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German Pages 380 Year 1999
JEONG H O O N
PARK
Rechtsfindung im Verwaltungsrecht
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 805
Rechtsfindung im Verwaltungsrecht Grundlegung einer Prinzipientheorie des Verwaltungsrechts als Methode der Verwaltungsrechtsdogmatik
Von Prof. Dr. Jeong Hoon Park
Duncker & Humblot · Berlin
Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Park, Jeong Hoon:
Rechtsfindung im Verwaltungsrecht : Grundlegung einer Prinzipientheorie des Verwaltungsrechts als Methode der Verwaltungsrechtsdogmatik / von Jeong Hoon Park. Berlin : Duncker und Humblot, 1999 (Schriften zum öffentlichen Recht ; Bd. 805) Zugl.: Göttingen, Univ., Diss., 1996 ISBN 3-428-09287-2
Alle Rechte vorbehalten © 1999 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-09287-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 @
Meinem Vater Young Doo Park (1933 -1993)
Vorwort Die vorliegende Untersuchung ist die geringfügig überarbeitete Fassung einer Arbeit, die im Sommersemester 1996 von der Juristischen Fakultät der GeorgAugust-Universität Göttingen als Dissertation angenommen wurde. Sie wurde im wesentlichen im Juni 1996 abgeschlossen. Später erschienene Literatur konnte nur noch gelegentlich berücksichtigt werden. Ich möchte zuerst meinem verehrten Lehrer, Herrn Professor Dr. Ralf Dreier, für seine umsichtige und zugleich intensive Betreuung der Arbeit herzlich danken. Mein aufrichtiger Dank gilt weiterhin Herrn Professor Dr. Volkmar Götz, der die Arbeit stets insbesondere in verwaltungsrechtsdogmatischer Hinsicht angeregt und das Zweitgutachten erstellt hat. Sehr bedanke ich mich bei meinem Freund Rechtsanwalt Ulrich Vietmeyer, der die Mühe des Korrekturlesens auf sich genommen hat und immer zur Diskussion bereit war. Auch Dr. Dirk Paust danke ich für seine Freundschaft und Hilfsbereitschaft während meines Studiums in Göttingen. Ich bin dem Verlag Duncker & Humblot für die Aufnahme der Arbeit in die Verlagsreihe „Schriften zum Öffentlichen Recht" zu Dank verpflichtet. Dank schulde ich schließlich der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die finanzielle Unterstützung bei der Drucklegung. Gewidmet ist die Arbeit dem Andenken meines verstorbenen Vaters. Sie ist für meine Mutter, meine Frau und meine Kinder. Seoul, im Juli 1999
Jeong Hoon Park
Inhaltsübersicht Einleitung
1 Erster Teil Aufgaben einer Methode der Verwaltungsrechtsdogmatik
§ 1. Gegenstand der Verwaltungsrechtsdogmatik: Begriff des Verwaltungsrechts I. Die Verwaltung
11 11 12
II. Begriff des Rechts
14
III. Bedeutung der Rechtsbindung der Verwaltung
17
IV. Umfang des Verwaltungsrechts
21
§ 2. Die Lage der gesetzlichen Normierung des Verwaltungsrechts I. Hilfsbegriffe für die Analyse der Gesetzeslage des Verwaltungsrechts
25 25
II. Erste Dimension des Verwaltungsrechts: Maßstäbe des Verwaltungshandelns
32
III. Zweite Dimension des Verwaltungsrechts: Bestimmung des Ausmaßes der Gestaltungsfreiheit der Verwaltung
57
Zweiter Teil Wandel der Rechtsfindungsmethode im Verwaltungsrecht § 3. Ausgangpunkte I. Entstehung des Allgemeinen Teils des Verwaltungsrechts II. Rechtsfindungsmethode von Otto Mayer § 4. Heranziehung zivilrechtlicher Normen I. Fiskustheorie - Analogie - „Allgemeiner Teil des Rechts" II. Allgemeine Rechtsgedanken
59 60 60 61 63 63 65
III. Grundsatz von Treu und Glauben
77
IV. Tendenzen nach 1945
83
§ 5. Allgemeine Grundsätze des Verwaltungsrechts I. Zum Begriff der allgemeinen Grundsätze des Verwaltungsrechts II. Die allgemeinen Grundsätze des Verwaltungsrechts als dem öffentlichen Recht eigene Rechtsinstitute
102 102 107
X
Inhaltsübersicht ΠΙ. Problematik der Revisibilität der allgemeinen Grundsätze des Verwaltungsrechts 125 IV. Ergebnis
131 Dritter Teil
Grundlegung einer Prinzipientheorie des Verwaltungsrechts § 6. Überwindung der Rechtsquellenlehre I. Von der Rechtsquellenlehre zur Methodenlehre II. Problematik des Gewohnheitsrechts im Verwaltungsrecht ΙΠ. Problematik des Richterrechts im Verwaltungsrecht § 7. Ansatzpunkt: Hans J. Wolffs
Lehre von „Rechtsgrundsätzen"
I. Einleitung II. Analyse von Inhalten der Wolffschen Lehre ΠΙ. Rezeption im Verwaltungsrecht
133 133 134 147 159 184 184 186 205
IV. Fortschreibungen der Wolffschen Lehre für eine Methode der Verwaltungsrechtsdogmatik 217 V. Verhältnis zwischen den Rechtsgrundsätzen und der Verfassung § 8. Weitere Anknüpfungspunkte: Neuere Prinzipientheorien I. Überblick über neuere Prinzipientheorien II. Normstruktur von Prinzipien: Optimierungsgebote
232 245 246 250
III. Geltungsgrund und Inhalte von Prinzipien
273
IV. Methodologische Handhabung von Prinzipien
278
§ 9. Entwurf einer Prinzipientheorie des Verwaltungsrechts als Methode der Verwaltungsrechtsdogmatik 287 I. System des Verwaltungsrechts
288
II. Arten von Prinzipien des Verwaltungsrechts
289
III. Inhalte von Prinzipien des Verwaltungsrechts
296
IV. Prinzipienabwägung als Methode der Verwaltungsrechtsdogmatik
310
V Ergebnis
317
Anhang: Thesen
320
Literaturverzeichnis
326
Personenverzeichnis
346
Sachverzeichnis
348
Entscheidungsregister
356
Inhaltsverzeichnis Einleitung I. Zweck der Untersuchung
1 1
1. Problemstellung: Herausforderungen an die Verwaltungsrechtsdogmatik ..
1
2. Untersuchungsmethode: Reflexion der Verwaltungsrechtsdogmatik im Rahmen der Rechtstheorie
2
3. Aufgabe: Entwicklung einer Methode der Verwaltungsrechtsdogmatik
4
4. Zentralthema: Rechtsfindung im Verwaltungsrecht
5
II. Gang der Untersuchung
6
III. Vorläufige Begriffsbestimmung:
7
1. Rechtsfindung
7
2. (Rechts-)Prinzipien
9 Erster Teil
Aufgaben einer Methode der Verwaltungsrechtsdogmatik § 1. Gegenstand der Verwaltungsrechtsdogmatik: Begriff des Verwaltungsrechts I. Die Verwaltung
11 11 12
1. Bedeutung der negativen Begriffsbestimmung
12
2. Verhältnis des Begriffs der Verwaltung zu deren materialen Merkmalen ...
14
II. Begriff des Rechts
14
1. „Gesetz und Recht" im Art. 20 Abs. 3 GG
14
2. Mehr an Recht
15
3. Öffentliches Recht
16
III. Bedeutung der Rechtsbindung der Verwaltung
17
1. Herrschende Meinung
17
2. Rechtsbindung der Verwaltung
18
IV. Umfang des Verwaltungsrechts 1. Erste Dimension: Maßstäbe des Verwaltungshandelns
21 21
2. Zweite Dimension: Maßstäbe der Bestimmung des Ausmaßes der Gestaltungsfreiheit der Verwaltung
22
3. Fazit: praktische Bedeutungen des Begriffs des Verwaltungsrechts
23
I
nhaltsverzeichnis
§ 2. Die Lage der gesetzlichen Normierung des Verwaltungsrechts I. Hilfsbegriffe für die Analyse der Gesetzeslage des Verwaltungsrechts
25 25
1. Gesetzeslücke
25
2. Mangel an Gesetzen
27
Exkurs: Rechtslücke
27
3. Regelungslücke
30
4
4. „Muß"-, „Darf -, „Kann-nicht"- und „Darf-nicht"-Bereich II. Erste Dimension des Verwaltungsrechts: Maßstäbe des Verwaltungshandelns .
31 32
1. Allgemeines Verwaltungsrecht a) Materielles Allgemeines Verwaltungsrecht b) Allgemeines Verwaltungsverfahrensrecht c) Allgemeines Verwaltungsorganisationsrecht d) Fazit
32 32 39 41 45
2. Besonderes Verwaltungsrecht a) (Allgemeines) Polizeirecht b) Umweltverwaltungsrecht c) Bau- und Raumordnungsrecht d) Wirtschaftsverwaltungsrecht e) Sozialrecht f) Fazit
47 47 48 50 52 54 56
III. Zweite Dimension des Verwaltungsrechts: Bestimmung des Ausmaßes der Gestaltungsfreiheit der Verwaltung
57
Zweiter Teil Wandel der Rechtsfindungsmethode im Verwaltungsrecht § 3. Ausgangpunkte I. Entstehung des Allgemeinen Teils des Verwaltungsrechts II. Rechtsfindungsmethode von Otto Mayer § 4. Heranziehung zivilrechtlicher Normen I. Fiskustheorie - Analogie - „Allgemeiner Teil des Rechts" II. Allgemeine Rechtsgedanken
59 60 60 61 63 63 65
1. Rechtsprechung des Reichsgerichts
65
2. Verhältnis der Methode der allgemeinen Rechtsgedanken zur Analogie ....
70
3. Würdigungen der Rechtsprechung des Reichsgerichts
72
III. Grundsatz von Treu und Glauben
77
1. Rechtsprechung in der Weimarer Zeit
77
2. Rechtsstaatliche Bedeutung von Treu und Glauben im Verwaltungsrecht ..
79
3. Adolf Schiiles Kritik und Stellungnahme
82
Inhaltsverzeichnis
XIII
IV. Tendenzen nach 1945
83
1. Relativierung des Unterschiedes zwischen der Rechtsfigur „allgemeine Rechtsgedanken" und der Analogie
83
2. Ausdifferenzierung der Begründungsmethode
88
3. Abschwächung der Bedeutung von Treu und Glauben
90
4. Ansichten im Schrifttum über die Heranziehung zivilrechtlicher Normen ..
93
5. Fazit
100
§ 5. Allgemeine Grundsätze des Verwaltungsrechts
102
I. Zum Begriff der allgemeinen Grundsätze des Verwaltungsrechts
102
1. Probleme der Begriffsbestimmung 2. Stellungnahme: Aufweis der Verallgemeinerungsfähigkeit bener Verwaltungsrechtsnormen
102 ungeschrie-
II. Die allgemeinen Grundsätze des Verwaltungsrechts als dem öffentlichen Recht eigene Rechtsinstitute
104 107
1. Erste methodische Bedeutung der allgemeinen Grundsätze des Verwaltungsrechts 108 2. Öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch (Beispiel)
112
III. Problematik der Revisibilität der allgemeinen Grundsätze des Verwaltungsrechts 125 1. Rechtsprechung: Zweite methodische Bedeutung der allgemeinen Grundsätze des Verwaltungsrechts 125 2. Kritiken im Schrifttum
126
3. Gegenwärtige Tendenzen
127
4. Wirkung auf das Verständnis des Allgemeinen Verwaltungsrechts
129
IV. Ergebnis
131 Dritter Teil
Grundlegung einer Prinzipientheorie des Verwaltungsrechts § 6. Überwindung der Rechtsquellenlehre I. Von der Rechtsquellenlehre zur Methodenlehre
133 133 134
1. Allgemeine Grundsätze des Verwaltungsrechts und die Rechtsquellenlehre
134
2. Verschiedene Begriffe der Rechtsquelle
134
3. Probleme der Rechtsquellenlehre im Verwaltungsrecht
138
4. Überwindung der Rechtsquellenlehre: Bedürfnis nach einer Methodenlehre
144
II. Problematik des Gewohnheitsrechts im Verwaltungsrecht 1. Dogmengeschichte
147 147
2. Tendenzen in der Rechtsprechung nach 1945
154
3. Stellungnahme
156
nhaltsverzeichnis
I
ΠΙ. Problematik des Richterrechts im Verwaltungsrecht 1. Problemstellung: Verschiedene Begriffe des Richterrechts
159 159
2. Allgemeiner (historischer) Überblick
161
3. Entwicklung des Richterrechts im Verwaltungsrecht
163
4. Gegenwärtige Tendenzen im Verwaltungsrecht
164
5. Analyse und Kritik der Ansicht von Fritz Ossenbühl 6. Stellungnahme § 7. Ansatzpunkt: Hans J. Wolffs
170 178
Lehre von „Rechtsgrundsätzen"
I. Einleitung Π. Analyse von Inhalten der Wolffschen Lehre 1. Fundamentalnormen als Quellen des positiven Rechts
184 184 186 186
2. Arten und Inhalte der Rechtsgrundsätze: Ableitung der Rechtsgrundsätze aus dem Gerechtigkeitsprinzip 192 3. Konkretisierung der Rechtsgrundsätze: Ableitung von Rechtssätzen aus den Rechtsgrundsätzen 198 III. Rezeption im Verwaltungsrecht
205
1. C. -F. Menger
205
2. H-J. D. Hardt
210
3. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. 5.1973 (BVerwGE 42, 222) 214 IV. Fortschreibung der Wolffschen Lehre für eine Methode der Verwaltungsrechtsdogmatik 217 1. Gerechtigkeitsbezug des Rechts
217
2. Verzicht auf die Rechtsquellenlehre und die Letztbegründung
218
3. Umdeutung der Rechtsgrundsätze
221
4. Präzisierung und Umdeutung der Vorgänge der Ableitung von Rechtssätzen aus den Rechtsgrundsätzen 224 5. Typenbildung als Methode der Abwägung
226
6. Fazit
230
V. Verhältnis zwischen den Rechtsgrundsätzen und der Verfassung
232
1. Verfassunggestaltende Grundentscheidungen im Sinne von Wolff
232
2. Analyse des Verfassungsbegriffs von Wolff
237
3. Stellungnahme
242
§ 8. Weitere Anknüpfungspunkte: Neuere Prinzipientheorien I. Überblick über neuere Prinzipientheorien II. Normstruktur von Prinzipien: Optimierungsgebote
245 246 250
1. Unterscheidung zwischen Regeln und Prinzipien
251
2. Wesen von Prinzipien: Ideales Sollen - Optimierungsgebote
261
Inhaltsverzeichnis
X
3. Prinzipien im weitesten und weiteren Sinne: Generelle und abstrakte Regeln 266 4. Problematik des Abwägungsgebots bzw. Verhältnismäßigkeitsprinzips .... 268 5. „Optimierungsgebote" im Planungsrecht III. Geltungsgrund und Inhalte von Prinzipien
271 273
1. Verfassungsprinzipien: Inkorporationsthese a) Verfassung als Geltungsgrund von Prinzipien b) Gerechtigkeitsbezug von Verfassungsprinzipien
273 273 275
2. Gesetzesprinzipien: Entscheidungsbefugnis des Gesetzgebers
277
IV. Methodologische Handhabung von Prinzipien 1. Methodische Bedeutungen von Prinzipien
278 279
2. Grundelemente der Abwägungsmethode: Vorrangbedingungen, Abwägungsgesetz und prima facie-Vorrang 281 § 9. Entwurf einer Prinzipientheorie des Verwaltungsrechts als Methode der Verwaltungsrechtsdogmatik I. System des Verwaltungsrechts
287 288
II. Arten von Prinzipien des Verwaltungsrechts
289
1. Verfassungs- und Gesetzesprinzipien
289
2. Allgemeine und bereichsbezogene Verfassungsprinzipien
290
3. Verwaltungseinschränkende und-begünstigende Prinzipien
291
4. Problematik des Gesetzesvorranges
293
III. Inhalte von Prinzipien des Verwaltungsrechts
296
1. Verfassungsprinzipien a) Verwaltungseinschränkende Verfassungsprinzipien b) Verwaltungsbegünstigende Verfassungsprinzipien c) Verwaltungsneutrale Verfassungsprinzipien d) Bereichsbezogene Verfassungsprinzipien (ausgewählte Gebiete)
296 296 302 307 307
2. Gesetzesprinzipien
308
IV. Prinzipienabwägung als Methode der Verwaltungsrechtsdogmatik
310
1. Prinzipien des Verwaltungsrechts und Verwaltungsrechtsdogmatik
310
2. Vorgang der Prinzipienabwägung mit ausgewählten Beispielen a) Ermittlung von Prinzipien im Hinblick auf Rahmenthemen b) Herausarbeitung von Abwägungselementen c) Typenbildung d) Feststellung von Vorrangbedingungen und prima facie-Vorrängen e) Rekonstruktion des Systems der Verwaltungsrechtsdogmatik
311 311 312 313 315 316
3. Praktische Funktionen der Prinzipienabwägung in vier Feldern der Verwaltungsrechtsdogmatik 317 V. Ergebnis Anhang: Thesen
317 320
I n h a l t s v e r z e i c h n i s
Literaturverzeichnis
326
Personenverzeichnis
346
Sachverzeichnis
348
Entscheidungsregister
356
Abkürzungen a. a. 0.
am angegebenen Ort
AbfG
Abfallgesetz
ABGB
(österreichisches) Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch
Abs.
Absatz
Anm.
Anmerkung
AO
Abgabenordnung
AöR
Archiv des öffentlichen Rechts (Zeitschrift)
Arch. f. R. u. Philos.
Archiv für Recht und Philosophie (Zeitschrift)
ArchBürgR
Archiv für Bürgerliches Recht (Zeitschrift)
ARSP
Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie (Zeitschrift)
Art.
Artikel
AtomG
Atomgesetz
Aufl.
Auflage
B.v. 11.3. 1985
Beschluß vom 11.3. 1985
BAföG
Bundesausbildungsförderungsgesetz
BauGB
Baugesetzbuch
BayVerf.
Verfassung für das Land Bayern
BBesG
Bundesbesoldungsgesetz
BBG
Β undesbeamtengesetz
Bd.
Band
BeamtVG
Beamtenversorgungsgesetz
BGB
Bürgerliches Gesetzbuch
BGBl. I
Bundesgesetzblatt Teil I
BGHZ
Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen
BImSchG
Bundes-Immissionsschutzgesetz
BNatSchG
Bundesnaturschutzgesetz
BRRG
Beamtenrechtsrahmengesetz
BSG
Bundessozialgericht
BSHG
Bundessozialhilfegesetz
BVerfG
Bundesverfassungsgericht
BVerfGE
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
BVerwG
Bundesverwaltungsgericht
2 Park
XVIII BVerwGE
Abkürzungen Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts
BVerwGG
Gesetz über das Bundesverwaltungsgericht
BVG
Bundes Versorgungsgesetz
BWV
Bundeswehrverwaltung (Zeitschrift)
BW Verf.
Verfassung für das Land Baden-Würtemberg
bzw.
beziehungsweise
DBG
Deutsches Beamtengesetz vom 26. 1. 1937 (RGBl. 139)
ders.
derselbe
Diss.
Dissertation
DÖV
Die Öffentliche Verwaltung (Zeitschrift)
dt. Aus.
deutsche Ausgabe
DVB1.
Deutsches Verwaltungsblatt (Zeitschrift)
ebd.
ebenda
EGV
Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft
EUV
Vertrag zur Gründung der Europäischen Union
EWGV
Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft
EuGH
Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften
f., ff.
folgende Seite(n)
Fn.
Fußnote
GenTG
Gentechnikgesetz
Ges.Sehr.
Gesammelte Schriften
GG
Grundgesetz
ggf.
gegebenenfalls
GoA
Geschäftsführung ohne Auftrag
H.
Heft
HdbStR
Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. v. J. Isensee und Paul Kirchhof, Bd. I - VII, Heidelberg 1987 ff.
Hg.
Herausgeber
hrsg. v.
herausgegeben von
insbes.
insbesondere
JR
Juristische Rundschau (Zeitschrift)
Jura
Juristische Ausbildung (Zeitschrift)
JuS
Juristische Schulung (Zeitschrift)
JW
Juristische Wochenschrift (Zeitschrift, 1872-1939)
JZ
Juristenzeitung (Zeitschrift)
Kap.
Kapitel
KrW- / AbfG
Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz
LBG
Landesbeamtengesetz
Lfg.
Lieferung
Abkürzungen m.w.N.
mit weiteren Nachweisen
NdsVerf.
Verfassung für das Land Niedersachsen
NGefAG
Niedersächisches Gefahrenabwehrgesetz
NJW
Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift)
NuR
Natur und Recht (Zeitschrift)
NWVerf
Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen
NVwZ
Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (Zeitschrift)
NVwZ-RR
Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht, Rechtsprechung-Report
PrOVGE
Entscheidungen des Preußischen Oberverwaltungsgerichts
RehaAnglG
Rehabilitationsangleichungsgesetz
RGBl. I
Reichsgesetzblatt (1871 -1945) Teil I (1922-1945)
RG
Reichsgericht
RGZ
Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen
Rn.
Randnummer
ROG
Raumordnungsgesetz
Rs.
Rechtssache
Rspr.
Rechtsprechung
RuPrVBl.
Reichsverwaltungsblatt und Preußisches Verwaltungsblatt
S.
Seite
SGB-AT
Sozialgesetzbuch (Erstes Buch) - Allgemeiner Teil
SGB X
Sozialgesetzbuch (Zehntes Buch) - Verwaltungsverfahren
Slg.
XIX
Sammlung der Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften
StabG
Stabilitätsgesetz
TA-Luft
Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft
TierschutzG
Tierschutzgesetz
UPR
Umwelt- und Planungsrecht (Zeitschrift)
U. v. 15.8. 1975
Urteil vom 15. 8. 1975
Verf.
Verfasser
VerwArch
Verwaltungsarchiv (Zeitschrift)
vgl.
vergleiche
VVDStRL
Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer
VwVfG
VerwaltungsVerfahrensgesetz (des Bundes)
WHG
Wasserhaushaltsgesetz
ζ. B.
zum Beispiel
zit.
zitiert
ZRP
Zeitschrift für Rechtspolitik (Zeitschrift)
ZSR-Festschrift
Zeitschrift für Sozialreform (Zeitschrift)
2*
Einleitung I. Zweck der Untersuchung 1. Die Verwaltungsrechtsdogmatik befindet sich in einer Phase großer Herausforderungen. Ihre Systematik und Methode, die am Ende des 19. Jahrhunderts von Otto Mayer begründet wurde, sieht sich seit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes immer wieder der Kritik ausgesetzt. Dabei werden nicht nur das Fortwirken monarchisch-obrigkeitsstaatlicher Elemente1 und die einseitig liberal-rechtsstaatliche Prägung2 bemängelt. Man wirft ihr auch Formalität und Zweckentleertheit vor: Ihre Systembildung richte sich nur an den Rechts- und Handlungsformen der Verwaltung aus statt an deren Zwecken und Aufgaben 3. Zwar wurde mitunter die Tragfähigkeit der überlieferten Verwaltungsrechtsdogmatik verteidigt und der „Neubau" des verwaltungsrechtlichen Systems im Sinne der Auswechselung seiner Fundamente als weder erforderlich noch möglich abgelehnt4, es gilt aber inzwischen als allgemein anerkannt, daß der Wandel der Verwaltungswirklichkeit „einen kontinuierlichen Umbau des Systems, eine ständige kritische Überprüfung und Fortentwicklung desselben"5, erfordert. Dieses Umbauerfordernis ist seit den 80er Jahren angesichts zahlreicher aktueller Probleme - etwa der verschärften Gegenüberstellung der Privatinteressen in bezug auf die Genehmigung im Baurecht und Umweltrecht, des Zuwachses des informellen Verwaltungshandelns, des zunehmenden Bedarfs an der Innovation und Flexibilität des Verwaltungshandelns wie an der Beschleunigung des Verwaltungsverfahrens und nicht zuletzt der Verwaltungspolitik der Privatisierung bzw. Deregulierung der öffentlichen Aufgaben noch stärker geworden.
1
Vgl. Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre. 2. Aufl., 1991, passim, insbes. S. 1-14; ders., Die Dogmatik des Verwaltungsrechts und die Gegenwartsaufgaben der Verwaltung, DVB1. 1971, S. 669-674 (670); Friauf, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, Der Staat 1970, S. 223-240 (224-226); Renck, Verwaltungsakt und verwaltungsrechtlicher Vertrag, JuS 1971, S. 77 - 83 (82). 2 Badura, Verwaltungsrecht im liberalen und im sozialen Rechtsstaat, 1966, S. 5 -12; ders., Das Verwaltungsrecht des liberalen Rechtsstaates, 1967, passim, insbes. S. 51 - 59. 3 Ders., Verwaltungsrecht im liberalen und im sozialen Rechtsstaat, S. 12-27; W. Schmidt, Die Programmierung von Verwaltungsentscheidungen, AöR 96 (1971), S. 321-353 (S. 321 -324). 4
Bachof, Die Dogmatik des Verwaltungsrechts vor den Gegenwartsaufgaben der Verwaltung, VVDStRL H.30, S. S. 202 - 230, insbes. S. 229. 5 Ebd., S. 230.
2
Einleitung
Zum anderen droht die Verwaltungsrechtsdogmatik, die beim Aufbau des Verwaltungsrechtssystems im modernen Staat eine leitende Rolle gespielt hat, ihre Anleitungskraft in der Trias „Gesetz, Rechtsprechung und Rechtsdogmatik" zu verlieren und somit in eine subsidiäre Rolle zu geraten. Dies ergibt sich aus der - wenn auch nur teilweisen - Kodifikationen der allgemeinverwaltungsrechtlichen Regelungen (z. B. VwGO, VwVfG, SGB) einerseits und der Anhäufung der Präjudizien im Verwaltungsrecht andererseits. Die Dogmatik würde sich nur mit der Kommentierung von Gesetzestexten und der Ansammlung von richterlichen Entscheidungen begnügen. Hinsichtlich ihres Verhältnisses zum Gesetz besteht wegen der unvermeidbaren Lückenhaftigkeit und Unbestimmtheit gesetzlicher Regelungen diese Gefahr nicht so sehr. Trotz der Kodifikationen bleibt noch der Raum, „die Tür zur Weiterentwicklung der Verwaltungsrechtsdogmatik" offen zu halten6. Was aber das Verhältnis zur Rechtsprechung betrifft, ist diese Gefahr in Anbetracht der unter Juristen verbreiteten antidogmatischen Neigungen7 und der damit verbundenen „Favorisierung des Richterrechts" 8 unvergleichlich groß. Außerdem ist das Allgemeine Verwaltungsrecht, das als das Hauptfeld der bisherigen Errungenschaften der Verwaltungsrechtsdogmatik gilt, in Gefahr, seine eigenständige Bedeutung zu verlieren. Die Abstraktionsleistung seiner Begriffe und Institute wird in Zweifel gezogen, indem Besonderheiten einzelner Verwaltungsbereiche mit der Betonung des jeweiligen Verwaltungszwecks in den Vordergrund treten. Statt von einer einheitlichen Verwaltungsrechtsdogmatik spricht man nunmehr von bereichsspezifischen „Sonderdogmatiken" 9. Die oben dargelegten Herausforderungen an die Verwaltungsrechtsdogmatik bilden die Problemstellung der vorliegenden Untersuchung. 2. Aus oben erwähnten Gründen ist gegenwärtig viel von „Wandel" 10 , „Reform" 11 , „Übergang" 12 , „Krise" 1 3 oder „Umbruch" 14 des Verwaltungsrechts und 6 Vgl. Püttner, Entwicklungstendenzen in der Dogmatik des Verwaltungsrechts, in: ders. (Hg.), Festschrift für O. Bachof, 1984, S. 115 -129 (122, 125), der diese Gefahr aufgrund der Analyse der Literatur nach dem Inkrafttreten des VwVfG verneint. 7 Dazu Picker, Richterrecht oder Rechtsdogmatik, JZ 1988, S. 1-12 (3-10); Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 1982, S. 140-175.
8 Picker, a. a. Ο., S. 8. Stolleis, Entwicklungslinien der verwaltungsrechtlichen Dogmatik, BWV 1990, S. 152156 (155), der diese Gefahr für Realität hält und die Zersplitterung in die Sonderdogmatiken als eine wichtige Entwicklungslinie der Verwaltungsrechtsdogmatik bezeichnet. 10 Obermayer, Verwaltungsrecht im Wandel, NJW 1987, S. 2642-2647. u Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Schuppert (Hg.), Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 1993. 9
12 Sendler, Die Entwicklung des Verwaltungsrechts, in: J.H. Kaiser (Hg.), Verwaltung und Verwaltungsrechtswissenschaft, 1983, S. 27-35 (34). 13 Pitschas, Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsverfahren, 1990, S. 50; auch Stolleis, a. a. O., S. 152. 14 H. Bauer, Verwaltungsrechtslehre im Umbruch? Die Verwaltung 25 (1992), S. 301 326.
Einleitung
seiner Dogmatik die Rede. Die Bewältigung der damit verbundenen Herausforderungen kann nicht gelingen, wenn man sich nur im Gerüst der überkommenen Verwaltungsrechtsdogmatik bewegt. Vielmehr muß versucht werden, sowohl im Zusammenhang der gesamten Rechtsordnung als auch im Lichte der spezifischen Aufgaben des Verwaltungsrechts die Daseinsberechtigung der Verwaltungsrechtsdogmatik bzw. ihre Rolle zu überdenken, um damit ihre herkömmlichen Systeme, Begriffe und Institute überprüfen zu können. Dabei sind freilich Rückblick in ihre geschichtlichen Entwicklungsvorgänge einerseits und Einsicht in neu eingetretene Erscheinungen der sozialen Lebensverhältnisse andererseits unentbehrlich. Allgemein gilt, daß rechtswissenschaftliche Grundlagenforschungen im Rahmen der Rechtstheorie vorzunehmen sind. Die Rechtstheorie wird als eine juristische Disziplin verstanden, die darauf abstellt, „eine juristische Theorie der Grundbegriffe des Rechts (einschließlich einer Theorie der Rechtswissenschaft) zu erarbeiten", kurz, als „allgemeine Rechtsdogmatik": „Konstitutiv für sie ist ihr Bezug zu den besonderen Rechtsdogmatiken und über diesen ihr Praxisbezug" 15. Die so verstandene Rechtstheorie umfaßt zwar alle bisher als Themen der Rechtsphilosophie, der Rechtssoziologie und der Rechtsgeschichte angesehenen Problembereiche. Aber sie unterscheidet sich von diesen Disziplinen dadurch, daß die Erörterung dieser Probleme nicht für die Philosophie, die Soziologie oder die Geschichtswissenschaft selbst, sondern vielmehr für die Rechtsdogmatik vorgenommen wird, die sich als die „Rechtswissenschaft im engeren Sinne" 16 oder als das „Kernstück der Rechtswissenschaft" 1 Charakterisieren läßt. In diesem Sinne kann gesagt werden, daß die Rechtstheorie als „Selektionsfilter zwischen der Rechtswissenschaft im engeren Sinne und deren Nachbarwissenschaften" 18 fungiert. Das oben Gesagte erhellt das Verhältnis zwischen der Verwaltungsrechtsdogmatik und der Rechtstheorie: Jene braucht diese für die Bewältigung der Herausforderungen an ihre Daseinsberechtigung dringlich, und diese muß jene als eine wichtige ihrer Aufgaben aufnehmen. Klaus Obermayer schreibt wie folgt: „Wird unter Rechtsdogmatik die der Gerechtigkeit verschriebene, nach Sinn-Aspekten (»systematisch') geordnete, auf lehrsatzmäßige Darstellung gerichtete Bewältigung des Rechtsstoffes verstanden, so kann die Verwaltungsrechtsdogmatik nicht für sich allein im Räume schweben. Sie bedarf der Zuordnung zu einer allgemeinen Rechtsdogmatik im Sinne einer »allgemeinen Rechtslehre«, deren das gesamte Recht betreffenden Erkenntnisse sie für das Verwaltungsrecht ergänzt" 19. ι 5 R. Dreier, Begriff des Rechts, in: ders., Recht - Staat - Vernunft, 1991, S. 95-119 (109); ders., Einleitung/Was ist und wozu Allgemeine Rechtstheorie?, in: ders., Recht Moral-Ideologie, 1981, S. 8-16, 17-47(11,31). 16 Radbruch, Rechtsphilosophie, hrsg. v. E. Wolff/ H.-P. Schneider, 1973, S. 205. 17 R. Dreier, Zum Selbstverständnis der Jurisprudenz als Wissenschaft, in: ders., Recht Moral - Ideologie, S. 48 - 69 (51). 18 Ders., Was ist und wozu Allgemeine Rechtstheorie? (oben Fn. 15), S. 24. 19 Obermayer, Verwaltungsrecht im Wandel, NJW 1987, S. 2642-2647 (2645) (Kursiv vom Verf.).
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Eben diese „Zuordnung" meint den oben dargelegten Rückgriff der Verwaltungsrechtsdomatik auf den Rahmen der Rechtstheorie. Das ist die dieser Arbeit zugrunde liegende Untersuchungsmethode. 3. Die Rechtsdogmatik ist als „Wissenschaft vom objektiven Sinn positiver Rechtsordnung" 20 zu definieren. Ihre Aufgabe liegt also in der „methodische(n) Erkenntnis des in einer Rechtsgesellschaft geltenden Rechts" 21 . Zur Erfüllung dieser Aufgabe stehen im allgemeinen drei Dimensionen zur Verfügung 22: (a) die Gesetzesinterpretation, die Konstruktion der Begriffe und die Systembildung aufgrund gesetzlicher Bestimmungen, (b) die Beschreibung der Präjudizien und die Prognostik des Richterverhaltens, und (c) die Norm- und Rechtsfortbildungsvorschläge im Bereich der Gesetzeslücken oder der Vagheit und Offenheit der Gesetze. Die erste Dimension ist „auf die Erkenntnis des Gesetzesrechts, die zweite auf die Erkenntnis des Richterrechts, die dritte auf die Erkenntnis gerechten oder vernünftigen Rechts gerichtet" 23 . Ob alle diese drei Dimensionen, insbesondere die dritte, anerkannt werden oder welche von ihnen für wichtiger als andere gehalten werden kann, hängt davon ab, wie man den Begriff des Rechts, die Methode der Rechtserkenntnis und nicht zuletzt die Wissenschaftlichkeit der Rechtsdogmatik versteht. Diese Probleme münden letztlich in das Problem der rationalen Entscheidbarkeit praktischer, wertbezogener Fragen überhaupt ein. In dieser Arbeit wird davon ausgegangen, daß auf den Gewißheitsanspruch der objektiven Erkenntnis des praktischen Richtigen - sei es im ontologischen oder intuitionistischen Sinne - zu verzichten ist. Rationale Argumentation im Rahmen konsensfähiger Begründungen wird aber dennoch sowohl als möglich als auch als notwendig angesehen, um nicht einem puren Dezisionismus zu verfallen 24. Vor diesem Hintergrund steht die dritte Dimension der Verwaltungsrechtsdogmatik - Rechtsfortbildungsvorschläge - im Mittelpunkt der Untersuchung in dieser Arbeit. Aber die drei Dimensionen der Rechtsdogmatik können nicht beziehungslos voneinander betrachtet werden. Weil und soweit die Rechtsdogmatik auf die Erkenntnis der positiven Rechtsordnung abstellt, dürfen auch die ersten beiden Dimensionen nicht vernachlässigt werden 25. Außerdem „stellt objek20 Radbruch, Rechtsphilosophie, hrsg. v. E. Wolff/ H.-P Schneider, 1973, S. 205. 21
R. Dreier, Zum Selbstverständnis der Jurisprudenz als Wissenschaft (oben Fn. 17), S. 51. Dazu Ebd., S. 51-56; ders., Zur Theoriebildung in der Jurisprudenz, in: ders., Recht Moral - Ideologie, S. 88; ders., Die rechtsphilosophische Dimension der Rechtswissenschaft in ihrer Auswirkung auf die Rechtsprechung, in: T. Würtenberger (Hg.), Rechtsphilosophie und Rechtspraxis, 1971, 27-35; Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, 1983, S. 308 - 309; ders., Theorie der Grundrechte, 1985, S. 23 - 27. 23 R. Dreier, Zur Theoriebildung in der Jurisprudenz (a. a. O.), S. 88. 24 Hierzu unten S. 30 (Fn. 67). 22
25 Vgl. Aarnio, Denkweisen der Rechtswissenschaft, 1979, S. 33-40, der betont, daß die Gesetzesauslegung und -systematisierung allerdings zur Aufgabe des Juristen gehört, und zwar unabhängig von der Frage, ob diese Tätigkeit als „Wissenschaft" des Rechts definiert werden kann: „Immer und überall braucht man systematisches Wissen über den Inhalt der
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tive Rechtmäßigkeitsprüfung den Kern der Aufgabe dar, die das rechtsstaatliche Verwaltungsrecht" wahrnimmt 26 . Die Verwaltungsrechtsdogmatik muß sich daher auch für die Normenkontrolle von Gesetzen interessieren, insofern sich das Gesetz auf das Problem der /tec/iimäßigkeit des Verwaltungshandelns bezieht27. Dann kann gesagt werden, daß für die Verwaltungsrechtsdogmatik vier Dimensionen bzw. Felder 28 - also Gesetzesauslegung, Präjudizienverwertung, Rechtsfortbildungs- und Normenkontrollvorschläge - den Aufgabenbereich ausmachen. Aus alledem ergibt sich Folgendes: Tragfähige und handhabbare Methoden für die Beschäftigung mit diesen vier Dimensionen zu entwickeln, ist ein Rezept für die Bewältigung der eingangs in dreierlei Hinsicht dargestellten Herausforderungen an die Verwaltungsrechtsdogmatik. Um diese hier zusammenfassend zu formulieren: Erstens Einwände gegen ihre liberale Einseitigkeit sowie ihre Formalität, zweitens die Gefahr ihrer Degradierung zu einer subsidiären Rolle gegenüber der Rechtsprechung sowie der Gesetzgebung und nicht zuletzt die damit verbundene Bezweifelung ihrer Leistungsfähigkeit. Dann stellt sich eine konkrete Frage, nämlich, wie solche Methoden der Verwaltungsrechtsdogmatik entwickelt werden können. Es steht außer Zweifel, daß diese nicht aus dem Nichts erfunden werden können und dürfen. Vielmehr muß versucht werden, die Methoden, die von der Praxis und der Rechtslehre entwickelt sind und die von diesen beiden tatsächlich betrieben werden, zu analysieren und sie sowohl unter rechtstheoretischem Aspekt als auch im Lichte der spezifischen Aufgaben des Verwaltungsrechts zu überprüfen. Dadurch kann ihr - in der Regel unreflektierter - rationaler wie ertragreicher Gehalt aufgedeckt und sodann als die oben bezweckte Methode bearbeitet werden. In diesem Wege eine Methode der Verwaltungsrechtsdogmatik zu entwickeln, stellt die Aufgabe der vorliegenden Untersuchung dar. 4. Die Methode der Rechtswissenschaft im weiteren Sinne läßt sich in drei Felder einteilen; nämlich rechtstheoretische Grundannahmen, Methode der Rechtsdogmatik und die der richterlichen Entscheidungsfindung 29. Beim ersten Feld hangeltenden Rechtsregeln. ... keine Definition kann die Fragen nach der Gesellschaft beseitigen, als auch nicht die Rechtslehre. ... wenn die Juristen die Auslegung und Systematisierung der Regeln verwerfen würden, (würde) bald irgendeine andere Gruppe auftreten welche diese Aufgabe übernehmen und die Verantwortung dafür tragen würde" (ebd., S. 38) (Kursiv vom Original). 26 Götz, Allgemeines Verwaltungsrecht. 3. Aufl., 1985, S. 2. 27 In dieser Arbeit wird daher auch das Problem der Verfassungswidrigkeit von Verwaltungsgesetzen in den Umfang des Verwaltungsrechts als Gegenstand der Verwaltungsrechtsdogmatik eingeschlossen. Hierzu unten § 1IV. 1. 28 Um die Verwechselung der Aufgabenbereiche der Verwaltungsrechtsdogmatik mit den unten (§ 1 IV) herauszuarbeitenden zwei Dimensionen des Verwaltungsrechts zu vermeiden, sollen im folgenden die ersteren „Felder" genannt werden. 29 Vgl. Wendenburg, Die Debatte um die Verfassungsgerichtsbarkeit und der MethodenStreit der Staatsrechtslehre in der Weimarer Republik, 1984, S. 206.
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delt es sich ζ. Β. um das Verhältnis zwischen Recht und Moral sowie zwischen Recht und Politik und die damit verbundene Problematik des Werturteils und dergleichen. Das zweite stellt allgemein auf die Bildung von Systemen und Begriffen ab. Das dritte dagegen behandelt in der Regel die Lösung des Einzelfalles. Der Zielpunkt der vorliegenden Arbeit liegt im zweiten, also darin, eine Methode der Verwaltungsrechtsdogmatik zu entwickeln. Aber ihren Ausgangspunkt bilden, wie soeben angedeutet, sowohl das zweite als auch das dritte Feld, die in der Praxis betriebene Methode der richterlichen Entscheidung. Außerdem wird bezweckt, mit Hilfe der so gewonnenen Methode letztlich die Anleitungskraft der Verwaltungsrechtsdogmatik diesem dritten gegenüber zu entfalten. Ferner ist für die Entwicklung einer solchen Methode die Beschäftigung mit dem ersten Feld - Überlegung von rechtstheoretischen Grundannahmen - unerläßlich. Auf diese Art und Weise hängen die drei Felder wiederum miteinander aufs engste zusammen. Das, was für das Verwaltungsrecht im Mittelpunkt der beiden letzteren Felder, d. h. von Methoden der Rechtsdogmatik und der richterlichen Entscheidung steht, ist die Rechtsfindung, also die Aufstellung und die Begründung ungeschriebener Rechtsnormen 30. Denn das Verwaltungsrecht weist seit jeher - wie im § 2 aufzuzeigen sein wird, auch in der Gegenwart, trotz des Inkrafttretens des VwVfG einen erheblichen Mangel gesetzlicher Regelungen auf. Aus dem oben Gesagten ergibt sich, daß diese Arbeit, die auf die Entwicklung einer tragfähigen Methode der Verwaltungsrechtsdogmatik abzielt, diesen Mittelpunkt der Aufgabe derselben, also die „Rechtsfindung im Verwaltungsrecht" zum Zentralthema hat und haben muß.
II. Gang der Untersuchung Um den oben aufgestellten Zweck zu erreichen, empfiehlt es sich, zunächst zu klären, worin die Aufgaben der in dieser Arbeit zu entwickelnden Methode der Verwaltungsrechtsdogmatik bestehen (erster Teil). Dafür muß in erster Linie die Frage beantwortet werden, was das Verwaltungsrecht ist, das die Verwaltungsrechtsdogmatik zum Gegenstand hat (§ 1). Nachdem dieser Gegenstand festgestellt wurde, soll die derzeitige Lage seiner gesetzlichen Normierung erörtert werden. Es wird daher versucht, sich einen Überblick darüber zu verschaffen, wobei das Augenmerk auf die Unzulänglichkeiten der Normierung gerichtet wird (§ 2). Sodann ist es erforderlich, auf den Methodenwandel der Rechtsfindung im Verwaltungsrecht einzugehen, damit sowohl rationale Gehalte als auch Probleme der überkommenen Methoden herausgearbeitet werden können (zweiter Teil). Betrachtet wird der Wandel von der Phase der Entstehung der deutschen Verwaltungsrechtsdogmatik (§ 3) über die der Heranziehung zivilrechtlicher Normen (§ 4) bis zu der der Rechtsfigur „allgemeine Grundsätze des Verwaltungsrechts" (§ 5). 30 Das ist die Rechtsfindung im weiteren Sinne. Hierzu siehe unten III. 1.
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Schließlich wird versucht, unter dem Aspekt der Rechtstheorie Methoden der Rechtsfindung für das Verwaltungsrecht zu reflektieren und dadurch die Grundlage für eine Theorie der Methode der Verwaltungsrechtsdogmatik zu gewinnen (