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German Pages 449 [452] Year 2006
Reiche und Territorien in Ostmitteleuropa
Völker, Staaten und Kulturen in Ostmitteleuropa Im Auftrag des
Johann-Gottfried-Herder Forschungsrats herausgegeben von Dietmar Willoweit und Klaus Roth
Band 2 Verantwortlich für diesen Band: Klaus Roth
Reiche und Territorien in Ostmitteleuropa Historische Beziehungen und politische Herrschaftslegitimation Herausgegeben von Dietmar Willoweit und Hans Lemberg
R. Oldenbourg Verlag München 2006
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Umschlaggestaltung: Dieter Vollendorf Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier (chlorfrei gebleicht). Satz: Tomislav Helebrant Druck: MB Verlagsdruck GmbH, Schrobenhausen Bindung: Buchbinderei Klotz GmbH, Jettingen-Scheppach ISBN-13: 978-3-486-57839-3 ISBN-10: 3-486-57839-1
Inhalt
Dietmar Willoweit und Hans Lemberg Einführung
I. Matthias Weber (Oldenburg) „Ausbeutung der Vergangenheit". Zur historiographischen Bearbeitung der Stellung Schlesiens zwischen dem Heiligen Römischen Reich und den Königreichen Polen und Böhmen Marian J. Ptak (Breslau) Schlesien und seine Beziehungen zu Polen, Böhmen und dem Reich Bernhart Jähnig (Berlin) Die politischen und rechtlichen Außenbeziehungen des Herzogtums Preußen (1525-1660) Janusz Mallek (Thorn) Das Herzogtum Preußen und das Königreich Polen (1525-1657). Rechtliche und politische Beziehungen zwischen beiden Ländern Stanislaw Salmonowicz (Thorn) Königliches Preußen und polnisch-litauischer Staat (1466-1772) Roderich Schmidt (Marburg) Die Lande Lauenburg und Bütow in ihrer wechselnden Zugehörigkeit zum Deutschen Orden, zu Pommern und Polen und zu Brandenburg-Preußen Boguslaw Dybas (Warschau) Livland und Polen-Litauen nach dem Frieden von Oliva (1660) Mathias Niendorf (Warschau) Die Beziehungen zwischen Polen und Litauen im historischen Wandel. Rechtliche und politische Aspekte in Mittelalter und Früher Neuzeit Karel Maly (Prag) Der böhmische Staat - ein Teil des Reiches? Peter Moraw (Gießen) Böhmen und das Reich im Mittelalter
6 Hans-Jürgen Karp (Marburg) Universalkirche und kirchlicher Partikularismus in Ostmitteleuropa. Die exemten Bistümer
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Joachim Bahlcke (Leipzig) Politische Funktionen kirchlicher Beziehungen: Ungarn und die Reichskirche
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Thomas Brückner (Würzburg/Erfurt) Herrschaftsverbindende Funktionen des Lehnrechts
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Dietmar Willoweit (Würzburg) Zwischenherrschaftliche Beziehungen in der mittelalterlichen Welt. Umrisse eines neueren Forschungsansatzes
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II. Gert von Pistohlkors (Göttingen) Die Livländischen Privilegien: ihre Deutungen, Umdeutungen und praktischen Umsetzungen in der neueren baltischen Geschichte
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MiloS Reznik (Chemnitz/Prag) Das Königliche Preußen in den deutsch-polnischen Auseinandersetzungen um den „Historischen Charakter" Pomerellens in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts 311 Roland Gehrke (Stuttgart) Das „plastische" Schlesien und seine ideologische Wiederbelebung im polnischen Westgedanken
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Peter Haslinger (München) Staatsrecht oder Staatsgebiet? Böhmisches Staatsrecht, territoriales Denken und tschechisches Emanzipationsbestreben 1890-1914
345
Frank Hadler (Leipzig/Berlin) Das Großmährische Reich: tschechoslowakischer oder slowakischer Ur-Staat? Deutungskämpfe im 20. Jahrhundert
359
Wolfgang Kessler (Herne/Mönchengladbach) Vom Recht der Stände zum „kroatischen Staatsrecht". Zum historischen Recht in der politischen Kultur des 19. Jahrhunderts in Kroatien
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Wolfgang Höpken (Leipzig/Braunschweig) Staatlichkeit, Ethnogenese und Kultur: Narrative und symbolische Muster nationaler Identitätskonstruktionen auf dem Balkan im 19. und 20. Jahrhundert
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Einführung Statt einer opulenten Jubiläumsfeier zum 50. Jahrestag seiner Gründung hat es der Herder-Forschungsrat, der sich mit Geschichte und Kultur der Länder des östlichen Mitteleuropa beschäftigt, für angemessen erachtet, im Jubiläumsjahr 2000 und in der Tagung des darauf folgenden Jahres ein grundsätzlich interessierendes Thema anzupacken, das nicht nur aus wissenschaftshistorischer Sicht, sondern ganz allgemein auch in Hinsicht auf die historische Begründung der internationalen Beziehungen im östlichen Mitteleuropa von größter Bedeutung zu sein scheint: das Verhältnis von Reichen und Territorien in Mittelalter und Neuzeit und den Wandel der Interpretation dieses Verhältnisses im nationalen Zeitalter. Es ist kaum übertrieben, die Probleme, mit denen sich diese beiden Tagungen beschäftigt haben, mit dem etwas verstaubten, aber nur richtig zu verstehenden Schlagwort „Weltgeschichte" zu charakterisieren. Der Gegensatz zwischen universalistisch orientierten Reichsbildungen einerseits und betont partikularistischer Territorialpolitik ist jedem Historiker geläufig und in den verschiedenartigsten Kulturen dieser Welt zu beobachten. Die Kräfte, welche Reiche mit vielen, oft einander ganz fremden Völkern hervorgebracht und erhalten haben, sind offenbar verschiedener Art: Eroberung und straffe Administration, die Vereinigung im Zeichen einer allgemeinen, insofern Gleichheit bewirkenden Religion, die Herrschaftslegitimation durch eine von Gottes Gnaden verliehene Krone. Auch für die Entstehung partikularer Staatsgebilde können verschiedene Gründe genannt werden: ökonomische Bedürfnisse, konfessionelle Isolation, in besonderem Maße aber ethnische und nationale Gemeinsamkeiten. Was sich trotz des reichhaltigen Anschauungsmaterials, das die Geschichte bereithält, nicht ohne weiteres verstehen läßt, ist das Neben- und Gegeneinander expandierender Imperien auf der einen Seite und partikularer Selbstbehauptung auf der anderen. Bis zum Epochenjahr 1989 hat in Westeuropa jedenfalls kaum jemand dem Nationalstaat eine Chance in der Zukunft gegeben. Heute weiß, trotz des europäischen Einigungsprozesses, niemand genau, wohin die Reise geht. Das Spannungspotential zwischen dem Großreich oder auch der Staatenunion und dem Bedürfnis nach Unabhängigkeit in einem partikularen Staatsgebilde, und mag es noch so bescheiden sein, zeigt eine ungebrochene Vitalität. Dies ist jedoch nur die eine, gewissermaßen horizontale Dimension unseres Themas, die sich so oder ähnlich in allen historischen Epochen auffinden läßt. Hier kann immerhin der systematisch vorgehende Vergleich helfen, Ursachen und Mechanismen besser zu durchschauen. Schwieriger scheint es, die gleichsam vertikale Dimension im Nacheinander der Zeitalter, also im historischen Längsschnitt zu erschließen. Im Zuge der kulturellen Entwicklung Europas hat die Entstehung des frühmodernen Staates neuartige, von vorstaatlichen Verhältnissen tiefgreifend unterschiedene Strukturen hervorgebracht: das staatliche Gewaltmonopol, ein zentralisiertes Behörden- und Finanzwesen, die Verfügbarkeit des
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Einführung
Rechts durch des Instrument der Gesetzgebung. Mit diesem Prozeß war die Blüte einer säkularisierten Staatstheorie verbunden, deren Kategorien die neuen Machtund Rechtsverhältnisse stabilisierten. Eine hervorragende Rolle spielte dabei das von Jean Bodin 1576 entwickelte Souveränitätsprinzip. Diese Grundnorm des neuzeitlichen Staatsrechts unterscheidet die Inhaber der höchsten Gewalt, die keine höhere über sich anerkennen und über die Rechtsordnung verfügen, von allen anderen Gewalthabern: von der jetzt nur delegiert zu verstehenden Gewalt des Adels, der Kommunen und sonstiger Herrschaftsträger; von den sozialen und kulturell wirksamen Mächten, wie insbesondere der Kirche; von nur vertraglichen Beziehungen zwischen souveränen Herren, die deren Unabhängigkeit nicht einschränken. Die heute mit dem Begriff vor allem verbundene äußere Souveränität ist nur Konsequenz der Souveränität als Prinzip der Staatsgewalt überhaupt. Die Souveränitätsidee hat das ius publicum Europas entscheidend geprägt und nach dem Untergang der alteuropäischen Welt eine wesentliche Voraussetzung für die Konstituierung der Nationalstaaten zur Verfügung gestellt. Innerhalb dieses neuen politisch-sozialen Verständnishorizontes hat dann die Geschichtswissenschaft des 19. und 20. Jahrhunderts versucht, zwischenherrschaftliche Beziehungen anderer Art aus anderen Zeiten zu verstehen. Es konnte nicht ausbleiben, daß dabei neuzeitliche Souveränitätsvorstellungen auf komplexe Herrschaftskonstellationen in die Vergangenheit rückprojiziert wurden, die unter völlig andersgearteten politischen und mentalen Bedingungen entstanden waren. Die methodische Unzulänglichkeit aller Versuche, das Mittelalter und die früheste Neuzeit mit Hilfe jüngerer Kategorien zu erfassen, liegt auf der Hand und bedarf keines weiteren Kommentars. Die Anachronismusgefahr betrifft aber nicht nur innerherrschaftliche Verhältnisse, also die Beziehungen zwischen einem Fürsten und dem Landesadel, den Städten und dem Klerus. Auch auf zwischenherrschaftliche Beziehungen älterer Art wurde der Souveränitätsbegriff angewendet, mit der Folge etwa, daß man Untertänigkeiten konstruierte und Grenzen zog, die es in der geschichtlichen Wirklichkeit niemals gegeben hatte. Matthias Weber hat im vorliegenden Band diese „Verständnisgeschichte" für die Rechtsstellung Schlesiens untersucht und ihren Zusammenhang mit dem Denken der modernen Zeit aufgedeckt. Politische Erwartungen spielten dabei ebenso eine Rolle wie methodische Prämissen des Rechtspositivismus, mit deren Hilfe zuweilen ein Wettstreit um das „richtige" juristische Ergebnis ausgetragen wurde. Grobe Vereinfachungen und widersprüchliche Resultate waren die Folge. Den Deutschen galt das Herzogtum Preußen niemals als ein Teil Polens, war es diesem doch nur lehenspflichtig. Schlesien dagegen hielt man als böhmisches Lehen gerade deswegen für ein Land des Reiches. Umgekehrt stellten sich die Dinge in den Augen der Polen dar: das Herzogtum Preußen gehörte als Lehen Polens zu diesem Staate, Schlesien wegen seines bloßen Lehensverhältnisses zu Böhmen aber nicht zum Reich. Die Beiträge zum Mittelalter und zur Frühen Neuzeit versuchen das starre Korsett der geläufigen Geschichtsbilder aufzulösen und zu längst untergegangenen Kommunikations- und Rechtsformen einen genuinen Zugang zu öffnen. Schlesien und das Herzogtum Preußen bilden dabei einen ersten Schwerpunkt.
Einführung
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Marian J. Ptak analysiert das höchst komplexe Spektrum der Lehensbeziehungen schlesischer Fürsten, das sich auf einen vereinfachenden Nenner nicht reduzieren läßt. Die zwiespältige und fragile Rechtsstellung der Herzogtums Preußen arbeitet Bernhart Jähnig heraus. Die Belehnung durch den polnischen König schuf den einen Rechtstitel - jenen, der im Verhältnis der Mächte zueinander Anerkennung fand. Einen konkurrierenden Rechtsgrund machte der Deutsche Orden im Reich nach der Belehnung mit dem ehemaligen Ordensland durch den Kaiser geltend. Nur die Politik entschied letztlich, daß Recht und Unrecht so verteilt wurden, wie wir es aus dem Gang der Geschichte kennen. Janusz Mallek unterwirft dann die Beziehungen zwischen dem Herzog von Preußen und dem König von Polen einer näheren Prüfung mit dem Ergebnis, daß sich der Herzog doch mehr Unabhängigkeit wünschte und zum Teil auch durchzusetzen verstand, als die vertraglichen Vereinbarungen mit dem König eigentlich vorsahen. „Nur" Lehensmann zu sein, hatte nach deutschem politischen Denken jedenfalls im 16. Jahrhundert keineswegs zur Folge, auch eine fremde Landesobrigkeit anerkennen zu müssen. Ein klares Beispiel für die Zugehörigkeit eines fremden - polnischen - Lehens zum Territorium eines anderen Fürsten bieten Lauenburg und Bütow im Osten Pommerns. Roderich Schmidt zeichnet diesen Fall präzise nach und macht dabei auch auf inhaltliche Konsequenzen der Lehnsbindung aufmerksam. Angesichts der Bedeutung des Lehensrechts für das vormoderne Zwischen-Mächte-Recht war es sinnvoll, mit Thomas Brückner einen jüngeren Kenner dieser Materie zu Wort kommen zu lassen. Sein Beitrag über „Herrschaftsverbindende Funktionen des Lehenrechts" bietet nicht nur einen Einstieg in die allgemeinen Aspekte dieser Thematik. Er exemplifiziert sie an Vorgängen in Ostmitteleuropa und erweist sie zugleich als Teil der Interpretationsgeschichte. Die Beiträge von Mathias Niendorf, Stanislaw Salmonowicz und Boguslaw Dybas erörtern mit Litauen, Königlich Preußen und Livland drei ganz ohne Zweifel in den polnischen Staatsverband eingegliederte Territorien, deren Rechtsstatus sich dennoch hinsichtlich der Intensität dieser Zugehörigkeit nicht nur unterschied, sondern auch geschichtlichem Wandel unterworfen war. Damit eröffnet sich gleichsam vom Zentrum eines Reiches aus eine weitere Perspektive, in welcher ein Mehr oder Weniger an Reichsangehörigkeit denkbar erscheint. Dieses Modell mag auch helfen, das schwierige Verhältnis Böhmens zum Reich zu verstehen. Karel Maly und Peter Moraw haben es aus unterschiedlichen Blickwinkeln erörtert. Selbständigkeit eines Territoriums und Reichsangehörigkeit scheinen sich danach nicht auszuschließen. Hans-Jürgen Karp und Joachim Bahlcke haben in unterschiedlicher Weise die Kirchengeschichte in die Thematik dieses Bandes einbezogen. Zum einen geht es um die Konkurrenz politischer und kirchenrechtlicher Unterordnungsverhältnisse. Den Einwirkungsmöglichkeiten eines fremden Metropoliten versuchte die weltliche Gewalt mit der Exemtion zu begegnen, wie Hans-Jürgen Karp am Beispiel der Bistümer Kammin, Ermland und Breslau demonstriert. Joachim Bahlcke analysiert dagegen kirchenpolitische Formen auswärtiger Einflußnahme auf die Kirche eines Landes, hier Ungarns, und zwar im Wege der Personalpolitik einerseits, konfessioneller Solidarisierung andererseits. Damit
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Einfuhrung
sind zugleich fließende Übergänge zwischen institutionell begründeter und allein politischer Abhängigkeit angedeutet. Beide mögen im „Kräftespiel" der politischen Mächte - oder: in den Augen des Historikers - ähnliche Wirkungen ausgelöst haben. Das moderne Denken aber konnte weitere Folgerungen nur ziehen - und hat sie auch gezogen wenn zwischenherrschaftliche Beziehungen rechtlichen Charakters vorgelegen haben. Vielleicht wäre alles halb so schlimm, wenn es nur um wissenschaftliche Fragen ginge. Aber es handelte sich in der Vergangenheit Ostmitteleuropas und es handelt sich noch heute in vielen Regionen dieser Welt auch um ein politisches Problem. Politisches, besonders nationales Denken kann offenbar nicht darauf verzichten, sich historisch zu legitimieren und Ansprüche durch geschichtliche, vorstaatliche Verhältnisse zu begründen. Dabei mußte es zu einer Ideologisierung älterer, noch der Epoche der Präsouveränität angehörenden Herrschafts- und Rechtsverhältnisse im Dienste des modernen Staates kommen. Doch nicht nur die Politik - bis hin zur bewaffneten Aggression - berief sich immer wieder auf längst vergangene rechtliche Beziehungen. Auch nationale Emotionen fanden und finden hier einen gefährlichen Nährboden. Für den ostmitteleuropäischen Raum sind wir diesen Nachwirkungen historischer Abhängigkeiten in einer Folgetagung im Frühjahr 2002 nachgegangen. Die aktuelle Brisanz der ganzen Problematik wird deutlich, wenn wir auf die gegenwärtigen Konflikte auf dem Balkan oder auch an die Okkupation Tibets durch China blicken, ein Großreich, das aus machtpolitischen Gründen genau das tut, was im Lichte einer modernen, kritischen, methodenbewußten Geschichtswissenschaft nichts anderes als eine Ausbeutung der Vergangenheit ist: zwischenherrschaftliche Beziehungen ganz eigentümlicher Art aus der Zeit der Präsouveränität mit den Maßstäben modernen Staats- und Völkerrechts, j a mit denen der ethnischnationalen Selbstbezogenheit beurteilen. So wie im nationalen Zeitalter der alteuropäische Zustand der Beziehungen von Herrschaften zueinander selbst zunehmend verblaßt und schließlich weithin ganz verlorengegangen ist, so wurde das tradierte Wissen über die Figuren dieses Systems in der Neuzeit, insbesondere in der nationalen Ära, den modernen internationalen Beziehungen im eigentlichen Sinne anverwandelt, j a die vergangenen Verhältnisse wurden als willkommene historische LegitimationsSteinbrüche verwendet, ihre Elemente modernen Vorstellungen angepaßt oder untergeordnet. Wir haben es in dieser Epoche, also beginnend in der zweiten Hälfte des 19. und vor allem im 20. Jahrhundert, weitgehend mit Nationalstaaten in einer Region zu tun, für sich der Johann Gottfried Herder-Forschungsrat als zuständig betrachtet, Ostmitteleuropa nämlich, dessen Grenzen aus Gründen des Erkenntnisinteresses und um der möglichen Vergleiche willen auch in dieser Tagung flexibel gehalten wurden. Die eher aus der Not der Suche nach einer kurzen Themenformulierung gewählte Vokabel „Legitimation durch Geschichte" für den zweiten Teil dieses Bandes scheint uns also zwei Grundaspekte zu haben: den Rückgriff auf faßbare Privilegien, Pacta Conventa, Landesrechte (auch wenn imaginiert und in Wirk-
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lichkeit nur umgedeutete Standesrechte), Staatsrechts-Komplexe also, die so konkret sind oder erscheinen, daß sie als handfest und - sei es auch nur vor dem Richterstuhl der Geschichte - einklagbar empfunden werden. Der andere Aspekt ist die Art und Weise, wie diese Rechtsdokumente, die einen faktisch schon überholten Zustand einer ständischen, vormodernen Gesellschaft betreffen, aber auch wie vergangene staatliche bzw. lehensrechtliche Zuordnungen im demokratischen Zeitalter von modernen Nationen umfunktioniert worden sind, ja wie sie jetzt einen Teil der legitimierenden Geschichtskultur für die modernen nationalen Bewegungen, mehr noch: für die neuen Nationalstaaten herhalten müssen. Hier spielt manchmal die zeitliche Entfernung eine gewichtige Rolle, die einen von diesen Dokumenten trennt. Im sozusagen optimalen Fall ist es der Abstand von „bloß" etwas mehr als einem Jahrhundert, über den hinweg die Legitimationsbrücke zu schlagen war, wie im Fall der wiedererstandenen Polnischen Republik. Anderswo waren es dreihundert Jahre (von der Tschechoslowakischen Republik zum Königreich Böhmen, auf dessen Staatsrechtsideologie für die letzten Jahrzehnte vor dem Ersten Weltkrieg Peter Haslinger verwies), oder siebenhundert Jahre (Kroatien). Auch die Umdeutung des Privilegium Sigismundi Augusti (Gerd v. Pistohlkors) konnte eine inzwischen schon jahrhundertelange Tradition aufgreifen. Der fast wesensnotwendige Konflikt um die Interpretation dieser Quellen kann einmal sich auf die Deutung ein und derselben Figuren beziehen (das ist eindrucksvoll an dem von MiloS Reznik vorgeführten Streit um den historischen Charakter Pommerellens zu sehen), er kann sich aber auch darauf beziehen, wer „früher da war" - die „plastische Idee" steht für diesen Fall (Roland Gehrke) oder durch das „historische Recht", das durch die bloße, wirkliche oder erträumte, frühe Anwesenheit und, mehr noch, durch die vornehme Herkunft dieser frühen Bewohner begründet wird, auch dort, wo eigentlich alte Privilegien nun wirklich vorlagen, wie etwas das Andreanum in Siebenbürgen (Konrad Gündisch konnte seinen Beitrag der Druckfassung leider nicht beisteuern). Bei so großer Entfernung, wie auch an der von Frank Hadler vorgeführten Fallstudie über das Großmährische Reich zu zeigen war, verliert sich das Ende der Legitimationsbrücke im Nebel. Das ist dann nicht nur der tausendjährigen Entfernung, sondern auch dem Fehlen jedweder auch nur irgend faßbaren privilegia geschuldet. Hier wie auch in den balkanischen Exempla eröffnet sich der weitere Kreis der staatlichen oder pseudostaatlichen Rückgriffe, die schon eher der Geschichts- oder Erinnerungskultur zugehören, aber eben doch in spezifischer Weise legitimatorischen Charakter haben. In unserem Fall geht es um den Aufweis, daß für die vier behandelten Balkan-Nationen die für das Mittelalter und die frühe Neuzeit beobachtete Umdeutung vergangener Rechtsverhältnisse, nicht greift, sondern daß dort andere Strukturen, wenn auch mit ganz ähnlicher, national affirmativer Funktion vorliegen. Wolfgang Höpken, der den Horizont in Richtung auf Südosteuropa ausweitete, verwendet dafür Beschreibungen, die auf ein heute aktuelles Forschungsgebiet verweisen, das mit „kollektiver Erinnerung", „invention of tradition (Traditionskonstruktion)", beschrieben wurde und in der insbesondere
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Einflihrung
Ethnogenese, mittelalterliche Staatlichkeitstraditionen und Kultur hervorgehoben werden. Die Staatlichkeitstraditionen kommen dabei unserer Fragestellung am nächsten, waren aber eben in signifikanter Weise bar jener staatsrechtlichen Konkretisierungen, wie sie von Wolfgang Kessler eindrücklich für das nur wenig nördlichere Kroatien vorgeführt werden. Und das gilt denn auch, wie in mehrfachem Sinn anschaulich gemacht wurde, für die auch historische Nationalisierung oder nationale Legitimierung weiterer Bereiche der Kultur - hier etwa des nun auch schon Nonverbalen der Architektur, wie von Michaela Marek exemplifiziert, die leider ihren Beitrag nicht in den Band einbringen konnte, - oder der Historienmalerei, der Musik, die noch hätten hinzugefügt werden können. „Nonverbal" ist das alles, wie wir gehört haben, zudem nur im banalen Verständnis, denn dies alles sind ja „Sprachen" sui generis. Wenn wir dieses ganze Panorama vor Augen haben, können wir uns noch einmal fragen, ob nicht in Hinsicht auf die Legitimation des Nationalstaates oder wenigstens nationaler Bewegungen durch Geschichte weitere generalisierende Kategorien hinzugefügt werden können, zusätzlich zu bereits bekannten Unterscheidungen wie der schon weitgehend verblaßten zwischen Staats- und Kulturnation oder der inzwischen auch schon klassischen von Hroch, nämlich zwischen den großen und den kleinen närody oder, wie auch Hroch es in der Terminologie der Straßburger Study Group schon lieber benennt, zwischen den non dominant ethnic groups und den anderen, die eben dominant waren oder es wurden. Gerade diese Unterscheidung scheint sich mit der hier bei uns vage erscheinenden stellenweise zu überschneiden, etwa wenn wir im Falle der tschechischen Nationalbewegung - sozusagen dem maly närod, der non dominant ethnic group κατ' εξοχήν - es mit einer nationalen Bewegung zu tun haben, die sich sehr wohl auf das vergangene und wiederzuerlangende Staatsrecht beruft, während das in anderen Fällen dieser Gruppe von Nationalbewegungen eben nicht der Fall ist oder nicht sein kann - mangels entsprechender Dokumente, auf die man sich berufen könnte. Matthias Weber hat in seinem Beitrag gezeigt, wie sich die Wissenschaftsgeschichte von politischen Erwartungen und Forderungen leiten ließ oder auch im Sinne ganz modernen Rechtsdenkens einzelnen historischen Rechtsakten einen absoluten Rang einräumte. Mit dem vorliegenden Band wäre viel erreicht, wenn die Verständnisgeschichte des Themenkreises „Reiche und Territorien" auf einen neuen Weg gelenkt werden könnte, den gemeinsam zu begehen Forscher verschiedener Nationalitäten sich in der Lagen sähen. Im Sommer 2004
Die Herausgeber
Ausbeutung der Vergangenheit" Zur historiographischen Bearbeitung der Stellung Schlesiens zwischen dem Heiligen Römischen Reich und den Königreichen Polen und Böhmen Matthias Weber
1. Zur historiographischen Problematik Wissenschaftliche wie nichtwissenschaftliche Diskussionen über Art und Dauer der Zugehörigkeit und der Beziehungen Schlesiens zu Polen, zu Böhmen und zum Heiligen Römischen Reich in Mittelalter und früher Neuzeit sind nicht selten von einer gewissen Emotionalität geprägt1. Historisch-rechtliche Zugehörigkeiten und spezifische kulturelle Prägungen von Territorien in vergangenen Zeiten dienen - zumal wenn sie von langer Dauer oder großer Intensität gewesen sind - mitunter noch heute als Argumente, welche zur Legitimierung beziehungsweise zur Diskreditierung von jüngeren oder gar gegenwärtigen staatlichen Besitzverhältnissen angeführt werden. So wurde die mit der Terminologie der modernen Staatsrechtslehre nur ungenau zu erfassende Stellung Schlesiens zwischen Polen, Böhmen und dem Heiligen Römischen Reich im Spätmittelalter nicht nur von der Politik, sondern auch in historiographischen Bearbeitungen für nationale oder gar nationalistische Interessen .ausgebeutet'2. Walter Schlesinger hat angesichts dieses Befundes bereits 1963 gerade mit Blick auf die Reiche und Territorien im östlichen Mitteleuropa und auf das ostmitteleuropäische Mittelalter eindringlich vor jeder Form von Instrumentalisierungen der Geschichte gewarnt3.
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Dies läßt sich anhand der Zuhörerreaktionen sagen, die der Verfasser dieses Beitrags bei einer Reihe von Vorträgen über diese Thematik festgestellt hat; zur historischen Problematik als solcher vgl.: MATTHIAS WEBER: Das Verhältnis Schlesiens zum Alten Reich in der Frühen Neuzeit. Köln, Weimar, Wien 1992 (Neue Forschungen zur schlesischen Geschichte 1). Dietmar Willoweit spricht in der inhaltlichen Konzeption des Symposiums, auf dem dieser Vortrag gehalten wurde, in diesem Zusammenhang treffend von der „Ausbeutung der Vergangenheit", vgl. das Konzeptionspapier: DIETMAR WILLOWEIT: Reiche und Territorien in Ostmitteleuropa - ihre rechtlichen und politischen Beziehungen vom 13. bis zum 18. Jahrhundert. Der 1963 gehaltene Vortrag Schlesingers wurde erst 1997 veröffentlicht: WALTER SCHLESINGER: Die mittelalterliche deutsche Ostbewegung und die deutsche
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Matthias
Weber
In der Darstellung von Dauer und Art der Zugehörigkeit Schlesiens zu den Königreichen Polen und Böhmen sowie zum Heiligen Römischen Reich im Spätmittelalter und in der Herausarbeitung der Beziehungen zu BrandenburgPreußen in der frühen Neuzeit sah die deutsche Landesgeschichtsschreibung über Schlesien eine ihrer zentralen Aufgaben. Dieser Aufgabe wurde - mit unterschiedlichen Akzentsetzungen im einzelnen, aber mit großer zeitlicher Kontinuität - seit der Entstehung einer wissenschaftlichen Landesgeschichtsschreibung ab dem ersten Drittel des 19. Jahrhunderts bis in die siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts nachgegangen, wobei die Fragestellung in hohem Maße auf die Herausarbeitung der Beziehungen Schlesiens nicht nur zum Heiligen Römischen Reich, sondern ganz allgemein zur deutschen Kultur und Geschichte ausgerichtet wurde. Rückblickend läßt sich feststellen, daß diesem Forschungsinteresse für fast eineinhalb Jahrhunderte der Rang eines wissenschaftlichen, das Erkenntnisinteresse weithin prägenden Paradigmas zugekommen ist. Inhaltlich standen dabei in breitester Streuung politische, dynastische, kulturelle, sprachlich-ethnische, rechtliche und dynastische Beziehungen Schlesiens zum Alten Reich, zu Brandenburg-Preußen insbesondere und zum .Deutschtum' ganz allgemein im Mittelpunkt. Der wissenschaftliche Umgang mit diesem Thema war untrennbar vom Umgang der Historiker und historisch arbeitenden Juristen mit ihrer Gegenwart abhängig, so daß die Darstellung des Geschehenen in hohem Maße vom jeweiligen Verständnis der Gegenwart und auch von politischen Gegebenheiten der jeweiligen Gegenwart abhing. Peter Moraw hat diese - grundsätzlich auch für die historischen Wissenschaften im 21. Jahrhundert geltenden - Feststellungen auf den Punkt gebracht und auf die sich für den Historiker ergebenden Folgen hingewiesen, indem er zusammenfaßte: „Die Verständnisgeschichte ist ebenso wichtig wie die Geschehensgeschichte" 4 . Diesem Diktum entsprechend gilt das Interesse des folgenden Beitrages nicht dem „historischen Geschehen", sondern der Art und Weise, wie dieses verstanden, aufgezeichnet und interpretiert wurde 5 .
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Ostforschung. In: Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung 4 6 ( 1 9 9 7 ) , S. 4 2 7 457, hier S. 456. PETER MORAW: Zur staatlich-organisatorischen Integration des Reiches im Mittelalter. In: WILHELM BRAUNEDER (Hg.), Staatliche Vereinigung: Fördernde und hemmende Elemente in der deutschen Geschichte, Berlin 1998 (Beihefte zu „Der Staat" 12), S. 7-28, hier S. 8. Vgl. zur Geschichte der schlesischen Historiographie mit zahlreichen weiteren Literaturverweisen MATTHIAS WEBER: Zur deutschen Historiographie über Schlesien seit 1 9 4 5 . In: JERZY KLOCZOWSKI, WITOLD MATWIEJCZYK, EDUARD MÜHLE (Hg.), Doswiadczenie przeszlosci. Niemcy i Europa Srodkowo-Wschodnia w historiografii po 1945/Erfahrungen der Vergangenheit. Deutsche und Ostmitteleuropa in der Historiographie nach 1945. Lublin, Marburg 2 0 0 0 (Tagungen zur Ostmitteleuropa-Forschung 9 ) , S. 1 3 3 - 1 4 4 . - DERS. : Über die Notwendigkeit einer Standortbestimmung der historischen Schlesienforschung. In: MATTHIAS WEBER, CARSTEN RABE (Hg.), Silesiographia - Stand und Perspektiven der histori-
Ausbeutung
der
Vergangenheit
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2. Epochengliederung in Gesamtdarstellungen der .Geschichte Schlesiens' Historische Überblickswerke und Gesamtdarstellungen zur Geschichte Schlesiens weisen schon seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts dem genannten Paradigma entsprechende inhaltliche Schwerpunktbildungen auf. Deutlich erkennbar ist dies an der erfolgten Periodisierung der Geschichte Schlesiens, die sich nach den einzelnen Schritten richtete, in welchen sich Schlesien von Polen gelöst beziehungsweise dem Heiligen Römischen Reich und später Brandenburg-Preußen angenähert hatte. Die Jahresdaten 1202, Tod Mieszkos des Alten, 1327, Lehensbindung schlesischer Herzogtümer an die Krone Böhmens, 1526, Wechsel der über Böhmen und Schlesien regierenden Dynastie (Beginn der Habsburger-Zeit), und 1740, Eroberung und nachfolgende Annexion Schlesiens durch Preußen, bildeten Fixdaten, an denen sich die deutschsprachige Historiographie orientierte. In dem 1938 erschienenen Band 1 der „Geschichte Schlesiens" über das Mittelalter („von der Urzeit bis zum Jahre 1526"), der letzten umfassenden deutschsprachigen Bearbeitung der mittelalterlichen Geschichte Schlesiens, wird durchaus korrekt betont, daß der Übergang der schlesischen Territorien nach ihrer Lösung von Polen in die Lehensabhängigkeit von Böhmen, der als Wechsel von einem polnischen in einen deutschen Staatsverband verstanden wurde, „seit je der Geschichtsschreibung als ein Wendepunkt in Schlesiens Geschicken gegolten"6 habe. Dementsprechend wird die politische Geschichte in eine Phase vor 1327, bearbeitet von Erich Randt (1887-1948), und in eine Phase nach 1327, bearbeitet vom Emil Schieche (1901-1985), eingeteilt7. Die Epoche vor 1327 wiederum ist durch das Jahresdatum 1202 unterteilt. Es wurde konstatiert,
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sehen Schlesienforschung. Festschrift für Norbert Conrads zum sechzigsten Geburtstag. Würzburg 1998 (Wissenschaftliche Schriften des Vereins für Geschichte Schlesiens 4), S. 13-25. - DERS.: Zur Konzeption protonationaler Geschichtsbilder. Pommern und Schlesien in geschichtlichen Darstellungen des 16. Jahrhunderts. In: JOACHIM BAHLCKE (Hg.), Die Konstruktion der Vergangenheit. Geschichtsdenken, Traditionsbildung und Selbstdarstellung in den ostmitteleuropäischen Ständegesellschaften (1500-1800), Berlin, erscheint voraussichtlich 2001 (Zeitschrift für historische Forschung, Beiheft). - DERS.: Zur Genese und Kontinuität eines Geschichtsbildes. Das spätmittelalterliche Schlesien in der deutschen Historiographie bis 1938. In: KRZYSZTOF RUCHNIEWICZ, JAKUB TYSZKIEWICZ, WOJCIECH WRZESINSK1 (Red.), Przelomy w historii. XVI Powszechny Zjazd Historykow Polskich. Wroclaw 15-18 WrzeSnia 1999 roku, Pamietnik, t. 1. Τοηιή 2000, S. 350-379. EMIL SCHIECHE: Politische Geschichte von 1327-1526. In: HISTORISCHE KOMMISSION FÜR SCHLESIEN (Hg.), Geschichte Schlesiens, Bd. 1: Von der Urzeit bis zum Jahre 1526, Sigmaringen51988 [Ί938], S. 157. ERICH RANDT: Politische Geschichte bis zum Jahre 1327. In: Geschichte Schlesiens 1 (wie Anm. 6), S. 73-156. - E . SCHIECHE: Politische Geschichte von 1327-1526. In: Geschichte Schlesiens 1 (wie Anm. 6), S. 157-237.
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Matthias Weber
daß in diesem Jahr infolge des Todes des Fürsten Mieszko III. des Alten (um 1126-1202) die polnische Senioratsverfassung erloschen sei, was wiederum gleichbedeutend mit dem Ende des polnischen Staatsverbandes überhaupt gewesen sei - ein durchaus kühnes, auf modernem, formaljuristischem Denken beruhendes Konstrukt, das der patriarchalischen Herrschaftsstruktur des spätmittelalterlichen Polen kaum gerecht wird. Schlesien sei deshalb, so die weitere Folgerung, bereits seit 1202 „staatsrechtlich" absolut selbständig, die schlesischen Territorien hätten „volle politische Unabhängigkeit und landesherrliche Souveränität"8 erhalten und seien nun frei von allen Bindungen an das Königreich Polen gewesen. Die politisch-rechtliche Lösung Schlesiens von Polen ebenso wie der Übergang des Landes an Böhmen war schon für die nationalstaatlich-orientierte Historiographie des 19. Jahrhunderts in Deutschland bedeutsam gewesen, weil sie als eine zwingende Konsequenz der seit der Ostsiedlung fortgeschrittenen Germanisierung Schlesiens empfunden wurde (das spätmittelalterliche Böhmen wurde als ein deutsches Territorium verstanden). So wurden zwei völlig unabhängig voneinander verlaufende historische Entwicklungen (die durch Landesausbau und deutsche Besiedlung geprägte wirtschaftliche und die lehensrechtliche) nachträglich in ursächlichen Zusammenhang gebracht - obwohl Schlesien in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts unter der Herrschaft von Heinrich dem Bärtigen (Regentschaft 1201-1238) (und auch unter Heinrich dem Frommen, Regentschaft 1238-1241) tatsächlich gezielt zur Basis eines wieder zu gründenden polnischen Königreichs ausgebaut wurde, das keineswegs auf Annäherung oder gar Anschluß an das Heilige Römische Reich hin konzipiert gewesen ist9. Die stark an etatistischen Fragen interessierte Historiographie der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat des weiteren herausgearbeitet, daß zugleich mit dem Anschluß Schlesiens an Böhmen auch der formale Eintritt Schlesiens in das Heilige Römische Reich Deutscher Nation vollzogen worden sei: Da das Königreich Böhmen aufgrund des alten Reichsrechts selbst als unmittelbares Lehen
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Engagiertester Vertreter dieser Position ist JOSEF JOACHIM MENZEL: Die schlesischen Piasten. Ein deutsches Fürstengeschlecht polnischer Herkunft. In: Schlesien. Kunst, Wissenschaft, Volkskunde 20 (1975), S. 129-138, Zit. S. 132. Vgl. ferner DERS.: Schlesien im Mittelalter und seine Stellung zu Polen. In: AKADEMIE FÜR LEHRERFORTBILDUNG, HAUS DES DEUTSCHEN OSTENS (Hg.), Die Deutschen und ihre östlichen Nachbarn, Bd. 2: Deutsche und Polen. O. O. [Vorwort: Dillingen, München], 1989 (Akademiebericht 141), S. 19-35, hier S. 30. DERS. : Schlesiens Trennung von Polen und Anschluß an Böhmen im Mittelalter. In: Zeitschrift für Ostforschung 27 (1978), S. 262-274. - DERS.: Stellung und Rolle Schlesiens in der deutschen und europäischen Geschichte. In: HANS ROTHE (Hg.), Ostdeutsche Geschichts- und Kulturlandschaften, Teil 1: Schlesien. Köln, Wien 1987 (Studien zum Deutschtum im Osten 19/1), S. 1-22.
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Davon handelte bereits eingehend czasy. Warszawa 21997 ['1975].
BENEDYKT ZIENTARA:
Henryk Brodaty i jego
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zum Heiligen Römischen Reich10 gehört habe, seien die schlesischen Fürstentümer infolge der Lehensauftragungen und der im Jahr 1348 von Karl IV. vorgenommenen Inkorporation der Gebiete in die Krone Böhmens nicht nur böhmische Kronlehen, sondern auch mittelbare (mediate) Lehen jenes Reichs und damit ein Teil Deutschlands geworden11. Bemerkenswert ist die immense Bedeutung, die der in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts entstandenen, lockeren und durchaus fragilen Lehensverbindung Schlesiens mit dem Alten Reich von der Historiographie zugemessen wurde, die unermüdlich auf den Eintritt Schlesiens nach .Deutschland' verwies. Wieder wurde ein kausaler Zusammenhang zwischen der Erstarkung des .Deutschtums' und der politisch-rechtlichen Annäherung Schlesiens an das Reich konstruiert. In der Phantasie von Erich Randt, welche die politische12 und dynastische Organisation und Struktur des spätmittelalterlichen Piastenstates offenbar ausklammerte, war ein in Schlesien herrschendes nationales und kulturelles deutsches Bewußtsein ausschlaggebend, waren es „seelische, kulturelle, volkliche Beweggründe [...] gewiß nicht nur in den Herzen der oberschlesischen Dutzendfürsten, sondern auch in den Herzen ihrer [...] Untertanen", für welche „das Aufgehen im deutschen Kultur- und Sprachkreis das erstrebenswerteste Ziel" 13 gewesen war und die deswegen den Anschluß an Böhmen vollzogen hätten. Die Zeitgenossen des Spätmittelalters hingegen haben eine neugewonnene Zugehörigkeit Schlesiens zum Heiligen Römischen Reich zunächst kaum registriert, und es dauerte fast ein Jahrhundert, bis sich konkrete historische Auswirkungen dieses Vorgangs abzeichneten: Eine erste solche Konsequenz ist vielleicht die Verlegung eines Reichstags des Heiligen Römischen Reichs im Jahr 1420 nach Breslau durch Kaiser Sigismund, die ohne die Gewißheit der Zeitgenossen, daß Schlesien Reichsgebiet sei, nicht vorstellbar ist14.
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Zur historischen Problematik als solcher JAROSLAV PÄNEK: Der böhmische Staat und das Reich in der Frühen Neuzeit. In: VOLKER PRESS (Hg.), Alternativen zur Reichsverfassung in der Frühen Neuzeit? München 1995 (Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 23), S. 169-178. Vgl. M. WEBER: Das Verhältnis (wie Anm. 1), S. 24-30; der Sachverhalt wurde bereits behandelt von FELIX RACHFAHL: Die Gesamtstaatsverwaltung Schlesiens vor dem dreissigjährigen Kriege. Leipzig 1894 (Staats- und social wissenschaftliche Forschungen 13 Heft 1), S. 40, 134 f. Zu politischen Implikationen der Lehensauftragungen an Böhmen KAZIMIERZ ORZECHOWSKI: Lenna zaleinosd kziazat slgskich od czech w Swietle aktöw Ζ lat 1327, 1329 i 1336. In: Sobötka 2 0 (1965), S. 1 7 - 3 5 .
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E . RANDT: Politische Geschichte (wie A n m . 6), S. 161; vgl. PETER MORAW: D a s
Mittelalter (bis 1469). In: NORBERT CONRADS (Hg.), Schlesien. Deutsche Ge14
schichte im Osten Europas, Berlin 1994, S. 37-176, hier S. 141 und 142. Vgl. ROBERT HOLTZMANN: Der Breslauer Reichstag von 1420. In: Schlesische Geschichtsblätter 1 (1920), S. 1 - 9 . - HEINRICH WENDT: D e r deutsche Reichstag
unter König Sigmund bis zum Ende der Reichskriege gegen die Hussiten
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Die formaljuristische, am wissenschaftlichen Staatsrecht orientierte Argumentation der Historiographie vernachlässigte, daß das Zwischenmächterecht des Mittelalters nur unzureichend mit den Kriterien des modernen Nationen- und Staatsverständnisses beschrieben werden kann. Nicht nur für die mittelalterlichen .Reiche und Territorien' ,im östlichen Mitteleuropa waren mehrschichtige sich gegenseitig überlagernde, feudale, lehensrechtliche oder kirchenrechtliche Bindungen und geteilte Herrschaftsausübungen ganz selbstverständlich. Schlesien - um bei diesem Beispiel zu bleiben - wurde, solchen sich überschneidenden Bindungen Rechnung tragend, im gesamten 13. Jahrhundert weithin Polen zugerechnet, und selbst noch nach der Lehensanbindung an Böhmen wurde das Land von inner- wie außerschlesischen Urkunden, vom Heiligen Stuhl und sogar von vielen von der böhmischen Kanzlei in Prag ausgefertigten Urkunden sowie in der Chronistik bis in das 15. Jahrhundert hinein noch als Teil von „Polonia" erwähnt15. Die Lösung Schlesiens von Polen und genauso der Übergang an Böhmen war ein im Ergebnis nicht festgelegter, sich allmählich auf verschiedenen Ebenen konsolidierender Prozeß: Für die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts ist von einer Lockerung der Verbindungen mit Polen auszugehen, für die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts von einer mehrdeutigen lehensrechtlichen Zugehörigkeit zu Böhmen und einer gleichzeitigen historisch-traditionalen Zuordnung zu Polen und danach erst von einer konsolidierten Zugehörigkeit zu Böhmen. Eine solche de facto bestehende doppelte Zugehörigkeit Schlesiens stellt für die keineswegs in staatsrechtlichen Strukturen denkenden, sondern in unterschiedlichen Hierarchien und Strukturen (kirchliche, patrimoniale, dynastische, lehensrechtliche) gleichzeitig eingebundenen Zeitgenossen des Mittelalters keinen Widerspruch dar, sondern war eine Selbstverständlichkeit; deshalb wird die Polonia-Zuordnung auch von der böhmischen Kanzlei in Prag, der wohlorganisierten Hüterin der Prärogativen der böhmischen Krone, nicht in Frage gestellt. Die Historiographie hingegen hat sich der Problematik mehrerer gleichzeitig bestehender Bindungen Schlesiens im Mittelalter bisher nur unzureichend gestellt16.
1410-1431. Breslau 1889 (Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte 30). 15
Vgl. MATTHIAS WEBER: D i e Z u o r d n u n g Schlesiens zu „ P o l o n i a " in Quellen d e s
13. und 14. Jahrhunderts. In: DERS. (Hg.), Deutschlands Osten - Polens Westen. Vergleichende Studien zur geschichtlichen Landeskunde. Frankfurt am Main u.a., 2001 (Mitteleuropa-Osteuropa. Oldenburger Beiträge zur Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas 2), S. 175-193. 16
H i n z u w e i s e n ist auf die A u s f ü h r u n g e n von WINFRIED IRGANG: Oberschlesien im
Mittelalter. Einführung in Raum und Zeit. In: Thomas Wünsch (Hg.), Oberschlesien im späten Mittelalter. Eine Region im Spannungsfeld zwischen Polen, Böhmen-Mähren ünd dem Reich vom 13. bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts, Berlin 1993 (Tagungsreihe der Stiftung Haus Oberschlesien 1), S. 11-32, hier, S. 30-32. - ROMAN HECK: Die Verbindungen Schlesiens mit Polen im 14. und 15. Jahrhundert. In: Die Rolle Schlesiens und Pommerns in der Geschichte der
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Der Übergang der Regierungsgewalt über das Königreich Böhmen und seine Nebenländer mit Schlesien von der polnisch-böhmischen Dynastie Jagiello an die .deutsche' Dynastie Habsburg im Jahr 1526 bildete seit Karl Adolph Menzels (1784-1855) 1807 bis 1810 erschienener „Geschichte Schlesiens" für die Geschichtsschreibung eine weitere Hauptzäsur, welche mit dem Eintritt des Landes in die Frühe Neuzeit gleichgesetzt wurde. Die von Karl Adolph Menzel, später die von Colmar Grünhagen (1884, 1886) und der Historischen Kommission für Schlesien (1938, 1973) herausgegebenen Gesamtdarstellungen der Geschichte Schlesiens widmen jeweils der Habsburgerzeit Schlesiens zwischen 1526 und 1740 einen eigenen zweiten17 Band. Hintergrund dieser weiteren Zäsurbildung war die Feststellung, daß Schlesien nun endlich unter das Szepter eines „deutschen Fürstenhauses" gekommen war und die slawische Jagiellonendynastie abgeschüttelt hatte, so daß, wie es der nationalliberale Historiker Grünhagen (1828-1911) in der Einleitung seines zweiten 1884 erschienenen Bandes der Geschichte Schlesiens formulierte, nun „die nationale Frage, welche die gesamte mittelalterliche Geschichte dieses Landes beherrscht [hatte], zugunsten des Deutschtums entschieden"18 worden war. Nach Colmar Grünhagen19, eine der profiliertesten Persönlichkeiten der historischen Schlesienforschung des 19. Jahrhunderts, war die mittelalterliche Geschichte Schlesiens bis 1526 von dem Ringen des Landes um das „Deutschtum" geprägt gewesen, so daß Grünhagen den Mittelalterband seiner Gesamtdarstellung nach der nationalen und dynastischen Zuordnung der über und in Schlesien regierenden Herrscher gegliedert hatte. In der Zeit nach 1526, in welcher die böhmische Krone im Besitz Habsburgs verblieb, entwickelte Grünhagen hingegen die Landesgeschichte Schlesiens im Gravitationsfeld Brandenburg-
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deutsch-polnischen Beziehungen im Mittelalter, Braunschweig 1980 (Schriftenreihe des Georg-Eckert-Instituts für internationale Schulbuchforschung 22/111), S. 71-88. KARL ADOLPH MENZEL: Geschichte Schlesiens. Erster Band, welcher die Geschichte von den ältesten Zeiten bis 1526 begreift; Zweiter Band, welcher die Geschichte von 1526 bis 1740 begreift; Dritter Band, welcher die Geschichte von 1740 bis auf unsere Zeiten enthält. Breslau o. J. [1807-1810]. - COLMAR GRÜNHAGEN: Geschichte Schlesiens. Erster Band: Bis zum Eintritt der habsburgischen Herrschaft 1527; Zweiter Band: Bis zur Vereinigung mit Preussen (1527 bis 1740), Gotha 1884-1886; Historische Kommission für Schlesien unter Leitung von Hermann Aubin, Geschichte Schlesiens, Band 2: Die Habsburger Zeit 1526-1740. Sigmaringen 21988 [Ί973], C. GRÜNHAGEN: Geschichte Schlesiens 2 (wie Anm. 17), S. 3. Zu Colmar Grünhagen jetzt PETER BAUMGART: Colmar Grünhagen (1828-1911). Ein nationalliberaler Historiker Schlesiens in Zweiten Kaiserreich. In: WEBER/ RABE (Hg.), Silesiographia (wie Anm. 5); S. 47-68.
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Preußens, so daß die Epoche zwischen 1526 und 1740 als eine Vorgeschichte „bis zur Vereinigung mit Preussen (1527 bis 1740)"20 dargestellt ist. So wird in Grünhagens ausgesprochen borussophiler Sichtweise der nach 1740 geschehene Übergang Schlesiens an Preußen zu einer fast zwingenden oder zumindest logischen Konsequenz des Geschichtsverlaufs der vorhergegangenen Jahrhunderte. Dabei war Grünhagen in einer Weise von der borussischen Geschichtsmächtigkeit fasziniert und offenbar auch von der Argumentation der im Folgenden noch vorzustellenden preußischen Kriegspropaganda von 1741 beeinflußt, daß er den zweiten 1886 erschienenen Band seiner „Geschichte Schlesiens" mit einer kapitalen Fehlaussage über Schlesiens Stellung zum Heiligen Römischen Reich (das von Grünhagen als kaum zur nationalen Identifikation geeignetes föderales Gebilde weniger geschätzt wurde) einleitet, indem er ausführt: „Ohne mit dem deutschen Reiche [gemeint ist das Heilige Römische Reich Deutscher Nation] rechtlich verbunden zu sein, empfängt es doch von dessen Schicksalen die bestimmenden Einflüsse seiner Entwickelung"21; gerade in der hier angesprochenen rechtlichen Hinsicht bestand bis 1740 eine ganz eindeutige und auch folgenschwere Lehensbindung zwischen Schlesien und dem Alten Reich, die dem Mitherausgeber der „Lehns- und Besitzurkunden Schlesiens" keinesfalls unbekannt sein konnte22; es handelt sich um das bereits erwähnte über das Königreich Böhmen vermittelte mediate Lehensverhältnis, das im Spätmittelalter angelegt worden ist. Die von Colmar Grünhagen maßgeblich begründete borussische Geschichtsinterpretation der schlesischen Geschichte prägte die Themen späterer Forschergenerationen und ganz wesentlich auch spätere Geschichtsbilder, deren Wirkung bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts reichen. So wurde die hier anhand weniger hervorgehobener historiographischer Beispiele erläuterte Rückprojektion ethnisch-nationaler Kriterien und Fragestellungen auf das Mittelalter und auf die Frühe Neuzeit symptomatisch für einen erheblichen Teil der wissenschaftlichen Aufsatzliteratur des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die entsprechende Probleme in allen landesgeschichtlichen Facetten bearbeitete, die sich aus historischen und kulturellen Beziehungen ergeben können23, dabei 20
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Bd. 1 von Grünhagens Geschichte Schlesiens (siehe Anm. 16) ist wie folgt gegliedert: Erstes Buch: Schlesien unter polnischer Herrschaft bis 1201; Zweites Buch: Schlesien unter selbständigen Herzögen 1201-1327; Drittes Buch: Schlesien unter Königen aus dem Stamme der Luxenburger[!] 1327-1437; Viertes Buch: Schlesien unter Fürsten aus verschiedenen Häusern vornehmlich nichtdeutscher Abkunft 1437-1525. C. GRÜNHAGEN: Geschichte Schlesiens 2 (wie Anm. 17), S. 3. COLMAR GRÜNHAGEN, HERMANN MARKGRAF (Hg.): Lehns- und Besitzurkunden Schlesiens und seiner einzelnen Fürstenthümer im Mittelalter. 2 Teile 1881-1888 (Publicationen aus den k. preußischen Staatsarchiven 7 und 16) [Neudr. Osnabrück 1965], Als Beispiel COLMAR GRÜNHAGEN: Breslau unter den Piasten als deutsches Gemeinwesen. Breslau 1861. - HERMANN FREYMARK: Schlesiens Wirtschaft -
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und hieraus resultiert die eigentliche Problematik - wurden die entsprechenden Aspekte der slawischen, polnischen und tschechischen Kultur und Geschichte und die Beziehungen Schlesiens insbesondere zu Polen nicht selten ausgeblendet. In den in der Mitte der neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts erschienenen Gesamtdarstellungen schlägt sich das mittlerweile veränderte Erkenntnisinteresse der Historiographie nieder. In der 1996 vorgelegten historischen Übersicht von Joachim Bahlcke wird eine neue Grundproblematik der frühneuzeitlichen Geschichte Schlesiens und anderer Territorien im östlichen Mitteleuropa in den Mittelpunkt gestellt, indem die spezifischen ständischen Strukturen problematisiert und herausgearbeitet werden. Die Geschichtszäsur von 1526 wird zwar beibehalten, jedoch wird dem Herrschaftsantritt Habsburgs nunmehr eine primär innenpolitische Bedeutung zugeschrieben, und zwar als Beginn des „Dualismus zwischen Ständeherrschaft und Königsmacht1,24 in Schlesien und des Widerstreits zwischen Regionalismus und Staatsintegration im Königreich Böhmen insgesamt25. Wenig später wählte Norbert Conrads erstmals ein neues Jahresdatum zur Gliederung der Epochen. Unter Berücksichtigung der Tatsache, daß sich in Schlesien bereits im 15. Jahrhundert Symptome neuzeitlicher Reformen etwa im Zuge der Herausbildung einer Landesorganisation, einer Modernisierung der Verwaltung und auch gesellschaftliche Veränderungen andeuten, hielt Conrads die überkommene Zäsur von 1526 aus neuerer „europäischer und strukturgeschichtlicher Sicht" generell für „nicht überzeugend". Conrads erweiterte Schlesiens frühe Neuzeit in das 15. Jahrhundert um einen „Aufbruch in die Moderae" (1469-1526)"26 und verließ damit die starre, dynastiegeschichtiich auf das Jahr 1526 fixierte Geschichtsgliederung.
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eine deutsche Überlebensfrage. Breslau 1927 (Schriften der Industrie- und Handelskammer Breslau 19). - Vgl. ferner die Literaturangaben in den unten folgenden Anmerkungen. JOACHIM BAHLCKE: Die Geschichte der schlesischen Territorien von den Anfängen bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. In: DERS. (Hg.), Schlesien und die Schlesien München 1996 (Studienbuchreihe der Stiftung Ostdeutscher Kulturrat 7), S. 46-73, hier das Kapitel 3: „Der Dualismus zwischen Ständeherrschaft und Königsmacht: Schlesien unter dem Hause Habsburg (1526-1740)"; zur Ständeproblematik insbesondere auch NORBERT CONRADS: Regionalismus und Zentralismus im schlesischen Ständestaat. In: HUGO WECZERKA (Hg.), Stände und Landesherrschaft in Ostmitteleuropa in der frühen Neuzeit, Marburg/Lahn 1995 (Historische und Landeskundliche Ostmitteleuropa-Studien 16), S. 159-170. JOACHIM BAHLCKE: Regionalismus und Staatsintergration im Widerstreit. Die Länder der Böhmischen Krone im ersten Jahrhundert der Habsburgerherrschaft (1526-1619). München 1994 (Schriften des Bundesinstituts für ostdeutsche Kultur und Geschichte 3). NORBERT CONRADS: Schlesiens Frühe Neuzeit (1469-1740). In: DERS. (Hg.), Schlesien. Deutsche Geschichte im Osten Europas. Berlin 1994, S. 178-344.
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3. Zeitgeschehen und historische Argumentation Präsentismus in der Historiographie Die Ausrichtung der deutschen landeskundlichen Schlesienhistoriographie auf die geschichtlichen Reichsbeziehungen läßt sich bis in die humanistische, teils protonational geprägte schlesische Chronistik der Frühen Neuzeit zurückverfolgen27, welche auf die spätere Historiographie präformierend wirkte. Außer in Chroniken wurde die Thematik .Schlesien und das Reich' in der Historiographie ebenso wie in der geschichtlichen Rechtswissenschaft und auch in der breiteren Öffentlichkeit immer dann diskutiert, wenn der innere oder äußere Status des Landes infolge konfessioneller und/oder politischer Spannungen zwischen Landesherrn und Ständen im 16. und 17. Jahrhundert, infolge kriegerischer Ereignisse oder vertraglicher Übereinkünfte zwischen Österreich und Preußen im 18. Jahrhundert oder zwischen Deutschland und Polen im 20. Jahrhundert tangiert wurde. In diesen Diskussionen wurden die gegensätzlichsten Standpunkte vertreten, deren Rezeption zu einer Verunsicherung auch in der neueren Historiographie führte. Diese war angesichts der bis in die frühe Neuzeit zurückreichenden Zweckargumentationen in der Frage der Zugehörigkeit Schlesiens zum Reich durchaus unsicher28. Die Habsburger selbst nahmen als Könige von Böhmen und oberste Landesherzöge über Schlesien bei der Beurteilung der Stellung Schlesiens zum Reich wechselnde Positionen ein, und zwar immer diejenigen, die in der jeweils aktuellen innen- oder außenpolitischen Situation für den Landesherrn vorteilhaft schien. Ging es um die Abführung von Reichssteuern für Schlesien, um die Zuständigkeit des Reichskammergerichts für Schlesien oder um das Reformationsrecht der schlesischen Piasten, dann wurde das Land in großer Reichsferne gesehen, um die sich aus einer Reichszugehörigkeit ergebenden fiskalischen Forderungen, um judikative Eingriffe oder um die Auswirkungen unbequemer Reichsgesetze auf Schlesien abwehren zu können. So verweigerte König Ferdinand I. von Böhmen mit entsprechender Argumentation die Entrichtung der Reichssteuern für Schlesien und teilte auf dem Reichstag von 1548 mit, daß Reichssteuern allein für „die Stände deß Reichs Teutscher Nation / so sich deß H[eiligen], Reichs Schutz und Schirm / auch Fried und Rechtens erfrewen", bezahlt werden müßten. Schlesien aber habe „vom Römischen Reich weder Schutz und Schirm / Fried noch Recht", sondern sei „von dem Reich Teutscher Nation in ein ander Reich und Nation von Alters hero abgesondert"29.
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Vgl. hierzu ausführlich M. WEBER: Zur Konzeption (wie Anm. 5). Vgl. hierzu ausführlich M. WEBER: Das Verhältnis (wie Anm. 1), S. 7-11. „Extract ex Actis deß zu Augspurg gehaltenen Reichs-Tags im Jahr 1548, das Königreich Böhmen betreffendt", abgedruckt bei MELCHIOR GOLDAST VON HAIMINSFELD: Zwey Rechtliche Bedencken Von der Succession und Erbfolge deß Königlichen Geschlechtes und Stamms in beyden Königreichen Hungarn und Böheim [...]. Frankfurt am Main 1627, 265 f.
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Umgekehrt, mit Betonung der Reichzugehörigkeit - argumentierten die im 16. und 17. Jahrhundert unter gegenreformatorischem Druck stehenden protestantischen Fürsten und Stände Schlesiens, um den Schutz des Augsburger Religionsfriedens von 1555 in Anspruch zu nehmen oder um die in den Westfälischen Friedensvertrag von 1648 eigens für Schlesien aufgenommenen Religionsartikel möglichst weit zu ihren Gunsten auszulegen, um so in den Genuß des ius reformandi der freien Reichsstände zu gelangen. Heftig wurde eine akademische Auseinandersetzung über den Status Schlesiens nach dem preußischen Überfall im Jahr 1740 geführt, als von preußischer Seite eine Reihe von juristisch argumentierenden Deduktionen verbreitet wurde, in denen dargelegt wurde, daß Schlesien niemals zum Alten Reich gehört habe. Für Preußen wäre ein solcher Sachverhalt günstig gewesen, denn der Nachweis der Nichtzugehörigkeit hätte bedeutet, daß die juristischen Voraussetzungen für den von Maria Theresia geforderten allgemeinen Reichskrieg gegen Preußen fehlten. Die habsburgische Landesherrin hielt dagegen und betonte (ganz anders als ihre Vorgänger) nun die jahrhundertalte Zugehörigkeit Schlesiens zum Römischen Reich, um das Vorliegen der für die Proklamation des Reichsdefensionsfalles notwendigen formalrechtlichen Voraussetzungen zu unterstreichen30. Der Jurist Johann Peter von Ludewig (1668-1743) publizierte noch im Jahr 1740 auf Wunsch König Friedrichs II. von Preußen eine Schrift mit dem Titel „Rechtsgegründetes / Eigenthum / Des Königlichen Chur-Hauses / Preussen und Brandenburg / Auf die Hertzogthümer und Fürstenthümer / Jägerndorff, Liegnitz / Brieg, Wohlau" 31 . Darin wurde die preußische Besitznahme Schlesiens unter anderem aus einer 1537 abgeschlossenen liegnitzisch-brandenburgischen Erbverbrüderung zwischen den schlesischen Piasten und den Hohenzollern legitimiert. Ferner wurde die Existenz preußischer Besitzansprüche deduziert, die während der Regierungszeit der Hohenzollern in einigen schlesischen Territorien während des 16. Jahrhunderts entstanden seien. Eine weitere ähnlich argumentierende Deduktion wurde von dem preußischen Minister Samuel Freiherr von Cocceji (1679-1755) vorgelegt32. Österreichischerseits wurden
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Zahlreiche propagandistische Schriften sind abgedruckt in der zeitgenössischen Quellensammlung: Gesamlete Nachrichten Und Documente Den gegenwärtigen Zustand des Hertzogthums Schlesiens betreffend. Erstes Stück O. O. 1741, hier S. 27-80. JOHANN PETER VON LUDEWIG: Rechtsgegründetes / Eigenthum / Des Königlichen Chur-Hauses / Preussen und Brandenburg / Auf die Hertzogthümer und Fürstenthümer / Jägerndoff, Liegnitz / Brieg, Wohlau / und zugehörige Herrschafften / in Schlesien. / Im Jahr 1740. Die Schrift trägt den Titel: „Nähere Ausführung des in denen natürlichen und Reichs-Rechten gegründeten Eigenthums des Königl. Chur-Hauses Preussen und Brandenburg auf die Schlesische Hertzogthümer Jägerndorff, Liegnitz, Brieg, Wohlau etc. und zugehörige Herrschafften", diese Schrift ist abgedruckt in: Gesamiete Nachrichten Und Documente (wie Anm. 30). Drittes Stück 1741, S. 163-207.
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diese (und noch andere) preußische Propagandaschriften mit entsprechenden ,Gegen-Informationen' 33 widerlegt. Die hier ausgebreiteten Zweckargumentationen hatten zwar auf den militärischen Verlauf der preußisch-österreichischen Kriege keinen Einfluß, entfalteten jedoch historiographiegeschichtlich beträchtliche Wirkung, da sie von der nationalstaatlich orientierten Landesgeschichtsschreibung des 19.34 wie von der in Teilen politisierten Historiographie des 20. Jahrhunderts mitunter unreflektiert übernommen und dabei dem jeweils aktuellen Zeitgeist angepaßt wurden. Am Beispiel der genannten Erbverbrüderung von 1537 zwischen Herzog Friedrich II. von Liegnitz und dem Kurfürsten Joachim von Brandenburg, welche seinerzeit in erster Linie der Standeserhöhung der Liegnitz-Brieger Piasten und deren Herrschaftskonsolidierung dienen sollte, sei dies erläutert. Die 1741 erschienenen preußischen Propagandaschriften postulierten, daß der 1537 geschlossene Vertrag auch noch im 18. Jahrhundert eine rechtskräftige Anwartschaft der Hohenzollern auf schlesische Gebiete begründen würde. Diese Anwartschaft hätte - dem borussischen Standpunkt zufolge - eigentlich schon nach dem Tod des letzten Liegnitz-Brieger Piastenherzogs im Jahr 1675 wirksam werden und zum Übergang der Fürstentümer Liegnitz, Brieg und Wohlau an Brandenburg führen müssen, was jedoch vom böhmischen König beziehungsweise vom Kaiser widerrechtlicher Weise verhindert worden sei. Die von König Ferdinand I. von Böhmen bereits im Jahr 1546 vollzogene Annullierung der Erbverbrüderung sei illegal und deshalb juristisch wirkungslos gewesen35, und,
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Autor und Einzeldruck dieser Schrift: HERMANN LORENZ VON KANNEGIESSER: Acten-mäßige und Rechtliche Gegen-Information Über das ohnlängst in Vorschein gekommene sogenamite Rechts-gegriindete Eigenthum Des Chur-Hauses Brandenburg Auf die Hertzogthümer und Fürstenthümer Jägerndorff, Liegnitz, Brieg, Wohlau Und zugehörige Herrschafften in Schlesien. Anno 1741; diese Schrift ist abgedruckt in: Gesamlete Nachrichten Und Documente (Anm. 29). Viertes Stück 1741, S. 243-275; ferner: Kurtze Beantwortung Der ferner zum Vorschein gekommenen Chur-Brandenburgischen Nähern Ausführung Des In denen Natürl. und Reichs-Rechten gegründeten Eigenthums Des Königlichen Chur-Hauses Preußen und Brandenburg Auf die Schlesische Hertzogthümer Jägerndorff / Liegnitz / Brieg / Wohlau Und Zugehörige Herrschafften. Anno 1741.
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Als Beispiel EDUARD SAUER: Zur Säkularfeier des Hubertusburger Friedens. In: Schlesische Provinzialblätter, Bd. 2 NF (1863), S. 76-80, hier S. 77, gibt das bereits 1740 geäußerte Propagandaargument wider, daß der Siebenjährige Krieg „keinen anderen Charakter als den eines Landfriedensbruches und einer deshalb von Reichs wegen über den Schuldigen verhängten Execution" habe. Zur Erbverbrüderung von 1537 allgemein siehe WERNER BEIN: Schlesien in der habsburgischen Politik. Ein Beitrag zur Entstehung des Dualismus im Alten Reich, Sigmaringen 1994 (Quellen und Darstellungen zur schlesischen Geschichte 26), S. 78-83. - A. SAMMTER: Chronik von Liegnitz, 2. Theil, 1. Abteilung (von 1455-1547), Liegnitz 1868, S. 184-202. - COLMAR GRÜNHAGEN: Die Erbverbrüderung zwischen Hohenzollern und Piasten vom Jahre 1537. In: Zeitschrift für Preußische Geschichte und Landeskunde 5 (1868), S. 337-366.
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so wurde im 18. und 19. Jahrhundert argumentiert, „blos Zeitumstände haben es [das Haus Hohenzollern] daran gehindert, die Gerechtsame der Welt vorzulegen und ihre Gültigkeit zu vollziehen"36. Die Kontinuität dieser Argumentationskette wird anläßlich des vierhundertsten Jahrestages der Erbverbrüderung deutlich, als im Jahr 1937 in Liegnitz eine Gedenkfeier abgehalten wurde. Den Festvortrag hielt der schlesische Landeshistoriker Theodor Schönborn, der darin - ganz der Argumentation des 18. Jahrhunderts verhaftet - ausführte, daß die Erbverbrüderung zwischen den LiegnitzBrieger Piasten und Kurbrandenburg „den Weg zu der künftigen Angliederung Schlesiens an den Preußischen Staat" gebahnt und somit die „Rechtsgrundlage" für die preußische Inbesitznahme Schlesiens dargestellt habe37. Noch im Jahr 1965 verbreitete der Kirchenhistoriker Gerhard Hultsch (1911-1992) die Ansicht, daß es die alten preußischen Rechtsansprüche auf Schlesien gewesen seien, die den „Anlaß" 38 für die drei Schlesischen Kriege zwischen 1740 und 1763 gebildet hätten, zumal diese Ansprüche bereits 1675 rechtskräftig und wirksam geworden seien. Weitere analoge Zusammenhänge zwischen politischem Zeitgeschehen und historischer Argumentation lassen sich verstärkt in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts feststellen. Kurz nach dem Versailler Vertrag, in dessen Folge Teile Oberschlesiens an Polen abgetreten wurden, erschienen nicht nur zahlreiche heimatgeschichtliche Schriften, die den Gebietsverlust beklagten, sondern auch wissenschaftliche Abhandlungen, welche die „engen kulturellen und staatsrechtlichen Beziehungen [Schlesiens] zum Deutschen Reiche" im Mittelalter und in späterer Zeit zu Preußen39 betonten und das Deutschtum Schlesiens als geschichtsmächtige Haupttriebkraft für den mittelalterlichen Anschluß des Landes
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HEINRICH WENDT: Hohenzollern, Piasten und Polen. In: Schlesische Geschichtsblätter ( 1 9 1 7 ) Nr. 3, S. 4 9 - 5 5 , hier S. 5 5 , das Zitat aus einer Schrift des Jahres 1793 von CHRISTIAN EHRENFRIED HEDERICH: Etwas über die Preußische Besiznehmungen einiger Länder in Pohlen. In: Schlesische Provinzialblätter 7 ( 1 7 9 3 ) , S. 1 - 5 . THEODOR SCHÖNBORN: Die Liegnitzer Erbverbrüderung von 1537. Vortrag von Dr. Schönborn zur 400-Jahr-Feier des Vertragsabschlusses im Rahmen der 2. Liegnitzer Kulturwoche am 30. Oktober 1937. In: Mitteilungen des Geschichtsund Altertumsvereins zu Liegnitz 16 (1936-1938), S. 208-218, hier S. 208. GERHARD HULTSCH: Schlesien. Eichblatt mit der Oder als Rippe. Landschaft, Geschichte und Wirtschaftskraft der ehemaligen preußischen Provinz, ο. Ο u. J. [1965], S. 9; Sonderdruck des Artikels mit identischem Titel in „Frankfurter Allgemeine Zeitung" vom 30. Oktober 1965. HANS HEINRICH SCHNEE: Das Verhältnis Schlesiens zum Deutschen Reiche von 1648 bis 1806. Masch. Diss. 1923; das Zitataus DERS.: Das Verhältnis Schlesiens zum Deutschen Reiche im Zeitalter Friedrichs des Großen. In: Zeitschrift des Vereins für Geschichte Schlesiens 65 (1931), S. 412-429, hier S. 412. - Oberschlesien. Ein Land deutscher Kultur. Gleiwitz 1921.
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an Böhmen herausstellten 40 , um den deutschen Anspruch auf ganz Oberschlesien zu bekräftigen. Daß das Königreich Böhmen unter Johann von Luxemburg und Karl IV. ein ganz und gar deutsch geprägtes Gebiet des .deutschen Kaiserreichs' gewesen war, wurde als so selbstverständlich vorausgesetzt, daß es nicht weiter problematisiert wurde. Wiederum in zeitgeschichtlichem, aktuellem Kontext stehende Arbeiten über Böhmen und Schlesien, in welchen diese Länder ausschließlich als historische Teile Deutschlands beschrieben und - unter Weiterführung der nationalsozialistischen Ideologie und Rassenlehre - die engen Bindungen Schlesiens und Böhmens an das Heilige Römische Reich überzeichnet wurden, erschienen nach dem Einmarsch deutscher Truppen in die Tschechoslowakei und nach dem Überfall des Deutschen Reichs auf Polen; die Diskussion über „staatsrechtliche" Zugehörigkeiten einzelner schlesischer Gebiete griff nun immer weiter in die Geschichte zurück, teils bis in das 10. und 11. Jahrhundert, vor allem um polnischen Geschichtsdarstellungen entgegenzutreten, nach welchen einst „Schlesien sein Dasein der Abgrenzung eines Verwaltungsgebiets durch die polnische Staatsverwaltung zu danken" gehabt hätte 41 . Der Historiker Heinz Zatschek (15)01-1965) betonte in einem im Juli 1940 veröffentlichten Aufsatz mit dem Titel „Böhmen - ein Teil Deutschlands", daß das Königreich Böhmen „während des ganzen Mittelalters und lange darüber hinaus ein Teil des Ersten Reiches der Deutschen [gemeint ist das Heilige Römische Reich] gewesen sei" und „nur als Teil des Reiches das werden konnte, was es heute ist", denn „das tschechische Volk [sei] [...] ohne Hilfe der Deutschen zu Hochleistungen nicht befähigt" gewesen 42 . Das nationalsozialistische Schrifttum von Historikern über das östliche Mitteleuropa und die Beteiligung der deutschen und auch der schlesischen Geschichtswissenschaft am „Volkstumskampf" im Osten ist jüngst mehrfach thematisiert worden 43 ; Germanenmythos und übersteigerte Ostraumphantasien
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Die Stellung Schlesiens zum Deutschen Reich im Mittelalter. Berlin 1924 (Historische Studien 159). FEDOR VON HEYDEBRAND U. D. LASA: Die staatsrechtliche Stellung des „comes Magnus Wratislawiensis" in Jahre 1093. In: Zeitschrift des Vereins für Geschichte Schlesiens 74 (1941), S. 19-68, hier S. 19. HEINZ ZATSCHEK: Böhmen - ein Teil Deutschlands. In: Ostland. Monatsschrift für Ostpolitik, 21. Jg. Nr. 14 (15. Juli 1940), S. 338-341. Vgl. außer den weiterführenden Literaturangaben in den in Anm. 5 genannten Beiträgen jetzt INGO HAAR: Historiker im Nationalsozialismus. Deutsche Geschichtswissenschaft und der „Volkstumskampf" im Osten. Göttingen 2000 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 143). - MARTIN BURKERT: Die Ostwissenschaften im Dritten Reich Teil I: 1933-1939. Wiesbaden 2000 (Forschungen zur osteuropäischen Geschichte 55). - Ferner das der Thematik „Ostforschung" gewidmete Heft Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung 46/3 (1997). - JÖRG HACKMANN: „An einem neuen Anfang der Ostforschung". Bruch und Kontinuität in der ostdeutschen Landeshistorie nach dem Zweiten Weltkrieg. ALRED KUTSCHA:
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Vergangenheit
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wirkten sich auch auf die schlesische Geschichtsdarstellung aus, die zunehmend vom völkischen Prinzip und von einer mit diesem einhergehenden Betonung der Verbundenheit Schlesiens und weiterer Gebiete im östlichen Mitteleuropa mit der deutschen Geschichte dominiert wurde. Ingo Haar44 hat jüngst dargelegt, daß sich auch schlesische Landeshistoriker mit ihrem fachlichen Rat an der aktuell anstehenden politisch-militärischen Politik der ,Lebensraumerweiterung' im Osten aktiv beteiligten und als Beispiel die breit angelegte „Bevölkerungsuntersuchung" geschildert, die 1939 durch den „Berliner Arbeitskreis" vorgenommen wurde, zu dem Hermann Aubin (1885-1969), Walter Kuhn (19031983), Ludwig Petry (1908-1991), Ernst Birke (1908-1980) und noch andere gehörten. In diesem Kreis war man der Überzeugung, daß die polnische Bevölkerung nicht nur für die „Entdeutschung" der ehemaligen preußischen Ostgebiete, sondern auch für die über Jahrhunderte anhaltende Assimilierung der mittelalterlichen deutschen Kolonisten in Polen zur Rechenschaft zu ziehen sei. In einer entsprechenden historisch argumentierenden Denkschrift, die im September 1939 unter anderem der deutsch-sowjetischen Grenzziehungskommission übermittelt wurde, arbeitete Walter Kuhn unter Einbeziehung sämtlicher mittelalterlicher Reste deutscher Dörfer eine vorgeschobene Linie heraus, hinter welche eine künftige deutsche Grenze nicht zurückfallen dürfe. Ein spezielles 1943 erschienenes „Quellenbuch zur Siedlung und Geschichte der Germanen im böhmisch-mährischen, schlesischen und Karpathenraume", welches Auszüge aus Quellen der klassischen Antike enthielt, sollte die bis in die Urzeit zurückreichende germanische respektive deutsche Prägung der genannten Gebiete wissenschaftlich unter Beweis stellen45. Auch nach 1945 spielten die historischen Beziehungen Schlesiens vor allem zum Heiligen Römischen Reich ebenso wie zum preußischen Gesamtstaat wiederum eine wichtige Rolle. Angesichts des Erlebnisses von Flucht, Vertreibung und Aussiedlung der Deutschen aus Schlesien kam nun eine romantisierende, die Vergangenheit verklärende Perspektive hinzu, welche vor allem die kulturgeschichtliche Bedeutung Schlesiens unterstrich46. So wurde die Entwicklung
44 45
46
In: Westfälische Forschungen 46 (1996), S. 232-258. - M. WEBER: Zur Genese (wie Anm.5) und DERS., Zur deutschen Historiographie (wie Anm. 5), hier auch zur 1938 erschienenen „Geschichte Schlesiens", Bd. 1 (wie Anm. 6). Vgl. I. HAAR: Historiker im Nationalsozialismus (wie Anm. 43), S. 328-332. THEODOR HOPFNER (Hg.): Griechisch-lateinisch-deutsches Quellenbuch zur Siedlung und Geschichte der Germanen im böhmisch-mährischen, schlesischen und Karpathenraume. Stuttgart, Prag 1943. - ANDERS, JOACHIM: Der Übergang vom polnischen zum deutschen Recht in den Herzogtümern Oppeln, Cosel-Beuthen und Ratibor im 13. und 14. Jahrhundert. Phil. Diss. Greifswald 1940. In zahlreichen Titeln von Veröffentlichungen wird diese Intention deutlich, als Beispiele seien genannt: HANS HELFTRITZ: Die Universität Breslau als Pflegestätte deutschen Geistes. In: Jahrbuch der Schlesischen Friedrich Wilhelms Universität zu Breslau 1 (1955), S. 9-21. - EBERHARD G. SCHULZ (Hg.): Leistung und Schicksal. Abhandlungen und Berichte über die Deutschen im Osten. Köln, Graz
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eines Geschichtsbildes begünstigt, das manche .unbequemen' Themen, Ereignisse und Fragestellungen ausblendete. Offen ausgesprochener oder latent bleibender Hintergrund dieser Ausrichtung der Landesgeschichtsschreibung war wiederum die aktuelle politische Situation nach 1945. Durch die Betonung der engen historischen Beziehungen Schlesiens zum Deutschen Reich und vor allem zur deutschen Kultur sollte nun vor allem die nach dem Potsdamer Abkommen vorgenommene Angliederung Schlesiens an Polen als illegitim herausgearbeitet, und es sollten auch die Werke der mit umgekehrten nationalen und politischen Vorzeichen gleichfalls einseitig argumentierenden polnischen Historiographie zurückgewiesen werden, welche Schlesien als ,altpolnisches' oder gar als .urpolnisches' Gebiet bezeichneten, dessen Heimkehr ins polnische .Mutterland' und dessen .Wiedergewinnung' durch Polen historisch legitimierten47. Während der ersten beiden Nachkriegsjahrzehnte kam es auch in der deutschsprachigen Historiographie gelegentlich zu weit überzogenen Darstellungen. Der bekannte oberschlesische Theologe und Landeshistoriker Emil Brzoska (1909-1993)48, seit 1948 als Dozent, seit 1950 als Professor in Frankfurt am Main tätig, stellte 1953 beispielsweise in einem populär gehaltenen Vortrag fest, „daß Oberschlesien von dem Tag an, an dem es in das Licht der Geschichte getreten ist, etwa im 9. Jahrhundert n. Chr. bis heute immer ein integrierender [!] Bestandteil des abendländisch-deutschen Reiches war", und ein
1967. - GÜNTHER GRUNDMANN: Schlesiens Beitrag zur Geschichte des deutschen Theaterbaus im 18. und 19. Jahrhundert. In: Jahrbuch der Schlesischen Friedrich Wilhelms Universität zu Breslau 15 (1970), S. 242-255. - ALOIS M. KOSLER: Der deutsche Beitrag Oberschlesiens zur Kultur. Augsburg 1972 (Veröffentlichungen der Oberschlesischen Studienhilfe e. V. 34). - HANS ENDEN: Der Beitrag Oberschlesiens zur deutschen Literatur 1800-1945. In: Jahrbuch der Schlesischen Friedrich Wilhelms Universität zu Breslau 78 (1987), S. 239-254. - HUBERT UNVERRICHT: Der Beitrag Schlesiens zur Musik des 19. Jahrhunderts. In: Ostdeutsche Geschichts- und Kulturlandschaften. Teil I: Schlesien. Köln, Wien 1987 (Studien zum Deutschtum im Osten 19/1), S. 179-194. - EBERHARD G. SCHULZ (Hg.): Große Deutsche aus dem Osten. Einblicke und Überblicke zu einer Ausstellung der Stiftung Ostdeutscher Kulturrat. Würzburg 1994. - DERS.: Die Bedeutung der Reformation für die Geschichte Schlesiens und für den Beitrag der Schlesier zur deutschen Kultur. In: Jahrbuch der Schlesischen Friedrich Wilhelms Universität zu Breslau 38/39 (1997/1998), S. 307-322. 47
Insbesondere ging es zunächst um die Zurückweisung der Veröffentlichungen des Posener Westinstituts; beispielhaft sei hier die Reihe „Ziemie Staropolski" genannt; f ü r Schlesien b e s o n d e r s KIRYL SOSNOWSKI, MIECZYSLAW SUCHOCKI
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(Red.): Dolny Slask, Bd. 1. Poznan 1948 (Ziemie Staropolski). Zu Emil Brzoska ausführlich FRANZ HAYDUK: Oberschlesisches Literaturlexikon, Bd. 1, Berlin 1990, S. 48 f.; das Zitat aus der Inhaltsangabe eines wissenschaftlichen Vortrages von EMIL BRZOSKA: Die deutsche Vergangenheit Oberschlesiens. Neue Erkenntnisse über die Uranfänge der politischen Geschichte von Oberschlesien. In: Der Schlesier (1953) Nr. 32, S. 2.
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Jahrzehnt später bekräftigte und präzisierte er seinen Standpunkt in einer wissenschaftlichen Ausarbeitung, indem er ausführte, daß bereits „um die Jahrtausendwende n. Chr. unter den Bewohnern Oberschlesiens das germanisch-deutsche Blutselement durchaus vorherrschte und sich als geschichtsgestaltender Faktor in dem folgenden Jahrtausend bis zur Gegenwart auswies", so daß das Land „von vornherein ein fester Bestandteil [...] des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation" gewesen sei49. In dem bereits erwähnten Aufsatz stilisierte Gerhard Hultsch Schlesien öffentlichkeitswirksam in einem entsprechenden Titelbild als „Eichblatt mit der Oder als Rippe"50. In den fünfziger und sechziger Jahren wurde wieder der spätmittelalterlichen Trennung des Landes von Polen und nun besonders dem formalen Verzicht auf Schlesien, den der polnische König Kasimir der Große geleistet hatte, große Aufmerksamkeit geschenkt, und wieder wurde die Erbverbrüderung von 1537 ins Feld geführt, um ein fortdauerndes Besitzrecht des Deutschen Reiches an Schlesien historisch zu untermauern. Immer wieder wurde betont, der polnische König habe doch 1335 und 1339 feierlich, und zwar „unter Eid", erklärt, daß „Polen keinerlei Ansprüche auf Schlesien habe und niemals haben werde" 51 und daß „die Polenkönige [...] 1335 im Vertrag von Trentschin,unter Handauflegung auf das heilige Evangelium' für ewige Zeiten auf das Land" 52 verzichtet hätten, so daß „von da ab von einem Rechtsanspruch auf Schlesien zugunsten Polens gar keine Rede mehr sein" könne53. Außerdem sei das deutsche Besitzrecht durch die Erbverbrüderung begründet, während dem „1546 erfolgten kaiserlichen Einspruch [...] keine Rechtskraft" 54 zukomme. So wurde unter Übernahme alter Argumentation und der Ausbeutung noch älterer historischer Ereignisse suggeriert, daß die Inbesitznahme Schlesiens durch Polen nach 1945 allein schon deshalb illegal gewesen sei, weil der polnische König einst in aller Form auf Schlesien verzichtet habe, während Preußen
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EMIL BRZOSKA: Das deutsche Antlitz Oberschlesiens. Bonn 1963 (Oberschlesische Schriftenreihe), S. 9-10.
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G. HULTSCH: Schlesien (wie Anm. 38).
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HELMUT NEUBACH:
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Kleine Geschichte Schlesiens. Bonn 3 1 9 9 3 (kulturelle arbeits-
hefte 24), S. 4. G. HULTSCH: Schlesien (wie Anm. 38); mit fast gleicher Formulierung der damalige Vorsitzende der Landsmannschaft Schlesiens und niedersächsische Minister SCHELLHAUS: Schlesiens Bedeutung für Europa. In: Der Schlesier (August 1953), Nr. 33, S. 4.
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ERNST STORM: Schlesiens Bedeutung für das Abendland. Querschnitt aus einem Vortrag von Prof. Dr. Ernst Storm. In: Der Schlesier (15. April 1951), Nr. 11, S. 1-2. - Vgl. WESP. (Pseud.): Preußens Rechtsanspruch auf Schlesien. Vom Fürstentag in Breslau 1546 bis zum Abschluß des Friedensvertrages von Hubertusburg 1763. In: Der Schlesier (7. Februar 1963), Nr. 6, S. 5. Eines von vielen Beispielen in GUSTAV RICHTER: Schlesien deutsch „auf ewige Zeiten"! In: Der Schlesier (Januar 1953), Nr. 4, S. 1.
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durch die Erbverbrüderung einen rechtmäßigen Besitzanspruch auf das Land vorweisen könne. Die Erbverbrüderung hat zwar tatsächlich nie eine längerfristige historische Wirkung entfaltet, das Jahr ihres Abschlusses blieb in der Historiographie jedoch noch lange eine der historischen „Grenzzahlen"55 mit eher mythischer als historischer Bedeutung. Die Ausbeutung der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Geschichte Schlesiens erstreckte sich nicht nur auf die hier eher exemplarisch skizzierten rechtlichen Aspekte, sondern erfaßte zahlreiche Facetten der Landeshistoriographie. Beispielsweise wurden die dynastischen Beziehungen der schlesischen Herzöge zu Brandenburg, Sachsen oder in die Pfalz eingehend dargestellt, während entsprechende im Spätmittelalter bestehende Beziehungen innerhalb Polens ausgeklammert blieben. Bereits Benedykt Zientara hat überzeugend gezeigt, wie Colmar Grünhagens Geschichtsprojektionen, in welchen die mittelalterlichen Piastenherzöge Schlesiens zu deutschen Patrioten stilisiert wurden, die eine bewußte Germanisierungspolitik verfolgt hätten, von Karl Lamprecht übernommen wurden und so in die allgemeine deutsche Historiographie Eingang gefunden haben56. Die bis in die frühe Neuzeit reichenden polnischen Traditionen der schlesischen Piastenherzöge wurden zum Teil sogar negativ konnotiert57, während die Übernahme deutscher Kulturerrungenschaften an den Piastenhöfen bestens bearbeitet wurde; Untersuchungen über mittelalterliche Siedlungsgschichte und ethnische Prägungen einzelner Gebiete waren auf das deutsche „Volkstum"58 ausgerichtet, ohne auf die fortdauernde teilweise polnische Besiedlung einzugehen. In gewisser Hinsicht einen Abschluß dieser historiographisch-politisierten Phase bildete die 1971, wiederum als wissenschaftliche Begleitung eines Ereignisses der Tagespolitik, des Warschauer Vertrages, erschienene Dissertation über das „staatsrechtliche Verhältnis Schlesiens zu Polen, Böhmen und dem Reich während des Mittelalters", verfaßt von dem Juristen Gernot von GrawertMay. Angesichts des nunmehr endgültig feststehenden Verlustes Schlesiens an den polnischen Staat wurde überwiegend anhand der von Colmar Grünhagen und
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Eine Diskussion dieser „Grenzzahlen" bei LUDWIG PETRY: Das Verhältnis der schlesischen Piasten zur Reformation und zu den Hohenzollern. In: Schlesien. Kunst, Wissenschaft, Volkskunde 2 1 ( 1 9 7 6 ) , S. 2 0 6 - 2 1 4 , hier S. 2 0 6 . B. ZIENTARA: Henryk Brodaty (wie Anm. 9 ) , S . 3 8 5 . J. BAHLCKE: Deutsche Kultur mit polnischen Traditionen. Die Piastenherzöge Schlesiens in der Frühen Neuzeit. In: M. WEBER (Hg.), Deutschlands Osten (wie A n m . 15), S. 8 3 - 1 1 2 .
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Als Beispiele seien genannt: WALTER KRAUSE: Zur Volkstums- und Herkunftsfrage der oberschlesischen Bauern des Mittelalters. In: Zeitschrift des Vereins für Geschichte Schlesiens 7 1 ( 1 9 3 7 ) , S. 1 3 1 - 1 8 3 . - DERS.: Das Volkstum der Bürgerschaft von Kreuzburg im 15. Jahrhundert. In: Zeitschrift des Vereins für Geschichte Schlesiens 7 5 ( 1 9 4 1 ) , S. 1 0 7 - 1 2 9 . - WALTHER LATZKE: Die Besiedlung des Oppalandes im 12. und 13. Jahrhundert. In: Zeitschrift des Vereins für Geschichte Schlesiens 7 2 ( 1 9 3 8 ) , S. 4 4 - 1 3 5 .
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Hermann Markgraf 1881 bis 1883 herausgegebenen „Lehns- und Besitzurkunden Schlesiens"59 und anderer älterer Quelleneditionen erneut der mittelalterliche Übergang Schlesiens von Polen an Deutschland zusammenfassend dargestellt und wurden nochmals in formaljuristisch exakter Weise sämtliche Einzelschritte nachvollzogen, in denen sich jedes schlesische Teilherzogtum einst von Polen gelöst und Böhmen beziehungsweise dem Heiligen Römischen Reich angeschlossen hatte60.
Exkurs: Zur polnischen Historiographie Die Thematik .Schlesien und die Reiche im östlichen Mitteleuropa' spielt auch in der polnischen Historiographie eine erhebliche Rolle, die gleichfalls historiographiekritisch analysiert werden müßte. Jörg Hackmann hat kürzlich in einigen Anmerkungen zu einer vergleichenden Historiographiegeschichte61 daraufhingewiesen, daß sich in der polnischen Literatur strukturell entsprechende Zusammenhänge aufzeigen lassen. Auch hier müßte man ähnlich wie im deutschen historischen Schrifttum bereits im Humanismus, mit den umfangreichen, die polnische Überlieferung prägenden Werken von Jan Dlugosz (1415-1480) und von Marcin Kromer (1512-1589) beginnen, die von den politischen Interessen des Königreichs Polen geprägt sind62. Spätestens seit Ende des 18. Jahrhunderts ist die Perspektive der polnischen Historiographie auf Schlesien von dem im Mittelalter eingetretenen Verlust des Landes bestimmt63. Wenn sie bei Adam Naruszewicz (1733-1796) noch politikgeschichtlich geprägt war, weicht sie dann bei Joachim Lelewel (1786-1861) einer romantischen Sichtweise, die auch die Ausbreitung der deutschen Ostkolonisation als Ursache anführt. In der pol-
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C . GRÜNHAGEN,
H.
MARKGRAF
(Hg.), Lehns- und Besitzurkunden (wie Anm.
22). 60
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Das staatsrechtliche Verhältnis Schlesiens zu Polen, Böhmen und dem Reich. Aalen 1971 (Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte N. F. 15); zur Thematik ferner OTFRIED PUSTEJOVSKY: Schlesiens Übergang an die böhmische Krone. Köln, Wien 1975 (Forschungen und Quellen zur Kirchen- und Kulturgeschichte Ostdeutschlands 13). JÖRG HACKMANN: Deutschlands Osten - Polens Westen als Problem der Geschichtsschreibung. Anmerkungen zu einer vergleichenden Historiographiegeschichte. In: M. WEBER (Hg.), Deutschlands Osten (wie Anm. 15), S. 209235, ferner: WOLFGANG KESSLER: Zwischen Deutschland und Polen. Zu Geschichte und Geschichtsschreibung des preußischen Ostens und polnischen Westens. In: M. WEBER (Hg.), Deutschlands Osten (wie Anm. 15), S. 31-81. Vgl. WACLAWA SZELINSKA: SLASK w piSmiennictwie Jana Dlugosza. Kraköw 1993 (Prace Monograficzne 159). KAZIMIERZ BARTKIEWICZ: Ziemie nadodrzanskie w mySli historyczno-politycznej polskiego oSwiecenia [Die Gebiete an der Oder im historisch-politischen Denken der polnischen Aufklärung], Warszawa, Poznan 1987. GERNOT VON GRAWERT-MAY:
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nischen Geschichtsschreibung über Schlesien sind jedoch bis zum letzten Viertel des 19. Jahrhunderts nationale Auseinandersetzungen kaum vorhanden. Hier überschattete das Erlebnis der Teilungen Polens und das von den gescheiterten polnischen Aufständen verursachte Trauma die alte glanzvolle piastisch-slawische Tradition. Erst in der 1872 gegründeten Krakauer Akademie der Wissenschaften entstand in Polen eine kritische Geschichtsforschung, in der die genannten Ereignisse jedoch noch fortwirkten. Der in der polnischen Historiographie aufkommende Nationalismus schöpfte seine Kraft und besondere Ausprägung aus der Abneigung gegen die Teilungsmächte, vor allem gegen Rußland und Preußen, sowie aus der Abwehr des deutschen Geschichtsbildes einerseits und der polenkritischen russisch-panslawistischen Geschichtsdarstellung andererseits64. Schließlich wäre für Schlesien aber neben den deutsch-polnischen Wechselbeziehungen auch die tschechische Perspektive auf die schlesische Geschichte zu beachten, wobei sich die tschechische Historiographie stark auf die nach 1740 bei Böhmen beziehungsweise Österreich verbliebene Region konzentriert hat65. Doch ist gerade auch Colmar Grünhagens Werk auch vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung mit FrantiSek Palacky (1798-1876) zu sehen66. Zu erwähnen ist, daß auch in Polen wiederum im Kontext der deutschpolnischen Verhandlungen vor dem Warschauer Vertrag eine intensivierte historische Befassung mit der polnischen Westgrenze erfolgte67. 1971 erschien mit Bezug auf die Ostpolitik Willy Brandts das bekannte Werk von Gerard Labuda:
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HERBERT LUDAT: Der polnische Beitrag zu einem europäischen Geschichtsbild. In: Polen und Deutschland. Köln 1963 (Quellenhefte zur Geschichtswissenschaft in Osteuropa nach dem 2. Weltkrieg, Reihe I: Polen, Heft 1), hier S. 1-23; zur polnischen Historiographie die Beiträge in JERZY KRASUSKI, GERARD LABUDA,
ANTONI WALCZAK (Red.): Stosunki polsko-niemieckie w historiografii, Tom 1-3. Poznaü 1974, 1984, 1991 (Studium niemcoznawcze Instytutu Zachodniego, Nr. 25, 41, 62). - LECH LECIEJEWICZ: Wczesne iredniowiecze Alaska w badaniach polskich po II Wojnie Swiatowej. In: Sobötka 41 (1986), S. 329-346. - RYSZARD
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GLADKIEWICZ: Dorobek powojennej historiografii polskiej w zakresie problematyki pöinoSredniowiecznych dziejöw Alaska. In: Sobötka 41 (1986), S. 347-366. KRYSTYN MATWDOWSKI: Powojenne badania Polskie nad nowozytnymi dziejami Alaska (wiek XVI-XVIII). In: Sobötka 41 (1986), S. 367-383. Vgl. IRENA KORBELMOVÄ: Slezsko Ν döjinäch Ceskdho stätu Ν letech 1335-1740 ν Cesk6 historiografii. In: Slezsky ustav SZM Opava (Hg.), Slezsko ν döjinäch öeskdho statu. Opava 1998, S. 109-121. J. HACKMANN: Deutschlands Osten (wie Anm. 61); vgl. ferner MARIE GAWRECKÄ, DAN GAWRECKI: Das böhmisch-mährische Schlesien in der historischen F o r s c h u n g . In: J S F W U 3 3 (1992), S. 2 0 1 - 2 2 7 . - JOACHIM BAHLCKE: D i e
tschechische Geschichtsschreibung über Schlesien. Von Palacky bis zum Zusammenbruch des kommunistischen Systems. In: Berichte und Forschungen 3 (1995), S. 1 8 9 - 2 1 3 . 67
KAROL OLEJNIK: Obrona polskiej granicy zachodniej okres rozbica dzielnicowego i monarchii stanowej 1138-1385, Poznari 1970 (Dzieje polskiej granicy zachodniej 5).
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Vergangenheit
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„Die polnische Westgrenze. Tausend Jahre politische Geschichte"68, in dem es um die polnische Grenze als Produkt deutscher Ostpolitik geht. Die aktuelle polnische Westgrenze wurde hier in historische Kontinuitäten eingereiht, die er die preußische Ostflucht in den rheinisch-westfälischen Westen bis zur Massenabwanderung (!) aus den preußischen Ostprovinzen am Ende des Zweiten Weltkriegs reicht. Die nach 1945 geschehene Rückkehr Polens in seine alten Grenzen vom Jahr 1000 wird hier in den Kontext einer plastischen Tradition gerückt. Um zu den großen Linien der Historiographie zurückzukehren: Es ist natürlich kein Zufall, wenn die Beziehungen Schlesiens zum Römischen Reich, zu Preußen, zu Polen oder zu Böhmen vielfach in Abhängigkeit von der Nationalität des jeweiligen Autors beurteilt wurden und wenn polnische Autoren eine späte Lösung Schlesiens von Polen sowie in Spätmittelalter und früher Neuzeit anhaltende enge Beziehungen Schlesiens zu Polen herausarbeiteten. Die umfassende und detaillierte Aufarbeitung dieser historiographischen Traditionen ist eine Herausforderung für die historische Schlesienforschung in Deutschland ebenso wie für die in ganz anderen historischen und aktuellen Kontexten stehende Historiographie in Polen.
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Polska granica zachodnia. Tysiac lat dziejöw politycznych, Poznan 1971 [21974], hier besonders S. 315-323; vgl. KLAUS ZERNACK: Deutschlands Ostgrenze. In: ALEXANDER DEMANDT (Hg.), Deutschlands Grenzen in der Geschichte. München 1990, S. 135-159, hier besonders S.136 f.
GERARD LABUDA:
Schlesien und seine Beziehungen zu Polen, Böhmen und dem Reich Marian J. Ptak
Die Geschichte Schlesiens kann man von verschiedenen Perspektiven anschauen. Eine von vielen sind die Beziehungen zu Nachbarstaaten, die in der Vergangenheit mit Schlesien politisch und rechtlich eng verbunden waren. Am Beispiel Schlesiens kann man den Verfallprozeß des polnischen Patrimonialstaates verfolgen, welcher zur Abtrennung einiger seiner Bestandteile und demnach zu weiteren Macht- und Territorialteilungen führte. Die Herrscher der Teilterritorien sind mit anderen Herrschern in verschiedene politische und rechtliche Verbindungen getreten, die einen Verzicht auf etliche ihnen zugehörige Rechte und Freiheiten nach sich zogen. Im Laufe der Zeit wurden daran auch die gemeinschaftlichen Subjekte des politischen Lebens, das heißt die Stände, beteiligt. Ein wichtiges Forschungsproblem in diesem Kontext ist die Feststellung des richtigen Charakters von alten und neuen politischen Verbindungen und ihren gegenseitigen Bedingtheiten. Das kann ohne sorgfältige und manchmal abermalige Untersuchung der rechtlichen Verhältnisse nicht stattfinden. Das Ziel dieses Aufsatzes ist vor allem die Untersuchung der Bedeutung der Lehnsverhältnisse und der Inkorporation in den Beziehungen Schlesiens zu Polen, Böhmen und dem Reich. In Übereinstimmung mit dem Thema ist der Aufsatz in drei Teile geteilt worden.
1. Schlesien und Polen In den Beziehungen Schlesiens zu Polen ist, von der verfassungsrechtlichen Perspektive aus betrachtet, die Entstehung der Prinzipatsverfassung, gestützt auf das Senioratsprinzip, im Jahre 1138 besonders wichtig. Ihr Funktionieren gibt Aufschluß über die politischen und rechtlichen Beziehungen zwischen den schlesischen und anderen polnischen Fürsten (duces Poloniae) und zwischen Schlesien und Polen. Der Verfall der Prinzipatsverfassung wird als Durchbruch der politischen und rechtlichen Gegenbeziehungen, als Zerfall des polnischen Staates und schließlich als Entstehung völlig souveräner schlesischer Fürstentümer gedeutet. Diese Perspektive präsentieren besonders die deutschen Historiker. Sie behandeln das Jahr 1202 als Ende der Prinzipatsverfassung und Einheit des polnischen
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Marian J. Ptak
Staates1. Obwohl man sich auch an den Herzog von Oppeln, Mieszko Platonogi, erinnern sollte, welcher, als der Älteste unter den schlesischen Piasten, am Anfang des 13. Jahrhunderts, die Anerkenung des Senioratsprinzips durch den Papst im Jahre 1210 erreicht hatte2. Andere gemeinsame Elemente, wie die Abstammung der Herzöge von demselben Stamm, die polnisch-schlesischen colloquia, die Zugehörigkeit zum Erzbistum Gnesen und die polnische Sprache halten sie für unbedeutend. Es scheint aber, daß das Fehlen der Oberherrschaft des princeps (Seniors) kein entscheidener Faktor war. Die plastischen Herzöge bildeten weiterhin eine politische Gemeinschaft, deren gemeinsames Organ die colloquia waren. Sie tagten öfter und länger als man bisher annimmt. Ein zweites gemeinsames Element war das polnische Recht, auf welches sich die schlesischen Herzöge noch im 15. Jahrhundert berufen. In Form von Allodialeigentum und Allodialgerichten überdauerte das polnische Recht bis zum 18. Jahrhundert, obwohl es sich hinter der deutschen Rechtsterminologie verbarg. Diese politische Gemeinschaft, gestützt auf das Prinzip der Gleichheit und Unabhängigkeit, nannte man Regnum Poloniae und ihre Mitglieder duces Poloniae. Die schlesischen Herzöge kann man deshalb als Mitglieder der drei oder auch vier politischen Gemeinschaften betrachten, die untereinander lockere Verbindungen unterhielten: die konkreten Herzogtümer (Breslau, Oppeln, Glogau, Ratibor usw.), Schlesien, Oppeln (Oberschlesien) und das Königtum Polen. Die Beziehungen zwischen Schlesien und Polen in der Zeit nach dem Verfall der Prinzipatsverfassung fußten also auf dem polnischen Recht, das mit dem dynastischen Recht der Piasten gleichbedeutend ist. Der Schlüssel zur Erklärung dieser Beziehungen liegt in der bisher von der Forschung verworfenen Stammestheorie. Die Beziehungen Böhmens zum Reich und umgekehrt basierten dementgegen auf dem Lehnsverhältnis, weil die Stammesverhältnisse selbstverständlich nicht zur Anwendung kommen konnten. Es lohnt sich aber daran zu erinnern, daß manche schlesischen Herzöge die polnische Lehnshoheit anerkannten, wenn auch erst im 15. Jahrhundert und unter der nichtpiastischen Herrschaft. Es geht um die Herzöge von Auschwitz und Zator3.
1
GERNOT VON GRAWERT-MAY: Das staatsrechtliche Verhältnis Schlesiens zu Polen, Böhmen und dem Reich. In: Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte N. F. 15, Aalen 1971. - Pozycja Alaska w paüstwie piastowskim i jego stosunek do Rzeszy w aspekcie panstwowoprawnym. In: §Usk i Pomorze w historii stosunköw polsko-niemiecldch w Sredniowieczu. Materialy XI Konferencji Komisji Podrecznikowej Historyköw PRL i RFN (Olsztyn, 5-10 czerwca 1979), opracowanie redakcyjne Marian Biskup. Wroclaw 1983, S. 35-45.
2
Kodeks Dyplomatyczny Malopolski, Bd. I, Nr 6. Zur Verfassungs- und Rechtsgeschichte dieser Herzogtümer vgl. FERDINAND BOSTEL: Sadownictwo ziemskie oswiecimskie i zatorskie od r. 1 4 4 0 - 1 5 6 5 . Lwöw 1889. - STANISLAW KUTRZEBA: Prawa - przywileje - statuty i lauda ksiestw oäwiecimskiego i zatorskiego. Kraköw 1912. - ANDRZEJ NOWAKOWSKI: Dzieje ustroju i prawa ksiestw oswiecimskiego i zatorskiego. Bialystok 1 9 8 8 . - MARIAN J. PTAK: Kilka uwag ο ustroju politycznym ksiestw oswiecimskiego i zatorskiego
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Schlesien und seine Beziehungen zu Polen, Böhmen und dem Reich
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Der Herzog von Auschwitz, wie die Mehrheit der schlesischen Herzöge, hat 1327 dem böhmischen König gehuldigt. Die Lehnshoheit der böhmischen Könige über die Herzöge von Auschwitz überdauerte bis in das 15. Jahrhundert, als ihre Stelle die polnischen Könige übernahmen. Sie bezeichneten die Lehnsunterordnung der Herzöge von Auschwitz mit dem Namen protectio oder tutela, aber in entsprechenden Urkunden findet man auch die eigentliche Lehnrechtsterminologie. Beachtenswert ist die Tatsache, daß die Übernahme der Landeshoheit über die Herzöge von Auschwitz mit Bewilligung des böhmischen Königs erfolgte, welcher in der Urkunde von 1440 eingeräumt hatte, daß er seinen Vasallen (Wenzel, Primke und Johann IV.) in dem Streit mit dem polnischen König nicht erfolgreich Rat und Hilfe leisten könne 4 . In dieser Urkunde hat König Ladislaus offen zugestanden, daß er als Lehnsherr seine Hauptpflicht nicht erfüllen könne, das heißt seinen Vasallen den ruhigen Lehnsbesitz sichern. Deshalb erlaubte er ihnen, die Hoheit des polnischen Königreichs (Polensche reych, Polensche Konigreych) anzuerkennen. Diese Möglichkeit hat schon ein Jahr später Herzog Wenzel genutzt und erhielt als Gegenleistung von Seiten des polnischen Kömigs das Land Zator. In einer Urkunde vom 8.1.1441 hat er zugesagt, sich in nächstfolgender Zeit in Krakau einzufinden und mit milicia nobilitate et coincolis Oswancimensis omagium fidelitatis et servitutis domino regi et eius corone Polonie abzulegen5. Bemerkenswert ist der Unterschied dieser Urkunde im Vergleich zu der von 1327. Herzog Wenzel verpflichtete sich zur Ablegung nicht nur der Treu-, sondern auch der Diensthuldigung. Die Huldigung sollten nicht nur der Herzog, sondern auch andere Bewohner des Herzogtums leisten, insbesondere Bürger, die das Versprechen des Herzogs in einer anderen Urkunde desselben Datums bekräftigten6. Somit sollte diese Huldigung übereinstimmend mit dem polnischen Huldigungszeremonial ablaufen7. Schließlich war der Empfänger der Huldigung nicht nur der König, sondern überdies die polnische Krone, die RzecTpospolita (res publica) war. Die Stellung Herzogs Wenzel von Zator gegenüber dem König und der Krone Polen bestimmte die Urkunde des Königs Kasimir von 14478. Er bestätigte die bisherige Stellung des Herzogs und zählte die Rechte auf, welche ihm als Lehnsherr zustanden. Er durfte mithin von dem Herzog die Teilnahme an der Heerfahrt und Steuerleistungen verlangen, wenn sie
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do 1563 roku. In: Studia ζ dziejöw paüstwa i prawa polskiego, Bd. V. Lödz, Kraköw 2000, S. 100-107. COLMAR GRÜNHAGEN, HERMANN MARKGRAF: Lehns- und Besitzurkunden Schlesiens und seiner einzelnen Fürstentümer im Mittelalter. Leipzig 1881-1883, Teil II, S. 582-583. Diese Urkunde ist etwas zweifelhaft. GRÜNHAGEN (wie Anm. 4), S. 584-586. GRÜNHAGEN (wie Anm. 4), S. 586-587. Modus prestandi omagium, qui semper observatur. JULIUSZ BARDACH: Historia panstwa i prawa Polski, Bd. I, wydanie trzecie poprawione i uzupetaione. Warszawa 1965, S. 561. GRÜNHAGEN (wie Anm. 4), S. 592-593.
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auch den anderen Ländern des Königtums Polen auferlegt wurden, sowie andere Leistungen (servitia et gravamina) von untergebenen Leuten und ihren beweglichen und unbeweglichen Gütern. Diese Urkunde bestätigte darüber hinaus die Hoheitsrechte des Herzogs, besonders die Gerichtshoheit durch das Verbot von Berufungen und Appellationen der Einwohner des Herzogstum an polnische Gerichte. Man kann deshalb feststellen, daß sich die verfassungsrechtliche Stellung des Herzogs von Zator in Beziehung zu dem neuen Lehnsherrn formal nicht gemindert hatte. Auch Herzog Johann IV. von Auschwitz begab sich unter die Lehnsabhängigkeit des polnischen Königs, aber etwas später hat er sein Herzogtum plötzlich verloren. 1453 hatte er Bereitschaft gezeigt, Lehnsmann des Königs zu werden und ihm das Herzogtum Auschwitz sogar zu verkaufen9. Das Angebot des Herzogs wurde vom König angenommen und schon 1454 wurde er sein Lehnsmann. Nur drei Jahre später verkaufte er ihm das ganze Herzogtum10. Demnach hörte 1457 das Lehnsherzogtum Auschwitz auf zu existieren. Auch der letzte Herzog von Zator verkaufte sein Herzogtum dem polnischen König und der Krone Polen, aber er hat das erst 1494 getan. Anders als Johann IV., hat er die Rechte im Herzogtum bis zu seinem tragischem Tod 1513 behalten. Dieses Datum bedeutet das Ende der über sechzigjährigen Geschichte des polnischen Lehnsherzogtums Zator, für die die Aufteilung der politischen Oberhoheit zwischen dem polnischen König und dem Herzog charakteristisch ist. Auf diese Weise war die formale Voraussetzung zur Vereinigung der beiden Herzogtümer in Form einer verfassungsrechtlichen Union entstanden, welche sich später in einer zweistufigen Benennung des neuen Herzogtums gespiegelt hat. Bemerkenswert ist die Tatsache, daß das Herzogtum Zator länger das Lehen des Königs und der Krone Polen war als das Herzogtum Breslau als Lehen des Reiches bestand. Demnach existierte in den Jahren 1454-1457 das Lehen Auschwitz und 1441-1513 das Lehen Zator. Es waren unmittelbare Lehen (feudum immediatum), außerhalb der Grenzen des Königtums Polen (feudum extra curtem) und Fahnlehen. Das Lehen Auschwitz hatte lebenslänglichen, dementgegen das Lehen Zator im Mannesstamm erblichen Charakter. Diese beiden Lehen erloschen durch Verkauf des Gegenstandes des Lehenverhältnisses, also des Herzogtums und der Hoheitsrechte über das Herzogtum. Die beiden Herzogtümer wurden jedoch nicht automatisch Bestandteile des Königtums Polen und der Krone Polen, weil der polnische König und die Krone des Königtums Polen dort nur die volle Landeshoheit übernommen hatten. Die Vereinigung mit der Krone verlangte nämlich eine formale Inkorporation. Diese erfolgte erst 1563 auf Grund eines Privilegs durch den König im polnischen Reichstag (sejm walny)11.
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GRÜNHAGEN ( w i e A n m . 4 ) , S . 5 9 4 - 5 9 7 .
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(wie Anm. 4 ) , S . 601-602, 606-610. (wie Anm. 3), S. 311-323. Das wichtigste Fragment von dieses Privilegs lautet: eosdem ducatus superius memoratos, Oszwieczimensem scilicet et Zathoriensem, omnesque status et ordines eorundem ducatuum cum omnibus
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GÜNHAGEN
KUTRZEBA
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Sie wurde durch das nachfolgende Privileg von 1564 bestätigt12. Die Inkorporation (Privilegium incorporationis) bedeutete die Verleihung aller Rechte, Privilegien und Freiheiten der Krone Polen an die beiden Herzogtümer, aber mit Beibehaltung ihrer eigenen Rechte (sie!). Bemerkenswert ist auch das Herzogtum Severien, welches der Herzog Wenzel von Teschen auf Grund des Vertrages von 1443 dem Bischof Zbigniew Olesnicki verkauft hat13. Daraufhin wurde das Herzogtum politisch von Schlesien gesondert, aber nicht mit dem Königtum Polen vereinigt. Die Bischöfe von Krakau haben sich von nun an, anfangs zwar inkonsequent, den Titel eines Herzogs von Severien beigelegt. Viele Tatsachen sprechen dafür, daß das Herzogtum Severien ein unabhängiges Bischofsterritorium wurde. Entscheidende Bedeutung hatte aber der Beschluß des polnischen Reichstags von 1790, welcher die Territorialhoheit über das Herzogtum der Rzeczpospolita verlieh und alle ihre Einwohner hinsichtlich Steuern und Recht gleichstellte. Gegen die Meinung von manchen Autoren (ζ. Β. B. Lesnodorski) sollte man annehmen, daß es die letzte Inkorporation in der Geschichte der polnischen Adelsrepublik gewesen ist14.
2. Schlesien und Böhmen Der Verfall des auf das Senioratsprinzip gestützten Prinzipatssystems und die Schwäche der partikularen polnischen Herzöge verursachte unter manchen schlesischen Herzögen die Tendenz, sich dem Protektorat der mächtigsten Herrscher der Nachbarstaaten zu unterstellen. Auf der anderen Seite erblickten die Herrscher der Nachbarstaaten für sich eine Chance auf politische Unterordnung der schlesischen Herzöge. Die Herzöge verbündeten sich nicht selten mit solchen Herrschern im Kampfe gegen andere Herzöge. Einer von ihnen war der böhmische König. Ausdruck dieser Tendenz sind die Akte von 1289 und
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castris, fortalitiis, districtibus, territoriis et flindis quibusvis ac eorum incolis ad corpus et gremium in iusque et titulum hereditarium regni Poloniae et ad iura, privilegia, libertates, immunitates et praerogativas illius esse suseipiendos, adoptandos et cum regno nostro Poloniae ditionibusque illi subiectis uniendos, uti quidem suseipimus, adoptamus et adiungimus ducatusque praefetos terrae et palatinatui Cracoviensi tanquam vicinori (...) annectimus et incorporamuspresentibus temporibus perpetuis. KUTRZEBA (wie Anm. 3), S. 324-330. GRÜNHAGEN (wie Anm. 4), S. 626-632. MARIAN J. PTAK: Sprawa Ksiestwa Siewierskiego w obradach Sejmu Wielkiego. In: Wroclawski Przeglad Demokratyczny, Rok I, Wroclaw maj 1987, Nr. 5, S. 4-5. - ANDRZEJNOWAKOWSKI: Dzieje ustroju i prawa ksiestwa siewierskiego. Wydzial Prawa i Administracji Uniwersytetu Warszawskiego, S. 139. - Vgl. meine Rezension dieses Buches in: älgski Kwartalnik Historyczny „Sobotka", Rocznik LI (1996), Nr. 4, S. 559-562.
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129115. Das deutsche Schrifttum stellt sie als Lehensakte vor. Zweiffellos muß man die Urkunde Kasimirs von Beuthen vom 9.1.1289 als einen solchen betrachten, da das Lehnsverhältnis zwischen dem König von Böhmen, Wenzel II., und dem beuthnischen Herzog Kasimir bestätigt wurde. Dieses Verhältnis hatte einen streng persönlichen Charakter. Auf Seite der Senioren betraf er nur Wenzel II. und seine Sukzessoren, das heißt die Pfemysliden. Deshalb erlosch mit dem Tod des letzten Pfemysliden auf dem böhmischen Thron (Wenzel III.) das Lehnsverhältnis. Auf Vasallenseite betraf es nur Herzog Kasimir, obwohl er auch seine Nachfolger zur Huldigung des böhmischen Königs und zum Empfang der Investitur verpflichtete. Weil wir nichts über die späteren Huldigungen der Söhne Kasimirs wissen, scheint es, daß die Verwirklichung dieser Pflicht ganz von ihrem gutem Wille abhing. Man weiß auch nicht, wie weit der Lehnsvertrag in der Praxis durchgeführt wurde. Die zweite Urkunde vom 17.1.1291 handelt von den Herzögen Mieszko und Boleslaw, von welchen der erste im Herzogtum Teschen und der andere im Herzogtum Oppeln herrschte. Diese Urkunde kann man nicht als Lehnsakt betrachten, weil sie keine lehnrechtlichen Ausdrücke beinhaltet. Die Urkunde hat aber Eigenschaften eines Vertrages mit dem König von Böhmen über ein militärisches Bündnis. Beide Herzöge verpflichten sich gegenüber Wenzel II. zu militärischer Hilfe, und Wenzel II. seinerseits verspricht bestimmte Leistungen; insbesondere erkennt er das Recht der Herzöge auf einen Teil etwaiger territorialer Kriegsbeute an und ihre Teilhabe an Friedensverträgen. In Hinblick auf die Ungleichheit der Vertragschließenden kann man ihr Verhältnis mit dem römischen foedus iniquum vergleichen16. Die beiden Urkunden zeigen unzweideutig Versuche des Königs von Böhmen, eine politische Oberhoheit über Oberschlesien zu erringen. Es war ein eigenartiges Vorspiel zur Lehnshohheit der böhmischen Könige über beide Teile Schlesiens, welche sich in den 20er und 30er Jahren des 14. Jahrhunderts verwirklichte. Die Lehnshoheit des böhmischen Königs stützte sich auf die Lehnsakte von 1327, 1329 und 1336. Die daraus entstandenen Lehnsverhältnisse haben die einzelnen plastischen Herzöge und ihre Nachfolger mit dem König von Böhmen, Johann von Luxemburg, und seinen Sukzessoren verbunden. Sie hatten in der Zeit ihres Abschlusses persönlich-dynastischen Charakter. Dies ist sichtbar besonders im Lehnsakt von 1327. Dennoch erschien im Lehnsakt von 1329
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KAZIMIERZ ORZECHOWSKI: Stosunek prawny ksiazat Slaskich do kröla czeskiego w Swietle aktöw ζ lat 1289 i 1291. In: Zeszyty Naukowe Wyzszej szkoly Pedagogicznej w Opolu. Historia Alaska I. Opole 1964, S. 7-21. Das römische Recht unterschied zwischenstaatliche Verträge von gleichberechtigten Partnern (foedus aequum) und ungleichberechtigten Partnern, welche eine gewisse Unterordnung nach sich zogen (foedus iniquum).
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neben den Senioren ein neues Subjekt, nämlich das regnum Boemiae11, das man als Rechtsperson unabhängig von der Person des Monarchen, das heißt als Staat, verstehen konnte. In der Lehnsurkunde von 1336 kommt die corona regni Boemie auf der Seniorenseite und auf der Vasallenseite bemerkenswerterweise das Herzogtum Münsterberg mit seinen Ländern (ducatus cum terns) als eine territoriale politische Gemeinschaft hinzu, welche die Vasallen des Herzogs Bolko und die Konsuln der Städte repräsentierten. Wie es scheint, war dies schon ein Indiz für die Tendenz, das ausschließlich persönliche Vasallitätsverhältnis in ein Unterordnungverhältnis zwischen dem Herzogtum Münsterberg und dem Königreich Böhmen als jeweils korporativen Rechtspersonen umzuformen. Man kann darin ein Vorzeichen der künftigen Inkorporation der schlesischen Herzogtümer in die Krone Böhmens sehen. Ein Lehnsverhältnis mit persönlich-dynastischem Charakter mußte mit dem Aussterben der Senioren- oder Vasallendynastie entfallen. Das Erlöschen der Seniorendynastie war doch der formale Grund der Aufhebung des Lehnsverhältnisses von 1289 gewesen. Aus Sorge davor hatte vermutlich der Nachfolger Johanns von Luxemburg, Karl IV., die böhmischen Stände zur Inkorporation der schlesischen Herzogtümer in die Krone Böhmens veranlaßt. Die juristische Bedeutung der Inkorporation bestand, wie sich schon aus der Bezeichnung ergibt, in der Eingliederung der Herzogtümer in den politischen Organismus des Königreichs Böhmen. Daraus folgt, daß zu dieser Zeit die schlesischen Lehen nicht als Bestandteil der Krone betrachtet wurden. Sie waren analog zu deutschen Lehen auswärtige Lehen (feudum extra curtem). Anders gesagt, zu dieser Zeit waren die schlesischen Herzogtümer mit dem Königtum Böhmen politisch durch das Lehnunterordnungsverhältnis verbunden, ohne daß man sie als seine Bestandteile behandeln darf. Nur in dieser Weise kann man die nachfolgenden Tatsachen erläutern. In der böhmischen Kanzlei bezeichnete man in den Jahren 1330 und 1340 die Ortschaften in Schlesien als in Polen gelegen und die schlesischen Herzöge als polnische18. In der Rechtssammlung des Königreichs Böhmen Maiestas Carolina, herausgegeben von Karl IV. im Jahre 1346, zählte man die Städte Breslau, Neumarkt, Glogau und die Schlösser in Zobten, Guhrau als in
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ROBERT FLIEDER: Corona regni Bohemiae. In: Sbornflc vöd prävnich a stätnich 9 (1908-1909), S. 119-149, 10 (1909-1910), S. 45-66, 295-305. - JOACHIM PROCHNO: Terra Bohemiae, Regnum Bohemiae, Corona Bohemiae [1945], jetzt in Corona Regni. Studien über die Krone als Symbol des Staates im späteren Mittelalter, hrsg. von Manfred Hellmann. Darmstadt 1961 (Wege der Forschung, Bd. 3), S. 198-224. - JOACHIM BAHLCKE: Das Herzogtum Schlesien im politischen System der Böhmischen Krone. In: Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung 44 (1995), S. 27-55. Der Begriff Corona Regni Boemie 1322 und Corona regni Poloniae erst 1356 erschien. WILHELM SCHULTE: Die politische Tendenz der Chronica principum Polonie. In: Darstellungen und Quellen zur schlesischen Geschichte, Bd. I. Breslau 1906, S. 8-13.
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Polen gelegen auf19. Noch 1372 bezeichnet Karl IV. den Landeshauptmann des Herzogtums Breslau als capitaneus terrae nostrae Poloniae20. Die Oberhoheit über einen Teil der polnischen Herzogtümer bedeutete somit nicht die gleichzeitige Ablösung der ursprünglichen verfassungsrechtlichen Bindungen zwischen diesen Herzogtümern und dem Königreich Polen21. Die Lehnsverhältnisse zwischen schlesischen Herzögen und Herzogtümern sowie König, Königtum Böhmen und Krone Böhmen hatten nicht die Zugehörigkeit zu Böhmen zur Folge. Denn die schlesischen Herzogtümer sind formal nicht vom Königreich Polen abgetrennt. Das geschah erst infolge des Verzichts Kasimirs des Großen 1335 und 1339 über einige, aber nicht alle schlesischen Herzogtümer22. Daher erfolgte die Inkorporation in die Krone Böhmen erst nach diesen Verträgen. In Übereinstimmung mit der damals herrschenden organischen Staatstheorie verlangte dies eine formale Eingliederung in den politischen Leib (corpus), symbolisiert durch die Krone des heiligen Wenzel. Sie erfolgte durch zwei Inkorporationsurkunden Karls IV. vom 7.4.1348 und vom 9.9.1355. Die erste Urkunde hat die Herzöge in Schlesien und Polen (sie!) mit ihren Herzogtümern, auch Herzogtum und Stadt Breslau (schon als Erbfürstentum), in das Königtum und die Krone Böhmen einverleibt23. Die Stadt Glogau bat 1349 Karl IV. um unlösbare Verbindung mit der Krone Böhmens und dem Herzogtum Breslau (sie!)24. Dies bedeutet, daß man alle damaligen königlichen Besitzungen in Schlesien als dem Herzogtum Breslau zugehörig behandelt hat. Die zweite Inkorporationsurkunde unterschied sich von der ersten wegen der Titulatur Karls IV. und der Aufzählung der Herzöge von Schlesien und Polen - nicht mit
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Castra et iura nulltenus alienanda vel etiam permutanda, videlicet sunt hec: In Polonia quatuor civitates, scilicet Wratislavia, Novum Formum, Glogovuia, et duo castra scilicet Zoboten et Gorow. Archiv cesky, Praha 1844, S. 84. G. BOBERTAG: Die Gerichte und Gerichtsbücher des Fürstenthums Breslau. In: Zeitschrift des Vereins für Geschichte Schlesiens, Bd. 7, 1866, S. 158. Über die doppelte Zugehörigkeit Schlesiens (zu Böhmen und Polen) in 13. und 14. Jh. vgl. MATTHIAS WEBER: Die Zuordnung Schlesiens zu „Polonia" in Quellen des 13. und 14. Jahrhunderts. In: Deutschlands Osten-Polens Westen. Frankfurt am Main 2000 (Mitteleuropa-Osteuropa. Oldenburger Beiträge zur Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas, Bd. 2), S. 1-12. GRÜNHAGEN (wie Aran. 4), Teil I, S. 3-6. GRÜNHAGEN (wie Anm. 4), Teil I, S. 8-12. Das wichtigste Fragment lautet:... dictos Slezie, Polonie et ceteros predictos duces, nostros prineipes et vasallos cum prineipatibus feodis et vasallagiis ipsorum, ..., regno et corone regni Boemie prefati inperpetuum adiungimus incorporamus ascribimus appropriamus et indivisibiliter ac inseparabiliter counimus. In demselben Jahre wurde das Herzogtum Troppau, zusammen mit dem Margraftum Mähren und dem Bistum Breslau in das Königtum und die Krone Böhmens inkorporiert. GRÜNHAGEN (wie Anm.4), Teil II, S. 471-474. GRÜNHAGEN (wie Anm. 4), Teil I, S. 149. Den Inhalt dieser Urkunde wiederholte man im Jahr 1361. GRÜNHAGEN, Teil II, S. 180.
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Vornamen sondern mit Angabe der Hauptstädte: Lignicensis, Bregensis, Munsterbergensis usw. - sowie der Städte des Herzogtums Breslau und Schlesiens, welche schon direkt im Besitz des böhmischen Königs waren (Breslau, Neumarkt, Frankenstein, Steinau, Guhrau, Mittelteil Glogau, Namslau)25. Demnach waren Gegenstand der Inkorporation weder das Herzogtum Schweidnitz-Jauer noch das bischöfliche Herzogtum Neisse mit anderen Besitzungen des Bistums Breslau. Besonders bemerkenswert ist die Tatsache, daß Karl IV. in der ersten Inkorporationsurkunde sich als dei gracia Romanorum rex semper augustus et Boemie rex und in der zweiten Romanorum imperator semper augustus et Boemie rex titulieren läßt. In beiden Urkunden also stellt man ihn als König von Böhmen vor, aber in der ersten auch als König der Römer, in der zweiten dagegen als Kaiser der Römer. Im Licht dieser Urkunden kann man nur Beziehungen Schlesiens zum König und Kaiser der Römer, aber nicht zum König der Deutschen oder zum Reich feststellen (!). Das betrifft den Zeitraum seitdem die schlesischen Herzogtümer Bestandteile des Königtums Böhmen und der Krone des Königtums Böhmen wurden bis 1742 - ausgenommen die Herzogtümer Teschen, Troppau sowie die geteilten Herzogtümer Jägerndorf und Neisse. Die Urkunde des breslauischen Bischofs von 1358 erinnert an die Inkorporation, dessen Gegenstand ducatus Slezie et Opuliensis necnon ducatus vel civitas Wratislaviensis gewesen war, und damit alle der Herrschaft der Piasten, der Pfemysliden von Troppau (Herzogtum Ratibor) und direkt den Königen von Böhmen unterstellten Gebiete betraf, also das Herzogtum Breslau mit allen königlichen Besitzungen in Schlesien26. Diese politische Aufteilung hat sich somit auf das stammdynastische Kriterium gestützt. Diese Urkunde hat auch das Verhältnis des breslauischen Bischofs und Domkapitels zum König von Böhmen sowie zur respublica regni et corona Boemie erwähnt. Der König erschien hier als dominus et patronus noster und die Besitzungen der breslauischen Kirche als Bestandteile des Königtums und der Krone. Nur das Land Grotkau war Lehen und deshalb sollte der Bischof dem König von Böhmen das iuramentum fidelitatis obedientie et subieccionis leisten. Die Urkunde bezeugt auch darüber hinaus, daß die schlesischen Herzöge principes Ligii wurden, das bedeutet, daß ihr einziger Lehnsherr (Senior) der König von Böhmen war. Ein Jahr später wurde das Weichbild Namslau in das Königtum und die Krone Böhmen inkorporiert27. Die Übereignungen des Herzogtums Glogau um die Wende des 15. zum 16. Jahrhundert, also in der Zeit der Jagiellonen, und die damit entstandenen Unklarheiten wegen der Zugehörig-
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(wie Aran. 4), Teil I, S. 12-13. Sichtbar ist der Vorzug der schlesischen Herzöge und unter ihnen der lignitzischen. Unter den polnischen Herzöge hatten die von Oppeln den Vorzug. GRÜNHAGEN (wie Anm. 4), Teil I, S. 14-17. GRÜNHAGEN (wie Anm. 4), Teil I, S. 71-72. GRÜNHAGEN
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keit zur Krone Böhmen haben die erneute Inkorporation in die Krone Böhmen und die Königliche Kammer (!) 1508 (wiederholt 1511) verursacht28. Zur genauen Bestimmung der Beziehungen Schlesiens zu Böhmen nach Anknüpfung der Lehnsverhältnisse kann die Erläuterung ihres Rechtscharakters behilflich sein. Fundamentale Bedeutung hat die scheinbar augenfällige Tatsache, daß keine Lehnsbindungen zwischen dem König von Böhmen und Schlesien oder einem Herzog von ganz Schlesien bestanden. Die schlesischen Lehnen waren kein feudum datum, sondern ein typisches feudum oblatum, das heißt durch den böhmischen König verliehene Lehen nach vorheriger Überlassung an ihn als Senior durch die schlesischen Herzöge. Es waren auch Fahnlehen, das heißt fürstliche Lehen, den Reichsfürstenlehen entsprechend29. Das bedeutete aber nicht, daß die Lehnsverhältnisse der schlesischen Herzöge mit dem König von Böhmen von Anfang an im ganzen durch Lehnrecht deutscher Art reguliert wurden. Dies Recht hat nur in relativ engem Rahmen Anwendung gefunden. Denn es wurden den schlesischen Herzögen (Fürsten) ihre bisherigen Rechte und Freiheiten und, direkt gesagt, das polnische Recht (!), gelassen. In eindeutiger Form bestätigt das die Urkunde Johanns von Luxemburg für Ladislaus von Kosel vom 19.2.1327, welche ihn in omnibus suis Polonicalibus iuribus30 läßt. Die Lehnsurkunde der drei lignitzischen Herzöge von 1331 spricht von ... serviciis et modis aliis iuxta communemfidelium Polonie consuetudinem3i. 1337 verkaufte der Luxemburger Bolko, dem Herzog von Oppeln-Falkenberg, das Weichbild Neustadt hoc est in Jure Polonico Ducali, ..., In feodum tarnen a nobis et succesoribus nostris Boemie Regibus sicut noster Princeps, In iure tarnen Polonico et ducali, vasallus noster existens et servitor32. Eine andere Urkunde aus diesem Jahr behauptet, daß die schlesischen Herzöge in ihren Herzogtümern herrschten non iure feudali sed pocius Polonicali3i. 1335 haben die schlesischen Herzöge festgestellt, daß der böhmische König die Oberherrschaft über sie hat in Polonie rite34. Bemerkenswert ist die Tatsache, daß sich Johann von Luxemburg unmittelbar nach den Lehnsakten der Titulatur rex Boemie et Polonie bediente, und man konnte nicht ausschliesen, daß er den polnischen Thron bestieg. Auf den so charakteristischen Dualismus weist noch die Urkunde der schlesischen Herzöge von Beuthen-Kosel vom 3.10.1355 hin, welche den Übergang der Herzogtümer
(wie Anm. 4 ) , Teil I, S . 2 5 6 - 2 6 0 . Von Fahnlehn und von der Fahnenbelehnung im alten deutschen Reiche. Leipzig 1906.
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GRÜNHAGEN ( w i e A n m . 4 ) , T e ü II, S. 4 1 7 - 4 1 8 .
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(wie Anm. 4 ) , Teil I, S . 3 0 6 - 3 0 7 . Registrum St. Wenceslai. Urkunden vorzüglich zur Geschichte Oberschlesiens nach einem Copialbuch Herzog Johanns von Oppeln und Ratibor in Auszügen mitgetheilt. In: Codex Diplomaticus Silesiae, Bd. VI. Breslau 1 8 6 5 , S. 1 7 8 - 1 7 9 . Kurze Zusammenfassung in GRÜNHAGEN (wie Anm. 4 ) , Teil II, S. 3 0 5 . GRÜNHAGEN (wie Anm. 4 ) , Teil II, S . 3 8 3 - 3 8 5 . GRÜNHAGEN (wie Anm. 4 ) , Teil I I , S. 4 2 2 - 4 2 3 .
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nach dem Absterben der Herzogslinie von Beuten-Kosel in die königliche Herrschaft iure communi et approbata terrarum Polonie laudabili conswetudine*5 bestimmte. In dem Streit um das Herzogtum Ratibor zwischen Herzog Nikolaus und den oberschlesischen Herzögen war die Hauptfrage, welches Recht in dieser Sache gültig sein sollte. Die oberschlesischen Herzöge traten für das polnische36 ein, während der Herzog von Troppau (nicht plastischer Abstammung) das Lehnrecht verfocht. Der König als Schiedsrichter hat sich für den troppauischen Herzog und damit für das Lehnrecht ausgesprochen. Nach der Belehnung vom 9.7.1339 sollte der Herzog von Troppau und Ratibor non iure Polonicali vel alio quocumque preterquam iure Theutorücali principum vasallorum Theutonicorum debeat respondere ...37. Daraus ergibt sich, daß zwei verschiedene und widersprechende Rechtsordungen die Stellung der schlesischen Fürsten bis zur Hälfte des 15. Jahrhunderts regulierten: das dynastische Piastenrecht (polnisches Recht) und das Lehnrecht. Durch ihre Vermischung enstand im 15. Jahrhundert das sogenannte Fürstliche Recht (ius ducale, Fürstenrecht), welches die verfassungsrechtliche Stellung der schlesischen Fürsten bis zum 18. Jahrhundert bestimmt hat38. Die größte Gefahr für die schlesischen Fürsten war die Möglichkeit des Verlustes ihrer Lehen an den König im Fall des Aussterbens der Herzogslinie, einer Felonie oder in anderer Weise. Aufgrund dieser Befugnisse hatte schon 1331 Johann von Luxemburg das Herzogtum Glogau des Herzogs Przemken nicht ganz friedlich - an sich genommen und 1335 war ihm auch das wichtige Herzogtum Breslau (Schlesien) zugefallen. Auf diese Weise erschienen auf der politischen Karte Schlesiens die ersten sogenannten Erbfürstentümer. Sie verdienen aus verschiedenen Gründen große Aufmerksamkeit. Erstens vergrößerte sich ihre Zahl im Laufe der Zeit. Zweitens wurden gerade die größten und besonders wichtigen Fürstentümer zu Erbfürstentümern. Es geht vorzüglich um die Fürstentümer Breslau, Schweidnitz-Jauer, Oppeln-Ratibor und Glogau. Drittens endlich, was verschiedene Autoren außer Acht lassen, sind die Erbfürstentümer - wie die Bezeichnung selbst zeigt - keine Lehen, sondern Allodien. Es waren keine Lehen aus dem einfachen Grunde, weil die zweite und unentbehrliche Seite eines jeden Lehnsverhältnisses fehlte, nämlich der Vasall. Im Erbfiirstentum erschien als Fürst automatisch der König von Böhmen selbst. Deswegen
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(wie Aran. 4), Teil II, 422-423. ... asserentibus predictis ducibus, quod com ipsi Poloni essetü et iuxta continenciam literarum nostrarum ipsis ducubus ius Polonieale in suis dumtaxat terris habendum et execendum dedissemus, eos in dictis questionibus in iure Polonicali et non feodali conservare et secundum Polonieale ius eas audire, decidere et diffinire deberamus. GRÜNHAGEN (wie Aran. 4), Teil II, S. 380. GRÜNHAGEN (wie Anm. 4), Teil II, S. 385-386. KAZIMIERZ ORZECHOWSKI: Powstanie pojecia „prawa ksiazoeego" na $Usku. In: Studia ζ dziejöw kultury i ideologii, poSwiecone Ewie Maleczynskiej. Wroclaw, Warszawa, Kraköw 1968, S. 90-98. GRÜNHAGEN
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kann man diese Fürstentümer nicht als direkte Lehen bezeichnen39. Nachdem also nicht alle schlesischen Fürstentümer von Anfang an Lehen waren (Schweidnitz-Jauer, Neisse-Ottmachau), und später die vorhandenen Lehenfürstentümer Erbfürstentümer wurden, ist es unzulässig ganz Schlesien als böhmisches Lehen zu traktieren. Im 16. Jahrhundert war Schlesien ein Reich von Lehnfürstentümern, Erbfürstentümern, freien Standesherrschaften, minderen Standesherrschaften, freien Burglehnen und der Stadt Breslau. Diese Elemente formten eine politische Gemeinschaft, die man Schlesien, Ober- und Niederschlesien, Herzogtum Ober- und Niederschlesien oder Erbherzogtum Ober- und Niederschlesien nannte. Die letzte dieser Benennungen suggeriert sogar, daß die Könige von Böhmen (die Habsburger) ganz Schlesien nicht als Lehen, sondern als Allodium betrachteten. Der Erläuterung der verfassungsrechtlichen Beziehungen zwischen Schlesien und Böhmen soll auch die von den böhmischen Königen gegenüber Schlesien gebrauchte Titulatur dienen. Johann von Luxemburg (1310-1346) titulierte sich dux Slesie et dominus Wratislauiensis (7.8.1345, 13.8.1345), dominus Wratizlaviensis (6.8.1344, 10.8.1345, 13.8.1345)40. Nur einmal hat er sich als princeps suppremus Slezianorum (23.11.1344) bezeichnet41. In der Urkunde desselben Datums hat Herzog Heinrich von Sagan den Luxemburger obriste fiirste in Slezie und herre czu Breczlab genannt42. Diese Titulatur wurde von den breslauischen Herzogen übergenommen. Der Titel Ober Herzog in Schlesien erinnert an die Oberhoheit der breslauer (schlesischen) Herzöge. Die Stellung eines Oberherzogs unter den schlesischen Piasten hatte zum Beispiel schon Boleslaw Rogatka (1241-1278) erreicht, welcher sich 1249 senior dux Slezie et Polonie tituliren ließ43. Vermutlich aus dieser Ursache schrieb Czepko im 17. Jahrhundert, daß die Piasten (damals nur die von Liegnitz-Brieg-Wohlau) die Nachfolger „des Großfirsten von Schlesien" waren44. Die böhmischen Könige in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts hatten immer konsequenter den Titel Herzog in Schlesien und Obrister Herzog in Schlesien verwendet. Dementsprechend tritt jeder schlesische Herzog in den Urkunden als Herzog in Schlesien hervor. In der Landesordnung des Erbfürstentums Glogau von 1630 finden wir 39
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So fehlerhaft z . B . KAREL MALY, FLORIAN SIVÄK: Dejiny statu a präva Ν Ceskoslovensku, I. Dil do r. 1918. Praha 1988, S. 53. Regesty Slaskie, Bd. I. Wroclaw 1975, Nr. 339, 342, 350, 357, 358. GUSTAV A. STENZEL: Urkunden zur Geschichte des Bisthums Breslau im Mittelalter. Breslau 1845, S. 335. GRÜNHAGEN (wie Anm. 4), Teil I, S. 163. Schlesisches Urkundenbuch, Bd. 2 (1231-1250). Wien, Köln, Gratz 1977, Nr. 383. Vgl. auch Nr. 411. Dies bestätigt auch das Heinrichauer Buch in den Worten: Processu temporis, cum principes terre istius crevissent et dux Bemardus tanquam senior inter fratres suos primatum teneret. GUSTAV A. STENZEL: Liber fundationis claustri sancte Mariae Virginis in Heinrichow. Breslau 1854. MATTHIAS WEBER: Das Verhältnis Schlesiens zum Alten Reich in der Frühen Neuzeit. Köln, Weimar, Wien 1992. S. 105-118.
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die interessante Formel: dero Kayserl. Mit. alß Könige zu Böhmen und Ober Hertzogen in Schlesien und zu Großen-Glogau. In dieser Titulatur spiegelt sich die dreifache verfassungsrechtliche Stellung des Monarchen als König von Böhmen, Ober Herzog in Schlesien und Herzog in Schlesien. Im 16. Jahrhundert entstand das Problem, wie das Verhältnis der schlesischen Herzöge gegenüber der böhmischen Krone beschaffen ist. Es ging um die Frage, ob die Herzöge und ihre Herzogtümer Vasallen der Krone waren - wie sich das die böhmischen Stände vorstellten - oder vollberechtigte Mitglieder der Krone. Die Herzöge und Stände der Erbfürstentümer (außer Schweidnitz-Jauer und Glogau) haben ihre Meinung auf dem Fürstentag von 1546, unter Teilnahme Königs Ferdinands, in nachfolgenden Worten ausgesprochen: Dann einmahl ist öffentlich und am Tage, daß die Herren Fürsten und Stände in Schlesien, nicht mit dem Schwerdt, auch durch kein Drangsaal und Noth an die votfahrende Könige zu Böheimb löblicher und hochmilder Gedancken kommen, sondern aus freyer Gutwilligkeit... durch sonderliche Verträge und Vorbehältnüß aller ihrer Rechten und Freyheiten [Hervorhebung M. J. Ptak] ihren Μαjest. Zugethan und sich ergeben, der mehrer Theil im Jahr 1331 [? J. M. Ptak] ... dadurch sie sich mit der Cron Böheimb vermischt, verleibet und vereiniget, und neben den Böhmen Mitglieder der Cron Böheimb, ja der höchste Stand derselbigen nach der Prälaten worden. Und haben die könige zu Böheimb, sich und ihre Kinder, die auch allbereit zu Römischen Königen erwehlet gewest, zu den Fürsten in Schlesien verheyrathet, damit sie alleine durch dieselbige Kundschaft, die Fürsten in Schlesien dahin bewogen, daß sie die FahnLehn von einem Könige zu Böheimb empfangen, und sich bewilliget, sein und seiner Nachkommen getreue fürsten und Manne zu seyn, und nicht der Herren zu Böheimb. Darumb auch ein Bischoff zu Breslau Princeps Ligius ... und die andern Schlesischen firsten des Reichs zu Böheimb, und derhalben allen andern Böhmischen Ständen und Aemptern ihren Würden nach in Stellen und Brieffen allewegen sindßrgesatzj worden ...45. Seitdem, vermutlich aus diesem Grunde, titulierte sich der breslauische Bischof: Regierende auch der Chron Beheim Bundissßrst (1549), Vollmächtige und Regierende Landes- und der Cron Böheim bundts genosser Fürst (1586), Regierende Bischof zu Breslaw vnndt bundes Fürst der Croon Böhäimb, vnndt Landt Fürst (1597).
45
Käyser- und Königl. das Erb-Hertzogthum Schlesien concernirende Privilegia, Statuta und Sanctiones Pragmaticae ..., verlegt v. Ch. Brachvogel. Breslau 1713, Nr. III, S. 40-54.
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Marian J. Ptak
3. Schlesien und das Reich Das Problem des Rechtsverhältnisses Schlesiens zum Römischen Reich (Imperium) und danach zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation46 hat schon seit langer Zeit die Aufmerksamkeit der deutschen Historiker gefesselt. Ihren Standpunkt in dieser Sache haben sie zuerst am Rande grösserer Veröffentlichungen über die Geschichte Deutschlands und Schlesiens geäußert. Bemerkenswert ist die Tatsache, daß ihre Meinungen nicht einhellig waren. Leopold von Ranke47 behauptete, daß Schlesien nicht reichsunmittelbar war. Colmar Grünhagen48 verneinte direkt die rechtliche Bindung Schlesiens an das Reich. Heinrich von Treitschke49 hat festgestellt, daß Schlesien ein Bastardgebilde gewesen ist und deshalb könne man nicht ganz gewiß sagen, ob Schlesien ein Teil des Alten Reiches war oder auch nicht. Diesen Standpunkt haben die Autoren des klassischen Lehrbuchs zur Geschichte des deutschen Rechts, Richard Schröder und Eberhard von Künßberg50, übernommen. Nach Felix Rachfahl51 hatte Schlesien eine mittelbare Rechtsstellung zum Reich. Dagegen vertritt Hermann Conrad52 die Meinung, Schlesien sei mindestens mittelbar, als böhmisch-luxemburgisches Lehen, mit dem deutschem Reich verbunden gewesen. Die Ansicht, daß Schlesien reichsmittelbares Lehen war, hat dank einiger Monographien zu dieser Problematik von Hans Heinrich Schnee53, Alfred Kutscha54, Gernot von
46
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RAINER A. MÜLLER: Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation. Anspruch und Bedeutung des Reichstitels in der frühen Neuzeit. Regensburg 1990 (Eichstätter Hochschulreden, Bd. 75). Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation, Bd. II. Berlin 1839, S. 462. Geschichte Schlesiens, Bd. 2. Gotha 1886, S. 3. Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert, Teil 1. Leipzig 1927, S. 600. Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte, 7. Aufl. Berlin, Leipzig 1932, S. 421: Die Herzöge von Schlesien standen bis Ende des 13. Jahrhunderts als principes Poloniae außerhalb des Reiches; unter Rudolf I. als Reichsfirsten anerkannt, wurden sie zwar später Vasallen der böhmischen Krone, bleiben aber als solche im Reichsverband. Die Organisation der Gesamtstaatsverwaltung Schlesiens vor dem dreissigjährigen Kriege. Leipzig 1894, S. 134 u. f. Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. 1, 1. Aufl. Karlsruhe 1962 ..., Bd. I, S. 342: Im 14. Jahrhundert wurde Schlesien böhmisch-luxemburgisches Lehn und gehörte damit, wenigstens mittelbar, zum Reiche. Bd. II, S. 110: Schlesien gehörte als Nebenland Böhmens mittelbar zum Reiche. Das Verhältnis Schlesiens zum Deutschen Reiche von 1648 bis 1806. Phil. Diss. Breslau, 1923, S. 12: Am 7. April 1348 inkorporierte Karl IV Schlesien und die Oberlausitz der Krone Böhmen, was er am 9. Oktober 1355 als Kaiser bestätigte. Damit war Schlesiens Verhältnis zum Reiche als mittelbares Reichslehen fir die Folgezeit bis zum seinen Ausscheiden 1742 bezw. 1751 endgültig festgelegt. Die Stellung Schlesiens zum Deutschen Reich im Mittelalter. Historische Studien 159. Berlin 1924.
Schlesien und seine Beziehungen zu Polen, Böhmen und dem Reich
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Grawert-May55 und Otfried Pustejovsky56 Unterstützung gewonnen. Vorbehaltlos haben sie Matthias Weber57, Norbert Conrads58 und Joachim Bahlcke59 angenommen. Sie ist heute ein Axiom der deutschen Historiographie und wird von den polnischen Historikern akzeptiert60. Unanfechtbar ist das Lehnsverhältnis zwischen den Herzögen von Schlesien und Breslau und dem König der Römer. Das zeigen eindeutig die Urkunden von 1290, 1305 und 132461. Man muß aber hervorheben, daß es persönlichen Charakter hatte. Vertragspartner waren nicht Schlesien und das Reich. Durch die Begründung des Lehnsverhältnisses wurde das Herzogtum Breslau (!) nicht ein Teil des Regnum Romanum, Imperium Romanian, Regnum Germanie oder Reich. In den 20er und 30er Jahren des 14. Jahrhunderts wurde der böhmische König der Senior (Lehnsherr) der Herzöge von Schlesien und Polen (!). Mit Rücksicht auf die besonderen Bindungen zwischen dem König von Böhmen und dem Reich hat das einen Anstoß zur Anerkennung ganz Schlesiens als mittelbares Reichslehen gegeben. Dieser Meinung waren zahlreiche alte Chronisten und politische Schriftsteller. Dies befreit aber nicht von der Suche auf die Antwort, wie es eigentlich gewesen war. Schlesien kann aus etlichen Gründen kein Reichslehen gewesen sein. Weder ganz Schlesien, noch das Reich waren Parteien des Lehnsverhältnisses. Auf der einen Seite des Verhältnisses standen ausschließlich die Herzöge von Schlesien, auf der anderen Seite der König, bzw. der römische Kaiser. Die Lehnsbeziehungen hatten also ausschließlich persönlichen Charakter. Ferner wurde nur der kleinere Teil der schlesischen Fürstentümer zu Lehen gegeben, während die meisten zu Erbfiirstentümern der böhmischen Krone geworden waren. Diesen Charakter hatten die größten und wichtigsten Fürstentümer Schlesiens: Schweidnitz-Jauer, Oppeln-Ratibor und Breslau. Daher kann man nicht solche Territorien als Lehen qualifizieren, welche allodialisiert wurden. Schlesien oder irgendein schlesisches Territorium kann nicht mittelbares Reichslehen (feudum mediatum) oder Reichsafterlehen gewesen sein, weil die Reichsstände die schlesischen Lehen nicht als feudum datum gegeben haben 62 .
55
GRAWERT-MAY (wie A n m . 1).
56
Schlesiens Übergang an die böhmische Krone. Machtpolitik Böhmens im Zeichen von Herrschaft und Frieden. Köln, Wien 1975. (Wie Anm. 44), S. 7, 22, 27, 398, 404, 405. Vgl. meine Rezension über das Buch in: Czasopismo Prawno-Historyczne, Bd. XLVI, H. 1-2 za rok 1994.
57
Poznafi 1995, S. 131-134. 58 59 60
Schlesien. Berlin 1994. Schlesien und die Schlesien München 1996. Letzthin ζ. B. TOMASZ JUREK: Obce rycerstwo na Slasku do potowy XIV wieku. Ροζηπή 1996, S. 166.
61
GRÜNHAGEN (wie A n m . 4), Teil I, S. 6 2 - 6 4 , 6 5 - 6 6 .
62
JOHANN HEINRICH ZEDLER: Grosses vollständiges Universal-Lexikon, Bd. 9.
Halle, Leipzig 1734, Sp. 688 ff.
50
Marian J. Ptak
Darüber hinaus waren die Reichslehen Wahrhaftige Ligische Lehen, das heißt ihre Besitzer waren lehnrechtlich nur mit dem Kaiser und dem Reich verbunden63. Schlesien und seine Territorien sind niemals in das Reich inkorporiert worden. Das hatte große politische und rechtliche Bedeutung. Kennzeichnend ist das Gutachten der Obern Rath vom 23. 5. 1664 in Sachen der Vormundschaft (tutela honoraria) des Herzogs Eberhard III. von Württemberg über die Söhne des verstorbenen Württembergers, Herzog Sylvius Nimrod von Oels in Schlesien64. Eines von vielen Argumenten gegen die Vormundschaft Eberhards lautete: daß Fürstenthumb Oelß dem heiligen Reich nicht incorporirt vnnd zuegethan. Folglich verhinderte das Fehlen der Inkorporation sogar die Einrichtung der Vormundschaft über Personen, die zu derselben Fürstenfamilie gehörten.
63
Bd. 3 1 . Halle, Leipzig 1 7 4 2 , Sp. 111 ff. Vgl. dazu Literatur des Teutschen Staatsrechts vom geheimen Justitzrath Pütter zu Göttingen, Teil III. Göttin-
ZEDLER,
g e n 1783, S. 60, 9 8 - 9 9 , 6 7 0 - 6 7 1 . 64
Hauptstaatsarchiv Stuttgart, G 99, Büschel 2.
Die politischen und rechtlichen Außenbeziehungen des Herzogtums Preußen (1525-1660) Bernhart Jähnig
Politische und rechtliche Beziehungen einer frühneuzeitlichen Landesherrschaft sind verschiedene moderne Betrachtungsweisen einer Sache, denn eine gewissermaßen naturrechtliche Setzung eines Völkerrechts, das solche zwischenstaatlichen Beziehungen eigenständig regelt, hat es weder zu jener Zeit noch vorher oder auch später gegeben. Es ist vielmehr zu beobachten, daß sich zwischenherrschaftliche Beziehungen ändern, weil sie in ihrer Gültigkeit von den politischen Kräfteverhältnissen abhängig sind. Die Ungleichheit politischer Mächte führt zu Abhängigkeiten, wobei seit dem späten Mittelalter es vor allem die stärkere Seite ist, die an einer schriftlichen Festlegung durch Verträge1 interessiert ist, um das einmal erreichte politische Übergewicht rechtlich und auf Dauer zu sichern. Selbst das Zeitalter von Völkerbund und UNO, das längst die seit dem 17. Jahrhundert entstandene Theorie der Gemeinschaft souveräner Staaten kennt, geht von hegemonialen Verhältnissen aus, wie etwa das Nebeneinander von ständigen und wechselnden Mitgliedern des UNO-Sicherheitsrates zeigt. Im Mittelalter war das Lehnssystem das bedeutendste Ordnungsprinzip, mit dem Über- und Unterordnungen gewöhnlich benachbarter Mächte geregelt wurden. Für das Deutsche Reich braucht nur auf die Lehnspyramide verwiesen zu werden, wie sie der Verfasser des Sachsenspiegels im frühen 13. Jahrhundert dargestellt hat. Doch handelt es sich dabei - typisch mittelalterlich - um kein geschlossenes System, denn es gab Reichsstände, die unzweifelhaft zum Reich gehörten, obwohl sie keinen Platz in der Lehnspyramide hatten. Von diesen am bedeutendsten sind die Reichsstädte. Auch die Herrschaft des Deutschen Ordens in Preußen stand außerhalb jeder Lehnsbeziehung. Anders als Reichsbischöfe und Reichsäbte unterlag der Orden als geisüiche Einrichtung wegen seiner übernationalen Bedeutung einem päpstlichen Lehnsverbot2. Wohl deshalb wird in der
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2
Vgl. KLAUS NEITMANN: Die Staatsverträge des Deutschen Ordens in Preußen 1230-1449. Köln, Wien 1986 (Neue Forschungen zur brandenburg-preußischen Geschichte, 6), S. 3-12, auch wenn es hier noch nicht um die Regelung von Abhängigkeiten, sondern um die Sicherung eigener Staatlichkeit gegen Nachbarmächte geht. Vgl. INGRID MATISON: Die Lehnsexemtion ders Deutschen Ordens und dessen staatsrechtliche Stellung in Preußen. In: Deutsches Archiv 21 (1965), S. 194-248.
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Bernhart
Jähnig
berühmten Goldbulle von Rimini - deren Geltung über Jahrhunderte hinweg unabhängig von der Datierungsfrage nicht zu bezweifeln ist - die Qualität der Macht des Hochmeisters mit der eines Reichsfürsten zwar gleichgesetzt, jedoch wird die Beziehung zum Reich offenbar absichtlich undeutlich gelassen. Das Handeln der Könige und Kaiser seit dem 13. Jahrhundert läßt jedoch erkennen, daß diese an der Zugehörigkeit der preußischen Ordensherrschaft zum Reich keinen Zweifel hatten. Lediglich die Form wurde gelegentlich diskutiert, wie spätere Versuche zeigen, den Hochmeister zu einer Lehnsnahme zu bewegen3. Nicht erst in unserer Zeit gab es Juristen, die verfassungs- und völkerrechtliche Beziehungen nach der reinen Lehre behandelten, ohne die politischen Bedingungen zu berücksichtigen. Ein solcher Vorgang vor dem Reichshofgericht in Wien führte dazu, daß im Februar 1454 die im Preußischen Bund vereinten Städte und Ritter dem Hochmeister die Fehde ansagten. Dazu gingen die Stände ein Bündnis mit der Krone Polen ein. Dessen Gestaltung durch sogenannte königliche Inkorporationsurkunden sowie deren rechtliche und politische Bewertung soll außerhalb unserer Betrachtung bleiben, da sie von anderer Seite behandelt werden. Der bekannte Ausgang des Dreizehnjährigen Krieges4, also machtpolitische Veränderungen führten dazu, daß der Hochmeister gezwungen war, im Oktober 1466 im Zweiten Thorner Frieden5 eine Neuregelung der Außenbeziehungen der preußischen Ordensherrschaft hinzunehmen. Es trat eine Änderung der zwischenherrschaftlichen Beziehungen ein. Dabei soll uns weniger der Verlust der wertvolleren westlichen Landesteile und der Verzicht auf die Schirmherrschaft über die Hochstifte Kulm und Ermland6 interessieren, als der Treueid7, den von nun an jeder Hochmeister dem König von Polen leisten sollte. Der Hochmeister geriet damit in ein Abhängigkeitsverhältnis, das in der Literatur vielfach im Vorgriff auf 1525 zu der vereinfachenden Aussage geführt hat,
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7
Vgl. OTTOKAR ISRAEL: Das Verhältnis des Hochmeisters des Deutschen Ordens zum Reich im 15. Jahrhundert. Marburg 1952 (Wissenschaftliche Beiträge zur Geschichte und Landeskunde Ostmitteleuropas, 4). Vgl. MARIAN BISKUP: Trzynastoletnia wojna Ζ Zakonem Krzyzackim 1454-1466 [Der dreizehnjährige Krieg mit dem Deutschen Orden 1454-1466]. Warszawa 1967. Vertragstext in: ERICH WEISE (Hg.): Die Staatsverträge des Deutschen Ordens in Preußen im 15. Jahrhundert, 2. Marburg 1955, S. 262-288, Nr. 403. Vgl. HANS SCHMAUCH: Das staatsrechtliche Verhältnis des Ermlandes zu Polen. In: Altpreußische Forschungen 11 (1934), S. 153-168. - DERS.: Die kichenpolitischen Beziehungen des Fürstbistums Ermland zu Polen. In: Zeitschrift für die Geschichte und Altertumskunde Ermlands 26 (1937), S. 271-337. - DERS.: Die kirchenrechtliche Stellung der Diözese Ermland. In: Altpreußische Forschungen 15 (1938), S. 241-268. Vgl. ERICH WEISE: Die staatsrechtlichen Grundlagen des Zweiten Thorner Friedens und die Grenzen seiner Rechtmäßigkeit. In: Zeitschrift für Ostforschung 3 (1954), S. 1-25, hier 15 f. u. 20 f.
Die politischen und rechtlichen Außenbeziehungen
des Herzogtums
Preußen
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daß das ösdiche Preußen schon 1466 polnisches Lehen geworden sei8. Die dem Hochmeister auferlegte Heeresfolge mag ebenfalls zu dieser Ansicht beigetragen haben. Im übrigen ist darauf hinzuweisen, daß keineswegs alle Bestimmungen des Zweiten Thorner Friedens verwirklicht worden sind. So wurden nach 1466 keine Polen als Ordensbrüder aufgenommen und es unterblieben auch die 1466 vorgesehenen Zustimmungen durch Papst und Kaiser. Das erhielt nach 1525 durchaus größere Bedeutung. Die Hochmeister nach 1466 haben immer wieder versucht, die Friedensvertragsbestimmungen günstiger zu gestalten, insbesondere den Treueid zu vermeiden9. Als der Orden nach 1497, um seine diplomatische Lage zu verbessern, Hochmeister aus reichsfurstlicher Familie berief, hat Friedrich von Sachsen10 begünstigt allerdings durch Krankheit, Abwesenheit aus dem Lande und frühen Tod - tatsächlich nicht gehuldigt. Sein Nachfolger, Albrecht von BrandenburgAnsbach11, wagte es sogar, auf militärischem Wege eine Befreiung zu versuchen. Trotz zeitweiliger Erfolge konnte er sich jedoch nicht durchsetzen und mußte 1521 infolge kaiserlicher Vermittlung einen Waffenstillstand eingehen, der auf vier Jahre begrenzt wurde. Wie schon zu Zeiten von Kaiser Maximilian I. gelang es Albrecht nicht, Kaiser Karl V. für eine tatkräftige Unterstützung zu gewinnen, da dieser selber auf Polen angewiesen war und andere Sorgen hatte. Zwar konnte es Albrecht erreichen, daß er 1523/24 für sein Amt als Hochmeister in Preußen als Reichsstand anerkannt und auf der Fürstenbank des Reichstags den Platz nach dem Erzbischof von Salzburg erhielt. Die volle Anerkennung mit einer förmlichen Belehnung mit den Regalien „unter der
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So vor allem die polnische Geschichtsschreibung, vgl. MARIAN BISKUP: Der Zusammenbruch des Deutschordensstaates im 15. Jahrhundert. In: MARIAN BISKUP, GERARD LABUDA: Die Geschichte des Deutschen Ordens in Preußen. Aus dem Poln. v. Jürgen Heyde u. Ulrich Kodur. Osnabrück 2000 (Deutsches Historisches Institut Warschau. Klio in Polen 6), S. 447-449. Vgl. LOTHAR DRALLE: Der Staat des Deutschen Ordens in Preußen nach dem II. Thorner Frieden. Wiesbaden 1975 (Frankfurter Historische Abhandlungen, 9); zuletzt die von Bernhart Jähnig, Markian Pelech und Lothar Dralle über die Hochmeister Ludwig von Erlichshausen bis Johann von Tiefen verfaßten Artikel in: UDO ARNOLD (Hg.): Die Hochmeister des Deutschen Ordens 1190-1994. Marburg 1998 (Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens, 40), S. 131-155. INGRID MATISON: Die Politik des Hochmeisters Friedrich von Sachsen (1498-1510). [Masch.] Phil. Diss. München 1957. - MARIAN BISKUP: Friedrich von Sachsen. In: ARNOLD (Hg.), Die Hochmeister (wie Aran. 9), S. 155-160. WALTHER HUBATSCH: Albrecht von Brandenburg-Ansbach, Deutschordenshochmeister und Herzog in Preußen. Heidelberg 1960 (Studien zur Geschichte Preußens, 8). - PETER G. THIELEN: Albrecht von Brandenburg-Ansbach. In: ARNOLD (Hg.), Die Hochmeister (wie Anm. 9), S. 160-165. Die polnische Forschung für 1519-1521 zusammenfassend MARIAN BISKUP: Das Ordensland Preußen als Lehen der polnischen Krone 1466-1525. In: BISKUP, LABUDA (wie Anm. 8), S. 504-508.
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Bernhart Jähnig
Fahne" konnte er jedoch auch in den ersten Monaten des Jahres 1525 nicht erlangen12. Mehr als freundliche Briefe von verschiedenen Seiten waren nicht zu bekommen. Gleichzeitig tauchte der Gedanke einer Säkularisierung der preußischen Ordensherrschaft auf. Zum einen trug die persönliche Begegnung Albrechts mit dem Reformator Martin Luther dazu bei13. Zum anderen war es Achatius von Zehmen14 als Gesandter von König Sigismund von Polen, der diese Vorstellung dem Hochmeister nahebrachte. Dazu kam, daß seit 1523 auch in Königsberg und Preußen lutherische Gedanken immer nachhaltiger an Gewicht gewannen und von dort ebenfalls die Möglichkeit einer Säkularisierung Preußens angeregt wurde. Nachdem ein für Anfang 1525 zu Preßburg anberaumter Verhandlungstag zwischen Albrecht und den Königen von Polen und Ungarn nicht zustandekam, weil letztere nicht erschienen, gelang es Herzog Friedrich von Liegnitz15 und Albrechts Bruder Georg, Markgraf von Brandenburg, in Krakau als Unterhändler Albrechts in die entscheidenden Verhandlungen einzutreten. Unter den polnischen Großen war die Einstellung zunächst umstritten. Doch setzte sich schließlich die Meinung durch, daß Albrecht angesichts seiner nahen Verwandtschaft zum König als dessen Vasall zu einer Befriedung der Nordgrenze beitragen würde. Auch die Vertreter der preußischen Stände und des preußischen Ordenszweiges konnten angesichts der Alternative - Eid auf den Zweiten Thorner Frieden oder Fortsetzung des Krieges - für die neue Lösung gewonnen werden. Am 18. März 1525 gab König Sigismund seine grundsätzliche Zustimmung, am 2. April erschien Albrecht in Krakau. Nach redaktionellen Schlußverhandlungen wurde am 8. April der Frieden geschlossen, am 10. April erfolgte die Belehnung Albrechts mit dem Herzogtum Preußen16. Polen suchte bei diesen Vorgängen seinen Ruf als Beschützer der traditionellen Kirche zu wahren. Daher sollte der Umstand, daß der bisherige Hochmeister den Ordensmantel ablegte, eine Friedensvoraussetzung und nicht Gegenstand des Friedensvertrages sein. 12
Vgl. AXEL HERRMANN: Der Deutsche Orden unter Walter von Cronberg (1525-1543). Bonn-Godesberg 1974 (Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens, 35), S. 21-23. Zum folgenden faßt die polnische Geschichtsschreibung zusammen BISKUP, 1466-1525 (wie Anm. 11), S. 522-532.
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V g l . HUBATSCH, ALBRECHT ( w i e A n m . 11), S . 120 f f .
14
Achatius von Zehmen, Woywode von Marienburg. In: Zeitschrift des Westpreußischen Geschichtsvereins 36 (1897), S. 1-166. CHRISTEL KRÄMER: Beziehungen zwischen Albrecht von Brandenburg-Ansbach und Friedrich II. von Liegnitz. Köln, Berlin 1977 (Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, 8). Vgl. STEPHAN DOLEZEL: Das preußisch-polnische Lehnsverhältnis unter Herzog Albrecht von Preußen. Köln, Berlin 1967 (Studien zur Geschichte Preußens, 14), S. 15 f. Vertragsurkunden in: Die Staatsverträge des Herzogtums Preußen, 1: Polen und Litauen, hg. v. Stephan u. Heidrun Dolezel. Köln, Berlin 1971 (Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, 4), S. 12-56.
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RICHARD FISCHER:
Die politischen und rechtlichen Außenbeziehungen des Herzogtums Preußen
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Dennoch mußte urkundlich Albrechts bisherige Rolle als Hochmeister und seine künftige als erblicher Landesfürst zur Sprache gebracht werden. Die Vertreter des Ordens und der Stände Preußens legten die Berechtigung dar, daß Albrecht das Lehen annehmen dürfe. Die Einführung der lutherischen Reformation war Albrechts Werk und fand in den Krakauer Vertragsurkunden keinen Niederschlag. Ganz im Gegenteil, der polnische Episkopat bekräftigte kurz zuvor durch eine antilutherische Stellungnahme seine altgläubige Haltung. Albrecht erhielt wie etwa die Landesherren von Masowien den Titel17 dux bzw. princeps, also Herzog. Seine Anrede als illustrissimus entsprach der nach 1466 für den Hochmeister verwendeten Form. Das entsprach auch seiner Würde als geborenem Reichsfürsten. Die Beziehung Albrechts zu seinem Herrschaftsgebiet wurde im Krakauer Vertragswerk schwankend ausgedrückt: dux ex Prussia, dux in Prussia oder dux Prussiae. Später heißt es in den Briefköpfen der von ihm ausgestellten Urkunden und Briefe, auch in den Umschriften seines Siegels: in Preußen Herczog. Diese sprachliche Frage hat durchaus eine politische Bedeutung, die bis 1772 beachtet wurde. Albrecht hatte vor 1525 eine Wiedervereinigung Preußens angestrebt, sogar eine Belehnung mit ganz Preußen (totius Prussiae) hat er wenigstens zeitweilig gewollt. Doch hatte er damit keinen Erfolg. Sigismund bestand auf den Grenzen von 1466. Immerhin gelang es Albrecht, eine Alternative ins Spiel zu bringen, weil er bis zuletzt Teile des Hochstifts Ermland besetzt hielt. Gegen dessen Freigabe konnte er die Mitbelehnung zwar nicht des Hauses Ansbach insgesamt, aber doch die seiner Brüder Georg, Kasimir und Johann, durchsetzen18. Das war eine wichtige Frage hinsichtlich der Erbfolge bzw. eines möglichen Heimfalls des Lehens beim Ausbleiben unmittelbarer Erben. Denn Polen war dagegen interessiert, möglichst früh einen Heimfall zu ermöglichen. Eine weibliche Erbfolge blieb ausgeschlossen. Damit folgte das Krakauer Vertragswerk der Goldenen Bulle Karls IV. für die Kurfürstentümer des Reichs und auch der in Polen für Masowien getroffenen Regelung. Für den Fall eines Heimfalls des Herzogtums war vorgesehen, daß ein Verwalter (gubernator) eingesetzt werden sollte, der der deutschen Sprache mächtig und in Preußen ansässig zu sein hatte. Die veränderte politische und rechtliche Stellung des nunmehrigen Herzogs war das Ergebnis eines politischen Kompromisses, den Albrecht eingegangen ist. In seiner eigenen Landesherrschaft Preußen und im Gebiet der Krone Polen war dieser zwar nicht unumstritten, doch konnte er ohne größere Schwierigkeiten durchgesetzt werden. Der innere Wandel „vom Ordensstaat zum Fürstentum"19 war unter den beiden Fürsthochmeistern schon so weit fortgeschrit-
17 18 19
Vgl. DOLEZEL: Lehnsverhältnis (wie Anm. 16), S. 20 f. Vgl. ebd., S. 21 f. So der Titel des bekannten Buches von KURT FORSTREUTER: Vom Ordensstaat zum Fürstentum. Geistige und politische Wandlungen im Deutschordensstaate Preußen unter den Hochmeistern Friedrich und Albrecht (1498-1525). Kitzingen [1951],
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Bemhart Jähnig
ten, daß nur wenige Ordensbrüder nicht bereit waren, sich in die neuen Verhältnisse einzuordnen, diese verließen zumeist Preußen. Anders war die Reaktion im Deutschen Reich. Hauptgeschädigter war der Deutsche Orden, der auf einen Schlag seine bisherige Leitung und sein bedeutendstes Gebiet verloren hatte20. Der Orden hatte sich im Verlauf des 13. Jahrhunderts in drei Zweige gegliedert, von denen der preußische nach der Verlegung des Hochmeistersitzes aus dem Mittelmeerraum in die Marienburg an der Nogat unmittelbar dem Hochmeister und der Ordensleitung unterstellt wurde. Daneben gab es den livländischen Ordenszweig, der aus dem 1237 inkorporierten Schwertbrüderorden hervorgegangenen war, mit einem Landmeister an der Spitze. Die Ordensbrüder und Ordensbesitzungen im Reich und seit der Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert auch die in den Mittelmeerländern unterstanden dem Meister in deutschen und welschen Landen, der kurz als Deutschmeister bezeichnet wird. Während der Orden in Preußen und Livland bedeutende Landesherrschaften aufbauen konnte, gelang es im Reich nur vereinzelt, in räumlich stark begrenztem Maße wie am mittleren Neckar und um Mergentheim landesherrliche Rechte zu erwerben. Im Verlauf des 15. Jahrhunderts verselbständigten sich die Ordenszweige zunehmend. Begünstigt wurde das durch die innen- und außenpolitische Schwäche des Hochmeistertums. Das setzte zwar schon in der ersten Jahrhunderthälfte ein, verstärkte sich aber nach dem Zweiten Thorner Frieden. Daher war auch vor 1525 die Bereitschaft der preußischen Stände gering, Hochmeister Albrecht gegen Polen zu unterstützen21. Um so heftiger war die Reaktion beim Deutschen Orden. 1525 war für diesen das Jahr seiner schwersten Krise22. Nur wenige Tage nach den Krakauer Ereignissen ging der bisherige Sitz des Deutschmeisters, die Horneck am mittleren Neckar, in Flammen auf, da diese Ordensburg und andere Ordensbesitzungen im Reich Opfer des Bauernkrieges wurden. Deutschmeister Dietrich von Cleen erfuhr erst im Sommer von der Säkularisierung Preußens. Er wandte sich daraufhin an Papst und Kaiser, an die Reichsfürsten und an die Ritterschaft, um seine Unschuld an den Vorgängen in Krakau und Preußen zu beteuern. Dem Orden im Reich ging es zunächst darum, angesichts von Bauernkrieg und Reformation die Besitzungen im Reich zu sichern, außerdem beanspruchte der Deutschmeister den Gehorsam der bisher dem Hochmeister unterstellten Ordensbrüder und damit die Leitung des Ordens. Im Restorden im Reich war man zunächst zurückhaltend, etwas gegen Albrecht und das Haus BrandenburgAnsbach zu unternehmen, zumal Erzherzog Ferdinand zunächst seine Bereit-
20
21
22
Vgl. HERRMANN (wie Anm. 12), besonders S. 33-36; auch DERS.: Walter von Cronberg. In: ARNOLD (Hg.), Die Hochmeister (wie Anm. 9), S. 165-171. Vgl. HELMUT FREIWALD: Markgraf Albrecht von Ansbach-Kulmbach und seine landständische Politik als Deutschordens-Hochmeister und Herzog in Preußen während der Entscheidungsjahre 1521-1528. Kulmbach 1961 (Die Plassenburg, 15). Vgl. HERRMANN (wie Anm. 12), S. 33-36.
Die politischen und rechtlichen Außenbeziehungen des Herzogtums Preußen
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schaft erklärte, den Verlust Preußens hinzunehmen und den Orden auf dem Balkan gegen die Türken einzusetzen. Im Orden wurde durchaus befürchtet, Papst und Kaiser könnten die Vorgänge in Krakau und damit die Säkularisierung Preußens bestätigen23. Die Entwicklung verlief jedoch anders. Für den Reichstag zu Speyer 1526 war der Deutschmeister mit einer Schrift über Albrechts Untreue gegen den Orden zum Angriff übergegangen24. Im Oktober antwortete Albrecht mit seiner „Christlichen Verantwortung", der ersten Fassung seiner Apologie, indem er die glaubensmäßige Seite seiner Veränderung in Preußen in den Vordergrund stellte. Der Kaiser billigte dies nicht und übertrug im Dezember 1527 dem neuen Deutschmeister Walter von Cronberg die Würde eines Administrators des Hochmeistertums in Preußen. Damit entsprach der Kaiser den Vorstellungen im Deutschen Orden, daß die Ordensleitung untrennbar mit dem Besitz des Landes Preußen verbunden sein müsse. Auf diese Weise wurde auch der Wettlauf zwischen dem Deutschmeister und dem livländischen Meister Wolter von Plettenberg25 um die Führung des Ordens entschieden. Im Juli 1530 erreichte es der Meister sogar, daß ihm auf dem Augsburger Reichstag für Preußen die Regalien verliehen wurden26. Was Hochmeister Albrecht 1524/25 nicht hatte erlangen können, gelang nunmehr Walter von Cronberg. Von der im frühen 13. Jahrhundert verfügten päpstlichen Lehnsexemtion war unter gewandelten politischen Verhältnissen schon länger nicht mehr die Rede. Cronberg verzichtete jedoch, den Titel eines Hochmeisters anzunehmen, da er die gegenwärtige Konstellation nur als Provisorium ansah und vermutlich von sich aus keine unnötigen diplomatischen Belastungen verursachen wollte. 1532 erhielt der Administrator sogar durch das Reichskammergericht einen Rechtstitel gegen Herzog Albrecht in Preußen und die Krone Polen27. Aber auch damit ist es ihm nicht gelungen, Kaiser und Reich zu einem militärischen Einsatz zu bewegen, um Preußen für den Orden zurückzugewinnen.
23
V g l . e b d . , S. 3 7 - 4 4 .
24
Vgl. ANTJEKATHRIN GRABMANN: Preußen und Habsburg im 16. Jahrhundert. Köln, Berlin 1968 (Studien zur Geschichte Preußens, 15), S. 26 g.; zu Albrechts Apologien vgl. FORSTREUTER (wie Anm. 19), S. 1 1 2 - 1 2 5 ; eine Edition ist von Almut Bues (Deutsches Historisches Institut Warschau) zu erwarten. Vgl. im ganzen die Aufsatzbände NORBERT ANGERMANN (Hg.): Wolter von Plettenberg. Der größte Ordensmeister Livlands. Lüneburg 1985 (Schriftenreihe Nordost-Archiv, 21). - NORBERT ANGERMANN, ILGVARS MISÄNS (Hg.): Wolter von Plettenberg und das mittelalterliche Livland. Lüneburg 2001 (Schriften der Baltischen Historischen Kommission, 7).
25
26
V g l . GRASSMANN (wie A n m . 24), S. 4 4 f f . ; HERRMANN (wie A n m . S. 8 8 - 9 7 .
12),
27
Vgl.
12),
GRASSMANN S. 9 8 - 1 0 1 .
(wie Anm.
24),
S. 5 3 - 5 9 ;
Herrmann (wie Anm.
58
Bernhart Jähnig
Auch der Nachfolger, Wolfgang Schutzbar gen. Milchling28, wurde 1544 von Karl V. mit den Regalien für das Hochmeistertum in Preußen belehnt. Dennoch war auch nach der für Karl V. siegreichen Schlacht bei Mühlberg über die im Schmalkaldener Bund verbündeten evangelischen Fürsten 1547 trotz persönlicher Mitwirkung Schutzbars keine Rückgewinnung Preußens in Sicht. Die Bereitschaft der neuen Ordensleitung, nunmehr den Zweiten Thorner Frieden anzuerkennen, dem König von Polen den Treueid zu leisten und Herzog Albrecht finanziell abzufinden, zeigte den Orden in weitem Abstand von den tatsächlichen politischen Machtverhältnissen. Der nächste Deutschmeister und Hochmeister-Administrator, Georg Hund von Wenckheim29, wurde zwar ebenfalls mit dem Hochmeistertum belehnt, ohne daß Polen dagegen protestierte. Er versuchte jedoch nach dem Tode Herzog Albrechts 1568 vergeblich bei Kaiser und Reich um Hilfe für eine Rückgewinung Preußens. Nach dem Aussterben der Jagiellonen 1572 gab es mehrere kurzfristige Interregna in Polen. Vergeblich suchte der neue Administrator, Heinrich von Bobenhausen30, durch Verhandlungen in Warschau und Wilna einen Erfolg für den Orden. Offenbar mit Maximilian, dem ersten Habsburger im Leitungsamt des Ordens (1585/90-1619) 31 , wurde die seitdem populär werdende Amtsbezeichnung des Hoch- und Deutschmeisters üblich, ohne daß sich in den politischen und rechtlichen Beziehungen des Deutschen Ordens zu Preußen etwas änderte. Während der Deutsche Orden seit der Säkularisierung Preußens als Fordernder auftrat, der sich um die Rückgewinnung eines entfremdeten und verlorenen Landes bemühte32, sah sich der ehemalige Hochmeister und nunmehrige Herzog in Preußen in der Rolle eines ständig Bedrohten. Während der Orden, Don Quichotte vergleichbar, gegen die stärkeren .Windmühlen' der über ihn hinweggegangenen politischen Entwicklung aufzubegehren versuchte, und zwar bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts, sah sich Herzog Albrecht einem für ihn offenbar schwer einschätzbaren politischen Kräftespiel gegenüber. Zwar hatte er in seinem Lehnsherrn und Onkel einen mächtigen Verbündeten, der vertragsgemäß stets bereit war, Albrecht als seinen Lehnsmann und Neffen gegen Angriffe auf dessen Landesfürstentum zu schützen. Herzog Albrecht blieb jedoch seiner Herkunft nach ein Fürst des Reichs und fühlte sich daher durch Maßnahmen von
28
29
30
AXEL HERRMANN: Wolfgang Schutzbar gen. Milchling. In: ARNOLD ( H g . ) , D i e
Hochmeister (wie Anm. 9), S. 173-178. AXEL HERRMANN: Georg Hund von Wenckheim. In: ARNOLD (Hg.), Die Hochmeister (wie Anm. 9), S. 178-182. HEINZ NOFLATSCHER: Heinrich von Bobenhausen. In: ARNOLD ( H g . ) ,
Die
HEINZ NOFLATSCHER: Maximilian von Österreich. In: ARNOLD ( H g . ) ,
Die
Hochmeister (wie Anm. 9), S. 182-191. 31
32
Hochmeister (wie Anm. 9), S. 191-197. Vgl. UDO ARNOLD: Mergentheim und Königsberg/Berlin - die Rekuperationsbemühungen des Deutschen Ordens auf Preußen. In: Württembergisch Franken. Jahrbuch 1976, S. 14-54.
Die politischen und rechtlichen Außenbeziehungen des Herzogtums Preußen
59
Kaiser und Reichstag unmittelbar betroffen. In einem merkwürdigen Anflug von politischer Weltfremdheit gab Albrecht schon kurz nach dem Krakauer Lehnsakt die Instruktion, daß beim Kaiser seine Belehnung mit den Gebieten des Deutschen Ordens in Deutschland und Livland beantragt werden möge33.Durch den Speyrer Reichstag, auf dem es zum ersten Schlagabtausch mit dem Orden gekommen war, war für ihn deutlich geworden, daß der Kaiser sein Vorgehen mißbilligte. Anschluß fand er dagegen bei den evangelischen Reichsfürsten, die sich gegen den altgläubigen Kaiser zu organisieren begannen. Mit dem Kurfürsten von Sachsen schloß er ein Defensivbündnis für den Fall, daß er in Glaubensdingen angegriffen würde. Auf die letztlich erfolglosen Versuche des Herzogs, durch ein Eingreifen in die politischen Verhältnisse in Böhmen und Ungarn in den folgenden Jahren sich den Kaiser und dessen Bruder Ferdinand geneigter zu machen, kann hier nicht näher eingegangen werden. Ein Jahr nach der ersten Belagerung Wiens durch die Türken fand der berühmte Augsburger Reichstag des Jahres 1530 statt, auf dessen Verhandlungen Albrecht große Hoffnungen gesetzt hatte, die jedoch gänzlich enttäuscht wurden. Unter dem Einfluß des Humanisten Crotus Rubeanus34 und anderer hatte er zur Vorbereitung eine neue Fassung seiner Apologie erarbeitet, die in ihrer Tendenz gemäßigter war35. Der Gesandte des Herzogs wurde auf Betreiben des Hochmeister-Administrators Cronberg gar nicht vorgelassen. Da nutzte auch die Unterstützung des polnischen Gesandten Johannes Dantiscus36, des späteren ermländischen Bischofs, nichts. Bemerkenswert ist, wie jede Seite bei ihrer verfassungsgeschichtlichen Argumentation die tatsächlichen Verhältnisse zu ihren Gunsten verbogen hat. Cronberg konnte dem Kaiser einreden, Preußen sei schon immer Reichslehen gewesen, das Albrecht jetzt dem Reich entfremdet hätte. Als der Kaiser am 26. Juli Cronberg mit dem Hochmeistertum und mit Preußen belehnte, gab es hierfür keine politische Tradition. Vielmehr handelte es sich um eine Neuerung, die sich jedoch - wie schon ausgeführt - für den Deutschmeister und Hochmeister-Administrator immer wieder als ein Rechtstitel erwiesen hat, der nicht einzulösen war. Dantiscus dagegen vertrat nun den Standpunkt, Preußen habe schon immer zur Krone Polen gehört und protestierte gegen diesen Vorgang. Der Deutsche Orden konnte besonders dadurch Stimmung gegen Albrecht machen, indem er mit einer großen Unterschriftensamm-
33
Vgl. PAUL KARGE: Herzog Albrecht von Preußen und der Deutsche Orden. In: Altpreußische Monatsschrift 39 (1902), S. 371-485, hier 372. - HUBATSCH, Albrecht (wie Anm. 11), S. 218.
34
V g l . FORSTREUTER ( w i e A n m . 19), S. 143 f.
35
Vgl. ebd., S. 116. Vgl. DOLEZEL, Lehnsverhältnis (wie Anm. 16), S. 48-51; auch INGE BRIGITTE MÜLLER-BLESSING: Johannes Dantiscus von Höfen. In: Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde Ermlands 31/32 (1967/68), S. 59-238, hier 138 ff.
36
60
Bernhart Jähnig
lung dagegen protestierte37, daß mit Preußen dem deutschen Adel eine große Versorgungseinrichtung verloren gegangen sei. Mit dem Adelsspital im übertragenen Sinne ist in jenen Jahrzehnten immer wieder argumentiert worden. Daß die Bedeutung stark übertrieben wurde, zeigen die Zahlenverhältnisse. Während im frühen 16. Jahrhundert dem preußischen Ordenszweig nur noch wenig mehr als 50 Ordensritter angehört haben38, war die Zahl vor dem Dreizehnjährigen Krieg noch zehn Mal so hoch gewesen. Herzog Albrecht fühlte sich jedoch mehr oder wenig zeit seines Lebens durch die kaiserliche Politik bedroht. Im Oktober 1530 forderte Karl V. auf, den Deutschmeister zu unterstützen. Die Fürsten beschlossen, daß der Herzog und der Administrator sollten zu Verhandlungen vor dem Kaiser erscheinen sollten. Cronberg wandte sich jedoch an das Reichskammergericht. Der Krakauer Vertrag wurde für ungültig erklärt. Albrecht wurde aufgefordert, Preußen abzutreten oder seine Rechte darzulegen. Der Kaiser selbst hatte offenbar wegen anderer für ihn wichtigerer Probleme nur ein mäßiges Interesse, so daß Dantiscus dem Herzog empfehlen konnte, die an ihn ergangenen Mandate möglichst wenig zu beachten39. Während sich Albrecht so unsicher fühlte, daß er sich nicht getraute, Friedrich von Liegnitz aufzusuchen, suchte er dennoch die diplomatische Verbindung zu den Habsburger Herrschern noch nicht abreißen zu lassen. Einer im Sommer 1531 verfaßten ausführlichen Apologie ließ er daher einen Extrakt folgen, der für den diplomatischen Gebrauch bestimmt war und vor allem auf eine Behandlung der Glaubensfragen verzichtete40. Der polnische Lehnsherr hatte offiziell Albrecht untersagt, weil er ein Lehnsmann der Krone Polen sei, vor dem Reichskammergericht zu erscheinen. Dieses verhängte daraufhin über Albrecht im Januar 1532 die Reichsacht41. Die Reichsfürsten maßen dem eine geringere praktische Bedeutung bei als der Herzog selbst. Albrecht suchte wenigstens König Ferdinand für sich zu gewinnen, indem er mit
37
V g l . GRASSMANN ( w i e A n m . 2 4 ) , S. 4 5 .
38
Eine um 1525 entstandene Liste im Deutschordens-Zentralarchiv Wien, die jedoch unvollständig ist, druckt MAX TOPPEN in: Scriptores rerum Prussicarum, 5, Leipzig 1874, S. 371 Aran.; vgl. künftig BERNHART JÄHNIG: Flucht vor der Reformation. In: JOACHIM BAHLCKE (Hg.), Glaubensflüchtlinge. Ursachen und Auswirkungen konfessioneller Migration im frühneuzeitlichen Ostmitteleuropa. Zu den Brüderzahlen vor 1454 vgl. DERS.: Der Danziger Deutschordenskonvent in der Mitte des 15. Jahrhunderts. In: DERS., PETER LETKEMANN (Hg.), Danzig
in acht Jahrhunderten. Münster 1985 (Quellen und Darstellungen zur Geschichte W e s t p r e u ß e n s , 2 3 ) , S. 1 5 1 - 1 8 4 , h i e r S. 1 5 5 - 1 6 1 . 39
V g l . HUBATSCH ( w i e A n m . S. 4 5 - 4 9 .
40
Zur Apologie C nur kurzer Hinweis bei FORSTREUTER (wie Anm. 19), S. 117. Vgl. MATTHIAS WEBER: Zur Bedeutung der Reichsacht in der Frühen Neuzeit. In: JOHANNES KUNISCH (Hg.), Neue Studien zur frühneuzeitlichen Reichsgeschichte. Berlin 1997 (Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 19), S. 55-90, hier S. 6 7 f.
41
11), S. 2 2 1 f . ; GRASSMANN ( w i e A n m .
24),
Die politischen und rechtlichen Außenbeziehungen des Herzogtums Preußen
61
Genehmigung des Königs von Polen militärische Türkenhilfe anbot. Auf dem Regensburger Reichstag42 trat nicht nur der polnische Gesandte Dantiscus gegen die Reichsacht auf, sondern auch die evangelischen Reichsfiirsten setzten sich nachhaltig für Albrecht ein. Auf Vermittlung des von den Türken besonders bedrohten Königs Ferdinand kam zum ersten Mal eine Suspension der Reichsacht zustande. Als sich die politische Lage der Habsburger Herrscher besserte, hinderten sie nicht das Reichskammergericht, Albrechts Untertanen mit der Acht zunächst zu bedrohen. Die Achterklärung erfolgte 1534, als auf Befehl des polnischen Königs auch die preußischen Stände nicht in Speyer erschienen. Dies veranlaßte den Herzog seinerseits, offener gegen den Kaiser in dessen Auseinandersetzung mit den evangelischen Fürsten Partei zu nehmen43. Albrechts Bemühungen in den folgenden Jahrzehnten, sich vor der Reichsacht zu schützen oder gar deren Aufhebung zu erlangen, können nicht im einzelnen dargelegt werden. Es können nur die wichtigsten Punkte angesprochen werden, die zugleich andeuten, wie intensiv die Außenbeziehungen des Herzogs in zahlreiche Richtungen gewesen sind. In der Grafenfehde 1534-153644, in der es um die dänische Thronfolge ging, unterstützte Albrecht seinen Schwager Christian III., der sich schließlich als König durchsetzen konnte, gegen die Politik des Grafen Christoph von Oldenburg und anderer, die mit Hilfe des Kaisers dem gefangengesetzten Christian II. wieder zur Macht verhelfen wollten. Albrecht fürchtete die kaiserliche Ostseepolitik als ein mögliches Mittel, die vom Orden angestrebte Reichsexekution in Angriff zu nehmen. Albrechts Angebot, in den folgenden Jahren sich als Kriegshauptmann bei der Bekämpfung der Türken zur Verfügung zu stellen45, sicherte ihm zwar Sympathien König Ferdinands, führte jedoch auch nicht zur Achtaufhebung. Gesandte versuchten der kaiserlichen Diplomatie nahezubringen, daß in den militärischen Fragen Preußen nützlicher sein könne als der Deutsche Orden, der sich etwa im Oktober 1540 durch die Ablehnung einer Türkenhilfe wenig beliebt gemacht hatte. Auf den Reichstagen war Albrecht, der für seine Person keinem Geleitschutzversprechen traute, durch Gesandte vertreten, mehr als Verlängerungen der Suspension der Reichsacht waren nicht zu erreichen. Aber selbst der Sieg Karls V. über den
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43 44
45
Vgl. DOLEZEL, Lehnsverhältnis (wie Arnn. 16), S. 54-56; GRASSMANN (wie Anm. 24), S. 53-59. Vgl. ebd., S. 59-61. Vgl. HELMUT FREIWALD: Das Problem der Wiedergewinnung Preußens für den Deutschen Orden unter Walter von Cronberg im europäischen Kräftefeld der Grafenfehde. In: KLEMENS WIESER (Hg.), Acht Jahrhunderte Deutscher Orden. Festschrift Marian Turnier anläßlich seines 80. Geburtstages. Bad Godesberg 1967, S. 339-355. Vgl. GRASSMANN (wie Anm. 24), S.79-81. Albrecht war ein großer Kriegsschriftsteller, vgl. KURT FORSTREUTER: ZU den Kriegsstudien des Herzogs Albrecht von Preußen, zuerst 1942, neu in: DERS., Beiträge zur preußischen Geschichte im 15. und 16. Jahrhundert. Heidelberg 1960 (Studien zur Geschichte Preußens 7), S. 56-72.
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Kurfürsten von Sachsen und dessen Verbündete in der Schlacht bei Mühlberg 1447 veranlaßte den Kaiser nicht, nun einer Reichsexekution gegen Albrecht näherzutreten46. Albrecht fürchtete dies jedoch, zumal gerade in dieser Zeit kurz vor dem Tode König Sigismund I. von Polen der Lehnsherr kaum in der Lage gewesen wäre, seinen Lehnsmann gegen einen möglichen Angriff militärisch zu schützen. Auf dem Reichstag des Jahres 1548 waren etliche Stimmen zu hören, die sich für eine Reichsexekution aussprachen, weil Preußen zum Reich gehöre. Eine Aufhebung der Reichsacht wurde auch als problematisch bezeichnet, weil das Reichskammergericht, das ja ein Urteil gesprochen habe, durch Aufhebung eines Urteils aus politischen Gründen sein Ansehen gefährden würde47. So blieb alles beim alten, da Karl V. die Freundschaft Polens brauchte; es sollte weiter verhandelt werden. Nach dem Tode des polnischen Königs Sigismund des Alten am 1. April 1548 forderten die Reichsstände tatsächlich Danzig und Elbing auf, sich wieder dem Reich anzuschließen, und forderten die Rückgewinnung nicht nur Preußens sondern sogar Masowiens48. Albrecht fürchtete eine ungünstige Entwicklung, weil der junge König Sigismund August und seine Mutter Bona politisch uneinig waren. Von Bona vorgeschlagene Pläne, polnische Prinzessinnen mit Herzog Albrecht und seinem fränkischen Neffen Albrecht Alkibiades zu verheiraten, scheiterten unter anderem am Einspruch Karls V.49, der auf Albrechts früheres Keuschheitsgelübde verwies. Bemerkenswert ist, daß 1549 über den kaiserlichen Vorschlag („Brüsseler Programm")50 verhandelt wurde, der auf Albrechts Neffen Albrecht Alkibiades zurückging. Danach sollte der König von Polen über das königlich-polnische Preußen nur noch im Auftrage des Reichs eine Schutzherrschaft ausüben, während das herzogliche Preußen nach dem Tode von Sigismund August an das Reich fallen solle, dieses Reichslehen solle das Haus Brandenburg insgesamt erhalten. Karl V. knüpfte daran die Bedingung, daß in Preußen das Interim eingeführt würde, was jedoch vom Herzog abgelehnt wurde51. Der Deutsche Orden sollte mit dem Erzstift Riga abgefunden werden, der Erzbischof Wilhelm, Albrechts Bruder, mit einer Geldzahlung. Der polnische König war, obwohl er gegen seine Stände die Habsburger als Stütze benötigte, zu keinem Verzicht zu bewegen. Er bestand auf seinen Rechtspositionen. Herzog Albrecht suchte sich seit 1551 durch den Fürstenbund defensiv zu schützen, zog sich jedoch zurück, als dieser unter Moritz von Sachsen militärisch gegen Karl V. vorging. Albrecht verblieb in den 50er Jahren weiterhin
46 47
Vgl. GRASSMANN (wie Anm. 24), S. 120-125. Vgl. ebd., S. 125 f.
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Vgl. HUBATSCH (wie A n m . 11), S. 225; GRASSMANN (wie A n m . 2 4 ) , S. 127.
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Vgl. ebd., S. 127-129. DOLEZEL, Lehnsverhältnis (wie Anm. 16), S. 82; GRASSMANN (wie Anm. 24), S. 130 f. „Was hilfe es, die Welt zu gewinnen und doch das Ewige zu verlieren." HU-
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BATSCH (wie A n m . 11), S. 226.
Die politischen und rechtlichen Außenbeziehungen
des Herzogtums
Preußen
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in einer zwiespältigen Lage. Auch wenn sich der Kaiser und manche Reichsstände an die Veränderung Preußens gewöhnt hatten, waren die Vorwürfe einer angeblichen Entfremdung von Reichsgut nicht vom Tisch52. 1559 wurde wieder intensiver um eine Aufhebung der Reichsacht gegen Albrecht verhandelt53. Dies verband sich mit der Frage einer Belehnung Albrechts mit den fränkischen Besitzungen nach dem Tode seines Neffen Albrecht Alkibiades. Da Kaiser Ferdinand zwar wiederholt Albrecht sein Wohlwollen bekunden ließ, wurde deutlich, daß sich nach dem Tode Karls V. die politische Frage mehr zu einer Frage des Rechts verschoben hatte, die vor allem vom Deutschen Orden immer wieder vertreten wurde. Ferdinand war nicht stark genug, um sich gegen die Reichsstände durchzusetzen, die den Standpunkt des Rechts vertraten. Auch die Haltung der brandenburgischen Vettern schadete Albrechts Bemühungen. Dennoch wurde Albrechts Herzogtum in seinem Bestand nicht gefährdet, denn vom Reich her war wegen fehlender Machtmittel kein Eingreifen möglich. Wenn die Reichsacht gegen Albrecht bis zu seinem Tode 1568 nicht aufgehoben wurde, hatte das seine Gründe im geschriebenen und gesprochenen Recht, wie es einmal vom Reichskammergericht verhängt worden war und für dessen Änderung und Aufhebung sich keine Mehrheit fand. In Albrechts Außenbeziehungen mit politischer, aber auch rechtlicher Bedeutung spielte auch Livland eine große Rolle. Nach 1525 hat hier der Deutsche Orden noch für mehr als eine Generation seine Macht halten können, jedoch hat Albrecht den livländischen Ordenszweig überlebt, da die livländische Herrschaftsgemeinschaft des Ordens mit dem Erzstift Riga und den Hochstiften Dorpat, Ösel-Wiek und Kurland nach dem Angriff des Moskauer Zaren Iwan IV. 1561 unterging54. Bis es so weit war, versuchte der Herzog in Livland eigene Politik zu machen55, indem er die ordensfeindlichen Kräfte in Livland zu unterstützen suchte. Besondere Aufgaben hatte dabei der aus Danzig stammende Rigaer Stadtsekretär und -syndikus Johannes Lohmüller wahrzunehmen36. Denn schließlich sah Albrecht nicht nur im Deutschmeister und Hochmeister-Administrator zu Mergentheim, sondern auch im livländischen Landmeister seinen Gegner. Das war bis 1535 Wolter von Plettenberg57, der 1502 einen ersten 52 53 54
55
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Einzelheiten bei GRASSMANN (wie Anm. 24), S. 132-142. Die Einzelheiten zum folgenden Jahrzehnt, ebd., S. 149-172. Aus der zahlreichen Literatur vgl. NORBERT ANGERMANN: Studien zur Livlandpolitik Ivan Groznyjs. Marburg 1972 (Marburger Ostforschungen, 32). Vgl. HEINZ QUEDNAU: Livland im politischen Wollen Herzog Albrechts von Preußen. Leipzig 1939 (Deutschland und der Osten, 12). ULRICH MÜLLER: Johann Lohmüller und seine livländische Chronik „Warhaftig Histori". Lüneburg 2001 (Schriften der Baltischen Historischen Kommission, 10). Zu den den vielfältigen Bereichen seines Umfeldes vgl. die Sammelbände von NORBERT ANGERMANN (Hg.): Wolter von Plettenberg. Der größte Ordensmeister Livlands. Lüneburg 1985 (Schriftenreihe Nordost-Archiv, 21). - DERS., ILGVARS MISÄNS (Hg.), Wolter von Plettenberg und das mittelalerliche Livland. Lüneburg 2001 (Schriften der Baltischen Historischen Kommission, 7).
64
Bernhart Jähnig
Angriff der Russen hatte abwehren können. Albrecht unterstützte in Livland die reformatorischen Kräfte58, die sich dort ähnlich wie in Preußen entwickelten, vor allem in den großen Städten, aber sogar in den Reihen des Deutschen Ordens selbst. In Riga gelang es Albrecht, seinen Bruder Wilhelm zunächst als Koadjutor des Erzbischofs 1529/30 durchzusetzen59, ehe dieser selbst 1539 letzter Erzbischof von Riga wurde. Wilhelm war jedoch zu schwach, um im Lande selbst eine erfolgreiche Politik durchzusetzen. Daher konnte auch er nicht verhindern, daß in Livland ein Machtvakuum entstand, so daß dieses Land schließlich ein Opfer stärkerer Mächte wurde. Preußen konnte von einem solchen Nachbarland nicht gefährdet werden. Es reichte noch nicht einmal die Kraft, für ganz Livland eine preußische Lösung zu erreichen. Der letzte Meister des livländischen Ordenszweigs, Gotthard Ketteier, konnte lediglich für Kurland und Semgallen - das waren von Alt-Livland lediglich die Gebiete südlich der Düna - ein evangelisches Herzogtum als Lehen von der Krone Polen sich erhalten60. Herzog Albrecht hat nur die Pfandschaft von Grobin an der kurländischen Ostseeküste als kleinsten Teil der Beute erringen können. Für den Fortbestand des Herzogtums Preußen war es wichtig, ob es Herzog Albrecht gelingen würde, eine eigene Dynastie zu gründen. Der Krakauer Vertrag sah vor, wie schon gesagt, daß das Herzogtum nur an männliche Erben weitergegeben werden könne, wobei es Albrecht gelungen ist, wenigstens drei seiner Brüder - Kasimir (1481-1527), Georg (1484-1543) und Johann (14931525) - in die Belehnung mit einzubeziehen. Damit wurden für den Fall, daß Albrecht keine unmittelbaren männlichen Erben bekommen sollte, auch deren Söhne als Albrechts Neffen erbberechtigt. Daß eine solche Vorsorge seitens des neuen Herzogs notwendig war, wenn ein schneller Heimfall des Herzogtums an den Lehnsherrn verhindert werden sollte, machten die folgenden Jahrzehnte deutlich. Albrecht heiratete 1526 Dorothea61, die Tochter des dänischen Königs Friedrich I. Als diese 1547 starb, lebte von den gemeinsamen Kinder nur die älteste Tochter, Anna Sophie (1527-1591). Diese heiratete später, 1555, Herzog Johann Albrecht I. von Mecklenburg (1525-1576), der seinen preußischen
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Grundlegend LEONID ARBUSOW D. J.: Die Einführung der Reformation in Liv-, Est- und Kurland. Leipzig 1921. Neudr. Aalen 1964 (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte, 3). Paul Karge hat die geplante Biographie nicht abschließen können. Von seinen Vorarbeiten vgl. u. a.: Die Berufung des Markgrafen Wilhelm zum Koadjutor des Rigaschen Erzbischofs. In: Baltische Monatsschrift 35 (1906), S. 117-155. Vgl. MARTIN HÜBNER: Die Verfassung im Herzogtum Kurland bis 1617. In: ERWIN OBERLÄNDER, ILGVARS MISÄNS (Hg.), Das Herzogtum Kurland 1561-1795. Lüneburg 1993, S. 29-55. - VOLKER KELLER: Lehnspflicht und äußere Bedrohimg: Der Streit um den Roßdienst im Herzogtum Kurland 1561 bis 1617, ebd., S. 57-98. ISELIN GUNDERMANN: Herzogin Dorothea von Preußen 1504-1547. Köln, Berlin 1965 (Studien zur Geschichte Preußens, 9).
Die politischen und rechtlichen Außenbeziehungen des Herzogtums Preußen
65
Schwiegervater sowohl im Reich wie in Livland unterstützt hat62. Erbberechtigt waren diese jedoch nicht. Alle Verhandlungsversuche Albrechts mit der Krone Polen, seinen Schwiegersohn als möglichen Nachfolger anerkennen zu lassen, blieben erfolglos. Von Albrechts drei Brüdern, die 1525 mitbelehnt worden waren bzw. deren Mitbelehnung vorgesehen war, sich aber sehr zurückhielten, lebte bei Dorotheas Tode keiner mehr. Als möglicher Nachfolger wurde daher der schon genannte Neffe Albrecht Alkibiades (1522-1557), der Sohn von Albrechts ältestem Bruder Kasimir, 1545 vertraglich vorgesehen. Abgesehen von dessen zweifelhaften Regentenfähigkeiten starb auch er frühzeitig. Mit eingeschlossen in den Erbvertrag wurde der Neffe Georg Friedrich (1539-1603), der Sohn von Albrechts Bruder Georg. Die feierliche Mitbelehnung von Albrechts fränkischen Neffen konpte 1550 erreicht werden. Aber schon vorher, 1550, heiratete Albrecht ein zweites Mal, nämlich Anna Maria von Braunschweig-Calenberg (1532-1568)63. Ihre Mutter Elisabeth, gebürtig aus der brandenburgischen Kurlinie der Hohenzollern, in erster Ehe mit Erich I. von Braunschweig-Calenberg, nunmehr in zweiter Ehe mit Graf Poppo XII. von Henneberg verheiratet, hatte die Hochzeit ihres preußischen Vetters betrieben64. Aus dieser Ehe ging der Thronfolger Albrecht Friedrich hervor (1553-1618). Dennoch bemühte sich Herzog Albrecht um eine Mitbelehnung der brandenburgischen Kurlinie mit Preußen. 1563 konnte dies nach zähen Verhandlungen mit der Krone Polen erreicht werden65. Damit sollten jedoch nicht die vorrangigen Erbrechte von Albrechts Neffen Georg Friedrich beeinträchtigt werden. Bei Albrecht Friedrich zeigten sich 1568 beim Tode beider Eltern Anzeichen einer Gemütskrankheit66, die benutzt wurden, sowohl seine Kandidatur
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Vgl. DIES.: Grundzüge der preußisch-mecklenburgischen Livlandpolitik im 16. Jahrhundert. In: Baltische Studien 5 2 (1966), S. 31-56. RITA SCHELLER: Die Frau am preußischen Herzogshof ( 1 5 5 0 - 1 6 2 5 ) . Köln, Berlin 1966 (Studien zur Geschichte Preußens, 13), S. 2 9 - 7 2 . Vgl. INGEBORG MENGEL: Elisabeth von Braunschweig-Lüneburg und Albrecht von Preußen. Göttingen 1954 (Göttinger Bausteine zur Geschichtswissenschaft, 1 3 / 1 4 ) . - INGEBORG KLETTKE-MENGEL: Art. Elisabeth, Herzogin von Braunschweig-Lüneburg. In: Neue Deutsche Biographie 4 (1959), S. 4 4 3 f. Zuletzt INGE MAGER: Das Ehestandsbüchlein der Herzogin Elisabeth von Calenberg für Herzogin Anna Maria in Preußen. In: BERNHART JÄHNIG (Hg.) Kirchengeschichtliche Probleme des Preußenlandes aus Mitetlalter und früher Neuzeit. Marburg 2 0 0 1 , S. 1 9 9 - 2 1 6 . Vgl. WALDEMAR KAMPF: Preußen, Polen und das Reich im 16. Jahrhundert [=Teil 1 einer ungedruckten Königsberger phil. Diss. 1941]. In: Altpreußische Forschungen 19 (1942), S. 2 1 3 - 2 3 3 . - EVERHARDK. Β. KLEINERTZ: Die Politik der Landstände im Herzogtum Preußen 1 5 6 2 - 1 5 6 9 . Phil. Diss. Bonn 1972, S. 6 4 - 7 0 .
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H. C. ERIK MIDELFORT: Verrückte Hoheit. Wahn und Kummer in deutschen Herrscherhäusern. Aus dem Amerikan. v. Peter E. Maier. Stuttgart 1996, S. 1 0 5 - 1 3 1 ; eine von der bisherigen Forschungsmeinung abweichende Inter-
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für den polnischen Königsthron - 1572 nach dem Aussterben der Jagiellonen - als auch eine weitere Regierung im eigenen Herzogtum unmöglich zu machen. Mit Erfolg konnte Georg Friedrich67 seine Anwartschaft anmelden und wurde 1577 als Herzog in Preußen belehnt. Die Krankheit von Albrecht Friedrich hinderte nicht, daß er 1573 heiratete, und zwar Marie Leonore68, eine der vier Töchter des Herzogs Wilhelm V. von Jülich-Kleve-Berg ( t 1592), eine folgenreiche Verbindung, da sie im frühen 17. Jahrhundert den Griff Brandenburgs an den Niederrhein ermöglichte. Auch Albrecht Friedrich hatte keine Söhne, jedoch mehrere heiratsfähige Töchter69. Von diesen heiratete Anna 1594 den brandenburgischen Kurfürsten Johann Sigismund (1572-1619) und Eleonore 1603 dessen Vater und Vorgänger als Kurfürsten, Joachim Friedrich (1546-1608). Albrecht Friedrich konnte danach zwar gemäß dem Krakauer Vertrag und dessen späteren Bestätigungen das Herzogtum nicht unmittelbar vererben. Jedoch bedeuteten diese Verheiratungen nach der Mitbelehnung der brandenburgischen Kurlinie 1563 eine weitere Stärkung der brandenburgischen Erbansprüche. Als Georg Friedrich 1603 kinderlos starb, konnten die Brandenburger nach erneuten Verhandlungen mit der Krone Polen, da Albrecht Friedrich weiterhin lebte, eine Vormundschaft durchsetzen. Dies gelang zunächst Joachim Friedrich, nach dessen Tod 1608 Johann Sigismund70, der durch seinen Wechsel vom lutherischen zum reformierten Bekenntnis und durch die Durchsetzung preußischer Erbansprüche in Kleve, Mark und Ravensberg in die Geschichte eingegangen ist. Johann Sigismund erlebte noch kurz vor seinem Tod das Ableben Albrecht Friedrichs im August 1618. Damit trat der unmittelbare Erbfall ein. Brandenburg konnte die Belehnung mit dem Herzogtum Preußen durch die Krone Polen durchsetzen. Diese hatte zwar auch in der Zeit des Wahlkönigtums nach dem Aussterben der Jagiellonen eine Politik des Heimfalls des preußischen Lehens verfolgt, konnte sich damit aber nicht behaupten. Das Herzogtum Preußen war damit in eine Zwitterstellung geraten. Es war und blieb 1618 einerseits ein Lehen der
67
pretation des Krankheitsbildes ist von der med. Diss. (FU Berlin) von Stefan Jaster zu erwarten. Vgl. im ganzen JÜRGEN PETERSOHN: Markgraf Georg Friedrich von Brandenburg-Ansbach und -Bayreuth als Herzog in Preußen 1578-1603. [Masch.] Phil. Diss. Bonn 1959. - DERS.: Staatskunst und Politik des Markgrafen Georg Friedrich von Brandenburg-Ansbach und -Bayreuth 1539-1603. In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 24 (1961), S. 229-276. - DERS.: Fürstenmacht und
Ständetum in Preußen während der Regierung Herzog Georg Friedrichs 1578-1603. Würzburg 1963 (Marburger Ostforschungen, 20). 68
SCHELLER ( w i e A n m . 5 3 ) , S. 7 2 - 1 2 8 .
69
E b d . , S. 1 2 9 - 1 7 7 .
70
Vgl. HEINZ IMMEKEPPEL: Das Herzogtum Preußen von 1603 bis 1618. Köln, Berlin 1975 (Studien zur Geschichte Preußens, 24), S. 25-35 u. 60-100. FRANTISZEK MINCER, BARBARA JANISZEWSKA-MINCER: Rzeczpospolita P o l s k a a
Prusy Ksiazece w latach 1598-1621 [Die Adelsrepublik Polen und das Herzogtum Preußen in d. J. 1598-1621]. Warszawa 1988.
Die politischen und rechtlichen Außenbeziehungen des Herzogtums Preußen
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Krone Polen. Es wurde andererseits ein Nebenland der brandenburgischen Kurfürsten. Es unterschied sich jedoch von den anderen Nebenländern der brandenburgischen Hohenzollern dadurch, daß es nicht zum Lehnsverband des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation gehörte. An dieser verfassungs- bzw. staatsrechtlichen Stellung änderte sich nichts, als 1619 Georg Wilhelm als Kurfürst von Brandenburg seinem Vater nachfolgte und nach zähen Verhandlungen erst drei Jahre später vom polnischen König Sigismund III. mit Preußen belehnt wurde71. Weitreichende polnische Forderungen hatten dazu geführt, daß die Stände des Herzogtums den neuen Landesherrn unterstützten. Der erste schwedisch-polnische Krieg ließ den polnischen Lehnsherrn einlenken. Auch als Friedrich Wilhelm 1640 als Landesherr nachfolgte, der als der große Kurfürst in die Geschichte eingegangen ist72, blieb er zunächst als Herzog Lehnsmann der Krone Polen. Doch veränderten sich während seiner Zeit die Verhältnisse, weil er sich bemühte, für seine verschiedenen Länder eine einheitliche Außenpolitik zu betreiben. Auch im Innern wurden Veränderungen spürbar etwa durch den Aufbau eines stehenden Heeres, das die alte Landesdefension wenn nicht ablösen, so doch wirkungsvoll ergänzen sollte. Einzelheiten brauchen hier nicht erörtert zu werden. - Ein zweiter Krieg zwischen Polen und Schweden in den 50er Jahren des 17. Jahrhunderts ermöglichte eine deutliche Änderung nicht nur der politischen, sondern auch der rechtlichen Stellung des Herzogtums Preußen. 1655 fiel der neue schwedische König Karl X. Gustav in die geschwächte Adelsrepublik ein. Während der große Kurfürst sich mit den pommerellischen Ständen verbündete, nahmen die Städte Elbing und Thorn schwedische Besatzung auf. Danzig behauptete sich mit niederländischer Unterstützung. Der Kurfürst wurde von Schweden gezwungen, am 17. Januar 1656 in Königsberg das Herzogtum Preußen als schwedisches Lehen entgegenzunehmen und andere Hilfen zu leisten. Als sich die militärische Lage Schwedens in den folgenden Monaten verschlechterte, konnte der Kurfürst seine diplomatische Stellung schrittweise verbessern, bis Karl Gustav im Vertrag von Labiau vom 20. November 1656 auf die Lehnshoheit verzichtete. Das stärkte die Möglichkeiten Friedrich Wilhelms, mit Polen zu verhandeln, um auch hier eine Aufhebung der seit 1525 bestehenden Lehnshoheit anzustreben. Die polnische Seite sah sich zunächst dazu nicht in der Lage, erst die Vermittlung des kaiserlichen Gesandten führte seit Sommer 1657 zu einer diplomatischen Bewegung, zumal Wien die brandenburgische Kurstimme bei der Wahl für den Nachfolger Kaiser Ferdinand III. benötigte. Polen konnte bereits im Früh71
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Vgl. ROLAND SEEBERG-ELVERFELDT: Die Preußischen Stände und Polen unter Kurfürst Georg Wilhelm bis zum Tode König Sigismunbds III. (1620-1632). In: Altpreußiscge Forschungen 13 (1936), S. 46-101, hier S. 46-68. - HORST WISCHHÖFER: Die ostpreußischen Stände im letzten Jahrzehnt vor dem Regierungsantritt des Großen Kurfürsten. Göttingen 1958 (Göttinger Bausteine zur Geschichtswissenschaft, 29). Grundlegend ERNST OPGENOORTH: Friedrich Wilhelm. Der Große Kurfürst von Brandenburg 1-2. Göttingen 1971-1978.
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jähr 1657 nicht mehr gegen Schweden Krieg führen. Bei den Verhandlungen, die zum Wehlauer Vertrag führten, mußte Polen schon frühzeitig auf die brandenburgischen Forderungen eingehen. Im September 1657 wurde der Vertrag in Wehlau abgeschlossen, im November 1657 in Bromberg ratifiziert73. Beide Seiten verzichteten zunächst darauf, die Ergebnisse zu veröffentlichen, um schwedische Reaktionen zu vermeiden. Als 1660 mit dem Frieden von Oliva der schwedisch-polnische Krieg beendet wurde, erhielten die Bestimmungen des Wehlau-Bromberger Vertragswerks ihre internationale Anerkennung. Die wesenüichen Bestimmungen sahen vor, daß die brandenburgischen Kurfürsten in männlicher Erbfolge Herzöge in Preußen sein sollten. Nunmehr sollten sie dies als souveräne Herrscher (jure supremi dominii) ohne die bisherigen Verpflichtungen sein. Die Krone Polen behielt jedoch ein Anrecht auf das Herzogtum im Falle eines Aussterbens der brandenburgischen Kurlinie. Die preußischen Stände wurden aus ihrem Treueid gegenüber der Krone entlassen, jedoch sollten sie bei jedem Herrscherwechsel dem Vertreter Polens eine Eventualhuldigung leisten. Die Rechtsverhältnisse der herzoglichen Stände sollten bestehen bleiben. Zugleich wurden zwischen Brandenburg und Polen militärische Bündnisverpflichtungen festgelegt. Über die staatsrechtliche Bedeutung dieses Vorgangs sind unterschiedliche Ansichten geäußert worden. Im 17. Jahrhundert hatte sich in Europa die Vorstellung durchgesetzt, daß die zwischenstaatlichen Beziehungen aus einem „Beziehungsgeflecht gleichrangiger souveräner Staaten" bestehen. Das gilt auch für die Beziehungen zwischen der Krone Polen und dem Herzogtum Preußen, seit im Vertrag von Oliva 1660 die Aufhebung der seit 1525 bestehenden Lehnsbeziehung auch international anerkannt worden ist74. Die erwähnte Eventualhuldigung wurde als eine Einschränkung der Souveränität bezeichnet. Tatsächlich hat es keine praktische Einschränkung gegeben. Die in den Zusammenhang genannte Heeresfolge beruhte auf Bündnisverpflichtungen, die die Partner des Wehlauer Vertrags eingegangen sind75. Bedeutsamer war, daß der Kurfürst sich
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Die Texte des Wehlau-Bromberger Vertragswerkes in: DOLEZEL (Hg.), Staatsverträge (wie Anm. 16), S. 182-217. Zum Ablauf vgl. ERNST OPGENOORTH: Der Wehlau-Bromberger Vertrag von 1657. In: BERNHART JÄHNIG, GERHARD OHLHOFF (Hg.), 650 Jahre Bromberg. Münster 1995 (Quellen und Darstellungen zur Geschichte Westpreußens, 26), S. 115-124. So im Anschluß an die traditionelle Forschungsansicht und im Blick auf die Vertragstexte ERNST OPGENOORTH: Die Lande Preußen in der internationalen Politik 1660-1807. In: Handbuch der Geschichte Ost- und Westpreußens, hg. v. Ernst Opgenoorth, 2/2. Lüneburg 1996, S. 7. So HANS ROOS: Polen von 1668 bis 1795. In: THEODOR SCHIEDER (Hg.), Handbuch der europäischen Geschichte 4. Stuttgart 1968, S. 693 f.; ähnlich auch die neuere Diss, von DARIUSZ MAKILLA: Miedzy Welawa a Krölewcem 1657-1701. Geneza Krölestwa w Prusach [Von Wehlau bis Königsberg 1657-1701. Die Entstehung des Königtums in Preußen], Τοπιή 1998; dagegen Janusz Maüek in mündlichen Äußerungen.
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im Innern mit den widerstrebenden preußischen Ständen auseinandersetzen mußte und sich schließlich auch im wesentlichen durchsetzen konnte, ohne daß der ehemalige Lehnsherr ein Mitspracherecht gehabt hätte. Die preußischen Stände waren während des Krieges an den Wehlau-Bromberger Verhandlungen nicht beteiligt gewesen. Sie bekämpften die neu gewonnene Souveränität des Kurfürsten, weil ihnen die Krone Polen als taktische Appellationsinstanz verloren gegangen war. Sie beriefen sich dabei auf Eide, die sie früher gegenüber dem König von Polen eingegangen seien. Dem Kurfürsten gelang es schließlich mit einer Demonstration seiner Macht den Streit beizulegen. In Verbindung mit der Eventualhuldigung für den Fall eines Aussterbens der brandenburgischen Kurfürsten wurden die Stände von ihrem Eid gegenüber der Krone Polen durch deren Kommissare gelöst und leisteten im Oktober 1663 im Königsberger Schloßhof ihre Huldigung76. Zwischenstaatliche Beziehungen ändern sich, wenn beteiligte Mächte stärker oder schwächer werden. Die politischen Machtverschiebungen in der Mitte des 17. Jahrhunderts haben hinsichtlich der Souveränität der Herrschaften eine Veränderung der Rechtsverhältnisse ermöglicht, ähnlich wie 1454/66 und 1525 die Schwäche des Ordens zunächst die Treueidforderung gegenüber dem Hochmeister und später die Lehnsherrschaft Polens über das Herzogtum ermöglicht hatte. Eine mögliche Rechtsform, in die politische Abhängigkeiten gefaßt werden können, ist die Belehnung. In solch einem Fall erwartete der Lehnshen- in der Regel ein höheres Maß an Einbindung, als der Lehnsmann zu geben bereit war. Daß solche Wandlungen nicht durch bilaterale Abmachungen, sondern zunehmend in einem internationalen Kräftespiel erfolgten, lag im Zuge der neuzeitlichen Entwicklung. Die Veränderungen sowohl 1454/66 und 1525 als auch 1657 sind militärisch erzwungen bzw. durch die Verschiebung militärischer Kräfteverhältnisse erreicht worden. Die Argumentation eines radikalen Sprechers der preußischen Stände auf dem „Langen Landtag" 1661-1663, des Königsberger Schöppenmeisters Hieronymus Roth, brachte die Frage der staatsrechtlichen Stellung des Herzogtums Preußen noch einmal auf den Punkt. Mit einem Widerstandsrecht der Stände wurden die Vorgänge des Jahres 1454 ins Spiel gebracht. In Ausübung dessen hätten sich damals die Stände den König von Polen als neuen Landesherrn
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Vgl. REINHARD ADAM: Der Große Kurfürst und die Stände des Herzogtums Preußen. In: Acta Prussica. Fritz Gause zum 75. Geburtstag. Würzburg 1968, S. 187-196. - JANUSZ MALLEK: Absolutistischer Staatsstreich in Preußen im Jahre 1663. In: Parliaments, Estates and Representation, 10/2 (1990), S. 177187, neu in DERS.: Preußen und Polen. Stuttgart 1992, S. 58-68; ähnlich bereits vorher, das Absolutismusverständnis des Großen Kurfürsten diskutierend, ERNST OPGENOORTH: Herzog Friedrich Wilhelm? In: UDO ARNOLD (Hg.), Preußen und Berlin. Lüneburg 1981 (Tagungsberichte der Historischen Kommission für ostund westpreußische Landesforschung, 2), S. 83-97, hier S. 89.
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erwählt77. Dieses Argument ist in zweierlei Hinsicht schwach. Zum einen hat 1454 die polnische Seite gerade die Begründung mit dem ständischen Widerstandsrecht zurückdrängen können, indem sie in den Verhandlungen die Behauptung in den Vordergrund stellte, alte Ansprüche auf die Lande Preußen zu haben. Zum anderen setzte dieses Argument voraus, daß im 17. Jahrhundert beide Teile Preußens in gleichen Beziehungen zur Krone Polen stünden, was aber infolge der Bestimmungen des Zweiten Thorner Friedens 1466 gerade nicht der Fall war, auch wenn sich Polen dies 1454 sehr gewünscht hätte. Doch dazu war die Krone sowohl bei Beginn des Dreizehnjährigen Krieges als auch bei dessen Ende nicht stark genug. Auch die Inkorporierungsurkunden Polens von 1454 wurden hinsichtlich des Ausmaßes der Untertänigkeit von der Krone Polen und den betroffenen preußischen Ständen unterschiedlich interpretiert und waren Anlaß für jahrhundertelange Auseinandersetzungen zwischen Polen und dem „anderen Preußen" 78 . Für den von Königsberg aus regierten Teil des Preußenlandes regelte der Zweite Thorner Frieden von 1466 die Beziehungen zur Krone Polen gegenüber der Zeit vor 1454 völlig neu. Dieser begründete keine Untertänigkeit wie gegenüber dem „anderen Preußen", sprach aber auch keine Vasallität aus, obwohl der Thorner Vertrag Elemente einer solchen enthielt. Das wurde mit dem Krakauer Vertragswerk von 1525 geändert, wobei auch hier die Stände eigens zuzustimmen hatten79. Nur darauf hätten sich die herzoglich preußischen Stände 1661-1663 berufen können80. Mit dem Gewinn der völkerrechtlichen Souveränität war im Falle Preußens der Verlust eigenständiger Außenpolitik verbunden, da diese nunmehr von Berlin-Kölln aus wahrgenommen wurde. Machtveränderungen, die sich in einer vertraglichen Regelung niederschlagen, haben im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit gewöhnlich auch eine überlieferungs- bzw. archivgeschichtliche Seite. Bei den Friedensschlüssen am Meldensee 1422 und in Brest 1435 zwischen Polen-Litauen und dem Deutschen Orden ist davon die Rede, daß ältere Verträge wie der Erste
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Texte der wesentlichen Verhandlungen und Abschlüsse von März/April 1454 bei WEISE (Hg.), Staatsverträge 2 (wie Anm. 5), Nr. 290-298. Zu den Ereignissen vgl. ERICH WEISE: Das Widerstandsrecht im Ordensland Preußen und das mittelalterliche Europa. Göttingen 1955 (Veröffentlichungen der niedersächsischen Archiverwaltung, 6), S. 204-215. Analog zum Obertitel des Buches von KARIN FRIEDRICH: The Other Prussia. Royal Prussia, Poland and Liberty, 1569-1772. Cambridge 2000. Text der besonderen Urkunde vom 9. April 1525 bei DOLEZEL (Hg.), Staatsverträge (wie Anm. 16), Nr. 3. Vgl. auch HUGO RACHEL: Der Große Kurfürst und die ostpreußischen Stände 1 6 4 0 - 1 6 8 8 . Leipzig 1905 (Staats- und sozialwissenschaftliche Forschungen, 2 4 / 1 ) , S. 12 f. - FRANCIS L. CARSTEN: Die deutschen Landstände und der Aufstieg der Fürsten. Zuerst 1 9 6 0 , neu in: HEINZ RAUSCH (Hg.), Die geschichtlichen Grundlagen der modernen Volksvertretungen 2. Darmstadt 1974 (Wege der Forschung, 4 6 9 ) , S. 3 1 5 - 3 4 0 , hier S. 3 2 9 ; die Bewertung der Argumentation zurechtrückend OPGENOORTH, Herzog (wie Anm. 7 6 ) , S. 8 9 f.
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Thorner Frieden und die beiden Schiedssprüche des römisch-deutschen Königs Siegmund von 1412 und 1420 auszuliefern seien81. Der Umstand, daß 1435 teilweise dieselben Urkunden wie 1422 genannt werden, läßt den Schluß zu, daß es nach 1422 nicht zu einer Auslieferung gekommen ist. Der Zweite Thorner Frieden, der den Hochmeister in eine wirkliche Abhängigkeit gegenüber dem König von Polen brachte, enthält keine Bestimmung über die Auslieferung von Privilegien und Urkunden, die dem Inhalt des Vertrags widersprechen könnten. Dagegen wird diese Frage ausführlich im Krakauer Friedensvertrag vom 8. April 1525 angesprochen, über den die beiden Unterhändler eine Urkunde in doppelter Ausfertigung ausgestellt haben82. Dort heißt es zunächst in § 12, daß sich der König verpflichte, den Herzog in seinen Privilegien zu schützen, soweit sie nicht diesem Friedensvertrag und dem König von Polen schadeten. Entsprechend bestimmt § 29, daß der Herzog verpflichtet sei, alle Privilegien und Gerechtigkeiten von Päpsten, Kaisern, Fürsten und Königen von Polen, die diesem Friedensvertrag widersprächen, dem König von Polen zu zeigen und auszuliefern. Einzelne Verträge werden nicht genannt. Die von König Sigismund I. ausgestellte Belehnungsurkunde geht auf diese Frage nicht ein83. Tatsächlich müssen bald darauf Urkunden in nennenswerter Zahl übergeben worden sein, denn solche lassen sich auch noch später im polnischen Kronarchiv nachweisen84. Nach der Aufhebung der Lehnsbindung ist über archivalische Fragen wohl nicht verhandelt, jedenfalls sind keine entsprechenden Bestimmungen in das Vertragswerk aufgenommen worden. Für den Großen Kurfürsten könnte von Bedeutung gewesen sein, daß er seine Herrschaft im Herzogtum Preußen möglichst wenig mit dem ja noch bestehenden Deutschen Orden in Verbindung bringen lassen wollte. Das galt noch für Friedrich den Großen anläßlich der ersten Teilung Polens 1772. Erst nach der dritten Teilung Polens, als ein selbständiger Staat Polen zu bestehen aufgehört hatte, kam die Urkundenfrage wieder in den Blick. Da es nach 1795 um weit mehr ging als um die Rechtsstellung des vormaligen Herzogtums Preußen, kann von einer Darstellung an dieser Stelle abgesehen werden. Unabhängig von der Frage nach dem Verbleib der Deutschordensurkunden wurde 1657/60 durch vertragliche Regelungen neues Recht in den zwischenstaatlichen Beziehungen Preußens zu Polen geschaffen, mit dem die nunmehr erfolgreichere Seite ihrem Gewinn eine neue Rechtssicherheit zu geben versuch-
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WEISE (Hg.), Nr. 181 § 18.
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Erhalten hat sich nur die offenbar für den König von Polen bestimmte Ausfertigung im Hauptarchiv aller Akten in Warschau. Druck: DOLEZEL (Hg.), Staatsverträge (wie Anm. 16), Nr. 1. Ebd., Nr. 4. So das 1682 entstandene Inventarium — privilegiorum — in archivo — Cracoviensi, hg. v. E. Rykaczewski, Lutetiae Paris. / Berolini / Posnaniae 1862; Rez. v. ERNST STREHLKE, in: Historische Zeitschrift 12 (1864), S. 2 4 9 - 2 5 5 .
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Staatsverträge (wie Anm.
5) 1,
Marburg 2 1970, Nr.
154 § 13
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te, um sich gegen Revindikationsversuche zu schützen. Daß solche Versuche nicht verhindert werden können85, liegt in der Natur der Sache, denn bis ins 20. Jahrhundert haben die meisten politischen Mächte im Falle eines Verlustes versucht, diesen bei passender Gelegenheit wieder abzugleichen. Die Einhaltung eines Machtzuwachses war zu erhoffen, so lange die erreichten politisch-militärischen Kräfteverhältnisse keinen größeren Verschiebungen ausgesetzt waren. Wenn die polnische Geschichtsschreibung die Lehnsnahme von 1525 vor allem unter dem Gesichtspunkt einer möglichen späteren Eingliederung des Herzogtums Preußen in die Krone Polen sieht - wie beim Herzogtum Masowien, so ist das nur eine mögliche Sicht, nämlich die des Lehnsherrn. Nicht weniger legitim war und ist es, wenn Herzog Albrecht und seine Nachfolger an eine andere Entwicklung dachten, die schließlich der Große Kurfürst hat erreichen und behaupten können.
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Ohne Erfolg versuchte der polnische König Johann Sobieski 1677/78 sich an den schwedisch-brandenburgischen Kämpfen zu beteiligen, um vielleicht in Preußen gegnüber 1657/60 politisches Gelände zurückzugewinnen. OPGENOORTH, Lande (wie Anm. 74), S. 7 f.
Das Herzogtum Preußen und das Königreich Polen (1525-1657) Rechtliche und politische Beziehungen zwischen beiden Ländern Janusz Matiek
Gegen den Titel dieses Referats könnte man einwenden, daß in ihm die Lubliner Union aus dem Jahre 1569 und die Gründung der Republik beider Nationen (Polens und Litauens) nicht berücksichtigt werden. Es sei aber darauf hingewiesen, daß in der ganzen Geschichte des Herzogtums Preußen die preußischpolnischen Beziehungen im Vordergrund standen. Die preußisch-litauischen Verhältnisse, zumindest im Bereich des Rechts, waren dagegen eher von zweitrangiger Bedeutung (der preußisch-litauische Vertrag vom Jahre 1529 betraf nur die Grenzen), obwohl man die konfessionelle und die kulturelle Annäherung zwischen dem Herzogtum Preußen und dem Großfürstentum Litauen im 16. und 17. Jahrhundert nicht ganz übersehen sollte. In diesem Referat sollen die rechtlichen und die politischen Beziehungen zwischen dem territorial kleinen Herzogtum Preußen (32 Tausend km2) und Polen (260 Tausend km2) und seit 1569 der Adelsrepublik (ca. 1 Million km2) vorgestellt werden. Selbstverständlich kann ich diese Beziehungen in diesem Beitrag nicht in allen Einzelheiten, sondern nur im Abriß besprechen. Begründet scheint es mir, mich auf die Analyse von Ereignissen aus den Jahren 1525, 1563 und 1657 zu konzentrieren, welche einen entscheidenden Einfluß auf die öffentlich-rechtlichen Beziehungen zwischen dem preußischen Herzogtum und Polen ausübten. Im Jahre 1525 entstand in Preußen ein neues Staatsgebilde, das Herzogtum Preußen, 1563 wurden die brandenburgischen Kurfürsten zum preußischen Lehen zugelassen und im Jahre 1657 erlangte das Herzogtum Preußen Souveränität. Beginnen wir nun mit der Analyse der genannten Ereignisse. Am 10. April 1525 legte der letzte Hochmeister des Deutschen Ordens Albrecht von AnsbachBayreuth auf dem Krakauer Markt dem polnischen König Sigmunt dem Alten den Huldigungseid ab. Damit endeten die Jahrhunderte andauernden Konflikte zwischen Polen und dem Deutschen Orden. Vor dem feierlichen Akt wurde am 8. April 1525 der Krakauer Vertrag1 angefertigt, in dem die Auflösung des
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Text des Vertrags in: Corpus iuris Polonici, Bd. IV/1, hg. von O. Balzer. Kraköw 1910, S. 144-159, und: Die Staatsverträge des Herzogtums Preußen, Bd. 1,
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Deutschen Ordens in Preußen offiziell bestätigt wurde. An Stelle des Deutschen Ordens wurde das Herzogtum Preußen als ein polnisches Lehen gegründet. Es sei noch hinzugefügt, daß im selben Jahr das Herzogtum Preußen als das erste Land in Europa das Luthertum als Staatsreligion angenommen hatte. In der polnischen Geschichtsschreibung wird der Krakauer Vertrag unterschiedlich eingeschätzt, für die deutsche Geschichtsschreibung ist es kein wichtiges Problem. Manche Historiker (Michal Bobrzyfiski, Wladyslaw Pociecha) betrachten diesen Vertrag kritisch, andere dagegen (Fryderyk Papee, Adam Vetulani, Zygmunt Wojciechowski) positiv. Jedes Urteil der genannten Historiker läßt sich begründen. Alle sehen die eventuelle völlige Inkorporation des Herzogtums Preußen, in Polen nur von einem Punkt. Wichtig ist für sie nämlich die Frage, ob es den Polen möglich war, diesen Schritt zu tun, und sie berücksichtigen dabei gar nicht die Haltung der Bevölkerung, also der Stände aus dem Herzogtum Preußen zu dieser Lösung. Sicherlich sahen die preußischen Stände damals noch nicht die aus der Inkorporation für sie folgenden Vorteile. Die Verhältnisse waren nicht so günstig als sie im Ordenspreußen im Jahre 1454 gewesen waren. Im Herzogtum Preußen entstanden solche günstigen Bedingungen erst später, in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Wenn die Stände im Herzogtum Preußen im Jahre 1525 zur Inkorporation bereit gewesen wären und dies deutlich angestrebt hätten, hätte die Verwirklichung solcher Pläne durch nichts verhindert werden können. Die im Krakauer Vertrag getroffenen Regelungen waren zweifellos Kompromißlösungen. Besonders hervorgehoben wurde in ihm Polens Oberherrschaft über das Herzogtum Preußen, der die gesetzliche Form des Lehnrechts gegeben wurde. An dieser Stelle könnte man fragen, welche Regelungen aus dem Krakauer Vertrag den größten Einfluß auf die zukünftigen Beziehungen zwischen dem Herzogtum Preußen und Polen ausübten. Nach Adam Vetulani2 und Stephan Dolezel3, die diese Probleme gr dlich erforschten, kann man diese Regelungen in drei Gruppen aufteilen. Es waren: 1. Regelungen betreffs die Zukunft des preußischen Lehens; 2. Entscheidungen, welche dem Herzog Albrecht Beteiligung am politischen Leben des polnischen Staates sicherten; 3. Regelungen, welche des Herzogs Herrschaft über seine Untertanen einschränkten und Polens eventuelle Einmischung in die Innenangelegenheiten des Herzogtums Preußen ermöglichten.
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bearbeitet von Stephan und Heidrun Dolezel. Köln 1971, Nr. 1. ADAM VETULANI: Lenno pruskie od traktatu krakowskiego do smierci ksiecia Albrechta (1525-1568) [Das preußische Lehen vom Krakauer Vertrag bis zum Tod des Herzogs Albrecht (1525-1568)]. Krakow 1930. STEPHAN DOLEZEL: Das preußisch-polnische LehnsVerhältnis unter Herzog Albrecht von Preußen (1525-1568). Köln, Berlin 1967.
Das Herzogtum Preußen und das Königreich Polen
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Die Zukunft des preußischen Lehens regelten im Krakauer Vertrag die Artikel Nr. 9, 10, 11 und 13. Art. 9 und 10 sicherten die Erhaltung des preußischen Lehens in den Händen Herzog Albrechts und seiner Nachkommen bzw. eines von seinen drei Brüdern: Georg Kasimir und Johannes sowie ihrer Söhne. Wenn aber diese Linien aussterben sollten, sollte das preußische Lehen - nach Art. 11 - dem polnischen König und der Krone Polen zufallen. In diesem Falle nach Art. 13 des Krakauer Vertrags - war der König verpflichtet, als seinen Statthalter eine aus Preußen stammende und des Deutschen mächtige Person zu ernennen. Diese Regelungen hatten eine entscheidende Bedeutung für die gegenseitigen politischen Handlungen beider Herrscher, sowohl des Königs Sigmunt des Alten als auch des Herzogs Albrecht. Das Behalten des preußischen Lehens in den Händen der Hohenzollern mußte zu einem der wichtigsten politischen Ziele Herzog Albrechts gegenüber Polen werden. Für die Gestaltung der politischen Beziehungen zwischen dem Herzogtum Preußen und Polen hatte dagegen Art. 14 des Krakauer Vertrags grundsätzliche Bedeutung. Er garantierte Herzog Albrecht Mitbeteiligung am politischen Leben Polens und sicherte ihm während der Sejme und anderer Tagungen den ersten Platz unmittelbar an der Seite des Königs. Der Herzog sollte also der erste Senator Polens sein und folglich sollte ihm als Senator auch das Recht zustehen, an den Königswahlen teilzunehmen. Als es zur praktischen Realisierung dieses Artikels kam, zeigte sich, daß die polnische Seite ihn auf eine für den Herzog ungünstige Art interpretieren wollte. Es kam zu einem Streit um Herzog Albrechts Platz im Senat der Krone und um sein Recht auf Beteiligung an der Wahl der polnischen Könige. In diesem Streit hat Herzog Albrecht eine Niederlage erlitten. Im Krakauer Vertrag war eigentlich eine unmittelbare Einmischung des Königs in die inneren Angelegenheiten des Herzogtums nicht vorgesehen. Der Herzog konnte nach seinem Willen herrschen, eingeschränkt ausschließlich durch die Stände als Partner. Ausnahmen wurden nur im Bereich der Gerichtsbarkeit zugelassen. Art. 17, 18, 19 und 20 beschränkten nämlich die Macht des Herzogs in der Gerichtsbarkeit. Es sollten folgende Gerichte gegründet werden: - ein Sondergericht, bestehend aus Senatoren der Krone, befreit vom königlichen Eid. Sie sollten Streitsachen zwischen dem König und dem Herzog entscheiden. Dieses Gericht sollte in Marienburg und Elbing tagen (Art. 17), - ein gemischtes Tribunal, zusammengesetzt aus sechs Senatoren der Krone und sechs hohen Beamten des Herzogs. Es sollte Streitsachen zwischen dem Herzog und den preußischen Würdenträgern, sowohl weltlichen als auch kirchlichen entscheiden (Art. 18), - ein ständiges Appellationstribunal, bestehend aus Senatoren der Krone und Räten des Herzogs. Dieses Tribunal sollte sich einmal im Jahr, immer am 4. Oktober in Marienburg versammeln und Streitsachen zwischen dem Herzog und seinen Untertanen entscheiden (Art. 19). Besonders der letztere Artikel schränkte die Unabhängigkeit des Herzogs ein. Deswegen schickte er keine Vertreter zum Appelationstribunal und verhinderte
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dadurch seine Tätigkeit. Das Tribunal hat sich kein einziges Mal versammelt.4 Es war verständlich, daß eines der politischen Ziele Herzog Albrechts gegenüber Polen nach 1525 darauf hinauslief, die Oberherrschaft des polnischen Königs über das Herzogtum Preußen im Bereich der Gerichtsbarkeit einzuschränken. Der Krakauer Vertrag erfaßte nicht alle Rechte des Königs als Oberhaupt gegenüber dem preußischen Herzog. Weil das Lehnverhältnis des Herzogtums Preußen gegenüber Polen nur allgemein formuliert worden war, konnten die königlichen Rechte relativ frei interpretiert werden. Es muß zugegeben werden, daß der Krakauer Vertrag sich im allgemeinen bewährt hatte, denn er bildete bis zum Jahre 1657 einen festen, von beiden Seiten akzeptierten und beachteten Kanon, welcher die öffentlich-rechtlichen Verhältnisse des Herzogtums Preußen zu Polen regelte. Dies zeigten die späteren Belehnungsurkunden aus dem 16. und 17. Jahrhundert. Novellierungen der einzelnen Artikel des Vertrags wurden nur in besonderen Situationen unternommen. So beispielsweise im Jahre 1566, als der polnische König und die Stände des Herzogtums dem Herzog Albrecht neue Regelungen aufzwangen, welche seine Befugnisse im Bereich der Außenpolitik beschränkten. Er durfte den Thron niemandem abtreten und keine politischen Verträge ohne Einverständnis des Königs und der Stände des Herzogtums abschließen. Den Einwohnern des Herzogtums wurde auch das Recht auf Berufungen an den polnischen König eingeräumt, wenn der Herzog ihre Privilegien antasten sollte. Dadurch wurde das Widerstandsrecht formal sanktioniert. Im Jahre 1611 wiederum akzeptierte die preußische Seite bestimmte Konzessionen betreffs den katholischen Kult im Herzogtum. Wie erwähnt, wurde aus dem Inhalt des Krakauer Vertrags die politische Praxis abgeleitet. Die polnische Seite strebte - obwohl nicht konsequent genug - nach möglichst enger Verknüpfung des Herzogtums mit Polen, bis zur völligen Inkorporation. Diese Versuche kamen u. a. in den Bestrebungen zum Ausdruck, im Jahre 1566 Johannes Kostka als polnischen Statthalter einzuführen, oder im Jahre 1635 Georg Ossolinski als Gubernator in Königsberg.5 Es muß zugegeben werden, daß das polnische Integrationsprogramm gegenüber dem Herzogtum Preußen von Teilen des preußischen Adels - von der Querulanten-Partei unter Otto Gröben6 - akzeptiert und unterstützt wurde. Die preußische Seite, d. h. die Hohenzollern-Dynastie, strebte konsequent danach, das Herzogtum in ihren Händen zu erhalten, sich von der Lehnsbindung zu lösen 4
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Wladztwo polskie w Prusiech Zakonnych i Ksiazecych ( 1 4 5 4 - 1 6 5 7 ) , wybör zrödel [Die polnische Herrschaft in Ordenspreußen und im Herzogtum Preußen ( 1 4 5 4 - 1 6 5 7 ) , Quellenauswahl], bearbeitet und mit einem Vorwort von Adam Vetulani. Wroclaw 1953, S. 86. KAZIMIERZ PIWARSKI: Dzieje Prus Wschodnich w czasach nowozytnych [Geschichte Ostpreußens in der Neuzeit], Gdansk 1947, S. 42, 98. PIWARSKI ( w i e A n m . 5 ) , S . 6 8 . - BARBARA JANISZEWSKA-MINCER, FRANCISZEK
Rzeczpospolita Polska a Prusy Ksiazece w latach Republik Polen und das Herzogtum Preußen in den Jahren Warszawa 1988, Index. MINCER:
1598-1621 1598
bis
[Die 1621],
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und im Endergebnis volle Unabhängigkeit zu erlangen. Die preußischen Stände stellten die Rechte der Hohenzollern aus der Ansbach-Bayreuther Linie und später der brandenburgischen Familie auf Herrschaft im Herzogtum nicht in Frage. Sie wollten aber diese Herrscher unter die Kontrolle des Landtags und des polnischen Königs stellen. Ein weiteres Dokument von grundsätzlicher Bedeutung für die Geschichte des Herzogtums Preußen war das vom polnischen König Sigismund August am 4. Juni 1563 in Petrikau ausgestellte Privileg, welches die brandenburgische Linie der Hohenzollern zum preußischen Lehen zuließ.7 Dieses sehr bescheidene, persönliche königliche Dokument erwies sich später als ungeheuer wichtig, denn ohne dieses Privileg wäre das preußische Herzogtum nach dem Tod Albrecht Friedrichs, des letzten Herzogs aus der Ansbacher Linie, im Jahre 1618 Polen zugefallen. Auch dieses Privileg wurde von polnischen Historikern sehr scharf kritisiert. Bei seiner Beurteilung ersah man Sigismund Augusts familiäre Verbindungen mit Herzog Albrecht - sie waren miteinander recht eng verwandt - sowie die königlichen Pläne, die Hohenzollern gegen die Habsburger auszuspielen. Als nach 1618 aus Brandenburg und dem preußischen Herzogtum ein Staat entstand, konnte es für Polen eine ernsthafte Warnung sein. Manche damalige Politiker nahmen diese Gefahr wahr. Die letzte Urkunde, d. h. das am 19. September 16578 vom Gesandten des polnischen Königs Johann Kasimir in Wehlau ausgestellte und dann am 6. November 16579 in Bromberg von diesem König und dem brandenburgischen Kurfürsten Friedrich Wilhelm bestätigte Privileg, verlieh dem preußischen Herzogtum volle Unabhängigkeit. Dies geschah in der Zeit, als Polen, nach dem schwedischen Überfall im Jahre 1655, deutlich geschwächt war. Auch die Privilegien von Wehlau/Bromberg wurden in der polnischen Geschichtsschreibung heftig angegriffen. Man hob dabei die Untreue des Kurfürsten Friedrich Wilhelm hervor, der noch im Jahre 1641 in Warschau auf den Knien Wladislaw IV. Wasa den Huldigungseid ablegte.10 Die Historiker berücksichtigten bei ihren Urteilen nicht alle politischen Tatsachen aus jener Zeit. Wenn man die gegenseitigen Beziehungen zwischen dem Herzogtum Preußen und Polen in den Jahren 1525 bis 1657 analysiert, sieht man, daß sie sich im Grunde positiv gestalteten. Das preußische Herzogtum genoß viele Jahrzehnte 7
Die Staatsverträge des Herzogtums Preußen (wie ANM. 1), S. 73. Siehe auch Przeniesienie lenna pruskiego na elektoröw brandenburskich [Die Übertragung des preußischen Lehens auf die Kursfürsten von Brandenburg], (Magisterarbeit) Tonrn 1992, S. 57 f. Die Staatsverträge (wie Anm.7), S. 182-192. Siehe auch ANDRZEJ KAMIENSKI: Stany Prus Ksiazecych wobec rzadöw brandenburskich w drugiej potowie XVII wieku [Die Haltung der Stände des Königlichen Preußen zu der brandenburgischen Herrschaft in der zweiten Hälfte des 17. Jh.s.]. Olsztyn 1995. Ebenda, S. 197-206. ARTUR FERLIN:
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9 10
PIWARSKI (wie A n m . 5), S. 109.
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Janusz Mallek
lang die Unterstützung Polens. Als diese Unterstützung und der Schutz nicht mehr nötig waren, warf es sehr schnell die Lehnbande ab und erlangte volle Unabhängigkeit. Die politischen Verbindungen des Herzogtums Preußen mit Polen brachten auch beiden Seiten mehrere Vorteile, vor allem im 16. Jahrhundert. Es waren u.a.: gemeinsame Politik gegenüber Livland, Zusammenarbeit beim Aufbau der polnischen Flotte und schließlich Entwicklung der polnischen protestantischen Literatur und des Verlagswesens in Königsberg. Zum Abschluß möchte ich einige Worte den Begriffen widmen, die zur Bestimmung der Beziehungen zwischen Ländern benutzt werden. Dietmar Willoweit, der diese Tagung organisiert hat, weist in der Einladung darauf hin, daß Begriffe des Völkerrechts aus dem 19. oder 20. Jahrhundert sich kaum dazu eignen, die rechtlichen Verhältnisse zwischen Völkern und Ländern in der frühen Neuzeit zu erfassen. Für den Begriff „Souveränität" schlägt er den Terminus „Prae-Souveränität" vor. Er verweist auch auf Heinhard Steigers" Vorschläge, für das Mittelalter und die frühe Neuzeit statt des Begriffs „Staat" den Terminus „Macht", für „Souveränität" das Wort „Eigenständigkeit" und schließlich statt des Begriffs „Völkerrecht" den Terminus „Zwischen-MächteRecht" zu verwenden. Auf ähnliche Probleme stoßen auch polnische Historiker und Rechtshistoriker. Letztens hat Dariusz Makitla12 ein Buch über die Ursprünge des Königreichs in Preußen im Jahre 1701 veröffentlicht, in dem er die umstrittene These aufgestellt hat, der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm habe im Vertrag von Wehlau/Bromberg keine Souveränität erhalten. Die Begründung dieser These ist nicht überzeugend. Sie beschränkt sich nur darauf, daß in der Urkunde der Begriff „Souveränität" nicht vorkommt und daß im Vertrag Polen die Exspektanz zuerkannt wird, falls die Hohenzollerndynastie aussterben sollte. Diese These sollte die Anwesenheit polnischer Gesandter bei der Huldigung der preußischen Stände vor dem Herzog - das sog. homagium eventuale - bestätigen, wie auch das militärische Schutz- und Trutzbündnis. In der Urkunde wird tatsächlich das Wort „Souveränität" nicht gebraucht, doch gebraucht sie die Formulierung „supremum et directum dominium". Dieses Wort erscheint übrigens auch im Testament des Kurfürsten aus dem Jahre 1667 sowie in Protokollen der Ständetage und in Korrespondenzen. Der Inhalt des Vertrags ließ auch seine Änderung durch Polen nicht zu. Das homagium eventuale und die Exspektanz konnten höchsten davon zeugen, daß die Souveränität minimal eingeschränkt war. Alles kompliziert die Tatsache, daß die preußischen Stände gegen diese Souveränität auftraten. So stehen wir vor der Frage, wer der eigentliche Wärter der Souveränität war: der Herrscher, die politische Nation, die Stände? Dieses Problem wird in den Konstitutionen aus dem späten 18. Jahrhundert, der ameri11
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HEINHARD STEIGER: Zum Fränkischen Kriegsrecht des Karolingischen Großreiches (741-840). In: Verfassungsrecht und Völkerrecht. Gedächtnisschrift für Wilhelm Karl Geck, hg. von Wilfried Fiedler und Georg Ress. Köln 1989, S. 804-805. DARIUSZ MAKILLA: Miedzy Welawa a Krölewcem. Geneza krolestwa w Prusach w swietle statusu prawno-politycznego Prus Ksiaz^cych w latach 1657-1701. Studium historyczno-prawne. Τοηιή 1995.
Das Herzogtum Preußen und das Königreich Polen
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kanischen, der französischen oder auch der polnischen, gelöst, nach denen die Nation Rechtssubjekt ist. Für die hier untersuchte Zeit scheint der Begriff „PraeSouveränität" tatsächlich geeignet zu sein.
Königliches Preußen und polnisch-litauischer Staat (1466-1772)* Stanislaw Salmonowicz
Vor einigen Jahren habe ich bereits die Auffassung geäußert, daß die Untersuchung der Struktur des polnisch-litauischen Staates als einer Ganzheit vernachlässigt wurde. Es steht außer Frage, daß die besondere Struktur dieses Staates in der Nachkriegszeit in Hinblick auf die Situation der Volksrepublik Polen wegen der Traditionen, die mit den früheren Ostgebieten des polnisch-litauischen Staates verbunden waren, in vielen Betrachtungen über die staatliche Ordnung übergangen oder nicht in Erwägung gezogen wurde. Diese einleitende Bemerkung ist durchaus wichtig, da die frühere Historiographie - vor allem die deutsche - bei der Behandlung der Ordnung Königlich Preußens und seines Verhältnisses zur Krone diese Probleme von der allgemeinen Betrachtung der Adelsrepublik und die aus ihrer Ordnimg und ihrer Evolution zur gegebenen Zeit resultierenden Konsequenzen in der Regel getrennt hat.1 Mit anderen Worten: In der Tat entsprach das, was nicht selten als eine besondere Stellung Königlich Preußens gegenüber Warschau behandelt wurde, der allgemeinen Tendenz zur Dezentralisierung der Macht in der Republik, vor allem in der Zeit zwischen 1648-1717. 2
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Um geographisch-historische Mißverständnisse zu vermeiden, muß daran erinnert werden, daß das sog. Pommerellen oder untere Weichselgebiet mit Danzig bis 1772 (ab 1466) als Königliches Preußen (oder Preußen polnischen Anteils) bekannt war und immer im Rahmen des polnisch-litauischen Staates verblieb. Nur in der Zeit seit 1772 gehörte es als „Westpreußen" (so durch Friedrich II. genannt) zur brandenburgisch-preußischen Monarchie. In der polnischen Sprache sagte man bis 1772 immer: Prusy Krölewskie. Allg. Bibliographie: vgl. Handbuch der Geschichte Ost- und Westpreußens, Teil II, 1: Von der Teilung bis zum schwedisch-polnischen Krieg, 1466-1655, hrsg. v. Ernst Opgenoorth, Lüneburg 1994, und JANUSZ MALLEK über: Verfassung, Verwaltung, Recht und Militär im westlichen Landesteil, S. 51-81, vgl. auch zum Forschungsstand JANUSZ MALLEK: Stany Prus Krölewskich a Rzeczpospolita Polska w latach 1526-1660. In: Rocznik Gdanski XLIII, 1 (1983), S. 65-82. V g l . v o r allem J0ZEF ANDRZEJ GIEROWSKI: T h e Polish-Lithuanian C o m m o n -
wealth in the XVIII century. From anarchy to well-organized state. Kraköw 1996, passim und STANISLAW PLAZA: Changes in the political system of polish Commonwealth after the extinction of the Jagellonian. In: Acta Poloniae Historica 51 (1986), S. 65-85.
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Stanislaw Salmonowicz
Es sei bemerkt, daß sich im 14. und 15. Jahrhundert in Europa ziemlich feste Territorien herausbilden, in denen Ständeversammlungen die Gesellschaft gegenüber dem Monarchen vertreten. Das Territorium, soweit es am Ausgang des Mittelalters in einer gesonderten Form auf der Karte bestanden hat, wird zum dauerhaften Faktor. Diese Form stützte sich hauptsächlich auf das partikulare Recht und frühere territoriale Privilegien aus der Zeit des Aufblühens des Feudalismus westlicher Prägung. Die Landesherrscher der kleineren territorialen Einheiten dagegen sind in der Mehrzahl ein wechselnder Faktor: Dynastien sterben aus, familiäre Verträge und eheliche Verbindungen verändern allmählich die Karte des dynastischen Landbesitzes und häufige Kriege ergänzen das Bild: „... die Länder bildeten ein Konglomerat von einzelnen Provinzen mit unterschiedlichem rechtlichem Status, wo der Monarch in jedem Fall andere Vorrechte besaß".3 Kurz gesagt, entweder wechseln die Territorien oft ihre Landesherren oder treten mit anderen Territorien - gewöhnlich in Form der Personalunion - in Verbindung oder werden den größeren Organismen angegliedert, was in der Regel auch unter feierlicher Garantie partikularer Privilegien und Rechte des gegebenen Territoriums vollzogen wird. In diesem komplizierten Prozeß bleibt eine Sache lange Zeit gleich - der Kampf der Stände eines Territoriums um die Bewahrung seiner Besonderheit, die im partikularen Recht und in den in der Vergangenheit dem Territorium erteilten Privilegien zum Ausdruck kommt. Mit Henshall betonen wir, daß das immerwährende Spiel zwischen den Ständen und Herrschern ein festes Motiv der inneren Geschichte im Gros der europäischen Staaten war.4 Es ist auch selbstverständlich, daß die Herrscher größerer territorialer Konglomerate, aus denen erste große nationale oder auch multinationale Monarchien am Ausgang des Mittelalters entstanden, eine Politik der Vereinheitlichung und - soweit dies möglich war - der Zentralisierung der Verwaltung jener Territorien, über die sie herrschten, geführt haben. Hervorgerufen wurde dadurch ein - nicht selten über Jahrhunderte andauernder Zustand der rechtlichen und politischen Streitereien zwischen territorialen Ständen und ihren Herrschern. Daher meine ich, daß Unklarheiten eine gewöhnliche Sache auch im Prozeß der Herausbildung der großen europäischen Monarchien waren. Sie bestanden hinsichtlich der Vorrechte des Herrschers gegenüber den einzelnen Ständen oder Territorien; die rechtlichen Standpunkte beider Seiten waren unterschiedlich. Letztendlich siegte die Praxis. Sollte sie aber für eine der Seiten ungünstig sein, so werden sogar eine Zeit lang verschwiegene
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MARIUSZ MAKKIEWICZ: Paristwa wielonarodowe w Europie osiemnastego wieku. In: Rzeczpospolita wielu narodow i jej tradycje, hrsg. v. Mariusz Markiewicz. Krakow 1999, S. 24. NICHOLAS HENSHALL: The Myth of Absolutism: Change and Continuity in Early Modern European Monarchy. London 1992, S. 186-190.
Königliches Preußen und polnisch-litauischer Staat
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rechtliche Ansprüche dieser Seite sofort lebendig, sobald nur dafür günstige politische Umstände entstanden waren.5 Der Charakter der Bindung zwischen Königlich Preußen und der Krone Polen vom 15. Jahrhundert bis zu der ersten polnischen Teilung ist bereits Thema von Betrachtungen und Auseinandersetzungen in der polnischen und deutschen Wissenschaft gewesen. In dieser Frage besteht jedenfalls in der polnischen Wissenschaft ein breiter Konsens bei der Behandlung der Grundprobleme. Das Königliche Preußen muß vom Jahre 1466 bis 1772 immer im Rahmen der Ordnung der Krone - und von 1569 des polnisch-litauischen Staates - gesehen werden. In diesem Rahmen bildete das immer zur Krone gehörende Königliche Preußen, abhängig vom Zeitalter, ein „Land" in der Ständebedeutung oder ein Territorium oder eine Provinz mit einem mehr oder weniger klar gesonderten Status. Wenn in der Zeit von 1466 bis 1569 die Stände Königlich Preußens betonten, daß sie ausschließlich den polnischen Königen und nicht den Ämtern oder den zentralen Behörden der Krone untergeordnet seien, dann handelt es sich in der Tat doch um ein „Land" der Krone, da polnische Könige in der polnischen Ordnung keine selbständige Stellung besaßen, die die Stände des Königlichen Preußen zu ihrem Vorteil hätten nutzen können. Nota bene tauchte eine solche Auffassung bei der rechtlichen Argumentation, vertreten vor allem durch die Städte Königlich Preußens, später mehrmals auf, obwohl sie keine juristische Begründung hatte. Etwas anders stand es um die großen Städte des Königlichen Preußen selbst, die als königliche Städte tatsächlich in vielen Angelegenheiten vor allem von der Entscheidung des Königs allein abhängig waren; mehrmals erließ er für sie geltende Gesetze, in der Regel für jede von ihnen einzeln. Das schloß jedoch das Eingreifen des Sejms in ihre Angelegenheiten nicht aus. Ähnlich wurden die Berufungen von den städtischen Gerichten durch königliche Gerichte mit der Assessorie der Krone an der Spitze angenommen, die für das ganze Land zuständig waren, auch für das Königliche Preußen. Es ist daran zu erinnern, daß das Privileg vom König Kazimierz Jagiellonczyk aus dem Jahre 1454, in dem preußische Gebiete des Deutschen Ordensstaates an das polnische Königtum angegliedert wurden, eindeutig formuliert: „... terraque et dominia predicta regno Polonie reintegramus, reunimus, invisceramus et inkorporamus" (Art. V). Auch wenn Kazimierz Jagielloüczyk im Jahre 1454 klar und formell das Königliche Preußen durch den Inkorporationsakt in die Krone eingliederte, so wurde seine Entscheidung nicht vollständig in die Tat umgesetzt, da die polnische Monarchie kein erblicher dynastischer Staat war. Vom Jahre 1466 an vertraten die Stände des Königlichen Preußen den Standpunkt, daß das Privileg von Kazimierz Jagielloüczyk nur eine Vereinbarung der Parteien zwischen dem König und Preußen - erst später wurde dieser Teil Preußens als Königliches Preußen be-
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Über diese Lage im Königlichen Preußen im 18. Jahrhundert, vgl. STANISLAW SALMONOWICZ: Ζ dziejöw walki Ο tzw. restauracje autonomicznych aspiracji Prus Krölewskich w XVIII wieku. In: Analecta Cracoviensia 7 (1975), S. 433-457.
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zeichnet - darstelle, die nur eine Personalunion Polens mit diesem Territorium begründet habe. Aus diesem Grunde hat Karol Görski angenommen, daß im weiteren Verlauf der politischen Ereignisse die völlige Inkorporation Preußens in die Krone nicht gelungen sei und das Königliche Preußen im Rahmen der Krone ein gesondertes „Land" gebildet habe, das durch die „Ständeunion" und nicht nur durch die dynastische Union mit der Krone verbunden gewesen sei.6 Es bestand also bis zum Jahre 1569 als eine korporative territoriale Formation, und die Ständestrukturen des preußischen Landes behielten ihre Unabhängigkeit gegenüber dem polnischen Sejm.7 Diese Stärkung der partikularen Stellung Preußens dauerte jedoch nur bis zum Jahre 1526, danach begann der Vereinheitlichungsprozeß des preußischen Landes mit der Krone. In der Zeit vor 1569 war das wichtigste Organ dieser - nennen wir es, da es keine bessere Bezeichnung gibt territorialen Autonomie der Preußische Rat, in dessen Hand die Landesverwaltung und die Kontakte mit dem König und mit Organen der Krone lagen.8 Das Königliche Preußen besaß in dieser Zeit seine eigene selbständige Ständeversammlung, prägte seine Münze, hatte seine Siegel und sein Wappen. Seine Vertreter, obwohl sie mehrmals dazu eingeladen wurden, wollten nicht den allgemeinpolnischen Organen angehören. Die Bewegung zur „Exekution der Rechte", und vor allem die Entstehung einer klaren politischen Gemeinschaft der Adelsinteressenten im ganzen Staat leiteten allmählich den Vereinheitlichungsprozeß ein.9 Im Jahre 1526 führte die Ordnung Sigismunds des Alten im Königlichen Preußen Wojewodschaftstagungen ein, was den Adel von der Vorherrschaft des bisherigen Preußischen Rates, in dem Machthaber und große Städte den Ton angaben, befreite.10 In den Jahren 1528-1531 wurde die Währungsunion mit der Krone vollzogen. Entscheidende Bedeutung hatte jedoch erst das Jahr 1569, als Zygmunt August einen Teil der rechtlichen Besonderheiten des preußischen Landes beseitigte, es stärker mit der Krone vereinheitlichte und seine Vertreter in die zentralen Organe der polnisch-litauischen Republik aufnahm - von nun an sollten sie im Sejm und Senat der Republik sitzen.11 Das war die sog. parlamentarische Union Königlich Preußens mit der Krone und trotz einiger Proteste schritt von diesem Moment an die Angleichung der Zustände im Königlichen Preußen an 6
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KAROL GÖRSKI: Problematyka dziejowa Prus Krölewskich. In: Zapiski Historyczne XXVIII, 2 (1963), S. 160-161. Bis 1526 blieb die Selbständigkeit von Königlich Preußen de facto und de jure sehr groß. Man kann mit Janusz Mallek das Königliche Preußen vielleicht auch bis 1569 als eine autonome Region bezeichnen. Zur „Exekution der Rechte" - die vom kleinen Adel erhobenen Forderungen vgl. J. ESSMANOWSKA-DWORZACZKOWA: Ruch szlachecki w Prusach Krölewskich w 1 polowie XVI w. Diss. Poznan 1951, S. 1-38. Ordinatio Ducatus Prussiae, in „Volumina Legum", vol. I, S. 463-476. König Sigismund August hatte damals angeblich gesagt: „Sie wären alle Polen, wenn sie auch in Preußen wohnen..." - Zitat gemäß JANUSZ MALLEK, Stany Prus Krölewskich (wie Anm. 1), S. 76.
Königliches Preußen und polnisch-litauischer Staat
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die allgemeinpolnischen Institutionen schnell voran. Daran änderte die Tatsache nichts, daß das Königliche Preußen, während es die Stellung eines „Landes" verlor und zu einer Provinz der Krone wurde, doch eine Reihe von partikularen Privilegien und Institutionen behielt. Es soll an dieser Stelle daran erinnert werden, daß die formell sehr lose Struktur der polnisch-litauischen Republik seit dem Jahre 1569 zwar auf der höchsten Ebene, auf der staatlichen, den litauischpolnischen Dualismus kannte - zwei Staaten, verbunden durch eine reale Union. Auf der Ebene der konkreten Lösungen, vor allem in Steuerfragen, auch in Hinblick auf die Parität der Vertreter beider Teile in manchen Angelegenheiten, wurden - in der Praxis aber widerrechtlich - nur drei Provinzen unterschieden: Litauen, Kleinpolen mit den russischen Ländern und Großpolen mit dem Königlichen Preußen, das Ermland Inbegriffen. Danach richtete sich in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts Christoph Hartknoch, indem er bei seiner Darstellung bestimmten praktischen Gewohnheiten folgte. In dieser Dreiteilung hatte auch Masowien keine gesonderte Stellung, es bildete einen Bestandteil Großpolens. Jedoch wurde offiziell allgemein angenommen, daß Masowien und das Königliche Preußen, manchmal auch Kujawien, gesonderte Provinzen der Krone seien. Es ist hinzuzufügen, daß der öffentlich-rechtliche Charakter der Provinzen im polnischen Gesetz nicht ganz klar geregelt war; diese Frage sollte weiterhin ein Thema der Forschung bilden.12 Zu betonen ist, daß gerade der Bedeutungsverlust der provinziellen Parlamente (Sejmen) im 17. Jahrhundert das Gewicht des politischen Lebens sowohl der Krone als auch in Litauen auf Landes(Wojewodschafts-)tagungen verschob. Könnte man die Hypothese aufstellen, daß dies ein Ausdruck der Bestrebungen des mittleren Adels war, um größeren Einfluß auf den Tagungen zu gewinnen, als dies auf dem provinziellen Sejm möglich war, wo Großgrundbesitzer das Übergewicht hatten? Indessen verdankte das Königliche Preußen seinen besonderen Zusammenhalt der Bewahrung der Generalversammlung, die ihre führende Rolle für das ganze Königliche Preußen behielt.13 Das förderte die stärkere Integration des Territoriums, und zwar in einer Situation, als - vor allem seit der Mitte des 17. Jahrhunderts - Dezentralisierungsprozesse der Macht die Republik erfaßten. Als Beweis für die Besonderheit des Einschmelzungsprozesses des Königlichen Preußen in allgemeinpolnische Tendenzen kann die Tatsache gelten, daß in der weiteren Evolution Beeinträchtigungen der preußischen Generalversammlung eine häufige Erscheinung waren, was dazu führte, daß sie in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts viel an Bedeutung verlor und
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Vgl. J0ZEF ANDRZEJ GIEROWSKI: Sejmik generalny Ksiestwa Mazowieckiego na tie ustroju sejmikowego Mazowsza. Wroclaw 1948, passim und DERS.: Die Union zwischen Polen und Litauen im 16. Jahrhundert und die polnisch-sächsische Union des 17. und 18. Jahrhunderts. In: Wiener Beiträge zur Geschichte der Neuzeit 21 (1993), S. 69 f. Viele neue Aspekte (ζ. B. Streit über Steuern und über die Kompetenz der preußischen Versammlungen bzw. General-Landtage) vgl. JAN DABROWSKI: Senatorowie koronni wobec konfliktu Prus Krölewskich ζ krölem i Korona (1648-1652). In: Studia Historyczne XLII, 2 (1999), S. 183-199.
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ihre Rolle in großem Maße - ähnlich wie in anderen Teilen des Staates - Wojewodschaftstagungen übernahmen. Die Antriebskraft, die die Geschlossenheit Königlich Preußens in der zweiten Hälfte des 17. und 18. Jahrhunderts aufrechterhielt, waren die drei großen preußischen Städte Danzig, Thorn und Elbing, die die Identität des Königlichen Preußen kraftvoll verteidigten, indem sie ihr ökonomisches, politisches und intellektuelles Potential einsetzten. Schließlich glich sich jedoch im 17. Jahrhundert ihr politisches Leben auf der Provinzebene dem allgemeinpolitischen Standard an, da sich der Adel Königlich Preußens unabhängig von seiner ethnischen Abstammung zu den politischen, in der sarmatischen Republik geltenden, Vorbildern assimilierte. In dieser Zeit betrieb das Bürgertum - die Eliten der großen Städte - die Verteidigung der Provinzrechte und verkörperte zugleich die Sehnsucht nach breiteren Befugnissen. Es ist aber mit Stanislaw Achremczyk daran zu erinnern, daß ein wenig bekannter Jesuit aus dem Ermland, Johannes Derws, gewiß ein Patriot der „kleinen Heimat", in seinem Werk aus dem Jahre 1701 mit dem Titel Distractiones itinerantium in der Republik drei Bestandteile unterschied: Krone, Litauen und Preußen.14 Preußen betrachtete er als Ganzheit, nach seiner Genese: der ganze ehemalige Ordensstaat. Auf diese Frage komme ich bei späteren Erwägungen noch zurück. Schauen wir jetzt auf das Königliche Preußen im 17. und 18. Jahrhundert aus der Sicht des litauischen Großfürstentums. Für Politiker Litauens bestand kein Zweifel daran, daß das Königliche Preußen ein integraler Teil der Krone ist und nicht unbedingt eine gesonderte Provinz bildet. Das Konzept von den drei gleichberechtigten Gliedern wurde nicht akzeptiert. Partikularen Rechten oder Privilegien kam hier keine entscheidende Bedeutung zu, nachdem schon die seit der Mitte des 17. Jahrhundert fortschreitende Dekonzentration der Macht die Gesondertheit oder partikulare Stellung des Königlichen Preußen in der Republik verwischt hatte. Denn seit der Zeit der Regierung durch Versammlungen beanspruchte beinahe jedes Land der Krone und jede litauische Wojewodschaft für sich die gleiche Teilhabe an der Macht im Staat wie die preußischen Stände. Es stellt sich aber die Frage, ob das starke Bewußtsein der eigenen Sonderstellung, das die Eliten aus dem Königlichen Preußen kennzeichnete, seine Entsprechung in einem ähnlichen Selbstverständnis der Kleinpolen, Großpolen, in Masowien oder in russischen Ländern fand. Masowien wurde zweifellos relativ spät in die Krone eingegliedert und genoß längere Zeit eine betonte Sonderstellung. Jedoch machte die geringe wirtschaftliche und politische Bedeutung dieses Territoriums die Entwicklung einer ausgeprägten eigenen Stellung wohl unmöglich. Ohne das im Grunde wenig bekannte Problem lösen zu wollen, soll doch hervorgehoben werden, daß wir erstens durch das reiche Schrifttum der städtischen Eliten aus dem Königlichen Preußen, sowie durch viele Aussagen des Machtapparats in der Provinz oder aus den Großstädten, die entweder pro foro interno oder zur Polemik mit der Zentralgewalt vorbereitet wurden, über den Standpunkt der
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Zycie polityczne Prus Krölewskich i Warmii w latach 1660-1703. Olsztyn 1991, S. 257.
STANISLAW ACHREMCZYK:
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Eliten dieser Provinz besser informiert sind. Darüber hinaus können wird auch mit Recht vermuten, daß diese Materialien eine entscheidende Rolle für die Bindung an die Heimat und bei dem Aufbau der besonderen regionalen Identität spielten.15 Zweitens kann angenommen werden, daß Kleinpolen sowie Großpolen in der Zeit der zunehmenden Partikularismen keinen ausreichenden Spielraum für strukturelle Besonderheiten auf der Provinzebene fanden. Das Vorhandensein der gesonderten Sitzungen - oder eher Strukturen - des Gerichtshofes der Krone für Kleinpolen und Großpolen war wohl das einzige beständige und wesentliche Element der Differenzierung. Sinnvoll ist es zu ergänzen, daß der Adel des Königlichen Preußen, nachdem er sich der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Krone untergeordnet hatte, diesem auf den großpolnischen Sitzungen in Piotrköw Trybunalski unterstand. Kommen wir noch darauf zurück, daß aus der Sicht der Zentralorgane des Staates das Königliche Preußen nach 1569 unveränderlich als eine Provinz der Krone - neben Großpolen, Kleinpolen, manchmal auch Masowien und Kujawien, aber ohne die russischen Länder - betrachtet wurde.16 Daher konnten Versuche, das Königliche Preußen als das dritte Glied der ganzen Republik zu sehen, das einzig durch die Union mit der Krone und Litauen verbunden war, nur ein frommer Wunsch der Vertreter von Interessen des preußischen Territoriums bleiben. Das waren nur Illusionen, die keinerlei Entsprechung in der Wirklichkeit fanden. Das Königliche Preußen gewann nie den Rang des dritten Gliedes im polnisch-litauischen Staat, so wie es ihm nie gelang, nach 1569 die rechtliche Konzeption der Unterordnung allein unter den polnischen König und nicht unter die Republik durchzusetzen. Die Großpolen vertraten - wie ihrem Verhalten im Sejm oder in Steuerfragen zu entnehmen war - den Standpunkt, daß das Königliche Preußen ein Teil der großpolnischen Provinz ist. Abgeordnete aus dem Königlichen Preußen aber hielten, um ihre Selbständigkeit zu betonen, während der Provinzialversammlungen getrennte Sitzungen ab, bei denen - nach der Tradition der preußischen Generalversammlung - der ermländische Bischof den Vorsitz hatte. Es soll noch auf eine Frage hingewiesen werden, die einer tieferen Analyse bedarf und vielleicht weiterer Forschungen. Ich meine die Probleme der Terminologie des öffentlichen Rechts dieser Epoche. In amtlichen Texten, die das Königliche Preußen im 17. oder 18. Jahrhundert betreffen, wird in der Regel im Namen des Staates die Form gebraucht: Wir und die Republik, d. h. der König und die Republik, die durch den Beschluß der drei Stände des Sejm vertreten ist. Es ist also nicht von der Krone die Rede, sondern von der Republik, mit welcher 15
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Vgl. STANISLAW SALMONOWICZ: Die protestantischen akademischen Gymnasien in Thorn, Elbing und Danzig und ihre Bedeutung für die regionale Identität im Königlichen Preußen (16.-18. Jahrhundert). In: Nordost-Archiv, N. F. VI, 2 (1997), S. 515-540. JÖZEF ANDRZEJ GIEROWSKI: The Polish-Lithuanian Commonwealth (wie Aran. 2), S. 27, betrachtet diese Tatsache als eine tiefgreifende Konsequenz für die Schicksale des polnisch-litauischen Staates.
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Bezeichnung entweder ein Synonym des Staatsbegriffes gemeint ist oder betont werden soll, daß dies gerade eine Entscheidung des polnisch-litauischen Staates ist - wobei, wie wir wissen, formell gesehen, das Königliche Preußen einen Teil der Krone und zusammen mit ihr einen Teil der Republik bildet. Zu berücksichtigen ist auch die Tatsache, daß die polnischen Könige seit dem 16. Jahrhundert keinen gesonderten Eid gegenüber den preußischen Ständen leisteten. Sie wurden immer im Rahmen der Krone betrachtet und vom Krönungseid der polnischen Könige erfaßt. Wenn wir auf das Beispiel der mehrgliedrigen Monarchie der Habsburger, auf Spanien, schauen und zugleich auf den brandenburgisch-preußischen Staat, der ein Konglomerat von Territorien war, die erst mit der Zeit durch den brandenburgischen Absolutismus vereinheitlicht wurden, so werden wir bemerken, daß die polnische Situation, und sogar ihre Unklarheiten über die innere Ordnung, keine Ausnahme bilden. Ich bin der Ansicht, daß die Aufnahme einer breiteren rechtlich-strukturellen Vergleichsanalyse der großen staatlichen Organismen Europas des 17. bis 18. Jahrhunderts einschließlich der Strukturen des Deutschen Reiches und des Königreiches Großbritannien zweckmäßig ist, um die damaligen Konzeptionen zu verstehen, die Elemente des Föderalismus, der Personalunion, der Realunion mit anderen manchmal schwer zu bezeichnenden Formen verbanden. An dieser Stelle darf ich an die typologischen Anmerkungen von Otto Hintze erinnern.17 Wenn wir die Gesondertheit des Königlichen Preußen im Strukturbild des polnisch-litauischen Staates erörtern, sollte festgehalten werden, welche Besonderheiten dieses Gebietes im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts bestehen blieben: 1. die gesonderte Organisation und Tätigkeit der preußischen Generalversammlung, 2. das Gesetz des preußischen Indigenats, das allerdings a casu ad casum durch die polnischen Könige gebrochen wurde, vor allem in der sächsischen Zeit, 3. die militärischen Privilegien und die Gesondertheit der Verwaltung, der Gerichtsbarkeit und der territorialen Aufteilung, 4. die gesonderte Konfessionsverfassung der Provinz, die sich nicht auf die Warschauer Konföderation von 1573 stützte, sondern auf frühere Privilegien von Sigmund August, die insbesondere als völlige Freiheit des öffentlichen Bekenntnisses zweier Konfessionen - Katholizismus und Luthertum - ausgelegt wurde, 5. die partikularen Steuer- und Zollrechte, 6. das eigene Gerichtsrecht. Eine zum Teil außerrechtliche Tatsache, die zu erwähnen ist, war die bedeutende Rolle der drei Großstädte der Provinz, die jedoch formell den preußischen Ge-
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Vgl. OTTO HINTZE: Verfassungsgeschichte Polens vom 16. bis 18. Jahrhundert. In: DERS., Staat und Verfassung. Gesammelte Abhandlungen zur allgemeinen Verfassungsgeschichtte, hrsg. v. Gerhard Oestreich, 2. Aufl. Göttingen 1962, S. 511-562.
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neralversammlungen angehörten, und eine Zeit lang betraf das auch kleinere Städte. Insgesamt unterscheidet die preußische Provinz von anderen Teilen der Krone zweifelsohne der große Einfluß des Bürgertums, dessen Ausdruck die Bedeutung Danzigs im Rahmen des ganzen Staates war; man kann sagen, daß die Stadt per fas et nefas große innere Selbständigkeit erreichte, obwohl neueste Forschungen beweisen, daß die Rolle der polnischen Könige in Danzig und der Jurisdiktion der königlichen Gerichte größer war als man es bis vor kurzem angenommen hatte.18 Die Stellung des Königlichen Preußen, die in der Krone wohl bei keinem größere Überraschung weckte - abgesehen von Klagen über Danzig selbst und seine Einnahmen - , blieb in der Zeit des Regierens der Versammlungen bis 1717 erhalten. Danach wurde sie anders bewertet. So erklären sich zum Beispiel gelungene und relativ ernsthafte Eingriffe des Königs August III. in die Ordnung von Danzig, der scharfe Zusammenstoß von Vereinheitlichungstendenzen, mit dem Widerstand der Provinz nach 1764, die ich einmal als Wiederaufleben autonomer Ansprüche der preußischen Provinz seit dem zweiten Viertel des 18. Jahrhunderts bezeichnet habe.19 An dieser Stelle soll ein für die Geschichte dieses Territoriums wichtiges Element hervorgehoben werden, und zwar die Tatsache, daß die Bevölkerung der Provinz national und konfessionell differenziert war, und insbesondere, daß die politischen und ökonomischen Eliten der Provinz zu einem großen Teil vom 16. Jahrhundert an mit dem Protestantismus verbunden waren und weiterhin deutsche ethnische Traditionen pflegten. Meines Erachtens war in der Zeit der fortschreitenden Offensive der Gegenreformation, die im Königlichen Preußen am Anfang des 17. Jahrhunderts vor allem in der straffen Tätigkeit der Jesuiten ihren Ausdruck fand, die Verteidigung der autonomen Ansprüche der Provinz - darunter der beharrliche Kampf um Beibehaltung des Indigenats und die Verteidigung der wirklichen oder usurpierten Rechte von Danzig oder Thorn (das Problem des Thorner Tumults 1724)20 - oft zugleich eine Verteidigung der bedrohten Rechte bzw. der Stellung des Protestantismus. Dieser wurde in großem Maße auch mit dem deutschen Sprachgewand und der ethnischen Abstammung identifiziert. In Konfliktsituationen, besonders seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wird das dazu führen, daß der quasinationale Konflikt mit seiner religiösen Aufmachung gleichgesetzt wird. Nicht nur die Verteidigung des ehemaligen status quo, sondern auch die Rückkehr zu früheren günstigeren Lagen war das Ziel des hervorragendsten Juristen der Provinz im 18. Jahrhundert, der sich ausgezeichnet des geschichtlichen Beispiels und der Tradition bediente - Gotfryd Lengnich.
18
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Vgl. ZYGFRYD RYMASZEWSKI: Sprawy gdanskie przed sadami zadwornymi oraz ingerencja krölöw w gdanski wymiar sprawiedliwoSci XVI-XVIII w. Wroclaw, Lodz 1985. Vgl. Anmerkung 5. Vgl. STANISLAW SALMONOWICZ: The Tonrn Uproal of 1724. In: Acta Poloniae Historica 47 (1983), S. 55-70.
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Stanislaw Salmonowicz
Die Verteidigung der Stadtprivilegien, des Ranges der regierenden Gruppe in den drei Großstädten der Provinz, jener Gruppe, die seit dem 17. Jahrhundert fast ausschließlich mit dem Luthertum verbunden war, und die Verteidigung der deutschen Sprache und allgemeiner Rechte der Provinz wurden im großen Maße gleichgesetzt und bildeten eine Einheit in der Mentalität der städtischen Eliten. Zu betonen ist, daß außer einer Gruppe des Adels, die die lutherische Konfession beibehielt, das Gros des Adels der Provinz im Kampf gegen Vereinheitlichungsversuche eher passiv blieb, wobei selbstverständlich demagogische Parolen über die Verteidigung der verletzten Privilegien oder Aufrufe zum Kampf gegen ein angeblich drohendes absolutum dominium jederzeit bei der Gesamtheit des Adels Unterstützung finden konnten.21 Jedoch selbst die Frage des Deutschen als Amtssprache fand keine Unterstützung im Adel, unter dem Familien mit lebendiger deutscher Tradition eine eindeutige Minderheit bildeten. Ahnlich war die Gesamtheit des katholischen Adels, obwohl dieser, abgesehen vom Kulmer Adel, vielleicht mehr zur religiösen Toleranz neigte als der damalige Adel von Masowien oder Großpolen, weit davon entfernt, die Klagen der Städte wegen ihrer meistens angeblichen - Diskriminierung zu unterstützen. Andererseits mobilisierte die Verteidigung des Indigenats der Provinz immer das Gros des Adels gegen königliche Entscheidungen, die dieses Recht brachen. Diese naturgemäß kurzen Anmerkungen zusammenfassend, die eine gewisse Bilanz unserer Forschung auf diesem Gebiet bilden, soll festgestellt werden, daß auf der Grundlage der oben gezeichneten Situation ein starkes Bewußtsein von der Besonderheit des Königlichen Preußen entstanden war und andauerte, was in der damals umgangssprachlichen Redewendung, daß „Polen" auf der anderen Seite der Weichsel liege, und wir Preußen seien, seinen Ausdruck fand. In dieser Bedeutung war das Königliche Preußen als Ganzheit zweifelsohne eine besondere Art der „Heimat", vor allem von dem Moment an, als am Anfang des 17. Jahrhunderts, mit einem Gefühl der Fremdheit, der andere Teil des ehemaligen Deutschordensstaates schon klar als Herzogliches Preußen unterschieden wurde, dann als Kurfürstliches Preußen, seit 1701 Preußisches Königtum. Der Preuße aus dem Königlichen Preußen war sich dagegen bewußt, daß er zum polnischlitauischen Staat gehörte, Untertan der polnischen Könige. Im Alltag war er aber vor allem der Einwohner des Königlichen Preußen. Manchmal war, nach meiner Überzeugung, dieses territorial-strukturelle Bewußtsein dreischichtig: für Lengnich war Danzig patria sensu stricto, was das Selbstverständnis als loyaler Untertan oder Patriot der größeren Struktur, des Königlichen Preußen und der Republik nicht ausschloß. So war das Königliche Preußen, trotz der gemischten ethnischen Bevölkerungszusammensetzung und der Vielfalt der Konfessionen, vor allem eine territoriale Gemeinschaft; ein Patriot des Königlichen Preußen 21
Vgl. JERZY DYGDALA: Szlachta Prus Krolewskich wobec reform wewnetrznych Rzeczypospolitej w poczgtkach panowania Stanislawa Augusta (1764-1768). In: Szlachta, spoleczenstwo, panstwo miedzy Warmia a Rugia w XVIII-XX wieku, red. Mieczyslaw Jaroszewicz i Wlodzimierz Stepmski. Szczecin 1998, S. 227-242.
Königliches Preußen und polnisch-litauischer Staat
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war gleichzeitig mehr oder weniger ein Stadtbürger von Thorn oder Danzig oder ein Kaschube aus der Nähe von KoScierzyna (Berent) oder ein Adliger des Kulmer Landes oder ein Großgrundbesitzer, der Krongüter oder Würden aus der Hand der polnischen Könige in den Wojewodschaften Pommern, Marienburg oder Kulm hielt.
Die Lande Lauenburg und Bütow in ihrer wechselnden Zugehörigkeit zum Deutschen Orden, zu Pommern und Polen und zu Brandenburg-Preußen* Roderich Schmidt
Lauenburg und Bütow sind die östlichsten Kreise der preußischen Provinz Pommern, wie sie bis 1945 bestand und wie sie die Älteren unter uns in Erinnerung haben. Als Grenzgebiet haben sie ein besonders wechselvolles Schicksal im Laufe der Jahrhunderte erfahren. Ihre staatlich-politische Zugehörigkeit änderte sich mehrfach und blieb oft ungesichert, und mit dem Wechsel änderten sich auch die rechtlichen und die sozialen Verhältnisse.1
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Vortragsfassung, wie sie auf dem Wissenschaftlichen Symposium des HerderForschungsrates am 6. April 2000 gehalten worden ist. Ausgangspunkt für die nachfolgenden Ausführungen ist der grundlegende Aufsatz von ELLINOR VON PUTTKAMER: Die Lande Lauenburg und Bütow - internationales Grenzgebiet. In: Baltische Studien N. F. 62,1976, S. 7-22. Er enthält die wichtigsten Hinweise auf Quellen und Literatur in deutscher und polnischer Sprache. Daneben wurde das zweibändige Werk von REINHOLD CRAMER: Geschichte der Lande Lauenburg und Bütow. Bd. 1: Geschichte. Bd. 2: Urkunden. Königsberg 1858 benutzt, das für jede eingehende Beschäftigung mit dem Thema immer noch heranzuziehen ist. - Für die Urkunden ist jetzt die Edition des Pommerschen Urkundenbuches, Bd. I, (2. Aufl., 1970) - Bd. XI (1990), hrsg. vom Staatsarchiv zu Stettin bzw. von der Historischen Kommission für Pommern, maßgeblich. Einen knappen Überblick bietet das Handbuch der historischen Stätten, Bd. 12: M e c k l e n b u r g - P o m m e r n , h r s g . v o n HELGE BEI DER WIEDEN und RODERICH
SCHMIDT. Stuttgart 1996, S. 171-173 u. S. 228T230 (m. Lit. und einer Geschichtlichen Einführung Pommern, S. ΧΧΧΠΙ-LII). Über die preußischen Kreise Bütow und Lauenburg im 19./20. Jahrhundert vgl. den Grundriß zur deutschen Verwaltungsgeschichte 1815-1945, Bd. 3: Pommern, bearb. von DIETER STÜTTGEN. Marburg/Lahn 1975, S. 61-62 u. S. 71-72. Zu Lauenburg und Bütow im Rahmen der pommerschen Geschichte vgl. Deutsche Geschichte im Osten Europas, Bd. Pommern, hrsg. von WERNER BUCHHOLZ. Berlin 1999 (darin besonders die Beiträge von RUDOLF BENL: Pommern bis zur Teilung von 1368/72, und KLAUS CONRAD: 2. Hälfte des 14. und 15. Jahrhun-
derts) sowie Geschichte Pommerns von HANS BRANIG. Teil I: vom Werden des neuzeitlichen Staates bis zum Verlust der staatlichen Selbständigkeit, 1300-1648, bearb. von Werner Buchholz. Köln, Weimar, Wien 1997 (Veröffentlichungen der
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Unsere historische Betrachtung setzt im 12. Jahrhundert ein. Damals hatten sich zwischen der Oder und dem Weichselgebiet bereits zwei als „Pommern" bezeichnete Herrschaftsgebiete gefestigt, im östlichen Teil das der Samboriden, eines mit den polnischen Piasten verwandten Geschlechts, mit dem Sitz in Danzig. Für diese Landschaft wurde später auch die Bezeichnung „Pommerellen" gebräuchlich. Westlich von ihr dehnte sich über die Oder hinweg bis in den Peeneraum die Herrschaft des Geschlechtes aus, das seit 1194 einen Greifen im Wappen führte und nach ihm benannt wurde. Aus der Papsturkunde vom 14. Oktober 1140, mit der das pommersche Bistum, mit dem Sitz in Wollin, seit 1175 in Cammin, bestätigt wurde, erfahren wir, daß es sich bis zum Lebafluß erstreckte. Die Gebiete östlich davon gehörten kirchlich zum Bistum Wloclawek. Bis zur Leba reichte auch der Herrschaftsraum des Greifengeschlechts; allerdings unterstanden der östliche Teil - die Territorien Schlawe und Stolp einer Nebenlinie, den Ratiboriden. Als diese 1227 ausstarben, gelangten Schlawe und Stolp nicht an die Hauptlinie der Greifen, sondern an die ostpommerschen Samboriden. Nach deren Ende 1294 kam es zu einer längeren Auseinandersetzung zwischen Polen, den Askaniern in Brandenburg, die das Land zeitweilig an sich gebracht hatten, und dem Deutschen Orden. 1309/10 traten die Askanier das samboridische Pommerellen, mit Lauenburg, gegen Zahlung einer beträchtlichen Kaufsumme an den Deutschen Orden ab, 1317 überließen sie die Territorien Schlawe und Stolp, mit Bütow, dem Pommernherzog Wartislaw IV. Dieser schenkte das Bütower Gebiet 1321 seinem Marschall Henning Behr. Dessen Söhne verkauften 1329 „tenitorium Butow, dominium et Castrum" an den Deutschen Orden. Damit waren nun Laüenburg und Bütow in einer Hand vereinigt und vom pommerschen Schlawe-Stolp getrennt. Ellinor von Puttkamer hat diese Entwicklung so kommentiert: „ Während Schlawe und Stolp ... das Gesicht für immer nach Westen kehrten, wurden Lauenburg und Bütow auf Gedeih und Verderb mit dem Geschick des Deutschen Ordens verbunden und damit nach seinem Verfall mit Polen. " 2 Dies ist in knappen Zügen die bereits recht verschlungene Anfangsgeschichte von Lauenburg und Bütow. Ihre eigentliche Geschichte beginnt mit der Ordenszeit. In sie fällt die Kolonisation und planmäßige Besiedlung des Landes sowie die Gründung und Anlage der Städte Lauenburg und Bütow. 1341 bzw. 1346 wurden sie vom Orden mit dem Kulmischen Recht be widmet. Unter dem Orden veränderten sich auch die Rechtsformen des Landes. Der eingeborene Adel wurde dem ihm fremden Lehnrecht unterworfen. Das bedeutete, daß seine „Pflichten über die im slawischen Ritterrecht übliche militärische Dienstpflicht hinaus im Sinne des romanisch-germanischen Lehnsrecht erweitert"
Historischen Kommission für Pommern, Reihe V: Forschungen zu pommerschen Geschichte, Bd. 22/1). 2
v . PUTTKAMER (wie Aran. 1), S. 12.
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und „das freie Verfügungsrecht über Grund und Boden beschränkt" wurde.3 Obwohl die Ordensherrschaft wirtschaftlich und kulturell einen Aufschwung mit sich brachte, wurde die strenge Verwaltung mit ihren Diensten und Abgaben als Fremdherrschaft empfunden, die man abzuschütteln wünschte, sobald sich die Gelegenheit dazu bot. Dies war der Fall, als sich die Auseinandersetzungen im Ordenslande zuspitzten und ebenso die Verwicklungen mit Polen, das den Orden 1410 bei Tannenberg besiegt hatte. 1440 schlossen sich Lauenburg und Bütow dem gegen den Orden gerichteten „Preußischen Bunde" an. Als dieser sich 1454 im Verein mit Polen gegen den Orden erhob, besetzten Danziger Truppen die Ordensburgen Lauenburg und Bütow, aber schon 1455 gingen diese in die Hand des Pommernherzogs Erich II. über. Erich hatte das Erbe der hinterpommerschen Linie des Greifenhauses angetreten und zunächst wie diese zwischen dem Orden und Polen laviert, sich dann aber 1453 auf die Seite Polens gestellt. 1455 übertrug ihm König Kasimir IV. von Polen dafür Schloß und Stadt Bütow und die Stadt Lauenburg mit allen Pertinenzen „to guder vorwaringe" und „getruwer handt". Im zweiten Thorner Frieden 1466 verzichtete der Orden auf Lauenburg und Bütow. Herzog Erich trat 1467 dem Thomer Frieden bei und erhielt nun endgültig Lauenburg und Bütow übertragen. Allerdings mußten beide von Herzog Erich in Verhandlungen mit Söldnerhauptleuten des Ordens, die sie eingenommen hatten, gegen Zahlung von 8000 Gulden ausgelöst werden. De iure gehörten Lauenburg und Bütow seit dem Thorner Frieden zum Königlichen Preußen und damit zu Polen, de facto aber zu Pommern. Unklar und in der Literatur umstritten ist die Frage, ob es sich beim Übergang an Pommern um ein Treuhandverhältnis oder um einen Pfandbesitz handelt.4 Dies blieb zwischen Pommern und Polen offen. Als der Sohn und Nachfolger Herzog Erichs II., Bogislaw X., 1490 mit König Kasimir IV. von Polen über die Heirat mit dessen Tochter Anna verhandelte, wurde polnischerseits ein stattlicher Brautschatz in Aussicht gestellt, dann aber nicht ausgezahlt, weil die Frage Lauenburg-Bütow ungelöst war. König Kasimir hat angeblich die Länder seinem künftigen Schwiegersohn als „Pfand" versprochen, dies aber nicht schriftlich fixiert, so daß die Angelegenheit weiter in der Schwebe blieb. Auch mit dem Nachfolger Kasimirs IV., Johann I. Albrecht, ist die Sache 1498 erneut verhandelt worden, doch eine Klärung, geschweige denn eine Übereinkunft, blieb aus. Als der Pommernherzog 1501 zur Krönung König Alexanders eingeladen wurde, lehnte er die Einladung ab, um nicht als Lehnsträger Polens zu erscheinen. Und als König Alexander ihm 1504 sogar den erblichen Besitz von Lauenburg und Bütow und dazu eine Geldsumme versprach, wenn er sich ihm zu Kriegs- und Lehnsdiensten verpflichtete, ging er nicht darauf ein.
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V. PUTTKAMER (wie Arnn. 1), S. 12.
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v . PUTTKAMER (wie A n m . 1), S . 13 f.
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Erst unter den Nachfolgern, König Sigismund, der 1506 den polnischen Thron bestiegen hatte, und Herzog Georg I. von Pommern, der seinem Vater Bogislaw 1523 gefolgt war, kam 1526 eine Übereinkunft zustande.5 Von dem nicht gezahlten Brautschatz für die Königstochter Anna - sie ist die Mutter Herzog Georgs I. und seines Bruders Barnim IX. - wurde die Zahlung von 18 000 Gulden vereinbart, ein Rest von 14 000 Gulden erlassen. Hierfür verlieh König Sigismund den beiden Söhnen seiner Schwester und ihren männlichen Leibeserben die beiden Schlösser und Städte Bütow und Lauenburg mit allen Untertanen, Vasallen, Rechten, Gewaltigkeiten, Freiheiten, Nutzbarkeiten, Gefallen, Einkünften und sonstigen Zubehörungen, und zwar in demselben Umfange, wie Herzog Erich II. sie von König Kasimir IV. vor Zeiten empfangen und wie sie dieselben bisher besessen haben, für ewige Zeiten, um sie nach Lehnrecht zu behalten, zu genießen und zu besitzen. Der König sprach sie frei von jeder Abgabe, Dienst- und Eidesleistung und versprach, die Pommernherzöge mit seiner ganzen Macht in ihren Besitzen zu beschützen und zu verteidigen. Er legte ihnen jedoch die Verpflichtung auf, bei der Krönung seiner Nachfolger als Könige von Polen entweder in Person gegenwärtig zu sein oder sich durch Gesandte vertreten zu lassen, um das zum polnischen Reiche gehörige lehnsrechtliche Verhältnis im Betreff von Bütow und Lauenburg anzuerkennen und neue Lehnsbriefe in Empfang zu nehmen. Weiter wurde für den Fall, daß der Mannestamm der Herzöge von Pommern erlöschen würde, festgelegt, daß die beiden Schlösser und Städte mit allen ihren Gütern, Untertanen, Vasallen, mit allen Rechten, Freiheiten und Hoheiten zu vollem freien Eigentum an das Reich und die Krone Polen zurückfallen sollten. Damit waren Lauenburg und Bütow nun polnische Lehen geworden und zugleich pommersche Ämter, die jedoch infolge ihrer Lehnszugehörigkeit zu Polen nicht dem Verbände des Deutschen Reiches angehörten. Was Bogislaw X. abgelehnt hatte, nämlich lehnsabhängig zu sein, das war nun für Lauenburg und Bütow herbeigeführt worden, weil diese Gebiete so gesicherter und damit fester mit Pommern verbunden werden konnten. Bei der pommerschen Landesteilung von 1532 und endgültig bei der von 1541 kamen Lauenburg und Bütow als Ämter zum Herzogtum Stettin unter Barnim IX. Als dieser 1569 der Regierung entsagte und Pommern unter die Söhne Herzog Philipps I. von Wolgast [t 1560] geteilt werden mußte, was im Vertrag von Jasenitz 1569 geschah, wurden für jüngere Mitglieder des Greifenhauses besondere Abfindungsgebiete bestimmt: im Stettiner Herzogtum waren dies die Ämter Bütow und Rügenwalde, während Lauenburg bei dem in Stettin regierenden Herzog verblieb. Die beiden Ämter sind also in der späteren herzoglichen Zeit getrennt verwaltet worden, was notabene auch in kirchlicher Hinsicht der Fall war: Bütow gehörte seit alters zum Bistum Cammin, Lauenburg zum Bistum Kujawien-Wlociawek
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CRAMER (wie ANM. 1), B d . 1, S. 173 f f .
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Was nun das Verhältnis zu Polen betrifft, so sind die pommerschen Herzöge den Verpflichtungen des Danziger Vertrages von 1526 nachgekommen. Als König Sigismund I. seinem ältesten gleichnamigen Sohn 1530 die Nachfolge sicherte, sandten die Pommern einen Orator nach Krakau. Das gleiche geschah 1549 zur Krönung Sigismunds II., 1575 zu der Stephan Bathorys. Herzog Bogislaw XIII. entsandte 1606 seinen Sohn Georg nach Krakau, um König Sigismund III. die Lehnshuldigung zu leisten und die Lehnsbriefe im Empfang zu nehmen. Während die Pommernherzöge danach strebten, auf den Reichstagen des Deutschen Reiches persönlich anwesend zu sein, ließen sie sich beim polnischen König jeweils vertreten. Nicht immer aber sind die Lehnsübertragungen glatt verlaufen. Bei der Erneuerung der Lehnsbriefe im Jahre 1549 war der Satz von 1526, daß Bütow und Lauenburg völlig dienst- und eidesfreie Lehen seien - libere a servitio et a iuramento - ausgelassen worden; er wurde erst auf Vorstellung Herzog Barnims IX. von Pommern nachträglich wieder hinzugefügt. Auch bei der Lehnshuldigung gegenüber König Stephan Bathory 1575 gab es Schwierigkeiten.6 Die pommerschen Gesandten sollten wieder einen Lehnseid schwören, und zwar knieend, und die Belehnung mit einer Fahne empfangen, was von den Pommern verweigert wurde, da es sich nicht um Fahnenlehen handele. Auch wurde von Stephan Bathory kein Lehnsbrief ausgestellt, weil sich die Stände von Lauenburg und Bütow beschwerdeführend an den polnischen König gewandt hatten. Der Landtag des Königlichen, polnischen Preußen hielt die Veräußerung der Lande überhaupt für widerrechtlich mit der Begründung, daß die Söldnerhauptleute des Deutschen Ordens seinerzeit gar nicht befugt zur Veräußerung gewesen seien und daß alles im Widerspruch zum II. Thorner Friedensschluß stünde, wonach ganz Pommerellen in seinen alten Grenzen vom Orden an Polen abgetreten worden sei. Die Beschwerden, die sie dem König gegenüber vorbrachten, waren diese: 1. daß den Untertanen in den Landen Lauenburg und Bütow die Appellation an den König von Polen verweigert werde, 2. daß die Rechtsfälle nicht nach einheimischem kulmischen, d. h. deutschem, Rechte, sondern nach dem fremden kaiserlichen Recht verhandelt und entschieden würden, womit der Herzog adlige Witwen und Waisen aus ihren ererbten Gütern werfe und diese einziehe, 3. daß der Adel entgegen der ihm von König Kasimir verbrieften Freiheiten zur Steuer für das Römische Reich herangezogen werde, 4. daß dem Adel die Jagd auf seinem eigenen Grunde untersagt worden sei. König Stephan Bathory machte die Ausfertigung des Lehnsbriefes von der Prüfung der Beschwerden abhängig. Darauf fertigten die Pommern ihrerseits ein Lehnsbekenntnis aus, welches aber der König zurückwies, weil in deutscher Sprache verfaßt. Schließlich wurden die Schriftstücke 1578 in lateinischer Sprache abgefaßt.
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CRAMER ( w i e ANM. 1), B d . 1, S . 2 0 1 f f .
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Alle diese Plänkeleien waren Ausdruck tiefgreifender Differenzen, die sich aus den unterschiedlichen Rechtsverhältnissen ergaben. Als die Ritterschaft des Amtes Lauenburg 1575 vom Pommernherzog Johann Friedrich zur Huldigung ihm gegenüber aufgefordert wurde, legte sie auch ihm gegenüber einen Beschwerdekatalog vor bzw. stellte Forderungen, nämlich: Die Erneuerung und Bestätigung aller Privilegien, mit denen die Preußen im königlichen Teil bewidmet waren. Insbesondere forderten sie, daß sie sich nicht wegen geringfügiger Sachen an das Hofgericht in Stettin wenden müßten, sonder daß Rechtsfälle zunächst durch die Landschöppen behandelt und entschieden werden sollten und daß sie sich in dritter Instanz an das Kammergericht der Krone Polens wenden könnten. Weiterhin erbaten sie, nicht die Bürden des Römischen Reichs tragen, Kriegsdienste nicht außerhalb des Landes ohne Sold und Unterhalt leisten zu müssen, ferner die Landesgrenzen genau festzulegen, die Beschränkung des Jagdrechts aufzuheben. Von herzoglich pommerscher Seite wurde eine Prüfung zugesagt. Hier einige der Antworten: Eine Appellation an den königlich polnischen Hof wird grundsätzlich untersagt. „Das ist" - so heißt es - „strafbar und gegen den Eid der Lehnstreue. Daß die Stände ein besonderes Preußisches Recht haben", so heißt es in der Antwort weiter, „wissen S. F. G. nicht, wollen es aber einsehen." Nach Preußischem Recht, so wird hinzugefügt, seien die Güter Erbgüter, hier aber (also in Pommern) seien sie Lehngüter und werden als Lehen empfangen.7 Worum es bei diesen unterschiedlichen Rechtsstandpunkten ging, das hat Ellinor von Puttkamer so auf das knappste formuliert: „Bekanntlich bestand in Lauenburg-Bütow vor allem aber im Bütower Bereich, abweichend vom übrigen Pommern der landgesessene Adel schon lange aus zwei Schichten, die sich durch ihren ökonomischen und sozialen, aber auch rechtlichen Status unterschieden: dem eigendichen, seit dem 15. Jahrhundert vollständig deutschen Adel und dem autochthonen, noch halbslawischen Kleinadel, den sog. „Panen" oder „Freien". Letztere wurden von den Pommernherzögen nicht voll anerkannt." Und: „Die Abgrenzung zwischen beiden Gruppen war flüssig; sie richtete sich weniger nach der genealogischen Abkunft als nach dem jeweiligen sozialen Niveau des Einzelnen, nämlich seinem Vermögen, ritterlichen Verpflichtungen nachzukommen. " 8 Demgemäß teilte die herzoglich-pommersche Regierung die Landesbevölkerung in drei Gruppen ein: die adligen Ritter, die Freien und die Amtsbauern. Als Kennzeichen des Adels galt der Besitz bzw. die Gestellung eines Reiterpferdes; der Adel hatte Hofdienst zu leisten. Die kleinen Adligen in Lauenburg und Bütow, die nicht ganze Güter besaßen oder zu Lehen innehatten, sondern nur einige Hufen als Gutsanteile besaßen und im allgemeinen ökonomisch leistungsschwach waren, gehörten nach diesem Verständnis nicht zum Ritteradel. Die
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CRAMER ( w i e ANM. 1), B d . 1, S . 1 9 3 .
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herzoglich pommersche Verwaltung rechnete sie daher zu den „Freien" oder sprach von „gefreiten Bauern" oder auch von „wendischen Bauern". Daraus ergab sich, daß ihnen bestimmte Rechte des Adels, ζ. B. das Jagdrecht, vorenthalten bzw. entzogen wurden, während ihnen andererseits gegenüber Abgaben, die sie unter dem Orden hatten zahlen müssen, von der herzoglichen Regierung neue Abgaben auferlegt wurden. Der andere Hauptstreitpunkt war das Recht. Im Königlichen Preußen galt das vom Orden eingeführte Kulmische Recht, eine Weiterentwicklung des Magdeburgischen. Die adligen Güter ebenso wie alle anderen Höfe, Krüge, Mühlen waren Allode, freies erbliches Eigentum. Außerdem erkannte es die weibliche Erbfolge an. Das führte natürlich zu einer immensen Zerstückelung des Besitzes und damit zum wirtschaftlichen und sozialen Niedergang. In Pommern galt demgegenüber das deutsche Lehnrecht, und zwar waren hier Lehen ausschließlich Mannlehen; bei der Vererbung schlossen die männlichen Erben die weiblichen aus. Die pommerschen Hauptleute in Lauenburg und Bütow, die mit dem pommerschen Recht vertraut waren und das preußische nicht oder weniger gut kannten, suchten letzteres zu verdrängen und das erstere durchzusetzen, d. h. Allode in Lehen umzuwandeln. Der Lauenburgische Adel hatte 1575 auf die Entgegnung Herzog Johann Friedrichs, er wisse nicht, daß die Stände ein besonderes Preußisches Recht hätten, Urkunden Herzog Barnims IX. vorgelegt, die ihren Standpunkt bezeugen sollten. In dem einen Bescheid aus dem Jahre 1533 heißt es, daß das Amt Lauenburg, das von der Krone Polens zu Lehen rührt, „mit den Rechten des Romischen Reichs disfals nicht behaft wirt"; der herzogliche Hauptmann wird vielmehr angewiesen, daß er „die alte gewohnheidt, Recht und gebrauch mehr alse die Kaiserliche ordnunge" befolge. Allerdings ist dann bezeichnenderweise hinzugefügt: „In fahll aber wo der gebrauch oder angemassede Recht streitigk, weittleuftigk vnd vngewiß wehre", daß „Aisdan das Romische Recht vnd Kayserliche ordnunge als die billigste meinunge" befolgt werde.9 Am Ende der Verhandlungen im Jahre 1575 hat der Adel dem Pommernherzog die Huldigung geleistet. Danach wurden die ,wendischen Bauern' und Schulzen durch den Landvogt in das fürstliche Haus beschieden, wo sie denselben Eid in wendischer Sprache feierlich ablegten. Die Hauptkonfliktpunkte, nämlich die Frage der sozialen Gliederung, d. h. die des Adels, und die Frage des Rechts, und zwar sowohl der Rechtsordnung wie des Rechtsverfahrens, waren deswegen so gravierend, weil sie auch im eigentlichen Pommern eine Rolle gespielt hatten, freilich inzwischen zu einer Klärung bzw. Entscheidung geführt worden waren mit dem Ergebnis einer Vereinheitlichung der Verhältnisse im ganzen Lande im Zuge der Ausbildung eines „frühmodernen" Staates im Sinne der Territorialisierung. Dabei ging es vor allem um die Beschränkung der Stände, um die Sicherung bzw. Erweiterung der herzoglichen Einnahmen und als Voraussetzung dafür um die Schaffung
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einer tendenziell einheitlichen, dem Herzog untergeordneten, ihm verantwortlichen Verwaltung mit abgegrenzten Verwaltungsbezirken. 1486 waren Vogteigerichte für ganz Pommern verordnet worden, und im Hof- oder Kammergericht wurde eine Berufungsinstanz für das ganze Land geschaffen. Die strenge Handhabung des Lehnrechts, die Bevorzugung der Schriftlichkeit im Amts- und Verwaltungswesen durch die Kanzlei und die Gerichte, die Versuche, römische Rechtsgrundsätze zu praktizieren, der Zwang, Lehnsbriefe vorzulegen und zu erbitten, das Einziehen nicht nachweisbarer Güter zugunsten des landesherrlichen Besitzes usw. - alles das sollte auch in Lauenburg und Bütow durchgesetzt werden. Zu den Veränderungen der Verhältnisse in Pommern gehörten auch die kirchlichen. Die Reformation war in Pommern - nachdem sich die reformatorische Bewegung hauptsächlich in den Städten schon seit den 20er Jahren ausgebreitet hatte - auf dem Landtag zu Treptow an der Rega im Dezember 1534 gewissermaßen durch landesherrliche Verfügung, von oben, verordnet, dann aber durch die Visitationen Bugenhagens, durch die neue Kirchenordnung und andere Maßnahmen durchgesetzt worden und hatte ähnlich wie die Reformen in der Verwaltung und im Rechtswesen das Bewußtsein von der Einheit des Landes unter dem Herrscherhaus der Greifen ganz wesentlich zu prägen mitgeholfen. Die Maßnahmen zur Durchführung der Reformation in Pommern betrafen auch Bütow und Lauenburg, ersteres stärker als dieses, da Bütow zum Bistum Cammin gehörte. Als auch dieses nach dem Tode des letzten katholischen Bischofs Erasmus von Manteuffel 1544 der Reformation zugeführt wurde, fielen - jedenfalls für Bütow - die letzten Hindernisse weg, die einer Angleichung der Verhältnisse an die pommerschen im Wege standen. Für Lauenburg, das ja nicht zu Cammin, sondern zum Bistum Kujawien gehörte, hat der dortige katholische Bischof 1545 eine Visitation durchgeführt. Der pommersche Landtag beschloß daraufhin Ende desselben Jahres, zwei evangelische Geistliche aus Stolp in das Amt Lauenburg zu entsenden, um festzustellen, ob die evangelische Bevölkerung in ihren Rechten beeinträchtigt sei. Hier wie in Bütow war der einheimische Adel bis auf wenige Ausnahmen evangelisch geworden. Ich lasse die Verflechtung Pommerns und mit ihm auch Lauenburgs und Bütows in die politischen Verwicklungen der späten pommerschen Herzogszeit im 16. Jahrhundert und den ersten Jahrzehnten des 17. beiseite und gehe sogleich zum nächsten Abschnitt der Geschichte von Lauenburg und Bütow, der polnischen Zeit von 1637 bis 1657, über. Mitten in den Wirren des Dreißigjährigen Kriegs war der letzte pommersche Herzog, Bogislaw X I V . , gestorben. Nach den Erbverträgen mit Brandenburg hätte das Land dem Hohenzollerschen Kurfürsten zufallen müssen. Tatsächlich hatten es die Schweden in der Hand, deren 1632 gefallener König Gustav II. Adolf als Retter des evangelischen Glaubens angesehen wurde, des Glaubens, der in Pommern insbesondere durch das Restitutionsedikt von 1629, und zwar speziell in Bezug auf das Stift Cammin, bedroht gewesen war. Mit dem Er-
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löschen der Greifen im Mannesstamm fielen Lauenburg und Bütow dem Danziger Vertrag von 1526 gemäß an die Krone Polen zurück. Gleichwohl gab es Probleme. Die Schwester des letzten Pommernherzogs Anna und ihr Sohn, der Herzog Ernst Bogislaw von Croy, erstrebten den Lehnbesitz als Ersatz von Schuldforderungen der pommerschen Herzöge an die Krone Polen. Diese Absichten und Forderungen konnten nicht durchgesetzt werden. König Wladislaus IV., der bereits im März 1637 das schriftliche Versprechen abgegeben hatte, den Wünschen der Lauenburg-Bütowschen wie der Preußischen Stände zu entsprechen und die Lande mit dem übrigen Königlichen Preußen zu vereinigen, erteilte dem Wojewoden von Kulm Melchior Weier die Vollmacht, die erledigten Lehen einzuziehen, den Besitz für die Krone Polen zu ergreifen und die Huldigung entgegenzunehmen. Am 4. Mai 1637 haben der Adel, die Abgesandten der Städte und der Dörfer in Lauenburg den Treueid dem König von Polen gegenüber geleistet. Dieser ließ versprechen, die Untertanen ihrem Wunsche gemäß den Einwohnern der Königlich Preußischen Lande völlig gleichzustellen und alle ihre Freiheiten und Rechte zu sichern. Dabei ist wohl zu denken - und die Preußischen Stände haben sich auch darauf berufen - an das sogenannte Inkorporationsprivileg, das König Kasimir 1454 für Preußen erteilt hatte: Dieses verlieh der Geistlichkeit und dem Adel in Preußen dieselben Rechte, wie sie Geistlichkeit und Adel in Polen besaßen. Ausdrücklich wurde die Beibehaltung des Magdeburgischen, des Kulmischen, des Polnischen, des Preußischen Rechts garantiert. Die Gesandtschaft, die die Stände von Bütow und Lauenburg 1637 nach Warschau schickten, bat insbesondere um die Bestätigimg ihrer alten, von den Deutschen Rittern erlangten Rechte und Freiheiten, die unter den pommerschen Herzögen verkümmert waren. Im Zusammenhang mit der Frage nach dem geltenden Recht war auch die Frage der verwaltungsmäßigen Zuordnung von Bedeutung. Der König und die polnischen Vertreter auf den Reichstagen erstrebten die unmittelbare Vereinigung mit Polen und die Errichtung einer eigenen Wojewodschaft. Die kgl. preußischen Vertreter forderten energisch die Vereinigung mit Pommerellen. Nach längeren Verhandlungen wurde 1641 auf einem Reichstag zu Warschau ein dahin gehender Beschluß gefaßt: Die Lande Lauenburg und Bütow werden mit Preußen wieder vereinigt und der Wojewodschaft Pommerellen einverleibt. An die Stelle der Ämter Lauenburg und Bütow traten zwei selbständige Starosteien unter dem Starosten Reinhold von Krakow zu Lauenburg und Jakob von Weiher zu Bütow. Weiter wurde 1641 verordnet: Die dortigen aus den alten Familien abstammenden Edelleute, nicht aber die von fremden Örtern dorthin gekommenen werden in ihren alten Rechten, Freiheiten und Privilegien, auch in Bezug auf die Gerichte, dem Preußischen Adel völlig gleichgestellt. Alle unter den pommerschen Herzögen gemachten Schenkungen, ergangenen Rechtssprüche, zuerkannte Erbfälle sollten, sofern sie vollzogen
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waren, in Kraft bleiben, alle noch schwebenden aber nach dem Polnischen bzw. Preußischen Landrecht entschieden werden.10 Es ging besonders um die adligen Besitzungen. Die Preußischen Stände hatten schon 1638 gefordert, daß der kaschubische Kleinadel, die Panen, wieder alle adligen Vorrechte, die ihnen unter der pommerschen Herrschaft vorenthalten worden waren, in Anspruch nehmen könnten, während die Adligen, die zur Ritterschaft des Heiligen Römischen Reiches gehörten, nicht zum Besitze adliger Güter zugelassen werden sollten. Es handelte sich um solche Edelleute, die in der pommerschen Zeit aus Pommern oder aus dem Reich eingewandert und mit eingezogenen adligen Gütern belehnt worden waren und die sich - wie man sagte - adlige Teile „angemaßt" hatten. In einer Urkunde aus dem Jahre 1637 werden sie als eine „neue und frömbde Natzion" bezeichnet." Die Regelung von 1641, auch Konstitution genannt, hatte zur Folge, daß in Lauenburg und Bütow nun - gemäß einer für das Königliche Preußen schon 1476 erfolgten Konstitution - alle Lehen allodifiziert wurden. Der Adel besaß seine Güter mithin erb- und eigentümlich. Die Vererbung vollzog sich nach Kulmischem Recht. Doch war dieses in einem wesentlichen Punkte 1599 abgeändert worden, indem man - um der weiteren Besitzzersplitterung zu steuern - die unbeweglichen Güter nur den Söhnen zufallen ließ, die Töchter also insofern das Erbrecht verloren, dafür aber mit einem Brautschatz ausgestattet werden mußten. Der zweite große Einschnitt, der nach dem Ende der pommerschen Herzogszeit eintrat, betraf die kirchlichen Verhältnisse.12 Bereits am 15. April 1637 erließ der Bischof von Kujawien-Wloclawek einen Hirtenbrief an die Ritterschaft, die Städte und alle Einwohner der Lande Lauenburg und Bütow zur Wiederherstellung aller Rechte des Bischofs und der katholischen Kirche. Er ordnete an, die katholischen Priester in den Besitz der Kirchen, Pfarreien, Pfründen, Einkünfte und Zehnten wieder einzusetzen und die im verflossenen Jahrhundert der katholischen Kirche zugefügten Kränkungen zu sühnen. Mit der Durchführung entsprechender Maßnahmen wurde der Domherr zu Wloctawek und Pfarrer zu Danzig Dr. Johann Judicki als Generalvikar beauftragt. Dabei gab es in beiden Ländern gar keine katholischen Priester mehr. Nun aber wurden sie wieder ins Land geschickt. Ihnen wurden die gesamten Besitzungen, Gelder und Gebühren zuerkannt, die in katholischer Zeit zu entrichten gewesen waren. Vor allem aber: Das Amt Bütow gehörte seit alters zum Bistum Cammin und war niemals dem Bistum Kujawien unterstellt gewesen. Jetzt wurde es von Cammin getrennt und gegen alle geschichtliche Legitimation zusammen mit Lauenburg dem Bistum Kujawien-Wloclawek eingegliedert. Die evangelischen Geistlichen wurden vertrieben. Und um die Kirchen des Landes entbrannte ein heftiger Kampf zwischen der Bevölkerung und der polnischen Obrigkeit. Das Ergebnis war dieses: Im Lande Bütow wurden die Kirchen
10
CRAMER ( w i e A n m . 1), B d . 1, S . 2 5 4 ff.
11
CRAMER ( w i e A n m . 1), B d . 1, S . 2 5 6 .
12
CRAMER ( w i e A n m . 1), B d . 1, S . 2 7 3 f f .
Die Lande Lauenburg und Bütow
103
landesherrlichen Patronats, acht an der Zahl, rekatholisiert; nur die beiden Kirchen in Jassen u. Gr. Pomeiske, die adlig waren, blieben evangelisch. Im Amte Lauenburg, wo die Kirchen adligen Patronats überwogen, wurden sieben von zwanzig wieder katholisch. Weithin war die nach wie vor evangelische Bevölkerung der beiden Ämter gezwungen, ihre Gottesdienste in Sälen und Schulzenhöfen abzuhalten. Ich komme, ohne auf die politische Entwicklung einzugehen, zum nächsten Abschnitt: die Unterstellung von Lauenburg und Bütow als erbliches Lehen Polens unter die Herrschaft der Kurfürsten von Brandenburg. Brandenburg hatte im Westfälischen Frieden Pommern östlich der Oder erhalten einschließlich des Stifts Cammin und 1654 die brandenburgische Verwaltung im Lande geordnet. Der nach der Thronentsagung der Königin Christine von Schweden 1654 ausbrechende Krieg zwischen Schweden und Polen zog auch Brandenburg und damit Pommern mit in die Auseinandersetzungen hinein. Der Große Kurfürst erreichte durch geschickte Politik 1656 im Vertrag zu Labiau, daß König Karl X. von Schweden den Kurfürsten und seine Nachkommen als souveräne Herzöge von Preußen, einschließlich des Ermlandes, anerkannte, dann 1657 im Vertrag zu Wehlau, daß auch Polen die Unabhängigkeit Preußens, allerdings ohne das Ermland, akzeptierte. Falls die Hohenzollern in Brandenburg ausstürben, sollte Preußen an Polen fallen. Im Frieden von Oliva, der 1660 den Schwedisch-Polnischen Krieg beendete, wurde die Unabhängigkeit Preußens bestätigt. Der Vertrag von Wehlau, der den Frieden zwischen Polen und Brandenburg herstellte, wurde ergänzt durch den Vertrag zu Bromberg vom 6. November 1657, gewissermaßen ein Zusatzabkommen zum Wehlauer Vertrag.13 Hierin wurde vereinbart, daß als Entgelt für die brandenburgische Waffenhilfe gegen Schweden der brandenburgische Kurfürst die Lande Lauenburg und Bütow erhalten solle, und zwar als ein abgabefreies und im Mannesstamme erbliches Lehen, wie es ehemals die Herzöge von Pommern besessen haben, frei von jeglicher Eidesleistung und jeglichem Tribut oder sonstiger Leistung.14 Der Kurfürst und seine Nachfolger werden verpflichtet, zu den Krönungen polnischer Könige Abgesandte zu entsenden, um Urkunden über die Erneuerung der Lehen zu empfangen. Im Falle des Aussterbens der Hohenzollern im Mannesstamme sollten die Lehen an die Könige von Polen zurückfallen. Die Lehnserneuerung ist im 17. Jahrhundert von brandenburigscher Seite jeweils erbeten worden, zuletzt 1698, dann aber nach der Königskrönung von 1701 unterblieben. Streit gab es zunächst über die Titelfrage. Während sich der Große Kurfürst „dominus de Lauenburg et Bytaw" nannte, wollte Polen nur die Bezeichnung „fiduciarius", also Treuhänder, zulassen. Von wesentlicher Bedeutung waren folgende Punkte des Bromberger Vertrages: „Die Ausübung der katholischen Religion soll, wie es bis auf diesen Tag
13
CRAMER ( w i e A n m . 1 ) , B d . 1, S . 2 8 4 f .
14
CRAMER ( w i e A n m . 1 ) , B d . 2 , S . 1 2 1 .
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Schmidt
gewesen ist, frei sein."15 Die Gerichtsbarkeit des Bischofs von Kujawien und alle Einkünfte der Pfarrer sollen unangetastet bleiben. Die Patronatsrechte verblieben beim Landesherrn, d. h. nun beim Kurfürsten, bzw. bei den Adligen; jedoch hatte der Bischof von Kujawien das Präsentationsrecht. Der Adel soll alle seine Rechte auf eben dieselbe Weise wie unter der Herrschaft des polnischen Königs haben. Rechtskräftige Urteile und Entscheidungen sollten unverletzt in Kraft bleiben. Die Art der Regierung und der Appellationen soll dieselbe sein wie unter den Herzögen von Pommern. Während der polnische Reichtstag diesen Vereinbarungen zustimmte, erhoben die Stände des Königlichen Preußen energischen Protest. Um sie, aber auch um den Adel in Lauenburg und Bütow zu beruhigen, gab König Johann Kasimir 1657 eine schriftliche Zusicherung, daß unbeschadet der Überlassung an den Kurfürsten von Brandenburg und Herzog in Preußen der einheimische Adel nicht nur seine Rechte und Gewohnheiten nicht verlieren, sondern nach wie vor zum Polnischen Reichskörper gehören solle und, sobald Adlige nach Polen kämen, sie als Eingeborene des Polnischen Reiches angesehen und zu allen Ämtern gelangen könnten.16 Im April 1658 wurden die beiden Starosteien vom Beauftragten des polnischen Königs Ignatz Bokowski den Beauftragten des Kurfürsten von Brandenburg Adam von Podewils und Ulrich Gottfried von Samnitz zu „wirklichem, gesetzlichen und festen Besitz" übergeben.17 Adel, Bürger und Landesinsassen sollten dann dem Kurfürsten den Treueid leisten, und zwar, so führte der polnische Gesandte aus „wie ihn ihre Vorfahren einst den Herzögen von Pommern geschworen". Dies zu tun aber weigerte sich der Adel, weil er befürchtete, daß damit der Anfang gemacht würde, die vererblichen Güter wieder in Lehen umzuwandeln wie in der Zeit der pommerschen Herrschaft. Während Bürger und Landesbewohner den Eid in der vorgelegten Form leisteten, wurde für den Adel ein Kompromiß dergestalt gefunden, daß die Formulierung, die auf Lehnsempfang hinauslief, weggelassen wurde. Darauf leistete nun auch der Adel im Juni 1658 den Eid. Das amtliche Verzeichnis der damals Schwörenden, das dem Kurfürsten übergeben worden ist, führt 63 Familien aus dem Lauenburgischen Distrikt und 43 Familien aus dem Bütowschen auf, zusammen 106 Familien, die mit 220 Personen auswesend waren.18 In zwei Fällen, und zwar für 3 Personen, aus dem Lauenburgischen, ist ausdrücklich vermerkt, daß von ihnen der Eid in polnischer Sprache abgelegt worden ist.19 Der alte Streit um die Abgrenzung des Adels ergab sich sogleich von neuem. In der Beschreibung des Landes Lauenburg nach der kurfürstlichen Besitzergreifung, die im Mai 1658 vom Oberkommisssar Wedige von Bonin aus
15
CRAMER ( w i e A N M . 1), B d . 2 , S . 1 2 3 .
16
CRAMER ( w i e A n m . 1), B d . 1, S . 2 9 0 .
17
CRAMER ( w i e A n m . 1), B d . 1, S . 2 9 3 - 2 9 9 .
18
CRAMER
19
CRAMER ( w i e A n m . 1), B d . 1, S . 6 6 , N r . 1 7 , u . S . 6 8 , N r . 5 0 .
(wie Anm.
1),
Bd.
1,
Beilagen S .
64
ff.
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Die Lande Lauenburg und Bütow
Kolberg angefertigt worden ist, werden zum Adel bzw. zur Ritterschaft nur 13 eingesessene und 6 aus Pommern hinzugekommene gerechnet. „Die übrigen Familien, so sich mit unter den Adell rechnen sein keine gewiße Familien sondern besondere freye Leute." In der entsprechenden Beschreibung des Landes Bütow aus dem Jahre 1658 werden nur 4 Famlien zum Adel bzw. zur Ritterschaft gerechnet, alle übrigen 39 sind danach „besondere freye Leute".20 Die Verwaltung wurde unter brandenburgischer Herrschaft so geregelt, daß beide Ämter einem Oberhauptmann mit dem Sitz in Lauenburg unterstellt wurden. Friedrich der Große hob die Selbständigkeit der Verwaltung 1771 auf und übertrug sie auf die Kriegs- und Domänenkammer in Stettin. Da die Stände nicht mehr an den Landtagen des Königlichen Preußen und am Polnischen Reichtag teilnehmen konnten, wurde ein besonderer Landtag mit der Bezeichnung „Seymik" einberufen, der jährlich in Lauenburg tagte und sich vorwiegend mit Finanz- und Steuerfragen sowie Beschwerden befaßte.21 Die Huldigungen gegenüber den Kurfürsten von Brandenburg, seit 1701 auch Königen in Preußen, geschah in Lauenburg, zuletzt 1740 beim Regierungsantritt Friedrichs des Großen, 1786 beim Regierungsantritt Friedrich Wilhelms II. huldigten die Stände Lauenburgs und Bütows nicht mehr gesondert, sondern zusammen mit den pommerschen Ständen in Stettin.22 Mit der Ersten Polnischen Teilung 1772 erwarb Friedrich der Große auch die volle Unabhängigkeit und das freie Eigentum der Lande Lauenburg und Bütow.23 Im Warschauer Vertrag vom 18.9.1773 mußte Polen auf die Oberlehnsherrlichkeit und das Rückfallsrecht verzichten. Die Bestimmungen des Bromberger Vertrages von 1657 wurden aufgehoben, damit auch die Garantien für den Adel und die katholische Kirche. Die Landes- und Gerichtsverfassung wurde neu geordnet, und zwar unter Einführung des allgemeinen Preußischen Landrechts von 1721. Verwaltungsmäßig wurden Lauenburg und Bütow als ein gemeinsamer Kreis zunächst Westpreußen eingegliedert, 1777 dann mit Hinterpommern vereinigt. Auch nach der Neuordnung des Preußischen Staates nach dem Wiener Kongreß verblieben die Kreise Lauenburg und Bütow bei der 1818 errichteten Provinz Pommern bis zu deren Untergang.
Weitere Literatur Zur Geschichte von Lauenburg vgl. FRANZ SCHULTZ: Geschichte des Kreises Lauenburg in Pommern. Lauenburg 1912. Zur Geschichte von Bütow vgl. GERHARD BRONISCH, WALTER OHLE, HANS TEICHMÜLLER: Kreis Bütow. Stettin 1938 (Die Kunst- und Kulturdenkmäler der Provinz Pommern), Neudruck
(wie Anm.
Bd.
f. u. ebd. Beüagen S .
20
CRAMER
21
CRAMER ( w i e A n m . 1), B d . 1, S. 3 1 7 u . 3 2 4 .
22
CRAMER ( w i e A n m . 1), B d . 1, S . 3 2 8 .
23
CRAMER ( w i e A n m . 1), B d . 1, S . 3 4 1 f f .
1),
1, S . 3 0 3
36
f. u.
S. 2 4 .
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Frankenberg/Eder 1962. - Ferner HELLMUTH HEYDEN: Kirchengeschichte Pommerns, 2 Bde. Köln-Braunsfeld 1957. - GEORG GUDELICS: Die Wiederbelebung des Katholizismus in den Landen Lauenburg und Bütow nach 1637. In: Blätter für Kirchengeschichte Pommerns 19, 1939, S. 3-23, u. 20/21, 1939, S. 17-34. - ZYGMUND SZULKA: Organizacja sejmiku starostwa leborsko-bytowskiego w latach 1657/1658 - 1772/1774 [Die Organisation des Provinziallandtages der Starostei Lauenburg-Bütow in den Jahren 1657/1658 - 1772/74], In: W kregu badaή profesora Stanislawa Gierszewskiego. Sesja naukowa poswiecona pami§ci profesora Stanislawa Gierszewskiego/Red. ANDRZEJ GROTH. Gdansk 1995, 109-126. - FERDINAND HIRSCH:, Die Erwerbung von Lauenburg und Bütow durch den Großen Kurfürsten und die Errichtung der dortigen Verwaltung. In: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 28, 1915, S . 527-551. - MAREK DZIECIELSKI: Reformacja i kontrreformacja w dekanacie leborskim [Reformation und Gegenreformation im Lauenburger Dekanat], In: Studia Pelplmskie 26 (1997), 221-247, Kt.
Livland und Polen-Litauen nach dem Frieden von Oliva (1660) Boguslaw Dybas
Wenn wir an dieser Stelle über Livland in der frühen Neuzeit sprechen, denken wir an das ganze Gebiet des mittelalterlichen Livlands, d. h. das heutige Lettland und Estland. Wie schon Reinhard Wittram festgestellt hat, läßt sich in der Mitte des 17. Jahrhunderts ein Bedeutungswandel im Sinne einer Beschränkung des historischen Begriffs „Livland" feststellen. Von jener Zeit an bezeichnete letztendlich der Begriff „Livland" lediglich die Gebiete nördlich der Düna, heute Nordlettland und Südestland. Nördlich davon befand sich das historische Estland mit Reval und Narwa. Ebenfalls nicht zu „Livland" gehörten - nach Wittram) Lettgallen mit Dünaburg („Inflanty Polskie" = „Polnisch-Livland"). Südlich der Düna lag das Herzogtum Kurland und Semgallen1. Auch der Begriff „Polen-Litauen" bedarf eines kurzen Kommentars. In den Beziehungen mit Livland erlangte der Charakter der Rzeczpospolita als polnischlitauischer Doppelstaat eine besondere Bedeutung. Wegen seiner geographischen Lage hatte Litauen ein ganz anderes Interesse an Livland als Polen. Das gilt nicht nur für die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts, als die polnisch-litauische Realunion entstand, sondern auch für die ganze Epoche bis zum 18. Jahrhundert. Wenn wir einerseits über Unterschiede zwischen der polnischen und der litauischen Politik gegenüber Livland sprechen müssen, gab es andererseits aber auch Diskrepanzen zwischen der Politik der polnischen Könige und anderer Machtfaktoren im Rahmen der Rzeczpospolita in diesem Bereich. Während die Herrscher solche Gebiete wie Livland, aber auch das Herzogtum Preußen, die Moldau und andere, häufig enger mit der Person des Monarchen zu verbinden suchten, bekämpfte dies der Adel als Versuch einer Stärkung der königlichen Macht im Staat.
1
REINHARD WITTRAM: Baltische Geschichte. Die Ostseelande. Livland, Estland, Kurland 1180-1918. München 1954, S. 7. - Vgl. auch die Bemerkungen von HEINZ VON ZUR MÜHLEN: Das Ostbaltikum unter Herrschaft und Einfluß der Nachbarmächte (1561-1710/1795). In: GERT VON PISTOHLKORS (Hg.), Baltische Länder. Berlin 1994 (Deutsche Geschichte im Osten Europas), S. 174. Man muß doch unterstreichen, daß die Verengung des Begriffs „Livland" schon in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts begonnen wurde - mit der Gründung des Herzogtums Kurland und Semgallen 1561/62 und des Fürstentums Ehsten 1584 JÜRGEN HEYDE: Bauer, Gutshof und Königsmacht. Die estnischen Bauern in Livland unter polnischer und schwedischer Herrschaft 1561-1650. Köln, Weimar, Wien 2000 (Quellen und Studien zur baltischen Geschichte, Bd. 16), S. 29-33.
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Zwar bildete Livland schon im Mittelalter kein einheitliches Herrschaftsgebilde, doch der Zerfall der livländischen Staatenkonföderation in der Mitte des 16. Jahrhunderts infolge der Einmischung der Mächte der Ostseeregion (Dänemark, Schweden, Moskau, Polen-Litauen) und der Unfähigkeit Livlands zu einer entschiedenen und gemeinsamen Reaktion auf die Bedrohung seitens Moskau brachte neue verschiedene und tiefe Teilungen Livlands. Erst 1795 wurde Livland im Rahmen des Staates der Zaren formell vereinigt. In der zweiten Hälfte des 16. und am Anfang des 17. Jahrhunderts konnte es scheinen, daß Polen-Litauen sehr nah darangewesen war, eben dies zu erzielen. Infolge der polnisch-schwedischen Kriege im 17. Jahrhundert gewann Schweden dann das Übergewicht in Livland. Am Anfang des 18. Jahrhunderts wurde Schweden als Hegemonialmacht von Rußland ersetzt. Die Hauptfrage in diesem Aufsatz lautet: Wie gestalteten sich die Beziehungen der einzelnen Teile Livlands - im Schatten der politischen Dominanz der anderen Mächte - mit dem polnisch-litauischen Staat in der zweiten Hälfte des 17. und im 18. Jahrhundert? Natürlich können diese Erörterungen das Thema nicht erschöpfend behandeln. Sie basieren auf den noch nicht abgeschlossenen eigenen Forschungen des Autors und auf den Feststellungen der älteren Fachliteratur. Deswegen geht es hier vor allem darum, die Hauptprobleme zu skizzieren, bisher weniger bekannte Probleme zu zeigen sowie einige Fragen und Hypothesen zu formulieren. Der Zerfall des mittelalterlichen livländischen Staates in der Mitte des 16. Jahrhunderts und die Gestaltung der Verbindungen Livlands mit PolenLitauen gehören zu den gut erforschten Probleme in der livländischen Geschichtsschreibung. Die breitesten und ausführlichsten Darstellungen dieses Themas gaben in polnischer Sprache der polnische Historiker Edward Kuntze2 und der estnische Historiker Enn Tarvel3. In der deutschen Historiographie sind vor allem die Arbeiten von Klaus-Dietrich Staemmler4 und Erich Donnert5 zu erwähnen. Unlängst veröffentlichte Jürgen Heyde einen interessanten Aufsatz,
2
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5
EDWARD KUNTZE: Organizacja Inflant w czasach polskich [Die Organisation Livlands in polnischer Zeit]. In: J0ZEF BOROWIK (Hg.), Polska a Inflanty, Gdynia 1939 (Pamietnik Instytutu Baltyckiego, Bd. 34, Reihe: Balticum, H. 14), S. 1-53. ENN TARVEL: Stosunek prawnopaiistwowy Inflant do Rzeczypospolitej oraz ich uströj administracyjny w 1.1561-1621 [Die staatsrechtliche Stellung Livlands zur Rzeczpospolita sowie seine Verwaltungsgliederung in den Jahren 1561-1621]. In: Zapiski Historyczne 34 (1969), Nr. 1, S. 49-77. KLAUS-DIETRICH STAEMMLER: Preußen und Livland in ihrem Verhältnis zur Krone Polen 1561-1586. Marburg/Lahn 1953. ERICH DONNERT: Der livländische Ordensritterstaat und Rußland. Der Livländische Krieg und die baltische Frage in der europäischen Politik 1558-1583. Berlin 1963.
Livland und Polen-Litauen nach dem Frieden von Oliva
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in welchem die polnische und schwedische Politik gegenüber dem livländischen Adel verglichen wurde6. Die Verbindungen zwischen Livland und Polen-Litauen in der zweiten Hälfte des 16. und am Anfang des 17. Jahrhunderts waren recht kompliziert. Das hing sowohl mit der außenpolitischen Situation Livlands als auch mit den innenpolitischen Verhältnissen in Polen und Litauen zusammen. Die beiden in Personalunion von Königen aus der Dynastie der Jagiellonen regierten Länder befanden sich zu Beginn des Livländischen Krieges kurz vor dem Abschluß einer Realunion (1569). Man muß betonen, daß die in Wilna im Herbst 1561 abgeschlossene Vereinbarung freiwillig von den Livländern angenommen wurde. Den Grund für die Verbindung Livlands mit Polen und Litauen bildeten zwei Urkunden: Das Privilegium Sigismund Augusti und die Pacta subjectionis (Provisio ducalis). Diese Urkunden garantierten die Privilegien des livländischen Adels und Autonomie Livlands, das in Personalunion mit Polen und Litauen verbunden bleiben sollte. Der letzte Großmeister des Deutschen Ordens in Livland, Gotthard Kettler, wurde Lehnsmann des polnischen Königs und Erbherrscher im Herzogtum Kurland und Semgallen, das auf den säkularisierten Ordensgebieten südlich der Düna gegründet wurde. Kettler wurde auch königlicher Administrator Livlands nördlich der Düna (Livonia Transdunensis). Die nächsten Jahre brachten nähere Kontakte Livlands mit Litauen. Am 25. Dezember 1566 wurde in Grodno eine Realunion zwischen Livland und Litauen abgeschlossen. Infolgedessen wurde eine neue Verwaltungsgliederung Livlands eingeführt und die Kastellane aus den neuen Kreisen wurden Mitglieder des litauischen Senats. Doch schon 1569 wurde in Lublin die Realunion zwischen Polen und Litauen abgeschlossen und Livland galt seither als polnischlitauisches Kondominium. In den Jahren 1572-1577 eroberte Ivan IV. (der Schreckliche) fast das gesamte Livland nördlich der Düna. Erst die Feldzüge von Stefan Batory in den Jahren 1579-1581 ermöglichten es der Rzeczpospolita, Livland zurückzuerobern. In den polnisch-livländischen Relationen bedeutete dies eine einschneidende Veränderung. Der siegreiche König betrachtete die eroberte Provinz als Siegesbeute und verlieh ihr - ohne Rücksicht auf die alten Privilegien - eine neue Verfassung. Die neuen Verhältnisse wurden von den im Dezemeber 1582 herausgegebenen Constitutiones Livoniae geregelt. Die Privilegien des livländischen Adels wurden wesentlich beschränkt, soweit es die Teilnahme an der neu organisierten Verwaltung betraf. Auch waren die Krongüter (Starosteien) formell nur den Polen und Litauern zugänglich7. Infolge der Reformen von Stefan Batory wurden die Privilegien der lutherischen Konfession beschränkt und der Weg zu 6
7
JÜRGEN HEYDE: Zwischen Kooperation und Konfrontation: Die Adelspolitik Polen-Litauens und Schwedens in der Provinz Livland 1561-1650. In: Zeitschrift für Ostmitteleuropaforschung 47 (1998), S. 544-567; vgl. auch letztens veröffentlichte Dissertation dieses Autors (HEYDE, wie Anm. 1). In Wirklichkeit bildeten doch die Livländer 38 % der Starosten in Livland, HEYDE (wie Anm. 1), S. 60.
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Rekatholisierung des Landes geöffnet. Doch blieben - Enn Tarvel zufolge - die grundsätzlichen Rechte des Adels unberührt, und er bekam sogar damals eine einheitliche ständische Verfassung mit eigenem Landtag. Einen weiteren Wandel im Rechtsstatus der Provinz brachte die Regierungszeit von Sigismund III. Vasa. Sie führten zu einer stärkeren Integration Livlands mit der Rzeczpospolita. Am wichtigsten waren dabei die Beschlüsse des polnisch-litauischen Sejms im Jahre 1598. Livland wurde in drei Wojewodschaften gegliedert, die Hauptbeamten im Lande wurden Mitglieder des polnisch-litauischen Senats. Der Landtag der drei livländischen Wojewodschaften, der in Wenden tagte, erhielt das Recht, sechs Landboten in den Reichstag in Warschau zu schicken. Der livländische Adel bekam wieder das Recht, an der Verwaltung des Landes teilzunehmen - seither sollten alle Ämter in Livland wie auch die Landbotenposten gleich von Polen, Litauern und Livländern besetzt werden. Doch erst 1607 hat stellte der Sejm den livländischen Adel mit dem polnischen und litauischen gleich. Die Livländer erlangten dabei sogar das Recht, Güter in Polen und Litauen zu erwerben. Diese Entwicklung wurde in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts von dem polnisch-schwedischen Krieg gestoppt. In den 1620er Jahren eroberte Gustav Adolf den größten Teil Livlands nördlich der Düna. Nach dem Waffenstillstand in Altmark 1629 blieb bei der Rzeczpospolita nur der südöstliche Teil des überdünischen Livlands mit Dünaburg (das heutige Lettgallen). Formell wurde die Teilung Livlands im Friedensvertrag in Oliva (1660) bestätigt. Im Vergleich mit den Territorien nördlich der Düna war die Lage und der rechtliche Status des auf dem jenseitigen Düna-Ufer gelegenen Herzogtums Kurland und Semgallen relativ stabil8. In der politischen Geschichte des Herzogtums spielten zwei Faktoren eine wesentliche Rolle - die Beziehungen des Herzogs zum Adel einerseits und zu seinem Lehnsherren, dem polnischen König, andererseits. In Kurland besaß der Adel - dank den obengenannten Urkunden von Sigismund August vom Jahre 1561 - relativ großen Einfluß auf das Regierungssystem. Nach Erwin Oberländer kann man die Verfassung Kurlands in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts als Kondominium des Adels und des Herzogs bezeichnen. Die von den Nachfolgern von Gotthard Kettler unternommenen Versuche, diesen Zustand zu ändern, haben zu einem inneren Konflikt geführt. In diesen Konflikt mischten sich in den Jahren 1616-1617 der polnische König und die Rzeczpospolita ein. Die 1617 von der polnischen Kommission herausgegebenen Urkunden - Formula regiminis und Statuta Curlandiae - bildeten eine neue Verfassung des Landes, ein neues Zivil-, Strafund Prozeßrecht. Der kurländische Adel wurde zum Hauptfaktor im Regierungssystem und Kurland wurde - wieder nach E. Oberländer - „eine Adelsrepublik 8
AUGUST SERAPHIM: Die Geschichte des Herzogtums Kurland (1561-1795). Reval 2
1904. - ALEXANDER V. BERKIS: The History of the Duchy of Courland
( 1 5 6 1 - 1 7 9 5 ) . T o w s o n M a r y l a n d 1969. - ERWIN OBERLÄNDER, ILGVARS MISÄNS
(Hg.): Das Herzogtum Kurland 1561-1795. Verfassung, Wirtschaft, Gesellschaft. Lüneburg 1993.
Livland und Polen-Litauen nach dem Frieden von Oliva
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mit monarchischer Spitze"9. Für unsere weiteren Erörterungen ist es wichtig festzustellen, daß 1617 auch der Status des sog. Piltener Kreises, die ehem. Ausstattung der kurländischer Bischöfe, geregelt wurde. Nach Rolf Benders bildete seither auch der Piltener Kreis eine Adelsrepublik sui generis, die direkt mit der Rzeczpospolita verbunden war10. Das erschwerte eine eventuelle Vereinigung dieses Gebietes mit dem Herzogtum Kurland und Semgallen. Dem politischen und rechtlichen Übergewicht des Adels konnten die Herzöge ihre ökonomische Stärke gegenüberstellen. Sie verfügten über die ehemaligen Güter des Deutschen Ordens, die % des Territoriums des Herzogtums bildeten. Dieser Faktor war Grundlage der politischen und wirtschaftlichen Tätigkeit des bedeutendsten Vertreters der Kettlerdynastie - Herzog Jakobs (1642-1681)11. Seine Investitur illustriert sehr gut die Komplexität der polnischen Politik gegenüber Kurland und Livland. Jakob stammte aus der Nebenlinie der Kettler und hatte keine Rechte, den kurländischen Thron zu beerben. Der kinderlose Tod seines Onkels bedeutete das Ende der Dynastie und die unmittelbare Einverleibung Kurlands in die Rzeczpospolita. Dies strebte auch der polnische König Wladyslaw IV. Wasa an, für den Kurland eine Rekompensation für den Verlust des schwedischen Throns und gleichzeitig eine Basis für die Stärkung seiner Position in der Rzeczpospolita sein sollte. Deswegen wurde Jakob vom polnischen Adel unterstützt und der Sejm erlaubte ihm, den Thron in Mitau zu besteigen12. In der Geschichte Livlands, und vor allem wenn es um seine Beziehungen zur polnisch-litauischen Rzeczpospolita geht, bildete der Frieden von Oliva (1660) eine ziemlich wichtige Zäsur. Er stabilisierte - bis zum Ende des 18. Jahrhunderts - die territoriale Lage dieser Teile Livlands, die mehr oder weniger eng mit dem polnisch-litauischen Staat verbunden waren. Von diesem Standpunkt hatte der Nordische Krieg am Anfang des 18. Jahrhunderts und die Eroberung des schwedischen Livlands durch Rußland lediglich zweitrangige
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ERWIN OBERLÄNDER: D a s H e r z o g t u m K u r l a n d 1 5 6 1 - 1 7 9 5 . In: PETER CLAUS
HARTMANN (Hg.), Regionen in der Frühen Neuzeit. Reichkreise im deutschen Raum, Provinzen in Frankreich, Regionen unter polnischer Oberhoheit: Ein Vergleich ihrer Strukturen, Funktionen und ihrer Bedeutung. Berlin 1994 (Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 17), S. 193-207, hier 201. ROLF BENDERS: Das Stift Pilten auf dem Wege zur Adelsrepublik 1559-1617. Hausarbeit zur Erlangung des Akademischen Grades eines Magister Artium. Mainz 1996. WALTER ECKERT: Kurland unter dem Einfluss des Merkantilismus. Ein Beitrag zur Staats- und Wirtschaftspolitik Herzog Jakobs von Kurland (1642-1682). Riga 1927. OBERLÄNDER (wie Aran. 9), S. 204; Allgemein über Thronfolge in Kurland s. ALMUT BUES: Die kurländische Thronfolge im 16. und 17. Jahrhundert. In: WOLFGANG E. J. WEBER (Hg.), Der frühmoderne Staat in Ostzentraleuropa II. Augsburg 2000 (Documenta Augustana, 3), S. 53-72.
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Bedeutung, obwohl damit der Prozeß der Vereinigung Livlands unter russischer Herrschaft begann. Livland im 17. und 18. Jahrhundert, das sind eigentlich vier separate Gebiete: Das überdünische Livland teilte sich in die schwedische (ab 1710 russische) Provinz Livland (zirka 47 000 km2) und das südösüiche Polnisch-Livland (zirka 13000 km2). Die Grenze zwischen beiden Teilen führte entlang des Flusses Aiviekste, des rechten Zuflusses der Düna. Südlich der Düna lagen das Herzogtum Kurland und Semgallen (zirka 21000 km2). Kurland hatte eine charakteristische und unbequeme territoriale Lage - es bildete einen langen und im östlichen Teil relativ engen Streifen. Im wesüichen Teil war Kurland von drei Enklaven des Kreises Pilten (zirka 4500 km2) zerschnitten13. Diese vier Teile Livlands waren sehr differenziert, wenn es um die Größe, aber auch um ihre sozialen, wirtschaftlichen, konfessionellen und vor allem staatsrechtlichen Verhältnisse ging. Die Einbeziehung des schwedischen Livlands in unsere Erwägungen kann als unbegründet erscheinen, weil dieses Territorium infolge des Friedens von Oliva endgültig von der Rzeczpospolita losgelöst wurde. Diese Angelegenheit ist jedoch viel komplizierter. Es scheint, daß in Oliva ein Kompromiß bezüglich der Aufteilung Livlands erreicht wurde, der auf dem Prinzip uti possidetis beruhte. Der Vertrag enthielt Regelungen, die den beiden Königen, dem polnischen und dem schwedischen, das Recht einräumten, den Titel des „Fürsten von Livland" zu gebrauchen; beide Teile Livlands, der polnische und der schwedische, konnten auch das gemeinlivländische Wappen benutzen. Solch eine Situation resultierte wohl aus der Überzeugung, daß gegenseitige Revindikationsforderungen in der Zukunft ohnehin unabwendbar seien. Die Forderung, daß die Rzeczpospolita auf den ihr zugehörenden Teil Livlands verzichte, wurde durch die schwedische Seite bereits in den 60er Jahren des 17. Jahrhunderts erhoben. Das Konzept, das schwedische Livland, insbesondere Riga mit der Dünamündung, wiederzugewinnen, ist auf der polnisch-litauischen Seite besonders in den 70er Jahren zu Wort gekommen14. Das schwedische Livland gehörte den sog. Avulsen an, d. h. Territorien, die längst der Rzeczpospolita angehörten und dann von ihr verloren wurden. Dieser Status des an Schweden abgegebenen Livlands war der Hintergrund des 1700 von August II. dem Starken, König von Polen und Kurfürst von Sachsen, unter-
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KUNTZE (wie A n m . 2 ) , S. 3; OBERLÄNDER (wie A n m . 9), S. 194.
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WLADYSLAW KONOPCZYNSKI:
Polska a Szwecja od pokoju oliwskiego do upadku Rzeczypospolitej 1660-1795 [Polen und Schweden vom Oliva-Frieden bis zum Untergang der Rzeczpospolita]. Warszawa 1924, S. 6-9, 20-21.
Livland und Polen-Litauen nach dem Frieden von Oliva
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nommenen Versuchs, sie zurückzuerobern15. Der livländische Adel befand sich am Ausgang des 17. Jahrhunderts in einem starken Konflikt mit der schwedischen Monarchie aufgrund der durch die Regierung in Stockholm durchgeführten Reduktion der Landesgüter sowie wegen der Abschaffung der wichtigsten Standesprivilegien des livländischen Adels im Jahre 1694. Die Tätigkeit des Anführers der livländischen Opposition, Jan Reinhold Patkul, führte ihn an den Hof von August II.16 Am 24. VIII. 1699 wurde in Warschau eine geheime Kapitulation zwischen August und den livländischen Ständen unterschrieben, die von Patkul vertreten wurden17. In diesem Vertrag verpflichtete sich der König, den Schweden Livland wegzunehmen, die Livländer sollten dagegen das Werk aktiv unterstützen. In der Kapitulation wurde auch das Konzept der Ordnungsform von Livland in posterum geschildert. Es wurde vor einem halben Jahrhundert von Reinhard Wittram als völlig unrealistisch bezeichnetet und wie es scheint, sollte man dem zustimmen, vor allem deswegen, weil es schwierig ist, festzustellen, inwieweit der ganze Adel die Ansichten von Patkul teilte. Die Kapitulation von Warschau 1699 bildet jedoch ein interessantes Beispiel der Meinungen des livländischen Adels über die potentielle Position und Ordnungslage seines Landes im Rahmen des polnisch-litauischen Staates und verdient daher unsere Aufmerksamkeit. Sie sah den Anschluß Livlands an die Rzeczpospolita vor, wobei der Adel zwar in ein Lehensverhältnis eintreten, im Lande aber volle Oberhoheit haben sollte, einschließlich der ganzen Militärsphäre, darunter der Festungen. Das war insoweit von Bedeutung, als Livland, wie vorausgesetzt wurde, die Rolle der Vormauer der Rzeczpospolita gegen Schweden und Rußland spielen sollte. Dem Adel sollten auch die livländischen Städte untergeordnet werden, mit Riga im Vordergrund, ihre Privilegien sollten wesentlich begrenzt werden. Gerade das machte die Kapitulation undurchsetzbar. Es sind jedoch gewisse Beobachtungen mitzuteilen, die der Aufmerksamkeit von Wittram entgangen sind, die aber für unseren Gedankengang von Bedeutung sind. In dem Vertrag wurde nämlich vorbehalten, daß die bisher geschaffene Aufteilung Livlands aufrechterhalten wird, d. h. die Grenzen zum Herzogtum Kurland und wie es bezeichnet wurde - zum südlichen Livland blieben unangetastet. Es ist anzunehmen, daß man sich im Falle Kurlands vor dem Ehrgeiz der dortigen
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Über die Genese des großen Nordischen Krieges s. JACEK STASZEWSKI: Ο miejsce w Europie. Stosunki Polski i Saksonii ζ Francja na przelomie XVII i XVIII wieku [Um den Platz in Europa. Die Beziehungen Polens und Sachsens zu Frankreich an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert]. Warszawa 1973, S. 154-156. - KLAUS ZERNACK: Der große Nordische Krieg. In: DERS., Nordosteuropa. Skizzen und Beiträge zu einer Geschichte der Ostseeländer. Lüneburg 1993, S. 158-167. REINHARD WITTRAM: Patkul und der Ausbruch des Nordischen Krieges. In: Nachrichten der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, I. PhilologischHistorische Klasse, 1952, Nr. 9, S. 201-232. ERNST ADOLPH HERRMANN: Aktenstücke aus dem Polnisch-Schwedischen Kriege, Livland betreffend, vom Jahre 1699. In: Archiv für die Geschichte Liv-, Ehstund Curlands, VII (1854), S. 10-24.
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Herzöge fürchtete, bei dem polnischen Livland konnte dagegen die fortschreitende Rekatholisierung des Gebietes einen abschreckenden Faktor für die protestantischen Livländer darstellen. Der Bund zwischen Livland und der Rzeczpospolita sollte sich nicht nur auf die Erneuerung der Investitur bei jedem Wechsel des polnischen Königs begrenzen. Die Livländer behielten sich das Recht vor, aktiv am polnisch-litauischen Reichstag teilzunehmen und einen festen Vertreter in Warschau zu unterhalten. Obwohl wir in jenem Vorschlag einen direkten Bezug zur Verfassung des Reiches sehen, so ist es wohl anzunehmen, daß seine Entstehung auch durch die Ordnungslage im polnisch-litauischen Staat geprägt wurde. Man kann wohl die These riskieren, daß die Grundlage für den Verfassungsentwurf von Patkul und seinen Gefährten die Faszination für die Rechte des Adels im polnisch-litauischen Staat war sowie für seine Unabhängigkeit im Rahmen der fortschreitenden Dezentralisierung der staatlichen Ordnung. Allerdings scheint es, daß man zu diesem Zeitpunkt unter allen Staaten der Region nur den polnisch-litauischen Staatsmachthabern einen solchen Vorschlag, mit der Hoffnung, daß er angenommen werde, überhaupt vorlegen konnte. Die Ereignisse nach dem misslungenen Angriff August II. auf Livland trugen zum Ausbruch eines Krieges bei, der die Machtverhältnisse in diesem Teil Europas veränderte. 1704 wurde in Narwa ein Vertrag geschlossen, der die Teilnahme der polnisch-litauischen Rzeczpospolita - als Verbündeter von Rußland - an diesem Krieg regelte. Rußland verpflichtete sich, jene von Schweden erkämpften Gebiete an die Rzeczpospolita abzutreten, die jemals der Rzeczpospolita angehörten18. Obwohl der Vertrag von Narwa zur Grundlage der in den folgenden Jahrzehnten erhobenen Ansprüche der Rzeczpospolita auf Livland wurde, ist er nicht zur Grundlage geworden, die Lage Livlands nach seinem Verlust durch Schweden zu regeln. Dies geschah nämlich durch die Kapitulation, die zwischen Rußland und dem livländischen Adel am 4. Juli 1710, nach Eroberung Rigas durch die Russen, geschlossen wurde19. Interessant ist dabei, daß die rechtmäßige Grundlage dieser Urkunde das Privilegium Sigismundi Augusti von 1561 war. Die Privilegien des livländischen Adels wurden in dieser Urkunde weitgehend bestätigt und Livland gewann einen besonderen Status im Rahmen des Zarenstaates. Die Übernahme Livlands durch Rußland wurde durch den Friedensvertrag von Nystadt (1721) bestätigt. Man muß zugeben, daß die Neuordnung das Schicksal dieser Gebiete auf zwei Jahrhunderte bestimmte. Aus der Sicht des 18. Jahrhunderts war die Angelegenheit wohl eher verworren. Georg von Rauch stellte 1956, mit Blick auf die russisch-schwedischen Beziehungen, die These auf, daß der Vertrag von Nystadt im 18. Jahrhundert nicht für eine endgültige Lösung gehalten worden
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KONOPCZYNSKI ( w i e A N M . 1 4 ) , S . 4 4 .
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C A R L SCHIRREN
(Hg.): Die Capitulationen der livländischen Ritter- und Landschaft und der Stadt Riga vom 4. Juli 1710 nebst deren Confirmationen. Dorpat 1865.
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sei20. Weniger bekannt ist die Tatsache, daß längere Zeit auch die Ansprüche der Rzeczpospolita auf Livland aufgrund der erwähnten Regelung aus dem Vertrag von Narwa von 1704 erhoben wurden. Diese Probleme wurden in verschiedenen Entwürfen und diplomatischen Konfigurationen angesprochen, sowohl vor dem Abschluß des Vertrags in Nystadt als auch danach. Ein ständiges Forum, auf dem dieser Wunsch immer wieder geäußert wurde, war der in Dünaburg tagende Landtag der bei der polnisch-litauischen Rzeczpospolita gebliebenen Inländischen Wojewodschaft. Die Geschichte jener Wojewodschaft, d. h. Lettgallens, ist von allen Inländischen Gebieten eigentlich am wenigsten bekannt. Sie wurde als Folge der Aufteilung des „überdünischen" Livland nach Eroberungen Gustav Adolfs in den 20er Jahren des 17. Jahrhunderts gebildet. Letztendlich wurde diese Regelung durch den Friedensvertrag von Oliva 1660 bestätigt. Der rechtliche Status dieses Gebietes wurde 1677 vom Sejm geregelt. Verwaltungsmäßig gesehen, hat man dem Gebiet den Charakter einer ordentlichen Wojewodschaft im Rahmen des polnisch-litauischen Staates gegeben, mit einer Ämter- und Gerichtsstruktur, die das Muster der litauischen Wojewodschaften nachbildete21. Die Wojewodschaft von Livland besaß auch ihren Landtag und ihre Ämter, die ihr das Recht gaben, im Senat der Rzeczpospolita Platz zu nehmen, d. h.: durch einen Woiwoden und einen Kastellan. Die Beschlüsse des Sejms von 1677 waren deshalb die Krönung - wenn auch nur im Bezug auf ein begrenztes Territorium - des Integrationsprozesses der livländischen Gebiete mit dem polnisch-litauischen Staate, der um die Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert eingesetzt hatte. Gewisse livländische Besonderheiten blieben jedoch erhalten. Trotz einer deutlichen Nachahmung des litauischen Musters in den Verfassungsstrukturen blieb die livländische Wojewodschaft das Kondominium von beiden Teilen der Rzeczpospolita. Es zeichnete sich u. a. dadurch aus, daß die Steuern aus Livland abwechselnd in die Kasse der Krone und Litauens fließen sollten. Es galt auch das sog. Abwechslungsprinzip („alternata"), d. h. die livländischen Ämter sollten der Reihe nach durch Vertreter der Krone, Litauens und Livlands besetzt werden. Unter den sechs Abgeordneten dagegen, die die livländische Wojewodschaft im Reichstag vertreten sollten, waren je zwei Vertreter von jeder der „Nationen". In dieser Form blieb die livländische Wojewodschaft bei der Rzeczpospolita bis 1772, d. h. bis zur ersten Teilung Polens22. Die erste wichtige Frage in der Geschichte der livländischen Wojewodschaft sind Zeitpunkt und politischer Hintergrund der Verfassungsregelungen von 1677 20
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GEORG VON RAUCH: Zur baltischen Frage im 18. Jahrhundert. In: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas, 5 (1957), S. 442-443. KUNTZE (wie Anm. 2), S. 42-43. - „Ordynacya XiQStwa Inflantskiego" [Verfassung des Livländischen Fürstentums]. In: Volumina Legum, V. Petersburg 1860, S. 237. GUSTAW MANTEUFFEL: Inflanty polskie, poprzedzone ogölnym rzutem oka na siedmiowiekowa przesztosö catych Inflant. Poznan 1879 (deutsche Fassung: Polnisch-Livland, Riga 1869).
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im Rahmen der Rzeczpospolita. Man hat den Eindruck, daß die Entscheidung des Sejms im Zusammenhang mit der damaligen politischen Lage und mit dem zu diesem Zeitpunkt von König Johannes III. Sobieski unternommenen Versuch, die Außenpolitik der Rzeczpospolita neu zu gestalten, in Zusammenhang stehen23. Eines der Ziele der Neuorientierung war die Besetzung des vom Haus Hohenzollern regierten Herzogtums Preußen im Bündnis mit Schweden. Diese Politik stieß auf Widerstand der Magnaten, darunter auch der Familie Pac, die zu diesem Zeitpunkt die Hauptrolle im Großfürstentum Litauen spielte, des Kanzlers Krzysztof und des Heerführers Michal Kazimierz. Dem königlichen Vorhaben stellten die Pac den Vorschlag entgegen, das schwedische Livland mit Riga zu besetzen, das für Litauen eine viel größere strategische und wirtschaftliche Bedeutung als Preußen hatte24. Von dem Zusammenhang der Regelung von 1677 für das bei der Rzeczpospolita gebliebene Livland mit diesem Konflikt kann auch die umfangreiche Rede von Kanzler Krzysztof Pac zeugen, die er während des Sejms am 7. April 1677 hielt25. Sie bezog sich auf die Terminologie, die für dieses Gebiet anzuwenden sei. Der Kanzler war der Ansicht, daß angesichts der Tatsache, daß nur ein Teil Livlands an Schweden verloren gegangen war, es unzulässig wäre, den Name der Provinz zu vergessen und ferner daß sie im ganzen zur Rzeczpospolita gehörte und sie ihr „nur per iniquitatem temponun entzogen worden sei". Er schlug also vor, daß die Ämter in Livland keine Bezeichnung tragen sollten, die von Ortsnamen abgeleitet würden, wie es früher der Fall war, sondern daß sie allgemein als „livländische" bezeichnet würden. Die Anknüpfung an frühere Zeiten sollte durch die Aufrechterhaltung der bereits erwähnten Alternation bei der Amtbesetzung hergestellt werden. Die Regelung des Status des bei der Rzeczpospolita gebliebenen Teils von Livland diente aus der Sicht von Pac der Hervorhebung der kontinuierlichen polnisch-litauischen Anwesenheit in diesen Gebieten und einer ausdrücklichen Betonung der Ansprüche der Rzeczpospolita auf das ganze zuvor in ihrem Besitz gewesene Livland. Dies wurde durch die Wahl einer entsprechenden Terminologie in die Tat umgesetzt, durch die Bezeichnung des Gebietes als „Wojewodschaft", aber auch abwechselnd als „livländisches Fürstentum", was an das ehemalige „überdünische Fürstentum" anknüpfte, oder durch Bezeichnung der
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KAZIMIERZ PIWARSKI: Polityka baltycka Jana III w latach 1675-1679 [Ostseepolitik von Johann III. [Sobieski] in den Jahren 1675-1679], In: Ksiega Pamiatkowa ku czci Profesora dra Waclawa Sobieskiego, I. Kraköw 1932, S. 197-265. ALEKSANDER CODELLO: Litwa wobec polityki bahyckiej Sobieskiego w latach 1675-1679 [Litauen gegenüber Ostseepolitik von Sobieski in den Jahren 1675-1679]. In: Kwartalnik Historyczny 74 (1967), Η. 1, S. 21-46. Die Berichte des Sejms im Jahre 1677: Latvijas Valsts Vestures arhivs [Historisches Staatsarchiv Lettlands, Riga; weiter zit.: LVVA], Bestand 554-1, Sign. 497, Bl. 152v. - Archiwum Paristwowe w Gdarisku [Staatsarchiv Danzig] Sign. 300, 29/179, Bl. 83v.
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Ämter als „livländisch". Es war dies eine Erweiterung der Möglichkeiten des Friedensvertrags von Oliva, der beiden Seiten, Schweden und der Rzeczpospolita, das Recht gab, das Wappen von Livland und den Titel des „livländischen Herzogs" in ihren monarchischen Titulaturen zu führen. Das polnische Livland wurde allmählich zu einem „pars pro toto", zum Andenken an den ehemaligen Besitzstand der Rzeczpospolita in dieser Region, zum Ausgangspunkt für eventuelle Rückforderung der übrigen livländischen Gebiete unter günstigen Umständen. Anzeichen für Rückforderungstendenzen - bereits im 18. Jahrhundert waren die Forderungen des Landtages der livländischen Wojewodschaft in Dünaburg, aufgrund des Vertrages von Narwa ganz Livland an die Rzeczpospolita zurückzugeben. In den Instruktionen für livländische Abgeordnete des Sejm wurde diese Forderung bis zum Anfang der 30er Jahre des 18. Jahrhunderts konsequent formuliert26. Jene Rückforderungen hatten unter den damaligen politischen Verhältnissen der Epoche keine große Chance auf Durchsetzung, sind aber einerseits eine Bestätigung der über Jahre andauernden Tendenz. Andererseits weisen sie auf das Gefühl der Einheit von ganz Livland hin, das im polnischen Livland erhalten blieb, was auch Mitte des 18. Jahrhunderts der von hier stammende Jan August Hylzen in seiner erstmals in polnischer Sprache abgefaßten Geschichte von Livland zum Ausdruck brachte27. Wenn auch das Vorhaben, die livländische Wojewodschaft zur Basis der erneuten Vereinigimg von ganz Livland im Rahmen der Rzeczpospolita zu machen, nicht in Erfüllung ging, sollte man doch betonen, daß der IntegrationsProzeß dieses Territoriums mit vollem Erfolg beendet wurde, insbesondere in Bezug auf die Integration des Adels mit der Rzeczpospolita. Die 1677 eingeführten Verfassungseinrichtungen haben sich während der Krise der Rzeczpospolita zu Beginn des 18. Jahrhunderts bewährt, als die Bindungen des Territoriums an das politische Staatszentrum beinahe abrissen. Die livländische Wojewodschaft hatte im Rahmen der Rzeczpospolita einen spezifischen Charakter und zwar nicht nur wegen bestimmter Verfassungsbesonderheiten. Im Grenzland des Staates gelegen, verhältnismäßig wenig bewohnt, im Prinzip ohne Städte, hatte sie keine größere wirtschaftliche Bedeutung, allerdings mit einer Ausnahme - sie lag an der Düna, die einen wichtigen Handelsweg zwischen Riga und ihrem weißrussischen Hinterland bildete. In Dünaburg wurde die Zollkammer piaziert, die das Leben in der Umgebung weitgehend beeinflußte. Der Adel der livländischen Wojewodschaft stammte zum Teil aus den alten deutschen Geschlechtern Liv26
27
Beispielsweise die Instruktionen vom Jahre 1718 (LVVA, Bestand 712-1, Sign. 70, Bl. 181v) und 1733 (LVVA, Bestand 712-1, Sign. 70, Bl. 237-237v). JAN AUGUST HYLZEN: Inflanty w dawnych swych, y wielorakich az do wieku naszego dziejach, y rewolucyach [Livland in seinen früheren und verschiedenartigen Geschichten und Revolutionen bis zu unserem Jahrhundert]. Wilno 1750. - Vgl. BOGUSLAW DYBAS: Geschichtsdenken in Livland um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Zur livländischen Geschichte im historischen Werk des Hochadeligen Jan August Hylzen (im Druck).
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lands, zum Teil aber handelte es sich um Adel, der aus den Gebieten der Krone und Litauens eingewandert war. Die vorherrschende Rolle behielten jedoch die alten livländischen Familien, vor allem Plater, Borch, Hylzen und teilweise auch Korff, die allmählich polonisiert wurden. Ihr Einflußbereich beschränkte sich nicht nur auf Livland. Viele Vertreter dieser Geschlechter wurden Mitglieder des Senats der Rzeczpospolita. Trotz ihrer Randlage und ihrer geringen wirtschaftlichen Bedeutung war die livländische Wojewodschaft ein wesentlicher Faktor im politischen System der Rzeczpospolita. Zum Teil ist das auf die Befugnisse des livländischen Landtages zurückzuführen. Er wählte nämlich 6 Abgeordnete zum Reichstag, was 11% der Gesamtzahl der Abgeordneten aus dem Gebiet des Großfürstentums Litauen ausmachte28, obwohl die livländische Wojewodschaft zur gleichen Zeit lediglich 1 % der Steuereinnahmen der litauischen Staatskasse entrichtete29. Darüber hinaus wählte der livländische Landtag je zwei Abgeordnete aus der Krone und aus Litauen, was manchmal die Gelegenheit bot, in Dünaburg solche Personen durchzusetzen, die aus verschiedenen Gründen auf anderen Landtagen nicht gewählt werden konnten. Das war der Grund, weshalb die größten Politiker der damaligen Rzeczpospolita bemüht waren, vor jedem Sejm ihre Kandidaten für den Landtag in Dünaburg auszuwählen30. Wegen ihrer gesamtstaatlichen Bedeutung wurden auch nach 1772, als die livländische Wojewodschaft an Rußland überging, die livländischen Landtage weiterhin abgehalten, - auf einer Wiese, die den livländischen Starosten gehörte und am anderen Ufer der Düna lag, aber an Rußland nicht abgetreten worden war31. Ein wichtiger Faktor bei der Vereinigung der livländischen Wojewodschaft mit der Rzeczpospolita war die durchdringende Rekatholisierung des Landes. Die in dieser Richtung unternommenen Maßnahmen waren ein wesentliches Element der staatlichen Politik in diesem Territorium; Beschlüsse über den Ausbau des Kirchennetzes hat der Sejm 1678/79 und 1683 verabschiedet. Eine erneute Intensivierung dieser Bemühungen fand im zweiten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts nach den Verwüstungen des Nordischen Krieges statt. Das neu
28
HENRYK OLSZEWSKI: Sejm Rzeczypospolitej doby oligarchii 1652-1763 [Der Sejm der Rzeczpospolita in der Periode der Oligarchie 1652-1763], Poznan 1966,
29
ROMAN RYBARSKI: Skarb i pieni^dz za Jana Kazimierza, Michala Korybuta i Jana III [Schatz und Geld in den Regierunszeiten von den Könige Jan Kazimierz, Micha! Korybut i Jan III]. Warszawa 1939, S. 197. Viele Beispiele in der Korespondenz der Familie Plater im Lietuvos Valstybes Istorijos Archyvas [Historisches Staatsarchiv Litauens] in Wilna, Bestand 1276-2, Sign. 96 und 97. ANDRZEJ B. ZAKRZEWSKI: Sejmiki Wielkiego Ksiestwa Litewskiego epoki stanislawowskiej (do 1788 r.). Zmiany w ustroju i funkcjonowaniu [Die Landtage im Großfiirstentum Litauen in der Regierungszeit von König Stanislaw (bis 1788). Die Veränderungen in der Verfassung und Funktionsweise]. In: MARIAN BISKUP (Hg.), Ziemie pölnocne Rzeczypospolitej polsko-litewskiej w dobie rozbiorowej 1772-1815. Warszawa, Tonrn 1996, S. 59.
S. 6 4 - 6 6 .
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errichtete livländische Bistum erstreckte seine Gerichtsbarkeit nicht nur auf das Gebiet der Wojewodschaft, sondern es bemühte sich auch um eine Verstärkung seines Einflusses in Kurland32. Eine bedeutende Rolle spielten hier die Orden, besonders die Jesuiten und die Dominikaner33. Der größte Erfolg auf diesem Gebiet war der Übertritt der Mehrheit des Adels aus der livländischen Wojewodschaft zum Katholizismus. In den 90er Jahren des 17. Jahrhunderts gab die mächtigste Familie der Wojewodschaft, die Platers, den protestantischen Glauben auf 34 . Die Tätigkeit der Missionare, sowohl auf dem Gebiet der Wojewodschaft als auch in dem benachbarten Kurland war rege und wurde in verschiedensten Formen durch den Adel der livländischen Wojewodschaft unterstützt35. Wenn von allen Teilen Livlands die Anhänglichkeit des schwedischen (russischen) Livlands an die Rzeczpospolita am schwächsten war, der livländischen Wojewodschaft dagegen am stärksten, so war die Lage in den südlich und wesüich der Düna gelegenen Territorien viel komplizierter. Das Herzogtum Kurland und Semgallen blieben bis 1795 Lehen der Rzeczpospolita. Doch in ihrem Fall kann man kaum von einer Stabilisierung der Verfassung reden. Die Position des Herzogs wurde bereits 1617 geschwächt. Die wirtschaftlichen und politischen Erfolge des Herzogs Jakob Kettler litten unter den Kriegshandlungen um die Mitte des 17. Jahrhunderts - durch die Besetzung des Landes durch Schweden und die Gefangenschaft des Herzogs. Dies machte die Chance zunichte, daß Kurland einen Weg gehen konnte, der dem Weg eines anderen Lehnsstaates der Rzeczpospolita geglichen hätte, nämlich des Herzogtums Preußen, d.h. den Weg zur Auflockerung der Abhängigkeit vom polnischlitauischen Staat. Als die Herrschaft des Herzogs Jakob und seines Sohnes Friedrich Kasimir (gest. 1698) zu Ende war, kam es zu einer Krise in der Kettler-Dynastie. Der Sohn Friedrich Kasimirs - Friedrich Wilhelm - starb kurz nach der Übernahme der Regierung (1711); der letzte Kettler dagegen, Ferdinand, der Bruder von Friedrich Kasimir und Regent während der Minderjährigkeit von Friedrich Wilhelm sowie sein Nachfolger, blieb bis zum Ende seines langen Lebens (gest. 1737) außerhalb Kurlands. Zu der Krise der Dynastie kamen noch die Geschehnisse und Folgen des Großen Nordischen Krieges hinzu,
32
33
MANTEUFFEL (wie Anm. 21), S. 111-112. - DERS.: Ζ dziejow Kosciola w Inflantach i Kurlandyi (od XVI-go do XX-go stulecia) [Über die Kirchengeschichte Livlands und Kurlands (16.-20. Jahrhundert)]. Warszawa 1905. - STANISLAW LITAK (Hg.): Akta wizytacji generalnej diecezji inflanckiej i kurlandzkiej czyli piltyüskiej ζ 1761 roku [Acta visitationis generalis Dioecesis Livoniae et Curlandiae seu Piltinensis anno 1761 peractae]. Τοπιή 1998. Quellenmaterial für die Tätigkeit der Jsuiten in Livland gibt J. KLEUNTJENS (Hg.): Latvijas vestures avoti jezuitu ordena archivos (Fontes historiae Latviae Societatis Jesu). Riga 1940-1941.
34
MANTEUFFEL ( w i e A n m . 2 1 ) , S. 8 6 .
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Die zahlreichen Beispiele dafür finden wir im Bestand der Bücher des dünaburgischen grorf-Gerichts in Riga - LVVA, Bestand 712.
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zuerst - seit 1701 - die schwedische Besetzung, die übrigens die endgültige Einverleibung Kurlands in den schwedischen Staatsverband zum Zweck hatte, und danach der zunehmende Einfluß Rußlands. Der letztere resultierte nicht nur aus der Tatsache, daß Rußland aufgrund des Nordischen Krieges eine dominierende Position in dieser Region gewonnen hatte, sondern auch aus den durch die Ehe des Herzogs Friedrich Wilhelm mit Anna, der Nichte des Zaren Peter, geknüpften russisch-kurländischen Dynastiebande. Die Krise der Dynastie in Kurland sowie das Problem der Erbfolge der Familie Kettler haben über Jahrzehnte lang viele europäische Höfe beschäftigt, vor allem den russischen, preußischen und polnisch-sächsischen, die unterschiedlichste Lösungskonzepte für die sog. „Kurländische Frage" schmiedeten36. Aus der Sicht der Verfassungsverhältnisse zwischen Kurland und der Rzeczpospolita sollte man hervorheben, daß vom rechtlich-formelle Standpunkt aus immer noch das Prinzip galt, daß nach dem Aussterben der Dynastie der Kettlers ihr Herzogtum der Rzeczpospolita einverleibt werden sollte. Wenn dies der Grund zu Konflikten bezüglich der Verfassung Kurlands nach dem Aussterben der Dynastie war, so wurde ein weiteres Streitfeld durch die Spannung wegen der Zugehörigkeit Kurlands - in dieser oder jener Form - zur Rzeczpospolita und seiner sich gerade bildenden starken Bindung an Rußland geschaffen. Die Stärke und der Charakter dieses Streites waren Funktionen der allgemeinen polnisch-russischen Beziehungen und der immer schwächeren Position der Rzeczpospolita. Nichtsdestoweniger hatte diese Angelegenheit die ganze Zeit hindurch viel größere Bedeutung, als man gemeinhin annimmt. Den ganzen kurländischen Themenkomplex erschwerte zusätzlich noch die Tatsache, daß sich gerade im 18. Jahrhundert eine Diskrepanz in der Politik der polnischen Könige einerseits und der Rzeczpospolita andererseits gegenüber Kurland deutlich bemerkbar machte. Die Evolution der Verhältnisse zwischen Kurland und der Rzeczpospolita sowie die unterschiedliche Bedeutung der sie prägenden Faktoren lassen sich am besten anhand von vier Wendepunkten beobachten, in denen wichtige Entscheidungen gefällt wurden. Ein erster Wendepunkt sind die Entscheidungen der Sejmkommission von 1717. Ähnlich wie 100 Jahre zuvor entschied die Kommission über den Streit zwischen dem kurländischen Adel und dem Herzog, indem sie erneut die herzoglichen Befugnisse einschränkte37. Die Kommission stellte de facto die Herrschaft des Herzogs Ferdinand in Frage, weil sein Thronrecht zunächst als Regent und dann als Nachfolger von Friedrich Wilhelm - durch den Sejm der Rzeczpospolita nicht bestätigt wurde und nur als Entscheidung des Königs galt. Abgesehen von der Frage, wieweit die Beschlüsse des Sejms in die Tat umgesetzt wurden, bedeuteten sie im Großen und Ganzen eine weitere Abschwächung der herzoglichen Position in Kurland. Die Regierung von Ferdinand Kettler war übrigens wegen seiner Abwesenheit im Lande nur eine Fiktion.
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Die Kurländische Frage (1700-1763). Eine Studie zur Mächtepolitik im Αηςίεη R6gime. Berlin 1999. STROHM (wie Anm. 35), S. 57-65.
KLAUSPETER STROHM:
Livland und Polen-Litauen nach dem Frieden von Oliva
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Tatsächlich regierten damals die Minister und Oberräte. Diese Situation förderte Spekulationen über die Besetzung des kurländischen Thrones. Die Durchsetzung der Person Herzog Ferdinands durch König August II. zeugt davon, daß der Machthaber viel aktiver in den Angelegenheiten Kurlands tätig war, als seine Vorgänger. In den dynastischen Plänen der Wettinerfamilie blieb Kurland auch in den nächsten Jahrzehnten präsent. 1726 kam es in Mitau, der Hauptstadt Kurlands, zur Wahl des unehelichen Sohnes von August II., des Grafen Moritz von Sachsen, zum Herzog von Kurland38. Diese vom König unterstützte Aktion hatte zum Ziel, die Dynastiekrise in Kurland zugunsten der Wettinerfamilie zu lösen und rief Unzufriedenheit bei den anderen interessierten Parteien hervor. Am wichtigsten war zu diesem Zeitpunkt jedoch die Unzufriedenheit, welche die Aktion in der Rzeczpospolita verursachte. Nach der Überzeugung des Adels konnte sie nämlich die Position des Königs stärken; vor allem aber verletzte sie die zu dieser Zeit populäre Tendenz zur Inkorporation Kurlands in die Rzeczpospolita und seine volle Integration in den polnischlitauischen Staat. Auf dem Reichstag in Grodno 1726 reagierte der Adel scharf auf die Wahl von Moritz, indem er sie für ungültig erklärte. Es kam zwar nicht zur sofortigen Einverleibung Kurlands - größtenteils wegen des Widerstands der russischen Diplomatie - , aber es wurde eine weitere Sejmkommission einberufen, die die kurländischen Angelegenheiten regeln sollte. Die Kommission fällte einige Entscheidungen, die die Beziehungen Kurlands mit der Rzeczpospolita immer enger gestalten sollten; vor allem beschloß sie aber die Inkorporation nach dem erbenlosen Tod Herzogs Ferdinand. Diese Entscheidungen schufen eine gewisse Pattsituation, die vor allem für Rußland nützlich war, weil es zu keiner näheren Gestaltung der Beziehungen Kurlands mit dem polnisch-litauischen Staat kam, weder auf der „monarchischen Ebene" durch die Übernahme des Erbes der Kettler durch die Wettinerfamilie noch auf der „republikanischen" Ebene durch die Auflösung des Herzogtums und die Einverleibung Kurlands in die Rzeczpospolita. Die späteren Entscheidungen in den Angelegenheiten Kurlands wurden in einer für den polnisch-litauischen Staat bedeutend weniger günstigen Lage gefällt. Der Pazifikationssejm von 1736, der die Regierung von August III. von Sachsen bestätigte, hauptsächlich durch die Unterstützung Rußlands, vernichtete die Beschlüsse der Kommission von 1727, indem er die Möglichkeit zuließ, den Nachfolger Ferdinand Kettlers zu wählen; er öffnete den Weg zum Thron in Mitau für den Günstling der Zarin Anna Iwanowna, Ernst Johann Biron nach dem Tod von Ferdinand Kettler (1737). Da Biron nach dem Tod von Anna (1740) nach Sibirien deportiert wurde, blieb Kurland beinahe zwei Jahrzehnte lang ohne Herrscher, was die „kurländische Frage" wieder erwachen ließ. Dies
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STROHM (wie Anm. 35), S. 93-117. - THEODOR KALLMEYER: Graf Moritz von Sachsen in Kurland. Eine historische Skizze, Riga 1858 (Separatabdruck aus dem „Rigaschen Almanach für 1859"). - JACEK STASZEWSKI: August II Mocny [August II. der Starke], Wroclaw 1998, S. 237-240.
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trug dazu bei, daß die Wettinerfamilie erneut den Versuch unternahm, Kurland zu erobern. 1758 gelang es August III., die Einwilligung der Zarin Elisabeth zu erlangen, seinen Sohn Karl auf den Thron in Mitau einzusetzen39. Die Herrschaft von Karl endete in Kurland, als sich in Petersburg, nach dem Tod von Elisabeth, die politische Orientierung änderte. Formell blieb Kurland ein Lehen der Rzeczpospolita bis 1795, obwohl die russischen Einflüsse dort während des ganzen 18. Jahrhunderts immer stärker wurden. Es scheint jedoch, daß mindestes bis in die 30er Jahre hinein die Chance bestand, einen festen Bund zwischen dem Herzogtum und der Rzeczpospolita zu schließen. Aber es wurden zwei entgegengesetzte Konzepte für die Lösung des Problems entwickelt. Der Politik der Wettinerfamilie, die Erbfolge der Kettlers zu übernehmen, um ihre Position in der Rzeczpospolita zu stärken, wurde der Versuch entgegengestellt, Kurland direkt in den polnisch-litauischen Staat einzuverleiben. Die bisherige Forschung beschäftigte sich vor allem mit dem Herzogtum von Kurland als Gegenstand diplomatischer Verhandlungen. Weitere Untersuchungen sollten dagegen jener Tendenz der Inkorporation sowie dem Standpunkt des protestantischen, kurländischen Adels angesichts der Perspektive seiner Einverleibung in die katholische Rzeczpospolita gewidmet werden. Der letzte Teil Livlands, der hier in Betracht gezogen wird, ist der sog. Kreis Pilten40. Dieses Territorium gehörte im Mittelalter zur Ausstattung des kurländischen Bistums und ging in der stürmischen zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts einen anderen Weg als der Rest Livlands. Die Bestrebungen der Kettlers, das Gebiet an Kurland anzuschließen, scheiterten, was 1617 bestätigt wurde41. Der gesonderte Status des Piltener Kreises fand in den bisherigen Forschungen kein entsprechendes Interesse. Forschungen zu Kurland betrachteten Pilten gewöhnlich als einen Bestandteil des Herzogtums und nur in diesem Kontext beurteilten sie die verworrenen und abwechslungsreichen Verhältnisse zwischen den beiden Ländern in der zweiten Hälfte des 17. und 18. Jahrhunderts Polnische Historiker erkannten die Eigentümlichkeit Piltens, unternahmen aber bis jetzt keine eingehenden Untersuchungen zu diesem Thema42. Eine grundlegende Frage, die in Bezug auf die Geschichte von Pilten in dem für uns interessanten Zeitraum zu stellen ist, könnte etwa so lauten: Wie wurden 39
40
Letztens darüber s. STROHM (wie Anm. 35), S. 119-302; über Biron: IMANTS LANCMANIS (Hg.): Ernst Johann Biron 1690-1990. Katalog der Ausstellung im Schloß Rundäle/Ruhental. Rundäle 1993. HENNING VON WISTINGHAUSEN: Kurland und Pilten seit dem Untergang Altlivlands (1561) bis zur Einverleibung in das russische Reich (1795). In: Nachrichtenblatt, hrsg. vom Verband der Angehörigen der Baltischen Ritterschaften e. V. 7 (1965), Η. 1, S. 7-10.
41
BENDERS (wie A n m . 9).
42
In der polnischen Historiographie bleibt immer aktuell Aufsatz von GUSTAW MANTEUFFEL: Piltyn i archiwum piltynskie (z dofeczeniem mapy ziemi piltyriskiej ζ r. 1747) [Pilten und Piltener Archiv (mit der Karte aus dem Jahre 1747)]. Warszawa 1884 (Sonderdruck aus: Biblioteka Warszawska).
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die Beziehungen dieses Territoriums einerseits mit Kurland und andererseits mit der Rzeczpospolita gestaltet? In dem ersten Fall geht es vor allem darum, inwieweit es den Herzögen von Kurland gelang, die Vereinigung zwischen Pilten und Kurland herbeizuführen. 1656 kam es zu einer Vereinbarung, auf deren Grundlage die Neutralität, die Kurland nach dem polnisch-schwedischen Krieg gewann, auf Pilten ausgeweitet wurde. Da der polnische König den Bund zwischen Pilten und Kurland anerkannte, kam es im Februar 1661 zum Abschluß der sog. Grobiner Transaktion, in der engere Beziehungen zwischen beiden Ländern festgelegt wurden. In der Literatur wird angenommen, daß dies der Anfang der Union zwischen Kurland und Pilten gewesen sei, die bis 1717 bestand, als die schon erwähnte Sejmkommission erneut Pilten von Kurland abtrennte. In Wirklichkeit war die Angelegenheit viel komplizierter. Die Bestimmungen der Transaktion von Grobin ließen sich nicht sofort erfüllen. Gegen die Bestimmungen entstand in Pilten eine sehr starke Opposition. Der polnische König nahm seine Einwilligung in die Union zurück. Schließlich gelang es, die Union nach langen Verhandlungen und nach der Einwilligung des Sejm erst 1680, kurz vor dem Tod vom Herzog Jakob Kettler, zu schließen. Sie wurde zu Beginn der Herrschaft seines Nachfolgers im Jahre 1685 erneuert. Aber schon nach dem Tod von Friedrich Kasimir im Jahre 1698 können wir allmählich eine Auflockerung der Beziehungen zwischen Pilten und Kurland beobachten. Diese Schlußfolgerung ziehe ich aus Studien der in Riga erhaltenen Akten des Landtags von Pilten. Obwohl diese Akten noch nicht eingehend untersucht wurden, zeigen sie andere Bedingungen der Beziehungen zwischen Pilten, Kurland und der Rzeczpospolita, als bisher angenommen43. Kraft der Beschlüsse der Kommission von 1617 in Pilten hatte das vom Adel gewählte Kollegium der Landräte mit dem Präsidenten an der Spitze die Gewalt inne, sowohl im Verwaltungs- als auch im Gerichtsbereich44. Von den Urteilen der Landratsgerichte konnte man eine Berufung bei der Rzeczpospolita einlegen. Das Kollegium der Landräte war verpflichtet, den Landtag des Piltener Adels alle zwei Jahre einzuberufen, an dem dieser viritim teilnehmen konnte. Im Kreis bestand auch das Amt des Starosten, der theoretisch den König vertrat. Die Beschlüsse des Landtags von Pilten sollten vom König bestätigt werden, jedoch der Adel von Pilten schickte seine Vertreter zum Reichstag der Rzeczpospolita nicht. Formell gesehen, behielt der Adel von Pilten eine verhältnismäßig große Unabhängigkeit auf seinem Territorium, obwohl er den Behörden der Rzeczpospolita unterstellt war. Diese Situation wurde durch die Bestimmungen der Transaktion von Grobin aus dem Jahre 1661 deutlich geändert. In Pilten sollte ein herzoglicher Ober43
In den letzten Jahren habe ich die Forschungen über die Geschichte des Piltener Kreises im 17. und 18. Jahrhundert anhand des in Riga aufbewahrten Archivs der ständischen Selbstverwaltung in Pilten unternommen (LVVA, Bestand 644); vgl. BOGUSLAW DYBAS: Die Union Piltens mit Kurland in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts (im Druck).
44
WISTINGHAUSEN (wie A n m . 39).
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Boguslaw Dybai
hauptmann als Vertreter des Herrschers von Kurland eingeführt werden. Der Herzog sollte die Landräte von Pilten ernennen, der Piltener Landtag dagegen sollte vom Herzog einberufen werden und nach dem Landtag von Kurland stattfinden. Diese Änderungen waren der Grund zum Unmut eines Teils des Piltener Adels. Im Moment ist es noch schwer, die Lage vollständig zu schildern, aber die Tätigkeit der Piltener Opposition in den 60er Jahren des 17. Jahrhunderts beruhte unter anderem darauf, daß es gelang, die Übernahme des Amtes durch den herzoglichen Oberhauptmann zu verhindern und die durch die Landräte einberufenen Landtage von Pilten weiterhin abzuhalten, manchmal gleichzeitig zu denen des Herzogs. Der Adel mißachtete auch die dem König eingeräumten Befugnisse und wählte seine Landräte selbst. Auch in anderen Angelegenheiten bediente sich der Adel einer weitgehenden Selbständigkeit, z.B. bei der Verteidigung des Kreises. Solche Situationen bestanden im Prinzip bis zur Union zwischen Kurland und Pilten von 1680. Markant sind die Bestimmungen der Union in Sachen des Piltener Landtags, weil sie bestätigen, daß dieser einer der Hauptgründe fur die Spannungen gewesen ist. Laut der Beschlüsse von 1680 sollte der Landtag keineswegs von dem kurländischen Landtag abhängig sein; der Herzog hatte dagegen den Piltener Landtag dann einzuberufen, wenn dafür Gründe bestanden oder wenn ihn dazu die Piltener Landräte aufforderten. In der mehrere Jahrzehnte dauernden Piltener Opposition gegenüber der Union mit Kurland nach 1661 ist in der Tätigkeit des Piltener Landtags ein sehr wichtiger Zug hervorzuheben. Zum einen finden wir oft in den Beschlüssen des Landtags Feststellungen über einen engen Zusammenhang von Pilten und der polnisch-litauischen Rzeczpospolita. Der König und die Rzeczpospolita werden als die wichtigsten Machtfaktoren bezeichnet, die zur Verabschiedung bindender Beschlüsse befugt sind. Die Tätigkeit des Piltener Landtags wird langsam dem parlamentarischen Rhythmus der Rzeczpospolita angepaßt. Die Einberufung des Sejms durch den König dient als Grundlage für die Einberufung des Landtags, zumindest wird diese Tatsache in den Manifesten der Landräte erwähnt. Darüber hinaus entsenden die Landtage ihre Vertreter zu den Reichstagen, um die Interessen des Kreises wahrzunehmen. Der Piltener Adel wird in den Dokumenten des Landtags als Bestandteil der Rzeczpospolita bezeichnet, mit allen Rechten des polnischen und litauischen Adels. Wir begegnen hier also einer deutlichen Tendenz, die Beziehungen zwischen Pilten und der Rzeczpospolita näher auszugestalten, die den in der Rzeczpospolita gestellten Forderungen, den Piltener Kreis direkt in den polnisch-litauischen Staat einzuverleiben, entgegenkamen45. Einer eingehenden Untersuchung bedürfen noch die Umstände der beiden Unionen zwischen Pilten und Kurland (1680 und 1685) sowie die kurze Zeitdauer der Union (1680/85 - 1717), insbesondere aber die Rolle, die zu dieser Zeit die katholische Kirche spielte, vor allem der livländische Bischof, der Ansprüche
45
(wie Anm. 42). - DERS.: Der Piltener Landtag in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts (im Druck).
DYBAS
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auf die ehemalige Ausstattung der kurländischen Diözese stellte46. Es scheint, daß die Expansion der katholischen Kirche in den 80er Jahren des 17. Jahrhunderts von dem Piltener Adel als eine so starke Bedrohung betrachtet wurde, ( M die Union mit Kurland als bessere Lösung galt. Die Lage änderte sich zu Beginn des 18. Jahrhunderts. Mit der Schwächung Kurlands und der wachsenden Krise kam es zu einer neuen Emanzipation des Piltener Kreises. Der Landtag übernahm die Initiative bei den Maßnahmen, die zumindest teilweise den Kreis vor den Kriegsfolgen schützen sollten. Als nach 1711 der livländische Bischof wieder seine Ansprüche auf Pilten stellte, schien es, daß bei der immer stärker werdenden Krise in Kurland die Wiedereinführung der Ordnung aus der Zeit vor der Union mit Kurland, also die direkte Abhängigkeit von der Rzeczpospolita, die bis 1795 dauerte, den einzige Ausweg darstellte. Diese Übersicht der Beziehungen der vier livländischen Territorien zu der Rzeczpospolita, die zwangsläufig unvollständig ist und nur die charakteristischsten Momente hervorhebt, zeigt jedoch, wie unterschiedlich diese Beziehungen waren. Auf der einen Seite haben wir das im 17. Jahrhundert verlorene schwedische, später russische Livland, zu dem sich die Beziehungen höchstens auf Vorschläge zur Rückforderung und im 18. Jahrhundert auf ständige Ansprüche aufgrund des Vertrages von Narwa (1704) beschränkten. Auf der anderen Seite war die livländische Wojewodschaft im Grunde genommen völlig in die Rzeczpospolita integriert. Dazwischen befanden sich die übrigen Territorien, Kurland und Pilten, deren Beziehungen zu der Rzeczpospolita in dem besprochenen Zeitraum am beweglichsten waren. Eine allgemeine Folgerung, die sich anhand der durchgeführten Übersicht aufdrängt, lautet folgendermaßen: Zwar verlor die Rzeczpospolita seit der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert relativ viele Territorien, vor allem das schwedische Livland, jedoch blieb ihr Besitzstand, sehr unterschiedlich in seinem Charakter, durch das ganze 17. und 18. Jahrhundert recht beträchtlich. Der Verlust an Territorien, den die Rzeczpospolita in Livland erlitt, war eine Folge des Machtwechsels in dieser Region Europas - der Aufbau einer Vormachtstellung durch Schweden und danach durch Rußland. Gleichwohl scheint es, daß unabhängig von jener politischen Situation und der immer schwächeren Position der Rzeczpospolita ihre Verbindungen zu Livland, zumindest mit einigen seiner Teile, weiterhin eng blieben. Wegen des Eindrucks der politischen und militärischen Dominanz von Schweden und danach von Rußland wurde dieser Faktor in den bisherigen Forschungen nur unzureichend betont. Charakteristisch ist, daß die endgültige Beendigung der Beziehungen zwischen der Rzeczpospolita und Livland erst der Untergang des polnischlitauischen Staates mit sich brachte. Der unterschiedliche Charakter der Beziehungen zwischen den einzelnen Teilen Livlands und der Rzeczpospolita resultierte zum Teil daraus, daß die Struktur Livlands schon im Mittelalter verwickelt war, aber auch aus den
44
Die Poplawskische Kommission in Pilten. 1685-1686. (Ein Beitrag zur Geschichte des Herzogtums Kurland). Jena 1931.
JOACHIM SENNING:
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Bogusiaw Dybai
Kampfbedingungen der Großmächte für diese Territorien seit der Mitte des 16. Jahrhunderts In einem gewissen Grade war er auch das Ergebnis der unterschiedlichen Politik der Rzeczpospolita gegenüber Livland in den verschiedenen Zeiträumen sowie der inneren Widersprüche dieser Politik. Über die ganze Zeit des Verhältnisses Livlands zu dem polnisch-litauischen Staat (1561-1795) hinweg haben wir es mit Maßnahmen zu tun, die gezielt eine engere Bindung dieser Territorien an die Rzeczpospolita herbeiführen sollten. Zwar wurden die grundlegenden Entscheidungen in der zweiten Hälfte des 16. und zu Beginn des 17. Jahrhunderts gefällt, jedoch treffen wir mehrere Beispiele solcher Maßnahmen auch in der zweiten Hälfte des 17. und im 18. Jahrhundert. Eben zu dieser Zeit wurde der Prozeß der Integration des überdünischen Livlands in die Rzeczpospolita erfolgreich abgeschlossen, wenn auch nur in Bezug auf das begrenzte Territorium der livländischen Wojewodschaft. Zu jener Zeit wurde auch die Zugehörigkeit des Piltener Kreises zur Rzeczpospolita in Folge einer komplizierten Ereigniskette bestätigt. Schließlich wurde auch damals ein ernsthafter Versuch zur Inkorporation Kurlands unternommen. Es entsteht die Frage, welchen Widerhall die Integrationstendenzen der Rzeczpospolita gegenüber Livland in Livland selbst gefunden haben, inwieweit der Adel in den einzelnen Teilen des Landes den polnisch-litauischen Staat als einen interessanten Partner und als Muster zur Gestaltung der lokalen Verhältnisse betrachtete. In dieser Hinsicht ist die Lage, welche sich in dem für uns interessanten Zeitraum auf dem Gebiet der livländischen Wojewodschaft gebildet hatte, gewissermaßen einmalig, unter anderem dadurch, daß der landsässige Adel hier besonders schwach und zusätzlich noch mit Ankömmlingen aus anderen Territorien der Rzeczpospolita vermischt war. Wenn man in Bezug auf die anderen Teile Livlands, von denen früher die Rede war, anhand des fragmentarischen Materials eine Verallgemeinerung wagte, so kann man feststellen, daß die Rzeczpospolita und ihre allgemeinen Verfassungsgrundsätze ein interessantes Muster waren, weil sie einerseits auf einer sehr starken Position des Adels beruhten, sowohl in Bezug auf den Herrscher als auch auf andere Stände, andererseits sich durch große Freiheiten bei Entscheidungen über lokale Angelegenheiten durch die ständische Institutionen auszeichneten. Wenn man die Lage, die im Piltener Kreises, besonders zur Zeit der Opposition gegen die Union mit Kurland nach 1661 existierte, mit dem von Patkul im Namen des Adels des schwedischen Livland in den Verhandlungen mit August II. (1699) vorgelegten Vorschlag vergleicht, so kann man feststellen, daß in beiden Fällen eine Anknüpfung an diese Regeln vorhanden ist. Man hat den Eindruck, daß das Haupthindernis einer engeren Integration der livländischen Gebiete der religiöse Faktor war. Der protestantische Adel beobachtete die Aktivität der katholischen Kirche im polnischen Livland, aber auch in Kurland und im Piltener Kreis distanziert. Der Adel von Pilten hatte tatsächlich Angst vor den Ansprüchen des livländischen Bischofs auf die ehemalige Ausstattung des kurländischen Bistums und weigerte sich erfolgreich gegen die direkte Unterstellung Piltens unter die bischöfliche Gerichtsbarkeit. Auch der
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Adel des schwedischen Livland forderte durch Patkul die Aufrechterhaltung der Grenze gegenüber dem katholischen polnischen Livland. Ferner scheint es, daß die Aktion der Katholisierung der livländischen Wojewodschaft nicht ohne Schwierigkeiten verlief und daß dort verschiedene Planungen in der Wirklichkeit Konflikte auslösten. Im Hinblick auf die obigen Erwägungen könnte man teilweise den Eindruck gewinnen, daß in den einzelnen Teilen Livlands tiefe Unterschiede politischen, verfassungspolitischen oder religiösen Charakters vorhanden waren. Eine solche Überzeugung dominiert in der Geschichtsschreibung, die sich auf einzelne Territorien konzentriert. Zwar wirkt sie eher künstlich, doch ist es schwer, schon jetzt ausführlich Stellung zu diesem Thema zu nehmen. Man kann hier nur die These aufstellen, daß die Lage viel komplizierter war. Die kurländischen Herzöge aus der Kettlerdynastie gebrauchten die ganze Zeit hindurch den Titel „Herzog in Livland von Kurland und Semgallen". Sie betrachteten sich im gewissen Sinne als Erben der Meister des Deutschen Ordens und dachten noch am Anfang des 18. Jahrhunderts an die Vereinigung von ganz Livland unter ihrer Herrschaft, was natürlich zu jener Zeit völlig irreal war. Der erste polnischsprachige livländische Geschichtsschreiber Jan Augustus Hylzen betrachtete Livland um die Mitte des 18. Jahrhunderts dagegen als eine Ganzheit, die künstlich politisch geteilt worden war. Diesem Standpunkt widerspricht der früher angesprochene Widerwille von Patkul und seinen Gefährten gegenüber einem Verwischen der Grenzen der einzelnen Teile Livlands. Es gibt durchaus einen wichtigen und komplizierten Riß in der frühneuzeitlichen Geschichte Livlands - zwischen Teilungen und dem Gefühl der Einheit, der in weiteren Untersuchungen nicht unterschätzt werden sollte.
Die Beziehungen zwischen Polen und Litauen im historischen Wandel Rechtliche und politische Aspekte in Mittelalter und Früher Neuzeit Mathias Niendorf
Das kleine Litauen und nicht etwa Deutschland oder Rußland war der letzte Anrainerstaat, mit dem Polen einen Vertrag über gute Nachbarschaft und Zusammenarbeit in Europa geschlossen hat (1994).1 Nicht allein tagespolitische Probleme hatten die Verhandlungen belastet, sondern auch das gesellschaftliche Klima in beiden Staaten. Dieses wiederum war - und ist zum Teil bis heute geprägt durch kontroverse Interpretationen der gemeinsamen Vergangenheit. Im Verlauf einer wechselvollen Geschichte haben nicht zuletzt die Begriffe .Polen' und .Litauen' selbst einen erheblichen Wandel erfahren. Nicht immer waren die Gewichte zwischen den Akteuren so ungleich verteilt wie gegen Ende des 20. Jahrhunderts, als ein litauischer Staat auf die Landkarte Europas zurückkehrte, welcher mit 65300 km2 und 3,7 Millionen Einwohnern gerade ein Fünftel von Polens Fläche und ein Zehntel seiner Bevölkerung aufweist. Das Hoheitszeichen der ehemaligen Sowjetrepublik knüpft formal an die Zeit der Unabhängigkeit zwischen den Weltkriegen an, beansprucht damit aber symbolisch auch das Erbe eines sehr viel älteren Staatswesens: Der Ritter auf dem Streitroß mit gezücktem Schwert stellte ursprünglich das Wappen des Großfürstentums Litauen dar, eines mittelalterlichen Großreiches zwischen Ostsee und Schwarzem Meer. Auf dem Höhepunkt seiner Ausdehnung um 1430 umfaßte sein Herrschaftsbereich, unter Einbeziehung mehr oder weniger lockerer Abhängigkeitsverhältnisse, rund 900000 km2 und damit das Drei- bis Vierfache des benachbarten Polen. Eine Kombination innerer und äußerer Faktoren ließ die Eliten beider Länder den Zusammenschluß suchen, aus dem sich zu lösen ihren Nachfahren erst nach einem langwierigen und konfliktreichen Prozeß gelingen sollte. Als sich im Laufe des 19. Jahrhunderts die modernen, ethnisch definierten Nationalbewegungen der Polen und Litauer konstituierten, knüpften erstere an die frühneuzeitliche Adelsrepublik, letztere an das mittelalterliche Großfürstentum
1
Vgl. JÖZEF KUKULKA: Traktaty sasiedzkie Polski odrodzonej [Die Nachbarschaftsverträge Polens nach 1989]. Wroclaw, Warszawa, Kraköw 1998, S. 99-105.
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Mathias
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an. Was den einen nationale Größe, erschien den anderen Unglück und Untergang. Programmatisch brachen die ersten Nationalgeschichten Litauens Mitte des 16. Jahrhunderts ab. Nach der Union von Lublin 1569 bzw. nach dem Tod Sigismunds II. August, des letzten Herrschers aus der männlichen Linie der Gediminiden oder Jagiellonen 1572 schien es nur noch eine Geschichte Polens zu geben.2 Die erste litauische Abhandlung über die Zeit zwischen Lubliner Union und den Teilungen stellte eingangs fest, daß Litauen damals zu einer Provinz Polens herabgesunken war - eine Einschätzung, die sich auch in der einzigen deutschsprachigen Gesamtdarstellung findet.3 Sämtliche Abkommen, die das Großfürstentum zuvor mit seinem Nachbarn geschlossen hatte, mußten aus jener Sichtweise als Schritte in eine falsche Richtung erscheinen. Wie kaum ein anderes Nachbarschaftsverhältnis in Europa ist die polnischlitauische Geschichte verwoben mit dem Problem der Staatenverbindung, einem Thema sowohl der allgemeinen wie der Rechts- und Verfassungsgeschichte. Beide Disziplinen haben erklärtermaßen Abschied genommen von einem abstrakten, überzeitlichen Staatsbegriff, der die ersten Darstellungen des polnischlitauischen Verhältnisses prägte und - vor allem in der Publizistik - gelegentlich noch fortzuwirken scheint. Dabei war es Georg Jellinek selbst, der in seinen juristischen Abhandlungen immer wieder den Zäsurcharakter der Moderne betont hat. Seine zum Klassiker gewordene Studie über Staatenverbindungen entwickelt ihre Systematik aus einer Staatstheorie, in deren Mittelpunkt der neuzeitliche Begriff der Souveränität steht. Kontinuitäten und Diskontinuitäten zu vormodernen Verhältnissen werden an einigen Stellen skizziert, ohne dabei auf den Fall Polen-Litauens einzugehen.4 Die zum Allgemeingut gewordene Erkenntnis vom neuzeitlichen Ursprung der Souveränität hat den Rechtswissenschaftler Heinhard Steiger veranlaßt, für das Mittelalter sehr viel allgemeiner von „Eigenständigkeit" zu sprechen. Sie soll ein „nicht näher definiertes Maß an eigener außenpolitischer Handlungsfähigkeit, rechtlich wie tatsächlich" bezeichnen. Es komme „soweit es sich um Glieder eines größeren Verbandes handelt, [...] auch auf die Handlungsfähigkeit über diesen Verband hinaus an; sie ist aber nicht allein entscheidend." Steiger wirbt dabei für ein „möglichst offenes, Undefiniertes Begriffsraster". 5 Ahnlich argumentiert der Historiker Thomas Fröschl; seine weitgehend an Jellinek 2
3
4 5
Vgl. TEODOR NARBUTT: Dzieje narodu litewskiego [Geschichte des litauischen Volkes], Bd. 9. Wilno 1841, S. 492. JONAS SLIUPAS: Gadyne Siektos vieäpatavimo Lietuvoje (1569-1795) [Die Epoche der Adelsherrschaft in Litauen (1569-1795)]. Chicago 1909, S. 3. - MANFRED HELLMANN: Grundzüge der Geschichte Litauens und des litauischen Volkes. 4. Aufl., Darmstadt 1990, S. 86. GEORG JELLINEK: Die Lehre von den Staatenverbindungen, Wien 1882. HEINHARD STEIGER: Zum fränkischen Kriegsrecht des karolingischen Großreichs (741-840). In: WILFRIED FIEDLER, GEORG RESS (Hg.), Verfassungsrecht und Völkerrecht. Gedächtnisschrift für Wilhelm Karl Geck. Köln u.a. 1989, S. 803-829, hier S. 804 f.
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zwischen
Polen und Litauen im historischen
Wandel
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angelehnte Terminologie ist auch für das polnisch-litauische Verhältnis von Relevanz.6 Zur Bezeichnung dieser historischen Staatenverbindung hat sich international der in verschiedenen Zusammensetzungen gebräuchliche Begriff der Union eingebürgert. Eine Realunion unterscheidet sich nach Jellinek von einer Personalunion durch ihre juristisch abgesicherte Grundlage, die über eine rechtlich zufällige Gemeinsamkeit des Herrschers hinausgeht; sie bildet eine Sonderform des Staatenbundes. Als Synonym für Inkorporation findet sich daneben in der älteren Literatur der Begriff der vollkommenen Union, ebenso heute ungebräuchliche Unterscheidungen von Unionen zu gleichem und zu ungleichem Rechte.7 Im folgenden sollen zunächst die wichtigsten Stationen der polnisch-litauischen Beziehungen in Mittelalter und Früher Neuzeit nachgezeichnet (I), die damit verbundenen rechtshistorischen Kontroversen skizziert (II) und anschließend mit einem Blick auf die Verfassungswirklichkeit konfrontiert werden (III). Die Darstellung folgt dabei überwiegend der Perspektive Litauens, des auf lange Sicht gesehen schwächeren Partners. 8
I. Polen und Litauen - Stationen und Strukturen eines Integrationsprozesses Im Umfeld zweier Jubiläen, des Aktes von Gnesen im Jahre 1000 und der ersten Erwähnung Litauens in den Quedlinburger Annalen von 1009, hat die Frühgeschichte polnischer und litauischer Staatlichkeit verstärktes Interesse gefunden. Während es sich im Falle Polens unter den ersten Piasten und ihrem Verhältnis zum Reich um eine heute im wesentlichen akademische Debatte handelt,9 hat das
6
7
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9
THOMAS FRÖSCHL: Confoederationes, Uniones, Ligae, Bünde. Versuch einer Begriffsklärung für Staatenverbindungen der frühen Neuzeit in Europa und Nordamerika. In: DERS. (Hg.), Föderationsmodelle und Unionsstrukturen. Über Staatenverbindungen in der frühen Neuzeit vom 15. zum 18. Jahrhundert. Wien, München 1994 (Wiener Beiträge zur Geschichte der Neuzeit, 21), S. 21-44. JELLINEK (wie Anm. 4), S. 68-70, 84 f. Aus polnischer Perspektive (in häufig problematischer Übersetzung) vgl. J0ZEF A. GIEROWSKI: Die Union zwischen Polen und Litauen im 16. Jahrhundert und die polnisch-sächsische Union des 17./18. Jahrhunderts. In: FRÖSCHL, Föderationsmodelle (wie Anm. 6), S. 63-82. - STANISLAW GRODZISKI: L'union entre la Pologne et la Lituanie en tant que forme d'etat. In: EDMUND CIESLAK, HENRYK OLSZEWSKI (Hg.), Changes in two Baltic Countries. Poland and Sweden in the XVIII"1 Century. Poznan 1990 (Uniwersytet im. Adama Mickiewicza w Poznaniu. Seria Historia, 164), S. 101-111. Vgl. MICHAEL BORGOLTE (Hg.): Polen und Deutschland vor 1000 Jahren. Deutsch-polnisches Kolloquium zum Millenium des „Aktes von Gnesen" (im Druck). - JOHANNES FRIED. Otto III und Boleslaw Chrobry. Das Widmungsbild
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Mathias Niendorf
Problem der litauischen Staatsbildung nach dem Zerfall der Sowjetunion zu einer national aufgeladenen Kontroverse litauischer und weißrussischer Historiker und Publizisten geführt.10 Aus rechtshistorischer wie beziehungsgeschichtlicher Sicht kann die Frage nach dem mutmaßlichen Zentrum litauischer Herrschaftsbildung jedoch um so leichter übergangen werden, als Kontakte Litauens zu Polen nicht vor Beginn des 13. Jahrhunderts dokumentiert sind. Um 1210 ist eine erste militärische Konfrontation, ein litauischer Einfall in polnisches Gebiet bezeugt.11 Einen anderen Eckpunkt markiert das Jahr 1795, als mit der dritten Teilung Polen und Litauen von der Landkarte Europas getilgt wurden. Von den knapp sechs Jahrhunderten, die zwischen beiden Ereignissen liegen, bilden markante Einschnitte die zugleich besonders umstrittenen Verträge von Krewo 1385 und Lublin 1569. Relativ kurz, da staatsrechtliche Verhältnisse nicht berührt wurden, lassen sich dagegen die ersten beiden Jahrhunderte polnisch-litauischer Beziehungen abhandeln. Geprägt waren sie von wechselnden Phasen kriegerischer Auseinandersetzungen und friedlicher Koexistenz, wobei in diese Zeit auch Anfänge eines kulturellen Austausches fallen. Die Bedeutung polnischer Kriegsgefangener ist in diesem Zusammenhang von der älteren Literatur allerdings stark überschätzt worden.12 Maßgebliche Faktoren bei der polnisch-litauischen Annäherung bildeten die gemeinsame Gegnerschaft zum Deutschen Orden und den Tataren sowie der Konflikt Litauens mit Moskau, die beide das Erbe der Kiever Rus' für sich in Anspruch nahmen. Im Zuge hochmittelalterlicher Expansion hatte Litauen große Teile dieses einstigen Reiches seiner Herrschaft unterstellt, so daß Ostslaven dort
10
11
12
des Aachener Evangeliars, der „Akt von Gnesen" und das frühe polnische und ungarische Königtum. 2. Aufl., Stuttgart 2001. Vgl. JAKUB ZEJMIS: Belorusian National Historiography and the Grand Duchy of Lithuania as a Belorusian State. In: Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung 48 (1999), S. 3 8 3 - 3 9 6 . - AUAKSANDR KRAÜCEVIC: Stvarenne Vjalikaha Knjastva Litoüskaha [Die Entstehung des Großfürstentums Litauen], [2. Aufl.] Rzeszöw 2 0 0 0 (Uniwersytet Marii Curie-Skladowskiej w Lublinie. Filia w Rzeszowie. Rozprawy i Monografie Wydziahi Ekonomicznego, 17) und die kritischen Rezensionen von VJACASLAÜ NASEVIC: Pytannjaü bol'S öym akazaü [Mehr Fragen als Antworten]. In: Belaruski Histaryöny Ahljad 5 (1998), S. 2 1 0 - 2 2 6 und ARTÜRAS DUBONIS, in: Lithuanian Historical Studies 4 (1999), S. 1 5 1 - 1 5 7 . Anerkennung als seriöser Diskussionsbeitrag in Litauen hat dagegen gefunden VJACASLAÜ LEANIDAVIC NASEVI£: Paöatki Vjalikaha knjastva Litoüskaha. Padzei i asoby [Die Anfänge des Großfürstentums Litauen. Ereignisse und Personen]. Minsk 1993. Vgl. TOMAS BARANAUSKAS: Lietuvos valstybes iätakos [Die Quellen des litauischen Staates], Vilnius 2 0 0 0 , S. 98. Vgl. GRZEGORZ BLASZCZYK: Dzieje stosunköw polsko-litewskich od czasöw najdawniejszych do wspölczesnoSci, Bd. I: Trudne poczatki [Die Geschichte der polnisch-litauischen Beziehungen von den ältesten Zeiten bis in die Gegenwart, Bd. I: Schwierige Anfänge]. Poznan 1998 (Uniwersytet im. Adama Mickiewicza w Poznaniu. Seria Historia, 191), S. 20. Vgl. BLASZCZYK, Dzieje (wie Anm. 11), S. 1 7 9 - 1 9 2 .
Die Beziehungen zwischen Polen und Litauen im historischen Wandel
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schließlich eine Mehrheit der Bevölkerung stellten.13 Die ehemaligen Untertanen der Kiever Rus' behielten ihren orthodoxen Glauben bei, so wie die Großfürsten und die Bevölkerung in den litauischen Kernlanden ihrer Naturreligion bis Ende des 14. Jahrhunderts treu blieben. Ansätze eines christlichen Königtums unter dem zum Katholizismus übergetretenen Mindowe (lit. Mindaugas) waren nach dessen Ermordung 1263 nicht weiter verfolgt worden. Langfristig allerdings eröffnete eine Taufe nach katholischem Ritus die Chance, dem Deutschen Orden die ideologische Basis seiner als Missionstätigkeit deklarierten Angriffe zu entziehen. Wie die neuere Forschung herausgearbeitet hat, bedurfte es jedoch nicht erst der Christianisierung, um eine umfassende Modernisierung des Großfürstentums in Wirtschaft, Verwaltung und Militärwesen in Gang zu setzen.14 Etappen polnisch-litauischer Annäherung bildeten dynastische Heiratsverbindungen sowie einige kurzlebige Abkommen. In beiden Fällen erwies sich der heidnische Charakter des Großfürstentums nicht als unüberwindliches Hindernis. Litauische Prinzessinnen nahmen vor der Heirat den katholischen Glauben an, wie beispielsweise Aldona, die Tochter des Großfürsten Gedimin (lit. Gediminas), die 1325 unter dem Taufnamen Anna mit dem polnischen Thronfolger Kasimir III. (dem Großen) vermählt wurde. Die Heirat flankierte das Bündnis ihrer Väter gegen die Markgrafen von Brandenburg. Schon bald nach dem Tod Annas 1339 flammten allerdings erneut polnisch-litauische Kämpfe auf. Die Auseinandersetzungen betrafen das Erbe der Fürsten von Halyö-Wolhynien im Westen der heutigen Ukraine, auf das später auch Ungarn Anspruch zu erheben drohte, mit dem Polen 1370-1382 in Personalunion verbunden war. Eine polnisch-litauische Verständigung, die zugleich eine Frontstellung gegen den Deutschen Orden bedeutete, erschien für beide Seiten eine vorteilhafte, wenn auch nicht zwingende Option. Daß sie prinzipiell möglich war, hatten die Friedensabkommen von 1352 und 1366 unter Beweis gestellt. An der Wende zum 15. Jahrhundert standen sich zwei Staatswesen unterschiedlichen Typs gegenüber. Polen war nach einer langen Epoche teüfürstlicher Zersplitterung während des 13. Jahrhunderts allmählich wiedervereint worden. Nachdem sich die beiden wichtigsten Territorien, Großpolen und Kleinpolen (die Gebiete um Gnesen-Posen bzw. um Krakau) in seiner Hand befanden, hatte sich Wladyslaw Lokietek 1320 zum König von Polen krönen lassen. Unter den letzten Piasten gelang es dem Adel, sich eine Reihe von Privilegien zu sichern. Polen wurde dabei ab der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts - in Analogie zu 13
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Vgl. S[TEPHEN] C. ROWELL: Lithuania ascending. A pagan empire within eastcentral Europe, 1295-1345. 2. Aufl., Cambridge 1995 (Cambridge studies in mediaval life and thought. Fourth series, 25). - PAWEL LOJKA: Der Zerfall der Kiewer Rus' und das Fürstentum Polozk (9. bis 12. Jahrhundert). In: DIETRICH BEYRAU, RAINER LINDNER (Hg.), Handbuch der Geschichte Weißrußlands. Göttingen 2001, S. 69-79. - DERS.: Die weißrussischen Territorien als Teil des Großfürstentums Litauen (13. bis 16. Jahrhundert), ebd., S. 80-92. Vgl. den Beitrag von ALVYDAS NIK2ENTAITIS in: MARC LÖWENER (Hg.), Die „Blüte" der Staaten des östlichen Europas im 14. Jahrhundert (im Druck).
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Böhmen und Ungarn - immer häufiger als .Krone Polen' (kurz: Krone; corona regni Poloniae) aufgefaßt, als ein von der Person des Monarchen unabhängiges, unteilbares Ganzes.15 Zeichneten sich hier Ansätze einer Institutionalisierung und Territorialisierung von Herrschaft ab, blieb Litauen stärker dem Typus eines Personenverbandsstaates verhaftet. Es entsprach nur bedingt dem Bild einer patrimonialen Monarchie, in welcher die Familie des Herrschers nach Belieben über ihr Territorium als gewissermaßen privaten Besitz verfugen konnte. Eine derartige Stellung besaßen die Gediminiden nur im sogenannten eigentlichen Litauen, was nicht im ethnographischen Sinne zu verstehen ist, da hierzu auch angrenzende ostslavische Siedlungsgebiete zählten. Die weiter an der Peripherie gelegenen Teilfürstentümer der ehemaligen Kiever Rus' waren mit dem Zentrum durch lehnsähnliche Verhältnisse verbunden. 16 Auf einige südlich Novgorods gelegene Gebiete schließlich bestanden zwar litauische Ansprüche, konnten jedoch nur bedingt als Hoheitsrechte geltend gemacht werden. Berücksichtigt man ferner, daß die um Wilna gelegenen Territorien als persönlicher Besitz des jeweiligen Großfürsten galten, so wird die vielfaltige Abstufung eines Gebietes nach der Intensität herrschaftlicher Durchdringung deutlich.17 Eine solche Differenzierung bringt die in der älteren Literatur gebräuchliche, an Jellinek angelehnte Bezeichnung,Staatenstaat' (poln. paüstwo paristw) nur ungenügend zum Ausdruck.18
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Vgl. MANFRED HELLMANN (Hg.): Corona Regni. Studien über die Krone als Symbol des Staates im späteren Mittelalter. Darmstadt 1961 (Wege der Forschung, 3). Vgl. OSWALD BALZER: Istota prawna zaleznosci ksiazat litewsko-ruskich w dobie 1386-1398/401 [Der rechtliche Charakter der Abhängigkeit der litauisch-russischen Fürsten 1386-1398/1401]. In: Sprawozdania Towarzystwa Naukowego we Lwowie [1] 1921, S. 196-204. - A. Ju. DVORNICENKO: Russkie zemli Velikogo knjazestva Litovskogo (do naöala XVI v.). Oöerki istorii obäöiny, soslovij, gosudarstvennosti [Die russischen Gebiete des Großfürstentums Litauen (bis zum Beginn des 16. Jh.s). Historische Studien zu Gesellschaft, Ständen, Staatlichkeit]. Sankt-Peterburg 1993, S. 160 f. Vgl. GOTTHOLD RHODE: Die Ostgrenze Polens. Politische Entwicklung, kulturelle Bedeutung und geistige Auswirkung, Bd. 1: Im Mittelalter bis zum Jahre 1401. Köln, Graz 1955 (Ostmitteleuropa in Vergangenheit und Gegenwart, 2), S. 339 f. Vgl. JELLINEK (wie Anm. 4), S. 137-157; BALZER (wie Anm. 16), S. 202. HENRYK LOWMIANSKI: [Wcielenie Litwy do Polski w 1386 roku] [(Die Inkorporation Litauens in Polen 1386)]. In: Lituano-Slavica Posnaniensia 2 (1987), S. 37-123, hier S. 88 (zur Geschichte des erstmals 1937 publizierten Textes und seines Titels vgl. die Vorbemerkung von Zbyslaw Wojtkowiak, ebd., S. 33-36). Die sich in der klassischen Staatsrechtslehre gegenüberstehenden Begriffe, Staatenstaat' und .Föderation' gebraucht in der Umschreibung quasi synonym JOSEF PFITZNER: Großfürst Witold von Litauen als Staatsmann. Brünn u. a. 1930 (Schriften der Philosophischen Fakultät der Deutschen Universität in Prag, 6), S. 83, dessen Darstellung ansonsten gerade ein Bemühen um Differenzierung auszeichnet. Von einer „Symbiose eigener Art" (svoego roda simbioz) unterschiedli-
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Während der Begriff der corona regni Poloniae bereits einen beachtlichen Abstraktionsgrad aufweist, findet sich in den Quellen jener Zeit kein Wort, das den Staatscharakter Litauens näher bestimmt hätte. Der in der Historiographie wie auch in vorliegendem Beitrag - traditionell anachronistisch gebrauchte Begriff des Großfürstentums (Magnus Ducatus) ist nicht vor 1430 belegt. Zuvor begegnen im Plural gebrauchte Umschreibungen wie terrae oder konigriche, oder die Rede ist von einem regnum Letwinorum et Ruthenorum. Eine ähnliche Gegenüberstellung unterschiedlicher Herrschaftsbereiche kennzeichnet Ende des 14. Jahrhunderts auch der - erkennbar nach polnischem Vorbild konstruierte Titel dux magnus Litwanorum, Rusiaequae dominus et heres naturalis Die Verhandlungen zwischen den ungleichen Partnern kamen 1385 in Krewo zum Abschluß. Jagiello (lit. Jogaila), Großfürst von Litauen, erklärte sich bereit, mitsamt Familie und seinen noch ungetauften Untertanen zum Katholizismus überzutreten, wofür ihm die Hand der Thronerbin Hedwig (poln. Jadwiga) und die polnische Krone in Aussicht gestellt wurden. Zusätzlich verpflichtete sich Litauens Herrscher unter anderem zur Zahlung einer Entschädigung an Hedwigs damaligen Verlobten, Wilhelm von Habsburg, zur Freilassung polnischer Kriegsgefangener sowie zur Wiedergewinnung all der Territorien, welche Polen zuletzt verlustig gegangen waren. Nach Taufe und Annahme des christlichen Namen Wladyslaw erfolgte 1386 in Krakau die Krönung Jagiellos. Eine seiner ersten Amtshandlungen war die Gründung eines Bistums Wilna 1387, das dem polnischen Erzbistum Gnesen unterstellt wurde. Im Laufe der nächsten beiden Jahrhunderte mußte das polnisch-litauische Verhältnis immer wieder aufs neue ausgehandelt und bestätigt werden. Wichtigste Stationen waren die Verträge von Wilna und Radom 1401, Horodlo 1413 und Brest-Litowsk 1446 sowie Mielnik 1501,20 auf deren Inhalt im folgenden noch näher einzugehen sein wird. Mit Ausnahme der beiden zuerst genannten Städte handelte es sich um Orte im Grenzgebiet, in denen neben den Herrschern jeweils auch der Adel beider Länder zusammenkam. Seit Wilna und Radom war dieser nicht nur formal Garant der Abkommen, sondern gab der Union auch eine feste soziale Basis. Der litauische Adel erhielt im Rahmen der Vertragswerke Privilegien zugesichert, die seine Stellung sukzessive der seiner Standesgenossen in der Krone anglichen. Damit wurde die Grundlage für die Herausbildung eines
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eher Staatsorganismen sprach M[ATVEJ] K. LJUBAVSKIJ: Oierk istorii litovskorusskago gosudarstva do Ljublinskoj unii vkljuöitel'no [Abriss des litauischrussischen Staates bis zur Lubliner Union einschließlich]. Moskva 1910, S. 36. Grundlegend: JAN ADAMUS: Ο tytule panujacego i panstwa litewskiego pare spostrzezen [Einige Beobachtungen zur Bezeichnung des litauischen Herrschers und Staates], In: Kwartalnik Historyczny 44 (1930), S. 313-332. Vgl. Akta unji Polski ζ Litwa 1385-1791 [Die Akten der Union Polens mit Litauen 1385-1791], hg. v. Stanislaw Kutrzeba u. Wladyslaw Semkowicz. Kraköw 1932.
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einheitlichen Adelsstandes geschaffen. Territoriale, soziale, konfessionelle und ethnische Trennlinien traten in ihrer Bedeutung zurück.21 Dieser Prozeß gesellschaftlicher Integration verlief weitgehend geradling und kontinuierlich, ungeachtet wechselnder politischer Konstellationen. Widersprüchlich und streckenweise kaum übersehbar gestaltet sich in der Überlieferung das polnisch-litauische Verhältnis vor allem im ersten Jahrhundert nach dem Akt von Krewo 1385. Geprägt wurde es durch das Problem der Herrschaftsausübung in Litauen, auf das Jagiello-Wladyslaw mit Annahme der polnischen Krone keinen Verzicht geleistet hatte. Die Auseinandersetzungen allein als frühen Konflikt zweier Staatswesen zu intepretieren, wäre eine unzulässige Vereinfachung. Wesentlich, aber in der Literatur nicht immer genügend herausgestellt, erscheint der Aspekt innerdynastischer Rivalitäten, handelt es sich bei den Protagonisten der Thronstreitigkeiten doch ausnahmslos um Angehörige desselben Geschlechtes der Gediminiden. Nach seiner Krönung führte Jagiello neben dem Königstitel für Litauen den Titel eines supremus dux, während er seinen Bruder Skirgiello (lit. Skirgaila) als principalis dux dort mit der Regierung beauftragte. Zwischen ihm und seinem Vetter Witold kam es bald zu Konflikten, die letzterer für sich entscheiden konnte. Die mehrere Jahrzehnte währende Regierungszeit Witolds (1392-1430), von Historikern des Landes mit dem Beinamen ,der Große' (Vytautas Didysis) belegt, gilt als Höhepunkt litauischer Geschichte schlechthin. Territoriale Expansion ging einher mit der Verdichtung von Herrschaftsstrukturen - an der Spitze der Teilfürstentümer wurden die einheimischen Fürsten durch Statthalter ersetzt. Es gelang Witold jedoch nicht, eine starke persönliche Machtstellung, die ihren Ausdruck beinahe im Erwerb der Königswürde gefunden hätte, institutionell zu verfestigen. Teil der Auseinandersetzungen Litauens mit Polen war die Nachfolgeregelung für den Großfürsten ohne männlichen Nachkommen, die noch zu seinen Lebzeiten mehrfach geändert wurde. Auf welche Weise die Ernennung von Jagiellos jüngstem Bruder Swidrigiello (lit. Svitrigaila) 1430 zum Großfürsten letztlich erfolgte, ist in der Literatur umstritten.22 Belegt sind als Folge bürgerkriegsähnliche Wirren, in denen die Fronten teils zwischen Polen und Litauen, teils innerhalb des Großfürstentums
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Vgl. MICHAIL M . KROM: Die Konstituierung der Szlachta als Stand und das Problem staatlicher Einheit im Großfürstentum Litauen (15./16. Jahrhundert). In: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas N.F. (künftig: JBfGOE) 42 (1994), S. 481-492. Vgl. HORST JABLONOWSKI: Westrussland zwischen Wilna und Moskau. Die politische Stellung und die politischen Tendenzen der russischen Bevölkerung des Großfürstentums Litauen im 15. Jh. Leiden 1955 (Studien zur Geschichte Osteuropas, 2), S. 137 f., Anm. 172. - JAN T^GOWSKI: Zagadnienie wladzy w Wielkim Ksiestwie Litewskim miedzy unia krewska a zgonem Skirgieöy (1385-1394) [Das Herrschaftsproblem im Großfurstentum Litauen zwischen der Union von Krewo und dem Tod Skirgiellos (1385-1394)]. In: Zapiski Historyczne 66 (2001), Nr. 4, S. 7-18.
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verliefen. 1432 wurde Sigismund Kejstutowicz (lit. Zygimantas Kestutaitis), ein Bruder Witolds, zum Großfürsten gewählt und von Jagielto anerkannt. Als Sigismund 8 Jahre später einem Mordanschlag zum Opfer gefallen war, folgte ihm Jagieöos Sohn Kasimir (Jagiellonczyk) auf den Thron, der nach dem Tod seines Bruders Wladyslaw (III.) 1447 auch die polnische Krone annahm. Damit war eine personelle Verbindung zwischen Polen und Litauen wiederhergestellt und ein Muster vorgegeben, das bis 1569 Gültigkeit besitzen sollte: Wahl eines Herrschers zunächst zum Großfürsten in Litauen, dann auch zum König in Polen, wobei zwischen den Thronantritten einige Jahre vergehen konnten, in denen an der Spitze beider Länder verschiedene Herrscher standen (1440-1447, 1492-1501, 1522-1529, 1544-1548).23 Eine Thronerhebung in Litauen präjudizielle somit die Königswahl in der Krone, auch wenn die Jagiellonen ein Erbfolgerecht nur in ihrem Stammland beanspruchen konnten. Das Spannungsverhältnis zwischen Elementen einer Wahl- und einer Erbmonarchie bedarf dabei noch näherer Untersuchungen.24 Eine Grundsatzentscheidung für die freie, nicht dynastisch gebundene Königswahl fiel erst nach dem Tod Sigismunds II. August 1572, der 1564 bereits zugunsten der Krone Polen auf die Erbfolge in Litauen verzichtet hatte. Am Ende seiner Regierungszeit wurde auf einem Reichstag in Lublin das polnisch-litauische Verhältnis auf eine neue, dauerhafte Grundlage gestellt. Der Unionsvertrag von 1569 sah einen einzigen Herrscher für beide Länder vor, der mit der Königskrönung in Krakau zugleich den Titel eines Großfürsten erhielt. Weitere gemeinsame Einrichtung neben der Person des Monarchen war nun auch das Parlament, der Sejm; ebenso sollte es nur noch eine einheitliche Außenpolitik und Währung geben, ohne daß hierfür eigene Organe geschaffen wurden.
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Vgl. JONAS ZMUIDZINAS: Commonwealth polono-lithuanien ou FUnion de Lublin. Paris, La Haye, New York 1978 (Interaction. L'homme et son environnement social, 11), S. 131. Vgl. vorerst TADEUSZ SILNICKI: Prawo elekcyi krölöw w dobie Jagiellonskiej [Das Königswahlrecht in der Jagiellonenzeit]. In: Studia nad Historie Prawa Polskiego 5 ( 1 9 1 3 ) , S. 1 5 3 - 2 7 6 . - KAZIMIERZ STADNICKI: Ο tronie elekcyjnym domu Jagiellonöw w Polsce [Über das Wahlkönigtum der Jagiellonen in Polen]. Lwöw 1880. Zu dem traditionsreichen Thema der deutschen Mediävistik vgl. EDUARD HLAWITSCHEK (Hg.): Königswahl und Thronfolge in ottonisch-frühdeutscher Zeit. Darmstadt 1971 (Wege der Forschung, 178). Überblick über den Forschungsstand bei ULRICH SCHMIDT: Königswahl und Thronfolge im 12. Jahrhundert. Köln, Wien 1987 (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters, 7 ) , S. 5 - 3 3 . Zum europäischen Kontext vgl. ARMIN WOLF: Prinzipien der Thronfolge in Europa um 1400. Vergleichende Beobachtungen zur Praxis des dynastischen Herrschaftssystems. In: REINHARD SCHNEIDER (Hg.), Das spätmittelalterliche Königtum im europäischen Vergleich. Sigmaringen 1987 (Vorträge und Forschungen, 3 2 ) , S. 2 3 3 - 2 7 8 . - Bezüge zu Litauen bei PETER NITSCHE: Großfürst und Thronfolger. Die Nachfolgepolitik der Moskauer Herrscher bis zum Ende des Rjurikidenhauses. Köln, Wien 1972 (Kölner Historische Abhandlungen, 21).
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Livland, das sich erst 1561 Sigismund II. August als Großfürsten von Litauen unterworfen hatte, bildete nun ein polnisch-litauisches Kondominium.25 Die seit längerem umstrittenen Gebiete westlich des Bugs und der heute zur Ukraine gehörige Südteil des Großfürstentums waren zuvor von der Krone Polen inkorporiert worden. Dies war der Preis, den Litauen in militärisch bedrängter Lage für die Unterstützung Polens hatte zahlen müssen. Hier zeigen sich die Grenzen eines Integrationsprozesses - sowohl was das Verhältnis zwischen Polen und Litauen betrifft wie auch im Hinblick auf die Gesellschaft des Großfürstentums. Ungeachtet einer formalen Gleichstellung war die Binnendifferenzierung innerhalb des Adels nicht zu übersehen.26 Der Masse dieses Standes stand eine dünne Schicht der Hocharistokratie gegenüber, die Magnaten. Daß eine kleine Zahl wechselnder Familien über ein Netz von Klientelbeziehungen weitgehend selbständig die Geschicke des Landes bestimmen konnte, gehört zu den Strukturmerkmalen des Großfürstentums, meist etwas ungenau als Oligarchie bezeichnet. In der Krone gewann im Laufe des 16. Jahrhunderts der mittlere Adel ein sehr viel stärkeres Gewicht, zumal er vom König unterstützt wurde. Diese sogenannte Exekutionsbewegung wies unifizierende Züge auf.27 Vertreter des polnischen Mitteladels forderten am heftigsten die Inkorporation Litauens, dessen Namen seine radikalsten Vertreter sogar getilgt und durch ,Neu-Polen' (Nowa Polska) ersetzt wissen wollten.28 Nur partiell
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Vgl. VIGINTAS STANCELIS: The Annexation of Livonia to the Grand Duchy of Lithuania: Historiographical Controversies. In: Lithuanian Historical Studies 5 (2000), S. 21-44. - ANTANAS TYLA: Lietuva ir Livonija XVI a. pabaigoje - XVII a. pradzioje [Litauen und Livland vom Ende des 16. bis zum Anfang des 17. Jh.]. Vilnius 1986. - ALMUT BUES: Das Herzogtum Kurland und der Norden der polnisch-litauischen Adelsrepublik im 16. und 17. Jahrhundert. Möglichkeiten von Integration und Autonomie. Fernwald 2001. Als Gliederungskriterium hat sich in der Forschung die Landtagsfahigkeit durchgesetzt. Zum mittleren Adel gehören somit alle, die sich die regelmäßige Teilnahme an den lokalen Ständeversammlungen, nicht unbedingt aber an den Reichstagssitzungen leisten konnten; vgl. WOJCIECH KRIEGSEISEN: Sejmiki Rzeczypospolitej szlacheckiej w XVII i XVIII wieku [Die Landtage der Adelsrepublik im 17. und 18. Jh.], Warszawa 1991, S. 116-118. Vgl. HANS-JÜRGEN BÖMELBURG: Ständische Reformen in mitteleuropäischen Staatsverbänden im Vergleich: Die Reichsreformbewegung und die Exekutionsbewegung in Polen (1410-1580). In: MARIAN DYGO, SLAWOMIRGAWLAS, HIERONIM GRALA (Hg.), Modernizacja struktur wladzy w warunkach opoznienia. Europa Srodkowa i Wschodnia na przelomie sredniowiecza i czasow nowozytnych. Warszawa 1999 (Centrum Historii Europy Srodkowo-Wschodniej Instytutu Historycznego Uniwersytetu Warszawskiego. Colloquia, 1), S. 35-57. Vgl. TADEUSZ WASILEWSKI: Wielkie Ksiestwo Litewskie w dobie Rzeczypospolitej Obojga Narodöw (1569-1795). Federacja dwoch paiistw czy panstwo jednolite? [Das Großfurstentum Litauen in der Epoche der Republik beider Nationen (1569-1795). Föderation zweier Staaten oder Einheitsstaat?]. In: Lithuania 1990, Nr. 1, S. 66-77, hier S. 67.
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bestand dabei eine Interessenidentität mit dem mittleren Adel Litauens. Diesem war sehr an einer Strukturangleichung mit der Krone gelegen, wovon er sich eine Verbesserung seiner Position insbesondere gegenüber den Magnaten erhoffte, nicht jedoch an einem Aufgehen des Großfürstentums in der Krone, was eine Abhängigkeit vom polnischen Adel nach sich gezogen hätte. Am wenigsten Änderungen gegenüber aufgeschlossen zeigte sich die Hocharistokratie des Großfürstentums, die jedoch von zwei Seiten unter Druck geriet: militärisch durch Moskau, innenpolitisch durch den aufbegehrenden kleinen und mittleren Adel. Dieser soziale Gegensatz sollte bis 1795 aufrecht erhalten bleiben, auch wenn in politischer Hinsicht die Magnaten ihre Überlegenheit behaupten und weiter ausbauen konnten. Gleichwohl ist von litauischer Seite herausgestellt worden, daß es ungeachtet von Interessengegensätzen auch ein sozial übergreifendes Wir-Gefühl des Adels im Großfürstentum gegeben hat.29 Daß eine Integration der beiden Reichshälften indes nicht aufzuhalten war, brachte ein Jahrhundert später (1697) die vom Sejm verabschiedete Coaequatio iurium zum Ausdruck, in der - mit Unterstützung des mittleren Adels beider Länder - die zentralen Ämter des Großfürstentums denjenigen der Krone angepaßt und das Polnische in Litauen auch offiziell als Kanzleisprache eingeführt wurde. 30 Zu einer Umstrukturierung des Staatsaufbaus kam es jedoch erst in der sogenannten Reformzeit, unter Polens letztem König Stanislaw August. Krönender Abschluß war die Maikonstitution von 1791, die erste Verfassung in Europa überhaupt.31 Auf das Verhältnis Litauens zur Krone ging sie mit keinem Wort ein. Es fand seine Neuregelung erst ein halbes Jahr später, in der „gegenseitigen
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Vgl. JÜRATE KIAUPIENE: Litewskie cechy kultury politycznej szlachty Wielkiego Ksiestwa Litewskiego w XVI wieku [Litauische Besonderheiten der politischen Kultur des Adels des Großfürstentums Litauen im 16. Jh.]. In: JERZY WYROZUMSKI (Hg.), Kultura Litwy i Polski w dziejach. Tozsamosc i wspolistnienie. Materialy miedzynarodowej konferencji zorganizowanej w dniach 15-17 pazdziernika 1998 (Miedzynarodowe Centrum Kultury w Krakowie. Seria Nauka, 9 ) , S. 6 7 - 7 8 .
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Vgl. JERZY MALEC: Szkice Ζ dziejöw federalizmu i mysli federalistycznej w czasach nowozytnych [Skizzen zur Geschichte des Föderalismus und der föderalistischen Idee in der Frühen Neuzeit]. Krakow 1999, S. 37-50. - GINTAUTAS SLIESORIÜNAS: Lietuvos Didiioji KunigaikStystes ir Lenkijos Karalystes teisiq sulyginimo - Coaequatio iurium - istatymo priemimas 1697 metais [Die Annahme des Gesetzes über die Angleichung der Rechte des Großfürstentums Litauen und der Krone Polen 1697]. In: ZIGMANTAS KIAUPA, ARTURAS MICKIEVICIUS, JOLITA SARCEVICIENE (Hg.), Lietuvos valstybe XII-XVIII a. Vilnius 1997, S. 325-338. Vgl. RUDOLF JAWORSKI (Hg.): Nationale und internationale Aspekte der polnischen Verfassung vom 3. Mai 1791. Beiträge zum 3. deutsch-polnischen Historikerkolloquium im Rahmen des Kooperationsvertrages zwischen der AdamMickiewicz-Universität Poznan und der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Frankfurt am Main u. a. 1993 (Kieler Werkstücke. Reihe F: Beiträge zur osteuropäischen Geschichte, 2).
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Bürgschaft beider Nationen" vom 20. (22.) Oktober, das Litauen die paritätische Besetzung der im Mai jenes Jahres neugeschaffenen Institutionen zusicherte.32 Aufgrund seines Staatsaufbaus mußte das Doppelreich wie ein Fremdkörper zwischen Preußen, Österreich und Rußland wirken, die schließlich dessen Gebiet unter sich aufteilten. Polen-Litauen hat sich nicht dem Souveränitätsprinzip des Absolutismus unterworfen, ein Jean Bodin keinen polnischen oder litauischen Epigonen gefunden.33 Die polnische wie die litauische Forschung spricht statt dessen von einer .Dezentralisierung der Souveränität': Weder die monarchische Spitze noch das zentrale Parlament, sondern die regionalen Ständeversammlungen, die Landtage, besaßen ab Mitte des 17. Jahrhunderts das größte politische Gewicht.34
II. Die Staatenverbindungen in rechtshistorischer Sicht Die eigentlich wissenschafdichen Debatten sind zu einem großen Teil innerhalb der polnischen Historiographie ausgetragen worden, die sich allenfalls noch mit der russischen Geschichtsschreibung des Kaiserreichs bzw. des Exils auseinandersetzte, wie es der Historikerkongreß 1935 in Wilna dokumentiert. Zu diesem Zeitpunkt begann sich eine professionelle litauische Geschichtsschreibung zu etablieren, die Anschluß an den Forschungsstand, international jedoch wenig Beachtung fand.35 Den mittlerweile erreichten Stand der Annäherung dokumen-
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Zareczenie wzaiemne oboyga narodöw [22.10.1791]. In: Volumina Legum, Bd. 9, Kraköw 1889, S. 316 f. - Akta unji (wie Arnn. 20), S. 398 f. [20.10.1791], Vgl. die Versuche einer Kriterienbildung bei JEAN BERENGER, DANIEL TOLLET: La genese de l'6tat moderne en Europe Orientale. Synthfcse et bilan. In: JEANPHILIPPE GENET (Hg.), L'6tat moderne: Genfese. Bilans et perspectives. Actes du Colloque tenu au CNTS ä Paris les 19-20 septembre 1989. Paris 1990, S. 43-63. Vgl. JULIUSZ BARDACH, BOGUSLAW LESNODORSKI, MICHAL PIETRZAK: Historia ustroju i prawa polskiego [Geschichte des polnischen Staatsaufbaus und Rechts]. 5. Aufl., Warszawa 2001, S. 248. - RYSZARD LASZEWSKI, STANISLAW SALMONOWICZ: Historia ustroju Polski [Geschichte des polnischen Staatsaufbaus]. Τοπιή 1997, S. 42. - ZIGMANTAS KIAUPA: Apie Lietuvos Didiiosios KunigaikStystes politines bükles Abieju Tauty Respublikoje ir jos raidos 1569-1764 metais problemas [Zur Problematik der politischen Lage des Großfiirstentums Litauen und ihrer Entwicklung 1569-1764], In: DERS., ARTURAS MICKIEVICIUS, JOLITA SARCEVICIENE (Hg.), Lietuvos valstybe XII-XVIII a. Vilnius 1997, S. 383-394, hier S. 389. Anregender Problemaufriss mit anderer Akzentsetzung: HENRYK OLSZEWSKI: Über die Träger der Souveränität in Polen in der Ära der Wasa-Könige 1587-1668. In: JBfGOE 36 (1988), S. 493-503. Vgl. JURATE KIAUPIENE: Replik auf Marceli Kosmans Version der litauischen Geschichte. In: WeltTrends, Nr. 16 (1997), S. 131-142, hier S. 133-135.
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tieren historiographiegeschichtliche Überblicke, die kürzlich von polnischer wie von litauischer Seite vorgelegt worden sind.36 Traditionell das größte Interesse findet der Akt von Krewo, ein Ereignis, auf dessen epochale Bedeutung bereits Leopold von Ranke verwies.37 Belebt worden ist die Diskussion neuerlich durch eine Infragestellung der Authentizität des Aktes,38 an der in der Forschung bisher allerdings mehrheitlich festgehalten worden ist.39 Die Echtheit des Dokumentes als gegeben vorausgesetzt, bewegen sich die Auseinandersetzungen im Kern um ein einziges Wort: Was bedeutete es, wenn Großfürst Jagietlo sich in Krewo verpflichtete, terras suas Litvaniae et
Rusiae coronae regni Poloniae perpetuo applicare?40 In vielfach scholastisch anmutenden Darlegungen ist das Verb als Begründung einer Personalunion wie einer Inkorporation Litauens in die Krone Polen gedeutet worden. Eine textimmanente Interpretation erschwert der Umstand, daß jener Schlüsselbegriff isoliert, ohne die - auch in späteren polnisch-litauischen
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Dzieje (wie Anm. 11). - JORATE KIAUPIENE: The Grand Duchy of Lithuania in East Central Europe or once again about the Lithuanian-Polish Union. In: Lithuanian Historical Studies 2 ( 1 9 9 7 ) , S. 5 6 - 7 1 . Deutsche Historiker haben verschiedentlich Aspekte dieses Verhältnisses vor dem Hintergrund der Ordensgeschichte untersucht, doch reichte ihr Interesse bisher nicht über den Zweiten Thorner Frieden ( 1 4 6 6 ) hinaus; vgl. MECISLOVAS JUCAS: Lietuvos ir Lenkijos unija (XIV a. vid. - XIX a. pr.) [Die Union Litauens und Polens (Mitte 14. - Anfang 19. Jh.)]. Vilnius 2 0 0 0 , S. 3 5 - 4 4 . - ARTHUR HERMANN: Historische Litauenforschung in der Bundesrepublik Deutschland, 1 9 4 5 - 1 9 9 2 . In: NORBERT ANGERMANN, JOACHIM TAUBER (Hg.), Deutschland und Litauen. Bestandsaufnahmen und Aufgaben der historischen Forschung. Lüneburg 1995,
37
Vgl. LEOPOLD VON RANKE: Weltgeschichte, Bd. 4. 3. Aufl., Leipzig 1910, S. 452 f.: „Wie durch das siegreiche Vordringen der Osmanen im illyrischen Dreieck das Schicksal des südöstlichen Europas auf Jahrhunderte hinaus bestimmt ward, so kommt für den Nordosten des Erdteils nahezu die gleiche Bedeutung jener durch die jagellonische Ehe bewirkten Verbindung von Polen und Litauen zu." Vgl. JONAS DAINAUSKAS: Autentycznosö aktu krewskiego [Die Authentizität des Aktes von Krewo]. In: Lituano-Slavica Posnaniensia 2 ( 1 9 8 7 ) , S. 1 2 5 - 1 4 2 (Kommentar der Redaktion S. 1 4 2 - 1 4 4 ) . - JORATE KIAUPIENE: 1 3 8 5 m. rugpjüöio 14 d. aktas Lietuvos-Lenkijos uniju istorijoje ir istoriografijoje (Problemos formulavimas) [Der Akt vom 14. August 1385 in Geschichte und Geschichtsschreibung der Unionen Litauens und Polens. (Problemformulierung)]. In: ZIGMANTAS KIAUPA, ARTURAS MICKIEVICIUS, JOLITA SARCEVICIENFI (Hg.), Lietuvos valstybe XII-XVIII a. Vilnius 1 9 9 7 , S. 2 4 7 - 2 7 0 . Vgl. BLASZCZYK, Dzieje (wie Anm. 11), S. 2 5 2 - 2 5 8 , S. 2 6 5 - 2 6 7 ; JUCAS (wie Anm. 36), S. 110 (ohne Kenntnis der Ausführungen Kiaupien6s [wie Anm. 3 8 ] ) . - MARIA KOCZERSKA: Autentyczno§6 dokumentu unii krewskiej 1 3 8 5 roku [Die Authentizität des Dokumentes der Union von Krewo 1 3 8 5 ] . In: Kwartalnik Historyczny 9 9 ( 1 9 9 2 ) , S. 5 9 - 8 0 (mit textkritischen Bemerkungen). Akta unji (wie Anm. 20), S. 2.
BLASZCZYK,
S. 8 1 - 1 0 0 .
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Abkommen - übliche Synonymreihung steht. Intertextuell ließen sich ebenfalls bisher nur wenige Beispiele vergleichbarer Verwendung ermitteln. Ein solcher Zufallsfund veranlaßte Oskar Halecki, früher vertretene Auffassungen einer Inkorporation Litauens in Polen zu revidieren und in Analogie zum Sprachgebrauch der ungarischen Kanzlei von einer Lehnsabhängigkeit auszugehen.41 Der Rechtshistoriker Stanislaw Kutrzeba, auch als Mitherausgeber der einschlägigen Quellenedition ausgewiesen, sprach dagegen dem Wort ,applicare' die Bedeutung eines juristischen Terminus ab.42 Eben eine solche Unbestimmtheit lag nach Auffassung von Henryk Paszkiewicz auch in Jagiellos Interesse.43 Da direkte Zeugnisse über die Intentionen der Vertragsparteien fehlen, stellt sich zunächst die Frage nach dem möglichen Rechtsverständnis der Parteien. Eine Argumentation mit den Kategorien von öffentlichem Recht und Privatrecht, wie sie in der polnischen Literatur anzutreffen ist, erscheint wenig sinnvoll, da sich eine solche Differenzierung auch im westlichen Europa nicht vor Ende des 18. Jahrhunderts einzubürgern begann.44 Von den zeitgenössischen Rechtsformen, die für das polnisch-litauische Verhältnis von Bedeutung gewesen sein können, ist an erster Stelle das von Halecki bemühte Lehnsrecht zu nennen. Wie bereits angedeutet, entsprach das Verhältnis der russischen Teilfürsten zum litauischen Großfürsten nur bedingt den in Westeuropa üblichen Normen. Unterschiede lagen unter anderem in einer obligatorischen Abgabe (poddanMna) an den Herrscher sowie in einer unbeschränkten Verpflichtung nicht nur zum Kriegsdienst, sondern auch zu anderen Dienstleistungen jeglicher Art, was im Vergleich etwa zu Reichslehenträgern eine wesenüich schwächere Stellung des litauischen Vasallen zum Ausdruck bringt.45 41
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Vgl. OSKAR HALECKI: Przyczynki genealogiczne do dziejow ukladu krewskiego. In: Miesiecznik Heraldyczny 14 (1935), S. 97-111. - Weitere Belege bei LOWMIANSKI, Wcielenie (wie Anm. 18), S. 41-53. Vgl. STANISLAW KUTRZEBA: Charakter prawny zwiazku Litwy Ζ Polska 1385-1569 [Der rechtliche Charakter der Verbindung Polens und Litauens 1385-1569]. In: Pamietnik VI powszechnego zjazdu historyköw polskich w Wilnie 17-20 wrzeSnia 1935 r., Bd. 1. Lwöw 1935, S. 165-173, hier S. 166. HENRYK PASZKIEWICZ: W sprawie inkorporacji Litwy do Polski w 80-ch latach XIV w. Ζ powodu pracy Prof. dr. H. Lowmianskiego „Wcielenie Litwy do Polski w 1386 roku" [Zur Frage einer Inkorporation Litauens in Polen in den 80er Jahren des 14. Jh.s. Anmerkungen zu H. Lowmianskis „Die Inkorporation Litauens in Polen 1386"]. Warszawa 1938, S. 18 f. In diesem Sinne auch STEPHEN C. ROWELL: Forging a Union? Some Reflections on the Early Jagiellonian Monarchy. In: Lithuanian Historical Studies 1 (1996), S. 6-21, hier S. 10. Vgl. den Diskussionsbericht von MICHAEL STOLLEIS in: JOHANNES KUNISCH (Hg.), Der dynastische Fürstenstaat. Zur Bedeutung von Sukzessionsordnungen für die Entstehung des ftühmodernen Staates. Berlin 1982 (Historische Forschungen, 21), S. 81-86, hier S. 85. Vgl. BALZER (wie Anm. 16), passim. - BERND DIESTELKAMP: Lehnrecht und spätmittelalterliche Territorien. In: HANS PATZE (Hg.), Der deutsche Territorialstaat im 14. Jahrhundert. Sigmaringen 1970 (Vorträge und Forschungen, 13),
Die Beziehungen
zwischen
Polen und Litauen im historischen
Wandel
143
Das Verhältnis von autochthoner Entwicklung und Rezeption westlicher Modelle ist in der Region im Rahmen allgemeiner Feudalismus-Debatten diskutiert worden. Dabei hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, daß sich bei Slaven und Balten ungeachtet einzelner Ansätze ein Lehnswesen im westlichen Sinne nicht hat herausbilden können.46 Seine zwei Komponenten, die personale und die dingliche, sind im einzelnen durchaus anzutreffen, ohne jedoch in einem zwingenden Bezug zueinander zu stehen. Vasallen ohne Beneficium lassen sich ebenso nachweisen wie Landverleihungen ohne Begründung eines persönlichen Treueverhältnisses im engeren Sinne. Was fehlte, war insbesondere die Koppelung von Landverleihung und Militärdienstpflicht dem direkten Lehnsherrn gegenüber.47 Die Übernahme westlicher Begriffe in der Quellensprache (feudum, poln. lenno) darf über Unterschiede im Sachverhalt nicht hinwegtäuschen.
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S. 65-96. - KARL-FRIEDRICH KRIEGER: Die Lehnshoheit der deutschen Könige im Spätmittelalter (ca. 1200-1437). Aalen 1979 (Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte N. F., 23). Vgl. SLAWOMIR GAWLAS: Die Probleme des Lehnswesens und des Feudalismus aus polnischer Sicht. In: MICHAEL BORGOLTE (Hg.), Das europäische Mittelalter im Spannungsbogen des Vergleichs. Zwanzig internationale Beiträge zu Praxis, Problemen und Perspektiven der historischen Komparatistik. Berlin 2001 (Europa im Mittelalter, 1), S. 97-123. - JERZY STRZELCZYK: Die Elemente des Lehnswesens im mittelalterlichen Polen. In: HANS-HEINRICH NOLTE (Hg.), Patronage und Klientel. Ergebnisse einer polnisch-deutschen Konferenz. Köln, Wien 1989 (Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte, 29), S. 35-50. - MANFRED HELLMANN: Die polnisch-litauische Union von 1385/86. Betrachtungen zu ihrem 600jährigen Gedächtnis. In: JBfGOE 34 (1986), S. 19-34, hier S. 23 f. - OSWALD P. BACKUS. The Problem of Feudalism in Lithuania, 1506-1548. In: Slavic Review 21 (1962), S. 639-659. - HENRYK LOWMIANSKI: Zagadnienie feudalizmu w W. Ksiestwie Litewskiem [Das Problem des Feudalismus im Großfürstentum Litauen]. In: Pamietnik VI powszechnego zjazdu historykow polskich w Wilnie 17-20 wrzesnia 1935 r., Bd. 1. Lwöw 1935, S. 209-219. - Iwo JAWORSKI: Zagadnienie feudalizmu litewskiego i zachodniego [Das Problem des litauischen und des westlichen Feudalismus], ebd., S. 220-227. - Diskussion beider Vorträge ebd., Bd. 2, S. 89-97 sowie von KAZIMIERZ TYMIENICKI: Wplywy feodalne w Polsce i na Litwie. Uwagi do dyskusji na VI Zjezdzie historykow polskich w Wilnie [Feudale Einflüsse in Polen und Litauen. Anmerkungen zur Diskussion auf dem 6. polnischen Historikertag in Wilna]. In: Ateneum Wileriskie 11 (1936), S. 98-116. - EDVARDAS GUDAVICIUS: Mindaugas. Vilnius 1998, S. 87-95. HENADZ' SAHANOVIC: U poSukach Sjarednjaveööa [Auf der Suche nach dem Mittelalter]. In: Belaruski Histaryöny Ahljad4 (1997), S. 3-17, hier S. 15-17. Daß es sich eher um quantitative als qualitative Unterschiede handelt, zeigt die erstmals 1933 publizierte Studie von HEINRICH MITTEIS: Lehnrecht und Staatsgewalt. Untersuchungen zur mittelalterlichen Verfassungsgeschichte. Darmstadt 1958 [Neudruck], S. 519, der in bezug auf westliche Verhältnisse feststellte: „Noch im Hochmittelalter gibt es unbelehnte Vasallen und Lehen ohne persönliche Verpflichtung. [...] Vasallität und Benefizium waren niemals und nirgends zwangsläufig miteinander verbunden."
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Auch Henryk Lowmianski stellte den vom westlichen Modell abweichenden Charakter der polnischen-litauischen Herrschaftsstrukturen heraus. Zugleich argumentierte er jedoch, daß sich Ende des 14. Jahrhunderts die Rezeption des westeuropäischen Lehnswesen in der Region intensiviert hätte und der Akt von Krewo nach Art eines aufgetragenes Lehens, eines feudum oblatum, umgesetzt worden sei.48 Ahnlich sprach Gotthold Rhode von einem „Lehnsverhältnis besonderer Art". 49 In ein solches Rechtssystem würden sich die überlieferten Huldigungen russischer Teilfürsten organisch einfügen. Unter Drohung des Verlustes von Amt und Besitz waren sie gehalten, Jagiello, Jadwiga und der corona regni Poloniae ihre Treue zu versichern.50 Hier wie in anderen Rechtsakten erscheint das königliche Paar als gleichberechtigte Repräsentanten der Krone Polen (nicht jedoch des Großfürstentums). Das Verhältnis Litauens zu Polen ist daher auch mit demjenigen zwischen Morgengabe und Mitgift verglichen worden, ohne daß sich hieraus allerdings Erkenntnisse rechtlicher Natur ableiten ließen. Gesicherte Angaben über den Umfang der Hedwig vermachten Besitzungen fehlen, doch haben sie auf jeden Fall nur einen kleinen Teil des Großfürstentums ausgemacht.51 Schlüssiger erscheint eine Analogie zu einer anderen Form litauischen Rechtes. Danach wurde ein Bräutigam, der sich eine Alleinerbin zur Frau nahm, von seinen Schwiegereltern adoptiert. Juliusz Bardach verweist auf einen entsprechenden Passus im Dokument von Krewo. Die Verpflichtungen, die Jagiello auf sich nimmt, werden mit der Erwartung verbunden, daß ihn die Königinmutter suscipiat [...] infilium.52 Auch hier tritt die Tendenz der Forschung zutage, sich von der Fixierung der älteren Literatur auf den modernen staatsrechtlichen Begriff der Inkorporation zu lösen.53 In der innerpolnischen Diskussion ist eine Unterscheidung zwischen .direkter' und .indirekter' Inkorporation eingeführt worden, was in etwa deqenigen zwischen einer .vollkommenen' und .unvollkommenen' Union entspricht; Lehnsabhängigkeit würde unter die zweite Kategorie fallen. Ohnehin ist zu berücksichtigen, daß selbst eine Inkorporation im klassischen Sinne den
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Wcielenie (wie Anm. 18), S. 53-67. Ostgrenze (wie Anm. 17), S. 323. Vgl. Akta unji (wie Anm. 20), S. 13 f. - Der Erneuerung des Eides bei Wechsel des „Lehnsherrn" stand keine Verpflichtung desselben gegenüber, die Investitur zu wiederholen. Vgl. JULIUSZ BARDACH: Krewo i Lublin. Ζ problemöw unii polsko-litewskiej [Krewo und Lublin. Zu den Problemen der polnisch-litauischen Union]. In: DERS., Studia Ζ ustroju i prawa Wielkiego Ksiestwa Litewskiego XIV-XVII w. (Prace Bialostockiego Towarzystwa Naukowego, 13), S. 11-67, hier S. 29. BARDACH, Krewo (wie Anm. 51), S. 28. Ihm folgend STEPHEN C. ROWELL: Forging a Union (wie Anm. 43) S. 9, der allerdings den interpretatorischen Schritt von der Adoption zur Inkorporation nicht nachvollzieht. Vgl. BARDACH, Krewo (wie Anm. 51), S. 25. LOWMIANSKI, RHODE,
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145
mehrstufigen Aufbau des Großfürstentums zunächst nicht angetastet hätte.54 Die Forschung tendiert somit mehrheitlich zu der Auffassung, daß ein Aufgehen des Großflirstentums in der Krone Polen intendiert war,55 der Akt von Krewo selbst jedoch noch keine Staatenverbindung begründete. Vielmehr handelte es sich zunächst um einen Heiratsvertrag, zu dem Absprachen politischer Natur gehörten, was ihn in die Nähe einer Wahlkapitulation rückte.56 Welchen rechtlichen Charakter die Union im folgenden annahm, kann nur aus einer Reihe von Indizien geschlossen werden. Auffällig ist, daß Jagiello nach der Krönung 1386 letztmalig sein altes Siegel (iagal dey gracia rex in lettow) mit der Reiterdarstellung benutzte und danach auch rein litauische Angelegenheiten betreffende Schriftstücke nur mit einem neuen Majestätssiegel (Wladislaus Dei gra[tia] Rex Poloniae [...] Litwaniae p[ü]nceps i«p[re]/n[us] [...]) beurkundete.57 Beispiele aus jenem Bereich haben sich allerdings zu wenig erhalten, als daß sich auf sphragistischer Grundlage das polnisch-litauische Verhältnis systematisch nachzeichnen ließe.58 Dafür läßt die dichtere Urkundenüberlieferung eine allmähliche Aufwertung des Großflirstentums erkennen. Ablesbar ist sie an der Stellung des höchsten weltlichen Würdenträgers im Land. Wäre Litauen als Provinz in die Krone Polen aufgegangen, hätten Skirgieöo und Witold allein als Statthalter fungiert. Die Formulierung, mit der Jagiello das Verhältnis zu seinen Bruder beschrieben hat (Lithvaniam dirigendo destinavimus), scheint daraufhinzuweisen.59 Demgegenüber spricht Pfitzner von einer .großfürstenähnlichen' Stellung Skirgiettos beziehungsweise einer anfänglichen .Zwitterstellung' Witolds, da diese den Teilfiirsten gegenüber nicht wie Statthalter, sondern wie Großfürsten aufgetreten seien, auch wenn sie ihre Macht letztlich nur übertragen bekommen hätten.60 Im Laufe der Entwicklung trat der Charakter einer abhängigen Stellung jedoch immer stärker zurück. Witold, der sich vorübergehend mit dem Deutschen Orden verbündet hatte, wurde 1392 nach einem Treuegelöbnis Jagiello, Hedwig und der Krone Polen 54
V g l . PFITZNER ( w i e A n m . 18), S. 101.
55
BLASZCZYK, Dzieje (wie Anm. 11), S. 250-252.
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S o PFITZNER ( w i e A n m . 18), S. 9 7 .
57
Vgl. LOWMIANSKI, Wcielenie (wie Anm. 18), S. 102, dem Paszkiewicz (wie Anm. 43), S. 8-13, kein Argument entgegenzusetzen vermochte. Eine dort als Desiderat bezeichnete Studie zur Kanzlei Jagiellos liegt mittlerweile vor, welche einseitig die Inkorporationsthese vertritt: JADWIGA KRZYZANIAKOWA: Kancelaria Krölewska Wladyslawa Jagieüy. Studium ζ dziejöw kultury politycznej Polski w XV wieku [Die königliche Kanzlei Wladyslaw-Jagiellos. Studien zur politischen Kultur Polens im 15. Jh.]. Poznan 1972 (Uniwersytet im. Adama Mickiewicza w Poznaniu. Wydzial Filozoficzno-Historyczny. Seria Historia, 56). Vgl. M[ARIAN] GUMOWSKI: Pieczecie ksiazat litewskich [Das Siegel der litauischen Fürsten], In: Ateneum WileÄskie 7 (1930), S. 684-725. Vgl. JuCAS (wie Anm. 36), S. 137. Vgl. PFITZNER (wie Anm. 18), S. 103-105.
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gegenüber als dux Lithuaniae anerkannt und erhielt seine hereditas et Patrimonium zurück,61 1398 auch den übrigen Teil des Großfürstentums. Folgenlos blieb dagegen eine Ausrufung Witolds zum König durch seine Bojaren 1398. Politisch um so bedeutsamer waren die Verträge von Wilna und Radom 1401, in denen Jagiello seinem Vetter auf Lebenszeit in partem suae sollicitudinis assumpsit supremumque principatum terrarum suarum Littwaniae et caeterorum dominiorum suorum ducatus de manu sua [...] dedit. Während der letzte Teil des Zitats offenkundig einen Ausdruck des Lehnsrechtes bemüht, weist in partem sollicitudinis auf das kanonische Recht, wo es die abhängige Stellung eines Bischofs im Verhältnis zum Papst bezeichnet.62 Während sich Witold 1401 noch einverstanden erklären mußte, daß Litauen nach seinem Tod an die Krone Polen zurückfällt, bekam er 1413 in Horodto zugestanden, daß ihm auch ein von den Litauern gewählter Großfürst nachfolgen konnte. Umgekehrt war für den Fall, daß Jagiello ohne Erben sterben würde, bei der Wahl eines Nachfolgers die vorherige litauische Zustimmung zur Bedingimg gemacht worden. Der Passus bedeutete eine Aufwertung nicht nur Litauens, sondern auch des ihn repräsentierenden großfürstlichen Rats. Gleichwohl bezeichnete Jagieüo sein Verhältnis zu den Gebieten des Großfiirstentums mit der Synonymreihung regno nostrae Poloniae appropriavimus, incorporavimus, coniunximus, univimus, adiunximus, confoederavimus und bekräftigte dies durch eine Wiederholung der Verben im Präsens.63 Eben gegen haec incorporamus, invisceramus, appropriamus wandten sich die Vertreter Litauens, als auf einem gemeinsamen polnisch-litauischen Sejm 1448 eine Neufassung der Union verhandelt wurde. Vergeblich verlangten sie seine Ersetzung durch societas et liga,64 Die Forschung ist sich heute einig, hierin in erster Linie einen Ausdruck litauischen Selbstbewußtseins zu sehen. Was die inkriminierten Formulierungen anbelangt, so kann die Rückschau des Herrschers mit Sicherheit nicht als authentische Interpretation des Aktes von Krewo gelten; die Wiederholung dieses Anspruches wirkt im Lichte der inhaltlichen Zugeständnisse Jagietlos als Beschwörung einer leeren Rechtsposition. Selbst über jene in Horodlo geschlossene Abmachung vermochte sich die litauische Seite hinwegzusetzen, als sie 1440 ohne Absprache mit Polen Kasimir (Jagielloüczyk) zum Großfürsten proklamierte. Die sieben Jahre bis zu seiner Krönung in Krakau regierte er, ohne ein förmliches Verhältnis zu Polen einzugehen. Wenn dieser Schritt nach der klassischen Staatsrechtslehre auch einen Bruch der Union bedeutete, muß eine derartige Interpretation nicht zwangsläufig auch dem zeitgenössischen Verständnis entsprochen haben. An den Distinktionen zumindest änderte sich unter Jagiellos Söhnen nichts. Kasimir nahm für sich nicht mehr als den Titel eines magnus dux in Anspruch und wurde als solcher
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Akta unji (wie Anm. 20), S. 26 f. Akta unji (wie Anm. 20), S. 35; vgl. KUTRZEBA, Charakter (wie Anm. 42), S. 168. Akta unji (wie Anm. 20), S. 63 f. Vgl. BARDACH, Krewo (wie Anm. 51), S. 43.
Die Beziehungen zwischen Polen und Litauen im historischen
Wandel
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auch von seinem Bruder Wladyslaw III. anerkannt, welcher wiederum wie schon Jagiello den Titel eines supremus dux Lithuaniae führte.65 Der Königskrönung Kasimirs (IV.) ging das polnisch-litauische Abkommen von Brest-Litowsk 1446 voraus, das nicht mehr wie in Horodlo ein Abhängigkeitsverhältnis, sondern Gemeinsamkeiten zweier gleichberechtigter Länder als eine unio caritatis beschwor (in unam fraternam unionem uinximus, copulavimus et anneximus) ,66 Selbst polnische Historiker der älteren Generation glaubten ab diesem Zeitpunkt nicht länger von eine Inkorporation Litauens sprecchen zu können.67 Ohne diese Einschätzung widerlegen zu wollen, hat Stephen C. Rowell in seiner jüngsten Studie doch herausgestellt, daß es Kasimir in erster Linie um seine persönliche Stellung im Familienverband der Gediminiden gegangen sei: „It is in patrimony, not patriotism that the key to understanding the mid-fifteenthcentury pluralistic Grand Duchy and Lithuano-Polish relations [...] lies".68 Die in Brest-Litowsk vereinbarte Personalunion wurde durch den Tod des Monarchen 1492 unterbrochen und erst 1501 erneuert.69 Der im selben Jahr ausgehandelte Vertrag von Mielnik blieb, da von litauischer Seite nicht ratifiziert, zunächst folgenlos. Inhaltlich und formal nahm er jedoch bereits wesentliche Passagen des Abkommens von Lublin vorweg.70 Was die rechtliche Bewertung dieser Verbindung anbelangt, so hat sich anders als im Falle des Aktes von Krewo ein gewisser Konsens in der Forschung herausgebildet. Dabei fällt es polnischen Autoren vielfach heute noch schwer, sich von der Faszination des Pathos zu befreien, das Artikel 3 des Unionsvertrages ausstrahlt. In Anlehnung an Artikel 1 des lateinischen Dokumentes von Mielnik stellt die
65
Vgl. JELLINEK (wie Anm. 4), S. 218 f.; in diesem Sinne auch BRONIUS DUNDULIS: Lietuvos kova del valstybinio savarankiäkumo XV amziuje, [Litauens Kampf um staatliche Eigenständigkeit im 15. Jh.], 2. Aufl., Vilnius 1993 ['1968], S. 176. Anders ROWELL: 1446 and all that. In: IRENA VALIKONYTE (Hg.), Lietuva ir jos kaimynai. Nuo normamj iki Napoleono. Prof. Broniaus Dundulio atminimui. Vilnius 2001, 189-207, hier S. 202. - Vgl. auch DERS.: Casimir Jagielloüczyk and the polish gamble, 1445-7. In: Lithuanian Historical Studies 4 (1999), S. 7-39.
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V g l . JUCAS ( w i e A n m . 3 6 ) , S. 1 7 4 .
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V g l . JUCAS ( w i e A n m . 3 6 ) , S. 8 4 .
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ROWELL, Casimir Jagielloüczyk (wie Anm. 65), S. 39. Diese These stützt nicht zuletzt, daß als Aussteller auf litauischer Seite noch im 15. Jahrhundert eine große Zahl von Familienangehörigen namentlich aufgeführt wird; vgl. BARDACH, Krewo (wie Anm. 51), S. 41. Vgl. allgemein zum Zeitraum KRZYSZTOF PIETKIEWICZ: Wielkie Ksiestwo Litewskie pod rzadami Aleksandra Jagielloriczyka. Studia nad dziejami panstwa i spoleczenstwa na przelomie XV i XVI wieku [Das Großfiirstentum Litauen unter der Regierung Alexander Jagielloüczyks. Studien zur Geschichte von Staat und Gesellschaft an der Wende vom 15. zum 16. Jh.]. Poznan 1995 (Uniwersytet im. Adama Mickiewicza w Poznaniu. Studia Historica, 185). Vgl. Akta unji (wie Anm. 20), S. 331-373.
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polnischsprachige Urkunde von 1569 fest, die Krone Polen und das Großfürstentum Litauen seien nun „ein einziger unteilbarer und gleicher Körper; gleich und eins ist auch die gemeinsame Republik, die sich aus zwei Staaten und Völkern zu einer Nation zusammengefügt und verbunden hat". 71 Führende Vertreter des Großfürstentums und später litauische Historiker beriefen sich dagegen auf die nachfolgenden Artikel (insbesondere 9 und 15), welche die verbrieften Rechte Litauens bestätigten.72 Eine textimmanente Interpretation des Vertrages bereitet somit Probleme, vor allem, wenn Widerspruchsfreiheit und eine in sich schlüssige Logik vorausgesetzt werden und der Text nicht als das genommen wird, was er verkörpert: die Momentaufnahme eines nach hartem Ringen erzielten Kompromisses.73 Im Kontext polnisch-litauischen Interessenausgleichs ist auch das Dritte Litauische Statut von 1588 zu sehen. Stillschweigend nahm das vom König bestätigte Werk Teile des Vertrags von Lublin zurück. Wie schon sein Vorgänger, das Erste Statut von 1529,74 ging es auf die Frage einer Staatenverbindung mit Polen nicht direkt ein. Die in Lublin postulierte Gleichstellung der Bürger beider Staaten (Artikel 14) wurde nicht nur nicht eingelöst, sondern es wurden im Gegenteil Privilegien für Litauer festgeschrieben. Das Statut stärkte die Stellung des Großfürstentums, indem Amt und Besitz an das Indigenat geknüpft wurden (Teil III, Artikel 12).75 Auch wenn es manche Verpflichtung des Großfürstentums wie diejenige einer Rechtsangleichung zugunsten von Bewohnern der Krone zurücknahm, traf es konkrete Regelungen im Hinblick auf die Funktionsweise der Union. So sollten einem Wahlreichstag in einem bestimmten zeitlichen Abstand Ständeversammlungen im Großfürstentum vorausgehen. Selbst die Institution eines litauischen Generallandtages, die im Vertrag von Lublin ausdrücklich für abgeschafft erklärt worden war (Art. 8, 16), erfuhr nun ihre Sanktionierung (Teil III,
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Akta unji (wie Anm. 20), S. 343: Iz juz Krolestwo polskie i Wielkie Ksiestwo litewskie jest jedno nierozdzielne i nierozne dato, a takze nierozm ale jedna spolna Rzeczpospolita, ktora sie ze dwu panstw i narodow w jeden lud zniosla i spoila. Vgl. den Passus im Dokument von Mielnik (ebd., S. 144): [...] quod regnum Poloniae et magnus ducatus Lithvaniae uniantur et conglutinentur in unum et indivisum corpus, ut sit una gens, unuspopulus [...]. Vgl. 2MUIDZINAS (wie Anm. 23), S. 211-218. - BARDACH, Krewo (wie Anm. 51), S. 56. Vgl. HARRY E. DEMBKOWSKI: The Union of Lublin. Polish Federalism in the Golden Age. New York 1982 (East European Monographs, 116). - ZMUIDZINAS (wie Anm. 23), passim. Vgl. Pirmasis Lietuvos Statutas [Das Erste Litauische Statut], hg. v. S. Lazutka, Ε . Gudavidius u. a., 2 Bde. Vilnius 1 9 8 3 ff. - IRENA VALIKONYTE, STANISLOVAS LAZUTKA, EDVÄRDAS GUDAVICIUS: Pirmasis Lietuvos Statutas. Vilnius 2 0 0 1 . Vgl. Akta unji (wie Anm. 20), S. 369 und IVAN I. LAPPO (Hg.): 1588 mety Lietuvos statutas [Das Litauische Statut von 1588], Bd. 1-2. Kaunas 1934-1938, hier Bd. 1, Teil 2, S. 109-111 (Kommentar) und Bd. 2, S. 129 f. (Text).
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Art. 6 und 8). Wenn das Dritte Litauische Statut die Position des Großfürstentums gegenüber der Krone Polen auch zweifellos stärkte, bedeutete es doch keine Aufhebung der Staatenverbindung.76 Vielmehr beließ es den Charakter der 1569 geschlossenen Vertragsgemeinschaft, welche die Personalunion zu einer Realunion erweiterte. Ältere Auffassungen, wonach in Lublin eine Inkorporation Litauens besiegelt wurde, müssen als überholt gelten.77 Nicht in ihrem rechtlichen Charakter, sondern in ihren historischen Auswirkungen kontrovers diskutiert worden ist die dynastische Verbindung der Adelsrepublik mit Sachsen zwischen 1697 und 1763, dem klassischen Fall einer Personalunion.78 Eine neue Sichtweise beginnt sich dagegen auf die letzte Phase der polnischlitauischen Union durchzusetzen. Wiederentdeckt worden ist die grundlegende, außerhalb Litauens lange Zeit unbeachtet gebliebene Studie von Adolfas Sapoka.79 Sie erbringt den Nachweis, daß die „gegenseitige Bürgschaft beider Nationen" vom 20./22. Oktober 1791 die Position Litauens im Verhältnis zur Krone festigte.80 Daß die letzte förmliche Regelung jener Staatenbeziehung so 76
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Vgl. JULIUSZ BARDACH: LitewskoSd w paüstwowoSci i systemie prawa Wielkiego Ksiestwa w XVI-XVIII stuleciach [Das Litauische in Staatswesen und Rechtssystem des Großfürstentums vom 1 6 . - 1 8 . Jh.]. In: ALFREDAS BUMBLAUSKAS, RIMVYDAS PETRAUSKAS (Hg.), Tarp istorijos ir bütoves. Studijos prof. Edvardo Gudaviöiaus 70-meöiui. Vilnius 1999, S. 349-366, hier S. 353-355. Vgl. JELLINEK (wie Anm. 4 ) , S. 8 4 f. - FRÖSCHL, Confoederationes (wie Anm. 6 ) , S. 3 8 . - In diesem Sinne auch GRZEGORZ BLASZCZYK: Rzeczpospolita w latach 1569-1795. Weztowe problemy stosunköw polsko-litewskich [Die Adelsrepublik 1569-1795. Schlüsselprobleme der polnisch-litauischen Beziehungen]. In: Zapiski Historyczne 4 3 ( 1 9 9 8 ) , S. 5 9 - 8 0 , hier S. 5 9 f. - STASYS VANSEVICIUS: Feodalines Lietuvos valstybingumas po Liublino unijos [Die Staatlichkeit des feudalen Litauen nach der Lubliner Union]. Vilnius 1988, passim. Vgl. die Publikationen zum Jubiläumsjahr 1997: Sachsen und Polen zwischen 1697 und 1765. Beiträge der wissenschaftlichen Konferenz vom 26. bis 28. Juni 1 9 9 7 in Dresden (Saxonia, 4 / 5 ) . Dresden 1 9 9 8 . - ANDRZEJ K. LINKLENCZOWSKI, MARIUSZ MARKIEWICZ (Hg.): Rzeczpospolita wielu narodöw i jej tradycje. Materialy ζ konferencji „Trzysta lat od poczatku unii polsko-saskiej. Rzeczpospolita wielu narodöw i jej tradycje", Kraköw 15-17 IX 1997 r. [Eine Republik der vielen Völker und ihre Traditionen. Erträge der Völker und ihre Traditionen"]. Kraköw 1 9 9 9 . - WERNER SCHMIDT, DIRKSYNDRAM (Hg.): Unter einer Krone. Kunst und Kultur der sächsisch-polnischen Union. Dresden 1997. ADOLFAS SAPOKA: Geguzes 3 d. Konstitucija ir Lietuva [Die Verfassung vom 3 . Mai und Litauen]. In: Lietuvos Praeitis 1 (1940), S. 137-211. Vgl. JULIUSZ BARDACH: Powröt do zrödel. Przemöwienie wygloszone 2 1 pazdziernika 1997 r. na uroczystosci nadania doktoratu honoris causa Uniwersytetu Wilenskiego [Rückkehr zu den Quellen. Rede anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde durch die Universität Wilna vom 21. Oktober 1997], In: Czasopismo Prawno-Historyczne 50 (1998), Nr. 1, S. 191-195, hier S. 194. DERS.: Konstytucja 3 maja a unia polsko-litewska [Die Verfassung vom 3. Mai und die polnisch-litauische Union]. In: Przeglad Historyczny 82 (1991),
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wenig Beachtung in der Forschung gefunden hat, erklärt sich nur zu einem Teil dadurch, daß ihr die Bewährungsprobe in der Praxis versagt bleiben mußte.81
III. Die Staatenverbindungen in der Verfassungswirklichkeit Das breite Feld symbolischer Repräsentation kann als Ausdruck politischen Willens gelten und bedeutet somit einen ersten Prüfstein für das polnisch-litauische Verhältnis, was die Umsetzung von Rechtsnormen betrifft. 82 Eine gewisse Asymmetrie war insofern vorgegeben, als es Litauen ungeachtet der Anläufe zu Zeiten Mindowes und Witolds nicht gelang, die Anerkennung als christliches Königtum zu erreichen. Beide Bezeichnungen, .Königreich Polen' und ,Großfürstentum Litauen' blieben - in den jeweiligen Amtssprachen - bis zur letzten Teilung nebeneinander bestehen. Die 1569 gebildete Staatenverbindung nannte sich offiziell „Republik zweier Nationen" (Rzeczpospolita Obojga Narodow). Erst die Maiverfassung von 1791 ersetzte diesen Namen durch,Polen'. Sie folgte damit einer Sprachentwicklung, in deren Verlauf der Begriff Polska auch unter Bewohnern des Großfürstentums zunehmend zum Synonym für den Gesamtstaat geriet.83 Das Wappen dagegen zeigte unverändert den polnischen Adler und den litauischen Reiter in Quadrierung.84 Beispiele für die symbolisch gleichwertige
S. 3 8 3 - 4 1 0 . - ARTÜRAS TERESKINAS: Reconsidering the Third of May Constitution and the Rhetoric of Polish-Lithuanian Reforms, 1 7 8 8 - 1 7 9 2 . In: Journal of Baltic Studies 2 7 ( 1 9 9 6 ) , S. 2 9 1 - 3 0 8 , hier S. 3 0 0 f. - MALEC (wie ANM. 3 0 ) , S. 8 5 - 1 3 3 . 81
HELLMANN, Grundzüge (wie Anm. 3), S. 94 erwähnt dieses Abkommen nicht einmal dem Namen nach. Vgl. auch GOTTHOLD RHODE: Geschichte Polens. Ein Überblick. 3. Aufl., Darmstadt 1980, S. 321: „Die Sonderstellung des Großfürstentums Litauen wurde in der Verfassung stillschweigend beseitigt." Ein Verweis in Anm. 15 ergänzt: „Die formelle Vereinigung erfolgte durch die .gegenseitige Bürgschaft beider Nationen' vom 2 2 . Oktober 1 7 9 1 . " Selbst Gierowski (wie Anm. 8), S. 78, betont pauschal die Bedeutung der Mai-Verfassung, die „die Verschmelzung von Polen und Litauen zu einem einheitlichen Staat proklamierte"; vgl. dagegen GRODZISKI (wie Anm. 8 ) , S. 110.
82
Vgl. ALLAN ELENIUS (Hg.): Iconography, Propaganda, and Legitimation. Oxford, New York 1998 (The Origins of the Modern State in Europe. 13TH to 18TH Centuries, G). Vgl. EWA BEM-WISNIEWSKA: Funkcjonowanie nazwy Polska w jezyku czasow nowozytnych ( 1 5 3 0 - 1 7 9 5 ) [Die Funktion des Begriffes „Polen" in der Sprache der Frühen Neuzeit ( 1 5 3 0 - 1 7 9 5 ) ] . Warszawa 1 9 9 8 (Res Humanae. Studia, 6 ) , hier vor allem S. 106 f. Vgl. STEFAN K . KUCZYNSKI (Hg.): Orzel Bialy. Herb paristwa polskiego [Der Weiße Adler. Das Wappen des polnischen Staates]. Warszawa 1 9 9 6 . - DERS.: L'Aigle Blanc - 700 ans des armoires de l'Etat polonais. In: L'Aigle et le lion dans le blason mediöval et moderne. Warszawa 1 9 9 7 , S. 2 5 - 3 8 .
83
84
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zwischen
Polen und Litauen
im historischen
Wandel
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Repräsentation beider Staatswesen lassen sich noch aus der Spätzeit der Adelsrepublik nachweisen. Als unter August III. in den Jahren 1741-1746 das Warschauer Königsschloß umgebaut wurde, erhielt es den Schmuck zweier allegorischer Frauengestalten. Die Verkörperung Litauens wurde mit einem Rutenbündel dargestellt - dem Wahrzeichen der Republik.85 Hinsichtlich der Selbstdarstellung ihres realen Repräsentanten ist nach der Union von Lublin allerdings ein Wandel zu konstatieren. Die charakteristische Pelzmütze (kolpak), als Entsprechung des Herzogshuts das Zeichen litauischer Großfürstenwürde, wurde seit Ende des 16. Jahrhunderts von keinem Herrscher mehr getragen.86 Solange er in Personalunion als König von Polen regierte, stellte sich den Eliten des Landes die Frage, inwieweit der Monarch als Sachwalter litauischer Belange auftrat, wieweit er bereit war, sich auf die Interessen des Großfürstentums einzulassen. Auf Kritik stieß eine immer seltener werdende Anwesenheit des Herrschers im Lande, welche Anlaß zur Forderung gab, der Monarch solle jedes dritte Jahr im Großfürstentum verbringen. Es gehört zu den zahlreichen Paradoxien des polnisch-litauischen Verhältnisses, daß eine überwiegende Präsenz des Monarchen in der Krone letztlich nur die Machtstellung der Magnaten festigte, die Klagen über eine Vernachlässigung ihres Landes führten. 87 Wie strikt darauf geachtet wurde, daß Handlungen des gemeinsamen Herrschers eindeutig einem der beiden Staatswesen zurechenbar blieben, läßt sich daran ablesen, daß nach Passieren der Grenze selbst die königlichen Jagdhunde durch litauische ersetzt wurden.88 Weitere Institutionen neben dem Großfürsten begannen sich in Litauen erst allmählich herauszubilden. Wichtigste Einrichtung war der großfürstliche Rat, der sich im Laufe des 15. Jahrhunderts von einem informellen Beratergremium zum Nucleus einer zentralen Verwaltung wie, in seiner erweiterten Form, zu einem Ort gesellschaftlicher Konsensbildung entwickelte.89 Seine Aufwertung erfolgte parallel zur polnisch-litauischen Annäherung. Erste Erwähnung fand er im Abkommen von Horodlo, das im Bedarfsfall bereits gemeinsame Beratungen des polnischen und litauischen Adels (conventiones et paralamenta) vorsah.
85
86
87
Vgl. JACEK STASZEWSKI: „Postanowienie wilenskie" Ζ 1701 r. i jego wptyw na unie polsko-litewska w czasach saskich [Der „Wilnaer Beschluß" von 1701 und sein Einfluss auf die polnisch-litauische Union in der Sachsenzeit]. In: Zapiski Historyczne 51 (1986), S. 83-96, hier S. 95. Vgl. WASILEWSKI, (wie Anm. 28), S. 68 f. Der Komplex litauischer symbolischer Repräsentation ist noch wenig erforscht; vgl. PERCY ERNST SCHRAMM: Herrschaftszeichen und Staatssymbolik. Beiträge zu ihrer Geschichte vom dritten bis zum sechzehnten Jahrhundert, Bd. 3. Stuttgart 1956 (Schriften der Monumenta Germaniae historica, 13/111), S. 953-962. Vgl. BARDACH, Krewo (wie Anm. 51), S. 44.
88
V g l . ZMUIDZINAS ( w i e A n m . 2 3 ) , S . 1 6 9 .
89
Vgl. LIDIA KORCZAK: Litewska rada wielkoksiazeca w XV wieku [Der litauische großfürstliche Rat im 15. Jh.], Krakow 1998 (Polska Akademia Umiejetnosci. Rozprawy Wydzialu Historyczno-Filozoficznego, 88).
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Nach dem Vertrag von Lublin, der gesamditauische Adelsversammlungen für aufgehoben erklärte, fiel dem Großfürstentum Sitz und Stimme in beiden Kammern des Sejms zu. Seine Mitgliederzahl war zeitbedingten Schwankungen unterworfen; nach einem Schlüssel von zwei Mandaten pro Kreis stellten die Litauer in der Landbotenstube lange Zeit 48 von 170 Abgeordneten, im Senat, dem Sitz der geistigen und weltlichen Würdenträger 27 von 140. Die Diskrepanz fällt ins Auge, erklärt sich im Falle der Landbotenstube aber aus einer abweichenden Verwaltungsstruktur des Großfürstentums mit seinen sehr viel größeren administrativen Einheiten. Aufgrund des Einstimmigkeitsprinzips war für eine angemessene Vertretung von Minderheitenpositionen Sorge getragen, was auch den Vertretern Litauens zugute kommen sollte. Forderungen nach einer Erhöhung ihrer Repräsentanz im Senat fanden allerdings kein Gehör. Vergeblich wurde argumentiert, bisher nicht vertretene litauische Würdenträger seien von ihrem Amt her Senatoren aus der Krone als ebenbürtig anzusehen.90 Unter den versammelten Amtsträgern besaßen Polen ohnehin immer den Vorrang vor ihren litauischen Kollegen - eine von ihrer Symbolik her nicht zu unterschätzende Asymmetrie, die Blaszczyk in ihrer Bedeutung dadurch zu minimalisieren versucht, daß er sie als eine .Verbeugung' (uklon) vor der polnischen Tradition erklärt.91 Angeführt wurde die streng hierarchische Sitzordnung des Senates vom Gnesener Erzbischof, dem Primas und Interrex, während der Bischof von Wilna als oberster Repräsentant des Großfürstentums einen Platz noch hinter dem Erzbischof von Lemberg einnehmen mußte. In dieser Rangfolge kam die Abhängigkeit Litauens auf dem Gebiet der Kirchenverfassung zum Ausdruck. Die katholische Kirche des Großfürstentums blieb dem Erzbistum Gnesen unterstellt; Versuche, ein Erzbistum Wilna zu errichten, schlugen seit Witolds Zeiten fehl. Das Maß faktischer Abhängigkeit variierte dabei. Erfolgreich verliefen Bemühungen an der Wende zum 17. Jahrhundert, die Besetzung des Bischofsstuhls mit einem Polen zu verhindern.92 Im Bereich weltlicher Institutionen kam es nach der Lubliner Union zu einer
90
V g l . BARDACH, K r e w o ( w i e A n m . 5 1 ) , S. 6 0 .
91
BLASZCZYK, R z e c z p o s p o l i t a ( w i e A n m . 7 7 ) , S . 6 0 .
92
Vgl. BLASZCZYK, Dzieje (wie Anm. 11), S. 217. - STANISLAW LITAK: Od reformacji do oäwiecenia. KoSciöl katolicki w Polsce nowozytnej [Von der Reformation zur Aufklärung. Die katholische Kirche im frühneuzeitlichen Polen]. Lublin 1994. - ZENONAS IVINSKIS: Lietuvos ir ApaJtal« Sosto santykiai amiiu begyje (iki XVIII amiiaus galo) [Die Beziehungen zwischen Litauen und dem Heiligen Stuhl im Laufe der Jahrhunderte (bis Ende des 18. Jh.)]. In: Lietuviy kataliku mokslo akademijos Suvaiiavimo darbai 4 (1961), S. 121-150.- PAULIUS JATULIS: Pastangos isteigti Lietuvos baznytine provincija nuo Mindaugo laiku [Bemühungen zur Errichtung einer litauischen Kirchenprovinz seit den Zeiten Mindaugas']. In: Lietuviu kataliku mokslo akademijos Suvaiiavimo darbai 10 (1984), S. 169-186. - MARCELI KOSMAN: Episkopat litewski w XVI-XVIII w. [Der litauische Episkopat vom 16.-18. Jh.], In: DERS., Orzet i Pogon. Ζ dziejöw polsko-litewskich. Warszawa 1992, S. 218-233.
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153
weitgehenden Angleichung beider Reichshälften. So erhielt auch das Großfürstentum 1581 ein eigenes Tribunal.93 Diese in den ersten beiden Jahrzehnten nach der Lubliner Union erfolgte Anpassung entschied letztlich über den Erfolg der Föderation. Sie schuf Strukturen, die bis Ende des 18. Jahrhunderts Bestand hatten.94 Im politischen Alltag der Adelsrepublik waren Litauer und Litauen gegenüber Polen meist im Verhältnis eins zu zwei vertreten, nur selten im Verhältnis eins zu eins. Die Drittelparität beruhte auf einer Übertragimg des Provinzproporzes. Es hatte sich eingebürgert, die beiden Provinzen Polens, Groß- und Kleinpolen bei Besetzungen von Ämtern gleichmäßig zu berücksichtigen; Litauen trat nun als dritte Provinz gleichberechtigt hinzu. Entsprechend sollte während jeder dritten Reichstagssitzung der Vorsitzende (Sejmmarschall) aus den Reihen der Litauer gewählt werden. Forderungen, jeden zweiten Sejm - anders als 1569 in Lublin vereinbart - auf dem Gebiet des Großfürstentums abzuhalten, erwiesen sich als nicht durchsetzbar. Erst 1673 erging der Beschluß, jeden dritten Reichstag auf litauischem Boden, in dem nahe der Grenze zur Krone gelegenen Grodno einzuberufen. Zu diesem Zeitpunkt hatten regionale Ständeversammlungen bereits auf Kosten des zentralen Parlaments der Adelsrepublik erheblich an Bedeutung gewonnen. Vor Plenarsitzungen fanden entgegen den Bestimmungen des Lubliner Vertrages, aber im Einklang mit dem Dritten Statut und ähnlich wie in Großund Kleinpolen Versammlungen der litauischen Landboten und Senatoren statt zunächst auf dem Gebiet des Großfürstentums, dann als sogenannte Sezessionen am Rande der Reichstage. Eine andere Form gesamtstaatlicher Ständeorganisation stellten die sogenannten Konföderationen dar, eine Parallele zu den Bünden im Reich. 95 Ungeachtet ihrer übergreifenden Zielsetzung blieben sie organisatorisch getrennt nach Krone und Großfürstentum mit jeweils eigenem Marschall an der Spitze. Sie gewannen zunehmend an Bedeutung, da auch der Sejm am Ende
93
Vgl. IWONA WIERZCHOWIECKA: Organizacja Trybunahi Gtöwnego Wielkiego Ksiestwa Litewskiego (1581-1764). Miejsce, czas, sklad sadu [Die Organisation des Haupttribunals des Großfiirstentums Litauen. Ort, Zeit, Zusammensetzung des Gerichts]. In: TADEUSZ MACIEJEWSKI (Hg.), Dzieje wymiaru sprawiedliwoSci. Koszalin 1999, S. 203-218.
94
Vgl. KLAUPA (wie Arnn. 34), S. 386.
95
Vgl. WOJCIECH STANEK: Konfederacje a ewolucja mechanizmöw walki politycznej w Rzeczypospolitej XVIII wieku [Konföderationen und die Entwicklung der Mechanismen des politischen Kampfes in der Adelsrepublik des 18. Jh.]. In: KRYSTYNA STASIEWICZ, STANISLAW ACHREMCZYK ( H g . ) , Miedzy barokiem a
oSwieceniem. Nowe spojrzenie na czasy saskie. Olsztyn 1996 (Rozprawy i Materiafy OSrodka Badan Naukowych im. Wojciecha Ketrzynskiego w Olsztynie, 147), S. 133-148.
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der Adelsrepublik immer häufiger als Konföderation zusammentrat, die Entscheidungen nach dem Mehrheitsprinzip treffen konnte.96 Die auf diese Weise 1791 verabschiedeten Verfassungsreformen hatten nicht zuletzt eine Stärkung der Exekutive zum Ziel. Sie beließen die Drittelparität nur in der gemeinsamen Polizei-Kommission, während in der Militär- und in der Schatz-Kommission Litauen die Hälfte der Sitze gewährt wurde - unter wechselndem Vorsitz eines Polen und Litauers. Einer der Schöpfer der Verfassung, Hugo Koüataj hielt aus der Rückschau eben diese Parität als bemerkenswert, wo Litauen doch an Bevölkerungszahl wie Wirtschaftskraft nicht einmal ein Drittel der Krone erreicht habe.97 Was die Funktionsweise der Staatenverbindung im politischen Alltag anbelangt, sollen als Kriterien von .Eigenständigkeit' im Sinne Steigers nur zwei Problemfelder kurz skizziert werden, auf denen litauische Handlungsfähigkeit besondere Bedeutung besaß: innerhalb der Staatenverbindung mit Polen die Herrscherwahl, außerhalb jenes Verbandes die Außenpolitik. Nicht nur bei der Ausrufung Kasimirs zum litauischen Großfürsten 1440, sondern auch bei der Wahl der letzten Jagiellonen 1506 (Sigismund I.) und 1529 (Sigismund II. August) ergriff Litauen die Initiative und stellte den Partner vor vollendete Tatsachen. Daß Polen dennoch in beiden Fällen mit der Königskrönung nachzog, zeigt, wie sehr seinen Eliten an der Union gelegen war. Als nach 1569 nur noch eine gemeinsame Wahl in Krakau erfolgen sollte, übte Litauen wiederholt Boykott und zögerte mit der Anerkennung des ohne seine Beteiligung gewählten Monarchen (Stephan Bätory 1575, Sigismund III. Wasa 1587, Michael Korybut Wisniowiecki 1669, Johann III. Sobieski 1673). Nach Artikel 3 des Lubliner Vertrages war eine Wahl jedoch auch dann gültig, wenn eine der beiden Seiten ihr fern geblieben war. So konnte Litauen weder einen Wunschkandidaten durchsetzen noch die Wahl eines unliebsamen Bewerbers verhindern. Der Machtverlust des Großfürstentums wurde nur ungenügend dadurch kompensiert, daß sich die Herrscher in der Regel bereit fanden, als Preis für eine förmliche Anerkennung litauische Privilegien noch einmal ausdrücklich zu bestätigen.98
96
V g l . GIEROWSKI ( w i e A n m . 8 ) , S . 7 5 f .
97
Vgl. BARDACH, Litewskosc (wie Anm. 76), S. 359-361. Das Verhältnis von polnischer und litauischer Steuerkraft ist bislang nur für die Anfänge der Adelsrepublik erforscht; vgl. ANNA FILIPCZAK-KOCUR: Skarb litewski za pierwszych dwu Wazöw 1587-1648 [Der litauische Staatsschatz während der ersten beiden Wasa-Könige 1587-1648], Wroclaw 1994, Anhang. - ANTANAS TYLA: Staatsund Finanzpolitik des Großfiirstentums Litauen am Ende des 16. und Anfang des 17. Jahrhunderts. In: Forschungen zur Osteuropäischen Geschichte 52 (1996), S. 29-34.
98
Vgl. MAREK SZWABA: Od ugody kiejdanskiej do „wieczystego" pokoju ζ Moskwa. Polityczne aspekty separatyzmu litewskiego w latach 1655-1686 [Vom Vertrag in Keidanen zum „Ewigen Frieden" mit Moskau. Politische Aspekte des litauischen Separatismus 1655-1686]. In: KRYSTYN MATWUOWSKI, STEFANIA
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Im Vorfeld der Wahlen zeigte sich wiederholt, daß allein schon aufgrund der geographischen Lage die Interessen der Partnerländer nicht völlig zur Dekkung zu bringen waren. Bis zur Inkorporation von Teilen des Großfiirstentums verfügte Polen über keine gemeinsame Grenze zum Moskauer Staat, und auch nach 1569 besaß sein Verhältnis zu diesem Nachbarn nicht die gleiche Bedeutung wie für Litauen. Von 1572-1658 wurde dort wiederholt eine Moskauer Kandidatur für den Thron sondiert.99 Wenn diese Versuche nicht zuletzt auch an überzogenen Forderungen russischerseits scheiterten, lassen sie doch einen gewissen Handlungsspielraum erkennen, den die Eliten des Großfiirstentums nach der Lubliner Union zu behaupten vermochten. Einen Prüfstein für das polnisch-litauische Verhältnis bilden Beziehungen zu Drittländern insbesondere im Umfeld des Aktes von Krewo.100 Zu jener Zeit befand sich Polen (seit dem Frieden von Kaiisch 1343) in einem „ewigen" Frieden mit dem Deutschen Orden, wohingegen Litauen seinen Krieg gegen diesen Nachbarn fortsetzte beziehungsweise in eigenem Namen Verhandlungen führte und Waffenstillstände Schloß. Diese Tatsache ist als Fortbestehen eines litauischen Staatswesens und gegen die These einer Inkorporation des Großfürstentums gewertet worden. So eindeutig das Recht zu Kriegs- und Friedensschlüssen zu den Attributen des modernen Staates gehört, so fraglich ist es, inwieweit dies auch für seine Vorläuferformen gilt. Lowmianski beließ es nicht bei der Feststellung, daß die Krone Polen indirekt doch am Krieg gegen den Orden beteiligt war, sondern verwies sehr viel grundsätzlicher auch auf die im zeitgenössischen Rechtsverständnis abgesicherte Praxis, die ein Gewaltmonopol
99
100
OCHMANN-STANISZEWSKA (Hg.), Studia i materiafy ζ dziejow nowozytnych. Wroclaw 1995 (Prace Historyczne, 13), S. 52-63, hier S. 56-58. Vgl. ANTANAS TYLA: The Formation of Lithuanian Eastern Policy: the Dietine of Rüdninkai, September 24-27, 1572. In: Lithuanian Historical Studies 1 (1996), S. 22-37. - MALEC (wie Anm. 30), S. 9-36. Vgl. den bezeichnenden Titel der Abhandlung von DUNDULIS (wie Anm. 65); die deutschsprachige Zusammenfassung spricht von „staatlicher Selbständigkeit" (S. 292-302 bzw. 242-248 in der 2. Aufl.); daneben DERS.: Lietuvos uzsienio politika XVI a. [Litauens Außenpolitik im 16. Jh.]. Vilnius 1971. - RITA-REGINA TRIMONIENE: Lietuvos Didzioji Kunigaikätyste ir Vidurio Europa XV-XVI a. sandüroje [Das Großfürstentum Litauen und Mitteleuropa an der Wende vom 15. zum 16. Jh.], S i a u l i a i 1996. - EGIDIJUS BANIONIS: Lietuvos Didziosios Kunigaikätystes pasiuntinybiu tarnyba XV-XVI amiiais [Der diplomatische Dienst des Großfiirstentums Litauen vom 15.-16. Jh.], Vilnius 1998. Aus weißrussischer Sicht: ULADZIMIR ILYC KANANOVIC: Dyplamatyja Vjalikaha knjastva Litoüskaha ü 1480 - perSaj överci XVI st. (adnosiny ζ Vjalikim knjastvam Maskoüskim i krymskim chanstvam). Aütareferat dysertacyi na atrymanne vuöonaj stupeni kandydata histarydnych navuk [Die Diplomatie des Großfürstentums Litauen von 1480 bis zum ersten Viertel des 16. Jh. (Beziehungen zum Großfürstentum Moskau und dem Krim-Khanat)]. Minsk 1995.
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des Staates nicht kannte und in bestimmten Fällen selbst dem einzelnen ein Widerstandsrecht zubilligte.101 Witold verpflichtete sich in zwei Erklärungen aus den Jahren 1403 und 1404, keine Abkommen mit dem Deutschen Orden ohne ausdrückliche Zustimmung Jagiellos beziehungsweise solche abzuschließen, die gegen ihn gerichtet wären.102 Das einzige von beiden Vettern zwischen 1401 und 1430 gemeinsam unterzeichnete Dokument war indes der Vertrag von Horodlo 1413, der die Stellung des Großfiirstentums bedeutend aufwertete. Im Dreizehnjährigen Krieg mit dem Orden 1454-1466 bewahrte Litauen Neutralität, doch verschob der Sieg Polens das politische Gewicht innerhalb der Union zu seinen Gunsten. Nach dem Vertrag von Lublin sollte es nur eine einzige, gemeinsame Außenpolitik geben. Häufig in der Literatur übergangen wird der genaue Wortlaut von Artikel 11, demzufolge sich das Verbot, eigene Gesandtschaften zu unterhalten, auf „wichtige Angelegenheiten" beschränkte.103 Praktisch fiel die Außenpolitik in den Geschäftsbereich der Kanzler - identische Ämter bestanden in Litauen wie in der Krone - wobei es nach 1569 zu einer pragmatischen Arbeitsteilung kam. Welcher der beiden Kanzler einen Vorgang zu bearbeiten hatte, entschied sich in der Regel nach dem Territorialprinzip. So wurde die Korrespondenz mit Moskau zu einer Domäne des litauischen Kanzlers, der entsprechende Dokumente mit dem Siegel des Großfiirstentums versah. Nach dem selben Prinzip erfolgte die Zusammenstellung von Gesandtschaften: War das Ziel Moskau, führte sie ein Litauer an. Im Laufe des 18. Jahrhunderts, als der außenpolitische Handlungsspielraum der Adelsrepublik immer geringer wurde, geriet der auswärtige Dienst zu einer Domäne sächsischer Beamter. So geschah es auch, daß Vorgänge mit Bezug zum Zarenreich in der Kronkanzlei bearbeitet wurden.104 Dabei machte sich das Phänomen einer .Dezentralisierung der Souveränität' seit Mitte des 17. Jahrhunderts gerade auch in der Außenpolitik bemerkbar. Die Initiative zu Alleingängen des Großfürstentums ging meist von den Inhabern der militärischen Gewalt, den Hetmans aus. In dieser Funktion schloß Janusz Radziwill 1655 einen Friedensvertrag mit Schweden, welcher die Union mit Polen durch eine solche mit der skandinavischen Monarchie ersetzte. Daß dieser Vertrag, unter dem Eindruck russischer Truppen im Land von zahlreichen Würdenträgern unterzeichnet, keinen Bestand hatte, ist hier weniger von Bedeu-
Wcielenie (wie Anm. 18), S. 104-119; ihm folgend BARDACH, Krewo (wie Anm. 51), S. 26 f. 102 Vgl. KUTRZEBA, Charakter (wie Anm. 42), S. 169 f. 103 Vgl. Akta unji (wie Anm. 20), S. 368: [...] zadni tez poslowie w rzeczach
101
LOWMIANSKI,
waznych 104
do obcych
stronposylani
byc nie majq
[...].
Vgl. ADOLFAS SAPOKA: Lietuva ir Lenkija po 1569 metu Liublino unijos. Ju valstybinu santykivi bruoiai [Litauen und Polen nach der Lubliner Union von 1569. Grundzüge ihrer staatlichen Beziehungen]. Kaunas 1938, S. 161-186. GIEROWSKI, ( w i e A n m . 8), S. 7 6 .
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tung als der Umstand, daß Litauen als vertragsschließende Partei von Schweden anerkannt wurde.105 Auch die Tatsache, daß auswärtige Mächte wie Österreich Ende des 17. Jahrhunderts durch eigene Gesandte vertreten waren, spricht für die internationale Bedeutung des Großfiirstentums.106 Zweifellos handelte es sich hier um eine Grauzone, da der Lubliner Vertrag den Parteien ein individuelles ius legationis ja nicht grundsätzlich entzogen, sondern lediglich seine Ausübung eingeschränkt hatte. Der in diesem Zusammenhang tradierte Begriff des Separatismus wird heute mit Zurückhaltung gebraucht. Polnische wie litauische Historiker ziehen es vor, von Partikularismus zu sprechen, um Versuche zur Durchsetzung litauischer Interessen im Rahmen der Adelsrepublik zu bezeichnen und reservieren den Begriff des .Separatismus' für Bestrebungen, diese Verbindung zu lösen. Allenfalls werden hierzu noch Aktionen gerechnet, die nicht explizit eine Auflösung der Union zum Ziel hatten, gleichwohl aber eine Verletzung ihrer rechtlichen Grundlage darstellten.107 Wo hier im einzelnen die Grenzen zu ziehen waren, wurde bereits von den Zeitgenossen kontrovers diskutiert. Aus heutiger Sicht nicht zu übersehen ist das Phänomen territorial übergreifender polnisch-litauischer Interessenkoalitionen. Handelte es sich im Umfeld der Lubliner Union noch um ein sozial definiertes Zweckbündnis des mittleren Adels, beherrschten Ende des 17. Jahrhunderts rivalisierende Magnatenfamilien die politische Bühne, die über prinzipiell ähnlich strukturierte Klientelnetze verfügten. Familien wie die Radziwills agierten darüber hinaus auch auf internationalem Parkett.108 Ihre Berufung auf Interessen des Großfürstentums relativiert sich vor diesem Hintergrund, ohne jedoch als bloßes taktisches Element in
105
106
107
Zu den bis heute umstrittenen Ereignissen vgl. aus national-litauischer Sicht die umfassende Studie von ADOLFAS SAPOKA: 1655 metii Kedainiu sutartis, arba Svedai Lietuvoje 1655-1656 metais [Der Vertrag von Keidanen 1655 oder die Schweden in Litauen 1655-56]. Vilnius 1990. Bemüht um ein ausgewogenes Urteil die jüngste, sogleich ins Litauische übersetzte Biographie von HENRYK WLSNER: Janusz Radziwitt 1612-1655. Wojewoda wilenski, hetman wielki litewski [Wojewode von Wilna, litauischer Großhetman]. Warszawa 2000. Vgl. auch VAIDA KAMUNTAVICIENS: JonuSas Radvila: ISdavikas ar tevynes myletojas? [Verräter oder Patriot?]. In: Naujasis iidinys - Aidai, 1999, S. 550-553. Vgl. GINTAUTAS SLIESORIÜNAS: Lietuvos Didfioji KunigaikStyste vidaus karo iSvakartse. Didikii grupuodiu kova 1690-1697 m. [Das Großfürstentum Litauen am Vorabend des Bürgerkriegs. Der Kampf der Magnaten-Gruppierungen 1690-1697], Vilnius 2000, S. 94 f. Vgl. WASILEWSKI (wie Arnn. 28), S. 73. - ANDRZEJ B. ZAKRZEWSKI: Paradoksy
unifikacji prawa i ustroju Wielkiego Ksiestwa Litewskiego i Korony XVI-XVIII w. [Paradoxien der Vereinheitlichung von Recht und Staatsaufbau des Großfürstentums Litauen und der Krone vom 16.-18. Jh.]. In: Czasopismo PrawnoHistoryczne 51 (1999), S. 219-238, hier S. 235. - JUCAS (wie Anm. 36), S. 368. - Sliesoriünas, Lietuvos (wie Anm. 106), S. 200, 203 f. 108 Vgl. SLIESORIÜNAS, Lietuvos (wie Anm. 106), passim.
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innenpolitischen Auseinandersetzungen der Adelsrepublik abgetan werden zu können. Zahlreich sind über den gesamten Zeitraum der Union Belege für ein litauisches Eigenbewußtsein überliefert, welches nicht in erster Linie ethnisch definiert war. Seine ideologische Ausformung erfuhr es in einer vielfältigen Literatur.109 Neben der Pflege einer besonderen Ursprungslegende, der direkten Herkunft des litauischen Adels von den Römern und der Betonung historisch gewachsener Eigenstaatlichkeit spielte auch das Rechtssystem der drei Statute eine herausgehobene Rolle. Als im Zuge aufklärerischer Reformbestrebungen Ende des 18. Jahrhunderts die Schaffung eines Kodex' für den Gesamtstaat diskutiert wurde, erhob sich auf Litauens Landtagen eine Welle des Protestes.110 Wenn Polen am Ende der Adelsrepublik das Prinzip des Einheitsstaates verfochten, beriefen sich Litauer häufig auf eben jene Lubliner Union, die manchen ihrer Vorfahren als eine Vergewaltigung des Großfiirstentums erschienen war.111 Ein Blick auf die Umsetzung der polnisch-litauischen Abkommen bliebe allerdings unvollständig ohne Berücksichtigung ihrer materiellen Seite. Sämtliche Urkunden liegen nur auf Latein oder Polnisch vor, ohne Parallelausfertigungen in der Kanzleisprache des Großfiirstentums, einem sogenannten Kirchenslavisch weißrussischer Redaktion, gelegentlich auch als Altweißrussisch bezeichnet.112 Diese Asymmetrie ist nicht ohne Symbolwert, auch wenn die Übernahme des Polnischen in Staat und Gesellschaft letztlich ohne äußeren Druck erfolgte.
109
Vgl. DARIUS KUOLYS: Asmuo, tauta, valstybe Lietuvos Didziosios Kunigaikätystes istorineje literatüroje. Renesansas - Barokas [Person, Volk und Staat in der historischen Literatur des Großfiirstentums Litauen. Renaissance - Barock], Vilnius 1992. - MARIA BARBARA TOPOLSKA: In between Regional and State Patriotism. Conditions of National Consciousness in the Grand Duchy of Lithuania in 15FT and 18TH Century. In: GRZEGORZ BLASZCZYK, MICHAL HASIUK (Hg.), History, Culture and Language of Lithuania. Proceedings of the International Lithuanian Conference Poznafi 1 7 - 1 9 September 1998. Poznan 2 0 0 0 (Linguistic and Oriental Studies from Poznan. Monograph Supplement, 5 ) , S. 1 6 1 - 1 7 1 .
110
Vgl. KRYSTYNA ADOLPHOWA: Szlachta litewska wobec zbioru praw Andrzeja Zamojskiego (w swietle litewskich instrukji poselskich ζ lat 1776, 1778, 1780 i 1782) [Der litauische Adel und die Gesetzessammlung Andrzej Zamojskis (im Spiegel litauischer Landboteninstruktionen von 1776, 1778, 1780 und 1782)]. In: Ksiega pamiatkowa Kola Historyköw Sluchaczy Uniwersytetu Stefana Batorego w Wilnie 1923-1933. Wilno 1933 (Alma Mater Vilnensis. Bibljoteka, 3), S. 156-188.
111
Vgl. ZMUIDZINAS (wie Aran. 23), S. 234. Vgl. CHR. S. STANG: Die westrussische Kanzleisprache des Großfürstentums Litauen. Oslo 1935 (Skriliter utgitt av Det Norske Videnskaps-Akademi i Oslo. II. Hist.-Filos. Klasse 1935, 2). - Zur aktuellen Diskussion auch STANISLOVAS LAZUTKA: Jezyk Statutöw litewskich i Metryki litewskiej [Die Sprache der Litauischen Statute und der litauischen Metrik], In: Lithuania 1997, Nr. 1-2, S. 26-33.
112
Die Beziehungen zwischen Polen und Litauen im historischen Wandel
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Litauisch sank ebenso wie die ostslavischen Dialekte zu einer Sprache des einfachen Volkes, teilweise auch noch des zweisprachigen Kleinadels herab. Hieraus ein einseitiges west-östliches Kulturgefälle abzuleiten, wäre allerdings verfehlt. Der Überlegenheit des litauischen Rechtssystems etwa war man sich in der Krone durchaus bewußt. Das Dritte Statut von 1588 wurde dort ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts als Hilfsrecht herangezogen, wenn auch nicht im altweißrussischen Original, sondern in polnischer Übersetzung. Diese Fassung fand schließlich auch in Litauen selbst Verwendung.113 Hier kommt einerseits die fortschreitende Polonisierung des Großfürstentums zum Ausdruck, die Aktivisten einer modernen Nationalbewegung jegliche Verbindung mit Polen als Unglück erscheinen ließ, andererseits wird deutlich, daß es sich um ein Oberflächenphänomen handelt, das mit den Maßstäben des nationalen Zeitalters nicht angemessen zu interpretieren ist.
IV. Resümee Im Bemühen, das polnisch-litauische Verhältnis nach der Lubliner Union auf einen Nenner zu bringen, hob Adolfas Sapoka auf dessen Einmaligkeit ab und meinte, eine passende Bezeichnung müsse erst noch gefunden werden.114 Ihm folgend hat Manfred Hellmann betont, daß moderne staatsrechtliche Begriffe einschließlich derjenige der Personalunion dem Charakter des polnisch-litauischen Zusammenschlusses nicht gerecht werden.115 Derartigen Stimmen gegenüber ist zunächst an Jellineks Postulat einer „Trennung des Politischen vom Juristischen" zu erinnern.116 Es hat nichts von seiner Aktualität verloren, auch wenn man mit Steiger rechtswissenschaftlichen Termini nicht unbedingt eine Definition im Stil des 19. Jahrhunderts zugrunde legen muß und sehr wohl eine Anpassung der Begrifflichkeit an die historische Wirklichkeit von Mittelalter und Früher Neuzeit anstreben kann. Bemühungen dieser Art führen letztlich auf das von Jellinek beschriebene Grundproblem einer Definition des Staates zurück, und zwar konkret in seiner vormodernen Form. Wenn sich hier die Forschung auch noch
113
Vgl. JULIUSZ BARDACH: Statuty litewskie w ich kregu prawno-kulturowym [Die Litauischen Statute in ihrem rechtlich-kulturellen Kontext]. In: DERS., Ο dawnej i niedawnej Litwie. Poznaü 1988 (Uniwersytet im. Adama Mickiewicza w Poznaniu. Seria Historia, 141), S. 9-71. - DERS.: Statuty litewskie a prawo rzymskie [Die Litauischen Statute und das Römische Recht]. Warszawa 1999.
114
SAPOKA, Lietuva (wie A n m . 104), S. 3 7 5 f.
115
HELLMANN, G r u n d z ü g e (wie A n m . 3), S. 32 f.
116
JELLINEK (wie A n m . 4), S. 10.
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im Fluß befindet,117 liegen die Verhältnisse im vorliegenden Falle doch insofern einfach, als sich das Problem der Staatlichkeit beziehungsweise Eigenständigkeit Litauens annäherungsweise reduzieren läßt auf die Frage nach Symmetrie und Asymmetrie einer bilateralen Beziehung. Die skizzierten Versuche, jenes Verhältnis mit Hilfe zeitgenössischer Kategorien näher zu bestimmen, nehmen Bezug auf verschiedene nebeneinander bestehende Rechtssysteme: Lehnsrecht, kanonisches Recht und nicht zuletzt einheimisches litauisches Recht. Selbst wo derartige Analogieschlüsse naheliegen, besitzen sie doch nur eine begrenzte Erklärungskraft. Bezeichnend erscheint die Zuflucht zu Formulierungen wie .ähnlich', ,Zwischenstellung' oder .besonderer Art', was der historischen Wirklichkeit Rechnung tragen mag, jedoch keinen Beitrag zur Fortentwicklung einer juristischen Terminologie darstellt schon gar nicht im Sinne scharf abgegrenzter, .kantiger' Rechtsbegriffe eines Jellinek.118 Solange hier keine wesentlichen Fortschritte zu erwarten stehen, spricht nichts dagegen, vorläufig an den tradierten Begriffen der Bezeichnung von Staatenverbindungen festzuhalten. Krewo legte demnach 1385/86 den Grundstein für eine Personalunion, die sich 1569 in Lublin zu einer Realunion verfestigte, welche wiederum mit geringfügigen Modifikationen bis 1795 Bestand hatte. Personalunionen stellten an sich eine häufige Erscheinung im mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Europa dar.119 Nur selten allerdings erlebten diese Staatenverbindungen den Ausbau zu einer festeren Form des Zusammenschlusses wie England und Schottland nach der Personalunion von 1603. Typisch erscheint der Fall der annähernd zeitgleich zu Krewo geschlossenen Kalmarer Union von 1397-1520/23, die häufig als Kontrastbeispiel herangezogen wird.120 Der Zusammenschluß Dänemarks, Norwegens und Schwedens unterschied sich nicht zuletzt durch die Schwäche des gemeinsamen Monarchen, dem von Anbeginn an ein starker, untereinander vielfach versippter Adel gegenüberstand. So ist es nicht die Verbindung zwischen Polen und Litauen an sich, die Anspruch auf
117
Vgl. als Versuch einer ersten Bilanz: WOLFGANG REINHARD: Geschichte der Staatsgewalt. Eine vergleichende Verfassungsgeschichte von den Anlangen bis zur Gegenwart. München 1999. 118 JELLINEK (wie Anm. 4), S. 15; zur Skepsis gegenüber einer Inflation von suigeneris-Konstruktenebd., S. 207. 119 Vgl. HEINZ DUCHHARDT (Hg.): Der Herrscher in der Doppelpflicht. Europäische Fürsten und ihre beiden Throne. Mainz 1997 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz. Abteilung Universalgeschichte, Beiheft 43). ROWELL, Forging (wie Anm. 43), S. 19-21. 120
Vgl. DETLEF KATTINGER, DÖRTE PUTENSEN, HORST WERNICKE (Hg.): „huru thet
war talet j kalmarn". Union und Zusammenarbeit in der Nordischen Geschichte. 600 Jahre Kalmarer Union (1397-1997). Hamburg 1997 (Greifswalder Historische Studien, 2). - VIVIAN ETTING: Fra faellesskab til blodbad. Kalmarunionen 1397-1520 [Von Gemeinschaft zum Blutbad. Die Kalmarer Union 1397-1520]. Copenhagen 1998.
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Einzigartigkeit erheben kann. Als außergewöhnlich muß deren Dauer und wohl auch die Intensität des gegenseitigen Austausches gelten.121 Mehr als vier Jahrhunderte hatte die polnisch-litauische Union Bestand, ohne daß eine der Seiten auf Dauer ihre „Rechtssubjektivität" verloren hätte.122 Die Krone Polen und das Großfürstentum Litauen waren keine .souveränen' Staaten im Sinne Jellineks, aber doch Herrschaftsverbände mit jeweils eigenem Handlungspotential. Wenn auch in Krewo ein Fortbestand litauischer Eigenständigkeit offenbar nicht intendiert war, konnten das Großfürstentum beziehungsweise seine Eliten diese doch sehr rasch wiedererlangen.123 In der politischen Praxis war sie ohnehin nie völlig aufgehoben, wie die Fortführung des Krieges gegen den Deutschen Orden zeigt. Rechtlich wurde dieser Zustand spätestens durch das Abkommen von Brest-Litowsk 1446 sanktioniert, nachdem sich seit 1392 eine allmähliche Aufwertung des Großfürstentums und seines ranghöchsten Repräsentanten vor Ort abzeichnete. Mit der möglichen Ausnahme jener kurzen, weder juristisch noch politisch eindeutig zu bestimmenden Periode nach der Krönung Jagiellos war das polnisch-litauische Verhältnis formal durch eine weitgehende Gleichstellung gekennzeichnet - immer das Prestigegefälle zwischen einem Königreich und einem Großfürstentum eingerechnet. Litauische Eigenständigkeit besaß ebenso ihre rechtliche Grundlage wie ihre institutionelle Ausstattung und soziale Basis. Schließlich regierte mit den Jagiellonen auch ein litauisches Herrschergeschlecht auf dem polnischen Königsthron, das sich stets zu seiner Herkunft bekannte. Selbst nach der Lubliner Union ist die litauische Staatlichkeit nicht als beendet anzusehen, existiert eine von Polen geschiedene Geschichte. Wenn Litauens Stellung sich immer mehr der einer Provinz anzugleichen begann, dann nicht einer Provinz Polens, sondern einer Provinz der Adelsrepublik oder des Commonwealth, wie die Verbindung auch außerhalb des angelsächsischen Sprachraums häufig bezeichnet wird.124
121
Vgl. JULISSUZ BARDACH: Od aktu w Krewnie do Zareczenia Wzajemnego Obojga Narodöw (1385-1791) [Vom Akt in Krewo zur gegenseitigen Bürgschaft beider Nationen ((1385-1791)]. In: JERZY KLOCZOWSKI, PAWEL KRAS, HUBERT LASZKIEWICZ (Hg.), Unia Lubelska i tradycje integracyjne w Europie SrodkowoWschodniej. Lublin 1999, S. 12-34, hier S. 34.
122
V g l . STEIGER ( w i e A n m . 5), S. 8 0 5
123
Wird nicht der moderne Begriff Souveränität zugrunde gelegt, bedeutet es keinen Widerspruch, wenn Pfitzner (wie Anm. 18), S. 100, die Lage des Großfürstentums im Jahre 1386 wie folgt charakterisiert: „Eingebüßt hatte es seine internationale selbständige Stellung, seine staatliche Unabhängigkeit nach außen. Bewahrt aber hatte es sich seine Selbständigkeit im Innern." 124 Vgl. BLASZCZYK, Rzeczpospolita (wie Anm. 77), S. 64; ihm folgend ZAKRZEWSKI (wie Anm. 107), S. 223 Anm. 31. Die Entwicklung von einem staatlichen Dualismus hin zu einem provinziellen Trialismus benennt JANUSZ WOLINSKI: Koekwacja praw na Litwie 1697 r. [Die Rechtsangleichung in Litauen 1697], In: J 0 Z E F GIEROWSKI u.a. (Hg.), Ο naprawe Rzeczypospolitej
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Vielleicht ist die relative Stabilität dieser Beziehung nicht zuletzt auf ihre rechtliche Absicherung zurückzuführen. Sie gewährleistete über Jahrhunderte hinweg ein Minimum an Schutz für den schwächeren Partner. Allerdings scheint gerade der polnisch-litauische Fall ein Beispiel dafür zu sein, daß Probleme einer ungleichen Nachbarschaft psychologisch dadurch mitbestimmt sind, daß im nationalen Zeitalter eben nicht zwischen Problemen rechtlicher und solchen historisch-politischer Natur unterschieden wird - zumindest nicht auf der sich benachteiligt fühlenden Seite. Das eigentliche Problem dieser asymmetrischen Beziehung, wie es teilweise heute noch fortwirkt, ist außerhalb des Rechtlichen, in der Sphäre des Politischen und Kulturellen zu suchen.
XVII-XVIII. Prace ofiarowane Wladyslawowi Czaplinskiemu w 60 rocznice urodzin. Warszawa 1965, S. 189-192, hier S. 192; zum Begriff des „Commonwealth" vgl. ZMUIDZINAS (wie Anm. 23), S. 229 f.
Der böhmische Staat - ein Teil des Reiches? Karel Maly
Das Thema meines Beitrages besteht in einer Frage, die schon vor einigen Jahren von der tschechischen Historikerin Maria Blähovä,1 mit Recht „als die Grund- und Lebensfrage der böhmischen Politik, als Hauptproblem der böhmischen mittelalterlichen Geschichte" charakterisiert wurde. Der Umfang des von Maria Blähovä zu diesem Thema angeführten Literaturverzeichnisses ist mehr als vielsagend. Es kann meines Erachtens kaum ein Zweifel darüber bestehen, daß mein kurzer und begrenzter Beitrag nicht ermöglicht, allen wichtigen Fragen des Problems eine so breite Aufmerksamkeit zu schenken, wie dies bereits mit großer Gründlichkeit in der bestehenden deutschen und tschechischen Literatur geschehen ist und denen sich mit viel Verständnis auch Peter Moraw, Teilnehmer dieser Tagung, so eingehend gewidmet hat. Meine Mitteilung kann daher nur einige Thesen und den Versuch enthalten, mit einem Blick in das Verhältnis zwischen dem „Reich und Böhmen", und zwar in Hinsicht auf die historische Entwicklung der Territorialstaaten und ihrer Souveränität Einsicht zu nehmen. In meinem Beitrag würde ich gerne Ihre werte Aufmerksamkeit auf folgende vier Fragen lenken: 1. Die historische Bedeutung der Frage nach der Beziehung des böhmischen Staates zum Reich. 2. Das Problem der mittelalterlichen Konzeption von Staatlichkeit und Souveränität. 3. Die Ursachen und Folgen der tschechischen Bestrebungen zum Nationalstaat. 4. Böhmen ein Teil des Reiches oder souverän? - Zusammenfassung. Ad 1) a) Obwohl sich auf die erste Frage, die im Titel meines Referates enthalten ist, selbstverständlich sogleich die Antwort anbietet, daß es sich um viel mehr als um das Verhältnis zweier Völker, um die Beziehungen von zwei Staatsstrukturen handelte, transformiert die romantische Historie des 19. Jahrhunderts und die moderne Historie des 20. Jahrhunderts diese Beziehungen in der Regel in nationale Formen. Es kann aber keinesfalls gesagt werden, daß diese Transformation nur einseitig war: bestimmt wurde sie von tschechischer Seite diktiert, durch die Notwendigkeit einer nationalen und staatlichen Unterscheidung, durch die Fundierung der nationalen Identität, durch die Erneuerung der tschechischen nationalen, kulturellen, historischen und auch der staatlichen Existenz. Das alles 1
Im Artikel „Die Beziehung Böhmens zum Reich", mit Berufung auf die ältere Arbeit von VÄCLAV NOVOTNY, Tschechische Geschichte 1, 3, 1928, S. 218.
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ist nicht nur ein Produkt der Periode nach der Revolution von 1848, sondern tritt schon im Vormärz stark in den Vordergrund, also in einer Zeit, in welcher sich die ideellen Grundlagen des tschechischen politischen Programms im österreichischen Kaiserreich bildeten und im tschechischen Milieu ein starker Widerstand dagegen auftritt, die böhmischen Länder als „deutsche Erbländer der Dynastie Habsburg" zu betrachten und sie, in den Deutschen Bund einzufügen. Die politische Entwicklung in den böhmischen Ländern und in Österreich nach 1848 verstärkte selbstverständlich diesen Trend, und zwar besonders aus Angst der tschechischen Politik vor der großdeutschen Variante der demokratischen Bewegung in Deutschland im Jahre 1848. Aber auch die deutsche Seite griff, gewollt oder ungewollt, in bezug auf das böhmische Phänomen nach traditionellen Reichsargumenten. Es ging dabei nicht nur um die Einladung der tschechischen Abgeordneten in die Frankfurter Nationalversammlung, und zwar als Vertreter deutscher Länder, sondern ebenfalls um den Widerstand gegen die tschechischen Slawen, die vom damals national gestimmten Karl Marx so radikal für ihre österreichische Stellungnahme verurteilt wurden. In der innerösterreichischen Politik begann das tschechische Volk im Verlauf der Zeit - zuerst nur als „slawisches Blümlein" auf der weiten deutschen Wiese betrachtet - eine viel wichtigere Rolle zu spielen, als sich die österreichische Regierung und die deutschen politischen Kreise in den böhmischen Ländern ursprünglich vorgestellt hatten. Es muß hier betont werden, daß in diesem Prozeß der Formulierung der Politik des tschechischen Programmes, die tschechische Historiographie die wichtige Rolle der historischen Begründung der tschechischen staatsrechtlichen Ansprüche übernahm. b) Wie wir noch später darlegen werden, wurde die Grundlage hierfür von Frantiäek Palacky, dem Vater der modernen tschechischen Historiographie und leitenden tschechischen Politiker der vierziger bis siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts gelegt. Er sah in der Historie der Tschechen ein tragisches Ringen mit dem deutschen Element, und er war auch aus Besorgnis vor dem Pangermanismus und Panslawismus einer der Schöpfer des sogenannten austroslawischen Programmes der Jahre 1848 bis 1849. Das Grundwerk der tschechischen Rechtshistorie dieser Zeit2 widmet der Frage nach „der Geschichte des Rechtsverhältnisses des böhmischen Staates zum römisch-deutschen Reich" von Karl dem Großen bis zur Auflösung des Deutschen Bundes im Jahre 1866 mehr als 60 einführende Seiten. Das Buch, welches auf Aufforderung gerade von Frantiäek Palacky und Frantiäek Ladislav Rieger, dem zweiten Vertreter der damals bedeutendsten tschechischen politischen Partei der Alttschechen, geschrieben wurde, führt zwei Gründe an, welche den Autor zu dieser historischen Analyse bewogen: die Polemik mit den großdeutschen Patrioten und dann die Verteidigimg des Rechtes der Tschechen, nicht nur gegenüber dem Kaiser von Österreich, sondern auch gegenüber den anderen im Reichsrat vertretenen
2
Ceskd stätni prävo (Böhmisches Staatsrecht). 1. Ausgabe 1871, Neudruck: Praha 1892.
JOSEFKALOUSEK:
Der böhmische Staat - ein Teil des Reiches?
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Ländern. Beginnend mit dem ersten tschechischen Universitätslehrbuch der tschechischen Rechtsgeschichte, geschrieben vom ersten Professor der Rechtsgeschichte an der Prager Universität Jaroslav Celakovsky3, enthielt jedes weitere Lehrbuch, bis in die Gegenwart, grundlegende Ausführungen über die Beziehungen zwischen dem böhmischen Staat und dem Reich. Das gilt auch für die Periode nach 1945. c) In diesem Zusammenhang ist es notwendig, besonders auf das Werk von V. Vanööek, Prager Professor der tschechoslowakischen Rechtsgeschichte nach 1945, hinzuweisen, welches unter dem Titel „Der Staat der Przemysliden und das mittelalterliche Reich"4 in den Jahren 1945 und 1947 erschienen ist und eine Widerspiegelung der historischen persönlichen Erlebnisse des Autors und der tschechischen Bevölkerung überhaupt während der Okkupationszeit darstellt. Es handelt sich im Grundsatz um einen nationalistisch geprägten Versuch, um eine Rückprojektion der damaligen tschechisch-deutschen Beziehungen in die Vergangenheit: er war menschlich verständlich, aber wissenschaftlich unhaltbar. Diese Auffassung vom traditionellen deutschen Feind, welche später auch eine offizielle Unterstützung durch Zden6k Nejedly erhielt, wurde dann eigentlich zu der anerkannten These der marxistischen Historiographie unter Verschweigung oder Auslassung der Tatsachen, die dem offiziellen Standpunkt unbequem waren siehe die Kritik des jungen Marx. In dieser Hinsicht brachten erst die kritischen Urteile der tschechischen Historiographie der sechziger Jahre neue Ansichten. d) Die Suche nach einem neuen tschechischen Weg zur europäischen Geschichte seit Beginn der neunziger Jahre, führte zu neuen Fragen und neuen Aufgaben auch in der gegenwärtigen Historiographie. Untersuchungen im Sinne des Grundsatzes „sine ira et studio" wurden zu einer Hauptdevise, die zur Aufklärung dieser jahrhundertelangen Entwicklung beitragen sollen. Die gegenwärtige Entwicklung in Deutschland, aber auch die neue staatsrechtliche Situation in Tschechien, gibt diesen Bemühungen eine neue Dimension und einen neuen Sinn. Sie besteht in der Überwindung von Barrieren von Vorurteilen und tief verwurzelten Mythen. Ad 2) Es wurde schon oft betont, daß es historisch falsch und gefährlich ist, moderne Begriffe in die Vergangenheit zu übertragen. Meines Erachtens gilt dies ebenfalls für die Applikation der Begriffe Staat - Staatlichkeit - Souveränität. a) Die erste Frage, die bei unseren Erwägungen über die Beziehungen zwischen dem Böhmischen Staat und dem Deutschen Reich, eine so grundsätzliche Wichtigkeit erhält, ist die Frage, ob es sich um eine Beziehung von Staat oder Herrscher handelte oder besser gesagt, waren tatsächlich Staat oder Herrscher Träger dieser Beziehungen? Und weiter: war der Herrscher eine Verkörpe-
3
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Pov5echn6 öesk6 döjiny prävni [Allgemeine böhmische Rechtsgeschichte]. Praha 1900. „Stät Pfemyslovcü a stfedovökä fiSe" [Der Staat der Przemysliden und das mitttelalterliche Reich], Praha 1945.
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rung des Staates oder nur ein Diener des Staates? War der Staat Eigentum des Herrschers oder seiner Familie, war er sein Patrimonium? Es ist offensichtlich, daß sich hier eine Reihe von Problemen anbietet. Wir alle wissen, daß die Bildung staatsrechtlicher Vorstellungen und Konstruktionen in der Entwicklung des mittelalterlichen Staates von seinem Verständnis als Familiengut zur Auffassung eines Herrschers „von Gottes Gnaden" (Dei Gratiae) und später, in der ständischen Periode, zur Figur des gewählten Königs als Repräsentanten und Haupt der politischen Nation führte. Dieser Prozeß wurde aber von einem Wachstum der politischen Emanzipation dieses staatsbildenden Elementes, der politischen Nation des Mittelalters - dem Adel - begleitet, und zwar von der Vasallität und Abhängigkeit vom Herrscher bis zu einer Partnerschaft, bis zur Bildung der politischen Landesindividualität mit Rechtssubjektivität, die wir Ständegemeinde des Landes nennen. Es ist wichtig, diese Entwicklung zu erkennen: Wer war Partner oder Subjekt und Objekt in dieser Beziehung zwischen dem Reich und dem böhmischen Staat: der Herrscher (Fürst) oder der Staat? Es besteht kein Zweifel darüber, daß am Anfang der Kern und das Wesen dieser Beziehung immer das persönliche Verhältnis zwischen den böhmischen Herzögen und Königen und den Kaisera gewesen ist. Es ist hier notwendig, auch darauf aufmerksam zu machen, daß der böhmische Staat in Hinsicht auf die damalige praktische Politik als dynastisches Erbgut der Premysliden betrachtet wurde. In gewissen Zeitabschnitten war es zwar möglich, aus dem Reich politisch in die Frage der Thronfolge in Böhmen einzugreifen, aber grundsätzlich war es nicht möglich, diesen Besitz der Pfemysliden zu bezweifeln. b) Es bietet sich aber auch eine weitere Frage an: Was war eigentlich dieses Heilige Römische Reich? War es tatsächlich ein Staat oder nur eine ideale Verbindung christlicher Staaten? Vergessen wir auch nicht die Tatsache, daß dieses Reich, genau so wie die Kaisermacht, eine komplizierte Entwicklung durchmachte, welche als zwei große Wandlungen, sogar als Revolutionen5 in der europäischen Geschichte bezeichnet werden können: - die Unterstellung der weltlichen Macht unter die Autorität von Papst und Kirche (11. bis 12. Jahrhundert), - die Säkularisation der Staatsmacht und des Herrschers und die Entstehung der Nationalstaaten, was nach und nach zu einer Schwächung und zur Auflösung des Reiches geführt hat. Die Souveränität wird theoretisch schrittweise als Beziehung zwischen König (Herrscher) und Kaiser, gegebenenfalls zwischen König und Papsttum konstruiert. In diesem Zusammenhang können wir z.B. auf die Legisten des 13. Jahrhunderts hinweisen, welche die Souveränität als Souveränität des Herrschers formulieren, die aber vom Recht, welches göttlichen Ursprung hat (Accursius), abgeleitet wird.
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J. BERMAN: Recht und Revolution. 2. Aufl. Frankfurt am Main 1991 (engl. 1983).
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Schon der Kanonist Alanus zögerte zu Beginn des 13. Jahrhunderts nicht, über die Könige zu sagen: „Unusquisque enim tantum iuris habet in regno suo, quantum imperator in imperio". Deshalb formuliert, ζ. B. Edmund E. Stengel in seinem Buch, welches dem Kaisertum im Mittelalter gewidmet ist, mit Recht über die Macht des Reiches: „Das Imperium ersitzt die Oberhoheit über die anderen Reiche der Welt. Alle Könige, die ,regali', sind dem Kaiser Untertan. Aber - und das ist besonders bezeichnend - ihre Staatlichkeit bleibt bestehen".6 Bei Marsilius von Padua kommt es aber schon zu einer Verschiebung von der göttlichen Begründung der Kaisermacht zur Theorie der nationalen Souveränität. In bezug auf die kaiserliche Macht und im Interesse der Souveränität des Herrschers werden Vorstellungen über die Unabhängigkeit des Herrschers formuliert: „rex... omne imperium habet in regno suo, quod imperator habet in imperio ,.." 7 . Es gibt meines Erachtens nicht den kleinsten Zweifel darüber, daß in diesem Sinne auch über eine Souveränität der böhmischen Fürsten im böhmischen Staat gesprochen werden kann. Gründe, welche diese Ansicht bestätigen, können wir hier konkret anführen. Vom Jahre 800 bis zum Jahre 1125 kam es in Böhmen zu 22 Thronbesteigungen, aber nur in fünf Fällen - 895, 1002, 1012, 1099 und vielleicht 1004 - legten die böhmischen Herzöge dem Kaiser einen Eid ab, dessen Inhalt die Bestätigung der Verträge zwischen dem Reich und den böhmischen Fürsten war. Nie wurde aber von ihnen der Lehnseid bei Thronbesteigungen des Kaisers verlangt! Die Kaiser hatten in Böhmen nicht nur, von einer kurzen Ausnahme abgesehen, keine Güter, sondern auch keine Verwaltungs- oder Gerichtsgewalt. Die Gültigkeit des Reichsrechts endete an den böhmischen Grenzen: „Die Länder der Wenzelskrone waren von der Rechtsprechungsgewalt des Reichskammergerichts und des Reichshofraths eximiert", konstatiert mit Recht Rudolf Hoke.8 Der böhmische Staat wurde nur durch seine eigenen Gesetze und Gewohnheitsrecht, seine eigenen Gerichte, von welchen keine Berufung möglich war, verwaltet: jede andere Macht war auf dem Gebiet des böhmischen Staates ausgeschlossen. Es kann also Jaroslav Celakovsky zugestimmt werden, welcher schon im mittelalterlichen böhmischen Staat die Erfüllung aller Bedingungen der Staatssouveränität sieht. c) Wir kommen damit zu einer weiteren Erwägung: War also der böhmische Staat ein Bestandteil des Reiches oder war er dies nicht? Als christlicher Staat war er dies bestimmt - durch seine Kultur, Tradition, durch seine politische Richtung gehörte er zu dem vagen Gebiete, welches wir Westen und zusammen
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Ε. E. STENGEL: Abhandlungen und Untersuchungen zur Geschichte des Kaisergedankens im Mittelalter. Köln, Graz 1965, S. 202. HELMUT G. WALTER: Imperiales Königtum, Konziliarismus und Volkssouveränität. München 1976. Österreichische u. deutsche Rechtsgeschichte. Wien, Köln, Weimar 1992, S. 203. - Siehe auch F. SEIBT: Deutschland und die Tschechen. München 1974, S. 59-61.
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mit Hans Hattenhauer und Harold Bermann westlich-christliche Welt nennen. Aber im Unterschied zu anderen Fürstentümern des Reiches war diese Zugehörigkeit zum Reich so spezifisch geartet, daß über die staatsrechtliche Zugehörigkeit des böhmischen Staates zum Reich gezweifelt werden kann. Es scheint, daß der Schlüssel zum Verständnis dieser Besonderheit im Verhältnis zwischen dem Fürsten und dem Staat liegt. Die böhmischen Könige waren bedeutende Mitglieder der Gemeinschaft der Reichsfiirsten, aber, wie bekannt, hatten sie die Sonderstellung der ersten unter den weltlichen Kurfürsten. Rechtsakte der Kaiser - die Goldene Bulle Friedrichs II. (1212) und die Goldene Bulle Karls IV. (1356) - spezifizierten genau diese Sonderstellung. Ähnlich wie im Verhältnis zu den anderen nördlichen und östlichen Nachbarn war es „eine Prestigesache, nicht viel mehr" wie Ε. E. Stengel sagt,9 während die Goldene Bulle von 1212 nur die Rechte und Pflichten des Königs von Böhmen anspricht, äußert sich die Goldene Bulle Karls auch über die Rechte des böhmischen Adels, also des böhmischen Staates, welchem das souveräne Recht zuerkannt wird, im Falle des Aussterbens einer Dynastie über die Thronbesetzung unabhängig zu entscheiden. Ad 3) Ich habe schon erwähnt, daß der Prozeß der Destruktion des Heiligen Römischen Reiches, der durch die Emanzipation der Nationalstaaten begann, in Böhmen seinen Anfang nahm. Es war ja gerade der böhmische, hussitische Staat, der mit dem Kaiser erfolgreich Krieg führte und unbesiegt die bekannte Koexistenz zweier Kirchen erzwang und unbesiegt und freiwillig den abgelehnten Thronprätendenten und geschlagenen Kaiser Sigismund, den Luxemburger, als König annahm. In der tschechischen Literatur wird auch die Stärke des durch die Hussitenbewegung beschleunigten Prozesses der Bildung eines nationalen böhmischen Ständestaates beschrieben. Auch der nationale Kontext dieses Prozesses ist gut bekannt, das heißt, die Suche und die Demonstration der nationalen Identität und das frühe Bewußtsein der nationalen, kulturellen, politischen und juristischen Selbständigkeit, welches in der ganzen Periode bis zur Schlacht am Weißen Berg andauert und dann im Projekt des Staates der böhmischen Ständekonföderation (1619) endete, also schon damals in einem vielnationalen Staat von Tschechen, Österreichern und Ungarn. Mindestens zwei offizielle Dokumente aus dieser Periode bestätigen den Bruch mit dem Universalismus des Reiches und bestreiten die Reichsautorität: das sogenannte Friedensprojekt Georgs von Podöbrad aus den Jahren 1460/1463 und die schon angeführte Konföderation. Beide Projekte wurden zwar nicht realisiert, stellen aber doch ein vielsagendes Zeugnis dar. Der Vorschlag von König Georg von Podöbrad will eine europäische Gemeinschaft der Völker zur Beseitigung der Kriege bilden, in welcher der Kaiser nur einer der deutschen Fürsten ist und der Papst nur eine Rolle bei der Sammlung von Beiträgen zur Finanzierung der Tätigkeit der Organisation spielen soll. Das zweite Projekt
9
(Wie Anm. 6), S. 187.
Der böhmische Staat - ein Teil des Reiches?
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besteht dann eigentlich in einer Verteidigung gegen den Kaiser, der als böhmischer König des Thrones enthoben wurde. Aber bereits vor dem Beginn der „protestantischen Revolution", wie die deutsche Reformation des 16. Jahrhunderts oft genannt wird, bewies das tschechische Beispiel im Hussitentum, daß die Bildung eines nationalen Staates mit einer nichtkatholischen Bevölkerungsmehrheit, nur unter gleichzeitiger Negation des Reichsgedanken und der päpstlichen Einheit der christlichen Welt möglich ist. Ad 4) Kommen wir nun aber zurück auf unsere Grundfrage, die wir uns schon zu Beginn dieses Beitrages gestellt haben: War der böhmische Staat nur ein Teil oder ein souveräner Staat am Rande einer westlichen christlichen Gruppierung? Meine Antwort lautet - er war ein Teil, aber er war auch ein selbständiger Staat. a) Meines Erachtens können wir uns darauf einigen, daß sich der böhmische Staat - egal ob es der Staat der Przemysliden, der Luxemburger oder der Habsburger war - ähnlich wie viele andere Staaten am Rande des Reiches, ob sie nun im Norden, Westen oder Osten lagen, in der Richtung zu einer inneren und äußeren Souveränität entwickelte. Dieser Prozeß wurde durch die Hussitenbewegung bedeutend beschleunigt und unter der Regierung der Habsburger in der Periode vor 1618 beendet. b) Der böhmische Staat war und konnte kein Vasallenstaat im Sinne der Lehnstheorie sein, da er von Anfang an ein Familiengut der Przemysliden darstellte. Diese, die innere Souveränität des böhmischen Staates begründende Tatsache - Gerichts-, Verwaltungs-, Rechtssouveränität, eingeschlossen der Thronfolge der Przemysliden - , versuchte das Reich nie zu bestreiten oder zu ändern. c) Die Beziehung zum Reich war mittelbar: Vermittler dieser Beziehung war sein Herrscher, dessen Stellung im Reich bedeutende Funktionen sicherte, die er im Reich einnahm und Rechte, die ihm vom Kaiser als böhmischem König verliehen worden waren. Die Grundlage des Anspruchs, mit diesen Rechten zu disponieren, war aber seine Stellung als böhmischer König. Nur der königliche, früher herzogliche, Titel bildete die Basis seiner Ansprüche und Rechte. d) Der Inhalt dieser Beziehung zum Reich war aber eine Beziehung zur überstaatlichen, idealen Form einer Gemeinschaft der westchristlichen Staaten. Es fehlten ihm jene konkreten Formen von Beziehungen innerhalb der Staatengemeinschaft, wie sie die deutschen Fürstentümer zum Reich hatten. e) Erlauben Sie mir am Ende meiner Zusammenfassung noch einige Worte: Es gibt meines Erachtens keinen Streit darüber, daß das traditionelle und vereinfachende Schema der böhmischen Beziehungen zum Reich, als eine Geschichte blutiger Konflikte und permanenter Kriege, abgelehnt werden muß. In diesem Zusammenhang muß dann auch die Tatsache Erwähnung fmden, daß hier eine andauernde gegenseitige Beeinflussung stattfand, daß gegenseitige Beziehungen, Bereicherungen und Vermittlungen der politischen, rechtlichen und staatsrechtlichen Kultur festzustellen sind. Ich darf zum Beispiel unter anderem an den Einfluß des sog. deutschen Stadtrechts in den böhmischen Ländern erinnern, den Einfluß des Hussitentums auf die deutsche Reformation, an den beiderseitigen
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Karel Maty
Einfluß der ständischen Konföderationsgedanken zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges und den ungewollten Einfluß der böhmischen Form des Absolutismus nach der Schlacht am Weißen Berg auf die Konstitutionen der absoluten Staaten. Umgekehrt haben die Ideen des Naturrechts und der Aufklärung zu einer Erneuerung der böhmischen Staatlichkeit an der Schwelle der modernen Entwicklung beigetragen. Es ist offensichtlich, daß gerade dies alles und in dieser Art und Form, aus dem mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Staat Böhmen ein Mitglied der westlichen politischen Gruppierung machte, welche sich um jenen Kern bildete, den wir dann später Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation nennen.10
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Vgl. außer den schon zitierten auch die folgenden Titel: WILHELM BERGES: Gregor VII. und das deutsche Designationsrecht. In: Studi Gregoriani, Bd. 2. Rom 1947, S. 189-209. - MARIE BLÄHOVA: Die Beziehung Böhmens zum Reich. In: Archiv für Kulturgeschichte 74 (1992) S. 23-47. - ZDEN£K FlALA: Vztah ieskeho stätu k nimecke HSi do poiätku 13. stoleti (podle kritiky pramenü) [Die Beziehungen des böhmischen Staates zum deutschen Reich bis zum Beginn des 13. Jahrhunderts nach kritischen Quellen], In: Sbornik historicky 6, Praha 1959. - HANS HATTENHAUER: Europäische Rechtsgeschichte. Heidelberg 1992. - FRITZ KERN: Recht und Verfassung im Mittelalter. Darmstadt 1976 (Nachdruck d. Ausg. Tübingen 1952). - PETER MORAW: Gedanken zur politischen Kontinuität im deutschen Spätmittelalter. In: Festschrift für Hermann Heimpel, 2. Bd. Göttingen 1972, S. 46-60. - DERS. : Von offener Verfassung zum gestalteter Verdichtung. Das Reich im späten Mittelalter, 1250 bis 1490. Berlin 1985 (Propyläen Geschichte Deutschlands, Bd. 3). - DERS.: Fragen der deutschen Verfassungsgeschichte im späten Mittelalter, Bericht über ausgewählte Neuerscheinungen der Jahre 1969 bis 1974. In: Über König und Reich, Aufsätze zur deutschen Verfassungsgeschichte des späten Mittelalters. Sigmaringen 1995. - KAREL MALY, FLORIAN SIVÄK: Döjiny statu a präva ν öeskych zemich a na Slovensku do r. 1918 [Geschichte von Staat u. Recht in den böhmischen Ländern und der Slowakei bis 1958]. 2. Ausg., Praha 1992. - JOHANNA NAENDRUP-REIMANN: Territorium und Kirche im 14. Jahrhundert. In: Der deutsche Territorialstaat im 14. Jahrhundert, Bd. 1, hrsg. von Hans Patze. Sigmaringen, 1970, S. 117-174. - HANS SPANGENBERG: Vom Lehnstaat zum Ständestaat. Ein Beitrag zur Entstehung der landständischen Verfassung. Aalen 1964 (Neudruck d. Ausg. München 1912).
Böhmen und das Reich im Mittelalter Peter Moraw
I Der Zufall hat es gefügt, daß zwei Autoren, Dr. Alexander Begert (Anm. 2) und der Verfasser des hier vorliegenden wesentlich kürzeren Textes sich gleichzeitig mit einem nahezu gleichnamigen Thema befaßten. Der Herausgeber desjenigen Sammelbandes, für den dieser unser Text bestimmt war, Dietmar Willoweit, hat für gut befunden, daß auch mein Papier das Licht der Welt erblicken soll. Es handelte sich ursprünglich um einen Tagungsbeitrag, der schon aus diesem Grund nicht einmal ein Zehntel des Umfangs des voluminösen Werks von Herrn Begert ausmacht. Auch sonst gibt es signifikante Unterschiede, vor allem denjenigen, daß ich Mediävist bin, während sich der junge Kollege auch damit, dann aber vorwiegend mit der frühen Neuzeit befaßt. Mein Opusculum ist jedenfalls um 1500 definitiv zu Ende. Es bot sich Gelegenheit, eine Anzahl von Textstellen zu kürzen, die von Herrn Begert vortrefflich abgehandelt worden sind. Obwohl beide Autoren für das Mittelalter praktisch zum gleichen Ergebnis kommen, sind die Zugriffsweisen und die Schwerpunktsetzung durchaus verschieden, so daß beide Versuche nebeneinander bestehen mögen. Wo es tunlich schien, habe ich mich beschränkt, aber es mag der Tatbestand durchschimmern, daß es sich um meine Heimat handelt, über die ich schreibe. Die beiden Autoren kennen sich nicht. Der Vortragsstil und bestimmte Akzentsetzungen sind beibehalten. Das Thema „Böhmen und das Reich im Mittelalter", das sich so einfach formulieren läßt, erweist sich in mehrfacher Weise als schwierig, wenn man damit fachlich umgehen will. Nicht so sehr besteht das Problem in der wissenschaftlichen Antwort auf die im Titel verborgene Einzelfrage, eine erst ex post zugespitzte oder gar belastete Frage, ob nämlich das mittelalterliche Böhmen (samt seinen Nebenländern) zum Reich gehört habe oder nicht. Es entstanden Komplikationen erst im wissenschaftlichen Umfeld dieser Frage oder auch im außerwissenschaftlichen Umfeld. In unserem Beitrag wird daher von diesem doppelten Umfeld ebenso die Rede sein wie von den einzelnen, für die Interessierten längst „klassisch" gewordenen Argumentationselementen zur Titelfrage, die auf den Historiker von heute womöglich nur gedämpften Reiz ausüben. Probleme entstehen auch dadurch, daß es sich um sehr langgestreckte Fragen handelt, selbst wenn man sich auf das Mittelalter beschränkt. Denn die Rahmenbedingungen blieben nicht diesselben. Früher war die Lage anders. Wir erinnern uns an eine die älteren Fragen und Antworten summierende Marburger Tagung von 1979 im Rahmen des damaligen DFG-Schwerpunktprogramms „Die Entstehung der europäischen
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Nationen im Mittelalter", als in der Diskussion der das Projekt leitende unvergessene Kollege Helmut Beumann unseren damals schon in Basel lehrenden Gießener Amtsvorgänger FrantiSek Graus, der zuvor einen Prager Lehrstuhl innegehabt hatte, ohne Umschweife von Angesicht zu Angesicht gefragt hat: „Gehörte nun Böhmen zum mittelalterlichen Reich oder nicht?" Graus zögerte ein klein wenig mit der Antwort und sagte dann das, was ihm die wissenschaftliche Redlichkeit zu sagen eingab: „Ja, Böhmen gehörte zum Reich". Auch fast ein Vierteljahrhundert später ist eine andere Antwort nicht möglich. Graus hat auch den Artikel „Böhmen" 1 im „Lexikon des Mittelalters" verfaßt. In der Hauptsache sind die Tatbestände aus der nächsten Nähe der Titelfrage abgesehen von den wichtigen Ergänzungen aus dem Ende des Mittelalters (s. u.), in der Literatur gut bekannt.2
1
FRANTISEK GRAUS:
Böhmen. In: Lexikon des Mittelalters, Bd.
2.
Stuttgart
Weimar 1999, Sp. 335-344. 2
WILHELM WOSTRY: Germania, WILHELM WEGENER: Böhmen,
Teutonia, Alemannia - Bohmenia. Prag 1 9 4 3 . Mähren und das Reich im Hochmittelalter. Köln, Graz 1959. - Handbuch der Geschichte der böhmischen Länder, hg. v. Karl Bosl, Bd. 1 / 2 . Stuttgart 1 9 6 7 / 1 9 7 4 . - PERCY ERNST SCHRAMM: Böhmen und das Regnum. In: Adel und Kirche, Gerd Teilenbach zum 65. Geburtstag. Freiburg u. a. 1 9 6 8 , S. 3 4 6 - 3 6 4 . - PETER HILSCH: Herzog, Bischof und Kaiser bei Cosmas von Prag. In: Geschichtsschreibung und geistiges Leben im Mittelalter, Festschrift für Heinz Löwe zum 65. Geburtstag, hg. v. Karl Hauck und Hubert Mordek. Köln, Wien 1978, S. 3 5 6 - 3 7 2 . - FRIEDRICH PRINZ: Böhmen im mittelalterlichen Europa. München 1 9 8 4 . - FRANTISEK SMAHEL: Die böhmischen Länder im Hoch- und Spätmittelalter, ca. 1050-1452. In: Handbuch der europäischen Geschichte, Bd. 2, hg. v. Ferdinand Seibt. Stuttgart 1 9 8 7 , S. 5 0 7 - 5 3 2 . - KAREL MALY, FLORIAN SIVÄK: Döjiny stätu a präva Ν Ceskoslovensku do roku 1918,1. Praha 1988. - JAN JANÄK, ZD6NKA HLEDIKOVÄ: Döjiny sprävy Ν öeskych zemich do roku 1 9 4 5 . Praha 1989. - THOMAS KRZENCK: Die politischen Beziehungen Böhmens zum Reich in der Stauferzeit (1150-1253). In: Jahrbuch für Geschichte des Feudalismus 1 4 , 1 9 9 0 , S. 1 5 9 - 1 7 9 . - PETER MORAW: Das Mittelalter. In: Deutsche Geschichte im Osten Europas [2], Böhmen und Mähren, hg. v. Friedrich Prinz. Berlin 1993, S. 2 3 - 1 7 8 , 4 8 2 - 4 8 5 , 4 9 5 - 5 1 1 . - JÖRG K. HOENSCH: Geschichte Böhmens. 3 . Aufl. München 1997. - Handbuch der historischen Stätten: Böhmen und Mähren, hg. v. Joachim Bahlcke u. a. Stuttgart 1998. - Europas Mitte um 1000, hg. v. Alfried Wieczorek u. Hans-Martin Heinz, 2 Bde. Stuttgart 2000 (mit zahlreichen Literaturangaben). - IVAN HLAVÄCEK: Der schriftliche Verkehr der römischen Könige und Kaiser mit dem Herzogtum und Königtum Böhmen bis zum Ausgang des 12. Jahrhunderts. In: Von Sacerdotium und Regnum, Festschrift für Egon Boshof zum 65. Geburtstag. Köln u. a. 2002, S. 705-720. - DERS. : Die böhmische
Kurwürde in der Pfemyslidenzeit. In: Königliche Tochterstämme, Königswahlen und Kurfürsten, hg. v. Armin Wolf. Frankfurt am Main 2002, S. 79-106. ALEXANDER BEGERT: Böhmen, die böhmische Kur und das Reich vom Hochmittelalter bis zum Ende des Alten Reiches. Husum 2 0 0 3 . - PETER MORAW: Die Länder der Krone Böhmen: König Johann (1310-1346) und Kaiser Karl IV. ( 1 3 4 6 / 4 7 - 1 3 7 8 ) . In: MARC LÖWENER (Hg.), Die „Blüte" der Staaten des ösüichen Europa im 14. Jahrhundert. Wiesbaden 2004, S. 143-168 (mit weiterer Literatur).
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Worauf es aber ebenfalls ankommt, ist wie gesagt das ganze Umfeld dieser Frage und ist das Prinzip methodischer Konsequenz ungeachtet der vermeintlichen oder wirklichen Zwänge der Nationszugehörigkeit und Staatsform Böhmens von heute, die bekanntlich immer wieder gewechselt hat. Der Status von 2004 ist kaum älter als zehn Jahre. Schließlich wird man im einzelnen kritisch feststellen, daß jene „klassisch" gewordenen Argumentationselemente bisher eher aufgezählt als analysiert wurden und vor allem ohne jede vergleichende Kontrolle geblieben sind. Sie wurden und werden hintereinander aufgereiht, so als ob sie gleichartig und gleichrangig gewesen wären. Das ist ganz gewiß nicht der Fall. Die Einzelprüfung der alten Argumente und zuvor noch das Beenden der Isolation der „böhmischen Frage" dürften Neubewertungen dessen möglich machen, was wir zu wissen glauben, und mögen deshalb auch dann von wissenschaftlichem Interesse sein, wenn die Endantwort diejenige von Graus bleibt. Mindestens ebenso wichtig, ja geradezu fundamental im strengen Sinne dieses Begriffs ist der Tatbestand, daß das Umfeld jener Frage und Antwort von 1979 heute ganz anders beleuchtet und bewertet werden kann als seinerzeit. Die Durchdringung der älteren Geschichte Europas und der Verfassungsgeschichte des Alten Reiches hat beträchtliche Fortschritte gemacht, die zu leugnen oder zu missachten unmöglich scheint. Trotz oder auch wegen der Vermehrung des Wissens handelt es sich aber bei unserem Problem nicht allein um eine einfache, vor dem Richterstuhl der Geschichtswissenschaft klar entscheidbare „Rechts"frage im Ja-Nein-Stil. Das ist die Frage nur dann, wenn man sie geradlinig handhabbar, gleichsam handbuchreif machen möchte. Das mag nach wie vor für eine lakonische Art der Praxis gestattet sein. Interessanter aber ist das Problem als breit gelagerte und tiefer verankerte Frage, die dann nicht mehr ganz so linear erörtert werden kann. Zusätzlich handelt es sich - das muß man betonen ungeachtet aller generellen Fortschritte immer noch um eine Frage des je nach regionaler Geschichtstradition aktivierbaren Wissens und noch mehr des Wissenwollens des beteiligten Historikers - was er nicht weiß oder nicht wissen will, kann er nicht argumentativ verwerten - und endlich gegebenenfalls um eine politische oder politisierbare Frage. Zur Politisierbarkeit bemerken wir vorerst nur soviel, daß unsere Frage für die beiden Geschichtstraditionen, die hier einander offensichtlich gegenüberstehen, für die deutsche und für die tschechische, von extrem ungleichem Gewicht ist. Bei uns interessieren sich dafür nur sehr wenige Fachleute. In den allgemeinen Handbüchern und Darstellungen zur mittelalterlich-neuzeitlichen deutschen oder gar europäischen Geschichte kommt das Thema nicht oder kaum vor. Für die andere Seite geht es um eine, besser gesagt um die Fundamentalfrage der älteren heimischen Geschichte, die kaum ohne Teleologie in dieser oder jener Richtung denkbar ist3. Trotzdem sollte man das Gewicht der Frage auch auf dieser Seite versuchsweise reduzieren. Denn es handelt sich, ob nun fundamental oder randständig, weiterhin
3
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(Hg.): Herkunft und Ursprung. Sigmaringen 1994.
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zuerst um eine wissenschaftliche Frage, mit der man ohne jeden Gegenwartsbezug umgehen sollte. Es könnte also geradezu um eine Umwertung gehen: An Stelle von Einzelargumenten treten auch Grundsatzfragen zumal in Gestalt des Einwirkens von Elementen der neueren Geschichte und Zeitgeschichte auf die mittelalterliche Geschichte oder noch besser um Haltungen, die von der neueren Geschichte und Zeitgeschichte geprägt sind. Haltungen sind nicht einfach argumentativ handhabbar, sie können im Extremfall gefühlsmäßig akzeptiert oder nicht akzeptiert werden, ohne daß die Begründungen im klassischen Sinn erforderlich sind. Erleichtert wird ein neues Verständnis heute durch den bisher kaum je benannten Tatbestand, daß Böhmen und Mähren mit dieser Frage nicht allein gelassen sind. Oder, präziser ausgedrückt, es scheint kaum noch gestattet und schon gar nicht hilfreich, unsere Frage wie bisher völlig isoliert als Frage eines dualistischen Gegenübers zu erörtern. Dergleichen Themen werden - mit sachgerechter Abwandlung - in anderer Himmelsrichtung inzwischen im europäischen Rahmen besprochen. Wir sind dem Stoffgebiet - vom heutigen Deutschland aus formuliert - aufgrund von mancherlei Zufällen und Konstellationen, immer aber (was sehr nützlich war) mit einer konkreten Einzelfrage beginnend, jedenfalls nach Westen und Süden hin mit mehr oder weniger Nachdruck schon gleichsam reihum begegnet, in den Niederlanden, in der Schweiz, in Österreich und zuletzt in Luxemburg. Man konnte hierbei im speziell wissenschaftlichen Gespräch sehr bald Übereinstimmung registrieren, weithin oder gänzlich und im Ablauf der Zeit immer deutlicher. Dies trat auch dann ein, wenn das Ergebnis wie häufig - „zu Lasten" des bisher Gewohnten auszufallen schien. Die Schweizer zum Beispiel lassen heute ein deutlich späteres Enddatum ihrer Verselbständigung, das Jahr 1648 (statt zuvor „etwa 1500"), und einen unspektakulären, entideologisierten, konstellationsbedingten und kaum mehr linear-intentional„freiheitsdurstig" zurückgelegten Weg dahin gelten. Winkelried hat es nie gegeben, um von Wilhelm Teil und Geßler zu schweigen. Hier sieht man, daß es kaum um Argumente, sondern um Haltungen geht und daß ein gefestigtes Selbstbewußtsein sehr entspannend wirkt. Hinter solchen Haltungen steht, wie sich für den Autor immer deutlicher herausstellt, als Rahmenproblem zweierlei recht Wesentliches: 1. Dies ist zunächst der fundamentale, bisher im Fach zu wenig beachtete Unterschied zwischen dem Entstehen und Bestehen von großen und alten „staatlichen" Gebilden einerseits und von kleinen jüngeren „staatlichen" Einheiten andererseits im lateinischen Europa zumindest des späteren Mittelalters und der frühen Neuzeit. An diesem Punkt, das heißt anders formuliert bei der NichtGleichartigkeit der lebensweltlichen, der verfassungspraktischen und der konkret-politischen Vergangenheit und deren zeitgenössischer „Memoria" hier und dort, sollte man von der Sache her nachzudenken beginnen. So etwa mag sich dann die Überlegung fortsetzen: Wenn man im lateinischen Europa für das Ende des späteren Mittelalters ziemlich genau fünfzehn Monarchien konstatiert (und sehr wenige kleinere anders beschaffene Gemeinwesen) und wenn man im etwas größeren Europa der Gegenwart fast das Dreifache an modernen Staaten
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registriert (die womöglich auf dem Balkan noch etwas vermehrbar erscheinen), dann muß einfach ein ganz generelles Problem bestehen, nämlich das historische Legitimierungsproblem für beinahe zwei Drittel der Staaten Europas von heute. Das führt von vornherein zur Defensive oder zur Offensive, am wenigsten zu einer neutralen Haltung. Darin eingelagert ist das Problem der langen oder kurzen Dauer der jeweiligen heimischen Geschichte, die - ebenfalls zwecks Legitimierung - möglichst lange gewährt und möglichst tief im Mittelalter begonnen haben soll. Allerdings scheint dieses Problem als ein allgemeines bisher selbst im wissenschaftlichen Milieu tabuisiert zu sein (auch Wissenschaftler sind Zeitgenossen). Das ist aber ein vergebliches Schweigen. Je jünger ein Staat ist, um so deutlicher zeigt sich, daß das Prinzip der Volkssouveränität, also der staatstragende Wille des Volkes der Gegenwart, dem man mehr oder weniger gefolgt ist oder das wenigstens behauptet, zur Legitimierung des Staates nicht genügt. Es muß hinzutreten die Legitimierung durch eine möglichst modernen Staatsformen konforme, möglichst staatsnützliche und erst recht möglichst lange Geschichte. Von diesem negativen „Jugendlichkeitsproblem" scheint ein drittes letztes Drittel der Staaten Europas von heute, die „alten", tief aus dem Mittelalter stammenden oder vielleicht auch die peripheren auf den ersten Blick nicht betroffen zu sein. Aber das stimmt nicht ganz. Ein Teil zumindest dieses Drittels ist von unserem Problem durchaus berührt, wenn auch ganz anders als bei jenen „jungen" Staaten. Dieses letztere gilt vor allem für Deutschland. Nun bleibt aber auf die Dauer, wie die moderne Wissenschaftsgeschichte aller Disziplinen darzulegen scheint, kein Problem wirklich für immer undiskutiert liegen, auch kein noch so heikles. Man nennt das im allgemeinen wissenschaftlichen Fortschritt und sollte sich darüber freuen. Die ersten hier einschlägigen Fortschritte lassen sich wohl in zwei Richtungen erhoffen, mit Hilfe einer Typologie der Probleme von einst und mit Hilfe der Entkoppelung der Probleme von einst und von jetzt. Eine Typologie ist in der Tat etwas Wichtiges. Sie macht die ganze Frage abstrakter und erleichtert es, ungleichartige Tatbestände oder - für unseren Fall klarer und bestimmter gesagt - unterschiedliche Stufen einstiger „staatlicher" Existenz in Europa und ebenso unterschiedliche nationale Datierungen für den so sehr erstrebten möglichst frühzeitigen annähernd (mit anderen Nationen) gleichartig-gleichwertigen oder auch „erstrangigen" „staatlichen" Einzel-Tatbestand von damals anzunehmen und festzuhalten, das heißt vor allem für einen seinerzeitigen „staatlichen" Selbständigkeitsbeleg in einer heute generell akzeptablen Form. Denn solches signalisiert Gleichrangigkeit auch für heute. Die (zumindest nominelle) politische Gleichrangigkeit der Staaten der Gegenwart sollte man allerdings wenigstens als Historiker nicht nur politisch illusionslos betrachten, sondern unter Umständen auch als ein Spät- und Endprodukt komplizierter, teilweise auch anderer als üblicherweise heute erwünschter Tatbestände und Prozesse. Damit wird auch leichter akzeptabel, daß wesentliche Fakten von solcher Art in der europäischen Geschichte eventuell spät, unter Umständen viel später als von den Betroffenen erwünscht, eingetreten sind und daß sich deren Ursachen und Beweggründe wissenschaftlich beurteilt partiell oder gänzlich
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anders darstellen, als man sie derzeit vielleicht gern hätte. Etwas Entscheidendes ist es jedenfalls - noch vor dem Appell an die Entpolitisierung solcher Phänomene - , Schluß zu machen mit der Isolierung des Einzelfalls. So ist zu hoffen, daß der Autor der nächsten Arbeit, die sich mit unserem Thema befaßt, schon darüber nachdenken kann, ob das Problem „Böhmen" unter den einfachen oder unter den etwas schwierigeren Fällen einer längeren Liste einzuordnen sei. Was die Entkoppelung der Thematik von einst und von heute betrifft, so genügt es für Böhmen und Mähren festzustellen, daß die Statusveränderungen, die die staatliche Neuschöpfung von 1918/1919 vor und nach dem Zweiten Weltkrieg, zuletzt vor gut zehn Jahren, erfahren hat, und schon diese Neuschöpfimg von 1918/19 selbst nichts mit unserem Thema zu tun haben und im Kern anders motiviert waren oder sind, nämlich gemäß damaliger Leidenschaft ethnisch. Das Ethnische ist jedoch mit unserer Frage bestenfalls beiläufig verknüpft und hinterläßt oft auch keine guten Erinnerungen. Die Rückprojektion moderner politischer Verhältnisse bleibt ohnehin für die mittelalterliche Geschichte generell wissenschaftlich wertlos. Das muß man betonen. 2. Das zweite Rahmenproblem bildet der vom Historiker nüchtern zu würdigende Fiktionsbedarf der Moderne.3 Er wandelt sich von Generation zu Generation. Gewiß ist nur, daß er besteht und sich offenbar ausweitet, einfach weil die Realitäten von einst den Notwendigkeiten von heute nicht zu genügen scheinen. Das Umgehen mit Fakten und das Umgehen mit Fiktionen sind heute beide Gegenstand der Geschichtswissenschaft, das Umgehen mit Fiktionen besonders als Ausdruck politischer Bedürfnisse der Moderne und insofern als „echte" Wirklichkeiten dieser Moderne. Fiktionen sind an und für sich nichts Verwerfliches, auch wenn sie nicht „zutreffen". Die Geschichtswissenschaft sollte wohl dazu sagen: Der heute beim Rückblick auf die Vergangenheit vielfach bestehende Bedarf an „Rationalität", das heißt an (erst) heute angemessen erscheinender „Logik" und vor allem an politischer „correctness" der eigenen Geschichte je nach dem wechselnden Bedarf, kann offenbar weit verbreitet in Europa von dessen älterer Vergangenheit nicht angemessen bestätigt oder eingelöst werden. Das verhält sich so vor allem aus zwei Gründen: 1. Tatbestände gerade des Mittelalters sind fremdartig, komplex und sind nicht einmal in „neutraler" Form leicht mit modernen politischen Kategorien zur Deckung zu bringen. Sie folgen anderen Regeln und Gewißheiten als die heutigen, sie sind oft anders zugeordnet und müssen dies sein. 2. Selbst wissenschaftlich eindeutige, unbezweifelbare Tatbestände des Mittelalters könnten, wie oben gleichsam „mathematisch" aufgezeigt, in einer Anzahl der heute bestehenden Staaten Europas politisch inopportun sein und daher unter Druck geraten. Die Tatbestände von einst und die Nöte von heute sollte man am besten als einen einzigen Problemkomplex begreifen - und zwar wissenschaftlich-gelassen. Selbst die offiziöse oder offizielle Darlegung der strenggenommen nicht sehr erregenden oder nicht so sehr umstrittenen Geschichte des heutigen Großherzogtums Luxemburg kommt zum Beispiel, wie die heimischen Historikerkollegen beim Rundgang durch das entsprechende Museum bereitwillig zugestehen, ohne jene besondere zugespitzte oder gar Pseudo-„Rationalität" nicht aus. Die Fach-
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leute, in vergangenen Generationen die „Täter", sind heute inzwischen sachlich darüber hinweg. Das kann man Haltungsveränderung nennen, die in sehr unterschiedlichem Maß schwerer oder leichter fällt. Das allgemeine Bewußtsein verändert sich erst recht nur langsam. Die vorhin angesprochene Typologie könnte auch zeigen, ob sich „reparierende" Anstrengungen von einst wirklich gelohnt haben. Lassen wir diese Frage vorerst offen.
II Um sich für Böhmen und Mähren der Titelaufgabe zu stellen, gibt es offenkundig zwei Wege. Der erste Weg heißt: Man kann rückwärtsschreiten von den in Handbüchern, Lexika und Geschichtskarten international übereinstimmend formulierten Tatbeständen von „vor 1918", von „1866/67" und von „1806/ 1815". Für diese Daten liegen die Fakten der Zugehörigkeit, Nichtzugehörigkeit oder auch Abgrenzung, was Österreich-Ungarn und zuvor das Alte Reich angeht, juristisch ganz klar auf der Hand. Das Königreich Böhmen war jedesmal integraler Teil einer umfassenden Einheit: ein Kronland der habsburgischen Monarchie vor und nach dem Dualismus von 1867. Man hält sodann Ausschau nach eventuellen Umwälzungen in Mitteleuropa, die als Vorgeschichte von 1806 einen anderen als den zu 1806 benannten und eingangs von Graus formulierten Status des Alten Reiches und Böhmens annehmen lassen. Es ist nicht möglich, meinen Graus und wir, solche Umwälzungen aufzufinden. Es ist wichtig, diesen Weg - der dem Mediävisten ferner steht - sich als den sicheren Weg stets vor Augen zu halten. Die Daten und Stationen dieses Weges reduzieren die Probleme der Mittelalterforschung auf Entstehungs- und Datierungsfragen und entpolitisieren diese unsere Forschungsrichtung.4 Oder konkreter und zugleich bis zum Anfang der frühen Neuzeit rückwärtsschreitend gesagt: Die Legitimität der habsburgischen Herrschaft als legitime dynastischerbländische Herrschaft in Böhmen, Mähren und Schlesien im 16. Jahrhundert und als entsprechende Grenzlinien sind wissenschaftlich nie in Frage gestellt worden. Politisches Auflehnen dagegen ist ohne Dauer und ohne „internationale" Anerkennung geblieben. Ebensowenig ist jemals die Stellung des habsburgischen Kaisers des 16. Jahrhundert (ebenso wie noch des beginnenden 19. Jahrhunderts) als Reichsoberhaupt und konstituierender Teil des monarchischen Europa, bezweifelt worden. Die habsburgischen Erbländer sind schon aus diesem Grund beim Alten selbstverständlich und vollgültig, keinesfalls irgendwie zweitklassig dabeigewesen. Wenn schon klassifiziert werden soll, so kann man diese Zugehörigkeit nur erstklassig nennen, weil die Nähe zum Reichsoberhaupt und zu seiner Dynastie den Ausschlag gibt. Auch hier wird eine Grundsatzfrage berührt: ob das personale Verständnis, hier das dynastische, den Anschlag gibt oder das territoriale. Der Historiker muß sich entscheiden, ob er das Land ins
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Ältere Literatur in den Anm. 1 und 2.
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Auge faßt, wenn er urteilt, oder die Dynastie, die das Land geschaffen hat. Vielleicht ist dies sogar die Kernfrage, um die es auch in Böhmen geht. Oder sollten auf geheimnisvolle Weise anonyme Kräfte aus dem Land hervorgestiegen sein und gehandelt haben? Wir sagen sogleich, daß uns diese Alternative - in der Mitte Europas jedenfalls - nicht akzeptabel erscheint. Der Respekt vor unserem Lehrstuhl-Vorgänger Graus und vor der Wissenschaftsgeschichte der Mediävistik hat uns dann doch dazu gebracht, etwas eigentlich Unnötiges zu tun, nämlich in diesem Text nicht regressiv, sondern wie gewohnt „klassisch"-mediävistisch-progressiv vorzugehen. Es besteht allerdings diese beiden klaren Unterschiede zu früheren Versuchen, daß die bisher punktuell-additiv (so als ob sie irgendwie gleichartig und gleichgewichtig wären) und isoliert (das heißt ohne jede komparatistische Anstrengung) vorgebrachten einschlägigen Einzelargumente nicht so stehen bleiben können wie bisher. Zum zweiten ergibt sich für uns als ein konstitutiver Tatbestand, daß diese Argumente insofern von geringerem Gewicht erscheinen, als man bisher geglaubt hat. Wirklich entscheidend ist die Gesamtauffassung von Reich und vom den handelnden Kräften im Reich.
III Wir kommen zu diesem „Umfeld". Im Kern handelt es sich darum, die Neuerungen der europäischen Verfassungsgeschichte und der Reichsverfassungsgeschichte aus dem letzten Vierteljahrhundert zur Geltung zu bringen. Man könnte die Ergebnisse, auf die wir anspielen, partiell womöglich revolutionär nennen. Das große europäische Gemeinschaftsunternehmen „Die Entstehung des modernen Staates in Europa (13. bis 18. Jahrhundert)", an dem wir einen kleinen Anteil hatten, sei als Beispiel für die breiteste Basis erwähnt.5 Für Deutschland sei auf das fortan grundlegende Werk von Gabriele Annas verwiesen, das entscheidende Fragen aufwirft, die das ganze des Reiches betreffen und entscheidende Antworten gibt. Zur üblichen Quellenkritik sind sodann neu die Begriffskritik und die Traditionskritik (siehe unten) als künftig unentbehrliche Handlungsweisen des Historikers hinzugetreten. Gerade sie scheinen das Europa der Mediävistik im Moment in Bereiche zu teilen, die solches Handeln akzeptieren und in solche, die es noch nicht akzeptieren möchten. Man kann das erste am klarsten an der Verwendung des Begriffs „Staat"6 ablesen, den gleichsam zeitlos zu gebrauchen im wissenschaftlichen Sprachgebrauch des „Westens" nicht mehr gestattet scheint. Denn der Staat hat eine Geschichte, die man heute als ganze überblickt. Es hat den Staat vor dem Beginn dieser Geschichte noch nicht gegeben - nach recht einhelliger Auffassung der
5
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Publiziert in 7 Bänden, ζ. B. Power Elites and State Building, hg. v. Wolfgang Reinhard. Oxford 1996. Zu Annas Anm. 27. Vgl. Anm. 4.
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westlichen Forschung also nicht vor dem ausgehenden 13. Jahrhundert. Seit diesem Datum gab es ihn erst partiell und zögernd, beginnend weit im Westen des Kontinents. Anderswo trat er erst in der Neuzeit auf, so als Staat der „Aufklärung" und zuvor schon als Staat der Verwaltung und der Rechtsordnung. Wie man daraus ersieht, scheint es auf die Dauer methodisch wünschenswert, überall in Europa zum chronologischen Befund den räumlichen Befund hinzuzusetzen und ohnehin zur Repräsentativität der herangezogenen Belege Stellung zu nehmen. Das scheint der einfachste Weg zu sein zur kommenden Vereinheitlichung des Umgangs mit dem „Staat", was uns unvermeidlich erscheint. Traditionskritik heißt am einfachsten formuliert, daß man sich warnen läßt vom Scheitern bestimmter, in der Regel jeweils gegenwartsgesteuerter historischer Konzepte, zuletzt von Konzepten der zweiten Nachkriegszeit, insofern wir sie heute als grob anachronistisch ansehen. Gescheitert ist etwa die pointierende und isolierende Suche nach protodemokratischen Formen im mittelalterlichen Ständewesen, um die Demokratie Nachkriegswesteuropas legitimieren zu helfen. Mißglückt ist offensichtlich auch die legitimatorische Verknüpfung urtümlicher frühmittelalterlicher herrschaftlicher Existenzweisen mit unserem „staatlichen" hoch- und spätmittelalterlichen Europa - als Versuch, den entscheidenden Elementen der römisch-mediterran-karolingischen und christlichen Grundlegung des lateinischen Europa mit Hilfe arg großzügiger Interpretation isoliert-archaisch-autochthoner Elemente auszuweichen So ist man sich heute ziemlich sicher, daß von eigenständigen germanischen Elementen autarker und stabiler Beschaffenheit zu sprechen sehr schwierig ist, ohne dabei und zuerst die maßgeblich formende spätrömische Tradition zu betonen. Damit wird das Autochthone nicht geleugnet, sondern nur auf seinen bescheidenen Platz verwiesen. Oder präziser: Es wird die Möglichkeit, besser die Wahrscheinlichkeit seines Scheiterns offengehalten, sofern es sich nicht ausreichend, das heißt in diesem Fall nach antikkarolingisch-„westlichem" Modell „modernisierte" oder „modernisiert" wurde, sondern überwiegend isoliert blieb. So hat sich dies beispielsweise bei uns bis zum 12. Jahrhundert in der vorchristlichen nördlichen Hälfte der Landschaften zwischen Elbe und Oder oder im vorchristlichen Preußenland ereignet. Wir benennen einige europäische Voraussetzungen und Gegebenheiten aus Chronologie und Geographie, die für unser Thema wertvoll scheinen: 1. Das nacharchaisch-vorrevolutionäre Zeitalter, das in der Mitte des Kontinents uneinheitlich begann (im „Älteren Europa" etwa zur Karolingerzeit, sonst später) und für das Alte Reich in vieler Hinsicht bis 1803/06 währte, ist als legitimatorische Einheit aufzufassen. Daten davor haben für uns nur geringen Wert. Anders formuliert, das verchristlichte, verschriftlichte und mit weiteren wesentlichen antiken, in ihrer Auswirkung „modernen" Erbstücken ausgestattete karolingische und nachkarolingische Mittelalter und die frühe Neuzeit gehören als Rechtseinheit und als erster wichtiger Teilbereich unserer Geschichte zusammen, wie das auch die Zeitgenossen sahen (was das dafür entscheidende Weitergelten der Urkunden betraf). Bis der zivilisatorische Schub des Hochmittelalters aus dem Westen und Süden oder Süden und Westen die Mitte Europas erreicht hatte (also bis ins 12. Jahrhundert hinein), kann man für diese spezielle Mitte eine Phase
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vorschalten, die neben uns vertrauten Wesenszügen auch heute weniger vertraute und heute weniger gern akzeptierte Merkmale aufwies. Als weniger vertraut und daher wohl auch nicht mehr gern akzeptiert stellt sich zum Beispiel der seinerzeit völlig „correcte" und daher vom Historiker zu akzeptierende Tatbestand dar, daß die Christianisierung und damit „Modernisierung" dieser Jahrhunderte im betroffenen Bereich mit politisch-militärischer Unterwerfung einhergehen konnte oder besser einhergehen mußte. Denn die Christianisierung sollte legitim beschleunigt und legitim unumkehrbar gemacht werden. Der Missionsbefehl Gottes im Evangelium ist als Konzept des Handelns ganz wörtlich verstanden worden: der Beichtvater des christlichen Herrschers in der Nachbarschaft von Heiden wird darauf hingewiesen haben, daß (in j e zeitgenössischer Form) missionarisch zu handeln für diesen Herrscher und für sein Volk heilsnotwendig sei. Möglich war daher im lateinischen Europa auf die Dauer nur christliche Herrschaft. Wer nicht christianisiert und damit nicht potentiell politisch unterworfen wurde, ist auch nicht „modernisiert" worden und konnte damit - wie sich historisch zeigte - nicht in seiner Eigenart bestehen bleiben, jedenfalls nicht außerhalb der Peripherie. Ausweichen konnte und kann man diesem Tatbestand nicht. Wer nicht so handelte, stand außerhalb. Zwischen den Handlungsanweisungen und Kommentaren von Theologie und Jurisprudenz dabei zu unterscheiden, ist modern und sollte für die Archaik nicht forciert werden. 2. Eine weitere fortwirkende Figur oder Rechtsfigur war der ebenso gewichtige Tatbestand, daß man in diesem christlichen Europa als kleiner Herr sich ohne das Akzeptieren eines größeren Herrn kaum zu behaupten vermochte, zumal wenn man selbst legitime Herrschaft ausüben wollte. Das Europa der Könige als (abgesehen vom Papst) oberste allgemein anerkannte „Instanzenebene" füllte außerhalb der Peripherie die Landkarte des Kontinents seit dem 10. Jahrhundert aus. Das war so entscheidend, daß es notwendig sein wird, jegliche nichtmonarchische Existenz oder auch (wie später in Böhmen) jegliche nicht im Sinne der „Familie der Könige" legitim eigenständige monarchische Existenz in diesem lateinischen Europa sehr ernsthaft daraufhin zu befragen, ob die Historiker mit ihr kritisch genug umgehen oder ob sie nicht wieder einmal von ihrer eigenen Gegenwart unzulässig, das heißt hier partikular-patriotisch, oder auch egalisierend, gar „demokratisch"-egalisierend beeinflußt worden sind. Nur der Papst konnte erstrangig legitimieren,7 schon beim Kaiser wird man zögern oder zweifeln. Auch der beste regionale Spezialist wird nicht umhin können, dabei das ganze Europa im Blick zu behalten. Konnte zum Beispiel der Erzbischof von Riga im ausgeformten Europa des 13./14. Jahrhunderts, selbst wenn er sich an der Peripherie befand, gleichsam an und für sich, ohne Herrn, politisch existieren? Man wird diese Frage aus allgemeinen Erwägungen gegen die Spezialisten verneinen und wird damit gemäß den Quellen recht behalten; denn urkundlich ist der Erzbischof spätestens im 14. Jahrhundert als Reichsfürst
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FRANZ-REINER ERKENS: Sakral legitimierte Herrschaft im Wechsel der Zeiten und Räume. In: DERS., Die Sakralität von Herrschaft. Berlin 2002.
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bezeichnet.8 Seitdem war seine Welt als von nun an hierarchisierte Welt möglicherweise nach einem „archaischen", zum Scheitern verurteilten Vorlauf gleichsam in Ordnung. Der Nachbar im Westen war damit zugleich seiner christlichen Verantwortung nachgekommen. Dabei ist Folgendes wesentlich: Es ist aus methodischen Gründen nicht gestattet, aus chronologischen Nachweislükken, die für eine solche Zuordnung (neben vielen anderen Nachweislücken für viele andere weniger heikle Probleme) in früher quellenarmer Zeit bestehen mögen, die zeitweilige Rückkehr des Betroffenen in einen alten scheinbar „freiheitlichen", in Wirklichkeit inkonsistent-überholt-delegitimierten Status herauszulesen. Daran konnte gerade der Betroffene von damals als minder Stabilisierter kein Interesse haben, anders als womöglich seine anachronistisch denkenden Nachfahren von heute. Vorausgesetzt ist dabei allein jenes, was auch für den Fall noch nicht ganz vollständiger Realisierung und Modernisierung den Maßstab setzte, das Zeitalter des Erfolgs der Könige, im Hinblick auf die Legitimität dieser „Söhne" des Papstes. Was ist die wichtigste Lehre, die das „archaische" Erbe für die Folgezeit hinterließ? Nur zum Schein zeigt die Landkarte der Monarchien, wie sie sich seit dem 10. Jahrhundert präsentiert, ein einheitliches Europa. Denn das „Urmeter" legitimer Existenz im immer besser ausgebildeten und immer mehr intellektuell durchgebildeten Europa, das heißt unseres lateinischen Europa, das in diesem Raum allein die Kraft zum Bestehenbleiben aufwies, mit Erfolg in die Neuzeit hinüberführte und sich die Welt erschloß, dieses „Urmeter" bot das Karolingerreich, wie es von der Aachener Kaiserpfalz und ihrer Kapelle, dem Aachener Münster, symbolisiert wird. Dieses Reich hat die antik-christlichen, die antikheidnischen und die antik-alttestamentarischen Fundamente einer erst von nun an europäisch-lateinischen Existenz gebündelt, gebündelt tradiert und damit für die Zukunft maßgeblich festgelegt. Danach richtete man sich. Das war das letzte, nicht weiter anfechtbare Fundament der Existenz, das Fundament auch der höchsten, mit anderen Mitteln unerreichbaren Qualität von öffentlicher Existenz von damals, nämlich der christlichen Existenz, und damit die Voraussetzung aller gesicherten Zukunft, wieder abgesehen von der Peripherie und der orthodoxen Welt; das mittelalterliche Rußland wandte diesem Europa gleichsam den Rücken zu und die Peripherie übernahm keine oder kaum Vorbilds- und Leitfunktionen. Den wichtigsten Beispielsfall stellt das karolingische Lehnswesen9 der, das sich nach und nach immer weiter im lateinischen Europa ausdehnte und gerade dadurch den wohl wichtigsten Maßstab der „Europäisierung"
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NORBERT ANGERMANN U. a.: Livland. In: Lexikon des Mittelalters, Bd. 5. München, Zürich 1991, Sp. 2045-2052. - Η . V. ZUR MÜHLEN u. a.: Riga. Ebd., Bd. 7. München, Zürich 1995, Sp. 844-848. KARL-FRIEDRICH KRIEGER: Die Lehnshoheit der deutschen Könige im Spätmittelalter (ca. 1 2 0 0 - 1 4 3 7 ) . Aalen 1979. - SIGRID HAUSER: Staufische Lehnspolitik am Ende des 12. Jahrhunderts, 1 1 8 0 - 1 1 9 7 . Frankfurt am Main 1998. - KARL-HEINZ SPIESS: Das Lehnswesen in Deutschland im hohen und späten Mittelalter. Idstein 2002.
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Europas im hier gemeinten Sinn bildet. Das Lehnswesen war und blieb bis an die Schwelle der Moderne, bis es im 18./19. Jahrhundert abgelöst wurde, gerade in Gestalt seiner großen regionalen Anpassungsfähigkeit der führende herrschafitsund staatsbildende Faktor, an den sich dann andere Faktoren ankristallisieren konnten. Ohne jene legitimierende Mitte, ohne das Lehnswesen, wären die anderen Faktoren wohl unfruchtbar und verbindungslos gewesen. Das Zeugnis dafür ist der Erfolg des Lehnswesens im Reich, im auf die Dauer wichtigsten Gemeinwesen in Europa. Die königliche Lehnshohheit war der Inbegriff der Rechte des Königs gegenüber seinen Vasallen. Das heißt anders formuliert: Die unmittelbaren Erben der Karolinger waren in Europa auf die Dauer ganz klar bevorzugt. Nur sie haben wirklich große alte Reiche ausbilden können: Frankreich und Deutschland - Reiche, die sich am Ende auch gegenüber starken konkurrierenden inneren und äußeren Kräften durchgesetzt oder wenigstens behauptet haben. Sekundär erst haben sich, oft in langwierigen AblösungsVorgängen bis in das 20. Jahrhundert hinein und womöglich noch in der Zukunft, kleinere, kopierende Lebensformen separiert verwirklicht. So verhielt es sich wenigstens im Zentrum. Die Peripherie Europas mit ihren teilweise abweichenden Regeln wird bei der Frage nach Böhmen nicht zum Thema. Das alles heißt, daß es fur wohl sämtliche anspruchsvollen Fragen, die man in unserem Zusammenhang zu stellen sucht, auf den Ort im lateinischen Europa, an dem sich das entsprechende Subjekt oder auch Objekt befand, entscheidend angekommen ist. Es wird heute wohl nicht mehr ernstlich bestritten, daß die Geschichte des Kontinents seit dem Übergang vom Früh- zum Hochmittelalter und bis tief in die frühe Neuzeit hinein im großen und ganzen, nicht natürlich im Milieu des einzelnen individuellen Handelns, in zweierlei Hinsicht zivilisatorisch-chronologisch „gerichtet" war10: Ungefähr von Süden nach Norden und ungefähr von Westen nach Osten. Wohl seit dem 10. Jahrhundert traten auch die beiden Innovationslandschaften unseres Europa zutage, Oberitalien und der weitere Umkreis der Rheinmündung, am meisten hervorgehoben durch Bevölkerungsdichte und Urbanisierungsgrad, Metropolenbildung, Verschriftlichung und Intellektualisierung, und generell durch ihren „Intensitätsvorsprung". Es geht bei alledem wieder, anders formuliert, um das Maß der „Europäisierung" Europas. Die Unterschiede waren dabei beträchtlich. Im großen und ganzen gab es ζ. B. auch innerhalb des Reiches selbst noch im 15. Jahrhundert, als man hierüber erstmals recht gut informiert ist, ein Gefälle der Bevölkerungsdichte etwa von vier zu eins von Westen nach Osten, von Brabant bis Schlesien. Dichtere Bevölkerung hieß im allgemeinen immer größer werdende, als einzige wirklich
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PETER MORAW: Über Entwicklungsunterschiede und Entwicklungsausgleich im deutschen und europäischen Mittelalter. Ein Versuch. In: Hochfinanz, Wirtschaftsräume, Innovationen. Festschrift für Wolfgang von Stromer, Bd. 2. Trier 1987, S. 583-622.
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urbane Städte und bedeutete das Freisein von immer mehr Menschen für nichtmanuelles Tun. Nach und nach wird man wohl zeigen können, was jede Dynastie oder vergleichbare regionale Kraft unter solchen Prämissen aus je ihrem Land oder Bereich unter dem Druck der Konkurrenz gleichsam hat gestaltend „herausholen" können und was Dynastie und Land dann auf dieser Basis politisch und in anderer Hinsicht nach innen und außen zu leisten vermocht haben. Wer ein „starker Herrscher" und was „Blüte" bedeutete, das wird wohl immer subjektivem Urteil unterworfen sein; einige andere Daten und Fakten im Umkreis von genereller Stärke und Schwäche und deren Ursachen und Konsequenzen sind wohl ansehnlich objektivierbar. Als geographisch ähnlich geordnet erweist sich in Europa wie schon angedeutet auch das Erscheinungsbild des geistigen Erbes der Antike, also des Erbes des Christentums, beim Bildungsgut aller Art und schließlich auch bei wichtigen Aspekten von „Staat" oder Staat. So geordnet blieben bemerkenswerterweise im wesentlichen auch die entsprechenden mittelalterlichen-nachmittelalterlichen Weiterentwicklungen in diesen oder in allen diesen Bereichen. Es waren wohl auch überzeugende Maßstäbe für die Zeitgenossen und sind beachtenswerte Maßstäbe für den Historiker von heute. Oder anders: Wenn man sich nicht ganz geradlinig und kurzfristig allein auf Waffenkraft stützen wollte, kam es darauf an, sich möglichst im Hinblick auf Rom und auf die Römer oder auch auf deren Vorgeschichte hochrangig zu verankern, das heißt im Hinblick auf das einzige historisch verfügbare wirkliche Staats-Volk und auf dessen Ort in der Weltgeschichte. Es ist u. E. verfehlt, das nicht sehr ernst zu nehmen, gar in den Bereich der unverbindlichen Fiktion zu verweisen oder in willkürliche Einzelfälle zu zerlegen. So haben sich schon sehr früh die Franken am Rhein sehr anspruchsvoll, als „Söhne der Trojaner" positioniert. Nicht mehr gelang dies weiter östlich - gleichsam „hinter" dem Sachsenland Widukinds von Corvey (dessen ebenfalls importierter heiliger Vitus-Veit schon ein vergleichsweise bescheidener Zeuge war), nicht mit dem Pflüger Pfemysl und erst recht nicht in Polen. Was also den allerhöchsten Anspruch betraf, und nur der sollte uns primär interessieren, so war schon ein großer Teil des Reiches eine Art Peripherie mit immer weniger überzeugender Legitimität und ohnehin mit kürzerer akzeptierter realer Geschichte - aber eben auch (was genau so wichtig war) mit kürzerer fiktiver Geschichte. Daher darf man für den nächsten Schritt sagen: Ohne den ereignisgeschichtlich im Augenblick des Jahres 962 gewiß gut begründeten, europahistorisch gesehen allerdings nicht einfach diskussionslos überzeugenden Erwerb des römischen Kaisertums durch König Otto I. und ohne die (vielleicht nicht minder überraschende) dauerhafte Behauptung dieses Kaisertums über insgesamt 850 Jahre hinweg hätten im Raum des deutschen Mittelalters langfristig möglicherweise regionale oder (oder ex post geurteilt) zentrifugale Kräfte die Oberhand gewonnen. Es hat weder eine dauerhafte politische Einheit noch auch die so bemerkenswerte Entstehung eines neuen großen Volkes über mehreren oder zahlreichen kleinen Völkern und eine gemeinsame Sprache über zahlreichen kleinen Sprachen einfach geben müssen. Die „partikulare" Alternative wäre die
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wohl aus den konkreten Lebensverhältnissen von damals „natürlich" erwachsende Alternative gewesen: mehrere Völker. Ihr gegenüber haben sich dann in der Tat andere, wenn auch langsam wachsende und wirkende, nämlich im Sinn einer deutschen Zukunft einheitsfördernde und schließlich einheitsbildende und einheitstragende Kräfte durchgesetzt. Manche dieser Fakten waren importiert. Wenn wir entlang dieser Fragestellung argumentieren, so heißt dies nicht im mindesten, daß wir die authochtonen, agrarisch-feudalen Kräfte gering bewerten, die man überall vorfindet, sie treten nur angesichts der anspruchsvollsten Perspektive, wie sie hier verfolgt wird, zurück. Es hätte also eine „deutsche Frage" im Sinn eines Gegensatzes zur „böhmischen Frage" keineswegs unbedingt entstehen müssen. Die für uns wichtigste Konsequenz dieses Gedankens ist nun, daß diese böhmische Frage nicht als ein einzigartiges Problem, sondern als eine unter mehreren ähnlichen Fragen vor Augen treten kann und sich damit im Einzelfall vergleichsweise reduziert. Oder gar: die Kräfte, die die böhmische Frage möglich machten, sind vielfach nicht präzise deutsche Kräfte gewesen. Die unserem Einzelthema übergeordnete Frage heißt demnach eher anders als gewohnt: Warum gab es eine umfassende, integrative Geschichte von Dauer, die wir bald deutsche Geschichte nennen dürfen"? Dafür war wohl in eher abstrakter Linie die europäische Süd-Nord-Richtung am wichtigsten (in Gestalt des Imports des Kaisertums auf karolingischer Basis und zuvor schon des christlich-römisch-mediterranen Kulturerbes in ansehnlicher Breite). Im eher Konkreten war wohl am wichtigsten der europäische West-Ost-Weg wieder auf karolingischer Basis (Königtum, Adelsherrschaft, Lehnswesen, Dynastienwanderung, Modernisierungsschübe samt Kulturtransfer im wesdich-französischen Sinn). Es kommt hier nicht darauf an, welcher Weg der wichtigere war. Ziemlich gleichwertig war jedenfalls wohl der Verlauf der schulischen, gelehrten und künstlerischen „Modernisierung" aus beiden genannten Richtungen im hohen und späten Mittelalter. Böhmen importierte kaum unterscheidbar kräftig mit, weil es auf dem Weg lag, nicht ohne erkennbare Individualität. Es lag verhältnismäßig weit südlich (ob es auch deswegen im 14. Jahrhundert und um 1400 vergleichsweise zahlreiche gelehrte Juristen in Prag gab und nicht nur als Ausdruck der „individuellen" Herausforderung durch eine erfolgreiche neue Dynastie?). Aber Böhmen lag relativ weit vom Westen entfernt. Das hieß, daß es verfassungs-, adels- und kirchengeschichtlich, vielleicht auch schreibgeschichtlich im lateinischen Europa erst relativ spät gut hörbar zu Wort kam, kaum vor dem ausgehenden 13. Jahrhundert, mit Nachdruck erst in den ohnehin heiratsgeschichdich schon sehr „verwestlichten" allerletzten Generationen der einhei11
DERS.: Vom deutschen Zusammenhalt in älterer Zeit. In: Identität und Geschichte, hg. v. Matthias Werner. Weimar 1997, S. 2 7 - 5 9 . - PETER MORAW: Zur staatlich-organisatorischen Integration des Reiches im Mittelalter. In: Staatliche Vereinigung, Fördernde und hemmende Elemente in der deutschen Geschichte, hg. v. Wilhelm Brauneder. Berlin 1998, S. 7 - 2 8 . - PETER MORAW: Das Reich und die Territorien, der König und die Fürsten im späten Mittelalter. In: Rheinische Vierteljahrsblätter 63, 1999, S. 1 8 7 - 2 0 3 .
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mischen Dynastie der Piemysliden und speziell unter seiner gänzlich westlichen nächsten Herrscherfamilie, dem linksrheinischen Haus Luxemburg.
IV Nachdem man wahrgenommen haben mag, wie das „Böhmen im Reich"-Problem auf eine vielleicht etwas umständliche Weise aus seiner hergebrachten und offenbar eher unfruchtbaren Verengung und Isolation gelöst werden kann, ist von der zweiten, räumlich näherliegenden Umfeldfrage zu sprechen, die zu erörtern ebenfalls dringlich ist: von Reich und Reichsverfassung.12 Auch hier sind beachtliche Neuerungen der Forschung aus der jüngeren und jüngsten Zeit einzubeziehen und ist vor allem eine Anzahl kaum haltbarer Urteile zu überarbeiten, die einst auf der Basis eines heute entschieden veralteten Forschungsstandes und damaliger problematischer Gegenwartseinflüsse gefällt worden waren und mancherorts bis heute tradiert werden. Man muß dabei hie und da in für nichttschechische Leser vielleicht abundanter Weise ausgreifen, gerade weil spezialisierte Aussagen aus Böhmen gern auf generellen Auffassungen aus der Reichsverfassungsgeschichte fußen, die inzwischen längst aufgegeben oder modifiziert worden sind. Wir versuchen davon so knapp wie möglich in sechs Punkten zu handeln. 1. Das Kaisertum hielt seit dem 10. Jahrhundert das karolingische Erbe präsent (Karl der Große war für das ganze heimische Mittelalter ein deutscher Kaiser) und hielt den Zugang nach Italien offen. Italien war in positiver und negativer Hinsicht (damit man sich daran „reiben" konnte) ganz entscheidend. Vor allem aber war das Kaisertum, wie man betonen muß, ein höchstrangiger innenpolitischer Faktor als Faktor des Bewußtseins - ein Faktor nämlich, auf den alle, die wir bald Deutsche nennen können, stolz gewesen sind. Auswärts waren die Deutschen die Leute des Kaisers, „homines imperii" sagte man in knappster Kombination. Deutschland war das Imperium: Königtum und Kaisertum wurden allmählich nur noch von Spezialisten unterschieden, sofern sie sich des Lateinischen bedienten. „Regnum" und „imperium" konnten und können, wie bekannt, nur deckungsgleich ins Deutsche übersetzt werden, mit dem Wort „Reich". So wurde der Artikulationsbedarf vor allem gegenüber dem „Älteren Europa" im Westen und Süden des Kontinents gedeckt. Die Worte „deutsch" und „Deutschland" - wie man weiß ohne nennenswerte antike Qualität - sind erst spät, im Humanismus, besonders durch die Wiederentdeckung der „Germania" des Tacitus, auf diese feinste, eigentlich einzig wirklich „europäische" Ebene der 12
Der Weg in die Geschichte. Die Ursprünge Deutschlands bis 1024. Berlin 1994. - HAGEN KELLER: Zwischen regionaler Begrenzung und universalem Horizont. Deutschland im Imperium der Salier und Staufer 1024-1250. Berlin 1986. - PETER MORAW: Von offener Verfassung zu gestalteter Verdichtung. Das Reich im späten Mittelalter 1250 bis 1490. Berlin 1985 (Propyläen Geschichte Deutschlands 1-3). JOHANNES FRIED:
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Diskussion gehoben worden. Zuvor waren sie eher nördlich und östlich im „Jüngeren Europa" aktuell („Deutsche Hanse"13, „ius teutonicum"). (Die Hanse hatte man erst spät und mühsam in der Kultursprache des Lateinischen zu verankern getrachtet.) In einem so ausgedehnten Raum wie demjenigen Europas sollte man am besten nicht voraussetzen, daß man sich einheitlich ausdrückte. Weil das „deutsche" Nationalbewußtsein früh mit dem Kaiser- und Reichsbewußtsein identisch geworden war, entstand und bestand Deutschland - so dürfen wir vermuten - mit einem anders beschaffenen Bewußtsein als die kleinen Königreiche Europas. Das heißt, Deutschland entstand und bestand nicht „lebensweltlich", zum Beispiel durch konkrete Erfahrung von Mobilität und Zentrumsorientierung wie in solchen Reichen, wie etwa in England, oder bei weitem nicht in solchem Maß „lebensweltlich" wie diese. Verwandt war das deutsche Bewußtsein allein mit dem heranwachsenden Bewußtsein der Franzosen, das sich an der ebenfalls übergreifenden und ebenfalls hochrangigen karolingisch-fränkischen Erinnerung und später an der zu diesem Zweck selbstgeschaffenen besonderen Christlichkeit seines Königs und Landes festhielt - dabei gewiß auch vom (legitimatorisch uneinholbaren) deutschen Gegenüber stimuliert. Das „Problem" Deutschlands waren seine vielen Völker - darunter aber nicht im mindesten als Primärfrage die Böhmen. Mit den Franken am Rhein war es viel schwieriger als mit den Böhmen; nicht ganz ohne Grund sahen sie etwas hochnäsig auf die Nachbarn herab. Aber auch die Sachsen waren sehr stolz auf ihr Volk, und so weiter. Jeder sprach anders, so urteilte auch Peter von Zittau, der kluge Zisterzienserabt aus Böhmen im 14. Jahrhundert14, obwohl man gerade nach dessen Urteil ungeachtet der zum gegenseitigen Spott reizenden sehr deutlichen sprachlichen Differenzen zusammengehörte. Das viel größere Einzelproblem dürfte der Führungsanspruch oder die Führungsrolle eines dieser Völker in den Augen der anderen Völker gewesen sein. Mit Böhmen hatte auch das nichts zu tun, obwohl Karl IV. es seiner Dynastie schuldig zu sein schien, wenigstens darauf anzuspielen. Der Kerntatbestand hieß statt dessen: Alle Deutschen konnten eigentlich, ohne selbst verletzt zu sein oder ohne ihren Nachbarn zu verletzen, nur auf das Kaisertum in Rom stolz sein. Die „Ortlosigkeit" Roms war wohl eine geradezu notwendige Voraussetzung der Integration. Schon daß die kaiserliche Familie der Staufer eine konkrete Heimat besaß, im „Südwesten", hatte den Stolz des Rheinländers Alexander von Roes im späten 13. Jahrhundert verletzt.15
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DERS.: Hansestädte, König und Reich im späteren Mittelalter. In: Vergleichende Ansätze in der hansischen Geschichtsforschung, hg. v. Rolf Hammel-Kiesow. Trier 2002, S. 5, 53-76. B. PAPST: Peter von Zittau. In: Lexikon des Mittelalters, Bd. 6. Stuttgart, Weimar 1993, Sp. 1940. HEINZ THOMAS: Alexander von Roes, ebd., Bd. 1. Stuttgart, Weimar 1980, Sp. 379.
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2. Etwa vom ausgehenden 11. Jahrhundert an kamen in diesem Reich, das so gänzlich „ vordeutsch " entstanden war, deutsche Elemente immer stärker zum Ausdruck, bis sie gleichsam alle Poren erfüllten und seit dem späteren 12. Jahrhundert zu jener Selbstverständlichkeit wurden, die man nun nicht mehr zu formulieren brauchte. Auch das hatte mit Böhmen nichts zu tun. Diese ganze Selbstverständlichkeit läßt die Historiker von heute mit Recht von der deutschen Geschichte des Mittelalters oder auch mit einem Kunstwort vom römisch-deutschen Reich sprechen. Das Kunstwort ist nur nötig, um der besonderen Entstehungs- und Legitimationsgeschichte des Reiches gerecht zu werden, zur Darlegung des ethnischen Befundes bedarf man seiner nicht. Daher stellen sich ganz falsche Assoziationen ein, wenn man dieses Gebilde „übernational" nennt, wie das tschechische Kollegen gern tun, mit dem deutlichen Nebensinn, daß es im Mittelalter noch gar keine richtigen Deutschen gegeben haben mochte. Wenn man sagt, das Reich sei deutsch gewesen, insofern die Deutschen reichisch waren, dann geht es wie üblich nicht primär um das einfache Volk, das überall in Europa regionalisiert war und fast überall politisch stumm und belangslos blieb. Eine einheitliche Sprache benötigte man, schon weil nur wenige übergreifend davon betroffen waren, zum Deutschsein nicht, wie schon der gerade zitierte Peter von Zittau festgestellt hat. Oder anders gesagt, „deutsch" war wie „reichisch" kein primär philologischer Begriff, sondern ein Begriff des Bewußtseins, des Bewußtseins von „stolzer" Gemeinsamkeit. Schon bei der so bedeutungsvollen Ungarnschlacht bei Augsburg von 955, bei welcher die Böhmen als Leute ihres Herzogs bekanntlich loyal mitgekämpft haben, war das Heer wegen der unterschiedlichen Sprachen von Einzelvolk zu Einzelvolk (bei Widukind von Corvey in „Legionen" nach legitimer oder korrekter, das heißt nach römischer Begrifflichkeit) geordnet und wurde die Einheit des ganzen durch den König und sein Feldzeichen, den Erzengel Michael, als christliche Komponente dargestellt. Das genügte für den Sieg. Der Eid, den die Kämpfer auf Ottos Befehl auf dem Feld leisten mußten, bezog sich auf das zeitweilige Friedenhalten von Mann zu Mann innerhalb desselben Einzelvolks, nicht auf den Frieden von Einzelvolk zu Einzelvolk. Eine Rede (wenn Widukind nicht gänzlich fingiert) konnte der König nur vor „seinem" Einzelvolk halten, die anderen hätten ihn akustisch und sprachlich nicht verstanden. Zur Frage nach dem Deutschsein der Reichsverfassung in der Folgezeit,16 wiederum bei den tschechischen Kollegen gern „partikularisierend" verstanden, mögen wieder sehr wenige Worte genügen. Maßgeblich waren die Eliten und bald die Höfe und für die Intellektuellen oft das Gegenüber zu Italien, kaum zu anderen Sprachen, nicht zu den innerdeutschen oder innerreichischen. Seit etwa 1200 kann man, im wesentlichen durchgehend bis zum Ende des Alten Reiches, das Oberdeutsch-Mitteldeutsche als die Elitesprache in der Herrschernähe be-
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Die Entstehung des mittelalterlichen deutschen Reiches als Forschungsproblem. In: Aequilibrium mediaevale. Symposion Carl August Lückerath, hg. v. Günther Christ. Idstein 2003 S. 9-17.
JÖRG JARNUT:
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zeichnen. Seit dem ausgehenden 13. Jahrhundert sprach man es auch am (römischen Hof mit Ausnahme der Hussitenzeit und von deren Folgen - und zwar ganz unabhängig von der Tatsache, daß dieselben Eliten jeweils bei sich daheim und erst recht die verschiedenen Landsleute geringeren Standes untereinander niederdeutsch oder italienisch, französisch in verschiedenen Mundarten, baltisch, tschechisch, slowenisch, pr(e)ußisch, polnisch oder deren Vorstufen und Varianten gesprochen haben. Das war politisch belanglos. Es genügt zu erweisen, daß die deutlich größte der „benachteiligten" Sprachgruppen, die niederdeutsche, die Suprematie des Südens und der südlichen Mitte Deutschlands ohne Zögern anerkannt hat. Wir sehen das als paradigmatisch an. Die Niederdeutschen gebrauchten den Begriff „deutsch" im späteren Mittelalter nach außen offenbar besonders gern. Er meinte wieder primär Zugehörigkeit und Solidarität und meinte Kaiser und Reich, auch wenn es ein Meinen aus der Distanz war. Der Kaiser war nicht allein im Reich. Er benötigte die Fürsten und die Fürsten benötigten ihn.17 Der Wettlauf der Fürsten um ein möglichst hohes Maß an adeliger Selbstverwirklichung, eine unbedingte Notwendigkeit schon angesichts des dem Fürsten nachgeordneten Adels, gliederte und ordnete das Reich gemäß dem Rangkampf der Fürsten. Das vollzog sich auch durchaus ohne das Mitwirken des Kaisers, gleichsam seitwärts von ihm, ein reichs-innenpolitisches Motiv, das von den tschechischen Kollegen, die nur ein Fürstenhaus kennen, zu unrecht notorisch unterschätzt wird. So gewann man seinen Platz im Reich. In jeder Generation konnte man daheim und auswärts auf dem Heiratsmarkt die aktuelle Position ablesen. Anders formuliert: Rechtssubjekt auf Seiten Böhmens war sein Herzog oder König, nicht das Land Böhmen. Oberhalb dessen war im unaufhaltsamen Wandel der Verfassungsterminologie, die sich für das ganze Reich stets am Lateinischen (mit seiner autonomen Begriffsgeschichte) festhalten oder mindestens orientieren konnte, „römisch" und dessen begriffliche Nachbarschaft solange aktuell, als das politische Papsttum das Gegenüber bildete. Im 14./15. Jahrhundert, als dieses Gegenüber nach und nach dahinschwand, trat „römisch" zugunsten von „heilig" zurück. „Heilig" war das (innenpolitisch populäre) Lieblingswort speziell im 15. Jahrhundert. Die Reformation samt ihrer Folgen leitete dann letztlich den Wandel zugunsten von „deutsch" ein, abgesehen vom Prozeß der generellen Säkularisierung in Europa. Die Juristen von 1806 ließen dann, ganz korrekt im Einklang mit dem Sprachgebrauch ihrer Zeitgenossen (und wohl schon von deren Vorgängern), Kaiser Franz die Krone des Deutschen Reiches (nicht mehr des überholten römischen Reiches) niederlegen. Damit war die Terminologie des 19. Jahrhunderts schon im Alten Reich vorgeprägt, aber auch dort „verortet". Warum hätte man auch etwas Neues suchen sollen? Dies geschah wohlgemerkt, ehe das Adjektiv „deutsch" jenen jüngeren sprachromantisch- sprachnationalen Sinn gewann, der tschechischen Kollegen - bald in einer eigenen sekundären Romantik aufgewachsen - solche Schwierigkeiten macht. Man darf hier nichts
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Principes, hg. v. Cordula Nolte u. a. Stuttgart 2002.
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vermischen. Im alten, für uns allein maßgebenden Sinn meint „deutsch" auch „römisch" oder „heilig", und „römisch" oder „heilig" meint auch „deutsch", beides zur Charakteristik des Innehabens des Römischen Reiches antik-christlicher Legitimität durch die Deutschen und noch mehr als Beschreibung des generellen Ist-Zustands unter dem Kaiser in der Mitte Europas ohne pointierte sprachliche Aussage. Für die ostmitteleuropäischen Milieus des späteren Mittelalters bedeutete darüber hinaus das Vorrücken der mitteldeutsch-oberdeutschen Sprache (wie vielfach für den Norden Europas das Vorrücken der niederdeutschen Sprache) ein Stück Europäisierung und „Modernisierung", einfach qualitativ verbesserte Kommunikation, konkret eine Überleitung nach Mitteleuropa hin - ähnlich wie im Westen das Vordringen des Französischen als der „moderneren" Sprache nach England und oder auch wie die partielle Überschichtung des Deutschen durch das Französische für die gehobene Terminologie mit Begriffen und Wendungen am Rhein nahe der Reichsromagna. Auch das waren europäische Phänomene. Oder: Das Schicksal des Tschechischen und des Niederdeutschen war dasselbe, beide waren während der Jahrhunderte des Alten Europa von der Überlegenheit des Oberdeutschen-Mitteldeutschen gezeichnet, wieder als gleichsam schicksalhaftes, nicht-gewolltes Geschehen. Das Stichwort „Modernisierung" kommt auch dadurch zum Ausdruck, daß von solchen Wandlungen kaum oder am wenigsten das einfache Volk, sondern die feinen und ehrgeizigen Leute, die vorwärts kommen wollten, betroffen waren, oder auch dadurch, daß sich die ganze Ostwanderung der deutschen Sprachen (mit der Ostwanderung der Personen) nicht einigermaßen exakt gemäß der geographischen Breite vollzog, sondern daß man das „modernere" Oberdeutsch-Mitteldeutsche bevorzugte. Es erreichte ganz außen im baltischen Osten beinahe die Ostsee. Der von Prag her und höfisch denkende Karl IV. hat in der Goldenen Bulle von 1356 diese Mundart oder besser Sprache gemeint18, die er als „Theutonicorum ydioma naturaliter inditum" bei allen Kurfürsten als Angehörigen der Elite, also auch beim König von Böhmen und bei den nord(-nieder)deutschen Kurfürsten, als selbstverständliche Sprache, fast schon selbstverständlich-einheitliche Sprache voraussetzte. Das ist die wichtigere Feststellung gegenüber dem partikularen „Nichtdeutschsprachigsein" welcher Variante auch immer. Erst zusätzlich sollten die Erben dieser Ämter, soweit sie es intellektuell vermochten, auch die zugehörige „Wissenschaftssprache", also eigentlich keine Fremdsprache, nämlich Latein [treffend grammatica genannt], und danach zwei der drei wichtigsten Nachbarsprachen des oberdeutsch-mitteldeutschen Reichskerns lernen, FlorentinischLombardisch und Tschechisch. Kein anderer als Karl selbst hätte - aus eigener lebenslanger Erfahrung - so formulieren können. Man wird diesen Artikel als seine ganz persönliche Aussage verstehen, genauso auch wegen seines ebenso
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Monumenta Germaniae Historica, Constitutiones et Acta Publica Imperatorum et Regum, Tomus XI., bearb. v. Wolfgang D. Fritz. Weimar 1978-1992, S. 630, 632.
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ganz persönlichen, auch anderwärts bezeugten Ressentiments zu Lasten des (Ostbzw. Nord-)Französischen, das vermutlich aus der Jugendzeit herrührte. Dessen Fehlen in der Goldenen Bulle wäre sonst unbegreiflich angesichts der dem Kaiser aus eigener Kenntnis wohlbekannten ausgedehnten Gebiete des Reiches, die so sprachen wie die höfische Heimat des Vaters und Großvaters, nämlich nordfranzösisch. Es wäre grob anachronistisch, dabei Quantitäten veranschlagen zu wollen, so als ob man beispielsweise als Sachsenspiegelautor eine Volkszählung hätte veranstalten sollen, während man doch nur aus regionalem Konkurrenzneid einen Nebenbuhler diffamieren wollte. (Der mitteldeutsche Rangkampf wurde mit allen Mitteln ausgetragen). In Wirklichkeit kam es auf den sozialen Rang der Sprachen an, so wie sich auch Kaiser Karl zugunsten seines Hofes ganz richtig verhalten hat. Oder er verteidigte - noch einfacher - die Seinen, wie sie bei ihm sprachen, wobei es auf die konkrete Philologie gar nicht ankam. 3. Selbstverständlich bestanden ernsthafte Integrationsproblem in einem so ausgedehnten Gebilde wie dem Alten Reich, das erst in einer sehr langen Geschichte von den lange Zeit maßgeblichen personenbezogen-aristokratischen Lebens- und Verhaltensmustern in überwiegend oder ansehnlich institutionellstaatsartige Lebens- und Verhaltensmuster hinübergeglitten ist. Das hat ungefähr ein halbes Jahrtausend gedauert. Es kommt also sehr darauf an, von welchem Jahrhundert man spricht. Beide Lebens- und Verhaltensmuster, das aristokratische und das „institutionelle", erfüllten zu ihrer Zeit die beiden Hauptaufgaben jedes Gemeinwesens, die Selbsterhaltung im konkreten Moment zumal der Herausforderung und die Perpetuierung des Bestehenden. Dies geschah - folgern wir - auf der Basis des Verständnisses oder gar des (wachsenden) Zusammenhalts der Eliten. Es ist also ein weiterer unglücklicher Zungenschlag, wenn unsere tschechischen Kollegen gern von einem „überstaatlichen" Reich im Sinn eines „nichtstaatlichen" Reiches reden. Vom Aspekt der erfolgreichen Selbsterhaltung gesehen ist dies ein unzutreffendes Urteil. Allerdings gelang solche Aufgabenbewältigung angesichts des durchschnittlich nur mittleren Zivilisationsniveaus in der Mitte Europas vergleichsweise mit geringerer Geschwindigkeit als etwa in Frankreich; man kann diesen Abstand im Spätmittelalter in vieler Hinsicht gewiß auf etwa ein Jahrhundert veranschlagen. Die offenbar überall im lateinischen Europa vorhandene Gemengelage von (aus heutiger Sicht) staatlichen und von nichtstaatlichen, aber beidesmal „staatstragenden" Elementen war daher bei uns für das Gesamtreich stärker oder viel stärker hin zum Nichtstaatlichen verschoben. Es war gleichwohl ein quantitatives, kein qualitatives Problem. Oder anders formuliert: Das „klassische" Mittelalter, das personengesteuerte Zeitalter der Hochgeborenen, ein von deren Lebens- und Verhaltensmustern geprägtes und von diesen persönlichen Mustern mitgetragenes Zeitalter, dauerte bei uns nicht nur deutlich länger als im Westen und Süden Europas, sondern dieses übernahm, soweit seine Kräfte reichten, auch die Aufgaben der staatlichen Zukunft. Die Elitengeschichte, wohl eine Hauptaufgabe der Historiker für die Zukunft, ist zum Verständnis dieser Thematik am wichtigsten. Schon die deutschen
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Eliten des 12. Jahrhunderts kannten die „Welt" (es war weit überwiegend die interessanteste Welt, die Welt des Westens und Südens des Kontinents), und man kannte sie in dieser „Welt", da man sie als Deutsche erkannte und (von Süden und Westen in die nicht so sehr angesehene nördlich-östliche Richtung blickend und sie mit dieser gleichsetzend) nicht sehr positiv charakterisierte. Die Regeln des Umgangs feiner Leute miteinander, die in erster Linie das frühe Gemeinwesen ausmachten - abgesehen vom historischen Verfassungswissen der KlerikerIntellektuellen und abgesehen von sehr wenigen „Institutionen" - , werden derzeit intensiv erforscht. Am besten erkennt man die fundamentale Rolle der Dynastien, hinter denen die Historiker von heute die Länder oder gar „Staaten" als „Handelnde" immer deutlicher zurücktreten sehen. Vor allem war der europäische Wettbewerb dynastisch, gemäß Rang und Ehre der Könige und Fürsten. Die Aufgabe des Landes war es in erster Linie, für diesen Wettbewerb jeweils die Ressourcen zu liefern. Wer diese Hierarchie der Werte umkehrt, bleibt hinter dem Forschungsstand zurück und verstrickt sich in Anachronismen. So waren auch die dynastischen Daten von 1310 und 1526 sicherlich die wichtigsten Einschnitte in der Mitte der älteren böhmischen Geschichte. 4. Nun erst kommen wir zur zeitlichen Abfolge der Frage „Böhmen im Reich"19. Wir konstatieren als erstes (und beschreiben dies sogleich etwas näher), daß es sich während der langen Zeitspanne von der „Archaik" (das heißt seit dem Gegenüber von Christentum im Westen und von Heidentum in Böhmen) vor und um 800 bis in den Konstitutionalismus des 19. Jahrhunderts im Prinzip um einen einzigen, jeweils zeitgemäß abgewandelten Prozeß und Tatbestand handelte: um die Zugehörigkeit des relativ kleinen Böhmen (und seiner Nebenländer) in welcher Terminologie auch immer zum jeweiligen wesdich, südlich und nördlich benachbarten größeren, schon sprachlich als anders erlebten Gemeinwesen. Ein unvoreingenommener Blick auf diese Geographie macht schon klar, wie enorm groß der Argumentationsbedarf zugunsten einer anders erlebten Alternative wäre. Dabei ist zunächst (im Mittelalter) das Hauptthema dieses Verhältnisses auch am einfachsten erkennbar, der ziemlich kontinuierliche, im europäischen Vergleich als beachtlich oder gar als erstaunlich zu bezeichnende konsequente Aufstieg der Fürsten Böhmens innerhalb des größeren Gemeinwesens. Das ist neben der Formierung Böhmens selbst der Hauptinhalt der älteren böhmischen Geschichte und der entscheidende erste Punkt für das historische Urteil, denn diese Formierung kann nicht getrennt gesehen werden vom dynastischen Erfolg. Danach (in der Neuzeit) beobachtet man - nun fast stets ohne eigenständigen dynastischen Mittelpunkt - wohl zeitweilig eine gewisse Stagnation in der Rolle des Landes. In der Zukunft mag man - in Rücksichtnahme auf die Lage der beiden Innovationslandschaften des lateinischen Europa in Oberitalien und an der Rheinmündung - Typologien fürstlichen Aufstiegs und fürstlicher Existenz und
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Belege in Anm. 2.
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danach sekundär der Existenz und des Aufstiegs von Ländern erarbeiten und sodann Böhmen geführt von seinem Herrn darin einordnen. Jener Aufstieg trat in Mitteleuropa ins Leben, bevor man das umfassende Gemeinwesen wirklich deutsch nennen kann, und war demgemäß eine Konsequenz gemeineuropäisch-karolingischer und christentumsbezogener Tatbestände, beginnend schon mit der Christianisierung und Unterwerfung der Nichtchristen oder mit der Christianisierung als Unterwerfung der Nichtchristen. Beides gehörte wie gesagt weitverbreitet oder überall zusammen, denn wir befinden uns in einer schwerttragenden und schwertverwertenden, auf aristokratische Rangunterschiede fundamental bedachten Gesellschaft, in einer Gesellschaft, die zum Krieg erzogen worden war. Das heißt auch: Es handelte sich bei Böhmen viel weniger um einen irgendwie aufregenden Sonderfall als um einen Vorgang, den man übergeordneten, damals „normalen" Gesichtspunkten zuordnen wird. Die Präzision unseres Wissens läßt für die Anfange zu wünschen übrig. Das wird niemanden überraschen, der die Quellenlage des Zeitalters kennt. Die Klarheit dessen, was sich generell und was sich in der späteren Überlieferung darstellt, wird aber dadurch kaum beeinträchtigt. Angesichts der Vorgaben der Geographie und soweit man sie verwerten darf, der Vorgaben der Bevölkerungsgeschichte wäre es überaus erstaunlich und unwahrscheinlich gewesen, wenn sich das Karolingerreich, die Mitte Europas, nicht auch gegenüber den altböhmischen Verhältnissen durchgesetzt hätte, ebenso wie gegenüber den altsächsischen, altbaierischen und anderen Verhältnissen. Das war der Ausgangspunkt. Das beste Datum für die militärische Unterwerfung, die in einen Tributärstatus mündete, ist 805/06 (erste Stufe).20 Davon wusste man in Böhmen noch in der Stauferzeit. Es mochte sich fest eingeprägt haben. Das Ostfränkische Reich und das vorerst noch namenlose künftige römisch-deutsche Reich des 10. Jahrhunderts erbten wie zu erwarten diesen Zustand, da sich an den generellen Voraussetzungen nichts geändert hatte. Ein brauchbares Teildatum für die Christianisierung war der Taufakt von Regensburg im Jahr 845 (sehr vereinfacht gesprochen ca. 700 Jahre später als im Moselland, ca. 350/400 Jahre früher als in Livland, um zwei Vergleichsdaten aus der west-östlichen Christentumsgeschichte der Mitte Europas zu bieten). Es ist schwer zu sagen, wann genau sich der fundamentale Tatbestand der ältesten böhmischen Geschichte zuerst abzeichnete: das Bündnis der ebendadurch oder auch am meisten dadurch aufsteigenden Pfemysliden mit den Königen des Reiches, die weiter westlich saßen. Spätestens geschah dies im 11. Jahrhundert. Dieses Bündnis erbrachte als zweite Stufe den Übergang in das Lehnsverhältnis (erstes sicheres Datum 1004, vielleicht schon 950) und das Ausklingen des 20
DUSAN TSESTÜC: The Baptism of the Czech princes in 8 4 5 and the Christianization of the Slaves. In: Historica 2, 1995, S. 7 - 5 9 . - PAUL MAI: Regensburg als Ausgangspunkt der Christianisierung Böhmens. In: Zeitschrift für bayerische Kirchengeschichte 6 5 , 1996, S. 1 - 1 3 . - PETER SOMMER: Die Christianisierung Böhmens aufgrund archivalischer, kunsthistorischer und schriftlicher Quellen. In: Europas Mitte um 1000 (wie Anm. 2), 1, S. 4 0 1 - 4 3 5 .
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Tributs (spätestens 1198) sowie - noch wichtiger - das Einrücken der Herzöge in die wie erwähnt grundlegenden Personenbeziehungen dieses Reiches (sozialgeschichtlich gesprochen: in das aristokratische Personen- und Heiratsnetzwerk des Reiches). Denn erst wenn ein Konnubium besteht, ist man gleichzeitig oder in der nächsten Generation als annähernd gleichrangig anerkannt. Verwandschaft war bekanntlich das grundlegende politische Prinzip des Verhaltens und bietet dann erst die Basis für weitere Emanzipation. Die Herzöge handelten bald in der Tat wie Reichsfürsten, die verwandt waren, d.h. sie gingen von der Bündnispolitik mit dem Herrscher zusätzlich zur Parteienpolitik im Reich über (dritte Stufe) und wurden damit in jeder Hinsicht Reichsfürsten, ohne daß man unter deutschen Historikern heute noch sehr gern von einem genauer zu datierenden (jüngeren) Reichsfürstenstand spricht (vierte Stufe im 12. Jahrhundert, 1114 Erzschenk des Königs). Ja, die Pfemysliden wurden besonders erfolgreiche Reichsfürsten, indem sie an der deutschen Königswahl Anteil gewannen, nicht unbestritten Kurfürsten21 genannt wurden und zunächst zeitweilig, dann auf die Dauer mit dem Königstitel geehrt worden sind (fünfte Stufe, dazu unten Nr. 6). Im Zug des Ringens der drei großen Dynastien des Spätmittelalters (sechste und höchsterreichbare Stufe) machte dann das Haus Luxemburg - nun eine der neuen Großdynastien - Böhmen zeitweilig zum Kernland des Reiches und damit, wie es die Hofkanzlei Karls IV. 1348 formulierte, zu dessen besonders vornehmen Glied. Es war wie gesagt ein wahrhaft erstaunlicher Aufstieg dieser beiden Familien, die dann auch ihre Aufeinanderfolge betonten, und in ihrem Gefolge auch des Landes. In der Summe waren sie erfolgreicher als Babenberger und vorerst die Habsburger. Darauf sollte man wahrhaft stolz sein. Kern- und Angelpunkt fürstlicher Existenz in jener durchaus heiklen Zone ostwärts der ältesten Stammesherzogtümer war der Sprung in die zweite Stufe, in den inzwischen dorthin exportierten Lehnsstatus. Das Lehnswesen22 war eine oder besser die Haupterbschaft der Karolinger, das Grundgerüst legitimer Existenz der großen „europäisierten" Reiche Europas bis an den chronologischen Rand der Moderne, aber auch Ausdruck und Form der politischen Teilhabe der Großen am Reich Das hieß schließlich auch des Aufstiegs der großen Lehnsleute im Reich und der ansehnlichen Gleichheit der ersten von ihnen untereinander. Den Aspekt der Teilhabe und der relativen Gleichheit unter den ersten sollte man stärker betonen als jenes Ritual des Lehnsgehorsams, mit welchem die zweite Republik Österreich wohl nicht ganz absichtslos ihr Wiener Burgtheater 1955 wiedereröffhete, in Gestalt von Grillparzers Drama „König Ottokars Glück und Ende". Dessen historischen Höhepunkt bildet bekanndich ein Lehnsakt: Im Prunkgewand kniet Ottokar von Böhmen vor dem absichtsvoll bescheiden
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22
Vgl. oben Anm. 2 s. v. Begert, ferner ULRICH KÜHNE: Geschichte der böhmischen Kur in den Jahrhunderten nach der Goldenen Bulle. In: Archiv für Urkundenforschung 10, 1928, S. 1-110. Vgl. oben Anm. 9.
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gekleideten König Rudolf, um sich in der zeitüblichen Form mit Böhmen belehnen zu lassen. 5. Teile der Verfassungsproblematik des Reiches sind auch die Einzelargumente der Böhmen-Diskussion klassischen Stils. Manches von dieser Diskussion ging gemessen am Wissen von der Reichsverfassungsgeschichte immer schon an den Realitäten dieser Verfassung vorbei, schon weil man sich bei uns für Böhmen nicht genügend interessierte, und erst recht gilt solches Vorbeigehen heute angesichts des neuesten Forschungsstandes. Selten waren und sind die Fachleute der einen kleinen Problematik auch Fachleute der anderen großen. Generell wird heute vieles von dem, was einst als institutionell und staatlich galt und daher von den tschechischen Kollegen „gefürchtet" und gemieden wurde, differenzierter und stärker personenbestimmt und außerdem als im ständigen Wandel begriffen verstanden, wie auch anderswo in Europa. Dadurch wird das Gewicht dieser Punkte nicht gemindert, aber es wird Übereinstimmung möglich mit einer schon erwähnten Hauptaussage der modernen vergleichenden europäischen Verfassungsgeschichte, daß nämlich die Entstehung des Staates in unserem Sinn nicht vor dem Ende des 13. Jahrhunderts (und zwar ganz im Westen des Kontinents) zu datieren sei.23 Was davor bestand und was gerade in Mitteleuropa noch lange bestehen wird, war .Herrschaft', die Herrschaft hochgeborener Personen, von Herren, die gestützt auf Beziehungen zu anderen hervorgehobenen Personen und gestützt auf das Erbe von Antike und Karolingerzeit untereinander ein ansehnliches Maß von prägenden Rechtsregeln und Ritualen eingehalten haben und sekundär ihre Länder nach besten Kräften zum eigenen Nutzen ertragreich gestalten wollten. Auch die französische Verfassungsgeschichte wird heute viel „fürstlicher" verstanden als noch vor einigen Jahren und genau so wird die Kompaktheit der landesherrlichen Territorien Mitteleuropas im späteren Mittelalter heute mit immer größerer Reserve betrachtet. Graus hat schon sehr früh vor zu viel anachronistischer Konsistenz im böhmischen Mittelalter mit Nachdruck gewarnt. Personen, Regeln, Rituale und, wovon wir in verschiedener Hinsicht schon gesprochen haben, die Gestaltungskraft der Geographie bestimmten auch die kleinen Welten. Im Reich, in den Territorien und in ganz Europa nimmt man Abschied von einer allzu mechanisch-staatlich verstandenen Verfassungsgeschichte. Die maßgeblichen Bindungen im ganzen Reich und in Westeuropa waren - abgesehen vom gemeinsamen christlichen Glauben und von der aristokratisch-dynastisch-verwandtschaftlichen Lebenswelt der Höfe - die Lehnsbindungen, die vor allem geordnet haben, was nicht schon verwandtschaftlichlebensweltlich geregelt war. Das muß man betonen. Untertanenverhältnisse als drittes Milieu waren entweder Angelegenheiten der räumlichen Peripherie (Polen, Skandinavien) oder der sozialen Peripherie, hier speziell derjenigen der Städter und der Landbewohner.
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Vgl. oben Anm. 5.
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Mehr konkreten Sinn als das Thema „Ausstieg Böhmens aus der Reichsgeschichte", das sich inzwischen immer deutlicher als ein Problem der Historiographiegeschichte und nicht der Realgeschichte darstellt und am sinnvollsten vergleichend im Zusammenhang mit dem Fiktionsbedarf praktisch jeglicher Nationalgeschichte zu erörtern ist, bietet die Frage nach einer etwaigen Sonderstellung Böhmens im Reich. Diesen Punkt hat nach anderen auch Graus angesprochen. In begrenztem Maß läßt sich damit, vor allem auch zur Heilung moderner Empfindlichkeiten, recht gut umgehen. Es gibt aber auch bei dieser Frage eine Grundsituation, die den Maßstab setzt. Diese Grundsituation heißt: Angesichts der vorhin angedeuteten Genese des ganzen Reiches, angesichts auch der Entwicklungsgeschichte des lateinischen Europa und angesichts mancher anderer erwähnter oder angedeuteter Fakten, die alle zur „Aufweichung" mechanischer Denkmodelle beitrugen und beitragen, wird es dem so Fragenden und Argumentierenden sehr schwer fallen, das logisch notwendige Gegenüber der Sonderstellung, die „Normalstellung", im Reich aufzuweisen. An dieser Klippe, an der Frage nach dem „Normalen" in Europa, hat schon die „Sonderwegthese" der Neuhistoriker Schiffbruch erlitten, die auf die zeitgeschichtliche Katastrophe Deutschlands in Europa eine spezielle Antwort geben wollte. An welches „normale" Territorium im Reich sollten die Mediävisten denken, um die Lage Böhmens davon logisch argumentierend abzuheben? Man hat bisher kein Beispiel genannt. Eine vernünftige Antwort scheint in der Tat nicht möglich. Eine Sonderstellung Böhmens im einzelnen Fall hat man - das bleibt inzwischen als Kern der „klassischen" Kontroverse von einst übrig - von fünf öfter angeführten Einzelargumenten her zu begründen versucht. Sie lauten: 1. In Böhmen und in Mähren fehle jegliches Reichsgut, 2. es fehle dort die Königspräsenz, 3. es habe dort nie ein Reichstag stattgefunden, 4. die Strukturen der Kirche seien hier (jedenfalls partiell) anders beschaffen als anderswo, und 5. bestehe in Böhmen eine andere Art der heimischen Herrschererhebung. Es kommt auf den Raum an, den man diesen Punkten widmen möchte. Am knappsten kann man sich wohl ausdrücken, wenn man sich eines ganz einfachen generellen „Gegenarguments" bedient, von dem - so weit wir sehen - erstaunlicherweise noch nie Gebrauch gemacht worden ist: Man kann sehr leicht eine Anzahl ebenso wie Böhmen beschaffener oder noch „böhmischerer" Territorien im Reich aufzeigen, deren „daher" nicht minder „problematische Zugehörigkeit" zum Reich bis heute niemand als Problem betrachtet hat. Denn sie gehören nach einer sehr langen mittelalterlichen-frühneuzeitlich-modernen „lockeren" Zugehörigkeits-Geschichte nicht weniger zum heutigen Deutschland als seinerzeit zum Alten Reich, oft seit der karolingischen Vorform seiner Geschichte, in anderen Fällen seit dem Hochmittelalter. Ein ausgedehntes vormodernes Reich wies eben, wie wir schon hörten, grundsätzlich andere, nämlich „von Natur aus" lokal divergierende Existenzformen auf - andere Formen als irgendein „von Natur aus" einheitliches kleines Königreich. Einheitssorgen hat man sich trotzdem nicht gemacht. Sorgen begannen erst - auf seiten der zentralen Gewalt und reagierend auf Seiten der Teilgewalten - , als eine vor allem fiskalisch zum Ausdruck gebrachte „Verdichtungssituation" im großen Gemeinwesen ins Leben
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trat, aus der Not gemeinsamen Verteidigungs- und Finanzbedarfs geboren. Das ist ein Zeitpunkt bzw. Einschnitt, auf den wir großen Wert legen, weil es in der Tat der erste wirklich wichtige Einschnitt war. Bei uns geschah dies wie manches andere sehr spät, erst in der letzten Generation des Mittelalters, viel später als in Frankreich oder auch in England. Zuvor hatte einschlägiger Bedarf nicht bestanden. Dafür sorgte schon die uneinholbar hohe Würde des Reiches. Bis dahin wird man sich nicht davor fürchten, die Lage mancher Gebilde einfach dadurch zu kennzeichnen, daß sie gut erkennbar nicht einem jeweils benachbarten Herrn, also dem König von Dänemark, der Republik Venedig, dem russischen Großfürsten oder Zaren oder dem König von Frankreich unterworfen waren und nicht minder nicht unterworfen sein wollten, sondern den KönigKaiser als Oberherrn akzeptierten. Je höherrangig der Herr war, dem man diente, umso höherrangig war auch der Vasall. Höher als der Papst und die beiden Kaiser (Ostreich und Westreich) war niemand. Das genügte in einer aristokratischen Welt. Enger und „strenger" ging es möglicherweise in der Mitte des Reiches zu, das heißt in den königsnahen Landschaften und in den herrscherlichen Erbländern, und gegebenenfalls anderswo von Einzelfall zu Einzelfall. Die „bequemere" Existenzform genügte aber vorerst vielen oder allen Beteiligten, bis sich die Reichsverfassung unter starkem Druck tiefgreifend verändern mußte, vor und um 1500. Greifen wir zum möglichst knappen Handhaben der benannten fünf konkreten Punkte dasjenige Territorium heraus, in dem unser Gewährsmann Graus und der Autor dieser Zeilen tätig waren bzw. sind: Hessen24, das in seiner ganzen Geschichte ganz gewiß nirgends anderswohin gehört hat als zum karolingischen und (römisch-)deutschen Reich bzw. Bund von seinerzeit bis heute. Wir stellen einfach fest: Die Landgrafschaft Hessen war in allen fünf Punkten mindestens genau so „böhmisch" wie Böhmen, ja war in mancher Hinsicht eindeutig „böhmischer" als Böhmen. Wir betrachten diese Fakten als ausreichende Beantwortung der Sonderstellungsfrage. (1) Das Reichsgut innerhalb der Landgrafschaft Hessen beschränkte sich auf den winzigen Platz der Boyneburg bei Eschwege2*, die dann König Adolf im Jahr 1292 (ohne die geringste Furcht, daß Hessen dadurch dem Reich verlorengehen könne) an den Landgrafen verlehnt hat, so daß fortan gar kein Reichsgut mehr in diesem Territorium bestanden hat. Weil man es noch nicht nachgerechnet hat (da diese Frage als etwas „Binnendeutsches" in unserer Fragerichtung ohne jede Relevanz ist), kann man nur überschlagsweise schätzen, daß es wohl in der Hälfte der deutschen Territorien, wenn nicht in mehr als der Hälfte ebenfalls kein Reichsgut gegeben hat. Wenn es solches einst gegeben haben sollte, so hat dort 24
25
Das Werden Hessens, hg. v. Walter Heinemeyer. Marburg 1986 bes. S. 159-266. - Landgraf Philipp der Großmütige von Hessen und seine Residenz Kassel, hg. v. Heide Wunder u. a. Marburg 2004. PETER MORAW: Die Boyneburg und die Landgrafschaft Hessen. In: BERND HEIDENREICH, KLAUS BÖHME (Hg.), Hessen. Geschichte und Politik. Stuttgart 2000, S. 150-161.
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überall ein Umgestaltungsprozeß stattgefunden, der die Bedeutung des Reichsguts enorm reduziert hat, lange bevor das Mittelalter zu Ende ging. Man bedurfte seiner nicht mehr. Dies war zuletzt - wie man heute weiß - einfach ein Teil jenes großen generellen Vorgangs, der die Güter des Kaisers im Reich in Rechte des Kaisers im Reich verwandelt hat, was man durchaus auch als „Modernisierung" bezeichnen kann. Die Frage, ob es irgendwo Reichsgut gab oder nicht, hatte also längst vor dem Ende des Mittelalters fast ganz an überlokalem Interesse verloren und ist stets ohne jede Beweiskraft für die Reichszugehörigkeitsfrage gewesen und geblieben. Rechte des Kaisers konnten vergehen und neu entstehen, wie man am Postregal, das kurz vor 1500 neu entstand, abmessen kann, auch diesmal ohne Relevanz für die Zugehörigkeitsfrage. (2) Könige haben sich in Hessen außerordentlich selten aufgehalten26, wie bekanntlich im ganzen königsfernen Bereich des nördlichen Drittels des Reiches und seines ausgedehnten romanischen Westens. Hauptziel der Herrscher in Hessen war das Grab der heiligen Elisabeth in Marburg als Wallfahrtsort. Konkrete politische Interessen kann man kaum jemals (allenfalls einmal beim schwachen König Ruprecht) feststellen. Königsbesuch war, das sieht man am Beispiel Hessens ganz deutlich, zuerst eine Frage der Attraktivität des betreffenden Landesfürsten oder einer besonderen Stätte in seinem Land und hat mit der Reichszugehörigkeit nichts zu tun. Im Zusammenhang mit der gewiß wichtigen Frage nach einer mehr oder weniger aktiven Königspolitik im allgemeinen war es für den Herrscher nach und nach unnötig geworden, einen bestimmten einzelnen Fürsten punktuell eigens aufzusuchen, ganz gewiß dann, als das militärische Zeitalter des dynastischen Wettbewerbs mit dem 14. Jahrhundert zu Ende gegangen war. Man hatte andere Mittel der politischen Praxis im Reich. (3) Die Geschichte der Reichstage27 oder besser vorerst der „Reichstage" wird heute gänzlich anders verstanden als zu Zeiten der „klassischen" Böhmenim Reich-Diskussion. Natürlich, so würde man heute sagen, haben in Hessen ebenso wenig wie in Böhmen jemals Reichstage oder „Reichstage" stattgefunden. Auch das war primär eine Frage der Zweckmäßigkeit und Praxis, auch der Attraktivität der Reichstagsstadt, denn es sollte möglichst viele Teilnehmer geben. Weder Hessen noch Böhmen haben seinerzeit auf mögliche Besucher von Tagen besonders anziehend gewirkt. Dies taten überhaupt die wenigsten Plätze außerhalb der königsnahen Landschaften des Westens und bestenfalls der Mitte des Reiches, wo die allermeisten Tage stattfanden. Immerhin hat König Sigmund im Jahr 1420 einen recht gut besuchten Tag nach Breslau einberufen, das bekanntlich nur mittelbar reichsangehörig gewesen ist - auf dem Weg über die 26
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PETER MORAW: Hessen und das deutsche Königtum im späten Mittelalter. In: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 2 6 , 1976, S. 4 3 - 9 5 . DERS.: Hoftag und Reichstag von den Anfängen im Mittelalter bis 1806. In: Parlamentsrecht und Parlamentspraxis in der Bundesrepublik Deutschland. Ein Handbuch, hg. v. Hans-Peter Schneider und Wolfgang Zeh. Berlin, New York 1989, S. 3 - 4 7 . - GABRIELE ANNAS: Hoftag - Gemeiner Tag - Reichstag, 2 Bde. Göttingen 2 0 0 4 .
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Lehnsherrschaft des seinerseits vom Kaiser belehnten Königs von Böhmen über die schlesischen Fürstentümer und (sekundär) auf dem Weg über die später entstandene Selbstherrschaft dieses Königs in einzelnen schlesischen Fürstentümern (ζ. B. im Fürstentum Breslau). Tage waren eben vor der Entstehung des Reichstags im strengen Sinn (am Ende des Mittelalters und danach) Sachen des Herrschers, das heißt es waren seine Problemlösungsversuche, die primär auf die „Einwerbung" von Gefolgsleuten und von deren Mitteln abzielten. Hätte die Zentralität Prags im Reich die Chance gehabt, unter luxemburgischer Herrschaft länger wirksam zu bleiben als nur ein halbes Jahrhundert, dann hätte es wohl auch nach und nach Tage an der Moldau gegeben. Auf dem langen Weg vom Hoftag zum ausgeformten Reichstag waren jedenfalls ganz andere Fragen die wesentlichen, ganz bestimmt nicht irgendein angestrebter Zugehörigkeits- oder Sonderstellungsnachweis. Reichstagsorte haben damit nichts zu tun. (4) Im Hinblick auf die innerböhmischen und auf die innerhessischen Verhältnisse im Bereich der Kirchengeschichte28 kann man nur hier und dort von einer exzeptionellen, beiderseits wenig „reichs"-typischen Lage sprechen. Hier wäre es besonders gut zu wissen, was eigentlich normal oder typisch sein sollte. Denn überall gab es bei diesem Problem das gemischte Gegenüber von profanen und von kirchlichen Verhältnissen und damit eine durch „Verdoppelung" der Zahl der Handelnden mitgeschaffene besonders individuelle Konstellation. Wegen dieser Doppelung hat man eine enorme Variationsbreite von Tatbeständen hinzunehmen. Gewiß hat der Landgraf seine heimische Kirche später zum Gehorsam gebracht als der Herzog-König von Böhmen, kaum aber weniger gründlich, zuletzt in der Reformation. Entscheidend ist jedoch, daß es bei vernünftiger Argumentation nicht möglich erscheint, in diesem ganzen Milieu ernsthaft von Normal- und von Sonderfällen zu sprechen. (5) Gewiß ist die Wahl des Königs von Böhmen durch den böhmischen Adel29 zumal im Fall des Aussterbens der Dynastie etwas Besonderes, der einzige der fünf Punkte, der in der Tat für die Frage nach einer Sonderlage von Gewicht ist. Die Möglichkeit adelig zu wählen konkurrierte mit der lehnsherrlichen Gewalt des römisch-deutschen Königs. Entscheidend zu beachten ist dabei die Chronologie. Der Herrscherwechsel in Prag war immer wieder eine hochpolitische Angelegenheit, die Aufmerksamkeit erfordert hat, aber in ganz verschiedenen Konstellationen. Am wichtigsten Datum, für die Jahre 1306/1310, beim Wendepunkt des Aussterbens der Pfemysliden im Mannesstamm, hat allerdings die Eigenständigkeit der heimischen Adelswelt sehr wenig bewirkt. Durchgesetzt wurde bekanntlich der neue Lehnsmann Johann, der Sohn des damaligen römisch-deutschen Königs Heinrich VII., erst belehnt und dann gewählt, auf jeden Fall der einzige Sohn des Kaisers. „Unmittelbarer" konnte eine Beziehung nach außen und nach oben schlechterdings nicht sein. Im Vergleich dazu war die „Unabhängigkeit" der Dynastenfamilie vom König in
28 29
Vgl. oben Anm. 2 und 24. Vgl. BEGERT (wie Anm. 2) und oben Anm. 24.
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Territorien wie Hessen beträchtlich größer. Nach dem Aussterben der Ludowinger im Jahr 1246 analog zum Aussterben der Pfemysliden hat der heimische hessische Adel politisch-militärisch den Ausschlag zugunsten der neuen Dynastie Brabant-Hessen gegeben, einfach weil sie die schwächste und damit für den Adel „angenehmste" war gegenüber zwei anderen deutlich stärkeren Anwärtern, dem Erzbischof von Mainz und dem Wettiner. Dies geschah, ohne daß man auf den König gewartet oder ihn gefragt hätte. Nicht einmal ein Lehnsband zwischen dem König und dem Landgrafen hat es damals gegeben. Erst später wurde es geschaffen als Anerkennung eines ohne den Herrscher herbeigeführten Zustands. Hessen war, so müßten wir kühl sagen, „unabhängiger" als Böhmen, wenn das nur bisher jemandem aufgefallen wäre, oder allgemeiner: eine dynastische „Erb"folge ohne Adelswahl wie sonst überall im Reich war „unabhängigkeitsgeschichtlich" deutlich zweckmäßiger als das Umgehen mit dem Wahlrisiko, das primär als ein Schwächezeichen der Dynastie zu bewerten ist. Soweit die „klassische" Diskussion. Ein Einzelgänger, der wohl manche Schwächen der Argumentation seiner Landsleute erkannt hatte, war Jifi Spdväöek.30 Er versuchte eine ganz andere Lösung des Problems, die die Reichszugehörigkeit Böhmens akzeptierte, jedoch in eigenartig abgestufter Form. Das Problem sollte - im Zeitalter des Kalten Krieges - nicht mehr wie bisher defensiv, sondern endlich offensiv oder gar aggressiv gelöst werden. Späväöek wollte Böhmen „nicht im Reich, sondern über dem Reich" anordnen, also eine Art umgekehrtes „Protektorat" entwerfen. Diese Gedanken waren notwendigerweise nicht frei von grotesken Wesenszügen, obwohl als zutreffender Kern bei längerer Dauer der luxemburgischen Herrschaft sich die Zentralitätsfunktion und damit der Rang zumindest Prags, nicht so sehr Böhmens, hätte steigern können. Die Idee ist dann nach dem Tod des Autors von anderen Historikern nicht weiter aufgegriffen worden. Eine andere Gruppe von Differenzen oder Missverständnissen läßt sich auf unpräzise Formulierungen zurückführen. Nur ein Beispiel: Mehrfach gab und gibt es im Ablauf der Jahrhunderte Gelegenheit zur Feststellung, daß man als Herzog oder König von Böhmen mit dem römisch-deutschen König verbündet gewesen sei. Das ist unstrittig und unproblematisch; denn Bündnisse dieser Art gab es seitens des Herrschers zahlreich in allen Himmelsrichtungen, ohne daß dadurch ein Problem aufgeworfen worden wäre. Nicht erlaubt ist hingegen die statt dessen gern gebrauchte Formulierung, der Herzog oder König von Böhmen sei mit dem Reich verbündet gewesen. König und Reich (als flächenhaftes Gebilde) waren etwas Grundverschiedenes, besser gesagt Inkommensurables. Die Szene spielte sich stets innerhalb des Reiches ab, so wie zahlreiche weitere Szenen dieser Art, und konnte auch über das Reich hinausgreifen. Immer aber ging es um zwei oder mehrere Personen im Reich. Daß das Reich im präzisen Sinn, gar vertreten durch die Kurfürsten oder den Reichstag, sich korporativ
30
M I SP£VÄ£EK: 1986.
Karl IV. Berlin
1979. - DERS.:
Väclav IV.
1361-1419.
Praha
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oder gar institutionell zu erleben und zu verhalten begann und seinem König womöglich in solcher Form gegenübertrat, ist aus je konkreten Gründen punktuell um 1400 und nach 1400 und systematisch seit dem späteren 15. Jahrhundert vorgefallen, aber nicht früher und nicht im mindesten im Zusammenhang mit besonderen Abschrankungsinteressen moderner Historiker. An Böhmen speziell hat man in solchen Fällen kaum je gedacht. Um einen institutionellen Körper des Reiches in immer mehr geregelter Form ging es - wie gerade angedeutet - erst am Ende des Mittelalters, und ausgerechnet da fiel Böhmen, wie wir bald hören werden, der „strengeren" der beiden damals im Reich auf die Dauer bestehen bleibenden Alternativen anheim, der erbländischen (1526) und gerade nicht der lockereren reichstägigen (s. u.). Für die große Mehrzahl der Territorien, bei weitem nicht nur für Böhmen, aber eben auch für Böhmen gilt der Tatbestand, daß diese Zugehörigkeit zum Reich die inneren Verhältnisse des Landes im Normalfall nicht berührt hat. Es war nicht Zweckbestimmung oder Aufgabe des Reiches und schon gar nicht operatives Ziel des Kaisers, in Territorien hineinzuregieren. Anders wird es nur, und zwar überwiegend erst nach 1500, in den Reichsstädten sein. Anders war es auch nur dann, wenn fundamentale Interessen des übergreifenden Gemeinwesens und zuvor schon seines Herrn betroffen waren, also in der Krise. Im Fall Böhmens waren es zuerst die innerpfemyslidischen Kämpfe im Hochmittelalter als Elemente der Friedensstörung im Reich und als Teil des ostmitteleuropäischen Kräftespiels, an dem der Kaiser pflichtgemäß beteiligt war, dann aus demselben Grund das Problem der Nachfolge der Pfemysliden im 14. und zuletzt das Problem der „Ketzerei" der Hussiten im 15. Jahrhundert, im Hinblick auf den rechten Glauben. In Hessen waren es analog hierzu die neugläubigen „Abenteuer" Landgraf Philipps des Großmütigen im 16. Jahrhundert. Dann freilich kam es im Reich hier und dort zum Eingreifen der zentralen Gewalt, wie man es von ihr erwarten mußte, wenn sie ihrer Verantwortung nachkam. Jedesmal wurden auch, wie es den Machtverhältnissen entsprach, die Schwächeren zum Gehorsam gebracht oder „neutralisiert". Aber selbst dann wurden die inneren Verhältnisse der betroffenen Territorien bestenfalls geringfügig und vorübergehend, so weit eben unbedingt notwendig, berührt. Anders war es erst bei den neuzeitlichen erbländisch-habsburgischen „Verdichtungen" zur Bewältigung der böhmischen Krisenzeit seit 1620, wie es womöglich schon in Burgund seitens der gleichen Dynastie von 1477 an vorgefallen sein mochte. Verständlicherweise wurden dann vom Kaiser jeweils die Interessen seiner großen Dynastie und des Reiches in eins gesetzt. Von übergreifenden und langfristigen Gesichtspunkten her wird man formulieren: Es bestand in der nacharchaischen Zeit - als es im Reich keine Tributverhältnisse mehr gab - abgesehen vom Eigenbesitz des Herrschers grundsätzlich und auf die Dauer nur eine einzige hochrangige, das heißt der Fürstenwürde der Betroffenen entsprechende Art der Zugehörigkeit zum Reich, keine zweite gesteigerte oder keine dritte geminderte Zugehörigkeit, und zwar bestand sie auf dem Weg über die Belehnung des Landesherrn durch den Kaiser und der dadurch geschaffenen Gehorsamspflicht der Reichsfürsten gegenüber diesem. Die
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große Bedeutung gerade des spätmittelalterlichen Lehnswesens und der damit verbundenen Rituale hat die moderne Forschung im Gegensatz zu überholten älteren Standpunkten einhellig formuliert. Für Fürsten bestand im Mittelalter eine Ja-Nein-Situation: Belehnung oder Nichtbelehnung - Zugehörigkeit zum Reich oder Nichtzugehörigkeit. Anders formuliert: Lehnsakte, hier für Reichsfürsten, besaßen eine einheidiche Rechtsqualität, wenn der soziale Stand der Belehnten einheitlich war, unabhängig vom etwaigen Wandel der Belehnungsformen. Traten Lücken in der Kette der Belehnungen ein - tatsächliche, nicht quellenbedingte - so entstanden illegitime Verhältnisse, die nach Korrektur verlangten und früher oder später in der Tat korrigiert wurden. Denn das nacharchaische lateinische Mittelalter war abseits der Peripherie kein nur politisch, sondern auch ein rechtlich geordnetes Zeitalter, das auf persönliche Treueide, die schwerwiegendsten, da vor adeligen Zeugen geleisteten, begründet war. Ein bestehendes Rechtsverhältnis konnte gegebenenfalls durch ein anderes abgelöst werden, aber angesichts des Ranges der Angelegenheit nur so, daß die Mitwelt und mit ihr die Nachwelt davon erfuhren oder daß man darüber sprach, nicht einfach stillschweigend. Spätestens hätte man bei der nächsten dynastischen Hochzeit davon geredet. Dem Herrn folgte dann das Land, und zwar eindeutig, vollständig und alternativenlos. Demgegenüber gab es allerdings von Zeitalter zu Zeitalter verschiedene Arten der politischen und später auch administrativen konkreten Teilhabe und Mitwirkung der Fürsten am Reich und ganz verschiedene Arten der politischen und auch administrativen Teilhabe und Mitwirkung des Königs an den Teilen dieses Reiches (s. u.). Das war ein anderer Tatbestand. Es war auch die Eigenschaft eines großen Reiches, anders als diejenige eines kleinen, daß seine Herrscher auf die zahlreichen ihnen gegenübertretenden Einzelsituationen sehr ungleichmäßig reagiert haben oder nur sehr ungleichmäßig haben reagieren können. Die Idee, ein großes Reich wirklich zu verwalten, das heißt innenpolitisch annähernd gleichartig und gleichmäßig zu durchdringen, ist jedenfalls im deutschen Mittelalter unzeitgemäß. Die Frage des Ineinanders von Kaiser und Fürst war praktisch erledigt, wenn das Territorium königsfern war. Sie war dann von höchster Relevanz, wenn - als anderer Extremfall - vom Territorium aus das römisch-deutsche Königtum/Kaisertum in der Form des Haupt-Erblandes des Herrschers mitgetragen worden ist, also in Gestalt des in der Regel intensivsten Herrendienstes, den man sich vorstellen kann, der dann auch aktiv am Reichsgeschehen außerhalb des Erblands Anteil hatte. Dies wurde konkret vor allem dann, wenn Erbland und Reich denselben Herrn aufwiesen, der gemäß der Hofbezogenheit der europäischen Monarchen zumeist oder sehr häufig auch einheidiche Hofinstitutionen für das Reich und die Erbländer besessen hat - ohne Rücksicht darauf, wie das Reich und wie die Erbländer im Verhältnis zueinander und im einzelnen beschaffen waren. Denn die erste Aufgabe des Hofes war der Herrendienst. Man kann allerdings nach den Anteilen der einzelnen tätigen Personen von hierher und von dorther und nach den Bereichen ihres Handelns sinnvoll fragen. Im 14. und 15. Jahrhundert ist in der Tat die Geschichte Böhmens durch
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das Hin und Her zwischen den beiden benannten Extremen besonders gekennzeichnet und hat auch deshalb die daran interessierten Historiker besonders sensibel gemacht. Generell gilt also: Von den Karolingern an stand bis zum Ende des Mittelalters nie im Zweifel, daß landferne Könige unspektakuläre innere Entwicklungen regionaler Art hier und dort im Reich unbeeinflußt gelassen haben. Eingriffe bezogen sich auf die Dynastie, deren Haupt dem König eidlich verbunden war, auf deren innere oder äußere Konflikte, auf grobe Friedensstörungen, auf das Unterlassen der allerdringlichsten zeitüblichen Dienstleistungen für König und Reich oder auf Krisen des christlichen Glaubens. Der wichtigste Spezialfall im Umkreis des hochmittelalterlichen Böhmens, der in der Tat unübersehbar ist, war die schon erwähnte, für den Pfemysliden-Herzog/König sehr positive Auswirkung der Zusammenarbeit mit dem Kaiser zugunsten der eigenen Existenz. Im Spätmittelalter ging es dann um die Krise der Hussitenjahre. Mit der Frage nach der Reichszugehörigkeit hatte all dieses nichts zu tun, sondern war Teil der vielgestaltigen inneren Reichsgeschichte. Formulieren wir daher lieber positiv: Die reichhaltiger fließenden Quellen des Spätmittelalters zeigen die selbstverständliche Nachbarschaft eigenständiger Territorien im Reich unter dem Dach des Reiches in vielen Spielarten auf. Das Territorium war „dichter" als das Reich. Daneben bezeugen die Quellen ein einigermaßen dichtes und nach und nach dichter werdendes politisches Spiel der Territorialherren miteinander um Rang und Würde und um deren Mehrung im Reich, als Wettbewerb miteinander. Diese „Außenbeziehungen" der Territorien machten zu einem weiteren Teil die politische Binnengeschichte des Reiches aus. Mit dem Begriff des Staates kann man diese Situation für das Reich und für die Territorien nicht angemessen erfassen. Alle diese Verhältnisse bilden den unterschiedlich beschaffenen Wandel von überwiegend personalen zu quasi-staatlichen oder gar partiell wirklich staatlichen Strukturen ab, die das Reich und Böhmen im Lauf der Jahrhunderte mitgeformt haben. Dieser Wandel war am Anfang und am Ende nicht denkbar ohne das selbstverständlich respektierte Oberhaupt des Ganzen, den Herrscher, da mit ihm in Kontakt zu bleiben schon aristokratischgesellschaftlich notwendig war, um den eigenen Rang nach außen zu sichern und um nach innen Respekt beim eigenen Adel zu gewinnen. Aber man konnte das Oberhaupt im Normalfall vom heimischen Land fernhalten, weil es mit seinem eigenen politischen Spiel schon genügend zu tun hatte. Anders formuliert: Das politische Spiel im Lebensraum „Reich" war ein Teil der täglichen Existenz der Fürsten und konnte sich von Böhmen aus gesehen zumindest in drei der vier Himmelsrichtungen nur in das deutschsprachige Reich hinein erstrecken. Auch der Adel und die Städte des Landes begannen sich spätestens um 1300 daran zu beteiligen. Wenn der Herr von Rosenberg, der mächtigste Adelige Böhmens, in einer konkreten Frage seinem Landesfiirsten, im Augenblick zugleich Kaiser (Karl IV.), Widerstand leisten zu müssen glaubte, so teilte er dies mit der Bitte um Verständnis der königsnahen Reichsstadt Frankfurt am Main brieflich mit (und sicherlich mehreren anderen Machtträgern im entsprechenden Kommunikationsnetz). Nur kurze Zeit, während der Hussitenjahre
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und danach, hatte sich Böhmen aus religiösen Gründen im Reich selbst isoliert oder in der Hauptsache isoliert, zu seinem Schaden, der bisher in den Milieus des Universitätsstudiums und der Wirtschaft recht gut feststellbar ist. Wie dem auch im einzelnen gewesen sein mag, es überwiegt beim historischen Urteil bei weitem die eigenständige Behauptung der Integrität und Unverwechselbarkeit des Landes nach innen und außen samt der als Erfolg zu buchenden Anlagerung von immer mehr Nebenländern. Dies war die große Leistung beider böhmischer Dynastien, der einheimischen und der fremden, bis man dann im 16. und 17. Jahrhundert an der „Weltmacht" Habsburg hat scheitern müssen. Bis dahin waren auch mancherlei zivilisatorische Modernisierungsschübe aus den bekannten Wirkungsrichtungen von Westen und Süden her über das Land hinweggezogen und sind in verschiedener Weise dort „verarbeitet" worden. 6. Wir können diese kleine Pflichtübung gleichsam zur „Kontrovershistorie", nicht abschließen, ohne eine Kostbarkeit der böhmischen Geschichte wenigstens fragend zu berühren, ihr Königtum.31 Denn künftig wird man wohl alle europäischen Monarchien, von der römisch-deutschen und der französischen abwärts, komparatistisch ins Auge fassen. Schon Formulierungen in der Goldenen Bulle Karls IV. von 1356, also eines auch böhmischen Königs, machen klar, wenn es nicht schon die „lange" Geschichte und die Geographie Europas gesagt hätten, daß es sich bei dessen Königtümern um ungleiche Gebilde gehandelt hat und daß die böhmische Königswürde nicht an erster Stelle stand. Betrachtet man die Dinge genetisch, so war das Entstehen dieser Würde von 1085/86 bis 1212 im Licht des europäischen Vergleichs durchaus nicht unproblematisch. Es war eine späte Angelegenheit. Es handelte sich weder um ein „ archaisch" -autochthones Herkommen und noch um eine päpstlich-christenheitsbezogene Erhebung, sondern um eine reichs-innenpolitische Rangerhöhung und zwar aus konkreten Augenblicksgründen (vorgenommen bzw. erneuert von Heinrich IV., Friedrich I., Philipp von Schwaben, Otto IV. und Friedrich II., die allesamt in Schwierigkeiten waren). Fast stets handelte es sich um papstferne und öfter um papstfeindliche Akte. Man wird, wie es auch schon getan worden ist, am Anfang am besten von einem Herzog mit dem Königstitel sprechen, vorbehaltlich weiterer Belege und Vergleiche. Innerhalb der Reichs Verfassung traten durch diesen Akt und seine Erneuerungen keine Veränderungen ein, innerböhmische Neuerungen interessieren hier nicht. Manchen Aufwand und manche Handlungen böhmischer Könige, die immer aufgefallen sind, wird man angesichts dieser Lage vielleicht als kompensatorisch bewerten. Man wird auch klären wollen, wann die Problematik der Anfänge dieses Königtums zugunsten von möglichst viel Normalität „vergessen" worden ist und was die vergleichsweise überwältigend lange Zeit der Kombination des böhmischen Königtums mit höherrangigen Königswürden für die böhmische Krone bedeutet hat - offenbar viel. Immerhin: Das böhmische Königtum als Verfassungsfaktum wies (mit je unterschiedlichem Gewicht) nach und nach tatsächlich jene Sonderstellung - als
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Vgl. oben BEGERT (wie Anm. 2), S. 83 ff.
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Rangerhöhung - im Reich aus, die man in anderer Hinsicht bei Böhmen als einem Land des Reiches nicht so klar erkennen kann.
V Die Situation, die wir bisher vorgefunden haben, bedarf nur noch eines einzigen gedanklichen Schrittes, bevor wir ein Resümee ziehen können. Dieser letzte Schritt betrifft die Lage im 15. Jahrhundert, die Graus seinerzeit als „unklar" bezeichnet hatte (nach dem Forschungsstand seiner Jahre zu recht), die aber die Brücke zu schlagen hat zwischen der Situation der Luxemburger des 14. Jahrhunderts und der Situation der Neuzeit, die durch die vorerst endgültige Regelung des Jahres 1526 bezeichnet wird. Heute ist das 15. Jahrhundert nicht mehr so „unklar", sondern hat längst die intensive Aufmerksamkeit der Forschung gefunden32 als das wohl erste „moderne" deutsche Jahrhundert, zum Beispiel als ein erfolgreiches technisches Jahrhundert, als das erste wirklich von eigener gelehrter Jurisprudenz durchdrungene Jahrhundert in Mitteleuropa, also auch als ein Jahrhundert mit der Chance zu rechtlicher Klärung. Blicken wir kurz zurück. Als in luxemburgischer Zeit die römisch-deutsche und die böhmische Krone vereint waren und sich Böhmen auf dem Weg zur Zentrallandschaft des Reiches befand, bedarf die Lage keines Kommentars: Noch „reichischer" konnte ein Land, das sich derart im Gefolge der Kaiserdynastie befand, nicht mehr werden. Es war auch die Zeit der stärksten Verklammerung mit der Nachbarschaft durch die Fakten. Prag und Nürnberg, die beiden Städte, in denen sich Karl IV. insgesamt weitaus am längsten aufgehalten hat, bildeten zusammen mit den beiden Außenpositionen seines Itinerars im abermals reichsstädtischen Frankfurt am Main und im wieder luxemburgischen Breslau eine im Sinne der Zeit wohlfunktionierende „Querachse" des ganzen Reiches, mit ungefähr gleichgroßem Abstand nach Süden und nach Norden. Bekanntlich war dieser Konstellation keine Dauer beschieden, doch ist hervorzuheben, daß sie als die politisch-geographisch günstigste des ganzen deutschen Mittelalters zu gelten hat. Eine einzige eindeutige Mitte und eine einzige eindeutige Zentrallandschaft, wie in Frankreich und England, hat es in Deutschland bekanntlich nie gegeben, bis heute nicht. Wir erinnern auch an die Gründung der Universitäten in Prag, an verschiedene heimische Verkehrsprojekte Karls IV. und an die recht kompakte Konstellation, die Böhmen mit den königsnahen Landschaften Franken, Mittelrhein und Schwaben gebildet hat und hätte weiter bilden können. Auf die naheliegende Frage, welche Rolle die abweichende Sprache der Mehrheit der Landesbewohner Böhmens auf die Dauer hätte spielen mögen, darf man gewiß keine moderne Antwort geben. Das vormoderne 18. und das vormoderne 19. Jahrhundert haben dafür in Böhmen gegensätzliche Modelle bereitgestellt.
32
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(wie Anm. 12), passim.
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Graus und andere wußten viel über die historische Rolle des böhmischen 15. Jahrhunderts, doch bieten die „klassischen" Schwerpunkte der tschechischen Mediävistik in der ersten Hälfte des Säkulums keine rechte Antwort auf unser Problem. Heute gilt die zweite Hälfte des Jahrhunderts als die wichtigere. Auf jeden Fall aber kann eine Antwort nur streng analog zur realen Zeitachse, das heißt nicht unter Berufung auf kurze, wenn auch „heroische" Jahre, gesucht werden. Es geht um die langen Fristen. Inzwischen liegen neue Bände der Deutschen Reichstagsakten des späten 15. Jahrhunderts gedruckt vor. So weiß man auch von der einen oder anderen Stellungnahme der Prager Könige aus der Periode zwischen den böhmischen Häusern Luxemburg und Habsburg zu den entscheidenden Fragen der Legitimität der Könige und ihrer Teilhabe oder Mitwirkung am Reich. Legitimität und Teilhabe oder Mitwirkung waren ein und dasselbe. Es liegt in den Quellen klar zutage, daß man sich aus Prag um die Anerkennung der Kurfürstenwürde, das heißt um die nach dem Verlust der Reichskrone ranghöchste verbliebene Position in der Reichsverfassung, und um die Kollegialität der übrigen Kurfürsten intensiv bemüht und die Autorität des Kaisers nie in Frage gestellt hat. Daraus ist zu schließen: An den Grundtatsachen der Situation Böhmens im Reich hat sich nichts geändert. Wie hätte dies auch sein können, ohne daß sich ein Rangverlust des Präger Königs in Prestige und Praxis eingestellt hätte? Schon gegen den Anschein eines solchen Rangverlustes, wenn man mit oder ohne Absicht hier oder dort in der Reichspolitik übergangen worden ist, obwohl man Kurfürst war, kämpfte man heftig an.33 Man kann nur noch einmal mit anderen Worten sagen: Die Frage nach einer „Unabhängigkeit" Böhmens hat sich nicht gestellt, ja sie wäre gar nicht verstanden worden. Sie ist in der Tat anachronistisch, da das Legitimitätsproblem nicht utopisch-vorwärtsweisend, sondern nur historisch bedacht werden konnte und somit auf jeden Fall in das Reich zurückverwies. Das Problem war vielmehr ein anderes, gleichsam das umgekehrte: Was man verhindern wollte, war der Tatbestand, daß die übrigen Kurfürsten rangmindernden Abstand zum König von Böhmen hielten und ihn von der Kollegialität ausschloß, weil man ihn der Ketzerei verdächtigte. Dagegen hat man von Prag aus leidenschaftlich protestiert, weil man darin mit Recht einen Ehr- und Rangverlust gesehen hat. Hier liegt eine beachtliche Analogie zur Lage der Eidgenossen auf der Hand, die zur gleichen Zeit von ihren Nachbarn auf Distanz gehalten wurden, weil sie als adelsfeindlich galten und keine angemessene fürstliche Spitze besaßen, nicht als „verfassungswürdig" erschienen. Auch die Eidgenossen haben sich dagegen heftig gewehrt, wieder weil sie sich diskrimi33
Das Signaljahr ist 1486, die Königswahl Maximilians. Der Konflikt zieht sich hin bis 1489: Deutsche Reichstagsakten Mittlere Reihe, Bd. 1, Bd. 2 bearb. v. Heinz Angermeier und Reinhard Seyboth, Göttingen 1989, 2001 (Register s. v. Böhmen). Vgl. Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Friedrich III. Bd. 22, 1468-1471, hg. v. Ingeborg Most-Kolbe, Helmut Wolf und Gabriele Annas. Göttingen 1973-2001 (s.v. Böhmen).
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niert sahen. In beiden Fällen ist die Frage nach einem unter Umständen drohenden Absondern des Isolierten vom Reich nicht gestellt worden. Ein Absondern aus eigenem Interesse war wegen des dadurch hervorgerufenen Rangverlustes nicht vorstellbar. Es ging um Bestrafung oder „Quarantäne" seitens der vielleicht daran interessierten Nachbarn auf der einen Seite und um die Abwehr der Diskriminierung auf der anderen Seite. Nicht ging es um Visionen in Richtung auf die damals absolut unvorstellbare Moderne unabhängiger Nationalstaaten. Näher als Argument lag womöglich die Furcht der Nachbarn vor dem offenbar unaufhaltsamen Legitimitätszuwachs des Hauses Habsburg. Als Kaiser Sigmund am Ende seines Lebens (f 1437) als rechtmäßiger König und Erbherr in Prag einzog, dynastisch bereits mit dem Haus Habsburg verknüpft war und ungeachtet aller inzwischen in seinem Haupterbland neugeschaffenen religiösen und sozialen Fakten wie sein Vater Karl zugleich der Kaiser des ganzen Reiches war, der sich etwa der entscheidenden Konzilsfrage erfolgreich angenommen hatte, erbat selbst die Hussitenfestung Tabor eine entsprechende Urkunde für ihre städtische Existenz und erhielt und behielt sie mit dem kaiserlichen Adlerwappen. Die Legitimationsfrage war rückwärtsgewandt angesprochen und von der zuständigen Instanz rückwärts gewandt beantwortet worden. Wenig später durchlebte das Reich die aufregenden Jahrzehnte seiner „Verdichtung"34 von etwa 1470 an, die wichtigste Ereignisfolge des späten Mittelalters, mit einem von zeitweise dreiseitigem militärischem Druck herbeigeführten Höchstmaß an finanzieller Anstrengung und innenpolitischer Diskussion und Binnenkonfrontation. Es entstand der Reichstag, der das außererbländische Deutschland organisierte und zwar in vieler Hinsicht erstmals. Dies ist die notwendige Umkehrung des historischen Urteils der älteren Historikergenerationen, an denen man sich auch in der tschechischen Geschichtswissenschaft orientiert hatte und wohl bis heute orientiert. Die böhmische Frage ist auf dieser neuen Grundlage neu zu stellen: Wie reagierte man nun intern auf diese Lage und noch mehr, wie reagierten die stärkeren Nachbarn angesichts dieser neuen Lage in Richtung auf ein weiterhin vielleicht „lohnendes Ziel Böhmen"? Es entstanden im Reich drei Varianten politisch-verfassungsmäßiger Gegenwart und Zukunft: Der Reichstag - zum ersten - trat ins Leben und fand nach und nach, nicht sogleich, zu den zukunftsweisenden Organisationsformen, die wir aus der Neuzeit kennen. Es formte sich, natürlich ohne daß man die bis heute währenden Folgewirkungen im mindesten hat vorauswissen können, durch diesen Reichstag „Reichstagsdeutschland". Dieses trat den vom Hof her organisierten Erbländern des Kaiserhauses - als erbländisches Deutschland die zweite Variante innerhalb des Reiches - immer deutlicher gegenüber. Zwei Brennpunkte einer Ellipse entstanden. Wer nicht zu einem dieser beiden Brennpunkte hingeleitet wurde oder sich hinorientierte, der versuchte - drittens - gleichsam
34
Vgl. oben Anm. 27.
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im alten „unverdichteten" Reich des geringeren Anspruchs und der geringeren Verbindlichkeit zu verbleiben. Dieses Streben hielt aber den härteren neuen Realitäten auf die Dauer nicht stand. Dies galt am deutlichsten für Livland und die Eidgenossenschaft. Diese Gebilde schlugen nach und nach Wege nach außen ein oder mußten sie einschlagen (16. Jahrhundert, 1648). Für die übrigen Kandidaten, die für dieses unzusammenhängende „Dritte Deutschland" in Betracht gekommen waren, bestand als Alternative das freiwillige oder unfreiwillige Anschließen an einem der beiden erstgenannten neu entstandenen oder weiterbestehenden Brennpunkte - oder eine Verzögerungshaltung: Hamburg und Bremen, die um und seit 1500 diesen „dritten" Weg betreten zu haben schienen, bequemten sich nach Jahrhunderten „Reichstagsdeutschland" an und haben noch 1871 Sonderrechte zugestanden erhalten. Böhmen war die kürzeste der Sondersituationen beschieden, gemäß seiner Lage mitten im Reich. Es wurde schon 1526 nach seiner Rechtslage, als Konsequenz der Kräfteverhältnissen oder gemäß seiner Attraktivität vom „Erbländischen Deutschland" eingefangen.35 Die Nebenländer, die bekanntlich Böhmen nach außen hin vor allem in östlicher Richtung umgaben, wohin sich das Binnenreich nicht unmittelbar ausgedehnt hatte, waren und blieben habsburg-loyal und quasi-erbländisch. Die nächste Hauptstation nach 1526 wird 1620 sein. Eine Verselbständigung aus dem erbländischen Milieu, wie sie die nördlichen Niederlande seit dem späteren 16. Jahrhundert unternahmen, schien angesichts von Geographie und Geschichte Böhmens keine konkrete Möglichkeit.
VI Auch wir haben einen langen Weg zurückgelegt, der öfter nur aus knappen Worten hat bestehen können. Trotzdem mag die Grundlinie klar sein: Um ein wirkliches Sachproblem handelt es sich bei unserem Thema äußerstenfalls bei dieser oder jener Einzelfrage, vor allem war oder ist es ein Problem des Umgehens mit einem vom Gegenwartsinteresse her überformten Forschungsfeld. In die Zukunft könnte das Bemühen weisen, die Rolle Böhmens in seiner älteren Geschichte aktiv-positiv-optimistisch statt wie gewohnt passiv-negativpesimistisch zu formulieren36, also als Abfolge von Situationen des Erfolges zumindest der beiden mittelalterlichen Dynastien und nicht so sehr als eine 35
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JAROSLAV PANEK: Das politische System des böhmischen Staates im ersten Jahrhundert der habsburgischen Herrschaft (1526-1620). In: MIÖG 97, 1986, S. 53-82. - JOACHIM BAHLCKE: Regionalismus und Staatsintegration im Widerstreit (1525-1629). München 1994. - BEGERT (wie Anm. 2) S. 303 ff. Die Konstruktion der Vergangenheit. Geschichtsdenken, Traditionsbildung und Selbstdarstellung im fnihneuzeitlichen Ostmitteleuropa, hg. v. Joachim Bahlcke und Arno Stromeyer. Berlin 2002 (Zeitschrift für historische Forschung, Beiheft 29).
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defensive Situation welcher Art auch immer. Das Land verhielt sich in der Tat passiv, weil eine Antwort nicht die Sache des Landes, sondern Sache seines Herrn war. Es wäre ein anderes Thema, spezielle „emanzipatorische" Aspekte im sich Emporarbeiten von Kräften diesmal in der Tat des Landes oder aus dem Land heraus, ökonomischer oder geistiger Art, zu würdigen und entsprechende Prozesse hin in Richtung auf Entwicklungsausgleich oder gar Entwicklungsbeschleunigung in Europa anzusprechen.
Universalkirche und kirchlicher Partikularismus in Ostmitteleuropa Die exemten Bistümer Hans-Jürgen Karp
In den rechtlichen und politischen Beziehungen der Reiche und Territorien in Ostmitteleuropa verdient die Rolle der Exemtion, der kirchenrechtlichen Ausgliederung von Bistümern aus einer Kirchenprovinz und der unmittelbaren Unterstellung unter den Apostolischen Stuhl, besondere Berücksichtigung. Zu fragen ist nach den Ursachen und Zielen sowie der juristischen Ausformung solcher Ausnahmeregelungen in diesem Raum.1 Für die im Verlauf der mittelalterlichen Ostmission entstandenen Bistümer2 war, mit Ausnahme von Kammin, der anfängliche Status der Exemtion, der Verzicht auf die Einordnung in eine Metropolitanjurisdiktion, eine vorübergehende Erscheinung. Sieht man von diesen Diözesen ab, so bleiben die drei Bistümer Kammin, Ermland und Breslau, deren Bestrebungen um die Erlangung oder Bewahrung der Exemtion für die Gestaltung der Rechtsbeziehungen zwischen den Territorien und benachbarten Reichen der Deutschen und Polen eine besondere Bedeutung zukommt.
1. Bistum Kammin Die Vorgeschichte der Exemtion des Bistums Kammin, die Frage nach den Gründen für die Verleihung dieses Privilegs „gehört zu den schwierigsten und bis in die neueste Zeit hinein am meisten umstrittenen Fragen der pommerschen Kirchengeschichte"3.
1
2
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Grundlegend für diese Fragen: DIETMAR WILLOWEIT: Die Entstehung exemter Bistümer im deutschen Reichsverband unter rechtsvergleichender Berücksichtigung ausländischer Parallelen. In: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtgeschichte, Kan. Abt. 52 (1966) S. 176-298. ANZELM WEISS: Biskupstwa bezpoSrednio zalezne od Stolicy Apostolskiej w Sredniowiecznej Europie. Lublin 1992, S. 229-300. JÜRGEN PETERSOHN: Der südliche Ostseeraum im kirchlich-politischen Kräftespiel des Reiches, Polens und Dänemarks vom 10.-13. Jahrhundert. Mission - Kirchenorganisation - Kultpolitik. Köln, Wien 1979 (Ostmitteleuropa in Vergangenheit und Gegenwart, 17), S. 278.
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Nach Jürgen Petersohn, dessen Forschungsbilanz von 1979 in den wesentlichen Punkten hier in knapper Zusammenfassung wiedergegeben wird, sind die Anfänge der kirchlichen Unabhängigkeit im Verlauf der Pommernmission Bischof Ottos von Bamberg und in der komplizierten Entwicklungsgeschichte des auf diesem Fundament errichteten Bistums grundgelegt.4 Eine gewisse Vorentscheidung sieht Petersohn in der missionsrechtlichen Exemtion des unter der Herrschaft Wartislaws I. stehenden Teils des lutizischen Siedlungsgebiets westlich der Oder von der Magdeburger Kirchenhoheit, wenn auch die Magdeburger Erzbischöfe auch fernerhin auf keinen ihrer Rechtstitel verzichteten.5 Entscheidend war schließlich, daß es Otto in einem langen Prozeß gelang, die beiden Missionssprengel östlich und westlich der Oder zusammenzufassen und seinen Plan, im gesamten Herrschaftsgebiet Wartislaws ein Bistum zu gründen, zu verwirklichen. Petersohn faßt den Sachverhalt wie folgt zusammen: „Die lange Dauer des Provisoriums einer von Bamberg geleiteten, mit dem pommerschen Herzogsstaat der Greifen mehr und mehr zusammenwachsenden Missionskirche arbeitete letztlich (...) zugunsten des Konzepts eines einheitlichen Pommernbistums."6 Ein politisch günstiger Zeitpunkt für seine Verwirklichung war nach dem Tod des deutschen Kaisers Lothar von Supplinburg (1137) und des polnischen Herzogs Boleslaw (1138) gekommen. Die römische Kurie trug der Entwicklung mit der förmlichen Einrichtung der Diözese im Jahre 1140 Rechnung. Die Frage ihrer Metropolitanzugehörigkeit blieb angesichts der bis dahin und auch weiterhin vorgetragenen Ansprüche der Erzbistümer Magdeburg und Gnesen zunächst aber noch offen. Das Privileg Innozenz' II. von 1140 sprach noch keine unmittelbare Unterstellung unter den Apostolischen Stuhl aus. Die Weihe des ersten pommerschen Bischofs Adalbert durch den Papst führte aber offensichtlich zu der Annahme, die neue Diözese sei exemt7, so daß sich in der eigentlichen Exemtionsurkunde Clemens' XIII. von 1188 die Bemerkung fmdet, die Exemtion bestehe α prima sui Institutionen Das trifft jedoch nicht zu. Damit stellt sich die Frage nach dem Anlaß und den Beweggründen für die förmliche Verleihung der Exemtion - erst 48 Jahre nach der Gründung der Diözese. Es besteht kein Zweifel, daß das Landesbistum Kammin selbst bestrebt war, von den benachbarten Kirchenprovinzen unabhängig zu bleiben. Magdeburg hatte in den späten vierziger Jahren des 12. Jahrhunderts vorübergehende faktische Erfolge in seinem zähen Ringen um die kirchliche Oberhoheit in
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Ebd., S. 262-277. Ebd., S. 270. Ebd., S. 275.
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WILLOWEIT (wie Anm. 1), S. 212.
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Pommersches Urkundenbuch, Bd. 1, neubearb. von Klaus Conrad. Köln, Wien 1970, Nr. I l l , S. 146.
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Pommern.9 Die zeitweilige Annäherung der pommerschen Bischöfe an Gnesen dürfte nicht allein im Expansionsstreben des polnischen Erzbistums ihren Grund gehabt haben, sondern auch ein taktisches Manöver gewesen sein, das auf Unterstützung für den Ausbau ihrer Diözese zielte. Die spätestens seit 1176 erlangte Unabhängigkeit und Selbständigkeit der Kamminer Bischöfe gegenüber den pommerschen Herzögen im Vergleich zu der weit weniger günstigen Lage der Bischöfe in Polen dürfte hinreichend erklären, warum für jene eine Eingliederung in die Gnesener Kirchenprovinz nicht in Frage kam.10 Angesichts der - mehr oder weniger - massiv vorgetragenen Ansprüche Magdeburgs und Gnesens auf die Kirchenhoheit in Pommern erscheint - entgegen der Meinung Willoweits11 - der Schluß durchaus plausibel, Clemens XIII. habe durch die Verleihung der Exemtion den Streit zwischen den beiden Konkurrenten überwinden wollen.12 Dies schließt die Annahme nicht aus, daß die Initiative für die Exemtion von den Kamminer Bischöfen ausging und auch von den politischen Ansprüchen der pommerschen Herzöge13 mitgetragen war. Die Verleihung des Exemtionsprivilegs hat nicht verhindert, daß die Erzbischöfe von Magedeburg vor allem im Anfang des 13. Jahrhunderts und die Gnesener Metropoliten noch im 14. Jahrhundert - nunmehr „mit der machtvollen Unterstützung des polnischen Königtums" - versuchten, doch noch die geistliche Oberhoheit über Pommern zu gewinnen.14 Die Exemtion des Bistums Kammin blieb bis zu ihrem Untergang in der Reformation bestehen. Was die rechtlichen Bestimmungen des Exemtionspivilegs Clemens' XIII. betrifft, so heißt es darin, das Bistum Kammin bestehe beati Petri iuris. Außerdem bestätigt die Urkunde die libertas ..., qua sedes ipsa soli fiiit Romani pontifici... subiecta. Mit den gleichen Sätzen wird das Bistum 1217 von Papst Honorius III. bestätigt.15 Nach Willoweit handelt es sich hier um „Privilegien, deren Gehalt ursprünglich auf eine dingliche Beziehung zur römischen Kurie hinweist. Tatsächlich bedeuten sie aber für das ausgehende 12. Jahrhundert schon überwiegend die Exemtion".16 „Während des 12. Jahrhunderts wird der Begriff libertas geradezu zum Kriterium der Exemtion."17
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PETERSOHN (wie A n m . 3), S. 3 4 8 .
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Ebd., S. 417 f.
11
WILLOWEIT (wie A n m . 1), S. 2 1 3 , 2 1 5 .
12
PETERSOHN
13 14 15
(wie Aran. 3), S. 278. Ebd., S. 283. Ebd., S. 281 f. und 420. Ebd., S. 279 f.
16
WILLOWEIT (wie A n m . 1), S. 2 1 5 .
17
Ebd., S. 196.
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Hans-Jürgen Karp 2. Bistum Ermland a) Von der Mitte des 15. Jahrhunderts bis 1512
Für die Frage der Exemtion des Bistums Ermland und ihrer rechtlichen Begründungen, die seit dem 15. Jahrhundert von Seiten der Bischöfe und des Domkapitels vorgebracht wurden, ist es unerläßlich, zunächst - wie im Fall des Bistums Kammin - an die Missionsgeschichte und die Herausbildung der mittelalterlichen Herrschaftsbildung des Preußenlands zu erinnern. Die erste Phase der Mission hatte zu Beginn des 13. Jahrhunderts unter der Leitung der Päpste gestanden, die für die Neugetauften die libertas, d. h. die Unabhängigkeit unter päpstlicher Oberhoheit anstrebten.18 Als der Papst dann 1234 in realistischer Einschätzung der machtpolitischen Position des unmittelbaren Missionsträgers dem Deutschen Orden die Landesherrschaft in Preußen bestätigte, behielt er sich als dessen oberster Lehnsherr neben der Errichtung von Bistümern auch deren Dotation vor.19 Es war der päpstliche Legat - Wilhelm von Modena der 1243 nicht nur eine, sondern vier Diözesen in Preußen gründete und darüber hinaus die Fundamente der politischen Herrschaftsordnung legte, indem er dem Orden jeweils zwei Drittel des Territoriums einer jeden Diözese, den vier Bischöfen jeweils ein Drittel ihres Jurisdiktionsbezirks mit allen landesherrlichen Rechten zuwies.20 Dem Orden gelang es durch Inkorporation der Domkapitel, mit Ausnahme Ermlands, die Ausbildung der vollen Landeshoheit der Bischöfe von Kulm, Pomesanien und Samland zu verhindern, während das Ermland eine beträchtliche Unabhängigkeit vom Deutschen Orden bewahrte. Die vier Bistümer des Preußenlandes wurden 1246 mit denen Livlands zu einem Erzbistum zusammengefaßt und dem Metropoliten das von Preußen weit abgelegene Riga als Sitz zugeteilt.21 In den folgenden zwei Jahrhunderten wurde das Suffraganverhältnis der vier preußischen Bistümer zu Riga, unter ihnen das des Ermlands, niemals in Frage gestellt. Seit der Mitte des 15. Jahrhunderts - also 200 Jahre nach der Gründung der Bistümer und noch rund 100 Jahre vor dem Untergang des Erzbistum Riga taucht nun in einer Reihe von Urkunden, die das Ermland betreffen, die Behauptung auf, die Diözese sei ex eius fundatione et dotatione sedi Apostolicae immediate subiecta. Die Formel kennzeichnet hier die unmittelbare Unterordnung der Landesherrschaft des Bistums unter den Papst. Diese Interpretation entspricht der „seit dem 12. Jahrhundert verbreiteten Lehre von der unmittelba18
19
20 21
Ingrid ΜΑΉβΟΝ: Die Lehnsexemtion des Deutschen Ordens und dessen staatsrechtliche Stellung in Preußen. In: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 21 (1965) S. 212-218. Preußisches Urkundenbuch, Bd. I, 1, hrsg. von Rudolf Philippi. Königsberg 1882, Nr. 109, S. 84. Ebd., Nr. 143, S. 108. Ebd., Nr. 176, S. 127 f.
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ren Herrschaftsbefugnis des Papstes auch in weltlichen Angelegenheiten".22 Viele Zeugnisse des 15. und des beginnenden 16. Jahrhunderts, die das Weiterbestehen des Metropolitanverhältnisses des Ermlands zu Riga eindeutig belegen, beweisen, daß jene in den Urkunden benutzte Formel - sedi Apostolicae immediate subiecta - nicht kirchenrechtlich als Exemtion verstanden wurde. Zum ersten Mal erscheint die Formel während des 13jährigen Krieges zwischen dem Deutschen Orden und Polen im Jahre 1458 in der Bulle Pius' II., mit der der Papst den ermländischen Domherrn Paul von Legendorf23, der seit 1447 in Rom weilte, zum Administrator der Diözese Ermland ernannte, da eine kanonische Bischofswahl wegen der Kriegswirren nicht möglich war. Der Papst war selbst ein Jahr zuvor als Kardinal Enea Silvio Piccolomini24 von seinem Vorgänger Kalixt III. gegen die Kandidaten des Deutschen Ordens und des polnischen Königs zum Bischof von Ermland bestellt und dann im August 1458 zum Papst gewählt worden. In der Ernennungsbulle für Legendorf vom 20. September 1458 wird nun die Diözese Ermland als ex eius fundacione nullius temporalis dominio sed dumtaxat sedi apostolice subjecta bezeichnet.25 Vermutlich wurde der Apotolische Stuhl über diese Rechtsauffassung aus dem Umkreis der Frauenburger Kurie selbst informiert. Im Sommer 1457 hatte der «inländische Domkantor Bartholomäus Liebenwald26 in Rom die Verleihung der vakanten Diözese an den über den Parteien stehenden Piccolomini betrieben.27 Wenige Jahre später spricht der ermländische Domdechant Johannes Plastwich28, der als Berater Legendorfs für die Neutralität des Ermlands unter dem Schutz des polnischen Königs eintrat, in seiner 1464 entstandenen Chronik unter Bezugnahme auf die Zirkumskriptionsbulle Wilhelms von Modena aus dem Jahre 1243 von den preußischen Diözesen als ecclesiae immediate in temporalibus sedi apostolicae subjectae29. In der Bulle für Legendorf von 1458 sollte die Formel
22
WILLOWEIT (wie Anm. 1), S. 221.
23
HANS-JÜRGEN KARP: Legendorf. In: Die Bischöfe des Hl. Römischen Reiches 1448 bis 1648. Ein biographisches Lexikon, hrsg. von Erwin Gatz unter Mitwirkung von Clemens Brodkorb. Berlin 1996, S. 412. - TERESA BORAWSKA: Legendorf. In: Slownik biograficzny kapituly warmmskiej. Olsztyn 1996 (Rozprawy naukowe Wyzszego Seminarium Duchownego metropolii warmiüskiej „Hosianum" w Olsztynie, 1), S. 145 f.
24
LUIGI TAVANO, HANS-JÜRGEN KARP: Piccolomini. In: Die Bischöfe (wie Anm. 20), S. 538.
25
HANS SCHMAUCH: Die kirchenrechtliche Stellung der Diözese Ermland. In: Zeitschrift für die Geschichte und Altertumskunde Ermlands 30,3 (1966) S. 476 f.
26
TERESA BORAWSKA: Liebenwald. In: Stownik (wie Anm. 20), S. 150.
27
VIKTOR RÖHRICH: Ermland im dreizehnjährigen Krieg. In: ZGAE 11 (1895)
28
TERESA BORAWSKA: Plastwich. In: Stownik (wie Anm. 23), S. 189 f.
29
JOHANNES PLASTWICH: Chronicon de vitis Episcoporum Warmiensium. In: Scriptores rerum Warmiensium, Bd. 1, hrsg. von Carl Peter Woelky. Braunsberg 1866, S. 48.
S. 380-384.
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angesichts der Auseinandersetzungen zwischen dem Deutschen Orden und Polen offensichtlich den Anspruch Pius' II. zum Ausdruck bringen, bei der Wahrung der Neutralität des Ermlands mitzuwirken, und eine eigenständige Politik des Administrators unterstützen, mit der dieser dann tatsächlich, seit 1460 wieder im Ermland, das seiner Landeshoheit unterstehende Gebiet wiederzugewinnen trachtete. Ein Jahrzehnt später - 1468, zwei Jahre nach Abschluß des Zweiten Thorner Friedens zwischen dem Deutschen Orden und Polen - diente die Formel von der unmittelbaren Unterstellung der Diözese unter den Apostolischen Stuhl der Abwehr noch weitergehender polnischer Ansprüche auf das Ermland. König Kasimir hatte in dem 1464 seiner Schirmherrschaft unterstellten Bistum das Nominationsrecht beansprucht. Paul II. bestätigte aber 1468 den Elekten des ermländischen Domkapitels Nikolaus von Tüngen30. Im Dezember desselben Jahres legte er einem Schreiben an den polnischen König den Grund für seine Entscheidung dar, und in einer Bulle an den Kandidaten des Königs Wincenty Kielbasa (Mai 1469) warnte er diesen, sich in die Diözese Ermland hereinzudrängen. Beide Male machte er geltend, daß die ermländische Kirche dem Apostolischen Stuhl unmittlbar unterstellt sei.31 Tüngen selbst wehrte sich 1473 gegen die von Sixtus IV. verfügte Transferierung nach Kammin mit dem Argument, die ermländische Kirche sei durch gewisse tyrannische Polen a libertate sedis apostolice losgelöst worden, a qua fimdata et dotata fiiit et immediate vetustissimis eciam temporibus et juribus subiecta32. Mit der Bulle vom 14. Märzl488 hob Papst Innozenz VIII. das kurz zuvor König Kasimir verliehene Nominationsrecht für ein ermländisches Kanonikat mit der Begründung wieder auf, es sei ihm die unmittelbare Unterstellung Ermlands unter den Apostolischen Stuhl vorher nicht bekannt gewesen.33 Mit dem gleichen Argument verteidigte 1489 das ermländische Domkapitel sein Recht der freien Bischofswahl gegen Vorwürfe des polnischen Königs wegen der von ihm getätigten Wahl Lukas Watzenrodes.34 Bischof Watzenrode berief sich am Ende des 15. Jahrhunderts im Zusammenhang mit seinem langjährigen Privilegienstreit mit dem Deutschen Orden35
30
HANS-JÜRGEN KARP:
Tüngen. In: Die Bischöfe (wie Anm.
23), S. 711
f.
31
SCHMAUCH ( w i e A n m . 2 5 ) , S . 4 7 7 .
32
Ebd. S. 4 7 8 . Die Eingabe an den Papst bei F R . THUNERT: Akten der Ständetage Preußens Königl. Anteils. Danzig 1896, Nr. 312, Zitat S. 582.
33
SCHMAUCH ( w i e A n m . 2 5 ) , S. 4 6 7 .
34
Ebd. S.
35
TERESA BORAWSKA:
478.
Bernard Sculteti jako rzecznik interesöw warmiliskich w Rzymie na przelomie XV i XVI wieku. In: Komunikaty Mazursko-Warmiiiskie Nr. 2 - 3 ( 1 1 6 - 1 1 7 ) ( 1 9 7 2 ) S. 3 4 7 - 3 5 3 . - ANDREAS THIEL: Das Verhältnis des Bischofs Lucas Watzelrode zum Deutschen Orden. In: Z G A E 1 ( 1 8 6 0 ) S. 2 4 4 - 2 6 8 , 4 0 9 - 4 5 9 .
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auf die Exemtion des Ermlands. Etwa im Jahre 1496 reichte in seinem Auftrag der Frauenburger Domherr Nikolaus Krapitz dem Papst eine Supplik36 ein, in der er diesen bat, die ermländische Kirche, „die unmittelbar der römischen Kirche unterworfen sei", von der schrecklichen Gewalt des Ordens zu befreien.37 Der Orden hatte 1493 den Rigaer Erzbischof gebeten, gegen Watzenrode kraft seiner Metropolitangewalt einzuschreiten. Erzbischof Michael forderte den Bischof auf, nichts gegen die Privilegien des Ordens zu unternehmen. Dies dürfte der Grund für Watzenrode gewesen sein, dreimal - 1496, 1500 und 1501 - das von ihm als Suffragan verlangte juramentumfidelitatis ebenso wie die Teilnahme an der Rigaer Provinzialsynode zu verweigern. Seit 1504 verfolgte er offen den ehrgeizigen Plan, die Metropolitanverbindung mit Riga zu lösen und dann die Erhebung des Ermlands zum Erzbistum zu erreichen.38 Er wurde darin sogar vom polnischen König Alexander unterstützt, nachdem dessen Bemühungen in Rom, den Deutschen Orden aus Preußen nach Podolien zu verbannen, 1505 gescheitert waren. Nach dem Tode Alexanders 1506 hatte der Plan keine Chance mehr. Karol Gorski hat die Politik Watzenrodes inkonsequent und doppelgesichtig genannt.39 Darin spiegelt sich der Wandel der politischen Ideen des ehrgeizigen Bischofs, die - nachdem er bis zum Tode Kasimirs 1492 für die Wahrung der Rechte der freien Bischofswahl und der Privilegien des Kgl. Preußen eingetreten war - schließlich auf eine immer engere Verbindung des Kgl. Preußen mit der polnischen Krone gerichtet waren - vor allem schließlich dann, als der Versuch, eine größere Selbständigkeit als Erzbischof zu erlangen, gescheitert war. Bald nach 1506 erreichten die ermländischen Domherren in einer Eingabe an den Papst, mit der Begründung, es dürfe das Eigentums- und Patronatsrecht des Apostolischen Stuhles nicht auf welüiche Fürsten übergehen und so die ermländische Kirche ihrer Freiheiten beraubt werden40, daß das zuvor vom Papst dem polnischen König erneut verliehene Nominationsrecht für ermländische Kanonikale wieder kassiert wurde. Im Januar 1508 forderte das Domkapitel unter Berufung auf die unmittelbare Unterstellung der Diözese unter den Apostolischen Stuhl vom polnischen König einen Modus der Bischofswahl, der die Rechte des Kapitels respektierte.41 Die dem Papst im Februar 1512 von Bischof und Domkapitel vorgelegte Supplik richtete sich nochmals auf die Bestätigung der Privilegien der dem
36
BORAWSKA (wie A n m . 35) S. 350.
37
Regest der Supplik in: Liv-, Est- und Kurländisches Urkundenbuch, hrsg. von Leonid Arbusow, Abt. II, Bd. 1. Moskau 1900, Nr. 422, S. 307 f. - SCHMAUCH (wie Anm. 25) S. 479. BORAWSKA (wie Anm. 35), S. 353-355. KAROL GÖRSKI: On the Biography of Lukas Watzenrode. In: Acta Poloniae Historica 28 (1973) S. 110.
38 39
40
SCHMAUCH (wie Anm. 25), S. 479.
41
Ebd.
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Apostolischen Stuhl unmittelbar unterstellten ermländischen Kirche, insbesondere des Rechtes der freien Bischofswahl und damit auf die Annullierung der Bestimmungen des vom König von Polen aufgezwungenen 1. Vertrages von Petrikau von 1479.42 Im April 1512 rechtfertigte das Frauenburger Domkapitel in einer Denkschrift an den polnischen Königshof seine Wahl Fabians von Lossainen zum Bischof von Ermland in aller Ausführlichkeit.43 Darin heißt es u. a., die ermländische Kirche gehöre wegen ihrer Fundierung und Dotierung durch den Apostolischen Stuhl nicht zu den Patronatskirchen irgendeines Fürsten; der Deutsche Orden habe keine Oberhoheit (superioritas) über das Ermland besessen, sondern nur die Schirmvogtei (protectio), und darin seien ihm jetzt die polnischen Könige gefolgt. Deshalb und weil die ermländische Kirche allein dem Apostolischen Stuhl unterstellt sei, käme dem Domkapitel die freie Bischofswahl zii. Die angeführten Zeugnisse zeigen den Gebrauch der Formel von der unmittelbaren Unterstellung des Ermlands unter den Apostolischen Stuhl als Mittel zur Bewahrung der Selbständigkeit des Bistums gegenüber dem Deutschen Orden und der polnischen Krone sowie später zur Abwehr kirchenpolitischer Ansprüche Polens auf das Bistum.
b) 1512-1563/66 Mit dem 2. Petrikauer Vertrag von 1512, der mit einer weiteren Beschneidung des freien Wahlrechts des Domkapitels die Bindung des Bistums an die Krone Polen verstärkte, begann eine Phase, die auch von Bestrebungen der Erzbischöfe von Gnesen gekennzeichnet war, trotz formaler Anerkennung der Metropolitanverbindung des Ermland mit Riga die Diözese stärker in die Kirchenprovinz Gnesen einzubinden - mit regelmäßigen Aufforderungen an die ermländischen Bischöfe, an den Gnesener Provinzialsynoden teilzunehmen, oder sogar mit dem Drängen, sich von Riga zu lösen und Gnesen anzuschließen. Die ermländischen Bischöfe hielten zusammen mit dem Domkapitel hartnäckig an der Zugehörigkeit ihrer Diözese zur faktisch nicht mehr gewollten Rigaer Metropole fest, sie sahen darin das kleinere Übel gegenüber einer Einbindung in die näher gelegene und in der Abwehr der reformatorischen Bewegung aktivere Gnesener Metropole. Von besonderem Interesse ist eine Supplik der obersten geistlichen Würdenträger Polens an den Papst aus dem Jahre 152144, die angesichts der Besetzung weiter Teile des Ermlands durch Hochmeister Albrecht von Bischof Fabian erbeten worden war. Er hatte sich an den Gnesener Erzbischof in dessen Eigenschaft als legatus natus des Papstes im Königreich Polen um Hilfe gewandt. Jan Laski erklärte in der Supplik ausdrücklich, daß das Bistum Ermland nicht zur Gnesener Kirchenprovinz gehöre, daß er sich aber für einen fremden Suffragan 42 43 44
Ebd. S. 466 f. Ebd. S. 480. Ebd. S.-475, Text ebd. S. 490-493.
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verwenden wolle, der nicht nur in spiritualibus, sondern auch in temporalibus unmittelbar dem Apostolischen Stuhl unterstellt sei. Der entschiedene Kirchenreformer und Gegenreformator Stanislaus Hosius dürfte das Dilemma, in dem er sich befand, besonders empfunden haben. Einerseits glaubte er sich den aus seiner Sicht gefährlichen Einflüssen des zum Luthertum neigenden Erzbistums Riga entziehen zu müssen, andererseits war er verpflichtet, dem kanonischen Recht Genüge zu tun. Einige Jahre vor dem fakischen Untergang des Erzbistums griff er die alte Formel von der unmittelbaren Unterordnung Ermlands unter den Apostolischen Stuhl auf und gab ihr nunmehr eine kirchenrechtliche Bedeutung im Sinne der Exemtion. Als der Rigaer Erzbischof im Dezember 1551 Hosius als seinen Suffragan bat, ihn auf dem Konzil von Trient zu vertreten, bestritt der Bischof in seiner Antwort vom 4. Januar 155245 die Unterstellung seiner Diözese unter das Erzbistum Riga. Er könne niemand anders denn die päpstliche Heiligkeit und den König von Polen als oberherrn kennen. Diese neue Interpretation der alten Rechtsformel erlaubte es ihm, sich aus der Metropolitanverbindung mit Riga zu lösen und gleichzeitig eine positive Haltung zu den Gnesener Provinzialsynoden einzunehmen, ohne Gefahr zu laufen, in die Gnesener Kirchenprovinz auch de iure eingebunden zu sein. Die Interpretation der überlieferten Formel als Exemtion stärkte im Gegenteil die Sonderstellung seines Bistums im Verhältnis zu Gnesen. Noch einmal, nämlich auf der Synode von Lowicz im September 1556, erklärte Hosius ausdrücklich, die Diözese Ermland habe das Privileg der Exemtion. Er sei als ihr Bischof nicht verpflichtet, an den Gnesener Provinzialsynoden teilzunehmen, er sei in diesem Falle nur einer Einladung des päpstlichen Nuntius gefolgt. Die Synode bestätigte auch ausdrücklich, daß die Anwesenheit von Hosius kein Präjudiz sei, das die Exemtion seiner Diözese in Frage stelle.46
c) 1563/1566 - 1728 Mit dem Dekret des Trienter Konzils vom November 1563 trat eine neue Lage ein. Es ist nun interessant zu sehen, wie Hosius und die ihm nachfolgenden Bischöfe die Exemtion des Ermlands angesichts der Vorschrift verteidigten, nach der die exemten Diözesen verpflichtet waren, an den Provinzialynoden einer benachbarten Kirchenprovinz teilzunehmen. Hosius lehnte 1564 die Teilnahme an der Gnesener Provinzialsynode mit derselben formalen Begründung ab wie vor dem Konzil, nämlich mit dem
45
46
Ebd. S. 473 f., 484. - ROMAN BODANSKI: Walka diecezji warmtöskiej ο niezaleznoSö od metropolii ryskiej i gnieznienskiej od 1426 do 1566 r. In: Studia Warmiüskie 19 (1982) [1984] S. 136. - Text in: STANISLAUS HOSIUS: Epistolae tum etiam eius orationes legationes, ed. cur. Franciscus Hipler et Vincentius Zakrzewski, Bd. 2. Krakau 1888 (Acta historica gestas Poloniae illustrantia, 9), Nr. 621, S. 147 f. BODARTSKI (wie Anm. 45), S. 136. Statut der Synode ebd., S. 144, Anhang 4.
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Hinweis auf die besondere Art der Exemtion des Ermlands.47 Neben einigen eher vordergründigen Argumenten, die sein Fernbleiben begründen sollten, ist besonders bemerkenswert, daß er sich ausdrücklich gegen das von Primas Uchanski betriebene Projekt einer Nationalsynode wandte. Zeit und Ort der Petrikauer Synode, während der auch der Sejm beraten sollte, ließen befürchten, daß der Sejm sie in eine nationale Synode verkehren könnte, in quo de nova aliqua fide tractari deberet48. Zwei Jahre später, am 4. Oktober 1566, erwirkte Uchaiiski ein Mandat Pius' V., das ihn ermächtigte, die Bischöfe von Ermland und Kulm, wenn nötig, zwangsweise unter Androhung von Strafen zur Teilnahme an der Gnesener Provinzialsynode zu bewegen, obwohl - wie es ausdrücklich hieß - nota bene: 1566 - die beiden Diözesen formell zum Erzbistum Riga gehörten, das seine Funktion jedoch nicht mehr erfüllte. Eine Desavouierung Hosius' vermied der Papst jedoch, indem er ihn zum Vorsitzenden der Synode anstelle des Primas bestellte.49 Als 1577 das Erzbistum Riga seit einiger Zeit de facto gar nicht mehr bestand, wurde die Exemtion des Bistums Ermland Gegenstand eines direkten Angriffs, dessen Urheber zweifellos der Primas war. Nun forderte nämlich König Stefan Bathory am 3. August 1577 von Hosius den ausdrücklichen Verzicht auf das Privileg der Exemtion seiner Diözese - und zwar im Interesse des Staates. Sie sei ein Teil der Krone, sie solle also das Schicksal der ganzen Kirche in Polen teilen. Das erforderten auch die Rücksichten auf die Sicherheit des Landes.50 Der Koadjutor des Hosius Martin Kromer - Politiker, Diplomat und Historiker von Rang - wies diese staatrechtliche Argumentation zurück und stellte ebenfalls staatsrechtlich argumentierend - am 21. August in seiner Antwort an den König klar, daß die Bewahrung der Unabhängigkeit seiner Diözese von der Kirchenprovinz Gnesen keine Rebellion gegen das Königreich sei; in diesem Reich gäbe es viele Sonderrechte, viele Nationalitäten und viele Religionen, einige hätten sich sogar von der Kirche getrennt, aber ihnen sei niemals der Vorwurf der Rebellion gemacht worden.51
47
ROMAN BODANSKI: Dzieje walki diecezji warmiüskiej Ο niezaleznosc Ο synodöw metropolii gnieznienskiej 1563-1728. In: Studia Warmmskie 19 (1982) [1984]
48
S. 148 f. - Korespondencja Stanislawa Hozjusza kardynala i biskupa warminskiego (Stanislai Hosii epistolae ab eo scriptae et ad eum datae), T. 5, Rok 1564, hrsg. von Alojzy Szorc. Olsztyn 1976 (Studia Warmiriskie, 13), Nr. 391, S. 529-531, Hosius an Primas Jakub Uchanski, 17.11.1564. Korespondencja (wie Anm. 47), Nr. 364, S. 499 f., Hosius an Uchanski, 21.10.1564.
49
BODANSKI, Dzieje (wie ANM. 47), S. 149 f.
50
Ebd. S. Ebd. S.
51
150. 151
f.
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Die staatsrechtliche Argumentation gegen die Exemtion des Ermlands in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts trat im 17. Jahrhundert wieder in den Hintergrund. Bischof Simon Rudnicki ließ nach 1613 einige Dokumente ausarbeiten, die beweisen sollten, daß die Exemtion des Ermlands keine Verpflichtung zur Teilnahme an der Gnesener Provinzialsynode bedeute.52 Die beiden Elemente, die das Tridentinum voneinander getrennt hatte, wurden im Ermland also auch weiterhin hartnäckig als untrennbar erachtet. Die Argumentation der Vertreter des Domkapitels beim päpstlichen Nuntius nach der Transferierung des Bischofs Johann Albrecht nach Krakau im Jahrel633 ist dann wieder ein klassisches Beispiel dafür, wie das Festhalten an der Exemtion und die Weigerung, an den Gnesener Provinzialsynoden teilzunehmen, zur Verteidigung des Rechts der freien Bischofswahl benutzt wurde.53 Die 1634 gegründete Kongregation für das Tridentinische Konzil, die dessen Beschlüsse hinsichtlich der Teilnahme der exemten Bistümer an den benachbarten Metropolitansynoden umsetzen sollte, bedeutete, daß von nun an der Apostolische Stuhl den diesbezüglichen Forderungen des polnischen Primas Nachdruck verlieh. Bischof und Kapitel von Ermland boten dagegen nun ein riesiges juristisches Argumentationsmaterial auf, in dem als ein neues Element die Zugehörigkeit der Diözese zu den „deutschen Konkordaten" und der Hinweis auf ihre nationale Eigenart hervortrat. Sie unterscheide sich von der Kirche in Polen durch Sprache, Sitten, Statuten und Gewohnheiten. Das Trienter Konzil sei auch in vielen Diözesen Deutschlands nicht bindend, wo es erlaubt sei, eigene Rechte anzuwenden.54 In Deutschland gebe es exemte Diözesen, wie ζ. B. Bamberg, die bis jetzt auch keinen Metropoliten anerkannt hätten. Das Trienter Dekret betreffe nur Diözesen ein und derselben Nation und Sprache; Ermland sei von deutschen Siedlern bewohnt, dort gälten andere Rechte, und es gehe nicht an, sie mit der Gesetzgebung einer polnischen Kirchenprovinz in Einklang bringen zu wollen55. Aber gerade dies war die Absicht des Gnesener Erzbischofs, der „die Einheit der Geistlichkeit in dem einen Königreich bewahren wollte, damit wenigstens alle Geistlichen in diesem einen Königreich die uniformitas in cultu divino behalten und das eine Vaterunser sprechen"56. Da beide Seiten bei ihrer Einstellung blieben, schien eine Inervention des Apostolischen Stuhles notwendig. Es kam auch zu entsprechenden Vorbereitungen, deren Ausgang aber unbekannt ist.57 Die ermländischen Bischöfe betrachteten sich auch ferner als unabhängig von den Synoden der Gnesener Metropole.
52 53 54 55
56 57
Ebd. S. 154-156. Ebd. S. 157. Ebd. S. 158 f., Domkapitel an Bischof Szyzszkowski, 26.7.1634. Ebd. S. 160 f.; 163, Domkapitel an Bischof Szyszkowski, 9.9.1634; Bericht des Domherrn Montani an Bischof Szyszkowski, 16.5.1635. Ebd. S. 161, Primas Jan Laski an Bischof Szyszkowski, 4.11.1634. Ebd. S. 162-164.
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Eine neue Gefahr drohte der Diözese durch die römische Synode von 1725, deren Ziel es wiederum war, die exemten Bistümer mit den benachbarten Provinzialsynoden zu verbinden. Bischof Christoph Andreas Johann Szembek beauftragte seinen Bevollmächtigten in Rom, den Domherrn Ludwig Fantoni, die Rechte der ermländischen Kirche zu verteidigen. Dieser arbeitete von mit großem Fleiß immer neue, der jeweiligen Entwicklung der Synodenberatung entsprechende Rechtsgutachten aus - mit den alten Sachargumenten, auch mit juristischen Spitzfindigkeiten - und erfand auch verschiedene Verfahrenstricks, um die Rechtskraft des Konzilsdekrets so weit wie möglich abzuschwächen bzw. die geforderte Wahl einer Metropolitankirche hinauszuzögern.58 Das ganze kunstvolle Gebäude, das Fantoni errichtet hatte, war aber schon zusammengefallen, als Papst Benedikt XIII. noch 1725 persönlich bei der von der Synode eingesetzten Kongregation erschien und die Anordnung einschärfte, daß die exemten Bistümer einen Metropoliten zu wählen hätten. Fantoni griff daraufhin sogar auf die alten Pläne zurück, Ermland zur Erzdiözese zu erheben, die aber keine Chance hatten, realisiert zu werden.59 Nach langem Schwanken war Szembek 1727 zur formalen Wahl eines Metropoliten bereit, es ist aber nicht bekannt, ob Fantoni auch die Vollmacht erhielt, die Wahl zu vollziehen. In seinen Statusberichten über Ermland vom Juli und über Samland vom August 1727 argumentierte der Bischof nochmals, es habe insbesondere keinen Sinn, die in Personalunion mit Ermland verbundene und deshalb ebenfalls exemte Diözese Samland, deren Lage wegen ihrer Abhängigkeit von Preußen schwierig sei, mit Gnesen zu verbinden.60 In ihrer Antwort auf die Statusberichte vom Dezember 1727 überging die Konsistorialkongregation überraschender Weise die Pflicht zur Teilnahme an den Provinzialsynoden mit Schweigen.
3. Bistum Breslau Erstmalige Versuche, die Diözese Breslau aus dem Metropolitanverhältnis zu Gnesen zu lösen, unternahm bereits Karl IV. Mitte des 14. Jahrhunderts, nachdem durch den Vertrag von Trentschin die schlesischen Fürstentümer, darunter auch das Bistumsland Neisse zu einem Bestandteil der böhmischen Krone geworden waren.61
58 59
60 61
Zu den Einzelheiten ebd. S. 164-180. Edb. S. 174. Bemerkenswert ist aber die Verleihung des Palliums als erzbischöfliche Insignie an den Nachfolger Szembeks Stanislaus Grabowski im Jahre 1741. Ebd. S. 178. ALFRED SABISCH: Bistum Breslau und Erzbistum Gnesen, vor allem im 16. und 17. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Geschichte der Exemtion Breslaus. In: Archiv für schlesische Kirchengeschichte 5 (1940) S. 102.
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Die Breslauer Bischöfe erkannten aber in der Folgezeit den Gnesener Erzbischof weiterhin als ihren Metropoliten an, wehrten sich jedoch gegen Beeinflussungen politischer Art, so etwa durch das Statut von 1435 mit dem Verbot der Aufnahme von Ausländern in das Breslauer Domkapitel, obwohl ohnehin der deutsche Charakter der Breslauer Kirche nicht - oder nicht mehr - in Frage stand.62 Bis etwa 1500 sind normale Beziehungen Breslaus zu Gnesen als gesichert anzusehen. Im 16. Jahrhundert festigten sie sich eher noch im Hinblick auf den Kampf gegen die Glaubensspaltung. Bis etwa 1570 wurde die Zugehörigkeit Breslaus zur Gnesener Kirchenprovinz hinsichtlich der Teilnahme der Breslauer Bischöfe an den Provinzialsynoden grundsätzlich anerkannt.63 Die allmähliche Lösung der Beziehungen trat erstmals deutlicher im Jahre 1577 hervor64, als der Erzbischof von Gnesen Primas Jakub Uchanski anfragte, wie Breslau zur geplanten Provinzialsynode stehe. Mit einer ähnlichen politischen Begründung wie im gleichen Jahr der ermländische Koadjutor Kromer aber nicht mit einer so geschliffenen staatsrechtlichen Argumentation wie dieser - lehnten Bischof Gerstmann und sein Kapitel eine Teilnahme ab; sie befürchteten, es werde auf der Synode mehr um politische als um kirchliche Fragen gehen. Breslau blieb aber in den seelsorglich-praktischen Beziehungen noch von Gnesen abhängig. Dem Bischof war sehr daran gelegen, jeden Verdacht zu vermeiden, er wolle die Verbindung mit Gnesen aufkündigen. Die Statuten der Diözesansynode von 1580 schöpften aus den Mustern der benachbarten polnischen Diözesen65, für die ganze Diözese Breslau wurde der Gebrauch der Gnesener Agende vorgeschrieben. Schon bald trat aber in der Suffraganatsfrage eine Wende ein. Zum ersten Mal erklärte das Breslauer Domkapitel 1614 ausdrücklich, daß es die Trennung Breslaus von Gnesen als vollendete Tatsache ansehe. Als Bischof Erzherzog Karl von Österreich bei den Domherren anfragte, ob es geraten erscheine, in den Streitigkeiten mit den protestantischen Ständen den Erzbischof von Gnesen um Hilfe zu bitten, entschieden diese negativ. Die Begründung, es sei zwischen Breslau und Gnesen ante longissimum tempus eine disunio et separatio eingetreten, wird man eindeutig politisch verstehen müssen66, denn es heißt zugleich, es bestehe die Gefahr einer Verstimmung des obersten Landesherrn, des Kaisers Matthias, und es drohe von Seiten der schlesischen Stände der Verdacht des Landesverrats. Das Domkapitel huldigte Fried-
62 63
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66
Ebd. S. 104-107. Ebd. S. 108-125. Vgl. KAZIMIERZ DOLA: Zwiazki diecezji wroclawskiej Ζ metropolis gnieinienska w latach 1418-1520. In: Studia Theologica Varsaviensia 15, 1 (1977) S. 147-188. Ebd. S. 125-128. KAZIMIERZ BORCZ: Synod biskupa Marcina Gerstmanna. In: Rocznik Teologiczny Slaska Opolskiego 1 (1968) S. 307. WILLOWEIT (wie A n m . 1), S. 267 f. mit A n m . 4 7 4 .
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rich V. als böhmischem König mit der Begründung, daß die Diözese Breslau nicht mehr zur Gnesener Kirchenprovinz gehöre. Dies führte zu einem schweren Zerwürfnis mit Bischof Karl, der erklären ließ, daß das Domkapitel zu Unrecht gehuldigt habe, da es unter Gnesen und damit unter dem Schutz des polnischen Königs stehe.67 Das zweite Zeugnis für die Haltung des Domkapitels sind die Bedingungen, unter denen es sich 1624 mit der Bestellung des polnischen Prinzen Karl Ferdinand zum Koadjutor des Bischofs von Breslau mit dem Recht der Nachfolge einverstanden erklären wollte. Es forderte u. a. vom Kandidaten ein päpstliches Breve, das die „seit unvordenklichen Zeiten" bestehende Exemtion bestätigen sollte. Für den minderjährigen Prinzen erklärte sich König Sigismund III. bereit, den Gnesener Erzbischof zu der Erklärung zu bewegen, daß er, auch wenn ein polnischer Prinz Bischof von Breslau sei, diesen nicht unter seine Metropolitangewalt ziehen wolle.68 Das in den Breslauer Domkaptitelsakten lediglich erwähnte sog. Cessionsinstrument des Gnesener Erzbischofs Firlej, mit dem dieser angeblich auf seine Metropolitanrechte gegenüber Breslau verzichtete, ist für einen tatsächlichen Verzicht wenig beweiskräftig.69 Außerdem war der Versuch, die Metropolitangewalt auf vertraglicher Basis auszuschließen, von vorneherein ein untaugliches Mittel, eine päpstliche Privilegierung zu erwirken70, die tatsächlich auch nicht erfolgt ist. Die Gnesener Erzbischöfe hielten denn auch unter Berufung auf den Willen des Apostolischen Stuhles an ihrer Auffassung fest, daß das Bistum Breslau zu ihrer Kirchenprovinz gehöre.71 Das Breslauer Domkapitel antwortete aber auf die Einladung zur Gnesener Provinzialsynode von 1628 wieder ablehnend, wobei es zur Begründung „die Exemtionsfrage in ein rein staatsrechliches Problem umzudeuten" versuchte, „zu dessen Entscheidung nicht der Papst, sondern die Reichsgewalt aufgerufen sei"72. Ein Jahr später beschloß das Domkapitel in einer Auseinandersetzung mit dem Gnesener Erzbischof über eine Patronatssache unter Hinweis darauf, daß es ja im Besitz einer Zusage Sigismunds über die Unabhängigkeit Breslaus von Gnesen sei, in der Exemtionsfrage an den Kaiser zu appellieren. Ferdinand II. sagte dem Kapitel auch seine Unterstützung zu.73 Auch 1637 erklärten die Domherren die Frage der Exemtion gehe vor allem die Staatsoberhäupter, den Kaiser und den polnischen König, an. Der Streit des Kapitels mit seinem Bischof, der den Gnesener Erzbischof weiterhin als seinen
67
SABISCH (wie A n m . 61), S. 129 f.
68
Ebd. S. 130 f. - GINTER CWIECZEK: Krölewicz Karol Ferdynand Waza jako biskup wroclawski. In: Studia ζ historii KoSciola w Polsce, Bd. 2. Warszawa 1972, S. 47-51.
69
WLLLOWELT (wie A n m . 1), S. 2 6 9 mit A n m . 4 8 5 .
70
Ebd. S. 270. (wie Anm. 61),
71
SABISCH
12
WLLLOWELT (wie A n m . 1), S. 271.
73
SABISCH (wie A n m . 61), S. 134.
S.
131-33.
Universalkirche und kirchlicher Partikularismus in Ostmitteleuropa Metropoliten anerkannte, war also ganz in die politisch-staatsrechliche Sphäre genickt. 74 Als der Breslauer Bischof eine Einladung zur Gnesener Provinzialsynode des Jahres 1638 erhielt, wandte er sich nun ebenfalls an den Kaiser. Ferdinand III. ersuchte Anfang des Jahres das Kapitel, ihm seine Rechtsauffassung mitzuteilen, und bat im April um weitere Auskunft, seit wann und auf welche Weise das Bistum Breslau sich von seinem Metropoliten getrennt habe. Die Denkschrift des Domkapitels wurde in der Sitzung vom 30. April verabschiedet, ihr Inhalt sollte dem Kaiser mündlich vorgetragen werden. Dieser scheint sich zunächst abwartend verhalten zu haben.75 Nach 1640 ist die faktische Exemtion Breslaus erreicht worden. Der Abgesandte des Domkapitels Kanonikus Best erhielt auf dem Reichstag zu Regensburg (1640) ein Mandat Friedrichs III., in dem dieser als Oberlandesherr Schlesiens entschied, die Breslauer Bischöfe sollten in Zukunft alle Beziehungen zu Gnesen abbrechen, d. h. sich sozusagen exemt verhalten. Anscheinend wurden Verhandlungen darüber in Rom angeknüpft, aber eine kirchliche Entscheidung ist danach nicht gefallen.76 Es bleibt festzuhalten, daß im 17. Jahrhundert der Habsburger Kaiserhof den bestimmenden Einfluß auf die faktischen Ablösung der Gnesener Metropolitanrechte ausgeübt hat.77 Die Vorgänge, die zur Erreichung der faktischen Exemtion des Bistums Breslau von den Bindungen an die Gnesener Kirchenprovinz geführt haben, und die politischen Faktoren, die dabei bestimmend waren, faßte eine Denkschrift mit umfangreichen Anlagen vom 5. Juni 1654 zusammen, mit der sich das Domkapitel wiederum an den Kaiser wandte. Sie entstand im Zusammenhang mit der von Bischof Karl Ferdinand 1653 nach Neisse einberufenen Diözesansynode. In der Anlage F der Denkschrift, die das Metropolitanverhältnis Breslaus zu Gnesen behandelte78, nahmen die Domherren Anstoß an einigen Synodalstatuten, die sich auch nach dem in der Gnesener Kirchenprovinz geltenden Recht und den Statuten der Plocker Synode von 1643 richteten.79 Für die folgenden Jahrzehnte lassen die Angaben in den Informationsprozessen der Breslauer Bischöfe aus den Jahren 1655-1732 keinen Zweifel, daß sich die Diözese Breslau im Bewußtsein der befragten Zeugen des Privilegs der
74
Ebd. S. 135 f.
75
Ebd. S. 136-138; WILLOWEIT (wie Anm. 1), S. 271 f.
76
SABISCH (wie A n m . 61), S. 138 f . ; WILLOWEIT (wie A n m . 1), S. 2 7 2 .
77
LESZEK WINOWSKI: Stosunki miedzy biskupstwem wroclawskim a metropolis gnieiniefiska wlatach 1740-48. In: Przeglad Zachodni 1 (1955) S. 623-630. Die Anlage F analysiert Ignacy Subera, Zalezno§6 diecezji wroclawskiej od metropolii gnieznienskiej w opinii kapitufy wroclawskiej ζ diüa 5 czerwca 1654 roku. In: Analecta Cracoviensia 7 (1975) S. 459-476, Text ebd. S. 476-482.
78
79
0WIECZEK (wie A n m . 68) S. 2 4 2 .
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Exemtion erfreute, also keinem Erzbischof als Metropoliten zugehörig war.80 Eine Reaktion oder ausdrückliche Erklärung Roms in dieser Sache ist aber nicht überliefert.81 Alfred Sabisch hat nun in einer Besprechung der Untersuchungen Winowskis82 auf die Bulle Papst Clemens' XIII. von 1732 aufmerksam gemacht, mit der die Wahl des Kardinals Philipp Ludwig Reichsgraf von Sinzendorf zum Bischof von Breslau bestätigt wurde. Seine vom Wiener Hof betriebene Kandidatur stieß im Breslauer Domkapitel zunächst auf Widerstand. Erst auf Druck des kaiserlichen Wahlkommisssars wählte es den Grafen mit einer Stimme Mehrheit zum Bischof.83 In der Provisionsbulle vom 3. September 1732 wird von der ecclesia Wratislaviensia gesagt, sie sei sedi Apostolicae immediate subiecta. Damit ist also die faktische Exemtion Breslaus erstmals schon 1732 vom Apostolischen Stuhl anerkannt worden.84 Kardinal Sinzendorf selbst stellte 1739 fest, daß die Metropolitanverbindung seiner Diözese mit Gnesen sich auf die Zeit der politischen Zugehörigkeit Schlesiens zu Polen beschränkt habe, schon lange aber werde der Breslauer Bischofsstuhl als unmittelbar dem Hl. Stuhl unterstehend angesehen. Gleichwohl sei er der Meinung, daß er verpflichtet sei, an der Metropolitansynode von Gnesen teilzunehmen, wenn er daran nicht durch ein Verbot des böhmischen Königs gehindert werde.85 Im Zusammenhang mit der nach langen Auseinandersetzungen86 erteilten Provision für den als Nachfolger Sinzendorfs von Friedrich II. präsentierten Graf Philipp Gotthard von Schaffgotsch87 erklärte auch Papst Benedikt XIV., die Diözese Breslau sei dem Apostolischen Stuhl unmittelbar unterstellt. Dies geht aus zwei bisher nicht gedruckten Dokumenten hervor. Es handelt sich um das Protokoll des Geheimen Konstoriums vom 4. März 1748, bei dem der Papst die Provision Bischof Schaffgotschs bekanntgab, und die päpstliche Bulle vom
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JAN KOPIEC: Obraz diecezji wroclawskiej w procesach informacyjnych Ζ lat 1655-1732. In: Studia Theologica Varsaviensia 26, 2 (1988) S. 157. DERS.: Wroclaw i Gniezno. Jeszce Ο metropolitalnej wiezi w XVII wieku. In: Saeculum Christianum 1, 2 (1994) S. 157. WINOWSKI (wie Aran. 77), S. 613-687. JAN KOPIEC: Sinzendorf. In: Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches 1648 bis 1803, hrsg. von Erwin Gatz unter Mitwirkung von Stephan Janker. Berlin 1990, S. 464. ALFRED SABISCH, in: Archiv für schlesische Kirchengeschichte 24 (1966) S. 318 f. Zu der gleichen Feststellung gelangt WINCENTY URBAN: Jeszcze raz ο egzempcji diecezji wroclawskiej. In: Prawo Kanoniczne 9, 1-2 (1968) S. 324 f. JAN KOPIEC: Relacje biskupöw wroclawskich „ad limina" Ζ XVII XVIII wieku. In: Nasza PrzeszloS0 68 (1987) S. 120. Uber die Entscheidungen, die schließlich zur Bestätigung und Provision Schaffgotschs führten: WINOWSKI (wie Anm. 81) S. 669-689. ERWIN GATZ: Schaffgotsch. In: Die Bischöfe (wie Anm. 83) S. 415 f.
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gleichen Tag an den Elektus mit der Mitteilung über seine Provision. In beiden Dokumenten wird das Bistum Breslau als ecclesia sedi Apostolicae immediate subiecta bezeichnet.88 Winowski hat aus den beiden Urkunden von 1748 den Schluß gezogen, Benedikt XIV. habe die unmittelbare Unterstellung Breslaus unter den Apostolischen Stuhl erklärt, um den Anspruch Friedrichs auf ein königliches Nominationsrecht auszuschließen. Die Provision wurde daher in Form eines einseitigen Aktes des Papstes vollzogen, ohne Erwähnimg der vorangegangenen Nomination durch den preußischen König.89 Nach der Meinimg Sabischs übernahm der Papst „eine bei der römischen Kurie, wie es scheint, bereits feststehende Formulierung, um jedweden Anspruch der Gnesener Metropole bei der Ernennung des Breslauer Bischofs ebenso auszuschließen wie den des preußischen Königs"90. In den vierziger Jahren des 18. Jahrhunderts hatte der Gnesener Erzbischof Christoph Anton Szembek nochmals Versuche unternommen, die Metropolitanrechte Gnesens trotz der preußischen Besitzergreifung Schlesiens zur Geltung zu bringen91, um der damals vielfach bedrängten katholischen Kirche Schlesiens zu Hilfe zu kommen.92 * • •
Die vergleichende Betrachtung der Exemtion der drei Bistümer Kammin, Ermland und Breslau ergibt ein sehr heterogenes Bild. Das Bistum Kammin erhielt die Exemtion gegenüber den Ansprüchen der Erzbischöfe von Magedeburg und Gnesen als päpstliches Privileg im Zusammenhang der Entstehung eines einheitlichen pommerschen Landesbistums, unter Berufung auf das päpstliche Obereigentum an diesem Bistum. Im Bistum Ermland, das kirchenrechtlich von Anfang an zum Erzbistum Riga gehörte, wurde die Fundierung und Dotierung der preußischen Bistümer durch den Papst im 13. Jahrhundert seit der Mitte des 15. Jahrhunderts als Mittel zur Verteidigung der politischen Sonderstellung der geisüichen Territorialherrschaft des Ermlands innerhalb des Staates des Deutschen Ordens bzw. der Krone Polen umgedeutet. Die dergestalt interpretierte Exemtion verteidigten Bischof und Domkapitel gemeinsam aus eigener Initiative und mit wechselnder Begründung auch nach der Eingliederung ihres Herrschaftsgebiets in die Krone Polen in unmittelbarer Auseinandersetzung mit dem Gnesener Erzbischof bzw. dem
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Text bei WINOWSKI (wie Anm. 77) S. 685, Anm. 45. Ebd. S . 684.
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SABISCH ( w i e A n m . 8 4 ) S . 3 1 9 .
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WINOWSKI ( w i e A n m . 7 7 ) S . 6 4 0 - 6 5 8 .
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Ebd. S. 658-669.
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polnischen König und durch Appelation an den Papst. Nachdem in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Rechtsstellung der Metropoliten zunehmend schwächer geworden und in der polnischen Adelsrepublik die Dezentralisierung der Macht fortgeschritten war, konnte die Exemtion mit immer wieder neuen Argumenten als Ausdruck der politischen Eigenständigkeit des Bistumslandes de facto behauptet werden. In Breslau war die Exemtion entgegen dem Festhalten der Bischöfe an der Metrolitanverbindung des Bistums mit dem Erzbistum Gnesen auf Betreiben des Domkapitels unter dem bestimmenden Einfluß des Wiener Kaiserhofs de facto in der Mitte des 17. Jahrhunderts erreicht. Als sie in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts auch de iure vom Apostolischen Stuhl anerkannt wurde, war sie zu einem Mittel der Politik der Päpste gegenüber den Ansprüchen Österreichs und Preußens bei der Bestellung der Bischöfe geworden.
Politische Funktionen kirchlicher Beziehungen: Ungarn und die Reichskirche Joachim Bahlcke
Im Jahr 1764 erschien in Wien eine höchst instruktive rechtshistorische Abhandlung, deren Verfasser, Jozsef Benczür, heute sowohl der ungarischen als auch der slowakischen Forschung weitgehend unbekannt ist. Der Titel des schmalen Bändchens, das knapp ein Jahrzehnt später in Tyrnau zwar nochmals aufgelegt wurde, nach dem Tod seines Verfassers, 1784, jedoch vollständig in Vergessenheit geriet, ist zugleich als Programm zu verstehen: „Ungaria semper libera, suique iuris, et nunquam vel principi, vel genti alicui externae, obnoxia" 1 . Benczür, damals Direktor der evangelischen Hochschule von Preßburg, war unter Maria Theresia und Joseph II. einer der wichtigsten Berater des Wiener Hofes in allen historisch-rechtlichen Belangen der natio hungarica. Mit ausführlichen Verweisen auf die juristische Literatur verneinte er in seinem Werk jede Abhängigkeit Ungarns vom römisch-deutschen Kaiser, vom Papst und vom Sultan. Die Einzelheiten der lehensrechtlichen Diskussion können hier ausgeblendet werden, zumal sie nur Variationen der einen Hauptthese sind, nach der das Land - allen äußeren Brüchen der staatlichen Ordnung zum Trotz - eine seit Jahrhunderten konstante Rechts- und Freiheitstradition aufweise. Ungarn zähle damit zu den wenigen Territorien, in denen sich die Verhältnisse seit den ersten Anfängen gleich geblieben seien. Dem protestantischen Rechtsgelehrten slowakischer Nationalität ging es in diesem Werk wie auch in anderen Schriften
1
IOSEPHUS BENCZÜR: Ungaria semper libera, suique iuris, et nunquam vel principi, vel genti alicui externae, obnoxia ... Vindobonae 1764. Über Benczür (Pseudonym Eusebius Verinus), einen der bedeutendsten und produktivsten Vertreter der ungarischen Aufklärung, ist bis heute trotz des umfangreichen (Euvre so gut wie nichts bekannt: JÄN REZIK, SAMUEL MATTHAEIDES: Gymnaziolögia. Dejiny
gymnazii na Slovensku. Bratislava 1971, S. 410, 429. - EVA H. BALÄZS: Berzeviczy Gergely a reformpolitikus 1763-1795. Budapest 1967, S. 28-46. - EVA KOWALSKÄ: Pro Bono Publico: Enlightenment, Religion, Education and the State in Northern Hungary. In: Human affairs 2 (1992), S. 77-88. - FERENC PECZE: Der Rechtsunterricht in Ungarn im 18. Jahrhundert besonders an den rechtswissenschaftlichen Akademien. In: Die juristische Bildung in der Slowakei und Ungarn bis zum J. 1848. Bratislava 1968, 203-214. - OTHMAR FEYL: Beiträge zur Geschichte der slawischen Verbindungen und internationalen Kontakte der Universität Jena. Jena 1960, S. 32, 131 f., 272. Die wichtigsten Lebensstationen und eine Auswahl seines Werkes in: Slovensky biograficky slovnflc 1 (1986), S. 203 f.
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Joachim Bahlcke
in erster Linie um den Nachweis der uneingeschränkten Souveränität des Königs von Ungarn, dessen Rechte durch nichts - weder durch die Macht des (magyarischen) Adels und der (katholischen) Kirche noch durch auswärtige, weltliche wie kirchliche Rechtseinflüsse - eingeschränkt seien2. Daß das Verhältnis Ungarns zur Reichskirche bzw. zu Kaiser und Reich im Umfeld des Wiener Hofes nach 1750 verstärkt reflektiert wurde, läßt sich nicht nur am publizistischen Werk Benczürs nachweisen. Auch der Kronprinzenunterricht Josephs II. zeigt deutlich, daB in jener Zeit, als das System Haugwitz durch das System Kaunitz ersetzt wurde, neu über die Religionspolitik im Osten der Habsburgermonarchie und die rechtliche Stellung der Kirche in Ungarn nachgedacht wurde, und zwar vornehmlich aus Gründen der Staatsökonomie und der Staatsräson3. Der Grundgedanke war einfach: eine politisch-wirtschaftliche Stabilisierung der Gesamtmonarchie schien nur durch die Heranziehung neuer Einkommensquellen möglich, und das hieß namentlich derjenigen Ungarns4. Der aus Karrieregründen zum Katholizismus konvertierte Johann Christoph Bartenstein, als Geheimer Staatssekretär Maria Theresias maßgeblich mit der Leitung
2
Aufschlußreich sind in diesem Zusammenhang die Parallelen zum historischjuristischen Werk Johann Peter von Ludewigs, das Benczür während seines Studiums in Halle Mitte des 18. Jahrhunderts kennengelernt hatte. Der Hallenser Gelehrte, der es als seine Hauptaufgabe angesehen hatte, Brandenburg-Preußen mit den Waffen der Wissenschaft zu dienen und dessen kurfürstliche Stellung im Reich zu stärken, galt Benczür 1764 nach eigenem Bekunden als Vorbild seiner „defensionis domesticae libertatis" (Benczur, Ungaria semper libera, Vorwort, nicht paginiert). NOTKER HAMMERSTEIN: JUS und Historie. Ein Beitrag zur Geschichte des historischen Denkens an deutschen Universitäten im späten 17. und 18. Jahrhundert. Göttingen 1972, S. 169-204. - BERND ROECK: Reichs-
system und Reichsherkommen. Die Diskussion über die Staatlichkeit des Reiches in der politischen Publizistik des 17. und 18. Jahrhunderts. Stuttgart 1984, S. 110-114. 3
HERMANN CONRAD: Reich und Kirche in den Vorträgen zum Unterricht Josephs II. In: KONRAD REPGEN, STEPHAN SKALWEIT (Hg.), Spiegel der Geschichte.
Festgabe für Max Braubach zum 10. April 1964. Münster/Westf. 1964, S. 602-612. - DERS.: Recht und Verfassung des Reiches in der Zeit Maria Theresias. Aus den Erziehungsvorträgen für den Erzherzog Joseph [1963]. In: HANNS HUBERT HOFMANN (Hg.), Die Entstehung des modernen souveränen
Staates. Köln, Berlin 1967, S. 228-243, 427-432. In die parallel angefertigte umfangreiche Edition - DERS. (Hg.): Recht und Verfassung des Reiches in der Zeit Maria Theresias. Die Vorträge zum Unterricht des Erzherzogs Joseph im Natur- und Völkerrecht sowie im Deutschen Staats- und Lehnrecht. Köln, Opladen 1964 - wurden die Vorträge zum Kirchenrecht nicht aufgenommen. * FRANZ A. J. SZABO: Kaunitz and enlightened absolutism 1753-1780. Cambridge
1994, 305-315. - DERS.: Intorno alle origini del giuseppinismo: motivi economico-sociali e aspetti ideologici. In: Societä e storia 2, 4 (1979), S. 155-174. - DERS.: Haugwitz, Kaunitz, and the Structure of Government in Austria under Maria Theresia, 1745 to 1761. In: Historical Papers. Communications historiques (1979), S. 111-130.
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der kaiserlichen Außenpolitik betraut, war einer der ersten, der den Reichtum und die privilegierte Stellung der imgarischen Kirche ins Gespräch brachte. Die ohnehin beachtlichen Einkünfte der Bischöfe, die in den Ländern der Stephanskrone überdies politische Funktionen in der Lokal- und Zentralverwaltung wahrnehmen würden, hätten seit der erfolgreichen Zurückdrängung der Osmanen Ende des 17. Jahrhunderts noch zugenommen. Sollte die Regierung beabsichtigen, die steuerliche Immunität des Klerus aufzuheben, so drohe keinerlei Konflikt mit der Reichskirche: Ungarn sei vom römisch-deutschen Reich vollständig unabhängig, und insofern sei der König von Ungarn - auch wenn dieser als summus imperans von sich einander unterscheidenden Ländergruppen und Territorien gleichzeitig an der Spitze eben jenes Reiches stehe - nicht an dessen Gesetze gebunden. Diese Auffassimg machte sich 1765 auch der Staatsrat zueigen, als die Frage im Raum stand, „in was für einem Nexu das Königreich Hungarn mit denen benachbarten Ländern und auswärtigen Mächten würcklich stehe und wie solches von Rechts wegen stehen sollte"5. Die Überlegungen Bartensteins, der ähnlich wie andere Publizisten und Politikberater seit dem Westfälischen Frieden eine klare Grenze zwischen der Österreichischen Monarchie und dem Reich zu ziehen suchte, fanden später Aufnahme in den „Abriß des Geistiichen oder Kirchenrechts" von Christian August Beck, der von 1755 bis 1759 den Rechtsunterricht Erzherzog Josephs leitete6. Der aus Thüringen stammende, ebenso wie Bartenstein konvertierte Beck, der 1747 als Professor für Staats- und Lehnsrecht an das Wiener Theresianum berufen worden war, verfaßte während seiner Lehrtätigkeit auch eine Studie zum ungarischen Staatsrecht, die - und dies verbindet die zwei genannten Fälle noch zusätzlich - sechs Jahre nach seinem Tod mit Anmerkungen Jözsef Benczürs im Druck erschien7. Die Frage nach den historischen und juristischen Beziehungen zwischen Ungarn, dem Reich und der Reichskirche, der sich in den fünfziger und sechziger Jahren des 18. Jahrhunderts Gelehrte sowohl innerhalb als auch außerhalb Ungarns intensiv widmeten, war nicht Gegenstand eines bloßen Meinungsstreites
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