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German Pages 174 [175] Year 2016
Rubel, Religion und Kult 30.8.16
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Alexander Rubel
Religion und Kult der Germanen
Verlag W. Kohlhammer
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1. Auflage 2016 Alle Rechte vorbehalten © W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart Print: ISBN: 978-3-17-029266-6 E-Book-Formate: pdf: ISBN 978-3-17-029267-3 epub: ISBN 978-3-17-029268-0 mobi: ISBN 978-3-17-029269-7 Für den Inhalt abgedruckter oder verlinkter Websites ist ausschließlich der jeweilige Betreiber verantwortlich. Die W. Kohlhammer GmbH hat keinen Einfluss auf die verknüpften Seiten und übernimmt hierfür keinerlei Haftung.
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Danksagung
Die Arbeit an diesem Buch wurde zum Teil durch ein Förderungsprogramm der rumänischen Regierung im Rahmen des Projekts The ›Other‹ in action. The Barbarization of Rome and the Romanization of the World (UEFISCDI PN-IIID-PCE-2012-4-0490) ermöglicht. Dank schulde ich Harald Derschka (Konstanz) für eine kritische Durchsicht des Manuskripts und nützliche Einschätzungen zum Frühmittelalter. Hans-Ulrich Voß (Frankfurt/M) verdanke ich wertvolle Hinweise hinsichtlich archäologischer Fragen zum germanischen Barbaricum. Zu besonderem Dank bin ich aber einer Institution verpflichtet, ohne die dieses Buch gar nicht hätte geschreiben werden können: Die Universitätsbibliothek der Universität Konstanz hat mich auch in der Ferne mit Literatur versorgt und ohne ihre Bestände, die ich bei mehreren Gastaufenthalten nutzen konnte, wäre die Arbeit zu diesem Thema an meinem derzeitigen Aufenthaltsort nicht möglich gewesen. Ias¸i, Rumänien im April 2016
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Inhaltsverzeichnis
Danksagung _____________________________________________________
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1
Einleitung ________________________________________________
9
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Wer waren die Germanen? ______________________________
15
3
Die Quellen ______________________________________________
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Heiligtümer und Opferpraxis ____________________________
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Die Götterwelt der Germanen in der Frühzeit _________
42
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Mythologie _______________________________________________
50
7
Magie und Runen ________________________________________
64
8
Tod und Jenseits _________________________________________
76
9
Römische Auslegung: Die Rheinlande als Kontaktzone der Religionen ___________________________________________
87
10
Weibliche Gottheiten ____________________________________
97
11
Germanische Echos in der Gegenwart: Neuheidentum und Fantasykultur _______________________________________
116
12
Die Christianisierung ____________________________________
121
13
Schlussbetrachtung: Was bleibt? _______________________
135
14
Literaturverzeichnis ______________________________________
138
Abkürzungen ____________________________________________________
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Inhaltsverzeichnis
8
Literatur __________________________________________________________
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Anmerkungen ____________________________________________________
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Personenverzeichnis _____________________________________________
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Götterverzeichnis ________________________________________________
168
Ortsverzeichnis ___________________________________________________
170
Sachverzeichnis __________________________________________________
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1 Einleitung
Dieses Buch handelt von der Religion der Germanen. Bereits dieser erste Satz wirft Fragen auf. Innerhalb der mehr als 1000 Jahre von den Anfängen einer als »germanisch« anzusprechenden und erst nur archäologisch fassbaren materiellen Kultur über die Völkerwanderungszeit bis zur beginnenden Wikingerzeit lassen sich anhand der Quellen unterschiedlichste Ausprägungen von »Religion«, ja selbst von Kulturerscheinungen, die allgemein als »germanisch« angesprochen werden, belegen. Zwischen den ungestalten Astgabelidolen oder Pfahlgötzen der Eisenzeit (hierzu ausführlich Kap. 5) bis hin zu den klar definierten Götterdarstellungen auf den Brakteaten (silbernen oder goldenen, medaillienartigen Amuletten der Völkerwanderungszeit) liegen Welten. Der römische Feldherr Caesar behauptet um 50 vor Christus von den Germanen, sie verfügten über gar keine »echte« Religion im Sinne der Römer, da sie keine personifizierten Gottheiten verehrten. Sie beteten lediglich Naturerscheinungen an, und zwar besonders die Sonne, das Feuer und den Mond, ohne einzelne Götter mit Namen zu nennen (De bello gallico, 6, 21)1. Demgegenüber verweisen schon Tacitus (um 100 n. Chr.) und später die skandinavischen Quellen des Mittelalters auf ein ausgebildetes Pantheon und eine komplexe Mythologie. Welche Religion wird hier also behandelt? Wer genau waren die Germanen? Scheinbar einfache Fragen, die sich aber bei genauerem Hinsehen als durchaus komplex erweisen und denen in den folgenden Kapiteln annäherungsweise nachgegangen werden soll.
Konzeption und Schwerpunkt des Bandes Der Schwerpunkt dieses Buches liegt auf den früheren Epochen der germanischen Geschichte, etwa bis zum Ende der sogenannten Völkerwanderungszeit und der Zeit der sich etablierenden »germanischen Reiche« des Frühmittelalters (grob bis ins 6./7. Jahrhundert)2, wobei literarische, inschriftliche und besonders archäologische Quellen, sowie Erkenntnisse der historischen Sprachwissenschaft als Hauptzeugen herangezogen werden. Die wikingerzeitlichen Zeugnisse und die v. a. aus der isländischen Literatur des Mittelalters gewonnenen Vorstellungen über die Götterwelt der Germanen,
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die eigentlich v. a. die der Skandinavier der Wikingerzeit meint, über Odin, Frîja, Thor und Loki, werden auch heute noch oft leichtfertig auf die germanische Welt außerhalb Skandinaviens und auf die frühe Zeit der germanischen Völker und Kulturen übertragen. Die Verzerrungen der späten Quellen aus christlicher Zeit, wie auch die an sich späte Bestandsaufnahme dieser auch heute noch allgemein bekannten Götter- und Sagenwelt, die bestenfalls eine mittelalterliche Interpretation der heidnischen Traditionen bewahrt hat, sollten nicht unterschätzt werden. Deswegen behandelt diese Darstellung, auch der Handlichkeit und Übersichtlichkeit wegen, die skandinavische Spätzeit nur knapp, auch wenn bedeutende späte Quellen wie Snorri Sturluson oder die Lieder der Edda an den passenden Stellen zur Sprache und zu ihrem Recht kommen. Gedacht ist dieser kurze Überblick für ein breites Publikum, das über keine fachspezifischen Vorkenntnisse in den für dieses Forschungsfeld relevanten Disziplinen Alte Geschichte, Archäologie und germanistische Linguistik verfügt. Deswegen werden Fachausdrücke meist kurz erklärt oder durch allgemeinsprachliche Umschreibungen ersetzt. Das dient der leichteren Lesbarkeit, fortgeschrittene Studenten und Fachleute, die dennoch zu diesem handlichen Überblick greifen, mögen gnädig darüber hinwegsehen. Für das angesprochene Format weist das Buch eine recht große Anzahl an Literaturhinweisen und Belegen auf, auf die jedoch nicht verzichtet werden konnte (Quellenbelege finden sich jedoch meist in Klammern im Haupttext). Die Literaturangaben sind als weiterführende, vertiefende Hinweise zu verstehen und entsprechend als Anmerkungen am Textende angefügt, so dass der Lesefluss nicht unterbrochen werden muss. Die Anmerkungen enthalten nur weiterführende Informationen und Literaturangaben zu Vertiefung besonders bei strittigen Themen, alle für das Verständnis des Dargestellten nötigen Angaben finden sich im Text. Die Anmerkungen enthalten jeweils auch die (meist lateinischen) Originalzitate der ansonsten in deutscher Übersetzung wiedergegebenen Quellenstellen. Die Religion und der Kult der Germanen werden also unter diesen Rahmenvorgaben hier vorgestellt. Aber was bedeutet Religion und was bedeutet Kult im Hinblick auf vorgeschichtliche Völkerschaften, von denen nur archäologische Zeugnisse und Quellen aus zweiter Hand (nämlich meist von Römern und Griechen verfasste Außenansichten) bekannt sind? An dieser Stelle müssen ein paar grundlegende Begrifflichkeiten wenigstens ansatzweise geklärt werden.
Der Begriff Religion Religion bezeichnet zunächst einmal in einem allgemeinen, vorwissenschaftlichen Verständnis die Vorstellung von übergeordneten, mächtigen Wesenheiten (im vom Lateinischen geprägten Jargon Numina genannt), zu Deutsch und nur leicht vereinfacht: Göttern also, die die menschliche Lebenswelt beeinflussen
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und mit denen man – meist durch gesellschaftlich geformte Rituale – kommunizieren kann, um Gunstbezeugungen zu erlangen oder Schaden abzuwenden. Wissenschaftlich ausgedrückt dient Religion als sinngebendes Symbolsystem, dem in seinen kulturell unterschiedlichen Ausprägungen meist die Funktion eines Welterklärungsmodells zukommt, dessen sinnstiftende Elemente es dem Menschen ermöglichen, eine Ordnung hinter den chaotisch anmutenden Gegebenheiten der Natur zu erkennen3. Für unsere Zwecke wird im Folgenden das vorwissenschaftliche Verständnis von Religion völlig ausreichen. Dennoch sind einige präzisierende, hoffentlich einleuchtende Bemerkungen über die Vergleichbarkeit von Religionen nötig (etwa beim Vergleich unserer modernen, christlich geprägten Erfahrungswelt mit der religiösen Welt der Germanen). Bei der Behandlung prähistorischer und antiker Religionen tauchen neben der Quellenproblematik auch bestimmte methodische (eigentlich philosophischerkenntnistheoretische) Probleme auf: Unser Begriff »Religion« ist ein abendländisches, stark von christlichen Vorstellungen geprägtes Konstrukt (der dem Lehnwort zugrunde liegende römische Begriff religio meint etwas anderes, nämlich in erster Linie den Vollzug kultischer Handlungen). Die Religionswissenschaft ist ebenfalls eine abendländische, in christlichen Traditionen verhaftete Disziplin. Diese Parameter prägen ungewollt unsere Herangehensweise, und die Vorstellung einer »unbefangenen«, »objektiven« Annährung an fremde Religionen ist nach begründeter Meinung des Religionswissenschaftlers Fritz Stolz »pure Naivität«4. Zur Illustration dieses Sachverhalts mag ein Beispiel aus der Ethnologie dienen: Der grönländisch-dänische Polarforscher und Ethnologe Knud Rasmussen (1879–1933), der sein Leben dem Studium der Kultur der Inuit, der Ureinwohner des Polarkreises, widmete, fragte in einem seiner Interviews einmal einen Schamanen: »Glaubt ihr an die Götter?«. Der so angesprochene antwortete ihm nach einer längeren Pause verwundert: »Wir glauben nicht an sie, wir fürchten sie!«. Für prähistorische und antike Gesellschaften hat man also mit einem ganz anderen Bezugsrahmen zu rechnen, der sich von unseren allgemeinen wie auch wissenschaftlichen Vorstellungen stark unterscheidet. Was Menschenopfer und Waffenniederlegungen in Mooren oder Kultfeste in heiligen Hainen für die Beteiligten wirklich bedeutet haben mögen, ist aufgrund der augenfälligen Andersartigkeit dieser religiösen Praktiken für uns heutige überaus schwer nachzuvollziehen. Bei aller notwendigen Betonung dieser Fremdheit und der Distanz, die uns von den Realitäten der germanischen Kultur nachhaltig trennt, darf jedoch – sofern die Beschäftigung mit der germanischen Religion nicht in resignierender Ratlosigkeit enden soll – eines nicht übersehen werden: Phänomene, die unserer Erfahrungswelt eigentlich fremd sind und die den Charakter ihrer Fremdheit nie ganz verlieren, müssen und können in die Sprache unseres Verständnishorizontes »übersetzt« oder in dieser Sprache umschrieben werden. Daran
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können auch die Appelle derjenigen Gelehrten wenig ändern, die sich dem ethnologischen Vergleich, der durch die Betonung der Fremdheit und Andersartigkeit der beobachteten Phänomene die nötige Distanz zum Gegenstand schaffen kann, verschrieben haben. Um überhaupt vergleichendes Verstehen innerhalb der Religionsforschung zu ermöglichen, muss eine religionswissenschaftlich fundierte Metasprache als Instrument zur Benennung und Klassifikation religiöser Phänomene zur Anwendung kommen, die sich dort, wo Begrifflichkeiten der neuzeitlichen europäischen Religionskultur, wie etwa »Glauben«, »heilig« etc., verwendet werden müssen, deren Problematik bewusst ist. Betrachtet man nun vor diesem erkenntnistheoretischen Problem antike und vor- und frühgeschichtliche Symbolsysteme, dann existieren trotz aller deutlichen Unterschiede, die unsere Vorstellung von Religion von der Vorstellungswelt der Germanen oder anderer vorchristlicher Völker trennen, und trotz aller Problematik, einen umfassenden und allgemeinen Religionsbegriff mit universaler Geltung zu finden, doch gewisse grundlegende Übereinstimmungen, die den Vergleich verschiedener Religionen ermöglichen. Zum Umgang etwa mit der griechischen Religion (ebenfalls einem polytheistischen Symbolsystem) hat sich der Gräzist Albert Henrichs einmal sehr treffend geäußert und diese Einschätzung gilt gleichermaßen für andere antike Religionen, auch für die Religion der Germanen: »Nur wenn wir den Bezug auf die Gegenwart gegebenenfalls wagen, setzen wir uns wirklich mit der Antike auseinander, solange wir uns der gänzlichen Andersartigkeit unserer historischen Situation bewusst bleiben«5.
Kult und Religion Im Folgenden gilt es also, bis zu einem gewissen Grad von unseren Alltagsvorstellungen von Religion zu abstrahieren. Natürlich »glaubten« die Germanen an ihre Götter und an deren Einfluss auf ihr Leben und Handeln, auf Schlachtenglück und auf persönliches Schicksal. Jedoch war – wie bei den meisten uns bekannten antiken polytheistischen Religionen6 – weniger die innere Überzeugung entscheidend, als die sogenannte Kultpraxis, also der nach bestimmten Vorschriften regelgerecht (also rituell) vollzogene Akt der Götterverehrung durch Kulthandlungen. Den Übergang zum Christentum nennen die nordischen Schriften deshalb auch passend »Sittenwechsel« (siðaskipti) und nicht etwa Glaubensänderung o. ä. Diese Kulthandlungen – darauf wird im Laufe der Darstellung noch ausführlicher eingegangen – sind in erster Linie als Opfer anzusprechen, zumindest diejenigen, die wir archäologisch und damit verhältnismäßig leicht erkennen können, während andere Formen der kultischen Verehrung, wie etwa Prozessionen, Tanz, Gesang, Gebet usw., nur in den seltens-
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ten Fällen – wenn historische oder literarische Quellen darüber glaubwürdig berichten oder eindeutige und klar zuzuordnende bildliche Darstellungen vorliegen – als solche erkannt werden können. Dass Lieder eine wichtige Rolle bei der Götterverehrung spielten und überdies die einzige Form der Kulturvermittlung der schriftunkundigen, oder mindestens schreibfaulen – die Runenschrift war wohl seit spätestens dem 2. Jahrhundert bekannt – Germanen gewesen sei, bezeugt Tacitus (Germ. 2, 2, zur Runenschrift mehr im Kapitel 7). Über die rituelle Waschung des Kultbildes der germanischen Göttin Nerthus im Rahmen einer Prozession wüssten wir ohne die Angaben des Tacitus ebenfalls schlicht und einfach gar nichts (Germ. 40, 2-4). Aufgrund der sporadischen Überlieferung liegt es auf der Hand, dass wir wichtige Elemente des konkreten Handelns bei der Götterverehrung nie werden entschlüsseln können. Das wichtigste – und zur allgemeinen christlichen, auf Innerlichkeit bauenden Glaubensvorstellung im Gegensatz stehende – Merkmal solcher antiker Kulthandlungen ist jedoch, dass sie fast immer in der Gemeinschaft begangen wurden, meist im Rahmen von Kultfesten. Die kleineren Rituale konnten im Familienkreis durchgeführt werden, große Kultfeste erforderten die gesamte Gemeinschaft einer Stadt, eines Dorfes, oder gar überregional verbundene Kultverbände, wie bei den Griechen aus Delphi oder Olympia bekannt ist, aber auch für die Germanen im Falle des berühmten, überregional bedeutenden Heiligtums der Semnonen gilt (Tac. Germ. 39). Antike Religionen brauchen Gemeinschaft. In diesen Kontext gehört auch die Beobachtung, dass man etwa im Gegensatz zu unseren modernen, in Folge der Aufklärung entwickelten Vorstellungen im Falle vormoderner Gesellschaften den Bereich der Religion von anderen Lebensbereichen nicht wirklich trennen kann. So durchziehen Kulthandlungen in antiken Religionen generell und auch bei den Germanen die Sphäre des politischen Handelns, der kriegerischen Auseinandersetzungen, die durch vorbereitende Opfer und Weihungen von Beutegut gekennzeichnet waren, wie auch den Bereich des Rechts.
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Die Germanen seien »unsere barbarischen Vorfahren«1, sie seien »die ersten Deutschen«2 gewesen, welche die deutschen Lande vor der Eroberung durch die Römer bewahrt hatten, frei nach Heinrich Heine: »Wenn Hermann nicht die Schlacht gewann/ Mit seinen blonden Horden/ So gäb’ es die deutsche Freiheit nicht mehr/ Wir wären römisch geworden!«3. Diese Klischees sind altbekannt, werden bis in die Gegenwart bedient und sind allesamt falsch. Als Vorfahren könnten auch die Spanier (Westgotenreich von Toledo), oder gar die Tunesier (Vandalenreich), besonders aber die Engländer (Angeln und Sachsen) die Germanen reklamieren. Das tun bis heute jedoch nur die Deutschen, die mindestens genauso gut die Kelten als Stammväter hätten wählen können. Deutsche waren die Germanen sicher nicht.
Germanenbegriff Der Begriff, der eng mit der Ausbildung des Nationalbewusstseins im 18. und 19. Jahrhundert verbunden ist, taucht erstmals im Mittelalter auf. Es ist darüber hinaus auch höchst unwahrscheinlich, dass die in Mitteleuropa siedelnden Stämme sich selbst überhaupt als einer durch Verwandtschaft verbundenen Gemeinschaft zusammengehörig und derartig eng verbunden als »Germanen« begriffen haben. Sie betrachteten sich eher als Franken, Alamannen oder Goten, wenn nicht gar als Römer, sofern sie zu denjenigen germanischen Stämmen gehörten, die auf dem Gebiet des römischen Imperiums siedelten, oder zu solchen, deren Mitglieder oft jahrzehntelang in römischen Diensten standen und sich assimiliert hatten. Mit den Römern verstanden sich »die Germanen« in der Kaiserzeit im Allgemeinen recht gut. Handel und Austausch dominierte die beiderseitigen Kontakte, wenngleich die spektakulären Auseinandersetzungen, v. a. in der Spätantike beim »Kampf um Rom«, das Bild einseitig dominieren4.
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Forschungsgeschichte Die scheinbar so simple Frage, wer denn nun die Germanen gewesen seien, entpuppt sich also bei genauerer Betrachtung als gar nicht so einfach zu beantworten5. Das 19. Jahrhundert und der deutsche Nationalismus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit seiner in der Nazizeit geradezu pervertierten Germanenideologie hatten recht klare Antworten parat. Die rassistisch konnotierten Auffassungen über die den anderen Völkern überlegenen Germanen führten zu auch von gestandenen Wissenschaftlern mitgetragenen Verzerrungen, welche die Germanenforschung fast für ein halbes Jahrhundert komplett diskreditierten. Die Erforschung der vorchristlichen, heidnischen Religion der »Germanen« war immer Gegenstand wissenschaftlicher und vor allem ideologischer Kontroversen. Bereits im 19. Jahrhundert nationalistisch befrachtet und durch seinerzeit einflussreiche Forscher wie Gustaf Kossinna im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts zur »hervorragenden nationalen Wissenschaft« erhoben, wurde die Germanenforschung in der Nazizeit gänzlich desavouiert. Das politisch und ideologisch motivierte Interesse der nationalsozialistischen Politiker und Kulturfunktionäre an dem Thema wurde leider auch von vielen Wissenschaftlern geteilt, welche die Konjunktur für ihre »Wissenschaft« als Gelegenheit sahen, ihre Forschungsinteressen aber auch ihre privaten Interessen in den Mittelpunkt zu rücken und persönliche Erfolge zu erzielen, also »Karriere zu machen«. Das führte dazu, dass nach dem Krieg das Interesse an der Thematik völlig erlosch und das »kontaminierte« Forschungsfeld lange unbeachtet blieb. Handbücher und Standardwerke wurden lange – nur um die unerträglichen Vorwörter und die schlimmsten Formulierungen gekürzt – wieder in Neudrucken in Umlauf gebracht. Eine Auseinandersetzung mit der problematischen Vergangenheit des Fachs »Vor- und Frühgeschichte« und der Schriften zur germanischen Religion setzte erst in den späten 1960er und in den 1970er Jahren ein6. Somit schleppt die Germanenforschung und besonders der Bereich der germanischen Religion eine Hypothek mit sich herum, die sich bei jeder Beschäftigung mit dem Thema auch heute noch bemerkbar macht, und auch diese kurze Vorbemerkungen nötig gemacht hat. In Laufe dieses langwierigen Prozesses der Neuorientierung, befördert auch durch die kritische Auseinandersetzung mit der jüngeren Geschichte der Disziplin, ist die deutsche Germanenforschung wieder zu Ehren gelangt. Dabei spielte die neuere archäologische Forschung in diesem früher recht exklusiv von der Philologie beherrschten Feld eine herausragende Rolle7. Kernfragen der Germanenforschung bilden bis heute die Probleme der Herkunft der Germanen und ihrer Ethnizität. Heute werden diese Fragen freilich ganz anders und viel überzeugender beantwortet als zu Hochzeiten der Germanenideologie. In Kurzform lassen sich die neusten, v. a. von der Archäologie ge-
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wonnenen und durch neue Theoriebildung untermauerten Erkenntnisse folgendermaßen zusammenfassen8.
Ethnogenese der Germanen Die Germanen stammen ursprünglich aus Skandinavien, zumindest behaupteten sie das von sich selbst. Die meisten Herkunftssagen der historisch besser fassbaren germanischen Stämme der Völkerwanderungszeit verweisen auf den Norden. Sprachwissenschaftliche Forschungen (Onomastik, besonders Hydronomie) legen jedoch nahe, dass dieser skandinavische Ursprung eher spätere Einbildung war, denn nach dem sprachwissenschaftlichen Befund entstand das Urgermanische im heutigen Niedersachsen (westlich der Elbe, nördlich der Mittelgebirge) und hat möglicherweise zunächst in den Norden ausgestrahlt9. Vom »Norden« aus jedenfalls (in römisch-mediterranen Vorstellungen ein sehr vager Begriff) hat sich die germanische Kultur bereits im 2. Jahrhundert v. Chr. immer weiter nach Süden ausgebreitet und mit dem Zug der Kimbern und Teutonen, welche die Römer in helle Aufregung versetzten, erstmals den Raum der Geschichte betreten, weil nun antike Autoren von ihnen berichteten (auch wenn diese beiden Stämme zur Zeit ihres Auftauchens noch nicht mit dem Germanennamen bezeichnet wurden)10. Während man sich früher die Ausbreitung einer als germanisch anzusprechenden Sachkultur (typische Keramik und vor allem als Fibeln bekannte verschließbare Gewandspangen, unseren Sicherheitsnadeln vergleichbar, nur wesentlich kunstvoller, die man typologisch und chronologisch sehr gut einordnen kann) im Sinne großer Wanderbewegungen von ganzen Völkern vorgestellt hat und – wie die Germanen selbst – eine skandinavische Auswanderung angenommen hat, begreift die neuere Forschung diese Verbreitung der germanischen Kultur über weite Teile des heutigen Deutschland und Polens (und später bis ans Schwarze Meer) mehr als die Ausbreitung attraktiver Traditionen aus Skandinavien. Vereinfacht gesagt: die Ausbreitung von Ideen und Moden. Wenn die Archäologie bei der Bestimmung von zusammengehörigen oder verwandten Kulturkreisen anhand von Trachtelementen, Waffen und Formen von Keramik einigermaßen belastbare Ergebnisse liefern kann, ist die Bestimmung der als Tradition aus Skandinavien importierten Ideen, Herkunftssagen und Mythologemen aufgrund der Quellenlage wesentlich schwieriger. Dennoch lassen sich einige Grundzüge identifizieren. So ist es schlechterdings kaum vorstellbar, dass das ohnehin nie bevölkerungsreiche Skandinavien (das große und reiche Land Schweden hat heute weniger als 10 Millionen Einwohner) große Völkerschaften nach Mitteleuropa ausgeschickt haben könnte. Man muss eher von sogenannten Traditionskernen ausgehen, kleineren Gruppen, deren Prestige und deren kulturelles »Gepäck«
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bei den einheimischen Bevölkerungen des südlicheren Teils des europäischen Kontinents großen Anklang fanden. Diese als ehrwürdig erachteten Traditionen blieben in der Folge nicht auf eine ethnische Gruppe oder eine bestimmte Region beschränkt, sondern konnte auf andere Gruppen und Gebiete übergehen, etwa durch Heirat oder durch »Ansippung« verbreitet werden. Ansippung meint die kreative Anknüpfung von Einzelpersonen (etwa Königen) an eine berühmte Genealogie, meist an einen Gott oder Helden als Urvater, bzw. von ganzen Gruppen, Stämmen oder gar Völkern an eine genealogische Tradition11. Sicher verbreiteten sich diese alten Traditionen auch durch Wanderungen, die aber vor der Völkerwanderungszeit begrenzt blieben und auch wohl eher kleine Gruppen betrafen. So schließt Herwig Wolfram bündig: »Skandinavien exportierte daher keine Massen von Heeren und Völkern, sondern vielmehr hervorgehobene sakrale Traditionen, die weite Strecken überwinden konnten, entweder mit kleinen Traditionskernen, […] oder noch häufiger ohne direkte Vermittlung«12. Diese Traditionskerne spielten nach Auffassung der jüngeren Forschung auch die entscheidende Rolle bei der Ethnogenese (Volkswerdung) der germanischen Völker, die nach dem Zusammenbruch des Römischen Reiches überall in Europa kleinere Herrschaften oder gar germanische Reiche bildeten, etwa Vandalen, Goten oder Franken. Entscheidend war dabei die Bildung von Gefolgschaften, also Heeresverbänden unterschiedlicher ethnischer Zusammensetzung, die sich einer Kriegergruppe, die über einen solchen prestigeträchtigen Traditionskern verfügte, anschlossen und sich deren kulturellen »Überbau« aneigneten13. Auf diese Weise entstanden etwa die Franken oder Alamannen, deren Namen bereits auf ihre Volkswerdung verweist: Es handelt sich um einen Zusammenschluss »aller Männer/Menschen« im Falle der Alamannen, unabhängig davon, woher einzelne Teile dieser sich um einen Traditionskern scharenden Gruppe stammte. Während die Franken sich – wie die Bedeutung des Namens nahelegt (noch erhalten in der Wendung »frank und frei« oder im Verb »frankieren«) wohl aus den freien, also nicht von den Römern beherrschten Gruppen jenseits des germanischen Limes zusammensetzten. So sind in den wohl zunächst suebisch dominierten Alamannen, die erst im 3. Jahrhundert am Oberrhein auftauchen, wohl die vorher dort siedelnden Hermunduren aufgegangen, die Franken dürften Stämme wie die Chamaven, Brukterer oder Chatten vereint haben14. Ethnische Zuordnungen, also reale Abstammungszugehörigkeit, spielte für das 19. Jahrhundert der Nationen eine größere Rolle, als für die als Germanen zusammengefassten Bevölkerungsgruppen der Völkerwanderungszeit, die sich unter verschiedenen Traditionsbannern zusammenfanden. Erst die klassische Ger-
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manenforschung der letzen beiden Jahrhunderte hat die ethnische Frage mit Bedeutung aufgeladen und zu einem historischen Politikum gemacht15. Ob man allgemein bei den Germanen und nicht nur bei einzelnen Stämmen überhaupt von einer zusammenhängenden Ethnogenese sprechen kann, ist fraglich. Überspitzt formuliert könnte man nämlich sagen, dass »die Germanen« eine Schöpfung von Caesar sind16. Während der Eroberung Galliens stieß der Feldherr nämlich auf bestimmte Stämme, unter anderem auf die Sueben unter dem Heerkönig Ariovist, die er als Germanen bezeichnete. Dabei stellte er zwei angebliche Sachverhalte fest, welche die spätere Wahrnehmung dieser als Germanen bezeichneten Völker bis in die moderne Forschung hinein prägten. Erstens fasste er – und nach ihm viele andere – bestimmte Völker, die sich möglicherweise seinerzeit keineswegs als irgendwie zusammengehörig empfunden hatten, unter dem Namen »Germanen« zusammen, ein Begriff, der ursprünglich Name eines bestimmten Stammes gewesen sei (so Tac. Germ. 2, 2-3) und zunächst an kleinen ethnischen Einheiten als Selbstbezeichnung haftete17. Zweitens verortete er diese Germanen exklusiv rechts des Rheins. Beide Festsetzungen Caesars waren bestenfalls fahrlässig, sicher aber von großer historischer Wirkung.
Caesar und die Germanen So hat Caesar, obwohl nachweislich und ihm bekannt auch Germanen auf der linken Rheinseite siedelten und oftmals die kulturellen Unterschiede zu den benachbarten Galliern sehr gering waren, sowohl die keltischen Gallier streng von den Germanen getrennt als auch diese für alle Zeiten auf die rechte Seite des Rheins verbannt (wo andererseits auch Kelten archäologisch nachgewiesen sind). Dass die Realitäten in der linksrheinischen Kontaktzone ganz andere waren, zeigt u. a. der archäologische Befund. Aber auch vom Rhein entferntere frühgermanische Fundkomplexe (etwa die Przeworsk-Kultur im heutigen Polen) zeigen starke Einflüsse durch die keltische Kultur (die nach dem namensgebenden Fundort sogenannte LaTène-Kultur), die damalige »Leitkultur« Europas, deren Keramikformen und -verzierungen ebenso wie Schmuckgestaltung (Fibeln, die auch im germanischen Bereich die Gewandnadeln zunehmend ablösen) beginnend etwa seit der Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr. europaweit stilbildend waren. Erst nach der Eingliederung der keltischen Kultur ins Imperium der Römer konnte es auch zu einer kulturellen Angleichung der östlich und nördlich des Limes siedelnden Bevölkerungsgruppen kommen, die erst dann auch archäologisch-kulturell als eine germanische Einheit erfasst werden können, während vorher bis nach Jütland hinein v. a. keltische Einflüsse erkennbar sind und Teile der heute als typisch germanisch geltenden Regionen »im Begriff gewesen«
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sind, »in die keltische Koine einbezogen zu werden« . Auch in diesem Sinne haben also erst die Römer die Germanen erschaffen. Dass eine Vielzahl von Stämmen in der Folge vom mächtigen Rom als zusammengehörig betrachtet wurde und einen gemeinsamen Namen erhielt, musste Auswirkungen auf die Binnenstruktur dieser Völker gehabt haben, und wenn auch die Selbstbezeichnung »Germanen« sich immer weiter verbreite, so lag das sicher zu einem großen Teil an der von Caesar begründeten Kategorisierung durch die Römer.
Sprache Eine nachweisliche Zusammengehörigkeit dieser als Germanen bezeichneten Stämme gab es jedoch auf einem anderen Feld, als dem der ethnischen Zugehörigkeit: Die gemeinsame Sprache. Die vergleichende Sprachwissenschaft hat belegen können, dass innerhalb der indogermanischen Sprachfamilien19 das Germanische eine besondere Entwicklung durchgemacht hat, die mit den Gesetzen der ersten Lautverschiebung verbunden ist (Grimm’sches Gesetz). Dabei ist allgemein vom »Germanischen« oder von »Ur-Germanisch« die Rede, obwohl dies nur ein wissenschaftlicher Hilfsbegriff ist, denn dieses Urgermanisch wurde nie dokumentiert, es handelt sich lediglich um eine plausible Rekonstruktion der Sprachwissenschaft. Ohne zu sehr in germanistische Details abzuschweifen und zu viel »Fachchinesich« zu verbreiten, etwa dass stimmlose Verschlusslaute sich zu stimmlosen Reibelauten (Frikativen) wandeln (für Interessierte gibt es einschlägige Literatur)20, bringe ich an dieser Stelle nur ein paar wenige, hoffentlich anschauliche Beispiele: Während andere indogermanische Sprachen den Verschlusslaut p behalten, wird dieser im Germanischen zu f; Beispiel gri. pús, po uV, ´ lat. pes, wird in germanischen Sprachen zu dt. Fuß, got. fotus, engl. foot, dän. fod. Ähnlich ändert sich k zu h: Lat. centum (c wird wie k gesprochen) wird zu dt. hundert, engl. hundred; lat. canis, gri. kíon, k uwn, ´ wird zu dt. Hund, engl. hound. D verhärtet zu t: lat. decem, gri. déka, d eka ´ wird zu nl. tien, engl. ten, got. taíhun, isländ. tíu. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang aber auch, dass die Sprachwissenschaftler diesen Lautwandel ungefähr datieren können. Das geschieht anhand von Lehnwörtern, also Wörtern, die aus fremden Sprachen ins Germanische übernommen wurden. Je nachdem, ob ein Wort nun die Lautverschiebung beim Eintritt ins Germanische mitgemacht hat oder nicht, kann man feststellen, ob es vor dem Lautwandel oder danach Eingang ins Germanische gefunden hat. Da kein lateinisches Lehnwort die Lautverschiebung mitgemacht hat, dürfte diese im 2., spätestens im 1. Jahrhundert v. Chr., als Römer und Germanen in
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direkten Kontakt traten, weitgehend abgeschlossen gewesen sein, wobei es sich bei dem Lautwandel um einen längeren Prozess gehandelt haben dürfte. Begonnen hat dieser Prozess nach herrschender Meinung wohl im 5. Jahrhundert v. Chr., da Lehnworte, die nach 500 v. Chr. aus dem Südosten eingeführt wurden (etwa über das Griechische aus dem Skythischen) den Lautwandel bereits mitvollzogen haben. Den ersten schriftlichen Beleg des Germanischen haben wir erst aus dem letzten Drittel des 3. Jahrhunderts v. Chr. In Olbia am Schwarzen Meer wird in einer Inschrift der Stamm der Skiren erwähnt. Diese Selbstbezeichnung ist nun eindeutig germanisch – sie bedeutet »die Reinen« – und zeugt davon, dass das Germanische bereits mit seinen frühen Trägern, die kaum gewusst haben dürften, dass sie Germanen waren, einen weiten Weg gereist war21. Noch heute haben wir die Bedeutung dieses Wortes im selten verwendeten »schier« erhalten (etwa in der Redewendung »schier gar nichts«).
Germanische Kulturen Etwa um diese Zeit weisen auch die Archäologen die ersten Funde aus, die sie als germanisch ansprechen. Sie stammen von der sogenannten Jastorf-Kultur, benannt nach dem gleichnamigen Fundort in Niedersachsen (Landkreis Uelzen), wo bereits Ende des 19. Jahrhundert ein Urnengräberfeld entdeckt wurde. Siedlungsform, Trachtelemente und Keramikproduktion dieser sich von Schleswig-Holstein, Mecklenburg und Niedersachsen bis nach Thüringen und Hessen im Süden und bis nach Jütland im Norden verbreitenden Kultur zeigen Ähnlichkeiten im Sinne von Vorläuferschaft mit den später eindeutig germanischen Fundkomplexen der Przeworsk- oder Wielbark-Kultur auf, auch ist sie von Elementen der skandinavischen Bronzezeit geprägt22. Als solche erscheint diese Jastorf-Kultur hinsichtlich des Fundguts als fremdartig, nicht bodenständig, vergleicht man sie mit der vorangehenden Lausitzer- (im Osten) und Urnenfelderkultur (im Süden)23. Aber auch die Gewässernamen der Region (Hydronomie) zeigen den Sprachwissenschaftlern den wahrscheinlich germanischen Charakter dieser eisenzeitlichen Kultur auf, was darauf schließen lässt, dass die Lautverschiebung in dieser Region ihren Ursprung hatte24. Die Jastorf-Kultur gilt damit bis auf weiteres in Übereinstimmung mit dem linguistischen Befund für die Gegend als die Keimzelle des Germanischen, das sich dann auf nördliche und östliche Nachbarn ausbreitete. Diese plausible und derzeitig allgemein anerkannte These von der Entstehung der germanischen Sprache in Nord- bzw. Mitteldeutschland, bringt das Problem mit sich, im Umkehrschluss nun eine – zumindest sprachliche – »Germanisierung« des Nordens anzunehmen. Wie diese sprachliche oder kulturelle Germanisierung des Nordens vor sich ging, muss offen bleiben, ebenso »wie die Ausbreitung und Aufgliederung der germanischen Sprache[n] erfolgt ist«25.
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Es war auch die Sprachwissenschaft, welche die Vielzahl der später aus den Quellen bekannten germanischen Stämme aufgrund linguistischer Merkmale in Untergruppen unterteilte. So sprach man früher aufgrund (manchmal vermeintlicher) linguistischer Gemeinsamkeiten von West-, Ost- und Nordgermanen als Sprachgruppen, während die heutige historische Forschung rein geographisch definiert und die Begriffe Skandinavier, Elb-, Rhein- und Donaugermanen bevorzugt26.
Was wir wissen Halten wir zu den Germanen also folgendes fest: Zu bestimmen, wer sie waren und woher sie kamen, ist ein unsicheres Geschäft. Sie unterschieden sich kulturell nicht ganz so sehr von ihren keltischen Nachbarn, wie Caesar uns glauben machen möchte (erst nach dem Verschwinden der keltischen Selbstständigkeit war ihre endgültige und eigenständige kulturhistorische Entwicklung wirklich möglich), allerdings war ihnen städtisches Leben und ausgebildete Arbeitsteilung, wie schon aus vorrömischer Zeit für die keltischen Siedlungen belegt ist, eher fremd. Sie lebten – wie alle Bewohner Mitteleuropas seit der Jungsteinzeit – im Wesentlichen von der Landwirtschaft. Archäologisch und sprachwissenschaftlich finden sich erste Spuren, die man mit aller Vorsicht Germanen zuordnen kann, frühestens im 5. Jahrhundert v. Chr., wobei die Ausbreitung der archäologischen und sprachlichen Merkmale (materielle Kultur und Lautverschiebung) über weitere Teile Mittel- und Südosteuropas in einem längeren Prozess erfolgte. Ihre Ursprünge bleiben im Ungewissen, sie selbst beriefen sich auf Skandinavien, zumindest Namen und Traditionen stammen von dort. Diese germanischen Stämme, die in der Römerzeit auch mit einzelnen Namen bekannt werden und zuerst von Außenstehenden, dann wohl auch durch die so bezeichneten selbst, als Germanen benannt wurden, können kaum ein »Volksbewusstsein« ausgebildet haben, wenngleich sie eng verwandte germanische Dialekte sprachen, die eine Verständigung möglich machten. Als die Römer im Kontext ihrer Expansion nach Norden und Osten in engeren Kontakt mit diesen Bevölkerungsgruppen traten, fanden sich Germanenstämme rechts und links des Rheins, an der Ostsee, der Elbe und bis ins heutige Rumänien (die bereits um 200 v. Chr. dort ansässigen Skiren und Bastarnen, die jedoch nicht gewusst haben dürften, dass sie Germanen waren, später kamen auch die Goten ans Schwarze Meer). In der Folge hatten sie immer wieder mit ihnen zu tun. Besonders unangenehm war für das Römerreich die Auseinandersetzung mit den im böhmischen Raum siedelnden Markomannen und Quaden, die im 2. Jahrhundert das Reich in eine Zeit der Instabililität stürzten. In der Völkerwanderungszeit, als die Germanenstämme, von den Hunnen im Osten bedrängt und aus früheren Siedlungsgebieten verdrängt, teils gegen die
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Römer kämpften, teils Bündnisse mit diesen eingingen oder in ihren Diensten standen, sogar in hohe militärische Funktionen der römischen Armee vordrangen, waren die germanischen Stämme der Alamannen, der Goten, der Franken oder der Vandalen ein wichtiger Faktor römischer Bündnis- und Militärpolitik geworden und weithin bekannt, wobei ihre Siedlungsgebiete sich mittlerweile bis zum Schwarzen Meer erstreckten (Goten). Welchen religiösen Vorstellungen diese weit über den Kontinent verstreuten Völker anhingen und wie sich diese über die Zeit wandelten, wird in den folgenden Kapiteln näher ausgeführt. Dabei muss vorausgeschickt werden, dass man entgegen früherer Einschätzungen eigentlich eher von »germanischen Religionen« als von der germanischen Religion sprechen sollte, denn anhand der im folgenden Kapitel zu besprechenden, disparaten Quellen erscheinen die Unterschiede oftmals größer zu sein als die Gemeinsamkeiten27. Eine Religion der Germanen als einheitliche Größe hat es nie gegeben. Ein Sachverhalt, der angesichts der weitgehend mündlichen Tradierung, der regionalen Unterschiede und der lokalen Sonderentwicklungen bei geographisch weit verstreuten Stämmen kaum verwundern kann.
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Wie bereits in den beiden vorigen Abschnitten angemerkt wurde, stehen uns bei der Rekonstruktion der germanischen Religionsgeschichte drei Kategorien von Quellen zur Verfügung. Die nach wie vor wichtigsten Informationen bieten uns die literarischen Quellen; sie allein stellen Zusammenhänge her, die selbst mittels der wertvollsten archäologischen Befunde oder bildlichen Darstellungen nicht rekonstruierbar wären. Sie stammen von antiken Autoren, die auf Lateinisch oder Griechisch über die Germanen und – meistens beiläufig – ihre Religion geschrieben haben, von christlichen Autoren des frühen Mittelalters, die das Heidentum bekämpften und deshalb bisweilen (wenn auch tendenziös) über die Abgöttereien der Germanen berichten, von Reisenden, die den Norden besuchten und noch heidnische Traditionen beschrieben und letztlich von den Verfassern und Sammlern der nordischen Mythologie, wie etwa Snorri Sturluson. Allen diesen Schriftquellen, seinen sie nun von ausgewiesenen Geschichtsschreibern wie Tacitus oder von wackeren Kirchenmännern wie Adam von Bremen verfasst, ist gemeinsam, dass sie mit klaren politischen oder literarischen Zielvorgaben geschrieben wurden und im Gegensatz zu modernen Auffassungen von Geschichtsschreibung nur bedingt redlich wiedergeben wollten, »wie es gewesen« (Ranke). Deshalb müssen diese Quellen einer strengen Quellenkritik unterworfen werden. Durch diese seit dem 19. Jahrhundert vermehrt geübte Quellenkritik haben sich einige neue Einsichten ergeben, wobei viele Angaben dieser Quellen, die früher eins zu eins in die Geschichtsbücher übernommen wurden, heute als übertrieben oder unglaubwürdig gelten.
Inschriften Weniger problematisch ist in dieser Hinsicht die zweite Kategorie von Quellen: Die Inschriften. Sie wurden als Originalzeugnisse verfasst und in Stein von denjenigen gesetzt, die eine bestimmte Mitteilung für lange Zeit sichtbar öffentlich dokumentieren wollten. Zwar sind auch die Inschriften von den Intentionen ihrer Verfasser bestimmt und wollen der Mit- und Nachwelt eine bestimmte Auffassung aufnötigen, aber gerade im Bereich der religiösen Weihungen, reflektieren sie auch unmittelbare religiöse Praxis. In der Antike haben die Griechen
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und Römer, in deren Gefolge auch zunehmend die Reichsbewohner, die römische Gepflogenheiten bereitwillig annahmen, die Sitte ausgebildet, aus allen möglichen Anlässen Inschriften zu setzen. Diese auffällige und im ganzen Römerreich um sich greifende Sitte wurde vom amerikanischen Gelehrten Ramsay MacMullen treffend als epigraphic habit bezeichnet. Eine Vielzahl dieser über das ganze römische Imperium verstreuten Inschriften ist nun eindeutig religiösen Inhalts. Es handelt sich meist um Weihinschriften, also Dankesbezeugungen an eine Gottheit. Leider haben diese Sitte nur diejenigen Germanen ausgebildet, die ins Römerreich integriert wurden, das Lateinische erlernt und ihre germanischen religiösen Vorstellungen an die römischen Gepflogenheiten angepasst hatten. Aber gerade durch diese Inschriften, auch solche von germanischstämmigen Soldaten im römischen Heer, erfahren wir viele Details und erahnen die Vielfalt der göttlichen Wesen, die teilweise nur regional verehrt wurden und uns aus keiner anderen Quelle bekannt sind. Das einschlägigste Beispiel hierfür dürften die sogenannte Matronen sein, mütterliche Fruchtbarkeitsgöttinnen, denen besonders im Rheinland eine besondere Rolle zukam und denen auch bedeutende Heiligtümer gewidmet waren (siehe unten Kap. 10). Leider haben die Germanen, die außerhalb der Grenzen des Imperiums nur geringfügig von Rom beeinflusst ihre religiösen Traditionen pflegten, keine derartige Leidenschaft für das Inschriftensetzen entwickelt. Zwar erscheinen nach 200 zunächst vereinzelt germanische Inschriften in der vom lateinischen oder etruskischen Alphabet beeinflussten Runenschrift, durchaus auch religiösen Inhalts. Mit dieser eigens erfundenen Schrift hat es allerdings eine besondere Bewandtnis – viel einfacher hätten die Germanen ja zu dieser späten Zeit das lateinische Alphabet übernehmen können – und niemals bildeten die Germanen eine runische Schriftkultur oder gar einen epigraphic habit aus (zu den Runen ausführlicher in Kap. 7). Die unter den rund 6500 bekannten Runendenkmälern wirklich für die Religionsgeschichte relevanten sind außerdem gering an der Zahl, die meisten stammen darüber hinaus aus Skandinavien und datieren in die Wikingerzeit oder später. Darüber hinaus sind sie auch von ausgewiesenen Experten nur schwer zu entziffern, unterschiedlichste, manchmal gegensätzliche Lesarten halten die Runologen und Altnordisten bei Laune1. Dennoch sind Inschriften – lateinische wie Runeninschriften – ganz wichtige Originalzeugnisse, die bedeutende Informationen liefern und die Schriftquellen oftmals um erstaunliche Sachverhalte ergänzen und (etwa durch Eigennamen) wichtige sprachwissenschaftliche Erkenntnisse für die Rekonstruktion des »Germanischen« ermöglichen.
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Brakteaten Im weitesten Sinne hierher gehören auch die sogenannten Brakteaten, Medaillen aus der Völkerwanderungszeit, die teilweise runische Zauberinschriften, aber oft auch bildliche Darstellungen enthalten, die als Götterdarstellungen interpretiert werden können. Diese rund 1000 erhaltenen Goldmedaillons fanden sich vorwiegend in den in letzter Zeit in den Fokus der Forschung tretenden sogenannten »Zentralorten« oder »Reichtumsplätzen« in Südskandinavien. Die Bildprogramme dieser Brakteaten konnten in den letzten 30 Jahren zunehmend entziffert und gedeutet werden. Mit ihren Darstellungen von Mythen, die wir literarisch erst aus der isländischen Überlieferung des Mittelalters kennen, stellen die Brakteaten für die quellenarme Völkerwanderungszeit ein wichtiges Bindeglied zwischen der germanischen Religion, wie sie aus antiken Quellen bekannt ist, und der nordischen Mythologie dar. Wie bereits angedeutet, hat sich die Sicht auf die germanische Geschichte allgemein und auch auf die germanische Religionsgeschichte in den letzten Jahren aufgrund der neuen Erkenntnisse aus der Archäologie gewandelt und eine Vielzahl neuer Informationen wurden durch Ausgrabungen, aber auch durch von neuen methodischen Überlegungen getragenen Auswertungen älterer Befunde gewonnen. So hat etwa die zunehmende Entdeckung von Plätzen von Waffenopfern (also der absichtlichen Vernichtung von wertvollem Beutegut zu Ehren der Götter) gezeigt, dass diese Praxis viel weiter verbreitet war, als man früher aus einzelnen Befunden schließen konnte. Entsprechend hat die Archäologie die Bodenfunde aus Heiligtümern (meist mehrfach genutzter Opferplätze im Freien, besonders an Gewässern wie Mooren, Seen und Flüssen) ausgewertet, die sich meist als Opfer oder Weihegaben deuten lassen. Auch die Entdeckung und Ausgrabung wichtiger Zentralorte in Südskandinavien (Gudme, Uppåkra, Sorte Muld) seit der Mitte der 1980er Jahre hat zu neuen Einschätzungen geführt und zeigt uns, dass entgegen dem Schweigen der Quellen diese Region für die Ausprägung einer gemeingermanischen Stil- und Bildersprache in der Mitte des ersten Jahrtausends entscheidend war. Eine weitere auch für die Religionsgeschichte wichtige Kategorie sind die Hinterlassenschaften des Totenkults, die bei den Ausgrabungen zutage kommen. Hieraus lassen sich Aspekte des Jenseitsglaubens erschließen.
Archäologie Allerdings sind es nicht nur die zahlreichen neuen Funde, die für einen merklichen Fortschritt in der Germanenforschung geführt haben, sondern auch die eigenständige archäologische Perspektive, die in jüngere Darstellungen Eingang gefunden hat. So betrachten Archäologen die germanische Kultur im Gegensatz
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zu Historikern, die sich eng an die antiken Quellen und an die Ereignisgeschichte halten, in gewisser Weise mehr vom Standpunkt der Germanen selbst aus und beachten v. a. die Lebensverhältnisse und die Alltagskultur. Während die Schriftquellen Germanien und die Germanen von außen behandeln und so immer den Blickwinkel Roms in die Betrachtung einbringen, berichten die archäologischen Quellen – zeitlich und räumlich sicher zu verorten – über sich selbst, d. h. über die Verursacher, die diese Quellen hinterlassen haben. Das gibt den Archäologen die Möglichkeit, »Einblicke in Bereiche der germanischen Kultur bzw. Zivilisation« zu bieten, »die nichts mit Rom zu tun haben«2. In diesem kurzen Kapitel über Art und Beschaffenheit der bekannten Quellen müssen noch ein paar ernüchternde Bemerkungen über einzelne Schriftquellen und ihre Interpretation gemacht werden. Weil diese nach wie vor die wichtigsten und ausführlichsten Informationen bieten und nur sie Sinnzusammenhänge herstellen, sollen an dieser Stelle einige einführende und einordnende Bemerkungen zu den wichtigsten Autoren gemacht werden.
Caesar Der erste Römer, der ausführlicher über die Germanen und in Nebenbemerkungen auch über ihre Religion spricht, ist der Feldherr und nicht zu unterschätzende Schriftsteller Gaius Julius Caesar. Er bekam es während seiner Unterwerfung Galliens, die das Ende einer eigenständigen keltischen Kultur in Mitteleuropa zur Folge hatte, auch mit Bevölkerungsgruppen zu tun, die er eindeutig als Germanen ausweist. Seine Darstellung der Germanen bietet ganz wichtige Informationen, enthält jedoch auch einige Angaben, die mit Vorsicht zu genießen sind. Caesars Bericht über den gallischen Krieg wurde nicht in erster Linie zum Quälen von Generationen von Lateinschülern verfasst, sondern war zunächst an den römischen Senat gerichtet, das höchste Staatsorgan, dem auch der mächtige Caesar rechenschaftspflichtig war. Sein literarischer Gesamtbericht, der ebenfalls an die politische Klasse Roms adressiert war, ist vereinfacht gesagt die überarbeitete Zusammenfassung von Berichten und Noten, die er nach Rom schicken musste. Caesar musste während seines Feldzugs, um einer von seinen Feinden betriebenen Abberufung vom Kommando zu entgehen, bestimmte durchaus kritische Entscheidungen rechtfertigen. Etwa die, nicht endgültig gegen die Germanen vorzugehen und auch »Germanien« zu erobern und dem glorreichen Imperium als Provinz hinzuzufügen, als sich ihm die (vermeintliche) Gelegenheit dazu bot. Deswegen ist er bemüht, die Germanen als der Eroberung durch Rom unwürdig zu beschreiben3. Er stellt sie als den Galliern in vielen Belangen unterlegen und als wesentlich »barbarischer« dar, das betrifft auch ihre religiösen Bräuche, in denen sich die Germanen als mit dem Römertum absolut nicht vereinbare »Erzbarbaren« er-
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weisen. Denn sie verehren nach Aussage des Feldherrn nicht wie die zivilisierten Völker bestimmte Gottheiten, die in der römischen Interpretation von religiöser Globalisierung immer auch Entsprechungen im römischen Götterhimmel haben und deshalb leicht integriert oder gar einfach konvertiert werden können (ganz viele Fälle solcher interpretatio Romana, also der Gleichsetzung bestimmter einheimischer Götter mit römischen Entsprechungen sind aus dem Reich bekannt, wobei der einheimische Göttername oft nur noch als Beiname erscheint, wie etwa bei Hercules Magusanus o. a. siehe dazu Kap. 9). Sie verehrten nur die Gestirne und das Feuer, also Kräfte oder Gottheiten, die sie sähen und spürten (Caes. Bell. Gall. 6, 21, 2), so dass ihre »polytheistische Unterentwickeltheit«4 zum Zeichen ihrer primitiven Religiosität wird. Gerade deshalb gelten Caesars Angaben über die germanische Religion als zweifelhaft, möglicherweise geben Sie aber im Kern doch wieder, dass seinerzeit die Personifikationen der Gottheiten keine so große Rolle spielte (darauf könnten die von den Archäologen ausgegrabenen eisenzeitlichen Pfahlgötzen hindeuten, dazu mehr im Kapitel 4).
Tacitus Wesentlich mehr Informationen, auch zur Religion der rechtsrheinisch siedelnden Bevölkerungsgruppen, bietet der römische Historiker Tacitus (58–120), der um das Jahr 100 die als »Germania« bekannte ethnographische Schrift verfasste5. Die Bedeutung dieses Büchleins kann bei aller Kritik an Einzelheiten nicht überschätzt werden. Man stelle sich nur einmal vor, was wir ohne die Beschreibung des römischen Politikers und Schriftstellers über die Germanen wüssten: Nur die verstreuten Nebenbemerkungen einiger griechischer und römischer Autoren (die für Interessierte in der folgenden Anmerkung genannt werden) und spätantiker Schriftsteller, welche die Auseinandersetzungen Roms etwa mit den Goten und Vandalen beschreiben6. Trotz aller Materialfülle wirft auch die kleine Schrift des Tacitus hinsichtlich des Quellenwerts Probleme auf. Auch er verfolgte ein Programm: Einerseits bedient er formgerecht das Genre der ethnographischen Literatur. Die antike Ethnographie hatte bereits Gemeinplätze entwickelt, die seitens des Publikums, das über die Gewohnheiten exotischer Fremdvölker las, erwartet wurden. So folgen auch die Angaben über religiöse Gebräuche vorgeformten Klischees. Er war andererseits bei der Abfassung seines Büchleins auch bemüht, dem seiner Meinung nach verkommenen Lotterleben der römischen Oberschicht, deren Sitten in allgemeiner Wahrnehmung seit den strengen Zeiten der römischen Republik völlig verkommen waren (unmoralische Ausschweifungen der kaiserlichen Familie haben es mit Nero, Caligula oder Commodus bis ins moderne Kino geschafft), einen moralischen Gegenentwurf gegenüber zu stellen. So schuf er mit
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seiner Germanendarstellung das Bild des edlen und einfältigen, aber grundgesunden »Wilden«, den geradezu klassischen Topos der ethnographischen Literatur. Der ist zwar Barbar, lebt aber in einem glücklichen, von Prunk und Luxus verschonten Urzustand und ist bei allen v. a. kulturellen Defiziten dennoch ein ganzer Kerl. Das Thema der Quellenkritik bei Tacitus und der Relevanz seiner Angaben für die Geschichte der Germanen, welches hier etwas sehr umgangssprachlich und dem Sachverhalt nicht wirklich angemessen versucht wurde, dem Leser näher zu bringen, beschäftigte eine Vielzahl klassischer Philologen und Historiker, deren bedeutende Forschungsergebnisse viele Regalmeter füllen7. Daraus ergibt sich auch im Falle des Tacitus die Notwendigkeit, seine Angaben generell, auch jene über die religiösen Sitten der Germanen, immer quellenkritisch zu hinterfragen. Dennoch liefert er die bedeutendsten Informationen über Heiligtümer und beschreibt auch ansatzweise Kulthandlungen (etwa die Prozession und Waschung des Kultbilds bei der Verehrung der Göttin Nerthus oder die – aus römischer Sicht besonders barbarische – Sitte des Menschenopfers im heiligen Hain der Semnonen, hierzu Kap. 4). Er wird im Folgenden recht häufig zu Wort kommen.
Andere Textarten Unter den christlich bewegten Berichten über Germanisches sind es vor allem bestimmte Heiligenviten (etwa die des Goten Saba) und die Viten der berühmten Heidenmissionare, wie Bonifatius, Ansgar, Liudger und Willibrord, die für das Thema relevant sind, sowie die englische Kirchengeschichte des Beda Venerabilis (entstanden 731). Ihnen ist natürlich gemein, dass die von ihnen beschriebenen heidnischen Kulte als Teufelszeug und widerwärtiger Götzendienst vor dem Hintergrund der christlichen Mission gebranntmarkt werden. Um Objektivität der Beschreibung einheimischer Traditionen in germanischen Landen waren die Autoren dieser Schriften nicht bemüht. Aber auch in diesen Texten finden sich wertvolle Hinweise. Interessant sind auch Gesetzestexte der frühen germanischen Reiche, die auf dem Boden des ehemaligen Römerreichs entstanden und nach römischem Vorbild seit dem 6. Jahrhundert Gesetze kodifizierten. In diesen Rechtstexten der mittlerweile christianisierten Germanen tauchen Verbotsbestimmungen für heidnische Bräuche auf, deren Kenntnis uns gerade aufgrund ihrer Unterdrückung durch die staatlich sanktionierte neue Religion erhalten geblieben ist.
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Skandinavische Quellen Viel umfangreicher und bis zu einem gewissen Grad ergiebiger sind die hochmittelalterlichen Quellen zu Skandinavien. Neben Berichten über die Sitten und religiösen Gebräuche der Wikinger (etwa der Waräger an der Wolga durch den arabischen Gesandten des Kalifen, Ibn Fad. la-n) oder den eindrucksvollen Bericht des Bischofs Adam von Bremen (ca. 1050–1085) über das (archäologisch nie nachgewiesene) große pan-nordische Heiligtum bei Uppsala ist es vor allem die skandinavische Sagenüberlieferung, die Informationen über die Götterwelt des alten Nordens bietet. Besonders die isländische Tradition ist hier einschlägig und gilt als der alten Zeit am nächsten, auch wenn wir mit ihr bereits im 12. und 13. Jahrhundert angelangt sind, als in ganz Europa kein einziger Heide mehr zu finden war (jedenfalls nicht unter den Völkern, die indogermanische Idiome sprachen). Unter diesen isländischen Mythenstoffen ragen die Götterlieder der Lieder-Edda, die sich auf die heidnische Vergangenheit der Wikingerzeit beziehen, heraus. Über das Alter dieser Lieder wird nach wie vor gestritten, sie sind jedoch jünger und stärker von christlichen Elementen geprägt, als man lange annahm (wobei da auch oft der Wunsch Vater der Datierung war)8. Von einigem Wert sind die Kompilationen und Schöpfungen des isländischen Dichters und Politikers Snorri Sturluson (1179–1242), dessen Sammlung mythologischer Geschichten aus der nordischen Götterwelt durch ihre vergleichsweise klare Struktur und geordnete Übersicht über die Götter und Göttinnen und die an diese geknüpften Erzählungen besticht (v. a. die sogenannte Snorra-Edda, aber auch die Heimskringla, »der Weltkreis«, eine Historie der norwegischen Könige). Jedoch ist ihr religionsgeschichtlicher Quellenwert – nicht nur aufgrund des christlichen Standpunkts ihres Autors – höchst umstritten9. Aufgrund der Reichhaltigkeit der nordischen Sagenüberlieferung, der umfassenden (aber nicht immer einheitlichen) mythologischen Geschichten über Odin, Thor, Loki und Frîja kann man leicht versucht sein, diese manchmal sogar kohärenten Entwürfe einer ähnlich den Olympiern der griechischen Göttersagen geordneten Götterwelt als narrative Grundlage einer religionsgeschichtlichen Darstellung zu wählen. Frühere Darstellungen haben das auch durchweg getan10. Das Hauptproblem bei der Beurteilung der Sagenüberlieferung und der Götterlieder der Edda bleibt folgendes: Sie könnten sehr wohl in Teilen (einzelne Lieder oder Strophen) vorchristliche Realitäten wiedergeben; oder auch nicht. Die nordische Philologie hat noch kein Kriterium herausarbeiten können (und das wird nach allem menschlichen Ermessen auch nie möglich sein), nach dem sich unterscheiden ließe, welche Teile der Überlieferung echte Erinnerung an heidnische Bräuche dokumentieren und welche freie Umarbeitungen und Neudeutungen heidnischer Stoffe und Motive vor christlichem Hintergrund darstellen. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob man die nordisch-heidnische Göt-
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terwelt noch als »germanisch« ansprechen darf (dazu mehr im Kapitel über die Mythologie, Kap. 6). Deswegen wird in diesem Buch die späte nordische Überlieferung nur an den Stellen erwähnt, an denen auch andere Belege existieren, die durch die Skaldentradition, Snorri oder die Edda gestützt oder bestätigt werden (archäologisch-bildliches Material, Runeninschriften, antike Quellen, linguistische Belege). Dies ist alles in allem sehr wenig und unbefriedigend. Historiker der Neuzeit würden die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, müssten sie anhand von einigen materiellen Hinterlassenschaften der Pilgerväter in den USA und wenigen Bemerkungen in gegenreformatorischen Schriften etwa »die Geschichte des englischen Puritanismus« verfassen. Dennoch ist dies kein Grund zu verzagen. Dieses verminte Feld zweideutiger und schwer interpretierbarer Quellen, die oft mehr Fragen offen lassen, als sie beantworten, darf nicht den Esoterikern und Neuheiden überlassen werden! Welch unglaublicher Unsinn aus diesen dunklen, oft rechten Ecken, in denen intellektuelle Schimmelpilze prächtig gedeihen, in den letzten Jahren von seltsamen Verlagshäusern unters Volk gebracht wurde (vom Internet ganz zu schweigen!), ist in der Tat mehr als beklagenswert (hierzu Kap. 11). Auch wenn der rechtschaffene Historiker, Archäologe oder Philologe Spekulationen zu vermeiden trachtet, müssen die lückenhaften Informationen aus den Quellen sinnvoll ergänzt werden. Das soll bei der Rekonstruktion der germanischen Religionen in den folgenden Kapiteln mit dem Motto des Tacitus, sine ira et studio, versucht werden.
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4 Heiligtümer und Opferpraxis
Bevor wir uns den germanischen Göttern zuwenden (ein gar nicht einfaches Unterfangen, wie im nächsten Kapitel deutlich werden soll), beschäftigen wir uns zunächst einmal mit den Kultplätzen und Heiligtümern der Germanen. Bereits Tacitus bemerkte eine Besonderheit, die wohl allgemein bei den Römern Aufmerksamkeit erregte, so ungewöhnlich war dieser Sachverhalt: Die Germanen verehrten ihre Götter unter freiem Himmel und besonders in heiligen Hainen1. Lassen wir ihn an dieser Stelle einmal zu Wort kommen (Germ. 9, 6): »Außerdem meinen sie [die Germanen], dass es der Größe der Himmel nicht würdig sei, die Götter in Wänden einzuschließen oder auch nur im entferntesten dem menschlichen Aussehen nachzubilden: Sie weihen die Lichtungen und heiligen Haine und sie rufen mit den Namen der Götter jenes Geheimnisvolle an, das sie in großer Verzückung betrachten«2.
Tacitus Wichtig ist an dieser Bemerkung des Römers der Verweis auf Bedeutung von Heiligtümern unter freiem Himmel, konkret Lichtungen und heilige Haine. Seine Angaben über das allgemeine Fehlen von Kultbildern an dieser Stelle entspricht kaum den Tatsachen, haben sich doch hölzerne Idole erhalten (siehe folgendes Kapitel) und Tacitus selbst verweist an anderer Stelle auf das Kultbild der Nerthus. Tempel- und Bildlosigkeit bei »Naturvölkern« ist bereits in der antiken Ethnographie ein Topos und macht sich gut als Kontrastbild zu den prächtigen Marmortempel und kunstvollen Götterstatuen. Die germanischen Heiligtümer in der freien Natur, Quellheiligtümer, Haine, Seen und Moore, die auch archäologisch nachgewiesen wurden, sowie die mit ihnen verbundenen Kultpraktiken werden im Folgenden kurz vorgestellt. Wie haben wir uns nun germanische Heiligtümer vorzustellen? Schauen wir zunächst auf die schriftliche Überlieferung: Das berühmteste Germanenheiligtum kennen wir durch Tacitus. Es handelt sich um den heiligen Hain der Semnonen, des Hauptstammes der Sueben, über den der römische Historiker und Ethnograph Bemerkenswertes zu berichten weiß (Germ. 39):
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»Als die Ältesten und Edelsten unter den Sueben bezeichnen sie die Semnonen. Eine Bestätigung ihres hohen Alters bietet ein religiöser Brauch: Zu einer festgesetzten Zeit kommen in einem Wald, heilig durch Weihung der Väter und Ehrfurcht heischendes Alter, alle Völkerschaften desselben Blutes durch Gesandtschaften zusammen, opfern im Namen der Gesamtheit einen Menschen und begehen dann die schauervolle Feierlichkeit eines barbarischen Gottesdienstes. Noch eine andere Ehrfurcht erweist man dem Hain: Niemand tritt ein, ohne mit einer Fessel gebunden zu sein, um die eigene Abhängigkeit und die Macht des göttlichen Wesens zu bekunden. Fällt einer zufällig zu Boden, darf er sich weder aufrichten lassen noch aufstehen; auf dem Boden wälzt er sich hinaus. Überhaupt ist der ganze abergläubische Kult darauf zurückzuführen, dass sie wohl glaubten, dort sei der Ursprung der Stammesgruppe, dort walte der allmächtige Gott, alles andere aber sei ihm völlig untertan«3. In dieser Passage erhalten wir bei aller nötigen Vorsicht bezüglich der Zuverlässigkeit von Tacitus’ Gewährsleuten sehr wichtige Informationen, die im Gegensatz zu archäologischen Quellen Sinnzusammenhänge erkennen lassen. Einerseits scheint es sich bei dem suebischen Stamm der Semnonen um die am höchsten angesehene Gruppe gehandelt zu haben, in deren Gebiet sich die für viele Teilstämme bedeutendste Kultstätte befand. Darüber hinaus erkennen wir aus dieser Stelle (und weiteren hier ausgelassenen Passagen)4, dass es offenbar Kultverbände der Germanen gab, die sich zu bestimmten Zeiten zu gemeinsamen Opfern trafen. Außerdem wurde hier der »allmächtige Gott« verehrt (regnator omnium deus), hinter dem die Forschung vorgreifend auf spätere Informationen den nachmals wichtigsten Gott Wodan/Odin vermutet. Dass das besonders »barbarische« Menschenopfer, für das es bei den Germanen eine ganze Reihe, auch archäologischer Belege gibt, sowie die aus römischer Sicht ungewöhnlichen Naturheiligtümer (hier ein Hain) das Interesse des Tacitus weckten, liegt auf der Hand. Besonders wichtig erscheint auch die – selten in den Quellen erfolgende – zumindest partielle Beschreibung der Kulthandlung, des Brauchs also, gefesselt (wohl als Zeichen der Unterwerfung) das Heiligtum zu betreten5.
Archäologie Wie sehen nun im Vergleich dazu die Erkenntnisse der Archäologie aus? In der Tat bestätigen sie weitgehend die grundlegenden Angaben des Tacitus. Tempel oder größere Kultbauten scheint es bei den Germanen, die nicht innerhalb des römischen Reiches lebten und sich nicht an römische Sitten orientierten, nicht gegeben zu haben. Das einzige (archäologisch nicht belegte) Zeugnis eines großen Kultbaus entstammt dem Bericht Adams von Bremen über das Wikinger-
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heiligtum in Uppsala (Hamburgische Kirchengeschichte 4, 26; siehe auch weiter unten in diesem Kapitel). Neue Funde im schwedischen Uppåkra, wo man ein größeres Bauwerk entdeckt hat, das wohl als hallenartiges Kultgebäude zu interpretieren ist, lassen nun vermuten, dass zumindest in den von den Quellen vernachlässigten bedeutenden Zentralorten des skandinavischen Nordens, die in den letzten Jahren nur durch die archäologische Forschung bekannt geworden sind, größere Kultgebäude existiert haben könnten6.
Opfer Kern des germanischen Kults war, wie wir neben Tacitus aus einer Vielzahl von Quellen erfahren, ganz allgemein das Opfer7. Dabei lassen sich anhand des archäologischen Befunds folgende Opferkategorien unterscheiden: Die Waffenopfer, die Tieropfer mit großen Opfermählern, die Menschenopfer, sowie die viel schwerer zu erfassenden privaten Opfer. Natürlich weckte vor allem das Menschenopfer bei den Autoren unserer Quellen das größte Interesse und wurde entsprechend prominent beschrieben8. Als Heiligtümer der Germanen und Ort solcher Opferhandlungen sind uns aber nur noch wenige Plätze zugänglich. Die offenbar besonders bedeutende Kategorie der heiligen Haine ist aufgrund der Vergänglichkeit des Bewuchses archäologisch nicht nachweisbar. Rituelle Deponierungen aus germanischer Zeit lassen sich in Mittel- und Nordeuropa aber als Quell- und Flussopfer nachweisen9. Dabei ist allerdings – besonders im Falle von Flussopfern – nicht immer eindeutig nachweisbar, ob es sich um kultische, also wiederholte und intentionale Deponierungen handelt oder ob nicht eher mit Verlustfunden zu rechnen ist10. Ein Glücksfall für die Forschung ist der bereits im 19. Jahrhundert entdeckte Quellopferfund von Bad Pyrmont. Die dortigen Brodelquellen scheinen den in dieser Region siedelnden Germanen heilig gewesen zu sein. Es fanden sich zahlreiche, der römischen Kaiserzeit zuzuordnende Gegenstände aus Edelmetall (v. a. Fibeln), sowie Schöpfkellen, die auf die Bedeutung des Wassers im Rahmen des Kultes verweisen11. Zur Identifizierung von Fundstellen als Heiligtümern hat Carsten Colpe drei Kriterien benannt: erstens Kontinuität; bisweilen über Religionswechsel hinaus. Nachweisbar durch Niederlegungen spezifischer Art und sonstige Anzeichen von Kontinuität. Zweitens Entdeckung. Heiligtümer werden nicht geplant, sondern entdeckt. Drittens Symbolkraft des heiligen Ortes. Heilige Orte sind meist außergewöhnliche Orte, deren Lage archäologisch oft gut nachzuweisen ist12. Ist aber allgemein von germanischen Opferbräuchen die Rede, sind an erster Stelle die spektakulärsten und auch ergiebigsten Fundplätze zu nennen, die aus archäologischer Sicht immer noch das meiste Material zur Kenntnis des eisenzeitlichen Opferkults im nördlichen Europa beitragen: die Moorfunde13. Seit
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dem 19. Jahrhundert sind die aufgrund der guten Konservierungsbedingungen durch die Gerb- und Huminsäuren in den nordeuropäischen Mooren meist außerordentlich gut erhaltenen Funde von rituellen Deponierungen ein besonders ergiebiges Forschungsgebiet.
Moorfunde Die bedeutendsten Fundstätten, die auch eindeutig als dauerhaft genutzte Kultplätze interpretiert werden konnten, sind im nördlichen Deutschland und v. a. in Dänemark gelegen. Dabei sind die Moorfunde von Thorsberg, Nydam, Vimose, Ejsbøl, Oberdorla in Thüringen und v. a. Illerup Ådal14 zu nennen. Die Kultanlagen an diesen Moorseen sind von denkbar einfacher Art. Man konnte bei einigen Spuren von Pfahlbegrenzungen entdecken, sowie holzverstärkte Zugangswege. Die Versenkung des Opferguts erfolgte offenbar von Stegen oder von Booten aus. Tierknochenreste zeugen an einigen dieser Opferplätze von Tieropfern, die offenbar in Form größerer Gemeinschaftsfeste erfolgten. Dabei wurde das Fleisch der Opfertiere von der Kultgemeinde gemeinsam verzehrt, während in den Opferstellen im Moor Schädel und die abgezogenen Felle deponiert wurden (möglicherweise auf Pfählen aufgestellt)15.
Abb. 1: Ein Pfahlgötze
Die Waffenbeuteopfer, also absichtlich untauglich gemachte große Mengen von Kriegswaffen, die den Besiegten abgenommen worden und (bisweilen zuvor rituell verbrannt) im Moor versenkt worden waren, nehmen eine besondere Stel-
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lung innerhalb der Fundkategorien ein. An den genannten Fundplätzen lassen sich meist mehrere zeitlich deutlich voneinander getrennte Mehrfachdeponierungen nachweisen. Dies zeigt, dass die Kultplätze im Moor dauerhaft und immer wieder (aber in unregelmäßigen Abständen) für umfangreiche Waffendeponierungen genutzt wurden. Bei Nydam in der dänischen Region Angeln etwa wurden im 3. Jahrhundert und bis zur Mitte des 4. Jahrhunderts n. Chr. fünf Deponierungen vorgenommen, zwei weitere im frühen 5. Jahrhundert und eine letzte im späten 5. Jahrhundert16. Insgesamt hat man in Nydam und Illerup Tausende von Waffen gefunden. An anderen Orten können anhand der Waffenfunde auch Angaben zur Größe der besiegten Heere gemacht werden, so waren es in Ejsbøl bei einer Deponierung die Bewaffnung von rund 200 Mann, in Vimose auf Fünen wurde die Ausrüstung von 500 Feinden versenkt. Dabei wurden die Waffen immer systematisch unbrauchbar gemacht. Schwerter, Lanzen und Dolche wurden verbogen, Schildbuckel eingeschlagen, um die Waffen einer etwaigen zukünftigen Nutzung mit Sicherheit zu entziehen. Religiöser Hintergrund dieser rituellen Deponierungen ist die Vorstellung, dass man einem Gott zum Dank für das Kriegsglück offenbar das gesamte Besitztum des besiegten Heeres nach der Schlacht als Votivgabe opferte, offenbar bisweilen auch die überlebenden Gegner. Tacitus (Annales 1, 61) berichtet davon, dass die höheren Offiziere des Varus nach der berühmten Schlacht »im Teutoburger Wald« 9. n. Chr. von den siegreichen Germanen regelrecht geschlachtet worden seien. Einen ähnlichen Bericht hält Tacitus über einen Konflikt der verfeindeten germanischen Stämme der Hermunduren und Chatten bereit, die sich im Jahre 58 in einer Entscheidungsschlacht gegenüber standen (Annales 13, 57). Für den Fall eines Sieges hätten die Parteien das gegnerische Heer den Göttern geweiht (Tacitus spricht von Mars und Merkur, die germanischen Namen verschweigt er uns): »Durch dieses Gelübde werden Pferde, Männer und überhaupt alles, was besiegt ist, der Vernichtung anheimgegeben«17. Eine für Römer und andere vernunftbegabte Beobachter völlig unsinnige Vorgehensweise. So kann man aus dem auf ältere Quellen zurückgehenden Bericht des Orosius über das Verhalten der Kimbern nach der Schlacht bei Arausio (105 v. Chr.) deutlich das römische Unverständnis herauslesen. Diese barbarischen und unvernünftigen Germanen vernichteten die gesamte wertvolle Beute! Gold und Silber wurden in den Fluss geworfen, Brustpanzer in Stücke geschlagen, Pferde ertränkt und die Gefangenen, die man als Sklaven hätte verkaufen können, wurden an Bäumen aufgehängt18. Anhand der umfassenden Untersuchungen des Schlachtfeldes der »Varusschlacht« bei Kalkriese im Osnabrücker Land in den letzten 20 Jahren hat man nach Anhaltspunkten gesucht, die solche Kulthandlungen nach der Schlacht auch archäologisch belegen könnten. Die Fundkonzentrationen von militärischen Ausrüstungsgegenständen bzw. deren Resten an bestimmten Stellen des Schlachtfeldes werden jedoch unterschiedlich interpretiert. Einerseits könnte
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der Befund auf eine Benutzung des Areals als Opferplatz hindeuten und entspräche dem bei Tacitus Geschilderten, wobei man allerdings annehmen müsste, dass wesentliche Teile der Beute als Opfergaben am Ort verblieben und der Platz für längere Zeit als Heiligtum funktionierte19. Andererseits verweist die jüngste und umfassendste Untersuchung der Funde des zentralen Schlachtfeldes (Gemarkung Oberesch), wo die Germanen die Römer an einem Grassodenwall aufgerieben haben, überzeugend darauf, dass die Fundkonzentrationen der eher wenig wertvollen Ausrüstungsgegenstände auf umfangreiche Plünderungs- und Verschrottungsprozesse zurückzuführen sei und man eher von zeitweiser Zurschaustellung des Beuteguts vor der endgültigen Verteilung unter den Siegern ausgehen müsse, als von kultischer Opferung von Waffen und Gerät20. Auch hier ist der archäologische Befund also wenig eindeutig. Eine mögliche archäologische Bestätigung des grausamen Brauches, die Besiegten en masse zu opfern, fand sich 2009 bei den jüngsten Ausgrabungen im Moor von Illerup, wo man zunächst Knochenreste von etwa 200 Individuen gefunden hat (die Ausgräber schätzen, dass insgesamt rund 1000 Menschen dort ihr Ende gefunden haben, in einer weiteren Kampagne 2012 und 2013 wurden rund 900 weitere menschliche Knochen geborgen), die möglicherweise im Rahmen solcher Opferzeremonien von den Siegern ermordet wurden, wenn es sich nicht »gewöhnliche« Opfer der Kampfhandlungen handelt21. Neben den Waffen wurden üblicherweise auch sämtliche Ausrüstungsgegenstände der Besiegten im Moor versenkt, sogar ganze Schiffe sind in einigen Fällen entdeckt worden (ein enormer Aufwand, denn diese mussten von der Küste zum Opferplatz transportiert werden). Über das Ritual selbst und seinen Ablauf lässt sich allerdings wenig sagen. Nur einzelne, offenbar unmittelbar vor der Deponierung eingeritzte Runeninschriften können Hinweise geben, etwa eine vieldiskutierte Bronzeschnalle von Vimose, welche die fragmentarische Inschrift »den Asen (Göttern) weihe ich…« trägt22.
Menschenopfer Neben ihrer religionsgeschichtlichen Bedeutung zeugen die Waffenopfer in den Mooren Südskandinaviens von bedeutenden interregionalen Konflikten während der römischen Kaiserzeit und der Völkerwanderungszeit, wie die aus unterschiedlichen Regionen stammenden Ausrüstungsgegenstände (und damit auch deren Träger) belegen. Größe und Organisationsform dieser Kriegergruppen – angezeigt durch die Anzahl der Waffen, die in einigen Fällen auf mehrere hundert getötete Individuen schließen lassen – verweisen auf die Größenordnung der Kriegshandlungen, die weit über das Niveau von Raubzügen hinaus reichen. Diese Waffenopfer lassen sich bis etwa in die Mitte des ersten Jahrtausends nachweisen. Was zur Aufgabe dieser Sitte führte, bleibt im Dunkeln. Ver-
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suche, diesen Sachverhalt mit der Auswanderung der Angeln und Sachsen nach England zu erklären, sind Spekulation. Neben diesen spektakulären Fundorten gibt es natürlich auch solche, die nicht ausschließlich als Waffenbeuteopferplätze dienten und auch solche, die nur »zivilen« Opfern dienten, wie Oberdorla in Thüringen, wo keinerlei Waffendeponierungen erfolgten, aber wohl vereinzelt Menschenopfer praktiziert wurden23. Das beste Beispiel für ein über Jahrhunderte kontinuierlich benutztes Opfermoor ist der bereits seit 1858 ausgegrabene Fundplatz Thorsberg (Schleswig). Hier lässt sich bereits seit etwa 150 v. Chr. die Deponierungen von privaten Gegenständen, etwa Holzgefäßen, nachweisen. Diese Gefäßopfer lassen etwa bis zum Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr. nach und werden zunehmend durch Schmuckopfer und metallene Gebrauchs- und Luxusgegenstände ersetzt (besonders Fibeln, ab dem 3. Jahrhundert absichtlich zerbrochene Goldringe), was auch auf eine durch Handel und Austausch geförderte wirtschaftliche Entwicklung der Region in der römischen Kaiserzeit schließen lässt. Innerhalb der Kategorie der Moorfunde sind natürlich die Moorleichen, die bog people, die spektakulärsten, die auch regelmäßig in Dokumentarfilmen und in populärwissenschaftlichen Betrachtungen als Publikumsattraktionen auftauchen. Natürlich haben die Menschenopfer die Phantasie besonders angeregt und nicht nur die Aufmerksamkeit der antiken Autoren erregt. Der archäologische Befund zeigt aber, dass das Menschenopfer eher selten gewesen zu sein scheint24. Neben tausenden Tierknochen ließen sich in den über Jahrhunderte genutzten Opfermooren vergleichsweise wenige Menschenopfer finden. Die meisten Menschenskelette überhaupt an einem Opferplatz – abgesehen von den spektakulären Neufunden im Moor von Illerup – fanden sich in Oberdorla, doch es sind bei einer fast 1000-jährigen Verwendung als Opferplatz bis heute nur 40 Individuen zu Tage gekommen. In Südskandinavien findet man die berühmten Moorleichen, die nicht an speziellen Opferplätzen, die kontinuierlich benutzt worden sind, auftauchen, sondern ohne archäologischen Kontext als Einzelfunde im Moor entdeckt werden. Hier ist die Interpretation nicht immer einfach. Meist wurden diese bog bodies als Menschenopfer gedeutet, insbesondere in der früheren Literatur als so genannte »Strafopfer«. Dem scheinen Angaben in der Germania des Tacitus zu entsprechen (Germ. 12). Dort ist die Rede davon, dass Verräter und Überläufer an Bäumen aufgehängt, Feiglinge, Kriegsuntaugliche und körperlich Geschändete (corpore infames) hingegen im Schlamm der Sümpfe versenkt und mit Flechtwerk aus Zweigen bedeckt worden seien, um auf diese Weise für die Verbergung und Verdeckung ihrer besonders schändlichen Taten zu sorgen25. Die »Strafopferthese«, 1922 vom Rechtshistoriker Karl von Amira in Umlauf gebracht und vielfach rezipiert, geht davon aus, dass die (manchmal gefesselten) Moorleichen als Sühneopfer von der Gemeinschaft dargebracht wurden, weil sie sich besonders schändlicher Verbrechen schuldig gemacht und deshalb die
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Götter erzürnt hätten. Es geht also um eine Verbindung von Todesstrafe und sakralem Akt, Todesstrafe als Kulthandlung. Diese lange Zeit sehr populäre Interpretation der Moorleichenfunde ist jedoch als Irrweg der Forschung erkannt worden, es gibt keine ausreichenden Belege in den Quellen. Überhaupt sind wohl die wenigsten Moorleichen als Hinrichtungsopfer (weder kultisch noch kriminalistisch) zu interpretieren. Man wird in den meisten Fällen davon ausgehen müssen, dass diese Leichen auf Grund von Unfällen, Morden, regulären oder irregulären Bestattungen, Kindesaussetzungen oder ähnlich »normaler« Phänomene ins Moor gelangt sind26.
Fundplätze Zum Ende dieser kleinen Übersicht über germanische Heiligtümer und Opfer, komme ich noch mal auf die weniger spektakulären Fundplätze zurück: Diejenigen Opferplätze, an denen ausschließlich von Privatpersonen ihren jeweiligen Gottheiten geopfert wurde. Die Zahl derartiger kleiner Opferstellen in Mooren in Südskandinavien geht in die Hunderte27. Hier sind auch die bereits genannten Quellheiligtümer zu erwähnen. Bei diesen Deponierungen kann man eine Entwicklung beobachten. In der vorrömischen Eisenzeit (La Tène) dominierten Keramik- und Holzgefäße, in denen man organische Substanzen (häufig tierische Fette) darbrachte. Gewissermaßen typische Naturalgaben einer von der Landwirtschaft geprägten Bevölkerung, als Dank für die Erträge der Natur28. In der spätrömischen Eisenzeit und der Völkerwanderungszeit ist eine Tendenz hin zu wertvolleren Opfern zu beobachten, wie Schmuckstücken aus Edelmetall, Armreifen, Fingerringen, v. a. Fibeln, aber auch gelegentlich Waffen. In diesem Sinne ist auch eine Vielzahl von Fundmünzen römischen Ursprungs zu verstehen, die in der Feldflur gefunden wurden und offenbar nicht zu Siedlungskontexten gehören. Diese Münzen können als Opferfunde angesprochen werden, die mit Fruchtbarkeitsvorstellungen in Verbindung standen und deswegen in auf den Feldern ausgebracht wurden29. Trotz der spektakulären Waffenfunde in den Mooren bleibt festzustellen, dass die »zivilen« Opferungen, die mit Fruchtbarkeitskulten in Verbindung standen, wesentlich kennzeichnender für die Welt der Germanen während der römischen Kaiserzeit waren. In der allgemeinen Wahrnehmung überwiegen die Manifestationen einer Kriegerelite, obwohl das Fundament der germanischen Gesellschaft Viehzucht und Ackerbau, also eine bäuerliche Lebensweise, bildete.
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Wikingerzeit In der Wikingerzeit ist ein augenfälliger Rückgang der Opfertätigkeit an den Opferstätten im skandinavischen Raum zu beobachten, von denen sich nur noch eine geringe Zahl archäologisch nachweisen lässt30. Einiges deutet darauf hin – wenn wir den Heiligenviten und dem Bericht Adams von Bremen glauben dürfen –, dass sich überregionale Kultzentren im Norden Europas herausbilden. Die wenigen Berichte über Opferstätten (jetzt nur noch literarisch, weniger archäologisch belegt) legen nahe, dass die bereits in den antiken Quellen geschilderte Praxis, Opfertiere (wie auch die gelegentlich vorkommenden und von den christlichen Missionaren mit besonderem Grausen vermerkten Menschenopfer) an Bäumen oder Pfählen aufgehängt wurden31. Dass die Opferhandlungen in den Heiligtümern zu gewissen festgelegten Zeitpunkten stattfanden, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen (ausgenommen natürlich die nur gelegentlich erfolgenden Waffenopfer). Allerdings gibt es nur wenige Belege zu den Kultfesten und ihren Daten. Tacitus erwähnt Opferfeiern für die Göttin Tamfana im Herbst, was mit der Ernte zu tun haben mag (Annales 1, 51) und spricht auch bezüglich des Kultfestes im Semnonenhain von einem feststehenden Zeitpunkt (Germ. 39, stato tempore), bei der Göttin Nerthus fällt der Festtermin ins Frühjahr (Germ. 40), während Beda Venerabilis (672–735) von der Anfang Februar gefeierten modraniht der Angelsachsen berichtet, wobei er das germanische Wort ganz richtig ins Lateinische als »Nacht der Mutter« übersetzt (de temporum ratione, 13).
Kultstätten ohne Bauten Das auffälligste Merkmal der germanischen Religion, dass keine Kultbauten zur Verehrung der Gottheiten errichtet wurden, bleibt bis in die Völkerwanderungszeit bestehen. Tacitus, der diese Besonderheit, welche die Germanen von ihren Nachbarn unterschied, so stark betonte, wird von der Archäologie auf der ganzen Linie bestätigt. Tatsächlich lassen sich bis in die Völkerwanderungszeit im germanischen Siedlungsbereich keine ausschließlich kultischen Zwecken gewidmeten Bauwerke identifizieren, an den Opferseen von Thorsberg und Oberdorla ließen sich lediglich Reste von Umzäunungen nachweisen. Ausnahmen bilden natürlich die im römischen Einflussbereich und in (vielleicht fast symbiotischer) Nachbarschaft zu den Galliern entstandenen Matronenheiligtümer im Rheinland. Die meist als Umgangstempel in gallo-römischer Bauweise ausgeführten Gebäude (etwa das Heiligtum bei Pesch) entsprechen in ihrer Ausstattung im römischen Stil südlichen Vorbildern und verbinden so einheimisch gallo-germanische Traditionen mit mediterraner Architektur32. Über diese verschiedenen Einflüsse in der Kontaktzone am Rhein vereinigenden
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weiblichen Gottheiten wird noch gesondert und ausführlicher die Rede sein (Kap. 10). Für die Völkerwanderungszeit lassen sich Hinweise für wohl aus Holz gebaute Heiligtümer finden, so in der Lebensbeschreibung des heiligen Columbanus (2, 25)33. Ob diese Bauten wesentlich mehr darstellten als die Flechtwerkund Pfahlumhegungen der älteren Heiligtümer, ist unklar. »Für die römische und nachrömische Eisenzeit gibt es jedenfalls von Seiten der Archäologie außer den Matronenheiligtümern keine Hinweise auf eigene Tempelgebäude in der Germania«34. In letzter Zeit wird viel über die Interpretation bestimmter Baubefunde in Skandinavien diskutiert. Angesichts der dort entdeckten Hallenbauten und der Doppelbedeutung des nordischen Wortes hof, das einerseits »Bauernhof«, andererseits aber auch »Kultgebäude« meinen kann, wird gemutmaßt, dass bei derartigen überdimensionierten Langhäusern mit einer Doppelfunktion zu rechnen sei. Unterstützt wird diese Interpretation von in derartigen Hallenbauten ausgegrabenen »Guldgubber« (Abb. 2). Diese immer noch immer rätselhaften Goldbleche in Form von kleinen Männlein (das meint das dänische Wort »Guldgubber«, das sich eingebürgert hat), aber auch mit Paardarstellungen, werden als meist als eine Form von Opfergeld, in jedem Falle jedoch als sakral relevante Gegenstände interpretiert35. All dies basiert jedoch lediglich auf Indizien und kann kaum als belastbare These durchgehen. Ein echter heidnischer »Tempel«, ein nur kultischen Zwecken dienendes Bauwerk, ist bislang nur literarisch anhand der Beschreibung des Wikingerheiligtums in Uppsala durch Adam von Bremen in seiner Hamburgischen Kirchengeschichte (4, 26) bekannt. Bislang haben sich keine archäologischen Spuren von einem Heiligtum finden lassen, dass auch nur ansatzweise der prunkvollen Beschreibung Adams entsprechen würde, was jedoch nicht ausschließt, dass das bedeutende Uppsala im 11. Jahrhundert über eine überregionale Kultstätte verfügte. Interessanter ist da schon der Befund für die bereits erwähnte eisenzeitliche Siedlung Uppåkra im schwedischen Schonen. Dort wurde bei Grabungen im Jahr 2001 ein Gebäude identifiziert, das mit großer Wahrscheinlichkeit als Kultgebäude anzusprechen ist. Weitere Ausgrabungen und die stratigraphische Auswertung ergaben, dass es sich um ein hohes Holzgebäude im Stil der späteren Stabkirchen gehandelt haben muss (eine skandinavische Besonderheit: Der Bau wird mit senkrecht stehenden Masten und Brettern ausgeführt, im Gegensatz zur waagrechten Blockbauweise). Dieses Gebäude, dessen frühste Phasen nach Radiokarbondatierung und aufgrund des Fundguts auf die späte römische Eisenzeit zurückgehen (mit einem Brandhorizont um 400), ist offenbar in mehreren Phasen immer wieder erneuert worden. Glasscherben und über 100 bei den Grabungen gefundene Guldgubber deuten auch hier die zumindest partiell
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Abb. 2: Guldgubber aus Sorte Muld (Museum Rønne, Bornholm), Mann mit Sturzbecher
sakrale Verwendung des Gebäudes an. Architekturgeschichtlich scheint der Fund von Uppåkra das missing link zur Entwicklung der skandinavischen Stabkirchen zu bilden36. Dennoch bleibt abschließend für die Heiligtümer der Germanen v. a. vor der Völkerwanderungszeit festzuhalten, dass sie gegenüber ihren westlichen und südlichen Nachbarn nur rudimentäre bauliche Strukturen aufwiesen und in erster Linie an Feuchträume wie Moore, Seen, Flüsse und Quellen gebunden waren, bzw. in heiligen Hainen (archäologisch nicht fassbar) ihren Ort hatten. Die spannende Frage bleibt, welchen Gottheiten in diesen frühen (Natur-)Heiligtümern geopfert wurde. Ihr soll im nächsten Kapitel nachgegangen werden.
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Übliche Darstellungen zur Religionsgeschichte antiker oder auch (in der ethnographischen Literatur) rezenter Völker beginnen gewöhnlich mit einem Kapitel über die jeweilige Götterwelt und die dazugehörige Mythologie, also die Geschichten über die Götter, die ihre jeweiligen Beziehungen untereinander und zu den Menschen näher beschreiben. Hier wurde aus guten Gründen anders verfahren und mit den reichlich belegten Opferfunden begonnen. Denn die erste schriftliche Erwähnung eines germanischen Götternamens, und zwar des Gottes Wodan, findet sich erst in einer Runeninschrift auf einer den Langobarden oder Alamannen zuzuordnenden Fibel vom Beginn des 7. Jahrhunderts (Bügelfibel von Nordendorf). Vorher sind uns keine der germanischen Götter namentlich bekannt!
Germanischer Götterhimmel Natürlich ist das ein klein wenig überspitzt formuliert und übertrieben. Tacitus erwähnt be die wichtigsten germanischen Götter, nur nennt er sie in seiner römischen Interpretation Merkur, Herkules und Mars, jedoch ohne die germanischen Namen anzugeben. Denn sein Publikum dürfte dies im Gegensatz zu uns nicht interessiert haben, was zu einigen Interpretationsproblemen führen muss, auf die gleich kurz eingegangen werden soll. Er nennt zwar bestimmte (v. a. weibliche) Gottheiten bei ihren germanischen Namen, etwa Nerthus, Tamfana oder Baduhenna, und auch aus Inschriften von romanisierten Germanen und Legionären germanischer Abstammung kennen wir einige Götter (meist nur durch den Beinamen als germanisch ausgewiesen, etwa Hercules Magusanus, Mercurius Cimbrianus, auch die Matronen). Jedoch fehlen auffälligerweise gerade die Namen der Hauptgötter, die wir aufgrund der späteren nordischen Göttersagen eben erwarten würden, nämlich die Hauptgötter Wodan/Odin, Donar/Thor und Frîja/Frigg. Allerdings tauchen die wichtigsten Götternamen bereits in den germanischen Wochentagsbezeichnungen auf, die gemäß sprachwissenschaftlicher Befunde nach römischem Vorbild wohl ab dem dritten oder vierten Jahrhundert bei den Germanen eingeführt wurden.
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Der Tag des Blitze schleudernden Jupiter (lat. dies Iovi, ital. Jovedi, frz. jeudi) wird in der interpretatio Germanica zum Donnerstag (dem Tag des Donar) im südgermanischen Raum, zum Thorstag (engl. thursday) weiter nördlich. Analoges gilt für weitere Götter: Aus dem der Venus heiligen Tag (lat. dies Veneri, frz. vendredi) wird der Tag der Frîja (dt. Freitag, engl. friday, dän. fredag). Der lat. dies Mercurii (frz. mercredi) wird bei den Germanen zum Wodanstag (niederl. Woensdag, engl. wednesday, die sehr neutrale deutsche Form Mittwoch, der zumindest für die Verbannung des wichtigsten Germanengottes aus dem Wochenkalender sorgte). Daher kann man recht schlüssig annehmen, dass um diese Zeit, also im dritten und vierten Jahrhundert, bekannte Hauptgottheiten weite Verbreitung gefunden hatten1.
Schreibweisen und Lautungen Die Schreibweisen und Lautungen dieser wichtigsten germanischen Götter unterscheiden sich je nachdem, ob es sich um die Wortbildungen im südgermanischen oder nordgermanischen Sprachraum handelt. So weist der pfälzische Donnersberg bei Kirchheim-Bolanden sich als dem Donar heilig aus, während das Thorsberger Moor in Schleswig dem nordgermanischen Sprachraum zugehörte. Aufgrund dieser späten Zeugnisse wissen wir nicht wirklich, welchen Göttern die reichen Opfer, die im vorigen Kapitel beschrieben wurden, nun genau galten. Mehr noch: Die Befunde aus der vorrömischen Eisenzeit, wie auch die Bemerkungen bei Caesar (ca. 50 v. Chr.) und Tacitus (ca. 100 n. Chr.), lassen vermuten, dass die germanischen Völker in einer früheren Phase die göttlichen Mächte eher allgemein verehrten und ihnen nur geringe personale Ausgestaltungen zuordneten. So hat Caesar den Germanen ja generell abgesprochen, wie andere zivilisierte Völker personalisierte Gottheiten zu verehren (De bello gallico 6, 21), während Tacitus in der in Kap. 4 ausführlich zitierten Passage davon spricht, dass die Germanen in den heiligen Hainen ehrfurchtsvoll »mit den Namen der Götter jenes Geheimnisvolle anrufen, das sie in großer Verzückung betrachten« (Germ. 9, 6). So kann man folgern, dass die Germanen in der vorrömischen Eisenzeit und auch noch in der römischen Kaiserzeit zunächst an die Heiligkeit bestimmter Stätten und an die Kraft göttlicher Mächte glaubten, die erst im weiteren Verlauf der Entwicklung (vielleicht unter dem Einfluss ihrer keltischen und römischen Nachbarn?), spätestens aber im 3. Jahrhundert, personal stärker ausdifferenziert wurden.
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Abbilder der Götter In der Tat fehlen bis in die Völkerwanderungszeit weitgehend explizite bildliche Götterdarstellungen bei den Germanen, die germanische Frühzeit gilt geradezu als »bildfeindlich«2. Allerdings haben sich an einigen der Mooropferplätze anthropomorphe, also menschengestaltige Götterfiguren erhalten (Abb. 3). Diese sehr grob gestalteten, geradezu als abstrakte Bildnisse anzusprechenden anthropomorphen Holzfiguren, für die es in vielen außereuropäischen Kulturen Entsprechungen gibt, sind mit dem bekannten Götterpaar von Braak (in Schleswig Holstein, bei Eutin) seit der frühsten germanischen Zeit belegt (Abb. 3). In den Mooren fanden sich – aufgrund der Umweltbedingungen gut erhalten – durch Geschlechtsmerkmale eindeutig gekennzeichnete weibliche und männliche Idole, einzeln oder gemeinsam, wie im Falle des »Paares« von Braak3.
Abb. 3: Das Götterpaar von Braak
Man muss davon ausgehen, dass diese Pfahlgötter weiter verbreitet waren und – da aus vergänglichem Material – nur unter den besonderen Konservierungsbedingungen der Moore erhalten blieben. Es handelt sich bei allen bislang bekannten Exemplaren um recht grob zugehauene, stark stilisierte und schematisierte Holzpfähle, dickere Astgabeln oder aus dicken Brettern herausgearbeitete, simple Plastiken (Größe zwischen 30 cm und 4 m), wobei die Gesichtszüge nur aus-
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nahms- und andeutungsweise ausgefertigt sind. Diese Pfahlgötter waren nicht aufgrund mangelnder Fertigkeit ihrer Schöpfer so »primitiv« gestaltet, ihre oft durch die vorgegeben Naturform bestimmte stilisierte Ausfertigung folgt wohl, wie auch anhand der steinzeitlichen Kykladenidole von den griechischen Inseln oder jüngerer afrikanischer Kunst ersichtlich wird, religiösen Vorgaben und »Tabus«. Diese Holzidole lassen sich archäologisch nur bis in die römische Zeit nachweisen, jedoch berichten die Quellen von solchen »Pfahlgötzen« auch in Zusammenhang mit ihrer mutwilligen Zerstörung im Rahmen der Christianisierung. Den Heiden wurde seitens der Missionare regelmäßig ideolotria, also »Götzenverehrung« vorgeworfen. Der heilige Gallus soll angeblich die am Seeufer des Bodensees aufgestellten eisernen und vergoldeten imagines, die Kultstatuen der Alamannen, an einem Felsen zerschmettert und danach im Bodensee versenkt haben (Vita Galli auctore Wettino, 6–7, MGH SS rer. Merov. II, 260). Auch für die Wikingerzeit gibt es Belege. So hat der arabische Gesandte Ibn Fad. la-n in seiner Reisebeschreibung einen Bericht über Opferdarbringen an Pfahlgötter bei den Warägern im Gebiet der Rus’ an der Wolga. Dort ist die Rede von einem hohen Holzpfahl mit dem Gesicht eines Mannes, dem Opfer dargereicht werden, daneben standen auch kleinere Figuren; eine Beschreibung, bei der man sofort an die eisenzeitlichen Kultbilder aus den Mooren in Norddeutschland und Dänemark denken muss4. Leider haben sich keinerlei Quellenberichte darüber erhalten, welche religiösen Vorstellungen mit diesen Pfahlidolen verbunden waren. Vielmehr, als dass es sich bei diesen Holzbildnissen wohl um Stellvertreter höherer Wesen gehandelt haben dürfte, lässt sich kaum aussagen. Ob dahinter bereits die später bekannten Gottheiten zu vermuten sind, oder ob die Kultpfähle im Rahmen von Fruchtbarkeitskulten eine Rolle spielten, wie immer wieder vorgeschlagen wurde, bleibt reine Spekulation.
Göttertrias Auf dem Boden der Tatsachen bleibend, wenden wir uns erneut Tacitus zu. Seine Göttertrias Merkur, Herkules und Mars, die ihm als die wichtigsten Götter der Germanen gelten, lässt sich – mit geringen Vorbehalten – wieder ins Germanische »rückübersetzen«5. Hinter dem obersten Gott, dem germanischen Merkur, vermutet man berechtigterweise Wodan, wobei das römische Äquivalent nur eine begrenzte Anzahl an charakteristischen Gemeinsamkeiten mit Wodan/Odin aufweist (der Seelenführer, der Wanderer, der Heiler, Gott der Kommunikation und Dichtung). Caesar hatte für die Gallier ebenfalls den Merkur, als höchsten Gott erwähnt (deorum maxime Mercurium colunt, De bello gallico, 6, 17). Möglicherweise hat Tacitus den römischen Namen des gallischen
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Hauptgottes einfach auf das germanische Pendant übertragen (er zitiert in Germ. 9 Caesar wörtlich). In der gallo-germanischen Kontaktzone am Rhein konnten die Römer einen als Merkur romanisierten gallischen Gott auf den ihnen später begegnenden Hauptgott der Germanen übertragen haben. In späterer Zeit war die Identifikation von Wodan und Merkur jedoch allgegenwärtig und gewissermaßen »kanonisch«6. Einfacher ist die Zuordnung des keulentragenden Herkules an den ebenfalls keulenbewehrten Donar (der nordische Thor erhält seinen Hammer Mjölnir erst etwas später, im südgermanischen Raum bleibt die Donnerkeule Donars einschlägig)7. Auch die in der Mythologie für beide Gestalten, Herkules wie Thor, überlieferte notorische Kraftmeierei lässt diese Identifikation aus römischer Sicht als naheliegend erscheinen. Störend erscheint dabei nur, dass der Donnergott im germanisierten Wochenkalender den Platz des Göttervaters Jupiter einnimmt, also des höchsten römischen Gottes, während er zumindest in späterer Zeit sicher dem Wodan/Odin untergeordnet war, möglicherweise war es die verbindende Eigenschaft des Blitzeschleuderns, die dem Donar/Thor den prestigeträchtigen Platz in der Woche sicherte. Etwas schwieriger wird die Zuordnung des dritten im Bunde. Mars, der Kriegsgott der Römer, steht hier nach herrschender Auffassung für den altnordischen Gott Týr (westgerm. Tiu, urgermanisch *Tíwas, erhalten in engl. tuesday, altnord. týsdagr), der in späterer Zeit keinen hohen Rang mehr inne hatte und auch kaum als echter Kriegsgott gelten kann (er gilt in der Edda als Beschützer der Versammlungen, des Thing). Vielmehr gehört er etymologisch zum indogermanischen Himmelsgott, verwandt mit dem griechischen Zeus (gen. Dios), dem alten Begriff für Jupiter, Diespiter (Himmelsvater), und dem lateinischen Begriff für Gottheit überhaupt, deus. Möglicherweise muss man einen Bedeutungsverlust für den einstmals wichtigeren *Tíwaz/Týr nach der Eisenzeit annehmen, aber dies ist alles andere als sicher zu bestimmen. Es ist auch durchaus möglich, dass alle gelehrte Gedankenakrobatik von Generationen von Germanisten und Altertumswissenschaftlern umsonst waren und sich hinter den von Tacitus in römischer Interpretation wiedergegebenen Trias heute nicht mehr bekannte Götter verbergen. Auffällig ist jedenfalls die Dreizahl, mit der Tacitus die germanischen Hauptgötter als zusammengehörige Triade einführt. Möglicherweise hat er hier eine typische Struktur der germanischen Götterwelt erkannt. Er selbst verweist an anderer Stelle auf einen germanischen Herkunftsmythos, der drei Urväter der germanischen Stämme nennt (Germ. 2, dazu mehr im Kap. 6 zur Mythologie). Außerdem sind die Matronen im Rheinland (siehe Kap. 10.1) regelmäßig in augenfälliger Weise zu dritt dargestellt8. Die von Tacitus angegebene Triade von Merkur, Herkules, und Mars taucht auch in einer Reihe von kaiserzeitlichen Inschriften auf, sowie in einer bildlichen Darstellung auf einem Relief9. Dass die Götter der indogermanischen Völker oft in Triaden gegliedert in der Überlieferung auftauchen, hat ausführlich Georges Dumézil beschrieben10.
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Göttliches Brüderpaar Aber auch ein göttliches Brüderpaar beschreibt Tacitus beiläufig. Demnach hätten die zum ostgermanischen Großstamm der Lugier (wohl im Gebiet von Schlesien zu vermuten) gehörenden Nahanarvaler ein den Dioskuren Castor und Pollux vergleichbares göttliches Paar verehrt (Germ. 43): »Bei den Nahanarvalern zeigt man einen Hain, eine uralte Kultstätte. Vorsteher ist ein Priester in Frauentracht. Die Gottheiten, so wird berichtet, könnte man nach römischer Auslegung Kastor und Pollux nennen. Ihnen entsprechen sie in ihrem Wesen: sie heißen Alken. Es gibt keine Bildnisse, keine Spur weist auf einen fremden Ursprung des Kultes, gleichwohl verehrt man sie als Brüder, als Jünglinge«11. Erneut verweist Tacitus auch in dieser Passage auf die Bildlosigkeit der germanischen Religionen und auf die für Römer ungewöhnliche Götterverehrung in heiligen Hainen. Das göttliche Brüderpaar wird meist – tatsächlich im Zusammenhang mit den von Tacitus erwähnten griechisch-römischen Dioskuren, den Söhnen des Zeus – als Überbleibsel einer nur unzureichend rekonstruierbaren indogermanischen Religion betrachtet12. In der Tat gibt es aber eine Reihe von Gemeinsamkeiten in den später fassbaren Religionen der Angehörigen der indogermanischen Sprachgruppe (etwa der gemeinsame Himmelsgott), die eine solche Annahme stützen. So tauchen in vielen Mythen indogermanischer Völker die göttlichen Brüder auf. Am bekanntesten sind neben Romulus und Remus sicherlich die unzertrennlichen Söhne des Zeus, der eine unsterblich, der andere jedoch sterblich. Nach dem Tod seines geliebten Bruders erhält der unsterbliche Polydeukes (lat. Pollux) die Erlaubnis seines Vaters Zeus (Jupiter), jeweils abwechselnd einen Tag bei seinem Bruder in der Unterwelt und einen Tag zusammen mit dem Bruder bei den Göttern im Olymp zu leben. Im Kult werden sie gemeinsam mit Pferden verehrt (und oft auch dargestellt) und galten den Griechen als Schutzpatrone der Reiter. Gerade deswegen sind auch die Bezüge zur Überlieferung bei den Germanen auffällig. Neben den sonst nicht bekannten Alken (Alcis bei Tacitus, der Name könnte etymologisch zum urgermanischen Wort für Elch gehören), haben viele germanische Stämme der Völkerwanderungszeit in ihren im frühen Mittelalter aufgeschriebenen Stammesgeschichten und Herkunftssagen ein göttliches Brüderpaar als Stammväter. Die bekanntesten dürften die Urväter der nach England ausgewanderten Angeln sein, Hengist und Horsa (Hengst und Ross), die ihre Nähe zu einem möglichen »dioskurischen« Pferdekult bereits im Namen tragen. Für die Langobarden und die Vandalen sind ebenfalls göttliche Brüderpaare als Stammväter bekannt13.
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Weitere Götter, die in einer recht frühen Periode während der römischen Kaiserzeit von Germanen verehrt wurden, finden wir neben vereinzelten Namensnennungen bei Tacitus vor allem in den Inschriften im Imperium Romanum, besonders in den germanischen Provinzen (Germania superior und inferior), jedoch fehlen uns meist Zusatzinformationen über den zugehörigen Kult und die Eigenschaften der Gottheit. So kennen wir den schon genannten Hercules Magusanus (der mächtige Herkules, CIL XIII, 8010 viele weitere Belege), der bei den niedergermanischen Batavern in Ansehen stand, den Mercurius Cimbrianus (der Merkur, der Kimbern, CIL XIII, 6604, 6605)14 und eine ganze Reihe von weiblichen Gottheiten, deren Namen nicht im Rahmen einer römischen Interpretation übersetzt wurden, wie: Vagdavercistis, Tamfana, Nehalennia, Hurstrga, Baduhenna oder Hludana. Auf diese Damen wird im Kapitel über die weiblichen Gottheiten zurückzukommen sein (Kap. 10). Diese Vielzahl von Gottheiten, über die wir praktisch nichts außer ihren Namen wissen, verweist erneut auf die Vielfalt und regionale Aufgliederung der germanischen Religionen, die sich keineswegs in der Verehrung der durch die nordische Mythologie bekannten Gottheiten erschöpft. Die Hauptgottheiten, die mit den Wochennamen und (mit Vorbehalten) aus Tacitus Triade der wichtigsten Götter, bereits in der Römerzeit für uns Konturen gewinnen, erhalten ihr mythologisches Profil erst in viel späterer Zeit. Wie die »Wodansreligion« sich ausbreitete und sich zu einem von Verwandtschaftsbeziehungen, Feindschaften und Kriegen geprägten Götterhimmel ausbildete, ist nicht einfach nachzuvollziehen15. Diese Verbreitung setzt jedenfalls einigermaßen stabile »staatliche« Strukturen voraus. Überregional verbreitete Aspekte von Religion können für die Frühzeit aufgrund der erst später ausgebildeten, strafferen Stammeskulturen kaum angenommen werden. Erst die mittelalterlichen isländischen Handschriften liefern uns Schlüssel zu diesem Symbolsystem der nordischen Götterwelt, die im folgenden Kapitel zur Mythologie erneut zur Sprache kommen wird.
Germanische Religion Das alles führt zu einem folgenreichen, bereits am Anfang angedeuteten Schluss: Wir müssen erkennen, dass es eine einheitliche »germanische Religion« nur in unserem akademischen Schubladendenken gibt (auch dieses Büchlein leistet mit seinen Kategorisierungen seinen Beitrag dazu). Die Goten kannten offenbar keinen Wodan/Odin, sie begruben ihre Toten ohne Waffen (ganz im Gegensatz zu den anderen Germanenstämmen, dazu Kap. 8), ihr Hauptgott war nach Aussage des Jordanes Gaut, auf den sich das Königsgeschlecht der gotischen Amaler, dessen berühmtester Abkomme Theoderich der Große ist, auch als Stammvater berief (Getica 14, 79–82). Die Donaugoten verehrten als
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obersten Gott den Kriegsgott, wahrscheinlich Tius (zu Týr, siehe oben) . Dennoch sind sie einer der bedeutendsten und geschichtsmächtigsten Stämme »der Germanen«. Für die Interpretation der sehr unterschiedlichen Sachverhalte, der Differenzen in der Überlieferung, sowie der bedeutenden Unterschiede zwischen der eisenzeitlichen Frühphase der »germanischen Religion« und der aus nordischen Texten bekannten Spätzeit ist das natürlich unerfreulich. Methodisch gesehen sind Versuche, diese Differenzen auszubügeln, äußerst schwierig und kaum wirklich abzusichern. So ist einerseits aus der Religionswissenschaft bekannt, dass religiöse und kultische Traditionen »konservativ« sind, also über lange Zeit bewahrt und gepflegt werden, bisweilen noch in neuzeitlichem Brauchtum fortleben. Andererseits gilt dies für nichtkodifizierte Religionen, die hauptsächlich mündlich tradiert werden, nur in sehr beschränktem Maße und hängt auch von der Homogenität der einer solchen religiösen Tradition zugehörigen Gruppe ab. Angesichts der geographischen Verbreitung germanischer Gruppen (besonders in der Völkerwanderungszeit) von der Nordküste des Schwarzen Meeres bis nach Nordafrika wird man eine solche Homogenität nicht erwarten dürfen, sondern vielmehr die immer weiter sich ausdifferenzierende Weiterentwicklung von eventuell ehemals gemeinsamen Traditionen annehmen müssen. Und zu guter Letzt hat die neuere historische Forschung herausgefunden, dass viele »alte« Traditionen in Europa Erfindungen der von nationalen Ideen getriebenen Neuzeit gewesen sind und eine anciennité nur vortäuschen17. Gerade wegen dieser Schwierigkeiten, unsere Kenntnisse methodisch abzusichern, gibt es allerhand Meinungen zu den unterschiedlichsten Germanenproblemen unter den Gelehrten, darüber hinaus finden sich im Internet und in esoterischen Verlagen – ungestraft – geradezu abenteuerliche Spekulationen über diesen Bereich. Besonders sensibel ist das weite Feld der nordischen Mythologie, das im folgenden Kapitel angegangen wird.
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»Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser. Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht. Und Gott sah, dass das Licht gut war.« So beginnt ein bekannter Schöpfungsmythos. Es handelt sich natürlich um den Beginn des Alten Testaments, das 1. Buch Mose. Alle Kulturen und alle Völker haben Mythen. Mythen sind in gewisser Weise die Schnittstelle zwischen Religion und Geschichte. Aus dem Bedürfnis heraus, die Erscheinungen der Welt in ein Ordnungssystem zu bringen, und der Welt so eine sinnvolle Struktur zu geben, haben Menschen sich zu allen Zeiten und überall auf der Welt strukturierende Geschichten ausgedacht, um ihr Dasein auf der Welt in ein zeitliches und räumliches Gefüge einzuordnen, also die Gegenwart in der Vergangenheit zu begründen. Dabei sind diese Geschichten meist als Schöpfungsmythen und als Geschichten über höhere Wesen (Götter bzw. andere übermenschliche Wesen) und ihre Beziehungen untereinander und zu den Menschen anzusprechen. Die verbreitete Vorstellung, dass Mythen in erster Linie »primitiven« oder vormodernen Gesellschaften zuzuordnen sind, kann mit dem Verweis auf das Genesiszitat am Anfang relativiert werden, aber auch mit der Feststellung, dass die moderne, wissenschaftlich begründete Weltsicht, die auf Modellen der Astrophysik (Urknalltheorie) und dem Evolutionsmodell nach Darwin basiert, dem selben Bedürfnis entspringt, aus dem heraus die Griechen die Entstehung der Ordnung und der Götterwelt aus dem Chaos beschrieben: Der Mensch braucht strukturierende Ordnungsprinzipien für seine Umwelt, das Chaos muss gebändigt werden (in den Mythen der meisten Völker gibt es eine Vorstellung vom ursprünglichen »Nichts«, oder vom unvorstellbaren »Chaos«). Die Welt wird durch diese Erzählungen – in denen meist göttliche Mächte agieren –, um es wieder mit der Bibel zu sagen, »nach Maß, Zahl und Gewicht« geordnet (Buch der Weisheit, 11, 20). Am besten dürften in unseren Breiten neben der biblischen Schöpfungsgeschichte sicherlich die Mythen der alten Griechen bekannt sein, gehörte das klassische Altertum und seine bekannten Sagen (etwa durch die nacherzählende
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Sammlung von Gustav Schwab) doch bis vor kurzem zum allgemeinen Bildungsgut. Aber bereits für die griechischen Mythen von der Entstehung der Welt und von den olympischen Göttern verwirren denjenigen, der sich genauer mit ihnen befassen möchte, durch ihre vielfältigen narrativen Alternativen. So gibt es unterschiedliche, teilweise stark voneinander abweichende Varianten mythischer Geschichten. Wenn diese unterschiedlichen und teils gleichberechtigten Mythenvarianten bei einem Volk zu beobachten sind, das – wiewohl in getrennten »Kleinstaaten« politisch organisiert und untereinander oft verfeindet – sich selbst als kulturell zusammengehörig begriff und ausgiebig die Schrift als vereinheitlichendes »Archivmedium« nutzte (etwa die Festschreibung der zuvor mündlich überlieferten Ilias und Odyssee bereits im 8. Jahrhundert v. Chr.), was müssen wir dann für die Germanen, die ihre Traditionen weitgehend schriftlos weiter gaben, erwarten? Wohl das, was in vielen Schöpfungsmythen als Ursprung der Welt gedacht ist: das totale Chaos. Über die »germanische Mythologie« im eigentlichen Sinne gibt es außer Tacitus und einigen Herkunftssagen (origo gentis) germanischer Völker der Wanderungszeit (etwa Goten, Langobarden, Angelsachsen und Franken), Ursprungslegenden, die oftmals auch auf göttliche Vorfahren zurückgehende Genealogien enthalten, keine belastbaren Informationen.
Altnordische Überlieferung Die altnordische Überlieferung bietet einerseits eine Vielzahl mythischer Geschichten und eine ausführliche Schöpfungssage (etwa die zur Lieder-Edda gehörige Völuspá), andererseits bietet sie auch eine Vielzahl von Problemen. Es fängt damit an, dass die altnordische Überlieferung eigentlich nur nordisch aber nicht wirklich alt ist1. Die für die Mythologie und die Religionsgeschichte wichtigen Texte wurden allesamt erst im 12. und 13. Jahrhundert (oder später) gesammelt und niedergeschrieben. Diese Sammlungen, deren wichtigste die Snorra-Edda und die sogenannte Lieder-Edda sind2, enthalten teilweise älteres, noch als heidnisch geltendes Überlieferungsgut. Es handelt sich dabei vor allem um die sogenannte Skaldendichtung, Lobpreisdichtung auf Wikingerfürsten in Skandinavien, verfasst von isländischen und norwegischen Dichtern, die als Skalden (Dichter) bezeichnet wurden (ihre Werke datieren etwa in die Zeit von 800 bis 1000, manche lassen sich aufgrund der Widmung an historische Persönlichkeiten recht gut datieren, davon die meisten ins 10. Jahrhundert). Ihre Gedichte, die rund 200 Jahre in einem christlichen Umfeld tradiert wurden, werden bei Snorri immer wieder zitiert und bereits von den mittelalterlichen Kompilatoren als aufgrund ihres Alters wertvolle Quellen geschätzt. Jedoch ist auch hinsichtlich dieser älteren, noch aus heidnischer Zeit stammenden Texte höchste quellenkritische Vorsicht geboten3. Snorri Sturluson charakterisiert im
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Vorwort zu seinem Geschichtswerk über die norwegischen Könige, der Heimskringla, überaus zutreffend den Quellenwert der Skaldendichtung, und ihm ist auch aus moderner quellenkritischer Sicht nichts hinzuzufügen: »Obwohl wir nun nicht genau wissen, was Wahres daran ist [an der Skaldendichtung], so wissen wir doch sicher, dass kundige Männer aus alter Zeit diese Überlieferung für wahr gehalten haben«4. Also: Genaues weiß man nicht, aber weil frühere Generationen der Überlieferung gefolgt sind, stellt sich Snorri in diese Tradition – entsprechend vorsichtig müssen wir heute urteilen.
Altnordisch und germanisch? Eine weitere wichtige Frage hinsichtlich der nordischen Mythentradition ist, mit welchem Recht wir sie als »germanisch« bezeichnen dürfen. Was ist noch »germanisch« an den Wikingern oder den Bewohnern des bis ins Jahr 1000 heidnischen Island (wenngleich mit viel früher einsetzendem christlichem Einfluss auf Island zu rechnen ist)? In lateinischen Inschriften der römischen Kaiserzeit und der Spätantike finden sich vielfach Selbstbezeichnungen von römischen Soldaten oder anderen Reichsbewohnern germanischer Herkunft als Germanen. Auch gibt es häufig den Namen (oder Beinamen) Germanus, oft weisen Inschriften Individuen auch als Angehörige eines der völkerwanderungszeitlichen Großstämme aus. Zwei Beispiele sollen hier genügen: Die Grabinschrift eines Gladiators namens Ingenuus aus Spanien, weist diesen als von »germanischer Herkunft« aus (natione Germanus). Stolz verkündet ein namentlich unbekannter Franke auf einer Inschrift aus der Nähe von Budapest: »Ich bin Franke als Landsmann und als römischer Soldat stehe ich unter Waffen«5. Von den Nordmännern oder Wikingern fehlen derartige Bekenntnisse zum »Germanentum« völlig. Sind es außer sprachlichen Gemeinsamkeiten, die im Sinne einer gemeinsamen Kultur nur bedingt aussagekräftig sind, auch solche der gemeinsamen religiösen Tradition, die etwa die Semnonen des Tacitus mit den Mannen des Schwedenkönigs Erik Blutaxt († 954) als »Germanen« verbinden? Dem stimmt man unter Experten weitgehend zu und bezeichnet Wikinger, Norweger und alte Schweden, die ihr Heidentum bis ins 12. Jahrhundert bewahrten, als »Nordgermanen«. Zwar bekennen sich jüngere Arbeiten zur Quellenkritik und nehmen die altnordische Literatur unter die Lupe, um glaubwürdige »echt« heidnische Partien von späteren literarischen Ausgestaltungen und künstlerischen Zusätzen zu trennen, betonen aber generell die Relevanz der dominierenden isländischen Literatur für die Rekonstruktion der »germanischen Religion«. Begriffe wie »nordgermanisch« oder »spätgermanisch« werden regelmäßig und selbstverständlich als Attribute der mittelalterlichen Skandinavier verwendet. Sprachwissenschaftlich ist dagegen auch nichts einzuwenden. Hin-
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sichtlich der Zugehörigkeit der Skandinavier zu »den Germanen«, wie sie erstmals Caesar und dann ausführlicher Tacitus beschreibt, sind jedoch berechtigte Zweifel angebracht. Natürlich begegnen uns in der »klassischen« nordischen Mythologie Göttergestalten, die wir namentlich aus einer früheren Zeitstufe kennen (etwa von den »germanisierten« Wochentagen, 3.–4. Jahrhundert) und die historische Sprachwissenschaft, wie auch zuletzt die Erforschung der Bildchiffren auf den Goldbrakteaten (siehe hierzu in diesem Kapitel weiter unten), kann auch einige Verbindungen in die Frühzeit plausibel machen. Die nur durch literarische bzw. historiographische Texte gewährleisteten Sinnverbindungen, durch die allein größere narrative Zusammenhänge hergestellt werden können. Sie stammen aus »Quellen«, die unter ganz anderen Rahmenbedingungen entstanden (»Abwehrkampf« der letzten europäischen Heiden gegen das Christentum), als wir etwa für die Gegebenheiten während der römischen und nachrömischen Eisenzeit annehmen müssen, und darüber hinaus mindestens 500 Jahre später datieren. Vor diesem Hintergrund muss der von Wilhelm Grimm geprägte und noch heute bisweilen verwendete Begriff »germanische Mythologie« kritisch hinterfragt werden: »Der Begriff nordische Mythologie ist der zutreffendere, denn wir wissen nicht, wie weit die Überlieferung der Edda zurückreicht und ob die auf dem europäischen Festland lebenden Südgermanen der Völkerwanderungszeit wirklich dieselben Göttergeschichten kannten wie die Isländer«6. Die nordische Mythologie hat unbestreitbar ihren ganz speziellen Reiz und steht in ihrem eigenen Recht; als Quelle für die Religion der Semnonen, Cherusker und Chatten (Germanenstämme aus den römischen Quellen des 1. Jahrhunderts) oder der Franken und Alamannen sind die mythologischen Geschichten des Nordens jedoch genauso wenig zu gebrauchen wie unsere Kenntnisse moderner haitianischer Voodoo-Praktiken für die Rekonstruktion der westafrikanischen Religion der Yoruba des 17. Jahrhunderts, auf welche Voodoo eigentlich zurückzuführen ist7.
Nordische Mythologie Für die Auswertung als religionswissenschaftliche Quellen bieten die nordischen Mythen indes noch weitere Schwierigkeiten. Von einer ausgebildeten »Mythologie« zu sprechen, wie es diverse Handbücher bis heute in ihren Titeln tun, ist eigentlich nicht statthaft. Diese einzelnen Mythen entbehren jeder für eine »Mythologie« nötigen Systematik. Gerade Snorris Kompilation zeigt das deutlich, ist er doch gerade darum bemüht, in die wirren und bisweilen disparaten Überlieferungsstränge, die ihm selbst widersprüchlich erschienen, mittels
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harmonisierender Eingriffe in eine gewisse Ordnung zu bringen. Die Widersprüchlichkeit der mythischen Geschichten aus der Edda und den Skaldenliedern, etwa die Schwierigkeiten ein kohärentes Raummodell aus den Schöpfungssagen herauszudestillieren, verdankt sich in erster Linie der mündlichen Überlieferung dieser Geschichten. Mündliche Überlieferung zeichnet sich ja gerade durch die Tendenz aus, Widersprüche eben nicht zu bereinigen und sich nicht um ein konsistentes Ganzes zu bemühen, wie es für Schriftkulturen üblich ist8. Wenn hier dennoch ein ganz kurzer Einblick in die nordischen Mythen gegeben wird (anderswo kann man dieses überaus spannende Themenfeld umfassender verfolgen9), dann geschieht das aus Gründen der Tradition und um der Ästhetik dieser eigenständigen Literatur willen, die in den letzten beiden Jahrhunderten, von »Germanomanen« als zweifelhaftes Beweismaterial missbraucht, zu mehr herhalten musste, als sie leisten konnte.
Ältere Quellen Auf etwas sichererem Boden stehen wir bei den älteren Quellen. Tacitus – und mit ihm will ich auch hier wieder beginnen – liefert uns den ersten germanischen Schöpfungs- und Herkunftsmythos, mit dem wir den kurzen Überblick über die Mythologie beginnen wollen: Gleich zu Beginn seines Buchs über die Germanen kommt er auf die Frage ihrer Herkunft zu sprechen (Germ. 2): »Sie feiern in alten Liedern – was bei jenen die einzige Art von geschichtlichen Überlieferungen ist – Tuisto, den aus der Erde geborenen Gott. Ihm schreiben sie einen Sohn Mannus, als den Ursprung und Gründer ihres Volkes, dem Mannus sodann drei Söhne zu, nach deren Namen sich die dem Ozean nächsten Ingävonen, die mittleren Herminonen und die Übrigen Istävonen heißen sollen. Manche Gewährsleute behaupten, wie es aufgrund der weit zurückliegenden Epoche möglich erscheint, von dem Gott entstammten mehr Söhne und es gebe mehr Benennungen der Völkerschaften, nämlich Marser, Gambrivier, Sueben und Vandilier und daher seien das echte und alte Namen«10. Die carmina antiqua, mit denen gemäß den Informanten des römischen Etnographen die Germanen ihre göttliche Herkunft erinnerten – Tacitus vermerkt abwertend, dass dies die einzige Form der memoria bei den Germanen sei, die »echte«, also schriftliche Überlieferung nicht kennen –, verweisen auf den kultischen Hintergrund (Gesang, Kultlieder) der Sage vom Anfang von Kosmos und Gesellschaft. Möglicherweise dienten die »alten Lieder« der Festigung eines mündlich tradierten kulturellen Gedächtnisses über Ursprung und Herkunft. Vor allem Namen und Sachen, die als isolierte Informationen bei Taci-
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tus auftauchen, so etwa auch dieser Ursprungsmythos der Germanen, sind kaum deformierenden Intentionen des Autors unterworfen und so höchstwahrscheinlich authentisch11. Dies legen auch die »sprechenden« Namen der erwähnten Gottheiten nahe. Tuisto ist etymologisch auf die Wurzel germ. twizurückzuführen, die auf die Zweizahl verweist. Wir haben sie in Worten wie »Zwist« (wenn zwei sich streiten) oder »Zwitter« – dies ist wohl eine passende Übersetzung für Tuisto – noch enthalten. Dieses Doppelwesen, ein zweigeschlechtlicher Gott, der aus sich selbst heraus einen Nachkommen gebiert, wird als erdgeboren vorgestellt (terra editum). Dadurch verweist er auf ein häufig in Herkunftsmythen von Völkern vorkommendes Motiv: die Vorstellung von Autochtonie, der Verbindung der eigenen Gruppe mit dem von ihr (derzeit) bewohnten Land, das sie angeblich hervorbrachte. Der Sohn des Tuisto wiederum heißt Mannus; auch hier hat Tacitus germanischen Sprachbestand überliefert. Althochdeutsch man und engl. man (engl. wo-man bedeutet eigentlich »weiblicher Mensch«) wie auch unser unbestimmtes Fürwort »man« enthalten noch die ursprüngliche geschlechtsneutrale und übergreifende Bedeutung für »Mensch«. Man hat von indogermanistischer Seite zurecht auf den indischen Mánus verwiesen, den »Stammvater der Menschen«12. Mannus, der bei Tacitus (der ja kein studierter Indogermanist war) im Gegensatz zur Wortbedeutung als waschechter Gott vorgestellt wird, ist also der Begründer des Menschengeschlechts, das seinerseits göttlichen Ursprungs ist. Seine drei Nachkommen wiederum, so hat man aus den überlieferten Stammesnamen zu rekonstruieren versucht, könnten *Yng, *Ermin (oder *Irmin) und *Istvi geheißen haben13. Aber die Rekonstruktion ist ungewiss, eigentlich lassen sich sicher nur die Dreigliedrigkeit des Schemas und die etymologisch durchsichtige Identifizierung der germanischen Bezeichnungen festhalten. Über Sinn und Bedeutung der Namen, ob die Mannussöhne ethnisch gedachte Stammesgruppen bezeichnen oder stammesübergreifende Kultvereine repräsentieren (die es, wie wir aus anderen Passagen bei Tacitus wissen, durchaus gegeben hat), lässt sich nichts Gesichertes sagen. Leider hat sich Tacitus für die Söhne des Mannus viel weniger interessiert, »als ihre fernen deutschen Urenkel«14, welche im 19. Jahrhundert beeinflusst vom romantischen Volksgedanken die beiläufig aufgeschnappten Informationen des Römers zum Kernkapitel der Germania stilisierten; wahrscheinlich hat der Römer die Liste existierender germanischer Ursprungsgeschichten drastisch reduziert15. Zudem könnte es sich bei den aus den Namen der Mannussöhne abgeleiteten Stammesbezeichnungen bereits in den Tagen des Tacitus um eine altmodische, nur noch kultisch relevante Einteilung handeln. Dies zwingt uns heute dazu, die Begrenztheit unseres Wissens über die Herkunftsmythen der germanischen Frühzeit zu akzeptieren und es bei den wenigen sicheren Rückschlüssen bewenden zu lassen.
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Nordische Mythologie Die nordische Mythologie der isländischen Überlieferung hat ihrerseits auch Schöpfungsmythen und Herkunftssagen entwickelt. Eine gelehrte Zusammenführung verschiedener mündlicher Traditionen mit der Sagenwelt des klassischen Altertums findet sich im Prolog zur Snorra-Edda. So leitet Snorri Sturluson die Herkunft der nordischen Götter (der Asen) aus Troja her. Odin, der Nachkomme der Trojaner, habe sich von der Türkei aus (lat. Asia) mit seiner Schar aufgemacht, um über die Länder der Sachsen und der Franken (letztere leiteten im Mittelalter ja ebenfalls ihre Herkunft von den Trojanern ab) und über Dänemark und Schweden in den Norden zu gelangen, um die dortigen Königsdynastien zu installieren. Über eine simple volksetymologische Verbindung erklärt sich für Gelehrte des Mittelalters auch der Namen der Asen, die eben aus Asia stammen mussten. Was nun die Schöpfung der Welt angeht, enthält die Lieder-Edda das wichtige Gedicht Völuspá, mit dem die Dichtung anhebt. Die Völuspá, übersetzt etwa »die Vision der Seherin«, ist das bedeutendste der mythologischen Edda-Lieder. Der Bericht von Schöpfung und Untergang der Welt in der »Götterdämmerung« (Ragnarök) wird als Weissagung einer Seherin (Völva) in den Mund gelegt16. Eigentlich ist dieses mythologische Lied das einzige der Edda, das einen einigermaßen zusammenhängenden Ablauf mythologischen Geschehens bietet, ganz im Gegensatz zu den übrigen Edda-Liedern, die meistens nur Episoden und einzelne Göttergeschichten bieten. Erweitert und geglättet wird dieser etwas enigmatische Bericht durch Snorris aus mehreren Quellen (auch aus der Völuspá) schöpfendem Ursprungsmythos in der Gylfaginning (Kap. 3–9). Ähnlich wie in anderen Schöpfungsmythen steht auch am Beginn dieser nordischen Variante noch vor der Entstehung der Welt und der Götter die absolute Leere, das Nichts (Ginnungagap, etwa: »gähnende Schlucht« oder – nach de Vries – »mit magischen Kräften erfüllter Urraum«). Die Völuspá wie auch die (eigentlich christlichen) althochdeutschen Dichtungen Heliand (der Heiland) und das sogenannte Wessobrunner Gebet (ein althochdeutsches Schöpfungsgedicht) beschreiben den Urzustand mit den gleichen Worten: Es gab weder Erde noch Himmel17. Die Betonung des »Nichtseins« entspricht den indogermanischen Vorstellungen von Chaos und Leere. Die Erde und die Menschen werden später von den Söhnen Burrs geschaffen, einem göttlichen Urvater, von dem aufgrund anderer mythologischer Quellen nicht ganz klar ist, ob Odin sein Sohn oder Enkel war. Odin und seine Brüder töten zunächst das aus einer Inintialzündung zwischen dem kalten Frost aus dem nördlichen Niflheim und einem Feuerfunken aus dem südlichen Muspellsheim in der Ginnungagap entstandene zweigeschlechtliche Urwesen Ymir. Dieser Ymir hatte seinerseits zuvor aus sich selbst heraus das Riesengeschlecht geboren. Aus dem Kadaver Ymirs formen Odin und seine Brüder nun die Welt: Aus seinem Fleisch wurde die Erde, aus dem
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Blut entstand das Meer, aus seinen Knochen die Berge, aus seinem Haar die Pflanzen, aus seinem Schädel das Himmelszelt, aus seinen Augenbrauen Midgard, die Welt der Menschen, und aus seinem Gehirn die Wolken (die beiden letzteren Kategorien sind möglicherweise spätere Zusätze). Nach der Schaffung der bewohnten Welt, Midgard, erschaffen die Götter zunächst die Zwerge (die Völuspá hat einen Zwergenkatalog aus dem sich J. R. R. Tolkien ausgiebig für die Benennung seiner Zwergenfiguren im »kleinen Hobbit« bedient hat), dann die Menschen. Das erste Menschenpaar, Ask und Embla, wird von den drei göttlichen Brüdern Odin, Vili und Vé (so Snorri, die Völuspá nennt neben Odin die Götter Hönir und Lodur) aus dem Holz zweier Baumstämme geschaffen18. Eine ähnliche Konstellation gilt für den Herkunftsmythos der germanischen Stämme (die drei Söhne des Mannus, s. o.), wie ihn die Gewährsleute des Tacitus überlieferten. Diese genealogische Struktur, nach der ein Urwesen einen Sohn »hervorbringt«, der seinerseits drei Söhne zeugt, geht offenbar auf eine sehr alte Vorstellung zurück19. Generell spielt die göttliche Dreizahl, wie bereits erwähnt, bei den germanischen Stämmen offenbar eine bedeutende Rolle. Tacitus erwähnt als wichtigste Götter der Germanen die Trias Merkur, Hercules und Mars (s. o. Kap. 5, also Wodan, Donar und Tyr), Adam von Bremen berichtet von den Götterbildern der drei höchsten Heidengötter in Uppsala: Thor, Odin und Freyr. Auch die rheinländischen Matronen (Kap. 10) treten immer zu dritt auf. Und noch das altsächsische Taufgelöbnis (aus dem 8. Jahrhundert) verlangt vom Täufling, einer unheiligen Trias von Donar, Wodan und Saxnot (dem Genossen der Sachsen) abzuschwören. Dieser Sachverhalt hat zu der berechtigten Annahme geführt, dass Göttertriaden ein festes Element der germanischen Religion sein müssen, ja wie George Dumézil anhand von iranischen und indischen Beispielen geltend machen konnte, offenbar zum indogermanischen Erbe gehören20. Mit der geschilderten Abfolge der Ereignisse ordnet sich auch die Völuspá mit den Ergänzungen Snorris in die Reihe typischer (nicht nur) indogermanischer Schöpfungsmythen ein (so hatte auch Noah drei Söhne, Sem, Ham und Japhet, die Stammväter der »neuen« Menschheit nach der Sintflut). Zusammen mit anderen Überlieferungssträngen und mit Hilfe von Snorris Versuchen, die disparaten Geschichten zu ordnen, ergibt sich etwa folgende Aufteilung der Welt nach der Schöpfung21: Die mythische Welt des Nordens lässt sich kaum in ein konsistentes und logisches Raummodell integrieren. Die Welt der Menschen, die einzig sichtbare, ist Midgard (etwa: »der Hof der Mitte«22), eine kreisförmig gedachte Landmasse, die von einem Ozean umgeben ist und das von der Geographie des Nordens geprägte Weltbild der Schöpfer dieser Mythen widerspiegelt. Diesen Ozean wiederum begrenzt die Midgardschlange, ein Fabelwesen, das sich selbst in den Schwanz beißend wie ein Ring um die Welt liegt und diese dadurch begrenzt.
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Getrennt von der Welt der Menschen, in der Nähe von Midgard aber letztlich räumlich unbestimmbar, ist die Sphäre der Götter (der Himmel als Wohnort der Götter ist eine spätere Vorstellung). Die Asen residieren in Asgard, einer mächtigen Festung (zu der aber auch weitere Siedlungsbereiche und die Wiese Idavöllr/Idafeld gehören), deren Lokalisierung und Relation zu Midgard problematisch ist. Snorris pseudogeographische Überlegungen (er verortet die Götterwelt östlich des Don/Tanais) sind ein später Versuch, die mythische Überlieferung einem neuen Denken anzupassen, dem geographische Deutungsmuster wichtiger geworden waren. Die Außenwelt (Utgard), die außerhalb der von Göttern und Menschen bewohnten Zone liegt, ist die Welt der Riesen und der monströsen Midgardschlange. Diese Region repräsentiert das »Andere«, das »Fremde«. Unter der Erde hausen weitere Lebewesen der sogenannten »niederen Mythologie«, etwa Zwerge und Dunkelalbe, und auch die Welt der Menschen ist von allerhand Zauberwesen bevölkert23. Komplementär zu dieser groben Dreiteilung der Welt kommt noch die Vorstellung von der die Sphären verbindenden Weltesche Yggdrasill hinzu, deren Wurzeln sich aus Wassern der unterschiedlichen Sphären speisen und die dem horizontalen Plan von Midgard und Asgard vertikale Tiefenstaffelung gibt. Auf symbolischer Ebene mag der Weltenbaum die Idee einer strukturierenden und ordnenden Weltachse aufnehmen und möglicherweise lässt sich eine kultische Verbindung zur Bevorzugung von an Bäume (heilige Haine) und Quellen gebundene Kulte durch die Germanen herstellen, und vielleicht bildet auch die als Irminsul bekannte Kultsäule der Sachsen, die Karl der Große während der Sachsenkriege zerstören ließ, eine Parallele zum nordischen Weltenbaum. Hier befinden wir uns aber wieder im Bereich der Spekulationen24. Weitere Edda-Lieder und einzelne Stellen in der Snorra-Edda ergänzen die Schöpfungsgeschichte der Völuspá, oder treten auch in Gegensatz zu dieser25. Auch die mythische Topographie ergibt nach den unterschiedlichen Passagen der Edda und bei Snorri ein mehrdimensionales Bild. Folglich entstand zu jedem Motiv, jeder archetypischen Figur dieser Mythenüberlieferung und jedem Aspekt der mythischen Landschaft der Edda seit dem 19. Jahrhundert eine Vielzahl sprachhistorischer und religionswissenschaftlicher Studien, deren Vielfalt und deren sich oftmals widersprechende Urteile nicht nur die zeitgebundenen Forschungsmoden und wechselnden Weltanschauungen widerspiegeln, sondern in ihrer Gegensätzlichkeit auch die überaus geringe Basis belastbaren Quellenwissens in diesem Bereich in Erinnerung rufen.
»Germanische Mythologie« Dieser Sachverhalt verweist erneut auf ein Kernproblem der »germanischen Religionskunde«, nämlich dass die ursprünglich mündlich tradierten Stoffe keines-
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wegs unveränderliche und feste Inhalte und Formen aufwiesen, sondern in unterschiedlichsten Varianten verbreitet wurden. Ebenso ist grundsätzlich zu bemerken, dass die nordischen Göttergeschichten eine sicher lokal beschränkte späte Ausbildung einer umfassenden »Mythologie« darstellen, die keineswegs als »gemeingermanisch« angesehen werden kann. Angesichts der mündlichen Traditionsvermittlung des Stoffes kann kaum angenommen werden, dass Germanen der Völkerwanderungszeit zwischen dem Schwarzmeerraum (Goten) sowie Spanien und Nordafrika (Vandalen) die gleichen oder ganz eng verwandte Mythen pflegten26. Zwar hat es nicht an Versuchen gefehlt, die Informationen aus der Völuspá mit den Informationen aus Tacitus in Einklang zu bringen, indem etwa auf die motivische Ähnlichkeit des Urwesen Ymir (altnordisch für Zwilling, Zwitter) aus der Völuspá und des ebenfalls erdgeborenen Urwesens Tuisto (Twitter-Zwitter klingt etymologisch an), das aus sich selbst heraus den Mannus gebiert (s. o.), verwiesen wurde. Aber aus solchen vereinzelten motivischen Übereinstimmungen eine gemeingermanische »Mythologie« abzuleiten führt sicher zu weit27. Festzuhalten bleibt mit George Dumézil, dass die bei Snorri und in der Schöpfungsgeschichte der Völuspá aufgezeichneten Zusammenhänge in höchstem Maße pittoresk und fremdartig sind; weit entfernt davon, ein kohärentes religiöses Konzept zu präsentieren28. Allein die schier unüberschaubare Vielzahl der Namen, die für Götter, Riesen und andere Wesen mit sich widersprechenden Verwandtschaftsverhältnissen in den nordischen Sagen überliefert sind, machen eine Systematisierung unmöglich. Aber vielleicht, so sollte man sich fragen, war die systematische Ordnung des religiösen Wissens ja gar nicht die Aufgabe dieser Sagenüberlieferung, die hinsichtlich ihrer Funktion möglicherweise anders gesehen werden muss. Die Schöpfungsgeschichten der nordischen Überlieferung reflektieren in funktionaler Sicht kontextuell gebundene, vielfältige Traditionen, die kein System bilden, sondern ein vielschichtiges Erbe mündlicher Überlieferung in die Schriftlichkeit des christlichen skandinavischen Mittelalters transportieren.
Götterpersönlichkeiten Die Götterwelt der mittelalterlichen nordischen Literatur stimmt bestenfalls nur teilweise mit derjenigen überein, die wir aus den früheren und sehr spärlichen römischen und völkerwanderungszeitlichen Quellen kennen. Wie im vorigen Kapitel beschrieben, können wir die Namen der wichtigsten Gottheiten, die uns Tacitus verschweigt, indem er nur römische Entsprechungen nennt (interpretatio Romana), erst mit den analog zu den römischen Vorbildern gebildeten Wochentagen fassen, deren Festlegung frühstens ins 3. Jahrhundert fallen dürften. Die darin zum Ausdruck kommende »Wodansreligion« der in unmittelbarem
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Kontakt zu den Römern stehenden Germanen Mitteleuropas, hat durchaus einzelne Entsprechungen mit dem in der Edda und bei Snorri ausgebildeten Pantheon des Nordens. Wodan (Odin) und Donar (Thor) begegnen uns hier wie dort. Der altgermanische Lichtgott Tyr (urgerm. *Tiuwaz, ahd. Tiu), nach dem der zweite Wochentag (tuesday) benannt wurde, hat im nordischen Pantheon keinen prominenten Platz mehr, dafür spielt in den Göttergeschichten die ambivalente Trickstergottheit Loki, die nur in Skandinavien belegt ist, eine große Rolle. Ebenso erfährt der Donnergott Thor eine enorme Aufwertung; er wird zum beliebtesten Gott des Nordens, was sich auch in der individuellen Verehrung, die man archäologisch an der Verbreitung von Thordevotionalien (Anhänger in Form des Thorshammers) verfolgen kann29. Auch die mit der Silbe Thor- gebildeten Personennamen des skandinavischen Mittelalters (Thorbjörn, Thorwald etc.) sowie die in der Edda dominierenden schwankhaft-unterhaltsamen Göttergeschichten, in denen der hammerschwingende Gott als burlesker Haudrauf die Hauptrolle spielt, unterstreichen einerseits den Bedeutungszuwachs wie auch andererseits seine Transformation zum bloßen Sagenhelden unter den Auspizien des sich ausbreitenden Christentums. Aus den in der Lieder-Edda und bei Snorri überlieferten Göttergeschichten lassen sich die »Zuständigkeitsbereiche« der wichtigsten Götter ableiten. Dabei sind strukturelle Merkmale erkennbar, welche die Zuordnung der nordischen Götter zu zwei funktional unterschiedlichen Gruppen erlauben. Einerseits handelt es sich um Gottheiten, deren Attribute im weitesten Sinne mit Aspekten der Fruchtbarkeit und der Fülle zu tun haben. Es sind dies etwa Freyr, Njörd und Freya (zu unterscheiden von Odins Gattin Frîja). Die andere Gruppe verkörpert in höherem Maße kriegerische Werte, etwa Kampfesmut, Kraft und Weisheit, sie schart sich um Odin. Zu ihnen gehören neben Thor auch Balder und Heimdall. Neben den genannten prominenteren Gottheiten des in der isländischen Überlieferung bewahrten nordischen Pantheons gibt es noch eine Reihe anderer, weniger wichtiger Gottheiten, sowie den schwer einzuordnenden Loki, ein Grenzgänger, der die Götterwelt in Asgard immer wieder durcheinander wirbelt30.
Asen und Wanen Die funktionale Unterscheidung von zwei unterschiedlichen Götterfamilien wird indirekt vom Mythos erklärt. Snorri und einige Stellen der Lieder-Edda (etwa Völuspá, 21–24) verweisen auf den Krieg zwischen den Asen und den Wanen in einer lange zurückliegenden Vorzeit31. Demnach hätten die um Odin gruppierten kriegerischen Asen und die durch Fruchtbarkeitskulte charakterisierten Wanen sich heftig bekämpft (die Stimmung wird durch einen »agent provacateur«, die von den Wanen in Asgard eingeschleuste Hexe Gullveig noch
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durch Intrigen aufgeheizt). Erst durch Gestellung von Geiseln (Njörd und Freyr fanden Aufnahme bei den Asen, Hönir und Mimir gingen zu den Wanen) sei dauerhafter Frieden geschlossen worden. Die Grenzen zwischen den durch Vergeiselung verbundenen Götterfamilien verwischen sich zunehmend, denn der Begriff Asen taucht hauptsächlich als allgemein gültige Gesamtbezeichnung für die Götter auf (neben weiteren Begriffen wie bönd und höpt) und alle scheinen nun gemeinsam in Asgard zu wohnen. Variierende Namenslisten aus der Überlieferung, die Asen und Wanen nicht unterscheiden, erschweren die systematische Trennung32. Diese offensichtliche Aufgabenteilung der Götter in der nordischen Mythologie (erst hier in den späten isländischen Zeugnissen erfahren wir von den Charakteristika einzelner Gottheiten, die uns – wie etwa Odin oder Thor – schon aus älteren Quellen aus Mitteleuropa bekannt sind) hat zu unterschiedlichen Deutungsansätzen hinsichtlich grundsätzlicher Aspekte der »germanischen« Religion geführt. So war lange Zeit eine historisierende Interpretation en vogue, die hinter dem Kampf zwischen Asen und Wanen den Reflex eines historischen Ereignisses erkennen wollte. Flankiert von den Erkenntnissen der Archäologie, die tatsächlich für das ausgehende Neolithikum (ganz grob ca. 2800– 2200 v. Chr.) mit dem Aufkommen der Schnurkeramik und neuer Bestattungssitten (Beigabe von Streitäxten) die Einwanderung einer neuen Gruppe im mitteleuropäischen Raum belegen konnte, eben der nach dem Fundmaterial so genannten »Schnurkeramiker« oder »Streitaxtleute«, welche sich nach der allgemein akzeptierten Meinung mit den bodenständigen Angehörigen der sogenannten »Bandkeramikkultur« vermischten, wobei die Kulturtechniken der Einwanderer bald die Keramikformen und den Grabkult der Einheimischen ablösten, wollte man den Mythos des Wanenkriegs auf die nur schemenhaft rekonstruierbaren Ereignisse vor 4500 Jahren beziehen33. In der Linguistik vermutet man hinter den »Streitaxtleuten« die gemeinsamen Vorfahren der Germanen, Slawen und Balten (die sogenannte »Nordgruppe« der Indogermanen), also diejenigen, die indogermanische Idiome nach Zentraleuropa gebracht haben34. Nach diesem (auf den ersten Blick recht schlüssigen) Szenario, in das auch eine Reihe sprachwissenschaftlicher Beobachtungen passen, wäre der Wanenkrieg ein mythischer Reflex der Einwanderung einer kriegerischen Gruppe (deren Götter den Asen entsprechen würden) in ein von bäuerlicher Lebensweise geprägtes Gebiet der Wanenverehrer35. Diese Rekonstruktion ist methodisch überaus problematisch und baut auf mehreren unbegründbaren Annahmen auf, so dass sie bereits in der Mitte des 20. Jahrhunderts weitgehend zur Seite gelegt worden ist. Außerdem wird selbst das lange dominierende »indogermanische« Einwanderungsszenario nicht einhellig in der Forschung vertreten. Möglicherweise haben die Träger der spätneolithischen Trichterbecherkultur in Nord-Mitteleuropa von selbst die schnurkeramische Lebensweise ausgebildet36. Jedoch unterstützen allerneuste auf
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DNS-Untersuchungen aufbauende Forschungen wieder die Plausibilität der Einwanderungsthese. Denn der genetische Befund aus den prähistorischen Ausgrabungsstätten in Europa ist eindeutig: Etwa vor 4500 Jahren kam es zu einer massiven Migration aus den Steppengebieten nördlich des schwarzen Meeres, welche die genetischen Kennzeichen der ansässigen Bevölkerung des europäischen Neolithikums stark verändert haben. So entspricht etwa 75 % des Erbguts der im heutigen Deutschland untersuchten Angehörigen der Schnurkeramikkultur demjenigen der gleichzeitigen Steppennomaden der Jamnaja-Kultur. Diese unter maßgeblicher Beteiligung des neuen Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte erzielten Forschungsergebnisse sprechen klar für einen »steppe origin of at least some of the Indo-European languages of Europe«, wie die Autoren einer aktuellen Studie recht vorsichtig formulieren37. Einen weiteren Erklärungsversuch der Zweiteilung der nordischen Götterwelt in Wanen und Asen lieferte George Dumézil, der unter Heranziehung v. a. von indischen, aber auch römisch-antiken Vergleichsbeispielen geltend machen konnte, dass die beiden Göttergruppen mit ihren differierenden funktionalen Aspekten unterschiedlichen Gesellschaftsgruppen zuzuordnen seien. Die Asen wären demnach die Götter, die in früheren Zeiten in erster Linie von einer aus sakralen und militärischen Führern bestehenden Oberschicht verehrt worden seien, während die Götter des Wanenkreises den bäuerlichen Schichten zugehören würden, der Wanenkrieg spiegele in der Sozialstruktur angelegte innergesellschaftliche Konflikte wider38. Die sich an Dumézils strukturalistischer Interpretation orientierenden Vertreter dieser Auffassung können die belegten Sozialstrukturen und Institutionen der indogermanischen Völker anhand sprachlicher Übereinstimmungen für ihre These nutzbar machen39.
Was wir wissen Die Erklärungsmodelle kranken jedoch sämtlicherweise daran, dass uns lediglich die isländische Überlieferung für diese funktionale Aufteilung zur Verfügung steht, von der unberechtigterweise immer wieder auf »gemeingermanische« Verhältnisse geschlossen wird, für die überzeugende Belege fehlen40. Mit Dumézil lässt sich lediglich feststellen, dass die Götterwelt der Germanen, wie auch die nordische Mythologie sich in die allgemeinen Grundstrukturen der indogermanischen Religionen einordnen lässt. Konkrete mythologische Vorstellungen auf die sprachwissenschaftlich als indogermanischen Ursprungs identifizierten Namen und Sachen zurückzuführen, ist indes nicht statthaft, da diese Vorstellungen oft überhaupt erst in der Überlieferung des Mittelalters belegt sind41. Der »Sitz im Leben« der Götter und ihrer Kulte lässt sich aber auch mittels der reichhaltigeren skandinavischen Überlieferung nur bruchstückhaft rekonstruieren.
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Aus Snorris Schriften und der Lieder-Edda sowie den vereinzelten Hinweisen in den bei Snorri zitierten Liedern der Skalden erhalten wir in erster Linie ereignishafte Informationen über Tun und Lassen der Götter. Aus den in den mythologischen Geschichten zum Vorschein kommenden Charaktereigenschaften der Götter wiederum lassen sich gewisse »Zuständigkeitsbereiche« der nordischen Götter erkennen. Dabei gilt es auch zu beachten, dass als »gemeingermanische« Götter, die uns aus der Völkerwanderungszeit bzw. durch die Wochennamen bekannt und eventuell auch aus Tacitus’ interpretatio Romana zu erschließen sind, eigentlich nur Thor (Donar) und Odin (Wodan), sowie dessen Gattin Frigg (südgerm. Frîja, nach ihr ist der Freitag benannt) in der isländischen Literatur begegnen. Eventuelle Entsprechungen der Fruchtbarkeitsgottheiten wie Njörd, Freyr und Freya sind in Mitteleuropa zur römischen Kaiserzeit oder im Frühmittelalter nicht zu identifizieren42.
Götterbeziehungen Genealogisch sind die Verhältnisse der Götter verwirrend und variantenreich – wiederum ein Zeichen für die dominierende mündliche Tradierung der Mythen, bei der es auf Eindeutigkeit, logische Zusammenhänge etc., wie sie erst Snorri verzweifelt herzustellen versucht, nicht wirklich ankommt. Diese Quellenlage führt dazu, dass die Altnordisten zu sehr unterschiedlichen Ausdeutungen gelangen. Deshalb folgen an dieser Stelle nur ganz knapp einige dem »Mainstream« zuzurechnende Bemerkungen zu einigen wichtigeren Gottheiten43. So scheint der dem Meer verbundene Gott Njörd der Vater von Freyr und Freyja zu sein, die wiederum eine Geschwisterehe eingehen (allerdings heiratet Freyja nach Snorris Gylfaginning später einen anderen Gott namens Odr). Freyr gebietet als Behüter des Landbaus über Regen und Sonne, seine Schwester ist als Göttin der Liebe eine Art nordische Aphrodite. Frigg, die Gemahlin des Odin, ist für Hausstand, Herd und die Institution der Ehe zuständig und wurde von der komparatistischen Mythologieforschung deshalb gerne mit Hera verglichen. Thor (Donar) der Wettergott, der »Donnerer«, der auch kriegerische Aspekte aufweist, gilt zumindest in späterer Zeit als wichtigster Gott der ländlichen Bevölkerung, die ihn nach dem Zeugnis Adams von Bremen als für das Gedeihen der Landwirtschaft wichtigen Hauptgott verehrt (Hamburgische Kirchengeschichte, 4, 26f). Odin, die dominierende Gestalt des nordischen Pantheon, verkörpert die Herrschaft über den Kosmos. Er ist vor allem der Gott des Krieges und versammelt die gefallenen Krieger in Walhall. Aber er gebietet auch über die Magie, hat den Menschen die Runen und die Dichtkunst gebracht. Deswegen wird er im folgenden Kapitel über Magie und Runen noch eine Rolle spielen.
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»Alles ist denkbar, Vieles ist möglich, Wenig ist wahrscheinlich, Nichts ist sicher«. Mit diesen skeptischen Worten beschreibt der Doyen der noch recht jungen philologischen Wissenschaft »Runologie«, Klaus Düwel, im Vorwort seines einschlägigen Handbuchs seine Disziplin1. Und mit dieser Einschätzung beschreibt er die Schwierigkeiten, die v. a. mit der Interpretation von Runeninschriften verbunden sind, recht treffend.
Runenalphabet Zunächst einmal handelt es sich bei Runen recht eigentlich um ein gewöhnliches Schriftzeichensystem, ein »Alphabet« von 24 Lautzeichen, das in den ersten Jahrhunderten nach Christus dort gebräuchlich wird, wo germanische Stämme siedeln oder während der Völkerwanderungszeit temporär auftauchen. Daher finden sich Runeninschriften (nur um diese geht es hier, Runentexte auf Pergament stammen erst aus dem Spätmittelalter) nicht nur in Skandinavien (bei weitem die meisten der über 6500 Zeugnisse), England und Deutschland, sondern auch in Frankreich im Westen und Ungarn und sogar Rumänien im Südosten. Von den Runeninschriften in ihrer Gesamtheit sind in unserem Zusammenhang wiederum nur die rund 350 Inschriften von Belang, die dem älteren Runenalphabet, dessen erste Spuren sich bis ins 2. Jahrhundert verfolgen lassen und welches in der Völkerwanderungszeit verwandt wurde, zugehören. Man nennt es nach der mehrfach bezeugten Reihenanordnung nach den Lautwerten das »ältere Futhark«2. Hiermit hören die einfachen und unumstrittenen Erklärungen zum Thema aber bereits auf, denn das Runenalphabet ist in mancherlei Hinsicht mit dem etruskischen vergleichbar: Wir können es lesen, aber den mit den ausgedrückten Lautzeichen verbundenen Sinngehalt nur schwer dechiffrieren. Denn wie beim Etruskischen haben wir auch beim in unterschiedlichste Dialekte und Untersprachen gegliederten »Germanischen« keine literarischen Vergleichstexte, weswegen wir auf Rekonstruktionen angewiesen sind, die manchmal auf recht wackligen wissenschaftlichen Fundamenten stehen. Nehmen wir beispielsweise die Inschrift auf einer Spinnwirtel, die in Let¸ cani bei Ias¸ i im Nordosten Rumä-
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niens in einem gotischen Frauengrab aus dem 4. Jahrhundert gefunden wurde. Für den (je nach Lesart) bis zu vier Wörtern umfassenden »Text«, wurden bislang acht verschiedene Lesungen und deutende Übersetzungen vorgeschlagen. Zwischen »die Großmutter der Ado- [ist] hier unten« und »das Gewebe der Id-o[ist das] hier« ist, um es im Sinne von Düwels Eingangszitat auszudrücken, »alles möglich«3. Dennoch gibt es einige überaus wichtige Aspekte der Runenkunde, die eine Beschäftigung mit diesem Material in einem der Religion gewidmeten Buch durchaus rechtfertigen. Neben dem göttlichen Ursprung der Runenzeichen, die der Mythologie nach von Odin stammen, und der Tatsache, dass die Germanen diese überhaupt erfanden, anstatt etwa das Zeichensystem der lingua franca Latein zu übernehmen, ist es vor allem die Verbindung der Runen zum Bereich der Magie, der in unserem Kontext von Interesse ist.
Religion und Magie Die strikte Unterscheidung zwischen Religion und Magie beruht auf einer nicht unbedingt sachgerechten abendländischen Forschungstradition, die ihren Ursprung im prägenden Einfluss des monotheistischen Christentums hat. Ja, man kann Religion und Magie definitorisch auseinanderhalten, wenngleich nicht immer mit einer überzeugenden Trennschärfe4. Soziologisch können Magie und Religion zumindest in Europa (seit dem Mittelalter) anhand ihrer jeweiligen Träger in der Gesellschaft unterschieden werden. Religion gehört zu institutionalisierten Glaubensgemeinschaften, Magie wird eher von Einzelnen praktiziert, verfügt in unseren Breiten darüber hinaus über einen zweifelhaften Ruf (historisch und gegenwärtig) und die Ausübenden über geringeres Sozialprestige. Eine inhaltlich-begriffliche Unterscheidung, die auf James George Frazer zurückgeht, betrifft die unterschiedliche Art und Weise der Kommunikation mit den höheren Mächten in eher religiösen und eher magischen Kontexten. Demnach wäre die flehende Anrufung der Götter (etwa durch Gebete) oder der mit Opfergaben verbundene Versuch des Kultanhängers, die Gunst höherer Wesen zu erlangen, eher dem Bereich Religion zuzuordnen, während magische Praktiken dem so handelnden Menschen Gewalt über die göttlichen oder dämonischen Mächte gewähren, diese durch bindenden Zwang (germanische Sprachen reflektieren diesen Ursprung manchmal noch heute, etwa engl. spellbound), etwa mittels Beschwörung, gefügig machen5. Abgesehen von den fließenden Übergängen in vielen Gesellschaften (hier stimmen altertumswissenschaftliche und ethnologische Forschungen weitgehend überein) ist eine solche eher der akademischen Tradition des Abendlandes geschuldete Trennung sicherlich nicht sehr sinnvoll, wenn man die jeweiligen zeit-
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genösischen Realitäten treffen will. Weder ein Gote der Völkerwanderungszeit noch ein Bantu oder Yoruba des 21. Jahrhunderts wird sich beim Gang zu einem Kultplatz überlegt haben bzw. überlegen: »Praktiziere ich heute Religion oder eher ein wenig Magie?«
Sprache und Magie Was haben nun Runen mit Magie zu tun? Diese Frage, der weiter unten genauer nahgegangen wird, führt zunächst zu einer anderen, nämlich was Sprache mit Magie zu tun hat. Die gewaltige Macht des Wortes wird von uns modernen Menschen schon für unsere eigene Gegenwart, die von Bilderfluten und komplexesten Kommunikationsformen geprägt ist, weitgehend unterschätzt und wird von diesen Erfahrungen ausgehend sicher auch im Rückblick auf frühere Gesellschaften unterbewertet. Die Erfassung und Erklärung der Welt erfolgte zu allen Zeiten durch das Wort. Das Johannesevangelium hat diese Denkfigur am besten erhalten: »Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort«. Der Dichter und Sänger galt früher nicht als Künstler eigenen Genies, sondern als Medium göttlicher Inspiration (berühmtestes Beispiel ist sicher die Musenanrufung am Beginn der Ilias: »Singe mir, Muse, den Zorn des Peleussohns Achilleus«). Magische Formeln und Besprechungen sind in ihrer Bedeutung für vormoderne Gesellschaften heute kaum noch zu erfassen6.
Zauberworte und Zaubersprüche Nur wenige Überbleibsel dieser vormodernen, »magischen« Sprachkultur haben bis heute überlebt: Noch heute bringen magische Zauberworte, nämlich Gedichte, Liebende zueinander (es können auch Rocksongs sein, die ihrerseits auch »nur« Gedichte sind), Franzosen sind bei angenehmen Begegnungen enchantés, also verzaubert. Und der bekannte Kinderreim »Heile, heile Segen, drei Tage Regen, drei Tage Schnee, Fuß tut nimmer weh«, den es in vielen deutschen Dialekten und in ebensovielen Varianten gibt, ist nichts anderes als ein Zauberspruch, mit dem man Verletzungen »bespricht«. Wer Kinder hat, weiß, dass die Macht des Wortes auf diese Weise bis zu einem gewissen Verletzungsgrad eine beachtliche Wirkung entfaltet. In diesem Kontext ist auch das berühmteste Zeugnis des Althochdeutschen zu verstehen, der als Zweiter Merseburger Zauberspruch bekannte Heilzauber germanischen Ursprungs, in dem Wodan und weitere Götter angerufen werden, um beim Besprechen eines am Fuß verletzten Pferdes zu helfen:
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Phôl ende Wuodan fuorun zi holza. dû wart demo Balderes folon sîn fuoz birenkit. thû biguol en Sinthgunt, Sunna era swister; thû biguol en Frîja, Folla era swister; thû biguol en Wuodan, sô hê wola conda: sôse bênrenki, sôse bluotrenki, sôse lidirenki: bên zi bêna, bluot zi bluoda, lid zi geliden, sôse gelîmida sîn. Phol und Wodan begaben sich in den Wald. Da wurden dem Fohlen Balders der Fuß eingerenkt. Da besangen ihn (das Fohlen) Sinthgunt und Sunna, ihre Schwester. Da besangen ihn (das Fohlen) Friia und Volla, ihre Schwester. Da besang ihn Wodan, wie er es gut verstand: Wenn Knochenrenkung, wenn Blutrenkung, wenn Gelenkrenkung: Knochen zu Knochen, Blut zu Blut, Glied zu Glied! So seien sie zusammengefügt. Dieser authentische Zauberspruch, der es auf dem Vorsatzblatt eines christlichen Breviers aus dem 10. Jahrhundert gewissermaßen als heidnische Konterbande bis ins christliche Klosterleben des Mittelalters geschafft hat (seine Entstehungszeit zu bestimmen ist unmöglich, es sind viele Vorschläge gemacht worden von der frühen Völkerwanderungszeit bis zum 9. Jahrhundert), ist zusammen mit der anderen hier nicht gesondert behandelten ersten Zauberformel als besonders frühes Zeugnis des Althochdeutschen vor allem vielbehandelter Forschungsgegenstand der älteren Germanistik7. Aber auch religionshistorisch ist der Text überaus interessant, präsentiert er uns Wodan/Odin hier in einer seiner wichtigsten Funktionen, nämlich der des göttlichen Heilers (in dieser Rolle taucht er auch in den späteren Charakterisierungen auf, etwa in der Edda – Balders Traum, 3 – oder bei Saxo Grammaticus, Gesta Danorum 1, 446). Außerdem zeugt der Spruch von »germanischen« Nachwehen noch in den monastischen Schreibstuben des längst christlichen Mitteleuropa8. Wodan und der ansonsten unbekannte Phol gehen also in den Wald, wo sie Balders Fohlen heilen wollen. Dort sind aber offenbar schon eine Reihe anderer Götter beim verletzten Tier angelangt (das Timing ist etwas unklar), so berichten die als »historiola« bezeichneten Erzählverse, die den eigentlichen Zauberspruch (incantatio) mythologisch in einen Erzählkontext einordnen. Diese teils schwierig zu deutenden Gestalten besprechen nun das verletzte Glied des Tiers, aber vergeblich, denn erst Wodans kundiges Eingreifen mittels der stabreimenden Zauberformel bên zi bêna, bluot zi bluoda, lid zi geliden, sôse gelîmida sîn bringt die gewünschte Heilung der schweren Verletzung. Auch aus anderen Kontexten ist Wodan als Heilzauber kundig bekannt. So entspricht dieser Vorstellung der altenglische »Neunkräutersegen«, in dem Wodan mittels neun »Ruhmeszweigen« (wuldotanas) eine giftige Schlange in neun
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Teile zerlegt. Darüber hinaus erweckte er im Mythos vom Wanenkrieg das abgeschlagene Haupt des von den Wanen getöteten Mimir mittels Zaubersprüchen zu erneutem Leben und flößte ihm magische Macht ein, um von nun an von diesem mit Kräutern konservierten Haupt Geheimnisse zu erfahren.
Brakteaten und andere Sachquellen Vor diesem mythologischen Hintergrund gelang es dem Germanisten Karl Hauck seit den 1970er Jahren mit großer kombinatorischer Gabe eine neue Quelle der germanischen Religionsgeschichte zu erschließen. Es handelt sich um die Deutung der sogenannten »Goldbrakteaten« der Völkerwanderungszeit, die im Verlaufe des 20. Jahrhunderts in immer größerer Zahl von der Archäologie zutage gebracht wurden9. Hauck und seiner Schule gelang es nun, die Darstellungen auf solchen Brakteaten überzeugend in Zusammenhang mit mythologischer Überlieferung späterer Zeiten zu bringen; besonders der Heilzauber des Zweiten Merseburger Zauberspruchs ist entscheidend für die Deutung einer wichtigen Brakteatenkategoerie. Bei diesen Brakteaten (nach lat. brattea/ bractea; Metallplättchen) handelt sich um dünne, meist 2–3 cm große mittels einer Matritze geprägte Goldbleche mit einem festen Repertoire an Motiven, bisweilen auch mit Runeninschriften versehen, die an Ösen befestigt körpernah als Anhänger getragen wurden. Etwas über 1000 Exemplare dieser auf die Zeit zwischen 450 und dem letzten Drittel des 6. Jahrhunderts zu datierenden Fundgattung sind mittlerweile bekannt. Ihr Verbreitungsgebiet ist beeindruckend, Einzelstücke gelangten bis nach Ungarn und Polen, es gibt sie aber vorwiegend in Südskandinavien nebst den angrenzenden Regionen und Südostengland. Bei Verteilung und Produktion spielten die erst in den letzten 30 Jahren in den Fokus der Forschung gerückten sogenannten Zentralorte oder Reichtumsplätze in Südskandinavien (etwa Gudme auf Fünen, Uppåkra in Schonen und Sorte Muld auf Bornholm) eine entscheidende Rolle. Die eigenwilligen Darstellungen von anthropomorphen und zoomorphen Gestalten sowie unterschiedlicher Symbole auf den Brakteaten sind dem sogenannten germanischen »Tierstil I« zuzuordnen, der typischerweise fließende Bewegungen von stilisierten Tierleibern zu Ornamenten verdichtet und dessen Fortführung die Flechtbänder mit integrierten Tierfiguren sind, die mit der Kunst der Wikinger einen weiten Bekanntsheitsgrad erlangt haben und auch in der Populärkultur von heute wiederzufinden sind (man denke an die Ausstattung der »Reiter von Rohan« im Film Der Herr der Ringe oder an die Fernsehserie Vikings)10. Allgemein deutet man die Brakteaten als Amulette im Kontext der polytheistischen Religion der Germania, die als solche den Trägern Schutz und Glück vermitteln, aber auch auf deren hohen Status verweisen. Karl Hauck und seiner Schule gelang es nun nachzuweisen, dass die Motive der fünf gängi-
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gen Brakteatengruppen der Völkerwanderungszeit (man unterscheidet die Typen A, B, C, D und F) meist den Hauptgott Odin und seine Machttaten im Mittelpunkt haben (siehe Abbildungen 4–6). Angesichts der überaus stilisierten Darstellungen und der Bildtradition der Brakteaten, die gerade hinsichtlich der Porträtdarstellungen des A-Typs spätantike römische Medaillons mit Kaiserdarstellungen zum leicht erkennbaren Vorbild hatten (Abb. 4), scheint diese Verbindung zum germanischen Hauptgott
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nicht auf den ersten Blick einsichtig. Jedoch ist es gerade die interpretatio Germanica, die kreative Adaption dieser ursprünglich an römische Münz- und Medallienbilder angelehnte Motivik, die den Schlüssel zum Verständnis eröffnet. Neben der naheliegenden Übertragung des Sinngehalts römischer Kaiserportraits in eine germanische Bilderwelt, wo der Gottkaiser als die bildhafte Chiffre römischer Allmacht zur immer stilisierteren Darstellung des mächtigsten Gottes der nordeuropäischen Kriegerkaste transformiert wird, sind es vor allem die kondensierten mythologischen Inhalte auf den Brakteaten, die keinen Zweifel an der religiösen Botschaft der Brakteaten lassen. Besonders die am meisten verbreiteten C-Brakteaten und ihr Zusammenhang mit dem mythischen Geschehen des Zweiten Merseburger Zauberspruchs haben Hauck bei der Entzifferung der in höchstem Maße stilisierten und Sinngehalte verkürzenen Bildchiffren den Weg gewiesen (Abb. 5). Die C-Brakteaten zeigen nämlich ein dominierendes, übergroßes anthropomorphes Haupt und einen Vierbeiner, der trotz bisweilen sehr stilisierter Darstellung in den meisten Fällen eindeutig als Pferd zu identifizieren ist. Dazu treten bisweilen andere Tiere, meist Vögel, hinzu. Angesichts der auf einigen C-Typen eindeutig verrenkt bzw. verletzt dargestellten Glieder des Vierbeiners und der ebenfalls auf einer Reihe von C-Brakteaten ersichtlichen Verbindung des Mundes der Zentralgestalt zum Ohr des Pferdes konnte Hauck plausibel argumentieren, dass die C-Brakteaten genau die im Merseburger Zauberspruch wiedergegebene magische Heilung des verletzten Fohlens Balders als eine genuine Machttat des germanischen Hauptgottes Wodan/Odin in chiffrierter Verdichtung darstellen. Die Heilung wird mit unterschiedlichen Mitteln suggestiv darsgestellt: Das Besprechen als solches kommt durch durch die Verschmelzung von Pferdeohr und Göttermund zum Ausdruck (Abb. 5). Auch die heilende Hand der Zentralfigur tritt bei einem Brakteaten in Aktion. Die manchmal kunstvoll eingefügten Begleittiere, etwa Vögel, die als Raben Odins gedeutet werden können, sind als göttliche Helfer angerufen, bei der Heilung zu mitzuwirken (sichtbar etwa durch Belecken des verletzten Pferdefußes). Auch eindeutig als Zauberworte entzifferbare Runenfolgen wie alu oder laukaR stützen diese Deutung (Abb. 5). Während alu als apotropäische Zauberformel aus vielen Kontexten bekannt ist (der ethymologische Zusammenhang ist wahrscheinlich auf das altnordische Wort für das auch in rituellen Kontexten verwendete Bier zurückzuführen), bietet laukaR, das runische Wort für die Pflanze Lauch (allium porrum), einen volksmedizinischen Hinweis, wurde doch Lauch bis ins letzte Jahrhundert hinein zum Behandeln von Beinverletzungen bei Pferden als Naturheilmittel verwendet11. Dass die Brakteatenbilder bisweilen formelhaft verürzte Mythen thematisieren wird nicht nur an der magischen Pferdeheilung der C-Brakteaten offenbar. Auch andere Stücke geben mythologisches Geschehen in verdichteter Form wieder. So zeigt eine Darstellung einer menschlichen Figur, deren Hand im Maul
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Abb. 5: C-Brakteat aus Fünen (mit Runeninschrift, u. a. ALU)
eines Vierbeiners steckt, eindeutig die von Snorri bekannte Geschichte vom wilden Fenriswolf, der sich nur fesseln und überlisten ließ, weil der Gott Tyr ihm als Unterpfand die Hand in den Rachen legte, die ihm beim Auffliegen der List promt abgebissen wurde (Abb. 6). Auch der Tod Balders durch einen als Pfeil abgeschossenen Mistelzweig findet seine kondensierte Darstellung in einem »Drei-Götter-Brakteaten«, der neben dem erschossenen auch den am Speer zu erkennenen Vater Odin, sowie den in den weiblichen Kleidern steckenden Loki zeigt. Dahinter steckt die Geschichte aus der Edda, nach welcher der Weltuntergang durch Balders Tod ausgelöst wird. Loki sorgt dafür, dass die einzige Pflanze, die Balder töten kann, die Mistel, auf diesen abgeschossen wird und er hintertreibt die Widerbelebung, die eigentlich schon abgemachte Sache war, wenn alle Lebewesen und Dinge der Welt den Tod Balders beweinen würde. Da Loki, der der Trauerfeier in Gestalt einer herzlosen
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Riesin, die eben nicht weinte, beiwohnte, muss Balder in der Unterwelt bleiben.
Abb. 6: Brakteat aus Trollhättan (Umzeichnung), Der Fenriswolf beißt Tyr die Hand ab.
Die Brakteatenbilder bieten somit eine Vielzahl von wichtigen Informationen. Einerseits stellen sie ein Bindeglied zwischen mythologischen Erzählungen, die uns nur aus späterer Überlieferung bekannt sind, und der notorisch quellenarmen Völkerwanderungszeit dar und bestätigen mit ihren bildlichen Umsetzungen mythologischen Geschehens zumindest für die belegten Einzelfälle die Verbindungen eines früheren Stadiums der germanischen Religion zur isländischen Sagenwelt. Andererseits verweist die gemeinsame Bildsprache der weit verbreiteten Brakteaten, die als Erkennungszeichen und Statussymbol einer Kriegerelite
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des 5. und 6. Jahrhunderts dienten, auf ein viel stärker ausgebautes Netzwerk germanischer Eliten dieser Zeit im gesamten Fundgebiet von Skandinavien über Südostengland bis nach Norddeutschland. Als Macht- und Schutzsymbole wurden die Amulette als Insignien einer gemeinsamen Kultur verstanden und können uns als solche helfen, die sich in den Zentralorten formierenden kriegerischen Gefolgschaften als zusammengehörige und bestens vernetzte Eliten, besser zu verstehen. Diese anerkannte und über weite Räume ausgetauschte Bildersprache »setzt einen gemeinsamen geistigen Aufbruch voraus. Sie schließt also nicht nur großräumig verschiedenen Gruppen zusammen, sondern drückt gemeinsame Identität und Willen zur Abgrenzung gegenüber Nachbarkulturen aus«12.
Germanische Eliten Diese Eliten, die wir in der Völkerwanderungszeit im Norden nur archäologisch fassen können, waren es wohl auch, die – obwohl durch direkten Dienst im Imperium oder losen Kontakt der lateinischen Schrift wenigstens teilweise kundig – das Runenalphabet wohl schon im 2. Jahrhundert als eigene Audrucksform erfunden hatten. Dass ihnen dabei das lateinische Alphabet als Inspiration und Vorbild diente, liegt aufgrund der etablierten Kulturkontakte und Verbindungen auf der Hand13. Dass magische Praktiken im germanischen Kulturraum eine große Rolle gespielt haben, lässt sich nicht nur an den erwähnten Merseburger Zaubersprüchen, dem angelsächsischen Neunkräutersegen oder der prominenten Darstellung der magischen Heilung von Balders Fohlen auf den C-Brakteaten ersehen, wie auch an der Verwendung der Brakteaten als Schutzamulette an sich. Auch das Vokabular der germanischen Überlieferung hält Belege bereit, vom Verbum seida und dem Sunstantiv seidr, das die Zauberhandlung bzw. Zauberei bezeichnet, bis hin zu den Benennungen für die Praktikanten dieser Kunst, vor allem weibliche Zauberinnen oder Seherinnen, haben wir reichhaltige Belege (etwa völva, spakona, seidkona)14. Schon in den antiken Quellen finden sich Hinweise auf die herausragende Rolle von Frauen bei der Zauberpraxis, wie etwa Bemerkungen bei Caesar (Gall. 1, 50) und Tacitus (Germ. 8) über die herausragende Rolle wahrsagender Frauen oder in der Person der hochangesehenen Seherin Veleda, die sogar eine Führungsrolle beim Stamm der Brukterer inne hatte (Tac. Hist. 4, 61 u. 65, zu ihr mehr in Kap. 10). Aber auch die schon bei Tacitus erwähnten Losorakel gehören zum Bereich der magischen Praktiken (Tac. Germ. 10). Eine Sammlung solcher heidnischer Zauberbräuche bietet der aus dem 8. Jahrhundert stammende Text zur Instruierung von Missionaren mit dem sprechenden Titel »kleines Verzeichnis
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für Aberglaube und Heidentum« (Indiculus superstitionum et paganorum)15. Zaubersprüche und Beschwörungen gehörten demnach ganz selbstverständlich zum germanischen Alltag und wurden, wie die Schriften aus der Missionszeit zeigen, von den Würdenträgern des Christentums nur unter Schwierigkeiten unterdrückt. Aber nicht nur das gesprochene oder »geraunte« Wort (im Verbum »raunen« haben wir im Deutschen noch die Verbindung zu den »Runen« erhalten) kann wie im Falle der magischen Heilung von Balders Fohlen Zauberkraft enthalten, auch die Runenschrift selbst kann Zauberkraft entfalten, möglicherweise hat das im deutschen »raunen« anklingende Wort runo sogar zunächst »Zauberspruch« bedeutet16.
Bedeutung der Schrift Dem Medium Schrift, das wir heute gewöhnlich als sehr profanes Kommunikationsmittel nutzen, um etwa Einkaufszettel zu schreiben, kommt in vormodernen Gesellschaften bisweilen eine besondere Bedeutung zu. In vielen Kulturen wurde Schrift nicht oder nur begrenzt als »Archivmedium« im Rahmen einer der Informationsübermittlung dienenden Memorialkultur genutzt, sondern verfügte an sich über eine an die Schriftzeichen selbst gebundene sakrale Aura und war dazu oft nur wenigen Eingeweihten, »Schriftkundigen« zugänglich17. Dass die germanischen Runen in einen solchen Kontext gehören könnten, hat man verschiedentlich unter Runologen geltend gemacht. Besonders einflussreich war dabei einer der bedeutendsten Gelehrten des 20. Jahrhunderts auf diesem Gebiet, Wolfgang Krause18. Ausgehend von der Beobachtung, dass die Runen neben ihrem gewöhnlichen Lautwert noch zusätzlich über einen Begriffswert verfügen und somit, stehen sie alleine, auf Sachen und Konzepte verweisen können (die erste Rune der Runenreihe, F [f] bezeichnet für sich allein den Begriff fehu, Vieh) hat man zusammen mit den auch von den Brakteaten her bekannten Zauberworten angenommen, dass die Runenschrift nicht nur – wie jede andere Schrift auch – zum Formulieren von Zaubersprüchen und Formeln genutzt wurde, sondern dass den Runen selbst in der germanischen Vorstellungswelt Zauberkraft innewohne. Gestützt wird diese Überlegung von einem in der Edda geschilderten Mythos (Hávamál 138–139), nach welchem Odin, der Erzzauberer, die Runen (er)findet, indem er neun Tage in einem schmerzhaften Selbstopferungsakt an einem Fuß aufgeknüpft von der Weltesche Yggdrasil herabhängt, bis ihm die Runen »offenbar« werden. Einzelne Inschriften verweisen darüber hinaus auf den göttlichen Ursprung der Runen19. Da aber eine Reihe von Unsicherheiten und Unklarheiten bleiben, direkte Belege zudem fehlen, wird neben der These von der eignen Zauberkraft der Runen, oder wenigstens der magischen Macht der immer wieder formelhaft in In-
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schriften auftauchenden zusammenhängenden Runenreihe FUTHARK (fuxark), die man sich in ihrer kompakten Zusammengehörigkeit als wirkendes Konzept von »Ordnung, Vollständigkeit« vorstellen kann20, auch darauf verwiesen, dass die Runen nichts weiter als eine gewöhnliche Schriftform seien, mit der unterschiedlichste Sachverhalte – eben auch magisch-religöse Inhalte – ausgedrückt werden konnten. Entstehung und Gebrauch der Runen können also einerseits mit plausiblen Argumenten einer im Wesentlichen profanen Kommunikationssituation zugeschrieben werden. Andererseits lassen sich die Runen mit ebenso überzeugenden Argumenten auch als Zeichen beschreiben, die in erster Linie in magisch bestimmten Vorstellungen entstanden und verwendet worden sind. Die Frage, die letzten Endes eine Glaubensfrage ist, lässt sich also auf dem derzeitigen Wissensstand nicht endgültig klären. In der Tat scheint es sich aber so zu verhalten, dass der Glaube an die magischen Kräfte der Runen heute fast weiter verbreitet ist, als uns die Quellen für die Wirkung der Runenmagie in der germanischen Vorzeit anzunehmen erlauben, wenn man zeitgenössische Inserate und Internetpräsenzen von sogenannten »Runenhexen« oder einschlägige Buden und Stände auf Mittelaltermärkten berücksichtigt.
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Die Gewissheit des Todes ist die größte Herausforderung für den menschlichen Geist, der Umgang mit ihm die größte Herausforderung für die gesellschaftliche Praxis. Die bewusste Konfrontation mit dem Tod und der rituelle Umgang mit Leichen gehören zu den entscheidenden Merkmalen, die den Menschen definieren. Dabei ist der bewusste und intellektuell bestimmte Umgang mit dem Tod und der eigenen Sterblichkeit keine anthropologische Konstante (erst in der europäischen Neuzeit hat sich ein »antizipatorisches Verhältnis zum Tod allgemein durchgesetzt«), der rituelle Umgang mit Leichen jedoch durchaus: Menschen »kümmern sich um die Toten, nicht um den Tod«1. Wenngleich schon mittelpaläolithische Befunde belegen, dass Neandertaler rituelle Totenversorgung praktizierten, lassen sich Grabsitten archäologisch durchgehend und zweifelsfrei erst für den Homo sapiens sapiens nachweisen. Der Mensch kennt demnach keine Neutralität oder Indifferenz gegenüber dem Tod und den Toten, wie sie für Tiere typisch ist, das macht ihn als Menschen aus. Er reagiert auf die Erfahrung des Todes und nutzt den rituellen Umgang mit den Toten zu gesellschaftlichen und religiösen Aussagen, indem er unterschiedlichste, gesellschaftlich bestimmte und bedingte Formen eines öffentlich praktizierten Totenkults entwickelt. Bei allen Unterschieden, die sich im Totenritual bei historischen und rezenten Gesellschaften beobachten lassen – etwa Körperbestattung, Brandbestattung, Mumifizierung, Bestattung von Teilgliedern, ritueller Totenverzehr (Endokannibalismus), Exposition der Leichen als Nahrung für Vögel, Skelettierungsrituale, Zweitbegräbnisse –, liegen jeder Form von Begräbnissitte und Totenkult zwei maßgebliche Elemente zugrunde.
Funktionen des Totenkults Einerseits reflektiert rituelle Totenversorgung religiöse Vorstellungen, die meist mit einer wie auch immer gearteten Fortexistenz mindestens eines Teils des Verstorbenen (Seele, Mana etc.) verbunden ist, was häufig durch die Beigabe von bisweilen umfangreichen Grabbeigaben (man denke an die Pharaonengräber) signalisiert wird. Auch unterschiedliche Praktiken – vom Umtanzen des Leichnams bis zum Verschluß von Körperöffnungen oder Fesselung – zur Abwehr
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von möglichen vom weiterlebenden Toten ausgehenden Gefahren (Widergänger, Gespensterglaube) – gehören in diesen Kontext. Andererseits zielen Bestattungssitten in ihrer sozialen Komponente auf die Gemeinschaft der Hinterbliebenen, die mit der rituellen Totenversorgung und den diese begleitenden Ritualen (etwa Totenmahl, Leichenspiele, Musik/Tanz, Errichtung imposanter Grabmäler) öffentliche Aussagen über den gesellschaftlichen Status oder die Identität des Toten und seiner Familie trifft. Bestattung, Beigabensitte und Totenritual bilden so ein komplexes Gefüge sozialer Interaktionen und religiöser Vorstellungen, die für historische Gesellschaften anhand von schriftlichen und archäologischen Quellen rekonstruiert werden müssen2.
Germanische Bestattungssitten Im Falle der Germanen haben wir eine Vielzahl vor allem archäologischer Quellen zu den Bestattungssitten in der germanischen Welt, die Rückschlüsse auf gesellschaftliche Normen und Traditionen erlauben. Denn die allermeisten unserer Funde überhaupt, die uns generell über die materielle Kultur der Germanen Aufschluss geben, stammen aus Gräbern, sind also in ihrem Fundzusammenhang als Grabbeigaben zu verstehen und haben demnach zunächst eine kultische Bedeutung. Der archäologische Befund lässt allerdings fast nie erkennen, welche Handlungen und Begleitumstände im Kontext des Bestattungsrituals anzunehmen sind. Hier können wiederum nur die erzählenden Schriftquellen weiter helfen, die Sinnzusammenhänge herstellen, welche aus dem Fundmaterial nicht unmittelbar hervorgehen. So haben wir etwa Informationen über Beisetzungen berühmter Germanenfürsten aus den spätantiken und frühmittelalterlichen Quellen, etwa über die Bestattungen und die zu diesem Anlass vorgetragenen Preislieder und Totenklagen Alarichs, Attilas (der nach germanischem Ritual bestattet wurde) oder Theoderichs (Jordanes Getica 30, 158; 40, 256–260; 41, 214–215). Aus Heiligenviten und Missionarsliteratur erfahren wir einiges über die von christlicher Warte als Sakrilegien interpretierten Rituale an den Gräbern der Toten, gegen welche etwa die kirchliche Schrift Indiculus superstitionum et paganorum (Kap. 1) polemisiert. Der ausführliche Bericht über eine Bootsbestattung eines Wikingerfürsten durch den arabischen Gesandten Ibn Fad. la-n aus dem Wikingerreich der Rus an der Wolga (Anfang des 10. Jahrhunderts) bietet interessante Details, auch über die berüchtigte »Totenfolge«, also das freiwillige oder weniger freiwillige Nachfolgen eines oderer mehrerer Menschen als Begleitung des Verstorbenen, deren Übertragung auf mitteleuropäische Verhältnisse nur beschränkt statthaft sein dürfte3.
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Literarische Quellen Auch literarische Quellen können wichtige Informationen enthalten, wie etwa das angelsächsiche (auf skandinavische Traditionen zurückgehende) Epos Beowulf, das Reflexe früherer germanischer Bräuche enthält und dessen Handlung in die Zeit um 500 anzusetzen ist (das Manuskript der christlich geprägten schriftlichen Endfassung des Heldenlieds stammt aus dem 10. Jahrhundert, als Abfassungszeit kann das 7. Jahrhundert als wahrscheinlich gelten)4. Darin wird die prunkvolle Bestattung des titelgebenden Helden in seiner schwedischen Heimat folgendermaßen geschildert (3137–3147; 3169–3171): »Einen Wagen lud man des gewundenen Goldes Unmenge auf. Den Edling trugen sie, den wehrhaften Greis, nach Walfischhöft. Ihm errichteten dort die Recken der Gauten einen Scheiterhaufen, herrlich geschmückt, mit Helmen behängt und Heerschilden, blinkenden Brünnen, wie er geboten hatte. Sie legten da inmitten den geliebten Gebieter, die klagenden Helden, den hehren König. Den breitesten Brand auf dem Berg begannen die Fechter zu entfachen. Die Flamme ob den Scheitern stieg prasselnd empor mit pechschwarzem Qualm, von Wehruf begleitet – der Wind war entschlafen –, bis der Brand verzehrt des Gebeines Hülle, heiß im Innern. Unfrohen Herzens beklagten sie den Kummer, des Königs Tod. […] Dann umritten den Hügel die tapferen Krieger – zwölf an der Zahl und aus edlem Geschlecht – wollten klagend verkünden des Königs Gedenken, sein Erblied anstimmen und von dem Edlen reden. Sie rühmten sein Reckentum und bezeugten preisend seine gewaltige Tat«. Hier wird das Begräbnis eines führenden Angehörigen der Elite beschrieben, das bestimmte Kernelemente enthält, die recht bemerkenswert sind: So finden sich als wichtige Bestandteile des als Brandbestattung vorgestellten Begräbnisrituals die Deponierung wertvoller Beigaben, vor allem Waffen, die hier mit dem Toten verbrannt werden. Daneben spielen die Totenklage und Preislieder, wie auch aus den Berichten des Jordanes über die Grablege des Alarich oder des Theoderich hervorgeht, eine zentrale Rolle im Totenkult. In der Folge wird das Grab angelegt, im Falle des mächtigen Fürsten Beowulf ein stattlicher Grabhügel, wohl mit architektonischen Einbauten, der vom Gefolge des Königs kultisch umrundet wird. Natürlich haben wir in den wenigen Schriftquellen zu germanischen Begräbnissitten nur Beschreibungen zum Umgang mit hochwohlgeborenen Toten einer kleinen Elite, die sich solch aufwändige Grabsitten leisten konnte und deren herausragender Rang eine große Kultgemeinschaft bindet. Bevor wir diese Quellenhinweise ein wenig am archäologischen Befund überprüfen, soll noch die älteste Quelle zum germanischen Totenbrauch zitiert werden. Tacitus, der in seiner Germania die »edle Einfalt« der Germanen der Prunksucht der Rö-
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mer anklagend gegenüberstellen wollte, beschreibt die Grabsitten der Germanen um 100 n. Chr. folgendermaßen (Germ. 27): »Es gibt kein Prunken mit Leichenbegängnissen. Nur darauf achtet man, dass die Leichen berühmter Männer im Feuer gewisser Holzarten verbrannt werden. Den Scheiterhaufen beladen sie nicht mit einer Menge von Decken und Wohlgerüchen: jedem werden seine Waffen beigegeben, bei manchen wird ein Pferd mitverbrannt. Ein Rasenhügel erhebt sich über dem Grab. Die Ehrung durch hohe, kunstvolle Grabdenkmäler vermeiden sie, weil sie schwer auf den Toten lasten sollen. Das Klagen und Weinen lassen sie bald, Schmerz und Gram erst spät. Für Frauen schickt es sich zu trauern, für Männer zu gedenken«5. Wiewohl Tacitus mit Hintergedanken betont, dass die Germanen ihre Totefeiern sehr bescheiden gestalteten, ergeben sich für die beiden Darstellungen gewisse strukturelle Gemeinsamkeiten: Die hochherrschaftlichen Toten werden mit ihren Waffen verbrannt und dann unter (längerem oder kürzerem) Wehklagen in einem hügelartigen Grabbau beerdigt, was generell einen gewissen Aufwand erfordert.
Archäologischer Befund Konfrontieren wir nun diese Angaben mit dem archäologischen Befund, so ergibt sich, dass beide Darstellungen nur teilweise die archäologisch belegbaren Sachverhalte treffen. Zunächst einmal muss festgehalten werden, dass die Grabsitten der Germanen synchron eine enorme regionale Vielfalt aufweisen und diachron bedeutenden Veränderungen unterworfen waren, was dazu führt, dass man schwerlich von allgemeinen und über lange Zeit gültigen typisch »gemeingermanischen« Grabsitten sprechen kann6. Zu Tacitus’ Angaben: In seiner Zeit, wie in der Kaiserzeit allgemein, herrschte in der Tat – von seltenen Ausnahmen abgesehen – bei den Germanen die Brandbestattung vor. Diese erfolgte häufig in Urnengräbern (besonders für den elbgermanischen Raum typisch), bei denen der Leichenbrand in getöpferten Behältnissen oder solchen aus verderblichem Material (Holz, Leder) deponiert wurde. Daneben gab es auch noch sogenannte Brandschüttungsgräber und Brandgrubengräber, in denen der Leichenbrand mit anderen Scheiterhaufenresten und diversen Beigaben in Gruben bestattet wurde7. Auch die Beobachtung des Tacitus, dass die Germanen keine Prunkgräber hätten, trifft für seine Zeit weitgehend zu. Beigabenarme Gräber überwiegen den Befund der älteren Kaiserzeit. Die Sitte, den unverbrannten Körper in der Erde zu bestatten – eine bedeutende und noch immer in ihren Hintergründen und Ursachen nicht gänzlich verstandene Veränderung der Grabsitte – setzte sich vom östlichen Mitteldeutschland (frühe vereinzelte Kör-
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perbestattungen finden sich auch in Schlesien und Böhmen) über die gesamte Germania ausbreitend erst im 4. und 5. Jahrhundert großflächig bei den germanischen Völkern durch. Die sogennatnen »Lübsow-Gräber« (bzw. Fürstengräber vom Lübsow-Typ), reich ausgestattete Brandbestattungen und – das ist neu – frühe Körpergräber einer sich im weit von der römischen Grenze entfernt formierenden germanischen Elite, deren sporadisches Aufkommen ins späte 1. Jahrhundert datiert, kann Tacitus nicht gekannt haben8. Auffällig ist die Waffenlosigkeit dieser Gräber im Herzen der Germania. Waffenbeigaben, die Tacitus für alle Toten reklamiert, sind in seiner Zeit überaus selten, auch diese Sitte gehört eigentlich in die Völkerwanderungszeit und ist für die Gräber einer durch Kriegerideologie gekennzeichneten Elite dieser Epoche typisch. Pferdeknochen sind nur ganz vereinzelt in Grabkontexten belegt (möglicherweise Opferreste), Pferdebestattungen, wie Tacitus sie angibt, fehlen für die ältere Kaiserzeit fast völlig9. Grabhügel oder Hügelschüttungen, die in beiden Texten erwähnt wurden, sind für die Zeit des Tacitus überhaupt nicht belegt und später auch nur sporadisch anzutreffen, betreffen dann aber vor allem reich ausgestattete Gräber der Elite10. Die oberflächlichen und nur teilweise zutreffenden Angaben des Tacitus, deren Gültigkeit er für die ganze Germania postuliert, haben also nur einen begrenzten Quellenwert. Aus dem bisher Gesagten geht schon hervor, dass auch die Beschreibung des Begräbnisses des Beowulf keine exakte Darstellung der Gepflogenheiten um 500 (oder später) sein kann, wenngleich sich archäologische Zeugnisse aus Schweden beibringen lassen und auch das berühmte Fürstengrab in Sutton Hoo in England Parallelen aufweist11. Als ebenso exzeptionell wie die literarisch ausgeschmückte Grablege des Beowulf kann allenfalls das Fürstengrab des Merowingerkönigs Childerich gelten, der im Jahr 481 als bedeutender König der salischen Franken und ehemaliger General in römischen Diensten (ein sogenannter »Reichsgermane«) zu Grabe getragen wurde. Bei Childerichs Prunkgrab im belgischen Tournai, das bereits im 17. Jahrhundert entdeckt wurde und dessen überaus wertvolle Grabbeigaben – etwa Waffen und Schmuckgegenstände wie ein Siegelring mit der Inschrift CHILDERICI REGIS, der die Identifizierung des Toten möglich machte, goldene und edelsteinbesetzte Mantelapplikationen, Fibeln und über 100 Goldmünzen – weitgehend verloren gingen (die meisten Fundstücke sind nur durch alte Zeichnungen bekannt), handelte es sich um ein ebenfalls als Hügel mit Kammer angelegtes Grab. Die pompöse Bestattungszermonie, während derer die Reichtümer deponiert wurden, muss eine geradezu angeberische Machtdemonstration seines um Anerkennung als Nachfolger werbenden Sohnes Chlodwig gewesen sein12. Der König war – sofern man die Fundumstände von 1653 rekonstruieren kann – zusammen mit einem Pferd (seinem Lieblingsross?) im Grabhügel bestattet worden. Um den verschwenderischen Prunk auf die Spitze zu treiben, wurden am Grab
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21 wertvolle Pferde geopfert und in den Bestattungsort umgebende Gruben beigesetzt. Insgesamt müssen derartig pompöse Formen der Bestattung von Eliteangehörigen als Ausnahmen gelten. Zwar finden sich in den »gewöhnlichen« Gräbern der Kriegerelite seit dem 3. Jahrhundert und aus der Völkerwanderungszeit nun auch vermehrt Waffen und militärische Ausrüstung und verweisen mit überaus reichen Grabbeigaben auf eine zunehmend differenzierte Elite, allerdings kamen Brandbestattungen generell nicht mehr vor. Lediglich die (archäologisch nicht nachweisbaren) von allen Schriftquellen benannten rituellen Totenklagen und Preisgesänge wird man als typisches Beiwerk germanischer Bestattungen – auch mittels ethnographischer Vergleiche aus ganz Alteuropa – für die ganze germanische Welt gelten lassen können. Insgesamt kann man anhand der Grabausstattungen und -anlagen reicher »Fürstengräber« annehmen, dass die gesamte Beerdigungs- bzw. Verbrennungsprozedur von einer Reihe von Ritualen begleitet wurde (einige sind in den Quellen vermerkt), die in ihrer sorgfältigen Inszenierung die herausragende Persönlichkeit vor der versammelten Gemeinschaft in Erinnerung ruft.
Germanische Grabsitten Aus archäologischer Sicht lassen sich »gemeingermanische« Grabsitten aufgrund der regionalen und zeitlichen, sowie auch sozialen Unterschiede demnach kaum dingfest machen. Die bisweilen enormen Differenzen in den Befunden lassen sich damit erklären, dass Grabsitten zwar bedeutende kulturelle Botschaften transportieren und religiöse Vorstellungen oder auch ethnische und soziale Identitäten reflektieren – die wiederum regional und zeitlich unterschiedlich zu betrachten wären –, jedoch letztenendes auch Modeerscheinungen sind, die einem steten Wandel ausgesetzt sind. Grundsätzlich lässt sich für die Germania zusammenfassend feststellen, dass die Toten im 1. und 2. Jahrhundert, teil- und gebietsweise auch lange danach, grundsätzlich verbrannt wurden (Urnen-, Brandschüttungs- und Brandgrubengräber). Beginnend mit dem 2., verstärkt aber zwischen dem 4. und 6. Jahrhundert setzen sich Körperbestattungen durch, ein grundlegender Wandel, dessen Ursachen noch unzureichend erklärt sind13. Flachgräber herrschen vor, meist einfache Gruben, bisweilen mit Steinen eingefasst, selten, regional unterschiedlich (und eher später) werden auch Grabhügel errichtet. Bei den späteren Körpergräbern steigt der Variantenreichtum (Sargverwendung, Bau von Grabkammern). Grabbeigaben, die auch als Indikatoren für Geschlecht und sozialen Status dienen, sind höchst unterschiedlich und nicht zwingend gegeben (beigabenarme Gräber dominieren die Frühzeit). Neben Fibeln, Amuletten, Kämmen,
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Gürtelschnallen, Nahrungsmitteln (mit Behältnissen) etc. finden sich zu unterschiedlichen Zeitstufen auch Waffen in Gräbern.
Grabinventar Grabluxus einer Oberschicht, die sich in reich ausgestatteten Gräbern in Mitteldeutschland während des 3. Jahrhunderts belegen lässt (Haßleben-Leuna-Gruppe), umfasst wertvolle römische Importgegenstände und hochwertige lokale Produkte. Diese soziale Ausdifferenzierung hat wohl mit dem Kontakt dieser Eliten zur römischen Welt zu tun. Möglicherweise verdingten sich die germanischen Anführer als Söldner in der unruhigen Zeit der Soldatenkaiser und des gallischen Sonderreichs. Auch die eigentlich »ungermanische« Sitte, Toten Münzen als Fährgeld für Charon in den Mund zu legen, die bei einigen reichen Gräbern des 3. Jahrhunderts auftaucht, zeugt von intensiven Kontakten und der inhaltlichen Auseinandersetzung mit der mediterranen Geisteswelt, von der die gesellschaftlichen Eliten offenbar Elemente übernahmen14. Das 1990 entdeckte »Fürstengrab« nahe Gommern bei Magdeburg ist das eindrucksvollste und mit modernsten Methoden am besten erforschte Beispiel für die Grablege eines germanischen Anführers dieser Zeit15. Für die Kriegerelite im Rheingebiet, bei den sich seit dem 3. Jahrhundert formierenden Alamannen und Franken, sind Waffenbeigaben Standard und werden zum typischen Kennzeichen germanischer Grablegen16. Mit dieser Beigabensitte verbindet man die Ausbildung einer Kriegerideologie der oft im Dienste der Römer stehenden germanischen Söldner und Hilfstruppen und das Entstehen von ersten germanischen Gefolgschaftsgruppen. Weitere Veränderungen der Beigabensitten (bei Frauengräbern Fibelbeigabe in unterschiedlicher Anzahl oder deren Fehlen), das Aufkommen der in West-Ost-Orientierung ausgerichteten Reihengräberfelder im 5. Jahrhundert, sowie die Tatsache, dass die Goten, entgegen der Sitte der meisten germanischen Gruppen der Völkerwandrungszeit, nicht mit Waffenbeigaben bestattet wurden, komplettieren das Bild von einer wenig einheitlichen »germanischen« Bestattungspraxis. Dennoch liegen den Bräuchen bei allen Unterschieden gemeinsame Züge zugrunde. Der Grabkult bezieht sich neben seiner sozialen Komponente zur Darstellung von Status, Rang und Reichtum unmittelbar auch auf Vorstellungen von der Weiterexistenz der Bestatteten nach dem Tod. Darauf deuten neben Waffenbeigaben in Prunkgräbern vor allem ganz »alltägliche« und in den meisten Gräbern vorkommende Behältnisse hin, die – waren sie aus Keramik – sich erhalten haben und unterschiedliche Lebensmittel enthielten. Die in germanischen Gräbern gefundene Keramik zeigt aber oftmals auch Spuren absichtlichen, rituellen Zerschlagens der Töpfe und des Geschirrs, das wohl Teil des Grabrituals gewesen sein muss. Aus den räumlich und zeitlich zwar sehr unter-
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schiedlichen, aber prinzipiell verbreiteten Beigabensitten der Germanen schließt man folgerichtig auf eine religiöse Vorstellungswelt, die ein Fortleben des Verstorbenen nach dem Tod einschließt. Konkretes über die Jenseitsvorstellungen der germanischen Bevölkerung Mittel- und Nordeuropas während der ersten sieben Jahrhunderte n. Chr. lässt sich allein anhand der archäologischen Befunde nur eingeschränkt herausfinden. Bei den viel beachteten Prunkgräbern etwa hat man Grabbeigaben als Gegenstände gedeutet, die dem edlen Verstorbenen im Jenseits zu dienen hätten. So hat man die Beigaben von Ess- und Trinkgeschirr etwa als notwendige Utensilien für das »ewige Gelage« interpretiert, Waffen – unter Einbeziehung der altnordischen Überlieferung – als Ausrüstung für den Kampf in Walhall an der Seite Odins17. Anthropologische und historische Vergleiche lassen grundsätzlich den Schluss zu, dass Beigaben von Nahrungsmitteln meist als Wegzehrung für einen Übergang in eine andere Welt oder als Grundlage für ein Leben im Jenseits dienen sollen. Materielle Ausstattung (Waffen, Gebrauchsgegenstände) sollen es dem Verstorbenen ermöglichen, in ähnlichen Bedingungen wie zu Lebzeiten im Totenreich weiter zu leben18. Im Sinne eines Transfers des sozialen Status ins Jenseits sind die Unterschiede hinsichtlich des Wertes der Beigaben zu interpretieren, die besonders in den reich ausgestatteten »Fürstengräbern« herausragend waren. Kämme und andere Toilettenartikel lassen annehmen, dass auch Körperpflege im Jenseits eine Rolle spielte. Im Folgenden werden wir sehen, dass die aus der Überlieferung rekonstruierbaren Vorstellungen vom Leben nach dem Tod im germanischen Raum ähnlich uneinheitlich und vielgestaltig waren, wie die sich wandelnden Bestattungssitten.
Jenseitsvorstellungen Ist die Rede von germanischen Jenseitsvorstellungen, so wird jeder Leser sofort den Namen des Totenreichs der gefallen Krieger, Walhall (altnord. Valhöll), im Sinn haben. Diese allgemein unhinterfragte und zum Gemeinwissen über germanische Religion gewordene Verbindung verdanken wir maßgeblich – Wotan sei’s geklagt – Richard Wagner und der durch sein Werk nachhaltig bestimmten Rezeptionsgeschichte des »Germanentums« bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts. Vielleicht erscheint deshalb die Feststellung überraschend, dass Walhall nur einer von mehreren Jenseitsentwürfen innerhalb der Überlieferung ist, zudem ein recht später, da Walhall erstmals in Skaldengedichten des 10. Jahrhunderts erwähnt und ausführlicher in Eddagedichten und bei Snorri Sturluson dargestellt wird19. Die erste Quelle, die uns – allerdings sehr unspezifisch – von der Existenz von Jenseitsvorstellungen bei den Germanen berichtet, ist die Römische Geschichte des Appian von Alexandrien (ca. 95–165 n. Chr), der auch über Cae-
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sars Feldzug gegen den Suebenkönig Ariovist während des Gallischen Krieges schrieb. Dort bemerkt er über den Kampfesmut der Germanen, dass diese den Tod verachteten, »weil sie an ein Weiterleben nach dem Tod glaubten« (App. 4, Epit. 3)20.
Hel Für die Rekonstruktion der germanischen Jenseitsvorstellungen fehlen uns aber andere frühe und ausführlichere Quellen weitgehend, so dass wir auf sehr späte und überaus fragmentarische Zeugnisse angewiesen sind. Dennoch lassen sich neben dem bekannten Totenreich Walhall mehrere Aufenthaltsorte der Tote identifizieren und teilweise auch näher beschreiben. Nach Anders Hultgård kann sich der von Vielfalt geprägte germanische Jenseitsglaube im Gedanken an ein unterirdisches Totenreich, einen Aufenthalt im Himmel oder am Wohnort der Götter, Weiterleben im Grabhügel oder in einem bestimmten Familienberg oder der Wiedergeburt in einer Person späterer Generationen konkretisieren21. Zu den frühen und wohl bei den Germanen generell verbreiteten Vorstellungen über das Leben nach dem Tod gehört zunächst die auch durch die vorherrschende Erdbestattung gestützte Idee von einem unterirdischen Totenreich, das später in den nordischen Quellen als »Hel« auftaucht, es wird von einer gleichnamigen unheimlichen Unterweltsgöttin beherrscht22. Hel ist ein wenig diskriminierender, allgemeiner Aufenthaltsort der Toten, die Qualität seiner Bewohner wird nicht genauer spezifiziert, jedoch betont Snorri, dass dort in erster Linie die an Altersschwäche und Krankheit gestorbenen Aufnahme fänden. Damit erscheint Hel als komplementär zum Kriegerparadies Walhall. Auch Balder, der Sohn Odins befindet sich in der Hel, nachdem er durch die tückische Intrige Lokis vom eigenen Bruder Hödur versehentlich getötet wurde. Danach versucht ein weiterer Bruder, Hermodr – erfolglos – Balder von dort zurückzuholen, wodurch eine Schilderung Hels und ihrer Begrenzung auf uns gekommen ist. Auch berichtet der Mythos Balders Traum über Odins Ritt in die »dunkle Unterwelt« (Niflhel), um dort von einer aus dem Tode wiedererweckten Seherin mehr über das bevorstehende Schicksal seines Sohnes Balder zu erfahren. Aus diesen Erwähnungen der Hel geht hervor, dass ein Weg zu ihr führt (helvegr) und dass sie von einem Gatter von der Welt der Lebenden getrennt ist (helgrindr). Zentraler Ort ist eine große Halle. Darin findet Hermodr seinen Bruder Balder auf einem Ehrenplatz sitzend. Die Herrin der Unterwelt gilt Snorri als Tochter Lokis mit einer Riesin. Hels Geschwister sind unheimlichen und zerstörerische Kräfte symbolisierenden Wesen, nämlich die Midgardschlange und der Fenriswolf. Auch die Ausstattung und die Dienerschaft der Hel werden von Snorri genannt. Trotz der wenigen und teilweise unklaren Angeben
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(der Zugang zur Unterwelt ist einmal ein Weg, helvegr, andermal eine Brücke über den Totenfluss Gjöll), lässt sich Schlussfolgern, dass Hel als ein von alters her verborgener Ort galt, »dem mit Furcht und Grauen begegnet wurde«23.
Walhall Einer späteren Entwicklung gehört als Aufenthaltsort der Toten die Halle der gefallenen Krieger, Walhall, an. Die Walhallvorstellungen, deren wichtigste Textbelege sich auf das 10. Jahrhundert (Entstehungszeit) datieren lassen (die Eddalieder Grímnismál und Völuspá sowie die Skaldengedichte Hákonarmál und Eíriksmál), repräsentieren ein Jenseitsbild, das von Kriegerfürsten und ihrer Kriegerelite der späten Wikingerzeit geprägt wurde. Über dieses unter der dominanten Herrschaft Odins stehende Totenreich wissen wir allerdings am meisten, was gewöhnlich dazu geführt hat, diese späte, auf ein spezifisches Kriegerethos zugeschnittene Jenseitsvorstellung als gemeingermanische Vorstellung auch für die germanische Frühzeit und die Völkerwanderungszeit anzunehmen. Der Name des Ortes Walhall/Valhöll bezeichnet bereits seinen Zweck: Eine Halle (höll), welche die auf dem Schlachtfeld Gefallenen (valr) beherbergen soll. Diese Kriegertotenhalle ist der Wohnsitz Odins in Asgard. Dort schart er die Gefallenen um sich. Diese werden ihm von den Walküren, den weiblichen Totengeistern aus Odins Gefolge, zugeführt. Die Walküren, die die Krieger auf dem Schlachtfeld für Odins Tafel erwählen (altnord. kjósa, noch im aus der Mode gekommen Verb kiesen, erkoren (Perfekt) oder in der »Kür« wie beim Eiskunstlauf oder im Reitsport im Deutschen erhalten), sind in Walhall auch für den Ausschank der Getränke zuständig. Als solche werden in Walhall Wein, Bier und Met serviert, letzterer fließt aus dem Euter der Ziege Heidrun, die zum Inventar Walhalls gehört. Als Nahrung wird Schweinefleisch kredenzt, und zwar von einem Eber, der jeden Tag wieder zu neuem Leben aufersteht, um erneut an die Helden verfüttert zu werden. Die Helden, die nach ihrer Ankunft in Walhall Einherjer genannt werden, sind nicht nur versammelt, um Odin Gesellschaft zu leisten und in täglichen Kämpfen gegeneinander ihren Mut und ihre Geschicklichkeit zu beweisen. Sie sollen bei der Ragnarök, dem Weltenende, an der Seite Odins gegen die destruktiven Mächte kämpfen. Möglicherweise sind schon christliche Paradiesvorstellungen in die Überlieferung eingegangen, die aus einem vormals vielleicht düstereren und unfreundlicheren Schattenreich ein Kriegerparadies haben werden lassen, das Vorstellungen von ruhmvollem Nachleben und angenehmem Zeitvertreib bietet. Sowohl die etwas unfreundlichere Totenwelt Hel, als auch Walhall haben indes ein Defizit, über das auch die Wettkämpfe der Einherjer und ausgiebiger Metkonsum nicht hinwegtrösten kann: Es gibt keine Frauen, die Helden sind unter sich. Dieser Sachverhalt verweist erneut auf die problematische Einseitigkeit der
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Überlieferung, denn aus archäologischer Sicht sind oftmals gerade die Frauengräber mit den reichhaltigsten und wertvollsten Beigaben versehen (Fibeln aus Edelmetallen, Toilettengeschirre etc.), was nahe legt, dass auch die weiblichen Mitglieder der Gesellschaft »Anteil am Himmelreich« hatten, wenngleich wir darüber keine Schriftquellen haben24. Walhall ist jedenfalls nur eine Art »Elitenhimmel«, ausgedacht und propagiert von einer wikingerzeitlichen Kriegerkaste. Gewöhnliche Leute, etwa Bauern, die nach Ausweis der Archäologie für die Lebensgrundlage der Gesellschaften des frühmittelalterlichen Nordens sorgten und deren größte soziale Gruppe bildeten, hatten dort keinen Platz. Die Vielfältigkeit der Jenseitsvorstellungen, von denen wir nur die spätesten Stufen aus Skandinavien kennen (für die mitteleuropäische Germania der römischen Kaiserzeit und der Völkerwanderungszeit fehlen ausführliche Darstellungen völlig), wird durch die in der schriftlichen Überlieferung angedeutete Existenz weiterer Aufenthaltsorte der Toten unterstrichen. So gab es in der Vorstellung des von Nord- und Ostsee geprägten Skandinaviens des Frühmittelalters auch das Totenreich Ran, das die Ertrunkenen aufnahm. Offenbar mit alten Ahnenkulten oder auch mit verbreiteter Toten- und Gespensterfurcht zusammenhängende Vorstellungen verweisen auf ein Fortleben der Verstorbenen im Grabhügel oder in bestimmten Bergen. Hierfür gibt es Beispiele aus der nordischen Literatur, aber auch die mittelalterlichen Königssagen haben diese Vorstellung über die Romantik bis heute tradiert. So gilt nach der Sage der Kyffhäuser als Ort, in dem der Kaiser Friedrich Barbarossa nur schläft. Auch die Vorstellung des konkreten Weiterlebens von Verstorbenen in ihren Nachkommen, die den Namen des Verblichenen bekommen, ist überliefert.
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9 Römische Auslegung: Die Rheinlande als Kontaktzone der Religionen
Interpretatio Romana, römische Auslegung, nennt man in Anlehnung an Tacitus, der als einziger antiker Autor diesen Begriff gebraucht hat (Germ. 43), die Sitte der Römer, fremde Gottheiten ihren eigenen Vorstellungen und Gebräuchen anzugleichen und durch Identifikation mit den Göttern des römischen Götterhimmels der eigenen Religion gewissermaßen einzuverleiben. Praktisch handelt es sich genau um jenes Phänomen, das sich bei antiken Autoren belegen lässt, etwa germanische Gottheiten meist nicht mit Eigennamen zu bezeichnen sondern mit – interpretatione Romana – den Göttern aus der eigenen Vorstellungswelt zu identifizieren, die nach Meinung dieser Autoren die meisten oder wenigstens einige Charakteristika mit den barbarischen Göttern teilen1. Dies betrifft etwa die Gleichsetzung Merkurs mit Wodan/Odin oder des Herkules mit Donar/Thor, wie sie aus den Quellen erschlossen werden kann (siehe oben Kap. 5). An der einschlägigen Stelle der Germania, an der Tacitus einmalig den Begriff interpretatio Romana verwendet, identifiziert er ein göttliches Brüderpaar, das beim Stamm der Nahanarvaler unter dem Namen Alken (Alcis) verehrt wurde, in römischer Auslegung mit dem Brüderpaar Castor und Pollux (ebenfalls oben Kap. 5)2. Umgekehrt zeugt diese Sitte von der innerhalb der römischen Welt und bei ihren indogermanischen Nachbarvölkern auszumachenden großen Flexibilität des Polytheismus, die nicht nur die wechselseitige Anerkennung und Identifikation von vorderhand ähnlichen Gottheiten, sondern auch die Integration fremder Kulte ermöglichte. Dieser Flexibilität und Offenheit des polytheistischen Götterhimmels haben wir die meisten Informationen für eine Vielzahl germanischer Gottheiten zu verdanken, die in den späten Schriften zur Kriegerreligion des Nordens überhaupt keine Rolle spielen. Denn nur durch den Kontakt der einheimischen Bevölkerung in den nördlichen und westlichen Reichsgebieten mit der römischen Religion und durch den Prozess der Romanisierung, also der Angleichung der einheimischen Sitten an die Vorbilder der »Leitkultur« und damit die Entwicklung einer römischen Reichskultur, die römische und »barbarische« Elemente aufnahm, wurde auch der sehr eigene Brauch weitergegeben, Inschriftensteine bei unterschiedlichsten Gelegenheiten zu setzen3.
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Textquellen Neben öffentlichen Bekanntmachungen gleichkommenden Publikationen von Gesetzen oder Ehrendekreten bestimmten vor allem Grabinschriften und im Bereich der Religion, der uns in diesem Kontext ausschließlich interessiert, inschriftliche Weihungen an Gottheiten den Alltag der Provinzbewohner. Üblicherweise weihten Anhänger eines Gottes altarähnliche Steine (die Formen der Inschriftensteine sind allerdings vielfältig), um der angerufenen Gottheit öffentlich für eine Wohltat zu danken oder den durch die Gottheit erfahrenen Schutz (etwa vor Unglück oder Krankheit) zu bekunden4. Dabei verweist der Stifter meist in knappen, oft abgekürzten Worten, denn Material und Steinmetzarbeit kosteten Geld, auf ein vorangegangenes Gelübde, das er nun mit der Setzung des Steins einlöst. Manchmal enthalten die Steine auch halbplastische Darstellungen von Göttern oder Kulthandlungen, die auch im gallo-germanischen Grenzgebiet des Imperium Romanum weitgehend an den Vorgaben der klassischen Ikonographie der römischen Tradition orientiert sind. Nehmen wir als typisches Beispiel für so eine Votivinschrift eine in Bonn gefundene Weihung an den bereits genannten Hercules Magusanus, der im Bereich des Niederrheins und in den heutigen Niederlanden, dem Gebiet des germanischen Stammes der Bataver, verehrt wurde5: »Dem Hercules Magusanus [geweiht von] Quintus Clodius, Centurio der I. Legion Minervia Pia Fidelis, er löste das gegebene Gelübde gern und wie es gebührt ein«6.
Sprechende Namen Diesem im ganzen Römerreich verbreiteten Brauch verdanken wir einen Großteil unseres leider nur fragmentarischen Wissens über die Vielzahl germanischer oder keltischer Gottheiten, die an der Nordwestgrenze des Römerreichs von einer zunehmend romanisierten keltisch-germanischen Mischbevölkerung verehrt wurden. Ähnliche Weihungen wie die an Hercules Magusanus wurden für eine Vielzahl von Gottheiten germanischen Ursprungs in diesem römisch-germanischen Grenzgebiet gesetzt. So kennen wir auf diese Weise etwa Mars Halamardus, Hercules Saxanus, Mercurius Cimbrianus, Hranno, Friausius und Leudisio sowie viele andere Göttinnen und Götter eindeutig germanischen Ursprungs. Insgesamt rund 160 Gottheiten, römische und einheimische, sind für die Rheinlande namentlich bekannt7. Besonders interessant sind die vielen weiblichen Gottheiten, die uns nur inschriftlich bekannt sind, besonders prominent unter ihnen, die im Rheinland heimischen sogenannten »Matronen« (zu ihnen und anderen weiblichen Gottheiten mehr im folgenden Kapitel, Kap. 10).
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Das Verb »kennen« ist in diesem Zusammenhang eine grobe Übertreibung, denn wir kennen eigentlich nur die möglicherweise ursprünglichen Namen von einheimischen Göttern, über die wir ansonsten keinerlei weitere Informationen erhalten haben, die uns – überdies in lateinischer Sprache – in ihrer romanisierten Wahrnehmung und synkretistischen Umdeutung entgegentreten. Der aus altertumswissenschaftlicher Sicht empfundene Segen, mit den teilweise »sprechenden« Namen wenigstens einige Informationen über die Vielfalt der germanischen Götterwelt zur römischen Kaiserzeit gewinnen zu können, ist zugleich auch ein Fluch. Denn einige ernsthafte Probleme stellen sich einer zweifelsfreien und restlosen Deutung der Befunde in den Weg. Zwar lassen sich eine ganze Reihe der Beinamen als germanischen Ursprungs deuten, wie die germanistische Linguistik herausfinden konnte, manche lassen sich sogar leicht übersetzen (so etwa die Göttin Friagabi, »die Freigiebige«, RIB 1576), aber viele den Zeitgenossen und Dedikanten geläufige vielleicht ursprünglich germanische Aspekte der Gottheiten sind durch die interpretatio Romana, bzw. umgekehrt durch die interpretatio Germanica der römischen Götter Merkur, Herkules oder Mars verloren gegangen und in Ermangelung von Schriftquellen nicht zu identifizieren. Darüber hinaus sind viele der Zuweisungen uneindeutig und der germanische Ursprung umstritten. Seit den Brüdern Grimm versuchten Generationen von Altgermanisten und Keltologen mitunter mit zweifelhaftem Erfolg den germanischen oder keltischen Sprachbestand der auf Inschriften auftauchenden Götternamen genauer zu bestimmen8. Eine weitere Schwierigkeit ergibt sich daraus, dass alle Kenntnisse über die einheimischen Götternamen lateinischen Texten entstammen, da die Sitte, Inschriftensteine zu setzen, eng an die römische Lebensweise gebunden war. Da die Dedikanten zudem oftmals die ganz typischen Namen römischer Bürger tragen, lässt sich nicht immer ermitteln, ob es sich bei ihnen um frisch romanisierte Neurömer, die noch vor ein zwei Generationen als germanische Bauern ihre Gehöfte bewohnten, oder um eingewanderte Kolonisten und Militärangehörige handelte, die als »echte« Römer die einheimischen Traditionen verehrenswert fanden. Da die römische Einbürgerungspolitik es der romanisierten Provinzbevölkerung ermöglichte, in kurzer Zeit zu Amt und Würden unter römischen Vorzeichen zu gelangen, wird man nur bei aufgrund von Stammesbezeichnung oder Name eindeutig als Germanen identifizierbaren Dedikanten, wie etwa einer Gruppe Bataver, die als Militärangehörige in Rom dem Hercules Magusanus eine Inschrift weihten (CIL 6, 31162), sicher sein können, es mit germanischen Verehrern zu tun zu haben. Im Falle des Centurio Titus Domitius Vindex, der dem aufgrund sprachwissenschaftlicher Kriterien als Gott germanischen Ursprungs identifizierten Mars Halamardus einen Stein setzte (CIL 13, 8707), wird sich nicht ermitteln lassen, ob er germanische, keltische oder italisch-römische Vorfahren hatte. Der römische Polytheismus ermöglichte eben
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auch die Pflege »neuer« oder »eingebürgerter« Kulte, die gerade auch durch Armeeangehörige Verbreitung im ganzen Imperium fanden. Dennoch liefern die Inschriftensteine aus dem Rheinland eine ganze Menge wichtiger Erkenntnisse über die religiösen Gegebenheiten in diesem von der Grenze und dem Austausch mit dem rechtsrheinischen Germanien geprägten Gebiet. Die Informationen über die ursprüngliche Religion der bodenständigen Bevölkerung sind dabei in der Tat recht begrenzt. Allenfalls lässt sich erkennen – auch das ist aber eine wichtige Einsicht –, dass die germanische Götterwelt keineswegs auf das verengte Pantheon der so suggestiven nordischen Mythologie der Spätzeit beschränkt war, sondern eine Vielzahl von übermächtigen Wesenheiten existierten, deren Vielfalt und Bedeutung sich anhand des Inschriftenbefunds nur noch vage erahnen lässt.
Materielle Kultur Handfestere Erkenntnisse lassen sich jedoch zur romanisierten Mischbevölkerung des Grenzgebietes gewinnen und zur religiösen Kommunikation innerhalb kompatibler polytheistischer Systeme. Zunächst einmal lässt sich feststellen, dass auch in der römischen Kaiserzeit entgegen der schematischen Einteilung durch Caesar, der aus eigennützigen Gründen simplifizierend rechtsrheinisch die Germanen, linksrheinisch die Kelten verortete (siehe oben Kap. 3), eine germanisch-keltische Mischbevölkerung in Niedergermanien lebte, wie man vor allem aus den archäologischen Zeugnissen und an den Votivinschriften erkennen kann9. Die materielle Kultur der auf beiden Seiten des Flusses gelegnen Gebiete, die bis zur römischen Eroberung stark von der keltischen La-Tène-Kultur geprägt waren, umfasste auch die eindeutig als Germanen anzusprechenden Gruppen. Außerdem zeigen Namensstudien, dass auch viele der in den Rheinlanden im Rahmen des Ausbaus der Provinz Germania inferior angesiedelten »Römer« selbst eigentlich romanisierte Kelten waren10. So wird deutlich, dass gerade in dieser Grenzregion am Mittel- und Niederrhein Römer, Gallo-Römer, Germano-Römer und Germanen mit- und nebeneinander lebten. Die für unser heutiges Schubladendenken so wichtige ethnische Unterscheidung ist oftmals auch mittels gediegender wissenschaftlicher Methoden der Linguisten und Archäologen nicht einfach zu treffen. Sicherlich waren diese für moderne nationalgeschichtliche Traditionen essentiellen Unterschiede für die Angehörigen der benachbarten Gemeinschaften, die oftmals Sprache, Religion oder materielle Kultur wenigsten partiell teilten, in äußerst geringem Maße relevant.
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Synkretismus Gerade die synkretistischen Verschmelzungen religiöser Traditionen in dieser Region lassen daher die wechselseitige Beeinflussung keltischer, germanischer und römischer Vorstellungen erkennen. Die Sprachwissenschaftler konnten dabei entscheidende Erkenntnisse aus den Götternamen gewinnen, die sich in vielen Fällen eindeutig germanischen oder keltischen Wurzeln zuordnen lassen. Über die Weihenden sagen diese Zuordnungen allerdings recht wenig aus. Die Beinamen können in der Tat auf »römische Interpretationen« einheimischer Gottheiten hinweisen, viel eher aber auf Formen der interpretatio Germanica. Denn meistens wird es sich um Identifizierungen lokaler Gottheiten durch Ortsansässige mit einer römischen Gottheit gehandelt haben, da die Römer von wenigen Ausnahmen abgesehen, kein Interesse an den Göttern und Kulten der Provinzbevölkerung hatten11. Wir erinnern uns, dass – seit der Benennung der Wochentage wohl auch von den Germanen selbst – die wichtigsten Götter der Germanen, Wodan, Donar und der später weniger bedeutende *Tiwaz/Tiu mit Merkur, Hercules und Mars – interpretatione Germanica – gleichgesetzt wurden. Entsprechend wird man den Mercurius Cimbrianus, der mehrfach auf Inschriften im Rhein-Neckarraum nachgewiesen ist, mit einiger Berechtigung als den Wodan des germanischen Stammes der Kimbern deuten können12. Die Identifzierung der einheimischen Götter mit römischen Vorbildern war keineswegs eine komplizierte Angelegenheit, sondern erfolgte nach den Regeln polytheistischen Pluralismus auf geradezu organische Weise. Der Polytheismus der Antike ist ein prinzipiell offenes religiöses System und ermöglicht Aufnahme und Angleichung fremder Kulte ohne Probleme. Formal geschieht das, indem entweder der Name einer römischen Gottheit auf eine einheimische übertragen oder dem einheimischen Gott der Name der römischen Entsprechung vorangestellt wird, der einheimische Name somit noch als als Beiname erhalten bleibt13. Dabei ist jedoch bemerkenswert, dass in Niedergermanien auf diese Weise nur mit männlichen Gottheiten verfahren wird, die in fast 700 Inschriften genannten einheimischen Göttinnen werden durchweg nur mit ihren germanischen bzw. gallischen Namen bezeichnet. Und im Gegensatz zur mindestens regionalen Verbreitung ihrer männlichen Pendants (durch Stationierung von im römischen Militär inskribierten Kultanhängern in fernen Ländern bisweilen auch »international« verbreitet) sind die Göttinen nur lokal bezeugt14.
Der Götterhimmel Man muss sich den Götterhimmel der Römer als potenziell unbegrenztes Reservoir an Gottheiten vorstellen, bedeutenderen und weniger bedeutenderen, über-
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regional bekannten und nur lokal verehrten15. Für den Einzelnen ergaben sich auf diese Weise mannigfaltige Auswahlmöglichkeiten, denn niemand verehrte alle bekannten Götter, sondern Gruppen und Individuen setzen ihre eigene religiöse Erfahrungswelt aus den angebotenen Bausteinen eines arbeitsteilig und hierarchisch strukturierten Pantheons zusammen. Dies erfolgte nach Vorgaben, die der Tradition, den regionalen Heiligtümern oder der beruflichen Ausrichtung geschuldet waren (es gab etwa Gottheiten die vor allem von Soldaten, andere, die besonders von Händlern verehrt wurden). So wurden die römischen Hauptgötter, die kapitolinische Trias bestehend aus Jupiter, Juno und Minerva reichsweit mit besonders vielen Weihungen bedacht, aber auch ganze Gruppen von Gottheiten konnten in einer Art »Rundumschlag« zufriedengestellt werden, oder einzelne Götter wurden individuell bevorzugt, darunter oftmals nur wenig bekannte oder nur regional verbreitete Numina, die uns bisweilen nur in einzelnen Nennungen aus Inschriften bekannt sind und entsprechend Rätsel aufgeben. Zu diesen Gottheiten mit meist nur lokaler Verbreitung gehören etwa die in diesem Zusammenhang genannten, mit einheimischen Beinamen benannten Mercurii oder Herculi, die den natürlichen Prozess der römischen bzw. germanischen Interpretation durchlaufen haben. Denn diese »Übersetzungen« und Angleichungen sind gerade bei benachbarten Völkern mit indogermanischen Wurzeln keine Schwierigkeit, sondern erfolgten auf unhinterfragte Weise und ermöglichen so gegenseitige Anerkennung und Wahrung eigener Traditionen in einem gegebenen Rahmen. Auf diese Weise entstanden in der religiösen Praxis der Provinzen – aber auch im römisch dominierten Italien – regionale und lokale Ensembles von Göttern und Kulten mit unterschiedlichen Schwerpunkten, die aber problemlos an das allgemein anerkannte und durch die römische »Leitkultur« vorgegebene Pantheon durch die Praxis der Zuordnung von Beinamen anknüpfen ließen16.
Hercules Magusanus Wenden wir uns nun einigen konkreten Beispielen für die synkritistische Aneignung durch interpretatio Romana respektive interpretatio Germanica zu: Exemplarisch kann der mehrfach erwähnte Hercules Magusanus zur Illustration dienen. Aus rund 20 meist in Niedergermanien gefundenen Inschriften, darunter auch vier gravierte Armringe und zwei Münzen, ist dieser Gott bekannt17. Dass er germanischen Ursprungs gewesen sein muss, bezeugen einerseits die Weihenden, die sich in vielen Fällen dem Namen nach oder aufgrund der Stammesbezeichnung in den Texten eindeutig als Germanen identifizieren lassen. Die räumliche Verteilung der diesem Gott geweihten Steine hat einen Schwerpunkt in den heutigen Niederlanden, dem Gebiet, in dem in der Antike der Stamm der Bataver siedelte. Aber auch in Orten in Deutschland,
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wie Xanten, Köln und Bonn, dem Gebiet der Ubier, fanden sich Inschriften für Hercules Magusanus.
Abb. 7: Der Weihaltar für Hercules Magusanus aus Gherla (Historisches Museum Klausenburg, Rumänien).
Das hier abgedruckte Beispiel (Abb. 7) zeigt einen Weihaltar aus dem rumänischen Gherla, der von einem der Soldaten namens Aurelius Tato gestiftet wurde (AE 1977, 704). Auch zwei weitere Weihungen an Hercules Magusanus in Rumänien verweisen auf Soldaten von wahrscheinlich germanischer Herkunft, die – wie auch die batavischen Reiter aus der oben genannten Inschrift in Rom – ihrem heimatlichen Gott danken18. Der Beiname Tato ist nicht sehr häufig und kommt auch am Niederrhein vor, weshalb man den Unteroffizier herkunftsmäßig dieser Region zuordnen will19. Möglicherweise war Hercules Magusanus der wichtigste Stammesgott der Bataver, dem die bedeutendsten Heiligtümer der Region, wie etwa der Tempel von Empel, geweiht waren20. Aufgrund der geographischen Zuordnung ins Batavergebiet und der oft als Germanen identifizierbaren Dedikanten gilt der germanische Charakter dieses interpretatione Germanica mit Hercules identifiziertem Gottes als erwiesen, und die moderne Forschung setzt ihn allgemein mit Donar gleich21. Die älteste Inschrift, die aus der Mitte des 1. Jahrhunderts nach Christus stammt, zeigt darüber hinaus an, dass wir es offenbar wirklich mit einem ursprünglichen Gott Magusanus zu tun haben, der dann von den germanischen Verehrern dem
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Hercules zugeordnet wurde, denn die Inschrift ist Magusano Herculi geweiht (in dieser Wortfolge), der Name wird also nicht adjetivisch gebraucht22. Die Sprachwissenschaftler haben darüber hinaus versucht, dem Namen Magusanus mit ihren Methoden beizukommen. Wenngleich hier im Gegensatz zu anderen, eindeutigeren Namensgebungen keine letztendliche Gewissheit erzielt werden kann, führt Norbert Wagner überzeugende Argumente an, dass die Bildung Magusanus von *Maguz/s-naz abzuleiten sei (zu germ. *mag »können«), worunter »der zur Kraft, Stärke Gehörige«, bzw. »deren Herr« zu verstehen sei23.
Mars Halamardus und Mars Thingsus Mars Halamardus wird nur in einer Inschrift genannt. Sie stammt aus einem Dorf in der niederländischen Provinz Limburg und wurde (siehe oben) von einem Centurio namens Titus Domitius Vindex gestiftet. Hier kann nur die Sprachwissenschaft weiterhelfen, die den Namen als eindeutig germanischen Ursprungs ausweist. Die schon seit dem Ende des 19. Jahrhunderts vorgeschlagene Deutung, der Name sei mit »der Männermordende« oder »der Helden Tötende« zu übersetzen, ist immer noch die überzeugendste und entspricht nicht nur dem kriegerischen Charakter des Stifters, sondern passt auch zum Kriegsgott Mars24. Ebenfalls um eine germanische interpretatio handelt es sich bei Mars Thingsus (Thincsus in der Inschrift), der mit seinem Namen auf die germanische Versammlung der freien Männer, das »Thing/Ding« verweist. Man hat entsprechend einen Gott *Þingsaz als Schutzgott des Things, der Volks- und Kriegsversammlung, aus der leider einzigen Nennung dieses Götternamens abgeleitet. Sie findet sich auf einer Inschrift vom britischen Hadrianswall, die man aber mit einer seltenen Sicherheit germanischen Dedikanten zuordnen und aufgrund einer weiteren Weihung der gleichen Bewohner der niederländischen Landschaft Twente (cives Tuihanti), die einer friesischen Reitertruppe angehörten (cuneus Frisorum), genau auf die Zeit der Regierung des Severus Alexander (222–235) datieren kann25. Über den Charakter dieses Gottes ist trotz des sprechenden Namens viel gestritten worden. Wie man die Identifikation mit dem Kriegsgott Marsin Einklang mit dem scheinbar friedlichen Charakters eines Schutzgottes für die Versammlung (vielleicht in erster Linie die Heeresversammlung) zu bringen ist, wurde intensiv diskutiert und muss hier nicht weiter verfolgt werden26. Ähnlich umstritten sind die Deutungen für eine ganze Reihe anderer Gottheiten, deren Namen meist auch nur ein einziges Mal oft auf schwer entzifferbaren Inschriftensteinen belegt sind, wie etwa Hercules Alabuandus, Hercules Deusoniensis, oder die als interpretationes des als Wodan gedeuteten Mercurius
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Friausius, Mercurius Leudisio oder Mercurius Hranno. Letzterer wurde mit dem Odinsnamen Hrani aus einer spät überlieferten Islandsage in Verbindung gebracht27.
Aufgaben der Götter Gemeinsam ist weitgehend allen aus dem linksrheinischen Germanien bekannten Gottheiten mit germanischen Wurzeln, dass wir nur in den seltensten Fällen Aussagen über ihre Funktion, ihr »Aufgabengebiet« machen können. Auch vermeintlich sprechende Namen wie Thingsus oder Halamardus lassen nur grobe Vermutungen zu, wenn literarische Quellen fehlen. Naheliegenderweise erfüllten die nur durch die Beinamen erkennbaren germanischen Gottheiten ähnliche Aufgaben, wie auch die römischen Götter. Sie wurden angerufen, ihren Verehrern Schutz und Beistand zu gewähren, Wohlstand zu sichern, für Fruchtbarkeit der Felder und der Tiere zu sorgen, den Sieg im Kampf zu bringen und den Verehrern im allgegenwärtigen Krieg beizustehen. Dass letzterer Aspekt in der kelto-germanischen Welt am Mittel- und Niederrhein vor der Pazifizierung durch die Römer besonders wichtig war, zeigen die archäologischen Befunde für die vorrömische Eisenzeit mit vielen Waffenweihungen an den Kultstätten und den mit Waffenbeigaben versehenen Gräbern in dieser Region, sowie die Schriftquellen, die die ansässigen keltischen und germanischen Stämme als besonders kriegerisch ausweisen. Zumindest die Eliten dieser Stämme waren von einem Kriegerethos geprägt, das jedoch im Zuge der Romanisierung in den Hintergrund trat, wie der Rückgang der Waffenopfer im 1. Jahrhundert nach Christus nahe legt28. Man muss sich vor Augen halten, dass wir es zur Zeit der Auseinandersetzungen mit den Römern in der Mitte des 1. Jahrhunderts vor Christus bis zur Mitte des 1. Jahrhunderts nach Christus bei den ansässigen Gruppen mit einer Kriegergesellschaft zu tun haben. Dieser Sachverhalt mag den Grund dafür liefern, dass die einheimischen Götter von ihren Verehrern gerade mit denjenigen Göttern der Römer identifiziert wurden, die wie der keulenschwingende Kämpfer Hercules oder der todbringende Kriegsgott Mars dem Ethos der Elite näher standen29. Die gallo-germanische Mischbevölkerung der Rheinlande zeigte ihre religiöse Vielfältigkeit im Rahmen des Romanisierungsprozesses durch die Verehrung einheimischer Götter, die mit römischen Gottheiten identifiziert werden und auf diese Weise auch von Teilen des römischen Militärs verehrt werden konnte. Die bei einigen dieser Götter noch anzutreffenden germanischen Elemente können als Reste, als sprachliche Relikte gedeutet werden, die eine Bevölkerung sich bewahrt hat, die einen Akkulturationsprozess in einer prägenden gallo-römischen Umgebung durchlaufen hat30. Nur dem sogenannten epigraphic habit, der römischen Sitte, Inschriftensteine aufzustellen, verdanken wir überhaupt
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Hinweise auf die religiöse Vielfalt germanischer Kulte in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung. Diese Vielfalt muss enorm gewesen sein und war weit diversifizierter, als die nordischen Schwundstufen eines germanischen Pantheon suggerieren. Dies zeigen nicht nur die römischen und germanischen Interpretationen, wie sie uns in den Beinamen männlicher Gottheiten erhalten sind, sondern besonders deutlich die Bezeichnungen der vielen Göttinnen mit germanischen Eigennamen. Diese weiblichen Namen sind in weit größerer Zahl inschriftlich überliefert und bezeugen die Bedeutung des Weiblichen in ursprünglichen Kulten der rheinländischen Germanen.
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Das Beispiel der Matronen im Rheinland Abb. 8 zeigt ein Weihrelief aus Bonn, das neben einer Inschrift auch eine eindrucksvolle halbplastische Darstellung aufweist. Im Zentrum des Arrangements befinden sich drei Frauen, wobei zwei ältere Damen mit auffälligen Hauben eine jüngere Frau rechts und links flankieren. Rechts und links sind trotz Beschädigung ein Diener bzw. eine Dienerin zu erkennen, im Hintergrund befinden sich die Büsten dreier Personen. Die drei Damen im Vordergrund halten Körbe mit Früchten in den Händen. Ihre Kleider, die in der Mitte mit einer auffälligen, als Schleife oder Fibel anzusprechenden Schließe zusammengehalten werden, sind ganz unrömisch und können als einheimische Tracht der ubischen Frauen identifiziert werden. Denn bei den drei Damen im Zentrum handelt es sich um sogenannte »Matronen«, weibliche Gottheiten mit mütterlichen Aspekten, die ganz vorwiegend im Rheinland anzutreffen sind1. Die Inschrift weist sie als die »aufanischen Matronen« aus, denen Heiligtümer in Bonn und in Nettersheim, dem Gebiet des in und um Köln siedelnden germanischen Stammes der Ubier, gewidmet waren: »Den aufanischen Matronen hat Quintus Vettius Severus, Kämmerer in Köln, das Gelübde gerne für erwiesene Wohltat eingelöst, im Jahr der Konsuln Macrinus und Celsus (164 n. Chr.)«2. Der gut erhaltene Stein des Vettius Severus zeigt ganz typische Elemente der Ikonographie dieser Matronen, von denen sich allein in Niedergermanien über 800 Inschriften erhalten haben. Sie werden fast kanonisch in dieser Form, auf jeden Fall immer zu dritt dargestellt.
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Abb. 8: Weihung an die Aufanischen Matronen von Q. Vettius (Bonn, Rheinisches Landesmuseum)
Benennung der Matronen Dass es sich beim Matronenkult um einen einheimischen Fruchtbarkeitskult gehandelt haben muss, belegen nicht nur die mütterlichen Gottheiten und die mit Früchten gefüllten Behältnisse in vielen Darstellungen, sondern auch bisweilen sprechende Beinamen. So sind inschriftlich auch die Matronae Alagabiae belegt, die »allgebenden Matronen«3. Nicht immer sind die Beinamen der Matronen so einfach zu deuten, wie in diesem Fall, der klar die germanische Namensbildung erkennen lässt4. Bei allem kontroversen Disput der Sprachwissenschaftler über Bedeutung und Zuordnung der über 120 Matronenbeinamen5, den wir hier nicht verfolgen müssen, lässt sich festhalten, dass die Namen entweder dem Keltischen oder dem Germanischen entstammen und lateinische Formen
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aufweisen. Vereinfacht gesagt gibt es hinsichtlich ihrer Bedeutung vier semantische Gruppen: Ableitungen von Ortsnamen, von Stammesbezeichnungen, von Gewässernamen und Namen, die charakteristische Eigenschaften und Handlungen widerspiegeln. Zu letzteren gehören etwa die bereits erwähnten Alagabiae, die »Allgebenden«, ebenso wie die Gabiae oder Friagabiae (die Freigiebigen), alle zu ahd. geban, geben6. Ethnonyme bilden die Basis für Bildungen wie Matronae Frisavae oder Suebae, bei den Matronae Albiahenae oder Nersihenae standen Gewässernamen Pate, von Siedlungsnamen abgeleitet – und diese Gruppe der »topischen« Beinamen ist die größte – sind etwa die Matronae Fachinehae (bezieht sich auf germ. *facha, »Fischwehr«, in Ortsnamen wie Fachingen erhalten) oder die »östlichen« Matronae Austriahenae (zu austraOsten)7. Aus den archäologischen und epigraphischen Forschungen der letzten Jahrzehnte ergibt sich folgendes, immer noch lückenhaftes Bild über Entstehung und Wesen des Matronenkults8: Ursprünglich handelte es sich beim Matronenkult wohl um einen bodenständigen Kult, bei dem Bäume eine wichtige Rolle gespielt zu haben scheinen. Auf diesen, zu einem allgemeinen, auch aus Tacitus bekannten Wesenszug germanischer Religion passenden Aspekt verweisen etwa die Überreste einer dreidimensionalen Baumskulptur an einer zentralen Stelle des Matronenheiligtums von Nettersheim, die wahrscheinlich den ursprünglichen Standort eines heiligen Baums markierte9. Der Kontakt zu den Römern bewirkte die Transformation des einheimischen Kultes, der ursprünglich wohl der Ahnenverehrung gegolten hat, und führte zu bildlichen und inschriftlichen Weihungen, die neuerdings bereits seit dem 1. Jahrhundert belegt sind, und zur Errichtung von lokalen Heiligtümern. Überreste solcher Heiligtümer konnten im Köln-Bonner Raum und in der Eifel lokalisiert werden, in Pesch (Matronae Vacallinehae), Nettersheim (Matronae Aufaniae) und Morken-Harff (Matronae Austriahenae). Die aufgrund der Anzahl der ihnen gwidmeten Inschriften wohl bedeutendste Matronengruppe, die Matronae Aufaniae, wurden auch in Bonn und Köln verehrt, wobei die sicherlich bedeutenderen Heiligtümer, die auch von der römischen Militär- und Verwaltungselite frequentiert wurden, dort nicht lokalisiert werden konnten10.
Matronenkult Unter diesen Auspizien ist der Matronenkult als provinzialrömische Neuschöpfung anzusehen, die keltisch-germanische Elemente einheimischer Tradition aufnahm und mit römischen Elementen kombinierte. Die einheimischen Ahnenund Fruchtbarkeitsgöttinnen, deren Bedeutung als lokale Schutzgottheiten im Laufe der Zeit an Gewicht gewann, wurden durch die vom römischen Militär vermittelte Transformation und Integration ins römische Pantheon zu einem rö-
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misch geprägten Kult, der nach den Regeln der römischen Götterverehrung organisiert war (Tempelbezirk, Kultbauten – gewöhnlich des Typs »gallo-römischer Umgangstempel«, Kultpersonal, Inschriftenweihungen). Möglicherweise hatten Veteranen der römischen Legion ihre beinamenlose Matronen aus Norditalien mit über die Alpen genommen und mit dem ubischen Ahnenmütterkult verbunden11. Über die mit dem Matronenkult verbundenen religiösen Vorstellungen lässt sich aufgrund des Mangels an erklärenden Quellen recht wenig sagen. Religionswissenschaftliche Vergleiche und die durch die in den Inschriften und der Ikonographie zum Ausdruck kommenden Hinweise auf Fruchtbarkeit, Freigiebigkeit und Fürsorge, die zu den Haupteigenschaften der Müttertrias gehört haben müssen, lassen die Matronen als wohlwollende und segenbringende gute Geister erscheinen, die gut in den Zusammenhang indogermanischer Muttergottheiten der antiken Welt hineinpassen12. Aufgrund der geographischen Beschränkung der Matronenkulte und der jüngeren Erkenntnisse über die erhaltenen Kultplätze wird vermutet, dass es sich um von überschaubaren Gemeinschaften gepflegte Kulte handelte, die vor allem im Hinterland der großen Zentren und Militärsiedlungen im ländlichen Raum angesiedelt waren, wie die Heiligtümer von Pesch, Nettersheim und MorkenHarff nahe legen. Nicht die große Stadt, sondern die Dörfer (vici) und Gutshöfe des Umlands (villae rusticae) stehen in unmittelbarem Bezug zu den bekannten Kultplätzen. Die nach wie vor nicht eindeutig geklärte Herkunft der Matronenkulte könnte das rechtsrheinische germanische Siedlungsgebiet gewesen sein. Mit den Ubiern wären dann diese segensreichen Göttinnen ins keltisch-römisch dominierte linksrheinische Niedergermanien gekommen13. Bezeichnenderweise verzichten die meisten Stifter in den Weihungen der ländlichen Heiligtümer auf Nennung von Titeln, Rang und Funktion, was vor dem Hintergrund der verbreiteten römischen Sitte bei Inschriftensetzungen auch mit dem eigenen gesellschaftlichen Rang anzugeben anzeigen dürfte, dass sie keine herausragenden gesellschaftlichen Positionen einnahmen.
Dedikanten Die Dedikanten stammten wahrscheinlich aus der unmittelbaren Nähe und gehörten den mittleren Schichten der romanisierten und – nach Aussage der römischen Namen – meist über das römische Bürgerrecht verfügenden Provinzialbevölkerung an. Nur wenige Namen sind ihrer Form nach so beschaffen, dass sie unzweifelhaft auf Einheimische hindeuten14. Eine Ausnahme hinsichtlich der Sozialstruktur der Dedikanten bilden eine Reihe in Bonn gefundener Weihesteine, die eine interessante Entwicklung dieser vorwiegend und ursprünglich bodenständigen Matronenkulte der germanisch-keltischen Mischbevölkerung an-
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zeigt. In Bonn und teilweise auch in Köln wurden Inschriften von Angehörigen der höchsten Ränge in Militär und Verwaltung gesetzt. So stammen drei Inschriften von einem dem römischen Senat angehörigen Legionslegaten und zwei Legatsgattinnen. Flavia Tibernia, die Ehefrau des Legaten der in Bonn stationierten I. Legio Minerva, stiftete sogar den höchsten und damit teuersten Altarstein dieser Kategorie (AE 1930, 30). Auch ein Lagerkommandant (praefectus castrorum) ist unter den Dedikanten, und Vettius, der den schönen Stein aus unserer Abbildung (Abb. 8) gestiftet hat, war Finanzverwalter von Köln (Kämmerer). Auch einige Mitglieder des Dekurionenrats, der obersten Stadtverwaltung der Stadt Köln befinden sich unter den Weihenden15. Dieser Befund zeigt, dass spätestens seit dem 2. Jahrhundert (die Bonner Monumente verweisen auf die Zeit um 164 n. Chr., es gibt aber vereinzelte frühere inschriftliche Belege) dieser einheimische Kult durch den Einfluss der Soldaten stärker römische Züge annahm und zumindest im urbanen Raum auch die Militar- und Verwaltungselite einschloss. Die Beliebtheit dieser Matronenkulte spiegelt sich nicht nur durch die Ausdehnung der Kultanhängerschaft auch auf die höchsten Kreise des römischen Militärs wider, sondern vor allem in der statistischen Dominanz der den Matronen geweihten Inschriftensteine. Etwa die Hälfte aller bekannten Weihungen in Niedergermanien galt den Muttergöttinnen16.
Germanische Fruchtbarkeitsvorstellungen Hätte dieser ursprünglich von den Germanen rechts des Rheins eingewanderte Fruchtbarkeitskult der drei Muttergöttinnen nicht Eingang in die religiöse Welt der Römer und der romanisierten Einwohner des gallisch-germanischen Grenzgebiets gefunden, die die Gewohnheit übernommen hatten, Weihinschriften auf Lateinisch zu setzen, wüssten wir überhaupt nichts von der Existenz dieses ursprünglich ubisch-germanischen Kults. Dieser Sachverhalt zeigt erneut, wie begrenzt unser Wissen über Religion und Götterwelt der Germanen aufgrund des Fehlens von Schriftquellen ist. Der von Tacitus und anderen berichtete Mangel an Götterbildnissen und Kultbauten in der germanischen Welt lässt nur erahnen welche unbekannte regional und lokal ausdiffernzierte Vielfalt religiöser Ausdrucksformen die germanische Welt von Skandinavien bis ans Schwarze Meer gekannt haben muss. Nur schlaglichtartig öffnen Informationen über synkretistische Neuinterpretationen ursprünglich germanischer Kulte wie der Matronenverehrung oder durch literarische Quellen bzw. Inschriften bekannte römische Interpretationen neue Zugänge. Betrachtet man nun vor diesem Hintergrund die spärliche Überlieferung und den Inschriftenbefund, sticht die Dominanz derjenigen weiblichen Gottheiten ins Auge, von denen wir auch die ursprünglichen Namen kennen. Die Na-
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mensvielfalt der weiblichen Gottheiten in den Quellen, die sich bereits in den hier erwähnten vielen Beinamen der Matronen dokumentiert, kann mehrere Ursachen haben. Einerseits hängt sie mit der Tatsache zusammen, dass in erster Linie männliche Gottheiten von römischen Schriftstellern einer interpretatio Romana unterzogen wurden und deshalb unterschiedliche germanische Götter in den Quellen nur als Merkur, Hercules oder Mars auftauchen. Andererseits kann auch der häufig eher lokale Charakter derjenigen Kulte, die weiblichen Gottheiten gewidmet waren – dies war ja gerade ein Kennzeichen der Matronen gewesen – ein Grund für die Nennung der ursprünglichen Namen sein, da die lokale Beschränkung eine Identifizierung mit wichtigen Göttern des römischen Pantheons unmöglich machte. Ein weiterer möglicher Grund für die weitaus größere Zahl überlieferter weiblicher Götternamen könnte auch die Bedeutung der Weiblichkeit in den germanischen Gesellschaften der frühen Zeit sein, auf die einige Quellen verweisen. Diesen Fragen soll in den folgenden beiden Unterkapiteln genauer nachgegangen werden.
Andere weibliche Gottheiten: Das Beispiel Nehalennia Am 5. Januar 1647 suchte ein heftiger Sturmwind die niederländische Küste heim. In der Scheldemündung an der Küste der Insel Walcheren bei Domburg drängte der starke Südostwind die See zurück und trug ganze Sanddünen ab, so dass neben antiken Keramikgefäßen und Münzen ganz einzigartige Denkmäler aus der Römerzeit zum Vorschein kamen und geborgen werden konnten. Es handelte sich um über 20 Inschriftenaltäre für die vorher völlig unbekannte Göttin Nehalennia (Abb. 9), die aus dem Meer vor der Küste Hollands auftauchten17. 1970 zogen Fischer mit ihren Netzen Fragmente von zwei Altären aus der Ooster-Schelde vor der Halbinsel Noord-Beveland, woraufhin die Archäologen des Rijksmuseums mittels Schleppnetzen und mit Hilfe von Tauchern den Meeresgrund in der Gegend nach weiteren Artefakten absuchten und innerhalb von zwei Jahren einen reichen Fang verbuchen konnten. Über 300 Altäre und Statuen konnten – teilweise nur fragmentarisch – geborgen werden. Die Funde zeigten, dass sich neben dem seit dem 17. Jahrhundert bekannten Heiligtum ein weit größeres Kultzentrum für die Göttin Nehalennia am Nordufer der Ooster-Schelde, seinerzeit das Siedlungsgebiet des germanischen Stammes der Frisiavonen, befunden haben muss. Auch über die Göttin Nehalennia, ihren Kult und ihre Anhänger ließ sich mit Hilfe der vielen neuen Bildnisse und des nach den Funden im Meer auf fast 250 Texte angewachsenen, Nehalennia betreffenden Inschriften nun mehr sagen.
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Abb. 9: Die Göttin Nehalennia
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Darstellungen der Nehalennia Aufgrund der Darstellung dieser Göttin in sitzender Position, mit Fruchtkorb oder Füllhorn als Attribute der Freigiebigkeit und Fruchtbarkeit ausgestattet, wollten die ersten Altertumsforscher, die sich der Funde vor Domburg angenommen hatten, eine Verbindung zu den Matronen aus dem Rheinland erkennen, zumal Haltung, Tracht und einige Attribute (Füllhörner, Fruchtkörbe) den Matronen entsprachen und auch aus Köln zwei der Nehalennia gewidmete Inschriften bekannt waren. Jedoch zeigte sich, dass diese lokale Göttin nichts weiter mit den Matronen gemein hatte außer ihrer Eigenschaft als segenbringende Schutzgottheit. Ihre häufige Darstellung auf den Weihreliefs mit Schiffsteilen (Vordersteven, Ruder), sowie an den Steinen lateral angebrachte Darstellungen des Gottes Neptun weisen in eine andere Richtung. Tacitus berichtet in der Germania von einer germanischen Isis, die von den Sueben verehrt worden sei (Germ. 9), was einige Forscher dazu gebracht hat, in der Scheldegöttin eben jene einheimische Isis wiederzuerkennen, ist doch die römische Isis vor allem in Hafenstädten verehrt worden und galt als Seefahrergöttin, die auch mythologisch mit Seefahrt und Schiffen verbunden war. Zu dieser Erklärung passt jedoch nicht, dass das Siedlungsgebiet der Sueben viel weit östlicher gelegen hat18.
Dedikanten Nehalennia war unabhängig von wenig überzeugenden Identifizierungen mit römischen Äquivalenten ganz offensichtlich die lokale Schutzgottheit der seefahrenden Kaufleute, die von der Scheldemündung aus Handel mit Britannien trieben, mehrere Dedikanten weisen sich als solche aus: negotiator Breitannicianus (AE 1973, 370; AE 1975, 651; AE 1983, 721, 722). Das zeigen auch die Namen und Herkunftsangaben der Dedikanten, die in ihrer großen Mehrheit Auswärtige waren, die bei Abfahrt oder Rückkehr die Scheldegöttin um Schutz anriefen oder ihr für die wohlbehaltene Rückkehr oder die Erhaltung ihrer Handelsware dankten. Die Trierer und Kölner, die mehrere Dedikanten stellen, besonders aber die Herren aus Rouen und Basel (Kaiseraugst, Augusta Rauracorum), sind zweifellos als Geschäftsreisende anzusprechen, einige der Weihenden haben sogar ihr Geschäftsfeld angegeben: etwa den Handel mit einer würzigen Fischsauce (allec, dazu ihre Berufsbezeichnung: negotiatores allecarii). Zu ihnen gesellen sich auch noch Salzhändler, Weinhändler und Reeder, die über ihre Berufe Auskunft geben19. Obwohl die Göttin Nehalennia mit ihrem von den Sprachwissenschaftlern mal als germanisch, mal als keltisch ausgewiesenem Namen ursprünglich wahrscheinlich eine lokale Gottheit der ortsansässigen Frisavonen war (allerdings gibt nur ein Dedikant namens Gimio sich explizit als
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Einheimischer aus, andere mögen aufgrund ihrer Namen eher Einheimische gewesen sein), ist sie in der römischen Kaiserzeit als einheimische Schutzgöttin der Kanalküste und des Meeres zu einer »Funktionsgöttin der Britannienfahrer« geworden20. Und nur deswegen erfahren wir von dieser einheimischen Gottheit, deren Wirken auf die Küstenregion der heutigen Niederlande beschränkt war. Im Gegensatz etwa zum von den Soldaten der römischen Armee bis nach Britannien oder Dakien gebrachten Kult der aufanischen Matronen, beschränkte sich die Verehrung der Nehalennia auf ein sehr überschaubares Gebiet an der Scheldemündung21. Gerade vor diesem Hintergrund ist ein Befund auffällig: Die Weihungen an die Göttin Nehalennia (ca. 15 %) machen zusammen mit denjenigen an die Matronen (ca. 50 %) rund zwei Drittel sämtlicher bekannter Bildzeugnisse und Weihungen in Niedergermanien aus. Das ist schon auffällig in einem spätestens seit der Einrichtung der Provinz im Jahre 85 besonders in den urbanen Zentren, wie der Provinzhauptstadt Köln oder dem römischen Legionslager in Bonn sowie den anderen, wichtigen Militärstützpunkten nebst Zivilsiedlungen wie Xanten stark römisch geprägten Gebiet. Die »klassischen« römischen Götter, wie etwa Jupiter, Merkur, Hercules, Minerva, Juno etc. folgen weit abgeschlagen in der von Wolfgang Spickermann zusammengestellten Statistik22. Darüber hinaus darf man annehmen, dass gerade die im germanischen Grenzgebiet sehr beliebten Götter Merkur und Hercules – mit oder ohne Beinamen – oft die oben beschriebenen (Kap. 9) römischen Interpretationen einstmals einheimischer Götter repräsentieren.
Weibliche Gottheiten: Das Beispiel Tamfana Dazu kommen noch viele weitere aufgrund ihrer Namen als germanischen Ursprungs zu indentifizierende Göttinnen, die jedoch nur auf wenigen Inschriften oder nur einmal belegt sind, etwa die nur aus Tacitus’ Berichten über kriegerische Auseinandersetzungen bekannten und lediglich beiläufig genannten Göttinnen Tamfana (Annalen 1, 51) und Baduhenna (4, 73). Baduhenna, die von Tacitus nur erwähnt wird, weil in dem ihr heiligen Hain in Friesland 900 römische Legionäre erschlagen wurden, war nach Auskunft der Sprachwissenschaft eine Kriegsgöttin, da das Erstglied ihres Namens sich auf germ. *badwa=Kampf beziehen lässt23. Tamfanawar eine Göttin der Marser, der ein hochberühmter Tempel (celeberrimum illis gentibus templum) geweiht war. Die Forschung hat sich viele Gedanken gemacht, wie denn ein solches Heiligtum ausgesehen haben könnte, oder welche Funktionen die Göttin der Marser gehabt haben könnte. Abgesehen von unsicheren sprachwissenschaftlichen Deutungen, die möglicherweise
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auf die für eine Ernte- und Fruchtbarkeitsgöttin hinweisende germanische Wurzel für »Fülle« hinweisen, und der großen Bedeutung, die Tacitus ihrem Kult bei den Marsern zuweist, bleiben alle weiteren Überlegungen zu dieser nur in einer Quelle genannten Göttin spekulativ.
Andere Göttinnen Bei weiteren, lediglich inschriftlich bekannten weiblichen Göttinnen ist die Situation ähnlich: Auf sprachwissenschaftlicher Basis lassen sich ein paar wenige Rückschlüsse wagen, vieles bleibt im Dunkeln. Im niederländischen Tongern wurde eine Weihinschrift für Vihansa gefunden. Ihr opferte ein Centurio der III. Legio Cyrenaica, dessen Beiname Libo eventuell germanisch zu deuten ist, Speer und Schild (CIL 13, 3592). Die Waffenweihung des Soldaten und der Name der Göttin, der sich von Vih zu germ. *wiga=kämpfen herleiten lässt (ansa zu germ. *ansu-, Gott/Göttin, vgl. die nordischen Asen), weist die friesische Göttin als Kriegsgottheit aus24. In ählicher Weise ist die in Köln durch die Weihung eines aus Xanten stammenden Soldaten an die Göttin Hariasa zu deuten, denn ihr Name leitet sich ab von germ. *harja=verheeren (CIL 13, 8185). Bei einer Reihe anderer Göttinnen, die meist nur durch eine einzige inschriftliche Nennung bekannt geworden sind, lässt sich wenig mehr sagen, als dass ihre Namen sicher germanischen Ursprungs sind, die sprachwissenschaftlichen Herleitungen sind nicht immer eindeutig: So hören wir noch von von Alateivia, Hurstrga, Vagdavercustis, Hludana, Harimella, Garmangabis, Sunucsalis oder Sandraudinga, deren Verehrung aufgrund der Zeugnisarmut regional und recht überschaubar gewesen sein muss. Allein ihre Existenz zeigt jedoch eine leicht zu unterschätzende religiöse Vielfalt im Bereich der germanischen Götterwelt an, die uns nur in der römisch-germanischen Kontaktzone angezeigt wird25. Wir finden also in den germanischen Göttinnen der römischen Kaiserzeit, die uns oft nur dem Namen nach aus beiläufigen Bemerkungen in den Quellen oder von oftmals einzelnen Inschriftensteinen her bekannt sind, wichtige Anhaltspunkte für eine enorme religiöse Vielfalt, die sich in der männlich geprägten Welt des frühmittelalterlichen Nordens der Wikinger mit seiner aus den Eddas bekannten kriegerischen Odinsreligion nicht mehr widerspiegelt.
Religiöse Vielfalt Nur wenige Zeugnisse dieser Vielfalt stammen aus der Zeit nach dem 3. Jahrhundert. Das liegt in erster Linie an der schleichenden Aufgabe der Inschriftensitte in den Provinzen des Römerreichs, die auch von den trotz der Barbareneinfälle im germanisch-römischen Grenzgebiet verbliebenen Romanen nach
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dem 4. Jahrhundert kaum weitergeführt wurde, wie sich an der rapiden quantitativen und qualitativen Abnahme der Inschriften erkennen lässt. Dass dies im Rückschluss keineswegs bedeutet, dass die Kulte für diese Göttinnen nicht weiter gepflegt wurden, zeigen etwa die archäologischen Befunde der Matronenheiligtümer, die noch im 4. Jahrhundert Aktivitäten aufweisen. Es ist daher anzunehmen, dass die Kulte nicht einfach verschwanden, sondern sich eher die Formen der Götterverehrung wandelten. Noch um 700 wird von Willibrord berichtet, dass der wackere Friesenmissionar auf der Insel Walcheren ein heidnisches Götzenbild zerstört habe. Mit einiger Berechtigung darf man vermuten, dass der Missionar sich in seinem heiligen Furor das Nehalenniaheiligtum bei Domburg vorgenommen hatte26.
Die Rolle der Frau in Germanien Die Verehrung weiblicher Gottheiten, sogar von Kriegsgöttinnen, wie dem Namen nach Baduhenna, Vihansa und Hariasa gewesen sein sollten, bietet hier Gelegenheit ein paar knappe Bemerkungen zur Rolle der Frauen bei den germanischen Stämmen bis zur Völkerwanderungszeit einzuschieben. Neben den auffällig zahlreichen überlieferten Namen weiblicher Gottheiten sind auch die von irritierten Römern verfassten Notizen über in der klassichen Antike völlig unpassende Verhaltensweisen von Frauen bei den Germanen, die darauf hinweisen, dass Frauen bei den germanischen Stämmen gesellschaftlich einen anderen Stellenwert hatten als in den mediterranen Hochkulturen griechisch-römischer Prägung. Einige übertreibenden Bemerkungen über kampferprobte germanische Amazonen mögen dem ethnographischen Topos geschuldet sein, dass man die extreme Fremdheit ferner Völker durch den eigenen Vorstellungen völlig entgegengesetze Sitten beschreiben möchte und so deren Gesellschaften im Sinne einer »verkehrten Welt« darstellt. Dennoch gibt es einige belastbare Hinweise über die respektable Rolle der Frau in der germanischen Stammeswelt, sowohl im profanen Alltagsbereich als auch in der religiös-magischen Sphäre, die offenbar in besonderem Maße von weiblichen Akteuren geprägt war. Bereits beim für Rom bedrohlichen Zug der Kimbern und Teutonen 113– 101 v. Chr. fiel den Römern auf, dass die Germaninnen ihre Männer im Kampf aktiv unterstützten und von den Wagenburgen aus die römischen Angreifer mit Lanzen bewarfen. Üblicherweise seien Frauen in der Nähe der germanischen Schlachtreihen der Krieger aufgestellt worden, um als eine Art antiker Cheerleader die Kämpfenden anzufeuern und zu ermutigen, und nach einer Schlacht gegen die Markomannen, fanden die römischen Sieger unter den Gefallenen bewaffnete Frauen27. Aufschlussreicher als die römischen Vorstellungen von Weiblichkeit völlig widersprechenden Hinweise auf kämpfende Frauen, die vor allem in der Vergangenheit teilweise als literarische Übertreibungen des Barba-
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rentopos gedeutet wurden, sind die Bemerkungen der Quellen, dass bevorzugt Frauen bei den Germanen als Geiseln zur Garantie von Vereinbarungen gestellt wurden und nach Ausweis der Quellen als Unterpfand mehr galten als Männer. Tacitus betont (Germ. 8), dass sich die Germanen stärker an Verträge gebunden fühlten, wenn sie zur Gestellung von hochgeborenen Mädchen (puellae nobiles) verpflichtet würden. Augustus habe erkannt, dass den Germanen männliche Geiseln eher gleichgültig waren und entsprechend drauf gedrängt, mit Frauen eine neue Art von Geiseln zu fordern (novum genus obsidum, feminas, Sueton, Augustus, 21). Zusammen mit der verantwortungsvollen Rolle, die Frauen bei der wirtschaftlichen Organisation der landwirtschaftlichen Güter inne hatten (Germ. 15), lassen diese Zeugnisse darauf schließen, dass den Frauen bei den Germanen Respekt entgegen gebracht wurde und sie in vielen Bereichen des Lebens Verantwortung trugen. Dieser generelle Befund wir in jüngster Zeit auch von der Archäologie zunehmend bestätigt. Während man früher oftmals geschlechtliche Zuordnungen von Gräbern nach Beigabenausstattung vornahm und Waffengräber generell dem männlichen Geschlecht zuwies, zeigen modernere anthropologische Methoden und neue naturwissenschaftliche Untersuchungsmöglichkeiten, dass ausnahmsweise auch weibliche Tote Waffenbeigaben erhalten konnten, während Schmuckstücke, die man früher eindeutig weiblichen Trägern zugeordnet hat, etwa Ohrringe und Armreife, auch in Männergräbern nachgewiesen wurden und als Unisexaccessoirs angesprochen werden müssen. Abgesehen von der heiß umstritten Frage nach dem archäologischen Nachweis »germanischer Amazonen« ist aus Sicht der Archäologie jedoch völlig unstrittig, dass zumindest Frauen der Oberschicht gemäß der Befunde aus reich ausgestatteten Gräbern eine bedeutende soziale Rolle gespielt haben müssen28. Jedoch sind die archäologischen Daten nicht ganz so eindeutig wie die Berichte der antiken Quellen, die der »Weiberherrschaft« Vorurteile entgegen brachten und über die Frauen der Germanen reißerisch berichteten, wobei vielleicht Unterschiede übertreibend darstellten. Die eisenzeitlichen Gräberfelder Norddeutschlands, die im Gegensatz zu den reich ausgestatteten Prunkgräbern gewissermaßen die germanische »Mittelklasse« repräsentieren, werfen diesbezüglich noch ein paar ungeklärte Fragen auf. Es mehren sich die Anzeichen, dass im norddeutschen Raum und im Elbgebiet Männer und Frauen generell auf unterschiedlichen Friedhöfen getrennt bestattet wurden. Während man diesen Befund früher als Anhaltspunkt für die Existenz kriegerischer Männerbünde und Walhallvorstellungen im Kontext der Odinsreligion interpretierte, werten neuere ethnoarchäologische Ansätze diesen Sachverhalt eher als ein Zeichen des niedrigeren sozialen Status der Frauen, der sich in einer derartigen geschlechterspezifischen Bestattungsriten widerspiegele. Ob dieser Befund eine Revision der klassischen Auffassung vom hohen sozialen
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Status der germanischen Frauen, wie ihn die Quellen suggerieren, erforderlich macht, kann beim derzeitigen Wissenstand noch nicht entschieden werden29.
Seherinnen Unhabhängig von der Rolle der Frau im Allgemeinen war aber die Stellung der Seherinnen in der germanischen Gesellschaft zweifellos ganz herausragend, wie eine ganze Reihe von Quellen bekunden. Die Verbindung der Frauen zur Sphäre des Religiösen wird von Tacitus besonders hervorgehoben, wenn er angibt, dass nach Meinung der Germanen Frauen allgemein etwas Heiliges und Prophetisches anhafte (sanctum et providum) und ihre Ratschläge und Anweisungen (consilia und responsa) gemeinhin befolgt würden. Diese eher pauschale Angabe, die römischen Gewohnheiten grundsätzlich widersprach und deswegen von Tacitus betont wurde, wird bestätigt durch Zeugnisse von einer ganzen Reihe »heiliger Frauen«. Neben allgemeinen Angaben, wie etwa dem bei Caesar zu findenden Hinweis (De bello gallico 1, 50), dass Ariovist und seine Germanen ohne die von den matres familiae, den »Hausmüttern«, befragten Losorakel keine militärische Entscheidung getroffen wurde, sind es besonders die namentlich bekannten und in den literarischen Quellen beschriebenen Seherinnen, deren gesellschaftlicher Rang außerordentlich war. Unter ihnen ragt die zum Stamme der Brukterer gehörende Seherin Veleda heraus. Sie spielte eine besondere Rolle während des Aufstandes der Bataver und ihrer Verbündeten unter der Führung des Iulius Civilis gegen Rom. Sie hatte aufgrund ihrer prophetischen Gabe eine außergewöhnlich Machtstellung, so dass Tacitus von ihr sagen konnte, dass sie »weithin herrschte« (late imperitabat, Historien 4, 61, 2). Diese herausragende Position als hochgeachtete Seherin verdankte sie auch ihren zutreffenden Voraussagen über den Sieg der aufständischen Barbaren. Sie lebte, um ihre entrückte Position zu unterstreichen, zurückgezogen in einem Turm und kommunizierte mit der Außenwelt nur durch Verwandte. Man schickte ihr Geschenke aus der Kriegsbeute und rief sie als Unterhändlerin und Schiedsrichterin an. Sogar der römische Feldherr Cerialis versucht während des Bataveraufstands mit einer Botschaft an die Seherin auf sie einzuwirken30. Trotz dieser bemerkenswerten Hinweise auf auch politische Macht, muss betont werden, dass solche »Karrieren« wie die der Seherin Veleda die absolute Ausnahme bildeten: Der Bereich, in dem sich Frauen bei den Germanen hervortaten war – auch wenn die politische Sphäre sich bisweilen damit überschnitt – der sakrale. So erfahren wir auch von Ganna, die als Seherin der Semnonen bekannt war und die nach Angaben des Cassius Dio die Nachfolgerin der Veleda gewesen sei. Sie nahm an einer Gesandtschaft des semnonischen Stammesführers Masyas zum Kaiser Domitian teil, der sie ehrenvoll empfing (Cass. Dio, römische Geschichte 67, 5). Der Name der Ganna
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lässt sich nach sprachwissenschaftlicher Herleitung auf anord. gandr für »Zauberstab« beziehen, womit bereits der Name der Seherin als qualifizierende Bezeichnung auf ihr Metier verweisen würde und nicht als Eigenname anzusprechen wäre. Einen ähnlich sprechenden Namen hat die in der Germania erwähnte Seherin Albruna (Tac. Germ. 8, 2), deren Name etwa »die mit dem Geheimwissen der Alben ausgestatte« bedeutet31. Auf einer beschrifteten Tonscherbe aus Ägypten findet sich in griechischer Sprache ein weiteres Zeugnis einer germanischen Seherin. Eine Frau namens Waluburg stand als »semnonische Sibylle«, so die Inschrift, im 2. Jahrhundert in römischen Diensten. Bei dem Namen handelt es sich wie bei Ganna wohl nicht um einen Eigennamen sondern um einen funktionalen Beinamen. Demnach stellt sich walu- zu germ. *waluz für »Stab«, und der Stab gilt als Zeichen des Berufstandes der Seherinnen, der altnordische Begriff für die Seherin, völva, bedeutet zunächst nur »Stabträgerin« (von völr, Stab). Die prominente Rolle von Frauen im so wichtigen Vorzeichenwesen und ihre von den römischen Quellen bemerkte Autorität verweist gemeinsam mit der Vielzahl der weiblichen Gottheiten auf einen hohen Stellenwert des Weiblichen in der germanischen Gesellschaft während der römischen Kaiserzeit. Das Bild beginnt sich zu verschieben, als die größeren germanischen Gruppenverbände in der Völkerwanderungszeit, wie etwa die Franken und Alamannen, uns in den Quellen zunehmend als Gefolgschaften von Kriegern gegenüber treten, deren Rolle im Römerreich – wenn sie nicht auf der gegnerischen Seite standen – zuvörderst diejenige von Söldnern war. Fassen wir nun noch einmal zusammen: Die Informationen über weibliche Gottheiten aus Randbemerkungen und Inschriften reichen trotz der aus ihnen zu erschließenden Vielzahl von Namen sicher nicht aus, die Religion der Germanen in den ersten Jahrhunderten nach Christus als eine von Göttinnen dominierte auszuweisen. Die kaum erfolgte römische Auslegung und Identifikation einheimischer Göttinnen mit römischen Gegenstücken in den Quellen kann ein Hinweis darauf sein, dass diese »Göttinnen« nur von lokaler Bedeutung waren und sich an Rang nicht mit wichtigeren männlichen Numina messen konnten, deren Namen schon bald zur Benennung der Wochentage dienten und die im Grenzgebiet zu den Römern und in den germanischen Provinzen von der zunehmend romanisierten Bevölkerung als Hercules, Merkur und Mars gegebenenfalls mit Beinamen verehrt wurden. Umgekehrt handelt es sich bei den »nur« lokal verehrten einzelnen Göttinnen um mächtige Stammesgöttinnen, wie sie Tacitus etwa mit Tamfana für die Marser (Ann. 1, 50) oder einer »mater deorum« (Göttermutter) beim Stamm der Aestii (Germ. 45) oder mit der bei mehreren Stämmen bedeutenden Göttin Nerthus kennt, der das nächste Unterkapitel gewidmet ist. Vor diesem Hintergrund erscheint die aus der nordischen Mythologie abgeleitete Fixierung auf die großen Kriegergötter Odin und Thor als eine unstatthafte Verengung einer
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überaus vielgestaltigen und ausdifferenzierten religiösen Welt. In dieser Welt der nordischen Spätzeit sind die weiblichen Gottheiten zur Staffage geworden und vielleicht mit Ausnahme der Wanengöttin Freya, die ursprüngliche Fruchtbarkeitsaspekte behalten hat, nur Anhängsel in einer Kriegerwelt, in der die toten Helden von willfährigen Walküren in Wahall bedient werden.
Das Beispiel Nerthus und ihr Kult In einer bemerkenswerten Passage seiner Germania (Kap. 40) berichtet Tacitus von einer mächtigen Göttin des Nordens, die bei mehreren Stämmen in besonders hohem Ansehen stand und deren Kultfest er ausführlich und offenbar anhand von Berichten aus erster Hand schildert: Der Bericht über die Göttin Nerthus, die wir nur aus Tacitus Beschreibung kennen, zeigt, welchen herausragenden Rang weibliche Gottheiten bei den Germanen einnehmen konnten. »Bei den einzelnen [der zuvor aufgezählten sieben] Stämmen gibt es aber nichts Bemerkenswertes, außer dass sie gemeinsam Nerthus, das heißt die Mutter Erde [terra mater], verehren und glauben, sie nehme an menschlichen Dingen Anteil und komme zu den Stämmen gefahren. Es gibt auf einer Insel im Ozean einen heiligen Hain, und darin ist ein geweihter Wagen, mit einem Tuch bedeckt; als einziger darf ihr Priester ihn berühren. Er merkt, wenn die Göttin im Allerheiligsten anwesend ist, und geleitet sie dann in tiefer Verehrung bei ihrer Fahrt auf dem von Kühen gezogenen Wagen. Fröhlich sind dann die Tage, festlich geschmückt alle Orte, die sie ihres Gastbesuchs würdigt. Man beginnt keine Kriege, trägt keine Waffen, weggeschlossen ist alles Eisen. Dann kennt man nur, dann liebt man nur Friedensruhe, bis derselbe Priester die Göttin, wenn sie vom Verkehr mit den Menschen genug hat, ihrem Heiligtum zurückgibt. Danach werden Wagen, Tücher und – falls man es glauben will – die Gottheit selbst in einem entlegenen See reingewaschen. Sklaven verrichten diesen Dienst, die gleich danach derselbe See verschlingt. Daher rührt der geheime Schauder [arcanus terror] und das heilige Dunkel, was das für ein Wesen sein mag, das nur Todgeweihte zu sehen bekommen.«32 Diese ausführliche aber doch auch rätselhafte Schilderung des Tacitus – kein anderer Götterkult wird so detailliert beschrieben – hat die Forschung seit Generationen beschäftigt33. Nun soll diese Stelle ausgelegt und im Anschluss eine recht gewagte Interpretation der Altgermanistin Lotte Motz vorgestellt werden, die Chancen und Grenzen des ethnologischen Vergleichs aufzeigen kann34.
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Archäologisch-literarische Interpretation Dass die Beschreibung des Nerthuskults durch Tacitus auf einen gut informierten Gewährsmann zurückgehen muss, gilt in der Forschung als unumstritten. Die Details zum konkreten Geschehen, ortsgebundene Eindrücke aber auch die Überlieferung des Namens selbst zeugen von authentischer Augenzeugenschaft des Informanten35. Nerthus lässt sich über kelt. *nerto »Kraft« auf urgerm. *Nerþuz beziehen. Der Stamm -ner ist auch im griechischen Wort für Mann, ’ ´ r), enthalten, womit die Sprachwissenschaft überzeugend hinter Neraner (anh thus die personifizierte Lebenskraft, »die Triebkraft der Natur« (vgl lat. virtus) ausmachen kann36. Aus dem Bericht ergibt sich folgender Sachverhalt: Die Göttin wird bei sieben Stämmen verehrt, die nördlich der Langobarden siedeln und von denen man die Angeln geographisch recht gut ins nördlichste Deutschland bzw. ins heutige Dänemark einordnen kann. Dem entspricht auch die Lokalisierung des heiligen Hains der Nerthus auf einer insula Oceani, die sich trotz vieler Vorschläge aber nicht genauer bestimmen lässt. Diese Insel verlässt die Göttin selbst – das heißt mit großer Wahrscheinlichkeit ihr Kultbild – in einem Wagen zu einer bestimmten Zeit, um im Siedlungsraum ihrer Verehrer umherzuziehen, welche in dieser Zeit in froher Stimmung und unter einem sakral sanktionierten Friedensgebot auf den Besuch der umherziehenden Göttin warten. Nach Beendigung der Landumfahrt der Göttin in ihrem Wagen, kehrt sie ins Heiligtum auf der Insel zurück, wobei der Wagen und die Kultgegenstände, aber auch die Göttin selbst – und damit kann nur ein stellvertretenden Kultbild gemeint sein, wie auch Tacitus zweifelnder Einwand »falls man es glauben will« hinweist – einer rituellen Waschung in einem See unterzogen, wobei diejenigen Sklaven, die mit dieser Aufgabe betraut worden waren und so zwangsläufig die im Kultbild leibhaftige Göttin gesehen hatten, im gleichen See ertränkt wurden. Nerthus wird von Tacitus in seiner interpretatio Romana mit terra mater, Mutter Erde, gleichgesetzt, was leider nicht sehr viel Klarheit bringt, weil mit diesem unspezifischen Terminus sowohl die Göttin Tellus als auch die in Rom als Magna Mater verehrte Kybele gemeint sein könnte. Dass Tacitus wohl bei seiner Gleichsetzung letztere im Sinne gehabt haben dürfte lässt sich aus der Ähnlichkeit des Nerthuskults zum Fest der Magna Mater erschließen, deren Kultbild nach einem Umzug in einem ebenfalls von Kühen gezogenen Wagen gleichfalls einer rituellen Waschung unterzogen wurde37. Sicher ist jedoch die mit dieser Interpretation einhergehende Einordnung der Nerthus als Fruchtbarkeitsgöttin im weitesten Sinne, wozu auch die übrigen Details des Kults (Friedensgebot, Fröhlichkeit, festlicher Schmuck) gut passen. Deshalb nimmt die Forschung auch einhellig an, dass der Umzug der Göttin im Frühling erfolgte, obwohl Tacitus über den Zeitpunkt, wie auch über viele andere Dinge, die uns heute am Nerthuskult interessieren würden, keine Aussage macht.
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Sprachistorische Interpretation Vor diesem Hintergrund entstand eine reichhaltige Literatur zum Thema, die unterschiedlichste Vorschläge zu Lokalisierung und Wesensbestimmung dieses wichtigen Kults der Nerthus enthält. Einen interessanten Vorschlag der Germanistin Lotte Motz möchte ich im Folgenden kurz vorstellen, da er methodische Aspekte berührt aber auch die Problematik der »germanischen Kontinuität« anreißt, also die Frage, ob sich althergebrachten Brauchtum des germanischen Sprachraums vielleicht bis heute »germanisch-heidnische« Traditionen erhalten haben. Lotte Motz sammelt in zwei Studien Belege und Argumente, die eine enge Verbindung der bei Tacitus beschriebenen umfahrenden Göttin und der bekannten Märchengestalt Frau Holle nahe legen sollen38. Dabei ist jedoch zunächst zu bemerken, dass die aus einer Vielzahl von Sagen bekannte Figur der Frau Holle eher beiläufig in das berühmte Märchen der Brüder Grimm gelangt ist, das einem weitverbreiteten indogermanischen Märchentypus »Geschichten vom artigen und unartigen Mädchen« gehört, das in der vergleichenden Märchenforschung in vielen überaus unterschiedlichen Fassungen belegt ist. Frau Holle und verwandte Sagengestalten (etwa Frau Percht im oberdeutschen und österreichischen Gebiet) haben ihren eigentlichen Platz in älterer Sagenüberlieferung und im Volksglauben39. Abgesehen von einer unklaren Stelle bei Burchard von Worms (um 1000), ist Frau Holle als Gestalt des Volksglaubens seit dem 13. Jahrhundert vielfach und sicher belegt. Bereits in der Mitte des 13. Jahrhunderts schreibt ein Zisterziensermönch von gewissen Frauen, die »in der Weihnachtsnacht den Tisch decken für die Himmelskönigen (regina caeli) – die das Volk Frau (besser: Herrin) Holda nennt – damit sie ihnen helfe«40. Der Begriff regina caeli und der Titel Herrin (domina) zeigt den hohen Rang an, den diese Gestalt des Volksglaubens nach dem Bericht des frommen Bruders einnahm (so bezeichnet die lateinische Bibel im Buch Jeremia die Göttin bzw. später die Muttergottes Maria). Speiseopfer wurden auch der Frau Percht in Bayern und Österreich nach Belegen aus dem 15. Jahrhundert dargebracht. Eigentümlich ist der Sagengestalt Frau Holle, dass sie in der Winterzeit durchs Land zieht (oftmals in einem Wagen) und bei den Leuten einkehrt, deren Rechtschaffenheit und vor allem den Fleiß der Frauen bei der Hausarbeit, besonders beim Spinnen in den Spinnstuben überprüft. Sie erschien vor allem in den Rauhnächten um die Jahreswende und erteilte ihren Segen oder bestrafte diejenigen drastisch, die nicht fleißig gewesen waren. Auch war sie fürs Wetter zuständig und benutzte oft einen Wagen als Fortbewegungsmittel. Die jüngere Sprachwissenschaft konnte mit sprachgeographischen Methoden aufzeigen, dass die Sagen um Frau Holle im mitteldeutschen Raum mindestens in die Zeit des Thüringerreichs (5. Jahrhundert) zurück datiert werden können. Somit scheint ein »heidnischer Ursprung« der unter dem Namen Frau Holle
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oder Frau Percht bekannten Sagengestalt mehr als wahrscheinlich41. Schon Jacob Grimm erkannte in der Gestalt der Frau Holle ein Echo einer älteren umziehenden, einkehrenden Göttermutter, die für Hausarbeit und Ackerbau zuständig war. In dieser Tradition stellt Motz nun eine Verbindung zur Nerthus des Tacitus her: Auch sie fährt ja durchs Land und kehrt bei den Menschen segnend ein, wobei terra mater von Motz nicht als interpretatio Romana gedeutet, sondern mit »Göttin des Landes« übersetzt wird42. Nach dieser Interpretation handelt es sich bei der regional unterschiedlich unter dem Namen Frau Holle, Frau Hulda, Frau Harke oder Frau Percht usw. bekannten Sagengestalt um ein Phänomen des Fortlebens einer viel älteren religiösen Tradition im Volksglauben, die sich auf die bei Tacitus geschilderte germanische Göttin Nerthus zurückführen lässt. In der Tat sind die von Motz aufgelisteten Gemeinsamkeiten eindrucksvoll. Behausung im Wald, rituelle Prozession, Verborgenheit, Fahrt im Wagen, Einmischung in die menschlichen Belange etc. sind alles Charakteristika, die beide Gestalten betreffen (und in viel geringerem Maße auf die römischen Entsprechungen Tellus, bzw. Kybele zutreffen)43. Entsprechend erscheinen Nerthus und die deutsche Sagengestalt Holle/Percht als Ausdruck der gleichen ursprünglichen »heimsuchenden Göttin« (visiting goddess). Somit hätten Überreste germanischer Religion im Sinne einer nachvollziehbaren Kontinuität ihren Weg bis in den Volksglauben des Mittelalters und der frühen Neuzeit gefunden. Diese verlockende und durchaus plausible Interpretation stößt aus methodischen Erwägungen an ihre Grenzen. Lassen sich trotz phänomenologischer Ähnlichkeiten wirklich über fast zwei Jahrtausende Spuren einer religiösen Tradition aus vorschriftlicher Zeit klar verfolgen, obwohl es eine 1000-jährige Lücke zwischen Tacitus und den ersten mittelalterlichen Erwähnungen von Frau Holle in den schriftlichen Quellen gibt? Dies erscheint auch aus vergleichender Perspektive fraglich, zumal man einräumen muss, dass es sich beim Nerthuskult letztendlich um einen auf das norddeutsche bzw. dänische Küstengebiet beschränkten lokalen Kult handelte, der zudem nur in einer einzigen Quelle erwähnt wird. Noch vor kurzem hätte ich aus grundsätzlichen methodischen Überlegungen solche diachronisch großzügigen Deutungsversuche kategorischer abgelehnt. Jedoch mehren sich in allerletzter Zeit Anzeichen dafür, dass oft kritisierte sprachwissenschaftliche Methoden prinzipiell denkbare – aber bis zuletzt schwer belegbare – Traditionslinien in der europäischen Kulturgeschichte seit der ins späte Neolithikum zu datierenden indogermanischen Einwanderung zuverlässiger nachziehen können, als gemeinhin gedacht. Abgesehen von der durch DNS-Untersuchungen gestützten Plausibilität einer massiven indogermanischen Einwanderung aus dem eurasischen Steppengebiet nördlich des Schwarzen Meeres vor etwa 4500 Jahren (siehe oben Kap. 6), die zuvor schon von der Linguistik für die gleiche Zeit angenommen worden war, haben neuere Unter-
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suchungen von Märchenmotiven plausibel gemacht, dass einige klassische europäische Märchen sich motiv- und entstehungsgeschichtlich bis in die Bronzezeit zurückverfolgen lassen44. Eine Verbindung mittelalterlicher Sagenüberlieferung, die auf heidnische Vorbilder zurückgeführt werden kann, mit der phänomenologisch und funktional ähnlichen Göttin Nerthus lässt sich daher nicht automatisch kategorisch zurückweisen. Zur Vorsicht sollte aber ein weiterer Aspekt gemahnen: Hinter diesem und ähnlichen Ansätzen steht ausgesprochen oder unausgesprochen eine weitere Denkfigur, nämlich die Annahme, dass in Europa seit der Steinzeit eine Muttergöttin in einem uralten Fruchtbarkeitskult verehrt worden sei, deren Bedeutung im Rahmen der Patriarchalisierung der Gesellschaften seit der Bronzezeit abgenommen habe und deren Manifestationen sich in historischer Zeit in Göttergestalten wie der römischen »großen Mutter« (Magna Mater/Kybele) oder aber der Nerthus in Germanien wiederfinden lassen. Diese besonders in der feministischen Literatur und in esoterischen oder sogenannten »neuheidnischen« Schriften auftauchenden Überlegungen sind bisweilen geistreich, basieren indes auf einer ganzen Kette unbegründbarer Annahmen und Phantasmagorien. Dies führt zu einem weiteren Aspekt der germanischen Religion, dem ein ganzes Kapitel zu widmen fast zu viel des Guten ist: Einerseits lässt sich gerade aufgrund der Quellenarmut im Bereich der germanischen Religionsgeschichte und der Lücken in der Überlieferung, die nach Ergänzungen verlangen, ein großes Interesse bei Esoterikern für angeblich attestierte alte germanische Religionstraditionen feststellen, was zu einer ganzen Reihe phantasievoller Literaturbeiträge führt. Andererseits – und das ist wesentlich gravierender – lässt sich auch eine zweifelhafte Indienstnahme eines vermeintlichen Wissens um die Religion der Germanen durch rechtsradikale und »neuheidnische« Bewegungen beobachten.
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Bleiben wir zunächst noch bei Nerthus und Frau Holle: Jenseits von fundierten Arbeiten von Fachleuten wie Motz und Timm, die allenfalls die gut begründete Spekulation nicht scheuen, sind im neueren Schrifttum die Grenzen zwischen rekonstruierbaren Fragmenten der germanischen Religionsgeschichte in den Disziplinen der Altertumskunde und bisweilen phantasievollen Konzepten und Manifestationen sogenannter »neuheidnischer« Religionen oftmals fließend. Im Internet und in Book on Demand-Produktionen oder esoterischen Publikationen werden seriöse Forschungsergebnisse der Germanistik und der Altertumswissenschaften oft mit phantastischen Vorstellungen aus Fantasyromanen zu einer kruden Mischung vermengt und noch ein wenig mit feministischen Matriarchatstheorien gewürzt1. So wird in einem einfachen Dreischritt in derartigen Werken die direkte Linie von Frau Holle über Nerthus zu einer steinzeitlichen Muttergöttin gezogen. Dabei werden bisweilen Tiefenpsychologie (Eugen Drewermann) oder Vermutungen über ein urzeitliches Matriarchat (Heide Göttner-Abendroth) als Matrix unterlegt, um nach dem Baukastenprinzip ein Gesamtbild zusammenzuzimmern und die germanische Religion so dem entstellenden patriarchalischen Zugriff der fehlgeleiteten Wissenschaft zu entziehen2.
»Germanisches Neuheidentum« Man könnte über derartige phantasievolle Ansätze einfach großzügig hinweggehen und Druckseiten sparen, jedoch bildet derartiges populärwissenschaftliches Schrifttum den Humus auf dem wie Pilze seltsame religiöse Auswüchse gedeihen, die unter dem Begriff »germanisches Neuheidentum« zusammengefasst werden können3. Dabei werden eigentlich völlig neue, postmoderne Glaubenskonstrukte um eine antimodernistische Grundhaltung herum entwickelt, die auf Formen von Naturmystik beruht. Entscheidend ist dabei der Rückgriff auf angeblich uralte, vorchristliche Rituale, um mit dem Anschein von Anciennité ein naturgemäße, dezidiert antichristliche und höherwertige – weil ursprünglichere – Religiosität zu etablieren4. Die Idee einer Wiederbelebung einer angeblich intakt überlieferten und rekonstruierbaren »germanischen Religion« ist keineswegs neu, sie entstammt den völkischen Bewegungen und rassistischen
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Theorien des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts und wurde von Bünden wie der Thulegesellschaft weitergepflegt. Die prinzipielle Denkfigur hinter den völkisch geprägten Rekonstruktionen einer germanischen Religion war die seinerzeit auch von Teilen der Fachwissenschaft vertretene Auffassung, dass die »echte« und »wahre« auf Naturverbundenheit und Urtümlichkeit basierende germanisch-heidnische Tradition vom Christentum mittels Gewalt und Unterdrückung brutal beseitigt worden sei. Gleichwohl könne man aber gerade an den christlichen Traditionen des nördlicheren Teils des europäischen Kontinents erkennen, dass das starke germanische Element der neuen Religion seinen Stempel aufgedrückt habe, und deshalb auch eine unterschwellige »Germanisierung des Christentums« im Verlaufe der Christianisierung der Germanen (dazu das nächste Kapitel) erfolgte. Gerade diese problematische Entstehungsgeschichte solcher »neugermanischer« Vorstellungen unterstreicht die Ambivalenz neuheidnischer Esoterikreligionen »germanischer« Prägung.
»Spaßheidentum« Einerseits existieren naive Zugänge einer spaßorientierten Generation, die in pseudo-germanischer Mystik und imaginiertem Ahnenglauben im Wortsinne ihr Heil suchen und die ausgetretenen Pfade der überkommenen christlichen Tradition auf der Suche nach Neuem verlassen. Sie hängen sich Amulette mit Thorshämmern um den Hals, veranstalten Julfeiern und besuchen Mittealtermärkte in phantasievollen Gewändern. Auch die feministisch unterlegten Vorstellungen von einer von Frauen (Hexen) getragenen urgermanischen Religion, die den weiblichen Lebensaspekt stärker würdigt (Stichwort »Wicca-Bewegung«), gehören in dieses Register. Diese Formen nicht mehr kirchlich gebundener Spiritualität und Antirationalismus der esoterischen Art werden seit den 1970er Jahren vermehrt jenseits der Subkulturen wahrgenommen und entwickeln sich dank des Internets seit den 1990ern fast zu einer Form religiösen Mainstreams, durchdringen wenigstens schon die Alltags- und Unterhaltungskultur mittels einschlägiger Folk- oder Rockmusik. Diese neuen Formen der Spiritualität sind gesellschaftlich gesehen allenfalls eine Gefahr für die etablierten Glaubensgemeinschaften. Aus Sicht des Historikers sind sie jedoch nur ärgerlich, da durch sie und ihre Medienpräsenz zunehmend ein bestimmtes Bild von den Germanen und ihrer Religion transportiert wird und sich in der populären Wahrnehmung festsetzt, das mit den belastbaren historischen Informationen wenig gemein hat.
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Braune Esoterik Andererseits lässt sich im Windschatten dieser auf den ersten Blick harmlosen Manifestationen von »Spaßkultur« und spiritueller Sinnsuche die Entwicklung einer »braunen Esoterik« beobachten5, die auf den Fundamenten völkischen und nationalsozialistischen Gedankenguts ruht. Sekten- und Weltanschauungsbeauftragte der Kirchen verweisen regelmäßig auf die Gefahren, die von rechtsradikalen Organisationen ausgehen, die mittels Internetforen und Publikationsorganen auf den unpolitischen Teil der Esoterikszene einwirken wollen6. Die Übergänge in diesem Bereich sind oft fließend und es ist oft nicht leicht zu erkennen, wo der »Heidenspaß« aufhört und pseudowissenschaftliche Vorstellungen von germanischen Religionstraditionen als Fundament einer breiteren, auch politisch wirksamen Ideologie herhalten müssen. Als religiös-weltanschauliche Gemeinschaften firmierende Gruppen wie Die Artgemeinschaft, die Arbeitsgemeinschaft Naturreligiöser Stammesverbände Europas (ANSE) oder Die Goden e. V., deren Mitglieder in Organen wie der Nordischen Zeitschrift oder Kosmische Wahrheit publizieren, sind auch Sammelbecken für notorische Volksverhetzer, die in anderen Kontexten durch Straftaten und eindeutige rechtsradikale Bekenntnisse hervorgetreten sind. In den Publikationen dieser Vereine treten Rassenideologie und Fremdenhass hinter vage formulierte antimodernistische Vorstellungen von natürlicher Religion als Bollwerk gegen Werteverfall zurück. Man organisiert Julfeiern und veranstaltet Seminare, in denen deutlicher rassistisches Gedankengut verbreitet wird, als in den auf den ersten Blick eher unbedenklichen Feigenblattbroschüren7.
Religionsvereine Sowohl die esoterisch bewegten Spaßheiden, als auch die mit der rechten Szene verbandelten germanischen Religionsvereine, die Phantasiekulte wie Asatru (Asenglaube) betreiben, berufen sich in ihren Schriften und Äußerungen auf die gleichen Quellen, die auch in diesem Buch behandelt werden (bevorzugt aber diejenigen aus der späten isländischen Überlieferung) und zitieren auch – selektiv und mit bisweilen kruden Vermischungen und Interpretationen – verbreitete seriöse Fachliteratur, um ihren Darstellungen der angeblich von Patriarchat und judeo-christlicher Aufklärung unterdrückten urtümlichen Religion ein wissenschaftliches Fundament und damit Glaubwürdigkeit zu verschaffen. Bereits diese randständigen Formen des Umgangs mit der disparaten Überlieferung zu den Germanen und ihrer Religion, früher beschränkt auf kleine Nischen und nur über Abonnements und Esoterikversandhäuser rezipierbar, haben durch die Neuen Medien eine weite Verbreitung gefunden.
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In weit höherem Maße prägen aber die Produkte der modernen Massenkultur, die sich der germanischen Mythologie und ihrem impliziten Unterhaltungswert verschrieben haben, die Wahrnehmung dieser Sachverhalte in der breiten Öffentlichkeit. Germanische Stoffe und die Götterwelt der nordischen Mythologie haben in der gegenwärtigen Populärkultur Hochkonjunktur. Schon seit der Epoche der Romantik lässt sich eine beeindruckende Rezeption der vor allem durch die isländischen Eddas geprägten Stoffe der germanischen Religionsgeschichte nachzeichnen, wobei das Interesse an Odin, Thor und der nordischen Welt bis heute anhält8.
Kulturelle Verarbeitungen Das Fantasy-Genre, mittlerweile eine ernst zu nehmende Literaturgattung, die ein Millionenpublikum fasziniert und von der Filmindustrie mit aufwendig produzierten Blockbustern befördert wird, hat sich immer wieder mit großem Erfolg mythologischer Vorlagen bedient, die der germanischen, dabei vorwiegend der nordischen Tradition entstammen. Berühmtestes und sicherlich bekanntestes Beispiel dürfte das epochale Fantasyepos Der Herr der Ringe von J. R. R. Tolkien sein, welches das Genre mit seinem weltweiten Siegeszug seit den 1960er Jahren eigentlich erst begründet hat. Die Trilogie gehört mit geschätzten 150 Millionen gedruckten Exemplaren zu den auflagenstärksten Büchern dieser Welt (lässt man die in die Milliarden gehenden Auflagenzahlen der heiligen Schriften Bibel und Koran, sowie die sogenannte »Mao-Bibel« außer Betracht). Den germanischen und nordischen Bezügen in dem Epos über die Phantasiewelt Mittelerde, deren Bezeichnung auf Midgard, die Welt der Menschen in der nordischen Mythologie, anspielt, sind bereits wissenschaftliche Studien gewidmet worden9. Mit dem altenglischen Epos Beowulf, Grimms Märchen und der älteren Edda im Gepäck hat der Professor für Altenglisch und Kenner der germanischen Sprachen Tolkien eine phantastische Welt entworfen, die in vielen Details an nordischen Mythologemen orientiert ist. Die monumentale Verfilmung der Trilogie übertrifft in mancherlei Hinsicht die germanischen Anspielungen der Vorlage. So sind etwa Ausstattung und Requisiten des Reitervolks von Rohan (die Rohirim), zu dem Tolkien anhand angelsächsischer Kriegertraditionen inspiriert wurde, im Film bis hin zur Architektur stark an nordischen Vorbildern orientiert und imitieren bei den Ornamenten der dargestellten Architektur (Hallen und Langhäuser) sogar den germanischen Tierstil. Waffen und Kleidung dieses Reitervolks sind germanischen und angelsächsischen Vorbildern nachempfunden, so sind etwa bestimmte Details der Bewaffnung, wie der von der Prinzessin von Rohan (Eowyn) verwendete Brillenhelm (archäologisch zur Gruppe der nordischen Kammhelme
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gehörig), dem im Fürstengrab von Sutton Hoo und im schwedischen Uppland gefundenen Typus nachgebildet10. Bereits rund 100 Jahre vor der Tolkien-Welle hat die nordische Mythologie in der stilbildenden Interpretation durch Richard Wagner, dessen Ring des Nibelungen 1876 uraufgeführt wurde, die allgemeine Wahrnehmung »germanischer« Religion in eine bestimmte Richtung gelenkt. Obwohl der Bühnengermane der Wagneroper mit geflügeltem Helm längst der Geschichte angehört, sind doch noch Echos von Götterdämmerung, Wotans Walten und der Siegfriedsage fest im kulturellen Gedächtnis der Deutschen verankert und fixieren die allgemeinen Vorstellungen über die germanische Götterwelt im engen Korsett der nordischen Mythologie. Auch jüngste Produkte der Traumfabrik, wie die von Kenneth Branagh 2011 besorgte Verfilmung der Comic-Sagas des Marvel-Verlags um den Gott Thor, unterstreichen die Popularität der Stoffe aus dem Bereich der nordischen Mythologie. Der Donnergott Thor tritt in diesem Film als von Asgard auf die Erde verbannter Superheld auf und muss die Götterwelt mit Hilfe seines Hammers Mjölnir und assistiert von einer jungen Astrophysikerin retten. So entreißt er die Götterburg aus den Klauen seines bösen Bruders (!) Loki, der unrechtmäßig Odins Thron bestiegen hat. Erkennbar werden hier Versatzstücke der nordischen Mythologie zu einer spannenden Story zusammengesetzt, die bereits mit den gleichnamigen Comic-Heften seit den 1960er Jahren sehr beliebt war und an den Kinokassen fast 450 Millionen Dollar einspielte. Die vordergründige Beliebigkeit, in der die Motive der Edda und Versatzstücke der germanischen Religion in Werken der Populärkultur vom Fantasy-Epos bis hin zu Computerspielen verwendet werden, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die germanische Götterwelt in ihrer nordischen Ausprägung ein Teil unserer Alltagskultur und des deutschen Identitätsdiskurses geworden ist. Dieses heute noch oberflächlich verbreitete Wissen über das germanische Heidentum der Frühgeschichte stammt von christlichen Autoren des Mittelalters (etwa die Dichter der Sagas und Snorri), deren Wissen über die heidnischen Bräuche ihrer Vorväter nur bruchstückhaft war. Diesen Sachverhalt als Ironie des Schicksals zu begreifen, ist vielleicht nicht zu weit hergeholt, denn die Christianisierung Mittel- und Nordeuropas, die zwischen etwa 400 bis 1200 erfolgte, hatte zur Folge, dass es »heute kaum mehr möglich« ist, »den Kern der nordischen Mythologie von der christlichen Ummantelung zu lösen«11.
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Die Bekehrung der Südgermanen Am Weihnachtstag des Jahres 498 betrat der Frankenkönig Chlodwig, Sohn des Childerich, mit seinen Getreuen und seiner Familie den Dom von Reims, der seinerzeit noch eine vergleichsweise bescheidene einschiffige Basilika gewesen war. Hier trat er vor Bischof Remigius, bekannte sich zum Dreieinigen Gott und wurde im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes feierlich getauft (Abb. 10). Seinem Beispiel folgten rund 3000 Männer seiner Gefolgschaft nach1. Mit dem Übertritt des Frankenherrschers zum katholischen Glauben wurde der Grundstein zur europäischen Geschichte des Mittelalters gelegt.
Abb. 10: Der heilige Remigus tauft Chlodwig (Elfenbeinbuchdeckel, Musée de Picardie, Amiens)
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Die Tragweite dieser Entscheidung konnte Chlodwig und seinen Zeitgenossen nicht bewusst gewesen sein. Was waren die Gründe, die den Frankenkönig bewogen, zum römischen Glauben überzutreten? Er hatte seinen Vater Childerich noch mit allem denkbaren heidnischen Pomp bestatten lassen und mit dem prunkvollen Begräbnis seinen Anspruch als Erbe und Nachfolger markiert (Kap. 8). Schon Kaiser Konstantin hatte sich bei einer Entscheidungsschlacht an den Christengott gewandt und der Überlieferung nach ein Gelöbnis im Kampf an der Milvischen Brücke 312 abgelegt. Auch bei Chlodwig war in erster Linie das Schlachtenglück für den Übertritt verantwortlich, denn auch er hat in einer Entscheidungsschlacht die Taufe gelobt. Zwar hatte Chlodwigs katholische Frau ihn bereits vorher entsprechend bearbeitet, aber erst die 496 bei Tolbiacum (Zülpich) gegen die Alamannen gewonnene Schlacht, die das gesamte nördliche Siedlungsgebiet der Alamannen unter fränkische Herrschaft brachte, hat Chlodwig dem neuen Glauben zugeführt, dem auch die Mehrzahl seiner Untertanen anhingen, denn der Teil Galliens, den er zunächst beherrschte, war mehrheitlich von Romanen bewohnt. Bemerkenswert an Chlodwigs Konversion sind zwei Dinge: Zunächst einmal erscheint die Art und Weise seines Übertritts als frühe Form einer »Christianisierung von oben«, also der Konversion eines ganzen Stammesverbandes oder doch wenigstens ihrer führenden Mitglieder. Die Missionsgeschichte des Christentums und die Ausdehnung des christlichen Glaubens im Römerreich zu Zeiten der Alten Kirche bezeugt den Übertritt als vornehmlich individuellen Akt, der eine obligatorische spirituell und pädagogisch begleitete Vorbereitungszeit erforderte. So waren die frühen Christen solche, die durch das Wort Gottes und durch Predigten und individuelle Missionsarbeit nach einem Reflexionsprozess den neuen Glauben als den einzigen und einzig wahren annahmen. Für Chlodwig selbst mag dies in Teilen zutreffen, hatte er doch mit den aus der gallischen Elite stammenden Bischöfen Berater um sich, die ihm das Christentum näher gebracht hatten. Außerdem war er nach Angabe der Quellen bereits dem Einwirken seiner katholischen Frau Chrodechilde ausgesetzt, die erreicht hatte, dass der Sohn Ingomer bereits vor Chlodwigs Konversion christlich getauft wurde. Die Taufe war von langer Hand vorbereitet worden und war nicht frei von strategischen und politischen Erwägungen. Die zweifellos angeordnete Übernahme des Christentums durch seine Gefolgschaft war indes ganz eindeutig ein politischer Akt, dem seine Männer ohne individuelle Vorbereitung auf den Übertritt Folge leisteten. Der zweite wichtige Aspekt des Übertritts, der auch für die weitere Geschichte Europas von entscheidender Bedeutung sein sollte, war die Annahme des katholischen Bekenntnisses durch die Franken. Diese Entscheidung fiel im Kontext außenpolitischer Entfremdung gegenüber dem zu Zeiten verbündeten Ostgotenreich des Theoderich. Denn die Goten waren, wie fast alle maßgeblichen Germanenstämme der Völkerwanderungszeit, sogenannte Homöer, also
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Anhänger eines konkurrierenden christlichen Bekenntnisses. Die Homöer, unter denen es wiederum unterschiedliche Richtungen gab, werden auch oft als Arianer bezeichnet, wobei diejenige Richtung, die sich auf die Lehren des Arius bezog, nur eine in einer ganzen Reihe homöischer Bekenntnisse darstellt. Gemeinsam ist ihnen allen, dass sie die auf dem Konzil von Nicäa 325 festgelegte und beim Konzil von Konstantinopel 381 als verbindlich bestätigte Trinitätslehre ablehnten, also die Vorstellung, dass Vater, Sohn und Heiliger Geist gleichermaßen und in unauflösbarer Einheit Ausdruck der Göttlichkeit seien. Diese durchaus komplizierte Denkfigur über die Wesenheit Gottes lehnten die Homöer zugunsten einer lebensnaheren Interpretation ab, indem sie Jesus als Sohn Gottes als diesem (in unterschiedlichen Graden, je nach Richtung) nur ähnlichen (gri. homoios) Menschen betrachteten. Allein der Vater war nach Auffassung aller homöischer Interpretationen Gott2. Die Goten nun, die zu Beginn des 4. Jahrhunderts nach Zeugnis des Kirchenvaters Athanasius als eines der ersten Völker durch die Predigt erreicht worden seien (De incarnatione 51, 2), kamen jedoch nicht durch gezielte Mission sondern durch Zufall am Rande des Reichsgebiets, nämlich im nördlichen Schwarzmeerraum, mit der homöischen Interpretation des Christentums in Berührung. Zunächst hatte sich das Christentum in einer Art »inneren Mission« durch Geiseln bei den Goten verbreitet, da sie bei ihren Raubzügen ins Reich auch Christen als Sklaven verschleppt hatten. Ihr wichtigster Missionar und Vertreter, Bischof Wulfila, selbst Nachkomme ehemaliger Sklaven aus dem Reich, geriet als in den vierziger Jahren des 4. Jahrhunderts geweihter Bischof der außerhalb des Reiches gelegenen gotischen Kirche (Bistum Gothia) eher zufällig in den Wirkungskreis der im Osten des Reiches dominierenden homöischer Lehren. In der Folge jedoch ergab sich nach der Festlegung durch das Konzil von Konstantinopel (381) auf die katholische Trinitätslehre aus dem Festhalten an einem homöischen, von den »Römern« als Arianische Häresie verunglimpften Bekenntnis die Gelegenheit, eine gotische Identität auszubauen, die in der Zeit der gotischen Reiche in Toledo und in Ravenna dafür sorgte, dass sich die gotische Kriegerelite von den unter ihrer Herrschaft lebenden Romanen unterscheiden konnte. Nicht nur die Goten, auch alle anderen germanischen Gruppen, die dann im 5. Jahrhundert auf römischem Boden neue Reiche bildeten, nahmen den christlichen Glauben nicht in der mehrheitlich üblichen Form des Katholizismus an, sondern wurden durch gotische Vermittlung homöische »Arianer«. Den einwandernden polyethnischen Gruppen, die wir vereinfachend oft »Völker« nennen, bot der christliche Glaube ein wichtiges identitätsstiftendes Moment und auch die Möglichkeit einer durch die gotische Bibelübersetzung Wulfilas und die germanische Liturgiesprache beförderten Gründung von »Nationalkirchen« zur Ausbildung der eigenen, unterscheidbaren Identität:
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»Um als hauchdünne Minderheit nicht in der römischen Bevölkerung aufzugehen, brauchten die Germanen die eigene konfessionelle Ausprägung von Christentum«3. Gerade dieses trennende Moment war jedoch verantwortlich dafür, dass der »Kampf um Rom« – um den reißerischen Titel des national-völkischen Klassikers von Felix Dahn aufzugreifen – für die Goten in letzter Konsequenz verloren gehen musste. Während die tagesaktuellen und politischen Erwägungen geschuldete Entscheidung Chlodwigs den gleichen Glauben wie seine romanischen Untertaten und seine bischöflichen Berater anzunehmen, die Grundlagen für die dauerhafte Integration der Eliten und somit eine erfolgreiche Reichsbildung ermöglichte, waren die Reiche der »arianischen« Goten, Vandalen und Burgunder nur von kurzer Dauer4.
Christianisierung der Germanen Mit den germanischen Reichsbildungen des 5. und 6. Jahrhunderts sind wir schon in eine Epoche der Geschichte vorgedrungen, in der sich unter den Germanen Kontinentaleuropas das Christentum schon irreversibel verbreitet hatte und zunehmend – wie das Beispiel der Franken zeigt – in kollektiver Form im Sinne einer Christianisierung »von oben« angenommen wurde. Diese veränderte Vorgehensweise, die eigentlich der Lehre des Augustinus widersprach, der die Freiwilligkeit der Taufe als grundlegend betrachtete, war im Falle der germanischen Völker außerhalb des alten römischen Reichsgebiets durchaus angezeigt. Da Adel und Könige bei den Germanen eine besondere religiöse Stellung eingenommen hatten (Stichwort »Sakralkönigtum«), war der neue Ansatz, dem die Missionare folgten, zunächst die Führungsschichten zu gewinnen. Es ging also in erster Linie darum, den zu missionierenden Adligen und Stammesführern zu zeigen, dass Christus gegenüber den Stammesgöttern der stärkere war. Dies ist eigentlich eine ganz antike Denkfigur, der neben vielen Heiden im Römerreich, die sowohl den alten Göttern als auch dem neuen Christus gleichzeitig huldigten (es konnte ja nicht schaden), auch Konstantin und letztlich auch Chlodwig folgten, als sie in Bedrängnis während der Schlacht ihre Hoffnungen auf die Stärke des neuen Gottes setzten. Entsprechend erlangte die nun auch von aktiven, mit Schutzbriefen ausgestatteten Missionaren angeführte Bekehrungsinitiative den Charakter einer »Tatmission«, die auch vor Gewaltakten nicht zurückschrak (Zerstörung von Heiligtümern etc.), um die Stärke Christi unter Beweis zu stellen. Bei der Geschichte der Bekehrung und Missionierung der germanischen Völker handelt es sich in ihrer Gesamtheit indes um eine vielschichtige und sich über einen langen Zeitraum erstreckende Entwicklung, die zunächst keinem missionarischen »Masterplan« folgte5.
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In der Alten Kirche war, wie bereits angedeutet, der Übertritt zum Christentum immer ein individueller und freiwilliger Akt gewesen. Zwar hatte Christus seinen Jüngern bekanntermaßen die Losung ausgegeben, sein Wort in aller Welt zu verkünden (Mk 16, 15), jedoch gab es in den ersten drei Jahrhunderten nach Christus keine organisierte Mission, die für die Bekehrung ganzer Völker stritt. Die Konversion basierte auf individueller Entscheidung, und die Taufe war nur der letzte Akt einer durch Belehrung, Predigten und Gespräche mit einem Mentor gewöhnlich zwei bis drei Jahre dauernden Vorbereitungsprozesses, Katuchemenat genannt. Das Christentum bliebt auch zuerst nur auf das Innere des Römerreichs beschränkt, das aber – trotz phasenweiser Christenverfolgungen – aufgrund seiner funktionierenden Infrastruktur unter der Pax Romana und der Kommunikationswege, welche die entstehende Kirchenhierarchie klug zu nutzen wusste, wie eine Art Inkubator funktionierte6. So entstanden im gesamten Reich schon vor der Erhebung des Christentums zur Staatsreligion unter Theodosius (380) einflussreiche christliche Gemeinden. Innerhalb der Reichsgrenzen erfolgte die »Missionierung« der Germanen somit wie in den anderen Gebieten des Imperiums nach den Regeln der Alten Kirche, sodass man für die Mitte des 5. Jahrhunderts von einer geschlossenen christlichen Reichsbevölkerung reden kann, neben der es noch heidnische und jüdische Minderheiten gab; der Anschluss ans Christentum lag nun reichsweit voll im Trend7. Entsprechend finden wir in den nordöstlichen Grenzregionen Spuren germanischstämmiger Christen. So sind etwa aus dem während des 5. Jahrhunderts noch alemannischen Gebiet um Mainz und Wiesbaden christliche Grabinschriften erhalten, welche die Herkunft ihrer Träger durch germanische Namen wie Votrilo, Qalaqit oder Ingildo verraten (CIL 13, 7600, 7602, 7603).
Christianisierung der Goten Die Christianisierung der Goten, die bereits begann, als diese noch außerhalb der Reichsgrenzen am nordwestlichen Rand des Schwarzen Meeres siedelten, war ein Sonderfall. Dabei verlief die Entwicklung keineswegs reibungslos. Wulfila musste sich nach Verfolgungen durch altgläubige Gotenfürsten mit seiner christlichen Gemeinde auf Reichsgebiet niederlassen, in der Provinz Moesia inferior an der heute rumänisch-bulgarischen Schwarzmeerküste. Seine Gruppe ist nach der Bezeichnung durch Jordanes als »Kleingoten« bekannt geworden. Dass die Terwingen bzw. Westgoten schon im 4. Jahrhundert dauerhaft zum Christentum fanden, war ebenfalls die Konsequenz einer politischen Entscheidung, die mit einer Bekehrung »von oben« einherging. 376 ersuchte eine große Gruppe der Terwingen, die vor den Hunnen geflohen waren, um Aufnahme ins Reich und überquerte in der Nähe des Donaudeltas den Strom, um als foederati
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angesiedelt zu werden. Ihr Führer Fritigern bekannte sich beim Eintritt ins Imperium zum im östlichen Reichsteil vorherrschenden und auch vom Kaiser Valens, mit dem er verhandelt hatte, geteilten homöischen Christentum, weil er sich und seinen Leuten so – um es in aktuellen Begriffen zu fassen – bessere Integrationschancen versprach. Gotischem Vorbild und Einfluss folgten die übrigen germanischen Gruppen der Völkerwanderungszeit seit dem 5. Jahrhundert bei der Übernahme des Christentums en bloc. Die Übernahme des homöischen Bekenntnisses durch diejenigen Verbände, die sich auf ehemals provinzialrömischem Boden niedergelassen hatten, sicherte einerseits die eigene Identität in Abgrenzung von den Romanen, andererseits ist sie auch Ausdruck eines Prozesses sozialer Anpassung.
Heidenmission und Klostersystem Erst durch die Ausbildung des Klosterwesens seit dem 7. Jahrhundert in den germanischen Nachfolgereichen im Norden, die auch der inneren Mission und damit der Festigung der neuen Gegebenheiten diente, wird die organisierte und zielgerichtete Heidenmission zu einem das Frühmittelalter bestimmenden Faktor. Das auf römischen Reichsstrukturen aufbauende Geflecht von Bistümern und Klöstern im Frankenreich bildete die institutionelle Basis für die zunehmend planmäßig durchgeführte Heidenmission, die von emblematischen Gestalten der frühen Klosterkultur geprägt wurde. Die in Ägypten und Syrien entwickelte Vorstellung von einem besonders gottgefälligen Leben in Askese wurde im 6. Jahrhundert durch das Regelwerk des Benedikt von Nursia in geordnete Bahnen gelenkt und die Idee des monastischen Lebens in der Folge der zunächst in Italien erfolgenden benediktinischen Gründungen ein Exportschlager. Erstaunlicherweise trieb dieser monastische Gedanke gerade im fernen Irland ganz besondere Blüten. Auf dieser von römischer Herrschaft unberührt gebliebenen Insel verbreitete sich das Christentum rasch und in der Folge der Missionsbestrebungen des heiligen Patrick (Mitte des 5. Jahrhunderts) entstand ein auf benediktinischen Regeln aufgebautes Klosterleben, das sich mit irisch-keltischen Eigenarten verband. So galt es den irischen Mönchen in Abwandlung einer in Altirland als besonders drakonisch empfundenen Bestrafung als besonders gottgefällig und als Gipfel der Askese, das Kloster zu verlassen und ohne Netz und doppelten Boden, ohne soziale Absicherung auf Wanderung in die Fremde zu gehen (peregrinatio genannt), um dort zu missionieren und Gemeinschaften zu gründen8. So waren es zunächst irische und schottische, dann angelsächsische Wandermönche, die den Christianisierungsprozess vom Frankenreich aus, in dem die erste Generation iro-keltischer Mönche gewirkt hatten, in den noch heidnischen Gebieten jenseits des alten Römerlimes vorantrieben und dort mit Klostergrün-
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dungen neue geistige Zentren von zunehmender Strahlkraft etablierten. Einer der Pioniere auf dem Kontinent war Columban, der aus Irland kommend (um 590) die innere Mission des gallischen Teils des Frankenreichs durch eine Reihe von Klostergründungen anging. In seinem Gefolge war auch der heilige Gallus, der um 610 mit Gefährten nach Süden ins Land der Alamannen zog und im Bodenseeraum aktiv war. Dass in der nächsten Generation der Wandermönche, die die peregrinatio auf sich nahmen, nun vor allem Angelsachsen zum Zuge kamen, war der Aufgabe unter anderem deswegen förderlich, weil sie ein ganz ähnliches Idiom sprachen, wie die Angehörigen ihrer Zielgruppen jenseits von Rhein und Donau. Diese Bekehrungswelle nahm ihren Ausgang vom jüngst christianisierten Frankenreich, dessen Könige und Hausmeier die weiteren Missionsbemühungen unterstützten. So rückten im 7. und 8. Jahrhundert Bayern, Thüringen und Friesland in den Fokus der organisierten Bekehrung. Zunächst muss hier der aus Northumbrien stammende Willibrord (ca. 658–739) genannt werden, den die Literatur als »Missionar der Friesen« kennt. Nach Ausbildung in englischen und irischen Klöstern begab er sich auf den Kontinent und erlangte die Unterstützung des fränkischen Hausmeiers Pippin (des Mittleren, ca. 635–714), der ihn mit der Missionierung der Friesen beauftragte. Etwa gleichzeitig wirkten in Bayern mit Emmeram in Regensburg, Korbinian in Freising und Kilian in Würzburg, Missionsbischöfe, die noch heute als Namenspatrone vieler Bürger des Freistaats dienen, in welchem die Erinnerung an sie in der Alltagskultur noch heute aufrecht erhalten wird. Wichtiger noch als die genannten war für Bayern der heilige Bonifatius, den man auch gerne den »Missionar der Deutschen« nennt9. Er hat etwa eine Generation später in Bayern, unterstützt vom Herzog, die hierarchischen Ordnungen entworfen und die Bistümer in der Form organisatorisch aufgegliedert, die auch heute noch für die bayerische Kirchenordnung verbindlich ist (um 739). Zuvor hatte Winfrid (ags. Wynfreth, ca. 675–754), wie der angelsächsische Mönch aus Exeter vor seiner offiziellen Bestallung als vom Papst legitimierter und mit dem Namen Bonifatius ausgestatteter Missionsbevollmächtigter des Heiligen Stuhls noch hieß, bei den Thüringern und an der Seite Willibrords bei den Friesen missioniert. Nach einem Zerwürfnis mit seinem Lehrer wirkte er ab 721 als Missionar im hessisch-thüringischen Grenzgebiet. Hier kam es zu einem symbolisch bedeutsamen Ereignis, als er im osthessischen Geismar (heute Ortsteil von Fritzlar) an einem Kultplatz eigenhändig die »Donareiche« fällte und mit dem aus ihre gewonnenen Holz einen ersten Kirchenbau ebendort begann10. Er traute sich diese öffentliche Zerstörung des Heiligtums natürlich nur unter dem Schutz einer Abteilung fränkischer Soldaten. Diese dem neuen Stil der »Tatmission« zuzurechnende Handlung markiert – ähnlich wie das Versenken der Götzenbilder der Alamannen im Bodensee durch Gallus – ein wichtiges Kennzeichen der Mission bei den Germanen. Um diese zu überzeugen, musste man die Überlegenheit des neuen Gottes unterstreichen. Nur wenn Christus
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Sieg verleihen konnte und stärker war als die übrigen Götter, auf die die Missionare während ihrer Bekehrungsarbeit stießen, konnte der Mission Erfolg beschert sein. Diesen im Wesentlichen ganz antik-polytheistischen Grundgedanken mussten sich die Missionare im Germanenland zu nutze machen. Christus als Siegbringer und als derjenige, der den Tod überwindet, bestimmt deshalb auch die frühmittelalterliche Ikonographie. Frühmittelalterliche Darstellungen zeigen keinen leidenden Christus, sondern verweisen auf die Stärke des wundertätigen und mächtigen Gottes in der Tradition des allbeherrschenden »Pantokrators«. Möglicherweise hatten Bonifatius und seine Kollegen es auch generell gesehen verhältnismäßig einfach, ihrer neuen Religion bei den Germanen zum Sieg zu verhelfen. Denn die Religionen, die Bonifatius vorfand, »dürften eine Mischung aus der Verehrung eines germanischen Götterolymps und Formen einer Naturreligion gewesen sein, in denen beispielsweise Bäume und Quellen verehrt wurden«11. Vor diesem Hintergrund mag die aus dem Judentum entstammende und im römischen Reich zusammengeschmiedete Glaubensrichtung den vorbestimmten Siegeszug einer »überlegenen Fremdreligion« angetreten haben, wie die aktuelle kirchenhistorische Forschung argumentiert12. In der Tat brachte sie die Verlockungen der spätrömischen Zivilisation mit sich, deren ungebrochene Kontinuität sich auf die germanischen Reichsgründungen auf dem Boden des alten Imperiums durchaus ausdehnte. Ein Kulturgefälle zwischen den politisch und organisatorisch weit kohärenter gefassten Einheiten, allen voran das Frankenreich, und den gentilizisch organisierten Friesen, Thüringer oder Sachsen, bestand in ganz offensichtlicher Weise. Die in der kirchengeschichtlichen Forschung gerne getroffene Unterscheidung zwischen christlicher Hochreligion und indigenen Einfachreligionen entstammt zwar dem Dünkel theologischer Fakultäten, enthält aber einen relevanten Kern13. Gegen den universalen Anspruch des Christentums, die Vorteile der Armenfürsorge, den Reiz einer verinnerlichten, allgemeingültigen Ethik, die auf klaren Geboten basiert und die Verheißungen eines ewigen Lebens in Glückseligkeit hatten die im Kontext ethnischer Identitäten stehenden durchaus unterschiedlichen Gentilreligionen der germanischen Stämme (man denke an die Besonderheiten der Religion der Goten, die offenbar keinen Wodan/Odin kannten) keinen leichten Stand. Entsprechend setzten die Missionare, wo das ging, bei den Führern der germanischen Völker an, die dann nach dem Prinzip der traditionellen Gentilreligion ihre Gefolgschaften gleich mitbekehren ließen, wie es das Beispiel der 3000 Getreuen des Chlodwig zeigt, die sich unmittelbar nach ihm taufen ließen. Nicht immer jedoch ging die Rechnung auf. Oftmals wurde der Glaube auch politisch relevant. So war das Beharren des Friesenkönigs auf den alten Traditionen in erster Linie eine Strategie der Verteidigung gegen die Herrschaftsansprüche der mächtigen Franken im Süden, die seine Herrschaft bedrohten. Der alte Glaube diente hier als identitätsstiftendes Differenzierungsmerkmal. Ganz ähn-
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lich verhielt es sich noch im späten 8. Jahrhundert mit dem Widerstand der Sachsen gegen die Expansion Karls des Großen. Die eigene politische Identität war an die Gentilreligion gebunden, woraus sich der hartnäckige Widerstand erklären lässt, den die Sachsen Karl und seiner Schwertmission entgegen brachten. Der Frankenkönig glaubte diesen Widerstand nur mit Gewalt brechen zu können und verhängte auch nach der Ermordung einer großen Zahl von Sachsen bei Verden (die überlieferte Angabe von 4500 Enthaupteten mag übertrieben sein) im Jahr 782 drakonische Strafen für die Ausübung heidnischer Bräuche.
Schaffung christlicher institutioneller Strukturen Mit der Bekehrung allein war es indes noch nicht getan. Erst die neu geschaffenen Kirchenstrukturen und die Ausstrahlung der geistigen Zentren des neuen Glaubens, der Klöster, die seit der karolinigischen Renaissance endgültig zu den Horten des abendländischen Wissens geworden waren, ermöglichten eine dauerhafte Durchdringung der für das Christentum gewonnenen Gebiete. Denn wie andere Formen des antiken Polytheismus auch, war für viele Bewohner des germanisch geprägten Mitteleuropa der neue Christengott zunächst nur ein starker Verbündeter aus einer ganzen Reihe von Göttern, den man alternativ oder gemeinsam mit anderen Numina um Beistand anrief. So war es für den angelsächsischen König Raedwald (Anfang 7. Jahrhundert) ganz selbstverständlich, im gleichen Heiligtum sowohl einen Altar für Christus zu haben, wie auch einen, an dem er »Opfer für die Teufel« darbrachte, wie Beda indigniert berichtet (Hist. Eccl. 15, 2). Der Exklusivanspruch von Christus setzte sich erst nach und nach in den ehemals von den Germanen besiedelten Gebieten durch. Grabbeigaben christlichen und heidnischen Ursprungs bezeugen die Tendenz vieler Menschen der Übergangszeit, sich möglichst mehrfach abzusichern14. Und in vielen Traditionen des Volksglaubens, besonders in zunehmend von den Kirchenoberen als Magie gebranntmarkten Ritualen heidnischen Ursprungs, lebten alte Vorstellungen fort. So schafften es noch im 10. Jahrhundert die erwähnten Merseburger Zaubersprüche auf das Vorsatzblatt eines Gebetsbuches (vgl. Kap 7). Die frühmittelalterlichen Volksrechte (leges) enthalten entsprechend Passagen, in denen die Ausübung heidnischer Bräuche unter Strafe gestellt wird. Solche Vorschriften verweisen indirekt wiederum auf die fortwährende Existenz eben dieser alten Bräuche, die auszurotten die gesamte Tatkraft und Organisationsstärke der Kirchenhierarchie benötigte. Ähnliches gilt für den bereits genannten Indiculus Superstitionum (Kap. 1) und die verbreiteten Bußbücher (Poenitentiale), Sammlungen von Bußvorschriften für Vergehen jeglicher Art, in denen Rückfälle in altes Kultbrauchtum und Erscheinungen des Synkretismus einen großen Raum einnehmen und deswegen indirekt diese verbreiteten Erscheinungen anzeigen.
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Im archäologischen Befund lässt ich die langsame Durchdringung des Christentums zunächst in den Grabbeigaben verfolgen. So lassen sich bei Langobarden, Alamannen und Baiuwaren seit der Mitte des 6. Jahrhunderts vielfach sogenannte Goldblattkreuze in den Grabbefunden nachweisen. Diese dünnen Goldblechapplikationen waren an der Kleidung angebracht und dienten aufgrund ihrer fragilen Machart wohl nur dem Grabkult (Abb. 11).15
Abb. 11: Langobardische Goldblattkreuze (Archäologisches Museum Bergamo)
Dieser Fundgattung gesellen sich im gesamten germanischen Bereich auch Christogramme und Petrus- oder Himmelsschlüssel hinzu. Auch wenn die seit dem Beginn des 7. Jahrhunderts im süddeutschen Raum häufiger auftretenden christlichen Symbole keine klare Aussage über die »Bibelfestigkeit« ihrer Träger erlauben, da zurecht oft synkretistische oder polytheistische Verwendungen der christlichen Zeichen angenommen werden müssen, zeigt dieser archäologische Befund gemeinsam mit den frühen ländlichen Kirchenbauten, dass sich das Christentum in Süddeutschland im 7. Jahrhundert durchsetzte16. Da die christliche Kirche die Beigabensitte unterband, sind solche Funde nur für eine Übergangszeit nachgewiesen und hören um 700 in Süddeutschland und Mitte des 8. Jahrhunderts im ostfränkischen Reich auf. Ein besonders aussagekräftiges Beispiel für die Übergangszeit, in der die alte Religion und das Christentum
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nebeneinander, oder aus heidnischer Sicht auch komplementär existieren ist eine in die zweite Hälfte des 10. Jahrhunderts datierte Gussform aus dem dänischen Ort Trendgården (Abb. 12). Sie ermöglicht in einem Block sowohl das Gießen christlicher Kreuzanhänger als auch eines heidnischen Thorshammers, der in Skandinavien im 8. und 9. Jahrhundert immer mehr zum Symbol der alten Religion wurde, in deren Zentrum in der nordischen Mythologie zunehmend Thor stand17. Dieses bedarfsorientierte Werkzeug eines skandinavischen Handwerkers symbolisiert die aus polytheistischer Sicht durchaus legitime Gleichzeitigkeit der Devotionalien und ihrer Verwendung. Dass zwei Kreuzformen nur eine für den Thorshammer im gleichen Block einrahmen, mag die Tendenz versinnbildlichen: Das Kreuz ist in der historischen Rückschau das Zeichen des Siegers.
Abb. 12: Gussform aus Trendgården für Anhänger in Form von Kreuz oder Thorshammer (Dänisches Nationalmuseum)
Christianisierung des Nordens in der Wikingerzeit Schwieriger war die Ausgangslage im hohen Norden. Nach missglückten Anfängen einer im 9. Jahrhundert bei den Dänen ansetzenden Mission in Skandinavien setzte sich das Christentum in den dünn besiedelten und von nur rudimentären Herrschaftsstrukturen geprägten Gebieten des südlichen Skandinavien erst um die Jahrtausendwende langsam durch, in einigen Gebieten des heutigen Schweden erst im 12. Jahrhundert. In Skandinavien lässt sich überdies eine Entwicklung erkennen, die es nicht immer klar erscheinen lässt, ob man überhaupt berechtigt ist, in der Zeit des Frühmittelalters für die dem alten Imperium benachbarte Bevölkerung jenseits des Rheins und für die Nordmänner Skandinaviens, den gleichen Germanenbegriff zu verwenden. Während sich in Südskandi-
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navien, Ostanglia und Norddeutschland für die Zeit bis ins 6. Jahrhundert vielleicht noch von einer durch Kunst und Symbolik (Tierstil, Brakteatenmotive) zusammengehaltenen und von den Zentralorten und bedeutenden Machtzentren bestimmten »germanischen Koiné« sprechen kann, entwickeln sich die südlichen Germanengebiete im Rahmen der frühmittelalterlichen Reichsbildung nach der Völkerwanderung und der Expansion des Frankenreichs unter den Auspizien der römischen Rechtstradition und des Christentums ganz anders als das abgelegene Skandinavien. In der Wikingerzeit bildet sich hier – wie man aus den isländischen Quellen erschließen kann – die nordische Mythologie aus, deren Pantheon eine Schnittmenge mit den Traditionen der Götterwelt der südlichen Germanen bildet, deren Größe unterschiedlich bewertet werden kann und die nur eine Handvoll Hauptgötter umfasst. Diese treten aber dank der Eddalieder und anderen Texten des 13. Jahrhunderts in der nordischen Tradition umso plastischer mit ihren abenteuerlichen Geschichten und Verwicklungen in den Vordergrund (siehe hierzu Kap. 6).
Dänemark und Schweden Die Christianisierung Skandinaviens erfolgte deshalb unter anderen Vorzeichen, als die der Kontinentalgermanen18. Es waren die karolingischen Franken, die Skandinavien im 9. Jahrhundert nun näher waren als jemals das Römerreich. Sie waren die Träger des Christentums in den Augen der Nordmänner (Nordmanni/Nortmanni), wie die Skandinavier (aber bevorzugt die Dänen) in den fränkischen Quellen durchweg genannt werden19. Von den Franken gingen auch die ersten Versuche aus, die Nordmänner zu bekehren. Der Franke Ansgar missionierte ab ca. 830 in Dänemark und im schwedischen Birka, wo es eine offenbar vom Umfeld tolerierte christliche Gemeinde gab. Überhaupt zeigt die Tatsache, dass Ansgar vom Dänenkönig die Erlaubnis erhielt, das Wort seines Gottes zu verkünden, auf die polytheistisch-antike Grundhaltung, der die Missionare auch in den südgermanischen Gebieten begegneten. Jesus Christus war ein Gott unter vielen und eine Option, für die seine Priester werben durften. Erst der nicht verhandelbare Absolutheitsanspruch sorgte zunehmend für Konflikte, da viele Heidenkönige dem Missverständnis aufsaßen, Christus sei als ein weiterer Gott einfach in die Formenwelt des germanischen Polytheismus integrierbar. Diese frühen Missionsversuche Ansgars zeigten wenig Erfolg, wie auch die Unterstützung eines getauften Prätendenten im Machtstreit der unterschiedlichen dänischen Fraktionen durch den fränkischen König Ludwig. Eine Christianisierung »von oben« ist nur möglich, wenn es ein »oben« gibt und klare Verhältnisse herrschen. Dänemark war im 9. Jahrhundert ein von unterschiedlichen Gruppen im Kampf um die Vorherrschaft destabilisiertes Gebiet,
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das in permanenten Thronstreitigkeiten gefangen war . Erst die Konversion von Harald Blauzahn im Jahr 965 brachte eine nachhaltige Wende. Harald hatte das dänische Königtum wieder mächtig gemacht und konnte so als Multiplikator von Rang wirken und die Annahme des Christentums stärker befördern. Die Überlieferung macht für Haralds Übertritt zum Christentum ein durch den Poppo, den späteren Bischof von Schleswig, bewirktes Wunder verantwortlich. Nachdem Poppo einmal mehr die heidnischen Rückfälle und die Dämonenverehrung im Einflussgebiet des Dänenkönigs gegeißelt hatte und darauf verwies, dass nur der Christengott der einzige und wahre Gott sei, verlangte Harald von ihm eine »Eisenprobe«, um die Wahrheit seiner Botschaft zu untermauern. Nachdem er ein glühendes Eisen in den Händen gehalten hatte, ohne irgendwelche Verletzungen davon zu tragen, war Harald sichtlich beeindruckt und ließ sich taufen. Unabhängig vom Wahrheitsgehalt ist diese Anekdote erneut ein Beleg für die entscheidende Rolle, welche die demonstrierte oder empfundene Überlegenheit und Stärke des neuen Gottes für die Völker der germanischen Tradition hatte.
Norwegen In Norwegen war Ende des 10. Jahrhunderts die entscheidende Figur der König Olaf Tryggvarson. Der ehemalige Wikinger (Wikinger bezeichnet ja keine Volksgruppe sondern einen Lebensstil) war auf einer seiner Raubfahrten in England getauft worden und wurde nach der glücklichen Machtübernahme in Norwegen, wo Kleinkönige um Einfluss und Vorherrschaft kämpften, nach 995 König. Mit Gewalt setzte er in seinem Machtgebiet das Christentum durch und zerstörte die lokalen Heiligtümer der alten Götter, mithin auch um dadurch die Macht seiner lokalen Widersacher zu brechen. Zwar erlitt das Christentum nach Olafs Tod im Jahr 1000 noch einige Rückschläge, die mit Machtwechseln und Thronwirren in Verbindung standen (Norwegen wurde zerschlagen und Dänemark und Schweden zugeteilt), doch erwies sich in der Folge das durch den Einfluss von nun auch im Norden etablierten kirchlichen Institutionen gefestigte Christentum als stabil und kurzfristige Gegenbewegungen blieben ohne nachhaltigen Erfolg.
Island Völlig ungewöhnlich verlief die auch von Olaf Tryggvarson ausgehende Christianisierung Islands. Während es in den anderen Königreichen des Nordens zu teilweise scharfen, sich am Christentum und seinem Absolutheitsanspruch entzündenden Richtungsstreitigkeiten kam, war es eine gewissermaßen
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»salomonische« Entscheidung, die in Island für einen weitgehend konfliktfreien Übertritt zum Christentum sorgte. Auf der von norwegischen Siedlern erst ab Ende des 9. Jahrhunderts besiedelten Insel herrschten fast demokratische Verhältnisse. Ohne einen dominanten Adel, organisierten sich die isländischen Bauern in einer Art Volksversammlung, dem Althing, auf dem Recht gesprochen und alle betreffenden Entscheidungen durch Abstimmung getroffen wurden. Als der Druck seitens Olaf Tyggvarsons auf die Isländer immer größer wurde, entschied die Versammlung der in Heiden und Christen gespaltenen Isländer, einen allseits respektierten Schiedsrichter zu bestimmen, der eine Entscheidung zwischen der alten Religion und dem Christentum treffen sollte. Denn im Richtungsstreit war es fast zum offenen Bruch gekommen, indem sich Christen und Heiden bei der Thingversammlung gegenseitig die Rechtsgemeinschaft aufsagten. Der Schlichter namens Thorgeir verkündete, nachdem er 24 Stunden allein unter einem Mantel meditierend verbracht hatte, sein salomonisches Urteil: Es sollte keine zwei Religionen auf Island mit ihren unterschiedlichen Rechtsstandards geben, sondern die Isländer sollten nur nach einem Gesetz leben, nämlich dem des Jesus Christus; folglich müssten sich alle taufen lassen. Weise waren auch die Ausnahmeregelungen, so durfte nach wie vor auch das von den Christen verpönte Pferdefleisch konsumiert werden und die (wohl wirtschaftlich bedingte) Tradition Kinder aussetzen zu können, wurde beibehalten. Außerdem durfte – wieder ein Zeichen für das typisch polytheistische Religionsverständnis der Zeit – auch weiterhin den alten Göttern geopfert werden, unter der Bedingung, dass dies nicht öffentlich geschah21.
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In den vorangegangenen Kapiteln ist deutlich geworden, dass die disparate Überlieferung zu den »Religionen« der Germanen wenig klare Festlegungen erlauben. Animistische Elemente und Naturverehrung lassen sich anhand des archäologischen Befunds der vorrömischen Eisenzeit und der Kaiserzeit ebenso für die religiösen Erscheinungen bei den Germanen reklamieren, wie die Ausbildung und Festigung einer »Wodansreligion« in der Spätantike und der Völkerwanderungszeit. Inwiefern die wichtigsten Götter der Germanen, die seit der Einführung der gemäß römischem Vorbild nach Göttern benannten Wochentage (3.–4. Jahrhundert) sicher belegt sind, schon in der Völkerwanderungszeit und bis zum Spätheidentum in Nordeuropa Teil eines einheitlichen mythologischen Gefüges gewesen sind, bleibt fraglich und höchst spekulativ. Durch interpretatio Romana und den Siegeszug des intoleranten Christentums zuerst in die Ecke gedrängt, dann in die Knie gezwungen, sind die auf uns gekommenen Zeugnisse germanischer Kulte und Götterverehrung spärlich und bedürfen der Interpretation. Will man einige charakteristische Elemente trotz aller regionalen Unterschiede und lokaler Eigenheiten herausheben, so lässt sich feststellen, dass die germanischen Religionen sich in das Kontinuum der vorund frühgeschichtlichen Religionen Alteuropas gut einordnen lassen. Zunächst einmal dient Religion auch hier im Zentrum Europas in erster Linie pragmatischen Zwecken, die von den Lebensbedingungen und den sozialen Realitäten bestimmt wurden. Opfer und Götterkult waren gemäß dem agrarischen Zuschnitt der germanischen Dorfgemeinschaften auf Fruchtbarkeit, die Jahreszeiten und das Wetter ausgerichtet, wie die eisenzeitlichen Opferfunde, aber auch die Matronenheilitümer der Kaiserzeit nahelegen. In der Auseinandersetzung mit den Römern und vor allem in der Völkerwanderungszeit, als sich zunehmend Eliten im Kontext der Heerkönige und der Gefolgschaften herausbildeten, die einem Kriegerethos verpflichtet waren, entwickeln sich Tendenzen, die zu einer Betonung kriegerischer Aspekte im religiösen Ausdruck führen. Das lässt sich archäologisch anhand der großen Waffenopfer der norddeutschen und südskandinavischen Moore ersehen und findet nunmehr auch seinen Niederschlag in inschriftlichen Erwähnungen (Runeninschrift auf der Fibel von Nordendorf) und den späten literarischen Zeugnissen aus Skandinavien, die auf
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die Ausbildung einer kriegerischen »Wodanreligion« schließen lassen. Deren Dominanz in der schriftlichen Überlieferung ist in erster Linie der Tatsache geschuldet, dass die »einfachen Leute« aus dem historischen Diskurs weitgehend ausgeschlossen waren und nicht über die geschichtswirksamen Produktionsmittel verfügten. Jedoch zeigen gerade die Inschriften (v. a. vom Niederrhein), dass es eine Vielzahl von Fruchtbarkeitskulten und Schutzgottheiten gab, die es nicht ins Pantheon der Kriegerelite der Spätzeit geschafft haben. Die inschriftlichen und archäologischen Befunde verweisen in jedem Fall auf die komplexe Vielfältigkeit der Religionen der germanischen Stämme, die nur bedingt im literarischen Diskurs einen Platz fand (etwa bei Tacitus, der noch eine Vielzahl von Gottheiten kennt, die nur bei ihm Erwähnung finden, etwa die Alken, Nerthus, Baduhenna und Tamfana). Diese polytheistische Tradition, oft an Stammesund Gruppenidentitäten gebunden und deswegen regional und gruppenspezifisch unterschiedlich, fand ihr Ende mit dem Siegeszug des Christentums. Ob dies der absehbare Siegeszug einer ethisch anspruchsvolleren Hochreligion, die Kultpraxis mit Moral verband und einen verehrungswürdigen Kanon heiliger Schriften als Fixpunkt hatte, über eine »Einfachreligion« eher »barbarischen« Zuschnitts war, wie auch die jüngere Kirchengeschichte betont, oder zu Lasten der mangelden Waffengleichheit ging (von einer schlagkräftigen Kirchenhierarchie sanktionierter Absolutheitsanspruch gegen polytheistische Integration), ist letztlich irrelevant. Was bleibt von alldem? Dunkle Erinnerungen im kollektiven Bewusstsein? Methodisch nur schwer seitens der Volkskunde verifizierbare Spuren in Sagenschatz und Brauchtum (Frau Holle usw.)? Eine Dimension der Aktualität der Relikte germanischer Kulte und Göttervorstellungen wurde schon im Kapitel über das Neuheidentum und die anhaltende Nachfrage nach der nordischen Mythologie in der Alltagskultur erwähnt (Kap. 6). Wo aber, wenn überhaupt, leben religiöse Traditionen der Germanen jenseits esoterischer Sekten und Hollywoodunterhaltung fort? Noch am Anfang des 20. Jahrhunderts glaubte auch die seriöse deutschsprachige Forschung an eine nachweisbare germanische Prägung des Christentums. Die Auseinandersetzung zwischen Christentum und dem Glauben der nordeuropäischen Heiden während der Missionszeit habe auch nachhaltige Auswirkungen auf die innere Gestaltung des mittelalterlichen Christentums gehabt und der Arianismus, dem die meisten Germanenstämme auch im römischen Reich anhingen, sei Ausdruck einer spezifischen germanischen Note gewesen. Diese Diskussion um die »Germanisierung des Christentums« entbehrte des Fundaments und gilt schon seit den 1940er Jahren als Irrweg1. Dennoch ist es vielleicht berechtigt in einem anderen Sinne von einer »Germanisierung des Christentums« zu sprechen. Zusammen mit den übrigen »heidnischen« Religionen der Antike, mit denen sich das aus dem jüdischen Monotheismus entwickelte messianische Christentum bei seinem Aufstieg auseinandersetzen musste,
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haben auch germanische Sitten mindestens indirekt das Christentum beeinflusst. Die Okkupation von seit alters her heiligen Plätzen durch Kirchenbauten oder die Überlagerung von heidnischen Festen mit christlichen sind dabei in erster Linie als bereits vielfach erprobte Mittel zur Durchsetzung der neuen Lehre zu verstehen. Relevanter erscheint in diesem Zusammenhang die in den ersten Jahrhunderten (beginnend mit dem 2. Jahrhundert) einsetzende Heiligenverehrung. Sie bot den zu missionierenden Völkern nicht nur Anknüpfungspunkte für ihre eigenen polytheistischen Traditionen, sondern wurde umgekehrt erst durch dieses Bedürfnis der frühen Christen nach göttlichen Helfern unterschiedlichen Ranges und mit speziellen Aufgabengebieten generiert. So erhob Chlodwig mit dem heiligen Martin († 397) einen ehemaligen Soldaten zum Schutzherrn der fränkischen Könige und trug so entscheidend zur Popularität und Kanonisierung des ehemaligen römischen Offiziers bei. Dank des Beistands von Sankt Martin siegte Chlodwig 507 gegen die Goten. Ebenso ist auch die Verehrung des heiligen Georg in der Merowingerzeit bezeugt, als miles christianus wurde er später zum Schutzpatron der Ritter. Mit Hilfe von Heiligen, möglichst solchen, die vom Profil dem eignen Anspruch und Prestige gemäß waren, war das Christentum auch im germanisch-polytheistischen Kontext leichter zu vermitteln. Als Schlusswort bietet sich vor diesem Hintergrund ein Ausspruch des großen europäischen Intellektuellen George Steiner an: »Die Christenheit hat nichts mit Monotheismus zu tun! 3000 Heilige! Ich weiß nicht, wie viele Reliquien. Bitte! Das ist Polytheismus der offensichtlichsten Art«2.
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Abbildungsverzeichnis 1: Wikipedia/Lokis Tochter, 3: Pinterest; 5: Wikipedia/Bloodfox, 6, 7: Wikipedia/Gunnar Creutz; 8: Historisches Museum Klausenburg, Rumänien; 9: livius.org; 10: Reichsmuseum Leiden; 11: Wikipedia/Pethrus, 12: Wikipedia/Giorces; 13: Dänisches Nationalmuseum.
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Anmerkungen
1 Dass Caesar hier irrt und tendenziös berichtet, um die Germanen gegenüber den Galliern abzuwerten, wird in Kapitel 3 noch genauer behandelt. 2 Der etablierte Begriff »Völkerwanderungszeit« ist in jüngster Zeit in die Kritik geraten, da von großen Wanderungen ganzer Völkerschaften anhand der neueren Erkenntnisse der Forschung nicht gesprochen werden kann. Der Begriff Merowingerzeit, der etwa die gleiche Periode definiert, ist geographisch zu sehr limitiert (und aus archäologischer Sicht auf bestimmtes fränkisch-westgermanisches Fundmaterial beschränkt), um als Alternative wirklich zu überzeugen. Der Begriff »Völkerwanderung« ist zudem mit der allgemeinen Vorstellung vom Untergang der römischen Zivilisation unter dem Ansturm barbarischer Horden verbunden, während die neuere, v. a. deutschsprachige Forschung die europäische Geschichte dieser Zeit – vielleicht nicht immer ganz überzeugend – eher als Transformation, denn als Niedergang begreift. Nützliche Überblicksdarstellungen zur Völkerwanderung, die auch den Begriff problematisieren, sind Pohl (2005) und von Rummel und Fehr (2011). 3 Dies ist in etwa der einflussreiche Ansatz der Soziologen Berger und Luckmann (1977). 4 Stolz (1997), 39. 5 Henrichs (1987), 9. 6 Hierzu Gladigow (1998).
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Wer waren die Germanen?
1 So titelte der Spiegel noch 1996 (Nr. 44 vom 18.10.1996). 2 Gemäß dem Titel eines populärwissenschaftlichen Buchs von S. Fischer-Fabian (Die ersten Deutschen. Der Bericht über das rätselhafte Volk der Germanen, Gütersloh 1973, bis heute viele Auflagen). Das Buch ist gar nicht so schlecht, wie sein unbedachter Titel vermuten lässt. 3 Deutschland ein Wintermärchen (11). 4 Ruffing (2008). 5 Eine gelungene und aus meiner Sicht die empfehlenswerteste Darstellung der Geschichte der Germanen ist Wolfram (1990), eine übersichtliche Kurzdarstellung für den schnellen Einstieg hat Wolfram (2005), ebenso Simek (2006), für Studienzwecke nützlich, mit reichlich Lernfenstern und Quellenkästchen: Ausbüttel (2010). Eine tiefschürfende und auch das Archäologische gebührend betonende Darstellung bietet Beck et al. in: RGA 11 (1998), 1–258 (auch als separate Sonderausgabe in Buchform erhältlich). Die archäologische Sachverhalte betonende Arbeit von Hachmann (1971)
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ist immer noch überaus lesenswert und mancher aktuellen Neuerscheinung bei weitem vorzuziehen, ebenso ist das materialreiche zweibändige Handbuch eines DDR Autorenkollektivs zu den Germanen, Krüger et al. (1976–1983), eine anspruchsvolle und detailreiche Fundgrube für den archäologisch interessierten Leser. Zur Auseinandersetzung mit der Vergangenheit der Disziplin siehe etwa Brather (2004, 2008), Leube (2002). Hier wären eine Vielzahl von grundlegenden Arbeiten zu nennen. Stellvertretend mag der Verweis auf das monumentale Reallexikon der Germanischen Altertumskunde (RGA) genügen. Eine wissenschaftliche Großtat, die wesentlich archäologisch geprägt ist und an Rang und Bedeutung nur mit der von Pauly und Wissowa begründeten und bis zur Fertigstellung fast 90 Jahre lang bearbeiteten Realencyclopädie des classischen Altertums (RE) verglichen werden kann. Zu den folgenden Bemerkungen v. a. Wenskus (1977); Wolfram (1990); Steuer, Germanen, Germania, Germanische Altertumskunde III. Archäologie § 21–34 B. Ursprung und Ausbreitung der Germanen, C Wirtschafts- und Sozialgeschichte, in RGA 11 (1998) 318–356; Steuer (2010); Brather (2004 und 2008), von letzterem Autor können eine Vielzahl hier nicht angeführter Arbeiten zum Thema »ethnische Interpretationen in der Archäologie« herangezogen werden. Udolph (1994), passim bes. 925–946. Zum Germanenbegriff und seinem Aufkommen in Rom in der 1 Hälfte des 1. Jahrhunderts vor Christus siehe Timpe in RGA 11 (1998), 3–5. Wenskus (1986). Wolfram (1990), 64. Siehe ausführlich Wolfram (1989). Grundlegend Wenskus (1977). Zur Gefolgschaft Steuer (2010). Wolfram (1990), 82. Zu Alamannen und Franken ausführlich Geuenich (1998, 2005), Nonn (2010), sowie unter dem jeweiligen Stichwort die Artikel im RGA (3, [1973], 137–163; 7, [1995], 373–461). Hierzu ausführlich Brather (2004 und 2008). Hierzu übersichtlich Lund (1995). Timpe in Beck et al. RGA 11 (1998), 5–7. Steuer in: Beck et al., RGA 11 (1998), 140–141. Eine kurze Erklärung zur hier durchgängigen Verwendung des Begriffs »indogermanisch«: Wissenschaftsgeschichtlich der ältere und zutreffendere Begriff konkurrierte er erst nach der Ausbildung nationalistischer Ideologien und des deutsch-französischen Gegensatzes mit dem heute in anderen Sprachen üblicheren »indoeuropäisch«. Der Begriff wurde ursprünglich gebildet, indem man unter den vielen Sprachen, die linguistisch unter einen gemeinsamen Nenner fielen, die am weitesten auseinandergelgenen Sprachfamilien zur Begriffsbildung nutzte. Somit ist dieser im deutschsprachigen Raum etablierte Begriff trotz des Schindluders, den die Nazis mit ihm trieben, immer noch der geeignetste, denn das »Europäische« gibt es als Sprachfamilie bis jetzt noch nicht. Hierzu vgl. die nächste Anmerkung, aber besonders ausführlich Koerner (1982). Sonderegger (1979); Schmidt (2007); Speyer (2007); Hutterer (2008); Seebold in: Beck et al., RGA 11 (1998), 95–125. Alles, was man über diese Inschrift und die ersten Germanen im Gebiet der unteren Donau wissen muss, hat nun Avram (2015) mit einer neuen Lesung der Inschrift mustergültig vorgelegt. Siehe weiter unter dem Eintrag Skiren: Castritius, Zimmer, in: RGA 28 (2005), 639–645. Interessanterweise taucht der Volksname wieder in der Spätantike auf. Odoaker, der Germanenfürst, der 476 die Herrschaft in Rom übernahm und von der Geschichte als derjenige betrachtet wird, der für den Untergang Roms verantwortlich sei (jedenfalls symbolisch), war Skire. Ob diese spätantiken Ski-
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ren etwas mehr mit dem in Olbia 700 Jahre vorher auftauchenden Stamm gemeinsam haben als den Namen, ist umstritten. Zuletzt umfassend Brandt und Rauchfuß (2014). Siehe auch Müller in: RGA 16 (2000), 43–55. Ob man die Jastorf-Kultur wirklich guten Gewissens bereits als germanisch bezeichnen darf, ist umstritten, siehe Steuer in RGA 11 (1998), 138–147. Udolph (1994), passim, bes. 925–947. Steuer in RGA 11 (1998), 144. Zur linguistisch dominierten Einteilung siehe das Handbuch von Schwarz (2010). Simek (2004), bes. 74–76.
Die Quellen Standardwerk: Düwel (2008). Steuer (2012), 57. Hierzu mehr bei Christ (1965). Timpe (1992), 453. An anderer Stelle (6,17) spricht Caesar jedoch von Merkur als dem Hauptgott der Germanen. Der Titel lautete wohl: De origine et situ Germanorum (Über Ursprung und geographische Lage der Germanen). Mehr zu Tacitus und der Religion der Germanen bei Timpe (1992), umfassend Timpe (1995). Antike Autoren, die neben Tacitus und Caesar noch wichtige Bemerkungen zur Religion der Germanen gemacht haben, sind etwa Plutarch (in den Biographien des Marus und des Caesar), Strabon, Sueton, aus der Spätantike: Ammianus Marcellinus, Agathias und Propkop. Die wichtigsten Textpassagen sind umfassend bei Clemen (1928) zusammengestellt (allerdings in den Originalsprachen). Eine etwas weniger umfassende Quellensammlung (deutsche Übersetzungen) bietet Baetke (1938). Hier verweise ich nur auf Norden (1923) und Timpe (1995). Eine sehr nützliche Einführung ist Simek (2007). Maier (2003), 41–56. Zu Snorri jetzt umfassend Beck et al. (2013). Golther (2013, ursprünglich 1895), Grønbech (2002, ursprünglich 1912), de Vries (1970).
Heiligtümer und Opferpraxis
1 Hierzu ausführlich Spickermann (2001). 2 Ceterum nec cohibere parietibus deos neque in ullam humani oris speciem adsimulare ex magnitudine caelestium arbitrantur: lucos ac nemora consecrant deorumque nominibus appellant secretum illud, quod sola reverentia vident. 3 Vetustissimos nobilissimosque Sueborum Semnones memorant; fides antiquitatis religione firmatur. stato tempore in silvam auguriis patrum et prisca formidine sacram omnes eiusdemque sanguinis populi legationibus coeunt caesoque publice homine ce-
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lebrant barbari ritus horrenda primordia. est et alia luco reverentia: nemo nisi vinculo ligatus ingreditur, ut minor et potestatem numinis prae se ferens. si forte prolapsus est, attolli et insurgere haud licitum: per humum evolvuntur. eoque omnis superstitio respicit, tamquam inde initia gentis, ibi regnator omnium deus, cetera subiecta atque parentia. Zu dieser Bedeutenden Textstelle siehe v. a. den Kommentar von Perl (1990), 235–238 mit weiterer Literatur. Alle Belege gesammelt und kommentiert bei Castritius, Kultverbände, in: RGA 17 (2001), 459–463. Siehe umfassend zu diesen Aspekten Höfler (1952), Castritius, Kultverbände, in: RGA 17 (2001), 459–463, Hultgård, Menschenopfer, in: RGA 19 (2001), 533–546. Larsson (2011). Capelle et al., Opfer und Opferfunde, in: RGA 22 (2003), 107–127. Im Folgenden verweise ich im Sinne der gewünschten Übersichtlichkeit trotz der Vielzahl einschlägiger und eigentlich nennenswerter Literatur zum Thema Opferplätze und Heiligtümer meist nur auf die Artikel im RGA und ergänze nur bisweilen um neuere oder umfassendere Arbeiten. Zusammengefasst bei Hultgård, Menschenopfer, in: RGA 19 (2001), 533–546. Näsström, Teegen, Quellheiligtümer und Quellkult, in: RGA 24 (2003), 15–29. Wegner, Flußfunde, in: RGA 9 (1995), 263–276. Ausführlich Teegen (1999). Colpe (1970). Allgemein mit umfassender Bibliographie: Capelle et al., Opfer und Opferfunde, in: RGA 22 (2003), 107–127; vgl. auch Pieper, Moorleichen, in: RGA 20 (2001), 222– 229. Eine Übersicht über die meisten Fundplätze: Bemmann und Hahne (1992). Siehe auch Jankuhn (1970). Zusammenfassend jetzt Rau und von Carnap-Bornheim (2012), zu den einzelnen Fundplätzen: von Carnap-Bornheim, Thorsberg. Archäologisches, in: RGA 35 (2007), 123–127. Bemmann und Bemmann (1998); Rieck, Nydam, in: RGA 21 (2001), 450–455; Ilkjær et al., Vimose, in: RGA 32 (2006), 401–412; Ørsnes (1988), Behm-Blanke (2003), Ilkjær, Illerup Ådal. Archäologisches, RGA 15 (2000), 347– 353, sehr ausführlich zum letztgenannten Fundplatz die 14 zwischen 1990 und 2011 von Jørgen Ilkjær herausgegebene Bände »Illerup Ådal«, die sich speziell einzelnen Fundkategorien widmen. Ausführlicher Simek (2009), 20f und (2003), 52–54. Ähnlich ist die Situation an den anderen Fundplätzen. Siehe dazu den Überblick bei Simek (2009), 13 und ausführlicher Rau und von Carnap-Bornheim (2012). Sed bellum Hermunduris prosperum, Chattis exitiosius fuit, quia victores diversam aciem Marti ac Mercurio sacravere, quo voto equi viri, cuncta occidioni dantur. Orosius, 5, 16, 1–7 (hier 5–6): hostes binis castris atque ingenti praeda potiti noua quadam atque insolita exsecratione cuncta quae ceperant pessum dederunt; uestis discissa et proiecta est, aurum argentumque in flumen abiectum, loricae uirorum concisae, phalerae equorum disperditae, equi ipsi gurgitibus inmersi, homines laqueis collo inditis ex arboribus suspensi sunt, ita ut nihil praedae uictor, nihil misericordiae uictus adgnosceret. Vgl. auch Strab. Geogr. 7, 2, 3, 294. v. Carnap-Bornheim (1999 und 2002). Rost und Wilbers-Rost (2012), 51–55. Hierzu gibt es noch keine Publikationen, nur Kurzberichte, etwa: Archäologie in Deutschland 6 (2009), 5. Ein großzügig gefördertes Forschungsprojekt mit dem Arbeitstitel »The army and post-war rituals in the Iron Age – warriors sacrificed in the bog at Alken Enge in Illerup Ådal«, das v. a. 2012 neue Grabungsergebnisse zu Tage gebracht hat, wird bald neue Ergebnisse liefern. Einstweilen auf Englisch online: http://www.skanderborgmuseum.dk/New_research_project-1073.aspx. Die dänische
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Variante enthält noch aktuellere Informationen: http://www.skanderborgmuseum.dk¬ /Status_2013-1322.aspx. Diese Lesung ist allerdings nicht eindeutig: Stoklund, Vimose Runologisch, in: RGA 32 (2006), 410–414. Vgl. Simek (2009), 16. Dušek, Oberdorla, in: RGA 21 (2002), 466–476; Behm-Blancke (2003). Dazu und auch zu den folgenden zusammenfassenden Bemerkungen: Simek (2009), 22f. proditores et transfugas arboribus suspendunt; ignavos et imbelles et corpore infames caeno ac palude, iniecta insuper crate, mergunt. Mit corpore infames sind offenbar sexuell Missbrauchte gemeint, wie der Wortgebrauch an anderen Stellen bei Tacitus nahe legt (Annales 1, 73, 2; 15, 49, 4; 13, 30, 2); möglicherweise ist in diesem Kontext besonders an Homosexualität zu denken. Von Amira (1922), neuere Literatur mit weiteren Belegen: Pieper, Moorleichen, in: RGA 20 (2001), 222–229. Möglicherweise hat die Angst der Lebenden vor »Widergängern« und Gespenstern dafür gesorgt, dass manche im Moor deponiert wurden. Allgemein zum Thema jetzt der für ein breites Publikum geschriebene Überblicksband von Brock (2009), zuletzt Burmeister (2013), der wieder die Menschenopferthese ins Spiel bringt. Simek (2009), 25f., allgemein Müller-Wille (1999). Hier ist der Fundplatz Varbrogaard in Nordjütland erwähnenswert, wo viele Alltagsgegenstände, Tongefäße und Tierknochen gefunden wurden. Siehe Bemmann und Hahne (1992), 38. Laser (1980), 14–15. Müller-Wille (1999), 77–80. Aufgrund der sehr schwierigen auf mancherlei Spekulation angewiesenen Rekonstruktion wikingerzeitlicher Opfer erfolgt hier keine ausführliche Darstellung. Ich verweise auf Simek (2003), 79–87 und Müller-Wille (1984). Zu den Matronenheiligtümern Biller (2010) sowie Bauchhenß und Neumann (1987). Im römisch geprägten Britannien gibt es Hinweise in der Kirchengeschichte des heiligen Beda auf heidnische Tempel im römischen Stil (2, 15). Vgl. Simek (2003), 88f. Weitere Belege bei Simek (2003), 89f. Simek (2003), 90. Watt, Gubber, in: RGA 13 (1999), 132–142. Zu der Interpretation der Hallenbauten siehe mit Nachweisen Simek (2003), 90–97. Larsson (2011).
Die Götterwelt der Germanen in der Frühzeit Zu dieser »interpretatio Germanica« der Wochentage siehe Strutynski (1975). Capelle und Maier, Idole, Idolatrie, in: RGA 15 (2000), 325–330. Ausführlich und erschöpfend zu den »Pfahlgötzen« Capelle (1995). Der Reisebericht Ibn Fad. la-ns ist auf Deutsch nur schwer zugänglich (etwa in einer schwer zu beschaffenden Ausgabe aus St. Petersburg von 1823). Mir lag eine jüngere französische Übersetzung vor: Ibn-Fad. la-n, Ahmad, Voyage chez les Bulgares de la Volga, Paris 1988 (2. Aufl. 1999). Eine englische Teilübersetzung von James E. Montgomery findet sich in der Onlineausgabe des Journal of Arabic and Islamic Studies 3 (2000), 1–25 (http://www.uib.no/jais/content3.htm)
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155 5 Die folgende Rekonstruktion gilt als herrschende Meinung, ist jedoch – wie fast alles auf diesem Gebiet – keineswegs sicher. Die Schwierigkeiten, die sich mit den Zuordnungen ergeben, sind detailliert bei Simek (2003), 108–117 und bei Timpe (1992) unter Verweis auf eine umfangreiche Forschungsliteratur beschrieben. Siehe zum Folgenden auch den Kommentar von Perl (1990), 158f. 6 Paulus Diaconus, Historia Langobardorum 1, 9; Vita Columbani 1, 27. Zu den archäologischen Aspekten Hupe (1997). 7 Ab dem 3. Jahrhundert waren im römischen Reich Herkuleskeulen als glücksbringende Amulette verbreitet, zur gleichen Zeit verbreiteten sich im elbgermanischen Raum Donarkeulen als Anhänger, hierzu Werner (1964). 8 Simek (2003), 108–110 mit weiteren Belegen aus der Wikingerzeit. 9 Angaben bei Perl (1990), 159. 10 Dumézil (1977). 11 Apud Naharvalos antiquae religionis lucus ostenditur. praesidet sacerdos muliebri ornatu, sed deos interpretatione Romana Castorem Pollucemque memorant. ea vis numini, nomen Alcis. nulla simulacra, nullum peregrinae superstitionis vestigium; ut fratres tamen, ut iuvenes venerantur. Siehe zu der Stelle und zum folgenden v. a. den Kommentar von Perl (1990), 247f. 12 Schlerath (1998). 13 Hauck und Rosenfeld, Dioskuren, in: RGA 5 (1984), 482–494. Dort auch Bildzeugnisse der germanischen Dioskuren aus Skandinavien und England. Siehe auch Wolfram (1993). 14 Zu den Inschriften siehe mit vielen Belegen Gutenbrunner (1936), 52–58. 15 Der umfassendste Versuch, diesen Weg zu verfolgen stammt von Helm (1946). 16 Ob der Name Gaut (bei Jordanes in der Form Gapt) als identisch mit dem Namen Gautr (oder Gauti), einer die vielen »Odinsnamen« mit dem Odin bisweilen in der nordischen Mythologie benannt wird, anzusehen ist, ist unklar, vgl. Böldl (2013), 145. Der göttliche Stammvater der Langobarden heißt Gausus und scheint den gleichen Ursprung wie der gotische Gaut zu haben. Siehe Jarnut, Gausus, in: RGA 10 (1998), 484, auch Wolfram (1990), 54f, sowie 123–125. Wesentlich vertiefend im Kapitel »Kult und Religion der Terwingen« in Wolfram (2005a), 96–113. 17 Nur zum Beispiel: Die den schottischen Familien des Hochlands als uralte Zeichen ihrer Clans geltenden Karomuster (Tartans) sind während des 19. Jahrhundert »erfunden« worden. Das gefälschte »altschottische« Ossiangedicht entspringt dem gleichen romantischen Geiste. Hobsbawm und Ranger (1983).
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Mythologie
1 Unter der »altnordischen Sprache« fasst man die in Skandinavien zwischen etwa 800 und 1350 gesprochenen nordgermanischen Dialekte zusammen. Hierzu Baier und Schäfke (2012). 2 Snorris Sammlung war eigentlich als Lehrbuch für Skalden gedacht. Der isländische Dichter wollte so die Tradition der älteren Skaldendichtung wieder beleben. Doch enthält diese Sammlung auch einen dichten Abriss der Mythologie, den Snorri den Dichterschülern als Wissensbasis bieten wollte. Dieser mythologische Teil heißt Gylfaginning (Gylfis Täuschung, dieser Teil bietet eine in Dialogform gestaltete Rahmenhandlung, in welcher der legendäre König Gylfi sich zu den Göttern begibt, um über
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sie und die Götterwelt Wissen zu erlangen). Von der Lieder-Edda sind besonders die ersten 16 Lieder, die sogenannten Götterlieder, für die Mythologie interessant. Die mannigfaltigen, mit der religionshistorischen Interpretation der Skaldendichtung verbundenen Probleme werden ausführlich von Marold (1992) behandelt. Übersetzung zitiert nach Beck, Heizmann und van Nahl (2013), 121. Esse(darius) / Ingenuus Gallicia(ni) / an(norum) XXV pal(marum) XII / natione Germanus / familia universa / de suo fac(iendum) cura(vit) / h(ic) s(itus) e(st) s(it) t(ibi) t (erra) l(evis). CIL II (7), 362, AE 1962, 49. Francus ego civs Romanus miles in armis / egregia virtute tuli bello mea dextera sem(p)er. CIL III 3576. Diese Inschrift kann auch ein wenig anders interpretiert und übersetzt warden, etwa: »Ich bin Franke (Herkunft), römischer Bürger (Rechtsstatus) und Soldat unter Waffen (Beruf)«. In diesem Sinne siehe Rigsby (1999). Klaus Böldl in einem Interview, in: Die Welt, 19.03.2010 unter: http://www.welt.de¬ /kultur/article6841836/Wie-der-germanische-Glaube-zur-Oekoreligion-wurde.html Unter dem Einfluss des Christentums entwickelten sich unterschiedliche (aber wohl verwandte) religiöse Traditionen der westafrikanischen Sklaven weiter und können heute v. a. auf Haiti (Voodoo-Religion) oder in Brasilien (Candomblé) beobachtet werden. Die ursprünglichen religiösen Vorstellungen der Yoruba, der Fon oder der Ewe aus Westafrika werden meist mit Hilfe sprachwissenschaftlicher und ethnologischer Rückschlüsse zu rekonstruieren versucht, aber über die Glaubensvorstellungen der ethnischen Gruppen, welche im 17. Jahrhundert die Mehrheit der in die »neue Welt« verbrachten Sklaven bildeten, gibt es nur unzureichende Informationen, Reiter (2003), 14–19. Böldl (2013), 117. Zum Wesen mündlicher Überlieferung siehe etwa: Olsen und Torrence (1991) und Goody (2010). Empfehlenswert ist besonders die nüchtern urteilende Einführung von Böldl (2013), eine umfassende und gut lesbare, jedoch durch die Germanenbegeisterung des späten 19. Jahrhunderts etwas tendenziöse und damit methodisch veraltete, aber unübertroffen materialreiche Darstellung stammt von Golther (2013). Celebrant carminibus antiquis, quod unum apud illos memoriae et annalium genus est, Tuistonem deum terra editum. Ei filium Mannum, originem gentis conditoremque, Manno tris filios adsignant, e quorum nominibus proximi Oceano Ingaevones, medii Herminones, ceteri Istaevones vocentur. Quidam, ut in licentia vetustatis, pluris deo ortos plurisque gentis appellationes, Marsos, Gambrivios, Suebos, Vandilios adfirmant, eaque vera et antiqua nomina. Timpe (1992), 40f. Much (1967), 52, Dumézil (1988), 85–87; Wagner (1994). Hierzu die Kommentare von Much (1967), 50–53; Lund (1988), 113f; Perl (1990), 131f; Rives (1999), 109–113; sowie die ausführliche Studie von Timpe (1991); umfassende linguistische Darlegung bei Wagner (1994). Ob die (rekonstruierten) Namen der Stammesväter sich auf spätere nordische Entsprechungen beziehen lässt (etwa *Yng auf Yngvi – ein ander Name des Gottes Freyr –, in der Ynglingasaga Stammvater der Schwedenkönige), ist spekulativ. Die vieldiskutierte geographische Anordnung der genannten Germanenstämme spielt in unserem Zusammenhang keine Rolle, zu diesem Thema siehe Timpe (1991), 87–91 und Schwarz (2010). Timpe (1991), 70. Timpe (1991), 85 mit weiteren Verweisen. Der Begriff »Götterdämmerung« ist eigentlich unzutreffend. Schuld daran ist Snorri, er schrieb statt ragnarök, was »Schicksal der Götter« meint, fälschlicherweise ragna rökr, eben »Götterdämmerung« bzw. »Götterdunkelheit«. Der Begriff »Götterdämmerung« wird hier aber wegen seiner weiten Verbreitung und seiner Bekanntheit wei-
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ter verwendet. Mehr hierzu bei Hultgård, ragnarök, ragnarökr, in: RGA 24 (2003), 102–108. Gegenüberstellung des fast identischen Wortlauts (Verwendung des Begriffs »Aufhimmel«, upphiminn, ufhimil) bei Hultgård, Schöpfungsmythen, in: RGA 27 (2004), 244f. Währen die Herkunft und Bedeutung von Embla unklar bleibt, verweist der Name des Urmenschen Ask etymologisch auf das Material seiner Entstehung: die Esche (bot. Fraxinus excelsior). Böldl, (2013), 105. Dumézil (1977), 3–25; Simek (2003), 108–110. Zu indogermanischen Schöpfungsgeschichten Lincoln (1986). Hierzu zusammenfassend de Vries (1970 II), 359–405, sowie Böldl (2013), bes. 93– 123, dem ich hier weitgehend folge. Zu den Bedeutungen der germanischen Wurzel »gard« (u. a. »Hof«) siehe umfassend Poruciuc (2009) mit weiteren Belegen. Auf die religionswissenschaftlich unbefriedigende Darstellung der »niederen Mythologie« mit ihren Geister- und Fabelwesen wird hier verzichtet. Dazu ausführlich Golter (2013), 103–240; de Vries (1970 I), 209–267 und übersichtlicher Simek (2003), 165– 172. Mehr zum Thema bei Schjødt, Weltenbaum, in: RGA 23 (2006), 451–453. Zur von Karl zerstörten »Irminsul« (Annales regni Francorum zum Jahr 772, 1, 32–34): Maier und Springer, Irminsul, in: RGA 15 (2000), 504–506. Eine umfassende Übersicht mit weiterer Litaratur bietet Hultgård, Schöpfungsmythen, in: RGA 27 (2004), 242–256. Zur Völuspá siehe Schier (1963). Böldel (2013), 12f. Die Auswertung der Brakteatenbilder lässt allerdings auf verbreitete Gemeinsamkeiten während der Völkerwanderungszeit schließen (zumindest im südskandinavisch-angelsächsischen und norddeutschen Raum). Hierzu im nächsten Kapitel mehr. Much (1967), 51; de Vries (1970 II), 363–365; Hultgård, Schöpfungsmythen, in: RGA 27 (2004), 242–256; Böldl (2013), 105. Dumézil (1977), 15. Wamers (1997), vgl. Werner (1964). Die wichtigste Götterliste hat Snorri in der Gylfaginning (20–33). Zu den Göttern ausführlich de Vries (1970 II), 1–356; übersichtlicher Simek (2003), 128–159. De Vries (1970 II), 208–214; die Quellenstellen in engl. Übersetzung bei Dumézil (1977), 7–11; ein umfassendes Literaturreferat zum Wanenkrieg bei Samplonius (2001). Zu den Eigenschaften der Götter neben de Vries auch Simek (2003), 128–159 und Böldl (2013), 142–272. Zu den archäologischen Fragen sind die Überblickarbeiten von Häusler einschlägig, etwa Häusler (1998) und (2004). Die bislang dominierende Vorstellung von der Einwanderung militanter »Indogermanen« (wohl aus dem Osten) ist auch auf Widerspruch gestoßen. Auch innergesellschaftliche Veränderungen in Mitteleuropa wären denkbar oder Wandel durch Kulturkontakt. Häusler (2004), 24 nennt diese Ansätze »Nicht-Migrationsmodelle«. Siehe die nützliche Einführung von Haarmann (2012), siehe auch Schlerath (1973). Für diese kriegerische Einwanderungsthese waren lange die Arbeiten von Maria Gimbutas einflussreich. Sie werden aber heute nur noch außerhalb der Archäologie und in sektiererischen Kreisen rezipiert. »Von der TBK [Trichterbecherkultur] führt ein direkter Weg zur Periode der schnurkeramischen Lebensweise durch die bisherigen Träger der TBK. Diese Kontinuität wird im Lichte der neueren Forschungen immer deutlicher«, Häusler (2004), 28.
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Anmerkungen
158 37 Haak, Lazaridis, Patterson et al. (2015), Zitat: 207. 38 Dumézil (1977), v. a. 3–25. 39 Siehe etwa Dronke (1988). Weitere Beispiele aus der Literatur bei Samplonius (2001). Zu den Grenzen von Dumézils strukturalistischem Ansatz siehe Schlerath (1995). 40 Maier (2003), 133f. Simek (2003), 129f. meint sogar, dass es sich beim Wanenkrieg um eine sehr späte mythographische Ergänzung handle, die nicht auf die heidnische Zeit zurückzuführen sei; es habe gar keine separate Götterfamile der Wanen gegeben. 41 Maier (2003), 131. 42 Zu fraglichen ethymologischen Bezügen der bei Tacitus erwähnten Fruchtbarkeitsgöttin Nerthus und Njörd siehe kritisch Polomé (1999). Zur Göttin Nerthus unten Kap. 10. 43 Die ausgewogendste Darstellung bei Böldl (2013).
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Magie und Runen
1 Düwel (2008), VI. 2 Damit unterscheidet sich diese Runenreihe vom altenglischen »Futhork« und dem jüngeren, wikingerzeitlichen jüngeren Futhark, in dem die meisten erhaltenen Inschriften verfasst sind. 3 Wie alle anderen bekannten Inschriften des älteren Futhark lassen sich Lesungen, Deutungen und Literaturnachweise zu Runeninschriften nach dem Fundort geordnet in der Datenbank des Kieler Runenprojekts nachschlagen: http://www.runenprojekt.¬ uni-kiel.de/abfragen/default.htm (abgefragt: 24.1.2015). Zuletzt zur Spinnwirtel von Let¸ cani: Looijenga (1996), mit dem Vorschlag »für die Ruhestätte von Ado- – möge sie schlafen«. 4 Es gibt eine Vielzahl von Definitionen, siehe zum Überblick etwa die Sammlung klassicher Aufsätze zum Thema bei Petzold (1978). Ausführlichst Otto (2011). 5 Thiel (1984), 65; Otto (2011), 48f. 6 Geier (1982). 7 Alles, was man über die Merseburger Zaubersprüche wissen muss (und darüber hinaus), auf rund 450 Seiten bei Beck (2003). 8 Böldl (2013), 152–156. 9 Etwa Hauck (1998). Die wichtigsten Ergebisse und der Stand der Dinge in diesem Forschungszweig finden sich in den Arbeiten von Axboe (2004) und Pesch (2007), 39–44 und dem über 1000 Seiten umfassenden Sammelband von Heizmann und Axboe (2011), darin die wichtigsten Forschungsergebnisse zusammenfassend Hauck (2011), 1–60. 10 Zum Tierstil übersichtlich Pesch (2009). 11 Hierzu mit veterinärmedizinischer Expertise und weiteren Literaturangaben Heizmann (2011). 12 Hierzu ausführlich Pesch (2007), zusammenfassend Pesch (2011), dort (274) auch das Zitat. 13 Daneben wurden und werden noch etruskische und griechische Provenienz des Runenalphabets diskutiert. Zu diesem Thema Düwel (2008), 175–181. 14 Hierzu die Artikel Hultgård, Seherinnen, RGA 28 (2005), 113–121, Petzold, Magie, RGA 19 (2001), 145–149 und Haid und Dillmann, Zauber, RGA 35 (2007), 855– 866.
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Anmerkungen
159 15 Zu diesem Text, der leider nur die Überschriften der jeweiligen Kapitel überliefert, siehe Homann, Indiculus superstitionum et paganorum, RGA 15 (2000), 369–379. 16 Petzold, Magie, RGA 19 (2001), 148. 17 Hartung (1993). 18 Krause (1966), 9–11; 232f und passim. Siehe ausführlich auch Flowers (1986) und Düwel (1992, 1992a) und (1997). 19 Hierzu mit weiteren Nachweisen Düwel (1997), 24. 20 So Düwel (1992) 98. Zu den unterschiedlichen Thesen zur Runenmagie siehe Düwel (1992), 90–94 und (2008), 208–211.
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Tod und Jenseits
1 Macho (1997). Zitate S. 939. Grundlegend zum Thema: Steuer (1998a). 2 Umfassend der Sammelband von Kümmel, Schweizer und Veit (2008), darin besonders der Beitrag von Hofmann (2008). 3 Zu den Schriftquellen siehe Grünert (1991). 4 Siehe e.g. Cramp, Farrell und Finkenstaedt, Beowulf, in: RGA 2 (1976), 237–244, sowie umfassend Ogilvy und Baker (1986). 5 Funerum nulla ambito: id solum observatur, ut corpora clarorum virorum certis lignis crementur. Struem rogi nec vestibus nec odoribus cumulant: sua cuique arma, quorundam igni et equus adicitur. Sepulcrum caespes erigit; monumentorum arduum et operosum honorem ut gravem defunctis aspernantur. lamenta ac lacrimis cito, dolorem et tristiam tarde ponunt. feminis lugere honestum est, viris meminisse. 6 Hierzu und zum Folgenden die Beiträge von Theodor Voigt und Erdmute Schultze in Krüger et al. (1976–1983), Bd I, 182–191 und Bd. II, 269–279, sowie den Band von Fritz und Keiling (1991) und die Übersicht von Schultze (1992). Neuere Arbeiten zum Übergang von Brand- zu Körperbestattung: Bräunig (2010), Bemmann und Voß (2007). 7 Genaueres zu diesem Thema, das an dieser Stelle nicht weiter verfolgt werden kann, bei Schultze (1992), der ich in diesem Abschnitt weitgehend folge. 8 Zu den Gräbern vom Typ Lübsow siehe ausführlich Schuster (2010). Es ist in der Forschung umstritten, ob die mit den Körpergräbern fassbare Neuerung auf keltische Traditionen, römische Einflüsse oder auf eine eigenständige kulturelle Innovation im mitteldeutschen Raum zurückzuführen ist. Hierzu ausführlich Bemmann und Voß (2007). 9 Much (1967), 345. Zu den Prunkgräbern siehe e.g. Steuer (2006) mit weiteren Literaturangaben. Zuletzt zu den frühen Prunkgräbern die kurze Übersicht bei Gundersen (2011). Zu den später üblicheren Pferdebestattungen siehe umfassend Oexle (1984), sowie mit weiterer Literatur Rubel (im Druck). 10 Eine Ausnahme bildet die Wielbark-Kultur im Oder-Weichselgebiet, in der sich mehr Hügelgräber befinden. Schultze (1992), 206. 11 Grünert (1991), 300 mit Literatur. 12 Die Literatur zum Thema ist zusammengefasst bei Rubel (im Druck). Leider lassen sich die Fundumstände von 1653 nur ungenügend rekonstruieren. In den 1980er Jahren wurden nochmals im Umkreis des Fundorts systematische Ausgrabungen mit modernen Methoden unternommen, die Kenntnisse über diesen Fundplatz wesentlich erweiterten konnten. Siehe ausführlich zuletzt auch Quast (2015).
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Die Thematik wird umfassend behandelt bei Bemmann und Voß (2007). Bemmann (2005). Becker (2010). Schulze-Dörrlamm (1985). Mit weiteren Angaben Steuer (2006), 257. Jedoch sind die Aussagen, die man angesichts des archäologischen Befundes machen kann, sehr begrenzt und bereits die Interpretation, die Beigabe von Geschirr verweise auf die Atzung der weiterlebenden Verstorbenen im Jenseits ist keineswegs gesichert, kann doch Geschirr auch als Überbleibsel der umfangreichen Totenfeiern und Totenmahlzeiten gedeutet werden, die »entsorgt oder – besser gesagt – der Profanierung entzogen wurden«. Steuer (2006), 259. Macho (1997), 946–448. Ausführlich Huntington und Metcalf (1979). Zum Folgenden siehe die entsprechenden Abschnitte in den Handbüchern von Simek (2003), 201–212; Maier (2003), 107–112, sowie die Arbeiten von Beck, Hel, RGA 14 (1999), 257–260; Hultgård, Mythische Stätten, Tod und Jenseits, RGA 21 (2001), 472–477, v. Carnap-Bornheim (2005), besonders aber den umfassenden Artikel von Dillmann, Valhöll, RGA 35 (2007), 341–366. ’ ’ ’ ´ ´ ´ qanatoυ katajronhtaì di’ elpída anabi wsewV. anabi wsewV kann hier auch »Auferstehung« bedeuten. Hultgård, Mythische Stätten, Tod und Jenseits, RGA 21 (2001), 472. Beck, Hel, RGA 14 (1999), 257–260; Hultgård, Mythische Stätten, Tod und Jenseits, RGA 21 (2001), 472–477. Beck, Hel, RGA 14 (1999), 257–260, dort auch alle Quellenbelege, Zitat 259. Zu reich ausgestatteten Frauengräbern Quast (2011).
Römische Auslegung: Die Rheinlande als Kontaktzone der Religionen
1 Grundlegend Wissowa (1919), siehe weiter Spickermann (2001) und zuletzt den nützlichen Sammelband von Chiai et al. (2012). 2 Sed deos interpretatione Romana Castorem Pollucemque memorant. Ea vis numini, nomen Alcis. 3 Zur Romanisierung siehe mit der weiteren Literatur Rubel (2013). Für die hier behandelte Region Galsterer (2001). 4 Natürlich gab es eine Vielzahl anderer Formen von Weihungen, mit denen man den Göttern seine Ehrerbietung wesentlich günstiger bekunden konnte, von denen sich aber nur wenige, etwa kleine Terrakottastatuen, archäologisch erhalten haben. Gaben für die Götter aus verderblichem Material (u. a. Nahrungsmittel) müssen aber die Mehrzahl der Weihungen ausgemacht haben. 5 Hierzu etwa Wagner (1977) und Roymans (2009). 6 CIL 13, 08010. Herculi / Magusano / Q(uintus) Clodius / Marcellinus / |(centurio) leg (ionis) I M(inerviae) P(iae) F(idelis) / v(otum) s(olvit) l(ibens) m(erito). 7 Eine Liste bei Ristow (1967), 64–69. Für die Germanischen: umfassend und immer noch grundlegend Gutenbrunner (1936), siehe für Obergermanien Leunissen (1985) und ausführlich zu Niedergermanien Stolte (1986) – mit Liste der Götternamen: 597– 606, zu sprachwissenschaftlichen Aspekten Neumann (2008) mit Index.
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Anmerkungen
161 8 Zu welchen Auswüchsen dies führen kann, zeigt etwa Rübekeil (2002); unbedingt mit der Rezension von Zimmer (2004) zu konsultieren. Siehe allgemein auch Neumann (2008) mit Literatur. 9 Ausführlich zur Bevölkerung Niedergermaniens siehe Grünewald (2001). 10 Uelsberg (2007). 11 Chiai, Häusler, Kunst (2012), 17–21. 12 Neumann (2008), 391–394, sowie Tiefenbach, Mercurius Cimbrianus, in: RGA 19 (2001), 564–566. 13 Ristow (1967), 57f, zum Polytheismus allgemein: Gladigow (1998). 14 Derks (1992). 15 Eine sehr nützliche Einführung in das Thema »römische Religion« ist Bendlin (2013). 16 Bendlin (2006). 17 Hierbei sind auch die nicht ganz eindeutigen, in denen der Name angekürzt erscheint, mitgerechnet. Alle Inschriften mit weiteren Angaben in der Epigraphik Datenbank von Clauss/Staby (http://db.edcs.eu/epigr/epi_de.php). Eine ältere Übersicht bietet Gutenbrunner (1936), 220f, siehe auch Stolte (1986), 626–629. 18 AE 1977, 702, AE 1995, 1280. 19 Wagner (1977), 417. 20 Roymans (2004), 6, 14, bes. 235–250. Ähnlich Roymans (2009). 21 Wagner (1977), 418, vgl. de Vries (1970 II), 109. 22 Magusa/no Hercul(i) / sacru(m) Flav(u)s / Vihirmatis fil(ius) / [s]ummus magistra(tus) / [c]ivitatis Batavor(um) / v(otum) s(olvit) l(ibens) m(erito). CIL 13, 8771, vgl. Stolte (1986), 629. 23 Wagner (1977), 421f. 24 Nach von Grienberger (1891) gehört Hala- zu altnordisch halr, halir und altenglisch hæle, deutsch Mann, Herr. Das im zweiten Glied vorliegende -mard gehöre zum Grundwort *marða- oder *marðu- zu deutsch Mord, weitere Literatur bei Stolte (1986), 634f. Noch mehr für sich hat die Deutung Norbert Wagners, nach der es sich um ein Rektionskompositum handeln könnte, zitiert und fortgesetzt bei Neumann (2008), 222. 25 RIB I, 1593: Deo / Marti / Thincso / et duabus / Alaisiagis / Bed(a)e et Fi/mmilen(a)e / et n(umini) Aug(usti) Ger/m(ani) cives Tu/ihanti / v(otum) s(olverunt) l(ibentes) m (erito). Vgl. RIB I, 1594. 26 Die Literatur zum Thema bei Tiefenbach, Mars Thincsus, in: RGA 19 (2001), 343– 345. 27 Siehe nur e.g. Gutenbrunner (1936), 54–59 oder Stolte (1986), zu Merkur in Germanien ausführlich mit allen Belegen Hupe (1997). Zu Mercurius Hranno Wagner (1988). 28 Derks (1992), 22. Zu den Waffenfunden Roymans (1990). 29 Derks (1992), 20–23. 30 Neumann (2008), 224f.
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Weibliche Gottheiten
1 Hinzuweisen ist noch auf die Tatsache, dass diese Trias von Muttergottheiten auch unter der Bezeichnung »Matres« in Inschriften auftaucht, beide Formen finden sich (unterschiedlich gewichtet) auch in anderen Gebieten des Reiches, etwa in der Gallia
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Narbonensis und Germania Superior, in Britannien und Rom ist nur die Form Matres belegt, in der Gallia Cisalpina gibt es nur Matronae. Siehe Stolte (1986), 642–449. Die ganz große Mehrheit der Inschriften (überwiegend in der Form Matronae), über 800, stammen aber aus Niedergermanien. Die Literatur zu den Matronen ist umfangreich. Standardwerk ist immer noch der von Bauchhenß und Neumann (1987) herausgegebene Sammelband. Überblicksartig zusammengefasst: Neumann in: RGA 19 (2001), 438–440. Neuere Studien von Bedeutung sind Biller (2010) und Spickermann (2010). Matronis / Aufaniabus / Q(uintus) Vettius Severus / quaestor c(oloniae) C(laudiae) A (rae) A(grippinensium) / votum solvit l(ibens) m(erito) / Macrino et Celso co(n)s(ulibus), AE 1930, 19. Bei den genannten Konsuln des Jahres 164 n. Chr. handelt es sich um Marcus Pompeius Macrinus und Publius Iuventius Celsus. CIL 13, 8529: Matroni[s] / Alagabiabus / Iul(ia) Pusua / pro se et Iuli(i)s f(iliis) / Peregrino / Sperato / Severo / v(otum) s(olvit) l(ibens) m(erito). Hierzu ausführlich Neumann (2008), 253–289. Zahlen bei Stolte (1986), 642f. Für Niedergermanien zählt Spickermann (2010), 216 80 verschiedene Beinamen. Neumann (2008), 263f. Mit weiteren Beispielen und Belegen Neumann (2008), 261–263. Auf keltische Beispiele wird hier verzichtet, dazu der Aufsatz von Karl Horst Schmidt in Bauchhenß und Neumann (1987), 133–154. Hierzu Spickermann (2010), dem ich an dieser Stelle folge, bes. 227–229. Spickermann (2010), 218. Die vielen Altarsteine unter dem Bonner Münster, die als Spolien zum Bau der Kirche verwendet wurden, deuten darauf hin, dass sich in diesem wichtigen Ort ein Hauptheiligtum der aufanischen Matronen befunden haben muss, jedoch lassen sich Kultbezirk und Anlage des Heiligtums nicht identifizieren. Werner Eck plädiert dafür, dass das Hauptheiligtum der aufanischen Matronen nicht am Legionsstandort Bonn, sondern eher in der »Provinzhauptstadt« Köln gelegen habe, Eck (2007), bes. 422f. Spickermann (2010), 218f, unter Bezugnahme auf Derks (1998), 119–125. Hierzu etwa die religionsgeschichtliche Vergleichsstudie von Carsten Colpe in Bauchhenß und Neumann (1987), 229–239. Spickermann (2009), 360. Eck (2007), 431. Mit Belegen bei Eck (2007), 431. Spickermann (2010), 222. Ausführlich zu Nehalennia Stolte (1986), 614–612, sowie Neumann und Stuart in: RGA 21 (2002), 61–65; Spickermann (2009). Mit Literaturangaben Neumann in RGA 21 (2002), 62. Die Angaben zu den Inschriften bei Stolte (1986), 616. Spickermann (2009), 366. Zu den höchst umstrittenen sprachlichen Aspekten Neumann in RGA 21 (2002), 61–64, nach dem der Name »am ehesten« germanisch zu deuten sei (62). Nach seiner Herleitung wäre die Bedeutung von Nehalennia »die das Wasser nahe hat«. Zwei singuläre Weihungen an diese Göttin sind aus Köln-Deutz bekannt geworden: CIL 13, 8498, 8499. Spickermann (2009), 364f. mit den exakten Zahlen und Prozentangaben, die hier abgerundet wiedergegeben werden. Neumann (2008), 234f. Vihansae / Q(uintus) Catius Libo Nepos / centurio leg(ionis) III / Cyrenaicae scu/tum et lanceam d(onum) d(edit). Die sprachwissenschaftlichen Herleitungen bei Neumann (2008), 223f, sowie Gutenbrunner (1936), 101–105.
Rubel, Religion und Kult 30.8.16
S. 163
Anmerkungen
163 25 Alle Quellenangaben und weitere Namen bei Gutenbrunner (1936), 73–110. Siehe weiter auch Neumann (2008), 226–237. 26 Gutenbrunner (1936), 76. 27 Florus Epitome, 1, 38, 16; Tac. Germ. 7, Cassius Dio 71, 3, 2. Umfassend zum Thema Baltrusch (2012), der ich an dieser Stelle folge. 28 Zum Thema insgesamt die Beiträge im Sammelband von Quast (2011). 29 Derks (1993) mit weiterer Literatur. 30 Die Stellen: Tacitus, Historien, 4, 61, 2; 4, 65, 3-4; 5, 21, 3; 5, 24, 1; Germ. 8, 2. 31 Die Namensbildung ist allerdings eine Konjektur (in der handschriftlichen Überlieferung dominiert Aurinia), die jedoch weitgehend akzeptiert wird: Mehr hierzu bei Schramm (2004), der die Lesung Aurinia für authentisch hält und ebenfalls eine germanische Bildung zu *auraz mit drei Bedeutungen (»Wasser«, »Sand«, »Glanz«) ableitet. Vgl. auch Hultgård, in: RGA 28 (2005). 32 Tac. Germ. 40: Nec quicquam notabile in singulis, nisi quod in commune Nerthum, id est Terram matrem, colunt eamque intervenire rebus hominum, invehi populis arbitrantur. Est in insula Oceani castum nemus, dicatumque in eo vehiculum, veste contectum; attingere uni sacerdoti concessum. Is adesse penetrali deam intellegit vectamque bubus feminis multa cum veneratione prosequitur. Laeti tunc dies, festa loca, quaecumque adventu hospitioque dignatur. Non bella ineunt, non arma sumunt; clausum omne ferrum; pax et quies tunc tantum nota, tunc tantum amata, donec idem sacerdos satiatam conversatione mortalium deam templo reddat. Mox vehiculum et vestes et, si credere velis, numen ipsum secreto lacu abluitur. Servi ministrant, quos statim idem lacus haurit. Arcanus hinc terror sanctaque ignorantia, quid sit illud, quod tantum perituri vident. 33 Ein umfassendes Forschungsreferat bei Zimmer und Hultgård, Nerthus und Nerthuskult, in: RGA 21 (2002), 83–89. 34 Motz (1984) und bes. Motz (1992). 35 Timpe (1992), 460, 463f. 36 Much (1967), 450, ausführlich mit neueren Belegen Zimmer in: RGA 21 (2002), 83f. Man hat auch versucht, Nerthus etymologisch mit dem nur in Skandinavien in mittelalterlichen Quellen belegten zu den Wanen gehörenden Fruchtbarkeitsgott Njördr in Verbindung zu bringen (einflussreich etwa Dumézil 1977, 75f), an dieser Gleichsetzung sind jedoch Zweifel angebracht, siehe neben Zimmer auch Polomé (1999). Ausführlich auch Hultgård, in: RGA 21 (2002), 235–237. 37 Much (1967), 451, Timpe (1992), 461f. 38 Motz (1984) und besonders (1992). 39 Die folgenden Beobachtungen zu Frau Holle und der Sagenüberlieferung folgen Timm (2003), 1–26. 40 In nocte navitatis Christi ponunt regine celi (sic!), quam dominam Holdam vulgus appellat, ut ea ipsas adiuvet (Summa fratris Rudolfi de confessionis discretione, Handschrift aus Ruda, UB Breslau I. Q. 160, zit. nach Timm 2003, 21). 41 Timm (2003), 232 und passim. 42 »(Non-Roman) Goddess of the Land«, Motz (1992), 11. 43 Weitere Gemeinsamkeiten zusammengefasst bei Motz (1992), 16. 44 Graça da Silva und Tehrani (2016).
Rubel, Religion und Kult 30.8.16
S. 164
Anmerkungen
164
11
Germanische Echos in der Gegenwart: Neuheidentum und Fantasykultur
1 Nur ein Beispiel: Auf der Internet site www.boudicca.de (zuletzt eingesehen 25.2. 2016) lassen sich Bücher eines unter Pseudonym schreibenden »Sachbuchautors« mit folgenden, aussagekräftigen Titeln einsehen, bzw. bestellen: »Die Rückkehr der Göttin Nehalennia«; »Der Nerthus-Anspruch«; »Göttin Holle. Auf der Suche nach einer alten Göttin«; usw. Gekrönt wird die dort verzeichnete Liste von der Publikation: »Nebelhexen – leben zwischen Dies- und Jenseits«. 2 Ich habe unter den weniger seriösen Arbeiten hier die auch hinsichtlich des Unterhaltungswertes erträglichsten ausgesucht, die zudem von auch durch die Medien bekannten Personen verfasst wurden. Die Werke, auf die ich mich hier bezogen habe, haben keinen Platz in der Bibliographie, seien der Vollständigkeit halber jedoch hier angegeben: Drewermann, Eugen, Lieb Schwesterlein, laß mich herein. Grimms Märchen tiefenpsychologisch gedeutet, München 11. Aufl. 2002, 363–395, und GöttnerAbendroth, Heide, Frau Holle – das Feenvolk der Dolomiten. Die großen Göttinnenmythen Mitteleuropas und der Alpen, Königstein im Taunus 2005. 3 Hierzu: umfassend von Schnurbein (1993) und Hundseder (1998), weiter Maier (2003), 155–167, Simek (2003), 13–17; Pöhlmann (2004) und (2006). 4 Pöhlmann (2004). 5 Lutz Lehmhöfer/Kurt-Helmuth Eimuth (Hg.), Braune Flecken in der Esoterik. Der Antisemitismus der Alternativen, Frankfurt/Main 2001. 6 Hierzu Pöhlmann (2004) und (2006). 7 Eine Übersicht über diese einschlägigen Gruppen, ihre Anführer und Mitglieder, sowie eine Reihe eindeutiger und entlarvender Zitate aus dem Schrifttum finden sich in der Studie von Hundseder (2006). 8 Detailliert Böldl (2000) und Schulz (2011), übersichtliche Darstellungen bei Böldl (2013), 279–291. 9 Grundlegend Shipley (1982), mit weiteren Verweisen Krause (2012). 10 Zu den Helmtypen ausführlich Steuer (1987), bes. 200–203. 11 Klaus Böldl in einem Interview, in: Die Welt, 19.03.2010. Online unter: http://¬ www.welt.de/kultur/article6841836/Wie-der-germanische-Glaube-zur-Oekoreligion-¬ wurde.html
12
Die Christianisierung
1 Die Hauptquelle ist Gregor von Tours, Historiae, 2, 29–31. Die Chronologie ist heillos verworren für diese Phase, weswegen 498 nur mit unwesentlich mehr Wahrscheinlichkeit als das Datum der Taufe gelten kann wie 497 und 508. Hierzu immer noch grundlegend von den Steinen (1935). Darüber hinaus Geary (1996), 90–95 und zuletzt ausführlich mit weiterer Literatur Becher (2011), 174–203. 2 Umfassend Brennecke (1988). Übersichtlich Brox (2003), 171–184. Siehe auch Leppin (2012). 3 Brennecke (1996), dem ich hier eng folge, bes. S. 245–247, Zitat 246. 4 Übersichtliche Darstellung bei Geary (1996), 89–102, weiter Becher (2011), passim.
Rubel, Religion und Kult 30.8.16
S. 165
Anmerkungen
165 5 Grundlegend: Schäferdiek (1978), vgl. Gschwantler und Schäferdiek, Bekehrung und Bekehrungsgeschichte, in: RGA 2 (1976), 175–205; handbuchartige Übersichten: Leppin (2012), bes. 15–105, knapper Borgolte (2004), 3–11. Gesamtkontext: Brown (2013). 6 Eine gute Übersicht bietet Brox (2003). 7 Brox (2003), 30. 8 Darstellungen der monastischen Bewegung zwischen dem 6. und dem 8. Jahrhundert bei Leppin (2012), 57–65, Brown (2013), 219–266. 9 Das Wissenswerte ist bei v. Padberg (2003) zusammengefasst. 10 Quelle ist die Vita Sancti Bonifatii des Willibald von Mainz (Ausgabe MGH, SS rer. Germ. 57, S. 31). Nur ist dort, um genau zu sein, lediglich von einem Baumstamm aus Hartholz (robor) die Rede (nicht explizit von der Eiche, quercus), der zudem dem Iuppiter (interpretatione romana) geweiht war, welcher wahrscheinlich als die lateinische Entsprechung des Donar gelten kann. Die »deutsche Eiche« passt jedoch besser ins Bild einer germanischen Renaissance im 19. Jahrhundert, weshalb aus der neutralen robor in allen Übersetzungen und Darstellungen die Eiche wurde. 11 Lauster (2014), 156. 12 Besonders griffig Angenendt (2004). 13 Angenendt (2004), 2–7. 14 Zur christlichen Assimilation der Grabbeigaben siehe W. Haubrichs bei Schäferdiek, Haubrichs, et al., Christentum der Bekehrungszeit, in RGA 4 (1982), 521–527. Zu den archäologischen Zeugnissen der Übergangszeit siehe besonders ausführlich Fehring (1979). 15 Mit weiterer Literatur Böhme, Goldblattkreuze, in: RGA 12 (1998), 312–318, weiter Knaut (2003). 16 Fehring (1979), bes. 552–554. 17 Wamers (1997). Im germanischen Süden finden sich an antiken Vorbildern (Herkuleskeulen) orientierte Donaramulette in Keulenform, Werner (1964). 18 Hierzu neben Sawyer (1995), 100–128 und Simek (2003), 240–260 besonders v. Padberg (1995) und übersichtlich Brown (2013), 464–489. Insgesamt in breiterer europäischer Perspektive Berend (2007). 19 Mohr (2005), bes. 58–62; 149–162. 20 Zu den politischen Wirren und den bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen in Dänemark während des 9. Jahrhunderts, die hier nicht weiter verfolgt werden können, siehe ausführlich Helten (2011). 21 Simek (2003), 248–250. Gschwantler und Schäferdiek, Bekehrung und Bekehrungsgeschichte, in: RGA 2 (1976), 199–200.
13
Schlussbetrachtung: Was bleibt?
1 Schäferdiek (1984) mit der gesamten Diskussion und weiteren Literaturangaben. 2 George Steiner, Interview in: Die Zeit, 17, 2014. Steiner hat nur grob geschätzt. Das Martyrologium Romanum verzeichnet fast 7000 Heilige und Selige, sowie 7400 Märtyrer.
Rubel, Religion und Kult 30.8.16
S. 166
Personenverzeichnis
A
F
Adam von Bremen, Bischof von Hamburg und Bremen 23, 29, 40, 57 Alarich, Heerkönig der Goten 77 f. Ansgar, Bischof von Hamburg-Bremen 28, 132 Appian von Alexandrien, Schriftsteller 83 Ariovist, Heerkönig 18, 84, 109 Attila, Heerkönig der Hunnen 77 Augustus, römischer Kaiser 108
Flavia Tibernia, Ehefrau des Legaten Fritigern, terwingischer Reiks 126
B
101
G Gaius Iulius Civilis, Präfekt 109 Gallus, Missionar und Märtyrer 45, 127 Ganna, Seherin 109 f. Grimm, Gebrüder, Philologen 19, 53, 89, 113 f., 119
I
Beda Venerabilis, Geschichtsschreiber 28, 39, 129 Benedikt von Nursia, Ordensgründer 126 Blauzahn, Harald, dänischer König 133 Bonifatius, Missionsbischof 28, 127 f. Buchard von Worms, Mönch 113
Ibn Fad. la-n, Ahmed, Gesandter des Kalifen 29, 45, 77
C
K
Caesar, Gaius Iulius 9, 18 f., 21, 26 f., 43, 45 f., 53, 73, 83, 90, 109 Cassius Dio, Schriftsteller 109 Childerich I., merowingischer König 80, 121 f. Chlodwig I., merowingischer König 80, 121 f., 124, 128, 137 Chrodechilde, Frau Chlodwigs I., merowingischer König 122
Karl der Große, Kaiser 129 Kilian, Missionar und Märtyrer 127 Konstantin, römischer Kaiser 122, 124 Korbinian, Missionar und Märtyrer 127
E
M
Emmeram, Missionar und Märtyrer 127
Masyas, Smnonenfürst 109
J Jordanes, Schriftsteller
48
L Liudger, Bischof von Münster 28
Rubel, Religion und Kult 30.8.16
S. 167
Personenverzeichnis
167
O Orosius, Paulus, Schriftsteller
T 35
P Patrick, Missionar 126 Pippin der Mittlere, fränkischer Hausmeier 127 Poppo, Bischof von Schleswig 133
Q Quintus Petillius Cerialis, römischer Feldherr 109
R Rasmussen, Knud, Ethnologe 11 Remigius, Bischof von Reims 121
S Saba, der Gote, Heiliger 28 Sturluson, Snorri, Dichter 10, 23, 29 f., 51–53, 56–60, 63, 71, 83 f., 120 Sueton, Gaius, Tranquillus, Schriftsteller 108
Tacitus, Schriftsteller 27 f., 30–33, 35– 37, 39, 42 f., 45–48, 51–55, 57, 59, 63, 73, 78–80, 87, 99, 101, 104–106, 108– 114, 136 Theoderich der Große, römischer Kaiser 48, 77 f., 122 Theodosius, oströmischer Kaiser 125 Thorgeier, Schlichter 134 Tryggvarson, Olaf, König von Norwegen 133
V Valens, römischer Kaiser 126 Veleda, Seherin 73, 109 Vettius Quintus, Severus, Kämmerer 97 f., 101
W Willibrord, »Apostel der Friesen« 28, 107, 127 Wulfila, Gotenbischof 123
Rubel, Religion und Kult 30.8.16
S. 168
Götterverzeichnis
A Alateivia 106 Asen 36, 56, 58, 60–62, 106, 118
B Baduhenna 42, 48, 105, 107, 136 Balder 60, 67, 70–74, 84
C Castor
Hercules 42, 45 f., 48, 57, 87, 89, 91, 93, 95, 102, 105, 110 Hercules Alabuandus 94 Hercules Deusoniensis 94 Hercules Magusanus 27, 42, 48, 88 f., 92–94 Hercules Saxanus 88 Hludana 48, 106 Hönir 57, 61 Hurstrga 48, 106
I 47, 87
D Donar 42 f., 46, 57, 60, 63, 87, 91, 93 Donareiche 127
F Frau Holle 113 f., 116, 136 Frau Percht 113 f. Freya 60, 63, 111 Freyr 57, 60 f., 63 Friagabi 89 Frîja/Frigg 10, 29, 42 f., 60, 63, 67
Irminsul
58
J Juno 92, 105 Jupiter 43, 46 f., 92, 105
K Kybele 112, 114 f.
L Lodur 57 Loki 10, 29, 60, 71, 84, 120
G Garmangabis 106 Gaut, Ahnherr der Amaler 48
H Hariasa 106 f. Harimella 106 Heimdall 60 Hel 84 f.
M Mannus 54 f., 57, 59 Mars 35, 42, 45 f., 57, 89, 91, 94 f., 102, 110 Mars Halamardus 88 f., 94 f. Mars Thingsus 94 f. Matronae Aistriahenae 99 Matronae Alagabiae 98 f. Matronae Albihenane 99
Rubel, Religion und Kult 30.8.16
S. 169
Götterverzeichnis
169 Matronae Aufaniae 97–99, 105 Matronae Austriahenae 99 Matronae Friagabiae 99 Matronae Gabiae 99 Matronae Nersihenae 99 Matronae Suebae 99 Matronae Vacallinehae 99 Matronen 24, 39 f., 42, 46, 57, 88, 97– 102, 104 f., 107, 135 Mercurius Cimbrianus 42, 48, 88, 91 Mercurius Friausius 94 Mercurius Hranno 88, 95 Mercurius Leudisio 88, 95 Merkur 35, 42, 45 f., 48, 57, 87, 89, 91, 102, 105, 110 Mimir 61, 68 Minerva 92, 105
N Nehalennia 48, 102–105 Nerthus 13, 28, 31, 39, 42, 110–116, 136 Njörd 60 f., 63
O Odin 10, 29, 32, 42, 45 f., 48, 56 f., 60 f., 63, 65, 67, 69–71, 74, 83–85, 87, 110, 119 f., 128 Odr 63
S Sandraudinga 106 Saxnot 57 Sunucsalis 106
T Tamfana 39, 42, 48, 105, 110, 136 Tellus 112, 114 Terra Mater 111 f., 114 f. Thor 10, 29, 42, 46, 57, 60, 63, 87, 110, 119 Tuisto 54 f., 59 Tyr 46, 57, 72
V Vagdavercustis 48, 106 Vihansa 106 f.
W Wanen 60–62, 68, 111 Wodan 32, 42 f., 45 f., 48, 57, 59 f., 63, 66 f., 70, 83, 87, 91, 94, 128, 135 f.
Y Ymir
56, 59
P
Z
Phol 67 Pollux 47, 87
Zeus 46 f.
R Ragnarök 56, 85 Remus 47 Romulus 47
Rubel, Religion und Kult 30.8.16
S. 170
Ortsverzeichnis
B
K
Bad Pyrmont 33 Bonn 88, 93, 97, 99–101, 105 Britannien 104 f.
Köln 93, 97, 99, 101, 104–106
D
Mecklenburg 20 Morken-Harff 99 f.
Dakien 105 Dänemark 34, 45, 56, 112, 132 f. Domburg 102, 104 Donau 21, 48, 125, 127
E Ejsbøl 34 f. Elbe 16, 21, 79, 108
G
N Nettersheim 97, 99 f. Niedersachsen 16, 20 Nordendorf 135 Nordsee 86 Norwegen 133 Nydam 34 f.
O
Germania inferior 48, 90–92, 97, 100 f., 105 Germania superior 48 Germanien 26, 90, 95, 107, 115 Gudme 25, 68
Oberdorla 34, 37, 39 Ooster-Schelde 102 Ostsee 21, 86
P
H Hessen
M
20
Pesch 39, 99 f. Przeworsk 18
I
R
Illerup Ådal 34–37 Island 52, 95, 133 f.
Rhein 18, 21, 24, 27, 39, 46, 57, 82, 90, 95, 100 f., 127, 131 – Niederrhein 88, 90, 93, 95, 136 – Oberrhein 17 Rheinland 87 f., 90, 95–97, 104 Rhein-Neckarraum 91
J Jastorf
20
Rubel, Religion und Kult 30.8.16
S. 171
Ortsverzeichnis
171
S
V
Schleswig-Holstein 20, 37, 43 f., 133 Schweden 16, 52, 56, 80, 131–133 Sorte Muld 25, 41, 68 Sutton Hoo 80, 120
Vimose
T Thorsberg 34, 37, 39, 43 Thüringen 20, 34, 37, 127
U Uppåkra 25, 33, 40 f., 68 Uppsala 29, 33, 40, 57
34–36
W Walcheren 102, 107
Rubel, Religion und Kult 30.8.16
S. 172
Sachverzeichnis
A
F
Aesti 110 Alamannen 14, 17, 22, 45, 53, 82, 110, 122, 127, 130 Amaler 48 Angeln 14, 37, 47, 112 Angelsachsen 39, 51, 127 Asgard 58, 60 f., 85, 120
Fibel 16, 18, 33, 37 f., 80–82, 86, 97, 135 Franken 17 Frankenreich 126–128, 132 Friesen 107, 127 f. Frisavonen 104 Fürstengräber 77, 81–83, 85, 120
B
G
Chamaven 17 Chatten 17, 35, 53 Cherusker 53 Christentum 12, 53, 60, 65, 74, 117, 122–126, 128–137
Gallien 18, 26, 122 Gallier 18, 26, 39, 45 Gambrivier 54 Gefolgschaft 17, 73, 82, 110, 121 f., 128, 135 Germanen – Donaugermanen 21 Germanenideologie 15 Ginnungagap 56 Goldgubber 40 Goten 14, 17, 21 f., 27 f., 48, 51, 59, 82, 122–125, 128, 137 – Donaugoten 48 – Kleingoten 125 – Ostgoten 122 – Terwingen 125 – Westgoten 14, 125 Gylfaginning 56, 63
E
H
Edda 10, 29 f., 46, 51, 53 f., 56, 58, 60, 63, 67, 71, 74, 83, 85, 106, 119 f., 132 Elite 38, 72 f., 78, 80–82, 85 f., 95, 99, 101, 122–124, 135 f. Ethnogenese 16–18
Haine 11, 31, 33, 41, 43, 47, 58 Heimskringla 29, 52 Hermunduren 17, 35 Homöer 122 f. Hunnen 21, 125
Baiuwaren 130 Bandkeramikkultur 61 Bastarnen 21 Bataver 48, 88 f., 92 f., 109 Beowulf-Epos 78, 80, 119 Brakteaten 9, 25, 53, 68–74, 132 Brukterer 17, 73, 109 Burgunder 124
C
Rubel, Religion und Kult 30.8.16
S. 173
Sachverzeichnis
173
I Interpretatio Germanica 43, 70, 89, 91 f. Interpretatio Romana 27, 59, 63, 87, 89, 92, 102, 112, 114, 135
J Jamnaja-Kultur 62 Jastorf-Kultur 20
– – – – – – – – –
Opferkult 33 Opfermahl 33 Opferplatz 25, 34, 36–39, 44 Opferpraxis 31 Opferstelle 34 Opfertier 33 f., 37, 39 Opferzeremonie 36 Speiseopfer 113 Waffenopfer 11, 25, 33–36, 39, 95, 135 – Wasseropfer 33, 39
K P Kelten, keltisch 14, 18, 21, 26, 43, 88– 91, 95, 98–100, 104, 126 Kimbern 16, 35, 48, 91, 107 Konzil von Konstantinopel 123 Konzil von Nicäa 123
L
Pfahlgötze 9, 27, 34, 44 f. Polytheismus 89–91, 128–132, 134, 136 f. Przeworsk-Kultur 18, 20
Q
Langobarden 47, 51, 112, 130 Lautverschiebung 19–21
Quaden 21
M
R
Markomannen 21, 107 Marser 54, 105 f., 110 Merseburger Zauberspruch 66–68, 70 Midgard 57 f., 84, 119 Moesia inferior 125 Moor 11, 25, 31, 33–38, 41, 43–45, 135 Münzen 38, 80, 82, 92, 102
Rune 13, 24, 30, 36, 63–66, 68, 70 f., 73–75, 135
N Nahanarvaler 47, 87 Neuheidentum 116 f., 136 Neunkräutersegen 67, 73
O Opfer 12 f., 25, 32 f., 35–43, 45, 80 f., 106, 134 f. – Menschenopfer 11, 28, 32 f., 36–39 – Opferbrauch 33 – Opferfeier 39 – Opfergabe 36, 65 – Opfergut 34 – Opferhandlungen 33, 39
S Sachsen 14, 37, 56–58, 128 f. Schnurkeramikkultur 61 f. Schöpfungsmythos 50 f., 54, 56–59 Seherin 56, 73, 109 f. Semnonen 32, 52 f., 109 f. Semnonenhain 13, 28, 31 f., 39 Skalde 30, 51 f., 54, 63, 83, 85 Skiren 20 f. Sprachwissenschaft 9 f., 16, 19–21, 24, 30, 42, 52 f., 61 f., 89–91, 94, 98, 104– 106, 110, 112–114 Sueben 17 f., 31 f., 54, 104
T Teutonen 16, 107 Thorshammer 131 Tierstil 68, 119, 132
Rubel, Religion und Kult 30.8.16
S. 174
Sachverzeichnis
174
U
W
Ubier 93, 97, 100 Utgard 58
Walhall 63, 83–86, 108 Waräger 29, 45 Wielbark-Kultur 20 Wikinger 9 f., 24, 29, 32, 39 f., 45, 51 f., 68, 77, 85 f., 106, 131–133
V Vandalen 14, 17, 22, 27, 47, 59, 124 Vandilier 54 Varusschlacht 35 Völuspá 51, 56–60, 85
Z Zentralort 25, 33, 68, 73, 132