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German Pages 38 [41] Year 1949
DEUTSCHE AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZU BERLIN V O R T R Ä G E UND SCHRIFTEN H E F T 27
RANKE UND BURCKHARDT Ein Deutschen
Vortrag,
Akademie
gehalten
in der
der Wissenschaften
zu
von
Friedrich
Meinecke
1948
AKADEMIE-VERLAG BERLIN
Berlin
Erschienen im Akademie-Verlag GmbH., Berlin NW 7, Schiffbauerdamm 19 Veröffentlicht unter der Lizenznummer 156 der S M A in Deutschland Gedruckt in der Buchdruckerei Oswald Schmidt GmbH., Leipzig M 118 Bestell- und Verlagsnummer 2003/27 Preis R M 2.50
Ranke und Burckhardt sind die beiden größten historischen Denker, die das 19. Jahrhundert innerhalb der deutschen Kulturnation hervorgebracht hat. Es müßte einmal ein Buch geschrieben werden: Berlin und Basel im Zeitalter der Reichsgründung. Es müßte gezeigt werden, wie hier zwei Kulminationspunkte geisteswissenschaftlicher Leistung sich bildeten, die in einen Gegensatz zueinander traten. Man müßte sie aus ihrer geschichtlichen Umwelt herauswachsen sehen, der preußisch-deutschen hier, der schweizerischen und doch dem gesamtdeutschen Geistesleben zugekehrten dort. Hochgefühl des nationalen Aufstieges hier — Kritik, Mißtrauen und Sorge vor eben diesem Aufstiege dort. Neben Ranke kämen auch Droysen, Treitschke und Dilthey dabei zu Worte, neben Burckhardt der junge Nietzsche, Overbeck und Bachofen. Ein solches Buch könnte ein Symbol unseres geistigen Schicksals werden. Ich verzichte darauf, auch nur annähernd diese beiden Welten und Umwelten in ihrer Farbigkeit anschaulich zu machen. Nur eben eine Bleistiftskizze kann ich bieten, nur auf das Wesentliche und Kernhafte im Denken und Gestalten der beiden Großen aufmerksam machen. Erschöpfendes werde ich auch darin nicht bieten. Ranke ist mir seit meiner Studienzeit ein Leit- und Polarstern gewesen. Burckhardt hat erst später für mich zu leuchten begonnen, zuerst natürlich durch die Kultur der Renaissance, dann durch die großen und überraschenden Veröffentlichungen aus seinem Nachlaß, die Griechische Kulturgeschichte 1898, die Weltgeschichtlichen Betrachtungen 1905, die Historischen Fragmente, d. h. die Reste seiner Kolleghefte, die erst 1929 in der
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großen Gesamtausgabe seiner Schriften ans Licht traten und nun noch schärfer als selbst die Weltgeschichtlichen Betrachtungen die eigensten historischen Gedanken Burckhardts zum Ausdruck bringen — schließlich noch die kostbaren Briefe, vor allem die an Preen im Alter gerichteten, nicht zu vergessen. — Auch bei Ranke geben die Briefe, soweit wir sie kennen, vielfach unmittelbarer und deutlicher als die Werke die innersten Herztöne seiner Historie zu erkennen. Seine Werke insgesamt aber in ihrer zusammenhängenden Fülle von der jugendlich genialen Einleitung über die Einheit der romanischen und germanischen Völker an bis zur Altersweisheit der Weltgeschichte, haben — bis in die Zeiten des Dritten Reiches hinein — das historische, ja auch das historisch-politische Denken und Forschen in Deutschland stärker beeinflußt als die historischen Werke Burckhardts vom Zeitalter Konstantins an, die als einsam-singuläre Hervorbringungen eines seltenen Genius gewiß wohl Bewunderung und zum Teil auch Tiefenwirkung erzielten, aber jenes innersten Zusammenhanges der Wirkungen wie bei Ranke entbehrten. Heute aber beginnen wir uns zu fragen: Wird uns und den nach uns historisch Forschenden nicht Burckhardt am Ende wichtiger werden als Ranke ? Sie ahnen, was diese Frage bedeutet. Geschichtliche Betrachtung und Miterleben der eigenen Zeit und ihrer Schicksale bilden eine untrennbar innere Einheit im Geiste des Historikers, die befruchtend und beschränkend, fördernd und hemmend zugleich sein Geschichtsbild gestaltet. Was wir erlebt haben in den letzten 14 Jahren, zwingt uns ganz neue Aspekte und Probleme für unsere eigene geschichtliche Vergangenheit auf. Wir müssen vielfach umlernen und uns doch dabei hüten, der bloßen Konjunktur und den emotionalen Eindrücken des neu Erlebten zu erliegen. Aber mit aller Behutsamkeit darf man doch sagen: Burckhardt hat tiefer und schärfer in das geschichtliche Wesen der eigenen Zeit hineingesehen, hat infolgedessen auch das Kommende bestimmter und sicherer voraussehen können als Ranke. Aber wird dadurch nun unser Urteil über das Geschichtsbild, das der eine
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und der andere über die vorhergehenden Jahrtausende abendländischer Entwicklung gestaltet hat, ebenfalls zugunsten Burckhardts revidiert werden müssen? Hier, bei der Beantwortung dieser Frage werden wir zu einem merkwürdigen Ergebnis, zu einer Antinomie gewissermaßen kommen. Doch zuerst muß ich sagen, worin die Überlegenheit Burckhardts im Urteil über Gegenwart und Zukunft besteht. Ranke bekannte 1854 in seinen Vorträgen vor König Max von Bayern: Es ist ein Glück, in dieser Zeit zu leben. Er war zwar aufgewachsen in dem ruhigeren Zeitalter der Restauration, dessen „halkyonische" Atmosphäre in seinem Wesen tiefe Spuren hinterließ. Aber er war weit davon entfernt, als politischer Reaktionär zu ihm zurückzustreben. Er sah in der stärkeren Bewegung aller historischen Kräfte, die um die Mitte des Jahrhunderts wieder einsetzte, ganz positiv auch „ein großes Lebenselement". Als das Wichtigste an ihr erschien ihm die Auseinandersetzung der beiden Prinzipien der Monarchie und der Volkssouveränität. Sein Herz schlug für die alte Monarchie, aber seine historische Einsicht verwies ihn auf das, was man historische Dialektik nennen kann, daß nämlich kämpfende Gegensätze sich einander befruchten, steigern, lebendig erhalten und zu neuen Synthesen führen können. Die alte Monarchie also, lehrte er, nehme auch vom Feinde das an, was sie mit ihrem eigenen Wesen verschmelzen könne, um der Zeit zu genügen, und bekämpfe nur entschieden alles Destruktive, was in der revolutionären Gedankenwelt auch liege. Erst in zweiter Linie nannte er dann unter den großen Tendenzen der Zeit „die unendliche Entfaltung der materiellen Kräfte". Es kam das Zeitalter Bismarcks, die Aufrichtung des preußisch-deutschen Bundesstaats durch die Machtmittel der alten Monarchie. Die konservativen Empfindungen Rankes konnten nur zögernd den Gewalt- und Machtmethoden Bismarcks folgen, aber ihr Ergebnis befriedigte ihn doch schließlich wieder tief. Im letzten Abendschimmer seines Lebens, an seinem 90. Geburtstage 1885, sprach er es aus: „ I n den Ereignissen, die wir
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erlebt haben, läßt sich vor allem eine Niederlage der revolutionären Kräfte erkennen, welche die regelmäßige Fortentwicklung der Weltgeschichte unmöglich machen. Hätten diese den Platz behauptet, so würde von einer Fortbildung der historischen Kräfte, selbst von einer unparteiischen Anschauung derselben nicht die Rede gewesen, eine Weltgeschichte im objektiven Sinne unmöglich geworden sein. Ich, meines geringen Orts, würde nicht daran gedacht haben, eine Weltgeschichte zu verfassen, wenn nicht für mich im allgemeinen das Problem der beiden großen Weltgewalten nach langen Kämpfen und Abwandlungen wäre entschieden gewesen, so daß es einen unparteiischen Rückblick auf die früheren Jahrhunderte gestattete." Ein merkwürdiges Bekenntnis. Erst heute vielleicht geht uns das Auge dafür auf, daß hier ein schwacher Punkt in Rankes Position sich enthüllt. Steht es denn wirklich so, daß bei einem vollständigen Siege des Prinzips der Volkssouveränität, wie wir ihn doch durch die beiden Weltkriege erlebt haben, eine Fortbildung der historischen Kräfte, ja selbst nur eine unparteiische Anschauung derselben nicht mehr möglich sein würde? Man könnte'zwar wohl einiges auch zugunsten Rankes geltend machen, daß er hier nämlich wohl nur an die äußerste Gefahr eines allgemeinen revolutionären Chaos gedacht habe. Aber es bleibt doch dabei, daß er den Sieg des altmonarchischen Prinzips in Deutschland, den er erlebt hatte, und die Möglichkeit, unparteiisch die Geschichte anzuschauen, Weltgeschichte im wahren Sinne zu schreiben, in einen gar zu engen Konnex miteinander bringt. Hieß das nicht gerade wieder parteiisch werden für eine der beiden kämpfenden Fronten des Jahrhunderts ? Gewiß wird auch jeder lebendige Historiker sein eigenes politisches Ideal im Herzen hegen, und seine Schau der Geschichte wird auch immer etwas von der Farbe dieses Ideals an sich tragen. Aber er muß sich auch bereit halten, den Untergang seines Ideals zu überstehen und die gewandelte und verdunkelte Welt mit allen seinen Denkmitteln so frei über ihr schwebend, so unparteiisch wie eben irgend möglich anzuschauen.
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Ranke aber bildet sich da, sehr charakteristisch für ihn, den Begriffeiner „regelmäßigen Fortentwicklung der Weltgeschichte", die nach seiner Meinung durch einen Sieg der revolutionären Kräfte unmöglich werde. Aber wer verbürgt es, daß die Weltgeschichte nicht einmal unregelmäßig werde und Sprünge und Abstürze sich leiste? Wir haben sie erlebt und die Nachtseite der Weltgeschichte in einem Umfange erfahren, den Ranke noch nicht kannte oder auch nur ahnte. Aber auch in der Nacht bleibt Weltgeschichte eben Weltgeschichte und will als solche, soweit nur unsere schwachen Organe reichen, verstanden werden. Man wende nicht ein, daß es dann schon äußerlich unmöglich werden könne, Weltgeschichte zu schreiben. Solange er atmen kann, wird doch der wahre Historiker nie aufhören, nach innerer Freiheit zu streben und weltgeschichtlich wenigstens zu denken. Bei all diesen Zweifeln, die wir gegen Rankes ehrwürdiges Altersbekenntnis vorzubringen haben, steht uns nun heute Burckhardt innerlich näher als Ranke. Sein tief gewurzelter Pessimismus, der ihn nach seinem eigenen Geständnis schon von Jugend auf an die Hinfälligkeit alles Irdischen mahnte, ließ es zu keinem solchen Idealbilde von regelmäßiger Fortentwicklung der Weltgeschichte kommen, wie Ranke es hoffend und glaubend im Herzen trug. Ja, eben das, was Ranke als das Unregelmäßige empfand, wurde ihm zur düstern Regel, nach der sich die Geschicke des Abendlandes im 19. und 20. Jahrhundert vollziehen würden. Denn er sah schreckliche Zeiten der Barbarei für dieses heraufziehen in unausweichlicher Notwendigkeit. Seine eigenen und eigensten politischen Wünsche aber begegneten sich dabei durchaus mit denen Rankes — denn sie gingen auf Erhaltung der alten konservativen Welt und ihrer Autoritäten gegenüber dem Ansturm der Massenbewegungen, der seit der Französischen Revolution sie bedrohte. Er lehnt diese sogar viel radikaler und hassender ab als Ranke, der doch in dem Kampfe der beiden feindlichen Prinzipien von Monarchie und Volkssouveränität ein positives Lebenselement sah und Synthesen der alten Monarchie mit gewissen bestimmten Forde-
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rungen der Massenbewegung für möglich, ja schon für erreicht und lebensfähig hielt. Burckhardt würde diese Synthesen belächelt und Principiis obsta gedacht haben. Es ist ja eigen genug, daß dieser verbissene Feind moderner Demokratie uns in unserer heutigen demokratischen Ära wieder nähergerückt ist als Ranke, und es läßt sich vielerlei auch zur Kritik Burckhardts und zugunsten einer gesunden und lebensfähigen Demokratie hier sagen. Sicher aber ist, daß er, fester als Ranke in seiner preußisch-deutschen Geborgenheit und Sekurität es tat, der eigenen Zeit an den Puls gefaßt hat. Da kommen zunächst seine Urteile über das Werk Bismarcks in Betracht. Während Rankes Unbehagen über Bismarcks revolutionäre Gewaltmethoden sich wieder beruhigte im Anblick des anscheinend erreichten konservativen Endeffekts, leuchtete Burckhardt dem revolutionären Charakter seines Werkes viel schärfer auf den Grund. Es war für ihn von Anfang an eine Revolution von oben, nur. eben der erfolgreichste Konkurrent anderer, damals drohender Revolutionen. „Bismarck hat", schrieb er 1872, „nur in eigene Hand genommen, was mit der Zeit doch geschehen wäre, aber ohne ihn und gegen ihn. Er sah, daß die wachsende demokratisch-soziale Woge irgendwie einen unbedingten Gewaltzustand hervorrufen würde, sei es durch die Demokraten selbst, sei es durch die Regierungen, und sprach: Ipse faciam und führte die drei Kriege 1864,1866,1871." Und nach dem Gesetz, wonach er angetreten, mußte er, nac'h Burckhardts Meinung, weiterleben. So sagt er etwa von dem Kulturkampf: daß er „eine ermutigende Wirkung für jede Art von Verneinung und Auflösung gehabt" habe. Revolutionäre Neugründungen stehen in der besonderen Gefahr, daß die von ihnen begangenen Rechtsverletzungen und Umstürze alter Autoritäten sich gegen sie selber einst kehren. „ M a n wird eben nicht sicherer", bemerkt er darüber, „wenn man seinesgleichen verjagt und die Länder erbt." Seine tiefe Antipathie gegen Bismarck hinderte ihn dabei nicht, dem Gestürzten 1890 das Lob zu spenden, daß er „ f ü r Deutschland geradezu Anhalt und Standarte
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jenes Mysteriums Autorität" gewesen sei. Das bedeutete für sein eigenes Empfinden nicht etwa eine Autorität im alten guten Sinne, sondern nur eine Ersatzautorität, die besser war als gar keine. Wir ziehen damit die Konsequenzen aus einer Reihe verstreuter Urteile in den Burckhardtschen Briefen. Er hat sie selbst nie in den Zusammenhang einer allgemeinen Kritik Bismarcks gebracht. Aber ein solcher innerer Zusammenhang besteht. Diese Kritik ist keineswegs das letzte Wort, das über Bismarcks Werk heute gesprochen werden könnte, und es müßte vieles zugunsten Bismarcks auch jetzt noch gesagt werden. Aber unsere schwere und schmerzliche Aufgabe nach dem Zusammenbruch des Bismarckschen Werkes ist es doch nun einmal, die inneren Risse und Gefahrenkeime, die in ihm von vornherein steckten, genauer zu erforschen, gerecht abwägend, aber auch entschlossen urteilend und den Bruch mit alten Konventionen nicht scheuend. Für diese Aufgabe zeigt uns die Burckhardtsche Kritik einen Weg. Und nun seine Urteile über die Massenbewegung selbst. Wie ein empfindlicher Seismograph spürt er hier die schlimmsten Möglichkeiten, die in ihr schlummerten, das Aufkommen schlechtester Subjekte als Führer der Massen. Er sah es schon kommen, daß der Massenansturm gegen die Autorität, zum Entsetzen auch solcher, die anfangs da noch mitstürmten, noch einmal jählings umschlagen würde in die Bildung einer neuen und fürchterlichen Autorität usurpatorischer Machthaber, der terribles simplificateurs. Diese, und nicht schon die alten völlig erledigten Dynastien, würden dann das Heft in die Hand nehmen und, gestützt auf militärische Korporationen, den Massen kommandieren: Maulhalten, verzichten auf alle eigenen Begehrlichkeiten, uniformiert unter Trommelschlag antreten zur Misere ihres täglichen Daseins und abends mit Trommelschlag wieder nach Hause geleitet zu werden. Wir haben es ungefähr so erlebt, dieses schreckliche Zukunftsbild, das Burckhardt in den 70er und 80er Jahren nicht müde wurde, sich auszumalen. Und mit gewissen
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Variationen und Abschwächungen stecken wir sogar noch heute mitten drin und wissen nicht, wann und wie es sich einmal aufhellen wird. Aber war die Weltgeschichte für Burckhardt damit zu Ende ? Oft genug scheint es wohl so, als ob sein Kassandrablick nur bis zur Erhebung und dem ungehemmten Walten der neuen schrecklichen Autoritäten und nicht darüber hinausreiche. Aber es war seine Art, alles, was von Hoffnungen auf ein Höheres in ihm lebte, in die Tiefe seines Busens zurückzudrängen und nur ganz bescheiden und demütig einmal zu verraten. Er hätte nicht, wie Ranke in den „Großen Mächten" es tat, „getrost" dem Genius Europas vertrauen können, der dieses noch immer vor der Herrschaft jeder einseitigen und gewaltsamen Richtung beschützt habe. „Banal ist", sagt er, „der Einwurf, der Geist sei unüberwindlich und werde immer siegen." Aber er gab doch zu, daß Europa in den großen Momenten noch häufig große Individuen und Retter gehabt habe und daß zum Untergang die Menschheit noch nicht bestimmt sei. Es sei auch möglich, meint er, daß mit dem an sich blinden Willen der Veränderung, die jetzt mit landläufigem Optimismus als Fortschritt betitelt werde, „etwas Dauerndes, d. h. relativ Dauerndes beabsichtigt ist, daß ein Stärkeres und Höheres in und mit uns w i l l . " Wie bezeichnend hebt sich nun von dem helläugigen Vertrauen Rankes auf den Retter Europas der seiner Blindheit sich bewußte und dennoch leise hoffende Zukunftsblick Burckhardts ab. Lenken wir noch einmal von den Prognosen den Blick wieder zurück auf die Diagnosen, die die beiden am Wesen des 19. Jahrhunderts geübt haben. Ranke betonte vor allem als sein Lebenselement den Gegensatz von Monarchie und Demokratie und stellte in zweite Linie die unendliche Entfaltung der materiellen Kräfte. Er hat, was diese betrifft, noch einmal, als er 1879 sein Buch über Serbien und die Türkei neu herausgab, dem vorwärtsstürmenden zivilisatorischen „Genius des Okzidentes", der die Welt sich dienstbar mache, eine auffallend starke, selbst bei ihm unerwartet optimistische Huldigung ausgesprochen. Auch
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Burckhardt blieb nicht stehen bei dem politischen Gegensatz von alter Autorität und demokratischem Massenwillen, sah nun aber der materiellen Entfaltung des 19. Jahrhunderts wieder viel tiefer und skeptischer auf den Grund. E r erkahnte, daß eine V e r änderung des Menschentums überhaupt seit der Französischen Revolution vor sich gegangen sei, und zwar in übler Richtung — zunächst durch die grundfalsche und verderbliche Lehre von der angeborenen Güte der menschlichen Natur, die Rousseau in die Kopfe getrieben habe und die in ihnen unbegrenzte Begehrlichkeiten und Glauben an ungehemmten Fortschritt geweckt habe. Dazu aber die Wirkungen des englischen Vorbilds im W i r t schaftsleben durch Maschine, Kohle und Eisen. Höchst unerfreuliche, ja verhaßte Dinge für ihn. Ein Macht-, G e l d - und Genußrummel sei so entstanden und treibe die Menschen vorwärts, dem Abgrunde zu. Der Staat aber solle dabei nach dem Verlangen der Massen immer mächtiger werden, um die A n sprüche der Begehrlichen befriedigen zu können. Damit kommen wir zum Problem der Macht und des Machtstaates überhaupt, das beide Denker wieder grundverschieden beantworten. Burckhardt datiert den modernen Machtstaat natürlich nicht erst von 1 7 8 9 an, wo ihm nur eben neue Quellen zuströmten, sondern schaut schon seinen Anfängen seit Ausgang des Mittelalters mit unverhohlener Antipathie ins Auge. Denn die Macht an sich ist böse, sagt er ja mit Schlosser. Das ist das furchtbare Grundgefühl Burckhardts, mit dem er den Staat überhaupt und seine Bedeutung f ü r die Menschheit betrachtet. W i e ein immer wieder angeschlagener dunkler Akkord klingt es durch alle seine Urteile über die politische Geschichte der Völker hindurch. D e r Staat an sich aber verblaßt ihm darüber zum bloßen „Notinstitut", zu einem „negativen Sturmdach", wie er sagt, und müßte, wenn er so wäre, wie er ihn sich eigentlich wünscht, sich auf die Wahrung von Recht, Ordnung und Ruhe im Innern beschränken. Also der Nachtwächterstaat, wie ihn der junge W i l helm von Humboldt gewollt hatte. Wie anders da Ranke! Die Staaten sind, so heißt es im Politi-
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sehen Gespräch von 1836, Individualitäten, „geistige Wesenheiten", originale Schöpfungen des Menschengeistes — man darf sagen „Gedanken Gottes". Göttlichen Anhauch und menschlichen Antrieb zugleich nennt er den Geist des Staates. Daß auch der Machttrieb des Staates entarten und hybrid werden könne, wußte er freilich auch und hat es oft in seinen historischen Werturteilen anerkannt. Aber im großen gesehen, wird bei ihm die Macht verklärt und vergeistigt. „ I n der Macht an sich", sagt er, „erscheint ein geistiges Wesen, ein ursprünglicher Genius, der sein eigenes Leben hat." Ganze Weltanschauungen und völlig verschiedene Lebensstandpunkte stehen hinter den auseinanderklaffenden Urteilen der beiden. Und doch wurzeln beide in demselben geistigen Mutterboden — im deutschen Idealismus. Die humanistische Bildung beider trägt dessen Farbe. Wie Goethe in Ranke, Wilhelm von Humboldt in Burckhardt fortlebten, ist neuerdings besonders beleuchtet worden. Man sieht, wie ganz verschiedene Möglichkeiten der Einstellung zum Staate im deutschen Idealismus angelegt sein mußten, um diese Divergenz der beiden möglich zu machen. Ich muß mich hier mit bloßen Andeutungen darüber begnügen. Dilthey hat in seiner Lehre von den Typen der Weltanschauung bekanntlich einen objektiven und einein subjektiven, genauer: einen Idealismus der Freiheit unterschieden. Der eine, in Goethe lebendig und von Hegel dann hinaufgesteigert und übersteigert, geht gläubig davon aus, daß die Welt, wie sie ist, und die Gebilde des Menschen in ihr einen vernünftigen Sinn haben, den wir durch Objektivität erfassen oder doch wenigstens erahnen können. „ D i e Welt ist die Explikation Gottes", sagt Dilthey von dem Grundgedanken dieses Idealismus. Der andere geht aus vom Individuum, von dem subjektiven Bewußtsein der sittlichen Freiheit des Einzelnen, von dem Rechte und der Pflicht der Persönlichkeit, diese Freiheit gegenüber dem Drucke einer feindlichen Umwelt zu wahren. Ranke ist ohne Mühe dem objektiven Idealismus zuzurechnen, Burckhardt dem
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Idealismus der Freiheit. Das soll kein bloßes Etikettenankleben sein, sondern zum Nachdenken anregen über die Vielfalt der Wege zur Wahrheit, über das Recht und über die Schranken des einen wie des anderen Lebensstandpunktes. Das führt uns nun zu der weiteren Frage, wie sich die Verschiedenheit der beiden Standpunkte in ihrem Geschichtsbild — dies nur ganz summarisch miteinander verglichen— ausgewirkt und welche Frucht es für tiefere Erkenntnis getragen hat. Ranke trat als frommer Christ, als Priester im Dienste Gottes, dessen Vorsehung er über der Geschichte walten sah, an seine Aufgabe als Geschichtsschreiber. Wunderbar, wie er dabei der Gefahr entgangen ist, mit theologischer Zudringlichkeit die Geschichte zu meistern und die Pläne Gottes in der Geschichte im einzelnen nachzuweisen. Das tiefe Bewußtsein einer ungeheuren Distanz zwischen der unerforschlichen Gottheit und dem forschenden, zwar gottverwandten, aber kreatürlich schwachen und irrsamen Menschengeiste bewahrte ihn vor jener Gefahr. Streng kritisch und empirisch verstand er seine priesterliche Mission. Sein eigenes Selbst wünschte er dabei gleichsam auslöschen zu können, um nur die Dinge rein, wie sie waren, anzuschauen — ein merkwürdiges Wort, weil es priesterlich und kritisch zugleich, die eigene Begrenztheit erkennend, empfunden war. Aber sein Vorsehungsglaube tauchte nun auch die Weltgeschichte in ein sonnigeres Licht, als wir es heute zu sehen vermögen. Diese „Mär der Weltgeschichte", soweit es menschlich-kritischem Auge möglich sei, zu entdecken, war sein jugendlicher Ehrgeiz und das beinahe ganz erreichte Hochziel seines Alters. Alle die einzelnen großen Werke dazwischen, die Nationalgeschichten, Monographien usw. sind als Wege zum Emporklimmen auf den höchsten Grat einer Universalgeschichte gemeint gewesen. Alles Besondere in der Geschichte, so scharf er auch seinen individuellen Charakter erkennt und darstellt, hat auch einen allgemeinen Sinn und Bezug. Nur am und im Besonderen läßt sich daä Allgemeine erkennen — dieses selbst aber ist nichts anderes als die jeweilig erkennbare höchste aller Individualitäten der Ge-
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schichte. Sie alle sind aufs engste miteinander verwoben und wirken ineinander — Staaten, Völker, Ideen, Institutionen usw. — in jedem dieser Gebilde steckt ein besonderes Prinzip, das von innen her formend, aber zugleich auch den Wandlungen der Umwelt gehorchend sich auswirkt. Eine großartige Dynamik schöpferischer Kräfte mit immer neuen Antithesen, Synthesen und Polaritäten durchwogt so die Rankesche Geschichtsschreibung, und überall wird das Reale in die Höhe des Geistigen erhoben, zum „Real-Geistigen", ein von Ranke neu geschaffener, sehr charakteristischer Begriff. Er kam auch, wie wir schon sahen, der Würdigung von Macht, Machtstaat und Machtpolitik zugute. Auch sie also wurden geistig überglänzt. Uns freilich will dieser Glanz heute nicht mehr ganz verdient erscheinen. Sollen wir darum aber nun zu Burckhardt übergehen und die Macht an sich als böse, als den Unheilsfaktor schlechthin in der Geschichte ansehen? Dann kämen wir, um konsequent zu bleiben, zu einer lediglich moralisierenden Geschichtsauffassung, die auf Schritt und Tritt Anklage erheben müßte gegen das böse Prinzip. Aber Burckhardt war nicht konsequent, sondern ein lebendiger, genial reich ausgestatteter Mensch mit seinem Widerspruch. Er war ja auch der unmittelbare Schüler Rankes und genoß wie dieser, sogar noch mehr ästhetisch gerichtet als er, die unendliche Vielfalt und Buntheit der geschichtlichen Gebilde wie eine unentbehrliche geistige Nahrung. Das ästhetische und das moralische Element im Urteil waren dabei auf das wunderbarste und oft fast ununterscheidbar miteinander verwoben. Denn das Moralgesetz schwieg auch im Genüsse niemals in ihm und verführte ihn auch hier und da einmal zu herber Einseitigkeit. So geschah es z. B. in seinem Urteil über die Reformation in Deutschland, das fast nur von den Egoismen neuerungssüchtiger Menschen zu sagen weiß und den Einschlag echter Religiosität nicht recht sehen will. Die böse Welt blieb zwar immer böse für ihn, aber aus ihr entsprangen doch nun einmal auch die höchsten Werte, die er in der Geschichte suchte — die K u l t u r . Ein gewaltiges Thema rühren wir damit an und können es
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hier doch nur in abgekürzter und vereinfachender Form behandeln. Gar zu vereinfachend aber würde es sein, wenn man, wie es oft geschieht, den Gegensatz zwischen Ranke und Burckhardt nur als den von politischer und Kulturgeschichte sehen wollte. Denn so sehr auch die politische Seite des Geschehens in Rankes Geschichtsschreibung dominiert, so bildet es doch auch für ihn „die vornehmste weltgeschichtliche Frage", wie sich das Element der Kultur in den Wechselfällen der Völkerschicksale zu erhalten und fortzupflanzen vermocht habe. Sein tiefes und begeistertes Verhältnis zur Kultur und zu dem „Juwel" dieser Kultur, den „unsterblichen Werken des Genies in Poesie und Literatur, Wissenschaft und Kunst" bedarf wahrlich keines besonderen Nachweises. Er bevorzugt in seiner Darstellung nur deswegen den politischen Teil des Geschehens, einmal, weil er die stärksten Kausalitäten für die Schicksale der Kulturwelt enthält, und weiter, weil er auch die politische Geschichte gewissermaßen in Kulturgeschichte umschmilzt durch die Vergeistigung der Macht und der Machtstaaten, die er, wie wir sahen, vornahm. •Da aber scheiden sich nun die Wege der beiden Denker genau voneinander. Denn Ranke, harmonisierend und überbrückend, läßt die Kulturwelt auch Religion und Staat und überhaupt alles im edlen .Sinne Menschliche mit umfassen. Burckhardt aber, mit scharfem Schnitt und kämpferisch gestimmt, trennt die Kultur von Religion und Staat, schützt sie gewissermaßen vor ihnen und erklärt: „Die drei Potenzen sind unter sich höchst heterogen und nicht koordinierbar." Denn Religion und Staat seien beide stabil und verlangten universale Geltung wenigstens für das betreffende Volk. Kultur aber sei etwas wesentlich anderes. „Kultur nennen wir die ganze Summe derjenigen Entwicklungen des Geistes, welche spontan geschehen und keine universale oder Zwangsgeltung in Anspruch nehmen." Zu solchen abstrakten Formulierungen ist Burckhardt sonst nicht gern bereit. Und doch haben wir in dieser, wenn nicht den ganzen, so doch den innersten Burckhardt vor uns, dies in sich ganz souveräne und freiheitsbedürftige Individuum, und hören es zu Religion und Staat
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sprechen: Ich erkenne euch zwar als geschichtlich wirksame Potenzen ersten Ranges an, erkenne auch ein besonderes nahes Verhältnis von Religion und Kultur noch an, aber Kultur schafft ihr nicht, denn ihr fordert eine universale oder Zwangsgeltung für euch. Kultur ist nur das, was frei und spontan aus schöpferischem Drange erwächst, voran Kunst, Poesie, Philosophie^ Wissenschaft. Auch das Wirken für materielle Zwecke, insofern es spontan erfolgt, rechnet er noch zur Kultur. Kunst und Poesie aber erhielten dabei für sein Bedürfnis noch einen besonderen Vorrang. Nur die Verluste von Werken der Kunst und Poesie, heißt es in der griechischen Kulturgeschichte, sind unersetzlich. Was die Forschung betrifft, so würden spätere Zeiten schon einholen, was frühere versäumt haben. Hätte doch Goethe, klagt er einmal, die Nausikaa zu Ende gedichtet, statt im Garten von Palermo die Urpflanze zu entdecken. Denn die Nausikaa konnte nur er allein uns dichten, das andere hätten andere Forscher auch schon besorgt. Die stille Glut, mit der Burckhardt das Schönste des Schönen nicht nur genoß, sondern auch heilig verehrte und die seine Leistung auch als Kunsthistoriker so groß macht, wirft nun aber auch ein versöhnendes Licht auf sein Bild der Weltgeschichte überhaupt, das doch sonst so dunkel gefärbt ist als Tummelplatz der bösen Macht und aller menschlichen Egoismen. Ja, im Anblick dieses Schauspiels, daß ein und derselbe geschichtliche Boden Fürchterlichstes an Machtgier, namenloses Unglück und doch zugleich auch herrlichste Blüten der Kultur hervorgebracht habe, kommt ihm die Ahnung, daß ein geheimnisvoller Lebenszusammenhang zwischen Licht und Finsternis bestehe. Das leuchtende Bild der Kultur der Renaissance mit seinem tiefdunklen Hintergrunde läßt schon etwas von dieser Ahnung spüren. Deutlicher noch spricht sie aus der Griechischen Kulturgeschichte. Er schrieb sie in jener gesteigert pessimistischen Stimmung, als er nach den Ereignissen von 1866 und 1870/71 eine Ära von Kriegen, wachsenden Massenbegierden und Zusammenbrüchen kommen sah. Furchtbar erscheint nun das Bild
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der griechischen Polis mit ihren zerrüttenden Kämpfen, mit ihrer weit über das Vermögen der normalen Menschennatur hinaus geschraubten Staatsidee. Unglücklich waren die Griechen, so lautet ja eine seiner Hauptthesen. Und dabei nun ihre Wunderleistung in Mythos, Kunst und Poesie, die doch ohne die Polis gar nicht möglich gewesen wäre. Und da findet sich denn mit einem Male der Satz: „ D i e Macht kann auf Erden einen hohen Beruf haben; vielleicht nur an ihr, auf dem von ihr gesicherten Boden können Kulturen des höchsten Ranges emporwachsen." Sogar noch weiter, was die befruchtende Wirkung der an sich doch bösen Macht anbelangt, wagten sich seine Gedanken bis zur engsten Berührung mit Ranke. Dieser beginnt die Französische Geschichte mit dem Satz: „Mancherlei Kriege gibt es und mancherlei Heldenruhm; das vornehmste Lob gebührt'denen, welche der Kultur der Menschheit durch siegreiche Waffen neue Schauplätze eröffnet haben." Dies Lob verdiente nach Ranke Cäsar, als er Gallien eroberte. Und Burckhardt sagt zugunsten Alexanders: „Und nun ist es nach unserm schwachen Ermessen immer ein Glück, wenn eine höhere Kultur über eine geringere, ein begabteres Volk über ein unbegabtes Eroberungen macht." Auch noch ein weiterer gemeinsamer Grundgedanke Rankes und Burckhardts gehört jetzt hierher. Das ist die hohe Befriedigung der beiden im Anblick der weltgeschichtlichen Kontinuität vom nahen Orient zur griechisch-römischen Welt und weiter zum romanisch-germanischen Abendlande hin. Denn auf dieser Kontinuität beruhte die abendländische Kultur. Ranke legte dabei den Hauptnachdruck auf die Brücke, die vom Römerreich und Christentum zu den Germanen führte, Burckhardt auf das unglaubliche Glück, daß die erobernden Römer den Philhellenismus besessen hätten. Beide Kontinuitäten aber wurden nur möglich durch die Wirkung der in Burckhardts Augen an sich doch bösen Macht. Für Ranke war es eine Bestätigung seines Glaubens an die göttliche Providenz. Menschlicher Antrieb war überall, aber auch göttlicher Anhauch überall. Für ihn kam das Licht in der WeltMeinecke, Ranke und Burckhardt
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geschichte von oben — für Burckhardt kam es von innen, aus der Spontaneität schöpferischer, kulturschaffender Menschen. Kultur als Ergebnis und Macht als Mittel wirken dabei nicht so harmonisch und gottgewollt zusammen wie bei Ranke, bilden nur eben ein merkwürdiges und erregendes Neben-, Gegen- und Miteinander. Der Geist des späteren, metaphysisch zurückhaltenden 19. Jahrhunderts, in dem Burckhardt lebte, ließ es zu solcher frommen Gläubigkeit wie bei Ranke nicht mehr kommen. Aber ohne eine keusch verhüllte Religiosität, ohne eine ganz bescheidene stille Hoffnung auf ein Überweltliches konnte auch ein Burckhardt nicht leben. Es gibt einige durch ihre Seltenheit ergreifende Zeugnisse dafür, daß er über dem A u f und Nieder und allen Abgründen der Weltgeschichte, die unsere schwachen Augen zunächst nur sehen, letztlich doch eine „höhere Notwendigkeit", eine „allmächtige Hand", eine uns unzugängliche Ökonomie vermutete. Eine Gemeinsamkeit der beiden in den letzten und höchsten Fragen ist also doch vorhanden, darf aber nur leise ausgesprochen werden! Ihre Art, den geschichtlichen Stoff zu formen, bleibt dabei immer noch verschieden genug. Von den beiden Grundgedanken des modernen Historismus, Individualität und Entwicklung, im Besonderen jedes Gebildes wie im allgemeinen Gange der Weltgeschichte, betont Ranke den zweiten, den Entwicklungsgedanken, nach meinem Gefühl stärker als den ersten •der Individualität, dem er dabei doch auch überall gerecht werden will. Er schmilzt die Individualitäten, so hell beleuchtet sie bei ihm auch hervortreten, schließlich doch alle ein in den einen mächtigen Strom einer Gesamtentwicklung. Burckhardt dagegen mit seinem eigensten künstlerischen Bedürfnis nach Bild und Anschauung läßt den Entwicklungsgedanken ganz zurücktreten vor der Gestaltung dessen, was jeweiüg als Zustand und Typus eines Volkes und Zeitalters erfaßt werden kann. Ranke sah die Geschichte in Längsschnitten, d. h. in der zeitlichen Entwicklung bestimmter historischer Gebilde und Tendenzen Burckhardt sah sie lieber in Querschnitten, die dann, um mit
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ihm selber zu sprechen, „das sich Wiederholende, Konstante, Typische" herausbrachten. Da vermochte nun aber Ranke mit seiner Versenkung in die Entwicklungsvorgänge selbst und zugleich getragen von seinem objektiven Idealismus in die Gebilde dessen, was man seit Hegel den objektiven Geist nennt, sich inniger einzufühlen und ihr schlagendes Herz unmittelbarer zu belauschen, als der vergleichende und typisierende Burckhardt. Alle überpersönlichen Gebilde, wie Staaten, Völker, Religionen, Institutionen, geistige Richtungen usw., gehören dieser Sphäre des objektiven Geistes an. Sowohl die besonderen Prinzipien, die diese Gebilde von innen her gestalten, wie der allgemeine Werdestrom, der sie in eine wunderbare Wechselwirkung bringt, werden von Ranke mit einer hingebenden Liebe und großartigen Unbefangenheit dargestellt, deren Burckhardt mit den ihm immer bereitliegenden Maßstäben seines Kultur- und Moralbegriffes nicht immer fähig war. Rankes Urteile über den Wert oder Unwert geschichtlicher Gebilde fallen deswegen in der Regel milder und vielfach auch gerechter aus als die scharf einschneidenden und herben Burckhardts. Dafür enthüllt dieser wieder die partie honteuse, das Menschlich-Allzumenschliche in der Geschichte mit einer Unbarmherzigkeit, deren wieder Ranke nicht fähig war. Im Grunde stellten die beiden verschiedene Fragen an die Geschichte überhaupt. Wenn man es so recht überspitzen wollte, könnte man meinen: Der eine fragt: Was bedeutet der Mensch für die Geschichte ?, der andere: Was bedeutet die Geschichte für den Menschen ? Vorsichtiger formuliert kann es heißen: Ranke und seine ganze Richtung bis zu unserer Zeit hin fragen: Was bedeutet der geschichtlich handelnde Mensch für die überpersönlichen Gebilde des objektiven Geistes, die es primär zu verstehen gilt? Umgekehrt ist es die Grundfrage Burckhardts und seines subjektiven Idealismus: Was bedeuten diese Gebilde und das welthistorische Geschehen überhaupt für den Menschen, voran für den schöpferischen, kulturschaffenden Menschen? Mit klassischer Kürze hat er selbst wiederholt diese seine Grund2*
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frage, die er an die Geschichte richtet, verraten. Von allen Fragen zum Beispiel, die die Geschichte der griechischen Religion aufgebe, wolle er nur eine einzige beantworten, nämlich die, ¡„was diese Religion und diese Götter den Griechen waren". Und ein andermal: „ U n s interessiert nicht sowohl zu sehen, wie weit es die Griechen in der Philosophie, als wie weit es die Philosophie mit ihnen gebracht hat." Der griechische Mensch, der Mensch des sinkenden Heidentums und aufsteigenden Christentums, der Mensch der Renaissance, der entartete moderne Massenmensch, das sind doch die stärksten und bleibendsten Erinnerungen, die seine Werke und Briefe in uns hinterlassen. Zwei verschiedene Grundeinstellungen zur Geschichte also, deren jede ihr inneres Recht und ihre Notwendigkeit hat. Und ihre Verschiedenheit ist zugleich Polarität und Aufeinanderangewiesensein. Denn jede der beiden Fragen läßt sich nur gründlich beantworten, wenn auch die andere Frage beantwortet wird. Wer den einen Weg sucht, muß auch den anderen Weg immer mit seinen Blicken verfolgen und darf deswegen nicht zu weit sich von ihm entfernen. Geschieht dies dennoch, so verwandelt sich, wenn man den objektiven Idealismus überspannt, der Mensch in eine bloße Funktion im Dienste allgemeiner Mächte und verliert die Gottesgabe der Persönlichkeit. Das war die Gefahr der Hegeischen Geschichtsphilosophie und ist zugleich dauernd die Gefahr der kollektivistischen Geschichtsauffassungen — auch solcher, nebenher bemerkt, die nicht mehr dem objektiven Idealismus, sondern dem Naturalismus, dem dritten der Diltheyschen Weltanschauungstypen, angehören. Setzt man aber umgekehrt dem Idealismus der Freiheit keine Schranken, so verlieren die allgemeinen Mächte der Geschichte ihre innere Notwendigkeit und Festigkeit und unterliegen der Willkür der Subjekte. Zum Ruhm Rankes und Burckhardts darf man sagen, daß sie, im großen gesehen, diesen Gefahren entgangen sind und ihre Wege nicht zu weit voneinander getrennt haben. Man kann sich dankbar lernend von dem einen zu dem anderen begeben und hier wie dort Höhenluft einatmen.
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Und je nach der geschichtlichen Situation wird die eine oder die andere Frage an die Geschichte dominieren. Zeiten des Aufstieges, der Sicherheit, des ruhigen Genusses werden sich mit Befriedigung in den Anblick der Werke versenken, die der menschliche Geist geschaffen hat. Zeiten des Niederganges und der Zusammenbrüche werden umgekehrt ihren Blick vom Geschaffenen wieder auf den Schaffenden, in Sorge und Angst, wie es ihm künftig ergehen möge, zurücklenken. Mit den Gebilden des objektiven Geistes steht es nun heute für uns Deutsche schlecht. Wir leben auf einem Trümmerfeld von Staat und Nation, und auch alles, was unsere Kultur betrifft, ist schwer bedroht. Es müssen überall neue Wege gesucht werden, und es liegt überall Dunkel auf diesen Wegen. Zwar dürfen wir auch, wie wir uns sagten, in der Nacht der Weltgeschichte nicht aufhören, weltgeschichtlich zu denken. Aber wir entbehren dabei jener Ruhe der Seele und Klarheit des Blickes, die uns befähigen, den Entwicklungsgang des objektiven Geistes, d. h. Weltgeschichte im Sinne Rankes mit den Erfahrungen unserer Zeit neu zu gestalten. Eines aber ist uns geblieben, unser eigenes deutsches Menschentum. Auch dieses zeigt sich uns heute in ungeahnter, dunkelster Problematik, und die inneren Schwierigkeiten, es wissenschaftlich zu ergründen, sind nicht etwa geringer. Aber die Aufgabe, es doch damit zu versuchen, ist auch dringender. Wir müssen uns gewissermaßen selbst erst wieder kennenlernen, indem wir die geschichtlichen Wandlungen unseres Menschentums und die Verwebungen von Schuld und Schicksal in ihnen aufhellen. Auf dem besonderen Menschentum jeder Nation beruht ja auch jedes Gebilde des objektiven Geistes, das sie hervorbringt und in dem sie sich charakteristisch ausprägt, glücklich öder unglücklich. Eine ganz große Aufgabe ist damit unserer deutschen Geschichtsforschung gestellt—nicht nur wissenschaftlich, sondern auch pädagogisch. Aber sie kann ihre pädagogische Wirkung nur erreichen, wenn sie rein wissenschaftlich, und das heißt für den Historiker kritisch streng und liebevoll einfühlend zugleich, ge-
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löst wird. Mit universalhistorischer Schau müßte es geschehen, in steter Vergleichung mit anderen Volkscharakteren und Volksschicksalen, auch mit steter Frage, was aus ererbter Anlage oder aus geschichtlichem Erlebnis stammt — wobei die Antwort ja oft eine untrennbare Verwebung von beidem zeigen würde. Eine solche Forschung wäre dann die Grundlage, auf der eine glücklichere Zeit unter uns auch eine neue Weltgeschichte im Sinne Rankes wieder aufbauen könnte. In ihr würden die Geister Burckhardts und Rankes vereint aufgehoben weiterleben. Aber nicht auf eklektischem Wege wäre ihre Vereinigung denkbar, sondern durch eine tiefere Neubesinnung über das Verhältnis von Macht und Kultur, von Elementarem und Geistigem in Leben und Geschichte. Nur eben bis zur Schwelle dieses Postulats möchte ich heute die Blicke lenken.
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ZIVILISATION
IM ANSCHLUSS AN RANKE UND BURCKHARDT Die verschiedene Antwort, die Ranke und Burckhardt auf die Frage geben, was denn eigentlich „Kultur" sei und welche Bedeutung sie innerhalb der weltgeschichtlichen Entwicklung habe, kann den heutigen Leser wohl beunruhigen und in ihm Fragen aufwühlen, die auf das Letzte und Entscheidendste im menschlichen Leben gehen. Denn das Schicksal der abendländischen Kultur liegt heute auf der Waagschale, und wir wollen — ja, wir müssen uns darüber klar werden, um was es sich dabei eigentlich handelt. Nicht nur der erkennende, sondern auch der handelnde Mensch 4 verlangt heute eine solche Klarheit über das Wesen dessen, was wir Kultur nennen und für das höchste gemeinsame Gut des Abendlandes halten. Unzählige Antworten sind auf die Frage freilich schon gegeben, und es ist nicht zu erwarten, daß ein allgemeiner Konsensus darüber zustande komme. Aber man darf wohl, versuchen, geschichtlich denkende Menschen für diejenige Antwort zu gewinnen, die wir selbst uns, eben in Auseinandersetzung mit Ranke und Burckhardt, schließlich gegeben haben. Hören wir zuerst Ranke. Die wichtigsten Stellep finden sich in der Vorrede zu Band i und in der Einleitung zu Band 8 ( = Band 7 der 4. Auflage) der Weltgeschichte. Er bemerkt an der ersten Stelle mit Recht, daß das Wesen der Kultur nur unvollkommen durch ein einzelnes Wort ausgedrückt werde. Historische AllgemeinbegrifTe müssen eben nach ihrer innersten Natur unvollkommen und logisch mangelhaft sein, „wo alles in der
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Geschichte", wie Burckhardt (in Weltgesch. Betr.) sagt, „schwebend und in beständigen Übergängen und Mischungen existiert". Das Wort Kultur umfaßt nun nach Ranke „zugleich das religiöse und das staatliche Leben, die Grundlagen des Rechts und der menschlichen Gesellschaft". Er scheidet nicht Kultur als etwas Höheres von Zivilisation als etwas minder Hohem, sondern hält beide Ausdrücke für gleichbedeutend, er bevorzugt aber im eigenen Sprachgebrauch das Wort Kultur. Und daß er in der Tat auch diejenigen Gebiete menschlicher Tätigkeit, die wir uns heute im großen und ganzen gewöhnt haben als Zivilisation von Kultur zu unterscheiden, mit zur Kultur rechnet, geht klar aus der Einleitung zu Band 8 hervor. Denn hier werden zu ihr auch gerechnet „alle die Kenntnisse, die einmal erworben, nicht wieder untergehen, die Fertigkeiten, die ein Jahrhundert von dem andern überkommt und herübernimmt", also damit auch das ganze Gebiet der Technik. Ausdrücklich lehnt Ranke auch die viel zu enge, aber, wie er meint, herrschende Meinung ab, die für die Kultur nur einen auf Wissenschaften und Künste beschränkten Horizont ergeben würde, Kultur begreift nach ihm letztlich alles, „was dem Menschen als solchem Ehre macht und geziemt". Ein großer und tief berechtigter Versuch, alles Gute am Menschen, was ihn über das animalische Dasein emporträgt, in einem einzigen Worte anklingen zu lassen und als eine Einheit reichsten und mannigfaltigsten Inhalts zu empfinden. Er erklärte es auch für die vornehmste weltgeschichtliche Frage, wie sich dies Element der Kultur in den Wechselfällen der Völkerschicksale allen blutigen Zerstörungen zum Trotz zu erhalten und fortzupflanzen vernjocht habe. Dennoch aber ging für ihn, wie wir im Vortrage bemerkten, die Weltgeschichte nicht auf in der Kulturgeschichte. Vielmehr dominierten die politischen Schicksale der Völker in ihr. Und nun kam es dabei doch zu einer Diskrepanz zwischen seiner Kulturtheorie und seiner historiographischen Praxis. Denn während seine Theorie den Staat schlechthin mit zur Sphäre der .Kultur rechnete, erklärte er doch gleichwohl, daß
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die aus dem Antagonismus der Nationen entspringenden Machtkämpfe dem Wesen nach verschieden von den Kulturbestrebungen seien. Er bevorzugte sie in seiner Geschichtsschreibung, wie wir im Vortrage sagten, nicht nur, weil sie die stärksten Kausalitäten für das Schicksal der Kultur enthielten, sondern auch, weil er in der Macht selbst auch ein geistiges Element sah, durch das sie nach seiner Meinung der Kultur verwandt wurden. Warum nun aber trotzdem Machtkämpfe und Kulturbestrebungen so scharf voneinander trennen ? Wir vermuten, daß hier ein sehr richtiger, aber von ihm nur dunkel gefühlter, nicht klar zu Ende gedachter Gedanke Rankes vorliegt. Wir beziehen uns auf das, was wir in der „Idee der Staatsräson" einst ausgeführt haben. Der Staat ist ein Amphibium, er lebt in einer niederen, mehr elementaren, naturhaften, und in einer höheren, mehr geistig-sittlichen Sphäre zugleich, er steht teils näher, teils ferner dem, was wir Kultur nennen. Das mag auch Ranke gefühlt haben, als er den Staat zur Kultur rechnete und dennoch seine Machtkämpfe als nicht zur Kultur gehörig bezeichnete. Tief berechtigt aber war es, wie wir sagten, alles dem Menschen als solchem Ehre Machende und Geziemende in einen einzigen Begriff zusammenzudrängen und als eine geschichtliche Einheit aufzufassen. Ob man dafür, wie in Deutschland überwiegend das Wort Kultur, oder wie bei den westlichen Völkern überwiegend das Wort Zivilisation wählte, wäre an sich ganz nebensächlich und ist nur dadurch historisch bedeutsam geworden, daß die westlichen Völker ihre Kritik an den ihnen unangenehmen Zügen des deutschen Geisteslebens auch mit dem Spotte über unser vieles Kulturgerede würzten. Den Rankeschen Kulturbegriff müssen sie jedenfalls von dieser Kritik und diesem Spotte ausnehmen, denn er deckt sich, soweit wir sehen, durchaus mit ihrem Zivilisationsbegriffe. Aber die Einheit, die er damit ausdrücken wollte, ist eine zwiespältige Einheit! Sie reicht vom Höchsten, was Geist und Seele des Menschen erstreben, von Religion, Kunst, Philosophie herab bis zum alltäglichen Handwerk und Ackerbau. Sie umfaßt das
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Heiligste, wie das nur Nützliche, das aus freiem schöpferischen Willen Geschaffene wie das aus Zwang oder aus bloßer Konvention von Menschen Geleistete. Müssen hier nicht Scheidelinien auch innerhalb des Allgemeinbegriffs von Kultur oder Zivilisation gezogen werden, die sozusagen den Verwandtschaftsgrad der einzelnen Kulturphänomene miteinander genauer bestimmen? Der deutsche Geist mit seiner grüblerischen Neigung zu radikaler Vertiefung hat sieht dieser Aufgabe bereitwilliger unterzogen als der westliche Geist, der aus praktischem Instinkte lieber bei dem bequemen Begriff der Zivilisation, die alles spezifisch Humane umfaßte, es bewenden ließ. So kam es bei uns zu einer Zweiteilung des humanen Gesamtlebens in zwei Stockwerke, in ein höheres der eigentlichen Kultur und ein niederes, breit darunterliegendes, das man gemeinhin Zivilisation nannte. Diese Zweiteilung müßte, wenn sie nur nach äußerlichen Merkmalen der Stoffgebiete und Themen, auf die sich menschliche Arbeit richtet, vorgenommen würde, in Zufälligkeiten und Willkür auslaufen. Nur innerliche und seelische Merkmale dürften hier entscheiden. Mit einem kühnen und großen Griffe hat da Burckhardt die Scheidelinie gezogen und die Spontaneität im menschlichen Handeln, verbunden mit dem Verzicht auf universale oder Zwangsgeltung,'als das der Kultur eigentümliche Merkmal bezeichnet. Wir beziehen uns auf das, was im Vortrag darüber schon gesagt ist, daß nämlich das hochpersönliche Freiheitsbedürfnis Burckhardts darin sich widerspiegelt. Aber in welche schwer zu ertragende Konsequenzen führt es! Die von der Kultur ausgeschlossenen Lebensgebiete hießen für Burckhardt nun nicht etwa Zivilisation, sondern hießen Religion und Staat, eben diejenigen Gebiete, die Ranke mit so großem Eifer gerade für die Kultur in Anspruch nahm. Daß Burckhardt selbst bei seiner scharfen Grenzziehung nicht ganz froh wurde, zeigt sein mehrfaches Bemühen, den besonders nahen Beziehungen zwischeii Religion und Kultur gerecht zu werden. Sogar daß in früheren Stadien Religion und Kultur zusammenfallen könnten, gab er zu. Und waren denn überhaupt Religion und Staat derart
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stabile und auf universale oder Zwangsgeltung erpichte Mächte, wie die Burckhardtsche Theorie sie sich konstruierte? Ohne ein gewisses, wenn auch vielleicht oft nur geringes Maß von Spontaneität im Handeln derer, die ihnen dienen, können sie sich doch wohl nicht am Leben erhalten. Jede Institution, die auf die besondere Hingabe der ihr Dienenden angewiesen ist, erfordert dabei ein gewisses Etwas von Spontaneität, von selbständigem freien Wollen, das dabei nicht einmal an universale oder Zwangsgeltung zu denken braucht. Kultur also im BurckhardtSinne erstreckt sich weit in die Regionen von Religion und Staat hinein — ohne sie freilich jemals ganz ausfüllen zu können. Noch ein weiteres läßt sich gegen ihn einwenden. Die Konsequenz seines Kulturbegriffes zwingt ihn dazu, auch das Handeln für rein materielle Zwecke, sofern es spontan und ohne Anspruch auf allgemeine oder Zwangsgeltung geschehe, als Kultur anzusehen. Also auch Schmiede und Weberinnen gehören, wie er erkennen läßt, dazu, und bei den Phöniziern, sagt er, sei Kultur gleich Geschäft gewesen. Wenn denn nun einmal Kultur etwas Höheres im menschlichen Leben darstellen soll, sträubt man sich gegen diese Nobilitierung des bloßen Geschäftssinns. Ja, Burckhardt selbst mag es nicht ganz wohl zumute gewesen sein, als er den von ihm so gehaßten und verachteten Erwerbssinn des 19. Jahrhunderts „die Hauptkraft der jetzigen Kultur" nannte. Aber er blieb dabei seiner eigenen, wie uns scheint, nicht geglückten Theorie getreu. Wir müssen also nach anderen seelischen Merkmalen suchen, um der Kultur ein wirkliches Höhengebiet zu sichern. Ich beziehe mich auf den Versuch, den ich vor zwei Jahrzehnten gemacht habe, Kultur und Zivilisation voneinander abzugrenzen, in dem Aufsatz: „Kausalitäten und Werte in der Geschichte" (Histor. Zeitschrift Band 137, wieder abgedruckt in der Aufsatzsammlung „Staat und Persönlichkeit"). „Kultur tritt erst da ein", sagte ich damals, „wo der Mensch etwas Gutes oder Schönes um ihrer selbst willen schafft oder sucht oder das Wahre um seiner selbst willen sucht." Ich füge heute hinzu, daß auch das
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Heilige, also die Religion im innerlichsten Sinne, zu diesen idealen Hochzielen gehört, zu denen der Mensch um ihrer selbst willen emporstrebt. Um ihrer selbst willen! Das ist das entscheidende Merkmal, durch das sich alles Streben, Kultur zu verwirklichen, unterscheidet von dem Streben nach dem Nützlichen und Vorteilhaften, auf dem das ganze breite Gebiet dessen, was wir nun Zivilisation nennen, beruht — mag es nun Wirtschaft und Technik, Staatsräson, Macht, Geltung, Reichtum und Genuß sein. Dieser selbstischen Sphäre in Leben und Geschichte tritt damit eine uns entselbstende, dem Dienste an idealen Gütern gewidmete Sphäre gegenüber. Niemals entselbstet sie uns vollständig. Ein Erdenrest von selbstischen Motiven bleibt immer, wenn wir um uns und in uns blicken, dabei mit wirksam. Kultur und Zivilisation sind in der Wirklichkeit des Lebens immer miteinander verflochten, oft sogar ununterscheidbar für unser Auge miteinander verschmolzen. Mit den selbstischen Motiven steigen dabei oft auch die rein animalischen Triebkräfte im Menschen empor und trüben vollends seine Handlungsweise. Wir nennen diesen Hergang dämonisch, und der vielfach dämonische Charakter weltgeschichtlicher Hergänge zwingt in unserer heutigen Zeitenwende mehr und mehr das erschütterte Gemüt zu dunklen Betrachtungen. Ich habe eine solche einst an dem Beispiel der Staatsräson versucht. Aber kehren wir noch einmal zu Burckhardt und seiner Lehre von der Spontaneität als einem Hauptmerkmal der Kultur zurück. Gewiß, nur durch spontanes Handeln werden auch nach unserer Auffassung Kulturwerte des Wahren, Guten, Schönen und Heiligen verwirklicht werden. Aber spontan und selbst ohne den Anspruch auf universale oder Zwangsgeltung kann auch in der Sphäre der Zivilisation vielfach gehandelt werden. Burckhardt selbst gibt ja, wie wir sahen, solche Beispiele aus Handel und Gewerbe, die er zwar zur Kultur rechnet, wir aber als zur Zivilisation gehörig ansehen. Spontanes Handeln ist möglich ebensowohl aus selbstischen wie aus entselbstenden idealen Motiven.
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Sind diese Motive auf den Wert des Guten gerichtet, so entsteht das, was Kant die autonome Moralität nannte, im Gegensatz zur heteronomen Moralität, die aus irgendwie selbstischen Motiven etwas sittlich an sich Gutes tut und damit im äußeren Effekt mit der autonomen Moral übereintrifft. Wir würden eine solche heteronom entstandene, äußerlich sittlich aussehende Handlung zur Zivilisation zählen. Und genau so hat es auch Kant getan. Denn er ist vielleicht, soweit wir sehen, der erste gewesen, der das Gebiet der Kultur von dem der Zivilisation grundsätzlich geschieden hat. Er tat es im Zusammenhang mit der geistigen Bewegung, die Rousseaus radikale Kritik an der modernen Kultur überhaupt in Deutschland hervorrief, in seinem Aufsatze von 1784 „Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht". Da heißt es am Schlüsse des 7. Satzes: „ W i r sind in hohem Grade durch Kunst und Wissenschaft k u l t i v i e r t . Wir sind z i v i l i s i e r t bis zum Überlästigen zu allerlei gesellschaftlicher Artigkeit und Anständigkeit. Aber uns schon für m o r a l i s i e r t zu halten, daran fehlt noch sehr viel. Denn die Idee der Moralität gehört noch zur Kultur, der Gebrauch dieser Idee aber, welcher nur auf das Sittenähnliche in der Ehrliebe und der äußeren Anständigkeit hinausläuft, macht bloß die Zivilisierung aus. Solange aber Staaten alle ihre Kräfte auf ihre eiteln und gewaltsamen Erweiterungsabsichten verwenden und die langsame Bemühung der inneren Bildung der Denkungsart ihrer Bürger unaufhörlich hemmen, ihnen selbst auch alle Unterstützung in dieser A b sicht entziehen, ist nichts von dieser Art zu erwarten: weil dazu eine lange innere Bearbeitung jedes gemeinen Wesens zur Bildung seiner Bürger erfordert wird. Alles Gute aber, was nicht auf moralisch-gute Gesinnung gepfropft ist, ist nichts als lauter Schein und schimmerndes Elend. In diesem Zustand wird wohl das menschliche Geschlecht verbleiben, bis es sich auf die Art, wie ich gesagt habe, aus dem chaotischen Zustande seiner Staatsverhältnisse herausgearbeitet haben wird."
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Diese Worte, schon vor der Französischen Revolution und der ihr folgenden Ära von Kriegen niedergeschrieben, müssen uns heute erschüttern. Der chaotische Zustand der Staatsverhältnisse das Hemmnis dessen, was Kant und wir mit ihm \inter Kultur verstehen! Ranke hat, wie wir sahen, dieses Hemmnis nicht so hoch angeschlagen. Denn für ihn bildete es ja die vornehmste weltgeschichtliche Frage, wie das Element der Kultur „all den blutigen Zerstörungen, den gewaltsamen Gründungen neuer Zustände zu Trotz sich dennoch behauptete". Burckhardt aber sah ebenso düster wie Kant auf die Machtpolitik der Staaten und Völker, nur daß er zugleich auch den dämonischen Zusammenhang zwischen Unheil und Heil in den Einwirkungen der Machtpolitik auf die Kultur erkannte. Dieser Zusammenhang gehört nun auch wieder zu jenen geheimnisvollen Verflechtungen von Kultur und Zivilisation, von denen wir sprachen. Das historische Urteil, und wenn es noch so streng die Wahrheit um der Wahrheit willen sucht, darf nicht immer wagen, den Schleier zu lüften, der über solchen Verflechtungen liegt, und die selbstischen, auf Nutzen, Vorteil oder Genuß gerichteten Motive des geschichtlich Handelnden von den entselbstenden und idealen Motiven bestimmt zu unterscheiden. Diese Zurückhaltung im Anblick namentlich des Dämonischen in der Geschichte haben sowohl Ranke wie Burckhardt zu üben vermocht. Der handelnde Mensch dagegen, der durch sein Handeln Kultur zu schaffen berufen ist, darf nur auf die mahnende Stimme Kants hören und muß mit ihm, wie aussichtslos es auch scheinen mag, gegen die chaotischen Staatsverhältnisse ankämpfen, die damals wie heute das schwerste und furchtbarste Hemmnis wahrer Kultur sind. Blicken wir von der Kultur noch einmal zurück auf die Zivilisation, um dem Gehe mnis ihrer Verflechtung etwas näherzukommen. Dieses überaus breite Gebiet alles dessen, was um des Nutzens und Vorteils willen von Menschen erstrebt und verwirklicht wird, kann und muß auch in sich noch gegliedert werden. Es ist ein Unterschied zu machen zwischen dem, was den menschlichen Gemeinschaften und dem, was nur dem einzelnen Men-
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sehen nützlich und vorteilhaft ist. Dem für die Gemeinschaft Nützlichen (Erfindungen, technische Fortschritte, staatliches Wirken für Salus publica usw.) haftet dabei noch ein besonderer höherer Wert an. Es gehört, um mit Ranke zu sprechen, zu dem, was dem Menschen als solchem Ehre macht und geziemt. Aber schon in der Staatsräson und dem Machtstreben des Staates kommt es dabei zu einer sittlichen Zwiespältigkeit und Proble-' matik und damit zu jenen „chaotischen Staatsverhältnissen" Kants. Und im Nutzen und Vorteil des Einzelnen fließt und wogt es erst recht hin und her zwischen dem sittlich Zulässigen und dem sittlich Unzulässigen, zwischen legitimem Gebrauch von Lebensgütern und schnödem Mißbrauch durch Gier und Genuß. So zerfällt also das Reich der Zivilisation selbst wieder in eine hellere, zwar nicht moralisch im Sinne Kants zu nennende, aber doch sittlich einwandfreiere und in eine dunklere, sittlich gefährdetere Sphäre. Immer aber werden die Lebensgüter, die die Zivilisation hervorbringt, nicht um ihrer selbst willen, sondern um des Vorteils willen erstrebt, den, sei es die Gemeinschaften, sei es die Einzelnen von ihnen genießen. Das unterscheidet ja die Zivilisation von der Kultur. Die Lebensgüter der Zivilisation sind Mittel zum Zweck des eigenen Wohlbefindens, die Werte der Kultur aber entselbsten uns und bilden, um mit Kant zu sprechen (Grundlegung zur Metaphysik der Sitten) „das herrliche Ideal eines allgemeinen Reichs der Zwecke an sich selbst". Und das Schicksal der abendländischen Kultur hängt nach unserer Meinung davon ab, daß dieses als ihr wahres und eigentliches Wesen erkannt und durch bewußtes Handeln verwirklicht werde, soweit es die menschliche Schwäche irgend vermag. Kant sah dabei die Herzwurzel der Kultur in der Idee der autonomen Moralität. Wir sehen sie in der Religion, die diese Idee zugleich in sich einschließt und steigernd erhöht. Ein leidiger Umstand im Gebrauche der Worte und Begriffe Kultur und Zivilisation wird dabei, wie wir schon andeuteten, wohl nie zu beseitigen sein, ist aber im Grunde nur von sekundärer Bedeutung. Unter Kultur und Zivilisation werden die
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einen immer dasselbe Einheitsphänomen menschlicher Emporarbeitung über das bloß animalische Dasein erblicken und die beiden Ausdrücke, wie Ranke es tat, promiscue anwenden — während die anderen, dem Beispiele Kants folgend, diese Einheit innerlich gespalten sehen und Kultur von Zivilisation genau unterscheiden. Aber dieser Streit um Worte, den die Armut der Sprache verschuldet, dürfte niemals die Arbeit für wahre Kultur selbst beeinträchtigen.
2. E I N W O R T Ü B E R R A N K E S U N D BURCKHARDTS SPRACHE Es gibt ein rationales Gelehrtendeutsch, am schärfsten wohl ausgeprägt bei den Juristen, aber auch bei den Historikern im Durchschnitt zu beobachten. Es ist klar, präzis, zuweilen nüchtern, mit einem wohlgeordneten und leicht übersehbaren Periodenbau, aber mit einem nicht besonders reichen Wortschatze. Es vermeidet Ausdrücke und Wendungen, die etwas Ahnungsvolles und deswegen nicht gleich Klares und rasch Auszumessendes dem Leser zumuten. Es will aber auch nicht trivial werden und vermeidet deshalb auch Ausdrücke aus der Sprache des täglichen Umganges. Zuweilen schreibt derselbe Autor in Briefen, wo diese Tagessprache sich durchsetzt, ganz anders als in seinen gelehrten Schriften. Dieses rationale Gelehrtendeutsch kann sich zu einem klassischen Gelehrtendeutsch auch mit reicheren Sprachmitteln steigern, wenn eine starke Persönlichkeit wie Mommsen es formt. Aber es hat auch die Tendenz, abzusinken zu einer nivellierten, abgeschliffenen, unpersönlichen Sprache, die dem Leser keine Anstrengung zumutet, aber auch keine freudige Überraschung zu bereiten vermag. Weder Ranke noch Burckhardt schreiben dies rationale Gelehrtendeutsch. Jeder schreibt als homo sui generis. Gemeinsam haben sie wohl mit dem rationalen Gelehrtendeutsch den wohlgegliederten und übersichtlichen Periodenbau. Rankes Sätze und
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Perioden fließen dabei in der Regel dahin wie lange, sanft ineinander übergehende Wellen eines gleichmäßig bewegten Meeres. Die Wellen der Burckhardtschen Perioden werden oft wie von plötzlichen Windstößen überraschend in eine andere Richtung gedrängt. Sein Satzbau gleicht oft scharfen Einschnitten in ein großes, unendlich inhaltsreiches Ganzes. Der Unterschied vom rationalen Gelehrtendeutsch liegt hauptsächlich in der Wahl der Worte und in der Fülle des dafür zur Verfugung stehenden Wortschatzes. Rankes Wahl der Worte vermeidet nicht nur das Triviale und Alltägliche, sondern, wie mir scheint, oft auch die klaren, runden, glatten, scharf abgezirkelten und bequem sich darbietenden Ausdrücke für die Charakterisierung dessen, was geschieht. Er bevorzugt dafür gerade solche Ausdrücke, die etwas Schwebendes, Ahnungsvolles, nicht leicht Auszumessendes haben, jedenfalls aber dem geschichtlichen Geschehen einen edleren und geistigeren Charakter geben. Er ist der Vates schon in seiner Sprache. Sie schwebt etwas, obwohl er nie den Erdboden der Wirklichkeit verlassen will. „Realgeistig" will auch seine Sprache sein, aber die Geistigkeit dominiert in ihr. Das Unschöne der Wirklichkeit wird durch sie leicht verhüllt. Sein Wortschatz ist trotz manches Verzichts auf durchschnittlich übliche Ausdrucksmittel' reicher als der des gewöhnlichen rationalen Gelehrtendeutsch und beherbergt hauptsächlich edlere und seltene Bestandteile des allgemeinen deutschen Wortschatzes. Aber gerade diese seltenen Ausdrücke werden mit großer Ökonomie und niemals verschwenderisch gebraucht. Ich verglich sie früher einmal mit einzelnen Edelsteinen, die auf ein sonst schlichtes einfarbiges Gewand gesetzt werden. Von Fremdwörtern, namentlich solchen bei uns noch wenig gebrauchten und deshalb noch nicht abgenutzten, wird an wirksamer Stelle ein entschlossener und sehr überlegter Gebrauch gemacht. Noch reicher ist der Wortschatz Burckhardts sowohl an Fremdwörtern namentlich romanischen Ursprungs wie an Wörtern des täglichen Umgangs und Gesprächs mit gleichgesinnten Meinecke, Ranke und Burckhardt
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Freunden, selbst auch des Jargons, des Börsenjargons sogar. A b e r mit welcher Ironie, mit welchem Spott und H o h n werden sie nun auf die geschichtlichen Hergänge, die Ranke in einen feinen, wie seine Kritiker behaupteten, parfümierten D u f t hüllte, angewandt! Bei Burckhardt steigen dadurch gerade die unedlen und gemeinen D ü f t e der historischen Wirklichkeit empor und erinnern den Leser daran, daß die ideale Sphäre Wunderkinder inmitten der Durchschnittsmenschheit emporhebt und umhegt. Das Verhältnis zwischen Ideal und Wirklichkeit ist ja ganz anders bei Ranke und bei Burckhardt. Himmel und Erde sind sich bei Ranke näher als bei Burckhardt. Reales und Geistiges verschmolzen zum Realgeistigen bilden eine Einheit. Es ist etwas v o m Geiste der deutschen Identitätsphilosophie auch in Rankes Sprache. Burckhardts Sprache aber ist der Widerschein der naturalistischer oder dualistischer werdenden Weltaspekte des späteren 19. Jahrhunderts. Skepsis und Gläubigkeit ist bei ihm immer zugleich. A b e r die Gläubigkeit ist die des Eremiten in der höchsten reinlichsten Zelle, der f ü r das Erdentreiben, auf das er herabschäut, dann freilich auch nur die Ausdrücke des Jargons mit Ironie, Spott und H o h n anzuwenden vermag. A u c h ganz gewöhnliche Wörter bekommen dabei oft einen ungeahnten stechenden Charakter. Das Feierliche in der Diktion liegt ihm eigentlich gar nicht — während es bei Ranke zwar durchaus nicht etwa dominiert, aber in den dafür von ihm gewählten Momenten ergreifende Adagios bildet. Burckhardt schreibt auch, vom französischen Stil beeinflußt, zu pointiert, zu sehr als. Gesellschafter im Gespräch, u m den Übergang in die Diktion des Vates so leicht finden zu können wie Ranke. A b e r wie feierlich wirkt trotzdem Burckhardts Diktion so oft unwillkürlich auf uns! W i r sprechen hier nur von seinem historischen, nicht von seinem kunsthistorischen Stile, in dem seine religiöse Verehrung f ü r das Schöne auch dem Leser ununterbrochene Feierstunden bereitet. A b e r auch in seiner Historie schimmert durch alle Ironie und Resignation ob des
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bösen Erdentreibens der innerste Burckhardt, der Eremit in seiner höchsten reinlichsten Zelle überall hindurch, und zuweilen hört man ihn, und dann besonders ergreifend, feierliche Töne in der Wahl seiner Worte anschlagen. Schopenhauer teilt einmal die Schriftsteller ein in die schlechten, die mit ungewöhnlichen Worten gewöhnliche Dinge sagen, und in die guten, die mit gewöhnlichen Worten ungewöhnliche Dinge sagen. Das trifft in der Mehrzahl der Fälle wohl zu, und die Kategorie der schlechten Schriftsteller grassiert in unserer heutigen, aus dem Gleichgewicht gefallenen Katastrophenlage nur zu sehr. Von Ranke und Burckhardt aber kann man sagen, daß sie immer Ungewöhnliches zu sagen haben und es mit ungewöhnlichen Sprachmitteln oft auch tun. Die Geister zweier recht verschiedener Epochen des 19. Jahrhunderts stehen sich in ihnen gegenüber. Nur auf dem Hintergrunde der Weltanschauungen sollte man Untersuchungen über die Sprache der Schriftsteller anstellen. Unser Versuch soll keine „Untersuchung", sondern nur eine erste Anregung zu einer solchen sein.
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DIE „VORTRÄGE UND SCHRIFTEN" W E N D E N AN DIE WEITEN KREISE DERER, DIE AN SCHAFTLICHER
SICH
WISSEN-
FORSCHUNGSARBEIT
ANTEIL
NEHMEN Bereits erschienen ist: Die Maßstäbe des Kosmos Rede bei der Eröffnung der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin am I. August 1946, gehalten von Prof. Dr. H. Kienle 24 Seiten. Preis: RM 1.50 Genuß und Betäubung durch chemische Mittel öffentlicher Vortrag, gehalten am 12. Juni 1947 an der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin von Prof. Dr. Wolf gang Heubner 38 Seiten. Preis: RM 2.— Über das Naturrecht öffentlicher Vortrag, gehalten am 10. Juli 1947 an der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin von Prof. Dr. H. Mitteis 48 Seiten. Preis: RM 2.7s In Vorbereitung sind weiter folgende Hefte: Leitmotiv der Erdentwicklung öffentlicher Vortrag, gehalten am 13. Februar 1947 an der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin von Prof. Dr. H. Stille Atome, Sterne, Weltsysteme öffentlicher Vortrag, gehalten am 14. Mai 1947 an der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin von Prof. Dr. H. Kienle Pflanzenphysiologische Bodenkunde öffentlicher Vortrag, gehalten am 26. November 1947 an der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin von Prof. Dr. Eilh. Alfred Mitscherlich Über physikalisch-chemische Modelle von Lebensvorgängen öffentlicher Vortrag, gehalten am 11. Dezember 1947 an der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin von Prof. K. F. Bonhoeffer
DIE HEFTE E R S C H E I N E N IN Z W A N G L O S E R
FOLGE