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German Pages 178 Year 2014
Jan Distelmeyer, Lisa Andergassen, Nora Johanna Werdich (Hg.) Raumdeutung
Band 9
Editorial Medien entfachen kulturelle Dynamiken; sie verändern die Künste ebenso wie diskursive Formationen und kommunikative Prozesse als Grundlagen des Sozialen oder Verfahren der Aufzeichnung als Praktiken kultureller Archive und Gedächtnisse. Die Reihe Metabasis (griech. Veränderung, Übergang) am Institut für Künste und Medien der Universität Potsdam will die medialen, künstlerischen und gesellschaftlichen Umbrüche mit Bezug auf unterschiedliche kulturelle Räume und Epochen untersuchen sowie die Veränderungen in Narration und Fiktionalisierung und deren Rückschlag auf Prozesse der Imagination nachzeichnen. Darüber hinaus werden Übergänge zwischen den Medien und ihren Performanzen thematisiert, seien es Text-Bild-Interferenzen, literarische Figurationen und ihre Auswirkungen auf andere Künste oder auch Übersetzungen zwischen verschiedenen Genres und ihren Darstellungsweisen. Die Reihe widmet sich dem »Inter-Medialen«, den Hybridformen und Grenzverläufen, die die traditionellen Beschreibungsformen außer Kraft setzen und neue Begriffe erfordern. Sie geht zudem auf jene schwer auslotbare Zwischenräumlichkeit ein, worin überlieferte Formen instabil und neue Gestalten produktiv werden können. Mindestens einmal pro Jahr wird die Reihe durch einen weiteren Band ergänzt werden. Das Themenspektrum umfasst Neue Medien, Literatur, Film, Kunst und Bildtheorie und wird auf diese Weise regelmäßig in laufende Debatten der Kultur- und Medienwissenschaften intervenieren. Die Reihe wird herausgegeben von Heiko Christians, Andreas Köstler, Gertrud Lehnert und Dieter Mersch.
Jan Distelmeyer, Lisa Andergassen, Nora Johanna Werdich (Hg.)
Raumdeutung Zur Wiederkehr des 3D-Films
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2012 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Cinerama Inc., Cinerama Adventure (USA, 2002), © mit freundlicher Unterstützung von David Strohmaier Satz: Stephanie Rymarowicz Lektorat: Jan Distelmeyer, Lisa Andergassen, Nora Johanna Werdich Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-1815-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
Inhalt Jan Distelmeyer, Lisa Andergassen, Nora Johanna Werdich Eroberung der Realität – 3D und André Bazin. Eine Einleitung
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Jan Distelmeyer Bedecke deine Augen. 3D als Maß der Dinge
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Heike Klippel, Florian Krautkrämer Wenn die Leinwand zurück schießt. Zur Geschichte des 3D-Kinos
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Stephan Günzel Das Verlangen nach Tiefe – Zur Geschichte und Ästhetik von 3D-Bildern
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Christine Hanke Kino der Effekte – Überlegungen zum Status des spektakulären Bildes
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Georg Seeßlen Schöne neue Bilderräume. 10 Thesen zur Entwicklung des 3D-Kinos und darüber hinaus
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Jesko Jockenhövel Analogien zwischen frühen Farbfilmen und digitalem 3D
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Katrin von Kap-herr Eingriff in 3D: Michel Gondrys The Green Hornet als Experiment
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Abbildungsnachweise
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AutorInnen & Dank
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Jan Distelmeyer, Lisa Andergassen, Nora Johanna Werdich Eroberung der Realität – 3D und André Bazin. Eine Einleitung 2009 war das Jahr, in dem eine neue Hoffnung in jeder Hinsicht an Kontur gewann. Mit den Erfolgen von 3D-Filmen wie Monsters vs. Aliens (USA 2009, Rob Letterman, Conrad Vernon) , Up (USA 2009, Pete Docter), My Bloody Valentine (USA 2009, Patrick Lussier) und insbesondere Avatar (USA 2009, James Cameron) erfuhr das Kino eine neue, in dieser Form lange vermisste Aufmerksamkeit. Hatte es zu Beginn der 2000er Jahre vor allem als zu beschützendes, zu betrauerndes oder zu verabschiedendes Sorgenkind zu öffentlichen Reaktionen Anlass gegeben (angesichts rückläufiger oder auf schlechtem Niveau stagnierender Publikumszahlen und angeknackstem Status verglichen mit DVDs, Video on Demand, Computerspielen und anderen Formen des Home Entertainment), fand sich das Kino auf einmal in einer Position der Stärke wieder. Mit digitalem 3D, kurz: D3D, hatte es, jedenfalls bis zur unweigerlichen, flächendeckenden Nachrüstung des Home Entertainment, etwas Eigenes zu bieten. Das von Marketingexperten so geliebte ›Alleinstellungsmerkmal‹ schien gefunden und mit ihm eine neue Distanz zu anderen Dispositiven möglich. Zahlen mehrten die Hoffnungen: Die neue 3D-Welle trug mit dazu bei, dass die Boxoffice-Einnahmen in den USA 2009 von 9,6 (2008) auf 10,6 Milliarden US-Dollar anstiegen und 2010 dieses Umsatzniveau bestätigt werden konnte – mit einem Anteil von 21 Prozent allein durch D3D-Produktionen (vgl. MPAA 2011, S. 5). Natürlich verkennt diese Wettlauf-Logik die auf Synergie und horizontale Integration ausgerichtete Perspektive Hollywoods. Gleichwohl ist seit 2009 immer wieder von einer ›Rettung‹ durch 3D die Rede – sei es aus der Hoffnung auf eine neue Zukunft heraus oder aus der auf dem Fuße folgenden Skepsis, dass es dazu wohl
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kaum kommen werde. Früher, anhaltender und massiver als viele andere propagierte der Produzent und DreamWorks-Studiochef Jeffrey Katzenberg unumstrittene D3D-Zuversicht. Er betonte im Rahmen der Ankündigungen von Kung Fu Panda 2 (USA 2011, Jennifer Yuh) im Mai 2011 sowohl das volle Vertrauen auf den wachsenden D3D-Markt als auch die gute Zusammenarbeit mit dem Konzern Samsung Electronics, dessen Manager sich der steigenden Nachfrage nach 3D-TV-Geräten sicher zeigten (vgl. Giardina 2011). Dass sich zeitgleich die Sorgen mehrten, der Stern, der die Geburt des technologischen Kino-Heils anzeige, sei schon im Sinken begriffen, ist Teil der Hysterie des D3D-Diskurses. Ende Mai 2011 verstärkte die New York Times die Skepsis, die ihres Artikels »3-D Starts to Fizzle, and Hollywood Frets« zufolge die US-Filmbranche angesichts schrumpfender D3D-Umsätze z.B. bei Pirates of the Caribbean: On Stranger Tides (USA 2011, Rob Marshall) ergriffen habe. »Der amerikanische Konsument«, wurde der Analyst Richard Greenfield zitiert, lehne 3D zunehmend ab, weshalb die großen Studios ihre weiteren 3D-Pläne für das Produktionsjahr 2011/12 überdenken sollten (vgl. Brooks/Cieply 2011). Ähnliche Befürchtungen waren bereits im Sommer 2010 laut geworden, als die Einspielergebnisse der D3D-Version von Toy Story 3 (USA 2010, Lee Unkrich) zum Anlass für die Frage wurden, ob »das Format nun tatsächlich schon ›mausetot‹ sei« (Kniebe 2010). Begleitet werden diese pessimistischen Einschätzungen zum Erfolg auch durch grundsätzlichere Skepsis der neuen Technologie gegenüber. Zentrale Fragen betreffen dabei sowohl die geringe Lichtstärke1 und die kritisierten Limitierungen filmästhetischer Gestaltung 2 als auch physiologische Überforderungen. Letztere sind 1
»Nicht nur Experten, sondern auch die Kinobesucher haben bemerkt, wie wenig vorteilhaft sich 3D-Filme im Hinblick auf Lichtstärke von einer 2D-Projektion derselben Filme unterscheiden. […] Einzelne Kinobesitzer hatten Mühe, unzufriedenen Kunden deutlich zu machen, dass es nicht ihr Fehler ist, der das düstere Bild hervorruft, sondern ein grundsätzlicher Mangel der 3D-Projektion als solcher. Als dann noch Christopher Nolan, dessen Name durch den heiß diskutierten Film INCEPTION zur Zeit in aller Munde ist, öffentlich erklärte, er habe sich hauptsächlich wegen der geringen Lichtstärke geweigert, seinen nächsten Film in 3D zu drehen, begann man in den USA auf breiter Ebene über das Problem zu reden, das unterschwellig sehr wohl ein entscheidendes Motiv für die nachlassende 3D-Begeisterung des Publikums sein könnte.« (Everschor 2010)
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Beispielhaft bekräftigte Regisseur Michael Bay im Juli 2011 kurz vor dem Kinostart seines Blockbusters TRANSFORMERS 3 (USA 2011) seine Skepsis gegenüber D3D als einem »Medium, das sich ständig weiterentwickelt«, bei dem man sich aber derzeit »noch in der Wild-West-Ära« befinde – nicht nur, weil Helligkeit und Geschwindigkeit die »3D-Linsen« überforderten, sondern vor allem hinsichtlich der Konvertierungen: »Die drehen
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mit einer Entschlossenheit, die eine erstaunliche Gewissheit hinsichtlich körperlicher Funktionsweisen und Wahrnehmungsgrenzen mitformuliert, von Roger Ebert und Walter Murch hervorgehoben worden. Zu Jahresbeginn 2011 hatte Ebert im Rückgriff auf einen Brief des berühmten Cutters und Sound Designers Murch das finale Urteil folgendermaßen erlassen: »Ich habe einen Brief erhalten, der – soweit es mich betrifft – die Diskussionen um 3D beendet. Es geht nicht mit unseren Gehirnen zusammen und wird es niemals. Die Tatsache, dass wir aufgefordert werden, einen Zuschlag im Kino dafür zu bezahlen, ein minderwertiges und unsere Hirne unweigerlich verwirrendes Bild zu sehen, ist ungeheuerlich. Der Fall ist abgeschlossen.« (Ebert 2011) Dass der Prozess gleichwohl noch läuft, zeigt sich nicht nur an den weiterhin zahlreichen Kinostarts und Ankündigungen neuer D3D-Projekte, sondern auch an den 3D-Neuerungen auf dem Computerspiel-Markt wie der Konsole 3DS von Nintendo, bei der auf die übliche 3D-Brille verzichtet werden kann. Die seit 2009 laufenden Bestrebungen, die Blu-ray Disc als Datenträger für das D3DHeimkino zu etablieren (mit 3D-fähigen Blu-ray Playern und ebensolchen Fernsehgeräten), wofür Blu-ray Editionen wie My bloody Valentine 3D (Kinowelt Home Entertainment, 2009), Clash of the Titans 3D (Warner Home Video, 2010) und The Lion King 3D. Diamond Edition (Walt Disney Studios Home Entertainment, 2011) exemplarisch stehen, sprechen ebenfalls dafür, dass D3D weder eilfertig als »die Zukunft« gefeiert noch leichthin als erledigt zu den Akten gelegt werden kann. Die Rückkehr des 3D-Films als D3D und die begleitenden Diskussionen fordern vielmehr zu mindestens zweierlei heraus: Sie provozieren einen Rückblick auf das, was hier zurück zu kehren scheint, und zugleich die Aufmerksamkeit für die spezifischen Bedingungen dieser Bewegung. In letzter Konsequenz steht damit auch die Frage im Raum, ob unsere etablierten Parameter und filmhistorischen und -theoretischen Gewissheiten einer Überprüfung aus der heutigen Perspektive noch standhalten.
Kunst und Industrie – André Bazin über 3D Der Tatsache, dass sich im 3D-Comeback in gewisser Weise die Geschichte des klassischen Kinos wieder einmal als eine andere wiederholt, möchten wir an dieser Stelle insofern Rechnung tragen, als einleitend nun eine historische Einschätzung das Wort haben
erst in 2D und denken dann, die Konvertierung wird’s schon richten. Nur sieht das oftmals richtig scheiße aus.« (Vgl. Orlin 2011, 25)
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soll. Die im März 2010 vom Wall Street Journal gestellte Frage, ob 3D die Rettung sei, »Can 3-D Save Hollywood?«, erinnert fast wortwörtlich an jenen Titel, mit dem André Bazin Anfang der 1950er Jahre seine Reaktion auf die große und Aufsehen erregende Welle an Breitwand- und 3D-Filmen überschrieben hatte: »Le cinémascope sauvera-t-il le cinema?« Bazins kurzer Aufsatz war erstmals 1953 in der Oktober/November-Ausgabe der Zeitschrift L’Esprit erschienen (vgl. Bazin 1953). 1985 wurde er unter »Will cinémascope Save the Cinema?« in englischer Übersetzung in der Zeitschrift Velvet Light Trap veröffentlicht und schließlich unter »Will CinemaScope Save the Film Industry?« in den Sammelbänden Bazin at work: Major essays & reviews from the forties and fifties (1996) und FUTURE CINEMA. The Cinematic Imaginary after Film (2002). Seit 2002 ist »Will CinemaScope Save the Film Industry?« online im Film-Philosophy Journal zu lesen (vgl. Bazin 2002). Wir möchten hier einige der zentralen Thesen dieses Aufsatzes in Erinnerung rufen: Bazin beschreibt historische Entwicklungen in den USA und deren Auswirkungen auf das internationale Kino, bei denen vor allem drei zusammenhängende Aspekte den Ausgangspunkt seiner Argumentation bilden: Der rapide Rückgang der Kinobesuche und Einnahmen der US-Filmindustrie fällt zusammen mit der wachsenden Bedeutung des Fernsehens, die Bazin neben anderen Ursachen als »Hauptfaktor« der Krise deutet, woraufhin 1952/53 Kinotechnologien wie Cinerama, CinemaScope und 3D auftauchen bzw. zurückkehren, die das Kinobild »erweitern«. Diese »Antwort« greife mit Expansionsgedanken auf Bewährtes zurück – »instinktiv« habe Hollywood verstanden, so Bazin, dass die Verteidigung gegen das Fernsehen spektakulärer Natur sein müsse. Damit wendeten sich die Studios dem zu, was traditionell als genuin filmische Möglichkeit betrachtet und eng mit dem Dispositiv Kino verknüpft worden ist: dem »Spektakel«, das in der »Evolution des Kinos«, wie Bazin argumentiert, zugunsten der »Internalisierung der Mise en scène« zurückgedrängt worden war. Angeregt von der außerhalb der großen Studios entwickelten und 1952 extrem erfolgreich eingeführten Breitwand-Technologie Cinerama, besinne sich Hollywood nun auf das – um hier einen Begriff aus dem Beitrag von Christine Hanke vorwegzunehmen – »spektakuläre Bild«. Als aktuelle Konsequenzen des Jahres 1953 fasst Bazin die 3D-Technologie mit den anaglyphen Farbfilterbrillen, das Breitwandformat CinemaScope und andere Leinwand- und Bildextensionen wie etwa das von Paramount Pitctures eingeführte Konversions- und Präsentationsverfahren Panoramic Screen 3 ins Auge, mit dem auch im klassi3
Vgl. dazu Koshofer 1993b, 226-227.
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schen 4:3-Format gedrehte Filme für die breitere Leinwand in der Horizontalen verlängert und dafür in der Vertikalen beschnitten wurden. Das von Bazin als »skurrile Form von Schwindel« abgewatschte Phänomen der Panoramic Screen trägt Züge eines in jeder Hinsicht billigeren und beschränkten Vorläufers der gegenwärtigen Strategie, Filme nachträglich in D3D zu konvertieren.4 Weil Film, wie Bazin betont, keineswegs eine Kunstform und eine Industrie ist, sondern stattdessen eine »industrielle Kunst«, deren Existenz an die Profite der Industrie gebunden bleibt, müssen diese Spektakel-Investitionen mit großem Werbeaufwand eingeführt werden. Daraus jedoch zu schließen, die technische (Weiter-) Entwicklung bedeute immer schon zugleich einen Fortschritt dieser industriellen Kunst, lehnt Bazin als eilfertigen Schluss ab. Er sieht gleichwohl aus einem anderen Grunde optimistisch und mit Interesse auf Hollywoods Krisenintervention: Für Bazin scheinen die Versuche, die ökonomische Krise durch spektakuläre Entwicklungen und Ausdehnungen zu beenden, in die Richtung substanzieller und wünschenswerter evolutionärer Prozesse des Kinos zu steuern. Hier kommt erneut Bazins berühmte Einschätzung ins Spiel, die historische Entwicklung der »Filmsprache« habe sich sukzessive zugunsten der Mise en scène und zuungunsten des Schnitts entwickelt. Der ebenso berühmte (und in den letzten knapp sechs Jahrzehnten der Filmtheorie selbst zum Klassiker gewordene) Verdacht, Bazin huldige damit einem einfältigen Realismusbegriff, der alle Hoffnung auf den vermeintlich indexikalischen Charakter des Films als Aufzeichnungsmedium setze, wird hier jedoch im selben Zusammenhang entkräftet. Bazin erklärt ausdrücklich, es wäre »naiv« davon auszugehen, das Filmbild strebe einer totalen Identifikation mit jenem Universum entgegen, das es »kopiere«. Hingegen ist Perzeption (sowohl auf Seiten der Filmschaffenden als auch des Publikums), wie Bazin hier hervorhebt, ein »artifizieller« und »synthetischer« Prozess, was an Bazins Formulierungen aus »Der filmische Realismus und die italienische Schule nach der Befreiung« erinnert: Dort beschreibt er Film als eine immer schon ästhetische Praxis und Kunst, deren »grundlegender Bestandteil« die »Lüge« ist, die Realität eben nicht einfängt, sondern – im Gegenteil – durch die zur »Eroberung der Realität« beigetragen werden kann (Bazin 2004, 309). Bazins Einschätzung, CinemaScope habe die besten Aussichten »im Krieg der 3D-Prozesse«, worunter er – ein wichtiges Phänomen in der 3D-Diskursgeschichte – sämtliche Formen der spektakulären Ausweitung des Filmbilds versteht (inklusive brillenbasiertem 3D, 4
Vgl. den Beitrag von Katrin von Kap-herr in diesem Band.
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Cinerama und Panoramic Screen)5, hat mit den damit neu gegebenen Möglichkeiten artifizieller Prozesse zu tun. So wenig wie die Farbe im Film als Aspekt eines »puren Realismus« verstanden werden kann, weil sie, wie Bazin ausführt, eine ganze Reihe neuer Konventionen mit sich brachte, durch die Filme der Malerei ähnlicher sähen als der Realität, so wenig komme das stereoskopische 3D-Kino mit den zweifarbigen Brillen der Realität näher. Indem der Eindruck von Räumlichkeit dank der Brillen nur »in einem grausigen, vagen Zustand« möglich werde, so Bazin, wirke die derart entworfene Filmrealität letztlich irrealer und unnahbarer als jeder »flache Schwarzweißfilm«.6 Es ist eine andere Räumlichkeit, die Bazin begeistert – eine Kinoräumlichkeit, die mit der Breite der CinemaScope-Vorführung zu tun hat. Indem das Sichtfeld des Publikums von der gekrümmten, ausgeweiteten Leinwand eingenommen wird, argumentiert Bazin (durchaus im Einklang mit der Werbung für CinemaScope), werde eine größere Nähe des Publikums erlaubt, die zugleich in die Tiefe der kinematographischen Realität führe. Nicht das Scope-Format an sich bringt hier für Bazin den Fortschritt, sondern (im Sinne der artifiziellen Kunst) die technischen und aus ökonomischen Gründen motivierten Möglichkeiten, die in der ästhetischen Praxis des Filmemachens genutzt werden können. Genauer: Was CinemaScope für die Entwicklung des Films im Verständnis Bazins so attraktiv macht, ist die Korrespondenz des breiten, raumgreifenden Bildes mit der langen, tiefenscharfen Einstellung, die für Bazin deshalb so wesentlich ist für die Eroberung der Realität durch das Kino, weil sie die Partizipation, die perzeptive (Inter-)Aktivität auf Seiten des sich im Bild umsehenden Publikums zu erhöhen hilft. In diesem Verständnis von Kino als einer Kunst der Teilnahme, als einem Dispositiv des Engagements, kommt dem Breitwandkino eine Schlüsselrolle zu: Es konfrontiert umfassend und eröffnet dem Blick ein Feld, schafft einen Raum, der weniger Bedeutung vermittelt als vielmehr zur Erkundung einlädt. Wenn sich hier Realität, wie Bazin hofft, »enthüllt«, dann nicht deswegen, weil sie abgebildet werden könnte, sondern deshalb, weil sie uns als artifizieller Prozess begegnet, der eigentlich erst dann wirklich beginnt, wenn wir uns mit dem Erscheinenden auseinandersetzen.
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Vgl. die Beiträge von Jan Distelmeyer sowie Heike Klippel und Florian Krautkrämer in diesem Band.
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Für weitere Bezüge zwischen Farbfilm und (D)3D vgl. den Beitrag von Jesko Jockenhöfel in diesem Band.
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Was ist Film? Zum Spezifischen an der industriellen Kunstform des Film gehört für Bazin, wie er bereits 1948 zum Neorealismus schrieb, dass sich seine ästhetische Praxis und Kunst der Lüge, die eine »Illusion der Wirklichkeit« produziert, aus einer Mischung von Abstraktion, Konvention und »authentischer Realität« zusammensetzt (vgl. Bazin 2004, 309). Wenn Bazin fünf Jahre später in seiner Untersuchung, ob CinemaScope »das Kino retten« könne, damit schließt, die Berufung des Films bestehe darin, sich durch die Anhaltspunkte und Augenscheinlichkeit der Realität auszudrücken, bleibt für den Anspruch des Enthüllens und Eroberns von Realität die Interaktion zwischen Filmkunst und Publikum entscheidend: Letzteres muss dem Film zur Realisierung seiner Begabung verhelfen. Das Involvierungsversprechen, das derzeit (auch in Zusammenhang mit dem Interaktions-Angebot von Video- und Computerspielen) durch D3D offeriert wird, gewinnt vor diesem Hintergrund an zusätzlicher Bedeutung. Ausgehend von der Geste des Zeigens bewegter Bilder (und – nicht zu vergessen – räumlicher Klänge) als prozessuales, kinematografisches Spezifikum, ließe sich zudem spekulieren, dass sich das spektakuläre Bild und insbesondere der (nicht länger oder nur kaum farblich eingeschränkte) D3D-Film gerade in jene von Bazin erhoffte Richtung bewegen könnte: etwas zu zeigen, bevor etwas ausgedrückt wird. Gerade für die Hoffnung auf ein Kino, das weniger darauf abzielt, etwas zu bedeuten, als etwas zu offenbaren, ist D3D derzeit eine der spannendste Spielformen des Audiovisuellen. Also: Was wird da eigentlich gezeigt und präsentiert? Was sind das für (Kino-)Räume, die sich hier öffnen? Auf welche ästhetischen Traditionen und Konzepte von Bildlichkeit stützt sich D3D?7 Welches Verhältnis von Technik, Ökonomie und Kultur wird im Erfolg der D3D-Welle (dies- und jenseits des Kinos) beobachtbar?8 Was macht D3D mit Film und Kino – mit dem, wie uns Filme begegnen, und auch mit dem, wie wir Film verstehen? Die Beiträge in Raumdeutung reagieren darauf in mehrfacher Weise. Sie kontextualisieren das D3D-Phänomen, indem sie die Geschichte des 3D-Films, die Bedingungen, Techniken, Interessen und ästhetischen Praktiken, das Spannungsverhältnis zwischen Bildfläche und Raumkörper, die komplexe Beziehung zwischen Filmspektakel und -narration, zwischen Show Effekt und Realitätseffekten, zwischen An- und Abwesenheit der Schauspielkörper
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Vgl. den Beitrag von Stephan Günzel in diesem Band.
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Vgl. den Beitrag von Georg Seeßlen in diesem Band.
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sowie das Verhältnis zwischen Genre und 3D verfolgen. Dass damit noch einmal neu und grundsätzlich der Status und das Besondere des Films zur Diskussion stehen, ist – in dieser Überzeugung ist dieses Buch entstanden – eine der positiven Folgen des Hypes um die dritte Dimension.
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Literatur Bazin, André (1953) Cinemascope: sauvera-t-il le cinema? In: L’Esprit 21, 207-208, S. 672-683. Bazin, André (2002) Will CinemaScope Save the Film Industry? In: Film-Philosophy 6, 2. http://www.film-philosophy.com/index. php/f-p/article/view/666/579. Zuletzt gesehen am 27.5.2011. Bazin, André (2004) Was ist Film? Hrsg. von Robert Fischer. Berlin: Alexander. Barnes, Brooks / Cieply, Michael (2011) 3-D Starts to Fizzle, and Hollywood Frets. In: The New York Times, 29.5.2011. Ebert, Roger (2011) Why 3D doesn’t work and never will. Case closed. http://blogs.suntimes.com/ebert/2011/01/post_4.html. Zuletzt gesehen am 3.2.2011. Everschor, Franz (2010) Wenn es dunkel wird im Kino. Geringe Lichtstärke macht der 3D-Projektion zu schaffen. In: filmdienst, 16, 2010. http://film-dienst.kim-info.de/artikel.php?nr= 155504&dest=frei&pos=artikel. Zuletzt gesehen am 26.8.2010. Giardina, Carolyn (2011) Jeffrey Katzenberg Talks 3D, ›Kung Fu Panda 2‹. In: The Hollywood Reporter, 20.5.2011. http://www. hollywoodreporter.com/news/jeffrey-katzenberg-talks-3dkung-190695. Zuletzt gesehen am 30.05.2011. Kniebe, Tobias (2010) Krise des 3D-Kino. Ist der Boom erst ruiniert. In: Süddeutsche Zeitung, 26.8.2010. Koshofer, Gert (1993b) Glossar. In: CinemaScope: Zur Geschichte der Breitwandfilme. Hrsg. von Helga Berlach & Wolfgang Jacobsen. Berlin: Spiess, S. 215-238. MPAA (2011) Theatrical Market Statistics 2010. http://www.mpaa. org/Resources/653b11ee-ee84-4b56-8ef1-3c17de30df1e.pdf. Zuletzt gesehen am 30.5.2011. Orlin, Scott (2011): ›3D ist nicht perfekt‹. Interview mit Michael Bay. In: Cinema, 37, 7, S. 22-26.
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Jan Distelmeyer Bedecke deine Augen. 3D als Maß der Dinge Was Film ist, erfahren wir durch Filme und durch das, was wir über sie wissen können. Letzteres, dieses so mächtige, diskursive Dispositiv-Element, ist auch deswegen so schwer auf Analysedistanz zu halten, weil es ja häufig Filme sind, die uns (in-)formieren. Die Bilder, mit denen wir Filme im Kino oder auf Fernseh- und sonstigen Monitoren ansehen, haben wir nicht selten genau dort erworben und dabei vielleicht auch noch die Herkunft jener Vorstellungen vergessen, die wir uns jenseits von Filmvorführungen haben machen können. Das Wissen über Film und Kino (verstanden als Ort, vielleicht ›Ziel‹ und als Bedingungen des Erscheinens von Filmen), das wir von unseren Eltern, in der Schule, im Radio, in Zeitschriften, durch Freunde, Plakate, Fantasie anregende Altersbeschränkungen (»Ab 18!«) oder sonstwie gewonnen haben, mag dann im Kino oder vor den Monitoren bei der Filmerfahrung für den Moment verblassen. Auf die eine oder andere Art wird es uns bleiben und in neue Vorstellungen eingehen. Im Sommer 2003, wenige Jahre vor den berühmten digital projizierten 3D-Filmen wie Up (USA 2009, Pete Docter), Avatar (USA 2009, James Cameron) oder Beowulf (USA 2007, Robert Zemekkis) und auch noch bevor Warner Bros. 2004 damit begann, Robert Zemeckis’ The Polar Express (USA 2004) als ersten abendfüllenden Hollywood-Spielfilm in IMAX 3D auszuwerten, entwarf der Trailer zu Robert Rodriguez’ Spy Kids 3D: Game Over (USA 2003) ein bekanntes Wunschbild. Einmal mehr wird hier der Kinoraum zu jenem ewigen Holodeck, in dem laut eines Gründungsmythos’ des Kinos ja schon der einfahrende Zug der Brüder Lumière das Publikum verängstigt und (weg von der Leinwand) bewegt haben soll. Anstelle einer flott geschnittenen Szenensammlung bringt der Spy Kids 3D-Trailer ein explizites Kinoversprechen, das weniger in den Film als in unsere Erfahrung desselben einführen soll. »Atten-
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tion« ist auf der Leinwand zu lesen und aus den Lautsprechern zu hören, bevor uns eine weibliche Stimme (noch recht sachlich) erklärt, »the new Spy Kids movie« sei so aufregend, »you have to cover your eyes – to see it in 3D«. Dabei wird die Bühne frei für ein ausdrückliches Familienkinopublikum, viele Kinder darunter, das mit großer Geste seine Brillen aufsetzt, bevor dann eine markigmännliche Stimme (es wird wohl ernst, ganz so als ob im Flugzeug erst die Flugbegleiterin und dann der Kapitän spricht) wesentlich eindringlicher verkündet: »Get ready!« Da schnellt der Arm eines der Spy Kids aus der Leinwand heraus direkt über die Köpfe des schreienden Publikums, Popcorn fliegt, »You’re part of the adventure!«, ruft die Stimme. Die bebrillten Gesichter strahlen und lachen, Schreie der Begeisterung füllen das gefilmte Kino. Der hier annoncierte Anfang der 3D-Erfolge des frühen 21. Jahrhunderts (Spy Kids 3D spielte laut boxofficemojo.com allein in den US-Kinokassen knapp das Dreifache seiner 38 Millionen US-Dollar Produktionskosten ein) war zugleich eine Erinnerung an Vergangenes. Eine Art Bedingung gewordenes Zitat so wie das spätere Double Feature-Projekt Grindhouse (USA 2007) von Rodriguez und Quentin Tarantino, bei dem Gebrauchsspuren auf nagelneues Filmmaterial kopiert wurden. Denn im Unterschied zu den digitalen 3D-Filmen, die mit modernen Polarisations- oder Shutterbrillen gesehen werden, kam für Spy Kids 3D die berüchtigte anaglyphe Farbfilterbrille zum Einsatz und damit jenes schon für 3D-Klassiker wie House of Wax (USA 1953, Andre de Toth) verwendete Accessoire, das für den Filmkritiker Richard Corliss der Grund gewesen ist, »why that ‘50s fad ended so quickly« (Corliss 2003). Besonders ist Spy Kids 3D darin, dass wir hier die phantastische (und kulturpessimistische Computerspiel-Ängste ins Abstruse steigernde) Zukunftsvision eines begehbaren und Kinder raubenden Games durch die Brille der Vergangenheit schauen, die auch noch als Gimmick selbst Thema und Objekt im Film ist. Glasses on: Zu Anfang belehrt uns Alan Cumming in seiner Rolle als Fegan Floop, dass wir unsere Brillen zu bemühen haben, sobald irgendeine Hauptfigur die ihre aufsetzt. Damit wird 3D hier offensiver an die Geschichte des Kinos (und auch an die Mahnungen vor schädlichen Film-Wirkungen) angebunden als all die späteren Erfolge vor und nach Avatar. Von hier aus möchte ich 3D als verändert wiederkehrendes Phänomen der Film- und Kinogeschichte diskutieren und zugleich als Herausforderung, noch einmal grundsätzlicher über den Film als Ereignis nachzudenken. Weil ich dabei nicht ausführlich auf das Verhältnis von Bild und Ton eingehen kann, soll zumindest an dieser Stelle mit Nachdruck daran erinnert werden, dass bereits die
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3D-Welle der 1950er eine Stereoton-Welle gewesen ist, die ja ebenfalls das Aufkommen von Cinerama und CinemaScope mit getragen hat. 3D bezog sich schon zu Beginn der 1950er Jahre häufig sowohl auf den Bild- als auch auf den Klangraum. Für House of Wax kombinierte Warner Brothers das stereoskopische Natural Vision-Verfahren mit ihrem stereophonen Warner Phonic Sound, der auf Plakaten – »First Phenomenal Merger of 3-D Action! 3-D Color! And 3-D Sound!« (vgl. Hayes, 216) – ebenso stark hervorgehoben wurde wie die visuelle Komponente. Wenngleich der Warner Stereoton damals exzeptionell gewesen ist, war diese gleichrangige Werbung für stereophonen Kinoton auch für andere 3D-Filme dieser Zeit durchaus typisch. »Warner Phonic Sound was almost as impressive as the 3-D imagery«, betont dazu R.M. Hayes, »and Warner Bros. was just proud to their new audio format. As sterophonic sound was refined by the Warner Phonic system, which involved seperate interlocked magnetic film as well as an optical rear channel sound source, was phased out in favor of magnetic sound-on-film and Perspecta optical formats.« (Ebd.) Damit, mit dem ausgestellten ›3-D Sound‹, potenzierte sich im 3D-Film, was Rick Altman als grundsätzliche Dreidimensionalität des Kinos beschrieben hat: Denn auch wenn die projizierten Bilder zuvor zweidimensional genannt werden konnten, weil die glatte, geometrisch exakt angeordnete und angestrahlte Fläche vor den Sitzreihen des Publikums der Platz für das Bild-Geschehen ist, so lässt doch der Ton – »sound is always recorded in a particular threedimensional space, and played back in another« (Altman 1992a, 5) – die Kinoerfahrung immer schon auch dreidimensional werden. In diesem Sinne könnte man sagen, dass der 3D-Film jenen Vorsprung, den der Ton im Kino immer schon gehabt hat, einerseits einzuholen versuchte, um andererseits eben diesen Vorsprung mit dem ›3-D Sound‹ gleich wieder auszubauen. Ohne weiter auf diesen wichtigen klanglichen Teil des 3D-Phänomens eingehen zu können, möchte ich hier 3D in einem, klar, dreifachen Sinn als das gegenwärtige Maß der Dinge verhandeln: Zum einen schlicht in technisch-apparativer Hinsicht dahingehend, dass eine 3D-Produktion und -Projektion eben den Rahmen und Bedingungen setzt, in dem das Gefilmte/Produzierte dann (mal mehr, mal weniger spektakulär) nur so erscheinen kann. Zum zweiten in einem ideologischen oder epistemologischen Sinne, der mit dem derzeit so gewünschten und begrüßten (Kontroll-)Blick in die Tiefe und ins Detail zu tun hat. Und zum dritten schließlich insofern, als mit der 3D-Entwicklung das, was Film und was Kino ist, mit neuer Aufmerksamkeit verhandelt werden könnte.
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In der Tiefe, in den Feinheiten und im Detail
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Diskussionen, ob sich die um 2008 mit großem Aufsehen und überzeugenden Einspielergebnissen gestartete Welle digitaler 3D-Produktionen (im Folgenden D3D genannt) halten wird, ob daraus ein neuer Standard für den narrativen Kinofilm bzw. – darin ist sich Wim Wenders ganz sicher – den Dokumentarfilm entsteht oder doch wieder komplett verschwindet, wovon Walter Murch und Roger Ebert (»It doesn’t work with our brains and it never will.«, Ebert 2011) felsenfest überzeugt sind, begleiten und unterstützen auf ihre Art den 3D-Boom im Kino des sogenannten »digitalen Zeitalters« (vgl. Merschmann 2009; Seesslen 2009; Schuker 2009; Gajic 2010; Klook 2010; Sterneborg 2011). Ganz unabhängig davon aber, wie sich die Filmindustrie entwickeln und ob hier »die Rettung des Kinos« zu finden sein wird, ist zum Stand der Entwicklung 2011 und im Hinblick auf das Aufkommen der D3D-Welle zumindest klar, dass die klassische Konkurrenzlogik etwas zu kurz greift. 2010 hat Thomas Elsaesser die »Erklärungsversuche, die von einem Konkurrenzverhalten zwischen den audiovisuellen Leitmedien ausgehen« (die Filmindustrie fürchte »die Konkurrenz der neuen Medien, vor allem des Internets« und wolle »den Erlebnisort ›Kino‹ möglichst klar von den immer kleiner werdenden Bildschirmen der Laptopcomputer und Smartphones abgrenzen«) als unzureichend kritisiert (Elsaesser 2010, 24-25). Elsaessers Einwände werden von der seit Jahrzehnten zunehmend auf Synergie ausgerichteten und in Medienkonglomerate eingebetteten US-Filmindustrie gestützt. Hollywood kann es sich schlicht nicht leisten (und wäre blind für die eigenen Gegenwart und Zukunft), das Kino, mit dem schon 2002 nicht einmal mehr die Hälfte der Filmumsätze weltweit generiert werden, als unteilbaren Lebensraum ihrer Produkte zu verteidigen (vgl. MPAA 2006, S. 1; Digital Entertainment Group 2006). Unter dem Druck von D3D indes könnte sowohl die für die Film produzierende und vertreibende Industrie kostensparende Umrüstung auf digitale Kinoprojektionen flächendeckend erzwungen, als auch mit 3D-Fernsehern und 3D-Laptops (wie dem im Februar 2011 vorgestellten Sony Vaio VPCF21Z1E/BI) neue Absätze generiert werden. 1 Dass es immer schon um Multifunktionen geht, demonstrierte auch Spy Kids 3D: Game Over, dessen Auswertung auf DVD ebenfalls auf 3D setzte. Die 2004 von Buena Vista Home Entertainment veröffentlichte Spy Kids 3-D: Game Over – 2 Disc Collector’s Edition bot sowohl 2D- als auch 3D-Versionen des Films und 1
Vgl. den Beitrag von Klippel/Krautkrämer in diesem Band.
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Das Brillen-Familien-Publikum im Trailer zu SPY K IDS 3-D: GAME O VER (oben) und zur DVD-Edition (unten)
wurde dazu mit (familienfreundlichen) vier rot-grünen Brillen ausgeliefert. Der Trailer zur DVD präsentierte analog zur Kinowerbung prompt eine begeisterte Familie mit Brille auf der Wohnzimmercouch: »Coming soon to 3-D-DVD with your own set of 3-D-glasses!« In dieser Trailer-Brücke vom einen zum anderen Teil der Wertschöpfungskette leben die Konsequenzen jener Bestimmung von Film, die André Bazin 1953 stark gemacht hatte, als er sich fragte, ob CinemaScope das Kino retten könne: Film ist nicht ›Kunst‹ und ›eine Industrie‹, vielmehr eine ›industrielle Kunst‹, die sich, so mutmaßte Bazin, wahrscheinlich in Luft auflösen werde, sobald die Gewinne der Industrie wegfallen (vgl. Bazin 2002). In dieser Gemengelage, in der Film offensichtlicher als je zuvor mit unterschiedlichsten Bereichen und ökonomischen Strategien unserer Kultur verbunden ist, muss die Entwicklung von dem, was wir heute unter 3D verstehen, zwangsläufig in einem größeren Zusammenhang als dem Kino-Dispositiv gesehen werden. Wenn Elsaesser (2010, 27) hierzu von Konturen einer vorauseilenden Vereinnahmung spricht, so hat er dabei Gemeinsamkeiten im Auge, die »das Militär, der Sicherheitsapparat des Staates und eben auch die Unterhaltungsindustrien« verbinden könnten: »Neben allen möglichen Simulationstechniken, die dem Kino nun spektakuläre Special Effects liefern, bieten die intensiven Recherchen Hollywoods zum dreidimensionalen Bild Verwendungsmöglichkeiten, die militärische, strategische und kommerzielle Partner im Visier haben und umgekehrt. Hollywood lernt und kauft sich ein bei Firmen, die digitale 3-D-Visualisierungstechniken für Medizin, Architektur, Landvermessung, Unterwasser-Expeditionen, Wetter- und Klimaforschung entwickeln. In anderen Worten, man muss die neue
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3-D-Welle wohl im Zusammenhang mit anderen Bildoberflächen für Nutzer ganz verschiedener Herkunft und Zwecke verstehen […].« Die Rolle von D3D in den verschiedenen Strategien einer Repräsentations- und Gewissheitspolitik der gegenwärtigen Kontrollgesellschaft, auf die Elsaesser anspielt, wäre noch weiter zu verfolgen. Das gilt auch für den Zusammenhang mit den wissenschaftlichen Evidenz-Strategien, für die Computersimulationen eingesetzt werden, die ebenfalls – wie auch die seit den frühen 1990er Jahren in Spielen wie Wolfenstein 3D (id Software 1992) oder Doom (id Software 1993) so gefeierte Grafik – unter »3D« firmieren, ohne im engeren Sinne stereoskopisch zu sein.2 Das Versprechen von Übersicht, Kontrolle und Gewissheit mittels der Darstellungen von Objekten, die sich mir nun ›von allen Seiten‹ offenbaren, spielt hier eine wichtige Rolle. In jedem Falle steht es z.B. in einem signifikanten und (aus ludologischer Perspektive) produktiven Spannungsverhältnis zu den Begrenzungen von Übersicht im Ego-Shooter, der ja genau damit, mit dem Wunsch nach und der Einschränkung von Kontrolle, sein Spiel treibt. Die Popularität eines Blicks, der dezidiert nicht ›oberflächlich‹ bleiben soll, der nicht auf die Oberfläche, sondern in die Tiefe (des Raumes) führt, müsste zudem auch in Zusammenhang mit den Traditionen des Regierens und den Selbst-Technologien diskutiert werden, zu denen Michel Foucault in seinen Studien zur Gouvernementalität gearbeitet hat. Wenn wir mit Foucault die Wurzeln der gegenwärtigen Technologien des Selbst, der Selbstführung und -verwaltung, auf die Regierungserkenntnis zurückführen können, dass »die Bevölkerung zu verwalten heißt, sie gleichermaßen in der Tiefe zu verwalten, in den Feinheiten und im Detail« (Foucault 2006, 161), so scheint mir dieser im Neoliberalismus wachsende Anspruch, sich gleichsam selbst in der Tiefe zu verwalten, in den Feinheiten und im Detail, gut zu passen zu einer Ästhetik der Beobachtung, die selbst im vermeintlich stumpfen Home Entertainment Tiefe und Detail anstrebt. Die Technologien des Selbst, mit denen wir uns bis in die Feinheiten auf Optimierungen hin ergründen mögen, mit denen wir uns für die gestellten und sich wandelnden Anforderungen im (Berufs-) Leben ausbilden und konturieren, lassen sich durchaus in einem Zusammenhang mit den Technologien des D3D denken. Der sich in Computerspielen und -simulationen wie auch im D3D-Kino zeigende Hype um perfektionierte Konturierungen von allem, was sich im Raum darstellen lässt, kommt einerseits dem Wunsch nach Kon2
Vgl. dazu den Beitrag von Stephan Günzel in diesem Band.
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trolle und Übersicht entgegen. Andererseits ist er eine Art Abdruck jener Aufforderung nach Flexibilität und Selbstverantwortung, der wir nachkommen, indem wir uns der jeweiligen Anforderung entsprechend eigene Konturen geben, um uns flexibel stabilisiert den Umständen anzupassen. Gilles Deleuze hatte dafür das Bild einer »sich selbst verformenden Gußform« (Deleuze 1993, 256) gewählt.
Partizipatorische Ereignisse – »without moving from your seat, you share« Auch die Erinnerung an den kurzen 3D-Boom der 1950er kann uns darin bestärken, den D3D-Erfolg gute fünfzig Jahre später nicht auf einen monokausalen Zusammenhang zu reduzieren. So ist das hartnäckige, 1953 auch von Bazin vertretene Argument, der Aufstieg des Fernsehens in den USA zum bedeutenden Konkurrenzmedium Ende der 1940er und Anfang der 1950er Jahre habe das Kino zu strategischen Absetzbewegungen geführt (vgl. u.a. Staiger 1985, 332; Bordwell 1985, 359; Haver, 390; Koshofer 1993, 9; Bazin 2002), seit einiger Zeit aufgeweicht bzw. die Perspektive erweitert worden. Denn auch wenn die Bedeutung des TV-Wachstums zweifellos eine Rolle gespielt hat, ist ihr Bezug zur damaligen Krise Hollywoods und der Ausrichtung der Filmindustrie hin zur Stereoskopie und Breitwand-Verfahren wie Cinerama und CinemaScope etwas komplexer. Das Fernsehen war wichtiger Teil umfassenderer Entwicklungen. Bereits Jerzy Toeplitz hatte in seiner Geschichte des Films dazu aufgefordert, die gesellschaftlichen Veränderungen im Nachkriegsamerika mit einzubeziehen, und John Belton zeigte schließlich in Widescreen Cinema detailliert, wie der neue Lebensstil weite Teile der US-Bevölkerung fort vom Kino in die neuen Eigenheime, die Vororte und die Gärten führte (vgl. Toeplitz 1991, 184; Belton 1992, 71). Dank Belton wird unübersehbar, wie sowohl Hollywoods Krise als auch die 3D- und Breitwand-Prozesse der 1950er eng mit demographischen und soziokulturellen Veränderungen in den USA zusammenhingen, die zugleich die Akzeptanz des Fernsehens förderten. Die Faktoren dieses Wandels reichen vom Rückgang der wöchentlichen Arbeitszeit über das Ansteigen des verfügbaren Arbeitseinkommens und der demographischen Verschiebung von den urbanen Zentren zu den Vorstädten bis hin zu den signifikant gesteigerten Ausgaben für z.B. Neuwagen, Urlaubsreisen, Gartenund Heimwerkzeug, Verandamöbel und Grillfleisch. Nunmehr lag der Weg in die städtischen Kinosäle weniger nahe als andere Formen der Freizeitgestaltung. »Aktive« Tätigkeiten »wie Gartenarbeit, Angeln, Jagen, Rudern, Golf und Reisen«, so Belton, »füllten mehr
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und mehr die Freizeit aus, während das Fernsehen das Bedürfnis nach kurzer passiver Unterhaltung befriedigte« (1998, 240). Mehr als die wohl offensichtlichste und zunächst ungemein erfolgreiche Konsequenz der Filmindustrie, nämlich auf Autokinos jenseits der Zentren zu setzen, die dann landesweit im Jahre 1956 zum ersten Mal mehr Besucher als die traditionellen Kinosäle anzogen (vgl. Gomery 1998, 404), interessiert mich hier eine diskursive Verschiebung. Zwei Begriffe schienen nunmehr für die Führungen und Planungen der Hollywood-Studios von neuem Interesse: Aktivität und Partizipation. Am 26. Oktober 1953, zwei Jahre bevor das Wirtschaftsmagazin Fortune 1955 festhielt, »the sharpest fact about the postwar leisure market is the growing preference for active fun rather than mere onlooking«, formulierte Darryl F. Zannuck, der einflussreiche Vizepräsident und Produktionsleiter der 20th Century Fox, seine Idee von zeitgemäßer Unterhaltung mit ähnlicher Zielrichtung (vgl. Belton 1992, 77): Nun sei »the public more participation-minded than ever«, weshalb zwischen »recreation« und »entertainment« zugunsten der ›partizipatorischen Erholung‹ zu unterscheiden sei; Entertainment sei »something others provide for you«, doch »recreation is something you provide in some measure for yourself – something in which you participate« (ebd.). Nicht allein das Fernsehen also, sondern auch die vielfältigen und als dezidiert ›aktiv‹ geltenden (Konkurrenz-)Aktivitäten des Publikums jenseits bewegter Bilder und Töne bestimmten eine Gegenwart, auf die Studios wie Fox, Disney oder Warner Bros. reagieren zu müssen glaubten. Und während man bei Disney aus diesem angenommenen Aktivitäts- und Partizipations-Begehren ab 1955 mit Disneyland Kapital schlug, sah Zanuck die Zukunft des Kinos in Verfahren wie Cinerama, 3D und natürlich vor allem in der von Fox entwickelten Cinerama-Antwort CinemaScope, die er ausdrücklich als »participatory events« (zitiert nach: Belton 1992, 77) verstanden wissen wollte. Ganz ähnlich beschrieb Jack Warner zur gleichen Zeit für Warner Bros. seine Hoffnung auf 3D, diese Technologie ermögliche nun buchstäblich, Teil der Action zu werden – »to give the spectator the thrilling experience of actually being a participant in the dramatic action« (zit. nach Eldridge 2006, 65). Zuvor, im Herbst 1952, und damit noch vor der 3D-Welle und dem Aufkommen von CinemaScope, hatten Werbung und das Filmprogramm für This is Cinerama! (USA 1952, Merian C. Cooper / Gunther von Fritsch / Ernest B. Schoedsack / Michael Todd Jr.) versprochen: »You won’t be gazing at a movie screen. You’ll find yourself swept right into the picture, surrounded by sight and sound […] Everything that happens on the curved Cinerama screen is
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happening to you. And without moving from your seat, you share, personally, in the most remarkable new kind of emotional experience ever brought to the theatre.« (Zit. nach Belton 1992, 188-189) In den USA lief dieser Film, der Cinerama zu einem unübersehbaren Phänomen der Populärkultur und -industrie erhob, in den wenigen Cinerama tauglichen Kinos ganze 122 Wochen lang mit außergewöhnlich großem Erfolg, allein in New York spielte er während seiner ersten Spielzeit 4,7 Millionen US-Dollar ein und mit 1954 hinzugekommenen vierzehn Cinerama-Kinos einen für damalige Verhältnisse enormen Reingewinn von 9 Millionen Dollar (vgl. Koshofer 1993, 19; Belton 1992, 113-114). Tatsächlich waren Erfolg und Wirkung von This is Cinerama!, vom Filmemacher David Strohmaier in seiner beeindruckenden Dokumentation Cinerama Adventure (USA 2002) als »erstaunlich dreidimensionale, virtual reality-ähnliche Erfahrung« beschrieben, von großer Bedeutung für die nun einsetzende Umorientierung der Film- und Kino-Industrie wie auch für die auf dem Fuße folgenden stereoskopischen Filme. Cinerama »war natürlich der Auslöser«, wie Rudy Behlmer in Cinerama Adventure erklärt, »für CinemaScope, bis zu einem gewissen Grad für die 3D-Verfahren und ganz sicher für VistaVision und all die anderen ›Visions‹ und ›Scopes‹, die auf den Markt kamen«. Entscheidend scheint mir darum zunächst in dieser Entwicklung, dass unabhängig von der jeweiligen Ausprägung des Produktions- und Präsentationsverfahrens eine konzeptionelle und vor allem diskursive Verschiebung zu bemerken ist, die David Eldridge so beschreibt: »A key function of the new screen technologies in the early Fifties was […] to redefine the meaning of ›spectatorship‹, to sell the cinematic experience as a participatory event.« (Eldridge 2006, 65) »Neue Filmtechniken«, bilanziert John Belton, »bezogen
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Cinerama-Darstellung aus David Strohmaiers CINERAMA A DVENTURE
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Zuschauer durch die vermehrte Illusion der Teilnahme stärker in die Filmhandlung ein.« (Belton 1998, 240) Gerade das Breitwandkino wurde in den 1950er Jahren mit der Vorstellung von Teilhabe und »audience involvement« (Belton 1992, 98) assoziiert und damit, mit dem Versprechen einer neuen »physical experience of presence« (Young 2006, 182), auch den Attraktionen des Fernsehens begegnet. »If television«, betont Paul Young, »promised to bring the world closer, ‘Scope was to put the viewer ›on the scene‹ by filling even the periphery of vision with images of distant lands.« (Ebd.) Es ist insbesondere für die fünfzig Jahre später beginnende D3DWelle nicht unwichtig, dass das populäre Kino der 1950er Jahre auf die angenommenen Partizipations- und Aktivitäts-Vorlieben ihres Publikums mit einem Teilhabe-Angebot reagierte, das auf emotionale, sinnliche und in diesem Sinne physische Involvierung setzte. Eben weil der Hype um das Zauberwort »Interaktivität« im Zusammenhang mit der Erfolgsgeschichte digitaler Medien einer der Punkte ist, auf den die Filmindustrie der 2000er Jahre reagierte – schon Mitte der 1990er hatte Variety »interactive entertainment« in Hollywood erstmals zum »hottest ticket in Town« erklärt (Rothman 1993) –, tut sich hier eine weitere interessante Parallele auf (vgl. Distelmeyer 2011a, 263-268). Beide 3D-Kino-Wellen reagieren mit einem vergleichbaren Angebot der Involvierung, wobei jedoch die Welle der 2000er Jahre zugleich durch jene anderen InvolvierungsStrategien begleitet wird, die Computerspiele (weniger als Konkurrenz- denn als Ergänzungs-Medien) zu bieten haben. Die Reaktionen der horizontal integrierten Hollywood-Studios können gar nicht anders als breit gefächert sein. Das Musterbeispiel Avatar ist ja nicht nur eine Game-Phantasie des Kinos, sondern sowohl mit Hilfe von Game-Engines entstanden, als auch – darauf legten die Ankündigungen großen Wert – in wechselseitiger Abhängigkeit zum zeitgleich produzierten Avatar-Game. Neben den mannigfaltigen Beteiligungen an der Entwicklung der Computerspiel-Branche und anderen digitalbasierten Synergie-Effekten (von denen DVD-, Blu-ray und die Internet-gestützte Auf- und Auswertung der Filme die ökonomisch bedeutendsten sind) antwortet die Filmindustrie mit einem (Heim-)Kinoversprechen, das auf die mit (Inter-)Aktivität assoziierten Publikums-Vorlieben mit dem Gründungsmythos des Kinos antwortet. So wie der frühe Film beim L’Arrivée d’un train en gare de La Ciotat (F 1895) der Brüder Lumière das Publikum körperlich involviert haben soll, »[h]artnäckig hält sich die Legende, daß der auf die Kamera zufahrende Zug die Zuschauer so erschreckte, daß diese unter ihren Sitzen Schutz suchten« (Pearson 1998, 18), soll Film sein Publikum nun wieder in seinen Bann schlagen. Das
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Ankündigungs-Plakat zum Folter-Thriller Saw 3D (USA 2010, Kevin Greutert) bringt dies auf den doppeldeutigen (Blick-)Punkt,
Plakat zum siebten Teil der SAW -Reihe
indem es über einer von allerlei Folterwerkzeugen affizierten Pupille den entsprechenden Slogan platziert: »In Eye-Popping 3D«
Die Flachen und 3D Die diskursive Orientierung in Richtung Aktivität und Partizipation der 1950er Jahre ist mir hier auch deshalb wichtig, weil sie in einem (gerade aus der heutigen Perspektive) bemerkenswerten Verständnis von 3D gipfelte. Denn der Hype um das Zauberwort 3D bezog sich in den USA und Europa nicht auf ein bestimmtes Verfahren wie etwa Natural Vision, ja nicht einmal allein auf das Phänomen des stereoskopischen Films. Hingegen ist nach den Breitwand bzw. Stereoskopie-Erfolgen von This is Cinerama! (1952), Bwana Devil (USA 1952, Arch Oboler) und House of Wax (1953) eine Art diskursiver Wettstreit zu beobachten, der diverse Technologien unter 3D verhandelte. »[N]ew production and exhibition processes, including Cinerama and CinemaScope,« erläutert John Belton hierzu, »were generically referred to within the industry as ›3-D‹. This marked an attempt
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to distinguish them from the earlier 1.33/7:1 standard, which the industry and the trade press now referred to as ›2-D‹ or ›flat‹. However, many of these ›3-D‹ systems, such as Cinerama and CinemaScope, were merely widerscreen processes and did not rely upon ›true‹ (binocular) stereo photography.« (Belton 1992, 114). Zur Einführung des CinemaScope-Verfahrens 1953 ließ Fox-Präsident Spyros P. Skouras eine Erklärung veröffentlichen, die den »gleichen Eindruck wie bei einer lebendigen Darstellung auf der Bühne« versprach, weil nämlich CinemaScope »die 3. Dimension so stark« hervor brächte, dass »Dinge und Personen Teil und Fortsetzung des Zuschauerraums« seien (vgl. Koshofer 1993, 12). Ende November 1952, knapp zwei Monate nach der Uraufführung von This is Cinerama!, hatte Bwana Devil seine Premiere im stereoskopischen Natural Vision-Verfahren mit den anaglyphen Farbfilterbrillen erlebt. »A lion in your lap!« und »A lover in your arms!« hießen die Versprechungen auf dem Bwana Devil-Filmplakat: »The flat screen is gone! You – not a camera – but you are there!« (vgl. Hayes 1989, 147, Herv.i.O.) John Beltons Unterscheidung zwischen den PR-Strategien für 3D und Breitwandkino, im ersten Fall wäre ein Eintauchen in das Leinwandgeschehen und im zweiten die Ausweitung des Leinwandgeschehens in den Zuschauerraum versprochen worden, stimmt somit nur bedingt (vgl. Belton 1992, 189190). Neben Bwana Devil verflochten auch andere 3D-Beispiele wie Inferno (USA 1953, Roy Ward Baker) beide Strategien, während auch CinemaScope-Werbungen durchaus die ›Eroberung‹ des Zuschauerraums illustrierten, so dass es letztlich immer auf eine vielfältig beworbene »copresence of image and audience« (ebd., 190) hinauslief. Interessant ist hier zudem die Verknüpfung von Partizipation und Involvierung mit einem vermeintlichen Verschwinden der Apparatur. Nicht die Kamera, wir selbst wären dabei. Das damit gegebene Versprechen lässt sich in der Logik von Jay David Bolters Remediation-Theorie als Geste der »transparent immediacy« (Bolter 2000, 68) beschreiben – als Angebot einer Unmittelbarkeit, die Medialität nicht ausstellt, sondern zum Verschwinden brächte. Dass Medialität und Apparatur beim Natural Vision-Verfahren unmerklich werden könnte, ist allerdings schon insofern eine etwas merkwürdige Ankündigung, als dem ja durch den Brillenzwang eine bestimmte binokulare Grenze gesetzt ist. In diesem Sinne könnte man das Versprechen »Ein Löwe auf deinem Schoß!« mit »Und eine Brille auf deiner Nase!« ergänzen. Entsprechend konterte das Plakat zum »First Motion Picture in CinemaScope«, zu Henry Kosters The Robe (USA 1953), neun Monate später mit der Ankündigung eines neuen Weges zur dritten Dimension: »The Modern Miracle
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You See Without Glasses!« (Belton 1992, 115) Nicht ganz sechzig Jahre später, Anfang 2011, kehrt eben diese transparent immediacyGeste, mit der die Videospiel-Industrie bereits seit einiger Zeit (v.a. mit der Wii- und kinect-Technologie) massiv operiert, auch für 3D wieder. Der Werbeslogan zur neu entwickelten Nintendo 3DS, einer tragbaren Spielkonsole mit autostereoskopischem Display, lautete schlicht: »3D ohne Brille« In den 1950er Jahren hatte also 3D nur zum Teil und mitunter gar nichts mit Brillen zu tun, tatsächlich war die Subsumierung unterschiedlichster Verfahren unter dem 3D-Schlagwort schon 1953 international durchgesetzt. Beispielhaft zweifelte Bazin im Herbst 1953 daran, das stereoskopische Brillen-Kino könnte ›im Krieg der 3D-Prozesse‹ den Sieg davontragen; er setzte eher auf CinemaScope, während er zugleich die Differenz zwischen Breitwand- und
29 Unmittelbarkeits-Versprechen zu Natural Vision (B WANA DEVIL), CinemaScope (THE ROBE) und Nintendo 3DS
anaglyphem 3D-Kino betonte und die ›inkorrekte‹ Gleichsetzung als Erfolg ›übereifriger Publicity‹ brandmarkte (vgl. Bazin 2002). Genau davon, von diesem Erfolg, legt in besonderer Weise die westdeutsche Berichterstattung im Spiegel Anfang 1953 Zeugnis ab. Hier wird unter dem Titel »Die Flachen und 3D« berichtet, durch das von der 20th Century Fox »verwendete 3-D-Verfahren ›Cinemascope‹« habe das Studio »endgültig die Führung in dem 3-D-Rennen über-
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nommen, das am 30. September vergangenen Jahres mit einer ›Cinerama‹-Vorführung auf dem New Yorker Broadway begann« (Anonym 1953, 28). Gleichwohl, konstatiert auch der Bericht vom Februar 1953, also noch vor dem Höhepunkt des 3D-Booms 1953/54, existieren Unterschiede, die der Wissenschaftsjournalist Waldemar Kaempffert erläutert. Obwohl die Breitwandverfahren Cinerama und CinemaScope, zitiert ihn der Spiegel, »die Illusion schaffen, daß die Schauspieler und Schauspielerinnen aus sehr festem Fleisch gemacht seien, ist keines der beiden Systeme stereoskopisch« (ebd.). Das tut aber weiter nichts zur Sache. Sowohl in den USA, als auch in Europa ist 3D zu Beginn der 1950er Jahre ein Oberbegriff für diverse Produktions- und Präsentationspraktiken, unter dem dann in einem zweiten Schritt zwischen stereoskopischen und nicht stereoskopischen Verfahren unterschieden werden kann. In diesem Sinne also historisch korrekt ist im Spiegel von den Plänen des »›brillenlosen‹ 3-D-Systems« CinemaScope die Rede und wird der Regisseur Henry Koster zitiert, in seinem Film The Robe verfolgten in einer Szene »römische Soldaten einen Ur-Christen«, er aber habe »vorläufig keine Ahnung, wie diese ›Jagd‹ dreidimensional gedreht werden muß« (ebd., 30). So blieben anaglyphe Verfahren wie Natural Vision nicht nur die aufwändigeren, kostspieligeren und farblich limitierten Technologien – ihnen wurde auch noch das Alleinstellungsmerkmal 3D aberkannt. In den USA, in Europa und auch in Japan endete die vorübergehende Steroskopie-Begeisterung bereits 1954 und machte sukzessive der Alternative CinemaScope bzw. vergleichbaren anamorphotischen widescreen-Verfahren Platz (vgl. Hayes 1989, 43-56; Anderson/Richie 1982, 252-254). »3-D Without Glasses« hatte gewonnen: »It wasn’t stereoscopic of course, but it was panoramic, and that seemed to be the same for many« (Hayes, 1989, 55-56).
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Möglichkeitsbedingungen: »Jede Szene kommt direkt auf dich zu« Vielleicht sollten wir diese medientechnische Ungenauigkeit der 1950er Jahre nicht zu leicht abtun. Denn aus dem Ringen darum, was 3D sein könnte, ist eine, so scheint mir, anregende Offenheit zu gewinnen, wie wir die stereoskopischen Filme der 1950er Jahre und auch das D3D-Phänomen theoretisch greifen bzw. nutzen können. Im Rückgriff auf Beobachtungen von David Bordwell bemerkt Elsaesser zu Coraline (USA 2009, Henry Selick), »dass die Animatoren […] den 3-D-Effekt nicht nutzen, um die Tiefe des Raums zu
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betonen, sondern vielmehr, um Räume zu konstruieren, die klassische Regeln der Perspektive außer Kraft setzen«, um davon ausgehend das neue D-3-D gegen die Vorläufer abzugrenzen: »Das Verfahren erweitert so die Ausdrucksformen des Films und damit auch das affektive Erleben, das Wahrnehmungsspektrum des Zuschauers. Das neue D-3-D funktioniert also erstens ganz anders als die Monster-Movies der Fünfziger. Und es ist zweitens, was noch wichtiger ist, kein Special Effect.« (Elsaesser 2010, 26) Es ist sicher so, dass einige der D3D-Filme wie Coraline, Avatar und Up – andere wie z.B. The Green Hornet (USA 2011, Michel Gondry) und A Christmas Carol (USA 2009, Robert Zemeckis) aber auch wiederum nicht – sich große Mühe geben, nicht allein effektive Momente zu kreieren, die den in-your-faceCharakter bestimmter Szenen und damit der neuen Technologie betonen, sondern eine neue Räumlichkeit zu entwickeln, in der dann alles oder vieles (anders) möglich ist. Andererseits wäre aber zu fragen, warum die grundsätzliche Zuschreibung, das Verfahren erweitere die Ausdrucksformen und damit auch unser Erleben des Films, nicht ebenso für z.B. die 1950er, die 1980er und auch die anaglyphischen Filmerfahrungen von Spy Kids 3D und Robert Rodriguez’ The Adventures of Sharkboy and Lavagirl in 3-D (USA 2005) gilt. Was wir von den Debatten und der Ankündigungspolitik der 1950er Jahre lernen können, ist in jedem Fall das Versprechen auf eine ganzheitliche Erfahrung, die weniger einzelne Momente betont, die wir als spezielle Effekte isolieren könnten, sondern komplette Filme und deren Erfahrung als speziell auszeichnet. Das zitierte Bwana Devil-Versprechen, die flachen Leinwände seien verschwunden und wir (nicht die Kamera!) direkt am Ort des Geschehens, wie auch die Plakate zu den 1953 gestarteten 3D-Filmen House of Wax, »Every scene of its starteling story comes of the screen right at you! Every sound you hear happens all around you! Its like nothing ever before experienced in a Theatre!« (Hayes 1989, 216, Herv.i.O.), Sangaree (USA 1953, Edward Ludwig), »You live it in 3 dimension« (ebd., 303), und Inferno, »You are there!« (ebd., 223), illustrieren dies anschaulich. Auch wenn einzelne Momente in diesen Filmen darauf angelegt sind, besonders schockierend oder räumlich nah zu wirken, ist zumindest meine Erfahrung bei der brillenbewährten Sichtung von Klassikern wie House of Wax oder Creature from the Black Lagoon (USA 1954, Jack Arnold) und auch bei dem für seinen »minimum use of 3-D-effects« (Hayes 1989, 175) kritisierten Dial M for Murder (USA 1954, Alfred Hitchcock), dass die sehr spezielle Plastizität und (nicht nur farblich) eingeschränkte Räumlich-
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keit dieser Filme natürlich die gesamte Filmerfahrung (zum Guten oder zum Schlechten) prägen. Der Ausnahmefall von Spy Kids 3D: Game Over, in dem wir zu Beginn des Films eine Art Tutorial vorgeführt bekommen, woraufhin wir während der Filmvorführung
Partizipation vom vordersten bis zum hintersten Kinosessel: INFERNO
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(gewissermaßen intradiegetisch) zum Auf- und Absetzen der Brillen aufgefordert werden, macht klar, was 3D bzw. die nötige Brille in der Regel eben nicht ist: ein Spezialeffekt bzw. im Film betontes Accessoire. Im Gegenteil legte 3D und legt auch D3D viel Wert darauf, nicht als Spezialeffekt – wie etwa das Morphing, das in den 1990er Jahren als eine Art Erkennungszeichen der Möglichkeiten computerbasierter Filmtechnik gesehen wurde –, sondern als eine neue Grundform des Kinos verstanden zu werden, in dem das Apparative während der Vorführung unmerklich werden soll (vgl. Distelmeyer 2011b). Nicht eine oder einige, nein: jede Szene, wie die besagte House of Wax-PR verspricht, komme von der Leinwand direkt auf uns zu. Das heißt natürlich nicht, dass innerhalb der Filme nicht versucht würde, mit dieser Technologie insofern effektiv umzugehen, als ostentativ räumlich inszeniert wird, so dass z.B. in Dial M for Murder Grace Kellys rechter Arm auf der verzweifelten Suche nach einer Waffe zur Abwehr des Einbrechers in den Publikumsraum zu ragen scheint. Das aber macht auch das klassische 3D-Verfahren der 1950er nicht zu einem Effekt, der von der Narration oder der Diegese leichthin zu trennen wäre. Wie sollte das auch möglich sein, wenn ich doch alles, was auf der Leinwand geschieht, durch
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diese rot-grüne Brille sehe, die unweigerlich alles merkwürdig entoder besser einfärbt. Bazins Klage, damit würde zwar der Eindruck einer Räumlichkeit vermittelt, nur eben ›in einem grausigen, vagen Zustand‹ (Bazin 2002), lese ich genau in diesem Sinne. Tatsächlich regen die jüngeren D3D- wie auch die historischen 3D-Filme meines Erachtens zu zwei zusammenhängenden Gedanken an: stereoskopische (D)3D-Verfahren sind – erstens – ebenso wenig Spezialeffekte wie das CinemaScope-Format, und drängen somit als Möglichkeitsbedingungen, als Teil des Kino-Dispositivs die Frage auf, wie wir – zweitens – im Spielfilm überhaupt unterscheiden können zwischen Attraktionen bzw. Sensationen und dem, was wir diesen Elementen als Narration oder Diegese traditionell entgegenstellen. Der erste Gedanke ist, so hoffe ich, bereits nachvollziehbar: 3D-Kino ist seinem Selbstverständnis nach und in meiner konkreten Filmerfahrung als Zuschauer kein isolierbarer Spezialeffekt, sondern eine Bedingung und Form der Kinoerfahrung, die genau so zum Standard unterschiedlichster Filme hätte werden können, wie es schließlich das ›brillenlose 3D‹ CinemaScope auch geworden ist. Genau davon träumen die D3D-Protagonisten wie Jeffrey Katzenberg: Dass D3D zum neuen Filmstandard dies und jenseits des Kinos werden könnte, zum Kern neuer technisch-apparativer Dispositive. Up wurde, wie Thomas Elsaesser anmerkt, »in Cannes nicht zuletzt dafür gepriesen, dass der Film ›die Möglichkeiten räumlicher Gestaltung‹ im 3-D-Verfahren dazu benutzt, ›das Innenleben seiner Figuren zu beschreiben, ihre Einsamkeit durch tiefe Räume sichtbar zu machen‹« (Elsaesser 2010, 27). Damit befinden sich die zitierten Stimmen in wunderbarem Einklang mit den PR-Verantwortlichen von Disney/Pixar, die im Presseheft zu Up unter »3D – A First For Pixar« Regisseur Pete Docter zitieren: »This new department took a lot of the same story telling elements that we are using and tried to use depth as another way of telling that story.« (Disney/ Pixar 2009, 15) Docters für die Pixar-PR so typisches Insistieren auf die Vorherrschaft des »story telling« spricht sich (aus der Produktions- bzw. PR-Perspektive) vehement gegen die Gegenüberstellung von Narration und 3D als sensationellem Special Effect aus. Mit Docters Einhegung von 3D als »another crayon in our crayon box« und der Betonung, »3D became a visual cue to help the filmakers tell the sory and involve the audience with the characters« (ebd., 16) wird D3D zu einem der zu Gebote stehenden Mittel, einen Film zu machen und zu präsentieren, was bei Pixar stets bedeuten soll, eine Geschichte zu erzählen. Ganz gleich aber, was ein 3D-Film nun aus Sicht seiner Produzenten soll oder nicht: Was er uns gibt, was
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er erzählt, was er zeigt und fühlen lässt, ist in visueller Hinsicht immer an die 3D-Projektion gebunden – wenn wir nicht wie bei den Spy Kids gebeten werden, die Brille auf- oder abzusetzen. Anders gesagt: Auch in D3D bedingen sich Ästhetik und Dispositiv immer schon gegenseitig. Die Totalität des jeweiligen Verfahrens – auf die ja auch schon Cinerama ostentativ gesetzt hatte (»Everything that happens on the curved Cinerama screen is happening to you«) – einerseits, und die von Docter ausgesprochene Funktion von 3D als weiterer Zeichenstift andererseits lassen somit von zwei Seiten aus eine Unterscheidung zwischen Narration und Sensation, zwischen Erzählung und Attraktion schwierig erscheinen.
Narration und Attraktion – THE BATTLE OF THE CENTURY
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Die Diskussion um das Verhältnis von Narration und Attraktion, für dessen Stellenwert im gegenwärtigen filmtheoretischen Diskurs vor allem Laura Mulvey und Tom Gunning wesentliche und viel zitierte Beiträge geliefert haben, hat eine lange Geschichte. 2006 hat die von Wanda Strauven herausgegebene Anthologie The Cinema of Attractions reloaded hierzu eine Reihe instruktiver internationaler Positionen gebündelt. Die grundlegenden und folgenreich erörterten Positionen Mulveys und Gunnings will ich hier zumindest in groben Umrissen skizzieren: Die von Mulvey eingebrachte Perspektive kombiniert psychoanalytische, apparatus- und blicktheoretische Überlegungen mit einer Analyse von Narration und Spektakel, in der sich eine besondere Form des gendering manifestiert. Zwei kurze Textpassagen möchte ich hier vor allem deshalb zitieren, weil die verbreitete deutsche Übersetzung den spectacle-Begriff bei Mulvey durchaus missverständlich und uneinheitlich übersetzt – mal als »Darstellung«, mal als »Zurschaustellung«, mal als »Schauobjekt«, was hinsichtlich der Unterscheidung zwischen monstration (als möglicherweise narratologischer Vorgang, etwas zu zeigen) und attraction (verstanden als Magnetismus des gezeigten Spektakels) problematisch ist. (vgl. Strauven 2006, 17) »Der gängige Kinofilm [mainstream film]«, so Mulvey, »hat die Darstellung [spectacle] mit dem Erzählten [narrative] geschickt kombiniert. (Man beachte jedoch, wie bei den Gesangs- und Tanznummern im Musical der Fluß unterbrochen wird.) Die Präsenz der Frau ist ein unverzichtbares Element der Zurschaustellung [spectacle] im normalen narrativen Film, obwohl ihre visuelle Präsenz der Entwicklung des Handlungsstrangs zuwider läuft, den Handlungsfluß in Momenten erotischer Kontempla-
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tion gefrieren lässt.« (Mulvey 1980, 37) Diese auf Narration und Spektakel (was Muvley hier eher als attraction im Sinne des Schauobjekts versteht) ausgerichtete Arbeitsteilung ist damit zugleich an eine Aktiv/Passiv-Dichotomie gebunden, die gleichwohl unterschiedliche Formen von Aktivität (vor allem auf Seiten der männlichen Protagonisten) zulässt: »Folglich unterstützt die Trennung zwischen der Darstellung und der Geschichte die Rolle des Mannes als desjenigen, der aktiv die Handlung vorantreibt, Ereignisse initiiert. Der Mann kontrolliert die Phantasie des Films tritt so in einem weiteren Sinne als Repräsentant der Macht hervor: als Träger des Blicks der Zuschauer, indem er ihn hinter die Leinwand versetzt, um die extra-diegetischen Tendenzen, die durch die Frau als Schauobjekt [spectacle] hereinkommen, zu neutralisieren.« (Mulvey 1980, 38)3 Tom Gunning greift seinerseits den Attraktions-Begriff Eisensteins auf, um eine bestimmte Form der Adressierung des Zuschauers im frühen Kino zu beschreiben. »Early Cinema«, erläutert Gunning, »particular in its very earliest period in which films most often consisted of a single shot (before 1904) related more to monstration than to narration. In my work, this contrast between formal devices of storytelling and display became less a matter of contrast between a single shot and the edited sequence than a broadly based adress to the spectator in early cinema, which I termed the cinema of attractions.« (Gunning 1998, 257) Nicht zuletzt durch Gunnings Brükkenschläge vom frühen Film zum Blockbusterkino ab den 1970er Jahren, zu »Spielbergs/Lucas/Coppolas Kino der Effekte« (Gunning 1996, 34) fand die Einschätzung zum frühen Kino große Beachtung, dass der »dramatischen Zur-Schau-Stellung« wie z.B. dem »direkten Auslösen von Schocks oder Überraschungen« der Vorrang gegeben werde vor »dem Narrativen«, vor »dem Ausbreiten einer Geschichte oder dem Erschaffen eines diegetischen Universums« (ebd., 30). So wesentlich und fruchtbar diese Unterscheidungen zwischen Attraktion (als spectacle wie als monstration) und Narration bzw. Diegese für die filmtheoretischen und -historischen Debatten gewesen sind, zeigt doch die Beschäftigung mit konkreten Beispielen immer wieder auch, wie strittig diese Grenzziehung im Einzelfall ist. Mulveys Beispiel vom ersten Auftritt Marilyn Monroes in River of No Return (USA 1954, Otto Preminger) ist nicht notwendigerweise als der Augenblick zu verstehen, in dem »die sexuelle Ausstrahlung der auftretenden Frau« den Film »in ein Niemandsland außerhalb seiner eigenen Zeit und seines Raumes« versetzt (Mulvey 1980, 37). Ebenso ist diese Szene wahrnehmbar als Ausstellung des 3
Vgl. den Beitrag von Christine Hanke in diesem Band.
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CinemaScope-Formats, als monstration der neuen Bedingung, bei der sich Robert Mitchum offensichtlich um Monroe als Zentrum an den äußersten Rändern der Kadrage entlang bewegt. Außerdem (wenn wir uns dabei auf Marilyn Monroe und ihren Song konzentrieren, was u.a. durch die eingefangenen Blicke der bezauberten Saloon-Gäste nahegelegt wird) verhandelt sie hier als Sängerin Kay mit »One Silver Dollar« auch ihr eigenes Schicksal als Statussymbol und Objekt des Begehrens, das – changing hands, changing hands – in dieser Geschichte mehrfach den ›Besitzer‹ wechseln wird. Doch wie auch immer wir diese Szene aufnehmen, ob nun als still stellende Attraktion, als Dispositiv-Kommentar bei laufender Handlung oder als Vorausblick in die Entwicklung des Plots: Das Besondere und Verzwickte bleibt, dass diese Szene unweigerlich die Narration voranbringt (wie weit auch immer), Charaktere und Orte ausschmückt, Ereignisse (wie z.B. einen Auftritt) vermittelt usw. Mulvey zeigt sich dessen bewusst, wenn sie schreibt, dass der Auftritt des Showgirls den Blick des Protagonisten und des Zuschauers vereinen könne, »ohne offensichtliche Brüche in der Diegese« (Mulvey 1980, 37) zu provozieren. Die vermeintlich klare Trennung zwischen Attraktion und Narration ist Verhandlungssache – auch und gerade im Musical, bei dem auch wichtige Wendungen im Plot, zentrale Bekenntnisse von Protagonisten und nicht zu vergessen die emotionale Stimmung
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Die zwei Enden des CinemaScope: Robert Mitchum und Marilyn Monroe in RIVER OF NO RETURN
ertanzt und ersungen werden. Was bliebe beispielsweise von der Erzählung in David Butlers großartigem Western-Musical Calamity Jane (USA 1953), der nur sieben Wochen nach The Robe seine Premiere feierte, wenn wir alle Gesangs- und Tanznummern außer Acht ließen? Schon die song-and-dance-Auftaktsequenz führt einen Großteil der Protagonisten, deren Beziehungen untereinander und vor allem die gespielte (Gender-)Ordnung sowohl des Städtchens Deadwood als auch dieses Films ein und vor. Der von Mulvey als unterbrochen beschriebene Fluss der Narration wird
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hier ganz im Gegenteil erst in Form gebracht, in Gang gesetzt und ausgerichtet. Ähnliches gilt für das Beispiel, auf das sich Donald Crafton in seiner (ursprünglich vor Gunnings Aufsatz »The Cinema of Attractions« entstandenen und später auf diesen bezogenen) Auseinandersetzung mit »Gag, Spectacle and Narrative in Slapstick Comedy« bezieht (vgl. Gunning 2006, 33). »[I]n a comedy,« so Crafton, »when the gag spectacle – the Pie – begins (the reel-long pie fight from Laurel and Hardy’s The Battle of the Century is exemlary), the diegesis – the Chase – halts.« (Crafton 2006, 357) Der Witz der schier endlosen Tortenschlacht von The Battle of the Century (USA 1927, Clyde Bruckman) liegt aber meines Erachtens gerade darin, welche Ausmaße sie annimmt, wie hier ›die Welt‹ in Form kleinster narrativer Einheiten – eine Frau auf dem Weg zum Auto, ein Mann beim Zahnarzt, ein anderer beim Schuhputzer (dem einzigen Afroamerikaner dieser Welt, der übrigens auch nicht weiter mitmischen darf ), ein weiterer beim Friseur, ein Kanalarbeiter, ein Briefträger, eine Dame der ›guten Gesellschaft‹ usw. – mit einbezogen wird. Mit anderen Worten: Es kommt darauf an, wie die narrative Gesamtheit »Tortenschlacht« sich ausweitet, weil verschiedene, sonst nicht miteinander verbundene Charaktere auf einmal durch die Torten eine bekloppte Beziehung eingehen. Letztlich könnte man das Torten-Fiasko in The Battle of the Century auch als eine sehr runde Erzählung auffassen, wie aus einer weggeworfenen Bananenschale eine Straßenschlacht wird, an deren Ende wieder jemand (diesmal auf einer Torte) auf der Straße ausrutscht. Dazu müsste auch gefragt werden, was für eine Gesellschaft – insbesondere im Hinblick auf race, class und gender – bei dieser Torten-Vereinigung eigentlich be- und entworfen wird.
What You See Is What You Get Right In Your Lap Tortenschlachten, Revue-Girls, Musical-Nummern, Schlägereien, Verfolgungsjagden, Explosionen, Grace Kellys Hilfesuche in 3D, der Auftritt computeranimierter Saurier, muskulöser Spartiaten oder gefräßiger Piranhas sind im Mainstream-Film bis heute in der Regel in einen narrativen Zusammenhang eingebettet und bleiben Teil dessen. Die Narration endet nicht, sondern nimmt je eine spezifische Wendung, die Mulvey und Crafton darum als Ende oder Gegensatz von Narration bezeichnen, um den Anteil an spektakulären Elementen und deren Form zu betonen. Diese rhetorische Strategie, die auf eine Problematik im Umgang mit dem Spielfilm reagiert, tendiert zur Behauptung einer Klarheit, die nur nachträglich, unter bestimmten Prämissen und als Vorschlag konstruiert
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werden kann. Genau diese heikle Situation scheint mir angesprochen, wenn Mulvey schreibt, der Mainstream-Film habe Spektakel und Erzählung »geschickt« (Mulvey 1980, 37) miteinander verbunden. Und in diese Richtung würde ich daher auch Bazins Bilanz, die ›Entwicklung des Films (sogar in Amerika)‹ habe ›eine Reduktion des Spektakels‹ zugunsten der ›Verinnerlichung der mise en scène‹ gezeigt, modifizieren (vgl. Bazin 2002): Die mit dem klassischen Hollywood-Kino etablierte Verquickung von Attraktion und Narration hängt heute mehr denn je mit der Integration des Spektakels in die mise en scène zusammen, die miteinander verwoben gerade in Filmen wie Avatar kaum noch getrennt werden können. 2006 ist Tom Gunning noch einmal auf die problematische oder besser: strategische Unterscheidung zwischen Attraktion und Narration eingegangen und hat mit Bezug auf Crafton gerade den Gag als »midpoint«, als Relais zwischen »attractions« und »narrative« bezeichnet – »the gag’s temporal structure of anticipation and eventual payoff also resembles a mini-narrative« (Gunning 2006, 37). Allgemeiner beschreibt er (ebd.) die Problematik mit folgenden Worten: »[R]ather than seeing attractions as simply a form of counter narrative, I have proposed them as a different configuration of spectatorial involvement, an address that can, in fact, interact in complex and varied ways with other forms of involvement.« Ich möchte diesen Punkt insofern aufnehmen, als ich die von Gunning eingeräumte Komplexität und Vielfältigkeit bis heute als die Regel im Mainstream-Film bezeichnen würde. Wie wir diese komplexen wechselseitigen Einflussnahmen nachträglich differenzieren und in unseren Analysen die vielleicht eher narrativen von den vielleicht eher spektakulären Elementen trennen, bedeutet nicht, zwischen Spektakel und Diegese zu unterscheiden, wie dies bei Mulvey, Crafton und Gunning anklingt. Es bedeutet meines Erachtens eher, jedenfalls in der von Etienne Souriau vorgeschlagenen Logik, weiter an der Diegese zu arbeiten. Der diegetische Raum, heißt es bei Souriau, wird »nur im Denken des Zuschauers rekonstruiert« (Souriau 1997, 144) – und in diesem Prozess ist es durchaus möglich, dass etwas, »was sich der Schöpfer des Films vorgestellt haben mag«, sich nicht in den »spektatoriellen Gegebenheiten niederschlägt« (ebd., 154). Die Aktivität des Publikums ist elementar für den Begriff der Diegese, weil sich »das Verständnis des Diegetischen« für Souriau (ebd., 152-153) erst auf der Ebene des Spektatoriellen (der Subjektivität der Rezipierenden) »ausgehend von den leinwandlichen Gegebenheiten […] in einem mentalen Akt realisiert«. Wie sollten in diesem Verständnis von Diegese die mannigfachen Attraktionen wie etwa eine Verfolgungsjagd, eine Tortenschlacht,
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scheinbar aus der Leinwand ragende Gegenstände, der Flug mit einem Drachen über die Weiten von Pandora, Grace Kellys plastische Panik usw. die Diegese zum Stillstand bringen können bzw. nicht Teil haben an der Errichtung eines diegetischen Universums? Letztlich gilt für unsere Realisierung der Diegese, die angewiesen ist auf die leinwandlichen Gegebenheiten, in denen Narration und Spektakel komplex und einander wechselseitig bedingend kombiniert sind, in etwa jener Slogan, mit dem 1984 die 3D-Sexkomödie Scoring! (aka M3-D!) beworben wurde: »What You See Is What You Get Right In Your Lap« (Hayes 1989, 305) Dies ist, so scheint mir, ganz besonders in der D3D-Welle seit Mitte der 2000er Jahre zu erfahren. Die Art der »leinwandlichen Gegebenheiten« in D3D ist ebenso ein einziger großer Spezialeffekt, ein einziges großes (oder dann manchmal eben doch nicht so großes) kontinuierliches Spektakel, wie auch das Kino selbst (ob nun im Normalformat der Stummfilm-Ära, in CinemaScope mit Stereoton oder den diversen 3D-Verfahren) ein Versprechen auf Spektakuläres, auf etwas, das anzuschauen und anzuhören wert ist. Christian Metz hat in seinem »Trucage«-Aufsatz Film als eine Art ›einzigen großen Trick‹ diskutiert (vgl. Metz 1977, 670). 3D ist eine Spielform dieses, wenn man so will, Spezialeffekts Film, der als eine Kunst des Kombinierens nicht zuletzt darin besteht, Vielfältiges (Elemente wie Ton und Bild, Techniken, Apparate und Praktiken) in Prozesse und Zusammenhänge zu bringen, wozu dann in diesem Fall eben auch Brillen gehören (vgl. Distelmeyer 2011b). Ein ähnliches Verständnis von Kino könnte, vermutet Wanda Strauven, aus dem früheren, 1986 in der Zeitschrift Wide Angel veröffentlichten Titel des berühmten Gunning-Aufsatzes sprechen, der anstelle der späteren Formulierung »cinema of attractions« noch vom »cinema of attraction« gehandelt hatte: Fordert uns die Rede vom »cinema of attraction« nicht direkter auf, fragt Strauven (2006, 17), das Kino an sich als Attraktion zu verstehen – »to consider the cinema itself, that is ›the Cinématograph, the Biograph ot the Vitascop‹ as an attration«? Cinema of attraction: Schon am Beginn von Avatar, bevor wir zu den Na’vi in den Dschungel Pandoras aufbrechen, gibt das D3DFormat im riesigen, schwerelosen Inneren des Militär-Spitals einen Eindruck dessen, was wir erwarten dürfen: Tiefe, Räumlichkeit und eine Loslösung von den auf der Erde (und im Kinosaal) herrschenden Naturgesetzen. Obwohl The Green Hornet mich in diesem Sinne so gut wie gar nicht mitgenommen hat, und auch wenn die extrem körperliche Erfahrung von Jackass 3D (USA 2010, Jeff Tremaine) besonders von der Kombination des 3D-Verfahrens mit dem schmerzhaft körperlichen Irrsinn lebte, der dort veranstaltet
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wurde: Als D3D-Filme erreichen sie uns, auch im Falle einer nachträglichen 3D-Konversion, 4 nur unter den Bedingungen einer D3DProjektion.
AVATAR – neue Räume jenseits von Pandora
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Ein gutes Beispiel hierfür liefert Tron: Legacy (USA 2011, Joseph Kosinski), dessen Vorführung in Deutschland mit dem kurzen Hinweis eingeleitet wurde, einige Szenen des kommenden Films seien zwar in ›2D‹ gehalten, dies aber Teil der Planung, weshalb man doch bitte die Brillen in jedem Falle von Anfang an und durchgängig aufbehalten solle. Vergesst das Dispositiv: Auch der Verzicht auf Effekte soll die Brille nach Filmbeginn nicht ins Spiel/Bewusstsein bringen. Werner Herzogs Cave of Forgotten Dreams (USA/F 2010) arrangiert sich ebenfalls in besonderer Weise mit seiner Technologie, indem dieser Film versucht, so etwas wie Ur-Szenen der (Steinzeit-)Kinematografie mit dem neuesten Verfahren des digitalen Films weniger zu dokumentieren als auf eigenwillige Weise für sich zu erfinden – oder besser: zu beschwören. Gerade weil die Höhlenbilder in Cave of Forgotten Dreams bisweilen hinter dem räumlichen Eindruck der 3D-Untertitel zurückbleiben, ist dieser Film ein faszinierendes Beispiel, wie D3D als Bedingung unterschiedliche Effekte erzeugen kann. Um ein Fazit zu versuchen: Wenn diese Filme die Aufmerksamkeit gegenüber der Erfahrung des Films mehr herausfordern als andere, die infolgedessen das Label ›2D‹ verordnet bekommen, liegt dies weniger in dem begründet, was man ihr ›Wesen‹ nennen könnte, also in ihrer computerbasierten Dimensionalität, als in ihrem Eingebettetsein im dominanten ›2D‹-Film-Modus. Wir sehen aus der Erfahrung klassischer Projektion in eine Zukunft, von der wir nicht 4
Vgl. den Beitrag von Katrin von Kap-herr in diesem Band.
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wissen, wie lange sie anhält, wohl aber, dass sie etablierte Sicherheiten und Verfügbarkeit unterminiert. Diese Technologie trennt das Kino (zum ersten Mal seit der Etablierung von Homevideo) für eine Weile wieder radikal von der heimischen Filmversorgung, weil uns D3D einstweilen nur in (bestimmten) Kinos geboten wird. Bis D3D eine gängige Bedingung des Heimkinos wird, zwingt es uns zu einer erneuten Achtung der flüchtigen Filmerfahrung im Kino. Der Neuigkeitswert, die historische Attraktivität dieser Technologie, provoziert darum einmal mehr Überlegungen zum Abhängigkeitsverhältnis zwischen der Ästhetik und den Dispositiven des Films in jene Richtung, die von Rick Altman mit seinem programmatischen Ansatz »Cinema as Event« eingeschlagen worden ist, indem er Souriaus Begriff des Filmophanischen (alles, was sich während der audiovisuellen Projektion des Films ereignet) aktualisiert und u.a. mit dem Kino als sozialem Raum verbunden hat (vgl. Altman 1992). In der Veränderung des Kinos und der damit einhergehenden Veränderungen des Schreibens darüber – dass ich eben (noch) nicht leichterhand nebenbei D3D-Filmszenen auf meinem Computer laufen lassen und analysieren kann – steckt wie schon bei früheren Umbrüchen in Sachen Ton, Farbe, Format und Heimtechnologien (Video, DVD etc.) die Chance zur Neuorientierung. Sie könnte als inspirierende Verunsicherung auch theoretisch noch einmal aufs Ganze gehen.
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Literatur
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Heike Klippel, Florian Krautkrämer Wenn die Leinwand zurück schießt. Zur Geschichte des 3D-Kinos Stereoskopie und Kinematographie Das 3D-Kino hat eine Vorgeschichte in den stereoskopischen Fotografien des 19. Jahrhunderts, die sowohl privat wie auch öffentlich präsentiert wurden. Es handelte sich dabei um paarweise angeordnete Fotografien des gleichen Objekts, die aus zwei Perspektiven, die in etwa dem Augenabstand entsprachen, aufgenommen waren und durch ein mit Linsen ausgestattetes Sichtungsgerät angeschaut wurden. Stereoskopische Bildbetrachtungs-Apparate kamen um die Mitte des 19. Jahrhunderts in Mode. Sie waren sowohl für den Hausgebrauch konzipiert, wie auch als stationäre Guckkasten-Präsentationen eingerichtet, die bis zu 200 Stereo-Bilder zeigten. Nachdem das Interesse an den Geräten nachgelassen hatte, wurde die Stereoskopie gegen Ende des Jahrhunderts durch die sogenannten Kaiserpanoramen wiederbelebt, die besonders gut ausgeleuchtete
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Abb. 1: Kaiser-Panorama 1880
stereoskopische Dia-Serien zeigten. Die Bezeichnung Panorama ist irreführend, denn es handelt sich nicht um Panoramen im eigent-
Heike Klippel, Florian Krautkrämer
lichen Sinne, sondern wiederum um eine Guckkasten-Anordnung. Die Bildserien bestanden in der Regel aus 50 Bildern und wechselten wöchentlich. Das Kaiserpanorama stand in Konkurrenz zum Kinematographen und konnte sich aufgrund der Brillanz der Bildqualität (farbig und 3D), sowie aufgrund seines besseren gesellschaftlichen Ansehens eine Weile – bis in die 1920er Jahre – neben dem Kinematographen behaupten. So war es dem Betreiber der Kaiserpanoramen beispielsweise wichtig, dass der Zuschauerraum niemals verdunkelt wurde, um sich damit vom Schmuddel-Ambiente des Kinos abzuheben. Ulrike Hick weist in ihrer Untersuchung zur Geschichte der optischen Medien 1999 darauf hin, dass die stereoskopischen Bilder in ihrer besonderen Visualität nicht zur Fotographie, sondern zur Kinematographie zu rechnen sind. Sowohl die Stereoskopie als auch die Kinematographie schließen die Wahrnehmung der Umgebung aus; sie privilegieren eine Art Tunnelblick, der sich auf das mediale Bild konzentriert und dieses isoliert wahrnimmt. In beiden Fällen entsteht aus einer Kombination von fotographischen Aufnahmen das Bild – dieses Bild wird durch die Aktivität des Wahrnehmungsapparats der Betrachter erzeugt und ist nicht auf dem Materialträger selbst fixiert. Während die Fotographie eine – wenn auch imaginäre – direkte Verbindung zwischen dem Bild und dem Zuschauer schafft, so ist diese Beziehung im stereoskopischen Bild und im Kinobild gebrochen. Beide Bilder haben halluzinatorische Qualitäten und sind in gewissem Sinne ungreifbar, da sie nur im Moment des Betrachtens existieren (vgl. Hick 1999, 275ff ). Hugo Münsterberg verhandelt in seiner Schrift The Photoplay von 1916 dem entsprechend Kinematographie und auch Stereoskopie gemeinsam unter dem Blickwinkel der Wahrnehmungsillusion.
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Abb. 2: Stereoskop 1915
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Die Stereoskopie beschreibt er wie folgt: »Es ist, als blickten wir auf ein kleines plastisches Modell der Landschaft, und ungeachtet unseres objektiven Wissens können wir die flachen Bilder in den räumlichen Formen, die wir wahrnehmen, nicht wiedererkennen« (Münsterberg 1996, 42). Dies beweist für ihn, dass auch im Kino das Bewusstsein der Zweidimensionalität der Leinwand nicht dem Raumeindruck im Wege steht: »Das Stereoskop illustriert also klar, dass das Wissen um den flächigen Charakter von Bildern keineswegs die tatsächliche Wahrnehmung von Tiefe ausschließt, und es stellt sich die Frage, ob die bewegten Bilder des Lichtspiels, trotz unseres Wissens um die Flächigkeit der Leinwand, uns im Grunde nicht den Eindruck tatsächlicher Tiefe geben« (ebd.). Die Tiefenwahrnehmung entsteht durch die Bewegung: Größenunterschiede, perspektivische Relationen und Schatten, die die Anhaltspunkte für die Raumtiefe geben, werden besonders betont, wenn sich die Objekte im Bild bewegen; verstärkt wird der Eindruck durch die Bildgestaltung, wenn beispielsweise der weite Raum einer Landschaft den Hintergrund der Handlung bildet, oder wenn »der Vordergrund in Ruhe verharrt und der Hintergrund sich bewegt« (Münsterberg 1996, 44). Während der Film aufgrund der Bewegtheit des Abgebildeten einen stärkeren Raumeindruck erzeugt als die Fotographie, so bannt er doch diese Räumlichkeit in die Fläche der Leinwand. Dem stereoskopischen Bild dagegen kann kein fester Ort zugewiesen werden, es schwebt sozusagen in bzw. vor der Apparatur. Damit gewinnt es für Hick nicht an Realismus, sondern es ist vielmehr als hyper-realistisch charakterisiert. Darin vermutet Hick – neben der problematischen Ungreifbarkeit des stereoskopischen Bildes – einen der Gründe dafür, weshalb die 3D-Optik sich nie längerfristig hat durchsetzen können: »Dass die diversen Versuche zur Verbindung von Stereoskopie und Projektion ebenso wenig von einem dauerhaften Erfolg gekrönt worden sind wie die späteren Anläufe zum 3-D-Film, mag insbesondere in deren spezifischem, als übersteigert und unnatürlich empfundenen Raumeindruck begründet liegen. Überdies ist in der Entwicklung des Kinos vor dem Hintergrund eines ausgeprägten Potentials, über Raum und Zeit verfügen zu können, offensichtlich anderes in den Vordergrund gerückt als die Präsentation eines Hyperrealismus des Raumes« (Hick 1999, 291). Das Kino – und zwar das 2D-Kino – wird damit als medialer Nachfolger der Stereoskopie begriffen, und so sieht es auch Münsterberg.
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Auch wenn die Idee des stereoskopischen Kinos vom Beginn der Kinematographie an vorhanden war, wird sie von ihm nur kurz aufgegriffen, um sogleich wieder verabschiedet zu werden. Er beschreibt das Modell eines stereoskopischen Kinos mit zwei Filmstreifen, die in einer Doppelprojektion durch eine rot-grüne Brille angeschaut werden. Auf diese Weise, so schreibt er, kann ein eindringliches Gefühl von räumlicher Tiefe erzeugt werden, dem sich niemand entziehen kann. Dennoch sieht er die Notwendigkeit für ein 3D-Kino nicht gegeben: »Obwohl uns nun aber die gewöhnlichen Filmbilder diesen vollkommenen plastischen Eindruck sicher nicht bieten«, so sei doch nicht zu leugnen, »dass uns dennoch ein gewisser Tiefeneindruck erreicht« (Münsterberg 1996, 43): »Die Flächigkeit ist zwar ein objektiver Teil des physikalischtechnischen Arrangements, aber kein Merkmal dessen, was wir in der Vorführung des Lichtspiels eigentlich sehen. Wir sind in einer dreidimensionalen Welt, und die Bewegungen von Personen oder von Tieren, ja selbst die von leblosen Dingen, wie das Strömen des Wassers im Bach oder wie die Bewegungen der Blätter im Wind, unterstützen unseren unmittelbaren Eindruck von Tiefe nachdrücklich« (ebd, 44).
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Münsterberg behauptet, dass der räumliche Eindruck des filmischen Geschehens dem Blick auf eine Theaterbühne mit einer davor gesetzten Glasplatte gleicht, auf die das ganze Geschehen auf der Bühne sozusagen von hinten seine Lichtstrahlen wirft. Für das menschliche Auge sei es bedeutungslos, ob das so erzeugte Bild von einem tatsächlich stattfindenden Geschehen komme oder ob es auf der Platte selbst abgebildet werde. So wenig auch dieses Argument auf Anhieb einleuchten mag; es macht deutlich, dass es Münsterberg darum geht, die Projektion umzukehren und zu behaupten, sie erzeuge das Gleiche wie der tatsächliche Blick in den Raum. Ein zweiter Aspekt ist die Trennung zwischen Zuschauer und Filmbild, für das es offensichtlich wichtig ist, dass es hinter der Projektionsfläche bleibt und nicht aus dieser heraustritt.
3D in der Filmgeschichte Münsterbergs Skepsis steht eine durchgehende Kontinuität von 3D-Experimenten in der Geschichte des Kinos gegenüber. Es gab verschiedene technische Systeme, die immer wieder ausprobiert wurden: Entweder wurden zwei Kameras benutzt, oder eine Kamera mit zwei Linsen, es wurden Spiegel und Prismen vor die Linse montiert, oder eine Kamera nahm abwechselnd Bilder mit zwei verschiedenen Mittelachsen auf. Die Versuche begannen um 1900. In
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der Regel mussten die Zuschauer durch einen speziellen Sichtungsapparat schauen, der in den 1920er Jahren durch rot-grüne Brillen ersetzt wurde. Jedes neue technische System, das in besonderen Vorführungen präsentiert wurde, erntete begeisterte Kritiken und Beifall für die intensive räumliche Wirkung. Bei diesen Shows wurden 3D-Filme mit Dias von perspektivischen Zeichnungen, Fotographien, bewegten Reiseaufnahmen und Theatereffekten kombiniert. So zeigte das kurzlebige Teleview-System 1922 beispielsweise »einen Krug mit der Aufschrift ›Doppelkorn‹, der aus der Leinwand ins Publikum ragte. Dann kam ein Drache über dem Orchestergraben heraus. Darauf folgten 3D-Bilder von den kanadischen Rocky Mountains und ein paar Filme über die Hopi- und Navajo-Indianer« (Limbacher 1968, 141).1 In den 1930er Jahren kamen die im Farbfilter-Verfahren produzierten Audioscopiks in Mode. Es handelte sich hier um Kurzfilme mit Szenen, die vor allem Bewegungen aus der Leinwand heraus auf das Publikum zu enthielten: »Ein Baseball-Werfer holt aus und wirft einen Ball ins Publikum, ein Zauberer stochert mit einer weißen Maus auf seinem Zauberstab ins Publikum, man genoss es, dass man von einem Feuerschlucker eine Fackel ins Gesicht geworfen bekam, aber auch ein Glas Selterswasser, eine Frau auf einer Schaukel, eine Hexe mit einer Spinne auf ihrem Besen und ein Skelett« (Limbacher 1968, 148).2 Die Aufnahme von 3D-Kurzfilmen ins Kinoprogramm blieb eine beliebte Praxis bis in die 1950er Jahre; andere Themen waren Sportfilme, Aufnahmen von königlichen Familien, oder Tierfilme, zum Beispiel Seehunde im Zoo, die Wasser in die Besucher spritzten.3 Während der 1930er und -40er Jahre wurden auch in Frankreich, Italien, Deutschland und der UdSSR 3D-Experimente durchgeführt; manche benutzten eine mit kleinen Glaskörperchen bestückte Lein-
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»The drawings included a jug marked ›Rye‹ which extended from the screen out into the audience. Then a dragon came out over the orchestra pit. This was followed by stereo shots of the Canadian Rockies and some movies of the Hopi and Navajo Indians« (Limbacher 1968, 141).
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»A pitcher winds up and throws a ball into audience, a magician [pokes a white mouse on his wand] […] into the audience. […] they [the audience] enjoyed having a torch thrown into their face by a fire eater, as well as seltzer water, a woman on a swing, a witch with a spider on her broomstick, and a skeleton« (Limbacher 1968, 148).
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Hier zur Illustration ein paar Titel aus den 1920er und -30er Jahren: LUN ACY, O UCH, A RUNAWAY TAXI, ZOWIE!, G RAND C ANYON, M.A.R.S., C AMPUS SWEETHEARTS, NIAGARA WATERFALLS, N OZZE VAGANONDE (I), ZUM GREIFEN NAH (D), SECHS MÄDELS ROLLEN INS WOCHENENDE (D), ROBINSON CRUSOE (UdSSR), L ALIM (UdSSR), A LEKO (UdSSR), QUEEN JULIANA (NL), THE L IFE OF JESUS (vgl. Limbacher 1968).
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wand.4 Die Gesamtheit der Berichte über 3D-Versuche schwankte zwischen Begeisterung einer- und Kritik an der technischen Unvollkommenheit der Systeme andererseits. Die entscheidende Änderung trat erst 1952 ein. Das Kinopublikum, das in den USA im Jahr zuvor noch 80 Millionen zählte, ging zurück auf 46 Millionen. Für Hollywood bedeutete dies u.a., dass das Kino sich gegenüber dem Fernsehen profilieren musste, und zwar durch besonders spektakuläre Effekte. Cinerama (ein extremes Breitwand-Verfahren) wurde eingeführt, und Arch Oboler produzierte den ersten abendfüllenden 3D-Film, Bwana Devil (USA 1952, Arch Oboler). Dieser Film wird allgemein als uninteressant bewertet, die 3D-Wirkung war nicht besonders beeindruckend, und die technische Qualität ließ zu wünschen übrig. Wie in vielen späteren Beispielen trat hier an die Stelle der bekannten ›production values‹ die 3D-Technik. Gleichwohl erhielt der Film auch enthusiastische Rezensionen und brach alle Rekorde an den Kinokassen. Auch in diesem Fall waren die Meinungen geteilt: »Bwana Devil ist der auffälligste und wichtigste Film der Gegenwart; nicht wegen der Geschichte oder des Schauspiels, sondern wegen seiner Bedeutung als Innovation auf dem Gebiet der Technik. […] Die Neuheit bringt Profit an den Kinokassen und das Versprechen auf ein wiederbelebtes Interesse am Kinobesuch. […] Besonders bei den brillanten Aufnahmen der Berge und in den Szenen, in denen man die arbeitenden Eingeborenen sieht, applaudierte das Publikum dem 3D-Effekt, der durch die neue photographische Technik erzielt wurde« (Limbacher 1968, 158).5
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Es gab in den ersten fünf Jahrzehnten des 20. Jh. unzählige Systeme; um nur einige zu nennen: Plasticon, Fairall, Teleview, Grandeur, Magnascope, Spectra, Parkes Spoor, Audiosco-piks, Lumière 3-D (F), Zeiss 3D (D), Stereokino (UdSSR), Veri-Vision (NL), Bioptican (UK), Stereo-Cine, WarnerVision, Nord, Natural Vision, Moroptican, Pola-Lite, Norling, Vectograph, Naturama, Dunning, Christiani (I), To-Vision (J), Shockitu Vision (J), Bolex Triorama, Stereocolor, Tru-Stereo, Depth-O-Vision, Floyd-Ramsdell, Böhner (D), Betti (I), Cyclostereoscope (F), Morros, Tri-Dim, AMP-O-Vision, Garutso Realife, Cinetrox, Stereovi-sion (vgl. Limbacher 1968).
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»BWANA D EVIL is the most conspicuous and outstanding movie of the moment, not because of story or performance, but because of its importance as an innovation in technical production, […] a novelty all of which adds up to cash at the box office, and a promise of renewed interest in movie going […]. The audiences applauded the stereoscopic effect, obtained by the new photographic technique, especially in the brilliant shots of mountains and groups of natives working in the scenes« (Film Daily 2.12.1952, zit. nach Limbacher 1968, 158).
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»Der Film hat nur wenige einwandfrei belichtete Einstellungen; die Farbgebung ist allgemein grauenhaft […] und erinnert an die jämmerlichsten Filme überhaupt. Die Schärfe war öfter zu vermissen, als dass sie vorhanden war. […] Insgesamt waren lediglich die Totalen scharf. […] Um es zusammenzufassen, sehr wenige Einstellungen waren gut, viele waren furchtbar, und das Ganze fühlte sich an, als ob man den Film durch eine nasse Glasscheibe anschaute. […] Wenn die Technik zur Zeit der Aufnahmen noch nicht ausgereift war, hätte man sie dem Publikum nicht so unverschämt anpreisen sollen« (Limbacher 1968, 159).6 Bwana Devil war mit dem Natural Vision-System produziert, bei dem zwei Filmstreifen projiziert wurden und man den Film durch eine zweifarbige Brille anschaute. Das Verfahren hatte schwerwiegende Nachteile: Für die Aufnahme wurden zwei normal große Kameras benötigt, was den Produktionsablauf sehr schwerfällig machte. Die beiden Projektoren im Kino synchron zu halten war äußerst schwierig. Die Brille verdunkelte zudem so sehr, dass ein spezielles Licht benötigt wurde, damit das Publikum überhaupt etwas sah. Man war sich darüber einig, dass das ältere, einstreifige Audioscopik-Verfahren viel effektiver war. Trotz allem war der Film eine Art Wiedererweckung des Hollywood-Kinos, und in der Folge beeilten sich alle, mit 3D-Produktionen auf den Markt zu kommen. Die Publikumsakzeptanz glich weitgehend derjenigen, wie sie auch für das heutige Publikum ermittelt wird: Da das Publikum sich für den Stereo-Effekt interessiert, nimmt es bereitwillig das Aufsetzen der Brillen in Kauf. Es gab zwar Klagen über Augenstress und Kopfschmerzen,7 aber mehr als die Hälfte der Zuschauer hatte offenbar keine Probleme. Auf die Frage, ob die Brille sie von zukünftigen Besuchen im 3D-Kino abhalten würde, antworteten die meisten entschieden mit »nein« (vgl. Limbacher 1968, 160). 6
»The film has very few perfectly exposed shots, and in the main, the color balance is horrible […] and is remiscent of the poorest of films. […] Focus was off, more often than not. […] Overall sharpness was not present in anything but the longest of long shots. […] To sum up, very few shots were good, many were terrible, and the whole thing felt […] as if we were seeing the film through a wet glass sheet. […] If the process was not perfected at the time of shooting, then it should not have been foisted on the public in such a brazen way« (Home Movies 1/1953, zit. nach Limbacher 1968, 159).
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Über Kopfschmerzen klagen auch heute nicht wenige Zuschauer nach einem 3D-Film – ein Argument, das vor allem im Bezug auf 3D-Fernsehen wichtig wird, da der TV-Konsum »normalerweise« deutlich höher ist (vgl. Ganapati 2010).
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Zu Beginn des Jahres 1953 hatten alle großen Studios mindestens eine 3D-Produktion angekündigt, und die Brillen waren standardisiert. Mit House of Wax (USA 1953, André de Toth) kam dann ein Film heraus, der durchweg positiv bewertet wurde und erneut sämtliche Besucherrekorde brach. Als die furchterregendste Szene gilt die, in der der Rauch des brennenden Wachsfiguren-Kabinetts in den Zuschauerraum zu dringen scheint, und als intensivste Szene mit räumlicher Wirkung diejenige, in der ein Jahrmarktschreier einen Ball ins Publikum wirft. Damit war das Muster für 3D etabliert, das auch heute noch benutzt wird, nämlich die Bewegung von Objekten in Richtung der Zuschauer extrem zu betonen. Auf House of Wax folgte The Charge at Feather River (USA 1953, Gordon Douglas), bei dem Felsbrocken, Säbel, Tomahawks, Speere und eine Giftschlange auf das Publikum geworfen und den Zuschauern sogar ins Gesicht gespuckt wurde. Man in the Dark (USA 1953, Lew Landers), ebenfalls ein Kassenschlager, gab einen Schuss auf die Zuschauer ab, warf ihnen einen Blumentopf in den Schoß, stieß ihnen chirurgische Instrumente ins Gesicht, ließ eine durchgedrehte Fledermaus in den Zuschauerraum fliegen und gipfelte in der unvermeidlichen Achterbahn-Fahrt. Nach der Vorführung von The Nebraskan (USA 1953, Fred F. Sears), in welchem dem Publikum kochendes Öl und Pfeile entgegen kamen, verpasste ein verärgerter Zuschauer dem Kino-Manager einen Kinnhaken (vgl. Limbacher 1968, 163). Außer diesen Spektakeln wurden auch ernstzunehmende Filme mit Stars und bekannten Regisseuren produziert, so zum Beispiel das Musical Kiss me Kate (USA 1953, George Sidney) oder Miss Sadie Thompson (USA 1953, Curtis Bernhardt). Diese Filme waren allerdings auch in den 2D-Versionen erfolgreich; 3D eignete sich besonders für Horror- und Science Fiction-Filme, für Komödien und Melodramen erschien es weniger geeignet. Man kehrte recht schnell wieder zum zweidimensionalen Film zurück, und am Ende des Jahres 1953 war 3D verschwunden. Auch Dial M for Murder (USA 1954, Alfred Hitchcock), Hitchcocks 3D-Experiment, das 1954 im Zwei-Streifen-Verfahren WarnerVision gedreht wurde, war vor allem als 2D-Projektion erfolgreich. Der Film hat eine auf 3D abgestimmte, äußerst spannende Rauminszenierung: Obwohl die Handlung sich vorwiegend in geschlossenen Räumen abspielt, sind die Tiefendimensionen expressiv akzentuiert, und diese Ästhetik beeindruckt auch in 2D. Aus einer Vielzahl von Gründen kam man wieder von 3D ab: Obwohl Dial M for Murder bewiesen hatte, dass 3D auch für einen von Innenaufnahmen dominierten Thriller effektiv eingesetzt werden kann, so galt das Genre-Spektrum von 3D dennoch als zu
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Abb. 3 und 4: D IAL M FOR MURDER
eng. Zu häufig wurde die Technik für eine kurzfristige Effekthascherei benutzt, derer das Publikum schnell müde wurde, und auf lange Sicht bewährten sich die Breitwand-Formate zur Profilierung des Kinos gegenüber dem Fernsehen. Laut Bordwell, Staiger und Thompsons Standardwerk The Classical Hollywood Cinema (Bordwell / Staiger / Thompson 1985) sind für die Einführung neuer Technologien folgende Aspekte von Bedeutung: Produktdifferenzierung, Rentabilität und die Erhaltung des Qualitätsstandards. Jede technische Neuerung sei mit einer anfänglichen geringeren Profitabilität, höheren Kosten und einer Qualitätseinschränkung verbunden. Im Fall des 3D-Kinos konnte keine rentable Produktqualität erreicht werden, weshalb es, anders als beispielsweise der Tonfilm, wieder aufgegeben wurde. Mit den Breitwand-Verfahren konnte der Reiz des Neuen auf effizientere Weise realisiert werden. Das BreitwandKino wurde sogar absichtlich missverständlich als eine Art »neues 3D« beworben: »Fox tat wenig, um den Glauben zu zerstreuen, dass CinemaScope eine Kombination von Cinerama und 3D war: Die Anzeigen übertrieben die Rundung der Leinwand und riefen aus ›Sie sehen es ohne Brille!‹« (Bordwell / Staiger / Thompson 1985, 360).8 In den 1970er Jahren wurde 3D immer mal wieder für Horrorfilme und das neue Genre des Sex-Films eingesetzt; um dieses interessant zu machen, griff man auch auf die alten Systeme aus den 1950er Jahren zurück. So wurde z.B. 1969 The Stewardesses (USA 1969, Al Silliman) in 3D produziert, in dem ab und an eine nackte Frau zu sehen war; 1976 gab es ein Remake des 3D-BlaxploitationFilms Black Lolita (USA 1975, Stephen Gibson) unter dem neuen Titel Wildcat Women; andere Titel waren Lollipop Girls in Hot Candy (USA 1976, Stephen Gibson) oder Blonde Emmanuelle (USA 1978, Stephen Gibson).
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»Fox did little to dispell the belief that CinemaScope was a combination of Cinerama and 3-D: its advertisements exaggerated the curvature of the screen and porclaimed, ›You see it without glasses!‹« (Bordwell / Staiger / Thompson 1985, 360).
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Zu einem 3D-Revival kam es in den frühen 1980er Jahren, als das Verfahren dafür eingesetzt wurde, bereits verbrauchte Serien des Horror- und Science Fiction-Genres wieder attraktiv zu machen, zum Beispiel für Friday the 13th, Part 3 (USA 1982, Steve Miner) oder Jaws 3-D (USA 1983, Joe Alves), Amityville 3-D (USA 1983, Richard Fleischer); auch neue Horrorfilme wurden in 3D produziert, zum Beispiel Rottweiler – Dogs of Hell, (USA 1982, Worth Keeter). Seit den 1980er Jahren findet 3D einen zunehmenden Einsatz in Vergnügungs- oder Themenparks, wo es meist mit speziellen Großbild-Projektionen (z.B. IMAX) kombiniert wird. Trotz aller Rückschläge und der langjährigen Ausgrenzung vom Mainstream-Kino halten diejenigen, die mit der 3D-Technik experimentiert und gearbeitet haben, an ihrer Überzeugung von 3D als Zukunft des Kinos fest und entwerfen Visionen für eine Erweiterung des Raumeindrucks. 3D sollte nicht nur ohne Brillen auskommen, sondern auch den Bildrand eliminieren und tatsächlich im Raum entstehen. Fred Schwartz zum Beispiel stellt sich eine Leinwand vor, die eine Art Aquarium ist, gefüllt mit aktiven Glaselementen, ähnlich der Neon-Leuchte. John Norling plädiert für eine Abschattung der Begrenzungen des Bildes und eine stärkere Illumination, um eindrucksvollere Effekte zu erzielen. Arch Oboler (Bwana Devil) möchte die Leinwand überhaupt überwinden und die Bilder elektronisch im Raum projizieren (vgl. Zone 2005, 5). Welche technische Variante auch immer gewählt wird: Das Ziel ist letztlich, die Zweidimensionalität zu eliminieren und rahmungsfreie, im Raum schwebende Bilder zu erzeugen. Ein technisch überzeugendes 3D wird von der HollywoodIndustrie nach wie vor als Steigerung des Realitätseindrucks des Kinoerlebnisses, als ein ›natürliches Sehen‹ eingeschätzt. Um 3D durchzusetzen, wird es als notwendig angesehen, die filmische Schmuddel-Ecke zu vermeiden, 3D aus den engen Genre-Grenzen herauszuholen und eine eigene Ästhetik zu entwickeln. Hierzu schreibt James Limbacher: »Die dramatischen Möglichkeiten von 3D harren noch einer genuinen Erkundung durch die Filmschaffenden, die darauf beschränkt wurden, Gegenstände in das Publikum zu werfen, wodurch sie die Zuschauer mehr verärgerten als involvierten. Wenn die Tiefenwirkung dafür benutzt werden kann, die Zuschauer wirklich einzubinden, anstatt zu überfallen, wird sie eine willkommene Ergänzung der Filmkunst sein.«9 (Limbacher 1968, 190)
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»The dramatic possibilities of 3-D have yet to be genuinely explored by film artists, who have been limited to throwing things out into the audience, making them more irritated than involved. When depth can be
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Exkurs: 3D und der Kinoraum In den Kommentaren zur aktuellen Phase des 3D-Kinos wird daher nicht allein die plastische und realistische Wirkung des Bildes betont – oft steht der immersive Effekt, das Eindringen des Filmbildes in den Kinosaal selbst im Vordergrund (vgl. Méranger 2009, 28). So beschreibt Gundolf Freyermuth in einem Aufsatz zum digitalen 3D-Film den Effekt folgendermaßen: »Die Bilder kommen dem Betrachter näher denn je, schießen auf ihn, umschließen ihn« (Freyermuth 2010, 15). Dabei droht der Kinoraum noch stärker zu verschwinden als bei der herkömmlichen Filmtechnik. Beim Sourround-Sound beispielsweise gibt es eine reale Ausdehnung in den Raum, da die Lautsprecher auch seitlich und hinter dem Publikum angebracht werden. Die Gegenstände und Personen tauchen in der 3D-Projektion hingegen direkt vor dem/der Zuschauer/in auf, als ob die vorderen BesucherInnen nicht anwesend wären. Die Brille ist zudem auch eine Art Abschirmung, die vor störenden Einflüssen schützt, da das Sichtfeld jenseits der Leinwand durch die zusätzliche Verdunkelung der Gläser stark eingeschränkt wird und das veränderte Aussehen zusätzlich Kommunikation im Kinoraum verhindert. Ironischerweise kann der 3D-Film innerhalb der Kinogeschichte als weiterer Versuch zur Beseitigung des Kinoraums betrachtet werden, nachdem Filmerzähler, Filmorchester und die Durchsetzung des Programms mit theatralen Anteilen abgeschafft wurden. Dabei blieb in verschiedenen Zusammenhängen die Betonung und Einbeziehung des sichtbaren Publikums und Kinoraums trotz der Erfahrungen mit 3D ein Anliegen, dem sich einige Regisseure stellten. In den 1950er Jahren gab es parallel sowie anschließend an die erste große 3D-Welle mehrere Versuche, das Filmbild nicht nur als Illusion, sondern in realiter in den Kinoraum auszudehnen. So war es dem amerikanischen B-Film-Regisseur William Castle ein besonderes Anliegen, zu seinen Horrorfilmen zahlreiche Gimmicks zu entwickeln, die an zentralen Momenten der Filme synchron zum Bild im Kinoraum zusätzlich für Grusel sorgen sollten. Castle selbst hatte 1953 einen Western in 3D gedreht,10 aber erst Ende der 1950er Jahre entdeckt, dass das Spektakel im Zuschauerraum ebenso entscheidend für den kommerziellen Erfolg sein kann wie das auf der Leinwand. 1960 dreht er mit 13 Ghosts (USA 1960) einen Gruselfilm im von ihm benannten Illusion-O-Verfahren, das used to involve rather than to assault the viewer, it will be a most welcome addition to the art of film.« (Limbacher 1968, 190) 10
FORT TI (USA 1953, William Castle) – der erste Film, der 1982 in 3D im TV ausgestrahlt wurde.
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ebenfalls mit einer Brille funktionierte, die aber nicht die ganze Zeit aufgesetzt werden musste und so zudem einen interaktiven Aspekt hatte. Der Film war in schwarz-weiß gedreht; tauchte aber einer der Geister auf, wurde das Bild blau eingefärbt. Die Zuschauer bekamen am Eingang eine Brille mit einem roten und einem blauen Streifen zum Durchschauen. Ängstliche Personen sollten dann durch den blauen Teil der Brille sehen, wodurch die Geister weniger gut sichtbar wurden, im roten Teil traten sie hingegen gut zutage.
Abb. 5: 13 GHOSTS (roter und blauer Streifen)
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Castle hatte 1958 damit begonnen, zu jedem seiner Filme einen Gimmick herauszubringen, was ihm vor allem in den Kinderveranstaltungen eine große Fangemeinde bescherte. Die Gimmicks wurden dabei ebenso sehr zu seinem Markenzeichen wie auch die Angst vor der Angst, die er in seinen Filmen häufig thematisierte und die auch Bestandteil des Illusion-O-Verfahrens ist. Bei anderen Filmen stellte er Versicherungspolicen aus, falls man aus Angst während des Films stürbe (Macabre, USA 1958), oder es gab eine Kabine im Kinosaal, in die man flüchten konnte, sollte der Film zu gruselig werden (Homicidal, USA 1961). Bei einigen Filmen setzte Castle seine Tricks so ein, dass sie im Kinoraum parallel zum Geschehen im Film in Erscheinung traten. In House on Haunted Hill (USA 1958, präsentiert in »Emergo«) befindet sich eine der Protagonistinnen am Schluss im Keller des verwunschenen Schlosses, als ein Skelett einem dort vorhandenen Säurebad entsteigt und die Frau in selbiges stößt. Während der Filmvorführung im Kino sprang eine neben der Leinwand befindliche Kiste auf, und ein Skelett – das Emergo-Element, mit dem auch auf dem Plakat geworben wurde – wurde an Seilen durch den Kinosaal gezogen. Auf der Leinwand sah man währenddessen einen Schwenk durch das Kellergewölbe, bis aus einem Versteck plötzlich Vincent Price auftaucht, der eine Apparatur mit Kurbeln und Seilwinden vor sich her trägt. Mit dieser steuerte er das Skelett im Keller wie eine Marionette, und während er mit einem Monolog die Geschichte auflöst und das Skelett mittels Kurbeln wieder zurück zieht, wurde
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parallel dazu auch das Skelett im Kino wieder zurück in die Kiste gezogen, sodass sich die Aufmerksamkeit vom Raum wieder hin zur Leinwand richtete, damit man das Ende nicht verpasste.11
Abb. 6 UND 7: HOUSE ON HAUNTED HILL
Ein Jahr später drehte Castle The Tingler (USA 1959) im PerceptoVerfahren, dessen Höhepunkt ebenfalls in einer synchronen Interaktion zwischen Leinwand und Kinosaal bestand. Der Tingler ist ein hummerartiges Wesen, das am Rückgrat von Menschen wächst und sich von ihrer Angst zu ernähren scheint. Einmal operativ entfernt, kann es sich jedoch befreien, um sich einen anderen Wirt zu suchen. Unglücklicherweise entkommt es in ein Kino,12 in dem es sogleich den Film stoppt, um den Vorführer anzufallen. Anschließend kriecht es als riesiger Schatten über die Leinwand. Im Film ist das so umgesetzt, dass der Film im Film reißt, und aus dem Off das unruhige Gemurmel des Kinopublikums dringt. Dann sieht man den Schatten des Tinglers im weißen Projektorenlicht, und aus dem Off warnt Vincent Price das Kinopublikum, dass der Tingler ausgebrochen sei, es bestünde kein Grund zur Panik, aber man solle um sein Leben schreien, da sich nur dadurch der Tingler paralysieren lasse. Die Leinwand wird schwarz und man hört eine aufgebrachte Menschenmenge laut schreien – was sich mit den realen Schreien
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Den Berichten zufolge wurde das Emergo-Gimmick aber meistens vom begeisterten Publikum geschnappt und verschwand zwischen den Sitzen (vgl. Zion 2000, 107).
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Neue technische Entwicklungen werden innerhalb der Diegese auch im Kino ausprobiert. Im vierten Teil der FINAL D ESTINATION-Reihe (USA 2009, David R. Ellis), einem 3D-Film, gehen die Protagonisten ebenfalls in einen 3D-Film. Während einer Explosion im Film im Film, explodiert auch die Leinwand, vor der sie sitzen – more startling than 3D!
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des Publikums mischen sollte, denn just in diesem Moment beginnt »Percepto« , ein kleiner Elektromotor, der, unter jedem Sitz angebracht, diesen zum Vibrieren brachte, ganz so, als würde der Tingler aus der Vorführkabine nun unter den Sitzen des Kinos entlang kriechen. Nachdem das Publikum lange und laut genug geschrien hatte, konnte der gelähmte Tingler überwältigt werden, der Spuk hatte ein Ende, und es dominierte wieder die Narration auf der Leinwand.
Abb. 8 und 9: THE TINGLER
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In beiden Fällen sind die Gimmicks nicht bloß ein Zusatz im Kinoraum oder im Vorfeld, sondern in der Synchronisation mit dem Geschehen auf der Leinwand eine Ausdehnung, die den Kinosaal und seine Ausstattung mit einbezieht, und den Film somit um mehr als nur eine Dimension erweitert. Anfang der 1950er Jahre entstand das Bedürfnis nach einer Überschreitung der Leinwandgrenze, und damit auch nach einer Abwertung der Zentrierung auf das reine Leinwandgeschehen, nicht nur im kommerziellen, sondern auch im Avantgardebereich. Im Paris der Nachkriegszeit waren es die Lettristen, die den Film als Medium für sich entdeckten und für öffentliche Aktionen nutzten. Eines ihrer produktivsten Mitglieder war Maurice Lemaître. Sein Debüt war ein ausgefeiltes, genau geplantes Stück interaktives Performance-Kino: Le film est déjà commencé? (F 1951). Die Vorstellung wurde mit allerlei Werbematerial angekündigt, das Publikum ließ man aber gut eine Stunde bis zum Beginn der Veranstaltung warten. Währenddessen wurde es von ebenfalls als Zuschauer getarnten Performern beleidigt und geärgert. Nach einer Stunde
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öffnete sich die Tür zum Kino, und Zuschauer strömten aus dem Saal. Während das wartende Publikum ins Kino ging, erschien dort das Wort »Fin« auf der Leinwand – hatte der Film schon angefangen? Die Projektion jedenfalls begann trotzdem. Sie bestand hauptsächlich aus Found-Footage-Material, das auf verschiedene Arten bearbeitet – ziseliert – worden war. Auf der Tonspur waren lettristische Lautgedichte zu hören. Dann beschrieb ein Erzähler genau die Ereignisse, die das Publikum zuvor beim Warten auf den Film erlebt hatte. Parallel dazu gingen die Aktionen im Kinoraum weiter. Eine Putzfrau kam herein, Platzanweiser leuchteten mit Taschenlampen ins Publikum, der Vorführer stürmte in den Saal, weil er eine Filmrolle nicht finden konnte, und wurde anschließend vom Kinobesitzer entlassen – weil er der kommunistischen Partei angehörte. Auch diese Aktionen wurden vom Erzähler im Off aufgegriffen, so dass ab einem gewissen Punkt nicht mehr eindeutig bestimmt werden konnte, was denn nun zur Aufführung gehörte und was nicht – und wann hatte diese überhaupt angefangen?13 Zum Film veröffentlichte Lemaître das Drehbuch, das neben einer Beschreibung des Bildes und der verschiedenen Ziselierungseffekte eine Abschrift der Tonspur, sowie eine Beschreibung der aufzuführenden Aktionen enthielt. Eine andere lettristische Kinoaktion, die nicht minder auf die Synchronisation von Kinoraum und Leinwandbild setzte, war das Cinéma Nucléaire (F 1952), ein Konzept von Marc’O, das vorsah, die Kinobestuhlung beweglich werden zu lassen und mit den Kamerabewegungen auf der Leinwand zu synchronisieren. Das Expanded Cinema, das mit Installationen und Kino-Aktionen in Folge des Fluxus bekannt geworden ist, hat das Dispositiv des Kinoraums zwar ebenso sehr thematisiert, aber weniger Wert auf die Synchronität von Bild und Aktion gelegt.14 Exemplarisch hierfür ist Zen for Film (USA 1964) von Nam June Paik. Der Film selbst besteht aus einer Rolle Blankfilm und einer einfachen Aktion,
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Enden sollte LE FILM EST DÉJA C OMMENCE? jedenfalls mit einem inszenierten Polizeieinsatz, der den Saal räumte. Der Legende nach soll die Entrüstung bei der Premiere so groß gewesen sein, dass die Polizisten am Schluss echt waren.
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Eine Ausnahme stellt Gottfried Schlemmers THE TIME FOR ACTION HAS COME (AT 1969), bei dem man Schlemmer im Film einen Text schreiben sieht. Er springt dann auf, läuft mit gezücktem Messer auf die Kamera zu, um im selben Augenblick im Kino selbst die Leinwand einzureißen, um dem verdutzen Publikum den Text aus dem Film persönlich vorzulesen (vgl. Michalka 2003, 113).
Heike Klippel, Florian Krautkrämer
die Paik im Licht der Projektion vor der Leinwand ausführte.15 Zen for Film ist die Umkehrung der oben beschriebenen Beispiele. Es geht dabei nicht um eine Ausdehnung der Leinwand in den Kinoraum, sondern um eine Vermischung der »filmophanischen« Wirklichkeit und dem »leinwandlichen« Raum16. Kino ist nicht nur das Geschehen auf der Leinwand, sondern auch das davor (zeitlich und räumlich).
Abb. 10: ZEN FOR FILM
Nicht die Bilder, sondern die Leinwand bzw. die Bühne davor schießt dann auch bei der Aktion Exit (AT 1968) von Peter Weibel und Valie Export auf das Publikum: Dabei zündeten sie Feuerwerkskörper im Kino und schossen diese auf das Publikum ab, um es zum Ausgang zu treiben. Die Beispiele zeigen, dass es sowohl im künstlerischen als auch kommerziellen Bereich parallel zum Erfolg der räumlichen Illu-
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»Bei einer Vorführung 1965 bestand die ›einfache Aktion‹ darin, dass er in dem weißen Licht seinen nackten Hintern zeigte« (Scheugl, Hans: Erweitertes Kino. Die Wiener Filme der 60er Jahre, Wien 2002, S. 110).
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In seiner narratologischen Untersuchung des Films unterteilt Etienne Souriau den Film in verschiedene Ebenen: die afilmische Wirklichkeit, die unabhängig des Films existiert, die profilmische Wirklichkeit, die bezeichnet, was für die Kamera angerichtet wird, die filmografische Wirklichkeit, die die auf dem Filmstreifen bezeichnet, beispielsweise die Montage, und die filmophanische Wirklichkeit, die bezeichnet, was sich während und durch die Projektion ereignet, beispielsweise das Bild auf der Leinwand. Das Gegenstück zum leinwandlichen Raum ist der diegetische Raum (vgl. Souriau 1997).
Wenn die Leinwand zurück schießt
sion des 3D-Films auch das Bedürfnis gab, speziell den physischen Kinoraum zu nutzen und zu thematisieren.
3D heute Die aktuelle 3D-Phase setzt nicht mehr auf den Kinoraum allein zur Etablierung der neuen Technologie. Diesmal ist es nicht nur die räumliche Illusion des Filmbildes, die sich direkt vor den Zuschauern manifestiert, sondern – und darin liegt der maßgebliche Unterschied zu den bisherigen Erscheinungen von 3D im Kino – der Rückhalt, den 3D in der Heimelektronik erfährt. Ein Anzeichen für den längerfristigen Erfolg von 3D könnte diesmal die parallele Einführung von 3D-fähigen Fernsehern und Abspielgeräten, sowie den entsprechenden Filmen auf Blu-ray sein, die zudem stark subventioniert in den Handel drängen. Waren die bisherigen 3D-Phasen dadurch bestimmt, dass man das Kino in der Konkurrenz zum Fernsehen aufwerten wollte, hat die Film- und Displayindustrie diesmal als gemeinsamen Feind die illegalen Up- und Downloads im Internet ausgemacht, gegen die man vorgeht. 3D ist das Spektakel, das nötig ist, um an der Kinokasse kurzfristig zuzulegen, das aber auch die Kinobesitzer zusätzlich motiviert, auf die für Produktion und Distribution deutlich günstigeren digitalen Projektoren umzurüsten. Das dadurch ausgelöste Interesse an 3D soll außerdem dazu führen, den eben erworbenen HD-fähigen Flatscreen nun gegen einen 3D-fähigen Fernseher auszutauschen – eine doppelte Gewinnsituation für die Industrie. 3D im Kino als Köder für die Um- und Aufrüstung der Heimelektronik, die an Relevanz die Kinokasse längst abgelöst hat. Das Angebot für das 3D-Fernsehen steht auch schon bereit: Ausgewählte Spiele der Fußball-WM 2010 wurden bereits in 3D übertragen, ebenso andere Sport- und KulturGroßereignisse. 17 Gleichzeitig achtet man auch darauf, qualitativ hochwertige Dokumentationen und Konzertfilme für die Kinoauswertung in 3D herzustellen. U2 3D (USA 2007, Catherine Owens / Mark Pellington) wurde in Cannes präsentiert, Wim Wenders Film Pina (D / F / GB, 2011) in 3D über die Tanzgruppe der verstorbenen Choreografin Pina Bausch auf der Berlinale 2011. Doch egal ob Kultur oder Sport, Film oder Fernsehen – immer wieder werden auch die ästhetischen Vorteile von 3D betont. Man möchte diesmal gar nicht erst den Eindruck aufkommen lassen, 3D diene nur dem Spektakel. Im Vordergrund der Argumentation steht dabei auch eine 17
Bisher wurden diese Ereignisse überwiegend im Kino übertragen, was wiederum zu weniger Abspielmöglichkeiten führte. Dies trifft in erster Linie natürlich die Verleiher kleinerer Filme – die somit in doppelter Hinsicht die Verlierer von 3D sind.
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Heike Klippel, Florian Krautkrämer
neue Freiheit des Blicks. Damit man die Vorteile von 3D ausschöpfen könne, müsse man insgesamt kürzere Brennweiten verwenden, um das Bild in seiner Plastizität zu erhalten, und dürfe nicht zu schnell schneiden, um die Zuschauer nicht zu verwirren.18 Durch die räumliche Staffelung innerhalb des Bildes habe man nun auch mehr Übersicht, und die Zuschauer könnten in den räumlichen Einstellungen der Filme länger ihren Blick schweifen lassen. Tatsächlich ist mit dem aktuellen 3D-Verfahren eine bisher nicht gekannte ästhetische Bearbeitung des Bildes möglich. Mit der Variation der interocular distance (IO), der Distanz zwischen den beiden aufnehmenden Kameras auf dem Rig, gibt es neben der herkömmlichen Kamerafahrt eine weitere Variable, die beeinflusst werden kann. Je geringer die IO ist, desto flacher wird das Bild in der Wirkung. 19 Die Kombination einer Kamerafahrt, sowie einer langsamen Vergrößerung der IO kann gezielt einen Gegenstand innerhalb einer Einstellung aus dem Hintergrund herauslösen. Zu Beginn erscheint dieser noch auf derselben Ebene wie der Bildhintergrund, befindet sich aber am Schluss räumlich vor diesem, ohne dass er sich dafür hätte bewegen müssen. In der räumlichen Simulation des 3D würde dieser Effekt die Wirkung erzielen, dass der Gegenstand während der Fahrt langsam aus der Leinwand heraus käme. Dass diese Art des Filmens realistischer sei, als das herkömmliche 2D, wird u.a. damit begründet, dass man nicht mehr zu schneiden brauche, um die Aufmerksamkeit auf bestimmte Personen oder Gegenstände zu legen. Interessanterweise ähneln gerade in dieser Beziehung die heutigen Argumente denen André Bazins zur Schärfentiefe, mittels derer der »moderne« Regisseur die Montage in die Bildgestaltung integrieren könne (vgl. Bazin 2004, 105): »Die Schärfentiefe versetzt den Zuschauer in eine Beziehung zum Bild, die derjenigen, die er zur Realität hat, viel näher ist. Zu Recht kann man also sagen, dass 18
Der 3D-Spezialist (und Autor des Ratgebers Independent Film Making von 1972) Lenny Lipton hält diese Einschränkungen für überflüssig und zieht eine Parallele zum CinemaScope: Auch als man begann, in CinemaScope zu drehen, hätte man Großaufnahmen und schnelle Kamerabewegungen vermieden, würde das Format aber heute ebenso frei einsetzen wie das normale Breitwandformat (vgl. Lipton 2009, 23).
19
Die Objekte, die in der Projektion auf der Leinwand erscheinen und nicht räumlich davor oder dahinter, befinden sich bei der Aufnahme im point of convergence (POC). Bei der Komposition einer Einstellung muss beachtet werden, welche Gegenstände im POC liegen sollen und in welchem Abstand von der Kamera sich die anderen Objekte befinden, die noch räumlich wirken sollen. Daraus ergibt sich dann der Abstand der beiden Kameras. Variiert man die IO bei gleichbleibendem POC, wird das 3D-Fenster (also der gesamte Bereich, der hinter und vor der Leinwand zu liegen scheint) um so größer, je näher man die beiden Kameras zusammen rückt. Allerdings wirkt die räumliche Illusion in der Projektion dann weniger plastisch (vgl. Rogers 2009).
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Wenn die Leinwand zurück schießt
die Struktur des Bildes, unabhängig von seinem Inhalt, realistischer ist« (Bazin 2004, 103). Die Paradigmen der Bildgestaltung im Kino bemessen sich aber nicht nach dem Grad des Realismus’, den sie widerzuspiegeln scheinen, sondern nach anderen Faktoren, wie z.B. der Auswertung. Die Ästhetik der Großaufnahme und der schnellen Schnitte, die heute in vielen Filmen zu finden ist, ist nicht dem Hang zur Phantasie geschuldet, sondern dem wichtigen Markt der Zweitverwertung, denn auf dem Fernseher funktionieren Plansequenzen und Totalen weniger gut als eine Montage aus Großaufnahmen. Die wirkliche Ausdehnung des Filmbildes, die bei der gegenwärtigen 3D-Phase funktionieren könnte, ist die auf den Markt der Heimelektronik, die bei Erfolg das Kino bald hinter sich lassen wird.20 Und bei diesem Erfolg, der für das Überleben von 3D nötig ist, erscheint es fragwürdig, ob man es sich dann auch weiterhin wird leisten können, in langen Einstellungen und Brennweiten zu arbeiten. Die ästhetische Entwicklung des aktuellen 3D-Formats hängt davon ab, in welchem Verwertungszusammenhang es letztendlich die meisten Abnehmer finden wird. Es ist kaum vorstellbar, dass sich unterschiedliche Praxen entwickeln werden. Dass zum ersten Mal ein technisches Verfahren gleichzeitig im Kino als auch in der Heimelektronik Verbreitung findet, koppelt diese Bereiche in stärkerem Maße, als es sonst der Fall ist. Das bedeutet aber auch, sollte sich 3D in den eigenen vier Wänden nicht durchsetzen, wird es auch aus dem Kino wieder verschwinden.
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Ob 3D-Filme im Vergleich zur Auswertung in 2D überhaupt erfolgreich sind, ist Gegenstand verschiedener Analysen. Daniel Engber demonstriert in seinem Aufsatz »Is 3D dead in the water?« (Engber 2010), dass die Box-Office-Analyse von 3D-Filmen zu genauso unterschiedlichen Ergebnissen führen kann, wie die Variation der Parameter bei der 3DBildgestaltung. Engber konzentriert sich auf den Vergleich des Einspiels eines Films in der 3D- und 2D-Auswertung und kommt zu dem Ergebnis, dass die 3D-Filme immer weniger profitabel werden. Allerdings gibt er auch zu bedenken, dass die ersten Filme der neuen Welle wie THE POLAR E XPRESS (USA 2004, Robert Zemeckis) noch viel stärker von der Neuheit profitierten als jene, die im Laufe des Jahres 2010 erschienen. Auf der anderen Seite hat jeder neue Film tendenziell mehr umgerüstete 3DLeinwände zur Verfügung, als die Vorgänger und ist damit auch wieder profitabler. Ein interessantes Beispiel ist diesbezüglich der Film TOY STORY 3 (USA 2010, Lee Unkirch), der erste 3D-Film, der in der Auswertung in 2D mehr einspielte als in 3D. Dass die Abnahme der Zuschauer in diesem Fall nicht mit einer zu hohen Konkurrenz an gleichzeitig startenden 3D-Filmen zusammenhängt, kann Eric Gruenwedel zeigen, da bisher noch kein Film auf so vielen 3D-Leinwänden gestartet ist wie TOY STORY 3. Gruenwedel schließt daraus, dass der Schwund an 3D-Zuschauern eher mit einer generellen Übersättigung oder den auf die Dauer zu hohen Preisen zusammen hängt (vgl. Gruenwedel 2010).
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Literatur
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Wenn die Leinwand zurück schießt
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Stephan Günzel Das Verlangen nach Tiefe – Zur Geschichte und Ästhetik von 3D-Bildern Der gegenwärtige, erneute Boom sogenannter 3D-Filme, aber auch des sogenannten 3D-Fernsehens, lässt nicht nur Mutmaßungen darüber aufkommen, ob dieser Trend anhalten und sich ›3D‹ in Zukunft als dominante oder auch neben dem 2D-Bild gleichberechtigte Form des Bewegtbildes etablieren wird, sondern wirft auch die systematische und zugleich historische Frage danach auf, was denn an diesen Bildern das Dreidimensionale ist und seit wann diese Art von Räumlichkeit im Bild existiert, und nicht zuletzt auch, welche ikonische und kulturelle ›Bedeutung‹ sie haben. Das Thema 3D berührt damit die Bild- und Raumtheorie ebenso, wie sie in das Feld von Kultur- und Medienwissenschaft gehört.
Was heißt 3D? In seiner umfassenden Studie 3D von 2009 hat Jens Schröter aufgezeigt, dass es bislang eine grundsätzliche Unschärfe bezüglich der Trennung verschiedener Bildarten gab, die jeweils als ›3D‹ angesprochen werden. Der besondere Zugang seiner Untersuchung besteht darin, dass hierbei nicht allein auf technische Bedingungen von 3D-Bildern abgehoben wird. Denn diese können sich ändern, ohne dass davon auch der Charakter der spezifischen Dreidimensionalität betroffen wäre. Vielmehr ist nach Schröter von dem zugrundeliegenden Wissen auszugehen, dass zur Hervorbringung der einen oder der anderen Bildform führt. Grundsätzlich sind drei Arten von Wissen und damit auch drei Arten von 3D zu unterscheiden: linearoptisches, physiologisches und wellenoptisches Wissen. Je nachdem, auf welchen daraus hervorgehenden Typ von Bild rekurriert wird, ist auch die Entstehungszeit des ersten 3D-Bildes eine andere: Spätestens in der Renaissance
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Stephan Günzel
(wenngleich das zugehörige Wissen bereits in der griechischen Antike vorhanden ist) entsteht das linearperspektivische 3D-Bild, im 19. Jahrhundert das stereoskopische 3D-Bild, und im 20. Jahrhundert (mit Vorläufern im 19. Jahrhundert) das holografische 3D-Bild. Mit diesem schließt das 3D-Bild gewissermaßen an den medialen Ursprung räumlicher Bilder im Nichtbild an; oder vielmehr an dem, was ein 3D-›Bild‹ war, bevor darunter ein flacher Gegenstand verstanden wurde: Skulpturen (und/oder Plastiken). Statuen und andere ›Standbilder‹ sind gleichwohl auch schon Reduktionen der vierdimensionalen Wirklichkeit (insofern die Zeit als eine Dimension gezählt wird) auf die reine (statische) Räumlichkeit als toter (unbewegter) Körper (vgl. Flusser 1995, 9-22). Eben diese Art des Bildes war bereits Gegenstand des mosaischen Bildverbotes – die Skulptur des Goldenen Kalbs – wie desjenigen Platons, der ausgehend von der Athene-Figur des Bildhauers Phidias im Parthenon-Tempel, solche Bildnisse als Simulakren schollt, die nicht eine geometrisch exakte Entsprechung zum Urbild aufwiesen (vgl. Wiesing 2005). Das platonische Argument richtet sich damit nicht wie gemeinhin angenommen gegen die Nachahmung als solche oder die Abbildung der Dinge in der Welt durch Maler, Bildhauer und Poeten, sondern gegen die Fälschung von etwas, zu dem es kein Urbild gibt.
68 Abb. 1: Reproduktion der Athena Parthenos
Gilles Deleuze hat entsprechend behauptet, dass Platon sich aus systematischen Gründen gegen die Simulakren wendet, um ex negativo die Existenz der selbst nicht sichtbaren Urbilder oder ›Ideen‹ behaupten zu können bzw. über die Rechtmäßigkeit von Nachbildungen befinden zu können (vgl. Deleuze 1993); da die Differenz zwischen richtigem Abbild (1. oder 2. Ordnung) und ›Trugbild‹ schlichtweg die zwischen gewünschter und unerwünschter (um nicht zu sagen als ›entartet‹ diffamierte) Kunst ist. Athene kann
Das Verlangen nach Tiefe
letztlich gar nicht anders anwesend sein als durch die Statue, so dass letztlich auch keine Widerlegung der Darstellung von einem in Relation zum menschlichen Vorbild übergroßen Kopf stattfinden kann. Insofern ist das hebräische Bilderverbot bereits konsequenter und argumentiert nicht mit Richtigkeit oder Gelungenheit der Darstellung, sondern gesteht das (nachahmende) Bildmachen einzig Gott zu, der sich selbst zunächst im Menschen abbildet bevor er später selbst Mensch wird.1 Im Bereich des flachen oder planen und nicht selbst plastischen Bildes bzw. Bildträgers, der gleichwohl einen Raum zu sehen gibt, können zur besseren Differenzierung die aus den unterschiedlichen Wissensbeständen hervorgehenden Bildarten auch durch die Dimensionalität des darstellenden Raums differenziert werden: Obwohl alle drei (oder mit der Skulptur auch alle vier) Bildarten einen Raum oder Raumobjekte darstellen, der bzw. die sich durch Hinweise im Bild in drei Kardinalachsen (x, y, z) in der Wirklichkeit rekonstruieren ließen, liegen diese Hinweise in den Bildtypen auf unterschiedliche Weise vor. Dies betrifft insbesondere die Tiefendimension selbst, als die Z-Achse, durch die die Differenz zwischen dem flachen Bildträger und einer räumlichen Bilderscheinung überhaupt sichtbar werden kann. Jede Klasse von 3D-Bildern nutzt andere Möglichkeiten, um diese ausgezeichnete, selbst nicht materiell am Bild vorhandene Tiefe aufzuweisen oder die Raumillusion auf Seiten der Betrachter sich einstellen zu lassen. Über Schröter hinausgehend kann daher von ›zweidimensionalen‹ (2D), ›zweieinhalbdimensionalen‹ (2,5D) und ›dreidimensionalen‹ (3D) 3D-Bildern gesprochen werden, von denen nur die letzten beiden die Menge der Bilder ausmachen, die Schröter als »transplan« bezeichnet, das heißt in denen die Erscheinung des Bildobjekts die Eigenschaft des Mediums oder Bildträgers in der Erscheinungshaftigkeit auch ersichtlich übersteigt. Dies gibt es zwar auch beim linearperspektivischen 3D-Bild (also dem hier als ›2D‹kategorisierten räumlichen Bild), dort erfolgt die Überschreitung aber durch die Negation der ›Durchsichtigkeit‹ im monochromen Gemälde, mit dem die Fensterhaftigkeit des Bildes negiert wird, da dieses einen Blick in den Raum seiner Objekte verwehrt. Diese reflexiven Bilder verneinen damit letztlich die bildkonstitutive (ikonische) Differenz von Bilderscheinung und Bildträger überhaupt (vgl. Boehm 1994), also dem image als Wahrnehmungstatsache im Gegensatz
1
Die Grundannahme des Menschen als homo pictor heutiger Bildtheorie nach Jonas (1989) und Belting (2001) bedeutet demnach die Säkularisierung der Bildnerischen Tätigkeit und eine Rücknahme des Bilderverbots.
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zum picture als materielle Ursache.2 Zentralperspektivische Bilder, bei denen diese Differenz zwischen Erscheinung und Medium am deutlichsten zu Tage tritt, sind von daher auch paradigmatisch für das neuzeitliche Bildverständnis als ›Repräsentation‹. Repräsentiert wird auf einer flachen Ebene der (Bild-)Zeichen der tiefe Raum der Natur, aber ohne die Tiefe plastisch zu modellieren. Im avantgardistischen Kampf der modernen Kunst gegen das neuzeitliche Bildparadigma, der auch noch jener Theorie der ikonischen Differenz zugrundeliegt, sieht Schröter den maßgeblichen Grund für den von ihm sogenannten Planozentrismus heutiger Bildtheorien und Bildwissenschaften (vgl. Schröter 2009, 50), die unter Bilder zumeist flache Bilder (›an der Wand‹) verstehen. Dass es daneben aber noch transplane Bilder gibt, sei nur selten berücksichtigt worden und wenn doch, so sind sie nur unzureichend ein-
Abb. 2: (exemplarische) Stereoskopie
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geordnet worden: Holografien (also ›3D‹ 3D-Bilder) werden in der Medienanalyse meist nur dem Namen nach berücksichtigt und in der Sache dabei weitgehend verkannt.3 Stereoskopien wiederum kommen nur in ihrer fotografischen Form als Stereografien vor und werden medienhistorisch als Sonderweg bzw. abgeschlossene Epoche vorgestellt. So hat die hierfür maßgeblich Studie von Jonathan Crary über die Techniken des Betrachters von 1990 zwar deutlich gemacht, dass Stereofotografien der Fotografie nicht nur in ihrer Verbreitung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts um nichts nachstanden, 2
Oder in den Termini von Husserl (1980): ‚Bildobjekt‘ und ‚Bildträger‘.
3
Als ein Beispiel für einen vagen Gebrauch von ‚Holografie‘ und ‚Hologramm‘ führt Schröter (2009, 257ff.) Paul Virilio an.
Das Verlangen nach Tiefe
sondern eben auch auf einem anderen Wissen beruhten (einem physiologisch-visuellen im Gegensatz zum einem linear-optischen). Crary jedoch sieht Stereografien unzutreffender Weise in einem epochalen Gegensatz zur Fotografie. Mit anderen Worten, Schröter kritisiert, dass Crary aufgrund seiner in einem hegelianischen Geschichtsdenken begründeten Behauptung, die Camera obscura werde von der Stereographie abgelöst (oder darin aufgehoben), nicht berücksichtigen kann, dass die Fotografie als Technik sowohl bereits parallel (und ebenfalls in der Stereografie) besteht, als auch als eine vermeintliche Nachfolgetechnik, durch welche wiederum die Stereografie überwunden wird, plötzlich die linearoptische Darstellungstechnik der Camera obscura (die ihrerseits die Anfertigung einer linearperspektivischen Darstellung halbautomatisiert hat) ›wieder‹ (in Wahrheit: aber ›noch‹) vorhanden ist (vgl. Schröter 2009, 13ff.). Wenn jedoch Stereoskopie/graphie oder gar Holografie thematisiert werden, wird wiederum die Möglichkeit ausgeblendet, dass auch ›flache‹ Bilder eine Raumtiefe aufweisen können.4
2D: Das zentralperspektivische Bild Was sind nun also die Sonderungsmerkmale von 3D-Bildern in 2D, 2,5D und 3D? – Im zentralperspektivischen, auf dem Wissen der visuellen Optik beruhenden Bild wird von der geradlinigen Ausbreitung des Lichts als Strahlen ausgegangen. Dies ist zwar nach heutigem Stand der Physik eine überholte und mithin falsche Beschreibung, jedoch ist es lebensweltlich oder praktisch ausreichend, um etwa Spiegel zu positionieren, ein Gemälde anzufertigen oder den optischen Teil eines Fotoapparats zu konzipieren
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Abb. 3: (exemplarische) Fotografie 4
Ganz zu schweigen davon, dass der Bildstil eines perspektivischen Gemäldes selbst nochmal zwischen flach und tief changieren kann (vgl. Wölfflin 1915, 80ff.).
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und dessen Funktion zu verstehen. Im Resultat wird damit ein Bild erzeugt, dass Objekte je nach Entfernung zu dem Zentralpunkt vor der Bildebene proportional zu einander, in ab- bzw. zunehmender Größe zeigt und diese zudem auch verdeckt zeigt. Bei Gemälden oder Zeichnungen kann die letzte Option hinzukommen, muss es aber nicht, wie etwa im Falle einer technischen Skizze nicht, die eine Sicht durch die Flächen der Körper erlaubt. Bei Fotografien erfolgt die Verdeckung von selbst, da die Objekte im Vordergrund dahinterliegende teilweise oder ganz verdecken.
Abb. 4: Raytracing
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Wenn etwa im Zusammenhang von Computerspielen bisher die Rede von ›3D‹ war, wurde damit ein zentralperspektivisches Rendering bezeichnet, also die Tiefendarstellung in der Fläche auf Grundlage des Wissens um die lineare Ausbreitung von Lichtstrahlen und deren Brechung. (Alternativ ließen sich die gleichen Rauminformationen auch als planperspektivische Karte rendern.) Das hierbei zugrundeliegende Verfahren des sogenannten Raytracing, also der Strahlenverfolgung virtuellen Lichts, erzeugt zwar im Resultat vor allem glatte und glänzende Flächen, da die Berechnung der Spiegelungen aus Kapazitätsgründen der Rechner nicht mehr ad infinitum (wie in der Wirklichkeit) in das Bildresultat einfließt (vgl. Kittler 2004), diese sind aber im Sinne der linearperspektivischen Darstellung zu Recht als 3D-Bilder anzusprechen. Wie in der Stereoskopie so ist auch im Computerspiel die Verdeckung hinterer Gegenstände durch davorliegende Objekte nicht notwendig, um im Resultat von einem 3D-Bild sprechen zu können. So wurde die Räumlichkeit in den ersten 3D-Spielen mittels Vektorgrafik dargestellt. Das Automatenspiel Battlezone (USA 1980, Atari) unterscheidet sich daher von dem gleichnamigen Remake für PC, das 18 Jahre später erschien (USA 1998, Activision), hinsichtlich der 3D-Eigenschaft formal nur durch die transparenten Flä-
Das Verlangen nach Tiefe
Abb. 5-7: Battlezone 1980, 1983 und 1998
chen, welche die Verdeckung der Objekte (und auch ihrer eigenen Innen- und Rückseiten) verhindert. Hingegen basiert die erste Portation von 1983 für die Atari 2600-Spielkonsole (wie auch andere Systeme und Homecomputer) auf einer Rastergrafik, welche keine lineare Darstellung von Tiefenlinien erlaubt, sondern die Objekte allein in wechselnder Größe proportional zum Betrachter darstellt.
2,5D: Das stereoskopische Bild Das fotografische – und auch der Wirklichkeitswahrnehmung eigene – Moment der Verdeckung (oder ›Abschattung‹) kann auch bei stereoskopischen Bildern hinzukommen, muss es aber nicht: Die ersten stereoskopischen Darstellungen des britischen Physikers
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Charles Wheatstone aus dem Jahr 1838 beruhen im Gegensatz zum ›2D‹ 3D-Bild auf einem anderen Wissen: dem um das menschliche Sehen, also der physiologischen Grundlage der visuellen Wahrnehmung. Im Ausgang von der – ebenfalls schon in der Antike thematisierten5 – Zweiäugigkeit fertigte Wheatstone Doppelbilder an, mit denen er diese Grundlage des Sehens beweisen wollte. Der experimentelle Kontext ist entscheidend für die Bewertung der späteAbb. 8: Stereoskopische Zeichnungen ren Begeisterung für diese von Wheatstone Darstellungen, die heute als Inbegriff des ›3D-Bildes‹ gelten: Wheatstone wollte die Leistungsfähigkeit der Augen auf die Probe stellen und nicht eine neue Form der Bilddarstellung forcieren. Die Dopplung der Darstellung präsentiert nämlich keine natürliche oder alltägliche Sehsituation, sondern fordert die Augen in besonderer Weise heraus: Wheatstones Versuchsanordnung von perspektivisch zueinander versetzter Doppelbilder isoliert, wie bereits jede andere Vektorgrafik, die in der klassischen Erkenntnistheorie sogenannten primären Qualitäten der Dinge, also die vor allem von Licht unabhängigen Objekteigenschaften: eben die reine Ausdehnung oder das Ausmaß. Wheatstone zeigt also mit der Dopplung zweier linearperspektivischer Bilder ohne Verdeckungseigenschaften, dass räumliches Sehen allein auf Grundlage der Proportionalität von Objekten erfolgen kann und die Augen sozusagen geometrische Messinstrumente sind. Die binokulare Anordnung steigert diesen Effekt oder vielmehr extrapoliert sie ihn: Denn die beiden perspektivischen Ansichten (die jede für sich auf optischem und nicht auf physiologischem Wissen beruhen) sind als Bilder ja selbst Dinge in der Welt. Es stimmt zwar, dass Dinge mit (sofern vorhanden) beiden Augen von leicht versetzten Positionen aus gesehen werden, aber die linearperspektivischen Durchsichtsdarstellungen (im doppelten Sinne
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Frühere Versuche diesem Wissen eine Bildform zu geben, finden sich bereits am Ende des 16. Jahrhunderts (vgl. Stenger 1952).
Das Verlangen nach Tiefe
der luziden Fläche und der Fensterfunktion des Bildes) sind eben Simulationen zweier Ansichten ein und desselben Objekts. Die Bilder mit Externalisierungen der ›inneren‹ Retinabilder zu verwechseln, ist ein geläufiger Fehlschluss und trifft eben nicht das, was Wheatstone vorführt. Die seit Kepler kursierende Vorstellung von Retinabildern,6 welche das Gehirn oder eine andere Instanz im Menschen als Bild betrachtet, beruht auf dem Phänomen, dass bei der Betrachtung des Auges von außen Spiegelungen auf der Rückseite zu erkennen sind, welche schlichtweg von dem Licht stammen, dass von der Rückseite des Auges reflektiert wird. Die Sinneszellen der Netzhaut nehmen die Lichtinformationen jedoch an jeder einzelnen Stelle ab und leiten diese dann über den Sehnerv weiter. Die Annahme innerer Bilder affiziert den Diskurs über die Raumdarstellung durch das linearperspektivische Bild im gesamten 20. Jahrhundert, wo prominent und spätestens mit Erwin Panofsky, die Krümmung der Retina und diese stets in Verbindung mit der Zweiäugigkeit als Argument gegen die Möglichkeit einer richtigen Darstellung durch die Linearperspektive angeführt wird (vgl. Panofsky 1998, 668).7 Die auf dem physiologischen Wissen beruhenden Doppeldarstellungen sind in jedem Fall aber die Grundlage eines neuen Bildphänomens: Nämlich von Bildern, die beim Betrachten den Eindruck einer Schichtung hervorrufen können, wie dies Crary treffend beschreibt: »Zunächst einmal ist festzuhalten, dass der ›Realitätseffekt‹ des Stereoskops sehr unterschiedlich war, denn manche Bilder erscheinen nicht oder nur kaum dreidimensional, etwa die Darstellung eines leeren Platzes und einer dahinterliegenden Hausfassade oder auch eine Landschaftsdarstellung ohne hervorgehobene Einzelobjekte. Selbst Bilder, die gewöhnlich als Standardbeispiele perspektivischer Verjüngung gelten, wie eine Straße oder Eisenbahnschiene, erzeugen kaum eine Tiefenwirkung. Deutlich stereoskopische Effekte treten nur bei Objekten oder auffälligen Formen im Vorder- und Mittelgrund des Bildes auf, d.h. sie hängen von einer ausreichenden Anzahl von Punkten ab, bei denen sich die Konvergenzwinkel der optischen Achse deutlich unterscheiden. Folglich tritt die intensivste stereoskopische Erfahrung dann ein, wenn ein mit Gegenständen vollgestellter Raum abgebildet wird. Er fällt, anders 6
»Das Sehen geschieht also durch das Gemälde [per picturam] des gesehenen Gegenstandes auf der weißen und hohlen Wand der Netzhaut« (Kepler zit.n. Rehkämper 2002, 24).
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Siehe dagegen Rehkämper 2002, 83.
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gesagt, mit einer materiellen Fülle zusammen, die den horror vacui der Bourgeoisie im 19. Jahrhundert bezeugt, und so zeigen unzählige Stereoskopkarten dann auch mit Nippes überladene Interieurs, mit Skulpturen vollgestellte Museumsräume oder Stadtansichten. In diesen Bildern ist der Tiefeneindruck ein grundsätzlich anderer als auf Gemälden und Fotografien. Das Bild ist deutlich in Zonen ›davor‹ und ›dahinter‹, in eine Abfolge zurückweichender Flächen eingeteilt. Tatsächlich ist das stereoskopische Bild flächig strukturiert. Einzelne Elemente nehmen wir als flach wahr, als schemenhafte Formen in geringerer oder größerer Entfernung von uns. Die Erfahrung von Raum zwischen den verschiedenen Objekten (oder Flächen) ergibt sich nicht allmählich durch immer größere Entfernung, denn der Abstand zwischen den verschiedenen Formen ist kaum abschätzbar. Verglichen mit der merkwürdigen Unkörperlichkeit der Objekte und Figuren in der Bildmitte ist der absolut luftfreie Raum um sie herum einer von verstörender Greifbarkeit« (Crary 1996, 129).
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Abb. 9: stereoskopische Aufnahme einer Eisenbahn Abb. 10: vollgestellter Museumsraum
Da der stereoskopische Effekt sich nicht bei jedem zweiäugig sehenden Menschen einstellt (sondern ›Stereoblinde‹ ausgenommen sind), ist dies letztlich ein Beleg dafür, dass es sich nicht um die Reduplikation natürlicherweise innen liegender Doppelbilder handelt. Noch entscheidender ist aber, dass die Seherfahrung sich verdeckender Schichten eine ist, die zunächst als alles andere denn
Das Verlangen nach Tiefe
›natürlich‹ erfahren wird: Sie gemahnt allenfalls an den Eindruck der Staffelung von Kulissen auf Theaterbühnen, wie Crary zum Abschluss seiner eben zitierten Passage weiter schreibt: »Auf den ersten Blick herrschen gewisse Übereinstimmungen zwischen dem Stereoskop und der klassischen Bühnenmalerei, die Flächen und die wirklich vorhandene Raumausdehnung zu einem illusionären Raum verschmilzt. Der theatralische Raum ist jedoch insofern noch perspektivisch, als die Bewegung der Schauspieler auf der Bühne im [A]llgemeinen die Beziehung zwischen den Punkten rationalisiert« (ebd.). Zu Recht trennt Schröter diese Bilder also von der ersten Art, den linearperspektivischen 3D-Bildern, ab und rechnet sie zu den trans-
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Abb. 11: Stereoskop von Wheatstone Abb. 12: Stereoskop von Brewster Abb 13: Frauen mit Stereoskop
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planen Bildern: Also Bilder, die nicht nur die Illusion einer Durchsicht durch die Fläche erlauben, welche sich im Bildrahmen befindet, sondern bei denen die Betrachter den Eindruck haben können, mehrere Bildebenen zugleich zu betrachten, die nicht nur hinter der Ebene des materiellen Bildträgers liegen können, sondern auch davor. In ›Stereo‹ betrachtete Bilder weisen damit auf der Ebene der Bildobjekte selbst nochmal den Eindruck verschiedener – räumlich versetzter – Bildträger auf. Besagten Eindruck der Schichtung rufen vor allem Stereographien hervor – also stereoskopische Darstellungen, die im Unterschied zu denjenigen Wheatstones, über die Proportionalität der Bildobjekte hinaus auch deren gegenseitige Verdeckungen berücksichtigen. Erste fotografisch angefertigte stereoskopische Bilder wurden schon 1844 von dem Schotten David Brewster angefertigt. Ein Gerät zur Betrachtung von Doppelbildern hatte zwar bereits Wheatstone konstruiert, dieses war aber letztlich nicht nötig um den Wahrnehmungseffekt zu erzielen, sondern erleichterte nur die isolierte Betrachtung der Einzelbilder durch das jeweilige Auge. Auch war Wheatstones Apparatur immobil und allein für den wissenschaftlichen Gebrauch bestimmt. Brewsters 1849 entwickeltes und ab 1850 verkauftes Stereoskop war hingegen ein handlicher Holzkasten und bereitete den Weg für die erste, von der Londoner Weltaustellung 1851 ausgehende, Begeisterungswelle für stereoskopische Darstellungen.
3D: Das holografische Bild
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›3D‹ 3D-Bilder beruhen nun im Unterschied zu stereoskopischen Darstellungen nicht auf physiologischem Wissen, welches das (menschliche) Sehen betrifft, sondern wiederum auf optischem Wissen. Im Unterschied zur Linearperspektive wird hierbei jedoch von einer anderen Eigenschaft des Lichts ausgegangen: dem Licht nicht als geradlinige Strahlen, sondern als Wellen; oder noch genauer um die quantenmechanische Einsicht in die Doppeleigenschaft der sogenannten Photonen als von Welle und Teilchen. An die Stelle der optischen Aufnahmegeräte treten hierbei Messgeräte, oder vielmehr wird der Charakter fotographischer Apparaturen als solcher offensichtlich, da bereits das lichtsensitive Fotomaterial eines Films, das bei Belichtung chemisch reagiert, eine Lichtmessung vornimmt (vgl. Hagen 2002). Im Unterschied zur analogen Fotooptik ist die Messung im Bereich der Quantenmechanik jedoch nicht auf Strahlen ausgerichtet, sondern auf Wellen. Eben diese werden auch bei der sogenannten digitalen Fotografie gemessen, wenn in der lichtempfindlichen
Das Verlangen nach Tiefe
Einheit mittels CCD-Sensor das Licht gemessen und dessen Zustand als Werte ausgegeben und anschließend gespeichert werden. Ebenso wie die digitale Fotografie derart nicht ein Abbild der Gegenstände liefert, sondern den Zustand des reflektierten Lichts festhält (womit jede Bearbeitung der Daten eine Veränderung der Messergebnisse bedeutet), so werden auch für die Anfertigung holografischer Bilder die Lichtwellen gemessen. Jedoch nicht als einzelne Welle – dies würde im Prinzip kaum einen Unterschied zur linearoptischen ›Messung‹ ausmachen – sondern als Wellenfronten oder Interferenzen, als die Überlagerungen der verschiedenen Wellen.8 Wie Schröter zeigt, war dieser Weg bereits am Anfang der Farbfotografie beschritten worden als der dafür 1908 mit dem Nobelpreis ausgezeichnete französische Physiker Gabriel Lippmann das nach ihm benannten Verfahren vorstellte. Obwohl es sich bei der dabei verwendeten und später sogenannten Lippmann-Emulsion um einen (höchst feinkörnigen) Schwarzweißfilm handelte, konnte in Verbindung mit Quecksilber – welches sowohl bei der Aufnahme wie auch für die Wiedergabe eingesetzt werden musste – die Interferenzmuster farblich wahrgenommen werden, da eben nicht die Reflektion des Lichts in der Bildfläche, sondern das Muster der sich überlagernden Lichtwellen konserviert wurde. Aufgrund der Unmöglichkeit, diese Bilder zu fixieren (das lichtempfindliche Material reagiert weiter) und zu reproduzieren (jedes Bild ist eine Originalmessung, die sich durch analoge Verfahren nicht duplizieren lässt), konnte sich die Lippmann-Fotografie nicht gegen die (additive) Dreifarbfotografie von James Clerk Maxwell und ihrer späteren Kommerzialisierung als Schichtenfilm 1935 durch Kodak in den USA und 1936 durch Agfa in Deutschland durchsetzen. Lippmann bereitete damit aber nichts weniger als die Grundlagen der Holografie, für die jedoch noch eine weitere Invention hinzukommen musste: Er musste zur ›Abbildung‹ – d.h. zur Messung – des Lichts dem lichtempfindlichen Material noch eine Linse vorsetzen und konnte sich damit nicht gänzlich von dem linearoptischen Verfahren lösen. Erst als seit 1960 möglich war, Licht eines sehr geringen Frequenzspektrums zu erzeugen, das dann sogenannte Laserlicht, konnte die Messung auf der Messplatte dann auch ohne eine bündelnde Linse erfolgen.9 8
Diesen Weg beschreitet auch das dem Raytracing anfänglich entgegengesetzte Radiosity-Verfahren, welches anstelle der Strahlenverfolgung die Reflektionseigenschaften von Materialien simulierte, also den Erscheinungscharakter der zu erwartenden Wellenfelder (Vgl. Kittler 2004).
9
Als Entdecker des holografischen Prinzips gilt daher nicht Lippmann, sondern der Ungar Dennis Gábor, der 1971 mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet wurde. Als Gábor seine Entdeckung publizierte, war er je-
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Was dabei in Holografien wiedergegeben wird, sind ebenfalls die spezifischen Interferenzmuster oder Wellenfronten, welche durch ein Objekt bei Beleuchtung verursacht werden. Die holografische Platte enthält sodann die Informationen des Objekts als ›Lichtgestalt‹ selbst und nicht bloß reflektierte Strahlen. Dies führt zu einem dazu, dass aus jedem Teil einer Holographie die Informationen des Interferenzmusters ausgelesen werden können; sprich: in jedem Splitter erscheint das Objekt im Ganzen. Zum anderen resultiert daraus der für die Frage nach dem dreidimensionalen Bild entscheidende Umstand, wonach die Betrachtung des Bildes aus unterschiedlichen Blickwinkeln es zulässt, das Objekt auch aus verschiedenen Ansichten zu sehen.
Abb. 14 und 15: Zwei Ansichten einer Holografie
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Dies ist nicht mit der Linsenrastertechnik zu verwechseln, die lentikulare oder autostereoskopische Bilder hervorbringt, bei welchen sich auf dem Bildträger eine Linsenvorrichtung befindet, durch die zwei verschiedene Bilder aus unterschiedlichen Blickwinkel gesehen werden können, einschließlich zweier Ansichten desselben Gegenstandes, so dass darüber eine Holographie auf linearoptischem Wege imitiert wird. Über die Perspektivität des linearoptischen 3D-Bildes (in ›2D‹) und der Objektverdeckung, wie sie aus der optischen Fotografie hervorgeht, haben die wellenoptischen 3D-Bilder (in ›3D‹) auch plastische Eigenschaften, die im Unterschied zum stereoskopischen 3D-Bild (›2,5‹-D) nicht als flache Schichtungen erscheinen, sondern als voluminöse Körper, wie die Bildskulptur.
Dreidimensionale Bewegungsbilder Von hier aus zeigt sich also, dass die gegenwärtig wieder auflebende Begeisterung für 3D-Bilder mitnichten ›volle‹ 3D-Bilder wie Pladoch nicht auf der Suche nach einem neuen weg der Fotografie, sondern nach einer Verbesserung der Auflösung von Elektronenmikroskopen (vgl. Gábor 1948).
Das Verlangen nach Tiefe
Abb. 16 und 17: zwei Ansichten eines lentikularen Bildes
stiken oder Holografien betrifft, sondern eine andere – auf einem anderen Wissen beruhende Bildform, die sich nicht durch die Präsentation von Volumina von ›monoskopischen‹ Zentralprojektionen unterscheidet, sondern durch die Schichtung. Dies kann von jedem Betrachter eines ›3D-Films‹ überprüft werden: Würde es sich im vollen Sinne um einen 3D-Film handeln, müsste es während der Bildbetrachtung möglich sein, durch den Wechsel des Blickwinkels auf die Bildebene, das Objekt von unterschiedlichen Seiten sehen zu können. Aber ein Positionswechsel vor dem stereographischen Bild führt allenfalls zu einem Versiegen des stereoskopischen Effekts, d.h. es kommt zu einem Auseinanderdriften der Schichten. Im Gegenzug kann das ›2,5D‹ 3D-Bild als Bewegtbild vorgeführt werden. Dies ist auch schon bei Holografien – und gar in Liveübertragung (vgl. Blanche et al. 2010) – möglich, jedoch ist der Aufwand immens, und das Resultat ist irritierend, da die Holografie selbst schon potentiell bewegliche Bildobjekte aufweist (vgl. Schröter 2009, 291). Die in Star Wars (USA 1977, George Lucas) zu sehende zentralperspektivische Darstellung der durch R2D2 projizierten Prinzessin Leia ist seither emblematisch für die Möglichkeit eines holografischen Films oder Livebildes. In jedem Fall muss der holografische Film mit einer Schwierigkeit zurechtkommen, die er mit jeder anderen Bildform teilt: Es gibt keine Bilder ohne materiellen Bildträger; und auch die Holografie
Abb. 18: ›holografische‹ Projektion von Prinzessin Leia in STAR WARS
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muss solcherart Flächen, Punkte oder auch nur Flecken definieren, auf denen das Bild erscheint. Zu Recht wirft Schröter daher auch die Frage auf, ob das, was sich mit Holografien darstellen lässt, tatsächlich einfach nur voluminöse Varianten linearperspektivischer Darstellungen sein sollte, oder ob die Holografie nicht erst ihre eigene Bildsprache finden und sich ebenso von der Fotografie emanzipieren muss, wie es diese von der Malerei tun musste. Wird die Zeit als Bewegung zur Dimensionenzahl des Bildes hinzuaddiert, handelt es sich bei stereoskopischen Filmbildern also um letztlich ›3,5‹ 3D-Bilder, und erst der holografische Film wäre rechtmäßig als 4D-Bild anzusprechen, wenngleich er von der Wirklichkeit ebenso differieren würde, wie die stereoskopische Darstellung, wenn auch auf andere Weise. Um eine solche Addition von Dimensionen noch weiter zu treiben, würde das für das computergenerierte oder auch animierte (wie bereits auch fotografisch erzeugte) Bewegtbild, insofern es auf linearoptischem Wissen beruht, also bedeuten, dass es ›2D + 1D‹ – also um die zeitliche Dimension ergänzt – ist und doch auch in diesem Sinne ein ›dreidimensionales‹ 3D-Bild sein kann. Gar ließe sich bei Computerspielen noch in Rechnung stellen, dass die Interaktion oder mehr oder minder freie Bewegungsmöglichkeit der Bildobjekte und/oder Perspektive eine weitere Dimension hinzukommen lässt, so dass auf einem ganz anderen Wege eine Erfahrung von ›4D‹ gemacht werden kann.10 Autostereoskopische Bildschirme, wie sie heute für das Fernsehen oder Computermonitore für Produktdesigner oder Computerspieler erhältlich sind, erlauben eine Betrachtung von bewegten respektive selbst beweglichen Stereoskopien, ohne weitere optische Trennungsvorrichtung wie etwa einer Shutterbrille, die dem rechten und linken Auge das jeweilige Teilbild sehen lässt. Die etwa von der Firma visumotion hergestellten Displays differenzieren insbesondere Bildmitte und Hintergrund, so dass sich hier die für das stereoskopische Bild typische Schichtung einstellt, jedoch kein Zugewinn an Volumen. Zu den wenigen Spielen, die auch auf Softwareseite hierfür ausgelegt sind, gehört Counter-Strike: Source (USA 2004, Valve), also die aktuelle Version des Egoshooters, der zumeist für Team-Wettkämpfe genutzt wird. Auch wenn es naheliegend ist, dass 3D-Computerspiele (im linearoptischen Sinne) um eine weitere (halbe) Dimension ergänzt werden, so ist das Phänomen der Schichtung für das Spiel jedoch kaum zuträglich: Denn für die Bildhandlung der Zentrierung des
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Nicht berücksichtigt ist hierbei das sogenannte 4D Kino oder gar 5D Kino, in dem eine Bewegung des Betrachters durch vibrierende Sitze bzw. Gerüche nach Art des Sensoramas zum Bild hinzukommen.
Das Verlangen nach Tiefe
Gegners in der Bildmitte (dem Fadenkreuz) ist die ›Vordergründigkeit‹ noch der entferntesten Stelle des virtuellen Raums nur von Vorteil. Die Information über den Raum beziehen Spieler ohnehin aus der topographischen Ansicht der Minikarte. So ist zumindest im Bereich der auf Präzision ausgerichteten Actionspiele kaum mit einer Durchsetzung von stereoskopischen Bildschirmen zu rechnen.
Abb. 19: C OUNTERSTRIKE SOURCE
Dass sich für Computerspiele vielleicht ein ganz anderer Weg anbietet, der bislang kaum erschlossen ist, zeigt das Experiment des Remote-Hackers Johnny Chung Lee: Er kehrte die Steuerungseinheit der Wii-Konsole von Nintendo um und befestigte den Bewegungsempfänger an einer Brille, während die sonst für die Bewegungseingabe genutzte Interfaceeinheit am Bildschirm befestigt wird.11 Hierüber erfolgt eine invertierte Erfassung der Bewegung, wodurch sich linearoptische 3D-Ansichten erstellen lassen, bei denen nicht nur der durch den Rahmen als Fenster in die Bildwelt sichtbare Raum im Rahmen bewegt werden kann (was etwa bei ›3D-Shootern‹ erfolgt), sondern sich diese im Bezug auf den Standpunkt der Betrachter vor dem Bildträger ändert, so dass sich erst damit die von Alberti inaugurierte Fenstermetapher vollends bewahrheitet: Um den Offscreenraum jenseits des Rahmens einsehen zu können, müssen die Bildbetrachter Ihre Position vor dem Bildträger ändern und aus einem anderen Winkel auf das Bild blicken,12 so dass sich hier ganz ohne holografische Technik ein Eindruck einstellt, der mit einem schon sehr alten Bildphänomen vergleichbar ist: dem Spiegel, bei dem das im (virtuellen) Bild sichtbare ebenfalls durch die Veränderung des Betrachterstandpunktes variiert werden kann.
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Siehe dazu http://johnnylee.net/projects/wii/.
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Überhaupt scheint die Einbeziehung des Körpers, also das In-BewegungBringen der Spieler ein Weg der Zukunft von Computerspielen. Eine stereoskopische Visualisierung ist dann nur noch eine Zugabe, die wohl weniger für Spiele als für die über die Konsole dann auch betrachtete 3D Filme genutzt wird.
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Überhaupt scheint der Spiegel damit alle Erfordernisse einer vierdimensionalen Wirklichkeitswiedergabe zu erfüllen: Verdeckung und Bewegung (die zusammen Plastizität ersetzen könne) und Proportionalität. Letztere ist bei einem nicht gekrümmten Spiegel, der die Objekte unter dem jeweiligen Sehwinkel zeigt (also nicht eine
Abb. 20 und 21: Head Tracking mit der Wii
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direkt-proportionale Größenveränderung zum Betrachter, wie sie vielen Perspektivdarstellungen zugrundeliegt), sogar identisch zur Wirklichkeitswahrnehmung, reduziert freilich um das Taktile auf das rein Visuelle. Von daher ist es bezeichnend, dass als die wohl illusionistischsten, (also den Bildcharakter am deutlichsten verneinenden) Hologramme von Spiegeln gelten können, so dass sich Betrachter in den Holografien (plastisch) spiegeln, wenngleich der vorrangige Zweck dieser sogenannten Weißlichthologramme nach Juri N. Denisjuk ist, Farben wiederzugeben, da Holografien ansonsten aufgrund des notwendigen geringen Frequenzspektrums des Lasers monochrom sind.
Vergangenheit und Zukunft des 3D-Kinos Für die Frage nach der gegenwärtigen Relevanz von 3D-Bilder und einer Zukunftsprognose ist es also an diesem Punkt wichtig, festzuhalten, dass stereoskopische Bilder nicht die einzige Möglichkeit sind, Raum bildlich wiederzugeben, sondern ein alternativer Weg zum linearoptischen Verfahren der Perspektivdarstellung. Eine Unkenntnis der differierenden Grundlagen, welche jede für sich zu 3D-Bildern gelangen, führt ferner dazu, dass Stereoskopie und Holographie entweder in eins gesetzt werden oder eben von ste-
Das Verlangen nach Tiefe
reoskopischen Darstellungen unzweifelhaft angenommen wird, sie seien die ›besseren‹, wirklichkeitsnäheren Darstellungen. Ebenso wie das holografische Verfahren aber auch kein ›besseres‹ ist, sondern einfach eines, dass das Licht unter Absehung der physiologischen Eigenheit des menschlichen Erkenntnisapparats misst und speichert, so ist auch das auf physiologische Bedingungen (Zweiäugigkeit) rekurrierende Verfahren nicht ›näher an der Wirklichkeit‹ oder ›realistischer‹, sondern beide bringen – ebenso wie die auf dem linearoptischen Wissen beruhende Zentralperspektive – eigene Bildarten hervor, die unterschiedliche Effekte zeitigen und die Betrachter jeweils eine Differenzerfahrung machen lassen: in der Holografie die bewegte Statik des voluminösen Bildobjekts, in der linearperspektivischen Darstellung das Phänomen der Unwandelbarkeit der Perspektive13 und in der stereoskopischen Darstellung der Effekt der Schichtung. In diesem Effekt der Schichtung liegt letztlich der Schlüssel für ein Verständnis dieser Bildart und ihrer Faszination, die – jeweils wenn der Effekt wieder in Vergessenheit geriet oder die Betrachter entwöhnt waren – auch als ›neu‹ auftreten und vermarktet werden kann. Letzteres erfolgte im Kino bislang dann, wenn das Kino in der kommerziellen Krise war: so gab es bereits in den 1950er Jahren eine erste große Welle von (stereoskopischen) 3D-Filmen. Diese setzte zu dem Zeitpunkt ein, als die Verbreitung der Fernsehgeräte in den Privathaushalten sprunghaft anstieg und das Kino um ein Alleinstellungsmerkmal rang. Hierfür nutzen die Filme das bereits kurz nach Wheatstone und Brewster im Jahr 1853 von dem Leipziger Mathematiker Wilhelm Rollmann entwickelte Verfahren der anaglyphischen Stereoskopie, bei der die beiden Einzelbilder in eins gesetzt werden, d.h. sich überlagern, und durch die Kolorierung in Komplementärfarben durch den Einsatz von Farbfiltern in der Betrachtung wieder getrennt werden können.14 Das Kino konnte in den 1950er Jahren (genau genommen hielt der erste Boom nur von 1953 bis 1954 an) dafür seinen – neben dem in Ergänzung dazu angeboteten anamorphotischen CinemaScope13
Dieses oben noch nicht ausgeführte Phänomen betrifft den Effekt, dass gleich wo Betrachter sich vor der Bildebene befinden, sie trotz Dehnung und Stauchung der Bildobjekte stets dieselbe Perspektive sehen. Was etwa dann zum Tragen kommt, wenn ein Bildobjekt so dargestellt ist, dass dessen Blick aus dem Bild heraus zentral zum Konstruktionspunkt vor dem Bild verläuft und sich Betrachter ‚beobachtet‘ fühlen können, weil sie der Blick des dargestellten Menschen oder eines anderen Wesens ‚verfolgt‘.
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Als erster stereoskopischer Film überhaupt, gilt der auf dieser Technik beruhende und von Harry K. Fairall produzierte THE POWER OF LOVE von 1922, dessen Filmmaterial jedoch verschollen ist.
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Verfahren, durch das mit herkömmlicher Projektionstechnik ein Breitbild projiziert werden konnte (vgl. Bazin 2002) – verbliebenen Vorteil gegenüber dem Fernsehen nutzen, den es jedoch bereits im selben Jahrzehnt wieder verlieren sollte: die Farbdarstellung. Mit ihr konnten nun stereoskopische 3D-Filme gezeigt werden, die allerdings (wieder) in Schwarz-Weiß waren, da die Farben ja zur Differenzierung des rechten und linken Einzelbildes verwendet wurden. Vor der gegenwärtigen Renaissance als der dritten großen Welle des 3D-Kinos gab es immer wieder kleinere Schübe der ›Raumfilme‹ im Kino:15 So insbesondere in der zweiten Welle in den 1980er Jahren als das Polarisationsverfahren (die Trennung der Darstellung für das rechte und das linke Auge erfolgt hierbei nicht mehr über Farbfilter, sondern über die Lichtschwingung) dann auch 3D-Farbfilme möglich machte und das Kino wieder mit einer neue Attraktion aufwarten konnte. Überhaupt war das Spektakuläre des stereoskopischen Films nicht nur form- sondern auch inhaltsbestimmend: Zumeist handelte es sich um Actionfilme, die besonders in der zuletzt genannten Konjunktur als 3D-Sequel erfolgreicher Blockbuster antraten. Ihre eben nicht nur formale, sondern auch inhaltliche Besonderheit wurde dann zumeist titelgebend: So etwa in dem dritten Teil von Der weisse Hai, der im Original Jaws 3-D (USA 1983, Joe Alves) hieß, und in dem letztlich die Erzählung soweit zurückgenommen wurde, dass die Zuschauer sich allein auf den Bildeffekt konzentrieren konnten.
Die Tiefe – ›3D‹ als symbolische Form
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Das heute bisweilen abermals zum Titel hinzugefügte »3D« – fast flächendeckend für IMAX-Dokumentarfilme, zum Teil aber auch für Spielfilme wie bspw. Piranha 3D (USA 2010, Alexandre Aja) – gibt solcherart jedoch nicht nur Aufschluss über die technische Form des Bildes, sondern auch über die kulturelle Signifikanz oder deren Bedeutung als eine symbolische Form. Bereits das linearperspektivische Bild symbolisierte auf formale Weise, wie Erwin Panofsky in seiner maßgeblichen Studie über Die Perspektive als ›symbolische Form‹ von 1927 zeigte, zweierlei: ein systemisches Raumverständnis, das die Unendlichkeit und Apriorizität des Geometrischen impliziert, und ein irdisches Raumverständnis, welches das Diesseits nicht nur subjektivierte, sondern zu einem Ort des Menschen machte. Unendlichkeit (der Berechenbarkeit) und 15
Der Ausdruck ‚Raumbild‘ für Stereoskopie wird erstmals 1867 von Hermann von Helmholtz verwendet und dann insbesondere in der Nazi-Zeit durch den ‚Raumbild-Verlag‘ aufgegriffen (vgl. Schröder 2009, 160ff).
Das Verlangen nach Tiefe
Abb. 22: IMAX-Plakat einer Dokumentation in 3D
Subjektivität (der Wahrnehmung) sind damit keine Gegensätze, sondern Elemente ein und desselben ›Weltbildes‹, nämlich dem der Neuzeit. Durch seinen linearoptischen Anteil (jedes Einzelbildes) drückt folglich auch das stereoskopische Bild diese kulturelle Bedeutung einer Form aus, jedoch kommt aufgrund des auf dem physiologischen Wissen beruhenden Schichtungseffekts noch ein weiteres Moment hinzu: das der Tiefe, und zwar einer sich entziehenden und mithin beunruhigenden Tiefe. Tiefe allein war auch dem linearperspektivischen Bild eigen und das Bindeglied zwischen der Unendlichkeit des Raums und einem Subjekt, das zu diesem in Relation tritt. Oswald Spengler brachte das bereits vor Panofsky 1918 im ersten Band seiner Morphologie der Weltgeschichte mit einer anderen Nuancierung auf den Punkt, wonach erst die Neuzeit den Begriff des Raums (im Unterschied zu ›Ort‹ in Antike und Mittelalter) haben konnte, weil sie ein Verlangen nach Tiefe entwickelt hätte; respektive, weil es nach einer Symbolisierung für die »empfundene Tiefe« (Spengler 1972, 217) suchte, habe es zu entsprechenden Raumdarstellungen kommen können. Gar behauptet Spengler: »Erst die Tiefe ist die eigentliche Dimension im wörtlichen Sinne, das Ausdehnende« (ebd., 218); und wie in Vorwegnahme des 3D-Films, wohl aber auch schon unter dem Eindruck des zeitgenössischen Films, schreibt er weiter: »Das Erlebnis der Tiefe ist [...] ein [...] vollkommen schöpferischer Akt. [...] Er schafft aus dem Strom der Empfindungen eine formvolle Einheit, ein bewegtes Bild [...]« (ebd.). Stereoskopische Filme ›vertiefen‹ nun die ohnehin durch Proportionalität und Verdeckung wahrnehmbar gemachte Tiefe des linearperspektivischen Bildes noch einmal, indem sie die Schichtung
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des Bildes, oder genauer: den Eindruck mehrerer (materieller) Bildebenen hintereinander zeigen: also Raum hinter dem Raum oder Räume hinter Räumen. Es ist daher kaum verwunderlich, dass die Sujets der ersten Hochphase des 3D-Kinos solche waren, die bspw. den ›Outer Space‹ (das Weltall) oder den ›Deep Space‹ (das Unterseeische) zeigten. Tiefe wird hier durch jede erdenkliche Konnotation evoziert: als (räumliche wie zugleich auch zeitliche) Ferne, als Unerschlossenheit oder schlicht als (wissenschaftliches) Mysterium. Ein einschlägiges Beispiel für den unterseeischen Tiefenraum ist Creature form the Black Lagoon (USA 1954, Jack Arnold), also aus dem zweiten und bereits letzten Jahr der Konjunktur, dessen Trailer explizit mit dem »totalen (stark) Realismus« von ›3D‹ wirbt. – So ist als Texteinblendung zu lesen: »Out of the Murk and Mystery / Of A Hundred Million Years Ago / Up from the Depths of Unknown Waters / Comes A Creature to Confound Science / And Terrorize the World! / Creature from the Black Lagoon/ Shocking in the Stark Realism / of Perfected 3 Dimension.« Der Trailer schließt dann mit: »Deep Deep Deep / Into the Waters of His Domain / Where Man May Follow / Only at His Peril!«, sowie einem nachgesetzten: »Amazing in 3 Dimension«.
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Abb. 23-25: Filmstills des Trailers zu CREATURE FORM THE BLACK L AGOON
Das Verlangen nach Tiefe
Abb. 26: Filmstill des Trailers zu CREATURE FROM THE BLACK L AGOON (»Deep, Deep, Deep«)
Das durch eine sich verjüngende Schrift ausgedrückte Verlangen nach ›echter Tiefe‹ (»Deep Deep Deep«) ist also sowohl auf die Form der Bildobjektes bezogen als auch auf das Bildsujet als Filminhalt. Konterkariert wird dieses – letztlich aufgrund der apriori technischen Uneinhaltbarkeit ›leere‹ bleibende – Versprechen von Tiefe durch die abschließende Warnung, welche zwar innerdiegetisch zunächst auf die Filmcharaktere bezogen ist, aber metonymisch die Filmzuschauer meint: Betrachten auf eigene Gefahr! (Und sei es nur auf die Gefahr der Enttäuschung hin.) Ähnlich verhält es sich auch 1953, im ersten Jahr der Konjunktur des 3D-Films, als It Came from Outer Space (USA 1953, Jack Arnold) in US-amerikanischen Kinos gezeigt wurde. Auch der hierzu gehörige Trailer vermengt eine versprochene, aber technisch gerade auf diesem Wege nicht darstellbare Bildtiefe mit einer räumlichen Tiefe: »The Most Memorable The Most Startling Experience of Your Life! / From the Blackness of a Hundred Million Nights / From Uncounted Millions of Light Years Away / ›It Came from Outer Space‹ / 3 Times More Thrilling in / 3 Dimension.« Bei diesem Film wird eine Type für die Titelei verwendet, welche die erstrebte aber durch das stereoskopische Bild nicht einholbare Plastizität des Bildes simuliert, und zwar in abgemilderter Form: durch die auf einer imaginären Fläche zum Fluchtpunkt des Bildes laufenden Schrift, wie sie dann wieder in den (nicht stereoskopischen) Weltraumfilmen der späten 1970er Jahre Verwendung findet, insbesondere beim eröffnenden Titeleilauf in Star Wars (dort noch nicht digital, sondern durch die Aufnahme von am Boden liegender Buchstaben erzeugt), in dem eben auch die erste Simulation eines holografischen Bewegtbildes zu sehen ist. Im stereoskopischen wie auch im allein zentralperspektivischen Bild wird solcherart auf eine Tiefenerfahrung verwiesen, welche das Bild – insofern es kein Hologramm ist – gerade nicht erfahrbar macht. Gleichwohl
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verführen diese Titeleien zur Tiefe, oder vielmehr bedienen sie ein offenkundiges Verlangen danach, das Spengler als schlichtweg konstitutiv für die abendländische Kultur ansah.
Abb. 27: Filmstill des ›Opening Text Crawl‹ von STAR WARS, Voice Over verweist dabei auf »A long time ago in a galaxy far, far away «
Realismus: Verführung und Destabilisierung
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Ebenso wie im ›2,5D‹ 3D-Kino zwei Linien des ›Bildwissens‹ (Stereoskopie und Linearperspektie) aufeinandertreffen, so kreuzen sich in der kulturellen Deutung auch zwei Linien der Bildtheorie: zum einen die Theorie des Realismus, zum anderen die der Verführung. Die erste wurde maßgeblich durch André Bazin in der 1946 formulierten These vom ›totalen Kino‹ vorgebracht (vgl. Bazin 2004a), das bereits ebenfalls eine Verführungsthese beinhaltet: nämlich das Versprechen des perfekten Bildes, das früher oder später realisiert sein wird. Bazin hat seine These wenig später insbesondere an Citizen Kane (USA 1941, Orson Welles) verdeutlicht, dessen tiefenscharfe Darstellung zur damaligen Zeit als maximal ›realistisch‹ galt; und dies eben nicht nur aufgrund der tiefen Raumdarstellung, sondern auch aufgrund des Interpretationsspielraums, der den Zuschauern in Ermangelung von Unschärfen, (zur Nicht-Kennzeichnung irrelevanter Details) gegeben wurde (vgl. Bazin 2004a, 99-109). Die These der medialen Verführung wurde vor allem von Jean Baudrillard vorgebracht: Anders als für Bazin bedeutet das realistische Bild für Baudrillard jedoch gerade die Unmöglichkeit der Verführung. Er hat dabei unter anderem die Allgegenwart von Nahund Detailaufnahme der Werbefotografie in den Großstädten vor Augen, die für ihn allesamt pornografisch sind, weil sie eben nicht verführen – indem sie das Detail gerade nicht zeigen – sondern es in aller Deutlichkeit zeigen. Es ist nach Baudrillard dabei unerheblich, ob dabei Geschlechtsteile oder überhaupt nackte Haut zu sehen ist – Verführung werde in jedem Fall verunmöglicht. Dies gilt nun nach Baudrillard für das realistische Bild per se: In seinem Essay Von der Verführung aus dem Jahr 1979 findet sich eine bemer-
Das Verlangen nach Tiefe
kenswerte Kapitelüberschrift, welche lautet: »stereo-porno«. – Der Text beginnt wie folgt: »Das trompe-l’oeil entzieht dem realen Raum eine Dimension und das bewirkt seine Verführung. Der Porno dagegen erweitert den Raum des Sexes um eine Dimension, er macht ihn wahrer als das Wahre – das bewirkt die Abwesenheit von Verführung« (Baudrillard 1992, 45). Will heißen, die Augentäuschung (zumeist in Form des rahmenlosen Perspektivbildes, das Eigenschaften mit seiner Umgebung teilt und so die Grenze zwischen Bild und Nichtbild kaschiert) kann mit dem Raum dadurch konkurrieren, dass es diesen – unter Verwendung von einer Dimension weniger – simuliert. Dies ist eine Eigenschaft, welche eben dem zentralperspektivischen Bild zukommen kann (insofern keine Wahrnehmung einer Bildgrenze vorhanden ist). Pornographie als »Karikatur« des »guten Sexes« (ebd., 56) hingegen verdoppelt den Raum des Realen in einen hyperrealen Bereich der realer ist als das Reale, den sichtbaren Sex, und in die abwesende, aber als real gesetzte Realität (des ›guten Sex‹). Während Letztere jedoch im Fall der Augentäuschung noch verfügbar ist, ist sie im Falle der Pornographie abwesend und unverfügbar, da an ihre Stelle die gezeigte Nacktheit als Wahrheit getreten ist. Baudrillard spricht zwar an dieser Stelle, wie auch im gesamten Text, nicht von stereoskopischen Bildern, aber eingedenk der Tatsache, dass ein nicht unerheblicher Teil der stereoskopischen Darstellungen vor allem im 19. Jahrhundert pornographischen Inhalts waren, kann auch hier ein Vergleich zwischen Form und Inhalt gezogen werden, um die Symbolizität der besagten Bildform zu erörtern. Denn auf keine anderen Bilder trifft Baudrillards Charakterisierung derart zu, wie auf stereoskopische Aktaufnahmen, nur erweitert sich ihr horizontales Stereo um ein sagittales Stereo, oder vielmehr ist der Effekt einer Doppelbild Betrachtung derjenige einer in die Tiefe reichenden Schichtung oder Verdopplung und Vervielfachung von Raum zu Raumschichten und Räumen: Auch wenn er nicht sichtbar ist, hinter jeder Wand gibt es einen weiteren
Abb. 28: stereoskopische Aktaufnahme
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potentiellen Raum. Ein solcher ›Offscreenspace‹ kann freilich auch bei nichtstereoskopischen Bildern diegetisch impliziert werden, jedoch als Wahrnehmungsgegebenheit nur durch die stereoskopische Schichtung. Nicht nur Aktfotografien, sondern alle stereoskopischen Bilder sind, der Logik der Raumproduktion nach Baudrillard zufolge, pornographisch oder ›stereo-pornographisch‹, da sie das ›Dahinter‹ als wahren Raum setzen ohne ihn zu zeigen und das Greifbare als Allzunahes präsentieren. Auf dieser Logik des Zeigens und Nichtzeigen, Verfügbar- und Nichtverfügbar-Habens beruhen demnach auch die ethnographischen und andere dokumentarische Bilder, etwa des Krieges, der Stereofotografie: Sie zeigen zwar auch wie die Monofotografie keine anderen Sujets, aber sie zeigen diese Sujets auf andere Weise: realer als das Reale, welches als dahinterliegendes evoziert wird. Darin unterscheidet sich die Stereographie auch von der Indexikalität der herkömmlichen analogen Fotografie, mit der laut Roland Barthes der Betrachter des Bildes über Raum und Zeit hinweg mit dem gezeigten Ereignis verbunden ist (vgl. Barthes 1985, 90ff.). In der Stereofotografie hingegen wird diese Beziehung zur (zugleich visuellen wie referentiellen) Tiefe des Bildes destabilisiert. So schreibt bereits auch Crary, dass die Stereofotografie »obszön« war »im ursprünglichen Sinne des Wortes« (Crary 1996, 131) und leitet das Wort von »off scene« her: »Es zerstörte den szenischen Bezug zwischen Betrachter und Objekt, der für die grundlegende theatralische Anordnung der Camera obscura noch charakteristisch war« (ebd.). So referiert auch Linda Williams in ihrem, an Crary anschließenden, Essay über Pornographische Bilder und die
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Abb. 29: ethnographische Stereofotografie Abb. 30: Stereofotografie des amerikanischen Bürgerkriegs
Das Verlangen nach Tiefe
›körperliche Dichte des Sehens‹ von 1995 dessen, bereits eingangs zitierte Position: »Die wichtigsten Sinnestäuschungen des Stereoskops sind der gespenstische Eindruck, ein Objekt sei mit den Händen greifbar, die Illusion, es könne tatsächlich berührt werden, sowie der Anschein, es befände sich in unmittelbarer Nähe der Betrachterin oder des Betrachters. Die stärksten stereoskopischen Effekte riefen jene Objekte hervor, die sich im unmittelbaren Vorderoder Mittelgrund des Bildes befanden. Die aufreizende Nähe und gleichzeitige Unerreichbarkeit des Objekts [...] verlieh dem Stereoskop das, was die meisten seiner Beobachterinnen [...] einmütig seine spezifische Obszönität nennen würden« (Williams 2003, 242). Die Obszönität der allzupräsenten Objekte in stereoskopischen Bildern findet sich tatsächlich in vielen der heutigen ›2,5D‹ 3D-Filme, aber bereits auch in den Filmen der zweiten Welle: Es sind insbesondere die auf den Zuschauer zufliegenden Objekte, welche der Tiefenschichtung des Bildes eine Sichtbarkeit verleihen. Im Gegensatz zu den Stereographien des 19. Jahrhunderts wird dabei aber vor allem eine imaginäre Bildebene etabliert, die vor dem materiellen Bildträger liegt, so dass die in den frühen Aufnahmen noch gewahrte Distanz zu den Objekten im Bildrahmen getilgt ist. Solche Aufnahmen dominieren in neueren Filmen, auch wenn dort freilich ›tiefe Blicke‹ in die Landschaft stereoskopisch dargeboten werden. Nur ist dieser Blick in die Ferne qualitativ kaum unterschieden von monoskopischen Aufnahmen weiter Räume, da die Information von Tiefe bei diesen Einstellungen eben aus der Proportionalität herrührt und nicht aus der Schichtung von Bildebenen. (Weshalb es für die Wahrnehmung des stereoskopischen Effekts unabdingbar ist, noch ein zusätzliches Objekt in den Vordergrund einzubringen.) 3D-Filme sind so regelrecht einem szenischen Diktat unterworfen, vor allem solche Abläufe zu zeigen, bei denen Objekte aus einer mittleren Bildebene heraus auf den durch die Perspektive definierten Betrachterstandpunkt vor dem Bild zuschießen, zufliegen oder zustoßen. Entsprechende Szenen wirken in der Einzelbildbetrachtung mithin albern, in jedem Fall aber diegetisch unmotiviert, da die klassische Filmerzählung die Einbeziehung des Raums vor der Leinwand (etwa als Blick in die Kamera) gerade zu vermeiden sucht oder nur sehr reduziert einsetzt, zumeist dann wenn ein Bruch mit der Erzählung oder auch der Fiktion insgesamt herbeigeführt werden soll. Im stereoskopischen Film der Gegenwart aber ist die ›vierte Wand‹ per se nicht existent oder vielmehr beginnt sie aus rein bildformalen Gründen erst hinter dem Betrachtungsraum.
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Der jüngste und ebenfalls stereoskopisch gedrehte Film der Resident Evil-Reihe, Resident Evil: Afterlife (USA 2010, Paul W.S. Anderson) der wohl nicht nur den narrativen Tiefpunkt der Filmserie markiert, sondern in seinen wenigen spannenden Momenten fast gänzlich aus Filmzitaten besteht, ist zumindest in einer Hin-
Abb. 31: Flugzeug vor Landschaft in RESIDENT EVIL: A FTERLIFE
sicht bemerkenswert:16 Er nimmt an verschiedenen Stellen direkt Bezug auf die stereoskopische Technik, wobei vor allem das Durchdringen der die Betrachter vor den Ereignissen schützenden Wand genutzt wird. So ist gegen Ende des Films eine Szene zu sehen, in welcher der Opponent der Heldin Alice ihr (oder dann vielmehr den Zuschauern) seine Brille entgegen schleudert; was freilich als medienreflexiver Hinweis auf die Polarisationsbrillen gedeutet werden kann. Neben weiteren unabdingbaren sagittalen Inversbewegungen, welche durch das stereoskopische Bild regelrecht erzwungen werden, erfolgt zum Abschluss des Eröffnungskampfes, in dem Alice einer ganzen Polizeitruppe trotzt und ob dieser Übermacht, eine Dopplung ihrer Person: Alice wird selbst zwei – oder ist es im Sinne von Luce Irigaray bereits aufgrund ihres Geschlechts (vgl. Irigaray 1979) – und wiederholt zugleich in transfilmischer Referenz auf The Matrix Reloaded (USA 2003, Andy und Larry
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Abb. 32: Brille gegen Zuschauer in R ESIDENT EVIL: A FTERLIFE 16
Wie bereits die Filme der 1950er Jahre verspricht der Trailer eine Tiefe des Films im doppelten Sinne – als räumlich-visuelle wie auch als narrative – wohl wissend, dass das stereoskopische Bild nie die Plastizität einer Holografie, geschweige denn der Wirklichkeit imitieren kann: »Experience a New Dimension / of Evil«.
Das Verlangen nach Tiefe
Wachowski) den Fenstersturz der Protagonistin Trinity, die durch eine berstende Glascheibe hindurch rückwärts in die Tiefe stürzend mit Blick zum Zuschauer auf ihre Feinde schießt. Mit der stereoskopischen Bildform eröffnet sich so noch eine andere Deutungsmöglichkeit, nämlich diejenige, die den stereoskopischen Film im Sinne der Verunsicherung oder unkonkreten Tiefe als eine Spaltung versteht. So hat etwa Tanya Krzywinska darauf hingewiesen, dass es in 3D-Filmen zu einer auffälligen Häufung von Kastrationsszenen – der Spaltung oder Tilgung des phallisch eindeutigen – kommt (vgl. Krzywinska 2011): Etwa wird in Beowulf (USA 2007, Robert Zemeckis) das überlebensgroße Monster Grendel vom titelgebenden Helden durch die Zerstörung seines Geschlechtsorgans zunächst verkleinert (es schrumpft) und dann getötet. Auch in Resident Evil: Afterlife findet sich in der Filmmitte die Tötung eines alle überragenden maskierten Scharfrichters, der erst wenige Szenen zuvor und völlig unmotiviert in der Filmerzählung auftaucht. Auch er wird – dieses Mal von einer Frau, Alices Mitstreiterin Claire Redfield – kastriert, insofern er mit einem Schuss von unten zwischen die gespreizten Beine an seiner dann offenkundigen ›Achillesverse‹ (die sein Phallus ist) getroffen wird. Unabhängig davon jedoch, ob und wie 3D-Filme der männlichen Kastrationsangst ein Bild geben, stellen sie die Unmöglichkeit des Bilds aus, voluminös zu sein, und den vermeintlich vollen Raum als eben das aus, was stereoskopische Bilder letztlich sind: Bilder.
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Christine Hanke Kino der Effekte – Überlegungen zum Status des spektakulären Bildes Strategien, um räumliche und immersive Effekte im und mit dem Medium des Bildes zu erzielen, können bis in die illusionistische Deckenmalerei des Barock, wenn nicht gar bis in die römische Antike, zurückverfolgt werden (Grau 2003). Neben dem Panorama als 360°-Anordnung, vorwiegend zur Darstellung von historischen Schlachten, findet sich eine fotografische Vorform zur Erzeugung von 3D-Effekten in der Stereoskopie des 19. Jahrhunderts; in den 1970er Jahren wiederum folgt mit der Technologie von IMAX, IMAX 3D, IMAX Dome ein erneuter Boom; auch die – wiederum mit euphorischer Begeisterung aufgenommenen – Technologien der Virtual Reality stehen im gleichen Bestreben der Erzeugung spektakulärer räumlicher Realitätseffekte durch das Bild. Im wissenschaftlichen, aber auch im popularisierenden Kontext werden seit einigen Jahren sogenannte CAVEs (Cave Automatic Virtual Environments) eingesetzt, in denen Daten auf den sechs Wänden eines begehbaren Kubus visualisiert und manipuliert werden. Und in der astronomischen Bildproduktion gibt es ganz aktuell ein verstärktes Interesse an 3D-Bildern – wenn auch vornehmlich für den Kontext der öffentlichkeitswirksamen Popularisierung von Forschung. 1 Solche Bestrebungen haben meist eine relativ kurze Verfallszeit, manchmal halten sie sich etwas länger wie etwa IMAX 3D, welches mittlerweile das ›klassische‹ IMAX und IMAX Dome verdrängt hat. Das Ereigniskino IMAX und seine Varianten erscheinen vor die-
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Die vom Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrum (DLR) entwickelte hochauflösende Stereokamera HRSC ist experimenteller Bestandteil der seit 2003 im Rahmen der ESA-Mission den Mars umkreisenden Sonde »Mars Express«, aus den u.a. von ihr erhobenen Bilddaten werden stereoskopische 3D-Bilder des Mars erstellt (DLR o.J.; DLR 2008).
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sem Hintergrund als »Kinosaurus Rex« – als überdimensionierte immersive Technologie der Schaulust aus dem Jahrmarkt- und Messekontext, welche zwar vom Aussterben bedroht ist, es aber in diversen Nischen schafft zu überleben oder sogar neuen Atem zu schöpfen (Hanke 2010, 169ff ). Daneben flammt jedoch immer wieder das Begehren auf, Bilder auf neue Weise zu ›spektakularisieren‹ – die gegenwärtige 3D-Begeisterung scheint hierfür das aktuellste Beispiel zu sein. Bildgestaltungen und Bildstrategien mit in die Vertikale strukturierten Bildräumen, tiefen Fluchtlinien (Klüfte, Abgründe, Abstürze), Gegenständen, die zwischen Bildtiefe und Zuschauerraum zu schweben scheinen (Schwebteilchen unter Wasser u.ä.), aber auch ästhetische und dispositive Strategien der Rahmendurchbrechung oder -auflösung gibt es bereits im Format des klassischen IMAX. Vor diesem Hintergrund wäre zu fragen, ob es sich bei der aktuellen 3D-Euphorie nicht ebenfalls um eine solche Nische handelt, welche dieses Mal allerdings vor allem in ökonomischer Hinsicht überdimensioniert scheint und deshalb vielleicht etwas länger bestehen wird – zumindest bis sich die fast flächendekkende technische Umrüstung der Abspielstätten amortisiert haben wird. Statt in 3D also die progressive Zukunft des Kinos oder gar eines neuen Mediums zu sehen, möchte ich die aktuelle Entwicklung vielmehr im Rahmen einer für das Medium Kino spezifischen Bildformation situieren: Mich interessieren im Folgenden nicht so sehr die Genealogie von 3D, die technologischen Hintergründe, die Making Ofs kinematografischer Special Effects, sondern die besondere Konstellation dessen, was ich das »spektakuläre Bild« nenne: seine ästhetische Gestaltung, seine Funktionsweise, seine paradoxen Effekte und seine historische Transformation. Das aktuelle 3D-Kino erscheint vor diesem Hintergrund als Verlängerung einer historischen spezifischen Transformation des Spektakelbildes, die ich am Ende dieses Beitrages kurz skizzieren werde. Ästhetisch und epistemologisch sind in dieser Bildformation des spektakulären Bildes spektakuläre Effekte und Realitätseffekte eng miteinander verkettet. Bemerkenswert insbesondere im Hinblick auf die Erzeugung immersiver räumlicher Effekte scheint mir, dass sich hierbei ein offenbar immer wiederkehrendes Begehren abzeichnet, das Bildmedium zu nutzen, um die dem Bild eigene Medialiät (insbesondere seine Flächigkeit) zu überschreiten und Bildlichkeit auf diese Weise letztendlich zu negieren. Im Folgenden nähere ich mich der kinematografisch spezifischen Bildformation des spektakulären Bildes kaleidoskopartig aus verschiedenen Perspektiven.
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Das Kino als Special Effect: Bilder in Bewegung Von Beginn an war das Kino – einschließlich seiner Vorformen – auf die Erzeugung visueller, später auch akustischer, Effekte angelegt: Der Filmhistoriker Tom Gunning beschreibt, wie in den Anfängen des Kinos die spezifische Medialität dieser neuen Technologie – nämlich ihre Fähigkeit, Bilder und Bildobjekte in Bewegung zu setzen – regelrecht inszeniert wurde: Oftmals begann die Vorführung des Films mit dem eröffnenden Standbild und einer Einführung durch einen kommentierenden Conférencier, welcher den Beginn der Filmbewegung ankündigte und ihn auf diese Weise gleichermaßen aufschob (Gunning 1989, 120f ). Auch die magischen Filmtricks von Georges Méliès beruhen auf der Bewegtheit der filmischen Bilder und verweisen auf die spezifische Performativität des neuen Mediums: Mittels Manipulation der Bewegung der Filmspule (›Stop Trick‹) bei der Aufnahme lässt Méliès Menschen, Tiere, Dinge erscheinen, sich ineinander verwandeln, aber auch wieder verschwinden. Die Bewegtheit der Bilder macht vor allem in den Anfangsjahren des Kinos also das Spektakuläre dieses neuen Mediums aus. Gleichzeitig wird dem Kino nachgesagt, dass es in seinen Schauerlebnissen bewegter Bilder auch besondere Realitätseindrücke hervorbringe: Siegfried Kracauer verortet die Filme der Gebrüder Lumières als Gegenposition zu Méliès auf Seiten der realistischen Tendenz, welche er hinsichtlich der »Errettung der physischen Realität« deutlich bevorzugt (Kracauer 1960). Doch sind gerade die Filme Lumières mit einem hartnäckigen filmhistorischen Mythos verbunden, der sich trotz Widerlegungsversuche (Gunning 1989, Loiperdinger 2004) hält: Die Zuschauer_innen sollen bei der Vorführung des Films L’arrivée d’un train der Gebrüder Lumières 1895 vor Schreck schreiend aus dem Vorführsaal gerannt sein, um dem vermeintlich auf sie zufahrenden Zug zu entkommen. In diesem Mythos verbinden sich Realitätseffekt und Spektakuläres auf eigenartige Weise: Unter Einbeziehung von Gunnings Ausführungen lässt sich sagen, dass dem Kino im Gründungsmythos zu L’arrivee d’un train ein Realitätseffekt zugeschrieben wird, der gleichzeitig ein spektakulärer Schaueffekt ist – ein show effect. Kracauer, der in seiner Filmtheorie darum bemüht ist, Méliès und Lumières in ihren ästhetischen Strategien hinsichtlich formativer und realistischer Tendenz des Kinos voneinander zu unterscheiden und gegeneinander in Stellung zu bringen, könnte man vor diesem Hintergrund wie folgt ›gegen den Strich‹ lesen und aufeinander abbilden: Selbst das dem Dokumentarischen zugerechnete Kino der Lumières birgt nämlich einen Spezialeffekt des Reali-
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Abb. 1: Kracauers Gegenüberstellung von Lumière und Méliès
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tätseindrucks in sich, den Realitätseindruck als Special Effect (vgl. Nessel 2000; Hanke 2010, 203ff ). Für Méliès hingegen kann man bei aller Theaterhaftigkeit und ›formativen Tendenz‹ seiner Filme sagen, dass es hier dennoch um die Erzeugung von – wenn auch explizit fantastischen – Realitätseffekten geht. Vor diesem Hintergrund wird die klare Unterscheidung zwischen Dokumentarischem und Fiktionalem, wie sie in den Filmwissenschaften bis heute weitgehend selbstverständlich scheint, problematisch. Seit den Anfängen des Kinos scheinen vielmehr Dokumentarisches wie Fiktionales eigentümlich miteinander verquickt. Siegfried Kracauers Unterscheidung der formativen Tendenz und der realistischen Tendenz des Kinos ließe sich in Begriffen des Effekts und der Performativität daher wie folgt umformulieren: Jede Realitätsdarbietung beinhaltet einen Show Effekt und jede Illusion operiert mit Realitätseffekten, sonst wären sie nicht entsprechend wirkungsvoll. Provokativ formuliert, ließen sich daher die von Kracauer für die beiden Tendenzen ins Spiel gebrachten Antipoden – die Gebrüder Lumières und Georges Méliès – beide als »Kino der Attraktionen« im Sinne Gunnings verstehen (Gunning 1986): In beiden Filmen agiert der Film als Spektakel – als Spektakel der Realitätseffekte und als spektakuläre Show.2 Verallgemeinert man hier also Gunnings filmhistorische Perspektive zu einer theoretisch-systematischen These über das spektakuläre Bild, so könnte man sagen: Es ist gerade dieses merkwürdige Spannungsverhältnis von Schau- und Realitätseffekt, welche das spektakuläre Bild ausmacht. Es vereint Schau- und Realitätseffekt in einem.
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Eine Verbundenheit von show und reality zu konstatieren, soll die analytischen Kategorien nicht komplett auflösen, ermöglicht aber doch ein komplexeres Verständnis sowohl für die spektakulären Show-Effekte von dokumentarischen Filmen wie L‘ARRIVE D‘UN TRAIN als auch für die Realitätseffekte des Special Effect-Kinos.
Kino der Effekte
Doch zunächst einmal: Wie lässt sich der Realitätseffekt des Kinos theoretisch begreifen und wie ist er an die kinematografische visuelle Wahrnehmung gebunden?
Der Imaginäre Signifikant Als theoretischen Ausgangspunkt zum Verständnis des Realitätseffekts des Kinos greife ich mit Christian Metz und der Konzeption des imaginären Signifikanten auf eine etwas in die Jahre gekommene filmtheoretische Position zurück (Metz 1977). Metz ist einerseits dem Textparadigma der Filmtheorie der 1970er Jahre zuzurechnen, das seit den 1990er Jahren – sowohl in Filmtheorie wie auch der Kinopraxis des Blockbusters – in Ablösung begriffen ist. Andererseits bietet dieses Konzept nach wie vor wertvolle Hinweise für bildtheoretische Überlegungen zur Funktionsweise und dem eigentümlichen Charakter des filmischen Bildes. In diesem Sinne soll hier die psychoanalytische Filmtheorie als Denkmodell in Anschlag gebracht werden, das ermöglicht, spezifische Probleme des filmischen Bildes fassbar und diskutierbar zu machen. Nach Metz’ semiotisch-psychoanalytischer Filmtheorie nämlich ist »[j]eder Film […] ein fiktionaler Film«: »Das Charakteristische des Kinos besteht nicht im Imaginären, das das Kino eventuell darstellen kann, sondern darin, dass es von Anfang an imaginär ist, wodurch es sich als Signifikant konstituiert« (Metz 1977, 45, Herv.i.O.). Das Kinematografische zeichnet sich daher konstitutiv durch eine paradoxale Struktur aus, denn was Filme zeigen, ist gleichermaßen an- wie abwesend. Filme geben den Eindruck einer Fülle von Präsenz, doch ist diese Anwesenheit eine rein bildliche, die Dinge selbst sind und bleiben abwesend. Das besondere des Films ist daher diese Doppelstruktur des Imaginären: Fülle wie Leere in einem, An- wie Abwesenheit zugleich. »Die spezifische Stellung des Kinos hängt mit diesem Doppelcharakter des Signifikanten zusammen: Der ungewöhnliche Wahrnehmungsreichtum ist schon in seinem Prinzip von einer ungewöhnlichen Irrealität geprägt. Stärker oder auf einzigartigere Weise als die anderen Künste bindet uns das Kino ans Imaginäre: Es bietet eine enorme Wahrnehmung, die, obwohl es sie sofort in ihre eigene Abwesenheit umschlagen lässt, nichtsdestoweniger den einzig anwesenden Signifikanten darstellt« (Metz 1977, 46).
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In psychoanalytischen Begrifflichkeiten ist damit eine grundlegende Doppelstruktur des Kinos bezeichnet: in ihrem imaginären Status ist das vom Zuschauer3 Gesehene gleichzeitig an- wie abwesend. Er identifiziert sich – noch vor aller sekundären Identifikation mit Filmfiguren – mit seinem eigenen Wahrnehmungsakt, mit sich als allwahrnehmender Blickinstanz; dabei ist er sich gleichzeitig dessen gewahr, dass das Wahrgenommene imaginär ist. Diese Konzeption weist bemerkenswerte Parallelen zu bildphänomenologischen Konzeptionen auf: Insbesondere Lambert Wiesing visiert die merkwürdige Präsenz dessen an, was auf dem Bild zu sehen. Mit Bezug auf Edmund Husserl insistiert er auf der »artifiziellen Präsenz« der Bildobjekte: Die Bildobjekte, die ›Phänomene im Bild‹, sind den Gesetzen der Physik, aber auch der das Bild umgebenden Zeitlichkeit enthoben, es sind »nursichtbare Dinge«, »reine Sichtbarkeiten«, die allerdings eine Präsenz erweisen, ein Da-Sein (Wiesing 2005, 31). Diese Präsenz ist mit den Effekten von Evidenz verbunden, welche sich aus der Logik des Bildmediums ergeben: Bilder funktionieren nach dem Modus des Zeigens – im Gegensatz zu diskursiven Medien bieten sie keine Möglichkeit zur Negation, denn auf und an ihnen ist alles zu sehen, sie zeigen und sie zeigen sich (vgl. Mersch 2002; Mersch o.J.). Ohne die Differenzen zwischen Metz’ psychoanalytisch-semiotischer Perspektive und den phänomenologischen Ansätzen einebnen zu wollen, scheint mir die Nähe beider in ihrem Fokus auf das Besondere des Bildlichen bemerkenswert. Doch zielt Wiesing mit dem Begriff der »artifiziellen Präsenz« vorrangig auf die Präsenzeffekte des Bildes und der Bildobjekte ab. Metz hingegen fokussiert mit der Betonung der Doppelstruktur des Kinos die Gleichzeitigkeit von Fülle und Leere, Anwesenheit und Abwesenheit, Präsenz und Absenz – er insistiert damit auf einer paradoxen Konzeption, welche für die Frage nach dem spektakulären Bild und seinen Transformationen besondere Produktivität erweist. Denn es ist dieses kinematografisch konstitutive Spannungsfeld von An- und Abwesenheit, von Fülle und Leere, das in spektakulären Bildern auf besondere Weise ausgeformt wird und das seine historischen Transformationen auf merkwürdige Weise anzutreiben scheint.
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Bei Metz spielt Gender keine explizite Rolle, oder um es durch Mulveys Gegenlektüre zu sagen: Auch bei Metz ist der Kinozuschauer implizit als männlich konnotiert (vgl. etwa seine Voyeurismus-Beispiele, Metz 1977, 60ff), sodass an dieser Stelle getrost vom »Zuschauer« gesprochen werden kann – in eben jener von der feministischen Kultur- und Sprachtheorie seit den 1970er Jahren kritisierten Konzeption von als ›männlich‹ begriffener ›Geschlechtsneutralität‹.
Kino der Effekte
Doch möchte ich mich dem spektakulären Bild zunächst noch aus einer anderen Sicht nähern – nämlich einer zentralen filmtheoretischen Konzeption, die sich mit dem Spektakelbild beschäftigt.
Spektakel und Narration In ihrer feministischen Relektüre von Metz trägt Laura Mulvey die Problematik der Geschlechterdifferenz in das psychoanalytischsemiotische Filmtheoriemodell der Schaulust ein. Die von ihr ausgemachte Dichotomie des klassischen Hollywoodkinos der 1930er und 40er Jahre verortet den (männlichen) Zuschauer sowie den männlichen Protagonisten auf Seiten der Schaulust und damit auf Seiten der Aktivität des Blicks. Die Frau, oder besser: das ›Bild der Frau‹ bleibt hingegen eine »alien presence«, eine Art Fremdkörper, auf den das Kino unbedingt angewiesen ist, dem aber nur die passive Position des Angesehen-Werdens bleibt (Mulvey 1975, 11). Das Bild der Frau ist demnach das dem männlichen Blick, das seiner Schaulust dargebotene Spektakel. Mulvey setzt mit ihrem Fokus auf die Schaulust provokativ Narration und Spektakel einander gegenüber, denn das Spektakel unterbricht die Narration, stellt sie still. 4 Besonders anschaulich wird das etwa in der berühmten Szene aus Josef von Sternbergs Film Der Blaue Engel (D 1930), in der Marlene Dietrich auf einer Tonne sitzend singt. Das Bild der Frau wird hier der Schaulust dargeboten (im Zuge der von Mulvey konstatierten Unterordnung des Kamera- und Zuschauerblicks unter den Blick des männlichen Protagonisten innerdiegetisch für Professor Unrath und das Variéte-Publikum sowie für uns im Kino), während die Erzählung ruht. Doch gehen wir noch einen Schritt weiter: Bei Mulvey konnotiert das Bild der Frau – entsprechend der Freudschen psychoanalytischen Theorie – Kastration, es erzeugt Kastrationsangst. Das Bild der Frau stellt daher also eine Gefahr dar, welche unbedingt gebändigt und gebannt werden muss. Dies geschieht nach Mulvey im klassischen Hollywoodkino durch zwei Strategien: entweder durch die Fetischisierung des Schauobjekts im Sinne einer Negation der Kastration(sdrohung) oder durch sadistische Bestrafung und Unterwerfung der Frau.
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Diese Gegenüberstellung hat zu Widerspruch geführt, so wendet sich beispielsweise Teresa de Lauretis einer narratologischen Konzeption zu – aus den in der Narration ausgemachten Positionalitäten für die Zuschauer_innen-Subjekte entwickelt sie ein Modell der ›doppelten figürlichen Identifikation‹ und verlässt damit den Fokus auf das Sehen und die Schaulust (de Lauretis 1984).
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Übertragen wir dieses Modell nun experimentell auf die Frage nach dem spektakulären Bild, geraten folgende Momente in den Blick: 1. Das Spektakelbild bedient vorrangig die Lust am Schauen, es kommt der Schaulust entgegen, es arbeitet ihr zu. 2. Heuristisch sind Spektakelbild und Narration voneinander zu unterscheiden. Auch wenn die Trennung vielleicht nicht immer scharf zu ziehen ist, so wird in den Entwicklungen des BlockbusterKinos der letzten Jahre doch deutlich, wie sich beide aneinander reiben, denn in umfangreichen Spektakularisierungen tritt die Narration zunehmend in den Hintergrund: Auffällig steht die Überfülle an visuellen Special Effects in Filmen wie The Day After Tomorrow (USA 2004, Roland Emmerich) aber auch Avatar (USA 2009, James Cameron) den relativ schematischen einfachen Erzählungen gegenüber (auch wenn das Ausgangssetting von Avatar im Hinblick auf die Frage nach der Medialität des Films ein reflexives Potential eröffnet). Der derzeitige Boom, Filme in 3D auf den Markt zu bringen, kann meines Erachtens als ein weiteres Symptom dieser Verschiebung zugunsten spektakulärer Bilder verstanden werden. 3. Was können wir mit der Konzeption der Gefahr, dem Modell der Kastrationsdrohung und des Fetisch anfangen? Der Fetisch spielt bereits bei Metz eine zentrale Rolle in Bezug auf den imaginären Signifikanten Filmbild/Kino: Er setzt sich an die Position des Mangel, doch gleichzeitig verweist er gerade auf die Leerstelle, welche er zu verdecken sucht; er umfasst Fülle und Leere in einem. »Mit anderen Worten, der Fetisch hat nicht nur den Wert einer Verleugnung, sondern auch Erkenntniswert« (Metz 1977, 69). In diesem Sinne müsste Mulveys Ansatz gegen den Strich gelesen und konstatiert werden, dass die Bändigung der Bedrohung niemals vollständig gelingen kann, denn der epistemologische Gehalt des Fetisch bleibt bestehen. Die durch das Bild der Frau evozierte Gefahr bleibt bestehen! (vgl. a. Hanke 2010, 47ff ) Wenden wir uns daher der Gefahr noch von einer anderen, diesmal exemplarischen Seite zu.
Abb. 2: Ein T-Rex vor dem Einbruch in die Welt des Menschen
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Gefahr Gefahr ist das Leitmotiv spektakulärer Filme: Ob einbrechende Eiszeiten oder invasive Militärs, ob Flugzeugabstürze, ob Weltbedrohungen durch Aliens – aktuelle Blockbuster voller spektakulärer Bilder rufen oftmals Gefahr und Gefährdung auf. Betrachten wir als Beispiel etwa den Dinosaurierfilm. Der filmische Dinosaurier ist, so möchte ich behaupten, geradezu der Prototyp eines spektakulären Schauobjekts, die Figuration des imaginären Signifikanten. Was ich im Folgenden hieran skizziere, lässt sich daher in weiten Teilen auf spektakuläre Blockbuster-Filme im Allgemeinen übertragen. Ganz im Sinne Mulveys bedient der filmische Dinosaurier unsere Schaulust auf ähnliche Weise wie das Bild der Frau: Er ist da, um angeschaut zu werden. Doch er ist bedrohlich, denn er durchbricht Grenzen, und zwar auf verschiedenen Ebenen: Innerdiegetisch besteht die Gefahr zunächst einmal überhaupt im Einbruch in die Welt des modernen Menschen: In Jurassic Park (USA 1993, Steven Spielberg) geraten die Dinosaurier außer Kontrolle. In The Lost World: Jurassic Park 2 (USA 1997, Steven Spielberg) wird ein T-Rex wie King Kong nach Amerika entführt, bricht dort aus
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Abb. 3a-c: Screenshots aus THE LOST WORLD: JURASSIC PARK (USA 1997, Steven Spielberg)
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dem Schiffscontainer aus und hinterlässt eine Spur der Verwüstung in Suburbs wie Großstadt – symbolisiert bereits im Durchbrechen des Grenzschildes der Vereinigten Staaten von Amerika (Abb. 3a-c: Ein T-Rex überquert die Grenze). In der aktuellen, von Impossible Pictures produzierten TV-Serie Primeval (GB, seit 2007) öffnen sich Wurmlöcher in andere Erdzeitalter, aus denen prähistorische wie futuristische Monster in die gegenwärtige Welt einbrechen.5 Die von Mulvey beschriebenen Gegenstrategien zur Bedrohung, die durch das Bild der Frau evoziert wird – nämlich Fetischisierung sowie Verfolgung und Bestrafung (durch wieder Einfangen) – gehören auf überraschend aktuelle Weise nach wie vor zu den zentralen innerfilmischen Strategien im Umgang mit solchen Kastrationsdrohungen menschlicher Potenz.
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Abb. 4a-c: Screenshots aus JURASSIC PARK (USA 1993, Steven Spielberg) 5
Vor allem die privaten Fernsehsender wenden sich bereits Mitte der 1990er Jahre einer zunehmenden Spektakularisierung ihrer Film- und Serien-Produktionen zu, in Deutschland vielleicht erstmals in der Serie D IE STRASSEN VON B ERLIN (D 1995-2000, ProSieben), in der u.a. das Berliner Messezentrum ICC durch einen Panzerfaustangriff gesprengt wird.
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Doch nicht nur innerdiegetisch ruft der filmische Dinosaurier Gefahr auf. Bei Mulvey wird die Kastrationsangst vorrangig als eine Bedrohung des allsehenden und kontrollierenden aktiven Zuschauerblicks formuliert, der männlich konnotiert ist. Diese Bedrohung des Blicks bzw. der Zuschauerposition wird in Spielbergs erstem Jurassic Park-Film selbst thematisch, und zwar interessanterweise gerade im Hinblick auf die Durchbrechung von Blick- und BildGrenzen. Die Szene, in der der T-Rex das Auto mit den Enkeln des Parkbesitzers angreift, verkettet innerdiegetische Bedrohung der Figuren und imaginäre Bedrohung des Kinozuschauers auf bemerkenswerte Weise: Die Karosserie, die Hülle des Autos, besteht fast ausschließlich aus Fenstern, die der Dinosaurier zu durchbrechen versucht (Abb. 4a-c: Ein T-Rex bricht durch). Die Fensterscheiben können hier als Metapher und Metonymie für die Leinwand des Kinos gelesen werden, wobei die Kinder gewissermaßen Platzhalter für uns Zuschauer_innen sind.6 Auf diese Weise setzt die Sequenz die aktuellen Bestrebungen des Blockbuster-Kinos zu Immersion, zum Angriff auf die Zuschauersinne, in Bild und Ton: Visuelle wie akustische Special Effects neuer digitaler Sound- und Bild-Technologien streben förmlich danach, auf die Körper der Kinozuschauer_ innen einzuprasseln. Ein kleines wohldesigntes Detail eröffnet hierbei ein verwirrendes Vexierspiel zu diesem Spektakel-Begehren: In einer kur-
Abb. 5: Screenshot aus JURASSIC PARK (USA 1993, Steven Spielberg)
zen Einstellung auf den Rückspiegel des fliehenden Autos ist dort zu lesen »Objects in mirror are closer then they appear« (Abb. 5: Unmögliche Annäherung). Mit anderen Worten: Der Verfolger, der bereits sehr nah gekommen scheint, ist demnach also noch näher hinter uns, als es aussieht – und in ›Wirklichkeit‹, also im Dispositiv Kino, ist der Dinosaurier (bereits) vor uns. Andererseits besteht das Prinzip des Spiegels ja gerade darin, dass das Bild grundsätzlich auf der anderen Seite bleiben muss, es kann gar nicht durchbrechen, es 6
Für diese Beobachtung danke ich Aysegül Kesirli.
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wird förmlich ausgestellt als Bild – es ist ein imaginärer Signifikant. Doch werden wir in diesem Moment gewissermaßen in die Mitte genommen vom (Spiegel-)Bild des Dinosauriers vor uns auf der Leinwand und seinem imaginären Körper direkt hinter uns. Was Spielberg hier inszeniert, scheint mir wie eine explizite Formulierung des Bestrebens des Blockbuster-Kinos, die Grenzen des Bildraumes zu durchbrechen und in den Zuschauersaal einzufallen – visuell wie akustisch.7 Die aktuelle 3D-Entwicklung des Kinos kann in diesem Zusammenhang als eine Fortführung eben jenes Bestrebens verstanden werden. Doch kommen wir noch einmal zurück zum Modell des Mangels und des Fetisch.
Abwesenheit / Leere und Fetisch
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Wenn wir Film als imaginären Signifikanten im Sinne von Metz verstehen, als Gleichzeitigkeit von Fülle und Leere, von An- und Abwesenheit, dann stellt die Leere, der Mangel an Anwesenheit, sowohl eine Konstitutionsbedingung dar als auch gleichzeitig ein entscheidendes Problem. Denn der Mangel setzt erst das Begehren in Gang, ihn zu verleugnen oder zu beheben – was jedoch konstitutiv unmöglich ist. Beziehen wir das auf die Abwesenheit im imaginären Signifikanten Kino, so scheint mir das aktuelle Bestreben des zeitgenössischen Blockbuster-Kinos dahin zu gehen, dieser Leere (von der Produktionsseite her) möglichst entgegenzutreten, sie zu negieren bzw. aufzufüllen mit immer beeindruckenderen Special Effects; als würde das Blockbuster-Kino dieses kinematografisch konstitutiv unlösbare Spannungsfeld von Anwesenheit und Abwesenheit mit seinen ästhetischen Strategien überbordender Effekte (mit immer spektakuläreren Effekten, mit immersiven Ton- und Bildstrategien) zugunsten eines zunehmenden Eindruckes von Anwesenheit und Fülle wenden zu wollen. Schon ohne 3D prasselten die Effekte auf uns Zuschauer_innen ein – eine regelrechte Fetischisierung und Ausstellung der Special Effects. 3D dreht hier nur weiter an der Schraube. Metz’ Modell ermöglicht in diesem Zusammenhang zu formulieren, dass eben jene Fetischisierung der Special Effects das Imaginäre des Filmbildes verdeckt, dabei aber gleichzeitig nur immer deutlicher auf die Leere und Abwesenheit
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Neben der in JURASSIC PARK neu eingesetzten Technik, der DTS-Soundtechnologie, reflektiert Spielberg das Verhältnis von Sound und Körpern auch innerfilmisch, interessanterweise über eine Sound-Visualisierung: Das im Glas vibrierende Wasser bei Herannahen des T-Rex setzt den materiellen Effekt von Soundwellen visuell in Szene.
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inmitten von Fülle und Präsenz hinweist – und damit letztendlich auf die Bildhaftigkeit selbst verweist. Ein letztes Drehen des Kaleidoskops schließlich lässt diesen merkwürdigen Aspekt des Spektakelbildes in den Blick treten: nämlich das Ausstellen von Special Effects als Bilder. Auch dies sei am filmischen Dinosaurier verdeutlicht.
Das spektakuläre Bild zeigt sich Warum gilt mir das Dinobild als Prototyp des spektakulären Bildes? Die filmische Darstellung von Dinosauriern verdankt sich prinzipiell audio-visuellen Special Effects, denn der bewegte Dinosaurier ist grundsätzlich imaginär – sei seine Visualisierung auch noch so wissenschaftlich abgesichert. Schließlich gibt es keine visuelle Evidenz lebender Dinosaurier, die nicht schon durch eine Reihe medialer Transformationen gegangen ist. Vor diesem Hintergrund wären Dinosaurier-Filme immer schon auf der Seite der anfangs genannten ›formgebenden Tendenz‹ im Sinne Kracauers zu verorten. Gleichzeitig bemühen sich diese Filme jedoch besonders um Realitätseffekte, wie sie Lumières L’arrivée d’un train (F 1895, Auguste und Louis Lumière) zugesprochen werden.8 Filmische Dinosaurier zeigen, was in der Wirklichkeit nicht gesehen werden kann. In diesem Zeigen wird eine artifizielle Präsenz des Dinosauriers generiert – dies ist für uns überhaupt die einzige Möglichkeit, lebende/ bewegte Dinosaurier zu sehen. Sie sind Schauobjekte im wörtlichen Sinne, ja stellen sich förmlich als Schauobjekte aus, gleichzeitig geht ihre ästhetische Gestaltung explizit mit dem Versuch einher, immer bessere Realitätseffekte zu erzielen. Filmsaurier sind – wie der imaginäre Signifikant Kino im Allgemeinen – gleichermaßen anwesend wie abwesend, als Fetisch sind sie Fülle und gleichermaßen Hinweis auf die konstitutive (aktuelle) Abwesenheit. Dabei präsentieren sich spektakuläre Bilder in einer paradoxen Funktion, an welcher der Blick umbricht und eine reflexive Distanz zur Illusion nicht allein im Sinne der bei Metz genannten Abwesenheit ermöglicht. Denn Dinosaurierfilme zeigen, was ›in Wirklichkeit‹ gar nicht gesehen werden kann, sie kreieren konstitutiv eine artifizielle Präsenz des Dinosauriers: Wir haben es hier mit nur sichtbaren Dinosauriern zu tun, reinen Sichtbarkeiten.9 Dino-
8
Besonders deutlich wird das im von der BBC begründeten Genre des ›Dinosaurier-Dokumentarfilms‹ im Stile von Tierdokumentationen, in denen CGI-erzeugte Dinosaurier in Bilder realer Landschaften eingefügt werden (WALKING WITH DINOSAURS, GB 1999, BBC/Tim Haines, Jasper James).
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Den Ton muss ich an dieser Stelle leider außen vor lassen. Das Medium Ton erzeugt körperliche Präsenzeffekte besonderer Art, vor denen das
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saurier-Bilder bringen die Anwesenheit von Dinosauriern im Sinne von Realitätseffekten hervor, doch im gleichen Moment stellen sie sich aus, stellen sich als Special Effects aus und geben sich dabei selbst als Bild zu sehen. Spektakuläre Bilder zeigen, dass sie zeigen: »Schaut her – ich zeige euch einen Dino!« Schon der erste Dinosaurier-Film der Filmgeschichte – Winsor McCays Gertie The Dinosaur (USA 1914, Winsor McCay) – stellt in der Rahmenhandlung stolz die verwendete Special Effects-Technologie des Zeichentricks aus, welche Gertie zum Leben erweckt (Hanke 2010, 206ff ). Die Besonderheit von Dinosaurierfilmbildern ist also, dass sie Dinosaurier zeigen, d.h. im Sinne der artifiziellen Präsenz hervorbringen, Realitätseffekte erzeugen, und sich dabei gleichzeitig als spektakuläre Bilder ausstellen, auf sich zeigen im Sinne von »Seht her, welch toller Special Effect!« Folgt man Dieter Mersch, der als einen der zentralen Wesenszüge des Bildes den Modus des Zeigens in transitiver wie intransitiver Form ausmacht (Mersch 2002, Mersch o.J.), so scheinen spektakuläre Bilder des populären Kinos merkwürdigerweise in eben jenem doppeltem Sinne zu zeigen: Sie zeigen und affirmieren ihre Bildobjekte und zeigen gleichzeitig, dass sie zeigen. Sie stellen sich förmlich als Bilder aus. Die Frage der Bedrohung ließe sich vor diesem Hintergrund nun umformulieren, denn womöglich ist es diese grundlegende Reflexivität spektakulärer Bilder, welcher durch immer ausgefeiltere ästhetische Strategien entgegengewirkt wird – tendenziell bis hin zur Verleugnung der Medialität des Bildes. Die historischen Modifizierungen und Transformationen spektakulärer Filmbilder – nicht zuletzt auch durch Verschiebungen in den Techniken des Special Effects – modifizieren auch die Weisen, wie sich spektakuläre Bilder ausstellen: Seit Mitte/Ende der 1990er Jahre stürmen BlockbusterFilme (vgl. Roland Emmerichs Independence Day (USA 1996), George Lucas’ zweite Star Wars-Trilogie (USA 1999, 2002, 2005), Peter Jacksons Herr der Ringe-Trilogie (USA 2001, 2002, 2003), aber auch Mimi Leders Deep Impact (USA 1998)) in einer intensivierten Weise auf die Zuschauer_innen ein, sie operieren in einem Modus der Überwältigung, sodass wir auf ganz andere Weise in den Strudel hineingerissen werden als etwa im Blauen Engel von
Schließen der Sinne wie beim Bild nicht möglich ist. Ob und wie ein Ausstellen des Tons als Ton in epistemologischer Hinsicht vorstellbar ist, ob die Frage der ›Spektakularität‹ – die ja schon vom Begriff her an das Visuelle gebunden ist – überhaupt auf den Ton übertragbar ist, kann an dieser Stelle nicht erörtert werden. Doch fraglos sind Ton und Sound auf ganz entscheidende Weise an der Eventisierung des Kinos seit den 1990er Jahren beteiligt (vgl. hierzu Altman 1992).
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Sternberg.10 Gleichzeitig scheint mir die aktuelle Entwicklung dahin zu gehen, dass diese Filme die Grenzen des Bildes selbst durchbrechen, als gäbe es ein Begehren, im Modus des Bildes das Bild selbst zu überschreiten und damit zu einer ganz neuartigen Transparenz von Medialität zu gelangen – ein ohnehin konstitutiv unmögliches Unterfangen. Diese historische Verschiebung soll abschließend an zwei Filmbeispielen aus zwei Zeitabschnitten, die sechs Jahrzehnte auseinander liegen, skizziert werden: dem ersten King Kong-Film von 1933 und dem Remake durch Peter Jackson im Jahr 2005.
Historische Transformationen Im Vergleich der Dinosaurier-Szenen beider King Kong-Filme (USA 1933, Merian C. Cooper / Ernest B. Schoedsack sowie USA 2005, Peter Jackson) lassen sich entscheidende Transformationen des spektakulären Bildes erkennen, in denen die je verschiedenen
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Abb. 6a-c: Screenshots aus K ING KONG (USA 1933, Merian C. Cooper / Ernest B. Schoedsack) 10
Zum Strudel vgl. Sabine Nessels gegenüberstellende Lektüre von D ER BLAUE ENGEL und TWISTER (USA 1996, Jan de Bont) (Nessel 2006).
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Technologien mit je unterschiedlichen ästhetischen Bildgestaltungen Hand in Hand gehen. In Coopers und Schoedsacks erster King Kong-Version besteht das Gros der Special Effects in der Rückprojektion der Dinosaurier sowie King Kongs auf Leinwände (meist) im Hintergrund. Die Leinwände werden durch Büsche, Bäume, Lianen kaschiert – diese Kaschierungen wiederum, welche die Ränder der eingefügten Leinwände verbergen sollen, weisen jedoch gleichzeitig auf sie hin, denn ästhetisch entstehen dabei Rahmungen, welche überhaupt erst den Blick umbrechen lassen und die Bilder auf den Leinwänden als Bilder anzuschauen ermöglichen.11 In der Gestaltung der filmischen Räume erscheinen die Protagonisten selbst wie Akteure, die Special Effects auf Leinwänden betrachten, sie interagieren nicht mit den Sauriern, sondern mit deren Bildern (Abb. 6a-c: Die Akteure betrachten Bilder). Gleichzeitig sind sie dabei orientiert im Raum, ganz ähnlich wie die Kinozuschauer_innen betrachten sie das Geschehen. Nur ein Kameraschwenk in die Höhe, welcher das Umkippen des Baums, auf dem die Protagonistin Ann sitzt, in Szene setzt, lässt erahnen, in welche Richtung die spektakulären Bilder Jahrzehnte später transformiert werden (Abb. 7a-d: Ein Reißschwenk raubt für einen kurzen Moment Orientierung und Beobachterposition).
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Abb. 7a-d: Screenshots aus K ING KONG (USA 1933, Merian C. Cooper / Ernest B. Schoedsack) 11
Zu den epistemologischen Effekten des Rahmens vgl. Mersch 2004 sowie Stoichita 1998.
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Jacksons Neuverfilmung 2005 operiert in technologischer wie in ästhetisch-bildgestalterischer Hinsicht auf ganz andere Weise: Die digital generierten Bilder etwa des Kampfes zwischen drei T-Rex und King Kong zielen auf visuelle wie akustische Überwältigung der Zuschauer_innen (Abb. 8a-d: Sturz und Orientierungslosigkeit im aktuellen Blockbuster-Kino). Die digital errechnete Kamera scheint entfesselt, sie entzieht Kontrolle und Orientierung des allsehenden Blicks. Wir blicken (im Kinodispositiv notgedrungen) mit der Kamera, aber diese wirbelt derart durch den Raum, dass wir mit ihr mitgerissen werden, hinein in einen Strudel von Kontrollverlust und Überwältigung. Der Realitätseffekt dieser Bilder liegt nicht etwa in der Konstruktion eines plausiblen Zeit- und Raumgefüges,
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Abb. 8a-d: Screenshots aus K ING KONG (USA 2005, Peter Jackson)
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sondern im imaginären Einstürmen auf den Leib der Zuschauer_ innen, welches gerade nicht unter dem Diktum einer Glaubwürdigkeit stehen muss. Ohnehin geht das Ganze hier viel zu schnell, eine Betrachtung der Bilder als Bilder – wie noch in der Verfilmung von 1933 – scheint kaum noch möglich, die überbordenden Effekte und die entfesselte Kamera legen es darauf an, die Rahmungen des Bildes und damit den medialen Status des Bildes vergessen zu lassen oder zumindest mit intensiven Sinneseindrücken zu überlagern. Zwar gibt es auch bei Jackson Elemente von Reflexivität der spektakulären Bilder; nicht zuletzt, weil wir schließlich mit der Erwartung ins Kino gehen, uns durch solche Special Effects überwältigen zu lassen. Die Fetischisierung des imaginären Signifikanten scheint mir hier jedoch durch neue Bild- und Soundtechnologien viel deutlicher vorangetrieben. Und so wäre mit diesen beiden Filmen eine Transformation im spektakulären Bild selbst angedeutet, eine Verschiebung, welche die Bildhaftigkeit selbst in den Hintergrund zu verrücken sucht – paradoxerweise gerade durch die Nutzung neuer Bildtechnologien und -ästhetiken. Die neuerlichen Versuche mit 3D-Ästhetiken stehen hier im Gefolge einer zunehmenden Spektakularisierung, welche mit räumlichen Realitätseffekten zu operieren versucht. Doch hat sich die für das neue Kino grundlegende Transformation meines Erachtens eher durch die Einführung digitaler Bilderrechnungstechnologien vollzogen – welche nicht nur die Kreation neuer Welten auf neue Weisen ermöglicht, sondern vor allem eine neue Weise der Ineinanderführung und Hybridisierung ›realistischer‹ und ›formativer‹ Elemente. Das Aufregende – wenn auch nicht ganz Neue – an Alice in Wonderland (USA 2010, Tim Burton) scheinen mir daher nicht so sehr die dreidimensionalen Effekte, sondern das explizite Spiel mit den digital verformten Gesichtern real existierender Kinostars: Die gleichzeitige An- wie Abwesenheit der Schauspielerkörper findet sich hier noch einmal auf einer anderen Ebene durchgespielt. Die 3D-Technologie aber spielt für diese neue Spektakularität allenfalls eine Nebenrolle.
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Georg Seeßlen Schöne neue Bilderräume. 10 Thesen zur Entwicklung des 3D-Kinos und darüber hinaus Seit etlichen Jahren nun schon wird das Kino von einer neuen Technologie herausgefordert, dem dreidimensionalen oder stereoskopischen Film. Das kennen wir schon, sagen die Filmhistoriker und verweisen auf frühere ›Wellen‹, in denen die Kinos verloren gegangenen Publikumszuspruch mit einem ›Raumkino‹ zurückerobern wollten, und die dann wieder abebbten, als das Publikum es leid war, sich durch unkleidsame Brillen mit Indianerspeeren bewerfen oder in geöffnete Haifisch-Schlünde ziehen zu lassen. (Nicht einmal Liebe in drei Dimensionen (D 1973, Walter Boos) konnte uns nachhaltig ans 3D-Kino fesseln.) Wieder hat es weder an Zuspruch für ein neues Kino-Erlebnis noch an Kritik an der läppischen Effekthascherei gefehlt. Doch etwas ist diesmal anders: Der stereoskopische Film scheint sich zu etablieren, wenn auch vielleicht nicht mit der schnellen Marktmacht, wie es sich die Produktionsfirmen vorstellen, so doch mit einer gewissen Beharrlichkeit, die auf mehr schließen lässt als den Einsatz von medialem Einfluss, von Werbeeffekten und Medien-Hype. Vielleicht sind wir ja wirklich reif für eine radikale Veränderung unseres Bild- und Wahrnehmungsraumes, vielleicht aber ist auch unser Medienmarkt so ausdifferenziert, dass Platz für verschiedene ›Dimensionalitäten‹ ist (schließlich gibt es ja schon Versuche mit vier- und sogar fünfdimensionalen Bildern, mit Klang- und Bewegungselementen, mit Duft- und LichtEindrücken von nie geahnter Intensität – nun ja!). Dreidimensionale Bewegungsbilder scheinen beinahe so etwas wie eine kulturelle Besessenheit derzeit, und gleichzeitig hat kaum jemand eine Ahnung davon, was sich in uns und zwischen uns eigentlich verändern könnte, wenn wir uns nicht mehr vor Bildern, sondern in bewegten Skulpturen begegnen.
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Ein paar Thesen dazu, ganz ohne Anspruch darauf, den nächsten ikonografischen Wandel umfassend zu beschreiben, aber im Bewusstsein, dass es sich beim stereoskopischen Bewegungsbild diesmal um mehr handelt als einen kurzfristigen Spezialeffekt für die Popcorn-Paläste.
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1. These Eigentlich waren Fotografie und Film von ihren Erfindern von Anfang an als dreidimensionale Einrichtung gedacht; die räumliche Wahrnehmung ist demnach ein Ur-Projekt des Bildes im Zeitalter seiner technischen Produzierbarkeit. Die Simulation des dreidimensionalen Sehens ist älter als das Kino selbst. Schon bevor der Film auf die Leinwand projiziert wurde, sah der Besucher eines Nickelodeons in den Guckkästen dreidimensionale fotografische Bewegungsbilder, boxende Kängurus oder Tanz im Savoy. Im Jahr 1838 machte sich der britische Physiker Sir Charles Wheatstone zum ersten Mal ernsthafte Gedanken über die technische Erzeugung eines dreidimensionalen Bildes. Sein Ausgangspunkt war, eine durchaus neue Erkenntnis zu seiner Zeit, dass die dreidimensionale Wahrnehmung der Welt entsteht, da unsere beiden Augen von zwei leicht unterschiedlichen Blickpunkten aus sehen. Wheatstone machte sich an die Herstellung eines Stereoskops, eine im Kern sehr einfache Einrichtung, die das Bild zerlegt in eines für das rechte und eines für das linke Auge. Was im 3D-Kino von heute die Polarisationsbrillen durch ihre Farbfilter erzeugen, bekam Wheatstone durch zwei rechtwinklig gegeneinander gestellte Spiegel hin. Der Betrachter schaut mit dem linken Auge den einen und mit dem rechten Auge den anderen Spiegel an, in denen sich zwei verschiedene Bilder des gleichen Gegenstands spiegelten. Das im Kopf des Zuschauers entstandene Bild hatte eine eindeutige räumliche Wirkung. Auch das Interesse der Fotografie konzentrierte sich rasch auf den stereoskopen Effekt. 1849 entwickelte der schottische Privatgelehrte Sir David Brewster die erste Zweiobjektiv-Kamera mit der man auch bewegte Dinge stereoskop aufnehmen konnte, und 1870 versuchte wiederum Wheatstone mit Serienbild-Aufnahmen so etwas wie einen dreidimensionalen Film zu erzeugen. Im Wesentlichen hat sich bis heute an der Technik der Simulation des zweiäugigen Sehens nichts geändert. Auf Wheatstones stereoskopisches Bewegungsbild aus dem Jahr 1870 folgte zwei Jahrzehnte später der nächste entscheidende Schritt: Thomas Alva Edison stellte 1891 seinen Kinetographen vor, und für ihn und seine
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Mitstreiter war von vorneherein klar, dass den mit dem Kinetographen aufgenommenen Filmen auch ein stereoskopischer Effekt gegeben werden sollte. Und 1915 wurden im Astor Theatre in New York die ersten Filmaufnahmen in anaglyphem 3D unter den Titeln Rural America und Niagara Falls auf die Leinwand projiziert. Die Regisseure waren William E. Waddell und Edwin S. Porter, der zwölf Jahre zuvor mit The Great Train Robbery (USA 1903) den Western erfunden hatte (und in einer Szene, in der ein Schurke direkt ins Publikum schießt, auch diese Form der Interaktion von Blick und Bild). Die Filme zeigten, höchst beeindruckend wie das zeitgenössische Publikum fand, die Niagarafälle und Szenen aus dem ländlichen Amerika. Man kann also sagen: Dem landläufigen Modell, nach dem der 3D-Effekt immer mal wieder (und am ehesten in einer ökonomischen oder kulturellen Krise) dem Kino aufgepfropft wurde, um dann so schnell wieder zu verschwinden wie die ›Sensation‹ auftauchte, kann man ein anderes entgegensetzen, nach dem das Kino immer dreidimensional sein wollte, die entsprechende Technologie aber aus eher ökonomischen und kulturellen Gründen immer wieder zurückstellte. 2. These Die kinematografische Räumlichkeit hat nur sehr wenig mit dem räumlichen Sehen in der Wirklichkeit zu tun; sie entwickelt eine andere, künstliche Räumlichkeit (so wie das Bild ›wirklicher als die Wirklichkeit‹ ist, ist dieses Bild ›räumlicher als die Räumlichkeit‹), eine Räumlichkeit, deren Effekt sich rasch verbraucht, für deren Füllung aber bislang noch wenig narrative und ikonografische Modelle existieren: Man muss lernen, anders zu erzählen, und die bisherige Geschichte des stereoskopischen Films ist unter anderem die Geschichte des Lehrgeldes, das man dafür zu bezahlen hatte: Der Widerspruch zwischen technischer Attraktion und Kinoerzählung, der (unter anderem) konservative Kritiker zu solch vehementen Gegnern des 3D-Kinos macht, setzt den klassischen Widerspruch des Kinos nur fort: Es ist nämlich immer zugleich technologische Industrie und Ausdrucks- bzw. Kunstform, und welches von beiden die größere Dynamik ausmacht, ist nicht entschieden. Wohl aber kennen wir aus der Geschichte des Kinos, dass sich beides immer wieder vehement auseinander entwickelt. Im Fall des dreidimensionalen Films ist dieser Widerspruch – anders als sagen wir beim Tonfilm, bei der Farbe oder beim CinemaScope-Format, die man ursprünglich immer als ›kunstfeindlich‹ abgetan hat, bevor die anerkannten Meister und jungen Talente zeigten, was man mit der
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Technologie anfangen kann – über hundert Jahre hinweg nicht aufgelöst: 3D blieb weitgehend der Jahrmarktsattraktion vorbehalten, Filmkunst war etwas anderes (zum Beispiel die Fähigkeit, mit den Mitteln des zweidimensionalen Bildes Räumlichkeit zu erzeugen, wie es einst die großen Meister der Malerei vermocht hatten). Die Technik war dabei von der heutigen nicht sehr unterschieden; die Bilder für die beiden Augen waren durch das anaglyphische Verfahren, durch die Primärfarben getrennt, die durch eine zweifarbige Brille wieder gefiltert werden. Anaglyphische Filme gehörten übrigens auch in den 1920er Jahren zu den Kino-Attraktionen, allerdings eher in Form von Kurzfilmen mit besonders dramatischen oder neckischen Effekten, schließlich hieß es zu berücksichtigen, dass Zuschauer nach längerem Gebrauch der Filterbrillen über Kopfschmerzen klagten. Aber schon damals galt es als ausgemacht: Stereoskopische Filme sind etwas für Kinder und für den Jahrmarkt, ernst zu nehmende Filmregisseure kümmerten sich darum nicht. Trotzdem auch in den folgenden Jahren mit verschiedenen Varianten und neuen Verfahren experimentiert wurde, geriet das ganze Projekt des stereoskopen Films mehr oder weniger in Vergessenheit. Man entdeckte es erst wieder in den 1950er Jahren, als das Fernsehen zu einem ernst zu nehmenden Konkurrenten des Kinos wurde. Es waren auch jetzt nicht so sehr die anerkannten Filmkünstler, sondern fleißige Handwerker, die Abenteuer-, Science Fiction- und Westernfilme mit 3D-Effekten versahen und mit sensationellen Ankündigungen auf den Markt brachten. Der Horrorfilm House of Wax (USA 1953), ironischerweise von dem einäugigen Regisseur André de Toth inszeniert, der die Effekte seines Filmes nie selber nachvollziehen konnte, spielte die für damalige Verhältnisse sensationelle Summe von 4,5 Millionen US-Dollar ein und heizte den Boom noch einmal tüchtig an. Auch Regisseure, die nicht viel mit dem technologischen Schnickschnack anzufangen wussten, wie Alfred Hitchcock, mussten nun stereoskope Versionen ihrer Filme fertigen, bis schließlich mit dem CinemaScope-Breitwandformat eine andere Attraktion der zweiten 3D-Welle den Garaus machte. Fatal erwies sich in dieser Zeit aber vor allem etwas, was auch in der Gegenwart dem 3D-Film eher schadet als nutzt, nämlich dass man Filme mit dem Verfahren ›aufzuwerten‹ versuchte, die dafür gar nicht geeignet waren und daher das Publikum enttäuschen mussten. Die dritte Welle wurde ausgelöst durch die Weiterentwicklung eines erheblich einfacheren und kostengünstigeren Verfahrens, der Single Strip 3D-Aufnahmen, bei denen die Bilder für das rechte und linke Auge nicht übereinander kopiert werden, sondern entweder abwechselnd oder, auf dem Breitwandstreifen anamorph nebenein-
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ander. Auch jetzt waren es wieder einmal sensationelle Action- und Monsterfilme, Jaws 3-D (USA 1983, Joe Alves), der Maskenmörder der Friday the 13th.-Serie (USA 1982, Steve Miner), Andy Warhol’s Frankenstein (USA 1973, Paul Morrissey & Antonio Margheriti) und Ähnliches brachten den Produzenten in einer Zeit, da das Kino an sich wieder einmal eine schwere Krise erlebte, erstaunliche Gewinne. Neu ist hier vor allem eine Verbindung des Effekts mit einer drastischen Körperlichkeit (bis zum dreidimensionalen Pornofilm, der, wie man sagt, in etwa so viel Profit machte, wie alle anderen dreidimensionalen Filmformen zusammen). Die vierte 3D-Welle in den 1980er Jahren stand im Zeichen der IMAX-Kinos. Sie verbanden die Vorteile des Twin Strip Verfahrens mit denen eines gewaltigen Großbilds, das durch eine Doppelprojektion erzeugt wird. Und auch inhaltlich ging es nun um etwas ganz anderes, nicht B-Movies, denen man durch das 3D-Format zusätzliche Attraktion verlieh, machten das IMAX-Programm aus, sondern Dokumentationen über das Weltall oder Reanimationen der Saurier-Welt füllten die Riesenleinwände. Eine erstaunliche dreidimensionale Parallelwelt hatte sich aufgetan, eine Selbstbegeisterung der technischen Intelligenz des Mediums; der Einfluss auf den KinoMainstream aber blieb gering. Offensichtlich war eine Zweiteilung des Kinos entstanden: Hier ein technisch brillantes, futuristisches Kino der reinen Bilder und Expeditionen in drei Dimensionen, dort das klassische Erzählkino, das immer noch sehr gut mit seinen zwei bzw., sehen wir uns die Bildgestaltung simulierter Räumlichkeit an, seinen zweieinhalb Dimensionen zu recht kam. Und wieder einmal offenbart sich darin ein Grundwiderspruch des Kinos, nämlich der zwischen ›Erzählen‹ und ›Zeigen‹. Die Balance zwischen beidem wird zwar beständig neu ausgehandelt und vor dem Publikum erprobt, aber immer wieder gerät das eine wie das andere an seine Grenze, wenn eins auf Kosten des jeweils anderen geht. Wer zu viel zeigt, kann nicht mehr gut erzählen und umgekehrt.
123 3. These Für das ›gewöhnliche‹ Kino wurde 3D wieder attraktiv, als es technologisch vereinfacht und ökonomisch erschwinglich wurde. Wichtig war dabei zunächst die Entwicklung der digitalen Animation. Robert Zemeckis’ Motion-Capture Film The Polar Express (USA 2004) war in 2D in den normalen Kinos und in einer 3D-Version in den IMAX-Kinos zu sehen. Dem kommerziellen Erfolg stand freilich immer noch ein enormer Aufwand gegenüber, die Umrüstung auf spielfilmlange Rollen war auch für die IMAX-Kinos kostspielig; außerdem verloren sie durch den neuen Siegeszug der stereosko-
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pischen Filme ihr Alleinstellungsmerkmal. Diese Parallelgeschichte des zweigeteilten Kinos war also mit dem Polar Express wieder zu Ende. Im Jahr darauf nämlich zeigte Walt Disney den ersten Film in der neuen RealD-Technologie, der nur einen einzelnen digitalen Projektor benötigt, mit dem in rascher Folge abwechselnd die Bilder für das rechte und das linke Auge projiziert werden. Da das Publikum nun durch zirkulär polarisierte Brillen sah, musste man nicht mehr, wie zuvor, den Kopf in starr gerader Haltung lassen, um den 3D-Effekt zu genießen – ein enormer Zuwachs an Bequemlichkeit und ›Natürlichkeit‹ der Wahrnehmung. Es war die Digitalisierung des Mediums, die der neuerlichen Ausweitung in das Raumbildliche half. Die meisten digitalen Abspielstellen rüsteten sich in diesen Jahren auch auf 3D auf. Dass sogar einigermaßen trashige Horrorfilme neben den Animationsfilmen in den 3D-Versionen das Vielfache ihrer Produktionskosten einspielten, beflügelte die Produktion, und im Jahr 2009 kamen die beiden Filme in die Kinos, die durch ihren Erfolg die endgültige Dreidimensionalisierung des Films zu bestätigen schienen: der Kinderfilm Monsters vs. Aliens (USA 2009, Rob Letterman & Conrad Vernon) und die nicht ganz so kindliche philosophische Fantasy-Science Fiction Avatar (USA, 2009) von James Cameron. Beide Filme bewiesen einem großen Publikum, dass es Geschichten gibt, die man in der Tat in einem dreidimensionalen Raum besser erzählen kann, Geschichten, in denen der Raum selber eine wichtige Rolle spielt, so wie auch in dem digital animierten Gruselmärchen Coraline (USA 2009, Henry Selick). Obwohl es nach wie vor verärgerte Kritiker von Filmen gab, die man nachträglich durch 3D ›aufgemotzt‹ hatte, war mit den digitalen Großproduktionen klar, dass der Widerspruch zwischen Zeigen und Erzählen zu lösen sei, wenn man einen Umweg über das aus den Computergames gewohnte Element des world building nahm. Für alle erfolgreichen Filme der neuen Technik war es ausschlaggebend, das Interesse des Publikums auf die visuelle Konstruktion einer kohärenten phantastischen Parallelwelt zu konzentrieren, wobei der Plot nun nicht zuletzt einer Exploration dieser Parallelwelt diente. Paradoxerweise also konnte das Medium die neue ›realistische‹ Räumlichkeit nur durchsetzen anhand von Stoffen und Motiven, die auf das Realistische weitgehend verzichteten. 4. These Stereoskopie und digitale Animation gehen eine Verbindung ein, auf den ersten Blick eher der Ästhetik des Computerspiels als
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des klassischen Spielfilms gehorchend, die man genauso gut wie als Fortsetzung des Kinos als eigenständiges Medium betrachten könnte. Wie beim Computerspiel geht es erst in zweiter Linie um Charaktere und Plot; im Vordergrund steht dagegen die Errichtung einer ›Welt‹, einer dreidimensionalen ›künstlichen Wirklichkeit‹ mit eigenen Gesetzen der Logik, eigenen ›Naturgesetzen‹, eigenen Vorstellungen von Zeit, Raum und Subjekt. Für die Zuschauer scheint es nun wichtig, sich in dieser virtuellen Welt vergleichsweise frei zu bewegen; es ist daher wichtig, dass die Charaktere nicht allzu komplex und ›schwer‹ sind (wiederum kann konservative Kritik behaupten, dies sei nichts anderes als ein weiterer Zwang zur ›Infantilisierung‹), und dass einem der Plot nicht den Atem für das Staunen nimmt. Filme wie Avatar oder Up (USA 2009, Pete Docter) zeigen denn auch, dass es weniger die großen Effekte sind, die üblichen Gegenstände, die auf den Zuschauer geworfen werden, als vielmehr filigranere und ornamentalere Anordnungen im Raum. Denn dieser Raum (wie in These 2 schon angeklungen), ist im Wortsinne ein ›Kunst-Raum‹, der sich keineswegs in einfachen Folgen von Aktion und Reaktion erschöpft. Räumlichkeit, um das Interesse wach zu halten, muss mehr als ein Mittel der Erzählung sein – ihr eigentlicher Kern. Aus mehreren Gründern erfordert die Dreidimensionalität eine Verlangsamung der Erzählung, zum einen, weil es für den Zuschauer schwieriger ist, sich in diesem skulpturalen Geschehen zurecht zu finden, und man also mehr ›Lesezeit‹ für die Einstellungen benötigt, zum anderen aber auch, weil dieser Kunstraum den Dingen eine andere Dauer verleiht. Ihre räumliche ›Kostbarkeit‹ wendet sich gegen das allzu rasche Verschwinden, und noch mehr als in der zweieinhalbdimensionalen Filmerzählung tritt an die lineare Reihung des ›Und dann...‹ eine Dramaturgie von Parallelität, Verzweigung und Wiederkehr. In Filmen wie Coraline spielt tatsächlich der Raum eine Hauptrolle (wir könnten ihn sogar als Raum-Experiment für ein junges Publikum auffassen); das Verengen, Erweitern, auch das Trügerische darin entspricht ganz und gar dem inneren Zustand der kindlichen Heldin, die in ihrer Mischung aus Abenteuerlust und Enttäuschung über Eltern, die mit sich selber beschäftigt sind, den Gefahren der inneren und äußeren Welt gegenübertritt. So sind 3D-Filme Filme des world building aber auch Filme der Seelenreise; es gilt ein Inneres zu betreten, was anders noch nicht betreten ist (und was nur eines nicht sein darf: banal). Was die Möglichkeiten des Bewegungsbildes in diesem eigenen, künstlichen Raum anbelangt, scheinen wir allenfalls am Beginn. Fatal wäre es offensichtlich, wenn sich die Industrie, wie sie es gerne tut, schnell wieder auf das
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vermeintlich Sichere, auf Wiederholungen und Variationen zurückzöge. Wenn das dreidimensionale Kino nicht allein durch pures ökonomisches Interesse, sondern durch wirkliche neue Möglichkeiten durchgesetzt werden soll, dann muss noch erhebliche kreative Energie aufgewandt werden und das eine oder andere Wagnis unternommen. 5. These Aber vielleicht ist es auch gar nicht so sehr das Kino, in dem sich das dreidimensionale Bewegungsbild zu einem kulturellen und ökonomischen Standard entwickelt. Die audiovisuelle Heimtechnologie wartet darauf, stereoskop erneuert zu werden. Blu-ray, Fernsehen, und vor allem das Computergame sind auf Dauer wirtschaftlich interessanter als das Kino. Wir werden nicht mehr lange auf stereoskopische Bilder auf unseren Computerbildschirmen und Handydisplays warten. Das Vergnügen, ein Bundesliga-Fußballspiel auf einem 3D-Bildschirm zu verfolgen, ist in der Tat nicht mehr ein Ersatz für ein Life-Ereignis, sondern übertrifft jede Art von ›wirklichem‹ Zuschauen. So entsteht ein weiterer Schritt hin auf ein Leben zunächst in einer virtuellen Räumlichkeit und dann in einem virtuellen Raum. Es ist daher abzusehen, wie rasch auch diesmal das Kino gegenüber den ›Konkurrenten‹ die Vorreiter- und Avantgarde-Position verliert. Vermutlich wird dies zu einer noch größeren Medienvernetzung führen. Am Ende mag es um die Konstruktion eines BildRaumes gehen, der weder ganz der ›Wirklichkeit‹ noch ganz der ›Virtualität‹ angehört und der zugleich von Menschen und von digitalen Maschinen vollständig zu ›lesen‹ ist.
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6. These Der Siegeszug der 3D-Technologie scheint deswegen diesmal nachhaltig zu werden, weil die beiden größten Hindernisse überwunden werden. Der stereoskopische Film ist nicht mehr übermäßig teurer als der gewöhnliche, und die Technik zum Herstellen und zum Projizieren nicht mehr groß und unhandlich. Das heißt am Ende, die neue Technologie wird von dem normalen Mediennutzer nicht nur ›gelesen‹, sondern auch ›geschrieben‹. Auf dem Markt demokratisiert sie sich und verbreitet sich auch im Amateur-Sektor; damit verliert sie zwar einiges von ihrer Staunen machenden Eindrücklichkeit, zugleich aber auch alles Bedrohliche und SichErschöpfende, sie wird, mit anderen Worten, zu einem allgemein gebräuchlichen und zugänglichen visuellen Code.
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Eine wichtige Position der Kritik an der neuen Technologie verliert daher ihre Stichhaltigkeit. Sie lautete: 3D-Technologie verschafft den großen Traumfabriken Vorteile, zwingt Kinos einen teuren Umrüstungswettbewerb auf und bringt die Kinematographien kleinerer Länder ins Hintertreffen. Doch schneller als vielleicht sogar von den Apologeten des großen Wandels erwartet, wird die Großtechnologie durch bescheidene und erschwingliche Ausrüstung ergänzt. Schon gibt es die ersten Stereo-Consumer-Kameras, mit denen man passable 3D-Fotografien und Video-Sequenzen aufnehmen kann, und der Markt für die ›semi-professionellen‹ oder ›mittelständischen‹ Anwendungen ist für die Hersteller viel zu attraktiv, um ihn nicht sehr rasch zu bedienen. Das stereoskopische Bild entwickelt sich auf dem Markt der Alltagskommunikation möglicherweise schneller als es das auf dem doch immer noch sehr schwerfälligen Gebiet der Kinoherstellung tut. Von der Ankündigung, dass Wim Wenders seinen Film über das Tanztheater in 3D dreht bis zu den ersten Aufführungen von Pina (D / F / GB, 2011) vergeht so viel Zeit, dass sich währenddessen schon wieder mehrere Generationen der Consumer-Technologie abgelöst haben. Und so könnte es passieren, dass 3D-Bilder schneller ›selbstverständlich‹ sind als dass sie künstlerisch auserprobt wurden. 7. These Die größte Gefahr besteht darin, dass wir innerhalb kurzer Zeit mit stereoskopischen Bildern ›totgefüttert‹ werden. Eine komplette 3D-Anlage für den Heimgebrauch war im Jahr 2010 schon für etwa 500 Euro zu haben, an ›Futter‹ gibt es genügend Filme, und schon um die dreihundert Videospiele sind zu dieser Zeit entweder stereoskop produziert oder nachträglich dreidimensional bearbeitet worden. Bleibt eine Frage, ob der Film bereits in seiner Aufnahme stereoskop sein oder erst in der Postproduktion, der Nachbearbeitung, mit dem Effekt ausgestattet werden soll. Für einen Regisseur wie Tim Burton scheint das so bedeutend nicht zu sein. Er behauptet nämlich, ein guter Regisseur denke ohnehin immer schon räumlich. Etliche eklatante Misserfolge in letzter Zeit freilich haben gezeigt, dass eine ›Stereoskopierung‹ in der Postproduktion nur selten den gewünschten Erfolg erzielt (übrigens nicht einmal beim so räumlich denkenden Tim Burton). Die Forderung besteht daher, die Erzeugung des räumlichen Effekts schon bei den Dreharbeiten zu gestalten und bei der Vorbereitung Drehbuchautoren, Designer, Animationskünstler, Kameraleute und Schauspieler mehr in diese räumliche Erfahrung mit einzubeziehen. Noch mehr als zuvor schon wird das
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Kino durch seine Dreidimensionalität eine kollektive Kunstform mit vielen ›Autoren‹. Und noch mehr wird die Produktion technifiziert, verlangsamt, weniger spontan und weniger ›menschlich‹. (Schon von daher wird verständlich, dass zweifellos eine Gegenbewegung sich entwickeln wird, die den Hunger nach der schnellen, ehrlichen zweidimensionalen Wirklichkeit befriedigt oder aber umgekehrt die klassische Schönheit des Tafelbildes konserviert.)
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8. These Die technische Durchsetzung eines neuen Formats ist das eine, die ökonomische ein anderes. Die Geschichte der ersten Fehlversuche freilich hat gezeigt, dass es noch eines Dritten bedarf. Das ist die kulturelle Durchsetzung. Das heißt, es muss in diesem Format schließlich mehr zu machen sein, als ein paar mehr oder weniger verblüffende Effekte einzufügen, ein wenig Achterbahn und Geisterbahn in die Action zu mischen. Es müssen dem stereoskopischen Bild angemessene Erzählweisen entwickelt werden. Weniger klassische Dramaturgie ist gefragt als vielmehr der Aufbau eigener Bildwelten, wie schon erwähnt, und zweifellos treffen sich die Digitalisierung und die Verräumlichung noch mit einer dritten Tendenz im Kino unserer Tage, nämlich der Entwicklung von sogenannten ›nichtlinearen‹ Erzählweisen. Und gerade in dieser Kombination liegt die Chance, das dreidimensionale Kino nicht allein zum Werbeinstrument multimedialer künstlicher Welten zu machen, in denen man es sich aus Enttäuschung über die komplexe und frustrierende Wirklichkeit gemütlich macht. ›Bild‹ und ›Erzählen‹ können stattdessen eine neue Qualität, einen neuen Erfahrungsraum erhalten. Man könnte sagen, es ist eine Erzählweise, die sich im Raum ausbreitet, von verschiedenen Möglichkeiten ausgeht und unterschiedliche Realitätsebenen miteinander verwebt. In einen Bildraum wie den des neuen dreidimensionalen Kinos jedenfalls kann eine klassische Kino-Story mit Anfang, Mitte und Ende nicht mehr wirklich Ordnung bringen. Daher beruhigt uns das kommerzielle Kino im 3D-Multiplex mit einer Rückkehr: Zwei Stunden waren wir woanders, in einer fernen, äußeren und inneren Welt, aber am Schluss dürfen wir zurückkehren, in unseren Raum, in unsere Räumlichkeit. Bis zum nächsten Mal. (Ganz direkt macht sich Tron: Legacy (USA 2011, Joseph Kosinski) diese Konstruktion zu eigen, als Eintauchen des jugendlichen Helden – auf der Suche nach dem Vater/Schöpfer – in eine digitale dreidimensionale Kunstwelt, der man am Ende, wie in einem Akt der zweiten Geburt, wieder in eine zweidimensionale, menschliche Kino-Wirklichkeit entkommt: In der neuen Welle der Dreidimensionalität, auch in ambitionierten Filmen wie Wim Wenders’ Tanzfilm, wird Räumlichkeit nicht mehr als Gewinn
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an Wirklichkeit und gar an ›natürlicher‹ Wahrnehmung angesehen, sondern im Gegenteil als Kunstraum für Selbsterfahrung, als Seelen- und Ideenraum, der nicht die Welt als Ganzes repräsentiert, sondern im Gegenteil ein eigenes ästhetisches und ikonografisches System ausbildet – das Kino erfindet sich in seinen Plots für diese Technik gleichsam einen neuen, ordnenden ›Rahmen‹.) 9. These Dies ist die eine Forderung: Dass man die neue Technologie nicht allein den kommerziellen Traumfabriken überlässt, sondern auch künstlerisches Wagnis darin fördert. Und damit verbunden ist die andere Forderung: Dass die Gewöhnung an das neue dreidimensionale Bild nicht dazu führen soll, das klassische Bewegungsbild kulturell ›zu vergessen‹. Wahrscheinlich ist es aus diesem Grund besser von einem neuen Medium als von der neuen Form des Kinos zu sprechen. Wenn der analoge zweidimensionale Bildraum, der für die Menschen nun seit mehreren Jahrhunderten seit dem enormen ästhetischen Sprung in der Renaissance verbindlich und vertraut war, vielleicht ins Museum zurücktreten müsste, um einem digitalen dreidimensionalen Bildraum Platz zu machen, dann verlören wir nicht nur einen ungeheuren Fundus an Kunstwerken, sondern auch eine Kulturtechnik. Das Kino, habe ich behauptet, ist dabei vielleicht nur ein Experimentierfeld, ein Vorreiter. Die tiefergehenden Folgen werden wir einerseits in unseren medialen Alltagstechnologien, vom Laptop zum Handy, vom Heimkino zur Urlaubsfotografie spüren und andererseits in der Kunst und der Kunsttheorie. Denn das Kino wie das Tafelbild waren ja nicht zweidimensional, sondern man hatte über die Kunstgeschichte hinweg raffinierte und schöne Methoden entwickelt, die dreidimensionale Welt in einem zweidimensionalen Bild wiederzugeben und zu simulieren. Vieles davon geht im digitalen 3D-Kino wieder verloren; es geht, während wir uns an neue Formen von Sehen und Bewegen in Bildräumen gewöhnen, umgekehrt auch um einen Akt der Bequemlichkeit. Der Raum wird uns in gewisser Weise ›geliefert‹, durchaus glückliche Dechiffrierungsund Rechenleistungen unseres ›Kinos im Kopf‹ fallen weg. Die nächsten Stationen eines neuen Sehens sind schon in Planung: die Konstruktionen virtueller Architekturen und ›Welten‹ im öffentlichen Raum, bei denen sich reale und fiktionale Elemente begegnen; neue Verfahren, bei denen auf die lästige Polarisationsbrille verzichtet werden kann; ›enhanced reality‹, bei der das Gesehene und das Geträumte kaum noch voneinander zu unterscheiden ist und alles Lästige und Hässliche einfach ausgeblendet wird; Holografie
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(das Holodeck auf dem Raumschiff Enterprise, in dem man sich zur Entspannung persönlich in beliebige dreidimensionale Bildwelten begibt, nähert sich der technischen Machbarkeit, wobei – wie wir aus unserer SF-Serie wissen –manches schief gehen kann, wenn sich Seelen und Bilder direkt und ohne lästige Wirklichkeit dazwischen kurzschließen).
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10. These Wer je ein Bundesligaspiel auf einem stereoskopischem Großbildschirm gesehen hat, der weiß, dass man dabei nur eines bedauert, nämlich nicht mitspielen zu können. Andererseits gewinnt die Teilhabe in der Tat eine neue Dimension. Der stereoskopische Film und viel mehr noch das 3D-Computerspiel fordern uns förmlich auf, zu Mitspielern zu werden, uns in diesem künstlichen Raum zu bewegen, und eine neue Generation von Computergames wie Heavy Rain (2010, Quantic Dream) oder Alan Wake (2010, Remedy Entertainment) trägt diesem Impuls Rechnung. Wenn ich in der vorherigen These davon gesprochen habe, dass die Entwicklung des stereoskopischen Bewegungsbildes auch die Kunsttheorie verändern wird, dann ist spätestens hier deutlich, wie sehr die Wahrnehmungspsychologie gefordert ist. Einmal mehr nämlich scheint es, dass sich in unserer Gesellschaft eine technologisch-ökonomischmediale Umwälzung anbahnt, zu der es kein kulturelles Gegengewicht gibt. Einer gewaltigen Wolke von Technikbegeisterten, bunt bebilderten Schriften und einem Wölkchen eher missmutig kulturpessimistischen Mahnungen stehen so gut wie keine ernsthaften theoretischen Auseinandersetzungen mit dieser radikalen Veränderung unseres Bildraumes gegenüber, die, wie gesagt, im Kino nur ihren Anfang nimmt, doch schon längst in alle privaten und öffentlichen Räume dringt. Früher oder später wird eine Öffnung zwischen dem neuen Bildraum und dem Lebensraum der Wirklichkeit, vielleicht eine Art der Verschmelzung stattfinden. Man arbeitet am Konzept einer Augmented-Reality-Audiovisualität, einer Art von Sehen, bei der man sich aus beiden Welten, der Fiktion und der Wirklichkeit, das Gewünschte selber zusammenstellt und am Ende keinen wirklichen Unterschied mehr feststellt. In naher Zukunft, so verkünden es die Propheten der verbesserten Bildwelt, muss niemand mehr in seiner langweiligen Wirklichkeit bleiben, vorm Großstadtfenster rauscht der Ozean, der Familienhund wird zum außerirdischen Wesen und die Nachbarin sieht aus wie Marilyn Monroe. Zukunftsmusik, ein bisschen Angst macht das alles, wenn man sich gerade einmal an die Spezialeffekte von Coraline gewöhnt
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hat. Und gegenüber dem, was die Theoretiker und Bildentwickler schon den big bang der neuen Bilder bezeichnen, eine radikalere Umgestaltung des Sehens und des Abbildens, des Erlebens und Erkennens, als wir sie uns noch vorstellen können, ist das Kino immer noch ein wohlig altmodischer, geborgener und ordentlicher Ort, auch wenn gerade Monster und Müll von der Leinwand auf uns zu fliegen oder seltsame Wesen so nahe vor unseren Augen auftauchen, dass wir unwillkürlich nach ihnen greifen. Wie bei allen solcher radikalen Wechsel gibt es gewiss auch eine Melancholie des Abschieds – das Bewusstsein, dass man nicht nur etwas gewinnt an Ausdrucksfähigkeit, sondern auch verliert, so wie man beim Übergang vom Stumm- zum Tonfilm und vom Schwarzweiß- zum Farbfilm, von Film zu Video usw. Erzählweisen, Stilmittel, künstlerische Fertigkeiten verlieren musste. Jedes neue Medium, so die Grundthese von Marshall McLuhan, enthält die vorherigen Medien. Es scheint ein Projekt zu geben, irgendwann zu einem Medium zu gelangen, das alle anderen Medien enthält, das Medium der Medien. Nicht alle Medien überleben diese dialektische Entwicklung auch als autonome Formen, nicht alle Medien gehen auch ohne weiteres in ihr auf. So ist das neue zugleich ein anderes und das umformulierte alte Medium; am Ende entscheidet der soziale Gebrauch.
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Jesko Jockenhövel Analogien zwischen frühen )DUE¿OPHQXQGGLJLWDOHP' Als Folge der Digitalisierung der Kinos durch die Umstellung von klassischen Filmprojektoren auf Digitalprojektion hat die 3D-Technik den Film- und Kinomarkt verändert. Jeder Filmemacher oder jedes Studio ist nunmehr mit der Frage konfrontiert, sofern die nötigen finanziellen Mittel zur Verfügung stehen, ob ihr Film kommerziell oder ästhetisch profitierten würde, wenn dieser in 3D gedreht oder nach Abschluss der Dreharbeiten in das stereoskopische Format konvertiert würde. Aus den unterschiedlichsten Gründen fällt diese Entscheidung häufig negativ aus. Diese können nicht vorhandene Kenntnisse in der 3D-Produktion, das Fehlen von technischem Equipment, höhere Kosten für 3D, ein fehlender Absatzmarkt aufgrund nicht ausreichend vorhandener Abspielstätten sowie generelle Zweifel an der Sinnhaftigkeit von 3D-Filmen sein. Insofern wurde bisher nur eine übersichtliche aber wachsende Anzahl von Filmen im digitalen Zeitalter in 3D gedreht oder postkonvertiert, darunter große Blockbuster, eine Reihe von Genrefilmen und vereinzelte Dokumentationen. Es stellt sich aber trotzdem die Frage, warum einige Filme in 3D produziert werden, während dies bei anderen ausbleibt. Neben kommerziellen Erwägungen dürften auch ästhetische, narrative und strukturelle Gründe zusammen kommen und eine Rolle spielen, was im Folgenden diskutiert werden soll. Stereoskopie kann dabei in Verhältnis zu anderen Technikeinführungen in der Filmgeschichte gesetzt werden, von denen Ton, Farbe und Breitbild nur die wichtigsten sind. Ein Vergleich zur Einführung des Farbfilms bietet sich an, da er wie 3D die visuelle Ebene des Films betrifft und zudem Farbe und schwarz-weiß Jahrzehnte parallel existierten (und auch immer noch existieren), während es im Bereich des Tonfilms eine offensichtliche Zäsur Ende der 1920er Jahre gab. Von einem
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solchen radikalen Schnitt ist beim Verhältnis 2D und 3D nicht auszugehen.1 Ähnlich wie Farbe wurde 3D experimentell bereits zu Beginn der Filmgeschichte verwendet, und beide Verfahren haben Vorläufer in der Fotografie. 2 Der 3D-Film jedoch musste auf die Einführung des digitalen Kinos warten, um eine große Verbreitung zu erreichen. Für einen Vergleich zwischen 3D und Farbfilm ist es sinnvoll – auch wenn es vereinfachend erscheint – Startpunkte für die Einführung von 3D und Farbfilm zu setzen. Für den Farbfilm ist die Einführung des Technicolor II-Verfahrens im Jahr 1922 ein wichtiger Einschnitt, 3 entscheidender sind jedoch die Einführungen der Technicolor III- und IV-Verfahren (1928, respektive 1932), die zu einer ausgedehnten Nutzung dieses natürlichen Farbverfahrens führten. Die Farben wurden also, im Gegensatz zu den zur Stummfilmzeit üblichen Kolorierungsverfahren, erstmals so abgebildet, wie sie bei der Aufnahme entstanden. Ein weiterer entscheidender Einschnitt war die Einführung von Farbnegativfilmen, besonders von Kodak Eastmancolor im Jahr 1953. Der Farbnegativfilm enthält bereits Farbschichten, so dass Farben nicht mehr durch Technicolors Färbeprozess im Farblabor reproduziert werden mussten (vgl. Misek 2010, 39). Dies führte zu einer weit verbreiteten Nutzung von Farbe in den unterschiedlichsten Genres, vor allem auch weil auf die schwerfälligen Spezialkameras des Technicolor IV-Verfahrens verzichtet werden konnte. Für 3D ist der Referenzpunkt die Einführung von digitalem 3D, sowohl bei der Aufnahme als auch der Produktion. Obwohl es
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Allerdings gibt es besonders auf der ökonomischen und der Ebene der technischen Umstrukturierung Parallelen zwischen 3D und Tonfilm wie Lipton (2007, 519) gezeigt hat. Aufgrund der gemeinsamen visuellen Ebene wird aber der Vergleich von Farbe und 3D bevorzugt. Neben dem Vergleich Ton, Farbe und 3D wurden zudem bereits in den 1950ern 3D und Breitwand-Prozesse gegeneinander aufgewogen und miteinander verglichen (vgl. Bazin 2002) und Breitwandprozesse etwa durch das Fox-Studio gegenüber 3D als überlegen beworben: »Cinemascope – The modern miracle you see without glasses« (vgl. Paul 1993, 327). Gerade die Konkurrenz von 3D und Breitwandverfahren in den 1950er Jahren wirft die Frage auf, warum sich damals letzteres durchsetzten konnte. Während technische Gründen ausschlaggebend gewesen sein werden, bot Breitwand gleichzeitig aber auch eine visuelle mindestens gleichwertig spektakuläre Alternative gegenüber 3D, das zunächst noch im Seitenverhältnis 1,37:1 verwendet wurde, wobei wohl auch Maskierungen für das Seitenformat 1,85:1 möglich waren (Zone 2004, 225).
2
Vgl. Zone 2007 und den Beitrag von Klippel/Krautkrämer in diesem Band.
3
Das Technicolor I-Verfahren wurde bereits 1916 eingeführt. Es kam jedoch mit THE GULF BETWEEN (USA 1916, Wray Bartlett Physioc) nicht zu mehr als einem langen Spielfilm zu Demonstrationszwecken (vgl. Koshofer 2002, 335).
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Analogien zwischen frühen Farbfilmen und digitalem 3D
erfolgreiche Versuche gab, 3D mit 35mm-Filmmaterial und anderen Filmformaten (z. B. 70mm) zu produzieren, führte dies nur zu vergleichsweise wenigen 3D-Filmen mit der Ausnahme des kurzen 3D-Booms in Hollywood in den Jahren 1952 und 1953. Wenngleich hier der Schwerpunkt auf dem Vergleich von Farbfilm nach 1928, also der Einführung des dritten Technicolor-Verfahrens, mit digitalem 3D liegen soll, wird auch auf den Farbfilm vor 1922 mit seinen verschiedenen Formen von Viragierung, Toning und Schablonenverfahren sowie auf den analogen stereoskopischen 3D-Film eingegangen werden. Die Kinostarts von 3D-Filmen sind seit 2008 stark angestiegen. Auch wenn zunehmend 3D-Produktionen aus anderen Ländern in die Kinos gelangen, wird der Markt von Hollywood angeführt. Da der Farbfilm in Form von Technicolor US-amerikanisch dominiert war und die US-Filmindustrie marktführend auch im 3D-Bereich ist, wird sich diese Analyse spezifischer Filme auf US-amerikanische 3D-Produktionen konzentrieren: insbesondere auf die Blockbuster-Produktionen mit Fantasy- und Science-Fiction-Einflüssen Alice in Wonderland (USA 2010, Tim Burton) und Avatar (USA 2009, James Cameron), auf einen Horrorfilm / Genrefilm, My Bloody Valentine (USA 2009, Patrick Lussier) und einen Film, der nicht direkt einem Genre zuzuordnen ist, nämlich Coraline (USA 2009, Henry Selick). Dabei ist davon auszugehen, dass weder stabile Genregrenzen existieren noch eine eindeutige Opposition von Genrefilmen und Blockbustern festzulegen ist. Gleichwohl geht es mir darum, ästhetische und narrative Tendenzen der Blockbuster- und der Genreproduktion anhand der gewählten Filmbeispiele zu diskutieren und Spezifika von 3D-Filmen in diese Konzepte einzuordnen. 3D-Filme haben sich bisher sicher nicht auf ein spezifisches oder eine Reihe von Genres beschränkt, aber es ist doch eine starke Anlehnung an spektakuläre, populäre Bereiche wie zum Beispiel Science-Fiction, Action-Adventure und Fantasy offensichtlich. Als Beispiele können hier Avatar, Alice in Wonderland, Tron: Legacy (USA 2010, Joseph Kosinski), Coraline und Clash of the Titans (USA 2010, Louis Leterrier) genannt werden; Filme, die als Blockbuster bezeichnet werden können (vgl. King 2003). Daneben wird das Horrorgenre zum Beispiel durch die Filme MY Bloody Valentine, The Final Destination (USA 2009, David R. Ellis) und Saw 3D (USA 2010, Kevin Greunert) bedient. Zudem gab es einige Musikfilme wie Step up 3d (USA 2010, John Chu) und Street Dankce 3D (GB 2010, Max Giwa / Dania Pasquini). Für animierte Filme ist 3D hingegen fast zur Pflichtaufgabe geworden. Während jeder 3D-Film sein eigenes spezifisches stereoskopi-
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sches, narratives und ästhetisches Konzept entwickelt, wie anhand der einzelnen Filmanalysen gezeigt werden soll, lehnt sich doch die überwiegende Mehrheit stereoskopischer Filme an spektakuläre Genres an und bedient fast keine traditionell als realistisch wahrgenommenen Genres, wenn man eine Opposition klassischer Genres wie (Melo-)Drama, Komödie, Gangster-/Polizeifilm, Film Noir auf der einen Seite und Abenteuerfilm, Historienfilm, Action-Adventure, Fantasy, Horror, Musical und Science-Fiction auf der anderen Seite aufmacht und gleichzeitig fließende Übergänge im Kopf behält. Eine ähnliche Tendenz der Verwendung von Farbe gab es im Rahmen der Technicolor-Produktionen sowie auch in den frühen kolorierten Farbfilmen.
Früher Farbfilm und die Einführung von Technicolor
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Frühe Farbfilme sowie Technicolor-Filme lassen sich ebenfalls überwiegend in spektakulären Genres finden. Tom Gunning (1995) weist darauf hin, dass Farbe vor 1908 öfter in Filmen verwendet wurde, die als Spektakel aufgefasst wurden und weniger in solchen, die als Dokumentarfilme wahrgenommen wurden. Allerdings waren dann ab den 1920er Jahren zwischen 80 und 90 Prozent aller Filme coloriert (vgl. Misek 2010, 19) – in Form von Viragierung, Schablonentechniken, Handkolorierung oder einer Kombination dieser Techniken. Mit dem Aufkommen des Tonfilms verschwand jedoch Farbe fast vollständig aus den Kinos und kehrte erst mit der Etablierung von Technicolor als kinematographischer Farbprozess zurück. Indes konnten aufgrund technischer Schwierigkeiten und höherer Kosten weder Technicolor I noch Technicolor II überzeugen. Erst Technnicolor III (1928) und Technicolor IV (1932), der erste Dreifarbenprozess, erwiesen sich als sehr viel stabilere Verfahren, die risikolos aber immer noch unter deutlich höheren Kosten eingesetzt werden konnten. 3D und Technicolor IV – das System, das die Farbproduktion bis Anfang der 1950er Jahre dominierte – sind auch insofern technisch vergleichbar, als sie beide eine Beam-SplitterKamera benötigen, in der das einfallende Licht in einzelne Lichtstrahlen getrennt wird (vgl. Misek 2010, 25). Drei vorwiegend ökonomische Gründe verhinderten allerdings, dass Farbe in der Mehrzahl der Produktionen verwendet wurde: »Technicolor’s virtual monopoly over three-color-services for feature films, the high cost of color, and limited markets for color« (Kindem 1982, 153). Während es heute zwar kein Monopol für eine 3D-Firma gibt, bleiben doch höhere Kosten für 3D-Filme bestehen (vgl. Ott 2010). Buscombe nimmt darüber hinaus an, genauso wie
Analogien zwischen frühen Farbfilmen und digitalem 3D
Bordwell/Thompson/Staiger (1988, 354) und Misek (2010, 36) – und hier lässt sich eine weitere Parallele zu 3D feststellen – »color technology has taken so long to diffuse […] partly because unlike sound it could not be instantly accommodated to the realist aesthetic« (1985, 88). Er geht davon aus, dass die Einheit der Diegese und das narrative Primat als fundamental für ein Kino, das unter dem Primat des Realismus steht, anzusehen ist und argumentiert, dass Farbe, im Gegensatz zum Ton, die Einheit der Narration bedrohte und daher viel länger als der Tonfilm brauchte, um zum Standard zu werden (vgl. ebd.). Vor der Einführung des Lichttons rangen allerdings auch Bild und Ton um die narrative Vorherrschaft, und James Lastra (2000, 108ff ) hat gezeigt, dass es ein langer Prozess war, bis die Tonebene im klassischen Hollywood-Stil narrativ integriert wurde und gleichzeitig dem realistischen Anspruch genüge tat. Zudem kann darüber diskutiert werden, ob nicht die Tonebene auch die Ebene des »Kinos der Attraktionen« bedienen und so narrativer Geschlossenheit im Weg stehen kann. Um zum Farbfilm zurückzukommen, bleibt festzustellen, dass Technicolor vor allem in Genres wie Cartoons, Musicals, Western, Kostümfilmen und Fantasy verwendet wurde, woraus Bordwell, Staiger und Thompson schließen: »Hollywood’s use of Technicolor was almost exclusively motivated by genre« (Bordwell/Thompson/ Staiger 1988, 354). Laut Misek waren 14 von 18 Technicolor-Filmen, die 1929 veröffentlicht wurden, Musicals; im folgenden Jahr waren es 25 von 29 (vgl. Misek 2010, 28). Auch Bordwell bestätigt: »Contemporary accounts emphasize that two-color Technicolor was best suited for ‘musical revues’ because they appeal by virtue of costume and artificial settings« (1988, 355). Um zu erklären, wie Farbe sich in die verschiedenen Elemente eines Films einfügt, zieht Misek das Konzept der Motivation, entwickelt von Bordwell (1986, 18), heran. Dieses Konzept soll hier auch für 3D angewendet werden, da 3D ebenso als Teil des Filmstils angesehen werden kann. »Motivation is the explanation offered by a film for why its formal elements take the form they do« (Misek 2010, 29). Bordwell nennt in Anlehnung an die russischen Formalisten vier verschiedene Arten von Motivation: kompositionelle, realistische, intertextuelle und künstlerische. Kompositionelle Motivationen beziehen sich auf narrative Gründe, die zur Verständlichkeit der Story beitragen und Bedeutung tragen. Realistische Motivationen nehmen Bezug auf die Erschaffung einer glaubhaften Welt. Ein realistisch motiviertes Element trägt dazu bei, dass die Oberfläche oder Machart eines Films als wahrscheinlich angenommen wird (vgl. Maltby 1995, 337). Intertextuelle Motivationen werden in Ver-
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bindung gebracht mit Elementen, die so oder so ähnlich bereits in anderen Filmen, vorwiegend im selben Genre, verwendet wurden. Bordwells vierte Kategorie, künstlerische Motivation, umfasst die Elemente, die weder durch Komposition, Realismus oder Intertextualität motiviert sind. Künstlerische Motivation geht über die Grenzen einer geschlossenen Hollywood-Narration hinaus und steht in enger Verwandtschaft zum Cinematic Excess: »style becomes foregrounded to an unusual degree, necessarily calling attention to the material of the film« (Thompson 1986, 136). Misek dagegen argumentiert, dass falls Farbe durch keine kompositionelle, realistische oder intertextuelle Motivation begründet werden kann, überhaupt keine Motivation vorliegt. Bordwells vierte Kategorie erlaubt es aber von künstlerischer Motivation oder Cinematic Excess zu sprechen, was auch eine Einordnung in den narrativen Prozess erleichtert. Farbe wäre also in diesem Sinne begründet – »because it produces a particular effect, such as spectacle« (Maltby 1995, 337) – und nicht aus realistischen Kriterien heraus motiviert. Narrative (also kompositionelle) Motivation lässt sich dagegen in vielen Technicolor-Filmen – besonders auffällig etwa in The Wizard of Oz (USA 1939, Victor Fleming) – finden, in denen Filmemacher daran interessiert waren, eine narrative Strategie zu entwickeln, wie Farbe eingesetzt werden kann, was von Misek weniger diskutiert wird. Letztendlich war es das Ziel der Technicolor Company, Farbe einerseits dramaturgisch-narrativ zu motivieren, wie von Natalie Kalmus (1935) in »Colour Consiousness« dargelegt, um so Farbe als Teil des klassischen Hollywood-Stils zu etablieren und gleichzeitig durch realistische Motivation, damit Farbe in möglichst vielen Filmen verwendet wird (vgl. Higgins 2000). Obwohl sicher davon gesprochen werden kann, dass Farbe von den 1930ern bis in die 1960er hinein hauptsächlich nicht-realistischen Zwecken, also Genre-Ansprüchen genügte, wie Buscombe (1985), Bordwell/Thompson/Staiger (1988) und Misek (2010) argumentieren (s.o), kann man auch hier schon früher ansetzen und argumentieren, dass bereits vor dieser Zeit besonders in Bezug auf Traditionen von prä-kinematografischer Repräsentation wie Werbung, populärer Literatur und Zeitungsbeilagen, Farbe immer in enger Verbindung zu Formen des Spektakulären stand und nicht zu Traditionen des Realismus. Farbdruck im Printbereich wurde zwar in den 1920er Jahren omnipräsent, »but still had the ability to disturb cultural hierarchies through its association with the emotional and sensual rather than the rational and ideal« (Gunning 1995). Insofern galt sowohl in Printmedien als auch in der Filmvorführung bis in die 1950er hinein:
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»color […] was able to satisfy needs which realism could not. Were this not so, it is hard to see how, given its unrealistic connotations, it could have been introduced at all. Since the 1930s, however, color has become progressively absorbed back into realism, with the result that the audience’s need for spectacle and for technological wonders has had to be satisfied by a succession of further technological developments: wide-screen, 3D, Sensurround and so on« (Buscombe 1985, 91). Glaubitz/Schröter haben dargestellt, dass sich durch die Diskursgeschichte des Raumbildes eine Tendenz zieht, das flächige Bild höher einzuschätzen als das Raumbild und mit dem 3D-Bild eher sensuelle Erfahrungen zu verbinden. Weil »das Ding nicht nur unseren Distanzsinn des Sehens anspricht«, so Glaubitz/Schröter, »sondern auch taktile, haptische und motorische Empfindungen und Aktivitäten evoziert, wird es zu einem potentiellen oder unterschwelligen Problem abendländischer Erkenntnistheorie und [...] Ästhetik« (2009, 309). Ist 3D in diesem Sinne also ein (nicht mehr so ganz) neues Spektakel – und könnte es eine ähnliche Entwicklung nehmen wie der Farbfilm? Auch wenn die Verwendung von 3D im Spielfilm keine Neuheit ist, so ist sie doch die erste Erfahrung mit Stereoskopie im narrativen Spielfilm für die heutige Generation jüngerer Kinogänger, der Hauptzielgruppe, und hat sich zudem bisher hauptsächlich in den oben beschriebenen, als nicht-realistisch aufgefassten Genres bewegt. Von intertextuellen Motivationen und ökonomischen Beweggründen für die Verwendung von Stereoskopie ist daher auszugehen. Aber lassen sich auch realistische, kompositionelle und damit narrative Motivationen finden? Ist es dann auch möglich, dass – analog zur Einführung von Farbnegativfilmen mit Eastman Color 1953 – das Aufkommen von digitalem 3D zu einer weit verbreiteten Verwendung von stereoskopischem 3D führen kann?
3D-Filme heute – einige Analysen Die vier stereoskopischen Filme, die im Folgenden genauer analysiert werden sollen, bewegen sich eindeutig in einer Tradition nicht-realistischer Genres: Avatar, Coraline, Alice in Wonderland und My Bloody Valentine 4 wurden auf unterschiedliche Art und Weise stereoskopisch produziert. Während Avatar in 3D 4
Der Horrorfilm mag hier, zugegebenermaßen, eine Hybridstellung einnehmen. Während die Ursprünge des Genres im Übernatürlichen liegen, gab es in den letzten Jahren ein Entwicklung hin zu einer immer realistischer anmutenden Gewaltdarstellung in »torture porn« Filmen wie SAW (USA 2004, James Wan).
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gedreht und animierte Sequenzen und Bildteile in der Postproduktion ergänzt wurden, wurde Alice in Wonderland in 2D gedreht und anschließend in 3D konvertiert und ebenfalls nachträglich um animierte stereoskopische Bildteile bereichert. My Bloody Valentine, der stereoskopisch mit zwei Kameras gedreht wurde, genauso wie Avatar, beinhaltet nur minimale digitale Ergänzungen. Coraline, ein Stop-Motion-Film, hatte eine andere Herangehensweise: Die Einzelbilder wurden mit einer hochauflösenden (Foto-)Digitalkamera aufgenommen, die zunächst das Bild für ein Auge aufnahm und dann seitlich verschoben wurde, um die Aufnahme für das andere Auge zu machen. Drei der Filme – mit der Ausnahme von My Bloody Valentine – erschaffen imaginäre Welten, parallel zu einer realistisch konnotierten, existierenden (Alice in Wonderland, Coraline) oder zu einer futuristischen, menschlichen Welt (Avatar). Das Setting von My Bloody Valentine ist dagegen auf eine amerikanische Kleinstadt in der Gegenwart begrenzt. Da die Hauptfigur in My Bloody Valentine als schizophren bezeichnet werden kann, existieren hier zwei ›innere‹ Welten nebeneinander.
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Abb. 1: »built with a strong forced perspective«: Henry Selicks C ORALINE
Die Titelfigur in Coraline ist ein 11-jähriges Mädchen, das gerade mit seinen Eltern aus der Stadt in ein abgelegenes Haus gezogen ist und dort einen hinter einer Wand versteckten Tunnel entdeckt, der in eine Parallelwelt führt, in der die Ebenbilder ihrer Eltern leben, nur dass diese sich viel mehr um Coraline kümmern als ihre richtigen Eltern. Zunächst fühlt sie sich hier besser aufgehoben. Um dieses Gefühl zu betonen, so die Strategie der Filmemacher, wird diese Welt mit mehr Tiefe ausgestattet, indem der Abstand zwischen den
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Kameras bei der Aufnahme vergrößert wurde.5 Der Effekt wird durch die Architektur und das Set Design noch verstärkt, so der Director of Photography Pete Kozachick (2009): »Henry [Selick, der Regisseur, JJ] wanted to create a sense of confinement to suggest Coraline’s feeling of loneliness and boredom in her new home. His idea had interiors built with a strong forced perspective and shot in 3-D to give conflicting cues on how the rooms really were. Later, we see establishing shots of the more appealing other-world rooms shot from the same position but built with normal perspective. The compositions match in 2-D, but the 3-D depth cues evoke a different feeling for each room«. Gegen Ende des Films stürzt diese Parallelwelt buchstäblich in sich zusammen und wird zum Albtraum, in dem Coralines zweite Mutter einer bösen Hexe ähnelt. Hier wird die Raumtiefe dann so weit gesteigert, dass sie übertrieben und bedrohlich wirkt, was durch die Farbgebung und verzerrten Winkel noch verstärkt wird. 3D wird erneut mit einer kompositionellen Motivation ausgestattet, da es die Narration unterstützt und die Emotionen der Hauptfigur widerspiegelt. Gleichzeitig weist der Film unter anderem durch seine düstere Atmosphäre, seine thematische Anbindung an das Übernatürliche, sein Setting und seine Figuren Bezugspunkte zu den Genres Fantasy und (Gothic-)Horror aus.
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Abb. 2: Raumtiefe als Albtraum in CORALINE
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Bei der 3D-Aufnahme bewirkt die Vergrößerung des (interokularen) Abstandes zwischen den Kameras, dass das Bild tiefer erscheint. Die Verringerung des Abstandes hat zur Folge, dass das Bild insgesamt flacher wirkt.
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Die visuell auffälligsten Momente eines 3D-Films sind in der Regel jene, in denen Objekte oder Figuren scheinbar räumlich vor die Leinwand treten und den Zuschauer direkt adressieren. Dieser Moment wird als »emergence effect« (Paul 1993) oder, mehr optisch-technisch gesprochen, als negative Parallaxe bezeichnet (Mendiburu 2009, 77). Paul zeigt in seinem Artikel »The Aesthetic of Emergence« über 3D-Filme der 1950er Jahre: »almost from the beginning there was concern with how to make use of the emergence effect within the context of the narrative film« (1993, 331). Infolgedessen wurde Stereoskopie hauptsächlich in einem Genrekontext und im B-Film-Markt verwendet. Laut Bordwells Kategoriensystem verschiedener Motivationen wurde die Verwendung von 3D damit intertextuell verwendet. Erst später, stellt Paul fest, »as 3-D began to be used for quality films at the end of the year [1953]«, sollte sich das ein wenig ändern. Es entwickelte sich die Tendenz, die negative Parallaxe zu vermeiden (vgl. ebd.). Die negative Parallaxe wird in Coraline verwendet und auf die Fantasy-Welt begrenzt. So wird 3D einerseits an der Oberfläche intertextuell, andererseits aber auch durch die Narration motiviert. Objekte ragen nur in der Parallelwelt aus der Leinwand heraus und Charaktere greifen nur hier in Richtung des Publikums. Ein ähnlicher Effekt lässt sich in der Eröffnungssequenz finden, in der noch keine narrative Geschlossenheit herrscht. Die Szenen mit großer negativer Parallaxe sind zudem häufig point of view shots (PoV) – subjektive Kamera-Einstellungen wie in der Szene, als Coralines Vater an einem automatischen Klavier sitzt. Als Coraline, aus deren Sicht gefilmt ist, die Tür zu diesem Raum öffnet, greifen die mechanischen Arme des Klaviers in ihre Richtung und damit zugleich in Richtung des Auditoriums (Abb. 1). Eine ähnliche Szene gibt es, als Coraline von ihrer Doppelgänger-Mutter in einem kleinen Raum festgehalten wird und die Mutter dann durch die Tür hindurch in Coralines Richtung greift (Abb. 2). Auf die subjektive Einstellungen aus Coralines Sicht folgt ein Gegenschnitt auf Coraline (reaction shot). In der Verbindung von negativer Parallaxe und PoV lässt sich insofern eine weitere kompositionelle Motivation für die explizite Verwendung von 3D finden, als der Zuschauer so aufgefordert wird, sich mit Coralines Reaktionen zu identifizieren. Da die Verwendung von negativer Parallaxe auf die Parallelwelt beschränkt bleibt, kann dies als Fortführung des Spiels mit mehr Raumtiefe in der Fantasywelt gesehen werden und damit gleichzeitig auch als intertextueller Verweis. Damit wird aber auch das fragile, zumindest einseitige Konzept offenbar, das Misek über die Verwendung von Farbe in TechnicolorFilmen legt und das hier in Bezug auf 3D ausdifferenziert werden
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soll. Misek wägt zwischen realistischer und generischer/intertextueller Verwendung von Farbe in Technicolor-Filmen ab und kommt zu dem Schluss: »The most common motivation in the 1940s was not realistic but generic« (Misek 2010, 38). Gleichzeitig werden dabei aber kompositionelle Motivationen weitgehend ausgeblendet, die für die Eingliederung von Farbe in den klassischen Hollywood-Stil genauso entscheidend waren. Zwar ist es richtig, dass Farbe hauptsächlich in unrealistischen Genres verwendet wurde und damit das Konzept von Technicolor (insbesondere das von Natalie Kalmus, der verantwortlichen Farbberaterin) gescheitert ist, Farbe im Sinne einer realistischen Verwendung obligatorisch für alle Filme zu machen. Gleichzeitig wurde Farbe aber durchaus so verwendet, dass sie die Stimmung von Szenen oder deren dramatischen Gehalt unterstützt, sowie Motive innerhalb der Handlung aufbaut: »When we receive the script for a new film, we carefully analyze each sequence and scene to ascertain what dominant mood or emotion is to be expressed. When this is decided, we plan to use the appropriate color or set of colors which will suggest that mood, thus actually fitting the color to the scene and augmenting its dramatic value« (Kalmus 1935, 145). Neben der generischen und damit intertextuellen Motivation wurde also auch auf eine kompositionelle hingearbeitet, um narrative Geschlossenheit zu erreichen, die für den Hollywood-Stil vielleicht sogar essentieller als die realistische Motivation ist. Scott Higgins weist ebenfalls darauf hin, dass es – verbunden mit Technicolor und von Technicolor auch unterstützt – die Tendenz gab, die Verwendung von Farbe in das klassische Hollywoodsystem zu integrieren: »Natalie Kalmus’ rules were drafted to guarantee that colour, like lighting, sound, camera-movement, and editing, would hold the viewer’s attention to the narratively important elements of the moving image, and suit the expressive demands of feature production« (Higgins 2000, 375). Wie die Beispiele aus Coraline gezeigt haben, kann damit ein Element durchaus sowohl intertextuell als auch kompositionell motiviert sein. Gleichzeitig bietet ein Film sicher mehrere Gratifikationen, von denen narrative Kohärenz nur eine ist. Als stilistisches Mittel ist 3D ebenfalls mit Formen des Spektakulären oder Sensitiven verbunden, wie auch die folgende Szene illustriert.
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Abb. 3: Cinematic Excess: C ORALINE
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Nachdem Coraline mit ihrem Vater gesprochen hat, beginnt nun ihr Vater das mechanische Piano zu spielen, auf dem die Kamera montiert ist. Die Kamera nimmt dabei so etwas wie die Perspektive des Pianos ein, und mit Blick auf Coralines Vater beginnen alle – Kamera, Klavier, Coralines Vater – um sich selbst wie ein Karussell zu rotieren (Abb. 3). Den Fantasy-Charakter der Parallelwelt betonend, ist diese Szene vor allem spektakulär und als Cinematic Excess zu verstehen – sie ist weniger narrativ integriert, sondern betont vielmehr die visuelle Attraktion. Solche spektakulären Momente sind noch offensichtlicher in Blockbuster-Filmen wie Avatar oder Alice in Wonderland. Wenn wir Alice in Wonderland und Avatar als Blockbuster verstehen, und Coraline als näher am klassischen Hollywoodsystem ansehen, müssen wir auch die ästhetischen Überlegungen in Betracht ziehen, die für den Blockbuster definiert und diskutiert worden sind. Bordwell weist zwar die Auffassung zurück, dass in Blockbustern Narration von spektakulären visuellen Szenen verdrängt wird und argumentiert dagegen, dass diese Vorstellung nicht haltbar sei, weil Narration und Spektakel sich nicht gegenseitig ausschließen würden (vgl. Bordwell 2006, 104). Trotzdem sieht Bordwell in modernen Blockbustern einen neuen Stil am Werk, der sich vor allem durch eine »intensification of established techniques« auszeichnet, inbesondere durch »rapid editing, bipolar extremes of lens lengths, reliance on close shots, and wide-ranging camera movements« (ebd.). Ohne an dieser Stelle zu sehr ins Detail ästhetischer und narrativer Strategien gehen zu können, sollte doch insbesondere im Zusammenhang mit der Kontroverse um den »richtigen« 3D-Schnitt (vgl. Mendiburu 2009, 3) bemerkt werden, dass eine typische Strategie von Blockbustern, insbesondere aktionsori-
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entierten, in einer bestimmten Kombination besteht: »to combine moments of broader, more expansive spectacle with those of tightly framed explosive-montage-impact effects« (King 2003, 117). Des Weiteren soll auf die Blockbuster-Ästhetik in Zusammenhang mit Alice in Wonderland weiter unten eingegangen werden. Solch spektakuläre Sequenzen gibt es zwar auch in Coraline, der sich ansonsten eher an die Kohärenz von Raum und Zeit des klassischen Kino hält – eine größere Rolle aber spielen sie in Avatar: Während die erste Hälfte des Films eher von Totalen und fließenden Kamerabewegungen dominiert wird, die die spektakuläre Fantasywelt des Films zeigen bzw. konstituieren, zeichnet sich die zweite, actionreichere Hälfte durch schnelle Schnitte und Großaufnahmen aus. Diese Sequenzen sind in Hinsicht auf das Raumbild weniger interessant, weil die schnellen Schnitte und die damit kurze Dauer pro Einstellung verhindern, dass Raumtiefe wahrgenommen werden kann. In der Etablierung der Welt des Planeten Pandora mittels Totalen und Kamerabewegungen in der ersten Hälfte von Avatar spielt 3D eine viel größere Rolle. Drei Sequenzen sollen als Beispiele dienen. Der Film beginnt mit einer Großeinstellung auf das Auge des Protagonisten Jack, auf die eine Einstellung mit außerordentlicher Tiefenschärfe folgt, die die Kabine eines Raumschiffes zeigt, in dem dutzende Soldaten nach einer langen Reise aufwachen. Die Fluchtlinien der Einstellung betonen die Tiefe des gezeigten Korridors. Es ergibt sich ein ähnlicher Tiefeneindruck wie in dem Tunnel, der in Coraline in die Parallelwelt führt. Die Einstellung betont die immersiven Aspekte von 3D und ist gleichzeitig programmatisch zu sehen, da die negative Parallaxe in Avatar kaum verwendet wird, sondern die Leinwand fast durchgängig als Fenster in eine andere Welt wahrgenommen wird. Die Darstellung einer glaubwürdigen Welt scheint hier die hauptsächliche Motivation für die Verwendung von Stereoskopie zu sein, wenn gleichzeitig auch künstlerische Motivation in Form von Excess eine Rolle spielen mag, da der ungewohnte Blick in die Tiefe die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Da es sich aber um eine Übergangssequenz handelt, die vor allem den Ort der Handlung etablieren soll, wird nicht von narrativen Elementen im Sinne der Handlungsorganisation abgelenkt. Eine ähnliche Tendenz beschreibt Higgins für die Verwendung von Farbe in Technicolor-Filmen: »Extreme stylisation of colour especially through the device of coloured illumination, would generally be relegated to transitional sequences, bracketed of from the main line of narrative development« (2000, 369). In einer anderen Sequenz, als Jack auf Pandora durch die Wälder läuft und sich hauptsächlich auf den dicken Ästen riesiger Bäume
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fortbewegt, blickt die Kamera nach unten und demonstriert dabei die Höhe der Bäume und die Gefahr der Tiefe. 3D bietet dabei nicht nur visuell attraktive Einstellungen an, sondern illustriert zugleich das Bedrohungspotenzial der Situation, erzeugt sie erst und dient damit zugleich einem narrativen Ziel. Überdies handelt es sich auch hier um eine Übergangs- oder Montagesequenz mit wenigen StoryInformationen. In einer dritten Szene wird die negative Parallaxe verwendet. Es ist die einzige Szene, in der einzelne Objekte, losgelöst von anderen, im Zuschauerraum zu sehen sind. In dieser Sequenz fliegen Sporen eines mythischen Baumes zunächst um den Protagonisten herum, um dann auf ihm zu landen, aber nicht ohne vorher in das Auditorium geflogen zu sein und dabei auch dem Zuschauer den Eindruck geben, sie berühren zu können. Diese Szenen erweitern noch die Möglichkeiten des Blockbusters und seine Bandbreite »of spectacular audio-visual experience, in contrast to the smaller-scale resources of rival films or media« (King 2003, 14). Wie in anderen Action-Blockbustern, nur vielleicht noch stärker, werden taktile und kinetische Eindrücke vermittelt, die den Eindruck von Immersion verstärken, charakterisiert als »diminishing critical distance to what is shown and increasing emotional involvement in what is happening« (Grau 2003: 13). 3D wird in Avatar nicht wie in Coraline narrativ zur Trennung der Welt auf dem Planeten Pandora von der menschlichen Welt verwendet, sondern ist insgesamt stärker mit den taktilen und kinetischen Eindrücken des Blockbuster-Films verbunden. Zudem wird das Motiv der Immersion in das Grundgerüst der Handlung eingeflochten, indem Menschen in Avatare schlüpfen und sich so auch körperlich in eine neue Welt begeben. Die Differenzierung, ob der Zuschauer die Leinwand als Fenster in eine andere Welt wahrnimmt oder als Bühne, die das Hinübertreten von Figuren der Handlung in die Welt des Zuschauers möglich macht, spielt bei der Verwendung von 3D insofern eine Rolle, als es die Position des Zuschauers nachhaltig beeinflusst. Belton hat dargestellt, dass es – zumindest in Hinblick auf das Marketing – in den 1950er Jahren einen bedeutenden Unterschied zwischen den ungefähr gleichzeitig eingeführten Breitwandformaten und 3D gab. Während für Breitwandformate die Teilnahme am Dargestellten als Versetzung an den Ort der Handlung herausgestellt wurde, so warb 3D damit, dass die Handlung zum Zuschauer kommt: »The participation effect was reversed in the marketing of 3-D; instead of audiences entering into the world depicted on the screen, the space on screen was represented in ads as invading that of the audience« (Belton 1992, 189f ).
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Wie oben dargestellt, wurde die negative Parallaxe, also der emergence effect, allerdings schon während des 3D-Booms in den 1950ern mit Vorsicht gehandhabt. In den vier hier herangezogenen Filmen kann man insgesamt eine wenig aufdringliche Verwendung der negativen Parallaxe feststellen, am ehesten mit Ausnahme von My Bloody Valentine, der den Konventionen des Horrorfilms unterliegt. Die Verwendung der negativen Parallaxe kann damit parallel zu dem von Bordwell beschriebenen whammo gesehen werden, der für den Action-Blockbuster so typisch geworden ist: »The whammo is a burst of physical action, injected to keep things from turning into just a string of conversations. Said whammos, industry sources tell us, are supposed to arrive every 10 minutes or so« (Bordwell 2006, 112). Ähnlich kann die Verwendung der negativen Parallaxe beschrieben werden, jedoch mehr in ästhetischer Hinsicht, indem sie den Zuschauer daran erinnert, dass er oder sie einen 3D-Film sieht und so auf dessen textuelle Eigenschaften hinweist. Diese Hinweise auf die eigenen phänomenologischen Eigenschaften mögen mit der fortschreitenden Etablierung von 3D-Filmen abklingen. Noch mehr als in Avatar wird der whammo in Bezug auf 3D in Alice in Wonderland (im Folgenden: Alice) eingebaut. Auch hier werden zwei Welten erschaffen und einander gegenüber gestellt. Ähnlich wie in Coraline gibt es eine Welt, die als mehr oder weniger realistisch erscheint, und eine andere, die fantastisch bzw. eine Einbildung der (Haupt-)Figuren zu sein scheint. Während jedoch die Protagonistin in Coraline mehrmals zwischen den beiden Welten hin und her wechselt, betritt Alice das Wunderland nur einmal, verliert sich darin und muss einen Weg finden, um dieses wieder verlassen zu können. Der Plot stimmt dabei mit den grundlegenden narrativen Prinzipien des Blockbuster-Kinos – die zudem das Abenteuerkino schon lange prägen – überein: »Plot in the contemporary action film is deployed as a series of narrative hurdles the hero must overcome« (Flanagan 2004, 114). Der Plot ist damit eher episodisch aufgebaut und ermöglicht Variationen, insbesondere häufig wechselnde Settings und Figuren, die zufällig eingeführt werden (vgl. Marchetti 1989, 188). Ein weiteres Charakteristikum des Blockbusters liegt laut Flanagan in der Heldenfunktion: »[T]he heroes themselves, who are not realized in a psychologically complex way, or connected to real historical patterns, have a purely physical schematic function of enforced movement through space « (Flanagan 2004, 108). Alice hält sich weitgehend an diese Struktur. Die Protagonistin muss zahlreiche, meist physische Hürden überwinden, um ihr Ziel zu erreichen und die rote Königin zu besiegen, um schließlich in ihre wirkliche Welt zurückkehren zu können.
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Durch Zufall oder Aufgaben, die sie gestellt bekommt, bewegt sich Alice durch die verschiedenen Orte des Wunderlandes, von denen der Zuschauer nie erfährt, wie sie miteinander verbunden sind, welche Entfernungen sie trennen und wie lange Alice benötigt, um von einem Ort zum anderen zu kommen (meistens anscheinend nicht sehr lange, obwohl das Wunderland unendlich groß und vor allem geographisch sehr abwechslungsreich zu sein scheint – damit folgt der Film der Traumlogik der literarischen Vorlage). Das Wunderland in Alice ist im Gegensatz zur realen Welt voll von CGI-Animationen. Diese Spezialeffekte und computervisualisierten Figuren und Landschaften sind damit das hauptsächliche Stilmittel zur (visuellen) Trennung der beiden Welten. 3D wird überwiegend dazu verwendet, bestimmte Spezialeffekte zu unterstützen, so dass eine kompositionelle Motivation von 3D ähnlich wie in Avatar nicht zur Trennung der beiden Welten verwendet wird. Stärker als in Avatar wird in regelmäßigen Abständen die negative Parallaxe bespielt und so die Zuschauer daran gemahnen, dass sie in einem 3D-Film sitzen. So schwebt die Grinsekatze, die die Fähigkeit hat, sich nach Belieben in Luft aufzulösen, in Richtung des Auditoriums und wird dadurch ihr unerklärliches Auftauchen und Verschwinden betont. An anderer Stelle werden Gegenstände in Richtung des Publikums geworfen. Dann gibt es Szenen, in denen Fabelwesen, vor allem ein riesiger Vogel, in die Kamera schreien und dabei auch die Grenze zwischen dem traditionellen Spielraum des Films überschreiten. Auch hier ist 3D vor allem im Rahmen des Übernatürlichen, ist visuell motiviert und hilft so, die fantastische Welt zu erschaffen. My Bloody Valentine ist schließlich streng genommen der einzige Live-Action-Film, der nicht zu einem überwiegenden Teil auf animierten Sequenzen beruht. Er ist auch derjenige, der am stärksten durch Genrekonventionen6 geprägt ist. My Bloody Valentine ist ein Horror-, oder spezifischer gesagt, ein Slasher-Film. In einer amerikanischen Kleinstadt, in der vor einigen Jahren ein Minenarbeiter einige seiner Kollegen mit einer Spitzhacke umgebracht hat, schlägt erneut ein Killer zu. An dieser Stelle ist es nicht nötig, die eher dünne Handlung ausführlich nachzuerzählen, nur auf das Schizophrenie-Motiv soll hingewiesen werden. Der Killer, der die Stadt in Atem hält, hat sich als zweite Identität die des Minenarbeiters zugelegt, der Jahre zuvor seine Kollegen getötet hatte. 6
Das Konzept »Genre« wird in diesem Artikel so verstanden, wie es von Misek und Buscombe in ihrer Analyse von frühen Farbfilmen verwendet wurde – als eine relativ stabile Kategorie, in der Genres klar abgrenzbar und ausschließend sind. Genre in diesem Sinne beruht also auf einem taxonomischen Ansatz (vgl. Gledhill 2000, 233).
Analogien zwischen frühen Farbfilmen und digitalem 3D
Der stereoskopische Filmraum wird ausgiebig bespielt, sowohl in der negativen Parallaxe vor der Leinwand als auch in der positiven Parallaxe hinter der Leinwand. Der emergence effect wird wiederholt eingesetzt, um die Zuschauer zu adressieren und Schockmomente zu produzieren. Diese nicht-narrative Verwendung in Zusammenhang mit der Adressierung des Zuschauers ruft Konventionen des frühen Kinos der Attraktionen hervor – mit der Hervorhebung von Zurschaustellung im Gegensatz zum Storytelling (vgl. Gunning 2004, 43). Dies funktioniert insbesondere für einen Horrorfilm, und es ist nicht überraschend, dass das Genre sich schon immer für eine Umsetzung in 3D interessiert hat.7 Negative Parallaxe wird in My Bloody Valentine verwendet, um die Zuschauer zu überraschen und geradezu zu attackieren, zum Beispiel wenn ein Gewehr in den Zuschauerraum gehalten wird und dabei auf einzelne Zuschauer zu zielen scheint oder wenn die Spitzhacke bedrohlich vor dem Auditorium hängt. Der Film verwendet ebenfalls Einstellungen mit viel Tiefenschärfe und stark betonter Linearperspektive insbesondere in den Szenen, die in engen Gängen einer alten, verlassenen Mine spielen sowie in einer Szene mit engen Gängen in einem Supermarkt (Abb. 4), in dem zwei der weiblichen Hauptfiguren von dem Killer angegriffen werden. Einstellungen mit viel Tiefenschärfe in Kombination mit einer großen interokularen Distanz überbetonen die Enge der Minengänge sowie der Supermarktreihen und erzeugen so ein Gefühl von Klaustrophobie und Bedrohung.
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Abb. 4: Tiefenschärfe und Linearperspektive: MY BLOODY VALENTINE
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Vgl. insbesondere die 3D-Horrorfilme der 1980er aber auch 3D-Titel aus den 1950ern wie HOUSE OF WAX (USA 1953, André de Toth).
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Dies trifft auch auf eine Szene zu, in der der Vertigo-Effekt nachgeahmt und für 3D übernommen wird. Hitchcock hatte in seinem 1958 gedrehten Film die Kamera gleichzeitig vorwärts fahren und rückwärts zoomen lassen, wodurch sich die Fluchtlinien verändern und das Bild tiefer – also der Hintergrund weiter entfernt – wirkt. Der Effekt wurde von Steven Spielberg für Jaws (USA 1974) übernommen. Ein nahes Objekt ändert dabei seine Größe und Position innerhalb des Bildrahmens kaum, nur die räumliche Beziehung zum Hintergrund scheint sich zu verändern. Während eines Angriffs des Killers in der Mine wird dieser Effekt ebenfalls angewendet. Theoretisch steht der Stereoskopie technisch sogar ein anderes Mittel zur Verfügung, um denselben Effekt zu erreichen. So könnte auch die interokulare Distanz vergrößert oder verkleinert werden, um unterschiedliche Tiefeneindrücke oder Fluchtlinien zu erzeugen. Welche Technik oder Kombination verschiedener Techniken genau verwendet wurde, ist nicht zu ermitteln. Der Effekt ist derselbe. Da der Effekt mit einem Gegenschuss auf den Protagonisten gekoppelt ist, der sich später als der schizophrene Killer herausstellt, liefert die Narration hier bereits durch die Verschiebung räumlicher Zusammenhänge und Orientierung einen ersten Hinweis, dass nicht alles so ist, wie es scheint. Durch den Sogeffekt der Einstellung erscheint es zudem fast, als ob der Protagonist an dieser Stelle den Körper und damit auch seine Identität wechselt und buchstäblich in die Rolle des Killers schlüpft. Hauptsächlich ragen Gegenstände (Gewehr, Spitzhacke) in den Zuschauerraum. Alles andere erscheint durch die stereoskopische Darstellung auf oder hinter der Leinwand. Eine Ausnahme bildet allerdings eine der Hauptfiguren, nämlich die weibliche Protagonistin, die früher eine Beziehung mit dem nun schizophrenen Serienmörder hatte und am Ende des Films von diesem verfolgt wird. Im Close-up durchbricht ihr Gesicht die Leinwand und kommt damit den Zuschauern besonders nahe. Die mögliche Folge dieser Art der Auflösung der Einstellungen ist die Unterstützung der Empathie mit dieser Figur, die für die Zuschauer im Finale des Films der einzige Orientierungspunkt ist. Die Durchlässigkeit der Leinwand wird damit zu einem durchgängigen Motiv in My Bloody Valentine, welches im Rahmen des 3D-Films gänzlich neu verhandelt wird, wie auch an zwei anderen kurzen Sequenzen deutlich wird. In einer Szene schlägt eine Nebenfigur mit der Faust in einen Spiegel. Der Spiegel befindet sich direkt auf der Fläche der Leinwand und die Kamera schaut durch den Spiegel, so dass sich der Eindruck ergibt, als wenn der Schlag direkt auf die Leinwand erfolgen würde, die nur durch ein bisschen Glas geschützt ist. Es ergibt sich das Bild einer zersplitterten Leinwand.
Analogien zwischen frühen Farbfilmen und digitalem 3D
In einer weiteren Szene erfolgt ebenfalls ein Blick rückwärts durch einen Spiegel, auf den ein Herz – das Erkennungszeichen des Serienmörders – gemalt ist. Dieses bildet eine klare Abgrenzung von Vor- und Hintergrund, verweist aber auch auf den Aufbau des stereoskopischen Bildes, dessen Vordergrund oft haptisch erscheint, damit aber gleichzeitig Narration unterläuft (vgl. Trotter 2004, 40). Der Schrecken des Horrorfilms in My Bloody Valentine spielt sich zwar weitgehend scheinbar hinter der Leinwand in der positiven Parallaxe ab, nicht aber ohne die Durchlässigkeit der Leinwand bedrohlich zu testen, als Schockeffekt gelegentlich zu überschreiten oder als Hilferuf der Empathieträgerin zu ignorieren und gleichzeitig das narrative Konzept zu dehnen, vergleichbar mit dem berstenden Fernseher in David Cronenbergs Videodrome (CAN 1983) und den von der Leinwand strahlenden Farben früher Farbfilme.
Schlussfolgerungen In der ersten Hälfte des Artikels haben wir gesehen, dass sich, ausgehend von der Argumentation von Misek (2010) und Buscombe (1985), die Verwendung von (Technicolor-)Farbe im Film auf eine Reihe von Genres aus der nicht-realistischen Tradition beschränkte, insbesondere auf Musicals und andere visuell geprägten Genres. Laut Miseks Analyse, die sich an den Neoformalismus anlehnt, war die Verwendung von Farbe durch Intertextualität motiviert und nicht durch Realismus. Allerdings kann man in vielen Filmen wie z.B. in The Wizard of Oz auch kompositionelle Motivation finden, und wie der Blick auf Natalie Kalmus Veröffentlichung Colour Consciousness (1935) gezeigt hat, gab es nicht nur Bestrebungen, Farbe realistisch zu motivieren, sondern auch kompositionell. Das gleiche Prinzip konnte bei der Verwendung von 3D in Coraline gefunden werden sowie, allerdings weniger durchgängig, in Avatar, Alice in Wonderland und My Bloody Valentine. Alle vier Filme gehören zu fantastischen Genres und spielen mit Elementen des Action- und Blockbuster-Kinos, sowie des Horrofilms oder des Übernatürlichen im Allgemeinen. Die realistische Motivation von 3D spielt in diesen Genres nur eine untergeordnete Rolle, so dass die Verwendung von 3D als weitgehend analog zu der von Technicolor bezeichnet werden kann – in Form von intertextueller und kompositioneller Motivation, die vielmehr auf Glaubwürdigkeit innerhalb der filmischen Welt als in Bezug auf externe Elemente abzielen. Es sollte daher nicht überraschend sein, dass 3D im Moment hauptsächlich in den Fantasy-Genres verwendet wird, um dort visuell erstaunliche Parallelwelten zu erschaffen – wie etwa auch
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in Tron: Legacy. Was Buscombe zur Verwendung von Farbe im Film sagt, kann (zurzeit) auch für 3D behauptet werden: »It suggests two possibilities: First, color [oder 3D] must signify luxury or spectacle. […] Second, color in early Technicolor pictures [oder 3D heute] operates as a celebration of technology« (1985, 9). Dabei ist 3D nicht auf diese Funktionen beschränkt, sondern versucht sich auch narrativ zu integrieren. Auf der visuellen Ebene scheint es allerdings zurzeit am wirkungmächtigsten zu sein.
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Analogien zwischen frühen Farbfilmen und digitalem 3D
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Katrin von Kap-herr Eingriff in 3D: Michel Gondrys THE GREEN HORNET als Experiment Längst ist bekannt, dass Jeffrey Katzenberg, Chef des DreamWorks Animation Studios, bereits 2008 3D als die »dritte Revolution im Kino« (vgl. Rodek 2008) ausgerufen hat und nicht müde wird zu betonen, es sei eine Revolution, »die für das Medium nicht weniger bedeutsam ist als Ton oder Farbe« (Schultze, 2009, 16). Katzenberg ist auch der Überzeugung, dass alle Filme durch das Effektkino der digitalen 3D-Technologie stärker werden können (vgl. Stein 2009). Der Filmemacher Wim Wenders hingegen hält stereoskopische Bilder für narrative Filme nur bedingt geeignet. Für ihn liegt die Zukunft von 3D im Dokumentarfilm (vgl. Sterneborg, 2011, 27). Seitdem Wenders den dokumentarischen Tanzfilm Pina (D/F 2010, Wim Wenders) gedreht hat und Erfahrungen mit 3D sammeln konnte, ist er überzeugt, »dass viele Geschichten nach wie vor viel schöner und besser in 2-D zu erzählen sind« (Sterneborg, 2011, 29). Denn die Notwendigkeit der 3D-Dimension müsse in der Geschichte begründet sein; 3D solle der Narration dienen und nicht umgekehrt. Doch 3D birgt noch weitere Optionen. Der französische Filmemacher Michel Gondry hat The Green Hornet (USA 2010, Michel Gondry) auf 2D gedreht und nachträglich in 3D konvertiert. Ein nicht irrelevantes Detail, wann immer über 3D-Filme geschrieben wird: Während das bewegte Bild beim in 3D gedrehten stereoskopischen Film den Eindruck echter räumlicher Tiefe erwecken soll – obwohl es natürlich nur eine Annäherung an den Raum sein kann, wie auch Wenders betont (vgl. Sterneborg, 2011, 29) – steht die nachträgliche Berechnung in 3D meist für schlechtere Qualität, nicht zuletzt aufgrund der geringen räumlichen Tiefenwirkung. »[If we as an industry choose this 2D to 3D post-production conversion, it‘s the end« (Gray & Wolinsky, 2010), prophezeit Jeffrey Kat-
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zenberg. Der Qualitätsmangel bei der Konversion sei also Schuld, wenn das Interesse am 3D-Kino nachlässt. Und als wäre das nicht schon genug Angriffsfläche, so wird dies noch von wissenschaftlichen Studien gestützt, die befürchten, dass beim Betrachten eines nachträglich berechneten 3D-Films die negativen Effekte noch verstärkt werden: Die Rede ist nicht nur von Übelkeit und Kopfschmerzen1, sondern auch von Schäden und Irritationen, die durch den Widerspruch der visuellen Information im Gehirn auftreten können. Martin Banks betont daher in seiner Studie, dass die technische Qualität beim 3D-Kino von existentieller Bedeutung sei (vgl. Rosner, 2010, 29). Doch Rob Engle, Supervising Stereographer bei The Green Hornet und verantwortlich für die Konvertierung in 3D, sieht die Vorteile gerade in der nachträglichen Berechnung: »What conversion allows us to do is to manipulate the three-dimensional space in a way that you can’t do with traditional photography. [...] Shooting in 3D, what you see is what you get. But the way we did it, it actually opens up the door to using 3D in a creative way and manipulating 3D in unexpected ways« (Sony Pictures 2011, 6). Eine These, die auch Gondry unterstützt: »Ich wollte kreativ mit 3D umgehen, das war bei der Konversion gegeben. Gerade bei der Konversion von Film kann man interessante Sachen machen« (Schultze, 2011). Demnach wäre ausgerechnet die Konvertierung der Schlüssel zum künstlerischen Umgang mit 3D. Beginnt die ›Revolution‹ also erst jetzt?
Innovativ oder konservativ
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Michel Gondry war bisher eher kein Verfechter des digitalen Effektkinos, zählt vielmehr zu einer Generation jüngerer Regisseure, die analoge Techniken den digitalen vorziehen (vgl. Flückiger, 2008, 473). »Ich glaube, dass computergenerierte Bilder zu oft eingesetzt werden, um nicht innovativ zu sein, sondern konservativ« (Weixlbaumer, 2011, 34), so Gondry. Bekannt ist er für seine ›handgemachten‹, analogen Spezialeffekte – wie z.B. der Stadt aus Papierrollen in den Traumsequenzen in La Science des Rêves (Science of Sleep – Anleitung zum Träumen, F 2006, Michel Gondry). Ausgerechnet Michel Gondry hat nun die Big-Budget-Produktion The Green Hornet inszeniert, eine US-amerikanische Superhelden-Verfilmung, deren Hauptfigur Britt Reid (Seth Rogen) ein verantwortungsloser Playboy ist, der ziellos von einer 1
Laut Disney Research Zurich (DRZ), wo unter anderem am dreidimensionalen Film geforscht wird, kann ein zu großer Tiefenbereich beim Zuschauer Kopfschmerzen verursachen (Anonym II, 2009).
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Party zur nächsten irrt. Als sein übermächtiger Vater unerwartet stirbt, erbt Britt dessen gewaltiges Medienimperium, die Tageszeitung The Daily Sentinel, mit der er nichts anzufangen weiß – bis er den erfinderischen Angestellten Kato (Jay Chou) kennenlernt und seine Chance sieht, etwas Sinnvolles zu tun, nämlich Verbrecher zu bekämpfen, mit Medienberichterstattung aus eigenem Hause. Doch Britt und Kato müssen als Green Hornet und dessen Sidekick selbst zu Verbrechern werden, um die Stadt vor den Gangstern zu schützen. Dafür konstruiert Kato eine Wunderwaffe, ein (fast) unzerstörbares Auto namens The Black Beauty, ein 1965 Chrysler Imperial mit eingebauten Raketen, Maschinengewehren, Gummigeschossen und vielen weiteren Extras. Kato jedoch ist nicht nur begabter Techniker und Tüftler, sondern auch Kampfsportexperte, und so bringen beide mit Gadgets und Prügeleien die Schurken zur Strecke. Ihr härtester Gegner: Benjamin Chudnofsky (Christoph Waltz), der die Unterwelt von LA kontrolliert. Tatsächlich liebäugelte Michel Gondry schon seit längerem mit diesem Stoff. Bereits Mitte der 1990er Jahre schrieb er mit Edward Neumeier, dem Autor von Paul Verhoevens RoboCop (USA 1987) und Starship Troopers (USA 1997), ein Drehbuch zu Green Hornet, das u.a. vorsah, die Straße des Universal Studiogeländes mit Wasser zu fluten (Schultze, 2011). Die Idee wurde allerdings vom Studio abgelehnt. Nachdem die Rolle des Kato zunächst von dem chinesischen Regie- und Schauspiel-Star Stephen Chow übernommen werden sollte, bot Sony Jahre später ausgerechnet Chow die Regie eines nun bewilligten Drehbuchs von Seth Rogan an, der wiederum im Film Chris Reid aka Green Hornet spielt. Chow stieg aus dem Projekt aus, und Gondry wurde als Regisseur engagiert. Gondry wäre nicht Gondry, würde er nicht auch diesen Film analog drehen, und sich so »[...] etwas von dieser Wärme im Kinobild« (Weixlbaumer, 2011, 36) erhalten. »[...] ich bin kein Freund von digitalen Kameras. Mir gefällt die Textur von Film. Deshalb musste der Film nachträglich umgewandelt werden« (Schultze, 2011), so Gondry. Nicht nur das Rohmaterial will sich nicht der digitalen Technik anpassen, auch die meisten Spezialeffekte sind vor der Kamera entstanden und nicht in der Postproduktion hinzugefügt. So gibt es zahlreiche pyrotechnische Effekte, wie Explosionen, zersplitterndes Glas sowie rasante Verfolgungsjagden mit Schießereien. Das Heldenauto steht bei diesen Effekten nicht selten im Mittelpunkt, das mit seinen Gadgets viele Effekte per Knopfdruck vor der Kamera erzeugen kann. Auto und Action gehören hier zusammen: Im Laufe des Films wird es zwischen zwei großen Tanklastern zerquetscht, im Aufzug demoliert, zweigeteilt und löst Kurzschlüsse sowie Explosionen aus.
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Abb. 1: Explosion in THE GREEN HORNET, die vor der Kamera entstanden ist
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Um in 3D ins Kino zu kommen, musste schließlich in alle analogen Bestandteile des Films digital eingegriffen werden, weshalb nicht mehr viel von der Wärme übrig bleibt, die Gondry sich erhofft hatte. Das Endprodukt ist und bleibt ein digitaler 3D-Film2, auch wenn viele Szenen aufgrund der geringen Tiefenwirkung eher wie 2D aussehen und der 3D-Effekt zuweilen unnötig scheint. Vergebens versucht man darin Gondrys Handschrift, seine Brüche mit den Sehgewohnheiten zu erkennen. Diese hinterließ Gondry nach eigener Aussage in nur sieben Prozent des Films (vgl. Weixlbaumer, 2011, 35). »Es gibt ein paar verrückte Szenen, um die ich kämpfen musste, weil ich sie unbedingt so umsetzen wollte, wie ich sie im Kopf hatte« (Schultze, 2011), so Gondry. Die Vermutung liegt nahe, dass es sich dabei um die wenigen Szenen in The Green Hornet handelt, in denen der Einsatz von 3D besonders auffällt. Und das nicht nur, weil 3D dort gut oder schlecht funktioniert, sondern weil es Szenen sind, die ihre Effekte als solche ausstellen, mit Sehgewohnheiten brechen und noch ein wenig von Gondrys Art spüren lassen, mit der er sich bisher immer eine gewisse Unabhängigkeit bewahren konnte. Ich möchte daher exemplarisch die Split ScreenSequenz und einige Kampfszenen herausgreifen und deren Effekte und 3D-Bilder genauer untersuchen.
Raumarbeit und Zellteilung Nach ungefähr 30 Minuten gibt es in The Green Hornet eine ca. einminütige Sequenz, die das Bild auf der Leinwand nach und nach in 16 Teile aufspaltet. Der Split Screen-Effekt setzt ein, als Chudnofsky seinen Gegenspieler Green Hornet fassen und ausgeliefert haben will. Er verhängt dazu ein Kopfgeld über eine Million Dollar und schickt seinen Gehilfen Pop Eye (Jamie Harris) los, um diese
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Auch wenn es natürlich für das Kino zusätzlich eine 2D-Version gibt.
Eingriff in 3D
Nachricht in der Unterwelt zu streuen. Während Chudnofsky noch die letzten Anweisungen dazu gibt, »tot – wenn möglich, lebendig – wenn nötig«, und seine Worte ausklingen, gibt es im Film einen zeitlichen und räumlichen Sprung: Pop Eye verlässt parallel bereits den Raum und gibt die Nachricht an drei Frauen weiter, die sogleich mit Messern bewaffnet losziehen und als Multiplikatorinnen der Information dienen. Chudnofsky erscheint anfangs noch klar, später immer transparenter rechts im Bild, bis sich das Filmmaterial beider Szenen räumlich und zeitversetzt auf der Leinwand überlagert und Chudnofsky schließlich ganz aus dem Bild verschwindet. In dem Moment teilt sich die Leinwand das erste Mal. Chudnofsky ist im Bild nicht mehr zu sehen. Dafür folgt der Zuschauer nun Pop Eye auf der einen Hälfte und den Frauen auf der anderen Hälfte des Bildes. Kaum ist eine weitere Person eingeweiht, teilt sich das Bild erneut mit der neu eingeführten Figur ab, während der Zuschauer immer noch allen Figuren, die bisher die Nachricht erreicht hat, schnittlos weiter dabei folgen kann, wie sie in zeitlich parallel laufenden Handlungssträngen und Split Screens dafür sorgen, die Nachricht an einen immer größer werdenden Personenkreis zu verbreiten. Die fortlaufende Teilung des Bildes in The Green Hornet bezeichnet Gondry als »cellular division« (Weintraub, 2011). Und tatsächlich gleicht es nicht nur optisch einer Zellteilung, sondern visualisiert auch auf narrativer Ebene ein immer größer werdendes Informationsnetzwerk, das Chudnofsky beherrscht. Die einzelnen Bilderzellen beanspruchen miteinander immer die gesamte Leinwand, müssen im Einzelnen aber im Laufe der Sequenz schrumpfen, um Platz für die anderen Split Screens zu schaffen. Wenn schließlich 16 davon die Leinwand ausfüllen, kann das Publikum immer weniger Einzelheiten erfassen. Hinzu kommt, dass selbst die kleinen, unterteilten Screens noch zuweilen in 3D sind. Jedes Bild tritt an unterschiedlichen Stellen dreidimensional aus der Leinwand hervor und lenkt die Blicke auf einzelne Situationen, die aber in sich nicht informativer sind oder die Handlung weiter vorantreiben als die anderen. Mit der Fokussierung gibt der 3D-Effekt dem Zuschauer eine eindeutige Blickrichtung vor, was beim Betrachten der sich anhäufenden Bilderzellen verwirrt und wie eine Spielerei mit der nachträglichen Konvertierung wirkt. The Green Hornet experimentiert mit dem Verhältnis von 3D und Split Screen und führt das Experiment mit seinen 16 kleinteiligen Bildteilen zugleich ad absurdum. Genau dabei wird 3D insofern als Spezialeffekt ausgestellt, als unser Blick sich automatisch auf die exponierte Zelle in 3D richtet, sobald diese aus der zweidimensionalen Einheit herausragt.
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Abb. 2 und 3: Kampfszenen in THE GREEN HORNET
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In The Green Hornet gibt es außerdem drei Kampfszenen, die noch, so scheint es, Gondrys Handschrift erkennen lassen. Er experimentiert darin mit Effekten, die er schon vorher in seinen Arbeiten eingesetzt hatte. Die erste Kampfszene findet statt, nachdem Britt Reid das überlebensgroße Denkmal auf dem Grab seines Vaters enthauptet hat und anschließend beobachtet, wie ein Pärchen überfallen wird. Er will eingreifen, merkt aber schnell, dass er unterlegen ist; ihm bleibt nur noch die Flucht. Als Britt mit einem Messer lebensgefährlich bedroht wird, will Kato helfen. In dem Moment setzen die Spezialeffekte ein: Die Kamera zoomt auf Katos Auge, das Bild füllt sich rot und der Zuschauer sieht aus Katos Perspektive, wie er die Gefahrensituation interpretiert, Waffen und Gegner förmlich einscannt. Alle Objekte, die er für den Kampf braucht, leuchten rot auf, und jede Figur, die er bekämpfen muss, ragt aus der Szene dreidimensional hervor. Dabei verlangsamt sich die Zeit, die Figuren bewegen sich in Zeitlupe, allein Katos Auge fokussiert blitzschnell. Nachdem Kato die Lage erfasst hat, springt er über die Motorhaube eines parkenden Autos, das sich sogleich multipliziert, so dass Kato auf dem Weg zu Britt mehrfach über die immer gleich aussehende, geklonte Motorhaube springen muss, die sich im Bild dreidimensional auffächert. Der Effekt sieht auf den ersten Blick wie ein digitaler Verdoppelungseffekt aus, doch die Vermutung liegt nahe, dass er am Set erzeugt wurde, wie es Gondry auch schon in
Eingriff in 3D
seinem Musikvideo Let Forever Be (Michel Gondry, 1999) für die Chemical Brothers getan hat (siehe Abb. 4). In diesem Moment – sowie auch in weiteren Kampfszenen im Film – verlangsamt sich die Zeit, während Kato sich selbst in über-
Abb. 4: Verdoppelungseffekt in L ET FOREVER BE, 1999
menschlicher Geschwindigkeit bewegt und mehrere Gegner gleichzeitig angreift, die noch in der Zeitlupe gefangen sind. Nach erfolgreichem Kampf fragt Britt Reid, wie er das gemacht habe: »Das war, als wüsstest du immer, wo die Leute sind, ohne hinzugucken. Du warst so schnell!«, woraufhin Kato erklärt: »Wenn dein Herz anfängt zu rasen, dann ist es, als wenn die Zeit viel langsamer läuft!« Genau das ist der Effekt, den der Zuschauer zunächst aus Katos Perspektive, später dann von außen in Katos Zeittempo sieht. 3D wird hier bewusst eingesetzt, dient dazu, den Fokus des Betrachters auf einzelne Elemente im Bild zu lenken, und nimmt in Katos Vision daher auch eine narrative Funktion ein. Dies wird noch in der nächsten Kampfszene gesteigert, als Britt und Kato das erste Mal ihre Maskierung tragen und den Mythos des Green Hornet verbreiten. Die beiden werden angegriffen, und nachdem sie erfolglos ihre Gummigeschosse aus dem Auto auf ihre Gegner abgefeuert haben, fängt Britt als Green Hornet eine Schlägerei an, in der er wieder unterliegt, so dass Kato abermals eingreifen muss. In dem Moment geschieht die eigentliche Veränderung: Kato scannt – wie schon vorher beim Kopfklau der Statue – Waffen und Szenerie, bevor er Britt zu Hilfe eilt. Doch hier kommt noch ein
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weiterer mit Gondry assoziierter Effekt zum Einsatz: Bullet Time.3 Die Kamera kreist um The Black Beauty, Kato bringt seine Kampfkunst zum Einsatz, und alle Opfer frieren dreidimensional in der Luft ein, um kurze Zeit später am Boden zu landen, während Kato sich weiterhin frei bewegen kann. Die Kamera vollzieht bei jedem Treffer Katos eine kleine Bewegung und zeigt damit die schwebenden Körper der Gegner aus einer je minimal veränderten Perspektive. Mitte der 1990er Jahre experimentierte Gondry bereits mit dem Bullet Time-Effekt in Werbe- und Videoclips, beruhend auf der Technik der Time-Slice-Fotografie. Selbst wenn er diesen Effekt nicht erfunden hat,4 wie gelegentlich fälschlicherweise behauptet wird, so hat er ihn in dem Musikvideo Like a Rolling Stone (1995, Michel Gondry) für die Rolling Stones (Abb. 5) und später in dem Werbeclip Smirnoff Smarienberg (1997, Michel Gondry) doch bei einem breiteren Publikum etabliert (vgl. Gerling, 2010, 156.). Mitunter wird der Effekt sogar als »Gondry-Effekt« bezeichnet (vgl. Schmidt, 2008).
164 Abb. 5: Bullet Time-Effekt von Michel Gondry in L IKE A ROLLING STONE, 1995 3
Ich verwende hier im Folgenden den Terminus Bullet Time, auch wenn er sich erst durch THE MATRIX (USA 1999, Andy Wachowski & Larry Wachowski) etabliert hat, da er in der hier vorliegenden zitierten Literatur am häufigsten verwendet wird. Technisch funktioniert der Bullet Time-Effekt so, dass man Aufnahmegeräte um ein Objekt arrangiert und alle Geräte gleichzeitig am Punkt einer Bewegung auslöst. Werden die entstandenen Einzelbilder später aneinander geschnitten, entsteht eine Filmsequenz, die Bewegung simuliert (vgl. Schmidt, 2003).
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Tim MacMillan gilt als Erfinder des Bullet Time-Effekts. Er tätigte um 1980 erste Versuche mit Kameraanordnungen, beruhend auf der kubistischen Idee der simultanen Multiperspektivität.
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Der Bullet Time-Effekt funktioniert in The Green Hornet aber anders als bisher. Er kommt bei den Gegenspielern zur Geltung, weniger aber bei Kato, der, während der Effekt bei allen anderen Figuren einsetzt, sich immer noch in einer anderen, schnelleren Geschwindigkeit durch das Bild bewegen kann. Allein als Kato mit einem Salto über das Auto springt, friert auch er für einen kurzen Moment ein, während die Perspektive wechselt – durch eine Kamerafahrt in Zeitraffer von einer Seite des Autos auf die andere. Anders gesagt: Während Bullet Time in The Matrix (USA 1999, Andy Wachowski & Larry Wachowski) die Bewegung des Protagonisten stillstellt oder verlangsamt, um sie zu bestaunen, wird sie hier zum gleichen Zwecke als Kontrastmittel eingesetzt. Eine ähnliche Vision hat auch Green Hornet beim finalen Showdown, einer dritten und ähnlich verlaufenden Kampfszene. Auch er kann auf einmal alles in einer anderen Zeitfrequenz überblicken, scannt alle Gefahrenzonen ein und kann sich – wenn auch nur für einen Augenblick – schneller als alle anderen bewegen. Tatsächlich sind es diese gegensätzlichen Geschwindigkeits-Effekte in 3D, zum Teil gepaart mit dem Bullet Time-Effekt, die in den Kampfszenen die bemerkenswertesten 3D-Bilder im Film erzeugen. Gerade weil Bullet Time auch ein betont räumlicher Effekt ist, kommt er in 3D gleichsam doppelt zur Geltung. Durch die momentane Verlangsamung ermöglicht er auch, dass die Handlung plastischer wird, im Raum intensiver betrachtet werden kann. »During Bullet Time, the camera moves into and around the space of the action, a movement unusual enough to underline the spectator’s awareness that he or she is witnessing a special effect, thus priming the spectator for a more focussed admiration of the technology and effect on display« (vgl. Purse, 2005, 156), so Lisa Purse. Durch die Verstärkung des Effekts in 3D wird sich der Zuschauer nicht nur des Spezialeffekts bewusst, sein Blick vielmehr zusätzlich auf diese Räumlichkeit gelenkt und damit der Effekt selbst mehr denn je ausstellt. Neben den bisher erwähnten Special Effects-Szenen gibt es auch kleine spielerische Momente, die ohne nachträgliche Konvertierung in 3D nicht möglich gewesen wären. So z.B. in der Szene, als Kato das erste Mal Britt in der Garage die von ihm umgebauten Autos, seine Entwürfe und Zeichnungen zeigt (darunter auch eine Zeichnung von Bruce Lee, der von 1966/67 die Rolle des Kato in der ABCFernsehserie The Green Hornet gegeben hatte). Kato bietet Britt ein Bier an, köpft die Kronkorken mit seiner Hand, woraufhin diese dreidimensional von der Kamera verfolgt durch den Raum fliegen – eine Erinnerung an die fliegenden Geschosse aus The Matrix, eine Referenz zum wohl berühmtesten Beispiel des Bullet Time-Effekts.
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Ähnliche Möglichkeiten der nachträglichen Berechnung werden auch an anderen Stellen im Film aufgezeigt, wenn einzelne Elemente, wie z.B. dreidimensionale Glassplitter, von einer Einstellung in die nächste mit übernommen werden und damit eine neue Kontinuität des 3D-Raums erzeugen. Auffällige 3D-Bilder sind auch am Ende des Films zu sehen, im gänzlich animierten Abspann samt fliegender Hornisse, der sich stilistisch an die gleichnamige Graphic-Novel und TV-Serie der 1960er Jahre anlehnt. Die computerbasierte Animation erleichtert und verbessert dabei den 3D-Effekt, was auf die These Helmut Merschmanns verweist, nach der zeitgenössische Trickfilme der Künstlichkeit des 3D-Kinos mehr entsprächen (vgl. Merschmann, 2009, 9) – eine These, die auch Barbara Flückiger unterstützt. Flückiger zufolge passen in einer computeranimierten Szene Vorder- und Hintergrund besser zusammen und wirke 3D organischer, wohingegen Schauspieler im Realfilm »oft wie ausgeschnitten« erschienen (Flückiger, zitiert nach: Anonym, 2009). Vielleicht, so ließe sich vermuten, sind genau deshalb auch die meisten 3D-Filme, die bis jetzt auf Blu-ray für das 3D-Heimkino erschienen sind, Animations- oder Naturfilme. Das ehemalige Zentrum der Filmindustrie, der Star, wird in diesem Sinne zum menschlichen Störfaktor. Letztlich aber hängt die Frage, ob und wie gut 3D für uns funktioniert, auch von den Gegebenheiten im Kinosaal und von der Beschaffenheit der 3D-Brille5 ab. Robert Neumann, 3D-Supervisor bei Disney Studios, erklärte 2009 dazu, der Zuschauer im 3D-Kino solle in das narrative Kontinuum eintauchen, ohne sich andauernd der Künstlichkeit der Darstellung bewusst zu werden (vgl. Merschmann, 2009, 9). Diesem Wunsch nach Immersion, dem Eintauchen in eine künstliche Welt, kann das 3D-Kino nur insofern bedingt nachkommen, als jede räumliche Illusion auf einen passiven (nicht etwa interaktiven) Zuschauer angewiesen ist, der sich mit seiner 3D-Brille im Kinosessel möglichst wenig rührt. Paradoxerweise ist es gerade die zum Verschwinden bestimmte Bedingung, die 3D-Brille, die für diese Immersion sorgen soll. Zwar hat die 3D-Brille nun einigermaßen neutrale Gläser anstatt rot-grünen und ist der rutschige Pappbügel funktionaleren Plastikgestellen gewichen – die Sicht aber, auf die es ankommt, ist immer noch eingeschränkt. Der Rahmen bleibt: Das Vergessen der Bedingungen kann nur bedingt funktionieren. Desto leichter fällt die Entrüstung, wenn der Effekt und die Bedingungen nicht angemessen
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Ich verwende hier die allgemeine Bezeichnung 3D-Brille, auch wenn es technische Unterschiede gibt zwischen Polfilterbrille, Interferenzfilterbrille, Shutterbrille, etc.
Eingriff in 3D
scheinen – wie bei Hans-Ulrich Pönack, der an The Green Hornet die nachträgliche 3D-Bearbeitung kritisiert: »Die paar läppischen ›Mätzchen‹ bedurften nicht der (einnahmeträchtigen) Zusatzbrille« (vgl. Pönack, 2011).
Unausgereifte Techniken, ermüdende Wiederholungen Seit am 27. September 1922 der erste abendfüllende 3D-Spielfilm – The Power of Love (USA 1922, Nat G. Deverich, Harry K. Fairall) – im Ambassador-Hotel in Los Angeles vorgeführt wurde, hat sich der 3D-Film in regelmäßigen Abständen revitalisiert.6 Neu ist diesmal allerdings, dass die digitale Technik nun mehr Möglichkeiten für 3D bereitstellt, die auf unterschiedliche Weise genutzt werden können – sei es durch neue technische Apparaturen, durch Softwareentwicklungen, durch synergetisch verbundene Mediensysteme bis zum Home Entertainment oder durch Verbesserungen mittels computerbasierter Postproduktion. Letzteres sorgt in The Green Hornet dafür, dass das dreidimensionale Bild genau da am besten zur Geltung kommt, wo das Material zusätzlich manipuliert wurde (digital und analog), Effekte sich selbst ausstellen und mit Traditionen experimentiert wurde. Vielleicht lässt gerade die nachträgliche Konvertierung mehr Raum für Experimente, die bislang noch zu wenig gewagt werden. Im Falle von The Green Hornet sind es insgesamt nicht viel mehr als zwei Minuten, in denen etwas erprobt und riskiert wird, in denen Möglichkeiten aufblitzen. Eben weil das digitale 3D das Potenzial dieser Form des Films und Kinos noch längst nicht ausgeschöpft hat, bleibt zu hoffen, dass diese Technologie nicht aus den Kinos verschwindet, bevor die narrativen und effektiven Grenzen der dritten Dimension auch nur annähernd in Sicht gekommen sind. Dann wäre das eine Aufgabe für die nächste ›3D-Revolution‹.
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Vgl. Hagemann (1980, 15) sowie den Beitrag von Heike Klippel und Florian Krautkrämer in diesem Band.
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Literatur
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Anonym (2009) Organische Dimensionen. Das Filmen in 3D ist aufwändig und teuer. www.3sat.de/page/?source=/nano/technik/145546/index.html. Zuletzt gesehen am 10.2.2011. Anonym II (2009) 3D fürs Pantoffelkino. Mediziner warnen vor gesundheitlichen Schäden. www.3sat.de/page/?source=/nano/ technik/145551/index.html. Zuletzt gesehen am 10.2.2011. Flückiger, Barbara (2008) Visual Effects. Filmbilder aus dem Computer. Marburg: Schüren. Gerling, Winfried (2010) Die eingefrorene Zeit oder das bewegte, stillgestellte Filmbild. In: Freeze Frames. Zum Verhältnis von Fotografie und Film. Hrsg. von Stefanie Diekmann & Winfried Gerling. Bielefeld: transcript Verlag, S. 147- 170. Gray, Timothy M. & Wolinsky, Leo u.a. (2010) Katzenberg: Biz at 3D crossroads. www.variety.com/article/VR1118017453? refcatid=10. Zuletzt gesehen am 10.2.2011. Hagemann, Peter A. / Stiftung Deutsche Kinemathek (Hrsg.) (1980) Der 3-D-Film. München: Monika Nüchtern. Merschmann, Helmut (2009) Wenn die Gitarre aus der Leinwand ragt: 3-D aktuell. In: epd film 26, 8, S. 8-9. Pönack, Hans-Ulrich (2011) The Green Hornet. www.dradio. de/dkultur/sendungen/filme/1362412/. Zuletzt gesehen am 10.2.2011. Purse, Lisa (2005) The New Spatial Dynamics of the Bullet Time Effect. In: The Spectacle of the Real: From Hollywood to ‚Reality’ TV and Beyond. Hrsg. von Geoff King. Bristol/Portland: intellect, S. 151-160. Rodek, Hanns-Georg (2008) Alles in 3D. Das Kino steht vor der »dritten Revolution«, 21.11.2008. www.welt.de/kultur/article 2763303/Das-Kino-steht-vor-der-dritten-Revolution.html. Zuletzt gesehen am 10.2.2011. Rosner, Heiko (2010) Die Stärken und Schwächen von 3-D. In: Cinema 36, 6, S. 26-29. Schmidt, Gunnar (2003) Zeit des Ereignisses – Zeit der Geschichte. Am Beispiel der Multiperspektivität. www.medienaesthetik.de/ medien/zentrorama.html. Zuletzt gesehen am 10.2.2011. Schmidt, Gunnar (2008) Zentrorama – Im Raum der Blicke. www. artnet.de/magazine/die-diktatur-der-fotografie-teil-vii/. Zuletzt gesehen am 10.2.2011. Schultze, Thomas (2009) Am Punkt ohne Wiederkehr. In: Süddeutsche Zeitung, 4.4.2009, S. 16.
Eingriff in 3D
Schultze, Thomas (2011) Lebensnotwendig ist Film nicht. Michel Gondry zu The Green Hornet. www.kino.de/news/lebensnotwendig-ist-film-nicht/300077.html. Zuletzt gesehen am 10.2.2011. Sony Pictures (2011) The Green Hornet. Presseinformation. Stein, Hannes (2009) Im Interview mit DreamWorks-Chef Katzenberg: »Wir wollen berühren«, 30.03.2009. www.welt.de/welt_ print/article3468522/DreamWorks-Chef-Katzenberg-Wir-wollen-beruehren.html. Zuletzt gesehen am 10.2.2011. Sterneborg, Anke (2011) Jetzt weiß ich, wie es gehen kann. Wim Wenders im Interview. In: epd film 28, 2, S. 26-29. Truffaut, François (1995) Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht? München: Wilhelm Heyne Verlag. Weintraub, Steve (2011) Michel Gondry Exclusive Video Interview The Green Hornet; Plus an Update on His Animated Noam Chomsky Documentary. http://collider.com/michel-gondryinterview-green-hornet-noam-chomsky/69943/. Zuletzt gesehen am 10.2.2011. Weixlbaumer, Robert (2011) »Ich bringe Konfusion und Chaos«. In: tip Berlin 40, 2, S. 34-36.
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Seite 57: DVD-Screenshot House on Haunted Hill aus House on Haunted Hill (GMVS Entertainment, 2003) Seite 58: DVD-Screenshots The Tingler aus The Tingler (Columbia Tristar Home Video, 1999) Seite 60: Aus: Michalka, Matthias / Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien (Hrsg.) (2003) X-SCREEN. Filmische Installationen und Aktionen der Sechziger- und Siebzigerjahre. Köln: Walther König, S. 48 Seite 68: Athene-Statue von Phidias in der Reproduktion des Parthenon-Tempels in Nashville (http://www.nashville.gov/ Parthenon/Images/athena/AthenaGilded.jpg)
Abbildungen
Seite 70: kolorierte Stereoskopie aus Hartmut Wettmann: »Historische Stereoskopien« (http://fotoplatz.stereographie.de/ stereoskopie/SILV.jpg) Seite 71: Louis Jacques Mandé Daguerre: »Boulevard du Temple«, ca. 1838 (http://upload.wikimedia.org/wikipedia/ commons/1/1d/Boulevard_du_Temple.jpg) Seite 72: Raytracing-Grafik mit Lichtreflexion von Turner Whitted, 1980 (http://upload.wikimedia.org/wikipedia/de/1/15/Spheres_ and_Checkerboard_-_Turner_Whitted.jpg) Seite 73: Battlezone von 1980 (http://upload.wikimedia.org/ wikipedia/en/a/a6/Atari_BattleZone_Screenshot.png) Battlezone von 1983 (http://www.gamesdbase.com/Media/ SYSTEM/Atari_2600/Snap/big/Battlezone_-_1983_-_Atari.jpg) Battlezone von 1998 (http://www.mobygames.com/images/ shots/l/268148-battlezone-windows-screenshot-inside-theamerican-scout-tank.jpg) Seite 74: Stereoskopische Zeichnung von Charles Wheatstone aus: »Contributions to the Physiology of Vision«, 1838 Seite 76: Stereofoto von Theodor Creifelds, aus Hartmut Wettmann: »Historische Stereoskopien« (http://fotoplatz. stereographie.de/stereoskopie/vorh.jpg) Stereofoto von der Weltausstellung 1862 in London (http://upload. wikimedia.org/wikipedia/commons/c/c3/1862_expo.jpg) Seite 77: Zeichnung von Wheatstones Spiegelstereoskop, aus Thomas Weynants: »Early Visual Media« (http://users.telenet. be/thomasweynants/images/stereoscope/Weathstone1.jpg) Zeichnung von Brewsters Stereoskop, aus Thomas Weynants: »Early Visual Media« (http://users.telenet.be/thomasweynants/ images/stereoscope/BrewsterPrint.jpg) Gebrauch von Stereoskopen (zwischen 1852 und 1870), aus Jonathan Crary: »Techniken des Betrachters« (Dresden/Basel 1996), S. 127. Seite 80: zwei Ansichten einer Holografie (http://upload. wikimedia.org/wikipedia/commons/c/c6/Holo-Mouse.jpg) Seite 81: zwei Ansichten eines lentikularen Bildes (Postkarte aus dem Archiv des Autors) DVD-Screenshot Star Wars aus Star Wars: Episode IV – Eine neue Hoffnung. Limited Edition (20th Century Fox Home Entertainment, 2006)
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Abbildungen
Seite 83: Screenshot aus Counter-Strike: Source von 2004 (http://store.steampowered.com/screenshot/ view/240/2?size=1024) Seite 84: Screenshots aus »Head Tracking for Desktop VR Displays using the WiiRemote« (http://www.youtube.com/watch?v=Jd3eiid-Uw) Seite 87: Filmplakat zu Deep Sea 3D von 2006 (http://www.imdb. com/media/rm1659867648/tt0424942) Seite 88-89: Filmstills des Trailers zu Creature from the Black Lagoon von 1954 Seite 90: DVD-Screenshot Star Wars aus Star Wars: Episode IV – Eine neue Hoffnung. Limited Edition (20th Century Fox Home Entertainment, 2006) Seite 91: Stereoskopische Aktfotografie, anonym, um 1870 (http:// www.antiq-photo.com/) Seite 92: Stereofotografie, anonym, um 1906 (http://upload. wikimedia.org/wikipedia/commons/3/30/3b47084u.jpeg) Stereofotografie aus dem Amerikanischen Bürgerkrieg, anonym (aus dem Archiv des Autors) Seite 94: DVD-Screenshots Resident Evil: Afterlife aus Resident Evil: Afterlife (Paramount Home Entertainment, 2011) Seite 102: Kracauer, Siegfried (1960) Theorie des Films. Die Errettung der äußeren Wirklichkeit. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2005, Abbildung 6 und 7 Seite 106-107: DVD-Screenshots The Lost World: Jurassic Park aus Vergessene Welt: Jurassic Park Collector’s Edition (Universal, 2000)
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Seite 108-109: DVD-Screenshots Jurassic Park aus Jurassic Park (Universal, 2005) Seite 113-114: DVD-Screenshots King Kong (1933) aus King Kong und die weisse Frau (Kinowelt, 1999) Seite 115: DVD-Screenshots King Kong (2005) aus King Kong (Universal, 2006) Seite 140-144: DVD-Screenshots Coraline aus Coraline. Collector’s Edition (Universal Home Entertainment, 2009) Seite 149: DVD-Screenshot My Bloody Valentine aus My Bloody Valentine (DVD Kinowelt GmbH, 2011) Seite 160: DF-03460_3471_rv1, The Green Hornet (3D), © 2010 Sony Pictures Releasing GmbH
Abbildungen
Seite 162: DF-12523, The Green Hornet (3D), © 2010 Sony Pictures Releasing GmbH DF-06864, The Green Hornet (3D), © 2010 Sony Pictures Releasing GmbH Seite 163: DVD-Screenshot Let Forever Be aus The Work Of Director Michael Gondry. A Collection of Music Videos, Short Films, Documentaries and Stories (EMI Electrola 2003). Seite 164: DVD-Screenshot Like a Rolling Stone aus The Work Of Director Michael Gondry. A Collection of Music Videos, Short Films, Documentaries and Stories (EMI Electrola 2003).
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AutorInnen Dank Jan Distelmeyer, Professor für Geschichte und Theorie der technischen Medien an der Fachhochschule Potsdam im Kooperationsstudiengang Europäische Medienwissenschaft der Fachhochschule Potsdam und Universität Potsdam. Buchpublikationen u.a.: Autor Macht Geschichte (2005), Babylon in FilmEuropa. Mehrsprachenversionen der 1930er Jahre (Hg., 2006), Game Over?! Perspektiven des Computerspiels (Hg. mit Christine Hanke und Dieter Mersch, 2008), Das flexible Kino. Ästhetik und Dispositiv der DVD & Bluray (2012, in Vorbereitung). Seit 2008 Mitherausgeber der CineGraph-Bücher. Stephan Günzel, Dr. habil., Professor für Medientheorie an der Berlinisch Technischen Kunsthochschule, zuvor Mitarbeiter am Institut für Künste und Medien im DFG-Projekt »Zur Medialität des Computerspiels« und Koordinator des Zentrums für Computerspielforschung (DIGAREC) an der Universität Potsdam, aktuelle Publikationen: Raum/Bild. Zur Logik des Medialen (2011), Raum. Ein interdisziplinäres Handbuch (Hg., 2010), www.stephan-guenzel.de. Christine Hanke verwaltet derzeit die Professur Medienwissenschaft mit dem Schwerpunkt Techniktheorie und -geschichte an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig. Aktueller Forschungsschwerpunkt besteht in der Skizze einer Medientheorie des unbestimmten Bildes. Mitbegründerin und -herausgeberin der Internetzeitschrift www.nachdemfilm.de , letzte (Buch-)Publikation: Texte – Zahlen – Bilder: Realitätseffekte und Spektakel (= labor : theorie Band 5) (2010).
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Jesko Jockenhövel, akademischer Mitarbeiter der Professur Mediengeschichte im digitalen Zeitalter an der Hochschule für Film und Fernsehen »Konrad Wolf« Potsdam-Babelsberg. Studium der Germanistik, Geschichte und Anglistik an der Universität Potsdam und der Medienwissenschaft an der HFF »Konrad Wolf«. Diplom 2005 mit einer Arbeit zur Rezeption von Animes in Großbritannien und Deutschland. Doktorand an der HFF »Konrad Wolf« zum Thema »Der digitale 3D-Film: Narration, Stereoskopie, Filmstil«.
AutorInnenverzeichnis
Katrin von Kap-herr ist Diplom-Kulturwissenschaftlerin mit Schwerpunkt Medienwissenschaft. Nach Tätigkeiten im Bereich Festivalorganisation, Redaktions- und Produktionsassistenz für Film und Fernsehen ist sie seit 2003 Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Studiengang Europäische Medienwissenschaft, einem Kooperationsprojekt der Universität Potsdam und der Fachhochschule Potsdam. Heike Klippel, Dr. phil., Professorin für Filmwissenschaft an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig. Mitherausgeberin von Frauen und Film. Veröffentlichungen zu Themen feministischer Filmtheorie, Zeit, Film und Alltag, u.a. The Art of Programming - Film, Programm und Kontext (Hg., 2008), Zeit ohne Ende. Essays über Zeit, Frauen und Kino (2009). Florian Krautkrämer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Filmwissenschaft des Studiengangs Medienwissenschaften an der HBK Braunschweig. Arbeitsschwerpunkte sind Experimental- und Autorenfilm, Text- und Autorentheorie sowie die Paratexte des Films. Dissertation zum Thema »Schrift im Film«. Letzte Veröffentlichung als Herausgeber (zusammen mit M. Fürst und S. Wiemer): untot – Zombie/Film/Theorie (2011). Georg Seeßlen, geboren 1948 in München, freier Journalist und Autor. Texte über Film, Kultur und Politik für u.a. Die Zeit, taz, Konkret, Jungle World, epd Film. Seminare und Gastvorlesungen an Hochschulen in München, Siegen und Marburg. Neuere Buchpublikationen: Quentin Tarantino gegen die Nazis. Alles über Inglourious Basterds (2010), George A. Romero und seine Filme (2010), Blödmaschinen: Die Fabrikation der Stupidität (mit Markus Metz, 2011).
Wir danken: Dudley Andrew, Mingus Ballhaus, Heiko Christians, Bettina Distelmeyer, Pina Distelmeyer, Marlen Franz, Tom Holert, Andrea Kirchhartz, Félix Koch, Dieter Mersch, Christian Mewis, Alexander Penkin, Anne Quirynen, Stephanie Rymarowicz, Johann N. Schmidt, David Strohmaier, Gero Wierichs und dem APPLAUS-Team 2010.
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Metabasis – Transkriptionen zwischen Literaturen, Künsten und Medien Margrid Bircken, Dieter Mersch, Hans-Christian Stillmark (Hg.) Ein Riss geht durch den Autor Transmediale Inszenierungen im Werk von Peter Weiss 2009, 240 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN 978-3-8376-1156-4
Stefanie Diekmann, Winfried Gerling (Hg.) Freeze Frames Zum Verhältnis von Fotografie und Film 2010, 232 Seiten, kart., zahlr. Abb., 26,80 €, ISBN 978-3-8376-1363-6
Jan Distelmeyer, Christine Hanke, Dieter Mersch (Hg.) Game over!? Perspektiven des Computerspiels 2008, 164 Seiten, kart., 19,80 €, ISBN 978-3-89942-790-5
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Metabasis – Transkriptionen zwischen Literaturen, Künsten und Medien Arthur Engelbert Global Images Eine Studie zur Praxis der Bilder. Mit einem Glossar zu Bildbegriffen Januar 2011, 216 Seiten, kart., zahlr. Abb., 26,80 €, ISBN 978-3-8376-1687-3
Martina Hessler, Dieter Mersch (Hg.) Logik des Bildlichen Zur Kritik der ikonischen Vernunft 2009, 280 Seiten, kart., zahlr. Abb., 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1051-2
Gertrud Lehnert (Hg.) Raum und Gefühl Der Spatial Turn und die neue Emotionsforschung Januar 2011, 368 Seiten, kart., zahl. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1404-6
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de