punition du dernier Roi des Français du 2 pluviôse an VI: „Landes, Laluque, arbre de la Liberté planté par des citoyens à titre personnel abattu dans la nuit du 2 au 3 pluviôse: 8 prairial an VI.“ 1916 Vgl. Gouin, Nicholaus-Louis: Projet d’une pompe funèbre qui doit être célébré dans toute la France, le 21 janvier de chaque année, en expiation de la mort de Louis XVI, détroné, jugé et condamné à périr sur un échafaud par une troupe de factieux qui se disaient représentants du peuple français, [Imp. De la clémence], o. O. o. J. [1797].

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zerstört und der Revolutionsplatz gereinigt werden – eine Neugestaltung der Place Louis XV schien erforderlich. Anschließend sollte der Zug zu den Tuilerien ziehen, dann zur Kathedrale Notre-Dame, die zu schmücken sei wie einst anlässlich der „cérémonies funèbres des rois“. Der Erzbischof von Paris sollte im Namen des französischen Volkes stellvertretend um Verzeihung bitten für die begangenen Verbrechen; danach schickte der Autor den imaginären Zug zum Ort des Verbrechens (Place Louis XV); Artilleriesalven sollten die amendes honorables unterstreichen. Zumindest in einer Pariser Kirche folgte ein Jahr später ein Priester dem Aufruf, indem er am 21. Januar 1798 einen Trauergottesdienst feierte, woraufhin er festgenommen und deportiert werden sollte.1917 Aus allen Teilen des Landes sind außerdem Berichte über Akte der Zerstörung oder Missachtung revolutionärer Symbole überliefert: zum Beispiel Angriffe auf Vaterlandsaltäre1918 oder örtliche Freiheitsstatuen1919. Häufig missachteten auch die lokalen Beamten die symbolpolitischen Vorgaben aus der Hauptstadt. Aus dem Departement HauteGaronne wurde vom 13. Thermidor VII (31. Juli 1799) gemeldet, dass ein Beamter seine Schärpe auch im Zuge von Feiertagen des alten Kalenders trage und damit entehre: Er hatte in der Johannisnacht ein Feuer in Amtskleidung entzündet.1920 Solche Formen symbolischer Politik gewannen besonders an Bedeutung, wenn eine eingeschränkte Pressefreiheit herrschte: Sie waren ein weithin sichtbares Zeichen der Ablehnung der Republik, welches sich auch mündlich weiter verbreiten konnte. Umgekehrt dienten die Angriffe auf die republikanische Symbolik der Staatsmacht als Rechtfertigung für ihr Durchgreifen. So unterstellte beispielsweise die Regierungspartei nach dem 13. Vendémiaire IV (5. Oktober 1795) den Aufständischen, royalistische Symbole mit sich geführt zu haben – weshalb konsequentes und schnelles Handeln notwendig gewesen sei. Weniger massiv äußerte sich oppositionelle Kritik auch über das Tragen oder Verbergen von Kokarde. Die Verfassung des Jahres III 1917

Vgl. LES PROCÈS-VERBAUX DU DIRECTOIRE, Bd. 5: Fête, Fêtes religieuses: „Paris, Pontallier, prêtre ayant célébré des fêtes funèbres à l’église de la Madeleine la Ville-l’Évêque le 2 pluviôse (anniversaire de la mort de Louis XVI), déporté: 24 floréal an VI.“ 1918 Vgl. ebd., Bd. 8, Index: Insigne, signe de ralliement: „Autel de la Patrie. Var, Lorgues, municipalité, membres l’ayant fait démolir en l’an V jugés pour payer sa reconstruction: 3 floréal an VII.“ 1919 Vgl. ebd., Bd. 9, Index: Insignes (signes de ralliement): Loire, Saint-Chamond, attentats à la statue de la liberté: 13 prairial an VII. 1920 Vgl. ebd., Bd. 10, Index: Insigne, signe de ralliement: Haute-Garonne, Noé, adjoint municipal ayant allumé, en écharpe, un feu de la Saint-Jean: 13 thermidor an VII.

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4. Gegenmacht als Erfahrung

(1795) hatte die dreifarbige Anstecknadel als einziges parteiübergreifendes und nationales Gesinnungszeichen anerkannt – und dieses wurde auch von großen Teilen der Bevölkerung respektiert. Ablehnung der offiziellen Regierungspolitik konnte entsprechend durch bewusstes Tragen von Kokarden in ‚falscher‘ Farbe (besonders weiße Kokarden als Zeichen der Monarchie) oder durch das Verstecken des dreifarbigen Zeichens unter anderen Hutdekorationen demonstriert werden. Besonders in denjenigen Landesteilen, die nach dem Sturz der Jakobinerherrschaft eine starke Reaktion erlebten, waren solche Praktiken zu beobachten. 1796 vermeldete der Polizeiminister Merlin de Douai, die Kokarde sei in Orléans kaum mehr auf den Straßen zu entdecken; sie sei durch ‚weiße Borten‘ ersetzt worden.1921 Aber auch die Hauptstadt selbst war betroffen: Anlässlich des Salon von 1798 wurde in der regimetreuen Presse kritisiert, dass trotz der zahlreichen ausgestellten Porträts kaum Kokarden zu sehen seien.1922 Und das hätte nicht erst in diesem Jahr auffallen können – bereits drei Jahre vorher waren mit den Porträts von Monsieur und Madame Sérizat im Salon Beispiele eines zurückhaltenden Umgangs mit dem Nationalsymbol gezeigt worden: Die Anstecknadeln sind nur auf den zweiten Blick erkennbar.1923 Weitere Beispiele von Missbrauch oder Kritik am Zeichen der Kokarde sind über die täglichen Sitzungsprotokolle des Direktoriums nachvollziehbar. Die Regierungschefs wurden über Verstöße gegen die Tragepflicht1924, über Schändungen1925 und Abweichungen1926 informiert. 1797 veranlasste die weite Verbreitung von Kokarden unterschiedlichster Farbe die Zeitung Le Menteur zu der Aussage, inzwischen sei jede nur denkbare Farbe durch eine Zuschreibung royalistischer oder antiroyalistischer Strömungen diskreditiert.1927 Die Situation drohte zu 1921

Vgl. WRIGLEY: The Politics of Appearances, S. 117. Vgl. L’Indépendant n° 347, 27. Fructidor an VI (13. September 1798), S. 4. 1923 Vgl. David, Jacques Louis: Pierre Sériziat, beau frère de l’artiste, huile sur bois, 129 × 95 cm (Paris, Musée du Louvre, Inv. RF1281) sowie ders.: Madame Pierre Sériziat, sœur de Mme David, et son fils Emile, huile sur bois, 131 × 96 cm (Paris, Musée du Louvre, Inv. RF1282). 1924 Vgl. LES PROCÈS-VERBAUX DU DIRECTOIRE, Bd. 5: Cocarde: „Allier, Montluçon, municipalité ayant fait arrêter une fille ne l’ayant pas à sa coiffe de nuit: 25 floréal an VI.“ 1925 Vgl. ebd.: „Départements entre Meuse et Rhin et Rhin et Moselle, port obligatoire pour les hommes et les femmes: 2 germinal an VI. Forteresse d’Ehrenbreitstein (à Coblence, Allemagne), garnison, officier trévisois ayant arraché et foulé aux pieds celle d’un de ses soldats: 29 germinal an VI.“ 1926 Vgl. ebd., Bd. 7: Cocarde: „Forêts, Longsdorf, agent municipal en portant une noire: 3 nivôse an VII.“ 1927 Vgl. Le Menteur, ou le journal par excellence, ‚La Cocarde. Dialogue‘, o. O. o. J., S. 95–98; zitiert nach WRIGLEY: The Politics of Appearances, S. 117. 1922

4.4 Kriegserklärung durch Reaktion

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Abb. 52: [Non-identifié]: Collets dit parasabre, eau-forte, roulette, col., 19 × 31,5 cm, [Paris ca. 1797].

eskalieren; die hochgradige Politisierung der Kleidung führte zu immer neuen Zusammenstößen. Bourdon (de l’Oise) sah sich in der Sitzung vom 26. Thermidor V (13. August 1797) veranlasst, das Direktorium offiziell aufzufordern, eine Maßnahme zu ergreifen, die verhindere, dass in der Hauptstadt Bürger wegen ihrer Kleidung belästigt würden. Es war am selben Vormittag zu einem Zwischenfall gekommen, wo, Bourdon zufolge, Soldaten Bürger unter dem Vorwand verfolgt hätten, sie trügen eine bestimmte Kragenfarbe.1928 Am 19. August vermeldete der Moniteur, Augereau habe seine Soldaten zur Raison gerufen: „Nouvelles insultes faites par des militaires à plusieurs citoyens qui portaient des collets noirs à leurs habits. Le général Augereau prévient ces militaires qu’il déploiera contre eux toute la sévérité des lois.“1929 Dennoch hielten die Ausschreitungen in der Hauptstadt weiter an: In der Sitzung vom 16. Fructidor (2. September) meldete ein Bürger einen weiteren Angriff auf einen Mann in schwarzem Frack in der Nähe der Invaliden.1930 Die bereits erwähnte Karikatur Collets dit parasabre (Abb. 52) war ein ironischer Kommentar auf solche Zusammenstöße aus dem Um1928

Vgl. Moniteur n° 330, 30 thermidor V (17. August 1797), CCC, séance du 26 thermidor. 1929 Moniteur n° 332, 2 fructidor V (19. August 1797) [zitiert nach RAM]. 1930 Vgl. Moniteur n° 351, 21 fructidor V (7. September 1797), CCC, séance du 16 fructidor.

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4. Gegenmacht als Erfahrung

feld des Staatsstreiches vom 18. Fructidor V (4. September 1797): Ein vielfarbiger Kragen, so der Autor, sei das beste Schutzschild vor den Angriffen durch Jakobiner und Sansculotten.1931 Die jakobinische Presse hingegen begrüßte die Angriffe der Soldaten auf die Mitglieder der reaktionären Bewegung – während die Regierung in offiziellen Verlautbarungen zunächst Zurückhaltung gemahnte. Nach dem Staatsstreich sollte die ‚Jagd‘ auf die jeunesse dorée in der Hauptstadt jedoch weiter fortgesetzt werden – kommentiert durch weitere Karikaturen1932 sowie begleitet von ausdrücklichem Lob an die Adresse der republikanischen Direktoren (Abb. 20). Es überrascht nicht, dass die demokratische Opposition insgesamt kaum durch symbolische Gegenaktionen Aufmerksamkeit erregte. ‚Ihre‘ Symbolik war weitgehend vom Staat absorbiert und zur ‚offiziellen‘ Zeichensprache der Republik erklärt worden. Allenfalls über das Tragen von Jakobinermützen oder anderer ‚anarchistischer‘ Abzeichen‘ beschwerten sich die Departementverwaltungen von Zeit zu Zeit. So vermerken beispielsweise die Sitzungsprotokolle der Direktoren unter dem Stichwort ‚signes anarchistes‘ im Jahr 1799, dass sich im Departement Vaucluse ein Verwaltungsbeamter öffentlich zur Politik der Montagnards bekannte, indem er eine Fahne mit Parolen der radikalen Republik bei sich trug.1933 Allerdings kritisierten die den Jakobinern nahestehenden Zeitungen umso stärker die Durchführung der offiziellen Symbolpolitik seitens des Direktoriums und beklagten die Schwäche oder Prinzipienlosigkeit des liberalen Republikanismus. Zumindest auf dem Papier wurden teilweise Gegenmodelle entwickelt, die häufig nach mehr Volksnähe verlangten.1934 Dies war jedoch weniger eine ‚Kriegserklärung‘ an das Regime als vielmehr eine stetig vorgetragene und langsam aushöhlende Dauerkritik, die zu einer schleichenden Delegitimierung der Direktorialregierung beitrug. Die Anhänger Babeufs und später auch die NeoJakobiner pflegten eine intensive Klub- und Versammlungskultur und betrieben kaum symbolische Politik auf der Straße. Allenfalls über Bilder aktualisierten sie regelmäßig ihre Position im Machtkampf; dies ist (unter anderem) Gegenstand des folgenden Kapitels (vgl. 4.5.3). 1931

Vgl. auch Kapitel 4.3.4. Vgl. [Non-identifié]: Invalide et soldat contre Muscadin, gravure en couleurs (Paris, Musée Carnavalet, abgebildet in: VOVELLE: La Révolution française. Images et récit, Bd. 5, S. 199). 1933 Vgl. LES PROCÈS-VERBAUX DU DIRECTOIRE, Bd. 8, Index: Insigne, signe de ralliement: „Signes anarchistes. Vaucluse, Jonquières, drapeau portant les mots Vive la Montagne, Vive la constitution de 1793 arboré par l’agent municipal: 7 floréal an VII.“ 1934 Wie z. B. bei Gence: Vues sur les fêtes publiques. 1932

4.5 Die Provokation der Bilder

4.5 Die Provokation der Bilder

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4.5 Die Provokation der Bilder: Ordnungsvorstellungen in den Bildwelten der Opposition Die letzten Kapitel haben gezeigt, inwiefern Gesinnungszeichen, politische Kleidung und zeremonielle Handlungen im öffentlichen Raum in den Machtkämpfen der Ersten französischen Republik zunehmend an Vielfalt, Stärke und Bedeutung gewonnen haben. Das Handeln der politischen Akteure war durch solche symbolpolitischen Ausdrucksformen strukturiert und beeinflusst – zumal die Reaktion der Öffentlichkeit, ganz gleich ob zustimmend, indifferent oder ablehnend, zu einem entscheidender Faktor für die Legitimierung oder Deligitimierung politischer Macht geworden war. Ein weiteres Praxisfeld symbolischer Politik der entstehenden ‚Opposition‘ war die Kommunikation über Bilder – vor allem über Druckgraphiken. Kupferstiche und Radierungen spiegelten nicht nur bestimmte Ereignisse, sondern waren zeitnaher Ausdruck der kontroversen Wahrnehmungen des politischen Geschehens, der Einfluss auf die gesellschaftliche Vorstellungswelt und die politische Meinungsbildung nahm. Aber auch Jakobinische Künstler wie Jacques Louis David und seine Schüler Hennequin, Topino-Lebrun und andere erschufen in ihren Ölgemälden Bildwelten, die infolge von Ausstellungen, Preisverleihungen oder Presseberichterstattung öffentlich wirksam werden konnten. Bilder verknüpften abstrakte Begriffe und Ideen (wie die Staatsform der Republik oder Bezeichnungen für bestimmte Parteien und Ereignisse) mit konkreten Inhalten und politischen Botschaften. Damit prägten sie Wahrnehmungsschablonen, die die Franzosen sich aneigneten – oder deren Ablehnung alternative Identitätserfahrungen ermöglichte.

4.5.1 Bildwelten der Thermidorianer: Abgrenzung vom Terror, Hinwendung zu Recht und Ordnung Die vorangehenden Kapitel haben gezeigt, wie heterogen die Gruppierung der ‚Thermidorianer‘, wie vielschichtig ihre Interessenlage und wie komplex der Prozess der politischen Entscheidungsfindung und der außerparlamentarischen Meinungsbildung in der Zeit nach dem Sturz Robespierres waren. Bronislaw Baczko, einer der besten Kenner des Thermidor, bezeichnet schon „die Sache selbst“ als „verwirrend“,

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4. Gegenmacht als Erfahrung

ebenso wie den dazugehörigen Wortgebrauch.1935 Erst nach und nach bildeten sich verschiedene Lager und dazugehörige Ideologien aus – unter anderem stark beeinflusst durch die nach dem Wegfall der Zensur wiederaufblühende Presselandschaft. Die konkurrierenden Meinungen erreichten über verschiedene Medien (Zeitungen, Pamphlete, Druckgraphiken, Lieder) auch die politisch aktive oder interessierte Öffentlichkeit, und sie verdichteten sich in diesem Austausch- und Kommunikationsprozess zu politischen Konzepten. Beispielhaft kann dies im Folgenden an der Auseinandersetzung rund um die Bedeutung der Terreur veranschaulicht werden.1936 Der Begriff stand unmittelbar nach dem Sturz Robespierres für verschiedene Formen und Folgen revolutionärer Gewaltanwendung vor dem 9. Thermidor II (27. Juli 1794), war entsprechend bereits pejorativ belegt und wurde in der politischen Auseinandersetzung auch mehrheitlich abgelehnt.1937 Dennoch: Gemäß den unterschiedlichen Interessenlagen und Zielen der politischen Akteure bestanden verschiedene Interpretationen ‚der‘ Terreur nebeneinander weiter fort. Erst schrittweise sollte der Begriff in der politischen Sprache zum allgemeinen Synonym für die ‚Epoche‘ der robespierristischen Schreckensherrschaft werden.1938 Mentale und materielle Bilder waren an diesem Prozess entscheidend mit beteiligt. Vor allem die Frage nach den Ursachen der Schreckensherrschaft war innerhalb und außerhalb des Konvents heftig umstritten.1939 Hatte der gemeinsam errungene Sieg über den ‚Tyrannen‘ zunächst ein fraktionsübergreifendes Einheitsgefühl aufkommen lassen, so entstanden 1935

‚Thermidorianer‘ waren einerseits diejenigen Konventsmitglieder, die am Sturz Robespierres beteiligt waren, andererseits aber auch all diejenigen Abgeordneten, Aktivisten, Ideologen und andere, die diesen Sturz nachträglich gutheißen sollten. Vgl. diese Definition bei BACZKO: Art. ‚Die Thermidorianer‘, S. 660. 1936 Zu den drei Erklärungsansätzen, die im weiteren Verlauf des Kapitels einzeln vorgestellt werden, vgl. BACZKO: Comment sortir de la Terreur? S. 71–83. Dessen Analyse des verbalen Diskurses ist Grundlage des folgenden Abschnitts und wird durch eine Untersuchung des visuellen Diskurses ergänzt. Von der hier vogestellten Debatte der Zeitgenossen zu unterscheiden ist die historiographische Debatte zum Thema der Ursprünge der Terreur, vgl. zuletzt u. a. TACKETT, Timothy: Le roi s’enfuit. Varennes et l’origine de la Terreur. Traduit de l’américain par Alain Spiess, Paris 2004. 1937 Vgl. VAN DEN HEUVEL, Gerd: Art. ‚Terreur, Terroriste, Terrorisme‘, in: HANDBUCH POLITISCH-SOZIALER GRUNDBEGRIFFE IN FRANKREICH, Heft 3, München 1985, S. 89–132, hier S. 116–121. 1938 Vgl. zur Deutung der revolutionären Gewalt auch: MARTIN, Jean-Clément: Violence et Révolution française, essai sur la naissance d’un mythe national, Paris 2006. 1939 Vgl. SCHMIDT/SCHRÖER: Ordre public und homme nouveau, S. 303. Zum Folgenden vgl. ebd., S. 303–307.

4.5 Die Provokation der Bilder

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schon rasch nach der Freilassung der Gefangenen vom August 1794 deutliche Brüche in der Koalition der Thermidorianer. Polemisch geführte Debatten kreisten im Konvent um mindestens drei verschiedene Erklärungsansätze über die Ursprünge der Terreur. Eine erste Gruppe brandmarkte Robespierre als alleinigen Urheber und Verantwortlichen der Terreur. Er wurde als ‚neuer Cromwell‘ oder ‚neuer Catilina‘ bezeichnet;1940 auch der Vergleich mit dem ‚Tyrannen‘ Louis Capet wurde nicht gescheut1941. Die Ursprünge der Tyrannei, so argumentierte man, lägen im Charakter des Tyrannen selbst.1942 Bildpublizistisch wurden solche Überzeugungen vor allem durch eine Fokussierung des Gezeigten auf die Person (oder zumindest den Namen) Robespierres anschaulich: Teilweise wurde er bewusst selbst als Henker und Massenmörder ins Bild gesetzt, wie auf dem Blatt Robespierre guillotinant le boureau après avoir fait guillotiner tous les Français1943, teilweise visualisierte man die verheerenden Folgen ‚seines‘ Regimes, welches das französische Volk (dargestellt als Jüngling mit verbundenen Augen) auf seiner Suche nach Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit (dargestellt als weibliche Allegorisierungen) in die Arme des Todes getrieben habe (Abb. 53). Ähnlich argumentierten auch viele Jakobiner 1940

So zu finden in den zahlreichen Glückwunschadressen, die nach dem 9. Thermidor an den Konvent gerichtet wurden, vgl. u. a.: „Un nouveau Cromwell veut s’élever sur les débris de la Convention nationale; la surveillance active pénètre ses projets […].“ La Société populaire de Granville-la-victoire à la Convention nationale, le 15 thermidor de la 2e année républicaine, in: Moniteur n° 324, 24 thermidor II (11. August 1794), CN, suite de la séance du 21 thermidor. 1941 Vgl. u. a. Merlin de Thionville, Capet et Robespierre, Paris o. J.: „En 1789, il y avait en France un roi revêtu d’un pouvoir sans bornes dans la réalité, limité seulement en apparence, soutenu par d’anciens préjugés, et bien plus par la faculté qu’il avait de disposer de tout l’argent et de toutes les places de l’Etat. […] L’an 2e, il y avait aussi en France un homme dont le pouvoir était absolu dans la réalité, limité seulement en apparence, soutenu par une popularité acquise on ne sait comment […]. Le tyran de 1789 avoit ses Bastilles, ses parlemens, ses intendans. Le tyran de l’an 2e avoit ses prisons, ses intendans, ses flatteurs, ses comités, et ce qu’il y a de pis, son tribunal révolutionnaire.“ 1942 Vgl. u. a. auch die verschiedenen Versionen der außerordentlich erfolgreichen Broschüre von Dussault, Jean-Joseph-François: Véritable portrait de Catilina Robespierre, tiré d’après nature, Paris o. J. Robespierre wird als kleinwüchsig und hässlich, unmoralisch und feige, raffiniert und auf seinen eigenen Vorteil bedacht dargestellt. 1943 [Hercy]: Robespierre, guillotinant le boureau après avoir fait guillotiner tous les Français (Paris, Musée Carnavalet, Inv. PC histoire 22C, G. 25919 sowie ebd., BnF, Coll. de Vinck, Nr. 6539); vgl. dazu u. a.: Ausst.Kat. AU TEMPS DES MERVEILLEUSES, S. 17. Im Bildvordergrund erkennt man eine Guillotine, neben ihr einen Korb für die abgeschlagenen Köpfe und eine Kiste für die Körper. Robespierre, mit dem Kostüm des Festes des Höchsten Wesens bekleidet, thront auf einem Sarg vor einer Pyramide, die der Toten Frankreichs gedenkt; er tritt die revolutionären Verfassungen von 1791 und 1793 mit Füßen.

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in der Provinz: Der Tyrann, und nur er allein, sei verantwortlich für die Verbrechen der zurückliegenden Jahre. Die Terreur wurde im Bild häufig auch auf die Guillotine reduziert, die sich bis ins Unendliche vervielfältigen konnte.1944 Eine zweite Position erklärte die Terreur zu einer Art Unfall am Wegrand der ansonsten erfolgreichen Revolution im Kampf gegen ihre Feinde. Robert Lindet beispielsweise bezeichnete sie als ein ‚revolutionäres Gewitter‘, welches die Errungenschaften der Republik des Jahres II (1793/94) nicht vergessen machen dürfe.1945 Die Terreur wurde zu einer Episode kleingeredet; wichtiger sei die Erinnerung an den 9. Thermidor (27. Juli) und seine positiven Auswirkungen für die Zukunft der Republik. Auch graphische Darstellungen wie L’égalité triomphante ou le triumvirat puni (Abb. 54) blendeten wie Lindet die Ursachen der Schreckensherrschaft weitgehend aus und konzentrieren sich auf den Einheit stiftenden Siegesmoment des 9. Thermidor: Gezeigt wird eine weibliche Verkörperung der Gleichheit, die – eine Waage in der einen Hand, ein Schwert in der anderen – den Fuß auf eine Setzwaage (ebenfalls Zeichen der Gleichheit) stellt, die den ‚Tyrannen‘ Robespierre und seine Gehilfen Couthon und Saint-Just am Boden erdrückt.1946 Demselben 1944

Vgl. ebd. Jede Guillotine ist einer bestimmten Gruppierung zugewiesen: den Konventsausschüssen, politischen Klubs und Fraktionen oder auch Gruppen wie Adligen und Priestern, Alten, Frauen und Kindern, Soldaten und Generälen etc. Ähnlich argumentiert auch: [Non-identifié]: Gouvernement de Robespierre, eau-forte, 11,5 × 7 cm, Paris [ca. 1794] (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6537). 1945 Vgl. Lindet, Robert: Rapport présenté au nom du Comité de salut public, le jour de la quatrième sans-culottide an II, [Paris] an III, in: Moniteur n° 3, 3 vendémiaire III (24. September 1794). 1946 Hier wird durchaus an die Bildsprache der radikalen Republik angeknüpft: Das Prinzip der Gleichheit hatte spätestens seit der Verfassung von 1793 stark handlungsleitenden Einfluss auf die Politik. Dies schlug sich auch in den symbolischen Ausdrucksformen des Politischen nieder, u. a. anlässlich des Festes der Einheit (und Brüderlichkeit) zum Jahrestag des 10. August: vgl. Blanchard, Auguste: Monumens Nationaux élevés pour la Fête de la Fraternité, célébrée le 10 août 1793, gravure à l’aquatinte coloriée, 20 × 27 cm (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 4911, abgebildet in: HOULD: L’image de la Révolution française, S. 379).– Zu anderen Ausdrucksformen der ‚Bildwelt des Radikalismus‘ vgl. ausführlich HUNT: Symbole der Macht, S. 110–147, sowie SCHMIDT, Rüdiger: Zur Metaphysik expressiver Macht. Rituale der Terreur, in: BECKER, Frank u. a. (Hrsg.): Politische Gewalt in der Moderne. Festschrift für Hans-Ulrich Thamer, Münster 2003, S. 1–22; THAMER, Hans-Ulrich: Revolution, Krieg, Terreur. Zur politischen Kultur und Ikonographie der Französischen Revolution, in: ICONOLOGIA SACRA. Mythos, Bildkunst und Dichtung in der Religions- und Sozialgeschichte Alteuropas. Festschrift für Karl Hauck zum 75. Geburtstag, hrsg. von Hagen KELLER und Nikolaus STAUBACH, Berlin und New York 1994, S. 632–650. Auch Symbolisierungen des Volkes

4.5 Die Provokation der Bilder

Abb. 53: Chataignier, Alexis: Le peuple français où le régime de Robespierre, eau-forte, col., 41 × 26 cm.

Abb. 54: Villeneuve: L’Égalité triomphante ou le Triumvirat puni, gravure à l’aquatinte, 27,7 × 20,5 cm.

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Erklärungsmuster können weitere regimenahe Darstellungen des 9. Thermidor zugeordnet werden, wie zum Beispiel die künstlerisch anspruchsvolle Arbeit von Pierre-Charles Coqueret, welche im Mai 1795 offiziell im Journal de la Société républicaine des Arts angekündigt und noch 1798 im Salon ausgestellt wurde:1947 Am linken Bildrand ist der Konvent als römischer Senat dargestellt; aus diesem heraus – so erläutert die Bildunterschrift – kommt ein mit einer langen Stichwaffe bewaffneter Genius, um die in der Bildmitte ihr Unheil treibende force terrible auszulöschen. Im Hintergrund sind raffgierige Mitglieder der revolutionären Überwachungskomitees zu erkennen; am Boden liegt eine Figur, die das Revolutionstribunal verkörpert, identifizierbar über eine Liste in ihrer Hand, die nur einen Begriff verzeichnet: den Tod (la mort). Am rechten Bildrand quält die tirannie die durch Frauengestalten verkörperten schönen Künste und Wissenschaften. Trotz der Darstellung von Vandalismus und Grausamkeit wirkt die Szene insgesamt ruhig, denn der aus dem Konvent entsprungene Genius verheißt Rettung. Diese Botschaft suchten all diejenigen zu verbreiten, denen eine allzu intensive Auseinandersetzung mit der Vergangenheit gefährlich erschien, da sie selbst in die Entscheidungen der Revolutionsregierung verstrickt waren. Wieder andere denunzierten die Terreur als ein Herrschaftssystem. Tallien, einer der Hauptvertreter der immer deutlicher antijakobinisch eingestellten ‚Partei‘ der Thermidorianer, die sich im Konvent formierte, forderte die schonungslose Aufdeckung und Abrechnung mit der Vergangenheit vor der Versammlung:1948 Allein die Zerschlagung des spezifischen Machtapparates, den die Terreur ausgebildet habe, helfe auch, diese endgültig zu überwinden. Die Grenzen der Macht seien

als Herkules waren unmittelbar nach dem Sturz Robespierres noch präsent – und bezeugten trotz des Neuanfangs republikanische Kontinuität (vgl. Abb. 13). 1947 Vgl. Coqueret, Pierre-Charles, nach Guillaume Guillon-Lethière: IX. Thermidor an II (Paris, Musée Carnavalet, Inv. TGC histoire 1, G. 21114, abgebildet in: Ausst.Kat. AU TEMPS DES MERVEILLEUSES, Kat.Nr. 5, S. 19; sowie ebd., BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6551). Im Salon von 1798 handelte es sich um eines der wenigen politischen Bilder, die überhaupt ausgestellt wurden; vgl. BORDES: Les arts après la Terreur, S. 211, Anm. 24. Zur Bildbeschreibung vgl. Ausst.Kat. AU TEMPS DES MERVEILLEUSES, S. 19. 1948 Tallien, Jean-Lambert: Discours prononcé à la Convention nationale, dans la séance du 11 fructidor, l’an II de la République, sur les principes du gouvernement révolutionnaire, par Tallien, Paris o. J., vgl. auch: Moniteur n° 343, 13 fructidor II (30. August 1794). – Die Rede ist insgesamt zwiespältig zu bewerten: Tallien war selbst tief in die vorangegangene Phase der Terreur verstrickt und wurde im Konvent als ehemaliger ‚Terrorist‘ zunächst nicht ernst genommen. Seine Rede markiert jedoch rückblickend eine entscheidende Wegmarke hin zur letztlich erfolgreichen Reaktion.

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zukünftig genauer zu definieren, um nicht erneut Gefahr zu laufen, dass die Revolution zur Tyrannei und damit zur Gegenrevolution werde. Solche Forderungen nach einer vorbehaltlosen Aufdeckung der Verbrechen und nach harten Strafen für die Verantwortlichen verbreiteten sich rasch über die Presse – begleitet von drastischen Vergegenwärtigungen der verübten Gewalttaten. Viele gemäßigte Republikaner unterstützten diese Position, hofften sie doch, dadurch gegenüber der nach wie vor einflussreichen Bergpartei im Konvent das eigene Lager festigen zu können. Allegorien und fiktive Horrorszenarien veranschaulichten den Schrecken auch für jene, die bislang gar nicht davon betroffen gewesen waren. Das Blatt Acte de justice du 9 au 10 thermidor entwickelte beispielsweise eine apokalyptische Vision der Ereignisse vom Sommer 1794:1949 Am linken Bildrand tobt ein heftiges Gewitter, das zwei Furien vor sich hertreibt, die die Köpfe von Robespierre, von Saint-Just, Couthon und Hanriot auf schnellstem Weg in die Hölle tragen. Allegorien des Hasses und der Wut krönen das Eingangstor vor einem im Bildhintergrund zu erkennenden Thron des Grauens.1950 Über die Beschwörung solcher Schreckensbilder versuchten die Anhänger der Reaktion gezielt, die öffentliche Meinung für sich zu gewinnen und die nach wie vor mögliche Fortsetzung der Jakobinerherrschaft ein für alle Mal zu verhindern.1951

1949

Vgl. Viller [nach]: Acte de justice du 9 au 10 thermidor, eau-forte, roulette, outils, 27 × 37 cm, Paris [ca. 1794] (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6544), Zur folgenden Bildbeschreibung vgl. FURET, François und Denis RICHET: La Révolution. Du 9 Thermidor au 18 Brumaire, Paris 1966, S. 18. 1950 Ende des 18. Jahrhunderts existierte eine künstlerische Strömung, die sich durch eine besondere Vorliebe für Makabres und Grausamkeiten auszeichnete. Vgl. Ausst.Kat. AU TEMPS DES MERVEILLEUSES, S. 18, auch zum Folgenden. Es kursierten zahlreiche Abbildungen, die die Jakobiner in Verbindung mit dem Teufel und der Hölle brachten, z. B. auch „Les Jacobins en enfer“ (Touzé, Jean, attribué à, Musée Carnavalet, Inv.Nr. P.1317), nach dem gleichnamigen Theaterstück von Hector Chaussier benannt, das diesen apokalyptischen Vorstellungen dramatische Form verlieh. Vgl. außerdem Karikaturen wie: [Non-identifié]: Le Diable après avoir couvé longtems la ruine du plus bel empire, s’applaudissait de sa brillante couvée […], gravure à l’aquatinte, 26,2 × 26,2 cm (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6470); [Non-identifié]: Les Robes-Pierrots au Diable, eau-forte, burin, 8 × 10 cm, Paris [1794 ou 1795] (BnF, Coll. de l’Histoire de France, Inv. M102947). 1951 Parallel dazu besserte man das eigene Image auf; Tallien profitierte nicht unerheblich von dem Geld und dem Ruhm seiner Frau, Théresia Cabarrus, der später sogenannten „Reine du Directoire“, vgl. u. a. GENDRON: La Jeunesse Dorée, S. 56–60; GILLES, Christian: Madame Tallien, la reine du Directoire, 1773–1835, Paris 1999. Sein Auftritt vor dem Konvent am bzw. nach dem 9. Thermidor wurde auch durch Druckgraphiken visualisiert, vgl. Blanchard: Tallien à la Tribune, 9 Thermidor (Paris, BnF, Coll. de

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4. Gegenmacht als Erfahrung

Ähnlich kontrovers wie die jüngste Vergangenheit beurteilten die sich herausbildenden politischen Fraktionen den aktuellen Status quo der nun zwei Jahre alten französischen Republik.1952 Wertekonflikte traten nicht selten im Umgang mit den Symbolen der Revolution selbst zutage. Der bonnet de la liberté, Zeichen der Freiheit und seit 1792 ein zentrales Symbol der Republik, wurde in der thermidorianischen Bildpublizistik weiterhin hochgehalten – während die muscadins in Paris bereits Jagd auf seine Träger machten.1953 Dies implizierte ein klares republikanisches Bekenntnis des Künstlers oder Auftraggebers. Die Darstellung mit dem Titel ‚Enthüllung der schrecklichen Verschwörung Robespierres‘ allegorisiert im linken Bild die Niederschlagung des Tyrannen, während in der rechten Bildhälfte eine Unterstützung des bewaffneten Volkes bei dieser Aktion suggeriert wird.1954 In der Mitte strahlt die siegreiche Freiheitsmütze, die Kontinuität zur Revolution verbürgt. Von ihr gehen Blitze aus, die die als Schlangen symbolisierten Anhänger der Terreur erschlagen. Auch die oben bereits zitierte Darstellung Robespierres als Henker prangerte die Schändung der Jakobinermütze an: Der umgekehrte bonnet phrygien auf der Spitze der Pyramide ist aufgespießt, was andeutet, dass die Freiheit pervertiert und erdolcht wurde.1955 Daraus kann auf eine positive Bedeutungszuschreibung des Wertes ‚Freiheit‘ für den Erhalt der ‚nachjakobinischen‘ Republik geschlossen werden. Solche Darstellungen zeugen von einer lebhaften politischen Streitkultur: Gegen die in machtvollen Positionen verbliebenen Jakobiner wurde politisch ‚Opposition gemacht‘. Neue Werte und Allegorien rückten ins Zentrum des republikanischen Selbstverständnisses. Die justice (‚Gerechtigkeit‘, aber auch ‚Recht‘ beziehungsweise ‚Gesetz‘) kann als der zentrale Wert ausgemacht werden, der das breitestmögliche Spektrum an politischen Gruppierungen in der Kategorie ‚Thermidorianer‘

l’Histoire de France, Inv. M102913): Eine Waffe in Talliens Hand veranschaulicht seinen Aufruf zur Rache. 1952 Vgl. dazu auch SCHMIDT/SCHRÖER: Ordre public und homme nouveau, S. 310–318. 1953 Vgl. auch Kapitel 4.3.3. 1954 Vgl. Poisson, Jean Baptiste Marie: Horrible conspiration de Robespierre, dévoilée par le Comité de Salut public, le nonodi thermidor l’an 2 de la République Françoise une et indivisible (Paris, BnF, Collection de l’Histoire de France, Inv. M102920). Nach dem 9. Thermidor wurde auch das Prinzip der Gleichheit weiterhin stark propagiert: Der 9. Thermidor wurde ausgewiesen als Tag der Rückbesinnung auf die Gleichheit (vgl. auch Abb. 62). 1955 Vgl. [Hercy]: Robespierre, guillotinant le boureau.

4.5 Die Provokation der Bilder

579

einte.1956 Höllen-Allegorien, wie das analysierte Beispiel, trugen nicht ohne Grund Namen wie Acte de justice.1957 Ein Auge und ein Ohr dominieren die Szene von oben, appellieren an die Wachsamkeit der Justiz und machen deutlich, dass jedes Verbrechen am Ende bestraft werden wird.1958 Nach Vorstellungen der gemäßigten Republikaner sollte ein Rechtsstaat die Tugenddiktatur ablösen und die Gerechtigkeit anstatt ‚des Schreckens‘ auf die Tagesordnung gesetzt werden: „La justice à l’ordre du jour“1959. Damit war jedoch noch keine Entscheidung über die konkrete Gestaltung der Zukunft gefällt, geschweige denn Ruhe und öffentliche Ordnung in Frankreich wiederhergestellt.1960 Im Gegenteil – die Heftigkeit der ausgetragenen Debatte und die verbale und visuelle Polemik, die sie begleitete, machten es der Justiz unmöglich, dem an sie gerichteten Anspruch, die Revolution ein für alle man zu beenden, gerecht zu werden. Die ständig wiederholten Rufe nach Vergeltung schürten alte Ängste und entfesselten neue Rachegelüste. Besonders die apokalyptischen Bildwelten derjenigen, die wie Tallien und Fréron ein Interesse daran hatten, die Mitglieder der Revolutionsregierung des Jahres II pauschal als Willkürherrscher abzuurteilen, hatten große Wirkung in der öffentlichen Meinung (und finden bis heute Nachhall im kollektiven Gedächtnis). Sie waren mit dafür verantwortlich, den fragilen Kompromiss der Gruppe der Thermidorianer endgültig zu zerbrechen und einen neuen Zyklus der Gewalt einzuleiten.1961

1956

Zur Bedeutung der Idee der ‚Gerechtigkeit‘ für die Gruppe der Thermidorianer vgl. auch BACZKO: Die Thermidorianer, S. 665–667. Zur Umsetzung dieser Politik in der französischen Provinz vgl.: LUCAS, Colin: The First Directory and the Rule of Law, in: French Historical Studies 10 (1977), S. 231–260; sowie ders.: The Rules of the Game in Local Politics under the Directory, in: French Historical Studies 16 (1989), S. 345–371. 1957 Vgl. Viller [nach]: Acte de justice du 9 au 10 thermidor. 1958 Ebenso deuten die im Umfeld des Carrier-Prozesses häufig verwendeten Allegorien der Wahrheit und der Gerechtigkeit darauf hin, dass die Verbrechen des Abgeordneten aufgedeckt und gerächt werden sollten (vgl. u. a. Abb. 50). 1959 BACZKO: Comment sortir de la Terreur?, S. 92, fasst in dieser Formulierung die Auffassung von Abgeordneten wie z. B. Barère zusammen, die in bewusster Abgrenzung zu der Politik der Terreur („la Terreur à l’ordre du jour“) auf die Herrschaft von Recht und Gesetz bauten: „en substituant la justice inflexible à la terreur stupide“. Ebd. 1960 Die permante Störung der öffentlichen Ordnung durch oppositionelle Bewegungen ebenso wie durch Bandenwesen und Ignoranz zentralstaatlicher Anweisungen in der Provinz stellte eines der Hauptprobleme der Regierung des Direktoriums dar: Vgl. SUTHERLAND, Donald: The French Revolution and Empire: The Quest for a Civic Order, Malden u. a. 2003; DUPUY: Chouannerie et pouvoir local sous le Directoire. 1961 Vgl. zur Rolle der kollektiven Ängste in der Gewaltspirale des Thermidor auch BACZKO: Die Thermidorianer, S. 668–670.

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4. Gegenmacht als Erfahrung

4.5.2 Royalistische Bildpublizistik: Zwischen Opposition und Gegenrevolution Nicht nur die thermidorianischen ‚Reaktionäre‘ und gemäßigten Republikaner, sondern auch die Anhänger der Monarchie nutzten nach dem Ende der Jakobinerherrschaft das Medium der Bildpublizistik als Waffe im Machtkampf. Dabei konnten sie an Erfahrungen aus der ersten Revolutionsphase anknüpfen: Bereits 1791 und 1792 hatten Royalisten und Monarchisten die Bedeutung der Druckgraphik erkannt und mit den Vertretern der radikalen Revolution um das Bildmonopol gerungen.1962 In den zehn Monaten vor dem Sturz der Königsherrschaft hatten sie mit ihren Drucken teilweise sogar den Markt dominiert – bis die zweite Revolution vom Sommer 1792, der Umsturz zur Republik und die Errichtung der Jakobinerherrschaft ihre Aktivitäten vereiteln und strafrechtlich verfolgen sollten.1963 Für ihre politische Meinung zur Zeit der Terreur verfolgte und von der Republik enttäuschte Aktivisten wie beispielsweise der Pariser Richer-Serisy wurden im Sommer 1794 aus den Gefängnissen entlassen – und nahmen bereits kurze Zeit später eine publizistische Tätigkeit auf.1964 Schon vor dem Aufstand der gemäßigten Pariser Sektionen vom 13. Vendémiaire IV (5. Oktober 1795), bei dem Richer-Serisy eine wichtige Rolle gespielt hat, erschienen zwölf Ausgaben seines Accusateur public mit einer Auflage von bis zu 10.000 Stück. Druckgraphiken waren zunächst allenfalls als Thema Gegenstand des Blattes – bis sich der Publizist im Sommer 1797 entschied, fortan jeder Nummer eine Radierung voranzustellen: als Sicherheitsgarantie vor Raubdrucken, aber auch explizit motiviert als visuelle Ergänzung und Stütze der inhaltlichen Argumentation.1965 Allerdings: Die Druckerzeugnisse des ‚rechten‘ politischen Lagers sind weit weniger gut erforscht als diejenigen der Republikaner.1966 Dies 1962

Vgl. LANGLOIS, Claude: La caricature contre-révolutionnaire, [Paris] 1988, S. 7. Die prominentesten Protagonisten der Frühphase royalistischer Bildpublizistik – wie z. B. der Journalist Boyer de Nîmes und der Händler Michel Webert – starben auf der Guillotine. Vgl. LANGLOIS: La caricature contre-révolutionnaire, S. 15–19 sowie S. 225. 1964 Richer-Serisy hat mit der Veröffentlichung des Accusateur public bereits am 20. Oktober 1794 begonnen. Vgl. DUCOUDRAY, Émile: Art. Richer de Serizy, in: SOBOUL: Dictionnaire, S. 908f. 1965 Vgl. Accusateur public n° XXIX et XXX: Lundi, 5 juin 1797 (17 Prairial an V). Dazu vgl. bereits SCHRÖER: Die Gegenrevolution in der Opposition, S. 123 sowie 131–133. Dort auch zum Folgenden. 1966 Dabei blühte die royalistische Presselandschaft nach dem 9. Thermidor regelrecht auf; vgl. Überblick über die Presse des ‚rechten Spektrums‘ bei POPKIN, Jeremy: The RightWing Press in France, 1792–1800, Chapel Hill 1980. Einzelstudien wurden bislang vor allem den Blättern des republikanischen Lagers gewidmet, vgl. z. B. KITCHIN: Un jour1963

4.5 Die Provokation der Bilder

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gilt insbesondere für den Bereich der Druckgraphik – und für die Zeit nach dem Ende der Jakobinerherrschaft. Claude Langlois konnte in seiner Untersuchung über die gegenrevolutionäre Karikatur zwar eindrucksvoll die Kreativität und Produktivität der königstreuen Künstler, Verleger und Multiplikatoren der frühen Revolutionszeit nachweisen.1967 Die Jahre nach 1794 werden jedoch vernachlässigt, obwohl Langlois einleitend betont, gerade die nachthermidorianische Epoche habe das Bild der gegenrevolutionären Karikatur entscheidend geprägt. Langlois spricht von Auswüchsen eines „exorcisme post-thermidorien“ und einem „anathème anti-terrorisme“1968 und spielt damit auf jene Graphiken an, die schon bald nach dem Sturz Robespierres die Terreur als ein System mörderischer Willkürherrschaft denunzierten. Gleichzeitig suggerierte er damit, die royalistische Karikatur habe nach 1794 an Vielfalt und Einfallsreichtum verloren. Dieses Urteil muss differenziert werden:1969 Die gegenrevolutionäre Bildpublizistik des Ersten Direktoriums zeichnete sich durch eine bemerkenswerte Vielfalt aus, sowohl im Hinblick auf die dargestellten Bildinhalte als auch hinsichtlich der angewandten Argumentationsstrategien.1970 Allein schon das Lager der ‚Royalisten‘ war in sich äußerst heterogen: Der Begriff bezeichnete verschiedene politische Strömungen, deren ‚gegenrevolutionäre‘ Absichten höchst unterschiedlichen Ausmaßes waren.1971 Geeint waren die Royalisten nur in ihrer ablehnenden Haltung gegenüber der Republik als Staatsform. Wieweit man dennoch bereit war, sich mit den bestehenden Verhältnissen zu arrangieren, schwankte je nach Zugehörigkeit zu einer bestimmten geistigen Strömung sowie in Abhängigkeit von den tagespolitischen Umständen.1972 Das Spektrum der Anhänger der Monarchie reichte zur Zeit des nal ‚philosophique‘: La Décade; sowie FAJN, Max: The Journal des hommes libres de tous les pays, 1792–1800, The Hague 1975; ders.: Le Journal des hommes libres de tous les pays (2 novembre 1792–14 septembre 1800), in: AHRF 220 (1975), S. 273–288. 1967 Vgl. LANGLOIS: La caricature contre-révolutionnaire, S. 7. 1968 Ebd. 1969 Die folgenden Überlegungen sind in ausführlicherer Form bereits an anderer Stelle veröffentlicht worden, vgl. SCHRÖER: Die Gegenrevolution in der Opposition, S. 125– 143. Dort finden sich auch weitere Abbildungen der analysierten Blätter. 1970 Karikaturen aus der Zeit des Direktoriums sind insgesamt kaum bekannt. Beide oppositionellen Lager, Royalisten wie Demokraten, griffen das republikanische Regime der Mitte vehement an – und bedienten sich dabei erstaunlicherweise oft ähnlicher Argumente und Strategien (vgl. auch Kapitel 4.3.4). 1971 Vgl. WORONOFF: La République bourgeoise de Thermidor à Brumaire, S. 69. 1972 Die ausgewählten Quellenbeispiele entstammen den drei großen Sammlungen der Bibliothèque nationale de France (de Vinck, Histoire de France und Hennin), der umfangreichen Graphiksammlung des Musée Carnavalet oder der zeitgenössischen Pres-

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Direktoriums von den sogenannten absolutistes, die sich für eine weitgehende Wiederherstellung des Ancien Régime unter der Herrschaft Ludwigs XVIII. aussprachen, bis hin zu den verschiedenen Schattierungen der constitutionnels, die eine konstitutionelle Monarchie befürworteten, auch wenn umstritten war, welchem Anwärter der Thron letztlich tatsächlich angetragen werden sollte. Themen- und Bildwelten royalistischer Regimekritik im Ersten Direktorium Dank einer starken Presse, die sich aus einer effektiven Kombination aus Zeitschriften und Druckgraphiken zusammensetze, entwickelte sich das Lager der Royalisten zwischen 1794 und 1799 zu einer ‚Gegenmacht‘, die entscheidenden Einfluss auf die öffentliche Meinung und damit auch auf Wahlentscheidungen und politische Mehrheiten hatte. Die von ihnen hervorgebrachten Bilder, ihre Stereotype und politischen Deutungsangebote entwarfen alternative Ordnungsmodelle, die die Debatte um die Zukunft der nachrevolutionären Republik prägten. Royalistische Regimekritik fand äußerst differenziert auf mindestens drei verschiedenen Ebenen statt: a) als indirekte Regimekritik über die Desavouierung der Republik des Jahres II (1793/94); b) als inhaltlich argumentierende, ‚oppositionelle‘ Regimekritik, die sich auf konkrete politische Konkurrenten und Entscheidungen bezog; c) als radikale Regimekritik, die das Direktorialregime explizit als Fortsetzung der Jakobinerherrschaft denunzierte und insgesamt ablehnte. a) Seit dem Ende des Jahres 1794 erfreuten sich in Frankreich solche Stiche großer Beliebtheit, die das Regime der Revolutionsregierung als grausame Willkürherrschaft anprangerten. Die Jakobiner hätten so lange alle politischen und gesellschaftlichen Gruppierungen ausgeschaltet, bis sie am Ende nur noch sich selbst hätten richten können.1973 Daneben zirkulierten weiterhin Darstellungen von Trauerweiden (saules se. Für die Zeit des Wahlkampfes des Jahres V bis zum Staatsstreich des 18. Fructidor habe ich den Accusateur public von Jean Thomas Élisabeth Richer-Serisy sowie die Zeitung Le Miroir, für die Claude François Beaulieu verantwortlich zeichnete, auf Anzeigen und Illustrationen hin durchgesehen. Vgl. dazu auch Art. Miroir, in: TULARD, Jean u. a. (Hrsg.): Histoire et dictionnaire de la Révolution française, 1789–1799, Paris 1987, S. 988f. 1973 Vgl. z. B. [Non-identifié]: Gouvernement de Robespierre. Die Radierung zeigt, wie sich der Henker auf der Place de la Révolution selbst guillotiniert, nachdem die Revolutionsregierung nach und nach fast die gesamte französische Gesellschaft hat umbringen lassen: Das Schafott ist umgeben von aufgehäuften Köpfen, die über Inschriften unterschiedlichen Opfergruppen der Terreur zugewiesen werden können: „Peuple“, „Convention“, „Législative“, „Constituante“, „Noblesse“, „Parlement“, „Clergé“.

4.5 Die Provokation der Bilder

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pleureurs), über die ungeachtet aller offiziellen Verbote1974 schon seit 1793 subtil die Anteilnahme an der Hinrichtung des Königspaares ausgedrückt werden konnte: In der Regel wurden die Porträts der Mitglieder der Königsfamilie als Vexierbilder (Suchbilder) innerhalb der Baumkrone versteckt; im Bildhintergrund sind häufig trauernde Frauengestalten neben Sarkophagen oder Kenotaphen zu erkennen (Motive des Verlustes und der Erinnerung).1975 Ab 1795 mehrten sich Darstellungen, die das Motiv der Trauer mit demjenigen der Terreur kombinierten. So tanzt beispielsweise ein Sansculotte – über die Bildunterschrift ausgewiesen als „instrument de crimes“ – mit einer Trikolore in der Hand neben einer Hängeweide; im Hintergrund werden die Gräueltaten des Schreckensregimes visualisiert (Abb. 55).1976 Die Inschrift auf der Trikolore („Fête du 21 janvier“) legt nahe, dass die Graphik im Kontext des zweiten Jahrestages der Hinrichtung des Königs erschienen ist. In der linken Bildhälfte ist eine Allegorie der Menschlichkeit zu erkennen, beschämt und fassungslos angesichts der begangenen Verbrechen. Hinter ihr wölben sich die Zweige der Weide. Die Bildunterschrift erläutert, der Sansculotte glaube, im Geäst den Schatten eines Opfers der Terreur zu erkennen, das ihn zu würgen versuche. Und in der Tat findet sich auch hier das Profil des hingerichteten Königs im Bild versteckt: Es zeichnet sich am Hals des Tänzers ab. Die Erscheinung erschüttert den Mann zutiefst.1977 Indirekt wurde über solche Bilder auch Kritik am herrschenden Regime geübt: Allzu deutlich waren die personellen und politischen Ähnlich argumentiert: [Hercy]: Robespierre, guillotinant le boureau. Vgl. auch Kapitel 4.5.1. 1974 Vgl. Gesetz vom 29. März 1793. 1975 Vgl. z. B. Marchand, Jacques, nach Jean-Baptiste Coste: Saule pleureur, Radierung, ca. 1793 (Paris, BnF, Coll. de l’Histoire de France, Inv. Qb1, 21 janvier 1793, M101918, abgebildet in: Ausst.Kat. FRENCH CARICATURE AND THE FRENCH REVOLUTION, 1789– 1799, published in conjunction with an exhibition co-organized by the University of California, Los Angeles, and the Bibliothèque nationale de France, Paris und Chicago 1988, S. 197f. sowie in Ausst.Kat. LA RÉVOLUTION FRANÇAISE ET L’EUROPE, Bd. 2, Paris 1989, S. 579f.); in der Baumkrone verbergen sich die Profile von Ludwig XVI., MarieAntoinette sowie ihrer Kinder, Ludwig XVII. und Madame Royale – der royalistischen Hoffnungsträger der Zukunft. Mit dem expliziten Hinweis „Publié en 1795“ vgl. auch [Non identifié]: Saule pleureur, Publié en 1795, eau-forte, pointillé, 37 × 49 cm (Paris, BnF, Coll. Histoire de France, Qb1 1793-01-2, M101918). 1976 Vgl. SCHRÖER: Die Gegenrevolution in der Opposition, S. 128, sowie Ausst.Kat. LA RÉVOLUTION FRANÇAISE ET L’EUROPE, Bd. 2, S. 580. 1977 Es existieren verschiedene Varianten des Motivs bzw. Bearbeitungsformen der Platte, die Bildaussage bleibt hingegen stets dieselbe. Vgl. Paris, Musée Carnavalet, PC histoire 27D: Figures et emblèmes allégoriques symbolisant la Révolution, pièces d’inspiration royaliste, images souvenirs; Vizille, Musée de la Révolution française, Inv. 84.871.

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Abb. 55: [Non identifié]: Un sans culotte instrument de crimes dansant au milieu des horreurs, vient outrager l’humanité pleurante aupres d’un cenotaphe. Il croit voir l’ombre de l’une des victimes de la revolution qui le saisit a la gorge. Cette effrayante apparition le suffoque et le renverse, eau-forte, 21,5 × 15 cm.

Kontinuitäten zwischen der vor- und nachthermidorianischen Republik. Zwei Drittel der Abgeordneten der parlamentarischen Räte des Direktoriums entstammten dem revolutionären Konvent, der die Terreur legalisiert und toleriert hatte; und alle fünf Direktoren hatten 1793 für den Königsmord gestimmt. Spätestens als sich die Propaganda gegen die Terreur mit der Trauer um den hingerichteten König verknüpfte, grenzten sich die neuen Machthaber entsprechend deutlich von deren Trägerschichten ab: Alle Befürworter der Monarchie, sei sie konstitutionell oder absolutistisch, wurden abgelehnt und als gegenrevolutionär denunziert. Das Motiv der Reue oder der Umkehr – im Bild des erschreckten Sansculotten mit angelegt und 1794/95 auch Gegenstand anderer Darstellungen –1978 wurde von Seiten der Republikaner nicht aufgegriffen.

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Die Radierung Député à la convention Nationale zeigte beispielsweise ein von Reue und schlechtem Gewissen heimgesuchtes Konventsmitglied vor dem Hintergrund einer kalten und kargen Landschaft; Schlangen am Boden verweisen auf die Schuld, die der Mann auf sich geladen haben soll, und veranlassen ihn zum Bekenntnis: „je reconnois ma faute; et mon crime odieux, / à chaque instant du jour, est présent à mes yeux.“; [Non-identifié]: Député à la convention Nationale, eau-forte, burin,

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b) Nach Verabschiedung der neuen Verfassung, Einsetzung des Ersten Direktoriums und besonders im Kontext der Wahlen des Jahres V differenzierte sich die royalistische Bildpublizistik weiter aus: Sie richtete sich gezielt gegen verschiedene Gruppen von politischen Gegnern oder griff die republikanischen Amtsträger beziehungsweise die von diesen verfolgte Politik an. Die Schließung des Jakobinerklubs war bereits im Thermidor von einer scharfen Polemik gegen dessen Mitglieder begleitet worden, die als Ausgeburten des Teufels denunziert oder in die Hölle gewünscht wurden.1979 Auch Spottleichenzüge für ‚Ihre Majestäten, die Jakobiner‘ waren in Umlauf gebracht worden.1980 Im Direktorium sollte sich die Kritik inhaltlich konkretisierten. Ein Beispiel dafür stellt die bereits in anderem Zusammenhang thematisierte Karikatur L’Anarchiste (Abb. 1) dar, die in der Literatur häufig zur Illustration der Politik des thermidorianischen Konvents in den Jahren 1794/95 herangezogen worden ist,1981 dank einer Anzeige im Miroir jedoch zeitlich dem Wahlkampf des Jahres V (1797) zuzuordnen ist.1982 Abgebildet ist eine janusköpfige Gestalt, 25 × 20,5 cm (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6552, abgebildet in: VOVELLE: La Révolution française. Images et récit, Bd. 4, S. 330). 1979 Vgl. u. a. [Non-identifié]: Souper du diable, Gravure à l’eau-forte, coloriée, 17 × 22,1 cm (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6473); [Non-identifié]: Indigestion du diable, Gravure à l’eau-forte, coloriée, 16,9 × 22,3 cm (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6474); [Nonidentifié]: L’indigestion du diable, Lithographie, coloriée, 26,4 × 34,7 cm (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6475). 1980 Vgl. [Non-identifié]: Grand convoi funebre de leurs majestés les Jacobins en leur vivant, nos seigneurs et maitres décéde en leurs palais de la rue St. Honoré, Gravure à l’eau-forte, coloriée, 24,1 × 37,5 cm (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6479). Dazu vgl. Analyse von CILLESSEN, Wolfgang und Rolf REICHARDT: Satirische Begräbnis-Rituale in der revolutionären Bildpublizistik (1786–1848), in: REICHARDT/SCHMIDT/THAMER: Symbolische Politik und politische Zeichensysteme, S. 17–81. 1981 Furet/Richet stellen die Abbildung in den Kontext der Politik der letzten Monate des revolutionären Konvents, der hier symbolisiert werde, vgl. FURET/RICHET: La Révolution. Du 9 Thermidor au 18 Brumaire, S. 12; VOVELLE: La Révolution française. Images et récit, Bd. 4, S. 304f. geht hingegen davon aus, es handele sich bei der abgebildeten Person um einen Thermidorianer. Diese unterschiedlichen Interpretationsvorschläge spiegeln den Befund, dass sich nach dem Jahreswechsel 1794/95 alle politischen Gruppierungen wechselseitig der Täuschung und des Verrats bezichtigten. Die Annonce im Miroir spricht jedoch dafür, die Karikatur den Kreisen der konstitutionellen Royalisten zuzuschreiben, die hier ihren politischen Gegner kritisieren. Artikel, die in den unmittelbar vorangehenden und nachfolgenden Ausgaben der Zeitung erschienen, brandmarken mit dem Substantiv ‚anarchiste‘ in der Regel die Anhänger der ehemaligen Jakobiner; zur Regierungspartei wird ein Unterschied gemacht. 1982 Vgl. Le Miroir n° 327, 3 Germinal V (23. März 1797), S. 3: „Il paraît une gravure nouvelle qui a pour titre l’Anarchiste; elle est du citoyen Petit, peintre.“ Die darauffolgenden Sätze sind in der Ausgabe der BnF an einigen Stellen nur schwer lesbar; Vergrö-

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die sich auf der einen Seite im Gewand der bürgerlichen honnête gens einem jungen „chouan“ andient, auf der anderen als Sansculotte einer einfachen Frau aus dem Volk („la tricoteuse“) schmeichelt – und sie letztlich beide täuscht. Der Titel des Druckes bezeichnet den neuen Janus als „anarchiste“, eine Bezeichnung, mit der die royalistischen Kreise üblicherweise die Anhänger der Demokratie oder der Jakobiner beschimpften.1983 Das Motiv des Doppelgesichtes war 1791 und 1792 von den Republikanern zur Bloßstellung vermeintlicher Gegner der Revolution (Bailly und La Fayette, Barnave, Ludwig XVI.) verwandt worden;1984 nach dem 9. Thermidor hatte man in ähnlicher Form die Gruppe der Gemäßigten (modérés) als doppelzüngig und unzuverlässig angeprangert1985. Im Frühjahr 1797 griff das gegnerische politische Lager die Motivtradition auf, um nunmehr die radikale Linke zu diskreditieren – und sich öffentlichkeitswirksam von Täuschung und Doppelspiel als zu verurteilendem politischen Fehlverhalten zu distanzieren. Der intensive Wahlkampf wurde mit Erfolg belohnt und die Mehrheitsverhältnisse in den Räten verschoben sich im Frühjahr 1797 tatsächlich zugunsten der Royalisten. Außerparlamentarisch organisierte sich die erstarkte Fraktion im sogenannten Club de Clichy, der Parlamentsentscheidungen vor- und nachbereitete.1986 Gleichzeitig entstand im liberalen Lager rund um Mme de Staël, Benjamin Constant, Talleyßerungen legen den folgenden Textzusammenhang nahe: „L’anarchiste représente un homme à deux visages, tel que la fable nous peint Janus. Il a une figure pour allécher le jeune chouan, et une autre pour plaire à la tricoteuse. L’idée est très spirituelle. Le prix est de 1 liv. 10 S. On peut s’adresser chez l’auteur, rue de Grenelle St.-Honoré, n° 90.“ [Hervorhebungen im Original]. Es erscheint bemerkenswert, dass die royalistisch ausgerichtete Zeitung statt von einem muscadin oder incroyable von einem chouan spricht. – Der unmittelbare Zusammenhang zwischen Karikatur und Wahlkampf wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass im Leitartikel derselben Ausgabe über die Eröffnung der Assemblées primaires berichtet wird. 1983 Vgl. u. a. Artikel in Le Miroir n° 331, 7 Germinal V (27. März 1797), S. 2f. 1984 Vgl. [Non-identifié]: L’homme à deux faces, caricature contre Bailly et La Fayette, Stich, eau-forte, coul., 26 cm × 17,5 cm, [Paris 1791] (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 1799, abgebildet in: VOVELLE: La Révolution française. Images et récit, Bd. 2, S. 39); [Non-identifié]: Barnave, L’Homme de la cour 1791 l’homme du peuple 1789, gravure, [Paris 1791] (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 4036 und 4035, Coll. Hennin, Inv. 11104, abgebildet in: FURET, François und Denis RICHET: La Révolution. Des états généraux au 9 Thermidor, Paris 1965, S. 200); sowie [Non-identifié]: Le Roi Janus ou l’homme à deux visages, Aquatintaradierung (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 4308, abgebildet in: HERDING/REICHARDT: Die Bildpublizistik der Französischen Revolution, S. 120). 1985 Vgl. [Non-identifié]: Portraits des Impartiaux, des Modérés, des Modérateurs. 1986 Eine ausführliche Studie zur Geschichte des Klubs liegt bislang nicht vor, vgl. einleitend LEFEBVRE: La France sous le Directoire, S. 253 und S. 273ff.

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Abb. 56: [Non-identifié]: Le Club de Salm, gravure, veröffentlicht in: L’Accusateur public, n° XXXII: Lundi 10 juillet 1797, 22 Messidor an V.

rand und Sieyès der Club de Salm, der es sich zur Aufgabe machte, das Direktorialregime gegen die Aktivitäten des Club de Clichy zu stützen.1987 Klub und Klubmitglieder (als ‚salmichiens‘ verspottet) wurden vom royalistischen Lager genau beobachtet.1988 Im Juli veröffentlichte Richer-Serisy in seinem Accusateur public eine Graphik mit dem Titel Le Club de Salm (Abb. 56).1989 Gezeigt wird eine fiktive Klubsitzung, in der Bildmitte erkennt man einen Vorsitzenden, der mittels einer Glocke zur Ordnung ruft. Rechts und links von ihm scheinen sich die Klubmitglieder auf einen bevorstehenden Kampf vorzubereiten: An Apparaturen schleifen sie geschäftig ihre Waffen. Die Aufmerksamkeit des Betrachters wird durch die Zentralperspektive in die Bildmitte gelenkt, wo der Präsident des Klubs hinter seinem Rücken einen Geldbeutel in Empfang nimmt – und zwar von niemand Geringerem als einem Mitglied des Direktoriums (erkennbar an seiner Amtstracht und dem mit Federn geschmückten Hut). Bei dem Mann handelt es sich wohl um La Revellière-Lépeaux, der in seiner Kindheit von einem Priester 1987

Vgl. ebd., S. 298ff. Vgl. u. a. den Artikel „Aux salmichiens“ in Le Miroir n° 426, 12 Messidor V (30. Juni 1797), S. 3. 1989 Vgl. begleitend zur Graphik auch den Artikel „Album nigrum – Du Club de Salm“, in: Accusateur public n° XXXII: Lundi 10 juillet 1797 (22 Messidor an V), S. 18–22. 1988

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körperlich so stark gezüchtigt worden war, dass er zeitlebens mit einem Buckel entstellt blieb.1990 Richer-Serisy bezichtigt die Regierung, die aufwieglerischen Aktivitäten des Klubs finanziell zu unterstützen: Die kurzen Stichwaffen, die hier produziert werden, sind Symbole des gewaltsamen und hinterhältigen politischen Kampfes.1991 Über Schriftstücke auf dem Tisch („Société populaire“, „Affiliation“) wird zudem auf den 1794 geschlossenen Jakobinerklub angespielt. In einem zugehörigen Artikel erinnert Richer-Serisy an die blutigen Fraktionskämpfe zwischen den politischen Klubs früherer Revolutionsepochen.1992 Außer Sieyès wird niemand namentlich erwähnt; eventuell können jedoch ein junger Mann rechts sowie eine Person mit lockigem Haar und schmaler spitzer Nase links im Bild als Benjamin Constant und Mme de Staël identifiziert werden. Beide bekannten sich seit 1796 offen zum Direktorialregime, welches sie mit ihren Schriften und Kontakten unterstützten.1993 Richer-Serisy bezeichnete alle in der ersten Reihe formierten Klubmitglieder als ‚Komplizen‘ Philippe d’Orléans, die eine blutige Vergangenheit zu verantworten hätten: […] j’apperçois dans le premier rang les infames complices de Philippe; ces hommes que la commune voix et l’horreur qu’ils inspirent ont repoussé de toutes les places, nourrissent encore de ridicules espérances: si la constitution succombe, le trône sanglant de Philippe est leur asyle.1994

Der Publizist riet den Aktivisten, rechtzeitig aufzugeben, da Frankreich die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen werde – und ihrer Zusammenkunft ein Ende bereiten würde. Im Vorfeld der Wahlen hatten die Royalisten eine Sammlungspolitik betrieben, die ihr Lager kurzfristig geeint hatte. Die Graphik zeigt, wie rasch im Sommer 1797 die Gräben zwischen den einzelnen Strömungen wieder aufbrachen. Richer-Serisy kritisierte mit Vorliebe diejenigen liberal gesonnenen Anhänger der konstitutionellen Monarchie (Monarchisten), die sich mit dem Direktorium arrangiert hatten. Schon einen Monat zuvor hatte er im Frontispiz seiner Zeitung Necker angegriffen, der sich in seiner soeben veröffentlichten Histoire de la Révolution française schamlos als nationaler Held von historischer Bedeutung 1990

Vgl. SURATTEAU, Jean-René: Art. La Revellière-Lepeaux, Louis Marie de, in: SOBOUL: Dictionnaire, S. 644ff., S. 644. 1991 Ähnlich wie schon am Beispiel des Janus beobachtet, wird hier erneut eine Metapher der revolutionär-republikanischen Bildpublizistik (Dolch als Zeichen des Verrats) bewusst aufgegriffen und ins Gegenteil verkehrt. 1992 Accusateur public n° XXXII: Lundi 10 juillet 1797 (22 Messidor an V), S. 18ff. 1993 Vgl. LEFEBVRE: La France sous le Directoire, S. 216f. 1994 Accusateur public n° XXXII: Lundi 10 juillet 1797 (22 Messidor an V), S. 20f.

4.5 Die Provokation der Bilder

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inszeniere.1995 Die Bildbeschreibung lässt keinen Zweifel: Necker wird für die Eskalation der Revolution mit verantwortlich gemacht;1996 Personifizierungen der Nachwelt und der Politik (im Körper des Kardinals Richelieu) weisen ihn angesichts seiner unangemessenen Selbstherrlichkeit in seine Schranken. 1797 kursierte in Paris das Gerücht, Necker könne dank einflussreicher Fürsprecher aus dem Umkreis seiner Tochter erneut zum Finanzminister berufen werden – was die konservative Mehrheit in den Räten nach allen Kräften zu verhindern suchte. Richer-Serisy erscheint in seiner sehr persönlichen Kritik an Necker einerseits als fundamentaler Gegner der liberalen Politik des Direktorialregimes, andererseits als Widersacher derjenigen Monarchisten, die sich aufgrund ihrer liberalen Überzeugungen an die Republik angenähert hatten. Die royalistische Presse verstand es, die neuen Spielregeln der politischen Auseinandersetzung geschickt für die eigene Sache zu nutzen. Noch augenscheinlicher wird diese Kompetenz in solchen Graphiken, die die Amtsträger des Direktorialregimes – seien es die fünf Direktoren, seien es die Abgeordneten der Räte – direkt aufs Korn nahmen. Erneut erweist sich das Jahr 1797 als Höhepunkt der Polemik: Nach den Ratswahlen vom Mai 1797 erneuerte sich erstmals auch das Regierungsgremium des Direktoriums um ein Mitglied. Laut Verfassung sollte per Losverfahren ermittelt werden, wer aus der Kollektivregierung ausscheiden müsse; der neue Kandidat war anschließend über die Räte zu bestimmen. Die genaueren Umstände des Verfahrens waren jedoch nicht gesetzlich geregelt.1997 Der Rat der Fünfhundert forderte ein Kontrollrecht ein; die Direktoren wünschten jedoch die Feststellung des ausscheidenden Kandidaten in einer geheimen Sitzung nur in ihren eigenen Reihen. Gerüchte wurden laut, es gebe bereits Absprachen im Vorfeld (dass Letourneur ausscheiden solle), und das Verfahren werde manipuliert. Doch obwohl eine eigens eingesetzte Kommission offiziell entschied, das von der Verfassung vorgeschriebene Losverfahren sei im Rat der Fünfhundert durchzuführen, setzte sich am Ende 1995

Vgl. [Non-identifié]: M. Necker, Stich, veröffentlicht in: L’Accusateur public n° XXIX et XXX: Lundi, 5 juin 1797 (17 Prairial). 1996 Bereits in der vorangehenden Ausgabe (5. Juni 1797) hatte Richer-Serisy selbst die Beschreibung geliefert: „Sur une montagne immense, composée de sceptres brises, de temples détruits, de têtes couronnées abbattues, de cadavres de femmes, d’enfans, de vieillards, s’éleveroit majuestueusement M. Necker; un rouleau de parchemin sortiroit de sa bouche, qui laisseroit lire ces mots: Integer vitae scelerique purus. De la main gauche il feroit un geste de compassion et de la droite, il se placeroit naïvement une couronne de lauriers sur la tête […].“ Accusateur public n° XXVIII, S. 44–48. 1997 Vgl. Thibaudeau: Mémoires, première édition complète, S. 380f., auch zum Folgenden.

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4. Gegenmacht als Erfahrung

das Direktorium durch: Die Direktorenwahl erfolgte am 30. Floréal (19. Juni) in geheimer Sitzung. Letourneur musste ausscheiden. Diese Vorgehensweise wurde von der Presse aufs Schärfste kritisiert.1998 Die gegenrevolutionäre Zeitung Le Miroir veröffentlichte wenige Tage vor der Wahl eine Karikatur, die die fünf Direktoren als hundeähnliche Kreaturen visualisierte,1999 deren Muttertier (wohl ein Symbol für die Verfassung des Jahres III)2000 tot in der Raummitte lag. Ausführliche Charakterbeschreibungen jedes einzelnen Tieres erlauben es, die einzelnen Regierungsmitglieder zu identifizieren, auch ohne dass deren Namen genannt würden. 2001 La Revellière ist unter anderem erneut an seinem Buckel zu erkennen; bei dem „beau lévrier avec la tête d’un dogue“ (in zweiter Reihe) handelt es sich wohl um Barras, dem vorgeworfen wird, eine permanente Wechselpolitik zu betreiben und zeitweilig mit der radikalen Linken zu paktieren. Nur ein Hund wurde aus dem Kreise seiner Artgenossen positiv hervorgehoben (da er seiner Mutter am stärksten ähnele): Es handelte sich um den Direktor Letourneur, von dem es hieß, er stehe den Royalisten nahe. Aufgefordert, eines seiner Tiere zu opfern, vermeldet der ins Haus (stellvertretend für das politische System Frankreichs) zurückkehrende Besitzer, ausgerechnet dieses Exemplar nur sehr ungern preisgeben zu wollen. Dennoch, so heißt es in der Bildbeschreibung, werde er der Aufforderung eines Freundes, per Los zu entscheiden, welcher der fünf Hunde gegen einen anderen eingetauscht werden müsse, nachkommen, um seinen Freund nicht vor den Kopf zu stoßen: „Je ne veux pas désobliger cet ami, et nous 1998

Direkten Zweifel an der Validität des Verfahrens formulierte u. a. Le Miroir n° 386, 2 Prairial V (21. Mai 1797), S. 1: „Le singulier accord qui s’est trouvé dans l’annonce des journalistes sur la prochaine sortie de Letourneur du directoire, et la bizarerie de la fortune, qui l’a effectivement exclu, fait babiller tous le monde […].“ 1999 Vgl. [Non-identifié]: Lequel faut-il donner, gravure à l’eau-forte, 30 × 22 cm, Paris, Mai 1797 (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6593, sowie ebd., Coll. Hennin, Inv. 12338). Für eine ausführliche Interpretation und kleine Abbildung vgl.: SCHRÖER: Die Gegenrevolution in der Opposition, S. 133–135. Die Bildinhalte wurden den Zeitgenossen erläutert in: Le Miroir n° 378, 24 Floréal V (15. Mai 1797), S. 2. Vgl. dort auch zum Folgenden. 2000 Entgegen der Ausführungen im Inventar der Sammlung de Vinck kann davon ausgegangen werden, dass das Muttertier nicht mit dem revolutionären Konvent, sondern mit der Verfassung des Jahres III (1795) zu identifizieren ist, die aus Sicht der constitutionnels durch die Zweidritteldekrete und die manipulierte Zusammensetzung des Direktoriums tödlich verletzt worden war, bevor sie überhaupt in Kraft treten konnte. Vgl. dazu Bildbeschreibung in: Le Miroir n° 378, 24 Floréal V (15. Mai 1797), S. 2. 2001 Die Verwendung von Tiermetaphern zur Herrschaftskritik kennt eine lange Tradition, vgl. u. a.: Die Verwandlung eines Adligen in einen Hund, Radierung und Kupferstich, 17,3 × 28,4 cm, 1673 (Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, abgebildet in: HERDING/REICHARDT: Die Bildpublizistik der Französischen Revolution, Abb. 86, S. 68).

4.5 Die Provokation der Bilder

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sommes convenus de tirer au sort quelle serait celle de mes pauvres bêtes que j’échangerais contre la sienne.“2002 Der Hundebesitzer ist zwar Royalist – wie auch an dem leeren Stuhl zu erkennen ist, der die Bildmitte wie ein Thron dominiert und auf die Besetzung durch einen neuen König wartet. Dennoch akzeptiert er offenbar die Spielregeln der aktuellen Verfassungsordnung: Im Hintergrund sind an der Wand Symbole der Republik zu erkennen. Nachdem bekannt wurde, dass das ‚geheime‘ Losverfahren der Direktoren zum Ausscheiden Letourneurs aus dem Abb. 57: [Non-identifié]: Lequel faut-il donner, Regierungsgremium führen eau-forte. sollte, wurde sofort der Verdacht der Wahlmanipulation laut. Die analysierte Graphik erfuhr eine zweite Bearbeitung, die bereits am 1. Prairial (20. Mai) im Miroir angekündigt wurde (Abb. 57). 2003 In der Raummitte sind auf einer gestürzten Gesetzestafel die drei revolutionären Verfassungen verzeichnet. Auch wenn sich der Autor der Graphik von der demokratischen Verfassung von 1793 ausdrücklich distanziert (über das ihr zugeordnete Attribut des Totenkopfes) – die Bildaussage wird dominiert durch den grundlegenden Vorwurf einer Verletzung der Verfassungsordnung durch die Direktoren. Diese Botschaft ist auch ohne längere Textlektüre eindeutig verständlich. 2004 Auffällig erscheint, dass die hier visualisierte Kritik genau zwischen guten und schlechten Charaktereigenschaften jedes einzelnen Regierungsmitglieds unterschied. Auch wird nicht die republikanische Staats2002

Le Miroir n° 378, 24 Floréal V (15. Mai 1797), S. 2. Vgl. Le Miroir n° 385, 1er Prairial V (20. Mai 1797). 2004 Auf dem Tisch liegt zusätzlich ein Hinweis auf den durch Bonaparte eigenmächtig ausgehandelten Vorfrieden von Loeben, der damit ebenfalls in den Kontext der Verfassungsverletzung gerückt wird (vgl. Abb. 57). 2003

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4. Gegenmacht als Erfahrung

form an sich angegriffen, wie es der leere Stuhl vielleicht auf den ersten Blick vermuten lassen könnte. Erst das Argument der Verfassungsverletzung disqualifiziert die Direktoren endgültig in ihrer Eigenschaft als Herrscher. Die Anhänger der konstitutionellen Monarchie, die sich mit dem liberalen Geist der Verfassung des Jahres III identifizieren konnten und sich während des Wahlkampfes 1796/97 explizit auf den Boden des Direktorialregimes gestellt hatten, treten hier somit als Hüter der herrschenden Ordnung auf. 2005 Auch die Karikatur Epoque du 30 Floréal l’An 5 de la République Française (Abb. 58) wunderte sich über die vermeintliche ‚Treffsicherheit‘ des Loses und stellt den Verdacht der Wahlmanipulation in den Raum. 2006 Ein Artikel im Miroir vom 2. Prairial (21. Mai) fragte ironisch nach, ob hier tatsächlich – so wie man es glauben machen wolle – das Schicksal über das Spiel entschieden habe, oder man nicht vielmehr mit einem ‚anderen Spiel‘ das Schicksal bewusst gefügig gemacht habe. 2007 Die Karikatur verlieh solchen Vorwürfen ein Gesicht: Das Wahlkarussell der vier ‚republikanischen‘ Direktoren wird im Bild des Kinderspiels aufs Korn genommen – auch wenn vermeintlich Fortuna am linken Bildrand über das Schicksal Letourneurs entscheidet. Der scheidende Direktor wirkt als einziger ernst und gefasst: Er zieht seinen Hut und hat sich der äußeren Zeichen seiner republikanischen Macht bereits weitgehend entledigt – sein Schwert sowie ein Umhang liegen fast achtlos zu Fortunas Füßen in der Bildmitte am Boden. 2008 Solche Darstellungen beeinflussten die öffentliche Meinung, die nach den Erfahrungen der Terreur nach wie vor dazu neigte, den Republikanern zu misstrauen. Die Bilder griffen die Direktoren in ihrem Selbstbild, als Hüter der republikanischen Ordnung im Kampf gegen 2005

Vgl. so auch bei SCHRÖER: Die Gegenrevolution in der Opposition, S. 135. Dort auch zum Folgenden. 2006 Vovelle interpretierte den Reigen als einen Freudentanz, weil der ‚richtige‘, nämlich der unbequeme Direktor Letourneur ausscheiden müsse, vgl. VOVELLE: La Révolution française. Images et récit, Bd. 5, S. 183. Diese Sichtweise erscheint insofern fraglich, als die Darstellung der Regierungsmitglieder eine eher diskreditierene Stoßrichtung hat: Ihre Amtskleidung wirkt wie eine Kostümierung und ihr Tanz eher wie ein Kinderspiel – nicht wie seriöses Regierungshandeln. 2007 Vgl. Le Miroir n° 386, 2 Prairial V (21. Mai 1797), S. 1: „Maintenant on aura beau représenter que cette sortie, quoiqu’annoncée depuis quinze jours dans toutes les sociétés, n’est cependant qu’un jeu de la fortune, on s’obstinera à croire qu’elle est le résultat d’un autre jeu. Que faire à cela?“ 2008 Auch diese Graphik spielt auf den bevorstehenden Frieden im Italienfeldzug an: Bonaparte hatte in Leoben bereits einen Präliminarvertrag unterzeichnen können. Die Direktoren freuen sich – über ein Spruchband visualisiert: „Les préliminaire [sic] de la Paix sont signés et nous ferons en sorte de la bien cimenté.“

4.5 Die Provokation der Bilder

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Abb. 58: [Non-identifié]: Epoque du 30 Floréal l’An 5 de la République Française, gravure à l’eau-forte, 26,5 × 40 cm, Paris [1797].

ihre Feinde, an. Und im Verlaufe des Sommers 1797 sollte sich die Agitation aus dem royalistischen Lager noch weiter verstärken:2009 Dabei wurden nicht nur differenzierte politische Statements oder gar alternative politische Ordnungsmodelle entworfen, sondern auch schlicht das symbolpolitische Verhalten der Direktoren und ihres Umfeldes ins Lächerliche gezogen, wenn die Regierungschefs beispielsweise als behütete und kostümierte Affen visualisiert wurden (Abb. 41), die nichts

2009

Vgl. LEFEBVRE: La France sous le Directoire, S. 248: „[…] ces royalistes purs ont fait cause commune avec les monarchistes constitutionnels pour user des voies légales […]“; Lefebvre betont, es habe sich um einen strategischen Schachzug gehandelt, vgl. ebd., S. 252: „Il est clair qu’une situation pareille était propre à favoriser une politique de ralliement: puisque les monarchistes constitutionnels ne pouvaient pas compter sur Louis XVIII, puisque même certains d’entre eux pensaient à chercher un autre roi, qu’avaient-ils de mieux à faire que d’accepter provisoirement la Constitution de l’an III, qu’ils avaient votée et qui, tout compte fait – si on acceptait la forme de l’exécutif, puisqu’il y avait cinq rois au lieu d’un – pouvait être considérée comme un régime libéral et satisfaisant […].“; vgl. auch CROOK, Malcolm: La plume et l’urne: la presse et les élections sous le Directoire, in: LA RÉPUBLIQUE DIRECTORIALE, Bd.1, S. 295–310, S. 295 und 302ff.

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4. Gegenmacht als Erfahrung

Abb. 59: [Non-identifié]: Ce que j’étois – ce que je suis – ce que je devrois être, eau-forte, burin, 30 × 42 cm.

als Notstandsverwaltung betrieben. 2010 Auch die Parlamentarier wurden zur Zielscheibe der Kritik, indem man ihnen ihre revolutionäre Vergangenheit oder nach 1795 vor allem gezielte Bereicherung im Amt vorwarf. Blätter wie Départ des remplacés und Arrivée des remplacans visualisierten, wie die Abgeordneten nach Beendigung der Legislaturperiode nach der neuesten Mode gekleidet und in einer eleganten Kutsche die Stadt verließen – während diejenigen, die an ihre Stelle treten sollten, auf einem lahmen Gaul und einem Esel aus der Provinz in die Hauptstadt einreisten. 2011 Auch der Miroir griff das Thema ‚Bereicherung‘ auf, wenn auch ohne ausdrücklichen Verweis auf die Karikaturen. 2012 In ähnlicher Stoßrichtung zeigt das Blatt Ce que j’étois – ce que 2010

Vgl. auch [Non identifié]: Les cinq… singes. Dazu vgl. in anderem Zusammenhang Kapitel 4.1. 2011 Vgl. [Non-identifié]: Départ des remplacés, ou Tableau de Paris et de la France en Floréal, Radierung und Grabstichelarbeit, 22,5 × 33,5 cm (Paris, Musée Carnavalet, Inv. GC histoire 24, G. 26222, abgebildet in: Ausst.Kat. AU TEMPS DES MERVEILLEUSES, Kat.Nr. 67, S. 66); sowie [Non-identifié]: Arrivée des remplacans, ou Tableau de Paris et de la France en Floréal, Radierung und Grabstichelarbeit, 22,6 × 33,5 cm (Paris, Musée Carnavalet, Inv. GC histoire 24, G. 26222, abgebildet in: Ausst.Kat. AU TEMPS DES MERVEILLEUSES, Kat.Nr. 68, S. 67). Die widersprüchlichen Angaben zu den Inventarnummern vgl. ebd. 2012 Vgl. Le Miroir, 22. und 26. Mai 1797, S. 3 bzw. S. 2.

4.5 Die Provokation der Bilder

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je suis – ce que je devrois être (Abb. 59), wie aus einem einfachen Dieb durch seine politische Tätigkeit ein reicher Modegeck geworden ist, der nach Meinung des Autors zukünftig eigentlich inhaftiert, wenn nicht gar zur Zwangsarbeit verurteilt gehöre. Karikaturen wie Ils l[’]ont pri, il faut le rendre forderten noch direkter nach einer Rückgabe unrechtmäßig erworbener Gewinne: Ein junger muscadin (Konservativer oder Royalist) setzt den Profiteuren eine Spritze mit einer Art monetärem Abführmittel an, um ihnen ihre Schätze zu entlocken. 2013 Gegenstand der royalistischen Karikatur waren darüber hinaus auch einzelne Politikbereiche wie die Außenpolitik, die Kirchen-, Finanz- oder Sozialpolitik. 2014 Richer-Serisy veröffentlichte im Accusateur public beispielsweise eine Karikatur über den Verlauf des Friedenskongresses: Dieser wird als das Werk einer Gruppe von Kindern, die ein fragiles Kartenhaus bauen, visualisiert (Abb. 60). Die Wanduhr zeigt bereits zwölf Uhr an, während ein unmissverständlich mit Eselsohren gehörnter Sansculotte die letzten Lichter am Kronleuchter löscht. 2015 Der bebrillte Beobachter am linken oberen Bildrand wirkt hilflos; ihm scheinen die Hände gebunden: Umgeben von Allegorien der Gerechtigkeit (erkennbar an der Waage) und Frankreichs (Francia) blickt er als Außenstehender auf das Kartenhaus der Friedensunterhändler hinab. Hinter ihm lauert bereits der Tod. Auch zur parlamentarischen Diskussion um die Frage der Religionsfreiheit nahm Richer-Serisys Blatt bildpublizistisch Stellung: Nach der programmatischen Rede Boulays de la Meurthe vor dem Konvent rief es mit einer Radierung den Parlamentariern erneut die Schrecken der Septembermassaker ins Gedächtnis. 2016 Die Ereignisse von 1793 dienten 2013

Vgl. Marchand, Jacques, nach Jean-François Bosio: Ils lont pri, il faut le rendre, gravure à l’eau-forte, pointillé, 12 × 16 cm (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6962, abgebildet in: VOVELLE: La Révolution française. Images et récit, Bd. 4, S. 347). 2014 Vgl. SCHRÖER: Die Gegenrevolution in der Opposition, S. 137–140. 2015 Das Bild des Löschhuts wird möglicherweise in direkter Anspielung auf republikanische Graphiken des Jahres 1793 verwendet, wo dieser als Metapher für das Erlöschen der europäischen Monarchien eingesetzt worden war. So z. B. [Non-identifié]: Le nouvel astre francais ou La cocarde tricolore suivant le cour du zodiaque, Aquatintaradierung, 1793 (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 11338). 2016 Vgl. [Non-identifié]: Réponse à Boulay, Massacre des prêtres / Dans l’Église des Carmes, Stich, veröffentlicht in: L’Accusateur public, n° XXXIII et XXXIV: Lundi, 7 août 1797 (20 Thermidor). Boulay hatte in seiner Rede vom 26. Messidor [14. Juli] Lösungen vorgeschlagen, die schließlich im Concordat realisiert werden sollten: Er plädierte für die Religionsfreiheit, ohne jedoch der Kirche eine privilegierte Position, geschweige denn die Rolle eines Staates im Staat zuzugestehen; die Kirche müsse als Mindestvoraussetzung die Unterwerfung unter das Gesetz akzeptieren. Vgl. dazu LEFEBVRE: La France sous le Directoire, S. 284, auch zum Folgenden.

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Abb. 60: [Non-identifié]: Le Congrès, gravure, veröffentlicht in: L’Accusateur public, n° XXXI: Jeudi, 22 juin 1797, 4 Messidor.

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in der Auseinandersetzung beiden Seiten als Argument: den Republikanern als Beweis für die Gefahr, die der Katholizismus für die Nation bedeute; den Royalisten als Erinnerung an die verfehlte Kirchenpolitik des Konvents, die in den willkürlichen und unmenschlichen Morden gegipfelt sei. Die Radierung zeigt den Erzbischof von Arles, der sich mit dem Altar im Rücken seinem Schicksal ergibt, gleichzeitig aber noch die Hände schützend über seine Glaubensgenossen ausbreitet. 2017 Mit solchen Darstellungen wurden die Opfer von 1793 zu Märtyrern stilisiert und gleichzeitig an das Mitleid der Abgeordneten appelliert. 2018 Finanz- und sozialpolitische Themen wurden außerdem durch die Veröffentlichung von Bildern verarmter Rentiers2019 oder zurückkehrender Emigranten 2020 aufgegriffen. Beide Gruppen wurden in der royalistischen Presse als Opfer des republikanischen Regimes beklagt. Erst nach dem Staatsstreich vom 18. Fructidor V (4. September 1797), infolgedessen die Republikaner die Zensur deutlich verschärften und versuchten, die vielen Kritiker aus dem monarchistischen Lager mundtot zu machen, sollte die royalistische Bildpublizistik erneut in undifferenzierte und plakative Attacken gegen die Republik zurückverfallen. Diese Bilder haben das kollektive Gedächtnis stark geprägt. c) Das republikanische Triumvirat ließ nach dem Staatsstreich im Herbst 1797 nicht nur zahlreiche Abgeordnete der parlamentarischen Versammlungen, sondern auch die Besitzer, Betreiber, Autoren und Redakteure von 42 royalistischen Zeitungen deportieren. 2021 Auch RicherSerisy entging nur knapp diesem Schicksal. Die royalistische Reaktion wurde in den Untergrund gedrängt, wo sie dennoch einen hohen 2017

Vgl. Beschreibung in: Accusateur public n° XXXIII et XXXIV: Lundi, 7 août 1797 (20 thermidor), S. 25, Anm. 1. 2018 So hatte auch Camille Jordan, Abgeordneter aus dem Departement Bouches-du-Rhône, vor dem Konvent argumentiert, um seiner Ansicht Gewicht zu verleihen. Vgl. ebd., S. 25f. 2019 Vgl. [Non-identifié]: Vieux rentier et Vieux Pentionaire sur le chemin de Bicetre en 1797: l’un avec son Inscription, l’autre avec son brevet de pension, eau-forte, outils, 43 × 30 cm (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 3134, abgebildet in: VOVELLE: La Révolution française. Images et récit, Bd. 4, S. 353); sowie [Non-identifié]: Les méchans me tourmentent, Stich (Paris, Musée Carnavalet, abgebildet in: VOVELLE: La Révolution française. Images et récit, Bd. 4, S. 350). 2020 Vgl. u. a. den Roman von Senac de Meilhan, Gabriel: L’Émigré, publié par M. de Meilhan, Braunschweig 1797. Das Frontispitz ist abgebildet in VOVELLE: La Révolution française. Images et récit, Bd. 5, S. 205; ebd. vgl. auch den aus Holland zurückkehrenden, erbärmlich wirkenden Heimkehrer in der Graphik: [Non-identifié]: Retour d’un emigré, eau-forte, coul., 24 × 16 cm (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 3717, abgebildet in: VOVELLE: La Révolution française. Images et récit, Bd. 5, S. 205). 2021 Vgl. LEFEBVRE: La France sous le Directoire, S. 432.

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Organisationsgrad erreichen konnte. 2022 Diejenigen royalistisch inspirierten Graphiken, die trotz der Verschärfung der Zensur nach dem Staatsstreich erschienen sind, lassen sich in der Regel durch eine Verhärtung der Argumentation charakterisieren: Die royalistische Regimekritik richtete sich von nun an frontal gegen die Republik als System, das erneut mit der radikalen Revolution des Jahres II (1793/94) identifiziert wurde. Anders als die Republikaner selbst, die sich mit Visualisierungen ‚der‘ Republik im öffentlichen Raum weitgehend zurückhielten, 2023 war die neue Staatsform bei gegenrevolutionären Publizisten ein äußerst beliebtes Motiv – freilich um Ablehnung und Fundamentalkritik zu artikulieren. Eine anonyme Radierung aus dem Jahr 1797 diffamierte die Republik als Zwietracht stiftende Furie (Discordia). 2024 Im Bildhintergrund sind die Folgen ihrer Herrschaft zu erkennen: Eine Kirche steht in Flammen und auf der Guillotine wurde soeben eine weitere Hinrichtung durchgeführt. Hier wird erstmals eindeutig diejenige Botschaft greifbar, die gemeinhin der gesamten gegenrevolutionären Bildpublizistik der späten 1790er Jahre insgesamt nachgesagt wird. Mit den zuvor analysierten differenzierten Argumentationsstrategien der verschiedenen royalistischen Parteiungen aus dem Frühjahr 1797 hat sie nicht viel gemein. Abschließend erscheint in diesem Zusammenhang eine Allegorie auf den 18. Fructidor bemerkenswert (Abb. 61), da sie in eindrucksvoller Art und Weise inhaltlich differenzierte und plakativ provozierende Argumentationsstrategien miteinander kombiniert:2025 Die Republik schwebt als Furie mit hängenden Brüsten und giftiger Schlange über drei Momentaufnahmen, die die Ereignisse des 18. Fructidor illustrieren: In der Mitte ist eine Sitzung des Direktoriums dargestellt, die allerdings nicht mehr von fünf, sondern nur noch von drei Direktoren (den ‚Triumvirn‘) geleitet wird, die Vertreter der beiden parlamentarischen Räte (links und rechts aufgereiht) über ihr politisches Programm instruieren – die Gewaltenteilung scheint aufgehoben zu sein. Die beiden unteren Medaillons illustrieren Sitzungen der Räte selbst, deren Versammlungsorte anlässlich des Staatsstreiches verlegt worden 2022

Annie Jourdan spricht für das Jahr 1797 von einer „presse clichyienne“. JOURDAN, Annie: Napoléon. Héros, imperator, mécène, Paris 1998, S. 78. 2023 Vgl. Kapitel 2.1.2. 2024 Vgl. [Non-identifié]: La République, Radierung, Paris 1797 (Frontispice, aus: Montjoie, Galart de: Almanach des gens de bien pour l’année 1797, Paris o. J.). Dazu auch REICHARDT, Rolf: „Les Formes acerbes“. Zum Bilderkampf um republikanische Gewalt in Frankreich (1793–1872), in: BECKER: Politische Gewalt in der Moderne, S. 23–36, S. 33, Abb. 3. 2025 Vgl. dazu ausführlich SCHRÖER: Die Gegenrevolution in der Opposition, S. 142ff.

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Abb. 61: [Non-identifié]: Journée du 18 Fructidor, l’an 5 de la République française, eauforte, roulette, col., 24,5 × 34 cm, Extr. de: Le 18 fructidor ou anniversaire des fêtes directoriales, Hambourg 1798.

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waren:2026 Der Rat der Alten versammelte sich in der École de Médecine, hier ironisch als „Ecole de Chirurgie“ visualisiert, in der die Verfassung des Jahres III auf einem Seziertisch zerschnitten wird. Das linke Bild, welches die Versammlung des Rates der Fünfhundert im Odéon zeigt, greift die Idee des Theaters auf: Eine Reihe von Clowns hat den Vorsitz übernommen; die Abgeordneten verbiegen sich bei akrobatischen Übungen, um diesen zu gefallen. 2027 Auf einem Spruchband heißt es: „Constitution de l’an III avant hier c’était moi hier c’était encore moi mais aujourd’hui ce n’est plus moi“. Über die Guillotine und die abgeschlagenen Köpfe im Bildhintergrund wird dem republikanischen Triumvirat vorgeworfen, erneut eine Politik der Terreur zu praktizieren. Alle besprochenen Karikaturen üben (mehr oder weniger explizit) Kritik am bestehenden Regime – wenn auch in unterschiedlicher Form und mit unterschiedlichen Argumenten. Im Jahr V betrieben die Royalisten vorübergehend eine Sammlungspolitik, um auf dem Boden des republikanischen Regimes mit legalen Mitteln die Mehrheit zu erobern. Anhänger der konstitutionellen Monarchie übernahmen in dieser Zeit de facto die Funktion, die in heutigen demokratischen Systemen einer Oppositionspartei zukommt: Scheinbar paradoxerweise verteidigten die ehemaligen Monarchisten in diesem Kontext die republikanische Verfassungsordnung stärker als die Direktorialisten selbst, wenn sie nicht sogar bemüht waren, darüber hinausgehende Freiheiten zu erstreiten. Der Begründer des Miroir, Claude François Beaulieu, formuliert entsprechend in seinen Essais historiques sur les causes et les effets de la Révolution de France: […] tous les rôles étaient changés. Les républicains, chez qui Montesquieu pense que la presse doit jouir de la plus grande latitude de liberté, voulaient sceller parmi nous toutes les imprimeries, tandis que les royalistes, dont l’esprit est de les assujettir à des lois sévères, voulaient qu’elles fussent affranchies de toute espèce d’entraves […].2028

Die beschriebenen Druckgraphiken können die Beobachtung Beaulieus weiter präzisieren: Vor allem im Wahljahr 1797 ist es wichtig, im Einzelfall genau zwischen den verschiedenen Schattierungen der royalistes constitutionnels und absolutistes zu unterscheiden. Dennoch gibt 2026

Vgl. dazu LEFEBVRE: La France sous le Directoire, S. 428. Die Inschrift „Ambassadeur en Prusse“ spielt darauf an, dass auch Sieyès, der 1798 zum Botschafter in Berlin ernannt worden war, sich seit dem Staatsstreich offen zum Direktorialregime bekannte. 2028 Beaulieu, Claude François: Essais historiques sur les causes et les effets de la Révolution de France avec des notes sur quelques évènemens et quelques institutions, par C.-F. Beaulieu, 6e volume, livre 2ème, Paris, an IX–XI (1801–1803), S. 316. 2027

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es auch Gemeinsamkeiten, die für alle untersuchten Beispiele gleichermaßen gelten: Auffällig viele Karikaturen griffen Elemente der republikanischen Bildsprache auf, machten sie sich zu eigen und setzten sie im Sinne der eigenen politischen Überzeugung im Meinungskampf gezielt gegen die Republikaner selbst ein. Dabei fand eine durchaus differenzierte Auseinandersetzung mit verschiedenen Grundwerten der Revolution statt – Errungenschaften, welche die constitutionnels teilweise sogar für sich selbst in Anspruch nahmen, indem sie deren Verletzung brandmarkten. Zu diesem Zweck war die symbolische Kommunikation offenbar ebenso gut wie (unter Bedingungen der Zensur vielleicht sogar besser noch als) die diskursive und textbasierte Argumentation geeignet. Geschickt wurden genau diejenigen Aspekte visualisiert, mit denen sich die politischen Gegner selbst identifizierten. Dem Direktorium gelang es nicht, zentrale Themen wie die Verfassung positiv für die eigene Sache zu besetzen. Revolution und Gegenrevolution gehören demselben kulturellen und historischen Prozess an; ihre wechselseitige Radikalisierung erklärt sich gerade aus dieser gemeinsamen Herkunft. 2029 Die politische Option der Royalisten, besonders diejenige der Anhänger einer konstitutionellen Monarchie, hatte an der Politisierung und Umgestaltung der französischen Gesellschaft ebenso großen Anteil wie die Entscheidungen und Aktivitäten des republikanischen Lagers. 2030

4.5.3 Bildwelten der (Neo-)Jakobiner: Die Republik in der Krise Die ‚Jakobiner‘ waren als Gruppe im Thermidor und zur Zeit des Directoire nicht immer leicht zu identifizieren: Bezeichnet als anarchistes, terroristes, exclusifs nahmen sie im öffentlichen Raum verschiedene Identitäten und Gesichter an. Der politische Streit um ihr Erbe hat auch die Forschung lange Zeit beeinflusst und beschäftigt. 2031 Lefebvre stellte in seiner Vorlesung den Konflikt zwischen den beiden Lagern 2029

Sie sind nur in Beziehung zueinander zu verstehen. Vgl. MARTIN: Contre-Révolution, Révolution et Nation, S. 9, auch zum Folgenden. 2030 Erst im 19. Jahrhundert sollten beide Erfahrungen, Revolution und Gegenrevolution, sich nach und nach zu antagonistischen Konzepten verdichten, die über Frankreich hinaus auf die politische Entwicklung vieler europäischer Staaten, nicht zuletzt auf Deutschland, Einfluss nehmen sollten; vgl. DUFRAISSE, Roger (Hrsg.): Revolution und Gegenrevolution 1789–1830. Zur geistigen Auseinandersetzung in Frankreich und Deutschland, München 1991. 2031 Vgl. WOLOCH, Isser: The Jacobin Legacy. The Democratic Mouvement under the Directory, Princeton (N. J.) 1970.

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4. Gegenmacht als Erfahrung

der Direktorialisten und der Jakobiner in den Mittelpunkt seiner Überlegungen. 2032 Der größere Teil der Forschung beschäftigte sich jedoch lange Zeit ausschließlich mit der Geschichte des Babouvismus, wohl aufgrund seiner unbestreitbaren Relevanz für die sozialistischen Bewegungen des 19. Jahrhunderts. Es ist der Verdienst Suratteaus, den Blick weg von der Ideengeschichte auf den politischen Alltagskampf im Direktorium gelenkt zu haben: Allgemein unterschied er zwischen Regierungspolitik und Reaktionen der gegnerischen Lager; sozialgeschichtlich fragte er nach Bündniskoalitionen zwischen bestimmten Machthabern und gesellschaftlichen Gruppen. 2033 Hatte die rückwärtsgewandte Interpretation immer wieder das Personal der Republik des Jahres II zum Maßstab gemacht, so brachten die Studien Suratteaus neue Erkenntnisse über das Personal der Jakobiner und deren auffällig gemäßigte Haltung. Im Unterschied zu Isser Woloch, der in The Jacobin Legacy vor allem Kontinuitäten zur Phase der Volksbewegung herausstellte, 2034 konnte Suratteau nachweisen, dass die Jakobiner des Direktoriums das Wahlprinzip akzeptierten und sich von der Idee der ‚revolutionären Aktion‘ durch journées sowie dem Prinzip der Gütergemeinschaft distanzierten. Diese Forschungsergebnisse konnten durch neuere Studien von Bernard Gainot gestützt werden. 2035 Es ist wohl davon auszugehen, dass zur Zeit des Direktoriums verschiedene Strömungen von ‚Jakobinern‘ und ‚Neo-Jakobinern‘ nebeneinander existierten: Während einige Demokraten vor dem Hintergrund der politischen Instabilität und der teilweise chaotischen Verhältnisse hofften, die Politik des Jahres II (1793/94) erneuern zu können, 2036 hatte sich doch ein Großteil der Bewegung mit der aktuellen Situation arrangiert – und strebte auf dem Boden der Verfassungsordnung nach einer Ausweitung demokratischer Grund- und Partizipationsrechte. 2037 Erst Napoleon sollte alle Hoffnungen der linken republikanischen ‚Opposition‘2038 auf 2032

Vgl. LEFEBVRE: La France sous le Directoire, passim. Vgl. u. a. SURATTEAU: Le département du Mont-Terrible; ders.: Les élections de l’an VI; ders.: Les élections de l’an IV; ders.: Les élections de l’an V; eine Hommage an Suratteau vgl. GAINOT: Jean-René Suratteau. Historien politique du Directoire. 2034 Vgl. WOLOCH: The Jacobin Legacy. 2035 Vgl. GAINOT: 1799, un nouveau jacobinisme, passim; einleitend u. a. ebd., S. 13–15. 2036 Vgl. diese Einschätzung bei MONNIER, Raymonde: De l’an III à l’an IX, les derniers sans-culottes. Résistance et répression à Paris sous le Directoire et au début du Consulat, in: AHRF 56 (1985), S. 386–406, S. 405. 2037 Vgl. dazu exemplarisch auch SERNA: Antonelle. 2038 Gainot bezeichnet die Neo-Jakobiner des Jahres 1799, gemessen an ihren Forderungen, als einen „parti d’opposition constitutionnelle“ – auch wenn man sicherlich nicht von einem geschlossenen inhaltlichen Programm ausgehen darf, vgl. GAINOT: 1799, un nouveau jacobinisme, S. 477–481. 2033

4.5 Die Provokation der Bilder

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Abb. 62: Hennequin, Philippe-Auguste: Sous les traits d’un jeune homme ardent et plein de vigueur, le Français régénéré par la Constitution, s’attache à elle, et vole au bonheur, tandis que le fanatisme aveugle, l’orgueil, et la féroce ignorance émoussent leurs traits contre son égide, eau-forte, 37 × 49 cm, Lyon [1795 oder 1796].

eine demokratische Erneuerung des bestehenden Regimes endgültig zerstören. Haben die bisherigen Forschungsarbeiten sich stark für die Personen, Netzwerke und Organisationsformen der demokratischen Gruppierungen im Direktorium interessiert, so soll an dieser Stelle nach den von ihnen entworfenen ‚Bildwelten‘ gefragt werden, die als Stellungnahme im Machtkampf um die Republik zu bewerten sind. Die den Jakobinern nahestehende Presse veröffentlichte auch nach 1794 eine Reihe von Druckgraphiken, die explizit positiv besetzte Bilder der Republik entwarfen. Philippe Augustin Hennequin beispielsweise entwarf 1795 einen jungen Republikaner, dessen muskulöser Körper vor Kraft nur so strotzt (Abb. 62). Die Bildunterschrift bezeichnet ihn als „ardent et plein de viguer, le Français regénéré par la Constitution“. Die Formulierung legt nahe, dass er seine Kraft durch die Verfassung gewonnen hat, die im

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4. Gegenmacht als Erfahrung

Körper einer Frau dargestellt neben ihm schwebt. 2039 In ihrem rechten Arm hält sie eine steinerne Tafel, auf der der erste Satz der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 zu lesen ist: „Les hommes naissent et demeurent libres, et égaux en droits“. Ihre linke Hand reicht sie dem kampfbereiten Franzosen, der solcherart gestärkt in heroischer Pose mit seinem Schild die Feinde der neuen Ordnung abwehren kann: „le fanatisme aveugle, l’orgueil, et la féroce ignorance“. Die abstrakten Gegner werden ihrerseits durch drei Männerkörper visualisiert, die physische Stärke ausstrahlen. Doch obwohl sie in der Überzahl sind und über gefährliche Waffen verfügen (einen Dolch, Pfeil und Bogen sowie ein Schwert), können sie gegen das Schild des Gesetzes, welches das Bildzentrum besetzt, nichts ausrichten. Die Anspielung auf den Passus aus den Menschen- und Bürgerrechten von 17892040, der 17932041 in abweichender Formulierung aufgegriffen, aber in der Verfassung des Jahres III 2042 bewusst weggelassen worden war, kann als Kritik am Direktorialregime und der Direktorialverfassung gewertet werden: Der im Bild dargestellte Republikaner stellt seine Kraft in den Dienst der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789, und damit in den Dienst der Idee der Revolution schlechthin. Nicht aber spricht er sich explizit für die Verfassung von 1795 aus. Vielleicht ist das Haupt der Verfassungsallegorie aus diesem Grund ins Dunkle gehüllt: Sie leiht ihre Kraft dem Kämpfer, ohne dass ihr Antlitz eindeutig erkennbar ist (eventuell handelt es sich um die Verfassung von 1793). Auffällig erscheint jedoch, dass der Jakobiner Hennequin als zentralen Bezugspunkt seines Handelns eindeutig das Gesetz versteht – ähnlich wie das Direktorium, zumindest seiner Selbstwahrnehmung nach. Hier zeichnet sich ein gemeinsamer Handlungsrahmen zwischen Regierung und Opposition ab, der über Prozesse der Revision und 2039

Im Unterschied zu Rolf Reichardt gehe ich davon aus, dass es sich bei der Frauengestalt um die Verfassung und nicht um eine befreite Sklavin handelt. Vgl. REICHARDT: L’imaginaire de la constitution, S. 109. 2040 „Art. 1. Les hommes naissent et demeurent libres et égaux en droits. Les distinctions sociales ne peuvent être fondées que sur l’utilité commune.“ Zitiert nach WILLOWEIT, Dietmar und Ulrike SEIF: Europäische Verfassungsgeschichte, München 2003, S. 251. 2041 „Art. 3. – Tous les hommes sont égaux par la nature et devant la loi.“ Zitiert nach GODECHOT: Les constitutions de la France, S. 80. 2042 Vgl. LEFEBVRE: La France sous le Directoire, S. 31f.: „Les Thermidoriens restaient attachés au principe de la souveraineté du peuple au système représentatif, au régime électoral. Mais, dès la Déclaration des droits, on les sent désenchantés et méfiants parce qu’à leur avis le peuple n’a pas bien usé de des droits; ils le lui rapellent en ajoutant à leur texte une Déclaration des devoirs du citoyen […]. La formule fameuse et si frappante qui est comme le symbole de la Révolution de 1789: ‚Les hommes naissent et demeurent libre et égaux en droits‘, ne se retrouve pas ici.“

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Reform hätte gestaltet werden können. Diese Möglichkeiten waren von der Constitution de l’An III nicht prinzipiell ausgeschlossen worden. Statt jedoch gemeinsam republikanische Politik zu gestalten, sollte es in den Jahren zwischen 1794 und 1799 eher zu einer deutlichen Abgrenzung des Künstlers von der Regierung kommen. 2043 Hennequin stand zur Zeit des Direktoriums in enger Verbindung zu den sogenannten Neo-Jakobinern. 2044 Verstrickt in den Versuch, nach der Verhaftung Babeufs im September 1796 die Soldaten im Camp de Grenelle zu einem Aufstand gegen das Direktorium zu bewegen, war er am 10. September 1796 verhaftet worden und ihm drohte die Todesstrafe. Dank der Fürsprache seines Anwalts, seiner Frau sowie mehrerer Künstlerfreunde (unter anderem Audouin, E. Lesueur, Lallemand, Mallet) wurde er jedoch im Februar 1797 aus der Haft entlassen. In der Folgezeit entwarf der Künstler eine Reihe weiterer Bilder, die sich mit den Kurswechseln und dem Schicksal der Republik auseinandersetzten. Seine Allégorie avec Lazare Carnot kann als persönliche Abrechnung mit demjenigen Mann betrachtet werden, der für die harte Vorgehensweise des Direktoriums gegen die Neo-Jakobiner und die lange Haft des Künstlers verantwortlich gewesen war: Lazare Carnot (Abb. 63). Vermutlich entstand die Zeichnung, die auch als Stich 2045 verbreitet wurde, nach dem Staatsstreich vom 18. Fructidor V (4. September 1797), der zum Ausschluss Carnots aus dem Regierungsgremium geführt hatte. Die Neo-Jakobiner starteten daraufhin eine veritable Kampagne von Bilddrucken, Pamphleten und anderen Schriften gegen den ehemaligen Direktor. 2046 Hennequin stellt Carnot als Royalisten und Henker der Patrioten dar. In ein langes Gewand gekleidet, tritt er 2043

Im Unterschied zu anderen Datierungen behaupten Hennequins Memoiren, der Français régénéré sei bereits 1793 fertiggestellt worden. Sollte dies tatsächlich der Fall sein, erscheint es überraschend, dass die alte Menschenrechtserklärung zitiert wird. Der Kopf der weiblichen Figur könnte im Dunkeln liegen, weil die Verfassung von 1793 suspendiert worden war. Vgl. Hennequin, Philippe-Auguste: Un peintre sous la Révolution et le Premier Empire. Mémoires de Philippe-Auguste Hennequin, écrits par luimême, réunis et mis en ordre par Jenny Hennequin, Paris 1933, S. 140f. Zitiert nach: BORDES: Les arts après la Terreur, S. 204. 2044 Zur Problematik der Bezeichnung ‚Neo-Jakobiner‘ vgl. GAINOT: 1799, un nouveau jacobinisme, S. 15; zu Hennequins Verbindung zu dieser Gruppierung vgl. BORDES, Philippe: Allégorie avec Lazare Carnot, in: BORDES/CHEVALIER: Catalogue, S. 58, auch zum Folgenden. Vermutlich kam die Verbindung über seine Freunde aus Lyon, besonders den ehemaligen Bürgermeister A.-M. Bertrand, zustande. 2045 Vgl. Hennequin, Philippe-Auguste: Allégorie avec Lazare Carnot, gravure, 1797 (Paris, BnF, abgebildet in: BORDES/CHEVALIER: Catalogue, S. 218). 2046 Vgl. diese Einschätzung als „campagne“ auch schon bei Bordes, in BORDES/CHEVALIER: Catalogue, S. 218.

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wie ein antiker Priester auf, der Ludwig XVI. auf einem Altar Menschenopfer darbringt. Gewaltsam zieht er seine Opfer an den Haaren hinter sich her und tritt den Leichnam, der vor dem Altar am Boden liegt, achtlos mit Füßen. Die Stele mit der Büste Ludwigs XVI. steht unerschütterlich im rechten Bildhintergrund und stellt einen ruhenden Gegenpol zum dramatischen Vordergrund dar. Eventuell spielt die Szene auf die am 8. Prairial V (27. Mai 1797) erfolgte Hinrichtung von Babeuf und Darthé an, die nach dem Vendôme-Prozess als einzige zum Tode verurteilt worden waren. Beide hatten vor Abb. 63: Hennequin, Philippe-Auguste: der Urteilsverkündung vergebAllégorie avec Lazare Carnot, Plume, encre lich versucht, sich zu erdolchen; brune et lavis gris, 13,4 × 9,7 cm, 1797. das Todesurteil wurde an den schwer verletzten Körpern vollstreckt. Auch Carnots nächstes Opfer, welches bereits auf dem Altar liegt, scheint sich im Todeskampf zu befinden: Es umklammert mit der linken Hand einen Dolch und scheint sich mit der rechten noch aus eigener Kraft am Altar festhalten zu können. Keinem Körper eindeutig zugewiesen werden kann die Hand, die sich abwehrend gegen die Statue des Bourbonenkönigs erhebt. Sie könnte stellvertretend für den Kampf der Republikaner gegen die Reaktion stehen und mahnt den Betrachter des Bildes zur Wachsamkeit. Hennequin stellt Carnot als einen Verräter an der republikanischen Sache dar. Der Adler, der auf seiner Brust prangt, ist ein mehrdeutiges Zeichen. Als Feldzeichen der römischen Armee in der Antike kann er als eine Anspielung auf Carnots Funktion als Kriegsminister und Kriegsdirektor der Ersten Republik verstanden werden. 1797 ist der Adler aber auch das Wappentier der Feinde der Revolution, mit denen Carnot konspiriert haben soll. In jedem Fall wird seine Herrschaft als mörderische Tyrannei dargestellt und über die Bildsprache mit derjenigen Robespierres und seiner Gefolgsmänner gleichgesetzt.

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Die Darstellung erinnert in ihrer dramatischen Inszenierung toter Körper an solche Bilder, die nach dem Ende der Schreckensherrschaft in Umlauf gebracht worden waren, um die Verbrechen der ‚Terroristen‘ anzuprangern, wie etwa in der weit verbreiteten Druckgraphik „Les formes acerbes“, die die drastischen Maßnahmen von Joseph Le Bon in Cambrai in einer Mischung zwischen Allegorie und Ereignisbild visualisiert und die offizielle Interpretation und öffentliche Wahrnehmung der Terreur stark beeinflusst hatte. 2047 Erneut haben wir es mit einem Prozess der Aneignung und Umdeutung der Symbolsprache zu tun: Diesmal übernahmen die Jakobiner die Schreckbilder der Reaktionäre, um ihrerseits die Willkürjustiz und Ausschreitungen im Rahmen der terreur blanche anzuprangern. Die Knochenberge im Bildvordergrund können auch als Anspielung auf das Massaker nach der Affaire de Grenelle verstanden werden, dem Hennequin zwar nicht zum Opfer fiel, aber unter dessen Opfern sich zahlreiche Weggefährten befanden. 2048 Neben dieser Kritik formulierte Hennequin in seiner Kunst aber auch positive Gegenentwürfe zum bestehenden Direktorialregime. Der athletische junge Mann von 1795 wurde nach Gefangenschaft und Befreiung Hennequins gestärkt durch eine real existierende Person: Napoleon Bonaparte. Nicht mehr ausschließlich Idee und Erfahrung der Verfassung verleihen dem Republikaner Kraft und Stärke, sondern auch die Siege Bonapartes in Italien (Abb. 64). Der junge General wird als Hoffnungsträger der Zukunft verehrt: Allein seiner Umarmung ist es zu verdanken, dass der herkulesähnliche Jüngling zu seiner Rechten (der wohl das französische Volk verkörpert) mit der Allegorie der Weisheit zu seiner Linken verbunden wird; zu ihren Füßen liegt der doppelköpfige Reichsadler am Boden. Die Blicke der drei Figuren treffen sich nicht. Stattdessen richtet der Jüngling seinen Blick auf eine Statuette der Gleichheit, die er mit der linken Hand emporhebt. Die Weisheit beobachtet, wie Fama und Viktoria Ruhm und Siege des Generals preisen, der mit einem Lorbeerkranz bekrönt wird. Ein Vergilzitat auf einem Sockel im Bildhintergrund sowie eine idealisierte italienische Landschaft evozieren den Kontext des Italienfeldzugs. Die ‚Freiheit Italiens‘, die Bonaparte errungen hat – so suggeriert es zumindest der Titel der Zeichnung – ist allen ‚freien Menschen‘ gewidmt: „La liberté de l’Italie 2047

Vgl. Poirier: Les formes acerbes, Radierung, eau-forte, burin, col., 34 × 38 cm, Paris publié le 24 floréal [1796] (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6143-6145). Dazu auch BORDES/CHEVALIER: Catalogue, S. 218. 2048 Vgl. BORDES: Les arts après la Terreur, S. 203, der das Bild als direkte Revanche Carnots für die Haft deutet.

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Abb. 64: Hennequin, Philippe-Auguste: La Liberté de l’Italie dédiée aux hommes libres, plume, encre noire et lavis gris sur traits de pierre noire, sur deux feuillets, 45,5 × 33,5 cm, [ca. 1798].

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dédiée aux hommes libres“; der siegreiche Feldherr erscheint als ihr Ermöglicher und Garant. 2049 Die Betonung der Gleichheit (der nackte Krieger trägt neben der Statuette auch einen Gurt mit den Worten „Liberté égalité patrie“ über der Brust) sowie die zerbrochenen Szepter, Fesseln und Gegenstände im Bildvordergrund evozieren einen republikanischen Kontext – setzen jedoch gleichzeitig Akzente für eine noch bessere republikanische Zukunft. Diese scheint durch die Person Bonapartes erreicht werden zu können. Doch nicht nur über druckgraphische Arbeiten kommunizierten die demokratischen Republikaner ihre politischen Vorstellungen. Ein weiteres Forum boten öffentliche Ausstellungen, wie die Salons, die ab 1798 erneut durchgeführt wurden. Im Salon des Jahres 1799 stellte Hennequin seinen bereits vor dem 9. Thermidor entworfenen Triomphe du peuple français aus, der einen spannungsreichen Kontrapunkt zu dem gleichzeitig gezeigten Gemälde Le Retour de Marcus Sextus des jungen Künstlers Guérin darstellte.2050 Die Allegorie Hennequins, noch im Geiste des Jahres II (1793/94) entstanden, wurde erst 1799 ausgeführt, nach Rücksprache mit einem der Regierung nahestehenden Experten, der finanzielle Unterstützung in Aussicht stellte. Nachdem auch David und Regnault zugestimmt hatten, bewilligte François de Neufchâteau 7.000 Livres für die Ausführung. 2051 Von dem Gemälde sind nur noch Fragmente überliefert, doch das livret de salon erlaubt eine Rekonstruktion des Gesamteindrucks: Im Bildzentrum stand das Volk, mit einer Keule bewaffnet und eine Waage der Gerechtigkeit in der anderen Hand haltend. Es hat den „colosse de la royauté“ zu Fall gebracht, dessen Sturz durch zerbrochene Insignien und andere Symbole der Macht bildlich verdoppelt wird. Mit der Monarchie sind auch die Ketten der Sklaverei und der Unwissenheit gebrochen. Auf ihren Trümmern erhebt sich die Freiheit, die sich mit einer Hand vertrauensvoll auf das Volk stützt. Mit der anderen Hand legt sie eine Krone nieder, die der Nachwelt von der Revolution künden soll. Zu Füßen der Freiheit treibt die Zwietracht ihr Unwesen – vergebens. In der oberen Bildhälfte vertreibt die Philosophie die Wolken, welche die Wahrheit, geführt von der Zeit, verdecken. Die Wahrheit blendet mit ihrem Spiegel die Verbrechen. 2052 Wut, Verzweiflung und Raserei werden verfolgt; der 2049

Vgl. auch Bildbeschreibung und Interpretation in: Ausst.Kat. LA RÉVOLUTION FRANÇAISE ET L’EUROPE, Bd. 3, S. 719, Kat.nr. 945. 2050 Vgl. BORDES: Les arts après la Terreur, S. 206. 2051 Vgl. ebd., S. 206. Vgl. dort auch zum Folgenden. 2052 Diese Szene ist u. a. erhalten: Vgl. Hennequin, Philippe Auguste: Le Triomphe du peuple français au 10 août, peinture, 224 × 175 cm (Rouen, Musée des Beaux-Arts, Inv.

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Fanatismus ist geschlagen. Allein die Leichtgläubigkeit versucht weiterhin, sich an einem umgestürzten Altar festzuhalten. Und auch der Verrat, mit Dolch und Maske dargestellt, scheint gerade noch der Strafe durch das Volk zu entkommen. Das Bild zelebrierte die Revolution als Sieg über Despotismus, Priesterherrschaft und Unmündigkeit. Guérin hingegen sprach mit seinem Marcus Sextus eher die Gefühle der Revolutionsgegner an. Er erhielt den Beifall all derjenigen Künstler, die sich ausdrücklich vom Regime der Jakobiner distanziert hatten. 2053 Das Thema der ‚Rückkehr‘ war eine Anspielung auf das Schicksal der Emigranten und wurde von den Zeitgenossen auch so verstanden. Trotz ihrer Rivalität sollten Hennequin und Guérin sich am Ende den Erfolg teilen: Beide erhielten eine couronne de laurier und wurden mit einem Künstlerbankett gefeiert. 2054 Ausgleich, wenn nicht sogar Versöhnung zwischen zerstrittenen Parteien ist auch das Thema des vielleicht prominentesten Ölgemäldes aus dem ‚linken‘ politischen Lager der Direktorialzeit: Jacques-Louis David nahm 1796 die Arbeiten an seinen ‚Sabinerinnen‘ wieder auf. 2055 Die Idee zu dem Gemälde stammte aus dem Jahr 1794, als David sich unmittelbar nach dem Sturz von Robespierres mit dem Thema ‚Einheit‘ und ‚Aussöhnung‘ beschäftigt hatte – wohl unter dem Eindruck des Einheitsideals der Koalition der Thermidorianer. Doch erst nach den Verwerfungen der Machtkämpfe des Winters 1794/95, nach Einrichtung des Ersten Direktoriums und im Anschluss an die Erfahrungen mit dessen Repressionspolitik gegen die rechte und linke Opposition nahm David seine Arbeiten wieder auf und sollte das Gemälde Ende 1798 fertigstellen. Zur Zeit des Konsulats und des Empire, vom 30. Frimaire VIII (21. Dezember 1799) bis ins Jahr 1805, wurde es im Louvre gezeigt. Doch sollte nach dem 18. Brumaire VIII (9. November 1799) die Hoffnung der Linken auf demokratische Erneuerung und gesellschaftliche Aussöhnung rasch enttäuscht werden; Resignation machte sich breit. Hennequin vollendete Les Remords d’Oreste, ein Gemälde, welches extrem vieldeutig erscheint und sich einer klaren Interpretation

Nr. INVD820-2). Vgl. ihre ‚Versammlung‘ auf einem Gemälde von Boilly, dass im Salon des Jahres 1798 ausgestellt worden war: Boilly, Louis: Réunion d’artistes dans l’atelier d’Isabey, huile sur toile, 71,5 × 110 cm (Paris, Musée du Louvre, Inv. 1290bis, abgebildet in: Ausst. Kat. AU TEMPS DES MERVEILLEUSES, Kat.Nr. 352, S. 216). 2054 Vgl. Journal des Arts n° 15, 15 vendémiaire VIII. 2055 Vgl. David, Jacques Louis: Les Sabines, huile sur toile, 385 × 522 cm (Paris, Musée du Louvre, Inv. 3691). Dazu: BORDES: Les arts après la terreur, S. 206. Vgl. dort auch zum Folgenden. 2053

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zu entziehen scheint. 2056 Bordes deutet es als stark psychologisch motivierte Verarbeitung der Erfahrungen und Enttäuschungen des Künstlers selbst. Dafür spricht auch ein als Druck überliefertes Selbstporträt des Künstlers mit dem Namen „La Peinture console le malheur“, auf dem Auszüge des Oreste im Hintergrund zu erkennen sind. 2057 Es wäre somit falsch zu behaupten, das Direktorium habe jede Form der oppositionellen Kunst unterdrückt. Auch das Gemälde La Mort de Caius Gracchus von François-Jean-Baptiste Topino-Lebrun wurde 1798 im Salon ausgestellt. 2058 Es war eine Hommage an den Freund des Künstlers, Gracchus Babeuf, der 1796 mit seinem Aufstandsversuch in der Hauptstadt gescheitert und im darauffolgenden Jahr zum Tode verurteilt worden war. 2059 Wie sein Vorbild Caius, nach dem er sich benannt hatte, erdolchte sich der Revolutionär (beziehungsweise versuchte es), bevor das Urteil vollstreckt werden konnte. Für die Salon-Besucher erwachte die Geschichte im Gemälde von Topino-Lebrun erneut zum Leben. 2060 Das Bild feierte einen großen Erfolg und wurde im Anschluss an die Ausstellung von der Regierung erworben: Un des plus grands tableaux qui aient été exposés au Salon cette année, est celui où l’Artiste avait représenté la mort de Caius Gracchus. Il avait coûté à l’auteur, le c. Topino Lebrun, plusieurs années de travail, et l’avait obligé à de grands dépenses en modèles. Le Gouvernement assuré par l’opinion d’habiles Artistes, et par celle de l’Institut qui l’avait distingué (lors de l’examen qu’il fut chargé de faire des ouvrages exposés au Salon), que ce tableau annonçait des talens, et qu’on remarquait un faire original et vigoureux, a indemnisé l’auteur de ses dépenses, et a fait présent du tableau à la commune de Marseille, ville dans laquelle l’artiste est né.2061

Allerdings ist davon auszugehen, dass Innenminister François sich bewusst für eine Spende des Bildes nach Marseille entschied, da er Konflikte durch eine länger andauernde Präsentation in der Hauptstadt 2056

Vgl. Hennequin, Philippe Auguste: Les remords d’Oreste, 1800, huile sur toile, 356 × 515 cm (Paris, Musée du Louvre, Inv. 5322). 2057 Vgl. ebd. 2058 Vgl. Topino-Lebrun, François-Jean-Baptiste: La Mort de Caïus Gracchus, peinture, 49 × 75 cm (Marseille, Musée des Beaux-Arts, Inv. L85-9). 2059 Vgl. BORDES: Intentions politiques et peinture: Le cas de ‚La Mort de Caius Gracchus‘, in: Ausst.Kat. GUILLOTINE ET PEINTURE: Torpino-Lebrun et ses amis, von Alain JOUFFROY und Philippe BORDES, Paris 1977, S. 25–45. 2060 Zwar hatte Topino-Lebrun das Gemälde bereits 1792, während seines Aufenthalts in Italien, begonnen. Doch erst nach dem Tod Babeufs nahm er die Arbeiten an dem Gemälde wieder auf. Nach dem Staatsstreich vom 18. Fructidor konnte er sogar auf Unterstützung seitens des Direktoriums zählen und durfte entsprechend auch im Salon von 1798 ausstellen. Vgl. BORDES: Les arts après la Terreur. 2061 Décade, 30 brumaire an VII (20. November 1798), S. 370f.

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fürchtete. Topino-Lebrun beauftragte daraufhin Chataignier mit einem Nachdruck, der jedoch nicht mehr fertiggestellt wurde, bevor Topino – angeklagt, den Ersten Konsul, Napoleon Bonaparte, umgebracht haben zu wollen – 1801 guillotiniert wurde. Am Ende hatte das Gemälde zahlreiche Gegner: Über den Namen Gracchus war es sowohl mit den Agrargesetzen der Jakobiner als auch mit Babeuf verbunden, was den gemäßigten Republikanern ebenso wie den Monarchisten missfallen musste; aber auch die Anhänger Napoleons lehnten nach seiner Verstrickung in das Attentat von 1801 das Bild ab und denunzierten Topino als Royalisten. 2062 Stärker tagespolitisch als die Werke der künstlerischen Avantgarde argumentierte häufig die Druckgraphik, so zum Beispiel die Arbeiten Lemonniers. Ein Blatt, welches am 14. Thermidor V (1. August 1797) registriert wurde, beschuldigte den soeben entlassenen Polizeiminister Cochon einer royalistischen Gesinnung. 2063 Der Titel La pelle au cul der Radierung greift eine Zeile des Ça ira, der ersten Hymne der Revolution, die während der Vorbereitungen zum Föderationsfest von 1790 entstanden war, auf: Ah! ça ira, ça ira, ça ira, Les aristocrates on les pendra; Et quand on les aura tous pendus, On leur fich’ra la pelle au cul. Ah! ça ira, ça ira, ça ira…2064

Die Losung, jemandem ‚mit der Schaufel den Hintern zu versohlen‘, sowie das „ça ira“ der Revolution von 1790 wurde 1797 vom Kampf gegen die Aristokraten auf den Kampf gegen die Royalisten übertragen. Im Bildhintergrund sieht man, wie infolge der Entlassung des Ministers ein Freiheitsbaum wieder aufgerichtet wird. Cochon, dessen Name übersetzt ‚Schwein‘ bedeutet, wird im Bildvordergrund auf einem solchen sitzend von zwei Patrioten mit Besen und Schaufeln vertrieben. Dem Tier angeheftete Spruchbänder erheben Vorwürfe gegen den Minister: „carton des conspirateurs; assassinats des patriotes; correspondance 2062

Vgl. BORDES: Les arts après la Terreur, S. 205. Vgl. Lemonnier, I. S.: La pelle au cul, gravure à l’eau forte, 23 × 33,5 cm, [Paris 1797] (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6956 sowie ebd., Inv. 7399, abgebildet in: VOVELLE: La Révolution française. Images et récit, Bd. 5, S. 35). 2064 Zitiert nach: DIE FRANZÖSISCHE REVOLUTION. Ein Lesebuch mit zeitgenössischen Berichten und Dokumenten, mit 22 Abbildungen und 3 Karten, ausgewählt, übersetzt und kommentiert von Chris E. PASCHOLD und Albert GIER, Stuttgart 1989, S. 133. Zu den Festvorbereitungen vgl. außerdem JOUFFRE, Marie-Noëlle: Le Chantier national. Les préparatifs de la Fédération, in: ANDIA: Fêtes et Révolution, S. 48–73. 2063

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avec Louis XVIII; récompenses accordées aux grisels; sommes reçues des émigrés“. Vor allem der Vorwurf, den Militär Grisel und seine Mittelsmänner ‚belohnt‘ zu haben, ist eine direkte Anspielung auf die Babeuf-Affaire und den Vendôme-Prozess. Grisel hatte 1796 das Komplott aufgedeckt; Cochon hatte in der Linken den Beinamen „l’assassin de Vendôme“ erhalten. 2065 Die Prozessführung und die Verurteilung der Aufständischen hatten zu einer erneuten Solidarisierung des linken Spektrums geführt. Auffällig ist, dass kein Künstler sich traute, die Verurteilung oder den Selbstmord Babeufs direkt in Szene zu setzen. Man kann davon ausgehen, dass dies ein zu großes Risiko gewesen wäre und zur Verhaftung geführt hätte. Im Thermidor waren aufgrund ihrer politischen Betätigung sogar solche Künstler verhaftet worden, die eigentlich für einen gemäßigten Republikanismus bekannt waren, wie beispielsweise Gérard. 2066 Lemonnier war es auch, der 1797 mit einer Radierung gegen die Aktivitäten des Club de Clichy Stellung bezog und diesen eine royalistische Gesinnung unterstellte (Abb. 36). In Anspielung auf die Debatte um die police des cultes im Rat der Fünfhundert visualisiert der Künstler die Klubmitglieder in einem kirchenähnlichen Raum in umgekehrten Kirchenglocken sitzend. 2067 Die Darstellung als Halbrund verdeutlicht die doppelte Funktion der Aktivisten in Klub und Parlament. Jordan ist in der Mitte des Raums als Rädelsführer auszumachen: Seine Glocke ist größer als die der anderen und wird von einem zweiten Exemplar überwölbt, so dass sein Rednerpult an eine Kanzel erinnert. Die Versammlung ist insgesamt in Unruhe versetzt; alle Mitglieder scheinen sich an der Debatte zu beteiligen und haben sich mit Gewehren, Bajonetten und anderen Stich- oder Schlaginstrumenten bewaffnet – es droht ein erneuter Bürgerkrieg („guerre civile“). Im Bildvordergrund liegt eine Glocke am Boden, aus der sich eine vermutlich zuvor gestürzte Figur wieder aufzurichten versucht. Sie trägt den Dolch des Verrats in der einen, eine Art Weihwasserspender in der anderen Hand. Chronos wird von der Last der Glocken in der Bildmitte zu Boden gedrückt. Das Bild liest sich wie eine Gegendarstellung zu der royalistischen Karikatur auf die Versammlung im Club de Salm (Abb. 56). Auch die Karikatur Entre deux chaises (Abb. 65), die als Beispiel für die bildpublizistische Kritik an den Amtstrachten und der offiziellen Symbolpolitik des Direktoriums bereits kurz erwähnt wurde, stammt aus der Hand Lemonniers. Vermutlich 1798 veröffentlicht, handelt es 2065

Vgl. diese Erklärungen bei BORDES: Les arts après la Terreur, S. 210, Anm. 22. Vgl. ebd., S. 203. 2067 Vgl. Kapitel 3.3.2. 2066

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4. Gegenmacht als Erfahrung

Abb. 65: Lemonnier, I. S.: Entre deux chaises, le cul par terre, eau-forte coloriée, 46 × 34 cm.

4.5 Die Provokation der Bilder

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sich über das Gesagte hinaus um eine Fundamentalkritik an der von der Regierung seit Jahren praktizierten Schaukelpolitik – die als Ursache ihres Untergangs interpretiert wird: Eine fünfköpfige Gestalt, über die Federbüsche der Amtstracht unschwer als Direktorium identifizierbar, schwankt auf einer Art politischem Wechselbalken zwischen den Symbolen der Royalisten und der Demokraten: Links im Bild ist ein Thron mit den Abzeichen der Monarchie zu erkennen, rechts eine ‚sella curulis‘ als Zeichen der republikanischen Herrschaft. Doch während die sella curulis stürzt, erscheint der Thron in seiner Position durch das Verhalten der Direktoren gefestigt. Die Herrschaft der Freiheit erscheint im rechten Bildhintergrund nur noch als Fernziel vorstellbar, positiv bewertet durch die Lichtmetaphorik und die Freiheitsmütze auf der Spitze einer Gedenksäule. Spruchbänder verdeutlichen, was aus Sicht des Autors zum Sturz der Regierung führen wird, unter anderem: „Assassinat des Républicains“ (eventuell eine Anspielung auf Babeuf); „Luxe effréné“; „Agiotage“; „Radiation des Emigrés“. Die Inschrift auf dem leeren Sockel im Bildhintergrund ist eindeutig: „On va au mal par une pente insensible, On ne remonte au bien que par un effort. Montesquieu“. Es sieht jedoch nicht so aus, als könne den Direktoren noch eine Umkehr gelingen; vielmehr werden sie im Abgrund von einem Flammenmeer erwartet. Neben solcher Kritik an der republikanischen Regierung richtete sich die ‚linke‘ Bildpublizistik häufig auch gegen die vermeintlichen neuen ‚Eliten‘, die im Kontext des Direktorialregimes aufgestiegen waren. 2068 Das Wiederaufleben der Bälle erschien vielen als unvereinbar mit den republikanischen Idealen. Politische und gesellschaftliche Repräsentation erschienen nicht deckungsgleich: Weder das Ideal des einheitlichen Bürgerstandes noch die politisch gewollten Distinktionen in Anlehnung an die griechische Idealgesellschaft (‚Alte‘, Junge, Mütter etc.) hatten gesellschaftliche Relevanz; vielmehr belebten Dandys und Neureiche die öffentliche republikanische Szene. Die Bilder, die von den reaktionären Individualisten und moralischen Antitypen in Umlauf gebracht wurden, waren so wirkmächtig, dass sie das Image des Direktoriums in der Öffentlichkeit und in der Historiographie bis heute prägen. 2069 Die gesellschaftlichen ‚Eliten‘ erscheinen in der sozialkritischen Druckgraphik des Direktoriums als 2068 2069

Vgl. SCHRÖER: La représentation du Nouveau Régime, S. 54ff. Einflussreich war in diesem Zusammenhang außerdem die Gesellschaftsgeschichte der Brüder Goncourt, vgl. GONCOURT: Histoire de la société française pendant le Directoire; dies wurde auch schon erkannt von GODECHOT, Jacques: La vie quotidienne en France sous le Directoire, Paris 1977, S. 7–10.

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4. Gegenmacht als Erfahrung

negative Eliten. Neben den incroyables wurden vor allem die Spekulanten sowie am gegenüberliegenden Rand des gesellschaftlichen Spektrums die Rentenempfänger und ‚Neu-Armen‘ in der Druckgraphik dargestellt und satirisch kommentiert. Vorwürfe, die sich im Ancien Régime klassischerweise auf den Adel bezogen hatten, wurden auf neue gesellschaftliche Gruppierungen übertragen. In der öffentlichen Wahrnehmung verschwamm die Grenze zwischen Eliten und Antitypen der Republik. Der Lebensstil der jeunesse dorée und deren politische Haltung wurden in verschiedenen Medien scharf kritisiert: Besonders aus dem Jahr 1797 sind zahlreiche Karikaturen bekannt, die auf eine öffentliche Kampagne gegen die muscadins rückschließen lassen. Der muscadin wurde für eine regimetreue Presse zur Inkarnation gegenrevolutionärer Haltung. Der Druck L’incroyable chez le dentiste (Abb. 66), zeigte, wie einem muscadin sein royalistischer Zahn gezogen wird;2070 unter dem ironischen Titel L’ami de la justice et de l‘humanité wurde einer seiner Gesinnungsgenossen als Träger eines Dolches, der klassischen Stichwaffe des Adels, mit den Gegenrevolutionären der ersten Stunde in Verbindung gebracht (Abb. 47);2071 im Zuge des Italienfeldzuges wurden die muscadins sogar ausdrücklich als eine ‚Fraktion‘ der Royalisten bezeichnet 2072 und als Soldaten des Papstes denunziert 2073. Zeitgleich mit einer zunehmenden Imaginierung des Volkes als schmutzig und kulturlos wurde die Vergnügungs- und Genusssucht der jeunesse dorée als eine Art gesellschaftliches Gegenbild zum enthaltsamen Sansculotten des Jahres II der Republik angeprangert. 2074

2070

Über an der Wand aufgehängte Zahntrophäen (mit Zeichen des christlichen Kreuzes und bourbonischen Lilien) wird der junge Mann nicht nur als Royalist, sondern auch als Katholik denunziert; vgl. KIEFER: Die „Schmetterlinge“ der Revolution, [Nr. 41]. 2071 Vgl. dazu u. a. Ausst.Kat. AU TEMPS DES MERVEILLEUSES, S. 24. 2072 Vgl. [Non-identifié]: La faction incroyable: c’est affreux!, gravure à l’eau-forte, 26 × 37 cm, [Paris ca. 1797] (Paris, BnF, Coll. Henin, Inv. 12422, abgebildet in: VOVELLE: La Révolution française. Images et récit, Bd. 5, S. 120). 2073 Vgl. Avant garde du Pape, gravure (Paris, Musée Carnavalet, Inv. PC 025 G.26012); sowie Arrière garde du pape, gravure coloriée (Paris, Musée Carnavalet, Inv. PC 025 G.26013). Der elegant gekleidete incroable, mit Sonnenschirm, erscheint neben den verlumpt dargestellten Soldaten des Papstes als Exot; gemeinsam ist ihnen nur ihre politische Gesinnung. Das Blatt war auch Bestandteil einer Sammlung von 200 Kupferstichen, die Goethe im August 1797 in Frankfurt in Augenschein nahm, um sich ein ‚Bild‘ der aktuellen Lage in Frankreich zu machen, vgl. Bildbeschreibung bei KIEFER: Die „Schmetterlinge“ der Revolution, [Nr. 3]. 2074 Goethe bezeichnete sie als ‚Modefratzen‘, vgl. ebd., Absatz 3: Morphologie einer Epoche. Außerdem vgl. MARCHIONI: Les mots de l’Empire, S. 48.

4.5 Die Provokation der Bilder

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Abb. 66: [Non-identifié]: L’incroyable chez le dentiste patriote, gravure au pointillé, 27,5 × 20,9 cm.

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4. Gegenmacht als Erfahrung

Neben den incroyables und ihrem weiblichen Pendant, den merveilleuses, waren besonders die Armeelieferanten ein beliebtes Sujet der Karikatur. Nach dem 9. Thermidor erhielten zahlreiche Privatpersonen Aufträge zur Belieferung der Armee, die eher Spekulanten als seriöse Geschäftsleute waren. 2075 Sie besaßen gute Verbindungen zu den Bankiers, die fehlende Geldmittel vorstreckten, und versorgten die Armee mit Waffen und Munition, Kleidung, Pferden und Lebensmitteln – solange der Vorrat reichte und das Geschäft für den eigenen Geldbeutel lukrativ genug war. Paris wurde von einem wahren Gewinnfieber (agiotage) ergriffen, was die Entwicklung des Papiergeldkurses negativ beeinflussen sollte. 2076 Als Pendant zur Gruppe der Neureichen entstand eine ‚neue Armut‘2077, die auch die zeitgenössischen Literaten wie LouisSébastien Mercier beobachtet und beschrieben haben 2078: Viele Privatleute wurden aufgrund der Auszahlung von Renten in Form von quasi wertlosem Papiergeld in den Ruin getrieben; ebenso waren zahlreiche aus dem Exil heimgekehrte Emigranten nach der Nationalisierung ihres Besitzes mittellos. Ein zeitgenössischer Druck zeigt einen Pfandhausbesitzer, bei dem eine verarmte Frau ihren Schmuck verpfändet. 2079 Ihre Kleidung deutet auf vergangene, bessere Zeiten hin, doch unter dem Schleier ist unschwer ihr müdes und von Entbehrungen gezeichnetes Gesicht zu erkennen; darüber hinaus erscheint ihr Körper kraftlos und abgemagert. Ohne Mitleid bietet ihr der riche du jour einen unlauteren Handel zu überzogenen Konditionen an. Geldgeschäfte und Bereicherung waren Gegenstand zahlreicher Karikaturen. Während ein Großteil der Bevölkerung um seinen Lebensunterhalt bangen musste, gaben sich – nach Meinung des unbekannten Urhebers – die Neureichen der Völlerei und Geldgier hin. 2080 Ein anderes Beispiel zeigt, wie ein reicher, wohlgenährter Mann von abgemagerten Soldaten und Kriegsveteranen angegriffen wird – erneut wird hier

2075

Vgl. dazu LEFEBVRE: La France sous le Directoire, S. 109–178. Vgl. dazu auch die Beobachtungen der Zeitgenossen, wie u. a. Constant und Heinzmann, bei: GODECHOT: La vie quotidienne, S. 110–115. 2077 Vgl. die Bezeichnung ‚nouveaux pauvres‘ auch im Einführungstext des Ausst.Kat. AU TEMPS DES MERVEILLEUSES, S. 64. 2078 Vgl. Mercier: Le nouveau Paris, S. 346. 2079 Vgl. Julien, Laurent-Joseph: Le riche du jour ou le préteur sur gages, gravure à l’eauforte et au pointillé, 32,5 × 36,5 cm (Paris, Musée Carnavalet, Inv. G. 22888, réserve, abgebildet in: Ausst.Kat. AU TEMPS DES MERVEILLEUSES, Kat.Nr. 66, S. 65). 2080 Vgl. Ruotte, Louis-Charles, nach Henry William Bunbury: La Chose impossible ou La Commission des Finances, gravure au pointillé, 22 × 30 cm, [Paris ca. 1797] (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6961). 2076

4.5 Die Provokation der Bilder

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das Motiv der pelle au cul aufgegriffen. 2081 Vermutlich handelt es sich um den Abgeordneten Armand-Gaston Camus, der im Mai 1797 zum Rücktritt gedrängt wurde. Verfolgt von Opfern seiner vermeintlichen Sparpolitik zeigt er sich in der Karikatur jedoch kaum beunruhigt: Er droht mit der Faust und geht weiter seines Weges. 2082 Solche Karikaturen fordern soziale Gerechtigkeit. Das Verhalten der dargestellten Gruppen wird als verwerflich angeprangert und steht in drastischem Gegensatz zu dem wenige Jahre zuvor von der Politik ausgegebenen Versprechen der Regeneration in einer neuen, besseren Gesellschaft. Die im Zuge der offiziellen Symbolpolitik propagierten Werte der neuen Republik erschienen angesichts der gesellschaftlichen Realität inhaltsleer und unglaubwürdig. Das Prinzip der Freiheit ermöglichte eben auch die Freiheit zu einer hedonistischen Lebensweise auf Kosten anderer: Der liberale Staat hoffte nach 1795 auf Selbstregulation und verweigerte sich tiefgreifender sozialpolitischer Maßnahmen; die Freiheit schien die Gleichheit verdrängt zu haben. Und die sichtbarsten ‚Repräsentanten‘ der neuen Republik waren in der Öffentlichkeit die Dandys und Neureichen, die deren Ansehen keineswegs befestigten, sondern im Gegenteil zutiefst in Frage stellten.

4.5.4 Selbstdarstellung eines politischen Aufsteigers: Die Erfolge Napoleon Bonapartes Bonaparte besetzte als Sieger über Italien und Unterhändler des Friedens von Campo Formio in der öffentlichen Wahrnehmung schon früh denjenigen Ort, den die Regierung des Direktoriums vergeblich zu erobern versuchte: Die Rolle eines Staatsmannes, einer die französische Nation repräsentierenden, allgemein anerkannten Autorität, die sich im Inland einer großen Popularität erfreute und der im Ausland Respekt gezollt wurde. 2083 Dies ergab sich keineswegs zwangsläufig aus seinen militärischen Erfolgen, sondern war – so wird im Folgenden zu zeigen 2081

Vgl. Marchand, Jacques: Les Dégraissés donnant la pelle au cul au dégraisseur, gravure à l’eau-forte, 29,5 × 40 cm, déposée le 31 mars 1797 (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6955). 2082 Vgl. KIEFER: Die „Schmetterlinge“ der Revolution, [Nr. 48ff.]. 2083 Vgl. zu diesem Aspekt bereits ausführlich: SCHRÖER: Vive la République oder Vive Bonaparte, S. 154. Zum Folgenden vgl. ebd., passim. Der Begriff ‚Staatsmann‘ wird in der Literatur selten verwandt, um Bonaparte zu beschreiben. Dies überrascht insofern, als gerade sein politischer Gestaltungswille entscheidender Motor für seinen fulminanten Aufstieg war – was sich u. a. in seiner Selbstinszenierung widerspiegelt. Zur allgemeinen Einführung vgl. CROOK, Malcolm: Napoleon Comes to Power: Democracy and Dictatorship in Revolutionary France, 1795–1804, Cardiff 1998.

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4. Gegenmacht als Erfahrung

sein – Ergebnis einer strategisch kalkulierenden, äußerst vielseitigen Inszenierungsstrategie. Annie Jourdan hat bereits überzeugend nachweisen können, welches Gespür der Kaiser Napoleon für die Macht der Repräsentation, der symbolischen Auftritte und Inszenierungen besaß. 2084 Dasselbe Gespür ist bereits für den General Bonaparte nachweisbar:2085 Über verschiedenste Medien, vor allem aber über Zeitungspresse und Druckgraphik, verbreitete er während des Italienfeldzuges selbstbewusst das Bild seiner militärischen Erfolge und staatsmännischen Fähigkeiten in ganz Frankreich. Aufgrund dieses Befunds kann sein Verhalten aus heutiger Sicht bereits vor 1799 als ‚oppositionell‘ bewertet beziehungsweise musste aus Sicht des zeitgenössischen Regierungslagers seine Person spätestens von 1797 an als ‚Gegenmacht‘ wahrgenommen werden. Nicht alles konnte Bonaparte planen und steuern, und französische und italienische Künstler arbeiteten seinem Bild sicherlich zum Teil auch aus eigenem Antrieb weiter zu, vervielfältigten und perfektionierten es. Auffälligerweise wurden der französischen Öffentlichkeit dabei jedoch immer wieder genau diejenigen Verdienste und Eigenschaften vor Augen geführt, die den Feldherrn auch für eine politische Karriere zu empfehlen schienen. Bereits 1797, bei seinem ersten Aufenthalt nach dem siegreich beendeten Italienfeldzug in Paris, strebte Bonaparte wohl an, selbst Mitglied des Direktoriums zu werden – wenn auch ohne Erfolg. Unbeirrt arbeitete er weiter an seiner politischen Karriere, suchte den Kontakt zu einflussreichen Kreisen und schmiedete Netzwerke, von denen er bei seiner Machtübernahme im Jahr 1799 profitieren sollte. Besonders großen Wert legte er in diesem Zusammenhang auf drei verschiedene ‚Images‘, die von Presse und Bildpublizistik bereitwillig bedient wurden: erstens sein Bild als Politiker, Prokonsul und persönlicher Repräsentant aller Franzosen; zweitens seine Darstellung als bescheidener Staatsdiener und Amtsanwärter; drittens seine Inszenierung als Intellektueller und Freund der Künste.

2084

Vgl. JOURDAN: Napoléon; THAMER, Hans-Ulrich: Napoleon – ein Medienkaiser. Zur Repräsentation charismatischer Herrschaft, in: VOGEL/SCHNEIDER/CARL: Medienereignisse im 18. und 19. Jahrhundert, S. 93–112. Weniger gut bekannt ist die Zeit des Konsulats, vgl. dazu u. a. PETITEAU, Natalie: Portée de la politique symbolique à l’égard des armées napoléoniennes (1800–1830), in: SCHOLZ/SCHRÖER: Représentation et pouvoir, S. 147–156. 2085 So urteilt auch THAMER, Hans-Ulrich: Napoléon. La construction symbolique de la légitimité, Ostfildern 2006 (= Conférences annuelles de l’Institut allemand publiées par la Société des amis de l’Institut historique allemand. Bd. 12), S. 15–55; ders.: Les images de Napoléon, in: Ausst.Kat. NAPOLÉON ET L’EUROPE, S. 86–89.

4.5 Die Provokation der Bilder

Abb. 67: Tassaert, Jean Joseph François, nach Philippe-Auguste Hennequin und Andrea Appiani: Buonaparte, pointillé, roulette, eau-forte, 48,5 × 36,5 cm.

Abb. 68: Coqueret, Pierre Charles, nach Hilaire Le Dru: Buonaparte, gravure au pointillé, 51,9 × 35,6 cm, 1796.

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4. Gegenmacht als Erfahrung

Die visuellen Künste wurden von Bonaparte als Mittel zur Repräsentation von Deutungs- und Machtansprüchen genutzt. Dabei waren den Techniken und Sujets prinzipiell keine Grenzen gesetzt. 2086 Die Beispiele seiner Selbstinszenierung als militärischer Held sind zahlreich und gut bekannt: Porträts des Generals ‚Buonaparte‘ (Abb. 67)2087 oder Nachdrucke des Gemäldes von Gros „Le Général Bonaparte au pont d’Arcole“2088 beispielsweise fanden in Frankreich schon früh weite Verbreitung. Als Staatsmann konnte sich der General zur Zeit des Direktoriums (noch) nicht in Öl verewigen lassen – zu offensichtlich wäre der Affront gegen die Regierung gewesen; dies hätte seine politischen Ambitionen eher gefährdet als befördert. Folglich wurden seine staatsmännischen Fähigkeiten vor allem über die Druckgraphik popularisiert, in Form von Porträts und Ereignisbildern, die entscheidende Momente seiner Verhandlungserfolge und Vertragsabschlüsse in Szene setzten, teilweise auch in allegorischer Form. Ein Porträt von Hilaire Le Dru sollte verschiedenen Stechern und Händlern als Vorlage zur Weiterbearbeitung dienen (Abb. 68). 2089 Die Originalzeichnung wurde im Salon des Jahres V, das heißt also im September/Oktober 1796 ausgestellt – nachdem Bonaparte bereits die Waffenstillstände mit Piemont-Sardinien, mit dem Herzog von Parma und mit Pius VI. eigenmächtig ausgehandelt und entscheidende Weichen für eine politische Neuordnung Norditaliens gestellt hatte. Bemerkenswert erscheint, dass Bonaparte hier nicht nur als Feldherr dargestellt wird, sondern mit Feder und Papier in der Hand – im Unterschied zu anderen ganzfigurigen Feldherrnporträts der Zeit (vgl. Louis-Alexandre Berthier2090, Jean-Baptiste Kléber2091 und andere). Er ist nicht nur ein militärischer Held, er ist auch kreativer Gestalter. Gänsekiel und Papier

2086

Vgl. auch SCHRÖER: Vive la République oder Vive Bonaparte, S. 166. Zum Folgenden vgl. ebd.ff. 2087 Vgl. auch Alix, Pierre-Michel, nach Andrea Appiani: Le général Buonaparte, Pointillé en couleur, 1798 (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6818). 2088 Gros, Antoine-Jean: Le Général Bonaparte au pont d’Arcole, le 17 novembre 1796, Öl auf Leinwand, 130 × 94 cm, 1796 (Versailles, châteaux de Versailles et de Trianon, Inv. MV6314). 2089 Eine spätere Fassung vgl. Coqueret, Pierre Charles, nach Hilaire Le Dru: Portrait du Général Bonaparte (Ier consul), Aquatinta, 1804 (Malmaison, Châteaux de Malmaison et Bois-Préau, Inv. MM.84.2.6). 2090 Vgl. Coqueret, Pierre Charles und Lachaussée, nach Boze: Portrait de Bertier, Radierung, 18. Jh. (Paris, BnF, Inv. AA-3, Coqueret; außerdem vgl. Malmaison, châteaux de Malmaison et Bois-Préau, aquatinte, manière noire, Inv. MM.84.2.4). 2091 Vgl. Allais, Louis Jean: Portrait du Général Jean-Baptiste Kléber, aquatinte, manière noire (Malmaison, châteaux de Malmaison et Bois-Préau, Inv. MM.84.2.13).

4.5 Die Provokation der Bilder

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Abb. 69: [Non-identifié]: Paix Glorieuse An VIe, gravure à l’eau-forte et au pointillé, burin, 17,5 × 46,5 cm, déposé le 21 novembre 1797.

symbolisieren die über das Militärische hinausreichenden Ambitionen und Aktivitäten des Generals. Weitere Darstellungen verehrten Bonaparte ganz explizit als Friedensbringer. 2092 Ein Fächer aus der Zeit unmittelbar nach dem Friedensschluss von Campo Formio zeigt ‚Buonaparte‘ als politischen Unterhändler und hebt ihn damit aus dem Kreise der anderen Generäle, derer auf einer Stele gedacht wird, heraus (Abb. 69). Er steht auf einer Landkarte, die wichtige Stationen der Verhandlungen (Udine), der von ihm erreichten Waffenstillstände (Parma) und die Zentralorte der neu gegründeten Republiken benennt (Genua als Zentrum der Ligurischen Republik, Mailand und Mantua für die Transpadanische sowie Modena und Bologna für die Cispadanische Republik). Der Hahn, Symbol der Wachsamkeit und des Mutes, aber auch Sinnbild für ganz Frankreich, lässt Bonaparte als Repräsentanten aller Franzosen in der Allianz zwischen Italien und Frankreich erscheinen. 2093 Der Bienenkorb im Bildhintergrund ist hier wohl als Symbol für den Fleiß zu interpretieren, mit dem der General sich angeschickt hatte, die politische Neuordnung durchzusetzen. 2094 In ähnlicher Form thematisierten weitere Drucke die 2092

Eine kolorierte Variante desselben Bildes findet man in der BnF, Coll. Hennin, t. 142, Inv. 63. 2093 Der Hahn diente auch in der Vignette des Direktoriums als Symbol der Franzosen, vgl. Beschreibung im Inventaire der Collection de Vinck, Inv. Nr. 6584 (Abb. 48). 2094 Die Biene als arbeitsames Tier, das einen Staat hervorbringt, an dessen Spitze eine Königin steht, war auch ein Symbol der Merowinger gewesen. Der spätere Kaiser Napoleon machte sich diese fränkische Tradition im Rahmen seiner Kaiserkrönung zu eigen;

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4. Gegenmacht als Erfahrung

Verhandlungserfolge des Generals. 2095 Besonders hervorgehoben wurde unter anderem „Rastad [sic]“, der Ort seiner ersten offiziellen diplomatischen Mission, für die er am 6. Brumaire VI (27. Oktober 1797) vom Direktorium eingesetzt worden war. 2096 Bonaparte weist im Bild selbst mit dem Finger auf die Stadt; diese Bildaussage erscheint zentraler als die allgemeine Widmung des Blattes „aux armées Françaises“. Auch die von Bonaparte erreichten Friedensschlüsse selbst wurden bildlich wiedergegeben, wie zum Beispiel der Vertrag mit Papst Pius VI. vom 1. Ventôse V (19. Februar 1797), von Bonaparte propagiert als ‚Frieden von Tolentino‘. 2097 Die Umschrift ließ erneut keinen Zweifel an der Rolle des Generals als Stellvertreter der Republik: „Le General Buonaparte fait la paix avec le pape au nom de la Republique française“. 2098 Dass Bonaparte sich in Italien nicht mehr an die Anordnungen des Direktoriums gebunden fühlte, bestätigen zusätzlich zu solchen Bildern seine Briefwechsel mit Paris und seine Proklamationen. Es war ein unüberbrückbarer Gegensatz entstanden: Ob in der Finanzpolitik, in der Kriegs- oder Außenpolitik – Bonaparte traf seine eigenen Entscheidungen und seine politischen und gesellschaftlichen Konzeptionen waren immer deutlicher zu erkennen. 2099 Am 20. Messidor (8. Juli) erließ er

vgl. dazu u. a. MIERSCH/REICHARDT: Die Kaiserkrönung Napoleons I.; sowie CHANTERANNE, David: Le Sacre de Napoléon, Paris 2004 oder LAVEISSIÈRE, Sylvain: Le Sacre de Napoléon peint par David, Paris 2004. 2095 Vgl. z. B. Bonneville, François: Bonaparte. Dédié aux Armées Françaises, gravure au pointillé, ø 8,5 cm, [Paris ca. 1798] (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6823): Bonaparte steht dort auf einer detaillierten Landkarte; zu seinen Füßen ist die Insel Korsika, seine Geburtsstätte, erkennbar. Mit seinem Finger verweist er auf „Rastad“. Vermutlich stammt die Darstellung aus dem September 1797 (vgl. Anspielung auf Hoche). 2096 Zu seinem kurzen Auftritt als Diplomat in Rastatt vgl. Dokumente bei MONTARLOT, Paul und Léonce PINGAUD: Le Congrès de Rastatt: correspondance et documents, 3 Bde., 1912–1913. 2097 Vgl. [Non-identifié]: Le General Buonaparte fait la paix avec le pape au nom de la Republique française, kolorierte Radierung, 16 × 19 cm, Paris [1797] (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6897). 2098 Ähnliche Drucke zeigten in starker allegorischer Form seinen Handschlag mit dem Unterhändler des Kaisers, vgl. [Non-identifié]: Le Triomphe de la paix entre la République française et l’Empereur, 1797, kolorierte Radierung, 16,8 × 18,0 cm (Paris BnF, De Vinck, Inv. 6914). Beide Parteien sind durch ihre Bevollmächtigten vertreten: die Republik durch Bonaparte, der Kaiser durch den Marquis de Gallo. Rechts und links des Bildes wird der Text eines beliebten Chansons in Form eines Dialogs zwischen Bonaparte und Gallo in Mombello wiedergegeben. Über dem Altar des Vaterlandes reichen sich die beiden Parteien die Hand; eine Allegorie des Friedens krönt Bonaparte und weist ihn dadurch als den eigentlichen Schöpfer des Vertrages aus. 2099 Vgl. FURET/RICHET: Die Französische Revolution, S. 501 sowie SCHRÖER: Vive la République oder Vive Bonaparte, S. 170.

4.5 Die Provokation der Bilder

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in Italien erstmals aus seiner Autorität heraus eine Verfassung. Auf dem Schloss Mombello in der Nähe Mailands residierte er wie ein Fürst, umgeben von Offizieren und Botschaftern, Wissenschaftlern und Dichtern. Und auch während des Ägyptenfeldzugs handelte er 1798/99 wie ein ‚Prokonsul‘: Nach seiner Ankunft in Kairo ernannte er einen Diwan aus angesehenen Ägyptern, der für die Stadtverwaltung zuständig sein und Polizei sowie Lebensmittelversorgung kontrollieren sollte. 2100 Anlässlich eines ‚Festes des Nils und des Propheten‘ inszenierte er sich als Beschützer des Islam und der Mekka-Pilger in Ägypten. Trat der General somit gegenüber dem Ausland als selbstbewusster Politiker und Staatsmann auf, so übte er sich im Inland öffentlichkeitswirksam in Bescheidenheit. Während die Hauptstadtpresse die Verschwendungssucht der politischen Eliten des Direktoriums angeprangerte, 2101 zierte sich Bonaparte bei jeder Gelegenheit, Applaus und Ehrenbezeugungen anzunehmen. Schon seine beiden in Italien aus Kriegskontributionen finanzierten Zeitungen hoben in ihrer Berichterstattung häufig die Natürlichkeit des Generals sowie seine Verachtung von Diktatur und Luxus hervor – Eigenschaften, die in deutlichem Gegensatz zum Lebenswandel der Machthaber des Direktorialregimes standen. 2102 Dieses Image war entsprechend in Paris im Winter 1797 bereits bekannt, und es wurde vor Ort weiter gepflegt: Schon am 18. Frimaire VI (8. Dezember 1797) berichtete der Narrateur universel, der Parisaufenthalt des Generals enttäusche all diejenigen, die schillernde Anekdoten oder spannende Bonmots erwartet hätten. 2103 „Sa conduite continue à déranger tous les calculs extravagans, tous les éloges perfides dont, auprès de certains gens, il était devenu l’objet“, hieß es im Journal des hommes libres; ohne Ehrengarde oder Ähnliches sei er mit seinem Wagen zum Festakt und von dort ins Innenministerium gefahren. 2104 2100

Vgl. FURET/RICHET: Die Französische Revolution, S. 525; dort auch zum Folgenden. Vgl. u. a. Accusateur public n° XXXII, Lundi, 10 juillet 1797 (22 Messidor), S. 27–33, wo anlässlich des bevorstehenden Jahrestages des 14. Juli eine Fundamentalkritik an der Festpraxis des Direktoriums erfolgt; Kritik an der Idee, dass die parlamentarischen Räte ihren Empfang für Bonaparte ausgerechnet in der Grande Galérie des Louvre ausrichten wollten, vgl. Le Bien Informé, 26 frimaire an VI, zitiert nach AULARD: Paris pendant la réaction, Bd. 4, S. 495. 2102 Es handelt sich um den eher links orientierten „Courrier de l’armée d’Italie ou Le Patriote français à Milan“ und das gemäßigtere Blatt „La France vue par l’armée d’Italie“. Vgl. auch DUFRAISSE, Roger: Napoleon. Revolutionär und Monarch. Eine Biographie, mit einem Nachwort von Eberhard WEIS, aus dem Französischen von Suzanne Gangloff, 3. Aufl., München 2002, S. 35. 2103 Vgl. Narrateur universel, 18 frimaire an VI, zitiert nach AULARD: Paris pendant la réaction, Bd. 4, S. 485. 2104 Journal des hommes libres n° 209, quartidi 24 frimaire VI (14. Dezember 1797), S. 867. 2101

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4. Gegenmacht als Erfahrung

Für den Beifall der Öffentlichkeit schien er geradezu blind oder suchte ihn zu meiden. 2105 Gegenüber den Direktoren sei er als einfacher Bürger aufgetreten, in einem blauen Anzug, so dass ihn die Palastwache zunächst nicht einlassen wollte. 2106 Statt sich dem Luxus hinzugeben, besichtigte er lieber das Krankenhaus der Invalides und suchte die Gesellschaft von Wissenschaftlern und Künstlern des Institut.2107 Und am Silvesterabend 1797 soll er sich als Zivilist im Theater fast schon in seiner Loge versteckt haben. Als dennoch Jubelrufe zu seinen Ehren im Saal losbrachen, soll er zu seinem Nachbarn gesagt haben: „Si j’avais su que les loges fussent si découvertes, je ne serais pas venu.“2108 Die Regierungskreise bezweifelten die öffentlichkeitswirksam zur Schau gestellte Bescheidenheit des Generals. Der Direktor Barras berichtet in seinen Memoiren, man habe Bonapartes Strategie durchschaut – und dessen politische Ambitionen bewusst immer wieder symbolisch in ihre Schranken zurückverwiesen: […] chaque fois qu’il nous rendait ses visites au Directoire, il avait l’air de frémir, et il trépignait quand on le laissait attendre quelques instants. Nous mettions même quelquefois de la malice à le faire attendre un peu; lorsque, entré, il voulait se mettre directorialement à notre table, comme un collègue, nous repoussions sa familiarité par un excès de politesse, en lui donnant un siège qui n’était pas le nôtre.2109 2105

Vgl. ebd. Die Gazette nationale de France bemerkte voller Anerkennung, er sei seit seiner Ankunft in Paris bemüht, sich nicht allzu sehr ‚den Blicken und dem Beifall‘ der Öffentlichkeit auszusetzen. Vgl. Gazette nationale de France, 21 frimaire an VI, zitiert nach AULARD: Paris pendant la réaction, Bd. 4, S. 489; vgl. dort auch zum Folgenden. 2106 Vgl. Gazette nationale de France, 22 frimaire an VI, zitiert nach ebd., S. 490; vgl. dort auch zum Folgenden. 2107 Doch wie ein Magnet zog seine Präsenz immer wieder die Menge an, die sich auf Straßen und Plätzen drängte, um ihn zu sehen; vgl. u. a. Rapport du bureau central du 21 frimaire an VI, zitiert nach ebd., S. 487f. Und das Direktorium konnte nicht alle Ehrbekundungen kontrollieren: Am 19. Dezember beschloss die Verwaltung des Département de la Seine, die Rue Chantereine, in der sich Bonapartes Haus befand, in Rue de la Victoire umzubenennen, vgl. Fanal, 18 nivôse an VI, zitiert nach ebd., S. 514f.; der gleiche Text wurde im Patriote français am 19. Nivôse abgedruckt. Die Stadt Paris ehrte Napoleon mit einem Fächer, der 1798 Joséphine überreicht wurde. Der Entwurf diente als Modell für die meisten Fächer der napoleonischen Epoche. Ein Nachstich befindet sich in den Sammlungen der BnF: Pecier, Charles und Fontaine: Eventail, dessiné par Chaudet Fontaine Persier [sic], gravé par Godefroy, Dépôt légal 29.3.1798 (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6825 Erstzustand, Inv. 6824 Endzustand); vgl. OTTOMEYER, Hans: Das frühe Œuvre Charles Perciers (1782–1800). Zu den Anfängen des Historismus in Frankreich, Altendorf 1981, S. 222. 2108 Vgl. Le Rédacteur, 12 nivôse an VI, zitiert nach ebd., S. 516. 2109 Mémoires de Barras, membre du Directoire, hrsg. von George DURUY, Bd. 3: Le Directoire du 18 fructidor au 18 brumaire, Paris 1896, S. 160f. Dt. Übersetzung vgl. Memoiren von Paul Barras, Bd. 3, S. 155f.

4.5 Die Provokation der Bilder

627

Auch die Beschreibungen des Lebenswandels der Familie Bonaparte in Mombello kontrastierten mit seinem vermeintlich bescheidenen Verhalten in Paris. Der General hatte in Italien ein Vermögen angehäuft und Geschmack an Luxus und Prachtentfaltung gefunden, nicht zuletzt auf seinem Landsitz bei Mailand. 2110 Es fällt auf, dass er sich in der Rolle des einfachen Bürgers und bescheidenen Staatsdieners nicht von seinen Künstlerfreunden verewigen ließ. Anders wiederum sah es mit seinem Selbstbild als Intellektueller aus – hier nutzte der Feldherr die Bühne der Hauptstadt und repräsentative Anlässe zur demonstrativen Inszenierung, wohl wissend, dass seine Macht von der Zustimmung der gebildeten Kreise abhing. In Mombello hatte er bereits Wissenschaftler wie den Mathematiker Monge und den Chemiker Berthollet empfangen;2111 und eine Woche nach seiner Rückkehr nach Paris dinierte er bei einem der Direktoren gemeinsam mit Mitgliedern der 1795 gegründeten nationalen Wissenschaftsakademie, dem Institut national. 2112 Die Netzwerkbildung zeitigte raschen Erfolg: Am 8. Nivôse (28. Dezember) übernahm er den Platz des im Sommer gestürzten Direktors Carnot in der mathematischen Klasse der elitären Einrichtung. Hier gelang es ihm, einflussreiche Kontakte zu knüpfen, die 1799 für eine reibungslose Machtübernahme von Bedeutung waren. 2113 Als Kunstförderer und Kunstliebhaber ist Bonaparte unter anderem auf einem Gemälde des italienischen Künstlers Cossia (oder Coscia) zu sehen, das in Form von verschiedenen Blättern nachgestochen und verbreitet wurde. 2114 Hier taucht bereits das Symbol des Adlers auf, das der spätere Kaiser als Feldzeichen und Wappentier aufgreifen sollte. Vom Himmel trägt dieser einen Blitz hinab, der in die Insignien der italienischen Feudalherrschaft einschlägt. Im Bildvordergrund hingegen wird Bonaparte als friedlicher Zivilist dargestellt: als Schöngeist und homme de lettres (erkennbar an den Büchern) sowie als Kenner der bildenden Künste und der Musik (siehe Palette und Harfe). Säbel und Rüstung sind niedergelegt, bekränzt mit einer Krone aus Eichenlaub und bewacht

2110

Vgl. DUFRAISSE: Napoleon, S. 35. Vgl. FURET/RICHET: Die Französische Revolution, S. 507. 2112 Vgl. Narrateur universel, 24 frimaire an VI, zitiert nach AULARD: Paris pendant la réaction, Bd. 4, S. 490. 2113 Er soll gesagt haben: „Meine Religion ist das Institut.“ Zitiert nach FURET/RICHET: Die Französische Revolution, S. 584. 2114 Vgl. u. a. Landseer, John, nach William Marshall Craig und F. Cossia: Buonaparte, gravure au burin, 39 × 29,5 cm, London 1798 (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6842). Weitere Varianten, vgl. Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv.Nr. 6840ff. 2111

628

4. Gegenmacht als Erfahrung

von einer Eule als Zeichen der Weisheit, des Denkens und Handelns. 2115 Der Ägyptenfeldzug bot dem General Gelegenheit, seinen Ruf als Förderer der Wissenschaften und Künste noch weiter auszubauen. 2116 Und nach seiner zweiten Rückkehr nach Frankreich umgab er sich 1799 erneut mit den Pariser Gelehrten, um unverdächtig die politische Lage zu sondieren und abzuwarten, welche Partei auf ihn zukommen würde, um ihn zur Beteiligung an einem Staatsstreich zu bewegen. 2117 Bonaparte fokussierte die kunst- und medienpolitische Praxis, die auch zuvor in der Revolution schon zur Anwendung gekommen war, ganz auf seine Person. 2118 Seine Popularität führte zu einer Vervielfältigung dieses Bildes auch jenseits aller persönlichen und offiziellen Aufträge. Dabei gelang es Bonaparte im Unterschied zum Direktorium, eine breite Akzeptanz seiner Vorrangstellung zu erreichen und Legitimität für seine Entscheidungen herzustellen. Anders als die politischen Würdenträger des Direktoriums, die sich in der Regel statisch als Amtsträger vor repräsentativer Kulisse abbilden ließen, zeigte sich der Erste Konsul bei der Arbeit im Dienst der Nation. Die Visualisierung von Macht verlagerte sich weg von den institutionell vorgesehenen Verfassungsorganen hin zur Person des Feldherrn und Friedensstifters, Ersten Konsuls und später des Kaisers. Vergeblich hatte sich das Direktorium bemüht, mittels einer gezielten Symbolpolitik den Ambitionen des Generals Grenzen aufzuzeigen. 2119 Dessen Strategie, mit vorgeblicher Bescheidenheit und gleichzeitiger Netzwerkbildung auf die erfahrene Zurückweisung zu reagieren, erwies sich letztlich als die erfolgreichere: Rasch eroberte sein Gesicht das Bildzentrum der Macht, wie zum Beispiel in volkstümlichen Stichen, auf denen das Porträt des Generals letztlich denjenigen Platz in der häuslichen Wanddekoration einnehmen sollte, der im Ancien Régime für den König und nach dem

2115

Vgl. auch bereits SCHRÖER: Vive la République oder Vive Bonaparte, S. 174 sowie Abb. 10, S. 173. 2116 Nach Vorbild des Französischen Institut errichtete er am 5. Fructidor (22. August) eine Wissenschafts- und Kunstakademie in der ägyptischen Hauptstadt. Vgl. FURET/ RICHET: Die Französische Revolution, S. 527f. 2117 Vgl. ebd., S. 639. 2118 Vgl. THAMER, Hans-Ulrich: Buonaparte – Bonaparte – Napoleon. Vom Parteigänger der Revolution zum Kaiser, in: VELTZKE, Veit (Hrsg.): Napoleon. Trikolore und Kaiseradler über Rhein und Weser, Köln u. a. 2007, S. 1–16. 2119 Vgl. dazu SCHRÖER: Vive la République oder Vive Bonaparte, S. 155–163; zum Folgenden vgl. ebd., S. 184.

4.5 Die Provokation der Bilder

629

Sturz der Monarchie einer allegorischen Darstellung der Republik vorbehalten gewesen war. 2120 Gestützt durch die Begeisterung der Jakobiner, von denen viele ähnlich wie Hennequin eine Art ‚multiplizierende Imagepflege‘2121 zugunsten des Generals betrieben, war das Bild des ‚Retters der Revolution‘ in ganz Frankreich bereits populär, als Bonaparte 1799 aus Ägypten zurückkehrte, um gemeinsam mit Sieyès, der seit 1799 Mitglied des Direktoriums war (Abb. 70), den Staatsstreich vom 18. Brumaire zu organisieren. So überrascht es nicht, dass auch dieser Idee bereits sehr schnell durch die Druckgraphik Ausdruck verliehen werden sollte (vgl. Abb. 70: [Non-identifié]: Sieyes, Membre Abb. 71): Bonaparte rettet Frank- du Directoire Exécutif... en Grand Cosreich vor dem Abgrund, in den es tume, eau-forte, col., 28,5 × 20 cm, Paris die Revolution zu stürzen droht. [ca. 1799]. Die Allegorien an seiner Seite verheißen dem Land Frieden und Einheit, aber auch Wohlstand und Gerechtigkeit, wie noch vier Jahre zuvor die Vignette des Direktoriums (Abb. 9). Doch im Unterschied zu deren abstrakter Form bürgt er für die Glaubwürdigkeit seiner Versprechungen unmittelbar mit seiner eigenen Person sowie mit seiner Karriere als Soldat und Feldherr. Die spezifische Modernität der von ihm bis zum Ende seiner Herrschaft verfolgten Inszenierungs- und Machtstrategie liegt in einer eklektischen Verquickung verschiedenster kultureller Überlieferungsstränge, die sowohl vorrevolutionären wie auch revolutionären Ursprungs waren. Diese Traditionen formte er seinen Herrschaftsbedürfnissen entsprechend 2120

Vgl. z. B. die verschiedenen Bearbeitungen von „La joie du peuple français“, zuletzt Legrand, Augustin Claude Simon, nach Louis-Philibert Debucourt: A l’annonce du traité de Paix avec l’Empire, Stich (Paris, BnF, abgebildet in: VOVELLE: La Révolution française. Image et récit, Bd. 5, S. 89). 2121 Vgl. die Entwicklung und Anwendung dieses Konzepts bei: SCHUMANN, Jutta: Die andere Sonne. Kaiserbild und Medienstrategien im Zeitalter Leopolds I., Berlin 2003, besonders S. 36–38.

630

4. Gegenmacht als Erfahrung

Abb. 71: Chataignier, Alexis: Le soutien de la France, gravure à l’eau-forte et au pointillé, juillet 1800.

4.5 Die Provokation der Bilder

631

Abb. 72: Roger, Barthélemy Joseph Fulcran und Jean Claude Naigeon: En tête de page, Bonaparte Ier, consul de la République.

um. Dennoch: Auf den ersten Blick fallen zahlreiche Kontinuitäten zur Direktorialzeit ins Auge, bis hin zum offiziellen Briefkopf des Konsul Bonaparte (Abb. 72) und späteren Kaisers Napoleon. 2122 In den en-têtes wurde jedoch die Freiheitsmütze durch einen Helm ersetzt; die Allegorien der republikanischen Werte verschwanden gänzlich. Auf der Stele wurde die Zusicherung von Verfassung und Rechtsgleichheit zunächst durch eine Hommage an das Volk, schließlich durch den napoleonischen Adler ersetzt. Anstelle der antikisierenden und immer wieder Spott hervorrufenden Amtstrachten der Direktoren bevorzugte es der Feldherr und Erste Konsul, sich in der seit 1798 gesetzlich verankerten dunkelblauen Uniform des Général de Division abbilden zu lassen. 2123 2122

Nicht zuletzt galt auch im Empire weiterhin die Staatsform der Republik. Vgl. Brevet pour l’Ecole Saint-Cyr (Paris, BnF, Coll. Hennin, abgebildet in: BOPPE: Les vignettes emblématiques, Pl. N° 234, S. 157). 2123 Vgl. Habit de général de division porté par le Premier Consul Napoléon Bonaparte à la bataille de Marengo, le 14 juin 1800, vers 1798–1800, Illustration 09, in: Ausst.Kat.

6 Zwihenfazit 632

4. Gegenmacht als Erfahrung

4.6 Zwischenfazit Das Direktorium wurde nicht Zeuge einer, sondern vieler ‚Reaktionen‘:2124 Antijakobinische und antiroyalistische Reaktion wechselten sich in regelmäßigen Abständen ab. Dabei formierten sich inner- und außerparlamentarisch politische Gruppierungen und Lager. Infolge der Revolution war die Gesellschaft hochgradig politisiert. Die Übergänge zwischen gesellschaftlichen und politischen Phänomenen waren daher fließend. 2125 Durch die Zeit der Volksbewegung verfügte man über erste Erfahrungen mit einer Politik der Straße sowie mit der Bedeutung von vestimentären Abzeichen (Jakobinermütze, Sansculotten) im politischen Machtkampf. Nach dem 9. Thermidor zeigten vor allem die Anhänger der Monarchie, dass sie diese Lektion gelernt hatten, indem sie dieselben Strategien zur Konstituierung eines Gegenmodells anwandten. Im Thermidor zielte die ‚Straßenpolitik‘ der jeunesse dorée auf die symbolische Besetzung bestimmter Räume im Zentrum der Hauptstadt: Den faubourgs der Volksbewegung wurde das Pariser Zentrum als neuer Treffpunkt des gesellschaftlichen Lebens entgegengesetzt. Eine wichtige Funktion übernahm in diesem Zusammenhang das Palais Royal, nicht zuletzt derjenige Ort, von dem aus die Volksrevolution am 12. Juli 1789 ihren Anfang genommen hatte. Die weiße Kokarde wurde der dreifarbigen als Gesinnungszeichen entgegengestellt. ‚Oppositionelle‘ Symbolpolitik bedeutete in diesem Sinne stets auch einen Kampf um die Besetzung und Deutung von Räumen, Zeichen und Orten. Umgekehrt wurde durch Akte gezielter Provokation die staatliche Seite herausgefordert, ordnungspolitisch härter durchzugreifen. Die Symbolpraxis der Gegner des Regimes hatte insofern auch Einfluss auf die offiziellen Bilder der Republik. Als wichtigste symbolpolitische Strategie der sich formierenden politischen und gesellschaftlichen ‚Gegenmacht‘ kann abschließend die Entmachtung der Republik durch symbolische Vereinnahmung oder NAPOLÉON ET L’EUROPE, S. 42: „C’est dans cette tenue, conforme au règlement défini pour les généraux le 7 août 1798, que le Premier Consul est représenté par les artistes qui glorifient ses exploits lors de la deuxième campagne d’Italie (1799–1800) […]“; sowie den zugehörigen Essay von: PETITEAU, Natalie: Du Consulat à l’Empire, de la Paix à la Guerre, in: ebd., S. 42–45. 2124 Vgl. MONNIER: Un mot nouveau en politique. ‚Réaction‘ sous Thermidor, S. 127–156, besonders S. 137–145. 2125 Vgl. dazu ROSANVALLON, Pierre: La démocratie inachevée, Paris 2000. Rosanvallon unterscheidet anders als die monarchistisch-traditionalistische Strömung der Historiographie in der französischen Politik des 19. Jahrhunderts vier demokratische Tendenzen.

4.6 Zwischenfazit

633

Verunglimpfung ausgemacht werden. Beide regimefeindlichen Lager wandten tendenziell die gleichen Strategien an. Die miteinander ringenden Parteiungen bezogen sich in ihrem Kampf auf dieselben Institutionen, Begriffe und Symbole, die sie entsprechend der eigenen Interessen deuteten und argumentativ einsetzten. 2126 So wurden die Aktionen der jeunesse dorée von Vive-la-Convention-Rufen begleitet;2127 und die Anhänger der konstitutionellen Monarchie eigneten sich im Wahlkampf des Jahres V die Symbolsprache der Republikaner (wie die Verfassungssymbolik) an, um diese zu diskreditieren und als unglaubwürdig zu entlarven. Napoleon Bonaparte gelang es scheinbar mühelos, die vom Direktorium für sich in Anspruch genommenen Allegorien und Werte auf seine Person zu fokussieren und die Regierungsmitglieder damit symbolisch zu ‚entwaffnen‘. Damit vollendete er jedoch nur einen Prozess, der bereits mit dem Sturz der Monarchie und den Fraktionskämpfen von 1792/93 begonnen hatte und untrennbar mit der Repräsentation von Staatlichkeit in der Moderne, vor allem in republikanischen Systemen, zusammenzuhängen scheint. Alle politischen Gruppierungen hielten (genauso wie die offiziellen Repräsentanten der Republik selbst) an einem Einheitsideal fest und beanspruchten für sich, das eigene Politikmodell zu etablieren, um damit die durch die Revolution ausgelöste Krisensituation zu überwinden. Dabei formierte sich auch das rechte Lager als ‚Partei‘ – selbst wenn es diese Vergangenheit in der Restaurationszeit leugnen sollte. 2128 Gruppenbildungen vollzogen sich nicht ausschließlich entlang parteipolitischer und ideologischer Grenzmarken; soziale Kohäsionsprozesse verliefen auch entlang mittelrationaler symbolischer Kommunikationsformen. Politische Identität etablierte sich über den Umgang mit und im Kampf um symbolische Zeichen und Handlungen. Symbolische Politik spielte damit im Zuge der gesellschaftlichen Transformationsprozesse an der Schwelle zum 19. Jahrhundert auch jenseits der offiziellen, staatlichen Ebene eine entscheidende Rolle. Alle politischen Lager experimentierten mit Symbolen, Zeremonien und Ritualen als Mitteln der Identitätsstiftung und der Bindung von Anhängerschaft. Es konnten bestimmte Kernzeiten herausgearbeitet 2126

Vgl. in diesem Zusammenhang auch den fiktiven Bericht von Esséid Ali Effendi über den 9. Thermidor 1797 – einschließlich einer Liste von ‚Übersetzungen‘ von im Machtkampf benutzten Euphemismen bzw. bewusst verdrehten Bezeichnungen wie „ami de la liberté“ etc.: [Anonym]: Rapport fait au Divan par Esseid-Aly-Effendy. 2127 Vgl. GENDRON: La jeunesse sous thermidor, S. 77. 2128 Vgl. SCHOLZ, Natalie: Die imaginierte Restauration. Repräsentationen der Monarchie im Frankreich Ludwigs XVIII., Darmstadt 2006, S. 60.

634

4. Gegenmacht als Erfahrung

werden, in denen deutlich zu beobachten war, wie aus ‚Reaktion‘ ‚Opposition‘ wurde und welche Rolle symbolische Politik dabei spielte: Besonders interessant erschienen in diesem Zusammenhang der Winter 1794/95 sowie das Wahljahr 1797. 2129 In diesen Zeiten konnten intensive Auseinandersetzungen und Machtkämpfe beobachtet werden, die im Wesentlichen symbolisch ausgetragen wurden. Die symbolische Politik der verschiedenen Fraktionen zielte auf Integration nach innen und Abgrenzung vom politischen Gegner nach außen; sie spiegelt eine Gesellschaft im Umbruch, die durch starke Pluralisierungstendenzen gekennzeichnet war. Das von den wechselnden Regierungen verfolgte Projekt der ‚nationalen Einheit‘ war angesichts der beobachteten gesellschaftlichen Interessenvielfalt mittelfristig zum Scheitern verurteilt. Seit 1797 mehrten sich zwar Stimmen, die forderten, Diskussion und Opposition als elementare Bestandteile einer freiheitlichen Ordnung zu akzeptieren. Diese Meinung war jedoch noch nicht mehrheitsfähig: Die Schreckbilder des Jahres II wurden erneut wachgerufen und autoritäre Auswege aus der Krise, gestützt auf das Militär und die staatliche Bürokratie, gesucht. Sprache war in diesem Prozess nicht bloß Spiegelbild, sondern selbst Instrument politischen und sozialen Wandels: Sie formte die Wahrnehmung der Interessen und trug zur Entwicklung der Ideologien bei. 2130 Gerade aufgrund der Ablehnung des Parteigeistes entwickelte sich symbolische Politik zum beliebten Kampfplatz zur Austragung von Macht- und Interessenkonflikten: Sie erschien als das geeignetste Mittel zur Durchsetzung von Interessen und zur Beeinflussung politischer Einstellungen. 2131 Am Beispiel der Verbreitung und häufigen Transformation der revolutionären Mode beziehungsweise der vestimentären politischen Symbole konnte beobachtet werden, wie die politische Kultur der Republik zwischen 1792 und 1799 verschiedene, konkurrierende Interpretationen hervorbrachte. In einem andauernden Prozess der Ausdifferenzierung, Konsolidierung und neuen Infragestellung wurde die politisierte Kleidung einerseits zum Motor der revolutionären und gegenrevolutionären Bewegungen, andererseits spiegelte sich in ihr 2129

Darüber hinaus verdienten auch das Jahr 1799 sowie der Übergang zum Konsulat eine noch genauere Untersuchung, vgl. bereits GAINOT, Bernard: Le péril blanc: la restauration monarchique au tournant du Directoire et du Consulat, in: CHAGNY: La Révolution française: Idéaux, singularités, influences, S. 367–376. 2130 Vgl. ROSENFELD, Sophia: A Revolution in Language: The Problem of Signs in Late Eighteenth-Century France, Stanford 2001, besonders Kapitel 4 und 5; für die Zeit vor 1794 vgl. dazu auch GUILHAUMOU, Jacques: Sprache und Politik in der Französischen Revolution. 2131 Vgl. HUNT: Symbolische Politik, S. 74.

4.6 Zwischenfazit

635

auch der Erfolg oder Misserfolg von Prozessen politischen Wandels. Versuche der Standardisierung oder der gesetzlichen Regelung waren nur schwer durchzusetzen und verfehlten häufig die gewünschte Wirkung. 2132 Die Rekonstruktion und Dekonstruktion der einzelnen Interpretationen in ihrem jeweiligen Kontext führt ins Herz des Problems: Gerade die erlebte gesellschaftliche Pluralisierung ließ den Wunsch nach überparteilicher Einheitsstiftung erstarken. Identität wurde durch Zeichen wie lange Hosen oder rote Mützen aber in der Regel nur noch für gesellschaftliche Teilgruppen gestiftet, die sich nach sozialen, politischen oder ästhetischen Kriterien konstituierten.

2132

Vgl. WRIGLEY: The Politics of Appearances, S. 87.

636

5. Fazit

4.6 Zwischenfazit

5. Fazit

5.

637

Fazit: Revolution der Werte und Gesetzgebung der Sinne – Intentionen, Funktionen und Wirkungen symbolischer Politik

Im Entstehungsprozess der Ersten französischen Republik experimentierten Akteure aller politischen Lager mit Formen und Inhalten symbolischer Politik. Einerseits bestand von offizieller Seite aus der Wunsch nach Legitimitätssteigerung und Ordnungsstiftung mittels einer ‚Sprache der Zeichen‘ oder auch ‚Gesetzgebung der Sinne‘; andererseits war Symbolpolitik ein entscheidendes Ausdrucksmittel politischer und sozialer Gegenbewegungen, wenn diese – ähnlich wie die Revolutionäre von 1789 – das sich etablierende republikanische Regime in seinen Repräsentationen und Ritualen angriffen, um Kritik und Widerstand zu artikulieren. Im Zentrum der Analyse stand die offizielle Symbolpolitik der Parlamente und Regierungen. Deren Praktiken knüpften zunächst an die symbolischen Ausdrucksformen der revolutionären Protestkultur und der republikanischen Bewegung an; ergänzend konnten Prozesse einer bewussten Symbolstiftung und -propagierung beobachtet werden, die Traditionen der Gelehrtenkultur oder der Monarchie aufnahmen und ‚republikanisch‘ umdeuteten. Strukturell betrachtet visualisierte das ‚neue Regime‘ seine Ordnung und seine Prinzipien in ähnlicher Form wie das ‚alte‘: Es entwickelte Herrschafts- und Hoheitszeichen, Zeremonien und Repräsentationsformen, Architekturen und Festkulturen. Diese Grundformen symbolischer Politik wurden jedoch mit neuen Inhalten ‚gefüllt‘ und verursachten beziehungsweise erfuhren einen Funktions- und Bedeutungswandel. Symbolische Politik verkörperte neue Werte und Prinzipien. Neue Akteursgruppen wie das Volk und seine gewählten Vertreter betraten die politische Bühne und ergänzten das Spektrum der Inszenierungen um neue Ausdrucksformen (wie zum Beispiel Masseneide und -gesänge oder ungeordnete Straßenaufmärsche). Neue Hierarchien und Gemeinschaften wurden begründet und in politischen Inszenierungen öffentlich propagiert, im Kontext von Krieg und Bürgerkrieg nicht selten mit nationalistischen Nebentönen (vgl. den Kult des Vaterlandes und der Armee). In der revolutionären Übergangsgesellschaft waren Fragen der Darstellung der neuen Ordnung zwangsläufig eng verknüpft mit dem Nachdenken über die ‚richtigen‘ Maßnahmen zu deren Herstellung. Bewusst eigneten sich die politischen Entscheidungsträger symbol-

638

5. Fazit

politische Medien und Praktiken an, um Gegner zu bekämpfen und die öffentliche Meinung den eigenen Vorstellungen entsprechend zu beeinflussen. Über ‚republikanische Institutionen‘ (beispielsweise die Einführung einer neuen Zeitrechnung, die Säkularisierung lebensweltlicher Rituale von der Geburt bis zum Tod oder die Propagierung ‚ersatzreligiöser‘ Dogmen und Kulte) sollten Sitten und Gewohnheiten erneuert und die Franzosen zu Staatsbürgern erzogen werden, die die neue Ordnung stützten und ihren Fortbestand ermöglichten. Gerade dieser umfassende Erziehungsanspruch gegenüber dem Individuum markiert einen fundamentalen Unterschied im Vergleich zur symbolischen Politik des Ancien Régime. So überrascht es nicht, dass Versuche zur Errichtung eines ‚Erziehungsstaates‘2133 von immer neuen Protesten und Gegenbewegungen begleitet waren, die den Symbolkrieg zwischen den widerstreitenden Parteiungen verstetigten. Die Dynamik der Auseinandersetzungen führte zu wechselseitigen Polarisierungen und war entscheidend mitbeteiligt am Entstehungsprozess von ‚Opposition‘ als zunächst unbeliebtem, aber immer deutlicher unverzichtbaren Element demokratischer Politik. Die anhaltenden Symbolkämpfe bewirkten mittelfristig eine veränderte Frontstellung der ‚Parteien‘ und eine Vereindeutigung der Positionen. So wird die französische Geschichte des 19. Jahrhunderts häufig vereinfachend als Kampf ‚zweier Frankreichs‘ dargestellt: des republikanischen und des monarchischen. Die Analyse hat gezeigt, dass sich die historische Wirklichkeit des ausgehenden 18. Jahrhunderts sehr viel komplexer gestaltete. Der symbolpolitische Erklärungsansatz kann gleichzeitig helfen, die Prozesse der Parteienund Lagerbildung als kulturelle Phänomene zu verstehen. Die Transformation von der monarchischen zur republikanischen Ordnung erwies sich insgesamt als Experiment mit verschiedenen Spielarten von Demokratie und Republikanismus sowie den ihnen zugehörigen Vorstellungen von Legitimität und Gestaltungsspielräumen politischer Macht. Symbolpolitik avancierte in diesem Prozess zu einem von allen Parteiungen benutzten und anerkannten Instrument politischen Integrations- und Durchsetzungswillens: Symbole und Inszenierungen dienten der Artikulation und Kommunikation von politischen Ideen, der Gewinnung von Anhängern oder der Bekämpfung von Gegnern. Die einleitend vorgeschlagene Typologie verschiedener Untersuchungsebenen von ‚symbolischer Politik‘ soll im Zuge der Rekapitulation der 2133

Vgl. HARTEN, Hans-Christian: Erziehungsstaatliche Elemente in der Französischen Revolution, in: BENNER, Dietrich, Jürgen SCHRIEWER und Heinz-Elmar TENORTH (Hrsg.): Erziehungsstaaten. Historisch-vergleichende Analysen ihrer Denktraditionen und nationaler Gestalten, Weinheim 1998, S. 73–92.

5.1 Symbolpolitik als Instrument politischen Durchsetzungswillens

639

Ergebnisse ergänzt und weiter geschärft werden. Ziel ist es, eine allgemeine Definition von ‚Symbolpolitik‘ zu entwickeln, die den Vergleich mit anderen historischen Epochen und Regimes ermöglicht – ohne dabei zu vergessen, dass es sich bei der Französischen Republik um eine Übergangsepoche handelt, die durch zahlreiche Besonderheiten geprägt war (Kapitel 5.1). 2134 Dies gilt es auch bei der Beantwortung der Frage nach Kontinuitäten und Brüchen im Vergleich zur symbolpolitischen Praxis der Vormoderne zu berücksichtigen (Kapitel 5.2). In einer kulturgeschichtlichen Perspektive erscheint es weiterhin sinnvoll, die Französische Revolution als Umbruch zu verstehen, der weit über Frankreich hinaus den Aufbruch in die Moderne markiert. Die analysierten Diskurse und Praktiken nahmen Auseinandersetzungen und Kämpfe des 19. Jahrhunderts vorweg, teilweise sogar Elemente der staatlich verordneten Kulturrevolutionen des 20. Jahrhunderts. Von einer Politik der Straße über neue Formen des Totenkultes bis hin zu totalitär anmutenden Gleichheitsszenarien probierten die Republikaner eine breite Palette symbolpolitischer Formen aus und erreichten damit ambivalente Wirkungen, die die spätere Moderne bis in die heutige Zeit prägen sollten. Das letzte Kapitel der Arbeit stellt weiterführende Überlegungen dazu an, ob und wie die Geschichte der Ersten französischen Republik vor dem Hintergrund der gewonnenen Erkenntnisse neu bewertet werden sollte (Kapitel 5.3). 5.1 Symbolpolitik als 5.1 Symbolpolitik als Instrument politischen Durchsetzungswillens Instrument politischen Symbolpolitik entwickelte sich nach 1789 zu einem eigenständigen PoDurchset- litikbereich. Sie schien das Zaubermittel zu sein, um die von der pozungswillens litischen Elite gewünschte politisch-soziale Kulturrevolution, den unwiederbringlichen Bruch mit der Vergangenheit des Ancien Régime, bewerkstelligen zu können. Nach der detaillierten Analyse der einzelnen Medien und Praxisfelder der republikanischen Symbolpolitik sollen abschließend Aktionsräume und Organisationsformen sowie allgemeine Themen und Rahmenbedingungen zusammenfassend benannt 2134

Dabei werden bereits vorliegende theoretische Überlegungen und empirische Untersuchungen zum Vergleich von symbolpolitischem Handeln aufgegriffen: vgl. MÜNKLER: Die Visibilität der Macht, S. 213–230; OSTERHAMMEL, Jürgen: Symbolpolitik und imperiale Integration: Das britische Empire im 19. und 20. Jahrhundert, in: SCHLÖGL/GIESEN/ders.: Die Wirklichkeit der Symbole, S. 395–421, S. 397–400; PRIBERSKY/UNFRIED: Symbole und Rituale des Politischen.

640

5. Fazit

werden. Als entscheidendes Merkmal fällt dabei der ambivalente Charakter jeder Form von Symbolpolitik in der Ersten Republik ins Auge. Allein die differenzierte Unterscheidung zwischen Intentionen, Funktionen und (nicht intendierten) Wirkungen verspricht Aufschluss darüber, warum ein und dieselbe Inszenierung von verschiedenen Akteuren oder Betrachtern gleichzeitig als stabilisierend oder destabilisierend, sinnstiftend oder manipulativ, demokratisierend oder entmündigend wahrgenommen beziehungsweise interpretiert werden konnte. Für die Erste Republik konnten drei unterschiedliche Aktionsräume symbolischer Politik ausgemacht werden, die getrennt voneinander untersucht wurden. Republikanische Repräsentation machte das neue Regime zur öffentlichen ‚Anschauungssache‘ (Kapitel 2): Über die Inszenierung der Verfassungsorgane und Institutionen, im Rahmen von Festen oder über die Stiftung einer neuen Staatssymbolik visualisierten die neuen Machthaber ihre Vorstellungen von der Ausgestaltung der politisch-sozialen Ordnung. Dabei konnte beobachtet werden, wie Symbolpolitik zur Konkretisierung bestehender Regeln und zur Definition von systeminternen Hierarchien beitrug. Herstellung und Darstellung der Republik gingen Hand in Hand: Machtverhältnisse, wie zwischen dem Volk und seinen gewählten Repräsentanten oder zwischen Gesetzgebern und Regierungsmitgliedern, wurden im Zuge symbolpolitischer Maßnahmen ebenso ausgehandelt wie weiter gefestigt. Angesichts der schwachen Legitimität des aus Revolution und Krise hervorgegangenen neuen Regimes verlagerte sich der Schwerpunkt der republikanischen Symbolpolitik auf den Versuch einer planvollen Beeinflussung der Bürger. Hier eröffnete sich ein zweiter symbolpolitischer Aktionsraum, der in Bereiche eindrang, die traditionell der Kirche vorbehalten gewesen waren. Die ‚Gesellschaft‘ wurde als ein ‚Projekt‘ aufgefasst (Kapitel 3), welches nach rationalen Erkenntnissen und durch instrumentelles Handeln gestaltet werden konnte. Das Individuum rückte in den Fokus staatlicher Politik. Die Idee des ‚neuen Menschen‘ war zwar bereits seit der Aufklärung gesellschaftspolitisch virulent; die Politiker der Ersten französischen Republik waren jedoch die ersten, die sich anschickten, sie tatsächlich in die Praxis umzusetzen: Die Einführung einer neuen Zeitrechnung versprach die Verbreitung der republikanischen Idee bis in den hintersten Winkel des Landes; ähnliche Interessen verbanden sich mit der Etablierung eines national einheitlichen Festkalenders. ‚Von der Wiege bis zur Bahre‘ sollte die Republik die Bürger begleiten und prägen. Religiöse Ersatzkulte, republikanische Katechismen und Dekadenfeiern versprachen, den Katholizismus, der besonders ab dem Jahr VI (1797/98) wieder als ‚Aberglauben‘ und

5.1 Symbolpolitik als Instrument politischen Durchsetzungswillens

641

‚gegenrevolutionär‘ gebrandmarkt wurde, abzulösen. Die Widerstände, denen man bei der Durchsetzung solcher Maßnahmen begegnete, verschärften den Missionseifer der Politiker nur noch mehr. 2135 Als dritter Raum symbolpolitischen Handelns wurden Aktivitäten von gesellschaftlichen und politischen Gruppierungen betrachtet, die sich als ‚Gegenmacht‘ zu den staatlichen Institutionen herausbildeten (Kapitel 4). Die untersuchten Aktionsformen reichten dabei von passiver Ablehnung (zum Beispiel durch Missachtung des Revolutionskalenders) bis hin zu symbolpolitischer Organisation und Mobilisierung (etwa der Volksbewegung der sans-culottes oder der reaktionären Bewegung der jeunesse dorée). Ein wichtiger Handlungsraum war die Straße, darüber hinaus jedoch der gesamte sich herausbildende ‚öffentliche Raum‘ einschließlich seiner textlichen und bildlichen Publikationsmedien. Die außerparlamentarischen symbolpolitischen Akteure wurden aus Sicht des Regimes als factions (pejorativ für ‚Fraktionen‘) wahrgenommen. Nach einer Phase spontaner Proteste organisierten sie sich meist in Klubs oder Diskussionszirkeln, die zum Ausgangspunkt kollektiven Handelns wurden (Club du Panthéon und Club de Clichy, Cercles constitutionnels oder auch private Salons und Gesellschaften). Formen symbolischer Kommunikation definierten ihre Identität und stabilisierten ihre institutionelle Organisation. Es hat sich als sinnvoll erwiesen, Symbolpolitik auf den verschiedenen Ebenen ihrer Organisation (Planung, Debatte, Gesetzgebung) und Durchführung zu untersuchen. Auf diesem Wege wurde deutlich, welch komplexe Beschlussfassung den offiziellen Praktiken voranging, welche Akteure daran beteiligt waren und welche Medien bevorzugt wurden. Staatliche Repräsentation und Symbolpolitik waren Gegenstand intensiver Debatten und Aushandlungsprozesse. Entsprechend widmeten ihr die Parlamentarier eigene Ausschüsse (wie das Comité d’instruction publique, später auch das Comité des institutions républicaines) und die Exekutive schuf eigene Verwaltungseinheiten (zum Beispiel das Bureau des Fêtes); entsprechend entstand auch eine eigene Expertenschaft (vgl. Abgeordnete wie Chénier, Leclerc) sowie eine einschlägige Publikationskultur (Denkschriften, Druckgraphiken und Pamphlete). Die Vorbereitung oppositioneller Symbolpolitik ist aufgrund der schlechteren Überlieferungslage sehr viel schwerer zu fassen. 2135

Dabei reichte das Spektrum der beobachteten ‚Widerstände‘ von simplem Unverständnis und traditionalistisch motiviertem ‚Vergessen‘ bis hin zu organisierten Protestformen oppositioneller politischer Strömungen und Subkulturen, die jeweils eigene Formen symbolischer Politik hervorbrachten und nicht selten sogar eine eigene, intentional gegen die Regierung gerichtete Symbolpolitik erfanden.

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5. Fazit

Regierung und Opposition nutzten jedoch meist dieselben Medien (neben der Presse besonders Bildmedien) und Praxisformen (Feste, Zeremonien, Eide, Prozessionen etc.) zur Vermittlung und Umsetzung ihrer symbolpolitischen Konzepte. Dieser Befund bestätigt erneut die Annahme, dass das Repertoire an symbolischen Vermittlungsstrategien und Ausdrucksformen des Politischen insgesamt begrenzt ist. 2136 Umso wichtiger erschien die Analyse des je nach Lager unterschiedlichen Verständnisses und Umgangs mit diesen Formen. Symbolpolitische Gesetzgebung erfolgte dabei nur teilweise initiativ oder voluntaristisch, wie beispielsweise bei der Kalenderreform oder im Falle der Stiftung einzelner thematischer Feste, wie des Festes der Volkssouveränität. Im Gegenteil erfolgten die meisten Regelungen reaktiv, das heißt, erst nach bestimmten Ereignissen oder bereits erfolgten Verstößen gegen offiziell gewünschte Verhaltensweisen und Deutungen (so die Verordnungen zum Schutz der Freiheitsbäume oder zur Einhaltung des Dekadenrhythmus im Jahr VI). Meist kam es bereits im Vorfeld der Beschlussfassung zu intensiven Debatten; Durchführung und Bewertung der Maßnahmen lösten anschließend weitere Deutungskämpfe aus, wie am Beispiel der republikanischen Festkultur gezeigt werden konnte. Symbolpolitik wurde entsprechend häufig aus Krisenerfahrungen heraus geboren und generierte selbst weitere Krisen. Eine erhöhte symbolpolitische Aktivität konnte sowohl im Regierungs- wie auch im oppositionellen Lager in Umbruchsphasen festgestellt werden, insbesondere im Kontext von Aufständen oder Staatsstreichen oder anlässlich der jährlich stattfindenden Wahlen. Im Vorfeld der Wahlen des Jahres V beispielsweise betrieben die Royalisten über interne Lagergrenzen hinweg eine Sammlungspolitik, die sich des gesamten Repertoires symbolischer Kommunikationsmedien bediente, um die Macht auf legalem Wege zu erobern. Als Phasen der Neuordnung erwiesen sich die Wahlkampfzeiten als besonders kreativ im Umgang mit politischen Inszenierungen und revolutionärer Symbolik. Darstellung von Macht und Ordnung, Steigerung von Akzeptanz und Autorität, Artikulation von Gegenmeinungen und alternativen Politikmodellen – den drei untersuchten Aktionsräumen symbolischer Politik entsprechen Zielsetzungen, die auch für die heutige Zeit nach wie vor aktuell sein können. Im Kontext einer sich pluralisierenden Gesellschaft gewann die Nutzung symbolischer Politik im Untersuchungszeitraum zur Errichtung von Gegenmacht im Vergleich zum Ancien Régime an Bedeutung. Aus dem symbolpolitischen Laboratorium 2136

So eine der Hauptthesen der Ausstellung ‚Spektakel der Macht‘; vgl. den gleichnamigen Ausstellungskatalog.

5.1 Symbolpolitik als Instrument politischen Durchsetzungswillens

643

der Republik gingen jedoch auch demokratiefeindliche Erfahrungen hervor, wenn die Funktionalität von Symbolik und Repräsentation als potenziell manipulativ und anfällig für Missbrauch erkennbar wurde – und auch dieser Aspekt sollte im 19. und 20. Jahrhundert in zahlreichen anderen Kontexten und Konstellationen aktualisiert werden. 2137 Symbolpolitik artikulierte sich in allen untersuchten Räumen in einem Wechselspiel aus Aktion und Reaktion. Folgende Rahmenbedingungen konnten dabei als maßgeblich ausgemacht werden: die Einbindung in das Projekt der Aufklärung und der Revolution, vor allem über die Ideen der ‚Freiheit‘, der ‚Erneuerung‘ oder ‚Regeneration‘ sowie über den Willen zum Bruch mit der Vergangenheit; die normativen Vorgaben der Verfassung (Staatssymbolik, politische Gesinnungszeichen); die Einbindung in das Projekt der Republik in Abgrenzung zur Monarchie; die Erfahrung von Krieg und Bürgerkrieg und die damit verbundene ordnungspolitische Notwendigkeit schneller Entscheidungen; die hohe Verflechtung der Symbolpolitik mit anderen Politikbereichen (Innenpolitik und Erziehungswesen, aber auch Wirtschaftspolitik oder Außenpolitik); die starke Prägung durch das Erbe der Vergangenheit, insbesondere die Verantwortung für die Untaten des Regimes der Terreur. In verschiedenen Medien beziehungsweise auf unterschiedlichen Praxisfeldern wurde immer wieder um ähnliche Themen und Inhalte gestritten. Hohe Einigkeit erzielten die Akteure in der Beschwörung von Vaterland und Verfassung als oberster Referenzwerte politischen Handelns, im Lager der Demokraten ebenso wie unter den Anhängern einer konstitutionellen Monarchie. Differenzen entstanden bei der Fixierung konkreter Maßnahmen zur Realisierung der gemeinsamen Ziele. Waren zum Beispiel das Erziehungsparadigma und damit verbunden der Wunsch nach Regeneration und Erneuerung der Gesellschaft allgegenwärtig, so sollte der ‚Bruch‘ mit der Vergangenheit je nach politischer Richtung in unterschiedlichem Ausmaß vollzogen werden: Galt es, mit der Monarchie auch den Katholizismus abzuschaffen, oder waren Kompromisse, wie zum Beispiel im Rahmen des von Carnot zwischen 1795 und 1797 angestrebten konservativen Republikanismus denkbar? Beinhaltete der republikanische Neuanfang von 1794 einen kompletten Bruch mit der Phase der Terreur oder sollten einzelne Instrumente dieser Zeit, vor allem in der Kultur- und Religionspolitik, weitergeführt werden? Nach dem Sturz der Jakobiner wurden die Elemente einer demokratischen Beteiligung des Volkes zugunsten der Republik 2137

Vgl. MÜNKLER: Die Visibilität der Macht; dazu mehr im Kapitel 5.2.

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5. Fazit

als Repräsentativsystem zurückgedrängt. Freiheit bedeutete nach dem Verständnis vieler directorialistes nicht Freiheit zur oppositionellen Meinungsäußerung. Im Gegenteil sah man das Fernziel einer freiheitlichen Gesellschaft durch Oppositionsbewegungen gefährdet und führte in ihrem Namen autoritäre Maßnahmen wie Zensur und Deportation zur ‚Rettung der revolutionären Idee‘ durch. Mit anderen Worten: Dieselben Grundprinzipien und Werteinstellungen konnten höchst unterschiedliche Formen annehmen, je nachdem, in welchem Kontext und durch welche Akteure sie in Symbolen oder politischen Inszenierungen konkretisiert wurden (vgl. dazu ausführlicher Kapitel 5.3). Symbolpolitik blieb jedoch für alle politischen Akteure bis zuletzt eines der wichtigsten Mittel, um Verfassungsänderungen oder politische Richtungswechsel durchzuführen und zu kommunizieren. Trotz aller Gemeinsamkeiten unterschied sich die offizielle Symbolpolitik in einem Punkt deutlich von derjenigen der oppositionellen ‚Konstitutionellen‘ oder der ‚Anarchisten‘: Wichtigster Bestandteil ihrer Botschaft waren die Republik selbst, ihre Gründungsmythen (Feiertage und Kalender) und ihre Verwurzelung in der aufklärerischen und revolutionären Tradition. Der Diskurs über die ‚republikanischen Institutionen‘ macht deutlich: ‚Republikanismus‘ bedeutete in den Jahren von Thermidor und Directoire weniger freie Aktivität der Wähler oder politisches Leben in der Region. 2138 Republikanischer Bürger zu sein, bedeutete in der Vorstellung der politischen Akteure auch nicht, einer gemeinsamen Abstammungs- oder Sprachgemeinschaft anzugehören. ‚Republikanismus‘ gründete in gemeinsam geteilten politischen Werten wie Freiheit und Gleichheit oder der Idee der Volkssouveränität. In der Überzeugung, dass die Nation sich im gemeinsamen Willen und der gemeinsamen Geschichte ihrer Bürger begründet, wurde der Bürger selbst zum integralen Bestandteil des politischen Gemeinwesens. Das Prinzip der Volkssouveränität, so die Theorie, erfordere eine Identifikation des Bürgers mit den Grundwerten, Institutionen und Verfahren der republikanischen politischen Ordnung und Verfassung. 2138

Die Bürger konnten nicht uneingeschränkt frei am politischen Leben teilnehmen, da die Klubs verboten worden waren, Zeitungen nach wie vor einer Zensur unterlagen und die Vorwahlen unter dem starken Einfluss der lokalen Behörden organisiert wurden; umso stärker jedoch wurde die Republik auf der Diskursebene hochgehalten und zur besten aller Staatsformen erklärt. Die jährlichen Wahlen bereiteten den politischen Entscheidungsträgern der Direktorialrepublik große Sorgen; sie bedeuteten Unruhe und waren in ihren Ergebnissen kaum vorhersehbar. Vgl. WOLOCH: ‚Republican Institutions‘, S. 371–387; HUNT, Lynn, David LANSKY und Paul HANSON: The Failure of the Liberal Republic in France, 1795–1799: The Road to Brumaire, in: Journal of Modern History 51 (1979), S. 734–759.

5.1 Symbolpolitik als Instrument politischen Durchsetzungswillens

645

Diese Identifikation setzte eine gemeinsame Praxis voraus; idealerweise führte diese Praxis dann zu einem freiwilligen Engagement zum Wohle der gesamten Gesellschaft. Die republikanischen Institutionen sollten genau diese Praxis ermöglichen. Stärker als in anderen Konzepten der Staatsbürgerschaft – wie beispielsweise im sogenannten Verfassungspatriotismus, der besonders die rationale Identifikation der Bürger mit dem Staat betont 2139 – wurde dabei ausdrücklich die affektive Seite der Bindung und der dahinter verborgene erzieherische Anspruch betont: Durch eine ‚Gesetzgebung der Sinne‘ (législation des sens) sollten alte Sitten und Gebräuche ausgetrieben werden, um nach den Prinzipien der Verfassung den neuen Menschen zu ‚formen‘. Nie zuvor hatte sich die Revolution so deutlich angeschickt, die ‚Revolution der Werte‘ unwiederbringlich umzusetzen, wie im Jahr VI. Die intensiven Debatten der Parlamentarier zeugen von der hohen Bedeutung, die die politischen Entscheidungsträger dem Thema zusprachen. Endlich sollte der Theorie die Praxis folgen, vermittelt durch die Sprache und die Macht der Zeichen. Die Staatsform sollte auch jenseits von Gesetzestexten im Leben der Bürger verankert werden. Die symbolische Politik der Opposition kreiste demgegenüber eher um Fragen der Verfassungspraxis, das heißt um die Ausgestaltung des politischen Lebens durch die Regierung und die parlamentarischen Räte, sowie um Probleme gesellschaftlicher Ungleichheit oder Ungerechtigkeit. Sie entwickelte sich mehr und mehr zum Kontrollorgan des Regierungsgremiums. Das Direktorium wurde häufiger karikiert und für Fehlentscheidungen diffamiert als die Legislative. Anlass dazu boten sowohl die offiziellen Repräsentationsformen, wie die Amtstrachten oder die Inszenierungen von Festen, als auch Entscheidungen in einzelnen Politikfeldern, wie in der Religions- oder Sozialpolitik. Die Geschichte der republikanischen Symbolpolitik ist abschließend als Suche nach Möglichkeiten und Strategien der Legitimation von Entscheidungen unter dem Eindruck sozialer Pluralisierung und Komplexitätssteigerung zu betrachten. Vor dem Hintergrund der chaotischen Verhältnisse der Umbruchszeit, im Kontext von Krieg und Bürgerkrieg und im Prozess einer kompletten Neugestaltung der politisch-sozialen Ordnung waren politische Inszenierungen und Symbole offensichtlich stärker noch als zuvor als Mittel der Politik gefragt – beziehungsweise unumgänglich. Zur Bewertung der Relevanz des Phänomens für die 2139

In Deutschland u. a. vertreten von Jürgen Habermas und Dolf Sternberger: vgl. HABERMAS, Jürgen: Staatsbürgerschaft und nationale Identität, in: Ders.: Faktizität und Geltung, Frankfurt am Main 1992, S. 632–660; STERNBERGER, Dolf: Verfassungspatriotismus, Frankfurt am Main 1990.

646

5. Fazit

französische Gesellschaft sowie darüber hinausgehend für die neue politische Kultur erscheint es sinnvoll, zwischen Intentionen, Funktionen und Wirkungen zu unterscheiden: Eine systematische Betrachtung der ‚Intentionen‘ verspricht Aufschluss über unterschiedliche symbolpolitische Konzepte und die Wirkungsabsicht, mit der diese befrachtet wurden. Unter dem Stichwort ‚Funktion‘ wird aus der historischen Distanz heraus nach der Leistung gefragt, die symbolpolitisches Handeln für die Gesellschaft der Ersten Republik erbrachte. Die Frage nach den ‚Wirkungen‘ zielt im Unterschied dazu auf eine Klärung von unmittelbaren (auch nicht intendierten) Reaktionen und Konsequenzen. Prinzipiell bestätigte sich am Beispiel von Thermidor und Direktorium eine Reihe von grundlegenden Erkenntnissen über symbolische Kommunikation, die an anderer Stelle bereits für die Vormoderne formuliert werden konnten. 2140 Die Intentionen, die sich mit dem Handeln der Akteure verbanden, reichten vom Ziel der Gemeinschaftsstiftung (durch Prozesse der Integration und Exklusion), über den Wunsch nach Hierarchiebildung (durch Distinktion) bis hin zur Intention der Ordnungsstiftung (durch Komplexitätsreduktion). Am Beispiel der Debatte über die ‚republikanischen Institutionen‘ (Kalender, staatsbürgerliche Zeremonien, nationale Feste und zivilreligiöse Kulte) konnte gezeigt werden, dass symbolpolitische Akteure gezielt eine neue Gemeinschaft von Staatsbürgern zu erschaffen versuchten. Bei den Nationalfesten versammelten sich die Franzosen um Altäre des Vaterlandes; zivile lebensweltliche Rituale sollten zusätzlich ihren Alltag als Staatsbürger strukturieren. Nach dem Sturz Robespierres mussten verschiedene Gruppierungen in das neu ausgerichtete republikanische Programm integriert werden: Die Nationalfeste änderten ihren Charakter; das Volk von Paris verlor zwar seine Bedeutung im Zeremoniell, wurde aber durch Vorführungen von Wettkämpfen und Spielen sowie über gemeinsame Gesänge und Sprechakte weiter in die Inszenierungen eingebunden. 2141 Im Zweiten Direktorium wurde das Programm der ‚republikanischen Institutionen‘ zu einer veritablen Erziehungsoffensive verdichtet und auf alle Lebensbereiche der 2140

Vgl. u. a. die Beiträge in NEU, Tim, Michael SIKORA und Thomas WELLER (Hrsg.): Zelebrieren und Verhandeln. Zur Praxis ständischer Institutionen im frühneuzeitlichen Europa, Münster 2009 (= Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme. Schriftenreihe des Sonderforschungsbereichs 496. 27); DARTMANN/RÜTHER/ FÜSSEL: Raum und Konflikt; STOLLBERG-RILINGER, Barbara (Hrsg.): Politisch-soziale Praxis und symbolische Kultur der landständischen Verfassungen im westfälischen Raum. Themenband Westfälische Forschungen 53 (2003). 2141 Dabei entstand eine neue, gegenüber dem Ancien Régime veränderte Form von repräsentativer Öffentlichkeit.

5.1 Symbolpolitik als Instrument politischen Durchsetzungswillens

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Bürger, von der Geburt bis zum Tod, im Öffentlichen wie im Privaten, ausgedehnt. Neue gesellschaftliche Hierarchien wurden propagiert, wenn Gruppen einer an der Antike orientierten Idealgesellschaft – Soldaten und Greise, Mütter und Landwirte – als Objekte der ‚moralischen‘ Feste auf dem Marsfeld einzogen. Auszeichnungen und Preise honorierten besondere Leistungen Einzelner im Dienst des Gemeinwesens und inszenierten die Exemplarität einer neuen Generation von ‚Helden‘ anlässlich von politischen Gedenkfeiern: Künstler und Athleten, Erfinder, Kriegshelden und andere Leistungsträger wurden als Vorbilder einer neuen politisch-sozialen Ordnung gefeiert. Gleichzeitig lieferte man dabei politisch gewünschte Deutungsmodelle zur Interpretation und Verarbeitung der revolutionären Ereignisse. Autorität und Legitimität des 1792 aus den Aufständen der Pariser Volksbewegung geborenen republikanischen Systems waren schwach. Nur um den Preis von Notstandsgesetzgebung und Sondergerichten konnte der Konvent 1793/94 seine Herrschaft behaupten und die politische Gestaltungsmacht gegenüber der Volksbewegung zurückgewinnen; blutige Auseinandersetzungen und Repressionen begleiteten diesen Prozess. Die Intensivierung der Symbolpolitik nach 1794 zeugt vor diesem Hintergrund von dem Wunsch nach Legitimitätssteigerung. Symbolische Formen des Politischen, wie Feste oder repräsentative Architekturen, aber auch Amtstrachten oder zivile Zeremonien sollten die Akzeptanz der Republik erhöhen. Auch im Kontakt mit dem Ausland war Legitimitätssteigerung ein wichtiges Handlungsmotiv für die Symbolpolitiker: Der pompöse Empfang des osmanischen Botschafters in Paris belegt, auf welch hohem Niveau die Republik 1797 mit den europäischen Monarchien konkurrierte, wenn sie nicht sogar als diesen überlegen betrachtet wurde. Ob diese selbstgesteckten Ziele auch erreicht werden konnten, steht auf einem anderen Blatt geschrieben. Diese Frage konnte in der Studie nur teilweise, im Hinblick auf einzelne Regionen oder Phasen des republikanischen Experiments, beantwortet werden. Die beobachteten Widerstände und symbolpolitischen Gegenentwürfe lassen darauf schließen, dass der gewünschte Erfolg zumindest begrenzt blieb. Nach den verschiedenen Praxisfeldern getrennt konnten unterschiedliche Reaktionen beobachtet werden, die zukünftig durch gezielte Regional- und/oder Vergleichsstudien zu ergänzen wären. Berichte aus der Spätphase des Direktoriums lassen darauf schließen, dass der rasche Wechsel der politischen Systeme zu einem Verblassen der Ausstrahlung der Revolutionsrituale und der politischen Symbolsprache geführt hatte. Je offensichtlicher der politische Wille zur Regelung und Kontrolle

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5. Fazit

wurde, umso mehr erschien jegliche Form der Inszenierung der kritischen Öffentlichkeit als ‚bloßes Spektakel‘. Auseinandersetzungen um die ‚richtige‘ Interpretation offenbarten die Symbole und Inszenierungen als Sinnschemata, die komplexe Zusammenhänge in einfachen Grundmustern verdichteten – wobei immer wieder auch Tendenzen der Vereinfachung oder Manipulation zu beobachten waren. Gelang eine Integration im Bereich der politischen Eliten, wie am Beispiel der Pantheonisierung Marats oder der Debatte um den Kalender gezeigt werden konnte, so war es ungleich schwieriger, die gewünschten Botschaften auch an die Masse der Bürger zu vermitteln, geschweige denn, sie für diese verpflichtend zu machen. 2142 Neue Überzeugungsstrategien waren erforderlich – das Programm der institutions républicaines versuchte, diese landesweit zu etablieren. Angesichts der beobachteten Widerstände, beispielsweise gegen die Durchsetzung des republikanischen Kalenders oder gegen republikanische Symbole wie den Freiheitsbaum, die Trikolore oder die Kokarde, bleibt der Erfolg der ‚Gesetzgebung der Sinne‘ jedoch insgesamt fragwürdig. Ein und dasselbe symbolpolitische Instrument wurde je nach Kontext mit unterschiedlichen Interessen befrachtet, erfüllte verschiedene soziale Funktionen und erreichte unterschiedliche, teilweise widersprüchliche Wirkungen. So belegt die Kritik der oppositionellen Presse an den Festen, wie beispielsweise auch an dem vermeintlich erfolgreichen Empfang des osmanischen Botschafters in Paris, dass die Entfaltung von Pomp und Prunk (zum Beispiel durch die Reaktivierung der Wasserspiele in Versailles) zwar einen großen Eindruck auf die Bevölkerung der Hauptstadt und ausländische Beobachter machte, langfristig jedoch dem Direktorium zum Nachteil ausgelegt wurde und delegitimierende Wirkungen entfalten konnte. Die Adaption monarchischer Repräsentationsformen ließ den im offiziellen Diskurs behaupteten ‚Bruch‘ mit der Vergangenheit fragwürdig erscheinen. Die anhaltende Kritik an den neuen Formen republikanischer Repräsentation (wie an den Amtstrachten) in Zeitungspresse und Druckgraphik lässt ähnliche Tendenzen auf anderen Praxisfeldern erkennen. Besonders im Jahr V (1797) verstärkte sich die Kritik – bevor nach dem Staatsstreich vom 18. Fructidor erneut die Zensur verstärkt wurde. Versuche der Errichtung eines republikanischen Kultes mit eigenen Zeremonien und Symbolen – de facto das Ziel der Fest- und Religionspolitik des Direktors La Revellière – wurden als anmaßend und rechtswidrig zurückgewiesen. Pamphlete von außerparlamentarischen Aktivisten (wie Richer-Serisy) 2142

Vgl. JOURDAN: Les Monuments, S. 125.

5.1 Symbolpolitik als Instrument politischen Durchsetzungswillens

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dokumentieren die polarisierende Wirkung von symbolpolitischem Handeln. Dessen vermeintlich integrative Kraft entpuppte sich immer wieder als destruktiver Konfliktgenerator. 2143 Dennoch wäre es falsch, davon auszugehen, die republikanische Symbolpolitik sei auf der ganzen Linie gescheitert. So sehr sie auf gesamtgesellschaftlicher Ebene auch problematisch erscheinen mag: Die intendierte Gemeinschafts- und Einheitsstiftung gelang zumindest für Teile der Gesellschaft: sei es für die politische Elite, sei es (in anderen Fällen) für oppositionelle oder soziale Bewegungen. Die Dynamik der Reaktionen führte stets zu neuen ab- beziehungsweise ausgrenzenden Wirkungen – und steigerte auf der anderen Seite die Notwendigkeit der Kompromiss- und Konsensfindung umso mehr. Symbolpolitik hatte in dieser Hinsicht eine konfliktreduzierende Funktion: Die Akteure transformierten die revolutionäre Gewalt auf eine Ebene, auf der Konflikte symbolisch ausgetragen und beendet werden konnten. Anders als programmatische Texte oder Theorien waren Symbole, Rituale und Mythen der Republik breiter anschlussfähig und konnten einen heterogenen Publikumskreis ‚bedienen‘, ja sogar widersprüchliche Positionen in sich aufheben und vereinen. 2144 Die Tatsache, dass die neuen Prinzipien von Recht und Volkssouveränität mit Mitteln der symbolischen Kommunikation verbreitet und erfahrbar gemacht wurden, gestaltete den Übergang von der alten zur neuen Ordnung ‚verträglicher‘ und trug zur Integration der Eliten bei. Selbst der Symbolkampf im Alltag hatte – aus der historischen Distanz betrachtet – nicht ausschließlich destabilisierende Wirkungen, sondern war wesentlich an der Erneuerung der politischen Kultur in Frankreich beteiligt. Symbolpolitische Auseinandersetzungen hatten einen demokratisierenden Effekt: Über symbolische Politik wurden nicht nur eine beiläufige Zeichensprache, sondern auch die grundlegenden Spielregeln der neuen Ordnung verhandelt. Die beobachtete Dynamik zwischen symbolpolitischer Aktion und Reaktion führte zu einer Einbindung aller politischen Kräfte in die neue politische Kultur. 2145 Im Zuge der zahlreichen Debatten und Aushandlungsprozesse 2143

Diese Tendenz bestand zwar bereits in der Vormoderne, sollte sich jedoch rasant verstärken. Vgl. BOURRÉE, Katrin: Rituale und Konflikte in der Vormoderne. Instrumente des ‚sozialen Friedens‘ und Bedrohungen der gesellschaftlichen Ordnung, in: Ausst. Kat. SPEKTAKEL DER MACHT, S. 57–62. 2144 Vgl. dazu am Beispiel des politischen Mythos ausführlich BECKER, Frank: Begriff und Bedeutung des politischen Mythos, in: STOLLBERG-RILINGER: Was heißt Kulturgeschichte des Politischen?, S. 129–148, S. 135. 2145 Aus politischen Gründen sind Reaktion und soziale Bewegungen lange Zeit getrennt voneinander betrachtet worden. Für den weiteren Verlauf der französischen Geschich-

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5. Fazit

bildeten und ‚fanden‘ sich politische Lager. Politische Positionen und Meinungen klärten sich unter Umständen stärker in der emotionalen Beziehung, die man gegenüber einer gewissen materiellen oder verbalen Symbolik einnahm, als infolge langer rationaler Prozesse des Abwägens und Einordnens (vgl. die Bedeutung vestimentärer Gesinnungszeichen und kollektiver Praktiken, Kapitel 4.3 und 4.4). 2146 In dieser Hinsicht erwiesen sich die Royalisten (beziehungsweise die Konstitutionellen) zur Zeit des Directoire nicht selten als die größeren Virtuosen im Umgang mit den neuen Formen der politischen Kultur. Im Wahlkampf des Jahres V argumentierten sie auf Grundlage der bestehenden Verfassungsordnung und warfen der Regierung mangelnde Glaubwürdigkeit vor – und bemühten damit Kriterien, die sich erst durch die Revolution als Maßstäbe zur Bewertung von politischem Handeln etabliert hatten. Die Erfindung der republikanischen Symbolpolitik entpuppt sich in der Zusammenschau als komplexes und ambivalentes Phänomen: Ihre Stärken waren gleichzeitig ihre Schwächen. Versprach sie einerseits Stabilisierung über Steigerung von Legitimität und Herstellung von Autorität, so führte sie umgekehrt immer wieder zu Konflikten, zwang die Republikaner zu Änderungen ihrer Entscheidungen und zu Kompromissen, die von oppositionellen Strömungen wiederum angegriffen und zur Delegitimierung der neuen Ordnung benutzt wurden. Ambivalenzen durchziehen alle Definitionskriterien und scheinen Merkmal und Problem jeder Symbolpolitik nach 1789 zu sein. Inhaltlich schwankte diese zwischen Kontinuität und Abgrenzung (gegenüber der Terreur, der konstitutionellen Monarchie, dem Ancien Régime), zwischen einer Politik des Bruchs mit der Vergangenheit und einer neuen Traditionsstiftung (vgl. die Politik der ‚grande nation‘, sowie die Berufung auf die gallische Vergangenheit). Anspruch (Einheitsideal) und Wirklichkeit (Pluralisierungstendenzen) lagen in vielen analysierten Beispielen weit auseinander. Selbst die Formensprache schwankte zwischen Pomp oder Schlichtheit, die Strategien wechselten zwischen Bejahung und Verwerfung der alten Religion, zwischen Rationalisierung, Säkularisierung und neuen Formen der Sakralisierung des Politischen, bis hin zu einer Eschatologie der Freiheit (vgl. das Beispiel der Kunstpolitik). Erinnerungspolitik konkurrierte mit einer Politik des Vergessens. Einerseits te hatten sie jedoch ähnliche Wirkungen, funktionierten nach ähnlichen Gesetzmäßigkeiten und bedienten sich ähnlicher Medien. Entsprechend unterschieden auch die Zeitgenossen keineswegs zwischen rechter und linker, zwischen rückwärtsgewandter oder fortschrittsorientierter Fraktion. 2146 Ähnliche Ergebnisse hat die Milieuforschung für das 19. Jahrhundert oder die Soziologie für Prozesse der Gruppenbildung im 20. Jahrhundert erzielt.

5.2 Der Funktionswandel politischer Symbole und Rituale

651

strebte man nach einer Einebnung aller Hierarchien, andererseits konnte sich die neue Ordnung als Ordnung nur in Hierarchien und neuen Distinktionsformen artikulieren. ‚Neu‘ war nach 1789 beziehungsweise 1792 somit weniger das Phänomen der symbolischen Politik im Allgemeinen, sondern die Ausdifferenzierung von Symbolpolitik zu einem eigenen Politikbereich. Im Vergleich zum Ancien Régime kam es zu einem Wandel hinsichtlich der Akteure, Medien und Aktionsformen sowie des Verständnisses dessen, was Symbolpolitik für einen Staat eigentlich leisten könne und solle, sowie der damit erreichten Wirkungen und sozialen Funktionen. Die integrative Kraft des Symbolischen entfaltete sich in der Ersten Republik vor dem Hintergrund einer sich politisch und sozial ausdifferen5.2 Der zierenden Gesellschaft, wirkte besonders auf Teilgruppen, die sich vom Funktigesellschaftlichen Ganzen absetzten oder die politische Deutungshoonswandel heit (das heißt die Entscheidungsmacht) erringen wollten. In diesem politischer Sinne ist der von Chartier konstatierte Kampf um Repräsentation und Symbole undRepräsentationen mit der französischen Revolution in eine qualitativ neue Phase eingetreten. 2147 Rituale

5.2 Der Funktionswandel politischer Symbole und Rituale im Übergang zur Moderne Vieles bleibt letztlich Interpretationssache. Ob man gewillt ist, den Umbruch von 1789 als (symbolpolitische) Epochenwende zu begreifen, hängt von der gewählten Fragestellung ab. Unleugbar erscheint die Tatsache, dass Symbolpolitik in den Jahren zwischen 1792 und 1799 im Vergleich zum Frankreich des Ancien Régime unter anderen Voraussetzungen stattfand. Sie artikulierte sich im Kontext eines anhaltenden Machtkampfes zwischen konkurrierenden politischen Lagern. Der revolutionären Erfahrung der ‚Machbarkeit‘ von Politik entsprach angesichts der mehrmaligen Verfassungsumbrüche und zahlreichen Richtungswechsel bald auch die Erkenntnis der Instabilität und

2147

Thamer geht davon aus, dass unter Napoleon symbolpolitisches Handeln erneut sein demokratisierendes Potenzial verlor – einhergehend mit einer drastischen Verschärfung der Repression. Vgl. THAMER: Napoléon. Es bleibt zu prüfen, inwieweit oppositionelle Strömungen nicht doch auch zur napoleonischen Zeit gerade Symbolpolitik als Instrument zur Artikulation und Verbreitung ihrer Ideen nutzen konnten. Zumindest aus der Restaurationszeit sind ähnliche Tendenzen bekannt: vgl. KROEN: Politics and Theater.

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5. Fazit

Fragwürdigkeit allen politischen Handelns, was wiederum das staatliche Kontrollbedürfnis zusätzlich verschärfte. Trotz der vordergründigen Übereinstimmungen in Formen (zum Beispiel Prozessionen, Eide, Feste) und Funktionen (Gemeinschafts-, Ordnungs- und Legitimitätsstiftung) legen die Ergebnisse dieser Untersuchung nahe, die Annahme einer ungebrochenen Kontinuität zwischen den Herrschaftsritualen der Vormoderne und den politischen Inszenierungen der beginnenden Moderne zu relativieren: 1. Jenseits aller formalen und funktionalen Kontinuitäten zur Vormoderne spiegelten die politischen Inszenierungen der Französischen Revolution deutlich die Werte einer neuen gesellschaftlichen Ordnung: Sie symbolisierten die Prinzipien von Volkssouveränität und Rechtsgleichheit, die Ideen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, die Institution der Verfassung und die Gemeinschaft der Nation. 2. Schlichtheit und Strenge, Leistung und Tugend traten als Referenzen an die Stelle des ostentativen Prunks der Fürstenhöfe. Trotz aller Anleihen bei den traditionellen Repräsentationsformen der Monarchien waren die Bedeutungsverschiebungen in der republikanischen Repräsentation auch jenseits ihrer diskursiven Einbettung zu erkennen. Inspiriert von den Republiken der Antike wandelte sich die Formensprache: Auch Pracht und Großzügigkeit kamen nunmehr schlicht, stolz und republikanisch daher. Sie waren nicht mehr Ausdruck eines Privilegs, sondern dem ganzen Volke geweiht. Die Leistungsgesellschaft war auch in den neuen Distinktionszeichen, wie unter anderem den Auszeichnungen für Künstler und Soldaten, erkennbar. Man feierte die Taten der großen Männer unabhängig von Rang und Stand. Das Gleichheitsideal (ausgedrückt beispielsweise in der alphabetischen Anordnung bei Prozessionen der frühen Republik oder in der Entwicklung von Amtstrachten und Bürgeruniformen) sollte die Hierarchien der Ständegesellschaft beseitigen. 3. Symbolpolitik hatte im Unterschied zur Vormoderne keinen rechtskonstituierenden Charakter mehr. Anlässlich der untersuchten Feste und Zeremonien wurde die Verfassungsordnung in der Regel nur nachvollziehend dargestellt. In Umbruchs- und Übergangszeiten konnten allenfalls Aushandlungsprozesse um die Auslegung bestimmter Prinzipien oder Hierarchien beobachtet werden: So manifestierte sich beispielsweise in den Zeremonien der Nationalfeste das Verhältnis der einzelnen Verfassungsorgane zueinander. Während der Herrschaft des Direktoriums verdrängte die Exekutive das Volk und das Parlament weitgehend aus dem Herzen der Inszenierungen im öffentlichen Raum, was deren politischen Bedeutungsverlust spiegelte und verfestigte.

5.2 Der Funktionswandel politischer Symbole und Rituale

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4. Die bewusste Stiftung einer revolutionären Tradition und Erinnerungskultur erhielt große Bedeutung für die offizielle Symbolpolitik der Republik. Diese inspirierte sich aus der historischen Erfahrung, nicht aus einer Transzendenz oder dynastischen Legitimation. Die Nation wurde in den Festen der Republik als Schicksalsgemeinschaft inszeniert: Aus der gemeinsamen Vergangenheit sollte Legitimation für die Zukunft gezogen werden. Auch wenn dies nur begrenzt gelang, handelte es sich dennoch um einen qualitativen Neuanfang gegenüber dem Ancien Régime. Politische Mythen wurden durch Gedenkveranstaltungen und öffentliche Inszenierungen perpetuiert und gesichert, in der Regel über Nationalfeste, wie zum 21. Januar, 14. Juli, 10. August und 9. Thermidor. 5. Teilweise in bewusster Konkurrenz zur religiösen Tradition entstanden neue Formen von Sakralität. In ihrem Bezug auf ‚das Vaterland‘ oder ‚die Nation‘ huldigten die republikanischen Rituale neuen Gottheiten, um den getroffenen Entscheidungen eine höhere Legitimation zu verschaffen. Auch die Verfassungsordnung selbst wurde sakral überhöht, wenn zum Beispiel das Gesetzesbuch bei offiziellen Zeremonien demonstrativ umhergetragen oder aufgeschlagen auf dem Vaterlandsaltar präsentiert wurde. Trotz vielseitiger Bemühungen gelang es den Republikanern von 1794 bis 1799 jedoch (noch) nicht, die Masse der Franzosen von der sakralen Aura der Staatsform selbst zu überzeugen. Bis zum Staatsstreich des 18. Brumaire erfolgten die meisten Aktionen zur ‚Rettung der Republik‘ aus der Defensive heraus. 6. Das ‚Regieren‘ wurde während des Direktoriums über Symbole und Inszenierungen sichtbar gemacht. Die prinzipielle Sichtbarkeit des politischen Handelns, einschließlich der Aushandlungsprozesse, ist ein typisches Charakteristikum moderner Politik. Zwar wurden Konflikte noch nicht als integraler Bestandteil einer demokratischen politischen Kultur akzeptiert. Doch die Berichterstattung über (symbol-)politische Debatten wurde auch in Zeiten von Zensur und Einschränkung von Partizipationsrechten aufrechterhalten. Es ist davon auszugehen, dass dadurch langfristig ein Lerneffekt einsetzte. 7. Der öffentliche Raum wurde stärker als in der Vormoderne politisch durchdrungen. In Zeremonien und Gegenzeremonien formierten sich politische Handlungsgemeinschaften, die sich selbst repräsentierten und bestimmte Ordnungsentwürfe zelebrierten. ‚Oppositionelle‘ Akteure erhoben über politische Symbole und Inszenierungen Ansprüche auf politische Gestaltungsmacht. Anders als im Ancien Régime boten die Prozessionen und Feste der Republik entgegen ihres selbstgesteckten Anspruchs kein Abbild der gesamten gesellschaftlichen Ordnung

654

5. Fazit

mehr, sondern wurden immer deutlicher zu Manifestationen eines möglichen politischen Ordnungsmodells neben anderen (zum Beispiel Anarchie, direkte Demokratie, repräsentative Demokratie, konstitutionelle Monarchie). Symbolisch-expressive Kommunikationsformen bestanden zwar weiter fort, wurden im Kontext von Pluralisierung und wachsendem Legitimationsbedürfnis des neuen Regimes jedoch von neuen Akteuren instrumentalisiert sowie immer weiter ausdifferenziert und vervielfältigt; sie erfüllten im Kontext einer gewandelten Gesellschaftsordnung neue Funktionen. 8. Der Verbindlichkeitswert der Inszenierungen nahm damit deutlich ab. So spiegelten beispielsweise die immer wieder aktualisierten Prozessionsordnungen die Instabilität und Krisenhaftigkeit der Ersten Republik wider. Durch die Vervielfältigung der Akteure auf der politischen Bühne, vom ‚Volk‘ der Hauptstadt bis hin zu einzelnen ‚Parteien‘ oder Interessengruppen, nahm das symbolpolitische Konfliktpotenzial deutlich zu. Die zahlreichen Wechsel von Mehrheiten und Entscheidungsträgern offenbarten allzu offensichtlich die Vorläufigkeit der Übertragung von Macht- und Herrschaftsverhältnissen. 9. Vorwürfe von Manipulation und Täuschung durch symbolpolitisches Handeln wurden zum festen Bestandteil der politischen Kultur. Insgesamt verweisen die Schwierigkeiten, mit denen die Machthaber zwischen 1795 und 1799 zu kämpfen hatten, auf ein grundlegendes Problem symbolischer Kommunikation in der Moderne: In dem Moment, in dem die symbolische Politik nicht mehr wie im höfischen Zeremoniell der Vormoderne rechtskonstitutiven Charakter besaß und Rechtsstaatlichkeit, Transparenz und Diskursivität zu den zentralen staatstragenden Prinzipien erhoben worden waren, haftete symbolischen Ausdrucksformen des Politischen stets der Verdacht von bloßer Theatralität, schönem Schein, wenn nicht sogar manipulativer Absicht an. 2148 Die Ergebnisse der Studie stützen die These Münklers, der davon ausgeht, dass die Revolution das selbstgesetzte Ziel einer Rückkehr von der ‚Visualisierung‘ zu Transparenz und ‚Visibilität‘ von Macht verfehlte. 2149 2148

Paul Friedland geht noch weiter und argumentiert in Bezug auf die Französische Revolution, dass Politik und Theater praktisch nicht mehr zu unterscheiden waren, aufgrund einer parallelen Entwicklung der Theorie von theatraler und politischer Repräsentation, vgl. FRIEDLAND, Paul: Political Actors. Representative Bodies and Theatricality in the Age of the French Revolution, Ithaca (N. Y.) und London 2002. Vgl. außerdem in diesem Zusammenhang MÜNKLER, Herfried: Die Theatralisierung der Politik, in: FRÜCHTL, Josef und Jörg ZIMMERMANN (Hrsg.): Ästhetik der Inszenierung. Dimensionen eines gesellschaftlichen, individuellen und kulturellen Phänomens, Frankfurt am Main 2001, S. 144–163. 2149 Vgl. MÜNKLER: Visibilität der Macht, S. 222. Zum Folgenden vgl. ebd., S. 222ff.

5.2 Der Funktionswandel politischer Symbole und Rituale

655

Stattdessen kann vielmehr eine komplexe Verschränkung von Visibilität und Visualisierung beobachtet werden: In den großen Aufmärschen auf dem Marsfeld war der nominelle Machthaber, das Volk, gleichzeitig Element und Objekt der Inszenierungen. Dies bedeutete eine Diffusion der Machtsphären: Weder die strategisch-instrumentelle noch die symbolisch-expressive Dimension kann in der republikanischen Symbolpolitik als dominant bezeichnet werden. An die Stelle der Bürgergemeinde, die sich im rituell-zyklischen Zusammenkommen erneuerte und dabei ihre relationale Macht visibilisierte, trat – so Münkler – eine Öffentlichkeit, die sowohl Kontrollorgan des Machtgebrauchs als auch Projektionsfläche der Machtinszenierung war. Letztlich verstärkte sich dadurch die Transformation von Visibilität in Visualisierungen der Macht nur noch weiter. Diese Transformation setzte im Kontext der sich überstürzenden Verfassungsumbrüche endgültig die Reflexion auf das Problem der Möglichkeit der Täuschung, Manipulation und Verstellung frei. 2150 Im Kampf der Fraktionen wurde somit nicht nur die Ideologie geboren, wie François Furet betont hat, 2151 sondern auch der Ideologieverdacht, also die rechtmäßige Möglichkeit der Hinterfragung beziehungsweise der Anzweiflung von Machtansprüchen. Der Transparenzgedanke zwang das Nouveau Régime dazu, sich für seine Politik zu rechtfertigen. Der anfängliche Konsens über die Wahl der richtigen Mittel zur Stabilisierung der staatlichen Institutionen und zur Republikanisierung der Gesellschaft zerbrach jedoch schnell, als die Republikaner Ende der 90er Jahre begannen, revolutionäre Theorien in konkrete Praxis umzusetzen – und sich an den eigenen Ansprüchen messen lassen mussten. Oppositionelle Strömungen meldeten eine Art politischen ‚eschatologischen Vorbehalt‘ gegenüber den innerweltlichen Heilsversprechen an, die angesichts der krisenhaften Realität als unglaubwürdig entlarvt wurden. Die Gesellschaft der späten Revolution sollte vor dem Hintergrund der Analyseergebnisse als Transformationsgesellschaft beschrieben werden, die zumindest für die europäische Geschichte den Beginn einer neuen Epoche markiert. In der Vormoderne demonstrierten die Akteure in Zeremonien und Ritualen ihren sozialen und kulturellen Status und tarierten die Ranghierarchie in performativen Akten neu aus. Solche 2150

Rhetorik, Mimik und Gestik des Herrschers, vordem Formen zeremonialisierter Macht, wurden Münkler zufolge zu einer „Ressource“ in der „Visibilitätsreserve der Macht“. 2151 Vgl. FURET: 1789 – Vom Ereignis zum Gegenstand der Geschichtswissenschaft, u. a. S. 64–72.

656

5. Fazit

Prozesse fanden auch in der Französischen Revolution noch statt. Die Republikaner bemühten sich durchaus, in den Nationalfesten die ganze politisch-soziale Ordnung beispielhaft in Szene zu setzen, wie beispielsweise die langen Prozessionsordnungen aus dem Zweiten Direktorium belegen. Die Trennung der Verfassungs- und Rechtsordnung von der Ordnung der sozialen Ungleichheit wurde erst schrittweise eingeleitet. Entscheidend erscheint jedoch, dass das Regelwerk der Verfassung als Rahmen durch die performativen Akte nicht angetastet wurde. 2152 Auch die Einheit von religiöser und politischer Ordnung sollte sich erst langsam auflösen: Trotz der gesetzlichen Festlegung der Trennung von Staat und Kirche unterstützten Regierungsmitglieder wie La Revellière-Lépeaux die Institution eines religiösen Ersatzkultes. Dabei gebot das Recht auf Religionsfreiheit ein behutsames Vorgehen des Staates, der sich immer wieder vor den Verfassungsprinzipien rechtfertigen musste. Amtseinsetzungen fanden nicht mehr im Rahmen einer Messe statt, und der Amtseid wurde auf die Verfassung und die Republik abgelegt, nicht auf die Heilige Schrift. Verfahrensentscheidungen wurden im Direktorium noch nicht zwangsläufig gesellschaftlich akzeptiert, weder von Seiten des Wahlvolkes noch von Seiten der Gewählten. Deren Legitimität wurde häufig angezweifelt, die Wahlergebnisse ‚korrigiert‘ und das Verfahren jährlich zum Anlass für Dissens. Die Verbindlichkeit der Entscheidungen sollte durch symbolische Politik gegenüber dem Kollektiv gesteigert und solcherart eine Stabilisierung der sozialen Ordnung eingeleitet werden. Erst nachdem auch die Versuche der symbolpolitischen Vermittlung der neuen politischen Kultur gescheitert waren, bemühten die wechselnden Direktorenkollegien den staatlichen Zwangsapparat, um ihren Willen durchzusetzen. Auch im Zeitalter des Verfassungsstaates gibt es verschiedene Möglichkeiten, Letztbegründungen für die gewählte politische Ordnung zu formulieren. Die Berufung auf die volonté générale ist eine davon – aber die Geschichte der Revolution zeigt, dass sie der Überführung von der politischen Theorie in die politische Praxis nicht lange standgehalten hat; die Idee verwandelte sich in Ideologie. Der Liberalismus des frühen und der Nationalismus des späten Direktoriums waren Versuche, andere Legitimationsmuster auszuprobieren. Beide Versuche sollten im 19. Jahrhundert zahlreiche Aktualisierungen erfahren und weisen weit in die Moderne voraus. Nach 1797 wurde verstärkt das Vaterland als 2152

Heute sind die Funktionsbereiche Recht und Gesellschaftsordnung allerdings noch deutlicher voneinander geschieden, sie folgen verschiedenen Logiken und werden auf verschiedenen symbolischen Bühnen inszeniert.

5.2 Der Funktionswandel politischer Symbole und Rituale

657

quasi-sakrale Letztbegründung und Legitimationsquelle aller (auch verfassungswidrigen) Handlungen der Regierung herangezogen. Ähnliche Prozesse fanden im Kontext der beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts in ganz Europa statt. Aber auch unsere heutige Verfassungsordnung hat das Problem der Letztbegründung nicht vollkommen für sich geklärt, wenn beispielsweise zu beobachten ist, dass den Menschenrechten lange Zeit quasi naturrechtliche Bedeutung zugeschrieben wurde – obwohl sie ihrerseits ein kulturelles Konstrukt sind. 2153 Für die Politik in demokratischen Gesellschaften sind nach 1945 in symbolpolitischer Perspektive neue Fragen zentral geworden, unter anderem diejenige, wie weit sich die politische Kommunikation den Kommunikationsstrategien der Konsumgesellschaft angenähert hat oder worin sich politisches Marketing und die Werbung für Waren heute noch unterscheiden. 2154 Heute entfalten jedoch in der Regel Verfahren aus sich selbst heraus legitimitätsstiftende Wirkungen. Auf diese Weise kann auch das Fehlen eines realen Konsenses über die Richtigkeit der Entscheidung kompensiert werden, was unter den Bedingungen der pluralistischen Moderne notwendig ist. 2155 Dennoch ist berechtigterweise die Frage aufgeworfen worden, ob daraus zwangsläufig folgen muss, dass verfahrensexterne Konsensrituale in unserer Gegenwartsgesellschaft überflüssig geworden sind. Zumindest ist der Trend zu beobachten, dass Konsensrituale zunächst mit Misstrauen betrachtet und stets einem Ideologieverdacht ausgesetzt werden. Dissens, Konflikt, Konkurrenz und Wettbewerb hingegen erscheinen heute als legitime Elemente der politischen Kultur. Bevor abschließend eine Bewertung der Ergebnisse im Hinblick auf die Geschichte des Republikanismus in Frankreich erfolgen soll, gilt es, das hohe Reflexionsniveau herauszustellen, auf dem in der Ersten französischen Republik über symbolpolitische Fragen verhandelt und nachgedacht wurde. Zeitgenossen reflektierten vor allem drei Probleme 2153

Die politischen Menschenrechte wurden seit der Aufklärung und bis in die Nachkriegszeit hinein naturrechtlich begründet; vgl. FREEMAN, Michael: Human Rights, 2. Aufl., Cambridge 2011; zur Zeitgeschichte vgl. IRYE, Akira (Hrsg.): Human Rights Revolution, Oxford 2012. In machtpolitischen Argumentationen waren besonders in Frankreich häufig Prozesse der Überhöhung und Sakralisierung zu beobachten: Vgl. demnächst: ZUBER, Valentine: Le culte des droits de l’homme, Paris 2014 [im Erscheinen]. 2154 Vgl. MERGEL: Propaganda in der Kultur des Schauens, S. 534; MEYER, Thomas: Die Inszenierung des Politischen. Zur Theatralität von Mediendiskursen, Wiesbaden 2001. 2155 Vgl. STOLLBERG-RILINGER, Barbara: Einleitung, in: Dies. (Hrsg.): Vormoderne politische Verfahren, Berlin 2001 (= ZHF Beiheft 25), S. 9–24, S. 24. Vgl. dort auch zum Folgenden.

658

5. Fazit

des Umbruchs: 1. die destabilisierende Wirkung der Symbolpolitik aufgrund des damit zusammenhängenden Konfliktpotenzials; 2. die Gefahr der Delegitimierung der Republik durch die häufigen symbolpolitischen Richtungswechsel; 3. die Möglichkeit einer ‚Showpolitik‘. Roux de la Marne äußerte in der Diskussion um den Umbau des Palais Bourbon die Hoffnung, dass der Tag kommen werde, an dem keine Richtungswechsel und Meinungsänderungen mehr die Stabilität der Republik bedrohen würden. Die quasi tägliche Suche nach einem ‚neuen Stil‘ würde missgünstige Interpretationen geradezu herausfordern: […] sans doute il viendra un moment où il sera possible d’éléver à la Liberté un temple où ses fidèles ministres seront réunis. Alors on ne verra plus les représentants du peuple chercher tous les jours de nouveaux styles, il ne sera plus permis à la malveillance d’interpréter défovarablement les changements successifs. De nouvelles mutations ne feront plus doutez alors de la stabilité de la République; quant à présent il faut s’efforcer de concilier la dignité du corps législatif avec l’économie.2156

Häufige Neuanfänge und Umentscheidungen führten gerade in Zeiten einer Finanzkrise zu einem Vertrauensverlust in der Bevölkerung, so argumentierte auch Treilhard in der gleichen Frage. Er kritisierte die Wankelmütigkeit der Abgeordneten als Ursache der Politikverdrossenheit im Lande: „vous ne serez plus regardés comme les économes de la République, mais comme d’imprudens dissipateurs“.2157 Die Politik, so Treilhard, bedürfe auch in Fragen wie der Errichtung eines neuen Versammlungssaales für die Abgeordneten einer gewissen Kontinuität und Stabilität, um Vertrauen zu bilden, glaubwürdig zu bleiben und dauerhaft wirksam zu werden. Das Thema der Wirksamkeit symbolpolitischer Maßnahmen wurde auch in der Debatte um den Eid von 1796 diskutiert. Thibaudeau räumte zwar einerseits ein, dass gerade in einer zerstrittenen politischen Kultur das Bedürfnis nach gemeinschaftsstiftenden Formen und Formeln besonders virulent sei, beurteilte andererseits in einem solchen Kontext deren Wirksamkeit als höchst fragwürdig, wenn nicht sogar grundsätzlich problematisch. Die Geschichte der in den sieben Jahren seit 1789 unwirksam gewordenen politischen Eide belege eindringlich die Schwäche dieses symbolpolitischen Instruments, welches die Stabilität der Republik eher gefährde als befördere. 2158 Symbole und äuße2156

Moniteur n° 151, 1 ventôse IV (20. Februar 1796), CCC, séance du 27 pluviôse. Moniteur n° 152, 2 ventôse IV (21. Februar 1796), CCC, suite de la séance du 27 pluviôse. 2158 Vgl. Moniteur n° 117, 27 nivôse IV (17. Januar 1796), CCC, séance du 22 nivôse (Thibaudeau). 2157

5.2 Der Funktionswandel politischer Symbole und Rituale

659

re Zeichen, wie unter anderem Sprachformeln von Eiden, könnten den Menschen von seinem Gewissen auch entfernen – wenn er die Form einhalte, ohne den Inhalt zu teilen. Auch aus strategischen Gründen hielt der Abgeordnete Symbolpolitik für unklug: Schon das Eingeständnis der Notwendigkeit, einen Eid zu fordern, könnte unter den Gegnern der Republik die Zweifel an der Stabilität des Regimes verstärken. 2159 Nach dem 18. Fructidor V (4. September 1797) wurde die Symbolpolitik der Regierung durch die Opposition immer wieder als ‚Showpolitik‘ charakterisiert (so zum Beispiel in der Kritik des Journalisten Richer-Serisy). Die Regierung habe die parlamentarischen Räte in verschiedenen Fragen düpiert, urteilte nun auch Thibaudeau. Die Einführung der Amtstrachten sei nicht zufällig erst in dem Moment erfolgt, in dem man das Parlament de facto seiner Macht beraubt habe. Wie ein toter König seien die Versammlungen nach dem Staatsstreich mit Purpur bedeckt worden: „après le 18 fructidor, on donna aux représentants du peuple la pourpre sénatoriale, comme on pare les rois encore après leur mort de tous les ornements de la royauté.“2160 Der Abgeordnete prangerte die Eitelkeiten an, die das Direktorium und die Räte zu ihren Entscheidungen bewegt hätten – ohne jedoch seinen Bedeutungsverlust aufzuhalten zu können. 2161 Diese Zitate belegen: Die Reflexion über Wirksamkeit und Unwirksamkeit, ‚Manipulation‘ und ‚Täuschung‘ symbolpolitischen Handelns begleitete die Moderne von Beginn an. Sie war eng verbunden mit dem Problem der Authentizität und Scheinhaftigkeit menschlichen Handelns. Dies beschränkt sich bekanntermaßen nicht auf den politischen Bereich, sondern kann jede Form des Zusammenlebens und der 2159

Auch Defermont erinnerte daran, dass bereits die Konstituante von 1789 bis 1791 das Mittel des Eides besonders in Krisenzeiten eingesetzt habe – und dennoch Verrat nicht habe verhindern können. Auch er widersprach dem Glauben, man könne Enthusiasmus auf Knopfdruck, durch ein Gesetz, an einem Jahrestag bzw. über einen Eid erzwingen. Talot jedoch überzeugte die Anwesenden, dass demonstrative Zeichen der Einheit die öffentliche Meinung nur beflügeln könnten. Es handele sich um eine „impulsion républicaine“, eine „idée grande“. Der Antrag auf Einführung des Eides wurde angenommen. Vgl. Moniteur n° 117, 27 nivôse IV (17. Januar 1796), CCC, séance du 22 nivôse. Dazu Kapitel 3.3.2. 2160 Thibaudeau: Mémoires [= Ausgabe von 1824], Bd. 2, S. 331. 2161 „Misérable vantité qui n’empêche pas les cadavres de tomber en putréfaction, ni les noms dans l’oubli!“ Man hätte den Direktoren den Aufzug der Ritterschaft oder der Feudalität zugesprochen, den Räten denjenigen Griechenlands oder Roms – was vielen von ihnen schlecht zu Gesicht stehe und eher Lächerlichkeit als Würde erzeuge. Viele Amtsträger hingegen würden sich selbst als etwas Besseres dünken, wenn sie die Kleidung trügen: „Les directeurs se croyaient Bayards, et les représentants des Aristides et des Catons.“ Ebd.

660

5. Fazit

Beziehungen von Menschen untereinander betreffen. 2162 Mit Niklas Luhmann gesprochen konnte das Individuum in einer zunehmend funktional differenzierten Gesellschaft „nicht mehr durch Inklusion, sondern nur noch durch Exklusion definiert werden.“2163 In dem Moment, so Luhmann, in dem durch die funktionale Differenzierung und die unter anderem damit einhergehende Auslagerung des Berufslebens aus dem Haus langsam zwei Existenzweisen entstanden sind, die öffentliche und die private, wurde eine Unterscheidung zwischen Rolle und Person, zwischen dem der ständischen Position geschuldeten Rollenspiel, welches das ‚eigentliche Selbst‘ (die Persönlichkeit) verdeckt, auf der einen und Aufrichtigkeit und Authentizität dieser individuellen Person auf der anderen Seite überhaupt erst möglich. Für die Könige des Ancien Régime gab es keine Differenz zwischen Rolle und Person. 2164 Sie hatten eine einzigartige Rolle in der Gesellschaft inne, die sie der Vermutung enthob, Partikularinteressen zu vertreten oder nicht authentisch in ihren Äußerungen zu sein. 2165 Völlig anders lag die Situation der republikanischen Regierung: Sie wurde an ihrem eigenen Anspruch gemessen, Entscheidungen diskursiv auszuhandeln und zu vermitteln. Die Staatsform der Republik verlangte nach transparenten Entscheidungsprozessen, forderte Authentizität und

2162

Erst im Zeitalter der Französischen Revolution hatten sich neue Erfahrungen und Definitionen von Öffentlichkeit und Privatheit herausgebildet, infolgedessen die moderne Vorstellung getrennter öffentlicher und privater Lebenssphären entstand. Richard Sennett beschreibt, wie am Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts erstmals das Private und das Individuelle zusammenfanden, so dass die private Sphäre als intimer Rückzugsraum zum Ort des individuellen, ‚natürlichen‘ Ausdrucks des Menschen schlechthin wurde und damit zu einem dem öffentlichen Rollenspiel entgegengesetzten, authentischen Raum. Vgl. SENNETT, Richard: Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimität, Frankfurt am Main 1986 [engl. Original: The Fall of Public Man, New York 1974], besonders S. 122–142. Dazu vgl. SCHOLZ: Die imaginierte Restauration, S. 32. 2163 LUHMANN, Niklas: Individuum, Individualität, Individualismus, in: Ders.: Gesellschaftsstuktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft, Bd. 3, 1. Aufl. [3. Dr.], Frankfurt am Main 2004, S. 149–258, S. 158; sowie SCHOLZ: Die imaginierte Restauration, S. 33. Dort auch zum Folgenden. 2164 Vgl. BURKE, Peter: Ludwig XIV. Die Inszenierung des Sonnenkönigs, Berlin 1993 [engl. Original New Haven und London 1992], S. 18. 2165 Vgl. ENGELS, Jens-Ivo: Königsbilder: Sprechen, singen und schreiben über den französischen König in der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts, Bonn 2000, S. 168. Unter dieser Bedingung konnte das den König umgebende ‚Geheimnis‘ ihn bis Mitte des 18. Jahrhunderts sogar mit mehr Ausstrahlungskraft versehen, statt ihm zu schaden. Außerdem vgl. ders.: Beyond Sacral Monarchy: A New Look at the Image of the Early Modern French Monarchy, in: French History 15 (2001), S. 139–158.

5.3 Neue Bewertungen des republikanischen Experiments

661

stellte Rollenspiele an den Pranger. 2166 Je mehr die politischen Konflikte sich zuspitzten, desto virulenter wurde eine Problematik, die schon vor der Revolution Beachtung gefunden hatte: Die Möglichkeit eines Vortäuschens der Gefühle. 2167 Jede politische Inszenierung von Macht in der Moderne steht unter dem Verdacht, Herrschaftsbeziehungen verschleiern und Menschen manipulieren zu wollen. Ob es sich um die Französische Revolution handelt, die Symbolpolitik der EU, US-amerikanischen Wahlkampf oder den sogenannten arabischen Frühling: Symbolische Politik bedeutet stets eine Positionsbestimmung zwischen Transparenz und Verschleierung, zwischen Aufklärung und Manipulation. Ebenso 5.3 Neue deutlich wie die Notwendigkeit und die Chancen politischer InszenieBewertungenrungen und Rituale stehen die Beispiele des Missbrauchs durch Amtsdes repub- träger oder politische Parteien vor Augen. likanischen Experiments 5.3

Neue Bewertungen des republikanischen Experiments der Ersten französischen Republik

Der gewählte Untersuchungszeitraum, von 1792 bis 1799, ist unkonventionell und bedarf einer abschließenden Würdigung und Rechtfertigung. In der Regel interessieren sich Studien meist für ‚die‘ gesamte Französische Revolution oder umgekehrt ausschließlich für kürzere Phasen und Regime derselben wie ‚die‘ Terreur oder gegebenenfalls auch ‚das‘ Direktorium. Seltener wurde (und wird) jedoch nach dem spezifischen Charakter der republikanischen Erfahrung gefragt. 2168 Im Gegenteil betonen die meisten Autoren die Heterogenität und Widersprüchlichkeit der Ersten französischen Republik, wenn sie nicht gar deren Existenz bezweifeln. 2169 2166

Vgl. BAECQUE, Antoine de: Le corps de l’histoire: métaphores et politique (1770–1800), Paris 1993, S. 165–194. Die Forderung nach Transparenz und Sichtbarkeit machte nach 1789 auch vor Ludwig XVI. nicht halt: Man unterstellte dem König zwei Gesichter bzw. einen Januskopf; Karikaturen entstanden, die behaupteten, die ‚wahre Natur‘ des Königs ‚entdeckt‘ zu haben. 2167 Vgl. REDDY, William M.: Sentimentalism and its Erasure. The Role of Emotions in the Era of the French Revolution, in: Journal of Modern History 72 (March 2000), S. 109–152, S. 138f. 2168 Meist handelt es sich in diesem Fall um Handbücher oder Überblicksdarstellungen, so z. B.: SOBOUL, Albert: La Première République: 1792–1804, Paris 1968; SYDENHAM, Michael J.: The First French Republic, 1792–1804, London 1974; eine Ausnahme jüngeren Datums stellt die Arbeit von Woloch dar: WOLOCH: The New Regime. 2169 Vgl. GUENIFFEY, Patrice: La Ire République, in: DICTIONNAIRE CRITIQUE DE LA RÉPUBLIQUE, sous la direction de Vincent DUCLERT et Christophe PROCHASSON, Paris 2002, S. 39–44, S. 39. Vgl. dort auch zum Folgenden.

662

5. Fazit

In der Tat wurde eine Republik nach dem Sturz der Monarchie 1792 weder feierlich proklamiert, noch wurde diese Staatsform nach der Machtübernahme durch Napoleon Bonaparte und die Errichtung seiner Herrschaft auf Lebenszeit beziehungsweise als Kaiser der Franzosen je förmlich abgeschafft. Ist ihr ‚Beginn‘ im Jahr 1792 unumstritten – zumal der Konvent wenige Tage nach der Abschaffung der Monarchie vom 21. September 1792 damit begann, im Namen der Republik zu deliberieren und zu urkunden –, schwanken die Urteile über ihr Ende je nach der gewählten Interpretation und Perspektive. Genau genommen umfasste die Erste Republik einen Zeitraum von mindestens sieben und höchstens 22 Jahren. Unstrittig erscheint ihr Bestand von 1792 bis 1799: Diese Phase wird klassischerweise ‚der‘ ersten, ‚großen‘, Französischen Revolution zugerechnet. Doch auch das Konsulat behielt die republikanische Staatsform nach 1799 bei, sogar im Jahre 1802, als Napoleon Bonaparte zum Konsul auf Lebenszeit ernannt wurde. 1804 erklärte ein Senatsbeschluss ihn zum Kaiser und übertrug ihm „le gouvernement de la République“2170. Erst 1814 wurde die Staatsform mit der Rückkehr der Bourbonen explizit geändert. Die Erste Republik bestand somit vom staatsrechtlichen Standpunkt betrachtet aus mindestens drei unterschiedlichen ‚Regimen‘: einer parlamentarischen Diktatur (1792 bis 1795), einer zensitären Republik (1795 bis 1799) und einer plebiszitären Republik (nach 1799); sie kannte – anders als die vier Republiken, die die Franzosen nach 1848 errichten sollten – mindestens vier, wenn nicht sogar sechs unterschiedliche Verfassungen: diejenigen von 1793, 1795, 1799 und 1802, sowie gegebenenfalls auch von 1804 und 1815. Die Entscheidung, die vorliegende Studie auf den Zeitraum von 1792 bis 1799 zu beschränken, erklärt sich aus dem Befund, dass diese Jahre in kulturgeschichtlicher Perspektive eine überraschend kohärente Einheit darstellen. Überraschend deswegen, weil aufgrund ideologischer Differenzen die Jakobinerherrschaft und die vermeintlich ‚bürgerliche‘ Republik der späten 90er Jahre meist als vollkommen konträre Politikmodelle betrachtet und interpretiert wurden. Jenseits der offensichtlichen Umbrüche und Richtungswechsel eint die Zeit zwischen 1792 und 1799 der Wunsch, das neue Regime durch symbolische Politik als republikanische Ordnung, die auf einer Repräsentativverfassung gründet, zu gestalten. Die Ergebnisse der Analyse legen es daher nahe, 1799 weiterhin als die entscheidende Zäsur zu begreifen, anders als jüngere Studien, die davon ausgehen, der Regimeumbau zum autoritären Staat

2170

Vgl. den sénatus-consulte vom 28. Floréal XII (18. Mai 1804).

5.3 Neue Bewertungen des republikanischen Experiments

663

habe bereits 1797 begonnen. 2171 Bis zum 18. Brumaire wurde das republikanische Experiment nach Ansicht der vorliegenden Studie zwar durch wechselnde Trägerschichten und Strategien, aber mit ungebrochener Kraft fortgesetzt, auch und gerade nach 1797. Der Begriff dessen, was eine ‚Republik‘ sein könnte, war im Europa des ausgehenden 18. Jahrhunderts sehr vage, trotz aller Schriften der Renaissancezeit und der Aufklärung, die sich mit dieser Staatsform beschäftigt hatten. 2172 Unterschiedliche Traditionen und Konzepte existierten nebeneinander. 2173 Die wichtigsten Quellen, aus denen sich die politischen Akteure der Ersten französischen Republik inspirierten, entstammten dem klassischen Republikanismus der Antike oder bezogen sich auf das zeitgenössische amerikanische Modell, welches jedoch im Vergleich zu Frankreich keinen vergleichbaren Bruch mit der Vergangenheit zu bewerkstelligen hatte. Die Quellenanalyse hat gezeigt, dass die Erste Republik zwischen 1792 und 1799 wesentlich über Symbole und Inszenierungen erschaffen und gefestigt werden sollte. Die gewählten Themen, Schauplätze und Praktiken zeichneten sich im gesamten Untersuchungszeitraum durch eine große Konstanz aus: Materielle Symbole und nationale Hoheitszeichen wie Flagge, Amtstracht oder offizielle Architektur visualisierten die Erste französische Republik bis zum 18. Brumaire, ebenso wie Hymnen, Feste und Zeremonien von der republikanischen Ordnung kündeten. Noch auffälliger sind die Kontinuitäten hinsichtlich der Praxisfelder des republikanischen Erziehungsprogramms: Neue Zeitrechnung, Feste, Staatsbürgerkult, republikanische Auszeichnungen und Abzeichen – alle diese symbolpolitischen Maßnahmen waren vom Jahr II bis zum Jahr VIII dem Ziel der Stabilisierung der republikanischen Ordnung untergeordnet. ‚Republik‘ war im Wesentlichen ein moralisches, über Erziehung und Politik zu erreichendes Programm. Als institutions républicaines wurden eben nicht die Verfassungsorgane bezeichnet, sondern bestimmte Werteinstellungen und soziale Praktiken, die durch Einübung und Routine stabilisierende Wirkungen erzielen sollten. Zentrale Elemente der symbolpolitischen Aktivitäten waren die Ideen des ‚neuen Menschen‘ und 2171

Vgl. diesen Periodisierungsansatz bei BROWN, Howard G.: Ending the French Revolution. Violence, Justice, and Repression from the Terror to Napoleon, Charlottesville u. a. 2006; sowie BROWN/MILLER: Taking liberties. 2172 Vgl. dazu zuletzt JAINCHILL: Reimagining Politics after the Terror, S. 5. 2173 Vgl. zur republikanischen Traditionsbildung der Schweizer Eidgenossen die umfassende Studie vom MAISSEN, Thomas: Die Geburt der Republic. Staatsverständnis und Repräsentation in der frühneuzeitlichen Eidgenossenschaft, Göttingen 2006; zum abweichenden Konzept des französischen Republikanismus der späten Revolutionszeit vgl. ebd., besonders S. 569–592.

664

5. Fazit

der ‚neuen Gesellschaft‘. Diese Konzepte wurden von den Thermidorianern und Direktorialisten ebenso verfolgt wie von den Montagnards. Erst in der Konkretisierung und Anwendung des Programms traten Differenzen zutage, wenn zum Beispiel die ‚Freiheit‘ der Liberalen sich als konträr zu den Vorstellungen der ‚Freiheit‘ der Demokraten erwies. In chronologischer Perspektive sind mehrere Umbrüche zu verzeichnen, die durchaus mit den Zäsuren der klassischen Politik- und Institutionengeschichte zusammenhängen. Die Republik der Jahre 1792 bis 1794 definierte sich zunächst ex negativo: als antimonarchisch und antiklerikal. Erst im Jahr II (vor allem zu Beginn des Jahres 1794) wurde im Wohlfahrtsausschuss an einer gezielt republikanischen Programmatik gearbeitet: Unter Führung Robespierres wurde ein Festkalender eingesetzt, der sich gleichermaßen gegen den Katholizismus wie gegen den gesellschaftlich virulenten Vernunftkult richtete. Per Gesetz wurde ein deistisches Weltbild verordnet, welches mit dem ‚Fest des Höchsten Wesens‘ am 20. Prairial (8. Juni) einen kurzlebigen Höhepunkt erfuhr. Legt man zur Definition von ‚Republik‘ die Maßstäbe des späteren 19. Jahrhunderts an, einschließlich der Trennung von Staat und Kirche, so war der erste wirklich ‚republikanische Moment‘2174 erst nach dem Sturz Robespierres möglich. Die Thermidorianer lehnten die wechselseitige Durchdringung der beiden Sphären mehrheitlich ab und bereiteten mit dem Gesetz zur Trennung von Staat und Kirche (2nd jour complémentaire II, 18. September 1794) den Boden für einen ‚modernen Republikanismus‘, der wiederum Wegbereiter des Liberalismus war. 2175 Kontinuität zur frühen Republik demonstrierten die Thermidorianer und Direktorialisten durch ein Festhalten an bestimmten republikanischen Institutionen und Traditionen. Nur einzelne Stimmen stellten beispielsweise den Fortbestand des republikanischen Kalenders in Frage. Von 1795 bis 1799 wurde – entgegen einem nach wie vor bestehenden Missverständnis – der 10. August alljährlich mit großem Aufwand gefeiert. Mit dem Ziel zur deutlichen Abgrenzung gegenüber den Royalisten wurde er als Gründungstag der Freiheit uminterpretiert. 2176 Ebenso hatte der 21. Januar, Tag der Hinrichtung Ludwigs XVI., eine besondere Relevanz für das Regime: Es war der Tag der Erneuerung der Amtseide und Anlass für besondere Sakralisierungen der Verfassungs2174

Vgl. dazu ausführlich JAINCHILL: Reimagining Politics after the Terror, S. 22. Zu einer ähnlichen Periodisierung auch bei Jainchill, aufgrund einer ideengeschichtlichen Analyse. Vgl. ebd., S. 22f. 2176 Vgl. abweichend THAMER: Die Französische Revolution, S. 103: „Das Fest der Einheit und Verbrüderung zum 10. August 1792 hingegen sollte in der Zeit des Direktoriums […] ebenso verschwinden wie das Fest des Höchsten Wesens vom 8. Juni 1794.“ 2175

5.3 Neue Bewertungen des republikanischen Experiments

665

ordnung. Der Festakt wurde in Sakralbauten begangen und die Constitution de l’An III auf Vaterlandsaltären präsentiert. Zwar stimmt es, dass das Direktorium die Revolution umdeutete – zum Beispiel das Fest des 14. Juli zu einem Fest der Freiheit –, allerdings bedeutete dies keineswegs eine Verdrängung der revolutionären Programmatik aus dem Festkalender, sondern eher eine Rückkehr zu einer Praxis der symbolpolitischen Ordnungsstiftung, wie sie bereits 1790 bei der Vorbereitung des Föderationsfestes zu beobachten war. Auch die militärische Dimension der Feste wurde nicht neu erfunden, sondern allenfalls ausgeweitet. Reichardt irrt daher, wenn er davon ausgeht, nach 1795 seien statt revolutionärer Bewegungen und innenpolitischer Errungenschaften, von Ausnahmen wie dem 14. Juli abgesehen, vor allem bürgerliche Tugenden und Siege der republikanischen Armeen im Ausland gefeiert worden. 2177 Im Zweiten Direktorium ist im Vergleich zum Jahr II sogar eine Intensivierung des republikanischen Projekts zu beobachten. Bereits im Jahr V waren dazu entscheidende Weichen gestellt worden: La Revellière hatte seine Überlegungen zu einem neuen ‚Kult‘ der zivilen Zeremonien und Nationalfeste vor dem Institut vorgestellt und die Classe des Sciences morales et politiques ließ per Wettbewerb die Frage klären, wie man die Sprache der Zeichen politisch zukünftig noch besser nutzen könne. 2178 Nach dem Staatsstreich vom 18. Fructidor war das Direktorium für einige Monate in der Lage, gemeinsam mit den parlamentarischen Räten seine Vision eines republikanischen (Erziehungs-)Staates zu realisieren. Die Dichte der Verordnungen und Erlasse des Jahres 1798 belegt eindringlich die hohe Relevanz des Themas auf der politischen Agenda. Federführend war der Direktor La Revellière-Lépeaux. Zahlreiche Druckschriften und -graphiken begleiteten den Diskurs und vermittelten ihn einer breiteren Öffentlichkeit. Anders als die marxistische und revisionistische Historiographie, die in der Regel die ‚demokratische Revolution‘ von 1792 bis 1794 von der ‚bürgerlichen Republik‘ der Jahre 1794 bis 1799 abgegrenzt hat und Letzterer ihren revolutionären Charakter absprach, 2179 geht die 2177

Vgl. REICHARDT: Das Blut der Freiheit, S. 251. Vgl. GANAULT, Joël: Idéologie et organisation du savoir à l’Institut national. L’exemple du concours sur l’influence des signes, in: AZOUVI: L’institution de la raison, S. 63–81. 2179 Vgl. aus dem marxistischen Lager u. a. AULARD, Alphonse: Histoire politique de la Révolution française: Origines et développement de la démocratie et de la République (1789–1804) Paris 1901. [Dt. Übersetzung: Politische Geschichte der Französischen Revolution. Entstehung und Entwicklung der Demokratie und der Republik 1789– 1804. München und Leipzig 1925], S. 549; ähnlich argumentieren aber auch LEFEBVRE: La France sous le Directoire; und SOBOUL: La Première République. Letzterer behandelte entsprechend das Direktorium in einer Überblicksdarstellung gemeinsam 2178

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5. Fazit

vorliegende Untersuchung davon aus, dass es in den späten 90er Jahren keineswegs zu einem Verlust an revolutionärer Dynamik und republikanischer Überzeugung kam, sondern im Gegenteil die republikanische Idee mit der Durchsetzung des Programms der ‚institutions républicaines‘ im Jahr VI ihren Höhepunkt erlebte. Der Wandel der politischen Kultur erreichte erst in den späten 90er Jahren alle Landesteile und alle Fraktionen, einschließlich der Royalisten. ‚Die Republik‘ wurde nach 1795 als politisches Experiment erkennbar, welches von Abgeordneten und Regierungsmitgliedern, aber auch von sozialen Bewegungen in außerparlamentarischen Klubs oder auf der Straße betrieben oder bekämpft wurde. Furet zufolge bedeutete Thermidor die Rückkehr einer Politik der sozialen Interessen, die sich von der demokratischen Idee entfernte und neue ideologische Gesetzmäßigkeiten mit sich brachte. Angesichts des Programms der institutions républicaines erscheint es wünschenswert, zukünftig stärker zu betonen, dass diese ‚Politik der sozialen Interessen‘ von einem Erziehungsprogramm flankiert wurde, welches prinzipiell jeden Bürger in das gemeinsame Projekt einbezog. Dieses Programm, einschließlich seiner ideologischen Komponenten und damit verbundenen Probleme, sollte mit derselben Neutralität bewertet werden wie das kurzlebigere und kaum zur Anwendung gekommene Projekt der Jakobinerherrschaft. 2180 Selbstverständlich muss eine historische Analyse zwischen der Perspektive der Zeitgenossen und der Gegenwart unterscheiden: Was die Zeitgenossen als verheißungsvolle Kulturrevolution propagierten, stellt sich rückblickend nicht selten als demokratiegefährdendes, da tendenziell entmündigendes Unterfangen dar. Erneut offenbart sich die Ambivalenz symbolpolitischen Handelns: Die Realisierung der institutions républicaines ging einher mit Einschränkungen von Presse- und Meinungsfreiheit, mit erneuten politischen Säuberungen sowie mehrfachen

mit dem Konsulat: SOBOUL, Albert: Le Directoire et le Consulat, Paris 1967 (= Que sais-je? 1266). – Für die revisionistische Seite vgl. FURET: 1789 – Vom Ereignis zum Gegenstand der Geschichtswissenschaft, S. 73, wo er den 9. Thermidor als „einen so tiefen Einschnitt in die Revolutionsgeschichte und in unsere Geschichte überhaupt“ bezeichnet und Verständnis dafür äußert, „weshalb die Feder jakobinischer Historiker so oft bei diesem Datum von einer seltsamen Mattigkeit ergriffen wird, ohne daß man sich diese erklären könnte. Hier ist die Revolution zu Ende, denn die Legitimität der demokratischen Vertretung hat über die der Revolution gesiegt; die Macht beherrscht die revolutionäre Ideologie von der Macht, wie Marx sagt, die wirkliche Gesellschaft rächt sich an der Illusion der Politik.“ [Hervorhebung im Original]. 2180 Auch Heuer kommt in ihrer Abhandlung über die Kokarde zu dem Schluss, dass viele Fragen der Republik des Jahres II im späten Direktorium nichts von ihrer Relevanz verloren hätten; vgl. HEUER: Hats On for the Nation, S. 51.

5.3 Neue Bewertungen des republikanischen Experiments

667

Verfassungsbrüchen. Der häufige Rekurs auf den Staatsstreich als Mittel der Politik belastet aus heutiger Perspektive zweifellos die Legitimität der Herrschaft des Direktoriums. Im zeitgenössischen Verständnis von ‚Republikanismus‘ wurden jedoch Staatsstreiche nicht als Widerspruch zur neuen Ordnung aufgefasst, sondern als adäquates Mittel zu deren Schutz. 2181 Die Republik galt gerade nach dem Staatsstreich vom 18. Fructidor als zentraler Bezugspunkt, auf den hin alles politische (und symbolpolitische) Handeln ausgerichtet wurde. Dies war in seiner Radikalität im Vergleich zum Jahr II neu. Zwar erscheint die These von Livesey, der die Zeit des Direktoriums als Höhepunkt der revolutionären demokratischen Erfahrung bezeichnete, angesichts der offensichtlichen Verletzungen der Verfassungsordnung durch die Entscheidungsträger (angefangen bei den Zweidritteldekreten von 1795 bis hin zu den Wahlmanipulationen und Staatsstreichen von 1797, 1798 und 1799) nicht haltbar. 2182 Doch wurden die Strukturen der Verfassung des Jahres III nie außer Kraft gesetzt: Jede der Verletzungen wurde als Notstandsmaßnahme aufgrund einer (angenommenen oder realen) Bedrohung der Republik gerechtfertigt. Das Wahlprinzip wurde von 1795 bis 1799 aufrechterhalten, wenn auch nicht im heutigen demokratischen Sinne umgesetzt. Auch im Jahr VII, als das Fructidor-Direktorium nach Meinung jüngerer Literatur bereits ‚autoritär‘ regiert haben soll, 2183 fanden Wahlen statt – und läuteten auf legalem Wege einen Machtwechsel ein. Die sogenannten Neo-Jakobiner2184 führten ihrerseits einen Staatsstreich durch, diesmal gegen das Direktorium gerichtet. Im Hinblick auf die politische Praxis kann daher trotz aller Einschränkungen von einem lebendigen republikanischen Regime mit Partizipationsmöglichkeiten und politischen Gestaltungsspielräumen gesprochen werden. Gerade die Debatten um symbolpolitische Fragen demonstrieren, dass verschiedene politische Handlungsoptionen bestanden und umkämpft waren. Abgeordnete wie Boulay plädierten 1797 sogar offen vor der Versammlung, man müsse ‚Opposition‘ als systeminterne Alternative akzeptieren. 2185 Auch wenn diese Meinung noch nicht Mehrheitsmeinung war, markiert allein die

2181

Vgl. auch RICHET, Denis: Art. Staatsstreich, in: FURET/OZOUF: Kritisches Wörterbuch, Bd. 1, S. 216–229; MEYNIER, Albert: Les coups d’Etat du Directoire, 3 Bde., Paris 1927–28. 2182 Vgl. LIVESEY: Making Democracy, S. 13. 2183 Vgl. BROWN: Ending the French Revolution. 2184 Vgl. GAINOT: 1799, un nouveau jacobinisme. 2185 Vgl. Moniteur n° 8, 8 vendémiaire VI (29. September 1797), CCC, suite de la séance du 3.

668

5. Fazit

Möglichkeit ihrer Formulierung einen wichtigen Schritt auf dem Weg zu einer demokratischen politischen Kultur. Parlamentarismus war eine neue Herrschaftsform, die der Einübung bedurfte. 2186 Meinungsbildung und Mehrheitsfindung erfolgten noch nicht wie in stabilen demokratischen Regimen über Debatte und Kompromissbildung; Rede und Gegenrede gehörten noch nicht zur politischen Kultur, sondern wurden häufig als Schlagabtausch ausgeführt. Erschwerend kam hinzu, dass sich durch die fehlende institutionelle Organisation selbst die entstehenden Parteiungen durch schwankende Positionen charakterisierten – die regimetragende ‚Partei‘ der directorialistes mit eingeschlossen. 2187 Und auch die Wahl sollte sich erst nach und nach als neues Prinzip zur Herstellung legitimer, allgemein verbindlicher Entscheidungen etablieren. 2188 Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen erscheint Thermidor – im Unterschied zu Erklärungsansätzen der marxistischen und revisionistischen Schule – keineswegs als das ‚Ende der Revolution‘. 2189 Dank jüngerer Arbeiten, wie unter anderem von Bronislaw Baczko, Bernard Gainot und Pierre Serna, ist das Bild der Epoche bereits deutlich differenziert worden. 2190 Der Tenor, dass sich die Republik nach 1794 im Niedergang befand, ist jedoch nach wie vor in vielen Studien 2186

Vgl. ähnliche Probleme noch im Deutschland des frühen 20. Jahrhunderts: MERGEL, Thomas: Parlamentarische Kultur in der Weimarer Republik. Politische Kommunikation, symbolische Politik und Öffentlichkeit im Reichstag, Düsseldorf 2002. 2187 Anlass für die Ausformulierung, Präzisierung bzw. Überprüfung ihrer Standpunkte gaben immer wieder symbolische Artefakte und Praktiken: Die jährlich stattfindenden Feste dienten der Propagierung, aber auch der Korrektur politischer Botschaften (wie bei den Pantheonisierungen und gleichzeitigen Depantheonisierungen beobachtet). 2188 Vgl. dazu LUHMANN, Niklas: Legitimation durch Verfahren, 3. Aufl., Frankfurt am Main 1993; in historischer Perspektive auch STOLLBERG-RILINGER: Einleitung, in: Dies. (Hrsg.): Vormoderne politische Verfahren, außerdem auch GUENIFFEY: Le nombre et la raison. 2189 Vgl. für die Seite der Revisionisten FURET: 1789 – Vom Ereignis zum Gegenstand der Geschichtswissenschaft, S. 73; Gueniffey bestätigt Furets Ansicht, wenn er schreibt, mit dem Thermidor seien alle Illusionen über die Politik am Ende gewesen und eine Zeit der Realpolitik zurückgekehrt. 2190 Baczko betonte, die Thermidorianer hätten die Revolution beenden wollen, gefangen zwischen der Notwendigkeit einer republikanischen Kontinuität und dem Bruch zum Vorgängerregime der Schreckensherrschaft; vgl. BACZKO: Comment sortir de la Terreur?; sowie ders.: Politiques de la Révolution Française, Paris 2008. Gainot widmete erstmals dem Phänomen des Neo-Jakobinismus des Jahres 1799 eine ausführliche Monographie; vgl. GAINOT: 1799 – un nouveau jacobinisme?; Serna beschrieb die Herausbildung eines eigenen Typs von Politikern und eines neuen Politikkonzepts, der politique de l’extrême centre, in der Zeit des Direktoriums; vgl. SERNA: La République des girouettes.

5.3 Neue Bewertungen des republikanischen Experiments

669

vorherrschend. Brown geht sogar noch weiter, indem er davon ausgeht, bereits 1797 sei eine Trendwende in Richtung des autoritären Staates beziehungsweise eines „liberal authoritariarism“2191 zu beobachten. 2192 Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung können diese Einschätzungen aus kulturgeschichtlicher Perspektive nicht bestätigen. Im Gegenteil erscheint nach wie vor das Jahr 1799 die Wende zum autoritären Staat zu markieren: Im Konsulat wurde die Zensur verschärft, Opposition systematisch unterdrückt, die Idee der institutions républicaines aufgegeben, das Wahlrecht eingeschränkt und das Repräsentativsystem sowie die Trennung von Staat und Kirche schrittweise aufgeweicht. Die Definition dessen, was eine ‚Republik‘ sei, änderte sich damit fundamental, trotz der Beibehaltung des ‚Etiketts‘. Die Jahre 1799 bis 1815 harren in dieser Hinsicht nach wie vor ihrer detaillierten Analyse. In Überblicksdarstellungen zu den Jahren 1795 bis 1799 heißt es gemeinhin, das Direktorium sei „in der Geschichte Frankreichs der erste Versuch, eine Republik auf das normale Funktionieren von repräsentativen Institutionen zu gründen.“2193 Dass dieser Versuch jedoch nach den Wirren der Schreckensherrschaft und in Ermangelung von Vorbildern für alle Beteiligten ein wagemutiges Experiment darstellte, durch das eigentlich erst noch herauszufinden war, was das „normale Funktionieren von repräsentativen Institutionen“ überhaupt sein könne, wird in der Regel unterschlagen; vorschnell werden die Messlatten des späten 20. Jahrhunderts angelegt. Die demokratische politische Kultur der Moderne, geprägt durch das rechtsstaatliche Prinzip, transparente politische Verfahren und den Pluralismus der Meinungen, bildete sich erst langsam heraus. Und ebenso wie erstmals mit repräsentativen Institutionen ‚experimentiert‘ wurde, galt es eben auch, Methoden des Wahlkampfes zu erproben und mit dem Phänomen der Interessenpolitik im Allgemeinen sowie einer ‚Opposition‘ gegenüber der Regierung im Besondern umgehen zu lernen. Die Tatsache, dass das Direktorium mit und nach dem 18. Fructidor eine zunehmend repressive Politik betrieb, macht dieses Übergangsregime nicht weniger interessant für demokratiegeschichtliche Untersuchungen. Gerade aufgrund seiner zahlreichen 2191

BROWN: Ending the French Revolution, S. 1 und 16. Damit soll das Problem, das die Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung für alle Regierungen der Revolutionszeit bedeutete, keineswegs kleingeredet werden; im Gegenteil stellte dies eine zentrale Herausforderung auch für die Thermidorianer und Direktorialisten dar, die jedoch noch sehr viel stärker mit ‚revolutionären‘ Programmen und Instrumenten beantwortet werden sollte, als es in der napoleonischen Zeit der Fall war. Vgl. einen chronologischen Überblick bei CARROT, Georges: Révolution et maintien de l’ordre. 1789–1799, Paris 1995. 2193 FURET/RICHET: Die Französische Revolution, S. 409. 2192

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5. Fazit

Widersprüche und Wendungen ist es ein Musterbeispiel für die Ambivalenzen und Herausforderungen, denen sich letztlich jedes politische System unter den Bedingungen der Moderne zu stellen hat. Denn es war nicht nur in Frankreich ein „langer und komplizierter Prozess, bis Opposition innerhalb des politischen Systems legal und legitim wurde“2194. Welche Gründe können, jenseits der Absichten der Verschwörer vom 18. Brumaire, für das ‚Scheitern‘ der republikanischen Experimente des Direktoriums angeführt werden? Die Urteile schwanken zwischen verschiedenen Erklärungsansätzen: Strukturelle, personale und kontingente Entwicklungsfaktoren wurden zur Erklärung herangezogen. Woronoff und Belissa beurteilen die militärischen Ambitionen des Direktoriums als zu prätentiös;2195 Hunt und Lansky sehen im Festhalten am gesellschaftlichen Einheitsideal bei gleichzeitiger Pluralisierung die größten Schwierigkeiten. 2196 Ozouf betont die Belastung des Regimes durch die Vergangenheit und die Verstrickung vieler Entscheidungsträger in das Unrechtsregime der Terreur. 2197 Suratteau ging davon aus, dass mit dem Austritt Reubells aus dem Direktorium im Frühjahr 1799 die Option der Republik insgesamt unterging. Danach sei es kaum mehr möglich gewesen, mittels einer republikanischen Regierung stabile Machtverhältnisse in Frankreich zu erreichen; politisch-militärische Clans gewannen die Oberhand. Das Modell des ‚konservativen Republikanismus‘, dem auch andere Männer an der Spitze des Staates, wie Merlin de Douai, 2198 angehangen hatten, schien gescheitert. 2199 Woloch ist einer der wenigen Autoren, die kulturelle Faktoren für das Scheitern des Regimes verantwortlich machen: Das Festhalten an der Kalenderreform habe weite Landesteile gegen die Pariser Machthaber aufgebracht und letztlich zu deren Untergang beigetragen. 2200 Die Republikaner richteten ihre symbolische Politik konsequent auf die neue Staatsform aus, deren Schicksal sie damit an Erfolg oder Misserfolg der Maßnahmen koppelten: Die Dichotomie zwischen alt und neu, zwischen Königsherrschaft und republikanischer Herrschaft, durch2194

Vgl. diese Formulierung, wenn auch in Bezug auf Deutschland, bei: THRÄNHARDT, Dietrich: Art. ‚Opposition‘, in: ANDERSON, Uwe und Wichard WOYKE (Hrsg.): Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik, Opladen 2000, S. 435–439, S. 453. 2195 Vgl. WORONOFF: La République bourgeoise de Thermidor à Brumaire; BÉLISSA: Repenser l’ordre européen. 2196 Vgl. HUNT/LANSKY/HANSON: The Failure of the Liberal Republic in France. 2197 Vgl. OZOUF: Thermidor ou le travail de l’oubli. 2198 Vgl. LEUWERS, Hervé: Un juriste en politique: Merlin de Douai, 1754–1838, Arras 1996. 2199 Vgl. GAINOT: Jean-René Suratteau. Historien politique du Directoire. 2200 Vgl. WOLOCH: Institutions républicaines.

5.3 Neue Bewertungen des republikanischen Experiments

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zieht die Symbolpolitik des Direktoriums wie ein roter Faden. Aus diesem Grund liegt es nahe, aus den Problemen bei der Durchsetzung des republikanischen Erziehungsprogramms auf eine Delegitimierung des gesamten Regimes zu schließen. Das angestrebte Ideal des Staatsbürgers als integraler Bestandteil des politischen Gemeinwesens wurde durch die Rigorosität der symbolpolitischen Gesetzgebung gerade nicht erreicht. Statt als Raum freier Entfaltung und aktiver politischer Teilhabe erfuhren die Franzosen die Republik als Synonym für Wahlmanipulationen, Staatsstreiche und andauernde Krisen. Sie blieben dem Staat daher wohl nur äußerlich verbunden: über Leistungen und Gegenleistungen beziehungsweise über Gebote und Strafen. Viele symbolpolitische Projekte der Republikaner scheiterten auch aufgrund einer mangelnden Umsetzungszeit. Das umfassende Erziehungsprogramm hätte langfristiger entfaltet werden müssen; die Verschwörung vom 18. Brumaire setzte allen Vorhaben ein jähes Ende. Fraglich erscheint auch, ob das Zweite Direktorium die Kulturrevolution nicht zu schnell und zu konfrontativ erreichen wollte. Die Dritte Republik versuchte von Beginn an weniger, ad hoc einen republikanischen Kult zu installieren, sondern erkämpfte eine langfristige Republikanisierung der Gesellschaft durch Sozialgesetzgebung und Durchsetzung einer laizistischen Schule: Auch in Phasen, in denen die Linke bereits deutliche Mehrheiten besaß, wie zum Beispiel zur Zeit des Antiklerikalismus unter Jules Ferry, wurde auf eine umfassende Kulturrevolution verzichtet. 2201 Erneut sollten die Stimmen der Zeitgenossen ernst genommen werden. Thibaudeau urteilte in seinen Memoiren, trotz aller Fehler und Unzulänglichkeiten des ‚Ersten Direktoriums‘ hätte die Republik 1795 eine Chance gehabt. Die 18 Monate bis zum Staatsstreich vom Fructidor hätten den Weg zu einem verfassungsgemäßen politischen Leben ebnen können: L’ordre social était sorti du chaos et commençait à se reconstituer; l’agriculture, le commerce, les transactions particulières, le crédit public se délivraient de leurs entraves; on revenait à des mœurs plus douces, à des opinions plus saines; la nation retournait à son heureux caractère; la République avait repris, parmi les puissances de l’Europe, le rang le plus élévé qu’eût jamais occupé la France monarchique dans les temps les plus glorieux et les plus prospères. 2202 2201

Vgl. BAQUIAST, Paul : La Troisième République 1870–1940, Paris 2002; MOLLIER, JeanYves und Jocelyne GEORGE: La plus longue des républiques, 1870–1940, Paris 1994; ENGELS, Jens-Ivo: Kleine Geschichte der Dritten französischen Republik (1870–1940), Köln u. a. 2007. 2202 Thibaudeau: Mémoires, première édition complète, S. 384.

672

5. Fazit

Die Masse des Volkes habe nicht an der Republik gezweifelt, sondern sei sogar stolz auf diese gewesen. Selbst Kritiker hätten eingebunden werden können; zahlreiche Monarchisten seien in einflussreiche Positionen vorgerückt und sogar einzelne Vertreter des Ancien Régime erfolgreich in den Staatsdienst integriert worden. 2203 Die größten Feinde der Republik, so der zeitgenössische Beobachter, seien die Republikaner selbst gewesen – durch ihre Rivalitäten und Spaltungen: En effet, nous étions nous-mêmes nos plus dangereux ennemis; nos rivalités, nos divisions, nos haines pouvaient seules opérer ce miracle, et nous précipiter dans l’abîme. Les uns poussaient trop vite le char de la République, les autres le tiraient en arrière; ceux qui voulaient imprimer une marche raisonnable étaient tantôt retenus par ceux-ci, tantôt entrainés par ceux-là, et toujours paralysés par les deux partis. Les jacobins voulaient exclusivement le régime révolutionnaire, comme la fleur des émigrés voulait l’ancien régime tout pur. 2204

In der Tat bestätigt die Studie die Einschätzung, dass die Streitigkeiten über die ‚richtigen‘ Maßnahmen zur Konsolidierung und Popularisierung der Republik das Regime stark belastet haben. Innerhalb des Direktoriums war von Beginn an großes Konfliktpotenzial vorhanden; spätestens im Wahljahr 1797 traten unüberbrückbare Differenzen zutage. 2205 Carnot sprach sich für eine Versöhnungs- und Beschwichtigungspolitik (politique de l’apaisement) aus. Er glaubte nicht an die Möglichkeit der moralischen Erneuerung durch Gesetzgebung. Stabilität sollte durch eine Verbreiterung der sozialen Anhängerschaft erreicht und daher die Religion der Massen, der Katholizismus, nicht weiter bekämpft, sondern eine religiöse Befriedung Frankreichs angestrebt werden. Carnot stand der Institution der Nationalfeste kritisch gegenüber, da diese den Katholiken wie ein Sakrileg erscheinen mussten. Unter dem Vorwand wirtschaftlicher Argumente wollte er den republikanischen Kult beschränken, wenn nicht sogar beenden. Die religiösen Praktiken der Theophilanthropen oder anderer Gemeinschaften, die eine Vernunft2203

„Et moi aussi, persuadé que bien souvent ce qu’on appelle une folie n’est qu’un intermédiaire entre un point connu et un qui ne l’est pas, je croyais de bonne fois à la République; je m’y trouvais lié, je ne dirai pas par mes serments, mais par mon goût et ma raison, par honneur et par mon mandat. […] Lebrun, Dumas, Roederer, et une foule de citoyens qui avaient été monarchiques dans les premières assemblées, et qui n’avaient point contribué à l’établissement de la république, ne s’en trouvaient pas trop mal; une quantité de ci-devant nobles et d’hommes de cour, parmi lesquels on trouvait des Talleyrand, des Ségur, des La Rochefoucauld, brigueaient les faveurs de la République et accouraient lui offrir leurs services.“ Ebd. 2204 Ebd., S. 385. 2205 Vgl. MATHIEZ: La théophilanthropie et le culte décadaire, S. 126–139.

5.3 Neue Bewertungen des republikanischen Experiments

673

religion propagierten, verachtete und verspottete er. Im Sinne einer Aussöhnung der verschiedenen Parteien verkehrte er demonstrativ mit Adeligen und Katholiken, denen er Hunderte von Begnadigungen unterschrieb. 2206 Gemeinsam mit Tronson-Ducoudray und Thibaudeau bemühte er sich um die Organisation einer Partei der Mitte beziehungsweise der konservativen Republikaner als Stütze der Republik. Eine fundamental entgegengesetzte Position vertrat La RevellièreLepeaux, der nach 1797 versuchte, einen autoritären, stark pädagogisch motivierten Republikanismus umzusetzen. La Revellière unterstützte den Kult der Theophilanthropen und sprach sich für eine Stärkung der zivilen Zeremonien und anderer institutions républicaines aus. Sein Sprachrohr im Rat der Fünfhundert war unter anderem der Abgeordnete Leclerc. Diese Gruppe von Politikern strebte de facto die Errichtung eines republikanischen Kultes an, auch wenn aufgrund des Gesetzes zur Religionsfreiheit der Begriff ‚Kult‘ in der politischen Debatte meist vermieden wurde. 2207 Solche Differenzen erschwerten eine Stabilisierung der neuen Staatsform. Die schwankende symbolpolitische Gesetzgebung transportierte die Schaukelpolitik in alle Landesteile und setzte die Republik weiteren Deutungs- und Richtungskämpfen aus. Die Wahlen des Jahres 1799 und der Staatsstreich vom 30. Prairial (18. Juni) brachten eine neuerliche Trendwende im Regierungsgremium mit sich. War die jakobinische Revolution wirklich 1794 beendet, so wie es die einschlägigen Überblicksdarstellungen nahelegen?2208 Zentrale Elemente des jakobinischen Programms prägten die Zeit des gesamten Direktoriums; weitere kehrten 1799 in die Politik zurück: sei es in der Dekoration des Direktorenpalastes, wo die Künstler des Jahres II wieder hoffähig wurden, sei es in Debatten um die Wiederaufnahme der Devise „la liberté ou la mort“ oder der Durchführung einer zweiten „levée en masse“. Erst der 18. Brumaire setzte auch diesen Reformversuchen ein definitives Ende. Für die Geschichte des 19. Jahrhunderts war die Erfahrung der Ersten Republik trotz ihrer Widersprüchlichkeiten in jedem Fall stark prägend: sowohl für die Gegner der Republik, zum Beispiel die gemäßigten deutschen Revolutionäre von 1848, die in ihren Entscheidungen durch das Schreckgespenst Frankreichs beeinflusst waren, als auch für ihre Befürworter, die etwa 1848 und 1870 in Frankreich an die Erfahrungen der Jahre 1792 bis 1799 anknüpfen konnten. Nicht nur beschäftigten 2206

Vgl. ebd. Auch die Rede vom ‚Dekadenkult‘ ist keine Quellensprache. 2208 Vgl. u. a. VOVELLE: Die Französische Revolution. Soziale Bewegung und Umbruch der Mentalitäten, S. 42. 2207

674

5. Fazit

die Dritte Republik dieselben Themen- und Praxisfelder wie die Erste: der Antiklerikalismus, die Ablehnung der Transzendenz, die Volkssouveränität als Prinzip, die Gesellschaft als Vergemeinschaftung von freien, selbstbestimmten Individuen, das Ideal einer agrarischen Republik, der laizistische Kampf rund um die Schule – was bislang jedoch eher zu anachronistischen Beobachtungen über ‚die Dritte Republik im Direktorium‘ veranlasst hat als zur Feststellung einer Traditionsbildung in umgekehrter Richtung. 2209 Selbst die monarchischen Systeme des 19. Jahrhunderts mussten sich dem Erbe der Ersten französischen Republik stellen und entwarfen neue Bilder der Königsherrschaft, um ihre Macht zu legitimieren. 2210 Eine Untersuchung der Fortsetzung des Experiments, jenseits von Regime- und Epochengrenzen, erscheint daher wünschenswert. 2211 Dabei gilt es auch, die Entstehung des negativen Geschichtsbildes des Direktoriums aufzuarbeiten, welches durch die republikanische und konservative Geschichtsschreibung bis in die 90er Jahre des letzten Jahrhunderts beständig fortgeschrieben wurde. Die Genese solcher Images oder ‚Bilder‘ ist trotz der intensiven kulturgeschichtlichen Forschung zur Revolution nach wie vor nicht hinreichend untersucht. 2212 Als weiteres Desiderat sind vergleichende Lokal- und Regionalstudien zu benennen. Paris ist nicht Frankreich – es bedarf weiterer Arbeiten, um die Durchführung des republikanischen Experiments in der Provinz genauer zu untersuchen und die Rolle der Symbolpolitik für die Dynamik der Fraktionskämpfe außerhalb der 2209

Vgl. auch NICOLET, Claude: L’idée républicaine en France (1789–1924). Essai d’histoire critique, Paris 1994, S. 115–132, insbesondere S. 129. Diesem kommt gleichzeitig das Verdienst zu, erstmals überhaupt herausgestellt zu haben, wie wichtig das Erbe der Idéologues und des Directoire für die französischen Republikaner des 19. Jahrhunderts war, ohne dass dies von diesen ausdrücklich thematisiert worden sei. 2210 Vgl. SCHOLZ: Die imaginierte Restauration. 2211 Vgl. die zumindest teilweise Einlösung dieses Anspruchs bereits ebd.; sowie am Beispiel des politischen Totenkults auch FUREIX, Emmanuel: La France des larmes: deuils politiques à l’âge romantique, 1814–1840, Seyssel 2009; oder BEN-AMOS: Funerals, Politics, and Memory in Modern France. Zur Verfassungskultur in der Restaurationszeit vgl. RAUSCH, Fabian: The Impossible Gouvernement Représentatif. Constitutional Culture in Restoration France, 1814–30, in: French History 27,2 (2013), S. 223–248. 2212 Meist werden bestimmte Images als zu einem bestimmten Zeitpunkt ‚gegeben‘ angenommen und dann auf ihre ‚Funktion‘ hin befragt. In der Regel ist ihre Entstehung jedoch – ebenso wie bei politischen Mythen – durch das Bedürfnis eines „politisch verfaßten Kollektivs nach Weltdeutung und Selbstvergewisserung“ zu erklären, die über die Verdichtung und Reduktion von Komplexität in bestimmten Symbolen und Praktiken befriedigt wird; diese weisen exemplarisch über sich selbst hinaus auf etwas anderes; darüber hinaus verbinden sie sich mit appellativen, moralischen Ansprüchen und kollektiven Identitätszuschreibungen. Vgl. BECKER: Begriff und Bedeutung des politischen Mythos, S. 132.

5.3 Neue Bewertungen des republikanischen Experiments

675

Hauptstadt zu klären. 2213 Auf der Grundlage einer solchen Rekonstruktion von lokaler Unterstützung für beziehungsweise von Widerstand gegen die Republik könnte dann auch die reale ‚Bedrohungssituation‘ besser eingeschätzt werden und eine bessere Bewertung des Einsatzes von Staatsstreichen und Notstandsmaßnahmen erfolgen. 1794 steht für mehr als eine politische Rückwendung oder Reaktion, wie es die ältere Forschung suggeriert hat. Es steht für neue Versuche der politischen Ordnungsstiftung und republikanischen Wertorientierung. Genau wie Rousseau waren die Befürworter der republikanischen Symbolpolitik überzeugt vom Einfluss der Zeichen auf den Menschen. 2214 Man war bereit, die gleichen Strategien wie Despoten anzuwenden, wenn diese doch einen gesellschaftlichen Nutzen im Dienste des Vaterlandes versprachen – das Heilmittel sollte aus dem Übel selbst gewonnen werden (Starobinski), um die in der Revolution zerbrochene nationale Gemeinschaft wiederherzustellen. Die politikwissenschaftliche Forschung zeigt, dass das Festhalten an einem politischen Einheitsideal ein typisches Kennzeichen junger demokratischer Systeme ist. Gerade in Übergangsgesellschaften werden Pluralisierungstendenzen als Verlusterfahrung verbucht, durch die man das neue Gemeinwesen als bedroht erlebt. Die Symbolpolitiker übersahen, dass symbolische Politik in einer pluralisierten Gesellschaft die ständige Möglichkeit der Infragestellung in sich birgt, solange kein gesellschaftlicher Konsens über ihre Legitimität vorausgesetzt werden kann. Chartier definiert soziale Identitäten als das Ergebnis eines Kräfteverhältnisses, „das zwischen den verordneten Repräsentationen derjenigen, die die Macht zum Klassifizieren, Bezeichnen haben, und der folgsamen oder resistenten Definition besteht, die jede Gemeinschaft von sich selbst entwirft“2215. Der Soziologie von Mauss folgend geht er davon aus, dass eine wichtige Voraussetzung stabiler sozialer Gliederungen die Glaubwürdigkeit ist, die dem vorherrschenden Sinnentwurf zugeschrieben wird. Diese Glaubwürdigkeit war im Direktorium allenfalls um den Jahreswechsel 1795/96 gegeben; ebenso wenig schienen die Repräsentationen der Obrigkeit und der Gemeinschaft bis 1799 zur Deckung zu bringen zu sein. Die Geschichte der Ersten Republik ist 2213

Stephen Clay arbeitet für die Zeit des Direktoriums an einer Überblicksstudie über die Fraktionskämpfe in den Departements des Midi. Ein Teil seiner Ergebnisse liegt bereits in Aufsatzform vor. Vgl. CLAY: Vengeance, Justice and the Reactions; in den Anmerkungen zu diesem Beitrag finden sich Hinweise auf weitere Publikationen des Autors. 2214 Vgl. JOURDAN: Représentation et Nation, S. 270ff. 2215 CHARTIER: Die Welt als Repräsentation, S. 336.

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5. Fazit

in dieser Hinsicht eine Geschichte der schrittweisen Delegitimierung und Diskreditierung. Es war den Putschisten um Sieyès und Bonaparte ein Leichtes, ihren Staatsstreich zu realisieren und die Bevölkerung mit einer geschickten Propaganda für sich einzunehmen. Diese zielte dann aber nicht mehr auf die Republik als Staatsform, sondern auf Napoleon Bonaparte als charismatischen Führer, der Frankreich vor weiteren Irrwegen erretten sollte. Der Konsul und Kaiser vereinte die Gegensätze zwischen Tradition und Moderne als charismatischer Herrscher unmittelbar in seiner Person. 2216 Die Französische Revolution kann abschließend auch im Hinblick auf ihren Umgang mit Ritualität als ein politisches Laboratorium bezeichnet werden – ein Laboratorium, in dem sowohl mit Formen der Massenpädagogik, wie sie für die Diktaturen des 20. Jahrhunderts prägend werden sollten, experimentiert wurde, als auch mit rituellen Akten, die unsere moderne Demokratie prägen, wie beispielsweise mit Wahlen, Nationalfeiertagen und Staatsakten. Die Gratwanderung zwischen sinnvoller Verdichtung und effekthascherischem Spektakel kennzeichnet jede Inszenierung politisch-sozialer Ordnung bis in die heutige Zeit. Sie ist ein unumgängliches Charakteristikum der Moderne.

2216

Vgl. dazu JOURDAN: Napoléon; sowie THAMER: Napoléon. Freilich flankierte Napoleon seine Symbolpolitik durch weitere gesellschafts- und ordnungspolitische Maßnahmen, die nicht mehr Gegenstand dieser Untersuchung sind, und die in einer stärkeren Kontinuität mit der Geschichte des 19. Jahrhunderts zu betrachten wären: vgl. u. a. PETITEAU, Natalie: Élites et mobilités: la noblesse d’Empire au XIXe siècle, 1808–1914, Paris 1997.

5.3  Neue Bewertungen des republikanischen Experiments

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5. Fazit

Abbildungsnachweis

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AbbildungsAnhang Anhang nachweis

Abbildungsnachweis Abb. 1:

Petit, Simon: L’Anarchiste: je les trompe tous deux, eau-forte, pointillé, roulette, 32,5 × 38 cm, 19. März 1797. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6958.) Abb. 2: Demachy, Pierre-Antoine: Fête de l’Etre suprême, 53,5 × 88,5 cm, Paris, Anfang 19. Jh. (Paris, Musée Carnavalet, Inv. P 81, abgebildet nach: Ausst.Kat. SPEKTAKEL DER MACHT, Kat.Nr. V.18 und Abb. 52, S. 218.) Abb. 3: Darcis, Louis, nach Louis-Simon Boizot: L’Égalité, pointillé, col. à la poupée, diam. 8 cm, Paris [ca. 1794]. (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 11997.) Abb. 4: Darcis, Louis, nach Louis-Simon Boizot: La Liberté, pointillé, diam. 8 cm, Paris [1794]. (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 11998.) Abb. 5: Tresca, Salvatore: Messidor, pointillé, 26,5 × 20,5 cm, Paris 1793. (Paris, BnF, Coll. de l’Histoire de France, Inv. DC-53-FOL, 70 C 43635.) Abb. 6: Allais, Louis Jean: IX. Thermidor. La Convention soutenue par le peuple, pointillé, 19 × 12,5 cm, Paris [ca. 1794]. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6549.) Abb. 7: Duplat, Jean Louis und Jean Démosthène Dugourc: Directoire Exécutif, République Française, gravure sur bois, 10,5 × 15,5 cm, [Paris ca. 1795]. (Paris, BnF, Coll. Hennin, t. 137, Inv. 12119, abgebildet nach: BOPPE: Les vignettes emblématiques, Pl. N° 221, S. 143.) Abb. 8: [Non-identifié]: Unité et indivisibilité de la République, chez Pillot, eau-forte coloriée, 38,5 × 26 cm, Paris [ca. 1793]. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6129.) Abb. 9: Roger, Barthélemy Joseph Fulcran und Jean Claude Naigeon: En tête de page. Directoire Exécutif, eau-forte, burin, pointillé, 19 × 23,5 cm, [Paris entre 1795 et 1798]. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6584, Coll. Hennin, Inv. 12117, abgebildet nach: BOPPE: Les vignettes emblématiques, Pl. N° 229, S. 149.) Abb. 10: Saint-Aubin, Augustin de, nach Jean Louis Laneuville: Corps législatif Conseil des Cinq-Cents, Constitution française, representant du peuple, Laneuville delin., eau-forte, diam. 6 cm, [Paris entre 1795 et 1798]. (Paris, BnF, Coll. Hennin, t. 137, Inv. 12111.)

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Abb. 11: Maillart, Philippe Joseph: Membre du Conseil des Anciens, gravure coloriée, [Bruxelles, entre 1796 et 1799]. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6618, auch abgebildet in: VOVELLE: La Révolution française. Images et récit, Bd. 5, S. 18.) Abb. 12: Gillray, James: Les Membres du Conseil des Anciens, eau-forte coloriée, 25,9 × 19,3 cm. (Paris, Musée Carnavalet, Inv. G. 28066, réserve, abgebildet nach: Ausst.Kat. AU TEMPS DES MERVEILLEUSES, Kat. Nr. 346, S. 214.) Abb. 13: [Non-identifié]: Bouquérot de Voligny en costume du Conseil des Anciens, huile sur toile, 98 × 130 cm. (Vizille, Musée de la Révolution française, Inv. 1992-1, abgebildet nach: Ausst.Kat. AU TEMPS DES MERVEILLEUSES, Kat.Nr. 350, S. 215.) Abb. 14: Leconte, Étienne-Chérubin: Projet d’aménagement de la salle du Conseil des Anciens, plume et aquarelle, 30,7 × 44,5 cm. (Paris, Musée Carnavalet, Inv. D. 6012.) Abb. 15: [Non-identifié]: Roger-Ducos, Membre du Directoire Exécutif, eauforte, burin, col., 28 × 21 cm, [Paris, ca. 1799]. (Paris, BnF, Coll. Hennin, t. 142, Inv. 12522.) Abb. 16: Pilastre, Adélaïde und Gérard Van Spaendonck, nach François Gérard: Louis-Marie de La Révellière-Lépeaux (1753-1824), huile sur toile, 65 × 48 cm. (Paris, Musée Carnavalet, Inv. P.993, abgebildet nach: Ausst.Kat. AU TEMPS DES MERVEILLEUSES, Kat.Nr. 338, S. 210.) Abb. 17: Chataignier, Alexis: Audience publique du Directoire, eau-forte coloriée, 29,4 × 48,2 cm. (Paris, Musée Carnavalet, Inv. GC histoire 9A, G. 24621, abgebildet nach: Ausst.Kat. AU TEMPS DES MERVEILLEUSES, Kat.Nr. 18, S. 30f.) Abb. 18: Berthault, Pierre-Gabriel und Jean Duplessi-Bertaux: Audience du Directoire en costume le 30 Brumaire An 4eme de la République, eauforte, burin, 24 × 29 cm. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6585.) Abb. 19: Berthault, Pierre-Gabriel, nach Abraham Girardet: Premiere séance de l’Institut national, le 15 Germinal, An 4eme de la République, eauforte, burin, 24 × 29 cm. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6674, auch abgebildet in: HOULD: L’image de la Révolution française, S. 312.) Abb. 20: [Non-identifié]: Correction croyable, gravure à l’eau-forte, roulette, monochr. bistre, 13,5 × 17,5 cm, [Paris ca. 1797]. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6948.) Abb. 21: Berthault, Pierre-Gabriel, und Jean Duplessi-Bertaux: Assassinat du député Ferraud dans la Convention nationale, le 1er Prairial, An 3ème de la République, eau-forte, burin, 24 × 29 cm. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6576.)

Abbildungsnachweis

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Abb. 22: [Non-identifié]: Vue de Pont de la Concorde et du Palais du Corps Législative [sic]: Executée par Peronet, gravure à l’eau-forte, coloriée, vue d’optique, 25 × 37 cm, Paris [entre 1795 et 1799]. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6583.) Abb. 23: Rolfe, nach Gisors: La salle des Cinq-Cents, au palais Bourbon, gravure anglaise. (Paris, Musée Carnavalet, photo Edimédia, abgebildet nach: VOVELLE: La Révolution française. Images et récit, Bd. 5, S. 14.) Abb. 24: Lemot, François-Frédéric: L’Histoire et la Renommé, relief, Paris, Palais Bourbon – Assemblée Nationale, Innenansicht des Sitzungssaals. (Foto: akg-images / Laurent Lecat, AKG_588191) Abb. 25: Malbeste, Georges und Jean-Baptiste Liénard, nach Bourjot: Fête militaire, exécutée par les élèves de l’école de mars, en célébration de l’expulsion des ennemis du territoire français, cette fête eut lieu à Paris au Champ de Mars le 30 vendemiaire de l’an 3e de la R. F., eau-forte, 23 × 29,5 cm, Paris [1794]. (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 11960.) Abb. 26: Berthault, Pierre-Gabriel, nach Abraham Girardet: Fête des victoires, au Champ de Mars, le 10 Prairial, An 4ème de la République, eau-forte, burin, 24 × 29 cm. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6868.) Abb. 27: Cleemputte, Peter Ludwig van: Fête au Champ-de-Mars le 1er vendémaire an V, eau-forte, 25,5 × 37,5 cm, 1796. (Paris, Musée Carnavalet, Inv. Hist. PC histoire 24D, no 6.) Abb. 28: La fête de la loi, Le 3 juin 1792, nach Pierre-Gabriel Berthault, gravure sur cuivre, 13 × 20 cm. (Paris, BnF, Qb1 3 juin 1792, Inv. M 85 C 169730.) Abb. 29: Duplessi-Bertaux, Jean, nach Pierre-Alexandre Wille: Fête dédiée à la vieillesse, gravure à l’eau-forte, 43,5 × 62 cm, 1795. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6356.) Abb. 30: Fête des Victoires au Champ-de-Mars, le 10 prairial an VI (29. Mai 1796). (Vizille, Musée de la Révolution française, Inv. 1986-269.) © Musée de la Révolution française / Domaine de Vizille Abb. 31: Lefèvre: Décadaire des Hommes célèbres, dédié au Peuple Français, eau-forte, outils, 58 × 43 cm, Paris [1794]. (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 11953.) Abb. 32: Motte, nach Grenier et Courtin: Banquet donné aux généraux Buonaparte et Moreau, gravure. (Paris, BnF, Coll. Histoire de France, Inv. Qb1 1799 (août-décembre), M104224, abgebildet nach: VOVELLE: La Révolution française. Images et récit, Bd. 5, S. 167.) Abb. 33: [Non-identifié]: Eventail célébrant les bienfaits de la Paix de CampoFormio, eau-forte, 16 × 47,5 cm, [Paris 1797]. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6826.)

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Abb. 34: Berthault, Pierre-Gabriel, nach Abraham Girardet: Entrée triomphale des monuments des sciences et arts en France, eau-forte, burin, 24 × 29 cm. (Paris, BnF, Coll. De Vinck, Inv. 6935.) Abb. 35: Debucourt, Philibert-Louis: Calendrier Républicain, An III, eauforte, outils, aquatinte, 43 × 36,5 cm, Paris [1794]. (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 11952.) Abb. 36: Lemonnier, I. S.: A Clichy, gravure à l’eau-forte et à la roulette, 18,5 × 26,0 cm, [Paris 1797]. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6952.) Abb. 37: Labrousse, L. F.: Michel Cange et George: ah! vertueux ami! je vous dois la vie... Je n’avais que cent livres, j’aurais voulu en posseder davantage. 10 thermidor an 3, eau-forte, outils, coul., 19 × 14 cm, [Paris, entre 1796 et 1805]. (Paris, BnF, Coll. de l’Histoire de France, Inv. Qb1 1794-07-28.) Abb. 38: Dupréel, Jean-Baptiste-Michel und Jean Duplessi-Bertaux: Journée des 28, 29, 30 Prairial, An sept, Démission de plusieurs Directeurs, eau-forte, burin, 24 × 29 cm. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6996.) Abb. 39: Mallet, Jean-Baptiste: Le Culte Naturel, gravure à eau-forte, 35 x 48 cm, Paris [ca. 1797]. (Paris, BnF, Coll. Hennin, t. 140, Inv. 12333.) Abb. 40: Copia, Jacques-Louis: Le Directeur Reveillere, Pape des Théophilantropes, eau-forte, pointillé, 22,5 × 16 cm. (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 12330.) Abb. 41: [Non-identifié]: La minorité directoriale – et la majorité, gravure à l’eau-forte. (Paris, Musée Carnavalet, Inv. PC histoire 25D, G. 26039, abgebildet nach: VOVELLE: La Révolution française. Images et récit, Bd. 5, S. 25.) Abb. 42: Mahomet-Théophilanthrope, gravure à l’eau-forte et au pointillé, 9 × 6 cm, Extr. de: Etrennes aux amis du dix-huit, ou Almanach pour l’an de grâce mil sept cent quatre vingt dix huit, Paris 1798. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6601.) Abb. 43: [Non-identifié]: Louis Seize, Roi des Français, pointillé, col., 23,5 × 16 cm. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 4868.) Abb. 44: Huet, Jean-Baptiste: Comité de l’an deuxième, gravure au pointillé, eau-forte, col., 34,5 × 41,5 cm. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6481 und 6482.) Abb. 45: Chataignier, Alexis: Ah! Quelle Antiquité!!! - Oh! Quelle folie que la nouveauté..., eau-forte, roulette, burin, 24,5 × 39,5 cm, Paris [ca. 1797]. (Paris, BnF, Coll. Hennin, t. 141, Inv. 12424.) Abb. 46: Boilly, Louis-Léopold: Scéne de rixe entre Jacobins et muscadins, plume et lavis d’encre de Chine avec rehauts de gouache blanche, 40,0 × 53,6 cm. (Paris, Musée Carnavalet, Inv. D.7065, abgebildet nach: Ausst.Kat. AU TEMPS DES MERVEILLEUSES, Kat.Nr. 7, S. 21.)

Abbildungsnachweis

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Abb. 47: [Non-identifié]: L’ami de la justice et de l’humanité, Peuple Français, Peuple de Freres!, eau-forte, pointillé, 24 × 18 cm. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6957.) Abb. 48: Massol, A. B., nach François-Marie Isidore Quéverdo: La Tyrannie révolutionnaire écrasée par les Amis de la Constitution de l’an III, eau-forte, pointillé, Paris 1795. (Paris, BnF, Coll. Hennin, t. 139, Inv. 12269.) Abb. 49: [Non-identifié]: Le Jacobin royaliste, Apres avoir longtemps gouverné les Galères, Maintenant il voudrait gouverner les affaires, eau-forte, col., 19 × 17 cm. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6472.) Abb. 50: [Non-identifié]: Le Flot qui l’apporta, recule epouvanté, eau-forte, 9,5 × 6 cm, Extr. de: Almanach des gens de bien, Paris 1795. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Nr. 6387.) Abb. 51: [Non-identifié]: Les trois époques de la vie de jean paul Marat, eauforte, 11,5 × 6,5 cm, Extr. de: Vie criminelle et politique de Marat, [Metz 1795]. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Nr. 5333.) Abb. 52: [Non-identifié]: Collets dit parasabre, eau-forte, roulette, col., 19 × 31,5 cm, [Paris ca. 1797]. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6951.) Abb. 53: Chataignier, Alexis: Le peuple français où le régime de Robespierre, eau-forte, col., 41 × 26 cm. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6536.) Abb. 54: Villeneuve: L’Égalité triomphante ou le Triumvirat puni, gravure à l’aquatinte, 27,7 × 20,5 cm. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6545, auch abgebildet in: HOCKMAN: French Caricature and the French Revolution, S. 242.) Abb. 55: [Non identifié]: Un sans culotte instrument de crimes dansant au milieu des horreurs, vient outrager l’humanité pleurante aupres d’un cenotaphe. Il croit voir l’ombre de l’une des victimes de la revolution qui le saisit a la gorge. Cette effrayante apparition le suffoque et le renverse, eau-forte, 21,5 × 15 cm. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 5223, abgebildet nach: Ausst.Kat. LA RÉVOLUTION FRANÇAISE ET L’EUROPE, Bd. 2, S. 580.) Abb. 56: [Non-identifié]: Le Club de Salm, gravure, veröffentlicht nach: L’Accusateur public, n° XXXII: Lundi 10 juillet 1797 (22 Messidor an V) Paris, BnF. Abb. 57: [Non-identifié]: Lequel faut-il donner, eau-forte. (Paris, BnF, Coll. de l’Histoire de France, Inv. Qb1 1797 01/05-1797-FOL, MFILM M-103701.) Abb. 58: [Non-identifié]: Epoque du 30 Floréal l’An 5 de la République Française, gravure à l’eau-forte, 26,5 × 40 cm, Paris [1797]. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6596.)

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Abb. 59: [Non-identifié]: Ce que j’étois – ce que je suis – ce que je devrois être, eau-forte, burin, 30 × 42 cm. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6954.) Abb. 60: [Non-identifié]: Le Congrès, Stich, veröffentlicht in: L’Accusateur public, n° XXXI: Jeudi, 22 juin 1797 (4 Messidor), Paris BnF. Abb. 61: [Non-identifié]: Journée du 18 Fructidor, l’an 5 de la République française, Extr. de: Le 18 fructidor ou anniversaire des fêtes directoriales, Hambourg 1798, eau-forte, roulette, col., 24,5 × 34 cm. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6946, abgebildet nach: VOVELLE: La Révolution française. Images et récit, Bd. 5, S. 181.) Abb. 62: Hennequin, Philippe-Auguste: Sous les traits d’un jeune homme ardent et plein de vigueur, le Français régénéré par la Constitution, s’attache à elle, et vole au bonheur, tandis que le fanatisme aveugle, l’orgueil, et la féroce ignorance émoussent leurs traits contre son égide, eau-forte, 37 × 49 cm, Lyon [1795 oder 1796]. (Paris, BnF, Coll. Hennin, t. 139, Inv. 12288.) Abb. 63: Hennequin, Philippe-Auguste: Allégorie avec Lazare Carnot, Plume, encre brune et lavis gris, 13,4 × 9,7 cm, 1797. (Vizille, Musée de la Révolution Française, Inv. 1985-148, abgebildet nach: BORDES/CHEVALIER: Catalogue, Kat.Nr. 58, S. 218.) Abb. 64: Hennequin, Philippe-Auguste: La Liberté de l’Italie dédiée aux hommes libres, plume, encre noire et lavis gris sur traits de pierre noire, sur deux feuillets, 45,5 × 33,5 cm, [ca. 1798]. (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 12313, auch abgebildet in: Ausst.Kat. LA RÉVOLUTION FRANÇAISE ET L’EUROPE, Bd. 3, Kat.Nr. 945, S. 719.) Abb. 65: Lemonnier, I. S.: Entre deux chaises, le cul par terre, eau-forte coloriée, 46 × 34 cm. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 7399.) Abb. 66: [Non-identifié]: L’incroyable chez le dentiste patriote, gravure au pointillé, 27,5 × 20,9 cm. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6953). Abb. 67: Tassaert, Jean Joseph François, nach Philippe-Auguste Hennequin und Andrea Appiani: Buonaparte, pointillé, roulette, eau-forte, 48,5 × 36,5 cm. (Paris, BnF, Coll. Hennin, t. 141, Inv. 12381, abgebildet nach: SCHOLZ/SCHRÖER: Représentation et pouvoir, figure 15.) Abb. 68: Coqueret, Pierre Charles, nach Hilaire Le Dru: Buonaparte, gravure au pointillé, 51,9 × 35,6 cm, 1796. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6819). Abb. 69: [Non-identifié]: Paix Glorieuse An VIe, gravure à l’eau-forte et au pointillé, burin, 17,5 × 46,5 cm, déposé le 21 novembre 1797. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6822.) Abb. 70: [Non-identifié]: Sieyes, Membre du Directoire Exécutif... en Grand Costume, eau-forte, col., 28,5 × 20 cm, Paris [ca. 1799]. (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 12517.) Abb. 71: Chataignier, Alexis: Le soutien de la France, gravure à l’eau-forte et

Quellen

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Abkürzungen

au pointillé, juillet 1800. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 7396, auch abgebildet in: HUNT/CENSER: Liberty, Equality, Fraternity, S. 134.) Abb. 72: Roger, Barthélemy Joseph Fulcran und Jean Claude Naigeon: En tête de page, Bonaparte Ier, consul de la République. (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 12573, abgebildet nach: BOPPE: Les vignettes emblématiques, Pl. N° 233, S. 155.)

Abkürzungen AD AHRF AM AN APP APuZ BHVP BnF CA CCC CIP CN DE IHRF MC PV RAM ZHF

Archives départementales Annales historiques de la Révolution française Archives municipales Archives nationales Archives de la Préfecture de police Aus Politik und Zeitgeschichte Bibliothèque historique de la Ville de Paris Bibliothèque nationale de France Conseil des Anciens Conseil des Cinq-cents Comité d’instruction publique Convention nationale Directoire exécutif Institut d’Histoire de la Révolution française Musée Carnavalet Procès-verbaux Réimpression de l’ancien Moniteur Zeitschrift für Historische Forschung

Quellen Editionen und Quellensammlungen ARCHIVES PARLEMENTAIRES DE 1787 À 1860. Recueil complet des débats législatifs et politiques des chambres françaises, Publié par l’Institut d’Histoire de la Révolution française, Université de Paris I, Première série (1787–1799), Bd. 1–101, Paris 1867–2005.

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AULARD, François-Alphonse (Hrsg.): Paris pendant la réaction thermidorienne et le Directoire: Recueil de documents pour l’histoire de l’esprit public à Paris, 5 Bde., Paris 1898–1902. AULARD, François-Alphonse (Hrsg.): Paris sous le Consulat. Recueil de documents pour l’histoire de l’esprit public à Paris, 4 Bde., Paris 1903–1909, Nachdruck New York 1974. AULARD, François-Alphonse (Hrsg.): La Société des Jacobins. Recueil de documents pour l’histoire du club des Jacobins de Paris, 6 Bde., Paris 1889–1897, Nachdruck New York 1973. BIVER, Marie-Louise: Fêtes revolutionnaires à Paris, Préface de Jean Tulard, Paris 1979. BIVER, Marie-Louise: Le panthéon à l’époque révolutionnaire, Paris 1982. BIVER, Marie-Louise: Le Paris de Napoléon, Paris 1963. BOUZARD, Thierry: Anthologie du chant militaire français, Paris 2000. BRUNEL, Françoise und Sylvain GOUJON: Les martyrs de prairial. Textes et documents inédits, avant-propos de Bronislaw BACZKO, Genève 1992. CARON, Pierre: Paris pendant la Terreur. Rapports des agents secrets du Ministre de l’Interieur, 7 Bde., Paris 1910–1978. CHALLAMEL, Augustin: Les Clubs contre-révolutionnaires. Cercles, comités, sociétés, salons, réunions, cafés, restaurants et librairies, Paris 1895. CHANTS ET CHANSONS POPULAIRES DE LA FRANCE, hrsg. von H.-L. DELLOYE, première série, Paris 1843. CORPS LÉGISLATIF. Procès-verbal des séances du Conseil des Anciens, imprimé en vertu de l’Acte Constitutionnel, 59 Bde., Paris, an IV–VIII (1795–1799). CORPS LÉGISLATIF. Procès-verbal des séances du Conseil des Cinq-Cents, imprimé en vertu de l’Acte constitutionnel, 50 Bde., Paris, 4 Brumaire an IV à 19 Brumaire an VIII [26.10.1795–10.11.1799]. CORRESPONDANCE DE NAPOLÉON IER, publié par ordre de l’empereur Napoléon III, 32 Bde., Paris 1858–1870. [Nachdruck in der Reihe ‚Bibliothèques des introuvables‘, Paris 2006.] DAMADE, Louis: Histoire chantée de la première République, 1789–1799, Paris 1892. DELOCHE, Bertrand und Jean-Michel LENIAUD (Hrsg.): La Culture des sans-culottes. Le premier dossier du patrimoine 1789–1798, Paris und Montpellier 1989. FRANCE MILITAIRE. Histoire des armées françaises de terre et de mer, de 1792 à 1837, Ouvrage redigé par une société de militaires et de gens de lettres, d’après les bulletins des armées, le Moniteur, les documents officiels, les notes, mémoires, rapports et ouvrages de l’Empéreur Napoléon, des Maréchaux, Amiraux, Généraux en chef […], revu et publié par A. HUGO, Bd. 2, Paris 1838. GODECHOT, Jacques (Hrsg.): Les constitutions de la France depuis 1789, Paris 1970. GUILLAUME, James (Hrsg.): Procès-verbaux du comité d’instruction publique de la Convention nationale, 7 Bde., Paris 1891–1910.

Quellen

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MARKOV, Walter: Revolution im Zeugenstand, Frankreich 1789–1799, 2 Bde., Leipzig 1982 und 1986. MONTARLOT, Paul und Léonce PINGAUD: Le Congrès de Rastatt: correspondance et documents, 3 Bde., 1912–1913. PIERRE, Constant: Musique des fêtes et Cérémonies de la Révolution française, œuvres de Gossec, Cherubini, Lesueur, Méhul, Catel, etc., recueillies et transcrites par Constant PIERRE, Paris 1899. PROCÈS-VERBAUX DE LA COMMUNE GÉNÉRALE DES ARTS DE PEINTURE, SCULPTURE, ARCHITECTURE ET GRAVURE (18 juillet 1793–tridi de la 1ère décade du 2e mois de l’an II), et de la Société populaire et républicaine des arts (3 nivôse an II– 28 floréal an III), avec une introduction et des notes par Henry LAPAUZE, Paris 1903. RECUEIL DES ACTES DU DIRECTOIRE EXÉCUTIF. Procès-verbaux, arrêtés, instructions, lettres et actes divers, par Antonin DEBIDOUR, 4 Bde., Paris 1910–1917. (= Collection de documents inédits sur l’Histoire de France publiés par les soins du ministre de l’Instruction publique.) THE FRENCH REVOLUTION RESEARCH COLLECTION, Editor-in-chief Colin LUCAS, Balliol College, Oxford, assisted by a distinguished international Editorial Board and Section Editors, Oxford u. a. 1989. [Section 1: Newspapers, hrsg. von Hugh GOUGH; Section 2: Memoirs & Autographs, hrsg. von Colin LUCAS; Section 3: Basic printed collections, hrsg. von Colin LUCAS; Section 4: Bibliographical & Research Tools; hrsg. von Colin LUCAS; Section 5: Prerevolutionary debate, hrsg. von Jeremy POPKIN und Dale VAN KLEY; Section 6: Political Themes: 6.1. Local government, hrsg. von Alison PATRICK, 6.2. Extra-parliamentary Politics, hrsg. von Michel VOVELLE, Françoise BRUNEL & Raymonde MONNIER, 6.3. Political Authors, hrsg. von François FURET & Patrice GUÉNIFFEY; Section 7: Resistances to the Revolution, hrsg. von Roger DUPUY; Section 8: Religion, hrsg. von Timothy TACKETT; Section 9: The Reorganization of Society, hrsg. von Patrice HIGONNET (9.1.), Gwynne LEWIS (9.2.), Michael SONENSCHER & Isser WOLOCH (9.3.), Dominique GODINEAU (9.4.), Alan FORREST (9.5.); Section 10: The Economy, hrsg. von Geoffrey ELLIS (10.1.), Peter JONES (10.2.) und Denis WORONOFF (10.3.); Section 11 War and the colonies, hrsg. von Jean-Paul BERTAUD (11.1.), Robert FORSTER & David GEGGUS (11.2.); Section 12: Culture, hrsg. von James LEITH.] TUETEY, Louis: Procès-verbaux de la Commission temporaire des arts, 2 Bde., Paris 1912 und 1917. WILLOWEIT, Dietmar und Ulrike SEIF: Europäische Verfassungsgeschichte, München 2003.

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Archivalien Archives nationales, Paris Série AD: Archives imprimées AD/VIII/11 à 45 Textes administratifs / Instruction publique, lettres et arts. 1789–1875. AD/XVIIIC/440 et 441 Archives imprimées du pouvoir législatif de la Révolution à la IVe République / Impressions des Assemblées. 1789–1898. / Conseil des Cinq-Cents et Conseil des anciens. An IV–an VIII. / Fêtes. Théâtres. AD/XVIIIC/453 Archives imprimées du pouvoir législatif de la Révolution à la IVe République / Impressions des Assemblées. 1789–1898. / Conseil des Cinq-Cents et Conseil des anciens. An IV–an VIII. / Divorce. Mariage. Adoption. Enfants naturels. AD/XVIIIC/460 et 461 Archives imprimées du pouvoir législatif de la Révolution à la IVe République / Impressions des Assemblées. 1789–1898. / Conseil des Cinq-Cents et Conseil des anciens. An IV–an VIII. / Affaire du 18 Fructidor. AD/XVIIIC/468 Archives imprimées du pouvoir législatif de la Révolution à la IVe République / Impressions des Assemblées. 1789–1898. / Conseil des Cinq-Cents et Conseil des anciens. An IV–an VIII. / Calendrier républicain. Fêtes. Série AF: Archives du pouvoir exécutif (1789–1815) AF/II/17 Comités de la Convention / Comité d’Instruction publique: minutes des procès-verbaux. An II–an IV. AF/II/139 à 140B Comité de Salut public / Missions des représentants du peuple dans les départements / Seine AF/III/1–16 Directoire exécutif / Procès-verbaux des séances du Directoire. An IV– an VIII. AF/III/95 Directoire exécutif / Intérieur / Circulaires imprimés. An VI–an VII. AF/III/107 à 109 Directoire exécutif / Intérieur / Instruction publique. 1724–an VIII. AF/III/110 et 111 Directoire exécutif / Intérieur / Adresses relatives au 18 fructidor. An V– an VI.

Quellen

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Série F: Versements des ministères et des administrations qui en dépendent F/1C/I/53 à 69 Ministère de l’Intérieur / Esprit public / (En 3 cartons). Serments politiques, votes populaires, actes d’adhésion politique divers (1791–1852). Conventionnels régicides (1816). F/1C/I/84 à 89 Ministère de l’Intérieur / Esprit public / Fêtes publiques. Sciences et arts. An II–1815. F/1C/I/90 à 114 Ministère de l’Intérieur / Esprit public / Fêtes et cérémonies diverses, adresses, monuments commémoratifs, souscriptions nationales. An IV–1859. F/1C/III/Ain 1 à F/1C/III Zuyderzée 2 Ministère de l’Intérieur / Esprit public et élections / Elections, comptes rendus administratifs, adhésions et adresses, prestations de serment, fêtes nationales, correspondance et divers (classement départemental). 1789–1877. F/7/3840 à 3873 Police générale / Rapports généraux de surveillance du Bureau central du canton de Paris puis de la Préfecture de Police. An IV–1827. F/7/6139 à 6997 Police générale / Affaires politiques. F/7/7186 à 7266 Police générale / Affaires diverses / Série B3. Dossiers nos 1 à 10.000. 26 fructidor an IV – 13 messidor an V. F/17/1231 à 1236 Instruction publique / Commission temporaire des Arts: procès-verbaux du directoire (an III), objets de science de l’art, livres (an II–an V). Bureau des Beaux-Arts: costume des fonctionnaires, célébration du Décadi, fêtes républicaines, traits héroïques (an IV–an VIII). F/17/1238 à 1240/A Instruction publique / Commission temporaire des Arts: état des travaux des sections, correspondance avec le Comité d’Instruction publique (1793– an IX). Conseil de Conservation (an VI–an VII). F/17/1240/B à 1244/A Instruction publique / Musées et bibliothèques, Beaux-Arts et fêtes nationales, théâtres. 1788–an IV. F/17/1245 Instruction publique / Conservation des objets de science et d’art. 1792– an VIII. F/17/1288 à 1304 Instruction publique / Pensions; École d’architecture; Académie de France à Rome; Conservatoire de musique, Opéra, théâtres; fêtes et calendrier républicain (1792–1821). F/17/1307B et 1308 Instruction publique / Commission temporaire des Arts et Conseil de Conservation: minutes des procès-verbaux. Septembre 1793–vendémiaire an IX.

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Anhang

F/21/575 à 588 Beaux-arts / Monuments et édifices parisiens et départementaux: travaux. An II–1879.

Archives de la Préfecture de Police, Paris AA/48 à 266 Procès-verbaux des commissaires de police des sections.

Bibliothèque de la Ville de Paris, Paris 12272, boîte 2 Débats sur institutions civiles en l’an VI.

Bild- und Sachquellen (ohne Abbildung) [Non-identifié]: [Culte théophilantropique], eau-forte, 8 × 11,5 cm, [Paris? ca. 1797]. (Paris, BnF, Coll. Histoire de France, Qb1 1797-04-28, M103689.) [Non-identifié]: Acte constitutionnel du peuple français. (Paris, BnF, Coll. de l’Histoire de France, Inv. Qb1, 1794, M103021 und Coll. Hennin, Inv. 11593.) [Non-identifié]: Amour de la patrie, gravure à l’eau-forte, 1795. (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 12169.) [Non-identifié]: Arrivée des remplacans, ou Tableau de Paris et de la France en Floréal, Radierung und Grabstichelarbeit, 22,6 × 33,5 cm. (Paris, Musée Carnavalet, Inv. GC histoire 24, G. 26222, abgebildet in: Ausst.Kat. AU TEMPS DES MERVEILLEUSES, Kat.Nr. 68, S. 67.) [Non-identifié]: Barnave, L’Homme de la cour 1791 l’homme du peuple 1789, gravure. [Paris 1791]. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 4036 und 4035, Coll. Hennin, Inv. 11104, abgebildet in: FURET/RICHET: La Révolution. Des états généraux au 9 Thermidor, S. 200.) [Non-identifié]: Les cinq... singes, Stich. (Paris, BnF, Coll. de l’Histoire de France Qb1, Inv. M 103205 sowie auch: Paris, Musée Carnavalet, Inv. PC histoire 25D, G. 25997.) [Non-identifié]: Comité de l’an deuxieme, 1794. (Paris, BnF, Coll. de l’Histoire de France, Inv. Qb1, 1794, M102766.) [Non-identifié]: Comité révolutionnaire sous la terreur. (Paris, BnF, Coll. de l’Histoire de France, Inv. Qb1, 1794, M102901.) [Non-identifié]: Comment a-t-il la dessus? – il y a vin d’Espagne. ah! soutiens encore que tu n’es pas en correspondance avec les Espagnols. (Paris, BnF, Coll. de l’Histoire de France, Inv. Qb1, 1794, M102765.) [Non-identifié]: Départ des remplacés, ou Tableau de Paris et de la France en Floréal, Radierung und Grabstichelarbeit, 22,5 × 33,5 cm. (Paris, Musée Carnavalet, Inv. GC histoire 24, G. 26222, abgebildet in: Ausst.Kat. AU TEMPS DES MERVEILLEUSES, Kat.Nr. 67, S. 66.)

Quellen

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[Non-identifié]: Député à la convention Nationale, eau-forte, burin, 25 × 20,5 cm. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6552, abgebildet in: VOVELLE: La Révolution française. Images et récit, Bd. 4, S. 330.) [Non-identifié]: Le Diable après avoir couvé longtems la ruine du plus bel empire, s’applaudissait de sa brillante couvée […], gravure à l’aquatinte, 26,2 × 26,2 cm. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6470). [Non-identifié]: L’ennui des prêches civiques, gravure. (Paris, BnF, abgebildet in: VOVELLE: La Révolution française. Images et récit, Bd. 5, S. 195.) [Non-identifié]: Exposition des produits de l’industrie dans la cour du Louvre en l’an IX (1801), gouache/aquarelle, 43,2 × 69,5 cm. (Paris, Musée Carnavalet, Inv. D. 6002, abgebildet in: MARCHIONI: Les mots de l’Empire, S. 58.) [Non-identifié]: La faction incroyable: c’est affreux!, gravure à l’eau-forte, 26 × 37 cm, [Paris ca. 1797]. (Paris, BnF, Coll. Henin, Inv. 12422, abgebildet in: VOVELLE: La Révolution française. Images et récit, Bd. 5, S. 120.) [Non-identifié]: Figures allégorique de la liberté et de l’égalité, gravure au pointillé, 1793. (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 11797.) [Non-identifié]: Le General Buonaparte fait la paix avec le pape au nom de la Republique française, kolorierte Radierung, 16 × 19 cm, Paris [1797]. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6897.) [Non-identifié]: Gouvernement de Robespierre, eau-forte, 11,5 × 7 cm, Paris [ca. 1794]. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6537.) [Non-identifié]: Grand convoi funebre de leurs majestés les Jacobins en leur vivant, nos seigneurs et maitres décéde en leurs palais de la rue St. Honoré, Gravure à l’eau-forte, coloriée, 24,1 × 37,5 cm. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6479.) [Non-identifié]: L’homme à deux faces, caricature contre Bailly et La Fayette, Stich, eau-forte, coul., 26 cm × 17,5 cm, [Paris, ca. 1791]. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 1799, abgebildet in: VOVELLE: La Révolution française. Images et récit, Bd. 2, S. 39.) [Non-identifié]: Indigestion du diable, Gravure à l’eau-forte, coloriée, 16,9 × 22,3 cm. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6474.) [Non-identifié]: L’indigestion du diable, Lithographie, coloriée, 26,4 × 34,7 cm. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6475.) [Non-identifié]: Indivisibilité, eau-forte, burin, pointillé, ov. 15,5 × 13 cm, 1793. (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 11799.) [Non-identifié]: Intérieur d’un comité révolutionnaire. (Paris, BnF, Coll. de l’Histoire de France, Inv. Qb1, 1794, M102764.) [Non-identifié]: L’Intérieur du comité révolutionnaire. (Paris, BnF, Coll. de l’Histoire de France, Inv. Qb1, 1794, M102310 und 102311.) [Non-identifié]: Invalide et soldat contre Muscadin, gravure en couleurs. (Paris, Musée Carnavalet, abgebildet in: VOVELLE: La Révolution française. Images et récit, Bd. 5, S. 199.) [Non-identifié]: Jean-Baptiste Milhaud, huile sur toile, 117 × 90 cm, 1793. (Vizille, Musée de la Révolution française, Inv. D 1991-14, abgebildet in: BORDES/CHEVALIER: Catalogue, Kat.Nr. 22, S. 109.)

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[Non-identifié]: Lazare Carnot en costume de Directeur, peinture, 1796–1797. (Collection particulière, abgebildet in: BORDES/CHEVALIER: Catalogue, Abb. 58b, S. 218.) [Non-identifié]: Lequel faut-il donner, gravure à l’eau-forte, 30 × 22 cm, Paris, Mai 1797. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6593.) Vgl. auch Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 12338. [Non-identifié]: Les méchans me tourmentent, Stich. (Paris, Musée Carnavalet, abgebildet in: VOVELLE: La Révolution française. Images et récit, Bd. 4, S. 350.) [Non-identifié]: Merveilleuses et Incroyables, gravure coloriée. (Paris, Musée Carnavalet, photo Bulloz, abgebildet in: VOVELLE: La Révolution française. Images et récit, Bd. 5, S. 99.) [Non-identifié]: Nouveau Pacte de Louis XVI., avec le peuple le 20 juin l’an 4me de la liberté, 20,8 × 141 cm, 238 × 17,3 cm. (Paris, BnF, Inv. Qb1, 20 juin 1792, M101233, abgebildet in: HOCKMAN: French caricature and the French Revolution, S. 37.) [Non-identifié]: Le nouvel astre francais ou La cocarde tricolore suivant le cour du zodiaque, Aquatintaradierung, 1793. (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 11338.) [Non-identifié]: Les noyades de Nantes, eau-forte, burin, 12,5 × 8 cm, [Paris, entre 1794 et 1799]. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6388.) [Non-identifié]: M. Necker, Stich, veröffentlicht in: L’Accusateur public, n° XXIX et XXX: Lundi, 5 juin 1797 (17 Prairial). [Non-identifié]: Paul Barras premier, 1797, eau-forte col., 13 × 9 cm, [London] o. J. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6588 sowie Coll. Hennin, Inv. 12387.) [Non-identifié]: Pont de la Concorde, gravure à l’aquatinte, 18,4 × 31,6 cm. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6582.) [Non-identifié]: Portrait de Paul-François-Jean-Nicolas, ex-comte de Barras. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6586.) [Non-identifié]: Portraits des impartiaux, des modérés, des modérateurs, autre fois dits, les aristocrates, eau-forte, 14 × 9,5 cm. (Paris, BnF, Coll. de l’Histoire de France, Inv. Qb1, 1795, septembre-décembre, M103204, publiziert in: Révolutions de France et de Brabant; abgebildet in VOVELLE: La Révolution française. Images et récit, Bd. 2, S. 200.) [Non-identifié]: Président d’un Comité Révolutionnaire s’amusant de son Art, en attendant la levée d’un Scellé, gravure en pointillé, coloriée, 19 × 15,9 cm. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6488.) [Non-identifié]: Président d’un Comité Révolutionnaire, après la levée d’un Scelé, gravure en pointillé, coloriée, 19,1 × 16 cm. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6489.) [Non-identifié]: Réponse à Boulay, Massacre des prêtres / Dans l’Église des Carmes, Stich, veröffentlicht in: L’Accusateur public, n° XXXIII et XXXIV: Lundi, 7 août 1797 (20 Thermidor). [Non-identifié]: La République, Radierung, Paris 1797. (Frontispice, aus: Montjoie, Galart de: Almanach des gens de bien pour l’année 1797, Paris o. J., abgebildet in: REICHARDT: „Les Formes acerbes“, Abb. 3, S. 33.)

Quellen

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[Non-identifié]: Retour d’un emigré, eau-forte, coul., 24 × 16 cm. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 3717, abgebildet in: VOVELLE: La Révolution française. Images et récit, Bd. 5, S. 205.) [Non-identifié]: Les Robes-Pierrots au Diable, eau-forte, burin, 8 × 10 cm, Paris [1794 ou 1795]. (BnF, Coll. de l’Histoire de France, Inv. M102947.) [Non-identifié]: Le Roi Janus ou l’homme à deux visages, Aquatintaradierung. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 4308, abgebildet in: HERDING/REICHARDT: Die Bildpublizistik der Französischen Revolution, S. 120.) [Non identifié]: Saule pleureur, Publié en 1795, eau-forte, pointillé, 37 × 49 cm. (Paris, BnF, Coll. Histoire de France, Qb1 1793-01-2, M101918.) [Non-identifié]: Souper du diable, Gravure à l’eau-forte, coloriée, 17 × 22,1 cm. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6473.) [Non-identifié]: Translation du corps de Marat, gravure. (Paris, BnF, Coll. de l’Histoire de France, Inv. Qb1 1794 (août-décembre), M102977, abgebildet in: VOVELLE: La Révolution française. Images et récit, Bd. 5, S. 164.) [Non-identifié]: La Trinité républicaine, que d’actions de grace les républicains doivent aux trois Directeurs, Barras, Rewbel, et Revelliere-Lépaux! qu’avec plaisir ils les proclament sauveurs de la patrie. C’est a leur union courageuse et sacrée que nous devons la Constitution et la Republique, eau-forte, 29,5 × 19,0 cm, Paris [1797]. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6949.) [Non-identifié]: Le Triomphe de la paix entre la République française et l’Empereur, 1797, kolorierte Radierung, 16,8 × 18,0 cm. (Paris BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6914.) [Non-identifié]: Trophée républicain. Unité et Indivisibilité de la Republique, épreuve coloriée, 1793. (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 11788.) [Non-identifié]: Trophée Republicain. Unité, indivisibilité de la République, épreuve coloriée, 1793. (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 11787.) [Non-identifié]: Unité et indivisibilité de la République. (Paris, Musée Carnavalet, Inv. PC 27C 87 CAR 3480A.) [Non-identifié]: Vieux rentier et Vieux Pentionaire sur le chemin de Bicetre en 1797: l’un avec son Inscription, l’autre avec son brevet de pension, eau-forte, outils, 43 × 30 cm. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 3134, abgebildet in: VOVELLE: La Révolution française. Images et récit, Bd. 4, S. 353.) [Non-identifié]: Vue de la Fête des Époux, dessin. (Paris, Musée Carnavalet, abgebildet in: VOVELLE: La Révolution française. Images et récit, Bd. 5, S. 173.) [Non-identifié]: Vue de la montagne elevée au Champ de la Réunion, eau-forte, burin, 25,5 × 39,5 cm, Paris [1794]. (Paris, BnF, Coll. De Vinck, Inv. 6299.) [Non-identifié]: Vue du Champ-de-Mars, le 1er vendémiaire de l’an VII, gravure hollandaise. (Paris, Musée Carnavalet, zwei verschiedene Ansichten abgebildet in: VOVELLE: La Révolution française. Images et récit, Bd. 5, S. 171.) [Non-identifié]: Vue du côté oriental de la montagne élevée au Champ de la Réunion pour la fête qui y a été célébrée en l’honneur de l’Être Suprême, le Decadi 20 Prairial de l’an deuxième de la République Francaise, gravure à l’eau-forte, coloriée [verschiedene Formate]. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6299, 6300, 6301, 6303, 6306.)

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Académie d’élève de l’École de Mars avec glaive et bonnet phrygien, d’un artiste anonyme, membre des „Primitifs“, groupe d’élèves dissidents de l’atelier de David, vers 1795. (Vizille, Musée de la Révolution française, Inv. MRF 2003-7.) Alix, Pierre-Michel, nach Andrea Appiani: Le général Buonaparte, Pointillé en couleur, 1798. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6818.) Allais, Louis-Jean, nach Alexandre Fragonard: Le Génie français adopte la liberté et l’égalité, 1794. (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 11978.) Allais, Louis Jean: Portrait du Général Jean-Baptiste Kléber, aquatinte, manière noire. (Malmaison, châteaux de Malmaison et Bois-Préau, Inv. MM.84.2.13.) Arrêté du Bureau central du canton de Lyon relative à la „fête commemorative du 18 fructidor“, placard, papier, 58,7 × 42,0 cm. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6963.) Arrière garde du pape, gravure coloriée. (Paris, Musée Carnavalet, Inv. PC 025 G.26013.) Avant garde du Pape, gravure. (Paris, Musée Carnavalet, Inv. PC 025 G.26012.) Berthault, Pierre-Gabriel, nach Abraham Girardet: Attaque de la Convention Nationale, Journée memorable du 13 vendémiaire, An 4ème de la République Francaise, gravure en taille-douce, 19,2 × 25,2 cm. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6580.) Berthault, Pierre-Gabriel, nach Abraham Girardet: Fête de la fondation de la République, 1er Vendemiaire An V, gravure à l’eau-forte et au burin, 24 × 29 cm. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6787.) Berthault, Pierre-Gabriel, nach Abraham Girardet: Fête donné à Bonaparte, au Palais national du Directoire, après le traité de Campo Formio, le 20 Frimaire An 6e de la République, gravure à l’eau-forte et au burin, 24 × 29 cm [= 131e Tableau historique de la Révolution française]. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6932.) Berthault, Pierre-Gabriel, nach einer Zeichnung von Jean Louis Prieur: Fête de la liberté, 15 avril 1792, Radierung, 24,3 × 28,3 cm. (Paris, Musée Carnavalet, Inv. PC histoire 18B, G. 28450, abgebildet in: Ausst.Kat. SPEKTAKEL DER MACHT, Kat.Nr. V.27, S. 234.) Berthault, Pierre-Gabriel: Noyades dans la Loire, par ordre du féroce Carrier, les 6 et 7 décembre 1793, ou 5 et 6 frimaire an 2.eme de la République, eau-forte, burin, 24 × 29 cm, [Paris] o. J. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6383.) Berthault, Pierre-Gabriel und Claude Nicolas Malapeau, nach Alexandre Fragonard: Intérieur d’un Comité révolutionnaire sous le régime de la Terreur. Années 1793 et 1794, ou Années 2e et 3e de la République, Gravure eau-forte, burin, 24 × 29 cm. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6483.) Berthault, Pierre-Gabriel und Jean Louis Prieur: Pompe funèbre en l’honneur de Simoneau Maire d’Estampes, le 3 juin 1792, 18,6 × 25,3 cm. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 3599, abgebildet in: Ausst.Kat. LA RÉVOLUTION PAR LA GRAVURE, Nr. 61, S. 182f.) Blanchard: Monumens Nationaux élevés pour la Fête de la Fraternité, célébrée le 10 août 1793, gravure à l’aquatinte coloriée, 6,8 cm (coin). (Paris, BnF, Coll.

Quellen

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de Vinck, Inv. 4911, abgebildet in: HOULD: L’image de la Révolution française, S. 379.) Blanchard: Tallien à la Tribune, 9 Thermidor. (Paris, BnF, Coll. de l’Histoire de France, Inv. Qb1, 1794, M102913.) Boilly, Louis: Réunion d’artistes dans l’atelier d’Isabey, huile sur toile, 71,5 × 110 cm. (Paris, Musée du Louvre, Inv. 1290bis, abgebildet in: Ausst. Kat. AU TEMPS DES MERVEILLEUSES, Kat.Nr. 352, S. 216.) Boilly, Louis-Léopold: La Marche incroyable, Öl auf Leinwand. (Collection privée, abgebildet in: SIEGFRIED, The Art of Louis-Léopold Boilly, S. 75.) Boilly, Louis-Léopold: Le chanteur Chénard en costume de sans-culotte, Öl auf Leinwand, 22 × 34 cm, Paris 1792. (Paris, Musée Carnavalet, Inv.-Nr. P. 8, abgebildet in: Ausst.Kat. SPEKTAKEL DER MACHT, Kat.Nr. V. 36, S. 238 und Abb. 55, S. 220.) Bonnet rouge, Wolle, rot, Messing (Knopf), [Umschrift des Knopfes: „République Française“], 24 × 34 cm, Frankreich 1792. (Bad Homburg v. d. Höhe, Museum im Gotischen Haus, Inv. 1989/478, abgebildet in: Ausst.Kat. SPEKTAKEL DER MACHT, Kat.Nr. V.33, S. 238.) Bonneville, François: Bonaparte. Dédié aux Armées Françaises, gravure au pointillé, ø 8,5 cm, [Paris ca. 1798]. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6823.) Bonvalet: Merlin. Reveilliere-L’Épeaux. Barras. N. François de Neufchateau. J. Rewbel, eau-forte coloriée, 24,8 × 38,3 cm. (Paris, Musée Carnavalet, Inv. PC mœurs 36 bis, G. 24338, abgebildet in: Ausst.Kat. AU TEMPS DES MERVEILLEUSES, Kat.Nr. 15, S. 28.) Boulet: L’Intérieur du comité révolutionnaire, Scène dernière, eau-forte, outils, roulette, 43 × 59,5 cm, Se vend à Paris chez le c.en Boulet, 1797. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6485 sowie ebd., Coll. Hennin, Inv. 12055.) Brevet pour l’Ecole Saint-Cyr (Paris, BnF, Coll. Hennin, abgebildet in: BOPPE: Les vignettes emblématiques, Pl. N° 234, S. 157.). Brongniart: 9 et 10 thermidor de l’an 11. (Collection Sylvestre de Sacy, abgebildet in: VOVELLE: La Révolution française. Images et récit, Bd. 5, S. 168.) Brongniart: 10 aoust 1792. (Collection Sylvestre de Sacy, abgebildet in: VOVELLE: La Révolution française. Images et récit, Bd. 5, S. 168.) Brongniart: 14 juillet 1789. (Collection Sylvestre de Sacy, abgebildet in: VOVELLE: La Révolution française. Images et récit, Bd. 5, S. 168.) Brongniart: Constitution acceptée. (Collection Sylvestre de Sacy, abgebildet in: VOVELLE: La Révolution française. Images et récit, Bd. 5, S. 168.) Calendrier pour l’An III de la République Française avec au-dessus la vue de la „Montagne élevée au champ de la Réunion // Pour la Fête de l’Être Suprême“, gravure à l’eau-forte, coloriée, 70,5 × 50,3 cm. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6305.) Carte des membres du Conseil des Cinq-Cents. (Paris, BnF, Cartes et Cocardes, t. II., abgebildet in: LAUNAY: Costumes, S. 41.) Chataignier, Alexis: Audience publique du Directoire, eau-forte, burin, pointillé, Paris [ca. 1797]. (Paris, BnF, Coll. Histoire de France, Inv. Qb1, 1795, M103149, sowie ebd. Coll. Hennin, Inv. 12161 und ebd., Smith-Lesouëf, Inv. 3330.)

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Anhang

Compagnie, Jean-Baptiste, nach François Bonneville: J. Rewbel, Membre du Directoire exécutif, eau-forte, pointillé, col., 21 × 13 cm. (Paris, BnF, Coll. De Vinck, Inv. 6604, abgebildet in: VOVELLE: La Révolution française. Images et récit, Bd. 5, S. 22.) Compagnie, Jean-Baptiste, nach François Bonneville: LeTourneur, président du Directoire exécutif, eau-forte, burin, col., 19 × 12,5 cm. (Paris, BnF, Coll. De Vinck, Inv. 6594, abgebildet in: VOVELLE: La Révolution française. Images et récit, Bd. 5, S. 22.) Compagnie, Jean-Baptiste, nach François Bonneville: M. Paul. Barras, Membre du Directoire exécutif, burin, col., 18,5 × 12,5 cm. (Paris, BnF, Coll. De Vinck, Inv. 6587, abgebildet in: VOVELLE: La Révolution française. Images et récit, Bd. 5, S. 22.) Compagnie, Jean-Baptiste, nach François Bonneville: Revellière-Lépeaux, membre du Directoire exécutif, pointillé, 21,5 × 13,5 cm. (Paris, BnF, Coll. De Vinck, Inv. 6599, abgebildet in: VOVELLE: La Révolution française. Images et récit, Bd. 5, S. 22.) Copia, Jacques-Louis, nach Louis-Léopold Boilly: Le porte Drapeau de la Fête Civique. (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 12474 und 12475.) Coqueret, Pierre-Charles, nach Guillaume Guillon-Lethière: IX. Thermidor an II. (Paris, Musée Carnavalet, Inv. TGC histoire 1, G. 21114, abgebildet in: Ausst.Kat. AU TEMPS DES MERVEILLEUSES, Kat.Nr. 5, S. 19; sowie Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6551.) Coqueret, Pierre Charles, nach Hilaire Le Dru: Portrait du Général Bonaparte (Ier consul), Aquatinta, 1804. (Malmaison, Châteaux de Malmaison et BoisPréau, Inv. MM.84.2.6.) Coqueret, Pierre Charles und Lachaussée, nach Boze: Portrait de Bertier, Radierung, 18. Jh. (Paris, BnF, Inv. AA-3, Coqueret.) Crussaire: Temple de l’Immortalité (hommage à Barras), dessin. (Paris, Musée Carnavalet, abgebildet in: VOVELLE: La Révolution française. Images et récit, Bd. 5, S. 20.) Darcis, Louis, nach Carle Vernet: Les mérveilleuses, gravure au pointillé, 28,2 × 32,5 cm. (Paris, Musée Carnavalet, Inv. G. 4404, réserve, abgebildet in: Ausst.Kat. AU TEMPS DES MERVEILLEUSES, Kat.Nr. 74, S. 73.) Darcis, Louis, nach Louis-Simon Boizot: La Force, pointillé, diam. 8 cm, Paris [1794]. (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 12001.) Darcis, Louis, nach Louis-Simon Boizot: La France républicaine, 1794. (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 12008.) Darcis, Louis, nach Louis-Simon Boizot: La Fraternité, 1794. (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 12002.) Darcis, Louis, nach Louis-Simon Boizot: La Nature, 1794. (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 12005.) Darcis, Louis, nach Louis-Simon Boizot: La Probité, 1794. (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 11999.) Darcis, Louis, nach Louis-Simon Boizot: La Raison, pointillé, diam. 8 cm, Paris [1794]. (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 12004.)

Quellen

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Darcis, Louis, nach Louis-Simon Boizot: Le Triomphe la Vertu républicaine, pointillé, col. à la poupée, ov. 11 × 9,5 cm. (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 12016.) David, Jacques Louis: Costume d’un représentant du peuple pendant la Révolution, aquarelle, plume, encre grise, pierre noire, 13,0 m × 9,6 cm. (Paris, Musée du Louvre, Inv. RF 4611, Recto.) David, Jacques Louis: Entwurf einer Amtstracht, Feder, aquarelliert, 31,1 × 22 cm, Paris 1794. (Paris, Musée Carnavalet, Inv. D 7059, abgebildet in: Ausst.Kat. SPEKTAKEL DER MACHT, Kat.Nr. V.38, S. 238.) David, Jacques Louis: Entwurf einer Bürgeruniform, Feder, aquarelliert, 30,2 × 20,2 cm, Paris 1794. (Paris, Musée Carnavalet, Inv. D 7058, abgebildet in: Ausst.Kat. SPEKTAKEL DER MACHT, Kat.Nr. V.37, S. 238.) David, Jacques Louis: Madame Pierre Sériziat, soeur de Mme David, et son fils Emile, huile sur bois, 131 × 96 cm. (Paris, Musée du Louvre, Inv. RF1282.) David, Jacques Louis: Pierre Sériziat, beau frère de l’artiste, huile sur bois, 129 × 95 cm. (Paris, Musée du Louvre, Inv. RF1281.) David, Jacques Louis: Les Sabines, huile sur toile, 385 × 522 cm. (Paris, Musée du Louvre, Inv. 3691.) David, Jaques Louis: Le Serment du Jeu de Paume, à Versailles, le 20 juin 1789, lavis bistre, plume (dessin), rehauts de blanc, 66 × 101cm, 1791. (Versailles, châteaux de Versailles et de Trianon, Inv. MV 8409, INV Dessins 736, RF 1914.) David, Pierre-Louis: Autel de la patrie, Angers 1797, Holz, bemalt, geschnitzt, 125 × 115 cm, Durchmesser 96 cm. (Angers, Musée des Beaux-Arts, Inv. MBA 736 J1881, abgebildet in: Ausst.Kat. SPEKTAKEL DER MACHT, Kat. Nr. V.26, S. 233.) Debucourt, Philibert-Louis: Fraternité, Deux enfants se donnant la main, 1794. (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 11988.) Demachy, Pierre-Antoine: Fête de l’Etre suprême, 53,5 × 88,5 cm, Paris Anfang 19. Jh. (Paris, Musée Carnavalet, Inv. P 81, abgebildet in: Ausst.Kat. SPEKTAKEL DER MACHT, Kat.Nr. V.18 und Abb. 52, S. 218.) Die Verwandlung eines Adligen in einen Hund, Radierung und Kupferstich, 17,3 × 28,4 cm, 1673. (Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, abgebildet in: HERDING/REICHARDT: Die Bildpublizistik der Französischen Revolution, Abb. 86, S. 68.) Duflos, Pierre: Costume d’un Représentant du Peuple Français près les Armées de la République, institué par la Convention Nationale, l’An Ier de la Répub[li]que 1793 (V[ieux]. S[tyle].) Dessiné d’après nature sur les lieux, kolorierter Kupferstich, 12 × 8 cm, 1795. (Vizille, Musée de la Révolution Française, Inv. L86-189-6, abgebildet in: BORDES/CHEVALIER: Catalogue, Kat. Nr. 22b, S. 108.) Duplessi-Bertaux, Jean, nach Pierre-Alexandre Wille: La Fête de la Réunion dédiée à tous les bons citoyens, eau-forte, col., 50,5 × 65 cm, Paris [1795]. (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 11972.)

698

Anhang

Duplessi-Bertaux, Jean und Pierre-Gabriel Berthault: Audience du Directoire en costume le 30 Brumaire An 4e de la République, Kupferstich, 19,3 × 25,5 cm, Paris 1795. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6585.) Einblick Halbrund Assemblée Nationale, Paris. (abgebildet auf: http://www. assemblee-nationale.fr/infos/assister.asp [04/12/09, 12.05h].) Extrait des procès-verbaux de l’Assemblée nationale constituante. (Paris, BnF, abgebildet in: BOPPE: Les vignettes emblématiques, Pl. N° 2, S. 1.) Extraits des proces-verbaux de la Convention nationale [1792]. (Paris, BnF, abgebildet in: BOPPE: Les vignettes emblématiques, Pl. N° 6, S. 3.) Figure Allégorique. L’Égalité, 1794. (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 11984.) Figure Allégorique. L’Égalité, 1794. (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 11994.) Figure Allégorique. L’Égalité, patronne des Français, 1794. (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 11996.) Figure allégorique. La liberté couronnant l’égalité, 1793. (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 11798.) Figure Allégorique. La Liberté, 1794, épreuve coloriée. (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 11981.) Figure Allégorique. La Liberté, 1794. (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 11982.) Figure Allégorique. La Liberté, patronne des Français, 1794. (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 11995.) Figure Allégorique. La Liberté, patronne des Français, 1794. (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 11986.) Figure Allégorique. La Raison, 1794. (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 11989.) Figure Allégorique. La République, 1794. (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 11990.) Figure de l’égalité, 1793. (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 11794.) Figure de la liberté, 1793. (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 11795.) Figure de la liberté, 1796. (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 11793.) Frontispice, aus: Maton de La Varenne, Pierre-Anne-Louis de: Les Crimes de Marat et des autres égorgeurs; ou Ma Ressurrection. Ou l’on trouve non-seulement la preuve que Marat et divers autres scélérats, membres des Autorités publiques, ont provoqué tous les massacres des prisonniers; mais encore des matériaux précieux pour l’histoire de la Révolution française, Paris, an III (1795). Gérard, François: Le 10 août 1792, Bleistift, braune Tinte, 67 × 92 cm. (Paris, Musée du Louvre, Inv. 26713, abgebildet in: RIBEIRO: Fashion in the French Revolution, S. 66.) Gillray, James: Les Membres du Conseil des Cinq Cents, Farbradierung, 25,9 × 19,3 cm. (Paris, Musée Carnavalet, Inv. G. 28067, réserve, abgebildet in: Ausst.Kat. AU TEMPS DES MERVEILLEUSES, S. 214.) Gilly, Friedrich: Der Saal des Rates der Alten in den Tuilerien, 1797. (Berlin, Staatliche Museen, Nationalgalerie, Kupferstichkabinett, abgebildet in: TRAEGER: Der Tod des Marat, S. 49.) Girardet, Abraham und Pierre-Gabriel Berthault: Apothéose de J. J. Rousseau. Sa translation au Pantheon le 11 Octobre 1794 ou 20 Vendémiaire An 3eme de la Republique, eau-forte, burin, 24 × 29 cm. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6348, sowie ebd., Coll. Hennin, Inv. 11958.)

Quellen

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Gros, Antoine-Jean: Le Général Bonaparte au pont d’Arcole, le 17 novembre 1796, Öl auf Leinwand, 130 × 94 cm, 1796. (Versailles, châteaux de Versailles et de Trianon, Inv. MV6314.) Helman, Isidore-Stanislas und Jean Duplessi-Bertaux, nach Charles Monnet: Journée du 1er Prairial de l’an IIIe , Ferraud. Representant du Peuple assassiné dans la Convention Nationale, eau-forte, burin, 36,5 × 47,5 cm. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6574.) Helman, Isidore-Stanislas und Jean Duplessi-Bertaux, nach Charles Monnet: Journée du XIII Vendemiaire, l’an IV, Eglise St Roch, rue honoré, eau-forte, burin, 36,5 × 48 cm. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6579.) Hennequin, Philippe Auguste: Les remords d’Oreste, 1800, huile sur toile, 356 × 515 cm. (Paris, Musée du Louvre, Inv. 5322.) Hennequin, Philippe Auguste: Le Triomphe du peuple français au 10 août, peinture, 224 × 175 cm. (Rouen, Musée des Beaux-Arts, Inv. INVD820-2.) [Hercy]: Robespierre, guillotinant le boureau après avoir fait guillotiner tous les Français. (Paris, Musée Carnavalet, Inv. PC histoire 22C, G. 25919 sowie Paris, BnF, Coll. de Vinck, Nr. 6539.) Isabey, Jean-Baptiste: Le petit Coblence, plume et aquarelle, 45 × 37 cm. (Paris, Musée Carnavalet, Inv. D.7945, abgebildet in Ausst.Kat. AU TEMPS DES MERVEILLEUSES, Kat.Nr. 117, S. 115.) Le jacobin du 1ier prairial – Le jacobin du 4ème prairial, gravure à l’eau-forte, coloriée, 14,4 × 19,8 cm. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6464.) Julien, Laurent-Joseph: Le riche du jour ou le préteur sur gages, gravure à l’eauforte et au pointillé, 32,5 × 36,5 cm. (Paris, Musée Carnavalet, Inv. G. 22888, réserve, abgebildet in: Ausst.Kat. AU TEMPS DES MERVEILLEUSES, Kat.Nr. 66, S. 65.) Labrousse, L. F.: Les Fastes du peuple français, frontispice, eau-forte, outils, coul., 20 × 14 cm, [Paris 1796]. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 7105). Labrousse, L. F.: Les Fastes du peuple français, gravures au pointillé. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 7106–7133.) Labrousse, L. F.: Louis Joseph Moreau, trompette: non, vous ne le retiendrez pas. An 2, L. F. Labrousse aq. fo., eau-forte, outils, coul.; 15 × 18,5 cm (élt d’impr.), [Paris, entre 1796 et 1805]. (Paris, BnF, Coll. de l’Histoire de France, Inv. Qb1, 1794, août–décembre, M102981.) Labrousse, L. F.: Mort de Carouge commandt la corvette l’Assemblée nationale: sauvez-vous, mes amis, moi je reste à mon poste. 16 fructidor an 4.e [i.e. 2] (2 sept. 1794 v.s.), Labrousse del. et sculp., St Sauveur direx., eau-forte, outils, coul., 14 × 20 cm. (Paris, BnF, Coll. de l’Histoire de France, Inv. Qb1, 1794, août–décembre, M102974.) Landseer, John, nach William Marshall Craig und F. Cossia: Buonaparte, gravure au burin, 39 × 29,5 cm, London 1798. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6842.) Legrand, Augustin Claude Simon, nach Louis-Philibert Debucourt: A l’annonce du traité de Paix avec l’Empire, Stich. (Paris, BnF, abgebildet in: VOVELLE: La Révolution française. Image et récit, Bd. 5, S. 89.)

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Anhang

Lemonnier, I. S.: La pelle au cul, gravure à l’eau forte, 23 × 33,5 cm, [Paris 1797]. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6956 sowie ebd., Inv. 7399, abgebildet in: VOVELLE: La Révolution française. Images et récit, Bd. 5, S. 35.) Lesueur: Fête de l’Agriculture, aquarelle. (Collection Andé Claude Bidault de I’Isle, abgebildet in: VOVELLE: La Révolution française. Images et récit, Bd. 5, S. 172f.) La Liberté, 1794. (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 11983.) Malapeau, Claude Nicolas und Jean Duplessi-Bertaux: Cloture de la salle des Jacobins, dans la nuit du 27 au 28 juillet 1794, ou du 9 au 10 Thermidor, An 2 de la République, eau-forte, burin, 24 × 29 cm. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6476.) Malapeau, nach Swebach-Desfontaines: Fête des Victoires, combat des jeunes élèves au Champ-de-Mars, gravure (Paris, BnF, Coll. Hennin, t. 136, Inv. 11959, abgebildet in: VOVELLE: La Révolution française. Images et récit, Bd. 5, S. 166). Mallet, Jean-Baptiste, nach François Marie Beaurain: L’Amour de la patrie, eauforte, pointillé, monochr. Bistre, ov. 17 × 12,5 cm. (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 12170.) Manteau d’un représentant du peuple, Kaschmir und rote Wolle, schwarz ornamentiert (Saum), 185 × 286 cm, Ortingen 1798. (Colmar, Musée d’Unterlinden, Inv. 97 Cost. 104, abgebildet in: Ausst.Kat. SPEKTAKEL DER MACHT, Kat.Nr. V.40, S. 239.) Marchand, Jacques: Les Dégraissés donnant la pelle au cul au dégraisseur, gravure à l’eau-forte, 29,5 × 40 cm, déposée le 31 mars 1797. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6955.) Marchand, Jacques, nach Jean-François Bosio: Ils lont pri, il faut le rendre, gravure à l’eau-forte, pointillé, 12 × 16 cm. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6962, abgebildet in: VOVELLE: La Révolution française. Images et récit, Bd. 4, S. 347.) Marchand, Jacques, nach Jean-Baptiste Coste: Saule pleureur, Radierung, ca. 1793. (Paris, BnF, Coll. de l’Histoire de France, Inv. Qb1, 21 janvier 1793, M101918, abgebildet in: Ausst.Kat. FRENCH CARICATURE AND THE FRENCH REVOLUTION, S. 197f. sowie in Ausst.Kat. LA RÉVOLUTION FRANÇAISE ET L’EUROPE, Bd. 2, S. 579f.) Naudet, Thomas-Charles: Fête de l’Etre suprême, Feder und Bleistift, aquarelliert, Gouache und Pastell, 46,8 × 73,0 cm, Paris 1793. (Paris, Musée Carnavalet, Inv. D 5976.) Palais national des Cinq-Cents, par Gisors et Leconte architectes, gravure. (Paris, Musée Carnavalet, abgebildet in: VOVELLE: La Révolution française. Images et récit, Bd. 5, S. 14.) Petit, Simon: L’anarchiste ou le nouveau janus. (Paris, BnF, Coll. de l’Histoire de France, Inv. Qb1, 1797, M 103759.) Petit, Simon: L’anarchiste, je les trompe tous deux, eau-forte, pointillé, roulette 32,5 × 38,0 cm. (Paris, BnF, Coll. de l’Histoire de France, Inv. Qb1, 1797, M 103758.)

Quellen

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Poirier: Les formes acerbes, Radierung, eau-forte, burin, col., 34 × 38 cm, Paris publié le 24 floréal [1796]. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6143-6145.) Poisson, Jean Baptiste Marie: Horrible conspiration de Robespierre, dévoilée par le Comité de Salut public, le nonodi thermidor l’an 2 de la République Françoise une et indivisible. (Paris, BnF, Collection de l’Histoire de France, Inv. M102920.) Queverdo, François-Marie-Isidore: Nouveau Calendrier de la République française pour la 3e année. (Paris, BnF, Coll. Hennin, Inv. 11955.) Robert, Hubert: Banquet offert à Bonaparte dans la Grande Galerie du Louvre, le 30 frimaire an 6, Öl auf Leinwand, 54,0 × 66,5 cm. (Paris, Musée des Arts décoratifs, Inv. Pe 58, abgebildet in: Ausst.Kat. AU TEMPS DES MERVEILLEUSES, Kat.Nr. 28, S. 37.) Robert, Hubert: Fête de la Fédération, Öl auf Leinwand, 52 × 96 cm, vermutl. Paris 1790. (Versailles, Châteaux de Versailles et de Trianon, Inv. 7655 – MV 4603, abgebildet in: Ausst.Kat. SPEKTAKEL DER MACHT, Kat.Nr. V.2, S. 223.) Ruotte, Louis-Charles, nach Henry William Bunbury: La Chose impossible ou La Commission des Finances, gravure au pointillé, 22 × 30 cm, [Paris ca. 1797]. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6961.) Société des Jacobins avant le 22 septembre 1792. (Paris, BnF, abgebildet in: BOPPE: Les vignettes emblématiques, Pl. N° 5, S. 2.) Souriguières, Jean-Marie und Pierre Gaveaux: Le Réveil du peuple, gedruckte Partitur, 21,5 × 17,5 cm. (Paris, Musée Carnavalet, Inv. PC histoire 28A, G. 29928, abgebildet in: Ausst.Kat. AU TEMPS DES MERVEILLEUSES, Kat.Nr. 9, S. 23.) Tardieu, Alexandre, nach Hilaire Le Dru: Portrait de Barras, en pied, estampe. (Paris, BnF, Coll. Hennin, t. 164, Inv. 14358.) Tardieu, Jacques Nicolas: L’Accomplissement du vœu de la Nation. Vue de la Procession de l’ouverture des États-Généraux sortant de Notre-Dame pour aller à Saint-Louis, Prise de la Place Dauphine, à Versailles le 4 may 1789, Radierung, 29,3 × 59,3 cm. (Paris, BnF, Coll. Hennin. Inv. 10228 fol. ft 4, abgebildet in: Ausst.Kat. SPEKTAKEL DER MACHT, Kat.Nr. IV.16, S. 215.) Topino-Lebrun, François-Jean-Baptiste: La Mort de Caïus Gracchus, peinture, 49 × 75 cm. (Marseille, Musée des Beaux-Arts, Inv. L85-9.) Touzé, Jean, attribué à: Les Jacobins en enfer. (Paris, Musée Carnavalet, Inv. P.1317.) Van Tilborch, Gillis: Réunion villageoise, huile sur toile, 131 × 206 cm, 17e siècle. (Lille, Palais des Beaux-Arts, Inv. P.130.) Vernet, Carle [nach]: Incroyable. (Paris, Musée Carnavalet, Inv. D.5267.) Vignette de l’administration de la grosse artillerie. (Paris, BnF, abgebildet in: BOPPE: Les vignettes emblématiques, Pl. N° 18, S. 8.) Vignette du Comité de la Guerre. (abgebildet in: BOPPE: Les vignettes emblématiques, Pl. N° 24, S. 11.) Vignette du Comité de salut publique. (abgebildet in: BOPPE: Les vignettes emblématiques, Pl. N° 23, S.10.)

702

Anhang

Viller [nach]: Acte de justice du 9 au 10 thermidor, eau-forte, roulette, outils, 27 × 37 cm, Paris [ca. 1794]. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6544.) Voysard, E., nach Antoine Borel: L’alaitement maternel encouragé, gravure au burin, 24,0 × 36,6 cm. (Paris, BnF, Coll. de Vinck, Inv. 6354.) Vue Générale de la Fédération Française. Prise à vôl d’Oiseau au-dessus de Chaillot, gravure à l’eau-forte, coloriée, 31,5 × 48,0 cm. (Montréal, Coll. particulière, abgebildet in: HOULD: L’image de la Révolution française, S. 370.) Vue panoramique de la fête de la fédération au champ de mars, le 14 jullet 1790, agrémentée de deux figures allégoriques, représentant l’une la renommée, l’autre un génie de la liberté, 1790. (abgebildet in: DAYOT: La Révolution française, S. 115.) Wailly, Charles de: Vue de la salle des cariatides au Louvre, plume, encre brune, aquarelle, rehauts de blanc, papier beige, mine de plomb, lavis brun, lavis gris, 4,1 × 5,7 cm. (Paris, Musée du Louvre, Inv. RF 29454, Recto.)

Zeitungen Hauptquelle zur Rekonstruktion der Parlamentsdebatten war: Moniteur Gazette nationale, ou le moniteur universel. – Paris, 24 novembre 1789– 31 décembre 1810. Nach bestimmten Epochen bzw. Ereignissen ausgewertet wurden: Accusateur public L’accusateur public. - Paris: Impr. du Journal 1. [1793?]–35. An VII = [1798], 1 frim. = [21.Nov.]; damit Ersch. eingest. [par Jean Thomas Élisabeth RicherSerisy.] Ami des lois L’ami des lois. - Paris: An V = [1796/97], 14. Nov – An VIII = [1799/1800], 31. Mai = Nr. 459–1726[?]; du 5 au 18 brum. an VIII (27 oct–9 nov. 1799), (n° 1520–1533) a paru sous le titre de: „Journal. Par Poultier...“. Annales de la religion Annales de la religion ou Mémoires pour servir à l’histoire du XVIIIe siècle / par une société d’amis de la religion et de la patrie. – Paris: Impr.-Libr. Chrétiénne, 1.1795–18.1803/04(1803); damit Ersch. eingest. Conservateur Le Conservateur. Journal politique, philosophique et littéraire, par les citoyens Garat, Daunou, Chénier. 15 fruct. an V–2 therm. an VI (1er sept. 1797– 20 juil. 1798) (n° 1–323). Paris: [s. n.?] Courrier républicain Courrier républicain. – Paris: Freschelle, An II, 10 brum.= [1793, 31. Okt.]– An IV, 15 vend.= [1795, 7. Okt.] = Nr. 1–701; An IV, 23 brum.= [1795, 14. Nov.]–An V, 19 fruct. = [1797, 5. Sept.] = Nr. 737–1395.

Quellen

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Décade La décade philosophique, littéraire et politique. - Paris, An II = [1794, Apr.]– An IV = [1795/96] = Nr. 1–87; An V = [1796/97]–An XII = [1803/04]. Gazette française Gazette française. Papier-nouvelles de tous les jours et de tous les pays [Texte imprimé], 1792–28 frim. an VI (18 déc. 1797) (n° 1–3068), Paris: [s. n.?]. Journal des hommes libres Le Républicain. Journal des hommes libres de tous les pays... [Texte imprimé], 2 nov. 1792–27 fruct. an VIII (sept. 1800), Paris: [s. n.?]. A paru successivement sous les titres de: „Journal des hommes libres de tous les pays ou le Républicain“; „Persévérant (Le) “; „Républicain (Le) “; „Journal des Francs par les représentants du peuple... et autres écrivains patriotes“; „Correspondance des représentants... “; „Tribune (La) nationale“; „Lumière (La)“; „Consolateur (Le) “; „Journal des hommes libres“; „Ennemi (L’) des oppresseurs de tous les temps“; „Journal des hommes... “; „Journal des républicains“; „Journal des hommes libres de tous les pays“. La Quotidienne ou Feuille du jour La Quotidienne ou Feuille du jour, N° 188 (22 oct. [1796] = 1er brumaire an 5)–n° 500 (4 sept. 1797 = 18 fructidor [an 5]), [Paris] (rue des Prêtres-SaintGermain-l’Auxerrois, n° 42): Geoffroy, 1796–1797, Le n° 195 (29 oct.) est signé Riche; à partir du n° 196 (30 oct.) signé Michaud. – A partir du n° 239 (1796, 21 déc.) l’adresse porte: Geoffroy, rue de la Monnoie [n° 24]. – L’impr. varie: Imprimerie de Le Normant, rue des Prêtres-St.-Germain-l’Auxerrois, n° 42 (29 oct. 1796–8 juin 1797); Imprimerie de Papillon, rue de la Monnoie, n° 24 (9 juin 1797); Imprimerie de la Quotidienne même adresse (à partir du 10 juin 1797). – Interdit par arrêté du Directoire du 18 fructidor an 5. – Après publication d’un prospectus en l’an 7, à nouveau interdit par arrêté du 16 fructidor [2 sept. 1799]. Le Miroir Le Miroir. [Réd. Beaulieu], 12 flor. an IV–18 fruct. an V (1er mai 1796–4 sept. 1797) (n° 1–492). 13 mess.–30 therm. an VII (1er juil.–17 août 1799) (n° 1–47), Paris: [s. n.?]. Le Rédacteur Le rédacteur. – [Paris], 1795 = An IV, 1(7. Dez. = 16 frim.)–9(15. Dez. = 24 frim.); 1795 = An IV, 16. Dez. = 25 frim. – An VIII = [1800], 28 niv. = [18. Jan.] = Nr. 1–1492. Messager du Soir Le Messager du soir ou Gazette générale de l’Europe [Texte imprimé], 10 vend. an II–6e jour complémentaire an III (1er oct. 1793–22 sept. 1795) (n° 1–1129). 1–16 vend. an IV (23 sept.–8 oct. 1795) (n° 1–14). 15 brum. an IV–18 fruct. an V (6 nov. 1795–4 sept. 1797) (n° 17–348). 1er nov.–22 flor. an VI (21 déc. 1797–11 mai 1798) (n° 1–142), Paris: [s. n.?]. Orateur du peuple L’Orateur du peuple. Par Martel [„puis“ Journal libre par Martel; Par Fréron], mai 1790–[sept.] 1792 (I–XIV, n° 21). 13–14 nov. 1792 (I, n° 1–2). 25 fruct.

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an II–25 therm. an III (11 sept. 1794–12 août 1795) (VII–IX, n° 1–157), Paris: [s. n.?]. Sentinelle La Sentinelle, par J. B. Louvet (du Loiret), représentant du peuple, n° 1 (an 3, 6 mess.) [1795, 24 juin]–n° 1038 (an 6, 14 flor.) [1798, 3 mai], Paris: [s. n.], [1795]–[1798]. Darüber hinaus werden einzelne Ausgaben folgender Titel zitiert: L’Ami du peuple L’ami du peuple ou le publiciste parisien: journal politique et impartial / par Marat. – Paris, 1789, 12. Sept.–1792, 21. Sept. = Nr. 1–685. Les Annales du Musée et de l’École des Beaux-Arts Annales du Musée et de l’École moderne des beaux-arts, recueil de gravures au trait d’après les principaux ouvrages de peinture, sculpture ou projets d’architecture, qui, chaque année ont remporté le prix [...], Tomes I–VIII / rédigé par le C. Landon, [...], Paris: De l’imprimerie de Didot jeune, an IX1801–an XIII-1805. Annales patriotiques Annales patriotiques et littéraires de la France, et affaires politiques de l’Europe: journal libre par une Société des Ecrivains Patriotes / dirigé par M. Mercier. – Paris: Buisson, 3 oct. 1789 (n° 1)–30 frim. an III (20 nov. 1794) (n° 718). 1er niv. an III (21 déc. 1794) (n° 1)–frim. an VI (12 déc. 1797) (n° 436). Le Bien Informé Le Bien informé, n° 1er (17 fructidor an V = 3 septembre 1797 v. st.)–n° 381 (2e jour complémentaire an VI [18 septembre 1798]); n° 1 (3 vendémiaire an VII [24 septembre 1798]); n° 383 (14 vendémiaire an VII [5 octobre 1798])–n° 524 (5 ventôse an VII [23 février 1799]); 4e année (1er vendémiaire an VIII [23 septembre 1799]–16 germinal an VIII [6 avril 1800]), Paris: Savard: Imprimerie-librairie du Cercle social, 1797–An VIII [1800]. Bulletin décadaire Bulletin décadaire de la République Française. – Paris: Impr. de la République, 1er vend. an VII–29 brum. an VIII (22 sept. 1798–11 nov. 1799), n° 1 (an 7, vend., 1ère décade)–n° 36 (an 7, fruct., 3e décade); n° 1 (an 8, vend., 1ère décade)–n° 5 (an 8, brum., 2e décade), Paris: Impr. de la République, [1798]–[1799]; damit Ersch. eingest. Bulletin des lois Bulletin des lois de la République Française = Gesetzregister der Französischen Republik. – Paris: Impr. Nat. des Lois; 1.Sér. 1.1794/95–205.1795/96; 2. Sér. 1.1795/96–9.1799/1800. Clef du Cabinet La Clef du cabinet des souverains: nouveau journal du soir et du matin, historique, politique, économique, moral et littéraire / par les citoyens Garat, Fontanes, Pommereuil, Gérard de Rayneval, Montlinot et Peuchet, n° 1 (12 nivôse an V = 1er janv. 1797)–n° 3132 (3e/4e jour complémentaire an XIII [20/21 septembre 1805]). Paris: Panckoucke, an V–an XIII [1797–1805].

Quellen

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Gazette de France, Gazette nationale de France „Gazette“ 30 mai 1631–30 déc. 1761; Devenu: „Gazette de France“. 1er janvier 1762–15 août 1792. – Devenu: „Gazette nationale de France“. 16 août 1792–28 frimaire an VI = 18 décembre 1797. – Devenu: „Gazette de France“. N° 1 (19 décembre 1797)–n° 3267 (31 décembre 1806); 1er janvier 1807– 24 août 1848. Gazette historique et politique de la France et de l’Europe Gazette historique et politique de la France et de l’Europe. – 11 niv. an II (31 déc. 1793) (n° 1)–[...], Paris: [s. n.?]. L’Indépendant L’Indépendant; par L. Leclerc (des Vosges) et Valcour. Paris, 1er vendémiaire an VI–30 vendémiaire an VII. Journal de Lyon Journal de Lyon et du Département de Rhône. – Lyon, An III–V = [1795– 1797]. Journal de Marseille Journal de Marseille. – Marseille, 1792, 17. Jan.–An V, 9 nivôse = 1796, 29. Dez. Journal de Paris Le Journal de Paris, 1er janv. 1777–30 juin 1827, Paris: [s. n.?]. Journal des campagnes et des armées Journal des campagnes et des armées, mars 1796 [?]–[...], Paris: [s. n.?]. Journal des Débats Journal des débats et des décrets / Corps Législatif. – Paris: Impr. Nationale, 1789, 5. Mai–1. Sept.; 1789, 29. Aug.–1791, 29. Sept. = Nr. 1–862; 1791, 1. Okt.–1792, 20. Sept. = Nr. 1–360; 1792, 21. Sept.–An IV, 4 brumaire = [1795, 26. Okt.] = Nr. 1–1139; An IV, 5 brumaire = [1795, 27. Okt.]–V, 30 floréal = [1797, 20. Mai] = Nr. 1–584; Journal des débats et lois du Corps Législatif. – Paris: Baudouin, An V = [1797], 1(1 prairial = [21. Mai])–An VIII = [1799], 43(9 nivose = [30. Dez.]). Le Menteur ou Le journal par excellence Le Menteur ou le journal par excellence, [an V] (n° 1–48), Paris: [s. n.?]. Narrateur impartial Le Narrateur impartial, 22 niv.–19 prair. an III (11 janv.–7 juin 1795) (n° 1–148), Paris: [s. n.?]. Narrateur universel Le Narrateur universel, suite de „Le Narrateur politique“[an VI, 5–6 nivôse], n° 1 (an VI, 1er vendémiaire [1797, 22 septembre])–n° 88 (an VI, 28 frimaire [1797, 18 décembre]); an VI, 5 nivôse [1797, 25 décembre]–6 nivôse [26 décembre], Paris (rue des Moineaux, 423): Impr. du Narrateur, an VI [1797]. Patriote français Le patriote français. – Paris, 1789, 6. Mai–1793, 2. Juni = Nr. 1–1388; damit Ersch. eingest. Révolutions de Paris Révolutions de Paris: dédiées à la nation et au district des Petits Augustins. – Paris, 1.1789, 12/17. Juli–17.1794, 28. Febr. = Nr. 1–225; damit Ersch. eingest.

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Semaines critiques Semaines critiques, ou Gestes de l’an [...], T. 1, n° 1 (7 germinal an 5 = 27 mars 1797)–t. 4, n° 33 (16 brumaire an 6 = 6 novembre 1797), Paris: chez les marchands de nouveautés, au Palais-Égalité, 1797. Le Thé Le Thé ou le Journal des dix-huit [„puis“ Thé (Le); Thé (Le) ou le Contrôleur général], 27 germ.–19 fruct. an V (16 avr.–5 sept. 1797) (n° 1–143). 9–13 therm. an VII (27–31 juil. 1799) (n° 1–5). 15–24 therm. an VII (2–11 août 1799) (n° 1–11) [?], Paris: [s. n.?]. Le Véridique Le Véridique, ou Courrier universel. An V.

Memoirenliteratur und Erlebnisberichte Barras, Paul: Memoiren von Paul Barras, Mitglied des Direktoriums, hrsg. von George DURUY, 4 Bde., Stuttgart u. a. 1895 und 1896. Barras, Paul: Mémoires de Barras, 8 Bde., Paris 2004–2006. Barras, Paul: Mémoires de Barras, membre du Directoire, hrsg. von George DURUY, 4 Bde., Paris 1895 und 1896. Besnard, François-Yves: Souvenirs d’un Nonagénaire, publié par Célestin PORT, Paris u. a. 1880. [Nachdruck Marseille 1979.] Carnot, Hippolyte: Mémoires sur Carnot: 1753–1823, 2 Bde., Paris 1861 und 1863. Chasles, Philarète: Mémoires, 2 Bde., Paris 1877. Delécluze, Etienne J.: David, son école et son temps. Souvenirs […], Préface et notes de J. P. MOUILLESEAUX, Paris 1983. [Original Paris 1855.] Gohier, Louis-Jérôme: Mémoires de Louis-Jérôme Gohier. Président du directoire au 18 brumaire, 2 Bde., Paris 1824. (= Mémoires des contemporains pour servir à l’histoire de France et principalement à celle de la République et de l’Empire.) Hennequin, Philippe-Auguste: Un peintre sous la Révolution et le Premier Empire. Mémoires de Philippe-Auguste Hennequin, écrits par lui-même, réunis et mis en ordre par Jenny Hennequin, Paris 1933. La Revellière-Lépeaux, Louis-Marie de: Mémoires de Larevellière-Lépeaux, 3 Bde., Paris 1895. Malmesbury, Earl of: Diaries and Correspondence of the Earl of Malmesbury. Containing An Account Of His Missions To The Courts Of Madrid, Frederick The Great, Catherine The Second, And The Hague; And Of His Special Missions To Berlin, Brunswick, And The French Republic, 4 Bde., London 1844. Mercier, Louis-Sébastien: Le nouveau Paris, édité par Jean-Claude BONNET, avec une introduction de Jean-Claude BONNET, Paris 1994. Meyer, Friedrich Johann Lorenz: Fragmente aus Paris im IVten Jahr der französischen Republik, Hamburg 1797.

Quellen

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Savary, Anne Jean Marie René, duc de Rovigo: Mémoires du duc de Rovigo, pour servir à l’histoire de l’Empereur Napoléon, 8 Bde., Paris 1828. Talleyrand-Périgord, Charles Maurice de: Mémoires du Prince de Talleyrand, publié avec une préface et des notes par le Duc de Broglie, d’après l’édition originale, Paris 1998. A Sketch of Modern France in a Series of Letters to a Lady of Fashion. Written in the Years 1796 and 1797 during a Tour Through France by Lady C. L. Moody, London 1798. Thibaudeau, Antoine Claire: Mémoires sur la Convention et le Directoire, première édition complète, comportant les modifications et compléments apportés par l’auteur après 1830, établie et annotée par François PASCAL, préface de Jean TULARD, Paris 2007. Thibaudeau, Antoine Claire: Mémoires sur la Convention et le Directoire, 2 Bde., Paris 1824. (= Collection des mémoires relatifs à la révolution française.)

Druckschriften nach Autoren bzw. Titel Le 18 fructidor ou Anniversaire des fêtes directoriales, Hambourg 1798. [Anonyme]: Dispute du diable. Entre monsieur Dimanche, la citoyenne Décade, le Curé de la paroisse des Innocens, le Curé des Théophilantropes. – Réconciliation de la Décade avec le Dimanche, signé Artaoth, traduit de l’Hébreu par Isaac-Nathan, se distribue rue des Prêtres-Severin, n° 169, de l’imprimerie de la rue du Four-Honoré, n° 117, o. O. o. J. [Anonyme]: Rapport fait au Divan par Esseid-Aly-Effendy, Ambassadeur de la Porte Ottomane près la République française, sur la situation actuelle de la France, et sur l’esprit public, o. O. o. J. Andrieux, François: Corps législatif. Conseil des Cinq-cents. Opinion d’Andrieux (de la Seine) sur le projet de loi relatif à la cocarde nationale, Séance du 12 floréal an VII (1. Mai 1799), Paris, Floréal an VII. Anniversaire du 18 Fructidor. Programme, Paris, fructidor an VI. [Signé: Le ministre de l’interieur, François (de Neufchâteau).] Audouin, Pierre-Jean: Motion d’ordre, Pour la formation d’une commission qui soit chargée de présenter un travail sur les institutions républicaines, Séance du 19 Fructidor soir, an V. Babeuf, Gracchus: On veut sauver Carrier, on veut faire le procès au Tribunal révolutionnaire. Peuple, prend garde à toi, o. O. o. J. Bailleul, Jacques-Charles: Corps législatif, Conseil des Cinq-cents, Discours prononcé par J.-Ch. Bailleul, président du Conseil des Cinq-cents, le 2 pluviôse répondant au 21 janvier (ancien style), avant la prestation de serment de haine à la royauté et à l’anarchie, Séance du 2 pluviôse an VI. Bailleul, Jacques-Charles: Corps législatif, Conseil des Cinq-cents, Discours prononcé par J.-Ch. Bailleul, président du Conseil des Cinq-cents, le 2 pluviôse répondant au 21 janvier, pour la plantation des arbres de la liberté dans les cours du palais du Conseil des Cinq-cents, Paris, an VI.

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Barailon, Jean-François: Projet sur le costume particulier à donner à chacun des deux conseils législatifs, et à tous les fonctionnaires publics de la République française, présenté à la Convention nationale, 13 fructidor an III (30. August 1795), Paris 1795. Barras, Paul-Jean-François-Nicolas: Discours prononcé par le citoyen Barras, président du Directoire exécutif, le 2 Pluviôse an VI, jour de l’anniversaire du supplice du dernier tyran des Français, Paris, an VI. Beaulieu, Claude François: Essais historiques sur les causes et les effets de la Révolution de France avec des notes sur quelques évènemens et quelques institutions, par C.-F. Beaulieu, 6e volume, livre 2ème, Paris, an IX–XI (1801–1803). Beauvert, Antoine Joseph de: Caricatures politiques, Paris, an VI. Bénézech: Appel aux artistes, Paris, Floréal an IV. [Bienaimé, Président, Wicar, Secrétaire]: Considérations sur les avantages de changer le costume français par la société populaire et républicaine des arts, [Paris] o. J. Boissy d’Anglas, François-Antoine de: Quelques idées sur les arts, sur la nécessité de les encourager, sur les institutions qui peuvent en assurer le perfectionnement, & sur divers établissemens nécessaires à l’enseignement public, adressé à la Convention, et au Comité d’instruction publique, par Boissyd’Anglas, 25 pluviôse an II (13. Februar 1794), Paris, l’an 2. Bonnaire, Félix: Conseil des Cinq-cents: Rapport fait par Bonnaire, sur le calendrier républicain, Séance du 4 thermidor an 6, Paris, an VI. Bonnaire, Félix: Corps législatif. Conseil des Cinq-cents. Opinion de Bonnaire (du Cher) contre le projet de résolution présenté au nom d’une commission spéciale par Roëmers sur la cocarde nationale, Séance du 6 nivôse an VII (26. Dezember 1798), Paris, nivôse an VII. Bonnaire, Félix: Corps législatif. Conseil des Cinq-cents. Rapport fait par Bonnaire (du Cher), au nom d’une commission spéciale, sur la cocarde nationale, Séance du 19 ventôse an VII, Paris, ventôse an VII. Bonnaire (du Cher), Félix: Rapport, Au nom des commissions d’instruction publique et des institutions républicaines, réunies, Sur les fêtes décadaires, Séance du 19 messidor an 6, Paris, messidor an 6. Calben, M. L.: Réponse à un écrit intitulé ‚Les Jacobins démasqués‘, Paris o. J. Le calendrier républicain, poëme, lu à l’assemblée publique du Lycée des Arts, le 10 Frimaire de l’an 3; suivi d’une Ode au Vengeur, et de quelques autres poëmes sur les victoires de la République en Italie, en Espagne, en Allemagne; sur la conquête de la Hollande; sur la paix avec la Toscane, et d’une douzaine d’Hymnes civiques ou Chansons, par le Poète de la Révolution Dorat-Cubières […], Paris, An IV de la République. Célébration de l’anniversaire de la juste punition du dernier roi des Français, Qui doit avoir lieu au Champ de la Fédération, le premier Pluviôse de l’an IV de la République Française, une et indivisible, conformément à l’arrêté du Directoire exécutif du 22 Nivôse de la même année, o. O. o. J. Chemin-Dupontès, Jean-Baptiste: Qu’est-ce que la théophilanthropie? Paris: A la librairie classique, An X (1801).

Quellen

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Chénier, Marie Joseph: Rapport sur la fête des victoires, Qui doit être célébrée le décadi 30 vendémiaire, l’an III de la République française une et indivisible, fait à la Convention nationale, au nom du comité d’instruction publique, par Marie-Joseph Chénier, Député par le département Seine-et-Oise, Le 27 vendémiaire, l’an 3e de la République une et indivisible, Paris, vendémiaire an III. Chénier, Marie-Joseph de: Convention nationale. Rapport fait sur les récompenses aux artistes et gens de lettres, au nom du Comité d’instruction publique, par Marie-Joseph Chénier, suivi du décret rendu en conséquence à la séance du 14 nivôse l’an IIIe (3. Januar 1795), Paris, an III. Chuquet, Arthur: Lettres de 1792, 1ère série, Paris 1911. (= Bibliothèque de la Révolution et de l’Empire. 4.) Les Commissaires inspecteurs des deux Conseils à leurs collègues, membres du Corps législatif, Paris, an VI. Condorcet, Jean-Antoine-Nicolas de Caritat: Esquisse d’un tableau historique du progrès de l’esprit humain. Ouvrage posthume, Paris, l’an III de la République, une et indivisible. Confédération nationale, Ordre de Marche, Pour la Confédération, Qui aura lieu le 14 Juillet, & dispositions dans le Champ-de-Mars, o. O. o. J. [Signé Bailly, Maire, La Fayette.] Constant, Benjamin: Des réactions politiques, o. O., 10 germinal an V. Convention nationale. Rapport sur la fête du 10 août de l’an II de la République française une et indivisible, Paris, o. J. [Signé: Barère.] Corps législatif. Conseil des Anciens. Fête funèbre du 25 fructidor, ordonnée par la loi du 19, consacrée à la mémoire du général Joubert et de ses braves compagnons d’armes, Paris, fructidor an VII. Corps législatif. Conseil des Cinq-cents. Rapport fait par Lecointe-Puyraveau sur les récompenses à accorder aux citoyens qui seront blessés en prêtant main-forte à la loi. Séance du 16 thermidor an VI. Cousin, Jacques-Antoine-Joseph: Les Jacobins blancs et les jacobins rouges, o. O. [Juli/August] 1797. Damien, Joseph: Justification complète, de plusieurs membres de la Société des Jacobins, et leurs fureurs contre Merlin-de-Thionville, qui a osé demander leur fermeture. Preuve de leur utilité, par un Jacobin à la vie, à la mort, Paris o. J. Daubermesnil, François-Antoine: Corps Législatif. Conseil des Cinq-cents. Rapport sur les honneurs à rendre aux guerriers morts les armes à la main, par Daubermesnil, Séance du 5 Thermidor (23. Juli 1796), [Paris], thermidor an IV. Daunou, Pierre Claude François: Essai sur l’Instruction publique, Paris 1793 [27. Juli 1793]. Daunou, Pierre Claude François: Rapport sur l’instruction publique présenté au nom de la Commission des Onze et du Comité de salut public, dans la séance du 23 vendémiaire, Paris, vendémiaire an IV. David, Jacques Louis: Convention nationale. Rapport et décret sur la fête de la réunion républicaine du 10 août, présentés au nom du Comité d’instruction publique (le 11 juillet 1793), par David, [Paris] o. J.

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Debry, Jean: Corps législatif, Conseil des Cinq-cents, Motion d’ordre sur la célébration d’une fête consacrée à la souveraineté du peuple, Séance du 11 pluviôse an 6, Paris, Pluviôse an 6. Decomberousse, Benoît-Michel: Corps législatif. Conseil des Anciens. Discours de B.-M. Decomberousse en réponse aux objections présentées contre la résolution du 6 thermidor sur les fêtes décadaires. Séance du 13 fructidor an VI, Paris, an VI. Desplanques[-Dumesnil, Charles]: Opinion de Desplanques sur les institutions républicaines, Séance du 24 frimaire an VI (14. Dezember 1797), [Paris, an VI]. Despréaux: Conseils aux sans-culottes, air: „On doit soixante mille francs“, in: La Chronique de Paris, juillet 1793. Dessaux-Lebrethon, Louis: Mes Angoisses de 30 heures, dans les journées des 5 et 6 Avril 1814, pour avoir, le premier, aboré le signe chéri des Français: la cocarde blanche, Gent, Mai 1815. Détail circonstancié de toutes les cérémonies, Qui vont être observées pendant les cinq jours Complémentaires et le premier Vendémiaire, Paris [1798]. Directoire exécutif. Extrait du procès-verbal de la séance publique du 10 brumaire, an 6. Directoire exécutif. Procès-verbal du 1er Pluviôse an 4 de la République Française, une et indivisible [sur la fête du 21 janvier], Paris, an IV. Ducancel, Charles-Pierre: L’Intérieur des comités révolutionnaires, ou les Aristides modernes, [Paris] 1796. Du Croisi: Le mois de février aux mois de janvier et de mars. Couplets sur le Calendrier républicain. Par le citoyen Du Croisi, chef de la deuxième division du Comité des Décrets de la Convention nationale, o. O. o. J. Duplantier, Jacques-Paul-Fronton: Conseil des Cinq-cents: Opinion de J. P. F. Duplantier, Député du département de la Gironde, sur le projet relatif au calendrier républicain, Séance du 12 thermidor an 6. Duplantier, Jacques-Paul-Fronton: Corps législatif. Conseil des Cinq-cents. Opinion de J. P. F. Duplantier, député du département de la Gironde, sur le projet relatif à la cocarde nationale, Séance du 3 floréal an VII (22. April 1799). Dussault, Jean-Joseph-François: Véritable portrait de Catilina Robespierre, tiré d’après nature, Paris o. J. Eschassériaux, René: Corps législatif. Conseil des Cinq-cents. Opinion d’Eschassériaux jeune sur le projet de résolution relatif à la cocarde nationale, Séance du 3 floréal an VII (22. April 1799), Paris, floréal an VII. Extrait des registres [sic] des délibérations du Directoire exécutif, du 22 Nivôse, an 4 de la République française, une et undivisible, signé Reubell. Fabre-d’Eglantine: Convention nationale, Rapport dans la séance du 3 du second mois de la seconde année de la République française, au nom de la Commission chargée de la confection du calendrier, o. O. o. J. Faulcon, Félix: Corps législatif. Conseil des Cinq-Cents. Opinion de Félix Faulcon, député de la Vienne, sur la célébration des décadis. Séance du 25 frimaire an VI (15. Dezember 1797), Paris, an VI.

Quellen

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Faulcon, Félix: Corps législatif. Conseil des Cinq-Cents. Opinion de Félix Faulcon, député de la Vienne, sur le projet de résolution relatif à la cocarde nationale. [8] prairial an VII (27. Mai 1799). Fête de la fondation de la République. Programme. [Le Chant du 1er vendémiaire, par M.-J. Chénier.] Paris, Fructidor an VI. Fête nationale du 10 août, fixée au 23 thermidor an IV. Programme, Paris o. J. [Signé: Le Ministre de l’Intérieur, Bénézech.] Fête sans-culotide des récompenses. Les détails, l’ordre et la marche de toutes les cérémonies qui doivent être observées à la translation des cendres de l’Ami du peuple au Panthéon français, Paris 4e jour des Sans-Culotides, o. O. o. J. François (de Nantes): Conseil des Cinq-cents, au nom de la commission des Onze, Séance du 3 messidor an VII. François de Neufchâteau, Nicolas: Anniversaire du 18 fructidor. Programme, in: Ders.: Recueil, Bd. 1, S. 96–100. François de Neufchâteau, Nicolas: Detail officiel, Ordre, marche et cérémonies, Qui seront observés aujourd’hui et demain dans Paris et au Champs de Mars, à l’occasion de la destruction des échaffauds, des bastilles, et du règne infernal de la terreur, Hymne, Qui sera chanté au Champs de mars en l’honneur de cette Fête, Liste et noms des trente chars, et des animaux rares et curieux qui formeront le cortège. Chants: danses, illuminations, divertissements de tous les genres pendant les deux jours de fêtes, Arrêté le 4 thermidor, an 6ème de la République française, o. O. François de Neufchâteau, Nicolas: Ordre, marche et cérémonie qui auront lieu au Champ-de-Mars pour la célébration de la Fête du Dix Août. Décoration du Cham[sic]-de-Mars avec les Tapisseries des Gobelins. – Jeux et Courses à pieds, à cheval, et dans des chars. – Prix qui seront décernés aux Vainqueurs. – Hymnes qui seront exécutés devant le Directoire. – Discours du Président du Directoire. Arrêté le 14 thermidor an 6. François de Neufchâteau, Nicolas: Recueil des lettres circulaires, instructions, programmes, discours, et autres actes publics, Émanés du C. en François (de Neufchâteau), pendant ses deux exercices du Ministère de l’intérieur, 2 Bde., an VII–VIII. Gamon, François-Joseph: Discours sur les moyens de rallier l’opinion publique aux vrais principes de la Révolution, et de rétablir la concorde entre tous les Français; contenant un résumé historique des principaux événemens qui ont eu lieu depuis le 10 août 1792; prononcé dans la séance du 23 thermidor, l’an 3e de la République Française, Paris, Thermidor l’an 3. Garrau, Pierre-Anselm: Corps législatif. Conseil des Cinq-cents, Opinion de P.-A. Garrau (de la Gironde) sur le projet de résolution présenté par Roemers sur le port de la cocarde nationale, Séance du 2 nivôse an VII, Paris, nivôse an VII. Gastin, Louis-Alexandre: Corps législatif. Conseil des Cinq-cents, Opinion de Gastin, sur le projet de résolution relatif à la cocarde nationale, Séance du 29 floréal an VII (18. Mai 1799), Paris, an VII.

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Gence, Jean-Baptiste-Modeste: Vues sur les fêtes publiques, et application de ces vues à la Fête de Marat, par le citoyen Gence, de la Section Chalier, ci-devant Beaurepaire, Paris, An IIeme de la République, une et indivisible. Gibelin, Alexandre-Esprit: De l’origine et de la forme du bonnet de la liberté, Paris, an IV. Gossec, François-Joseph und Chénier, Marie-Joseph de: Serment républicain / Chœur. [Paris, ca. 1797/98.] Gouin, Nicholaus-Louis: Projet d’une pompe funèbre qui doit être célébré dans toute la France, le 21 janvier de chaque année, en expiation de la mort de Louis XVI, détroné, jugé et condamné à périr sur un échafaud par une troupe de factieux qui se disaient représentants du peuple français, [Imp. De la clémence], o. J. [1797]. Grasset Saint-Sauveur, Jacques: Les Fastes du peuple Français, ou Tableaux raisonnés de toutes les actions héroïques et civiques du soldat et du citoyen français. Edition ornée de gravures d’après les dessins du Citoyen Labrousse. Par Jacques Grasset Saint-Sauveur, A Paris, Chez Deroy, Libraire, rue du Cimetière André-des Arts, n° 15, 1796. An 4e de la République française. Grégoire, Henri: Convention nationale. Rapport et projet de décret, présenté au nom du comité d’instruction publique, à la séance du 8 août [1793], par Grégoire, député du département de Loir-et-Cher. Imprimés par ordre de la Convention nationale, [Paris] o. J. Grégoire, Henri: Convention nationale. Rapport sur les moyens de rassembler les matériaux nécessaires à former les annales du civisme, et sur la forme de cet ouvrage, par le citoyen Grégoire, Séance du 28 septembre 1793. [Paris 1793.] Grégoire, Henri: Discours sur la liberté des cultes lors de la discussion du rapport fait par Duhot, concernant la célébration du décadi, Conseil des Cinq-cents, 26 frimaire VI (16. Dezember 1797), AN AD VIII 17. Grégoire, Henri: Essai historique et patriotique sur les arbres de la liberté, Paris, an II. Grégoire, Henri: Rapport et projet de décret présentés au nom du comité d’instruction publique, sur les costumes des législateurs et des autres fonctionnaires publiques, séance du vingt-huit fructidor, l’an trois (14. September 1795), par Grégoire, Député à la Convention nationale, Paris, 6e jour complémentaire, an 3. Grégoire, Henri: Rapport fait au Conseil des Cinq-cents, sur les sceaux de la République, Séance du 11 pluviôse an IV, Paris, pluviôse an IV. Grégoire, Henri: Rapport sur les destructions opérées par le vandalisme et sur les moyens de les reprimer, Séance du 14 fructidor l’an II (31. August 1794), Paris o. J. Honneurs funèbres rendus au général Joubert par les citoyens de son département qui se sont trouvés à Paris en fructidor an VII, [Paris] o. J. Housset, Étienne-François: Corps législatif. Conseil des Cinq-cents, Opinion de Housset sur le 14 juillet, Séance du 12 messidor an 6 (30. Juni 1798), Paris, an VI.

Quellen

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Labrousse, L. F.: Costumes des représentants du peuple, membres des deux conseils du corps législatif, du pouvoir exécutif, des ministres, des tribunaux, des messagers d’État, huissiers et autres fonctionnaires publics, etc., gravés par le citoyen Labrousse, artiste de Bordeaux, et coloriés avec la plus grande soin, d’après les dessins originaux confiés par le ministre de l’intérieur au citoyen Grasset Saint-Sauveur, 15 pl. eau-forte, outils, coul., 16 × 10 cm, Paris 1795. La Revellière-Lepeaux, Louis-Marie de: Essai sur les moyens de faire participer l’universalité des spectateurs à tout ce qui se pratique dans les fêtes nationales, Lu dans la séance du 22 vendémiaire an VI de la classe des sciences morales et politiques de l’Institut national, in: Mémoires de Lareveillière-Lépeaux, membre du Directoire exécutif de la République française et de l’Institut national, Bd. 3: Pièces justificatives, Paris o. J., S. 28–39. La Revellière-Lepeaux, Louis-Marie de: Proclamation du Directoire exécutif aux Français, du 23 fructidor, an V de la République française, une et indivisible, signé L. M. Reveillère Lépeaux, [Paris, an V, 1797]. La Revellière-Lépeaux, Louis-Marie de: Réflexions sur le culte, sur les cérémonies civiles et sur les fêtes nationales, lues dans la séance du 12 floréal an V de la classe des sciences morales et politiques de l’Institut national, in: Mémoires de Lareveillière-Lépeaux, membre du Directoire exécutif de la République française et de l’Institut national, Bd. 3: Pièces justificatives, Paris o. J., S. 7–27. [dort fehlerhafte Datierung auf das Jahr VI.] Lakanal, Joseph: Convention nationale. Projet d’éducation du peuple français, présenté à la Convention nationale, au nom du comité d’instruction publique, le 26 juin 1793, l’an II de la République, Paris 1793. Le Breton, Joachim: Rapports à l’Empereur sur le progrès des sciences, des lettres et des arts depuis 1789, Bd. 5: Beaux-Arts, Préface de Denis WORONOFF, Présentation et notes sous la direction de Udolpho VAN DE SANDT, Paris 1989. Leclerc, Jean-Baptiste: Corps législatif, Conseil des Cinq-cents, Rapport fait par Leclerc (de Maine-&-Loire), ‚Sur les institutions relatives à l’état civil des citoyens‘, Séance du 16 Brumaire an 6. Leclerc, Jean-Baptiste: Corps législatif, Conseil des Cinq-cents, Règlement proposé par Leclerc (de Maine-&-Loire), A la suite du Rapport ‚Sur les institutions civiles‘, Séance du 17 Brumaire an 6. Leclerc, Jean-Baptiste: Discours sur l’existence et l’utilité d’une religion civile en France. Prononcé à la tribune du Conseil des Cinq-cents, dans la séance du 9 Fructidor an 5. Paris, an 5eme. Liberté. Égalité. Programme de la fête de la Victoire, 10 Prairial de l’an IV, Paris o. J. Lindet, Robert: Rapport présenté au nom du Comité de salut public, le jour de la quatrième sans-culottide an II, [Paris] an III. Mansord, Charles-Antoine: Conseil des Cinq-cents, Discours prononcé par Mansord (du Mont-Blanc), sur le projet relatif au calendrier, ou, pour mieux dire, à l’annuaire républicain, Séance du 12 thermidor an 6, Paris, an VII. Manuel républicain. Première partie, contenant la constitution de la République française suivie d’instructions sur les nouveaux poids et mesures, sur les mon-

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naies républicaines […] sur l’annuaire républicain […] des tables des matières sous la forme de questions, Paris, an VII. Marbot, Antoine: Corps Législatif. Conseil des Anciens. Rapport sur les honneurs à rendre aux militaires blessés, par Antoine Marbot (de la Corrèze), Séance du troisième jour complémentaire, [Paris], Vendémiaire an 5. La Marche des cérémonies qui se feront le 3e jour complémentaire et le 1er vendemiaire, dans lesquelles il y aura une foire au Champ de Mars où les objets les plus précieux de nos manufactures y seront exposés. Joutes sur l’eau; luttes de différents jeux; masses de feu sur les tours, les dômes et les télégraphes; explosion de six cents fusées volantes; enlèvement d’un ballon et de plusieurs physiciens qui incendieront un bâtis [sic] représentant une fortification et une redoute; courses à pied, courses à cheval, courses en chars, danses et illuminations. La liste et le nom des membres de l’Institut qui feront l’ouverture de l’exposition publique des produits de l’industrie française. Les hymnes qui seront chantés, Paris o. J. Martainville, Alphonse-Louis-Dieudonné: Couplets en l’honneur des mémorables journées du 21 et 22 brumaire, signé A. Martainville, Paris [hss.] 1794. Martainville, Alphonse-Louis-Dieudonné: La Nouvelle Henriotade ou récit de ce qui s’est passé relativement à la pièce intitulée: „Concert de la rue Feydeau“, Paris o. J. Mathieu, Jean-Baptiste-Charles: Projet de fêtes nationales, présenté au nom du comité d’instruction publique, Paris, an II. Maton de La Varenne, Pierre-Anne-Louis de: Les Crimes de Marat et des autres égorgeurs; ou Ma Ressurrection. Ou l’on trouve non-seulement la preuve que Marat et divers autres scélérats, membres des Autorités publiques, ont provoqué tous les massacres des prisonniers; mais encore des matériaux précieux pour l’histoire de la Révolution française, Paris, an III (1795). Merlin de Thionville, Capet et Robespierre, Paris o. J. Millin, Eleuthérophile: Annuaire du républicain, ou légende physico-économique, avec l’explication des trois cents soixante-douze noms imposés aux mois et aux jours […], Paris, L’An II de la République Française. Ministère de l’intérieur. Liberté, Egalité. Cérémonie funèbre en mémoire des ministres français assassinés près de Rastadt par les troupes autrichiennes. Programme [3 prairial], Paris, prairial an VII. [Signé: François (de Neufchâteau).] Ministère de l’intérieur. Liberté, égalité. Fête de l’anniversaire du 14 juillet. Programme, Paris, messidor an VII. [Signé: Le ministre de l’intérieur, Quinette.] Ministère de l’intérieur. Liberté, égalité. Fête de l’anniversaire du 18 fructidor. Programme, Paris, fructidor an VII [Signé: Le ministre de l’intérieur, Quinette.] Ministère de l’intérieur. Liberté, Égalité. Fête de la liberté, Fixée au 9 et 10 Thermidor par la loi du 4 Brumaire an 4. Avis et Programme. Le Ministre de l’Intérieur à ses consitoyens, Paris, Thermidor an VII. [Signé Quinette.] Ministère de l’intérieur. Liberté, égalité. Fête funèbre, pour honorer la mémoire du général Joubert. Programme, Paris, Fructidor an VII. [Signé Le ministre de l’intérieur, Quinette.] Montjoie, Galart de: Almanach des gens de bien pour l’année 1797, Paris o. J.

Quellen

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Moreau de Vormes, Jacob-Augustin-Antoine: Corps législatif. Conseil des Anciens. Motion d’ordre par Moreau (de l’Yonne) sur le 14 juillet. Séance du 15 messidor an 6 (3 juillet 1798), Paris, an VI. Moreau de Vormes, Jacob-Augustin-Antoine: Corps législatif. Conseil des Anciens. Motion d’ordre sur la célébration des fêtes nationales instituées par la loi du 3 brumaire an IV, séance du 1er germinal an VII, Paris o. J. Notices des actions héroïques et des productions dans les sciences, la littérature et les beaux-arts, dont les auteurs ont mérité d’être désignés à la reconnaissance et à l’estime publique, dans la fête du 1er vendémiaire an VII, Paris, an VII. Ordre, marche et cérémonies de la fête à l’Être suprême, qui doit être célébrée le 20 prairial (an II), d’après le plan proposé par David et décrété par la Convention nationale, o. O. o. J. Ordre, Marche et Cérémonies des fêtes qui seront célébrées les 9 et 10 thermidor, et Détail des spectacles, jeux et courses, feu d’artifice, danses et illumination, qui auront lieu au Champ de Mars et aux Champs-Elysées. – Détail des prix décernés aux vainqueurs, Paris o. J. Ordre, Marche et Cérémonies qui auront lieu pour la célébration de la fête de la souveraineté du peuple. Arrêté du Directoire exécutif à ce sujet, le 30 ventôse an VI (20. März 1798), (Imp. Marchant), o. J. Ordre, marche et cérémonies qui auront lieu pour la première audience de réception de l’Ambassadeur Ottoman, le 10 thermidor et pour les fêtes des 9 et 10 thermidor. Extrait des régistres des délibérations du Directoire exécutif, du 6 thermidor an 5 (24. Juli 1797), Paris o. J. L’ordre de la marche de la fête qui aura lieu décadi prochain 10 nivôse, l’an 2e de la République une et indivisible, en mémoire des armées françaises, et notamment à l’occasion de la prise de Toulon, o. O. o. J. Parent-Réal, Nicolas-Joseph-Honoré: Corps législatif. Conseil des Cinq-cents. Motion d’ordre, Tendante à faire consacrer, par la fête du premier vendémiaire, l’accord parfait qui existe dans l’histoire de la révolution française, entre l’époque de la fondation de la République et celle de l’acceptation de la constitution, suivie de deux projets de résolution et d’un projet d’arrêté, par Parent-Réal, du Pas-de-Calais, Séance du 13 fructidor VII. [Paris], fructidor an VII. Peltier, Jean-Gabriel: Paris pendant l’année 1795[–1802], 35 Bde., London 1795– 1802. Périn, René und Commaille Saint-Aubin: Le Concert de la rue Feydeau ou la Folie du jour. Comédie en 1 acte, en prose... par les citoyens René Périn et Cammaille, Paris, an III. Philodème: Le Dernier Coup de tocsin de Fréron, o. O. o. J. [signé: Philodème, Paris, 12 pluviôse an III.] Procès-verbal, De la cérémonie funèbre qui a eu lieu au Champ-de-Mars, à Paris, le 10 Vendémiaire an VI, en mémoire du général HOCHE, Paris, Vendémiaire an VI. Procès-verbal de la fête de la liberté, célébrée les 9 et 10 thermidor an 5 (27./ 28. Juli 1797), Toulouse o. J.

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Procès-verbal du 1er Pluviôse, an 4 de la République française, une et indivisible, [Paris] o. J. Proclamation du Directoire exécutif à tous le Français, sur les élections des assemblées primaires et électorales de l’an VII, précédé de son arrêté concernant l’ordre, la marche et le detail des cérémonies qui seront observées pour la fête de la souveraineté du peuple [23 pluviôse an VI–11 février 1798], Paris o. J. Proclamation du Directoire exécutif aux Français, en date du 17 Fructidor an VII de la République une et indivisible, et Réponse des Français au Directoire exécutif, le 4 septembre, époque très remarquable, 1799, onzième année de la révolte, de l’anarchie, de tous les crimes réunis, de tous les genres de fléaux, de toute espèce de misères, Paris o. J. Programme de la Fête de la liberté, A célébrer les 9 et 10 Thermidor de l’an 4.e, en exécution de l’article Ier du titre VI de la Loi du 3 Brumaire, Paris o. J. [Signé Benezech und Ginguené.] Programme de la fête de la souveraineté du peuple, qui doit se célébrer le 30 ventôse an VII (20 mars 1799) de la République, dans l’enceinte du palais du Conseil des Anciens, Paris, ventôse an VII. Quatremère, Antoine: Rapport fait au Directoire du département de Paris, Sur les travaux entrepris, continués ou achevés au Panthéon Français depuis le dernier compte, rendu le 17 Novembre 1792, & sur l’état actuel du monument, le deuxième jour du second mois de l’an 2 de la République Française, une & indivisible, Paris, an II. Quinette de Rochemont, Nicolas-Marie: Programme de la Fête de la Fondation de la République, 14 fructidor an VII [31. August 1799]. Rabaut Saint-Etienne, Jean-Paul: Projet d’éducation nationale, du 21 décembre 1792, Paris ca. 1792–1793. Recueil complet des discours prononcés par le citoyen BARRAS, président du Directoire, par le général BONAPARTE, par les ministres des relations extérieures et de la guerre, et par le général JOUBERT et le chef de brigade ANDRÉOSSY, à l’audience solennelle donnée par le Directoire, le 20 frimaire an VI (10. Dezember 1797), pour la ratification du traité de paix conclu à Campo-Formio par le général Bonaparte, et la présentation du drapeau de l’armée d’Italie; accompagné de la description fidèle de cette fête et des hymnes qui y ont été chantés, Paris o. J. Recueil de cantiques, hymnes et odes pour les fêtes religieuses et morales des théophilanthropes, ou adorateurs de Dieu et amis des hommes, précédé des invocations et formules qu’ils récitent dans les dites fêtes, Paris, an VI. Réponse de plusieurs jacobins patriotes à la feuille intitulée: ‚Les Jacobins démasqués‘, Paris o. J. Richer-Serisy: Aux jacobins, Paris 1794. Rituel des théophilanthropes, contenant l’ordre de leurs différents exercices et le recueil des cantiques, hymnes et odes adoptés dans les différents temples, tant de Paris que des départements; rédigé, quant à la partie des invocations et formules, publié et distribué, quant à la partie des chants, par J.-B. Chemin, auteur des livres élémentaires de la théophilanthropie, Paris, an VII.

Quellen

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Robespierre, Maximilien: Rapport fait au nom du comité de salut public, sur les Rapports des idées religieuses et morales avec les principes républicains, et sur les fêtes nationales, Paris, an II. Roëmers, Charles-Clément: Corps législatif. Conseil des Cinq-cents. Projet de résolution présenté par Roëmers au nom d’une commission spéciale, sur le port de la cocarde nationale. Séance du 8 frimaire an VII (28. November 1798), Paris, an VII. Rollin de La Farge, Antoine: Corps législatif. Conseil des Cinq-Cents. Rapport fait par Rollin, au nom de la Commission d’instruction publique, sur la célébration de la fête du 1er vendémiaire, anniversaire de la fondation de la République, Séance du 13 fructidor an VII, Paris, an VII. Romme, Gilbert: Annuaire du cultivateur, pour la troisième année de la République, présenté le 30 Pluviôse de l’An IIe à la Convention nationale […], Paris, An IIIe de la République. Romme, Gilbert: Convention nationale. Rapport par G. Romme, au nom du comité d’Instruction publique, sur les abus qui se commettent dans l’exécution du décret du 18 du premier mois, relatif aux emblèmes de la féodalité et de la royauté, suivi d’un nouveau décret rendu dans la séance du 3 du deuxième mois ou du brumaire [3 brumaire II/24. Oktober 1793], [Paris 1793]. Romme, Gilbert: Convention nationale. Rapport sur l’ère de la République, Séance du 10 Septembre 1793, o. O. o. J. Rousseau, Jean-Jacques: Œuvres complètes, hrsg. von B. GAGNEBIN und M. RAYMOND, Bd. 5, Paris 1995. Rousseau, Jean-Jacques: Œuvres complètes, Préface de Jean FABRE, introduction, présentation et notes de Michel LAUNAY, Bd. 2: Œuvres philosophiques et politiques: des premiers écrits au Contrat social, Paris 1971. Rousseau, Jean-Jacques: Schriften, Bd. 1, hrsg. von Henning RITTER, Frankfurt am Main 1988. Rousseau, Jean-Jacques: Sozialphilosophische und politische Schriften, München 1981. Saint-Just, Antoine-Louis de: Œuvres complètes, Édition établie et présentée par Anne KUPIEC et Miguel ABENSOUR, Paris 2004. Salaville, Jean-Baptiste: L’homme et la société, ou, nouvelle théorie de la nature humaine et de l’état social, Paris, an VII. Senac de Meilhan, Gabriel: L’Émigré, publié par M. de Meilhan, Braunschweig 1797. Sherlock, Sauveur-François-Louis: Conseil des Cinq-cents, Opinion de Sherlock, Député de Vaucluse, sur le projet de résolution relatif au calendrier républicain, Séance du 12 thermidor an 6, Paris, an VI. Sonthonax, Léger-Félicité: Éloge funèbre du général Joubert, prononcé dans la salle du tombeau de Turenne, aux ci-devants Petits-Augustins, le 19 fructidor an VII, in: Honneurs funèbres rendus au général Joubert par les citoyens de son département qui se sont trouvés à Paris en fructidor an VII, [Paris] o. J., S. 17-25.

iteratur

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Talleyrand, Charles Maurice de: Rapport sur l’instruction publique, fait au nom du Comité de constitution, à l’Assemblée nationale, les 10 , 11 et 19 septembre 1791, par M. de Talleyrand-Périgord, Paris 1791. Tallien, Jean-Lambert: Discours prononcé à la Convention nationale, dans la séance du 11 fructidor, l’an II de la République, sur les principes du gouvernement révolutionnaire, par Tallien, Paris o. J. Torné, Pierre-Anastase: Discours de Pierre-Anastase Torné, évêque de la métropole du Centre, sur la suppression des congrégations séculières et du costume ecclésiastique, 6 avril 1792, Paris 1792. Vie criminelle et politique de J.-P. Marat, se disant l’ami du peuple, Adoré, porté en triomphe comme tel, et après sa mort, projeté Saint par la Jacobiniaille. OU L’homme aux 200.000 têtes, le vampire le plus remarquable de la République Française. SUIVIE, D’un Recueil exact de ce qui s’est passé à son sujet, sur plusieurs places publiques, Metz und Paris 1795.

Literatur Hilfsmittel BIOGRAPHIE NOUVELLE DES CONTEMPORAINS ou dictionnaire historique et raisonné […], par MM. A. V. ARNAULT u. a., 20 Bde., Paris 1820–1825. BOUTIER, Jean und Philippe BOUTRY (Hrsg.): Atlas de la Révolution française, Bd. 6: Les sociétés politiques, Paris 1992. CATALOGUE GÉNÉRAL DES MANUSCRITS DES BIBLIOTHÈQUES PUBLIQUES DE FRANCE. Tome LX: Bibliothèque historique de la Ville de Paris, II, par Michèle VASSEUR-DEPOUX et Hélène VERLET, Paris 1981. DICTIONNAIRE CRITIQUE DE LA RÉPUBLIQUE, sous la direction de Vincent DUCLERT et Christophe PROCHASSON, Paris 2002. DICTIONNAIRE DE BIOGRAPHIE FRANÇAISE, sous la direction de Michel PRÉVOST u. a., 19 Bde., Paris 1933–2001. DICTIONNAIRE DES USAGES SOCIO-POLITIQUES (1770–1815), hrsg. von der Equipe „18ème et Révolution“, Bd. 6: Notions pratiques, o. O. 1998. FIERRO, Alfred: Bibliographie critique des mémoires sur la Révolution écrits ou traduits en français, Paris 1988. FIERRO, Alfred und Véronique KLAUBER: Bibliographie de la Révolution française 1940–1988, 2 Bde., Paris 1989. FURET, François und Mona OZOUF: Kritisches Wörterbuch der Französischen Revolution, 2 Bde., Frankfurt am Main 1996. HANDBUCH DER EUROPÄISCHEN VERFASSUNGSGESCHICHTE IM 19. JAHRHUNDERT. Institutionen und Rechtspraxis im gesellschaftlichen Wandel. Bd. 1: Um 1800, Hrsg. von Peter BRANDT, Martin KIRSCH und Arthur SCHLEGELMILCH, Bonn 2006.

Literatur

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HANDBUCH POLITISCH-SOZIALER GRUNDBEGRIFFE IN FRANKREICH, 1680-1820, hrsg. von Rolf REICHARDT u. a., 20 Hefte, München 1985–2000. LES IMPRESSIONS DE LA CONVENTION NATIONALE, 1792–an IV. Inventaire analytique des articles AD XVIIIC 208–357, par Odile KRAKOVITCH, Paris, Archives nationales, 1997. LEMAY, Edna Hindie: Dictionnaire des Constituants, 1789–1791, 2 Bde., Paris 1991. MARTIN, André und Gérard WALTER: Catalogue de l’histoire de la Révolution française, Bibliothèque Nationale, Département des Imprimés, 5 Bde., Paris 1936–1943 sowie Table analytique, Paris 1969. MATHIEU, Rémi: Les Archives nationales, Etat général des fonds, Bd. 2: 1789– 1940, Paris 1978. MONGLOND, André: La France révolutionnaire et impériale. Annales de bibliographie méthodique et description des livres illustrés, 9 Bde., Grenoble und Paris 1931–1963. [Réédition 1976ff.] NAGLER, Georg Kaspar (Bearb.): Neues allgemeines Künstlerlexikon oder Nachrichten von dem Leben und den Werken der Maler, Bildhauer, Baumeister, Kupferstecher, Formschneider, Lithographen, Zeichner, Medailleure, Elfenbeinarbeiter, etc., Bd. 2, München (Fleischmann) 1835. PIERRE, Constant: Les hymnes et chansons de la Révolution: Aperçu général et catalogue avec notices historiques, analytiques et bibliographiques, Paris 1904. PIERRE, Constant: Musique des fêtes et cérémonies de la Révolution française, oeuvres de Gossec, Cherubini, Lesueur, Méhul, Catel, etc., recueillies et transcrites par Constant Pierre, Paris 1899. LES PROCÈS-VERBAUX DU DIRECTOIRE EXÉCUTIF AN V–AN VIII. Inventaire des registres des délibérations et des minutes des arrêtés, lettres et actes du Directoire faisant suite au Recueil des actes du Directoire exécutif d’Antonin Debidour, par Pierre-Dominique CHEYNET, Bd. 1–10, Paris 2000–2005. SÉGUIN, Philippe: 240 dans un fauteuil. La saga des présidents de l’Assemblée, Paris 1995. SOBOUL, Albert (Hrsg.): Dictionnaire historique de la Révolution française, Paris 1989. TOURNEUX, Maurice: Bibliographie de l’histoire de Paris pendant la Révolution française, 5 Bde., Paris 1890–1913. TULARD, Jean (Hrsg.): Le Dictionnaire Napoléon, Paris 1999. TULARD, Jean u. a. (Hrsg.): Histoire et dictionnaire de la Révolution française, 1789–1799, Paris 1987. WALTER, Gérard: Répertoire de l’histoire de la Révolution française. Travaux publiés de 1800 à 1940, 2 Bde., Paris 1941–45.

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Anhang

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nhang 754

Personenregister

enreDas Personenregister umfasst alle im Text und in den Anmerkungen genannten Personen (mit Ausnahme der Quellen- und Literaturangaben). Bei den historischen Akteuren dienten die Datenbanken der BnF sowie der Assemblée nationale zur Vereinheitlichung von Vornamen und Schreibweisen. A Agulhon, Maurice 63 Alphéran, Roux 480 Amar, André 50 André, Jean Pierre 352 Andrieux, François Guillaume Jean Stanislas 274, 378, 380 Angiviller, Charles Claude de La Billarderie, comte d’ 169, 469 Antonelle, Pierre-Antoine 18 Apollon 96, 146, 174, 182, 198 Aristeides (bzw. Aristide) 182, 187, 659 Atalante 174 Audelot, Marquis de 169, 469 Audouin, Pierre 605 Audouin, Pierre-Jean 309 Augereau, Pierre François Charles 155, 263, 569 Aulard, Alphonse 15, 20 Aymé, Jean-Jacques 425 B Babeuf, Gracchus (François-Noël) 20, 56, 262, 351, 361, 424, 450, 474, 483, 559, 606, 611–613, 615 Bacchus 174, 182, 228 Baczko, Bronislaw 18, 571, 668 Bailleul, Jacques-Charles 177–179, 412, 415, 489

Anhang

Bailly, Jean-Sylvain 65, 206, 345, 586 Baker, Keith M. 21 Barailon, Jean-François 90, 112, 114f., 117f., 134, 338 Bara, Joseph 230, 559 Barbaroux, Charles 283 Barbier, Luc 272 Barère (de Vieuzac), Bertrand 108f., 132f., 288, 305f., 579 Barjone, Simon (= Simon Petrus) 497 Barnave, Antoine 36, 187, 346, 586 Barras, Paul 47f., 50, 54f., 125–127, 139, 147, 263–266, 415f., 418f., 485, 488f., 502, 590, 626 Barthélemy, François 58 Baudin (des Ardennes), Pierre Charles Louis 139, 164 Baudin, Nicolas 274 Bazire (auch: Basire), Claude 348 Beaugeard, Ferréol 480 Beauharnais, Alexandre de 187 Beaulieu,Claude François 582, 600 Beauvais (de Préau), Charles Nicolas 450 Belissa, Marc 670 Ben Amor, Hamada 2 Ben-Amos, Avner 541 Benedikt, Hl. 316 Bénézech, Pierre 144, 191f., 469 Benoît, Bruno 564 Bérenger (auch: Béranger), Jean 438 Berger, Peter L. 30 Bernadotte, Jean-Baptiste 70f. Bernard (de Saintes), André Antoine 214, 216 Berthault, Pierre-Gabriel 158, 231 Berthélemy, Jean-Simon (= Jean-Simon Le Bouteux, auch: Berthelemy) 186 Berthier, Louis Alexandre 405f., 622 Berthollet, Claude-Louis 627 Besson, Alexandre 272, 277 Billaud-Varenne, Jacques Nicolas 507

755

Personenregister

Bion, Jean-Marie 179, 354 Boilly, Louis-Léopold 498, 504f., 610 Boissier, Pierre Bruno 115–117 Boissieu, Pierre Joseph Didier 319 Boissy d’Anglas, François-Antoine de 192, 244, 270, 353, 356, 413, 513 Bonaparte, Lucien 261, 359, 459f. Bonaparte, Napoléon (bzw. Napoleon) 5f., 10, 13–15, 23, 40, 43, 48, 54, 57f., 70f., 150–152, 154f., 161, 174, 178, 186–188, 190, 199, 219, 229, 243, 252, 260–268, 273, 364, 373f., 380f., 406, 459, 474, 497, 550, 591f., 602, 607, 609, 612, 619–624, 626–628, 631, 633, 651, 662, 676 Bonnaire, Félix 313, 321–323, 376–378, 452–454 Bonnet, Jean-Claude 252 Bonnier (d’Alco), Ange 239 Bordes, Philippe 611 Boulay (de la Meurthe), Antoine 357, 362f., 426, 482, 566, 595, 667 Bouquerot de Voligny, ThomasAndré-Marie 119 Bourdieu, Pierre 28 Bourdin, Philippe 15 Bourdon (de la Crosnière), Léonard 539 Bourdon (de l’Oise), FrançoisLouis 50, 569 Boyer de Nîmes, Jacques-Marie 580 Boyer, Ferdinand 171 Braschi, Giovanni Angelo (siehe Pius VI.) Braunfels, Fürst zu 257 Bréard, Jean-Jacques 139 Briot, Pierre Joseph 153, 362, 406 Brongniart, Alexandre-Théodore 198 Brown, Howard D. 375, 669 Brown, James Gordon 2

Brutus 139, 149, 173, 182–184, 207, 254, 348, 450, 541, 559, 563 Buffon, Georges-Louis Leclerc de 254 Bush, George W. 34 Byrnes, Joseph F. 461f. C Cabanis, Pierre-Jean-Georges 164 Cabarrus, Théresia 577 Caffarelli (du Falga), Louis-MarieJoseph-Maximilian 187 Calès, Jean-Marie 117 Caligula 500 Cambacérès, Jean-Jacques Regis de 139, 143, 164, 294 Cambon, Joseph Pierre 100 Camillus 187 Camus, Armand-Gaston 86, 619 Cange, Michel 368f. Capet (siehe auch: Ludwig XVI. bzw. Louis XVI.) 425, 573 Carbonnières, Philippe de 43 Carnot, Lazare (Nicolas Marguerite) 47f., 57f., 125, 139, 156, 165, 416, 467, 488, 496, 605f., 627, 643, 672 Carouge 369 Carrier, Jean-Baptiste 540, 543f., 579 Cäsar (bzw. César) 425, 518 Cassirer, Ernst 30 Catilina 573 Cato (bzw. Caton) 183, 187, 254 Ceres (bzw. Cérès) 174 Châles, Pierre Jacques Michel (s. auch Chasles) 562 Chalgrin, Jean-François 185–187, 199f. Chalier, Joseph 173, 253, 554, 564 Challamel, Augustin 478–480 Charette (= François Athanase de Charette de la Contrie) 415 Charlier, Louis Joseph 100, 139 Chartier, Roger 25, 32, 651, 675 Chasles, Philarète 283 Chasles, Pierre Jacques Michel 283

756 Chataignier, Alexis 157, 612 Chaussier, Hector 577 Chemin-Dupontès, Jean-Baptiste 434f., 441f., 641 Chénard, Simon 504 Chénier, Marie-Joseph de 116, 132–136, 139, 142, 167, 193, 229, 235, 238, 248, 258, 306, 358, 367, 383, 385–389, 410, 420f., 424, 446, 564, 641 Cheynet, Pierre-Dominique 47 Cholet (auch: Chollet), François Armand 361f., 427 Chronos 613 Chuquet, Arthur 519 Cicero (bzw. Cicéron) 183 Clay, Stephen 18, 480 Cleemputte, Peter Ludwig van 95f., 198, 401 Cobban, Alfred 20 Cobb, Richard 17, 503 Cobenzl, Johann Ludwig von 71, 267f. Cochon (= de Lapparent), Charles 438, 612f. Coignart 359 Collot d’Herbois, Jean-Marie 131, 507, 516, 564 Condillac, Étienne Bonnot de 288 Condorcet, Jean-Antoine-Nicolas de Caritat 167f., 187, 412, 424 Constant, Benjamin 476–481, 586, 588, 618 Coqueret, Pierre-Charles 576 Corneille, Pierre 169, 469 Cornet du Loiret, Mathieu-Augustin 454 Cossia (bzw. Coscia) 627 Coustou, Nicolas 174 Couthon, Georges 294, 305, 574, 577 Creuzé-Latouche, Jacques Antoine 164, 435, 455 Cromwell, Oliver 573 Cubières-Palmézeau, Michel (genannt Dorat-Cubières) 332f.

Anhang

Curée (de la Bédissière), Jean-François 361 Custine, Adam-Philippe, comte de 253 D D’Alembert (bzw. Jean-Baptiste le Rond) 202 Dampierre, Auguste Marie Henri Picot, marquis de 253, 450, 559 Danton, Georges-Jacques 50 Daphne (bzw. Daphné) 174 Darthé, Augustin Alexandre 606 Daubermesnil, François Antoine 90, 254, 256, 396 Daunou, Pierre Claude François 138f., 163–166, 168, 204, 221, 292f., 307, 320, 333, 359, 367, 392, 395, 441 David, Jacques-Louis 67, 103, 107f., 130, 132, 172, 181, 184, 191, 193f., 208, 210f., 237, 271, 277, 345, 450, 609f. Debidour, Antonin 47 Debry, Jean 239, 250, 309, 354, 417, 427 De Cock, Jacques 539 Decomberousse, Benoît-Michel 454 Defermon, Jacques 114 Delécluze, Etienne J. 277 Deleville, Philippe 415 Deleyre, Alexandre 164, 176, 179 Demosthenes (bzw. Démosthène) 91, 173, 183, 187 Desaix, Louis Charles Antoine 187 Descartes, René 166f., 253f. Desorgues, Théodore 149 Desrais, Claude-Louis 367 Dessaux-Lebrethon, Louis 381 Destutt, Antoine Louis Claude, comte de Tracy 164, 288 Diana (bzw. Diane) 174, 182, 238 Diogenes (bzw. Diogènes) 485 Doppet, Amédée 517 Dorat-Cubières (siehe CubièresPalmézeau)

757

Personenregister

Dru, Hilaire Le 125, 621f. Dubois-Crancé, Edmond Louis Alexis 73 Dubois (Maler) 182 Dubroca, Louis 443 Ducos, Jean-François 100 Ducos, Pierre Roger 123 Dugommier, Jacques François 187 Duhot, Albert Augustin Antoine Joseph 153, 309, 349, 390 Dumas, Alexandre 564 Dumas, Mathieu 672 Dumolard, Joseph Vincent 353, 438 Dumont, André 174, 216f. Dumouriez, Charles-François 516 Dupasquier, Antoine Léonard 182 Duplantier, Jacques-Paul-Fronton 323, 378, 454 Duplay, Maurice 563 Dupont (concièrge) 185 Dupont (de Nemours), Pierre Samuel 164, 352, 435, 441 Dussaulx, Jean 391 Duval, Amaury (= Polyscope) 484 E Edelman, Murray 35 Epaminondas 182 Eschassériaux (l’aîne), Joseph 339 Eschassériaux, René 356, 379f., 448f. Esséid Ali Effendi 144–146, 633 Eude, Jean-François 378f. Expercieux 99 F Fabre d’Églantine (= Philippe-François-Nazaire Fabre) 86f., 281, 318, 510 Faipoult, Guillaume-Charles 332 Faulcon, Félix 324, 469 Fénélon, François 254 Féraud, Jean Bertrand 69, 111, 135f., 236, 390, 409, 513 Fernex, Joseph 564 Ferry, Jules 671

Fortuna 592 Fouché, Joseph 50, 539 Fourcroy, Antoine François de 166 François de Neufchâteau, NicolasLouis 47, 62, 71, 76f., 100, 151, 184, 193, 204, 218, 228, 242, 268, 274, 276, 325, 374, 405, 455f., 464, 550, 609, 611 Franklin, Benjamin 254 Franz, Hl. 316 Fréron, Louis-Marie-Stanislas 41, 50, 473, 520, 522, 536–538, 553, 560–562, 579 Friedland, Paul 654 Furet, François 15, 20f., 320, 352, 475, 530, 585, 655, 666, 668 G Gainot, Bernard 15, 602, 668 Gallo, Marquis de 624 Gamon, François Joseph 393 Ganymed (bzw. Ganymède) 174 Garat, Dominique Joseph 164 Garnier, Antoine Marie Charles 118 Garran-Coulon (= Garran de Coulon), Jean-Philippe 164 Garrau, Pierre-Anselm 376 Gastin, Louis Alexandre 379–381 Gaveau, Pierre 547 Geertz, Clifford 30 Geffroy, Annie 509 Gence, Jean-Baptiste-Modeste 215, 542 Gendron, François 554 Georg III. (bzw. Georges III) 497 Gérando, Joseph-Marie de 164 Gérard, François 125, 193, 613 Gibelin, Alexandre-Esprit 520, 532 Gibert des Molières (auch: GibertDesmolières), Jean-Louis 358 Gillray, James 119 Girard, Antoine Marie Anne 411 Girardet, Abraham 65, 159, 196, 231, 253, 275 Gisors, Jacques-Pierre 174, 180–182

758 Goethe, Johann Wolfgang von 261, 616 Gohier, Louis-Jérôme 47, 154 Gomaire, Jean René 413 Goncourt, Edmond und Jules de 14, 615 Gossec, François-Joseph 358, 389 Goujon, Jean-Marie Claude Alexandre 165, 283 Goupil de Préfelne, Guillaume François Charles 435 Gracchen/Gracques 184 Gracchus, Caius/Caïus 184, 611 Grasset Saint-Sauveur, Jacques 120, 368, 485 Grégoire, Henri 60, 73, 75, 90–92, 112–114, 116f., 136f., 163, 193, 324, 330, 333, 391, 450 Gregor (bzw. Grégoire, Papst) 315, 333 Grisel 613 Grouchy, Sophie de 288 Guadet, Marguerite Elie 412 Gueniffey, Patrice 342 Guérin, Pierre Narcisse 609f. Guillon-Lethière, Guillaume 184 Guyomar, Pierre Marie Augustin 142, 351, 417 H Habermas, Jürgen 645 Hanriot, François 577 Hardy, Antoine François 116, 362, 415 Haret (Maurer) 540 Harten, Hans-Christian 296 Haüy, René-Just 435 Haxo, François Nicolas Benoît 253 Hébert, Jacques-René 503–505, 538 Heinzmann 618 Helvétius, Claude Adrien 563 Hennequin, Philippe-Auguste 184, 571, 603–610, 621, 629 Henri IV 104 Herkules (bzw. Hercule) 87f., 90, 94, 99, 174, 191, 194, 281, 576

Anhang

Hero (bzw. Héro) 184 Heuer, Jennifer 666 Heurtier, Jean-François 187 Higonnet, Patrice 17 Hippomenes (bzw. Hippomène) 174 Hoche, Louis Lazare 152, 187, 256–258, 416, 443, 550, 624 Housset, Etienne François 420 Hunt, Lynn 11, 16, 20, 23, 27, 87, 94, 670 I Imbert-Colomès, Jacques Pierre 565 Iser, Matthias 430 J Jacob, Georges 181 Jaeger, Friedrich 7 Jainchill, Andrew 19 Janus 182, 530, 586, 588 Jaurès, Jean 20 Joly, Jules de 180 Jordan, Camille 355f., 496, 565, 597, 613 Joseph II. 145 Joubert, Barthélemy Catherine 256, 258, 264, 384, 416, 465, 550 Jourdan, Annie 11, 42, 80, 87, 93f., 184, 186, 203, 268, 598, 620 Jourdan, Jean-Baptiste 187, 261, 356, 360–363, 365 Julliard, Jacques 352 K Karl der Große 316 Kléber, Jean-Baptiste 187, 622 Kohl, Helmut 2 Koselleck, Reinhart 21 L Labrousse, L.F. 120 Lacépède, Etienne de 163 Lacombe-Saint-Michel, Jean-Pierre 140, 340

Personenregister

Lacroix, Ch. 139 Lacuée, Jean-Girard 164 Lafayette (auch: La Fayette), Gilbert du Motier, Marquis de 65f., 562, 586 Lafontaine (auch: La Fontaine), Jean de 169, 469 Laignelot, Joseph François 553, 556 Lakanal, Joseph 164, 291, 293, 387 Lallemand, Jean Baptiste 605 Laloi (bzw. Laloy), Pierre Antoine 364 Lamarque, François 118, 356, 362 Lamourette, Antoine Adrien 394 Landes, Joan B. 23, 63 Langlois, Claude 581 Lanjuinais, Jean-Denis 139 Lansky, David 670 Lanthenas, François Xavier 305 La Révellière-Lépeaux, Louis-Marie de 47, 125f., 139, 144, 147f., 154, 161f., 164f., 184, 204, 231, 236, 263, 273, 310, 312, 319, 332, 338, 340, 358, 400–403, 405, 424, 431–433, 435f., 439–441, 446, 453, 462–464, 486, 488, 499f., 502, 587, 590, 648, 656, 665, 673 La Romiguière (auch: Laromiguière), Pierre 164 Laveaux, Étienne 259, 422 Lavoisier, Antoine Laurent de 424 Leander (bzw. Léandre) 184 Leblois 540 Le Bon, Joseph 607 Lebrun, Marie Lucien 672 Lebrun (auch: Le Brun), PonceDenis Ecouchard 268 Le Chapelier, Isaac René Guy 187 Leclerc, Jean-Baptiste 309, 335–339, 341, 357, 372, 436, 438f., 443f., 455, 641, 673 Lecointe-Puiravaux (auch: LecointePuyraveau), Michel-Mathieu 248 Lecomte, Pierre 394 Leconte, Étienne-Chérubin 121, 174, 180, 182

759 Le Fébure, Guillaume 241 Lefebvre, Georges 16, 356f., 601 Legendre, Louis 111, 415 Lemarchand-Gornicourt (auch: Lemarchant de Gomicourt), Antoine Joseph 496 Lémérer, Roland Gaspard 356 Lemire (Maler) 182 Lemoine, Joachim Thaddée Louis 237 Lemonnier, I. S. 357, 613 Lemot, François-Frédéric 180–183 Lenoir De La Roche (= LenoirLaroche) 13, 351 Lenormand, Pierre Jean René 496 Leonidas 187 Lepautre, Pierre 174 Lepeletier (auch: Le Peletier), LouisMichel, Marquis de Saint-Fargeau 173, 554, 559 Lesage-Sénault, Gaspard Jean Joseph 354, 361 Lesueur (auch: Le Sueur), JeanFrançois 149, 224, 268 Lesueur, E. 605 Letourneur, Étienne-François 125, 139, 488, 589f., 592 Letourneux, François Sébastien 405 Lindet, Robert 574 Livesey, James 19, 241, 667 Lotze, Hermann 27 Loustallot 563 Louvet (= Louvet de Couvray), Jean-Baptiste 41, 136 Lucas, Colin 21 Luckmann, Thomas 30 Ludot, Antoine Nicolas 354 Ludwig XIV. (bzw. Louis XIV) 419, 486 Ludwig XV. (bzw. Louis XV) 171, 207, 252, 419, 504, 567 Ludwig XVI. (bzw. Louis XVI, siehe auch: Capet) 5, 36, 86f., 100, 125, 128, 169, 177f., 190, 218, 266, 303, 389, 424, 460, 491f., 509, 519, 542, 563, 566f., 583, 586, 606,

760 661, 664 Ludwig XVII. (bzw. Louis XVII) 583 Ludwig XVIII. (bzw. Louis XVIII) 582, 593, 613, 633 Luhmann, Niklas 660 Lykurg (bzw. Lycurgue) 183, 187, 198, 449 M Mably, Gabriel Bonnot de 254 Machenaut 563 Machiavelli 429 Madame Royale 583 Mailhe, Jean-Baptiste 517 Malherbe, François de 169, 469 Mallet, Jean-Baptiste 444, 605 Mansord, Charles Antoine 324 Marat, Jean Paul VIII, 131, 173, 175, 212–216, 253f., 306, 366, 386, 408, 415, 450, 524, 534–536, 538–543, 550f., 553–563, 648 Marbot, Antoine 256 Marceau, François Séverin 187 Marchais, Pierre-Antoine 182, 327 Marie-Antoinette 519, 583 Martainville, Alphonse 548f., 553, 558 Martin (Bildhauer) 540 Martinel, Jean-Marie Philippe 118, 177 Martin, Jean-Clément 479 Marx, Karl 666 Mason, Laura 45 Masson (Bildhauer) 182 Mathieu(-Mirampal), Jean-BaptisteCharles 193, 293, 296f., 450, 482, 510 Mathiez, Albert 284, 364, 439, 457f., 462 Mauss, Marcel 675 Méhul, Étienne-Nicolas 229, 389, 403 Meleagros (bzw. Méléagre) 174 Menou de Boussay, Jean-François 64, 66

Anhang

Mercier, Louis-Sébastien 68, 75, 166f., 253, 339, 424, 618 Mergel, Thomas 127 Merkel, Angela 2 Merkur (bzw. Mercure) 174 Merlin (de Douai), Philippe-Antoine 161, 276, 294, 388, 421f., 464, 568, 670 Merlin (de Thionville), Antoine Christophe 133 Michallon, Claude 181f. Michelet, Jules 172 Miller, Judith 375 Miltiades 187 Minerva 99, 163 Mirabeau, Honoré-Gabriel Riqueti 36, 105, 107, 167, 175, 187, 215, 252f., 290, 346, 382, 534f., 561, 563 Modena, Ercole III. Rinaldo d’Este, Herzog von 273 Mohamed (bzw. Mahomet) 499– 502, 531 Moitte, Jean-Guillaume 186 Molé 546 Molière 169, 469, 486 Monge, Gaspard 405f., 627 Monglond, André 44 Montesquieu, Charles-Louis de Secondat, Baron de La Brède et de 440, 561, 600, 615 Mont[p]ellier, Ambroise 361f. Moreau, Jean-Victor-Marie 260f. Moreau, Louis Joseph 369 Moreau (= Moreau de Vormes), Jacob-Augustin-Antoine 458 Motier (siehe Lafayette) Moulin, Jean-Baptiste 253 Münkler, Herfried 654f. Mussawi, Mir Hussein 2 N Necker, Jacques 588f. Nemesis (bzw. Némésis) 182 Nero 485, 497 Nietzsche, Friedrich 27

761

Personenregister

Nora, Pierre 201 O Obama, Barack 1, 3 Olivier-Gérente, Joseph Fiacre 389 Ollivier 525 Orest (bzw. Oreste) 610f. Ozouf, Mona 11, 21, 203f., 410, 461, 670 P Palloy, Pierre-François 203 Panckouke, Charles-Joseph 39f. Pantalone 116 Parent-Réal, Nicolas-Joseph-Honoré 247, 364 Parma, Herzog von 273, 622 Pastoret, Claude Emmanuel Joseph Pierre 164, 353, 355 Paul Emile (= Lucius Aemilius Paullus) 274 Peltier, Jean-Gabriel 339 Pérès de Lagesse (de la Haute-Garonne), Emmanuel 357 Perikles 187 Pétion, Jérôme 516–518 Peyre, Marie-Joseph 197 Peyron, Pierre 184 Philippe d’Orléans 588 Philoktetes (bzw. Philoctète) 184 Philouse 497 Phokion 187, 254 Pierre, Constant 44 Pison Du Galland, Alexis François 339 Pius (Papst) 315 Pius VI. (= Braschi, Giovanni Angelo) 333, 459, 622, 624 Platon 173 Plutarch 283 Polyscope (siehe Duval) Pommier, Édouard 271, 276 Pons (du Verdun), Philippe-Laurent 340f. Porte, Jean Gilles Denis 376

Portiez, Louis François 137, 411f. Poultier (= Poultier d’Elmotte), François Martin 524 Prodi, Paolo 345 Q Quatremère de Quincy, Antoine 78, 252, 273 Quéverdo, François-Marie Isidore 528f. Quinette (de Rochemont), NicolasMarie 187, 190, 239, 259, 360, 365, 459, 466 Quirot, Jean-Charles 191 R Rabaut le Jeune (= Rabaut-Dupuis), Pierre-Antoine 454 Rabaut Saint-Etienne, Jean-Paul 290f. Raisson (Jakobiner) 540 Rallier, Louis Anne Esprit 435 Ramey (Bildhauer) 182 Raphael 243 Raschke, Joachim 475 Réal, André 397, 482 Reddy, William M. 405 Regnault, Jean-Baptiste 184, 609 Regulus, Marcus Atilius (bzw. Régulus) 182 Rehberg, Karl-Siegbert 30, 287 Reichardt, Rolf 21, 44, 202, 665 Reubell (= Rewbell), Jean-François 139, 141, 147, 263, 276, 306, 351, 358, 416, 488, 502 Riboud, Thomas Philibert 259 Richelieu, Armand Jean du Plessis, duc de 589 Richer-Serisy, Thomas Elisabeth 42, 485–487, 493, 499f., 580, 582, 587–589, 595, 597, 648, 659 Richet, Denis 15, 20, 530, 585 Riou (= Riou de Kersalaun), François Marie Joseph 424 Ripa, Cesare 97

762 Robert, François 329 Robert, Hubert 265 Robespierre 36, 50, 88, 90, 110, 129f., 132, 193, 204, 230, 237, 295–299, 301, 305f., 324, 386, 388, 409, 425, 430, 433, 446, 449, 451, 479f., 493, 497, 505, 511, 516, 518, 533f., 536–542, 553f., 561–563, 565, 573–575, 577f., 582f. Roederer, Pierre Louis 672 Roëmers, Charles-Clément 376f. Romme, (Charles) Gilbert 87f., 270, 317f., 330 Rosanvallon, Pierre 352, 632 Rousseau, Jean-Jacques 59–61, 173, 184, 201f., 252–254, 283, 288, 290, 306, 308, 385, 387, 429f., 503, 558, 561, 563, 675 Roux (de la Marne), Louis Félix 176, 394, 658 Roux, Jacques 506 Royer-Collard, Pierre Paul 356 S Saint-André (= Jeanbon Saint-André), André 67f. Saint-Just, Antoine-Louis-Léon 298–303, 430, 574 Salaville, Jean-Baptiste 241 Salignac 223 Sandalo-Philos 484 Say, Jean-Baptiste 241, 288 Schama, Simon 342 Schoch, Rainer 126 Schröder, Gerhard 2 Sciout, Ludovic 17 Scipio Africanus 187 Selim III. 144 Sérizat, Pierre (Madame et Monsieur) 568 Serna, Pierre 15f., 18, 668 Sherlock, Sauveur-François-Louis 286, 323 Sieyès, Emmanuel Joseph 13, 52f., 56f., 163f., 186, 373, 550, 587f., 600, 629, 676

Anhang

Siméon, Joseph Jérôme 354 Simonneau, Jacques Guillaume 207, 253 Smith, Adam 158, 288 Soboul, Albert 20, 298, 302, 503 Sokrates (bzw. Socrate) 182, 184 Solon 173, 183, 187, 351 Sonthonax, Léger-Félicité 259 Sotin (= Sotin de la Coindière), Pierre Jean Marie 440 Souriguère, Jean-Marie 547 Staël, Germaine de 586, 588 Starobinski, Jean 481, 675 Sternberger, Dolf 645 Stevenotte, Bernard 359 Strasbaux (Maler) 182 Sulla 500 Suratteau, Jean-René 16, 602, 670 Suvée, Joseph-Benoît 184 T Tacke, Charlotte 35 Tackett, Timothy 342 Taillasson, Jean-Joseph 184 Talleyrand (= Talleyrand-Périgord), Charles-Maurice de 151, 167f., 265f., 290, 586, 672 Tallien, Jean-Lambert 50, 237, 253, 283, 414, 522, 537, 560, 576f., 579 Talma, François-Joseph 103, 546 Talot, Michel Louis 376, 659 Tarquinius (bzw. Tarquin) 425 Tell, Wilhelm (bzw. Guillaume) 197, 207, 521, 541 Teniers der Jüngere, David 487 Thamer, Hans-Ulrich 651 Themis (bzw. Thémis) 182 Themistokles (bzw. Thémistocle) 182 Thévenin, Charles 66, 346 Thibaudeau, Antoine-Claire 47, 59, 70, 110, 131, 139, 350, 353, 384f., 391, 415, 436, 467, 488, 658f., 671, 673 Thiers, Adolphe 20 Thirion, Didier 284, 307

763

Personenregister

Thouin, André 273 Thouret, Jacques Guillaume 187 Thuriot de La Rosière, Jacques Alexis 50 Tiberius 497 Timoleon (bzw. Timoléon) 182 Topino-Lebrun, François-JeanBaptiste 184, 571, 611f. Torné, Pierre-Anastase 106 Treilhard, Jean-Baptiste 161, 163, 176, 351f., 658 Tresca, Salvatore 82f. Tronson-Ducoudray, Philippe Charles 673 Troper, Michel 17 Trouvé (Journalist) 111, 137, 197, 225, 233, 308, 489 Turenne, Henri de La Tour d’Auvergne 169, 259, 469 V Vadier, Marc Guillaume Albert 50, 535 Van Dyke (bzw. Vandyke) 155f. van Laak, Dirk 29 Venus (bzw. Vénus) 174, 182 Vergniaud, Pierre 187, 412, 427 Vernet, Carle 523 Viala, Joseph Agricol 230, 559 Viard 525 Vilette, Charles 252 Villers, François Toussaint 249 Vinot, Bernard 299 Virieu, François Henri de 66 Volney, Constantin-François de Chasseboeuf 164 Voltaire (François-Marie Arouet) 252f., 430, 518 Voulland, Jean Henri 50 Vovelle, Michel 11, 20f., 23 W Webert, Michel 580 Wicar, Jean-Baptiste 271 Winckelmann, Johann Joachim 103

Woloch, Isser 19, 320, 602, 670 Woronoff, Denis 670 Wrigley, Richard 122, 509, 520

SYMBOLISCHE KOMMUNIK ATION IN DER VORMODERNE STUDIEN ZUR GESCHICHTE, LITERATUR UND KUNST HERAUSGEGEBEN VON GERD ALTHOFF, BARBARA STOLLBERG-RILINGER UND HORST WENZEL

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