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German Pages 321 [322] Year 1979
VOLKER HARTMANN Repräsentation in der politischen Theorie und Staatslehre in Deutschland
Beiträge zur Politischen Wissenschaft
Band 35
Repräsentation in der politischen Theorie und Staatslehre in Deutschland Untersuchung zur Bedeutung und theoretischen Bestimmung der Repräsentation in der liberalen Staatslehre des Vormärz, der Theorie des Rechtspositivismus und der Weimarer Staatslehre
Von
Dr. Volker Hartmann
DUNCKER & HUMBLOT / BERLIN
Alle Rechte vorbehalten & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1979 bei Buchdruckerei Bruno Luck. Berlin 65 Prlnted in Germany
© 1979 Duncker
ISBN 3 428 04462 2
Vorwort Das Erscheinen meiner Dissertation möchte ich gerne zum Anlaß nehmen, allen denen zu danken, die durch ihre Hilfe oder ihre verständnisvolle Rücksichtnahme dazu beigetragen haben, daß diese Arbeit vollendet werden konnte. Allen voran gilt mein Dank meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Dr. hum. lett. h. c. Kar! Dietrich Bracher. Auf Grund seines großen Interesses an meiner Arbeit wußte er sie stets, trotz der weitgehenden Freiheit, die er mir bei der Bearbeitung des Themas eingeräumt hatte, mit Ratschlägen und Entscheidungshilfen zu fördern. Seine freundschaftliche Anteilnahme war mit ein Grund dafür, daß diese Arbeit mit Freude geschrieben werden konnte. Danken möchte ich auch meinen Eltern, meiner Schwester Almute, die mir viel Arbeit beim Erstellen des Manuskripts abgenommen hat, sowie meiner Frau Cornelia für ihr Verständnis während der vergangenen arbeitsreichen Zeit. Auersmacher, im März 1979 Volker Hartmann
Inhaltsverzeichnis Einleitung
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Te i 1 I Repräsentation im Kontext der Verfassungsfrage: Zur liberalen Staatslehre des Vormärz (1815 - 1848) 1. Zur Forschungssituation und zur näheren Bestimmung des Unter-
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suchungsgegenstandes ..............................................
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a) Zur Gliederung des liberalen Ideenspektrums ....................
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b) Zur Auswahl der zu behandelnden Autoren und zur Literaturlage 27 c) Zur Frage der Berücksichtigung der zeitgenössischen ausländischen Diskussion und Literatur ........................................ 33 2. Friedrich Christoph Dahlmann: Das Ideal der guten Verfassung und dessen Bedeutung für die Repräsentation. . . . . . . .. . . . . .. . . . . .. . . . . ... 35 a) Verfassung als Aufgabe der Zeit - Dahlmanns Begründung der Notwendigkeit der Verfassung in "Ein Wort über Verfassung" 36 b) Das Modell der gemischten Verfassung als Verfassungsideal .... bl) Der theoretische Ansatz Dahlmanns ........................ b2) Das Ideal der gemischten Verfassung ...... , . . . . . . .. . . . . .. . .. b3) Zur Bedeutung des Ideals der gemischten Verfassung. . . . . . ..
40 40 44 47
c) Die konkrete Ausfüllung des Verfassungsideals .................. 49 cl) Das Verfassungs i deal und die Aufgabe der Zeit. . . . . . . . . . . . .. 49 c2) Die Lösung des Problems der Vereinigung von Freiheit und Ordnung im Staate .......................................... 52 d) Zur Bewertung der Dahlmannschen Theorie und zur Bedeutung der Repräsentation in seinem System .......................... 59 3. Repräsentation als Element des Staatsideals der Republik bei Carl von Rotteck ........................................................ 64 a) Rotteck und der Vertragsgedanke - zum theoretischen Ansatz Rottecks ........................................................ 65 b) Das Rottecksche dualistische System: die Republik ..............
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c) Zur Bewertung Rottecks ........................................
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d) Der Begriff der Repräsentation in der Rotteckschen Konzeption .. dl) Die staatliche Funktion der Repräsentation .................. d2) Die Artikulierfunktion der Repräsentation ..................
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Inhaltsverzeichnis
4. Robert von Mohl: Repräsentation in ihrer weitestgehenden Bedeutung in der liberalen Staatslehre des Vormärz. . . .. . . . . . . . . .. . . . .. .. 98 a) Die grundlegende Problemstellung Robert von Mohls: Einheit des Staates..........................................................
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b) Das Problem der Einheit des Staates auf Grund demokratischer Zeitströmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 102 c) Das Mohlsche Lösungsmodell: die parlamentarische Regierungsweise .......................................................... 105 d) Das Mohlsche Modell als Höhepunkt und Abschluß des Liberalismus des Vormärz .............................................. 113 5. Die Aussage der liberalen Staatslehre des Vormärz zum Problem der Repräsentation ................................................ 116 Teil 11 Rechtspositivismus oder die Eskamotage der Repräsentation 1. Die Epoche des Rechtspositivismus
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2. Die neue Fragestellung bei Carl Friedrich von Gerber und Paul Laband ............................................................ 135 3. Die Persönlichkeit des Staates als juristisches Prinzip und dessen Bedeutung für den Begriff der Repräsentation bei C. Fr. von Gerber 139 a) Zum Verhältnis der Schrift "Ueber öffentliche Rechte" (Tübingen 1852) zu den "Grundzügen des deutschen Staatsrechts" (Leipzig 3. Aufl. 1880) .................................................... 139 b) Die Persönlichkeit des Staates als zentraler Konstruktionsbegriff 143 c) Zur Gerber-Interpretation von P. von Oertzen ............ : . . . . . .. 148 d) Die logisch-juristische Konstruktion ............ ,............... 151 4. Die konkrete Verfassungsinterpretation als Uminterpretation repräsentativer Einrichtungen .......... , ......... ,..................... 153 a) Bei C. Fr. von Gerber ............. . .... . .... . .... . ............. 153 a1) Die Rechte des Monarchen .................................. 155 a2) Die Rechte der Stände ............. '........................ 156 b) Die Vollendung bei P. Laband ....... ' .......................... 161 5. Rechtspositivismus und Repräsentation ........................ . ... 167 Teil 111 Vom Rechtspositivismus zur Geisteswissenschaftlichkeit in Weimar: Repräsentation als verfehltes Phänomen 172 1. Die Reine Rechtslehre Hans Kelsens: Staat als Normordnung und
Repräsentation als Fiktion ........................................ 173
Inhaltsverzeichnis a) H. Kelsens Ansatz: Die Identität von Staat und Recht
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b) Zur Problematik der Grundnorm ................................ 182 c) Staat ohne Willensbildung, Repräsentation als Fiktion .......... 188 2. Repräsentation und Identität als Formen der Entfaltung absoluter Staatsmacht bei Carl Schmitt ...................................... 199 a) Repräsentation und Identität als Prinzipien politischer Form .... a1) Repräsentation bei C. Schmitt ................................ a2) Identität bei C. Schmitt .................................... a3) Die Identität von Repräsentation und Identität ..............
203 205 207 211
b) Verfassungslehre als Machtstaatskonzeption ...................... 213 b1) Schmitts Verfassungslehre als Komplement des Positivismus 214 b2) Verfassungsgebung als sich durchsetzende effektive staatliche Macht ...................................................... 216 c) Liberalismus als Modell des machtlosen Staates ................ 224 cl) Rechtsstaat als Anti-Machtstaat ............................ 224 c2) Die uneigentliche Lage des Parlamentarismus als sein Wesensmerkmal .................................................... 226 d) Der Begriff des Politischen, Spezifikum als Eigentlichkeit ........ 231 d1) Ein Begriff ohne Inhalt: Das Politische .................... 231 d2) Zur Kritik des Begriffs des Politischen und des Schmittschen Systems .................................................... 234 3. Integration ohne Repräsentation: die Verfassungslehre Rudolf Smends 237 a) Integration als Erlebnisfähigkeit; ihre Beschränkung auf die geistige Ebene .................................................... a1) Zur Ansatzproblematik gegenüber der Smendschen Lehre .... a2) Persönliche Integration als Symbolisierung .................. a3) Funktionelle Integration als Erlebnisfähigkeit .............. a4) Sachliche Integration als Erlebnisqualität von Sachen
240 240 241 242 245
b) Mängellehre mit dem Anspruch einer Grundlagentheorie
247
c) Integrationslehre als Antiliberalismus und Antipositivismus .... 250 d) Die Integrationslehre im Verhältnis zur Schmittschen Verfassungslehre .......................................................... 256 4. Prinzipien im Strukturwandel, das Wesen der Repräsentation und die Identität des Parteienstaates in geisteswissenschaftlicher Dimension bei Gerhard Leibholz .............................................. 259 a) Das Wesen der Repräsentation als Eigentlichkeit von C. Schmitt her ............................................................ a1) Die methodische Grundlegung .............................. a2) Die Bestimmung der Repräsentation durch Zitation von C. Schmitt .................................................. a3) Die staatstheoretische Dimension der Repräsentation ........
262 262 265 268
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Inhaltsverzeichnis b) Identität als Identifikation. Die theoretische Unzulänglichkeit der Leibholzschen Konzeption ...................................... 274 bl) Das nicht faßbare Identitätsprinzip .......................... 274 b2) Die Verlagerung der Erörterung auf die Modellebene ........ 276 c) Strukturwandel zwischen kontradiktorischen Polen? ............ 280
Schluß ........ . ...................................... . ......... . . . .... 287 Bibliographie
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 293
Abkürzungsverzeichnis AöR
Archiv des öffentlichen Rechts
ARSP
Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie
DÖV
Die Öffentliche Verwaltung
HZ
Historische Zeitschrift
NJW
Neue Juristische Wochenschrift
NPL
Neue Politische Literatur
PVS
Politische Vierteljahresschrift
VSWG
Vierteljahrsschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte
ZfPol
Zeitschrift für Politik
ZöR
Zeitschrift für öffentliches Recht
ZParl
Zeitschrift für Parlamentsfragen
Zur Zitierweise: Bei der ersten Zitation eines Werkes wird dieses mit allen bibliographischen Daten angeführt. Im folgenden werden dann nur noch der Nachname des Verfassers und eine verkürzte Form des Titels angegeben. Bei sehr starker Verkürzung wird der Kurztitel bei der ersten Zitation gleich mitvermerkt. Innerhalb des Kapitels über den jeweiligen Autor werden dessen Werke ohne Namensnennung zitiert.
Einleitung Man wird wohl kaum behaupten können, daß die neue re deutsche politische Theorie und Staatslehre den Begriff der Repräsentation zum zentralen Problem der wissenschaftlichen Diskussion erkoren habe. Die markant polemischen Angriffe der Sternberger Schule auf die Leibholzsche Theorie! sind in ihrer Schärfe geradezu ein Indiz für den weitgehenden Mangel einer breit angelegten Auseinandersetzung hierüber. Dieser vergleichsweise geringe Stellenwert der Repräsentationsproblematik in der politischen Theorie in Deutschland läßt sich sicherlich aus der vorherrschenden Fragerichtung in der politischen Theorie erklären. Es ist nämlich auffällig, daß z. B. so eindeutige Gegner der Leibholzschen Repräsentationsvorstellung 2 wie Wilhelm Hennis und Ulrich Scheuner mit Leibholz in einem Punkt übereinkommen: man fragt nach dem Wesen der Repräsentation 3 • Die Bestimmung der Repräsen1 Siehe Sternberger, Dolf, Zur Kritik der dogmatischen Theorie der Repräsentation, in: ders., Nicht alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Studien über Repräsentation, Vorschlag und Wahl, Stuttgart u. a. 1971, S. 9 - 39, bes. S. 24 - 33; und Haungs, Peter, Die Bundesrepublik - ein Parteienstaat? Kritische Anmerkungen zu einem wissenschaftlichen Mythos, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, 4, 1973, S. 502 - 524. 2 Siehe Scheuner, Ulrich, Das repräsentative Prinzip in der modernen Demokratie, in: Rausch, Heinz (Hg.), Zur Theorie und Geschichte der Repräsentation und Repräsentativverfassung, Darmstadt 1968, S. 386 - 418; sowie Hennis, Wilhelm, Amtsgedanke und Demokratiebegriff, in: Staatsverfassung und Kirchenordnung, Festgabe für R. Smend, Tübingen 1962, S. 51 - 70, wieder abgedruckt in: ders., Politik als praktische Wissenschaft, München 1968, S. 48 - 64, wieder abgedruckt in: ders., Die mißverstandene Demokratie, Freiburg 1973, S. 9 - 25 (zitiert wird nach dem Abdruck in: Politik als praktische Wissenschaft). 3 Das Wesen der Repräsentation versteht Scheuner, Das repräsentative Prinzip ... , S. 391 - 392, als Delegation; Hennis, Amtsgedanke und Demokratiebegriff, S. 50 - 52, als Amt und trust; wohingegen Bosl, Karl, Die Geschichte der Repräsentation in Bayern, Landständische Bewegung, Landständische Verfassung, Landesausschuß und altständische Gesellschaft, München 1974, S. 2 - 4, den Begriff der Repräsentation soweit ausdehnt, daß er nur noch ein psychologisches Phänomen meint; selbst die Arbeit von Zwyssig, Kurt, Repräsentation. Versuch einer neuen Repräsentationstheorie, Zürich 1971, ist nicht als Neuansatz zu werten. Seine philosophische Behandlung des Problems bleibt der alten Fragestellung verhaftet, formuliert nur alte Aussagen philosophisch um (vgl. ebd. S. 135, 139, die Formulierung der Maximen für Repräsentant und Repräsentierte gemäß Kant). Das Problem wird aber nicht als philosophisches erfaßt, so daß das Ergebnis, "daß der Repräsentant ... ein philosophischer Mensch sein" (S. 135) müsse, nicht verwundert. Seine philosophische Methode ohne philosophische Problematik bleibt uneigentlich, sie erfaßt das Problem nicht und bestimmt somit zur
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Einleitung
tation, dessen, was damit nun "eigentlich" gemeint sei, erfolgt - und hierin läßt sich eine weitere Übereinstimmung feststellen - ohne methodischen Aufweis 4 • Landläufigkeit wird zur Wesenheit stilisiert, theoretische Defizienz kennzeichnet die neue re deutsche Literatur über Repräsentation5 • Wie Hofmann es formulierte, muß man "vom politischen Repräsentationsbegriff wohl als von einem besonderen deutschen Problem sprechen"6. Bei dieser speziellen Wesens ausrichtung der neueren deutschen Repräsentationslehre nimmt es nicht Wunder, daß historische Untersuchungen zur Repräsentationsproblematik für den deutschen Raum weitgehend fehlen 7 • Zwar beginnt die Forschung zur Geschichte des Parlamentarismus diese Lücke allmählich auszufüllen8 , doch konzenGänze das Resultat. Zum Leibholzschen Repräsentationsverständnis siehe unten Teil 111. 4. Kapitel. 4 Siehe Anm. 3, auch die eher abstrakt gehaltenen Darlegungen von Rausch machen in dieser Beziehung keine Ausnahme, vgl. Rausch, Heinz, Vorwort zu: ders. (Hg.), Zur Theorie und Geschichte, S. VIII - XI; ders., Repräsentation. Wort, Begriff, Kategorie, Prozeß, Theorie, in: Bosl, Kar! (Hg.), Der moderne Parlamentarismus und seine Grundlagen in der ständischen Repräsentation, Berlin 1977, S. 86 - 96; siehe auch ders., Art. Repräsentation in: H. H. Röhring - K. Sontheimer, Handbuch des deutschen Parlamentarismus, München 1970, S. 430 - 434; Die Dissertation von Rausch über die "Repräsentation" (Bemerkungen zu einem politischen Konzept, maschinenschriftliche Diss., München 1973) konnte nicht eingesehen werden, da die von Rausch seit 1975 öfters angezeigte Drucklegung noch nicht erfolgt ist und die maschinenschriftliche Fassung im Leihverkehr nicht zu besorgen war. 5 Der Vorwurf der Theoretisierung von Landläufigkeit als allgemeines Charakteristikum der deutschen Repräsentationslehre auch bei Hofmann, Hasso, Repräsentation, Studien zur Wort- und Begriffsgeschichte von der Antike bis ins 19. Jahrhundert, Berlin 1974, S. 32. 6 Ebd., S. 28 Die Bestimmung der Repräsentation von Drath, Martin, Die Entwicklung der Volksrepräsentation, in: Rausch, Heinz (Hg.), Zur Theorie und Geschichte, S. 260 - 329 und Grebing, Helga, Volksrepräsentation und identitäre Demokratie, in: PVS, 13, 1972, S. 162 - 180, sind zwar nicht durch die ansonsten vorherrschende Eigentlichkeit charakterisiert, bleiben aber durch ihren Ausgang von der Identität von Herrscher und Beherrschten eben dieser Utopie verhaftet und gelangen nur zu einer abstrakten Fassung der Repräsentation (vgl. Grebing, S. 172). Der Bezug zur Wirklichkeit wird nicht aufgewiesen, diese Begrifflichkeit steht ihr unvermittelt gegenüber und ist deshalb weitgehend ohne Einfluß geblieben. 7 So stützt sich Müller, Christoph, Das imperative und freie Mandat, Leiden 1966, ausschließlich auf außerdeutsches Material; vgl. hierzu schon Rausch, Heinz, Vorwort zu: ders. (Hg.), Zur Theorie und Geschichte, S. XV und Botdt, Hans, Deutsche Staatslehre im Vormärz, Düsseldorf 1975, S. 8/9. B Hier sind vor allem zu nennen Bost, Karl, Die Geschichte der Repräsentation in Bayern, München 1974 - vgl. ebd. S. 7 - 11 die Angabe weiterer Literatur zur Geschichte der Repräsentation - Ritter, G. A. (Hg.), Gesellschaft, Parlament und Regierung, Düsseldorf 1974; Bos!, Kar! (Hg.), Der moderne Parlamentarismus und seine Grundlagen in der ständischen Repräsentation, Berlin 1977; als Dokument für das Interesse an dieser historischen Fragestellung als auch für deren Weiterverfolgung bis in das Mittelalter hinein siehe den Sammelband von Rausch, Heinz (Hg.), Die geschichtlichen Grundlagen der modernen Volksvertretung. Die Entwicklung von den mittel-
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triert sie sich vorwiegend auf die institutionellen, verfassungsrechtlichen und sozialwissenschaftlichen Aspekte. Eine Auseinandersetzung mit der jeweiligen historischen Staatslehre und ihrer Aussage zur Repräsentation bleibt jedoch weiterhin Desiderat9• Eine derartige, die Theorie der Repräsentation analysierende Forschung ist aber gerade geeignet, die Diskussion über den Repräsentationsbegriff in der deutschen wissenschaftlichen Literatur von ihren Eigentlichkeits- und Landläufigkeitsbestimmungen zu befreien. Denn die Erforschung der Bedeutung und theoretischen Bestimmung der Repräsentation in der jeweiligen politischen Theorie und Staatslehre bedingt ja gerade eine historische Verankerung des Begriffs, zeigt Entwicklungslinien auf und macht ihn so hinlänglich konkret und damit immun gegen Übersteigerung ins "Eigentliche". Eine historische Erforschung der Theorie der Repräsentation soll deshalb Aufgabe dieser Arbeit sein. Die Fragestellung dieser Arbeit bedingt somit eine intensive Analyse der Aussagen zur Repräsentation von der jeweiligen politischen Theorie oder Staatslehre aus. Denn eine isolierte Betrachtung losgelöster Aussagen zur Repräsentation muß ihren Untersuchungsgegenstand verfehlen. Muß sie doch notgedrungen an der Oberfläche des jeweiligen Systems bleiben, so daß die Gefahr einer Interpretation von einem nicht weiter erörterten Vorverständnis aus kaum zu vermeiden ist. Diese Gefahr ist bei der Quellenlage der deutschen politischen Theorie und Staatslehre um so eher gegeben; denn nicht von ungefähr hat die Forschung zur Repräsentation die Zeit von Weimar übergangen. Es wird sich hierbei eher um ein Aufspüren von Aussagen der jeweiligen Theorie zu dieser Problematik handeln, denn um ein Einsammeln und Durchsehen manifester Aussagenkomplexe hierzu. Die durch diese Arbeit aufgeworfene Fragestellung setzt also eine Auseinandersetzung mit dem jeweiligen gesamten System, in dem die Aussagen zur Repräsentation enthalten sind, voraus, um von dorther den spezifischen Sinn des Begriffs in seiner besonderen Bedeutung zu erfassen. Durch diese Intensivierung der Fragestellung stellt sich sodann die Frage nach der Auswahl und Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes um so drängender. Zunächst ist deshalb die Thematik der Arbeit auf den neuzeitlichen, demokratischen Begriff der Repräsentation eingeschränkt. Da die Arbeit allein nach der historischen Bestimmung der Repräsentation und alterlichen Korporationen zu den modernen Parlamenten, Bd. II: Reichsstände und Landstände, Darmstadt 1974. 9 Einzige Ausnahme bilden die Arbeit von Boldt (siehe Anm. 7) und von Brandt, Hartwig, Landständische Repräsentation im deutschen Vormärz. Politisches Denken im Einflußfeld des monarchischen Prinzips, NeuwiedBerlin 1968.
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nicht nach deren Wesensqualität an sich fragt - obwohl diese Dimension immer offengehalten und mitgedacht werden muß - kann hier der Vorwurf einer unzulässigen Begrenzung nicht erhoben werden. Es geht allein um den demokratischen Repräsentationsbegriff. Dabei wird ein Schwerpunkt der Analyse natürlich die Kritik der Weimarer Staatslehre bilden, gerade wegen ihrer für die Gegenwart grundlegenden Bedeutung. Den zweiten Schwerpunkt soll die liberale Theorie des Vormärz bilden. Beruft sich doch gerade die Weimarer Diskussion stets auf den liberalen Repräsentationsbegriff, so daß von dort aus nicht nur eine Korrektur der Weimarer Begrifflichkeit möglich erscheint, sondern gleichzeitig die ersten Ansätze von Repräsentationsvorstellungen in der neuzeitlichen Lehre in Deutschland erfaßt werden können. Der Untersuchungsgegenstand der Arbeit umfaßt also die Zeit von 1815 bis 1933. Bei diesem weitgespannten zeitlichen Rahmen, zumal bei der Problemstellung der Analyse des Begriffs der Repräsentation von der jeweiligen Gesamttheorie aus, stellt sich notwendig die Frage nach sinnvoller Auswahl der zu untersuchenden Systeme. Bezüglich der liberalen Theorie des Vormärz soll dieses in der Einleitung zu Teil po ausführlich erörtert werden. Für die Zeit von 1848 bis zur Weimarer Republik, für die Epoche des Rechtspositivismus l l , läßt sich dagegen die Auswahl kürzer begründen. In eingehender Analyse der Schriften von earl Friedrich von Gerber unter Einbeziehung der Weiterführung seines Ansatzes bei Paul Laband soll die Lehre des Rechtspositivismus in ihrer Eigenart dargestellt werden, um von dort aus ihre Aussagen zur Repräsentation beurteilen zu können. Eine Auseinandersetzung mit der "Allgemeinen Staatslehre"12 Georg Jellineks wäre auf Grund ihrer weitreichenden Bedeutung in der wissenschaftlichen Diskussion bis in die heutige Zeit sicherlich sehr interessant. Da Jellinek trotz seiner Akzeptierung einer Allgemeinen Soziallehre des Staates 13 letztlich doch Vgl. hierzu näherhin unten Teil I, 1 a und b. Die eigenständige Richtung der Staatslehre, die mit dem Namen Otto von Gierke verbunden ist, kann als Sonderentwicklung im Rahmen dieser Arbeit keine Berücksichtigung finden. Zur Auswahl und Begründung dieses Untersuchungsgegenstandes siehe näherhin unten Teil II, 1. Die Epoche des Rechtspositivismus. 12 1. Auflage Berlin 1900, Als Einführung in die Staatslehre Jellineks siehe Holubek, Reinhard, Allgemeine Staatslehre als empirische Wissenschaft. Eine Untersuchung am Beispiel von Georg Jellinek, Bonn 1961; Determann, Christian, Art. Jellinek, in: Staatslexikon, 6. Aufl. Freiburg 1959, Sp. 626Sp. 629; Herwig, Hedda J., Georg Jellinek, in: Sattler, Martin J. (Hg.), Staat und Recht. Die deutsche Staatslehre im 19. und 20. Jahrhundert, München 1972, S. 72 - 99; Hippel, Ernst von, Allgemeine Staatslehre, Berlin - Frankfurt a. M. 1963, S. 96 - 133 sowie neuerdings Bärsch, Claus Ekkehard, Der Staatsbegriff in der neueren deutschen Staatslehre und seine theoretischen Implikationen, Berlin 1974, S. 74 - 87. 13 Vgl. Jellinek, Georg, Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl. 6. Neudruck, Darmstadt 1959, zur Bedeutung des soziologischen Aspektes vgl. ebd. S. 129 10
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dem Gerber-Labandschen Positivismus verhaftet bleibt14, ja sich ausdrücklich auf den Repräsentationsbegriff Labands stützt1 5 , soll hier aus arbeitstechnischen Gründen auf eine nähere Untersuchung verzichtet werden. Unter der gegebenen Fragestellung erweist sich nämlich eine Auseinandersetzung mit dem System von Hans Kelsen als vordringlicher. Durch das Aufkommen weiterer Staatslehren in der Weimarer Zeit hatte ja der Rechtspositivismus seine unbestrittene Allgemeingültigkeit verloren. Er war gefordert sich abzugrenzen und methodisch zu begründen. Es muß deshalb geprüft werden - und zwar anhand des Werkes von Kelsen - inwieweit die Aussagen über den älteren staatsrechtlichen Positivismus im Verhältnis zur Repräsentation auch für den neueren zutreffend sind. Für die Zeit bis 1933 soll sodann die Lehre von earl Schmitt, Rudolf Smend und Gerhard Leibholz untersucht werden, derjenigen, die als die entscheidenden Autoren für die Repräsentationslehre der damaligen Zeit anerkannt sind 16 • Nicht von ungefähr hat Rausch seinen Sammelband zur Theorie und Geschichte der Repräsentation von diesen Staatslehren ausgehend konzipiert17 • Des öfteren wird in diesem Zusammenhang auch H. J. Wolff erwähnt1 8 • Diese Aussagen beziehen sich jedoch stets auf den Begriff der sozialen Repräbis S. 379; - zwar sind weitere Neudrucke der 3. Aufl. erschienen, zuletzt 1966, da aber nur der 6. Neudruck zur Verfügung stand und eben eine eingehendere Auseinandersetzung mit Jellinek nicht angestrebt wird, sei nach diesem weiterhin zitiert. 14 Vgl. Holubek, Allgemeine Staatslehre als empirische Wissenschaft, S. 126 bis 127; Sontheimer, Kurt, Politische Wissenschaft und Staatsrechtslehre, Freiburg 1963, S. 19; sowie Friedrich, Manfred, Der Methoden- und Richtungsstreit, Zur Grundlagendiskussion der Weimarer Staatsrechtslehre, in: AöR, 102, 1977, S. 165 Anm. 7. 15 Vgl. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 581; Zwar kommt Jellinek zu einer weitreichenden Änderung am Labandschen Repräsentationsbegriff, iildem er die Beziehung Repräsentant - Repräsentierte zu erfassen sucht (Allgemeine Staatslehre, S. 581 - S. 589). Doch paßt diese nicht mehr in das Schema der Ablehnung der Rotteckschen Auffassung und Akzeptierung des Labandschen Begriffs (vgl. ebd., S. 580 - S. 581) und Jellinek selbst schwankt, ob es sich dabei um ein rein rechtliches Phänomen handelt (vgl. ebd., S. 585 und S. 585 Anm. 2). Diese Änderung erweist sich als eine jenseits der methodischen Fixierung durchgeführten Nachzeichnung der Wirklichkeit, ist also Beleg für den von Holubek festgestellten Umstand der Vermischung von soziologischer und juristischer Methode (vgl. Holubek, S. 53 - 54). Kann der Jellineksche Repräsentationsbegriff auch nicht gänzlich auf den Labandschen Begriff zurückgeführt werden, so ist er doch zur Bewertung und zur Kritik der Jellinekschen Lehre Voraussetzung. Von daher erscheint eine Analyse der grundlegenden Werke von Gerber und Laband zunächst geboten. 16 Vgl. Rausch, Heinz (Hg.), Zur Theorie und Geschichte, Vorwort, S. XVI; Mantl, Wolfgang, Repräsentation und Identität. Demokratie im Konflikt, Wien - New York 1975, S. 7; Bosl, Karl, Die Geschichte der Repräsentation in Bayern, S. 7. 17 Rausch, Heinz (Hg.), Zur Theorie und Geschichte, Vorwort, S. XVI. 18 Vgl. Rausch, ebd.; Bosl, Die Geschichte der Repräsentation in Bayern, S.7.
2 Hartmann
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Einleitung
sentation19 • Denn Wolff behandelt den Staat einmal im sozialen und andererseits im Rechtssinn20 und unterscheidet von daher soziale und juristische Repräsentation21 • Die Verbindung beider Auffassungen sollte im Band 3 des auf 4 Bände geplanten Werkes geleistet werden. Die letzten beiden Bände sind jedoch nicht erschienen22 • Damit fehlt der für die Fragestellung dieser Arbeit entscheidende Band; Bedeutung und Stellung der Repräsentation in der Wolffschen Staatslehre können nicht bestimmt werden. Zwar findet sich am Ende des 2. Bandes ein Exkurs zum Problem des Verhältnisses von sozialer und juristischer Repräsentation, der eine durchgängige Zweigleisigkeit der beiden Begriffe andeutet 23 , für eine wissenschaftliche Erörterung der hier interessierenden Frage scheint er mir aber nicht ausreichend zu sein24 • Von einer Auseinandersetzung mit Wolff wurde daher abgesehen25 • 19 Vgl. Rausch, Vorwort zu: ders. (Hg.), Zur Theorie und Geschichte, S. XVI und ebd. S. 116 - 208 den Abdruck allein des Abschnitts über die soziale Repräsentation. 20 Vgl. hierzu Nawiasky, Hans, Allgemeine Staatslehre, Teil 1: Grundlegung, Einsiedeln - Köln 1945, S. 168 - 170, siehe auch S. 140 - 141. 21 Wolft, Hans J., Organschaft und juristische Person. Untersuchungen zur Rechtstheorie und zum öffentlichen Recht, Bd. 2: Theorie der Vertretung. Stellvertretung, Organschaft und Repräsentation als soziale und juristische Vertretungsformen, berichtigter Neudruck der Ausgabe Berlin 1934, Aalen 1968, S. 16 - 91; S. 303 - 352. 22 Siehe hierzu Wolff, Organschaft u. juristische Person, Bd. 2, S. XII. 23 Vgl. ebd. §§ 15 - 16, S. 335 - 352. 24 Das Fehlen des zentralen 3. Bandes kann wohl auch als Grund dafür angesehen werden, daß trotz der lobenden Erwähnungen Wolffs Werk in diesem Zusammenhang in der wissenschaftlichen Diskussion weitgehend keine Berücksichtigung gefunden hat. 25 Daß auch das Werk Hermann Hellers keine Berücksichtigung gefunden hat, liegt darin begründet, daß sein Hauptwerk, die "Staatslehre", erst 1934 erschienen ist und außerhalb der Weimarer Zeit angesiedelt werden muß. Da durch die widrigen Zeitumstände der Einfluß dieses im Ausland publizierten Werkes gering blieb und in ihm die Repräsentationsproblematik keine zentrale Bedeutung erlangt, erwies es sich für die Thematik dieser Arbeit als von nicht zentraler Bedeutung, womit dessen Relevanz für weitere Forschungen nicht geschmälert, sondern unterstrichen werden soll. Zur Diskussion über Heller siehe: Schluchter, Wolfgang, Entscheidung für den sozialen Rechtsstaat. Hermann Heller und die staatstheoretische Diskussion in der Weimarer Republik, Köln - Berlin 1968; Fijalkowski, Jürgen, Hermann Heller und die Staatsdiskussion heute, in: Die neue Gesellschaft, 21, 1974, S. 475 bis 479; Hennig, Eike, Hermann Heller, Anmerkungen zum Versuch einer Synthese von Nationalismus und Sozialismus, in: Neue Politische Literatur, 16, 1971, S. 507 - 519; Häberle, Peter, Besprechung Hermann Heller, Gesammelte Schriften, 3 Bde., Leiden 1971, in: AöR, 101, 1976, S. 105 - 108; Sattler, Martin J., Hermann Heller, in: ders. (Hg.), Staat und Recht. Die deutsche Staatslehre im 19. und 20. Jahrhundert, München 1972, S. 147 - 164; siehe auch die Neuausgabe der Schriften Hellers: Hermann Heller, Gesammelte Schriften, hrsg. von Martin Drath, Gerhard Niemeyer, Otto Stammer, Fritz Borinski, 3 Bde., Leiden 1971.
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Die Auseinandersetzung mit den einzelnen Theoretikern muß in der Durchführung und Darstellung selbstverständlich dem Untersuchungsgegenstand adäquat erfolgen. Dieses bedeutet dann, daß in denjenigen Theorien, in denen die Repräsentation keine prominente und eigenständige oder in sich abgeschlossene Darlegung erfährt, die Analyse des Gesamtsystems im Vordergrund stehen muß. Kann doch erst von hier aus eine Bestimmung der Funktion und Bedeutung der Repräsentation erfolgen. Diese Darstellungsweise wurde deshalb sowohl für die politische Theorie des Vormärz als auch für den Rechtspositivismus gewählt. Für den Vormärz erweist sich dieses Vorgehen deshalb als sinnvoll, weil erst durch die Erfassung der dualistischen Grundkonzeption der damaligen Zeit die zeitgenössische Bedeutung der Repräsentation erfaßt werden kann. Für diesen Teil der Arbeit steht eindeutig die Bestimmung des Gesamtsystems und die Kritik bisheriger Auffassungen darüber im Vordergrund, von wo aus dann schließlich das Repräsentationsverständnis bestimmt werden soll. Ebenso wird auch im zweiten Teil über die Staatslehre des Rechtspositivismus verfahren werden, soll doch hier durch Analyse und Kritik des Ansatzes geklärt werden, wie und ob überhaupt der Rechtspositivismus die Frage nach Repräsentation beantworten kann. Bezüglich der antipositivistischen Schule in Weimar erscheint dieses Vorgehen als nicht angebracht. Denn hier steht die Repräsentationsproblematik so im Vordergrund, oder ihr kommt im Gesamtsystem eine so entscheidende Bedeutung zu, daß die Analyse direkt bei ihr ansetzen kann. Die Erarbeitung der Bedeutung der Repräsentation im Gesamtsystem, eine verifizierende Überprüfung des Ergebnisses der Analyse der Repräsentationsfrage anhand des Systemaspekts ist dann aber notwendige weitere Aufgabenstellung, soll das jeweilige Repräsentationsverständnis als die genuine Auffassung des analysierten Theoretikers ausgewiesen werden. Die Frage, inwieweit die hier zu leistende Untersuchung als politikwissenschaftliche oder rein staatsrechtliche Arbeit angesehen werden muß, sei noch kurz erörtert. Zunächst ist dabei festzuhalten, daß für die Zeit des Vormärz, eine derartige Unterscheidung ihr Objekt verfehlt. Staatslehre und politische Theorie sind zu dieser Zeit noch nicht als verschiedene Disziplinen unterschieden26 • Ähnliches gilt auch für die antipositivistische Staatslehre der Weimarer Zeit. Man will politische Wissenschaft betreiben und greift sogar die Tradition des Vormärz ganz bewußt wieder auf 27 • Aber auch der Rechtspositivismus ist genuiner 26 Vgl. hierzu Sontheimer, Politische Wissenschaft und Staatsrechtslehre, S. 10 - 16; ebd. die Angabe weiterer Literatur; siehe auch die Einleitung bei Fraenkel- Bracher, Staat und Politik, S. 10; vgl. auch hierzu Ellwein, Thomas, Das Erbe der Monarchie in der deutschen Staatskrise. Zur Geschichte des Verfassungsstaates in Deutschland, München 1954, S. 210, 231. 27 Vgl. hierzu Triepel, Heinrich, Staatsrecht und Politik. Rede beim An-
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Einleitung
Gegenstand einer historisch-theoretischen Untersuchung der Politikwissenschaft. Staatsrechtslehre und Politikwissenschaft haben den gleichen Gegenstand 28 , sie sind dadurch aufeinander bezogen. Kritische Analyse des Ansatzes und Verifizierung der beanspruchten Aussagequalität ist damit legitimes Recht der jeweils anderen Disziplin. Kann doch nur so eine Abgrenzung voneinander erfolgen. Deshalb kann auch die Theorie des Rechtspositivismus ohne methodischen Übergriff in die Rechtswissenschaft von der Politikwissenschaft gemäß den genannten Grundsätzen behandelt werden. Im Laufe der Arbeit werden einige Repräsentationslehren als ideologisch gekennzeichnet werden, so daß es sinnvoll erscheint kurz zu vermerken, in welcher Bedeutung diese Charakteristik hier verstanden wird. Da es sich um eine rein theoretische Arbeit handelt und dieser Begriff nur zum Zweck einer knappen Kennzeichnung einer bestimmten Lehre verwendet werden soll, scheint es nicht sinnvoll zu sein eine Aufarbeitung der Ideologiediskussion zu versuchen2D • Der Begriff sei vielmehr in der für diesen speziellen Zweck eingeschränkten Bedeutung umrissen. Unter ideologisch wird verstanden, daß Aussagen als theoretische Aussagen behauptet und verwendet werden, ihnen diese Qualität jedoch keineswegs zukommt. Der Begriff ist also auf den erkenntnistheoretischen Bereich eingeschränkt und entspricht damit der Geigerschen Ideologievorstellung 30 . Doch bedeutet dieser Verweis auf Geiger nicht, daß zugleich seine Erklärung für das ideologische Moment mitübernommen wird; denn er sieht es dort gegeben, "wo ein trüber Bach unkontrollierter Gefühlsvorstellungen sich in das klare Wasser der Theorie ergossen hat"31. Der Aspekt der Begründung des ideologitritte des Rektorats der Friedrich Wilhelms-Universität zu Berlin am 15. Oktober 1926, Berlin - Leipzig 1927; Sm end, Rudolf, Der Einfluß der deutschen Staats- und Verwaltungslehre des 19. Jahrhunderts auf das Leben in Verfassung und Verwaltung (in: Deutsche Rechtswissenschaft, 4, 1939, S. 25 bis 39) wieder abgedruckt in: ders., Staatsrechtliche Abhandlungen und andere Aufsätze, Berlin 2. erweiterte Aufl. 1968. S. 326 - 345; siehe auch Sontheimer, Politische Wissenschaft und Staatsrechtslehre, S. 21, 29. 28 Vgl. Sontheimer, Politische Wissenschaft und Staatsrechtslehre, S. 28, 32/33,40, 45, 47. 29 Vgl. hierzu Lieber, Hans-Joachim, Bütow, Hellmuth G., Art. Ideologie, in: Sowjetsystem und demokratische Gesellschaft. Eine vergleichende Enzyklopädie, Bd. 3, Freiburg - Basel - Wien 1969, S. 1 - 25 und Topitsch, Ernst, Art. Ideologie, in: Staatslexikon, Bd. 4, 6. Auf!. Freiburg 1959, S. 193 - 20l. 30 Vgl. Geiger, Theodor, Ideologie und Wahrheit, Eine soziologische Kritik des Denkens, Neuwied - Berlin 2. Aufl. 1968, S. 58: "Als ideologisch sollen jene Aussagen bezeichnet werden, die ihrer sprachlichen Form und dem in ihnen ausgedrückten Sinne nach sich als theoretische Sachaussagen geben, die aber a-theoretische, nicht der objektiven Erkenntniswirklichkeit zugehörende Bestandteile enthalten". (im Original gesperrt gedruckt); vgl. auch ebd. S. 32, 45, 57, 60. 31 Ebd. S. 80.
Einleitung
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schen Moments interessiert bezüglich dieser rein theoretischen Arbeit nicht, der Ideologiebegriff wird diesbezüglich nicht fixiert und bleibt offen für verschiedene Erklärungsmöglichkeiten. Ideologisch meint also nur, daß ein a-theoretisches Element illegitimerweise als Theorie ausgegeben wird. Eine Bestimmung des Repräsentationsbegriffs zu Beginn der Untersuchung erübrigt sich an sich für eine historische Fragestellung, soll doch dessen Bestimmung erst aus dem jeweiligen historischen Material gewonnen werden. Trotzdem soll er hier wenigstens kurz skizziert werden, um die Fragerichtung der Arbeit, die sich ja von der vorherrschenden Eigentlichkeitserörterung abheben soll, zu umreißen. Diese Skizzierung erweist sich auch deshalb als sinnvoll, um einen Leitfaden der Untersuchung für die Lehre des Vormärz und des Rechtspositivismus zu gewinnen, da bei diesen eben Repräsentation nicht direkt im Vordergrund steht. Dabei sei auf die Definition von H. Pollmann zurückgegangen, der sie gerade in Kritik an Schmitt und Leibholz gewinnt. Pollmann versteht unter Repräsentation "eine für jede Gruppe existenznotwendige Methode zur Bildung eines autonomen Willens"32. Repräsentation ist für dieses Verständnis konstitutives Element einer Gruppe, indern es eben den Willensbildungsprozeß gestaltet. Die historische Analyse soll nun im folgenden zeigen, ob dieser theoretische gewonnene Begriff der Geschichte und Entwicklung der Repräsentation in der politischen Theorie und Staatslehre entspricht oder nicht.
32 Pollmann, Repräsentation und Organschaft, S. 45, Ein Aufweis dieses Repräsentationsbegriffs kann hier nicht geleistet werden, da ein Einstieg in diese Diskussion eine eigenständige Arbeit bedeuten würde. Er erweist sich aber auch als nicht notwendig, da diese Definition keinen konstitutiven Bestandteil der Arbeit bildet. Ihre Aufgabe ist es nur, die gegenüber der vorherrschenden Eigentlichkeitsproblematik veränderte Fragerichtung kurz anzudeuten. Deshalb wurde auch auf eine vollständige Wiedergabe der detaillierten Definition von Pollmann verzichtet.
TEIL I
Repräsentation im Kontext der Verfassungsfrage : Zur liberalen Staatslehre des Vormärz (1815 -1848) 1. Zur Forschungssituation und zur näheren Bestimmung des Untersuchungsgegenstandes Die wissenschaftliche Erforschung der Ideengeschichte des 19. Jahrhunderts hat 1968 H. Brandt als lückenhaft gekennzeichnet. Als besonders gravierenden Mangel hob er dabei hervor, daß es noch "an Vermessungen der liberalen Ideen-Topographie des Vormärz fehlt"l. Zwar ist durch die Arbeiten von Brandt und zuletzt vor allem von H. Boldt2 dieses Problem aufgegriffen worden, zu einer endgültigen Klärung oder allgemein akzeptierten Lösung sind aber beide nicht vorgestoßen. Die weitgefächerten selbständigen bis eigenwilligen Denkmodelle der politischen Theoretiker jener Zeit, die sich nur schwer vergleichen und systematisieren lassen, sind hierbei sicher als Ursache mit anzuführen •. Doch muß auch festgestellt werden, daß die Frage einer Systematisierung der politischen Ideen des deutschen Vormärz noch nicht zum eigenständigen Thema wissenschaftlicher Behandlung gemacht worden ist. Lediglich en passent, als Voraussetzung oder Ergebnis wissenschaftlicher Forschung, wurde auf diese Frage eingegangen. Die weitgehendste Auseinandersetzung mit diesem Problem findet sich noch bei H. Boldt, der im Resümee seiner Arbeit über die Staatslehre des deutschen Vormärz eine Systematisierung nach konstitutionellen Verfassungsmodellen vorlegt. Neben Boldt und Brandt ist noch Huber zu nennen, der sich mit dem Problem der Untergliederung der vormärzlichen Ideenlehre befaßt hat3. F. Schnabel z. B. kommt in seiner "Deutschen Geschichte im neunzehnten Jahrhundert" ohne eine Gliederung des Liberalismus aus 4 • 1 Brandt, Hartwig, Landständische Repräsentation im deutschen Vormärz. Politisches Denken im Einflußfeld des monarchischen Prinzips, NeuwiedBerlin 1968, S. 1. 2 Boldt, Hans, Deutsche Staatslehre im Vormärz, Düsseldorf 1975. 3 Huber, Ernst Rudolf, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 11, Der Kampf um Einheit und Freiheit 1830 - 1850, Stuttgart 1960, S. 391. 4 VgI. Bd. 11, Monarchie und Volkssouveränität, 2. Auf I. Freiburg 1949,
S. 91- 95.
1. Zur näheren Bestimmung des Untersuchungsgegenstandes
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Dieser Teil der Arbeit soll sich mit dem Problem der theoretischen Erfassung der Repräsentation in der Staatslehre des Liberalismus des deutschen Vormärz befassen. Bei dem weiten Spektrum und der Vielzahl der Theoretiker jener Zeit kann diese Erörterung gezwungenermaßen nur an Hand von repräsentativen Vertretern der verschiedenen Richtungen des deutschen vormärzlichen Liberalismus geschehen. Eine Vermessung der politischen Ideen und ihrer Anhänger im Liberalismus ist somit notwendige Voraussetzung für die hier aufgestellte Problemdiskussion. In Auseinandersetzung mit den angeführten drei Vorschlägen zur Systematisierung des Liberalismus des Vormärz soll deshalb versucht werden, eine begründete Auswahl repräsentativer liberaler Theoretiker für die weitere Analyse zu treffen. a) Zur Gliederung des liberalen Ideenspektrums
überblickt man die drei Unterteilungen des Liberalismus von Huber, Brandt und Boldt, so ist auffällig, daß alle drei von einem verschiedenen Ansatz her, d. h. auf Grund unterschiedlicher Kriterien zu ihrer Einteilung gelangen. Huber unterscheidet politische Richtungen des Liberalismus gemäß dem Parteienspektrum nach 18485, Brandt differenziert "unter dem Blickwinkel politiktheoretischer Reflexion"6 und Boldt . gelangt unter Anwendung des Kriteriums der Letztentscheidung im Staate zu seinen verschiedenen Verfassungsmodellen7 • Dabei scheint dann die Unterscheidung von Brandt der Zielsetzung dieser Arbeit am nächsten zu liegen, macht sie doch allein die Theorie zum Entscheidungskriterium. Hubers Gliederung des liberalen Ideenspektrums im deutschen Vormärz hat schon Boldt als problematisch ausgewiesen 8, doch sei zur Verdeutlichung hier erneut auf ihn eingegangen. Er unterscheidet zwei Formen des Liberalismus. Zuerst den konstitutionellen Liberalismus, den er in Norddeutschland vertreten sieht und als dessen Kennzeichnung er die Ausrichtung am Vorbild England anführt. Es handle sich um eine organische historisch-evolutionäre Richtung, die zudem die 5 6
Vgl. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, H, S. 390/1. Brandt, Landständische Repräsentation, S. 164. Boldt, Deutsche Staatslehre im Vormärz, S. 282 - 293;
7 siehe auch ders., Zwischen Patrimonialismus und Parlamentarismus, Zur Entwicklung vorparlamentarischer Theorien in der deutschen Staatslehre des Vormärz, in: Ritter, G. A. (Hg.), Gesellschaft, Parlament und Regierung. Zur Geschichte des Parlamentarismus in Deutschland, Düsseldorf 1974, S. 83 - 97. Hier ist Boldt jedoch noch nicht zur letzten Systematisierung gelangt und mehr den geschichtlichen Phänomenen verbunden. Die Kennzeichnung der einzelnen Modelle hebt noch nicht allgemein auf die Struktur ab (vgl. Modell 4) und Zachariä ist noch nicht unter Modell 3 eingeordnet. Im Folgenden sei deshalb auf die endgültige Einteilung der "Staatslehre" Bezug genommen. B Ebd. S. 291.
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Teil I: Repräsentation in der liberalen Staatslehre des Vormärz
Gewaltenteilungslehre Montesquieus vertrete. Demgegenüber unterscheidet er eine stärker rational ausgerichtete Bewegung, die in Nachfolge von Guizot und Constant für die parlamentarische Monarchie eintrete und als parlamentarischer Liberalismus zu bezeichnen seiD. Huber vertritt also die These, daß auf Grund der Ausrichtung an verschiedenen ausländischen Verfassungsvorbildern eine geographische Gliederung des vormärzlichen Liberalismus durchgeführt werden könne. Dieses weit verbreitete Gliederungsschema dürfte wohl nach den Untersuchungen von Eyck als nicht zutreffend und auf jeden Fall in dieser Form nicht mehr vertretbar erscheinen1o . Auch erweist sich Hubers Gliederung als zu weitmaschig und undifferenziert, um als Ordnungsstruktur für den Liberalismus des deutschen Vormärz dienen zu können. Rotteck dürfte wohl kaum die Charakteristik als Theoretiker des parlamentarischen Systems erfüllen, und Dahlmann als Vertreter der Gewaltenteilungslehre zu bezeichnen, widerspricht dessen ausdrücklichen Äußerungen hierzul l . Entscheidend für eine Ablehnung der Huberschen Systematik ist aber letztlich, daß er die Unterscheidung des Nachmärzliberalismus in ein linkes und rechtes Zentrum als Kriterium für den Vormärz verwendet. Nicht aus sich heraus wird ein Zeitraum interpretiert, sondern mit der Schablone der nachfolgenden überzogen, es wird einfach zurückgeschlossen1 2 • Als genuine Systematik des Vormärz kann diese Unterteilung also nicht gelten. Brandt unterscheidet im deutschen Vormärz drei verschiedene Zentren des Liberalismus, (1) eine romantisch-"organisch"-monarchische, (2) die vernunftrechtlich-monarchische und (3) die fortschrittlich-konstitutionelle Richtung 13, wobei die dritte Gruppe, trotz der von Brandt auch zugestandenen Heterogenität der in ihr zusammengefaßten Theoretiker, allein auf Grund des Kriteriums der Ablehnung des monarchischen Prinzips gebildet ist14 • In der Durchführung der Arbeit wird 9
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Huber, Deutsche Verfassungs geschichte, 11, S. 390/l. Eyck, Gunther F., English and French Influences on German Liberalism
before 1848, in: Journal of the History of Ideas, XVIII, 1957, passim, siehe vor allem sein Resümee S. 339 - 341. 11 Näherhin s. u. Teil I, 2 c2 und 3b; ähnlich schon Boldt, Deutsche Staatslehre im Vormärz, S. 291; bezüglich Dahlmanns Stellung zur Gewaltenteilung vgl. ders., Die Politik auf den Grund und das Maß der gegebenen Zustände zurückgeführt, Göttingen 1835, Neudruck: Frankfurt 1968 §§ 95 - 97, S. 98 bis 99; eine der Huberschen Deutung vergleichbare Interpretation bei Linnenkohl, Ernst, Dahlmann und der Konstitutionalismus, phil. Diss. Kiel 1913, S. 90. 12 Vgl. hierzu Boldt, Deutsche Staatslehre im Vormärz, S. 291; schon Hölzle, Erwin, Dahlmann und der Staat, in: VSWG, 17, 1924, S. 351, hat darauf verwiesen, Parteibezeichnungen für den Vormärz möglichst zu vermeiden. 13 Brandt, Landständische Repräsentation, S. 164. 14 Vgl. ebd,. S. 164 Anm. 12.
1.
Zur näheren Bestimmung des Untersuchungsgegenstandes
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dieses Gliederungsschema jedoch von Brandt durchbrochen, indem Zachariä und Mohl als Außenseiter gesondert von der konstitutionell fortschrittlichen Richtung abgehandelt werden15 • Hier scheint dann eine Aufteilung in zwei Gruppen, wie sie Boldt vornimmt, konsequenter zu sein 16 • Andererseits faßt Boldt die Gruppen 1 und 2 von Brandt zu einer Einheit zusammen. Im ganzen unterscheidet Boldt sechs Verfassungsmodelle, wobei Modell 1 und 2 als reaktionär und konservativ 17 außerhalb des hier zu behandelnden Betrachtungsgegenstands liegen und Modell 5, das pouvoir-neutre-Modell Constants, in Deutschland keinen eindeutigen Vertreter gefunden hat und deshalb hier zu vernachlässigen ist1 8 • Es ergibt sich hier also auch eine Dreiheit, das Modell des Zusammenwirkens, das Appellationsmodell und das parlamentarische Mode1l 19 • Boldt ordnet die Theoretiker des Vormärz nach dem Kriterium der Letztentscheidung im Staate. Nicht die Theorie sondern das Ergebnis, das entworfene Verfassungsmodell, wird zum Einteilungsgrund erhoben. Denn Theorie ist in der Verfassungslehre des Vormärz nicht der grundlegende Faktor. Wie Boldt in seiner Analyse des Begriffs des monarchischen Prinzips 20 dargelegt hat, versucht die Staatslehre vor 1848, Unvereinbares zu vereinen, Monarchie und Demokratie. Indem beide zum Prinzip gemindert werden - zum monarchischen und demokratischen Prinzip - glaubt man, den Antagonismus von Fürstensouveränität und Volkssouveränität in einem polaren Gegensatz aufgefangen zu haben. In Wirklichkeit aber, indem man so versucht, den Antagonismus auszugleichen, der logischen Regel nicht Rechnung trägt, gleitet man in Leerformeln ab, deren konkrete Ausfüllung von der jeweiligen Situation oder der Stellung des Einzelnen abhängt21 • Diese logische und damit theoretische Defizienz der Staatslehre des Vormärz weist also über die reine Theorie hinaus, ist als Anzeichen zu werten, daß etwas anderes primär gesetzt ist. Dabei handelt es sich um die vorhandene verfassungspolitische Situation, die versucht wird ,in theoretischer Reflexion sich verständlich zu machen und zu legitimieren, ohne je den Versuch nur ins Auge zu fassen, von einem theoretischen Ansatz aus zu über das Vorhandene hinausgehenden Folgerungen zu gelangen22 • Siehe ebd., S. X. Vgl. Boldt, Deutsche Staatslehre im Vormärz, S. 286 -7 und S. 289 - 291, die Modelle Nr. 4 und 6. 17 Diese Kennzeichnung von Boldt, ebd., S. 290. 18 Ebd., S. 287, 290. 19 Ebd., S. 285 - 287. 20 Ebd., S. 15 - 54. 21 Vgl. ebd., S. 32 - 33. 22 Vgl. Boldt, Deutsche Staatslehre im Vormärz, S. 97; Bussmann, Walter, Zur Geschichte des deutschen Liberalismus im 19. Jahrhundert, in: HZ, 186, 15 18
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Teil I: Repräsentation in der liberalen Staatslehre des Vormärz
Im Prinzip ist damit die Staatslehre des Vormärz als untheoretisch charakterisiert. Bei Berücksichtigung dieses Dilemmas der politischen Theorie und Staatslehre im deutschen Vormärz wird klar, daß ein theoretischer Ansatz nicht alleiniges Entscheidungskriterium für die Systematisierung der Verfassungsvorstellungen jener Zeit sein kann. Dieses kommt auch in der Aufteilung von Brandt schon zum Ausdruck, wenn er den Vernunftrechtier Rotteck unter fortschrittlich-konstitutionell rubriziert, gleichzeitig aber eine vernunftrechtlich monarchische Richtung kennt23 • Die Zuordnung zu einer Richtung des Liberalismus wird also erst vom Ergebnis des Verfassungsmodells her deutlich, von der Stellung, die dem Parlament oder dem König eingeräumt wird. Von daher ist die Systematik Boldts als die zentrale anzusehen, in dem sie gerade dieses Kriterium zum Entscheidungsprinzip erhebt. Boldt faßt die Gruppe 1 und 2 von Brandt zusammen, da in Gruppe 2 das vernunftrechtliche Element nicht als das prägende erscheint. Die Bezeichnung romantisch für die erste Gruppe bei Brandt ist bereits von Boldt kritisiert worden24 , ähnlich wird die Auseinandersetzung mit der Theorie Dahlmanns weiter unten zu einer Korrektur des Begriffs organisch führen. Eine Zusammenfassung beider Gruppen, wie Boldt sie vornimmt, ist, da sich der Unterschied nur auf verschiedene theoretische Ansätze mit gleichem Ergebnis reduziert, als sinnvoll gerechtfertigt. Der Liberalismus des deutschen Vormärz läßt sich also in drei Gruppen unterteilen. Die erste Richtung des Liberalismus geht von einer Vorrangstellung des Monarchen im Staate aus. Ihm kommt die staatliche Gewalt zu, doch wird sie als durch die Teilhabe der Stände an der Ausübung dieser Gewalt beschränkt gedacht. Als Modell des Zusammenwirkens wird diese Verfassungsvorstellung von Boldt in seinem Modell 3 zusammengefaßt25 • Die zweite Richtung, deren Verfassungsregelung Boldt durch den Begriff der Appellation hinreichend gekennzeichnet sieht, geht von einer Gleichstellung von Monarch und Volksvertretung aus, dabei dann in einer Weiterentwicklung die eher zur Stärkung der Position der Volksvertretung neigt26 • Die dritte Richtung schließlich, die das parlamentarische Modell vertritt, sieht im Monarchen nur noch ein formelles Staatsoberhaupt27 • 1958, S. 529, 533, 536, 540; Böckenförde, Ernst Wolfgang, Der Verfassungstyp der deutschen konstitutionellen Monarchie im 19. Jahrhundert, in: ders., Moderne deutsche Verfassungsgeschichte (1815 - 1918), Köln 1972, S. 149, 154 - 159. 23 Vgl. Brandt, Landständische Repräsentation, S. 164 u. Anm. 12. 24 Ebd., S. 292. 25 Vgl. Boldt, Deutsche Staatslehre im Vormärz, S. 285/6 die Nummerierung bezieht sich auf die Zählung bei Boldt. 26 Ebd., S. 286/7.
1. Zur näheren Bestimmung des Untersuchungsgegenstandes
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b) Zur Auswahl der zu behandelnden Autoren und zur Literaturlage
Auf Grund dieser der Boldtschen Einteilung folgenden Vermessung des vormärzlichen Ideenspektrums ist es möglich, zu einer Auswahl repräsentativer Theoretiker dieser Zeit und zu einer Erörterung der Frage der theoretischen Erfassung der Repräsentation im Vormärz zu gelangen. Friedrich Christoph Dahlmann, Carl von Rotteck und Robert von Mohl bieten sich hierbei als Vertreter an. Dahlmann ist nicht nur als Führer der Göttinger Sieben (1837) und als Mitautor des Verfassungsentwurfs in Frankfurt hervorgetreten28 , sondern sein literarischer Einfluß ist gleichfalls von entscheidender Bedeutung. So ist seine "Politik" in ihrem Einfluß, - vornehmlich in Norddeutschland - der Bedeutung des Staatslexikons von Rotteck und Welcker gleichzusetzen29 • Brandt sieht in Dahlmann geradezu den Prototyp der von ihm als romantisch-"organisch"-monarchisch charakterisierten Richtung des Liberalismus3o , wobei diese Bewertung durchaus ihre Entsprechung in der zeitgenössischen Einschätzung findet 31 • Carl von Rotteck ist bereits als Mitherausgeber des Staatslexikons genannt worden 32 • Die Leitung des Projekts des Staatslexikons war ihm und Welcker, nachdem am 26. Oktober 1832 ihre Zeitschrift "Der Freisinnige" verboten worden war, angetragen worden, weil sie sich als Führer der Opposition im Badischen Landtag in ganz Deutschland einen Namen gemacht hatten 33 • Zuvor schon hatte Rotteck auf sich aufmerksam gemacht und wurde Ebd., S. 287. Zur Biographie Dahlmanns siehe Christern, Hermann, Friedrich Christoph Dahlmanns politische Entwicklung bis 1848, Leipzig 1921, eine politische Biographie, die Dahlmanns Werk chronologisch darzustellen versucht. Vgl. auch die Einführung von Otto Westphal in seiner Ausgabe der Dahlmannschen Politik, (Berlin 1924); vor allem Springer, Anton, Friedrich Christoph Dahlmann, 2 Bde., Leipzig 1870/1872. Auf eine eigene skizzenhafte Biographie der zu behandelnden Autoren ist verzichtet worden. Bei der theoretischen Fragestellung der Arbeit steht nur das Werk im Blickpunkt des wissenschaftlichen Interesses. Der Hinweis auf die jeweiligen biographischen Darstellungen mag hier genügen. 29 Vgl. hierzu Herdt, Ursula, Die Verfassungs theorie Karl v. Rottecks, Phil. Diss. Heidelberg 1967, S. 16; siehe auch Christern, Dahlmanns politische Entwicklung, S. 4. 30 Brandt, Landständische Repräsentation, S. 179, 203, 205. 31 Brandt, Landständische Repräsentation, S. 199; vgl. auch Linnenkohl, Dahlmann und der Konstitutionalismus, S. 32, der die führende Rolle Dahlmanns bei der Einführung der Verfassung hervorhebt. 32 Eine gute knappe übersicht über Leben und Werk Rottecks bietet Ehmke, Horst, Karl von Rotteck der ,politische Professor', Karlsruhe 1964; vgl. auch die entsprechenden Ausführungen bei Herdt, Die Verfassungstheorie Rottecks. 33 Siehe Zehntner, Hans, Das Staatslexikon von Rotteck und Welcker. Eine Studie zur Geschichte des deutschen Frühliberalismus, Jena 1929, S. 7; Brandt, Landständische Repräsentation, S. 256; Goessler, Peter, Der Dualismus zwischen Volk und Regierung im Denken der vormärzlichen Liberalen in Baden und Württemberg, Phil. Diss. Tübingen 1932, S. 617; Fickert, Artur, 27
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Teil I: Repräsentation in der liberalen Staatslehre des Vormärz
berühmt durch seine "Weltgeschichte"3" einem weniger historischen als stringent liberal-ideologischen Werk, das sich weiter Verbreitung erfreute. Ähnlich wie Dahlmann muß auch Rotteck als einer der führenden Liberalen seiner Zeit angesehen werden. Bezüglich der dritten Richtung des Liberalismus kann nur Robert von Mohl genannt werden, da er der einzige namhafte Theoretiker ist, der das parlamentarische Modell im Rahmen der konstitutionellen Monarchie vertreten hat 35 . Hier stellt sich nicht die Frage nach einem herausragenden Vertreter als Repräsentant einer bestimmten Richtung des Liberalismus. Dafür ist aber zu erörtern, inwieweit und ob Mohl mit der Entwicklung seines parlamentarischen Modells noch als Theoretiker des Vormärz anzusehen ist. Denn Mohls Hauptschrift, in der er sich dezidiert für das parlamentarische System einsetzt, der Artikel "Das Repräsentativsystem, seine Mängel und die Heilmittel", erscheint erst 1852 in der Deutschen Vierteljahrsschrift36 . Nun ist die Geistesgeschichte nicht so eindeutig durch exakte Daten oder dazu noch durch die der politischen Geschichte in ihrer Periodisierung zu gliedern. Doch sollte dieser auffallende Zeitunterschied, - zumal Mohl auch schon als außerhalb der theoretischen Richtung des Vormärz eingestuft worden ist37 , - zur klärenden Reflexion Anlaß geben. Dabei erweist sich dann, daß der Artikel von 1852 nicht nur 1846 einen Vorläufer hatte, sondern die Entwicklung bis hin zur theoretischen Position des Jahres 1852 schon früher nachzuweisen ist. Bereits in der Schrift über die Ministerverantwortlichkeit von 1837 38 äußert Mohl Zweifel an der konkreten Form der konstitutionellen Monarchie und bereits 1846 tritt er als Vertreter des parlamentarischen Regierungssystems auf, und zwar in seinem Artikel "über die verschiedene Auffassung des repräsentaMontesquieus und Rousseaus Einfluß auf den vormärzlichen Liberalismus Badens, Phil. Diss. Leipzig 1913, S. 60. 34 Genauer Titel: Allgemeine Geschichte vom Anfang der historischen Kenntnis bis auf unsere Zeit, für denkende Geschichtsfreunde, 9 Bde., Freiburg 1812 - 26. 35 Vgl. Boldt, Deutsche Staatslehre im Vormärz, S. 90; zur Biographie von Mohl siehe vor allem Angermann, Erich, Robert von Mohl, 1799 - 1875. Leben und Werk eines altliberalen Staatsgelehrten, Neuwied 1962; die ausgezeichnete Einleitung Beymes in: ders. (Hg.), Robert von Mohl. Politische Schriften, Köln - Opladen 1966, S. VII - XLIII; Bark, Axel, Robert von Mohl, in: Sattler, Martin J. (Hg.), Staat und Recht, S. 23 - 42; Scheuner, Ulrich, Robert von Mohl: Die Begründung einer Verwaltungslehre und einer staatswissenschaftlichen Politik, in: 500 Jahre Eberhard-Karls-Universität Tübingen. Beiträge zur Geschichte der Universität Tübingen 1477 - 1977, hrsg. im Auftrag des Universitätspräsidenten und des Senats, Tübingen 1977, S. 515 - 538. 35 Diese erste Veröffentlichung geschah anonym. 37 Vgl. Brandt, Landständische Repräsentation, S. X. 38 Robert von Mohl, Die Verantwortlichkeit der Minister in Einherrschaften mit Volksvertretung, Tübingen 1837.
1. Zur näheren Bestimmung des Untersuchungsgegenstandes
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tiven Systemes in England, Frankreich und Deutschland"39. Beyme sieht in dieser Schrift die Forderung nach parlamentarischer Regierung noch zwischen den Zeilen versteckt, bezieht sich dabei aber offenbar auf die verkürzte Fassung in dem Sammelwerk "Staatsrecht, Völkerrecht und Politik"40. Wie aber Mohl auf S. 33 in der 1. Anmerkung dieses Werkes ausführt, erfolgte diese Kürzung, um eine Wiederholung durch die Aufnahme des Artikels über "Mängel und Heilmittel des Repräsentativsystems" in diesen Sammelband zu vermeiden. Mohls Konzeption der parlamentarischen Regierung ist also nicht nur in Aufsätzen schon vor 1848 nachweisbar, sondern vielmehr von ihm eindeutig vertreten worden. Dieses Modell ist als genuine Konzeption des Vormärz anzusehen, sie ist keineswegs erst unter den Fragestellungen der nachrevolutionären Zeit zum Abschluß gelangt. Dieses wird auch die ausführliche inhaltliche Auseinandersetzung mit Mohl weiter unten darlegen. Mohl ist als Endpunkt des vormärzlichen Liberalismus anzusehen, einmal als größtmögliche Entfaltung, da hier die demokratische Forderung am weitesten verwirklicht wird, gleichzeitig aber auch als Abschluß, da der untheoretische Ansatz von Mohl ein sich Abfinden mit den andersartigen Verhältnissen nach 1848 notwendig zur Folge hat. Überblickt man die Literaturlage zu den genannten Autoren, so läßt sich ein erster Schwerpunkt der wissenschaftlichen Forschung im zweiten und dritten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts feststellen 41 • Die Be39 In: Tübinger Zeitschrift für die gesammte Staatswissenschaft, Bd. 3, 1846, S. 451 - 495. 40 Bd. II, Tübingen 1862, die Stelle bei Beyme in der Einleitung zu: ders. (Hg.), Robert von Mohl. Politische Schriften, Köln - Opladen 1966, S. XXXII. 41 Für Dahlmann sei hier die Arbeit von Christern (vgl. Anmerkung 28), die Dissertation von Linnenkohl, Ernst, Dahlmann und der Konstitutionalismus, Phil. Diss. Kiel 1913; sowie die Herausgebertätigkeit von Westphal (siehe Anmerkung 28) erwähnt. Bei Rotteck sei auf Fickert, Artur, Montesquieus und Rousseaus Einfluß auf den vormärzlichen Liberalismus Badens, Phil. Diss. Leipzig 1913; Koch, Franz Xaver, Rotteck und der Constitutionalismus, Phil. Diss. Freiburg 1919 und Schib, Karl, Die staatsrechtlichen Grundlagen der Politik Karl v. Rottecks, Phil. Diss. Basel 1927 verwiesen. Hähnte, Johanna, Die politischen Ideen Robert von Mohls, Phil. Diss. Tübingen 1921 und Taupitz, Karl, Die Gesellschaftswissenschaft Rob. v. Mohls, Phil. Diss. Leipzig 1924 seien als Beispiele für die wissenschaftliche Auseinandersetzung jener Zeit mit Mohl angeführt. Die Arbeit von Gerber, Emil, Der staatstheoretische Begriff der Repräsentation in Deutschland zwischen Wiener Kongreß und Märzrevolution, Neunkirchen - Saar 1929, sei auch in diesem Zusammenhang erwähnt, obwohl sie vom Inhalt her kaum als Sekundärliteratur zur Diskussion um den Repräsentationsbegriff im Vormärz anzusehen ist. Vielmehr erweist sie sich als Quelle für das Repräsentationsverständnis der Weimarer Zeit. Denn ausgehend von einem an Schmitt entwickelten Repräsentationsbegriff (S. 5 -12) wird dieser in den Vormärz hineininterpretiert (S. 28 - 60), ohne dessen Relevanz aufgezeigt zu haben (diese Kritik schon bei WoZft, Hans J., Besprechung in: Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie, XXIV, 1930/31, S. 396). Was dem Schmittschen Begriff im Vormärz entgegensteht, sind dann für Gerber "Ungenauigkeiten im Ausdruck und gewiß auch in der Vorstellung"
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Teil I: Repräsentation in der liberalen Staatslehre des Vormärz
schäftigung mit den einzelnen Autoren geschieht dabei weniger in kritischer Auseinandersetzung mit dem theoretischen System, als daß vielmehr versucht wird, das Werk des entsprechenden Theoretikers in knapper Weise nachzuzeichnen und darzustellen. Auch die Arbeit von Christern über Dahlmann ist hierunter anzuführen. Denn der Versuch, das Werk Dahlmanns an Hand seines Lebenslaufes darzustellen, muß unter theoretischem Aspekt defizient erscheinen. Das System der Dahlmannschen Theorie, ganz zu schweigen von einer vertiefenden, kritischen Auseinandersetzung, kann notwendigerweise nur rudimentär abgehandelt werden, wird die Chronologie zum Ordnungsprinzip erhoben42 • Eine Ausnahme bildet allein die Dissertation von Koch, der die konstitutionelle Theorie Rottecks zum Gegenstand seiner Abhandlung gemacht hat. Als Kritik ist hierbei nur anzumerken, daß er den theoretischen Aspekt zu sehr ausweitet und auf Grund seiner stringenten Deduktion des Rotteckschen Systems, diesen eher als Philosophen einstuft. Für Rotteck, den liberalen Oppositionspolitiker, für den Theorie nie Eigenzweck sondern Mittel war, ist dann in dieser Theorie kein Platz mehr. Ende der fünfziger, mit Beginn der sechziger Jahre dieses Jahrhunderts, setzt dann erneut eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Theoretikern des Vormärz ein. Zwar finden sich in der Zeit von 1933 bis 1945 zwei Veröffentlichungen über Dahlmann43 , doch ist die Bezeichnung wissenschaftliche Erörterung hierauf nur bedingt anzuwenden. Der Grund der Auseinandersetzung mit Dahlmann ist weniger seine Theorie, als daß man ihn als Vertreter der germanischen Freiheit apostrophiert und ihn so für die Ideologie der Zeit meint vereinnahmen zu können. Eine wirkliche Auseinandersetzung mit Dahlmanns Werk findet nicht statt. Sachfremde Fragestellungen der Zeit werden an es herangetragen und Dahlmann gemäß diesem Maßstab bewertet. Für eine wissenschaftliche Analyse der Theorie Dahlmanns sind diese beiden Werke zu vernachlässigen. Die wissenschaftliche Behandlung der Theoretiker des Vormärz, die Mitte dieses Jahrhunderts einsetzt, bleibt zunächst noch in dem Rahmen, den die Forschung zu Beginn des Jahrhunderts abgesteckt hat. Biographien und Würdigungen prägen das Bild; so die große Biogra-
(s. 31). Nicht die Vormärztheorie wird erfaßt, sondern die Weimarer Vorstellung von Repräsentation wird auf diese aufgestülpt. Auf eine Auseinandersetzung mit Gerber wurde deshalb in diesem Zusammenhang verzichtet. 42 Vgl. hierzu schon Hölzle, Dahlmann und der Staat, S. 351; Westphal, Otto, Zur Beurteilung Hegels und Dahlmanns, in: HZ, 129, 1924, S. 268 (weiterhin zitiert: Zur Beurteilung Dahlmanns). 43 1937 erschien Ernst Rudolf Hubers Rede auf Dahlmann; Friedrich Christoph Dahlmann und die deutsche Verfassungsbewegung, Hamburg 1937, und 1942 die Heidelberger Dissertation von Goebel, Annemarie, Die Staatslehre Friedrich Christoph Dahlmanns, Phil. Diss. Heidelberg 1942.
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Zur näheren Bestimmung des Untersuchungsgegenstandes
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phie Angermanns über Mohl44 und die Reden auf Rotteck und Dahlmann von Ehmke und Bracher45 • Daneben ist die Arbeit von Jobst zu erwähnen, der die Staatslehre Rottecks in ihrem Zusammenhang mit der Staatsphilosophie des 18. Jahrhunderts ausweist46 • Doch kommt diese Arbeit nicht über den Aufweis von Parallelen mit den staatsphilosophischen Lehren des 18. Jahrhunderts hinaus. Die nachvollziehende Erarbeitung der Systeme der einzelnen Theoretiker des deutschen Vormärz in kritisch reflektierender Distanz ist in der bisher zitierten Literatur noch nicht in Angriff genommen. Auch die Dissertation von Ursula Herdt aus dem Jahr 1967 ist über weite Stellen nur eine zusammenfassende Darstellung der Theorie Rottecks und keineswegs kritische Analyse47 • Eine Ausnahme in dieser allgemeinen Literaturlage bildet Riedeis Einleitung zur Neuausgabe der "Politik" von Fr. ehr. Dahlmann48 • Er weist den von Dahlmann im 1. Kapitel der "Politik" entwickelten theoretischen Ansatz auch" unter der Fülle des historischpositiven und verfassungsrechtlichen Materials"49 nach. Indem er so den bisher vernachlässigten theoretischen Aspekt des Dahlmannschen Werkes in den Vordergrund der Betrachtung rückt, ist damit nicht nur die Möglichkeit gegeben, die Theorie Dahlmanns als Einheit darzustellen, sondern er leitet damit auch über zu einem neuen Verständnis dieses liberalen Theoretikers. Bezeichnungen wie organisch oder historisch für seine Theorie bedürfen genauso einer Korrektur wie die Apostrophierung Dahlmanns als Verfechter germanischer Volksfreiheit 50 • Abschließend sei noch auf die Arbeiten von Brandt und Boldt51 eingegangen, auf die diese Untersuchung aufbauen konnte. Als neuere Unter44
Siehe Anmerkung 35.
Bracher, Karl Dietrich, über das Verhältnis von Politik und Geschichte. Gedenkrede auf Friedrich Christoph Dahlmann, Bonn 1961; Ehmke, Horst, 45
Karl von Rotteck der ,politische Professor', Karlsruhe 1964. 46 Jobst, Hans, Die Staatslehre Karl von Rottecks. Ihr Wesen und ihr Zusammenhang mit der Staatsphilosophie des 18. Jahrhunderts, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins, 103 (N. F. 64), 1955, S. 468 - 498. 47 Siehe hierzu die Einleitung in: Herdt, Die Verfassungstheorie Rottecks, S. 5. Als Konsequenz hiervon ist dann auch die unkritische übernahme des Erklärungsmodells von Goessler durch Herdt anzusehen, die den dualistischen Ansatz im Vormärz als altständisch interpretiert. Vgl. hierzu Herdt, ebd., S. 161, 163; zu Goesslers Theorie siehe unten Teil I, 3 b. 48 Riedel, Manfred (Hg.), F. Chr. Dahlmann, Die Politik, Frankfurt 1968, S. 7 - 13 (weiterhin zitiert: Einleitung). 49 Riedel, Einleitung, S. 22/23; eine diesen Ansatz von Riedel aufgreifende Interpretation des Dahlmannschen Werks bei Richter, Andreas, Das Widerstandsrecht bei Friedrich Christoph Dahlmann, Diss. jur. Berlin 1972, vgl. bes. ebd. S. 137 - 148. 50 Vgl. unten das Kapitel über Dahlmann, Teil I, 2. Kapitel. 51 Die Polemik von Koch, Rainer (in: HZ, 224, 1977, S. 470 - 473) gegen Boldt kleidet an sich nur seine Verwunderung gegenüber dem Frageansatz von Boldt in immer neue Aussagen. Koch versucht nicht diese Problemstel-
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Teil I: Repräsentation in der liberalen Staatslehre des Vormärz
suchungen zur Staatslehre des Vormärz bieten sie einen guten Einstieg in die Problematik der damaligen Zeit und erleichtern damit den Zugang und das Verständnis der zeitgenössischen Quellen. Doch konnte in der Einschätzung einzelner Theoretiker oder in der Bestimmung der Funktion der Repräsen:tation für den Vormärz den Thesen von Brandt und Boldt des öfteren nicht gefolgt werden. Dieser Umstand kann eine Erklärung in der Anlage und Problemstellung dieser Arbeiten finden. Denn obwohl Brandt in der Einleitung fordert, daß es Aufgabe wissenschaftlicher Interpretation von politischen Konzeptionen sein müsse, "die jeweiligen Gedankengänge kritisch nachzuvollziehen"52, kommt er in seiner vom Untersuchungsgegenstand her breit angelegten Arbeit nicht über eine Darstellung und systematisierende Einordnung der einzelnen Theorien des gesamten Spektrums der Vorstellungen zur Frage der Volksvertretung im Vormärz hinaus. Es wird "das reaktive Ideenklima der Vormärzepoche beschrieben, ein Panorama der richtungsmäßig weit gestreuten Vorstellungen des diese Zeit beschäftigenden Problems der Organisation einer zeitgemäßen Volksvertretung gegeben "53, eine kritisch systematische Erarbeitung der einzelnen Theorien tritt dabei zurück, und muß es wohl auch bei der Aufgabenstellung, das gesamte Ideenspektrum des Vormärz zu umreißen, und der damit bedingten Fülle des Materials. Das gleiche ist auch bei der Veröffentlichung von Boldt anzumerken. Nach der Erarbeitung des theoretischen Dilemmas von monarchischem und demokratischem Prinzip 54 kommt er zu einer Behandlung der verschiedenen Verfassungsmodelle im Vormärz unter der Fragestellung der Letztentscheidung im Staat. Damit steht auch hier die Frage des Wie, der Regelung zwischen Monarch und Volksvertretung im Vordergrund. Zwar setzt die Erörterung dieser Frage auch eine kritische, die einzelnen Theorien reflektierende Ana, lyse voraus, doch kann auch hier bei der breiten Anlage der Arbeit Boldts sowie dem weitgehenden Mangel von Vorarbeiten auf dem Gebiet seine Untersuchungen nicht immer in der letzten Tiefe und Ausführlichkeit geschehen, wie sie Boldt zum Beispiel bei der Interpretation der Verfassungsvorstellungen Mohls durchführt 55 . Nachdem nun durch die Arbeiten von Boldt und Brandt das Spektrum der Staatslehre des Vormärz umrissen ist, kann in Aufbau auf diese Arbeiten eine kritisch systematische Analyse einzelner Theoretiker der Zeit erfolgen. Detaillierte Analyse des Ansatzes und Nachvolllung zu kritisieren, sondern hebt nur darauf ab, daß sie alles das nicht leiste, was eine andere, von Koch wohl favorisierte Problemstellung leisten könnte. Der Ärger von Koch ist wohl eher subjektiv (S. 473). 52 Brandt, Landständische Repräsentation, S. 2. 53 Ebd., S. 3. 54 Vgl. Boldt, Deutsche Staatslehre im Vormärz, Kapitell u. 2. 55 Ebd., S. 233 - 261.
1. Zur näheren Bestimmung des Untersuchungsgegenstandes
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zugs des Gesamtsystems, wie sie bereits von Riedel und auch stellenweise von Boldt angegangen worden sind, erweisen sich somit als Aufgabe weiterer wissenschaftlicher Auseinandersetzung mit der Staatslehre des Vormärz. Damit steht vor allem die Interpretation der originären Quellen, d. h. der Werke von Dahlmann, Rotteck und Mohl im Vordergrund. Der Diskussion bereits vorliegender Interpretationen ist bei der vorhandenen Literaturlage ein eher nachgeordneter Platz einzuräumen. c) Zur Frage der Berücksichtigung der zeitgenössischen ausländischen Diskussion und Literatur
Es bleibt noch zu erörtern, inwieweit eine Beschränkung des Untersuchungsgegenstandes allein auf deutsche Theoretiker gerechtfertigt ist. Denn es stellt sich die Frage, ob nicht eine Ausklammerung der zeitgenössischen Diskussion des Auslandes eine verkürzte und unvollständige Erfassung des Ideenreichtums im deutschen Vormärz bedeutet. Einflüsse aus dem Ausland lassen sich nämlich im Vormärz in großer Zahl nachweisen. Im Königreich Hannover wird seit der Personalunion mit England der wissenschaftliche Betrieb nach dem englischen Muster eingerichtet56, mit dem unter anderem Dahlmann in Göttingen in Berührung kommt. Mohl selbst tritt 1847 eine Reise durch England an57 , und Huber vermeinte sogar, den Liberalismus in eine norddeutsche englische und eine süddeutsche französische Richtung unterteilen zu können. Zwar hat Eycks Untersuchung ergeben, daß diese strikte geographische Trennung nicht aufrechtzuhalten ist und weithin der französische Einfluß überbewertet worden ist58 • Das Faktum des ausländischen Einflusses auf die liberalen Theoretiker des Vormärz bleibt aber weiterhin bestehen. Damit stellt sich auch die Frage, inwieweit er in der Analyse der Ideen des deutschen Vormärz zu berücksichtigen ist. Bezüglich des von Eyck als dominierend bezeichneten englischen Einflusses59 sei auf das Ergebnis der Arbeit von Wilhelm rekurriert, der grundlegenden und wohl auch heute noch fundiertesten Untersuchung zu diesem Thema60 • Wilhelm behandelt in einzelnen Kapiteln verschiedene Probleme der Verfassungslehre in ihrem Verhältnis zur englischen Verfassungswirklichkeit. Resümee jeder einzelnen Untersuchung 58 Vgl. Wilhelm, Theodor, Die englische Verfassung und der vormärzliche deutsche Liberalismus. Eine Darstellung und Kritik des Verfassungsbildes der liberalen Führer, Stuttgart 1928, S. 30 (weiterhin zitiert: engl. Verfassung - deutscher Liberalismus). 57 Vgl. Wilhelm, engl. Verfassung deutscher Liberalismus, S. 31. 58 Eyck, English and French Influences, S. 340 - 341. 5V Ebd., S. 341. 80 Wilhelm, Theodor, Die englische Verfassung und der vormärzliche deutsche Liberalismus, Stuttgart 1928.
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Teil I: Repräsentation in der liberalen Staatslehre des Vormärz
ist, daß eine Vorbildfunktion oder ein Einfluß auf die Staatslehre in Deutschland nicht festzustellen ist. Nicht als Vorbild sondern als Beispielsammlung diente die Englische Verfassung, und zwar dann erst, wenn die eigene Lehre bereits feststand 61 • Dabei wurde so weit gegangen, daß von der eigenen Theorie abweichende Fakten entschuldigt oder gar, wider bessere Kenntnis, zurechtgerückt wurden62 • Ein ähnliches Verhältnis diagnostiziert Angermann für das Amerikabild des deutschen Frühliberalismus; es spielte nur die Rolle "eines Arsenals von Argumenten für die eigenen Ansichten"63. Wer die Verhältnisse wirklich kannte, wie z. B. Mohl, schreckte vor Folgerungen zurück64 • Auch für die VO,rbildfunktion Frankreichs und den Einfluß französischer Theorien ergibt sich ein ähnliches Bild. Es ist hier nicht der Platz, auf die Differenzierungen und die Periodisierung des französischen Einflusses auf Deutschland, die Eyck zur Erfassung dieses Phänomens vorgenommen hat, einzugehen65 • Festzuhalten ist nur, daß trotz einiger Einschränkungen Rotteck auch weiterhin als der am weitesten unter französischem Einfluß stehende Theoretiker des Vormärz anzusehen ist. Wie aber die Untersuchungen von Koch ergeben haben, handelt es sich bei Rotteck um eine durchaus eigenständige Theorie. Auch der französische Einfluß geht nicht über die Bedeutung einer Beispielsammlung und Argumentationshilfe hinaus 66 • Primär im deutschen Vormärz ist immer und zunächst die eigene politische Situation67 ; der Einfluß des Auslandes ist von nachgeordneter Bedeutung. Eine Orientierung eines Theoretikers des Vormärz am Ausland ist nicht Indiz einer Beeinflussung sondern Kennzeichen einer vorausgegangenen theoretischen Stellungnahme. Der Einfluß der Theorie und Wirklichkeit des Auslandes gelangt nur vermittelt und gefiltert durch die deutsche politische Situation in die Diskussion des deutschen Vormärz. Von daher rechtfertigt sich die Begrenzung des Untersuchungsgegenstandes auf die deutsche Situation, da dabei der Einfluß des Auslandes in der Art, in der er sich ausgewirkt hat, erfaßt wird. Ebd., S. 52. . Vgl. ebd., S. 70, 71, 92, 101; siehe auch den Rückblick zur Frage der Erfassung der Wirklichkeit der englischen Verfassung durch den Liberalismus des Vormärz, S. 193 - 196. 63 Angermann, Erich, Der deutsche Frühkonstitutionalismus und das amerikanische Vorbild, in: HZ, 219, 1974, S. 4. 84 Ebd., S. 31. 65 Siehe Eyck, English and French Influences, S. 324 - 338. 66 Siehe hierzu Scheuner, Ulrich, Volkssouveränität und Theorie der parlamentarischen Vertretung. Zur Theorie der Volksvertretung in Deutschland 1815 - 1848, in: Bosl, Karl (Hg.), Der moderne Parlamentarismus und seine Grundlagen in der ständischen Repräsentation, Berlin 1977, S. 322. 67 Vgl. Boldt, Deutsche Staatslehre im Vormärz, S. 97; ebenso Wilhelm, engl. Verfassung - deutscher Liberalismus, S. 52. Gi
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2. Fr. Chr. Dahlmann: Das Ideal der guten Verfassung
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2. Friedrich Christoph Dahlmann: Das Ideal der guten Verfassung und dessen Bedeutung für die Repräsentation Wie in der Einleitung dargelegt, erfolgt die Behandlung der Theorie Fr. Chr. Dahlmanns im Rahmen dieser Arbeit auf Grund seiner Stellung als repräsentativer Vertreter jener Richtung des Liberalismus, die in ihrer Konzeption das monarchische Element besonders betont. Es handelt sich hierbei um diejenige Theorie des Liberalismus, welche noch die größte Nähe zu den Vorstellungen konservativer Denker des Vormärz hat. Die Behandlung der Theorie Dahlmanns am Anfang die~ ses Kapitels ermöglicht somit die Darstellung der geistigen Entwicklung des Liberalismus, beginnend mit dem rechten Flügel des liberalen Ideenspektrums, fortgesetzt in der Auseinandersetzung mit dem Werk Carl von Rottecks bis hin zu den Vorstellungen Robert von Mohls. Das literarische Werk Dahlmanns ist quantitativ nicht von großem Umfang. Neben seinem Hauptwerk, der "Politik"1, sind in diesem Zusammenhang nur noch seine "Kleine Schriften und Reden" zu erwähnen2 • Hierbei handelt es sich um eine von C. Varrentrapp besorgte Ausgabe, die unter anderem die Reden Dahlmanns in der Paulskirche und in der preußischen ersten Kammer, sowie seine Schrift "Ein Wort über Verfassung" enthält3 • Linnenkohl charakterisierte letztere Arbeit als "Dahlmanns politisches Glaubensbekenntnis, dem er immer treugeblieben ist"4. 1815, in der Verfassungsdiskussion in Schleswig-Holstein als Antwort auf eine anonym erschienene Schrift, die gegen die Einführung von Landtagen und Landständen polemisierte, geschrieben, ist das "Wort über Verfassung" engagierter und damit auch deutlicher und ausführlicher als zwanzig Jahre später die "Politik". Dort werden die Gedanken des "Wort über Verfassung" zwar in einen systematisch, theoretischen Zusammenhang gebracht, doch befleißigt sich Dahlmann dabei oft einer solchen Kürze 5, daß es sich auch von diesem Aspekt her anbietet, die Interpretation bei Dahlmanns Aufsatz von 1815 zu beginnen. 1 Die Politik, auf den Grund und das Maß der gegebenen Zustände zurückgeführt, Göttingen 1835 (2. Aufl. 1847, Neudruck Frankfurt 1968) (weiterhin zitiert: Politik). 2 Stuttgart 1886. 3 Zuerst erschienen in: Kieler Blätter I, 1815, S. 47 - 84, S. 245 - 303 (weiterhin zitiert nach dem Abdruck in "Kleine Schriften und Reden" unter dem Kürzel: Wort über Verfassung). Die vollständige Bibliographie der Werke von Dahlmann bei Christern, Dahlmanns polit. Entwicklung, S. 238 - 9. 4 Linnenkohl, Dahlmann und der Konstitutionalismus, S. 5; siehe auch Riedel, Einleitung, S. 13. 5 Zum Vorwurf der zu großen Knappheit vgl. auch Boldt, Deutsche Staatslehre im Vormärz, S. 181, dort auch die Zitation ähnlicher zeitgenössischer Kritik; vgl. auch Riedel, Einleitung, S. 9.
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Teil I: Repräsentation in der liberalen Staatslehre des Vormärz a) Verfassung als Aufgabe der ZeitDahlmanns Begründung der Notwendigkeit der Verfassung in "Ein Wort über Verfassung"
In seiner Schrift von 1815 stellt Dahlmann die Frage "ist Verfassung überhaupt noth und nützlich? "6, um im Anschluß daran das Problem einer Realisierung in Schleswig-Holstein zu erörtern. Hier interessiert nur die grundsätzliche Frage nach der Begründung der Verfassung. Die Verfassungsfrage sieht Dahlmann auf Grund der Ereignisse von 1815 gestellt. In einer viel zitierten Stelle des "Wortes über Verfassung" ruft er aus1 : "Friede und Freude können nicht sicher wiederkehren auf Erden, bis, wie die Kriege volksmäßig und dadurch sieghaft geworden sind, auch die Friedenszeiten es werden, bis auch in diesen der Volksgeist gefragt und in Ehren gehalten wird, bis das Licht guter Verfassungen herantritt und die kümmerlichen Lampen der Cabinette überstrahlt." Auf Grund dieses Zitates ist aber Dahlmann keineswegs in die Reihe jener bürgerlich liberalen Publizisten einzuordnen, die die Forderung nach Landständen, - dem zeitgenössischen Begriff für Volksvertretung, - eher als Gratifikation für den Beitrag zum Sieg über Napoleon denn als politisch legitimiertes Bürgerrecht erheben8 • Denn Dahlmann sieht diese Forderung in einem viel weiteren Rahmen begründet. In Auseinandersetzung mit der Verfassungssituation der An~ tike und den "christlichen Zeiten"9 gelangt er erst zu der Forderung der oben zitierten Stelle. Die Antike sieht er durch die Gleichsetzung von Verfassung und Staat gekennzeichnet. Staat ist Verfassung, lebenslange Herrschaft eines Einzelnen ist mit diesem Verständnis nicht zu vereinen10 • Die Erkenntnis, daß eine derartige Herrschaft durchaus positiv für den Staat sein kann, wird erst in "christlichen Zeiten" gemacht, als deren Ergebnis er die gesicherte Lehre von der Erblichkeit der Fürstenhäuser ansieht. Die Einführung der erblichen Monarchie gilt Dahlmann als der entscheidende Fortschritt gegenüber der Antikel1 . Doch wird dieser Fortschritt in sein Gegenteil verkehrt, er wird zum "fluchwürdigen Rückschritte"12, sobald sich die Monarchie zur einzigen Macht im Staate erklärt. Fortschritt, wenn das Verfassungsverständnis der Antike durch das Prinzip der erblichen Monarchie modifiziert wird; Rückschritt, setzt Wort über Verfassung, S. 16. Ebd., S. 33. 8 Vgl. dazu Brandt, Landständische Repräsentation, S. 166. 9 Wort über Verfassung, S. 16. 10 Vgl. ebd. 11 Vgl. Wort über Verfassung, S. 16/17. 12 Ebd., S. 17. 8
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2. Fr. ehr. Dahlmann: Das Ideal der guten Verfassung
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dieses sich absolut. Das Verfassungs verständnis der Antike bleibt also weiterhin für Dahlmann von Bedeutung, der Absolutismus muß sich vor diesem Hintergrund als defizient und rückschrittlich erweisen13 • Dahlmann folgt hier also nicht dem Verlauf der Geschichte, sondern gelangt durch Vergleich zu einem übergeschichtlichen Verfassungskonzept. Mit den Freiheitskriegen des Jahres 1815 wird für Dahlmann der von ihm an sich festgestellte Mangel des Absolutismus offenbar. Das Alte stürzt ein14 , der Krieg, der zum Volkskrieg geworden ist, zeigt die Defizienz des Absolutismus auf. Verfassung nicht als Prämien anteil am Sieg der Freiheitskriege, sondern als Verwirklichung der im Krieg offenbar gewordenen wirklichen und wahren Struktur des Staates. Der Krieg als das konkret geschichtliche Offenbarwerden der von Dahlmann im Vergleich der Antike und der "christlichen Zeiten" diagnostizierten wahren Struktur des Staates: monarchisches Prinzip und Verfassung. Diese Interpretation wird auch durch Dahlmanns "Rede zur Feier des Siegs vom 18. Junius 1815"15 gestützt, die er in seinem "Wort über Verfassung" an entscheidender Stelle zitiert16 • Da das "Wort über Verfassung" von ihm selbst als Verdeutlichung der zur Siegesfeier gemachten Äußerungen bezeichnet wird17 , beide also eine Einheit bilden, kann jene Rede durchaus zur Bestätigung der hier dargelegten Interpretation dienen. In der "Rede des Siegs" hebt Dahlmann beson... ders auf das Versäumnis der Zeit des Absolutismus ab, staatsbürgerliche Rechte einzuführen. "Es lag diesem Zeitalter ob das tiefere Gefühl für allgemeinen Menschenwerth, welches ihm zu Theil geworden war, jene gepriesene Tugend der Humanität auch in die Staatsverhältnisse einzuführen, .... Diese große Aufgabe hat die neuere Zeit, vornehmlich leider in unserem Deutschland, träge abgewiesen18 ." Aufgabe der Zeit nach 1815 muß es deshalb sein, das offenbar gewordene Versäumnis aufzuholen, eine Verfassung zu errichten und so die Struktur des Staates an sich zu verwirklichen. Da es sich bei der Begründung der Notwendigkeit von Verfassung um den zentralen Punkt der Dahlmannschen Theorie handelt, sei eine kurze Reflexion über die Methode eingeschaltet. Der Rückgriff in die Geschichte kann schon als Ansatz zu der später in der "Politik" verwendeten Dreiheit: Antike, Christentum und Germanenturn angesehen Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 18. IS In: ders., Kleine Schriften und Reden, Stuttgart 1886, S. 1 - 11 (weiterhin zitiert: Rede des Siegs). 18 Vgl. Wort über Verfassung, S. 18. 17 Vgl. ebd., S. 18 Anm. 1. 18 Rede des Siegs, S. 8/9. 18
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Teil I: Repräsentation in der liberalen Staatslehre des Vormärz
werden19. Hier, wie auch später in der "Politik", handelt es sich keineswegs um eine historische Betrachtung. Denn die verschiedenen Epochen werden behandelt, um zu Aussagen über notwendige Prinzipien des Staates und zu einem Bild der guten Verfassung zu gelangen. Dieses wird deutlich bei Dahlmanns Bewertung des Absolutismus und seiner Aussage über den guten Fürsten, d. h., daß der Fürst an sich nichts als das Wohl des Volkes zu berücksichtigen habe 20 . Das Bild der guten Verfassung dient als Folie der geschichtlichen Darlegung. So weist also die historische Betrachtung über den geschichtlichen Kontext hinaus und gelangt zu philosophischen Ergebnissen. Die Begründung der Forderung nach Verfassung muß deshalb als geschichtsphilosophisch gewertet werden. Die Einführung einer konkreten Verfassung sieht Dahlmann durch ein philosophisches Staats- und Verfassungsideal begründet. Gleichzeitig stellt sich aber auch die Frage der Vereinbarkeit der Verfassung mit der erblichen Monarchie. Denn es soll ja nicht wieder die Verfassungssituation der Antike hergestellt werden, vielmehr gilt es, den Fortschritt der erblichen Monarchie auf jeden Fall zu bewahren. Die Sicherung der Rechte des Menschen, das nachzuholende Versäumnis des Absolutismus, darf nicht in einer Schwächung der Herrschaftsfunktion ihren Ausdruck finden. Die ideale Verfassung muß gleichzeitig "in eine beglückte Hand die höchste Macht und Herrlichkeit niederlegen, aber doch kein einziges Wesen als vollkommen werthlos und rechtlos darstellen"21. Die Lösung dieses Problems gelingt Dahlmann, indem er Herrschaft als Herrschaft für das Volk und Verfassung als "Volkssprache" interpretiert. Als konkrete Verwirklichung dieser Lösung sieht er die Verfassung von England an. Dabei wird dieses Verfassungsmodell nicht auf Grund germanischer Stammesverwandtschaft aufgeführt, - diese Bezeichnung tritt nur bei der Darstellung der geschichtlichen Ereignisse bis 1815 auf22, - sondern die allgemeine Verfassungs situation Europas genügt Dahlmann als Basis, um eine ausländische Verfassung als adäquates Modell für die Lösung der deutschen Verfassungsfragen zu legitimieren. Nicht historische Verwandtschaft, sondern Gleichheit theoretischer Grundvoraussetzung ist Basis 19 Vgl. Politik, §§ 28 - 71, S. 49 - 78. Die Seitenzählung bei der Zitation der Politik von Dahlmann folgt der Ausgabe von Riedel, M. (Hg.), F. ehr. Dahlmann, Die Politik, Frankfurt a. M. 1968. Um auch die Benutzung anderer Ausgaben zu ermöglichen, wird die Angabe der Paragraphen gemäß der ersten Ausgabe der "Politik" vorangestellt. Aus diesem Grund wird auch die Verbesserung Riedels, der die Auslassung der Nummer 170 bei der Zählung der Paragraphen in der ersten Ausgabe korrigierte, nicht mitübernommen. 20 Wort über Verfassung, S. 18. 21 Ebd., S. 20. 22 Vgl. ebd., S. 29.
2. Fr. ehr. Dahlmann: Das Ideal der guten Verfassung
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der Vergleichbarkeit 23 . In der englischen Verfassung werden nach Dahlmann eine nicht nur beratende Volksvertretung und ein selbständiger König vereinigt. "Der König kann nicht alles thun, was sich etwa wollen ließe, aber er ist nicht genöthigt, irgendetwas zu thun, was er nicht will;"24 mit dieser seither viel zitierten Formel umreißt er den Modellcharakter Englands. Die Erarbeitung dieser Problemlösung schließt Dahlmann dann mit einer detaillierten Erörterung der Frage, ob dadurch nicht die Stellung des Fürsten angetastet werde. Einmal versucht er damit die Argumente der Verfassungsfeinde zu widerlegen, es wird aber auch der Aspekt seiner Theorie deutlich, der die Bedeutung der monarchischen Komponente betont. Dahlmann spricht ein deutliches und theoretisch abgesichertes Ja für die Verfassung. Gleichzeitig ist es aber auch ein bedingtes Ja, Verfassung nur bei Beibehaltung der Errungenschaft der "christlichen Zeiten", das heißt bei erblicher Monarchie. So kann diese Erörterung auch als eine verifizierende Rückbesinnung auf die eigene Theorie angesehen werden. Dabei erweist sich dann Verfassung geradezu als Sicherung der fürstlichen Stellung. Unumschränkte Herrschaft gebäre ebenfalls absolute Herrschaft auf untergeordneter Ebene, Mißtrauen und Schwäche würden das Ergebnis derartiger Verwaltung sein 25 . Eine Sanierung der Finanzen sei in dem gegebenen Umfang nur von Freien zu erwarten, wie auch allgemein "eine gewisse Oeffentlichkeit und ein gesetzmäßig gehalterner Schritt in der Verwaltung die Hebeln des Staatscredits sind"26. In dieser konkreten Auseinandersetzung mit der monarchischen Komponente seiner Theorie werden zugleich die Grenzen der Dahlmannschen Stellungnahme für eine Verwirklichung der Rechte der Bürger im staatlichen Bereich deutlich. Diese können nie so weit gehen, die monarchische Komponente zu vernachlässigen. Erst in Auseinandersetzung damit und vermittelt durch sie kann sich dieser Faktor als legitim ausweisen. Als konkrete verfassungspolitische Konsequenz seiner Analyse gibt Dahlmann schließlich die Errichtung einer Volksvertretung an. Sie soll gebildet werden aus den historisch gewordenen Ständen, die jeweils in der Vergangenheit eine führende Rolle gespielt haben. Nur gelte es "das Nacheinander der Geschichte zu einem Nebeneinander"27 zu geVgl. ebd., S. 18. Ebd., S. 19; zur Frage, ob damit die Wirklichkeit der englischen Verfassung wirklich erfaßt ist vgl. Wilhelm, engl. Verfassung - deutscher Liberalismus, S. 132 - 4; siehe auch ChTisteTn, Dahlmanns polit. Entwicklung, S. 105; ebenso Boldt, Deutsche Staatslehre des Vormärz, S. 181. 25 Wort über Verfassung, S. 21: "Also nicht ein Mistrauen gegen die Fürsten ist es, was freiere Verfassungen so wünschenswerth macht, sondern die Furcht vor einem Zustande verächtlicher Schwäche". 26 Ebd., S. 22 - 23; Zitat ebd., S. 23. 27 Ebd., S. 27. 23
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Teil I: Repräsentation in der liberalen Staatslehre des Vormärz
stalten. Hier findet eine zweite Denkfigur Dahlmanns Anwendung, die dann in der "Politik", nun in zentraler Bedeutung, wieder auftaucht 28 • Anzumerken bleibt aber auch, daß Dahlmann auf Grund dieser Denkfigur einen direkten Weg von ständischen Vorrechten zur Volksvertretung in konstitutioneller Verfassung konstruiert und damit der Unterschied zwischen ständischer Vertretung und Repräsentation verwischt wird29 • b) Das Modell der gemischten Verfassung als Verfassungsideal
bl) Der theoretische Ansatz Dahlmanns
War das "Wort über Verfassung" noch eine politisch theoretische Stellungnahme zur konkreten verfassungspolitischen Situation und Diskussion, so stellt die "Politik" den Versuch Dahlmanns dar, seine Vorstellungen bezüglich der Verfassungsfrage in tiefergehender Theorie abzusichern. Erst in der "Politik" sind die Ideen der Schrift von 1815 in ihre letzte Systematik gebrachtSo. Trotzdem bleibt der Aussage Brachers zuzustimmen, "daß Dahlmanns ,Politik' als systematisches Werk nicht den ersten Rang beanspruchen kann"Sl. Nicht nur die oft gerade an den wichtigsten Stellen auftretende Kürze der Darstellung32, auch eine uneinheitliche und abschweifende Aufarbeitung des Stoffes lassen diese Beurteilung als nur zu gerechtfertigt erscheinen. Als gravierendster Beleg sei hier nur die Darstellung der Organisation des englischen Parlaments erwähnt. Trotz der zentralen Bedeutung dieser Passage, der Schilderung der Verfassung Englands als Modell der guten Verfassung, sind die Aussagen zur Stellung des Parlaments im englischen Verfassungssystem in einem Paragraphen (§ 84) zusammengezogen und in einer solchen Knappheit dargelegt, daß erst in interpretierender Analyse sich der Sinn des Paragraphen erschließt. Weitschweifende Darlegung der Geschäftsordnung des Parlaments sowie lange Listen über die Auswirkungen der Reformakte von 1832, deren systematischer Stellenwert nicht aufgezeigt wird und wohl auch als nur marginal anzusehen ist, nehmen dagegen sieben Paragraphen ein83 • Ähnliche, in ihrer systematischen Bedeutung nur schwer einzuschätzende Passagen finden sich auch in den Abschnitten über das Königtum und die Ständeversammlung34 • Von daher erklärt sich wohl 28 !9
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Siehe "Politik", § 71, S. 78. Vgl. hierzu schon Christern, Dahlmanns polit. Entwicklung, S. 59, 61162,
Eine ähnliche Einschätzung bei Riedel, Einleitung, S. 13. Bracher, über das Verhältnis von Politik und Geschichte, S. 21. 32 Hierzu schon Riedel, Einleitung, S. 9; kritischer Boldt, Deutsche Staatslehre im Vormärz, S. 181. 33 Vgl. Politik, §§ 80 - 83 und §§ 85 - 87, S. 85 - 90 und S. 93 - 96. 80
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2. Fr. ehr. Dahlmann: Das Ideal der guten Verfassung
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auch die eher unsystematische Interpretation der "Politik" in der bisherigen wissenschaftlichen Diskussion. Zumeist wurde der historische Aspekt der Dahlmannschen Theorie hervorgehoben35 • Der Unterschied der Geschichtsauffassung Dahlmanns zu der historischen Schule, nämlich die Wendung des historischen Gedanken ins Aktive, wurde dabei von einer Richtung besonders betont36 • Teilweise wurde auch auf die Bedeutung antiker Vorstellungen für die Theorie Dahlmanns verwiesen, ohne jedoch deren systematische Bedeutung herauszuarbeiten 37 • Dieses wird zuerst von Riedel geleistet38 , dessen Arbeit als die erste Interpretation des Dahlmannschen Werkes unter der von ihm selbst angegebenen Systematik anzusehen ist. Damit hat Riedel eine nicht unbedeutende Modifikation am wissenschaftlichen Bild von Dahlmann eingeleitet. Ist es auch mit einiger Schwierigkeit verbunden, Dahlmanns theoretische Konzeption in ihrer Bedeutung durch die ganze "Politik" hindurch aufzuweisen39 , so kann doch am theoretischen Ansatz der Dahlmannschen Darlegungen kein Zweifel bestehen. Die Einleitung zur "Politik" behandelt die Frage "Wie der Staat zu der Menschheit stehe"40 und zeigt eine Polarität zwischen Staat und den Rechten des Menschen auf. Auf der einen Seite ist der Staat nach Dahlmann als uranfänglich anzusehen 41 . Dabei handelt es sich keineswegs um eine historische Konstruktion, wie Boldt diese Aussage interpretiert42 • Die Zitation von Aristoteles' Charakterisierung der Natur des Menschen als Staatswesen, sowie die betonte Abhebung von der Naturrechtslehre weisen die Bestimmung des Staates als eindeutig philosophische Aussage aus 43 . Auch die Bestimmung der anderen Seite, "daß der Einzelne 34 Vgl. Politik, "Der königliche Reichtum" §§ 125 - 128, S. 110 - 113, "Die Geschäftsordnung" §§ 163 - 169, S. 148 - 152. 35 Vgl. Westphal in seiner Einleitung zur Ausgabe der "Politik" von 1924, S. 5 - 46; Christern in seiner politischen Biographie (siehe Teil I, 1 b, Anm. 28) und vor allem Bracher in seiner Rede zum 100. Todestag Dahlmanns (siehe Teil I, 1 b, Anm. 45); neuerdings auch Botzenhart, Manfred, Deutscher Parlamentarismus in der Revolutionszeit 1848 - 1850, Düsseldorf 1977, S. 36. 36 Hier ist vor allem die Biographie von Christ ern, Dahlmanns polit. Entwicklung, S. 83 - 88, zu nennen; auch Bracher, Über das Verhältnis von Politik und Geschichte, S. 22, hebt diesen Aspekt hervor; vgl. auch die noch ganz in dieser Tradition stehende Erörterung Riedels, Einleitung, S. 12 - 15. 37 Siehe hierzu schonWestphal, Zur Beurteilung Dahlmanns, S. 265; ebenso Hölzle, Dahlmann und der Staat, S. 355 - 358; Hanemann, Wilhelm, Der Begriff des Politischen in der deutschen Wissenschaft des 19. und 20. Jahrhunderts, Diss. jur. Heidelberg 1934, S. 33. 38 Riedel, Einleitung, bes. S. 19 - 26. 39 So auch Riedel, Einleitung, S. 22/23. 40 Politik, überschrift zur Einleitung, S. 37. 41 Ebd., § 3, S. 37. 42 Vgl. Boldt, Deutsche Staatslehre im Vormärz, S. 75. 43 Politik, §§ 2 + 3, S. 37; bezeichnenderweise ist zoon politikon mit Staats-
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am Ende unberechenbar gegen den Staat steht"4\ ist als philosophische Wesensbeschreibung zu werten. Mit der Polarität von unausweichlichem Staat und den Rechten und der Freiheit des Menschen ist eine Problemstellung umrissen, von der ausgehend Rousseau zur Vorstellung des Gesellschaftsvertrags und dem Prinzip der Volkssouveränität gelangte 45 • Eine philosophische Erörterung dieser Frage lehnt Dahlmann jedoch entschieden ab, er sieht in ihr nur eine Lösung von Rätseln, die künstlich aufgestellt sind 46 • Denn allein schon eine für alle Zeiten geltende Definition des Staates erscheint ihm unmöglich; denn da das Leben der Menschen sich in der Geschichte abspielt, könne eine Beantwortung dieser Fragen nur in ihr gefunden werden47 • Nicht philosophische Erörterung, sondern Beantwortung der Frage durch jeweilige historische Staatsformen. Eine prinzipielle Aussage über den Staat wäre der Staatslehre somit nicht möglich, sie müßte sich allein auf das Aufzählen historischer Fakten beschränken. Konsequenz wäre der Quietismus der historischen Schule, den aber Dahlmann, wie die Untersuchungen von Christern und Riedel herausgearbeitet haben, gerade bekämpfte48 • Die Staatslehre wird von Dahlmann in die Lehre von den innerstaatlichen Verhältnissen und jene von den zwischenstaatlichen Beziehungen geteilt. Letztere wird von Dahlmann nicht behandelt, da ein zweiter Teil der "Politik" nicht erschienen ist. "Die Lehre vom Staate für sich" unterteilt er nach dem alten Einteilungsschema in "Staatsverfassung" und "Verwaltung"49, die Unterscheidung Staat und Gesellschaft bleibt Dahlmann fremd 50 • Die Darlegungen zum Problemkreis der Staatsverfassung, auf die sich diese Interpretation vornehmlich stützt, sind aber keineswegs als rein historische Tatsachenbeschreibung zu bezeichnen. Deren Behandlung wird nämlich durch eine Erörterung der aristotelischen Staatsformenlehre eingeleitet51 • In theoretischer Erörterung wird die Defizienz der einzelnen Regierungsformen wesen übersetzt, ein Hinweis auf die etatistische Ausrichtung der Theorie Dahlmanns. 44 Ebd., § 10, S. 40. 45 Rousseau, Jean-Jacques, Du Contrat social, 1762, BuchI, besonders die Kapitel I und VI. Die Formulierung der Ausgangsproblematik im 1. Kapitel des 1. Buches: "L'homme est ne libre, et partout il est dans les fers" weist, wenn auch teilweise in metaphorischer Ausdrucksweise, die gleiche Polarität aus. 46 Vgl. Politik, § 12, S. 41. 47 Ebd., §§ 13 und 14, S. 40 - 41, ebenso § 15, S. 42. 4S Christern, Dahlmanns polit. Entwicklung, S. 147; Riedel, Einleitung, S.14. 49
50 51
Politik, § 17, S. 42 - 43. Vgl. Riedel, Einleitung, S. 27/8. Politik, § 19, S. 44.
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aufgewiesen52 • Das Ideal einer guten Verfassung könne deshalb nur in einer Mischung der einzelnen Formen bestehen53 • Die Lösung der Frage nach der besten Verbindung der einzelnen Staatsformen, dieser wiederum theoretisch erarbeiteten Problemstellung, wird von Dahlmann erneut der Geschichte zugewiesen54 • So läßt sich, von dieser konkreten Anwendung der Geschichte, deren Bedeutung in der Theorie Dahlmanns genauer bestimmen. Denn um eine Theorie handelt es sich durchaus bei Dahlmann. Nicht nur die den Rahmen absteckende Darlegung der Polarität Staat Freiheit des Menschen, - deren theoretischer Aufarbeitung durch Verweis auf die Geschichte ausgewichen wird, die also in ihrer Dualität belassen bleibt und auf deren Auswirkungen in der Theorie Dahlmanns später noch einzugehen ist, - nicht nur diese Darlegung zeigt die theoretische Dimension der Dahlmannschen Fragestellung an. Die konkrete Einführung des geschichtlichen Aspekts im Abschnitt über die Staatsverfassung erweist eindeutig den theoretischen Charakter der "Politik". Geschichte wird herangezogen als Entscheidungsgrund zur Lösung der abstrakten Frage nach der guten Verfassung. Eine theoretische Fragestellung soll durch den Gang durch die Geschichte geklärt werden. Damit ist aber Geschichte nicht als eigenständiger oder sogar die Dahlmannsche Methode bestimmender Faktor erwiesen. Wie Riedel und Angermann betont haben55, vollzieht Dahlmann in der "Politik" eine bewußte Abkehr von der rationalistisch-naturrechtlichen Staatslehre. Als Basis seiner Darlegungen setzt er die Geschichte. Seine Fragestellungen jedoch sind philosophischer Art. Es bleibt das philosophische Problem der Polarität von Staat und Freiheit des Menschen erhalten, wenn Dahlmann in § 27 56 neben der geschichtlichen Komponente der Staatslehre auf deren übergeschichtlichen Aspekt auf Grund des Faktums, "daß der Einzelne am Ende unberechenbar gegen den Staat steht", verweist. Philosophisch ist seine Fragestellung nach der guten Verfassung, mit der er den Standpunkt der Historischen Schule hinter sich läßt57 und auch seine geschichtsphilosophische Komponente neutralisiert58 , indem er von einer ungeschichtlichen Grundlage aus 5t Geschichte als Mittel theoretischer Entscheidung einsetzt6o • Ebd., §§ 20 - 22, S. 44 - 47. Ebd., § 23, S. 48. 54 Ebd., § 25, S. 48. 55 Siehe Riedel, Einleitung, S. 17; Angermann, Erich, Robert von Mohl, S.373. 56 Politik, S. 49. 57 Riedel, Einleitung, S. 14 - 15; ähnlich Brach er, über das Verhältnis von Politik und Geschichte, S. 22. 58 Riedel, Einleitung, S. 26. 59 Ebd., S. 28. 52
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Deutlich läßt sich diese Funktion der Geschichte z. B. am Paragraph 26 der "Politik"61 darstellen, in dem Dahlmann vorsichtig versucht,
seine Äußerung in der Einleitung über die Unmöglichkeit allgemeiner Aussagen in der Staatslehre wegen der geschichtlichen Dimension des Staates zu relativieren62 . Geschichte muß in ihrer Qualifikation als Grundlage allgemeiner, theoretischer Aussagen ausgewiesen werden. Von daher stellt sich auch die Frage, inwieweit die "Politik" wirklich "auf den Grund und das Maß der gegebenen Zustände zurückgeführt" ist 63 , oder ob nicht das theoretische Element die Dahlmannsche Modifikation gegenüber der Naturrechtslehre wenigstens in ihrer prinzipiellen Bedeutung aufhebt? Das theoretische Moment tritt auch schließlich in der Definition der Politik bestimmend hervor. Die bekannteste Definition in Paragraph 12 kennzeichnet Politik zwar als eine Wissenschaft, die ihre Aufgaben nicht wählen sondern empfangen müsse. Die eigentliche Bestimmung der Aufgabe der Politik ist jedoch in der darauf folgenden Aussage zu finden: "die Politik ist Gesund~ heitslehre"64. Ihr ist somit ein absoluter Maßstab zu eigen. Dieser ist auch in der Definition des Paragraphen 237 65 als wesensmäßig enthalten, wenn auf die Aufgabe der Unterscheidung von notwendigen und mutwilligen Neuerungen abgehoben wird. b2) Das Ideal der gemischten Verfassung
Die Diskussion der verschiedenen historischen Verfassungen in der "Politik" ist also methodisch nur als Entscheidungsgrundlage zur Lösung des theoretischen Problems der guten Verfassung zu betrachten. Schon Christern erkannte die historische Grundlage der "Politik" als "durchaus unmethodisch", sie liefere nur "Paradigmen für Verfassungsformen"66; der systematische Stellenwert eines derartigen Vorgehens ist jedoch von ihm nicht aufgezeigt worden. Die Verfassungsschilderung in der "Politik" bestätigt nun durchaus die hier vertretene Interpretation. Die Geschichte Spartas, Athens und Roms dienen zur Herauskristallisierung des Gesetzes des Wechsels von GO Vgl. schon Christerns Hinweise auf die verschiedenen Forschungsweisen Dahlmanns in "Wort über Verfassung" und der "Politik", in: Christern, Dahlmanns polit. Entwicklung, S. 145. G1
S.49.
Vgl. Politik, § 13, S. 41/2. 63 Eine diese Aussage rein geschichtlich deutende Interpretation bei Braeher, über das Verhältnis von Politik und Geschichte, S. 11/12. 84 Politik, § 12, S. 41. 8. Ebd., S. 207. 06 Christern, Dahlmanns polit. Entwicklung, S. 147; vgl. auch zur Einschätzung der historischen Dimension bei Dahlmann die Bewertung seiner Revolutionsgeschichte ebd., S. 189. G2
2. Fr. Chr. Dahlmann: Das Ideal der guten Verfassung
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der Monarchie über die Oligarchie zur Demokratie67 , der in einer Auflösung des Staates mündet, weil die Wahl eines Königs verunmöglicht werde, wenn das Volk zur Bevölkerung herabgesunken ist68 • Dieser Teil der Erörterung kann als im konkret historischen Rahmen durchgeführte Erörterung der bereits theoretisch erarbeiteten Defizienz der einzelnen Staatsformen angesehen werden. Der Antike wird die germanische Entwicklung gegenübergestellt. Diese zeichne sich aus durch ihren Ausgang vom Volk69 • Aus ihm heraus werden Königtum und Aristokratie gebildet, ohne daß die Grundlage des Volkes angetastet würde. Zwar erkennt Dahlmann im Lehnsstaat eine Einschränkung der Volksfreiheit, sieht sie aber trotzdem als prinzipiell erhalten an70 • Die Struktur der germanischen Verfassung ist demnach gekennzeichnet durch das Zugleich der verschiedenen Staatsformen. Ihre besondere Bedeutung erhält sie dadurch, daß in ihr die drei verschiedenen Staatsformen, deren Nacheinander in der Antike zur Auflösung des Staates geführt hatte, zum Nebeneinander in einer übergreifenden Einheit gestaltet worden sind71 • Hiermit ist ein Denkmodell, das bereits in anderem Kontext in dem "Wort über Verfassung" Anwendung gefunden hatte, - dort wurde es in Bezug auf die Stellung der Stände in der Volksvertretung verwandt, - wieder aufgegriffen. Zugleich ist damit auch die Antwort auf die Frage nach der Art und Weise der Vereinigung verschiedener Staatsformen zur Einheit gefunden. Die von der theoretischen Erörterung nur als Lösungsmöglichkeit aufgewiesene gute Verfassung findet ihre Bestätigung und Konkretion in der Geschichte, in der Struktur der germanischen Verfassung. Als konkretes Modell dieser Struktur führt Dahlmann wie auch schon im "Wort über Verfassung" das Beispiel Englands an 72 • Nach den bereits zitierten Untersuchungen von Christern und Wilhelm über das Verhältnis Dahlmanns zum englischen Verfassungsleben wird diese Konkretisierung weniger als Identifikation denn als Interpretation von seinem theoretischen Modell aus zu bewerten sein73 • 87 Politik, §§ 28 - 66, S. 49 -75; die zusammenfassende Auswertung in 70, S. 77. 88 Ebd., § 66, S. 75. 89 Politik, §§ 67, 70, S. 75, 77. 70 Ebd., § 70, S. 77/8; vgl. auch Riedel, Einleitung, S. 24. 71 Politik, § 71, S. 78; vgl. auch § 74, S. 80 in dem dieses Denkmodell als in der englischen Geschichte verwirklicht aufgewiesen wird. Zur Interpretation siehe schon Riedel, Einleitung, S. 24/5. 72 Politik, §§ 72 - 87, S. 78 - 96. 73 Vgl. Riedel, Einleitung, S. 25; die Interpretation Boldts, Deutsche Staatslehre im Vormärz, S. 181 verkennt den theoretischen Charakter der Abweichung zwischen dem Englandbild Dahlmanns und der englischen Wirklichkeit.
§
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Die englische Verfassung ist nach Dahlmann auf Grund zweier Merkmale als Modell der guten Verfassung zu betrachten. Diese sind: "die Stellung der englischen Aristokratie und der Organismus seines Parlaments"74. In England habe nämlich "die Geburtsaristokratie ihre rechte und versöhnende Stelle im Staate"75 gefunden, indem sie auf politische Vorrechte verzichtete oder diese aufgeben mußte, um so dann auf Grund ihrer erblichen Vorrechte als selbständige Macht im Staate im allgemeinen Interesse für den Ausgleich zwischen König und Unterhaus einzutreten76 . Die Gründe für die Bedeutung des zweiten Merkmals finden sich im Paragraph 84 auf nur drei Seiten zusammengedrängt7 7. Dahlmann spricht dabei von einer "Ehe ohne Scheidung"78 zwischen Volksfreiheit und Regierung. Durch die Wahlrechtsreform von 1832 sieht Dahlmann die Möglichkeit, daß eine Partei die Wahl beherrscht und dadurch verfälscht, als nicht mehr gegeben an79 , wodurch "beide Kammern jetzt gleichmäßig ihren Schwerpunkt in sich selber tragen"80. Da das Oberhaus bereits als eigenständiger Faktor diagnostiziert worden ist, muß sich die Änderung allein auf das Unterhaus beziehen. Die Änderung der Wahlbezirke sowie die Ausweitung des Wahlrechts81 durch die Reform-Akte von 1832 interpretiert Dahlmann also dahingehend, daß von nun an das Unterhaus seinen Schwerpunkt im Volke gefunden habe. Dieses wird belegt durch den Punkt 5 im Paragraph 7482 , wo Dahlmann auf die Unmöglichkeit der Einflußnahme der Lords auf die Zusammensetzung des Unterhauses nach Verabschiedung des Gesetzes von 1832 verweist, und die Aussage in § 8483, die die Bedeutung der Meinungskundgabe des Volkes betont. Im gleichen Paragraphen wird ebenfalls darauf verwiesen, daß erst in der neueren Entwicklung Englands die Voraussetzungen geschaffen wurden, welche "eine Volksversammlung der Geister, ..., um die Staatsverfassung versammeln"84. Es ist also, - so wird man die knappen Skizzen Dahlmanns wohl interpretieren müssen, - die öffentliche Meinung, die das Unterhaus zum eigenständigen Faktor im Verfassungsleben Englands werden läßt. Dadurch ist diese "Volksversammlung der Geister" durch-
70
Politik § 71, S. 78. Ebd., § 75, S. 81. Vgl. Politik, § 74, S. 80 - 81.
77
S. 91 - 93.
74 15
78 79
80
81 82
83
Politik, § 84, S. 91. Politik, § 82, S. 87 - 88 und § 84, S. 92. Politik, § 84, S. 92. Ebd., § 82, S. 87 - 88. S. 81. S. 91: die Macht der Kammern sei nur dann unwiderstehlich, "wenn sie
von dem Beifalle des aufmerksamen Volks unterstützt wird". 84 Politik, § 84, S. 92.
2. Fr. Chr. Dahlmann: Das Ideal der guten Verfassung
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aus als eigenständiger, vierter Faktor im Gesetzgebungsprozeß neben dem König und den zwei Kammern anzusehen. Der Ausgleich geschieht nicht nur zwischen König und den zwei Kammern, es bleibt auch die öffentliche Meinung zu beachten, durch deren Berücksichtigung schließlich die Ehe zwischen Regierung und Volksfreiheit unscheidbar wird. b3) Zur Bedeutung des Ideals der gemischten Verfassung
Eine Interpretation, die, den theoretischen Ansatz der Dahlmannschen "Politik" aufgreifend, das theoretische Element in seiner konkreten Problemstellung, der Verfassungsfrage, wie auch in der weiteren Durchführung nachzuweisen versucht, muß notwendig zu einer anderen Bewertung der Stellung Dahlmanns gelangen, als es weithin bisher der Fall war. Denn diese Interpretation muß gerade die Bewertung des geschichtlichen Elements in der Lehre Dahlmanns relativieren und modifizieren, eines Elements, das vorwiegend zur Charakterisierung der "Politik" herangezogen worden ist. Dahlmann galt als Vertreter des Gedankens der Kontinuität 85 , der "die uralten Rechtsgedanken in zeitgemäßer Form zu verwirklichen"86 trachte. Ähnliche Interpretationen finden sich bei Goebel87 , Christern88 und Hölzle89 , die auf die Aufnahme alter germanischer Rechtsvorstellungen in die Diskussion der konstitutionellen Zeit durch Dahlmann verweisen9o . Als Abschluß und die ganze Diskussion dieser die germanisch-geschichtliche Dimension in der Lehre Dahlmanns betonenden Richtung zusammenfassende Darstellung kann wohl die Gedenkrede zum 100. Todestage Dahlmanns, gehalten von K. D. Bracher am 5. Dezember 1960 zu Bonn, angesehen werden91 . Pointiert wird hier das Geschichtsverständnis Dahlmanns herausgearbeitet, der systematische Stellenwert des geschichtlichen Elements aber überbetont. Es wird nämlich, im Gegensatz zu den meisten Interpretationen dieser Richtung, versucht, den Stellenwert der Geschichte gegenüber der von Dahlmann angeführten klassischen Staatsformenlehre zu beschreiben. Nur als Gegenfolie, d. h. als schematisches Gliederungsprinzip, dem "die historische Sonderentwicklung 85 Westphal in seiner Einleitung zur Ausgabe der Politik, Berlin 1924, S. 6 (weiterhin zitiert: Einleitung). 86 Westphal, Einleitung, S. 22. 87 Goebel, Die Staatslehre Dahlmanns, S. 25. 88 Christern, Dahlmanns polit. Entwicklung, S. 182. 89 Hölzle, Dahlmann und der Staat, S. 353. 90 Siehe auch neuerdings Botzenhart, Manfred, Deutscher Parlamentarismus in der Revolutionszeit 1848 - 1850, Düsseldorf 1977, S. 36, der "Dahlmanns Staats auffassung historisch-organisch begründet und an einem germanisch-angelsächsischen Urbild orientiert" sieht. 91 über das Verhältnis von Politik und Geschichte. Gedenkrede auf Friedrich Christoph Dahlmann, Bonn 1961.
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des christlich-germanischen Staates gegenübergestellt wird"92, kann sodann die klassische Staatslehre bei der vorwiegenden Betonung der historischen Methode erfaßt werden. Einer Interpretation, die gerade das Organische und Gewordene als Grunddimension Dahlmannscher Lehre herausarbeitet, muß der systematische Stellenwert der theoretischen Erörterung als unbedeutend, marginal erscheinen, und es kann so die Einbettung der Geschichte als Mittel in den größeren Rahmen der systematischen Problemstellung nach dem Ideal der guten Verfassung nicht deutlich werden. Ist aber die "Politik" von ihrem Ansatz aus, wie auch in der Durchführung, als theoretische Arbeit zu betrachten, - was die vorangegangene Darlegung darzulegen versucht hat, - so läßt sich eine bedeutende Weiterentwicklung gegenüber dem "Wort über Verfassung" feststellen. Dort war der Ansatzpunkt für die Darlegung der Notwendigkeit von Verfassung die geschichtliche Situation des Jahres 1815. In geschichtsphilosophischer Rückschau auf verschiedene Verfassungen wurde versucht, die gegebene Situation zu interpretieren. Dabei zeichnete sich schon das Ideal einer guten Verfassung ab, es wurde aber noch nicht thematisiert. Dieses geschieht erst in der "Politik". Die Frage nach der Verfassung wird auf Grund der Polarität von Staat und Individuum sowie der nur zugelassenen historischen Lösungsmöglichkeit in das Zentrum gerückt, um dann auf die Problemstellung der guten Verfassung hin konkretisiert zu werden. Die eher untheoretische Einführung 93 und das alsbaldige Übergehen in geschichtliche Erörterung verdecken dabei eher, daß es sich um die Frage nach den notwendigen Strukturen des Staates handelt. Notwendig deshalb, um die Stabilität und Dauer des Staates zu gewährleisten. Das Ergebnis von Kapitell - 3 der "Politik" ist aber so zusammenzufassen, daß dies eben nur dann gesichert ist, wenn die Verfassung alle drei Staatsformen enthält und zwar verteilt nach dem englischen Modell. Damit ist eine theoretische Aussage getroffen, die auf alle Staatsverhältnisse anzuwenden ist. Die Übertragung auf deutsche Verhältnisse ist somit legitim. Die Annahme der stammverwandten Ähnlichkeit ist dafür nicht vonnöten, eine diesbezügliche Aussage findet sich auch nicht im Rahmen dieser Erörterung bei Dahlmann94 • Nicht organisch-historische Begründung, sondern theoretisch-konstruierendes Vorgehen kennzeichnet Dahlmanns "Politik". Das demokratische Prinzip, die Volksfreiheit, ist damit in der "Politik" als notwendiges Verfassungselement erarbeitet. 92 Bracher, über das Verhältnis von Politik und Geschichte, S. 12. 93 Vgl. Politik, § 19, S. 44. 94 Die These der überwindung des Bruchs zwischen Absolutismus und Verfassungsstaat auf Grund des germanischen Grundcharakters repräsentativer Verfassungen bei Hölzle, Dahlmann und der Staat, S. 353.
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Dieses war bei dem Ergebnis des "Worts über Verfassung" keineswegs der Fall. Dadurch, daß das Verfassungsideal Dahlmanns nicht thematisiert worden ist, d. h., als Ideal aus dem geschichtlichen Kontext herausgehoben ist, blieb es beschränkt auf das konkrete Offenbarwerden in der Situation von 1815. Verstrich nämlich die Gelegenheit ohne Realisierung des Verfassungsideals, käme es zum erneut funktionierenden Absolutismus, so wäre dessen an sich vorhandener rückschrittlicher Charakter wieder verborgen und der Ansatz wie auch die Begründung für die Forderung nach Verfassung nichtig. Diese geschichtliche Bedingtheit hat die "Politik" in verfassungspolitische Notwendigkeit aufgehoben. Von diesem Ergebnis aus ist Boldts Einschätzung der "Politik" als mit einem antidemokratischen Effekt versehen aufs entschiedenste zurückzuweisen 95 • c) Die konkrete Ausfüllung des Verfassungsideals cl) Das Verfassungsideal und die Aufgabe der Zeit
Mit dem Beginn des 4. Kapitels 96 setzt in der "Politik" die Behandlung des modernen Verfassungsstaates ein, dem eigentlichen Ziel der Darlegungen Dahlmanns. Im Zentrum dieser Abhandlung steht die Frage "der freien und doch einheitlichen Staatsordnung"97, eine Problemstellung, die nicht theoretisch erarbeitet wird, sondern als historisch sich ergebende Aufgabe der Zeit aufgegriffen wird. Das methodische Vorgehen dieses Abschnitts der "Politik" ist vergleichbar dem des "Worts über Verfassung", wie auch inhaltlich eine Parallelität festzustellen ist. Beide Male geht es um die Frage der Vereinigung von Ordnung und Freiheit, dem Erfordernis der staatlichen Einheit gegenüber den Rechten der Einzelnen. Im "Wort über Verfassung" ergab sich die Problematik aus dem Versäumnis der christlichen Zeit, die menschlichen Werte auch in die staatliche Sphäre einzuführen. Diese historische Begründung wird auch in der "Politik" wieder aufgegriffen98 , ist aber durch die Ausführungen der Einleitung über die eigenständige Position des Einzelnen gegenüber dem Staat in eine prinzipiellere Aussage überführt worden. Die geschichtlich notwendige Aufgabenstellung wird zum allgemein-notwendigen Element99 . Die Abschnitte der "Politik", beginnend mit dem Paragraph 88, können deshalb als Abhandlung des zweiten Elements der Staatslehre, nämlich der Problematik des modernen Verfassungsstaates, verstanden werden. Vgl. Boldt, Deutsche Staatslehre im Vormärz, S. 73. § 88, S. 97. 97 Politik, § 98, S. 99; die gleiche AufgabensteIlung wird in § 141, S. 131 - 2 95 96
entwickelt. 98 Siehe ebd., § 69, S. 76 - 77. 99 Politik, § 10, S. 40 und § 27, S. 49. 4 Hartmann
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Gerade aber auch wegen ihrer methodischen Nähe zum "Wort über Verfassung" stellt sich die Frage nach dem Zusammenhang mit der Erörterung des theoretischen Problems der guten Verfassung. Denn einerseits wird die Verbindung nicht ausdrücklich aufgezeigt und andererseits ist die aufzählende Darlegungsweise der "Politik" dazu angetan, einen etwaigen Zusammenhang zu verschleiern. Einen Hinweis zur Lösung dieser Frage gibt die Erörterung des Modells Englands in § 84. Trotz der grundsätzlichen Anerkennung der Verfassung Englands als Verwirklichung des Verfassungsideals der guten Verfassung sieht Dahlmann auch hier eine Entwicklung, nämlich die zu der Anerkennung der öffentlichen Meinung auf Grund der Reform-Akte von 1832 und damit zur volleren Verwirklichung der guten Verfassung 100 . Die prinzipielle Struktur der guten Verfassung kann sich also durchaus unterschiedlich in den einzelnen Perioden ausformen. Sie muß es auch, soll nämlich die mittelalterliche Lehnsverfassung und die englische Verfassung des 19. Jahrhunderts als ihr entsprechend erfaßt werden. Theoretisch ermöglicht wird diese geschichtliche Komponente durch "ein unstaatliches und unpolitisches Element"lOl in der Staatslehre von Dahlmann, der Betonung der Freiheit des Einzelnen in der Einleitung. Erst durch Anerkennung eines Faktors außerhalb des uranfänglichen Staates ist logisch die Möglichkeit gegeben, eine EntwiCklung des Staates anzunehmen. Es stellt sich jedoch die Frage, inwieweit dieses Element in seiner Eigenständigkeit bei Dahlmann erfaßt wird, oder ob es nicht nur in dieser seiner staatlichen Funktion umrissen wird. Auf jeden Fall aber erweist sich hier aufs Neue der theoretische Charakter der Dahlmannschen Verfassungserörterung. Die Erfassung des Unterschieds zwischen den mittelalterlichen Ständen und der modernen Repräsentation bei Dahlmann mag als Beleg für die hier vorgelegte These gelten. Christern vertritt hierzu die These, daß in der "Politik" Dahlmann endlich zur Erkenntnis dieses Unterschiedes gelangt seP02. Demgegenüber konstatiert Westphal: "Einen eigentlichen Bruch zwischen der ständischen und der repräsentativen Staatsform hat Dahlmann niemals anerkanntl° 3 ." Hierbei ist wohl Westphal zuzustimmen, trotz der breiten Erörterung der Andersartigkeit von landständisch und repräsentativ in der "Politik"lo4. Denn es wird von Dahlmann nur eine andere Form konstatiert, nicht ein grundsätzlicher Unterschied diagnostiziert, so daß Dahlmann in § 142
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Vgl. ebd., § 84, S. 92. Christern, Dahlmanns polit. Entwicklung, S. 138. Vgl. ebd., S. 105. Westphal, Einleitung, S. 22.
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§§ 139 - 142, S. 123 - 133.
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davon sprechen kann, daß die Landstände zur Volksvertretung zusammengerückt sind. Die Erfassung des Unterschiedes tritt bei seiner Fragestellung gar nicht grundlegend auf und kann es auch nicht. Denn für Dahlmann handelt es sich jeweils nur um eine verschiedene Ausprägung des Elements der Volksfreiheit, der einen Komponente des Ideals der guten Verfassung, dessen geschichtliche Form es nur aufzugreifen, nicht aber zu ergründen giltl° 5 • Gerade hier erfaßt die theoretische Fragestellung eine historische Entwicklung nicht in ihrem Wesen. Das Ideal der guten Verfassung als theoretisch notwendige Struktur kann also in verschiedenen Epochen verschieden ausgeprägt sein. Es läßt damit auch eine geschichtliche Erörterung, wie die der Frage nach Freiheit und Ordnung, auf Grund der überwindung des Mittelalters 106 zu. Es steckt nur den Rahmen der jeweils konkreten Erörterung ab, so auch in der "Politik". Die Zuweisung der Regierungsfunktion an den König 107, sowie vor allem die eher abstrakte und damit dem methodischen Vorgehen des Aufgreifens geschichtlicher Erscheinung nicht entsprechende Betonung der ersten Kammer108 weisen den bestimmenden Einfluß der Theorie der guten Verfassung auch für diesen Teil auf. Diese Abschnitte der "Politik" können deshalb als konkret geschichtliche Ausfüllung des Verfassungsideals von der deutschen Situation aus angesehen werden, der Verwirklichung der grundlegenden Struktur in neuer Form. Dafür dient dann als konkretes Beispiel England als Vorbild, wie gerade die Betonung der öffentlichen Meinung beweistl° 9 • Drei Potenzen: Antike, Christentum und Germanentum sieht Westphal als bestimmende Faktoren der Dahlmannschen Staatsauffassung an llO • Auch Riedel betont die Bedeutung dieser Dreiheit, bezeichnet sie jedoch als Epochenbegriffe, um so der historischen Dimension des Systems der "Politik" gerecht zu werden1ll • Doch wird durch die Aufzählung der Dreiheit eine Systematik angegeben, die sich in dieser Form nicht bei Dahlmann nachweisen läßt. Denn die geschichtsphilo105 Siehe Dahlmanns rein geschichtliche Begründung in: ders., Rede in der 71. Sitzung am 22. November 1849 über die Bildung der ersten Kammer, in: ders., Kleine Schriften und Reden, S. 469, wo er von einem höheren "Gesetz der menschlichen Entwicklung" spricht, "dem wir schwache Menschen uns einmal zu unterwerfen haben". 106 Vgl. Politik, § 97, S. 99 und § 141, S. 131. 107 § 101, S. 101 der Politik spielt auf § 24, S. 48 ebd. an. lOB Vgl. Politik, §§ 143 - 149, bes. § 145, S. 134/5; zur Ablehnung der rein theoretischen Begründung vgl. ebd., § 149, S. 138: "überhaupt ändere man nie um der Theorie willen." 109 Vgl. ebd., § 84, S. 91 - 93 mit §§ 132 - 133, S. 115 - 118 und § 136, S. 121. 110 Westphal, Einleitung, S. 12,44. 111 Vgl. Riedel, Einleitung, S. 23.
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sophische Betrachtung des "Wortes über Verfassung" kennt nur die Zweiheit Antike - Christentum, wobei die Bedeutung des Christentums in der "Politik" wieder aufgegriffen wird 112 , um in die Frage nach dem Verhältnis von Freiheit und Ordnung zu münden. Andererseits findet sich dort die Gegenüberstellung Antike - Germanentum113 bei der Erörterung der Frage nach der guten Verfassung. Die Begriffe Antike, Christentum, Germanentum liegen somit durchaus der Lehre Dahlmanns zu Grunde, haben aber keinen systematischen Stellenwert aus sich heraus. Diesen erhalten sie erst von anderen Fragestellungen, - nach der guten Verfassung, deren geschichtlichen Ausfüllung, weshalb sie in ihrer Bedeutung relativiert werden müssen. Die unterschiedlichen Ebenen der Begriffe Christentum und Germanenturn sollten an sich schon vor der Vereinigung zur Dreiheit warnen. Die bestimmende Systematik ist die Frage nach der idealen Verfassung und deren konkreter Verwirklichung, nicht eine historische Entwicklung. c2) Die Lösung des Problems der Vereinigung
von Freiheit und Ordnung im Staate
Die Frage der Vereinigung von Freiheit und Ordnung behandelt Dahlmann als Problem der Regierungsfunktionen im Staate 114 • Regierung wird als höchste, aber nicht einzige Staatsgewalt ausgewiesen. Eine Einschränkung der Regierungsfunktion als ausübende Gewalt durch eine gesetzgebende Gewalt ist möglich, wenn garantiert ist, daß der Regierung bestimmender Einfluß auf die Gesetzgebung gesichert ist. Die gesetzgebende Gewalt ist dann Staatsgewalt, wenn ihr die Möglichkeit eingeräumt ist, "ihre freie Zustimmung zu den Gesetzen zu geben" 115. Die dreigliedrige montesquieusche Gewaltenteilung wird abgelehnt. Damit ist theoretisch die Position des "Wortes über Verfassung" eingeholt. So muß es Aufgabe der Verfassung sein, dem König, dem die Regierungsfunktion zukommen muß116, die ausübenden Rechte und der Volksvertretung die Einspruchrechte zu sichern. Dem König kommt neben der vollziehenden Gewalt auch das Recht der Einflußnahme auf die Gesetzgebung zu117, denn "er allein ist Verkünder der Gesetze"118. Ein absolutes Veto gesteht Dahlmann dem König in Gesetzesfragen zu, da ansonsten seine ausübende Gewalt zur Vgl. Politik, § 69, S. 76 - 77. Siehe ebd., § 70, S. 77/8. 114 Politik, § 89, S. 97 zu den folgenden Ausführungen dieses Abschnitts vgl. §§ 89 - 99, S. 97 - 100. 115 Edb., § 97, S. 99. 118 Ebd., § 24, S. 48 und § 101, S. 10I. 117 Ebd., § 113, S. 107. 118 Ebd., § 114, S. 108. 112
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bloß vollziehenden degenerieren würde 119. Als notwendige Rechte der Ständeversammlung zur Erfüllung ihrer Funktion führt Dahlmann an das Recht des Gesetzesantrags120 , die Notwendigkeit ihrer Zustimmung zur Verabschiedung von Gesetzenl2l sowie das Steuerbewilligungsrecht 122. Diese Rechte sollen die Ständeversammlung zur Kontrolle der Regierung befähigen, nicht aber zur Mitregierung führen12s. Daß eine derartige Einschränkung der faktischen Wirkung der zugestandenen Rechte widerspricht, hat Boldt in seiner Arbeit über die Staatslehre im Vormärz eindeutig herausgearbeitet124. So stellt sich die Frage nach dem Zusammenspiel beider Faktoren, nach ihrer Vermittlung in einem System. Die Frage wird jedoch von Dahlmann nicht behandeJt125. Die Behandlung der Verantwortlichkeit der Minister erscheint z. B. als Unterpunkt bei der Aufzählung der Bedingungen des monarchischen Elements, seine Systemfunktion aber wird nicht erörtertt 26 . Die Einführung der Verantwortlichkeit der Minister auf Grund ihrer notwendigen Kontrasignatur der königlichen Befehle wird als Einrichtung verstanden, die Unverletzlichkeit des Königs bei dem zugestandenen Einspruchs recht der Ständeversammlung zu garantieren. Gleichzeitig wird damit aber den Ständen ein weitgehendes Eingriffsrecht zuerkannt, in dem die Verantwortlichkeit nicht nur strafrechtlicher Art ist, sondern darüber hinaus als politische bestimmt wird: nicht nur Ahndung von Gesetzeswidrigkeiten vor einem Gerichtshof127, sondern vielmehr stete Verantwortlichkeit gegenüber der öffentlichen Meinung128. Minister sind "verantwortlich nicht bloß für die Gesetzlichkeit, sondern auch für die Zweckmäßigkeit ihrer Handlungen"129. Die nur knappe Erwähnung der strafrechtlichen Komponente und die Betonung der politischen Verantwortlichkeit legen den Schluß nahe, daß es Dahlmann vor allem um diesen Aspekt ging. Denn hier wird exemplifiziert, was in der Schilderung des englischen Modells als 4. Faktor im Gesetzgebungs119 Ebd., § 120, S. 109; die detaillierte Aufzählung der weiteren Rechte, bei Dahlmann, ebd., §§ 113 - 124, S. 107 - 110, kann hier wegen ihrer unsystema-
tischen Stellung unterbleiben. 120 Ebd., § 175, S. 155/6. 121 Ebd., § 171, S. 152/3. 122 Ebd., § 172, S. 153/4; weitere Rechts siehe §§ 176 - 189, S. 156 - 161. 123 Vgl. ebd., § 173, S. 155. 124 Boldt, Deutsche Staatslehre im Vormärz, S. 90, 104 - 106, 108/9, 111 - 123. 125 Dazu schon Boldt, Deutsche Staatslehre im Vormärz, S. 183 - 5. 128 Vgl. Politik, §§ 129 - 137, S. 113 - 122. 127 Ebd., § 132, S. 116. 128 Ebd., § 132, S. 115/6, § 133, S. 116 - 8, vgl. Linnenkohl, Dahlmann und der Konstitutionalismus, S. 73. 129 Ebd., § 133, S. 116.
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Teil I: Repräsentation in der liberalen Staatslehre des Vormärz
prozeß nur angedeutet war. Über die Ministerauflage hinaus wird der öffentlichen Meinung eine Funktion im Staate zugewiesen, sie darf sogar selbst den König kritisieren13o. Nicht Vermittlung, sondern Vertiefung der Polarität König - Ständeversammlung ist das Ergebnis der Erörterung der Ministerverantwortlichkeit. Es stehen sich also im Dahlmannschen System der König und die Volksvertretung gegenüber, beide ausgestattet mit den für ihre Funktion notwendigen Rechten, ohne daß die Frage des Zusammenspiels dieser Kräfte, die Frage nach dem Funktionieren dieses Systems ausdrücklich gestellt wird. Durch das absolute Veto des Königs in Gesetzesfragen und dem Steuerbewilligungsrecht der Ständeversammlung ist dem jeweiligen Machtfaktor ein Mittel gegeben, den anderen auszuschalten. Bei gleichzeitiger Anwendung muß es zur Paralyse des Staatsapparates kommen, wenn nicht sogar zum Bürgerkrieg. Auch später, in der Paulskirche und der ersten preußischen Kammer, tritt Dahlmann entschieden für diese polaren Rechte ein131 . Beide werden jedoch als "Rechte der allerseltensten Anwendung"132, d. h. als Mittel für den Extremfall, verstanden. Damit bleibt jedoch die Frage nach der Regelung des Normalfalls weiterhin bestehen. Als erster Hinweis zur Beantwortung dieser Frage, - denn zu untersuchen, ob diese Frage von Dahlmann behandelt worden ist, wenn auch nicht in der von Boldt geforderten Weise133 , muß ja gerade Ziel der systematisch der Dahlmannschen Methode folgenden Interpretation sein, - als erster Hinweis kann die Erfassung der Faktoren im Staat allein in ihrer Verfassungsfunktion angesehen werden. Zwar findet sich durchgehend bei Dahlmann eine Betonung des monarchischen Elements 134 , so daß Heimpel von einem Vertrauensvorschuß in diese Richtung spricht135. In der Literatur zu Dahlmann schlägt sich dieser Aspekt in der Betonung der monarchischen Komponente nieder136. Doch wird 130 Ebd., § 133, S. 117/8, Dahlmann spricht von einem König, "der sein Urteil über Staats sachen in der Wahl seiner Ratgeber an den Tag legt und die Fülle von Macht der Gnade und des Reichtums zu gebrauchen weiß, über deren Verwendung zwar die öffentliche Meinung, aber keine Anklage der Minister wacht" (S. 118). 131 Zum absoluten Veto vgl. Rede über das absolute Veto am 14. December 1848, in: ders., Kleine Schriften und Reden, S. 450; zur Bedeutung des Steuerbewilligungsrechts: Rede in der 55. Sitzung am 16. Oktober 1849 über das. Steuerbewilligungsrecht der Volksvertretung, ebd., S. 460. 132 Vgl. Rede über das Steuerbewilligungsrecht (siehe Anm. 131), S. 465. 133 Vgl. Boldt, Deutsche Staatslehre im Vormärz, S. 182 - 185. 134 Siehe Politik, § 137, S. 122; § 141, S. 132; Rede über das Reichsoberhaupt am 22. Januar 1849, in: ders., Kleine Schriften und Reden, S. 453, 454; Rede über das Steuerbewilligungsrecht (siehe Anm. 131), S. 461. 135 Heimpel, Hermann, Friedrich Christoph Dahlmann und die moderne Geschichtswissenschaft, in: Jahrbuch der Max-Planck-Gesellschaft 1957, S. 78. 136 Vor allem Oeschey, Rudolf, Einleitung zu: F. C. Dahlmann, Ein Wort
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bei Dahlmann stets auf die Ordnungsfunktion des Monarchen verwiesen, d. h., und dieses hat vor allem Boldt betont137 , der König wird in seiner Verfassungsfunktion erfaßt. Nicht als absoluter Herrscher, sondern als "staatliches Integrationsmonopol"138 wird er gesehen. Beim Gegenpol zur Ordnungsfunktion des Königs, der Freiheitssicherung durch die Ständeversammlung, läßt sich die gleiche Konzentration auf deren Verfassungsfunktion feststellen. Im "Wort über Verfassung" war die Aufnahme der freiheitlichen Komponente durch die Aufgabe der Verwirklichung christlicher Werte im staatlichen Bereich begründet worden; eine Argumentation, die auch noch in der "Politik" angedeutet wird139. In der konkreten Auseinandersetzung damit wird sie jedoch bloß als faktische Verfassungsaufgabe der Zeit erfaßt140, eine begründende Auseinandersetzung mit dieser Komponente erfolgt nicht, es wird nur auf die Bedeutung für die Verfassung abgehoben. Auch später gelangt Dahlmann nicht zu einer vertieften Erfassung, er kann nur "ein höheres Gesetz der menschlichen Entwicklung erblicken, dem wir schwache Menschen uns einmal zu unterwerfen haben"141. Nicht Volkssouveränität, sondern Volksfreiheit ist die Konsequenz dieser rein verfassungsrechtlichen Fragestellung. Volkssouveränität im Sinne Rousseaus gilt als Zerstörung der Einheit von Volk und Regierung, wird also nicht als staatsphilosophisches Prinzip, sondern als Verfassungsmodell verstanden142. Volkssouveränität ist nur dann akzeptabel, wenn sie bedeutet, "daß das Volk am Ende mit seinem Wohle Zweck aller Regierung bleibt, daß eine ihrem Zwecke beharrlich widerstrebende Regierung dem Untergang verfallen ist, daß das Recht zu regieren nie rein-privatrechtlich ein jus quaesitum werden kann"143. Volkssouveränität wird zur Volksfreiheit, Instrument zur Sicherung der salus publica 144. Freiheit ist immer gleich Freiheit des Ganzen, nur im Rahmen des Staates kann Freiheit gewährt werden, auf ihn bleibt jegliche Emanzipation einzelner Stände verwiesen145. Freiheit wird rein über Verfassung, hrsg. von dems., Leipzig o. J., S. 7; differenzierter Linnenkohl, Dahlmann und der Konstitutionalismus, S. 62; und auch Christern, Dahlmanns polit. Entwicklung, S. 120. 137 Vgl. Boldt, Deutsche Staatslehre im Vormärz, bes. S. 65/6, bei Dahlmann siehe vor allem den Abschnitt über die Erblichkeit des Königtums, §§ 101 bis 112, S. 101 - 107.
Brandt, Landständische Repräsentation, S. 209. Politik, § 69, S. 76/7. 140 Vgl. ebd., § 98, S. 99 - 100; § 141, S. 131 - 2. 141 Rede in der 71. Sitzung am 22. November 1849 über die Bildung der ersten Kammer, in: Kleine Schriften und Reden, S. 469. 142 Politik, § 233, S. 202/3. 143 Ebd., § 233, S. 202. 144 Vgl. Linnenkohl, Dahlmann und der Konstitutionalismus, S. 16. 145 Vgl. hierzu die knappen Hinweise zum Problem der Emanzipation des 138
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etatistisch erfaßt, als Verfassungsproblem. Es geht um den Citoyen, nicht um den Bourgeois146. Die bürgerliche Bewegung wird nur in ihren für die Verfassung relevanten Fragestellungen erfaßt. Diese Ausrichtung der Freiheitsproblematik auf ihre staatliche Dimension zeitigt Konsequenzen, die sich in der konkreten Bestimmung der Repräsentation nachweisen lassen. Die zweite Kammer wird als Vertreterversammlung der Gemeinden bezeichnet147 , in ihr sind also die staatlichen Untergliederungen vertreten. "Die Repräsentation beruht auf den Ortsgemeinden"148 und wird nach der Bedeutung der einzelnen Gemeinden gewichtet1 49 • Zudem tritt Dahlmann für eine Beschränkung des aktiven Wahlrechts als Bürgschaft für die gute Wahl ein. Diese sieht er aber nicht durch einen Zensus gesichert, nur die Beschränkung auf amtliche Personen, auf " alles, was ein öffentliches Zeugnis seiner Tätigkeit im Gemeinwesen für sich hat"150 erkennt Dahlmann als Kriterium an. Selbst eine Beschränkung des passiven Wahlrechts erübrigt sich für ihn auf Grund dieser Regelung l51 • Die Bestimmung der Repräsentation bei Dahlmann steht gänzlich unter dem Aspekt der Sicherung der staatlichen Qualität der freiheitlichen Komponente. Die etatistische Ausrichtung erweist sich als dominierender Faktor. In der Funktionsangabe des freien Mandats des Repräsentanten kristallisiert sich diese Tendenz am deutlichsten heraus: "Der Deputierte ist der natürliche Fürsprecher seiner Wahlgemeinde, allein sein Eid verpflichtet ihn dem Staate152 ." Brandts Kennzeichnung der Repräsentationsvorstellungen Dahlmanns als neuständisch153 ist dagegen zurückzuweisen. Hierbei wird nämlich nur auf die Form der Repräsentation abgehoben, ohne die systematische Bedeutung zu erfassen. Ansatz bietet dabei das Faktum des nicht erfaßten Unterschieds von Landständen und Repräsentation. Ein Faktum, dem, da es nicht von Mittelstandes, in: Politik § 237, S. 207/8, wobei dieser Stand sofort auf die Eingliederung in den Staat verwiesen wird; siehe auch WestphaZ, Zur Beurteilung Dahlmanns, S. 263 - 268; Christ ern, Dahlmanns polit. Entwicklung, S. 167/8; HöZzZe, Dahlmann und der Staat, S. 357. 146 Vgl. Westphal, Einleitung, S. 23. 147 Politik, § 151, S. 139 - 140. 148 Ebd., § 151, S. 140. 149 Ebd., § 152, S. 140. 150 Vgl. ebd., § 155, S. 142. 151 Ebd., § 158, S. 144; auf die weitere Erörterung der Wahlrechtsfrage bei Dahlmann, wie z. B. das Problem der Repräsentation der Intelligenz (§ 153, S. 140/1) oder das der Wahlkollegien (§ 156, S. 142/3) ist wegen der mangelnden systematischen Bedeutung hier nicht weiter einzugehen. 152 Politik, § 177, S. 157 (Hervorhebung von mir, V. H.). 153 Brandt, Landständische Repräsentation, S. 179, 202 - 4, die Definition des Begriffs "neuständisch" ebd., S. 6.
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der Fragestellung Dahlmanns aus gesehen wird, dann eine zu große Bedeutung beigemessen wird. Von dem etatistischen Ansatz aus gewinnen Dahlmanns Aussagen zum Widerstands recht eine besondere Bedeutung154. Schon in der Dahlmannschen Definition der Volkssouveränität war festgehalten, daß eine der salus publica widerstrebende Regierung "dem Untergange verfallen ist"155. Linnenkohl interpretiert die Position Dahlmanns zum Widerstandsrecht als Rückkehr "zu dem von ihm so scharf bekämpften Prinzip der Volkssouveränität" 156, doch gelangt Dahlmann auch in diesem Zusammenhang nicht zu einer Position gegen die Regierung, dem für Dahlmann entscheidenden Kriterium für die Volkssouveränität. Für Dahlmann gibt es im modernen Staat kein Recht auf Widerstand mehr157 , er sieht nur den Weg des passiven Widerstandes, "ein NichtTun ohne alle aggressive Zutat"158, gegen verfassungswidrige Handlungen der Regierung, deren letzte Konsequenz die Entstehung einer revolutionären Situation ist. Deren Problematik behandelt Dahlmann zwiespältig. Einerseits sieht er das Ergebnis einer Revolution als rechtmäßigen Staat an, dem sich jeder rechtschaffene Bürger anschließen kann159 , wovon aus auf eine prinzipielle Anerkennung der Revolution zu schließen wäre. Andererseits rät er, vor die Frage der Ausrufung der Revolution gestellt, zum politischen Quietismus 16o. Dahlmann scheut also davor zurück, die Konsequenz aus seiner grundsätzlichen Position zu ziehen. Denn es handelt sich für ihn ja nicht um eine Verletzung des Prinzips der Volkssouveränität, sondern um die Verletzung des Verfassungselements der Volksfreiheit. Dabei stellt sich dann die Frage, ob zur Sicherung dieses Elements, die Gefährdung des gesamten Staates, die Gefahr einer Anarchie, in Kauf genommen werden soll, oder ob nicht das Prinzip der Ordnung höher zu bewerten ist, auch für die in ihren Rechten Beschnittenen? Die Frage des Staates tritt hier in den Vordergrund, eine Stellungnahme zur Widerstandsfrage wird etatistisch umgangen. Dieses aber ist nur möglich dadurch, daß kein Frei154 Vgl. Politik, §§ 200 - 207, S. 175 - 182; ausführlich zu dieser Problematik:
Richter, Andreas, Das Widerstandsrecht bei Friedrich Christoph Dahlmann,
Diss. jur. Berlin 1972, bes. S. 85 - 91, 116 - 121, 121 - 148; hier wird dagegen nur auf die Bedeutung des Widerstandsrechts für die Verfassungsfrage eingegangen. 155 Politik, § 233, S. 202. 158 Vgl. Linnenkohl, Dahlmann und der Konstitutionalismus, S. 17 - 20, Zitat ebd., S. 20. 157 Politik, § 203, S. 177. 158 Ebd., S. 178. 159 Ebd., § 206, S. 180/1; vgl. auch seine Abhandlung über die Nicht-Auslieferung von Staatsverbrechern § 204, S. 179. 160 Ebd., § 207, S. 181/2.
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heitsprinzip außerhalb des Staates anerkannt ist, sondern Freiheit gleich staatlich verstanden wird. Dadurch wird Freiheit relativiert und erst zum ausrechenbaren Faktor gegenüber anderen. König und Ständeversammlung sind in ihrer Polarität doch immer verstanden als Elemente der Verfassung. Sie weisen damit über die Zweiheit von Ordnung und Freiheit hinaus auf die Dreiheit des Dahlmannschen Verfassungsideals. Hier findet die Frage der Vermittlung ihre systematische Beantwortung konkret in der Funktion der ersten Kammer. Auffallend ist die abstrakte Einführung der ersten Kammer in die Diskussion um die Vereinbarkeit von Ordnung und Freiheit 161 • Diese wird noch deutlicher in der Aufzählung der Grundbedingungen für die Einführung einer derartigen Kammer in jedem Land162 • An dieser Stelle erweist sich gerade in entscheidender Bedeutung der theoretische Einfluß nicht nur des Ideals der guten Verfassung, das notwendig ein aristokratisches Element enthält, sondern auch derjenige des Modells des englischen Verfassungsbildes. In der englischen Verfassung interpretierte Dahlmann die Pairie als selbständige Macht zur Sicherung des Staatsganzen163 • In der äußerst knappen Darlegung zur Bedeutung der ersten Kammer in § 145 geht es Dahlmann zunächst mehr um die Herausarbeitung der Möglichkeit der Bildung dieser ersten Kammer denn um eine detaillierte Funktionsbeschreibung 164 • Der Aspekt der Selbständigkeit der 1. Kammer wird nur indirekt aus dem Abschnitt über die Bildung des Oberhauses165 klar; die AufgabensteIlung wird als Funktionserleichterung der Krone angegeben 166 • In zwei Reden in der ersten preußischen Kammer167 nimmt Dahlmann später detaillierter zur Frage der ersten Kammer Stellung. Als Verdeutlichung der Ausführungen in der "Politik" seien diese zur Interpretation der systematischen Stellung der ersten Kammer herangezogen, zumal Dahlmann in der zweiten Rede die Verbindung seiner Ausführungen zur Theorie der "Politik" auf Grund des Einspruchs von Stahl genauer darlegt1 68 • Die Aufgabe der ersten Kammer wird als Schutz für die Ordnung im 181 Vgl. Politik, §§ 143 - 144, S. 133/4, wo die Teilung in zwei Kammern als Berücksichtigung der Untergliederung des Volkes bei gleicher Sicherung der Effektivität eingeführt wird. 182 Ebd., § 145, S. 135. 183 Ebd., § 74, S. 80/l. 184 Vgl. hierzu auch Dahlmann, Rede über die Bildung der ersten Kammer, Kleine Schriften und Reden, S. 477/8. 185 Politik, §§ 146 - 149, S. 136 - 139. 168 Ebd., § 145, S. 135. 187 Rede über die Bildung der ersten Kammer, S. 467 - 478; Zweite Rede gegen die Pairskammer am 29. Januar 1850, ebd., S. 478 - 84. 188 Siehe Rede gegen die Pairskammer, S. 477/8.
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Staate 169 angesehen, dahingehend, daß die Krone nicht so oft genötigt ist, ihr "Nein", d. h. das Veto, gegenüber der Volksvertretung auszusprechen 170 • Die Auswirkung einer ersten Kammer ist also darin zu sehen, daß das absolute Veto des Königs wirklich nur eine Maßregel für den extremen Notfall bleibt. Dem Oberhaus kommt somit eine vermittelnde Stellung zu. Es dient zur Regelung des Konflikts zwischen König und Volksvertretung im Normalfall. Diese Funktion kann aber nur dann gewährleistet sein, wenn die erste Kammer selbständig ist, konkret: wenn sie im Volk verankert ist l7l . Aus dem Volke, in Funktion für die Krone, damit ist die Bestimmung der ersten Kammer in der "Politik" (§§ 143 - 5) gegeben, die als identisch mit der Stellung der Pairie in England verstanden wird 172 • Auf die Selbständigkeit der ersten Kammer legt Dahlmann in der deutschen Diskussion besonderen Wert. Er tritt aus diesem Grund für einen Senat als erste Kammer ein173 , gebildet aus den Provinzialvertretungen174 • Denn das aristokratische Element schien ihm in Deutschland zu schwach entwickelt, um eine selbständige Stellung gegenüber der Krone zu behaupten. Ihre Funktion der Vermittlung war damit nicht gewährleistet. Die Einführung eines aristokratischen Elements, - die Provinzial vertretungen waren ja erst zu bilden, - welches nicht an historische Vorgegebenheit anknüpft, zeigt deutlich die theoretische Ausrichtung der Dahlmannschen Verfassungsvorstellung 175 • Darüber hinaus weist die Betonung der Selbständigkeit der ersten Kammer in Zusammenhang mit der Funktionszuweisung auf deren hervorragende Bedeutung hin, auf die Vermittlung der polaren Gegensätze von König und Volksvertretung, auf ihre zentrale Stellung für das Staatsganze. d) Zur Bewertung der Dahlmannschen Theorie und zur Bedeutung der Repräsentation in seinem System
Es hat sich gezeigt, daß Dahlmann in der Aufarbeitung der deutschen Verfassungs diskussion des Vormärz, beginnend mit dem 4. Kapitel, sich gänzlich von dem zuvor erarbeiteten Modell der guten Ver. fassung leiten läßt. Die Erörterung geschieht im Rahmen dieses theoretischen Modells, das auf Grund der zeitgenössischen Fragestellung in der konkreten Form der englischen Verfassung, - so wie Dahlmann 189 170 171
172
Rede über die Bildung der ersten Kammer, S. 468/9. Ebd., S. 473. Rede über die Pairskammer, S. 482. Rede über die Bildung der ersten Kammer, S. 468, und Politik, § 74,
S.80/81.
Rede über die Bildung der ersten Kammer, S. 474. Ebd., S. 476; vgl. auch Linnenkohl, Dahlmann und der Konstitutionalismus, S. 37/8. 115 Vgl. auch Christ ern, Dahlmanns polit. Entwicklung, S. 106. 173
114
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sie sieht, - verwendet wird. Ihm ging es dabei darum, jedem als wesentlich erarbeiteten Verfassungselement die zur Erfüllung seiner Funktion notwendigen Voraussetzungen zu sichern. Die Frage nach der Funktionsfähigkeit wird dabei nicht gestellt. Die Bedingungen der guten Verfassung in ihrer englischen Ausprägung werden verstanden als Sicherung der Staatlichkeit, womit für Dahlmann gleichzeitig die Funktionsfähigkeit gegeben scheint. Es genügt, die einzelnen Faktoren mit ihren Rechten gemäß der englischen Verfassung auszustatten, womit auch das offensichtliche Funktionieren der englischen Verfassung garantiert sei. Die Dahlmannsche Theorie zentriert sich also in der Verfassung. Diese Ausrichtung ergibt sich notwendig aus der Ausgangsposition der Einleitung der "Politik". Die Polarität von Staat und freiem Individuum sollte mit Blick auf die Geschichte gelöst werden, was sich dann aber als theoretische Verfassungserörterung erwies. Verfassung als Lösung dieser Problematik. Dabei ergibt sich dann das Problem, daß grundsätzlich die Polarität bestehen bleibt, ihre Vereinigung lediglich im konkreten Fall vollzogen ist. Die Einführung einer derartigen Verfassung bleibt deshalb darauf verwiesen, den einzelnen Faktoren ihre verfassungsgemäße Funktion als Vorteil plausibel zu machen176. Verfassung als plausible Konfliktlösung nicht als Verwirklichung grundsätzlicher Rechte. Von dem Ansatz her wird das angeschnittene philosophische Problem nicht grundsätzlich, sondern nur faktisch durch eine bestimmte Verfassung gelöst. Von daher zentriert sich die ganze Problematik auf eben diese Verfassungsfrage. Ein "unstaatliches und unpolitisches Element"177, wie Christ ern es in dem Dahlmannschen System erkennt, ist in der grundlegenden Systematik nicht enthalten. Denn der Aspekt der Freiheit des unberechenbar gegen den Staat stehenden Individuums wird nur unter verfassungs rechtlichem Gesichtspunkt erfaßt, die Freiheitsfrage wird zur Staatsfrage178.. Es stellt sich nun die Frage, wie die Position Dahlmanns auf Grund seiner Theorie zu bestimmen ist. Denn die ersten Biographen Dahlmanns, A. Springer und H. v. Treitschke179, rechnen ihn eher zu den Vertretern der konservativen Richtung. Auch A. Wahl vertritt diese Einschätzung 18o . Christern dagegen hat schon darauf verwiesen, daß in 178 Siehe z. B. Wort über Verfassung, S. 20 - 24; Politik, § 237, S. 207, wo einerseits die Sicherung der königlichen Herrschaft und andererseits der Einfluß des Mittelstandes als allein durch Verfassung gesichert nachgewiesen wird. 177 Christern, Dahlmanns polit. Entwicklung, S. 138. 178 Vgl. Westphal, Einleitung, S. 23. 179 Springer, Anton, Friedrich Christoph Dahlmann, 2 Bde., Leipzig 1870 bis 1872; Treitschke, Heinrich von, F. C. Dahlmann, in: ders., Historische und politische Aufsätze, Bd. I, 8. Aufl. Leipzig 1918, S. 348 - 434.
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den Werken Springers und Treitschkes eine zu starke Betonung des Gegensatzes zum süddeutschen Liberalismus vorgenommen wird, der in der Kennzeichnung des Dahlmannschen Werkes als konservativ überinterpretiert werde 181 • Auch das betonte Eintreten für das monarchische Element bei Dahlmann erwies sich als begründet in der Furcht vor der Anarchie, nicht in monarchischer Anhänglichkeit1 82 • Auf der anderen Seite scheint aber die Interpretation von Linnenkohl und Gall183 von einer Linksschwenkung Dahlmanns und seinem Eintreten für die parlamentarische Regierungsform zu weitgehend. Diese Aussagen stützen sich auf den Paragraph 14 des von Dahlmann geschriebenen Verfassungsentwurfs sowie einer Äußerung aus einer Rede in der Paulskirche184 • Doch handelt es sich bei dem Verfassungs entwurf um eine Vorlage an das Vertrauensmännergremium des Bundestages, die Dahlmann zusammen mit Albrecht einbrachte185 • Die Frage der Autorenschaft bezüglich des § 14 bliebe zunächst zu klären, wie sich auch bezüglich der zweiten Belegstelle die Frage erhebt, ob einzelne Aussagen, die nicht in ihrer Beziehung zum theoretischen System aufgewiesen, dazu noch vor einem politischen Forum getan und von notwendigen politischen und faktischen Kompromissen geprägt sind, eine solche grundsätzliche Aussage rechtfertigen können? In neuester Zeit hat Boldt wieder die Beurteilung Dahlmanns als Vertreter des Liberalismus in Frage gestellt1 86 • Doch scheint seine Begründung mangelhaft. Einerseits führt Boldt als Beweis seiner These die Verwendung der Dahlmannschen Theorie durch die späteren Akkomodationspolitiker an, womit aber keineswegs eine Beurteilung seiner Stellung im Vormärz gegeben ist. Diese Bewertung wird zwar durch zeitgenössische Äußerungen untermauert, doch werden diese nicht kritisch analysiert. Inwieweit diese Zitate wirklich Boldts These stützen, oder nur als Ausdruck politischer Gegnerschaft oder allein nur als Ausdruck des Unterschieds zwischen norddeutschem und süddeutschem Liberalismus gelten können, bleibt somit offen. 180 Wahl, Adalbert, Beiträge zur deutschen Parteigeschichte im 19. Jahrhundert, in: HZ, 104, 1910, S. 537 - 594. 181 Christern, Dahlmanns polit. Entwicklung, S. 5 - 8, S. 20 Anm. 1. 182 Vgl. hierzu Westphal, Einleitung, S. 41; Bracher, über das Verhältnis von Politik und Geschichte, S. 24. 183 Linnenkohl, Dahlmann und der Konstitutionalismus, S. 79; GaU, Lothar, Benjamin Constant. Seine politische Ideenwelt und der deutsche Vormärz, Wiesbaden 1963, S. 281. 184 Vgl. Entwurf des deutschen Reichsgrundgesetzes im April 1848, in: Dahlmann, Kleine Schriften und Reden, S. 386/7; Reden über das Staatenhaus, in: ebd., S. 444. 185 Vgl. Entwurf des deutschen Reichsgrundgesetzes, S. 378 Anm. 1. 186 Boldt, Deutsche Staatslehre im Vormärz, S. 185 - 6.
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Eine Beurteilung der politischen Position Dahlmanns hat vielmehr von seinem Werk auszugehen und unter Angabe der allgemeinen Kriterien zu dessen Einordnung zu gelangen. In einem die Diskussion um die bürgerlich-liberale Bewegung in Deutschland wieder anstoßenden Referat hat L. GaU auf dem 30. deutschen Historikertag in Braunschweig eine Definition des Liberalismus des Vormärz unternommen187 . Liberalismus wird verstanden als "politische Richtung, die sich aus der sogenannten Verfassungsbewegung des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts entwickelte, aus dem spontanen gesinnungsmäßigen Zusammenschluß derjenigen also, deren Hauptziel die Durchsetzung eines repräsentativen Verfassungsstaates mit klar umrissenen, in einem Grundrechtskatalog negativ fixierten Eingriffsrechten in die individuellen und interindividuellen Beziehungen seiner Mitglieder war"188. Oder kürzer: Liberalismus als Verfassungsbewegung 189. Diesen Begriff des Liberalismus will GaU nur bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts angewendet wissen, da sich dann allmählich die Diskrepanz der rein verfassungspolitischen Bewegung mit ihren sozialen und wirtschaftlichen Implikationen gegenüber der sozialen und wirtschaftlichen Wirklichkeit der Industriegesellschaft offenbart190 . Die Frage, ob der Begriff Liberalismus in der Anwendung auf die spätere Zeit demnach noch sinnvoll sei, kann hier nicht erörtert werden. Es bleibt nur festzuhalten, daß es sich bei der Definition Galls um eine Begriffsfestlegung handelt, die allein auf Grund der Situation des hier behandelten Zeitraums erfolgte. Es handelt sich um eine genuine Erfassung der liberalen Bewegung des deutschen Vormärz. So vermeidet sie unkritische Anwendung geschichtlich nachfolgender Kriterien. Deshalb sei dieses Verständnis von Liberalismus als Kriterium für die Einordnung der hier zu behandelnden vormärzlichen Theoretiker verwandt. Demnach ist aber Dahlmann als Vertreter des Liberalismus eindeutig ausgewiesen. Bei ihm zentrierte sich ja gerade die ganze Problematik auf die Verfassung 191 . Ausgangspunkt und steter Bezugspunkt bildete 187 Veröffentlicht in der HZ, 220, 1975, S. 324 - 356 unter dem Titel: Liberalismus und "bürgerliche Gesellschaft". Zu Charakter und Entwicklung der liberalen Bewegung in Deutschland. Jetzt auch in: ders. (Hg.), Liberalismus (= NWB 85, Geschichte) Köln 1976, S. 162 -186. Zu dieser Problematik siehe auch ders., ebd., Einleitung, S. 9. Auf die Problematik der Verwendung des heutigen Begriffs des Liberalismus auf die Zeit des deutschen Vormärz verwies schon Böckenförde, Ernst Wolfgang, Die Einheit von nationaler und konstitutioneller politischer Bewegung im deutschen Frühliberalismus, in: ders. (Hg.), Moderne deutsche Verfassungsgeschichte (1815 - 1918), Köln 1972, S.31. 188 GaU, Liberalismus und "bürgerliche Gesellschaft", S. 325. 189 Vgl. ebd., S. 325, 336, 339. 190 Vgl. ebd., S. 354. 191 Vgl. hierzu auch Linnenkohl, Dahlmann und der Konstitutionalismus, S. 87; Christern, Dahlmanns polit. Entwicklung, S. 223.
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für ihn das Modell der guten Verfassung. Ihm gemäß hatten die einzelnen staatlichen Mächte sich zu verhalten, es war Garant der Festigkeit des Staates, des Funktionierens des Zusammenspiels der Gewalten. Von diesem Zentralpunkt der Dahlmannschen Theorie aus bleibt dann auch die Frage der Bedeutung der Repräsentation zu beantworten. Als primäres Ziel Dahlmanns erweist sich die Begründung der Notwendigkeit eines demokratischen Elements unter dem Namen Volksfreiheit im Staate. Dabei gelangt er von der geschichtsphilosophischen Begründung im "Wort über Verfassung" zum theoretischen Modell der "guten Verfassung" in der "Politik". In dieser theoretischen Herausarbeitung der Staatsnotwendigkeit der Volksfreiheit ist die Bedeutung des Dahlmannschen Werks zu sehen, sie weist gerade seine Verfassungsbestrebungen als liberal aus. Doch kann Dahlmann auf Grund seiner Fragestellung nicht zur theoretischen Erfassung der Repräsentation gelangen. Sie wird nur als geschichtlich neue Form des Elements der Volksfreiheit erfaßt 192 • Damit erübrigt sich für Dahlmann auch eine Auseinandersetzung mit diesem Phänomen, findet sich doch in der englischen Verfassung das entsprechende Vorbild für die neue Form der Volksfreiheit. Hier erweisen sich dann die nachteiligen Auswirkungen der Identifikation eines theoretischen Ideals mit einem geschichtlichen Zustand 193 • Theoretische Aneignung wird ersetzt durch Nachzeichnung des Vorbildes. Die Bestimmung der Gemeinden als Wahlbezirke läßt das englische boroughSystem erkennen, wie auch die Betonung der öffentlichen Meinung das englische Vorbild verrät1 94 • So gelangt Dahlmann auch nicht zu einer Zusammenschau von repräsentativer Funktion der gewählten Gemeindevertreter und dem Element der öffentlichen Meinung. Repräsentanten und Repräsentation werden ausdrücklich in ihrer staatlichen Aufgabenstellung beschrieben195 • Demgegenüber wird die Bedeutung der öffentlichen Meinung wiederholt betont 196, der das Recht der politischen Ministeranklage und sogar Kritik am unverletzlichen König zuerkannt wird197 • Wird der Repräsentation eine eher staatliche Funktion zugewiesen, so ergibt sich durch die öffentliche Meinung ein eher freiheitliches Korrektiv. Das Verhältnis von Repräsentation und öffentlicher Meinung wird aber nicht ausdrücklich erörtert. Diese Diskussion erübrigt sich für Dahlmann auf Grund der funktionierenden engPolitik, §§ 139 - 142, S. 123 - 133. Vgl. Riedel, Einleitung, S. 25. 194 Vgl. Politik, §§ 82 - 84, S. 87 - 93. 195 vgl. Politik, § 177, S. 157 u. §§ 151 - 162, S. 139 - 148. 198 Ebd., § 84, S. 91/2; § 132, S. 115/6; § 133, S. 116 - 8; § 136, S. 121; § 259, S. 242; § 283, S. 277/8; § 288 S. 282/3. 197 Ebd., §§ 132 - 133, S. 115 - 118. 192
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Teil I: Repräsentation in der liberalen Staatslehre des Vormärz
lischen Verfassung, in der das Zusammenspiel von König, 1. Kammer, Volksvertretung und öffentlicher Meinung ohne Probleme realisiert ist. Eine Analyse der Aussagen über Repräsentation muß deshalb fehlgehen, da dieses Phänomen von Dahlmann nicht theoretisch erfaßt wird, sondern nur als eine Form des Elements der Volksfreiheit in seinem Verfassungsmodell aufgegriffen wird. Von da aus deutet sie stets auf das hinter ihr stehende, sie umschließende Verfassungsbild hin. Die Frage nach dem Verhältnis von Repräsentation und Repräsentierten, die in dem Problem der B~ziehung von Deputierten und öffentlicher Meinung enthalten ist, führt auf das funktionierende englische Vorbild zurück. Ebenso wird die Frage nach dem Zusammenwirken zwischen dem die Ordnung sichernden Integrator, dem König und der Artikulation der unterschiedlichen Forderungen durch die Repräsentanten durch die Zuerkennung einer Vermittlungsfunktion an die erste Kammer zur Beantwortung an das Verfassungsleben, mit dem Hinweis des Funktionierens in England, verwiesen. Die Verfassung wird bei Dahlmann so zum durchgängigen Erklärungsmuster. Mit dem Ideal der "guten Verfassung" gelingt es zwar den politischen Anspruch auf Teilnahme des Volkes am Staat zu sichern, Volksfreiheit wird als notwendiges Faktum bestimmt. Die theoretische Erfassung der Volksfreiheit in der Gestalt der Repräsentation bleibt aber noch zu leisten. Die Argumentationsrichtung um die Verankerung der Repräsentation in der Verfassung läßt die Frage nach ihrem Wesen noch nicht aufkommen, nur ihre Notwendigkeit wird erfaßt. 3. Repräsentation als Element des Staatsideals der Republik bei earl von Rotteck In einer kurzen Charakteristik der Literatur über Rotteck hat Boldt den Mangel einer ungenügenden Berücksichtigung des Rotteckschen Kerngedankens in der Interpretation konstatiert1 . Zumeist handle es sich allein um eine Wiedergabe der Elemente des Rotteckschen Systems, nicht aber um dessen Erfassung. Hatte Brandt noch Rotteck dahingehend verstanden, daß dieser, ausgehend von einem demokratischen Ansatz, auf Grund der Diskrepanz zur Wirklichkeit zu weitgehender Anpassung an sie gelangt2 , so sieht Boldt in ihm den Theoretiker der gemäßigten Demokratie. Nicht Akkomodation, sondern theoretische Modifikation als Konsequenz der andersartigen Wirklichkeit 3 • Eine 1 Vgl. Boldt, Deutsche Staatslehre im Vormärz, S. 156; von dieser allgemeinen Charakteristik ist jedoch Koch, Franz Xaver, Rotteck und der Constitutionalismus, Phil. Diss. Freiburg 1919 auszunehmen. Die Allgemeinaussage Boldts erklärt sich aus der Tatsache, daß ihm die Arbeit von Koch anscheinend nicht bekannt ist. 2 Brandt, Landständische Repräsentation, S. 257.
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theoretische Leistung, die die Bedeutung Rottecks auch über den Vormärz hinaus sichere 4 • Pointiert wird von Boldt die theoretisch systematische Interpretation Rottecks gefordert und auch von ihm durchgeführt. Dabei erhebt sich jedoch die Frage, inwieweit die Kennzeichnung Rottecks als Vertreter der gemäßigten Demokratie zutreffend ist. Schon in der 1819 zur Eröffnung des badischen Landtages erschienenen Schrift "Ideen über Landstände"5 werden Landstände definiert als " Ausschuß, beauftragt, die Rechte dieses Volkes (oder Volkstheiles) gegenueber der Regierung auszuueben"G. Dabei handelt es sich bei den "Ideen über Landstände" um eine philosophisch theoretische Erörterung7 , ihre Definitionen heben also auf das Wesen des Gegenstandes ab 8 • Folgerichtig findet sich eine identische Definition auch in Rottecks systematischem Werk, dem "Lehrbuch des Vernunftrechts und der Staatswissenschaften"9. Repräsentation wird als wesensmäßig auf ein ihr entgegenstehendes Prinzip verwiesen erfaßt. Diese prinzipielle Aussage wirft aber die Frage auf, ob die Interpretation des Rotteckschen Systems von einem demokratischen Ansatz aus zutreffend ist. Ist die Diskussion nur darüber zu führen, wie die Akkomodation eines demokratischen Ansatzes an die Wirklichkeit zu verstehen ist, oder ist nicht vielmehr diese Grundlage schon vom herrschenden Dualismus des Vormärz gekennzeichnet? Eine kritische Analyse soll diese Frage beantworten. a) Rotteck und der Vertragsgedanke zum theoretischen Ansatz Rottecks
Im "Lehrbuch des Vernunftrechts" behandelt Rotteck die Frage nach dem Ursprung des Staates10, die er ausdrücklich als philosophische und nicht als historische verstanden wissen will ll . Drei Faktoren werden diagnostiziert, die den Menschen auf den Staat hin ausrichten. Es sind die natürlichen Forderungen nach "Ertraeglichkeit des individuellen Zustandes", nach "Rechtsgewaehrung" sowie die Forderung nach "Entwicklung der tausendfachen physischen, geistigen und moralischen Anlagen"12. Zur Staatswerdung jedoch genügen sie nicht, es muß als entBoldt, Deutsche Staatslehre im Vormärz, S. 157/8, S. 93. Ebd., S. 7. 5 Rotteck, Karl von, Ideen ueber Landstaende, Karlsruhe 1819. 6 Ebd., S. 1. 7 Vgl. ebd., S. III - VIII, bes. S. III. S Vgl. ebd., S. III. 9 Bd. II, Stuttgart 2. Aufl. 1840, Neudruck Aalen 1964, S. 236 (weiterhin zitiert: Lehrbuch des Vernunftrechts). 10 Bd. II, S. 50 - 56. 11 Ebd., S. 51; vgl. auch die Aufgabenbestimmung der Staatswissenschaften ebd., S. 47. 12 Ebd., S. 48. 3
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scheidender Faktor der Gesellschaftsvertrag hinzukommen13 • Denn die positiven Pflichten, die den Staatsangehörigen im Staat obliegen, können nur durch "rechtskräftige Verpflichtung", durch Vertrag, erklärt werden14 • Von der faktischen Gegebenheit des Staates mit seinem Zwangscharakter wird also auf seine rechtliche Institutionalisierung zurückgeschlossen. Damit führt Rotteck einen anderen Vertragsgedanken ein, als er von Rousseau erarbeitet worden war. Bei Rousseau diente der Vertragsgedanke zur Lösung des Problems, wie die Freiheit des Individuums zusammen mit seiner faktischen Unfreiheit im Staate gedacht werden könne. Vom Prinzip der individuellen Freiheit gelangte Rousseau zum Prinzip des Staates, seiner Rückbezüglichkeit auf und Begründung aus eben dieser Freiheit, d. h. zum Prinzip der Volks'1 souveränität1 5 • Rotteck dagegen führt den Vertragsgedanken ein als entscheidendes Kriterium näherhin als rechtliches Prinzip zur Verwirklichung der schon naturgemäßen und auch instinkthaften Anlage des Menschen zum Staat. Vertrag als formale Realisierung des bereits material Gegebenen. Der formale Charakter des Vertragsgedankens wird deutlich in der Bestimmung des Staatszwecks, dessen Aspekte gen au den Naturanlagen der Menschen zum Staat hin entsprechen 16 • Der Vertrag dient nur zur rechtlichen Grundlegung des Staates, für seine nähere Bestimmung hat er keine Bedeutung. Die Funktion als korrektives Prinzip unter dem Namen der Volkssouveränität gegenüber konkreter staatlicher Wirklichkeit kann dieser Vertragsauffassung nicht zukommen. Wird sie nämlich durch Analyse faktischer staatlicher Wirklichkeit erschlossen, so folgt umgekehrt, daß in jedem staatlichen Verhältnis, wo das Element der positiven Verpflichtung der Staatsangehörigen feststellbar ist, dieser Vertrag als zugrunde liegend gedacht werden muß, und zwar als faktisch vollzogen, da ansonsten die rechtliche Verpflichtung nicht erklärt werden könnte. Das Faktische wird so bei Rotteck zum Prinzip. Nicht durch philosophisch prinzipielle Fragestellung, sondern durch faktisch rechtliche Analyse gelangt Rotteck zum Vertragsgedanken. Notwendig ist dieser Vertrag dann "mit nichten ein gedichteter ... sondern ein wirklicher und wahrhaft geschlossener Vertrag" 17. Dabei ergibt sich ein Problem, genau entgegen der Rousseauschen Bedeutung des Vertrags. Nicht kritisches Korrektiv kann dieser Vertrag sein, sondern es gilt das Problem zu lösen, diesen Vertrag in allen Staatsformen, - auch den nicht demokratischen, als zugrunde liegend aufzuweisen. Dieses gelingt Rotteck durch EinfühLehrbuch des Vernunftrechts, Bd. H, S. 52. Ebd. lS Vgl. Rousseau, Du Contrat social, 1762, Buch 1, Kapitell und 6. 18 Vgl. Lehrbuch des Vernunftrechts, Bd. H, S. 62 - 65; siehe auch die Definition des Staates ebd., S. 65. 17 Vgl. ebd., S. 53. 13
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rung des Gedankens des stillschweigenden Vertragsschlusses, die Vertragserklärung der Einzelnen wird durch Taten gegeben18 . Da der Staat Anstalt und Gesellschaft nur in einem sei, könne eine Inanspruchnahme der anstaltlichen Funktionen des Staates zugleich als Zustimmungserklärung zur gesellschaftlichen Funktion gewertet werden. Wer diese Anstalt beansprucht, muß also auch die gesellschaftliche Ermöglichung der Anstalt gewollt haben und dokumentiert in der Erfüllung der staatlichen Pflicht seine Zustimmung 19 . Mit dieser Konstruktion läßt sich also die Faktizität des Vertrags in jedem Staate nachweisen. Doch stellt sich damit auch die Frage nach der Aussagefähigkeit und Bedeutung des Vertragsgedankens. Selbst eine Despotie wird man nämlich nach Rotteckscher Terminologie als vertraglich institutionalisierten Staat bezeichnen müssen, wenn nur die "als Schuldigkeit geforderten und dargebrachten Leistungen und Gegenleistungen erkennbar"20 sind. Der Vertragsgedanke läßt sich also mit fast allen Staatsformen vereinen. Er verflüchtigt sich geradezu zur Gleichsetzung mit der Konstatierung der Erfüllung der staatlichen Pflichten durch die Staatsangehörigen. Zwar kennt Rotteck auch einen ausdrücklich vorliegenden Vertrag21 . Dieser wird aber nicht als notwendig, sondern auf Grund der auch andersartigen Verwirklichung nur als idealtypisch zu verstehen sein. Im Band 1 des "Lehrbuchs des Vernunftrechts" wird dieses Verhältnis im Kapitel über die Entstehung der Gesellschaften besonders deutlich 22 . Dort wird die Gesellschaft als naturgemäß auf einem Vertrag beruhend bezeichnet. Doch kennt er auch die Fälle23, "daß unmittelbar durch ein Gesez, oder durch den verbindlichen Willen eines Obern, oder auch durch ein gewisses, wie immer entstandenes, faktisches Verhaeltniß eine Verpflichtung oder eine Noethigung zu gemeinsamer, durch einen Gesammtwillen zu bestimmender Zweckerstrebung, also eine Gesellschaft, entstehe." Der Gesellschaftsvertrag ist bei diesen Staatswerdungen dann gesi~ chert, wenn sie "die Rechtswirkungen eines Vertrages" haben24 . Nicht der Vertrag, nur seine Regelungen, seine Auswirkungen sind Wesen der Rotteckschen Theorie. Denn der Vertrag, als faktisch nachweisbares Faktum, kommt allein unter den idealen Bedingungen der allgemeinen Mündigkeit der Men18 19
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Ebd., S. 53. Ebd., S. 56 - 58. Ebd., S. 53. Ebd. Vgl. Lehrbuch des Vernunftrechts, Bd. I, S. 291 - 293. Ebd., S. 291. Ebd.
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schen vor. Zwar gilt: "naturnothwendig, ..., verlangt der Mensch nach Glück"25, d. h. nach Freiheit und Sicherheit als Grundbedingung dieses Strebens. Doch "rechtlich nothwendig willigt der verstaendige Mensch", und nur er, wird man verdeutlichend hinzufügen müssen, - "in das Rechtsgesez" ein26 . Nur der Verständige vollzieht, was er will, bei Unverständigen wird vollzogen, was er "wollen muß"27. Sein späteres Verhalten jedoch kann dann als Zustimmung zur erfolgten Handlung angesehen werden. Der Vertragsgedanke ist also nicht genuiner Bestandteil des Rotteckschen Systems, sondern nur idealtypischer Extremfa1l28 • Dieses Ergebnis wird auch noch anderweitig durch den materiellen Aspekt des Staates, d. h. durch die Bestimmung des Staatszweckes bei Rotteck, gestützt. Als Zweck des Staates sieht Rotteck sowohl die Sicherung des Rechtszustandes als auch die Garantierung der Sicherheit an, wobei die erste Aufgabenbestimmung als Hauptzweck hervorgehoben ist29 • Eine nähere Analyse dieses Zentralaspekts soll deshalb die Untersuchungen zur Bedeutung des Vertragsgedankens von der materiellen Seite her ergänzen. Denn darauf bleibt ja jede Analyse des Rotteckschen Staatsbegriffs verwiesen, nachdem die Idee des Vertrags auf eine rein formale, rechtliche Bedeutung reduziert worden war. Zur Analyse des Rotteckschen Verständnis von Recht, dessen Handhabung und verbindliche Sicherung die erste Aufgabe des Staates ist, soll besonders der Artikel Naturrecht im Staatslexikon herangezogen werden30 • Doch bedarf die Verwendung eines Lexikonartikels an so grundlegender Stelle zunächst der Begründung. Das Staatslexikon, dessen Herausgeberschaft Rotteck und Welcker 1832 übernahmen, nachdem ihnen infolge der erneuten Einführung der Zensur jegliche politische Veröffentlichung verboten worden warst, Lehrbuch des Vernunftrechts, Bd. H, S. 58. Ebd. 27 Lehrbuch des Vernunftrechts, H, S. 58. 28 Demgegenüber sieht Schmidt-Aßmann, Der Verfassungsbegriff der deutschen Staatslehre der Aufklärung und des Historismus, BerUn 1967, S. 107 zwar Rottecks Besonderheiten in der Vertragslehre, behauptet aber trotzdem eine für Deutschland exzeptionelle Nähe Rottecks zur Rousseauschen Theorie. Diese Bewertung dürfte wohl eher als Konsequenz der sehr breit angelegten Arbeit anzusehen sein denn als genuine Einordnung. Da diese Arbeit öfters zu allgemein bis oberflächlich bleibt, den wissenschaftlichen Diskussionsstand öfters nicht ganz aufarbeitet, neigt sie deshalb zu sehr globalen Einordnungen verschiedener Aspekte der jeweiligen Theorien und muß so den eigentlichen Gegenstand verfehlen, wie z. B. hier beim Werk von Rotteck. 29 Vgl. Lehrbuch des Vernunftrechts, II, S. 63. 30 Der vollständige Titel lautet: Naturrecht, Vernunftrecht, Rechtsphilosophie und positives Recht, in: Rotteck, Carl v. - Welcker, Carl (Hg.), StaatsLexikon oder Encyklopaedie der Staatswissenschaften, Bd. XI, 1. Aufl. 1841, S. 162 - 313 (weiterhin zitiert: Art. Naturrecht). 25
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ist nämlich keineswegs als Lexikon im üblichen Sinne zu begreifen. Als Kompendium des liberalen politischen Glaubensbekenntnisses wird es konzipiert 32 , doch fehlt es wegen mangelnder redaktioneller Arbeit an einer einheitlichen Systematik33 • Es scheint, daß eher Aufsätze für vorhandene Mitarbeiter denn Mitarbeiter für bestimmte Aufsätze gesucht worden sind 34 • Von dieser Anlage her sowie der Tatsache, daß viele Artikel, hierbei vornehmlich die Hauptartikel, von Rotteck und Welcker selbst verfaßt worden sind35 , können Rottecks Staatslexikon-Artikel als genuine Rottecksche Lehre verstanden werden. Eine inhaltliche Überprüfung bestätigt nicht nur diese These, sondern weist einige Artikel Rottecks sogar noch als pointierte und klarere Darlegungen auf Grund der eingegrenzten Thematik gegenüber dem Lehrbuch des Vernunftrechts aus. Recht ist für Rotteck nicht nur unter staatlichen Verhältnissen denkbar36 , denn rechtlos könne kein Zustand sein; dort, wo das positive Recht aufhöre, setze sofort das Vernunftrecht ein, und das Recht erweise sich dann in seiner hervorragendsten Funktion: Menschensatzungen werden befolgt ohne positiv festgesetzte Gebote zu sein37 • Das Ver... nunftrecht38 ist keineswegs nur als Kriterium der Rechtmäßigkeit positiver Gesetze verstanden, ihm wird darüber hinaus auch ein eigener Geltungsbereich zugesprochen. Überall dort, wo die Regelungen der positiven Gesetze aufhören, oder keine Gesetze vorhanden sind, wie z. B. auf einer einsamen Insel, - tritt unmittelbar das Vernunftrecht in Kraft 39 • Damit erweist sich, daß Rotteck das Vernunftrecht durchaus inhaltlich bestimmt versteht. Zwar wird es zunächst analog der Kantschen Rechtsdefinition bestimmt. "Recht ist Alles, was der (von uns geforderten und durch das Rechtsgesetz eben zu verwirkli31 Siehe Weiss, Antonie, Die leitenden Ideen des vormärzlichen Liberalismus nach dem Staatslexikon von Rotteck - Welcker, Phil. Diss. München 1924, S. 4 - 6. 32 Vgl. das Vorwort von Rotteck, in: Staatslexikon, Bd. I, 1. Aufl. Altona 1834, S. XXIII - XXIV; vgl. auch Weiss, S. 11, 14. 33 Vgl. Zehntner, Hans, Das Staatslexikon von Rotteck und Welcker. Eine Studie zur Geschichte des deutschen Frühliberalismus, Jena 1929, S. 24 (weiterhin zitiert: Das Staatslexikon). 34 Siehe Zehntner, Das Staatslexikon, S. 56. 35 Es handelt sich um 270 von 870 Artikeln; vgl. Zehntner, Das Staatslexikon, S. 36. 38 "Das Recht ist also nicht erst im Staat entstanden", Lehrbuch des Vernunftrechts, Bd. I, S. 83, vgl. allgemein ebd., S. 72 - 84; siehe auch Herdt, Ursula, Die Verfassungstheorie Karl v. Rottecks, Phil. Diss. Heidelberg 1967, S.37. 37 Siehe hierzu, Art. Naturrecht, S. 164, 178. 38 Vernunftrecht und Naturrecht sind für Rotteck austauschbare Begriffe, vgl. Art. Naturrecht, S. 162. 39 Vgl. Lehrbuch des Vernunftrechts, Bd. I, S. 81.
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chenden) groeßtmoeglichen Freiheit Aller (oder bei Voraussetzung solches Zieles sich selbst) nicht widerspricht 40 • " Doch wird die Definition nicht als philosophisches Prinzip des Rechts wie bei Kant verstanden, welches das allgemeine Wesen des Rechts zu erfassen sucht. Für Rotteck handelt es sich um das oberste Rechtsprinzip, mit dem, allein durch Anwendung des Satzes vom Widerspruch, ein System des gesamten Vernunftrechts abgeleitet werden kann 41 . Der Vernunft ist also schon ein gesamtes Rechtssystem gegeben, welches, wären nur alle vernünftig und rechtliebend, besser als positive Gesetze Gerechtigkeit verbürgen würde. Denn alsdann wäre niemals mehr die Rechtsfrage strittig, allein die Tatfrage bliebe noch zu klären42 . Für Rotteck gibt es also eine den gesetzlichen Bestimmungen vorangehende Rechtsebene, ein System der Vernunft, welches nur die rechtliche Wahrheit enthält, ohne verbietend oder gebietend zu sein. Es ist nur erlaubend oder nich~ erlaubend 43 , d. h. allein vernünftig. Es handelt sich um ein rein spekulatives Rechtssystem, dem erst praktische Gültigkeit und Geltung verschafft werden muß44. Damit aber hat Rotteck die Kantsche Bestimmung des Rechts verlassen, denn bei Kant ist Recht und Befugnis zum Zwang, d. h. positives Verbot, identisch45 . Kant bestimmt das philosophische Prinzip, d. h. den Maßstab positiven Rechts, und der kann allein formal bestimmt werden. Das positive Recht wird philosophisch auf sein Wesen hin befragt, bleibt deshalb auch auf es verwiesen; eine eigene Rechtsebene wird nicht eröffnet. Demgegenüber sieht Rotteck in der Kantschen Definition ein Rechtsprinzip, welches in Anwendung auf die Vernunft, allein mittels des Satzes des Nichtwiderspruchs, ein Rechtssystem erstellen läßt. Das Vernunftrecht wird inhaltlich, material, es ist ausgebildet und gültig vor jeder positiven Festsetzung, es ist auch wirksam, jedoch noch nicht als nötigende Vorschrift, d. h. als Gesetz. Eine inhaltliche Bestimmung des Vernunftrechts kann aber keineswegs allein durch das logische Prinzip des Nichtwiderspruchs gemäß der Definition des Rechts erfolgen. Sie setzt vielmehr eine materiale Gegebenheit voraus, auf die das Prinzip des Rechts, und nicht der Satz des Widerspruchs, angewendet, erst dieses Ergebnis erbringt. So spricht auch Rotteck von der "Anwendung jenes obersten Rechts40 Art. Naturrecht, S. 170; siehe auch S. 169 zu Kant vgl. Kant, Immanuel, Metaphysik der Sitten, 1. Auf!. Königsberg 1797, 1. Teil: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, § C, S. 231 (verwendet wurde die von Karl Vorländer herausgegebene Ausgabe, Hamburg 1966, die Zitation erfolgt jedoch nach der auch dort vermerkten Seitenzählung der ersten Auflage). 41 Art. Naturrecht, S. 172, 192. 42 Vg!. hierzu ebd., S. 196, ebenso schon S. 194. 43 Ebd., S. 171. 44 Ebd., S. 175. 45 Vgl. Kant, Metaphysik der Sitten, § E, S. 232.
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satzes auf die der Speculation sich darbietenden oder durch Erfahrung gegebenen Arten der Wechselwirkung der Menschen"46. Die Vernunft bleibt also auf Erfahrung und Spekulation angewiesen. Durch sie erfolgt die inhaltliche Konkretisierung. Es handelt sich nicht um das Vernunftrecht, sondern nur um eine Realisierung des Vernunftprinzips auf Grund konkreter Gegebenheit. Eine Allgemeingültigkeit kann dieses Recht folglich nicht beanspruchen. Die Rottecksche inhaltliche Interpretation des Kantschen Rechtsprinzip erweist sich als philosophisch nicht haltbar. Auf Grund der Etablierung einer eigenen vernünftigen Rechtssphäre stellt sich sodann für Rotteck die Frage, wie diesem Recht auch allgemeine Wirksamkeit verschafft werden kann. Die moralische Gesetzgebung, welche von der Voraussetzung ausgeht, jeden als unter dem Vernunftrecht stehend zu betrachten und sich dementsprechend zu verhalten, erweist sich als defizient und nicht wirksam, so daß das Recht zu seiner wirkmächtigen Absicherung im Staate drängt47 . Das im Einzelnen erwachende Rechtsgefühl läßt ihn nach positiver Institutionalisierung des Rechts streben und führt ihn so zur Staatsgründung. Nach Koch ist damit die Kantsche Rechtsidee aus der geistigen Ebene wieder in die individuelle Schwere Rousseauscher Vorstellungen zurückgefallen, die Rechtsidee wird mit der Vertragsvorstellung verbunden48 . Hierzu bleibt zunächst anzumerken, daß die philosophische Zuordnung, die Koch vornimmt, problematisch ist. Wie in den vorangehenden Darlegungen ausgeführt, sind bei der Rotteckschen Verwendung des Vertragsgedankens und des Kantschen Rechtsbegriffs grundlegende Abweichungen gegenüber den Vorstellungen der entsprechenden Philosophen festzustellen. In der Verwendung des Vertragsgedankens fällt Rotteck sogar hinter die Kantsche Interpretation des Rousseauschen Kerngedankens zurück49 . Von daher stellt sich die Frage, ob nicht eine rein philosophische Interpretation Rottecks50 eine theoretische Stringenz in das Rottecksche Werk hineinlegt, die ihm keineswegs gerecht werden kannSt, da hierdurch der politische Aspekt nicht zur Geltung kommt. 46 Art. Naturrecht, S. 193. 47 Vgl. Art. Naturrecht, S. 172, 176/7; Lehrbuch des Vernunftrechts, Bd. 11, S. 48, 62/3.
48 Vgl. Koch, Franz Xaver, Rotteck und der Constitutionalismus, Phil. Diss. Freiburg 1919, S. 88/89. 49 Vgl. Kant, Metaphysik der Sitten, § 47, S. 315 und ders., über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis, in: ders., Schriften zur Geschichtsphilosophie, hrsg. von Riedei, Manfred, Stuttgart 1974, S. 145. 50 Vgl. Kochs Aufgabenbeschreibung in: ders., Rotteck und der Constitutionalismus, S. 127. 51 Zur Interpretationsmethode siehe beispielhaft: Koch, Rotteck und der Constitutionalismus, S. 7 - 16.
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Gerade dieser wird aber in den Mittelpunkt der Interpretation zu stellen sein, kann er doch zur Erklärung der eigenwilligen und unsystematischen Verwendung verschiedener philosophischer Denkmodelle dienen 52 • Abgesehen von der philosophischen Zuordnung hebt die Feststellung eines Zwiespalts jedoch ein entscheidendes Merkmal in der Rotteckschen Theorie hervor, nämlich das Problem der Institutionalisierung des Rechts, verbunden mit dem Vertragsgedanken. An sich ist nämlich der Gesellschaftsvertrag bei Rotteck nicht wesentliche Voraussetzung für die positive Festsetzung des Vernunftrechts. Es handelt sich ja nicht um die Institutionalisierung von etwas, das erst durch den Vertrag ins Leben tritt, sondern es ist bereits vorher gegeben. Es geht nur um die staatliche Absicherung des bereits gültigen Rechts, und jeder Vorgang, der dieses vollzieht, ist dazu hinreichend. Dadurch, daß der Staat nur noch dazu dient, die Wirkmächtigkeit des Rechtes zu garantieren, durch ihn nur eine formale Änderung des Zustandes nicht aber eine inhaltliche, vom rechtlosen Zustand in den rechtlichen, geschieht, ist die vertragliche Gründung des Staates nicht mehr erforderlich. Die Rottecksche Definition des Rechts erweist sich somit als Korrelat und Voraussetzung seines Vertragsgedankens. In einem Fall, bei allgemeiner politischer Mündigkeit, ist das Recht durch die einzelnen Verständigen erkannt und damit gleichzeitig auch die Notwendigkeit seiner Institutionalisierung. Im Vertrag entschließen sie sich dann allgemein zur Verwirklichung dieser Erfordernis. Da das Recht aber allgemeines Vernunftrecht ist, es gänzlich einem Einzigen bekannt sein kann, würde auch dieser Eine genügen, wenn und insofern es ihm gelingt, das Recht wirksam zu institutionalisieren. Denn dann ist automatisch auch das Moment des Vertrages erfüllt, weil das Leben der Untertanen gemäß diesem Recht der vertraglichen Zustimmung gleichzusetzen ist. Aber nicht nur für diesen Hauptzweck des Staates, sondern ebenso für den zweiten der Sicherheit, auf welche beiden sich alle Staatszwecke rückbeziehen lassen53 , gilt dieses Verhältnis. Denn der Gesellschaftsvertrag ist ein Vertrag, "dessen Inhalt naemlich blos die Vernunft diktiert"54, wie ja auch die Bestimmung des Staatszwecks allein durch die Vernunft erschlossen wurde 55 • Der Gesellschaftsvertrag ist zwar "ein Akt der rechtlichen Vereinigung Mehrerer", doch nur "zum Zweck der Realisierung der Staats-Idee, oder zu Erstrebung desjenigen Zweckes, welcher aus der Vernunft-Vorstellung 52 Vgl. hierzu Herdt, Die Verfassungs theorie Rottecks, S. 46; siehe auch die Kritik Boldts an Jobst in: Deutsche Staatslehre im Vormärz, S. 156 und S. 156 Anm. 82. 53 Vgl. Lehrbuch des Vernunftrechts, Bd. II, S. 63 - 64. 54 Ebd., S. 93. 55 Ebd., S. 58.
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des Staates fließt"56. Vertrag als Verwirklichung dessen, was in der Vernunft vorgegeben ist, als Institutionalisierung dieses unabhängig von ihm bereits Existierenden. Damit steIlt sich aber die Frage nach dem Gemeinwillen. In der Rousseauschen Lehre vom Gesellschaftsvertrag war er gerade von zentraler Bedeutung als Resultante und Hauptpunkt des Vertrages und somit als Prinzip des Staates57 . Bei Rotteck wird ebenfalls ein Gesamtwille als durch den Vereinigungsvertrag geschaffen angenommen 5B, doch muß ihm hier eine andere Bedeutung zukommen. Zwar kennt Rotteck auch einen Gesamtwillen im Staate, "das Produkt der von den Mitgliedern als solchen geäußerten Willensmeinungen, oder die unter denselben zusammengenommen vorherrschende Richtung"59. Als Willensmeinung "im wahren gesellschaftlichen Geist"60 werden diese Äußerungen aber nur dann betrachtet, wenn sie verschiedenen Kriterien entsprechen. Als Hauptpunkt gilt dabei die Entscheidung, ob die Willensmeinung den Gesellschaftszweck erstrebt oder nicht 6!. Dieser ist aber objektiv der Vernunft gegeben, so daß diese zur Entscheidungsinstanz wird darüber, ob ein sich äußernder Wille als Gesamtwille oder nicht zu betrachten ist. Es liegt hier also keineswegs, wie Herdt behauptet, eine "Herabwürdigung der volonte generale zur volonte de tous"62 vor, vielmehr ist ein absolutes Kriterium eingeführt, auf Grund dessen entschieden werden kann, wann eine volonte de tous als volonte generale akzeptiert werden kann63 . Nicht der Mehrheitswille ist das entscheidende, sondern dasjenige, das im Gesellschaftsvertrag "in rechtlich giltiger Herrschaft gesetzt" worden war64, d. h. das Vernunftrecht und die vernunftrechtliche Forderung nach Sicherheit65 . Diese sind auch als der ideale und wahre Gesamtwille anzusehen, dem Rotteck, und nur ihm allein, die Souveränität im Staate zuspricht66 . Damit ist aber, wie Koch zutreffend festgestellt hat, das Rottecksche Staatssystem in Ebd., S. 53. Vgl. Rousseau, Du Contrat social, Buch 1, Kapitel 6. 58 Vgl. Lehrbuch des Vernunftrechts, Bd. 11, S. 85. 59 Lehrbuch des Vernunftrechts, Bd. I, S. 282. 60 Ebd., S. 283 (im Original gesperrt gedruckt). 61 Ebd.; vgl. auch Fickert, Artur, Montesquieusund Rousseaus Einfluß auf den vormärzlichen Liberalismus Badens, Phil. Diss. Leipzig 1913, S. 74. 62 Herdt, Die Verfassungstheorie Rottecks, S. 157. 83 Siehe hierzu Lehrbuch des Vernunftrechts, Bd. 11, S. 98 und 98 Anm. 84 Ebd., S. 85. 65 Vgl. hierzu Koch, Rotteck und der Constitutionalismus, S. 16, der jedoch auf Grund seiner philosophischen Ausrichtung nur den ersten Aspekt hervorhebt. 66 Lehrbuch des Vernunftrechts, Bd. 11, S. 101; vgl. auch Koch, Rotteck und der Constitutionalismus, S. 18 unter Berücksichtigung der in Anm. 65 gemachten Einschränkung. 5G
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einer objektiven Welt verankert 67 • Es geht um die Verwirklichung des idealen Gesamtwillens, den das Volk, wenn es nur verständig genug ist, selbst vollzieht. Ist es dieses jedoch nicht, so ist gemäß dem Rotteckschen System die Möglichkeit gegeben, daß durch andere Organe und Instanzen dieser objektiv erkennbare Gesamtwille vollzogen wird. In diesem idealen Gesamtwillen ist also eine Instanz gegeben, vor der sich das Volk als ihr entsprechend zu erweisen hat. Die volonte generale existiert auch abgelöst von den Vertrag schließenden. Koch interpretiert dieses Element der Rotteckschen Theorie als Weiterentwicklung gegenüber Rousseau, da es so gelänge, die Herrschaft des Pöbel willens auszuschließen68 • Die Herrschaft des idealen GesamtwiIIens, nicht die Volksherrschaft, steht im Zentrum der Rotteckschen ÜberIegungen69 • Von daher wird man die Behauptung eines demokratischen Ansatzes in der Rotteckschen Theorie wohl zu revidieren haben70 • Auch die Versuche Herdts, Rotteck als Vertreter einer, wenn auch konstitutionell modifizierten Volkssouveränitätslehre zu interpretieren71 , müssen an der eindeutigen Souveränitätszuweisung an den idealen Gesamtwillen durch Rotteck scheitern. Ein Eintreten Rottecks für die Volkssouveränität läßt sich nicht feststellen 72 • Trotzdem lassen sich einige Stellen finden, die auf eine grundlegende Bedeutung des demokratischen Aspektes in der Rotteckschen Theorie hinzuweisen scheinen. So wenn die Demokratie als Urform oder als notwendige Voraussetzung der anderen Staatsformen bezeichnet wird73 • Es stellt sich jedoch die Frage, was Rotteck hierbei unter Demokratie versteht. Der Artikel über das demokratische Prinzip soll dabei zur Klärung herangezogen werden. Demokratie wird dort nämlich alsbald mit demokratischem Prinzip gleichgesetzt und mit der "Idee der rechtlichen Herrschaft des Gesammtwillens"74 definiert. Demokratie nicht als Herrschaft des Volkes im GegenKoch, Rotteck und der Constitutionalismus, S. 27. Ebd., S. 28. 69 Lehrbuch des Vernunftrechts, Bd. 11, S. 103. 70 Diese These bei Boldt, Deutsche Staatslehre im Vormärz, S. 157; ders., Zwischen Patrimonialismus und Parlamentarismus, S. 92; Brandt, Landständische Repräsentation, S. 257; eine weitgehend der Boldtschen Interpretation folgende Darlegung bei, Botzenhart, Deutscher Parlamentarismus in der Revolutionszeit 1848 - 1850, S. 31 - 36. 71 Herdt, Die Verfassungstheorie Rottecks, S. 232/3. 72 Vgl. hierzu Weiss, S. 64; Zehntner, Das Staatslexikon, S. 68; Wahl, Beiträge zur deutschen Parteigeschichte, S. 583; Wild, Karl, Karl Theodor Welcker ein Vorkämpfer des älteren Liberalismus, Heidelberg 1913, S. 175; siehe auch Fickert, Montesquieus und Rousseaus Einfluß, S. 84. 73 Vgl. Lehrbuch des Vernunftrechts, Bd. 11, S. 201, sowie Art. "Demokratisches Princip; demokratisches Element und Interesse; demokratische Gesinnung", in: Staats-Lexikon, Bd. IV, S. 257 - 8 (weiterhin zitiert: Art. Demokratisches Princip). 74 Art. Demokratisches Princip, S. 258. 87
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satz zur Monarchie75 , sondern als eine Tendenz zur begründeten Teilhabe des nach vernunftrechtlichen Prinzipien mündigen Volkes am Staate76, wobei es aber weniger um diese konkrete Form, denn um das Wesen, eben die Herrschaft des wahren Gesamtwillens, geht 77 • Es läßt sich in diesem Artikel durchaus eine uneinheitliche Verwendung des Begriffs der Demokratie feststellen. Einmal als theoretisch zu denkende Urform des Staates überhaupt und Grundlage der Monarchie, das andere Mal als Herrschaft des idealen Gesamtwillens. Aufklärung über dieses Problem der Divergenz kann die zitierte Stelle aus dem Lehrbuch des Vernunftrechts geben 7B . Dort wird die Demokratie als in jedem Staat vorhanden gewesen bezeichnet, wenn diese Existenz auch "nur augenblicklich, oder selbst nur idealisch, d. h. rechtsnothwendig"79 gewesen sei. Mit der Aussage über die Urform der Demokratie ist keine Behauptung ihrer Faktizität gegebenBO , sie wird nur "idealisch" gefordert. Da Rotteck aber in der Vertragslehre auch eine Staatswerdung auf Grund anderer Umstände als eines Vertragsschlusses kannte, muß sich die "idealische" Forderung der Demokratie auch mit diesen Möglichkeiten verbinden lassen. So wie der Vertrag sich aus der Faktizität des Staates im nachhinein aufweisen ließ, wird sich auch das Argument der ursprünglichen Demokratie auf diese stillschweigende Zustimmung reduzieren lassen. Dadurch, daß die Rottecksche Vertragslehre die grundlegende Bedeutung des Vertrags aufgegeben hat, kann auch die Behauptung der demokratischen Urform des Staates nur als Idealtypus noch erscheinen. Das Wesen des Vertrags ist ja weniger in dem Aspekt der Vereinigung zu sehen, als in dem, welcher die Vereinigung erst bewirkt, d. h. in dem "objektiven und allgemeinen Zweck(es)", "welcher aus der Vernunft-Vorstellung des Staates fließt"Bl. Die Vereinigung muß ja nicht Voraussetzung zur Entstehung des Staates sein, sie kann sich auch auf Grund der Institutionalisierung des objektiven Zweckes stillschweigend ergeben. Das aber heißt, nicht der Begriff der Demokratie als Urform, sondern das Verständnis von Demokratie als Herr; schaft des idealen Gesamtwillens ist zentral für das Rottecksche System, kann er doch auch mit einem undemokratischen Entstehen des Staates 75 Ebd., S. 254/5. 78 Vgl. ebd., S. 255: "wir verstehen darunter blos die auf der Idee eines Gesammtrechts des zur Staatsgesellschaft vereinigten, aus vernunftrechtlich vollbuertigen Mitgliedern bestehenden VoZkes beruhende Richtung nach thunlichst zur verwirklichender Gemeinschaftlichkeit der Ausuebung solches Rechtes, folglich auch nach gZeichheitlicher TheiZnahme Aller ... ". 77 Ebd., S. 259. 78 Lehrbuch des Vernunftrechts, Bd. 11, S. 201. 79 Ebd. 80 Vgl. ebd., S. 196. 81 Ebd., S. 53.
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verbunden gedacht werden. Die Idee der Demokratie als Vertrag wird dann erst nachträglich hineingelegt82 . Auch die Darlegungen über die Entstehung des Staates durch Vertrag, und zwar den Vereinigungsvertrag, müssen stets in bezug auf diese Vertragsdefinition Rottecks verstanden werden und nicht als Anzeichen einer innerlichen Bevorzugung der Republik oder der Bejahung der Volkssouveränität gedeutet werden, die allein auf Grund der politischen Situation nicht klarer formuliert werden83 . Die Verankerung des idealen Gesamtwillens in einem objektiven Bereich, sowie die dafür notwendige Modifikation des Vertragsgedanken gerade als Institutionalisierungsform dieses objektiv Gegebenen, d. h. das genuine Rottecksche Gedankengut, würde bei einer derartigen Interpretation der Demokratie als Volkssouveränität als marginal und· bloße Kaschierung einer sonst nirgends greifbaren wahren Theorie Rottecks eingeschätzt. Eine derartige Interpretation gewinnt ihre Bewertungskategorien nicht in Auseinandersetzung mit dem Objekt, sondern überzieht dieses mit einem inadäquaten Bewertungssystem. b) Das Rottecksche dualistische System: die Republik
Als zentraler Gedanke der Rotteckschen Vertragsvorstellung erwies sich die Institutionalisierung eines schon vorgegebenen objektiven Gesamtwillens. Die vertragliche Form dieses Vorganges war dabei von marginaler Bedeutung, konnte auf Grund der begrifflichen Ausweitung doch jeder staatliche Zustand als vertraglich eingerichtet betrachtet werden. Eine Aussage über eine Staatsform ist damit noch nicht gegeben. Diese wird erst erschlossen, und zwar auf Grund der durch die Bestimmung des Staates gegebenen Aufgabenstellung: Sicherung der Wirksamkeit des idealen Gesamtwillens. In dem Kapitel "Von der Entstehung und dem Rechtsboden der Staatsgewalt"84, in dem die Grundlage für· die "Constitutions-Lehre"86 gelegt wird, führt Rotteck das Element des künstlichen Organs ein. 82 Vgl. die Aufgabenbestimmung der Staatswissenschaft in: Lehrbuch des Vernunftrechts, Bd. II, S. 47: es gelte den Staat "durch Hineinlegung von Ideen zur Einheit geistiger Beschauung zu bringen". 83 Die Darlegungen bei Rotteck, Lehrbuch des Vernunftrechts, Bd. II, S. 85 - 92. Zur angesprochenen Interpretation vgl. Herdt, Die Verfassungstheorie Rottecks, S. 234 - 7; siehe auch die noch weitergehende These von Schib, Karl, Die staatsrechtlichen Grundlagen der Politik Karl v. Rottecks. Ein Beitrag zur Geschichte des Liberalismus, Phil. Diss. Basel 1927, S. 20, S. 79 Anm. 2, S. 82 Anm. 5, S. 86, S. 128, der einen Linksschwenk Rottecks ab 1825 festzustellen meint. Doch wird diese These vom Eintreten für die Volkssouveränität weder im Verhältnis zur Rotteckschen Systematik aufgezeigt, noch wird sie über ihre Behauptung hinaus herausgearbeitet oder begründet. 84 Lehrbuch des Vernunftrechts, Bd. II, S. 85 - 102. 85 Ebd., S. 179 - 295.
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Dabei geht die Darstellung von dem Urzustand der Demokratie mit der Herrschaft des natürlichen Organs, d. h. dem Mehrheitswillen, aus. Auf Grund des Ergebnisses des vorangegangenen Kapitels kann es sich hierbei jedoch nur um eine idealtypische und nicht prinzipielle Ausgangsbasis handeln. Die unsystematische, d. h. nicht vom Ansatz her begründete Einführung des künstlichen Organs relativiert diese Darstellungsweise schon in seiner theoretischen Bedeutung. Schließlich weist auch das Ergebnis, das durchaus auch das umgekehrte Verhältnis der Entstehung des natürlichen Organs bei schon vorhandenem künstlichen Organ zuläßt, diesen Ansatz als nicht notwendig, als nur idealtypisch aus. Das künstliche Organ findet dadurch seine Funktion im Staatsleben, daß die Gesamtheit, die den idealen Gesamtwillen zu verwirklichen hat, sich ihrer "Unbehilflichkeit oder Gefaehrlichkeit, ueberhaupt Mangelhaftigkeit"86 bewußt wird. Diese Begründung impliziert also, daß der Gesamtheit der ideale Gesamtwille bekannt ist, vor dessen Norm sie sich ja erst als mangelhaft erweist. Die Einführung eines weisungsgebundenen Magistrats als künstliches Organ würde demnach genügen. Durch ihn könnte die Mangelhaftigkeit behoben werden, die Richtlinienkompetenz könnte aber bei der Gesamtheit verbleiben, da sie den idealen Gesamtwillen kennt. Zwar kennt Rotteck auch die Möglichkeit des Magistrats als künstlichem Organ, diese wird jedoch nicht erörtert, sondern es wird nur auf die Institutionalisierung eines "Oberhaupts" abgehoben 87 . Es geht also nicht mehr um die Einrichtung eines technischen Hilfsorgans, welches in bezug auf die Gesamtheit gesehen werden muß, sondern um die Etablierung eines selbständigen Organs, das über sich nur die Norm des idealen Gesamtwillens stehen hat88 . Diese vom Ansatz her nicht notwendige Bestimmung des künstlichen Organs, wie auch schon die unsystematische Einführung des Begriffs überhaupt, relativiert eben diesen Ansatz. Als das eigentliche Ziel der Rotteckschen überlegungen erweist sich ein dualistisches Modell, mit dem dann die Situation des Vormärz erfaßt werden kann. Durch die Einführung eines selbständigen Oberhauptes, das ebenfalls als Interpret des Gesamtwillens anzusehen ist, ist ein Gegenpol zum natürlichen Organ eingeführt. "Die Gesamtheit der wirklichen Staatsbuerger hat aufgehoert, ihre unmittelbare oder juristisch erscheinende Repraesentantin zu seyn89 ." Denn eine volle Übertragung aller Rechte an das künstliche Organ wird ausdrücklich ausgeschlossen 9o und Ebd., S. 92. 87 Vgl. ebd., S. 94,96. 88 Vgl. Lehrbuch des Vernunftrechts, Bd. I, S. 293; siehe auch Lehrbuch des Vernunftrechts, Bd. II, S. 121. 8~ Lehrbuch des Vernunftrechts, Bd. II, S. 96. 88
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eine Demokratie, soll sie Bestand haben, bedarf ebenfalls eines oberhauptlichen Elements91 . Beide Organe, das natürliche wie auch das künstliche, erweisen sich somit als notwendige Elemente des Staates. Ohne künstliches Organ gleitet die Demokratie in die Anarchie ab 92 und andererseits kann von Staat erst dort gesprochen werden, wo "eine Volksmuendigkeit zur juristischen Erscheinung wird"93. Somit ist also Rotteck durch das Argument der Sicherung des idealen Gesamtwillens zu einer dualistischen Grundlage seiner Staatslehre gelangt. Konkret werden sodann dem künstlichen Organ die Aufgaben zugewiesen, "wo nach psychologischen Gesezen und nach Erfahrung schon an und für sich dem natuerlichen die Zuverlaessigkeit mangelt"94. In diesem Bereich erfolgt eine gänzliche Abtretung der Rechte an das künstliche Organ, eine vollkommene Unterwerfung 95 • Darüber hinaus kommt dem künstlichen Organ noch die Aufgabe zu, "den oft zufaellig boesen Ausschlag des Stimmenmehrs"66 zugunsten des idealen Gesamtwillens zu korrigieren. Da aber das künstliche Organ durchaus auch entgegen dem idealen Gesamtwillen handeln kann 97 , müßte an sich auch dem natürlichen Organ eine Kontrollfunktion gegenüber dem künstlichen zukommen. Dieses ist aber nicht möglich, da das natürliche Organ in den Bereichen, wo das künstliche eingeführt ist, nicht zuverlässig ist. Hier führt Rotteck nun als Kriterium für die Übereinstimmung der Willensäußerung des künstlichen Organs mit dem idealen Gesamtwillen die Zustimmung der Verständigen ein 98 • Diese muß aber nicht ausdrücklich vorliegen, sondern kann durchaus auch nur als Vernunftprinzip verstanden werdenD9 • Da dieses als allgemeines Prinzip auch für die Regelung mittels des Vetorechts gilt, kann eine Verfassung gedacht werden, in der das künstliche Organ allein als Interpret des idealen Gesamtwillens anzusehen ist. D. h., in allen Bereichen hat sich das natürliche Organ als unzuverlässig erwiesen, näherhin als politisch unmündig. Das künstliche Organ jedoch kann durchaus den idealen GeEbd., S. 99 - 100. Ebd., S. 234. 92 Ebd. 93 Ebd., S. 132. 94 Ebd., S. 126. 95 Ebd., S. 128. 98 Ebd., S. 127. 97 Ebd., S. 98/99. 98 Ebd., S. 126, 128, 130. 99 Vgl. ebd., S. 128, wo das Kriterium so formuliert ist: "es lasse sich annehmen, die Mehrzahl der verstaendigen Buerger, in ihrer Eigenschaft als Staatsglieder, wuerde dem Verordneten beistimmen, wenn sie rein in solcher Eigenschaft (also mit Lauterkeit der Gesinnung und ohne Befangenheit durch Privatinteresse) stimmten". 90 91
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samtwillen vollziehen, ist er doch eine objektive Vernunftgegebenheit und auf Grund des zum Prinzip uminterpretierten Urteils der Verständigen jedem zugänglich. Das für die Unterscheidung von faktischer Macht und Staat notwendige Element der Volksmündigkeit ist dabei schon dann als verwirklicht anzusehen, wenn das künstliche Organ die Entwicklung politischer Mündigkeit nicht hindertl° o• Stellt man jedoch auf Grund dieses Verfassungsmodells die Frage nach den Gründen, die ein politisch sich emanzipierendes Volk gegenüber einem derartig omnipotenten künstlichen Organ geltend machen kann, um eine politische Teilhabe zu fordern, so erweist sich sofort die These vom demokratischen Ansatz bei Rotteck als unzutreffend. Nicht Einklagen von demokratischen Grundrechten, sondern nur Aufweis politischer Mündigkeit kann die Basis der politischen Forderung sein. Das natürliche Organ muß also in den entsprechenden Bereichen nachweisen, daß das Prinzip des Urteils der Verständigen durch es selbst vollzogen ist. Nicht politische Forderung, sondern vernunftrechtliche Argumentation, nicht Recht, sondern Aufweis politischer Mündigkeit. Von daher auch die stete Betonung des Offenhaltens der Möglichkeit politischer Entwicklung. Dieses Modell, mit dem die politische Ausgangslage des Vormärz am besten erfaßt ist, erweist sich als Basis für die weitere Ausarbeitung der Staatslehre. Bei der Erörterung des Prinzips der Teilung der Gewalt zwischen natürlichem Organ und künstlichem geht Rotteck von dem künstlichen Organ aus, welches ein natürliches Organ einführen soll, um seine Disharmonie mit dem Gesamtwillen offenbar werden zu lassen101 . Das Repräsentativsystem sieht er als "Anerkenntniß der politischen Muendigkeit aller Derjenigen, welche nach dem natuerlichen oder Vernunft-Gesez als politisch muendig erscheinen"102. Die Begründung für die Einführung von repräsentativen Organen, den Landständen, ist also die gleiche wie bei Dahlmann, der Aufweis von Mündigkeit. War bei Dahlmann dieses Argument im Rahmen der Theorie der guten Verfassung geschichtsphilosophisch als konkrete Aufgabe abgesichert worden, so ist sie bei Rotteck allein systematisch verankert. Grundlage ist sein duales System, das jede Verfassung zwischen reiner Herrschaft des künstlichen Organs mit rudimentärem natürlichen Organ und dem entgegengesetzten Extrem zuläßt. Die Bestimmung der konkret geschichtlichen Staatsform auf dieser Skala ergibt sich dann anhand des Grades der politischen Mündigkeit. Dabei geht es Rotteck weniger um den allgemeinen Mehrheits100 Vgl. Lehrbuch des Vernunftrechts, Bd. II, s. 128/9; siehe auch grundsätzlich: Ideen ueber Landstaende, S. VII, vgl. auch Herdt, Die Verfassungstheorie Rottecks, S. 62. 101 Vgl. Lehrbuch des Vernunftrechts, Bd. II, S. 224. 102 Ebd., S. 238.
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willen, als um den Willen der Verständigen. Einer Interpretation der Rotteckschen Lehre, die dessen vorwiegender Darstellungsweise folgt und ohne deren theoretischen Stellenwert zu bedenken, einen demokratischen Ansatz behauptet, muß notwendig die grundlegende Bedeutung des Dualismus der beiden Organe verschlossen bleiben. So sehen Koch und Jobst durch die Einführung des künstlichen Organs keine wesentliche Änderung der Konzeption Rottecks l03 , und Brandt sieht nur Anpassung an die Wirklichkeit in den Schlußfolgerungenlo4 • Allein Boldt, auf Grund seiner Fragestellung der Letztentscheidung im Staat, erkennt den Rotteckschen Dualismus in zentraler Funktion, doch kommt er durch seine abstrakte Ausrichtung nicht zu einer Erarbeitung Rotteckscher Kategorien und ordnet ihn demnach als Vertreter der gemäßigten Demokratie ein l05 • Soll aber der ideale Gesamtwille durch zwei verschiedene Organe zusammen zum Ausdruck gebracht werden, wird die Frage nach der Gewaltverteilung zwischen den beiden sowie deren Zusammenspiel zum zentralen Problem. Die Thematik der Gewaltenteilung ergibt sich also aus dem theoretischen Ansatz Rottecks l06 , wird demnach nur in diesem Rahmen geführt, so daß sich alle anderen Gewaltenteilungslehren als ungeeignet erweisen müssen l07 • Denn auf Grund des Rotteckschen Rechtsbegriffs kann Richten keine Gewalt sein, sie reduziert sich zur logischen Funktion. Eine richterliche Gewalt wird gen au wie bei Dahlmann abgelehntl° B• Ebenso muß sich eine strikte Aufgabentrennung zwischen den bei den anderen Gewalten der Montesquieuschen Lehre als unzutreffend erweisen. Ist doch das künstliche Organ z. B. nicht nur als souverän im eigenen Bereich eingeführt worden, es kommt ihm vielmehr auch noch eine wesentliche Kontrollfunktion gegenüber dem natürlichen zu, wie umgekehrt diesem oder den Verständigen ebenso. Die Bezeichnung gesetzgebende und vollstreckende Gewalt kann diesem Sachverhalt nicht gerecht werden. Rotteck führt die Begriffe administrative und repräsentative Gewalt ein lo9 . So soll zum Ausdruck gebracht werden, daß der zweiten Gewalt alle sie betreffenden allgemeinen Entscheidungen zukommen sollen, z. B. auch allgemeine Verordnungen, wie der ersten alle konkrete Befugnis überantwortet ist, d. h. auch die Gesetzgebung in den Bereichen, die sich allge103 Vgl. Koch, Rotteck und der Constitutionalismus, S. 35, S. 110; Jobst, Die Staatslehre Rottecks, S. 482. 104 Brandt, Landständische Repräsentation, S. 257. 105 Boldt, Deutsche Staatslehre im Vormärz, S. 157/8. 106 Vgl. auch Herdt, Die Verfassungstheorie Rottecks, S. 121. 107 Siehe Lehrbuch des Vernunftrechts, Bd. II, S. 211 - 220. 108 Ebd., S. 214 - 216; vgl. Herdt, Die Verfassungstheorie Rottecks, S. 123. 109 Erster Begriff in: Lehrbuch des Vernunftrechts, Bd. II, S. 213, zweiter Begriff in: Ideen ueber Landstaende, S. 27 in der Anm. von S. 25.
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meiner Kodifizierung entziehen110. Nicht strikte Trennung des Gewaltbereichs, sondern nur Zuteilung verschiedener Funktionen kann nur das Rottecksche Teilungsprinzip sein, nicht objektive, sondern subjektive Teilung 111 • An jeder Gewalt haben beide Organe teil, nur unter verschiedener Aufgabenstellung; sie stehen demnach notwendig in Wechselwirkung. Daß es sich hierbei nur um eine Ausfaltung und nähere Bestimmung des dualistischen Konzepts handelt, wird auch in der Bezeichnung der Gewalten als übertragene und vorbehaltene Gewalt deutlich. Prinzip dieser subjektiven Funktionsteilung zwischen den beiden Gewalten, die dann näherhin auch als Regierung und Repräsentation bezeichnet werden1l2 , ist es, jede Gewalt mit soviel Vollmacht auszustatten, daß sie ein etwaiges Abweichen der anderen Gewalt vom Gesamtwillen hindern kann113. Teilung also als Sicherung der "Wahrscheinlichkeit einer dem Gesammtwillen gemaeßen Richtung der Staatsgewalt"114. Damit erweist sich die subjektive Teilung als Hauptpunkt des Rotteckschen Systems, sie ist die Garantie einer rechtlichen Verfassung, denn "keine Verfassung ist rechtlich, als welche die Herrschaft des allgemeinen Willens herstellt"115. Bei der konkreten Bestimmung der subjektiven Teilung geht nun Rotteck, - wie bereits erwähnt, - von der Regierung aus, die durch die Einrichtung eines repräsentativen Organs in ihrer Position erst gefestigt ist116. Denn ihre Aufgabe ist es, den Gesamtwillen zum Ausdruck zu bringen. Wird aber eine Disharmonie zum Gesamtwillen nicht juristisch erkennbar, so entsteht ein Zustand der Rechtlosigkeit, der schließlich zur Gewaltherrschaft führt 117 • Vor dem Hintergrund des Rotteckschen dualen Systems wird hier die Einrichtung eines repraesentativen Organs als notwendiges staatliches Element gegenüber der Regierung gefordert. Es zeigt sich die gleiche Argumentationsweise, wie sie schon bei Dahlmann festgestellt worden ist. Gegenüber einer anders gearteten Wirklichkeit wird eine Theorie des Staates erarbeitet; hier die duale Sicherung des idealen Gesamtwillens als das Wesen des Staates, bei Dahlmann die Erarbeitung der "guten Verfassung" als Garantie staatlicher Stabilität. Von dieser Theorie aus wird dann das Element 110 Vgl. Lehrbuch des Vernunftrechts, Bd. II, S. 211 - 214 in Verbindung mtt: Ideen ueber Landstaende, Anm. von S. 25, S. 25 - 30. 111 Vgl. Lehrbuch des Vernunftrechts, Bd. II, S. 223. 112 Ebd. 113 Ebd., S. 223, 228f9. lU Ebd., S. 218. 115 Ebd., S. 185 (im Original gesperrt gedruckt); zu dieser These siehe auch Zehntner, Das Staatslexikon, S. 68. ue Lehrbuch des Vernunftrechts, Bd. II, S. 224 - 225. 117 Ebd.
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der Repräsentation oder der Volksfreiheit in seiner staatlichen Notwendigkeit aufgewiesen. Rein etatistisch, allein als Faktor des staatlichen Lebens, nicht als eigenständiges, grundlegendes Prinzip kann so der demokratische Freiheitsaspekt erfaßt werden. Jenseits des Begriffs des staatlichen Elements wird es nicht erfaßt, wie gerade der Aufweis politischer Mündigkeit beweist, ein Kriterium, das bedeutet, daß die notwendige Funktion im Staat auch tatsächlich erfüllt werden kann. Ähnlich wie bei Dahlmann erfolgt dann auch die Zuweisung der Rechte und Aufgaben an Regierung und Repräsentation. Dem Volksausschuß kommt wegen der grundsätzlichen Dimension der Materie und der nicht notwendigen Eile vornehmlich die Aufgabe der Gesetzgebung zu, der Regierung die Administration118 • Doch erfolgt die Zuweisung nicht ausschließlich, da es sich ansonsten um objektive Gewaltenteilung handeln würde. Zwar wird dem Volks ausschuß ausdrücklich die Gesetzesinitiative zugestanden, doch werden als Eingriffsrechte der Regierung das Vetorecht, das Recht der provisorischen Gesetzgebung, das Verordnungsrecht sowie auch die Gesetzesinitiative eingeräumt. Das Recht der Kenntnisnahme und kontrollierenden Beurteilung durch den Volksausschuß wird als Ausgreifen in den Bereich der Regierung angeführt, als indirekte Mitwirkung 119 • Schon in dieser grundsätzlichen Ausführung gelangt Rotteck nicht über eine aufzählende Aufstellung hinaus, die Frage nach dem Zusammenwirken beider Gewalten auf Grund dieser Rechte, die Frage nach dem Funktionszusammenhang wird von ihm auch nicht gestellt.
In der detaillierten Darstellung dieses Fragenkomplexes in dem Abschnitt über die landständische Verfassung 120 wird dieses erneut deutlich in der getrennten Aufzählung der Rechte des Königs und des Landtags, wie es schon bei Dahlmann festzustellen war121 • Besonders bezeichnend erscheint dabei auch die Erörterung der Ministerverantwortlichkeit wie bei Dahlmann als Regelung für die Maxime der Unverantwortlichkeit des Königs122 • Unter dieser Thematik wird dann ebenso wie schon in der "Politik" eine größtmögliche Kontrolle des Landtags eingeführt, nämlich die politische Verantwortlichkeit der Minister123 • Dem steht als weitestgehende Eingriffsmöglichkeit des Königs das Recht der Landtagsauflösung gegenüber, obwohl es in dieser seiner Ebd., S. 229. Ebd., S. 230 - 232. 120 Ebd., S. 235 - 295. 121 Vgl. Lehrbuch des Vernunftrechts, Bd. II, die Rechte des Monarchen S. 244 - 7, die Rechte des Landtags S. 254 - 258; bei Dahlmann vgl., Politik, §§ 113 - 124, S. 107 - 110 und §§ 171 - 189, S. 152 - 161. 122 Lehrbuch des Vernunftrechts, Bd. II, S. 249 - 254. 123 Ebd., S. 253/4. 118
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systematischen Funktion nicht aufgewiesen wird. Es erfolgt nur eine Aufzählung der jeweiligen Rechte der jeweiligen Gewalt, ergänzt durch Eingriffsrechte in die Gewaltsphäre der anderen Gewalt, um so die Verwirklichung des idealen Gesamtwillens sichern zu können. Auf Grund des theoretischen dualen Konzepts des auf subjektiver Gewaltenteilung beruhenden Staates werden nur die Bedingungen der einzelnen Komponenten für das Zusammenwirken erarbeitet. Dieses selbst wird nicht thematisiert. Genau wie bei Dahlmann scheint die Erfüllung der Merkmale der Theorie schon Garant des Zusammenspiels zu sein. Es stellt sich demgegenüber die Frage, ob damit wirklich die Einheit des Staates hinreichend gesichert ist? Die Kompetenzzuweisung und Rechtsübertragung an die einzelnen Gewalten erfolgt gemäß dem Prinzip der Sicherung des idealen Gesamtwillens. Dieser soll die Resultante des Zusammenwirkens beider sein. Doch kann dieses nur dann der Fall sein, wenn beide sich als Instrumente zur Verwirklichung des höheren idealen Gesamtwillens verstehen. Voraussetzung ist, daß stets eine Gewalt wirklich den Allgemeinwillen will und daß die andere, in den Privatwillen abgesunkene Gewalt, durch Korrektur zum Besseren belehrt wird. Denn verharrt sie in dieser Position, muß es zu einer Spaltung des Staates kommen. Ministerverantwortlichkeit und Auflösungsrecht sind so weitgehende Einflußmöglichkeiten, daß durch sie eine Pattsituation und eine Lähmung des Staates oder ein Abgleiten in den Bürgerkrieg entstehen können. Für den Fall, daß eine Gewalt oder auch beide nicht nur wider besseres Wissen, sondern grundsätzlich gemäß ihrem Privatwillen handeln, - eine Möglichkeit die Rotteck durchaus kennt1 24, - erweist sich Rottecks Modell als nicht funktional. Es funktioniert allein, wenn das, was es sichern soll, schon vorausgesetzt wird, die Herrschaft des idealen Gesamtwillens. Die beiden Gewalten müssen sich schon als funktionsdifferenzierte Partner bei gemeinsamer Aufgabenstellung, der Verwirklichung des Gesamtwillens, verstehen. Die Erkenntnis des Aufeinander-bezogenseins ist notwendige Voraussetzung ihres Zusammenwirkens. Diese Bedingung des Rotteckschen Systems wird greifbar, wenn er "das Gegenueberstehen des Landtags in Ansehung der Regierung" als "mit nichten ein feindliches, sondern vielmehr (als) ein nach freundlicher Vereinigung sich sehnendes"125 bezeichnet. Denn "beiden, der Regierung und den Landstaenden, ist ein gemeinsames Ziel gesezt: das oeffentliche Wohl"126. 124 Lehrbuch des Vernunftrechts, Bd. II, S. 99 für das künstliche und S. 227 für das natürliche Organ, allgemein S. 119/120. 125 Lehrbuch des Vernunftrechts, Bd. II, S. 240. 126 Ebd. S·
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Die allgemeine Feststellung, daß die Einheit der Staatsgewalt bei Rotteck nicht garantiert sei, sie rein postulatorisch sei und sich auf den Appell an den Fürsten, nicht zu korrumpierenden Mitteln zu greifen, sowie die Behauptung der Identität von Monarchen- und Volksinteresse reduziere, scheint mir aber nur auf einen Aspekt abzuheben und greift deshalb zu kurz 127. Denn ein Appell muß ja, soll das System funktionieren, auch an den Landtag ergehen, nämlich seine Funktion als Untertanenrepräsentation zu sehen, sich eben nicht an die Stelle der Regierung zu setzen. Es ergibt sich somit eine Bedeutung der Theorie Rottecks, wie sie sich schon bei Dahlmann erwiesen hat. Beide Male wird das Wesen des Staates erfaßt und in eine konkrete Verfassungsregelung realisiert. Ohne Erörterung des Moments des Funktionierens reduziert sich die Plausibilität dieser Verfassung allein auf die der theoretischen Darlegung. Ist diese wahr, erfaßt sie wahrhaft den Staat, so ist damit auch die Notwendigkeit ihrer Regelung erwiesen. Will also ein derartiges System sich gegenüber einer andersartigen Wirklichkeit im politischen Raum durchsetzen, wird ein Eintreten für es nur als "Gelehrtenpropaganda"128 möglich sein. Sie muß nämlich die zugrundeliegende Theorie plausibel machen, um von dort aus die Regelungen zu begründen, Theorie muß ohne Vermittlung selbst politisch werden: Vernunftrecht als Politik. Die jeweiligen Theorien erweisen sich nur als überzeugend, insoweit sie deutlich machen, daß nur ihnen gemäß von Staat gesprochen werden kann und dieser Zustand auch für den Monarchen erstrebenswert ist. Inwieweit in diesem Rahmen das Wirken einer Staatssittenlehre von Bedeutung ist, sei hier nicht untersucht1 29 . De facto aber wird durch Ausklammerung des Funktionsaspektes der Widerspruch der zwei Organe nicht aufgehoben, ihm wird nur Verfassungsrang verliehen130. Kurz sei noch auf eine andere Interpretation des Rotteckschen Dualismus eingegangen, und zwar auf die Identifizierung des Rotteckschen Dualismus als altständisches Relikt durch Goessler, die in neuerer Zeit von Herdt erneut aufgegriffen worden ist 131 . Abgesehen von der nicht gesehenen Funktion des Systems, 127 Zu dieser These vgl. Herdt, Die Verfassungstheorie Rottecks, S. 207; Die staatsrechtl. Grundlagen Rottecks, S. 19; Boldt, Deutsche Staatslehre im Vormärz, S. 159; Belegstellen bei Rotteck siehe unter anderem: Lehrbuch des Vernunftrechts, Bd. 11, S. 241,259/260. 128 Dieser Begriff bei Boldt, Deutsche Staatslehre im Vormärz, S. 253, jedoch in Anwendung auf Mohl. 129 Vgl. hierzu Boldt, Deutsche Staatslehre im Vormärz, S. 138. 130 Vgl. ebd., S. 264: "Die Formulierung des monarchischen Prinzips als des Verfassungsgrundsatzes überwand den Widerspruch nicht, sondern verlieh ihm Verfassungsrang. " 131 Goessler, Peter, Der Dualismus zwischen Volk und Regierung im Denken der vormärzlichen Liberalen in Baden und Württemberg, Phil. Diss. Tübingen 1932; die Rezeption bei Herdt, Die Verfassungs theorie Rottecks, Schib,
S. 146/7, 160, 163.
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wird hier unkritisch ein Erklärungsmodell auf einen selbst von Goessler akzeptierten allgemeinen Dualismus 132 angewandt, ohne seine Erklärungsfunktion näherhin überprüft zu haben l33 . Wie gerade die unkritische Einführung des künstlichen Organs durch Rotteck gezeigt hatte, handelt es sich jedoch eher um eine Erfassung der vormärzlichen Situation denn um altständische Relikte l34 . In der Anwendung der Theorie auf die Staatsformenlehre kommt Rotteck zunächst zu einer Betonung der Monarchie als der geeignetsten Forml35 . Doch sieht er auch eine Demokratie als möglich an, wenn in ihr nur ein Präsident mit den einem Monarchen vergleichbaren Rechten ausgestattet ist. Monarchie und Demokratie werden gemäß dieser Voraussetzung als "im Wesen fast gleich"136 eingestuft. Auch die Demokratie bedarf, um nicht in Anarchie und Volksdespotie abzusinken, eines eigenständigen Regierungsorgans wie die Monarchie l37 . Andererseits bedarf aber auch die Monarchie eines republikanischen Elements, soll auch sie vor der Gefahr von Anarchie und Despotie gesichert seinl38 . Erst nach Einführung dieses Faktors ist das "aechte monarchische PrinZip"139 hergestellt. Weniger eine konkrete Staatsform, oder deren Mischung mit anderen erweist sich hier als Problemstellung, denn die Realisierung der Rotteckschen dualistischen Theorie. Demokratie und Monarchie werden gemäß dieser Theorie schließlich nur noch darin zu unterscheiden sein, ob die Frage bezüglich der durchzuführenden Gewaltenteilung lautet: "wie viel hat das Volk sich vorzubehalten?" oder "wie viel hat es zu uebertragen"140? Nicht das Unterschiedliche, sondern das Gemeinsame ist wesentlich, nicht die Mischung der Staatsformen, sondern die Gewaltenteilung, konkret erfaßt im Ideal der Republik l41 . 132 133
Goessler, S. 109. Goessler, S. 4.
134 Vgl. hierzu schon Brandt, Landständische Repräsentation, S. 259 Anm. 436 und Boldt, Deutsche Staatslehre im Vormärz, S. 97. 135 Lehrbuch des Vernunftrechts, Bd. II, S. 233. 13S Zitat ebd., S. 234, zu dieser Identifizierung siehe allgemein ebd., S. 233 bis 235; ebenso Art. "Constitution; Constitutionen; constitutionelles Princip
und System; constitutionell; anticonstitutionell", in: Staats-Lexikon, Bd. III, 1. Aufl. Altona 1836, S. 785, (weiterhin zitiert: Art. Constitution). 137 Vgl. auch Herd, Die Verfassungstheorie Rottecks, S. 104. 138 Art. "Monarchie; monarchisches System; monarchisches Princip; Monarchismus" in: Staats-Lexikon, Bd. X, 1. Auf!. Altona 1840, S. 667/8. 139 Zitat aus: Lehrbuch des Vernunftrechts, Bd. II, S. 199; vgl. zur Problematik des "aechten monarchischen Prinzips" ebd., S. 196 - 199; sowie Art. Monarchie (siehe Anm. 138), S. 668 - 676; daß es sich hierbei um eine Einschränkung des monarchischen Prinzips handelt, hat vor allem Boldt, Deutsche Staatslehre im Vormärz, S. 60, 70, 95, herausgearbeitet; vgl. auch Herdt, Die Verfassungstheorie Rottecks, S. 173. 140 Lehrbuch des Vernunftrechts, Bd. H, S. 234 (i~ Original gesperrt gedruckt).
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Teil I: Repräsentation in der liberalen Staatslehre des Vormärz
Zwar findet sich im Lehrbuch des Vernunftrechts auch eine eingehende Erörterung der Staatsformen, doch läuft auch diese auf das Ideal der Republik hinaus 142 . Denn nicht Erörterung allgemeiner Staatsformen ist das Anliegen Rottecks, sondern die Verwirklichung des idealen Gesamtwillens im Staate. Gemäß den Erfordernissen zu dessen Sicherung wird allein die jeweilige Staatsform untersucht. Die sich dabei herauskristallisierende grundsätzliche Struktur wird von Rotteck Republik genannt. "Das Wesen der Republik ist die Herrschaft des wahren Gesammtwillens 143 ." Gekennzeichnet durch "ein demokratisches Element" und "eine Theilung der Gewalt zwischen einer kuenstlich eingesetzten Regierung und dem urspruenglichen Souverain, d. h. dem Volke"144 erweist sich die Republik als das grundlegende theoretische Modell Rottecks und das Ergebnis seiner theoretischen Erörterung des Staates. Republik nicht als ideale Staatsform, die Rotteck nur nicht in der Praxis zu vertreten wagte 145, auch nicht als durch monarchische Elemente notwendig zu ergänzendes IdeaP46, also keine eigenständige Lehre der gemischten Verfassung, sondern "Anwendung dieser allgemeinen Prinzipien auf die verschiedenen Staatsformen" 147, das heißt Verbindung der Staatsformenlehre mit seiner Theorie. Republik als Name des Rotteckschen Staatsprinzips, des dualen Systems mit subjektiver Gewaltenteilung zur Sicherung des idealen Gesamtwillens. c) Zur Bewertung Rottecks
Als Zentrum und als Ziel der Überlegungen Rottecks hat sich das Modell der Republik erwiesen. Ausgehend von einem als grundsätzlich apostrophierten dualen Gegensatz im Staate, gelangt er zur Sicherung des idealen Gesamtwillens und somit zum Vollzug des Wesen des Staates durch die Regelung einer Gewaltenteilung, die gleichzeitig die polaren Gewalten auf Grund verschiedener Eingriffsrechte zur Einheit 141 Auf eine Berücksichtigung der Staatsform der Aristokratie konnte hier verzichtet werden, da Rotteck sie prinzipiell der Monarchie gleichsetzt (Lehrbuch des Vernunftrechts, Bd. 11, S. 234) allein unterschieden von ihr durch die erhöhte Gefahr der Spaltung der Nation (ebd., S. 234, siehe auch ebd., S. 250 Anm. zu S. 249). Als eigenständige Staatsform ist sie also schon durch die Aussagen zur Monarchie behandelt und als dritter Faktor in einer gemischten Verfassung wird sie als künstlich abgelehnt (ebd., S. 234), höchstens als Notbehelf, das heißt nicht grundsätzlich, akzeptiert (ebd., S. 273 bis 276). 142 Lehrbuch des Vernunftrechts, Bd. 11, S. 193 - 210. 143 Ebd., S. 208. 144 Ebd., S. 210 (der zweite Teil des Zitats im Original gesperrt gedruckt). 145 So Schib, Die staatsrechtlichen Grundlagen Rottecks, S. 60, 63; und Zehntner, Das Staatslexikon, S. 69. 146 So Weiss, S. 56/57. 147 Lehrbuch des Vernunftrechts, Bd. 11, S. 233.
3. C. v. Rotteck: Repräsentation und das Staatsideal der Republik
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verschränken soll. Diese Verfassung des Staates, egal in welcher Staatsform auch immer ausgedrückt, ist Mittelpunkt der Rotteckschen Theorie. Auf Grund des im Kapitel über Dahlmann aufgewiesenen Bewertungsmaßstabs, wie auch wegen der dargelegten Übereinstimmung beider Theorien in grundlegenden Punkten sowie ihrer gleichen Funktion, kann Rotteck nur als Vertreter des vormärzlichen Liberalismus eingestuft werden. Eintreten für Verfassung ohne Erörterung des funktionalen Aspekts allein auf Grund theoretischer Begründung hat sich als das Charakteristikum dieser politischen Richtung erwiesen. Die bisherige Literatur zum Werk Rottecks ist dagegen durch eine gewisse Unsicherheit in der Einschätzung der Position Rottecks geprägt. Sie erklärt sich daraus, daß nicht versucht wird, die systematische Einheit der Lehre Carl von Rottecks zu erfassen und die Bewertung sich schließlich auf ein Abwägen von verschieden eingestuften Einzelelementen beschränkte 148 • Dabei bleibt dann die Frage nach der Problematik in der Verwendung allgemeiner Begriffe, wie z. B. liberal oder demokratisch als Bewertungskategorie für den Vormärz, undiskutiert. So hängt es eher von der Stellung des Interpreten ab, denn von den nicht als adäquat ausgewiesenen Kategorien, welches Element er bevorzugt in den Vordergrund der Bewertung stellt. Beurteilungen, daß Rotteck "praktisch den Parlamentarismus anstrebte " 149, stehen Auffassungen gegenüber, die "ein Übergewicht des liberalen Elements"150 behaupten. Die allgemeine Feststellung, daß Rotteck keineswegs Philosoph gewesen sei 151 , kann jedoch nicht als Grund dafür dienen, das Werk Rottecks rein als ein Konglomerat von Aspekten zu bewerten. So muß es stets aufs Neue verwundern, wenn Rotteck trotz seines Eintretens für Verfassung und damit auch für Landstände allein wegen seiner vernunftrechtlichen Begründung als Kind des 18. Jahrhunderts bezeichnet wird152 . Einzelne 148 Siehe symptomatisch, Herdt, Die Verfassungstheorie Rottecks, S. 258: "Geistig steht Rotteck zweifellos noch in der aufgeklärten Tradition des 18. Jahrhunderts .... Liberal ist seine Vorstellung von einer guten Verfassung, ... , und demokratisch schließlich ist seine Theorie von der Entstehung des Staates." 149 Vgl. Angermann, Robert von Mohl, S. 396; der Kontext weist auf ein Verständnis von "praktisch" als "an sich" hin. 150 Jobst, Die Staatslehre Rottecks, S. 498; vgl. auch Schib, Die staatsrecht!. Grundlagen Rottecks, S. 126: "er (Rotteck) wurde durch die Verhältnisse gezwungen, liberal zu sein, entgegen seiner eigenen demokratischen Staatsauffassung". 151 Vgl. hierzu Jobst, Die Staatslehre Rottecks, S. 490; Fickert, Montesquieus und Rousseaus Einfluß, S. 85; Herdt, Die Verfassungstheorie Rottecks, S. 14; selbst Koch, Rotteck und der Constitutionalismus, S. 71 räumt ein: "Er war nicht Philosoph genug, um seinen Staatsbau auch in allen seinen Einzelheiten und Feinheiten aus den zu Grunde gelegten Prämissen aufzuführen." 152 Vgl. Herdt, Die Verfassungstheorie Rottecks, S. 81; Ehmke, Rotteck der ,politische Professor', S. 2; Jobst, Die Staatslehre Rottecks, S. 470, beson-
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Teil I: Repräsentation in der liberalen Staatslehre des Vormärz
Elemente werden, da nicht im Zusammenhang des gesamten Systems gesehen, in ihrer Bedeutung überbetont. Allein Boldt hat eine einheitliche Interpretation versucht, gelangt aber, indem er zu sehr der Rotteckschen Darstellungsweise folgt und nicht deren nachgeordneten, systematischen Stellenwert bestimmt, zu einer Einschätzung Rottecks als Vertreter der gemäßigten Demokratie. Die allgemeine Herausarbeitung des Unterschiedes zwischen dem monarchischen Prinzip des Artikels 57 der Wiener Schlußakte und der Lehre Rottecks bei Boldt153 hebt zu sehr nur auf einen Aspekt ab, welcher ja durch das von Rotteck erarbeitete Verfassungsmodell erst Sinn erhält und begründet wird. Die Rottecksche Beschränkung der Monarchie erfolgt eben nicht durch den Vertragsgedankenl54 , sondern durch die Bestimmung als Instrument des idealen Gesamtwillens155 • Sie ist damit genauso etatistisch begründet wie bei Dahlmann, wo der Monarch zu einem Element, wenn auch dem wichtigsten, im Rahmen der "guten Verfassung" erklärt wird. Auch hier wird der absolute Monarch zum Staatsglied, um die Sicherheit des Staates zu garantieren. Verfassung nicht Demokratie ist der Begriff, der Rottecks Anliegen umreißt. d) Der Begriff der Repräsentation in der Rotteckscllen Konzeption
Ist das Anliegen der Theorie Rottecks die Erarbeitung der notwendigen staatlichen Verfassungsstruktur als dualistische gewaltenteilige Regelung, d. h. die Republik, so wird man von hier aus und in diesem Rahmen die Bedeutung der Repräsentation bei Rotteck zu erfassen haben. Die Dualität von natürlichem und künstlichem Organ begründet noch nicht die Notwendigkeit eines repräsentativen Elements im Staate, kann doch auch eine Berücksichtigung des natürlichen Organs dadurch erfolgen, daß dessen etwaiger Entwicklung keine Hindernisse gesetzt sind. Definitiv wird erst der Volks ausschuß und damit die Repräsentation 156 zum notwendigen Element dieser Theorie, wenn dem Volk der Nachweis gelingt, daß es seine staatliche Funktion erfüllen kann, d. h., daß es politisch mündig ist1 57 • Das Repräsentativsystem ist somit ders bezeichnend ist bei Jobst, daß er diese These vertritt, obwohl ihm die eigenständige Verwendung aller Elemente der Rotteckschen Theorie nicht verborgen bleibt (ebd., S. 471, 492). 153 Boldt, Deutsche Staatslehre im Vormärz, S. 70/71. 154 Ebd., vgl. auch S. 283/4. 165 Wegen der Behauptung eines demokratischen Ansatzes bei Rotteck muß der Begriff der Untertanenrepräsentation Boldt notwendig unklar bleiben, vgl. Deutsche Staatslehre im Vormärz, S. 87 Anm. 136. 158 Vgl. diese Gliederung in: Ideen ueber Landstaende, S. 7, Lehrbuch des Vernunftrechts, Bd. II, S. 236/7, 223; bezeichnend dabei die untheoretische Verwendung dieses Begriffs. 157 Siehe hierzu Art. Constitution, S. 773, Lehrbuch des Vernunftrechts, Bd. II, S. 238 - 239 und S. 128/9 Anm.
3. C. v. Rotteck: Repräsentation und das Staats ideal der Republik
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eine Staatsform der Neuzeit. Landstände oder National-repräsentation158 werden bei Rotteck strikt von den historischen Feudalständen unterschieden. Diese, auf rein positiver Einsetzung beruhend, repräsentierten nur sich selbst gegenüber der Regierung. In bezug auf das Volk erschienen sie dagegen selbst als Regierung und eine Identifizierung des Volkes mit ihnen muß nach Rotteck als Rechtsdichtung bezeichnet werden i59 • Landstände, - oder auch Repräsentation, - sind "das gesammte zur Staatsgesellschaft vereinte Volk, d. h. die Gesammtheit der vollbuertigen Staatsangehoerigen, vorsteHender, und zwar in Natur und Wahrheit, also nicht blos vermoeg positiver Festsezung oder Rechtsdichtung, vorstellender Ausschuß, berufen zur Vertretung dieses Volks gegenueber der Regierung"160. Sie sind also als demokratisches Element ausgewiesen 16 t, das, auf Grund theoretischer Erörterung unter Hinzuziehung des historischen Konkretisierungsmaßstabs der politischen Mündigkeit, als notwendiger Faktor im staatlichen Leben des Vormärz bestimmt ist. Zwei Aspekte lassen sich demnach in der Funktionsbeschreibung der Definition der Repräsentation unterscheiden, die Artikulierfunktion, d. h., die Aufgabe, den Willen des Volkes darzustellen, die staatliche Funktion, diesen Willen gegenüber der Regierung zu vertreten. Beides in Einheit macht erst das Wesen der Repräsentation aus. Um die Bedeutung der Repräsentation in der Rotteckschen Theorie herauszustellen, sei zunächst auf den staatlichen Aspekt eingegangen.
dl) Die staatliche Funktion der Repräsentation Konkret eingeführt wird die Repräsentation, näherhin der Volksausschuß, in die Theorie Rottecks mit der Begründung, daß der Regierung daran gelegen sein müsse, daß ihr Abweichen vom idealen Gesamtwillen offenbar werde, um ein Abgleiten in die Revolution zu verhindern162 • Die Bezeichnung des auf Grund dieser Notwendigkeit sich ergebenden Volks ausschusses als Untertanenrepräsentation163 , wie auch das Verständnis der Ministeranklage als Notmittel zur Rechtszustandwahrung164 scheinen eine Interpretation der Funktion des Ausschusses als Vgl. diese Gleichsetzung in: Lehrbuch des Vernunftrechts, Bd. II, S. 237. Vgl. Art. Constitution, S. 773, Lehrbuch des Vernunftrechts, Bd. II, S. 236, Ideen ueber Landstaende, S. 4 - 5. 160 Lehrbuch des Vernunftrechts, Bd. II, S. 236; siehe auch Ideen ueber Landstaende, S. 1. 161 Vgl. Lehrbuch des Vernunftrechts, Bd. II, S. 237: "Ihre Grundidee, ihre ganze Wesenheit und Bedeutung ist demokratisch." Vgl. auch Ideen ueber Landstaende, S. 6. 182 Vgl. Lehrbuch des Vernunftrechts. Bd. II, S. 224/5; dieses Argument ist vergleichbar dem Dahlmanns in: Wort über Verfassung, S. 18. 183 Ideen ueber Landstaende, S. 4, Lehrbuch des Vernunftrechts, Bd. II, S.238. 158 159
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Teil I: Repräsentation in der liberalen Staatslehre des Vormärz
außerhalb der staatlichen Sphäre liegend, wie es Boldt für die konstitutionelle Staatslehre des Vormärz meint feststellen zu können165 , nahezulegen. Dem steht jedoch die Unterscheidung von administrativer und repräsentativer Gewalt, wie sie der Rotteckschen Gewaltenteilungslehre zugrundeliegt1 66 , entgegen. Beide zusammen, in Wechselwirkung stehend und sich gegenseitig kontrollierend, sollen den idealen Gesamtwillen sicher zum Ausdruck bringen 167. So ist die repräsentative Gewalt, nicht nur die Gesetzgebungsgewalt, ausgestattet mit dem Recht zur Gesetzesinitiative 168 , sondern sie ist auch mit verschiedenen Rechten ausgestattet, auf Grund dessen sie "als ein - demokratisches - Regierungs-Element zu betrachten"169 ist. "An der administrativen Gewalt nimmt ... der Landtag wesentlichen Theil"17o sowohl durch das Steuerbewilligungsrecht wie auch das allgemeine Recht auf Kenntnisnahme. Hierhin zählt aber auch das Prinzip, alle staatlichen Forderungen und Handlungen, die die Persönlichkeit oder Leib und Leben tangieren, von der Bewilligung durch den Volksausschuß abhängig zu machen l7l • Ja Rotteck kennt sogar die Form des regierenden Volksausschusses172 • Die von Boldt rein logisch aufgewiesene faktische Staatsfunktion repräsentativer Ausschüsse gemäß der konstitutionellen Staatslehre ist bei Rotteck ausdrücklich bejaht und als solche ausgeführt. Trotzdem aber scheint Rotteck sich des öfteren auf die Positionen der reinen Rechtszustandswahrungstheorie zurückzuziehen. So ist das Recht der allgemeinen Kenntnisnahme des Volksausschusses nicht mit eigener Untersuchungsgewalt verbunden173, und die Ministeranklage wird als Rechtswahrungsinstrument interpretiert, obwohl sie als "Schlußstein der Verfassung"174 gesehen wird. Die Minister werden als Depositäre der königlichen Gewalt im Unterschied zum König als verantwortlich betrachtet, 164 Lehrbuch des Vernunftrechts, Bd. 11, S. 251. 165 Boldt, Deutsche Staatslehre im Vormärz, S. 87/88. 166 Ideen ueber Landstaende, Anm. zu S. 25, S. 25 - 30. 167 Lehrbuch des Vernunftrechts, Bd. 11, S. 223, Ideen ueber Landstaende, S. 29 in der Anm. zu S. 25. 168 Lehrbuch des Vernunftrechts, Bd. 11, S. 254, Ideen ueber Landstaende,
S. 21- 23.
169 Ideen ueber Landstaende, S. 25. 170 Lehrbuch des Vernunftrechts, Bd. 11, S. 255. 171 Vgl. Lehrbuch des Vernunftrechts, Bd. 11, S. 255 - 6 und die detailliertere aber unsystematische Darstellung in: Ideen ueber Landstaende, S. 23 - 25 wie auch Lehrbuch des Vernuftrechts, Bd. 11, S. 257 - 8. 172 Ideen ueber Landstaende, S. 7. 173 Lehrbuch des Vernunftrechts, Bd. 11, S. 256. 174 Vgl. Rotteck, in: Staatsrecht der constitutionellen Monarchie. Ein Handbuch fuer Geschaeftsmaenner, studirende Juenglinge und gebildete Buerger, Bd. 111, 2. Aufl. Leipzig 1840 S. 205. Auf diese Darstellung nimmt Rotteck im Lehrbuch des Vernunftrechts ausdrücklich bezug, vgl. ebd., Bd. 11, S. 254 Anm.
3. C. v. Rotteck: Repräsentation und das Staatsideal der Republik
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nicht nur juristisch, sondern allgemein politisch l75 • Diese weitgehende Machtbefugnis der Volks repräsentation, die an sich eine Abhängigkeit der Minister vom Parlament bedeutet und somit zur parlamentarischen Regierungsweise führen müßte, wird aber dahingehend kanalisiert, daß sie als Recht der Anklage vor einem Staatsgerichtshof konzipiert ist176 • Zwar handelt es sich bei dieser Instanz um ein Geschworenengericht177 , so daß der Volkswille in seinem Einfluß gesichert ist, das politische Problem ist aber zur Rechtsfrage umgebogen worden. Damit stellt sich die Frage, inwieweit eine politische Verantwortlichkeit juridifiziert werden kann. Die Möglichkeit direkter politischer Einflußnahme wird also doch wieder zugunsten einer, wenn auch auf Grund des Geschworenengerichts erweiterten, Rechtswahrungsfunktion aufgegeben. Es zeigt sich hier das Dilemma der Rotteckschen Konzeption. Zwar gelangt Rotteck auf Grund seiner Lehre der subjektiven Gewaltenteilung zur Anerkennung eines Anteils der Repräsentation an der Regierungsgewalt, zu einer Erkenntnis des Zusammenspiels zwischen beiden Gewalten gelangt er jedoch nicht. Die subjektive Teilung wird ja schließlich wieder objektiv, da sie der Regierung die Sphäre des Konkreten, dem Volksausschuß das Allgemeine zuweist. Diese Zuteilung erfolgt gemäß der Idee des idealen Gesamtwillens. Jeder Gewalt werden sodann die ihm eigenen Rechte zugewiesen, wie auch die zur Verhinderung eines Mißbrauchs der anderen Gewalt. Es geht um die Ausstattung der Gewalten mit Rechten gemäß der von dem idealen Gesamtwillen geforderten Gewaltenteilung; es geht um die Sicherung der Position jeder GewaW 78 • Regierungsfunktion und Repräsentation bleiben strikt geschieden 179 • Der Einheitsaspekt wird dabei nicht thematisiert1 80 , Einheit wird als notwendige Resultante rechter, das heißt gemäß dem idealen Gesamtwillen gestalteter Verfassung angesehen. Die Funktionsproblematik tritt nicht ins Blickfeld. So wird die Frage nach der Beziehung zwischen den Gewalten nicht zu beantworten sein. Die konkreten Be175 Zur Definition der Minister vgl. Lehrbuch des Vernunftrechts, Bd. II, S. 248, zur Verantwortlichkeit vgl. ebd., S. 252. 176 Vgl. Staatsrecht der constitutionellen Monarchie (Anm. 174), Bd. III, S. 203, Lehrbuch des Vernunftrechts, Bd. II, S. 251. 177 Staatsrecht der constitutionellen Monarchie, Bd. III, S. 218, und Lehrbuch des Vernunftrechts, Bd. H, S. 254. 178 Vgl. Lehrbuch des Vernunftrechts, Bd. II, S. 223, 227/8. 179 Vgl. ebd., S. 241: wo Regierung und Repräsentation als auf "gesonderten Rechtsgebieten" stehend bezeichnet werden; vgl. auch Herdt, Die Verfassungstheorie Rottecks, S. 162 - 4. Auf die Problematik der Anwendung eines altständischen Dualismus als Interpretationsrahmen ist bereits oben verwiesen worden (vgl. Teil I, 3 b). In dieser Beziehung wird Herdt hier nicht gefolgt. 180 Lehrbuch des Vernunftrechts, Bd. II, S. 241: "Die Landstaende sollten identisch seyn mit dem Volk, mit der Regierung aber nur befreundet." Eine nähere Erörterung dieses freundschaftlichen Verhältnisses findet nicht statt.
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Teil I: Repräsentation in der liberalen Staatslehre des Vormärz
stimmungen zur Repräsentation lauten: nicht Übernahme von Regierungsfunktion durch die Repräsentation, sondern Anteilnahme auf Grund des Vorhandenseins eines sie betreffenden Aspekts. Nicht Einfluß auf die Regierungsentscheidungen, sondern Geltendmachen von den ihr zustehenden und zugewiesenen Rechten. Der Rottecksche Dualismus bleibt in den Rechten der Gewalten erhalten, zwar Einfluß auf die andere Gewalt, aber nur gemäß und im Rahmen der eigenen Rechte. Statt parlamentarischer Verantwortlichkeit nur Kenntnisnahme und Ministeranklage vor dem Geschworenengericht. Weder handelt es sich bei der Position des Volksausschusses um reine vorstaatliche Rechtszustandswahrung, noch wird eine politische Einflußnahme gesichert. Die rechtlich abgesicherte und beschränkte politische Funktion läßt an sich jede Möglichkeit offen. Die Reduzierung der Repräsentation durch die königlichen Rechte wie auch die Entmachtung des Königs zugunsten des Volks ausschusses oder die Pattsituation zweier gleichstarker sich bekämpfender Gewalten. Die staatliche Funktion der Repräsentation bleibt darin unbestimmt, sie hängt von der konkreten Verwirklichung ab. Die zentrale Bedeutung des Appells, die sich auch bei Rotteck als charakteristisch ergeben hatte, weist schon daraufhin, daß das entscheidende Problem nicht theoretisch gelöst ist. Für die Funktion dieser Verfassung wird der Appell konstitutiv, eine theoretische Bestimmung des staatlichen Aspekts der Repräsentation ist somit nicht gegeben. d2) Die Artikulierfunktion der Repräsentation
Bezüglich der zweiten Funktion der Repräsentation, dem demokratischen Aspekt der Darstellung des Volkswillens, stellt sich die Frage, wie diese Funktion, das Volk in Wirklichkeit darzustellen, gesichert werden kann. Zunächst lehnt Rotteck aufs entschiedenste die Theorie ab, nach der bereits jeder einzelne Gewählte als Repräsentant der Gesamtheit anzusehen ist. Allein subjektive Meinung und nicht legitimierte "objektive" Meinung käme dabei zum Tragen, so daß der Volksausschuß nur durch Rechtsdichtung seine Identität mit dem Volk behaupten könne 181 • Nur die Gesamtheit der Deputierten könne als wahre Repräsentation des Volkes angesehen werden, durch sie werde erst der Nationalwille gebildet. Im Volksausschuß erst werden die Einzel- und Teilwillen zum Gesamtwillen integriert1 82 • Voraussetzung zur Anerken181 Vgl. Ideen ueber Landstaende, S. 8, 10, 12 - 13, Lehrbuch des Vernunftrechts, Bd. 11, S. 241 - 2. In den Ideen ueber Landstaende sind die einzelnen Landstände noch als Bezugsobjekt an Stelle der Gewählten genannt. Da diese Landstände in den Ideen ueber Landstaende, wie weiter unten (Teil I, 3, d2) gezeigt wird, nur als Untergliederungen des Volkes erscheinen, kann diese Stelle auch hier zitiert werden. 182 Vgl. Ideen ueber Landstaende, S. 8 - 10, Lehrbuch des Vernunftrechts, Bd. 11, S. 243.
3. C. v. Rotteck: Repräsentation und das Staatsideal der Republik
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nung des Ergebnisses als Gesamtwillen ist dabei wesensnotwendig die Interessenidentität von Repräsentant und Repräsentierten183 • Damit ergibt sich sogleich das Problem der Instruktionsgebundenheit des Abgeordneten, d. h. des imperativen Mandats, als zentrale Stelle für die Frage, wie die repräsentative Stellung des Ausschusses wirklich zustande kommt. Dieses Problem hat Rotteck jedoch nie theoretisch und systematisch in den Griff bekommen184 • In den "Ideen über Landstände" anerkennt er als oberste Pflicht des Repräsentanten, für das Gemeinwohl zu sprechen. Dieses wird aber keineswegs in Spannung zu der vorherigen Bestimmung des Repräsentanten als Vertreter einer bestimmten Meinung gesehen, da der Repräsentant schon zum Gemeinwesen vereinigte Glieder zu vertreten hat, die deshalb auch das Gesamtwohl erstreben und diesem, wird es offenbar, vorbehaltlos zustimmen 185 • In der eingehenden Erörterung des Instruktionsrechts präzisiert er diese Regelung dahingehend, daß die Wähler dem Gewählten insoweit Vollmacht erteilen, daß er seiner Funktion in der Versammlung nachkommen kann. Mit dieser funktionsbezogenen Vollmacht will Rotteck das Argument der Vertreter des freien Mandats, daß Instruktion die Bildung des Gesamtwillens blockiere, gegenstandslos machen186 • Stets beendet er jedoch die überlegungen zu diesem Punkt mit der Betonung der Bedeutung der Einzelinteressen und der Instruktion187 • Die Voraussetzung der Interessenidentität zwischen Repräsentant und Repräsentierten wird betont, das Funktionselement des freien Entscheidungsspielraum der Repräsentanten damit jedoch nicht vermittelt. Die Repräsentierten werden allein als schon auf die Gesamtheit hin ausgerichtet ausgewiesen und daher die Instruktion als den Funktionsaspekt mitbedenkend verstanden. Der politische Willensbildungsprozeß zwischen den beiden Polen wird nicht erfaßt, der Nachweis, daß sowohl Repräsentant als auch Repräsentierte das Gesamtwohl zu wollen haben wie auch Einzelinteressen vertreten müssen, wird als Funktionsgarantie angesehen. Durch die Beantwortung dieser Frage im Rückgriff auf die Bestimmung des Wesens von Repräsentant und Repräsentierten wird eine konkrete Funktionsbestimmung der beiden Pole entbehrlich, das Problem nicht wirklich angegangen, sondern theoretisch überspielt. Die Frage eines 183 Ideen ueber Landstaende, S. 9, Lehrbuch des Vernunftrechts, Bd. 11, S.242. 184 Vgl. Brandt, Landständische Repräsentation, S. 262; siehe auch die mehr den inhaltlichen Aspekt betonenden Interpretationen, die durchweg eine Zwiespältigkeit in dieser Frage konstatieren: Herdt, Die Verfassungstheorie Rottecks, S. 153 -164; Jobst, Die Staatslehre Rottecks, S. 491; Weiss, S. 109. 185 Vgl. Ideen ueber Landstaende, S. 9, 11 - 12. 188 Vgl. zu diesem Komplex Ideen ueber Landstaende, S. 97 - 102. 181 Ebd., S. 11/12, S. 101.
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Teil I: Repräsentation in der liberalen Staatslehre des Vormärz
möglichen Konflikts wird nicht gestellt, sondern mit dem Hinweis, daß ein offenbar werdender Gesamtwille vom Einzelnen akzeptiert werden muß, übergangen. Daß die Forderung nach möglichst weitgehender Berücksichtigung aller Einzelinteressen, die Rotteck ebenfalls aufstellt, hier als Argument zur Bezweiflung der Qualität eines allgemeinen Beschlusses als Gesamtwille sich auswirken könnte, wird nicht thematisiert. Die theoretische Bestimmung beider Pole genügt hier, der politische Funktionsablauf bleibt außerhalb des thematisierten Problemkreises. In dem Lehrbuch des Vernunftrechts vertritt Rotteck ebenfalls die hier skizzierte Position, kommt aber zu einer stärkeren Betonung des Aspekts der freien Entscheidung des Repräsentanten. Der Anspruch der Repräsentierten auf "Wahrung ihrer besonderen Rechte"188 wird nun ausdrücklich als "untergeordnet solcher Verpflichtung, und bedingt auf die Vereinbarlichkeit mit dem Gesammtwohl des Staates"18U eingestuft. Rotteck tendiert hier eher zum freien Mandat. Das Problem der Sicherung der Übereinstimmung zwischen Repräsentation und Gesamtheit, das notwendig demokratische Element der Landstände, sieht er nun durch die Öffentlichkeit der Verhandlung des Volksausschusses gesichert. öffentlichkeit als Sicherung der Wechselwirkung von Landständen und Volk; die einzige Regelung, die dieses Ergebnis zeitigt und gleichzeitig, "die stets großen Bedenklichkeiten unterstehende Ertheilung foermlicher Instruktionen an die Abgeordneten, so wie deren gerichtliche Verantwortlichkeit gegen die Committenten entbehrlich"1uo macht. Rotteck gelangt also schließlich auch zu der allgemeinen liberalkonstitutionellen Tendenz der Auflösung dieses Problems zur Öffentlichkeit hin1ul . Das direkte Verhältnis und die politische Willensbildung zwischen Repräsentant und Repräsentierten wird theoretisch nicht gelöst, sondern in eine nachträgliche oder höchstens begleitende Kontrollfunktion der Öffentlichkeit umfunktioniert. An dieser auf Grund der Definition der Landstände zentralen Stelle für die Bestimmung des Charakters der Volksvertretung gelangt Rotteck zu einer Lösung, die die Willensbildung wesentlich in die Hände der Repräsentanten legt. Seine Definition des idealen Gesamtwillens als von der Gesamtheit abgehobene und der Vernunft gänzlich zugängige Qualität macht hier eine direkte Anbindung der Repräsentanten an die Repräsentierten nicht erforderlich. Sobald der Gesamtwille durch den Mehrheitswillen nur natürlich ausgedrückt wird, ist seine Formulierung auch durch Lehrbuch des Vernunftrechts, Bd. II, S. 243. Ebd., S. 244. 190 Lehrbuch des Vernunftrechts, Bd. II, S. 277; vgl. schon die Andeutungen dieser Lösungsmöglichkeit in den Ideen ueber Landstaende, S. 20, 102. 191 Vgl. Brandt, Landständische Repräsentation, S. 262. 188
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3. C. v. Rotteck: Repräsentation und das Staatsideal der Republik
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andere Instanzen möglich, die Verbindung von Landständen und Volk nicht konstitutiv. Politik ist damit nicht als Lösung von sich zeigenden Problemen, sondern als Verwirklichung des vernunftrechtlich faßbaren Gesamtwillens gefaßt. Ähnlich wie im anderen Kontext bei der Regierung genügt nun den Landständen die Zustimmung der Verständigen als Hinweis, daß sie wirklich und in Wahrheit das Volk vertreten192 . Der Notwendigkeit einer Lösung des Problems des Verhältnisses von Repräsentant zu Repräsentierten, die Rotteck theoretisch nicht gelang, kann er gerade von seinem System aus durch Überführung auf die vernunftrechtliche Ebene entkommen. Eine Aussage hierzu reduziert sich so zur Forderung nach einer freien Presse l93 . Die Bedeutung des vernunftrechtlich erkennbaren Ideals des Gesamtwillens tritt auch in den Aussagen zur Wahlrechtsfrage deutlich hervor. Auf die Bestimmungen der Wahl muß sich nämlich das Interesse richten, soll das direkte Verhältnis von Repräsentant und Repräsentierten nach der Auflösung des Willensbildungsprozesses zur Öffentlichkeit hin doch näher bestimmt werden. Zwar tritt Rotteck in den "Ideen über Landstände" im Prinzip für die gleiche und freie Wahl ein, in der Wirklichkeit aber sieht er deren Grundbedingung, die Gleichheit, nicht gegeben194 . Diese versteht er vielmehr gemäß dem Modell der Aktiengesellschaft195 , in der einige mehr Anteile an der Gesamtheit haben andere weniger. Daraus folge dann notwendig, daß diejenigen, die mehr Anteil an dem Staat haben, an ihm vermehrt interessiert sind und sich zur "Stimmfuehrung in Staatssachen" eignen196 . Eine stärkere Gewichtung dieser Wahl stimmen erscheint ratsam, d. h. Gewichtung der Stimmen gemäß der Interessiertheit am Gemeinwohp97. Gemäß diesem Prinzip untersucht Rotteck die einzelnen Stände auf ihre Funktion im Staat hin, denn in den "Ideen über Landstände" ist diese Diskussion noch an den Ständen ausgerichtet. Eine altständische Tendenz ist hierin jedoch nicht zu sehen. Denn die Gliederung in Geistlichkeit, Adel, kleinere Grundbesitzer und Bürger erfolgt auf Grund ihres Vermögensanteils 198 . Die Aufhebung der standesgebundenen Wahl zugunsten einer allgemeinen Wählbarkeit beweist deutlich, daß hier die Standschaft allein als Wahlkollegium noch Bedeutung hat, nicht aber als grundlegendes Ordnungsprinzip. Das Vermögen ist also das entscheidende Kriterium dieser Einteilung, es ist die "Buergschaft fuer 192 193 194 195 196 197 198
Vgl. Lehrbuch des Vernunftrechts, Bd. II, S. 277/8. Ideen ueber Landstaende, S. 102. Ideen ueber Landstaende, S. 35 u. S. 36. Ebd., S. 36/7. Ebd., S. 37, Zitat ebd. Ebd., S. 44, siehe auch S. 48. Ebd., S. 52 - 61.
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Teil I: Repräsentation in der liberalen Staatslehre des Vormärz
die Theilnahme am gemeinen Wohl"199, d. h. für die Erteilung einer Wahl stimme. Durch diese Gewichtung wird dann schließlich auch ein Damm gegen die Gefahren der Poebelherrschaft errichtet20o . In dem "Staatsrecht der constitutionellen MonarChie" ist der Begriff der Wahl kollegien von der ständischen Form abgehoben worden. Diese Kollegien garantieren, daß alle historischen und natürlichen Gruppierungen der Bürger berücksichtigt werden201 . Die Einteilung entspricht dann in etwa derjenigen der "Ideen über Landstände"202. Im "Lehrbuch des Vernunftrechts" schließlich führt das gleiche Argument nur noch zur Bestimmung von Wahlbezirken203 , im Zentrum stehen nun die überlegungen zum Wahlgesetz; deren Erörterung in den "Ideen über Landstände" noch unsystematisch erfolgte 204 . Es läßt sich in der Wahlrechtsfrage bei Rotteckeine Entwicklung vom Prinzip des ständischen Gewichtungsfaktors bis zu den überlegungen über die Beschränkungen des aktiven und passiven Wahlrechts feststellen 205 . In dem Lehrbuch des Vernunftrechts gelangt Rotteck zu seiner endgültigen und systematischen Lösung des Problems der "Bürgschaft", d. h. des Entscheidungskriteriums für die Zuweisung des Stimmrechts. Nicht das Modell der Aktiengesellschaft, sondern das Prinzip des idealen Gesamtwillens ist der Grund der Wahlrechtsbeschränkung. Denn es hat "im Grund jeder Buerger blos ein Recht auf eine zur besten Realisierung der Idee: ,moeglichst getreue oder natuerliche Vertretung', einzurichtende Wahlart, nicht aber - wenigstens nicht unbedingt - auf selbsteigene Wahlstimme"206. überall dort, wo die Vernunft es verlangt oder es ihr tunlich erscheint, kann deshalb das Wahlrecht eingeschränkt werden207 . Das Prinzip der Wahlrechtsbeschränkung lautet also: "Wie sichert man dem verstaendigen und nach dem Charakter zuverlaessigeren Theile desselben (i. e. des Volkes) das Uebergewicht beim Wahlact 208 ?" Eine Beschränkung des passiven Wahlrechts sieht Rotteck nur als Notmittel an, Ebd., S. 53. Ebd., S. 89. 201 Staatsrecht der constitutionellen Monarchie, Bd. 111, S. 171 - 173. 202 Ebd., S. 177 - 179. 203 Lehrbuch des Vernunftrechts, Bd. 11, S. 260 - 267. 204 Ideen ueber Landstaende, S. 89 - 91. 205 Vgl. Herrjahrdt, Heinrich, Das Problem der berufsständischen Vertretung von der französischen Revolution bis zur Gegenwart, Stuttgart und Berlin 1921, S. 23 - 24. 206 Lehrbuch des Vernunftrechts, Bd. 11, S. 269/270, Staatsrecht der constitutionellen Monarchie, S. 163. 207 Lehrbuch des Vernunftrechts, Bd. 11, S. 268, Staatsrecht der constitutionellen Monarchie, S. 167; vgl. auch Schib, Die staatsrechtl. Grundlagen Rottecks, S. 83/4; Herdt, Die Verfassungs theorie Rottecks, S. 137. 268 Art. "Abgeordnete", in: Staats-Lexikon, Bd. I, 1. Aufl. Altona 1834, S.104. 199
200
3. C. v. Rotteck: Repräsentation und das Staatsideal der Republik
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da es nur schlechte Wahlen verhindere, ohne gute zu verbürgen209 • Die Beschränkung des aktiven Wahlrechts dagegen auf den selbständigen und verständigen Bürger erweist sich als das Mittel, auch gute Wahlen zu garantieren 210 • Selbst ein pflichttreuer und vernünftiger Bürger einer ausgeschlossenen Klasse wird trotzdem diese Regelung begrüßen, da durch sie erst die gute Wahl garantiert ist211 • Dadurch, daß der Gesamtwille auf einer objektiven vernunftrechtlichen Ebene etabliert ist, ist mit ihm eine Instanz gegeben zur Zurückweisung weitergehender demokratischer Formen, ohne doch den Anspruch aufzugeben, das demokratische Element verwirklicht zu haben. Nicht allgemeine, freie und gleiche Wahl, sondern eingeschränktes Wahlrecht auf Grund der Norm des idealen Gesamtwillens wird als erstrebenswert formuliert. Selbst das Element der Zustimmung der Verständigen findet sich in diesem Kontext wieder212 • Die Verwirklichung des idealen Gesamtwillens ist das Anliegen der Rotteckschen Überlegungen. Von diesem Ansatz aus gestaltet er seine Theorie, auf diesen Zentralpunkt hin verweist deshalb jede Einzelaussage. Nur im Rahmen und in bezug auf diese Theorie ergibt sich eine Bestimmung der Repräsentation, eine eigenständige Erörterung findet nicht statt. Gemäß dem Ideal des vernunftrechtlichen Gesamtwillens wird die Repräsentation erst dann notwendiges Element des Staates, wenn der Nachweis der politischen Mündigkeit eine Ausweitung des rudimentären demokratischen Aspekts plausibel erscheinen läßt. Über die Bestimmung der historischen Notwendigkeit der Repräsentation hinaus erfolgt bei Rotteck jedoch keine weitere Aussage über das Wesen oder die Form der Repräsentation. Sie wird nur als konkrete Form der Äußerung des idealen Gesamtwillens durch das natürliche Organ erfaßt. Den Gesamtwillen auszudrücken, ist Aufgabe des natürlichen wie künstlichen Organs; eine Forderung, die konstitutiv das Verhältnis beider Organe bestimmt, aber zugleich eine nähere Feststellung der Regelungen dieses Verhältnisses unmöglich macht. Auch die Beziehung von Repräsentant und Repräsentierten wird kaum erörtert. Die Verwirklichung des Gesamtwillens wird durch ihm gemäße vernunftrechtliche Wahlrechtsbestimmungen gesichert, wie auch die Instruktionsbindung des Repräsentanten sich zur Kontrolle der Öffentlichkeit wandelt. Überwachung durch die Verständigen dient besser zur Siche209 Lehrbuch des Vernunftrechts, Bd. I1, S. 269; ausführlich zu diesem Punkte vgl. Ideen ueber Landstaende, S. 82 - 90. 210 Vgl. Ideen ueber Landstaende, S. 90 - 91, Lehrbuch des Vernunftrechts, Bd. I1, S. 268 - 269, die konkreten Bestimmungen der Beschränkung ebd., S. 270 - 271. 211 Lehrbuch des Vernunftrechts, Bd. I1, S. 270. 212 Ebd.
7 Hartmann
Teil I: Repräsentation in der liberalen Staatslehre des Vormärz
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rung des Gesamtwillens denn Anbindung an die Repräsentanten. Hier wie auch in den anderen Bereichen zeigt sich ein rein vernunftrechtliches Verständnis von Politik. Die wirklichen politischen Kräfte werden nicht erfaßt. Rein vernunftrechtlich und näherhin etatistisch wird die Notwendigkeit der Repräsentation herausgearbeitet, deren Wesen aber selbst nicht erfaßt. Ähnlich Dahlmann gelangt auch Rotteck nicht über ein begründetes Eintreten für Repräsentation hinaus. Das Faktum wird gesichert, dessen Inhalt bleibt jedoch vage. Es geht um die Frage der Verfassung, nicht um theoretische Erfassung ihrer Elemente. Die Sicherung des demokratischen Aspekts, verbunden mit der Nennung konkreter Rechte, über dieses geht die Bestimmung der Repräsentation nicht hinaus.
4. Robert von Mohl: Repräsentation in ihrer weitestgehenden Bedeutung in der liberalen Staatslehre des Vormärz Die Behandlung der Lehre Robert von Mohls wird sich wegen der hier interessierenden Problemstellung hauptsächlich auf seine staatstheoretischen Überlegungen beschränken. Die gesellschafts- und sozialpolitischen Darlegungen, wie sie sich vor allem im Staatslexikon finden1, bleiben bis auf den von der Staatstheorie her interessierenden Aspekt der Sicherung einer organischen Repräsentation hier ausgeklammert2 • Es steht die Staatslehre Robert von Mohls im Zentrum der Untersuchung. Dabei läßt sich eine Entwicklung der Position Mohls von der Bestimmung der Repräsentation als Rechtswahrungsinstrument im "Staatsrecht des Koenigreiches Wuerttemberg"3 bis hin zu ihrer Anerkennung als Grundstruktur der Staatswillensbildung in dem Sammelband "Staatsrecht, Völkerrecht und Politik"4 feststellen. Inwieweit hierbei ein Bruch oder eine grundsätzliche Änderung der Haltung Robert Ein Verzeichnis der von Mohl verfaßten Artikel des Staatslexikons bei Erich, Robert von Mohl, 1799 -1875. Leben und Werk eines altliberalen Staatsgelehrten, Neuwied 1962, S. 454; Die Betonung des sozialen Aspekts bei Mohl durch Schumacher, Martin, Gesellschafts- und Ständebegriff um '1840. Ein Beitrag zum sozialen Bild des süddeutschen Liberalismus nach dem Rotteck-Welckerschen Staats-Lexikon, Phi!. Diss. Göttingen 1
Angermann,
1955, S. 55.
2 Zu den sozialwissenschaftlichen Arbeiten Mohls vgl. Granzow, Brigitte, Robert von Mohls Gedanken zu einem parlamentarischen Regime auf berufs ständischer Grundlage, Phi!. Diss. Heidelberg 1959; Taupitz, Karl, Die Gesellschaftswissenschaft Rob. v. Mohls, Phil. Diss. Leipzig 1924; und neuerdings Pankoke, Eckart, Sociale Bewegung - Sociale Frage - Sociale Politik. Grundfragen der deutschen "Socialwissenschaft" im 19. Jahrhundert, Stuttgart 1970, passim, bes. S. 119 - 126, 158 - 166, 184 - 189. 3 Das Staatsrecht des Koenigreiches Wuerttemberg, 2 Bände, Tuebingen 1829/31 (weiterhin zitiert: Staatsrecht Württemberg). 4 Staatsrecht, Völkerrecht und Politik, 3 Bände, Tübingen 1860 - 1869, (Neudruck 1962) (weiterhin zitiert: Staatsrecht und Politik).
4. R. v. Mohl: Repräsentation in ihrer weitestgehenden Bedeutung
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von Mohls vorliegt, oder ob es sich lediglich um die verschiedene Ausformung ein und derselben Idee handelt, ist dabei grundlegend für das Verständnis der Mohlschen Konzeption. a) Die grundlegende Problemstellung Robert von Mohls: Einheit des staates
Im "Staatsrecht des Koenigreiches Wuerttemberg" wird die gesamte Staatsgewalt als im König vereinigt bezeichnet; "ein Mann also hat das Recht, die Verfolgung des Staatszweckes zu leiten, und dazu die gesammte Staatsgewalt, ... , zu verwenden"5. Konstitutionelle Monarchie kann demnach nur bedeuten, daß ein Mißbrauch dieser umfassenden Gewalt durch die Einrichtung einer Volksvertretung verhindert werden soll. Die rechtliche Stellung des Königs muß unangetastet bleiben, ihm müssen alle aktiven Befugnisse zufallen, die der Volksvertretung können nur negativ verstanden werden. Rechtswahrung auf Grund von Verfassung, nicht Anteil an der Regierungsgewalt6 • "Von einem Mitregieren des Volkes, von einer Theilnahme an der Staatsgewalt, oder gar von Abtretung eines Theiles derselben an den Staat (sie!) ist dabei gar keine Rede"7, nur "Vertheidigung der saemmtliehen Volksrechte gegen allenfallsige Angriffe der Regierung ist somit der Zweek der Staende-Versammlung"8. Diese Kompetenzzuweisung an König und Volksvertretung wird von Mohl dabei nicht theoretisch erarbeitet, sondern sie gilt ihm als eine "mehr durch Zufall, als durch Berechnung entstandene Staatseinrichtung"9. Es wird also eine bestimmte Verfassung als vorgefundene schlicht interpretiert, ohne auf den Aspekt der Begründung einzugehen. Diese Auswahl eines untheoretischen Ausgangspunktes, das einfache Aufgreifen vorhandener Strukturen, wird sich als Mohls methodische Eigenart erweisen. Da eine eingehende Begründung der konstitutionellen Staatsform fehlt, ist das Anliegen und die Zielrichtung der Mohlschen überlegungen nur aus seiner Interpretation der vorhandenen Staats verhältnisse zu erschließen. Alle Rechte der Volksvertretung können nach Mohl nur gemäß dem von ihm aufgestellten Prinzip der Rechtszustandswahrung verstanden werden. So wird das wichtigste Recht der Ständeversammlung, ihr Zustimmungsrecht gegenüber den Gesetzen, als Vorsichtsmaßregel interpretiert10 • Ähnlich ist auch das an sich über den Rahmen der Rechtswahrung hinausgehende Recht auf Einbringung von GesetzesStaatsrecht Württemberg, Bd. I, S. 175. Vgl. zu diesem Gedanken ebd., S. 175 -177, eine ausdrückliche Formulierung dieses Grundsatzes ebd., S. 453 - 454. 7 Staatsrecht Württemberg, Bd. I, S. 453. 8 Ebd., S. 455. 9 Ebd., S. 453. 10 Ebd., S. 183. 5
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Teil I: Repräsentation in der liberalen Staatslehre des Vormärz
petitionen zu interpretierenl l . Der Versuch, das Recht der Steuerbewilligung ebenfalls als Kontrollfunktion umzudeuten, muß dagegen an der anders gearteten Wirklichkeit in Württemberg scheitern12 . Durch die Einführung einer Notwendigkeitsklausel, d. h., daß Zustimmungspflicht bei notwendigen Staatsausgaben herrsche, ist aber ein Mittel gegeben, den Einfluß der Ständeversammlung zu relativieren, so daß das übergewicht des Königs sichergestellt ist1 3 • Ebenso dient die Unterscheidung von außenpolitischen Verträgen in solche, die persönliche Rechte der Staatsbürger tangieren, und in rein auf den Staat ausgerichtete dazu, weite politische Gebiete von der Einwilligung durch die Ständeversammlung loszulösen14 . Die beiden Faktoren der konstitutionellen Monarchie werden also als auf verschiedenen Ebenen befindlich interpretiert: "Staatswillensbestimmung durch den Monarchen auf der einen Seite, Rechtswahrung durch die Stände auf der anderen15 ." Das politische Verhältnis wird damit auf eine juristische Ebene herabgesetzt, "alle denkbaren politischen Konflikte sind hier zu KompetenzgrenzenFragen juridifiziert"16. Rechte der Ständeversammlung, wie das Steuerbewilligungsrecht und auch das Veto in Gesetzgebungsfragen17 , die weit über den Rahmen der Sicherung der verfassungsmäßigen Rechte hinausgehen, werden stets interpretatorisch in die engen Grenzen der Rechtswahrungskompetenz zurückgeholt. Dieses Vorgehen ist jedoch weniger, wie aus der Darstellungsweise schon hervorgeht, als dezidiertes Eintreten für die monarchische Gewalt zu werten, denn als Versuch, die Polarität von König und Ständeversammlung in eine Einheit des Staates umzudeuten 18. Dabei bot sich die Übernahme der altständischen Funktionsbeschreibung auf Grund der ungebrochenen Tradition in Württemberg als wirksames Erklärungsmuster an. Die Erklärung dieser Mohlschen Interpretation, nicht als Ausdruck konservativ-promonarchischer Haltung, sondern als Konsequenz eines etatistischen um Staatseinheit bemühten Denkens, wird auch durch die weitere theoretische Entwicklung Mohls gestützt. Ja, dieses Bemühen um Einheit im Staate erweist sich gerade als das Grundmotiv für die theoretische Entwicklung Mohls und wird deshalb auch als Schlüssel zur Interpretation seines Werkes dienen. 11 Ebd., S. 530. 12 Ebd., S. 536. 13 Ebd., S. 544 - 546. 14 Ebd., S. 562. 15 Boldt, Deutsche Staatslehre im Vormärz, S. 235. 16 Ebd., S. 240. 17 Staatsrecht Württemberg, Bd. I, S. 183. 18 Diese These auch bei Boldt, Deutsche Staatslehre im Vormärz, S. 234 bis 236, 240 - 246. Dort auch der Aufweis der Verbindung mit der Mohlschen Gesellschaftslehre (S. 245); vgl. auch Brandt, Landständische Repräsentation, S. 243 - 244.
4. R. v. Mohl: Repräsentation in ihrer weitestgehenden Bedeutung
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In der Schrift über die Ministerverantwortlichkeit aus dem Jahre 1837 19 wird zum ersten Mal die Bedeutung dieser Frage in neuer Form schlaglicht artig angedeutet. Mohl führt dort aus, "daß die Idee der repraesentativen Demokratie, ... , in sich folgerichtig und ein abgeschlossenes Ganzes ist"20, eine Feststellung, die er für die repräsentative Monarchie jedoch nicht treffen kann. Denn dieser ist gemäß, "daß ein Dualismus gesetzlich begruendet, ein positives und ein negatives Recht mit Angriffs- und Vertheidigungs-Waffen versehen einander gegenueber gestellt wird"21. Ihr gegenüber ergibt sich für Mohl dann die Frage, ob dieser Dualismus als bleibender Zustand anzusehen ist, oder ob er mit Notwendigkeit zu einem einigen, harmonischen Zustande führen muß, sowie die Frage, wer von den beiden Elementen Sieger sein wird 22 . Doch wird dieses Problem nur aufgerissen, nicht aber erörtert. Mit dem knappen "Sey dem nun aber Allein wie ihm wolle"23 leitet Mohl zu einer andersartigen Thematik über. Das Problem der Ministerverantwortlichkeit wird allein in der Form einer Diskussion strafrechtlicher Einzelbestimmungen erfaßt. Nicht politisch systematisch, sondern allein juristisch und an Einzelfragen orientiert wird das Problem angegangen24 . Mohl wollte sich mit dieser Schrift wohl als Jurist wieder in Erinnerung bringen25 . Ein weiteres Eingehen erübrigt sich hier, zumal da Mohl sich später von dieser Schrift distanziert hat26 . Allein als Anzeichen, daß die Auflösung des staatlichen Dualismus zur Einheit hin, wie er sie im "Staatsrecht des Koenigreiches Wuerttemberg" unternommen hatte, für Mohl problematisch geworden ist, sollte diese Schrift hier angeführt werden. Mit Beginn dieser Schrift tritt nämlich die Frage der Einheit des Staates explizit ins Zentrum der Mohlschen Überlegungen27. 19 Mohl, Robert, Die Verantwortlichkeit der Minister in Einherrschaften mit Volksvertretung, Tübingen 1837 (weiterhin zitiert: Verantwortlichkeit der Minister). 20 Ebd., S. 4. 21 Ebd., S. 5. 22 Ebd. 23 Ebd., S. 6. 24 Die gleiche Einschätzung bei Brandt, Landständische Repräsentation, S. 244; Boldt, Deutsche Staatslehre im Vormärz, S. 238; Angermann, Robert von Mohl, S. 45. 25 Vgl. hierzu Beyme, Klaus von, Einleitung zu: ders. (Hg.), Robert von Mohl, Politische Schriften, Eine Auswahl, Köln - Opladen 1966, S. XXII (weiterhin zitiert: Einleitung zu Mohl). 2B Vgl. die Angabe und Inhaltsübersicht der entsprechenden Stellen in Mohls Lebenserinnerungen bei Goessler, Der Dualismus zwischen Volk und Regierung, S. 76 und S. 76 Anm. 3; siehe auch Beyme, Einleitung zu Mohl, S.XXX. 27 Zu Mohls Entwicklungsgang vgl. Goessler, Der Dualismus zwischen Volk und Regierung, S. 51; Boldt, Deutsche Staatslehre im Vormärz, S. 233 - 253.
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Teil I: Repräsentation in der liberalen Staatslehre des Vormärz b) Das Problem der Einheit des Staates auf Grund demokratischer Zeitströmungen
Ausdrücklich erscheint diese grundlegende Frage Mohls in der Schrift von 1846 28 angegangen. Das Problem der Einheit von Regierung und Volksvertretung wird durch den Vergleich verschiedener Verfassungen als nur durch parlamentarische Regierungsweise lösbar ausgewiesen29 • Da aber alle Abhandlungen Mohls zu diesem Thema im ersten Band des "Staatsrecht, Völkerrecht und Politik" zusammengefaßt und auch in gewisser Weise systematisiert sind30 , empfiehlt es sich, hier die chronologische Darstellung zugunsten einer mehr systematischen Gliederung aufzugeben 31 und eher dem Gedankengang des Sammelbandes zu folgen. In einer die überlegungen der gesammelten Abhandlungen zusammenfassenden und auf eine abstrakte Ebene formulierenden einleitenden Abhandlung seines Sammelbandes gibt Mohl die Art und Weise an, wie er die Frage der Repräsentation zu lösen gedenkt32 . Nicht theoretische Erörterung, sondern Beantwortung unmittelbar aus dem Leben selbst soll das Ergebnis der Bestimmung der Repräsentation erbringen. Eine theoretische Erörterung des Wesens der Repräsentation wird also bei Mohl nicht zu finden sein, eine Aussage darüber wird vielmehr aus den Bestimmungen des repräsentativen Systems abzuleiten sein. Ob aber dieses pragmatische Vorgehen Mohls schon ausreicht, ihn als "positivistischen Empiriker"33 einzuordnen, mag zweifelhaft erscheinen. Hier wird aus der untheoretischen Einführung des Begriffs der Repräsentation in die Erörterung, - wie sie auch schon im "Staatsrecht des Koenigreiches Wuerttemberg" bezüglich der Volksvertretung festzustellen war, - unvermittelt auf eine nichttheoretische Fragestellung geschlossen. Die Frage nach der Einheit im Staate, die sich gerade seit 28 "Ueber die verschiedene Auffassung des repräsentativen Systemes in England, Frankreich und Deutschland", in: Tübinger Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, III, 1846, S. 451 - 495, gekürzt abgedruckt in: ders., Staatsrecht und Politik, Bd. I, S. 33 - 65 (weiterhin zitiert nach dem Abdruck in: Staatsrecht und Politik unter dem Kürzel: Auffassungen des rep. Systems). 29 Diese Meinung teilt Beyme, Einleitung zu Mohl, S. XXXII nur sehr bedingt, was schon Boldt darauf zurückführte, daß Beyme offensichtlich nur die gekürzte Fassung aus ,Staatsrecht und Politik' kennt, vgl. Boldt, Deutsche Staatslehre im Vormärz, S. 248 Anm. 140. 30 Vgl. Staatsrecht und Politik, I, S. 33 Anm. 1. 31 Eine chronologische Darstellung bei Boldt, Deutsche Staatslehre im Vormärz, S. 246 - 266; und Brandt, Landständische Repräsentation, S. 242 bis 254. 32 "Der Gedanke der Repräsentation im Verhältnis zu der gesammten Staatenwelt", in: Staatsrecht und Politik, Bd. I, S. 5 (weiterhin zitiert: Gedanke der Repräsentation). 33 Beyme, Einleitung zu Mohl, S. XIV.
4. R. v. Mohl: Repräsentation in ihrer weitestgehenden Bedeutung
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der Skepsis der Schrift über die Ministerverantwortlichkeit von den faktischen Verhältnissen zu lösen beginnt, muß jedoch als theoretische verstanden werden. Die Gleichsetzung Mohls mit Dahlmann, den Beyme als undogmatisch und unmetaphysisch einstuft34 , ist hierbei bezeichnend. Genau wie bei Dahlmann in der Aufstellung des Ideals der "guten Verfassung" dient auch bei Mohl die Empirie nur als Beispielsammlung und konkrete Entscheidungshilfe für seine Theorie35 • Bei beiden Theoretikern ist also weniger die Darstellungsweise als der Ansatz entscheidend, beide aber sind theoretisch. Ansonsten könnte auch nicht erklärt werden, wie Mohl schließlich zu einem Verfassungsmodell gelangt, das nicht nur der Wirklichkeit nicht entspricht, sondern sie auch noch normativ bestimmt36 • Repräsentation wird von Mohl nun definiert als Einrichtung, "vermöge welcher der einem Theile oder der Gesamtheit der Unterthanen zustehende Einfluss auf Staatsgeschäfte durch eine kleinere Anzahl aus der Mitte der Betheiligten in ihrem Namen und verpflichtend für sie besorgt wird"37. Damit bleibt Mohl aber ausdrücklich im Rahmen der konstitutionellen Monarchie. Nicht nur kennt er eine Repräsentation eines Teiles der Gesamtheit38, sondern dadurch, daß auf die Möglichkeit des Einflusses abgehoben wird, ist zugleich die Voraussetzung des Gegenpoles des Monarchen mit in die Definition eingegangen. Prinzipiell kann deshalb die Repräsentation bei Mohl nicht über den Rahmen, den Rotteck ihr gesteckt hat, hinausgehen. Beide Male ist der Monarch für sie Voraussetzung, ein Übergang zu Demokratie ist mit diesem Verständnis von Repräsentation nicht möglich. Trotzdem kennt Mohl die Staatsform der Demokratie, sieht in ihr jedoch einen anderen Begriff von Repräsentation verwirklicht 39 . In dieser Staatsform umfaßt Repräsentation auch Regierungsfunktionen, was als notwendige Konsequenz, und das heißt ohne Erörterung der Zweckmäßigkeit, das allgemeine Wahlrecht zur Folge habe 40 • Dadurch aber werde sie zur unvollkommenen Staatsform. Allgemeine Mittelmäßigkeit und Unsachlichkeit sei Konsequenz der reinen WahlausgerichtetEbd., S. XIV. Siehe unten Teil I, 4 c die Bemerkungen zu Mohls Vergleich der Verfassungen von England, Frankreich und Deutschland. 36 Eine ausdrückliche Einordnung seiner Vorstellung als normative Theorie bei Mohl, Das Repräsentativsystem, seine Mängel und die Heilmittel. Politische Briefe, in: Staatsrecht und Politik, I, S. 434 (weiterhin zitiert: Das Repräsen tati vsystem). 37 Gedanke der Repräsentation, S. 9. 38 Eine ausdrückliche Betonung dieses Aspektes noch einmal ebd., S. 10. 39 Ebd., S. 34; vgl. Hähnle, Johanna, Die politischen Ideen Robert von Mohls, Phil. Diss. Tübingen 1921, S. 56. 40 Gedanke der Repräsentation, S. 40. 3(
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Teil I: Repräsentation in der liberalen Staatslehre des Vormärz
heit der Politik; eine feste Regierung werde schwerlich gebildet und so die Gefahr des Kommunismus heraufbeschworen41 . Dem steht die Aussage Mohls entgegen, in der er nicht nur eine breite Verwirklichung dieser Demokratie anerkennt, sondern ihr noch eine weitere Verbreitung prophezeit42 . Die Diskrepanz zu der prinzipiellen Aussage löst sich dahingehend auf, daß er sie in diesem Kontext als elitär gemildert versteht 43 . So kommt er schließlich zu einer Gleichbehandlung aller drei Staatsformen; die Entscheidung, welche konkret verwirklicht wird, ist keine prinzipielle, sondern ergibt sich daraus, welche unter gegebenen Umständen am besten den Staatszweck erfüllt4 4• Die Behauptung einer Lehre der Volkssouveränität bei Mohl muß sich von hier aus als falsch erweisen, zudem stehen ihr eindeutige Aussagen Mohls entgegen45 . Demokratie wird nur als Staatsform gesehen, die aber, gemäß den Verhältnissen in Europa, dort keine Anwendung findet 46 . Damit ist dann der Rahmen für die weitere Diskussion abgesteckt. Mohl kennt zwar eine demokratische Zeitströmung 47 , doch wird dieser nur im Rahmen der konstitutionellen Monarchie Rechnung zu tragen sein. Begründet sieht er die Forderung nach mehr Teilnahme im Staate darin, daß ein Volk auf einer entsprechenden Bildungsstufe angelangt ist und es nicht angeht, "verständige Männer wie eine Heerde Schaafe zu leiten ohne ihr Wissen, ohne ihren Willen"4B. Deshalb muß dieser Forderung entsprochen werden, soll nicht die bestehende Staatsform zerstört werden49 • Es zeigt sich hier die gleiche Begründung und Argumentation wie bei Dahlmann und Rotteck. Mündigkeit wird als Grund etatistischer Forderungen angeführt. Nicht Erfassung der zugrunde liegenden politischen Bewegung, sondern allein, ausgehend von deren Faktum, Versicherung der Rechtmäßigkeit ihrer Auswirkungen im eta41 Das Repräsentativsystem, S. 287 - 9, zum ersten Aspekt vgl. auch: Recht und Politik der repräsentativen Demokratie, in: Staatsrecht und Politik, I, S. 508 (weiterhin zitiert: Recht und Politik). 42 Recht und Politik, S. 497. 43 Ebd., S. 549. 44 Ebd., S. 526. 45 Die These der Volkssouveränitätslehre bei: Hähnte, Die politischen Ideen Robert von Mohls, S. 133, 135. - Die Stelle bei Moht, Encyklopädie der Staatswissenschaften, 2. umgearbeitete Aufl. Tübingen 1872, S. 117; eine gemilderte Lehre der Volkssouveränität vermeint dagegen Angermann, Robert von Mohl, S. 417 zu erkennen. 46 Recht und Politik, S. 463. 47 Mohl, Die geschichtlichen Phasen des Repräsentativ-Systems in Deutschland, in: Zeitschrift für die gesammte Staatswissenschaft, 27, 1871, S. 3, 29 bis 32 (weiterhin zitiert: geschichtliche Phasen). Das Repräsentativsystem, S. 381; Gedanke der Repräsentation, S. 24. 48 Das Repräsentativsystem, S. 381. 49 Gedanke der Repräsentation, S. 29.
4. R. v. Mohl: Repräsentation in ihrer weitestgehenden Bedeutung
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tistischen Bereich durch das Argument der Mündigkeit. So ist schließlich das Repräsentativsystem eher eine Verfassung zur Sicherung "der Zufriedenheit des Volkes init dem Staate", da "es sich in seinen Rechten geschützt und in seinen Interessen gefördert glaubt"50, denn eine Verwirklichung demokratischer Gedanken. Die Monarchie sieht sich also demokratischen Forderungen gegenüber, womit sich repräsentative Einrichtungen als Notwendigkeit erweisen51 . Die Position des Monarchen jedoch als Garant der Einheit des Staates muß auch erhalten bleiben, soll der Staat nicht gefährdet werden52 . Dieses kann sie nur dadurch, daß sie dem demokratischen Zeitgeist, der in seiner Rechtmäßigkeit erwiesen ist, Rechnung trägt. Ordnung und Freiheit, König und Volk werden bei Mohl also dadurch vereint, daß "die Nothwendigkeit des parlamentarischen Systemes als Schutz für die fürstliche Stellung und Gewalt"53 erscheint und diese von ihm eingerichtet wird. Die Polarität von Ordnung und Freiheit wird nicht prinzipiell erfaßt, sondern es erfolgt nur eine Vergewisserung und Plausibilitätserwägung in bezug auf ihre sich faktisch äußernden Ansprüche. Diesem gemäß dem Ideal der Einheit im Staate Rechnung zu tragen, erweist sich als Aufgabe der Mohlschen Überlegungen. Es geht darum, diejenige Verfassungsform zu finden, die, ausgehend von den beiden Polen, die Einheit des Staates ermöglicht. c) Das Mohlsche Lösungsmodell: die parlamentarische Regierungsweise
Die Zentrierung der grundsätzlichen Problematik von Ordnung und Freiheit allein auf eine entsprechende Verfassungsregelung wird besonders in der Schrift von 1846 deutlich, in der durch einen Vergleich verschiedener Verfassungen die möglichen Formen zur Sicherung der staatlichen Einheit erörtert werden54 • Hierbei wird dann die englische Verfassung als Gegenmodell zu den Verhältnissen in Frankreich und Deutschland erarbeitet. Ab 1845/46 nämlich kommt es zu einem Aufklärungsprozeß über das englische parlamentarische Regierungssystem in Deutschland, infolgedessen sich allmählich die Erkenntnis eines entscheidenden Unterschieds zwischen den englischen Verfassungsverhältnissen und den deutschen konstitutionellen Regelungen breit machte 55 • Das Repräsentativsystem, S. 396. Ebd., S. 420. 52 Ebd., S. 415; siehe auch S. 381, 403; zur Stellung Mohls zum Monarchen vgl. Angermann, Robert von Mohl, S. 410, 411. 53 Das Repräsentativsystem, S. 423. 54 Ueber die verschiedene Auffassung des repräsentativen Systemes in England, Frankreich und Deutschland (siehe Anm. 28 dieses Kapitels), 50
51
S. 33 - 65. 55 Wilhelm, engl. Verfassung -
deutscher Liberalismus, S. 115; Brandt, Landständische Repräsentation, S. 244.
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Hierbei ist Mohl als einer der führenden Propagatoren des neuen Englandbildes anzusehen56 • Bereits in seiner Schrift von 1845 finden sich die ersten Hinweise, daß er England als Verfassungsideal betrachtet57 • Das Wesen der englischen Verfassung sieht Mohl darin, daß die Regierung Ausdruck der Mehrheit im Parlament ist. Diesem kommt, - und darin sieht Mohl den zweiten charakteristischen Wesenszug, - nicht die Rolle der Rechtswahrung zu, seine Funktion ist positiv bestimmt, dadurch daß ein Teil des Parlaments die Regierungsfunktion ausübt und der andere sich auf deren Übernahme vorbereitet. Zweiparteiensystem mit problemlosen Regierungswechsel auf Grund einer staatsbewußten Opposition, und das bedeutet zugleich weitgehender allgemeiner Grundkonsens, sieht Mohl als Konsequenzen dieser Regelung an, wie auch den nur geringen persönlichen Einfluß des Königs. Als drittes wesentliches Charakteristikum ist sodann die Zusammensetzung des Parlaments als Ausdruck der wirklichen Wählerverhältnisse angeführt 58 • Jedem in der Geschichte sich äußerndem Interesse ist ein Vertretungsrecht eingeräumt worden. Frankreich dagegen sieht er auf Grund rechtsphilosophischer Lehren durch den Dualismus von Regierung als öffentlicher Gewalt und Volksvertretung als RechtswahrungsInstitut geprägt. Rein negative Aufgabenstellung führt zur Debattierlust, wie auch zu dem Versuch der Regierung, durch Wahlbeeinflussung und Bestechung Einfluß zu gewinnen, dem auf seiten der Abgeordneten der Ministerialismus entspricht, so daß Regierung und Repräsentation diskreditiert werden. Zu hohe Beschränkungen des aktiven und passiven Wahlrechts und das Fehlen eines aristokratischen Faktors lassen zudem die Volksvertretung zur Vertretung des reichen Bürgertums entarten, das weniger sachlich arbeitet, als daß es sich in persönlich-diffamierenden Kontroversen verstrickt 59 • Wesentlich ist in der französischen Verfassung das Faktum, "dass die scharfe theoretische Scheidung der Regierung und der Volksvertretung und das daraus hervorgehende selbständige Leben, ja mit allen Mitteln erstrebte Uebergewicht der Regierung einen Dualismus erzeugte, welcher nur mittels Verfälschung und Verführung des repräsentativen Elements praktisch ausgeglichen 58 Vg!. Angermann, Erich, Zwei Typen des Ausgleichs gesellschaftlicher Interessen durch die Staatsgewalt, in: Conze, Werner (Hg.), Staat und Gesellschaft im deutschen Vormärz 1815 - 1848, Stuttgart 2. Auf!. 1970, S. 197. 57 Constitutionelle Erfahrungen. Ein Beitrag zur Verfassungspolitik, in: Tübinger Zeitschrift für die gesammte Staatswissenschaft, 11, 1845, S. 191 bis 233, wieder abgedruckt in: Staatsrecht und Politik, I, S. 322 - 366, der Hinweis ebd., S. 346 (weiterhin zitiert: Constitutionelle Erfahrungen; nach dem Abdruck in: Staatsrecht und Politik) eine exemplarische Äußerung hierzu in: Das Repräsentativsystem, S. 453. 58 Die Darlegungen zur englischen Verfassung bei Moht in: Auffassungen des rep. Systems, S. 35, 38. 59 Auffassungen des rep. Systems, S. 39 - 48.
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wurde"60. Die gleiche Struktur der Verfassung konstatiert Mohl für Deutschland im allgemeinen 6 t, nur sieht er sie noch durch bestimmte Faktoren verschärft. Neben der Ministerbestellung durch den Fürsten, seiner Wahlbeeinflussung und des kleinstaatlichen Rahmens werden verschiedene Reste der alten Verfassung und das Fehlen äußerer Bedingungen wie freie Presse und öffentliche Meinung genannt62 . England wird also von Mohl als das einzige Land ausgewiesen, in dem das in der Schrift über die Ministerverantwortlichkeit aufgezeigte Problem des Dualismus von Regierung und Volksvertretung wirklich gelöst ist. Die englische Verfassung ist demnach als Modell zu verstehen. Dieses Ergebnis des Verfassungsvergleichs wird zwar auf Grund der Darstellungsweise von Mohl nicht sofort deutlich. Das geschichtliche Material wird nämlich nicht auf diese Problemstellung hin aufgearbeitet und systematisiert, über die Bedeutung einer Beispielsammlung gelangt es nicht hinaus63 . Als Beleg für die theoretische Bedeutung dieser Darlegung mag allein das Faktum der summarischen Abhandlung aller deutschen Verfassungen dienen. Zudem wird sie noch durch die Abhandlung von 1852, die als weiterführende Darlegung der gleichen Thematik im Sammelband "Staatsrecht, Völkerrecht und Politik" bezeichnet ist64, belegt. Der Bezug zur Schrift von 1846 wird deutlich, wenn Mohl der konstitutionellen Lehre, "wie sie in Deutschland nach den französischen Vorgängen unter der Restauration aufgefasst und geübt wird", bescheinigt, "dass wichtige Theile ... falsch sind"65. Nicht das konstitutionelle System an sich ist falsch, sondern nur "so wie es bei uns aufgefasst und gehandhabt worden ist"66. Damit ist aber gleich deutlich gemacht, daß sich Mohls Überlegungen, - wie auch schon die Definition der Repräsentation belegt hatte, - strikt im Rahmen dieser Staatsform halten. Die konstitutionelle Monarchie wird nicht überwunden, sondern nur verbessert. Denn in der deutschen konstitutionellen Lehre und Wirklichkeit diagnostiziert Mohl zwei entscheidende Mängel: "die Zurückweisung der parlamentarischen Regierungsweise" und "die falsche Bildung der vertretenden Versammlung"67. In diesen beiden Punkten Ebd., S. 48. Vgl. auch geschichtliche Phasen, S. 27. 62 Auffassungen des rep. Systems, S. 49 - 65. 63 Vgl. hierzu Wilhelm, engl. Verfassung deutscher Liberalismus, S. 192; Beyme, Einleitung zu Mohl, S. XXII; grundsätzlich zu Mahls Verhältnis zur Geschichte vgl. Angermann, Robert von Mahl, S. 22 - 23, S. 45. 64 Vgl. Staatsrecht und Politik, I, S. 33 Anm. 1, Bezug genommen wird auf "Das Repräsentativsystem" (siehe Anm. 36 dieses Kapitels) zuerst veröffent~ licht in: Deutsche Vierteljahresschrift, 1852, S. 145 - 235. 65 Das Repräsentativsystem, S. 367/8. 66 Ebd., S. 380 (im Original gesperrt gedruckt). 60
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unterscheide sich gerade die englische Verfassungs wirklichkeit gemäß der Mohlschen Darstellung in der Schrift von 1846 von den kontinentalen Regelungen. Diese wird, wie auch das Ergebnis zeigen wird, als Modell verstanden, das kritisch an die deutsche Verfassungswirklichkeit des Vormärz angelegt wird 68 • Das englische Vorbild wird jedoch nicht unmittelbar angewandt, sondern kommt in abstrakter theoretischer Darlegung der oben angeführten Kritikpunkte zum Tragen. Bezüglich des ersten Kritikpunktes geht Mohl dabei von einem grundsätzlichen Dualismus im konstitutionellen Staate aus, der entstehe durch die Einführung der Repräsentation und so weit reiche, wie deren Rechte gehen69 • Da diese aber eine Notwendigkeit bei vorhandener Mündigkeit seien, bleibe "den Fürsten nur die Wahl offen zwischen einem allmähligen Hinabgleiten auf der schlüpfrigen und nicht sehr reinlichen Bahn der Corruption bis an den Rand eines sittlichen und politischen Abgrundes, und zwischen dem Fügen in das parlamentarische System"70. Die Alternative lautet also Akzeptierung des neuen Elements der Repräsentation, oder, da der Monarch rechtlich nicht hinter die Verfassung zurückkann, Einführung und Gebrauch von Mechanismen, die dieses Element faktisch ausschalten, d. h. Korruption. Staatliche Einheit nur durch Überantwortung der Regierung an die Volksvertretung, oder durch deren faktische Aufhebung und Entmachtung bis hin zur Bedeutungslosigkeit71 • Nicht durch Zusammenspiel zweier Gewalten Gestaltung einer gegliederten Einheit, sondern Monismus. Korruption ist also das Mittel, um die absolute Monarchie auch unter Verfassungsverhältnissen zu erhalten72 . Korruption ist hier systemisch verstanden, als die unter äußeren Verfassungsformen eigentlich wirksame Verfassungsstruktur, als die einzig mögliche Struktur absoluter Monarchie im Vormärz. Boldts Kritik an der Alternative Korruption oder Parlamentarismus mag zwar im allgemeinen richtig sein, doch trifft sie nicht die von Mohl gebrauchte Gegenüberstellung73 . Diese wird von ihm ja nur in bezug auf die systemische Korruption gebraucht, allgemeine Korruption wird von ihm ja auch im parlamentarischen Ebd., S. 392. Zur Funktion des englischen Vorbildes in der deutschen Staatslehre siehe auch Schmitt, earl, Verfassungslehre, München Leipzig 1928, 5. unveränderter Neudruck 1970, S. 308: "Der Hinweis auf das englische Vorbild blieb allerdings schon wegen seiner Einfachheit ein verbreitetes und beliebtes Beweismittel und ersetzte, damals wie heute noch, bei vielen Politikern und Theoretikern das Denken und die politische Theorie." 69 Das Repräsentativsystem, S. 394. 70 Ebd., S. 404. 71 Vgl. Hähnle, Die politischen Ideen Robert von Mohls, S. 35, die dieses bezüglich der Korruption belegt. 72 Vgl. hierzu Das Repräsentativsystem, S. 395. 73 Boldt, Deutsche Staatslehre im Vormärz, S. 254 - 255. 67
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System zugegeben74 . Konsequenz dieses Korruptionssystems ist weniger die Bindung von beträchtlichen Summen Geldes für die Bestechungen besonders bei Wahlen als eine Diskreditierung des Beamtenapparates, der Verlust der Zufriedenheit des Volkes und schließlich eine radikale Minderheiten-Opposition, die in Revolution umschlagen kann75 . Damit ist diese Möglichkeit als prinzipiell nicht geeignet zur Lösung des Dualismus gekennzeichnet. Der Überwindung des Dualismus zum Monismus durch Verfälschung ist keine Dauer beschert. Es bleibt allein die Regelung des parlamentarischen Systems. Bestimmt ist dieses dadurch, "dass das Ministerium jedesmal im Sinne der Mehrheit der Volksvertretung zusammengesetzt und zwar mit den Leitern derselben besetzt wird"76. Eine Änderung der Rechte des Königs, zumindest eine formelle sieht Mohl mit der Einführung dieses Systems nicht gegeben 77 . Der König bleibe Inhaber der Staatsgewalt, ohne seine Zustimmung sei keine Regierungshandlung und keine Gesetzgebung möglich. Das Recht der Beamtenernennung und das Vertretungsrecht nach außen bleiben ihm unbenommen. Es sei allein erforderlich, "dass der Fürst die Leitung der Verwaltung in dem Sinne der jeweiligen Mehrheit der Volksvertretung als eine politische Nothwendigkeit ansieht"7B. Dieses sei aber kein Gesetz- oder Verfassungszwang, "sondern es ist nur eine auf die Einsicht ihres überwiegenden Nutzen beruhende Gewohnheit: es ist kein Verfassungsparagraph, sondern ein Regierungssystem"79. Dadurch, daß Mohl die Anerkennung des demokratisch-politischen Willensbildungsprozesses in einem durch zwei Parteien geprägten Parlament unterhalb der Ebene des Verfassungsrechts hält, das parlamentarische System nur als Ausfluß der Staatsklugheit beschreibt, kann er so die rechtliche Unversehrtheit der Stellung des Königs behaupten. Zwar ist mit dem parlamentarischen System eine wesentliche Beschränkung des Königs verbunden, - was Mohl ausdrücklich betontBO , - eine Änderung im wesentlichen jedoch kann und will er nicht akzeptieren. Die Behauptung, daß mit diesem System die Monarchie nur äußerlich erhalten bleibe, "während ihr Wesen an eine Wahldemokratie übergehe"8t, wird entschieden zurückgewiesen. Mohl sieht nicht nur keine wesentliche Verschlechterung, da Vgl. Das Repräsentativsystem, S. 425 - 426. Das Repräsentativsystem, S. 396 - 400. 78 Ebd., S. 400. 77 Ebd. 78 Ebd., S. 40l. 79 Ebd. 80 Ebd., S. 403; vgl. auch die entsprechende Stelle in der Erörterung des englischen Modells, in: Auffassungen des rep. Systems, S. 35. 81 Das Repräsentativsystem, S. 423. 74 75
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schon mit der Einführung von Volksvertretungen der Verwirklichung des persönlichen königlichen Willens ein Ende gesetzt war und die Auswahl der Minister nie frei geschehen konnte. Vielmehr sieht er den Fürsten bestärkt, denn es bliebe ihm der Verwaltungs einfluß und es könne nur so das Prinzip, "dass der Fürst persönlich immer das Gute wolle, mit einem hinreichenden Scheine von Wahrheit aufrecht erhalten werden"82. De facto wird der Fürst auf die Rolle des Constantschen "pouvoir neutre" reduziert83 , de jure aber seine unveränderte Position behauptet. Es zeigt sich also, daß Mohl von seinem Anliegen der Einheit des Staates aus zu einer grundsätzlichen Anerkennung der politischen Willensbildung gelangt84, ohne daß er aber den Rahmen seiner Theorie verläßt. Änderung der Regierungsweise bei Beibehaltung der gleichen Verfassungsstruktur. Der grundsätzliche Dualismus der konstitutionellen Monarchie wird nur durch Einführung bestimmter Regierungsweisen konkret beseitigt, bleibt aber prinzipiell bestehen. "Die Eigenart dieser Theorie liegt darin, daß sie bestimmte Grundsätze der streng monarchischen Staatslehre aufgibt, im ,fortschrittlichen', bürgerlich-liberalen Sinne modifiziert, ohne doch die Grundstruktur des staatstheoretischen Denkens wesentlich zu ändern 85 ." Die Problematisierung und Bewertung eines derartigen theoretischen Lösungsversuchs sei auf den folgenden Abschnitt verwiesen, um zunächst die Theorie Mohls vollständig darzustellen. Voraussetzung dieses parlamentarischen Systems ist ja, daß die wirklich vorhandenen Meinungen im Volke zum Tragen kommen. Die Volkskammer muß deshalb so gebildet sein, daß die Kenntnis der Sache sowie der Eifer dafür beim Mitglied dieser Einrichtung zu erwarten ist, was allein gesichert ist, wenn persönliche Beziehungen zu den Vertretenen bestehen86 . Weiter ist Bedingung einer wirklichen Repräsentation, daß alle drei feststellbaren Interessen, die allgemeinen, die speziellen und die individuellen, ihrer Bedeutung entsprechend zur Geltung kommen können 87 • In Deutschland sieht Mohl dagegen nur Sonderinteressen, die nur geringe gesellschaftliche Bedeutung haben, repräsentiert88 . Es handele sich um eine anorganische Repräsentation, der er seine organische Form gegenüberstellt, gemäß dem Prinzip "allen Ebd., S. 423 - 425; Zitat S. 424. GaU, Lothar, Benjamin Constant. Seine politische Ideenwelt und der deutsche Vormärz, Wiesbaden 1963, S. 52, S. 197. 84 Angermann, Robert von Mohl, S. 407. 85 Oertzen, Peter von, Die soziale Funktion des staatsrechtlichen Positivismus (Diss. phil. Göttingen 1953), Frankfurt 1974, S. 96. 86 Das Repräsentativsystem, S. 408/9; siehe auch Gedanke der Repräsentation, S. 11. 87 Das Repräsentativsystem, S. 409. 88 Ebd., S. 410. 82
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Gattungen von Rechten und Interessen, welche eine Verletzung von der Regierung erfahren könnten, sind Vertreter zuzuweisen, und zwar solche, welche persönlich bei der Wahrung beteiligt sind"89. So gelangt Mohl zu seiner Konstruktion der vertretenden Versammlung. Als unterste Versammlung führt er an "Sondervertretungen, bestimmt zur Wahrung der Rechte und Interessen einzelner, von der Verfassung nach ihrer Bedeutung besonders anerkannter gesellschaftlicher Kreise"9o. Gemäß bestimmten übergreifenden Problem komplexen können dann die betroffene.n Sondervertretungen sich zu "zusammengesetzten Vertretungen" vereinen, bei allgemeinen Fragen schließlich alle in der "Gesammtvertretung"91. In diesen sind die Sondervertretungen mit gesetzlich festgesetzter Zahl von Mitgliedern vertreten, die frei, ohne Instruktionsbindung im Sinne der Gesamtheit, zu entscheiden haben. Die Stimmenmehrheit entscheidet92 . Es läßt sich also eine aufsteigende Verallgemeinerung im Mohlschen System feststellen, wobei die Sondervertretungen als Vorklärungseinrichtung wirken, da diese allein als Glieder der weitergehenden Versammlungen in Frage kommen. Innerhalb dieser Konzeption ist die Wahl nicht als notwendiger Bestandteil ausgewiesen. Die Sondervertretungen, und allein hier ist eine Wahl möglich, bestehen nämlich ausschließlich aus Mitgliedern gesellschaftlicher Vereine 93 . Die Entsendung von Vorständen dieser Vereine in die Vertretung wird bei Vorhandensein ihrer Tauglichkeit als durchaus legitime Möglichkeit ausdrücklich angeführt 94 • Die Garantie der Tauglichkeit steht auch bei der Behandlung der Frage der Wahl im Zentrum ihrer Bestimmung, es muß gesichert sein, "dass die zu Mitgliedern der Repräsentation Bestimmten vollkommen tauglich seien zur Besorgung der ihnen übertragenen Geschäfte"95. Eine Beschränkung des aktiven Wahlrechts sieht er deshalb als notwendig an, ja geradezu als Unterscheidungskriterium von konstitutioneller Monarchie und Demokratie 96 . Inwieweit aber diese Aussagen hinreichend sein können zu einer Bewertung der Wahlrechtsbeschränkungen als eine der Grund89 90 91
Ebd., S. 416. Ebd., S. 417. Ebd., die genaue Aufgabenbestimmung der Vertretungen siehe ebd.,
S.418.
92 Vgl. Das Repräsentativsystem, S. 417; zur Frage der Einschätzung dieser Konstruktion siehe grundlegend: Beyme, Einleitung zu Mohl, S. XXXIV; Angermann, Robert von Mohl, S. 431, spricht dagegen noch von berufsständischer, Brandt, Landständische Repräsentation, S. 253 von sozialständischer Abgeordnetenbestellung. 93 Vgl. Das Repräsentativsystem, S. 417. 94 Ebd., S. 418. 95 Gedanke der Repräsentation, S. 13. 96 Vgl. Constitutionelle Erfahrungen, S. 335 - 347; geschichtliche Phasen,
S. 49, 51, 67.
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lagen der Mohlschen Konzeption 97 ist zweifelhaft. Denn die Aussagen über das Wahlrecht befinden sich vorwiegend in den geschichtlich ausgerichteten Darlegungen und nicht in den für das Mohlsche Modell zentralen Schriften. In diesem System kommt aber der Wahl nur eine marginale Bedeutung zu. Es scheint somit, daß beide Regelungen, der Mohlsche Entwurf zur gestaffelten Vertretungsweise wie auch die Aussagen über das Wahlrecht, Ausdruck des gleichen Gedankens in verschiedenem Kontext, dem theoretischen und dem geschichtlichen, darstellen. Denn so wie die gesetzliche Bestimmung der Klassen Voraussetzung für die Vertretung in den Sondervertretungen ist, als auch deren Anteil in den weiteren Versammlungen gesetzlich bestimmt wird, so soll auch die Beschränkung des Wahlrechts einem übergeordneten etatistischen Gedanken Rechnung tragen 98 • Eine etatistische Grundhaltung wird in beiden Regelungen klar, eine Beurteilung der Wahlrechtsbeschränkung als Grundlage der Mohlschen Vorstellungen scheint damit die konkreten Formen zu stark zu bewerten, ohne überhaupt die Frage ihrer Beziehung zu den anderen Elementen aufzuzeigen99 • Dieses Modell der gegliederten Vertreterversammlungen wird von Mohl in enger Beziehung zu seinen Vorstellungen der Überwindung des konstitutionellen Dualismus durch das parlamentarische System gesehen. Ja er rühmt sich sogar, daß beide Aspekte nicht "in dieser Verbindung und als sich gegenseitig bedingend vor mir ausgesprochen worden sind"loo. Diese Verbindung wird jedoch nicht aufgewiesen, sondern nur behauptetl° 1 . Mohl sieht in seiner differenzierten Vertretungsweise die Sicherheit dafür, daß die wahren Probleme und Interessen hervortreten. Auf Grund des Satzes "Eine scharfe Geschiedenheit liegt in der Natur der Sache"102 sieht Mohl sodann die in England beobachtete Zweiparteiengliederung als gesichert an. Die Verbindung beider Elemente wird von Mohl also nicht geleistetlOS, die Behauptung des parlamentarischen Systems als Konsequenz seines organischen Vertretungsmodells nicht belegt: über eine Allgemeinaussage, deren Stellenwert und Konsequenzen nicht konkretisiert werden, kommt Mohl nicht hinVgl. zu dieser Einschätzung Beyme, Einleitung zu Mohl, S. XXXVII. Vgl. Das Repräsentativsystem, S. 417; siehe auch Hähnle, Die politischen Ideen Robert von Mohls, S. 8I. 99 Die rein rekapitulierende, additive Darstellungsweise bei Beyme, Einleitung zu Mohl, S. XXXIV - XXXVIII, gerade vom Ergebnis der Mohlschen etatistischen Ausrichtung her erweist sich Beymes Zurückweisung der Bezeichnung ,berufsständisch' für diese Vertretungsregelung als zutreffend, sie ist allein rational-etatistisch (vgl. Anm. 92 dieses Kapitels). 100 Das Repräsentativsystem, S. 457/8. 101 Ebd., S. 434. 102 Ebd., S. 433. 103 Vgl. hierzu Brandt, Landständische Repräsentation, S. 253 - 4; Angermann, Robert von Mohl, S. 431, 432, 444. 97
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aus. Es bleibt allein ein Postulat an die Zukunft. Die Vereinigung der an der Geschichte erarbeiteten grundlegenden Struktur mit dem rein gedanklichen Konstrukt einer Regelung der Vertretung ist Mohl nicht gelungen. Das von ihm früher einmal bespöttelte Verfassungsschmieden in Studierstuben104 , dem er hier selber nachgeht, muß stets Fremdkörper in seiner pragmatisch an der Geschichte gewonnenen Struktur sein 105. d) Das Mohlscbe Modell als Höhepunkt und Abschluß des Liberalismus des Vormärz
Als Hauptanliegen des gesamten staatstheoretischen Werks von Mohl hatte sich die Sicherung der Einheit des Staates erwiesen106. Diese wurde allein als Verfassungsfrage verstanden, so daß die Einordnung Mohls als liberaler Theoretiker gerechtfertigt ist. Im "Staatsrecht des Koenigreiches Wuerttemberg" hatte dieses dazu geführt, daß König und Stände als auf verschiedenen Ebenen befindlich interpretiert wurden. Durch die interpretatorische Scheidung von Staatsgewalt des Fürsten und Rechtswahrungskompetenz der Stände konnte die Einheit des Staates als im Fürsten verwirklicht erscheinen. In seinen späteren Werken jedoch gelangt Mohl zu einer immer weiteren Anerkennung des politischen Willensbildungsprozeß und damit zur Anerkennung eines Dualismus, soweit die Rechte der Stände reichen107 . Die grundlegende Bedeutung dieser demokratischen Seite wird anerkannt und als Zeitströmung legitimiert. Dieses führt jedoch keineswegs zur Negierung des monarchischen Elements und zum Eintreten für die Demokratie. Die Bedeutung der Monarchie "als einer trefflichen politischen Anstalt"10B wird betont und die Möglichkeit der Demokratie für Europa ausgeschlossen109 • Die konstitutionelle Monarchie bleibt Bezugsrahmen der Mohlschen überlegungen, und damit wird der Dualismus zum Problem. Gelöst wird dieser Dualismus durch die Einführung von Repräsentation, d. h. durch Sicherung "der einem Theile oder der Gesamtheit der Unterthanen zustehende(n) Einfluss(e) auf Staatsgeschäfte"l1O. Konkret geschieht dies durch Realisierung des repräsentativen Systems 104 Vgl. Verantwortlichkeit der Minister, S. 598 f. 105 Ähnliche Bewertungen bei Wilhelm, engl. Verfassung - deutscher Liberalismus, S. 191; Angermann, Robert von Mohl, S. 445; GaU, Lothar, Der Liberalismus als regierende Partei. Das Großherzogtum Baden zwischen Restauration und Reichsgründung, Wiesbaden 1968, S. 54. 108 Eine Bewertung des Einheitsaspekts bei Mohl, Repräsentativsystem, S.415.
101 108 109 110
Das Repräsentativsystem, S. 394. Ebd., S. 38l. Recht und Politik, S. 463. Gedanke der Repräsentation, S. 9.
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mit der Voraussetzung der gegliederten Vertretung, d. h. durch Einführung konkreter Regelungen. Dabei erscheint diese Form zunächst nur als Sicherung der Monarchie bei vorherrschender demokratischer Strömung, die, nicht befriedigt, ansonsten zur Änderung der Staatsform führen würde 111 • In dieser Parlamentarisierung von oben zur Sicherung der Monarchie sieht Boldt den antidemokratischen Aspekt der Mohlschen Theorie begründet 112 • Demgegenüber behauptet Brandt als Ziel der Mohlschen Konzeption "mittels des parlamentarischen Prinzips den politischen Primat des Monarchen zu brechen"113. Und wirklich kann die Übertragung der Regierung an die Volksvertretung so gesehen werden. Die Vereinbarung beider Aussagen miteinander ist jedoch dadurch möglich, daß sie jeweils nur auf einen Aspekt der Mohlschen Theorie abheben. Denn die Einführung des parlamentarischen Systems in die Monarchie erfolgt nach dem gleichen Prinzip wie die Interpretation der Württembergischen Verfassung. Durch Scheidung zweier Ebenen wird erneut eine Einheit behauptet. Der Fürst oder Monarch bleibt Inhaber der Staatsgewalt, rechtlich ändert sich seine Stellung nicht, seine Position bleibt formal erhalten. Aber das inhaltliche Moment, die politische Willensbildung wird der Volksvertretung zugewiesen. Staatswillen wird sie zwar erst durch die Verkündung durch den Monarchen, doch ist dieser gehalten, der Mehrheit des Parlaments zu folgen, soll nicht die Gefahr der Revolution mit dem Übergang zur Demokratie entstehen. Vor diesem Hintergrund wird die monarchische Gewalt zur bloß formalen l14 • Durch die Behauptung der Erhaltung der Verfassung und Interpretierung der Änderungen nur als deren Modifizierung bezüglich des Regierungssystems versucht Mohl hier die Einheit des Staates in der konstitutionellen Monarchie zu garantieren. Da diese nur bei weitgehender Anerkennung des parlamentarischen Systems und der materiellen Aushöhlung der monarchischen Gewalt gewährleistet ist, sind hier in der Mohlschen Konzeption der Repräsentation die weitesten Rechte in der Theorie des Vormärz eingeräumt. Die Behauptung der Ablehnung des politischen Primats des Monarchen ist damit jedoch nicht gerechtfertigt. Er allein bleibt ja die Instanz, die staatsrechtliche Relevanz verleiht. Die Änderung erfolgt nur durch Appell an ihn, der Mehrheit Einfluß zuzugestehen und ihr zu folgen, um nicht die monarchische Staatsform zu gefährden. Gedanke der Repräsentation, S. 24, 29; Das Repräsentativsystem, S. 403. Boldt, Deutsche Staatslehre im Vormärz, S. 259. 113 Brandt, Landständische Repräsentation, S. 248. 114 Der Aspekt des täglichen Verwaltungseinflusses wird nicht weiter ausgeführt oder verdeutlicht, vgl. Das Repräsentativsystem, S. 401. Damit kann ihm auch im System keine entscheidende Bedeutung zukommen, es kann in dieser Darstellung vernachlässigt werden. 111
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Damit aber erweist sich diese Regelung als zwiespältig. Konstitutiv ist für sie der Appell an den König. Denn wird der Dualismus nicht prinzipiell gelöst, sondern nur in konkreten Formen beseitigt, muß Plausibilität die Konzeption als rechtens stützen. Die Theorie ist nicht in sich gefestigt, nur ein konkretes Modell kann als sinnvoll erwiesen werden. Die Realisierung dieses Modells ist dann wieder nur auf Grund von "Gelehrtenpropaganda" möglich. Dabei aber ist das Mohlsche Modell durch eine grundsätzliche Defizienz gegenüber denen von Dahlmann und Rotteck gekennzeichnet. Seine Konzeption baut nicht auf einer theoretischen Erörterung, - der "guten Verfassung" oder der Realisierung des idealen Gesamtwillens, - auf, sondern findet ihre Lösung der Einheitsproblematik pragmatisch, im Verfassungsvergleich. Auf eben dieser Ebene kann sie dann auch widerlegt werden. Gelingt es auf Grund anderer Regelungen, die Einheit des Staates faktisch und überzeugend zu sichern, ist der Mohlschen Argumentation sogleich die Basis entzogen. Die Entwicklung nach 1848 in Deutschland wird schließlich diese Funktion übernehmen. Die weitestgehende Anerkennung der Repräsentation im deutschen Vormärz trägt in sich zugleich die Möglichkeit, ihr überhaupt die Anerkennung als staatliche Gewalt zu versagen115 • Einen prinzipiellen Unterschied gegenüber Rotteck, wie Boldt ihn konstruiert 116, vermag ich in dieser Konzeption trotzdem nicht erkennen. Die Bedeutung des Elements der Mündigkeit bei Rotteck wie auch bei Dahlmann weist ja gerade die geschichtliche Bedingtheit auch dieser Theorien aus. Boldt legt hier sein Verständnis von Rotteck als Vertreter der gemäßigten Demokratie zugrunde. Dieses hatte sich aber als nicht zutreffend erwiesen, so daß der Unterschied allein graduell zu sehen ist. Mohl ist genauso viel und so wenig liberal zu nennen wie Rotteck auch. Als Endpunkt der Vorstellungen des Vormärz trägt diese Konzeption in ihrer pragmatischen Form nicht nur das Merkmal der weitesten Verwirklichung dieser Ideen, sondern auch gleich das Moment ihres Scheiterns in sich. Auf Grund der zentralen Thematik des Mohlschen Denkens, der Problematik der Einheit des Staates, wird man die konkreten Regelungen der Repräsentation in der Form des parlamentarischen Systems als grundlegende Struktur des Staates ansehen müssen. Ist diese nicht verwirklicht, so ist die Einheit nicht gewahrt. Doch dadurch, daß dieses System im konstitutionellen System verwirklicht werden soll, läßt sich die staat115 Vgl. auch in diesem Zusammenhang Hintze, Otto, Das monarchische Prinzip und die konstitutionelle Verfassung, in: ders., Staat und Verfassung. Gesammelte Abhandlungen zur allgemeinen Verfassungsgeschichte, hrsg. von Gerhard Oe streich, Göttingen 2. Aufl. 1962, S. 368, der die Mohlsche Konzeption als bereits bei ihrer Veröffentlichung überholte Theorie einordnet. 118 Boldt, Deutsche Staatslehre im Vormärz, S. 259 - 260.
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liche Funktion der Repräsentation nicht näher bestimmen. Die konstitutionelle Monarchie soll ja quasi zur parlamentarischen Demokratie nach englischem Vorbild werden, ohne jedoch die Verfassungsform der konstitutionellen Monarchie zu verlassen. Konstitutiv für diese Lösung wird damit der Appell an die Einsicht und den Weitblick des Monarchen, der einsehen muß, daß er seine Stellung nur behaupten kann, wenn er sich als konstitutionell monarchisches Vollzugsorgan dieser faktisch wirksamen parlamentarischen Demokratie, d. h. als übermittler von Staatsqualität an nicht von ihm gefällte oder zu kritisierende Entscheidungen versteht. Damit ist aber das Konzept identisch mit den Regelungen "eines bis zu äußerster Konsequenz durchgeführten gemäßigt liberalen Versöhnungsprogramms"117. Nicht überwindung des Dualismus, sondern Einführung von Regelungen zur Einheit durch Appell. Einheit wird ausgewiesen als im eigentlichen Interesse des Monarchen liegend. Ist aber der Appell an den Fürsten konstitutiv, so sind über die staatliche Funktion der Repräsentation keine Aussagen möglich. Es lassen sich nur die konkreten Merkmale der Regelung der politischen Willens bildung aufzählen, wie diese aber zur staatlichen Willensäußerung wird, ist in den Appell an den König gelegt. Zwar sollte er diesen vorgefundenen Willen verkünden, doch ist er es allein, der staatliche Qualität verleiht. Staatlichkeit und politisch gesellschaftliche Ebene bleiben getrennt. Faktisch wirkt Repräsentation in den staatlichen Bereich hinein, de jure aber nicht. Eine Aussage zur staatlichen Funktion der Repräsentation ist wie bei Dahlmann und Rotteck vom Konzept her nicht möglich. Ebenso ist die Artikulierfunktion der Repräsentation nicht näher zu bestimmen. Die Verbindung von gegliederter Vertreterversammlung und parlamentarischem System wird nicht aufgezeigt, erstere Theorie steht vielmehr isoliert im gesamten Mohlschen Werk. Das Faktum der Notwendigkeit der Artikulierfunktion für das parlamentarische System als auch seine etatistische Ausrichtung lassen sich allein konstatieren. über die Erfassung der Bedeutung der Repräsentation und einigen losgelösten Vorstellungen zu konkreten Verfassungsregelungen gelangt auch Mohl nicht hinaus.
5. Die Aussage der liberalen Staatslehre des Vormärz zum Problem der Repräsentation überblickt man die dargelegten Theorien der Staatslehre des Vormärz, so wird man als Ergebnis festhalten können, daß Begriff und Problematik der Repräsentation als solche nicht direkt in der Frage117 Boldt, Deutsche Staatslehre im Vormärz, S. 234; vgl. ders., Zwischen Patrimonialismus und Parlamentarismus, S. 95 - 97.
5. Die liberale Staatslehre des Vormärz und die Repräsentation
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stellung und Problem orientierung dieser Zeit liegen. Dahlmanns Anliegen ist es, die Forderung nach Landständen als rechtmäßig und begründet auszuweisen. Dabei gelangt er vomgeschichtsphilosophischen Aufweis des "Wort über Verfassung" zur theoretischen Absicherung einer demokratischen Komponente im Staate durch das als grundlegend und wesensmäßig erwiesene Ideal der guten Verfassung. Theoretische Erfassung und Begründung der dualen Verfassungswirklichkeit des deutschen Vormärz ist auch die AufgabensteIlung bei Rotteck. Durch Abänderung Rousseauscher und Kantscher Ideen gelangt er zum Verständnis eines objektiven, der Vernunft einsehbaren idealen Gesamtwillens, dessen Verwirklichung Aufgabe und Ziel des Staates ist. Gesichert wird der ideale Gesamtwillen in der staatlichen Wirklichkeit dann durch die Struktur der Republik, indem zwei gemäß subjektiver Gewaltenteilung sich beschränkende Gewalten als gegenseitige Korrektivinstanzen im Falle eines Abweichens vom idealen Gesamtwillen interpretiert werden. Künstliches und natürliches Organ sind somit als prinzipiell notwendige Elemente des Staates verstanden. Zumindest rudimentäre Volksmündigkeit und im anderen Fall magistrale Gewalt müssen nachweisbar sein, soll vom Staat gesprochen werden. Bei Mohl ist schließlich dieser duale Charakter des vormärzlichen Staates schon so weit zur Selbstverständlichkeit geworden, daß die Frage der begründeten Rechtfertigung eines demokratischen Elements sich nur noch im Verlauf der Problemstellung nach der Einheit im Staate stellt. Diese wird beim späten Mohl dann dahingehend gelöst, daß faktisch der Volksvertretung die gesamte Staatsgewalt zuzukommen hat. Im Zentrum der vormärzlichen Staatslehre steht also die Frage nach der Verfassung: Sicherung und Ausbau der Stellung des demokratischen Faktors als Aufgabe des Verfassungsverständnisses. Rein auf staatlicher Ebene werden die politischen Forderungen des Vormärz reflektiert und erörtert. Das Verständnis einer eigenen gesellschaftlichen Ebene gegenüber dem Staat ist in dieser Zeit noch nicht festzustellen. Gesellschaft bedeutet noch unverändert societas 1 • Dieses liegt zum großen Teil darin begründet, daß es ;,für weite Teile des alten Reichs allerdings noch kaum zur Ausbildung und Scheidung von Staat und Gesellschaft gekommen"2 war. Alle neu auftretenden Pro1 -Zum Gesellschaftsbegriff des deutschen Vormärz vgl. Schumacher, Martin, Gesellschafts- und Ständebegriff um 1840. Ein Beitrag zum sozialen Bild des süddeutschen Liberalismus nach dem Rotteck-Welckerschen Staats-Lexikon, Phil. Diss. Göttingen 1955, S. 7, 16 - 20, 59 - 61; GaU, Liberalismus und ,bürgerliche Gesellschaft', S. 337 - 344; siehe auch Böckenjörde, Ernst Wolfgang, Die Einheit von nationaler und konstitutioneller politischer Bewegung im deutschen Frühliberalismus, in: ders. (Hg.), Moderne deutsche Verfassungsgeschichte 1815 - 1918, Köln 1972, S. 33/4. 2 Conze, Werner, Das Spannungsfeld von Staat und Gesellschaft im Vor-
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bleme werden also etatistisch erfaßt und gelöst. "Der Glaube an die Reformfähigkeit des bestehenden monarchischen Staates", den Bussmann als "Kernstück liberaler Gesinnung im 19. Jahrhundert" diagnostiziert hat3, ist als in diesem theoretischen Element bereits grundgelegt anzusehen. Ob diese etatistische Ausrichtung aber ausreicht, um den deutschen Vormärzliberalismus zu kennzeichnen als "mehr Reaktion als Aktion, mehr Spiegelbild der politischen Verhältnisse als deren Reformator"4, bleibt durchaus fraglich. Denn vergleicht man das liberale Staatsverständnis mit den konservativen Theorien zur Verfassungsfrage, und die Bewertungskriterien zur Einschätzung des Vorzmärzliberalismus sollten gerade aus jener Zeit gewonnen werden, um zu historisch gerechtfertigten Urteilen zu kommen, - so wird sich eine andere Einschätzung ergeben. Gegenüber der konservativen Lehre 5 erweist sich gerade die theoretische Absicherung, oder bei Mohl der Aufweis der geschichtlichen Notwendigkeit, als Fortschritt und grundsätzlich unterscheidende Charakteristik. Der Monarch wird in seiner Stellung relativiert, er wird nur noch verstanden als Element einer Staatstheorie. Element der guten Verfassung oder konkrete Form des künstlichen Organs kann er nur noch sein. Er bleibt verwiesen auf das Gegenüber der Volksvertretung, wie dieses auch auf ihn6 • Besonders deutlich wird märz, in: ders. (Hg.), Staat und Gesellschaft im deutschen Vormärz 1815 bis 1848, Stuttgart 2. Aufl. 1970, S. 212; darüber hinaus sei zu dieser Fragestellung auf die weiteren Aufsätze dieses Sammelbandes verwiesen; vgl. auch Riedel, Manfred, Der Staatsbegriff der deutschen Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts in seinem Verhältnis zur klassisch-politischen Philosophie, in: Der Staat, 2, 1963, S. 41 - 63, der für diese Zeit allgemein den klassischen Staatsbegriff der Antike diagnostiziert, ein Begriff der eben keinen eigenständigen Gesellschaftsbegriff zuläßt, vgl. ebd., bes. S. 50 und 60. 3 Bussmann, Walter, Zur Geschichte des deutschen Liberalismus im 19. Jahrhundert, in: HZ, 186, 1958, S. 556, vgl. auch seine These der Gründung der Nationalliberalen als Konsequenz dieser Ausrichtung. Siehe auch Schieder, Theodor, Die Krise des bürgerlichen Liberalismus. Ein Beitrag zum Verhältnis von politischer und gesellschaftlicher Verfassung, in: ders., Staat und Gesellschaft im Wandel unserer Zeit. Studien zur Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, München 1958, S. 61, der die Krise des Liberalismus gerade in der ungenügenden Erfassung der geschichtlichen Wirklichkeit begründet sieht; vgl. z. B. Dahlmann, "Politik", § 3, S. 37, der den Menschen gemäß Aristoteles als Staatswesen bestimmt, wodurch deutlich wird, daß ein eigenständiger gesellschaftlicher Bereich nicht erkannt ist. 4 Brandt, Landständische Repräsentation, S. 165. 5 Einen guten überblick über die konservative Theorie bietet Brandt, Landständische Repräsentation, S. 47 - 121; vgl. auch Boldt, Deutsche Staatslehre im Vormärz,!. und 2. Kapitel passim. S Auch die Theorie Dahlmanns, trotz des dreipoligen Ideals der guten Verfassung, läßt diesen Dualismus erkennen. Wird doch von ihm dem aristokratischen Element kein eigenes Prinzip zuerkannt. Der Ordnungsfunktion des Monarchen und der Freiheitsfunktion der Volksvertretung entspricht beim aristokratischen Element nichts Vergleichbares. Ihm kommt allein eine Scharnierfunktion zwischen den bei den Prinzipien zu.
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dieses bei Mohl, der die Stellung des Monarchen nur dann meint aufrechterhalten zu können, wenn er diese bis auf den formalen Aspekt aushöhlt. Prinzipieller Dualismus, und das heißt zugleich Anerkennung eines notwendigen demokratischen Elements, in der Staatslehre des Vormärzliberalismus ist deren Kennzeichen und Fortschritt gegenüber der konservativen Richtung. Dieses erwies sich als die Aufgabenstellung und Zielangabe des Liberalismus, Verfassung als Rechtfertigung und Verankerung eines demokratischen Elements. Hierin wird man aber auch das alleinige Ergebnis des deutschen Vormärzliberalismus zu sehen haben und damit auch seine Grenze bezeichnen können. Denn über diese prinzipielle Verankerung des demokratischen Prinzips, deren politisch-theoretische, grundlegende Leistung in der damaligen Verfassungsdiskussion auf keinen Fall unterschätzt werden darf, ist eine weitere Erarbeitung dieses Prinzips nicht geleistet worden. So wird gerade Repräsentation in diese Diskussion stets untheoretisch eingeführt. Nicht als grundlegende, theoretisch notwendige Struktur wird sie gesehen, sondern allein als geschichtliche Form der Neuzeit. Die Dahlmannsche Erörterung des Prinzips landständisch oder repräsentativ 7 und die Rottecksche Gleichsetzung von Repräsentation und Volksvertretung sowie die Bewertung dieses Systems als Konsequenz offenbarer MündigkeitS zeigen, daß Repräsentation als grundlegende Struktur nicht in den Bereich der theoretischen Fragestellung dieser Zeit getreten ist. Am deutlichsten hierbei erneut Mohl, der Repräsentation als abstrakten Begriff für jede Art der Einflußnahme des Volkes auf Staatsgeschäfte definiert und die konkrete Form des parlamentarischen Systems allein auf Grund demokratischer Zeitströmungen etabliert9 • Nicht als eigenständiges Prinzip, sondern als Sammelbegriff für konkrete geschichtlich-politische Forderung erweist sich hier der Begriff der Repräsentation. Diese werden aufgegriffen und gemäß der entsprechenden erarbeiteten Theorie als rechtmäßig begründet. Die bloße Aufzählung der Rechte der Volksvertretung bei Dahlmann und Rotteck belegen ja eindringlich diesen unsystematischen Aspekt. Geschichtliche Formen werden, ohne den Funktionsaspekt zu berücksichtigen, durch Theorie gerechtfertigt. Zwar wird bei Mohl auf Grund der Frage nach der Einheit im Staate die Funktion in das Zentrum des Interesses gerückt, doch läßt sich auch bei ihm eine ähnliche Struktur feststellen. Der Funktionsaspekt dient ja nur dazu, das eng7
8 9
Politik, §§ 139 - 142, S. 123 - 133. Rotteck, Lehrbuch des Vernunftrechts, Bd. II, S. 237/8. Mohl, Gedanke der Repräsentation, S. 9; ders., geschichtliche Phasen, Dahlmann,
S.3.
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lische Modell als das einzig begründbare auszuweisen, diese Form wird gerechtfertigt, aber nicht analysiert und erfaßt. Dieses untheoretische Erfassen ist notwendige Konsequenz des Frageansatzes dieser Zeit. Nicht prinzipielle Erörterung der Struktur des rechten Staates, sondern Verfassung ist das Problem des Liberalismus. Die Frage nach dem Spannungsverhältnis von uranfänglichem Staat und freiem Individuum in der Einleitung der "Politik" wird bei Dahlmann nur gestellt, um auf die untheoretische Beantwortungsmöglichkeit der Geschichte zu verweisen. Obwohl die Beantwortung dann durchaus wieder unter theoretischer Fragestellung geleistet wird, ist sie aber schon auf die Frage nach der Verfassung eingeengt. Diese ist ja auch die Problematik der Mohlschen Ausrichtung an der Einheit im Staat. Auch Rottecks Theorie erwies sich gerade nicht als philosophische Staatstheorie, vielmehr ist sie als Erarbeitung einer Konzeption zum theoretischen Verständnis der Vormärzsituation zu verstehen, deren Schwerpunkt nicht in der Begründung des Staates, sondern in der Erarbeitung der Verfassungsstruktur der Republik zu sehen ist. Eine theoretische Erfassung des demokratischen Elements ist damit nicht möglich. Dessen Begründung ist nur durch Aufweis eines Offenbarwerdens von politischer Mündigkeit möglich. Nicht eine Bewegung wird erfaßt, allein deren Auswirkungen im staatlichen Bereich kommen ins Blickfeld. Unter diesem Aspekt, - und nur unter diesem, wird man deshalb der Aussage Brandts, daß der Vormärzliberalismus eher als Reaktion zu bezeichnen sei, zustimmen müssen. Dabei ist aber sogleich die Frage zu stellen, inwieweit diese Fragerichtung des Liberalismus auf Grund des noch nicht gänzlich offenbar gewordenen Auseinandertretens von Staat und Gesellschaft nicht geschichtlich notwendig ist. Es scheint nämlich, daß Brandt, wie weiter unten zu zeigen sein wird, die Kriterien seiner Beurteilung des Vormärz nicht hinreichend adäquat für diese Epoche gewählt hat. Von der Fragestellung her wird im Vormärz Repräsentation allein etatistisch erfaßt. Aufbau der Volksvertretung auf den Gemeinden bei Dahlmann oder gesetzlich anerkannten Vereinen bei Mohl, wie auch das Argument der Wahlrechtsbeschränkung bei Rotteck als Bürgschaft für staatsgemäßes Verhalten belegen diese These der Ausrichtung am Staatlichen. Die Frage der Beziehung zum Konstituenten wird durch die etatistische Ausrichtung nicht wirklich lösbar. Mohl sieht allein schon auf Grund seiner Vertretungsregelung alle Aspekte der Volksmeinung dauernd gesichert und vertreten, so daß er ohne weiteres die Instruktionsfreiheit proklamiertl°. Dahlmann verlagert die Frage auf die Vernunftebene, indem er der öffentlichen Meinung eine Korrektur10
Vgl. MohZ, Das Repräsentativsystem, S. 417.
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funktion gegenüber der Regierung und dem Parlament einräumt. Da diese "eine Volksversammlung der Geister"l1 ist, wird das Problem durch Übertragung von der politischen auf eine andere Ebene nicht behandelt, sondern Dahlmann weicht ihm aus. Zu dieser Lösung gelangt auch Rotteck nachdem die Versuche, dieses Problem systematisch in den Griff zu bekommen, gescheitert waren12 • Eine Aussage über die staatliche Funktion der Repräsentation, ihrer Stellung im Staatsganzen ist aber grundsätzlich ebenso wenig möglich. Zwar ist bei Dahlmann und Rotteck ein demokratisches Element als staatsnotwendig ausgewiesen, doch Konsequenzen lassen sich daraus nicht ziehen. Verschiedenste Formen können gemäß Dahlmann als dem Begriff der Volksfreiheit entsprechend angesetzt werden, wird doch auch die Verfassung des Mittelalters hierunter subsumiert. Selbst die Lehnsverfassung wird noch als mit dem Rudiment einer Volksfreiheit versehen interpretiert1 3 . Eine rudimentäre Volksmündigkeit sieht Rotteck ebenfalls als ausreichend für ein demokratisches Element an14 • Aus der Notwendigkeit dieses Faktors folgt keineswegs seine Form. So ist Repräsentation schließlich erst durch geschichtlichen Aufweis als notwendiges Element des Staates bestimmt. Nicht grundlegende Struktur, sondern nur deren neuzeitliche Form. Auf diesen geschichtlichen Aufweis reduziert sich dann schließlich allein die Begründung bei Mohl. Diese geschichtliche Komponente der vormärzlichen Staatslehre des Liberalismus ist als deren notwendiges Element anzusehen. Denn wie gerade die Arbeit von Boldt nachgewiesen hat, handelt es sich bei der Verfassungsdiskussion im Vormärz um den Versuch, Gegensätze, Monarchie und Demokratie, - zu vereinen15 • Auf Grund dieser Ausgangsposition sind dann aber alle konkreten Formen, die nur irgendwie beide Pole berücksichtigen, möglich. So kennt denn z. B. Rotteck auch die mögliche Regierungsform des Magistrats als Konkretisierung des künstlichen Organs16 • Die Entscheidung über die konkrete Form kann deshalb nicht aus der Theorie heraus erfolgen, es muß ein drittes als Entscheidungsfaktor hinzutreten, und das ist die Geschichte. Von hier aus ist dann der These Böckenfördes zuzustimmen, daß es sich bei der konstitutionellen Monarchie nicht um ein eigenes Formprinzip handelt, sondern deren Bedeutung "in der Ermöglichung eines kontinuierlichen 11 12
13
Dahlmann, Politik, § 84, S. 92.
Rotteck, Lehrbuch des Vernunftrechts, Bd.II, S. 277.
Dahlmann, Politik, § 70, S. 77/8; vgl. Riedel, Einleitung, S. 24.
Rotteck, Lehrbuch des Vernunftrechts, Bd. 11, S. 132. Vgl. Boldt, Deutsche Staatslehre im Vormärz, Kapitel 1, Abschnitte 111 - VIII, S. 25 - 54; ebenso ders., Zwischen Patrimonialismus und Parlamentarismus, S. 79 - 83. 18 Rotteck, Lehrbuch des Vernunftrechts, Bd. 11, S. 95/96. 14
15
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auf einer Reihe von Kompromissen beruhenden Übergangs von monarchischer zu parlamentarischer Regierung, von der Monarchie zur Volkssouveränität"17 liegt. Eine eigene historische Legitimität ist ihr deshalb abzusprechen1B . Das geschichtliche Moment erweist sich somit als Hauptelement dieser Theorie. Geschichte ist der Faktor, der die Variationsbreite der möglichen Formen der Theorie auf eine konkrete Ausgestaltung hin fixiert. Diese geschichtlichen Bedingungen werden aufgenommen und gemäß der Theorie gerechtfertigt und bestimmt, wobei als Verbindungsglied der Nachweis der Mündigkeit dient. Dementsprechend tritt auch die Frage nach dem Funktionieren und Zusammenspiel der staatlichen Faktoren nicht auf. Allein der Bezug zum Ideal der guten Verfassung oder dem Prinzip der Republik wird aufgezeigt. Nicht die Funktion, nur die Rechtfertigung steht zur Diskussion. Auch nur in bezug auf diese Theorie kann dann die erarbeitete Gewaltenteilung funktionieren, d. h., jeder einzelne Faktor muß sich schon selbst als Verfassungsorgan gemäß der AufgabensteIlung der Theorie verstehen19 . Tut er dies nicht, ist bei den weitgehenden Rechten 17 Böckenförde, Ernst Wolfgang, Der Verfassungstyp der deutschen konstitutionellen Monarchie im 19. Jahrhundert, in: ders. (Hg.), Moderne deutsche Verfassungsgeschichte, Köln 1972, S. 146 -170, Zitat S. 158/9. Siehe auch ders., Der deutsche Typ der konstitutionellen Monarchie im 19. Jahrhundert, in: ders., Staat, Gesellschaft, Freiheit. Studien zur Staatstheorie und zum Verfassungsrecht, Frankfurt 1976, S. 112 - 145; ebenfalls in: Conze, Werner (Hg.), Beiträge zur deutschen und belgischen Verfassungsgeschichte im 19. Jahrhundert, Stuttgart 1967, S. 70 - 92. Die Auffassung, daß der Konstitutionalismus nicht als eigene Verfassungsform, sondern nur als Übergangsstadium anzusehen ist, - wenn auch mit der Korrektur, daß die Notwendigkeit der Entwicklung zum Parlamentarismus nicht allgemein akzeptiert wird, - kann heute wohl als allgemeiner wissenschaftlicher Konsens betrachtet werden. Vgl. dazu Ritter, G. A., Entwicklungsprobleme des deutschen Parlamentarismus, in: ders. (Hg.), Gesellschaft, Parlament und Regierung, Düsseldorf 1974, S. 13; Brandt, Hartwig, Gesellschaft, Parlament und Regierung in Württemberg 1830 - 1840, in: Ritter, G. A. (Hg.), Gesellschaft, Parlament und Regierung, S. 101 - 118 als konkret geschichtlicher Beleg dieser These; Scheuner, Ulrich, Volkssouveränität und Theorie der parlamentarischen Vertretung, in: Bosl, Karl (Hg.), Der moderne Parlamentarismus und seine Grundlagen in der ständischen Repräsentation, Berlin 1977, S. 302, S. 302 Anm. 10; Dietrich, Richard, über Probleme verfassungs geschichtlicher Forschung in unserer Zeit, in: Böckenförde, E. W. (Hg.), Probleme des Konstitutionalismus im 19. Jahrhundert (= Beiheft 1 zu "Der Staat") Berlin 1975, S. 16; Boldt, Hans, Verfassungskonflikt und Verfassungshistorie. Eine Auseinandersetzung mit Ernst Rudolf Huber, in: Böckenförde, E. W. (Hg.), Probleme des Konstitutionalismus im 19. Jahrhundert, S. 76 - 96; siehe auch ders., Zwischen Patrimonialismus und Parlamentarismus, S. 80 ff.; vgl. auch Mayer, Hanns, Die Krisis der deutschen Staatslehre und die Staats auffassung Rudolf Smends, Diss. jur. Köln 1931, S. 6. Als Vertreter der gegenteiligen Auffassung seien angeführt: Hintze, Otto, Das monarchische Prinzip, S. 359 - 389; Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 11, S. 3 ff. 18 Böckenförde, Der Verfassungstyp der deutschen konstitutionellen Monarchie im 19. Jahrhundert, in: ders. (Hg.), Moderne deutsche Verfassungsgeschichte, Köln 1972, S. 160.
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und Eingriffsmöglichkeiten auch innerhalb der verfassungsmäßigen Regelungen die Paralyse des Staates Ergebnis, da beide Faktoren gleich stark sind. Ansonsten ist die Wirklichkeit allein Ergebnis der Machtkonstellation. Ähnlich ist auch das Ergebnis bei Mohl zu sehen. Bei ihm fällt ja, wegen seiner rein pragmatischen Ausrichtung, eine theoretisch-systematische Begründung seiner Lehre fort. Allein auf das Argument demokratischer Zeitströmungen und des nur in England geleisteten Lösungswegs der parlamentarischen Regierung, der allein den Bestand des monarchischen Elements sichere, gründet er sein Eintreten für eben dieses System. Dieses setzt jedoch eine starke demokratische Strömung voraus. Ist diese, aus welchen Gründen auch immer, im Abnehmen begriffen oder verschwindet sie sogar, ist die Mohlsche Argumentation hinfällig. Nicht einmal die Forderung nach einem rudimentären demokratischen Element kann erhoben werden. Mohls Konzept steht und fällt mit der konkreten Machtsituation. Theoretisch ist er deshalb auch noch weit hinter der Position des frühen Dahlmann im "Wort über Verfassung" zurückgeblieben. Faßt man die Untersuchung zur Stellung des Begriffs der Repräsentation in der liberalen Staatslehre des Vormärz zusammen, so läßt sich feststellen, daß dieser vorwiegend untheoretisch benutzt wird. Zur Kennzeichnung der neuen Form der Volksfreiheit (Dahlmann) oder als Ergebnis politischer Mündigkeit (Rotteck) bis zur Bezeichnung für Volksvertretung allgemein (Mohl) reicht die Verwendung. Dabei lassen dann etatistische Ausrichtung und Ausgang von kontradiktorischem Dualismus eine weitere theoretische Erfassung nicht zu. Allein die Notwendigkeit der Repräsentation auf Grund theoretischer und, oder auch nur bei Mohl, - auf Grund geschichtlicher Begründung wird erwiesen. Das Phänomen selbst wird nicht erfaßt, diese Problematik wird durch die Fragestellung nicht erkannt 20 • Das Faktum und seine Begründung standen im Vordergrund dieser Zeit, nicht dessen theoretische Durchdringung. Diese Notwendigkeit der Repräsentation bezieht sich aber auf eine staatliche Repräsentation, wie schon die etatistische Ausrichtung, das Ideal der guten Verfassung und der Republik zeigen. Auch das Mohlsche Modell wird man ja als Gewaltenteilung durch Spaltung der Staatsgewalt in formale und materiale Ebene bezeichnen und somit der parlamentarischen Regierung sozusagen eine etastische Funk19 Vgl. Boldt, Zwischen Patrimonialismus und Parlamentarismus, S. 89: "Intendiert wurde die überbrückung möglicher Konflikte mit der Regierung im Geiste der Versöhnung nicht unter Aufgabe der Reform, sondern um ihres Gelingens willen." 20 Vgl. schon Reuss, Hermann, Zur Geschichte der Repräsentativverfassung in Deutschland, in: Rausch, Heinz (Hg.), Zur Theorie und Geschichte der Repräsentation und Repräsentativverfassung, Darmstadt 1968, S. 20.
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tion unterhalb der juristischen Ebene zusprechen müssen. Demgegenüber sieht Boldt den Vormärz durch die Untertanenrepräsentation geprägt, wobei er als Ideal den frühen Mohl anführt: Repräsentation trotz an sich weitgehender Rechte allein als Rechtswahrungsinstitution verstanden21 • Teilhabe an der Staatsgewalt würde nämlich Gewaltenteilung bedeuten. Gewaltenteilung konstatiert Boldt zwar bei Dahlmann und Rotteck22 und sieht ähnliche Vorstellungen auch bei Theoretikern, die nicht explizit Gewaltenteilung befürworten23 , vermittelt diese Erkenntnis jedoch nicht mit seiner Aussage über das Vormärzverständnis der Repräsentation. Offensichtlich ist hier der Begriff der Repräsentation nicht gemäß der Diskussion des Vormärz zug rundgelegt, es handelt sich um das allgemeine Verständnis von Repräsentation, das unmittelbar Volkssouveränität impliziert24 . Die Eigenart des Vormärz besteht aber gerade darin, Repräsentation als neben dem Monarchen notwendiges staatliches Moment zu etablieren, ohne die Frage der Volkssouveränität zu berühren. Von der Theorie der Verfassung aus ergeben sich eben andere Möglichkeiten, staatliche Repräsentation zu akzeptieren, indem z. B. die Souveränität dem idealen Gesamtwillen zugesprochen wird (Rotteck). Dem hier dargelegten Ergebnis der theoretischen Nichterfassung der Repräsentation im deutschen Vormärz scheint die Arbeit von Brandt entgegenzustehen. Ausdrücke wie "neuständisch", "altständisch" und "sozialständisch"25 werden gerade eingeführt, um zu einer Systematisierung und Gliederung der Repräsentation zu kommen. Doch hebt Brandt, - und das ist seine Fragestellung, - auf "das breite Spektrum der Vorstellungen und Entwürfe zur Frage der ,Volksvertretung'" ab, deren "kaleidoskop artige Vielfalt ... aufgezeigt und jeweils geprüft werden"26 soll. Auch zeigt er dann die Bruchstellen in den einzelnen Konzeptionen auf, wie die ungelöste Frage der staatlichen Integration bei Mohl 27 und die Schwierigkeiten von Rotteck, die Beziehung von Repräsentant und Repräsentierten zu erfassen28 • Ergebnis ist dann: "Die Politiktheorie des deutschen Vormärz hat keine geschlossene Konzeption einer parlamentarischen Repräsentation hervorgeBoldt, Deutsche Staatslehre im Vormärz, S. 85 - 89. Ebd., S. 92 - 96. 23 Ebd., S. 91 Anm. 144. 24 Boldt, Deutsche Staatslehre im Vormärz, S. 85 - 87, vgl. in diesem Zusammenhang auch die Verwunderung Boldts, daß trotz des Eintretens für ein monarchisches Prinzip Dahlmann eine Gewaltenteilung akzeptiert, ebd., S. 92. 25 Brandt, Landständische Repräsentation, S. 6. 28 Ebd., S. 5. 27 Ebd., S. 254. 28 Ebd., S. 263 - 266. 21
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bracht29 ." Erklärt wird dieses Phänomen dadurch, daß der deutsche Vormärz noch der Tradition der Monarchie verhaftet bleibt, diesem das Monopol der staatlichen Integration überläßt 30 und so trotz Aufnahme "zahlreicher Attribute aus dem Arsenal des modernen Verfassungsstaates"31 nur zur Untertanenrepräsentation gelangt. Tradition und Repräsentation kennzeichnen also den deutschen Vormärz 32 . Es fragt sich jedoch, ob der Bezugsrahmen Brandts der Beschreibung und Erklärung des deutschen Vormärz wirklich der damaligen Situation gerecht wird. Denn Brandts Fragestellung geht dahin zu untersuchen, wie sich "repräsentativstaatliche Pläne und Theorien" im Vormärz vor dem "doppelten Handikap" einer fest verankerten Monarchie und fehlender sozialer Unterstützung demokratischer Forderung ausbilden3s . Die Bedingungen und Grundlagen des Vormärz werden hier nur als Störfaktoren einer weitergehenden Problemstellung erfaßt. Die Frage nach der Repräsentation im deutschen Vormärz wird also nicht von seinen Bedingungen und gemäß der damaligen Konstellation gestellt und verfolgt, sondern sie geht darüber hinaus. Die Brandtsche Fragestellung wird bestimmt durch einen Begriff der Repräsentation sowie repräsentativstaatliche Vorstellungen, wie sie sich in der Auseinandersetzung mit der Diskussion hierüber, beginnend in den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts bis zur jetzigen Zeit, ergeben habenS4 • Dieses wird auch deutlich durch die Auseinandersetzung mit der Theorie C. Schmitts an den Bruchstellen der Theorien des Vormärz s5 . Das Ergebnis besteht dann auch konsequent in der Konstatierung, daß dieser Repräsentationsgedanke im Vormärz nicht verwirklicht werden konnte, da "ein am politischen Primat des Fürsten orientiertes ,liberales' Verfassungs denken - ... - den Repräsentationsgedanken einengend zu interpretieren gezwungen ist"36. Von hier aus erklären sich auch die Aussagen Brandts, daß der Vormärzliberalismus "mehr Spiegelbild als Infragestellung der landständischen Verhältnisse Deutschlands"37, "mehr eine Doktrin hinsichtlich der Begrenzung als der Konstituierung der Staatsgewalt"38 sei. Bewertungsmaßstab dieser Aussagen ist ein Repräsentationsverständnis, das nicht aus dieser Zeit 29 Ebd., S. 7. Ebd., S. 7, 39. 31 Ebd., S. 39 vgl. auch S. 232. 32 Ebd., S. 28l. 33 Ebd., S. 162. 34 Eine Auseinandersetzung mit diesen Theorien wird bei Brandt, ständische Repräsentation, S. 15 - 20 ausdrücklich geführt. 35 Vgl. ebd., S. 254, 265. 38 Brandt, Landständische Repräsentation, S. 233. 37 Ebd., S. 162. 38 Ebd. 30
Land~
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gewonnen wurde. Die Bedingungen der Zeit bleiben außer halb, werden nur als einschränkende Faktoren erfaßt, so daß Brandt der positiven Leistung dieser Zeit nicht voll gerecht werden kann39 • So stellt sich schließlich auch die Frage, ob in dieser Zeit von einer solchen, wenn auch rudimentären Theorie überhaupt gesprochen werden kann, oder ist der Vormärz durch andere Fragen geprägt. Diese Frage wird von Brandt nicht gestellt. Vielmehr werden einzelne Aussagen der Theoretiker des Vormärz zur Volksvertretung über die durchaus mögliche Systematisierung und Gliederung hinaus als Elemente repräsentativstaatlicher Theorie interpretiert. Es wird nur auf Aspekte der vormärzlichen Theorie abgehoben. Das monarchische Element, durchaus als notwendig für die Zeit erkannt, wird nicht mit in die Fragestellung einbezogen und dient nur zur Erklärung der Diskrepanz zum Repräsentationsverständnis späterer Zeit. Unsystematisch, unter dem Titel Tradition, wird es nur erfaßt. Dieses für den Vormärz notwendige Element muß aber mit in die Reflexion einbezogen werden, um den Repräsentationsbegriff aus seiner Abstraktheit nachfolgender Erörterungen zur zeitlichen Konkretheit zu bringen. Nicht Konstatierung eines "Noch nicht", d. h., daß dieser spätere Repräsentationsbegriff noch nicht verwirklicht worden ist, sondern Bestimmung des zeitgenössischen Verständnis wird dann die Folge sein. Auf die Bedeutung und entscheidende Funktion des monarchischen Elements für die Staatslehre des Vormärz hat gerade Boldt in seinen Arbeiten verwiesen. Seine Systematik der vormärzlichen Staatslehre ergibt sich gerade aus den verschiedenen dem Monarchen zugeschriebenen oder belassenen Rechten40 • Ohne dieses Element ist die Stellung des demokratischen Elements nicht zu bestimmen, es gehört notwendig in die Betrachtung hinein. Notfalls kann man dann von einer späteren Problemorientierung aus Ansätze zum parlamentarischen System ent39 Eine vergleichbare Vorgehensweise für den Vormärz bei Hofmann, Hasso, Repräsentation. Studien zur Wort- und Begriffsgeschichte von der Antike bis ins 19. Jahrhundert, Berlin 1974, S. 416 - 440, S. 446 - 454. Hierbei wird weniger der Repräsentationsbegriff des Vormärz erarbeitet, als einzelne Charakteristika mit den Elementen vorangegangener oder folgender wissenschaftlicher Diskussion (Cusanus oder Schmitt) in Verbindung gebracht. Nicht Bestimmung aus der eigenen Epoche heraus, sondern Korrelierung mit anderen Definitionen, d. h. eben Nicht-Erfassung des zeitgenössischen Ver. ständnisses. Dadurch wird dann der Gefahr gesteuert, daß dieses Phänomen, welches in dieser Zeit weitgehend unbestimmt bleibt, sich der eindeutigen Bestimmung entzieht, es wird vielmehr als Element einer bestimmten Tradition vereinnahmt. Ob dieses Vorgehen der Fragestellung Hofmanns nach Erforschung der Repräsentation gemäß "der Bedeutung in einem bestimmten Zusammenhang" (ebd., S. 35) entspricht, ist also fraglich, die spezifische Aussage des Vormärz zu diesem Problem wird durch dieses Vorgehen mehr verschleiert als erfaßt. 40 Vgl. Boldt, Deutsche Staatslehre im Vormärz, S. 282 - 287 und ders., Zwischen Patrimonialismus und Parlamentarismus, S. 83 - 97.
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decken 41 • Wie Ritter betont hat, ist die Situation des vormärzlichen Konstitutionalismus durchaus ambivalent, eine notwendige Entwicklung zum Parlamentarismus ist nicht feststellbar 42 • Dieser Ausgangsbedingung muß aber die wissenschaftliche Fragestellung, - soll es sich um die Erfassung des Repräsentationsbegriffs des Vormärz handeln, gerecht werden. Die Bewertungskriterien dürfen deshalb nicht aus einer späteren Diskussion entnommen werden, da sich das Ergebnis dann auf ein, - vom Ansatz her notwendiges, - "Noch nicht" reduziert, ohne das Analysierte selbst zu erfassen43 • Von der Fragestellung und Problemorientierung des Vormärz aus erweist es sich, daß es nicht um repräsentationsstaatliche Theorien geht, sondern um theoretische Aneignung und Legitimierung des Dualismus Monarch Volksvertretung, näherhin um die Verankerung des letzten Moments. Dabei wird Repräsentation als theoretisch und geschichtlich notwendig erwiesen, aber nicht näher bestimmt. Repräsentation als eigenständiger Begriff fällt zwar durch das Raster der vormärzlichen Fragestellung. Unbedenklich werden allein die Rechte vom Monarch und den Ständen unsystematisch aufgezählt, ohne auch nur das Problem des Funktionszusammenhanges anzudeuten. Eine explizite repräsentativstaatliche Theorie, - und insoweit ist dem Ergebnis der Brandtschen Untersuchung zuzustimmen, - ist in der Zeit des Vormärz nicht festzustellen. Doch bleibt dabei hinzuzufügen, daß dieses von der Fragestellung der damaligen Zeit aus nicht zu erwarten war. Trotzdem läßt sich entgegen dem "Noch nicht" Brandts eine positive Aussage dieser Zeit zur Repräsentation festhalten. Repräsentation, wenn auch noch nicht eindeutig theoretisch bestimmt, wird von der vormärzlichen Theorie als notwendig ausgewiesen. Die Problemstellung der Zeit, - und dies sollte ja gerade die detaillierte Analyse der jeweiligen Gesamtsysteme darstellen, - war die Verfassungsfrage. Nur im Rahmen dieser Frage wird deshalb auch das Repräsentationsproblem gelöst und Repräsentation als konstitutiv erwiesen. Bei dieser Problemstellung ist es auch nicht verwunderlich, daß, wo der Kampf um die Verankerung des Prinzips ging, dieses nicht auch noch theoretisch detailliert definiert wird. Der Beitrag des Vormärz zur Repräsentationsproblematik ist also darin zu sehen, daß Repräsentation als notwendiges, wenn auch nur ein notwendiges, Element im Staate ausgewiesen wird. Die Geschichte 41 42
Boldt,
Zwischen Patrimonialismus und Parlamentarismus, S. 99 - 100.
Ritter, Entwicklungsprobleme des deutschen Parlamentarismus, S. 13;
zur Diskussion hierüber vgl. ebd., S. 11 - 13. 43 Bei Ritter, Entwicklungsprobleme des deutschen Parlamentarismus, ist der Begriff Parlamentarismus nur deshalb auch auf die Zeit des Vormärz angewendet, weil er als abstrakter, weitgefaßter Arbeitsbegriff gefaßt ist, vgl. ebd., S. 11 Anm.
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der neuzeitlichen Lehre der Repräsentation beginnt mit dem Erfassen ihrer Notwendigkeit, wenn auch der Begriff selbst nur als Sammelname für politisch geforderte Rechte und Vertretungseinrichtungen untheoretisch gebraucht wird. Von daher erweist sich auch die Fragerichtung dieser Arbeit, die durch die Pollmannsche Definition der Repräsentation angezeigt wurde, als adäquat. Hatte doch Pollmann gerade diesen Begriff als konstitutives Element einer Gemeinschaft ,bestimmt. Es wird nun weiter zu untersuchen sein, ob dieser Ansatz der Bestimmung der Repräsentation in der politischen Theorie und Staatslehre weiterentwickelt wird oder nicht.
TEIL 11
Rechtspositivismus oder die Eskamotage der Repräsentation Der weitgesteckte zeitliche Rahmen dieser Arbeit, verbunden mit der theoretisch-systematischen Fragestellung nach der Repräsentation in den jeweiligen Systemen muß notwendig eine Begrenzung und Auswahl des zu untersuchenden Materials nach sich ziehen, wenn weniger die Quantität als die Intensität der Behandlung des Untersuchungsgegenstandes angestrebt werden soll. So ergibt sich der Zwang zur Periodisierung und Typologisierung, um von dort aus zu einer begründeten Auswahl der zu behandelnden Autoren zu gelangen und sodann die jeweiligen Ergebnisse als typisch für eine bestimmte Zeit erweisen zu können. Für die Periodisierung der Zeit nach 1848 bietet sich der staatsrechtliche Positivismus als Epochebezeichnung an. Der Aufweis der Berechtigung dieser Etikettierung, die zeitliche Eingrenzung dieser Epoche als auch die Bezeichnung der typischen Vertreter dieser Richtung, soll deshalb im nächsten Abschnitt dargelegt werden. Gleichzeitig soll die Darlegung den Beweis erbringen, daß bei dieser Typisierung keine wesentliche Strömung der deutschen Staatslehre unberücksichtigt geblieben ist.
1. Die Epoche des Rechtspositivismus Daß der Rechtspositivismus gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Staatsrechtswissenschaft fast vollständig beherrscht hat!, darf wohl als allgemein anerkannte Tatsache gelten. Zwar wird man keinesfalls von einer unbedingten Herrschaft dieser Staatslehre sprechen können, doch läßt sich ihre alles überziehende und beeinflussende Dominanz nicht bestreiten2 • Dieses zeigt sich zum Beispiel darin, daß selbst die Gegner 1 So Triepel, Heinrich, Staatsrecht und Politik. Rede beim Antritt des Rektorats der Friedrich Wilhelms-Universität zu Berlin am 15. Oktober 1926, Berlin und Leipzig 1927, S. 9 (weiterhin zitiert: Rektoratsrede). 2 Vgl. hierzu u. a. EHwein, Thomas, Das Erbe der Monarchie in der deutschen Staatskrise, München 1954, S. 208/9 (weiterhin zitiert: Das Erbe der Monarchie); Oertzen, Peter von, Die soziale Funktion des staatsrechtlichen Positivismus. Eine wissenssoziologische Studie über die Entstehung des formalistischen Positivismus in der deutschen Staatsrechtswissenschaft (Phi!. Diss. masch. Göttingen 1953) Frankfurt 1974, S. 8 (weiterhin zitiert: Die Funktion des Positivismus); Rosenbaum, Wolf, Naturrecht und positives Recht. Rechtssoziologische Untersuchungen zum Einfluß der Naturrechtslehre auf die Rechtspraxis in Deutschland seit Beginn des 19. Jahrhunderts, Neuwied und Darmstadt 1972, S. 55.
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Teil II: Rechtspositivismus oder Eskamotage der Repräsentation
dieser Richtung vom Positivismus beeinflußt waren oder ihm zum mindesten Rechnung tragen mußten. So ist im Staate Bismarcks auch die konservative Staatslehre gezwungen, sich mit diesem Staat positivistisch auseinanderzusetzen. Eine historische oder idealistische Begründung mußte an der Wirklichkeit des Staates scheitern3 • Auch die Organismustheorie Otto von Gierkes bietet, - zumal für die hier interessierende Frage der Repräsentation, - keine andere Problemsicht als der Positivismus. Genau wie dieser setzt sie ja bereits die Vereinheitlichung der Kräfte im Staat schon voraus, ohne sie analysiert zu haben4 • Ist die Epoche des staatsrechtlichen Positivismus durch die fast vollständige Beherrschung der Staatsrechtslehre gekennzeichnet, so wird man ihr Ende dann anzusetzen haben, wenn eine Richtung in der deutschen Staatsrechtslehre sich in entschiedene Opposition zur positivistischen Lehre setzt und versteht. Als Dokumente in dieser Richtung können die bereits zitierte Rektoratsrede von Triepel wie auch Smends Auseinandersetzung mit der Labandschen Lehre angesehen werdens. Wie Scheuner dargelegt hat, kann man deshalb in den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts einen Neubeginn in der Staatslehre unter bewußter Abkehr vom Rechtspositivismus feststellen 6 , und das heißt zugleich, das Ende der Epoche des Rechtspositivismus hier zu fixieren. Diese neue Staatslehre fühlt sich eher der politischen Staatslehre des Vormärz verbunden7 , was sich auch eindeutig in der Fülle von Dissertationen und Veröffentlichungen über Theoretiker und Staatslehrer jener Zeit dokumentiert8 • Mit dem Aufkommen dieser neuen Staats3 Vgl. hierzu allgemein Oertzen, Die Funktion des Positivismus, S. 249 bis 254; für die konservative Staatslehre siehe Rosenbaum, Naturrecht und positives Recht, S. 42/43. 4 Vgl. Scheuner, Ulrich, Das Wesen des Staates und der Begriff des Politischen in der neueren Staatslehre, in: Staatsverfassung und Kirchenordnung. Festgabe für Rudolf Smend zum 80. Geburtstag, Tübingen 1962, S. 235, (weiterhin zitiert: Das Wesen des Staates). 5 Vgl. Triepel, Rektoratsrede (siehe Anm. 1); Smend, Rudolf, Der Einfluß der deutschen Staats- und Verwaltungslehre des 19. Jahrhunderts auf das Leben in Verfassung und Verwaltung, zuerst veröffentlicht in: Deutsche Rechtswissenschaft, 4, 1939, S. 25 - 39, jetzt wieder abgedruckt in: ders., Staatsrechtliche Abhandlungen und andere Aufsätze, 2. erweiterte Aufl. Berlin 1968, S. 326 - 345 (weiterhin zitiert nach dem Abdruck im Sammelband unter dem Kürzel: Der Einfluß d. dt. Staatslehre des 19. Jh.). e Scheuner, Das Wesen des Staates, S. 247; vgl. auch Sontheimer, Kurt, Zur Grundlagenproblematik der deutschen Staatsrechtslehre in der Weimarer Republik, in: ARSP, 46, 1960, S. 41 - 43. Zur bewußten Frontstellung gegen den Rechtspositivismus siehe auch Smend, Rudolf, Die Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer und der Richtungsstreit, in: Festschrift für Ulrich Scheuner zum 70. Geburtstag, hrsg. von H. Ehmke, J. H. Kaiser, W. A. Kewenig, K. M. Meessen, W. Rüfner, Berlin 1973, S. 575 - 589. 7 Vgl. Triepel, Rektoratsrede, S. 37. 8 Erwähnt seien hier nur die von Westphal besorgte Ausgabe der "Politik" von Dahlmann (1924), sowie die Arbeiten von Christern (1921) und
1. Die Epoche des Rechtspositivismus
131
lehre ist deshalb das Ende der Epoche des staatsrechtlichen Positivismus gleichzusetzen9 • Diese Fixierung bedeutet· keineswegs das gänzliche Verschwinden der positivistischen Staatslehre. Dieses wäre auch ein verwunderliches Faktum nach der unbestrittenen Dominanz dieser Lehre über fast 50 Jahre hinweg. Vielmehr ist in der "Reinen Rechtslehre" von Hans Kelsen eine Fortentwicklung der Gerber - Labandschen Schule zu sehen10 • Doch ist nun der Rechtspositivismus zu einer Lehre unter anderen geworden, und nicht nur das: er wird in seiner Methode von der neuen Lehre grundsätzlich bekämpft. Ist das Ende der Epoche des Rechtspositivismus relativ einfach zu bestimmen, so bedarf es für die Fixierung des Beginns der Epoche einer detaillierteren Erörterung. Triepel bezeichnete den staatsrechtlichen Positivismus konkreter als Gerber - Labandsche Schule l l ; C. F. von Gerber und Paul Laband sind als die Begründer des staatsrechtlichen Positivismus in Deutschland anzusehen. Von daher bietet es sich an, anhand der Erscheinungsdaten ihrer Hauptwerke die genauere Bestimmung der Periode des Rechtspositivismus vorzunehmen. 1852 publizierte Gerber seinen ersten Versuch, das Staatsrecht gemäß dem Privatrecht zu fassen 12, doch gelangt er zu seiner, die weitere Staatslehre bestimmenden Systematik erst in den "Grundzügen des deutschen Staatsrechts"13. Den Durchbruch dieser neuen Richtung wird man jedoch erst um 1880 ansetzen können14 . 1876 erscheint Labands "Staats.,. Linnenkohl (1913) über F. Chr. Dahlmann; ebenfalls fallen die Dissertationen von Weiss (1924) und Koch (1919) über Rotteck, wie die von Hähnle (1921) und Taupitz (1924) über Mohl in diesen Rahmen. Auch Wilhelms Arbeit über die eng!. Verfassung und den deutschen Liberalismus (1928) wie auch Zehntners Studie über das "Staatslexikon" (1929) können· hier als Beleg für das Interesse am Vormärz angeführt werden. (Auf eine bibliographisch vollständige Angabe der in dieser Anmerkung zitierten Werke wurde verzichtet, da alle Arbeiten bereits im Teil I dieser Arbeit zitiert wurden und durch die Angabe des Erscheinungsjahres und des Autors die jeweiligen Werke in der Bibliographie eindeutig aufzufinden sind.) 9 Dieses Datum findet auch eine Begründung in der politischen Geschichte. Denn mit der Revolution von 1918 war die selbstverständliche Verfassungsgrundlage des staatsrechtlichen Positivismus erschüttert, eine Neubegründung, wie sie dann Kelsen durchführte, wurde notwendig. 10 Kelsen, Hans, Reine Rechtslehre, 1. Auf!. Leipzig Wien 1934; diese Lehre wurde zuvor schon von Kelsen vertreten in: ders., Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, Tübingen 2. Auf!. 1923; ders., Allgemeine Staatslehre, 1. Auf!. 1925. Als weitere Vertreter der positivistischen Staatslehre in Weimar seien nur G. Radbruch und M. E. Mayer erwähnt. 11 Vg!. Triepel, Rektoratsrede, S. 10. 12 Gerber, C. F., Ueber öffentliche Rechte, Tübingen 1852. 13 Gerber, Carl Friedrich von, Grundzüge des deutschen Staatsrecht, 1. Auf!. 1865; bei der Interpretation wurde jedoch der Neudruck der 3. Auf!. Leipzig 1880, Aalen 1969 verwandt (weiterhin zitiert: Grundzüge). 14 Diese Datierung bei Bärsch, Claus-Ekkehard, Der Gerber-Laband'sche Positivismus, in: Sattler, Martin J. (Hg.), Staat und Recht. Die deutsche Staatslehre im 19. und 20. Jahrhundert, München 1972, S. 43. 9'
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Teil II: Rechtspositivismus oder Eskamotage der Repräsentation
recht des deutschen Reiches"15, in dem Smend den Bruch mit der Staatslehre der Vergangenheit vollzogen sieht16, und 1886 erscheint zum ersten Mal das offizielle Organ des Rechtspositivismus, das "Archiv des öffentlichen Rechts"17. Trotzdem wird man den Beginn der Epoche früher ansetzen müssen, soll nicht der Begründer dieser Lehre, earl Friedrich von Gerber, als dessen Testamentsvollstrecker Laband anzusehen ist18, unberücksichtigt bleiben. Betrachtet man die Staatslehre, die bis 1880 noch neben dem Positivismus ihre Stellung behauptete, so erweist sich auch von dort her der Sinn einer früheren Datierung. Oertzen führt für diese Zeit neben den Theoretikern des liberalen Rechtsstaats wie Mohl eine Gruppe von Vertretern der Theorie des souveränen Organismus mit Zachariä und Bluntschli an19. Die letzte Richtung hat Boldt seinem Modell 3 zugeordnet, indem er die Theorie von Zachariä und Bluntschli als Weiterentwicklung der Theorie des Zusammenwirkens erklärt20 . Auch Oertzen räumt ein, daß beide Richtungen "sich nicht mit aller Eindeutigkeit voneinander abgrenzen"21 lassen. Gleiche politisch-weltanschauliche Haltung und mannigfache Parallelen sowie besonders der Umstand, daß die Theorie des Organismus keineswegs den Rahmen der älteren konstitutionellen Staatslehre überschreitet22, läßt die Zuordnung zur liberalen Theorie des Vormärz gerechtfertigt erscheinen. Ist die Organismustheorie deshalb prinzipiell dem Vormärz noch zuzuordnen, so weist ihre Weiterentwicklung doch schon über diese Zeit hinaus. Es läßt sich, vor allem bei Bluntschli, eine Tendenz zum Positivismus konstatieren, eine Eigenschaft, die freilich in anderem Ausmaß ja schon bei Mohl zu verzeichnen war. So setzt Bluntschli die Legitimität der Regierung mit deren Rechtmäßigkeit gleich. Die Konsequenzen aus dieser positivistischen Gleichsetzung vermeidet er dadurch, daß er den Legitimitätsbegriff dynamisch versteht, indem er ein Recht auf har15 Laband, Paul, Das Staatsrecht des deutschen Reiches, 1. Aufl. 1876, bei der Interpretation wurde der Neudruck der 5. Aufl. Tübingen 1911 - 14, 4 Bde., Aalen 1964 verwandt (weiterhin zitiert: Staatsrecht). 18 Smend, Der Einfluß d. dt. Staatslehre des 19. Jh., S. 334. 17 Vgl. Oertzen, Die Funktion des Positivismus, S. 154 Anm. 1. 18 Die Bezeichnung Labands als geistiger Testamentsvollstrecker Gerbers von Landsberg, Ernst, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, 3. Abteilung 2. Halbband, München Berlin 1910, unveränderter Neudruck Aalen
1957, S. 833.
Oertzen, Die Funktion des Positivismus, S. 96 - 153. Vgl. Boldt, Deutsche Staatslehre im Vormärz, S. 288 - S. 289; eine ähnliche Einschätzung Bluntschlis bei Böckenförde, Ernst Wolfgang, Gesetz und gesetzgebende Gewalt. Von den Anfängen der deutschen Staatsrechtslehre bis zur Höhe des staatsrechtlichen Positivismus, Berlin 1958, S. 195 - 200. !1 Oertzen, Die Funktion des Positivismus, S. 114. 22 Diese Kennzeichnungen alle bei Oertzen selbst, vgl. ebd., S. 114 - 115. 19
20
1. Die Epoche des Rechtspositivismus
133
monische Entwicklung des Staats ausdrücklich anerkennt2s . So zeichnet sich letztlich in diesen Fortentwicklungen der liberalen Vormärztheorie eine Aushöhlung der jene Zeit beherrschenden Problemstellung ab. Will man die Staatslehre des Vormärz und des Nachmärz typologisieren, so wird man festhalten müssen, daß im Vormärz die Wissenschaft dem Staat gegenüber einen Gestaltungsanspruch erhob. Mit philosophisch-soziologischer Fragestellung wurde der Staat analysiert und von dorther grundlegend kritisiert. Die Legitimität des Staates war das Problem. Die Staatslehre des Nachmärz dagegen beschränkt sich auf eine spezifisch juristische Erörterung und gelangt somit in eine Abhängigkeit zum wirklichen Staat24 . Deutlich greifbar wird dieser Unterschied auch in dem Umstand, auf den Triepel verwiesen hat, daß alle Theoretiker des Vormärz engagierte Politiker und Abgeordnete waren, während von den Vertretern der Staatslehre im Nachmärz keiner jemals eine derartige politische Funktion ausübte25 . Dieses hatte durchaus seine objektiven Ursachen. Die Verfassungsgebung war abgeschlossen; zwar sind die Ideen des Vormärz nicht vollständig verwirklicht, allein die absolutistische Willkürherrschaft war geschwunden und die Frage des Vormärz nicht mehr akut. Die Staatslehre, die bei Dahlmann noch "Politik" hieß wird nun zur Staatsrechtslehre, die Rosenbaum treffend als "Zerfallsprodukt des staatstheoretischen Idealismus der konstitutionellen Theorie"26 gekennzeichnet hat. Die Fortentwicklung der nachmärzlichen Staatslehre z. B. bei Bluntschli bleibt zwar noch in diesem Rahmen, ist aber in ihrer positivistischen Ausprägung Anzeichen für die geringer werdende Bedeutung der Fragestellung des Vormärz. Diese Staatslehre akkommodiert sich: um so weitgehender, je mehr die neue Verfassungswirklichkeit sich verfestigt. Eine Staatslehre mit kraftvollem, eigenständigem Theorieansatz, die mit diesem der neuen Lehre des staatsrechtlichen Positivismus Konkurrenz machen könnte, ist also nicht mehr festzustellen. Es handelt sich eher um die letzten Nachwehen der alten Theorie. Als entscheidendes Kriterium für die Beurteilung der Position der jeweiligen Staatslehre erweist sich somit die objektive Grundlage der Verfassungswirklichkeit. Je mehr sie als Normalität akzeptiert ist, um so mehr verliert die Frage nach Verfassung an Bedeutung, verlagert sich das Interesse auf die juristische Erfassung dieser Wirklichkeit. Ja, 23 Vgl. hierzu Würtenberger, Thomas jun., Die Legitimität staatlicher Herrschaft. Eine staatsrechtlich-politische Begriffsgeschichte, Berlin 1973, S. 211 bis 214. U Zur Typologisierung vgl. EHwein, Das Erbe der Monarchie, S. 200; Böckenjörde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, S. 210; Würtenberger, Die Legitimität staatlicher Herrschaft, S. 241. 25 Triepel, Rektoratsrede, S. 15. 28 Rosenbaum, Naturrecht und positives Recht, S. 41.
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Teil 11: Rechtspositivismus oder Eskamotage der Repräsentation
es läßt sich eine verblüffende Parallelität zwischen den bestimmenden Daten in der Entwicklung des Rechtspositivismus und der politischen Geschichte feststellen 27 • Der Beendigung des preußischen Verfassungskonflikts 1866 korrespondiert die Veröffentlichung der "Grundzüge" von Gerber 1865, der Reichsgründung folgt die Veröffentlichung der Staatslehre Labands. Dabei wird man schon das Jahr 1866 als entscheidendes Datum nicht nur auf politischem Gebiet, sondern auch auf der verfassungsrechtlichen Ebene bewerten müssen. Schon 1866 ist "die ganze konstitutionelle Verfassung überhaupt in Frage gestellt, nicht ohne Grund hat Anschütz dann später gesagt ,Das Staatsrecht hört hier auf"'28. An sich ist zu diesem Zeitpunkt schon der Fragestellung des Vormärz die objektive Basis entzogen. Endgültig muß sie ihr dann im Bismarckreich verloren gehen, da diesem "das Fundament einer politischen oder sittlichen Staatsidee"29 fehlte. Die Beschränkung der Staatslehre auf die Staatsrechtslehre war dem Deutschen Reich gleichsam wesensmäßig, der Durchbruch des Rechtspositivismus quasi vorprogrammiert. Doch wird man bei der grundlegenden Bedeutung des Jahres 1866 und dem schon mit dem Jahr 1848 einsetzenden Bedeutungsrückgang der liberalen Staatslehre30 den Beginn der Epoche des Rechtspositivismus mit dem Erscheinen des grundlegenden Werkes dieser Lehre, Gerbers "Grundzügen" von 1865, zusammenfallen lassen können. Dieses um so mehr, als sich der staatsrechtliche Positivismus trotz seiner rein juristischen Methode durchaus in Frontstellung zur liberalen Staatslehre versteht. Bei Gerber ist der Anti-Liberalismus nicht nur objektiver Tatbestand, er ist auch subjektiv gegeben. Deutlich artikuliert er diese seine Stellungnahme noch in der Schrift "Ueber öffentliche Rechte" und bezeichnet die liberalen Ideen als Ideologie31 . Wie auch späterhin Laband ausdrücklich die Bismarcksche Politik durch seine Lehre sanktioniert32 . Hier erweist sich der Rechtspositivismus als Erbe des Historismus, der ja auch die historische Darstellung bewußt als Verwerfung des Vernunftrechts einführte33 . Gegenüber einer der Vgl. hierzu bereits Oertzen, Die Funktion des Positivismus, S. 154. Ellwein, Das Erbe der Monarchie, S. 112; eine ähnliche Einschätzung des Ergebnis von 1866 bei Rosenbaum, Naturrecht und positives Recht, S. 39; ebenso Smend, Der Einfluß d. dt. Staatslehre des 19. Jh., S. 327 - 329. 29 Rosenbaum, Naturrecht und positives Recht, S. 56. 30 Vgl. Oertzen, Die Funktion des Positivismus, S. 158. 31 Vgl. Ueber öffentliche Rechte, S. 101 - 107, bes. S. 104, zu Gerbers allgemeinpolitischer Haltung siehe auch Bärsch, Claus-Ekkehard, Der Staatsbegriff in der neueren deutschen Staatslehre und seine theoretischen Implikationen, Berlin 1974, S. 64 - 66. 32 Siehe Triepel, Rektoratsrede, S. 35, der die Lehre vom formellen und materiellen Gesetz als eindeutig in Hinblick auf den vergangenen Budgetkonflikt formuliert sieht und als politische Stellungnahme wertet. 33 Zum Verhältnis Historismus Positivismus vgl. Schneider, Gerhard, Der Ursprung des Positivismus in der Gestalt des Historismus, in: ARSP, 27
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2. Die neue Fragestellung bei C. Fr. von Gerber und P. Laband
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objektiven Basis beraubten Staatslehre erweist sich so der staatsrechtliche Positivismus nicht nur als mächtigere Lehre, sondern er stellt sich ihr gegenüber in eindeutige Opposition und erweist sich somit als Lehre der Zukunft, auch und gerade bei Gerber. Bei ihm ist der Beginn der Epoche des staatsrechtlichen Positivismus anzusetzen34, er begründet den staatsrechtlichen Positivismus, er hat im Zentrum der Analyse zu stehen. Daran anschließend ist kurz auf die Vollendung dieser Lehre bei Laband einzugehen35 • Eine detaillierte Auseinandersetzung mit weiteren Theoretikern des staatsrechtlichen Positivismus erübrigt sich für diesen Zeitabschnitt bei der hier gegebenen Fragestellung, da der Ansatz von Gerber schon die Stellung dieser Staatslehre zur Repräsentation hinreichend bestimmt, wie auch die Konkretisierung bei ihm und bei Laband erweist. 2. Die neue Fragestellung bei earl Friedrich von Gerber und Paul Laband Die Begründung und Darlegung der neuen Fragestellung findet sich für Gerber am deutlichsten in seiner ersten Schrift zum Staatsrecht, "Ueber öffentliche Rechte" (Tübingen 1852), ausgesprochen. Diese Veröffentlichung ist der erste Versuch Gerbers, die Konstruktion des Staatsrechts gegründet auf den Prinzipien, die im Privatrecht gewonnen wurden, darzulegen. Da diese AufgabensteIlung erstmalig formuliert wird, erweist sich der Aufweis und die Begründung der neuen Fragestellung für Gerber als dringlicheres Gebot, als später in den "Grundzügen", in denen das geschlossene System quasi für sich selbst steht. Von daher kann die Analyse dieser Abhandlung als genuiner Einstieg in das Gerbersche System angesehen werden. In der Schrift "Ueber öffentliche Rechte" stellt Gerber fest, "daß zwischen dem heutigen Staatsrecht und dem des vorigen Jahrhunderts ein innerer Zusammenhang nicht statt findet"l, denn bezüglich der Staatsorganisation ist die Veränderung des modernen Staates gegenüber der Vorzeit nur 38, 1972, S. 267 - 287. Schneider bewertet beide Schulen als ursprünglich politisch motiviert (weiterhin zitiert: Ursprung des Positivismus). 34 Die Einordnung der Gerberschen Theorie als Übergangstheorie bei Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, S. 20617 erscheint fragwürdig. Begründet wird diese Charakteristik nämlich damit, daß Gerber die juristisch-formale Methode aus der Staatslehre seiner Zeit heraus entwickelt, obwohl Böckenförde selbst feststellt (ebd., S. 208), daß diese keinen Einfluß auf die Entwicklung der neuen Lehre hat. Nicht die Darstellungsweise, sondern die Theorie selbst sollte zur Bewertung einer Theorie herangezogen werden. 35 Dieses auch wegen der überragenden Bedeutung Labands für die zeitgenössische deutsche Staatslehre, als Beleg hierfür vgl. Liebmann, ütto, Paul Laband zu seinem 50jährigen Doktorjubiläum - zu seinem 70. Geburtstage, in: Deutsche Juristen-Zeitung, XIII, 1908, Sp. 497 - 503. 1 Gerber, Ueber öffentliche Rechte, S. 9, vgl. auch Grundzüge, S. 217/8.
Teil II: Rechtspositivismus oder Eskamotage der Repräsentation
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durch einen "culturgeschichtlichen Wendepunkt"2 zu erklären. Dieser sei darin zu sehen, daß man "gewisse Principien gefunden (hatte), denen sich das wirkliche Staatsleben anpassen sollte, nach diesen Principien wollte man neu organisiren, das Steuer selbst in die Hand nehmen und die Entwicklung selbstthätig bestimmen"3. Diese Bewegung, auf deren Gefahren bei einseitiger Verfolgung Gerber ausdrücklich verweist, habe ihren rechtlichen Ausdruck in der Verfassung gefunden4 • Mit der politischen Entwicklung des Staats habe sich aber auch die Behandlung des Staatsrechts verändert, nach der Zeit der Politik breche nun die des Rechts an, es ergebe sich nun als Aufgabe zu ergründen, "wie das Charakteristische dieser Veränderung aufgefaßt werden müsse", es gehe um die "Auffindung des spezifischen juristischen Princips"5. Deutlicher noch als Gerber formuliert Laband im Vorwort zur ersten Auflage seines "Staatsrechts" diese neue Fragerichtung. "Je längeren und je festeren Bestand die neue Verfassungsform hat, desto müßiger erscheinen die Betrachtungen darüber, ob ihre Einführung für heilsam oder für schädlich zu erachten sei. ... dagegen gewinnt das Verständnis dieser Verfassung selbst, die Erkenntnis ihrer Grundprinzipien und der aus den letzteren herzuleitenden Folgesätze und die wissenschaftliche Beherrschung der neu geschaffenen Rechtsbildung ein immer steigendes Interesse6 ." Die faktische Verfassungswirklichkeit wird unkritisch akzeptiert, deren Entstehungsbedingungen und Legitimitätsgründe bleiben außerhalb der wissenschaftlichen Betrachtung. Es geht Laband nur noch "um die Analyse der neu entstandenen öffentlich-rechtlichen Verhältnisse, um die Feststellung der juristischen Natur derselben und um die Auffindung der allgemeinen Rechtsbegriffe, denen sie untergeordnet sind"1. Genau diese ist aber auch die einzige Fragestellung Gerbers, obwohl die Verwendung des Organismusbegriffs bei ihm eine eingehendere Beschäftigung mit der politischen Wirklichkeit und deren Begründung andeuten könnte. Tatsächlich anerkennt Gerber den Begriff des Organismus als ein "Mittel ... zur KarsteIlung des innersten Wesens des modernen Staats"8, da dieser dazu dienen kann, die "Wirksamkeit des allgemeinen (Volks-) Willens in seiner Richtung auf die sittliche Vollendung des Gemeinlebens"9 zu erklären. Eine nähere Bestimmung dieses Begriffs erfolgt 2
Ueber öffentliche Rechte, S. 8.
a Ebd.
Vgl. ebd. Vgl. Grundzüge, Beilage I, S. 218; Ueber öffentliche Rechte, S. 13, Zitat ebd., S. 14. 6 Laband, Staatsrecht, Bd. I, S. V. 7 Laband, Staatsrecht, Bd. I, S. VI. 8 Gerber, Grundzüge, Beilage I, S. 218, vgl. auch Ueber öffentliche Rechte, 4
6
S.19.
2. Die neue Fragestellung bei C. Fr. von Gerber und P. Laband
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jedoch nicht. Denn dem Begriff des Organismus kann nach Gerber nur in natürlicher und politischer Betrachtung Inhalt und Bedeutung zukommen, er ist "keinesfalls geeignet, für eine rechtliche Charakteristik des Staats zu gelten"lO. Der Begriff des Organismus vermag nur den materiellen Inhalt für die juristische Form zu bezeichnen, er ist die Voraussetzung für eine juristische Betrachtung. Zu dieser verhält er sich wie die gegebene Institution der Ehe zum Familienrecht, d. h. er ist weiter und grundlegender als die juristische Betrachtungl l . Als Aufgabe hat Gerber sich aber sowohl in den "öffentlichen Rechten" als auch in den "Grundzügen" nur die juristische Erörterung gestellt. Sein Ziel ist "aus dem politischen Material unseres öffentlichen Lebens Gesichtspunkte für die juristische Feststellung einiger der wesentlichsten Bestandtheile des Staatsrechts zu gewinnen"12, d. h. "das Politische ist nicht Zweck, sondern nur Material"13. So ist schließlich für Gerber "die Bezeichnung des Staats als Organismus nichts Anderes, als eine bildliche Schilderung und Beschreibung des natürlichen Thatbestands, den die juristische Betrachtung voraussetzt"14. Das Ergebnis der Verfassungsbewegung des Vormärz wird ausdrücklich akzeptiert, doch allein als Faktum, das es sodann juristisch zu systematisieren gilt. Eine begründete Darlegung, die den Organismusbegriff als zutreffend ausweisen würde, - eine Erörterung, die ja dann auf die Fragestellung des Vormärz einzugehen hätte, - wird nicht geleistet, der Begriff selbst wird nicht einmal näher definiert15 . Es bleibt für Gerber "dieses mystische Wort"16 eine nicht wissenschaftlich erarbeitete Voraussetzung. Damit erhebt sich sogleich die Frage, ob diese unproblematische Voraussetzung des Ergebnisses des Vormärz im Organismusbegriff überhaupt eine Weiterführung der Repräsentationsproblematik zuläßt oder ob sie diese nicht von Anfang an verunmöglicht? Denn die Konstruktionsprinzipien der juristischen Staatswissenschaft gewinnt Gerber nicht in Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit, er entnimmt sie vielmehr 9 Ueber öffentliche Rechte, S. 20, eine detailliertere Beschreibung in: Grundzüge, Beilage I, S. 219 - 220. 10 Vgl. Ueber öffentliche Rechte, S. 20/21, Grundzüge, Beilage I, S. 220/221, Zitat ebd., S. 221. 11 Vgl. Ueber öffentliche Rechte, S. 20/21, siehe auch das gleiche Verhältnis im konkreten Fall des Königtums und dessen juristischer Betrachtung, ebd.,
S. 53 - 54.
Ueber öffentliche Rechte, S. VII. Ebd., S. 28. 14 Grundzüge, Beilage I, S. 221. 15 Dieses ist aber um so erstaunlicher als Gerber selbst die Problematik der Verfassungen in Deutschland kennt, die nicht gewachsen, sondern rationell konstruiert worden sind (vgl. Grundzüge, S. 13 Anm. 1). Ein Nachvollzug der Gründe für diese Verfassungsgebung wäre demnach notwendig. 16 Grundzüge, Beilage I, S. 219. 12
13
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Teil II: Rechtspositivismus oder Eskamotage der Repräsentation
dem Privatrecht. "Bei jedem Versuche einer genaueren Bestimmung staatsrechtlicher Principien muß von der privatrechtlichen Anschauung ausgegangen werden17." Erst durch die Selbstbeschränkung des Staatsrechts, so führt Gerber in den "Grundzügen" verdeutlichend aus, indem es sich analog dem Privatrecht allein auf die juristische Konstruktion von Willensverhältnissen beschränkt, ist ihr Erfolg als Wissenschaft gesichert. Für diese Aufgabenstellung erweist sich der Organismusbegriff als nicht brauchbar, es ist klar, "daß der Gedanke des Organismus an sich gegenüber dem Bedürfniss der Jurisprudenz nach Klarheit und Konstruirbarkeit der begrifflichen Verbindungen nichts zu leisten vermag, dass er diesem Anspruche gegenüber nur wie ein verschwimmendes Nebelbild erscheint"18. Wenn auch die organische und juristische Staatsauffassung im Verhältnis gegenseitiger Ergänzung zueinander stehen, so doch nur, weil sie von verschiedenen Standpunkten aus den gleichen Gegenstand betrachten. Die jeweilige methodische Untersuchung ist gänzlich abgehoben und unbeeinflußt von anderen Betrachtungsweisen; erst beider Ergebnisse können in einem Ergänzungsverhältnis zueinander stehen. Gerber behauptet also mit der isolierten juristischen Betrachtungsweise keineswegs deren Einzigkeit1 9, er erkennt sie durchaus als Teilaspekt an20 • Ob in der systematischen Durchführung dieser Charakteristik auch Rechnung getragen wird, bleibt jedoch noch zu untersuchen. Peter von Oertzen vollzieht in seiner Interpretation der Gerberschen Theorie diese scharfe Trennung von organischer und juristischer Staats auffassung nicht, obwohl die gesamte Beilage I der "Grundzüge" einzig zur Verdeutlichung dieser Unterscheidung und Abgrenzung geschrieben worden ist21 . So sieht er einen Fortschritt in den "Grundzügen" gegenüber der Auffassung Gerbers von 1852 dahingehend, daß hier Gerber die Erfassung des Wesens des Staats nicht mehr allein der "sittlich-politischen Betrachtung" anheim gibt, wie noch in der Schrift "Ueber öffentliche Rechte", welche er im übrigen zu der älteren Staatslehre rechnet22 . Oertzen sieht in der organischen und rechtlichen Staats auffassung und deren Ergänzung eine Wesensbestimmung23 . 17 Ueber öffentliche Rechte, S. 29, weitere Belege ebd. 18 Vgl. Grundzüge, Beilage I, S. 221 - 224, Zitat ebd., S. 224. Vgl. hierzu Grundzüge ,Beilage I, S. 224 - 225. Grundzüge, S. 3 Anm. 1, und ebd., Beilage I, S. 221. 21 Zu Oertzens Gerberinterpretation siehe ausführlich unten Abschnitt 3 c, vgl. auch zum Verhältnis der Schrift "Ueber öffentliche Rechte" und den "Grundzügen" unten Abschnitt 3 a. 22 Vgl. Oertzen, Die Funktion des Positivismus, S. 178 - 9, und Gerber Ueber öffentliche Rechte, S. 21 - 22. ' 23 Vgl. Oertzen, Die Funktion des Positivismus, S. 179 - 180, siehe auch dort im weiteren (S. 181 und 183) die Behauptung einer Volkssouveränitätslehre 19
20
3. Gerber: Persönlichkeit des Staates als juristisches Prinzip
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Dabei wird von ihm die organische Staats auffassung als grundlegendes Element des Gerberschen Systems verstanden. Oertzen übersieht, daß Gerber in den "Grundzügen" wie auch schon in den "öffentlichen Rechten" den Organismusbegriff nur als Voraussetzung und Ausgangspunkt, nie aber als Element seiner juristischen Betrachtung akzeptiert hat. Eine unterschiedliche Staatsauffassung läßt sich mithin bei Gerber nicht diagnostizieren, auch in den "Grundzügen" beschränkt Gerber sich allein auf den Teilaspekt der juristischen Konstruktion. Die Problematik der Interpretation von Oertzens weist jedoch über sich hinaus auf die Frage des Verhältnisses der ersten staatsrechtlichen Schrift Gerbers zu seinen "Grundzügen", ob wie Oertzen es sieht, zwischen beiden der Übergang von der älteren zur neueren Staatswissenschaft anzusetzen ist, oder ob die "Grundzüge" als systematische Weiterentwicklung des Ansatzes von 1852 einzustufen sind? Es ergibt sich die Notwendigkeit, die eigentliche Interpretation des Gerberschen Systems im nächsten Abschnitt mit einer Erörterung dieser Frage zu beginnen. 3. Die Persönlichkeit des Staates als juristisches Prinzip und dessen Bedeutung für den Begriff der Repräsentation bei C. Fr. von Gerber a) Zum Verhältnis der Schrift "Ueber öffentliche Rechte" (Tübingen 1852) zu den "Grundzügen des deutschen Staatsrechts" (Leipzig 3. Aufl. 1880)
Oertzen sieht, wie bereits in dem vorangegangenen Abschnitt dargelegt, in den "öffentlichen Rechten" und den "Grundzügen" jeweils eine andere Staats auffassung zugrunde gelegt. So ordnet er die erste Veröffentlichung noch der älteren Staatslehre zu, von der er die neuere Staatslehre der systematischen Schrift Gerbers abhebt. Damit stellt er seine Interpretation des Gerberschen Werks bewußt der bis dahin herrschenden Lehre entgegen, die die Unterschiede zwischen den beiden Veröffentlichungen als unwesentlich einstuftet. Zentrales Argument Oertzens ist dabei, daß einmal in der Schrift von 1852 der allgemeine Wille von Gerber nur als geistige Substanz verstanden sei, in den Grundzügen jedoch als eine "auf Handlungsfähigkeit gerichtete Willensmacht". Folglich sei in den "Grundzügen" ein Zurücktreten des bei Gerber, die durch Hereinnahme des Organismusbegriffs in die Gerbersche Theorie erst möglich wird. Näherhin siehe unten Abschnitt 3 c. 1 Vgl. Oertzen, Die Funktion des Positivismus, S. 197, dort auch die Angabe der Vertreter der Gegenmeinung, vor allem bei Landsberg; vgl. auch ders., Die Bedeutung C. F. von Gerbers für die deutsche Staatsrechtslehre, in: Staatsverfassung und Kirchenordnung, Festgabe für Rudolf Smend zum 80. Geburtstag, Tübingen 1962, S. 194, 198 Anm. 56.
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TeilII: Rechtspositivismus oder Eskamotage der Repräsentation
Organismusgedankens symptomatisch2 • Man wird dieser Interpretation jedoch einen Mangel an Stringenz bescheinigen müssen, beruht sie doch im wesentlichen auf nur einer Stelle aus den "Grundzügen"3 und Oertzen selbst muß einräumen, daß seine Interpretation nicht die einzig mögliche sei, und sie von Gerber selbst sicher zurückgewiesen worden wäre 4• Wird von hier aus die Behauptung eines Unterschieds zwischen den beiden Schriften von Gerber schon problematisch, so ist darüber hinaus der Interpretationsansatz von Oertzen in Frage zu stellen. Oertzen versucht nämlich den allgemeinen Willen als Lebensprinzip des Organismus zu bestimmenS, obwohl Gerber, wie im vorigen Abschnitt dargelegt, Aussagen zum Organismusbegriff nur als Voraussetzung seiner eigentlichen wissenschaftlichen Arbeit akzeptiert und diese eindeutig davon abhebt. Eine Definition des Organismus wird man bei ihm vergeblich suchen. Von daher erklärt sich dann die Eigenart der Oertzenschen Interpretation, die er selbst stets nur als Lesart an sich entgegen den eindeutigen Aussagen von Gerber behaupten kann 6 • Oertzen folgt nicht der Gerberschen Gedankenführung, sondern begibt sich auf eine eigentümlich unangreifbare Ebene der Eigentlichkeit. Will man also das Verhältns der beiden Werke von Gerber bestimmen, sollte zunächst die Bezüglichkeit, die Gerber selbst darlegt, analysiert und kritisch beurteilt werden. In den "Grundzügen" verweist nämlich Gerber an mehreren Stellen ausdrücklich auf seine Schrift "Ueber öffentliche Rechte". Einige Male weist er lediglich eine Gleichbehandlung aus 7, das andere Mal korrigiert er seine Meinung über die Möglichkeit der Formulierung eines allgemeinen deutschen Staatsrechts 8 . Eine wesentliche Korrektur findet sich dagegen nur in der von Oertzen hauptsächlich benutzten Passage der "Grundzüge"9. Hier revidiert Gerber seine Feststellung aus der Schrift von 1852, daß die Staatsgewalt nur in der konkreten Erscheinung des Monarchen der rechtlichen Behandlung zugänglich istl°, dahingehend, daß sie als etwas an und für sich Existierendes ohne die monarchische Erscheinungsform Oertzen, Die Funktion des Positivismus, S. 201 - 202, Zitat S. 20l. Grundzüge, S. 19 Anm. 1 bis S. 21, Beleg hierzu bei Oertzen, Die Funktion des Positivismus, S. 180/181 und Anm. 22 und 23, S. 183 und Anm. 27, S. 201 und Anm. 15. . 4 Vgl. Oertzen, Die Funktion des Positivismus, S. 201 Anm. 15, S. 182 Anm. 26, S. 183 Anm. 27. 5 Ebd., S. 20l. 8 Ebd., S. 201 Anm. 15, S. 182 Anm. 26, S. 183 Anm. 27. 7 Grundzüge, S. 7 Anm. 3, S. 8 Anm. 3. 8 Ebd., S. 11 Anm. 4. 9 Ebd., S. 19 Anm. 1 bis S. 21. 10 Vgl. Ueber öffentliche Rechte, S. 52. 2
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3. Gerber: Persönlichkeit des Staates als juristisches Prinzip
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bestimmt werden kann. Diese Korrektur ist keineswegs so einschneidend, wie sie auf den ersten Blick erscheinen mag, war doch auch in den "öffentlichen Rechten" die Staatsgewalt als "aus der unnatürlichen Verbindung mit der Person des Landesherren"l1 gelöst verstanden. Sieht man das Verhältnis von Staatsgewalt und Monarch in Verbindung mit dieser Aussage, so erscheint die Auffassung der "Grundzüge" nur noch als verdeutlichende Weiterführung. Die Ursache für diese Verdeutlichung ist in dem grundlegenden Unterschied zwischen den beiden Schriften zu sehen, in der Revision der Auffassung, daß der Staat juristisch nicht als Persönlichkeit zu verstehen sei. In den "Grundzügen" wird gerade diese Eigenschaft des Staats zur Voraussetzung der juristischen Konstruktion12. Eine nähere Untersuchung offenbart aber, daß es sich auch hierbei keineswegs um eine Totalrevision, sondern allein um eine Weiterentwicklung des gleichen Ansatzes handelt. In der Schrift "Ueber öffentliche Rechte" wendet sich Gerber gegen die Bezeichnung des Staats als Persönlichkeit, denn "die juristische Person ist nur eine Wiederholung der natürlichen Persönlichkeit" 13. Die Verwendung des Personbegriffs für den Staat würde zur Folge haben, daß er nicht gemäß seinem Wesen, sondern allein nach privatrechtlichen SubjektsverhäItnissen bestimmt würde, deren Konsequenzen Gerber ablehnt14. Diese Auswirkungen lassen sich jedoch, entgegen der Behauptung bei Oertzen15 , in den "Grundzügen", die ja den Personbegriff auf den Staat anwenden, nicht feststellen. Vielmehr entspricht die Bestimmung des Monarchen und seiner Rechte wie auch die der Untertanen derjenigen in den "öffentlichen Rechten"16. Zudem übernehmen die "Grundzüge" aus den "öffentlichen Rechten" ausdrücklich die Eingrenzung eines Privatrechtsverhältnis beim Staat allein auf seine fiskalische Funktion17 . Denn der Begriff der Staatspersönlichkeit wird von Gerber in den "Grundzügen" als eigentümlicher und ursprünglicher erfaßt, der keineswegs als aus dem Privatrecht abgeleiteter Begriff zu verstehen seps. Erst dadurch, daß der Begriff der Staatspersönlichkeit als dem Wesen des Staates entsprechend gefaßt ist, wird er nämlich für das Staatsrecht akzeptabel, kann er zum Zentral begriff der juristi11 Ebd., S. 18, allgemein hierzu vgl. ebd., S. 14 - 22. 12 Vgl. Ueber öffentliche Rechte, S. 18/19 und Grundzüge, S. 112, vor allem aber S. 2 Anm. 2. 13 Ueber öffentliche Rechte, S. 18. 14 Ebd., S. 18, die notwendigen Konsequenzen ebd., S. 19. 15 Oertzen, Die Funktion des Positivismus, S. 199. 18 Vgl. Ueber öffentliche Rechte, S. 51-74 bzw. S. 75 - 100 mit Grundzüge, S. 77 - 88 bzw. S. 226 - 231. 17 Vgl. Grundzüge, S. 2 Anm. 2 und Ueber öffentliche Rechte, S. 19. 18 Vgl. Grundzüge, S. 2 Anm. 2 und ebd., Beilage II, S. 225/6.
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schen Konstruktion werden. Von daher läßt sich diese Aussage der "Grundzüge" durchaus mit der Absage einer privatrechtlichen Persönlichkeitscharakteristik des Staates in den "öffentlichen Rechten" vereinen19 • Auf Grund dieser Differenzierung läßt sich dann das Verhältnis beider Schriften näher hin bestimmen. In der Schrift von 1852 steht Gerber noch am Anfang seiner staatsrechtlichen Methodenbestimmung. Es geht ihm um die Gewinnung des Staatsrechts als Wissenschaft durch dessen Anknüpfung an die Methode des Privatrechts20 • Er gelangt noch nicht zur Erkenntnis des eigenen Prinzips des Staatsrechts, da er noch zu sehr dem Privatrecht und der Abgrenzung ihm gegenüber verhaftet ist. So gelangt er nur zu einer Bestimmung der Rechte der einzelnen Organe im Staat, ohne deren systematischen Zusammenhang darstellen zu können, ein Mangel, dem er jedoch zu steuern versucht, denn auch in den "öffentlichen Rechten" ist ein System des Staatsrechts sein ZiePl. Den Mangel dieser Schrift zu beheben, gelingt ihm erst in den "Grundzügen", indem er durch die Bestimmung des juristischen Prinzips der Staatspersönlichkeit endlich zum wissenschaftlichen System vorstoßen kann22 • Die Formulierung der "abstrakten Sätze des Rechts im objektiven Sinne des Worts" ist erst in den "Grundzügen" möglich, wohingegen die erste Schrift nur eine Theorie der politischen Individualbefugnisse sein konnte 23 • Die Schrift "Ueber öffentliche Rechte" ist also als noch unsystematische Vorarbeit zur Vollendung im System der "Grundzüge" zu verstehen. Erst hier wird auch, da eine eigene juristische Konstruktion erfolgt, der Unterschied zwischen Organismus und juristischer Staatsauffassung deutlich. Es handelt sich also nicht um ein Zurücktreten des Organismusgedankens, sondern um eine Entwicklung und Vollendung der juristischen Methode. Die Interpretation der Gerberschen Theorie hat deshalb die "Grundzüge" in den Mittelpunkt zu stellen. Oertzen dagegen geht von der ersten Veröffentlichung aus, gelangt hier, da die juristische Methode noch nicht vollständig entwickelt ist, zu einer Überbewertung des Organismusgedankens, den er auch in der Interpretation der "Grundzüge" beibehält. So muß er dann schließlich die Verdeutlichungen dieser Schrift als Widersprüche an sich interpretieren und vermag die eigentliche Entwicklung auf dem Gebiet der juristischen Staatslehre bei Gerber nicht zu erfassen. Seine Interpretatg
Zu dieser Interpretation siehe die sehr knappe Darlegung bei Lands-
berg, Ernst, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, 3. Abteilung
2. Halbband, München - Berlin 1910, S. 826/827. 20 Vgl. Ueber öffentliche Rechte, S. 29 - 46. 2t Ebd., S. 47 - 50. 22 Zur Aufgabenstellung einer Systembildung siehe Grundzüge, S. V - VI. 23 Diese Einordnung bei Gerber selbst in: Grundzüge, S. 6 Anm. 1, Zitat ebd., S. 6.
3. Gerber: Persönlichkeit des Staates als juristisches Prinzip
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tion ist deshalb als der Gerberschen Intention nicht entsprechend abzulehnen. Gemäß der oben gemachten Einordnung können und müssen die Ergebnisse bei der Schriften gleichbehandelt werden. b) Die Persönlichkeit des Staates als zentraler Konstruktionsbegriff
Als Weiterentwicklung der "Grundzüge" gegenüber den "öffentlichen Rechten" hatte sich die Zuerkennung des Persönlichkeitsbegriffs an den Staat erwiesen. "Zur rechtlichen Bestimmung eines solchen in einheitlicher Handlungsfähigkeit wirkenden Gemeinwesens steht der Jurisprudenz das Mittel zu Gebote, es mit der Eigenschaft der Persönlichkeit zu bekleiden, ein allgemeines Mittel juristischer Konstruktion, das, wie es für andere Zwecke dem Privatrechte, so dem Staatsrechte zur Gestaltung der rechtlichen Existenzform der staatlichen Verfügungsrnacht offen steht24 ." Erst durch den Begriff der Staatspersönlichkeit ist der Zentralbegriff der juristischen Konstruktion gewonnen25 . Dieses aber nur dann, wenn er sich als genuiner und dem Untersuchungsgegenstand adäquater Begriff erweist, denn ansonsten müßten die Bedenken der Schrift "Ueber öffentliche Rechte" weiter aufrechterhalten werden. Das heißt, der Willensinhalt dieser Persönlichkeit muß anders geartet sein als der einer juristischen Person des Privatrechts2G . Er muß, denn darin unterscheidet sich das öffentliche Recht vom Privatrecht, das Ganze oder eine Gesamtheit zum Zweck haben27 . Die Anwendung des Konstruktionsprinzips des Privatrechts kann deshalb nur insoweit als legitim angesehen werden, als es gelingt, den Staat als mit diesem Willensinhalt ausgestattete Persönlichkeit nachzuweisen. Mit dieser Problemstellung geht Gerber aber über die juristische AufgabensteIlung hinaus. Denn "die Aufgabe der juristischen Arbeit" ist allein die "Nachweisung und Abgränzung von Willensverhältnissen"28. Diese methodische Andersartigkeit der Fragestellung wird jedoch nicht dargelegt, sondern verschleiert. Den Staat beschreibt Gerber als "die Rechtsform für das Gesammtleben eines Volks"29. In ihm gelange es als geeintes Ganzes ZUr Anerkennung, er sei ihm Mittel zur Verwirklichung des Gesamtinteresses. Eine Bestimmung des Verhältnisses von Volk und Staat sowie eine nähere Analyse des Staats, die man auf Grund dieser Beschreibung erwarten würde, wird von Gerber nicht geleistet. Er unterscheidet viel24
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26 27 28
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Grundzüge, Beilage II, S. 225. Vgl. Grundzüge, S. 2 Anm. 2, S. 4. Siehe hierzu Grundzüge, Beilage II, S. 226. Ueber öffentliche Rechte, S. 30. Grundzüge, Beilage I, S. 221. Grundzüge, S. 1 zur folgenden Darlegung siehe ebd.
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mehr eine natürliche und eine juristische Betrachtung des Staates. An dieser Stelle gewinnt die Unterscheidung zwischen organischer und juristischer Staats auffassung ihre entscheidende Bedeutung. Der natürlichen Betrachtung wird mit dem Organismusbegriff die Bestimmung der Funktionsgliederung des Staates zuerkannt. Diese politische Fragestellung wird so für die "Grundzüge" ausgesondert, sie ist für die juristische Problematik irrelevant3o . Auch die Frage nach dem Ursprung und Rechtsgrund der Staatsgewalt sondert Gerber aus der juristischen Betrachtung aus und überantwortet sie der philosophischen Ethik31 • Dieses muß um so mehr verwundern, als Gerber den staatlichen Willen durch den ethischen Grund seines Daseins begrenzt sieht32 • Der Staat ist als durch seinen Zweck begrenzt zu sehen, doch vermag Gerber auf Grund seiner methodischen Abgrenzung diesen nicht anzugeben. Er ist auf die Faktizität verwiesen und interpretiert sodann Gesetze wie auch Einrichtungen der Selbstverwaltung als Niederschlag der Vorstellung vom Staatszweck33 . Gerber führt also allein die juristische Betrachtung des Staates durch. In dieser erscheint aber der Staat als rechtliche Persönlichkeit, da "das Volk in ihm zum rechtlichen Gesammtbewußtsein und zur Willensfähigkeit erhoben wird"34, was sich in der Willensmacht des Staats, der Staatsgewalt äußere 35 . Aus dem Faktum, daß das Volk als Ganzes im Staate enthalten ist, ergibt sich für Gerber sogleich, daß Staatswille gleich Volkswille ist. In den erläuternden Ausführungen der Beilage 11 der "Grundzüge" folgert Gerber ähnlich aus dem Faktum, daß das Volk Grundlage des Staates sei, daß "er das Volk selbst in seiner politischen Gestaltung darstellt"36. Daraus, daß der Staat um des Volkes willen vorhanden ist, er instrumental auf es bezogen ist, wird bei Gerber sogleich eine Identität von Staat und Volk. Vervollständigt durch das Argument, daß das Volk als geschichtliche Größe nicht mit der jeweils konkreten Gemeinschaft gleichzusetzen sei, ergibt sich für Gerber: "Das Volk in diesem Sinne wird im Staate und durch den Staat zur rechtlichen Einheit gebracht37 ." Gerber führt hier also seine Beschränkung auf die rein juristische Betrachtung dahingehend durch, daß er allein auf das rechtliche Element des Staates abhebt, die rechtliche Persönlichkeit im ersten Fall, 30
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3' 35
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Grundzüge, S. 3 Anm. 1 und Beilage I. Ebd., S. 21 Anm. 2. Ebd., S. 21 Anm. 3. Grundzüge, S. 31 - 33, besonders S. 32 Anm. 4 und S. 33 Anm. 5. Ebd., S. 1/2. Ebd., S. 3. Grundzüge, Beilage II, S. 226. Ebd.
3. Gerber: Persönlichkeit des Staates als juristisches Prinzip
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die rechtliche Einheit im zweiten. Die natürliche Einheit des Volkes oder sein natürliches Gesamtbewußtsein bleibt damit als politische oder philosophische Fragestellung außerhalb der Betrachtung. Von seinem Ansatz aus kann Gerber deshalb dem Begriff des Volkes gar nicht gerecht werden, er dürfte ihn in diesem Zusammenhang gar nicht verwenden. Da er ihn jedoch einführt, ist dies als ein überschreiten des selbst gesteckten methodischen Rahmens zu bewerten. Ein überschreiten, das prinzipiell notwendig ist, soll das oberste juristische Prinzip, aus dem deduziert werden soll, als genuin staatsrechtlich ausgewiesen werden. Doch wird dieser übergriff dadurch verschleiert, daß die Einheit des Volkes oder dessen Gesamtbewußtsein rechtlich interpretiert werden: als rechtliche Einheit und rechtliches Gesamtbewußtsein. Das Volk wird demnach als juristische Größe verstanden, so daß sich in Konsequenz davon sogleich die Einheit von Staat und Volk ergibt. Dadurch wird nicht nur die Begründung des Verhältnisses von Volk und Staat, Volkswille und Staatswille umgangen, sondern Volk und Staat werden zu einer von vornherein existenten, quasi-ontologischen Einheit stilisiert38 • Wird auch die Begründung umgangen, so bleibt doch das Ergebnis wegen der philosophischen Dimension der Fragestellung eine philosophische Feststellung. Dieses wird auch in der Beschreibung der Beziehung von Staat und Volk deutlich, bei der von Gerber stets naturalistische Kategorien benutzt werden, um die Einheit und das Verhältnis von Staat und Volk sowie dessen Eigenart zu erklären39 • Philosophische Begründung wird dadurch umgangen, daß ein notwendiges Ausgreifen über den Rahmen der juristischen Konstruktion hinaus naturalistisch erklärt wird40 • Der Natürlichkeitsaspekt dient dazu, die Erfordernis einer philosophischen Betrachtung zu verdecken und die mit dieser Aussage gegebene Beantwortung des dahinter stehenden philosophischen Problems auf die Ebene der Selbstverständlichkeit zu heben und so ihr Unangreifbarkeit zu verschaffen. Mit dieser kaschierten philosophischen Erörterung gelingt es nun Gerber, den Staatswillen als unterschieden vom Privatrechtswillen auszuweisen. Sind nämlich Staat und Volk nicht mehr zu unterscheiden, 38 So schon Bärsch, Der Gerber-Laband'sche Positivismus, S. 67, vgl. auch ders., Der Staatsbegriff in der neueren deutschen Staatslehre, S. 71. 39 So ist die Staatsgewalt "eine Naturkraft, welche im Staate, als der wichtigsten Socialform der Menschheit, ursprünglich enthalten ist" (Grundzüge, S. 21), sie ist "die sittliche Gesammtkraft des selbstbewußten Volkes" (Grundzüge, S. 20), der Staat als Rechtsform "gehört zu den ursprünglichen und elementaren Typen der sittlichen Ordnung der Menschheit" (ebd., S. 1) und die Eigenschaft der Persönlichkeit ist bereits "in der natürlichen Anlage des Staats vorhanden" (ebd., Beilage II, S. 225). 40 Auf die Ersetzung philosophischer Begründung durch vitalistisch-naturalistische Vorstellungen als Charakteristik des Rechtspositivismus hat schon Scheuner, Das Wesen des Staates, S. 233 verwiesen.
10 Hartmann
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ist die Staatsgewalt als "sittliche Gesammtkraft des selbstbewussten Volks"41 verstanden, so ist der Beweis erbracht, daß der Staatswille auf eine Ganzheit abzweckt. Damit ist der Staat als mit einer eigentümlichen Persönlichkeit, die durch das Gesamtbewußtsein des Volkes und dessen Willensfähigkeit gekennzeichnet ist, ausgestattet bestimmt. Auf diese kann deshalb die im Privatrecht gewonnene Methode angewandt werden, ohne daß sie als sachfremd anzusehen wäre. Das Fortschreiten der Staatsrechtswissenschaft kann legitimerweise gemäß diesem Prinzip erfolgen. Gerber hatte also eine strikte Trennung zwischen politischer und philosophischer Betrachtung einerseits und der juristischen Auffassung andererseits vorgenommen42 . Dieses zwingt ihn die philosophische Erörterung des Persönlichkeits charakters des Staates, die Bestimmung seines Wesens, als juristische Betrachtung zu kaschieren. Dadurch löst er dann diese Frage, ohne sie jemals als Thematik überhaupt zugelassen zu haben. Es zeigt sich, daß die methodische Trennung nicht durchgehalten wird, wenn Fragen aus einem anderen Bereich beantwortet werden müssen. Zwar wird die politische und philosophische Betrachtung des Staates methodisch abgesondert. Die Frage nach der Organisation des Staates, nach dem politischen Willensbildungsprozeß, systemtheoretisch formuliert nach dem in-put, wird als nicht juristisch anderen Wissenschaften zugewiesen. Doch wird diese methodische Trennung bedenklich, wenn die Offenheit gegenüber den Bestimmungen der anderen Betrachtungen aufgegeben ist. Dieses geschieht bei Gerber durch die Behauptung der quasi-ontologischen Einheit von Volk und Staat. Staatsgewalt ist bei Gerber per definitionem Willensäußerung des Volkes. De facto wird hier die Frage der philosophischen Betrachtung beantwortet, so daß die Absonderung dieser Fragerichtung ein Abschieben in die Irrelevanz bedeutet. Denn einer Beantwortung dieser Frage durch eine andere Disziplin wird stets die Behauptung der Unvereinbarkeit mit dem ,rein' juristischen Begriff entgegenzusetzen sein, wobei die Unangreifbarkeit dieser Position dadurch entsteht, daß deren philosophische Voraussetzung kaschiert ist, sie als rein juristische Betrachtung ausgegeben ist und damit eine philosophische Disputation hierüber verunmöglicht wird. Dadurch verliert diese Methode ihre Charakteristik als eine von mehreren Vorgehensweisen, sie erlangt Absolutheitsanspruch. Fazit dieser Eigenart des Gerberschen Systems ist die Tatsache, daß die Thematik des Staatswillensbildungsprozesses nicht nur abgesondert ist, sondern daß ihre Erörterung ,rein' juristisch verunmöglicht wird. Die Frage nach dem Willensbildungsprozeß im 41 Grundzüge, S. 20. 42 Vgl. z. B. den Unterschied Organismus Beilage I, S. 222.
Einheit in: Grundzüge,
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Staat, d. h. dann auch nach Repräsentation, ist damit aus der Staatsbetrachtung, - um ein in diesem Zusammenhang für den Positivismus gern gebrauchten Ausdruck zu verwenden, - eskamotiert. Dieses wird auch greifbar in dem Umstand, daß das Volk aus der juristischen Betrachtung Gerbers verschwunden ist, es ist ja per definitionem in der Staatsgewalt wirksam43 . Diese allein steht im Zentrum der juristischen Konstruktion, und zwar als souveräne, d. h. aus sich selbst wirksame Macht. Nicht von außen, sondern von innen, vom Volke empfängt sie ihre Bestimmung44 . Doch juristisch ist das Volk nicht greifbar, es ist nur die organisch sittliche Grundlage der Staatsgewalt, allein eine geistige Einheit, im Verhältnis zur juristischen Erfassung vergleichbar der Beziehung von Familienrecht und Familie4s . Juristisch ist das Volk im Staat bereits enthalten, nicht das Volk, nur der Einzelne, der Bürger kann noch Element der juristischen Konstruktion werden 46 . Individuen, ähnlich wie Gemeinden und Staatsgebiet sind allein Gegenstand der Staatsgewalt, Objekt des staatlichen Herrschaftsrechts, Element für die Ausübung des staatlichen Gewaltrechts 47, denn keine Eigenschaft "ist für die rechtliche Stellung des Volks im Systeme des Staatsrechts so entscheidend, als die, dass das Volk in seinen einzelnen Gliedern Gegenstand der Staatsherrschaft ist"48. Es zeigt sich also, worauf schon Scheuner verwiesen hat, daß der eigentliche Kernvorgang des staatlichen Lebens, der Willensbildungsprozeß, d. h. die Gewinnung der Einheit aus der Vielfalt der sozialen und geistigen Strömungen verdeckt wird40 . Gerber knüpft allein an einer äußerlichen Einheit an60 , die er als Eigenart des modernen Staates erkannt hat. Die Probleme der Zeit, wie z. B. die Frage nach dem Dualismus von Fürst und Ständen, werden damit umgangen51 , die Frage43 Denn der Idee der Staatsgewalt nach ist es deren Aufgabe, "den sittlichen Gesammtwillen eines Volks in voller Wahrheit darzustellen" (Grundzüge, S. 22); vgl. hierzu Bärsch, Der Staatsbegriff in der neueren deutschen Staatslehre, S. 72. 44 Vgl. Grundzüge, S. 22. 45 Vgl. Grundzüge, S. 47, S. 46 Anm. 2. Hier erweist sich die Richtigkeit der These, daß die Bestimmung des Verhältnisses Staat - Volk eine methodische Grenzüberschreitung darstellt, indem Gerber hier das Volk als juristisch nicht faßbar behandelt, vgl. ebd., S. 45 - 48. 48 Vgl. Grundzüge, S. 48. 47 Vgl. Grundzüge, S. 44/45, 45, Beilage H, S. 226. 48 Grundzüge, S. 45/46. 49 Vgl. Scheuner, Das Wesen des Staates, S. 234; eine ähnliche Einschätzung bei Bärsch, Der Gerber-Laband:sche Positivismus, S. 54. 50 Vgl. schon Würtenberger, Die Legitimität staatlicher Herrschaft, S. 244. 51 Vgl. ebd., S. 252; Wilhelm, Walter, Zur juristischen Methodenlehre im 19. Jahrhundert. Die Herkunft der Methode Paul Labands aus der Privatrechtswissenschaft, Frankfurt a. M. 1958, S. 123 (weiterhin zitiert: Zur Methodenlehre 19. Jh.); Böckenjörde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, S. 214.
10·
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stellung des Vormärz somit aus der wissenschaftlichen Erörterung herausgehalten. Die Frage nach der Bildung des Staatswillens, nach Vertretung des Volks, nach Repräsentation kann nicht auftauchen, wenn Volk kein juristischer Begriff ist. Sie ist zu Beginn der wissenschaftlichen Untersuchung bereits gelöst, indem Staat und Volk identifiziert werden. Gerber setzt also nicht nur die staatliche Wirklichkeit, das Ergebnis der Verfassungsbemühungen der Staatslehre des Vormärz voraus, vielmehr versucht er diese von seinem Ansatz aus systematisch zu erfassen, wobei dieser Ansatz zu einer Problemverschiebung führen muß. Ließ schon die unproblematische Voraussetzung der nachmärzlichen Verfassung Bedenken aufkommen, ob die Fragestellung des Vormärz weiterverfolgt würde, so zeigt die Gleichsetzung von Staat und Volk eindeutig den Verlust der Fragestellung des Vormärz an. Das Verhältnis von Staat und Volk ist kein Problem mehr, die Frage der Willensbildung kann nicht mehr auftreten, ist diese doch im Ansatz schon beantwortet und geht das Interesse nur noch auf die Äußerungen der Staatsgewalt. Der in-put ist theoretisch abgeblendet, allein der output interessiert, Repräsentation ist eskamotiert. Die juristische Erörterung hebt sich so von den empirisch-soziologischen Fragestellungen ab und gelangt durch rein logisch begriffliche Konstruktion zu einer nomologischen Eigengesetzlichkeit52 • Dieses führt dann schließlich zu einer Uminterpretation politischer Regelungen, z. B. der Bürgerrechte. Doch sei, bevor auf die einzelnen Auswirkungen dieses Ansatzes eingegangen wird, zuvor zur Interpretation von Oertzens Stellung genommen, da er entgegen der hier vorgelegten Darstellung meint bei Gerber eine Tendenz zur Volkssouveränität feststellen zu können. c) Zur Gerber-Interpretation von P. von Oertzen
Gegenüber der hier vorgelegten Interpretation des Gerberschen Ansatzes konstatiert Oertzen, daß die Theorie Gerbers "an die Schwelle der Volkssouveränitätstheorie"53 führe. Auffallend ist dabei, daß Oertzen sich zur Stützung dieser These nur einer Stelle aus den "Grundzügen" bedient, nämlich der Fußnote 1 zu Seite 1954 • Auch seine Behauptung dieser These auf Seite 70 läßt sich dieser Stelle zuordnenu. 52
Vgl. Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, S. 213. Oertzen, Die Funktion des Positivismus, S. 70; ähnliche bis
gleichlautende Feststellungen, ebd., S. 181, S. 183 und S. 20l. 54 Vgl. dazu ebd., S. 180/181 u. Anm. 22 u. 23, S. 183 u Anm. 27, S. 201 u. Anm.15. 55 Anzumerken ist hier zunächst, daß die Quellenangabe bei Oertzen in Anm. 21, S. 70 unvollständig ist. Diese bezieht sich allein auf das erste Zitat. Die zweite Textstelle stammt aus den Grundzügen, S. 4 Anm. 2 und die dritte ist aus der Fußnote zu S. 19 auf der S. 20 der Grundzüge entnommen. Das entscheidende Argument für die nachfolgende Oertzensche These ist 53
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Zwar ist Oertzen zuzustimmen, daß bei Gerber die scharfsinnigsten und originellsten Formulierungen in den Fußnoten zu finden sind56 . Diese Feststellung kann aber keineswegs davon befreien, die jeweilige Fußnote als solche zu behandeln, d. h. sie im Kontext der Gedankenführung des Haupttextes zu interpretieren. Oertzen hebt jedoch niemals auf diese Funktion ab, die Korrektivfunktion der betreffenden Fußnote gegenüber der Aussage der Schrift von 1852 wird von ihm nicht erwähnt 57. Die Textstelle wird in der Interpretation von Oertzens vielmehr zur Zentralstelle für die Bestimmung der Gerberschen Staatsauffassung und gemäß dem von ihm als dem Gerberschen System zugrunde liegend erkannten methodischen Grundprinzip verstanden. Dieses Prinzip bestehe darin, daß "die Einsicht in die geschichtliche Situation, in die ,sozial-politische' Struktur des Gegenstandes mit der Eigenart des wissenschaftlichen Systems im allgemeinen und der Art seiner Ausgestaltung im besonderen zu einem notwendigen Zusammenhang"58 verknüpft wird. Oertzen geht von einer Einheit der organischen und juristischen Staats auffassung bei Gerber aus, vom organischen Staatsbegriff aus entwickele Gerber sein juristisches Prinzip59. Gewonnen wird dieses Verständnis bei Oertzen jedoch nicht in Auseinandersetzung mit den methodischen Überlegungen Gerbers. Es ist bezeichnend, daß die Beilagen der "Grundzüge" außer einer einfachen Erwähnung und der Zitation aus dem Zusammenhang gelöster Aussagen in der Oertzenschen Interpretation als Ganzes keine Rolle spielen60 . Durch die eindeutigen Verweise im Text der "Grundzüge"61 erweisen sie sich jedoch als grundsätzliche Klarstellungen und Verdeutlichungen der zweiten Auflage der "Grundzüge" gegenüber der ersten62 . Mit diesen grundlegenden Klarstellungen wollte Gerber den Sinn und Inhalt der "Grundzüge" eindeutiger bestimmen und Fehlinterpretationen entgegenwirken. Die Interpretation des Gerberschen Systems ist also notwendig auf die Beilagen verwiesen. Von dort aus erweist sich die Trennung von organischer und juristischer Staatsbetrachtung als Grundelement des Gerberschen Systems63 . also wiederum aus der gewohnten Quelle gezogen. - Kritisch hinzuweisen bleibt auch auf das eigenwillige Kompilieren von Zitaten aus den verschiedensten Zusammenhängen, die so nicht mehr den Gerberschen Argumentationsablauf erkennen lassen. Es liegt eine eigenmächtige, um nicht zu sagen vom Text losgelöste Interpretation vor. 58 So Oertzen, Die Funktion des Positivismus, S. 193 Anm. 60. 57 Obwohl diese ihre Funktion ausdrücklich angegeben wird, vgl. Gerber, Grundzüge, S. 19 Anm. 1. 58 Oertzen, Die Funktion des Positivismus, S. 175. 59 Ebd., S. 184. 80 Vgl. ebd., S. 176/177 u. Anm. 8, S. 178 - 181. 11 Vgl. Grundzüge, S. 1 Anm. 1 und S. 2 Anm. 2. 8! Vgl. hierzu Vorrede zur zweiten Auflage in: Grundzüge, S. VIII.
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. Zu der gegenteiligen Auffassung gelangt jedoch Oertzen. Er folgert aus der Verwendung des Begriffs "organischer Volksstaat" bei Gerber, daß er gemäß damaligem Verständnis auch ein Bejahen demokratischer Tendenzen beinhalten müsse. Diese Behauptung wird also keineswegs aus den Schriften Gerbers herausgearbeitet, noch wird sie an ihnen überprüft. Die einfache Verwendung des Begriffs genügt Oertzen um ihm einen demokratischen Bedeutungsinhalt unterzulegen, da dieser dem Begriff in der damaligen Zeit an sich zugekommen sei64• Damit wird aber die Behauptung eines "an-sich" zum Wesensmerkmal der Oertzenschen Interpretation. Die Bestimmung des Staats als WiIlensmacht in der von Oertzen benutzten Passage der "Grundzüge" ist ja nur durch "logische Folgerung" mit dem Gedanken des Staats als WiIlensverband gleichzusetzen. Erst durch diese "logisch" konsequente Weiterentwicklung kann also der Wille des Staates als demokratisch zustande gekommener Volkswille angesehen werden65 • Dieser Interpretation ist damit aber, - was Oertzen jeweils auch zugesteht, eigentümlich, daß sie bei Gerber nirgends nachgewiesen werden kanns6, daß eine andere Interpretation der Gerberschen Intention entsprechender wäre67, ja daß sie schließlich expliziten Äußerungen Gerbers entgegensteht68 . Bedenken muß diese Interpretation auch erwecken, wenn sie, um die konkreten Bestimmungen zum deutschen Staatsrecht bei Gerber überhaupt erfassen zu können, eine "Wendung zur Monarchie"69 behaupten muß, diese dann aber als mit dem Grundprinzip des Gerberschen Systems nicht vereinbar erklärpo. So mündet die gesamte Interpretation schließlich in dem Dilemma: "Entweder also ist der Staat kein Organismus, oder die juristische Konstruktion ist ihm nicht angemessen71 ." Indem Oertzen auf Grund der konkreten Auseinandersetzung mit den Bestimmungen des Gerberschen Systems zu der Feststellung gelangt, daß die organischen Staats auffassungen nicht in die 83 Diese Trennung ist auch bei Bärsch, Der Staatsbegriff in der neueren deutschen Staatslehre, S. 68 - 72 nicht eindeutig herausgearbeitet, auch hier werden die Beilagen nicht herangezogen. Ein Umstand der sich aus der mehr zeitgeschichtlich politischen, denn theoretisch systematischen Orientierung der Arbeit von Bärsch erklären läßt. 84 Zudem wird dieser Begriff keineswegs, wie Oertzen, Die Funktion des Positivismus, S. 172, behauptet, an entscheidender Stelle verwendet. In Grundzüge, S. 10, wird lediglich die Entwicklung in Deutschland beschrieben, eine theoretische Bedeutung kommt dieser Aussage keineswegs zu. 85 Vgl. hierzu Oertzen, Die Funktion des Positivismus, S. 181 - 183. 88 Ebd., S. 182 Anm. 26. 87 Ebd., S. 201 Anm. 15. 88 Ebd., S. 183 Anm. 27. 8V Ebd., S. 183. 70 Ebd., S. 189, als konkretes Beispiel und Aufweis durch Oertzen selbst vgl. ebd., S. 187. 71 Ebd., S. 187.
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juristische Begriffswelt des Systems aufgenommen werden72, diskreditiert er schließlich selbst seinen eigenen die Einheit beider Auffassungen behauptenden Ansatz. Die Behauptung einer demokratischen Tendenz bei Gerber wird deshalb als für dessen System nicht zutreffend zurückgewiesen werden müssen. Sie kann nur aufrechterhalten werden, wenn andere Kategorien als die von Gerber verwendeten zugrunde gelegt werden. Der demokratische Grundzug besteht nur wie Oertzen darlegte an sich, d. h. ohne jeglichen Bezug und entgegen expliziten Aussagen des Gerberschen Systems. Er ist dem Gerberschen System nicht adäquat, Oertzens Interpretation ist deshalb als in ihren Grundzügen von dem System abgehobene und losgelöste Erörterung einzustufen. d) Die logisch-juristische Konstruktion
Das Volk als Einheit war von Gerber auf Grund seiner ,rein' juristischen Fragestellung mit dem Staat gleichgesetzt worden. Durch diese Identifizierung erwies sich die Zuerkennung des Persönlichkeitscharakters an den Staat als ihm adäquat. Damit war sodann ein genuines staatsrechtliches Prinzip zur Konstruktion des Systems des Staatsrechts gewonnen. Die Fragestellung nach dem Verhältnis von Staat und Volk ist durch den spezifischen Ansatz bereits beantwortet, Staatswille ist gleich Volkswille. Der Aspekt, daß der Bürger an der Willensbildung im Staat und im Volk beteiligt sein könnte, kann keine Berücksichtigung finden. Er ist im Ansatz bereits unthematisch vorab beantwortet, er ist eskamotiert. Die juristische Fragestellung hebt allein ab auf die Auswirkungen dieses Willens der Staatspersönlichkeit, auf den Herrschaftsaspekt, der Einzelne kann nur als Gegenstand dieser Herrschaft erfaßt werden 73 • Damit stellt sich die Frage nach den Volks rechten und politischen Rechten, die der Einzelne dem Staat gegenüber besitzt. Für Gerber handelt es sich um "sogenannte Rechte", da sie als solche nur nach dem ersten Eindruck erscheinen74 • Für die juristisch-systematische Betrachtung ergibt sich nämlich eine gänzlich andere Bestimmung. Denn "die staatsbürgerliche Subjektion unter die Staatsgewalt ist offenbar der prinzipale Thatbestand"75, und von diesem aus gilt es das Verhältnis Staat-Bürger zu bestimmen. Dadurch, daß der Bürger nur noch als Unterworfener gegenüber dem Staatswillen gleich Volkswillen zu fassen ist, müssen auch seine Rechte dementsprechend verstanden werden. Selbst die Tatsache, daß die Unterwerfung unter den Staat zum Zweck 72 73
74 75
Vgl. ebd., S. 193, siehe auch schon ebd., S. 184 - 186. Vgl. bereits oben Abschnitt 3 b, siehe auch Grundzüge, Beilage II, S. 226. Grundzüge, Beilage II, S. 227. Ebd., Beilage II, S. 227.
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Teil II: Rechtspositivismus oder Eskamotage der Repräsentation
des Erwerbs von Rechten geschehe, wird von Gerber als irrelevant oder nachgeordnet angesehen. Gerber geht es allein um die logische Deduktion aus dem obersten Prinzip, der Willensfähigkeit des Staats. Diesem entsprechend sind die Rechte allein als Gegenrechte oder Reflexrechte zu fassen 76, "es sind objektive, abstrakte Rechtssätze über die Ausübung der Staatsgewalt"77. Dieses ist das einzige Verständnis, das mit der juristischen Bestimmung des Bürgers als Untertan zusammengeht. Ist nämlich der Einzelne im Staatsrecht juristisch nur als Untertan zu kennzeichnen78 , da der politische Begriff des Staatsbürgers jeglichen juristischen Gehalts ermangelt79, so können Rechte, die durch und in diesem Untertanenverhältnis begründet sind, nicht als subjektive, d. h. von diesem Verhältnis losgelöste Rechte interpretiert werden. Es handelt sich also um objektive Rechte80 . Selbst wohlerworbene Rechte werden als Realisierung einer "im objektiven Rechte enthaltene(n) Willensmöglichkeit" definiert81 . Volks rechte, Freiheitsrechte und politische Rechte gründen gemäß der Gerberschen Betrachtung nicht in der persönlichen Freiheit des Einzelnen, sie sind allein Bestimmungen der Staatsgewalt, "Zurückweisungen der Staatsgewalt in die Gränzen ihrer Befugnisse"82. Gerbers Vorgehen bezüglich der Volksrechte kann man dahingehend einordnen, daß er die Doppelbedeutung des Rechtsbegriffs auf eine einzige reduziert. Denn Recht meint einerseits das objektive Recht, das heißt das mit der Staatsautorität ausgezeichnete, gesetzte Recht. Darüber hinaus bedeutet es auch das subjektive Recht, nämlich den Anspruch des Rechtssubjekts 83 . Die Erfassung des subjektiven Rechts ist Gerber vom Ansatz her verstellt. Recht ist ihm allein objektives Recht und alle Erscheinungen müssen diesem gemäß interpretiert werden, sollen sie ihren Platz in der Staatslehre erhalten. Eines groben Sophismus muß sich Gerber dabei keineswegs bedienen84, um zum Beispiel die Volksrechte ihres subjektiven Charakters zu berauben und zu sogenannten Rechten zu erklären. Es bedarf allein der logisch-systemati76 VgI. ebd., S. 229 - 230, siehe auch S. 47. 77 Ueber öffentliche Rechte, S. 79. 78 Ebd., S. 81. 79 Ueber öffentliche Rechte, S. 77. 80 VgI. ebd., S. 31, siehe auch Grundzüge, S. 34. 81 Grundzüge, S. 39. 82 Ueber öffentliche Rechte, S. 78. 83 Zum Rechtsbegriff vgl. Neumann, Franz, Der Funktionswandel des Gesetzes im Recht der bürgerlichen Gesellschaft, in: ders., Demokratischer und autoritärer Staat, Frankfurt a. M. 1967, S. 8. 84 So die Einordnung bei Oel'tzen, Die Funktion des Positivismus, S. 194 in Bezug auf die Volksrechte. Diese Einschätzung bei Oertzen erklärt sich aus seiner überbewertung der organischen Staats auffassung bei Gerber.
4. Die Uminterpretation repräsentativer Einrichtungen
153
schen Deduktion. Das Staatsrecht ist auf Grund dieses logisch-formalen Vorgehens allein abstrakte Normwissenschaft. Die Wirklichkeit kann diesem System nichts mehr anhaben, die Bedeutung, die eine Institution im wirklichen Leben hat, muß es nicht im juristischen System zuerkannt bekommen, es kann durchaus uneigenständig "als ein sekundäres, d. h. ein von einer primären rechtlichen Verbindung abhängiges behandelt werden"85. Hierbei ist dann die logische Methode wohl als Garant der Unfehlbarkeit und Objektivität des juristischen Denkens angesehen86 • Es geht nicht darum, die wirklichen Lebensverhältnisse durch juristische Begriffe in deren Eigenart zu erfassen, allein die logische Folgerung gilt als Kriterium juristisch wahrer Erkenntnis. Wird eine derartige, abstrakte Normwissenschaft jedoch zur äußersten Konsequenz getrieben, so kann sie schließlich zur Widerlegung der historisch-politischen Wirklichkeit durch das Staatsrecht führen 87 • Bezüglich der Bedeutung für den Begriff der Repräsentation in dieser Staatslehre kann deshalb festgestellt werden, daß er aus dieser Staatslehre eskamotiert ist und es auch bleiben wird. Wird das Problem der Repräsentation, wie es im Problem der Verfassungsfrage im Vormärz angerissen worden war, durch den Ansatz dieser Lehre ausgeklammert und schreitet diese Staatslehre allein logisch-formal fort, so ist keine Korrektivinstanz denkbar. Selbst die Wirklichkeit verliert an Bedeutung und wird vom System aus uminterpretiert. Es kann keinen Punkt geben, an dem diese Fragestellung wieder auftauchen könnte. Der Gerberschen Staatslehre geht es allein um die Staatsgewalt und deren Auswirkungen, nicht um deren Bildung. Die Problemstellung des Vormärz ist endgültig verloren, die Repräsentationsproblematik aus der Staatslehre ausgeklammert und ausgeschlossen. Dieses soll im folgenden Abschnitt an Hand der konkreten Verfassungsinterpretation von Gerber und Laband dargelegt werden. 4. Die konkrete Verfassungsinterpretation als Uminterpretation repräsentativer Einrichtungen a) Bei C. Fr. von Gerber
Mit der Staatspersönlichkeit und dem Verhältnis des einzelnen Bürgers zur Staatsgewalt sind die "abstrakten Sätze(n) des Rechts im objektiven Sinne des Worts"t bei Gerber bestimmt. Wesen und Umfang der Staatsgewalt sind in ihrer abstrakten Existenz bezeichnet. Hierin ist der Fortschritt der "Grundzüge" gegenüber den "öffentlichen RechGrundzüge, Beilage H, S. 227. Vgl. Wilhelm, Zur Methodenlehre 19. Jh., S. 152. 87 So bereits Wilhelm~ Zur Methodenlehre 19. Jh., S. 152. 1 Grundzüge, S. 6. 85
88
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ten" zu sehen. Damit ist jedoch die Thematik der Staatsrechtslehre noch nicht erschöpft. Denn diese abstrakten Bestimmungen sind offen gegenüber verschiedenen konkreten Verwirklichungen2 • Vervollständigt wird also die Staatslehre erst durch die "Entwickelung des Rechts der Mittel, durch welche sie (die Staatsgewalt) in die konkrete Erscheinung gesetzt wird"3. Sie ist verwiesen auf die jeweiligen, konkreten verfassungsrechtlichen Bestimmungen eines Staates, die es gemäß den abstrakten Rechtssätzen zu interpretieren gilt. Die Staatsrechtslehre kann von daher nur die eines bestimmten Staates sein4 • Dies bedeutet kein Versinken in der Einmaligkeit der gegebenen Verfassung, wird die spezielle staatliche Regelung doch als Verwirklichung und Konkretisierung der abstrakten Erkenntnisse der Staatsrechtslehre verstanden, was letztlich ein Negieren der eigenständigen Bedeutung der zu interpretierenden Wirklichkeit bedeutet. Entscheidungskriterium ist das juristische Prinzip. Zwar werden die Regelungen der Verfassung aufgenommen und interpretiert, über die Anerkennung der Faktizität dieser Regelungen geht die Erfassung jedoch nicht hinaus. Eine Erklärung der Verfassung mit dem Vertragsgedanken wird z. B. aus juristischen überlegungen als irrelevant bezeichnet5 • So erscheinen dann Verfassungsrechte gleichbedeutend neben Privilegien6 • Die Wirklichkeit wird zwar zugrunde gelegt, aber allein um nach juristischen Prinzipien interpretiert zu werden. Zu welchen Ergebnissen eine derartige Interpretation führen muß, kann an den relativ abstrakten Ausführungen Gerbers zur konstitutionellen Monarchie in der zweiten Beilage der "Grundzüge" grundsätzlich abgelesen werden7 • Die Verwirklichung der Staatsgewalt erfolgt nach Gerber in der konstitutionellen Monarchie durch die Organe des Monarchen und der Landstände. Es sind Organe des Staats nicht der Staatsgewalt, dessen Realisierung ihnen nur obliegt. Dabei kommt dem Monarchen die Aufgabe zu, die Staatsgewalt unmittelbar zu realisieren, während die Stände "bewirken, dass die Funktion des monarchischen Organs jederzeit nach Massgabe des bestehenden Rechts und unter der Berücksichtigung der Stimme des Volks erfolge"8. Als eigenständiger Faktor sind die Stände dieser Bestimmung nach wohl kaum zu bezeichnen. Denn sie sind Organe des Staats nicht des Volkes. Da das Volk "ganz und Ebd., S. 6 -7. Ebd., S. 76. , Ebd., S. 9. 5 Vgl. Grundzüge, S. 8 Anm. 3 und S. 13 Anm. 2, am detailliertesten jedoch in: Ueber öffentliche Rechte, S. 39/40. 8 Grundzüge, S. 16/17. 7 Vgl. zum folgenden Abschnitt Grundzüge, Beilage II, S. 231 - 235. 8 Ebd., S. 232/233. Z
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gar im Staate ist"9, fehlt die Basis, von der aus eine eigenständige Stellung begründet werden könnte. Die Funktion der Stände kann nur von der Staatsgewalt aus verstanden werden, sie werden zu Vorbedingungen der wahrhaften Verwirklichung der Staatsgewalt. Ihre "Zweck:bestimmung ist die stete Zuführung der im Geiste des Volks enthaltenen politischen Motive zu den Kräften, welche die Staatsgewalt leiten"10. Ein Einfluß auf die Bestimmung der real sich äußernden Staatsgewalt wird den Ständen nicht zuerkannt. Ihre Aufgabe ist es, den Geist des Volks bereitzustellen, ihn dem Monarchen als dem Entscheidenden zur Verfügung zu stellen, ohne selbst Einfluß auf die Entscheidung zu haben. So zeigt sich hier bereits prinzipiell, was in der nachfolgenden detaillierten Untersuchung näher hin ausgewiesen wird, daß die Stände außerhalb des Entscheidungsprozesses angesetzt sind. Eine bestimmende Funktion kann ihnen nicht zukommen. Wie aber die verbliebene Funktion zu kennzeichnen ist, soll die folgende Darstellung der Einzelrechte beantworten.
al) Die Rechte des Monarchen Der Monarch wird bei Gerber als die Verkörperung und Personifizierung der Staatsgewalt verstanden, dessen Wille als der allgemeine Wille des Staats zu verstehen sei. "Was ... der Potenz nach die Staats.,. gewalt selbst rechtlich vermag, das ist auch der Inhalt des Willensrechts des Monarchen"l1. Erst im Monarchen gelangt die abstrakte Staatsgewalt zur Erscheinung 12. Diese Stellung kommt dem Monarchen gemäß Gerber aus eigenem Recht zu, sie dürfe keineswegs als Ausfluß der Verfassung verstanden werden. Zwar habe sich durch die Einführung von Verfassungen das Monarchenrecht gewandelt, indem der Fürst nicht mehr seine Stellung außerhalb des Staates hat, sondern als Organ in ihm anzusehen ist. Der Rechtsgrund habe sich aber dadurch keineswegs verändert13. Es stellt sich jedoch die Frage, wie diese Aussage damit zu vereinbaren ist, daß der Monarch durch eben diese Verfassung in seiner absoluten Macht eingeschränkt worden ist. Gerber selbst sieht den Monarchen "durch den institutionellen Charakter der monarchischen Organschaft gebunden", auf Grund seiner Stellung als oberstes Organ des 9 Grundzüge, Beilage II, S. 233. 10 Ebd. 11 Grundzüge, S. 78. 12 Hierin ist also kein Unterschied zu der Bestimmung der Schrift Ueber öffentliche Rechte, S. 52 festzustellen. Vgl. auch Grundzüge, S. 19 Anm. 1. Die Korrektur der Grundzüge betrifft allein die Einschätzung der Möglichkeit einer Bestimmung der abstrakten Staatsgewalt. Die Charakteristik der Individualbefugnisse (vgl. Grundzüge, S. 6 Anm. 1) wird davon nicht tangiert. 13 Vgl. Grundzüge, S. 87 - 88.
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Staats ist also seinem Handeln eine Schranke gezogen14 . Diese kann in der verfassungs rechtlich notwendigen Zustimmung der Stände oder auch in der Verantwortlichkeit der Minister zum Tragen kommen. Die Beantwortung dieser Frage ist allein im Zusammenhang und auf Grund der Analyse der die monarchische Macht beschränkenden Rechte der Ständeversammlung möglich.
a2) Die Rechte der Stände Der Monarch ist die Personifikation der Staatsgewalt, durch ihn tritt sie in Erscheinung. Seine Aufgabe ist es, den Staatswillen wirklich zum Ausdruck zu bringen. Auf Grund dieses Ansatzes bei Gerber verengt sich hier die Fragestellung nach der Willensbildung im Staate auf die Frage nach den Garantien dafür, daß Monarchenwille und Staatswille identisch seien. Es muß eine Garantie gefunden werden, "dass der persönliche Wille des Monarchen mit der sittlichen Ueberzeugung des Volks zusammentreffe. Denn von dem sittlichen Bewusstsein des letzteren sollen die materiellen Motive des Staatswillen ausgehen"15. Eine Garantie ist nach Gerber in den bestehenden Gesetzen zu sehen, demgemäß der Monarch zu handeln hat. Diese gelten Gerber als Kodifizierungen des Staatszwecks16. Die zweite Garantie ergebe sich aus der Funktion der Stände, die in dem Bereich, wo noch keine Gesetzeskodifikationen vorliegen, das sittliche Bewußtsein des Volkes zum Ausdruck bringen sollen. Die Aufgabe der Stände ist somit nicht "eine Beschränkung der Staatsgewalt selbst, sondern nur eine Mitwirkung bei deren Vertretung durch die Person des Monarchen"17. Mitwirkung bei der Gesetzgebung und der Budgetfeststellung, Beschwerde-, Antrags- und Petitionsrecht, sowie das Recht der Ministeranklage wird den Ständen durchaus zugestanden. Doch dürfen diese Rechte nur dahingehend verstanden werden, "dass dadurch die Vereinigung der ganzen Staatsgewalt in der Hand des Monarchen nicht gestört wird"18. Den Ständen kommt kein Anteil an der Staatsgewalt zu, Regierungsakte können sie nicht vornehmen19, sie bleiben vielmehr auf das alleinige Herrschaftsrecht des Monarchen bezogen2o • Gerber akzeptiert also eindeutig die Verfassungsregelungen des Verfassungsstaats seiner Zeit. Den Unterschied zwischen älteren LandVgl. Grundzüge, S. 79, siehe auch Ueber öffentliche Rechte, S. 55 - 56. Grundzüge, S. 126. Vgl. ebd., S. 32. Ebd., S. 139. Ebd., S. 131. ID Ebd., S. 131 Anm. 2, vgl. auch S. 132 Anm. 2 zu S. 131 die Ablehnung der Gesetzesinitiative der Stände durch Gerber. 20 Ueber öffentliche Rechte, S. 84. 14
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ständen und modernen Ständen stellt er klar heraus 21 • Die grundlegende Bedeutung der Stände für den organischen Staat wird betont, denn ohne sie sei der Staat bloß ein toter Mechanismus 22 • Die Verfassungsform der konstitutionellen Monarchie liegt seiner Betrachtung zugrunde 23 , doch so, daß deren Bestimmungen nicht in das Gerbersche System eindringen. Denn wie die Verwendung des Begriffs Organismus in diesem Kontext belegt, handelt es sich um eine politische Betrachtung, die für die juristische irrelevant ist 24 • Gemäß dieser kann jedoch den Ständen kein Einfluß auf den Staatswillen zuerkannt werden. Der Staat als Persönlichkeit, - und hier erweist sich die alles bestimmende Funktion des quasi-ontologischen Ansatzes von Gerber, - ist nämlich durch einen einheitlichen Willen gekennzeichnet, der auf die Gesamtheit des Staats abzweckt. Wird dieser Wille aber auf verschiedene Träger verteilt gedacht, so ist die Einheit zerstört und damit auch die Charakteristik des Staates als Persönlichkeit. Der Gerbersche juristische Ansatz verlangt also die Identifizierung der Staatsgewalt mit einer Person, dem Monarchen. Ein bestimmender Einfluß auf dessen Willensbildung durch die Stände ist nicht denkbar, ihre Bedeutung muß sich systemnotwendig auf die Vorstufe der Entscheidungsebene beschränken. Der Willens aspekt ist allein auf den Monarchen bezogen, während die Stände allein die materiellen Motive, den Volksgeist, dem autonom entscheidenden Monarchen zur Verfügung stellen sollen. Unter Anwendung abstrakter juristischer Prinzipien gelangt Gerber von seinem Ansatz aus ,rein' juristisch zur inhaltlichen Bestimmung des Verhältnisses von Monarch und Ständen, ohne sich dieser Thematik eigentlich gestellt zu haben. Dieses Verhältnis wird dann später von Laband präziser und begrifflich eindeutiger bezüglich des Gesetzgebungsaktes formuliert werden25 • Durch diese Regelung des Verhältnisses Monarch Stände ist dann auch die juristische Bestimmung der Bürger als Objekte der Staatsgewalt gewahrt. Bei der Willensbildung des Staates kommt ihnen allein die Rechtswahrungsfunktion zu, wie auch das passive Bereitstellen der sittlichen überzeugungen des Volkes 26 • Sie haben deshalb keinen staatsrechtlichen Willen. Dieses zeigt sich eben darin, daß sie nicht auf die Beherrschung des Volkes aus sind, sondern auf die Funktion des MonGrundzüge, S. 126 - 129, und Anm. 3 S. 126/127. Ueber öffentliche Rechte, S. 82, Grundzüge, S. 76/77. 23 Ueber öffentliche Rechte, S. 84. U Es wird ja auch stets nur auf faktische Verfassungsregelungen Bezug genommen, ohne deren Bedeutung jemals zu analysieren. 25 Vgl. die Unterscheidung "Rechts satz" und "Anordnung" als Aspekte des Gesetzes bei: Laband, Staatsrecht, II, S. 2 - 4, siehe auch unten Abschnitt 4b. ZI Vgl. Grundzüge, S. 126. 21
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archen ausgerichtet bleiben27 • Ihnen kommt keine aktive Rolle zu, sie sind als Objekte der Staatsgewalt hinreichend beschrieben. Kann aber diese Bereitstellungsfunktion der Stände als Repräsentation, d. h. als Artikulierfunktiondes Volkes zumindesten verstanden werden? Auffällig ist, daß Gerber in diesem Zusammenhang den Volksbegriff verwendet, ist doch Volk und Staat von ihm als identisch gesetzt. Von diesem Verständnis aus wäre es sicher falsch, die betreffenden Aussagen als Artikulierung eines Volkswillens gegenüber dem Staat, d. h. als Repräsentationsfunktion zu interpretieren28 • Bezeichnenderweise wird von Gerber in· diesem Zusammenhang auch nie von Willensverhältnissen gesprochen. Er benutzt Bezeichnungen wie sittliches Bewußtsein und sittliche überzeugung 29 • Dieses sind aber vorjuristische Begriffe, hebt doch die juristische Betrachtung allein auf Willensverhältnisse ab. Diese Begriffe sind Anzeichen dafür, daß Gerber eine politische Darlegung zugrunde legt. Der politische Charakter wird auch deutlich, wenn Gerber den Umfang und die Grenzen der Rechte der Landstände nicht zu bestimmen vermag, vielmehr das Beispiel eines organischen Rechtsverhältnisses, die Ehe, bemüht, um seinen Appell zur Harmonie der Organe zu begründen30 • Die politisch erkämpften Rechte der Stände entziehen sich der juristischen Eingrenzung, sie können allein mit dem politischen Begriff des Organismus erfaßt werden, um erst dann gemäß dem juristischen Prinzip interpretiert zu werden. Die Bezeichnung des von den Ständen geäußerten sittlichen Bewußtseins als Bewußtsein des Volkes ist deshalb dann und nur dann juristisch haltbar, wenn es in Beziehung zur Staatsgewalt gedacht ist. Erst dadurch, daß es Material für den Staatswillen gleich Volkswillen ist, indem es von diesem als Entscheidungsbasis für die Bildung des Staatswillens akzeptiert wird, kann ihm die Bezeichnung überzeugung des Volkes zukommen. So kann in diesem Fall keineswegs von der Artikulierun& eines, sei es auch nur sittlichen Bewußtseins des Volkes gegenüber dem Staat, sondern nur von Darbietung von Entscheidungsmaterial gesprochen werden. Sinn und Bedeutung, und d. h. die Qualität als Element des Volkswillens, erhält es ausschließlich durch den Monarchen, der es akzeptieren muß. Es handelt sich eben nur um ein objektives Recht,das zur Garantie des Staatswillens als Gegenrecht der Subjektion dem Einzelnen gewährt wird, nicht um ein subjektives Recht. Die Gerberschen Bestimmungen werden von der Staatsgewalt aus konstruiert, von ihr losgelöst sind keine Rechte festzustellen. Diese klare Scheidung ist in der Gerberschen Darstellung dadurch 27 !8
29 10
Ueber öffentliche Rechte, S. 84. Vgl. Grundzüge, S. 233. Vgl. Grundzüge, S. 126. Grundzüge, S. 132 - 136, Anm. 3 auf S. 133, ebenso. ebd., S. 198 ,. 201.
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verwischt, daß er von der Schilderung der politischen Wirklichkeit ausgeht, wie die Verwendung der Begriffe "Organismus" und "Volk" belegen. Dieser Aspekt kann nach Gerberscher Auffassung nur das Material für die juristische Betrachtung bieten, den es dann autonom, als eigene Wissenschaft aufzuarbeiten hat 31 • Das Faktum der Uminterpretation von Volks rechten zu Vorbedingungen der Staatsgewalt ist als Anliegen der Gerberschen Darlegung anzusehen. Nur einmal in den gesamten "Grundzügen" bietet Gerber eine nähere Kennzeichnung des Verhältnisses des Monarchen zu den Ständen, wohingegen er sonst wenig um eine begrifflich klare Erfassung dieses Faktums bemüht ist. In der Anmerkung 1 zu Seite 149 versteht er diese Beziehung nach dem allgemeinen Rechtsverhältnis zwischen dem Recht in prinzipieller Totalität einerseits und einem beschränkenden Spezialrecht auf der anderen Seite. Hierbei ist weniger die beschränkende Funktion des Spezialrechts als bestimmend anzusehen, - diese kann als Einschränkung der Staatsgewalt auf ihren Bereich verstanden werden 32 • Entscheidend und als grundlegende Aussage erweist sich, wie gerade durch die Beispiele belegt wird 33, daß dieses Spezialrecht Sinn und Bedeutung erst durch das Totalrecht erhält, nur von diesem aus verständlich ist. Eine eigenständige Artikulierfunktion des Volks, d. h. Repräsentation, findet demnach im Gerberschen System keinen Platz. Es kann sich immer nur um die Bereitstellung der "im Geiste des Volks enthaltenen politischen Motive" handeln, eine Funktion, der deshalb keine eigenständige Bedeutung zukommen kann, da das Willensmoment allein beim Monarchen angesiedelt ist34 • Juristisch kann dieses Moment nur als Material des Staatswillens verstanden werden, von dort aus erst erhält es den Volksaspekt, die Thematik der Repräsentation ist und bleibt eskamotiert. In den konkreten Regelungen zur Gesetzgebung, der primären Beziehung von Monarch und Ständen, wird dieses Verhältnis erneut deutlich. Zwar kennt Gerber noch einen materiellen Gesetzesbegriff, schränkt diesen aber dahingehend ein, daß er nur auf die "Form abstrakter Normen"35 abhebt. Deshalb sind für Gerber Finanzgesetze Gesetze nur der Form nach, die nur deshalb so bezeichnet werden, weil Grundzüge, Beilage I, S. 221/222. Vgl. hierzu Ueber öffentliche Rechte, S. 75/76. 33 "Das Recht des Eigenthümers, des Erben, das kirchliche Regimen plenum, gegenüber der Servitut, dem Legat, dem Regimen minus plenum" (Grundzüge, S. 149 Anm. 1). 3( Zitat Grundzüge, Beilage II, S. 233, Zu dieser Interpretation siehe auch das von Gerber formulierte Prinzip, daß im Konfliktsfalle "die Vermuthung für das Recht des Monarchen ist" (Grundzüge, S. 133). 35 Grundzüge, S. 145; vgl. hierzu Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, S. 207. S1
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sie auf der Übereinstimmung von Regierung und Ständen beruhen s6 • Hier ist schon ein Ansatz für den Begriff der Gesetze im formellen Sinn von Laband gegeben, den Gerber in seiner dritten Auflage der "Grundzüge" voll akzeptiert 37 • Diese Aushöhlung des Gesetzesbegriffs bei Gerber erfolgt aus dem Grund, daß er den Ständen kein volles Budgetrecht einzuräumen vermag. Damit würde nämlich ein Einfluß auf den Staatswillen zugestanden. So wird das faktische Budgetrecht indirekt über die Steuerpflicht konstruiert. Da das Budget über den Umfang von Steuern entscheidet, ist den Ständen allein durch die Steuerbewilligung ein indirekter Einfluß zuzuerkennen38, der bestimmende Einfluß auf den Staatswillen also weginterpretiert. Ohne direkte Kompetenz der Stände wird so das Finanzgesetz zum rein formellen Gesetz. Auf der anderen Seite kennt Gerber auch formwidrige Gesetze, d. h. Gesetze, wo die an sich erforderliche Bedingung der Mitwirkung der Stände fehlt. Es handelt sich um Gesetze, die als Verordnung erlassen werden, um das, was Laband späterhin formelle Gesetze nennt39 • Schon bei Gerber verliert der Gesetzesbegriff seine eindeutige Bestimmtheit. Ausgangspunkt für die Möglichkeit dieser Gesetzesverordnungen ist bei Gerber, daß der Unterschied zwischen Gesetz und Verordnung durchaus zweifelhaft sein kann. Entscheidend ist jedoch, daß das Staatsleben sich nicht einfach entwickle, somit eine Definitiventscheidung über den Erfolg der Staatshandlung nicht immer sofort möglich ist, so daß "die schroffe Geltendmachung solcher Nichtigkeiten" wie die Mitwirkung der Stände durchaus als hinderlich unberücksichtigt bleiben können. Ganz ausgeschaltet werden sollen die Stände dabei jedoch nicht, können sie doch vielmehr durch nachträgliche Anerkennung solcher Gesetzesverordnungen einen heilenden Einfluß ausüben40 • Es zeigt sich hier, deutlicher noch als bei den Regelungen zum Finanzgesetz, wie die Hypostasierung des Staatswillens nicht nur die Repräsentationsproblematik verdeckt, sondern daß auch konsequenterweise in den jeweiligen Anwendungen eine Uminterpretation repräsentativer Einrichtungen festzustellen ist, die diese schließlich zur Bedeutungslosigkeit zurückstuft. Das Gerbersche System negiert also nicht nur jegliche Repräsentation, es nimmt ihr auch die Berechtigung überhaupt. Eine Bedeutung des Organismusbegriffs oder materieller Kriterien in der Gerberschen Theorie, wie sie Oertzen in Grenzen meint ausmachen zu 36
37 38 38 40
Grundzüge, S. 147. Ebd., S. 147 Anm. 3. Ebd., S. 163 - 165. Ebd., S. 158, vgl. auch Laband, staatsrecht, II, S. 87. Vgl. Grundzüge, S. 158 - 160, Anm. 3 S. 159 - 160, Zitat ebd., S. 159.
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können4t, ist eben nicht festzustellen. Von daher ist der Unterschied zu Laband auch nur graduell, nicht prinzipiell. b) Die Vollendung bei P. Laband
Laband stellt sich mit seinem "Staatsrecht des deutschen Reiches" ausdrücklich auf die Wirklichkeit der Verfassung der Bismarckzeit. Diese in einem geschlossenen System vollständig zu erfassen, ist seine Aufgabenstellung 42 . Die Fragen nach dem Sinn oder nach den Ideen dieser Verfassung treten nicht auf. Hierzu hat Smend schon bemerkt, daß diese Probleme im Positivismus nicht ernst genommen wurden, am eindeutigsten wohl bei Laband43 . Laband sieht nur die Problemstellung einer juristischen Dogmatik, den logisch-systematischen Aufbau positiver Rechtssätze. Diese Beschränkung auf "eine rein logische Denktätigkeit"44 verteidigt Laband in dem Vorwort zur zweiten Auflage seines "Staatsrechts" dahingehend, daß damit andere Betrachtungsweisen nicht verunmöglicht würden45 . Demgegenüber hat Wilhelm bereits darauf hingewiesen, daß es gar nicht um die Frage gehe, ob andere Rechtsbetrachtungen möglich sind, sondern "ob die Dogmatik selbst ohne ein geschichtliches, ökonomisches, politisches und philosophisches Element auskommen könne, d. h. als ,reine' Dogmatik möglich sei"46. Die Argumentation Labands verfehlt hier die Problemstellung. Die Erarbeitung der Prinzipien und Kategorien, gemäß denen die angestrebte Systematik des positiven Staatsrechts erstellt werden soll, wird man bei Laband vergeblich suchen. Hier erweist er sich wirklich als geistiger Testamentsvollstrecker Gerbers. Er übernimmt einfach Begriffe und Definitionen von Gerber, bloß weil dieser sie als juristische ausgewiesen hatte47 . So wird die Definition des Wesens der StaatsOertzen, Die Funktion des Positivismus, S. 255, S. 259. Vgl. Laband, Staatsrecht, I, Vorwort zur 1. Aufl., S. V - VI. 43 Sm end, Der Einfluß d. dt. Staatslehre des 19. Jh., S. 335. U Laband, Staatsrecht, I, Vorwort zur 2. Aufl., S. IX. (5 Ebd. 48 Wilhelm, Zur Methodenlehre 19. Jh., S. 8; eine eingehende Kritik dieses methodischen Ansatzes auch bei Wilhelm, Johannes, Die Lehre von Staat und Gesetz bei Paul Laband, Diss. jur. Köln 1967, S. 6 - 20,74 - 87. (7 Vgl. hierzu schon Oertzen, Die Funktion des Positivismus, S. 254 - 255; auf die Beziehung Labands zu Gerber wird im folgenden noch einzugehen sein. Inwieweit Gerber selbst Laband als seinen "Testamentsvollstrecker" angesehen hat, vgl. prinzipiell die Vorrede zur dritten Aufl. der Grundzüge, S. IX. Für die Beziehung in Einzelfragen vgl. Grundzüge, S. 13 Anm. 5 zu S. 12; S. 25 Anm. 3 zu S. 24; S. 29 Anm. 3; S. 147 Anm. 3; S. 151 Anm. 10; S. 160 Anm. 4; siehe hierzu auch Fröhling, Ortrun, Labands Staatsbegriff. Die anorganische Staatsperson als Konstruktionsmittel der deutschen konstitutionellen Staatslehre, Diss. jur. Marburg 1967, S. 4 u. Anm. 11; S. 25/26; siehe auch die klassische Formulierung von Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, 3. Abteilung, 2. Halbband, München und Berlin 41
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zugehörigkeit als Untertanenschaft, das ist als "Unterwerfung unter die obrigkeitliche Herrschermacht" ohne jegliche Begründung allein mit Bezug auf Gerber eingeführt 48 . Die Konsequenz dieser Bestimmung, daß die bürgerlichen Grundrechte keine Rechte des Bürgers sind, daß sie vielmehr nur als "Normen für die Staatsgewalt"49 verstanden werden können, steht ebenfalls im Zusammenhang mit den Gerberschen überlegungen. Auch bei Laband sind die politischen Rechte der Bürger als objektive Rechte verstanden, das heißt als "Reflexe der objektiven Ordnung des öffentlichen Rechts". Das Staatsbürgerrecht im eigentlichen Sinne des Wortes ist bei Laband schließlich zum Anspruch auf Erfüllung der dem Staat obliegenden Aufgaben zusammengeschmolzen50 • Was bei Gerber aufgewiesen und belegt wurde, ist bei Laband schon zur begrifflichen Selbständigkeit erhoben. Die Begriffe werden bei ihm schon unabhängig von ihrem methodischsystematischen Zusammenhang verwandt, sie haben sich verselbständigt. Eine systematisch-methodische Reflexion wie bei Gerber sucht man bei Laband vergeblich, durch ihre Selbständigkeit werden die Begriffe zu Wesenheiten stilisiert. Die sachliche Problematik, die z. B. im Organismus begriff der Gerberschen Systematik zumindest zugrunde lag, - ohne sie jedoch zu bestimmen, - ist gänzlich verschwunden, nicht nur aus dem System, wie schon bei Gerber, sondern gleichfalls aus dem Bewußtsein des Wissenschaftlers51 • Juristische Begriffe erhalten Wesenscharakter. Durch die Aufgabe der methodischen Reflexion bei Laband geht schließlich auch die Eigenständigkeit des Staatsrechts verloren. Eine Bedenklichkeit der gänzlichen übertragung privatrechtlicher Methoden auf das Staatsrecht, wie sie Gerber zu eigen war, fehlt bei Laband vollständig. Gerber zögerte ja zunächst den Personbegriff auf den Staat anzuwenden, um ihn nicht gemäß privatrechtlichen Subjektsverhältnissen interpretieren zu müssen. Erst nachdem der Personbegriff als dem Staatsrecht adäquat ausgewiesen war, wurde er von Gerber akzeptiert. Demgegenüber bestimmt Laband in eindeutiger übernahme privatrechtlicher Vorstellungen das Deutsche Reich als "eine Korporation des öffentlichen Rechtes"52. Dabei verwendet er einen Begriff, den Gerber gerade für das Staatsrecht nicht angewendet wissen wollte 53 • Gerbers 1910, S. 833, daß "Laband als der geistige Testamentsvollstrecker Gerbers" erscheine. 48 Laband, Staatsrecht, I, S. 141 in Bezug zu Gerber, Grundzüge, §§ 15 - 17 sowie Beilage II, siehe hierzu Laband, Staatsrecht, I, S. 141 Anm. 1. n Vgl. Laband, Staatsrecht, I, S. 151 und Gerber, Ueber öffentliche Rechte, S. 76 ff. 50 Laband, Staatsrecht, I, S. 152. 51 So bereits Oertzen, Die Funktion des Positivismus, S. 255. 52 Laband, Staatsrecht, I, S. 228.
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Methode, die er als genuin staatsrechtliche Methode aufzuweisen versucht hatte, wird hier von Laband zur platten Parallelität von Privatrecht und Staatsrecht. Damit fehlt dieser Lehre das Zentrum und der Begründungsnachweis, wie er bei Gerber gegeben war. Das juristische Prinzip, gemäß dem Laband die Verfassung interpretiert, wird nicht genannt und erkennbar. Seine juristischen Bestimmungen werden zu bloßen Behauptungen. Das Denken von der Staatsgewalt aus ist einfach übernommen, eine Begründung erübrigt sich. Gerbers Methode und Begriffe haben sich verselbständigt, allein das Adjektiv juristisch genügt, um sie einzuführen. Die Hereinnahme von konkreten verfassungsrechtlichen Regelungen, die sogar als Einschränkungen prinzipieller theoretischer Aussagen akzeptiert werden54, belegt zudem die untheoretische Anwendung Gerberscher Begriffe und Methoden auf die Verfassung des Deutschen Reiches. Ohne die Gerberschen Bestimmungen ist also das Labandsche Staatsrecht nicht denkbar, wenn es auch nicht von dorther allein erklärt werden kann55 • Gemäß dem Korporationsbegriff wird die Stellung des Kaisers im Deutschen Reich von Laband analog zur privatrechtlichen Bestimmung eines Geschäftsführers gesehen. Er sei das einzige handelnde Organ, ihm komme die "Staatsgewalt des Reiches, das imperium" zu, ihm obliegt demnach die Regierung 56 • Die Ausübung der Staatsgewalt stehe ihm jedoch nicht allein zu, diese sei vielmehr auf verschiedene Organe verteilt, auf den Kaiser und den Bundesrat. Die eine Staatsgewalt wird also durch zwei verschiedene Organe ausgeübt57 • Laband ist gezwungen, um die Wirklichkeit des deutschen Reiches zu erfassen, eine Teilung der Funktionen der Staatsgewalt anzusetzen. Ob diese Erklärung mit der Persönlichkeitscharakteristik des Staates vereinbar ist, ist für Laband unerheblich, da er nicht von diesem Ansatz aus konstruiert. Die Gerberschen Bestimmungen werden von ihm einfach auf diese beiden Organe bezogen. 53 Gerber, Ueber öffentliche Rechte, S. 19; siehe auch Gierke, Otto, Labands Staatsrecht und die deutsche Rechtswissenschaft, in: Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich, hrsg. von Gustav Schmoller, 7, 1883, S. 1125 - 1130, wo er aufweist, daß Laband keinen öffentlichen Persönlichkeitsbegriff kennt. 54 Als ein Beispiel hierfür vgl. Laband, Staatsrecht, I, S. 230, wo er dem Kaiser das imperium prinzipiell zuspricht, jedoch nur "soweit die Ausübung nicht den Einzelstaaten übertragen ist". 55 Kritisch zu Labands Methode schon Gierke, Otto, Labands Staatsrecht und die deutsche Rechtswissenschaft (siehe Anm. 198, oben), S. 1097 - 1195, der gerade auf ein unmethodisches inhaltliches Moment bei Laband verweist (ebd., S. 1120 - 1125), - vgl. hierzu auch FröhZing, Labands Staats begriff, S. 54 - 70, - und dessen politische Ausrichtung betont (ebd., S. 1105), - dazu ebenfalls FröhZing, Labands Staatsbegriff, S. 120 - 131. 56 Vgl. Laband, Staatsrecht, I, S. 228 - 232, Zitat ebd., S. 230. 57 Vgl. ebd., I, S. 254 - 256.
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Teil II: Rechtspositivismus oder Eskamotage der Repräsentation
Ebenso wird dann dem Reichstag jeglicher Anteil an der Staatsgewalt aberkannt, allein Zustimmung und Kontrolle des Kaisers und des Bundesrates wird ihm zugestanden. Er wird analog der Gerberschen Interpretation der Stände nicht als eigenständiger Faktor, sondern nur als von der Staatsgewalt aus verständliche Einrichtung betrachtet58 • Volksvertretung sei der Reichstag nur auf Grund seiner Bildung und Zusammensetzung, seine Befugnisse erhalte er nämlich allein aus der Verfassung und nicht durch den Willen des Volkes, den Wählern59 • Die Auffassung, daß das Volk durch den Reichstag fortlaufend Anteil an den Staatsgeschäften habe, wird als unjuristisch bezeichnet. Die Beschreibung, "daß das ,Volksethos', ,der lebendig wirkende Nationalgeist', ,das sittliche Bewußtsein des Volkes' durch den Reichstag zum Ausdruck kommen", wird als "philosophisch-historisch-politische Betrachtung" eingestuft, der kein Einfluß auf die juristische Bestimmung zukommen kann60 • Die juristische Betrachtung hebt allein ab auf die Befugnisse des Reichstags gemäß der Verfassung und den geltenden Gesetzen. Er ist demnach Element der Verfassung, woraus folgt: "der Reichstag ist nicht ein Repräsentant oder Delegatar irgendwelcher Wählerschaften, Parteien oder Bevölkerungsgruppen und seine Befugnisse sind vollkommen unabhängig von dem Willen der Wahlberechtigten61 ." Eine Repräsentationsfunktion wird ihm also ausdrücklich abgesprochen. Es zeigt sich bei Laband gerade in Bezug auf die Repräsentationsproblematik eine größere Klarheit als bei Gerber, obwohl er nicht über die Gerbersche Position hinausgeht, sondern sie nur verdeutlicht. Bei Gerber wurde in diesem Zusammenhang noch der Organismusbegriff erwähnt, um die verfassungsrechtliche Anerkennung der Volksvertretung vom vorjuristischen Bereich aus plausibel zu machen. In diesem Zusammenhang ist dann auch vom "sittlichen Bewußtsein des Volks" als Erklärung der Funktion der Stände die Rede gewesen. Doch fanden diese Bestimmungen keinen Eingang in die juristische Konstruktion. Diese ging vielmehr von der bloßen Faktizität der Verfassungsrechte der Stände aus, die dahingehend interpretiert wurden, daß den Ständen kein Einfluß auf die Staatsgewalt zukomme, wie besonders in den Bestimmungen der Finanzgesetzgebung als auch der Gesetzgebung allgemein deutlich wurde62 • Wie zuvor dargelegt6S , ist in diesem System kein Platz für irgend welche Repräsentation. Laband stellt dieses Ergebnis deutlicher heraus, indem er nicht nur scharf zwischen juristischer 58 59
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61 62 63
Vgl. ebd., I, S. 296 - 299. Ebd., I, S. 297. Ebd. Ebd., I, S. 297/8. Vgl. hierzu den vorausgegangenen Abschnitt 4 a2. Vgl. ebd.
4. Die Uminterpretation repräsentativer Einrichtungen
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und anders gearteter Betrachtung unterscheidet, sondern allein und ausschließlich auf den juristischen Aspekt abhebt, auf die faktischen Verfassungs regelungen, die auch detailliert angeführt werden64 . Eine vergewissernde Reflexion über deren Bedeutung anhand des Organismusbegriffs ist dadurch bei Laband nicht möglich. Die Methodentrennung von Gerber ist zur Absonderung geworden. Laband baut auf Gerber auf, die Methode und die Begriffe liegen fest, die interpretatorische Grundlage des Organismusbegriffs erübrigt sich. Allein juristische Elemente werden erfaßt und damit die explizite Absage an den Repräsentationsbegriff in aller Schärfe möglich. Juristische Fixierungen werden nur aufgegriffen und gemäß ihrem Verhältnis zur Staatsgewalt interpretiert. Die Gerberschen Bestimmungen gelangen so zur letzten festumrissenen Darstellung. Bei Laband, dem ja das methodisch-systematische Zentrum von Gerber fehlt, rückt die Verfassung in den Mittelpunkt der Interpretation. So wie der Reichstag nur Verfassungselement und nicht Volksvertretung sein kann, so wird auch das Wahlrecht als "Reflex des Verfassungsrechts"65 verobjektiviert. Es ist genauso viel und so wenig Recht, wie es ein Recht sei, Zuhörer beim Schwurgericht zu sein, d. h. das Wahlrecht ist "der Reflex der verfassungsrechtlichen Regeln über das Verfahren behufs Bildung des Landtages oder Reichstages"66. Die Verfassung wird als Kodifizierung der objektiven oder Reflexrechte gesehen. Ihr Faktum wird akzeptiert, ihre Bedeutung aber nicht versucht zu analysieren, sondern sie wird allein gemäß dem von Gerber gefaßten Gedanken des objektiven Rechts interpretiert. Problem und Fragestellung des Vormärz sind methodisch eliminiert, die Deduktion von der Staatsgewalt aus läßt keinen Platz für sie, sondern interpretiert sie um und so in das positivistische Deduktionssystem hinein. Daß Laband das Gerbersche System und dessen Gedanken verdeutlicht und akzentuiert, erweist sich besonders bei seiner Interpretation des Gesetzgebungsvorganges. Die Gesetzgebung ist nach Laband eine Form der Äußerung der Staatsgewalt67 . Aus dieser Definition folgt notwendig, daß dem Reichstag hierauf keine Einwirkung zukommen kann. Erreicht wird dieses dadurch, daß Gesetz als "die rechtsverbindliche Anordnung eines Rechtssatzes"68 definiert wird. Das Gesetz besteht also aus zwei Elementen, der Anordnung und dem Rechtssatz, dem Gesetzesbefehl und dem Gesetzesinhalt69 . Die Erteilung des Gesetzes8' 85 88 87 88
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Laband, Staatsrecht, I, S. 299 - 306. Ebd., I, S. 331. Ebd., I, S. 331. Ebd., I, S. 300. Laband, Staatsrecht, Ir, S. 2. Ebd., Ir, S. 2, 4.
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Teil 11: Rechtspositivismus oder Eskamotage der Repräsentation
befehls, also die Ausstattung eines Gesetzesinhalts mit Autorität, sei dabei Aufgabe der Staatsgewalt. Denn hierin drücke sich das Spezifische der Staatsgewalt aus, nämlich die Herrschaft. Erst durch die Erteilung des staatlichen Befehls, die Sanktion, werde etwas zum Gesetz erhoben7o . Die Sanktion sei der Kernpunkt des Gesetzgebungsvorgangs, das inhaltliche Moment erscheint nur als "die verfassungsrechtlich notwendige Vorbedingung für die Erteilung dieses Befehls"71. Die Lehre der konstitutionellen Monarchie im Vormärz, die von einer Gleichrangigkeit von Monarch und Landtag bei der Gesetzgebung ausging, wird von dieser Darlegung aus von Laband ausdrücklich als falsch abgetan72 . Es zeigt sich hier mit aller Deutlichkeit die Konsequenz einer Absonderung von der politischen Betrachtung des Staates. Der Willensbildungsprozeß im Staat bleibt gänzlich methodisch abgeschaltet. Allein auf die Wirkung der Staatsgewalt wird abgehoben. Staatliche Elemente, die der Willensbildung zuzurechnen sind, können so nicht genuin erfaßt werden, erscheinen nur noch als Vorbedingungen der Staatsgewalt; sie werden gemäß dem juristischen Prinzip uminterpretiert. Konsequenz ist dann schließlich eine erschreckende Unterbewertung des inhaltlichen Moments im Gesetzgebungsprozeß. Nicht der Inhalt des Gesetzes ist von Wichtigkeit, sondern dessen Sanktion. Eine Bestimmung, die dann dahingehend umschlägt, daß mittels des mit der Sanktion verbundenen absoluten Vetos, dieser schließlich auch die inhaltliche Kompetenz zufällt7 3• Die Bestimmungen von Gesetzesbefehl und Gesetzesinhalt, Anordnung und Rechtssatz, erweisen sich somit als begriffliche Fixierung des bei Gerber durch den Ausgang vom Organismusbegriff noch nicht so scharf formulierten Verhältnisses von Monarch und Ständen im allgemeinen als auch im Gesetzgebungsprozeß. Durch die Betonung des absoluten Vetos ergeben sich dabei für Laband Schwierigkeiten, da im Deutschen Reich dem Kaiser eben dieses absolute Veto nicht zukam 74 • Doch erweist sich hier aufs Neue die 70 Vgl. ebd., 11, S. 4 - 7, siehe auch S. 29; eine kritische Darlegung der Labandschen Sanktionslehre bei: Fröhling, Labands Staatsbegriff, S. 91 - 99. 71 Laband, Staatsrecht, 11, S. 9 hiermit ist dann die Gerbersche Bestimmung der Funktion der Stände als passives Bereitstellen von geistigen Motiven für den Staatswillen in begrifflicher Fixierung zum Ausdruck gebracht. 72 Laband, Staatsrecht, 11, S. 7 - 9. 73 Laband, Staatsrecht, 11, S. 30; zu Labands Unterscheidung von formellem und materiellem Gesetz vgl. kritisch Fröhling, Labands Staatsbegriff, S. 83 bis 91, siehe auch ebd., S. 106 - 112 den Nachweis der Identifizierung des Staates mit Exekutive durch Laband; schon Gierke hatte ja Laband das Nicht-Erfassen des genossenschaftlichen Elements über den Herrschaftsaspekt hinaus vorgeworfen, vgl. Gierke, Labands Staatsrecht und die deutsche Rechtswissenschaft, S. 1130 - 1135. 74 Laband, Staatsrecht, II, S. 30 - 32.
5. Rechtspositivismus und Repräsentation
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Eigenständigkeit der Methode des staatsrechtlichen Positivismus. Was sich als logisch richtig erwiesen hat, muß auch Wirklichkeit sein. Das absolute Veto wird dementsprechend von Laband über die Funktion des Bundesrates und über das Ausfertigungsrecht des Kaisers in die Verfassung hineininterpretiert76 • Repräsentative Einrichtungen, verstanden allein als Vorbedingungen für die Statsgewalt, waren schon bei Gerber als zu übergehende Faktoren angesehen worden, wenn es den Erfolg staatliche Handlungen zu sichern galt1 6 • Laband verschafft dieser Möglichkeit grundsätzliche Anerkennung, indem er Gesetz eigentlich nur als Form akzeptiert. Gesetz sei, unabhängig wie der Inhalt geartet ist, wenn die Volksvertretung an der Äußerung des Staatswillens beteiligt war77 • Dem formellen Gesetz korrespondiert die formelle Verordnung, die sich dadurch auszeichnet, daß eben die Volksvertretung nicht beteiligt ist, egal wie auch immer der Inhalt beschaffen sein mag. Dadurch, daß der strenge Gesetzesbegriff aufgegeben wird, werden Gesetzesverordnungen als legitime Möglichkeit etabliert78 • Triepel hat darauf verwiesen79 , daß diese Lehre in Hinblick auf den preußischen Verfassungskonflikt formuliert worden ist. Über diesen politischen Aspekt hinaus zeigt sich eine Tendenz dahingehend, daß eine Lehre, die von ihrem Ansatz aus repräsentative Einrichtungen umzuinterpretieren hat, schließlich zu weiteren Definitionen und Interpretationen gelangen muß, die über eindeutige verfassungsrechtliche Regelungen hinweggehen und diesen widersprechen müssen. Das Interpretationsprinzip verselbständigt sich und wird zum allein bestimmenden Moment.
5. Rechtspositivismus und Repräsentation Überblickt man die Theorie von Gerber und Laband, so erweist sich, daß durch die Verengung der Staatslehre zur Staatsrechtslehre diese an dem eigentlichen Gegenstand ihrer Untersuchung vorbeigeht!. Verfassungs rechtlich-politische Probleme werden zu rechtstheoretischen Fragen, das Verhältnis von Staat und Gesellschaft, die Idee des materiellen Rechtsstaats, philosophische Begründungen sind aus einer nur juristisch-formalen Staatslehre verbannt. Das Staatsdenken isoliert sich, verliert den Bezug zu den gesellschaftlichen Verhältnissen und Ebd., II, S. 32 - 36 und S. 42 - 43. Vgl. Gerber, Grundzüge, S. 159 und S. 159 Anm. 3. n Laband, Staatsrecht, II, S. 62, 68, 69. 78 Ebd., Ir, S. 85 - 87,97, 104 - 105. 79 Triepel, Rektoratsrede, S. 35; zur Bedeutung und Funktion des Labandschen Systems allgemein siehe Fröhling, Labands Staatsbegriff, S. 120 bis 131. 1 Diese Einschätzung bei Scheuner, Das Wesen des Staates, S. 246. 75
78
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Teil II: Rechtspositivismus oder Eskamotage der Repräsentation
wird zu einer "Denktechnik für Bürokraten"2. Diese Charakteristik kann wohl allgemeinpolitisch mit der Verfassungssituation des Nachmärz erklärt werden. Der Thematik des Vormärz ist der realpolitische Bezug genommen. Durch preußischen Verfassungskonflikt und Reichsgründung wird sie von der Wirklichkeit überrollt. Von daher ist der Positivismus wirklich als "Zerfallsprodukt des staatstheoretischen Idealismus der konstitutionellen Theorie"3 anzusehen. Doch können mit dieser Erklärung nur die weiteren Rahmenbedingungen erfaßt werden. Das näherliegende und entscheidende Moment ist jedoch, daß die Rechtswissenschaft ein Eigenverständnis zu entwickeln beginnt und dabei einen von der Wirklichkeit losgelösten Rechtsbegriff zugrunde legt. Dieses wird besonders in der Aufgabenstellung und Methodenbestimmung Gerbers deutlich. Die Herkunft der Methode Gerbers und damit auch Labands aus der Privatrechtswissenschaft hat eindeutig und erschöpfend W. Wilhelm dargelegt'. Den Ursprung dieser Methode setzt Wilhelm bei der Historischen Rechtsschule, bei Savigny ans. Deren Ansatz der Anwendung des entwicklungsgeschichtlichen Prinzips auf die Rechtsgeschichte führte ja schon zu einer Verschleierung des Verhältnisses von Recht und Gesellschaft, indem nur auf die Entwicklung des Volksgeistes abgehoben wurde 6• Philosophisch-prinzipielle Problematik wurde umgewandelt in reine Faktensammlung. Prinzipien werden nicht abgeleitet, sondern aus der Geschichte entlehnt. Ein Vernunftrecht wird so als inadäquat erwiesen, womit sich der politische Charakter dieser Richtung dokumentierF. Diese Methode wird dann durch Puchta weiterentwickelt, indem er neben dem Gewohnheitsrecht und der Gesetzgebung die Wissenschaft als eigene Rechtsquelle bezeichnet. Neben den Ursprung des Rechts im Volksgeist tritt nun die Eigenständigkeit logischer Denkgesetze8 • Die Begriffe der Historischen Rechts2 Zur Einschätzung des Positivismus allgemein und zu den jeweiligen Charakterisierungen vgl. Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, S. 218/9; Rosenbaum, Naturrecht und positives Recht, S. 48; Oertzen, Die Funktion des Positivismus, S. 328 - 334; Zitat von Smend, zitiert bei Oertzen, ebd., S. 322. 3 Rosenbaum, Naturrecht und positives Recht, S. 41. « Wilhelm, Walter, Zur juristischen Methodenlehre im 19. Jahrhundert. Die Herkunft der Methode Paul Labands aus der Privatrechtswissenschaft, Frankfurt a. M. 1958, für die folgenden Darlegungen siehe ebd. 5 Zur Historischen Rechtsschule siehe auch Wieacker, Franz, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit unter besonderer Berücksichtigung der deutschen Entwicklung, Göttingen 2. Aufl. 1967, S. 348 - 458; Zu Savigny siehe auch, Wilhelm, Walter, Savignys überpositive Systematik, in: J. Blühdorn und J. Ritter (Hg.), Philosophie und Rechtswissenschaft. Zum Problem ihrer Beziehung im 19. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 1969, S. 123 - 136. 6 Vgl. Wilhelm, Zur Methodenlehre 19. Jh., S. 35. 7 Vgl. hierzu Schneider, Gerhard, Der Ursprung des Positivismus in der Gestalt des Historismus, in: ARSP, 38, 1972, S. 267 - 287, bes. S. 270 - 282.
5. Rechtspositivismus und Repräsentation
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schule, - wie Rechtssatz, Rechtsinstitut usw., - erhalten bei ihm eine Eigenständigkeit, die sie auch bei Gerber behalten. Bei ihm geht die geschichtliche Betrachtung des Rechts ganz in der logisch systematischen Konstruktion auf. So wird der Einfluß des römischen Rechts auf das deutsche von ihm erst dann als möglich eingeschätzt, wenn es systematisiert seiD. Recht wird zur geschichtlich abgehobenen Konstruktion, eine Konstruktion, die ihren spezifisch juristischen Anknüpfungspunkt im menschlichen Willen findet 10 • Diese Methode und dieses Rechtsverständnis, das nun gänzlich von der Wirklichkeit getrennt ist, wird von Gerber auf die Staatslehre übertragen, um auch hier zu einer Systematik zu gelangen und diesen Bereich der Jurisprudenz als Wissenschaft zu etablieren. Die Übertragung der privatrechtlichen Methode auf das Staatsrecht erfolgte bei Gerber erst dann vollständig, nachdem sie als genuin ausgewiesen war. Die Schrift "Ueber öffentliche Rechte" ist noch als Vorstufe zu werten, die Zielvorstellung eines geschlossenen Systems wird noch nicht verwirklicht, obwohl sie als Ideal bereits aufscheintl l . Erst in den "Grundzügen" wird das Prinzip der systematischen Interpretation gewonnen. Dem Staat wird Persönlichkeit zugesprochen, aber eine spezifische, die in ihren Willensbeziehungen das Ganze zum Gegenstand hat. Da die wej~ere Ausgestaltung des Systems nur noch als logische Bestimmung dieser Willensverhältnisse erscheint, sind in dem Persönlichkeitsbegriff des Staates quasi alle weiteren Einzelbestimmungen in nuce enthalten. Von hier aus läßt sich deshalb grundlegend das Verhältnis dieser Staatslehre zur Problematik der Repräsentation bestimmen. Voraussetzung dafür, daß Gerber den Staat als Persönlichkeit bestimmte, war das Verständnis der Staatsgewalt als Allgemeinwille, als Wille des Volkes. Erst wenn Staat und Volk identisch waren, ein anderer Willensinhalt als im Privatrecht vorlag, konnte der Persönlichkeitsbegriff auf den Staat übertragen werden. Die Übernahme der Zu Puchta siehe Wilhelm, Zur Methodenlehre 19. Jh., S. 70 - 87. Vgl. Gerber, Zur Charakteristik der deutschen Rechtswissenschaft. Eine akademische Rede, Tübingen 1851, S. 22 - 23; vgl. auch Coing, Helmut, Der juristische Systembegriff bei Rudolf von Jhering, in: J. Blühdorn und J. Ritter (Hg.), Philosophie und Rechtswissenschaft, Frankfurt a. M. 1969, S.153. 10 Zum Rechtsbegriff von Gerber siehe grundlegend: ders., Zur Charakteristik der deutschen Rechtswissenschaft, Tübingen 1851; sodann ders., Ueber deutsches Recht und deutsche Rechtswissenschaft überhaupt, II und III (I ist ein Abdruck der Schrift "Zur Charakteristik der deutschen Rechtswissenschaft), in: ders., Gesammelte Juristische Abhandlungen, Jena 1872, S. 15 - 22 und S. 23 - 35; die beste Interpretation hierzu bei Wilhelm, Zur Methodenlehre 19. Jh., S. 88 - 128. 11 Gerber, Ueber öffentliche Rechte, S. 49. 8
9
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Teil II: Rechtspositivismus oder Eskamotage der Repräsentation
privatrechtlichen Methode wurde unproblematisch, da der Ansatz verschieden war. Doch der Aufweis der Identität von Volk und Staat erwies sich als philosophische und nicht juristische Problemstellung. In juristischer Erörterung konnte er nicht erbracht werden, er wurde vielmehr mit einer Natürlichkeitsbegrifflichkeit erschlichen. Dieser methodisch unzulässige Ansatz führte dann dazu, daß die Fragestellung des Vormärz, nämlich die gesamte Problematik der staatlichen Willens bildung überdeckt und deren Erörterung dadurch verunmöglicht wurde. Dieses Problem ist quasi mit der Identifizierung von Staat und Volk gelöst, ohne jemals als Problem aufgetreten zu sein. Thematisch wird allein der staatliche Bereich, der Herrschaftsaspekt; das ihm Vorgängige ist abgeblendet, eine Repräsentationsproblematik ist eskamotiert. Denn da sie nicht im Ansatz enthalten ist, kann sie auf Grund der rein logischen Methode nicht mehr ins System hineingelangen. Eine Interpretation gilt dem Rechtspositivismus nämlich dann als richtig, wenn sie aus dem Ansatz deduziert werden kann. Wirklichkeit und politische Aspekte werden uminterpretiert, sie werden zu sekundären Elementen des primären staatlichen Bereichs. Repräsentation wird so zum Aspekt und zur Vorbedingung der Staatsgewalt uminterpretiert, ohne als solche je analysiert worden zu sein. Wie gezeigt und auch bezüglich der Einzelregelungen dargelegt, hat in dieser Systematik Repräsentation keinen Platz. Dieses ist offensichtlich bei Laband, ist aber genauso bei Gerber der Fall. Zwar ist auf Grund der Verwendung des Organismusbegriffs in der Darstellungsweise bei Gerber diese Tatsache nicht auf Anhieb deutlich; da diesem Organismusbegriff aber keine Systemfunktion zukommt, ist die systematische Aussage die gleiche wie bei Laband. Das Ergebnis der theoretisch und praktischpolitischen Bemühungen des Vormärz, welches sowieso nur rein global und eher kaschierend mit dem Organismusbegriff angedeutet wurde, eine Repräsentationsfunktion war damit auch eher verborgen als erfaßt, - hat keine theoretische Bedeutung erlangt. Es wird im Organismusbegriff zwar vorausgesetzt, da dieser aber nicht Element der Rechtslehre werden kann, er nur eine mystische Voraussetzung bleibt, wird es von einem andersartigen Ansatz her nicht erfaßt, sondern uminterpretiert. In der Statslehre der Gerber-Labandschen Schule hat der Repräsentationsbegriff keine Stellet2 • Da aber der Rechtspositivismus, wie die Analyse des Gerberschen Ansatzes gezeigt hat, nicht nur als rein juristische Wissenschaft betrachtet werden kann, sondern durch die notwendige Bestimmung des Wesens des Staates im Ansatz zu einem Übergriff in eine andere 12 Als symptomatisch ist zu werten, daß Gerber nur einmal vom Repräsentationsrecht spricht und zwar dieses nur bei dem Verhältnis Staatsdiener - Monarch, vgl. Gerber, Ueber öffentliche Rechte, S. 70.
5. Rechtspositivismus und Repräsentation
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Disziplin gelangt, verliert sie die Offenheit und Ergänzungsfähigkeit gegenüber den Ergebnissen eben dieser Disziplinen. Denn da die Definition des Staates nicht als philosophische ausgewiesen ist, sondern als rechtliche behauptet wird, kann dieser Ansatz, gemäß dem Verständnis des Positivismus, von anderen wissenschaftlichen Disziplinen nicht diskutiert werden. Durch die Kaschierung der Bestimmung des Staates als rechtliche Erörterung ist dieser Ansatz in das Sakranum der Rechtlichkeit genommen, ohne doch rechtlich zu sein. Von daher bedeutet die von diesem Ansatz her erfolgende Eskamotierung der Repräsentationsproblematik eben nicht nur einen Mangel dieses Systems, sondern kommt einer Negierung der Repräsentation für die Staatslehre an sich gleich. Diese Dimension wird in der apodiktischen Handhabung der Gerberschen Begriffe bei Laband besonders deutlich, sie bedeutet schließlich, daß der Repräsentationsbegriff für das Verständnis des Staates allgemein verunmöglicht ist. Die Statsrechtslehre des Positivismus führt somit nicht nur die Diskussion des Vormärz zur Problematik der Repräsentation nicht weiter, sondern verschüttet mit ihrem Ansatz und dem daraus gewonnenen System den gesamten im Vormärz aufgerissenen Problem bereich. Dieser Lehre ist Repräsentation kein Begriff, nicht einmal ein Problem, Repräsentation ist eskamotiert.
TEIL III
Vom Rechtspositivismus zur Geisteswissenschaftlichkeit in Weimar: Repräsentation als verfehltes Phänomen Mit der Revolution von 1918 mußte notwendig das Fundament einer Staatslehre erschüttert werden, die ihre Aufgabe dahingehend verstanden hatte, die gegebene Verfassung in einem Deduktionssystem zu erfassen. Das Wort von der "Krisis der Staatslehre"l machte die Runde. Eine neue Richtung in der deutschen Staatslehre, die mit den Namen earl Schmitt, Rudolf Smend und Gerhard Leibholz verbunden ist 2 , versucht dieser Krisis dadurch zu begegnen, daß sie die Staatslehre wieder als politische Wissenschaft verstands. Dabei ist diese neue Richtung keineswegs als einheitliche Bewegung zu verstehen. Allein unter der allgemeinen Bezeichnung des Antiliberalismus und des Antipositivismus können die einzelnen Autoren gemeinsam erfaßt werden4 • Ist auch diese Staatslehre gegen Ende der Weimarer Republik als die vorherrschende Richtung anzusehen 5, so bedeutet dies keineswegs ein 1 Vgl. Hermann Hellers Aufsatz: Die Krisis der Staatslehre, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, 55, 1926, S. 289 - 316; siehe den 1. Abschnitt des 1. Kapitels von Smend, Rudolf, Verfassung und Verfassungsrecht, München - Leipzig 1928, wieder abgedruckt in: ders. Staatsrechtliche Abhandlungen und andere Aufsätze, Berlin 2. erw. Aufl. 1968, S. 121 - 123, der die gleiche überschrift trägt; vgl. auch Mayer, Hanns, Die Krisis der deutschen Staatslehre und die Staatsauffassung Rudolf Smends, Diss. jur. Köln 1931. 2 Vgl. hierzu Wohlgemuth, Heinrich, Das Wesen des Politischen in der heutigen deutschen neoromantischen Staatslehre. Ein methodenkritischer Beitrag zu seiner Begriffsbildung (Diss. jur. Erlangen 1932), Emmendingen 1933, S. 22/23. 3 Vgl. hierzu Triepels Rektoratsrede (siehe Teil H, 1, Anm. 1) und Smend, Rudolf, Der Einfluß d. dt. Staatslehre des 19. Jh., (siehe Teil H, 1, Anm. 5); vgl. auch Sontheimer, Kurt, Politische Wissenschaft und Staatsrechtslehre, Freiburg 1963, S. 21, 29. 4 Zwar kennzeichnet Wohlgemuth, Das Wesen des Politischen, S. 22/23 diese Lehre als Neoromantik, eine Neoromantik, die er (ebd., S. 191) dann auch als Reaktion auf den Positivismus versteht. Zur allgemeinen Kennzeichnung vgl. Sontheimer, Politische Wissenschaft und Staatsrechtslehre, S. 23; vgl. auch Sm end, Rudolf, Die Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer und der Richtungsstreit, in: Festschrift für Ulrich Scheuner zum 70. Geburtstag, Berlin 1973, S. 578. 5 Vgl. Sontheimer, Politische Wissenschaft und Staatsrechtslehre, S. 49.
1. Kelsen: Staat als Normordnung und Repräsentation als Fiktion
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Absinken des Rechtspositivismus in die Bedeutungslosigkeit6• Vielmehr ist die Situation in der deutschen Staatslehre der damaligen Zeit gerade durch die Auseinandersetzung zwischen Positivismus und Anti-Positivismus geprägt7. Soll die Auseinandersetzung mit der Staatslehre der Weimarer Zeit eine gewisse Repräsentanz beanspruchen, kann sie sich nicht allein auf die Theoretiker beschränken, deren Repräsentationslehren heute noch die Diskussion bestimmen. Deshalb soll die Untersuchung zur Weimarer Staatslehre und deren Stellung zur Frage der Repräsentation zunächst mit der Analyse des Rechtspositivismus dieser Zeit einsetzen, bevor earl Schmitt, Rudolf Smend und in Nachfolge dieser beiden Theoretiker Gerhard Leibholz und deren Thesen zur Repräsentation, behandelt werden. Eine Begründung für die Auswahl der letzteren Autoren dürfte sich wohl auf Grund der jüngeren Diskussion zur Repräsentationsproblematik erübrigen8 •
1. Die Reine Rechtslehre Hans Kelsens: Staat als Normordnung und Repräsentation als Fiktion Wenn die Auseinandersetzung mit den Staatslehrern der Weimarer Republik und deren Thesen zur Repräsentation mit der Analyse des Kelsenschen Systems einsetzt, so zunächst aus dem Grunde, um zu überprüfen, inwieweit die Erkenntnisse über das Verhältnis von positivistischer Staatslehre zur Repräsentationsproblematik für qiese Lehre auch in der nachpositivistischen Epoche noch Gültigkeit besitzen. Die Theorie H. Kelsens wurde aus dem Grund gewählt, da Kelsen als Begründer der Wiener Schule zugleich auch als Begründer des neueren Positivismus anzusehen ist; in seiner Reinen Rechtslehre erhielt der Rechtspositivismus seine neue methodische Grundlage. Dadurch wurde Kelsen zugleich zum Antipoden in der Auseinadersetzung oder besser Polarisation der Statslehre in Weimar für die neue antipositivistische Richtung. Als Hauptvertreter des neueren Rechtspositivismus stand er 6 Als Beleg sei hier nur das "Handbuch des Deutschen Staatsrechts" von Anschütz und Thoma erwähnt; vgl. hierzu auch Mols, Manfred Heinrich, Allgemeine Staatslehre oder politische Theorie? Interpretation zu ihrem Verhältnis am Beispiel der Integrationslehre Rudolf Smends, Berlin 1969, S. 286; vgl. auch Sontheimer, Politische Wissenschaft und Staatsrechtslehre, S.49. 7 Vgl. hierzu schon Wohlgemuth, Das Wesen des Politischen, S. IX, vgl. allein schon die Polemiken Hans Kelsens gegenüber der neuen Staatslehre in: ders" Wer soll Hüter der Verfassung sein?, Berlin-Grunewald 1931 (gegen Schmitt), ders., Der Staat als Integration. Eine prinzipielle Auseinandersetzung, Wien 1930 (gegen Smend). Bezüglich der Gegenpolemik sei hier nur verwiesen auf Smend, Rudolf, Verfassung und Verfassungsrecht, in: ders., Staatsrechtliche Abhandlungen und andere Aufsätze, Berlin 2. erw. Aufl. 1968, S. 124, ders., Das Recht der freien Meinungsäußerung, ebd., S. 93. B Bezüglich der Nichtbehandlung der Arbeit H. J. Wolffs zu dieser Problematik siehe oben die allgemeine Einleitung.
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Teil III: Weimar: Repräsen ta tion als verfehltes Phänomen
vor allem im Zentrum der Kritik der neuen Staatslehre. Diese Diskussion wurde mit einer derartigen Schärfe geführt, daß Kelsen von einer "an Haß grenzenden Opposition gegen die Reine Rechtslehre"l sprechen konnte. Er war der Gegner der neueren Lehre schlechthin2 • Zutreffend hat man ihn den "am meisten - ... - angefeindeten Staatsrechtslehrer der Weimarer Zeit"3 genannt. Wobei jedoch die polemisch bissigen Stellungnahmen Kelsens, z. B. zu den Arbeiten von Schmitt und Sm end, ihrerseits nichts an Schärfe vermissen ließen4 • Sowohl von der grundlegenden Bedeutung Kelsens für die Antwort des Rechtspositivismus auf die neue Verfassungssituation, als auch auf Grund seiner Stellung in der Weimarer Diskussion in der Staatslehre erweist sich das Werk von Kelsen also als repräsentativ5 • In der Analyse der Theorie Kelsens wurde zunächst von seinen rechtstheoretischen Hauptwerken ausgegangen, den Schriften "Der soziologische und der juristische Staatsbegriff"6, "Hauptprobleme der Staatsrechtslehre"7, "Allgemeine Staatslehre"8 und der Schrift "Reine 1 Hans KeIsen, Reine Rechtslehre. Einleitung in die Rechtswissenschaftliche Problematik, Leipzig - Wien 1934, S. V. 2 Friedrich, Manfred, Der Methoden- und Richtungsstreit. Zur Grundlagendiskussion der Weimarer Staatsrechtslehre, in: AöR, 102, 1977, S. 199. 3 Koch, Hans-Joachim (Hg.), Seminar: Die juristische Methode im Staatsrecht. über Grenzen von Verfassungs- und Gesetzesbindung, Frankfurt a. M.
1977, S. 67. , Vgl. KeIsen, Hans, Wer soll Hüter der Verfassung sein? Berlin-Grunewald 1931, ders., Der Staat als Integration, Wien 1930; vgl. auch Heinrich,
Walter, Das Sollen als Grundlage der Rechtswissenschaft. Eine Auseinandersetzung mit Gegnern der normativen Jurisprudenz, in: ZöR, 2, 1921, S. 131 bis 175 wieder abgedruckt in: Metall, Rudolf Aladar (Hg.), 33 Beiträge zur Reinen Rechtslehre, Wien 1974, S. 75 - 112, der ebd., S. 111 (zitiert nach dem Abdruck bei Metall), seine Auseinandersetzung mit Baumgart und Kornfeld als Abrechnung mit Widersachern bezeichnet. 5 Als Hinweis für das Weiterwirken der Lehre Kelsens bis heute sei nur auf die Wiener Schule verwiesen und auf die Neuauflage der Reinen Rechtslehre 1960 sowie auf die Erwiderungen Kelsens auf kritische Arbeiten über die Reine Rechtslehre, mit denen er sich bis in die sechziger Jahre in die Diskussion einschaltete und seine Lehre detailbesessen verfocht. Vgl. KeIsen, Hans, Rechtswissenschaft oder Rechtstheologie?, in: Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht, 16, 1966, S. 233 - 255 als Antwort auf: Volanthen, Albert, Zu Hans Kelsens Anschauung über die Rechtsnorm, Schriften zur Rechtstheorie 6, Berlin 1965; sowie ders., Die Problematik der Reinen Rechtslehre, in: Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht, 18, 1968, S. 143 - 184 als Antwort auf: Leiminger, Karl, Die Problematik der Reinen Rechtslehre, Wien - New York 1967. 8 Kritische Untersuchung des Verhältnisses von Staat und Recht, unveränderte Neuauflage von 1922, Tübingen 1928 (weiterhin zitiert: Der Staatsbegriff). 7 Entwickelt aus der Lehre vom Rechtssatze, Tübingen 2. Aufl. 1923 (weiterhin zitiert: Hauptprobleme). 8 Fotomech. Neudruck der 1. Aufl. 1925, Berlin - Zürich - Bad Homburg v. d. H. 1966 (weiterhin zitiert: Allg. Staatslehre).
1. Kelsen: Staat als Normordnung und Repräsentation als Fiktion
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Rechtslehre"9. Rekurriert wurde aber auch auf die politischen Schriften von Kelsen iO , um dadurch Bedeutung und Tragweite seiner Repräsentationsvorstellung aufzeigen zu können. Wie schon bei der Behandlung des älteren Rechtspositivismus soll auch in Bezug auf die Kelsensche Lehre allein die Frage gestellt und beantwortet werden, inwieweit vom Kelsenschen Ansatz aus die Problematik der Repräsentation überhaupt behandelt werden kann und wie seine Aussagen dazu zu werten sind. Ein Übergreifen in die juristische Disziplin soll so vermieden werden, eine Auseinandersetzung mit den Problemen des Rechtssatzes, der Rechtsnorm, der normwidrigen Norm, der Zurechnung usw. erfolgt nicht. Von daher können dann auch die rechtstheoretischen Werke Kelsens relativ gleichberechtigt nebeneinander behandelt werden, da Kelsen seine Lehre nicht im Grundsätzlichen, sondern nur in Detailfragen geändert hatl l . Bei der Verwendung der Sekundärliteratur mußte notwendigerweise die Interpretation von Vertretern der Wiener Schule 12 in den Hintergrund treten, bemühen sich diese doch vornehmlich um eine systemimmanente Darlegung und Weiterbildung des Kelsenschen Systems. Dagegen geht ja die hier verfolgte Fragerichtung gerade auf das Problem und die Einordnung des Systemansatzes bei Kelsen. Die Kennzeichnung der Kelsenschen Theorie als positivistische Staatslehre kann als allgemein akzeptiert angesehen werden. Nicht nur die zeitgenössische Kritik sowie die neuere Sekundärliteratur nimmt diese Zuordnung vor 13 , auch Kelsen ordnet sich selbst so ein. Schon in den 9
Einleitung in die Rechtswissenschaftliche Problematik, Leipzig Wien
1934. Da die 2. Auflage, Wien 1960, eine völlige Neubearbeitung und erheb-
liche Erweiterung (vgl. ebd., 2. Aufl., S. VII) darstellt, wurde hier die 1. Auflage zu Grunde gelegt, da Thema die Weimarer Staatslehre ist. 10 Hier sind vor allem die Schrift "Vom Wesen und Wert der Demokratie", 2. umgearbeitete Aufl. Tübingen 1929, als auch "Das Problem des Parlamentarismus", Wien - Leipzig o. J., sowie einige Referate und Aufsätze, die in dem Band: Hans Kelsen, Demokratie und Sozialismus, Ausgewählte Aufsätze (hg. von Norbert Leser), Darmstadt 1967, neu veröffentlicht worden sind, zu nennen. 11 Vgl. zu dieser These Metall, R. A., Hans Kelsen. Leben und Werk, Wien 1969, S. 102; Evers, Hans-Ulrich, Die Reine Rechtslehre als individualistisches Extrem, in: ZfPol, 9, 1962, S. 62; Leiminger, Karl, Die Problematik der Reinen Rechtslehre, Wien - New York 1967, S. 1. 12 Diese ist vor allem zu finden in den beiden Festschriften: Verdross, AIfred (Hg.), Gesellschaft, Staat und Recht. Untersuchungen zur Reinen Rechtslehre. Festschrift Hans Kelsen zum 50. Geburtstag gewidmet, Wien 1931 (weiterhin zitiert: Gesellschaft, Staat und Recht) Festschrift für Hans Kelsen zum 90. Geburtstag, hrsg. von Adolf J. Merkl, Alfred Verdroß, Rene Marcic, Robert Walter, Wien 1971; siehe auch den Sammelband: Metall, R. A. (Hg.), 33 Beiträge zur Reinen Rechtslehre, Wien 1974 (weiterhin zitiert: 33 Beiträge). 13 Heller, Die Krisis der Staatslehre, S. 300; Leibholz, Gerhard, Zur Begriffsbildung im öffentlichen Recht (in: Blätter für Deutsche Philosophie, 5, 1931, S. 175 -189), wieder abgedruckt in: ders., Strukturprobleme der mo-
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"Hauptproblemen" gab Kelsen als Ziel seiner Arbeit "eine reine Rechtslehre als Theorie des positiven Rechtes"14 an, rein in der Bedeutung, als "von aller politischen Ideologie und allen naturwissenschaftlichen Elementen"15 gereinigt. Eine Lehre, die fragt, was und wie das Recht ist und nicht wie es sein so1l16, um dann die Rechtslehre so als echte Wissenschaft etablieren zu können 17. Es zeigt sich hier das gleiche Anliegen wie bei C. Fr. von Gerber, so daß das ausdrückliche Bekenntnis zu dieser Richtung bei Kelsen nur folgerichtig erscheint18. Doch fällt auf, daß dieses Bekenntnis eine nachträgliche Selbsteinordnung darstellt, wie ja auch die Bezugnahme Kelsens auf den Neukantianismus19. Der Kelsensche Ansatz und sein System sind also als durchaus eigenständig zu betrachten, eine übertragung der Erkenntnisse über den älteren Rechtspositivismus ist nicht ohne weiteres möglich, sie bedarf vielmehr einer verifizierenden Analyse. a) B. Kelsens Ansatz: Die Identität von Staat und Recht
Voraussetzung und Ausgangspunkt der Kelsenschen Staatslehre ist seine These "der Identität von Staat und Recht"20: "Der Staat ist eine Rechtsordnung"21. Diese Definition des Staates ist für Kelsen Bedingung, daß der Staat überhaupt zum Objekt seiner wissenschaftlichen Erörterung werden kann. Sein Ziel ist es ja, eine reine Rechtslehre als Theorie des positiven Rechts wissenschaftlich zu etablieren22, so daß dernen Demokratie, Frankfurt 1974 (= Neuauflage der 3. erw. Auf!. 1967), S. 263, 264; Krupa, Hans, earl Schmitts Theorie des ,Politischen', Leipzig 1937, S. 6; ebd., S. 6 Anm. 16 bis S. 7 die Angabe weiterer zeitgenössischer Einordnungen; - Sontheimer, Kurt, Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik. Die politischen Ideen des deutschen Nationalismus zwischen 1918 und 1933, München 2. Auf!. 1968, S. 68; Badura, Peter, Die Methoden der neueren allgemeinen Staatslehre, Erlangen 1959, S. 133, 138/9; Walter, Robert, Das Lebenswerk Hans Kelsens, in: Festschrift für Hans Kelsen zum 90. Geburtstag, S. 3; Moor, Julius, Reine Rechtslehre, Naturrecht und Rechtspositivismus, in: Verdross, Alfred (Hg.), Gesellschaft, Staat und Recht, S. 59. 14 Kelsen, Hauptprobleme, S. V, analoge Formulierungen in: Reine Rechtslehre, S. 38 und ders., Was ist die Reine Rechtslehre? in: Demokratie und Rechtsstaat, Festgabe zum 60. Geburtstag von Zaccaria Giacometti, Zürich 1953, S. 153. 15 Reine Rechtslehre, S. III. 16 Ebd., S. 1. 17 Ebd., S. III. 18 Allg. Staatslehre, S. VII, Reine Rechtslehre, S. IV. 18 Vgl. hierzu Hauptprobleme, S. XVII. 20 Der Staatsbegriff, S. 87. 21 Reine Rechtslehre, S. 117, siehe auch Allg. Staatslehre, S. 16/17. 22 Zur Aufgabenstellung Kelsens siehe oben Anm. 14 - 17; daß auch die Allg. Staatslehre nur Staatsrechtslehre ist, siehe ebd., S. VIII, wo Kelsen feststellt, daß "sich die Probleme der Allgemeinen Staatslehre durchgehend
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allein das, was nur Recht ist, zum Gegenstand dieser Wissenschaft gemacht werden kann23 • Voraussetzung und Bedingung der Kelsenschen Rechtslehre ist also eine Bestimmung des Wesens des Staates. Eine Problematik, die von der eigentlichen Rechtslehre nicht zu behandeln ist, ihr vorgängig ist, eine philosophische Fragestellung. Daran, inwieweit diese philosophische Problematik behandelt und geklärt ist, d. h., ob dieser Ansatz wissenschaftlich haltbar und begründet ist, muß sich nicht nur Bedeutung und Wert der Kelsenschen Lehre entscheiden, sondern von hier aus wird sich auch die Frage beantworten lassen, inwieweit sie überhaupt zur Frage der Repräsentation Aussagen machen kann. Es ergibt sich also eine ähnliche Problemstellung wie schon bezüglich des Systems von Gerber. Der Aufweis des Kelsenschen Staatsbegriffs erfolgt dadurch, "daß man in der modernen Soziologie, mit einem ... von einer anderen Disziplin hergeholten Begriff des Staates ausgerüstet, an die vermeintliche soziale Wirklichkeit herantritt"24. Der normative Charakter des Staates, seine objektive Existenz erweise sich im Gebrauche gerade dieses normativen Begriffs auch in kausalgesetzlichen Wissenschaften. Er sei stets vorausgesetzt, ansonsten wäre eine Spannung zwischen Individuum und Staat nicht denkbar25 • Daraus schließt Kelsen: "Die ganze Welt des Sozialen, deren der Staat nur ein Teil ist, ist eine Welt des Geistes, und zwar eine Welt der Werte, ist geradezu die Welt der Werte26 ." Mit dieser Charakteristik des Staates ist dann für Kelsen "eigentlich schon"27 der Nachweis der Identität von Staat und Recht erreicht. Die Eigentlichkeit ergibt sich nach Kelsen daraus, daß der Staat nur eine Ordnung sein könne, und da er in Wesensbeziehung zur Rechtsordnung stehe, könne es sich nur um die Rechtsordnung handeln28 . Der Kelsensche Aufweis erfolgt demnach in zwei Schritten. Zunächst wird nachgewiesen, daß der Staat nur Normsystem sein könne, um dieses System sodann als mit der Rechtsordnung identisch darzulegen. Es bleibt also zu fragen, ob in diesen beiden Argumentationssträngen als Probleme der Geltung und Erzeugung einer spezifischen Ordnung und sohin als Rechtsprobleme darstellen". 23 Vgl. die ausdrückliche Nennung dieser Bedingung in: Allg. Staatslehre, S.7.
24 Der Staatsbegriff, S. 8 (im Original gesperrt gedruckt), der Aufweis ebd., S. 4 - 74; ebenso in: Allg. Staatslehre, S. 7 -13. 25 Vgl. Allg. Staatslehre, S. 14/15. 26 Allg. Staatslehre, S. 15, siehe auch ebd., S. 9. 27 Vgl. diese die Notwendigkeit einer weiteren Begründung eher kaschierende Floskel sowohl in: Der Staatsbegriff, S. 87, als auch in: Allg. Staatslehre, S. 16. 28 Allg. Staatslehre, S. 16/17.
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die Wesensbestimmung des Staates als Rechtsordnung hinlänglich bewiesen ist, zunächst also, ob und wie der Normcharakter des Staates begründet wird. Hinter der Bestimmung des Staates als Normensystem steht die Unterscheidung von Sein und Sollen, die Polarität von Natur und Geist, von Kausalgesetzlichkeit und Normgesetzlichkeit29 . Den Kelsenschen Darlegungen liegt also, worauf besonders Larenz verwiesen hat30, der positivistische Wissenschaftsbegriff zugrunde. Da der Staat eben nicht Natur, nicht Sein sei, kann er demnach nur Norm, nur Sollen sein. Wie ist nun dieses Sollen des Staates als Normensystem zu verstehen? Kelsen bestimmt es zunächst negativ, als das Andere gegenüber der Natur; "daß der Staat sowie das Recht als Normsystem in den Bereich des Sollens, nicht aber des Seins fällt, will zunächst nichts anderes besagen, als daß die spezifische Existenz und Gesetzlichkeit des Staates eine andere sei als jene der Natur"31. In diesem Sinne kann Kelsen dann sogar von einem Sein des Sollens sprechen, da dieses Sein eben Nicht-Natur-Sein meint32 . Die Zuordnung des Staates als zum Bereich des Sollens gehörig meint nur eine Abgehobenheit von der Kausalgesetzlichkeit der Natur als auch von der MoraP3. Daraus folgt nach Kelsen, daß das Sollen unabhängig von jeder Verwirklichung existiert, es ist "durchaus in sich vollendet"34. Das Faktum "daß die vom System des Seins oder der Naturwirklichkeit logisch isolierten ,Werte-Systeme z. B. des Rechts oder der Moral doch irgendwie mit der Naturwirklichkeit inhaltlich vergleichbar sind"35, wird allein als in bezug auf "die Seinstatsache des psychischen Erlebens der Norm"36 als gültig anerkannt. Nur in Bezug auf die Psychologie wird zugegeben, "daß von einem prinzipiellen Gegensatz zwischen diesem Sollen und dem Natursein eigentlich keine Rede sein kann"37. Auffällig bei dieser Erörterung des Problems eines Verhältnisses von Sein und Sollen ist jedoch, daß Kelsen das Sollen als logisch vom Seins bereich isolierten Bereich angibt38 . Es handelt sich also nur um eine "prinziVgl. Der Staatsbegriff, S. 75 - 76. Larenz, Karl, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 2. neu bearbeitete Auf!. Berlin - Heidelberg - New York 1969, S. 76 - 77 (weiterhin zitiert: Methodenlehre). 31 Der Staatsbegriff, S. 75. 32 Vgl. ebd., S. 76, 77; vgl. auch hierzu Rohatyn, Sigmund, Die reine Normentheorie des Rechts (in: Internationale Zeitschrift für Theorie des Rechts, 7, 1932/33, S. 171 - 179) wieder abgedruckt in: Metall, R. A., 33 Beiträge, S. 362. 33 Zum letzteren Aspekt vgl. Der Staatsbegriff, S. 77/78. 84 Der Staatsbegriff, S. 79. 35 Ebd. 3& Ebd., S. 80. 37 Ebd., S. 79. 38 Ebd., S. 79. 29
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pielle logische Isolierung des Sollens vom Sein", eine Isolierung, die durchgeführt wird, auf daß "überhaupt eine Wissenschaft vom Recht (oder Staat) möglich sein"39 kann. Ist aber die strikte Trennung von Sollen und Sein nur durch logische Isolierung möglich, ja kann eine Wechselbeziehung zwischen Sein und Sollen durch "eine materiellhistorisch-psychologische Betrachtung"40 jederzeit erkannt werden, so ist damit implizit anerkannt, daß an sich Sein und Sollen in Verbindung zu sehen sind. Ein Faktum, das ja auch in den Aussagen Kelsens zum Tragen kommt, wo er dem Sollen durchaus ein Sein zubilligt. Wenn aber Sein und Sollen an sich in Wechselbeziehung stehen, so ist zwar eine Isolation nur eines Bereichs möglich. Doch bedarf es dazu der Klärung der Relation beider Ebenen, nicht nur um die Durchführbarkeit der Isolation aufzuweisen, sondern noch mehr um den Aussagewert und die Bedeutung der Ergebnisse der Analyse des isolierten Bereichs bestimmen zu können. Denn die Reinheit der Methode ist eben nicht durch das Absehen vom Konnex möglich, sondern nur durch Einordnung des isoliert zu behandelnden Bereichs in die Gesamtheit41 . Die logische Isolation muß die faktische Verbindung mitberücksichtigen. Dieses geschieht bei Kelsen nicht, der isolierte Bereich wird nicht als solcher ausgewiesen, vielmehr eine Autonomie des Sollens behauptet. Diese Diskrepanz von autonom gesetztem Sollensbereich und andererseits faktischer Verbindung zum Sein schlägt sich auch im Sollensbegriff Kelsens nieder. Wie Larenz feststellte, kann man nämlich in das Kelsensche Gedankengebäude nur hineingelangen, wenn man den ursprünglich ethischen Sinn des Sollens zugrunde legt, doch vermag man mit ihm nicht in diesem System zu verbleiben, was die Umdeutung des Sollens als Verknüpfung von Tatbestand und Sanktion zur Folge hat42 . Ebd., S. 80/81. Hauptprobleme, S. 9. 41 Vgl. hierzu schon Horneffer, Reinhold, Die Entstehung des Staates. Eine staatstheoretische Untersuchung, Tübingen 1933, S. 61. 42 Vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 79; zur "Umdeutung" vgl. auch Hofmann, Rupert, Logisches und metaphysisches Rechtsverständnis. Zum Rechtsbegriff Hans Kelsens, München Salzburg 1967, S. 25, 27; zum reduzierten Begriff des Sollens siehe Schluchter, Wolfgang, Entscheidung für den sozialen Rechtsstaat, Köln - Berlin 1968, S. 30; Hauser, Raimund, Norm, Recht und Staat. überlegungen zu Hans Kelsens Theorie der Reinen Rechtslehre, Wien - New York 1968, spricht in diesem Zusammenhang (S. 10) von einer Simplifizierung der Rechtsordnung. Zu der sich aus dieser Diskrepanz ergebenden Vieldeutigkeit des Sollensbegriffs siehe die Erörterung bei Leiminger, Die Problematik der R. R., S. 49 - 66; zur Problematik des Normbegriffs bei Kelsen allgemein vgl. Stranzinger, Rudolf, Der Normbegriff bei Hans Kelsen, in: ARSP, 58, S. 399, 412; zum Problem der Norm siehe auch Kelsen, Hans, Zum Begriff der Norm (Festschrift für Hans Nipperdey, MünchenBerlin 1965, S. 57 -70) wieder abgedruckt in: Die Wiener rechts theoretische Schule, Schriften von Hans Kelsen, Adolf Merkl, Alfred Verdross, hrsg. von 39
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Ist aber die Autonomie des Sollensbereichs nur eine logische, d. h., ist sie nur durch logische Isolation aus der komplexen Wirklichkeit herauszulösen, dann muß die Frage gestellt werden, ob mit diesem isolierten Bereich eine Erfassung des Phänomens des Staates möglich ist. Dazu bedürfe es zunächst der Erörterung des Wesens des Staates. Diese wird bei Kelsen vergeblich gesucht. Statt dessen wird der Staat sogleich als Normsystem bezeichnet und damit der Staatsbegriff der gleichen logischen Isolation unterworfen, ohne die Berechtigung oder Adäquatheit dieses Schrittes aufgewiesen zu haben43 • Man wird deshalb dieser Aussage die wissenschaftliche Qualität absprechen und ihren Aussagewert als reine Behautpung einschätzen müssen. Erweist sich schon der erste Schritt des Kelsenschen Aufweises der Identität von Recht und Staat als nicht hinreichend begründet, und ist damit schon der gesamte Aufweis hinfällig, so läßt sich darüber hinaus jedoch noch die gleiche Kritik auch für den zweiten Beweisschritt anbringen. Daraus, daß der Staat Normsystem, also Ordnung sei, folgert Kelsen, daß er nur Rechtsordnung sein könne44 • Denn der Staat könne nur eine Ordnung sein und diese müsse die Rechtsordnung sein, da der Staat in einer "Wesensbeziehung" zum Recht stehe 4s • Zunächst ist dieser Argumentation gegenüber festzustellen, daß auf den Staat durchaus zweierlei Ordnungsbegriffe angewandt werden können, wenn es sich nicht um gleichartige Ordnungen handelt, sondern der eine Begriff weiter ist als der andere und diesen mitumfaßt46 • Die von Kelsen unterstellte Kontradiktion ist nicht zutreffend. Darüber hinaus ist der Nachweis einer Wesensbeziehung kein hinreichender Grund, eine Identität der beiden in Wesensbeziehung stehenden Größen zu behaupten47 • Die Identifizierung des Staatsbegriffs als Ordnung mit der Rechtsordnung muß ebenfalls als unbegründet zurückgewiesen werden. Der Kelsensche Staatsbegriff wird also mitnichten begründet, er wird vielmehr schlicht supponiert48 • Er wird bereits als wesentlich vorausgesetzt, wenn Kelsen z. B. einen ethisch-politischen Sinn des Staatsbegriffs zwar anerkennt, ihn aber zugleich strikt vom rechtlichen Hans Klecatsky, Rene Marcic, Herbert Schambeck, Frankfurt u. a. 1968, Bd. 2, S. 1455 - 1468. 43 Es zeigt sich hier ein ähnliches Vorgehen wie schon bei C. Fr. von Gerber. 44 Vgl. Reine Rechtslehre, S. 117; Allg. Staatslehre, S. 16/17; Der Staatsbegriff, S. 86/87. 4S Allg. Staatslehre, S. 16/17. 48 Vgl. hierzu schon Hauser, Norm Recht und Staat, S. 112. 47 So schon Hauser, ebd., S. 115. 48 Die gleiche Einschätzung bei Badura, Peter, Die Methoden der neueren allgemeinen Staatslehre, Erlangen 1959, S. 146; siehe auch Hauser, Raimund, Methode und Theorie Hans Kelsens, Diss. Wien 1962, S. 81, der diese Identifizierung "eine apodiktische Behauptung" nennt.
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Staatsbegriff scheidet49 , oder wenn er der Soziologie vorwirft, daß sie den Staatsbegriff nicht im ",präzisen und eingelebten' Sinn"5o verwendet. Kelsen gelangt also zu einer Wesens aussage über den Staat, ohne je eine Wesens analyse vollzogen zu haben. So wie bei Gerber die Identität von Volk und Staat supponiert wurde, ohne überhaupt die philosophische Dimension dieser Aussage auszuweisen, so wird auch bei Kelsen diese seiner rechtlichen Fragestellung vorausgehenden Problematik nicht als solche behandelt. Der Staat wird bei ihm verrechtet, ohne je dessen rechtlichen Charakter aufgewiesen zu haben. Indem aber ein supponierter Begriff zum Wesen stilisiert wird, muß diese Aussage als methodisch nicht gedeckter Übergriff gewertet werden. Würde Kelsen von seinem Wissenschaftsverständnis aus die These aufstellen, daß der Staat wissenschaftlich-rechtlich nur als Normsystem zu fassen sei, wäre diese These als durchaus haltbar anzusehen. Ebenso wäre ein Verbot soziologischer Methoden für die juristische Staatsbetrachtung einsichtig. Doch Kelsen erklärt den Staat zum ausschließlichen Objekt der Jurisprudenz 5t, und deutet alle Erscheinungen des Staates in Aspekte der Rechtsordnung um52 . Bei dieser strikten Isolierung des Sollensbereichs, die Kelsen unternimmt, muß es um so mehr verwundern, wenn er seinen Staatsbegriff durch ein Seinsmoment ergänzt, indem er eine gewisse Zentralisation der Ordnung als notwendiges Moment dieses Begriffs anführt53 . Es dokumentiert sich hier eine Durchbrechung des Methodenmonismus, die als Ausdruck des Problems der nur logischen Isolation des Staates als Sollensphänomens zu werten ist, ein Problem, das sich vor allem in der Formulierung der Grundnorm widerspiegelt. Vgl. Allg. Staatslehre, S. 17. Ebd., S. 20. 51 Vgl. Allg. Staatslehre, S. 19 - 21; siehe hierzu Jöckel, Wilhelm, Hans Kelsens rechts theoretische Methode. Darstellung und Kritik ihrer Grundlagen und hauptsächlichsten Ergebnisse, Tübingen 1930, S. 97, 112; zur Kelsenschen Einordnung der Soziologie als naturwissenschaftlich-naturalistisch siehe Schluchter, Entscheidung für den sozialen Rechtsstaat, S. 45 - 51, der diese Sicht als Verarmung gegenüber der zeitgenössischen theoretischen Diskussion in der Soziologie bewertet (S. 45). 52 Vgl. hierzu Der Staatsbegriff, S. 82 - 87, siehe auch die Verrechtung der Macht in: Allg. Staatslehre, S. 17, S. 91- 92, sowie ebd., S. 102 - 115 die Umdeutung des Souveränitätsbegriffs. Zu diesen Umdeutungen vgl. auch Schluchter, Entscheidung für den sozialen Rechtsstaat, S. 38/39; siehe auch Kelsen, Hans, Das Wesen des Staates (Internationale Zeitschrift für Theorie des Rechts, 1, 1926/27, S. 5 -17) wieder abgedruckt in: Die Wiener rechtstheoretische Schule, Bd. 2, S. 1713 - 1728. 53 Vgl. Reine Rechtslehre, S. 117, 118, 119; Was ist die Reine Rechtslehre?, S. 155; vgl. hierzu Badura, Die Methoden der neueren allgemeinen Staatslehre, S. 146; siehe auch Schluchter, Entscheidung für den sozialen Rechtsstaat, S. 33 - 35. 49
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Teil III: Weimar: Repräsentation als verfehltes Phänomen b) Zur Problematik der Grundnorm
Ausgangspunkt der Kelsenschen Staatslehre ist die Identität von Staat und Recht, wodurch das gesamte System mit der Problematik eben dieses Ansatzes belastet wird. Denn dieser durch die Definition des Staates umrissene Analysebereich wird bei der Problemstellung Kelsens nicht weiter untersucht. Es geht ihm nur darum, was und wie dieser Staat ist, warum und wie er sein soll, wird als nicht juristische Frage als unzulässig' abgewiesen54 • Die Frage nach dem Staatszweck wird nicht gestellt, dem Kelsenschen Ansatz ist der Staat Selbstzweck55 . Das Phänomen des Staates in ein logisch autarkes System zu bringen, seine spezifische Eigengesetzlichkeit zu erfassen, wird als Aufgabe angesehen56 . Eine Bewertung des positiven Staates wird ausdrücklich abgelehnt57 , obwohl Kelsen einräumt, daß der Wert des Staates "von dem dem Recht - als einem Mittel - transzendenten Zweck abhängt"58. Dieser Zweck wird aber eben nicht untersucht, da er historisch bedingt sei und nur durch Isolation von dieser Frage die anti-ideologische Tendenz der Reinen Rechtslehre bewahrt werden könne s9 • Inwieweit dieses anti-ideologische Moment wirklich erhalten bleibt, soll gerade die nachfolgende Untersuchung klären. Der von Kelsen als einziges Objekt staatsrechtlicher Analyse ausgewiesene Bereich des positiven Rechts wird von ihm in Analogie zur naturwissenschaftlichen Gesetzmäßigkeit zu erfassen versucht 60 , als ein System von Sollenssätzen. Nicht von ungefähr bezeichnet Kelsen einmal die Jurisprudenz "als eine Geometrie der totalen Rechtserscheinung"61. Um aber den Normcharakter der Rechtsnorm erklären zu können, muß Kelsen zur Annahme der Grundnorm gelangen. Denn "als Rechtsnorm gilt eine Norm stets nur darum, weil sie auf eine ganz bestimmte Weise zustande gekommen, nach einer ganz bestimmten Regel erzeugt, nach einer spezifischen Methode gesetzt wurde"62. Diesen Setzungsakt be54 Vgl. Allg. Staatslehre, S. 27, 44; Reine Rechtslehre, S. 1; Was ist die Reine Rechtslehre?, S. 146. 55 Vgl. Allg. Staatslehre, S. 39 - 44, die Bestimmung des Staates als Selbstzweck ebd., S. 39. 56 Allg. Staatslehre, S. 39; Reine Rechtslehre, S. 11,33. 51 Reine Rechtslehre, S. 17. 58 Ebd., S. 32. 59 Ebd., S. 32, 33, 38. M Vgl. Reine Rechtslehre, S. 22 - 23; Allg. Staatslehre, S. 47 - 51; Was ist die Reine Rechtslehre?, S. 144 - 146, 149; siehe auch Sattler, Martin J., Hans Kelsen, in: ders. (Hg), Staat und Recht. Die deutsche Staatslehre im 19. und 20. Jahrhundert, München 1972, S. 102; Römer, Peter, Die Reine Rechtslehre Hans Kelsens als Ideologie und Ideologiekritik, in: PVS, 12, 1971, S. 590. 81 Hauptprobleme, S. 93. 82 Reine Rechtslehre, S. 63/64.
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stimmt die Grundnorm63 , d. h. "nur unter Voraussetzung der Grundnorm kann das empirische Material, das sich der rechtlichen Deutung darbietet, als Recht, das heißt als ein System von Rechtsnormen gedeutet werden"64, durch sie erst wird die Sphäre des positiven Rechts gewonnen 65 . Zu dieser alles entscheidenden Bedeutung der Grundnorm in Diskrepanz steht ihr rein hypothetischer Charakter, sie wird nur als Hypothese gesetzt 66 • Damit stellt sich jedoch die Frage, warum diese Grundnorm als letzte Norm, hinter die nicht weiter gefragt werden kann, gesetzt wird. Denn durch sie wird ja erst die Souveränität der Rechtsordnung, ihre Geschlossenheit in sich, erreicht67 . Es ist dann weiter zu fragen, was diese Grundnorm auszeichnen muß, auf daß sie diese ihre Funktion erfüllen kann. Zunächst ist festzustellen, daß Kelsen mit der Grundnorm eine ansonsten notwendige Wertdiskussion umgeht, eine Diskussion, der er nur emotional-subjektiven Charakter zuspricht68 • Mit der Grundnorm wird also nicht nur der Norm- oder Sollensbereich begründet, sondern mit ihr wird erst die wissenschaftliche Autonomie der Kelsenschen Lehre erreicht69 • Die Rückführung des Sollensbereichs auf Seinstatsachen wird dadurch unterbunden und so erst ein geschlossenes System des Sollens möglich70 . M. Kraft-Fuchs sieht in dieser Konzentration Kelsens auf den normlogischen Aspekt keine Entscheidung über Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer materialen Gerechtigkeitslehre, ein Umstand, den Walter etwas handfester als "Distanz zur politischen Macht"7! meint deuten zu können. Diesen Einschätzungen kann man jedoch nur dann zustimmen, wenn das Sollen als ein grundsätzlich vom Seins bereich geschiedener Bereich ausgewiesen ist. Da dieses, wie im vorangegangenen Abschnitt gezeigt, für die Kelsenschen Begriffe weder akzeptiert werden kann, Ebd., S. 64. Ebd., S. 66. 65 Allg. Staatslehre, S. 104. 66 Ebd. 67 Ebd. 68 Vgl. hierzu Was ist die Reine Rechtslehre?, S. 152/153, S. 155. 69 Vgl. Schluchter, Entscheidung für den sozialen Rechtsstaat, S. 40; Bauer, Wolfram, Wertrelativismus und Wertbestimmtheit im Kampf um die Weimarer Demokratie, Berlin 1968, S. 97 (weiterhin zitiert: Wertrelativismus). 70 Vgl. Jäckel, H. Kelsens rechtstheoretische Methode, S. 14, 13; Evers, Die Reine Rechtslehre als individualistisches Extrem, S. 63. 7! Kraft-Fuchs, Margit, Kelsens Staatstheorie und die Soziologie des Staates (in: Zeitschrift für öffentliches Recht, 11, 1931, S. 402 - 415), wieder abgedruckt in: Metall, R. A. (Hg.), 33 Beiträge, S. 203, 205 (weiterhin zitiert: Kelsens Staatstheorie); Walter, Robert, Hans Kelsens Reine Rechtslehre, in: Hans Kelsen zum Gedenken, hrsg. vom Hans Kelsen-Institut Wien, Wien 63
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1974, S. 43.
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noch von Kelsen letztlich auch vorausgesetzt wird, muß die Verwendung einer hypothetischen Grundnorm Bedenken erwecken. Denn ist diese Fixierung allein auf den Sollensbereich, - wie Fechner es formulierte, - nur eine "scientifistische Verengung des Gesichtskreises"72, dann bedeutet die hypothetische Einführung der Grundnorm, daß sie an Stelle der Wirklichkeit des Seins gesetzt wird. Eine grundlegende Beziehung wird theoretisch nicht erfaßt, das Recht wird eben nicht als das analysiert, was es ist, sondern nur in Sollensverengung73 . Da durch einen eingegrenzten Bildausschnitt die zugrunde liegende Komplexität nicht verändert wird, dringt diese Wirklichkeit schließlich doch in die Bestimmungen ein, wenn auch untheoretisch und das heißt unkontrolliert. Die Einbruchstelle dafür ist gerade die hypothetische Grundnorm. Denn die Funktion der Grundnorm ist es, "dem Akt des ersten Gesetzgebers und sohin allen anderen Akten der auf ihn beruhenden Rechtsordnung den Sinn des Sollens"74 zu verleihen. Konkret lautet die Grundnorm nämlich: "Verhaltet euch so wie die Rechtsautorität: der Monarch, die Volksversammlung, das Parlament etc. befiehlt"75. Die Formulierung der Grundnorm ist demnach auf Seinstatsachen verwiesen, und damit gelangt man zum entscheidenden Faktum, durch das die Grundnorm eigentlich ihre Funktion als nicht weiter zu untersuchende letzte Norm erfüllen kann. Dieses ist in der Korrelation zwischen Norm und Wirklichkeit zu sehen. Denn wenn die Grundnorm als Hypothese eingeführt wird, dann "wird diese Hypothesis ebenso nach dem von ihr zu erfassenden Material, wie das Material nach der Hypothesis bestimmt. Es ist ein Verhältnis der Korrelation, so wiE' zwischen Tatsache und Hypothese im Reich der Naturwissenschaftlichen Erkenntnis auch"76. Die Norm ist nur dann gültig, wenn sie wirksam ist77; die Hypothese der Grundnorm ist nur dann sinnvoll, wenn die aus ihr abgeleitete Ordnung "sich als ein in der Regel brauchbares Deutungsschema für das tatsächliche Verhalten der Menschen er72 Fechner, Erich, Ideologische Elemente in positivistischen Rechtsanschauungen, dargestellt an Hans Kelsens "Reiner Rechtslehre", in: Sein und Sollen im Erfahrungsbereich des Rechtes, Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, Beiheft, N. F. 6, 1970, S. 209 (weiterhin zitiert: Ideologische Elemente). 73 Vgl. Kaufmann, Erich, Kritik der neukantischen Rechtsphilosophie. Eine Betrachtung über die Beziehungen zwischen Philosophie und Rechtswissenschaft, Tübingen 1921, Neudruck Aalen 1964, S. 28/29. 74 Reine Rechtslehre, S. 66, vgl. auch die zweite Auflage der Reinen Rechtslehre, Wien 1960, S. 208/9 Anm., wo die Setzung der Grundnorm erklärt wird als Deutung des subjektiven Sinns des verfassungsgebenden Aktes zur objektiven Gegebenheit. 75 Allg. Staatslehre, S. 99. 78 Ebd., S. 104. 77 Ebd., S. 18.
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weist"78. Eine gewisse Spannung zwischen Norm und Sein wird zwar anerkannt, ansonsten würde es sich ja auch um ein Kausalgesetz handeln, doch darf diese Spannung ein gewisses· Maximum nicht überschreiten und andererseits nicht unter ein gewisses Minimum sinken79 • Mit dieser Regelung ist die Grundnorm der faktischen Entwicklung des Seins restlos ausgeliefert, ihre Funktion ist allein, dem wie immer gearteten Sein Sollenscharakter zu verschaffen80 • Es mutet daher paradox an, wenn Kelsen konstatiert: ist die Grundnorm "einmal - gleichgültig wie und woher - vorausgesetzt, dann ist die reine Geltungssphäre gewonnen und jeder Einbruch der Faktizität ausgeschaltet"81. Denn grundlegender, weitreichender und unkontrollierter als durch diese Gleichgültigkeit gegenüber dem Wie und Woher der Grundnorm hätte man kaum die Faktizität in dieses System einlassen können. Die vollkommene Disparität von Sein und Sollen, die von Kelsen behauptet wurde, wird in der Grundnorm, dem zentralen Punkt der Kelsenschen Lehre wieder fallengelassen 82 . Ob man dabei von einer Kombination von Neukantianismus und Wertökonomie reden will 83 oder nur das Eindringen des Seins ins Sollen konstatiert 84 , fest steht 78 Der Staatsbegriff, S. 95. Siehe Der Staatsbegriff, S. 93, 95/96; Allg. Staatslehre, S. 18 - 19; Reine Rechtslehre, S. 69. 80 Vgl. Der Staatsbegriff, S. 98 - 99 das Verhältnis der Grundnorm zur Revolution; siehe auch Hauser, Norm, Recht und Staat, S. 99 der aufweist, daß die Verbindung von Wirksamkeit und Geltung grundsätzlich schon eine inhaltliche Konkretisierung des Geltungsaspekts bedeutet, siehe dazu auch bereits ders., Methode und Theorie Hans Kelsens, S. 76; ähnlich auch Klenner, Hermann, Rechtsleere - Verurteilung der Reinen Rechtslehre, Frankfurt 1972, S. 38/39, der aufweist, daß die Maximum-Minimum-Regelung der Sein-Sollens-Beziehung notwendig eine Gemeinsamkeit beider Bezugspunkte impliziert (zur allgemeinen Beurteilung der Arbeit von Klenner siehe jedoch prinzipiell: Schild, Wolfgang, Reine und politische Rechtslehre. Zu Hermann Klenners Kelsen-Verurteilung, in: Der Staat, 14, 1975, S. 69 - 92; die marxistisch-leninistische Interpretation der Reinen Rechtslehre als Widerspiegelung der Interessen des Monopolkapitals "- siehe Klenner, passim bes. S. 47 - 66 - ist als inadäquat abzulehnen). Zum Verhältnis Faktizität und Normativität bei Kelsen vgl. auch Verosta, Stephan, Rechtsgeschichte und Reine Rechtslehre: Zugleich ein Beitrag zum Problem der Beziehung von Faktizität und Normativität, in: Law, State, and International Legal Order. Essays in Honor of Hans Kelsen, hrsg. von Salo Engel u. Rudolf A. Metall, Knoxville 1964, S. 347 - 366. 81 Der Staatsbegriff, S. 101. 82 Vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 77. 83 Siehe Jöckel, H. Kelsensrechtstheoretische Methode, S. 87; Walter, Robert, Die Reine Rechtslehre in der Kritik der Methodenlehre Larenz', in: Osterreichische Juristen-Zeitung, 16, 1961, S. 478; Hauser, Methode und Theorie Hans Kelsens, S. 116. 8' So Lenz, Heinrich, Autorität und Demokratie in der Staatslehre von Hans Kelsen, Sonderdruck aus: Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reiche, 50, 1926, (= Auszug aus der Diss. jur. Bonn), o. O. o. J., S. 101 (weiterhin zitiert: Autorität und Demo79
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auf jeden Fall, daß hier eine Grundvoraussetzung Kelsens, die strikte Trennung von Sein und Sollen fallengelassen worden ist, denn ansonsten würde, wie Moor deutlich herausgearbeitet hat, "eine logische Unmöglichkeit zur logischen Voraussetzung der Rechtswissenschaft gemacht"85. Die Geschlossenheit des System wird aufgegeben, wodurch auch eine Staatssoziologie von der Reinen Rechtslehre aus wieder möglich wird86 , ja sogar, wie Moor nachgewiesen hat, notwendig ist, da ansonsten die Reine Rechtslehre naturrechtlichen Charakter bekäme87 . Wird nun aber diese Beziehung zwischen Sein und Sollen nicht analysiert und damit auch ausdrücklich von dieser Lehre mitberücksichtigt, so wird man an dieser Stelle erneut die Wissenschaftlichkeit des Kelsenschen Vorgehens in Frage stellen müssen. Denn nur durch den "Trick"88, daß in der Grundnorm das Sein stets mitgedacht ist, gelangt Kelsen überhaupt zu Ergebnissen. Diese kann man dann durchaus als "erschlichen"89 bezeichnen, die Reinheit der Reinen Rechtslehre hat "rein deklamatorischen Charakter"90, Kelsens juristische Methode ist damit als nicht autark erwiesen91 . Es handelt sich demnach nicht um eine normative Theorie, sondern nur um ein abstraktes System92 . Sind Sein und Sollen als in grundsätzlicher Verbindung stehend zu betrachten, ein Faktum das bei Kelsen implizit beim Gedanken der logischen Isolation wie auch der Komponente der Wirksamkeit bei der hypothetischen Grundnorm anerkannt und vorausgesetzt wird, so muß eine abstrahierende Konzentration allein auf den Sollensaspekt, wenn auch nicht explizit, dieses Verhältnis zum Sein mitbeantworten. Wenn aber alles, was faktisch wirksam ist, als Sollen, als ob es gewollt sei interpretiert werden muß93, so bedeutet dies letztendlich, daß das kratie); Kaufmann, Kritik der neukantischen Rechtsphilosophie, S. 30; Kraft-Fuchs, Kelsens Staats theorie, S. 205. 85 Moor, Julius, Reine Rechtslehre, Naturrecht und Rechtspositivismus, in: Verdross, Alfred (Hg.), Gesellschaft, Staat und Recht, Wien 1931, S. 67. 86 Vgl. Kraft-Fuchs, Kelsens Staats theorie, S. 205 - 211. 87 Moor, Reine Rechtslehre, Naturrecht und Rechtspositivismus, S. 58 bis 105, ein zusammenfassendes Ergebnis ebd., S. 78. 88 Schluchter, Entscheidung für den sozialen Rechtsstaat, S. 44. 89 Kaufmann, Kritik der neukantischen Rechtsphilosophie, S. 20, 22. 90 Schluchter, Entscheidung für den sozialen Rechtsstaat, S. 44. 91 Kunz, Josef L., Was ist die Reine Rechtslehre?, in: Österreichische Zeitschrift für Öffentliches Recht, N. F. 1, 1948, S. 285/6. 92 Vgl. Jöckel, H. Kelsens rechtstheoretische Methode, S. 103; Kaufmann, Kritik der neukantischen Rechtsphilosophie, S. 21. 93 Allg. Staatslehre, S. 127; vgl. hierzu Walter, Robert, Das Lebenswerk Hans Kelsens: Die Reine Rechtslehre, in: Festschrift für Hans Kelsen zum 90. Geburtstag, Wien 1971, S. 4 - 5; Kaufmann, Felix, Juristischer und soziologischer Rechtsbegriff, in: Verdross, Alfred (Hg.), Gesellschaft, Staat und Recht, S. 19/20.
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Faktische zum Normativen wird, daß Rechtswissenschaft sich in der normativen Nachkonstruktion dessen erschöpft, was sowieso geschieht94 • Es wird ein Primat des Seins etabliert95 • Damit geht aber das antiideologische Moment der Reinen Rechtslehre verloren. Durch die Ignorierung des Seins in der Isolation des Sollens wird nicht Ideologiefreiheit erreicht, sondern gerade das Ausgeliefertsein der Sollenserkenntnisse an eben diesen Seinsbereich. Das heißt, nicht Ideologiefreiheit, sondern Ideologisierung des Faktischen ist die Konsequenz. Indem z. B. die Macht negiert wird, muß die Reine Rechtslehre vor ihr kapitulieren, indem sie allein deren Auswirkungen als Normensystem nachzuzeichnen hat96 • Der Beweis der Reinheit, d. h. Ideologiefreiheit, den Kelsen und Metall gerade in den verschiedensten ideologischen Vereinnahmungen der Reinen Rechtslehre erbracht sehen, vermag keineswegs zu überzeugen 97 • Denn in dieser Vereinnahmung erweist sich ja gerade die grundsätzliche Ideologiefunktion der Reinen Rechtslehre. Mag auch die Zuordnung der Reinen Rechtslehre zu einer bestimmten Ideologie durchaus vom politischen Standpunkt des Interpreten abhängen, - so das Argument von Kelsen und Metall, - so erweist sich doch, abgesehen von der konkreten Zuordnung, die prinzipiell ideologische Dimension der Reinen Rechtslehre. Das ideologische Moment der Reinen Rechtslehre ergibt sich nicht wie beim älteren Positivismus 94 Zur Frage der Umwandlung des Faktischen zur Norm siehe Schluchter, Entscheidung für den sozialen Rechtsstaat, S. 42, 43; Larenz, Methodenlehre, S. 78; Badura, Die Methoden der neueren allgemeinen Staatslehre, S. 149; Schmitt, Carl, Verfassungslehre, München - Leipzig 1928, 5. unveränderter Neudruck 1970, S. 9; sowie Heller, Die Krisis der Staatslehre, S. 309. 95 Lenz, Autorität und Demokratie, S. 107; siehe auch als Ergänzung den Aufweis des tautologischen Charakters der Grundnorm bei: Leiminger, Die Problematik der Reinen Rechtslehre, S. 43, womit die Notwendigkeit der inhaltlichen Bestimmung aus einem anderen Bereich erwiesen ist; siehe auch Schild, Wolfgang, Die zwei Systeme der Reinen Rechtslehre, Eine KelsenInterpretation, in: Wiener Jahrbuch für Philosophie, 4, 1971, S. 176 -179, der nachweist, daß Kelsen von seinem methodischen Ansatz aus notwendig zur reinen Faktizität gelangen muß. 98 Zum Moment des Ideologischen bei Kelsen siehe vor allem Schild, Wolfgang, Die zwei Systeme der Reinen Rechtslehre, S. 150 - 194, der die Unmöglichkeit der Begründung einer Rechtswissenschaft von den jeweiligen Ansätzen (neukantianisch, positivistisch) Kelsens aus eingehend aufgewiesen hat; Kelsens System ist auch in diesem Verständnis ideologisch, vgl. ebd., S. 185 - 187; sodann Fechner, Ideologische Elemente, S. 212 - 213; Bauer, Wertrelativismus, S. 110; Hofmann, R, Logisches und metaphysisches Rechtsverständnis, S. 109; Schneider, Peter, über das Verhältnis von Recht und Macht, in: ders., Recht und Macht. Gedanken zum modernen Verfassungsstaat, Mainz 1970, S. 38; Hofmann, Hasso, Legitimität gegen Legalität. Der Weg der politischen Philosophie Carl Schmitts, Neuwied - Berlin 1964, S. 29 (weiterhin zitiert: Legitimität gegen Legalität); Sattler, Hans Kelsen, S. 103; zum hier verwendeten Ideologiebegriff vgl. die Einleitung. 97 Vgl. Reine Rechtslehre, S. VII; Metall, RA., Die politische Befangenheit der Reinen Rechtslehre, (in: Internationale Zeitschrift für Theorie des Rechts, 10, 1936, S. 163 - 177) wieder abgedruckt in: ders. (Hg.), 33 Beiträge, S. 257/8.
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eines Gerbers und Labands aus der systematisierenden Erfassung einer bestimmten Staatsform, sondern daraus, daß sie als abstraktes System zur Verrechtung einer jeden staatlichen Wirklichkeit dient. Dadurch, daß dieses nicht als abstrakte Nachzeichnung des Faktischen ausgewiesen ist, sondern durch die Grundnorm zur Rechtsordnung erhoben wird, findet eine Hypostasierung des Faktischen statt. Eine Hypostasierung, die sich gerade darin äußert, daß grundlegende Änderungen dieser Wirklichkeit nur als Revolution erfaßt werden können98 • Die Reine Rechtslehre führt zu einer Zementierung des status quo. Zum Schluß dieser Auseinandersetzung mit dem Ansatz und dem Zentralpunkt der Kelsenschen Lehre sei noch kurz auf die methodische Zuordnung Kelsens zum Neukantianismus in der Sekundärliteratur eingegangen99 • Diese Kennzeichnung erscheint mir für die Reine Rechtslehre unergiebig zu sein. Zwar beruft sich Kelsen ausdrücklich auf den Neukantinismus, doch eben nur als nachträgliche sehr vage gehaltene Zuordnung 100 • Eine Auseinandersetzung mit philosophischen Positionen findet sich im Werk von Kelsen nicht, seine Lehre ist davon unabhängig und aus sich heraus gebildet worden 101 • Sie kann deshalb, wie dargestellt, aus sich heraus verstanden werden und bedarf dieser philosophischen Einordnung nicht; wie ja auch diejenigen Autoren, die den Neukantianismus zur Interpretation heranziehen, ihn nur unsystematisch verwenden102. c) staat ohne Willens bildung, Repräsentation als Fiktion
Die bisherige Analyse des Ansatzes und des Zentralpunktes der Reinen Rechtslehre hat erbracht, daß Kelsen nicht nur die Wesensdefinition des Staates nicht aufweist und begründet, sondern daß darüber hinaus, - wie vor allem an der Grundnorm zu erkennen, die Trennung von Sein und Sollen zwar explizit behauptet, de facto Der Staatsbegriff, S. 96 - 99. Vgl. hierzu Leiminger, Die Problematik der Reinen Rechtslehre, S. 20 bis 45; Kimmel, Hans, Die Aktualität Kelsens, in: ARSP, XLVII, 1961, S. 297; Schild, Die zwei Systeme der Reinen Rechtslehre, S. 155; und Kaufmann, Felix, Kant und die Reine Rechtslehre (in: Kant-Studien, 29, 1924, S. 232 bis 242) wieder veröffentlicht in: Metall, R. A. (Hg.), 33 Beiträge, S. 141 - 151. 100 Hauptprobleme, S. XVII; ähnlich, wenn auch in Bezug auf die älteren Positivisten Allg. Staatslehre, S. VII. 101 Sattler, Hans Kelsen, S. 109; Schluchter, Entscheidung für den sozialen Rechtsstaat, S. 28 Anm. 1; Hofmann, Legitimität gegen Legalität, S. 48. 102 Siehe die Autoren von Anm. 99 mit Ausnahme von Schild, Die zwei Systeme der Reinen Rechtslehre, der ebd., S. 157 - 173 nachweist, daß vom Neukantianismus aus das Anliegen Kelsens der Begründung einer Rechtswissenschaft notwendig scheitern muß, ohne jedoch die Folgerung zu ziehen, daß Kelsens Ansatz eben eigentlich nicht neukantianisch ist und es nie war. 98
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aber an den entscheidenden Stellen des Systems durchbrochen wird. Gegenüber Einzelaussagen der Reinen Rechtslehre ist deshalb kritische Distanz geboten. Einmal dahingehend, daß die Qualität als Wesensaussage stets zu relativieren ist, als auch andererseits die Frage zu beantworten ist, ob durch die thematische Isolierung des Sollens nicht eigentlich das spezielle Problem schon vorab beantwortet ist. Da diese Isolierung de facto nicht gegeben ist, wäre eine derartige Aussage zu korrigieren. Dieses erweist sich gerade in Bezug auf die Problematik der Repräsentation als erforderlich. Ist nämlich der Staat als identisch mit der Rechtsordnung anzusehen, so ist mit dem Seinscharakter des Staates auch die Existenz von handelnden Wesen aus der Betrachtung ausgeschlossen; Wesen, die ja eben nicht nur unter der Rechtsordnung leben, sondern diese erst gestalten. Für Kelsen ist Staat nur reine objektive Ordnung, der Mensch ist eliminiertl°3 • Allein die Systematik der Ordnung interessiert, auf diese hin wird alles juristisch umgedeutet. Sinn erlangt es nur innerhalb dieses Normensystems. Was nicht Element des Systems ist fällt heraus. Damit ist nur auf abstrakterer Ebene die gleiche Position wie im Ansatz der Staatslehre von Gerber gewonnen. Dort war Staat mit Volk identisch gesetzt, als Prinzip, von dem aus das gesamte System entwickelt wurde. Der Mensch war daraus verbannt, nur als Herrschaftsunterworfener war er noch faßbar. Das Problem der Willensbildung im Staat existiert für eine derartige Theorie nicht. So kennt auch die Reine Rechtslehre keinen Willensbildungsprozeß im Staat und kann ihn auch nicht kennen. Da der Staat Rechtssubjekt ist, kann der Wille des Staates nur ein juristischer sein, der strikt von den psychischen Willensakten einzelner oder der Staatsorgane zu trennen istl° 4 • Die Willens bildung an sich wird als psychologisches Problem bezeichnet, von dem aus es nicht möglich sei, zum juristischen Staatswillen vorzudringen105 • "Der Begriff des Staatswillens hat mit keiner psychologischen Willenstatsache etwas zu tun. Er ist ausschließlich als Produkt der juristischen Konstruktion zu betrachten106." Bei der 103 Vgl. hierzu Sattler, Hans Kelsen, S. 107; Hofmann, R, Logisches und metaphysisches Rechtsverständnis, S. 31; siehe auch Kunz, Was ist die Reine Rechtslehre?, S. 279 - 281 der auf Carlos Cassio verweist, der die Reine Rechtslehre nur als formale Rechtslogik verstanden wissen will, da eine Rechtswissenschaft auf das menschliche Verhalten einzugehen hätte; Hauser, Norm, Recht und Staat, S. 108, 114/115, Hauser ebd., S. 114 sieht den Sinn des Diktums H. Hellers über Kelsens Werk als "Staatslehre ohne Staat" besser ausgedrückt in der Formel "Staatslehre ohne Menschen", vgl. auch ders., Methode und Theorie Hans Kelsens, S. 82/3. 10' Vgl. Hauptprobleme, S. 172, 184,320; siehe hierzu auch Hauser, Methode und Theorie Hans Kelsens, S. 29/30. 105 Hauptprobleme, S. 169 - 171, 320, 409. 106 Ebd., S. 184.
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Kritik des Ansatzes von Kelsen hatte es sich ja gezeigt, daß, da er nur eine logische Isolation vorgenommen hatte, die von ihm als psychologisch bezeichnete Beziehung zwischen Sein und Sollen als das grundlegende Verhältnis anzusehen ist. Ähnlich wird auch hier der Staatswille von dem Prozeß seiner Bildung isoliert, indem dieser zum Problem der Psychologie erklärt wird. Eine grundlegende Beziehung wird abgekappt und so aus der Betrachtung ausgeschieden. Die Organe der Willensbildung, Monarch, Unter- und Oberhaus, sind z. B. allein Voraussetzungen oder Bedingungen des Staatswillens für Kelsen, sie stehen keineswegs im Verhältnis von Ursache und Wirkung zu ihm107. Denn "der psychische Wille des Organes wird bei diesem Vorgange geradezu eliminiert, juristisch nur der äußere Tatbestand der Handlung erfaßt und dem Staate zugerechnet"108. Ansonsten, - so Kelsen, müßte ja eingestanden werden, daß der Staat Entgegengesetztes wollen könnte, nur die Resultante aus den einzelnen Organwillen könne Staatswillen sein 109. Konkret bedeutet dies für die Gesetzgebung, daß erst, wenn alle juristischen Voraussetzungen erfüllt sind, deren letzte und damit entscheidende die Publikation ist110 , vom Staatswillen gesprochen werden kann. Für die isolierte Betrachtungsweise Kelsens muß die Bildung des Staatswillens entfallen, weil "der ganze Vorgang, der bildlich als Erzeugung des Staatswillens in Betracht kommt, noch außer der Rechtssphäre fällt, da diese erst nach seiner Vollendung beginnt. Nur der perfekte Staatswille kann rechtlich relevant sein"111. Somit wird die eigentliche Willens bildung zum großen Mysterium, das der Reinen Rechtslehre vorgelagert ist112 • Als Staatswillen wird nach Kelsen etwas nur dann bezeichnet werden können, wenn es "in Ausführung eines zeitlich vorangehenden, perfekten Staatswillens erfolgt" 113, d. h., wenn es sich juristisch konstruieren läßt114 • Damit ist das Problem des Staatswillens auf die Verfassung verwiesen. Was ihr gemäß vollzogen wird, ist Staatswille115 . Die juristische Lösung des Problems des Staatswillens erweist sich als invariant gegenüber allen Ebd., S. 407. Ebd., S. 461. 109 Ebd., S. 473, 479; gerade diese Argumentation beweist eindeutig, daß eine Willensbildung kein Element Kelsen9Cher Lehre sein kann. 110 Hauptprobleme, S. 421, 424, 429, Die Lehre von der Sanktion des Monarchen als entscheidende Voraussetzung des Gesetzgebungsprozesses lehnt Kelsen (ebd., S. 416/7) als politische Betrachtung in bewußter Abhebung zu Gerber und Laband ausdrücklich ab. 111 Hauptprobleme, S. 409/410. 112 Ebd., S. 410, 411, 465; bei Gerber war ja ebenfalls ein Mysterium, der Organbegriff, vorausgesetzt worden. 113 Hauptprobleme, S. 429. 114 Ebd., S. 466. 115 Allg. Staatslehre, S. 326. 107
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Staatsformenl16 • Solange nur ein schon perfekter Staatswille vorausgesetzt werden muß, können Monarchie, Demokratie oder auch Despotie dieser Forderung entsprechen117 • Liegt aber die Willensbildung im Staate jenseits des Bereichs der Reinen Rechtslehre, so können Aussagen und Ergebnisse dieser Lehre eben diesen Bereich nicht mitumfassen. Gerade diese Einschränkung ist für die Bestimmung der Repräsentation durch Kelsen mitzubedenken. Kelsen unterscheidet einen Repräsentationsbegriff "in einem weiteren Sinne" und "im engeren Sinne"118, die er strikt voneinander abhebt 119. Repräsentation im weiteren Sinne wird als "Organschaft schlechthin"120 verstanden, sie folge aus dem Rechtswesensbegriff des Organs 121 . Der Wille des Organs werde dem Staat zugerechnet, "der Wille des Organs ,gilt' als der des ,repräsentierten' Staates"122; es lasse sich das Verhältnis der Repräsentation feststellen. Repräsentation im engeren Sinne meine dagegen das Verhältnis zwischen zwei Organen. Da aber die Repräsentation im weiteren Sinne schon Rechtswesensbegriff sei, folgt nach Kelsen, daß die Repräsentation im engeren Sinne es nicht sein könne, sondern es "muß das gesuchte Kriterium für die Zurechnung zu einem Organ, für die Repräsentation somit, ein positivrechtlicher sein"123. Der Unterschied zwischen den beiden Repräsentationsbegriffen erweist sich als der zwischen Rechtswesensbeziehung und positivrechtlicher Regelung. An dieser Argumentation fällt zunächst auf, daß der Staat als Zurechnungsobjekt des handelnden Organs verstanden wird. Ausgangspunkt der Kelsenschen Lehre war die Identität von Staat und Recht. Jetzt aber werden die in der Rechtsordnung handelnden und von ihr bestimmten Organe als Repräsentanten des Staats interpretiert. Funktionierende Rechtsordnung und Staat stehen im Verhältnis der Repräsentation124 . Es offenbart sich ein Widerspruch, indem die Beziehung von Staat und Rechtsordnung einmal als Identität das andere Mal als Repräsentation erscheint1 25 . Dabei wird man die Bestimmung des Verhältnisses als Repräsentation, die im Widerspruch zum Ansatz und Vgl. Allg. Staatslehre, S. 307. Siehe ebd., S. 308, 326, zur Despotie vgl. ebd., S. 334 - 336. 118 Ebd., S. 310. 119 Ebd., S. 310, 313. 120 Ebd., S. 310. 121 Ebd., S. 310/311. 122 Ebd., S. 310. 123 Ebd., S. 311. 124 Ebd., S. 310. 125 Der Hinweis auf den Widerspruch, wenn auch ohne Bezug auf Repräsentation und Identität, schon bei Horneffer, Die Entstehung des Staates, 116
117
S.67.
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zur Grundlage der Reinen Rechtslehre erfolgt, als im Rahmen dieser Lehre nicht berechtigte Aussage einzuordnen haben. Darüber hinaus ist auch die Beweisführung für den positivrechtlichen Charakter der Repräsentation in ihrer zweiten Bedeutung kritisch zu bedenken. Denn wenn der Repräsentation im engeren Sinne nur deshalb nicht die Eigenschaft einer Rechtswesensbeziehung zuerkannt werden kann, weil diese bereits für die Repräsentation im weiteren Sinne gilt, setzt dies ja voraus, daß der Begriff im engeren Sinne wesensverschieden von dem im weiteren Sinne sein muß, das heißt, aber ein anderer Begriff ist. Repräsentation im engeren Sinne kann also nicht nur, sondern muß sogar Rechtswesensbegriff sein, sonst ist es eben keine Repräsentation. Die Kelsensche Disjunktion ist nicht haltbar. Diese sowohl logisch als auch vom Kelsenschen System her nicht haltbare Begründung der Repräsentation im engeren Sinne als rein rechtliche Regelung macht deutlich, daß Kelsen bei dieser Argumentation ein inhaltliches Moment eingebracht hat. Repräsentation wird nämlich sofort als Repräsentation des Staates eingeführt. Erst von dieser inhaltlichen Bestimmung aus wird die Kelsensche Disjuktion verständlich. Wenn Repräsentation immer schon Repräsentation des Staates meint, dann kann sie nicht auch die Repräsentation des Volkes meinen, ein anderer Repräsentationsbegriff muß dafür eingeführt werden. Die Aussage über den rein positivrechtlichen Charakter der Repräsentation im engeren Sinne, die These, daß in diesem Bereich Repräsentation nur Fiktion seP28, ist deshalb als ungerechtfertigte Behauptung zurückzuweisen, auch dieser Bereich müßte als Rechtswesensbeziehung analysiert werden. Damit ist aber der Argumentation, daß in diesem Bereich Repräsentation nur fiktive Bedeutung habe, die Grundlage entzogen. Nach Kelsen liegt dieser Repräsentation nur die Rechtsfigur der Stellvertretung zugrunde, der Eindruck der Repräsentation entstehe allein durch "abbrevierende Verweisung "127. Daraus folge, daß das Verhältnis zwischen zwei Organen, wie zwischen Volk und Parlament nur dann berechtigterweise Repräsentation genannt werden könne, wenn es die Kriterien der Stellvertretung erfüllt, d. h. eindeutige Mandatserteilung in einem Bereich, in dem der Mandant Kompetenz besitzen muß. Da aber das Volk weder ein Mandat erteilt, es vielmehr die Einrichtung des freien Mandats gibt, und es auch nicht die Gesetzgebungskompetenz innehat, die es erst im Mandat an das Parlament übertragen könnte, seien keine Anhaltspunkte für ein Repräsentations128 127
Allg. Staatslehre, S. 315; siehe auch Hauptprobleme, S. 166. Vgl. Allg. Staatslehre, S. 311/312.
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verhältnis gegeben128 • Deren Behauptung müsse also Fiktion sein. Ist aber Repräsentation für diesen Bereich streng juristisch fixiert, so kann Kelsen durchaus eine gewisse Abhängigkeit des Abgeordneten vom Volk durch den Wahlakt eingestehen, ohne ihn jedoch als relevant für den Repräsentationsbegriff ansehen zu müssen129 • An sich bestimmt also Kelsen den Repräsentationsbegriff rein juristisch. Doch wird die Tatsache, daß dieser nur juristisch ist, daß damit eben nur ein staatlicher Aspekt und nicht der Willensbildungsprozeß im Staate erfaßt ist, einerseits dadurch verwischt, daß Kelsen versuchte zu belegen, Repräsentation könne in diesem Bereich nur Stellvertretung bedeuten und die Anwendung des Rechtswesensbegriffs für diesen Bereich als nicht möglich erklärt. Die Darlegung erhält somit den Charakter einer Wesensaussage. Andererseits kann auch die Einschränkung, daß Repräsentation in der Beziehung Volk Parlament rein fiktiv sein muß "sofern das Repräsentationsverhältnis ein Rechtsverhältnis ... sein soll "130, nicht als wirkliche Einschränkung angesehen werden, wenn der Staat als mit dem Recht identisch definiert ist. Für Kelsen meint also Repräsentation im engeren Sinne immer nur die Rechtsfigur der Stellvertretung. Dieses zeigt sich gerade auch in seinen politischen Schriften.
Die Unterscheidung von rechtstheoretischen Schriften wie die "Allgemeine Staatslehre" und den politischen Schriften Kelsens wie zum Beispiel "Vom Wesen und Wert der Demokratie" hat Metall schon 1936 betont 131 • Diese politischen Schriften sind dadurch gekennzeichnet, daß Kelsen Stellung bezieht und als Verfechter der Demokratie auftritt132 • Konkret äußert sich dies im Eintreten Kelsens für den Parlamentarismus, den er als einzige mögliche reale Form. der Demokratie in der zeitgenössischen sozialen Wirklichkeit ansieht1 33 • Diese Berücksichtigung der sozialen Wirklichkeit weist besonders deutlich den Unterschied dieser Schriften zu den allein auf die Sollenssphäre beschränkten rechtstheoretischen Werken auf. Ebd., S. 312 - 314, 344. Ebd., S. 315/316. 130 Allg. Staatslehre, S. 315. 131 Metall, Die politische Befangenheit der Reinen Rechtslehre, S. 256/7. 132 Vgl. Vom Wesen und Wert der Demokratie, 2. umgearbeitete Aufl. Tübingen 1929, passim; Das Problem des Parlamentarismus, Wien - Leipzig o. J., S. 39 - 44; Verteidigung der Demokratie, (in: Blätter der Staatspartei, 2, 1932, S. 90 - 98) wieder abgedruckt in: Kelsen, Hans, Demokratie und Sozialismus, S. 60 - 67. 133 Vgl. Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 27; Das Problem des Parlamentarismus, S. 5; Demokratie (= Verhandlungen des 5. Deutschen Soziologentages vom 26. bis 29. September 1926, Tübingen 1927) wieder abgedruckt in: Kelsen, Hans, Demokratie und Sozialismus, S. 17/18. 128 129
13 Hartmann
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Gegenüber der zentralen Bedeutung des Parlamentarismus für die Demokratie bei Kelsen muß im Kontext der politischen Schriften die rein formale Bestimmung des Wesens eben dieser Parlamentarismus überraschen. Kelsen definiert ihn wie folgt als "Bildung des maßgeblichen staatlichen Willens durch ein vom Volke auf Grund des allgemeinen und gleichen Wahlrechtes, also demokratisch gewähltes Kollegialorgan, nach dem Mehrheitsprinzipe"134. Parlamentarismus bedeutet für Kelsen "ein Komprorniß zwischen der demokratischen Forderung der Freiheit und dem allen sozialtechnischen Fortschritt bedingenden Grundsatz differenzierender Arbeitsteilung"135. Demnach ist also Parlamentarismus wesensmäßig eingeschränkte Freiheit. Daß das Parlament nicht den Willen des Volkes ausdrückt, gehe schon daraus hervor, daß es aus Gründen der Arbeitsteilung eingeführt sei. Der Vorwurf, daß das Parlament eben nicht das Volk darstelle, verkenne also die grundlegende Struktur des Parlaments. In dieser Beziehung ist es, so Kelsen, nicht demokratisch136. Diese Wesensstruktur werde jedoch durch die Anwendung des Begriffs der Repräsentation kaschiert, indem sie den Parlamentarismus vom Standpunkt der Volkssouveränität, d. h. der demokratischen Freiheit aus zu legitimieren suche 137 • Diese Erklärung müsse jedoch als Fiktion angesehen werden, da die Bedingung der Stellvertretung auf Grund des freien Mandats nicht gegeben sei. Bei dieser Argumentation stützt sich Kelsen ausdrücklich auf den in der "Allgemeinen Staatslehre" entwickelten Repräsentationsbegriff 13s . In die soziologisch-politische Betrachtung wird also explizit ein juristi., scher Begriff eingeführt, ein Faktum, das der Forderung der Kelsenschen Methodenreinheit zuwiderläuft. Kelsen scheint der juristischen Definition der Repräsentation eben doch die Qualität einer Wesensaussage zuzubilligen. Doch beschränkt sich Kelsen nicht allein auf die übernahme des juristischen Begriffs der Repräsentation in die soziologisch-politische Ebene. Schon viel früher und an entscheidender Stelle, bei der Definition der Demokratie, hat Kelsen bereits die Einführung von juristischen Begriffen ermöglicht. Nach einer nicht sehr tiefgehenden und den Unterschied von Idee der Freiheit und deren Verwirklichung ver134 Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 28; Das Problem des Parlamentarismus, S. 5/6 (beide Mal im Original gesperrt gedruckt); daß hier der Begriff "staatlicher Wille" nur die soziale Ebene meint, betont Kelsen ausdrücklich, vgl. Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 34 - 35. 135 Das Problem des Parlamentarismus, S. 7; Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 29; Demokratie, S. 18. 138 Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 32/33; Das Problem des Parlamentarismus, S. 10. 137 Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 30/31; Das Problem des Parlamentarismus, S. 8. 138 Vgl. Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 112 Anm. 23 zu S. 30.
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wischenden Erörterung der Freiheitsproblematik gelangt Kelsen zur Aussage, daß Freiheit im Staate nicht liberalistisch zu verstehen sei, sondern nur Freistaat bedeuten könne 139 • Zwar bedeute Demokratie der Idee nach Bildung des Gemeinwillens durch das Volk140 , doch sei diese Bestimmung in der Realität nicht zu halten. Denn Volk als Einheit "ist im Grunde nur juristischer Tatbestand", es ist "die Einheit der das Verhalten der normunterworfenen Menschen regelnden staatlichen Rechtsordnung"141. Durch die Hereinnahme des "juristischen Tatbestands" als eigentliche Definition des Volkes wird eine Analyse des Phänomens des Volks verhindert. Staat wird nicht vom Volk aus erklärt und verstanden, sondern Staat ist immer schon und das Volk kann nur noch als Anhängsel dieses Staates interpretiert werden. Ein grundlegendes Verhältnis zwischen Staat und Volk braucht nicht analysiert zu werden, es ist vom juristischen Staatsbegriff schon beantwortet, es kann nur noch normunterworfene Menschen geben. Waren im bisherigen Staatsbegriff Kelsens menschliche Wesen nicht enthalten, so finden sie sich auch in dieser soziologisch-politischen Betrachtung nicht. Auch hier gelangen sie nur als Objekte der Herrschaft zur Geltung 142 • Konsequenz dieser Staatsvorstellung ist sodann: "als Subjekt der Herrschaft kommen die Menschen hier nur in Betracht, soferne sie an der Erzeugung der staatlichen Ordnung beteiligt sind"143. Die Hereinnahme juristischer Begriffe als Wesensbegriffe in diese Diskussion zeitigt damit Konsequenzen. Denn nur eindeutig juristische Regelungen können gemäß Kelsen allein als Grund dafür angesehen werden, daß der Mensch auch Subjekt der Herrschaft sei. Das Problem demokratischer Freiheit ist zur rechtstechnischen Frage eingeengt1 44, ein Phänomen wie öffentliche Meinung muß außerhalb des Problembereichs fallen. So ergibt es sich, daß die Freiheit des Volkes als prinzipiell eingeschränkte angesehen wird145, wobei die parlamentarische Demokratie mit ihrer Einschränkung durch Mittelbarkeit der Entscheidung und vorherrschendem Majoritätsprinzip weitgehend diese Reduktion der Freiheit verwirklicht1 46 . Schließlich kann Freiheit nur 189 Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 3 - 13; vgl. auch Allg. Staatslehre, S. 72173, 325; kritisch hierzu auch Horneffer, Reinhold, Hans Kelsens Lehre von der Demokratie. Ein Beitrag zur Kritik der Demokratie, Erfurt 1926, S. 22. 140 Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 14. 141 Ebd., S. 15. 142 Ebd., S. 16. 148 Ebd. lU Vgl. hierzu Köttgen, Arnold, Kelsen und die Demokratie, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, 90, 1931, S. 99, 99/100, 104. 1'5 Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 17 -19. 146 Ebd., S. 24/25, 29.
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Teil III: Weimar: Repräsentation als verfehltes Phänomen
noch als im Stimmrecht verwirklicht angesehen werden147 • In dieser Betrachtung, die unter dem bestimmenden juristischen Staatsbegriff erfolgt, ist es dann nur folgerichtig, wenn, da alles nur rechtstechnische Probleme sind, der entsprechende juristische Repräsentationsbegriff angewandt wird. Ergebnis ist dann, daß Parlamentarismus allein wegen eines "sozialtechnischen Fortschritts" anerkannt werden kann u8 und er deshalb unvermeidlich ist, weil die Funktion genereller Normerzeugung meistens die Tendenz hat, sich kollegialer Organe zu be dienen149 • Bedenkt man, daß diese Argumentation eben den Parlamentarismus und mit ihm die Demokratie sichern soll, so wird man zwar das Engagement Kelsens würdigen, seine Begründung aber als ungenügend ansehen müssen. Die Zuerkennung einer Wesensqualität an seine juristischen Begriffe und seine juristische Betrachtung allgemein zeitigt hier Folgen. Denn die Verwendung der juristischen Sollenserkenntnise im Rahmen einer soziologisch-politischen Betrachtung als bestimmende Faktoren muß notwendig zur Verkennung der politischen Wirklichkeit und das heißt deren Nichterfassung führen. Aus der Verlagerung der gesamten Argumentation auf den rechtstechnischen Bereich ergibt sich weiterhin folgerichtig die Aussage, daß die Wahl nicht zur Willensübertragung geeignet sei1 50 • Demokratie wird reduziert zur Elitenrotation151 , ihre Bedeutung wird nur noch in der "seelisch-politischen Situation" gesehen, daß der politische Affekt des Wählers nicht aufgestaut, sondern durch die Wahl bewußt gemacht wird152 • Wieder ist also bei Kelsen eine zentrale politische Einrichtung zum psychologischen Phänomen geworden. Es zeigt sich gerade in der Verwendung des juristischen Repräsentationsbegriffs in den politischen Schriften, daß Kelsen diesen als Wesensbegriff versteht. Eine Qualität, die ihm auch notwendig zukommen muß, wenn der Ansatz, der die Identität von Staat und Recht behauptet, zutreffen soll. Von dieser Voraussetzung aus muß jede andere Betrachtungsweise zur staatlichen Problematik als illegitim oder uneigentlich eingestuft werden. Wie aber die Analyse des Ansatzes von Kelsen gezeigt hat, muß die rudimentäre Begründung des Ausgangspunktes als gescheitert betrachtet werden. Die Identität von Staat und Recht wird eben nicht aufgewiesen. Von daher ist die InanEbd., S. 25. Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 29; Das Problem des Parlamentarismus, S. 7; Demokratie, S. 18. 149 Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 33 - 36,69. 150 Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 84/5; die Lehre von der Volkssouveränität wird z. B. mit einer "totemistische(n) Maske" verglichen, ebd. S. 86. 151 Ebd., S. 88. 152 Ebd., S. 65. 147 148
1. Kelsen: Staat als Normordnung und Repräsentation als Fiktion
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spruchnahme einer Wesensqualität für seine Ergebnisse durch Kelsen ungedeckt. Bezüglich der Verwendung juristischer Begriffe in den politischen Schriften wird man Kelsen darüber hinaus auch systemimmanent die Wesensqualität dieser Begriffe bestreiten müssen. Denn durch deren Hereinnahrne, dazu noch an entscheidender und die Erörterung grundlegend bestimmender Stelle, kommt es ja gerade zu einer Vermischung von Sein und Sollen. Kelsen verfährt hier methodensynkretistisch 153, er macht sich selbst des von ihm am meisten angeprangerten Methodenfehlers schuldig. Die Kritik dieses Ansatzes bedeutet aber zugleich, daß die Kelsenschen Aussagen und Ergebnisse in ihrem Aussagewert zu beschränken sind auf das, was sie zu leisten vermögen. Dieses bedeutet zunächst, daß, folgt man nicht der Gleichsetzung von Staat und Recht, alle Ergebnisse Kelsens nur rechtliche Relevanz beanspruchen können. Doch ist damit noch nicht der Kelsensche Ansatz genügend berücksichtigt und die aus ihm folgenden Aussagen hinlänglich klassifiziert. Denn durch den Ausgang von der Identität von Staat und Recht hebt Kelsens Untersuchung allein auf Ordnung ab. Diese selbst, ja nicht einmal ihre Bedeutung steht zur Diskussion. Es geht nur um die Erfassung einer funktionierenden Ordnung. Was geordnet wird, wozu es geordnet wird,' interessiert nicht, nur das Wie ist von Bedeutung. Der Mensch ist aus dieser Betrachtung ausgeschaltet, Staat ist etwas jenseits und losgelöst vom konkreten Menschen. Volk ist somit für Kelsen nur ein juristischer Tatbestand 15 4, Volkssouveränität ist Fiktion155 • Ordnung ist nur als System interessant, ihre Funktion, ihr Sinn wird nicht erfaßt. Bedeutung erhalten einzelne Regelungen nur durch die Stellung im System, die Bedeutung der Wahl erschöpft sich dann eben im Kreationsvorgang 156 und das Willensproblem im Staate ist rein rechtlich geworden, der Willensbildungsprozeß ist eliminiert157 • Staatlichkeit ist als eigener selbständiger in sich geschlossener Bereich gefaßt, der der staatlichen Ordnung vorausgehende Bereich, der sie erst bestimmt und auch ausfüllt, ist von diesem Ansatz aus irrelevant, uneigentlich. Damit ist genau wie im älteren Positivismus der Bereich, um dessen theoretische Erfassung die liberale Staatslehre des Vormärz gerungen hatte und der mit dem Repräsentationsbegriff verbunden gedacht wurde, aus der Reinen Rechtslehre methodisch ausgeklammert. Zu den 153 Vgl. hierzu Lenz, Autorität und Demokratie, S. 122; siehe auch HeHer, Die Krisis der Staatslehre, S. 305 - 307. 154 Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 15. 155 Allg. Staatslehre, S. 313/314. 158 Allg. Staatslehre, S. 315; Vom Wesen und Wert der Demokratie, S.84/5. 157 Hauptprobleme, S. 409, 410, 411, 429, 465/466.
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Teil III: Weimar: Repräsentation als verfehltes Phänomen
Problemen des Vormärz kann diese Lehre keine Stellung nehmen. Doch geschieht dies, wenn Kelsen Repräsentation im engeren Sinne, die Beziehung zwischen Volk und Parlament, als Fiktion erklärt158 • Repräsentation kann gemäß dem Kelsenschen Ansatz in dieser Beziehung nur in der Rechtsfigur der Stellvertretung erfaßt werden, d. h. nur eindeutig rechtlich fixierte Zuständigkeiten, die übertragen werden, rechtfertigen in abbrevierender Weise von Repräsentation zu sprechen. Ob dies die einzige Möglichkeit darstellt, Repräsentation juristisch zu erfassen, soll hier nicht erörtert werden. Vielmehr sei darauf hingewiesen, daß Kelsen diese Bestimmung benutzt, um generell für diesen Bereich Repräsentation als Fiktion auszuweisen. Dagegen ist zunächst einzuwenden, daß diese Aussage nur dann zulässig ist, wenn Kelsen wirklich nachgewiesen hat, daß Staat und Recht identisch sind. Da dieses aber von ihm nicht geleistet worden ist, ist diese Aussage als unwissenschaftlich zurückzuweisen. Die Aussage über die Fiktion der Repräsentation ist als ein nicht gedeckter übergriff der Kelsenschen juristischen Methode zu bewerten. Darüber hinaus weist die Kelsensche Lösung der Repräsentationsproblematik sehr deutlich die Defizienz des gesamten Systems aus. Denn Kelsen kennt durchaus Repräsentation als Rechtswesensbeziehung; d. h. das Verhältnis, das darin besteht, daß jemand nur durch einen Repräsentanten handeln kann. Diese Beziehung wird aber von Kelsen nur zwischen Staatsorganen und Staat angesetzt, eine Anwendung, auf deren Problematik bereits verwiesen wurde. Für das Verhältnis Volk-Abgeordnete wird diese Kennzeichnung jedoch abgelehnt1 69 • Da der Beweis dafür sich als logisch nicht haltbar erwies, mußte der Grund für dieses Vorgehen woanders gesucht werden. Dieser ist eben darin zu sehen, daß Volk für Kelsen eben keine eigene vorjuristische Größe ist. Da dieser vorstaatliche Bereich nicht erfaßt ist, kann Volk nur indirekt durch die Regelungen der Normordnung erschlossen werden. Ein Repräsentationsverhältnis gemäß dem auch von Kelsen akzeptierten Wesensbegriff läßt sich dann in den isolierten Rechten nicht feststellen, da diese per definitionem jenen Bereich nicht mitumfassen und zumal bei Kelsen Repräsentation gleich in Bezug auf den Staat verstanden ist. Die Methode zeitigt hier inhaltliche Fixierungen. Es hat sich also gezeigt, daß Kelsen, wie auch schon der ältere Positivismus, das Problem der Repräsentation, wie es im Vormärz eingeführt war, durch seinen Ansatz aus seiner Theorie eskamotiert hat. Trotzdem gelangt er zu Aussagen darüber, da er der Betrachtung von seinem Ansatz aus die Eigenschaft einer Grundaussage zur Staats158 158
Allg. Staatslehre, S. 312 - 316.
Ebd., S. 315.
2. Schmitt: Repräsentation, Identität und absolute Staatsrnacht
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problematik meint zuerkennen zu können. Durch die Relativierung eben dieses Ansatzes erweisen sich aber die gesamten Aussagen von Kelsen zur Repräsentationsproblematik als nicht begründeter Übergriff und können nicht als wissenschaftliche Aussage hierüber angesehen werden. Es kann allgemein festgehalten werden, im staatsrechtlichen Positivismus ist das Problem der Repräsentation eskamotiert. 2. Repräsentation und Identität als Formen der Entfaltung absoluter Staatsmacht bei earl Schmitt Einer Auseiandersetzung mit der Lehre earl Schmitts wird auch im Rahmen dieser Arbeit ein breiter Raum zur Verfügung gestellt werden müssen. Ganz abgesehen von der inhaltlichen Bedeutung, fordert nicht nur die ausgedehnte Literatur über Schmitt, sondern ebenso die intensive publizistische Tätigkeit des zu untersuchenden Autors eingehende Behandlung. Begrenzung des Untersuchungsgegenstandes ist deshalb notwendige Voraussetzung, soll die Analyse der Lehre Schmitts nicht Rahmen und Thematik dieser Arbeit sprengen. Die Eingrenzung auf die Epoche der Weimarer Republik, - wie sie sich aus der Fragestellung dieser Arbeit ergibt, - scheint mir dabei auch vom Werk Schmitts aus wohlbegründet und gerechtfertigt zu sein. Die Periodisierung des Werks von Schmitt, wie sie von Krupa 1937 zum ersten Mal vorgelegtt und wie sie von Hofmann2 differenzierend wieder aufgegriffen worden ist, kann wohl als allgemein in der wissenschaftlichen Literatur akzeptiert gelten 3• Von daher wird sich diese Arbeit legitimerweise auf die Periode des Dezisionismus von 1923 -1933 beschränken können. Zumal da Hofmann nachgewiesen hat, daß die Epoche des Normativismus (1912 - 1922) eher als Periode des rechtstheoretischen Dezisionismus verstanden werden muß4, sie also als Vorstufe für den politischen Dezisionismus der Jahre 1923 - 33 anzusehen ist. Eine eigenständige Analyse der Veröffentlichungen jener Zeit erweist sich damit als nicht erforderlich. Durch die Beschränkung der Thematik auf die Werke der dezisionistischen Zeit kann und soll 1 Krupa, Hans, Carl Schmitts Theorie des ,Politischen'. Mit einem Verzeichnis der Schriften Carl Schmitts, Leipzig 1937, S. 8 - 10. 2 Hofmann, Hasso, Legitimität gegen Legalität. Der Weg der politischen Philosophie Carl Schmitts, Neuwied - Berlin 1964, S. 5/6, 22/23 (weiterhin zitiert: Legitimität gegen Legalität). 3 Siehe etwa: Würtemberger, Die Legitimität staatlicher Herrschaft, S. 270 bis 277; Bentin, Lutz-Arwed, Johannes Popitz und Carl Schmitt. Zur wirt~ schaftlichen Theorie des totalen staates in Deutschland, München 1972, S. 81, 82 (weiterhin zitiert: Popitz und Schmitt); Schwab, George, The Challenge of the Exception. An Introduction to the Political Ideas of Carl Schmitt between 1921 and 1936, Berlin 1970, S. 7, 73, der auf Grund äußerlicher Kriterien zu einer ähnlichen Einteilung gelangt. 4 Hofmann, Legitimität gegen Legalität, S. 23, 41 - 84.
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Teil III: Weimar: Repräsentation als verfehltes Phänomen
auch nicht die Frage nach dem Verhältnis Schmitts zum Nationalsozialismus behandelt werden, eine Fragestellung, wie sie die polemische Auseinandersetzung um Schmitts Werk zwischen Schülern und Gegnern Schmitts kennzeichnet eS und wie sie auch in jüngster Zeit die Wissenschaft unter der Frage, ob im Denken Schmitts 1933 ein Einschnitt oder Bruch zu verzeichnen sei, weiter beschäftigt6 • Denn wie Hofmann dargelegt hat, führt diese Fragestellung zu einer einsinnigen und eindeutigen Interpretation der Lehre Schmitts, die deren Doppeldeutigkeit und Vielschichtigkeit nicht gerecht werden kann und so schließlich einer Verharmlosung gleichkommen muß7. Der rein theoretischen Er5 Vgl. z. B. die polemische Auseinandersetzung zu den jeweiligen Festschriften für Carl Schmitt, die von den Schülern Schmitts herausgegeben wurden, bei Ridder, Helmut, Schmittiana I und II, in: NPL, 12, 1967, S. 1 - 12 und S. 137 - 145; ders., Epirrhosis? Carl Schmitt und ein Ende, in: NPL, 16, 1971, S. 317 - 339; als Gegenposition siehe die Rezension der letzten Festschrift durch Quaritsch, Helmut, in: Der Staat, 10, 1971, S. 403 - 408. Zu der Frage des Verhältnisses Schmitts zum Nationalsozialismus siehe auch: Ridder. Helmut, Ex oblivione malum, Randnoten zum deutschen Partisanenprogreß, in: Gesellschaft, Recht und Politik (Festschrift für W. Abendroth), hrsg. von Maus, Heinz, Neuwied - Berlin 1968, S. 305 - 332, bes. S. 317 - 332. 8 Vgl. hierzu Rumpf, Helmut, Carl Schmitt und Thomas Hobbes. Ideelle Beziehungen und aktuelle Bedeutung, mit einer Abhandlung über: Die Frühschriften Carl Schmitts, Berlin 1972, S. 32 - 36, siehe auch ebd., S. 59; Kritisch hierzu Grahler, Martin, Rezension zu: Helmut Rumpf, Carl Schmitt und Thomas Hobbes, Berlin 1972, in: PVS, 14, 1973, S. 333; - vgl. auch Schwab, The Challenge of the Exception, S. 43 mit allerdings dürftiger Argumentation; eine ähnliche Tendenz ebenfalls bei Bentin, Popitz und Schmitt, S. 116 Anm. 203; siehe auch Schmitz, Mathias, Die Freund-FeindTheorie Carl Schmitts. Entwurf und Entfaltung, Köln - Opladen 1965, S. 54 bis 69 (weiterhin zitiert: Die Freund-Feind-Theorie). 7 Vgl. Hofmann, Legitimität gegen Legalität, S. 101; gerade diesen Umstand der Unterbewertung und Vereinfachung von Carl Schmitt wird man auch gegenüber einer Richtung in der Auseinandersetzung mit der Weimarer Staatslehre betonen, die mit dem Namen Werner Hin (Gleichheit und Artgleichheit, Berlin 1966), Wolfram Bauer (Wertrelativismus und Wertbestimmtheit im Kampf um die Weimarer Demokratie, Berlin 1968) und neuerdings Ingeborg Maus (Bürgerliche Rechtstheorie und Faschismus. Zur sozialen Funktion und aktuellen Wirkung der Theorie Carl Schmitts, München 1974) verbunden ist. Dieser geht es weniger um die Erarbeitung der jeweiligen Theorie, denn um ihr Verständnis aus der Zeit heraus. Der Vorwurf dieser Richtung, daß eine reine theoretische Fragestellung unpolitisch sei (so z. B. Hennig, Eike in der Rezension zu Schluchters Arbeit über Heller, in: NPL, 16, 1971, S. 518) muß zurückgewiesen werden, kann doch erst von der Beantwortung der theoretischen Fragestellung aus Relevanz und Bedeutung eines Systems erfaßt werden, wohingegen die gegenteilige Richtung stets zu kurz greifen muß und damit weitgehend ihren Untersuchungsgegenstand verfehlen muß. Zur Kritik dieser Richtung siehe: Friedrich, Manfred, Die Grundlagendiskussion in der Weimarer Staatslehre, in: PVS, 13, 1972, S. 582 - 598; sowie ders., Der Methoden- und Richtungsstreit, Zur Grundlagendiskussion der Weimarer Staatsrechtslehre, in: AöR, 102, 1977, S. 161 - 209. Als Beispiel eins inniger bis platter Interpretation der politischen Intention Schmitts siehe: Petzold, Joachim, Die Büchse der Pandora oder die politische Funktion Carl Schmitts vor 1945, in: Jahrbuch für Geschichte, 10, 1974, S. 403 - 444.
2. Schmitt: Repräsentation, Identität und absolute Staatsmacht
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fassung der Lehre Schmitts, wie sie hier versucht werden soll, ist deshalb der Vorrang einzuräumen. Bei dieser Aufgabenstellung ergibt sich sogleich das Problem, wie das Werk Schmitts methodisch anzugehen ist. Nicht von ungefähr ist es als "in mehreren Schichten irisierend(e)"8 und Schmitt selbst als chamäleonartig schillernd charakterisiert worden9 • So nimmt es kaum Wunder, daß systematisierende Interpretationen, die das gesamte Werk Schmitts unter einheitlichem Aspekt zusammenfassen wollten, weitgehend gescheitert sind. Die kritisch ablehnende Bewertung von Peter Schneiders "Ausnahmezustand und Norm"lo in der Literatur ist wohl allgemeinl l . Auch Fijalkowskis Versuch, das Werk Schmitts von einer Option zum Führerstaat aus zu analysieren, ist auf heftigen Widerstand gestoßen12 • Dabei ist besonders aufschlußreich, was bisher in der Literatur kaum beachtet wurde, daß Fijalkowski seinem Ansatz selbst untreu wird. Ging es ihm zunächst darum, das Werk Schmitts als auf einer vorlaufenden Option für den Führerstaat basierend darzulegen1S, so wird sie alsbald zur nachträglichen Option als "Konsequenz aus der Kritik an der Weimarer Republik"14, um schließlich vom 3. Kapitel des vierten Teils an nur noch allgemein als Option für die konsequente politische Form zu erscheinen15 • So erweist sich die Arbeit Fijalkowskis selbst als Beleg, daß sich das Werk Schmitts einer systematisierenden Betrachtung entzieht. Schmitz, indem er eine politische Theorie Schmitts zu konstruieren versucht, "die wohl mit, aber nicht in seinem Werk gegeben ist"16, belegt ebenfalls eindringlich, daß die systematisierende, vereinheitlichende Fragestellung an sich mehr leisten will, als Schmitt 8 Mantl, Wolfgang, Repräsentation und Identität. Demokratie im Konflikt: Ein Beitrag zur modernen Staatsformenlehre, Wien - New York 1975, S. 122 (weiterhin zitiert: Repräsentation und Identität). 9 So Bentin, Popitz und Schmitt, S. 137, ähnlich S. 81, S. 82. 10 Eine Studie zur Rechtslehre von Carl Schmitt, Stuttgart 1957. 11 Laufer, Heinz, Das Kriterium politischen Handeins. Eine Studie zur Freund-Feind-Doktrin von Carl Schmitt auf der Grundlage der Aristotelischen Theorie der Politik. Zugleich ein Beitrag zur Methodologie der politischen Wissenschaften, Diss. jur. Würzburg 1961, S. 84; Bentin, Popitz und Schmitt, S. 81 Anm. 16; Rumpf, C. Schmitt und Th. Hobbes, S. 81; Hofmann, Legitimität gegen Legalität, S. 14, S. 64/65 Anm. 30. 12 Fijalkowski, Jürgen, Die Wendung zum Führerstaat. Ideologische Komponenten in der politischen Philosophie Carl Schmitts, Köln - Opladen 1958; kritisch hierzu: Hofmann, Legitimität gegen Legalität, S. 16 Anm. 30, S. 101; Schmitz, Mathias, Die Freund-Feind-Theorie, S. 59. 13 Vgl. Lieber, Hans-Joachim, Vorwort zu: Fijalkowski, Die Wendung zum Führerstaat, S. X; Fijalkowskis Zentralargument ebd., S. 142. 14 Fijalkowski, Die Wendung zum Führerstaat, S. 168. 15 Vgl. ebd. ab S. 187. 16 Schmitz, Die Freund-Feind-Theorie, S. 83; vgl. auch ebd., S. 89, wo Schmitz ausdrücklich anerkennt, daß Schmitt selber kein System angestrebt hat.
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Teil III: Weimar: Repräsentation als verfehltes Phänomen
in seinen Veröffentlichungen dargelegt hat. Als genuinste und differenzierteste Auseinandersetzung mit Schmitt wird deshalb auch heute noch die Arbeit von Hofmann anzusehen sein. Die neue re Arbeit von Kodalle 17 unterliegt nicht nur den gleichen Bedenken wie die älteren systematisierenden Versuche, auch sein Ansatz bei der "Politischen Theologie", einer sicherlich nicht zentralen Schrift Schmitts, als Gliederungsprinzip seiner Interpretation vermag kaum zu überzeugen. Mantl versucht deshalb in seiner breiter angelegten Untersuchung über Repräsentation und Identität erst gar nicht das Gesamtwerk Schmitts zu erfassen. Er hebt auf das Schmittsche Geschichtsbild abIS, seine Einheitsforderungl9 und kritisiert vor allem die Methode 20 . Doch das Ergebnis erweist sich als unbefriedigend. Zwar wird man Mantl eine gute Verarbeitung der Sekundärliteratur bescheinen können, allein die Auseinandersetzung mit Schmitt bleibt unvollständig, nur aspekthaft. Das irisierende Werk Schmitts wird zwar von allen Seiten kritisiert, nirgends aber wirklich erfaßt und eindeutig eingeordnet, so daß es trotz grundlegender Kritik schließlich in komplex-schillernder Vielfältigkeit erhalten bleibt. In diesem Faktum zeigt sich auch der tiefere Grund für die systematisierenden Interpretationsversuche, eine aspekthafte Kritik erweist sich als unzureichend in Auseinandersetzung mit Schmitt. Vorliegende Arbeit, die den Begriff der Repräsentation in der Lehre Schmitts untersuchen will, kann sich deshalb nicht allein auf die Untersuchung der Repräsentationsproblematik beschränken. Andererseits sollten auch nicht die bisherigen erfolglosen Versuche, die Lehre oder Theorie Schmitts insgesamt darzustellen, durch einen weiteren ergänzt werden. Lösbar wird dieses Dilemma nur dadurch, daß die Verfassungslehre von Schmitt, seine einzige systematische Darstellung aus dieser Periode 21 , ins Zentrum der Analyse gestellt wird. Ausgangspunkt bilden dabei die Schmittschen Darlegungen zur Repräsentation und Identität. Der Rückgriff auf die gesamte Verfassungslehre, ergänzt durch die Analyse der Vorarbeit in der Schrift "Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus"22 und der Weiterführung in "Der Hüter der Verfassung"23, soll dabei zu einer Bewertung der allgemei17 Kodalle, Klaus-Michael, Politik als Macht und Mythos. earl Schmitts "Politische Theologie", Stuttgart u. a. 1973. 18 Mantl, Repräsentation und Identität, S. 139.
18
20
Ebd., S. 136. Ebd., S. 123 - 128.
21 Vgl. Schmitt, Verfassungslehre, München - Leipzig 1928, (heute als 5. unveränderter Neudruck: Berlin 1970), S. IX und XI. 22 1. Aufl. München - Leipzig 1923; 2. Aufl. 1926; 3. Aufl. (= Nachdruck: der 2. Aufl. 1926) 1961 (zitiert wird nach der 3. Aufl. Berlin 1961 unter dem
Kürzel: Die geistesgeschichtliche Lage).
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nen Fragestellung der Lehre Schmitts dienen, ohne jedoch der Versuchung zu erliegen, eine einheitliche Theorie aufzeigen zu wollen. Denn der Einheitsaspekt, - und darin ist wohl die Lösung der Schwierigkeiten systematisierender Interpretationen zu sehen, - kann ja durchaus auch in einem untheoretischen Moment bei Schmitt begründet sein. Diese Möglichkeit soll durch die hier gewählte Vorgehensweise bewußt offengehalten werden. Als Korrelat und letzte Verdeutlichung ist in der Analyse schließlich "Der Begriff des Politischen"24 heranzuziehen. Denn erst in einer derartigen Auseinandersetzung mit der Lehre Schmitts wird Bedeutung und Aussagewert seiner Darlegung zum Begriff der Repräsentation und der Identität verständlich und deutlich. Neben der bisher zitierten Sekundärliteratur ist dabei vornehmlich auch auf die zeitgenössische wissenschaftliche Auseinandersetzung einzugehen. Diese, noch unbelastet vom Systemaspekt und gekennzeichnet durch den Streit der wissenschaftlichen Schulen, kommt oft zu grundlegenderen, pointierteren und differenzierteren Aussagen als die neue re Literatur. a) Repräsentation und Identität als Prinzipien politischer Form
Staat ist nach Schmitt der Status politischer Einheit eines Volkes; Repräsentation und Identität die zwei möglichen Formen dieses Zustandes25 . Beide Formen werden dabei rein logisch hergeleitet. Das Prinzip der Identität aus der Prämisse, "daß es keinen Staat ohne Volk gibt und kein Volk daher als vorhandene Größe immer wirklich anwesend sein muß", das Prinzip der Repräsentation aus der Voraussetzung, "daß die politische Einheit des Volkes als solche niemals in realer Identität anwesend sein kann"26. Trotz dieser kontradiktorischen Begründung werden Repräsentation und Identität von Schmitt nicht als sich ausschließende Prinzipien behandelt. Beide zusammen gelten ihm vielmehr als notwendige Bestandteile jedes Staates27 . Den Beweis für diese These führt Schmitt dahingehend, daß er Repräsentation als notwendiges Gestaltungsprinzip des Staates überhaupt 23 Tübingen 1931; auf diese grundlegende und erweiterte Veröffentlichung wird hier Bezug genommen. Auf die kürzere Erstveröffentlichung (in: AöR, 16, 1929, S. 161 - 237) näherhin einzugehen konnte hier verzichtet werden. 24 Schmitt, Der Begriff des Politischen, in: Probleme der Demokratie, in der Reihe: Politische Wissenschaft, 5, 1928, S. 1 - 34; wegen einschneidender Änderungen, Weiterentwicklungen und Verdeutlichungen ist darüber hinaus die 2. Aufl. 1932, wieder abgedruckt in: Der Begriff des Politischen. Text von 1932 mit einem Vorwort und 3 Collarien, Berlin 1963, S. 20 -78 herangezogen worden. 25 Vgl. Schmitt, Verfassungslehre, S. 205. 26 Ebd. 27 Vgl. ebd., S. 205/206.
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aufweist. Indem er nicht nur den Abgeordneten, sondern auch den Wähler als "Vertreter des ganzen Volkes" interpretiert28, ist ihm ein Mittel gegeben, alle identitären Einrichtungen repräsentativ zu deuten. Staatsbürger sein heißt Repräsentant des Ganzen sein. Plebiszitäre Entscheidungen, ja selbst die Versammlung des gesamten Volkes sind so dann, da stets auf den Staatsbürger Bezug genommen ist, dem Prinzip der Repräsentation zuzurechnen. Fazit ist: "Eine restlose, absolute Identität des jeweils anwesenden Volkes mit sich selbst als politischer Einheit ist an keinem Ort in keinem Augenblick vorhanden"29. Für Schmitt gibt es also eine vom wirklichen Volk getrennte Einheit des Volkes. Existiert aber eine vorgängige Einheit, so kann es nur noch Aufgabe der Repräsentation sein, diese darzustellen, eine Herstellungsfunktion kann ihr nicht zukommenso. Bezüglich der Identität aber muß festgestellt werden, daß Schmitt mit der oben zitierten Aussage zur Repräsentation die Identität aus seiner Lehre herausinterpretiert hat. Denn entweder herrscht Identität, oder nicht. Läßt sich also im Staat prinzipill keine "absolute Identität" nachweisen, so ist keine Identität vorhanden. Ist jeder Staat grundsätzlich repräsentativ verfaßt, kann er auf keinen Fall auch noch nach dem Prinzip der Identität aufgebaut sein. Dennoch behauptet Schmitt auch das Prinzip der Identität als notwendiges Strukturelement des Staates, das sich im Element der Öffentlichkeit verwirklichesl. Jedoch nur zwei Abschnitte weiter, dazu noch auf der gleichen Seite, wird von Schmitt selbst Öffentlichkeit als zum Begriff der Repräsentation gehörig erklärt32 • Theoretisch ist also die Behauptung der Identität als Gestaltungsprinzip des Staates nicht zu halten. Dieses wird auch in der Bestimmung der Demokratie als Staatsform deutlich, die dahingehend gekennzeichnet sei, daß in ihr alle repräsentieren33 • Demokratie ist allgemeine Repräsentation, die aber "nicht den Sinn des Repräsentierens, sondern der Herstellung der Identität des anwesenden Volkes mit sich selbst als politischer Einheit"S4 habe. Schmitt kennt also nur die eine Staatsform der Repräsentation, die aber einmal den Sinn der Repräsentation, dann aber auch den Sinn der Identität verwirklichen kann. Eine Aussage, die in dieser Abstraktheit keinen Sinn ergibt. Es sei denn, man unterscheidet bei Schmitt zwei Repräsentationsbegriffe. Einmal als grundlegende Staats28 Vgl. ebd., S. 206/207, zum Folgenden vgl. ebd. Ebd., S. 207. 30 Vgl. ebd., S. 207. 31 Ebd., S. 208. 32 Ebd. 33 Ebd., S. 215/216. 34 Ebd., S. 216. 29
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form allgemein, und dann als Gegensatz zur Identität, wobei diese Repräsentation als auch die Identität als Sinn der Repräsentation im ersteren Sinne erscheint, konkret bestimmt als Maximum an Regierung bzw. als Minimum an Regierung 35 . Wie Schmitts Behandlung der Repräsentation als Gegenpol zur Identität belegt, hebt er nur auf die letztere Bestimmung ab. Nicht die Staatsform, sondern die Regierungsweise wird durch seine Begriffe gekennzeichnet. Dieses Ergebnis muß innerhalb einer Verfassungslehre als auch wegen der Kennzeichnung von Repräsentation und Identität als Prinzipien des Staates erstaunen, die inhaltliche Analyse ergibt ein anderes Ergebnis, als die Darstellungsweise des Schmittschen Werks vorgibt. Deshalb sei dieses Ergebnis durch die Analyse der einzelnen Bestimmungen für Repräsentation und Identität bei Schmitt im folgenden überprüft.
al) Repräsentation bei C. Schmitt Repräsentation in ihrer näheren Bestimmung wird bei Schmitt nicht aufgewiesen und begründet. Apodiktisch, durch nichts belegt als durch ihre klare Behauptungsform, werden die einzelnen Aussagen hierzu aneinandergereiht. "Die Repräsentation kann nur in der Sphäre der Öffentlichkeit vor sich gehen"36, "Repräsentation ist kein normativer Vorgang, kein Verfahren und keine Prozedur, sondern etwas Existenzielles"37. Gesperrter Druck scheint dabei Begründung ersetzen zu sollen. Schließlich wird die Bedingung einer gesteigerten Existenz als Voraussetzung für die Repräsentation eben dadurch "begründet", daß es sich um Repräsentation im "spezifischen Sinne", "im eminenten Sinne"38 handle. Eine Eigentlichkeit, die sich erneut nur in ihrer Behauptungsqualität erschöpft. Denn die These, daß nur auf Grund dieser Eigentlichkeit die Auseinandersetzungen des Vormärz erklärt werden könnten, ist nicht überzeugend39 . Hebt sie doch allein darauf ab, daß an sich monarchisches und demokratisches Prinzip sich einander ausschließen, ohne darauf Rücksicht zu nehmen, daß die liberalen Forderungen, - wie im Teil I dargelegt, - im Vormärz konstitutionell, d. h. bereits mit dem monarchischen Prinzip vermittelt waren. Schmitt bezieht sich auf die nachträgliche, theoretische Problematik, ob der Ebd., S. 215, 214. Verfassungslehre, S. 208; siehe auch ders., Die geistesgeschichtliche Lage, S. 44 Anm. 3 zu S. 43. 37 Verfassungslehre, S. 209; Die geistesgeschichtliche Lage, S. 44 Anm. 3 zu S.43. 38 Verfassungslehre, S. 210; vgl. auch Friedrich, Der Methoden- und Richtungsstreit, S. 206, der von einer "Nichtaufdeckung des eigentlichen argumentativen Ausgangspunktes" spricht. 39 Vgl. Verfassungslehre, S. 211; siehe auch Die geistesgeschichtliche Lage, S. 44/45 Anm. 3 zu S. 43. 35
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Konstitutionalismus als eigene Staatsform zu bewerten sei oder nicht, der Fragestellung und politischen Situation des Vormärz wird er aber, entgegen seiner Behauptung, nicht gerecht40 . Der Beweis für seine Repräsentationsvorstellung durch historische Verortung ist unhistorisch geführt und damit gescheitert. Repräsentation wird von Schmitt existentiell gefaßt. Eine technische Funktion wie die der Vertretung oder die Bildung der Einheit überhaupt wird aus Schmitts Verständnis der Repräsentation bewußt herausgehalten41 . "Repräsentieren heißt, ein unsichtbares Sein durch ein öffentlich anwesendes Sein sichtbar machen und vergegenwärtigen"42. Träger dieser Repräsentation kann gemäß Schmitt allein die Regierung sein, da sie "das geistige Prinzip der politischen Existenz darstellt und konkretisiert"43. Ihre Art geistiger Existenz44 entspricht allein der Sphäre Schmittscher Repräsentation. Regierung wird nicht in ihrer Funktion erfaßt, sondern geistig hypostasiert und dadurch zur Deckung mit der vergeistigten Repräsentation gebracht. Ausdrücklich wird z. B. die Frage· der Gewaltenteilung als diesem Problemkreis nicht entsprechend ausgeschaltet, so daß Repräsentation schließlich zum politischen Formprinzip45 ohne jegliche Form wird. Regierung ist nicht als ordnende Macht eines Gemeinwesens verstanden, sondern davon losgelöst als Repräsentant einer der Wirklichkeit vorgelagerten Einheit des Volkes 46 . Die Eigentlichkeit dieser vorgängigen Ebene degradiert die Wirklichkeit zur Uneigentlichkeit. Sie hat ihr Recht verloren, der Reprä~ sentant Regierung wird in totaler Unabhängigkeit gesehen und schließlich mit dem absoluten Fürsten gleichgesetzt47 . Daß die Repräsentation auch die politische Einheit in der Wirklichkeit des Volkes bewirkt, wird zwar gesehen, mache aber keineswegs das Wesen der Repräsentation aus 48 . Der politisch-soziale Aspekt ist kein Element dieser Begrifflichkeit, diese zieht ihren Sinn aus der Behauptung vorgängiger Einheitlichkeit. Transzendenz nicht Immanenz kennzeichnet die Reprä40 Vgl. die Behauptung einer demokratischen Konsequenz bei Rotteck allein aus der Bestimmung eines "natürlichen" Organs, ohne je auf das Staatsverständnis oder die Bedeutung des künstlichen Organs bei Rotteck eingegangen zu sein, in: Verfassungslehre, S. 211. 41 Verfassungslehre, S. 209/210; siehe auch Müller, Christoph, Das imperative und freie Mandat, Leiden 1966, S. 18. 42 Verfassungslehre, S. 209. 43 Ebd., S. 212. 44 Ebd. 45 Ebd., S. 213. 48 Vgl. ebd., S. 122 die vielzitierte Gleichsetzung der Ordnungsfunktion der Regierung mit der Macht eines Seeräubers. 47 Vgl. Verfassungslehre, S. 212, 214. 48 Ebd., S. 214.
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sentation; sie ist absolut und absorbierend49 • Alles, was jenseits des Bereichs der Eigentlichkeit geistiger Existenzialität angesiedelt ist, wird aus der Betrachtung ausgeklammert. Wie die Konkretisierung im absoluten Monarchen verdeutlicht, ist dieser Begriff als vordemokratisch einzuordnen. Wird er aber zum Prinzip jeden Staates erklärt, ist er als antidemokratisch zu kennzeichnen.
a2) Identität bei C. Schmitt Bezeichnenderweise wird das Prinzip der Identität bei Schmitt nicht abstrakt .abgehandelt. Die Aussagen hierüber befinden sich in den Paragraphen 17 - 21 der Verfassungslehre, in Schmitts Lehre von der Demokratie. Denn "Demokratie ist eine dem Prinzip der Identität (... ) entsprechende Staatform"50. Die Frage, ob es sich bei der Identität wirklich um ein Prinzip des Staats handelt, wird deshalb bei der Behandlung der Schmittschen Lehre von der Demokratie zu stellen und zu beantworten sein. Demokratie ist nach Schmitt allein durch das Prinzip der Gleichheit gekennzeichnet. Der Freiheit wird der Charakter eines politischen Formprinzips abgesprochen, als liberales Prinzip muß sie auf den rechtsstaatlichen Teil der Verfassung eingegrenzt werden 51 • Gleichheit aber meine Gleichartigkeit des Volkes, substanzielle Gleichheit, Homogenität52 . In der Verfassungslehre erfolgt diese Darlegung wieder in der bekannten apodiktischen Art, wohingegen in der Schrift über die geisteswissenschaftliche Lage des Parlamentarismus ein Aufweis von Rousseau her versucht wird. Apodiktische Behauptungen, wie erratische Blöcke aufgestellt, scheinen der theoretische Fortschritt der systematischen Verfassungslehre gegenüber der Frühschrift zu sein. Der Bezug auf Rousseau erweist sich jedoch als Uminterpretation, "in Wahrheit" sei die volonte generale als Homogenität von Rousseau konstruiert. Das hat dann das paradoxe Ergebnis zur Folge, daß der Rousseausche contrat social "nicht auf Kontrakt, sondern wesentlich auf Homogenität"53 beruht. Politisch-philosophische Thematik wird bei 49 Ebd., S. 218; siehe hierzu auch die erste Darstellung des Repräsentations~ begriffs bei: Schmitt, Römischer Katholizismus und politische Form, München 1925, S. 29 ~ 31, S. 34 - 37, wo Repräsentation eindeutig von jeder technischen Ebene abgehoben wird, um auf persönliche Autorität zurückgeführt zu werden. Repräsentation gekennzeichnet dadurch, daß "etwas präexistent ist, transzendent, und das bedeutet immer eine Autorität von oben" (S. 37, Hervorhebung von mir, V. H.). 50 Verfassungslehre, S. 223. 61 Ebd., S. 225. 52 Vgl. ebd., S. 226 - 234. 53 Die geistesgeschichtliche Lage, S. 20, allgemein siehe ebd., S. 19/20; Eine Kritik dieser Interpretation erübrigt sich wohl auf Grund der von Schmitt
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Schmitt, wie sein Verständnis von Rousseau aufzeigt, zur Strukturfrage und Willensverhältnisse zur naturhaften Substanz. Die Tiefe und Widersprüchlichkeit des Rousseauschen Ansatzes verflacht ins Strukturelle. Die substanzielle Homogenität ist nach Schmitt Bedingung und Voraussetzung dafür, daß Demokratie als "Identität von Herrscher und Beherrschten, Regierenden und Regierten, Befehlenden und Gehorchenden"M definiert werden kann. Denn "Demokratie setzt im Ganzen und in jeder Einzelheit ihrer politischen Existenz ein in sich gleichartiges Volk voraus, das den Willen zur politischen Existenz hat"55. Erst durch diese Voraussetzung werde verhindert, daß der Unterschied von Regierenden und Regierten zur qualitativen Größe wird. Beide Größen sind eingebettet in die gleiche Substanz. Hiermit scheint also die Definition der Identität als Minimum von Regierung eingeholt zu sein. Doch sind Zweifel an dieser Bestimmung anzumelden. Es bleibt zu fragen, was eigentlich unter Identität zu verstehen ist und welche Bedeutung ihr zukommt, da sie gegenüber der Regierung, der politischen Herrschaft allein substanzhafte Homogenität geltend machen kann. Wie kann sie als unpolitische Größe überhaupt Politik bestimmen? Dieses Problem findet seine Lösung in der paradoxen Aussage, daß ein Minimum von Regierung durchaus ein Maximum von Regierung bedeuten kann. "Die Verschiedenheit von Regierenden und Regierten kann sogar im Vergleich zu anderen Staatsformen in der Sache ungeheuer verstärkt und gesteigert werden, sofern nur die Personen, die regieren und befehlen, in der substanziellen Gleichartigkeit des Volkes verbleiben"56. Die Erfüllung dieser Bedingung ist daran ablesbar, daß die regierenden Personen "die Zustimmung und das Vertrauen des Volkes"57 finden. Der sachliche Bereich ist aus dieser Beziehung Regierende-Regierte gänzlich herausgenommen, Identität meint allein ein Vertra uensverhäl tnis. Das wird auch deutlich in der Schmittschen Interpretation der Befugnisse und Zuständigkeiten des Volkes, - die Bezeichnung Recht wird in diesem Zusammenhang strikt vermieden. Die Befugnis des Volkes zu wählen erstreckt sich nur auf die Auswahl von Personen, "den gewählten Personen muß es die Entscheidung der sachlichen selbst gezogenen Konsequenzen. Zum Verhältnis Schmitt - Rousseau vgl. auch
HilZ, Werner, Gleichheit und Artgleichheit, Berlin 1966, S. 198 - 203, über den
Gleichheitsbegriff bei Rousseau und Schmitt siehe ebd., S. 202. 54 Verfassungslehre, S. 234. 55 Ebd., S. 235. 58 Ebd., S. 236. 57 Ebd.
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Fragen nach Maßgabe ihrer Zuständigkeit überlassen"58. Zudem ist das Volk dabei weitgehend von den zur Wahl stehenden Vorschlägen abhängig 59 • Die sachliche Ebene fällt also nicht in die Zuständigkeit des Volkes und das sogar bei der Befugnis des Sachentscheids. Dieser wird nur als "formelle Erledigung einer sachlichen Alternative" verstanden, er gilt unabhängig davon, "ob damit in der Sache eine Entscheidung getroffen ist"60. Die sachliche Entscheidung erfolgt also nicht durch die Abstimmung, sondern diese ist bereits durch die Fragestellung getroffen61 . Sachliche Funktionslosigkeit und Reduktion demokratischer Einrichtung zur bloßen Form spiegeln sich auch in dem von Schmitt sogenannten demokratischen Grundaxiom wider62 • Dieses besagt, "daß der Wille der überstimmten Minderheit in Wahrheit mit dem Willen der Mehrheit identisch ist"63. "Der Bürger gibt also eigentlich niemals einem konkreten Inhalt seine Zustimmung sondern in abstracto dem Resultat, ... , und er gibt diese Stimme nur ab, um die Kalkulation der Stimmen, aus der man diesen Generalwillen erkennt, zu ermöglichen64 ." Dem Minderheitsvotum kommt also keine Bedeutung zu, es gilt von vornherein als falsch und nicht bedenkenswert; In dieser formellen Betrachtungsweise ist dafür kein Platz65 • Der Mehrheitsentscheid wird so zur nachträglichen formellen Zustimmung zu einer bereits gefällten Sachentscheidung, es handelt sich, wenn die Frage nur richtig gestellt ist, um bloße Akklamation. Auf diese läuft letztlich die ganze Darlegung Schmitts hinaus. Akklamation gilt als die moderne Art der öffentlichen Meinung, die bewußt als Instanz neben den verfassungsrechtlichen Befugnissen des Volkes Ebd., S. 277. Ebd., S. 277, zur Begrenzung der Wahl allein auf den personalen Aspekt siehe auch ebd., S. 239. 60 Verfassungslehre, S. 278. 61 Ebd., S. 278 - 280, vgl. auch ebd., S. 240. 62 Diese Bezeichnung in: Der Hüter der Verfassung, S. 86, S. 145. e3 Die geistesgeschichtliche Lage, S. 34; ähnliche Formulierungen in: Verfassungslehre, S. 239, 240; Der Hüter der Verfassung, S. 86, 145; Legalität und Legitimität, München - Leipzig 1932, S. 31. e4 Die geistesgeschichtliche Lage, S. 34; vor diesem Hintergrund müssen auch die Folgerungen aus dem politischen Prinzip der Demokratie, in: Verfassungslehre, § 19, S. 252 - 258, gesehen werden. 65 In: Die geistesgeschichtliche Lage, S. 34/35 wird dieses demokratische Axiom mit Rousseau, Du Contrat social, livre IV, chapitre 2, al. 8, begründet. Auf die Problematik dieser Stelle, die auf das Problem der Anwendung der theoretischen Erkenntnisse Rousseaus auf konkrete staatliche Regelungen durch ihn selbst hinausläuft, kann hier nicht näher eingegangen werden. Es sei nur auf den folgenden Absatz 9 dieses Kapitels bei Rousseau verwiesen, auf Grund dessen die eins innige, rein formale Interpretation dieser Stelle als demokratisches Grundaxiom durch Schmitt als nicht adäquat anzusehen ist. SB
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verstanden wird 66 . Trotz dieser Extrakonstitutionalität wird sie jedoch als notwendiges Element jeden Staates ausgegeben67 . Sie ist gekennzeichnet durch Öffentlichkeit, geheime Abstimmung gilt als isolierende Aufhebung des Volksganzen68 , denn nur in der Öffentlichkeit kann das Volk unorganisiert und in vitaler Unmittelbarkeit erscheinen69 . Schmitt geht es gerade um diese diffuse Art der Akklamation, die "weder soziologisch noch staatsrechtlich gelöst"70 ist. Es geht um die Öffentlichkeit der Meinung, nicht um eine öffentliche Meinung71 • Ein Meinen, das sich sowohl als Zuruf äußern aber ebenso "durch selbstverständliches, unwidersprochenes Dasein"72 zum Ausdruck kommen kann. Als Gegenpol zur Instanz der Regierung wird dieses akklamierende Volk wohl kaum anzusehen sein. Es wird vielmehr, wie schon bei der Wahl und dem Sachentscheid deutlich wurde, zum handhabbaren Faktor in der Hand derer, die die Sachfragen entscheiden. Wird dieser Sachverhalt in der Verfassungslehre durch den Begriff der Identität verbrämt, so ist er in der Schrift zur Lage des Parlamentarismus deutlich dargelegt. Identität wird als "nicht handgreifliche Wirklichkeit" bezeichnet, weil man "niemals eine absolute, unmittelbare, in jedem Augenblick in realitate präsente Identität erreichen"73 kann. Es handelt sich demnach nicht um Identität, sondern um Identifikation74 und somit rückt die Frage der Willensbildung ins Zentrum der Problemstellung75 . Diese wird von Schmitt aber dahingehend angegangen, daß er danach fragt, wie das Volk dahin gebracht werden kann, daß es seinen eigenen Willen richtig erkennt, richtig bildet und richtig äußert76 . Es geht um die Frage, "wer über die Mittel verfügt, um den Willen des Volkes zu bilden"77. Als Mittel werden dabei angesehen "militärische und politische Gewalt, Propaganda, Herrschaft über die öffentliche Meinung durch Presse, Parteiorganisationen, Versammlungen, Volksbildung und Schule"78. Nimmt man die späteren Vgl. Verfassungslehre, S. 246, 242. Vgl. Volksentscheid und Volksbegehren. Ein Beitrag zur Auslegung der Weimarer Verfassung und zur Lehre von der unmittelbaren Demokratie, Berlin - Leipzig 1927, S. 34. 68 Vgl. Verfassungslehre, S. 245, 280{281. 611 Verfassungslehre, S. 244; Volksentscheid und Volksbegehren, S. 35. 70 Verfassungslehre, S. 246/247. 71 Die geistesgeschichtliche Lage, S. 47. 72 Ebd., S. 22. 73 Ebd., S. 35. 74 Ebd. 76 Ebd., S. 36. 76 Ebd., S. 37. 77 Ebd. 78 Ebd., S 37/38. 68
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Aussagen hinzu, die die Schule, Rundfunk und Film als Machtmittel des Staates bezeichnen79 , so wird deutlich, daß es sich hier um eine einsinnige Willensbildung handelt. Die Bildung eines Volkswillens als eigenständiger Faktor ist nicht das Ziel dieser Mittel. Ausdrücklich wird akzeptiert, daß "die politische Macht den Willen des Volkes, aus dem sie hervorgehen soll, selber erst bilden"80 kann. Identifikation ist so zur alleinigen Aufgabe politischer Macht geworden, deren Herstellung ist ihre Aufgabe. "Echte Macht bewirkt echten Konsens"81 hierauf läuft die Lösung der Identitätsproblematik hinaus. Zwar wird auch die Möglichkeit "echter Konsens bewirkt echte Macht"82 theoretisch akzeptiert, da es aber falsch sei, "echten Volkswillen in einen begrifflichen Gegensatz zur politischen Macht des Staates zu bringen" und normalerweise "jedes Volk mit seiner eigenen politischen Existenz auch einen eigenen starken und mächtigen Staat"83 wolle, ist das Verhältnis von Konsens und Macht für Schmitt wohl auf die Situation sich effektiv durchsetzender Macht beschränkt84 •
a3) Die Identität von Repräsentation und Identität überblickt man die Darlegungen Schmitts zum Prinzip der Identität, so erweist es sich als unpolitisches Prinzip. Als substanzhafte Gleichheit eingeführt, wird sie strikt aus dem Bereich politisch-sachlicher Entscheidungen herausgehalten. Identität als Vertrauenszuweis, als Akklamation; demokratische Einrichtungen wie Wahlen und Volksentscheid werden dementsprechend interpretiert. Politische Macht ist absolut, sie ist sachlich unabhängig vom Volk konzipiert. Die Forderung, die sich aus der Schmittschen Bestimmung der Demokratie ergibt, in der Homogenität des Volkes zu bleiben, kann nicht als 'Gegengewicht angesehen werden, wird doch die Manipulierbarkeit des Volkes explizit akzeptiert, wie bei der Abhandlung des Volksentscheids oder implizit in der Forderung nach massenhafter Akklamation für die politisch Mächtigen. Die Mittel zur Willensbildung des Volkes werden ausdrücklich als Machtmittel des Staates eingeführt. Identität wird nicht nur auf Identifikation reduziert, sondern schließlich zum Aspekt absoluter 18 Schmitt, Machtpositionen des modernen Staates (in: Deutsches Volkstum, 15, 1933, S. 225 - 30), wieder abgedruckt in: Verfassungsrechtliche Aufsätze aus den Jahren 1924 - 1954, Berlin 1958, S. 368/369 (weiterhin zitiert: Machtpositionen). 80 Die geistesgeschichtliche Lage, S. 38. 81 Machtpositionen, S. 370. 82 Ebd. 83 Ebd. 84 Durch den abundanten Gebrauch des Adjektivs "echt" wird von Schmitt eine Eigentlichkeitssphäre behauptet, die doch nur zur Kaschierung nicht thematisierter Bedingungsverhältnisse dient; vgl. hierzu auch Mantl, Repräsentation und Identität, S. 134.
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Macht degradiert, einer Macht, die sich Akklamation und Vertrauen des Volkes zu organisieren weiß. Womit dann Demokratie eine "res populi ohne popUIUS"85 geworden ist. Nicht von ungefähr wird sie ja auch als mit der Diktatur vereinbar angesehen86 . Die politische Macht in der Demokratie erweist sich als genauso absolut, wie die Regierung im repräsentativen Staat87 . Der einzige Unterschied ist darin zu sehen, daß die Macht in der Demokratie sich das Vertrauen des Volkes zu schaffen hat. Dies liegt nach Schmitt darin begründet, daß der demokratische Gedanke einer Identität mit dem Volkswillen allgemeine Prämisse geworden ist, der eine ähnliche Bedeutung zukommt wie zuvor der Rechtfertigung der Obrigkeit durch den Bezug auf Gott 88 . Macht muß erst unter veränderten Bedingungen zur Autorität werden, zur manipulierten Autorität, wie man zur Verdeutlichung hinzufügen muß89. Sie muß erst das herstellen, was dem Repräsentanten von vornherein zukam. Die Behauptung der Transzendenz, d. h. der Repräsentation einer vorgängigen Volkseinheit, wird so zur Behauptung von Immanenz, zur manipulativ hergestellten Akklamationsstimmung. Es geht Schmitt allein um effektiv sich durchsetzende Macht im Staat90 , Repräsentation und Identität bezeichnen nur die geschichtlich bedingten unterschiedlichen Durchsetzungsweisen absoluter Macht. Sachlich fallen Repräsentation und Identität zusammen91 . Die geschichtlich neuere Form identitärer Machtentfaltung als "Stimmungsdemokratie"92 zu bezeichnen, kommt dann schon einer Verharmlosung gleich, denn demokratische Elemente sind gemäß dem Schmittschen Identitätsbegriff in seiner Lehre nicht auszumachen. Wie die Analyse der Identität gezeigt hat, geht Schmitt eben nicht von einer politisch aktionsfähigen Einheit des Volkes aus93 , sondern nur von einer akklamationsbereiten Masse. 85 Schmitt ist also einer von ihm selbst aufgezeigten Gefahr prinzipiell erlegen; vgl. Verfassungslehre, S. 215. 86 Die geistesgeschichtliche Lage, S. 37, 41. 87 Vgl. hierzu schon Fijalkowski, Die Wendung zum Führerstaat, S. 177. 88 Die geistesgeschichtliche Lage, S. 38, 41. 89 Vgl. die Andeutung Schmitts für diese Interpretationsmöglichkeit, in: Verfassungslehre, S. 76 Anm. 15 zu S. 75, die Definition von Macht und Autorität ebd., S. 76 Anm. 15. 90 Vgl. Sontheimer, Zur Grundlagenproblematik der deutschen Staatsrechtslehre in der Weimarer Republik, in: ARSP, 46, 1960, S. 57. 91 Vgl. Hofmann, Legitimität gegen Legalität, S. 152 - 154; Fijalkowski, Die Wendung zum Führerstaat, S. 176, 180; siehe auch Mantl, Repräsentation und Identität, S. 148, hier auch der geschichtliche Bezug für die Unterscheidung von Repräsentation und Identität. 92 So bei Fijalkowski, Die Wendung zum Führerstaat, S. 178. 93 So jedoch Fijalkowski, Die Wendung zum Führerstaat, S. 178.
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Repräsentation und Identität sind bei Schmitt eben keineswegs Prinzipien der Staatsformen9 4, sondern nur Weisen von Machtentfaltung. Die anfängliche theoretische Darlegung beider Prinzipien, die sowieso in sich nicht stimmig war, wird alsbald bei Schmitt bedeutungslos. Es wird nur noch auf die Bestimmung als Maximum oder Minimum der Regierung abgehoben. So findet sich z. B. die Bestimmung der Demokratie als allgemeine Repräsentation nicht mehr bei der Abhandlung demokratischer Identität wieder. Zwar werden die Überlegungen der Verfassungslehre im Duktus einer Theorie dargeboten, doch nicht nur wegen ihrer unbewiesenen Behauptungsthesen, sondern von der gesamten inhaltlichen Abhandlung her wird man ihr die theoretische Qualität als auch die einer Verfassungslehre absprechen müssen. Nicht Theorie, sondern konsequente Ausfaltung des Gedankens absoluter Staatsmacht unter verschiedenen Titeln ist Inhalt der Schmittschen Lehre. Da aber diese ihre Eigenart kaschiert ist, und sie im Gewande einer Theorie präsentiert wird, wird man sie als Ideologie staatlicher, absoluter Macht einzustufen haben. Dieses weist eindeutig der Schmittsche Verfassungsbegriff auf, der im folgenden behandelt werden soll. b) Verfassungslehre als Machtstaatskonzeption
Die Darlegungen Schmitts zum Begriff der Verfassung, mit denen die Verfassungslehre beginnt95 , scheinen nun jedoch einer theoretischen Erörterung zu entsprechen. Werden doch verschiedene Begriffe von Verfassung abgehandelt, so daß an sich eine begründete und nach verschiedenen Seiten abgesicherte Herleitung des Schmittschen Verfassungsverständnis zu erwarten wäre. Folgt man aber der inhaltlichen Gedankenführung, so erweist sich der theoretische Aspekt lediglich als verbrämende Hülle einer einsinnigen Ausfaltung des Schmittschen Verfassungsbegriffs. Bei den von Schmitt dargelegten Verfassungsbegriffen handelt es sich einmal nur um Begriffe im allgemeinsten, d. h. nicht wissenschaftlichen SinneD6 , das andere Mal um den normativen Begriff der Kelsen-Schule D7 . Eine Auseinandersetzung mit letzterem erfolgt jedoch nicht, ihm wird schlicht ein wahrer Verfassungsbegriff entgegengehalten, so daß jener eben falsch sein mußDS. Auch der angeführte relative Verfassungsbegriff wird konsequent vom 94 Vgl. auch den Nachweis der Unmöglichkeit von Repräsentation und Identität als Formprinzipien bei: Kraft-Fuchs, Margit, Prinzipielle Bemerkungen zu earl Schmitts Verfassungslehre, in: Zeitschrift für öffentliches Recht, 9, 1930, S. 517/518. 95 §§ 1 - 4, S. 3 - 41. 98 Verfassungslehre, S. 3 - 7. 87 Ebd., S. 7 - 11. 88 Ebd., S. 9: "In Wahrheit gilt eine Verfassung ... "
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eigenen Verständnis der Verfassung aus interpretiert99 • Schmitts Verfassungslehre erweist sich auch an dieser Stelle nur als konsequente Darlegung seiner Ansicht, vorgetragen im Gewande einer theoretischen Abhandlung. In der Behauptung eines "wahren" Verfassungsbegriffs gegenüber der positivistischen Lehre läßt sich sehr gut die Charakteristik dieser Lehre ablesen.
bl) Schmitts Verjassungslehre als Komplement des Positivismus Der Kelsensche Begriff der Verfassung als Grundnorm wird von Schmitt deshalb abgelehnt, weil aus der Richtigkeit von Normen ihre positive Gültigkeit nicht abzuleiten sei. Erst durch positive Anordnung eines existierenden Willens könnten sie zur geltenden Norm werden100 . Schmitt hebt hier zu Recht auf das Problem der Gültigkeit und der Geltung ab, verengt es aber sofort, indem er nur noch auf die Geltung abhebt, sie absolut setzt und die Frage der Gültigkeit der Verfassung, d. h. ihrer normativen Richtigkeit, als irrelevant erklärt101 . Die Unterscheidung von Gültigkeit und Geltung, die Schmitt als Korrektur am Normativismus Kelsens für notwendig erachtet, gerät ihm so zur absoluten Disjunktion. In seiner Schrift "Politische Theologie"102, in der Schmitt ausführlicher auf diese Frage eingeht, wird die Separierung beider Ebenen noch deutlicher. Rechts-Ordnung wird in die Begriffe Recht und Ordnung gespalten, wobei das Recht als Norm ein "homogenes Medium", die Ordnung zur Voraussetzung habe. Norm brauche Ordnung, um überhaupt wirksam werden zu können; Recht degeneriert so zum Situationsrechtl°3 • Die Wirklichkeit ist nicht unter die Rechtsdiee subsumierbar, es bedarf einer Entscheidung, die "normativ betrachtet, aus einem Nichts geboren"lo4 ist. Es zeigt sich hier das Zentralproblem Schmitts, wie es schon seine Erstlingsschriften behandelt hatten105, das Problem der Rechts- oder allgemeiner der Normverwirklichung. Norm setze Normalität voraus, ohne sie erlange sie keine Geltung. Damit sind nicht VgI. ebd., S. 11 - 20. Verfassungslehre, S. 9. 101 Ebd., S. 9; vgI. auch S. 10: "Die Einheit und Ordnung liegt in der politischen Existenz des Staates, nicht in Gesetzen, Regeln und irgendwelchen Normativitäten." 102 Vier Kapitel zur Lehre von der Souveränität, München, Leipzig 1922, hier zitiert nach der 2. AufI. 1934 (weiterhin zitiert: Politische Theologie). 103 Vgl. Politische Theologie, S. 19 - 20. 104 Ebd., S. 42. 105 Schmitt, Gesetz und Urteil Eine Untersuchung zum Problem der Rechtspraxis, Berlin 1912; ders., Der Wert des Staates und die Bedeutung des Einzelnen, Tübingen 1914; vgl. hierzu Hofmann, Legitimität gegen Legalität, S. 32 - 84. 99
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nur Ordnung und Recht getrennt, sondern der normierende Einfluß der Norm auf die Wirklichkeit ist verleugnet. Ordnung wird zur normlosen Voraussetzung und Grundbedingung für die Norm, sie tritt damit ins Zentrum des wissenschaftlichen Interesses. Aufgabe der Wissenschaft müsse es deshalb sein, die Bedingungen der Ordnung zu erforschen. Im Denken von der Ausnahme her sollen diese sich erschließen; die Aus~ nahme erweist sich als Aufschluß der Eigentlichkeit, ihr komme die gleiche Stellung zu wie dem Wunder in der Theologie106. Durch die alleinige Ausrichtung auf Ordnung wird eine Wertrationalität nicht erfaßt. Da Ordnung strikt von der Norm getrennt ist, ist dieses Denken nur zweckrational ausgerichtett0 7 • Im staatlichen Bereich bedeutet dies, es geht allein um Ordnung, wie immer sie auch hergestellt sein mag, um faktische Ordnung, und das kann auch Diktatur bedeuten108. Es zeigt sich also, Schmitt wendet sich bewußt gegen den Positivismus 10D , gegen dessen Subsumptionsmechanismus. Gegen die von ihm beim Positivismus diagnostizierte und von diesem behauptete reine Normativität hebt Schmitt allein auf die Geltung ab. Norm und Ordnung werden auseinanderdividiert, Wertrationalität und Zweckrationalität werden isoliert. Allein die Frage der Ordnung, der Geltung interessiert. Damit bleibt Schmitt jedoch in seiner Negation der Posi~ tion des Rechtspositivismus verhaftet. Die Lehre des staatsrechtlichen Positivismus hat sich ja eben nicht als diese von jeder Geltung abge~ hobene Normlehre erwiesen, sondern sowohl bei Gerber und Laband wie auch auf formaler Ebene bei Kelsen, als abstrakte Kodifizierung und Systematisierung dessen was war; Faktisches wurde zur Norm erhoben. Gerade bei Kelsen hatte die Bestimmung der Gültigkeit von der Geltung her eindeutig nachgewiesen werden können llO • Indem nun Schmitt dieser Lehre gegenüber allein die Geltungsfrage betont, wählt er den gleichen Themenbereich wie die von ihm abgelehnte Lehre. Dadurch, daß er diesen nicht wie der staatsrechtliche Positivismus systematisierend zu erfassen sucht, sondern dessen Bedingungen der Ordnung eruieren will, unterscheidet er sich zwar vom staatsrechtlichen Positivismus, doch erweist sich seine Lehre nur "als Komplement des positivistischen Normativismus (vornehmlich desjenigen Kelsenscher 106 Vgl. Politische Theologie, S. 22, 49; eine erkenntnistheoretische Kritik dieser Parallelisierung bei Kodalle, Politik als Macht und Mythos, S. 44 - 48. 107 Vgl. Hofmann, Legitimität gegen Legalität, S. 76. 108 Ebd., S. 69; in diesem Zusammenhang der Trennung von Norm und Ordnung, und nur in diesem, ist die Definition der Souveränität als Entscheidung über den Ausnahmezustand zu verstehen und zu bewerten, trotz ihrer apodiktischen und fanfarenartigen Verkündigung zu Beginn der Politischen Theologie, S. 11. 109 Vgl. Hofmann, Legitimität gegen Legalität, S. 23, 41. 110 Siehe oben Teil III, 1 b, die Rückführung des Sollens auf das Sein.
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Prägung)" 111. Fehlende Auseinandersetzung mit der Staatslehre des Positivismus verhindert, daß die Staatslehre eine erneut tiefergehende Dimension gewinnt. In der Negation bleibt die Schmittsche Lehre vielmehr der abgelehnten Staatslehre verhaftet. Losgelöst von jeglicher Norm reduziert sich Schmitts Lehre allein auf die aus der Ausnahme sich irrational herleitende Entscheidung, Staat kann nicht Vermittlung von Norm und Realität bedeuten, er bestimmt sich allein als Überwind er des Chaos, als Garant der Ordnung 112. Staat wird allein als diese Macht zur Ordnung gefaßt. Er ist nur Staat in dieser Wirkmächtigkeit, er ist Machtstaat. Durch die antipositivistische Haltung Schmitts, die sich gemäß seinem Verständnis des Positivismus durch die Ausklammerung jeglichen Normaspekts auszeichnet, reduziert sich bei ihm schließlich Staat auf Macht. Damit parallel reduziert sich methodisch seine Theorie zur Lageanalyse. Ist nämlich Gültigkeit auf Geltung reduziert, entfällt jede normative Erörterung. Die Wirkmächtigkeit der Norm in der Wirklichkeit entscheidet allein über ihre Bedeutung. Von daher Schmitts häufige Untersuchungen zur "Lage"113, sein Bestreben, - worauf vor allem Hofmann verwiesen hat, - auf der Höhe der Zeit zu sein, sich selbst zu verorten114. Doch wird man dies kaum als "Philosophieren ... aus der Faktizität einer konkreten historischen Machtlage heraus"115 bezeichnen können, lassen sich doch außer der Ausrichtung auf die ordnende Macht keine objektiven Kriterien ausmachen. Die Entscheidung wird arbiträr und durch die Ausrichtung auf die Macht ideologisch. Eine Charakteristik, die sich in der Schmittschen Bestimmung der Verfassung und Verfassungsgebung bestätigen wird.
b2) Verfassungsgebung als sich durchsetzende effektive staatliche Macht Verfassung kann nach Schmitt gemäß seinem Antipositivismus nur Entscheidung sein, sie ist vor der Ebene der Normierung anzusetzen118 • Sie ist Willensentscheid, die Frage der Legitimität ist an sie nicht zu richten, denn alles "was als politische Größe existiert, ist, juristisch be111 Hofmann, Legitimität gegen Legalität, S. 78; vgl. auch schon Krupa, Hans, Carl Schmitts Theorie des "Politischen", Leipzig 1937, S. 28, 29, 39. 112 Hofmann, Legitimität gegen Legalität, S. 78; Stolleis, Michael, Carl Schmitt, in: Sattler, Martin J. (Hg.), Staat und Recht. Die deutsche Staatslehre im 19. und 20. Jahrhundert, München 1972, S. 131. 113 Siehe Hofmann, Legitimität gegen Legalität, S. 85. 114 Ebd., S. 88/89. 115 So Hofmann, ebd., S. 12. 116 Verfassungslehre, S. 20, 22 - 23.
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trachtet, wert daß es existiert"117. Die Unableitbarkeit dieses Willens hat also eine positivistische Einstellung der Wirklichkeit gegenüber zur Folge 118 • Als derartige Totalentscheidungen des politischen Willens werden aus der Weimarer Reichsverfassung die Entscheidungen, daß die Staatsgewalt vom Volk ausgehe und der Staat eine Republik sei, angegeben 119 • Diese machen die Verfassung im positiven Sinne, den Grund aller Verfassungsgesetze aus. Ist diese Entscheidung eine rein existentielle Entscheidung, d. h. nicht normiert oder objektiven Kriterien folgend, so ist um so bedeutsamer, wie sie eigentlich entsteht. Durch einen Akt der verfassungsgebenden Gewalt werde sie begründet. "Dieser Akt konstituiert Form und Art der politischen Einheit, deren Bestehen vorausgesetzt wird 120." Schmitt geht also von einer vorgängigen Einheit aus, die in der Verfassung nur "die bewußte Bestimmung der besonderen Gesamtgestalt"121 erhalte. Ausdrücklich wird die Lehre vom Sozialvertrag als für diese Verfassungslehre vorgängig bezeichnet122. Inwieweit diese Einheit jedoch als ein Abgehen vom dezisionistischen Formalismus angesehen werden kann, diese Einheit also als Substanz der Verfassung verstanden werden kann und muß, wie es z. B. Hofmann sieht123, bedarf zunächst einer näheren Klärung dieses Einheitsbegriffs. Bei der Verfassungsgebung kommt ihr nämlich keine Funktion zu. "Immer aber gehört zu dieser Verfassungsgebung ein handlungsfähiges Subjekt, das sie mit dem Willen gibt, eine Verfassung zu geben. Eine solche Verfassung ist eine bewußte Entscheidung, welche die politische Einheit durch den Träger der verfassunggebenden Gewalt tür sich selber trifft und sich selber gibt 124 ." Es handelt also ein Subjekt, das eine Verfassung gibt, weil es eine geben will; sein Verhältnis zur politischen Einheit, auf die die Verfassung bezogen wird, bedarf deshalb einer 117 Ebd., S. 22; zur Frage der Legitimität bezüglich des Staates als Einheit des Volkes siehe grundsätzlich ebd., S. 89. 118 Diese Einordnung muß auch auf Grund der Schmittschen Terminologie erfolgen, vgl. seine Bestimmung des Positivismus in: Verfassungslehre, S. 9: "etwas gilt, wenn es gilt, und weil es gilt. Das ist ,Positivismus"'. 119 Verfassungslehre, S. 24. 120 Ebd., S. 21. 121 Ebd., S. 21; vgl. auch ebd., S. 44 die Unterscheidung von Verfassung als unmittelbar mit dem Staat gegebenen Gesamtzustand im Unterschied zur Verfassung im positiven Sinne als besondere Existenzform; siehe auch in diesem Zusammenhang ebd., S. 45 die Abhebung dieses Verfassungsbegriffs gegenüber dem des Mittelalters; sowie ebd., S. 50 die Voraussetzung einer politischen Einheit des Volkes im Fall der französischen Verfassungsgebung 1789. 122 Verfassungslehre, S. 61. 123 Hofmann, Legitimität gegen Legalität, S. 136 - 141, bes. S. 136, der hier eine grundlegende Zwiespältigkeit zu konstatieren glaubt. 124 Verfassungslehre, S. 21.
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näheren Bestimmung. Diese Beziehung beschränkt sich allein auf die Effektivität, denn "verfassunggebende Gewalt ist der politische Wille, dessen Macht oder Autorität imstande ist, die konkrete Gesamtentscheidung über Art und Form der eigenen politischen Existenz zu treffen"125. Der Akt der Verfassungsgebung ist nicht eine Normierung, sondern Befehp26. Dieser kann nicht anders legitimiert werden als dadurch, daß "die Macht und Autorität der verfassunggebenden Gewalt, ... , anerkannt ist"127, d. h., daß "das Subjekt der verfassunggebenden Gewalt Art und Form dieser Existenz bestimmen kann"128. Wird der Befehl befolgt, ist er legitim; Effizienz wird so mit Legitimität kongruent. Es beweist sich erneut der Schmittsche Positivismus, sich durchsetzende Macht wird mit dem Willen der politischen Einheit identifiziert. Verfassungsgebung reduziert sich auf den Machtaspekt. Als Subjekt der verfassungsgebenden Gewalt werden für die Neuzeit der Monarch und das Volk genannt129 , deren Funktion dabei gemäß den ,Prinzipien' von Repräsentation und Identität bestimmt gesehen werden l30 . Die übereinstimmung mit der Interpretation der verfassungsgebenden Gewalt allein als sich effektiv durchsetzende Macht ist im Fall des verfassunggebenden Monarchen evident. Der Monarch erläßt die Verfassung "aus der Fülle seiner Macht", sie wird "durch einseitigen Akt oktroyiert"131. Die Legitimität dieser Verfassung beruht allein auf der monarchischen Autorität, der Monarch ist der allein bestimmende132 • Demgegenüber beruht die Legitimität der Verfassung bei der Verfassungsgebung durch das Volk auf "dem freien Willen des Volkes"133, womit die Interpretation der reinen Machtorientierung bei Schmitt zunächst nicht in übereinstimmung zu bringen zu sein scheint. Eine inhaltliche Analyse der Funktion des Volkes führt jedoch zu anderen Ergebnissen. Zunächst wird das Volk als Träger der verfassungsgebenden Gewalt ausdrücklich als nicht organisierte Instanz bestimmt. Unmittelbarkeit der Willensäußerung müsse ihr Charakteristikum sein. Die diesem Volk allein eigene Form der Willensäußerung sei die Akklamation, es kann nur zustimmen oder ablehnen, nur ja oder nein sagenl34 . 125 Ebd., S. 75 (im Original gesperrt gedruckt). 128 Ebd., S. 76. 127 Ebd., S. 87. 128 Ebd. 129 Vgl. ebd., S. 63, 82, 88, 90. 130 Vgl. die Formulierung ebd., S. 63; vgl. auch die ausdrückliche Bezugnahme der Lehre über Repräsentation und Identität (S. 205) auf die Lehre von der verfassungsgebenden Gewalt, ebd., S. 82. 131 Verfassungslehre, S. 82. 132 Ebd., S. 90. 133 Ebd. 134 Ebd., S. 82 - 84.
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Damit ist es abhängig von Fragestellungen, d. h. letztlich von dem der die Fragen stellt135 • Die eigentlich entscheidende Macht bei der Verfassungsgebung kann deshalb nicht das Volk sein136. Da diese Akklamation durchaus auch als "stillschweigende Zustimmung des Volkes" ausfallen kann, das heißt als "bloße(n) Beteiligung an dem durch eine Verfassung bestimmten öffentlichen Leben"137, wird die Bedeutung des Volkes für die eigentliche Entscheidung der Verfassungsgebung deutlich. Hierauf hat es keinen Einfluß, es erweist sich lediglich als Resonanzboden für die verfassungsgebende Gewalt. Politische Macht wird bei demokratischer Legitimität erst zur Autorität, wenn ihr ausdrücklich oder stillschweigend aklamiert wird. Wie vage und substanzlos diese Funktion des Volkes gesehen wird, wird darin deutlich, daß aus stillschweigender Zustimmung unabhängig von der Art der Verfassung auf ihre demokratische Legitimität geschlossen werden kann138. Selbst wenn die Verfassungsgebung durch das Volk nicht akzeptiert ist, wie z. B. 1871, erscheint Schmitt "die nachträgliche Konstruktion einer demokratischen Grundlage keine Fiktion"139. Funktionierende Verfassung wird mit demokratischer Verfassung gleichgesetzt; Verfassungsgebung bedeutet demnach auch bei demokratischer Legitimität bei Schmitt allein sich effektiv durchsetzende politische Macht. Da die Problematik der Verfassungsgebung ausdrücklich in Bezug auf die Lehre von Repräsentation und Identität verstanden wird, ergibt sich hier eine gegenseitige Bestärkung der Interpretation der Verfassungslehre Schmitts als Konzentration auf absolute Macht. Denn diese verfassungsgebende Gewalt bleibt stets erhalten14o , sie kann stets die Verfassung aufheben, wohingegen der gesetzmäßigen Verfassungsänderung enge Grenzen gezogen sind141 . Nicht friedliche Verfassungsentwicklung wird akzeptiert, sondern allein revolutionärer Umsturz142 , d. h. grundlegende Gestaltung von oben. Sucht man bei Schmitt aber nach einer näheren Bestimmung der Einheit, die ja durch die Verfassungsgebung nur in ihrer Form bestimmt 135 Vgl. ebd., S. 84 den ausdrücklichen Bezug auf die Abhandlung über die Öffentliche Meinung (§ 18, S. 246), wo diese als "von Parteien oder Gruppen beeinflußt und auch gemacht" (S. 247) verstanden wie auch die Möglichkeit gesehen wird, "daß unsichtbare und unverantwortliche soziale Mächte die öffentliche Meinung und den Willen des Volkes dirigieren" (S. 247). 136 Vgl. oben die Darlegungen zur Akklamation, Teil IH, 2, a2. 137 Verfassungslehre, S. 91. 138 Ebd., S. 91, 95. 139 Ebd., S. 95. 140 Ebd., S. 77, 91. 141 Ebd., S. 103. 142 Vgl. ebd., S. 92; siehe hierzu auch Fuchs, Richard, earl Schmitts Verfassungslehre, in: Juristische Wochenschrift, 60, 1931, S. 1661.
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Teil III: Weimar: Repräsentation als verfehltes Phänomen
wird, so läßt sich hierüber keine Aussage finden. Eingeführt wird sie als Voraussetzung für die Verfassungsgebung und auch im weiteren wird sie nicht näher qualifiziert. Da sich die Darlegungen zur Verfassungsgebung allein auf die verfassungsgebende Gewalt beschränken, ist sie schließlich nur als Voraussetzung oder Bedingung dieser Gewalt faßbar. Innerhalb dieser Einheit, muß die politische Gewalt sich als Autorität erweisen, d. h. als effektive Macht. Politische Einheit wird so zur Bedingung der Machtdurchsetzung. Damit kann sie aber nicht als substantielle Bedingung der Verfassung gefaßt werden. Denn da das Volk auf Akklamation reduziert ist, und diese durchaus manipulativ gehandhabt werden kann, bedeutet schließlich demokratische Legitimität gegenüber der monarchischen nur, daß die behauptete Transzendenz durch behauptete Immanenz ersetzt ist 143. Eine sachlich entscheidende Bedeutung ist für diese politische Einheit nicht auszumachen. Es geht Schmitt um absolute politische Macht, um deren Durchsetzung, ohne daß sie als absolute Macht eingeschränkt wird. Bezüglich dieser Problematik bei Schmitt spricht Wohlgemuth von einer antizipierten politischen Einheit, die auf einer Vermengung von normativem Begriff und soziologischem Faktum beruhend, schließlich nur noch als "passive ,Befolgungseinheit"'144 faßbar ist. Nicht zu Unrecht hat Kodalle hierfür den Begriff "repressive politische Einheit"145 verwandt. Denn die politische Einheit wird nicht näherhin analysiert und politisch gefaßt, so daß sie, nur als Voraussetzung eingeführt, allein von der sie bestimmenden Macht in der Theorie Schmitts faßbar wird. Geschichtlich wird sie als durch die "Geschlossenheit der absoluten Monarchie" oder als weiteres Beispiel durch die Insellage Englands begründet gesehen146 • Eine Einheit, die trotz Verfassungs änderung erhalten bleibt, da sie völkerrechtlich anerkannt ist 147 • Dem Begriff der politischen Einheit kommt also kein Inhalt unabhängig von der sie bestimmenden Macht zu, nur von dort her als deren Rahmen und Bedingung ist sie faßbar. Eine Klärung der Frage was der Staat sei, wird man bei Schmitt vergeblich suchen, wie auch die Frage nach dem Verhältnis von persönlicher Freiheit und staatlicher Macht Schmitt fremd ist148 • Zwar sieht Hofmann die Frage "nach der Legitimität öffentlicher Macht"149 als das Zentralthema Schmitts an, doch muß auch er konstatieren, daß 143
Vgl. hierzu oben Teil III, 2, a3.
lU
Wohlgemuth, Heinrich, Das Wesen des Politischen in der heutigen deut-
schen neo romantischen Staatslehre. Ein methodenkritischer Beitrag zu seiner Begriffsbildung (Diss. jur. Erlangen 1932), Emmendingen 1933, S. 173 (weiterhin zitiert: Das Wesen des Politischen). 145 Kodalle, Politik als Macht und Mythos, S. 8I. 146 Verfassungslehre, S. 50. 147 Ebd., S. 93. 148 Vgl. hierzu Ridder, Ex oblivione malum, S. 312.
2. Schmitt: Repräsentation, Identität und absolute Staatsmacht
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sie sich bei Schmitt "verengt ... auf die Frage nach Art und Form der jeweiligen Herrschaftsordnung, ohne also deren Existenz, das Daß der Herrschaftsordnung miteinzubeziehen" 150. Schmitts Lehre ist nicht als Staatstheorie einzustufen. In ihrer ausschließlichen Konzentration allein auf autoritäre staatliche Macht1 51 wird man sie nur als Lehre von eben dieser absoluten Staatsrnacht begreifen können. Zur Ideologie dieser Macht wird sie nicht allein dadurch, daß sie sich im Gewande und im Duktus einer Theorie darstellt l52 , sondern daß sie tatsächlich die Qualität als Theorie von allgemeiner grundlegender Bedeutung für sich in Anspruch nimmt und behauptet153 • Ohne objektive Kriterien in der Lehre aufweisen zu können1S4 , wird hier die Behauptung objektiver Gültigkeit aufgestellt; die Frage, ob Theorie oder Ideologie, ist deshalb zu Gunsten der letzteren Möglichkeit eindeutig zu entscheiden155. Die ideologische Qualität dieser Lehre zeigt sich eindeutig in ihrer Anwendung auf die Verfassung der Weimarer Republik in der Schrift "Der Hüter der Verfassung". Darin werden Pluralismus, Polykratie und Föderalismus als "Gegensatz gegen eine geschlossene und durchgängige staatliche Einheit"156 dargestellt, als Anachronismus im Zeitalter des totalen Staates 157 , die der staatlichen Problemstellung nicht mehr gerecht werden können. Wobei sogar dieser Lehre entgegenstehende objektive Tatbestände einfach hinweginterpretiert werden158. Aufgabe der Zeit müsse es deshalb sein, die List der Einheitsbildung vom Parlament auf einen anderen Schauplatz zu verlegen159 . Des weiteren wird eine Tendenz zur Neutralisierung der Politik konstatiert, eine Tendenz, die als "Entparteipolitisierung"160 verstanden wird und "in einer sachlich-informierten, das Interesse des Ganzen im Auge behaltenden, ent149 Hofmann, Legitimität gegen Legalität, S. 16; ähnlich Würtenberger, Die Legitimität staatlicher Herrschaft, S. 269. 150 Hofmann, Legitimität gegen Legalität, S. 145. 151 Vgl. hierzu schon Sontheimer, Kurt, Carl Schmitt, Seine "Loyalität" gegenüber der Weimarer Verfassung, in: NPL, 3, 1958, S. 764. 152 In kritischer Stellungnahme hierzu bereits Voegelin, Erich, Die Verfassungslehre von Carl Schmitt. Versuch einer konstruktiven Analyse ihrer staatstheoretischen Prinzipien, in: Zeitschrift für öffentliches Recht, 11, 1931,
S. 108 - 109.
Vgl. Verfassungslehre, S. X - XI. So Laufer, Das Kriterium politischen Handeins, S. 87. 155 Vgl. Laufer, Das Kriterium politischen Handeins, S. 91 j zum Ideologiebegriff siehe oben die allgemeine Einleitung. 158 Der Hüter der Verfassung, S. 71. 157 Ebd., S. 73 - 96. 158 Ebd., S. 95j Zur Kritik dieser Analyse siehe grundsätzlich den folgenden Abschnitt c über die Liberalismuskritik von Schmitt. 159 Der Hüter der Verfassung, S. 101. 180 Ebd., S. 110. 153
154
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Teil III: Weimar: Repräsentation als verfehltes Phänomen
scheidungsfähigen Politik"161 kumulieren soll. Betrieben werden soll diese Politik sodann vom Reichspräsidenten, nachdem zuvor die militärisch-polizeiliche Kompetenz des Art. 48 Weimarer Reichsverfassung (WRV) in einer juristischen Erörterung um die wirtschaftlich-finanzielle Zuständigkeit erweitert wurde 162. Für die Ausführung dieser von Schmitt angestrebten Ganzheitspolitik erweise sich der Reichspräsident deshalb als geeignet, da er nach Art. 41 WRV vom ganzen Volk gewählt werde163 . Wie schon Kelsen nachgewiesen hat, wird hier von Schmitt eine Symbolfunktion real gesetzt und so zur politischen Wirkfunktion uminterpretiert l64 . Diese gelingt dadurch, daß die Bestimmung des Art. 41 WRV hypostasiert wird, denn in Wirklichkeit ist der Reichspräsident eben nur von einer Mehrheit gewähW85 . Ihn deshalb zum Mittelpunkt eines plebiszitären Systems in der Weimarer Verfassung und damit als Garant dieser Verfassung gegenüber einem funktionslos werdenden pluralistischen System zu erklären, kann nicht mehr als positivrechtliche Interpretation verstanden werdenl66 . Das Auseinanderdividieren zweier Systeme in der Weimarer Verfassung, indem eines als Zerstörer, das andere als Hüter der Verfassung apostrophiert wird, wird erklärlich nur aus dem Schmittschen Verfassungsverständnis. "Es ist der Sinn jeder vernünftigen Verfassung, ein organisatorisches System zu geben, das eine staatliche Willensbildung und eine regierungsfähige Regierung ermöglichtI87 ." Mit diesem Prinzip einer eigentlichen Bedeutung der Verfassung und der theoretisch ausgebreiteten Feststellung der Nichterfüllung dieser Forderung im pluralistischen System gelangt Schmitt zu einer überinterpretation der Stellung des Reichspräsidenten l8B . Der Verfassung wird von Schmitt seine Vorstellung einer identitären Demo~ kratie übergestülpt, wobei diese Interpretation, da dem angeblichen eigentlichen Sinn der Verfassung entsprechend, als systemimmanent erscheint. In Wirklichkeit jedoch beherrscht, wie die Formulierung des eigentlichen Sinns der Verfassung eindringlich belegt, die Vorstellung einer starken politischen Macht, der Zentralaspekt des Schmittschen Denkens, die gesamte Auseinandersetzung mit der Weimarer Verfassung. Indem diese Vorstellung aber als eigentliche Bedeutung der Verfassung und so die Bestimmung des Hüters als verfassungsimmanent Ebd., S. 115. Ebd., S. 115 - 131. 183 Ebd., S. 157/158; siehe auch ebd., S. 141. lSC Kelsen, Hans, Wer soll Hüter der Verfassung sein? Berlin-Grunewald 1931 (weiterhin zitiert: Wer soll Hüter sein?). 185 Kelsen, Wer soll Hüter sein?, S. 44. 168 Ebd., S. 55/56. 187 Der Hüter der Verfassung, S. 115. 188 Konkrete Belege für die These der überinterpretation bei Kelsen, Wer soll Hüter sein?, S. 43/44. 181
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ausgegeben wird 169, wird eine theoretische Qualität beansprucht, die der Schrift nicht zukommen kann. Wie die Verfassungslehre nur als Entwicklung der Lehre starker politischer Macht zu verstehen ist, so kann es auch ihre Anwendung nur sein. Die Behauptung, daß damit der eigentliche Sinn der Verfassung erschlossen sei, kann von ihr aus nicht begründet werden, so daß der "Hüter der Verfassung" als ideologische Streitschrift für eine starke politische Macht eingestuft werden muß. Schmitts Lehre als Ideologie starker politischer Macht, d. h. als Ideologie autoritärer Herrschaft zu bezeichnen, bedeutet bewußten Verzicht auf eine Stellungnahme, ob sie als pro-faschistisch oder nur anti-demokratisch verstanden werden muß. Zwar kann man es als wohl allgemein akzeptierte Meinung ansehen, daß Schmitt Wissenschaft nicht nur theoretisch betrieb, sondern sich bewußt in seine Zeit hineinstellte 170. Von der hier interessierenden theoretischen Ebene aus ist die angeschnittene Frage jedoch allein nicht zu beantworten. Hebt Schmitt doch nur auf effektiv sich durchsetzende Macht, die losgelöst von einem bestimmenden Einfluß des Volkes verstanden ist, ab, eine Lehre, die wegen des Fehlens objektiver Kriterien sich einer eindeutigen Zuordnung über die Bestimmung ihrer anti-demokratischen Qualität hinaus entziehen muß. Daß sie gerade deswegen einer Bewegung mit gleicher Tendenz dienen konnte, ist nur konsequent. Ob dieses aber Intention der Lehre Schmitts war, ist von der hier behandelten theoretischen Ebene aus nicht zu entscheiden, geht diese Frage ja auch über den hier zu behandelnden Rahmen hinaus. Wesentlicher als diese Einordnung scheint mir dagegen die Betonung des ideologischen Charakters der Schmittschen Lehre. Verlieren doch viele seiner erratischen Nominaldefinitionen ihre Strahlkraft und Faszination, wenn sie, in den Kontext seiner Lehre gestellt, selbst als Element des autoritären Staates erscheinen. Ist die Schmittsche Lehre als Ideologie ausgewiesen, so bleibt nämlich stets zu prüfen, inwieweit selbst Einzelaussagen staatstheoretische Bedeutung haben oder nur Ausprägungen der zugrunde liegenden Ideologie sind. Der Aufweis der konkreten Bestimmung aus dem Gesamtzusammenhang erweist sich als Korrektiv gegenüber der Brillianz apodiktischer Behauptungsdefinitionen. Die bis heute weitverbreitete Tendenz, die Lehre Schmitts als Inspirationsquelle für das Staatsrecht einzuordnenl7l , scheint von daher nicht nur falsch, sondern gefährlich. Denn als reine Ideologie ist ihr Vgl. Der Hüter der Verfassung, S. 158. Vgl. etwa Hofmann, Legitimität gegen Legalität, S. 156; Schmitz, Die Freund-Feind-Theorie, S. 128, 151; Hin, Gleichheit und Artgleichheit, S. 243. 171 Scheuner, Ulrich, earl Schmitt heute (= Besprechung der Verfassungslehre), in: NPL, 1, 1956, S. 183. leg
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nicht einmal die Überwindung überholter staatstheoretischer Positionen 172 noch des Positivismus 173 gelungen. Wie oben dargelegt, erweist sie sich vielmehr als Komplement des Positivismus. c) Liberalismus als Modell des machtlosen staates
Die Qualifizierung der Schmittschen Verfassungslehre als Ideologie und damit zusammenhängend die Ablehnung der Definitionen von Repräsentation und Identität als für politische Theorie oder Staatslehre wesentliche Bestimmungen, ist wegen der schwerwiegenden Konsequenzen als Interpretation nach allen Seiten hin zu verifizieren und abzusichern. Schmitts Auseinandersetzung mit der liberalen Staatstheorie sowie seine Überlegungen zum "Begriff des Politischen" müssen deshalb noch kritisch gewürdigt werden. In diesem Abschnitt seien zunächst die Aussagen zum Liberalismus geprüft; läßt sich doch gerade an ihm, der, wie der Teil I der Arbeit aufwies, die Willensbildung im Staate zum Problem hatte, die These verifizieren, daß Schmitt keine Staatslehre betreibt. Im folgenden Abschnitt soll dann als Abschluß auf die wohl eindeutigste und klarste Arbeit Schmitts Bezug genommen werden. cl) Rechtsstaat als Anti-Machtstaat In der Verfassungslehre findet sich die erste eigenständige Auseinandersetzung mit der Theorie des Liberalismus im Abschnitt über den rechtsstaatlichen Bestandteil der modernen Verfassung 174 • Rechtsstaat wird mit Hilfe eines Einteilungsschemas von Montesquieu als Einrichtung zum Schutz des Bürgers bezeichnet. Nicht gloire, sondern liberte sei sein Kennzeichen175 • Hierbei wird jedoch das Schema zur nachträglichen Klassifizierung von Staatsformen, als das es wohl anzusehen ist, zur Fundamentalunterscheidung, begründet in der grundsätzlichen Differenz von Freiheit und Macht176 • Somit erweist sich der Rechtsstaat als Gegensatz zum Machtstaat. Als dieser wird er auch ausdrücklich eingeführt und bestimmt177 • Zwar wird versucht, der Darlegung eine theoretische Qualität zukommen zulassen, indem zuerst eine allgemeine Wortbedeutung von Rechts172
Scheuner, Carl Schmitt - heute, S. 188. Sontheimer, Carl Schmitt, Seine "Loyalität"
gegenüber der Weimarer Verfassung, S. 762. 174 Verfassungslehre, §§ 12 - 16, S. 123 - 220. 175 Ebd., S. 126; vgl. ebenso ebd., S. 38 und Schmitt, Der Gegensatz von Parlamentarismus und moderner Massendemokratie, in: ders., Positionen und Begriffe im Kampf mit Weimar - Genf - Versailles 1923 - 1939, Hamburg 1940, S. 54. 178 Vgl. Verfassungslehre, S. 38. 177 Ebd., S. 130: "Rechtstaat bedeutet den Gegensatz zum Machtstaat." 173
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staat geklärt wird. Aber nicht als Begriffsklärung, sondern als Wortspielerei erweist sie sich178. Eine theoretische Qualität ist ihr abzusprechen, so daß die Bestimmung des Rechtsstaates sich analog den anderen Begriffsaufweisen allein auf die Behauptungsqualität dieser Aussage reduziert. Konsequent wird der Rechtsstaat als Gegensatz zum Machtstaat entwickelt. Als seine Charakteristika werden angeführt, "daß erstens die Verfassung nichts ist als ein System von gesetzlichen Normierungen, daß zweitens dieses System geschlossen und daß es drittens ,souverän' ist, d. h. an keiner Stelle aus Gründen und Notwendigkeiten der politischen Existenz durchbrochen oder nur beeinflußt werden kann"179, oder kürzer, in ihm findet sich "niemals ,Fülle der Staatsgewalt'" 180. Rechtsstaat ist verstanden als Staat ohne eigentliche Entscheidung, alles ist geregelt und in ein Netz von Kompetenzen aufgefangen. Voraussetzung dafür ist, "daß das Gesetz eine generelle Norm ist"181. Gesetz nicht als inhaltlich regelnde Normierung mit konkretem Willen und Befehl, sondern allein als materielles Gesetz, als ratio, als richtige und vernünftige Regelung, als Norm, nicht als Akt der Souveränität 182. Die Unterscheidung von reiner Norm als Inhalt des Gesetzes und davon abgehobenen Befehl, die ja auf die Lehre des staatsrechtlichen Positivismus zurückgeht 183, wird von Schmitt gegen die geschichtliche Wirklichkeit beibehalten. Eine Vermischung beider im vormärzlichen Liberalismus wird zwar konstatiert, nicht aber analysiert, sondern allein das von Schmitt vorgefaßte Ideal des Rechtsstaates herausisoliert1 84 . Konsequente Weiterentwicklung des als Gegensatz zum Machtstaat konzipierten Begriffs des Rechtsstaat ist Schmitts Anliegen. Unpolitisch konzipiert, als reiner Normendeduzierungsmechanismus gegenüber der politischen Potenz des Machtstaates nur noch faßbar, wird diese strikte Begriffssezierung dadurch gegenüber einer ihr nicht entsprechenden Wirklichkeit gerettet, daß ihr gegenüber auf eine Sphäre der Eigentlichkeit abgehoben wird185 , der sie nicht beikommen 118 Vgl. Verfassungslehre, S. 129/130: als Rechtsstaat erscheint jeder Staat, in dem es Rechte und seien es nur Privilegien gibt. 178 Verfassungslehre, S. 13I. 180 Ebd., S. 13I. 181 Ebd., S. 139, 142. 182 Vgl. ebd., S. 138 - 147, eine genauere Bestimmung des Verhältnisses von formellen und politischen Gesetzesbegriff wird nicht geleistet. Offensichtlich werden beide weder als deckungsgleich noch als gänzlich unterschieden angesehen. - Eine Klärung dieser Frage erwies sich jedoch für den Gang der Beweisführung als nicht notwendig und wird deshalb hier auch nicht versucht. 183 Vgl. oben Teil II, 4, a2 und 4 b; siehe auch ELlwein, Das Erbe der Monarchie, S. 282 - 290. 184 Verfassungslehre, S. 147 - 150. 185 Vgl. Verfassungslehre: Schmitts stete Bezugnahme auf "den echten
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kann. Rechtsstaat ist Anti-Machtstaat, bestimmendes und allein entscheidendes Moment für die Definition des Rechtsstaates ist diese Charakteristik. Außer einer logischen und konsequenten Entfaltung dieses Gedankens läßt sich bei Schmitt keine Begründung finden. So kann die ausgebreitete Entfaltung des Begriffs allein als eine detaillierte Fixierung einer behaupteten Kontradiktion in plattester Disjunktion bewertet werden. Trotz der Geschichte des Vormärz kann Schmitt dann zu der Feststellung kommen, daß eine Ausdehnung der Kompetenzen der Gesetzgebungsorgane auf den formellen Gesetzesbegriff gegen Sinn und Ziel des Rechtsstaates verstoße 186. Die "klare und übersichtliche, systematische Linie"187, die Schmitt sich vorgenommen hatte, in seiner Verfassungslehre zu verwirklichen, mit der er sich von vornherein von einer Auseinandersetzung mit der einschlägigen Literatur befreit1 88, erweist sich so als einsinnige, nicht diskutant entwickelte Ausbreitung Schmittscher Gedanken189. Schmitt definiert hier, wie Schmitz 190 zutreffend bemerkt hat, ex negativo sich selbst, es ist Polemik im Gewande der Theorie vom eigenen Standpunkt aus 191 .
c2) Die uneigentliehe Lage des Parlamentarismus als sein Wesensmerkmal Vom Begriff des Rechtsstaates in Schmittscher Definition ausgehend ist es nur folgerichtig, wenn ihm die Qualität einer Staats- und auch Regierungsform abgesprochen wird. Staat muß vorausgesetzt sein, bürgerlicher Rechtsstaat kann ihn nur konstitutionell modifizieren192. Diese rechtstaatlichen Begriff" (S. 149), "die eigentliche rechtstaatliche Garantie" (S. 150), "Das Ideal des Rechtstaates" (S. 150); Auf diesen methodischen Kniff ist in letzter Konsequenz auch die strikte Trennung und Unterscheidung von Demokratie und Liberalismus (vgl. ebd., S. 201, 225, 233, 309, 315) zurückzuführen. 186 Vgl. dagegen Teil I, die Betonung des Rechts der Steuergesetzgebung bei allen drei Autoren. 187 Verfassungslehre, S. x. 188 Ebd. 189 Vgl. auch Verfassungslehre, S. 163 - 170 die Begriffssezierung zum Problem der Grundrechte am Scheidegraben der Frage: staatlich oder nicht? 190 Schmitz, Die Freund-Feind-Theorie, S. 123. 191 Zur Frage der Polemik vgl. Löwith, Karl, Der okkasionelle Dezisionismus von C. Schmitt (1935), jetzt in: ders., Gesammelte Abhandlungen, Stuttgart 1960, S. 93 - 126. 192 Verfassungslehre, S. 200 - 202; vgl. auch die Qualifizierung des Liberalismus, der politischen Bewegung für den Rechtsstaat, als unstaatlich und unpolitisch in: Der Begriff des Politischen, in: Probleme der Demokratie, in der Reihe Politische Wissenschaft, 5, 1928, S. 27 - 34 (weiterhin zitiert: Der Begriff des Politischen I); sowie die 2. Auflage, wieder abgedruckt in: Der Begriff des Politischen. Text von 1932 mit einem Vorwort und drei Collarien, Berlin 1963, S. 68 - 77 (weiterhin zitiert: Der Begriff des Politischen II).
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Modifikation als "ein System der Verwertung und Mischung verschiedener Regierungs- und Gesetzgebungsformen" sei der Parlamentarismus oder das Parlamentarische System 193. Begründet und verankert sieht Schmitt dieses labile Gleichgewicht balancierter Staatsformen in Besitz und Bildung des liberalen Bürgertums, und zwar dergestalt, daß ohne diese Voraussetzung das System hinfällig werde 194 • Es wird geschichtlich verortet und damit "für einen Staat mit industriellen Arbeitermassen"195 fraglich. Mit der unzeitgemäßen Form muß aber nicht notwendig die Idee, die der Form zugrunde liegt, hinfällig werden, wird doch der Parlamentarismus von Schmitt ausdrücklich als Lehre und Idee, - zumindest für Frankreich und Deutschland, - verstanden 196. Schmitt jedoch konstatiert auch hier einen "Wegfall der ideellen Voraussetzungen des Parlamentarismus"197. Waren diese nämlich Öffentlichkeit und Diskussion eines repräsentativen Organs, so genügt Schmitt der Hinweis, daß zu seiner Zeit Diskussion, Öffentlichkeit und repräsentativer Charakter entfallen198 , um die ideelle Erledigung zu propagieren. Ideen werden von der Wirklichkeit ad absurdum geführt, eine Eigentümlichkeit Schmittscher Denkweise, die näherer Behandlung bedarf. Ein Problem, das auf Grund der detaillierten Darlegungen der Schrift über "Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus" zu lösen versucht werden solL In dieser Veröffentlichung unterscheidet Schmitt streng zwischen praktisch-technischer Bedeutung, dem Funktionieren einer Institution und ihrer geistesgeschichtlichen Grundlage. Reines Funktionieren genüge nicht, da damit jede andere effektivere Institution begründet werden könnte 199. Wenn diese Trennung jedoch gebraucht wird, um eine Einrichtung wie den Parlamentarismus, dessen Funktionieren nicht geleugnet werden kann und auch nicht wird20o , als leeren Apparat einzuordnen20 t, so werden beide Ebenen aus ihrer Vermittlung gelöst. Geistesgeschichtliche Ebene wird zur Eigentlichkeit erhoben und abgehoben von dem Funktionsaspekt etabliert; Unterscheidung wird zur Trennung. Hierin ist auch die Ursache zu sehen, daß Schmitt Demokratie stets als das andere gegenüber dem Parlamentarismus und dem Liberalismus abheben kann202 • Denn das Wesen des Parlamentarismus Vgl. Verfassungslehre, S. 304 - 307, 216 - 220, Zitat ebd., S. 305. Vgl. ebd., S. 309/310. 195 Ebd., S. 313. 196 Verfassungslehre, S. 307/308. 197 Ebd., S. 318. 198 Ebd., S. 315 - 319. 199 Die geistesgeschichtliche Lage, S. 7, 13, 42. 200 Ebd., S. 7, 12. 201 Ebd., S. 30. 193
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und damit auch des Liberalismus sei "der Glaube ... an ein government by discussion''203. Die "ratio des Parlaments"204 sei eben nicht Demokratie, d. h. gemäß Schmittschen Verständnisses Homogenität, sondern Diskussion. Es gehe um ein öffentliches Verhandeln von Argumenten und Gegenargumenten, um den Kampf der Meinungen, nicht der Interessen205 . Diskussion als Meinungsaustausch zur uneigennützigen Freisetzung der Wahrheit, sowie Öffentlichkeit sind "eigentliche Lebensfragen des Liberalismus''206. Hierbei fällt auf, daß diese Bestimmung sich wieder in die Höhen der Eigentlichkeit emporgeschwungen hat, sowie daß Schmitt sich in diesem Kontext auf Gentz beruft207 , der gerade durch sein Gutachten zum Artikel 13 der Bundesakte die Forderungen des Liberalismus nach repräsentativer Verfassung verunmöglichen wollte. Eigentlichkeit wird zitiert, ohne belegt zu werden. Diese Eigentlichkeit erlaubt es sodann das Parlament zu bestimmen als den "Platz, an dem die unter den Menschen verstreuten, ungleich verteilten Vernunftpartikeln sich sammeln und zur öffentlichen Herrschaft bringen"20B. Öffentlichkeit und Diskussion sind also die Voraussetzung dafür, daß Wahrheit freigesetzt wird. Damit erweist sich auch die Verbindung zur Erörterung des Rechtsstaates und des Schmittschen Gesetzesbegriffs. Denn durch die Funktion der Wahrheitsfreisetzung ist das Parlament wahrhaft befähigt Gesetze zu erlassen209 . Denn Gesetz sei "etwas Intellektualistisches" es gehe auf "Veritas", woraus folge, "Gesetzgebung ist deZiberare"210. Der Schmittsche Gesetzesbegriff als allgemeine Norm gefaßt bestimmt also die Definition des Parlamentarismus, er ist der Grund für das Erheben einer Institution in einen Sinn von Eigentlichkeit. Auf Grund dieses Begriffes wird das Parlament allein auf seine Delibrieraufgabe beschränkt211 , ist Öffentlichkeit und Diskussion notwendig 212 , kommt es zur Teilung der Gewalten als Sicherung des rechten Resultates durch Konkurrenz 213 . Die Bestimmung der 202 Ebd., S. 31 - 41; vgl. auch Verfassungslehre, S. 201, S. 225, 233, 309, 315. 203 Die geistesgeschichtliche Lage, S. 13; siehe auch ebd., S. 5, 10,43. 204 Ebd., S. 43. 205 Ebd., S. 9. 206 Ebd., S. 46 (Hervorhebung von mir, V. H.). 207 Die geistesgeschichtliche Lage, S. 9; vgl. auch Der Gegensatz von Parlamentarismus und moderner Massendemokratie, S. 56; zur Bedeutung von Gentz siehe Boldt, Deutsche Staatslehre im Vormärz, S. 21 - 22; Gerber, Emil, Der staatstheoretische Begriff der Repräsentation in Deutschland zwischen Wiener Kongreß und Märzrevolution, Neunkirchen-Saar 1929, S. 20 - 21; bei Boldt auch die Angabe weiterer Literatur zu Gentz. 208 Die geistesgeschichtliche Lage, S. 44. 209 Vgl. ebd., S. 54. 210 Ebd., S. 52 - 56. 211 Ebd., S. 56 - 6I. 212 Ebd., S. 47 - 50. 213 Ebd., S. 50 - 52.
2. Schmitt: Repräsentation, Identität und absolute Staatsmacht
229
Charakteristika des Parlamentarismus ergibt sich also nicht auf Grund einer Analyse des zu Grunde liegenden Phänomens, sondern ist schlicht die Konsequenz aus dem Schmittschen Rechtsstaatsverständnis, daß sich als Umkehrschluß aus seiner Orientierung am Machtstaat erwiesen hatte. Sie ist ideologisch, d. h. theoretisch schief und kann nicht als objektive Erfassung des Wesens des Parlamentarismus angesehen werden. Für Schmitt jedoch ergibt sich, wenn Öffentlichkeit und Diskussion nicht mehr festzustellen sind, daß das gesamte System nicht nur erschüttert, sondern hinfällig ist214 • Dabei hebt Schmitt weniger darauf ab, daß Diskussion und Öffentlichkeit in seinem Verständnis im politischen Leben Weimars nicht nachweisbar seien, als daß der Glaube an sie erschüttert sei215 • Die Idee ist also hinfällig, der Parlamentarismus geistesgeschichtlich überholt. Es stellt sich erneut die Frage, wie diese Aussage und ihre methodische Qualität zu bewerten ist. Entschieden wird dieses Problem an der Einschätzung und Bewertung des Schmittschen Verständnis des Rechtsstaates, des Parlamentarismus, kurz des Liberalismus. Des öfteren wird dieses Verständnis als Idealtypus bewertet216 • Dieser Interpretation kann jedoch nicht zugestimmt werden, läßt sich doch bei Schmitt kein konkreter Tatbestand ausmachen, an dem durch isolierende Abstraktion ein Idealtypus gewonnen wird 217 • Es wird vielmehr bei Schmitt Rechtsstaat als Gegensatz zum Machtstaat definiert, und daraus werden logisch konsequent alle Aspekte dieses Staates bis in seine politische Wirklichkeit hinein deduziert: Rechtsstaat ist nicht Machtstaat, also ist Gesetz rein material, reine Norm ohne jegliches politisches oder formales Element, also ist Parlamentarismus keine Staatsform und das Parlament, als Zentrum dieses Staatsformenbalancierungssystems, ist als Organ zur Freisetzung des reinen Gesetzes konzipiert: Diskutante Öffentlichkeit ohne Ambition und politisches Interesse. Als Modell wird man das Schmittsche Verständnis von Rechtsstaat und Parlamentarismus wohl bezeichnen können, aber nicht als das einer geschichtlichen Epoche218 • Ebd., S. 61 - 63. Vgl. die Verwendung des Begriffs ,Glauben' in diesem Kontext allein fünf Mal auf den Seiten 62 und 63 in der Schrift Die geistesgeschichtliche Lage; siehe auch das Element des ,Glauben' an die Öffentlichkeit bei der Bestimmung des Prinzips der Repräsentation, in: Verfassungslehre, S. 208. 218 So Lieber im Vorwort zu: Fijalkowski, Die Wendung zum Führerstaat, S. XI; Schmitz, Die Freund-Feind-Theorie, S. 142; sowie Rumpf, C. Schmitt und Th. Hobbes, S. 388. 217 Als kurze, quasi lexikalische Erklärung des idealtypischen Verfahrens vgl. Und erb erg, Irenäus K., Zur Wahlrechts- und Parteienstaatstheorie von Gerhard Leibholz, in: Verfassung und Verfassungswirklichkeit, Jahrbuch 1967, Teil 2, Köln - Opladen 1967, S. 225. 218 So bei Fijalkowski, Die Wendung zum Führerstaat, S. 64. 2U
Z15
230
Teil III: Weimar: Repräsentation als verfehltes Phänomen
Denn ungeschichtlich gewonnen, wird es nicht an der ihm zugerechneten Epoche überprüft, sondern wird dieser als eigentlicher Sinn übergestülpt 219 • Es kann demnach keine Karikatur der Geschichte sein220 , wenn ihm die geschichtliche Dimension gänzlich fehlt. Die Schmittschen Modellüberlegungen als "politische Ideengeschichte und politische Soziologie"221 oder als "rechtsgeschichtliche und philologische Betrachtungen"222 zu bezeichnen, kann, wie das Beispiel des Liberalismus zeigt, dem Zentralpunkt des Schmittschen Gedankens nicht gerecht werden. Es fehlt ihm eben nicht nur die geschichtliche Dimension, genauso mangelt es an der ideellen oder der theoretischen Ausrichtung. Erfassung und Analyse der Grundideen des Liberalismus, von denen aus Parlamentarismus und Rechtsstaat als Konkretisierungen verstanden werden könnten, finden sich bei Schmitt nicht. Sein Modell ist weder geschichtlich gewonnen, noch von der Theorie her erarbeitet. Seine Eigenart ist darin zu sehen, daß es konsequent entwickeltes Gegenmodell zum Machtstaat ist. Sinn und Bedeutung gewinnt es ex negativo aus diesem Begriff. Es handelt sich um die einsinnige modellhafte Ausbreitung des Gegenprinzips zum Machtstaat. Als dieses abstrakte Gegenmodell ist es aber von vornherein zum Scheitern an der Wirklichkeit verdammt. Da ungeschichtlich, ist keine geschichtliche Vermittlung zur andersartigen Wirklichkeit möglich, da untheoretisch, kann die Wirklichkeit nicht als Verwirklichungsbedingung der Ideen erfaßt und analysiert werden. Es kann nur Übereinstimmung geben oder nicht. In der Abstraktheit dieses Modells ist der Grund zu sehen für die oft kritisierte Extrapolierkunst und verschärfende Antithesenbildung Schmittscher Methode 223 . Nicht die Idee 22 4, sondern das Modell muß notwendig an der Wirklichkeit scheitern, von dort aus kann es immer als inadäquat erwiesen werden. Von daher auch die Schmittsche Schwierigkeit, es als geschichtliche Forderung des Liberalismus zu qualifizieren. Nur in der Sphäre der Eigentlichkeit Vgl. Verfassungslehre, S. 147. So Fijalkowski, Die Wendung zum Führerstaat, S. 64. 221 So Sontheimer, Kurt, Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik, München 2. Aufl. 1968, S. 79; ders., Zur Grundlagenproblematik der deutschen Staatsrechtslehre in der Weimarer Republik, in: ARSP, 46, 1960, 219
220
S.54.
222 So Kraft-Fuchs, Prinzipielle Bemerkungen zu Carl Schmitts Verfassungslehre, S. 522. 223 Vgl. hierzu Fijalkowski, Die Wendung zum Führerstaat, S. 13; Rumpf, C. Schmitt und Th. Hobbes, S. 42, 48; Bentin, Popitz und Schmitt, S. 87, 88; Schluchter, Entscheidung für den sozialen Rechtsstaat, S. 239; Ridder, Ex oblivione malum, S. 329; Oertzen, Die Funktion des Positivismus, S. 21; ders., Strukturwandel der Demokratie. Kritische Bemerkungen zu einer staatstheoretischen Kontroverse, in: Deutsche Universitätszeitung, 8, 1953, S. 10 - 11; Mantl, Repräsentation und Identität, S. 126. 224 So bei Fijalkowski, Die Wendung zum Führerstaat, S. 4.
2. Schmitt: Repräsentation, Identität und absolute Staatsmacht
231
vermag es über geschichtlichen Epochen zu schweben, mit der herben Wirklichkeit allein durch den Glauben bestimmter Bürger verbunden225 . Erlahmt dieser Glaube, so ist das Modell, sollte es auch noch so gut funktionieren, hinfällig. Ideen und Überzeugungen können nicht in eine neue Zeit hinübergerettet werden, sie sind ja nie im Modell enthalten gewesen. Das Modell geht mit seinen Trägern zugrunde. Deshalb muß der Liberalismus als eine überholte Epoche angesehen werden, eine Interpretation, die sich im Schmittschen Geschichtsbild niedergeschlagen hat. Die Geschichte des Staates verläuft nach ihm in drei Stadien: "vom absoluten Staat des 17. und 18. Jahrhunderts über den neutralen Staat des liberalen 19. Jahrhunderts zum totalen Staat der Identität von Staat und Gesellschaft"226. Liberalismus in seiner Eigentlichkeit meint also einen uneigentlichen Staat und kann nur als Zwischenform der eigentlichen Staatsformen gesehen werden227 . Treffend hat bereits Smend Schmitt ein antikes Staatsverständnis vorgeworfen228 , ein Verständnis, daß vorliberalistisch ist und den Liberalismus nur in Uneigentlichkeit fassen kann. d) Der Begriff des Politischen, Spezifikum als Eigentlichkeit
dl) Ein Begriff ohne Inhalt: Das Politische
Hofmann hat die Schrift "Begriff des Politischen" als die bedeutendste Leistung Schmitts gekennzeichnet, die die eigentlichen Gedanken Schmitts am klarsten enthält, noch vor ihrer rechtstheoretischen, konstruktiven Fassung in der Verfassungslehre 229 • Überdeutlich tritt deshalb der untheoretische Charakter der Schmittschen Gedanken zu Tage. Staat und Volk werden als Begriffe nicht definiert, sondern nur umschrieben, um allein auf die zentrale Bedeutung des Politischen hinweisen zu können23o . Die Kennzeichnung des Politischen als Unterscheidung von Freund und Feind wird in der zweiten Auflage ausdrücklich, in Reaktion auf die Kritik zur ersten Auflage, nicht als 225 Vgl. Verfassungslehre, S. 147; Die geistesgeschichtliche Lage, S. 62/63. 226 Vgl. Der Hüter der Verfassung, S. 79; Die Wendung zum totalen Staat (in: Europäische Revue, 7, 1931), wieder abgedruckt in: Positionen und Begriffe, S. 152; siehe auch Der Begriff des Politischen I, S. 27 - 34; und Der Begriff des Politischen II, S. 75 - 77. 227 Vgl. hierzu Fijalkowski, Die Wendung zum Führerstaat, S. 195 - 196, 208 - 210; vgl. auch die Definition des modernen Staates als Exekutive in: Schmitt, Machtpositionen des modernen Staates, S. 367. 228 Sm end, Rudolf, Verfassung und Verfassungsrecht (1928), wieder abgedruckt in: ders., Staatsrechtliche Abhandlungen und andere Aufsätze, Berlin 2. erw. Aufl. 1968, S. 213 229 Vgl. Hofmann, Legitimität gegen Legalität, S. 102, 124. 230 Vgl. Der Begriff des Politischen I, S. 1; Der Begriff des Politischen II, S. 20 siehe auch ebd., S. 24 - 26.
232
Teil III: Weimar: Repräsentation als verfehltes Phänomen
Definition, sondern nur als Benennung eines Kriteriums verstanden231 • Nicht das Wesen, allein das Spezifische des Politischen wird erfaßt. Eine Begründung für die Richtigkeit dieses Kriteriums wird dabei von Schmitt nicht geboten. In der ersten Auflage wird zwar versucht, ihm eine Plausibilität zuzuerkennen, indem auf die allgemeine Möglichkeit der Freund-Feind-Gruppierungen der Völker verweisen wird232 , doch dieser Aufweis ist ohne jede Beweisfunktion. Eine zweite korrigierende Verdeutlichung erfolgt in der zweiten Auflage dahingehend, daß das Kriterium des Politischen als sekundärer Begriff auch auf den innenpolitischen Bereich bezogen wird233 • Sekundär ist sie, da für diesen Bereich die Freund-Feind-Unterscheidung relativiert bleiben muß durch die Einheit des Staates. Ist sie es nicht, kommt es zum Bürgerkrieg, der dann erst über die konkrete Einheit entscheidet234 • Der Primat der Innenpolitik bedeutet nach Schmitt Bürgerkrieg235 • Einheit des Staates bedeutet demnach Fehlen des Bürgerkrieges, in "echter" Bedeutung Sicherung eines unpolitischen Bereichs. Damit ist die Einheit des Staates aber keineswegs bestimmt231 , der Begriff des Politischen erweist sich vielmehr als rein außenpolitischer Begriff237 • Denn eine relativierte Freund-Feind-Unterscheidung ist eben nicht am Extremfall, am jus belli, - eben dem Bürgerkrieg, orientiert. Der sekundäre politische Bereich ist nach Schmittscher Terminologie entweder unpolitisch, oder keine Einheit238 • Die Problematik der Einheit des Staates ist im Schmittschen Werk nirgends lokalisierbar, die Problematik der Repräsentation also auch kein Element in ihm, der Freund ist nur als Nicht-Feind faßbar239 • Das Kriterium des Politischen verengt sich so zur Feindbestimmung, es ist den Belangen des Einzelnen transzendent. Private Interessen sind unpolitisch, Politik kann nur die Feindschaft von Gesamtheiten sein24o • Diese überdeckt den innenpolitischen Bereich und rechtfertigt absolute Herrschaft241 , 231 Vgl. Der Begriff des Politischen II, S. 26; siehe hierzu auch Hofmann, Legitimität gegen Legalität, S. 102 Anm. 5. 232 Der Begriff des Politischen I, S. 5. 2~~ Vgl. Der Begriff des Politischen II, S. 30 1. Absatz bis S. 32; zur Einordnung dieser Korrektur gegenüber Der Begriff des Politischen I als Konsequenz der einsetzenden Kritik siehe Hanemann, Wilhelm, Der Begriff des Politischen in der deutschen Wissenschaft des 19. und 20. Jahrhunderts, Diss. jur. Heidelberg 1934, S. 98 (weiterhin zitiert: Der Begriff des Politischen). 234 Vgl. Der Begriff des Politischen II, S. 46 - 48. 2~5 Vgl. ebd., S. 32. 2~8 Siehe hierzu Schmitz, Die Freund-Feind-Theorie, S. 107. 2~7 Vgl. Hanemann, Der Begriff des Politischen, S. 98 - 100. 238 Vgl. hierzu Hofmann, Legitimität gegen Legalität, S. 115 - 116. 239 So Schneider, Ausnahmezustand und Norm, S. 238 - 240. 240 FijaZkow.ski, Die Wendung zum Führerstaat, S. 170/171.
2. Schmitt: Repräsentation, Identität und absolute Staatsmacht
233
ein Verständnis des Politischen, das eben LiDeralismus, die Bewegung für innerpolitische Rechte, als unpolitisch qualifizieren muß. Der politische Feindbegriff bezieht sich nicht auf ein bestimmtes Sachgebiet, sondern ist vielmehr der höchste Intensitätsgrad einer sachlichen Beziehung242 • Bestimmt wird er von der maßgebenden Einheit, die in dieser sachlichen Beziehung vom Konfliktsfall her denkt, wobei diese Entscheidung nur von den existentiell Teilhabenden vollzogen werden kann243 • Schmitt scheint hier eine substantielle Einheit vorauszusetzen, da die Ausrichtung am jus belli mit der Konsequenz der Tötungs- und Todesbereitschaft nicht rational begründbar sei244 . Es scheint also eine "seinsmäßige Behautpung der eigenen Existenzform gegenüber einer ebenso seinsmäßigen Verneinung"245 das Wesen des Politischen zu sein. Diese substantielle Basis ist aber nicht notwendiger Bestandteil der Politikbestimmung. Voraussetzung ist nur eine politische Einheit "gleichgültig aus welchen Kräften sie ihre letzten psychischen Motive zieht"246. Denn Begriffe wie Staat, Gemeinschaft, Gesellschaft konfundieren bei Schmitt und werden nur noch faßbar in der politischen Einheit247 , d. h. in der Feindbestimmung, aus welchen Gründen auch immer diese erfolgt248 • Die Ausrichtung am Konfliktsfall wird zur zentralen Bestimmung, die reine Entscheidung verselbständigt sich. Sie kann zwar substantiell fundiert sein, muß es aber nicht. Es genügt, wenn sie durch blo~e Feindbestimmung existiert. Von der substantiellen Bestimmung bleibt so allein der irrationale Charakter einer arbiträren Entscheidung erhalten. Analog dem Verständnis von Repräsentation und Identität ist nicht die Frage nach dem ,wie', sondern allein die nach dem ,daß' entscheidend249. Ist aber nur das ,daß' der einheitlichen Feindbestimmung entscheidend, so ist dieser Begriff des Politischen offen für jede Bestimmung einer ein241 So auch Kodalle, Politik als Macht und Mythos, S. 43; ebenso Löwith, Der okkasionelle Dezisionismus von earl Schmitt, S. 109. m Der Begriff des Politischen 11, S. 3B, 27; Der Begriff des Politischen I,
S.4.
243 Vgl. Der Begriff des Politischen 11, S. 39, 27; Der Begriff des Politischen I, S. 11. 244 Der Begriff des Politischen 11, S. 45/46, 49/50; Der Begriff des Politischen I, S. 15, 17. 245 Der Begriff des Politischen 11, S. 50; Der Begriff des Politischen I, S. 17. 248 Der Begriff des Politischen 11, S. 43 (Hervorhebung von mir, V. H.). 2f7 Der Begriff des Politischen 11, S. 44 - 45; Der Begriff des Politischen I,
S. 13 -14.
Der Begriff des Politischen 11, S. 51; Der Begriff des Politischen I, S. 1B. Vgl. hierzu Hofmann, Legitimität gegen Legalität, S. 106: "Nur daß die politische Einheit besteht, scheint demnach für earl Schmitt wesentlich, nicht aber die Beschaffenheit eben dieser Einheit." Analog auch Schuster, Die Entscheidung für den sozialen Rechtsstaat, S. 229; Löwith, Der okkasionelle Dezisionismus von earl Schmitt, S. 109. 248
249
234
Teil IH: Weimar: Repräsentation als verfehltes Phänomen
heitlichen Substanz. Eine völkisch-biologische, rassische Homogenität erscheint demnach lediglich als geschichtliche Konkretisierung dieses ungeschichtlichen und nur als Voraussetzung erfaßten Begriffs der Einheit bei Schmitt, als Ausfüllung seiner Theorie 25o .
d2) Zur Kritik des Begriffs des Politischen und des Schmittschen Systems Das Politische als Feindbestimmung nicht durch eine Einheit, sondern als das Entscheidende dieser Einheit ist Zentralpunkt und Hauptanliegen earl Schmitts. Die Einheit des Staates, ja der Staat selbst wurde auf das Politische bezogen. Von dort aus wird Staat und seine Einheit dem System Schmitts gemäß allein faßbar. Als Voraussetzung der zentralen Feindbestimmung kann die Einheit nur von daher bestimmt werden, rein als dezisionistische Einheit aus der Not der Konfliktsituation geboren, oder substantiell abgesichert in seinsmäßiger Konfliktträchtigkeit. Wenn etwas nicht definiert ist, nur kriterienhaft auf das Politische verwiesen wird, kann es im System keine eigenständige Rolle spielen, sondern wird allein von diesem Zentralpunkt bestimmt. Recht wird so von der Norm losgelöst verstanden, als "politisches Mittel konkret kämpfender Menschen"251 interpretiert, wie auch von der Notwendigkeit des Feindbegriffs für den Begriff des Politischen auf eine Anthropologie des bösen Menschen geschlossen wird252 . Ebenso ist auch das Schmittsche Pluriversum nicht Konsequenz seines Begriffs des Politischen, sondern es ist vom Ansatz her bereits vorausgesetzt 253 . 250 Vgl. hierzu Löwith, Der okkasionelle Dezisionismus von Carl Schmitt, S. 116/117; Schmitz, Die Freund-Feind-Theorie, S. 164/165; Hofmann, Legitimität gegen Legalität, S. 177 -182; - bezüglich Hofmann und Löwith ist noch anzumerken, daß sie im Gegensatz zu der hier vorgelegten Interpretation zu stark auf den reinen Dezisionismus Schmitts abheben und sein Schwanken zum substantiellen Begriff hin nicht mitberücksichtigen. 251 Der Begriff des Politischen 11, S. 67; Der Begriff des Politischen I, S. 27; zum Verhältnis Recht und Politik siehe auch ebd. H, S. 65 - 67. 252 Der Begriff des Politischen H, S. 63/64; Der Begriff des Politischen I, S. 24/25; siehe auch Wohlgemuth, Das Wesen des Politischen, S. 82 - 90 und Schmitz, Die Freund-Feind-Theorie, S. 115 - 116 die zu Recht auf die Unvereinbarkeit der pessimistischen Anthropologie mit der Freund-Feind-Unterscheidung verweisen, da in ihr für Freund oder freien Willen kein Platz mehr ist. Zutreffend hat deshalb Laufer, Das Kriterium politischen Handelns, S. 230 diese Anthropologie als reine Hypostasierung von Alltagserfahrungen zu Lebenshaltungen charakterisiert. Von daher ist der Ausgang der Untersuchungen Oetingers von einer Schmittschen Anthropologie aus als nicht fruchtbar einzustufen. Vgl. Oetinger, Bolko von, Die Demokratietheorie Carl Schmitts und J. J. Rousseaus. Ein Vergleich, in: Herrschaftsmodelle und ihre Verwirklichung, hrsg. vom Institut für Begabtenförderung der Konrad-Adenauer-Stiftung, Mainz 1971, S. 16 - 22. 253 vgl. Der Begriff des Politischen H, S. 54; Der Begriff des Politischen I, S. 19; zur methodischen Einordnung vgl. Laufer, Das Kriterium politischen
2. Schmitt: Repräsentation, Identität und absolute Staatsmacht
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Steht dieser Begriff des Politischen dominierend im Zentrum des Systems bei Schmitt, so läßt sich an ihm gut die Bewertung des gesamten Systems vornehmen. Hierbei kann sich diese Arbeit weitgehend der hervorragenden und detaillierten Kritik von Laufer in seiner Dissertation von 1961 "Das Kriterium politischen HandeIns" anschließen. Zunächst läßt sich bezüglich des Schmittschen Begriffs des Politischen feststellen, daß er in der bekannten Schmittschen Behauptungsweise aufgestellt wird, er ist willkürlich und autonom gesetzt254 . Eine Definition dieses Begriffs erfolgt nicht, Schmitt begnügt sich mit der Angabe eines Kriteriums, das sich allmählich auf den Feindbegriff verengt. Der aber bleibt unbestimmt und vage 255 • Damit ist aber nicht nur die jeweilige inhaltliche Ausfüllung des Feindbegriffs in die Beliebigkeit des Entscheidenden gestellt, es bleibt auch die Einheit, die ja politisch sein soll, ungeklärt 256 . Schließlich verengt sich der Feindbegriff zur Möglichkeit des Krieges, so daß Krieg als das eigentliche Kriterium des Begriffs des Politischen angesehen werden muß257. Objektive Kriterien oder begründende Aufweise finden sich in der Schmittschen Darlegung jedoch nicht. Schmitt bewegt sich in der Ebene der Eigentlichkeit, diesmal deutlich erkennbar schon in der Verwendung des Begriffs "Das Politische". Ein Sprachsymbol, wie Laufer eingehend dargelegt hat, - das "zwar grammatikalisch, aber nicht ontologisch möglich"258 ist. "Das Politische" ist kein theoretischer Begriff, er erweist sich als "substanzlose Formulierung, bei der die eigentliche Problematik umgangen wird"259. Wird dieser Begriff des Politischen aber als theoretischer Begriff verwendet, ja zum allein entscheidenden systematischen Begriff, so begibt sich Schmitt der wissenschaftlichen Methode 260 . Subjektiver Ansatz, subjektive DurchHandeIns, S. 213; Eine Bezeichnung dieser zwischenstaatlichen Beziehungen oder vielmehr Nicht-Beziehungen im Pluriversum als hobbesianisch durch Rumpf, C. Schmitt und Th. Hobbes, S. 80 erweist sich als marginal und nicht genuin: Zur Parallelisierung von Schmitt und Hobbes allgemein vgl. Rumpf, ebd., passim bes. S. 56, 98, 105, 107; und Laufer, Das Kriterium politischen HandeIns, S. 101, 103; Auf die Problematik der Annahme einer Beziehung von Schmitt und Hobbes weisen dagegen vor allem Hofmann, Legitimität gegen Legalität, S. 162; und Strauss, Leo, Anmerkungen zu Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen (1932) in: ders., Hobbes' politische Wissenschaft, Neuwied - Berlin 1965, S. 181 hin. 254 Laufer, Das Kriterium politischen HandeIns, S. 77, 137. 255 Vgl. ebd., S. 121; Rumpf, C. Schmitt und Th. Hobbes, S. 90. 256 Vgl. Laufer, Das Kriterium politischen HandeIns, S. 126, 153, 183. 257 Vgl. Laufer, Das Kriterium politischen HandeIns, S. 156/7; allgemein zum Verhältnis Krieg und Politik ebd., S. 155 - 165. 258 Ebd., S. 129. 259 Ebd., S. 153/154. 260 Eine detaillierte Darlegung z. B. bei Laufer, Das Kriterium politischen HandeIns, S. 41142, 131/132; vgl. auch Friedrich, Der Methoden- und Richtungsstreit, S. 206, der den Schmittschen Darlegungen einen "überrumpeln-
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Teil III: Weimar: Repräsentation als verfehltes Phänomen
führung lassen deshalb die Einordnung des Schmittschen Systems als Theorie nicht zu, es handelt sich um Ideologie oder "politische Doktrin"261. Eine Doktrin, die wahre politische Existenz von jeder Norm befreit, diese auf Herrschaft reduziert und schließlich Diktatur meint262 . Eine Interpretation des Schmittschen Systems nur als Eintreten für ein autoritäres Regime 263 oder "als bürgerliches Gegenstück zur marxistischen Diktatur des Proletariats"264 wird dessen voller Dimension nicht gerecht. Denn formal tritt es als politische Theorie auf265 , es erhebt damit eine grundsätzlichere Bedeutung als eine rein zeitgeschichtliche Verortung zu erfassen vermag. Die Analyse der genuinsten Schrift Schmitts bestätigte somit die Interpretation der Verfassungslehre, die diese als Machtstaatsideologie im Gewande einer Theorie erwiesen hatte. Das gleiche Ergebnis läßt sich, sozusagen nur handgreiflicher, auch für den "Begriff des Politischen" nachweisen. Nicht Theorie sondern Ideologie, weil das Schmittsche System sich allein auf das Gebiet begeben will, das noch nicht vom Positivismus und der liberalen Theorie besetzt sei. Ideologie deshalb, weil es nicht darauf beschränkt bleibt, sondern, ohne die Auseinandersetzung mit den anderen Richtungen zu führen, mit der Behauptung der Eigentlichkeit auch auf deren Gebiet vordringt. Nicht Theorie, sondern Ideologie, weil ohne objektive Kriterien Schmitt doch theoretische Qualität beansprucht. Konsequente Gedankenführung zum Machtstaatsideal sowie Erklärung und Beziehung des gesamten Materials hierauf wird man Schmitt durchaus bescheinigen können. Das bedeutet aber zugleich, den Schmittschen Bestimmungen von Repräsentation und Identität die theoretische Qualität abzusprechen. Beide sind nicht als Elemente einer Lehre vom Staat zu verstehen, jenseits des Schmittschen Systems kann ihnen keine objektive Bedeutung zukommen, sie bleiben gefangen in Schmittscher Subjektivität der Eigentlichkeit. über ihre Funktion als politische, oder besser politisierte, Begriffe in einer bestimmten Zeit ist hier nicht zu urteilen. Es sollte den überraschungseffekt" bescheinigt, "der sich in Nichtaufdeckung des eigentlichen argumentativen Ausgangspunktes und damit der Verschleierung von dessen Angreifbarkeit verdankt". 281 Laufer, Das Kriterium politischen Handeins, S. 311; siehe auch Krupa, Carl Schmitts Theorie des "Politischen", S. 30, der den politischen Dezisionismus als "Lehre von der persönlichen Machthabe ohne Legitimitätsgrundlage" bestimmt. 2G2 Vgl. hierzu Krockow, Christian Graf von, Die Entscheidung. Eine Untersuchung über Ernst Jünger, Carl Schmitt, Martin Heidegger, Stuttgart 1958, S. 61; Laufer, Das Kriterium politischen Handeins, S. 173, 175. 283 Bentin, Popitz und Schmitt, S. 114, 115. 264 Hofmann, Legitimität gegen Legalität, S. 124, allgemein hierzu ebd., S. 122 -124. 265
Vgl. hierzu auch Laufer, Das Kriterium politischen Handeins, S. 311.
3. Rudolf Smend: Integration ohne Repräsentation
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nur gezeigt werden, wie diese für eine Staatstheorie zu bewerten sind, und ob die Dimension des Vormärz zurückgewonnen wurde. Die geistesgeschichtliche Lehre Schmitts erwies sich dafür als nicht fähig, sie führte zu einer Ideologisierung der Materie und damit weg von einer wissenschaftlichen Bestimmung der Repräsentation, die jedoch durch die Behauptung einer Eigentlichkeit nicht unmittelbar offenbar ist und damit zu einer 'Belastung der wissenschaftlichen Diskussion hierüber führen mußte. Es ist daher fraglich, ob unter diesen Vorzeichen es Smend bei Verwendung einer ähnlichen, nämlich der geisteswissenschaftlichen Methode gelingen konnte, zu anderen Ergebnissen zu gelangen.
3. Integration ohne Repräsentation: die Verfassungslehre Rudolf Smends Die Verfassungslehre Rudolf Smends ist für die Klärung der Frage nach der Bedeutung und Stellung der Repräsentation in der deutschen Staatslehre nicht nur wegen ihrer Gegenposition zum Positivismus von Bedeutung. Vielmehr verspricht sie, durch die Bestimmung des Wesens des Staates als Integration1, eine theoretisch-systematische Erarbeitung der Problematik der Repräsentation. Geschieht diese wissenschaftliche Untersuchung auch unter einer anderen begrifflichen Kategorie, so soll doch hier erforscht werden, inwieweit die Klärung der Integrationsproblematik zugleich auch Erkenntnisse für die Bestimmung und Bedeutung der Repräsentation bietet. Inwieweit wird die Frage der Willensbildung im Staat und die Rolle der Repräsentation dabei behandelt? Die Fragerichtung geht hier also auf die Problematik der Repräsentation, wie sie in der Staatslehre des Vormärz angerissen worden war, näherhin darauf, ob diese Dimension durch die Integrationslehre Smends wieder erfaßt oder sogar vertieft wird. Gleichzeitig kann dabei in Zusammenschau mit dem Schmittschen System eine Kritik der geisteswissenschaftlichen Methode versucht werden. Endlich rechtfertigt auch der große Einfluß, den die Smendsche Lehre gewonnen hat2, eine eingehende Beschäftigung mit ihr. 1 Smend, Rudolf, Verfassung und Verfassungsrecht (München - Leipzig 1928) wieder abgedruckt in: ders., Staatsrechtliche Abhandlungen und andere Aufsätze, Berlin 2. erw. Aufl. 1968, S. 119 - 276; Die Bestimmung der Integration als Wesen des Staates ebd., S. 138 (der Sammelband der Veröffentlichungen Smends weiterhin zitiert als: Staatsrechtliche Abhandlungen; wenn nicht anders vermerkt, werden die Werke Smends stets nach dem Abdruck im Sammelband zitiert). 2 Vgl. zunächst hierzu Smend selbst, in: Art. Integrationslehre (in: Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, 5, 1956), wieder abgedruckt in: Staatsrechtliche Abhandlungen, S. 481; siehe auch Scheuner, Ulrich, Rudolf Smend - Leben und Werk, in: Rechtsprobleme in Staat und Kirche. Festschrift für Rudolf Smend, Göttingen 1952, S. 440 - 441.
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Im Zentrum der Analyse der Smendschen Lehre steht natürlich die bereits zitierte Schrift von 1928 "Verfassung und Verfassungsrecht". Hinzugezogen werden müssen dabei einige frühere Schriften, die sich sowohl mit einzelnen Verfassungsproblemen auseinandersetzen, als auch die ersten Ansätze für die spätere Integrationslehre enthalten3 • Ebenso sind spätere Abhandlungen 4 wie auch die von Sm end selbst verfaßten lexikalischen Abhandlungen über die Integrationslehre5 bei der Auseinandersetzung mit seiner Lehre zugrunde zu legen. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Smend ist, gerade im Verhältnis zur Diskussion um Schmitts Werk, nicht sehr intensiv geführt worden, mit Ausnahme der zeitgenössischen Aufnahme seiner Lehre. Als neue re grundlegende und eingehendere Auseinandersetzung mit der Integrationslehre ist allein Bartlspergers Dissertation zu nennen 6 • Die Arbeit von Mols7 wird man dagegen hierunter nicht zu zählen vermögen; sie fällt vielmehr aus dem Rahmen der gesamten SmendLiteratur heraus. Für Mols ist Smends Integrationslehre "eine Theorie des modernen Staates überhaupt"B; Integration bedeute näherhin Individuation als "Selbstverwirklichung der Bürger"9. Mit dieser These steht Mols in direktem Gegensatz zu der von Kelsen in seiner 1933 als prinzipielle Auseinandersetzung 10 ausgewiesenen polemisch-scharfen aber sachlich 3 Es sind dies, unter Angabe der Fundstellen in den Staatsrechtlichen Abhandlungen - zu den Erstveröffentlichungen siehe das Literaturverzeichnis im Anhang bzw. in den Staatsrechtlichen Abhandlungen, S. 609 - 613; im übrigen sind die Staatsrechtlichen Abhandlungen chronologisch aufgebaut, so daß von daher schon eine gewisse Orientierung möglich ist - Die Verschiebung der konstitutionellen Ordnung durch die Verhältniswahl, (S. 60 bis 67); Die politische Gewalt im Verfassungsstaat und das Problem der Staatsform, S. 68 - 88; Das Recht der freien Meinungsäußerung, S. 89 - 118. 4 Bürger und Bourgeois im deutschen Staatsrecht, in: Staatsrechtliche Abhandlungen, S. 309 - 325. 5 Ebenfalls wieder abgedruckt in: Staatsrechtliche Abhandlungen, S. 475 bis 481 bzw. 482 - 486; - Diese Artikel sind zwar erst nach 1945 veröffentlicht worden und fallen an sich aus dem hier zu untersuchenden Rahmen heraus. Als lexikalische Zusammenfassungen können und müssen sie jedoch als verdeutlichende Selbstinterpretation Berücksichtigung finden. 6 Bartlsperger, Richard, Die Integrationslehre Rudolf Smends als Grundlegung einer Staats- und Rechtstheorie, Diss. jur. Erlangen - Nürnberg 1964 (weiterhin zitiert: Die Integrationslehre R. Smends). 7 Mols, Manfred, Allgemeine Staatslehre oder politische Theorie? Interpretation zu ihrem Verhältnis am Beispiel der Integrationslehre Rudolf Smends, Berlin 1969; siehe auch seine eigene Zusamenfassung dieser Arbeit in dem Aufsatz: Mols, Manfred, Integrationslehre und politische Theorie, in: AöR, 94, N. F. 55, 1969, S. 513 - 553. 8 Mols, Allg. Staatslehre oder polit. Theorie?, S. 193. g Mols, Allg. Staatslehre oder polit. Theorie?, S. 209, siehe auch ebd., S. 211. 10 Kelsen, Hans, Der Staat als Integration. Eine prinzipielle Auseinandersetzung, Wiert 1930; zur Frage der Theorie-Qualität der Smendschen Konzeption vgl. ebd., S. 46, 49.
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detail beflissenen und von großer Textnähe zeugenden Auseinandersetzung mit Smend. Eine Konfrontation mit Kelsen findet sich bei Mols jedoch nicht, aus dem Grund, weil sich dessen Schrift selbst "durch die allzu ätzende Säure überdrehter Polemik"l1 entwerte. Eine Diskussion der übrigen Sekundärliteratur wird mit dem gleichen Verdikt als ineffizent ausgewiesen, zum al sie "in ihrem Wissenschaftsverständnis partiell veraltet, in ihrer Textgrundlage aber sogar überholt ist"12. Keines dieser Argumente vermag jedoch zu überzeugen. Es stellt sich nämlich die Frage, wieso denn nur die Sekundärliteratur und nicht auch Smends Lehre selbst partiell veraltet ist, besonders wo man ihr ebenfalls eine polemische Note nicht absprechen kann13. Und einer wissenschaftlichen Abhandlung vorzuwerfen, daß sie die nach ihr erschienene Literatur nicht verarbeitet habe, ist absurd, zumal da es sich bei den "neuen" Texten eben nur um zusammenfassende lexikalische Artikel handelt. Eine grundlegende Änderung ist von daher nicht zu erwarten und wird auch von Sm end nicht vorgenommen. Auf Grund dieser Texte dann jedoch die Irrelevanz von kritischen Auseinandersetzungen mit dem auch heute noch gültigen Hauptwerk Smends zu behaupten, muß verwundern. Dieser These fehlt jegliche Beweiskraft. So bleibt als einziges Argument, daß die Literatur über Smend bisher nicht die Molsche Fragestellung berührte l 4, untersucht Mols doch die Integrationslehre auf die Frage ihrer Brauchbarkeit als politische Theorie hin. Dieser Ansatz hätte jedoch zunächst als Voraussetzung die Klärung der Eigenart der Smendschen Lehre haben müssen, deren wissenschaftlich kritische Erarbeitung, eine Klärung der Frage, ob es sich wirklich um Theorie handelt. Das hätte aber zugleich eine Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen und späteren Sekundärliteratur bedeutet. Diese fehlt jedoch bei Mols gänzlich und es fehlt auch die Auseinandersetzung mit Smend. Andere politische Theorien stehen bei Mols im Vordergrund15, deren epistemologischen Grundlagen interessieren. Smends Lehre wird lediglich in harmonisierter Kurzfassung geboten16 , um sogleich auf die epistemologischen Grundlagen hin betrachtet zu werden. In dieser Darlegung wird sie zur reinen Lehre erhoben 17 , zum Theoriemodell ohne Smendsche Inhalt11 12
Mols, Allg. Staatslehre oder polit. Theorie?, S. 129. Mols, Integrationslehre und polit. Theorie, S. 521. So Smend selbst in: Verfassung und Verfassungsrecht,
13 S. 180; vgl. seine polemische Wendung gegen die aus Wien ebd., S. 124 und ders., Das Recht der freien Meinungsäußerung, in: Staatsrechtliche Abhandlungen, S. 93. 14 Vgl. Mols, Allg. Staatslehre oder polit. Theorie, S. 129 - 130. 15 Vgl. Mols, ebd., S. 15 - 142; dieser Teil nimmt genau die Hälfte der gesamten Arbeit von Mols in Anspruch. 16 So schon Friedrich, Manfred, Die Grundlagendiskussion in der Weimarer Staatslehre, in: PVS, 13, 1972, S. 585/6. 17 Kritisch hierzu schon Friedrich, ebd., S. 584.
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lichkeit. In aller Deutlichkeit beweist dies das Ergebnis der Molschen Arbeit. Nicht nur dessen Dürftigkeit ist zu beklagen18, sondern es fällt auf, daß es rein als Aussage über ein allgemeines Modell der Politik ausfällt und die Kritikpunkte daran ebenfalls aus diesem allgemeinen Modell deduziert werden können. Der Bezug auf Smend erweist sich als nicht notwendig 19 • Mols Arbeit erweist sich somit als reine metatheoretische Auseinandersetzung, die aber bezüglich der Smendschen Lehre eine wissenschaftliche Verifizierung ihrer Grundlagen vermissen läßt und damit zu weitreichenden verzerrenden Interpretationen gelangt. Ihr Wert für eine Erörterung der Lehre Smends ist damit äußerst begrenzt und ein spezielleres Eingehen auf sie wenig sinnvoll, weshalb die kritische Auseiandersetzung mit ihr vor die eigentliche Analyse der Integrationslehre vorgezogen worden ist. a) Integration als Erlebnisfähigkeit; ihre Beschränkung auf die geistige Ebene
al) Zur Ansatzproblematik gegenüber der Smendschen Lehre
Ausdrücklich bezieht sich Smend in seiner grundlegenden Schrift zur Integrationslehre, - Verfassung und Verfassungsrecht, - auf die Theorie Litts2o • Damit stellt sich die Frage, inwieweit eine Analyse und ein Verständnis des Littschen Werkes Voraussetzung für das Verständnis der Smendschen Integrationslehre ist21 • Nun findet bei Smend. jenseits einfacher Bezüglichkeit keine Auseinandersetzung mit Litt statt, vielmehr wird eine Grundlegungsdiskussion ausdrücklich verworfen und die Begründetheit der Methode auf die Plausibilität des letztendlichen Ergebnisses verwiesen22 • Somit ist auch der Interpreta.,. tion der Ansatz gewiesen, nicht eine vorgängige Lehre ist als Ansatz zu wählen, sondern das Smendsche System selbst, welches aus sich selbst Bestand haben soll. Als adäquater Interpretationsansatz wird dieser Ansatz auch von dem entgegengesetzten Versuch, der von der Littschen Theorie ausgeht und wie ihn Bartlsperger durchgeführt hat, sowie von dessen Ergebnis belegt. Denn die Theorie Litts müßte wegen ihres allgemeinen Charakters zunächst für den staatstheoretischen Bereich konkretisiert werden23 • Diese Deduktion wird, wie Friedrich, ebd., S. 587. Vgl. Mols, Allg. Staatslehre oder polit. Theorie?, S. 294 - 295; ders., Integrationslehre und polit. Theorie, S. 550 - 553. 20 Verfassung und Verfassungsrecht, S. 119, 121; als ein Beispiel konkreter Durchführung vgl. ebd., S. 127 - 135. 21 z. B. Bartlsperger, Die Integrationslehre R. Smends, S. 5 sieht eine Kenntnis des Werks von Litt als notwendig für das Verständnis der Smendschen Lehre an. 22 Vgl. Verfassung und Verfassungsrecht, S. 120,124/125. 18
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Bartlsperger in eingehender Untersuchung festgestellt hat, bei Smend nur zum Teil durchgeführt24 . Weitgehend handelt es sich um eine originäre Weiterentwicklung von Smend25 . Eine gesonderte Beschäftigung mit Litt erweist sich daher als nicht notwendig. Die Analyse der Smendschen Lehre allein ist zureichend. Dabei sollen zunächst die Darlegungen Smends zur Kennzeichnung der Integration (a2 - a4), sodann die Aussagen, die das Wesen des Staates näherhin besthnmen, also das Ergebnis zunächst untersucht (b) und bewertet werden (c), um im letzten Abschnitt (d) dann die Lehre insgesamt einzuordnen. "Integration als grundlegender Lebensvorgang des Staates"28 wird von Smend in drei Typen unterschieden27 und gemäß diesen auch bestimmt. Die Analyse hat diesen Darlegungen zu folgen, da, wie Kelsen aufgewiesen hat, die zitierte Smendsche Definition als solche eine "schlechthin nichtssagende Trivialität"28 ist. Da Integration lediglich einigenden Zusammenschluß meint 29 , ist die Aussage, das Wesen des Staates sei Verbindung, von wahrhaft geringem Erkenntniswert. Die Frage nach dem eigentlichen Sinn der Integration, danach worin diese Verbindung besteht, ist zur Beantwortung auf die konkrete Bestimmung der drei Integrationstypen: persönliche, funktionelle und sachliche Integration verwiesen. a2) Persönliche Integration als Symbolisierung
Unter persönlicher Integration versteht Smend zunächst Führung30, will dabei aber das bisherige Verständnis von Führung korrigiert wissen. Führung bedeute Iücht nur Aktion des Führers und Passivität der Geführten31 , sondern wesentlich sei, daß "die Führer Lebensform der sozial und geistig in ihnen lebendig und aktiv Werdenden sind"s2. Neben der sachlichen Funktion komme dem Führer eine "zweite Aufgabe" zu, nämlich sich "auch als der Führer der von ihm Geführten 23 Vgl. hierzu Mayer, Hanns, Die Krisis der deutschen Staatslehre und die Staatsauffassung Rudolf Smends, Diss. jur. Köln 1931, S. 41, 46; und Mols, Allg. Staatslehre oder polit. Theorie?, S. 171. 24 Bartlsperger, Die Integrationslehre R. Smends, S. 8, S. 13. 25 Vgl. Bartlsperger, Die Ihtegrationslehre R. Smends, S. 12/13, 17, 20; siehe auch den Aufweis der Unvereinbarkeit des Littschen Begriffs des "geschlossenen Kreises" mit der Struktur des Staates bei: Kelsen, Der Staat als Integration, S. 35 - 37. 28 Verfassung und Verfassungsrecht, S. 136. 27 Ebd., S. 142. 28 Vgl. Kelsen, Der Staat als Integration, S. 46. 2V SO die Bestimmung in: Verfassung und Verfassungsrecht, S. 120. 30 Verfassung und Verfassungsrecht, S. 142. 31 Ebd., S. 143. 32 Ebd.
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zu bewähren"33; er habe "das ganze Staatsvolk zur staatlichen Einheit (zu) integrieren"34. Die Integrationsfunktion wird scharf von der sachlichen Ebene getrenntS5, ja Führung wird schließlich allein auf die Symbolfunktion eingeschränkt. Der Monarch als Symbol für geschichtliche Gemeinschaftswerte, Analogon zu Fahnen, Wappen, Hymnen, als Mystikum a la Tell und Winkelried 36 . Sachlich politische Entscheidung und Rationalität bleiben ausgeschaltet, die Integration des Volksganzen geschieht schließlich durch "Wesen und Haltung der Persönlichkeit"37 an der Staatsspitze. Sie wird irrational38, allein zum Kristallisationskern für das Erlebnis der GesamtheitS9 • Dieser Integrationsbegriff wird auch auf die "Bürokratie in Verwaltung und Justiz"40 angewandt. Auch hier komme es nicht allein auf korrekte Aufgabenerfüllung an, sondern auf die "bestimmte Färbung" dieser Tätigkeit, die sich aus der beeinflußten Beziehung des Beamten zum Publikum ergibt41 . Ist hier auch diese integrative Funktion nicht die erste Aufgabe, so wird doch eine Gefahr dieses Typus der persönlichen Integration offenbar. Losgelöst von der sachlichen Ebene, in Irrationalität gefaßt, schlägt er um zu einer Aufweichung des objektiven sachlichen Bereichs. a3) Funktionelle Integration als Erlebnisfähigkeit
Als zweite formale Integrationsart neben der persönlichen Integration wird die funktionelle Integration genannt. Mit diesem Begriffe werden "die integrierenden Funktionen oder Verfahrensweisen, die kollektivierenden Lebensformen"42 erfaßt. Daß diese Form analog der persönlichen Integration abgehoben von der sachlichen Ebene verstanden wird, wird schon daraus ersichtlich, daß Smend für deren Bestimmung die juristische Lehre als inadäquat erklärt, die Sozialpsychologie aber als nützlich anerkennt43 . Funktionelle Integration bezeichne "VorEbd., S. 144. Ebd. 35 Vgl. auch die Reinigung des Faktums des Führerwechsels von jedem Verantwortlichkeitsaspekt ebd., S. 144 Anm. 6. 36 Vgl. Verfassung und Verfassungsrecht, S. 144/145. 37 Ebd., S. 145. 38 Vgl. ebd., S. 145 Anm. 12 und 13, die sich objektiven Kriterien entziehende Aussage über die Ungeeignetheit von Ost juden für die Integration; siehe hierzu auch die Kritik bei Kelsen, Der Staat als Integration, S. 50 - 55. 39 Die Ovation für den Souverän wird so zur Aktualisierung des Selbstbewußtseins des Volkes, vgl. Verfassung und Verfassungsrecht, S. 145. 40 Ebd., S. 146. 41 Ebd., S. 146/147. 42 Verfassung und Verfassungsrecht, S. 148. 43 Ebd., S. 148/149. 33
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gänge, deren Sinn eine soziale Synthese ist, die irgendeinen geistigen Gehalt gemeinsam machen oder das Erlebnis seiner Gemeinsamkeit verstärken wollen"44. Funktionelle Integration bezieht sich also auf Geistiges. Diese geistige Qualität könne einerseits durch Aktionen auf sinnlichem Gebiet verwirklicht werden. Als Ideal erscheint dabei die integrierende Zusammenfassung des Militärs im Maschieren, im staatlichen Bereich "als ein Hineinzwingen der Masse in einem geradezu militärischen Gleichtritt von Gefühl und Wollen"45 verstanden. Verwundern kann deshalb nicht mehr die Feststellung, daß das Heer eine Lebensform des Volkes sei46 • Es ist vielmehr zu fragen, was dieses Geistige der sozialen Synthese näher hin meine, wenn es durch das rhythmische Knallen von Soldatenstiefeln entsteht, wenn staatliche funktionelle Integration vergleichbar der Liturgik, Ästhetik, des Tanzes oder der Gymnastik behauptet wird 47 . Auf der anderen Seite kennt Smend auch funktionelle Integration als rein geistigen Vorgang, als Wahl und Abstimmung48 • Beiden Formen, also der funktionellen Integration allgemein, ordnet Smend im Staate die Willensbildung zu, aber nicht im Sinne "rechtsgeschäftlicher Willensbildung"49, sondern im Sinne "der immer neuen Herstellung der Staatsgemeinschaft als Willensverband überhaupt"5o. Nicht Willensbildung, nur Schaffung der Voraussetzungen für staatliche Willensbildung. Eine Unterscheidung Smends, die erst in den konkreten Ausführungen zur Bedeutung der Integration der Wahl verständlich wird, in denen auch faßbar wird, was die Geistigkeit der funktionellen Integrationssynthese bedeutet. Wahlen und ähnliche Mechanismen, - Formen, in denen "sich die soziale Wertgesetzlichkeit des Geistes am unmittelbarsten"51 auswirkt, - werden verstanden als Formalisierungen des Kampfes, als Austrag innenpolitischer Kämpfe zur Bildung einer Einheit52 • Es seien Vorgänge, die sich durch tiefe Erlebnisqualität auszeichnen. Kampf wird zum Erlebnis, ein Erlebnis als "Erhöhung des Lebensgefühls des Einzelnen"53 und so versehen mit einer "wohltuenden kathartischen Wirkung"54 zur Einheit hin. Wahl funktioniert, Wahl integriert unabhän44 Ebd., S. 149. 45 Ebd., S. 149. 46 Ebd., S. 161 Anm. 3. 41 Ebd., S. 150. 48 Ebd. 4g Ebd. 50 Ebd., S. 150. 51 Ebd., S. 151. 52 Ebd. 53 Verfassung und Verfassungs recht, S. 152. 54 Ebd., S. 151. 16"
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gig von dem zu vernachlässigenden Element der Entscheidungsfindung 55 • Wahl wird so allein zur Erlebnisqualität, unter diesem Aspekt wird sogar Bürgerkrieg funktional 56 • Wahl kann deshalb nur als öffentliche Wahl funktionieren, d. h. integrieren57, Verhältniswahl ist als weniger integrativ einzuordnen58 ; Konsequenzen, die sich logisch ergeben, wenn das sachliche Moment zugunsten einer Erlebnisfähigkeit entfällt, eine Erlebnisfähigkeit, die sachlich nicht verankert ist. In diesem Verständnis der funktionellen Integration weist Smend eine deutliche Nähe zum Schmittschen Gedankengut auf59 • Doch gelangt Smend in Abhebung von Schmitt mit seiner Betonung der Erlebnisfähigkeit und Erlebnisqualität nicht zu einer grundsätzlichen Ablehnung des Parlamentarismus. Dessen Aufgabe sei nämlich keinesfalls, sachliche Entscheidungen zu fällen, sondern nur eine Gesamthaltung herbeizuführen, aus der dann den Sachlösungen " rückwirkend", d. h. im nachhinein, integrative Bedeutung zuerkannt werden kann60 • So meint Smend, das französische Parlament als durchaus funktional einstufen zu können, eine Bewertung, die er dem Parlament in Deutschland versagt. Der Grund: in Frankreich sei die Anerkennung der Politik als theatralische Rethorik weit verbreitet 6t . Die Erlebnisqualität sei hier atmosphärisch gesichert, das Kriterium für die Bestimmung funktioneller Integration erweist sich als gegeben. Funktionelle Integration wird sozusagen zu einem vagen Begriff, sie setzt zwar die Beteiligung aller im Staate voraus, doch wird diese von vornherein als "innere" Beteiligung bezeichnet. Aktive Beteiligung meint allein, daß der Bürger Zuschauer ist, es genügt, daß er in "Fühlung mit der politischen Welt" ist, wenn er auch nur im Gleichtritt unbewußt mitmarschiert62 • Nicht aktive Beteiligung des Einzelnen, sondern aktives oder auch nur unbewußtes Miterleben kennzeichnet die funktionelle Integration. Nicht von ungefähr erscheint in diesem Zusammenhang der italienische Faschismus als Ideal 6s, da er die unmittelbare Integration Ebd. Vgl. Verfassung und Verfassungsrecht, S. 152 Anm. 14. 57 Vgl. ebd., S. 153 Anm. 20. 58 Vgl. ebd., S. 200 - 201; siehe auch Smend, Die Verschiebung der konstitutionellen Ordnung durch die Verhältniswahl, S. 64 - 65. 59 Vgl. Schmitts Forderung der Öffentlichkeit der Wahl in: Verfassungslehre, S. 245, 280/281; die Bedeutung des Bürgerkrieges für die Einheit des Staates in: Schmitt, Carl, Der Begriff des Politischen H, S. 46/47; sowie allgemein die Bedeutung des Kampfes in: Schmitt, Carl, Der Begriff des Politischen, passim. 80 Verfassung und Verfassungsrecht, S. 154 -155, S. 154 Anm. 26; vgl. auch die Verschiebung der konstitutionellen Ordnung durch die Verhältniswahl, S. 61 - 63. 61 Verfassung und Verfassungsrecht, S. 153. 62 Ebd., S. 156/157. 63 Ebd., S. 157. 55
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durch Korporativismus, Militarismus und Mythos benutzt und nicht die abgestufte sachlich politische Integration des Liberalismus aufrecht erhält. Dadurch wird funktionelle Integration identisch mit Herrschaft. Weist sie sich doch gerade als legitim aus, indem sie sich irrationaler Werte bedient und so eine "Erlebnisgemeinschaft"64 schafft, ohne die Sachfrage gestellt zu haben. Formelle Integration, d. h. persönliche wie auch funktionelle Integration, bezieht sich ausschließlich auf die Sphäre der Erlebbarkeit. Sie ist "als solche ohne Zweck", "nicht technisch", sie ist "vergleichbar dem Exerzieren und Manövrieren eines Heeres im Frieden", Einheitsstiftung ähnlich dem Erlebnis "der Geselligkeit, dem Tanz, der Gymnastik"65. Funktionen ohne sachlichen Aspekt, so daß die sachliche Integration, als scharfer Gegensatz zur formellen verstanden66 , an Bedeutung gewinnen müßte.
a4) Sachliche Integration als Erlebnisqualität von Sachen Smends sachliche Integration läßt jedoch den zu erwartenden neuen Aspekt gegenüber der formellen Integration vermissen. Ein Verständnis des Staates als Organisation zur Verwirklichung staatlicher Zwecke wird ausdrücklich abgelehnt 67 . Staat sei vielmehr "eine individuelle Einheit, eine Totalität"68. Er ist in seiner Wertfülle etwas überindividuelles, das sich als ein "dauernder einheitlicher motivierender Erlebniszusammenhang für die ihm Angehörenden"69 offenbart. Staat ist schon, das Problem für Smend lautet allein, wie der Einzelne mit ihm verbunden gedacht werden kann. Da Staat schon existiert, kann es sich nicht um eine aktive Beteiligung oder Beziehung handeln. Und wieder, und fast konsequent aus dem Smendschen Staatsbegriff folgend 70, kann es nur das Erleben sein, das Staat und die ihm Angehörenden eint. Sachliche Integration kann bei Smend also nie Integration durch Sachentscheid meinen, sachliche Integration hebt allein auf den Integrations- oder Erlebniswert von Sachen ab. Integration bei Smend bedeutet allein Erlebnisqualität. Ein Unterschied zwischen sachlicher und formeller Integration ist nicht festzustellen. Die einzelnen InteU Verfassung und Verfassungsrecht, S. 158; allgemein hierzu ebd., S. 157 bis 159; vgl. auch ebd. die strikte Trennung von rationaler Verwaltung und irrationaler Legitimität, d. h. von Sachentscheid und Integration. 85 Verfassung und Verfassungsrecht, S. 159. 66 Ebd., S. 160. 61 Verfassung und Verfassungsrecht, S. 160 -162. 6B Ebd., S. 162. 89 Ebd. 10 Zu Smends Staatsbegriff, seine methodische Herkunft und zu dessen Kritik vgl. unten Teil Irr, 3 c.
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grationstypen unterscheiden sich allein hinsichtlich des Kerns, an dem sich die Erlebnisqualität herauskristallisieren soll. Nicht von ungefähr ist deshalb die Übereinstimmung von persönlicher Integration des Monarchen und sachlichen Gehalten im System Smends71 • Denn die extensiven Sachgehalte können schließlich nur Erlenbisqualität besitzen, d. h. integrieren, wenn sie zum Symbol verdichtet sind. Erst als symbolisierter Sachverhalt eignet ihnen eine "irrationale und individuelle Fülle", die sie so elastisch macht, daß jeder sie verstehen kann wie er will, er aber trotzdem in die staatliche Einheit eingefügt isF2. Sachgehalt wird so zum "Glaubensgehalt"73, ein Glaube, sachlich abgehoben und unbegründet, der gerade deshalb "die Möglichkeit erhöhtester staatlicher Inanspruchnahme des Einzelnen, etwa im Kriege"74 erlaubt. Einheit des Staates durch Integration bewirkt, meint Einheit abgesehen von der Frage des Zwecks des Staates. Eine Einheit, die sich schließlich auf solche Elemente stützt wie das geistige Erleben des Staatsgebietes75 . Diese Scheidung der Integration von der sachlichen Ebene ist in der Literatur zu Smends Lehre des öfteren festgestellt und auch kritisiert worden76 . Dabei geht Kelsens Kritik jedoch zu weit, wenn er Integration allein als Reflex der technischen Tätigkeit des Staates verstanden wissen will 77 • Denn Integration muß sich nicht allein als Begleitfaktor sachlicher Entscheidungen einstellen7B , sie kann es auch unabhängig davon. Um diese un-sachliche Integration ist es Sm end allein zu tun, diese Integrationsart wird propagiert, da ansonsten "das Urteil über ihn (den Staat) nur ungünstig ausfallen"79 kann. Der sachliche Aspekt Vgl. Verfassung und Verfassungsrecht, S. 162/163 mit S. 144/145. Vgl. ebd., S. 163/164; Zitat ebd., S. 163; vgl. hierzu auch Herzog, Roman, Allgemeine Staatslehre, Frankfurt 1971, S. 82 - 83, den Smend in seinem Artikel Integration im: Evangelisches Staatslexikon, 2. Aufl. Stuttgart - Berlin 1975, Sp. 1027 zustimmend erwähnt. 73 Vgl. die zentrale Bedeutung, die Smend diesem Glaubensgehalt einräumt in: Verfassung und Verfassungsrecht, S. 164/165. 74 Verfassung und Verfassungsrecht, S. 164 (Hervorhebung von mir, V. H.). 75 Vgl. ebd., S. 169; Zur Bewertung siehe schon Stier-Somlo, Fritz, Art. Verfassung, Verfassungsrecht, in: Handwörterbuch der Rechtswissenschaft, Bd. 6, Berlin - Leipzig 1929, S. 388. 76 Vgl. besonders: Wackernagel, Jacob, Besprechung von R. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, München - Leipzig 1928, in: Zeitschrift für Schweizerisches Recht, 47, 1928, S. 504 - 511; Kelsen, Der Staat als Integration, S. 50; Wohlgemuth, Das Wesen des Politischen, S. 49; Bartlsperger, Die Integrationslehre R. Smends, S. 41/42. 77 Vgl. Kelsen, Der Staat als Integration, S. 50; siehe seine brilliante Reduktion der Integrationsterminologie auf die normale Begrifflichkeit ebd., S. 47/48 - den Konsequenzen, die Kelsen aus dieser Kritik zieht, kann jedoch nicht gefolgt werden. 78 Vgl. die zwei Hauptformen der Integration bei Häußling, Josef, Art. Integration, in: Staatslexikon. Recht, Wirtschaft, Gesellschaft, Bd. IV, 6. Aufl. Freiburg 1959, Sp. 342. 79 Verfassung und Verfassungsrecht, S. 165. 71
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ist also bewußt aus der Betrachtung ausgeschaltet, allein Erlebnisfähigkeit interessiert. Integration wird nur intransitiv verwendetSO, die Handlungen des Staates werden ausdrücklich als "objektlos" bezeichnet S1 . Bleibt aber dieser ganze Aspekt der Objekthaftigkeit aus der Betrachtung ausgeschlossen, so ist die Frage nach der Bewertung und Einordnung der Integrationslehre im Rahmen einer allgemeinen Staatslehre zu stellen. b) Mängellehre mit dem Anspruch einer Grundlagentheorie
Die Integrationslehre, mit ihrer ausschließlichen Konzentration auf "die empirische Erlebbarkeit und Verstehbarkeit des Staates"S2, ist von M. Drath als "eine ausgesprochene Mängellehre"s3 interpretiert worden, die lediglich eine Seite des Staates, - wenn auch eine zentrale, - zu ihrem Anliegen gemacht habe. Dieses Verständnis der Smendschen Lehre scheint durchaus zutreffend zu sein, wird doch allein schon Integration nur als Sinnprinzip der Verfassung und nicht des Staates überhaupt eingeführtS4 . Dem stehen jedoch andere Aussagen an zentraler Stelle der Entwicklung der Lehre von der Integration entgegen, die sie als "grundlegenden Lebensvorgang des Staates"S5 oder als die Wirklichkeit des StaatesS6 bezeichnen. Zwar wird Integration von Smend als ein vernachlässigtes Problem, seine Lehre demnach als Mängellehre gesehen, doch handelt es sich dabei gemäß Smend um ein "Hauptproblem der Staatstheorie"s7. Dieses wird zwar nur unter dem Aspekt einer Verfassungstheorie angegangen, trotzdem aber in ihrer grundsätzlichen Bedeutung gesehenss. Will man also die Integrationslehre als Mängellehre bezeichnen, so nur unter der Voraussetzung, daß dieser Mangel als grundlegender Mangel verstanden wird. 80 Diese Klassifizierung von Sm end selbst eingeführt in: Art. Integrationslehre, in: ders., Staatsrechtliche Abhandlungen, S. 476; vgl. auch ebd., S. 476 - 478 die Verengung der Integration allein auf den intransitiven Begriff. 81 Die politische Gewalt im Verfassungsstaat und das Problem der Staatsform, in: Staatsrechtliche Abhandlungen, S. 80 - 81 (weiterhin zitiert: Die politische Gewalt). 82 So Smends Selbsteinordnung in: Art. Integrationslehre, in: Staatsrechtliche Abhandlungen, S. 480. 83 Drath, Martin, Art. Staat, in: Evangelisches Staatslexikon, 2. Aufl. Stuttgart - Berlin 1975, Sp. 2464. 84 Verfassung und Verfassungsrecht, S. 120. 85 Ebd., S. 136. M Ebd., S. 171. 87 Ebd., S. 180. 88 Ebd., vgl. auch ebd., S. 119 die Einordnung der geisteswissenschaftlichen Methode als Grundlage für alle Zweige der Staatstheorie; siehe auch die Betonung der Objektlosigkeit der Politik, - das bedeutet Integration als Voraussetzung für jede Staatslehre, - in: Die politische Gewalt, S. 82, 84.
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Eindeutiger wird man sie deshalb ihrem Selbstverständnis nach als Grundlagenlehre bezeichnen müssen. Diese Qualifizierung erweist sich auch als zutreffend, wenn man die weitere Durchführung der Lehre von Smend überblickt. So wird die Realisierung der Integration, der Integrationsprozeß, als das Grundlegende und Entscheidende gegenüber der Verfassung bestimmt. Verfassung sei nur "die gesetzliche Normierung einzelner Seiten dieses Prozesses"89, sie ist nur zweitrangig 90 . Damit gewinnt die Verfassung eine Elastizität, die zur Auflösung jeglicher Norm führen muß. Der Verfassung fehlt ja ein eigentlicher Sinn, Bedeutung kommt ihr nur vom Integrationsprozeß zu. In dessen Namen kann sie in tieferer Bedeutung verstanden werden. Als Ergebnis stellt sich dann der paradoxe Umstand heraus, daß ein Verhalten entgegen der Norm schließlich dieser Norm im volleren Sinn genügt91 • Im Namen der Integration werden Normen, Kodifizierungen und· Objektivierungen aufgeweicht und verlieren ihre Orientierungsfunktion, sie werden bedeutungslos92 • Ein analoges Verhältnis ist auch in der Beziehung von Integration zum Recht festzustellen. Smend unterscheidet zwischen Rechts-, Machtund Wohlfahrtszweck des Staates, denen der Rechtswert, Integrationswert und der Verwaltungswert korrespondieren, wobei keine dieser Staatsfunktionen von einem Wert allein beherrscht werde 93 • Später hebt Smend jedoch nur noch auf Recht und Integration ab, die er als "untrennbar verbundene, aber doch je in sich geschlossene"9~ Bereiche kennzeichnet; der eine bestimmt vom Rechtswert, der andere vom Integrationswert. Daß der Integration dabei eine entscheidende Bedeutung Verfassung und Verfassungsrecht, S. 189. Ebd., S. 135 und S. 135 Anm. 34. 't Vgl. hierzu ebd., S. 190, 217, 237, 244, 249/250; siehe auch Die politische Gewalt, S. 83/84. 92 Vgl. demgegenüber die harmonisierende "Interpretationsthese" von Mols zum Verhältnis Verfassung und Integration, in: Mols, Allg. Staatslehre oder polit. Theorie?, S. 206, die aber Mols selbst gegenüber seiner Darlegung des Problems (ebd., S. 199 - 206Y als bloße unbewiesene Setzung erscheint; Ein dialektisches Verhältnis zwischen Wirklichkeit und Norm vermeint Leibholz, Gerhard, In memoriam Rudolf Smend, Gedenkrede. anläßlich der Gedenkfeier am 17; Januar 1976 in der Aula der Universität Göttingen, Göttingen 1976, S. 31 - 38 als Grundintention von Smend diagnostizieren zu können. Doch wird man dieses Verständnis als eine über Smend hinausgehende Interpretation ansehen müssen, die der scharfen antipositivistischen Haltung Smends nicht Rechnung trägt und auch von seinen späteren Veröffentlichungen nicht gedeckt wird. Vgl. zum letzteren Moment Sm end, Rudolf, Das Problem der Institutionen und der Staat. Staat als Beruf (in: Zeitschrift für evangelische Ethik, 6, 1967, S. 65 ff.), wieder abgedruckt in: Staatsrechtliche Abhandlungen, S. 500 - 516. Zu der hier vorgelegten Interpretation vgl. auch Ehmke, Horst, Grenzen der Verfassungsänderung, Berlin 1953, S. 59 - 61. 93 Vgl. Verfassung und Verfassungsrecht, S. 193 - 195. 94 Ebd., S. 207. 89 90
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zukommen muß, wird schon daraus deutlich, daß die Justiz, obwohl nicht dem Integrationswert dienend, trotzdem integrieren so1l95. Denn Staatssystem und Rechtssystem seien durch die Gesetzgebung verbunden, der eine Doppelrolle zukomme, da sie die höchste Funktion in beiden Systemen sei. Gesetzgebung im formellen Sinn als staatliche Funktion, Gesetzgebung im materiellen Sinn, d. i. Normsetzung, als Rechtsbegriff 96 . Diese reine Aspektdifferenzierung muß notwendig auf eine Einheit zurückgeführt werden, die von Smend in der staatlichen Funktion gesehen wird. Der normative Aspekt wird relativiert und zur Funktion des staatlichen Aspekts, denn "die Zeitbedingtheit und der Wechsel des materiellen Gesetzesbegriffs" kennzeichne ihn als "stets relativ ... auf bestimmte Gerechtigkeitsansprüche an die staatliche Gesetzgebung"97. Der normative Aspekt des Rechts ist so staatlich relativiert, was ausdrücklich begrüßt wird, weil der Staat "durch seine endgültige Emanzipation von aller und jeder bisherigen der politischen Sphäre transzendenten Legitimierung erst zum modernen Rechtsstaat geworden ist"98. Wird Recht so durch Integration normlos, ist die Ausrichtung der Verwaltung an diesem Wert nicht mehr überraschend, sondern notwendige Konsequenz 99• Schließlich wird Integration auch zum Entscheidungskriterium über Staatstheorien. Marxismus100 und Liberalismus101 werden abgelehnt, da sie nur einen Integrationstypus verwirklichen, - allein den sachlichen oder funktionellen. Monarchie und Demokratie werden bezüglich ihrer integrativen Funktion gleichgerichtet interpretiert, wobei sich eine Nähe zum Schmittschen Machtstaatsgedanken mit seiner ebenfalls vollzogenen Analogie von Monarchie und Demokratie feststellen läßt102 • Als Ideal erweist sich erneut der italienische Faschismusj 95 Ebd. S. 208; vgl. auch Kelsens Polemik zu dieser Bestimmung in: Der Staat als Integration, S. 66/67. 98 Verfassung und Verfassungsrecht, S. 209. 97 Ebd. 98 Ebd., S. 211. 98 Vgl. ebd., S. 146 -147: das Verständnis der Bürokratie als persönliche Integration, sowie ebd., S. 208: die integrative Rolle der nicht-integrativen Justiz. 100 Vgl. Verfassung und Verfassungsrecht, S. 174. 101 Ebd., S. 219; der Unterschied zur Bewertung in: Die politische Gewalt, S. 85/86 ergibt sich aus der Entwicklung des Smendschen Integrationsbegriffs; vgl. hierzu Wohlgemuth, Das Wesen des Politischen, S. 39 - 43 vgl. auch Kelsen, Der Staat als Integration, S. 78/79 Anm. 2. Ein Eingehen auf die Entwicklung des Integrationsbegriffs bei Smend von der ersten unsystematischen Erwähnung bis hin zu seiner Bedeutung als zentraler Begriff der Smendschen Lehre wäre sicherlich sehr interessant, bei der hier verfolgten Fragestellung aber nicht weiter von Belang, so daß der Hinweis hierauf genügen mag. 102 Vgl. Verfassung und Verfassungsrecht, S. 220 - 223; Die politische Gewalt, S. 86/87.
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da er die "Notwendigkeit allseitiger Integration mit großer Klarheit gesehen hat"103 und eine umfassende Kombination aller Integrationstypen vollzogen hat. Überblickt man die Lehre Smends, dann läßt sich die These, es handle sich um eine Grundlagenlehre, als bestätigt feststellen. Integration als die letztbestimmende Qualität aller Aspekte der Staatstheorie. Konsequenz dieser grundlegenden Bedeutung ist jedoch, daß Staatstheorie von jeder Normativität befreit ist 104 . Integration wird zum Weichmacher jeder objektiven Kodifikation. Es wird Verfassungswandlung gegen die kodifizierte Verfassung möglich105, Recht und Justiz am Publikum orientiert, wobei der Bezug zur Norm durchaus erhalten bleibt, nur deren Bedeutung wird irrelevant, da mit der Behauptung einer eigentlichen Integrationsaufgabe ihr jeglicher beliebiger Inhalt zuerkannt werden kann106. Deduktiv wird das Prinzip der Integration auf alle Gebiete der Staatstheorie angewandt 107, ohne daß andere Theorien und Lehrmeinungen kritisch überprüft würden. Über die stringente Entwicklung des Integrationsgedankens hinaus läßt sich in der Durchführung keine Auseinandersetzung mit abweichenden Vorstellungen ausmachen. Die Bewertung und Einordnung dieser Lehre muß deshalb vor allem aus der Auseinandersetzung mit der Begründung und dem Aufweis des Axioms, daß das Wesen des Staates Integration sei, erfolgen. c) Integrationslehre als Antiliberalismus und Antipositivismus
Smend versteht seine Integrationslehre als Antwort auf die Krisis der Staatslehre, hervorgerufen durch staatstheoretischen Positivismus und Liberalismus 108. Es gelte "unpolitische Staatsenthaltung" und "theoretische(r) und praktische(r) Staatsfremdheit"109 zu überwinden, sowie gegenüber dem juristischen Formalismus eine materiale Staatstheorie zu begründen llo . Staat, material verstanden, soll als Grundlage die Staatslehre aus der Krisis führen. Verfassung und Verfassungsrecht, S. 175. VgI. Bauer, Wertrelativismus, S. 298. 105 Ebd., S. 289. 105 Vgl. auch Badura, Peter, Die Methoden der neueren allgemeinen Staatslehre, Erlangen 1959, S. 188/189. 107 Vgl. hierzu schon Badura, Die Methoden der neueren allgemeinen Staatslehre, S. 189/190. 108 Vgl. Verfassung und Verfassungsrecht, S. 121 - 125; vgI. auch Art. Integrationslehre, S. 475; siehe auch Wohlgemuth, Das Wesen des Politischen, S. 52; und Bartlsperger, Die Integrationslehre R. Smends, S. 2. 109 Verfassung und Verfassungsrecht, S. 123. 110 Ebd., S. 124. 103
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Der materialen Staatstheorie stellt sich das Problem, - wie Sm end es formuliert, - der Antinomie von Individuum und Gemeinschaft1 11 . Diese Frage, die Rousseau in seinem Contrat social zu einer philosophischen Untersuchung des Staates führte, wird von Smend jedoch nicht in dieser Tiefe gesehen. Ihm gilt es als Strukturproblem, das durch die harte Substantialisierung von Ich und sozialer Welt entstehe. Ein Problem, welches sich allein schon durch die Wahl der Methode lösen lasse, indem auf eine Methode zurückgegriffen wird, die diese Substantialisierung nicht zuläßt. Dieses sei, so Sm end, die geisteswissenschaftliche Methode 112 • Als "Wissenschaft vom geistigen Leben"113 habe sie nämlich ein durch phänomenologische Abstraktion gewonnenes Apriori dahingehend, daß sie keine isolierten Elemente kenne, sondern diese immer schon "als Momente einer dialektischen Zusammenordnung"114 versteht. Nicht Substantialisierung und Funktionalisierung kennzeichne sie, sondern die Ausrichtung auf das dialektische Gefüge des Ganzen der geistigen Welt 115. Diese Methode ist also durch zwei Elemente gekennzeichnet, die sich gegenseitig bedingen. Dies ist zunächst die Isolierung allein des geistigen Aspekts und damit zusammenhängend die kritiklose Voraussetzung der Staatseinheit. Staat ist dieser Betrachtungsweise eine unproblematische Voraussetzung 116 • Die geisteswissenschaftliche Methode verunmöglicht die Fragestellung, was der Staat sei, wie das Verhältnis Staat Individuum zu verstehen ist. Sie ist ja gerade deswegen ausgesucht, um dieser "Struktur"problematik zu entgehen. Dadurch wird Staat aber dieser Methode unproblematisch, ja unthematisch. Staat ist allein soziologisches factum brutum, reine Voraussetzung 117 • Smends Lehre, die gerade den Staat wieder ins Zentrum der Betrachtung rücken will, läßt diesen methodisch außerhalb der wissenschaftlichen Analyse. Politische, soziale und ökonomische Probleme des Staates bleiben ausgeklammert, es wird allein auf eine geistige Dialektik abgehoben118 . Selbst teleoloEbd., S. 125. Ebd. 113 Ebd., S. 126. 114 Ebd. 115 Ebd., S. 127. 116 Vgl. schon MayeT, Die Krisis der deutschen Staatslehre, S. 60, 66. m Für Smend, Verfassung und Verfassungs recht, S. 132 ist "die Wirklichkeit des ,soziologischen' Staates und seine Identität mit dem Gegenstande des Staatsrechts, die wesentliche Voraussetzung der folgenden Untersuchung". Zum Smendschen Staatsverständnis siehe allgemein: Smend, Rudolf, Das Problem der Institutionen und der Staat, Staat als. Beruf (in: Zeitschrift für evangelische Ethik, 6, 1967, S. 65 ff.), wieder abgedruckt in: Staatsrechtliche Abhandlungen, S. 500 - 516. 118 Vgl. MayeT, Die Krisis der deutschen Staatslehre, S. 86, S. 3; eine ontologische Bedeutung des Integrationsprozesses vermeint dagegen Mols bei Smend erkennen zu können, in: Allg. Staatslehre oder polit. Theorie, 111
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gisches oder kausales Verständnis des Staates wird als inadäquat abgelehnt119 • Denn eine Methode, die den Staat schon voraussetzt, kann diesen eben nicht hinterfragen, sie bleibt allein auf seine Faktizität fixiert. Bleibt aber Staat Voraussetzung, wird er nicht rational wissenschaftlich bestimmt, so kann es sich hier nur um eine Staatslehre ohne Staat, oder eben um etwas anderes als eine Staatslehre handeln120 • Als weiterer Aspekt der von Smend gewählten Methode erweist sich ihre Konzentration allein auf das geistige Gebiet. Geisteswissenschaftliche Methode wird bei Smend alsbald zur Wissenschaft vom Geiste 12!, zu "einer geisteswissenschaftlichen Theorie von Staat und Verfassung als geistigen Wirklichkeiten" 122. "Staats- und Staatsrechtslehre haben es zu tun mit dem Staat als einem Teil der geistigen Wirklichkeit123 ." Dieses inhaltliche Moment erweist sich als Konsequenz der geisteswissenschaftlichen Methode. Wurde sie doch gewählt, um den Staat als Ganzes, als dialektisches Gefüge zu erfassen. Durch diesen Ausgang, durch die nicht mehr hinterfragbare Faktizität soziologisch feststellbarer Staatlichkeit, kann es sich nur um ein verstehendes Beschreiben, um eine verstehende Wissenschaft handeln124 • Das aber was verstehend analysiert werden soll, ist das in phänomenologischer Abstraktion gewonnene Apriori, d. h. eine geistige Größe. Smends geisteswissenschaftliche Methode vergeistigt so ihren Gegenstand. Das Fehlen einer wissenschaftlich rationalen Bestimmung des Staates und seine rein geistige Erfassung erweisen sich als die zwei Seiten der von Smend gewählten geisteswissenschaftlichen Methode. Staat als geistige Größe ist die Bedingung dafür, daß er als Ganzes und unkritisch zum Ausgangspunkt der Betrachtung gemacht werden kann. Diese Geistigkeit verengt sich schließlich zur Erlebnisfähigkeit. Denn zum näheren Verständnis des geistigen Staates greift Smend auf das Littsche Modell des geschlossenen Kreises zurück125 • Dieses Modell kann aber nur dann angewandt werden, wenn es sich beim Staat um eine feste Gruppe mit durchgängiger aktiver Teilnahme handelt126 • Nach S. 524 - 525; Zur Frage eines ontologischen Sinnes bei Smend vgl. jedoch Bartlsperger, Die Integrationslehre R. Smends, S. 38. U9 Siehe Verfassung und Verfassungsrecht, S. 127 -130, S. 140/14l, 160. 120 Vgl. z. B. Mayer, Die Krisis der deutschen Staatslehre, S. 55, der der Integration den spezifisch staatlichen Charakter abspricht. 121 Verfassung und Verfassungsrecht, S. 126, 131, 136; Zum Umschlag der Smendschen Methode zum inhaltlichen Moment siehe auch Mayer, Die Krisis der deutschen Staatslehre, S. 71/72; Bartelsperger, Die Integrationslehre R. Smends, S. 20/21, 21/22. 122 Verfassung und Verfassungsrecht, S. 233. 123 Ebd., S. 136; vgl. auch ebd., S. 126/127, 131. 124 Diese Einordnung in: Verfassung und Verfassungsrecht, S. 130, 127. 125 Vgl. Verfassung und Verfassungsrecht, S. 131 - 135.
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Smend sind diese Bedingungen im Staat erfüllt, da erstens jedem die "Verstehensmöglichkeit gegenüber der staatlichen Umwelt" und damit "die Möglichkeit des aktiven Miterlebens"127 gegeben ist. Auch die zweite Bedingung sei erfüllt, da selbst in der tiefsten Passivität sich noch ein aktueller Erlebnisgehalt nachweisen lasse, wie z. B. die "Teilnahme an den W el tkriegsschicksalen" 128. Geistigkeit des S taa tes wird hier zu Erlebnisfähigkeit. Eine andere Möglichkeit der Beziehung ist aber auch nicht denkbar, wenn der Staat als geistige Größe schon vorausgesetzt ist und der einzelne Bürger zu ihm in Verbindung gedacht werden soll. Die Beschränkung auf die Erlebnisfähigkeit, die sich in der Bestimmung der einzelnen Integrationstypen gezeigt hatte, erweist sich so als Konsequenz des Smendschen geisteswissenschaftlichen Ansatzes. Dieser war von Smend in bewußter Gegenposition zum Liberalismus und staatsrechtlichen Positivismus gewählt worden. Smends Lehre erweist sich damit als grundsätzlich bestimmt von dieser AntiHaltung. Denn eine Auseinandersetzung mit den beiden anderen Positionen findet nicht statt, sie werden nicht kritisch verifizierend eingeholt. Dadurch bleibt Smend wie auch schon Schmitt ihnen in der Negation trotzdem verhaftet. Smend siedelt seine Lehre quasi in der Nische an, die die anderen Richtungen nicht besetzt haben. Antiliberalismus und Antipositivismusführen Smend zur Betonung der Erlebnisfähigkeit des Staates. Ist zwar grundsätzlich der Erlebniszusammenhang gemäß Smend auch in der Passivität nachzuweisen, so sei doch dessen stete Erneuerung Aufgabe des Staates l29 . Diese Aufgabe wird von Sm end als "grundlegender Lebensvorgang"130 schließlich als "Wesen" des Staates und dessen Ergründung als erste Aufgabe der Staatstheorie bezeichnet131 und mit dem Namen Integration belegt1 32 . Ohne eine Bestimmung des Begriffs des Staates oder wenigstens einer Auseinandersetzung mit den anderen Staatslehren kann dieser Wesensaussage jedoch nur eine Behauptungsqualität zukommen. Die Darlegungen Smends rechtfertigen diese Aussage keineswegs. Wenn ein vernachlässigter Aspekt der Staatslehre aufgegriffen wird, muß aufgewiesen werden, daß dieser wesentliches Element des Staates ist. Ansonsten kann der Darlegung keine Wesensqualität zukommen und tut es auch nicht bei Smend. Dadurch wird aber die Smendsche Lehre Ebd., S. 132. Ebd., S. 133. 128 Ebd., S. 133 - 134. 129 Ebd., S. 135. ISO Ebd., S. 136. 131 Ebd., S. 138; vgl. ebd. auch die Bezeichnungen "Kernvorgang" (S. 136), "Kernsubstanz" (S. 136), "Angelpunkt" (S. 137). 132 Ebd., S. 136, 138. 126 127
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zu einer Ideologie der Erlebnisfähigkeit. Ohne den Staatsbegriff bestimmt zu haben und andere Aspekte des Staates jenseits seiner Geistigkeit analysiert zu haben, werden diese Aspekte alle rein deduktiv nach dem Prinzip der Integration interpretiert. Von daher dann das Fehlen jeglichen sachlichen, technischen und politischen Aspekts in der Smendschen Lehre. Vom Ansatz her ausgeklammert kann es kein Element dieser Lehre werden, durch die Behauptung der Wesensqualität der Integration erübrigt sich eine vermittelnde Einführung der Erlebnisqualität mit anderen Aspekten des Staates. Deshalb ist die Integrationslehre nicht als Mängellehre einzuordnen, denn das, an dem der Mangel zu beheben wäre, bleibt unthematisch, es hat keine Bedeutung gegenüber der Wesenshaftigkeit der Integration. Sie ist vielmehr als Ideologie zu kennzeichnen, da sie einen einzelnen Aspekt unbegründet zur Wesenshaftigkeit steigert, da sie nicht als Mängellehre auftritt, sondern den Anspruch einer Grundlagenlehre erhebt, da sie den Aspekt der un-sachlichen und unthematischen Integration zunächst als alleinige Form der Integration verabsolutiert und dann ohne Begründung zum Wesen des Staates erklärt. Staat ist so bei Smend kein Gesellschaftsphänomen, sondern nur reines Geistesphänomen, in ihm gehe es nicht um Willensbildung, sondern nur noch um Meinungsbildung 133 • Staat wird zu einer Stimmungsangelegenheit134 , es geht allein ums emotionale Erleben135 , das Politische wird zum irrationalen Erlebniszusammenhang 136, an die Stelle der Vernunft tritt das Erlebnis l37 • Nicht von ungefähr bezieht sich Smend auf das intensive Erleben des Krieges oder militärischer Aktionen l38 • Der Machtaspekt des Staates, das Problem der Willensbildung werden nicht thematisch, es wird allein auf eine Interpretation Bezug genommen, die im Grunde unstaatlich verstanden ist13U • Erst durch die Beziehung auf den Staat wird sie staatliche. Jenseits von einer stringenten und konsequenten Durchführung des Gedankens des Erlebnisgehaltes des Staates lassen sich bei Smend keine weiteren Aussagen feststellen, womit sich auch hier der bestimmende Einfluß des Rechtspositivismus auch in der Negation beweist. Im Artikel InteBauer, Wertrelativismus, S. 324, 325. m Vgl. Bauers Bezeichnung ebd., S. 335 als Stimmungs demokratie. 135 Vgl. Mayer, Die Krisis der deutschen Staatslehre, S. 52. 13G Vgl. Schtuchter, Entscheidung für den sozialen Rechtsstaat, S. 81, 85; Bauer, Wertrelativismus, S. 271; vgl. auch Bauer, ebd., S. 336, der von der Irrationalisierung Rousseaus spricht. 137 Bauer, Wertrelativismus, S. 273. 138 Der Bezug zum Krieg in: Verfassung und Verfassungsrecht, S. 134, 164, 169; - Dahlmann wußte dagegen ganz andere Konsequenzen aus den Kriegserlebnissen zu ziehen, vgl. oben Teil I, 2a; - Anspielungen auf das Militärische ebd., S. 149, 157, 161 Anm. 3. 138 Vgl. Mayer, Die Krisis der deutschen Staatslehre, S. 55. 133
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grationslehre hat Smend selbst diese Stringenz als Einseitigkeit und Mangel seiner Lehre eingestanden. Ausgerichtet "am unproblematisch geschlossenen Kreise der Sprachgemeinschaft"140 von Litt, sei der Unterschied von Norm und Faktum und die Frage der Willensbildung vernachlässigt worden sowie die Einheit zu unkritisch vorausgesetzt worden141 . Das heißt, über die allgemeinen Probleme der Staatslehre lassen sich bei Smend fast keine Aussagen finden. Auch auf die Frage der Repräsentation kann sie keine Antwort geben. Eine Erlebnislehre sagt nur etwas über die Erlebnisqualität aus, auch wenn sie sich durch Behauptung von Wesenshaftigkeit im Gewande der Staatslehre präsentiert. Will man nämlich die Lehre Smends in ihrer Eigenart näherhin kennzeichnen, so wird man wegen ihres Ausgangs vom Staat als Ganzem, als Makroanthropos142 sie der Organismustheorie zuordnen müssen143. Als solche kann sie aber nicht die Remediumsfunktion für die Verfassungssituation der 1920er Jahre erfüllen, die ihr Smend zuerkennen will 144 . Denn losgelöst von jeder objektiven Verankerung und abgehoben von den anderen Staatslehren ist sie eben keine wissenschaftliche Bereicherung14s, weil sie über den Einzelaspekt hinaus die Beziehung zu anderen nicht bestimmt, sondern diese durch die Behauptung einer Wesensaussage ihr gemäß interpretiert. Mit dem unbegründeten Anspruch einer Grundlagentheorie ist die Möglichkeit als Mängellehre zu fungieren verbaut. Sie wird vielmehr zur ideologisch politischen Stellungnahme in einer bestimmten Zeit1 46 . Diese ideologisch politische Funktion wird nicht nur in der Randbemerkung, in der den Ost juden eine integrative Bedeutung abgesprochen wird, deutlich, sonArt. Integrationslehre, S. 481. Vgl. ebd., S. 480 - 481. 142 Vgl. Kelsen, Der Staat als Integration, S. 28; Mayer, Die Krisis der deutschen Staatslehre, S. 76/77; als eine Belegstelle bei Smend sei hier Verfassung und Verfassungsrecht, S. 162 erwähnt, wo der Staat als "eine individuelle Einheit, eine Totalität" bestimmt ist. 143 Vgl. Kelsen, Der Staat als Integration, S. 30; Mayer, Die Krisis der deutschen Staatslehre, S. 76; Bartlsperger, Die Integrationslehre R. Smends, S. 43, 45; siehe die Zuordnung zur historischen Schule bei J erusalem, Franz W., Das Problem der Methode in der Staatslehre, in: AöR, N. F. 15, 1928, S. 163, sowie seine Parallelisierung von Integration und Volksgeist ebd., S. 190; siehe auch die Zuordnung Smends zur Romantik bei Mayer, Die Krisis der deutschen Staatslehre, S. 81/82 und Stier-Somlo, Art. Verfassung, Verfassungs recht, S. 390. 144 Vgl. Art. Integrationslehre, S. 481. 145 So schon Stier-Somlo, Art. Verfassung, Verfassungsrecht, S. 390; ebenso Wohlgemuth, Das Wesen des Politischen, S. 192; vgl. auch Henrich, Walter, Die Verfassung als Rechtsinhaltsbegriff, in: Verdross, Alfred (Hg.), Gesellschaft, Recht und Staat, S. 189. 146 Vgl. die Darlegung der wertenden Funktion des Integrationsbegriffs bei Kelsen, Der Staat als Integration, S. 50 - 55. 140 141
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dern auch in der Betonung des italienischen Faschismus als StaatsideaP47. Diese Charakteristik wird vor allem in der Analogie zur Lehre von Carl Schmitt deutlich. d) Die Integrationslehre im Verhältnis zur Schmittschen Verfassungslehre
Eine Analogie der Smendschen Lehre zum Schmittschen System erweist sich schon von den Grundlagen her. Ebenso wie Schmitt will auch Smend nur eine Verfassungslehre vorlegen148 , die in Negation zu Liberalismus und staatsrechtlichem Positivismus ihre AufgabensteIlung findet1 49 , um schließlich auch noch polemischen Charakter anzunehmen 150. Neben dieser zwar grundlegenden aber immer noch verschiedenste Ausformungen zulassenden übereinstimmung lassen sich auch in einigen Einzelaspekten Parallelen zu Schmitt konstatieren. So wird die Funktion der Wahl analog zu Schmitt als Formalisierung des Kampfes 151 gesehen und geheime Abstimmung stets verworfen152 , wie auch der Staat zwar als .Willensverband gesehen wird153, aber nicht Willensbildung, sondern die Schaffung der Voraussetzung für Willensäußerungen als zentrales Problem erscheint1 54 . An der Schmittschen Kritik des Parlamentarismus wird zwar eine gewisse Korrektur vorgenommen, die gleiche Tendenz aber beibehalten166 • Schließlich wird dem Parlamentarismus dann doch, in Korrektur zur Auffassung von 1923 156 , die Eigenschaft einer Staatsform abgesprochen167 , vergleichbar der Einschätzung des Parlamentarismus durch Schmitt als übergang vom autoritären zum totalitären Staat. Monarchie und Demokratie erfahren, wiederum in Analogie zu Schmitt, eine Parallelisierung 158, Demokratie wird als Monarchie ohne "daß Drückende des ,Obrigkeitsstaats'''lS9 interpretiert. Hierin offenbart sich eine entscheidende übereinstimmung mit Schmitt, nämlich· die Zentrierung auf die Regierung. Die Regierung Vgl. Verfassung und Verfassungsrecht, S. 145 Anm. 12 bzw. 141, 157, 175. Verfassung und Verfassungsrecht, S. 120. UD Ebd., S. 122 - 125. 150 Ebd., S. 181. 151 Ebd., S. 150 - 152. m Ebd., S. 153 Anm. 20. 153 Ebd., S. 171. 164 Ebd., S. 150. 155 Ebd., S. 152 - 154. 158 Siehe Die politische Gewalt, S. 85. 157 Verfassung und Verfassungsrecht, S. 219. 158 Vgl. Verfassung und Verfassungsrecht, S. 220 - 222; Die politische Gewalt, S. 86 - 87. 159 Verfassung und Verfassungsrecht, S. 222. U7
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übt für Sm end eine Staatstätigkeit "mit spezifischer Integrationsaufgabe"160 aus. Eine Bestimmung, die nicht verwundern kann, wenn die Ebene des Willensbildungsprozesses aus dieser Lehre ausgeschaltet ist und nur auf die Erlebnisqualität der Staatshandlungen abgehoben ist. Regierung wird zum Organisator von Gesamterlebnissen. So wird dann auch die Diktatur für Smend zu einer durchaus integrierenden Funktion. In "Projektion auf die äußere Wirklichkeit" werde in ihr der "Integrationswert in seinem gewöhnlicheren, volleren und tieferen Sinne"161 zurückgedrängt. Es genügt also eine reduzierte Integration. Mit dieser Konstruktion will Smend die Bedeutung der Integration und den Vorrang der Normalität vor der Ausnahme gegenüber der antikisierenden Lehre von Schmitt162 betonen und aufrecht erhalten. De facto wird aber auch hier Diktatur zur Normalität. Wenn sie allein eine Verdrängung der Integration durch die Integration im Namen der Integration ist, wenn Regierung und Diktatur deshalb gemeinsam "als unmittelbar politische, integrierende Funktionen"163 bezeichnet werden können, dann läßt sich kein prinzipieller Unterschied zwischen beiden mehr ausmachen, allenfalls noch ein gradueller. Diktatur ist normal, andere Staatsformen sind nur intensiver integrativ verstanden164. Wird bei Smend zwar die prinzipielle Ausrichtung am Machtstaat, - von ihm als antike Staatsvorstellung abgeurteilt, - vermieden, so wird man seine Lehre doch als "nur mühsam verharmloste Machtstaatstheorie" bezeichnen müssen165. Da Smend keine Wesensbestimmung des Staates zugrunde gelegt hat, muß jedes Staatsgebilde, in dem ein Gesamterlebnis lebendig ist, - ein Gesamterlebnis, welches durchaus nicht sachlich hergestellt sein muß, d. h. also auch manipulativ erstellt sein kann, - als lebendiger funktionierender Staat akzeptiert werden. Mit dem Begriff der Integration als Erlebnisqualität ist somit jede staatliche Wirklichkeit sanktioniert. Durch die Bestimmung von Diktatur und Regierung als primäre Integrationsfunktionen offenbart sich aber eine Ausrichtung an der Macht, die die Integration schließlich als in160 Ebd., S. 211; vgl. auch Die politische Gewalt, S. 79 in Verbindung mit S. 82, 83; Auf die Bedeutung der Regierungsproblematik in den Veröffentlichungen von Smend weist schon Scheuner hin, in: Der Bereich der Regierung, in: Rechtsprobleme in Staat und Kirche. Festschrift für R. Smend zum 70. Geburtstag, Göttingen 1952, S. 254. 161 Verfassung und Verfassungsrecht, S. 212. 162 Diese Beurteilung bei Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 213, 180/181.
163 Verfassung und Verfassungsrecht, S. 213. Kelsen, Der Staat als Integration, S. 76 spricht in diesem Zusammenhang "von einem unausgesprochenem Wohlwollen für die Diktatur". 165 Schluchter, Entscheidung für den sozialen Rechtsstaat, S. 79/80, siehe auch ebd., S. 64/65; die gleiche Einschätzung auch bei Herzog, Allg. Staatslehre, S. 142 Anm. 41. 164
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haltliche Bestimmung der Schmittschen Forderung der Effektivität politischer Macht erscheinen läßt. Smends Integrationslehre erweist sich als Komplement zur Schmittschen Verfassungslehre, als inhaltliche Angabe der Verwirklichungsbedingungen staatlicher Dezision, eine Einordnung, die im übrigen Smend selbst vornimmt1 66 . Bestätigung findet diese Interpretation auch in der Smendschen Einschätzung des Bismarckreichs und der Weimarer Republik. Allein auf Grund des problemlosen Funktionierens wird die Bismarcksche Verfassung, obwohl umfassender integrierender Einrichtungen ermangelnd, als integrierende Verfassung eingeordnet, während der Weimarer Verfassung diese Qualität abgesprochen wird 167. Funktionierende Regierung gilt, unabhängig von den Gründen ihres Funktionierens, Smend automatisch als integrierende Institution. Analog zu Schmitt findet sich dann auch bei Smend die Eröffnung der Möglichkeit einer Präsidialregierung in der Weimarer Verfassung, indem der Präsident als Garant für das Optimum an Integrationswirkung verstanden wird 16B . Es zeigt sich exemplarisch die Bedeutung der Integration, die als eigentlicher Sinn jeglicher Norm verstanden jede Änderung contra constitutionem zur materiellen Änderung intra constitutionem erklären kann169 . Doch wird man diese Funktion der Integrationslehre nicht gleich als Kampfposition gegen Weimarer Verfassung und Republik interpretieren können, wie es Kelsen unternimmt1 7o . Denn das Fehlen des kämpferischen Moments ist ja der Unterschied zur Lehre von Schmitt l7l .Aber daß die Integrationslehre in ihren Auswirkungen, d. h. durch ihre übernahme in die Politik hinein, als Gegenposition zur Weimarer Verfassung gesehen werden muß, steht andererseits ebenfalls außer ZweifeP72. Eine Funktion dieser Lehre, die, wie die zeitweilige Sympathie Smends für den italienischen Faschismus belegt, von Smend selbst nicht ausgeschlossen worden war. Die Position der Lehre von Schmitt und von Smend ist vergleichbar, nur daß sie in unterschiedlicher Weise vertreten wird. Beide Male wird keine wissenschaftliche Staats- oder Verfassungslehre erstellt, sondern jeweils nur ein Aspekt, - nämlich jener der sich durch1.66 Vgl. Verfassung und Verfassungsrecht, S. 186; diese Interpretation auch bei Bauer, Wertrelativismus, s. 290. 167 Vgl. Verfassung und Verfassungsrecht, S. 227 - 233,141. 188 Vgl. ebd., S. 249 - 250. 169 Vgl. hierzu Bauer, Wertrelativismus, S. 294, 304. 170 Kelsen, Der staat als Integration, S. 91. 171 Vgl. Mayer, Die Krisis der deutschen Staatslehre, S. 91; Sontheimer, Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik, S. 84. 172 Vgl. Sontheimer, Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik, S. 84; vgl. auch Binder, Julius, Der autoritäre Staat, in: Logos, XXII, 1933, S. 129; Mayer, Die Krisis der deutschen Staatslehre, S. 94.
4. Gerhard Leibholz : Prinzipien im Strukturwandel
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setzenden staatlichen Macht oder der diesen konkreter fassenden der Erlebnisfähigkeit des Staates, - stringent entwickelt und als Staatstheorie dargeboten. Die Behauptung der Eigentlichkeit ist beiden Lehren Wesensmoment und stempeln sie zur Ideologie. Reduziert auf ihren Sachgehalt verlieren sie die Qualität einer Staatstheorie, erweisen sie sich eher als politische Stellungnahmen zu Zeitproblemen. Sie bleiben dem staatsrechtlichen Positivismus auch in der Negation verhaftet und erlangen somit nicht die von ihnen beanspruchte neue Dimension. Die Problemstellung der Repräsentation bleibt ihnen beim unproblematischen Ausgang vom Staate fremd. Aussagen hierzu können sie nicht machen, die Verwendung des Begriffs erfolgt nur unter einem der besonderen und begrenzten Fragestellung angepaßten Inhalt, er ist instrumentalisiert. Integration oder Repräsentation werden zur Erlebnisqualität oder zum Effektivitätsmoment, bestimmt nicht in objektiv analysierender Auseinandersetzung, sondern nur als Moment der eigenen Lehre. Diesen mußte wegen ihrer jeweiligen Aspekthaftigkeit die Einordnung als Staatslehre versagt werden, so daß auch den Aussagen zur Repräsentation und Integration keine allgemeine Bedeutung zukommen kann. Aussagen hierüber erwiesen sich vielmehr als unwissenschaftliche übergriffe auf einen nicht thematisierten und auch von diesen Lehren nicht erfaßbaren Bereich. Da das Problem der politischen Willensbildung im Staate von den beiden Lehren nicht erfaßt wird, können sie hierauf auch keine Antwort geben, auch dann nicht, wenn sie im Gewande der Staatstehorie auftreten. Der Inhalt entscheidet und nicht die Form. Es sind nur zeitbedingte ideologische Aussagen und keine grundlegend wissenschaftliche Lösungen zum Problem der Repräsentation, wie es vom Vormärz aufgegriffen worden war. Auf diese Fragestellung geben sie keine Antwort.
4. Prinzipien im Strukturwandel, das Wesen der Repräsentation und die Identität des Parteienstaates in geisteswissenschaftlicher Dimension bei Gerhard Leibholz Eine Auseinandersetzung mit der geisteswissenschaftlichen Staatslehre der Weimarer Zeit kann nicht an dem Werk Gerhard Leibholz vorbeigehen, zumal wenn die Frage nach der Repräsentation in der deutschen Staatslehre und politischen Theorie die Untersuchung bestimmt. Nicht nur steht Leibholz eindeutig in der Tradition Schmittscher und Smendscher Lehret, ist bei ihm also eine Weiterentwicklung 1 Vgl. Leibholz, Gerhard, Das Wesen der Repräsentation unter besonderer Berücksichtigung des Repräsentativsystems, Berlin - Leipzig 1929, wieder abgedruckt in: ders., Die Repräsentation in der Demokratie, photomechani.., scher Nachdruck der 3. erw. Aufl. Berlin 1966, Berlin - New York 1973 (weiterhin zitiert: Das Wesen der Repräsentation, nach dem Neudruck 1973) Das erste Kapitel, S. 25 - 43 steht ganz in der Nachfolge des Werks von
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der geisteswissenschaftlichen Theorie zu erwarten. Bei Leibholz ist auch das Problem der Repräsentation zum zentralen Untersuchungsgegenstand geworden. In Hinblick auf die Leibholzsche Arbeit hatte sich ja schon Schmitt in seiner Verfassungslehre bei der Bestimmung des Begriffs der Repräsentation auf ein paar "unentbehrliche Unterscheidungen"2 beschränkt. Die vollständigen und ausführlichsten Darlegungen der geisteswissenschaftlichen Lehre zur Repräsentationsproblematik finden sich also bei G. Leibholz. Zudem hat Leibholz eine methodische Grundlegung der geisteswissenschaftlichen Methode unternommen3 und nicht wie Schmitt und Smend die Bedeutung des Vorgehens allein durch die Plausibilität des Ergebnisses begründet. Somit ermöglicht gerade das Werk von Leibholz, zu einer grundsätzlichen Aussage zur geisteswissenschaftlichen Methode und deren Bedeutung zu gelangen. Dieses erscheint um so wichtiger, als ein Teil des Leibholzschen Systems auch heute noch die wissenschaftliche Diskussion nicht nur beschäftigt, sondern entscheidend prägt, nämlich seine Lehre von der Struktur des modernen Parteienstaates4 • Eine Lehre, die bereits im "Wesen der Repräsentation" von 1929 enthalten war, hier aber noch zugunsten der repräsentativen Interpretation der Verfassung verworfen wurde 5• Da die Propagierung der Parteienstaatsthese durch Leibholz nach 1945 stets vor dem Hintergrund und auf Grund der Ablehnung einer Interpretation der Verfassungswirklichkeit nach dem Prinzip der Repräsentation erfolgt, ist Hennis darin zuzustimmen, wenn er sie als "seitenverkehrte Reprise" der Lehre der zwanziger Jahre bezeichnet6 • Repräsentation und Identität, Parlamentarismus und Parteienstaat sind die grundlegenden Elemente der Leibholzschen Lehre. Eine Interpretation seines Werkes wird sich bei der Fragestellung dieser Arbeit zwar vor allem mit den Ausführungen zur Repräsentation auseinanderzusetzen haben. Eine Beschränkung allein auf diesen Aspekt kann aber bei der dualistischen Konzeption des Werkes nicht als sinnvoll erscheinen. Gerade durch die Einbeziehung des entgegengesetzten Poles, - der Identität und des Parteienstaates, C. Schmitt, das 2. Kapitel, S. 44 -71 dagegen weist eine eindeutige Nähe zur Integrationslehre von Smend auf. 2 C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 208. 3 Vgl. Das Wesen der Repräsentation, S. 13 - 24. 4 Zur Rezeption und Diskussion der Leibholzschen These vgl. die übersicht bei Haungs, Peter, Die Bundesrepublik - ein Parteienstaat? Kritische Anmerkungen zu einem wissenschaftlichen Mythos, in: ZParl, 4, 1973, S. 502 - 504, 508.
5 Vgl. Das Wesen der Repräsentation, S. 98 - 104, 113 - 120; die Absage an den Parteienstaat ebd., S. 107/108, 121 - 123. 6 Hennis, Wilhelm, Die Rolle des Parlaments und die Parteiendemokratie, in: Richard LöwenthaI und Hans-Peter Schwarz (Hgg.), Die zweite Republik. 25 Jahre Bundesrepublik Deutschland - eine Bilanz, Stuttgart 1974, S. 237 Anm. 17 (weiterhin zitiert: Die Rolle des Parlaments).
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- läßt sich ja der Begriff der Repräsentation erst in seiner vollen Bedeutung erfassen. Dadurch wird schließlich der zeitliche Rahmen der Weimarer Republik überschritten, finden sich doch die detailliertesten Ausführungen zur Parteienstaatsthese in den Nachkriegsveröffentlichungen. Diese Ausweitung erscheint jedoch sinnvoll, geht es doch um die Erfassung der Leibholzschen Lehre im Ganzen. Denn Leibholz hat die Parteienstaatsthese nicht nur schon in den zwanziger Jahren entwickelt, sondern gegen Ende der Weimarer Republik ist er auch für die Interpretation der Verfassungswirklichkeit gemäß dieser These eingetreten7 • Es empfiehlt sich deshalb, um diesen Aspekt der Leibholzschen Theorie gerecht zu werden, die weitergehenden Veröffentlichungen nach 1945 heranzuziehen. Ist also die Überschreitung der zeitlichen Eingrenzung auf die Weimarer Zeit der Lehre von Leibholz genuin, so eignet sie sich gerade dadurch besonders gut, im Ausblick auf die heutige Diskussion die Bewertung und Einschätzung der geisteswissenschaftlichen Staatslehre deutlich zu machen. Die Auseinandersetzung mit der Lehre von G. Leibholz hat sich zunächst mit seiner Bestimmung der Repräsentation im "Wesen der Repräsentation" zu beschäftigen. Sodann gilt es, das der Repräsentation entgegenstehende Prinzip der Identität mit der ihm zuzurechnenden Struktur des Parteienstaates kritisch zu untersuchen, wobei auch schon auf die Veröffentlichungen nach 1945 einzugehen ist. Abschließend soll dann die Anwendung dieser Lehre auf die Verfassungswirklichkeit, wie auch die These vom Strukturwandel behandelt werden. Es werden dabei vor allem die Hauptarbeiten von Leibholz zugrunde gelegt. Neben der Arbeit über die Repräsentation, die bereits angeführten Werke über "Die Grundlagen des modernen Wahlrechts" und "Die Auflösung der liberalen Demokratie" sowie aus der Zeit nach 1945 "Der Strukturwandel der modernen Demokratie"B und "Der Gestaltwandel der Demokratie im 20. Jahrhundert"9. Neben einzelnen Ab7 Vgl. Die Wahlrechtsreform und ihre Grundlagen, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer, 7, 1932, S. 159 - 190, 199 - 201, jetzt unter dem Titel: Die Grundlagen des modernen Wahlrechts, Zugleich eine Betrachtung zur Wahlreform, in: ders., Strukturprobleme der modernen Demokratie, (Neuausgabe der 3. erw. Aufl. 1967) Frankfurt 1974 (weiterhin zitiert nach der Neuveröffentlichung 1974 unter dem Kürzel: Die Grundlagen) zur Bedeutung der Parteienstaatsthese vgl. ebd., S. 35/36; sowie Die Auflösung der liberalen Demokratie in Deutschland und das autoritäre Staatsbild, München - Leipzig 1933, S. 50 - 54 (weiterhin zitiert: Die Auflösung). 8 Vortrag vom 30. April 1952, wieder abgedruckt in: ders., Strukturprobleme der modernen Demokratie, Frankfurt 1974, S. 78 - 131 (weiterhin zitiert nach der Neuveröffentlichung unter dem Kürzel: Der Strukturwandel). 9 Vortrag vom 18. März 1955, wieder abgedruckt in: ders., Die Repräsentation in der Demokratie, Berlin - New York 1973, S. 211 - 248 (weiterhin zitiert nach der Neuveröffentlichung unter dem Kürzel: Der Gestaltwandel).
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handlungen zu speziellen Fragen wurde ebenfalls auf den Aufsatz "Parteienstaat und Repräsentative Demokratie"lo zurückgegriffen, die übereinstimmung mit den beiden zuvor genannten aber nicht immer in den Fußnoten vermerkt. Eine synoptische Zusammenschau der Veröffentlichung Leibholz' konnte nicht der Sinn dieser Arbeit sein, scheint auch auf Grund der oft wörtlichen übereinstimmung verschiedener Veröffentlichungen nicht sinnvoll. Wie bei den meisten Arbeiten über die Leibholzsche Konzeptionl l , so ist auch hier vor der Darlegung der kritischen Analyse ein Bedauern über das Ausbleiben einer Antwort von Leibholz auf die weitverbreitete und prinzipielle Kritik an seinem Werk zu vermerken. Eine Erwiderung würde sicherlich nicht nur die Diskussion beleben, sondern vielleicht auch zur Differenzierung und Verdeutlichung beitragen. So aber bleibt die Analyse allein auf die immer gleichen und (in Neuausgaben) gleichbleibenden Texte verwiesen. Trotzdem soll im folgenden nicht nur die weitverbreitete Kritik im einzelnen wiederholt werden, sondern vielmehr vom Leibholzschen Ansatz und seiner Methode aus sein gesamtes System entwickelt und analysiert werden. a) Das Wesen der Repräsentation als EigentIichkeit von C. Schmitt her al) Die methodische Grundlegung
Im Gegensatz zu C. Schmitt und R. Smend hält Gerhard Leibholz eine ausdrückliche Behandlung der Frage, welche Methode zur Klärung der Repräsentationsproblematik anzuwenden sei, für erforderlich. Wie die spätere Veröffentlichung der Gedanken des methodischen Abschnittes aus dem "Wesen der Repräsentation" unter dem Titel "Zur Begriffsbildung im Öffentlichen Recht"12 belegt, wollte Leibholz diesen Ausführungen prinzipielle Bedeutung zugemessen wissen. Von 10 Eine Betrachtung zu Art. 21 und 38 des Bonner Grundgesetzes, in: Deutsches Verwaltungsblatt, 66, 1951, S. 1 - 8 (weiterhin zitiert: Parteienstaat und Rep. Demokratie). 11 Vgl. Mantl, Wolfgang, Repräsentation und Identität. Demokratie im Konflikt. Ein Beitrag zur modernen Staatsformenlehre, Wien - New York 1975, S. 160; Hennis, Die Rolle des Parlaments, S. 238 Anm. 32 sowie ders., Verfassung und Verfassungswirklichkeit, Ein deutsches Problem, Tübingen 1968, S. 9 Anm. 10; Haungs, ein Parteienstaat?, S. 503; Sternberger, Dolf, Zur Kritik der dogmatischen Theorie der Repräsentation, in: ders., Nicht alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Studien über Repräsentation, Vorschlag und Wahl, Stuttgart u. a. 1971, S. 24 (weiterhin zitiert: Zur Kritik); Und erberg, 1. K., Zur Wahlrechts- und Parteienstaatstheorie von G. Leibholz, in: Verfassung und Verfassungswirklichkeit, Jahrbuch 1967, Teil 2, Köln - Opladen 1967, S. 228 - 230 (weiterhin zitiert: Zur Wahlrechtstheorie). 12 In: Blätter für Deutsche Philosophie, 5, 1931, S. 175 -189, wieder abgedruckt in: Leibholz, G., Strukturprobleme der modernen Demokratie, Frankfurt 1974, S. 262 - 276 (weiterhin zitiert nach der Neuveröffentlichung 1974 unter dem Kürzel: Zur Begriffsbildung).
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daher erstaunt es, daß Leibholz' methodisches Problem allein darauf geht, "wie eine ... geistige Sinndeutung einer politischen Institution ... möglich ist"13. Es geht allein darum, eine Methode zu finden, "um vollständig den geisteswissenschaftlichen Charakter der Rechtsbegriffe evident machen zu können"14. Ein für die Bewertung des Leibholzschen Systems wichtiges Phänomen offenbart sich hier, nämlich daß die Entscheidung für eine geisteswissenschaftliche Betrachtung des Staates bereits gefallen ist, allein die Frage, wie diese durchzuführen ist, steht noch zur Diskussion. Unabhängig von der Methode liegen bereits geisteswissenschaftliche Erkenntnisse und Begriffe vor. Nimmt man dabei noch die zustimmende Bezugnahme auf Rudolf Smend und Carl Schmitt15 hinzu, so scheint die Leibholzsche Methodendiskussion sich allein darauf zu beschränken, mit welcher Methode deren Begrifflichkeit Evidenz verliehen werden könne. Auf jeden Fall aber ist dieser Lehre, wegen ihrer Voraussetzung der Geisteswissenschaftlichkeit, die Einheit des Staates Ansatz und damit Grundbedingung. Als AufgabensteIlung ergeben sich allein "evidente(n) Schauungen sozialer Wesenheiten"16, es geht darum, "das Wesen der überindividuellen Gemeinschaftszusammenhänge zu erschließen"17. Die Fragen, was der Staat ist, wie seine Einheit zustande kommt und schließlich wie die Staatswillensbildung vollzogen wird, sie sind alle durch diesen Ansatz ausgeklammert. Von daher können dann eben auch teleologische, rechtslogische oder ideologische Betrachtungen des Staates nicht als zweckdienlich erscheinen18. Die Lösung des methodischen Problems der Evidenzvermittlung an geisteswissenschaftliche Begriffe sieht Leibholz in Anlehnung an die Phänomenologie von Husserl, Scheler und Litt gegeben 19. Diese Me13 Das Wesen der Repräsentation, S. 14. 14
Zur Begriffsbildung, S. 268.
15 Zur Begriffsbildung, S. 269; Das Wesen der Repräsentation, S. 25 Anm. 5
bis S. 26. 18 Das Wesen der Repräsentation, S. 18. 17 Zur Begriffsbildung, S. 270. 18 Vgl. die Ablehnung dieser Methoden in: Das Wesen der Repräsentation, S. 14 - 17 und Zur Begriffsbildung, S. 264 - 269; zur Kritik dieser Methodenbewertung durch Leibholz siehe Wolft, Hans J., Besprechung von G. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation und E. Gerber, Der staatstheoretische Begriff der Repräsentation in Deutschland, in: Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie, XXIV, 1930/31, S. 394. 10 Inwieweit die von Leibholz entwickelte Methode der "synoptischen Analyse" sich wirklich auf die Phänomenologie berufen kann, soll hier nicht untersucht werden. Da, wie im nächsten Abschnitt darzulegen sein wird, die von Leibholz beschriebene Methode in der konkreten Analyse keineswegs zum Tragen kommt, die Bestimmung der Repräsentation unabhängig von ihr erfolgt, erweist sich diese Frage als unerheblich für die Beurteilung der Leibholzschen Lehre. - Zu dieser Frage siehe jedoch Underberg, Zur Wahlrechtstheorie, S. 243 - 249.
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thode bestehe darin, "daß das Wesen einer im Sein verwurzelten empirischen Gestalt, das Objekt, durch eine auf sie gerichtete materialintuitive Schauung in synoptischer Analyse evident gemacht wird"20. Ausgangspunkt ist ein konkretes Objekt, das in der angegebenen Wesensschauung entindividualisiert wird. Das Ergebnis dieser Wesensschau, die Wesenseinsicht, sei zwar der Empirie immanent, stamme aber nicht aus der Erfahrung oder werde durch sie gewonnen21 . Die so gewonnenen Einsichten und Begriffe sind als apriorische zu verstehen, sie gehen logisch wie substantiell der Erfahrung voraus 22 . Als diese Wesens einsichten funktionieren sie auch unabhängig davon, ob sie erkannt sind, oder wie im konkreten Fall auch immer staatliche Institutionen gerechtfertigt werden, ja die Rechtswirklichkeit kann sogar völlig von ihnen abweichen23 . Ihr Wesen wird von der Wirklichkeit nicht tangiert, es existiert, unabhängig davon. Und dieses Wesen muß keineswegs rational beweisbar sein, seine Evidenz ist nicht objektiv, sondern allein subjektiv24, eine Subjektivität, die anscheinend so weit geht, daß eine klare begriffliche Fassung, eine Definition des Wesens nicht möglich ist 25 . Ironisch aber treffend hat Wohlgemuth zu diesem Ergebnis von Leibholz bemerkt: "Was man nicht definieren kann, das sieht man für ein ,Wesen' an26 !" Diese Methode verführt dazu, komplexe Gegenstände eben nicht zu untersuchen und zu analysieren, sondern als Einheit zu erfassen. Subjektivität und Mystifizierung von Institutionen zu Wesenheiten treten alsdann an die Stelle intersubjektiver, rationaler Bestimmungen. In dieser Form, jenseits objektiv überprüfbarer Kriterien, ausgestattet mit einer subjektiven Evidenz, was immer das auch sein mag, - weist diese Bestimmungsweise, die sich auf die hermeneutische Tradition seit Dilthey beruft, letztlich sehr viel Ähnlichkeit mit der Behauptungsqualität der Eigentlichkeit bei earl Schmitt auf. 20 Zur Begriffsbildung, S. 270/271; wörtlich bis auf die Veränderungen durch unterschiedliche Satzkonstruktion in: Das Wesen der Repräsentation, S. 18 - 19; Kritisch zu dieser Methodenbestimmung Wohlgemuth, Das Wesen des Politischen, S. 26 Anm. 18, der in der "synoptischen Analyse" nur eine verbale Verschleierung der contradictio in adjecto, der ,synthetischen Analyse' sieht. 21 Das Wesen der Repräsentation, S. 19; Zur Begriffsbildung, S. 271, vgl. auch ebd., S. 274, wo Leibholz die Wesensbegriffe als nie rein in der Wirklichkeit nachweisbar bestimmt. 22 Das Wesen der Repräsentation, S. 19/20; Zur Begriffsbildung, S. 271/272. 23 Das Wesen der Repräsentation, S. 20 - 22; Zur Begriffsbildung, S. 272/273. 24 Das Wesen der Repräsentation, S. 20 und Anm. 1: "Es handelt sich ... um subjektive, nicht objektive Evidenz"; Zur Begriffsbildung, S. 271 spricht Leibholz vom "Metaphysisch-irrationalem". 25 Das Wesen der Repräsentation, S. 21; Zur Begriffsbildung, S. 272. 26 Wohlgemuth, Das Wesen des Politischen, S. 28.
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Ob die mit dieser Methode gewonnene Wesensbegrifflichkeit zutreffend als Idealtypus zu bezeichnen ist27 , ist als marginale, um nicht zu sagen entbehrliche Frage anzusehen. Denn die konkrete Durchführung der Bestimmung der Repräsentation bei Leibholz geschieht in Diskrepanz zur abstrakten Methodenerörterung. Von daher stellt sich die Frage zur Methodendarlegung weniger nach ihrer Einordnung und Klassifizierung als nach ihrer Funktion oder Nicht-Funktion bei Leibholz. Zunächst jedoch soll die konkrete Bestimmung der Repräsentation bei Leibholz sowie die dabei angwandte Methode behandelt werden. a2) Die Bestimmung der Repräsentation durch Zitation von C. Schmitt Die Kennzeichnung der Repräsentation als dialektischer Vorgang, da durch sie "etwas nicht real Präsentes wieder präsent, d. h. existentiell wird", da "somit etwas als abwesend und zugleich doch gegenwärtig gedacht"28 ist, wird von Leibholz rein aus dem Sprachgebrauch hergeleitet29 . Entgegen der abstrakten Methodendiskussion nimmt also die konkrete Bestimmung des Phänomens der Repräsentation keineswegs ihren Ausgang bei einem konkreten, isolierten Objekt. Die Leibholzsche Wesensschau erweist sich somit als "Phänomenologie ohne Phänomene"3o. Damit ist aber die gesamte Methodenbestimmung für die Untersuchung des Phänomens der Repräsentation hinfällig geworden. Ist nämlich kein Objekt angegeben, so kann eben auch keines durch Entindividualisierung zur Wesenheit gesteigert werden. Welche Methode Leibholz nun wirklich anwendet, kann nur aus der von ihm konkret durchgeführten Erörterung abgelesen werden. Leibholz geht bei der Kennzeichnung der Repräsentation, - eine Definition soll und kann ja eben phänomenologisch nicht gefunden werden, - vom Sprachsinn aus. Dabei legt er einen "ursprünglichen Sprachsinn" zugrunde, der auf die geisteswissenschaftliche Ebene der 27 Diese Zuordnung bei Underberg, Zur Wahlrechtstheorie, S. 225 - 227, obwohl auch Underberg eine dem Idealtypus nicht adäquate Verwendung der Wesensbegriffe bei Leibholz feststellt; vgl. dagegen Müller, Christoph, Das imperative und freie Mandat, Leiden 1966, S. 17 Anm. 64, der idealtypisches Vorgehen und Wesensschauung als bei Leibholz nicht eindeutig zugeordnete Verfahren ausweist. 28 Das Wesen der Repräsentation, S. 26. 29 Ebd., S. 25/26; Zur Kritik dieser Sprachanalyse siehe unter anderen Hättich, Manfred, Zur Theorie der Repräsentation, in: Rausch, Heinz (Hg.), Zur Theorie und Geschichte der Repräsentation und Repräsentativverfassung, Darmstadt 1968, S. 503; Rausch, Heinz, Repräsentation, in: Bosl, Karl (Hg.), Der moderne Parlamentarismus und seine Grundlagen in der ständischen Repräsentation, Berlin 1977 S. 77. 30 Sternberger, Dolf, Zur Kritik, S. 26.
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Teil 111: Weimar: Repräsentation als verfehltes Phänomen
Repräsentation verweise 3t • Von diesem ursprünglichen ist ein "rechtsirrige(r) Sprachgebrauch" strikt geschieden, der Repräsentation mit Vertretung identifiziert und die geisteswissenschaftliche Ebene nicht berücksichtigt32 • Das Wesen der Repräsentation wird also dadurch bestimmt, daß ein bestimmter Aspekt der allgemeinen Wortbedeutung zugrunde gelegt wird33 • Eine Auswahl, die nicht begründet wird, sondern allein durch die Adjektive "ursprünglich" und "rechtsirrig" bewertet wird. Ist schon, worauf Wolff verwiesen hat 34, eine besondere Begriffsbedeutung niemals sprachanalytisch, sondern nur ideen-analytisch zu gewinnen, so wird man feststellen können, daß das Primäre bei Leibholz eine spezifische Idee der Repräsentation sein muß. Diese erweist sich als die bestimmende Größe bei der Auswahl und Kennzeichnung des für die Analyse zugrunde zu legenden Wortsinns. Nicht durch eine ausgewiesene Methode wird eine Kennzeichnung des unter.., suchten Phänomens gewonnen, sondern das zu erzielende Ergebnis, eine bestimmte Idee der Repräsentation, bestimmt Methode und Erkenntnisobjekt. Von daher auch die häufige Verwendung von "eigentlich" und "in Wirklichkeit" bei Leibholz, die stets an zentralen Stellen zu finden sind und auf diese vorgängige Idee verweisen35 • Eine Eigentlichkeit, die sich zwar mit der jeweiligen Leibholzschen Interpretation eines Begriffs oder der Wirklichkeit belegen läßt, die damit aber keineswegs die ihr zugedachte Aufweis- oder Begründungsfunktion erfüllen kann. Oder kürzer zusammengefaßt, die "eigentliche geisteswissenschaftliche Sphäre" sowie der "ursprüngliche Sprachgebrauch" erweisen sich als reine Behauptungen36 • Behauptungen, die allein durch eine zustimmende Zitation aus der Verfassungslehre von C. Schmitt gestützt werden37 • Dieses Faktum, die Bezugnahme auf Schmitt, läßt sich bei allen weiteren Entwicklungen der Idee der Repräsentation feststellen. So wie die strikte Unterscheidung zwischen Repräsentation und Identität eines versichernden Rückgriffes auf Schmitt bedarf38, so wird auch die Notwendigkeit einer Wertsphäre für die Repräsentation von ihm her begründet39 • Dadurch erweist sich, daß die eigentliche und wirkliche Bedeutung der Repräsentation, wie Das Wesen der Repräsentation, S. 26. Ebd., S. 34. 33 Vgl. hierzu schon Müller, ehr., Das imperative und freie Mandat, S. 13 Anm.40. 34 WoZft, Besprechung von Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 395. 35 Vgl. Das Wesen der Repräsentation, S. 26, 27, 32; siehe hierzu auch Hennis, Wilhelm, Verfassung und Verfassungswirklichkeit, S. 9 Anm. 10. 38 So schon Pollmann, Hans, Repräsentation und Organschaft, Berlin 1969, S.26. 37 Vgl. Das Wesen der Repräsentation, S. 26 Anm. 4. 38 Ebd., S. 28 und Anm. 3. 39 Ebd., S. 32 und Anm. 1. 31
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Leibholz sie sieht, in den Schriften C. Schmitts zu finden ist. Nicht "bedenkliche Wesensschau und bedenkliche Schmitt-Nähe"40 kennzeichnen das Werk von Leibholz, sondern vor allem diese Schmittnähe, die als Wesensschau ausgebreitet ist, prägt es 41 • Denn außer dieser Bezüglichkeit auf Schmitt läßt sich bei Leibholz keine, auch nicht die von ihm in der Methodendiskussion dargestellte Methode erkennen. Wird nun aus dem Begriff der Repräsentation als eines geisteswissenschaftlichen und nicht technischen Phänomens42 gefolgert, daß weder eine Zweckausgerichtetheit43 noch ein Adressat44 der Repräsentation wesensmäßig sei, so ist dieses ebensowenig erwiesen, wie die Aussage, daß "das Repräsentierte eine selbständige Existentialität besitzen muß"45, daß Repräsentation nur in einer ideellen Wertsphäre möglich ist46 und bei rechtlicher Einstellung "als personen rechtlicher Begriff"47 anzusehen ist. Denn diese Aussagen sind Schlußfolgerungen aus dem auf C. Schmitt zurückgehenden Begriff der Repräsentation. Dieser war aber von Schmitt keineswegs als staatstheoretischer Begriff definiert worden, sondern erwies sich als Element einer bestimmten Staatsvorstellung, von Smend als antikisierend bezeichnet. Indem dieser Begriff jedoch als grundlegender Begriff der allgemeinen Staatslehre ausgegeben wurde, erwies es sich als ideologisch. Dem Begriff der Repräsentation wissenschaftliche Evidenz zu verschaffen, ist die Grundintention von Leibholz gewesen. Ausführliche Methodendiskussion sollte Objektivität und Wissenschaftlichkeit garantieren. Indem Leibholz jedoch die von ihm selbst skizzierte Methode nicht anwendet, entgleitet ihm die Phänomenologie in die Subjektivität. Die angestrebte Evidenz wird nicht vermittelt48, der Begriff der Repräsentation bleibt auf Schmittsche Eigentlichkeitsbehauptungen verwiesen. Deshalb muß dieser Begrifflichkeit auch ihre Verwendung als Grundlage einer Staatstheorie bestritten werden. Geschieht dieses trotzdem, so wird Schmittsche Eigentlichkeit, die sich als Ideologie erwiesen hatte, zum Systemelement. Die wissenschaftliche Intention von Leibholz wird So MantZ, Repräsentation und Identität, S. 156. Vgl. Pollmann, Repräsentation und Organschaft, S. 26/27; zur SchmittNähe siehe auch Mantl, Repräsentation und Identität, S. 151. 42 Das Wesen der Repräsentation, S. 37. 43 Ebd., S. 39/40. 44 Ebd., S. 41 - 43. 45 Ebd., S. 27. 46 Ebd., S. 32 - 35. 47 Ebd., S. 35. 48 So schon WoZff, Besprechung von Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 396, 397; ähnlich, wenn auch vornehm-zurückhaltend formuliert, Köttgen, Arnold, Besprechung von G. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation (in: AöR, N. F. 19, 1930), wieder abgedruckt in: Rausch, Heinz (Hg.), Zur Theorie und Geschichte, S. 75/76 (weiterhin zitiert: Besprechung G. Leibholz). 40
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somit konterkariert. Die Verwendung Schmittscher Begriffe bei Leibholz zeigt eindeutig die Wirkmächtigkeit und damit auch die Gefährlichkeit der Darlegungsform von Schmitt, die vom Inhalt her nicht gedeckt ist, auf.
a3) Die staatstheoretische Dimension der Repräsentation Nach der Bestimmung des Wesens der Repräsentation verfolgt Leibholz nur noch die staatstheoretische Seite des Problems der Repräsentation, nämlich die Frage nach Bedeutung und Funktion der Repräsentation im Staat49 . Die Beantwortung dieser Frage sieht er vor allem durch die Klärung des Problems, wer eigentlich im Staat repräsentiert wird, bestimmt. Allgemeiner formuliert, ist die Beantwortung also abhängig vom zugrunde gelegten Staatsverständnis. Dieses entlehnt er zur Gänze der Smendschen Integrationslehre50 . So bildet auch für Leibholz die Volksgemeinschaft "ein den Individuen gegenüber höheres Sein, eine Totalität"; und "das Individuum lebt somit nicht an sich und für sich, sondern für die konkrete Totalität"51. Verbunden seien Individuum und Totalität nur dahingehend, daß "das Ganze zugleich auch in jedem seiner Glieder"52 erscheint; das Eigentliche sei also die Gesamtheit. "Jede Volksgemeinschaft ist als konkrete Wertgemeinschaft eine real wirkende, ideelle Einheit und zwar, ... eine politisch ideelle Einheit53 ." Volk als stimmberechtigte Bürgerschaft ist demnach strikt vom Volk als politisch-ideeller Einheit zu scheiden54 . Die Rechtmäßigkeit dieser Smendschen Theorie, die Leibholz ihr ausdrücklich attestiert 55 , wird aber keineswegs aufgewiesen. Sie wird allein eingeführt, denn ansonsten würde man "die Möglichkeit einer das Volksganze doch immer schon voraussetzenden, politischen Repräsentation überhaupt in Abrede stellen müssen"56. Denn würde dieses Staatsverständnis verworfen, "so würde damit zugleich auch die Grundlage für eine Repräsentation entfallen"57. Es erweist sich also, daß Leibholz allein eine Staatstheorie aussucht, die seiner Idee vom Wesen der Repräsentation entspricht. Der Wesensbegriff der Repräsentation wird einfach mit einem staatstheoretischen Pendant versehen. Da Wolff in der bei Leibholz verwendeten Integrationslehre von Smend keine gesicherte 49 50
51 52 53 54 55 56
57
Das Wesen der Repräsentation, S. 44. Vgl. ebd., S. 44 Anm. 1, sowie S. 44 - 47 passim. Das Wesen der Repräsentation, S. 45. Ebd., S. 46. Ebd., Ebd., S. 47. Ebd., S. 44. Ebd., S. 47. Ebd., S. 46.
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Theorie erkennt, sieht er in diesem Vorgehen nur eine "Aneinanderreihung von beweisbedürftigen Behauptungen, die alles andere als evident sind"58. Die staatstheoretische Bedeutung und Relevanz des Wesensbegriffs wird nicht aufgewiesen. Über die Behauptung eben dieser Wesenheit läßt sich bei Leibholz keine Begründung ausmachen, von seinem Wesensbegriff der Repräsentation wird alles bestimmt. Denn sein Beweis ex negativo, daß Repräsentation nicht von dem Volk, verstanden als stimmberechtigte Bürger, aus gedacht werden kann, - von ihm als atomistische Betrachtungsweise bezeichnet59, vermag nicht zu überzeugen. Es ist eben nur ein mathematischer Nachweis 60 , der darauf abhebt, daß stets nur eine Minderheit den Wahlausgang oder den Parlamentsentscheid bestimmt. Ohne in diesem Zusammenhang auf die Bedeutung und Funktion von Wahl oder Abstimmung einzugehen, wird allein vom Ergebnis her eine mathematische Zuordnung ausgewiesen, die aber dann eben dem Gesamtphänomen nicht gerecht werden kann. Die Aussage, "daß in der politischen Sphäre das Volk nur als ideelle Ganzheit repräsentiert werden kann"61, muß deshalb als bloße Feststellung betrachtet werden. Diese seiner Repräsentationsvorstellung zugrunde liegende Staatsauffassung sieht Leibholz als geschichtlich verankert an 62 , so daß ihr wenigstens historische Relevanz zuzusprechen wäre. Doch wird diese Zuordnung niemals eindeutig erfolgen können, ging doch das Leibholzsche Erkenntnisinteresse gerade auf apriorische Wesenseinsichten, die nie rein in der Wirklichkeit angetroffen werden können63 • So wird sie meistens nur sehr allgemein 64 oder als Voraussetzung 65 einer Zeit zugeordnet. Und die ausdrückliche Bezugnahme auf einzelne Autoren erweist sich ebenfalls als nicht hinreichend. Können doch einzelne, losgelöste Zitate kaum als Beweis einer bestimmten Staatsauffassung dienen, ein kurzer Aufweis der gesamten Theorie wäre dazu von Nöten. So stellt sich z. B. der Verweis auf Rotteck als nicht beweiskräftig heraus. Die von Leibholz angeführte Textstelle ist gerade vom Bemühen Rottecks um die Lösung der Problematik von imperaWoltt, Besprechung Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 397. Das Wesen der Repräsentation, S. 52, siehe auch ebd., S. 50, 51. 60 Das Wesen der Repräsentation, S. 50, zur Durchführung dieses Nachweises vgl. ebd., S. 50 - 52. 61 Ebd., S. 52/53. 62 Vgl. Das Wesen der Repräsentation, S. 48 - 50, 54 - 56; vgl. auch die geschichtliche Einordnung der auf der Repräsentation basierenden Staatsmodelle in: Der Strukturwandel, S. 79 - 85 sowie Der Gestaltwandel, S. 218 als Einordnung für S. 211 - 218. 63 Das Wesen der Repräsentation, S. 19 - 21; Zur Begriffsbildung, S. 271/272. M Der Gestaltwandel, S. 218. 65 Der Strukturwandel, S. 81. 58
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tivem und freiem Mandat geprägt, ist also gerade durch ihre "atomistische Struktur" gekennzeichnet66 . Von daher ist dann die Kritik an Leibholz, daß seine Repräsentationsvorstellung aus dem 19. Jahrhundert stamme und somit eine verkürzte historische Perspektive aufweise 67 , abzulehnen. Denn diese historische Zuordnung ist seinem Wesen der Repräsentation nicht wesensmäßig. Der Begriff ist vorhistorisch gefaßt, die geschichtliche Verankerung ist allein nachträglich. Die Kritik der historischen Bedeutung muß damit am Wesen der Leibholzschen Repräsentation vorbeigehen. Schmittsche Eigentlichkeit und Smendsche Integrationslehre führen bei Leibholz schließlich zur Bestimmung der Bedeutung der Repräsentation als primärer Darstellungsfunktion. Ihr Sinn sei, "die als geistige Einheit existentiell vorhandene, konkrete Volksgemeinschaft in der Realität empirisch greifbar zu machen"68. Das bedeutet, Repräsentation ist in Analogie zu Smend allein die Voraussetzung für Willensbildung im Staate69 und sie muß nicht notwendig in einer bestimmten Staatsform verwirklicht werden70 • Deren Aspekte werden als unerheblich für die Funktion der Darstellung einer vorgegebenen Einheit angesehen. Von entscheidender Bedeutung muß dagegen die unabhängige Stellung des Repräsentanten sein. Findet nämlich die Repräsentation nur innerhalb einer ideellen Wertsphäre statt, so folgt notwendig daraus, daß der Repräsentant "auch einen eigenen Wert, eine eigene Würde und Autorität, kurzum die Qualitäten eines ,Herren', nicht die eines ,Dieners' besitzen"71 muß. Wer das Werthaft-überindividuelle vergegen66 Das Wesen der Repräsentation, S. 48 Anm. 3; vgl. Rotteck, earl von, Lehrbuch des Vernunftrechts und der Staatswissenschaften, Bd. II, S. 241 bis 244, vgl. auch hierzu oben Teil I, 3 d2. 61 Vgl. Mantl, Repräsentation und Identität, S. 157; Scheuner, Ulrich, Das repräsentative Prinzip in der modernen Demokratie, in: Rausch, Heinz (Hg.), Zur Theorie und Geschichte, S. 391; Hennis, Wilhelm, Amtsgedanke und Demokratiebegriff, in: ders., Politik als praktische Wissenschaft, München 1968, S. 248 Anm. 2 zu S. 48, S. 62, siehe dagegen seine Aussage in: Die Rolle des Parlaments, S. 212/213, wo Hennis die Leibholzsche Bestimmung des Parlamentarismus als historisch ungedeckt bewertet. 68 Das Wesen der Repräsentation, S. 57, siehe auch ebd., S. 47. 6g Ebd., S. 57/58. 10 Ebd., S. 60 - 63. 11 Das Wesen der Repräsentation, S. 73; Darauf, daß die Verbindung von Repräsentation und Wertsphäre bei Leibholz ohne Begründung erfolgt, sowie auf die Problematik dieser Behauptung hat schon WoZft, Besprechung von Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 395/396 verwiesen. Von daher ist dann auch der Aussage Köttgens, Besprechung G. Leibholz, S. 84/85 zuzustimmen, daß die Unabhängidkeit der Repräsentanten als Wesens merkmal der Repräsentation nicht bewiesen wurde. - Der von Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 74 - 75 angeführte technische Beweis belegt ja nur, daß gemäß seinem Staatsverständnis kein Subjekt auszumachen ist, das instruie-
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wärtigen soll, den muß eben Affinität zu dieser Ebene ausweisen. Eine Verbindung zum atomistisch wirklichen Volk kann dagegen nur den Wertekonnex unterbrechen, das imperative Mandat widerstreitet der Repräsentation. Repräsentant in diesem Sinne kann dann nur die Regierung und auch noch der freie Abgeordnete sein72 . Denn Regierung müsse stets eigenschöpferisch sein, ansonsten verlöre sie die Eigenschaft als Regierung und würde zum bloßen Exekutivausschuß73, wie eben der Abgeordnete nur als nicht instruierter repräsentieren könne. Repräsentation bedeutet demnach für den Repräsentanten "Wegfall einer konkreten Verantwortungspflicht"74, Befreiung "von der politischen Verantwortlichkeit für sein Handeln"75. Auf Grund dieser absoluten Entscheidungsfreiheit ist der Repräsentant wohl als souverän zu verstehen. Folgerichtig erwähnt dann Leibholz auch zustimmend die Vorstellung, die den Repräsentanten und seine Entscheidungen "geradezu mit einem Heiligenschein umkleidet"76 sieht. Trotzdem negiert Leibholz ausdrücklich die Kennzeichnung der Entscheidungsfreiheit des Repräsentanten als Souveränität, da der Repräsentant keine universale selbständige Entscheidungsgewalt besitze77, diese komme nur dem Volk zu. Universal aber sei die Entscheidungsgewalt des Repräsentanten nicht, weil die völlige Freiheit ihm nur innerhalb "der konkreten Zuständigkeitsordnung", der Verfassung, zukomme. Nur innerhalb dieser habe er das Dezisionsrecht78 . Diese Einschränkung der Freiheit des Repräsentanten weist jedoch eine methodische Schwäche auf. Verfassungs rechtliche Regelungen werden zur Bestimmung des Wesens der Repräsentation herangezogen. Dieses geschieht jedoch ohne irgendeine Vermittlung. Weder wird aufgewiesen, daß dergleichen Regelungen mit dem Begriff der Repräsentation vereinbar sind und diesem nicht widersprechen, noch wird die Anwendbarkeit des Begriffs der Repräsentation auf die Verfassung dargelegt. Ein Wesensbegriff wird einfach in die Verfassungswirklichkeit eingepfropft, ohne daß auch nur das methodische Problem sichtbar würde. Köttgen hat bezüglich dieser Haltung von einem "aprioristischen Ontoren könnte. Er verweist damit allein auf die Konsequenz aus seinem Repräsentationsverständnis und dem ihm korrespondierenden Staatsbild. 72 Das Wesen der Repräsentation, S. 79 - 82, S. 82 - 84. 73 Ebd., S. 80/81; Kritisch zu dieser verengten Sicht von Regierung schon Köttgen, Besprechung G. Leibholz, S. 86. 74 Das Wesen der Repräsentation, S. 90. 75 Ebd., S. 89. 78 Ebd., S. 175/176. 77 Ebd., S. 76 - 78; siehe auch Leibholz, The Nature and various forms of Democracy, (in: Social Research, V, 1935, S. 84 ff.), wieder abgedruckt in: ders., Politics and Law, Leyden 1965, S. 34 (weiterhin zitiert: The Nature of Democracy). 78 Das Wesen der Repräsentation, S. 72.
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logismus" bei Leibholz gesprochen und dessen methodische Unzulänglichkeit dargetan79 • Da der Ontologismus aber in diesem Fall vor verfassungs rechtlichen Regelungen einhält und diese aufnimmt und quasi, ohne sie theoretisch und methodisch erarbeitet zu haben, ontologisiert, wird die Bestimmung der Repräsentation in ihren Konturen unbestimmt. Bedeutete z. B. Entscheidungsfreiheit des Repräsentanten strikte Ablehnung des Recalls 8o, so ist Recall alsbald doch mit der Repräsentation vereinbar, wenn er nur nachträglich erfolgt und die Entscheidungen des Repräsentanten zuvor nicht beeinflußt81 • Der Umfang, inwieweit verfassungs rechtliche Regelungen akzeptiert werden müssen, ist also nicht objektiv festgelegt. Dadurch wird der bisher sehr stringent aus der Behauptung eines Wesens der Repräsentation in seinen Einzelheiten entfaltete Begriff der Repräsentation unscharf. Neben der reinen Behauptungsqualität von Schmitt her wird man diesem Begriff deshalb auch noch methodische Mängel bescheinigen müssen. Dieses wird auch darin deutlich, daß letztlich doch der Repräsentant als souverän zu betrachten ist. Im Unterschied zu Schmitt wird zwar das der Repräsentation zuzurechnende System als auch mit der Demokratie vereinbar angesehen82 , doch lassen die konkreten Ausführungen dazu keineswegs die Realisierung einer Volkssouveränität erkennen. Denn der demokratische Aspekt beziehe sich nur auf die Frage der Legitimität der Repräsentation. Unter diesem Titel wird schließlich bei Leibholz das Problem der Beziehung von Repräsentant und Repräsentierten doch noch gestreift83 • Es geht um den Anspruch und die Anerkennung des Anspruchs, Repräsentant zu sein. Diese Beziehung ist gemäß Leibholz ein Glaubensverhältnis84• Ein sachlich-inhaltliches Verhältnis kann hier keineswegs angenommen werden, da ja nicht das reale, sondern nur ein ideelles Volk repräsentiert wird. Das Verhältnis Repräsentant-Repräsentierte kann nur als Glaubensverhältnis gefaßt sein, als Glaube des realen Volkes, daß es ideell repräsentiert sei. Diese Glaubensbeziehung ist von geschichtlichen Bedingungen abhängig, sie kann sowohl transzendent als auch immanent begründet werden. Das Besprechung G. Leibholz, S. 76 - 78. Das Wesen der Repräsentation, S. 90. 81 Ebd., S. 93/94; Diese von Leibholz durchgeführte Scheidung von selbständiger Entscheidung und nachträglicher Abberufbarkeit dürfte wohl kaum dem wirklichen Entscheidungsablauf entsprechen, da durch Antizipation des möglichen Recalls dieser die Entscheidung grundlegend beeinflussen kann. 82 Das Wesen der Repräsentation, S. 79; die Betonung dieses Unterschiedes bei Mantl, Repräsentation und Identität, S. 152 und Müller, ehr., Das imperative und freie Mandat, S. 17. 83 Vgl. Das Wesen der Repräsentation, Kapitel 6, S. 140 - 165. 84 Das Wesen der Repräsentation, S. 142 -143, allein sechs Mal wird in diesen beiden kurzen Abschnitten "Glauben", "Vertrauen" oder "glaubensmäßig" verwandt; vgl. auch Die Grundlagen, S. 10. 79
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Köttgen,
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demokratische Element wird dadurch von Leibholz eingeführt, daß er eine Entwicklung zur immanenten Legitimität diagnostiziertS 5 • Demokratie allein als Zeitphänomen; Demokratie als Glaubensquell. Demokratische Mechanismen sollen ,,,a contact', eine ,correspondence' zwischen Repräsentanten und Repräsentierten"S6 herstellen. Der Kreationsmodus ist nicht entscheidend, er soll allein diese Glaubensbeziehung sicherns7 , und das bedeute, nach dem letzten Stand der geschichtlichen Entwicklung, daß das Volk an der Zusammensetzung des Parlaments beteiligt wird ss . Es zeigt sich, das Prinzip der Repräsentation ist von dieser Problematik losgelöst. Repräsentation kann auch bei Leibholz gen au wie schon bei Schmitt als Behauptung von Transzendenz verstanden werden. Das demokratische Moment erfaßt allein den Aspekt der wirksamen Durchsetzung dieser Behauptung, wodurch das Element, das bei Schmitt sich als Wesen der Identität erwiesen hatte, aufgenommen worden ist. Ein Element, das Smend unter dem Titel Integration behandelt hatte. Der Sachentscheid, die politische Gewalt, ist somit beim Repräsentanten angesiedelt. Das konkrete Volk, durch ein ideelles entmachtet, ist auf eine Glaubenshaltung verwiesen und wird mitnichten als souverän angesehen werden können. Die Aufzählung der Wesensmerkmale der Repräsentation als "Duplizität der personellen Existenz, (als) ideelle Fundierung der Repräsentation", als "Legitimierung der Repräsentation" und "selbständige Entscheidungsgewalt"s9 des Repräsentanten ist dahingehend zu korrigieren, daß der Legitimierungaspekt nicht als wesenhaft, sondern als akzidentiell von Leibholz aufgewiesen wurde. überblickt man nun die staatstheoretische Bedeutung der Repräsentation, so erweist sie sich als differenzierte aber konsequente Ausfaltung des Wesensbegriffs der Repräsentation9o . Damit unterliegt sie auch dessen Kritik des fehlenden wissenschaftlichen Aufweises. Dieser staatstheoretischen Darlegung müssen deshalb die gleichen wissenschaftlichen Bedenken entgegengebracht werden, wie dem Begriff als solchem. Das Wesen der Repräsentation, S. 144; vgl. Die Grundlagen, S. 10. Das Wesen der Repräsentation, S. 153; vgl. auch Leibholz, Democracy, Representation and the Electoral Issue, in: ders., Politics and Law, Leyden 1965, S. 50 (weiterhin zitiert: Democracy, Representation). 87 Das Wesen der Repräsentation, S. 160 - 165, 173/174; Democracy, Representation, S. 50. 88 Das Wesen der Repräsentation, S. 156. 89 Ebd., S. 106. 90 Der Aspekt der Vermischung verschiedener Theorieebenen bei Leibholz (vgl. oben, III, 4, a3), der nicht als Ausfaltung eher als Eingrenzung des Repräsentationsbegriffs erscheint, soll hier abschließend nicht noch differenzierend angeführt werden, da er an der Gesamtbeurteilung nichts ändert, sie vielmehr nur in einem Aspekt eigenständig bestätigt. 85
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b) Identität als Identifikation Die theoretische Unzulänglichkeit der Leibholzschen Konzeption
bl) Das nicht faßbare Identitätsprinzip Von der Repräsentation unterscheidet Leibholz scharf die Identität. War jene durch Duplizität, durch spezifische Dialektik gekennzeichnet, so ist die Identität durch Einheit bestimmt91 . Eine Einheit, die auch beim "vergeistigten Begriff der Identität" festzustellen sein soll, einem Begriff, "bei dem nach einem bestimmt gearteten Transsubstantiationsprozeß auch in Wirklichkeit nicht Gleiches miteinander für identisch erklärt wird"92. Damit ist aber die Kennzeichnung der Identität als Einheit hinfällig; es lassen sich eben wieder zwei verschiedene Momente unterscheiden. Leibholz selbst räumt ein, daß diese Bezeichnung besser mit "Identitfizierungen oder Identifikationen"93 zu beschreiben wäre. Trotz der Kennzeichnung des wirklichen Prozesses der Transsubstantiation als Identifizierung hält Leibholz jedoch daran fest, daß dabei das Prinzip der Identität zum Tragen komme. Denn das Identitätsprinzip habe "ebenso wie das der Repräsentation eine spezifisch geistige und nicht empirisch zu greifende Struktur"94. Dadurch aber verflüchtigt sich das Identitätsprinzip in eine Geistigkeit, die sich als Unbestimmtheit erweist. Dieses Prinzip muß unklar bleiben, wenn es als Identifizierung allein aufgewiesen werden kann, eine Zweiheit meint, in Wirklichkeit jedoch als Identität Einheit bedeuten soll. Entweder handelt es sich um Identifizierung oder um Identität. Identifizierung, die Identität ist, und Identität, die nur als Identifizierung faßbar ist, ist ein Unding. Auch wenn man auf die konkrete Ausformung der Identität im Parteienstaat rekurriert, um von hier aus eine Klärung zu erreichen, gelangt man zu keinem anderen Ergebnis. Vom Parteienstaat wird zunächst festgestellt, daß er "bei Lichte besehen eine Erscheinungsform der unmittelbaren Demokratie"95 sei. Außer diesem Verweis auf Eigentlichkeit findet sich bei Leibholz keine Begründung für diese These. Sie ist jedoch der entscheidende Grund dafür, daß der Parteienstaat nur nach dem der Demokratie zugrunde liegenden Konstitutionsprinzip der Identität interpretiert werden kann96 . Das bedeutet: "der Parteienmehrheitswille muß vom Volke mit der volonte generale, dem überparteilichen Gesamtwillen, identifiziert werden"97. Diesen IdentifizieDas Wesen der Repräsentation, S. 28, 37. Ebd., S. 28. 83 Ebd., S. 28 Anm. 2. 9' Ebd., S. 30 Anm. 1. 95 Ebd., S. 118 (Hervorhebung von mir, V. H.). ge Ebd., S. 118/119. 81
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rungsprozeß hat Leibholz dahingehend bestimmt, daß "zunächst der Wille der Mehrheit der Bevölkerung mit dem der Aktivbürgerschaft und der der Aktivbürgerschaft in der Folge mit dem von der Summe der Individualwillen verschiedenen Gesamtwillen der Gemeinschaft identifiziert" 08 wird. Betrachtet man diesen Integrationsprozeß vom Aktivbürger aus, so kann man ihn durchaus als Repräsentation auch im Sinne von Leibholz verstehen und damit schließlich doch das Problem der Zweiheit in der Identität lösen. Denn nicht nur muß auch hier die Vorstellung des ideellen Volkes als dem Staate zugrunde liegend angesetzt werden, ebenfalls muß dann ja auch gelten, daß jeder Einzelne an dieser ideellen Ganzheit Teil hat90 • Von daher kann jeder Einzelne als Repräsentant des Gemeinwillens fungieren, wobei auf Grund des Schmittschen demokratischen Prinzipsloo erklärt werden kann, wieso nur der Mehrheitswille zum Tragen kommt. Bei Leibholz selbst lassen sich sogar Aussagen finden, die eine derartig grundlegende Bedeutung der Repräsentation anzudeuten scheinen101 • Doch wird diese Interpretation von Leibholz nicht weiter verfolgt, vielmehr bleibt er in den neueren Veröffentlichungen und den Neuauflagen seiner früheren Schriften bei seiner strikten Trennung 102 • Erst bei Leibholz, und hierin unterscheidet er sich von Schmitt, sind also Repräsentation und Identität als klar geschiedene kontradiktorische Begriffe fixiert 103 • So ist das Identitätsprinzip weiterhin als unbestimmt anzusehen. Ein Prinzip, das nur faßbar ist in der Behauptung als Gegensatz zur Repräsentation und das dazu noch ohne theoretischen Aufweis zur Kennzeichnung des Parteienstaates herangezogen ist. Dieses wird wohl mit ein Grund sein, weshalb nach 1945 der Terminus Identität bei den Leibholzschen Veröffentlichungen zurücktritt und durch analoge Begriffe ersetzt wird104 • Ebd., S. 119. Die Auflösung, S. 14/15; analoge Formulierungen auch in: The Nature of Democracy, S. 34; Der Gestaltwandel, S. 224. 99 Vgl. Das Wesen der Repräsentation, S. 45/46; siehe auch The Nature of Democracy, S. 24. 100 Vgl. C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung, S. 86, 145; ders., Die geistesgeschichtliche Lage, S. 34; zum demokratischen Prinzip oder Axiom vgl. oben Teil III, 2 a2. 101 Vgl. Leibholz, Parlamentarische Repräsentation (in: The University of Chicago Law Review, 12, 1945) jetzt in übersetzung wieder abgedruckt in: Rausch, Heinz (Hg.), Zur Theorie und Geschichte, S. 229: "Der ,Gemeinwille' einer Nation könnte gar nicht zur Entstehung gelangen ... , wenn es nicht repräsentative Autoritäten gäbe." 102 Das Wesen der Repräsentation, S. 119 Anm. 4; vgl. auch Die Auflösung, S. 14 Anm. 19. 103 Siehe hierzu schon Mantl, Repräsentation und Identität, S. 111, 152. 104 Vgl. hierzu ebd., S. 151, 169. 97
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b2) Die Verlagerung der Erörterung auf die Modellebene Nach 1945 tritt das Begriffspaar Repräsentation und Identität zurück, an ihre Stelle tritt das von Parlamentarismus und modernem Parteienstaat. Diese Staatsformen werden zwar eindeutig den jeweiligen Prinzipien zugeordnetl°5 , ja sie erscheinen gerade als konkrete Verwirklichung dieser Prinzipien, im Vordergrund stehen jedoch die verschiedenen Ausformungen als Parlamentarismus und Parteienstaat106 • Dabei ist die Schilderung der parlamentarischen Staatsform von entscheidender Bedeutung. Bildet sie doch die Hintergrundfolie, von der aus der Parteienstaat interpretiert wird. Zentrale Aussage ist, daß das Parlament nicht mehr gemäß der repräsentativen Bestimmung funktioniert, daß Öffentlichkeit und Diskussion an Bedeutung verlieren, die Fraktionen zu Einrichtungen der Parteien werden, kurz, daß das politische Schwergewicht auf die Parteien verschoben worden istl°1 • Dieser Kerngedanke wird dann in einzelne Aspekte differenzierter ausgebreitet: daß die Abgeordneten zu organisatorisch-technischen Zwischengliedern der Parteien werden, so daß imperatives Mandat und Fraktionszwang sinnvoll erscheinen 108, sowie die Wahl sich schließlich zum Plebiszit wandeWo 9 • Schließlich werden letzte Konsequenzen dahingehend gefolgert, daß recall und Mandatsverlust bei Parteiausschluß dem Parteienstaat entsprechen müßten llO . Die konkrete Ausgestaltung der Parteienstaatsthese erfolgt also dadurch, daß eine Vorstellung von repräsentativem Parlamentarismus an die Wirklichkeit herangetragen wird und vor dieser als inadäquat erscheint. Der zentrale Punkt der Differenz wird sodann zur Grundlage eines von hier aus logisch weiterentwickelten Systems. Es ist also zunächst festzuhalten, daß die Parteienstaatsvorstellung ohne das Prinzip der Identität gewonnen werden kann. Darüber hinaus muß man sie noch als abstrakte Modellvorstellung einstufen. Denn die Vorstellung des repräsentativen Parlamentarismus war ja aus dem Begriff der Repräsentation gewonnen worden111 • Dieser hatte sich aber als theoretisch unzureichend wie auch geschichtlich nicht nachweisbar erwiesen. Von daher ist das aus ihm entwickelte Repräsentativsystem als abstraktes Modell zu bezeichnen. Es unterliegt der 105 Der Strukturwandel, S. 81 bzw. S. 94; Der Gestaltwandel, S. 214 - 215 bzw.226. 108 Der Strukturwandel, S. 79 - 112; Der Gestaltwandel, S. 212 - 235. 107 Der Strukturwandel, S. 94/95; Der Gestaltwandel, S. 226 - 228. 108 Der Strukturwandel, S. 96 - 98; Der Gestaltwandel, S. 228 - 230. lOg Der Strukturwandel, S. 104 - 110; Der Gestaltwandel, s. 231 - 235; vgl. auch Das Wesen der Repräsentation, s. 98 -104, 113 -115, 117, wo schon die wesentlichen Punkte der Parteienstaatsthese angeführt sind. 110 Der Strukturwandel, S. 102 - 104; Der Gestaltwandel, s. 230 - 231. 111 Vgl. z. B. auch die Vermischung von Repräsentation und Repräsentativsystem in: Das Wesen der Repräsentation, S. 174 -176.
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gleichen Kritik wie das Rechtsstaatsmodell von Schmitt 112 • Dieselbe Einschätzung ist auch für die Parteienstaatsvorstellung vorzunehmen. Denn da vom Modell des repräsentativen Parlamentarismus aus weder geschichtliche noch theoretische Vermittlung zur Wirklichkeit möglich ist, es die Wirklichkeit nicht erfassen kann, so ist das aus der notwendigen Diskrepanz abgeleitet neue System Konsequenz des ersten und theoretisch diesem adäquat. Von daher dann auch der Vorwurf der "Vergewaltigung" der Wirklichkeit durch die Parteienstaatsthese sowie der Vorwurf der Überzeichnung und Übersteigerung oder falschen Einschätzung einzelner Phänomene in der Literatur113 • Sternberger z. B. vermag "nur ein paar Zipfel und Fetzen von Historie und Empirie"114 in der Leibholzschen Parteienstaatsthese erkennen. Die Parteienstaatstheorie erweist sich als Umkehrschluß aus der Repräsentationsthoerie115 • War schon die Identität als Prinzip nicht näher bestimmt als dadurch, daß sie Nicht-Repräsentation sein sollte, so erweist sich der Parteienstaat analog als Nicht-Parlamentarismus. Identität als NichtRepräsentation unterliegt demnach den gleichen wissenschaftlichen Bedenken wie der Begriff der Repräsentation. Die Parallelität der Identität zur Repräsentation komm aber auch im inhaltlichen Moment der Parteienstaatstheorie zum Ausdruck. Wie schon eine Konkretisierung der Struktur der Identität nur als Repräsentation möglich war116, so weist schließlich die unmittelbare Demokratie des Parteienstaates eine dem repräsentativen Parlamentarismus vergleichbare Struktur auf. Diese wird deutlich, wenn nach der FunkVgl. oben Teil III, 2 cl + 2. Der Ausdruck "Vergewaltigung" bei Hennis, Amtsgedanke und Demo. kratiebegriff, S. 61, ebd., S. 61 - 63 auch die Fundierung dieser Behauptung durch die Analyse der Wirklichkeit; vgl. auch die Kritik an der Leibholzschen These des ausgeübten Fraktionszwanges bei Haungs, Ein Parteienstaat?, S. 510 - 513, ders., Innerparteiliche Demokratie im parlamentarischen Regierungssystem, in: Civitas, Jahrbuch für christliche Gesellschaftsordnung, 4, 112
113
1965, S. 47/48.
Zur Kritik der Identifizierung von Wahl und Plebiszit durch Leibholz siehe
Sternberger, Zur Kritik, S. 29 - 31; Jäckel, Hartmut, Der Weg zur Massen-
demokratie. Zu den Werken von Gerhard Leibholz, in: NPL, 9, 1964, Sp. 250 bis 253; - Als interessanter Gegenentwurf und damit als Beleg für das Modelldenken bei Leibholz vgl. Sternberger, Dolf, Das angebliche Unrecht der Parteienregierung, in: Kluxen, Kurt (Hg.), Parlamentarismus, Köln - Berlin 1967, S. 374 - 390, bes. S. 380 - 390, wo Sternberger gerade dadurch, daß er ,Diskussion' vom Parlamentarismusmodell und ,Legitimität' von dem Gewaltenteilungsschema losgelöst versteht, zu einer differenzierten und komplexen Erfassung von Parteienregierung gelangt; eine korrigierende und detaillierte Schilderung der Wirklichkeit des Parteienstaates ebenfalls bei Varain, HeinzJosef, Das Parlament im Parteienstaat, in: PVS, 5, S. 339 - 348. m Sternberger, Zur Kritik, S. 26. 115 So schon Müller, Chr., Das imperative und freie Mandat, S. 45, 48/49; zustimmend zu Müllers These auch Haungs, ein Parteienstaat? , S. 505. 118 Vgl. oben, Teil III, 4, bl.
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tion der Parteien im Parteienstaat, die ja die zentrale Funktion des Parlaments übernommen haben117, gefragt wird. Sie werden als Sprachrohr des Volkes interpretiert118 , näherhin des organisierten Volkes. Die Organisation des Volkes, d. h., daß das Volk als politisch handelnde Einheit in Erscheinung tritt, wird aber durch diese Parteien erst geleistet119 • Durch sie wird es erst verfassungsrechtlich relevant120 , die Mediatisierung des Volkes durch die Parteien gehört somit zum Wesen des Parteienstaates 121 • Es sind also die Parteien, die sich mit dem Volk identifizieren, die den Anspruch erheben, das Volk zu sein122 • Dieser Theorie wird Volk nur in den Parteien greifbar. Die Alternative Volk-Partei erweist sich als Scheinalternative, es gibt nur die Parteien im Parteienstaat, das Volk ist nicht enthalten123 • Die Parteienstaatskonzeption ist auf die staatliche Ebene beschränkt, sie ist etatistisch124 • Parteien sind oligarchische Herrschaftsgruppen, wenn sie behaupten, das Volk selbst zu sein. Das Faktum wird ja auch von Leibholz keineswegs geleugnet, nur die Bezeichnung dieser Struktur als Herrschaft der Parteien und Entmachtung des Volkes wird von Leibholz als gefährliche, politische Neoromantik bezeichnet. Die These vom Parteienstaat scheint dadurch gekennzeichnet zu sein, daß faktische, oligarchische Herrschaft nur anders interpretiert wird 125 • Demgegenüber vertritt jedoch Mantl die Auffassung, daß die Leibholzsche Parteienstaatsthese volksherrschaftlich und keineswegs parteienherrschaftlich zu interpreDer Strukturwandel, S. 95; Der Gestaltwandel, S. 228. Der Strukturwandel, S. 90; Das Wesen der Repräsentation, S. 118; Volk und Partei im neuen deutschen Verfassungs recht (in: Deutsches Verwaltungsblatt, 65, 1950, S. 194 ff.), wieder abgedruckt in: ders., Strukturprobleme der modernen Demokratie, Frankfurt 1974, S. 76 (weiterhin zitiert nach der Neuveröffentlichung 1974 unter dem Kürzel: Volk und Partei). 119 Der Strukturwandel, S. 90; Der Gestaltwandel, S. 225; Verfasstmgsrecht und Verfassungswirklichkeit, in: ders., Die Repräsentation in der Demokratie, Berlin - New York 1973, S. 256; Volk und Partei, S. 76. 120 Der Gestaltwandel, S. 240. 121 Der Strukturwandel, S. 121; Der Gestaltwandel, S. 240; vgl. auch die Definition des Parteienstaats als mittelbare Demokratie mit der Struktur einer unmittelbaren Demokratie in: Die Grundlagen, S. 21 und ebenso in: The Nature of Democracy, S. 36. 122 Der Strukturwandel, S. 121; Der Gestaltwandel, S. 240; sowie neuerdings ders., Abgeordnete sind der Partei verpflichtet, in: Der Spiegel, 32. Jg., Nr. 9, vom 27. Februar 1978, S. 36. 123 Volk und Partei, S. 76: "Die Gegenüberstellung von Volk und Partei ist irreführend, weil es das Volk in dem zur politischen Wirklichkeit gewordenen massendemokratischen Parteienstaat liberaler Prägung überhaupt nicht gibt." Vgl. zur Rolle des Volkes bei Leibholz auch Saage, Richard, Zum Begriff der Parteien und des Parlaments bei earl Schmitt und Gerhard Leibholz, in: Das Argument. Zeitschrift für Philosophie und Sozialwissenschaften, 50, Sonderband zum 10. Jahrgang, Berlin 1969, S. 187; kritisch hierzu auch Sternberger, Zur Kritik, S. 26 - 29. 124 Vgl. Der Gestaltwandel, S. 245/246. 125 Der Strukturwandel, S. 121/122; Der Gestaltwandel, S. 241. 117
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tieren sei, tritt jedoch den Beweis für diese seine These nicht an126 • Gegenüber der reinen Behauptungsqualität der MantIschen Aussage, muß die hier vorgelegte Interpretation nicht bestimmte Elemente der Leibholzschen Konzeption als uneigentlich ausweisen, sondern läßt sich mit allen vereinbaren. Denn es fällt ja auf, daß innerparteiliche Demokratie, trotz ihrer vehementen Forderung durch Leibholz127 , kein notwendiges Element des Parteienstaates ist. Sie dient zur Auflockerung des Parteienstaates, nicht zu seiner Konstitution128, und bedeutet schließlich nur, daß "die jeweiligen Parteioberen ... von unten her legitimiert werden"129, daß alle "Parteibürger" rechtlich gleichgestellt sind und an der Kandidatenaufstellung beteiligt sind130 . Das Prinzip der Führung darf nicht gebrochen werden, diese Parteienstaatsthese ist parteienherrschaftlich zu interpretieren und damit liegt ihr eine analoge Struktur zugrunde wie der Repräsentation. Denn auch im Parteienstaat läßt sich eine politisch Führung ausmachen, die sich nur personal, nicht sachlich zu legitimieren braucht. Eine Führung, die also ungebunden entscheidet und deren Entscheid dann mit der volonte generale identifiziert wird. Es zeigt sich hier auch wieder eine Bezüglichkeit auf das ideelle Volk. Auch die Auswahl, welcher Parteiwille mit dem Volkswillen zu identifizieren sei, erfüllt die Bedingungen der Wahl eines Repräsentanten. Denn das Verhältniswahlrecht wird als plebiszitärer Akt verstanden131 und erhalt damit das notwendige Hauptmoment, das das Mehrheitswahlrecht als Wahlrecht des repräsentativen Parlamentarismus auszeichnete132 • Wenn Leibholz die Entartung des Parteienstaates in der Form einer "autoritär repräsentativen Diktatur einer Partei"133 und diese Form schließlich nicht mehr im prinzipiellen, sondern nur graduellen Unterschied zum heutigen Parteienstaat sieht134 , so wird man wohl auch legitimerweise im Staat mit mehreren Parteien von repräsentativer Parteienoligarchie sprechen können. Die Struktur 128 Vgl. Mantl, Repräsentation und Identität, S. 158, 169 - 171, 184 - 185. Zu der genannten These gelangt Mantl dadurch, daß er verschiedene Aussagen von Leibholz unterschiedlich wertet, nämlich als bewußt entfaltete Theorievariante oder nicht. Mag dieses Vorgehen an sich legitim sein, so fehlt bei Mantl doch der begründete Aufweis für die Adäquatheit seiner Behauptungen. 127 Der Strukturwandel, S. 123 - 129; Der Gestaltwandel, S. 246 - 248. 128 Der Strukturwandel, S. 124; Der Gestaltwandel, S. 247. 120 Der Strukturwandel, S. 124; Der Gestaltwandel, S. 247. 130 Der Strukturwandel, S. 126 -128; Der Gestaltwandel, S. 248. 131 Der Strukturwandel, S. 104 - 108; Der Gestaltwandel, S. 231/232. 132 Zum Kampfmoment vgl. Die Grundlagen, S. 18/19, zu dessen Bedeutung im Parteienstaat siehe Der Strukturwandel, S. 106, Der Gestaltwandel,
S.232.
Das Wesen der Repräsentation, S. 122. Volk und Partei, S. 76; vgl. dagegen die Aussage in: Das Wesen der Repräsentation, S. 101, die dieser Zuordnung entgegensteht. 133
134
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der Repräsentation bleibt also erhalten, an die Stelle des Parlaments sind die Parteien getreten. Es wird von Leibholz nur erfaßt, "wie die Parteien sich sozusagen in das überkommene staatliche Institutionengefüge hineingefressen haben"135, sie selbst in ihrer Eigenart aber nicht. Dadurch, daß das Volk in dieser Theorie nicht enthalten ist, wird Parteienstaat, - trotz äußerlicher Zuordnungen zum Identitätsprinzip, letztlich doch repräsentativ verstanden136. Die durchgängige Bestimmung des gesamten Systems von Leibholz durch den Begriff der Repräsentation beweist sich nicht nur darin, daß Identität und Parteienstaat in Negation zu diesem Begriff geführt werden, sondern noch deutlicher in dem Umstand, daß sie trotz behaupteter Negation diesem Begriff inhaltlich verhaftet bleiben. So erweist sich die theoretische Problematik der Prinzipienbestimmung von Repräsentation und Identität auch innerhalb des Leibholzschen Systems. c) strukturwandel zwischen kontradiktorischen Polen?
Hatten sich die Leibholzschen Begriffe von Repräsentation und Identität als theoretisch nicht haltbar erwiesen 137, so ist darin auch schon das Urteil über ihre Anwendung zur Erklärung der Wirklichkeit enthalten. Da jedoch nach 1945 die Bestimmung von Repräsentation und Identität zurücktreten und durch die Betonung eines Strukturwandels sich die Erörterung auf die Modellebene verlagert138 , sei zum Abschluß noch gesondert auf diese Anwendung eingegangen, um zu einer Gesamtbeurteilung gelangen zu können. Diese Anwendung der Theorie steht nun aber vor dem Problem, zwei kontradiktorische Modelle zur Erklärung einer komplexen Wirklichkeit heranziehen zu müssen. Denn nicht nur Repräsentation und Identität139, sondern auch Parlamentarismus und Parteienstaat werden in strikter Kontradiktion gesehen, Mischung ist nicht möglich140. Wider135 Haungs, Innerparteiliche Demokratie im parlamentarischen Regierungssystem, S. 48. 13S Vgl. Trautmann, Günter, Parteienstaatliche Verfassung und freies Mandat, in: ZParl, 2, 1971, S. 61: "Leibholz scheint seine am Idealtypus des liberalen Parlamentarismus gewonnene absorptive Repräsentationsvorstellung von 1929 nach 1945 auf einen neuen Träger, die politischen Parteien, zu übertragen." Wie der nächste Abschnitt belegt, ist die zeitliche Zuordnung dieser Aussage jedoch zu korrigieren. Zutreffend dagegen auch Trautmanns Kennzeichnung der Parteien bei Leibholz als "krypto-staatliche Organe" (ebd., S. 56). 137 Vgl. Haungs, ein Parteienstaat? , S. 502, der die Leibholzsche Theorie als wissenschaftlich widerlegt einschätzt. 138 Vgl. hierzu schon Mantl, Repräsentation und Identität, S. 162. 139 Das Wesen der Repräsentation, S. 28 - 30, 119 - 121; Der Strukturwandel, S. 94; Der Gestaltwandel, S. 226. 140 Der Strukturwandel, S. 112 -114; Der Gestaltwandel, S. 235/236; Die
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sprechen sich aber die Prämissen, dann ist jede Konklusion möglich, das Ergebnis nicht mehr objektiv herzuleiten. Diese Eigenschaft der Leibholzschen Modellvoraussetzung läßt sich schon in den Veröffentlichungen der Weimarer Zeit nachweisen. Im Wesen der Repräsentation tritt Leibholz für eine autoritative Absage an den Parteienstaat ein 141 , wohingegen er zwei Jahre später bei gleicher Verfassung als Verfechter des Parteienstaatsgedankens auftritt142 • Sah Leibholz im Wesen der Repräsentation zwar den Parteienstaat schon als Wirklichkeit gegeben 143, so versagte er ihm doch die Anerkennung. Denn einerseits lasse ein Wesensbegriff wie der der Repräsentation keine Anpassung ZU144 und zweitens sei das Verhältniswahlrecht, von dem aus die Wirklichkeit des Parteienstaates erklärt wird145 , nur als sekundär und nicht strukturwandelnd zu verstehen 146 • Dadurch ist dem Parteienstaatsmodell die verfassungsrechtliche Anerkennung abgesprochen, das Repräsentativsystem ist höherwertig und damit das entscheidende Element der Verfassung. Die Begründung für diese unterschiedliche Einstufung des repräsentativen und des Parteienstaatsmodells, nämlich die Erfahrungen des Auslandes147 , kann verfassungsrechtlich nicht als ausreichender Grund angesehen werden. Sie ist politisch und ist damit identisch mit der Begründung der Ablehnung einer Verfassungsänderung zur Sanktionierung des Parteienstaates; es handelt sich um demokratische Bedenken von Leibholz 148• Grundlagen, S. 23; Parteienstaat und Rep. Demokratie, S. 5; - Vgl. Der Strukturwandel, S. ll2, daß das, "was mit dem klassischen repräsentativen Parlamentarismus, ... , unvereinbar ist, sich harmonisch dem modernen demokratischen Parteienstaat einfügt, sozusagen zu seiner inneren Logik ... gehört". - Zur Kritik der Mischung bei der Strukturtypen siehe vor allem, Unkelbach, Helmut, Grundlagen der Wahlsystematik. Stabilitätsbedingungen der parlamentarischen Demokratie, Göttingen 1965, S. 155 - 159. 141 Das Wesen der Repräsentation, S. 107/108, 123. 142 Die Grundlagen, S. 35, 36; vgl. auch Chr. Müllers Einschätzung in: Das imperative und freie Mandat, S. 45. 143 Das Wesen der Repräsentation, S. 98 - 104. 144 Ebd., S. 106. 145 Ebd., S. ll3 - ll5. 146 Ebd., S. ll6. 147 Ebd., S. ll6/ll7. 148 Ebd., S. 121 - 123; Indem hier nur auf den theoretischen Aspekt der demokratischen Grundhaltung Leibholz', den fundamentalen Unterschied zu C. Schmitt, eingegangen wird, soll keineswegs deren Bedeutung geschmälert werden. Diese demokratische Grundhaltung ist ja durchgängige Charakteristik aller Arbeiten von Leibholz, auch und gerade dann, wenn er für den Parteienstaat eintritt (vgl. Die Grundlagen, S. 35 - 36, 37: die Betonung der Problematik eines demokratischen Parteienstaates; und Die Auflösung, S. 76 bis 79, sowie The Nature of Democracy, S. 28 - 30: den Versuch Demokratie als nicht zu besiegendes Prinzip auszuweisen). Gerade wegen dieser ihrer durchgängigen und grundlegenden Bedeutung in allen Schriften von Gerhard Leibholz muß aber hier, bei der Erörterung der Theorie von Leibholz,
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Trotz dieser demokratischen Bedenken gelangt Leibholz zur Befürwortung der Parteienstaatstheorie als Erklärungsmodell für Weimar in der Schrift über die "Grundlagen des modernen Wahlrechts"149. Wahlsystem und Staatsmodell sind nun eindeutig zugeordnet1 50 , der Widerspruch der Verankerung zweier Struktursysteme in einer Verfassung deutlich ausgesprochenl5l • Die geänderte Entscheidung, das Eintreten für die Parteienstaatsinterpretation, wird mit einem Strukturwandel begründet, der sich im veränderten Wahlsystem, im wirtschaftlichen und sozialen Bereich äußere 152 • Eine Analyse dieses so bedeutenden Wandels wird aber nicht durchgeführt. Er wird nur als sich selbst weitertreibender Demokratisierungsprozeß beschrieben153 und seine Unentrinnbarkeit behauptet154 • Selbst an objektiven Kriterien, an denen er faßbar wäre, fehlt es. Ist er zunächst mit dem Verhältniswahlsystem in Beziehung gesetzt worden, so wird schließlich seine Unumkehrbarkeit auch bei Änderung des Wahlsystems behauptet155 • Der Strukturwandel wird damit zum kaum faßbaren Ereignis l56 , das selbständig abläuft und nur nachvollzogen und bewußt gemacht werden kann. Wie die häufige Verwendung von "instinktiv" und ähnlichen Wendungen zeigt157, scheint es sich hierbei um einen Grundzug Leibholzscher Methode zu handeln. Dieser Grundzug erweist sich als Voraussetzung Leibholzscher Theorieanwendung. Denn Wandel ist zwischen kontradiktorischen Polen nicht möglich, nur dialektischer Sprung. Indem Leibholz also einen Strukturwandel seiner Theorie zugrunde legt, hat er seine Struktursysteme zu konträren Polen in diesem Prozeß gewandelt. Bei der Bestimmung des Ergebnisses dieses Wandels verwendet er sie aber weiter ihre die Frage der Modellanwendung entscheidende Funktion überraschen, zumal in späteren Schriften dieses Argument wieder fallengelassen wird, wenn Leibholz sich schließlich für den Parteienstaat ausspricht. 149 Vgl. die Hinweise auf die Problematik des Parteienstaates in: Die Grundlagen, S. 35/36, 39/40 mit den Bedenken in: Das Wesen der Repräsentation, S. 122 - 123. 150 Die Grundlagen, S. 14, 18, 20; siehe auch Democracy, Representation, S.56/57. 161 Die Grundlagen, S. 22/23, 39. 152 Ebd., S. 21, 23, 25, 27. 153 Die Auflösung, S. 50/51; Der Gestaltwandel, S. 221. m Die Grundlagen, S. 29; vgl. ähnliche Charakterisierungen in: Der Strukturwandel, S. 123; im gleichen Kontext zu sehen sind auch ebd., S. 78 sowie Der Gestaltwandel, S. 241. 155 Die Grundlagen, S. 26; vgl. auch die Aussagen zur Irrelevanz des Wahlsystems in: Der Strukturwandel, S. 110; Der Gestaltwandel, S. 235. ISS Diese Einschätzung bei Sternberger, Zur Kritik, S. 25. 157 Das Wesen der Repräsentation, S. 34, 82, 86 Anm. 1, 89; Der Strukturwandel, S. 83; Der Gestaltwandel, S. 215; - diese Mystifizierung war ja durch die ,Methoden'erörterung als legitim ausgewiesen worden, vgl. oben, Teil III, 4, a1.
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als kontradiktorische Modelle158. Fehlende Analyse verdeckt so theoretische Inkonsequenz. Dieser theoretisch nicht näher zu fassende Strukturwandel ist dann seit den "Grundlagen" das Kriterium für das Eintreten Leibholz' für das Modell des Parteienstaates, wobei die Gründe dafür, eben weil der Wandel nicht analysiert wird, nicht erkennbar sind. Aus eben diesem Grund kann er auch nicht als objektives Kriterium zur Entscheidung für den Widerspruch der Verfassung, der Verankerung zweier verschiedener Systeme, dienen. Dieser Widerspruch, der in den "Grundlagen" nur aufgezeigt, aber nicht analysiert wurde, da nur auf die Wahlrechtsproblematik abgehoben wurde, - bleibt ja auch nach 1945 erhalten. Leibholz sieht nämlich durch Art. 38 und Art. 21 des Bonner Grundgesetzes sowohl den repräsentativen Parlamentarismus als auch den modernen Parteienstaat verankert159. Beide Strukturtypen werden als auf verschiedenen Ebenen liegend ausgegeben160 , wobei die Wirklichkeit der Verfassung eher dem Prinzip des Art. 21 GG als dem des Art. 38 GG entspreche161. Von daher ist dann dem Typus des Parteienstaates der Vorrang einzuräumen. Art. 38 GG kann nur noch die Funktion zugesprochen werden, "die äußersten Konsequenzen des demokratischen Parteienstaates, der in Art. 21 Abs. 1 GG legalisiert ist, abzuwenden"162. Diese Lösung erweist sich als Scheinlösung, ist sie doch genau so unbestimmt, wie der ihr zugrunde gelegte Strukturwandel. Es bleibt nämlich ungeklärt, was äußerste und was nicht äußerste Konsequenzen des Parteienstaates sind. Diese Unsicherheit, Konsequenz der kontradiktorischen Ausgangsbasis, findet dann auch ihren Niederschlag in konkreten Auslegungen dieser Lösung durch Leibholz selbst. Vertrat Leibholz früher die Auffassung, daß das Verbot einer Partei durch das Bundesverfassungsgericht "wegen des Art. 38 GG nicht das Erlöschen der Abgeordnetenmandate nach sich ziehen"163 kann, so wird heute der gegenläufige Entscheid des Bundesverfassungsgerichts ohne Kommentar zitiert164 ; es scheint, - dieses muß die mindeste Bedeutung 158
Siehe Mantl, Repräsentation und Identität, S. 162 - 163.
159 Der Strukturwandel, S. 112/113; Der Gestaltwandel, S. 235/236; Parteien-
staat und Rep. Demokratie, S. 1. 180 Der Strukturwandel, S. 113; Der Gestaltwandel, S. 235. m Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit, S. 254; vgl. auch Mantl, Repräsentation und Identität, S. 163/4. te2 Parteienstaat und Rep. Demokratie, S. 6; fast identische Formulierungen in: Der Strukturwandel, S. 117; Der Gestaltwandel, S. 239. 163 Parteien staat und Rep. Demokratie, S. 6; vgl. auch Leibholz in der Diskussion zu seinem Referat: Verfassungsrechtliche Stellung und innere Ordnung der Parteien. Ausführung und Anwendung der Art. 21 und 38, I, 2 des Grundgesetzes, in: Verhandlungen des 38. deutschen Juristentages, Teil C, Tübingen 1951, S. 76. 164 Der Strukturwandel, S. 116; Der Gestaltwandel, S. 238.
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dieser Zitation sein, - daß es dagegen keine entscheidenden Argumente anzuführen gibt. Noch deutlicher wird die durch Kriterien nicht objektiv bestimmbare Lösung des Widerspruchs der Verankerung zweier kontradiktorischer Struktursysteme in einer Verfassung, wenn zunächst der Mandatsverlust bei Parteiaustritt als nicht folgerichtig erscheint1 65 , in späteren Äußerungen aber als der logischen Konsequenz des Parteienstaates entsprechend ausgewiesen wird166 • Die konkrete Verfassungsauslegung wird so zu einer Frage des verfassungspolitischen Geschmacks167 , jede Antwort ist möglich. Damit sinkt aber der Erklärungswert dieser Theorien auf Null und als Prinzip der Verfassungsauslegung erweist sich bei Leibholz die Nachbezeichnung der konkreten Verfassungsentwicklung 168 • Dieses wird auch in dem Umstand deutlich, daß Leibholz nie die Forderung nach konsequenter Ausformung des Parteienstaates stellt. Aufgenommen und erfaßt wird alleine diese Entwicklung, aber eben nicht wissenschaftlich, sondern nur unkritisch, im mystischen Bild eines Strukturwandels. So erweist sich Leibholz zwar stets als sehr wirklichkeitsnah, da er dem Wandel folgt. Zugleich ist er aber auch wirklichkeitsfern, indem er abstrakte Modelle von behaupteter Eigentlichkeit zur Erklärung verwendet und damit die Wirklichkeit wieder verzeichnet. Leibholz ist auf der Höhe der Zeit und ist es doch wieder nicht. Von daher erklärt sich auch die zwiespältige Rezeption von Leibholz' Thesen in der Wissenschaft 169 • Einerseits die Vertreter der Parteienstaatsthese, die sich zwar auf Leibholz berufen, ihn aber nicht kritisch analysieren17o • Hier kommt der Aktualitätsaspekt zum Tragen. Wohingegen diejenigen Autoren, die sich kritisch und ausführlich mit Leibholz auseinandersetzen, zur Ablehnung seiner Lehre gelangen171 wegen 165 Der Strukturwandel, S. 115; Der Gestaltwandel, S. 237; Parteien staat und Rep. Demokratie, S. 6. 166 Interview im Stern vom 7.5.1972, zitiert bei: Müller, Martin, Fraktionswechsel im Parteienstaat. Parlamentsreform und politische Kultur in der Bundesrepublik Deutschland, Opladen 1974, S. 27; so auch neuerdings erneut: Leibholz, Abgeordnete sind der Partei verpflichtet, in: Der Spiegel, 32. Jg., Nr. 9, vom 27. 2. 1978, S. 36 - 41. 167 So Rabus, Günther, Die innere Ordnung der politischen Parteien im gegenwärtigen deutschen Staatsrecht, in: AöR, 78, N. F. 39, 1952/53, S. 191. 168 Siehe hierzu das von Leibholz formulierte allgemeine Prinzip der Verfassungsinterpretation in: Parteienstaat und Rep. Demokratie, S. 6, als Auslegung, "die den lebensgesetzlichen Notwendigkeiten, d. h. den politischen Realitäten, soweit wie möglich gerecht zu werden sucht". 169 Siehe Haungs, ein Parteienstaat?, S. 503, 504, 508; zur linken Rezeption siehe auch Hennis, Die Rolle des Parlaments, S. 238 Anm. 33 zu S. 213. 170 Auch Rinck, Hans-Justus, Der verfassungsgeschichtliche Status der politischen Parteien in der Bundesrepublik, in: Die moderne Demokratie und ihr Recht. Festschrift für G. Leibholz, Bd. 2; Staats- und Verfassungsrecht, Tübingen 1969, S. 305 - 329 wird man kaum als kritische Verifizierung einstufen können.
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ihrer theoretischen Unzulänglichkeit. Diese ist aber, wie die vorgelegte Untersuchung nachweisen sollte, nicht nur wegen ihrer Anwendung gegeben, sondern die Inadäquatheit bei der Anwendung resultiert eben aus einer abstrakten Begrifflichkeit172 • Nicht nur die Parteienstaatsthese, sondern eben der Kern- und Angelpunkt der Leibholzschen Theorie, der Begriff der Repräsentation ist wissenschaftlich bedenklich. Sind die Verdienste von Leibholz, sein Bemühen um die Anerkennung der Parteien im Staat, durchaus anzuerkennen, ja ist der Parteienstaat dadurch auch in die wissenschaftliche theoretische Diskussion eingeführt worden, so sollte gerade jetzt der andere Aspekt verstärkt betont werden, eben diese theoretische Unzulänglichkeit. Die These vom Strukturwandel, vom Parteienstaatsmodell und Begriff der Repräsentation erweisen sich als defizient. Als durchgängiges, bestimmendes Element erwies sich im Leibholzschen System der Begriff der Repräsentation. Nicht nur in der Negation, sondern auch konkret inhaltlich ließ er sich sowohl im Prinzip der Identität als auch in der Parteienstaatsthese aufweisen, so daß die These vom Strukturwandel schließlich als Höhepunkt und Reflex dieser vom Begriff der Repräsentation aus konsequent entwickelten Lehre erscheinen muß. Der Begriff der Repräsentation und damit, gemäß der Entwicklung der gesamten Lehre, das System von Leibholz ist als wissenschaftlich defizient einzustufen, da es eine theoretische Qualität beansprucht, die, wie die Analyse des Ansatzes zeigte, nicht haltbar ist. Dabei ist das Werk von Leibholz scharf von dem Schmittschen Opus abzuheben. Denn bei Leibholz fehlt eine eindeutige politische Intention, die seine Lehre beeinflußt, gerade im Gegenteil ist sie ja grundlegend von dem Bemühen um Wissenschaftlichkeit geprägt, wie seine Methodenreflexion beweist. Das Scheitern dieser Lehre muß demnach zweierlei bedeuten. Erstens, daß die geisteswissenschaftliche Methode, die bei Leibholz nicht nur durch den Versuch einer methodischen Grundlegung, sondern auch in der Aufgabenstellung einer isolierten Behandlung der Repräsentationsproblematik zu ihrem Kulminationspunkt gelangt ist, den Beweis schuldig bleibt, daß sie objektive, verifizierbare Ergebnisse zu erbringen vermag. Geisteswissenschaftlichkeit erwies sich als schlichter Behauptungsmodus, vorgetragen in Eigentlichkeitsdiktion, als Methode zur Erstellung von Ideologie. Dieses bedeutet dann zweitens, daß der geisteswissenschaftliche Begriff der Repräsentation allgemein als unwissenschaftlicher Begriff einzustufen ist. Die die ge171 Als allgemeine Bewertungen vgl.: Hennis, Die Rolle des Parlaments, S. 208, 212; Trautmann, Parteienstaatliche Verfassung und freies Mandat, S. 55; Haungs, Ein Parteienstaat?, S. 523; zur Frage der Vereinbarkeit der Leibholzschen Systemmodelle siehe besonders Unkelbach, Grundlagen der Wahlsystematik, S. 155 - 159. 172 Vgl. dagegen Underberg, Zur Wahlrechtstheorie, S. 227/8.
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genwärtige Diskussion bestimmende Bedeutung der Leibholzschen Theorie 173 ist damit als Problem ausgewiesen. Denn der Leibholzsche Begriff der Repräsentation ist nicht Ergebnis einer Analyse des ihm zugrunde liegenden Problems, sondern wird letztlich durch Anlehnung an Schmitt bestimmt. Damit ist diese Lehre auch zugleich Beleg dafür, daß die Verwendung Schmittscher Begriffe als grundlegende staatstheoretische Aussagen notwendig ihr Objekt verfehlen muß. Als Ideologie konzipiert führen sie zur Verzerrung der auf ihnen aufbauenden Theorie.
173 Vgl. dazu Mantl, Repräsentation und Identität, S. 111; Arndt, Adolf, Besprechung von G. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation und der Gestaltwandel der Demokratie im 20. Jahrhundert, 2. Aufl. Berlin 1960, in: NJW, 15, 1962, S. 857, der den Leibholzschen Repräsentationsbegriff "klassisch" nennt.
Schlu6 Es bleibt abschließend zu fragen, ob eine Untersuchung zur Bedeutung und Funktion der Repräsentation in der politischen Theorie und Staatslehre in Deutschland legitimerweise mit der Auseinandersetzung zur Weimarer Staatslehre enden kann, oder ob nicht eine Weiterführung bis zur gegenwärtigen Diskussion notwendig ist? Hierbei ist zunächst darauf hinzuweisen, daß durch die Erörterung der Leibholzschen Konzeption die Begrenzung der Arbeit auf das Ende der Weimarer Zeit nicht so strikt eingehalten werden konnte. Zwar ist die gesamte Lehre von Leibholz schon in der Weimarer Zeit ausformuliert gewesen, so daß die Berücksichtigung von Veröffentlichungen aus der Zeit nach 1945 nur als Verdeutlichung der damaligen Position erscheint und somit auch auf diese Zeit bezogen bleibt. Gleichzeitig ist damit aber auch schon die Diskussion zu diesem Problem nach 1945 angerissen. Ein weiteres Verfolgen dieser wissenschaftlichen Erörterung erweist sich aber als nicht vordringlich, da das Ergebnis bezüglich der Stellung der Weimarer antipositivistischen Staatslehre auch für diese Zeit Gültigkeit besitzt. Der bestimmende Einfluß der Leibholzschen Konzeption ist ja nicht nur in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts abzulesen!, sondern selbst die Gegner der Leibholzschen Konzeption sind durch eben diese grundlegend bestimmt. Auch Hennis und Scheuner2 bestimmen ausdrücklich, zwar in Abhebung zu Leibholz, ein Wesen der Repräsentation, haben aber dabei die Problemsicht und die Fragestellung von Leibholz übernommen. Repräsentation wird auch von ihnen losgelöst von dem konkreten Staatssystem in Eigentlichkeit bestimmt. Damit bleibt diese Diskussion der Fragestellung und den Lösungswegen der Weimarer Staatslehre verhaftet, sie bleibt in deren Rahmen. Von daher ergibt sich eine gewisse Plausibilität, die Arbeit mit der Auseinandersetzung zur Weimarer Theorie abzuschließen. Eine Weiterführung der Untersuchung wäre sehr wünschenswert, kann aber hier nicht mehr geleistet werden. Will man die hier dargelegten Untersuchungen zum Problem der Repräsentation zusammenfassen, so wird man als Ergebnis festhalten können, daß dem Begriff und dem Problem der Repräsentation in der 1 Vgl. die Aufzählung einiger derartiger Bundesverfassungsgerichtsentscheide bei Leibholz, Der Strukturwandel, S. 92 Anm. 33 - 37. ! Siehe oben die allgemeine Einleitung.
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politischen Theorie und Staatslehre in Deutschland keine entscheidende Bedeutung zukommt, Repräsentation ist ihr nicht zum Problem geworden. Zu diesem allgemein formulierten Ergebnis ist zunächst zu bemerken, daß es zwar nur auf Grund einer begrenzten Auswahl relevanter Theoretiker gewonnen wurde. Trotzdem soll es nicht allein auf diesen Untersuchungsgegenstand eingeschränkt werden, sondern in der weitergehenden, allgemeinen Aussageform aufgestellt werden. Diese ist dadurch gerechtfertigt, daß die analysierten Theoretiker typische Vertreter der Hauptentwicklungslinien der politischen Theorie und Staatslehre sind. Zudem wird ja erst durch die Formulierung einer allgemeinen These weitere Forschung zu diesem Thema, die andere Theorien und Staatslehren als Untersuchungsgegenstand zugrunde legt, interessant, die dann als Korrektur oder Differenzierung dieser These wirken kann. So wird auch im Ergebnis deutlich, daß es sich bei der vorgelegten Untersuchung nur um einen, wenn auch prinzipiellen Einstieg in diese Problematik handelt, eben um eine Arbeit zur Problematik der Repräsentation. Andererseits ist aber auch deutlich, daß das Ergebnis in seiner nicht weiter differenzierten Allgemeinheit nicht der gesamte Ertrag dieser Arbeit sein kann. Denn ansonsten wäre ja kaum verständlich, weshalb, um zu diesem Ziel zu gelangen, eine die jeweilige Theorie im ganzen kritisch analysierende Untersuchung mit ihrem gelegentlichen Ausgreifen in staatsphilosophische Fragestellungen und teilweise exegetischen Passagen notwendig war. Der volle Sinn dieses Ergebnisses wird also nur in den differenzierten Aussagen zu den jeweiligen Staatslehren faßbar. So hatte sich bezüglich der Weimarer antipositivistischen Staatslehre gezeigt, daß hier zwar Repräsentation oder Integration Thema der Theorie war, daß aber die wissenschaftliche Qualität der Aussagen zu dem jeweiligen Problem fragwürdig blieb. Zwar wird das Repräsentationsverständnis bei Schmitt als Wesensdefinition verstanden, ein Aufweis dieser Bestimmung wird jedoch nicht erbracht. Vielmehr erwies sich diese Definition als Element seiner an der Macht ausgerichteten Staatslehre, die Qualität einer grundlegenden Aussage kann ihr also nicht zukommen. Da sie aber von Schmitt behauptet wird, ist diese Aussage als Theorie ohne theoretischen Gehalt, als Ideologie zu bewerten. Der Aufweis dieser ideologischen Funktion ist deshalb so wichtig, da dieser Begriff der Repräsentation, einmal als Wesen eingeführt, die Verbindung zur Staatslehre von Schmitt verliert und dann losgelöst als Wesensbegriff weiterhin die Diskussion bestimmt. Als Beleg für diesen Umstand können die Arbeiten von Leibholz angesehen werden. Zwar
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versucht er diesem Begriff auf Grund seiner Methode Evidenz zu vermitteln, doch basiert diese letztlich auf der Zitation von Schmitts Werken. Gelingt es auch dieser Lehre nicht, die Wesensqualität dieses Verständnisses der Repräsentation wissenschaftlich aufzuweisen, so muß sie doch andererseits als die Lehre angesehen werden, mit der in der wissenschaftlichen Diskussion dieses Repräsentationsverständnis als Wesens aussage verankert worden ist. In der Vorstellung der Parteienstaatskonzeption von Leibholz bestimmt es weiter, wenn auch ex negativo, die heutige Diskussion. Auch diese Lehre ist als Ideologie in dem hier verwendeten Sinn3 bezeichnet worden. Dabei sei jedoch darauf hingewiesen, daß diese Kennzeichnung nicht eine allgemeine Gleichstellung und -bewertung von Leibholz und Schmitt bedeuten kann. Denn der verwendete Ideologiebegriff ist invariant gegenüber dem Aspekt, ob dieser ideologische Charakter intendiert war oder nicht. Hierin sind jedoch die Arbeiten von Leibholz und Schmitt deutlich zu scheiden. Eine Bewertung dieser Werke, die nicht nur den theoretischen Aspekt untersucht, wird ihn jedenfalls als entscheidendes Kriterium ins Zentrum der Beurteilung rücken müssen. Bezüglich des wissenschaftlichen Charakters beider Repräsentationslehren läßt sich jedoch eine Parallelität durch die Verwendung des gleichen Repräsentationsbegriffs aufzeigen. Ein analoges Ergebnis ließ sich auch für die Konzeption von Sm end feststellen. Integration verengte sich ihm zur Erlebnisfähigkeit des Staates. Indem diese Integration als Wesen des Staates ausgesagt wird, kommt es zur Verabsolutierung eines isolierten Aspekts und in Folge davon zu weitgehender Um interpretation staatlicher Phänomene. Damit erweist sich dann eine frappierende Analogie zur Lehre von H. Kelsen. Diese Parallelität kann als Hinweis für eine grundlegende Beziehung gewertet werden. Denn nicht von ungefähr wird die sehr heterogene Gruppe der neuen Staatslehre in Weimar als antipositivistische Staatslehre bezeichnet. Sie erweist sich als Erbe des Positivismus. Denn diese Anti-Haltung geht nicht so weit, daß es zu einer kritischen Aufarbeitung der Grundlagen und Methode der positivistischen Staatslehre kommt. Man lehnt sie vielmehr einfach ab und etabliert die neue Lehre direkt neben die alte. Statt Normordnung Dezisionismus oder Erlebnisfähigkeit, statt Korrektiv zu sein, wird die neue Lehre zum Komplement des Positivismus. Das bedeutet aber, daß der Antipositivismus die Ausschaltung der Problematik der Willensbildung durch den Positivismus teilweise beibehält. Für C. Fr. von Gerber war Staat mit Volk identisch gesetzt, für Kelsen war Staat gleich Recht. Von diesem Ansatz aus konnten nur 3
Siehe oben die allgemeine Einleitung.
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Willensäußerungen des Staates Thema einer Staatslehre werden, die Frage der Bildung dieses Willens war eskamotiert. Ein ähnlicher Ansatz, das Denken vom Staat aus, ließ sich bei Schmitt, Smend und schließlich auch bei Leibholz nachweisen. Ja, dieser Ansatz ist gerade als Merkmal der geisteswissenschaftlichen Methode in diesem Bereich anzusehen4 • Die einzigen wissenschaftlichen Aussagen zur Frage der Repräsentation, - betrachtet man die hier behandelten Autoren, sind in der liberalen Staatslehre des Vormärz zu finden. Denn die Aussagen des Rechtspositivismus hierzu müssen auf den Aspekt ihres Ansatzes reduziert werden und können so nicht als Wesensbestimmungen verstanden werden. Die liberale Staatslehre des Vormärz dagegen weist Repräsentation als notwendiges Element des Staates aus. Diese Notwendigkeit teilt sie in dieser Theorie jedoch mit dem monarchischen Prinzip und zudem wird Repräsentation nicht eigenständig theoretisch gefaßt. Es geht dieser Lehre vielmehr um die Verankerung eines demokratischen Elements in der Verfassung, das allein zeitgenössisch mit Repräsentation umschrieben wird. Die Aussagen zur Repräsentation sind rudimentär, allein ihre Notwendigkeit im zeitlichen Konnex wird aufgewiesen. Will man das Ergebnis dieser Arbeit ausführlicher darlegen, so läßt sich feststellen, daß abgesehen von einem rudimentären Ansatz in der liberalen Theorie des Vormärz Repräsentation kein Thema der politischen Theorie und Staatslehre in Deutschland war. Zwar finden sich weitgehende Aussagen hierzu in der anti positivistischen Staatslehre in Weimar, doch können diese nicht als Aussagen zu dem Problem anerkannt werden, sie erhalten ihre Bestimmung aus einem anderen Zusammenhang. Wenn die Definition eines Begriffs sich ausschließlich aus dem Ansatz und der Methode der jeweiligen Lehre ergibt, ohne daß dieses Phänomen als eigenständiges erfaßt und analysiert worden ist, ist die Relevanz dieser Aussage eben auf dieses System zu beschränken, d. h. Repräsentation ist ihm kein maßgebender Bestandteil. Gerade von diesem Ergebnis aus erweist sich die Berechtigung und die Notwendigkeit des Ansatzes dieser Untersuchung zur Repräsentation vom Gesamtsystern aus. Denn erst von dort aus kann der volle Sinn behaupteter Eigentlichkeit als Uneigentlichkeit ausgewiesen und die Wissenschaft von theoretisch verzerrter Begrifflichkeit, d. i. Ideologie, befreit werden. Ebenso bestätigt sich die Notwendigkeit des Ausgreifens dieser Arbeit bis in die Zeit des Vormärz hinein. Wird doch allein in der liberalen Staatslehre des Vormärz, wenn auch nur rudimentär, die Problematik dieses Begriffes aufgezeigt und kann diese Lehre dann 4 Vgl. hierzu Bärsch, Claus-Ekkehard, Der Staatsbegriff in der neueren deutschen Staatslehre und seine theoretischen Implikationen, Berlin 1974, S. 42, 83.
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als Korrekturinstanz zur nachfolgenden Diskussion bis heute verwendet werden. Das Ergebnis dieser Arbeit kann man dann weiter in der Feststellung konkretisieren, daß bezüglich des Begriffs der Repräsentation in der Staatslehre die Epoche des Rechtspositivismus noch nicht überwunden ist. Denn die, wenn auch schwachen, Ansätze der liberalen Staatslehre des Vormärz sind ja vom Positivismus verschüttet oder eskamotiert worden und durch den Anti-Positivismus in seiner negativen Bezogenheit auf den Positivismus nicht wieder aufgegriffen worden. Als Aufgabe und Problemstellung erweist sich somit für die politische Theorie und Staatslehre, diese Dimension jetzt vertieft zurückzugewinnen. Das bedeutet aber zunächst, - und das kann als positives Ergebnis dieser Arbeit angesehen werden, - daß die Erörterung des Problems der Repräsentation bei der Diskussion und Definition des Staates zu beginnen hat5 • Erst von dort aus kann Bedeutung und Funktion der Repräsentation erfaßt werden. Erst wenn die Frage, was der Staat ist, Thema wird, erst wenn Staat nicht unproblematisch vorausgesetzt ist, sondern seine Entstehung wie auch stete Erhaltung zum Problem einer Untersuchung gemacht worden ist, sind die Vorbedingungen erfüllt, um die Frage, was Repräsentation ist, zu beantworten. Oder um das positive Ergebnis dieser Arbeit konkreter zu fassen, die Eigentlichkeit der Repräsentation besteht darin, daß sie losgelöst vom staats theoretischen Kontext nur uneigentlich gefaßt werden kann. Die isolierte Repräsentationsuntersuchung gleitet ins Ideologische ab. Das bedeutet gleichzeitig, daß die geisteswissenschaftliche Methode zur Klärung der Frage der Repräsentation ungeeignet ist. Die Fragestellung, was denn Repräsentation sei, hat sich aber auch als notwendige Fragestellung erwiesen. Denn das hier umrissene Ergebnis bedeutet ja auch, daß mittelbare oder repräsentative Demokratie von der politischen Theorie und Staatslehre theoretisch weitgehend noch nicht erfaßt ist. Dies zeigt sich zum Beispiel in der Stellung der Lehren von Leibholz und Scheuner zur Wirklichkeit der Parteien im Verfassungsleben. Leibholz versucht ihrer Bedeutung in seiner Parteienstaatsthese Rechnung zu tragen, kommt aber durch den Antagonismus seiner Begriffe von Repräsentation und Identität zur These vom Surrogat direkter Demokratie, womit er der Gesamtwirklichkeit nicht 5 Als wertvolle Untersuchung in diese Richtung ist die Arbeit von Bärsch, zu erwähnen, die im übrigen als Bestätigung des Ergebnisses dieser Arbeit vom Aspekt des Staatsbegriffs aus verstanden werden kann, kommt Bärsch, ebd., S. 166 doch zu dem Ergebnis, daß der festgestellte Staatsbegriff der neueren deutschen Staatslehre bedeute, daß "der Rekurs auf das Bewußtsein des konkreten Einzelnen als primärem Ordnungszentrum der politischen Realität (fehle). Die Beschäftigung mit der Natur des Menschen und den Zielen menschlicher Existenz wird als ignorabel angesehen. Diese Wissenschaft vom ,Staat' ist daher ein Ausdruck der Enthumanisierung der Politik."
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gerecht wird 6 • Andererseits führt die Verwendung des Repräsentationsbegriffs bei Scheuner zur Charakterisierung der Parteien als "im vorpolitischen Felde" befindliche Organisationen7 , womit diese Interpretation der Bedeutung der Parteien im politischen Leben ebenfalls nicht entsprechen kann. Der ideologische Begriff der Repräsentation, in positiver Verwendung oder negativer Auswirkung, verunmöglicht hier eine adäquate theoretische Erfassung der Wirklichkeits. Die Wirklichkeit heutiger mittelbarer Demokratie ist gerade wegen ihrer unkritischen Verwendung eines uneigentlichen Repräsentationsbegriffs ohne adäquate Theorie geblieben. Diese Situation muß als bedenklicher Mangel angesehen werden. Denn daß eine demokratische Regelung als gesicherter Besitz angesehen werden kann, dazu gehört auch, daß sie theoretisch erfaßt ist. Denn von der Theorie aus können Prinzipien aufgestellt werden, wie Änderungen und Weiterentwicklungen möglich sind. Ebenso können durch theoretische Erfassung Krisen in der Wirklichkeit konkreter demokratischer Systeme besser überwunden werden. Es stehen Prinzipien bereit, die die demokratische Substanz auch über reale Schwierigkeiten hinweg retten und so die neue Situation weiterhin bestimmend formen können. Lebendige Demokratie ist damit nicht allein auf den Aufweis ihres Funktionierens verwiesen, sondern theoretisch stabilisiert. Die Analyse und Bestimmung der Repräsentation erweist sich also als theoretische Notwendigkeit. Dabei sind durchaus weitgehende Ansätze in dieser Richtung zu verzeichnen9, doch eine die bisherige Diskussion aufarbeitende Arbeit fehlt noch. Repräsentation bleibt auch weiterhin ein deutsches Problem.
6 Vgl. allein die Kritik des Zentralpunktes der Leibholzschen These, des plebiszitären Charakters der Wahl bei Sternberger, Zur Kritik, S. 29 - 31; sowie allgemein oben Anm. 113 in 111, 4, b2 dieser Arbeit mit den Literaturhinweisen über die jeweiligen Nachweise der Inadäquatheit des Leibholzschen Systems gegenüber der Wirklichkeit. 7 Scheuner, Das repräsentative Prinzip in der modernen Demokratie, S.409. 8 Treffend Rausch, Heinz, Vorwort zu: ders. (Hg.), Zur Geschichte und Theorie, S. XIV, Rausch hat diese Ideologie als "Zwangsjacke, in die sich Politikwissenschaft, Historie und Verfassungstheorie gesteckt sehen" bezeichnet. Nur der Kennzeichnung dieser Ideologie als liberale Ideologie durch Rausch kann hier nicht zugestimmt werden. Denn die Eigentlichkeitssphäre resultiert von Schmitt her und nicht von der liberalen Staatslehre des Vormärz. 9 Vgl. Buchheim, Hans, Der demokratische Verfassungsstaat und das Problem der Demokratisierung der Gesellschaft, = Sonderauflage der Landeszentrale für politische Bildung Rheinland-Pfalz, 0.0., 1975, S. 11 - 13; Pollmann, Repräsentation und Organschaft, S. 24 - 45.
Bibliographie Der Aufbau der Bibliographie ist gegliedert nach Quellen und Sekundärliteratur. Dabei sind beide Teile wieder entsprechend den drei Hauptteilen der Arbeit gesondert unterteilt. Bei der Sekundärliteratur wird darüber hinaus ein Komplex allgemeiner Literatur (Werke mit übergreifender Thematik, Sammelveröffentlichungen, Festschrift usw.) vorangestellt. Diese Form wurde gewählt, da eine ungegliederte, nur nach Quellen und Sekundärliteratur unterscheidende Aufzählung keine Transparenz in Hinblick auf Grundlage und Diskussionsbasis der jeweiligen Abschnitte der Arbeit geboten hätte, eine Einteilung nach den jeweiligen Autoren jedoch die übersichtlichkeit der Bibliographie zerstört hätte. Neben der Anführung von Sammelbänden werden jeweils die daraus herangezogenen Einzelveröffentlichungen gesondert angeführt, so daß die Literaturlage dieser Arbeit sichtbar wird und der volle Titel für den im Text verwendeten Kurztitel einfacher zu eruieren ist. Wo für die Arbeit erforderlich, wird die Erstveröffentlichung eines bestimmten Werkes in Parenthese angeführt. I. Quellen 1. Zu Teil I der Arbeit (Vormärz) Dahlmann, Friedrich Christoph: Ein Wort über Verfassung (zuerst in: Kieler
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