Rahmenbedingungen und Handlungsspielräume europäischer Außenpolitik im Zeitalter Ludwigs XIV [1 ed.] 9783428472086, 9783428072088


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German Pages 155 [156] Year 1991

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Rahmenbedingungen und Handlungsspielräume europäischer Außenpolitik im Zeitalter Ludwigs XIV [1 ed.]
 9783428472086, 9783428072088

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Rahmenbedingungen und Handlungsspielräume europäischer Außenpolitik im Zeitalter Ludwigs XIV.

ZEITSCHRIFT FÜR HISTORISCHE FORSCHUNG Vierteljahresschrift zur Erforschung des Spätmittelalters u. der frühen Neuzeit Herausgegeben von Johannes Kunisch, Klaus Luig, Peter Moraw Volker Press

Beiheft 11

Rahmenbedingungen und Handlungsspielräume europäischer Außenpolitik im Zeitalter Ludwigs XIV.

Herausgegeben von

Heinz Duchhardt

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Rahmenbedingungen und Handlungsspielräume europäischer Aussenpolitik im Zeitalter Ludwigs X I V . / hrsg von Heinz Duchhardt. - Berlin : Duncker und Humblot, 1991. (Zeitschrift für Historische Forschung : Beiheft ; 11) ISBN 3-428-07208-1 NE:Duchhardt, Heinz [Hrsg.]; Zeitschrift für Historische Forschung / Beiheft

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 1991 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Satz: Klaus-Dieter Voigt, Berlin 61 Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISSN 0931-5268 ISBN 3-428-07208-1

Vorwort Auf dem 38. Deutschen Historikertag in Bochum fand am Vormittag des 28. September 1990 eine Sektionssitzung „Rahmenbedingungen und Handlungsspielräume europäischer Außenpolitik im Zeitalter Ludwigs XIV." statt. Die damals gehaltenen und diskutierten Referate werden - z.T. in erweiterter Form und unter Berücksichtigung von Gesichtspunkten, die in der Aussprache eine Rolle gespielt haben - nunmehr der interessierten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Es ist hier nicht der Ort, über das seit einigen Jahren auch in Deutschland zu beobachtende neue Interesse an internationaler Politik und zwischenstaatlichen Beziehungen zu reflektieren - ob, was zu vermuten ist, etwa auch die Gegenwartserfahrung des Aufbrechens mächtepolitischer Grundstrukturen, denen eigentlich eine große Konstanz und Festigkeit unterstellt werden mußte, bis in die historischen Wissenschaften ausstrahlt und Fragen provoziert nach dem Gestaltungswillen von Einzelpersönlichkeiten und Völkern, nach kollektiven Ressentiments und Antihaltungen, die der Außenpolitik eines Staates eine andere Richtung zu geben vermögen, mag deswegen auf sich gestellt bleiben. Wenn man sich indes dafür entscheidet, für die Frühe Neuzeit exemplarisch die Faktoren, die Außenpolitik bedingen, und die Mechanismen und Ko- bzw. Adhäsionskräfte, die staatliches Nebenund Gegeneinander gestalten und verändern, zu illustrieren, dann drängte sich das Zeitalter Ludwigs XIV. förmlich auf: ein gutes halbes Jahrhundert, das im zwischenstaatlichen Raum ganz ungeheuer bewegt war, weil die Staatenkonkurrenz und die Fürstenrivalität bisher unbekannte Dimensionen erreichte. Grundmoment und Motivationskern dieses Neben- und Gegeneinanders der Staaten war zum einen der Kampf um Plazierungen und Positionen in einer neuen, für Festschreibungen und Veränderungen noch offenen Staatengesellschaft, für die die Fürsten als die eigentlichen dynamischen Elemente des Zeitalters alles Verfügbare zu instrumentalisieren suchten bis hin zum eigentlich grundlos vom Zaun gebrochenen Krieg; zum anderen stand die Epoche vor der Herausforderung erdrückender Großmachtsysteme, die es abzuwehren oder denen es sich zu beugen galt. Das Zeitalter Ludwigs XIV. erlebte vor dieser Folie den Kollaps des Friedenssystems von 1648 und das Suchen nach einem neuen Regulativ der internationalen Politik, das man gegen Ende des Jahrhunderts mit der Formel vom Gleichgewicht der Kräfte dann auch gefunden zu haben glaubte, es erlebte eine ungeheure militärische Anspannung und Eskalation, die sich in einer Fülle von Kriegen verschiedener Abschattierungen, die der Epoche

6

Vorwort

eine ganz eigentümliche Signatur verliehen, entluden, es erlebte den fast ideologischen Zusammenprall von Herrscherpersönlichkeiten und nicht zuletzt auch qualitative Veränderungen im Völkerrecht. Im vorrevolutionären Europa ist dies die Epoche, in der Statik und Beharrung gegenüber Veränderung und Beschleunigung in der internationalen Politik am weitesten zurücktraten. Die hier vorgelegten fünf Beiträge fragen einerseits nach der Typik bestimmter Konflikte und Phänomene der internationalen Politik, d.h. suchen die für die Epoche typischen Faktoren, die für Krisen und Kriege verantwortlich waren, zu präzisieren (Kunisch) bzw. thematisieren im Längsschnitt Probleme der Kriegführung (Sicken) und der „ideologischen Unterfütterung" von Konflikten (Burkhardt). Andererseits werden in zwei „nationalen" Studien die außenpolitischen Konzeptionen, Optionen und Zwänge zweier dominierender Staaten und Fürstenpersönlichkeiten sowie das Zusammenspiel von Innen- und Außenpolitik in Frankreich (Malettke) und England (Recker) schärfer und neu beleuchtet. Den Autoren gilt ein erster Dank, weil sie sich nicht nur von der der Sektion zugrundeliegenden Idee haben „anstecken" lassen, sondern auch ihre Beiträge sehr zügig druckfertig gemacht und damit erst die Voraussetzung geschaffen haben, daß diese Bochumer Sektion rasch in das wissenschaftliche Gespräch gebracht werden kann. Johannes Kunisch bot unmittelbar nach der Sektionssitzung spontan an, daß die Vorträge in der von ihm mitherausgegebenen Reihe der Beihefte zur Zeitschrift für Historische Forschung publiziert werden; die Mitautoren und der Herausgeber wissen sich ihm und dem Verlag, der das verlegerische Risiko einging, in besonderer Weise verbunden. Meine Mitarbeiter in Münster haben mich in der Phase der Vorbereitung der Sektion und beim Redigieren der Manuskripte nach Kräften zu entlasten gesucht; auch dafür sei herzlich gedankt, insbesondere Dagmar Schnelle M. A. Münster, im März 1991 Heinz Duchhardt

Inhaltsverzeichnis Johannes Kunisch Der Nordische Krieg von 1655 - 1660 als Parabel frühneuzeitlicher Staatenkonflikte

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Klaus Malettke Ludwigs XIV. Außenpolitik zwischen Staatsräson, ökonomischen Zwängen und Sozialkonflikten

43

Marie-Luise Recker Wilhelm III. und die französische Herausforderung

73

Bernhard Sicken Heeresaufbringung und Koalitionskriegführung im Pfälzischen und im Spanischen Erb folgekrieg

89

Johannes Burkhardt Konfession als Argument in den zwischenstaatlichen Beziehungen. Friedenschancen und Religionskriegsgefahren in der Entspannungspolitik zwischen Ludwig XIV. und dem Kaiserhof 135 Verzeichnis der Mitarbeiter

155

Der Nordische Krieg von 1655 - 1660 als Parabel frühneuzeitlicher Staatenkonflikte V o n Johannes K u n i s c h , K ö l n Gerade i n der deutschen Geschichtswissenschaft

w i r d vielfach

noch

i m m e r die Auffassung vertreten, daß die „ H a u p t - u n d S t a a t s a k t i o n e n " i m allgemeinen u n d die der f r ü h e n Neuzeit i m besonderen ein Szenarium d a r stellen, das v o n absoluter W i l l k ü r u n d B e l i e b i g k e i t geprägt ist. I n der Geschichte des N o r d i s c h e n Krieges, eines scheinbar l o k a l e n Ereignisses an der Peripherie des sich formierenden Staatensystems, läßt sich jedoch der Nachweis führen, daß es eine ganze Reihe v o n F a k t o r e n gibt, die das m ä c h tepolitische Geschehen der f r ü h e n Neuzeit i n s t r u k t u r e l l e r Perspektive z u erfassen vermögen 1 . Zunächst ist auf die dynastische K o m p o n e n t e hinzuweisen. W i e i c h an anderer Stelle schon ausgeführt habe, beschwor jedes E r b f o l g e p r o b l e m 1 Vgl. zur Einordnung dieses Krieges in die Geschichte des frühneuzeitlichen Staatensystems Klaus Zernack, Das Zeitalter der Nordischen Kriege von 1558 - 1809 als frühneuzeitliche Geschichtsepoche, in: ZHF 1 (1973), 55 - 79, und Stuart Oakley, War in the Baltic, 1550- 1790, in: The Origins of War in Early Modern Europe, hrsg. von Jeremy Black, Edinburgh 1987,52-71. Die neueste Gesamtdarstellung aus militärhistorischer Perspektive hat Eckhardt Opitz vorgelegt: Österreich und Brandenburg im Schwedisch-Polnischen Krieg 1655 - 1660. Vorbereitung und Durchführung der Feldzüge nach Dänemark und Pommern (Wehrwissenschaftliche Forschungen, 10), Boppard 1969. Zum Gesamtpanorama der Zeit auch Carl J. Friedrich, Das Zeitalter des Barock. Kultur und Staaten Europas im 17. Jahrhundert, Stuttgart 1954, hier bes. das 8. Kapitel: Die östlichen Dynastien: Habsburg, Romanow, Hohenzollern und Wasa 1610 - 1660, 256 - 280; Pierre Jeannin, L'Europe du Nord-Ouest et du Nord au X V I I e et X V I I I e siècles, Paris 1969, und Johannes Kunisch, Absolutismus. Europäische Geschichte vom Westfälischen Frieden bis zur Krise des ancien régime (UTB, 1426), Göttingen 1986, 130ff. und 157-171. Zu den Grundfragen der Staatenpolitik des 17. Jahrhunderts darüber hinaus: Konrad Repgen, Kriegslegitimationen in Alteuropa. Entwurf einer historischen Typologie, in: HZ 241 (1985), 27 - 49. Ich w i l l mich im Zusammenhang dieser Untersuchung nicht darauf einlassen, den Nordischen Krieg unter dem von Michael Roberts gegebenen Stichwort der sog. „Militärischen Revolution" zu erörtern. Die von Roberts genannten Eckdaten 1560 1660 scheinen das hier behandelte Kriegsszenarium zwar ausdrücklich einzubeziehen. Aber Kategorien wie ein Zeitrahmen von hundert Jahren und der von Roberts und neuerdings auch Parker verwendete Revolutionsbegriff erscheinen mir zu vage, um sie für das Anliegen dieser Studie nutzbar zu machen. Auf Einzelaspekte beider Systematisierungsversuche wird gleichwohl einzugehen sein. Vgl. Michael Roberts, The Military Revolution, 1560 - 1660, in: ders., Essays in Swedish History, Minneapolis 1967, 195-225; eine deutsche Übersetzung dieses Aufsatzes in: Absolutismus, hrsg. von Ernst Hinrichs (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, 535), Frankfurt a.M. 1986, 273-309; Geoffrey Parker, Die militärische Revolution. Die Kriegskunst und der Aufstieg des Westens 1500 - 1800, Frankfurt a.M. 1990.

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Johannes Kunisch

einer Dynastie eine Krise des Staatswesens in seiner Gesamtheit und damit beinahe zwangsläufig auch den Konflikt mit solchen Mächten herauf, die bei der Aufteilung des Erbes nicht abseits stehen wollten 2 . Es waren immer wieder die inneren, auf Thron- und Erbfolgestreitigkeiten beruhenden K r i sen der Fürstenstaaten, welche die Mächtepolitik des Ancien régime beherrschten und die Voraussetzungen für die großen Umverteilungen der politischen Gewichte in Europa schufen. Sie stellten Länder und Territorien als „erledigt" zur Disposition, deren politischer wie staatsrechtlicher Zusammenhalt auf der alles verbindenden Klammer der Krone oder der Dynastie beruhte. Als strukturelle Voraussetzung absolutistischer Staatenpolitik ist deshalb im Auge zu behalten, daß die Fürstenstaaten des Ancien régime noch keine geschlossenen, eindeutig umgrenzten Gebilde wie die Nationalstaaten der späteren Neuzeit darstellten; ihre Staatlichkeit beruhte vielmehr auf der Dynastie. Geriet diese durch eine Thronvakanz in eine Krise, war auch die Monarchie in ihrer territorialen Integrität bedroht und ein Staatenkonflikt in der Regel unvermeidlich. Die Erbfolgeproblematik zumindest der großen Dynastien war demzufolge ein maßgeblicher Faktor frühneuzeitlicher Staatenpolitik. Sie ist in ihrer Bedeutung auch an dem Aufschwung ablesbar, den die wissenschaftliche Erörterung dieses Themas im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts genommen hat. Der mit Arbeiten zu den genealogischen Implikationen mächtepolitischer Zusammenhänge schon mehrfach hervorgetretene Rechtshistoriker Armin Wolf hat kürzlich auf ein umfangreiches, 1712 erstmals erschienenes Kompendium des seinerzeit als Königlicher Hofgerichtsreferendar tätigen Christoph Hermann Schweder hingewiesen, das den aufschlußreichen Titel trägt: „Theatrum historicum praetensionum et controversiarum illustrium in Europa Oder Historischer Schauplatz der Ansprüche und Streitigkeiten Hoher Potentaten und anderer regierender Herrschaften in Europa, Darinnen vorgestellet wird Der Ursprung, die Gründe, Gegen-Antworten, und der ietzige Zustand der meisten und wichtigsten 2 Johannes Kunisch, Staatsverfassung und Mächtepolitik. Zur Genese von Staatenkonflikten im Zeitalter des Absolutismus (Historische Forschungen, 15), Berlin 1979; ders., Hausgesetzgebung und Mächtesystem. Zur Einbeziehung hausvertraglicher Erbfolgeregelungen in die Staatenpolitik des ancien régime, in: ders. (Hrsg. in Zusammenarbeit mit Helmut Neuhaus), Der dynastische Fürstenstaat. Zur Bedeutung von Sukzessionsordnungen für die Entstehung des frühmodernen Staates (Historische Forschungen, 21), Berlin 1982, 49 - 80; ders., Staatsbildung als Gesetzgebungsproblem. Zum Verfassungscharakter frühneuzeitlicher Sukzessionsordnungen, in: Gesetzgebung als Faktor der Staatsentwicklung (Der Staat, Beiheft 7), Berlin 1984, 63 - 88. Vgl. ferner auch Hermann Weber, Die Bedeutung der Dynastien für die europäische Geschichte der frühen Neuzeit, in: Das Haus Wittelsbach und die europäischen Dynastien, München 1981 (zugleich ZBLG 44/1), 5 - 32; Ernst Otto Czempiel, Strukturen absolutistischer Außenpolitik, in: ZHF 7 (1980), 445 - 451. Eine Fülle von Anregungen bietet jetzt auch der Sammelband: Das spätmittelalterliche Königtum im europäischen Vergleich, hrsg. von Reinhard Schneider (Vorträge und Forschungen, 32), Sigmaringen 1987.

Der Nordische Krieg von 1655 - 1660

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Praetensionen, welche die in Europa regierenden Potentzen und Herrschafften gegen einander theils annoch haben, theils aber nach geschlossenem Westphälischen und Pyrenaeischen Frieden untereinander abgethan und beygeleget; Aus Historicis, Actis Publicis, Deductionibus, Informationibus und andern Scribenten zusammen getragen, auch hin und wieder mit genealogischen Tabellen erläutert Von Christoph Hermann Schweder,..Leipzig 1712" (Abb. I) 3 . Auf dem Frontispiz dieses aufwendig ausgestatteten Foliobandes sind in der Mittelpartie des Kupfers links und rechts des lateinischen Titels vier Frauengestalten angeordnet, die sich durch entsprechende Inschriften als Personifikationen der Historia (mit den Flügeln der Muse Klio, einer Feder und einem aufgeschlagen vorgezeigten Buch), der Geographia (mit ausgerollter Landkarte), der Jurisprudentia (mit aufgeschlagenem Buch und den Aufschriften Jus naturae et gentium und Jus civile et feudale) und der Genealogie (mit entrolltem Stammbaum) zu erkennen geben (Abb. 2). Sie repräsentieren jene Wissenschaften, mit deren Hilfe die „Ansprüche und Streitigkeiten hoher Potentaten ... Aus Historicis, Actis Publicis, Deductionibus, Informationibus" und anderer Quellen offengelegt und registriert werden konnten 4 . Bemerkenswert ist nun, daß die auf dem Titelkupfer dargestellten Figuren zwischen den Sphären des Friedens und des Krieges angesiedelt sind. In der oberen Hälfte des Blattes ist offenkundig ein Vertragsabschluß mit der Ausfertigung der entsprechenden Dokumente abgebildet, während unten ein Feldlager und im Hintergrund ein Reitergefecht vor einer mit Artillerie bestückten Festungsanlage dargestellt ist. Die Gelehrsamkeit „ i n Jure publico vel Historia", deren Ergebnisse in diesem Handbuch ausgebreitet werden, tritt auf dem „Theatrum praetensionum" also als jene Instanz hervor, die den Ausschlag zwischen friedlichem Ausgleich und militärischer Auseinandersetzung zu geben scheint. Sie setzt durch die Aufdeckung und Dokumentation der erbrechtlichen und genealogischen Zusammenhänge die Maßstäbe, an denen sich die Entscheidung über Krieg und Frieden messen lassen muß. Nun war dem Bearbeiter der zweiten Auflage, Adam Friedrich Glafey einem Juristen, der ebenso wie Schweder bürgerlichen Standes war - , zwar durchaus bewußt, daß er sich mit diesem verschlüsselten und gleichwohl unmißverständlichen Anspruch auf ein Terrain begab, das im Zeitalter des 3 Armin Wolf, Geographie und Jurisprudenz - Historia und Genealogie. Zum „Theatrum praetensionum ... in Europa", in: Jus Commune 14 (1987), 226 - 245. Eine 2., überarbeitete und stark erweiterte Auflage des Werkes von Christoph Hermann Schweder erschien 1726 unter Federführung von Adam Friedrich Glafey, der wie Schweder Jurist war. 4 Zu Grundsatzfragen der Interpretation von Bildquellen dieser Art vgl. Bernd Roeck, Titelkupfer reichspublizistischer Werke der Barockzeit als historische Quelle, in: A K G 65 (1983), 329 - 361.

12

Johannes K u n i s c h

Ü f m i i o p i j

H e r m a n n

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THEATRUM HISTORICUM

PRiETENSIONUM ET CONTROVERSI ARUM I L L U S T R I U M ,

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1727.

A b b . 1: C. H. Schweders T h e a t r u m H i s t o r i c u m

D e r N o r d i s c h e K r i e g v o n 1655 - 1660

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A b b . 2: Schweders T h e a t r u m H i s t o r i c u m , F r o n t i s p i z

14

Johannes Kunisch

A b s o l u t i s m u s i n die alleinige Kompetenz der Herrscher u n d K a b i n e t t e fiel. So äußerte er i n seiner Vorrede die H o f f n u n g , d u r c h sein U n t e r f a n g e n „ d e n respect u n d [die] Consideration, welche ein P r i v a t - M a n n v o r gecrönten H ä u p t e r n , souverainen F ü r s t e n u n d anderen Regenten z u machen s c h u l d i g ist, keineswegs ü b e r s c h r i t t e n z u h a b e n " . E r habe v i e l m e h r „bey keiner e i n t zigen Controverse zu d e c i d i r e n " sich unterstanden, „sofern n u r aufs höchste die k ü n f f t i g e n Deducenten i n solchen Sachen zu besserer M e d i t a t i o n i n H e b u n g der gegentheiligen A r g u m e n t e a u f g e m a h n t " u n d i n Fällen, w o i h m das Thema zu d e l i k a t erschien, n u r das E x z e r p t geliefert, „ohne etwas v o n dem meinigen h i n z u z u t h u n " 5 . A b e r w i e bei allen enzyklopädischen K o m pendien des 18. Jahrhunderts, die ausschließlich den Wissensstand z u erfassen vorgaben u n d als A r g u m e n t a t i o n s h i l f e n f ü r die eigentlich Entscheidungsbefugten hervortraten,

ist auch b e i m „ T h e a t r u m

praetensionum"

unverkennbar, daß sich die A b s i c h t des Verfassers darauf richtete, d u r c h die Offenlegung der erbrechtlichen H i n t e r g r ü n d e E i n f l u ß auf das m ä c h t e p o l i t i sche Geschehen zu nehmen u n d zugleich einen D i s k u r s darüber zu eröffnen, was b i s l a n g n o c h selbstbewußt u n d d i k t a t o r i s c h zu den „arcana i m p e r i i " gezählt w u r d e . So ist ein B u c h w i e dieses auf seine A r t ein B e i t r a g zu dem, was als „ S t r u k t u r w a n d e l der Ö f f e n t l i c h k e i t " umschrieben w o r d e n ist. D a b e i h i e l t m a n sich zugute, m i t der V e r ö f f e n t l i c h u n g einer systematischen, a u f k l ä r e n d bilanzierenden u n d n a c h M ö g l i c h k e i t umfassenden D o k u m e n t a t i o n aller erbrechtlichen V e r b i n d u n g e n u n d der daraus erwachsenden t e r r i t o r i a l e n Ansprüche etwas durchaus Umwälzendes begonnen zu haben, o b w o h l es Bestrebungen, erbrechtliche D e d u k t i o n e n u n d genealogische Belege bei der Durchsetzung v o n M a c h t a n s p r ü c h e n ins F e l d zu führen, selbstverständlich auch vorher schon gegeben h a t t e 6 . A b e r neu w a r i n der Tat, daß m a n jetzt unabhängig von konkreten Konflikten handbuchartige Kompilationen vorlegte, die schließlich einen höheren G r a d an V e r r e c h t l i c h u n g u n d Transparenz der m ä c h t e p o l i t i s c h e n Beziehungen zur Folge hatten. Sie b i l d e t e n zusammengenommen jenes „Jus p u b l i c u m E u r o p a e u m " , w i e es charakteristisch f ü r die Staatsräson u n d das v ö l k e r r e c h t l i c h e I n s t r u m e n t a r i u m des 17. u n d 18. Jahrhunderts geworden i s t 7 . 5

Wolf, Geographie und Jurisprudenz (Anm. 3), 231. Ebd., 228f. Zu den fruchtbarsten Kompilatoren des 18. Jahrhunderts auf dem Gebiet der Staatsbeziehungen ist übrigens Jean Rousset de Missy (1686 - 1762) zu zählen, der neben einer Fülle meist vielbändiger „Recueils" ein (in der 2. Auflage dreibändiges) Kompendium mit dem Titel vorgelegt hat: Les intérêts et les prétensions des puissances de l'Europe, fondez sur les traitez depuis la Paix d'Utrecht inclusivement et sur les Preuves de leurs droits particuliers, La Haye 1735. Vgl. zur Bedeutung Roussets auch Friedrich Meinecke, Die Idee der Staatsräson in der neueren Geschichte, hrsg. und eingel. von Walter Hofer (Friedrich Meinecke, Werke, 1), München 1957, 302 - 320. 7 Carl Schmitt, Der Nomos der Erde im Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum, Berlin 1950. 6

Der Nordische Krieg von 1655 - 1660

15

A m E n d e des A n c i e n régime (1801) w a r es J o h a n n G o t t f r i e d Herder, der i n einem bisher w e n i g beachteten T r a k t a t die f ü r die Staatenwelt der f r ü h e n Neuzeit zentrale E r b b e r e c h t i g u n g s p r o b l e m a t i k aufgriff u n d a m Beispiel des Spanischen Erbfolgekrieges die Frage erörterte: „ E n t s c h e i d e t K r i e g über Recht?" 8 . D a b e i gelangte er v o n der Feststellung, daß die P l ü n d e r u n g der Habe eines Verstorbenen u n d die A u f t e i l u n g derselben u n t e r die Ersten u n d Stärksten ein A k t offener B a r b a r e i sei, zu einer scharfen V e r u r t e i l u n g aller bereits i m V o r f e l d des Krieges erörterten Teilungspläne. Alles dies zeige, f ü h r t e er aus, daß den Staaten Europas „ e i n Kodex i h m ein Tribunal

des Rechts der Wahrheit

der Erbfolgen

und mit

gebühre, das verwaiste N a t i o n e n

w i e Hinterlassene i n Schutz nehme u n d jedem z u seinem Recht [verjhelfe. D i e geborenen Richter dieses T r i b u n a l s s i n d die großen Pairs v o n Europa, die höchsten Regenten selbst; ein großer Gedanke, ein k r ä f t i g e r W i l l e i n der B r u s t einiger v o n i h n e n k a n n sie zu diesem hohen W e r k , zu einer sichern Norm aller Angelegenheiten

dieser Art

vereinen"9.

Herder k n ü p f t e an diese V i s i o n die Frage, ob es denn alle Regenten f ü r ihre P f l i c h t gehalten hätten, i n i h r e n L ä n d e r n u n d Häusern die Erbfolge festzulegen, u m dem gehässigen Streit über den L e i c h n a m z u v o r z u k o m m e n oder i h n aufs eiligste z u schlichten. „ F o r d e r t es n i c h t " , f u h r er beschwörend fort, „ d e r erste Begriff eines Rechts, einer V e r n u n f t f ü r das W o h l der L ä n der, die Regierung derselben, m i t h i n auch die Erbfolge i n L ä n d e r n u n d Reichen, so sicher zu setzen, daß über sie nie ein K r i e g entstehen müsse, entstehen dürfte? E b e n w e i l der gewaltsame K r i e g alles Recht, w e i l er V e r n u n f t u n d gemeinsame Konvenienz w i e das W o h l der Staaten selbst aufhebt. W e r sein Recht n i c h t anders als d u r c h die Faust beweisen k a n n , h a t gewiß Unrecht"10. Ohne n u n , setzte er h i n z u , i n die liebenswürdige T o r h e i t eines St. Pierre verfallen zu w o l l e n , ohne den K o d e x der E r b f ä l l e u n d E r b f o l g e n zusammentragen oder deren Gerichtshof e i n r i c h t e n zu können, gebe er die H o f f n u n g n i c h t auf, daß i h n ein großer Regent doch noch durchsetzen werde - dem Recht u n d der V e r n u n f t z u Ehren. Herder glaubte, daß die K r i e g e s c h w e r l i c h ausgerottet w e r d e n könnten. A b e r er w a r der Auffassung, daß sie v e r m i n dert w e r d e n könnten, „ w e n n man die Ursachen anders als d u r c h Gesetze, d u r c h Statuten Verträge

zu ihnen

der Vernunft,

mindert.

durch

Nicht

anerkannte

z u m gesamten W o h l aller Nationen, k a n n dies geschehen; w e r sie

aufheben oder d u r c h l ö c h e r n w o l l t e , w ü r d e als ein Gesamtfeind

n i c h t n u r der

europäischen R e p u b l i k , sondern der Menschenvernunft b e h a n d e l t " 1 1 . 8 Johann Gottfried Herder, Erbfolgekrieg. Entscheidet Krieg über Recht? (erstmals veröffentlicht 1801), jetzt wiederabgedr. in der Antologie: Ewiger Friede? Dokumente einer deutschen Diskussion um 1800, hrsg. von Anita u. Walter Dietze, Leipzig/Weimar/München 1989, 414 - 416. 9 Ebd., 415. 10 Ebd., 415f.

16

Johannes Kunisch Herder s t a n d m i t solchen Überlegungen i n der T r a d i t i o n einer ganzen

G a t t u n g v o n A u f k l ä r u n g s s c h r i f t e n , die sich m i t der Frage auseinandersetzten, w i e der Friede i n E u r o p a p r i n z i p i e l l u n d ein f ü r alle M a l sichergestellt w e r d e n k ö n n e 1 2 . E r n a h m dabei v o r s i c h t i g distanzierend Bezug auf den berühmtesten dieser T r a k t a t e , die Friedensschrift des A b b é de St. Pierre v o n 1713, u n t e r s t r i c h aber auch seinerseits, daß als F o r u m f ü r die Schaffung einer Friedensordnung i n E u r o p a ein T r i b u n a l der großen Regenten i n Betracht zu ziehen sei. D o r t sollte seiner Auffassung n a c h der S t r e i t über die E r b f ä l l e geschlichtet werden. D i e Ursachen aller K o n f l i k t e lagen jedoch i n den M ä n g e l n u n d U n k l a r h e i t e n des Erbrechts, u n d hier sollte n a c h Herders Überzeugung auch m i t der Friedenssicherung begonnen werden. M i t diesen H i n w e i s e n auf die publizistische Beschäftigung m i t der i n den Mächtebeziehungen i m m e r beherrschender i n Erscheinung tretenden E r b f o l g e p r o b l e m a t i k w i r d noch e i n m a l d e u t l i c h , daß die geistige D u r c h d r i n g u n g des m ä c h t e p o l i t i s c h e n Geschehens i m 18. J a h r h u n d e r t eine neue Qual i t ä t erlangte. Erstmals t r a t e n n u n die Ursachen u n d Zusammenhänge der erbrechtlichen V e r w i c k l u n g e n ins K a l k ü l einer breiteren Ö f f e n t l i c h k e i t . D e r erste Nordische K r i e g , v o n d e m h i e r i m besonderen die Rede sein soll, n a h m i n dieser E n t w i c k l u n g gewiß keine herausragende S t e l l u n g ein. A b e r er ist auf dem Weg v o m Westfälischen Frieden, m i t dem auch Schweder sein „ T h e a t r u m p r a e t e n s i o n u m " eröffnete, z u den Kriegsszenarien des 18. J a h r hunderts doch eine Zwischenstation, die das mächtepolitische K o n f l i k t p o t e n t i a l des Erbfolgeproblems d e u t l i c h e r ins Bewußtsein treten ließ. D e n n besonders b e i m A u s b r u c h dieses Krieges g i n g es u m einen Thronfolgestreit. A m 16. J u n i 1654 w a r die K ö n i g i n Christine v o n Schweden, die Tochter Gustav Adolfs, a b g e d a n k t 1 3 . D i e Nachfolge t r a t i h r 32 Jahre alter Vetter K a r l X . Gustav v o n P f a l z - Z w e i b r ü c k e n an, ein Sohn des Pfalzgrafen Johann K a s i m i r u n d der schwedischen Prinzessin K a t h a r i n a , einer

Schwester

Gustav Adolfs. E i n K o n f l i k t schien unausweichlich, als auch der K ö n i g v o n Polen, Johann II. K a s i m i r aus der k a t h o l i s c h e n L i n i e der Wasa, Ansprüche auf den schwedischen T h r o n u n d das v o n Gustav A d o l f ins Auge gefaßte D o m i n i u m maris B a l t i c i , die Herrschaft über ein küstenumspannendes Ostseeimperium, erhob.

11

Ebd., 416. Maßgeblich ist noch immer Kurt von Raumer, Ewiger Friede. Friedensrufe und Friedenspläne seit der Renaissance, Freiburg i.Br./München 1953. Vgl. ferner Leonhard Krieger, The German Idea of Freedom. History of a Political Tradition from the Reformation to 1871, Chicago/London 1957, und Johannes Kunisch, Friedensidee und Kriegshandwerk im Zeitalter der Aufklärung, in: Der Staat 27 (1988), 547 - 568 (mit weiteren Literaturhinweisen). 13 Vgl. zu den grundsätzlichen Aspekten dieses Vorgangs Michael Roberts, Queen Christina and the General Crisis of the 17th Century, in: ders., Essays in Swedish History, 2. Aufl., London 1968, 111 - 137. 12

Der Nordische Krieg von 1655 - 1660

17

Es h a n d e l t sich hier u m die gleiche G r u n d k o n s t e l l a t i o n , w i e sie schon z u B e g i n n des Jahrhunderts geherrscht hatte, als K ö n i g S i g i s m u n d III., der 1587 z u m polnischen K ö n i g g e w ä h l t w o r d e n w a r , sein E r b r e c h t auf den schwedischen T h r o n gegen den usurpatorischen Z u g r i f f seines Onkels K a r l s I X . , des Vaters Gustav Adolfs, n i c h t durchzusetzen v e r m o c h t e 1 4 . V o n diesem Z e i t p u n k t an entbrannte zwischen den beiden L i n i e n ein permanenter u n d phasenweise e r b i t t e r t e r K o n f l i k t u m die Erbberechtigungsfrage, der erst m i t dem Ende des N o r d i s c h e n Krieges i m Jahre 1660 beigelegt w e r d e n konnte. E r w u r d e zunächst u m den Besitz v o n L i v l a n d ausgetragen u n d i n einem eineinhalb Jahrzehnte w ä h r e n d e n K r i e g i m Februar 1617 schließlich zu Gunsten Schwedens entschieden. D i e R i v a l i t ä t der beiden W a s a - K ö n i g t ü m e r bestand g l e i c h w o h l fort u n d entbrannte m i t u n v e r m i n d e r t e r H e f t i g keit, als 1654 das Erbe K ö n i g i n Christines anzutreten w a r . Ohne Z w e i f e l g i n g es i n a l l diesen Auseinandersetzungen auch u m M a c h t fragen. I n Thomas Hobbes besitzen w i r einen Kronzeugen des 17. J a h r h u n derts f ü r die E r k e n n t n i s , daß M a c h t u n d Machtstreben zu den G r u n d b e f i n d l i c h k e i t e n der menschlichen N a t u r z u zählen sind. So äußerte er i m 11. K a p i t e l seines 1651 erschienenen „ L e v i a t h a n " die Überzeugung, daß „ e i n fortwährendes u n d rastloses Verlangen nach i m m e r neuer M a c h t f ü r einen allgemeinen Trieb der M e n s c h h e i t " z u h a l t e n sei, der erst m i t dem Tode erlösche. Daher k o m m e es, f u h r er fort, „daß Könige, deren M a c h t a m größten ist, ihre Anstrengungen darauf richten, diese i m I n n e r n d u r c h Gesetze u n d nach außen d u r c h Kriege z u sichern, u n d ist dies erreicht, so folgt ein erneutes Verlangen, bei den einen nach R u h m d u r c h eine neue Eroberung, b e i anderen nach einem angenehmen L e b e n . . . " U n d dieser ununterbrochene W e t t s t r e i t u m Reichtum, Ehre u n d Vorherrschaft führe z u Z w i e t r a c h t , Feindschaft u n d K r i e g 1 5 . D a r ü b e r hinaus ist aber auch i m K o n k r e t e n offenk u n d i g , daß Schweden seit d e m F r i e d e n v o n Stolbovo (1617) zielstrebig auf eine die Ostsee beherrschende H a n d e l s k o n t r o l l e m i t allen dazu erforderlichen T e r r i t o r i a l e r w e r b u n g e n hinarbeitete; d e n n es w a r bei den ausgreifenden Zielen, die sich s o w o h l Gustav A d o l f w i e K a r l X . gesteckt hatten, v o n A n f a n g an u n u m g ä n g l i c h , die w i r t s c h a f t l i c h e Schwäche Schwedens d u r c h m i l i t ä r i s c h e Präsenz u n d die Schätzung fremden H a n d e l s k a p i t a l s z u k o m pensieren 1 6 . 14 Vgl. hier und im folgenden Gotthold Rhode, Kleine Geschichte Polens, Darmstadt 1965, 256ff. 15 Thomas Hobbes, Leviathan, ed. w i t h an Introduction by C. Β. Macpherson, Harmondsworth 1968, 161; die deutsche Übersetzung in der Ausgabe: Thomas Hobbes, Leviathan, hrsg. und eingel. von Iring Fetscher (Politica, 22), Neuwied/Berlin 1966, 75f. 16 Klaus Zernack, Schweden als europäische Großmacht der frühen Neuzeit, in: HZ 232 (1981), 327 - 357, hier 336ff., mit Hinweisen auf die wichtigste schwedische Literatur; ders., Virtus politica im Militärstaat - Strukturprobleme der schwedischen Großmachtzeit, in: Idee - Gestalt - Geschichte. Festschrift für Klaus von See, hrsg. von Gerd Wolfgang Weber, Odense 1988, 325 - 337. Vgl. darüber hinaus die Standard-

2 Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 11

Johannes Kunisch

18

V o n entscheidender B e d e u t u n g b l i e b ungeachtet aller

offenkundigen

M a c h t p r ä t e n t i o n e n jedoch das E r b r e c h t u n d die d a m i t v e r k n ü p f t e Frage der L e g i t i m i t ä t des eigenen Machtanspruchs. D e r S t r e i t u m dieses Recht w a r 1655 w i e i n den K o n f l i k t e n zuvor der Auslöser der Feindseligkeiten z w i schen Schweden u n d Polen u n d b l i e b der maßgebliche F a k t o r auch w ä h r e n d der K a m p f h a n d l u n g e n . Gewiß w a r der Nordische K r i e g keiner der klassischen E r b f o l g e k o n f l i k t e w i e der Pfälzische, Spanische oder Österreichische. A b e r auch an dem d u r c h Jahrzehnte m i t großer E r b i t t e r u n g ausgefochtenen Streit der beiden W a s a l i n i e n ist ablesbar, welche Bedeutung d e m Erbfolgep r o b l e m f ü r die S t a a t e n k o n f l i k t e der f r ü h e n Neuzeit zugemessen w e r d e n muß. Verschärft w u r d e dieser Erbfolgestreit d u r c h einen z w e i t e n F a k t o r f r ü h neuzeitlicher

Staatenpolitik,

den konfessionellen

Gegensatz 1 7 .

Er

war

besonders ausgeprägt u n t e r den beiden L i n i e n des Hauses Wasa

und

schwelte, seit S i g i s m u n d I I I . 1587 z u m K ö n i g v o n Polen g e w ä h l t w o r d e n u n d aus diesem A n l a ß k o n v e r t i e r t w a r . Beide Seiten, besonders S i g i s m u n d u n d sein späterer K o n t r a h e n t Gustav A d o l f (1611 - 1632), f ü h l t e n sich als W o r t führer i h r e r konfessionellen Überzeugungen u n d verfochten i h r e n S t a n d p u n k t m i t missionarischem Eifer. So g e w a n n die o h n e h i n schon brisante Auseinandersetzung der beiden L i n i e n noch eine zusätzliche Dimension, z u m a l der unversöhnliche Gegensatz der Konfessionen über die beiden Herrscherhäuser hinausgreifend auch i n der B e v ö l k e r u n g starken R ü c k h a l t fand. D e r V e r l a u f des N o r d i s c h e n Krieges belegt n u n zwar, daß m a n w i e schon i m D r e i ß i g j ä h r i g e n K r i e g i n beiden L a g e r n vielfach u n d bedenkenlos die religiösen Überzeugungen den P r i n z i p i e n reiner Staatsräson zu opfern bereit w a r . U n d i m ü b r i g e n zeigte sich, daß der Spannungsgrad konfessioneller Gegensätze sich a l l m ä h l i c h abzuschwächen begann. G l e i c h w o h l ist offenkundig, daß das religiöse M o m e n t auch i m späteren 17. J a h r h u n d e r t zu jenen F a k t o r e n zu zählen ist, die - w e n n n i c h t auslösend, so doch verschärfend - die S t a a t e n k o n f l i k t e der f r ü h e n Neuzeit beeinflußt h a b e n 1 8 . Neuere werke von Michael Roberts, The Swedish Imperial Experience 1660 - 1718, Cambridge 1979; ders. (Hrsg.), Sweden's Age of Greatness 1632 - 1718, New York 1973 (darin vor allem der Aufsatz von Sven Lundkvist, The Experience of Empire: Sweden as a Great Power, 20 - 57); Europe and Scandinavia: Aspects of the Process of Integration in the 17th Century, ed. Göran Rystad, Lund 1983; vgl. ferner die das Ostseemächtesystem des 17. Jahrhunderts im Überblick skizzierenden Ausführungen von Walther Mediger, Mecklenburg, Rußland und England-Hannover 1706 - 1721. Ein Beitrag zur Geschichte des Nordischen Krieges, 2 Bde., Hildesheim 1967, hier Bd. 1, 122 ff. 17 Als grundlegende Fallstudien zu diesem Thema vgl. Robert Bireley, Religion und Politics in the Age of Counter-Reformation. Emperor Ferdinand II, William Lamormaini SJ., and the Formation of Imperial Policy, Chapel H i l l 1981, und ders., The Counter-Reformation Prince. Anti-Machiavellianism or Catholic Statecraft in Early Modern Europe, Chapel Hill/London 1990. 18 Vgl. im einzelnen die Untersuchung von Johannes Burkhardt in diesem Band: Konfession als Argument in den zwischenstaatlichen Beziehungen.

Der Nordische Krieg von 1655 - 1660

19

Forschungen haben nachzuweisen vermocht, i n w e l c h e m Maße selbst i m Siebenjährigen K r i e g n o c h religiöse Überzeugungen w i r k s a m w a r e n 1 9 . Züge des Parabelhaften t r ä g t auch die E i n s t e l l u n g zu den Bündnissen, die m a n i m N o r d i s c h e n K r i e g w i e i n a l l e n K r i e g e n der f r ü h e n Neuzeit einzugehen gezwungen w a r . Sie ist gekennzeichnet v o n einer extremen P r i n z i p i e n losigkeit, w e n n m a n v o n den M a x i m e n des eigenen Vorteils e i n m a l absieht, u n d steht deshalb i n s t a r k e m K o n t r a s t zu den L e i t v o r s t e l l u n g e n einer k o n fessionell geprägten Staatsethik, der m a n sich vielfach auch i n den Fragen der A l l i a n z e n v e r p f l i c h t e t

fühlte 20.

I n Staatsangelegenheiten,

forderte

Richelieu i n seinem „ P o l i t i s c h e n Testament", müsse m a n aus allen D i n g e n N u t z e n ziehen: „ W a s n ü t z l i c h sein k a n n , darf nie mißachtet w e r d e n " . A u c h auf Bündnisse treffe dies zu. Oft sei i h r Resultat z w a r ungewiß; aber m a n dürfe ihre Vorteile auch n i c h t unterschätzen. E i n e m großen F ü r s t e n f r e i l i c h r i e t er d a v o n ab, sich i m V e r t r a u e n auf Bündnisse auf eine schwierige U n t e r n e h m u n g einzulassen; er müsse so stark sein, sie notfalls auch ohne Bundesgenossen z u m E r f o l g z u führen. D e n n die kleineren Fürsten strebten danach, die großen i n A k t i o n e n zu v e r w i c k e l n , aus denen sie a l l e i n i h r e n V o r t e i l z u ziehen suchten 2 1 . „ O b w o h l es eine s p r i c h w ö r t l i c h e W a h r h e i t ist, daß, w e r K r a f t besitzt, g e w ö h n l i c h auch recht hat, so ist es t r o t z d e m unbestreitbar, daß b e i einem V e r t r a g v o n z w e i ungleichen M ä c h t e n die größere m e h r als die andere Gefahr l ä u f t , i m Stiche gelassen zu werden. D i e R e p u t a t i o n ist so w i c h t i g f ü r einen großen Fürsten, daß k e i n V o r t e i l den Verlust ausgleichen könnte, den er erlitte, w e n n er V e r p f l i c h t u n g e n n i c h t nachkäme, f ü r die er sein W o r t u n d seine E h r e verpfändet h a t " . Dagegen könne m a n jemandem, dessen M a c h t m i t t e l m ä ß i g ist, so v i e l bieten, „daß er seinen N u t z e n seiner 19 Johannes Burkhardt, Abschied vom Religionskrieg. Der Siebenjährige Krieg und die päpstliche Diplomatie (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts, 61), Tübingen 1985. 20 Vgl. etwa die Empfehlung des Großen Kurfürsten an seinen Thronfolger, sich wegen des Reformierten Bekenntnisses an die Niederlande zu halten; Kurfürst Friedrich Wilhelm, Politisches Testament von 1667, abgedruckt in: Die politischen Testamente der Hohenzollern, bearbeitet von Richard Dietrich (Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, 20), Köln/Wien 1986, 191. Vgl. zum Gesamtzusammenhang der Bindungen Brandenburgs an Holland Gerhard Oestreich, Politischer Neustoizismus und Niederländische Bewegung in Europa und besonders in Brandenburg-Preußen, in: ders., Geist und Gestalt des frühmodernen Staates. Ausgewählte Aufsätze, Berlin 1969, 101 - 156, und ders., Fundamente preußischer Geistesgeschichte. Religion und Weltanschauung in Brandenburg im 17. Jahrhundert, in: ders., Strukturprobleme der frühen Neuzeit. Ausgewählte Aufsätze, Berlin 1980, 275 297. Zum Politischen Testament des Großen Kurfürsten Richard Dietrich, Die Väterliche Ermahnung des Großen Kurfürsten von 1667, in: ders. (Bearb.), Einleitung zu: Die politischen Testamente der Hohenzollern (wie oben), 35 - 54. Vgl. ferner Heinz Duchhardt, Das Politische Testament als „Verfassungsäquivalent", in: Der Staat 25 (1986), 600 - 607. 21 Armand-Jean du Plessis, Cardinal-duc de Richelieu, Testament politique, Ed. critique par Louis André, Paris 1947, 354f.; die deutsche Übersetzung in der Ausgabe: Richelieu, Politisches Testament und kleinere Schriften, eingel. und hrsg. von Wilhelm Mommsen (Klassiker der Politik, 14), Berlin 1926, 185.

2*

20

Johannes Kunisch

Ehre w a h r s c h e i n l i c h vorziehen w ü r d e " 2 2 . Besonders der Große K u r f ü r s t h a t i m Verlaufe

des N o r d i s c h e n Krieges solchen Maßregeln

entsprechend

gehandelt u n d nach d e m offenkundigen Scheitern K a r l s X . Gustav i n seinem Polenfeldzug aus reiner Staatsräson die polnische u n d d a m i t die katholische Partei ergriffen - ein Schachzug übrigens, der i h m bei d e m Streben, die volle Souveränität i m H e r z o g t u m Preußen zu erlangen, t a t s ä c h l i c h z u m E r f o l g verhalf. D i e Fürsten, u r t e i l t e R a i m u n d Graf M o n t e c u c c o l i - eine der herausragenden Feldherrngestalten des N o r d i s c h e n Krieges - i n seinem i m Jahre 1641 verfaßten „ T r a t t a t o della G u e r r a " i m K a p i t e l über die Bündnisse, h i e l t e n n u r selten i h r W o r t u n d „ h a b e n v o n v o r n h e r e i n n i e m a n d e m z u m Freunde oder F e i n d " . D i e Freundschaften oder Feindschaften messen sie v i e l m e h r „ m i t dem Maße ihres Interesses"; daher vergehe der Eifer f ü r ein B ü n d n i s sehr schnell, w e n n m a n es sich n i c h t sogleich zunutze mache. „ D e n n es w i r d zwischen so vielen K ö p f e n s c h w e r l i c h ohne Meinungsverschiedenheiten u n d Streit abgehen". So liege es „ i n der N a t u r des Bündnisses, daß sie sich bei der geringsten U n b e q u e m l i c h k e i t

auflösen" 23. Auch L u d w i g XIV.,

der

b e k a n n t l i c h k u r z nach der Beendigung des N o r d i s c h e n Krieges die Regentschaft selbst übernahm, w a r der Auffassung, daß Verträge, w e n n m a n die W a h r h e i t offen ausspreche, v o n v o r n h e r e i n i m Geist n u r vorübergehend verh ü l l t e r Eifersucht geschlossen werden. „ A l l e die schönen B e s t i m m u n g e n der A l l i a n z e n , die Freundschaftsbeteuerungen, das Versprechen, einander alle n u r denkbaren Vorteile einzuräumen, bedeuten n a c h der E r f a h r u n g der Jahrhunderte u n d dem Selbstverständnis der beiden Vertragschließenden nichts anderes, als daß sie sich l e d i g l i c h bewaffneter Ü b e r g r i f f e u n d u n v e r hohlener Feindseligkeiten zu e n t h a l t e n beabsichtigen. G e w ö h n l i c h e Vertragsverletzungen, die n i c h t an die Ö f f e n t l i c h k e i t dringen, e r w a r t e t dagegen jeder v o m anderen ... Deshalb ließe sich", f u h r er fort, „ d i e Feststellung treffen, daß m a n sich auf beiden Seiten der V e r p f l i c h t u n g enthoben f ü h l t , die Verträge zu beachten u n d daß m a n daher i m G r u n d e genommen auch 22

Ebd., 355 bzw. 186. Raimund Graf Montecuccoli, Abhandlung über den Krieg (Trattato della guerra), in: Ausgewählte Schriften des Raimund Fürsten Montecuccoli, General-Leutnant und Feldmarschall, hrsg. von der Direktion des K. u. K. Kriegsarchivs, bearb. von Alois Veltzé, Bd. 1: Militärische Schriften, Wien/Leipzig 1899, 65f. Zu seiner Rolle im Nordischen Krieg vgl. auch: Briefe an den Feldmarschall Raimund Grafen Montecuccoli. Beiträge zur Geschichte des Nordischen Krieges in den Jahren 1659 - 1660, bearb. von Adalbert Fr. Fuchs, Wien/Leipzig 1910. Zur Bedeutung Montecuccolis für die moderne Kriegsgeschichte Gunther E. Rothenberg, Montecuccoli and the "Military Revolution" of the 17th Century, in: Makers of Modern Strategy from Machiavelli to the Nuclear Age, ed. by Peter Paret, Princeton N. J. 1986, 32 - 63; Harms Kaufmann, Raimondo Montecuccoli, 1609 - 1680. Kaiserlicher Feldmarschall, Militärtheoretiker und Staatsmann, Phil. Diss. Freie Universität Berlin 1974 (Mschr.), und Kurt Peball, Raimund Fürst Montecuccoli 1609 - 1680. Gedanken zum Leben und Werk eines großen österreichischen Feldherrn, in: Österreichische Militärische Zeitschrift 2 (1964), 301 - 305. 23

Der Nordische Krieg von 1655 - 1660

21

n i c h t gegen die Verträge verstoßen k a n n . D e n n ihre B e s t i m m u n g e n sind ja n i c h t w ö r t l i c h zu nehmen. M a n muß sich eben der W o r t e bedienen, w i e m a n es ja auch i n anderer Weise auf dem Gebiet der H ö f l i c h k e i t s f o r m e l n t u t , die durchaus n o t w e n d i g sind, w e n n Menschen m i t e i n a n d e r leben w o l l e n ; aber sie besitzen keine tiefere B e d e u t u n g " 2 4 . Es herrschte i n den Mächtebeziehungen also ungeachtet a l l e n Strebens nach einer Verfeinerung der d i p l o m a t i s c h e n Umgangsformen u n d des offenk u n d i g e n Aufschwungs, den die Völkerrechtssystematik i m Verlaufe des 17. Jahrhunderts genommen h a t t e 2 5 , ein hohes Maß an U n b e d e n k l i c h k e i t . A u c h der Große K u r f ü r s t äußerte sich über den W e r t der Bündnisse m i t ähnlicher Skepsis. So r i e t er i m Politischen Testament v o n 1667 seinem Thronfolger, die A l l i a n z m i t Schweden zu erneuern; aber z u t r a u e n sei i h r n i c h t . Sie diene i m G r u n d e n u r dazu, d a m i t m a n „ E u c h n i c h t allsofort auf den L e i b gehe" u n d „der G l i m p f auf Ewerer Seitten, der U n g l i m p f aber" auf jene falle. A u c h werdet I h r auf diesem Wege eine gerechte Sache vertreten, „ w e l c h e ein jeder gerne m i t ambrassiren w i r d " 2 6 . Bemerkenswert ist n u n , daß F r i e d r i c h W i l h e l m aus dieser E i n s c h ä t z u n g Schlüsse zog, w i e sie f ü r eine „ p e t i t e p u i s sance très secondaire" w ä h r e n d der ganzen f r ü h e n Neuzeit maßgeblich waren. D i e stete E r f a h r u n g habe i h n gelehrt, w i e d e r h o l t e er n o c h einmal, w i e w e n i g auf A l l i a n z e n gebaut w e r d e n könne. Dagegen halte ein Schwert des öfteren das andere i n der Scheide. A b e r sicherlich überlege sich auch der eine oder andere, ein Abenteuer anzufangen, w e n n er Gefahr laufe, sich p l ö t z l i c h m i t M ä c h t e n k o n f r o n t i e r t z u sehen, die sich wegen gemeinsamer Interessen beizustehen verabredet hätten. Deshalb gelangte er z u der p r i n z i p i e l l e n E m p f e h l u n g , daß A l l i a n z e n z w a r gut seien, aber eigene K r ä f t e n o c h besser; denn darauf könne m a n sich sicherer verlassen. E i n H e r r , f u h r er fort, sei „ i n keiner consideration", w e n n er weder über M i t t e l n o c h Soldaten verfüge. Das habe i h n seit der Zeit, da er sich dementsprechend v e r h a l t e n habe, „considerabell g e m a c h t " 2 7 . 24 Mémoires de Louis XIV, ed. Jean Longnon, 2. Aufl., Paris 1960,46f.; die deutsche Übersetzung in: Ludwig XIV., Memoiren, in der Übertragung von Leopold Steinfelder, Basel/Leipzig 1931, 52. 25 Schmitt, Der Nomos der Erde im Völkerrecht (Anm. 7), U l f . ; Michael Behnen, Der gerechte und der notwendige Krieg. „Necessitas" und „Utilitas reipublicae" in der Kriegstheorie des 16. und 17. Jahrhunderts, in: Staatsverfassung und Heeresverfassung in der europäischen Geschichte der frühen Neuzeit, in Zusammenarbeit mit Barbara Stollberg-Rilinger hrsg. von Johannes Kunisch (Historische Forschungen, 28), Berlin 1986, 43 - 106; Christian Starck, Bändigung des Krieges und Frieden in der Lehre der Politik und des Völkerrechts der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, in: Politik, Philosophie, Praxis. Festschrift für Wilhelm Hennis zum 65. Geburtstag, hrsg. von Hans Maier u.a., Stuttgart 1988, 56 - 78. 26 Kurfürst Friedrich Wilhelm, Politisches Testament (Anm. 20), 190; vgl. auch Johannes Kunisch, Kurfürst Friedrich Wilhelm und die Großen Mächte, in: Ein sonderbares Licht i n Teutschland. Beiträge zur Geschichte des Großen Kurfürsten von Brandenburg, hrsg. von Gerd Heinrich (ZHF, Beiheft 8), Berlin 1990, 9 - 32, mit der weiterführenden Literatur. 27 Kurfürst Friedrich Wilhelm, Politisches Testament (Anm. 20), 191 f.

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Johannes Kunisch Selbst i n den ökonomisch so u n g l e i c h w e i t e r e n t w i c k e l t e n N i e d e r l a n d e n

gelangte m a n z u der ernüchternden E r k e n n t n i s , daß angesichts der außerord e n t l i c h e n L a b i l i t ä t der m ä c h t e p o l i t i s c h e n Lage, w i e sie v o r a l l e m f ü r das 17. J a h r h u n d e r t charakteristisch ist, auf Verträge u n d A l l i a n z e n w e n i g Verlaß w a r . Je länger er über die N a t u r des holländischen Staates nachdenke, schrieb der D i p l o m a t Pieter de Groot, ein Sohn des H u g o Grotius, i m Jahre 1671, „desto fester b i n i c h der Überzeugung, daß w i r n u r aus eigener K r a f t heraus existieren können. A l l e Ü b e r e i n k ü n f t e u n d A l l i a n z e n , die w i r suchen oder m i t unseren N a c h b a r n abschließen, s i n d f ü r uns l e t z t l i c h r u i n ö s " , da die kleineren Mächte sich l e d i g l i c h unterstützen lassen u n d die mächtigeren uns zu ü b e r w ä l t i g e n trachten. A u c h h i e r t r a t demnach ä h n l i c h w i e i n B r a n d e n b u r g als M a x i m e m ä c h t e p o l i t i s c h e n Handelns der W i l l e zutage, i m K o n zert der M ä c h t e m i t eigener S t i m m e zu W o r t zu k o m m e n 2 8 . A u c h i m H i n b l i c k auf diesen A s p e k t erweist sich der Nordische K r i e g als ein K o n f l i k t , der generelle Züge des f r ü h n e u z e i t l i c h e n

Staatensystems

erkennen läßt. So k a n n als ein prinzipielles M e r k m a l festgehalten werden, daß die eigensüchtigen M a c h t p r ä t e n t i o n e n der B ü n d n i s p a r t n e r n u r i n A u s nahmefällen eine ausdauernde u n d konsequente K r i e g s p o l i t i k e r m ö g l i c h ten. D i e Regel w a r vielmehr, daß der dünne Schleier politischer Absichtserk l ä r u n g e n den w a h r e n K e r n der K o a l i t i o n e n , die A b - u n d V e r m i e t u n g v o n Subsidientruppen, n u r n o t d ü r f t i g verschleiern konnte. D e n n b e i m A u s b l e i ben der entsprechenden Z a h l u n g e n w a r der Bestand an Gemeinsamkeiten h ä u f i g schon aufgezehrt. D i e A l l i a n z e n w u r d e n deshalb ebenso schnell geschlossen w i e gelöst, u n d die B ü n d n i s p a r t n e r u n d Waffengefährten fanden u n d schieden sich n a c h Belieben. I m Rahmen dieser „ S u b v e n t i o n s d i p l o m a t i e " w a r alles auf k u r z f r i s t i g e Arrangements berechnet, u m jede Gelegenh e i t z u r W a h r u n g des eigenen Vorteils n u t z e n zu können. U n d die Schlußfolgerung, die m a n vielfach aus dieser S i t u a t i o n z u ziehen sich genötigt sah, w a r eine Militärverfassung, die i n der f o r t w ä h r e n d e n Angespanntheit der Mächtebeziehungen sich aus eigener K r a f t zu behaupten e r m ö g l i c h t e 2 9 . M i t besonderer S i n n f ä l l i g k e i t k a n n a m N o r d i s c h e n K r i e g der Jahre 1655 1660 überdies die Interdependenz v o n innerer u n d äußerer P o l i t i k demonstriert werden. D a f ü r s i n d B r a n d e n b u r g u n d D ä n e m a r k herausragende Beispiele. F ü r die Rolle, die K u r f ü r s t F r i e d r i c h W i l h e l m v o n B r a n d e n b u r g i m 28 Lettres de Pierre de Groot à Abraham de Wicquefort (1668 - 1674), hrsg. von Frederik Jan Louis Krämer (Werken Historisch Genootschap, 3 e serie, t. 5), s'Gravenhage 1894, 25f., hier zitiert nach der Übersetzung von Horst Lademacher, Geschichte der Niederlande. Politik - Verfassung - Wirtschaft, Darmstadt 1983,149. Vgl. zum mächtepolitischen Diskurs in den Niederlanden in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts auch Friedrich Meinecke, Petrus Valckeniers Lehre von den Interessen der Staaten (1928), jetzt in: ders., Brandenburg - Preußen - Deutschland. Kleine Schriften zur Geschichte und Politik, hrsg. und eingel. von Eberhard Kessel (Friedrich Meinecke, Werke, 9), Stuttgart 1979, 162 - 173. 29 Roberts, Die militärische Revolution (Anm. 1), 288 f.

Der Nordische Krieg von 1655 - 1660

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mächtepolitischen Szenarium des N o r d i s c h e n Krieges gespielt hat, ist zunächst das H e r z o g t u m Preußen v o n entscheidender Bedeutung. Es w a r nach der S ä k u l a r i s i e r u n g des Ordensstaates i m Jahre 1525 i n den erblichen Besitz einer N e b e n l i n i e des Hauses H o h e n z o l l e r n übergegangen,

blieb

jedoch auch als weltliches T e r r i t o r i u m i n Lehensabhängigkeit v o n der K r o n e Polen. Als i m A u g u s t 1618 m i t dem geistesschwachen A l b r e c h t I I . F r i e d r i c h die herzogliche L i n i e ausstarb, fiel Preußen t r o t z der offen b e k u n deten Vorbehalte der L a n d s t ä n d e an die K u r l i n i e des Hauses Hohenzollern, nachdem diese i m H i n b l i c k auf den E r b f a l l schon 1569 erstmals eine M i t b e l e h n u n g erreicht hatte. K u r f ü r s t Georg W i l h e l m erlangte die endgültige Belehnung f r e i l i c h erst 1621, w o b e i aus der S i c h t der polnischen Interessen belastend ins G e w i c h t fiel, daß M a r i a Eleonore, eine Schwester Georg W i l helms, i m Jahre zuvor m i t Gustav A d o l f v o n Schweden v e r m ä h l t w o r d e n war30. H i e r erstmals zeichnete sich ab, daß die brandenburgische P o l i t i k m i t den H y p o t h e k e n der preußischen Erbschaft i n den K o n f l i k t der beiden r i v a l i s i e renden W a s a - L i n i e n u n m i t t e l b a r v e r s t r i c k t w u r d e . D e n n i m J u l i 1626 landete Gustav A d o l f i n P i l l a u , u m sodann die gesamte K ü s t e des Herzogtums i n Besitz zu nehmen. Das Lehnsaufgebot des brandenburgischen K u r fürsten gegen die I n v a s i o n des k ö n i g l i c h e n Schwagers b i l d e t e k a u m ein H i n dernis f ü r die schwedische O k k u p a t i o n . I n d e m auf sechs Jahre befristeten, d u r c h die französische D i p l o m a t i e v e r m i t t e l t e n W a f f e n s t i l l s t a n d v o n A l t m a r k v o m 26. September 1629 w u r d e Schweden i m Besitz der meisten p r e u ßischen Küstenstädte bestätigt. Z u g l e i c h erhielt es die b e t r ä c h t l i c h e n Z o l l einnahmen der Seehäfen Danzig, E l b i n g , Königsberg, M e m e l u n d P i l l a u zugesprochen, m i t deren H i l f e d a n n das Eingreifen Gustav A d o l f s i n den deutschen K r i e g vorbereitet u n d f i n a n z i e r t w e r d e n k o n n t e 3 1 . E i n e neue D i m e n s i o n erhielt die E i n b e z i e h u n g des Herzogtums Preußen i n die schwedisch-polnischen Auseinandersetzungen u n t e r K a r l X . G u s t a v 3 2 . E r hatte u n m i t t e l b a r n a c h dem E i n s p r u c h , den der K ö n i g v o n Polen, Johann K a s i m i r , gegen seine Thronbesteigung eingelegt hatte, i n weitgehender 30

Im einzelnen Rhode, Kleine Geschichte Polens (Anm. 14), 218 ff. Ebd., 262 ff. Der Text des Waffenstillstandsvertrages von Altmark in: Kurbrandenburgische Staatsverträge von 1601 - 1700, bearb. von Theodor von Moerner, Ndr. der Ausgabe von 1867, Berlin 1965, 102 ff. Zu den langfristigen mächtepolitischen Aspekten ferner Mediger, Mecklenburg, Rußland und England-Hannover (Anm. 16), Bd. 1, 131. 32 Zu den genealogischen Zusammenhängen Ake Kromnow, Die Schwedischen Könige aus dem Hause Wittelsbach, in: Das Haus Wittelsbach und die europäischen Dynastien, München 1981 (zugleich ZBLG 44/1), 329 - 344, hier 333ff. Zu den politischen und militärischen Aspekten ferner Bohdan Kentrschynskyj, Karl X Gustav inför krisen i öster 1654 - 1655, in: Karolinska Förbundets Ârsbok 1956, 7 - 140; Nils Edén, Gruderna for Karl X Gustafs anfall pâ Polen, in: Historisk Tidskrift 26 (1906), 5 - 4 5 , und Birg er Âsard, Upptakten t i l i Karl X Gustavs anfall mot Polen 1655. T i l l frâgan om krigets mài och medel, in: Karolinska Förbundets Ârsbok 1970,7-56. 31

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Johannes Kunisch

Ü b e r e i n s t i m m u n g m i t dem Reichsrat die I n i t i a t i v e ergriffen u n d n a c h seiner L a n d u n g i n S t e t t i n m i t d e m Vormarsch n a c h Polen begonnen. Angesichts der Expansionsgelüste Schwedens, i n die e i n weiteres M a l auch das Herzogt u m Preußen einbezogen w a r , b l i e b d e m Großen K u r f ü r s t e n i m G r u n d e gar keine W a h l , als sich a n der Seite K a r l Gustavs an der N i e d e r w e r f u n g Polens zu b e t e i l i g e n 3 3 . I n den Verhandlungen, die Ende J u l i / A n f a n g A u g u s t 1655 i n S t e t t i n geführt w u r d e n , v e r m i e d der S c h w e d e n k ö n i g i n der U n g e w i ß h e i t über den E r f o l g seiner Kriegsoperationen zunächst jede Festlegung, ob B r a n d e n b u r g f ü r eine Waffenhilfe v o n 8000 M a n n die Souveränität i m H e r z o g t u m Preußen zugestanden w e r d e 3 4 . I n erneuten V e r h a n d l u n g e n w u r d e jedoch deutlich, daß an dieses Z i e l vorerst n i c h t zu denken w a r . N a c h den glänzenden Siegen der Schweden sah sich F r i e d r i c h W i l h e l m v i e l m e h r veranlaßt, i m Königsberger V e r t r a g v o m 16. Januar 1656 i n ein B ü n d n i s einzuw i l l i g e n , das i h n z u m Vasallen der K r o n e Schwedens machte u n d zwang, die Häfen P i l l a u u n d M e m e l dem Verbündeten z u öffnen. D a r ü b e r hinaus mußte er sich verpflichten, i m Falle der Fortsetzung des Krieges gegen Polen eine Lehnshilfe v o n 1500 M a n n z u l e i s t e n 3 5 . D o c h w a n d t e sich das B l a t t ein w e i teres M a l grundlegend u n d schnell. Schon i m Sommer w a r e n die Schweden zurückgeworfen u n d genötigt worden, sich ihres B ü n d n i s p a r t n e r s n u n ernsthafter als zuvor z u versichern. So k a m es i m V e r t r a g v o n M a r i e n b u r g auf der G r u n d l a g e gemeinsamen V o r gehens z u Zugeständnissen v o n schwedischer Seite, die das Souveränitätsp r o b l e m z w a r e i n weiteres M a l ausklammerten, aber bereits eine t e r r i t o r i a l e E n t s c h ä d i g u n g m i t großpolnischen Gebieten vorsahen 3 6 . D i e Folge w a r ein Vorstoß auf Warschau, der nach einer dreitägigen Schlacht m i t einem Sieg der A l l i i e r t e n endete, ohne f r e i l i c h die politische Lage entscheidend z u verändern. U n t e r dem wachsenden außenpolitischen D r u c k sah sich K a r l Gustav v i e l m e h r gezwungen, dem D r ä n g e n des K u r f ü r s t e n nachzugeben u n d i h m i m V e r t r a g v o n L a b i a u v o m 10. November 1656 den souveränen Besitz des Herzogtums z u garantieren. N a c h dem Ü b e r t r i t t Brandenburgs auf die Seite der polnisch-österreichischen A l l i a n z i m Herbst 1657 k o n n t e eine entsprechende B e s t i m m u n g auch i n den A l l i a n z v e r t r ä g e n v o n W e h l a u u n d B r o m b e r g u n d schließlich i m F r i e d e n v o n O l i v a verankert w e r d e n 3 7 . 33

Kunisch, Kurfürst Friedrich Wilhelm und die Großen Mächte (Anm. 26), 14ff. Zu den Einzelheiten der Verhandlungen vgl. hier und im folgenden Ernst Opgenoorth, Friedrich Wilhelm. Der Große Kurfürst von Brandenburg. Eine politische Biographie, 2 Bde., Göttingen 1971/78, hier Bd. 1, 302ff. Vgl. unter den zahlreichen Einzeluntersuchungen von Georg Wittrock hier besonders: Karl X Gustaf i Polen. Krigsmâlet och allianserna, in: Karolinska Förbundets Arsbok 1920,4-49. 35 Opgenoorth, Friedrich Wilhelm. Der Große Kurfürst von Brandenburg (Anm. 34), 323 ff. Die Vertragstexte in: Kurbrandenburgische Staatsverträge (Anm. 31), 195 - 198. 36 Kurbrandenburgische Staatsverträge (Anm. 31),206-209. 37 Ebd., 211 - 216, 220 - 225 und 239 - 251. Zu den begriffsgeschichtlichen Aspekten der das Herzogtum Preußen betreffenden Vertragsbestimmungen Helmut Qua34

Der Nordische Krieg von 1655 - 1660

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Es w a r e n also die E r b s t r e i t i g k e i t e n einer fremden Dynastie, die die A u ß e n p o l i t i k des Großen K u r f ü r s t e n gezwungenermaßen u n d u n a u s w e i c h l i c h auf die B a h n bewaffneter Selbstbehauptung u n d m i l i t ä r i s c h e r E x p a n sion führten. Es w a r der Z u g r i f f K a r l s X . Gustav auf das H e r z o g t u m Preußen, der i h n z u r W a h r n e h m u n g seiner Besitzstandsrechte nötigte. H i n z u k a m das Streben, den i h m v o n Schweden schon 1637 v o r e n t h a l t e n e n T e i l des pommerschen Erbes doch n o c h f ü r das Haus B r a n d e n b u r g z u gewinnen. D i e Aussicht auf die E i n l ö s u n g dieses l e g i t i m e n Rechtsanspruchs ließ

ihn

schließlich z u r treibenden K r a f t der antischwedischen A l l i a n z i n den letzten Feldzügen des N o r d i s c h e n Krieges w e r d e n 3 8 . Es w a r e n die d u r c h d y n a s t i s c h - t e r r i t o r i a l e F a k t o r e n b e s t i m m t e n Rahmenbedingungen des europäischen Staatensystems, die B r a n d e n b u r g z w a n g s l ä u f i g i n kriegerische K o n f l i k t e hineinzogen. Ganz i n diesem Sinne forderte der Große K u r f ü r s t deshalb seinen T h r o n folger i m Politischen Testament v o n 1667 auf, m i t allen K u r f ü r s t e n u n d Ständen des Reiches so v i e l als i m m e r m ö g l i c h i n g u t e m E i n v e r n e h m e n z u leben u n d ihnen keinen Anlaß zu irgendwelchem W i d e r w i l l e n zu geben. W e i l G o t t unser Haus, f u h r er fort, m i t v i e l e n L ä n d e r n r e i c h l i c h gesegnet habe, so müsse m a n ausschließlich auf deren „ c o n s e r v a t i o n " bedacht sein u n d sich v o r d e m A p p e t i t auf weitere E r w e r b u n g e n hüten. D e n n das führe zu N e i d u n d Feindschaft u n d b r i n g e i n Gefahr, was m a n bereits besitze 3 9 . D i e eigenen L ä n d e r u n d hergebrachten Gerechtigkeiten sollten f r e i l i c h m i t allen M i t t e l n z u verteidigen versucht werden. U n d w e n n „gegen alles verhoffen" eine g ü t l i c h e Vergleichung n i c h t verfangen sollte, müsse m a n sich z u behaupten entschlossen sein. I m Falle eines Krieges zwischen anderen e m p f a h l er, den Streit

„durch „Ewere interdisposition"

steht", setzt er h i n z u ,

beizulegen.

„ a l z e i t i n g u t t e r postur, d a m i t I h r

„Aber

Nachdruck

habet"40. Es folgt i m selben T e x t d a n n eine Passage, die n o c h e i n m a l a u s d r ü c k l i c h auf den N o r d i s c h e n K r i e g u n d seine mächtepolitischen Ergebnisse Bezug n i m m t . I m Falle, schrieb F r i e d r i c h W i l h e l m , daß der Kaiser v o n der K r o n e Schweden wegen des polnischen u n d dänischen Krieges u n d d a m i t gegen ritsch, Souveränität. Entstehung und Entwicklung des Begriffs in Frankreich und Deutschland vom 13. Jahrhundert bis 1806 (Schriften zur Verfassungsgeschichte, 38), Berlin 1986, 8 5 - 8 8 ; zu den entsprechenden Passagen des Politischen Testaments Friedrich Wilhelms, ebd., 92 ff. Zur Einschätzung dieser Politik des „Wechselfiebers" Alfred Francis Pribram, Zur auswärtigen Politik des Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg, in: FBPG 5 (1892), 103 - 133, hier bes. HOff. Vgl. auch Ernst Salzer, Der Übertritt des Großen Kurfürsten von der schwedischen auf die polnische Seite während des ersten nordischen Krieges in Pufendorfs „Carl Gustav" und „Friedrich Wilhelm", Heidelberg 1904. 38 Dazu umfassend Opitz, Österreich und Brandenburg im Schwedisch-Polnischen Krieg (Anm. 1), 116 ff. 39 Kurfürst Friedrich Wilhelm, Politisches Testament (Anm. 20), 187. 40 Ebd., 188.

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Johannes Kunisch

die eindeutigen B e s t i m m u n g e n des Friedens v o n O l i v a oder aus sonst einem u n b i l l i g e n A n l a ß angegriffen werde, so habe der Thronfolger g e t r e u l i c h z u assistieren. E r solle, beschwor er i h n , keineswegs s t i l l s i t z e n u n d abwarten, sondern sofort die W a f f e n ergreifen, sich i n gute Verfassung b r i n g e n u n d schließlich „ g u t t e conditiones f ü r E u c h u n d E w r e n Staat m a c h e n " . D e n n eines stehe a l l e m a l fest: „ W a n n I h r dazu stille sitzen w ü r d e t u n d gedenken, das Feuer seie n o c h ferne v o n E w e r e n Grenzen: E were L a n d e das T h e a t r u m sein w ü r d e n , d a r a u f f m a n die Tragedie s p i l l e n " w i r d 4 1 . Es ist also ein aus l e i d v o l l e r E r f a h r u n g hergeleitetes D u r c h h a l t e p r i n z i p , zu dem er sich bekannte, ein P r i n z i p der Defensive u n d des Reagierens, n i c h t das der D u r c h s e t z u n g eigener M a c h t p r ä t e n t i o n e n . A u c h i n dem bemerkensw e r t umfangreichen K a p i t e l seines Testaments, das dem Festungswesen g e w i d m e t ist, findet sich eine Äußerung, die auf diese G r u n d h a l t u n g h i n weist. A u f den Festungen, schrieb er, beruhe n i c h t a l l e i n die W o h l f a h r t E u r e r Lande, sondern Eures ganzen Staates 4 2 . E r habe sie keineswegs zu seiner L u s t , sondern v i e l m e h r z u seiner, E u r e r u n d aller U n t e r t a n e n Sicherh e i t angelegt u n d gebaut. U n d er b i t t e G o t t v o n Herzen, daß er E u c h eine beständige u n d friedfertige Regierung gewähren w o l l e ; denn, so heißt es w ö r t l i c h , „ d e r Friede ernähret, der K r i e g aber v e r z e h r e t " 4 3 . E r schien sich d a m i t den Rat zu eigen gemacht zu haben, den M o n t e c u c coli, sein K a m p f g e f ä h r t e i m N o r d i s c h e n K r i e g , i m „ T r a t t a t o della guerra" f o r m u l i e r t hatte. W i e ein guter Seefahrer, bevor er den Hafen verläßt, sein Schiff m i t a l l e n Erfordernissen ausstatte, „so muß auch der umsichtige Feldherr alles z u m Kriege vorbereiten, ehe er sich d e m G l ü c k e a n v e r t r a u t " . Rüstungen, f u h r M o n t e c u c c o l i fort, s i n d dem Kriege förderlicher als g e w a l t same Aushebungen nach A u s b r u c h der K a m p f h a n d l u n g e n . W e n n sie rechtz e i t i g beendet seien, „so dienen sie n i c h t bloß dazu, den K r i e g zu führen, sondern i h n auch zu v e r h i n d e r n " . So gelangte er z u der E m p f e h l u n g : „ W e r den Frieden w i l l , bereitet sich auf den K r i e g vor. D i e w i c h t i g s t e Vorberei41 Ebd. Vgl. dazu auch William W. Hagen, Seventeenth Century Crisis in Brandenburg: The Thirty Year's War, the Destabilization of Serfdom, and the Rise of Absolutism, in: AHR 94 (1989), 302 - 335. 42 Vgl. zur Bedeutung des Festungswesens im 17. und 18. Jahrhundert die zahlreichen Untersuchungen von Henning Eichberg. Ich nenne hier die jüngst erschienenen, in denen sich neben den Angaben zu älteren Arbeiten Eichbergs auch Hinweise auf die internationale Forschung finden: H. Eichberg, Ordnen, Messen, Disziplinieren. Moderner Herrschaftsstaat und Fortifikation, in: Staatsverfassung und Heeresverfassung in der europäischen Geschichte der frühen Neuzeit, in Zusammenarbeit mit Barbara Stollberg-Rilinger hrsg. von Johannes Kunisch (Historische Forschungen, 28), Berlin 1986, 347 - 375; ders., Festung, Zentralmacht und Sozialgeometrie. Kriegsingenieurwesen des 17. Jahrhunderts in den Herzogtümern Bremen und Verden, Köln/ Wien 1989, und ders., Zirkel der Vernichtung oder Kreislauf des Kriegsgewinns? Zur Ökonomie der Festung im 17. Jahrhundert, in: Stadt und Krieg, hrsg. von Bernhard Kirchgässner/Günter Scholz (Stadt in der Geschichte, 15), Sigmaringen 1989, 105 124. 43 Kurfürst Friedrich Wilhelm, Politisches Testament (Anm. 20), 193 f.

Der Nordische Krieg von 1655-1660

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t u n g ist die A u f s t e l l u n g einer starken, zahlreichen Armee; denn Großes läßt sich n u r m i t großer K r a f t b e w i r k e n " 4 4 . V o n größter T r a g w e i t e w a r n u n freilich, daß der Große K u r f ü r s t

die

Optionen, die i h m das mächtepolitische Szenarium, „ d i e c o n j u n c t u r der Z e i t t " , i m m e r h i n eröffnete, t a t s ä c h l i c h u n d m i t ausgeprägtem M a c h t i n s t i n k t z u n u t z e n vermochte. A b e r gleichermaßen w a r er b e m ü h t , auch die a d m i n i s t r a t i v e n M a ß n a h m e n zu ergreifen, u m die Selbstbehauptung B r a n denburgs i n den M ä c h t e k o n f l i k t e n zu gewährleisten. So w u r d e das I n s t i t u t der Kriegskommissare als ein a l l e i n dem f ü r s t l i c h e n M a c h t a n s p r u c h v e r pflichtetes Herrschaftsinstrument wiederbelebt u n d ausgebaut. D e n einzelnen K o m m i s s a r e n w u r d e n Bezirke zugewiesen, i n denen sie neben der K o n trolle militärischer

E i n r i c h t u n g e n auch die L e i t u n g u n d A u f s i c h t

des

Steuerwesens zu übernehmen hatten. A u f diesem Wege wuchsen sie a l l m ä h l i c h i n die z i v i l e V e r w a l t u n g h i n e i n u n d verdrängten d o r t die ständischen Funktionsträger immer mehr 45. D i e Fäden dieser längst über das Heerwesen hinausgewachsenen V e r w a l tungsbehörde liefen i m Generalkriegskommissariat zusammen, dessen i n s t i tutionelles P r o f i l sich m i t dem A u s b r u c h des N o r d i s c h e n Krieges abzuzeichnen begann. Z w a r w a r schon i m Jahre 1651 anläßlich der N e u o r d n u n g des Geheimen Rates die B e a r b e i t u n g der M i l i t ä r v e r w a l t u n g s s a c h e n einem O f f i zier, dem Grafen Georg F r i e d r i c h v o n Waldeck, übertragen u n d i n den f o l genden Jahren eine „Geheime K r i e g s k a n z l e i " eingerichtet w o r d e n 4 6 . D o c h gewann die i n Umrissen bereits erkennbare Behörde ihre schließlich ü b e r r a gende Bedeutung erst, als m i t zunehmender Kriegsgefahr dem General v o n Sparr das „ G e n e r a l - K o m m a n d o " der Armee übertragen und, i h m zugeord44

R. Graf Montecuccoli, Abhandlung über den Krieg (Anm. 23), 72 f. Hans Helfritz, Geschichte der Preußischen Heeresverwaltung, Berlin 1938, 112 f. Vgl. ferner Curt Jany, Geschichte der Königlich Preußischen Armee bis zum Jahre 1807, Bd. 1: Von den Anfängen bis 1740, Berlin 1928, 153 - 157. Zusammenfassend auch Francis L. Carsten, Die Entstehung Preußens, Köln/Berlin 1968, 204 - 223, hier bes. 209ff. 46 Im einzelnen Gerhard Oestreich, Der brandenburgisch-preußische Geheime Rat vom Regierungsantritt des Großen Kurfürsten bis zur Neuordnung im Jahre 1651. Eine behördengeschichtliche Untersuchung, Würzburg 1937, bes. 86ff., und ders., Kurt Bertram von Pfuel 1590 - 1649. Leben und Ideenwelt eines brandenburgischen Staatsmannes und Wehrpolitikers, in: FBPG 50 (1938), 201 - 249, bes. 223 - 234. Vgl. ferner Bernhard Erdmannsdorf fer, Graf Georg Friedrich von Waldeck, ein preußischer Staatsmann im 17. Jahrhundert, Berlin 1869. Zum Gesamtzusammenhang auch Heinrich Otto Meisner, Die monarchische Regierungsform in Brandenburg-Preußen, in: Forschungen zu Staat und Verfassung. Festgabe für Fritz Härtung, hrsg. von Richard Dietrich/Gerhard Oestreich, Berlin 1958, 219 - 245, hier vor allem 225ff.; Werner Vogel, Die Entwicklung der brandenburgischen Verwaltung bis zum Regierungsantritt Friedrich Wilhelms I., in: Deutsche Verwaltungsgeschichte, hrsg. von Kurt G. A. Jeserich/Hans Pohl/Georg-Christoph von Unruh, Bd. I: Vom Spätmittelalter bis zum Ende des Reiches, Stuttgart 1983, hier bes. 872ff., und Dietmar Willoweit, Rat und Recht im Regiment des Großen Kurfürsten von 1648 bis 1658, in: Die Rolle der Juristen bei der Entstehung des modernen Staates, hrsg. von Roman Schnur, Berlin 1986, 797 - 822. 45

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Johannes Kunisch

net, eine Behörde geschaffen w u r d e , die eine Kanzlei, die Feldkriegskasse u n d das P r o v i a n t a m t i n sich vereinigte u n d den T i t e l „ G e n e r a l k r i e g s k o m missariat" trug 47. A l s ersten Chef dieses Amtes berief der K u r f ü r s t i m Jahre 1655 den W i r k l i c h e n Geheimen Rat Claus E r n s t v o n Platen, einen i m Staatsdienst b e w ä h r ten Juristen, der sich schon als Kriegskommissar verdient gemacht h a t t e 4 8 . Platen b l i e b auch n a c h der Beendigung des Krieges i m A m t , o b w o h l die Armee n a c h dem A u s b l e i b e n der Subsidienzahlungen zunächst v o n 348 auf 111 u n d i m Jahre 1663 schließlich auf 68 K o m p a n i e n reduziert w e r d e n m u ß t e 4 9 . D e n n o c h w u r d e m i t seiner B e r u f u n g eine zentrale Heeresverwalt u n g ins L e b e n gerufen, die den inneren Staatsausbau i n B r a n d e n b u r g Preußen i n entscheidendem Maße gefördert u n d m i t g e p r ä g t hat. Sie v o r a l l e m versetzte aber den K u r f ü r s t e n auch i n die Lage, die Rolle, die er i m Mächtesystem z u spielen entschlossen w a r , n u n m i t u n g l e i c h größerem N a c h d r u c k z u r G e l t u n g z u bringen. Das hohe Maß an p o l i t i s c h - m i l i t ä r i s c h e r B e w e g l i c h k e i t , das sich schon w ä h r e n d des Schwedisch-Polnischen Krieges zeigte, w a r w e s e n t l i c h v e r k n ü p f t m i t der Effizienz dieser Behörde. Sie w a r eingerichtet u n d k o n z i p i e r t w o r d e n als ein I n s t r u m e n t , das der M i l i t ä r a d m i n i s t r a t i o n z u dienen hatte; sie e n t w i c k e l t e sich schließlich z u m eigentlichen K e r n s t ü c k des Staatsapparats, m i t d e m n i c h t n u r die Selbstbehauptung des K u r f ü r s t e n t u m s sichergestellt, sondern auch weitergesteckte M a c h t p r ä t e n t i o n e n ins Auge gefaßt w e r d e n konnten. I m engsten Z u s a m m e n h a n g m i t der Schaffung einer zentralen M i l i t ä r b e hörde stand die N e u o r d n u n g des Kontributionswesens. D e r Große K u r f ü r s t hatte Platen a m 8. A p r i l 1655 - zu einem Z e i t p u n k t also, als sich die K r i e g s v e r w i c k l u n g e n zwischen Schweden u n d Polen bereits abzuzeichnen begannen - angewiesen, eine A u f s t e l l u n g über die W e r b u n g v o n 4000 Reitern, 6000 Fußsoldaten, 500 D r a g o n e r n samt der erforderlichen A r t i l l e r i e u n d den dazu n o t w e n d i g e n Werbegeldern z u liefern. E r hatte i h n darüber hinaus gebeten, einen E n t w u r f darüber anzufertigen, w i e der U n t e r h a l t dieser T r u p p e n sechs M o n a t e l a n g aus M i t t e l n aller k u r f ü r s t l i c h e n L ä n d e r u n d besonders aus Preußen gewährleistet w e r d e n k ö n n e 5 0 . D o c h mußte

in

Z u k u n f t , das zeigte der Kriegsverlauf m i t unabweisbarer D e u t l i c h k e i t , l ä n gerfristig disponiert werden. I m m e r h i n w a r es F r i e d r i c h W i l h e l m schon v o r 47

Helfritz, Geschichte der Preußischen Heeresverwaltung (Anm. 45), 115 - 119. Friedrich Wolters, Geschichte der brandenburgischen Finanzen in der Zeit von 1640 - 1697. Darstellung und Akten, Bd. 2: Die Zentralverwaltung des Heeres und der Steuern (Urkunden und Aktenstücke zur Geschichte der inneren Politik des Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg, 1/2), München/Leipzig 1915,80-96. 49 Ebd., 91, und Jany, Geschichte der Königlich Preußischen Armee (Anm. 45), Bd. 1, 192 - 201. 50 Im einzelnen Wolters, Geschichte der brandenburgischen Finanzen (Anm. 48), 86. 48

Der Nordische Krieg von 1655 - 1660

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dem A u s b r u c h des N o r d i s c h e n Krieges gelungen, sich m i t den k u r m ä r k i schen Ständen i n A r t i k e l 22 des Landtags-Rezesses v o m 26. J u l i 1653 auf eine K o n t r i b u t i o n s z a h l u n g v o n insgesamt 530 000 T a l e r n f ü r die D a u e r v o n sechs Jahren als Gegenleistung f ü r die Zusicherung des K u r f ü r s t e n zu e i n i gen, daß i n Angelegenheiten, „ d a r a n des Landes Gedeih u n d Verderb gelegen", nichts ohne Z u s t i m m u n g des Landtags geschehen d ü r f e 5 1 . D i e E n t w i c k l u n g - u n m i t t e l b a r beeinflußt d u r c h den Kriegs verlauf - s c h r i t t jedoch über diesen Ausgleich hinweg. „Es w a r e n " , schreibt Francis L . Carsten, „ m e h r die Verhältnisse, die i h n (den Großen K u r f ü r s t e n ) auf diesen Weg zwangen, v o r a l l e m der E i n f l u ß v o n äußeren Ereignissen auf die innere E n t w i c k l u n g " . So könne, f ä h r t er fort, der Schwedisch-Polnische K r i e g v o n 1655 bis 1660 als der „ W e n d e p u n k t i n dem V e r h ä l t n i s des K u r f ü r s t e n z u den Ständen aller seiner T e r r i t o r i e n " bezeichnet w e r d e n 5 2 . Seit 1653 w u r d e k e i n L a n d t a g i n der K u r m a r k m e h r einberufen u n d d a m i t das P r i n z i p gemeinsamen Beratens u n d Beschließens w e n n auch n i c h t p r o grammatisch, so doch f a k t i s c h suspendiert. A u c h w u r d e die K o n t r i b u t i o n nach A b l a u f der Sechs-Jahres-Frist ohne Rücksprache m i t den Betroffenen w e i t e r erhoben u n d schließlich u n t e r Z u r e d e n u n d D r o h u n g e n zu einer D a u e r e i n r i c h t u n g g e m a c h t 5 3 . D a b e i ist errechnet worden, daß sich die b r a n denburgischen Staatseinkünfte w ä h r e n d der Regierungszeit F r i e d r i c h W i l helms e t w a verdreifacht haben u n d die M i l i t ä r a u s g a b e n i m Z e i t r a u m v o n 1655 bis 1688 auf eine Summe v o n a n n ä h e r n d 54 M i l l i o n e n T a l e r n stiegen. V o n diesem Betrag w u r d e n n u r 10 M i l l i o n e n n i c h t d u r c h Steuererhebungen i m eigenen L a n d aufgebracht. D e r H a u p t a n t e i l entfiel dabei auf Subsidien auswärtiger M ä c h t e u n d auf die E i n k ü n f t e aus dem Kamerale, also den k u r f ü r s t l i c h e n Domänen, der Münze, der Post, den Z ö l l e n u n d anderen Regalien des Landesherrn. E i n hoher A n t e i l der A u f w e n d u n g e n f ü r das Heerwesen mußte demzufolge aus dem Steueraufkommen der brandenburgischen Terr i t o r i e n gedeckt w e r d e n 5 4 . 51

Melle Klinkenborg, Das Archiv der Brandenburgischen Provinzialverwaltung, Bd. 1: Das kurmärkische Ständearchiv, Berlin 1920, 452 - 501, hier 495 ff. Auszüge aus dem kurfürstlichen Revers an die Stände der Kurmark auch bei Peter Baumgart (Hrsg.), Erscheinungsformen des preußischen Absolutismus. Verfassung und Verwaltung (Historische Texte Neuzeit, 1), Germering 1966, 9 - 25, hier 23f. 52 Carsten, Die Entstehung Preußens (Anm. 45), 157. 53 Zum Verhältnis des Kurfürsten zu den Ständen Peter Baumgart, Zur Geschichte der kurmärkischen Stände im 17. und 18. Jahrhundert, in: Dietrich Gerhard (Hrsg.), Ständische Vertretungen in Europa im 17. und 18. Jahrhundert, 2. Aufl., Göttingen 1974, 131 - 161, bes. 135f., 145 - 154 und 160f.; ders. (Hrsg.), Ständetum und Staatsbildung in Brandenburg-Preußen. Ergebnisse einer internationalen Fachtagung (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 55), Berlin 1983. (Vgl. besonders den Beitrag von Peter Michael Hahn); Christoph Fürbringer, Necessitas et Liberias. Staatsbildung und Landstände im 17. Jahrhundert in Brandenburg, Frankfurt a.M. 1985, 149 - 166; Carsten, Die Entstehung Preußens (Anm. 45), 149 - 203. Einen Überblick über die Ständeproblematik im Zeitalter des Großen Kurfürsten vermittelt auch Gerhard Oestreich, Friedrich Wilhelm. Der Große Kurfürst (Persönlichkeit und Geschichte, 65), Göttingen 1971, 24 - 30, 42 - 48 und 51 - 59.

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Johannes Kunisch I c h muß m i r an dieser Stelle versagen, auf die ganze F ü l l e weiterer Maß-

n a h m e n des inneren Staatsausbaus einzugehen, die der Große K u r f ü r s t i n der A b s i c h t ergriffen hatte, sich i m K o n z e r t der M ä c h t e zu behaupten. Das Ergebnis dieser Reformbestrebungen w a r i m Bereich des M i l i t ä r i s c h e n jedenfalls, daß sich „standardisierte Waffen, eine begrenzte A n z a h l zugelassener K a l i b e r , ein verbindliches Höchstmaß an L a d u n g s s p i e l r a u m u n d ein gleichmäßig gemischtes Schießpulver" bei der A u s r ü s t u n g der T r u p p e n durchsetzten u n d schließlich v o n staatswegen die U n i f o r m u n d Stiefel i n drei n o r m i e r t e n Größen eingeführt w u r d e n 5 5 . U n d je größer die A r m e e n w u r d e n , desto stärker machte sich die N o t w e n d i g k e i t geltend, sie v o n oben herab zu disziplinieren. D e r M o n a r c h als gerade i n m i l i t ä r i s c h e n Angelegenheiten u n u m s c h r ä n k t e r Herrscher mußte deshalb das Geschäft, Leute zu r e k r u t i e ren u n d zu bezahlen, selbst i n die H a n d nehmen u n d sich der M a t e r i a l b e schaffung ebenso w i e der Ü b e r w a c h u n g der f ü r den Heeresbedarf eingerichteten M a n u f a k t u r e n a n n e h m e n 5 6 . Es w a r das stehende Heer, das den E n d p u n k t dieser E n t w i c k l u n g markierte. W i c h t i g ist hier n u n ein zweites Beispiel, das die Interdependenz v o n i n n e rer u n d äußerer P o l i t i k i m Z e i t a l t e r des A b s o l u t i s m u s m i t besonderer E i n d r i n g l i c h k e i t z u beleuchten vermag. A u f dem H ö h e p u n k t der V e r w i c k l u n gen K a r l Gustavs i n den polnischen K r i e g t r a t p l ö t z l i c h K ö n i g F r i e d r i c h I I I . v o n D ä n e m a r k auf den P l a n u n d u n t e r n a h m i m M a i 1657 den Versuch, sich i m R ü c k e n des außer Landes b e f i n d l i c h e n R i v a l e n schwedischer T e r r i t o r i e n i m Reich u n d i n Schweden selbst z u b e m ä c h t i g e n 5 7 . Dieser aus tiefem A r g w o h n u n d alter R i v a l i t ä t resultierende Z u g r i f f veranlaßte K a r l Gustav zu sofortiger R ü c k k e h r . N a c h einem glänzenden W i n t e r f e l d z u g u n d dem V o r stoß auf Kopenhagen vermochte er F r i e d r i c h I I I . z u m Frieden u n d zur A b t r e t u n g der dänischen K ü s t e n p r o v i n z e n Schonen, B l e k i n g e u n d H a l l a n d , der Insel B o r n h o l m sowie der norwegischen Provinzen T r o n d h e i m u n d B o h u s l ä n zu z w i n g e n 5 8 . Außerdem w u r d e festgelegt, daß i n einem noch abzuschließenden B ü n d n i s v e r t r a g m i t D ä n e m a r k Sorge dafür zu tragen sei, daß i n Z u k u n f t keine fremde K r i e g s f l o t t e mehr i n die Ostsee gelangen dürfe oder d o r t v o n einer d r i t t e n M a c h t u n t e r h a l t e n werde. Bei der eindeutigen F ü h r u n g s r o l l e Schwedens i n diesem B ü n d n i s bedeutete diese v o r a l l e m gegen die Niederlande gerichtete A b s i c h t den entscheidenden S c h r i t t zur 54

213 f. 55

Die entsprechenden Nachweise bei Carsten, Die Entstehung Preußens (Anm. 45),

Roberts, Die militärische Revolution (Anm. 1), 285. Vgl. ferner Michael Howard, Der Krieg in der europäischen Geschichte. Vom Ritterheer zur Atomstreitmacht, München 1981, 76 ff. 56 Roberts, Die militärische Revolution (Anm. 1), 289. 57 Im einzelnen Aksel E. Christensen u.a. (Hrsg.), Gyldendals Danmarks Historie, Bd. 3: Tiden 1648 - 1730, von Knud J. V. Jesperen, Kopenhagen 1989. 58 Bngitta Odén, Karl X Gustav och det andra danska kriget, in: Scandia 27 (1961), 53 - 156, und Carl Gustav Weibull, Freden i Roskilde den 26. februari 1658, Stockholm 1958.

Der Nordische Krieg von 1655 - 1660

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unangefochtenen Herrschaft über die Ostsee. Sie lief auf die K o n z e p t i o n eines „ m a r e c l a u s u m " hinaus, deren V e r w i r k l i c h u n g Schweden zur e n d g ü l t i g e n A u f r i c h t u n g einer m i l i t ä r i s c h e n u n d ökonomischen V o r m a c h t s t e l l u n g i n den Staatenbeziehungen des Nordens verholfen h ä t t e 5 9 . Es h a n d e l t sich hier scheinbar u m eine weitere der zahlreichen Episoden dieses Krieges. A b e r die i n n e n p o l i t i s c h e n Folgen der schweren Krise, i n die D ä n e m a r k d u r c h die Niederlage gegen den S c h w e d e n k ö n i g geriet, w a r e n tiefgreifend u n d über J a h r h u n d e r t e w i r k s a m . D e n n es gelang F r i e d r i c h I I I . auf einem Reichstag i m September 1660, den Ständen anstelle der W a h l handfeste v o n 1648 die E r b h u l d i g u n g u n d d a m i t eine grundlegende Ä n d e r u n g des geltenden Reichsstaatsrechts abzuverlangen 6 0 . D a r ü b e r hinaus veranlaßte er die A u s a r b e i t u n g eines auf die U n u m s c h r ä n k t h e i t der k ö n i g l i chen M a c h t s t e l l u n g abzielenden Verfassungsinstruments, das er sich a m 10. Januar des folgenden Jahres d u r c h die Ständevertreter u n d eine A n z a h l anderer Repräsentanten, v o r a l l e m aus der G e i s t l i c h k e i t u n d der B ü r g e r schaft v o n Kopenhagen, d u r c h U n t e r s c h r i f t bestätigen ließ. Aus dieser „ E r b - E i n g e w a l t s " - oder „ S o u v e r ä n i t ä t s a k t e " v o n 1661 g i n g d a n n die „ L e x regia" als endgültiges Gesetzgebungswerk u n d E r b s t a t u t hervor, das a m 14. November 1665 erlassen w u r d e u n d bis 1849 i n K r a f t blieb. Es regelte als zentrales A n l i e g e n monarchischer K o n t i n u i t ä t die M o d a l i t ä t e n der Erbfolge g r u n d s ä t z l i c h u n d zugleich i n allen Einzelheiten, e n t w i c k e l t e i m ü b r i g e n aber auch ein theoretisch äußerst fundiertes Verfassungskonzept, das den K e r n dieser S t a a t s u m w ä l z u n g v o n oben auf den B e g r i f f zu b r i n g e n suchte. Es verfügte i n einem der G r u n d s a t z a r t i k e l , daß die K ö n i g e v o n D ä n e m a r k i n Zukunft

„gezeugte u n d geborene, n i c h t

aber gekorene u n d

gewählte

K ö n i g e " (§ 16) s i n d u n d sich demzufolge i m Vollbesitz aller „ J u r a majestatis, absoluter M a c h t , der Souveränität u n d aller K ö n i g l i c h e r H e r r l i c h k e i t e n u n d Regalien" (Präambel) b e f i n d e n 6 1 . M i t diesem „vertragsförmigen Staatsstreich" - w i e Peter B r a n d t die Vorgänge v o n 1660/61 k ü r z l i c h bezeichnet h a t 6 2 - g i n g i n D ä n e m a r k auch die A b l ö s u n g der alten ständestaatlichen Gesellschaftsstruktur d u r c h eine s t a a t l i c h konzessionierte H i e r a r c h i e v o n Privilegierungsempfängern einher, i n deren M i t t e l p u n k t der H o f des K ö n i g s stehen sollte.

59 Vgl. neben der in Anm. 11 genannten Literatur Jill Lisk, The Struggle for Supremacy in the Baltic 1600 - 1725, London 1967, 87 - 112. 60 Kunisch , Staatsverfassung und Mächtepolitik (Anm. 2), 17 - 44, und neuerdings - unter umfassender Einbeziehung der skandinavischen Literatur - Peter Brandt, Von der Adelsmonarchie zur königlichen „Eingewalt". Der Umbau der Ständegesellschaft in der Vorbereitungs- und Frühphase des dänischen Absolutismus, in: HZ 250 (1990), 33 - 72. 61 Eine Übersetzung der Lex Regia ist als Anhang abgedruckt bei Kersten Krüger, Absolutismus in Dänemark - ein Modell für Begriffsbildung und Typologie, in: ZSHG 104 (1979), 171 - 206, hier 200 und 196. 62 Brandt, Von der Adelsmonarchie zur königlichen „Eingewalt" (Anm. 60), 60.

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Johannes Kunisch Festzuhalten b l e i b t i n unserem Z u s a m m e n h a n g aber v o r allem, daß die

Ursache f ü r die f u n d a m e n t a l e n Wandlungsprozesse an der Schwelle v o m Ständestaat z u r absoluten M o n a r c h i e i n B r a n d e n b u r g u n d D ä n e m a r k i n der Ohnmachtserfahrung gesucht w e r d e n muß, die m a n i n den Jahren der vehementen E x p a n s i o n s p o l i t i k Schwedens gemacht hatte. Es sind u n v e r k e n n b a r m a c h t p o l i t i s c h e F a k t o r e n gewesen, die die innere E n t w i c k l u n g der beiden L ä n d e r geprägt haben. Es ist hier n i c h t der Ort, das n o c h vor Jahren h e f t i g d i s k u t i e r t e P r o b l e m des Primats der I n n e n - oder A u ß e n p o l i t i k z u e r ö r t e r n 6 3 . Es muß auch dahingestellt bleiben, ob die V o r s t e l l u n g eines P r i m a t s überh a u p t das angemessene I n s t r u m e n t a r i u m f ü r die Analyse eines i n der Regel ja m u l t i k a u s a l e n Beziehungsgeflechts sein kann. V i e l l e i c h t muß diese Frage e t w a f ü r die schwedische P o l i t i k w ä h r e n d der Großmachtzeit auch anders b e a n t w o r t e t w e r d e n als f ü r die beiden hier herangezogenen Beispiele 6 4 . A b e r m i r scheinen der grundlegende W a n d e l der Verfassungsverhältnisse i n B r a n d e n b u r g u n d D ä n e m a r k Belege d a f ü r z u sein, w i e stark die Interdependenz der beiden Sphären v o n äußeren I m p u l s e n b e s t i m m t gewesen ist. Es w a r bisher die Rede davon, i n w e l c h e m Maße das dynastische u n d k o n fessionelle Element f ü r A u s b r u c h u n d V e r l a u f des N o r d i s c h e n Krieges maßgeblich w a r u n d w i e n a c h h a l t i g der Kriegsverlauf auf die innere E n t w i c k l u n g der b e t e i l i g t e n M ä c h t e e i n g e w i r k t hat. So b l e i b t n u n zu erörtern, w e l che w o m ö g l i c h parabelhafte B e d e u t u n g den ökonomischen, besonders h a n delspolitischen F a k t o r e n dieses Krieges beigemessen w e r d e n muß. I c h behandle diesen m i l i t ä r i s c h - k o m m e r z i e l l e n K o m p l e x bewußt z u m Schluß; 63 Zum Stand der Diskussion Kunisch, Kurfürst Friedrich Wilhelm und die Großen Mächte (Anm. 26), 9 - 1 4 . Zur Bewertung der bis heute umstrittenen mächtepolitischen Anschauungen Leopold von Rankes jetzt auch Ernst Schulin, Universalgeschichte und Nationalgeschichte bei Leopold von Ranke, in: Leopold von Ranke und die moderne Geschichtswissenschaft, hrsg. von Wolfgang J. Mommsen, Stuttgart 1988, 37-71, hier bes. 51 und 64ff. und Ulrich Muhlack, Leopold von Ranke, in: Deutsche Geschichtswissenschaft um 1900, hrsg. von Notker Hammerstein, Wiesbaden 1989,11 - 36, hier 27 - 36. Vgl. mit dem Blick auf die schwedische Forschung auch Zernack, Schweden als europäische Großmacht (Anm. 16), 328ff. 64 Klaus Zernack - einer der wenigen, der sich von deutscher Seite mit diesem Themenkomplex auseinandergesetzt hat - hat zwar die These aufgestellt, daß „als das Dilemma der schwedischen Großmachtepoche ein gleichsam unentrinnbarer Primat von Außenpolitik" deutlich werde. Er bezieht sich dabei auf eine Äußerung von Sven Lundkvist: "Sweden's position as a great power was the result of the favourable accident of having weak neighbours and of ad hoc solutions w i t h resources too small for the great objects in view" (The Experience of Empire [Anm. 16], 57). Aber gerade an der schwedischen Kriegspolitik der Großmachtzeit scheint mir ablesbar zu sein, wie die ungelösten Probleme im Innern des Landes, besonders die Frage der Kriegsfinanzierung im Spannungsverhältnis von Krone und Ständen, den aufreibenden und letztlich ruinösen „Militäraktionismus" geradezu erzwungen haben. Denn Zernack konstatiert selbst: „Der kriegerische Unterhalt einer Armee, die den Machtanspruch aufrechtzuerhalten in der Lage war, war unausweichlich geworden, d. h. Kriegführung war jetzt selbst eine Ressourcensubstitution, der Krieg ernährte das Heer". Insofern sind es in Schweden stärker als bei den Kontrahenten auch innenpolitische Faktoren gewesen, die Einfluß auf die Mächtepolitik genommen haben. Vgl. die Zitate bei Zernack, Schweden als europäische Großmacht (Anm. 16), 351 und 344.

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denn es besteht k e i n Zweifel, daß er angesichts der auf R e p u t a t i o n u n d L ä n dererwerb gerichteten M a c h t p r ä t e n t i o n e n der H a u p t b e t e i l i g t e n v o n u n t e r geordnetem Rang w a r . U m n i c h t mißverstanden zu werden: unbestreitbar gab es auch auf Seiten derjenigen Mächte, die n i c h t zu den die Staatsräson m i t p r i v a t e m N u t z e n v e r k n ü p f e n d e n Handelsstaaten zu zählen sind, ein ausgeprägtes, gelegentlich sogar dominantes Interesse daran, die Voraussetzungen f ü r eine expansive M a c h t p o l i t i k d u r c h finanzpolitische u n d k o m merzielle M a ß n a h m e n zu schaffen. Colbert ist d a f ü r ein markantes Beispiel. A b e r i c h b i n m i t W i l l i a m M c N e i l l der Überzeugung, daß m a r k t o r i e n t i e r t e s D e n k e n u n d finanzpolitisches K a l k ü l i n den Fürstenstaaten der f r ü h e n N e u zeit i m m e r h i n t e r L e i t g e d a n k e n w i e Prestige, Tapferkeit u n d E h r e z u r ü c k traten65. M o n t e c u c c o l i hat i m Z u s a m m e n h a n g m i t seinen grundsätzlichen Ü b e r l e gungen zur K r i e g s k u n s t seiner Z e i t m i t N a c h d r u c k auf die - w i e er sagte „ b e k a n n t e Sentenz" hingewiesen, „daß das G e l d der N e r v des Krieges i s t " 6 6 . D e n n ebensowenig, f u h r er fort, w i e die Ä r z t e leugnen, daß der Mensch ohne Nerven zu gehen vermöge, stellten auch die P o l i t i k e r i n Frage, daß es den K r i e g ohne G e l d geben könne. Dieser werde ja keineswegs n u r m i t Waffen geführt, sondern auch m i t dem A u f w a n d , den er verursache. E i n Staatsm a n n habe e i n m a l die Auffassung vertreten, n i c h t das Geld, sondern die Menschen seien der N e r v des Krieges; denn ein Feldherr könne i m m e r G e l d auftreiben. S i c h e r l i c h k o m m e es i m Kriege i n der Hauptsache auf die T ü c h t i g k e i t des Menschen an, das Werkzeug aber stelle das G e l d dar. U n d w e n n m a n sage, daß das G e l d der N e r v des Krieges sei, d a n n u n t e r der Prämisse, „daß der K r i e g alle seine ü b r i g e n Existenzbedingungen schon gefunden habe". M a n schätze deshalb, r i e t er, eine M a c h t n i c h t n u r nach i h r e m L ä n derumfang ein, „sondern auch n a c h der Menge ihres Geldes". Dieses aber müsse verfügbar sein u n d dürfe n i c h t erst i m Falle des Bedarfs aufzubringen versucht werden; es müsse überdies i n großen Mengen v o r h a n d e n sein, denn die K o s t e n des Krieges ließen sich n i c h t i m voraus berechnen 6 7 . A u c h M o n t e c u c c o l i besaß demnach eine k l a r e V o r s t e l l u n g v o n der i m m e n sen Bedeutung, die den Finanzen b e i jeder A r t v o n bewaffneten K o n f l i k t e n zugemessen w e r d e n mußte. A b e r der K o n t e x t seiner Äußerungen m a c h t g l e i c h w o h l deutlich, daß allen p e k u n i ä r e n u n d m a r k t o r i e n t i e r t e n Ü b e r l e 65 William H. McNeill, Krieg und Macht. Militär, Wirtschaft und Gesellschaft vom Altertum bis heute, München 1984, 97 ff. Vgl. ferner auch Howard, Der Krieg in der europäischen Geschichte (Anm. 55), 73ff. 66 R. Graf Montecuccoli, Abhandlung über den Krieg (Anm. 23), 76. Vgl. zu den grundsätzlichen Aspekten auch Michael Stolleis, Pecunia nervus rerum. Zur Staatsfinanzierung der frühen Neuzeit, Frankfurt a.M. 1983. 67 R. Graf Montecuccoli, Abhandlung über den Krieg (Anm. 23), 76f. Zum Gesamtzusammenhang auch Harm Klueting, Die Lehre von der Macht der Staaten. Das außenpolitische Machtproblem in der „politischen Wissenschaft" und in der praktischen Politik im 18. Jahrhundert (Historische Forschungen, 29), Berlin 1986.

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gungen, die m a n i m U m k r e i s der monarchischen Fürstenstaaten h i n s i c h t l i c h der Kosten m i l i t ä r i s c h e r U n t e r n e h m u n g e n anstellte, k e i n autonomer Rang, sondern eine dienende F u n k t i o n z u g e b i l l i g t w u r d e . H a n d e l u n d Gewerbe galten hier n i c h t als Bereiche, die eigenen Gesetzen gehorchten. Angesichts der bis i n die 70er Jahre des 18. Jahrhunderts maßgeblichen Auffassung, daß die Reichtümer u n d Ressourcen i n einem Prozeß f o r t w ä h r e n d e r Z i r k u l a t i o n umgeschichtet w ü r d e n u n d das N a h r u n g s t a b l e a u unverändert bleibe, w a r es gar n i c h t vorstellbar, daß sich die W i r t s c h a f t s e n t w i c k l u n g verselbständigen u n d m i t wachsender E i g e n d y n a m i k entfalten k ö n n e 6 8 . H a n d e l u n d Gewerbe w u r d e n v i e l m e h r f ü r Z w e c k e zu m o b i l i s i e r e n versucht, die i n einer g ä n z l i c h anderen M e n t a l i t ä t v e r w u r z e l t waren. N o r b e r t Elias h a t i n seinem B u c h über den H o f L u d w i g s X I V . den Nachweis geführt, daß es auch i m Rahmen der höfischen Gesellschaft durchaus w i r t s c h a f t l i c h bedingte Interdependenzen gab; aber i m U n t e r s c h i e d z u r Sphäre einer an P r o f i t u n d P r o d u k t i v i tätssteigerung o r i e n t i e r t e n R a t i o n a l i t ä t w a r e n sie n i c h t v o n der K a l k u l a t i o n ökonomischer M a c h t c h a n c e n abhängig. Das Standesethos des höfischen Menschen, betont Elias, „ w a r k e i n verkapptes Wirtschaftsethos, sondern etwas v o n diesem k o n s t i t u t i v Verschiedenes. Das Dasein i n der D i s t a n z i e r u n g u n d i m Glänze des Prestiges [...] w a r f ü r den höfischen Menschen durchaus Selbstzweck", u n d der W e r t dieses Daseins bedurfte

keiner

Begründung, v o r a l l e m keiner aus irgendeinem N u t z e n 6 9 . M i r scheint, daß diese E i n s c h ä t z u n g auch auf das mächtepolitische V e r h a l t e n der Fürstenstaaten ü b e r t r a g b a r ist. A u c h sie h a n d e l t e n n i c h t n a c h P r i n z i p i e n , denen eine K a l k u l a t i o n v o n G e w i n n u n d Verlust i m m a t e r i e l l e n Sinne zugrunde lag, sondern n a c h der „ R a t i o n a l i t ä t höfischer Menschen", die sich an Prestige u n d S t a t u s k r i t e r i e n orientierten. D a b e i spielte es nach Auffassung v o n Thomas Hobbes auch keine Rolle, „ o b eine H a n d l u n g gerecht oder ungerecht ist, w e n n sie n u r groß u n d s c h w i e r i g u n d f o l g l i c h ein Zeichen v o n M a c h t ist. D e n n E h r e " , so lautete seine Schlußfolgerung, „besteht n u r i n der M e i n u n g , daß M a c h t v o r l i e g t " 7 0 . Es ist bemerkenswert, w i e auch Petrus Valckenier, ein A m s t e r d a m e r A d v o k a t u n d Publizist, der 1668 m i t einem d u r c h den D e v o l u t i o n s k r i e g ver68

Im einzelnen Johannes Burkhardt, Das Verhaltensleitbild „Produktivität" und seine historisch-anthropologische Voraussetzung, in: Saeculum 25 (1974), 277-289; ders., Der Umbruch der ökonomischen Theorie, in: Verhaltenswandel in der Industriellen Revolution. Beiträge zur Sozialgeschichte, hrsg. von August Nitschke, Stuttgart 1975, 57-72, und Volker Hentschel, Produktion, Produktivität, in: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, hrsg. von Otto Brunner/Werner Conze/Reinhart Koselleck, Bd. 5, Stuttgart 1984, 1 - 26. Vgl. darüber hinaus auch Howard, Der Krieg in der europäischen Geschichte (Anm. 55), 68ff. 69 Norbert Elias, Die höfische Gesellschaft. Untersuchungen zur Soziologie des Königtums und der höfischen Aristokratie, 2. Aufl., Frankfurt a.M. 1975, 156f. und 141. 70 Hobbes, Leviathan (Anm. 15), 156; die deutsche Übersetzung, ebd., 71.

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anlaßten A u f r i ß des m ä c h t e p o l i t i s c h e n Szenariums seiner Z e i t h e r v o r t r a t u n d d a r i n die w a h r e n F u n d a m e n t e u n d Ursachen der Kriege u n d R e v o l u t i o nen i n E u r o p a zu ergründen suchte, dem d u r c h das Selbstverständnis der M o n a r c h i e n geprägte I n s t r u m e n t a r i u m der M ä c h t e p o l i t i k verhaftet b l i e b 7 1 . So äußerte er die überaus skeptische Überzeugung, daß Freundschaft u n d Friede i m Mächtesystem auf nichts anderem b e r u h t e n als auf gegenseitiger F u r c h t u n d das Recht n u r d u r c h den M u n d der K a n o n e n zur G e l t u n g komme. Erst ganz i m H i n t e r g r u n d zeichneten sich dabei jene neuen mächtep o l i t i s c h e n Perspektiven ab, denen ein Handelsstaat w i e die Niederlande v e r p f l i c h t e t sein mußte. So erkannte er auch h e l l s i c h t i g die h a n d e l s p o l i t i schen I m p l i k a t i o n e n der Auseinandersetzungen zwischen Parlament u n d K r o n e i n England. Das Unterhaus, f ü h r t e er aus, fürchte, daß bei u n u m schränkten Machtbefugnissen des K ö n i g s der K a u f h a n d e l b e e i n t r ä c h t i g t werde u n d die allgemeine W o h l f a h r t d u r c h die hohen A u f l a g e n u n d Schätzungen der K r o n e Schaden nehme. U n d da er sich selbst als Protagonist einer freien H a n d e l s r e p u b l i k m i t gemischter Regierungsverfassung

ver-

stand, gelangte er zu der mächtepolitischen M a x i m e , daß K o n f l i k t e zu vermeiden seien, w e i l nichts den K a u f h a n d e l m e h r verwüste als der Krieg. A n solchen hier noch ganz peripher geäußerten Gedanken w i r d erkennbar, daß das P r i n z i p des freien Handels u n d der freien Seefahrt erst ganz a l l m ä h l i c h aus dem Schatten einer n a c h höfischen Regeln aufgefaßten M ä c h t e p o l i t i k heraustrat u n d eine autonome Interessenlehre z u entfalten v e r m o c h t e 7 2 . I m N o r d i s c h e n K r i e g w a r e n es n u r die Seemächte, v o r a l l e m die N i e d e r lande, die i n dem d u r c h Schweden heraufbeschworenen L ä n d e r r e v i r e m e n t ihre Handelsinteressen i n der Ostsee m i t V o r r a n g z u w a h r e n suchten 7 3 . D i e Fäden des Welthandelssystems liefen zu dieser Z e i t i m m e r n o c h i n A m s t e r d a m z u s a m m e n 7 4 . D i e G r u n d l a g e der holländischen Handelsdominanz b l i e b bis zu i h r e m Niedergang i m 18. J a h r h u n d e r t die S c h i f f a h r t i n der Ostsee, die 71 Vgl. im einzelnen Meinecke, Petrus Valkeniers Lehre (Anm. 28), 162 - 173, und Lademacher, Geschichte der Niederlande (Anm. 28), 149. 72 Meinecke, Petrus Valkeniers Lehre (Anm. 28), 172f. 73 Vgl. zur englischen Politik im Zeitalter des Nordischen Krieges Charles Wilson, Profit and Power. A Study of England and the Dutch Wars, London/New York/ Toronto 1957, 82 - 85. Vgl. ferner Ernst Schulin, Englands Außenhandel im 17./18. Jahrhundert. Ein Literaturbericht, in: VSWG 48 (1961), 503 - 537, hier bes. 510 - 514; Bernd Martin, Außenhandel und Außenpolitik Englands unter Cromwell, in: HZ 218 (1974), 571 - 592, hier 588ff.; Hans-Christoph Junge, Flottenpolitik und Revolution. Die Entstehung der englischen Seemacht während der Herrschaft Cromwells (Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts London, 6), Stuttgart 1980, bes. 307 - 313. Zum Gesamtzusammenhang auch Artur Attman, The Struggle for Baltic Markets. Powers in Conflict 1558 - 1618, Göteborg 1978, and Miroslav Hroch, Handel und Politik im Ostseeraum während des Dreißigjährigen Krieges. Zur Rolle des Kaufmannskapitals in der aufkommenden allgemeinen Krise der Feudalgesellschaft in Europa, Prag 1976. 74 Vgl. Peter Kriedte, Spätfeudalismus und Handelskapital. Grundlinien der europäischen Wirtschaftsgeschichte vom 16. bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, Göttingen 1980, 100.

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„Oostersche N a v i g a t i e " 7 5 . D a die dänischen K ö n i g e seit 1429 bei Helsingör einen Z o l l f ü r alle den S u n d passierenden Schiffe erhoben u n d seit 1497 die Schiffsbewegungen auch registrieren ließen, sind sehr präzise A n g a b e n über den Ostseehandel m ö g l i c h 7 6 . V o n der ca. 568 000 t umfassenden H a n d e l s k a p a z i t ä t der Niederlande w a r e n bis z u m Jahre 1670 etwa 36,4% i n der Ostseefahrt eingesetzt (Abb. 3). A l l e r d i n g s b l i e b gerade der H a n d e l auf den b a l tischen M ä r k t e n v o n gesamteuropäischen, h ä u f i g d u r c h m i l i t ä r i s c h e K o n f l i k t e b e d i n g t e n Krisenerscheinungen n i c h t u n b e r ü h r t 7 7 . N a c h d e m es schon i n den 20er J a h r e n z u einer Rezession g e k o m m e n w a r , setzte m i t d e m B e g i n n der e n g l i s c h - h o l l ä n d i s c h e n K r i e g e (1652) eine l a n g a n h a l t e n d e Depression ein, die m i t Ausnahme eines k u r z e n Aufschwungs i n den 80er Jahren bis i n das zweite Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts a n d a u e r t e 7 8 . V o n den insgesamt 2816 Schiffsbewegungen, die i m Öresund i n den Jahren v o n 1651 bis 1657 registriert w u r d e n , entfielen 1676, d.h. 63,1%, auf h o l l ä n d i sche Handelsschiffe 7 9 . D e r w i c h t i g s t e U m s c h l a g p l a t z w a r der H a f e n v o n D a n z i g ; i m S t i c h j a h r 1587 liefen e t w a die H ä l f t e aller i n der Ostsee verkehrenden Handelsschiffe (1690) die W e i c h s e l m ü n d u n g a n 8 0 . D a r ü b e r hinaus spielten auch die Häfen v o n Königsberg, Riga, Reval, Narva, S t o c k h o l m u n d K a r l s k r o n a eine herausragende Rolle. Neben dem Getreide- u n d Eisenhandel erlangten v o r a l l e m die f ü r den sich damals rasch e n t w i c k e l n d e n Schiffsb a u erforderlichen Rohstoffe ein solches G e w i c h t , daß n i c h t zuletzt auch 75 Walther Vogel, Zur Größe der europäischen Handelsflotten im 15., 16. und 17. Jahrhundert. Ein historisch-statistischer Versuch, in: Forschungen und Versuche zur Geschichte des Mittelalters und der Neuzeit. Festschrift für Dietrich Schäfer zum 70. Geburtstag, Jena 1915, 268 - 333, hier 302 - 320, bes. 309ff. 76 Die entsprechenden Register sind veröffentlicht in: Tabeller over Skibsfart og Vare transport gennem 0resund 1497 - 1660, bearb. von Nina Ellinger Bang, Teil 1: Tabeller over Skibsfarten, Kopenhagen/Leipzig 1906, Teil 2: Varetransporten, 2 Bde., Kopenhagen/Leipzig 1922/1933. Auswertungen dieser Register bieten die beiden umfangreichen Untersuchungen von Aksel E. Christensen, Der handelsgeschichtliche Wert der Sundzollregister. Ein Beitrag zu seiner Beurteilung, in: HansGbll 59 (1934), 28 - 142, und Pierre Jeannin, Les comptes du Sund comme source pour la construction d'indices généraux de l'activité économique en Europe (XVI e - X V I I I e siècle), in: RH 231 (1964), 55 - 102 und 307 - 340. 77 Vgl. Inna Lubimenko, The Struggle of the Dutch w i t h the English for the Russian Market in the 17th Century, in: Transactions of the Royal Historical Society 4. Ser., 7 (1924), 27 - 51; Frits Snapper , Oorlogsinvloeden op de Overzeese Handel van Holland 1551 - 1719, Phil. Diss. Amsterdam, Amsterdam 1959, hier bes. 126ff. Ferner Walther Vogel, Handelskonjunkturen und Wirtschaftskrisen in ihrer Auswirkung auf den Seehandel der Hansestädte 1560 - 1806, in: HansGbll 74 (1956), 50 - 64, hier bes. 54ff. 78 Kriedte, Spätfeudalismus und Handelskapital (Anm. 74), 100 f. 79 Diese Zahlen nennt Dietrich Schäfer, Die Sundzollrechnungen als internationale Geschichtsquelle, in: Internationale Wochenschrift für Wissenschaft, Kunst und Technik 1 (1907), 365 - 374 und 401 - 410, hier bes. 371. Vgl. ferner Nicolaas Frans Noordam, De Republiek en de Noordse Oorlog 1655 - 1660, Phil. Diss. Utrecht, Assen 1940, 9ff. 80 Schäfer, Die Sundzollrechnungen (Anm. 74), 404 und 410. Umfassend darüber hinaus Walther Vogel, Beiträge zur Statistik der deutschen Seeschiffahrt im 17. und 18. Jahrhundert, in: HansGbll 57 (1932), 78 - 151, und - zusammenfassend - ders., Handelskonjunkturen und Wirtschaftskrisen (Anm. 77), 55ff.

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Last

/TO —

/10

/60

/ΙΟ

/60

Getreideverschiffungen insgesamt auf niederländischen Schiffen Roggenpreis je Last in den Niederlanden

Abb. 3: Die Getreideverschiffungen durch den Sund nach Westeuropa 1562 - 1780 (Zehnjahresdurchschnitte in Last. Die durchschnittliche Tragfähigkeit der in der Ostseefahrt tätigen Handelsschiffe betrug während des hier erfaßten Zeitraums rund 60 - 75 Last = 120-150 t) - nach Peter Kriedte, Spätfeudalismus und Handelskapital, Göttingen 1980, 86.

wegen dieses M a r k t e s die Ostsee als eine geostrategisch hochbrisante Region eingeschätzt w e r d e n muß (Abb. 4). D a b e i w a r das Eichenholz der südlichen A n r a i n e r l ä n d e r ebenso begehrt w i e die hohen T a n n e n aus Schweden u n d Rußland, die f ü r die H e r s t e l l u n g v o n Schiffsmasten b e n ö t i g t w u r d e n 8 1 . H i n z u t r a t e n P r o d u k t e w i e Hanf, Flachs, Pech, Teer u n d Talg, die bei den forcierten Versuchen, den Schiffsbau auf die G r u n d l a g e einer seriellen Fert i g u n g zu stellen, s t ä n d i g u n d i n großen Mengen verfügbar sein m u ß t e n 8 2 . A n 81 Im einzelnen P. Merino/M. AcerraiJ. Meyer, Europäische Kriegsmarinen im 17. und 18. Jahrhundert - Ein Überblick, in: Wirtschaftskräfte und Wirtschaftswege. Festschrift für Hermann Kellenbenz, hrsg. von Jürgen Schneider, Bd. 5, Stuttgart 1981, 267 - 282, hier 269. 82 Im einzelnen Mediger, Mecklenburg, Rußland und England-Hannover (Anm. 16), Bd. 1, 154 ff.

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Abb. 4: Exporte durch den Sund nach Westeuropa 1562/66 - 1770/80 (Mengen 1731/39 = 100) - nach Peter Kriedte, Spätfeudalismus und Handelskapital, Göttingen 1980, 122. F a k t e n w i e diesen w i r d sichtbar, welche B e d e u t u n g dem Ostseehandel i m allgemeinen u n d dem der Niederlande i m besonderen beizumessen ist. Bezeichnend ist deshalb, daß die Generalstaaten i m Sommer 1656 m i t einer aus K r i e g s - u n d K a u f f a h r t e i s c h i f f e n

bestehenden F l o t t e 8 3 K a r l X .

Gustav dazu zwangen, die Belagerung v o n D a n z i g aufzuheben u n d a m 11. September i n ein Handelsabkommen einzuwilligen, das den Ostseehandel gegen die schwedische S c h a t z u n g s p o l i t i k sichern s o l l t e 8 4 . Sie verzichteten d a m i t auf den bemerkenswerten Plan, D a n z i g i n den Status einer v o n Schweden w i e Polen u n a b h ä n g i g e n Handelsstadt z u erheben. M i t ä h n l i c h e m N a c h d r u c k agierten sie auch, als K a r l X . sich anschickte, den i m Frieden v o n Roskilde (27. Februar 1658) schon entscheidend geschwächten K o n k u r renten D ä n e m a r k e n d g ü l t i g z u ü b e r w ä l t i g e n . N a c h d e m der n o c h keineswegs abgeschriebene E r w e r b des Herzogtums Preußen m i t seinen g e w i n n b r i n g e n 83 Schiffe, die für die speziellen Erfordernisse des Seekriegs ausgerüstet waren, setzten sich erst nach den englisch-holländischen Kriegen (1652 - 1654 und 1665 1667) und dem von Colbert energisch vorangetriebenen Ausbau der französischen Kriegsmarine durch; vgl. Merino! Acerrai Meyer, Europäische Kriegsmarinen (Anm. 81), 368f.; zu den militärhistorischen Aspekten der holländischen Flottenpräsenz Parker, Die militärische Revolution (Anm. 1), 126ff. Zu den Einzelheiten, vor allem der Zusammensetzung der holländischen Flotte vor Danzig, Carl Ballhausen, Der erste Englisch-Holländische Seekrieg 1652 - 1654 sowie der Schwedisch-Holländische Seekrieg 1658 - 1659, Haag 1923, 702ff. 84 Vgl. zum Gesamtzusammenhang der holländischen Politik im Nordischen Krieg Charles Ralph Boxer, The Dutch Seaborn Empire 1600 - 1800, London 1965, und bes. Herbert H. Rowen, John de Witt, Grand Pensionary of Holland, 1625 - 1672, Princeton Ν. J. 1978, 303 - 333, zur Danzigfrage im besonderen 307 ff.

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den Hafenzöllen i n w e i t e Ferne gerückt schien u n d nach vollzogener Kaiserw a h l überdies m i t einer Offensive brandenburgischer u n d

kaiserlicher

T r u p p e n i m Reich u n d i n J ü t l a n d gerechnet w e r d e n mußte, h a t t e sich K a r l entschlossen, einen schon v o r dem Roskildefrieden erwogenen P l a n aufzugreifen u n d D ä n e m a r k als Ganzes z u annektieren. E r hätte auf diesem Weg die alleinige Verfügungsgewalt über die Sundzölle erlangt u n d d a n n das D o m i n i u m maris B a l t i c i auch ohne Rücksichtnahme auf D ä n e m a r k aufzur i c h t e n vermocht. I n dieser S i t u a t i o n , als die v ö l l i g e I n k o r p o r i e r u n g Dänemarks u n d d a m i t die einseitige K o n t r o l l e der Ostseezugänge d u r c h Schweden drohte, g r i f f H o l l a n d erneut m i t einer e i l i g entsandten F l o t t e u n t e r dem K o m m a n d o des A d m i r a l s Jakob O b d a m v o n Wassenaer ein, erzwang nach heftigen A b w e h r versuchen der Schweden (Seeschlacht i m Sund, 29. O k t o b e r 1658) den Z u g a n g i n die Ostsee u n d entsetzte das belagerte Kopenhagen v o n der Seeseite h e r 8 5 . D o c h d a n n b l i e b m a n u n t ä t i g i n der A b s i c h t , das v o n F r a n k r e i c h u n d E n g l a n d unterstützte Schweden zu schonen u n d i m sog. „Haager K o n z e r t " einen Friedensschluß auf der Grundlage des status quo zustande z u bringen. Erst als sich K a r l Gustav weigerte, auf den v o n E n g l a n d u n d H o l l a n d geforderten Verzicht auf T r o n d h e i m u n d B o h u s l ä n einzugehen, stellten die Generalstaaten eine zusätzlich entsandte F l o t t e u n t e r A d m i r a l M i c h i e l de R u y t e r z u r Verfügung, u m das Übersetzen der bereitstehenden b r a n d e n burgischen, österreichischen, polnischen u n d dänischen T r u p p e n auf die Insel F ü n e n zu ermöglichen. I n der Schlacht v o n N y b o r g a m 24. November 1659 f i e l schließlich die E n t s c h e i d u n g 8 6 . D e r Friedenschluß garantierte d a n n den Seemächten d u r c h das Offenhalten des Sunds den Ostseehandel auch i n Zukunft. D i e F r e i h e i t der Meere u n d des Handels: auch diese Generalperspektive frühneuzeitlicher S t a a t e n p o l i t i k t r i t t i m N o r d i s c h e n K r i e g als ein L e i t m o t i v außenpolitischen Handelns h e r v o r 8 7 . Sie l a g o f f e n k u n d i g i m besonderen mächtepolitischen Interesse der Generalstaaten. D e n n sie versuchten i m m e r w i e d e r m i t großem Geschick, der Expansions- u n d

Hegemonialpolitik

Schwedens zugunsten eines Freihandelsprinzips E i n h a l t z u gebieten; sie bedienten sich dabei - i n der Schlußphase des Krieges auch i m E i n v e r n e h m e n m i t E n g l a n d u n d F r a n k r e i c h - des Prinzips des Gleichgewichts der K r ä f t e , das d a n n i n der folgenden Generation über das D o m i n i u m mare B a l 85 Rowen, John de Witt (Anm. 84), 321 ff. Zu den Einzelheiten des Kriegsgeschehens (Hermann) Kirchhoff, Seemacht in der Ostsee, Bd. 1: Ihre Einwirkung auf die Geschichte der Ostseeländer im 17. und 18. Jahrhundert, Kiel 1907, 43 - 62, und Opitz, Österreich und Brandenburg im Schwedisch-Polnischen Krieg (Anm. 1), 267 272. 86 Opitz, Österreich und Brandenburg im Schwedisch-Polnischen Krieg (Anm. 1), 270ff. 87 Vgl. über die Entstehung dieses Postulats im Rahmen des frühmodernen Völkerrechtsdenkens Schmitt, Der Nomos der Erde (Anm. 7), 143 - 156.

Johannes Kunisch

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t i c i hinausgreifend zu einem der maßgeblichen Steuerungsinstrumente der gesamten S t a a t e n p o l i t i k w e i t e r e n t w i c k e l t w u r d e 8 8 . D e r Nordische K r i e g v o n 1 6 5 5 - 1 6 6 0 ist deshalb als ein S t a a t e n k o n f l i k t einzuschätzen, i n dem eine Reihe v o n Grundelementen frühneuzeitlicher M ä c h t e p o l i t i k m i t besonderer E i n d r i n g l i c h k e i t zutage t r i t t . V o r a l l e m m i t dem B l i c k auf übergreifende Kausalzusammenhänge u n d langfristige L e i t m o t i v e erweist er sich als ein Szenarium, das die Umrisse des m ä c h t e p o l i t i schen Handlungsgefüges des 17. u n d 18. Jahrhunderts zu erkennen gibt. M o n t e c u c c o l i h a t i n der D e d i k a t i o n seines T r a k t a t s „ D e l arte m i l i t a r e " , den er 1653 auf seiner Herrschaft Hohenegg niederschrieb u n d Kaiser F e r d i n a n d I I I . w i d m e t e , i n einem Satz einen K a n o n derjenigen A u f g a b e n e n t w o r fen, dem sich ein tugendhafter u n d verehrungswürdiger Herrscher zu w i d m e n habe. D e n Staat i m K r i e g e z u vergrößern, l a u t e t die erste dieser F o r d e r u n gen. Es schien i m Selbstverständnis der Z e i t außer Frage zu stehen, daß i n der A u s d e h n u n g der Staaten ein W e r t an sich liege, o b w o h l es spätestens seit dem grandiosen A u f s t i e g der Niederlande j a keineswegs mehr ausgemacht w a r , daß die großen, dynastisch geprägten Flächenstaaten den kleineren, h ä u f i g r e p u b l i k a n i s c h verfaßten gegenüber i m m e r an M a c h t f ü l l e u n d E f f i zienz überlegen w a r e n 8 9 . A b e r es gehörte eben auch i n der f r ü h e n Neuzeit noch zu den erhabensten aller Herrschertugenden, als Mehrer des Reiches i n Erscheinung zu treten. U n d selbstverständlich w a r es der K r i e g , der als u n b e s t r i t t e n legitimes I n s t r u m e n t z u diesem Ziele f ü h r t e 9 0 . D e n n es w a r eine 88

Im einzelnen Werner Hohlweg, Barrière - Gleichgewicht - Sicherheit. Eine Studie über die Gleichgewichtspolitik und die Strukturwandlung des Staatensystems in Europa 1646 - 1715, in: HZ 187 (1959), 54 - 89; ders., Wilhelm III., Prinz von Oranien. Untersuchungen zur Barrierepolitik Wilhelms III. von Oranien und der Generalstaaten im 17. und 18. Jahrhundert, in: Westfälische Forschungen 14 (1961), 42 - 81; ders., Konflikt - Politik - Strategie - Sicherheitsprobleme. Genesis, Funktion und Schicksal des niederländischen Barrieresystems im 17. und 18. Jahrhundert, in: Um Recht und Freiheit. Festschrift für F. A. von der Heydte, Berlin 1977, 1323 - 1339; Horst Lademacher, Wilhelm III. von Oranien und Anthonie Heinsius, in: RheinVjbll 34 (1970), 252 - 266. 89 William McNeill hat z.B. darauf hingewiesen, daß die transalpinen Großmächte erst um die Mitte des 17. Jahrhunderts, also mit einer Verspätung von etwa 200 Jahren, „das Niveau der administrativen Organisation und Steuerung der bewaffneten Macht erlangten, das Venedig und Mailand" bereits im 15. Jahrhundert erreicht hatten. Es sei eine Tatsache, führt er aus, „daß beinahe jeder Aspekt des französischen und österreichischen Heerwesens und seine Organisation während der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts von diesen beiden italienischen Stadtstaaten vorweggenommen worden war. Die zivile Aufsicht über das militärische Versorgungswesen, die regelmäßige Besoldung der Truppen aus Steuereinkünften, zusammen mit der Differenzierung und taktischen Koordinierung von Fußvolk, Reiterei und Artillerie, all dies hatten die italienischen Stadtstaaten des 15. Jahrhunderts mit den transalpinen Monarchien des 17. gemeinsam. Selbst dem Wirken von Ludwigs XIV. berühmten Kanzler Michel Le Tellier und seinem Sohn, dem Kriegsminister Marquis de Louvois, die die Versorgung des Heeres neu gestalteten, die Struktur vereinheitlichten und die Ausrüstung standardisierten, läßt sich als enge Parallele die Tätigkeit des kaum bekannten venezianischen Provedditore Belpetro Masselini (im Amt von 1418 - 1455) an die Seite stellen, der das gleiche für die Truppen leistete, die der Republik von San Marco dienten". McNeill, Krieg und Macht (Anm. 65), 118 f.

Der Nordische Krieg von 1655 - 1660

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Sache der Ehre, des Prestiges u n d der heroischen Selbstbehauptung, n i c h t eine Angelegenheit f i n a n z i e l l e n K a l k ü l s u n d m a t e r i e l l e n V o r t e i l s 9 1 . D o c h sollte der F ü r s t - u n d das s i n d die w e i t e r e n Tugenden, auf die M o n tecuccoli seinen Herrscher zu v e r p f l i c h t e n suchte - auch gehalten sein, den Staat i m Frieden zu kräftigen, die Religion w i e d e r zu reinigen u n d die N a c h folge zu sichern. A l l e diese Maßregeln u n d E m p f e h l u n g e n w a r e n klassische Bestandteile f r ü h n e u z e i t l i c h e n Staatsdenkens. Sie w a r e n das v o n a r i s t o k r a tischen W e r t v o r s t e l l u n g e n durchdrungene I n s t r u m e n t a r i u m , m i t dem i m Kreise

der p o l i t i s c h u n d m i l i t ä r i s c h

handlungsfähigen

Fürstenstaaten

M ä c h t e p o l i t i k gemacht w u r d e . N u r fehlten i n diesem K a n o n jene Elemente einer neuen R a t i o n a l i t ä t , w i e sie sich m i t dem A u f s t i e g der Niederlande u n d Englands i n den Beziehungen der Mächte a l l m ä h l i c h durchzusetzen begannen. Es ist L u d w i g X I V . gewesen, der die A n d e r s a r t i g k e i t dieses Denkens m i t dem B l i c k auf die Niederlande präzise erfaßt u n d v o m S t a n d p u n k t seines Fürstenideals m i t g r i m m i g e r V e r ä c h t l i c h k e i t b e u r t e i l t hat. D e r w a h r e Fürst, äußerte er i n seinen Memoiren, sei v o n der Begierde nach R u h m beseelt u n d d a d u r c h befähigt, seine Eigensucht zu ü b e r w i n d e n . Anders, f u h r er fort, verhalte es sich bei L e u t e n m i t t l e r e n Standes, v o n denen die a r i s t o k r a t i schen Staaten regiert w ü r d e n . „ D i e Entscheidungen, die i n i h r e n Ratssitzungen gefällt werden, beruhen auf k e i n e m anderen Grundsatz als dem der N ü t z l i c h k e i t " . Diese Gremien, äußerte er, h ä t t e n k e i n Herz, das v o m Feuer schöner Leidenschaften entzündet w e r d e n könne. D i e Freude, die aus edlen Taten entspringe, die Schande, die auf Feigheit folge, die D a n k b a r k e i t f ü r W o h l t a t e n u n d treue Dienste, alles das verflüchtige sich d u r c h die T e i l u n g der Herrschaft u n t e r viele. N u r der Eigennutz regiere den einzelnen w i e den Staat: „ E r a l l e i n ist die Regel, die i h r V e r h a l t e n b e s t i m m t " 9 2 . Dieser Eigennutz w a r i n der T a t die maßgebliche mächtepolitische H a n d l u n g s m a x i m e der Handelsstaaten H o l l a n d u n d England. A u c h ein n i c h t fürstlicher Beobachter w i e der Staatskanzler K a u n i t z h a t das i m m e r w i e d e r so b e u r t e i l t 9 3 . I m N o r d i s c h e n K r i e g s i n d es n u r die Niederlande gewesen, die 90 Was hier als Herrscherlob gemeint ist, hat Montecuccoli an anderer Stelle allerdings sehr viel kritischer beurteilt. Dort findet sich der bemerkenswerte, offenbar verächtlich gemeinte Satz, daß die Fürsten „die Größe des Ruhms mit der Größe des Reichs (zu) messen" pflegen. Vgl. R. Graf Montecuccoli, Abhandlung über den Krieg, in: Ausgewählte Schriften (Anm. 23), Bd. 1, 23 f. 91 Vgl. im einzelnen Johannes Kunisch, La guerre - c'est moi. Zum Problem der Staatenkonflikte im Zeitalter des Absolutismus, in: ZHF 14 (1987), 407 - 438, hier bes. 429 - 438, und McNeill, Krieg und Macht (Anm. 65), 97ff. 92 Mémoires de Louis XIV (Anm. 24), 207f.; die deutsche Übersetzung 222f. Vgl. darüber hinaus die eindringliche Untersuchung von Carl Hinrichs, Zur Selbstauffassung Ludwigs XIV. in seinen Mémoires, in: ders., Preußen als historisches Problem. Gesammelte Abhandlungen, Berlin 1964, 299 - 315. 93 So beklagte er etwa in einer Denkschrift vom 24. März 1749 „die beständige Eifersucht der See-Mächten in Ansehung der Commercii, der Holländische Eigen-

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Johannes Kunisch

konsequent nach diesem P r i n z i p gehandelt haben. A b e r es ist unverkennbar, daß sich hier ein neues L e i t m o t i v herauszubilden begann, das i n den Staatenbeziehungen des A n c i e n régime i m m e r größere B e d e u t u n g erlangte. N i c h t zuletzt u n t e r diesem A s p e k t erweist sich der Nordische K r i e g als eine Parabel f r ü h n e u z e i t l i c h e r M ä c h t e k o n f l i k t e .

nutz, durch Vermeidung der Kriegs Declaration die Handelsschafft aufrecht zu erhalten, und mehr und mehr an sich zu ziehen"; vgl. die Denkschrift des Grafen Kaunitz zur mächtepolitischen Konstellation nach dem Aachener Frieden von 1748, bearb. von Reiner Pommerin und Lothar Schilling, in: Expansion und Gleichgewicht. Studien zur europäischen Mächtepolitik des ancien régime, hrsg. von Johannes Kunisch (ZHF, Beiheft 2), Berlin 1986, 165 - 239, hier 188; eine ähnliche Äußerung auch ebd., 186.

Ludwigs X I V . Außenpolitik zwischen Staatsräson, ökonomischen Zwängen und Sozialkonflikten Von Klaus Malettke, Marburg/L. „ T o u t l ' a r t de l a p o l i t i q u e est de se servir des conjonctures . . . U 1 . Günstige K o n j u n k t u r e n auf dem Felde der A u ß e n p o l i t i k rechtzeitig erfassen zu k ö n nen, setzt aber, w i e L u d w i g X I V . i n seinen „ M é m o i r e s historiques et i n s t r u c tions p o u r le D a u p h i n " a u s f ü h r t 2 , b e i m Herrscher die Entschlossenheit v o r aus, „ a v o i r les y e u x ouverts sur toute la terre; apprendre incessament les nouvelles de toutes les provinces et de toutes les nations, le secret de toutes les cours, l ' h u m e u r et le foible [!] de tous les princes et de tous les ministres étrangers, être i n f o r m é d ' u n n o m b r e i n f i n i de choses q u ' o n c r o i t que nous ignorons .. . " 3 . Diesen an den z u k ü n f t i g e n Thronfolger gerichteten Forderungen h a t L u d w i g X I V . selbst i n einem Maß u n d m i t einer I n t e n s i t ä t Rechnung getragen, w i e m a n dies u n t e r seinen Vorgängern n i c h t gekannt hat. V o n seinen M i n i s t e r n , Staatssekretären, Gesandten i m A u s l a n d u n d sonstigen Ratgebern verlangte er, d e t a i l l i e r t u n d so e x a k t w i e m ö g l i c h über die E r e i g nisse i m I n n e r n Frankreichs sowie über die Vorgänge an den H ö f e n u n d i n den T e r r i t o r i e n der a u s w ä r t i g e n Fürsten u n d Herrschaften i n f o r m i e r t zu werden. Sein Bedürfnis nach umfassender u n d ungeschminkter I n f o r m a t i o n g i n g sogar so w e i t , daß er neben den offiziellen staatlichen K a n ä l e n ein eigenes Netz persönlicher Korrespondenten u n d I n f o r m a n t e n aufbaute 4 . L u d w i g X I V . h a t w ä h r e n d der gesamten Z e i t seiner v i e r u n d f ü n f z i g j ä h r i gen persönlichen Regierung die A u ß e n p o l i t i k als die ureigenste Domäne seines Metiers als K ö n i g betrachtet u n d entsprechend gehandelt. A b e r o b w o h l w i r über eine F ü l l e wissenschaftlicher A r b e i t e n über den w o h l m a r 1 Mémoires historiques et instructions de Louis XIV pour le Dauphin, son fils, première partie, livre troisième, section première, année 1662, in: Ph. A. Grouvelle (Hrsg.), Œuvres de Louis XIV, 1, Paris 1806, 185. 2 Die sog. „Memoiren" Ludwigs XIV. stellen - wie neuere Forschungen erwiesen haben - eine verläßliche Quelle für die Erfassung der politischen Ideen und Überzeugungen Ludwigs XIV. dar. Vgl. dazu Paul S orinino, The dating and authorship of Louis XIV' Mémoires, in: French Historical Studies 3 (1964), 303 - 337; Jean-Louis Thireau, Les idées politiques de Louis XIV (Travaux et recherches de l'Université de Droit, d'Economie et de Sciences Sociales de Paris, Série Sciences Historiques, 4), Paris 1973, 12 - 31. 3 Mémoires historiques et instructions de Louis XIV pour le Dauphin, première partie, livre premier, année 1661 (Anm. 1), 22. 4 Vgl. John B. Wolf, Louis XIV, London 1968, 166 f.

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Klaus Malettke

kantesten Repräsentanten des monarchischen A b s o l u t i s m u s verfügen, sind unsere Kenntnisse über dessen A u ß e n p o l i t i k i m m e r noch recht oberflächlich u n d sehr l ü c k e n h a f t 5 . D i e i m Jahre 1950 erschienene A r b e i t v o n L o u i s A n d r é über L u d w i g X I V . u n d E u r o p a u n d die derselben T h e m a t i k gewidmeten, aber insgesamt sehr k n a p p e n S t u d i e n v o n V i c t o r - L u c i e n Tapie u n d Ragnh i l d H a t t o n aus den 60er u n d 70er Jahren stellen - t r o t z i h r e r unbestreitbaren Verdienste - n u r erste Beiträge zu einer umfassenden Analyse der ausw ä r t i g e n P o l i t i k des Sonnenkönigs d a r 6 . Indessen ist n i c h t zu bestreiten, daß d u r c h neuere u n d neueste U n t e r s u c h u n g e n zu Einzelfragen der französischen A u ß e n p o l i t i k u n d zur P o l i t i k Frankreichs i m Z u s a m m e n h a n g m i t den K r i e g e n i n der z w e i t e n H ä l f t e des 17. u n d zu B e g i n n des 18. Jahrhunderts wesentliche I m p u l s e z u einer intensiveren Beschäftigung m i t diesem f ü r die Geschichte der i n t e r n a t i o n a l e n Beziehungen w i c h t i g e n Thema gegeben w u r d e n 7 . G l e i c h w o h l w i r d aber eine moderne, v o r a l l e m auf der A u s w e r t u n g der i n den Pariser A r c h i v e n u n d B i b l i o t h e k e n lagernden A r c h i v a l i e n basierende M o n o g r a p h i e über die A u ß e n p o l i t i k L u d w i g s X I V . n i c h t

zuletzt

wegen der k a u m überschaubaren F ü l l e dieses Quellenmaterials n o c h lange Z e i t ein Desiderat der Forschung bleiben. I n A n b e t r a c h t der skizzierten Forschungslage ist bei einer Analyse der A u ß e n p o l i t i k L u d w i g s X I V . - z u m a l i m Rahmen eines z e i t l i c h begrenzten Vortrags - eine Beschränkung auf einige wenige, aber zentrale Aspekte u n u m g ä n g l i c h . I n meinen A u s f ü h r u n g e n z u m genannten Thema werde i c h daher folgende d r e i Fragenkomplexe behandeln: 1. Grundelemente u n d Grundzüge der A u ß e n p o l i t i k L u d w i g s X I V . ; 2. L u d w i g s X I V . A u ß e n p o l i t i k i m K o n t e x t w i r t s c h a f t l i c h e r u n d sozialer Faktoren und Entwicklungen; 5 Vgl. Victor-Lucien Tapié, Quelques aspects généraux de la politique étrangère de Louis XIV, in: X V I I e Siècle 46 - 47 (1960), 3; der vollständige Beitrag 1 - 28; PeterMichael Hahn, Frankreich und das Reich während des 17. Jahrhunderts im Spiegel der deutschen Geschichtswissenschaft des 19. und 20. Jahrhunderts, in: HZ 247 (1988), 93. 6 Louis André, Louis XIV et l'Europe (L'évolution de l'humanité, 64), Paris 1950; Tapié, Quelques aspects généraux de la politique étrangère de Louis XIV (Anm. 5); ders., Louis XIV's Methods in Foreign Policy, in: Ragnhild Hatton (Hrsg.), Louis XIV and Europe, London / Basingstoke 1976, 3 - 15; Ragnhild Hatton, Louis XIV and his Fellow Monarchs, in: John C. Rule (Hrsg.), Louis XIV and the Craft of Kingship, Ohio State University Press 1969, 155-195; erneut abgedruckt in: Hatton, Louis XIV and Europe, 16-59; Ragnhild Hatton, Louis XIV et l'Europe: Eléments d'une révision historique, in: X V I I e Siècle 123 (1979), 109 - 135; der Außenpolitik Ludwigs XIV. gewidmet ist außerdem die Doppelnummer 46/47 der Zeitschrift „ X V I I e Siècle" aus dem Jahre 1960. 7 Hinzuweisen ist besonders auf: Henry Kamen, The War of Succession in Spain 1700 - 15, London 1969; Carl J. Ekberg, The Failure of Louis XIV's Dutch War, Chapel H i l l 1979; Charles Boutant, L'Europe au grand tournant des années 1680. La succession palatine, Paris 1985; Paul Sonnino, Louis XIV and the origins of the Dutch War, Cambridge / New York u.a. 1988. Die neueren deutschen Arbeiten sind genannt in: Hahn, Frankreich und das Reich (Anm. 5), 53 - 94.

Ludwigs XIV. Außenpolitik 3. Frankreichs

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außenpolitische Position a m Ende der Regierung

Lud-

wigs X I V .

1. Grundelemente und Grundzüge der Außenpolitik Ludwigs X I V . L u d w i g X I V . hat auf d e m F e l d der A u ß e n p o l i t i k k e i n l a n g f r i s t i g k o n z i piertes Programm, k e i n e n „ g r a n d dessein", verfolgt. Bei näherer B e t r a c h t u n g erweist er sich s o w o h l i m Bereich der i n n e r e n als auch auf dem Sektor der äußeren P o l i t i k als Pragmatiker, der die i n den j e w e i l i g e n p o l i t i s c h e n Konstellationen

angelegten

Handlungsmöglichkeiten

im

Interesse

der

K r o n e u n d des Staates aufzugreifen entschlossen w a r 8 . D a b e i v e r h i e l t er sich aber keineswegs abwartend, sondern w a r stets bestrebt, f ü r F r a n k r e i c h günstige außenpolitische K o n s t e l l a t i o n e n herbeizuführen, antifranzösische K o a l i t i o n e n i m Ansatz z u v e r h i n d e r n oder - w e n n dies n i c h t m ö g l i c h w a r sie d u r c h p r ä v e n t i v e m i l i t ä r i s c h e A k t i o n e n z u zerschlagen. W ä h r e n d der gesamten Z e i t der persönlichen Regierung L u d w i g s X I V . l a g die V e r a n t w o r t u n g f ü r die französische A u ß e n p o l i t i k b e i m K ö n i g . E r a l l e i n t r a f entweder i m „Conseil d'en h a u t " , d e m w i c h t i g s t e n G r e m i u m des K ö n i g l i c h e n Rats (Conseil d u Roi), oder n a c h Beratungen m i t einzelnen M i n i s t e r n die Entscheidungen i n auswärtigen Angelegenheiten 9 . Dieses Verfahren Schloß n a t ü r l i c h n i c h t aus, daß phasenweise der eine oder andere M i n i s t e r eine größere Rolle i n den p o l i t i s c h e n Entscheidungsprozessen spielte, w i e es z.B. seit den Vorbereitungen des Krieges gegen die R e p u b l i k der Vereinigten Niederlande b e i m „secrétaire d ' E t a t de la guerre" L o u v o i s der F a l l w a r 1 0 . L u d w i g X I V . ü b e r t r i e b aber keineswegs, als er i m H i n b l i c k auf sein stetes persönliches Engagement i m Bereich der A u ß e n p o l i t i k feststellte: „ O n me v i t toujours t r a i t e r i m m é d i a t e m e n t avec les ministres étrangers, recevoir les dépêches, faire m o i - m ê m e une p a r t i e des réponses et donner à mes secrétaires la substance des a u t r e s " 1 1 . Lassen weder die Quellen n o c h die k o n k r e t e A u ß e n p o l i t i k auf die E x i stenz einer l ä n g e r f r i s t i g zu realisierenden Gesamtkonzeption schließen, so sind doch i n den außenpolitischen A k t i v i t ä t e n des K ö n i g s einige c h a r a k t e r i stische M e r k m a l e , einige handlungsleitende Grundüberzeugungen erkenn8 Vgl. André , Louis XIV et l'Europe (Anm. 6), 3; Pierre Goubert, Louis XIV et vingt millions de Français, Paris 1966, 73f.; Hatton, Louis XIV and his Fellow Monarchs (Anm. 6), 27; Wolf, Louis XIV (Anm. 4), 193; Claude Michaud, L'Europe de Louis XIV, Paris u.a. 1973, 60; William Doyle, The Old European Order 1660 - 1800, Oxford u. a. 1978, 269; François Bluche, Louis XIV, Paris 1986, 907. 9 André , Louis XIV et l'Europe (Anm. 6), XVIII; Goubert, Louis XIV (Anm. 8), 73f.; Tapié, Quelques aspects généraux de la politique étrangère de Louis XIV (Anm. 5), 5f.; André Corvisier, Louvois, Paris 1983, 286, 489f.; Sonnino, Louis XIV and the origins of the Dutch War (Anm. 7), passim; Bluche, Louis XIV (Anm. 8), 339. 10 Corvisier, Louvois (Anm. 9), 241 - 289, 435 - 468, 488 - 492. 11 Zitiert nach André, Louis XIV et l'Europe (Anm. 6), XVIII.

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bar. A l l g e m e i n herrscht i n der Forschung E i n i g k e i t darüber, daß sich der K ö n i g v o n einem sehr stark ausgeprägten Bedürfnis n a c h R u h m u n d Reput a t i o n l e i t e n ließ. W i e ein L e i t m o t i v ziehen sich die Begriffe „ m a dignité, m a gloire, m a grandeur, m a r é p u t a t i o n " d u r c h seine „ M e m o i r e n " u n d d u r c h zahlreiche andere D o k u m e n t e 1 2 . Persönlicher Ruhm, persönliches Ansehen w a r e n f ü r L u d w i g X I V . m i t der M a c h t u n d dem W o h l des Staates auf das engste v e r k n ü p f t . A b e r das Interesse des Staates hatte stets v o r dem des K ö n i g s z u rangieren. „ L ' i n t é r ê t de l ' E t a t d o i t marcher le premier . . . Q u a n d on a l ' E t a t en vue, on t r a v a i l l e p o u r soi. L e b i e n de l ' u n f a i t la gloire de l ' a u t r e " 1 3 . T r o t z aller b e i L u d w i g X I V . n i c h t zu leugnenden Tendenz, seine R e p u t a t i o n u n d seine Interessen m i t denen des Staates gleichzusetzen, w a r er - w i e dieses Z i t a t belegt - durchaus fähig, zwischen seiner Person u n d dem Staat z u differenzieren. Diesen U n t e r s c h i e d betonte er zuletzt auf dem Sterbebett, i n d e m er feststellte: „Je m ' e n vais, mais l ' E t a t demeurera t o u jours"14. Es k a n n k e i n Z w e i f e l d a r a n bestehen, daß L u d w i g X I V . m i t der zeitgenössischen K o n z e p t i o n der Staatsräson als der „ M a x i m e staatlichen H a n d e l n s " v e r t r a u t w a r . B e g r i f f u n d K o n z e p t der Staatsräson w a r e n bereits v o r seiner Z e i t geläufig, sie spielten eine zunehmende Rolle i m H a n d e l n der Fürsten u n d P o l i t i k e r w ä h r e n d der Jahrzehnte seiner Regierung. O b w o h l der K ö n i g - w i e bereits gesagt - ebenso w i e R i c h e l i e u v i e l m e h r ein M a n n der T a t als abstrakter Ideen w a r , h i e l t er sich bei seinen Entscheidungen i n Staatsangelegenheiten stets an einige allgemeine Prinzipien. D a z u gehörten seine t i e f empfundene V e r a n t w o r t u n g f ü r sein H a n d e l n gegenüber Gott, seine hohe M e i n u n g v o n seinen P f l i c h t e n als K ö n i g u n d seine Entschlossenheit, i n allen Belangen die Interessen des Staates wahrzunehmen. W e l c h große B e d e u t u n g er seinem persönlichen Ansehen u n d der R e p u t a t i o n des Staates bei den 12 Vgl. André , Louis XIV et l'Europe (Anm. 6), XVIf.; Goubert, Louis XIV (Anm. 8), 45, 74; Tapié , Louis XIV's Methods in Foreign Policy (Anm. 6), 3; ders., Quelques aspects généraux de la politique étrangère de Louis X I V (Anm. 5), 6f.; Michaud, L'Europe de Louis XIV (Anm. 8), 65; Wolf , Louis XIV (Anm. 4), 162, 185; Hatton, Louis XIV et l'Europe: Eléments d'une révision historique (Anm. 6), 116; Georges Livet, L'équilibre européen de la fin du X V e à la fin du X V I I I e siècle, Paris 1976, 92; Bluche, Louis XIV (Anm. 8), 339, 352, 793; Sonnino, Louis X I V and the origins of the Dutch War (Anm. 7), 10. „ ... die Eigentümlichkeit vergangener Jahrhunderte (kann) nur zutreffend beurteilt werden, wenn ihre Leitbilder allen Vorbehalten zum Trotz anerkannt und als authentischer Bestandteil historischer Überlieferung interpretiert werden". Johannes Kunisch, La guerre - c'est moi! Zum Problem der Staatenkonflikte im Zeitalter des Absolutismus, in: ZHF 14 (1987), 437. 13 Zitiert nach André, Louis XIV et l'Europe (Anm. 6), X I I ; vgl. dazu auch Wolf, Louis XIV (Anm. 4), 162, 185; Hatton, Louis XIV and his Fellow Monarchs (Anm. 6), 20f.; William F. Church, Louis XIV and Reason of State, in: Rule, Louis X I V and the Craft of Kingship (Anm. 6), 371, 381. 14 Zitiert nach Fritz Härtung / Roland Mousnier, Quelques problèmes concernant la monarchie absolue, in: Relazioni del X Congresso Internazionale di Scienze Storiche, Roma 4 - 1 1 settembre 1955, 4: Storia moderna, Firenze 1955, 9; vgl. auch Church, Louis XIV and Reason of State (Anm. 13), 370f.

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Zeitgenossen u n d i n der N a c h w e l t beimaß, d a r a u f ist bereits hingewiesen worden. Solche P r i n z i p i e n w a r e n aber keineswegs n u r b e i L u d w i g X I V . anzutreffen. Sie w a r e n zu seiner Z e i t i n n e r h a l b u n d außerhalb Frankreichs verbreitet. Z u Recht h a t daher W i l l i a m F. C h u r c h z u r Rolle der Staatsräson i n der P o l i t i k L u d w i g s X I V . festgestellt: „ T h e basic p r i n c i p l e of reason of state m a y therefore be said to have w o n widespread acceptance i n the sense t h a t p r e d o m i n a n t o p i n i o n h e l d the interests of the state to be superior to those of any of its parts a n d w i l l i n g l y accorded L o u i s a l l necessary a u t h o r i t y to i m p l e m e n t this d o c t r i n e " 1 5 . N a c h L u d w i g s Überzeugung w a r e n die V e r t e i d i g u n g des Staates u n d seine t e r r i t o r i a l e A u s d e h n u n g n i c h t n u r ein Gebot der Staatsräson, sondern sie gehörten auch zu den Pflichten, die dem französischen K ö n i g d u r c h die „Fundamentalgesetze" der M o n a r c h i e auferlegt waren. Z u diesen zählte der alte Rechtssatz v o n der U n v e r ä u ß e r l i c h k e i t des Krongutes, der k ö n i g l i c h e n „ D o m ä n e " , u n d der U n v e r j ä h r b a r k e i t aller Ansprüche des K ö n i g s auf sie. W a r dieser Rechtssatz i m M i t t e l a l t e r v o n den K r o n j u r i s t e n f o r m u l i e r t w o r den, u m a l l e n A n s p r ü c h e n auf Teile der französischen M o n a r c h i e z u begegnen, so w u r d e diese „ l o i f o n d a m e n t a l e " z u r Z e i t Richelieus nach außen gewendet, u m eigene Forderungen auf fremde Rechte u n d Gebiete zu begründen. Dieser Grundsatz w u r d e n u n „ v o n der eigentlichen K r o n d o mäne auf alle Ansprüche des Königs, auch die gegen auswärtige Staaten u n d F ü r s t e n " , übertragen. Es w u r d e „ k u r z e r h a n d alles, was jemals z u m französischen Staatsgebiet gehört hatte oder w o r a u f die K r o n e sonst A n s p r u c h zu haben glaubte, als T e i l der D o m ä n e " e r k l ä r t 1 6 . D a m i t w a r e n aus französischer Sicht auch m i l i t ä r i s c h e Maßnahmen, die z u r Realisierung v o n Forderungen gemäß dem Grundsatz v o n der U n v e r ä u ß e r l i c h k e i t des Krongutes n o t w e n d i g w u r d e n , durchaus l e g i t i m e A k t e . D e r D e v o l u t i o n s k r i e g , die Reu n i o n s p o l i t i k u n d der Spanische Erbfolgekrieg w u r d e n z.B. von L u d w i g X I V . bzw. v o n offiziösen französischen P u b l i z i s t e n auf diese Weise l e g i t i m i e r t 1 7 . So sehr aber der K ö n i g i m V e r l a u f seiner A r r o n d i e r u n g s - u n d E x p a n s i o n s p o l i t i k b e m ü h t w a r , die Rechtmäßigkeit seines Handelns z u begründen, so 15 Church, Louis XIV and Reason of State (Anm. 13), 371; zur Idee der Staatsräson vgl. Friedrich Meinecke, Die Idee der Staatsräson in der neueren Geschichte, hrsg. u. eingel. von Walther Hofer (Friedrich Meinecke, Werke, 1), München 31963. 16 Fritz Dickmann, Rechtsgedanke und Machtpolitik bei Richelieu. Studien an neuentdeckten Quellen, in: ders., Friedensrecht und Friedenssicherung. Studien zum Friedensproblem in der Geschichte, Göttingen 1971, 55; Erstveröffentlichung in: HZ 196 (1963), 265 - 319. - Zur Problematik der französischen Fundamentalgesetze vgl. A. Lemaire, Les lois fondamentales de la monarchie française d'après les théoriciens de l'ancien régime, thèse pour le doctorat, Paris 1907. 17 Im Zusammenhang mit dem Devolutionskrieg wurde zur Rechtfertigung des französischen Vorgehens der «Traité des droits de la reine très-chrétienne sur divers états de la monarchie d'Espagne, Paris 1667» veröffentlicht; vgl. auch Winfried Dotzauer, Der publizistische Kampf zwischen Frankreich und Deutschland in der Zeit Ludwigs XIV. Der Publizist Antoine Aubery und seine Gegner (1667 - 1669). «Des iustes prétentions du Roi sur l'Empire», in: ZGO 122 (1974), 99 - 123.

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ist doch ebensowenig z u leugnen, daß er sich w i e d e r h o l t auch ohne jegliche Rechtsbasis f ü r ein militärisches E i n g r e i f e n entschied. D e r K r i e g gegen die R e p u b l i k der Vereinigten Niederlande u n d - i n gewisser Weise - auch der Pfälzische Erbfolgekrieg,

der i n F r a n k r e i c h als „ l a guerre de la ligue

d ' A u g s b o u r g " bezeichnet w i r d , belegen dies 1 8 . Bei beiden K r i e g e n d o m i nierte schließlich die M a c h t - u n d E x p a n s i o n s p o l i t i k die i n diesem K o n t e x t i n der L i t e r a t u r auch i m m e r w i e d e r angeführten französischen Sicherheitsinteressen 1 9 . Es ist deshalb durchaus berechtigt, w e n n Johannes K u n i s c h i m Z u s a m m e n h a n g m i t der E r ö r t e r u n g der M o t i v e der expansiven u n d w ä h r e n d der ersten Jahrzehnte

der persönlichen Regierung an

Gewalttätigkeit

zunehmenden P o l i t i k L u d w i g s X I V . feststellte: „ E r w a r d u r c h d r u n g e n v o n einem Machtbewußtsein, das er gerade auch i n der Sphäre des Staatensystems respektiert wissen w o l l t e " 2 0 . Indessen darf auch n i c h t übersehen w e r den, daß der K ö n i g gegen Ende einer langen A l l e i n h e r r s c h a f t seine häufigen Kriege k r i t i s c h beurteilte. I n seinen letzten W o r t e n an den D a u p h i n r i e t er diesem e i n d r i n g l i c h : „ M o n cher enfant, vous allez être le plus g r a n d r o i d u monde. . . . N e m ' i m i t e z pas dans les guerres; tâchez de m a i n t e n i r toujours la p a i x avec vos voisins . . . " 2 1 . A l s z u k ü n f t i g e r K ö n i g solle er das eigene V o l k soweit w i e m ö g l i c h schonen, w o z u er selbst ( L u d w i g X I V . ) aus G r ü n d e n der Staatsräson u n g l ü c k l i c h e r w e i s e n i c h t i n der Lage gewesen sei 2 2 . Generell läßt sich b e i m alternden K ö n i g eine zunehmende Friedensbereitschaft k o n statieren, auf deren mögliche G r ü n d e i m z w e i t e n T e i l meiner A u s f ü h r u n g e n z u r ü c k z u k o m m e n ist. L u d w i g X I V . ist v o n M a z a r i n f r ü h z e i t i g i n die M i t t e l u n d M e t h o d e n f r a n zösischer A u ß e n p o l i t i k eingeführt worden. Es k a n n daher n i c h t überraschen, daß sein eigenes Vorgehen auf diesem Felde gewisse K o n t i n u i t ä t e n m i t der P o l i t i k Mazarins u n d Richelieus aufweist, K o n t i n u i t ä t e n , die aber auch aus der p o l i t i s c h e n G e s a m t k o n s t e l l a t i o n i n E u r o p a u m 1661 resultierten, die i n i h r e m Ergebnis w e s e n t l i c h das W e r k der beiden K a r d i n ä l e w a r 2 3 . F ü r L u d w i g X I V . b l i e b wegen der offenen Frage der spanischen Erbfolge die Gefahr der E r r i c h t u n g einer habsburgischen „ U n i v e r s a l m o n a r c h i e " ein zentrales P r o b l e m seiner A u ß e n p o l i t i k . D u r c h seine H e i r a t m i t der spanischen I n f a n t i n M a r i a Theresia eröffnete sich f ü r F r a n k r e i c h aber auch die Chance, 18

Church, Louis XIV and Reason of State (Anm. 13), 380 - 393. So z.B. John B. Wolf, Toward a European Balance of Power 1620 - 1715, Chicago 1970, 67, 80f., 85; Bluche, Louis XIV (Anm. 8), 352, 431. 20 Johannes Kunisch, Absolutismus. Europäische Geschichte vom Westfälischen Frieden bis zur Krise des Ancien Régime, Göttingen 1986, 135. 21 Α. de Boislisle (Hrsg.), Mémoires de Saint-Simon, XXVII, Paris 1915, 274f., Anm. 4. 22 «... tâchez ... de soulager votre peuple autant que vous pourrez, ce que j'ai eu le malheur de ne pouvoir faire par les nécessités de l'Etat. » Ebd. 23 Zur Frage der Kontinuität in der Außenpolitik Ludwigs XIV. vgl. Hatton, Louis XIV and his Fellow Monarchs (Anm. 6), 30, 41; Bluche, Louis XIV (Anm. 8), 164, 920. 19

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i m K o n t e x t der spanischen Erbfolge t e r r i t o r i a l e Ansprüche anzumelden, w e n n n i c h t gar eine Erbfolgeregelung z u seinen Gunsten anzustreben. Z u konstatieren ist jedenfalls, daß L u d w i g X I V . „ i n der K o n t i n u i t ä t einer europäischen P o l i t i k " zu sehen ist, „ d i e einer habsburgischen V o r m a c h t s t e l l u n g i n E u r o p a den K a m p f ansagt, u n d die u m die E r r i c h t u n g einer europäischen M ä c h t e v e r t e i l u n g besorgt ist, die eine solche V o r m a c h t s t e l l u n g v e r h i n d e r n w i l l , aber so, daß F r a n k r e i c h selbst dabei die K o n t r o l l e über dieses E u r o p a behält"24. F ü r den K ö n i g u n d seine p o l i t i s c h e n Berater spielte die potentielle Bedroh u n g d u r c h das Haus H a b s b u r g eine zentrale Rolle. E i n französisches Sicherheitsbedürfnis gegenüber einer solchen B e d r o h u n g w a r jedenfalls s u b j e k t i v vorhanden, auch w e n n sich dessen Berechtigung m i t dem H i n w e i s bestreiten läßt, daß sich das Haus Habsburg, sowohl der spanische als auch der österreichische Z w e i g , „spätestens seit dem Pyrenäenfrieden (1659) i n der Defensive, ja auf dem R ü c k z u g b e f a n d " 2 5 . D i e „ i n i m i t i é permanente" zwischen der französischen K r o n e u n d der „ m a i s o n d ' H a b s b o u r g " stellte f ü r L u d w i g X I V . eine Grundgegebenheit dar, die d u r c h eine m e h r als h u n d e r t jährige Geschichte u n t e r m a u e r t w u r d e . „ O n ne peut élever l ' u n e " , so stellte er fest, „sans abaisser l ' a u t r e " 2 6 . Bei aller K o n t i n u i t ä t , die zwischen der P o l i t i k L u d w i g s X I V . einerseits u n d derjenigen der beiden K a r d i n ä l e Richelieu u n d M a z a r i n andererseits besteht, d ü r f e n aber auch die d e u t l i c h e n Unterschiede n i c h t übersehen w e r den. Sie manifestieren sich e i n m a l i n den M i t t e l n u n d Methoden. A n die Stelle der v o n Richelieu u n d M a z a r i n bevorzugten P o l i t i k der „ p é n é t r a t i o n p a c i f i q u e " t r a t der Rekurs auf eine ü b e r w i e g e n d kriegerische M a c h t p o l i t i k 2 7 . Unterschiede lassen sich aber andererseits auch b e i m Ausmaß des Strebens nach T e r r i t o r i a l g e w i n n f ü r F r a n k r e i c h ausmachen. L ä ß t sich der E r w e r b D ü n k i r c h e n s i m Jahre 1662 n o c h als eine Fortsetzung der „Passagen· u n d P f o r t e n p o l i t i k " Richelieus u n d Mazarins i n t e r p r e t i e r e n 2 8 , so k a n n 24 Hermann Weber, Die französische Rheinpolitik zwischen dem Westfälischen Frieden und dem Renversement des Alliances, in: Hans-Walter Hermann/Franz Irsigler (Hrsg.), Beiträge zur Geschichte der frühneuzeitlichen Garnisons- und Festungsstadt. Referate und Ergebnisse der Diskussion eines Kolloquiums in Saarlouis vom 24. - 27.6.1980 (Veröffentlichungen der Kommission für Saarländische Landesgeschichte und Volksforschung, 13), Saarbrücken 1983, 75. 25 Kunisch, Absolutismus (Anm. 20), 135; vgl. auch Michaud, L'Europe de Louis XIV (Anm. 8), 14. 26 Zitiert nach Goubert, Louis XIV (Anm. 8), 54. 27 Zu den Unterschieden in den Mitteln und Methoden der Außenpolitik Mazarins und Ludwigs XIV. vgl. Roman Schnur, Der Rheinbund von 1658 in der deutschen Geschichte (Rheinisches Archiv, 47), Bonn 1955; John T. O'Connor, Louis XIV's Strategie Frontier in the Holy Roman Empire, in: Proceedings of the 3rd annual meeting of the Western Society for French History, Denver 4. - 6. 12. 1975, 1976, 108ff. 28 Hatton, Louis XIV and his Fellow Monarchs (Anm. 6), 32; Roland Mousnier, Les X V I e et X V I I e siècles. Les progrès de la civilisation européenne et le déclin de l'Orient

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davon f ü r die P o l i t i k L u d w i g s X I V . i m K o n t e x t des Devolutionskrieges, des Krieges gegen die R e p u b l i k der V e r e i n i g t e n Niederlande u n d der Reunionen keine Rede m e h r sein 2 9 . Diese k o n f r o n t a t i v e P o l i t i k h a t t e größeren T e r r i t o r i a l e r w e r b z u m Ziel, was bereits der D e v o l u t i o n s k r i e g v e r d e u t l i c h t . N a c h dem Tode P h i l i p p s I V . v o n Spanien berief sich L u d w i g X I V . auf ein i n Teilen Brabants geltendes P r i v a t r e c h t der D e v o l u t i o n , w o n a c h K i n d e r aus erster Ehe b e i m Tode des Vaters das i h n e n zustehende Erbe anzutreten berechtigt seien, u m die gesamten Spanischen Niederlande - mindestens jedoch den größten T e i l - als M i t g i f t seiner F r a u m i t m i l i t ä r i s c h e n M i t t e l n f ü r F r a n k reich z u erwerben. Daß es L u d w i g X I V . dabei l e t z t l i c h u m die ganzen S p a n i schen Niederlande ging, beweist der negative V e r l a u f der bereits 1663/64 zwischen d e m holländischen Staatsmann de W i t t u n d dem französischen Gesandten geführten V e r h a n d l u n g e n über das Schicksal der Spanischen Niederlande, bei denen die französische Seite s o w o h l die v o n de W i t t anfänglich beabsichtigte T e i l u n g der südlichen Niederlande als auch dessen späteren Vorschlag ablehnte, ein südniederländisches

„Kantonnement"

nach Schweizer Muster zu schaffen 3 0 . D i e Durchsetzung der französischen A m b i t i o n e n auf die gesamten Spanischen Niederlande spielte auch b e i m A u s b r u c h des Krieges Frankreichs gegen die R e p u b l i k der Vereinigten N i e derlande eine zentrale R o l l e 3 1 . I m Frieden v o n N i m w e g e n k o n n t e dieses Z i e l d a n n aber n u r teilweise realisiert werden. A u c h die R e u n i o n s p o l i t i k der Jahre n a c h 1679 g r i f f i m Ergebnis v i e l w e i ter aus, als es bei der „Passagen- u n d P f o r t e n p o l i t i k " Richelieus der F a l l gewesen w a r . E i n B l i c k auf die K a r t e der französischen Reunionen genügt, u m den U n t e r s c h i e d zu erkennen. A l l e r d i n g s entsprach aus französischer Sicht auch die R e u n i o n s p o l i t i k insofern einer defensiven A b s i c h t , als es L u d w i g X I V . m i t diesen r e c h t l i c h zumindest sehr u m s t r i t t e n e n M a ß n a h m e n d a r u m ging, die französischen Grenzen nach N o r d e n u n d Osten auszudeh-

(1492 - 1715) (Histoire Générale des Civilisations, 4), Paris 1954, 280, sieht in der Politik bis 1678 eine Fortsetzung der „Passagen- und Pfortenpolitik". 29 In seiner Biographie über Ludwig XIV. stellt Wolf fest: " I t would be absurd to assume that preoccupation w i t h the 'gates' of his kingdom was the sole axis of Louis' policy, but it is equally false to fail to recognize his concern." Wolf , Louis XIV (Anm. 4), 189; in gleicher Weise äußert sich Wolf auch in seinem Werk „Toward a European Balance of Power" (Anm. 19), 29. - Kritisch gegenüber solchen Positionen: Livet, L'équilibre européen (Anm. 12), 93 und Andrew LossJcy, The General European Crisis of the 1680s, in: European Studies Review 10 (1980), 187. Lossky spricht von einer "caricature of the old policy of the 'gates'." 30 Werner Hahlweg, Barriere - Gleichgewicht - Sicherheit. Eine Studie über die Gleichgewichtspolitik und die Strukturwandlung des Staatensystems in Europa 1646 - 1715, in: HZ 187 (1959), 62f.; vgl. auch: André, Louis XIV et l'Europe (Anm. 6), 100f.; Gaston Zeller, Les temps modernes, Bd. II: De Louis X I V à 1789 (Histoire des relations internationales, 3), Paris 1955, 26f. 31 Vgl. Paul Sonnino, Louis XIV's ,Mémoires pour l'histoire de la guerre de Hollande', in: French Historical Studies 8 (1973/74), 44, 48f.; ders., Louis X I V and the origins of the Dutch War (Anm. 7), 49, 103, 192.

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nen, bestehende G r e n z l ü c k e n z u schließen u n d so die M o n a r c h i e gegen A n g r i f f e v o n außen sicherer zu machen. Generell w i r d v o r a l l e m i n der französischen, englischen u n d a m e r i k a n i schen Forschung hervorgehoben, daß das B e m ü h e n n i c h t n u r u m einen A u s bau, sondern auch u m eine A u s d e h n u n g der französischen N o r d - u n d Ostgrenze ein weiteres durchgängiges Z i e l der A u ß e n p o l i t i k L u d w i g s X I V . gewesen sei 3 2 . A u f diese Weise sollten die französischen K e r n l a n d s c h a f t e n u n d die H a u p t s t a d t Paris v o r a u s w ä r t i g e n Invasionen gesichert werden. Bei der Realisierung dieser ausgreifenden u n d m i t aggressiven M i t t e l n geführten „ G r e n z p o l i t i k " w a r die französische Seite alles i n a l l e m auch recht erfolgreich. D i e dabei erzielten t e r r i t o r i a l e n Gewinne, bei denen es sich zumeist n i c h t u m große geschlossene Gebiete, oft sogar u m E n k l a v e n h a n delte, m a c h t e n d a n n aber aus französischer Sicht erneut A r r o n d i e r u n g e n n o t w e n d i g . Bereits i m Jahre 1673 hatte V a u b a n i n seinem b e k a n n t e n B r i e f an L u d w i g X I V . empfohlen, F r a n k r e i c h v e r n ü n f t i g e u n d besser z u v e r t e i d i gende Grenzen zu verschaffen, die M o n a r c h i e zu einer „ p r é carré"

zu

m a c h e n 3 3 . N a c h dem F r i e d e n v o n N i m w e g e n begann d a n n die französische P o l i t i k i n v e r s t ä r k t e m Maße, diese K o n z e p t i o n i n die Realität umzusetzen 3 4 . D i e ausgreifende u n d zunehmend aggressive „ G r e n z p o l i t i k "

Ludwigs

X I V . ist i m Z u s a m m e n h a n g m i t dem bereits angesprochenen französischen Sicherheitsbedürfnis zu sehen. Manches spricht f ü r die A n n a h m e , daß die i n R e a k t i o n auf die aggressive französische A u ß e n p o l i t i k gebildeten europäischen K o a l i t i o n e n gegen L u d w i g X I V . das s u b j e k t i v vorhandene französische Sicherheitsbedürfnis w e i t e r v e r s t ä r k t haben, was sich w i e d e r u m i n aggressiven A k t e n Frankreichs äußerte. Das französische Sicherheitsstreben u n d die n i c h t zuletzt auch daraus resultierende K o n f r o n t a t i o n s p o l i t i k n a h m e n zu, als z u dem t r a d i t i o n e l l e n französisch-habsburgischen Gegensatz nach 1679 der französisch-englische h i n z u t r a t u n d den ersteren a l l m ä h l i c h überlagerte. D i e H e r a u s b i l d u n g einer neuen F r o n t gegen F r a n k r e i c h hatte sich bereits m i t d e m Abschluß der T r i p e l a l l i a n z zwischen E n g l a n d , der R e p u b l i k der Vereinigten Niederlande u n d Schweden w ä h r e n d des D e v o l u tionskrieges abgezeichnet, u n d dieser Vorgang h a t t e L u d w i g X I V . b e k a n n t l i c h z u einer schnellen Beendigung des Krieges gegen Spanien veranlaßt. „ H i e r also hatte sich erstmals jene neue O p p o s i t i o n angekündigt, die einen W a n d e l i m europäischen System herbeiführen sollte: eine Opposition, die sich u m die Seemächte Schloß, i n der besonders d a n n E n g l a n d die führende 32 Goubert, Louis XIV (Anm. 8), 53; Livet, L'équilibre européen (Anm. 12), 102; Michaud, L'Europe de Louis XIV (Anm. 8), 60, 63, 70; Bluche, Louis XIV (Anm. 8), 352, 384, 417ff., 474f.; Hatton, Louis XIV and his Fellow Monarchs (Anm. 6), 32ff.; Wolf, Toward a European Balance of Power (Anm. 19), 30, 48, 62, 65ff., 70, 80f., 85. 33 Lossky, The General European Crisis of the 1680s (Anm. 29), 187. 34 Wolf, Toward a European Balance of Power (Anm. 19), 80f.; Corvisier, Louvois (Anm. 9), 287; Bluche, Louis XIV (Anm. 8), 418f.

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Rolle spielen sollte, so daß schließlich n i c h t mehr Spanien, sondern E n g l a n d der entscheidende K o n k u r r e n t f ü r die französische M a c h t s t e l l u n g i n E u r o p a werden w ü r d e " 3 5 . D e r sich anbahnende französisch-englische

A n t a g o n i s m u s sowie das

Z u s t a n d e k o m m e n einer antifranzösischen K o a l i t i o n w ä h r e n d des französischen Krieges gegen die Vereinigten Niederlande, einer A l l i a n z , der neben H o l l a n d u n d Spanien schließlich auch der Kaiser u n d das Reich angehörten, hatte u.a. eine Veränderung der M e t h o d e n der bisherigen französischen „ G r e n z - u n d S i c h e r h e i t s p o l i t i k " i m Osten zur Folge. Dieser Veränderung lagen folgende Vorgänge zugrunde. I m Westen des Reiches w a r zunächst der Versuch Frankreichs gescheitert, i n A n k n ü p f u n g an die M ö g l i c h k e i t e n des Westfälischen Friedens einen neuen R h e i n b u n d u n d m i t diesem „ u n e b a r rière de t o u t le cours d u R h i n jusqu'à Cologne" zu e r r i c h t e n 3 6 . M i t H i l f e dieser Barriere a m R h e i n h o f f t e n die Franzosen, den französisch-holländischen K o n f l i k t auf diese beiden Staaten begrenzen z u können. Diese A b s i c h t scheiterte aber - n i c h t zuletzt wegen der negativen Erfahrungen, die die rheinischen Reichsstände i m letzten Jahrzehnt m i t der französischen P o l i t i k gemacht h a t t e n - ebenso w i e die französischen Bemühungen, u n t e r Rekurs auf das System des Westfälischen Friedens die Ansätze zur B i l d u n g einer D r i t t e n Partei i m Reich i n eine profranzösische - oder doch zumindest f ü r F r a n k r e i c h ungefährliche - R i c h t u n g zu l e n k e n 3 7 . A l s d a n n a m 31. M ä r z 1674 der „ R e i c h s k r i e g " 3 7 a gegen F r a n k r e i c h e r k l ä r t w u r d e , befanden sich die rheinischen Gebiete n i c h t mehr an der Peripherie des K o n f l i k t s , sondern gerieten i n dessen Z e n t r u m . Diese hier n u r skizzierte E n t w i c k l u n g f ü h r t e zu einer Veränderung der französischen P o l i t i k i n den an das östliche F r a n k reich angrenzenden Territorien. „ I n dem A u g e n b l i c k , i n dem rheinische Staaten ihre F u n k t i o n n i c h t m e h r als abschirmende Barriere erfüllen w o l l t e n oder k o n n t e n (eine F u n k t i o n , die i n erster L i n i e d u r c h diplomatische M i t t e l z u erreichen war), u n d w o sie statt dessen i n einen der S c h w e r p u n k t e der europäischen Auseinandersetzung m i t F r a n k r e i c h gerieten, gewannen m i l i t ä r i s c h e u n d strategische Interessen die Oberhand, u n d m u ß t e n M a ß -

35 Weber, Die französische Rheinpolitik (Anm. 24), 79; vgl. auch Jeremy Black, The Rise of the European Powers 1679 - 1793, London u.a. 1990, 31. 36 In der Instruktion für den nach Kurmainz entsandten Marquis de Dangeau vom 23. Februar 1673 wurde dem Kurfürsten angeraten, sich mit seinen Kollegen von der Pfalz und von Trier zu einigen, « dans un semblable dessein, et que, formant en cette sorte une barrière de tout le cours du Rhin jusqu'à Cologne, les armées de Brandebourg n'estant plus en estât de le passer, celles de Sa Majesté n'auroient plus d'occasion de s'en rapprocher», in: Georges Livet (Hrsg.), Recueil des Instructions, XXVIII, 1: Mayence, Paris 1962, 60f. 37 Vgl. dazu Klaus Peter Decker, Frankreich und die Reichsstände 1672 - 1675. Die Ansätze zur Bildung einer „Dritten Partei" in den Anfangs jähren des Holländischen Krieges (Pariser Historische Studien, 18), Bonn 1981. 37a Klaus Müller, Zur Reichskriegserklärung im 17. und 18. Jahrhundert, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germ. Abt. 90 (1973), 246 - 259.

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n a h m e n i n den V o r d e r g r u n d treten, die auf eine u n m i t t e l b a r e t e r r i t o r i a l e V e r f ü g b a r k e i t dieses Raumes ausgerichtet w a r e n " 3 8 . D i e nach dem Frieden v o n N i m w e g e n betriebene R e u n i o n s p o l i t i k , die A n n e x i o n Straßburgs 1681 u n d die m i t den t e r r i t o r i a l e n Abrundungsbestrebungen verbundenen f r a n zösischen Ansprüche auf das pfälzische Erbe v e r d e u t l i c h e n den i n jenen Jahren eingetretenen W a n d e l n i c h t n u r i n den M i t t e l n u n d M e t h o d e n der französischen „ G r e n z - u n d S i c h e r h e i t s p o l i t i k " , sondern auch i m Interesse, das F r a n k r e i c h an jener rheinischen Region h a t t e 3 9 . Wegen dieses aggressiven u n d expansiven Vorgehens i m Jahrzehnt nach N i m w e g e n v e r l o r der v o n F r a n k r e i c h vertretene A n s p r u c h , eine auf Frieden, G l e i c h g e w i c h t

und

Sicherung der O r d n u n g des Westfälischen Friedens orientierte P o l i t i k z u betreiben, i n den A u g e n der europäischen Ö f f e n t l i c h k e i t vollends an G l a u b w ü r d i g k e i t . Zweifellos ist i n den achtziger Jahren i m gesamten rheinischen R a u m „ e i n entschiedener französischer Expansions- u n d H e r r s c h a f t s w i l l e n zu erkennen, der die i n den bisherigen K r i e g e n erreichten M a c h t p o s i t i o n e n rücksichtslos zur E r w e i t e r u n g u n d Festigung einer französischen Hegemon i a l s t e l l u n g i n E u r o p a auszubauen entschlossen w a r " 4 0 .

2. Ludwigs X I V . Außenpolitik i m Kontext wirtschaftlicher und sozialer Faktoren und Entwicklungen Die Alleinherrschaft

L u d w i g s X I V . fiel i n eine Z e i t

wirtschaftlicher

Depression, zumindest i n eine Stagnationsphase. Faßt m a n die mehr oder m i n d e r langfristigen Preisbewegungen sowie verschiedene gewerbliche u n d kommerzielle Indizes ins Auge, so ergibt sich auf der G r u n d l a g e des bisherigen Forschungsstandes insgesamt folgendes B i l d , bei dem f r e i l i c h regionalzeitliche Verschiebungen oder sonstige A b w e i c h u n g e n w e i t g e h e n d u n b e r ü c k s i c h t i g t bleiben. Ebenso w i e i m m e d i t e r r a n e n E u r o p a setzte auch i m Süden Frankreichs k u r z n a c h 1600 i n n e r h a l b des Gesamtbereichs der Preise eine r ü c k l ä u f i g e E n t w i c k l u n g ein, die sich zunächst langsam u n d k a u m w a h r n e h m b a r v o l l zog, d a n n aber nach dem Jahrzehnt 1620 bis 1630 ganz d e u t l i c h faßbar ist. Wies die anhaltende Baisse w ä h r e n d der z w a n z i g Jahre zwischen 1630 u n d 1650 noch regionale Unterschiede auf, so ist sie nach 1660 ü b e r a l l i n F r a n k reich festzustellen. I m V e r l a u f der folgenden 70 bis 80 Jahre, also bis i n die 38

Weber, Die französische Rheinpolitik (Anm. 24), 80 f. Zur Reunionspolitik vgl. Bernd Wunder, Frankreich, Württemberg und der Schwäbische Kreis während der Auseinandersetzungen über die Reunionen (1679 97). Ein Beitrag zur Deutschlandpolitik Ludwigs XIV. (Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, Reihe B, 64), Stuttgart 1971; zum Pfälzischen Krieg siehe jetzt Boutant , L'Europe au grand tournant des années 1680 (Anm. 7). 40 Weber, Die französische Rheinpolitik (Anm. 24), 81. 39

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Z e i t u m 1730/1740, k a m es n u r n o c h vorübergehend infolge k u r z f r i s t i g e r E n t w i c k l u n g e n zu einem Wiederanstieg der Preise, der jedoch den l a n g f r i stigen Preisverfall - v o n einzelnen A u s n a h m e n abgesehen - n i c h t z u beeinflussen vermochte. Besonders d e u t l i c h w a r der Preisrückgang b e i m Getreide u n d bei T e x t i lien, den beiden d o m i n i e r e n d e n Sektoren der französischen

Wirtschaft.

Angesichts der r ü c k l ä u f i g e n Bewegung bei den meisten agrarischen Prod u k t e n ist es n i c h t w e i t e r erstaunlich, daß auch die Erträge aus der G r u n d rente i m gleichen Z e i t r a u m v o n dieser E n t w i c k l u n g erfaßt w u r d e n . A u c h der atlantische H a n d e l befand sich seit e t w a 1620 i m Zeichen der Depression, v o n der jedoch z e i t w e i l i g einzelne französische Küstengebiete weniger stark erfaßt gewesen zu sein scheinen. Daß sich die Rezession i m H a n d e l u n d der V e r f a l l der Preise negativ auf die gewerbliche u n d agrarische P r o d u k t i o n a u s w i r k t e n , bestätigen Regionalstudien. So ergibt sich h i n s i c h t l i c h der T e x t i l p r o d u k t i o n i n Reims, L i l l e , Valenciennes, Amiens u n d Beauvais, daß sie w ä h r e n d der gesamten Regierungszeit L u d w i g s X I V . niemals den hohen S t a n d erreichte, den sie i n den Jahren zwischen 1625 u n d 1635 erlangt hatte. D i e Periode zwischen 1660 u n d 1700 w a r v o n einem Stagnieren bei reduzierter P r o d u k t i o n gekennzeichnet, w e n n m a n v o n einigen k u r z f r i s t i g e n g ü n s t i geren E n t w i c k l u n g e n absieht, die m e h r oder weniger auf M a ß n a h m e n Colberts z u r ü c k z u f ü h r e n s i n d 4 1 . H i n s i c h t l i c h der agrarischen P r o d u k t i o n hat L e Roy L a d u r i e f ü r das Languedoc einen E i n b r u c h b e i m W e i n a n b a u f ü r die Z e i t u m 1650/60 nachweisen können, der i m A b s t a n d v o n etwa z w a n z i g Jahren d a n n bei der Getreideerzeugung ebenfalls einsetzte 4 2 . W e n n es w o h l auch einige Sektoren oder Regionen i n F r a n k r e i c h gegeben hat, die v o n dieser E n t w i c k l u n g weniger erfaßt w u r d e n , so scheint doch das G e s a m t b i l d v o n einer langfristigen w i r t s c h a f t l i c h e n Depression f ü r das 17. J a h r h u n d e r t zutreffend zu sein 4 3 . B e i m gegenwärtigen S t a n d der Forschung sprechen einige

Untersu-

chungsergebnisse f ü r die A n n a h m e , daß F r a n k r e i c h i m Jahrzehnt v o n 1661 bis 1672, das n u r d u r c h den k u r z e n D e v o l u t i o n s k r i e g (1667/68) u n t e r b r o chen w u r d e , eine gewisse w i r t s c h a f t l i c h e E r h o l u n g erfahren hat, die jedoch n o c h keine Wende i n der l a n g f r i s t i g e n Depressionsphase bedeutete. Ob frei41 Jean Meyer weist jedoch darauf hin, daß die Textilproduktion zwischen 1688 und 1715 jährlich um mehr als 1% zunahm. Jean Meyer, La France moderne de 1515 à 1789 (Histoire de France, 3), Paris 1985, 359. 42 Emmanuel Le Roy Ladurie , Les paysans de Languedoc (Civilisations et sociétés, 42), Paris/La Haye 21966. 43 Zur Gesamtproblematik der Depression im 17. Jahrhundert vgl. Pierre Goubert, Le „tragique" X V I I e siècle, in: Histoire économique et sociale de la France, 2: Des derniers temps de l'âge seigneurial aux préludes de l'âge industriel (1660 - 1789), Paris 1970, 329 - 365; Jan de Vries, The Economy of Europe in an Age of Crisis, 1600 1750, London u.a. 1976; P. J. Coveney, Introduction: France in Crisis 1620 - 1675, in: ders. (Hrsg.), France in Crisis 1620 - 1675, London u.a. 1977, 28 - 31.

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l i e h diese relative Verbesserung der Lage i n einzelnen Bereichen der W i r t schaft u n d auf dem Sektor der F i n a n z e n als Verdienst Colberts u n d n i c h t als eine Folge dieses Friedens]ahrzehnts z u w e r t e n ist, b l e i b t eine offene Frage, deren B e a n t w o r t u n g w e i t e r e n Spezialuntersuchungen v o r b e h a l t e n b l e i b e n muß. W a h r s c h e i n l i c h haben sich Colberts v i e l f ä l t i g e B e m ü h u n g e n u m F ö r derung der W i r t s c h a f t u n d u m die Sanierung der F i n a n z e n u n d die positiven A u s w i r k u n g e n der Friedens] ahre ergänzt u n d somit gemeinsam z u r z e i t w e i l i g e n E r h o l u n g der w i r t s c h a f t l i c h e n Verhältnisse beigetragen 4 4 . Bis i n die Gegenwart h i n e i n ist die A n s i c h t vertreten worden, daß der K r i e g L u d w i g s X I V . gegen die R e p u b l i k der Vereinigten Niederlande, ein K o n f l i k t , der n i c h t n u r z u r B i l d u n g einer größeren antifranzösischen K o a l i t i o n , sondern auch zur ersten spürbaren inneren Belastung Frankreichs führte, v o n Colbert v o n A n f a n g an m i t g e w o l l t u n d geplant gewesen sei, u m m i t m i l i t ä r i s c h e n M i t t e l n den H a n d e l s k o n k u r r e n t e n H o l l a n d auszuschalt e n 4 5 . Neuere Forschungen haben erwiesen, daß diese A n s i c h t n i c h t m e h r aufrechtzuerhalten ist. B e i seinen U n t e r s u c h u n g e n über die Ursprünge des H o l l ä n d i s c h e n Krieges k o n n t e der amerikanische H i s t o r i k e r P a u l Sonnino feststellen, daß Colbert aus w i r t s c h a f t l i c h e n u n d f i n a n z i e l l e n G r ü n d e n i m „Conseil d'en h a u t " n i c h t n u r f ü r die Beendigung des Devolutionskrieges d u r c h den K o m p r o m i ß f r i e d e n v o n A a c h e n (2. M a i 1668) p l ä d i e r t hat, sondern auch lange Z e i t den K r i e g gegen die R e p u b l i k der Vereinigten N i e d e r lande vermeiden w o l l t e , auf den L u d w i g X I V . u n d der junge L o u v o i s zielstrebig h i n a r b e i t e t e n 4 6 . Ganz sicher w a r Colbert k e i n Kriegstreiber. Schon i n den Jahren 1669 u n d 1670, als der K ö n i g den K r i e g d i p l o m a t i s c h u n d m i l i t ä r i s c h vorbereitete, versuchte der M i n i s t e r , m i t d e u t l i c h e n H i n w e i s e n auf die defizitäre E n t w i c k l u n g der Staatsfinanzen seinen H e r r n v o n einem militärischen K o n f l i k t m i t H o l l a n d abzuhalten. E r kämpfte u m eine Reduzier u n g der Staatsausgaben u n d versuchte den K ö n i g davon zu überzeugen, daß F r a n k r e i c h i n 12 bis 13 Jahren den holländischen R i v a l e n auch m i t M i t t e l n der W i r t s c h a f t s - u n d H a n d e l s p o l i t i k entscheidend schwächen k ö n n e 4 7 . D i e i m Vertrag v o n Dover (1. J u n i 1670) dem englischen K ö n i g K a r l II. zugesagten Subsidienzahlungen k r i t i s i e r t e er i n einem Schreiben an den K ö n i g , w e i l f ü r 44 Vgl. Klaus Malettke, Jean-Baptiste Colbert. Aufstieg im Dienste des Königs (Persönlichkeit und Geschichte, 99/100), Göttingen u.a. 1977, 58 - 81. 45 So noch Wolf\ Toward a European Balance of Power (Anm. 19), 49; Perry Anderson, Die Entstehung des absolutistischen Staates. Übersetzt von Gerhard Fehn, Frankfurt a. M. 1979, 130. Goubert, Louis X I V (Anm. 8), 85, 95, 363. - Zur Frage der Haltung Colberts gegenüber dem Holländischen Krieg vgl. Klaus Malettke, Colbert devant les historiens (1683 - 1983), in: Roland Mousnier (Hrsg.), Un nouveau Colbert, Paris 1985, 23ff. 46 Paul Sonnino, Jean-Baptiste Colbert and the origins of the Dutch War, in: European Studies Review 13 (1983), 1 - 11; ders., Louis X I V and the origins of the Dutch War (Anm. 7). Differenzierter zu dieser Frage bereits Jean Meyer, Colbert, Paris 1981, 107, 132. 47 Sonnino, Louis X I V and the origins of the Dutch War (Anm. 7), 125f.

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den Staat nichts schädlicher sei, als j ä h r l i c h eine so große Geldsumme zu e x p o r t i e r e n 4 8 . Schließlich hatte sich Colbert aber 1671 der Kriegsentscheid u n g des K ö n i g s zu beugen u n d mußte die i m V e r l a u f des K o n f l i k t s stetig wachsenden Ausgaben aufbringen. E r sah sich jetzt v o r der N o t w e n d i g k e i t , zu M i t t e l n zu greifen, die er i n den Jahren zuvor bei seinen - n u r z u m T e i l erfolgreichen - Bemühungen, die Staatsfinanzen zu sanieren, auf das entschiedenste b e k ä m p f t hatte. N u n m e h r w a r er selbst gezwungen, d u r c h Rekurs auf die sogenannten „affaires e x t r a o r d i n a i r e s " , auf k u r z f r i s t i g e K r e dite u n d Zwangsanleihen, auf die Ausgabe neuer Renten, auf neue Steuern sowie auf die Veräußerung v o n G ü t e r n der K r o n d o m ä n e das steigende Staatsdefizit i n Grenzen zu h a l t e n 4 9 . I n größerem U m f a n g g r i f f er auch w i e der z u m M i t t e l des Ämterverkaufs. So w u r d e n z.B. i m Dezember 1675 w e i tere „offices de payeurs de rentes" i m Gesamtverkaufswert v o n 2,23 M i l l i o nen livres geschaffen u n d auf den M a r k t g e b r a c h t 5 0 . D i e steigenden Kriegskosten h a t t e n auch eine Z u n a h m e des Steuerdrucks f ü r die B e v ö l k e r u n g zur Folge. D i e Belastungen der „ t a i l l e " stiegen v o n 33,3 M i l l i o n e n livres i m Jahre 1672 a l l m ä h l i c h , aber stetig an u n d erreichten i n den Jahren 1676 bis 1678 40,2 M i l l i o n e n livres. Bis z u m Jahre 1665 h a t t e n dagegen die K r o n e i n n a h m e n aus der „ t a i l l e " v o n 41,5 i m Jahre 1661 auf 33,8 M i l l i o n e n livres gesenkt w e r d e n k ö n n e n 5 1 . H a t t e Colbert w ä h r e n d der 60er Jahre i m Staatsbudget sogar noch spürbare Überschüsse erzielen können, so wuchsen m i t B e g i n n des Krieges gegen die Vereinigten Niederlande die Defizite. Sie stiegen v o n 12,3 M i l l i o n e n i m Jahre 1672 auf 53,3 M i l l i o n e n livres i m Jahre 1679 an. I m gleichen Z e i t r a u m n a h m e n die Ausgaben v o n 87,9 M i l l i o n e n auf 128,2 M i l l i o n e n livres

zu52.

D i e f ü r die K r o n e u n d l e t z t l i c h auch f ü r die gesamte B e v ö l k e r u n g der M o n a r c h i e aus den hier n u r skizzierten Gegebenheiten u n d E n t w i c k l u n g e n resultierenden Belastungen w u r d e n d u r c h s t r u k t u r e l l e M ä n g e l des d a m a l i gen französischen F i n a n z - u n d Steuerwesens verstärkt. Als besonders gravierend erwiesen sich auf die Dauer die V i e l z a h l u n k o o r d i n i e r t u n d u n a b h ä n g i g nebeneinander bestehender Kassen u n d die Existenz einiger h u n d e r t spezieller Finanzbeamter, die w e i t g e h e n d eigenständig u n d u n k o n t r o l l i e r t i n n e r h a l b ihres - ebenfalls n i c h t i m m e r k l a r umrissenen - Kompetenzbereichs Gelder der K r o n e einzogen, h a n d h a b t e n u n d Ausgaben tätigten. 48 Sonnino, Jean-Baptiste Colbert (Anm. 46), 5; vgl. auch dersLouis XIV and the origins of the Dutch War (Anm. 7), 116f. 49 Sonnino, Louis XIV and the origins of the Dutch War (Anm. 7), 184; Daniel Dessert, Argent, pouvoir et société au Grand Siècle, Paris 1984, 161 ff. 50 Dessert, Argent, pouvoir et société (Anm. 49), 164. 51 Edmond Esmonin, La taille en Normandie au temps de Colbert 1661 - 1683, Paris 1913 (ND Genève 1978), 23. 52 Alain Guéry, Les finances de la monarchie française sous l'ancien régime, in: Annales E.S.C. 33 (1978), Tabelle II.

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Diese „officiers comptables" h a t t e n i h r A m t gekauft, w a r e n somit weitgehend u n a b h ä n g i g v o n der K r o n e u n d b i l d e t e n eine A r t „ U n t e r n e h m e r i m Dienste des S t a a t e s " 5 3 . D i e v o n einzelnen oder mehreren „officiers c o m p t a bles" geführten Kassen w a r e n aber keine öffentlichen, d.h. staatlichen E i n richtungen, sondern Privatkassen, i n denen die Fonds, die auf Rechnung des K ö n i g s eingezogen w u r d e n , zusammen m i t zumeist größeren Beträgen p r i vater Provenienz v e r w a l t e t w u r d e n . Bei diesem selbst f ü r zeitgenössische Fachleute k a u m zu ü b e r b l i c k e n d e n schwerfälligen System w a r e n erhebliche Zeitverluste u n d U n r e g e l m ä ß i g k e i t e n b e i m Z a h l u n g s v e r k e h r an der Tagesordnung. H i n z u k o m m t , daß t r o t z aller B e m ü h u n g e n der verschiedenen E i n n e h m e r des Fiskus die Steuern u n d T a x e n n u r sehr langsam, oft m i t jahrelanger Verzögerung eingingen. D e m stand ein insgesamt s t ä n d i g wachsender Bedarf der K r o n e an zumeist k u r z f r i s t i g verfügbaren F i n a n z e n gegenüber, der n i c h t über ein öffentliches, kapitalstarkes K r e d i t i n s t i t u t , über eine staatliche B a n k , gedeckt w e r d e n konnte. D i e K r o n e w a r daher gezwungen, n i c h t n u r den K r e d i t der Steuerpächter u n d Bankiers, sondern auch den i h r e r F i n a n z b e a m t e n i n A n s p r u c h zu nehmen, die d a d u r c h ebenfalls zu „ f i n a n c i e r s " w u r d e n . Aus dem hohen K r e d i t b e d a r f des K ö n i g s u n d den f ü r diese K r e d i t e fälligen hohen Zinszahl u n g e n resultierte h ä u f i g ein schnelles A n w a c h s e n der schwebenden, n i c h t k o n s o l i d i e r t e n Staatsschulden u n d d a m i t gleichzeitig eine s t ä n d i g zunehmende finanzielle u n d politische A b h ä n g i g k e i t der K r o n e v o n der G r u p p e der Finanziers. Z w a r h a t Colbert - bezeichnenderweise - i m Oktober 1674 den Versuch u n t e r n o m m e n , dem Staat d u r c h die E r r i c h t u n g einer Deposit e n · u n d L e i h b a n k (Caisse des emprunts) neue K r e d i t m ö g l i c h k e i t e n z u eröffnen u n d i h n d a m i t aus der A b h ä n g i g k e i t v o n den Finanziers

zu

befreien. Gerade die letztgenannte I n t e n t i o n k o n n t e aber n i c h t realisiert werden, denn die „Caisse des e m p r u n t s " w a r u n d b l i e b i n der Realität n u r ein A n n e x der „fermes générales", d.h. der Generalsteuerpächter, die zu den größten Finanziers des Landes z ä h l t e n 5 4 . Insgesamt gesehen w a r l e t z t l i c h das F u n k t i o n i e r e n des gesamten Finanzwesens des Staates abhängig v o n diesem „système f i s c o - f i n a n c i e r " 5 5 der Monarchie. D i e Z u n a h m e des fiskalischen D r u c k s der K r o n e u n d die sich u.a. auch d a r i n manifestierende intensivierte Herrschaftspraxis der absoluten M o n a r 53 Eberhard Weis, Frankreich von 1661 bis 1789, in: Fritz Wagner (Hrsg.), Europa im Zeitalter des Absolutismus und der Aufklärung (Handbuch der europäischen Geschichte, 4), Stuttgart 1968, 168. 54 Vgl. Dessert, Argent, pouvoir et société (Anm. 49), 165 f. 55 Dessert, Argent, pouvoir et société (Anm. 49), 78. - Zum oben behandelten Fragenkomplex vgl. John Francis Bosher, Chambres de Justice in the French monarchy, in: ders. (Hrsg.), French Government and Society 1500 - 1850. Essays in Memory of Alfred Cobban, London 1973, 19- 40. Françoise Bayard, Le monde des financiers au X V I I e siècle, Paris 1988; Dessert, Argent, pouvoir et société (Anm. 49).

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chie b r a c h t e n i n der Z e i t des H o l l ä n d i s c h e n Krieges i n einigen Provinzen Frankreichs l a t e n t vorhandene soziale Spannungen z u m offenen A u s b r u c h . Es k a m d o r t z u städtischen U n r u h e n u n d Bauernrevolten, die e i n S y m p t o m f ü r die Interessendivergenz zwischen den A n l i e g e n der B a u e r n u n d den F o r derungen der G r u n d h e r r e n u n d des Staates d a r s t e l l e n 5 6 . V o n der Regierung durchaus ernstgenommene E r h e b u n g e n größeren Ausmaßes brachen

im

F r ü h j a h r 1675 i n B o r d e a u x u n d i n der Bretagne aus. Bereits seit 1673 w a r es z u Spannungen m i t den Ständen der Bretagne gekommen, bei denen i n erster L i n i e höhere Steuerforderungen

der K r o n e , daneben aber

auch

soziale u n d w i r t s c h a f t l i c h e F a k t o r e n eine Rolle spielten. D i e Stände f ü h l t e n sich provoziert d u r c h eine k ö n i g l i c h e D e k l a r a t i o n v o n 1672, m i t der i h n e n untersagt w u r d e , gegen E d i k t e der K r o n e z u opponieren, die n a c h M e i n u n g der „états p r o v i n c i a u x " die P r i v i l e g i e n der Bretagne einschränkten. A u ß e r dem sahen sich die Stände d u r c h die E r r i c h t u n g einer U n t e r s u c h u n g s k a m mer herausgefordert, deren Aufgabe die Ü b e r p r ü f u n g der g r u n d h e r r s c h a f t l i c h e n G e r i c h t s b a r k e i t w a r u n d die d a m i t die Rechte der Seigneurs d i r e k t berührte. D e r B e g i n n des Krieges gegen die Vereinigten Niederlande hatte darüber hinaus auch negative w i r t s c h a f t l i c h e Konsequenzen f ü r die Provinz, deren t r a d i t i o n e l l e H a n d e l s v e r b i n d u n g e n m i t den H o l l ä n d e r n d u r c h diesen m i l i t ä r i s c h e n K o n f l i k t u n t e r b r o c h e n w u r d e n . W i e sehr die Stände d u r c h die k ö n i g l i c h e D e k l a r a t i o n v o n 1672 u n d die E r r i c h t u n g der U n t e r s u chungskammer betroffen waren, zeigte sich bei i h r e r Session v o n 1673. Bei dieser Gelegenheit m a c h t e n sie die B e w i l l i g u n g höherer Steuern v o m W i d e r r u f der D e k l a r a t i o n u n d der Beendigung der U n t e r s u c h u n g e n der g r u n d herrschaftlichen G e r i c h t s b a r k e i t abhängig. Es spricht f ü r das V e r h a n d lungsgeschick u n d die P o s i t i o n der Stände, daß sie sich schließlich m i t i h r e r F o r d e r u n g durchsetzten 5 7 . Gab es also bereits seit 1672 I r r i t a t i o n e n i n der Bretagne, so überspannte Colbert den Bogen, als er i n n e r h a l b v o n z w e i Jahren d r e i neue Steuern i n der M o n a r c h i e einführte. D i e Bretonen w a r e n aufgebracht über die E i n f ü h r u n g einer Stempelsteuer, die bei der A b w i c k l u n g v o n Rechtsgeschäften f ä l l i g w u r d e , sowie über die E r h e b u n g einer neuen Abgabe auf Tabak. A l s d a n n i n der Bretagne die N a c h r i c h t v o n einer Revolte gegen die neuen Steueredikte i n Bordeaux eintraf, folgten die Bretonen diesem Beispiel. A m 18. A p r i l 1675 p l ü n d e r t e eine aufgebrachte Menge i n Rennes die Tabakverkaufsstelle u n d die Büros f ü r die Stempelsteuer, den „ p a p i e r t i m b r é " . Wenige Tage später spielten sich dieselben Vorgänge i n Nantes ab. I n Rennes fanden die U n r u hen, die einige Wochen andauerten, sogar die stillschweigende U n t e r s t ü t 56 Zum Komplex der Bauernrevolten vgl. Winfried Schulze (Hrsg.), Europäische Bauernrevolten der frühen Neuzeit, Frankfurt a. M. 1982; Yves-Marie Bercé , Croquants et Nu-Pieds. Les soulèvements paysans en France du X V I e au X I X e siècle, Paris 1974. 57 Roger Mettant, Power and Faction in Louis XIV's France, Oxford 1988, 273 ff.

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zung d u r c h das P a r l a m e n t u n d einige A d l i g e . Insgesamt läßt sich i n den v o n den Revolten betroffenen S t ä d t e n eine K o a l i t i o n zwischen A n g e h ö r i g e n des Adels u n d des D r i t t e n Standes z u r V e r t e i d i g u n g der l o k a l e n P r i v i l e g i e n u n d zur B e k ä m p f u n g des Fiskalismus der K r o n e konstatieren. E i n e n anderen V e r l a u f n a h m dagegen die Revolte auf dem flachen L a n d e i n der u n t e r e n Bretagne. D o r t r i c h t e t e n sich die A k t i o n e n der revoltierenden Bauern, die ihre Forderungen i n einem „code paysan" zusammenstellten, n i c h t n u r gegen die neuen Steuern sowie gegen das Gerücht, die „ g a b e l l e " solle i n der Provinz eingeführt werden, sondern auch gegen adlige u n d geistliche Grundherren. H i e r v e r k n ü p f t e sich also das Vorgehen gegen den F i s k a lismus der K r o n e m i t sozialen u n d r e c h t l i c h e n M o t i v e n . D i e Bauernrevolte, i n deren V e r l a u f einer der A n f ü h r e r der Bauernhaufen sogar den H o l l ä n d e r n Häfen öffnen u n d auf diese Weise einen d i r e k t e n K o n t a k t m i t dem Gegner Frankreichs herstellen w o l l t e , dauerte bis A n f a n g September 1675 an. Schließlich k o n n t e die Regierung diesen gefährlichen A u f s t a n d , der w e i t e Teile der Bretagne erfaßt hatte, n u r d u r c h den Einsatz regulärer T r u p p e n beenden 5 8 . A u c h i n B o r d e a u x b l i e b der K r o n e der R ü c k g r i f f auf das M i l i t ä r zur U n t e r d r ü c k u n g der Revolte n i c h t e r s p a r t 5 9 . N i c h t z u f ä l l i g i n die Z e i t des H o l l ä n d i s c h e n Krieges fielen d r e i weitere, f ü r die K r o n e n i c h t m i n d e r ernste Vorgänge, welche die andauernde V i r u lenz sozialer Spannungen u n d oppositioneller E i n s t e l l u n g e n b e i Teilen des Adels t r o t z der seit Richelieu betriebenen D o m e s t i z i e r u n g s p o l i t i k d o k u m e n tierten. I m Laufe der Jahre 1674/75 k a m es zu d r e i Adelskonspirationen, v o n denen z w e i einen d e u t l i c h e n hugenottischen E i n s c h l a g aufwiesen. U n t e r führender B e t e i l i g u n g v o n A d l i g e n w u r d e i m F r ü h j a h r 1674 der großangelegte P l a n betrieben, das Roussillon f ü r T r u p p e n Spaniens zu öffnen, m i t dem sich F r a n k r e i c h i m K r i e g befand. Ebenfalls i m F r ü h j a h r 1674 versuchten Provinzadlige der N o r m a n d i e , die i n der M o n a r c h i e den größten A n t e i l an der „ t a i l l e " aufzubringen hatte, u n t e r der F ü h r u n g des hochadligen Chevaliers L o u i s de Rohan u n d des „ g e n t i l h o m m e " L a t r é a u m o n t eine allgemeine E r h e b u n g i n der N o r m a n d i e ins W e r k z u setzen. M i t a k t i v e r U n t e r s t ü t z u n g d u r c h den Gouverneur der Spanischen Niederlande u n d d u r c h W i l h e l m I I I . v o n Oranien, zu denen die Verschwörer d i r e k t e

Kontakte

58 Zur Revolte des „Papier timbré" in der Bretagne vgl. A. de La Borderie, La révolte du papier timbré advenue en Bretagne en 1675: histoire et documents, SaintBrieuc 1884; Jean Lemoine, La révolte dite du papier timbré ou des bonnets rouges en Bretagne en 1675: étude et documents, Paris/Rennes 1898; C. M. Chotzen, Le gouvernement hollandais et la révolte du papier timbré, in: Annales de Bretagne 49 (1942), 102 - 132; Roland Mousnier, Les Torrében de Bretagne (1675), in: ders., Fureurs paysannes. Les paysans dans les révoltes du X V I I e siècle (France, Russie, Chine), Paris 1967, 123 - 156; Mettam, Power and Faction (Anm. 57), 313 - 316. 59 Vgl. Mousnier, Les Torrében de Bretagne (Anm. 58), 124; Mettam, Power and Faction (Anm. 57), 313; Martin Dinges, Stadtarmut in Bordeaux 1525 - 1675. Alltag, Politik, Mentalitäten (Pariser Historische Studien, 26), Bonn 1988, 242 f.

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hatten, sollte die N o r m a n d i e z u einer „ r é p u b l i q u e l i b r e " gemacht werden. I n einem z u r V e r b r e i t u n g vorgesehenen p o l i t i s c h e n Manifest m a c h t e n die Verschwörer d e u t l i c h , daß die N o r m a n d i e der A u s g a n g s p u n k t f ü r eine breite „ R e f o r m b e w e g u n g " w e r d e n sollte. Sie verwiesen darauf, daß die allgemeine N o t , der M i t l e i d erregende Z u s t a n d i m gesamten K ö n i g r e i c h u n d die große Z a h l äußerer Feinde, die F r a n k r e i c h wegen der Maßlosigkeit u n d der m a n gelnden E i g n u n g der k ö n i g l i c h e n Ratgeber auf sich gelenkt habe, den A d e l u n d das V o l k der N o r m a n d i e dazu veranlaßt hätten, zusammenzutreten u n d sich gegenseitig feierlich d u r c h S c h w u r zu bekräftigen, ihre Interessen niemals voneinander zu trennen sowie L e b e n u n d Besitz f ü r das allgemeine W o h l (pour le b i e n p u b l i c ) einzusetzen. W i e d e r u m i m F r ü h j a h r 1674 versuchte der hugenottische A d l i g e Sardan de P a u l eine bewaffnete E r h e b u n g i m Süden Frankreichs z u organisieren, die das Languedoc, die Gascogne, die Bretagne, die Provence u n d die D a u p h i n é umfassen sollte. I m Verlauf seiner A k t i v i t ä t e n erreichte er den Abschluß f ö r m l i c h e r Verträge m i t W i l h e l m v o n Oranien (21. A p r i l 1674) u n d m i t Spanien (23. J u l i 1674). A m Wiener H o f g i n g m a n dagegen auf entsprechende Angebote Sardans, die er 1675 u n d 1678 unterbreitete, n i c h t ein. D i e Analyse der sozialen H e r k u n f t der an den K o n s p i r a t i o n e n B e t e i l i g t e n sowie die P r ü f u n g i h r e r M o t i v e machen d e u t l i c h , daß es sich i n allen drei F ä l l e n ganz ü b e r w i e g e n d u m Adelsverschwörungen handelt. A u c h die i n Manifesten, Verträgen u n d D e n k s c h r i f t e n enthaltenen Programme der K o n spirateure weisen einen stark a r i s t o k r a t i s c h - r e a k t i o n ä r e n Charakter auf. Z w a r forderten sie die E i n b e r u f u n g der Generalstände, die Beseitigung des zentralistischen Steuersystems, die A b s c h a f f u n g der Ä m t e r k ä u f l i c h k e i t , die politisch-soziale G l e i c h s t e l l u n g der Protestanten, aber i h r eigentliches Z i e l w a r n i c h t das V o l k s w o h l , sondern die Wiederherstellung der ständischen u n d p r o v i n z i a l e n L i b e r t ä t e n 6 0 . M i t den meisten i h r e r p o l i t i s c h e n u n d sozialen Zielvorstellungen befanden sich die Verschwörer i n der T r a d i t i o n der Adelserhebungen zur Z e i t Richelieus u n d der Fronde, die zu Recht als „erste große K r i s e des französischen A b s o l u t i s m u s " i n t e r p r e t i e r t w u r d e 6 1 . 60 Zum Komplex der Adelskonspirationen: Klaus Malettke, Opposition und Konspiration unter Ludwig XIV. Studien zu K r i t i k und Widerstand gegen System und Politik des französischen Königs während der ersten Hälfte seiner persönlichen Regierung (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 49), Göttingen 1976; vgl. jetzt auch John T. O'Connor, Republican Conspiracies in the Old Regime. Paper given at the International Congress on the History of the French Revolution, Georgetown University, Washington D. C., May 1989. 61 Ernst Hinrichs, Justice versus Administration. Aspekte des politischen Systemkonflikts in der Krise des Ancien Régime in Frankreich, in: Ernst Hinrichs/Eberhard Schmitt/Rudolf Vierhaus (Hrsg.), Vom Ancien Régime zur Französischen Revolution. Forschungen und Perspektiven (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 55), Göttingen 1978, 129. - Zur Fronde: Ernst H. Kossmann, La Fronde (Leidse Historische Reeks, 3), Leiden 1964; A. Lloyd Moote, The Revolt of the Judges. The Parlement of Paris and the Fronde 1643 - 1653, Princeton, N. J. 1971; Klaus

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F r a g t m a n nach den w i r t s c h a f t l i c h e n Folgen des H o l l ä n d i s c h e n Krieges für F r a n k r e i c h , so ist zunächst darauf hinzuweisen, daß v o n dem großangelegten P r o g r a m m Colberts zur F ö r d e r u n g der M a n u f a k t u r e n sowie des B i n nen- u n d Außenhandels a m Ende der 70er Jahre n u r n o c h ein Torso ü b r i g geblieben w a r . E i n e Reihe v o n I n d i z i e n berechtigt jedoch zu der A n n a h m e , daß das weitgehende Scheitern der Projekte Colberts d u r c h den K r i e g w o h l n u r beschleunigt, l e t z t l i c h aber n i c h t verursacht w u r d e . Daß sich indessen der langandauernde m i l i t ä r i s c h e K o n f l i k t m i t H o l l a n d auf den Außenhandel der Bretagne, der Guyenne u n d des Languedoc negativ a u s g e w i r k t hat, k o n n t e auch L e Roy L a d u r i e feststellen. Hauptursache f ü r den Rückgang der französischen E x p o r t e , f ü r den zunehmenden M a n g e l an Z a h l u n g s m i t t e l n u n d f ü r die Rezession b e i m B r u t t o p r o d u k t i n der M o n a r c h i e w a r f ü r i h n der Holländische K r i e g , dem er eine „ r ô l e p r o v o c a t e u r " bei dieser E n t w i c k lung attestiert62. D i e wachsenden f i n a n z i e l l e n S c h w i e r i g k e i t e n Frankreichs, die Bauernrevolten u n d die Adelsverschwörungen des Jahres 1674 w u r d e n v o n den Kriegsgegnern L u d w i g s X I V . m i t großem Interesse z u r K e n n t n i s genommen. So schrieb W i l h e l m I I I . v o n Oranien a m 10. A u g u s t 1675 an den Ratspension ä r Gaspar Fagel, der einem b a l d i g e n Friedensschluß zuneigte: „ L a France manque d'argent; i l y a beaucoup de révoltes dans ses provinces, t o u t le monde est m a l content, ils perdent plusieurs généraux et bons officiers: cela c o n t i n u a n t , le r o i se trouvera obligé de nous donner des conditions de p a i x plus assurées p o u r nous q u ' i l n'a f a i t jusqu'à cette heure .. . " 6 3 . W a r aber die hier v o m Oranier z u m A u s d r u c k gebrachte H o f f n u n g berechtigt, daß L u d w i g X I V . wegen zunehmender w i r t s c h a f t l i c h - f i n a n z i e l l e r

Probleme

und

offenkundiger S o z i a l k o n f l i k t e i m I n n e r n der M o n a r c h i e gezwungen sein w ü r d e , größere K o m p r o m i ß b e r e i t s c h a f t gegenüber den Friedensbedingungen der K o a l i t i o n zu zeigen u n d einen b a l d i g e n Friedensschluß u n t e r Preisgabe zentraler französischer Interessen anzustreben? H a t t e n die skizzierten E n t w i c k l u n g e n u n d Vorgänge i n F r a n k r e i c h einen u n m i t t e l b a r e n u n d determinierenden Einfluß

auf die A u ß e n p o l i t i k

L u d w i g s X I V . u n d auf

das

Z u s t a n d e k o m m e n der Friedensschlüsse v o n N i m w e g e n (1678/1679) 6 4 ? Z w e i fellos w u r d e n die inneren Vorgänge u n d Finanzprobleme v o n den z u s t ä n d i Malettke, Wirtschaftliche, soziale und politische Aspekte der Fronde (1648 - 1653), in: ders. (Hrsg.), Soziale und politische Konflikte im Frankreich des Ancien Régime (Studien aus dem Forschungsprojektschwerpunkt ,Soziale Mobilität im frühmodernen Staat: Bürgertum und Àmterwesen' am Fachbereich 13, Geschichtswissenschaften, der Freien Universität Berlin, 2), Berlin 1982, 24 - 65; Christian Jouhaud, Ecriture et action au X V I I e siècle: Sur un corpus de Mazarinades, in: Annales E.S.C. 38 (1983), 42 - 64. 62 Le Roy Ladurie, Les paysans de Languedoc (Anm. 42), 531 f. 63 M. Mignet , Négociations relatives à la succession d'Espagne sous Louis XIV, Paris 1842,4, 363f. 64 Zum Frieden von Nimwegen: The Peace of Nijmegen 1676 - 1678/79. Colloque international du tricentenaire, Nijmegen, 14 - 16 septembre 1978, Amsterdam 1980.

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gen M i n i s t e r n z u r K e n n t n i s genommen, i m „Conseil d'en h a u t " erörtert u n d i m K a l k ü l der P o l i t i k des K ö n i g s berücksichtigt. U n d ganz allgemein w i r d m a n feststellen können, daß der wachsende Geldmangel b e i allen K r i e g s t e i l nehmern die Friedensbereitschaft l e t z t l i c h gesteigert hat. M i r scheint aber, daß die w i r t s c h a f t l i c h e n

Schwierigkeiten und Sozialkonflikte

während

jener Jahre die A u ß e n p o l i t i k des K ö n i g s sowie den A b l a u f u n d die Ergebnisse der Friedensverhandlungen

nicht

unmittelbar

und

entscheidend

beeinflußt h a b e n 6 5 . H ä t t e n diese F a k t o r e n ein solches G e w i c h t besessen, so w ä r e n i c h t verständlich, w a r u m L u d w i g X I V . die Chancen des K ö l n e r F r i e denskongresses (1673/74) oder gleich z u B e g i n n auf dem seit September 1676 i n N i m w e g e n tagenden Kongreß die M ö g l i c h k e i t e n z u m F r i e d e n n i c h t genutzt hat. Schließlich ist darauf hinzuweisen, daß i n den folgenden Jahrzehnten weitaus höhere Staatsdefizite L u d w i g X I V . n i c h t d a r a n gehindert haben, Kriege zu führen, die er aus G r ü n d e n der Staatsräson f ü r erforderl i c h hielt. I m H o l l ä n d i s c h e n K r i e g erwies sich F r a n k r e i c h t r o t z aller inneren u n d äußeren Belastungen i n m i l i t ä r i s c h e r u n d w i r t s c h a f t l i c h e r H i n s i c h t als stark genug, u m über mehrere Jahre h i n w e g einer europäischen K o a l i t i o n standzuhalten. Dagegen zeigten sich Frankreichs Gegner den Belastungen des Krieges weniger gewachsen, so daß die antifranzösische K o a l i t i o n b a l d Risse aufwies, die F r a n k r e i c h f ü r sich n u t z e n k o n n t e 6 6 . A b e r auch L u d w i g X I V . mußte erkennen, daß er auf Dauer den K a m p f gegen die K o a l i t i o n n i c h t siegreich beenden konnte. Diese E i n s i c h t u n d die E r k e n n t n i s , daß die w ä h r e n d des Kongresses i n N i m w e g e n i m m e r sichtbarer werdenden Differenzen i n der gegnerischen K o a l i t i o n i h m die M ö g l i c h k e i t eröffneten, einen f ü r F r a n k r e i c h i n t e r r i t o r i a l e r H i n s i c h t v o r t e i l h a f t e n F r i e d e n z u erreichen, haben w o h l l e t z t l i c h bei L u d w i g X I V . den Ausschlag f ü r die Beendigung des Krieges gegeben. Demgegenüber haben die f i n a n z i e l l e n u n d w i r t s c h a f t l i c h e n Probleme Frankreichs sowie die S o z i a l k o n f l i k t e eher eine sekundäre B e d e u t u n g f ü r die E n t s c h e i d u n g des K ö n i g s g e h a b t 6 7 . F ü r L u d w i g X I V . r a n gierte damals noch M a c h t p o l i t i k vor w i r t s c h a f t l i c h e n u n d sozialen E r w ä g u n gen. Dies m a c h t auch die k u r z nach Beendigung des Krieges v o m K ö n i g v o r genommene Entlassung des Außenministers A r n a u l d de Pomponne sinnfällig, der s t ä n d i g z u r M ä ß i g u n g geraten u n d wesentlichen A n t e i l a m Zustandek o m m e n des N i m w e g e n e r Friedens gehabt hatte. I h m w a r f L u d w i g X I V . 65 So auch Georges Livet, Colbert de Croissy et la diplomatie française, in: The Peace of Nijmegen (Anm. 64), 215. 66 Derek McKay /H. M. Scott, The Rise of the Great Powers 1648 - 1815, London/ New York 1983, 33 ff. 67 „ ... Georges Livet has perceptively pointed to the fact that economic questions are not given the weight that one might expect ... The fundamental interests of the people were never taken into consideration, nor their collective mentality and those emotional and ideological forces strong enough to move them." Tapié, Louis XIV's Methods in Foreign Policy (Anm. 6), 8.

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Schwäche u n d z u große N a c h g i e b i g k e i t besonders w ä h r e n d der Friedensverhandlungen vor 68. Das Jahrzehnt n a c h N i m w e g e n , i n d e m ein T e i l der Staatsschuld getilgt, die „ t a i l l e " w i e d e r etwas reduziert u n d das D e f i z i t i n den Jahren 1686 u n d 1687 auf wenige M i l l i o n e n livres gesenkt w e r d e n k o n n t e 6 9 , s t a n d i m Zeichen der schon erörterten expansiven u n d aggressiven „ G r e n z - u n d Sicherheitsp o l i t i k " . Diese k o n z e n t r i e r t e sich m i t den Reunionen stärker auf den Osten 7 0 . L u d w i g X I V . ließ sich bei dieser P o l i t i k offenbar v o n der I n t e n t i o n leiten, jedes neuerworbene Gebiet möglichst d u r c h die Schaffung eines v o r gelagerten Glacis w i e d e r abzusichern 7 1 . I n diese Phase expansiver „ G r e n z - u n d S i c h e r h e i t s p o l i t i k " , i n der die b i s her erreichten M a c h t p o s i t i o n e n z u r Festigung u n d z u m A u s b a u einer f r a n zösischen Hegemonialstellung i n E u r o p a genutzt w e r d e n sollten, ist auch der Pfälzische E r b f o l g e k r i e g (1688 - 1697) einzuordnen. Ebenso w i e der D e v o l u t i o n s k r i e g b e s t ä t i g t er d i e v o n K u n i s c h f o r m u l i e r t e These, „ d a ß die an Erbfolgeregelungen u n d Fundamentalgesetzen ablesbare Systemr a t i o n a l i t ä t des monarchischen Absolutismus ein außenpolitisches K o n f l i k t p o t e n t i a l v o n eminenter B e d e u t u n g dargestellt h a t 7 2 . A u f einen langen u n d umfassenden K r i e g gegen eine europäische K o a l i t i o n , an der sich n u n auch E n g l a n d beteiligte, w a r L u d w i g X I V . 1688 aber n i c h t vorbereitet. A n g e sichts des sich d u r c h die Erfolge des Hauses Österreich i m T ü r k e n k r i e g u n d d u r c h die „ G l o r i o u s R e v o l u t i o n " vollziehenden Wandels i n der europäischen M ä c h t e k o n s t e l l a t i o n w o l l t e der französische K ö n i g d u r c h einen P r ä ventivschlag den dauerhaften Besitz der i h m i m Regensburger S t i l l s t a n d n u r auf z w a n z i g Jahre überlassenen Reunionen, A n s p r ü c h e auf Gebiete aus der pfälzischen Erbschaft sowie eine f ü r F r a n k r e i c h günstige L ö s u n g des K o n f l i k t s anläßlich der E r z b i s c h o f s w a h l i m K u r f ü r s t e n t u m K ö l n durchsetzen, das er als festen französischen S t ü t z p u n k t b e t r a c h t e t e 7 3 . L u d w i g X I V . h a t t e aber die Abwehrentschlossenheit der europäischen M ä c h t e unterschätzt u n d n i c h t d a m i t gerechnet, daß er d u r c h sein Vorgehen die B i l d u n g einer breiten gegnerischen K o a l i t i o n provozieren w ü r d e , die i h n i n einen n e u n j ä h rigen K r i e g v e r w i c k e l n sollte. 68 Paul Sonnino, The Origins of Louis XIV's Wars, in: Jeremy Black (Hrsg.), The Origins of War in Early Modern Europe, Edinburgh 1987, 122. 69 Goubert, Louis X I V (Anm. 8), 158; Guéry, Les finances de la monarchie française (Anm. 52), Tabelle II. 70 Geoffrey Symcox, Louis XIV and the Outbreak of the Nine Years War, in: Hatton, Louis XIV and Europe (Anm. 6), 180 ff. 71 Boutant , L'Europe au grand tournant des années 1680 (Anm. 7), 127. 72 Johannes Kunisch , Staatsverfassung und Mächtepolitik. Zur Genese von Staatenkonflikten im Zeitalter des Absolutismus (Historische Forschungen, 15), Berlin 1979; vgl. auch Ernst-Otto Czempiel, Strukturen absolutistischer Außenpolitik, in: ZHF 7 (1980), 445 - 451. 73 Vgl. Symcox, Louis XIV and the Outbreak of the Nine Years War (Anm. 70), 179 212; Boutant, L'Europe au grand tournant des années 1680 (Anm. 7).

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Klaus Malettke Dieser K r i e g brachte f ü r F r a n k r e i c h schwere Belastungen, die sich u m so

gravierender a u s w i r k t e n , als sie z e i t l i c h m i t einer sich verschärfenden w i r t schaftlichen Depression u n d m i t „demographischen K r i s e n älteren T y p s " zusammenfielen. U n m i t t e l b a r nach K r i e g s b e g i n n stieg w i e d e r das Staatsdef i z i t u n d erreichte 1698 m i t 138 M i l l i o n e n livres einen v o r l ä u f i g e n H ö c h s t stand. D e r enorme F i n a n z b e d a r f der K r o n e machte n i c h t n u r E r h ö h u n g e n der d i r e k t e n u n d i n d i r e k t e n Steuern, sondern auch w i e d e r den Rekurs auf die t r a d i t i o n e l l e n „affaires e x t r a o r d i n a i r e s " n o t w e n d i g . Diese w u r d e n v o n 49,3 M i l l i o n e n i m Jahre 1691 auf 84,3 M i l l i o n e n livres i m Jahre 1696 hochgeschraubt, also zu einem Z e i t p u n k t , i n dem F r a n k r e i c h zu L a n d e u n d zu Wasser die größten m i l i t ä r i s c h e n Anstrengungen u n t e r n a h m . A b e r t r o t z aller i n t e n s i v i e r t e n B e m ü h u n g e n der K r o n e w u r d e ihre Finanzlage i m m e r kritischer. I m Jahre 1694 überstiegen die Rückstände bei der „ t a i l l e " bereits die Grenze v o n z w a n z i g M i l l i o n e n , w e i l i m m e r m e h r Steuerpflichtige ihre A b g a b e n n i c h t mehr a u f b r i n g e n k o n n t e n . D i e i n ständig wachsender Z a h l z u m K a u f angebotenen Ä m t e r , Renten u n d Adelsbriefe fanden k a u m noch Interessenten. Das L a n d befand sich i m Z u s t a n d allgemeiner Erschöpfung, die M o n a r c h i e w a r p r a k t i s c h zahlungsunfähig. „ U n épuisement général, aggravant la famine et aggravé p a r elle, s'était emparé d u royaume; dans l'ensemble, c e l u i - c i ne p o u v a i t plus payer .. . " 7 4 . I n dieser dramatischen Lage unterbreitete V a u b a n das P r o j e k t einer neuen Steuer, die v o n allen Franzosen, also auch v o n den Privilegierten, erhoben w e r d e n sollte. I h r e Höhe sollte sich nach den E i n k o m m e n richten. A m 29. November 1694 w u r d e die E i n f ü h r u n g der „ c a p i t a t i o n " , i n i h r e r K o n z e p t i o n ein N o v u m i m französischen Steuerwesen, v o m K ö n i g beschlossen. Sie w a r aber n u r als z e i t l i c h befristete Abgabe vorgesehen u n d w u r d e deshalb i m Jahre 1698, n a c h Kriegsende, w i e d e r abgeschafft 7 5 . Eine Verschärfung erfuhr die Lage i n der M o n a r c h i e d u r c h die große demographische K r i s e des Jahres 1693/94. Sie w u r d e d u r c h die k a t a s t r o phale E r n t e des Jahres 1693 u n d d u r c h den daraus resultierenden enormen A n s t i e g der Getreidepreise ausgelöst u n d erfaßte w e i t e Teile des Landes. Diese Subsistenzkrise t r a f auf eine Bevölkerung, die u n t e r den schweren, kriegsbedingten fiskalischen Belastungen sowie u n t e r den A u s w i r k u n g e n

74 Goubert, Louis XIV (Anm. 8), 161. - Zum Gesamtkomplex der Finanzlage vgl. ebd., 158 - 162; Guéry, Les finances de la monarchie française (Anm. 52), 227 - 230 u. Tabellell; Dessert , Argent, pouvoir et société (Anm. 49), 164 - 167; Mettam, Power and Faction (Anm. 57), 299. 75 Roland Mousnier, L'évolution des finances publiques en France et en Angleterre pendant les guerres de la ligue dAugsbourg et de la succession d'Espagne, in: RH 205 (1951), 3f.; Stanislas Mitard , La crise financière en France à la fin du X V I I e siècle. La première capitation (1695 - 1698), Rennes 1934; François Bluche / Jean-François Solnon, La véritable hiérarchie sociale de l'ancienne France. Le tarif de la première capitation (1695), Genève 1983.

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der negativen W i r t s c h a f t s k o n j u n k t u r l i t t . D i e aus dieser K r i s e resultierenden Bevölkerungsverluste w a r e n g r a v i e r e n d 7 6 . A u c h i m H a n d e l w a r e n w ä h r e n d des Krieges große E i n b r ü c h e z u verzeichnen, die die Folgen der langfristigen Wirtschaftsdepression n o c h verschärften. So g i n g die Z a h l der Schiffe, die v o n S a i n t - M a l o ausliefen, v o n j ä h r l i c h 47 i m Jahre 1689 auf 6 i m Jahre 1690 zurück. D e r H a n d e l m i t den W e s t i n d i schen Inseln sank seit 1687, w o er n o c h über 3 000 Tonnen lag, auf N u l l i m Jahre 1694. F ü r den Hafen Nantes lassen sich ähnliche Rückschläge beobachten. Aus den großen T e x t i l s t ä d t e n des Nordens - w i e A m i e n s u n d Beauvais - k a m e n i m m e r l a u t e r werdende K l a g e n über den Rückgang des H a n dels. D i e K ä u f e r v o n T e x t i l i e n b l i e b e n i n steigender Z a h l aus, so daß i n den Städten i m m e r mehr Betriebe ihre P r o d u k t i o n stark reduzierten oder ganz einstellten. Das führte auch zu K l a g e n der Betroffenen über die W i r t s c h a f t s p o l i t i k der Regierung. Schon seit dem Tode Colberts (1683) w a r die H a n d h a b u n g w i r t s c h a f t l i c h e r Angelegenheiten d u r c h den Staat Gegenstand einer k r i t i s c h geführten Debatte geworden, die schließlich zu einer breiteren K r i t i k an Theorie u n d Praxis des monarchischen A b s o l u t i s m u s anschwoll. U n t e r den Belastungen des Krieges u n d des w i r t s c h a f t l i c h e n Niedergangs i n den 90er Jahren erreichte diese K r i t i k einen H ö h e p u n k t . Daneben machte sich nach der A u f h e b u n g des E d i k t s v o n Nantes i m Jahre 1685 v e r s t ä r k t die calvinistische O p p o s i t i o n bemerkbar. Schon i n den f r ü h e n 80er Jahren t r a t eine Wende i n der calvinistischen D o k t r i n ein. Neben der noch u n t e r den französischen Calvinisten vorhandenen absolutistischen S t r ö m u n g w u r d e n

in

jenen Jahren die Gegenpositionen stärker. Diese Gegenpositionen m ü n d e t e n nach 1685 i n den „ c o u r a n t a n t i - a b s o l u t i s t e " , der sich i n der Folgezeit neben den nach w i e vor existierenden promonarchisch-absolutistischen N e i g u n gen bei Teilen des protestantischen Refuge e t a b l i e r t e 7 7 . Der außerordentlich hohe Preis des langen Krieges, die fiskalische E r schöpfung, die F r a g i l i t ä t des monetären Systems, der Marasmus i m Bereich des Handels, das E l e n d auf dem L a n d , der dramatische R ü c k g a n g bei der Bevölkerung, die oppositionellen S t r ö m u n g e n b e i m A d e l u n d i n b ü r g e r 76

Goubert, Louis XIV (Anm. 8), 166 - 170; ders., Le régime démographique français au temps de Louis XIV, in: Histoire économique et sociale de la France (Anm. 43), 38 -49. 77 Goubert, Louis XIV (Anm. 8), 162f.; Peter Kriedte, Spätfeudalismus und Handelskapital. Grundlinien der europäischen Wirtschaftsgeschichte vom 16. bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, Göttingen 1980, 83f., 93f.; Lionel Rothkrug, Opposition to Louis XIV. The Political and Social Origins of the French Enlightenment, Princeton, N. J. 1965, 211 - 233; Denis Richet, La France moderne: l'esprit des institutions, Paris 1973, 146ff.; Myriam Yardeni, L'apologétique protestante des années 1683 - 1685, in: Louise Godard de Donville (Hrsg.), De la mort de Colbert à la révocation de l'Edit de Nantes: Un monde nouveau? X I V e Colloque du Centre Méridional de Rencontres sur le X V I I e siècle (Janvier 1984), Marseille 1985, 216 - 227; Klaus Malettke, Hugenotten und monarchischer Absolutismus in Frankreich, in: Francia 15 (1987), 1988, 299 - 319. 5 Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 11

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l i e h e n G r u p p e n , alle diese F a k t o r e n sprachen f ü r eine B e e n d i g u n g des Kampfes. Vieles deutet darauf h i n , daß L u d w i g X I V . diesen Gegebenheiten i n jener Phase seiner Regierung i n größerem Maße Rechnung getragen h a t als zuvor. E r bemühte sich seit 1696 n i c h t n u r i n v e r s t ä r k t e m Maße u m einen Friedensschluß, sondern machte i n den i m M a i 1697 i n R i j s w i j k begonnenen Friedensverhandlungen erstmals auch beachtliche Konzessionen. I m F r i e densvertrag (1697) verzichtete er bis auf das Elsaß u n d Straßburg auf den größten T e i l der Reunionen der 80er Jahre, r ä u m t e das H e r z o g t u m L o t h r i n gen dem Sohn K a r l s V., Leopold, ein, gab seine A m b i t i o n e n auf K u r k ö l n u n d Teile der Pfalz auf u n d restituierte Plätze i n den südlichen N i e d e r l a n d e n u n d L u x e m b u r g an Spanien. Z u r Z e i t v o n R i j s w i j k , als die Basis f ü r die Schaffung einer Balance der M ä c h t e i n West- u n d Zentraleuropa gelegt w u r d e , w a r L u d w i g X I V . gezwungen, seine p o l i t i s c h e n I n t e n t i o n e n den ö k o nomischen Z w ä n g e n u n d sozialen Realitäten i n der M o n a r c h i e anzupassen. Sie d ü r f t e n f ü r seine Friedensbereitschaft u n d die erheblichen Konzessionen l e t z t l i c h den Ausschlag gegeben haben. Diesen i n seiner B e d e u t u n g n i c h t zu unterschätzenden Vorgang haben auch zeitgenössische Beobachter des Geschehens - zumindest i n seinem K e r n - durchaus erkannt. So stellte E s p r i t Fléchier i m F r ü h j a h r 1697 fest: „ N o u s jouirons apparemment de la p a i x , puisque le Roi, p a r r e l i g i o n et p a r grandeur d'âme, veut b i e n rendre à chacun ce q u ' i l croit l u i appartenir. Je ne doute pas que le désir de soulager ses peuples ne l ' a i t porté à contenter ses ennemis, dans u n temps où i l est en état de les accabler. V o i l à u n beau p o i n t d ' h i s t o i r e " 7 8 . D i e Beendigung des Krieges brachte keine durchgreifende E r h o l u n g des Landes, denn der Frieden dauerte n i c h t e i n m a l f ü n f Jahre. Z w a r gab es durchaus Anzeichen f ü r eine Verbesserung der w i r t s c h a f t l i c h e n u n d f i n a n ziellen Verhältnisse der M o n a r c h i e - die enormen Staatsschulden k o n n t e n d u r c h eine geschickte R e n t e n p o l i t i k etwas reduziert u n d der Überseehandel m i t den A n t i l l e n , m i t S p a n i s c h - A m e r i k a u n d m i t China w i e d e r erfolgreich aufgenommen w e r d e n - 7 9 , der B e g i n n des Spanischen

Erbfolgekrieges

(1701 - 1713/14) machte jedoch diese Ansätze z u m großen T e i l sehr schnell zunichte. I n der neueren Forschung w u r d e m i t g u t e n G r ü n d e n die These vertreten, daß ein K r i e g wegen der spanischen E r b f o l g e p r o b l e m a t i k , die die europäischen K a b i n e t t e schon seit A n f a n g der 60er Jahre i m m e r w i e d e r beschäftigte, seit d e m T o d des v o m spanischen K ö n i g K a r l I I . testamentarisch eingesetzten Universalerben, des bayerischen K u r p r i n z e n Josef F e r d i n a n d , a m 6. Februar 1699 u n v e r m e i d b a r geworden sei. A b e r w i e auch i m m e r m a n 78 Zitiert nach Bluche, Louis XIV (Anm. 8), 652. - Vgl. auch Goubert, Louis XIV (Anm. 8), 170; McKay / Scott, The Rise of the Great Powers (Anm. 66), 50 - 53; Wolf, Toward a European Balance of Power (Anm. 19), 119ff. 79 Goubert, Louis XIV (Anm. 8), 171 - 177.

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diese These beurteilen mag, n i c h t zu leugnen ist, daß sich L u d w i g X I V . i n einem D i l e m m a befand, als er k u r z n a c h dem a m 1. November 1700 eingetretenen T o d K a r l s I I . erfuhr, daß dieser P h i l i p p v o n A n j o u , den z w e i t e n Sohn des D a u p h i n s , z u m Universalerben eingesetzt hatte. D e r Verstorbene hatte außerdem verfügt, daß das spanische Erbe i m Falle einer A b l e h n u n g d u r c h L u d w i g X I V . an die österreichischen Habsburger gehen sollte. A k z e p tierte der französische K ö n i g , der i n früheren V e r h a n d l u n g e n über verschiedene Teilungsprojekte eine bemerkenswerte Konzessions- u n d K o m p r o m i ß bereitschaft gezeigt hatte, f ü r seinen E n k e l die spanische Erbschaft, d a n n bräche er sein W o r t , das er gerade i m z w e i t e n Teilungsvertrag (Juni 1699/ M ä r z 1700) den Seemächten gegeben hatte. L e h n t e L u d w i g X I V . aber die A n n a h m e ab u n d h i e l t a m z w e i t e n Teilungsvertrag fest, d a n n w u r d e das Angebot Kaiser L e o p o l d I. unterbreitet, dessen positive Entscheidung, das Testament f ü r seinen z w e i t e n Sohn K a r l anzunehmen, als sicher vorauszusetzen w a r . E i n e solche Perspektive w a r aber m i t der französischen Staatsräson unvereinbar. H i n z u k o m m t , daß L u d w i g X I V . auch d u r c h ein Festhalten a m z w e i t e n Teilungsvertrag einen K r i e g n i c h t h ä t t e vermeiden können. I n diesem F a l l w a r die m i l i t ä r i s c h e Auseinandersetzung m i t Spanien u n d dem Kaiser v o r p r o g r a m m i e r t . Es ist daher verständlich, daß L u d w i g X I V . nach intensiven Beratungen das Testament K a r l s I I . a n n a h m u n d a m 16. November 1700 P h i l i p p v o n A n j o u dem i n Versailles versammelten H o f als „ K ö n i g v o n Spanien" präsentierte. I n den folgenden M o n a t e n verschärfte sich sowohl d u r c h manche M a ß n a h m e n L u d w i g s X I V . als auch des Kaisers u n d der Seemächte die i n t e r n a t i o n a l e Lage. D e r A u s b r u c h des Spanischen Erbfolgekrieges i m F r ü h j a h r 1701 w a r aber n i c h t a l l e i n das Resultat der E n t s c h e i d u n g des französischen Königs, das Testament K a r l s I I . anzunehmen. D e r K r i e g begann, so stellte W i l l i a m Roosen k ü r z l i c h fest, denn „ t h e various p a r t i c i p a n t s h a d opposing interests w h i c h were i m p o r t a n t enough to f i g h t for - t h e i r b o t t o m l i n e s " 8 0 . I n den finanziellen u n d w i r t s c h a f t l i c h e n Verhältnissen t r a t k u r z nach K r i e g s b e g i n n eine erneute Verschlechterung ein, die b a l d ein bisher n i c h t gekanntes Ausmaß erreichte. D i e j ä h r l i c h e n D e f i z i t e i m Staatshaushalt stiegen v o n 72,9 M i l l i o n e n livres erreichten

mit

225 M i l l i o n e n

auf 178,7 M i l l i o n e n i m Jahre 1701 an u n d i m Jahre

1711 ihre Höchstmarke.

Zur

F i n a n z i e r u n g der Kriegslasten mußte die K r o n e w i e d e r u m zu den t r a d i t i o nellen, bereits e r w ä h n t e n Notstandsmaßnahmen greifen, auf die i m einzelnen n i c h t eingegangen w e r d e n k a n n . A b e r sämtliche M a ß n a h m e n - u n t e r i h n e n die W i e d e r e r r i c h t u n g der „Caisse des e m p r u n t s " (11. M ä r z 1702), der erneute R ü c k g r i f f auf die „ c a p i t a t i o n " (12. M ä r z 1701) u n d die i n k u r z e n 80 William Roosen, The Origins of the War of the Spanish Succession, in: Black, The Origins of War (Anm. 68), 165. Zum oben skizzierten Gesamtkomplex vgl. ebd., 151 171; vgl. auch Kamen, The War of Succession in Spain (Anm. 7); Black, The Rise of the European Powers (Anm. 35), 48 - 52.

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A b s t ä n d e n vorgenommenen W ä h r u n g s m a n i p u l a t i o n e n - k o n n t e n n i c h t verh i n d e r n , daß die finanzielle Lage der M o n a r c h i e i m m e r dramatischer w u r d e . Z u Pfingsten 1709 rettete n u r die A n k u n f t einer m i t 30 M i l l i o n e n Piastern beladenen F l o t t e aus den spanischen Überseebesitzungen die M o n a r c h i e v o r dem u n m i t t e l b a r e n B a n k r o t t 8 1 . I m Bereich der W i r t s c h a f t ergibt sich ein ä h n l i c h düsteres B i l d , das n u r f ü r die Gebiete i m näheren U m f e l d der A t l a n t i k h ä f e n hellere F a r b e n aufweist. I n diesen Gebieten p r o f i t i e r t e n die T e x t i l m a n u f a k t u r e n v o n den E x p o r t e n i n die spanischen K o l o n i e n , die sich dem französischen Überseehandel geöffnet hatten. I n scharfem K o n t r a s t dazu befand sich aber der Rest der Monarchie, die i m W i n t e r 1709/1710 v o n einer k a t a s t r o p h a l e n Hungersnot m i t allen daraus resultierenden demographischen Folgen heimgesucht wurde82. I n dieser w o h l schwierigsten Phase seiner A l l e i n h e r r s c h a f t sah sich der K ö n i g auch erneut m i t S o z i a l k o n f l i k t e n u n d i m m e r lauter

werdenden

Reformforderungen des Adels k o n f r o n t i e r t . D i e Cevennen, Z e n t r a l f r a n k reich u n d die Guyenne w u r d e n v o m sozial-religiösen C a m i s a r d e n - A u f s t a n d erfaßt, der w ä h r e n d der Jahre 1702 bis 1705 i n seinen H a u p t z e n t r e n einen bürgerkriegsähnlichen Charakter a n n a h m u n d den Einsatz v o n regulärem M i l i t ä r erforderlich machte. Getragen w u r d e diese Revolte, die m i t i h r e n A u s l ä u f e r n bis 1710 andauerte, v o n Hugenotten, die nach dem W i d e r r u f des E d i k t s v o n Nantes i m Jahre 1685 n u r z u m Schein zur k a t h o l i s c h e n K i r c h e z u r ü c k g e k e h r t waren. D i e Aufständischen k ä m p f t e n z w a r i n erster L i n i e f ü r i h r e n protestantischen Glauben, m i t i h r e n Forderungen verbanden sich aber auch fiskalische M o t i v e , die sich i n der A b l e h n u n g k ö n i g l i c h e r Steuern u n d des Kirchenzehnts konkretisierten. D i e Tatsache, daß die A n f ü h r e r

der

Camisarden n i c h t n u r K o n t a k t e m i t i h r e n geflüchteten Glaubensgenossen i m A u s l a n d herstellten, sondern auch die U n t e r s t ü t z u n g d u r c h die Feinde Frankreichs anstrebten u n d teilweise auch erhielten, machte diese Revolte f ü r die Regierung besonders g e f ä h r l i c h 8 3 . 81 Goubert, Louis XIV (Anm. 8), 188 - 197; Guéry, Les finances de la monarchie française (Anm. 52), 227f. u. Tabelle II; Herbert Lüthy, La Banque Protestante en France de la Révocation de l'Edit de Nantes à la Révolution (Ecole pratique des hautes études - VI e Section, Centre de recherches historiques, Affaires et gens d'affaires, 19), Paris 1959 (ND 1970), Bd. 1, 98 - 120. 82 Goubert, Louis XIV (Anm. 8), 197ff.; ders., Le „tragique" X V I I e siècle (Anm. 43), 360 ff. 83 Zur „guerre des Camisards" vgl. Daniel Ligou, Le protestantisme en France de 1598 à 1715, Paris 1968, 263 - 267; Henri Bosc, La guerre des Camisards. Son caractère, ses conséquences, in: Bulletin de la Société de l'histoire du protestantisme français 119 (1973), 335 - 355; ders., La guerre des Cévennes (1705 - 1710). D'après les Archives du dépôt de la Guerre à Vincennes, les correspondances et les mémoires du temps. Thèse présentée devant l'Université de Paris IV le 9 juin 1973, 2 Bde., Service de reproduction des thèses, Université de Lille I I I 1974; Aimé-Daniel Rabinel, Les caractères particuliers revêtus par la Guerre des Camisards en Vaunage et dans le

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Keine u n m i t t e l b a r e Gefahr, aber dennoch ein S y m p t o m f ü r die i n Kreisen des Adels gewachsene K r i t i k an dem - w i e sie es n a n n t e n - „Despotismus der Regierung des K ö n i g s " w a r e n die Reformforderungen u m die Wende v o m 17. z u m 18. Jahrhundert. Sie w u r d e n f o r m u l i e r t v o n Vauban, B o i s g u i l lebert, Fénelon, B o u l a i n v i l l i e r s u n d S a i n t - S i m o n . I h r Z i e l w a r n i c h t der U m s t u r z der bestehenden Ordnung, sondern deren Reform auf der Basis der w a h r e n T r a d i t i o n u n d p o l i t i s c h e n V e r n u n f t . Sie w a r e n Konservative, deren Gesellschaftsideal die t r a d i t i o n e l l e ständisch-hierarchische O r d n u n g d a r stellte. E i n e n H ö h e p u n k t erreichten ihre R e f o r m a k t i v i t ä t e n i n den K r i s e n j a h r e n des Spanischen Erbfolgekrieges. Eine Besserung der bestehenden Verhältnisse erwarteten sie a l l e i n v o n der Thronbesteigung des Herzogs L u d w i g v o n B u r g u n d , die nach dem Tode des D a u p h i n s i m Jahre 1711 u n m i t t e l b a r bevorzustehen schien. Schon seit Jahren w a r der Herzog die H o f f n u n g aller Unzufriedenen. „ S i e zweifelten n i c h t daran, die E r z i e h u n g Fénelons u n d die Persönlichkeit des Prinzen schienen das z u verbürgen, daß m i t i h m an die Stelle eines schlecht i n f o r m i e r t e n u n d neuen Ideen n i c h t mehr zugänglichen Herrschers ein i n i h r e m Sinne g u t zu informierender t r e ten w e r d e " 8 4 . Angesichts der Finanzkrise, der beunruhigenden E n t w i c k l u n g i m I n n e r n der M o n a r c h i e u n d der schweren Niederlagen i n den Schlachten v o n H ö c h städt (1704), T u r i n (1706) u n d Oudenaarde (1708) w a r L u d w i g X I V . e n t schlossen, d u r c h sehr weitgehende Konzessionen den Frieden zu erreichen. N a c h d e m offiziöse V e r h a n d l u n g e n i n den Jahren 1704 u n d 1706 wegen der u n ü b e r b r ü c k b a r e n Differenzen der Parteien gescheitert waren, sandte der französische K ö n i g i m M a i 1709 seinen A u ß e n m i n i s t e r Colbert de Torcy m i t sehr weitreichenden V o l l m a c h t e n n a c h D e n Haag. Dieser erklärte sich d o r t zur A n n a h m e fast sämtlicher P u n k t e der hochgeschraubten Forderungen der A l l i i e r t e n bereit. E r verzichtete f ü r die B o u r b o n e n n i c h t n u r auf die spanische Krone, auf Straßburg, K e h l , Breisach, L a n d a u u n d auf die elsässischen Reunionen, er s t i m m t e n i c h t n u r der Rückgabe der französischen Besitzungen i n den Spanischen N i e d e r l a n d e n zu, sondern er erklärte sich auch bereit, m i t Subventionen den K a m p f der K o a l i t i o n gegen den spanischen K ö n i g P h i l i p p V. zu unterstützen. Trotz dieser äußerst w e i t r e i c h e n den Konzessionen scheiterten die V e r h a n d l u n g e n dennoch. Sie scheiterten Bas-Pays, in: Bulletin de la Société de l'histoire du protestantisme français 119 (1973), 209 - 248. 84 Werner Gembruch, Reformforderungen in Frankreich um die Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Geschichte der Opposition gegen System und Politik Ludwigs XIV., in: HZ 209 (1969), S. 270ff.; wieder abgedruckt in: ders., Staat und Heer. Ausgewählte historische Studien zum ancien régime, zur Französischen Revolution und zu den Befreiungskriegen, hrsg. von Johannes Kunisch (Historische Forschungen, 40), Berlin 1990, 46f., der ganze Aufsatz 42 - 87; vgl. auch Rothkrug, Opposition to Louis XIV. (Anm. 77), 351f.; 355f., 464f.; Harold A. Ellis, Boulainvilliers and the French Monarchy. Aristocratic Politics in Early Eighteenth-Century France, Ithaca / London 1988, 57 - 91.

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daran, daß die Verbündeten die Z u s i c h e r u n g eines bewaffneten Vorgehens L u d w i g s X I V . gegen seinen E n k e l f ü r den F a l l eines Widerstandes gegen die Auslieferung Spaniens u n d aller seiner Nebenlande verlangten. E i n d e r a r t i ges A n s i n n e n erachtete der französische K ö n i g aber als unvereinbar m i t seiner „ h o n n e u r " u n d „ r é p u t a t i o n " 8 5 . Es k a n n k e i n Z w e i f e l d a r a n bestehen, daß die A l l i i e r t e n damals m i t i h r e r überzogenen F o r d e r u n g die Gunst der Stunde v e r t a n haben. D i e weitere E n t w i c k l u n g des Krieges verbesserte die Lage Frankreichs, so daß es i n den Friedensschlüssen v o n U t r e c h t (1713) u n d Rastatt (1714) günstigere K o n d i t i o n e n erreichen konnte. Daß sich aber L u d w i g X I V . i m Spanischen E r b f o l gekrieg zu so w e i t r e i c h e n d e n Konzessionen verstand, ist ganz sicher auf die ökonomischen Z w ä n g e u n d die katastrophale Lage i m I n n e r n Frankreichs zurückzuführen. Diese h a t t e n zweifellos einen entscheidenden E i n f l u ß auf die A u ß e n p o l i t i k des K ö n i g s i n jener Phase seiner persönlichen Regierung 8 6 . 3. Frankreichs außenpolitische Position am Ende der Regierung Ludwigs X I V . D i e Staatsfinanzen befanden sich i m Jahre 1715, a m Ende der Regierung L u d w i g s X I V . , i n einem desolaten Zustand. Fast f ü n f u n d z w a n z i g

Jahre

K r i e g h a t t e n die Staatsschulden auf eine bisher nie erreichte Höhe a n w a c h sen lassen. Treffen die überlieferten A n g a b e n zu, h a t t e n sich die Schulden auf die f ü r damalige Verhältnisse riesige Summe v o n etwa z w e i M i l l i a r d e n livres a k k u m u l i e r t . D i e u n m i t t e l b a r f ä l l i g e n Schulden überstiegen v i e r h u n dert M i l l i o n e n livres. Die öffentlichen Kassen waren p r a k t i s c h leer, die für die Jahre 1716 bis 1718 e r w a r t e t e n E i n n a h m e n schon verausgabt. Es k a n n k e i n Z w e i f e l d a r a n bestehen, daß F r a n k r e i c h n i c h t n u r wegen der dramatischen Lage seiner öffentlichen F i n a n z e n a m Ende der Regierung L u d w i g s X I V . eine Phase der E r h o l u n g n ö t i g h a t t e 8 7 . Gegenüber diesem alles i n a l l e m düsteren E r s c h e i n u n g s b i l d der Lage i n F r a n k r e i c h i m Jahre 1715 ist jedoch zu betonen, daß das L a n d d a n k seiner n a t ü r l i c h e n Ressourcen, seiner insgesamt soliden A g r a r ö k o n o m i e , seiner m a n u f a k t u r i e l l e n A k t i v i t ä t e n u n d seines Überseehandels - w e n n auch oft u n t e r größten S c h w i e r i g k e i t e n - l e t z t l i c h i n der Lage gewesen ist, den Belastungen v o n fast f ü n f u n d z w a n z i g Jahren K r i e g s t a n d z u h a l t e n 8 8 . Es ist F r a n çois Bluche zuzustimmen, w e n n er zur Gesamtlage Frankreichs a m Ende der Regierung L u d w i g s X I V . feststellt: „ E n réalité, le royaume de L o u i s X I V 85 86 87

360. 88

Vgl. Goubert, Louis XIV (Anm. 8), 199; Bluche, Louis XIV (Anm. 8), 793 - 797. Vgl. auch Wolf, Toward a European Balance of Power (Anm. 19), 162 f., 174. Goubert, Louis XIV (Anm. 8), 216f.; Meyer, La France moderne (Anm. 41), 356 Luden Bély, Espions et ambassadeurs au temps de Louis XIV, Paris 1990, 26.

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n'est n i r u i n é (sauf en ses finances publiques), n i angoissé, n i é t o u f f a n t " 8 9 . Erste Anzeichen einer E r h o l u n g 'auf d e m agrarischen Sektor u n d auf dem Felde des Überseehandels manifestierten sich bereits i n den Jahren 1713 u n d 17 1 4 9 0 . Ebenso w i e auf den vorangegangenen Friedenskongressen v o n N i m w e g e n u n d R i j s w i j k hatte es F r a n k r e i c h auch bei den Friedensschlüssen v o n U t r e c h t , Rastatt u n d B a d e n vermocht, „ d i e E b e n b ü r t i g k e i t oder sogar Ü b e r legenheit der w e n i g k o h ä r e n t e n gegnerischen K o a l i t i o n e n a m Konferenztisch auszugleichen, sei es d u r c h die G e s c h i c k l i c h k e i t der eigenen D i p l o m a ten, sei es d u r c h das E n t g e g e n k o m m e n eines der A l l i a n z p a r t n e r " 9 1 . I m V e r gleich z u den gravierenden Bedingungen, die L u d w i g X I V . w ä h r e n d der schließlich gescheiterten V e r h a n d l u n g e n v o n 1709 anzunehmen bereit w a r , fiel der K o m p r o m i ß f r i e d e n v o n 1713/14 f ü r F r a n k r e i c h günstiger aus. D i e B o u r b o n e n blieben i m Besitz v o n Spanien m i t den K o l o n i e n . F ü r F r a n k r e i c h k o n n t e L u d w i g X I V . an der Ostgrenze i m wesentlichen die Regelungen v o n R i j s w i j k gegenüber d e m Kaiser durchsetzen. I m N o r d e n mußte er aber auf einen T e i l Französisch-Flanderns verzichten u n d die niederländische „ B a r riere" hinnehmen. Das bedeutete f ü r längere Z e i t das Ende der französischen A m b i t i o n e n , die Grenzen des Königreiches n a c h N o r d e n u n d Osten möglichst w e i t v o n der K a p i t a l e Paris vorzuverlegen 9 2 . F r a n k r e i c h b l i e b aber i n dem i n U t r e c h t ausgebildeten „ S y s t e m der ,präponderierenden Mächte 4 , zwischen denen z w a r ein stets gefährdetes, aber auch i m m e r w i e d e r ausbalanciertes politisches K r ä f t e v e r h ä l t n i s b e s t a n d " 9 3 , eine Großmacht, deren politisches G e w i c h t auch nach 1715 v o n zentraler B e d e u t u n g w a r . W e n n auch L u d w i g X I V . i n seinem Streben n a c h Hegemonie i n E u r o p a gescheitert w a r , so hinterließ er bei seinem Tode e i n L a n d , das größer u n d besser z u verteidigen w a r als zu B e g i n n seiner Alleinherrschaft. E r hinterließ seinem Nachfolger eine Monarchie, die auch i n den folgenden Jahrzehnten i n der Lage w a r , eine erstrangige politische Rolle i n E u r o p a z u spielen 9 4 .

8

9 Bluche, Louis X I V (Anm. 8), 876. 9° Vgl. Goubert, Louis XIV (Anm. 8), 217 - 222. 91 Heinz Duchhardt, Gleichgewicht der Kräfte - Convenance - Europäisches Konzert. Friedenskongresse und Friedensschlüsse vom Zeitalter Ludwigs XIV. bis zum Wiener Kongreß (Erträge der Forschung, 56), Darmstadt 1976, 76. 92 Livet, L'équilibre européen (Anm. 12), 102; Goubert, Louis XIV (Anm. 8), 202ff.; Robert Mandrou, Louis X I V en son temps (Peuples et Civilisations, 10), Paris 1973, 526 - 531. 93 Duchhardt, Gleichgewicht der Kräfte (Anm. 91), 70; Rudolf Vierhaus, Überstaat und Staatenbund. Wirklichkeit und Ideen internationaler Ordnung im Zeitalter der Französischen Revolution und Napoleons, in: Archiv für Kulturgeschichte 43 (1961), 329 - 354. 94 Tapié, Louis XIV's Methods in Foreign Policy (Anm. 6), 14f.; Bluche, Louis XIV (Anm. 8), 876.

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Klaus Malettke F r a n k r e i c h w a r u n t e r L u d w i g X I V . - w i e P a u l Kennedy i n seinem W e r k

„ T h e Rise a n d F a l l of the Great Powers" z u Recht feststellt - keine „ S u p e r m a c h t " . Es stellt sich aber die Frage, ob m a n einen Begriff, der v o n den m a c h t p o l i t i s c h e n Verhältnissen der Jahrzehnte nach dem Z w e i t e n W e l t k r i e g abgeleitet ist, auf die Gegebenheiten des A n c i e n Régime übertragen u n d z u r Charakterisierung einzelner Staaten jener Epoche verwenden darf. U n d ebenso p r o b l e m a t i s c h erscheint das U r t e i l Kennedys, daß das F r a n k reich L u d w i g s X I V . v o n A n b e g i n n ein sich beständig

übernehmender,

h y b r i d e r Staat gewesen sei. Sicher ist n i c h t zu leugnen, daß der „ r o i soleil" bei seinen m i l i t ä r i s c h e n U n t e r n e h m u n g e n bis an die Grenzen der Belastbark e i t v o n Staat u n d Gesellschaft gegangen ist. E i n e genauere Analyse seiner A u ß e n p o l i t i k u n d seiner K r i e g f ü h r u n g v e r d e u t l i c h t jedoch, daß t r o t z aller Dominanz

der Staatsräson i m p o l i t i s c h e n H a n d e l n L u d w i g s X I V .

mit

zunehmender Dauer seiner Regierung finanzielle, ökonomische u n d soziale F a k t o r e n größeres G e w i c h t bei seinen außenpolitischen Entscheidungen erlangten. Dies zeigte sich zumindest i m m e r dann, w e n n es u m die zentrale Frage ging, ob F r a n k r e i c h angesichts wachsender finanzieller, w i r t s c h a f t licher u n d sozialer S c h w i e r i g k e i t e n i n der Lage sei, einen K r i e g auf längere Sicht fortzusetzen. Spielten finanzielle, ökonomische u n d soziale F a k t o r e n bei der E n t s c h e i d u n g des Königs, i m K r i e g m i t den Vereinigten N i e d e r l a n den den Frieden anzustreben, noch eine eher sekundäre Rolle, so k a m i h n e n i m Pfälzischen K r i e g u n d i m Spanischen Erbfolgekrieg eine erheblich größere B e d e u t u n g zu. I n diesen Auseinandersetzungen w a r e n sie neben m i l i t ä r i s c h e n u n d p o l i t i s c h e n Gesichtspunkten ein mitentscheidendes M o t i v f ü r den Entschluß des Königs, die Beendigung des Krieges herbeizuführen. B e r ü c k s i c h t i g t m a n diese Gegebenheiten, d a n n ist das Pauschalurteil K e n nedys, F r a n k r e i c h sei z u r Z e i t L u d w i g s X I V . ein sich beständig übernehmender, h y b r i d e r Staat gewesen, n i c h t aufrechtzuerhalten 9 5 . K l a u s H i l d e b r a n d verweist gegenüber dem U r t e i l Kennedys z u Recht auf die Tatsache, daß das ludovizianische F r a n k r e i c h „ d u r c h eine selten zuvor u n d danach erreichte H o m o g e n i t ä t des Politischen u n d M i l i t ä r i s c h e n , des W i r t s c h a f t l i c h e n u n d K ü n s t l e r i s c h e n als f o r t s c h r i t t l i c h e M a c h t p a r excellence ausgezeichnet w a r u n d daß es die W e l t als V o r b i l d ebenso anzog, w i e es sie als Gegner e r z i t t e r n ließ, k u r z u m : daß es auf i n n e n - u n d außenpolitischem Terr a i n ein bereits v o n Ranke bewundertes ,System' v o r b i l d l i c h v e r k ö r p e r t e " 9 6 .

95 Paul Kennedy, The Rise and Fall of the Great Powers. Economic Change and Military Conflict from 1500 to 2000, New York 1987, 88ff., 100 - 106; vgl. auch Klaus Hildebrand, Mars oder Merkur? Das Relative der Macht oder: Vom Aufstieg und Fall großer Reiche, in: HZ 250 (1990), 350f. 96 Hildebrand, Mars oder Merkur (Anm. 95), 350f.; zum Verhältnis des Militärischen zum Politischen vgl. Ulrich Muhlack, Absoluter Fürstenstaat und Heeresorganisation in Frankreich im Zeitalter Ludwigs XIV., in: Johannes Kunisch (Hrsg.), Staatsverfassung und Heeresverfassung in der europäischen Geschichte der frühen Neuzeit (Historische Forschungen, 28), Berlin 1986, 249 - 278.

Wilhelm I I I . und die französische Herausforderung V o n M a r i e - L u i s e Recker, F r a n k f u r t / M . D e r B e i t r i t t Englands zur ersten Großen A l l i a n z u n d die K r i e g s e r k l ä r u n g an F r a n k r e i c h 1689 m a r k i e r t e n einen tiefen B r u c h i n der A u ß e n p o l i t i k des Inselstaates. D i e Folgezeit w a r geprägt v o n einem langandauernden K a m p f gegen F r a n k r e i c h u n d dessen Hegemonialstreben, so daß manche H i s t o r i k e r v o n einem „ z w e i t e n H u n d e r t j ä h r i g e n K r i e g " 1 sprechen, der erst m i t dem Wiener Kongreß u n d der d o r t geschaffenen neuen O r d n u n g f ü r den K o n t i nent sein Ende gefunden habe. A u c h w e n n eine solche Sichtweise w o h l doch das A u f u n d A b zwischen beiden westeuropäischen Staaten, den Wechsel v o n m i l i t ä r i s c h e r K o n f r o n t a t i o n u n d Suche n a c h Ausgleich u n d p a r t i e l l e r Zusammenarbeit i n diesem Z e i t r a u m zu w e n i g i n Rechnung stellt, so ist n i c h t zu leugnen, daß insgesamt gesehen das ausgehende 17. u n d das 18. J a h r h u n d e r t v o m englisch-französischen Gegensatz geprägt w a r . D i e E n t scheidung des Jahres 1689 ließ - gerade i m Bewußtsein der Ö f f e n t l i c h k e i t beide Staaten zu „ n a t u r a l a n d necessary enemies" 2 werden, deren R i v a l i t ä t i m machtpolitischen, w i r t s c h a f t l i c h e n u n d m a r i t i m e n Bereich die S t r u k t u r der europäischen Mächtebeziehungen prägte. Dieser h ä u f i g als d i p l o m a t i s c h e R e v o l u t i o n gekennzeichnete U m s c h w u n g ist auch deshalb so s i g n i f i k a n t , w e i l v o r 1689 E n g l a n d auf den A u f s t i e g Frankreichs zur europäischen H e g e m o n i a l m a c h t k a u m reagiert hatte. D i e A u ß e n p o l i t i k des Inselstaates nach der Restauration der M o n a r c h i e 3 w a r inkonsequent u n d w i d e r s p r ü c h l i c h : sie schwankte zwischen einer (Tripel-) A l l i a n z m i t Schweden u n d den N i e d e r l a n d e n z u r A b w e h r einer französischen E x p a n s i o n n a c h F l a n d e r n oder gar bis z u r S c h e i d e m ü n d u n g einerseits u n d einer (geheimen) Ü b e r e i n k u n f t m i t L u d w i g X I V . andererseits, u m i m Verein m i t F r a n k r e i c h den holländischen H a n d e l s r i v a l e n aus d e m F e l d zu schlagen u n d als J u n i o r p a r t n e r der stärksten K o n t i n e n t a l m a c h t möglichst 1 So Jean Meyer/John S. Bromley, La Seconde Guerre de Cent Ans 1688 - 1815, in: François Bedarida/François Crouzet/Douglas Johnson (Hrsg.), De Guillaume le Conquérant au Marché Commun. Dix siècles d'histoire franco-britannique, Paris 1979, 153 - 190. 2 Jeremy Black, Natural and Necessary Enemies. Anglo-French Relations in the Eighteenth Century, London 1986. 3 Vgl. hierzu Keith Feiling, British Foreign Policy 1660 - 1672, London 2 1968; Gerald M. D. Howat, Stuart and Cromwellian Foreign Policy, London 1974; sowie Jeremy Black (Hrsg.), Knights Errant and True Englishmen. British Foreign Policy 1660 - 1800, Edinburg 1988.

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Marie-Luise Recker

auch weitere G e w i n n e i n E u r o p a oder i n Übersee zu erringen. A u c h w e n n dieses K a l k ü l fehlschlug u n d K a r l I I . sich gezwungen sah, i m Separatfrieden v o n Westminster der A l l i a n z m i t F r a n k r e i c h eine Absage z u erteilen, so hatte dieser M i ß e r f o l g doch weitere, w i e d e r u m auf das Jahr 1689 vorausweisende Konsequenzen: die doppelbödige A u ß e n p o l i t i k des englischen M o n a r chen ließ bei dem S t a t t h a l t e r der Vereinigten Niederlande, W i l h e l m v o n Oranien, i m m e r h i n nach seiner H e i r a t m i t der ältesten Tochter K a r l s I I . englischer K r o n p r ä t e n d e n t n a c h dem Aussterben der m ä n n l i c h e n S t u a r t - L i n i e , die Entschlossenheit wachsen, ein antifranzösisches B ü n d n i s u n t e r E i n schluß Englands zustandezubringen u n d h i e r f ü r selbst einen i n n e n p o l i t i schen U m s t u r z i n L o n d o n i n E r w ä g u n g z u ziehen. Dies bestimmte Vorgeschichte u n d Konsequenz der Glorious Revolution. D i e E r f a h r u n g des ( i m w ö r t l i c h e n Sinne) vernichtenden Charakters dieser anglo-französischen A l l i a n z , die i n einem k o m b i n i e r t e n L a n d - u n d Seekrieg die Vereinigten Niederlande 1 6 7 2 - 1 6 7 9 an den R a n d einer v ö l l i g e n N i e d e r lage gebracht hatte, w a r f ü r W i l h e l m v o n Oranien, i n dieser K r i s e n s i t u a t i o n z u m S t a t t h a l t e r ausgerufen, ein entscheidendes M o m e n t gewesen, das seine H a l t u n g gegenüber E n g l a n d f o r t a n 4 festlegte: zur A b w e h r der französischen Herausforderung schien es i n seinen A u g e n u n u m g ä n g l i c h , die finanziellen, w i r t s c h a f t l i c h e n u n d m i l i t ä r i s c h e n Ressourcen des Inselstaates i n die Waagschale einer zu formenden a n t i l u d o v i z i a n i s c h e n K o a l i t i o n einzubringen. Dies w ü r d e n i c h t n u r den N i e d e r l a n d e n die W a h r u n g der äußeren Existenz u n d der inneren F r e i h e i t ermöglichen, sondern auch die U n a b h ä n g i g k e i t u n d Eigenständigkeit der anderen Staaten des K o n t i n e n t s sichern. Gerade dieser personale F a k t o r sollte n i c h t unterschätzt werden; das Bewußtsein, daß die europäische S t a a t e n o r d n u n g d u r c h die französische

Hegemonie

bedroht sei, aber auch eine k o n k r e t e Vorstellung, welche S c h r i t t e zu i h r e r E i n d ä m m u n g n o t w e n d i g seien, u n d n i c h t zuletzt einen leidenschaftlichen W i l l e n , dies auch i n die T a t umzusetzen, brachte W i l h e l m nach der Glorious R e v o l u t i o n i n die englische A u ß e n p o l i t i k ein. Aufgewachsen i n einer Region, die z u den strategisch neuralgischen P u n k t e n des K o n t i n e n t s z u zählen ist, geprägt u n d geformt v o n einem p o l i t i s c h e n Gemeinwesen, das seine U n a b hängigkeit

gegen das übermächtige

Spanien hatte erstreiten u n d

sie

anschließend gegen die französische Hegemonie hatte verteidigen müssen, k o n n t e er den insularen, eher sporadisch i n die k o n t i n e n t a l e n K o n f l i k t e eingreifenden Charakter der englischen A u ß e n p o l i t i k ü b e r w i n d e n u n d den Inselstaat zu einem F a k t o r v o n europäischem G e w i c h t machen. Diese dauerhafte Festlegung auf die E i n d ä m m u n g der französischen Hegemonie, w i e sie m i t der E n t s c h e i d u n g des Jahres 1689 z u m A u s d r u c k k a m , w ä r e aber n i c h t m ö g l i c h gewesen ohne eine entsprechende Resonanz i n E n g l a n d selbst. Gewiß, die A u ß e n p o l i t i k fiel i n den Bereich der k ö n i g l i c h e n 4

Vgl. Stephen B. Baxter, William III, London 1966, 160ff., 216ff.

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Prärogative, auch h a t W i l h e l m als englischer M o n a r c h die außenpolitischen Entscheidungen nahezu allein u n d aus eigener M a c h t v o l l k o m m e n h e i t getroffen. D e n n o c h w ä r e ohne die B e w i l l i g u n g der n o t w e n d i g e n M i t t e l z u r K r i e g f ü h r u n g d u r c h das Parlament u n d ohne eine allgemeine Z u s t i m m u n g der Ö f f e n t l i c h k e i t zur ( A u ß e n - ) P o l i t i k der K r o n e ein S c h r i t t m i t derart w e i t r e i chenden Folgen n i c h t m ö g l i c h gewesen. Bei seiner Thronbesteigung p r o f i tierte W i l h e l m davon, daß der profranzösische K u r s seiner Vorgänger K a r l II. u n d Jakob I I . höchst u n p o p u l ä r gewesen w a r u n d z u emotionsgeladenen inneren Auseinandersetzungen 5 geführt hatte. L u d w i g X I V . g a l t als I n k a r n a t i o n v o n „ p o p e r y a n d a r b i t r a r y r u l e " , der d u r c h das B ü n d n i s m i t den S t u arts die politische w i e die r e l i g i ö s - k i r c h l i c h e O r d n u n g i n E n g l a n d i m absol u t i s t i s c h e n Sinne umzugestalten trachtete. D i e v o n i h m durchgesetzte E n t m a c h t u n g der (ständischen) französischen Parlamente u n d der A u s b a u eines n u r n o c h k r o n a b h ä n g i g e n Verwaltungsapparates, die A u f h e b u n g des E d i k tes v o n Nantes u n d die b l u t i g e Verfolgung der Hugenotten, aber auch die ehrgeizige Handels- u n d F l o t t e n p o l i t i k der französischen K r o n e , die z u einer ernsthaften Herausforderung der englischen K o n k u r r e n z z u w e r d e n drohte - a l l dies ließ den B o u r b o n e n - K ö n i g i n englischen A u g e n z u m A n t i poden u n d W i d e r p a r t der eigenen verfassungs- u n d i n n e n p o l i t i s c h e n O r d n u n g werden. Ja, das B ü n d n i s der Stuarts m i t d e m R o i Soleil schien i n dieser Sicht v o r a l l e m dem Z w e c k v e r p f l i c h t e t , n u n auch i n E n g l a n d nach dem französischen M o d e l l die überkommenen Rechte des Parlaments zu beschneiden, die p r i v i l e g i e r t e S t e l l u n g der A n g l i k a n i s c h e n K i r c h e einzuschränken u n d M a c h t u n d Stellung der Krone nach absolutistischem Muster zu stärken. Diese m i l i t a n t antifranzösische S t i m m u n g i n E n g l a n d hatte W i l h e l m v o n Oranien sich bereits 1673 zunutze gemacht 6 , u m das gegen die Vereinigten Niederlande gerichtete B ü n d n i s K a r l s II. m i t L u d w i g X I V . zu sprengen u n d E n g l a n d aus der gegnerischen K o a l i t i o n herauszubrechen. D u r c h verdeckte Zusammenarbeit m i t der innerenglischen O p p o s i t i o n u n d d u r c h geschickte Ausstreuung v o n Gerüchten über die „absolutistischen" Neigungen des d r i t t e n S t u a r t auf dem englischen T h r o n w a r es dem Oranier gelungen, E n g l a n d z u r A u f k ü n d i g u n g der A l l i a n z m i t F r a n k r e i c h u n d z u einem Sonderfrieden m i t den N i e d e r l a n d e n z u zwingen. D a m i t w a r das M u s t e r der z u k ü n f t i g e n Beziehungen geboren: je stärker K a r l u n d sein B r u d e r u n d Nachfolger Jakob i n den Verdacht gerieten, die p o l i t i s c h e n F r e i h e i t e n der N a t i o n beschneiden u n d „ p o p e r y a n d a r b i t r a r y r u l e " i n E n g l a n d a u f r i c h t e n z u w o l l e n , desto stärker b l i c k t e n führende P o l i t i k e r i n Parlament

und

Ö f f e n t l i c h k e i t nach dem oranischen Thronprätendenten, da er ein G a r a n t 5 Vgl. hierzu vor allem K. H. D. Haley, William of Orange and the English Opposition 1672 - 74, Oxford 1953, sowie John Miller, Popery and Politics in England 1660 1688, London 1973, passim. 6 Vgl. ebd. sowie Marie-Luise Recker, Der Vertrag von Dover 1670. Zur englischen Außenpolitik der Restaurationszeit, in: Francia 13 (1985), 271 - 294.

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dafür schien, daß der französische A b s o l u t i s m u s seine H a n d n i c h t n a c h den b r i t i s c h e n Inseln w ü r d e ausstrecken können. I n der K r i s e des Jahres 1688, als m i t der A u f h e b u n g der T e s t - A k t e u n d m i t der G e b u r t eines Sohnes u n d ( m u t m a ß l i c h katholischen) Nachfolgers Jakobs II. diese Befürchtungen neue N a h r u n g erhielten, formierte sich ein gleichsam n a t i o n a l e r W i d e r s t a n d 7 aus A n g l i k a n i s c h e r K i r c h e , Whigs u n d Tories, der die K o n t a k t e z u m Oranier intensivierte u n d i h m U n t e r s t ü t z u n g i m Falle seines Eingreifens auf der Insel zusicherte. A u c h w e n n das Hauptinteresse der innerenglischen Oppos i t i o n bei diesem S c h r i t t den i n n e n - u n d verfassungspolitischen Fragen galt, so legte er das L a n d doch gleichzeitig p r i n z i p i e l l auf eine antiludivizianische A u s r i c h t u n g fest, die den Vorsatz z u r E i n d ä m m u n g der französischen M a c h t - l e t z t l i c h selbst u n t e r Einsatz m i l i t ä r i s c h e r M i t t e l - i n sich barg. W i l h e l m ergriff diese Gelegenheit schnell, z u m a l sie seinen bisherigen B e m ü h u n g e n u m E n g l a n d entsprach. Sein H a u p t a n l i e g e n w a r es jedoch, den Inselstaat f ü r die sich formierende Große A l l i a n z zu gewinnen, da n u r so L u d w i g s s p e k t a k u l ä r e n Erfolgen der vergangenen Jahre (Straßburg, Casale, K ö l n u n d n u n die Pfalz) E i n h a l t geboten u n d er v o n m ö g l i c h e n w e i t e r e n Expansionsschritten abgehalten w e r d e n konnte. Trotz der Unsicherheit, ob eine I n v a s i o n der Insel erfolgreich sein u n d ob sie n i c h t m i l i t ä r i s c h e K r ä f t e , die an anderer Stelle w i c h t i g e r waren, allzulange b i n d e n w ü r d e , wagte der Oranier den „großen C o u p " 8 , den Fuß auf englischen Boden zu setzen u n d nach der K r o n e d o r t z u greifen. Es sollte sich als schwerer Fehler erweisen, daß der französische M o n a r c h dem Hilfeersuchen seines englischen Cousins 9 k e i n Gehör schenkte u n d dessen B i t t e u m m i l i t ä r i s c h e U n t e r s t ü t z u n g abschlug. A l l e r d i n g s w a r aus seiner Sicht das K a l k ü l w o h l n i c h t falsch, daß E n g l a n d o h n e h i n k e i n verläßlicher u n d k r a f t v o l l e r Verbündeter sei u n d daß dessen Paralysierung infolge innerer W i r r e n der französischen P o l i t i k durchaus zupaß k o m m e n konnte. Ja, die - w i e z u e r w a r t e n stand - l a n g w i e r i g e n Auseinandersetzungen z w i schen d e m l e g i t i m e n M o n a r c h e n u n d dessen Herausforderer h a t t e n sogar den g l ü c k l i c h e n Nebeneffekt, daß L u d w i g s entschiedenster Gegner, n ä m l i c h W i l h e l m v o n Oranien, n u n auf der Insel gebunden u n d d a m i t als Organisator u n d m i l i t ä r i s c h e r F ü h r e r der Großen A l l i a n z ausfallen würde. Erst als der W i d e r s t a n d gegen W i l h e l m b u c h s t ä b l i c h dahinschmolz u n d Jakob d u r c h die F l u c h t nach F r a n k r e i c h seine Position de facto verloren gab, entschloß sich 7 Vgl. hierzu James Rees Jones, The Revolution of 1688 in England, London 1984, 209ff.; sowie John Rändle Western, Monarchy and Revolution. The English State in the 1680s, London 1972, 239ff. 8 Heinz Duchhardt, Das Zeitalter des Absolutismus, München 1989, 60. 9 Vgl. hierzu und zum folgenden Mark A. Thomson, Louis XIV and William III, 1689 - 97, in: Ragnhild Hatton/John S. Bromley (Hrsg.), William I I I and Louis XIV, Liverpool 1968, 24 - 48; sowie James Rees Jones, Britain and the World 1649 - 1815, Glasgow 1980, 127 ff.

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der französische K ö n i g , i h m m i t einem Expeditionsheer nach I r l a n d z u H i l f e zu k o m m e n u n d v o n hier aus W i l h e l m s Erfolge zunichte z u machen. D i e Schlacht an der Boyne u n d Jakobs erneute F l u c h t n a c h F r a n k r e i c h beendeten d a n n diesen französischen Versuch, die Thronfolge des Oraniers zu vereiteln. D i e I d e n t i f i z i e r u n g L u d w i g s m i t der Sache Jakobs u n d seiner A n h ä n g e r h a t die E i n r e i h u n g Englands i n die Große A l l i a n z gegen F r a n k r e i c h n u r bestärkt. F ü r die politische N a t i o n , f ü r die entscheidenden S t i m m e n i n Parlament u n d Ö f f e n t l i c h k e i t w a r der K a m p f gegen F r a n k r e i c h gleichzeitig ein K a m p f z u r Sicherung des Revolution

Settlement

u n d der protestantischen

Thronfolge. D i e A u f n a h m e der e x i l i e r t e n S t u a r t - F a m i l i e a m H o f v o n Versailles, die N i c h t a n e r k e n n u n g W i l h e l m s als rechtmäßigen englischen K ö n i g , v o r a l l e m d a n n die U n t e r s t ü t z u n g der J a k o b i t e n 1 0 i n n e r h a l b u n d außerhalb der Insel u n d die mehrfachen Versuche, Jakob m i t H i l f e französischer T r u p pen w i e d e r auf dem englischen T h r o n z u i n s t a l l i e r e n - a l l dies b e w i r k t e , daß der französische K ö n i g i n E n g l a n d als der entscheidende W i d e r p a r t der i n n e n - u n d verfassungspolitischen O r d n u n g angesehen w u r d e . Dieser Konsens zwischen der p o l i t i s c h e n N a t i o n u n d dem neuen M o n a r chen t r u g d a n n auch dazu bei, daß Ö f f e n t l i c h k e i t u n d P a r l a m e n t t r o t z zunehmender Lasten l e t z t l i c h bereit waren, den K r i e g gegen F r a n k r e i c h zu tragen u n d der Großen A l l i a n z die n o t w e n d i g e U n t e r s t ü t z u n g zu gewähren. O b w o h l die Bereitstellung v o n T r u p p e n f ü r den K r i e g auf d e m K o n t i n e n t u n d die b e t r ä c h t l i c h e n Subsidienzahlungen an die Verbündeten das L a n d schwer trafen u n d W i r t s c h a f t s k r a f t u n d Finanzen d e u t l i c h beeinträchtigten, zeigte es sich doch w i l l e n s , den außenpolitischen Z i e l e n der K r o n e zu folgen u n d i h r die n o t w e n d i g e n M i t t e l z u r V e r f ü g u n g z u stellen. I n den ersten Jahren stellte sich E n g l a n d der 1689 begonnene K r i e g gegen F r a n k r e i c h als ein K a m p f u m die nationale U n a b h ä n g i g k e i t dar, so daß manche H i s t o r i k e r i h n , w e n n auch m i t ironischem U n t e r t o n , als englischen E r b f o l g e k r i e g 1 1 bezeichnen. Bis 1692 schien die M ö g l i c h k e i t gegeben, daß Jakob m i t H i l f e französischer T r u p p e n w i e d e r auf den englischen T h r o n z u r ü c k k e h r e n w ü r d e . Das d i r e k t e u n d i n d i r e k t e Zusammenspiel zwischen dem französischen H o f u n d den J a k o b i t e n i n E n g l a n d u n d Schottland, sodann die französische I n v a s i o n i n I r l a n d 1689, die z w a r d u r c h W i l h e l m s Sieg an der Boyne 1690 scheiterte, w o sich T r u p p e n Jakobs aber bis 1691 ( F a l l L i m e r i c k s ) h a l t e n konnten, u n d v o r a l l e m Tourvilles Seesieg bei Beachy H e a d bzw. Beveziers 1690, der der französischen F l o t t e die K o n 10 Vgl. Claude Nordmann, Louis XIV and the Jacobites, in: Ragnhild Hatton (Hrsg.), Louis XIV and Europe, London 1976, 82 - 111. 11 So beispielsweise Jones, Britain (Anm. 9), 134, und G. C. Gibbs, The Revolution in Foreign Policy, in: Geoffrey Holmes (Hrsg.), Britain after the Glorious Revolution 1689 - 1714, London 1982, 59 - 79, hier 64.

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t r o l l e des Ä r m e l k a n a l s überließ u n d die gesamte englische Südküste einer französischen I n v a s i o n öffnete - a l l dies k o n n t e n erste S c h r i t t e f ü r eine R ü c k k e h r Jakobs II. sein. Erst der englische Seesieg b e i B a r f l e u r / L a Hogue 1692 beendete diese S i t u a t i o n ; m i t diesem E r f o l g w a r die o b j e k t i v e Gefahr einer französischen Invasion gebannt, w e n n auch entsprechende Befürchtungen u n d Gerüchte w e i t e r bestanden u n d die englische P o l i t i k beeinflußten. M i t dem A b f l a u e n der F u r c h t v o r einer j a k o b i t i s c h e n Restauration r ü c k t e der K a m p f gegen die französische E x p a n s i o n ins Z e n t r u m der m i l i t ä r i s c h e n Anstrengungen. F ü r den neuen M o n a r c h e n 1 2 b i l d e t e n E n g l a n d u n d die N i e derlande das R ü c k g r a t der K o a l i t i o n s k r i e g f ü h r u n g . Beide L ä n d e r i m K r i e g zu h a l t e n bzw. deren W i l l e n n i c h t erlahmen zu lassen, die m a t e r i e l l e n B ü r den dieses Krieges zu tragen, sah er als zentrale Aufgabe seiner P o l i t i k an. W ä h r e n d i n den N i e d e r l a n d e n der holländische Ratspensionär Heinsius seine L i n i e m i t Energie u n d Geschick fortsetzte, suchte W i l h e l m i n E n g l a n d selbst d u r c h ein L a v i e r e n zwischen b z w . über den p o l i t i s c h e n F r o n t e n die U n t e r s t ü t z u n g des Landes f ü r diesen K r i e g zu erreichen u n d seinen eigenen H a n d l u n g s s p i e l r a u m i n außenpolitischen Fragen zu wahren. Ohne hier w e i ter auf die i n n e n p o l i t i s c h e n Kräfteverhältnisse eingehen z u können, sei doch betont, daß der Versuch der Krone, Vertreter der Whigs w i e der Tories f ü r hohe politische Ä m t e r z u g e w i n n e n u n d d u r c h eine solche „ m i x e d a d m i n i s t r a t i o n " 1 3 Rückendeckung f ü r ihre P o l i t i k zu gewinnen, n i c h t den erhofften E r f o l g brachte. D i e M i n i s t e r i e n dieser Jahre w a r e n i m allgemeinen w e n i g homogen u n d k o n n t e n so k a u m U n t e r s t ü t z u n g u n d Ersatz f ü r den M o n a r chen sein, w e n n er s i c h i n H o l l a n d b z w . auf d e n K r i e g s s c h a u p l ä t z e n i n F l a n d e r n befand. Z u d e m stellte das P a r l a m e n t , m i t g e s t ä r k t e m M a c h t bewußtsein aus der Glorious R e v o l u t i o n hervorgegangen u n d angesichts der Regelmäßigkeit seiner Sitzungsperioden eine politische B ü h n e v o n großem G e w i c h t , einen F a k t o r dar, m i t dem der K ö n i g u n d seine M i n i s t e r zu rechnen hatten. Trotz aller heftigen i n n e n p o l i t i s c h e n Auseinandersetzungen u n d ungeachtet der I n s t a b i l i t ä t der Ministerien (mit Ausnahme der „ W h i g J u n t a " 1694 - 1698) gelang es W i l h e l m jedoch, das L a n d i m K r i e g zu h a l t e n u n d die f ü r die m i l i t ä r i s c h e n K a m p a g n e n n o t w e n d i g e U n t e r s t ü t z u n g zu finden. H i e r b e i verfolgte er ein doppeltes Ziel, n ä m l i c h z u m einen die französische E x p a n s i o n z u stoppen, gar die Grenzen v o n 1648 oder 1659 w i e d e r h e r zustellen, u n d z u m anderen L u d w i g z u r A n e r k e n n u n g der protestantischen Thronfolge i n E n g l a n d z u bringen. Ersterem dienten die m i l i t ä r i s c h e n 12 Vgl. hierzu und zum folgenden Baxter (Anm. 4), 288ff.; sowie Jones, Britain (Anm. 9), 140 ff. 13 Vgl. zu Wilhelms Regierungsstil und zum innenpolitischen Hintergrund generell Baxter (Anm. 4), 269ff.; E. L. Ellis, William and the Politicians, in: Holmes (Anm. 11), 115-134; James Rees Jones, Country and Court. England 1658 - 1714, London 1978, 256ff.; sowie Henry Horwitz, Parliament, Policy and Politics in the Reign of William III, Manchester 1977, passim.

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Anstrengungen der v e r b ü n d e t e n Armeen, die i n einem langandauernden, kräftezehrenden Stellungskrieg sich schließlich behaupten u n d m i t der Rückeroberung v o n N a m u r (1695) einen langersehnten E r f o l g verbuchen konnten. A l l e r d i n g s bedeutete dieser L a n d k r i e g angesichts hoher K o s t e n f ü r S u b s i d i e n - Z a h l u n g e n an die Verbündeten u n d z u r A u s r ü s t u n g u n d U n t e r h a l t u n g englischer T r u p p e n i n F l a n d e r n eine schwere B ü r d e f ü r den Inselstaat. Gerade angesichts der D e f i z i t e der Vergangenheit stellten die Ausheb u n g einer solchen Z a h l neuer Soldaten, ihre A u s b i l d u n g u n d Ausrüstung, ihre Verpflegung u n d E n t l o h n u n g neue u n d ungekannte A n f o r d e r u n g e n an a d m i n i s t r a t i v e Effizienz u n d finanzielle Leistungsfähigkeit Englands. Ä h n liches galt f ü r die M a r i n e , w o der B a u u n d die B e m a n n u n g neuer Schiffe f ü r den Seekrieg gegen F r a n k r e i c h analoge Probleme bereiteten u n d zudem Stärke u n d A k t i o n s r a d i u s der t r a d i t i o n e l l e n Handelsflotte beeinträchtigten. Neuere F o r s c h u n g e n 1 4 haben darauf hingewiesen, w i e stark der Orléanssche K r i e g die W i r t s c h a f t s - u n d F i n a n z k r a f t Englands t r a f u n d B i n n e n - w i e Außenhandel tangierte. D i e Folgen w a r e n w i r t s c h a f t l i c h e r

Niedergang,

Münzverschlechterungen u n d eine wachsende Schere zwischen Steuereinn a h m e n u n d Staatsausgaben, was das L a n d an den R a n d eines S t a a t s b a n k rotts führte. Erst die „ f i n a n c i a l r e v o l u t i o n " 1 5 dieser Jahre, m i t der die W ä h r u n g saniert u n d die Kriegsanleihen f u n d i e r t w u r d e n , legte den G r u n d s t e i n f ü r die F i n a n z i e r u n g der neuen m i l i t ä r i s c h e n K a m p a g n e n u n d d a m i t f ü r eine erfolgreiche Fortsetzung des Krieges. D e n n o c h b l i e b e n die L a s t e n h a r t u n d w a r e n zudem geeignet, die p o l i t i schen Differenzen i m L a n d e zu vertiefen. W ä h r e n d das sich ausbildende „ m o n i e d interest", also diejenigen, die d u r c h die Z e i c h n u n g v o n Staatsanleihen den K r i e g finanzieren halfen, i n mancher H i n s i c h t zu dessen N u t z n i e ßern gezählt w e r d e n k a n n , w a r e n andere gesellschaftliche G r u p p e n weniger begünstigt. D i e ab 1692 erhobene L a n d Tax, die w i c h t i g s t e u n d ergiebigste der i n diesen Jahren eingeführten neuen Steuern, belastete i m wesentlichen die Landbesitzer u n d schmälerte deren E i n k ü n f t e . A b e r auch H a n d e l u n d Gewerbe m u ß t e n z u m T e i l herbe E i n b u ß e n hinnehmen, w e i l der K r i e g die W i r t s c h a f t s k r a f t des Landes beeinträchtigte, die t r a d i t i o n e l l e n H a n d e l s r o u t e n u n t e r b r a c h u n d w e i l z u d e m französische Kaperschiffe der englischen Handels- u n d K r i e g s m a r i n e schwere Verluste zufügten. S o m i t drohte sich hier eine O p p o s i t i o n gegen die Fortsetzung des Krieges auf d e m bisherigen N i v e a u zu formieren, die n u n die F o r d e r u n g erhob, die m i l i t ä r i s c h e Präsenz auf dem K o n t i n e n t drastisch zu reduzieren, z u d e m die V e r b ü n d e t e n dazu z u bringen, einen größeren T e i l i h r e r Kriegskosten selbst zu tragen, u n d die eigenen Anstrengungen auf den Seekrieg zu verlagern. Dieses K o n z e p t einer 14 So insbesondere D. W. Jones, War and Economy in the Age of William I I I and Marlborough, Oxford 1988, passim. 15 Peter M. G. Dickson , The Financial Revolution in England. A Study in the Development of Public Credit 1688 - 1756, London 1967.

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„ b l u e w a t e r " 1 6 - S t r a t e g i e w ü r d e n i c h t n u r die d i r e k t e n Kriegslasten E n g lands verringern, sondern ebenso den Außenhandel m i t E u r o p a u n d Ü b e r see, auf d e m j a die Prosperität des Landes ruhte, v o n bisherigen R i s i k e n u n d Verlusten befreien. D e r K ö n i g u n d seine M i n i s t e r k o n n t e n diese K r i t i k jedoch l e t z t l i c h m i t dem H i n w e i s abwehren, daß L u d w i g s politische Ziele u n d ein französischer E r f o l g i n diesem K r i e g die U n a b h ä n g i g k e i t des Landes u n d d a m i t auch die i n n e n - u n d verfassungspolitische O r d n u n g i n Frage stellen w ü r d e n . W e n n schon E n g l a n d i n seinen Anstrengungen nachließ, w i e sollten d a n n die Verbündeten bei der Stange gehalten werden? D i e Position Spaniens schien dem K o l l a p s nahe, Savoy en suchte 1696 schließlich den Weg zu einem Separ a t f r i e d e n m i t F r a n k r e i c h , u n d auch i n H o l l a n d u n d i m Reich gab es Tendenzen zugunsten eines Ausgleichs m i t dem französischen Monarchen. I n diesem F a l l hätte ein isoliertes E n g l a n d a l l e i n der französischen Armee u n d M a r i n e gegenübergestanden oder es hätte i n einem Friedensvertrag L u d wigs Bedingungen annehmen müssen, was - da der französische M o n a r c h sich noch i m m e r weigerte, W i l h e l m als l e g i t i m e n englischen K ö n i g anzuerkennen - die Restauration Jakobs oder zumindest die Thronfolge seines Sohnes nach dem T o d des Oraniers b e i n h a l t e n konnte. Gerade die i m Febraur

1696 aufgedeckte j a k o b i t i s c h e Verschwörung gegen W i l h e l m 1 7

hatte diese Gefahr erneut d e u t l i c h gemacht u n d das L a n d i n einer i n n e n p o l i t i s c h k r i t i s c h e n S i t u a t i o n w i e d e r u m h i n t e r i h m versammelt. Dennoch w a r e n K r i e g s m ü d i g k e i t u n d Erschöpfung unübersehbar. Geheimverhandlungen zwischen der englischen u n d der französischen Seite z u r Beendigung des Krieges begannen schon früh, n ä m l i c h 1693, als L u d w i g die H o f f n u n g auf eine I n v a s i o n Englands u n d eine Restauration Jakobs hatte aufgeben müssen. A l l e r d i n g s zogen sie sich lange h i n , z u m a l m i l i t ä r i s c h e Erfolge der einen oder der anderen Seite jeweils die K r ä f t e v e r hältnisse veränderten u n d L u d w i g z u d e m Standfestigkeit u n d Z u s a m m e n h a l t der gegnerischen K o a l i t i o n auf die Probe z u stellen suchte. I m M a i 1697 k o n n t e schließlich ein Friedenskongreß i n R i j s w i j k 1 8 eröffnet werden, der sich jedoch ohne k o n k r e t e Ergebnisse dahinzuziehen drohte. V o r a l l e m der Kaiser hatte ein Interesse an der Verzögerung der Verhandlungen, da er bei F o r t b e s t a n d der Großen A l l i a n z darauf hoffen konnte, i m Falle des Todes v o n K a r l I I . die H i l f e der A l l i i e r t e n f ü r die W a h r u n g der Erbfolgerechte i n Spanien f ü r sein Haus i n A n s p r u c h nehmen zu können. Dagegen w a r e n der französische w i e der englische M o n a r c h an einem b a l d i g e n Friedensschluß interessiert, da i h n e n an der Fortsetzung des Krieges m i t dem Z i e l der Sicherung der spanischen Erbfolge f ü r einen habsburgischen K a n d i d a t e n 16 17 18

Vgl. hierzu Baxter (Anm. 4), 306f. Vgl. hierzu und zur Reaktion auf dieses Ereignis Jones, Country (Anm. 13), 274ff. Vgl. zum Frieden von Rijswijk Jones, Britain (Anm. 9), 149 ff.

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n i c h t gelegen w a r u n d sie zudem eine weitere m i l i t ä r i s c h e K a m p a g n e i m k o m m e n d e n Jahr auch aus R ü c k s i c h t auf ihre f i n a n z i e l l erschöpften L ä n d e r v e r h i n d e r n w o l l t e n . U n t e r U m g e h u n g des Friedenskongresses fanden sie b z w . ihre U n t e r h ä n d l e r d a n n die K o m p r o m i ß l i n i e , die anschließend i n den Friedensvertrag v o n R i j s w i j k E i n g a n g fand. L u d w i g mußte substantiellen Gebietsabtretungen an seiner Ostgrenze sowie der Zulassung v o n h o l l ä n d i schen Garnisonen z u r Sicherung der spanisch-niederländischen

Grenz-

festungen zustimmen, was den Sicherheitsinteressen der beiden Seemächte entgegenkam. Es w a r der erste Verlustfriede, den F r a n k r e i c h hatte u n t e r zeichnen müssen, w e n n es auch die elsässische Oberrheingrenze u n d Straßb u r g i n seinem Besitz h a l t e n konnte. D e r E r f o l g Englands bestand darin, daß der französische M o n a r c h sich bereit erklärte, W i l h e l m als englischen K ö n i g anzuerkennen u n d d a m i t die j a k o b i t i s c h e O p t i o n aufzugeben. Z u einem solchen S c h r i t t h a t t e Pomponne bereits 1693 geraten, doch h a t t e L u d w i g diesen T r u m p f n o c h n i c h t aus der H a n d geben 1 9 w o l l e n . U n d auch w ä h r e n d der R i j s w i j k e r V e r h a n d l u n g e n hatte sich diese Frage als äußerst s c h w i e r i g u n d k o m p l e x gestaltet. D e n n o c h stand a m Ende die A n e r k e n n u n g des Revolution

Settlement

v o n 1688/89, auch w e n n der R o i Soleil sich n i c h t

bereit fand, Jakob u n d seine F a m i l i e aus Versailles zu verbannen. D i e sich i m Frieden v o n R i j s w i j k abzeichnende Z u s a m m e n a r b e i t zwischen beiden Monarchen, die sich i n den vergangenen 25 Jahren als unversöhnliche Gegner gegenübergestanden hatten, k a m einer d i p l o m a t i s c h e n Revolut i o n gleich. D e u t l i c h w i r d hier, daß W i l h e l m s P o l i t i k n i c h t gegen F r a n k r e i c h an sich gerichtet w a r , sondern a l l e i n der E i n d ä m m u n g der französischen Hegemonie dienen sollte. I n dem M o m e n t , w o dies erreicht schien

-

i m m e r h i n hatte L u d w i g L o t h r i n g e n u n d alle Reunionen m i t Ausnahme der elsässischen zurückgeben u n d auch i n den spanischen N i e d e r l a n d e n seine t e r r i t o r i a l e n Ziele zurückstecken müssen - , b e k a m e n f ü r den Oranier andere Überlegungen, n ä m l i c h die A u s t a r i e r u n g eines Gleichgewichts zwischen den Häusern H a b s b u r g u n d Bourbon, entscheidendes G e w i c h t , z u m a l die seit den 1660er Jahren anstehende spanische E r b f r a g e 2 0 dies z u einem a k u ten europäischen P r o b l e m machte. D i e Frage, an w e n n a c h dem Tode des kinderlosen K a r l I I . das spanische Reich f a l l e n u n d w i e dieser E r b f a l l die politische L a n d k a r t e Europas verändern w ü r d e , w a r höchst brisant, z u m a l die österreichischen u n d die französischen A n s p r ü c h e auf den spanischen T h r o n nahezu gleichrangig waren. D i e eleganteste Lösung, das H a u p t e r b e gleichsam einem „ n e u t r a l e n " D r i t t e n z u übertragen, der weder d i r e k t z u m Haus H a b s b u r g n o c h z u m Haus B o u r b o n gehörte, u n d W i e n u n d Versailles m i t b e s t i m m t e n t e r r i t o r i a l e n 19

Vgl. hierzu Thomson (Anm. 9), 29ff. Vgl. zur Bedeutung der spanischen Erbfolgefrage für die europäische Politik Duchhardt (Anm. 8), 68ff. 20

6 Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 11

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K o m p e n s a t i o n e n zu befriedigen, h a t t e dem ersten Teilungsvertrag zugrunde gelegen, der zwischen L u d w i g u n d W i l h e l m i m O k t o b e r 1698 ausgehandelt w o r d e n w a r . N a c h dem T o d des d o r t verabredeten Erben, des j u n g e n b a y e r i schen K u r p r i n z e n , i m Januar 1699 vereinbarten beide M o n a r c h e n d a n n i m M ä r z 1700 einen z w e i t e n Teilungsvertrag, demzufolge das H a u p t e r b e an den jüngeren Sohn des Kaisers fallen u n d F r a n k r e i c h als K o m p e n s a t i o n Neapel, Sizilien, die toskanischen Hafenstädte u n d L o t h r i n g e n erhalten sollte. Dies jedoch provozierte, als E i n z e l h e i t e n dieses Teilungsvertrages b e k a n n t w u r den, w e i t v e r b r e i t e t e K r i t i k i n E n g l a n d u n d H o l l a n d 2 1 , da m a n i n dem V o r d r i n g e n Frankreichs nach I t a l i e n eine B e e i n t r ä c h t i g u n g der Handelsinteressen beider Staaten i m M i t t e l m e e r u n d i n der Levante sah. Dies i n Rechnung stellend, h a t t e W i l h e l m i n den V e r h a n d l u n g e n bereits die F o r d e r u n g nach S t ü t z p u n k t e n (Minorca, Ceuta, Oran) erhoben, u m so die englischen H a n delsrouten d o r t besser sichern zu können, u n d hatte auch einen Gebietsaustausch zwischen Savoyen (an Frankreich) u n d Neapel u n d S i z i l i e n (an den Herzog v o n Savoyen) angeregt. D e n n o c h w a r es eher u n w a h r s c h e i n l i c h , daß die Betroffenen dies akzeptieren w ü r d e n . A l l e r d i n g s k a m auch dieser zweite Teilungsvertrag n i c h t z u m Tragen, da K a r l i n seinem Testament sein gesamtes Erbe dem E n k e l L u d w i g s , P h i l i p p v o n A n j o u , vermacht u n d der französische M o n a r c h dies schließlich akzept i e r t hatte, allerdings v o n der Z u s i c h e r u n g begleitet, daß beide K ö n i g r e i c h e getrennt b l i e b e n u n d . P h i l i p p seiner Rechte auf den französischen T h r o n entsagen w ü r d e . Diese L ö s u n g f a n d i n der englischen Ö f f e n t l i c h k e i t durchaus Z u s t i m m u n g , stand doch zu erwarten, daß der neue spanische Monarch, nachdem alle H o f f n u n g e n auf sein französisches Erbe fortgefallen waren, sich a l l e i n u n d ausschließlich den Interessen seines neuen Königreiches zuwenden w ü r d e u n d somit eine enge Z u s a m m e n a r b e i t zwischen den beiden Z w e i g e n des Hauses B o u r b o n k a u m w a h r s c h e i n l i c h w a r . Z u d e m fürchtete man, i n einen neuen K r i e g hineingezogen zu w e r d e n u n d hier f ü r die k o n t i nentalen Staaten den K o p f h i n h a l t e n zu müssen, ohne selbst d i r e k t e Vorteile e r w a r t e n zu können. I m Gegenteil, angesichts der w e i t v e r b r e i t e t e n Kriegsm ü d i g k e i t u n d der K r i t i k an Ausmaß u n d Dauer der V e r w i c k l u n g des L a n des i n den Orléansschen K r i e g hatte das Parlament den K ö n i g sogar gezwungen, die englische Armee auf 7000 M a n n 2 2 zu reduzieren. I n dieser i n n e n p o l i t i s c h e n K o n s t e l l a t i o n schien ein neuer K r i e g gegen L u d w i g bzw. zur Sicherung des habsburgischen Erbes i n Spanien k a u m durchsetzbar. Daß E n g l a n d sich d a n n doch i n eine neue Große A l l i a n z gegen F r a n k r e i c h einreihte, l a g i n verschiedenen A k t i o n e n L u d w i g s 2 3 begründet, die als 21

Vgl. Jones, Britain (Anm. 9), 152 f. Hierauf weist Baxter (Anm. 4), 370, hin. 23 Vgl. hierzu und zur englischen Reaktion auf diese Politik Mark A. Thomson, Louis XIV and the Origins of the War of the Spanish Succession, in: Hatton/Bromley (Anm. 9), 140 - 161. 22

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erneute Herausforderung des Inselstaats angesehen w e r d e n konnten. Schon als das Pariser Parlament i m F e b r u a r 1701 die Ansprüche des neuen spanischen K ö n i g s auf den französischen T h r o n bestätigte, zeichnete sich die Gefahr einer Zusammenarbeit u n d eines gemeinsamen außenpolitischen Vorgehens beider K ö n i g r e i c h e i n der Z u k u n f t ab. Bedrohlicher jedoch aus der Sicht L o n d o n s u n d den Haags mußte es scheinen, daß P h i l i p p noch i m selben M o n a t die spanischen Niederlande f ü r französische T r u p p e n öffnete u n d die d o r t i n acht Festungen stationierten holländischen G a r n i s o n s t r u p pen vertreiben ließ. D a m i t w a r eine wesentliche französische Zusage i m R i j s w i j k e r Friedensvertrag, die den Sicherheitsinteressen der beiden Seemächte hatte dienen sollen, a u f g e k ü n d i g t worden. A l l e r d i n g s zögerte die Ö f f e n t l i c h k e i t i n E n g l a n d w i e i n den N i e d e r l a n d e n noch, dies als casus b e l l i anzusehen, v i e l m e h r drängte sie W i l h e l m zu V e r h a n d l u n g e n m i t L u d w i g , i n denen eine L ö s u n g f ü r die Frage der spanischen Niederlande gefunden sowie gewisse K o m p e n s a t i o n e n aus dem spanischen Erbe f ü r das Kaiserhaus ( v o r n e h m l i c h i n Italien) verabredet w e r d e n sollten. Beide M o n a r c h e n setzten offenbar v o n v o r n h e r e i n auf einen Fehlschlag dieser Verhandlungen; gerade W i l h e l m mußte sich d u r c h L u d w i g s V e r h a l ten d ü p i e r t u n d hintergangen f ü h l e n u n d konzentrierte seine p o l i t i s c h e n Anstrengungen auf die B i l d u n g einer neuen A l l i a n z , die n u n eine die verschiedenen Interessen ausbalancierende Regelung der spanischen Erbfolge erreichen sollte. A u c h L u d w i g setzte eher auf den m i l i t ä r i s c h e n Ü b e r r a schungseffekt u n d auf m i l i t ä r i s c h e Stärke denn auf einen V e r h a n d l u n g s k o m p r o m i ß , z u m a l er Armee u n d Finanzen i n den vergangenen Jahren gestärkt u n d (kriegs-)bereit gemacht hatte. D o c h die s p e k t a k u l ä r e n Erfolge der französischen Armeen, die 1701 i n einem schnellen Vorstoß Flandern, die L o m b a r d e i u n d große Teile des Rheinlandes überrollten, also Gebiete vereinnahmten, die sie i m D e v o l u t i o n s k r i e g w i e i m Orléansschen K r i e g n i c h t h a t t e n erobern können, veranlaßten Parlament u n d Ö f f e n t l i c h k e i t i n E n g l a n d n o c h i m m e r n i c h t , sich v o l l h i n t e r den sich abzeichnenden K r i e g z u stellen, w e n n auch die w a r n e n d e n S t i m m e n an Z a h l u n d E i n f l u ß gewannen. A l s der französische M o n a r c h nach d e m T o d Jakobs II. i m September 1701 dessen Sohn als rechtmäßigen englischen K ö n i g anerkannte u n d d a m i t eine weitere Konzession des Friedens v o n R i j s w i j k w i e d e r i n Frage stellte, w e n dete sich j e d o c h 2 4 das B l a t t . Dies schien ein erneuter A n s c h l a g auf die p r o t e stantische Thronfolge, die k u r z zuvor i m A c t of Settlement festgeschrieben w o r d e n w a r . Z u d e m w u r d e n auch die v o n F r a n k r e i c h verfügten handelsp o l i t i s c h e n Maßnahmen, die an Colberts aggressiven M e r k a n t i l i s m u s der 1660er Jahre erinnerten, als ernsthafte B e d r o h u n g f ü r den „Handelsstaat E n g l a n d " 2 5 angesehen. Höhere Z o l l s c h r a n k e n f ü r englische Produkte, eine 24

6*

Vgl. hierzu Jones, Country (Anm. 13), 287 ff.

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schikanöse B e h a n d l u n g d u r c h französische Z ö l l n e r u n d die Beschlagnahme englischer Schiffe i n französischen Häfen waren n u r die sichtbarsten Zeichen dieser P o l i t i k . A u c h die Ö f f n u n g des spanischen K o l o n i a l r e i c h s f ü r französische Handels- u n d Schiffahrtsinteressen u n d die Ü b e r t r a g u n g des A s i e n t o Handels an F r a n k r e i c h 1702 bestätigte die Befürchtung, daß der französische M o n a r c h , nachdem er v o m zuvor vereinbarten Teilungsvertrag abger ü c k t sei u n d K a r l I I . auf dem Sterbebett zu einem Testament zugunsten P h i l i p p s veranlaßt habe, n u n seine H a n d nach den R e i c h t ü m e r n des spanischen Weltreichs ausstrecke. Dies jedoch hätte die politische w i e w i r t s c h a f t liche Vorherrschaft Frankreichs i n E u r o p a u n d i n Übersee bedeutet. Vor dem H i n t e r g r u n d dieser E n t w i c k l u n g zeigte sich das Inselreich bereit, erneut den K a m p f gegen die französische Hegemonie aufzunehmen u n d d a m i t W i l h e l m s Zielsetzung zu entsprechen. A u c h nach seinem T o d i m M ä r z 1702, z w e i M o n a t e v o r B e g i n n des neuen Kriegs gegen F r a n k r e i c h , setzte seine Nachfolgerin, A n n a , seine P o l i t i k fort u n d k o n n t e h i e r b e i auf die U n t e r s t ü t z u n g der N a t i o n 2 6 rechnen. O b w o h l die Ausgangslage ungünstiger w a r als 1689 - i m m e r h i n w a r L u d w i g bei Kriegsausbruch i m Besitz der spanischen Niederlande u n d N o r d i t a l i e n s , hatte w i c h t i g e Bundesgenossen i m Reich g e w i n n e n k ö n n e n ( K ö l n , Bayern, L ü t t i c h ) u n d verfügte p r a k t i s c h über die Ressourcen des spanischen Kolonialreiches - , vermochten die Verbündet e n nach einem langen u n d wechselvollen K r i e g schließlich i m Friedensvert r a g v o n U t r e c h t eine L ö s u n g i m Sinne der z w e i t e n Großen A l l i a n z d u r c h z u setzen. Ja, die Ü b e r e i n k u n f t , die A l l i a n z auch nach Kriegsende fortzusetzen i m Sinne der A u f r e c h t e r h a l t u n g der soeben getroffenen Regelungen, läßt d e u t l i c h werden, w i e sehr allen B e t e i l i g t e n an der V e r h i n d e r u n g eines erneuten französischen A n l a u f s zur europäischen Hegemonie gelegen w a r . D i e Tatsache, daß W i l h e l m s außenpolitische L i n i e auch nach seinem T o d fortgesetzt w u r d e , zeigt den prägenden Charakter der v o n i h m i n i t i i e r t e n Wende i n der englischen A u ß e n p o l i t i k . D e r insulare Z u s c h n i t t , der f ü r das 17. J a h r h u n d e r t so charakteristisch gewesen w a r , w u r d e abgestreift zugunsten einer v e r s t ä r k t e n A n t e i l n a h m e an u n d einer a k t i v e n I n t e r v e n t i o n i n die europäischen Mächtebeziehungen. Insofern bezieht sich die v o n G. C. Gibbs konstatierte „ r e v o l u t i o n i n foreign p o l i c y " 2 7 , die der Glorreichen R e v o l u t i o n i m i n n e n - u n d verfassungspolitischen K o n t e x t i n nichts nachgestanden 25 Ernst Schulin, Handelsstaat England. Das politische Interesse der Nation am Außenhandel vom 16. bis ins frühe 18. Jahrhundert, Wiesbaden 1969. 26 Vgl. hierzu John B. Hattendorf, England in the War of the Spanish Succession. A Study of the English View and Conduct of Grand Strategy, 1702 - 1712, New York/ London 1987, passim, sowie zum Friedensvertrag von Utrecht und der hinter ihm stehenden Gleichgewichtskonzeption Heinz Duchhardt, Gleichgewicht der Kräfte Convenance - Europäisches Konzert. Friedenskongresse und Friedensschlüsse vom Zeitalter Ludwigs XIV. bis zum Wiener Kongreß, Darmstadt 1976, 41 ff., 68ff. 27 Anm. 11. Ähnlich auch Heinz Duchhardt, Die Glorious Revolution und das internationale System, in: Francia 16/2 (1989), 29 - 37.

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habe, zunächst e i n m a l auf das Wiedererscheinen Englands als europäischer M a c h t f a k t o r u n d a k t i v e r Teilnehmer an der i n t e r n a t i o n a l e n P o l i t i k . D i e Einschätzung, daß der Inselstaat ein vitales Interesse an den k o n t i n e n t a l e n Mächtebeziehungen habe u n d sein eigenes Gewicht hierbei i n die Waagschale werfen solle, w u r d e v o n a l l e n p o l i t i s c h e n L a g e r n geteilt, so sehr auch k o n krete A k t i o n e n oder die m i l i t ä r i s c h e Strategie i n Parlament u n d Ö f f e n t l i c h k e i t u m s t r i t t e n sein mochten. E n g l a n d hatte den Weg z u m K o n t i n e n t d u r c h den Ü b e r g a n g der K r o n e auf W i l h e l m v o n Oranien gefunden u n d b l i e b auch nach dessen T o d bei diesem K u r s . I m a k t i v e n Interesse u n d Teilhabe an den europäischen Mächtebeziehungen, i m A u s b a u eines sich über den ganzen K o n t i n e n t spannenden d i p l o m a t i s c h e n Netzes u n d - falls n ö t i g - i n der m i l i tärischen I n t e r v e n t i o n an strategisch neuralgischen P u n k t e n sollte sich diese Weichenstellung i n Z u k u n f t manifestieren. Zunächst jedoch hatte diese neue P o l i t i k nahezu ausschließlich auf den S c h u l t e r n des M o n a r c h e n selbst geruht, w ä h r e n d die führenden p o l i t i s c h e n Köpfe i n E n g l a n d w e n i g außenpolitische Kompetenz besaßen. D i e Tatsache, daß W i l h e l m die Schlüsselpositionen i n P o l i t i k u n d H e e r 2 8 m i t l a n g j ä h r i g e n Vertrauten, meist H o l l ä n d e r n u n d Hugenotten, besetzte - Portland, A t h l o n e , Schömberg, G a l w a y oder auch Rochford - , stieß z w a r auf erhebliche K r i t i k i n England, doch k o n n t e der neue M o n a r c h hier (neben u n b e d i n g t e r L o y a l i t ä t u n d Gehorsam) auf entsprechende außenpolitische u n d m i l i t ä r i s c h e E r f a h r u n g e n u n d E i n s i c h t e n seiner V e r t r a u t e n setzen. Erst m i t der Z e i t f a n d er auch u n t e r seinen englischen U n t e r t a n e n loyale u n d sachkundige M i t a r beiter - J o h n Methuen, James Vernon, W i l l i a m B l a t h w a y t u n d George Stepney - , die n u n i n entsprechenden Positionen V e r w e n d u n g fanden. E i n ähnliches M u s t e r läßt sich f ü r den A u s b a u des d i p l o m a t i s c h e n N e t z werkes konstatieren. Bis z u r Glorious R e v o l u t i o n hatte die A u ß e n p o l i t i k der K r o n e eher auf Sonderbevollmächtigte gesetzt, die m i t einer speziellen u n d begrenzten Mission beauftragt w o r d e n waren, als auf permanent an den entsprechenden Höfen a k k r e d i t i e r t e d i p l o m a t i s c h e Repräsentanten. M i t W i l h e l m I I I . änderte sich d i e s 2 9 ; angesichts fehlender Q u a l i f i k a t i o n u n d Profess i o n a l i t ä t englischer K a n d i d a t e n setzte er allerdings zunächst eher auf das bestehende Netz der h o l l ä n d i s c h e n D i p l o m a t i e , die n u n auch f ü r die englische A u ß e n p o l i t i k V e r w e n d u n g fand. W ä h r e n d des Orléansschen Kriegs u n d des Spanischen Erbfolgekriegs n a h m d a n n der englische d i p l o m a t i s c h e Dienst die Gestalt an, die f ü r das 18. J a h r h u n d e r t kennzeichnend w e r d e n sollte. Z a h l , R a n g o r d n u n g u n d Aufgabenstellung der Vertreter der K r o n e i n den anderen europäischen Staaten w u r d e n (nach französischem V o r b i l d ) 28

Dies betont Jones, Britain (Anm. 9), 41 f. Vgl. hierzu und zum folgenden David Bayne Horn, The British Diplomatie Service 1689 - 1789, Oxford 1961; sowie ders., The Diplomatie Experience of Secretaries of State, 1660 - 1852, in: History 41 (1956), 88 - 99. 29

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Marie-Luise Recker

ausgebaut u n d ihre Z u s a m m e n a r b e i t m i t den beiden f ü r die A u ß e n p o l i t i k zuständigen Staatssekretären f o r m a l i s i e r t

u n d verbessert. A u c h

galten

E r f a h r u n g e n als Botschafter oder Gesandter n u n i n v e r s t ä r k t e m Maße als E m p f e h l u n g f ü r M i n i s t e r ä m t e r i n L o n d o n selbst, so daß P o l i t i k e r m i t E h r geiz sich - i m U n t e r s c h i e d z u r S i t u a t i o n zuvor - durchaus f ü r einen solchen Posten zu interessieren begannen. A u c h dies zeugt v o n einem veränderten außenpolitischen Selbstverständnis des Inselstaates, das d u r c h W i l h e l m i n i t i i e r t w o r d e n ist. A l s das bleibende Vermächtnis des Oraniers ist jedoch die O r i e n t i e r u n g a m balance-of-power-Prinzip

anzusehen, das i m 18. J a h r h u n d e r t zur zentra-

len Ordnungsidee der englischen A u ß e n p o l i t i k w u r d e . W i l h e l m selbst hat es noch i n einem engeren K o n t e x t gesehen, n ä m l i c h einer A l l i a n z p o t e n t i e l l oder t a t s ä c h l i c h bedrohter Staaten gegen die Hegemonie einer anderen M a c h t , weniger i m Sinne der E t a b l i e r u n g Englands als „ b a l a n c e r "

und

eigentlichen G a r a n t e n einer „ausgewogenen" europäischen Ordnung. A l l e r dings w a r das G l e i c h g e w i c h t s m o t i v f ü r sein außenpolitisches D e n k e n schon f r ü h k o n s t i t u t i v . W i e S i r W i l l i a m Temple berichtet, langjähriger englischer Botschafter i m Haag, U n t e r h ä n d l e r der T r i p e l a l l i a n z v o n 1668 u n d A d v o k a t des Zusammenstehens der Seemächte ( u n d weiterer B ü n d n i s p a r t n e r ) gegen L u d w i g X I V . , hatte bereits der junge W i l h e l m sich überzeugt gezeigt, daß w e n n der gegenwärtige Siegeszug der französischen A r m e e n gebrochen u n d aus dieser S i t u a t i o n eine erneute spanische Hegemonie erwachsen sollte - er v o n einem Verfechter der habsburgischen A l l i a n z z u m A n h ä n g e r eines b o u r bonischen Bündnisses w e r d e n 3 0 w ü r d e . Diese B e m e r k u n g m a c h t die Essenz v o n W i l h e l m s außenpolitischem D e n k e n aus. W i e die Vorgeschichte des R i j s w i j k e r Friedens u n d auch die T e i lungsverträge f ü r das spanische W e l t r e i c h zeigen, w a r die A u s t a r i e r u n g der m a c h t p o l i t i s c h e n G e w i c h t e i n E u r o p a das eigentliche Z i e l seiner A l l i a n z p o l i t i k . Wo sie d u r c h die Hegemonieaspirationen einer M a c h t aus dem L o t gebracht w u r d e n , w u r d e deren E i n d ä m m u n g m i t d i p l o m a t i s c h e n u n d m i l i tärischen M i t t e l n z u m Gebot der Stunde. D i e O r i e n t i e r u n g an „ E u r o p a " als Bezugspunkt v o n W i l h e l m s außenpolitischem D e n k e n u n d H a n d e l n ist v o n der F o r s c h u n g 3 1 mehrfach k o n s t a t i e r t worden. I n seiner persönlichen K o r r e spondenz w i e i n öffentlichen Äußerungen bezog er sich w i e d e r h o l t auf das W o h l Europas, dessen V i e l f a l t u n d dessen Freiheiten erhalten b l e i b e n m ü ß ten. Dies spiegelt durchaus das k o n k r e t e außenpolitische Interesse der Generalstaaten w i e Englands i m ausgehenden 17. J a h r h u n d e r t w i d e r , w a r 30 Zitiert bei Martin Wight, The Balance of Power and International Order, in: The Bases of International Order. Essays in Honour of C. A. W. Manning, London 1973, 85-115, hier 105. 31 So z.B. Wight (Anm. 30), 97; Duchhardt, Glorious Revolution (Anm. 27), 34; Michael Sheehan, The Development of British Theory and Practice of the Balance of Power before 1714, in: History 73 (1988), 24 - 37, hier 30.

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aber gleichzeitig ein Bezugssystem, das die E i n h e i t des K o n t i n e n t s jenseits v o n dynastischen Überlegungen oder konfessionellen K a t e g o r i e n aufzeigte u n d somit auf ein neues, i n die Z u k u n f t weisendes Ordnungsgefüge verwies. U n t e r m a u e r t v o n Sicherheitszonen, Barrieresystemen u . a . m . , später d a n n k o d i f i z i e r t i m Völkerrecht, sollte ein G l e i c h g e w i c h t der K r ä f t e den europäischen Staatenpluralismus w a h r e n u n d schützen u n d eine neue, sei es habsburgische, sei es bourbonische „ U n i v e r s a l m o n a r c h i e " verhindern. Daß Parlament u n d Ö f f e n t l i c h k e i t i n E n g l a n d diesem K u r s folgten b z w . i h m die n o t w e n d i g e U n t e r s t ü t z u n g gewährten, l a g n i c h t p r i m ä r i n der E i n sicht i n die R i c h t i g k e i t u n d L o g i k dieser P o l i t i k begründet, sondern e r k l ä r t sich zunächst e i n m a l aus der spezifischen i n n e n p o l i t i s c h e n K o n s t e l l a t i o n der Jahre nach 1688: der K a m p f gegen L u d w i g diente der A n e r k e n n u n g des Revolution

Settlement

u n d der protestantischen Thronfolge, die d u r c h die

tatsächliche oder auch n u r vermutete Zusammenarbeit zwischen dem f r a n zösischen M o n a r c h e n u n d dem e x i l i e r t e n Jakob i m m e r w i e d e r i n Frage gestellt schien. Jedes neue Anzeichen eines „Jacobite P l o t " versammelte die N a t i o n h i n t e r W i l h e l m u n d ließ sie l e t z t l i c h die Lasten tragen, die d i r e k t oder i n d i r e k t aus dem K r i e g gegen L u d w i g X I V . erwuchsen. H i n z u k a m die m a c h t p o l i t i s c h e w i e m e r k a n t i l e K o n k u r r e n z zu F r a n k r e i c h , die ebenfalls f ü r die E i n d ä m m u n g v o n dessen Expansionsstreben zu plädieren schien. Insbesondere i m V o r f e l d des Spanischen Erbfolgekriegs, als dem bourbonischen N a c h b a r n wesentliche w i r t s c h a f t l i c h e Konzessionen i n Spanien u n d seinem K o l o n i a l r e i c h eingeräumt w o r d e n waren, galten aus L o n d o n e r S i c h t 3 2 n i c h t mehr die Generalstaaten, sondern das ludovizianische F r a n k r e i c h als entscheidender ökonomischer u n d m a r i t i m e r Rivale, der i n E u r o p a w i e i n Übersee Prosperität u n d Z u k u n f t des Inselstaates einzuschnüren drohte. A u c h dies veranlaßte Parlament u n d Ö f f e n t l i c h k e i t zur U n t e r s t ü t z u n g v o n Wilhelms Politik. W e n n auch die Gleichgewichtsidee n i c h t der auslösende F a k t o r f ü r den englischen K r i e g s e i n t r i t t 1689 w i e 1702 w a r , so gewann sie - nachdem die E n t s c h e i d u n g f ü r den B e i t r i t t z u r Großen A l l i a n z gefallen w a r - doch b a l d große öffentliche V e r b r e i t u n g u n d w u r d e z u r ideologischen G r u n d l a g e der englischen A u ß e n p o l i t i k erhoben. I n einer b r e i t e n u n d intensiven p u b l i z i s t i schen Diskussion w u r d e diese M e t a p h e r aufgegriffen u n d nach Wegen zur D u r c h s e t z u n g u n d B e w a h r u n g des europäischen Gleichgewichts gesucht. D i e Vorteile, die E n g l a n d hieraus erwuchsen, h a t ein anonymer A u t o r 1694, also auf einem ersten H ö h e p u n k t dieser P a m p h l e t l i t e r a t u r , w i e folgt charakterisiert: '"Tis the general Interest of all Christendome to resettle the House of Austria in a sort of Equality w i t h France. This Equilibrium is necessary for the security of the 32

Dies betont Jones, Britain (Anm. 9), 157.

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people and even for that of the Sovereigns too. But 'tis the particular Interest of England to reestablish this Equality, that she may have the Ballance in her hand and turn it to which side she pleases" 33 . Gerade angesichts der t r a u m a t i s c h e n E r f a h r u n g e n v o n außenpolitischer Isolierung u n d I n f e r i o r i t ä t w ä h r e n d der Bürgerkriegs- u n d Restaurationszeit u n d eingedenk der n o c h i m m e r v i r u l e n t e n F u r c h t v o r einer ausländischen I n t e r v e n t i o n w u r d e n m i t dem D e n k e n i n Gleichgewichtskategorien auch die Rolle u n d das i n t e r n a t i o n a l e G e w i c h t des Inselstaates aufgewertet. N i c h t v o n ungefähr d a t i e r t der Versuch, die K o n t i n u i t ä t der Balanceidee als außenpolitische M a x i m e Englands seit den Tudors nachzuweisen 3 4 , aus der Z e i t u m die Wende v o m 17. z u m 18. Jahrhundert. A b e r auch i m p o l i t i s c h e n D e n k e n derjenigen, die nach W i l h e l m s T o d die englische A u ß e n p o l i t i k prägten, w u r d e die Gleichgewichtsmetapher z u m entscheidenden

Prinzip.

Beide p o l i t i s c h e n

Kräfte,

Whigs

wie

Tories,

b e k a n n t e n sich hierzu, beide sahen i n E n g l a n d diejenige M a c h t , die f ü r die H e r s t e l l u n g u n d B e w a h r u n g des Gleichgewichts der K r ä f t e auf dem K o n t i nent die H a u p t v e r a n t w o r t u n g t r u g u n d hieraus auch einen moralischen Führungsanspruch ableiten konnte. N i c h t Gebietserwerb i n E u r o p a ( w o h l aber i n Übersee, w o die m a r i t i m - k o m m e r z i e l l e E x p a n s i o n der n u n f ü h r e n den Seemacht d u r c h die k o n t i n e n t a l e M a c h t o r d n u n g begünstigt u n d abgesichert wurde) w a r das Z i e l englischer A u ß e n p o l i t i k , sondern - w i e es i m F r i e densvertrag v o n U t r e c h t hieß "that the peace and tranquillity of the Christian world may be ordered and stabilized in a just balance of power, which is the best and most solid foundation of mutual friendship and a lasting general concord" 35 . D a m i t w a r das außenpolitische Vermächtnis W i l h e l m s I I I . i n W o r t e gefaßt u n d E n g l a n d ein natürliches Schiedsamt i m europäischen Mächtekonzert zugesprochen.

33 Zitiert nach Sheehan (Anm. 31), S. 31. Vgl. zur Verbreitung dieser Metapher vom europäischen Gleichgewicht ebd. sowie H. D. Schmidt, The Establishment of 'Europe' as a Political Expression, in: Historical Journal 9(196 6), 172- 178. 34 Hierauf weist Sheehan (Anm. 31), 24f., hin. 35 Zitiert nach Wight (Anm. 30), 98.

Heeresaufbringung und Koalitionskriegführung im Pfälzischen* und i m Spanischen Erbfolgekrieg V o n B e r n h a r d Sicken, M ü n s t e r Politisches H a n d e l n Schloß i m Z e i t a l t e r L u d w i g s X I V . w i e i n den vorausgegangenen Epochen den R ü c k g r i f f auf die bewaffnete M a c h t ein, sei es außenpolitisch f ü r expansive Ziele oder z u r W a h r u n g der t e r r i t o r i a l e n I n t e g r i t ä t , sei es i n n e n p o l i t i s c h z u m Herrschaftsausbau u n d z u r Herrschaftssicherung. Das M a c h t m o n o p o l beanspruchte der Staat, galt es doch als maßgebliches hoheitliches A t t r i b u t . M i t d e m A u f b a u eines stehenden Heeres bzw. k o n t i n u i e r l i c h u n t e r h a l t e n e r kleinerer T r u p p e n k ö r p e r s t a n d seit der z w e i t e n H ä l f t e des 17. Jahrhunderts d u r c h w e g auch das I n s t r u m e n t z u r V e r fügung, diesen A n s p r u c h durchzusetzen. D a b e i diente die D i s l o k a t i o n der S t r e i t k r ä f t e m i t u n t e r d e m Z w e c k , frondierende Stände i m Z a u m z u halten, u n d u n t e r s t r i c h somit s i n n f ä l l i g das staatliche M a c h t m o n o p o l gegenüber den i n t e r m e d i ä r e n Gewalten, w ä h r e n d ein Truppeneinsatz b e i U n r u h e n i n der B e v ö l k e r u n g als S t r a f a k t i o n galt, zu der sich die O b r i g k e i t ohne P r ü f u n g v o n A n l a ß u n d Ursache jederzeit f ü r berechtigt hielt. M i t Waffengewalt ausgetragene zwischenstaatliche K o n f l i k t e w a r e n hingegen K r i e g e 1 ,

deren

L e g i t i m a t i o n 2 v o r der p o l i t i s c h relevanten Ö f f e n t l i c h k e i t u n t e r apologetischen u n d propagandistischen E r w ä g u n g e n z w a r als w i c h t i g erschien, ohne daß jedoch die p r i n z i p i e l l e Zulässigkeit des Kriegführens u n d demnach das ius ad b e l l u m der M ä c h t e u n d - v o n gewissen E i n s c h r ä n k u n g e n abgesehen der Reichsstände s t r i t t i g w a r . S o w o h l aus säkularer n a t u r r e c h t l i c h e r u n d f o l g l i c h „ m o d e r n e r " S i c h t als auch aus t r a d i e r t e r n a t u r r e c h t l i c h e r Perspekt i v e erschien der K r i e g i n der l u d o v i z i a n i s c h e n Ä r a als e r l a u b t 3 . So lehrte Thomas Hobbes „ q u a e r e n d a m esse pacem, u b i habere potest; u b i n o n potest, quaerenda esse b e l l i a u x i l i o " u n d erklärte den p o l i t i s c h e n N u t z e n z u m M a ß stab zwischenstaatlicher Beziehungen. Dagegen hieß es b e i Francisco Suarez u n d ä h n l i c h bei anderen Spätscholastikern „ i n statu n a t u r a l i mensura * Diese Auseinandersetzung wird in der deutschen Historiographie auch als „Orléansscher Krieg" bezeichnet; sie firmiert in der französischen Literatur dagegen als „la guerre de la ligue dAugsbourg" und in der englischen als „Nine Years War". 1 s. Wilhelm Janssen, Krieg, in: Otto Brunner /Werner Conze / Reinhart Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 3, Stuttgart 1982, 567 ff. 2 s. dazu Konrad Repgen, Kriegslegitimationen in Alteuropa. Entwurf einer historischen Typologie, in: HZ 241 (1985), 32ff. 3 Janssen (Anm. 1),577-583; dort sind auch die Zitate belegt.

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Bernhard Sicken

i u r i s est i u s t i t i a " ; sie bezeichneten den G r i f f z u den Waffen aber f ü r erlaubt, u m jenes zwischenstaatliche friedliche Nebeneinander wiederherzustellen, das dem g o t t g e w o l l t e n N a t u r z u s t a n d entsprach u n d auf

Gerechtigkeit

gegründet w a r 3 a . D i e unterschiedlichen theoretischen Positionen, die f ü r die eine Seite m i t dem F a z i t „ b e l l u m o m n i u m i n omnes" den N o r m a l z u s t a n d u n d f ü r die andere m i t dem Lehrsatz des A u g u s t i n u s „ b e l l u m geritur, u t p a x a d q u i r a t u r " den Ausnahmezustand kennzeichnen, g l i c h e n sich i n den M a x i m e n f ü r die p r a k t i s c h e P o l i t i k indes stark an, w e i l zwischen einsichtigen „Rechtsgründen u n d p o l i t i s c h e n Interessen" 4 n u r schwer zu differenzieren w a r u n d eine allseits anerkannte A u t o r i t ä t zur E n t s c h e i d u n g fehlte. Ü b e r dies k o n n t e n z u w e i l e n die Gegner wechselseitig m i t p l a u s i b l e n G r ü n d e n darlegen, einen „gerechten K r i e g " zu führen. W a r dieses aber n i c h t auszuschließen, w i e sich schon bei H u g o G r o t i u s i n Aussagen über den v ö l k e r r e c h t l i c h e r l a u b t e n K r i e g niederschlug 5 , d a n n k a m der L e g i t i m a t i o n eines K o n f l i k t s v o r a l l e m propagandistische B e d e u t u n g zu, w ä h r e n d sie ethisch u n d rechtlich k a u m noch Gewicht hatte. I m übrigen folgte die Rechtfertigung einer bewaffneten Auseinandersetzung meist der p o l i t i s c h e n W i r k l i c h k e i t . Kriege w u r d e n i m Z e i t a l t e r L u d w i g s X I V . so h ä u f i g geführt, daß z u w e i l e n p o i n t i e r t festgestellt w u r d e , „ n i c h t der Friede, sondern der K r i e g sei i n A l t e u r o p a der Regelzustand gewesen" 6 . D e n n S t r e i t k r ä f t e w a r e n jederzeit verfügbar, seit aus dem Kriegswesen m i t dem Ü b e r g a n g z u m miles perpetuus das M i l i t ä r w e s e n geworden w a r u n d f o l g l i c h der Landesherr über eine S t r e i t m a c h t gebot, die zumindest i n i h r e m K e r n s t ä n d i g präsent w a r u n d bei Bedarf meist unschwer vergrößert w e r d e n konnte. B e i m A u f b a u

einer

S t r e i t m a c h t griffen die Landesherren i n der Regel auf die einheimischen K r ä f t e u n d m a t e r i e l l e n Ressourcen z u r ü c k , doch w u r d e n auch i m m e r w i e d e r i m A u s l a n d geworbene T r u p p e n k ö r p e r u n t e r V e r t r a g genommen, falls sich das als v o r t e i l h a f t e r

erwies u n d die erforderlichen

finanziellen

Mittel

bereitstanden; u n t e r U m s t ä n d e n lief das auf die dauernde Ü b e r n a h m e geschlossener Regimenter hinaus. D e r A n s p r u c h des K r i e g s h e r r n auf ausschließliche Verfügungsgewalt über die bewaffnete M a c h t Schloß zugleich 3a Zur Rechtfertigung des Kriegs bei Suârez mit einer skeptischeren Akzentuierung s. Michael Behnen, Der gerechte und der notwendige Krieg. „Necessitas" und „ U t i l i tas reipublicae" in der Kriegstheorie des 16. und 17. Jahrhunderts, in: Johannes Kunisch (Hrsg.), Staatsverfassung und Heeres Verfassung in der europäischen Geschichte der frühen Neuzeit (Historische Forschungen, 28), Berlin 1986, 63ff. 4 Janssen (Anm. 1), 582. 5 s. etwa Hugo Grotius, De iure belli ac pacis libri très. Neuer deutscher Text und Einleitung von Walter Schätzel (Die Klassiker des Völkerrechts in modernen deutschen Übersetzungen, 1), Tübingen 1950, 2. Buch 23. Kap. § 13. Vgl. auch G. I. A. D. Draper, Grotius' Place in the Development of Legal Ideas about War, in: Hedley Bull et al. (Ed.), Hugo Grotius and International Relations, Oxford 1990, 194ff., 206. 6 Heinz Duchhardt, Friedenssicherung im Jahrhundert nach dem Westfälischen Frieden, in: Manfred Spieker (Hrsg.), Friedenssicherung. Historische, politikwissenschaftliche und militärische Perspektiven, Bd. 3, Münster 1989, 11; zu einem ähnlichen Befund kommt Repgen (Anm. 2), 30.

Heeresaufbringung und Koalitionskriegführung

91

die V e r p f l i c h t u n g ein, die T r u p p e n z u besolden u n d zu versorgen. A n d e r e r seits fiel diesem m i t der Ü b e r n a h m e der Lasten die k a u m zu überschätzende Chance zu, das K r i e g s i n s t r u m e n t an sich zu binden, die Truppenorganisat i o n zu regeln u n d die Befehlshaber z u bestimmen, k u r z u m , den E i n f l u ß i n t e r m e d i ä r e r G e w a l t e n u n d des t r a d i t i o n e l l e n

Militärunternehmertums

auszuschalten oder wenigstens zu beschränken u n d d a d u r c h die bewaffnete M a c h t gleichsam zu verherrschaftlichen. Daß diese E n t w i c k l u n g auf G r u n d unterschiedlicher S t a a t s s t r u k t u r e n an der Wende v o m 17. z u m 18. J a h r h u n dert bei manchen M ä c h t e n u n d T e r r i t o r i e n über Ansätze n o c h n i c h t h i n a u s gelangt w a r , k a n n n i c h t erstaunen u n d spiegelt die unterschiedliche D u r c h setzung absolutistischer Herrschafts- u n d Regierungsmaximen w i d e r . D e r beständige U n t e r h a l t v o n K r i e g s v o l k w a r außerordentlich kostspielig. E r ließ die Staatsausgaben stark anschwellen, z w a n g z u m A u s b a u der V e r w a l t u n g - i n F r a n k r e i c h u n d Brandenburg-Preußen entstand d a r a u f h i n eine eigenständige, a l l e i n v o m M o n a r c h e n abhängige M i l i t ä r v e r w a l t u n g m i t umfassenden K o m p e t e n z e n - u n d n ö t i g t e zur Vorsorge, u m die regelmäßige Besoldung u n d z u m T e i l auch die Verpflegung, den Bedarf an Reit- u n d Z u g t i e r e n sowie darüber hinaus an Waffen, M o n t u r e n , M u n i t i o n u n d anderen Ausrüstungsgegenständen sicherzustellen. I n einigen Staaten w u r d e n deshalb Fertigungsstätten f ü r den M i l i t ä r b e d a r f errichtet u n d jene Kriegsgüter bevorratet, deren k u r z f r i s t i g e Beschaffung i m F a l l eines K o n f l i k t s anderenorts schwierig, w e n n n i c h t gar ausgeschlossen w a r . Z u r U n t e r k u n f t dienten dem K r i e g s v o l k i n der K a m p a g n e Zelte u n d als W i n t e r q u a r t i e r die Häuser der Bürger u n d Bauern, die auch i m Frieden die Masse der Soldaten beherbergten u n d somit die Staatskasse entlasteten. Gemessen a m Kriegsbedarf erwiesen sich die Ausgaben f ü r die S t r e i t m a c h t i m Frieden allerdings noch i m m e r als tragbar, da sie i m allgemeinen aus den laufenden E i n n a h men aufgebracht w e r d e n konnten. U m die K o s t e n zu decken, h a t t e n i n der z w e i t e n H ä l f t e des 17. Jahrhunderts allerdings m e r k l i c h die Steuern erhöht w e r d e n müssen, ohne daß sich deswegen größerer W i d e r s t a n d u n t e r den U n t e r t a n e n regte, gebot der Landesherr m i t dem K r i e g s v o l k doch über die n ö t i g e n M i t t e l , die geforderten A b g a b e n notfalls m i t G e w a l t einzutreiben. Dagegen ließen bewaffnete Auseinandersetzungen den A u f w a n d f ü r die S t r e i t m a c h t derart expandieren, daß k e i n Staat die K o s t e n ohne R ü c k g r i f f auf außerordentliche A u s h i l f s m i t t e l zu tragen vermochte; auch das A u s schreiben neuer Abgaben, das v o m E i n f a l l s r e i c h t u m der V e r a n t w o r t l i c h e n k ü n d e t , brachte üblicherweise keine durchgreifende Verbesserung. Z u den kriegsbedingten f i n a n z i e l l e n S c h w i e r i g k e i t e n t r u g e n n i c h t n u r die starke V e r m e h r u n g der bewaffneten M a c h t u n d der teuere Ersatz der oft u m f a n g reichen Verluste an Personal u n d M a t e r i a l bei, sondern auch die E i n b u ß e n bei den E i n n a h m e n d u r c h Handelssperren, Zerstörungen i n den Kriegsgebieten u n d Bevölkerungsverluste. D i e L ü c k e zwischen den Ausgaben u n d den E i n n a h m e n k o n n t e n die K r i e g f ü h r e n d e n daher n u r d u r c h A n l e i h e n

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schließen, vorausgesetzt, es w a r genügend mobilisierbares K a p i t a l i m L a n d vorhanden, es gab einen h i n l ä n g l i c h leistungsfähigen G e l d m a r k t u n d der Staat g a l t als k r e d i t w ü r d i g . Solche günstigen Voraussetzungen besaßen i n erster L i n i e die R e p u b l i k der Niederlande u n d nach einer w i r t s c h a f t s - u n d f i n a n z p o l i t i s c h e n U m o r i e n t i e r u n g M i t t e der 90er Jahre auch England, so daß die beiden Seemächte die benötigten Gelder ohne substantielle ökonomische E i n g r i f f e zu r e l a t i v günstigen Bedingungen aufbringen u n d außerdem i h r e Verbündeten d u r c h A n l e i h e n unterstützen konnten. U n t e r den Großmächten w a r v o r a l l e m die Casa d ' A u s t r i a auf derartige F i n a n z h i l f e n angewiesen, e t w a u m T r u p p e n i m F e l d zu bezahlen, die sonst n i c h t z u m K a m p f zu bewegen gewesen w ä r e n oder auseinanderzulaufen drohten. I n E n g l a n d stellte sich die Quote der A n l e i h e n an den gesamten Staatsausgaben i m Pfälzer E r b f o l g e k r i e g d u r c h s c h n i t t l i c h auf g u t 33 % u n d l a g i m Spanischen E r b f o l g e k r i e g n u r geringfügig n i e d r i g e r 7 , w ä h r e n d sie i n den N i e derlanden u n d i n F r a n k r e i c h zwischen 3 3 % u n d 5 0 % schwankte, hingegen i n den habsburgisch-österreichischen

Landen lediglich 10%

erreichte 8 .

Spiegeln sich i n dieser n i e d r i g e n A n l e i h q u o t e die w i r t s c h a f t l i c h e Schwäche u n d R ü c k s t ä n d i g k e i t sowie die daraus resultierenden begrenzten M ö g l i c h k e i t e n zur K r e d i t a u f n a h m e , so läßt andererseits die hohe Staatsverschuld u n g i n F r a n k r e i c h aber n i c h t auf eine v o l k s - u n d f i n a n z w i r t s c h a f t l i c h solide Ausgabendeckung schließen. D e n n i m Spanischen

Erbfolgekrieg

steuerte der d u r c h die P o l i t i k L u d w i g s X I V . überforderte Staat auf einen B a n k r o t t z u 9 , da bei r a p i d e wachsender V e r s c h u l d u n g t r o t z Erschließung neuer E i n n a h m e q u e l l e n 1 0 z u r Verzinsung der A n l e i h e n n i c h t n u r ü b e r p r o p o r t i o n a l steigende H a u s h a l t s m i t t e l aufgewendet w e r d e n mußten, sondern schließlich auch ein T e i l der K r e d i t e n i c h t mehr p ü n k t l i c h bedient w e r d e n konnte, so daß die Staatsanleihen erheblich u n t e r i h r e m

Nominalwert

gehandelt w u r d e n u n d f o l g l i c h die K r e d i t w ü r d i g k e i t der M o n a r c h i e d r a stisch sank. Diese ungünstige E n t w i c k l u n g w a r sicherlich d u r c h die s t r u k t u r a l e u n d i n s t i t u t i o n e l l e Schwäche des französischen F i n a n z m a r k t e s m i t bedingt, der z u m R ü c k g r i f f auf k u r z f r i s t i g e A u s h i l f e n zwang, u m dringende Bedürfnisse z u erfüllen. Bezeichnenderweise scheiterte deshalb auch das P r o j e k t z u r G r ü n d u n g einer Staatsbank, die der K o n s o l i d i e r u n g des K r e d i t s dienen sollte, w e i l keine schnellen Erfolge z u e r w a r t e n waren, so daß das 7

Paul Kennedy, The Rise and Fall of the Great Powers. Economic Change and Military Conflict from 1500 to 2000, London 1988, 81. 8 s. hierzu und zum Folgenden P[eter] G[eorg] M[uir] Dickson/ John Sperling, War Finance, 1689 - 1714, in: J. S. Bromley (Ed.), The Rise of Great Britain and Russia, 1688 - 1715/25 (The New Cambridge Modern History VI), Cambridge 1970, 284ff. 9 s. André Corvisier, La France de Louis XIV 1643 - 1715. Ordre intérieur et place en Europe, Paris 1979, 169ff. 10 Zur Problematik der Kreditbeschaffung durch Ämterverkauf, auf den in Frankreich notgedrungen in jener Epoche verstärkt zurückgegriffen wurde, siehe Wolf gang Reinhard, Staatsmacht als Kreditproblem. Zur Struktur und Funktion des frühneuzeitlichen Ämterhandels, in: VSWG 61 (1974), besonders 309ff.

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Vorhaben v e r w o r f e n w u r d e . Analoge S c h w i e r i g k e i t e n kennzeichneten den K a p i t a l m a r k t i n den habsburgischen Landen, doch gelang es hier m i t der E r r i c h t u n g der Wiener S t a d t b a n k (1706), das V e r t r a u e n des anlagefähigen P u b l i k u m s zu gewinnen, da die B o n i t ä t der S t a d t außer Z w e i f e l stand. Dieses F i n a n z i n s t i t u t , das i n seinen A u f g a b e n an die Stelle der wenige Jahre zuvor gescheiterten k u r z l e b i g e n Staatsbank t r a t , k o n n t e sich z w a r n u r bedingt m i t der L e i s t u n g s k r a f t der A m s t e r d a m e r Börse u n d d o r t i g e n B a n k e n sowie der B a n k of E n g l a n d (seit 1694) i m Anleihgeschäft messen, doch gelang es l ä n g e r f r i s t i g i m m e r h i n , den Staatskredit zu heben u n d die Staatsverschuldung u n t e r K o n t r o l l e z u halten. I m ü b r i g e n d ü r f t e z u m f i n a n z w i r t schaftlichen V o r s p r u n g der Niederlande u n d Englands, h i n t e r dem die beiden k a t h o l i s c h e n Großmächte so a u f f ä l l i g zurückblieben, auch ein höheres Maß an religiöser Toleranz beigetragen haben, das den i m Finanzgeschäft führenden jüdischen u n d hugenottischen F a m i l i e n einen großen F r e i r a u m gewährte u n d d u r c h deren i n t e r n a t i o n a l e V e r b i n d u n g e n die M o b i l i s i e r u n g v o n K a p i t a l i e n erleichterte. Das galt n i c h t zuletzt f ü r k u r z f r i s t i g benötigte M i t t e l , w i e sie i m m e r w i e d e r der T r u p p e n u n t e r h a l t verlangte u n d die d a n n rasch u n t e r N u t z u n g der Beziehungen zu den größeren F i n a n z p l ä t z e n verfügbar gemacht w e r d e n konnten. Z u Recht ist d a r u m festgestellt worden, „ t h a t the descending scale of efficiency of the powers' m o b i l i z a t i o n of p u b l i c credit corresponds to, a n d is clearly connected w i t h , t h a t of t h e i r m i l i t a r y effectiveness" 1 1 . Hohe staatliche E i n n a h m e n e r m ö g l i c h t e n somit das A u f stellen u n d den U n t e r h a l t starker S t r e i t k r ä f t e , die ihrerseits w i e d e r u m i m Neben- u n d Gegeneinander der Staaten u n d T e r r i t o r i e n maßgebend z u r W a h r u n g oder gar E r w e i t e r u n g des p o l i t i s c h e n Einflusses u n d der H a n d lungsspielräume beitrugen. V o n i h r e r f i n a n z i e l l e n Stärke p r o f i t i e r t e n i n den l a n g j ä h r i g e n A u s e i n a n dersetzungen an der Wende v o m 17. z u m 18. J a h r h u n d e r t i n erster L i n i e die Seemächte; i n d e m sie n ä m l i c h bloß einen T e i l i h r e r Heere i m I n l a n d r e k r u t i e r t e n u n d daneben stets eine Reihe v o n Regimentern i n D i e n s t stellten, die geschlossen v o n anderen Landesherren gegen E n t g e l t ü b e r n o m m e n w u r d e n , n u t z t e n sie ihre W i r t s c h a f t s k r a f t u n d schonten zugleich i h r Bevölkerungspotential. Das w a r f ü r die R e p u b l i k der Niederlande schon insofern geboten, als sie bei einer P o p u l a t i o n v o n n i c h t e i n m a l z w e i M i l l i o n e n n i c h t j a h r e l a n g ohne gravierende Folgen 75000 b i s l 0 0 0 0 0 M a n n z u m Waffendienst b e r e i t stellen konnte. Z w a r w a r die demographische Lage B r i t a n n i e n s günstiger, doch verpflichtete m a n hier wegen politischer V o r b e h a l t e 1 2 gegen den 11 Dickson/ Sperling (Anm. 8), 314. Auf diesen Zusammenhang von staatlich-militärischer Macht und finanziellem Leistungsvermögen verweist auch nachdrücklich Kennedy (Anm. 7), 76f. 12 s. dazu M[atthew] Sfmith] Anderson, War and Society in Europe of the Old Regime, 1618 - 1789 (Fontana History of European War and Society), Leicester 1988, 103; John Childs, Armies and Warfare in Europe, 1648 - 1789, New York 1982, 176, George Clark, The Nine Years War, 1688 - 1697, in: J. S. Bromley (Ed.), The Rise

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U n t e r h a l t starker S t r e i t k r ä f t e i m I n l a n d i m m e r w i e d e r fremde Truppen, w e n n i n die Kriege auf dem K o n t i n e n t eingegriffen w u r d e . D i e T r u p p e n s t e l l u n g gegen Subsidien hatte eine lange T r a d i t i o n u n d w u r d e beinahe zur A l l t ä g l i c h k e i t , seit die Regenten k l e i n e r T e r r i t o r i e n , n i c h t zuletzt i m H e i l i g e n Römischen Reich, z u m miles perpetuus übergegangen waren, selbst w e n n die F i n a n z i e r u n g auf längere Sicht n i c h t gesichert w a r . Mancher F ü r s t h a t demnach v o n v o r n h e r e i n auf eine Ü b e r s t e l l u n g des einen oder anderen Regiments i n fremde Dienste spekuliert, u m f i n a n z i e l l e n oder p o l i t i s c h e n G e w i n n aus einer solchen A b m a c h u n g zu ziehen 1 3 . Daraus entstand n i c h t selten eine gewisse A b h ä n g i g k e i t , w e i l derartige Verträge h ä u f i g die F o r d e r u n g p o l i t i s c h e n W o h l v e r h a l t e n s einschlossen u n d u n schwer z u m A u s ü b e n v o n D r u c k - etwa über die Höhe v o n Vergütungen oder bei Z a h l u n g s r ü c k s t ä n d e n - m i ß b r a u c h t w e r d e n konnten. F r e i l i c h n u t z t e n auch m a c h t v o l l e r e Potentaten die Chance, i h r e e x o r b i t a n t e n M i l i t ä r l a sten auf andere Staaten abzuwälzen, w i e sich f ü r die österreichischen Habsburger, die H o h e n z o l l e r n u n d die dänischen Oldenburger nachweisen läßt, doch suchten sie sich dabei meist die Verfügungsgewalt über die E i n h e i t e n zu e r h a l t e n 1 4 . A u s v e r t r a g l i c h i n D i e n s t genommenen Regimentern setzten sich zu einem großen T e i l die S t r e i t k r ä f t e der Niederlande u n d Englands zusammen, w o b e i der A n t e i l m i t u n t e r d e u t l i c h über 50 % l a g 1 5 u n d M a r l b o r o u g h zeitweise ein Heer befehligte, das aus r u n d einem D u t z e n d v o n verschiedenen Landesherren f o r m i e r t e n

Truppenkörpern

zusammengesetzt

w a r u n d v o n i h n e n - w e n n g l e i c h meist zögernd - bei Bedarf i m m e r w i e d e r ergänzt w u r d e . Selbst Reichskreise griffen z u w e i l e n auf S u b s i d i e n t r u p p e n zurück, w i e der Fränkische Kreis i m Pfälzer u n d i m Spanischen Erbfolgek r i e g d e m o n s t r i e r t e 1 6 . Zweifellos erwuchsen f ü r die H e e r f ü h r u n g daraus

(Anm. 8). 229; André Corvisier, Armies and Societies in Europe, 1494 - 1789 [engl. Übersetzung], Bloomington/London 1979, 96, 123f.; Samuel E. Finer , State- and Nation-Building in Europe: The Role of the Military, in: Charles Tilly (Ed.), The Formation of National States in Western Europe (Studies in Political Development, 8), Princeton, London 1975, 123f.; J. A. Houlding, Fit for Service. The Training of the British Army, 1715 - 1795, Oxford 1981, 8f.; R. E. Scouller, The Armies of Queen Anne, Oxford 1966, 6f., 10, 23. 13 s. dazu grundsätzlich Max Braubach, Die Bedeutung der Subsidien für die Politik im spanischen Erbfolgekriege (Bücherei der Kultur und Geschichte, 28), Bonn/ Leipzig 1923, 10ff. Eine knappe Zusammenfassung der Geschichte der Subsidientruppen bietet auch Fritz Redlich, The German Military Enterpriser and his Work Force. A Study in European Economic and Social History I I (VSWG, Beiheft 48), Wiesbaden 1965, 99ff. 14 Auf die wiederholten Forderungen König Friedrichs I. nach geschlossenem Einsatz eines starken brandenburgisch-preußischen Korps und somit nach militärischer Selbständigkeit im Spanischen Erbfolgekrieg sei hier verwiesen. Arnold Berney, König Friedrich I. und das Haus Habsburg (1701 - 1707), München/Berlin 1927, 54f., 73 f f 1 2 0 f . 15 Braubach, Bedeutung der Subsidien (Anm. 13), 88ff., 170f.; s. auch David Chandler, Marlborough as Military Commander, London 1973, 66, und Scouller (Anm. 12), 80 f.

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mancherlei P r o b l e m e 1 7 , die p r i m ä r auf dem m i l i t ä r p o l i t i s c h e n Gebiet lagen, hingegen den t a k t i s c h e n Bereich w e n i g e r b e t r a f e n 1 8 , denn die i m wesentlichen einheitlichen S t r u k t u r e n u n d Kriegsdoktrinen erleichterten die Z u s a m m e n a r b e i t u n d e r m ö g l i c h t e n a u c h b u n t g e m i s c h t e n Heeren e i n erfolgreiches Operieren. Das b e k u n d e t n i c h t zuletzt die u n p r o b l e m a t i s c h e I n t e g r a t i o n v o n Fremdenregimentern i n die S t r e i t k r ä f t e , die besonders z a h l reich i m französischen Heer vertreten w a r e n ; diese r e k r u t i e r t e n sich d u r c h weg aus einer b e s t i m m t e n Region oder benachbarten Landschaften, w u r d e n v o n i h r e n eigenen L a n d s l e u t e n geführt u n d behielten als Dienstsprache die M u t t e r s p r a c h e bei. I n F r a n k r e i c h z ä h l t e n diese E i n h e i t e n i m Jahr 1711 r u n d 50 000 M a n n 1 9 , w o m i t offenbar der H ö h e p u n k t erreicht w a r , doch scheint die Stärke seit M i t t e der Regierungszeit L u d w i g s X I V . niemals u n t e r 20 000 M a n n gesunken z u sein. D i e Masse dieser Soldaten s t a m m t e aus der Schweiz, d e m H e i l i g e n Römischen Reich u n d I r l a n d , ihre A n w e r b u n g w a r den Regimentschefs überlassen. Wenngleich diese Regimenter i n i h r e r r e c h t l i c h e n S t e l l u n g n i c h t m i t den S u b s i d i e n t r u p p e n gleichgesetzt w e r d e n können, so bestätigen sie andererseits aber, daß die n a t i o n a l e H e r k u n f t oder nationale E i g e n t ü m l i c h k e i t e n den E i n s a t z w e r t der T r u p p e n i m A b s o l u t i s mus n i c h t nennenswert beeinträchtigten, da Organisation u n d A u s b i l d u n g , B e w a f f n u n g u n d Ausrüstung, T a k t i k u n d K r i e g f ü h r u n g der europäischen Staaten insgesamt keine gravierenden Unterschiede a u f w i e s e n 2 0 . Verläßliche A n g a b e n über die K o s t e n des U n t e r h a l t s der S t r e i t k r ä f t e i n K r i e g u n d Frieden fehlen jedoch meistens. Das ist erstens d e m k o m p l i z i e r ten Rechnungs- u n d Kassenwesen zuzuschreiben, dessen d u r c h w e g l ü c k e n h a f t überlieferte U n t e r l a g e n n u r selten exakte Erkenntnisse g e w i n n e n lassen, ist zweitens auf die Tatsache z u r ü c k z u f ü h r e n , daß manche E i n n a h m e n u n d L e i s t u n g e n v o r O r t v e r l a n g t u n d erbracht w u r d e n u n d deswegen n i c h t i n die M i l i t ä r e t a t s E i n g a n g fanden, u n d ist d r i t t e n s d u r c h die n o c h v o r h a n denen R e l i k t e des t r a d i e r t e n M i l i t ä r u n t e r n e h m e r t u m s

zu erklären,

die

sowohl „ p r i v a t e " I n v e s t i t i o n e n als auch „ p r i v a t e " materielle V o r t e i l e einschlossen. D i e Auseinandersetzungen beispielsweise u m die M a r l b o r o u g h nach seinem Sturz vorgeworfene Bereicherung an den B r o t l i e f e r u n g e n f ü r die Armee, bei der m e h r als 500 000 G u l d e n z u r D e b a t t e s t a n d e n 2 1 , w i r f t ein 16

s. Bernhard Sicken, Das Wehrwesen des Fränkischen Reichskreises. Aufbau und Struktur (1681 - 1714), Nürnberg 1967, Bd. I, 176, 179, 369ff. 17 Chandler, Marlborough (Anm. 15), 127 f. is s. Childs (Anm. 12), 46ff., 105, und Clark, The Nine Years War (Anm. 12), 231. 19 André Corvisier, L' armée française de la fin du X V I I e siècle au ministère de Choiseul. Le soldat, Paris 1964, vol. I, 259ff.; s. auch Childs (Anm. 12), 47. 20 Vgl. dazu Micheline Kerney Walsh, Regiments irlandais intégrés dans l'armée française pendant la guerre de succession d'Espagne, in: Forces armées et systèmes d'alliances. Colloque international d'histoire militaire et d'études de défense nationale Montpellier 2 - 6 septembre 1981, Montpellier 1983, vol. I, 191 ff. 21 Chandler, Marlborough (Anm. 15), 302 ff.

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S c h l a g l i c h t auf diese P r a k t i k e n , auch w e n n S u m m e n dieser D i m e n s i o n als a t y p i s c h eingestuft w e r d e n müssen. Andererseits w u r d e n die T r u p p e n i m m e r w i e d e r - u n d z w a r insbesondere i n Friedenszeiten - z u A u f g a b e n herangezogen, die n i c h t u n m i t t e l b a r m i l i t ä r i s c h e r A r t w a r e n u n d f o l g l i c h n i c h t k u r z e r h a n d der bewaffneten M a c h t zugerechnet w e r d e n können. Sieht m a n v o n diesen S c h w i e r i g k e i t e n u n d U n w ä g b a r k e i t e n e i n m a l ab, d a n n scheinen jene Schätzungen, die f ü r die Jahre 1689 bis 1714 die Ausgaben f ü r die bewaffnete M a c h t auf bis z u 75 % der Staatseinnahmen veranschlagen 2 2 , zumindest die Größenordnung anzugeben, die die A u f w e n d u n g e n f ü r das K r i e g s i n s t r u m e n t erreichten. Diese Beobachtungen decken sich m i t jenen Berechnungen, die f ü r E n g l a n d 2 3 i m U n t e r s u c h u n g s z e i t r a u m v o n einer Haushaltsquote v o n d u r c h s c h n i t t l i c h 4 0 % f ü r das Heer u n d 3 5 % f ü r die K r i e g s m a r i n e ausgehen, w ä h r e n d f ü r F r a n k r e i c h i m Pfälzer E r b f o l g e k r i e g 65 % f ü r das Heer u n d 9 % f ü r die M a r i n e bzw. i m Spanischen E r b f o l g e k r i e g 57 % f ü r die A r m e e u n d 7 % f ü r die K r i e g s m a r i n e e r m i t t e l t w u r d e n 2 4 . I n den österreichisch-habsburgischen L a n d e n l a g die Quote der M i l i t ä r a u s g a b e n i m Pfälzer E r b f o l g e k r i e g - gemessen an den n u r grob erfaßbaren Gesamtausgaben - n o c h m e r k l i c h h ö h e r 2 5 u n d d ü r f t e i m Spanischen E r b f o l g e k r i e g bloß g e r i n g f ü g i g gesunken s e i n 2 6 , o b w o h l der Staat d u r c h den Friedensschluß m i t d e m Osmanischen Reich eine gewisse E n t l a s t u n g erfahren hatte. A u c h i n Spanien - soweit die Herrschaft P h i l i p p s V. reichte - stellten sich die Kriegskosten 1702 - 1713 i m D u r c h s c h n i t t auf m e r k l i c h über 80 % 2 7 . Hingegen scheinen die Relationen i n den N i e d e r l a n d e n zwischen den M i l i t ä r · u n d Z i v i l a u s g a b e n i m K r i e g i n e t w a jenen Englands geglichen z u haben, w o b e i die K o s t e n f ü r die L a n d s t r e i t k r ä f t e allerdings höher, f ü r die Sees t r e i t k r ä f t e aber eher n i e d r i g e r anzusetzen sein d ü r f t e n 2 8 . Diese Beobachtungen z u r schwierigen F i n a n z i e r u n g lassen einerseits fragen, ob es M ö g l i c h k e i t e n z u r V e r r i n g e r u n g der K o s t e n gab u n d i n w i e w e i t diese genutzt w u r d e n , u n d n ö t i g e n andererseits z u r Analyse des K r i e g s i n struments, u m seine S t r u k t u r u n d seine S t e l l u n g i n Staat u n d Gesellschaft zu erläutern. Z u r Kostenbegrenzung w ä r e i n erster L i n i e eine L i m i t i e r u n g der Personalstärke

der S t r e i t k r ä f t e

oder der V e r z i c h t auf

bestimmtes

Kriegsgerät geeignet gewesen, jedoch gerade diese M a ß n a h m e n schieden v o n v o r n h e r e i n aus, w e i l sie einen zwischenstaatlichen Konsens v e r l a n g t e n 22

Dickson/ Sperling (Anm. 8), 313. Anderson (Anm. 12), 143; Dickson /Sperling (Anm. 8) 285; Finer (Anm. 12) 122. 24 Dickson /Sperling (Anm. 8), 299. 25 Jean Bérenger, Finances et Absolutisme autrichien dans la seconde moitié du X V I I e siècle, Lille, Paris 1975, vol. II, 467. 26 Vgl. Gustav Otruba , Die Bedeutung englischer Subsidien und Antizipationen für die Finanzen Österreichs 1701 bis 1748, in: VSWG 51 (1964), 194. 27 Henry Kamen, The War of Succession in Spain, 1700 - 1715, London 1969, 228. 28 s. dazu J. S. Bromley / A. N. Ryan, Armies and Navies: Navies, in: J. S. Bromley (Ed.), The Rise (Anm. 8), 798. 23

Heeresaufbringung und Koalitionskriegführung

97

u n d eine Ü b e r w a c h u n g erforderten, was indes i l l u s i o n ä r w a r . Entsprechende Vorschläge h a t es z w a r gegeben, w i e beispielsweise die Anregungen William

Penns

zur

Beilegung

zwischenstaatlicher

Differenzen

durch

Schiedsgerichte andeuten u n d das K o n z e p t des A b b é de Saint-Pierre z u r einschneidenden Rüstungsbegrenzung d a r l e g t 2 9 , doch stand ein p r i n z i p i e l l e r Verzicht auf eine P o l i t i k der M a c h t a u s w e i t u n g f ü r die V e r a n t w o r t l i c h e n i n jener Epoche n i c h t z u r Debatte. Deshalb w a r auch G o t t f r i e d W i l h e l m L e i b niz' „ C o n s i l i u m A e g y p t i a c u m " z u r A b l e n k u n g expansiver Bestrebungen auf den Orient w i r k l i c h k e i t s f r e m d u n d f a n d am H o f L u d w i g s X I V . keine Beachtung. D i e gebotenen Einsparungen i m M i l i t ä r e t a t suchten die Landesherren deswegen auf andere Weise zu erzielen. H i e r z u rechnete auch der R ü c k g r i f f auf Ausschüsse oder M i l i z e n , sei es z u m geschlossenen Einsatz z u r V e r t e i d i gung des Landes, sei es z u r E r g ä n z u n g des stehenden Heeres b e i m Feldeins a t z 2 9 3 ; allerdings k a m diesen Aufgeboten i n den großen K r i e g e n d u r c h w e g n u r subsidiäre Bedeutung zu, u n d deswegen w u r d e n sie meist d u r c h geworbene Regimenter ersetzt, sobald es die finanzielle Lage i r g e n d w i e gestattete. Der Z w a n g zur Kostensenkung b e i m stehenden Heer b l i e b demnach bestehen. I m K r i e g k o n n t e n v o r a l l e m K o n t r i b u t i o n e n aus den gegnerischen L a n den eine gewisse E n t l a s t u n g b r i n g e n 3 0 . Ferner s i n d direkte oder i n d i r e k t e B e i h i l f e n verbündeter Staaten zu nennen, w o b e i auch i m m e r w i e d e r auf die Ressourcen kleinerer T e r r i t o r i e n - z u m Beispiel d u r c h die Belegung m i t W i n t e r q u a r t i e r e n oder d u r c h ü b e r p r o p o r t i o n a l viele Durchmärsche

von

T r u p p e n - zurückgegriffen w u r d e . Außerdem w a r e n M a n i p u l a t i o n e n bei der Bezahlung u n d Versorgung des Kriegsvolks an der Tagesordnung; d u r c h ungerechtfertigte Soldabzüge oder die u n z u l ä n g l i c h e Versorgung w u r d e i n der Regel aber n i c h t das M i l i t ä r b u d g e t entlastet, sondern f ü l l t e n sich i n erster L i n i e andere die Taschen 3 1 . B e i m Ü b e r g a n g z u m Frieden w a r e n h i n -

29 Eine Einführung in die Friedenskonzeption Penns findet sich bei Kurt von Raumer, Ewiger Friede. Friedensrufe und Friedenspläne seit der Renaissance (Orbis Academicus. Geschichte der politischen Ideen in Dokumenten und Darstellungen), Freiburg/München 1953, 108 ff.; dort ist der Friedensessay auch in deutscher Übersetzung publiziert (321 ff.), s. zudem [Carles Irenée] Abbé Castel de Saint-Pierre, Der Traktat vom ewigen Frieden 1713, hrsg. und mit einer Einleitung versehen von Wolfgang Michael, deutsche Bearbeitung von Friedrich von Oppeln-Bronikowski (Klassiker der Politik, 4), Berlin 1922, 86ff., besonders 98, 105ff. Die Kerngedanken Saint-Pierres zur Rüstungsbeschränkung hat auch Werner Gembruch, Zur K r i t i k an der Heeresreform und Wehrpolitik von Le Tellier und Louvois in der Spätzeit der Herrschaft Ludwigs XIV., in: MGM 12 (1972), 160ff., skizziert. 29a s. dazu Winfried Schulze, Die deutschen Landesdefensionen im 16. und 17. Jahrhundert, in: Staatsverfassung und Heeresverfassung (Anm. 3 a), 147; vgl. auch 101 f. 30 Gemessen am Kriegsaufwand waren solche Einnahmen meist nur von marginaler Bedeutung; als massiver Rückgriff auf das finanzielle und wirtschaftliche Potential eines Gegners kam der Kontribution dagegen größeres Gewicht zu. Vgl. Bernd Wunder, Frankreich, Württemberg und der Schwäbische Kreis während der Auseinandersetzungen über die Reunionen (1679 - 97). Ein Beitrag zur Deutschlandpolitik Ludwigs XIV. (Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg B, 64), Stuttgart 1971, 90, 142f., 190, 195f.

7 Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 11

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gegen die M ö g l i c h k e i t e n f ü r Einsparungen u n g l e i c h größer. D e n n n u n m e h r w u r d e n manche E i n h e i t e n entlassen - das t r a f v o r a l l e m f ü r die Subsidient r u p p e n zu - , w u r d e n überdies die Regimenter personell drastisch reduziert, wobei hauptsächlich

die als l e i c h t

ersetzbar

geltenden

Mannschaften

betroffen waren, h a t t e n ferner die K a v a l l e r i e t r u p p e n auf einen T e i l oder gar die Masse des Pferdebestands zu verzichten, w u r d e die A r t i l l e r i e d e m o b i lisiert, das Stabspersonal v e r m i n d e r t , das Fuhrwesen aufgelöst u n d das Feldverpflegungspersonal d u r c h w e g verabschiedet. Schließlich b l i e b auch der Friedenssold m e r k l i c h h i n t e r dem Kriegssold z u r ü c k u n d w u r d e n die Feldzulagen gestrichen. Z u d e m m u ß t e n überzählige Offiziere, die als Personalreserve z u r K o m p l e t t i e r u n g der T r u p p e n k ö r p e r f ü r d e n K r i e g s f a l l galten, m i t einer zusätzlich reduzierten Gage vorliebnehmen. Waren die Großmächte i n der z w e i t e n H ä l f t e des 17. Jahrhunderts z u m U n t e r h a l t stehender Heere übergegangen u n d i h n e n die kleineren Staaten m i t der A u f s t e l l u n g weniger, zur selbständigen O p e r a t i o n aber meist ungeeigneter T r u p p e n k ö r p e r gefolgt, so bedeutete dieser S c h r i t t v o m K r i e g s w e sen z u m M i l i t ä r w e s e n aber n i c h t , daß die S t r e i t k r ä f t e jederzeit z u m K a m p f bereit waren. W i e angedeutet, standen n ä m l i c h meist n u r numerisch schwache E i n h e i t e n u n t e r Waffen, die gerade zur E r f ü l l u n g

repräsentativer

P f l i c h t e n bei Hof, zur Besatzung der Festungen u n d f ü r Wachtdienste i n den w i c h t i g e r e n Städten sowie gefährdeten Regionen ausreichten, jedoch größtenteils f ü r einen F e l d z u g weder personell noch m a t e r i e l l gerüstet waren. V o r dem A u s r ü c k e n m u ß t e n deshalb i m allgemeinen die Regimenter u n d Artilleriekorps

komplettiert,

zusätzliche Waffen

aus den

Zeughäusern

bereitgestellt oder bei ü b e r a l t e r t e n u n t a u g l i c h e n Beständen zuvor e r w o r b e n werden, w a r e n ferner A u s r ü s t u n g u n d K a m p f m i t t e l z u ergänzen, R e i t - u n d Zugtiere zu kaufen u n d Nachschub- u n d Versorgungseinrichtungen

zu

organisieren. D a abrufbereite finanzielle M i t t e l f ü r diese Z w e c k e i n der Regel n i c h t verfügbar w a r e n u n d die erforderlichen Gelder wenigstens z u m T e i l vorher

aufgebracht

w e r d e n mußten, dauerte es generell

mehrere

Monate, bis schlagkräftige T r u p p e n ins F e l d rückten. Aus diesen s t r u k t u r bedingten

Schwerfälligkeiten

vermochte

ein besser gerüsteter

Gegner

erhebliche Vorteile zu ziehen, u n d das u m so mehr, w e n n eine günstige D i s l o k a t i o n stärkerer K r ä f t e h i n z u k a m . Das t r a f i m U n t e r s u c h u n g s z e i t r a u m f ü r die K r o n e F r a n k r e i c h zu, deren Regimenter einerseits einen p r o p o r t i o n a l höheren Friedensstand aufwiesen u n d die f o l g l i c h rascher

einsatzfähig

w a r e n 3 2 - v o n den zahlreichen Neuaufstellungen bei K r i e g s b e g i n n n a t ü r l i c h abgesehen - u n d deren Festungsgürtel i m N o r d e n u n d Nordosten m i t 31 s. Redlich (Anm. 13), 61 ff., 81 f.; die hier für Deutschland skizzierten Verhältnisse unterschieden sich nicht von denen in anderen Staaten. 32 Corvisier, L'armée (Anm. 19), I, 153 f. Diese Angaben beziehen sich zwar nur auf den Spanischen Erbfolgekrieg und die nachfolgenden Jahrzehnte, doch dürften sie im wesentlichen auch für den Pfälzer Erbfolgekrieg gelten.

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seiner T r u p p e n k o n z e n t r a t i o n u n d den Magazinen andererseits i n den A u s einandersetzungen m i t d e n N i e d e r l a n d e n u n d d e m H e i l i g e n R ö m i s c h e n Reich v o n großem V o r t e i l w a r . N i c h t zuletzt deshalb k o n n t e n die Heerführer L u d w i g s X I V . immer wieder die I n i t i a t i v e ergreifen u n d ihren Kriegsgegnern zuvorkommen. D i e V e r s t ä r k u n g der T r u p p e n k ö r p e r auf Kriegsfuß, was eine Verdoppel u n g der Mannschaften bedeuten konnte, erfolgte i n erster L i n i e d u r c h W e r b u n g i m N a m e n des Regimentskommandeurs oder des K o m p a n i e c h e f s 3 3 . Besondere Q u a l i f i k a t i o n e n w u r d e n v o n den D i e n s t w i l l i g e n normalerweise n i c h t erwartet, sieht m a n e i n m a l v o n der physischen E i g n u n g z u m K r i e g s dienst u n d somit v o n gewissen Altersanforderungen, einer z u r H a n d h a b u n g der Waffen h i n l ä n g l i c h e n Körpergröße u n d d e m Fehlen auffälliger k ö r p e r l i cher M ä n g e l ab. Ü b e r t r a f die Z a h l der Interessenten die Nachfrage, k o n n t e n die A n f o r d e r u n g e n selbstredend heraufgesetzt werden; d a n n stellte m a n vorzugsweise k a m p f e r p r o b t e L e u t e ein oder w ä h l t e v o r n e h m l i c h Ledige aus, u m den Troß n i c h t zusätzlich aufzublähen. Z u d e m k o n n t e das H a n d g e l d reduziert werden, das üblicherweise dem angehenden Soldaten gezahlt w u r d e u n d den Empfänger z u r Dienstannahme verpflichtete, o b w o h l meist die Vereidigung auf das Kriegsrecht n o c h ausstand. Bei größerer Nachfrage nach R e k r u t e n i n K r i s e n - u n d Kriegszeiten sanken hingegen notgedrungen die Anforderungen; außerdem mußte m a n h ä u f i g das H a n d g e l d erhöhen, u m m i t k o n k u r r i e r e n d e n fremden W e r b e r n m i t h a l t e n z u können, z u m a l landesherrliche Verbote zur Annahme fremder Kriegsdienste bei den dienstwilligen U n t e r t a n e n meist w e n i g b e w i r k t e n , falls anderenorts die K o n d i t i o n e n g ü n stiger waren. T r a d i t i o n e l l e B i n d u n g e n k a m e n hinzu, die z u m Beispiel z a h l reiche Schweizer i n den französischen Kriegsdienst u n d m a n c h e n N o r d deutschen i n niederländische Regimenter treten ließen sowie viele U n t e r t a nen süd- u n d westdeutscher Landesherren u n t e r die kaiserlichen Fahnen führten. D a r ü b e r hinaus folgten anscheinend auch i m m e r w i e d e r eine Reihe v o n G r u n d h o l d e n i h r e m G u t s - oder G r u n d h e r r n ins Feld, w e n n dieser als Offizier diente u n d etwa seine K o m p a n i e bevorzugt i m eigenen Herrschaftsbereich r e k r u t i e r t e 3 4 . Es w a r e n die unterschiedlichsten Gründe, die M ä n n e r u n d Burschen M i l i t ä r d i e n s t nehmen ließen 3 5 , w o b e i u.a. N e i g u n g z u m W a f 33 s. zum Folgenden Chandler, Marlborough (Anm. 15), 65f.; Corvisier, L'armée (Anm. 19), I, 149ff.; Houlding (Anm. 12), 117ff.; Scouller (Anm. 12), 103ff.; PeterChristoph Storm, Der Schwäbische Kreis als Feldherr. Untersuchungen zur Wehrverfassung des Schwäbischen Reichskreises in der Zeit von 1648 bis 1732 (Schriften zur Verfassungsgeschichte, 21), Berlin 1974, 413 ff., und Jürg Zimmermann, Militärverwaltung und Heeresaufbringung in Österreich bis 1806 (Handbuch zur deutschen Militärgeschichte 1648 - 1939,1, 3), Frankfurt a. M. 1965, 96f. 34 s. Anderson (Anm. 12), 122 f., und Ulrich Muhlack, Absoluter Fürstenstaat und Heeresorganisation in Frankreich im Zeitalter Ludwigs XIV., in: Staatsverfassung und Heeresverfassung (Anm. 3 a), 273, 275. Ob diese Beobachtungen für England und Frankreich auch auf andere Länder übertragen werden können, ist ohne weiterführende Untersuchungen nicht zu sagen.

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f e n h a n d w e r k u n d Abenteuerlust, sozialer D r u c k i n den Dörfern, drückende Abhängigkeit

vom Feudalherrn

oder

eine ausgeprägte

Loyalität

zum

G r u n d - oder Gutsherrn, k l e i n l i c h e Reglementierung der L e b e n s f ü h r u n g d u r c h die Z u n f t , Aussichtslosigkeit des b e r u f l i c h e n Fortkommens, f a m i l i ä r e S c h w i e r i g k e i t e n oder eine drohende Strafverfolgung eine Rolle spielten, doch w a r f ü r die M e h r z a h l zweifellos ihre schlechte w i r t s c h a f t l i c h e Lage ausschlaggebend. D a v o n k ü n d e t n i c h t zuletzt der große Z u l a u f an R e k r u t e n i n den Jahren v o n Mißernten, die etwa 1692/94 u n d 1709/10 die E r g ä n z u n g der Heere spürbar e r l e i c h t e r t e n 3 6 u n d z u m T e i l eine m e r k l i c h e Senkung des Handgelds e r l a u b t e n 3 7 ; das deutet ferner die d u r c h w e g erfolgreichere W e r b u n g i m Spätherbst u n d W i n t e r an, w e n n d u r c h Unterbeschäftigung, A r b e i t s l o s i g k e i t u n d Teuerung die N o t der unteren Schichten wuchs u n d die Subsistenzsicherung schwierig, w e n n n i c h t gar gefährdet w a r . Schließlich k o n n t e auch konfessionelle Intoleranz der O b r i g k e i t z u m M o t i v f ü r den E i n t r i t t i n den M i l i t ä r d i e n s t werden, denn nach dem Bekenntnis w u r d e bei den S t r e i t k r ä f t e n i n der Regel n i c h t gefragt, u n d somit boten sie einen gewissen religiösen Freiraum. M a n g e l an Z u l a u f bei der R e k r u t i e r u n g f ü h r t e andererseits zu Ü b e r g r i f f e n der Werbekommandos auf jene f ü r t a u g l i c h Erachteten, deren m a n m i t L i s t oder auch G e w a l t h a b h a f t w e r d e n konnte. Z u w e i l e n förderten die l o k a l e n Herrschaftsträger sogar diese „ P r a k t i k e n " , u m auf solche Weise mißliebige L e u t e loszuwerden; u n d o b w o h l die Landes- u n d Kriegsherren d u r c h w e g dieses Vorgehen untersagten, scheinen ihre Verbote n u r die gröbsten Ü b e r g r i f f e v e r h i n d e r t zu haben. Selbst das „ U n t e r s t e c k e n " K r i m i n e l l e r oder K r i m i n a l i s i e r t e r k a m v o r 3 8 , w o b e i als ehrlos D i f f a m i e r t e allerdings ausgeschlossen waren, ohne daß aber ein U n t e r s c h l ü p f e n

in

jedem F a l l zu v e r h i n d e r n w a r . K o n n t e der erforderliche Personalersatz dennoch n i c h t beschafft werden, d a n n g r i f f die O b r i g k e i t m i t u n t e r auf die A u s hebung z u r ü c k ; h i e r v o n w a r e n i n erster L i n i e offenbar jene betroffen, die i n der M i l i z , i m Landausschuß bzw. i n vergleichbaren F o r m a t i o n e n z u m L a n desschutz d i e n t e n 3 9 . Z u r massiven A u s h e b u n g v o n U n t e r t a n e n k a m es beispielsweise i m Spanischen E r b f o l g e k r i e g i n F r a n k r e i c h 4 0 . A u c h w e n n nach w i e v o r i n erster 35 s. dazu generell Anderson (Anm. 12), 121 f., und Corvisier, Armies and Societies (Anm. 12), 132 f. 36 Anderson (Anm. 12), 121, und J. W. Stoye, Armies and Navies: Soldiers and Civilians, in: J. S. Bromley (Ed.), The Rise (Anm. 8), 764f. 37 In Frankreich scheint 1693/94 und 1710 die Zahlung von Handgeld sogar entfallen zu sein; Corvisier, Armies and Societies (Anm. 12), 133. 38 Vgl. dazu die Beobachtungen für Frankreich bei Corvisier, L'armée (Anm. 19), I, 281 ff., und für Deutschland bei Redlich (Anm. 13), 186f., die im großen und ganzen auch für andere Staaten zutreffend sein dürften. 39 s. zusammenfassend für Deutschland Helmut Schnitter, Volk und Landesdefension. Volksaufgebote, Defensionswerke, Landmilizen in den deutschen Territorien vom 15. bis zum 18. Jahrhundert (Militärhistorische Studien NF, 18), Berlin 1977, 147, 158, dessen Ausführungen aber nicht frei von Einseitigkeiten sind.

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L i n i e die W e r b u n g z u r K o m p l e t t i e r u n g der E i n h e i t e n diente, so r ü c k t e n n u n jedoch auch Jahr f ü r Jahr viele M i l i z a n g e h ö r i g e ins Feld, die i n geschlossenen E i n h e i t e n eingesetzt w u r d e n ; diese T r u p p e n k ö r p e r t r u g e n spürbar dazu bei, den S o l l s t a n d der S t r e i t k r ä f t e aufrechtzuerhalten. Viele der Betroffenen, die d u r c h das Los z u m E i n r ü c k e n b e s t i m m t w o r d e n waren, suchten sich indes dem Kriegsdienst d u r c h F l u c h t zu entziehen u n d fanden mancherorts bei den l o k a l e n Herrschaftsträgern R ü c k h a l t , denn ein Einsatz v o n M i l i z a n gehörigen außerhalb der H e i m a t r e g i o n oder - p r o v i n z - erst recht außerhalb des Landes - w a r u n g e w ö h n l i c h u n d g a l t d u r c h w e g als unzulässig oder gar unrechtmäßig. Zeitweise w u r d e n j ä h r l i c h m e h r als 20 000 M a n n ausgehoben; an Zuverlässigkeit u n d K a m p f e i f e r b l i e b e n diese Soldaten anscheinend aber m e r k l i c h h i n t e r den meisten Geworbenen zurück, w i e die häufigen Desertionen folgern lassen. Erst die K r i s e n j a h r e ab 1709 bereiteten den S c h w i e r i g k e i t e n insofern ein Ende, als z u m einen ein A p p e l l des K ö n i g s z u m Schutz des bedrohten Vaterlandes n i c h t ohne W i r k u n g geblieben zu sein s c h e i n t 4 1 , so daß n u n m e h r ohne nennenswerte W i d e r s e t z l i c h k e i t Jahr f ü r Jahr zwischen 16 000 u n d 23 000 M i l i z i o n ä r e f ü r das stehende Heer r e k r u t i e r t w e r d e n konnten, u n d z u m anderen der Z u l a u f auf den Werbeplätzen b e k a n n t l i c h i n diesen Jahren anschwoll, da M i ß e r n t e n u n d Teuerung die Angehörigen der U n t e r s c h i c h t e n aus E x i s t e n z n o t vermehrt i n den Kriegsdienst führten. Der A n t e i l der M i l i z a n g e h ö r i g e n stellte sich i m Spanischen E r b f o l g e k r i e g auf r u n d 40 % bzw. sogar auf ca. 46 % 4 2 , w e n n bloß die „ n a t i o nale" R e k r u t i e r u n g veranschlagt w i r d u n d die Fremdenregimenter unber ü c k s i c h t i g t bleiben. Z u einem vergleichbaren R ü c k g r i f f auf die M i l i z oder den Landausschuß - de iure gab es diese I n s t i t u t i o n e n i n fast allen europäischen L ä n d e r n - k a m es i n den anderen Staaten zumeist n i c h t . Z w a r w u r d e n bei a k u t e r B e d r o h u n g i m m e r w i e d e r U n t e r t a n e n z u m u n m i t t e l b a r e n L a n desschutz aufgeboten, die d a n n m e h r schlecht als recht zu E i n h e i t e n zusammengefaßt u n d n o t d ü r f t i g m i t W a f f e n ausgestattet w u r d e n , doch b l i e b der m i l i t ä r i s c h e W e r t dieser K r ä f t e i m allgemeinen g e r i n g 4 3 . Das Schloß f r e i l i c h n i c h t aus, daß die Landesherren oder ihre Befehlshaber versuchten, aus diesem P o t e n t i a l einen T e i l ihres Mannschaftsersatzes f ü r den miles perpetuus zu w o h l f e i l e n Bedingungen z u gewinnen, jedoch fehlen darüber f ü r die Z e i t des Pfälzischen u n d des Spanischen Erbfolgekrieges verläßliche q u a n t i t a t i v e Erkenntnisse.

40 s. Corvisier, La France (Anm. 9), 195ff., und Muhlack (Anm. 34), 271f., 274. Zur Struktur der Miliz und zum Rückgriff auf dieses Personal siehe zudem Corvisier, L'armée (Anm. 19), I, 55ff., 197ff. 41 Corvisier, La France (Anm. 9), 195, spricht in diesem Zusammenhang von „défense nationale". 42 Corvisier, L'armée (Anm. 19), I, 157, 249, II, 960. 43 Vgl. dazu für den Fränkischen Reichskreis Sickert (Anm. 16), I, 358ff., und für den Schwäbischen Reichskreis Storm (Anm. 33), 95, 104f.

102

Bernhard Sicken

D i e A r t der R e k r u t i e r u n g , die sowohl ein freiwilliges Engagement aus unterschiedlichen M o t i v e n als auch Z w a n g z u m Dienst d u r c h Aushebung, A b s c h i e b u n g oder betrügerische Machenschaften einschloß, w a r f ü r den Z u s a m m e n h a l t , die L e i t - u n d Wertvorstellungen, die D i s z i p l i n , die K a m p f weise u n d L o y a l i t ä t n a t ü r l i c h n i c h t ohne gewichtige Konsequenzen. Das galt u m so mehr, als den Soldaten ethische B i n d u n g e n an den K r i e g s h e r r n i n der Regel f r e m d u n d die Kriegsziele meist g l e i c h g ü l t i g waren, i n d i v i d u e l l e F ä h i g k e i t e n i m K a m p f n i c h t verlangt u n d besonderes Engagement i n den Feldzügen n i c h t gefordert w u r d e n . D e n n die arrangierte Schlacht m i t der zunehmend

dominierenden

Lineartaktik

wurde

von

gleichmäßig

und

geschlossen avancierenden u n d rasch feuernden T r u p p e n k ö r p e r n geprägt, die dem einzelnen keinen R a u m f ü r aufsehenerregende Waffentaten ließen, so daß der sozialen H e r k u n f t des Kriegsvolks u n d den G r ü n d e n f ü r den E i n t r i t t i n den M i l i t ä r d i e n s t oder einer etwaigen N ö t i g u n g z u m Dienst keine große B e d e u t u n g zukam. Daraus folgte einerseits ein großes Maß an Z w a n g i m Dienst, gekennzeichnet d u r c h v i e l f ä l t i g e K o n t r o l l e u n d enge Reglementierung, d u r c h harte D i s z i p l i n u n d schwere Strafen, u m ein K r i e g s i n s t r u m e n t zu formen, das sich erfolgreich h a n d h a b e n ließ; andererseits begünstigten diese s t r u k t u r e l l e n Bedingungen die d o k t r i n ä r e E r s t a r r u n g

der

K r i e g f ü h r u n g . I m ü b r i g e n erlaubte die mechanische A r t des Einsatzes auch einen u n p r o b l e m a t i s c h e n Austausch „ a b g e r i c h t e t e r " Soldaten u n d gestattete ohne weiteres den Gefangenen einen Parteiwechsel oder Deserteuren das U n t e r s c h l ü p f e n bei einem anderen T r u p p e n k ö r p e r 4 4 ; sie erleichterte darüber hinaus die gemeinsamen Operationen v o n Heeren verschiedener Staaten u n d gestattete außerdem die F o r m a t i o n einer Armee aus mehreren Kontingenten

unterschiedlicher

nationaler

oder

landsmannschaftlicher

H e r k u n f t , ohne daß die K a m p f k r a f t gravierend leiden mußte. Dennoch w a r es u m die A u s b i l d u n g des Kriegsvolkes i m allgemeinen n i c h t z u m besten bestellt u n d r ü c k t e n m i t u n t e r T r u p p e n k ö r p e r ins Feld, deren K a m p f k r a f t den A n f o r d e r u n g e n n i c h t genügte. A u c h fehlten n o c h z u r Z e i t des Spanischen Erbfolgekrieges d u r c h w e g f ü r die Infanterie u n d die K a v a l lerie v e r b i n d l i c h e

Exerzierreglements 4 5 ,

o b w o h l Heerführer

wie

Prinz

Eugen, M a r l b o r o u g h u n d V i l l a r s w i e d e r h o l t auf eine V e r e i n h e i t l i c h u n g gedrängt hatten. S t a t t dessen gingen die Regimentskommandeure bei der A u s b i l d u n g n a c h i h r e n Kenntnissen u n d E r f a h r u n g e n vor, was i n manchen Details i n d i v i d u e l l e n Zügen R a u m gab, jedoch den E i n s a t z w e r t f ü r die Schlacht oder bei Belagerungen k a u m behinderte. H ä u f i g standen zudem den Regimentern, die zu K r i e g s b e g i n n hastig aufgefüllt w o r d e n waren, n u r wenige Wochen z u r Verfügung, u m die R e k r u t e n m i t dem W a f f e n h a n d w e r k 44

s. zusammenfassend Anderson (Anm. 12), 128, 130. Anderson (Anm. 12), 105f.; zur Entwicklung der Reglements in England s. Houlding (Anm. 12), 172 ff. 45

Heeresaufbringung und Koalitionskriegführung

103

v e r t r a u t z u machen u n d i n die K o m p a n i e n b z w . das B a t a i l l o n , das als t a k t i sche E i n h e i t fungierte, z u i n t e g r i e r e n 4 6 . Bei Neuaufstellungen mußten ebenfalls wenige M o n a t e genügen, u m die W a f f e n h a n d h a b u n g u n d die sog. E v o l u t i o n e n , die t a k t i s c h e n Bewegungen i n der geschlossenen F o r m a t i o n , z u erlernen, o b w o h l die V i e l z a h l der H a n d g r i f f e u n d manche der k u n s t v o l l e n Schwenkungen, w i e sie i n zahlreichen zeitgenössischen kriegswissenschaftl i c h e n W e r k e n überliefert sind, n i c h t leicht einzuüben waren, w e n n sie t a t sächlich z u m allgemeinen Rüstzeug w e r d e n s o l l t e n 4 7 , das selbst u n t e r extremer Belastung sicher beherrscht w u r d e . Weitere Gelegenheiten z u r A u s b i l d u n g u n d z u m Exerzieren ergaben sich z w a r d u r c h w e g n o c h b e i m A u s marsch ins F e l d u n d i n den Lagern, so daß U n z u l ä n g l i c h k e i t e n eventuell w e t t g e m a c h t w e r d e n k o n n t e n , doch Schloß das den r i s i k o r e i c h e n Einsatz ungenügend f ü r den K a m p f vorbereiteter T r u p p e n n i c h t aus. Dieser M i ß stand w a r z u m einen darauf zurückzuführen, daß die V e r a n t w o r t l i c h e n h ä u f i g aus f i n a n z i e l l e n E r w ä g u n g e n die Fristen zwischen der E i n s t e l l u n g v o n R e k r u t e n u n d dem A u s r ü c k e n ins F e l d zu k n a p p bemaßen u n d z u m anderen Gefechtsdrill i m B a t a i l l o n oft n i c h t m ö g l i c h w a r ; i m F r ü h j a h r u n d Sommer, also zur Kampagnezeit, w u r d e n n ä m l i c h die zur K o m p l e t t i e r u n g nachgesandten R e k r u t e n meist u n v e r z ü g l i c h i n die K o m p a n i e n eingereiht u n d u n t e r U m s t ä n d e n auch eingesetzt, w ä h r e n d i m W i n t e r die D i s l o k a t i o n der T r u p p e n k ö r p e r - ganz z u schweigen v o n der n o t w e n d i g e n Schonung v o n Mann

und

Material

bei

ungünstigen

Witterungsverhältnissen

-

eine

Gefechtsausbildung erschwerte oder verhinderte. D i e oft beklagte A b w e senheit der Offiziere i m W i n t e r 4 8 , die die ü b l i c h e K a m p f p a u s e 4 9 v o n N o v e m ber oder Dezember bis M ä r z oder A p r i l gern auf i h r e n Besitzungen verbrachten, erschwerte z u d e m die A u f s i c h t über das K r i e g s v o l k u n d v e r k ü r z t e die Zeitspanne zur A u s b i l d u n g , so daß die Feldzugpraxis f ü r zahlreiche Soldaten z u m eigentlichen Lehrmeister w u r d e . Das scheint f ü r die Infanterie u n d die K a v a l l e r i e gleichermaßen gegolten z u haben, w o b e i die Reiterei aber normalerweise insofern begünstigt w a r , als sie sich eines größeren Zulaufs erfreute, bei den D i e n s t w i l l i g e n h i n l ä n g l i c h e Reitkenntnisse voraussetzte u n d i h r e K a m p f t a k t i k a r m an V a r i a n t e n w a r 5 0 . Hingegen benötigte die A r t i l l e r i e besonders qualifiziertes Personal, soweit es die Geschütze z u bedienen hatte, weshalb m a n v o n v o r n h e r e i n stärkere K a d e r u n t e r h i e l t , z u m 46 Nach Houlding (Anm. 12), 116 Anm. 31 galt im 18. Jahrhundert generell eine Zeitspanne von einem Jahr als erforderlich, um einen Rekruten feldverwendungsfähig auszubilden. 47 Chandler , Marlborough (Anm. 15), 76f.; ders., The Art of Warfare in the Age of Marlborough, London 1976, 102 f. 48 Chandler , Marlborough (Anm. 15), 76, Scouller (Anm. 12), 274ff. Einige Beispiele für die hohen Abwesenheitsquoten bei den Reichs- und Kreistruppen finden sich bei Sicken (Anm. 16), I, 178. 49 Chandler , Marlborough (Anm. 15), 63. 50 Childs (Anm. 12), 105, hält hingegen die Ausbildung der Kavalleristen für schwieriger.

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Bernhard Sicken

T e i l auch Personal aus fremden Diensten zur A u f s t o c k u n g übernahm. Das i n großer Z a h l erforderliche Hilfspersonal w u r d e dagegen bei Bedarf auf die gewöhnliche A r t u n d Weise r e k r u t i e r t . Z u r A r t i l l e r i e sei i n diesem Z u s a m m e n h a n g angefügt, daß sie erst gegen Ende des 17. Jahrhunderts die h a n d w e r k l i c h e n Elemente abstreifte u n d eine m i l i t ä r i s c h e Organisation erhielt, die der der Infanterie u n d K a v a l l e r i e m i t i h r e n Regimentern u n d K o m p a n i e n b z w . S c h w a d r o n e n sowie den h i e r a r chisch gestuften Chargen glich. I n dieser E n t w i c k l u n g g i n g F r a n k r e i c h v o r a n 5 1 , i n d e m aus mehreren D u t z e n d Z u g u m Z u g f o r m i e r t e n A r t i l l e r i e k o m p a n i e n schließlich z w e i Regimenter hervorgingen, die i n B a t a i l l o n e untergliedert w a r e n u n d sowohl i m Pfälzischen als auch i m Spanischen E r b folgekrieg r u n d 6300 bis 6500 Offiziere u n d Mannschaften umfaßten. Diese T r u p p e n k ö r p e r , denen später noch die Bombardiere - zuständig u. a. f ü r die Bedienung der Mörser - angegliedert w u r d e n , z ä h l t e n i m Frieden i m m e r h i n gut 3800 M a n n u n d k o n n t e n sich auf A r t i l l e r i e s c h u l e n zur fachlichen A u s b i l d u n g stützen, die - basierend auf den guten Erfahrungen m i t Vorläufern i m Jahr 1720 an jenen O r t e n eingerichtet w u r d e n , w o ein A r t i l l e r i e b a t a i l l o n i n Garnison l a g 5 1 a . D e m französischen V o r b i l d folgten zögernd die anderen Staaten, allerdings zugeschnitten auf einen m e r k l i c h kleineren Rahmen bei q u a n t i t a t i v v i e l geringeren K r ä f t e n . H i e r w u r d e das A r t i l l e r i e p e r s o n a l organisatorisch oftmals z u sog. K o r p s zusammengefaßt, ohne daß dies allerdings eine Vorgabe f ü r den t a k t i s c h e n Einsatz bedeutete. D a dem Geschützperson a l auch i m Frieden die W a r t u n g des kostspieligen Materials oblag, w a r es meist a m S t a n d o r t v o n Zeughäusern oder i n Festungen untergebracht. I m Spanischen E r b f o l g e k r i e g gehörten beispielsweise z u r A r t i l l e r i e des habsburgischen Staatenkonglomerats n u r ca. 800 M a n n ; d a m i t ü b e r t r a f sie z w a r ihre Stärke i m vorausgegangenen K r i e g , ohne aber p r o p o r t i o n a l n u r annäh e r n d m i t den französischen K r ä f t e n S c h r i t t h a l t e n zu k ö n n e n 5 2 . N u m e r i s c h noch schwächer w a r das britische A r t i l l e r i e p e r s o n a l 5 3 , läßt m a n die Bedien u n g der stark a r m i e r t e n Kriegsschiffe außer acht. Bei der M o b i l i s a t i o n i m Pfälzer u n d i m Spanischen E r b f o l g e k r i e g faßte m a n das Personal zu einigen schwachen A r t i l l e r i e k o m p a n i e n zusammen, die nach Friedensschluß jedoch auf D r u c k des Parlaments alsbald w i e d e r aufgelöst w u r d e n . Erst 1716 k a m es zu einer dauerhaften Organisation m i t der B i l d u n g eines wenige h u n d e r t

51

190.

51a

Chandler , The Art of Warfare (Anm. 47), 157ff.; Corvisier,

La France (Anm. 9),

Roger Hahn, L'enseignement scientifique aux écoles militaires et d'artillerie, in: Réne Taton (Ed.), Enseignement et diffusion des sciences en France au X V I I I e siècle (Histoire de la pensée XI), Paris 1964, 516. 52 Bernhard Sicken, Kriegskunst und Heeresorganisation im Zeitalter des Prinzen Eugen, in: Johannes Kunisch (Hrsg.), Prinz Eugen von Savoyen und seine Zeit, Freiburg/Würzburg 1986, 40. 53 Chandler, The Art of Warfare (Anm. 47), 160 f.

Heeresaufbringung und Koalitionskriegführung

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M a n n zählenden Regiments, nachdem eine Erhebung i n Schottland eklatante artilleristische M ä n g e l offenbart hatte. I m Frieden b i l d e t e bei der I n f a n t e r i e u n d K a v a l l e r i e das Regiment den stärksten geschlossenen T r u p p e n k ö r p e r u n d fungierte zugleich als o r g a n i satorischer Baustein, aus dem i m K r i e g die Heere f o r m i e r t w u r d e n . D i e K o p f s t ä r k e der R e g i m e n t e r s c h w a n k t e b e t r ä c h t l i c h v o n S t a a t z u S t a a t u n d b e k a n n t l i c h auch zwischen K r i e g u n d Frieden. I m Spanischen E r b folgekrieg zählten z u m Beispiel manche habsburgischen Infanterieregimenter nach dem S o l l s t a n d bis z u 2500 M a n n , andere w i e d e r u m bloß ca. 1500 M a n n , aus denen z u r Schlacht d a n n drei oder z w e i B a t a i l l o n e f o r m i e r t w u r d e n , w ä h r e n d die K a v a l l e r i e r e g i m e n t e r jeweils über 800 bis 1000 B e r i t tene v e r f ü g t e n 5 4 . D i e Masse der Reichsstände orientierte sich f ü r ihre T r u p penkörper a m kaiserlichen V o r b i l d , u n d f o l g l i c h ist v o n vergleichbaren Personalstärken auszugehen. Hingegen w a r e n die Regimenter der verbündeten Seemächte personell d e u t l i c h schwächer; denn die K o p f z a h l stellte sich bei der b r i t i s c h e n I n f a n t e r i e auf r u n d 800 bis 900 M a n n u n d bei den n i e d e r l ä n dischen T r u p p e n auf ca. 700 M a n n sowie bei der K a v a l l e r i e auf englischer Seite je nach der Z a h l der S c h w a d r o n e n auf 300 bis 480 M a n n u n d auf niederländischer Seite auf r u n d 310 M a n n 5 5 . N o c h schwächer w a r e n z u m T e i l die französischen T r u p p e n k ö r p e r , die z.B. bei der Infanterie i m Spanischen E r b f o l g e k r i e g gerade 600 M a n n u n d bei der K a v a l l e r i e zwischen 300 u n d 400 Reiter u m f a ß t e n 5 6 .

Diese b e t r ä c h t l i c h e n Unterschiede

spielten

im

K a m p f insofern keine größere Rolle, als bei der Infanterie das ca. 500 bis 800 M a n n zählende B a t a i l l o n - numerisch kleine Regimenter f u n g i e r t e n f a k t i s c h als B a t a i l l o n - die taktische E i n h e i t b i l d e t e u n d bei der Reiterei die Z u s a m menfassung der Regimenter, gegebenenfalls i n S c h w a d r o n e n u n t e r t e i l t , flex i b l e r gehandhabt w e r d e n konnte. Andererseits w a r i n den k l e i n e r e n T r u p p e n k ö r p e r n das V e r h ä l t n i s zwischen Offizieren u n d Mannschaften aber günstiger, was die A u f s i c h t u n d F ü h r u n g sicherlich erleichterte. Daß diese günstige R e l a t i o n bei den französischen S t r e i t k r ä f t e n u.a. d u r c h die V e r m e h r u n g der k ä u f l i c h e n Ä m t e r zustandegekommen w a r , v o n der die O f f i zierstellen n i c h t ausgenommen waren, u n d d a d u r c h m a n c h e m U n t ü c h t i g e n der Weg i n den M i l i t ä r d i e n s t gebahnt w u r d e , sei allerdings n i c h t verschwiegen. Schließlich verdient noch Beachtung, daß es größere gemischte V e r bände, die der späteren D i v i s i o n vergleichbar waren, i n jener Epoche n i c h t

54 Feldzüge des Prinzen Eugen von Savoy en. I. Serie 3. Bd.: Spanischer Successions-Krieg. Feldzug 1701, bearb. von Leander Heinrich Wetzer, Wien 1876, 83f., 88, 466. 55 Chandler , Marlborough (Anm. 15), 7If.; ders., The Art of Warfare (Anm. 47), 46, 96, Feldzüge des Prinzen Eugen (Anm. 54), 455, Scouller (Anm. 12), 98ff.; J. W. Wijn, Inleiding en veldtochten van 1702 - 1705 (Het Staatsche Leger VIII: Het tijdperk van de Spaanse Successieoorlog 1702 - 1715, Bd. I), s'Gravenhage 1956, 22. 56 Corvisier, L'armée (Anm. 19), I, 153 f.

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Bernhard Sicken

g a b 5 7 . Z w a r w u r d e n gelegentlich mehrere Regimenter - auch u n t e r s c h i e d l i cher W a f f e n g a t t u n g - f ü r b e s t i m m t e A u f g a b e n z u Detachments zusammengefaßt sowie I n f a n t e r i e b a t a i l l o n e f ü r die Schlacht zur Brigade f o r m i e r t , u m die einheitliche K a m p f f ü h r u n g sicherzustellen, doch w a r e n solche Z u s a m menstellungen auftragsgebunden. Gemeinsame Ü b u n g e n v o n Infanterie, K a v a l l e r i e u n d A r t i l l e r i e blieben i m F r i e d e n die A u s n a h m e u n d k a m e n über ein e f f e k t v o l l inszeniertes t h e a t r u m b e l l i k a u m hinaus, das i n erster L i n i e der U n t e r h a l t u n g des M o n a r c h e n u n d seines Hofes u n d zudem der Reputat i o n des Befehlshabers diente, w i e v o r a l l e m die französischen Feldlager i n der Ä r a L u d w i g s X I V . b e k u n d e n 5 8 . Bereitete i m K r i e g die R e k r u t i e r u n g der Mannschaften bei der K o m p l e t t i e r u n g der E i n h e i t e n u n d bei Neuaufstellungen z u w e i l e n Schwierigkeiten, so fehlte es n i c h t an Offizierersatz, falls die Standeszugehörigkeit n i c h t z u m ausschlaggebenden K r i t e r i u m f ü r Befehlshaberstellen gemacht w u r d e u n d diese f o l g l i c h auch N i c h t a d e l i g e n z u g ä n g l i c h w a r e n 5 9 . D e n n die hohen Blutopfer, die die zahlreichen Kriege jener Epoche auch u n d gerade v o n den Offizieren verlangten, überforderten d u r c h w e g den A d e l u n d n ö t i g t e n z u r E r w e i t e r u n g der sozialen Basis, so daß eine E n t w i c k l u n g zur ständischen E x k l u s i v i t ä t ausgeschlossen w a r , z u m a l sich auch ein T e i l des Adels aus unterschiedlichen G r ü n d e n dem Kriegsdienst fernhielt. Z w a r e n t s t a m m t e n u m die Wende v o m 17. z u m 18. J a h r h u n d e r t die meisten Offiziere w e i t e r h i n dem A d e l , doch standen daneben zahlreiche Aufsteiger aus den unteren Ständen, die als homme de fortune

m a n c h m a l sogar Generalsrang erreichten

u n d m i t der N o b i l i t i e r u n g belohnt w u r d e n . E i n e solche K a r r i e r e w u r d e begünstigt, w e n n d u r c h finanzielle I n v e s t i t i o n e n die Voraussetzungen verbessert oder dem A u f s t i e g i n der m i l i t ä r i s c h e n Hierarchie t a t k r ä f t i g nachgeholfen w e r d e n konnte. D e m t r a d i t i o n e l l e n Standesvorzug t r a t der Besitz v o n Vermögen u n d somit i n m o d i f i z i e r t e r F o r m das ältere M i l i t ä r u n t e r n e h m e r t u m 6 0 zur Seite, was i n v o r w i e g e n d ständisch-statischen Gesellschaften zu b e t r ä c h t l i c h e n Spannungen f ü h r e n k o n n t e 6 1 . Das t r a f v o r a l l e m f ü r F r a n k reich zu, da d u r c h die K ä u f l i c h k e i t der Stellen des K o m p a n i e - u n d des Regimentschefs

dem ärmeren A d e l i m reichen B ü r g e r t u m ein

Konkurrent

erwuchs, der Z u g r i f f auf jene Chargen hatte, die f ü r den A u f s t i e g w i c h t i g w a r e n u n d zugleich Ansehen u n d m a t e r i e l l e n G e w i n n verhießen. I n der Ä r a L u d w i g s X I V . w a r dieses K o n f l i k t p o t e n t i a l allerdings insofern r e l a t i v i e r t , als d u r c h den großen Bedarf an Offizieren, den die A r i s t o k r a t i e k a u m zu 57

s. Chandler , Marlborough (Anm. 15), 70, Houlding (Anm. 12), 162 f. Chandler , The Art of Warfare (Anm. 47), 107 f. 59 s. zum Folgenden Redlich (Anm. 13), 121 ff. 60 Auf die grundlegende und materialreiche Studie von F. Redlich sei verwiesen. 61 s. Corvisier, Armies and Societies (Anm. 12), 161 ff., und Johannes Kunisch, La guerre - c' est moi! Zum Problem der Staatenkonflikte im Zeitalter des Absolutismus, in: ZHF 14 (1987), 414ff. 58

Heeresaufbringung und Koalitionskriegführung

107

decken v e r m o c h t e 6 2 , die Aufstiegschancen d u r c h w e g gut waren,

zumal

w i c h t i g e Befehlshaberstellen v o n v o r n h e r e i n v o n der K ä u f l i c h k e i t ausgen o m m e n waren. G l e i c h w o h l stieß die Ä m t e r k ä u f l i c h k e i t schon i n jener Z e i t auf massive K r i t i k 6 3 , ohne daß infolge der F i n a n z n o t der K r o n e dieses p r o blematische K r e d i t i n s t r u m e n t 6 4 jedoch w i r k s a m eingedämmt, geschweige denn beseitigt w e r d e n konnte. D u r c h die K ä u f l i c h k e i t fanden t r o t z des v o n der K r o n e beanspruchten Prüfungsrechts auch U n q u a l i f i z i e r t e den Weg i n die m i t t l e r e n u n d u n t e r U m s t ä n d e n sogar höheren Offiziersränge; d a r u n t e r mußte n i c h t i n jedem F a l l die K a m p f k r a f t leiden, w e i l i n der arrangierten Schlacht der P f l i c h t e n kreis f ü r die Masse der Offiziere recht k l e i n w a r . D u r c h die S t e l l e n k ä u f l i c h k e i t v e r l o r andererseits der Schwertadel seinen A n s p r u c h auf die Befehlshaberstellen, so daß h i e r d u r c h die U m f o r m u n g der armée féodale z u r armée du roi vorangetrieben w u r d e , f ü r die f r e i l i c h m i t dem A u f b a u der d e m M o n a r chen v e r a n t w o r t l i c h e n M i l i t ä r v e r w a l t u n g längst die G r u n d l a g e n gelegt u n d m i t den Intendanten, Kriegskommissaren u n d Inspekteuren die erforderlichen Vollzugs- u n d K o n t r o l l o r g a n e geschaffen w o r d e n waren. A u c h die i m Jahr 1682 f o r m i e r t e n K a d e t t e n k o m p a n i e n , die zur A u s b i l d u n g geeigneten Offiziersnachwuchses vorgesehen u n d den Söhnen Adeliger u n d B ü r g e r licher gleichermaßen z u g ä n g l i c h waren, dienten n i c h t zuletzt dem Z w e c k , diese angehenden Befehlshaber auf den „Staatsdienstgedanken" zu v e r pflichten 65

u n d die ü b e r k o m m e n e n Standesansprüche

zurückzuweisen.

Schließlich t r u g z u dieser E n t w i c k l u n g noch bei, daß seit dem Pfälzer E r b folgekrieg vermehrt Offizierstellen i n den zahlreichen neu f o r m i e r t e n Regim e n t e r n an b e w ä h r t e Soldaten vergeben w e r d e n mußten, die aus dem Mannschaftsstand hervorgegangen waren, w e i l insbesondere die Besetzung v o n Subalternstellen auf S c h w i e r i g k e i t e n stieß. Der

Kauf

militärischer

Chargen w a r

freilich

nicht

auf

Frankreich

beschränkt, sondern t r o t z vieler Vorbehalte u n d K r i t i k i n unterschiedlichen Versionen i n den meisten europäischen Staaten verbreitet, w o b e i sich aber d u r c h w e g der Kriegsherr die Vergabe der höheren Ränge v o r b e h i e l t u n d bei anderen w i c h t i g e r e n Stellen zumindest die Bestätigung des A n w ä r t e r s beanspruchte. Der Stellenhandel gehörte auch i n den b r i t i s c h e n S t r e i t k r ä f ten z u r gängigen Praxis, o b w o h l i h n die M o n a r c h e n u n d das Parlament w i e derholt f ü r i l l e g a l e r k l ä r t oder zumindest zu beschränken versucht h a t t e n 6 6 . 62 s. Muhlack (Anm. 34), 273 ff. Vgl. dazu auch die Schätzungen über den Adelsanteil bei Corvisier, La France (Anm. 9), 61 f. 63 s. zusammenfassend Gembruch (Anm. 29), 133 f. 64 Vgl. dazu Reinhard (Anm. 10), 310ff. 65 Gembruch (Anm. 29), 133; siehe zudem Corvisier, Armies and Societies (Anm. 12), 163. 66 Anthony Bruce, The Purchase System in the British Army, 1660 - 1871 (Studies in History, 20), London 1980, 14ff.

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Bernhard Sicken

Bezeichnenderweise mußte deshalb ein striktes Verbot K ö n i g W i l h e l m s I I I . , das seit 1693 bei einer Beförderung v o n jedem Offizier eine eidliche E r k l ä r u n g verlangt hatte, k e i n e r l e i Z a h l u n g e n f ü r die v a k a n t e Charge geleistet oder zugesagt z u haben, i m V o r f e l d des Spanischen Erbfolgekrieges w i e d e r aufgehoben werden, w e i l anscheinend i n vielen Fällen bedenkenlos ein M e i n eid geleistet w o r d e n w a r . D i e große Nachfrage n a c h Offizierstellen w a r i m Frieden insofern verständlich, als die kleine, ständig i m I n l a n d unterhaltene S t r e i t m a c h t n u r wenige Ansehen u n d E i n n a h m e n verheißende Posten zu vergeben h a t t e 6 7 , doch k o n n t e auch die kriegsbedingte A u f s t e l l u n g zusätzlicher T r u p p e n k ö r p e r die Z a h l der Interessenten n i c h t nennenswert v e r m i n dern, w e i l h a u p t s ä c h l i c h die Chargen i n jenen T r u p p e n k ö r p e r n

gefragt

waren, die nach Friedensschluß n i c h t abgedankt w u r d e n u n d f o l g l i c h die I n v e s t i t i o n f ü r einen K a u f l u k r a t i v m a c h t e n 6 8 . G e l d u n d P r o t e k t i o n - i n erster L i n i e t r i f f t das f ü r die Vergabe v o n Regimentern zu - spielten bei der Stellenvergabe u n d bei Beförderungen die maßgebende R o l l e 6 9 ; andererseits n ö t i g t e n die i m m e r w i e d e r erhobenen K l a g e n über die daraus resultierenden Mißstände die K r o n e z u m neuerlichen E i n s c h r e i t e n 7 0 . D a r a u f h i n w u r d e beispielsweise i m Jahr 1705 der V e r k a u f v o n Stellen an K i n d e r u n d Jugendliche untersagt u n d ein Jahr später sogar jeder Stellenkauf verboten, soweit sich der M o n a r c h n i c h t b e s t i m m t e Ausnahmeregelungen eigens v o r b e h a l t e n hatte. D e n n o c h änderte sich an der bisherigen Praxis wenig, so daß 1711 abermals einschneidende Weisungen ergingen, u m den Stellenhandel einzud ä m m e n u n d an eine b e s t i m m t e O r d n u n g zu binden, die die A u t o r i t ä t der K r o n e hervorheben u n d i h r zugleich die tatsächliche K o n t r o l l e über die Vergabe der Offizierstellen sichern sollte. Diese R e s t r i k t i o n e n stießen f r e i l i c h bei M a r l b o r o u g h auf erhebliche Bedenken, der einerseits den d a m i t v e r b u n denen E i n f l u ß des Parlaments auf die S t r e i t k r ä f t e fürchtete u n d andererseits die V o r s c h r i f t e n f ü r u n z w e c k m ä ß i g hielt, w e i l sie die insbesondere i m K r i e g nötige F l e x i b i l i t ä t bei der Personalauswahl u n d somit die F ö r d e r u n g t ü c h t i g e r Offiziere zusätzlich erschwerten, f ü r die sich v e r a n t w o r t u n g s v o l l e Befehlshaber - das g i l t n i c h t zuletzt f ü r M a r l b o r o u g h , Schloß jedoch die Begünstigung eigener Parteigänger n i c h t aus - i m m e r wieder eingesetzt hatten. K r i t i k rief u.a. hervor, daß f o r t a n den weniger engagierten oder glücklosen Offizieren ein vorzeitiges Ausscheiden gegen eine Abstandszahl u n g d u r c h einen a m b i t i o n i e r t e r e n u n d - das w u r d e k u r z e r h a n d u n t e r s t e l l t - q u a l i f i z i e r t e r e n Offizier untersagt w e r d e n sollte. D a r ü b e r hinaus h i e l t M a r l b o r o u g h ein solches Verbot insofern f ü r unzweckmäßig, als es besonders befähigten Offizieren verwehrte, die A n w a r t s c h a f t eines anderen auf

67 Vgl. dazu die Angaben für die Zeit nach dem Spanischen Erbfolgekrieg bei Houlding (Anm. 12), 99, die auch die Größenordnung für die Jahre 1697 - 1701 abstecken, es Childs (Anm. 12), 89. 69 Chandler, Marlborough (Anm. 15), 76; Scouller (Anm. 12), 69ff. 70 Bruce (Anm. 66), 20 ff.

Heeresaufbringung und Koalitionskriegführung

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eine höhere Charge f i n a n z i e l l abzulösen, u n d diesen somit die Chance z u m rascheren A v a n c i e r e n d u r c h ein Ü b e r s p r i n g e n älterer, aber m i t t e l m ä ß i g e r A n w ä r t e r nahm. Diese einseitigen E i n w ä n d e deuten an, daß sich die englischen Heer- u n d T r u p p e n f ü h r e r m i t dem Stellenhandel, der i h n e n w o h l als u n a u s r o t t b a r galt, zu arrangieren wußten. Sie n a h m e n die unbestreitbaren Nachteile w a h r s c h e i n l i c h auch i n K a u f , u m die E i n w i r k u n g s m ö g l i c h k e i t e n D r i t t e r auszuschalten oder zu begrenzen, deren Sachkompetenz f r a g w ü r d i g u n d deren Engagement f ü r die S t r e i t k r ä f t e zweifelhaft w a r . I n der D i s k u s sion über die Reglementierung des Stellenhandels i n E n g l a n d f a n d M a r l b o r o u g h m i t seinen A r g u m e n t e n i m Sommer 1711 nochmals Gehör, doch gab sein Sturz w e n i g später w i e d e r der Gegenseite A u f t r i e b , so daß der K a m p f gegen die Ä m t e r k ä u f l i c h k e i t z u r W a h r u n g der monarchischen Prärogative verschärft w u r d e , ohne daß l ä n g e r f r i s t i g aber m e h r als eine festere Reglem e n t i e r u n g durchgesetzt w e r d e n k o n n t e 7 1 . Der A u f s t i e g i n die oberen m i l i t ä r i s c h e n Ränge w a r daher i n der Regel den Söhnen vermögender F a m i l i e n reserviert. F i n a n z i e l l e M i t t e l a l l e i n genügten jedoch n i c h t , sondern die Z u g e h ö r i g k e i t z u m hohen A d e l oder z u m L a n d a d e l u n d somit die r i c h t i g e ständische H e r k u n f t , v e r b u n d e n m i t f a m i l i ä r e m E i n fluß u n d entsprechender P r o t e k t i o n , w a r e n weitere w i c h t i g e Erfordernisse für eine m i l i t ä r i s c h e Karriere. D i e K o m m a n d e u r e der Regimenter u n d die Generalität gehörten z u m e h r als der H ä l f t e dieser Schicht, der landed

class ,

an, w i e f ü r das 18. J a h r h u n d e r t nachgewiesen i s t 7 2 u n d offenbar auch f ü r die Z e i t u m die Wende v o m 17. z u m 18. J a h r h u n d e r t z u t r i f f t . D a r ü b e r hinaus entstammten die Offiziere zu einem b e t r ä c h t l i c h e n T e i l dem angesehenen B ü r g e r t u m , das u. a. i m k i r c h l i c h e n Dienst, i m H a n d e l oder i n anderen angesehenen Berufen t ä t i g w a r u n d p a r t i e l l den N e b e n l i n i e n adeliger F a m i l i e n zuzuordnen w a r . Ferner stellten t r a d i t i o n e l l die den M i l i t ä r d i e n s t bevorzugenden F a m i l i e n ohne größeres Vermögen u n d manche A u s l ä n d e r einen T e i l der Offiziere; u n t e r den Fremden fanden sich h ä u f i g Söhne v o n Glaubensf l ü c h t l i n g e n 7 3 , die d u r c h E r z i e h u n g u n d B i l d u n g m i t den erstgenannten G r u p p e n k o n k u r r i e r e n konnten, jedoch keine engeren Beziehungen zur einflußreichen landed class hatten, so daß i h n e n die Befehlshaberstellen meist v o r e n t h a l t e n blieben. Das galt erst recht f ü r jene Aufsteiger, die weder über Standesvorzüge u n d Vermögen n o c h über B i l d u n g u n d E r z i e h u n g verfügten u n d meist d u r c h l a n g j ä h r i g e n Dienst i n die u n t e r e n Offizierstellen gelangt waren, ohne d a n n aber über die Subalternränge hinauszugelangen. D e r vergleichsweise offene Z u g a n g zur „officer c l a s s " 7 4 Schloß demnach keine 71

Bruce (Anm. 66), 22ff.; Houlding (Anm. 12), lOOff. Houlding (Anm. 12), 104. 73 s. Geoffrey Symcox, Louis XIV and the Outbreak of the Nine Years War, in: Ragnhild Hatton (Ed.), Louis XIV and Europe, London, Basingstoke 1976, 184; hierbei handelte es sich in erster Linie um Hugenotten, von denen offenbar viele in der Marine dienten. 74 Vgl. dazu Houlding (Anm. 12), 104 Anm. 15. 72

Bernhard Sicken

110

größere v e r t i k a l e M o b i l i t ä t ein, sondern ließ die weniger begünstigten O f f i ziere über die unteren u n d m i t t l e r e n Ränge n i c h t hinausgelangen; f o l g l i c h k o n n t e n sie sich i n einem selbständigen K o m m a n d o n i c h t hervortun, w ä h r e n d den o h n e h i n d u r c h Geburt, Vermögen u n d Beziehungen ausgezeichneten Offizieren der A u f s t i e g i n Befehlshaberstellen, die Ansehen u n d Ehre verhießen, v o n v o r n h e r e i n erleichtert w a r . Selbstverständlich w u r d e der Stellenhandel i n den habsburgisch-österreichischen S t r e i t k r ä f t e n ebenfalls p r a k t i z i e r t 7 5 . Beispielsweise w a r es vielen Regimentsinhabern b z w . i n deren A u f t r a g den Regimentskommandeuren erlaubt, alle Offizierchargen bis z u m Oberstleutnant nach i h r e m Ermessen zu vergeben; das sollte z w a r g r u n d s ä t z l i c h ohne sachfremde E r w ä g u n gen geschehen, Schloß jedoch Begünstigungen u n d Nepotismus h ü b e n u n d finanzielle Z u w e n d u n g e n oder Entschädigungen d r ü b e n n i c h t aus. Bei diesem Recht handelte es sich u m ein R e l i k t aus der vorabsolutistischen Zeit, i n der die Befehlshaber zugleich M i l i t ä r u n t e r n e h m e r w a r e n u n d sich die Stellenvergabe vorbehielten, w e n n sie einen T r u p p e n k ö r p e r auf eigene Kosten formiert

u n d d a n n einem K r i e g s h e r r n

zur V e r f ü g u n g

gestellt

h a t t e n 7 6 . D e r a r t i g e A n s p r ü c h e entfielen oder w u r d e n eingeschränkt, sofern der Landesherr die K o s t e n ganz oder wenigstens teilweise ü b e r n o m m e n hatte oder sich v e r t r a g l i c h E i n f l u ß auf die Vergabe der w i c h t i g e r e n Posten hatte sichern können, was gegen Ende des 17. Jahrhunderts m e h r u n d mehr geschah, soweit n i c h t bei hochgestellten Persönlichkeiten gemacht

wurden.

Die

angestrebte

systematische

Ausnahmen

Monarchisierung

der

S t r e i t m a c h t w u r d e darüber hinaus d u r c h den o f f i z i e l l zugelassenen Stell e n k a u f beeinträchtigt, der z w a r i m U n t e r s u c h u n g s z e i t r a u m d u r c h die habsburgischen Herrscher v e r s t ä r k t an bestimmte Voraussetzungen gebunden w a r - Ungediente d u r f t e n sich bloß den Rang des Fähnrichs b z w . K o r netts erkaufen, ein Offizier jeweils n u r den nächsthöheren Rang - , doch i m m e r w i e d e r z u r Z u r ü c k s e t z u n g erprobter Offiziere führte, w e n n das f ü r eine Beförderung i m allgemeinen maßgebende A n c i e n n i t ä t s p r i n z i p auf solche Weise u n t e r l a u f e n

wurde.

Diese Begünstigung

der

Vermögenden

bedrohte die soziale H o m o g e n i t ä t des werdenden Offizierskorps stärker als die h e r k ö m m l i c h e n

u n d akzeptierten

Standesunterschiede.

Einsichtige

Staatsmänner u n d Heerführer sahen i m Stellenhandel deswegen einen M i ß stand, da er die landesherrliche G e w a l t über die S t r e i t m a c h t beschränkte u n d die Q u a l i t ä t des Kriegsinstruments d u r c h manchen u n t ü c h t i g e n O f f i zier sowie d u r c h die U n z u f r i e d e n h e i t Zurückgesetzter schwächte. M e h r f a c h w a n d t e sich deshalb Prinz Eugen gegen den S t e l l e n k a u f 7 7 , auf den er i m U n t e r s c h i e d zu M a r l b o r o u g h i n vielen F ä l l e n n i c h t e i n m a l i n f o r m e l l E i n f l u ß 75 s. zusammenfassend Zimmermann (Anm. 33), 131 ff. ™ s. Redlich (Anm. 13), 50 ff. 77 s. dazu Max Braubach, Prinz Eugen von Savoyen. Eine Biographie, 5 Bde., München 1963 - 1965, hier II, 25ff.

Heeresaufbringung und Koalitionskriegführung

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nehmen konnte. D a r a u f ergingen z.B. 1703, 1708 u n d 1711 kaiserliche V e r bote, d u r c h die allerdings bloß die gröbsten Auswüchse beseitigt w e r d e n konnten. A u c h das Stellenbesetzungsrecht der Regimentsinhaber k o n n t e n i c h t aufgehoben, sondern n u r a l l m ä h l i c h eingedämmt werden. I n i h r e r sozialen Zusammensetzung unterschieden sich die k a i s e r l i c h habsburgischen S t r e i t k r ä f t e k a u m v o n denen der meisten anderen europäischen Staaten. D e n n das K r i e g s v o l k r e k r u t i e r t e sich h a u p t s ä c h l i c h aus den unteren Bevölkerungsschichten des flachen Landes u n d der v o r w i e g e n d kleineren Städte, hingegen d o m i n i e r t e u n t e r den Offizieren i n h e r k ö m m l i cher Weise der Adel. B ü r g e r l i c h e n w a r der Z u g a n g z u Offizierstellen z w a r n i c h t v e r w e h r t , doch b l i e b i h r A n t e i l r e l a t i v gering, w e i l ein n u m e r i s c h bedeutsames W i r t s c h a f t s b ü r g e r t u m fehlte u n d v o n den Söhnen der i m H o f u n d Staatsdienst t ä t i g e n Bürger n u r vergleichsweise wenige i n den M i l i t ä r dienst traten, z u m a l i h n e n schon mangels finanzieller M i t t e l e i n rascher A u f s t i e g erschwert w a r . A l l e r d i n g s k o n n t e n bürgerliche Offiziere v e r h ä l t nismäßig leicht den Adelsstand erlangen, was m i t u n t e r irreführende R ü c k schlüsse begünstigt hat. A u s solchen F a m i l i e n ohne nennenswertes V e r m ö gen, die auf den Staatsdienst angewiesen waren, gingen oft über mehrere Generationen Offiziere hervor, die d u r c h i h r e B i n d u n g an die Dynastie zugleich dem Z u s a m m e n h a l t

des habsburgischen

Staatenkonglomerats

dienten u n d dessen U m f o r m u n g z u einem Gesamtstaat m i t t r u g e n .

Die

A n z i e h u n g s k r a f t des kaiserlichen Kriegsdienstes, die i n den Auseinandersetzungen m i t dem Osmanischen Reich n i c h t n u r viele Adelige aus den verschiedenen habsburgischen L a n d e n u n d aus zahlreichen Reichsterritorien, sondern auch aus anderen europäischen Staaten i n die Feldlager führte, spiegelt sich i n den Offizieren der n u n rasch v e r s t ä r k t e n S t r e i t m a c h t w i d e r . D i e Heerführer e n t s t a m m t e n z u einem erheblichen T e i l dem Hochadel, w o b e i die Reichsfürsten f r e i l i c h d o m i n i e r t e n ; deren politisches u n d m i l i t ä r i sches Engagement mußte der Kaiser indes h ä u f i g m i t höheren Befehlshaberstellen h o n o r i e r e n 7 8 , was die K r i e g f ü h r u n g bei ungenügender E r f a h r u n g u n d mangelndem Talent dieser H e r r e n w i e d e r h o l t behinderte u n d manchen Fehlschlag verursachte. U n t e r den Regimentskommandeuren scheint die nationale u n d landsmannschaftliche V i e l f a l t besonders groß gewesen zu sein. W i e a n h a n d der Analyse der 1683 z u m Entsatz Wiens eingesetzten E i n heiten zu folgern ist, w a r e n hier die fremden Befehlshaber e i n d e u t i g i n der Überzahl, u n t e r denen sich w i e d e r u m jene aus den nichthabsburgischen Reichsterritorien u n d aus dem A u s l a n d i n etwa die Waage h i e l t e n 7 9 . Offen™ s. Redlich (Anm. 13), 113f. 79 s. dazu Thomas M. Barker, Army, Aristocracy, Monarchy: Essays on War, Society, and Government in Austria, 1618-1780, New York 1982, 15ff., dem auch Corvisier, Armies and Societies (Anm. 12), 104, folgt. Bei diesen Angaben scheinen jedoch Truppenkörper von Reichsständen oder -kreisen miterfaßt zu sein, so daß die Erkenntnisse lediglich den Trend anzeigen.

112

Bernhard Sicken

s i c h t l i c h m i e d die inländische A r i s t o k r a t i e , v o r a l l e m w e n n sie über e i n t r ä g l i c h e n Grundbesitz verfügte, eher den M i l i t ä r d i e n s t , der m a n c h e m als I n s t r u m e n t z u r D u r c h s e t z u n g des A b s o l u t i s m u s erscheinen mochte u n d f o l g l i c h t r a d i e r t e landständische Rechte gefährdete. Diese Reserve b o t den Fremden, h a u p t s ä c h l i c h A d e l i g e n aus dem Reichsgebiet, gute Chancen z u m Aufstieg, z u m a l die Beziehungen m i t den süd- u n d westdeutschen T e r r i t o r i e n u n d der Reichsritterschaft o h n e h i n eng waren. Andererseits m a c h t e n die v i e l f ä l t i g e n personellen u n d i n f o r m e l l e n Beziehungen verständlich, daß sich die S t r e i t k r ä f t e dieser Fürsten u n d Stände bei i h r e m A u f - u n d Ausbau, soweit es die beschränkten Verhältnisse zuließen, d u r c h w e g a m kaiserlichen V o r b i l d orientierten; h i e r z u t r u g n i c h t zuletzt die enge K o o p e r a t i o n m i t habsburgischen Regimentern i n den Reichskriegen oder als S u b s i d i e n t r u p pen bei. D i e kaiserlich-österreichischen S t r e i t k r ä f t e w u r d e n demnach v o n Befehlshabern k o m m a n d i e r t , die m e h r als i n anderen Staaten nach ihrer landsmannschaftlichen u n d n a t i o n a l e n H e r k u n f t gemischt waren. I n einigen Regimentern d o m i n i e r t e n außerdem die fremdsprachigen Soldaten, denn z u m habsburgischen Besitz gehörten auch größere T e r r i t o r i e n i m r o m a n i schen, slawischen u n d finnisch-ugrischen Sprachgebiet. Aus dieser V i e l f a l t erwuchsen indes keine gravierenden Schwierigkeiten, w e i l die m i l i t ä r i s c h e n S t r u k t u r e n b e k a n n t l i c h f ü r ein hohes Maß an Gleichheit sorgten u n d die d o k t r i n ä r erstarrte K r i e g s k u n s t f ü r die Schlacht u n d bei Belagerungen k a u m noch V a r i a n t e n kannte, die n i c h t längst z u m A l l g e m e i n g u t geworden waren. Deshalb k o n n t e F r a n k r e i c h , so sei angefügt, auch ohne E i n b u ß e n an Schlagkraft seinen Heeren Fremdenregimenter einverleiben, u n d k o n n t e n die Seemächte ihre S t r e i t k r ä f t e d u r c h zahlreiche u n d vielherrige K o n t i n gente i n den K r i e g e n gegen F r a n k r e i c h auffüllen. D i e D e c k u n g des umfangreichen Ausrüstungsbedarfs der S t r e i t k r ä f t e u n d ihres Ersatzbedarfs nach verlustreichen K ä m p f e n h a t i n der Forschung über den Pfälzischen u n d den Spanischen E r b f o l g e k r i e g b i s l a n g w e n i g A u f m e r k samkeit gefunden 8 0 , so daß k a u m m e h r als p u n k t u e l l e Erkenntnisse über einige P r o d u k t i o n s s t ä t t e n u n d l e d i g l i c h generelle Beobachtungen zur w i r t schaftlichen, technischen oder o r g a n i s a t o r i s c h - i n s t i t u t i o n e l l e n

Entwick-

l u n g vorliegen. B e k a n n t ist dagegen, daß F r a n k r e i c h i n jener Epoche staatliche p r o t o i n d u s t r i e l l e Rüstungsbetriebe errichtet u n d i n den Arsenalen stattliche Vorräte angehäuft hat, die den Bedarf zusätzlicher

Truppen

sicherstellen k o n n t e n 8 1 . D a m i t hatte sich der ludovizianische Staat n i c h t n u r weitgehend v o n E i n f u h r e n u n a b h ä n g i g gemacht - v o n einigen Rohstoffen w i e B l e i u n d Salpeter e i n m a l abgesehen 8 2 - , sondern auch d u r c h die 80 Vgl. dazu die kritischen Bemerkungen zum Forschungsstand bei Bernhard R. Kroener, Vom „extraordinari Kriegsvolck" zum „miles perpetuus". Zur Rolle der bewaffneten Macht in der europäischen Gesellschaft der Frühen Neuzeit. Ein Forschungs- und Literaturbericht, in: MGM 43 (1988), 171. 81 s. zusammenfassend Corvisier, La France (Anm. 9), 147 ff.

Heeresaufbringung und Koalitionskriegführung

113

K o n z e n t r a t i o n v o n Fachleuten gute Voraussetzungen f ü r technische Verbesserungen u n d m i t den großen Fertigungsstätten die n ö t i g e n K a p a z i t ä t e n f ü r eine Massenfertigung leistungsfähigerer Waffen geschaffen. M i t diesem systematischen A u s b a u der R ü s t u n g k o n n t e n die anderen Staaten - läßt m a n die W e r f t e n f ü r den Kriegsschiffbau u n d die W e r k s t ä t t e n f ü r die nötige A r m i e r u n g außer B e t r a c h t - n i c h t m i t h a l t e n , w e i l die Nachfrage schon auf G r u n d der Heeresstärken u m ein Vielfaches geringer w a r u n d überdies die s t a a t l i c h - a d m i n i s t r a t i v e n S t r u k t u r e n eine analoge E n t w i c k l u n g ausschlossen. Insgesamt scheinen die k l e i n e r e n Betriebe i n den anderen L ä n d e r n , m o c h t e n sie h a n d w e r k l i c h - z ü n f t i g organisiert sein oder als p r i v i l e g i e r t e M a n u f a k t u r firmieren, die Nachfrage aber befriedigt z u haben, da die m e t a l l g e w e r b l i c h e n Z e n t r e n u m L ü t t i c h , Suhl, N ü r n b e r g , Brescia, i n K ä r n ten u n d Steiermark etc. durchaus i n der Lage waren, b i n n e n k u r z e r Z e i t einige tausend Musketen, K a r a b i n e r , Degen, Bajonette etc. z u liefern; zudem scheint der Waffenhandel recht leistungsstark gewesen z u sein u n d kurzfristige L i e f e r s c h w i e r i g k e i t e n ausgeglichen zu h a b e n 8 3 . D a r ü b e r hinaus lagerten i n den landesherrlichen Zeughäusern meist umfangreiche Bestände an Rüstungsgütern, die z w a r oft ü b e r a l t e r t u n d n u r noch b e d i n g t v e r w e n dungsfähig waren, doch zumindest zur Ü b e r w i n d u n g p r o d u k t i o n s b e d i n g t e r oder finanzieller Engpässe h e r h a l t e n konnten, bis eine feldgerechte A u s r ü stung m ö g l i c h w a r , die u n t e r U m s t ä n d e n auch aus der E i n n a h m e feindlicher Waffenplätze stammen konnte. O b w o h l d a d u r c h die E i n h e i t l i c h k e i t der Bewaffnung, die die Kriegsherren i n i h r e n V o r s c h r i f t e n i m m e r w i e d e r f o r derten, i n manchen Details i n Frage gestellt w u r d e 8 4 , w a r e n die Folgen f ü r die Schlagkraft schon deshalb gering, w e i l die n a c h w i e v o r h a n d w e r k l i c h e F e r t i g u n g o h n e h i n z u erheblichen Toleranzen f ü h r t e u n d z.B. bei den Schußwaffen auch bei F e r t i g u n g nach M o d e l l k a u m m e h r als die verlangte K a l i b e r g l e i c h h e i t eingehalten w e r d e n k o n n t e ; ein Austausch v o n W a f f e n t e i len w a r deswegen vielfach u n m ö g l i c h . M i t solchen S c h w i e r i g k e i t e n hatte erst recht die A r t i l l e r i e z u kämpfen, da bei den Geschützen herstellungsbe82

61 f.

George Clark, War and Society in the Seventeenth Century, Cambridge 1958,

83

Zwar ergingen im Krieg regelmäßig Handelsverbote oder -beschränkungen, die dem Gegner insbesondere die Zufuhr kriegswichtiger Waren abschneiden sollten, doch scheinen diese nur bedingt eingehalten worden zu sein, da die wirtschaftlichen Interessen der Alliierten erheblich divergierten. So setzte sich beispielsweise England im Pfälzischen und im Spanischen Erbfolgekrieg für strenge Handelssperren gegen Frankreich ein, während die Republik der Niederlande bezeichnenderweise eine maßvolle, den Handelskreisen entgegenkommende Haltung einnahm, s. dazu Anderson (Anm. 12), 147; Andrew Lossky, International Relations in Europe, in: J. S. Bromley (Ed.), The Rise (Anm. 8), 174f., 187f., und A. J. Veenendaal, The War of the Spanish Succession in Europe, in: J. S. Bromley [wie vorstehend], 419. Zur wirtschaftlichen Haltung des Reichs siehe auch Fritz Blaich, Die Wirtschaftspolitik des Reichstags im Heiligen Römischen Reich. Ein Beitrag zur Problemgeschichte wirtschaftlichen Gestaltens (Schriften zum Vergleich von Wirtschaftsordnungen, 16), Stuttgart 1970, 116 ff. 84 s. Anderson (Anm. 12), 105, und für die Kreistruppen Sicken (Anm. 16), I, 188 ff. 8 Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 11

114

Bernhard Sicken

d i n g t die A b w e i c h u n g e n r e l a t i v groß waren, selbst w e n n der Bedarf i n den S t a n d a r d g a t t u n g e n i m Serienguß gefertigt w u r d e . Z u r F a b r i k a t i o n v o n Geschützen dienten d u r c h w e g staatliche Gießereien, die vielfach m i t einem Zeughaus v e r b u n d e n waren, was sich personell anbot u n d f ü r die W a r t u n g sowie das Einschmelzen alter Rohre f ü r Neugüsse als v o r t e i l h a f t erwies. Verläßliche q u a n t i t a t i v e A n g a b e n über die Stärke der Heere i n den K r i e gen u m die Wende v o m 17. z u m 18. J a h r h u n d e r t s i n d k a u m zu e r m i t t e l n ; denn die Sollzahlen, die e t w a i n den Anschlägen der Kriegsherren u n d i h r e r Behörden oder i n den Ansätzen gegenüber den Verbündeten bei den F e l d z u g s p l a n u n g e n z u f i n d e n sind, w e i c h e n v o n d e n I s t z a h l e n o f t m e r k l i c h ab. Derartige Differenzen s i n d n i c h t i n jedem F a l l auf eine Täuschung der Koalitionspartner oder auf gewinnsüchtige M a n i p u l a t i o n e n der Befehlshaber zurückzuführen, w i e m a n c h m a l vorschnell gefolgert w i r d , sondern h ä u f i g d u r c h das U n v e r m ö g e n zur rechtzeitigen A u f b r i n g u n g der Truppen, d u r c h unvorhersehbare Ausfälle oder andere Ursachen bedingt, die f ü r die Heeress t r u k t u r jener Epoche t y p i s c h sind. A u c h Rückschlüsse a n h a n d der Z a h l der etwa i n einer K a m p a g n e oder bei einem Treffen eingesetzten Regimenter f ü h r e n zu k e i n e n gesicherten Erkenntnissen, da b e k a n n t l i c h deren Person a l u m f a n g schon nach den R i c h t w e r t e n stark schwankte, u n d selbst der Rückgriff

etwa

auf

Abrechnungen

über

Brot-

und

Fourageportionen

gewährt k e i n e n k l a r e n E i n b l i c k , unterschieden sich doch die Ansprüche je nach Charge e r h e b l i c h 8 5 . D i e folgenden A n g a b e n z u r Personalstärke k ö n n e n somit n i c h t m e h r als Größenordnungen m a r k i e r e n u n d darüber hinaus a n h a n d der P r o p o r t i o n e n l e d i g l i c h andeuten, welche L a s t e n die an den l a n g j ä h r i g e n Auseinandersetzungen b e t e i l i g t e n Staaten u n d T e r r i t o r i e n übernahmen. I m Pfälzischen E r b f o l g e k r i e g zählte das Heer Frankreichs zeitweise u m 400 000 M a n n 8 6 , v o n denen v e r m u t l i c h über z w e i D r i t t e l i m Feldeinsatz standen. Dagegen k o n n t e die Große A l l i a n z schätzungsweise 320 000 bis 350 000 M a n n aufbieten; E n g l a n d m i t r u n d 80 000 M a n n , die R e p u b l i k der Niederlande m i t über 70 000 M a n n u n d das Haus Österreich m i t ungefähr 50 000 M a n n stellten den L ö w e n a n t e i l 8 7 , w o b e i allerdings zu b e r ü c k s i c h t i gen ist, daß der Kaiser zusätzlich i n einen K r i e g m i t d e m Osmanischen Reich v e r w i c k e l t w a r . D i e S t r e i t k r ä f t e der anderen Verbündeten w a r e n m e r k l i c h schwächer; das g i l t gleichermaßen f ü r Spanien u n d Savoyen u n d erst recht f ü r das H e i l i g e Römische R e i c h 8 8 , da es mancher Reichsstand vorgezogen 85

Vgl. Chandler, The Art of Warfare (Anm. 47), 15. Anderson (Anm. 12), 83; Chandler, The Art of Warfare (Anm. 47), 30, veranschlagt für das Jahr 1693 sogar 440 000 Mann. 87 s. Childs (Anm. 12), 42, und Kennedy (Anm. 7), 99; zum Teil abweichende Angaben finden sich bei Anderson (Anm. 12), 85. 88 Über den genauen Umfang des Reichsheeres besteht keine Klarheit; im wesentlichen sind hierzu die Truppen der Reichskreise zu rechnen, die ab 1692 mindestens 24 000 Mann zählten, die allein von den Kreisen Franken und Schwaben unterhalten 86

Heeresaufbringung und Koalitionskriegführung

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hatte, größere T r u p p e n k o n t i n g e n t e gegen Subsidien den Seemächten oder dem Kaiserhaus zu überlassen. I m Spanischen E r b f o l g e k r i e g ist v o n vergleichbaren Truppenmassen auszugehen. A l l e r d i n g s bereitete es F r a n k r e i c h jetzt große Mühe, nochmals ein überstarkes Heer aufzubringen u n d Jahr u m Jahr zu k o m p l e t t i e r e n , so daß einerseits zur R e k r u t i e r u n g z u einem erheblichen T e i l auf M i l i z a n g e h ö r i g e zurückgegriffen w e r d e n m u ß t e 8 9 u n d andererseits der effektive S t a n d sank, der n a c h mehreren verlorenen Schlachten i m Jahr 1710 z w a r noch n o m i n e l l ca. 360 000 M a n n betrug, v o n denen anscheinend aber eine große Quote n i c h t oder n u r b e d i n g t feldverwendungsfähig w a r 9 0 . R ü c k h a l t an seinen Verbündeten f a n d L u d w i g X I V . n i c h t ; i m Gegenteil, diese benötigten ihrerseits U n t e r s t ü t z u n g , da sich P h i l i p p V. i n Spanien lange Z e i t n u r m i t französischer H i l f e behaupten k o n n t e 9 1 u n d die K u r f ü r stentümer K ö l n (1703) u n d B a y e r n (1704) i n die H a n d der Gegner gefallen waren. A u f Seiten der erneuerten Großen A l l i a n z m o b i l i s i e r t e n jetzt E n g l a n d r u n d 75 000 M a n n , die R e p u b l i k der Niederlande über 100 000 M a n n u n d das Haus Österreich ebenfalls ca. 100 000 M a n n 9 2 , zu denen sich n o c h die T r u p p e n weiterer Verbündeter gesellten, u n t e r i h n e n jene Savoy ens (seit 1703), Portugals,

Brandenburg-Preußens

u n d des H e i l i g e n

Römischen

Reichs; viele reichsständische Regimenter standen allerdings als Subsidient r u p p e n w i e d e r i m S o l d der Seemächte. Q u a n t i t a t i v h a t t e n die S t r e i t k r ä f t e der A l l i a n z n u n offenbar ein Ü b e r g e w i c h t . D i e umfassenden K o a l i t i o n e n , die sich 1688/89 u n d 1701 aus a k t u e l l e m Anlaß gegen die K r o n e F r a n k r e i c h bildeten, s i n d als Reaktionen auf das Streben L u d w i g s X I V . n a c h Hegemonie zu verstehen, denn o f f e n k u n d i g k o n n t e dem B o u r b o n e n k e i n Staat ohne den Beistand anderer M ä c h t e widerstehen. Diese Auseinandersetzungen f i r m i e r t e n propagandistisch auf Seiten der Verbündeten als K a m p f gegen eine drohende U n i v e r s a l m o n a r c h i e 9 3 , der m a n die Idee v o m G l e i c h g e w i c h t der K r ä f t e u n d somit ein p o l i t i wurden, und 1696/97 durch das Engagement weiterer Reichskreise auf 60 000 Mann aufgestockt werden sollten, ohne daß es aber zum Vollzug der Beschlüsse kam. Siehe Aloys Schulte, Markgraf Ludwig Wilhelm von Baden und der Reichskrieg gegen Frankreich 1693 - 1697, Bd. I: Darstellung, Heidelberg 1901, 74, 343; Sicken (Anm. 16), I, 89ff.; Storm (Anm. 33), 92ff.; Bernd Wunder, Die Kreisassoziationen 1672 1748, in: ZGO 128 (1980), 208ff. 89 Corvisier, La France (Anm. 9), 195 ff. 90 Corvisier, L'armée (Anm. 19), 55. Zu den Schwierigkeiten Marschall Villars', für den Feldzug des Jahres 1709 in Flandern ein kampfkräftiges Heer zu formieren, s. auch Claude C. Sturgill, Marshai Villars and the War of the Spanish Succession, Lexington 1965, 81 ff. 91 s. Kamen (Anm. 27), 58ff. 92 s. dazu Braubach, Bedeutung der Subsidien (Anm. 13), 170f.; Childs (Anm. 12), 40; Corvisier, Armies and Societies (Anm. 12), 113; Kennedy (Anm. 7), 99. Nach Wijn (Anm. 55), 24, unterhielt die Republik der Niederlande im Jahr 1702 nominell sogar 113 700 Mann. 93 s. Franz Bosbach, Monarchia universalis. Ein politischer Leitbegriff der frühen Neuzeit (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 32), Göttingen 1988, 107ff., 118f. 8*

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Bernhard Sicken

sches P r i n z i p z u r Gestaltung der Mächtebeziehungen entgegenstellte 9 4 , auf das sich die Vormächte u m so leichter verständigen konnten, als es den H a n d l u n g s s p i e l r a u m u n d f o l g l i c h die W a h r u n g der eigenen Interessen n i c h t u n m i t t e l b a r beschnitt. Das erleichterte den Abschluß eines Bündnisses u n d zugleich den B e i t r i t t vieler Staaten, denn eine B e d r o h u n g des Gleichgew i c h t s b l i e b f ü r keine M a c h t i n E u r o p a ohne Folgen u n d lieferte plausible Argumente, u m die A b w e h r als gemeinsame Sache auszugeben. E i n defensiver K a m p f gegen das Streben nach Vorherrschaft b z w . i m zeitgenössischen S p r a c h g e b r a u c h n a c h einer U n i v e r s a l m o n a r c h i e Schloß indes offensive Kriegsziele n i c h t aus, die einerseits auf die Durchsetzung eben dieses M ä c h tegleichgewichts gerichtet sein k o n n t e n , andererseits aber - insbesondere bei günstigem Verlauf der Auseinandersetzungen - m i t sich ausweitenden t e r r i t o r i a l e n , dynastischen oder w i r t s c h a f t l i c h e n Forderungen v e r k n ü p f t sein k o n n t e n , die ihrerseits gewichtige Machtverschiebungen bedeuteten u n d demnach die ideelle u n d politische Basis untergruben, auf die das B ü n d n i s gegründet w a r . Das K o n z e p t v o n der Balance der K r ä f t e k o n n t e sich d a n n gegen den einen oder anderen seiner Protagonisten wenden, i n d e m es zur B e g r ü n d u n g eines K o m p r o m i ß f r i e d e n s diente oder z u r V e r t e i d i g u n g eines vertragswidrigen, jedoch v o r t e i l h a f t e n Separatfriedens herangezogen w u r d e , u m das angebliche oder tatsächliche Ü b e r g e w i c h t einer M a c h t z u verhindern, die n o c h u n m i t t e l b a r zuvor A l l i a n z p a r t n e r gewesen w a r . Trotz i m m e r wiederkehrender Bündnisbestimmungen, die Separatabmachungen m i t dem Gegner ausschlossen, w a r e n solche Vereinbarungen jedoch eher die Regel als die Ausnahme. D u r c h w e g k a m es n ä m l i c h z u r K r i s e i m B ü n d n i s oder gar z u m einseitigen B r u c h der Abmachungen, falls w i e d e r h o l t Rückschläge i n den m i l i t ä r i s c h e n Auseinandersetzungen einzustecken waren, w e i l die gemeinsamen G r u n d l a g e n größeren Belastungen i n den meist n a c h Verfassung, M a c h t u n d Interessen heterogenen K o a l i t i o n e n n u r selten standhielten. D i e vage politische F o r m e l v o m K a m p f gegen eine drohende U n i v e r s a l m o n a r c h i e bzw. f ü r ein K r ä f t e g l e i c h g e w i c h t , die den B e i t r i t t vieler M ä c h t e m i t recht unterschiedlichen Vorstellungen ermöglicht hatte, eignete sich insbesondere d a n n n i c h t zur K l a m m e r f ü r eine A l l i a n z , w e n n die Vertragspartner

ihre A n s p r ü c h e oder Interessen übergangen

w ä h n t e n oder diese gar verletzt zu sein schienen 9 5 . D i e verschiedensten G r ü n d e u n d V o r w ä n d e m u ß t e n sodann herhalten, u m die L ö s u n g aus der K o a l i t i o n zu rechtfertigen; i n erster L i n i e berief m a n sich h i e r b e i auf ein generell b ü n d n i s w i d r i g e s V e r h a l t e n oder auf ein ungenügendes m i l i t ä r i 94 Bosbach (Anm. 93), 116f., 120f.; Heinz Duchhardt, Westfälischer Friede und internationales System im Ancien Regime, in: HZ 249 (1989), 536ff.; ders., Die Glorious Revolution und das internationale System, in: Francia. Forschungen zur westeuropäischen Geschichte 16/11: Frühe Neuzeit - Revolution - Empire 1500- 1815 (1989), 34f. 95 s. auch Jehuda L. Wallach, Suggestions for a Typology of Coalition Warfare, in: Forces armées et systèmes des alliances (Anm. 20), vol. I, 19.

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sches Engagement der Vertragspartner. Diese V o r w ü r f e w a r e n insofern meist n i c h t v o n der H a n d z u weisen, als es bei der gemeinsamen W i l l e n s b i l dung u n d konkreten Zusammenarbeit immer wieder objektive Schwierigk e i t e n gab; auch die s u b j e k t i v e n Vorbehalte der Herrscher, Staatsmänner u n d Heerführer untereinander d ü r f e n n i c h t unterschätzt werden. Daraus w i e d e r u m k o n n t e eine geschickte gegnerische D i p l o m a t i e vielfachen N u t z e n ziehen, w i e die U n t e r h ä n d l e r L u d w i g s X I V . i n den Jahren 1697 u n d 1711 bis 1714 e i n d r u c k s v o l l demonstrierten. D i e sich i m Jahr 1689 formierende Große A l l i a n z , die aus einem Defensivu n d Offensivbündnis zwischen der Casa d ' A u s t r i a u n d der R e p u b l i k der Niederlande h e r v o r g i n g u n d v o n v o r n h e r e i n den B e i t r i t t w e i t e r e r Staaten, insbesondere Englands u n d Spaniens anstrebte u n d erreichte, erweiterte sich b e k a n n t l i c h i n den folgenden Jahren u. a. u m Savoyen, B r a n d e n b u r g Preußen, Bayern, B r a u n s c h w e i g - L ü n e b u r g , Sachsen u n d schließlich noch die Assoziation der Reichskreise F r a n k e n u n d Schwaben. Dieses m a c h t m ä ßig heterogene B ü n d n i s h a t t e sich z u m Z i e l gesetzt 9 6 , n i c h t n u r den A n g r i f f Frankreichs abzuwehren, sondern auch die R ü c k k e h r z u m t e r r i t o r i a l e n u n d r e c h t l i c h e n Besitzstand b e i Abschluß des Westfälischen Friedens u n d des Pyrenäenfriedens durchzusetzen. D e m n a c h sollte die K r o n e F r a n k r e i c h v o r d e r g r ü n d i g u n t e r B e r u f u n g auf eine Friedensordnung b e k ä m p f t werden, die sich längst als u n h a l t b a r erwiesen h a t t e u n d zunehmend den Charakter einer f o r m e l h a f t gebrauchten W e n d u n g annahm, je m e h r das Gleichgew i c h t s p r i n z i p zur „Basis des staatlichen N e b e n e i n a n d e r " w u r d e u n d d a n n „ i n die F u n k t i o n eines w i r k l i c h e n Ordnungsfaktors h i n e i n w u c h s " 9 7 . Daher w a r auf eine R e s t i t u t i o n der t e r r i t o r i a l e n Verluste, die seit 1648 bzw. 1659 v o r a l l e m das Reich u n d Spanien e r l i t t e n h a t t e n u n d deren W i e d e r g e w i n n m a n c h e m t a t s ä c h l i c h als aussichtsreiches Z i e l erscheinen mochte, k a u m z u hoffen, w e i l eine solche Rückgabe ohne größere Machtverschiebungen z u Lasten Frankreichs n i c h t z u e r w a r t e n u n d somit an eine Voraussetzung gebunden w a r , die ihrerseits das G l e i c h g e w i c h t s p r i n z i p i n Frage stellte, w e n n n i c h t gefährdete. V o n derartigen Bedenken oder V o r b e h a l t e n gegenüber den w e i t gesteckt e n Z i e l e n w a r i n den B ü n d n i s v e r e i n b a r u n g e n n a t ü r l i c h n i c h t die Rede. S t a t t dessen sagten die A l l i i e r t e n einander den Einsatz aller i h r e r S t r e i t k r ä f t e z u L a n d u n d zu Wasser zu, schlossen Friedensverhandlungen ohne wechselseitige Z u s t i m m u n g u n d B e r ü c k s i c h t i g u n g i h r e r A n s p r ü c h e aus u n d e r k l ä r t e n generell, die Interessen des Partners nach K r ä f t e n f ö r d e r n z u w o l len. Ü b e r diese allgemeinen Zusicherungen hinausgehende k o n k r e t e V e r 96 s. Österreichische Staatsverträge. Niederlande I, bearbeitet von Heinrich Ritter von Srbik (Veröffentlichungen der Kommission für neuere Geschichte Österreichs, 10), Wien 1912, 271 ff. 97 Duchhardt, Westfälischer Friede (Anm. 94), 536.

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p f l i c h t u n g e n e n t h i e l t der A l l i a n z v e r t r a g n i c h t . Also gründete sich das B ü n d nis auf den Konsens über die A b w e h r der aggressiven französischen P o l i t i k , deren Gefahren i m ü b r i g e n als so groß eingeschätzt w u r d e n , daß ein Defensivbündnis auch nach Friedensschluß als w e i t e r h i n unerläßlich galt u n d sogleich zwischen dem Kaiser u n d den N i e d e r l a n d e n abgeschlossen w u r d e . Substantielle Absprachen über die A r t u n d Weise der K o o p e r a t i o n - v o n Zusagen über eine enge K o m m u n i k a t i o n z u r zweckmäßigen K r i e g f ü h r u n g u n d U n t e r r i c h t u n g über das Vorgehen abgesehen - fehlen i n dem Vertrag; gemeinsame Gremien z u r K o o r d i n a t i o n der Operationen w a r e n n i c h t v o r gesehen. Dieser V e r z i c h t erleichterte zweifellos den Zusammenschluß, er k o n n t e andererseits aber z u m s t r u k t u r e l l e n D e f i z i t werden, sobald sich das politische E i n v e r n e h m e n l o c k e r n oder die E i n s c h ä t z u n g der v o m Gegner ausgehenden B e d r o h u n g ändern sollte. Hingegen w a r v o n v o r n h e r e i n festgelegt, daß S t r e i t i g k e i t e n zwischen den Vertragschließenden über Besitz, Rechte u n d A n s p r ü c h e g r u n d s ä t z l i c h auf f r i e d l i c h e m Weg d u r c h K o m m i s sionen oder Beauftragte beizulegen seien, w o m i t ein Weg gewiesen w a r , der selbstverständlich auch zur besseren Zusammenarbeit genutzt w e r d e n konnte. Tatsächlich w u r d e auf D r ä n g e n K ö n i g W i l h e l m s I I I . , der auf G r u n d der sich b a l d abzeichnenden S c h w i e r i g k e i t e n ein G r e m i u m zur K o o r d i n a t i o n der P o l i t i k u n d K r i e g f ü h r u n g f ü r d r i n g e n d erforderlich hielt, ein Gesandtenkongreß i m H a a g einberufen, der M i t t e M ä r z 1690 zusammentrat u n d bis z u m Kriegsende t ä t i g w a r 9 8 . A n diesen Z u s a m m e n k ü n f t e n n a h m e n die Vertreter der m i n d e r m ä c h t i g e n A l l i i e r t e n ebenfalls teil, deren M i t s p r a c h e die Großmächte z w a r m i t Skepsis betrachteten, die sie jedoch i n der H o f f n u n g auf einen u m so t a t k r ä f t i g e r e n Einsatz i m K a m p f gegen F r a n k r e i c h 9 9 sowie z u r W a h r u n g des Bündniszusammenhalts akzeptierten. Größere B e d e u t u n g b l i e b diesen Beratungen allerdings versagt, w e i l es die Vormächte an der nötigen Verständigungsbereitschaft

fehlen ließen u n d über die Schwer-

p u n k t e der K r i e g f ü h r u n g U n e i n i g k e i t bestand. So verlangten e t w a die Seemächte v o n der Casa d ' A u s t r i a eine B e f r i e d u n g Ungarns u n d suchten d a r über hinaus ein Ende des Türkenkriegs z u v e r m i t t e l n , u m weitere S t r e i t k r ä f t e z u m K a m p f gegen F r a n k r e i c h verfügbar zu machen, w ä h r e n d die Wiener H o f b u r g ihrerseits den V e r b ü n d e t e n v o r w a r f , die nötige T a t k r a f t i m F e l d vermissen z u lassen u n d dafür die Rückschläge bei Fleurus, Steenkerk e n 9 9 a u n d N e r w i n d e n z u m Beweis nahm. D o c h n i c h t n u r solche D i v e r g e n zen belasteten die Haager Z u s a m m e n k ü n f t e , sondern auch über die Z u s t ä n d i g k e i t e n u n d A u f g a b e n bestand U n k l a r h e i t ; außerdem w a r e n die Gesand98 s. dazu Stephen B. Baxter, William III, London 1966, 288; Lossky (Anm. 83), 171 f.; Clark (Anm. 12), 237f. 99 s. Österreichische Staatsverträge. Niederlande I (Anm. 96), 289 ff. 99a Nach Baxter (Anm. 98), 304f., endete die Schlacht bei Steenkerken dagegen mit einem bedingten Erfolg Wilhelms III.

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ten, denen m i l i t ä r i s c h w e i t g e h e n d die Fachkompetenz u n d erst recht die A u t o r i t ä t fehlte, v o n i h r e n H ö f e n bzw. Regierungen weisungsabhängig u n d mancher ohne größeren E i n f l u ß auf die Beratungen i n der heimischen Z e n trale. Sieht m a n v o n gelegentlichen Vereinbarungen über die V e r t e i l u n g v o n W i n t e r q u a r t i e r e n u n d v o n einer R e g e l u n g 1 0 0 z u m Schutz der m i t t e l - u n d niederrheinischen Gebiete i m Jahr 1693 d u r c h die T r u p p e n der reichsständischen Verbündeten e i n m a l ab, so f ü h r t e n die Konferenzen i m H a a g über einen u n v e r b i n d l i c h e n Informationsaustausch offenbar n i c h t hinaus. Sie erfuhren auch keine A u f w e r t u n g d u r c h die Friedenssondierungen, die seit 1693 n i c h t m e h r abrissen u n d den Haager Kongreß w i e d e r h o l t beschäftigt e n 1 0 1 , da diesen Vorschlägen u n d Anregungen l e d i g l i c h eine ablenkende, w e n n n i c h t gar eine täuschende F u n k t i o n zufiel, w u r d e n die t a t s ä c h l i c h w i c h t i g e n Gespräche doch insgeheim an anderen O r t e n u n d ohne Wissen der M i t a l l i i e r t e n geführt. V o n der Bedeutungslosigkeit der Haager Beratungen k ü n d e t darüber hinaus, daß sich i n W i e n schließlich u n t e r F e d e r f ü h r u n g habsburgischer M i n i s t e r u n d B e t e i l i g u n g v o n Gesandten der Verbündeten ein zweites, informelles B e r a t u n g s g r e m i u m bildete, das die Operationen auf den verschiedenen Kriegsschauplätzen zu k o o r d i n i e r e n u n d das gemeinsame politische H a n d e l n sicherzustellen suchte. I n dieser K o n k u r r e n z spiegelt sich sowohl das Ringen u m E i n f l u ß zwischen dem Kaiser u n d den Seemächten als auch das wachsende G e w i c h t der südlichen Kriegsschauplätze. Z u g l e i c h demonstriert dieses B e m ü h e n u m i n f o r m e l l e Absprachen, daß eine K o o r d i n a t i o n des Vorgehens geboten w a r , w e n n sich die A l l i a n z gegen F r a n k r e i c h behaupten w o l l t e , m e h r noch, daß solche Z u s a m m e n k ü n f t e f ü r den Bestand des Bündnisses u m so w i c h t i g e r w u r d e n , je geringer das p o l i t i sche E i n v e r n e h m e n w a r . Diese E i n s i c h t f ü h r t e allerdings n i c h t z u r A u f w e r t u n g der Konferenzen i m H a a g oder i n Wien, geschweige denn zur E i n r i c h t u n g gemeinsamer politischer oder m i l i t ä r i s c h e r Gremien m i t nennenswerten Kompetenzen, sondern l e d i g l i c h zur formellen Erneuerung der A l l i a n z i m Sommer 1 6 9 5 1 0 2 . D a m i t sollte gegenüber F r a n k r e i c h E i n i g k e i t bewiesen u n d zudem wechselseitig die ungebrochene B ü n d n i s t r e u e u n t e r s t r i c h e n werden, u m das übergroße M i ß t r a u e n z u dämpfen, das d u r c h die Geheimverhandl u n g e n des Kaisers u n d der Seemächte m i t französischen Emissären l ä h m e n d w i r k t e u n d t a t s ä c h l i c h u m den Bestand des Bündnisses h a t t e f ü r c h t e n lassen. Nennenswerte I m p u l s e gingen v o n dieser E r n e u e r u n g f ü r die A l l i a n z jedoch n i c h t aus, denn die politische U n e i n i g k e i t b l i e b bestehen, die Z u s a m menarbeit w u r d e n i c h t i n t e n s i v i e r t u n d die h e i m l i c h e n Friedenssondierungen w u r d e n alsbald w i e d e r aufgenommen. Den A l l i i e r t e n fehlte i m Pfälzer Erbfolgekrieg sowohl eine strategische Ges a m t k o n z e p t i o n f ü r die Auseinandersetzungen m i t F r a n k r e i c h als auch Jahr 100 101 102

Österreichische Staats Verträge. Niederlande I (Anm. 96), 293 ff. Österreichische Staats Verträge. Niederlande I (Anm. 96), 306 ff. Österreichische Staats Verträge. Niederlande I (Anm. 96), 322 ff.

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u m Jahr eine v e r b i n d l i c h e Operationsplanung, u m das Vorgehen gegen den Gegner z u L a n d u n d zu Wasser zu koordinieren. D a die A l l i a n z die K ä m p f e aufnahm, ohne irgendwelche Absprachen über die K r i e g f ü h r u n g getroffen zu haben, u n d diesen M a n g e l i n den folgenden Jahren n i c h t auszuräumen vermochte, ließen die Feldzüge auf den verschiedenen Kriegsschauplätzen einen übergeordneten Z u s a m m e n h a n g vermissen. S o m i t w a r eine z w e c k m ä ßige K o m b i n a t i o n v o n Offensive u n d Defensive, die etwa den k o n z e n t r i e r t e n Einsatz v o n T r u p p e n i n einem Operationsschwerpunkt u n t e r vorübergehender S c h w ä c h u n g der K r ä f t e auf einem anderen Kriegsschauplatz erlaubte, v o n v o r n h e r e i n erschwert, w e n n n i c h t gar d u r c h die wachsende U n e i n i g k e i t ausgeschlossen. Z u diesen S c h w i e r i g k e i t e n t r u g e n zweifellos die A u s e i n a n dersetzungen auf z u m T e i l w e i t entlegenen u n d isolierten Kriegsschauplätzen bei; zu L a n d w u r d e n ä m l i c h i m südlichen V o r f e l d der Niederlande, i m M i t t e l - u n d Oberrheingebiet, i n Oberitalien, K a t a l o n i e n u n d zeitweise i n I r l a n d sowie z u r See v o r a l l e m i m K a n a l u n d i m w e s t l i c h e n M i t t e l m e e r gekämpft. Z w a r b l i e b e n Erfolge oder Mißerfolge h ü b e n oder d r ü b e n n i c h t ohne A u s w i r k u n g e n auf die anderen Kriegsschauplätze u n d f ü h r t e n gefährliche Rückschläge selbstverständlich z u Umdispositionen, doch handelte es sich hierbei u m erzwungene Reaktionen, die außerdem u n t e r den A l l i i e r t e n oft u m s t r i t t e n waren, n i c h t aber u m einen Ansatz v o n S t r e i t k r ä f t e n i n einem strategischen Konzept. V o n diesem D e f i z i t an P l a n u n g u n d K o o r d i n a t i o n k ü n d e n beispielsweise die Kontroversen zwischen dem Kaiser u n d den Seem ä c h t e n aus dem Jahr 16 9 3 1 0 3 , als die Wiener H o f b u r g drängte, die schwierige Lage i n O b e r i t a l i e n zu stabilisieren, sodann auf diesem Kriegsschaup l a t z die I n i t i a t i v e zu ergreifen u n d nach F r a n k r e i c h einzufallen, u m dem K r i e g v o n Piémont aus eine Wende z u geben, w ä h r e n d die R e p u b l i k der N i e derlande u n d E n g l a n d w e i t e r h i n dem K a m p f i m eigenen V o r f e l d den V o r r a n g z u b i l l i g t e n u n d hier - n i c h t zuletzt m i t Rücksicht auf die i n n e n p o l i t i sche Lage - eine E n t s c h e i d u n g suchten. D i e Seemächte w a r e n deshalb weder z u r p r i n z i p i e l l e n B e s c h r ä n k u n g auf die Defensive i n B r a b a n t u n d Flandern noch zur tatkräftigen, vor allem finanziellen Hilfeleistung zum K a m p f auf dem südlichen Kriegsschauplatz zu bewegen u n d ließen sich auch n i c h t d u r c h den H i n w e i s beeindrucken, daß die starken französischen Festungen i m N o r d w e s t e n einen raschen E r f o l g ausschlössen, h i n g e g e n die w e n i g e n F o r t i f i k a t i o n e n i m s a v o y i s c h - p i e m o n t e s i s c h e n

Grenzraum

unschwer z u ü b e r w i n d e n seien u n d deshalb einen D u r c h b r u c h e r m ö g l i c h ten. A u f der anderen Seite lehnte es L e o p o l d I. w i e d e r h o l t ab, den K r i e g gegen das Osmanische Reich z u beenden, solange die habsburgischen Posit i o n e n i n U n g a r n n i c h t gesichert waren, u n d verschloß sich demnach dem 103

s. Österreichische Staatsverträge, Niederlande I (Anm. 96), 306f., mit der Einleitung Η. v. Srbiks, und Weensche gezantschapsberichten van 1670 tot 1720,1, bearbeitet von G. von Antal/J. C. H. de Pater (Rijks geschiedkundige publicatien, 67), s'Gravenhage 1929, Nr. 255, 256. Vgl. auch Braubach, Prinz Eugen (Anm. 77), I, 195.

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Verlangen seiner Verbündeten n a c h K o n z e n t r a t i o n der K r ä f t e auf den K a m p f gegen den B o u r b o n e n s t a a t 1 0 4 . I m Gegenteil, der Kaiser w a r zeitweise sogar gezwungen, sein militärisches Engagement i m K r i e g gegen F r a n k r e i c h m e r k l i c h zu reduzieren, u m Mißerfolge i m Osten w e t t z u m a c h e n ; d a m i t l i e ferte er den A l l i i e r t e n plausible Argumente, ihrerseits einen größeren E i n satz abzulehnen. W a r die m i l i t ä r i s c h e Z u s a m m e n a r b e i t zwischen der Casa d ' A u s t r i a , E n g l a n d u n d der R e p u b l i k der Niederlande u n z u l ä n g l i c h , so galt das auch f ü r den Kaiser u n d die meisten Reichsstände. D e n n z u m einen verhalf den mächtigeren T e r r i t o r i a l h e r r e n der B e i t r i t t z u r Großen A l l i a n z zu einem erweiterten F r e i r a u m , den die a r m i e r t e n Reichsstände d u r c h Subsidienverträge zusätzlich auszudehnen verstanden, u n d z u m anderen zielten selbst die kleineren u n d k l e i n e n Reichsstände, die bisher i n erster L i n i e die Stütze u n d die K l i e n t e l des Reichsoberhaupts gebildet hatten, auf m e h r U n a b h ä n g i g k e i t v o n der Wiener P o l i t i k , i n d e m sie sich z u einer Kreisassoziation zusammenschlossen u n d S t r e i t k r ä f t e v o n ansehnlicher numerischer Stärke f o r m i e r t e n 1 0 5 . D i e Ü b e r n a h m e des K o m m a n d o s über die T r u p p e n der v o m Schwäbischen u n d F r ä n k i s c h e n Reichskreis i n i t i i e r t e n u n d i m wesentlichen getragenen Assoziation d u r c h den kaiserlichen Generalleutnant

Ludwig

W i l h e l m v o n B a d e n 1 0 6 zog der E i g e n s t ä n d i g k e i t z w a r Grenzen, wertete andererseits aber diese S t r e i t k r ä f t e auf u n d beschränkte zugleich die V e r f ü gungsgewalt des Reichsoberhauptes über dieses m i l i t ä r i s c h e Potential, über das der Wiener H o f zuvor meist n a c h G u t d ü n k e n disponiert hatte. Neben den Schwierigkeiten, die sich v o r a l l e m aus den Spannungen z w i schen dem Kaiser u n d den Seemächten ergaben, l i t t die K r i e g f ü h r u n g der A l l i i e r t e n u n t e r d e m Fehlen überragender Feldherren. U n t e r den kaiserl i c h e n H e e r f ü h r e r n t r a t e n weder K a r l v o n L o t h r i n g e n ( t 1690) noch M a x E m a n u e l v o n Bayern, weder L u d w i g W i l h e l m v o n Baden n o c h Eugen v o n Savoyen oder andere m i t I m p u l s e n hervor, die eine übergreifende,

die

K r ä f t e auf den verschiedenen Kriegsschauplätzen ins K a l k ü l einbeziehende realitätsnahe Strategie erkennen lassen. A u c h K ö n i g W i l h e l m I I I . , der an der Spitze der englischen u n d der niederländischen S t r e i t k r ä f t e s t a n d 1 0 7 , als roi-connétable

eine stattliche S t r e i t m a c h t befehligte u n d i n einer ver-

gleichsweise günstigen Position w a r , b l i e b als Heerführer den K a t e g o r i e n der h e r k ö m m l i c h e n O p e r a t i o n s f ü h r u n g v e r h a f t e t 1 0 8 . E r vermochte zudem den Einsatz der L a n d - u n d Seestreitkräfte n i c h t zielgerichtet z u k o o r d i n i e ren u n d mußte auf dem niederländischen Kriegsschauplatz, auf dem n a c h 104

Baxter (Anm. 98), 297; Clark (Anm. 12), 233f. Wunder, Kreisassoziationen (Anm. 88), 225ff.; s. zudem Storm (Anm. 33), 92ff. 106 Schulte (Anm. 88), 85 ff. ™ Clark (Anm. 12), 234, 236. 108 Vgl. etwa Baxter (Anm. 98), 290, 295, 311 ff. 105

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seiner A n s i c h t die Kriegsentscheidung f a l l e n w ü r d e , mehrere Niederlagen einstecken. D e r a r t i g e Rückschläge sowie die zeit- u n d k r ä f t e r a u b e n d e n Festungskämpfe, die i n B r a b a n t u n d F l a n d e r n die Feldzüge prägten, ließen auf habsburgischer Seite die K r i t i k n i c h t v e r s t u m m e n u n d den Kaiserhof w i e d e r h o l t m i t a l t e r n a t i v e n Vorschlägen f ü r die K r i e g f ü h r u n g hervortreten, die sich v o r a l l e m d a d u r c h auszeichneten, daß sie die habsburgischen I n t e r essen stärker berücksichtigten, die L a s t e n jedoch i n erster L i n i e den Verb ü n d e t e n zuwiesen. Z u einer Strategie, die dem Leistungsvermögen der A l l i i e r t e n u n d den p o l i t i s c h e n Vorstellungen v o m G l e i c h g e w i c h t der K r ä f t e angemessen w a r , f a n d die K o a l i t i o n n i c h t . Das Ringen u m das spanische Erbe ließ i m Jahr 1701 die A l l i a n z zwischen dem Kaiser u n d den Seemächten w i e d e r aufleben. D e r Habsburger sah sich n ä m l i c h d u r c h die P o l i t i k der B o u r b o n e n i n seinen E r b r e c h t e n grob verletzt, w ä h r e n d E n g l a n d u n d die R e p u b l i k der Niederlande fürchteten, daß der Ü b e r g a n g aller spanischen Besitzungen auf einen E n k e l L u d w i g s X I V . „ a d o p p r i m e n d a m Europae l i b e r t a t e m " f ü h r e n u n d überdies i h r e n H a n d e l e m p f i n d l i c h schmälern w e r d e 1 0 9 . N e u e r l i c h fanden sich somit die d r e i Großmächte u n d i n i h r e m Gefolge eine Reihe kleinerer Staaten zusammen, u m der hegemonialen P o l i t i k Frankreichs entgegenzutreten u n d - w i e es ausd r ü c k l i c h i n der b r i t i s c h e n K r i e g s e r k l ä r u n g hieß - „ l a balance de l ' E u r o p e " 1 1 0 zu verteidigen. Der A l l i a n z v e r t r a g v o m Spätsommer 1 7 0 1 1 1 1 k n ü p f t e i n den generellen B e s t i m m u n g e n an die A b m a c h u n g e n des Jahres 1689 an; er legte außerdem die A n s p r ü c h e der österreichischen Habsburger auf die italienischen Besitzungen Spaniens fest, sprach der R e p u b l i k der N i e d e r lande z u i h r e r Sicherheit eine Barriere i n den Spanischen N i e d e r l a n d e n z u 1 1 2 , r ä u m t e den Seemächten umfassende Handelsvorteile insbesondere i n den spanischen K o l o n i e n ein u n d e r k l ä r t e generell eine Regierung F r a n k reichs u n d Spaniens i n Personalunion f ü r unannehmbar. Dagegen fehlten genauere Regelungen über die politische u n d m i l i t ä r i s c h e Zusammenarbeit. Z w a r w u r d e ein v e r t r a u l i c h e r Meinungsaustausch über alle beabsichtigten u n d laufenden Kriegsoperationen sowie i n sonstigen gemeinsamen Angelegenheiten verlangt u n d z u d e m ein militärisches Engagement u n d wechselseitiger B e i s t a n d m i t a l l e n K r ä f t e n vorgeschrieben, doch w u r d e dieses Verlangen n i c h t präzisiert, geschweige d e n n die numerische Stärke der aufzubringenden S t r e i t k r ä f t e v e r b i n d l i c h festgelegt 1 1 3 . B e s t i m m u n g e n über die

109 Österreichische Staats Verträge. England I, bearbeitet von Alfred Francis Pribram (Veröffentlichungen der Kommission für neuere Geschichte Österreichs, 3), Innsbruck 1907, 227. 110 s. Duchhardt, Westfälischer Friede (Anm. 94), 540. 111 Österreichische Staatsverträge. England I (Anm. 109), 226ff. 112 Zur Geschichte der Barriere im Spanischen Erbfolgekrieg s. Werner Hahlweg, Barriere - Gleichgewicht - Sicherheit. Eine Studie über die Gleichgewichtspolitik des Staatensystems in Europa 1648 - 1715, in: HZ 187 (1959), 72ff.

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A r t u n d Weise der gegenseitigen I n f o r m a t i o n e n u n d erst recht über die K o o r d i n a t i o n der Operationspläne fehlten ebenfalls, o b w o h l m i t K ä m p f e n auf verschiedenen u n d entlegenen Kriegsschauplätzen z u rechnen w a r . Gemeinsame Gremien, die solche Vereinbarungen h ä t t e n vorbereiten u n d demnach die gebotene K o o p e r a t i o n erleichtern können, w a r e n n i c h t vorgesehen u n d w u r d e n auch später n i c h t errichtet, so daß w i e i m vorausgegangenen K r i e g der Z u s a m m e n h a l t i m B ü n d n i s p r i m ä r auf den p o l i t i s c h e n K o n sens gegründet w a r . T r o t z d e m bereitete die K o o p e r a t i o n zwischen den V o r m ä c h t e n i m S p a n i schen E r b f o l g e k r i e g über viele Jahre geringere S c h w i e r i g k e i t e n als zuvor, w e i l die p r i n z i p i e l l e Bereitschaft zur Z u s a m m e n a r b e i t außer Frage stand u n d die E r f a h r u n g e n aus dem Pfälzer E r b f o l g e k r i e g anscheinend n i c h t v e r gessen waren. D e n n z u m einen konzentrierte die Casa d ' A u s t r i a

ihre

Anstrengungen n u n auf die Auseinandersetzungen m i t F r a n k r e i c h , so daß ein früherer V o r w u r f weggefallen w a r ; außerdem u n t e r s t ü t z t e n die Seemächte - w e n n auch u n t e r massiver W a h r u n g i h r e r k o m m e r z i e l l e n I n t e r essen - den A n s p r u c h des Erzhauses auf die spanischen K e r n l a n d e u n d festigten somit den Pakt. Z u m z w e i t e n w a r die u n m i t t e l b a r i n i h r e r Sicherh e i t gefährdete R e p u b l i k der N i e d e r l a n d e j e t z t m e h r als i m P f ä l z i s c h e n E r b f o l g e k r i e g z u r engen m i l i t ä r i s c h e n Z u s a m m e n a r b e i t gezwungen, da m i t den Spanischen N i e d e r l a n d e n das südliche V o r f e l d i n französische Hände gefallen w a r u n d obendrein das v o n einem Wittelsbacher regierte K u r f ü r s t e n t u m K ö l n samt dem F ü r s t b i s t u m L ü t t i c h i m Lager L u d w i g s X I V . stand. U n d z u m d r i t t e n ließ E n g l a n d an seiner Bereitschaft z u r energischen K r i e g f ü h r u n g keinen Z w e i f e l aufkommen, nachdem der französische K ö n i g m i t Jakob I I I . nochmals einen S t u a r t als englischen K ö n i g a n e r k a n n t u n d somit W i l h e l m I I I . t r o t z gegenteiliger Zusagen i m Frieden v o n R i j s w i j k desavouiert hatte. D i e E n t s c h e i d u n g z u m K r i e g w a r i m ü b r i g e n d u r c h siegreiche A k t i o n e n Prinz Eugens i n O b e r i t a l i e n erleichtert w o r d e n ; sie w u r d e auch d u r c h den T o d K ö n i g W i l h e l m s M i t t e M ä r z 1702 n i c h t z u r Debatte gestellt, w e i l seine N a c h f o l g e r i n auf dem englischen T h r o n i n Ü b e r e i n s t i m m u n g m i t der Parlamentsmehrheit den aus p o l i t i s c h e n u n d w i r t s c h a f t l i c h e n G r ü n d e n eingeschlagenen K u r s beibehielt. D a v o n k ü n d e t , daß M a r l b o r o u g h u n v e r z ü g l i c h z u m Befehlshaber über die b r i t i s c h e n S t r e i t k r ä f t e auf dem Festland u n d z u m Botschafter i m H a a g ernannt w u r d e u n d somit jener hochbegabte Heerführer

u n d D i p l o m a t i n eine entscheidende

Stellung

rückte, den m a n als „ t h e most convinced advocate of W i l l i a m ' s I I I p o l i c y " 1 1 4 113 England und die Republik der Niederlande legten zwar einige Monate später proportional die Stärke ihrer Streitkräfte fest, doch handelte es sich hierbei anscheinend nur um Absichtserklärungen. Zudem dürfte die Casa dAustria den Erwartungen der Seemächte, die mit dem Einsatz von 90 000 Mann habsburgischer Truppen auf den westlichen Kriegsschauplätzen rechneten, zu keiner Zeit entsprochen zu haben. Chandler, Marlborough (Anm. 15), 56. 114 Veenendaal (Anm. 83), 414.

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bezeichnet hat. E i n i g e Wochen später ü b e r t r u g die R e p u b l i k der N i e d e r lande d e m E n g l ä n d e r a u c h das K o m m a n d o über i h r w e s e n t l i c h stärkeres Heer, solange es m i t d e m b r i t i s c h e n K o r p s gemeinsam o p e r i e r t e 1 1 5 , u n d erkannte d a d u r c h dessen überragende F ä h i g k e i t e n an. M a r l b o r o u g h t r a t demnach m i l i t ä r i s c h die Nachfolge W i l h e l m s an, doch w a r seine S t e l l u n g insofern schwächer als die des verstorbenen K ö n i g s u n d Statthalters, als er b e i m Einsatz des niederländischen Heeres generell an die Z u s t i m m u n g der F e l d d e p u t i e r t e n der R e p u b l i k gebunden w a r u n d d a r u m bloß b e d i n g t über die gesamte S t r e i t m a c h t verfügen konnte. F i e l auf Seiten der Seemächte M a r l b o r o u g h die m i l i t ä r i s c h e F ü h r u n g zu, so t r a t sein politischer E i n f l u ß d a h i n t e r k a u m zurück. Z u d e m stand i h m m i t dem Ratspensionär H e i n s i u s 1 1 6 ein niederländischer Staatsmann z u r Seite, der schon i m Pfälzischen K r i e g die antifranzösische K o a l i t i o n mitgestaltet hatte u n d f ü r den u n z w e i f e l h a f t w a r , daß nach L u d w i g s X I V . G r i f f nach dem spanischen Erbe diese P o l i t i k fortgesetzt w e r d e n müsse. Schließlich gesellte sich m i t Eugen v o n Savoyen, der sich 1697/98 als Türkensieger einen N a m e n gemacht hatte, dem B r i t e n u n d Niederländer ein D r i t t e r hinzu, der als kaiserlicher Heerführer den V e r l a u f des Krieges m i t b e s t i m m t e . Z u B e g i n n des Ringens u m das spanische E r b e w a r dieser Generalfeldmarschall allerdings noch n i c h t die dominierende Persönlichkeit auf habsburgischer Seite, sondern i n diese P o s i t i o n stieg er erst i n den folgenden Jahren auf. E t a p p e n auf diesem Weg w a r e n 1703 die E r n e n n u n g z u m Hofkriegsratspräsidenten u n d Konferenzminister, w o m i t i h m die L e i t u n g der M i l i t ä r v e r w a l t u n g übertragen u n d M i t s p r a c h e i n außenpolitischen Angelegenheiten eingeräumt w u r d e , d a n n 1707 die B e s t a l l u n g z u m Reichsgeneralfeldmarschall sowie 1708 die Beförderung z u m Generalleutnant, z u m höchsten m i l i t ä r i schen Rang i m kaiserlichen Dienst. Sein Ansehen u n d seine A u t o r i t ä t verd a n k t e Prinz Eugen jedoch v o r a l l e m seinen Siegen bei Zenta, Höchstädt, T u r i n u n d Oudenaarde, da sie v o n kriegsentscheidender B e d e u t u n g w a r e n oder zumindest W e n d e p u n k t e i m Kriegsverlauf m a r k i e r t e n . D e n T r i u m p h bei Höchstädt 1704 u n d die Erfolge i n F l a n d e r n zwischen 1708 u n d 1710 hatte der Savoy er i n enger Zusammenarbeit m i t M a r l b o r o u g h errungen; demnach f ü h r t e n die beiden Feldherren w i e d e r h o l t Koalitionsheere z u m Sieg, ohne daß N e i d u n d M i ß g u n s t oder die o h n e h i n m a r g i n a l e n U n t e r schiede i n der Organisation, A u s r ü s t u n g u n d A u s b i l d u n g der S t r e i t k r ä f t e die Operationen nennenswert behinderten.

115 Wijn (Anm. 55), 110ff.; die Bedingungen, unter denen Marlborough als „Capitaine General" („kapitein-generaal") den Oberbefehl zu führen hatte, sind 696ff. (Beilage 9) publiziert, s. auch Chandler , Marlborough (Anm. 15), 94, 98f., der die Kommandobefugnisse Marlboroughs über die niederländischen Truppen allerdings recht skeptisch bewertet. 116 s. Horst Lademacher, Wilhelm III. von Oranien und Anthonie Heinsius, in: RhVjBl. 34 (1970), 264ff.

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D i e f r u c h t b a r e K o o p e r a t i o n zwischen Prinz Eugen u n d dem D u k e of M a r l b o r o u g h gründete sich auf menschliches Verständnis u n d W o h l w o l l e n , m i t dem sich die beiden Heerführer v o n B e g i n n an begegneten; v i e l l e i c h t handelte es sich sogar u m eine Freundschaft, w i e i n vielen D a r s t e l l u n g e n betont w i r d 1 1 7 . D i e Z u s a m m e n a r b e i t fußte d a r ü b e r hinaus auf der gemeinsamen Einschätzung, daß die Hegemonialansprüche Frankreichs m i t E n t schiedenheit zurückgewiesen w e r d e n müßten; sie basierte aber insbesondere auf gleichen strategischen, operativen u n d t a k t i s c h e n Anschauungen, die es beiden offenbar leichtmachten, ihre Feldzugspläne z u koordinieren, ihre A k t i o n e n bei getrenntem Einsatz zweckmäßig a b z u s t i m m e n u n d bei Schlachten oder Belagerungen m i t wechselndem Part führende oder u n t e r stützende A u f g a b e n zu übernehmen. Längere Aussprachen w a r e n d a f ü r n i c h t u n b e d i n g t erforderlich. D i e K o m m u n i k a t i o n beschränkte sich deshalb oft auf einen s c h r i f t l i c h e n Meinungsaustausch, u m die Chancen u n d R i s i k e n größerer U n t e r n e h m e n abzuwägen, die D u r c h f ü h r u n g vorzubereiten u n d f ü r die Bereitstellung der b e n ö t i g t e n T r u p p e n z u sorgen, w o b e i d u r c h die Korrespondenz aber meist n u r die grundlegenden Fragen g e k l ä r t w e r d e n konnten. D e n n z u m einen erwiesen sich die P l a n u n g e n als z u k o m p l e x , z u m anderen w a r v o r a l l e m b e i Koalitionsheeren m i t v i e l e n Kriegsherren u n d Befehlshabern die G e h e i m h a l t u n g k a u m z u g e w ä h r l e i s t e n 1 1 8 , weshalb die I n f o r m a t i o n e n i m allgemeinen k n a p p gehalten w u r d e n , u n d z u m d r i t t e n k o n n t e ein A b f a n g e n v o n K u r i e r e n niemals ausgeschlossen werden; f o l g l i c h w a r bei s c h r i f t l i c h e n Äußerungen z u r Feldzugsplanung stets Vorsicht geboten. I n erster L i n i e h a t t e n deswegen i m V o r f e l d gemeinsamer A k t i o n e n vert r a u t e Untergebene m i t m ü n d l i c h e n A u f t r ä g e n u n d E r l ä u t e r u n g e n f ü r die Absprache über das Vorgehen u n d die K l ä r u n g w i c h t i g e r E i n z e l h e i t e n z u sorgen. A u c h D i p l o m a t e n w u r d e n u n t e r U m s t ä n d e n i n die Überlegungen eingeschaltet, falls sie d u r c h V e r l ä ß l i c h k e i t u n d Sachkenntnis h i n l ä n g l i c h q u a l i f i z i e r t waren. So h a t sich beispielsweise u m die K o o p e r a t i o n zwischen Prinz Eugen u n d M a r l b o r o u g h i m F r ü h j a h r u n d Sommer 1704 G r a f W r a t i s l a w , der kaiserliche Botschafter i n L o n d o n , sehr verdient g e m a c h t 1 1 9 ; er h a t 117 Braubach, Prinz Eugen (Anm. 77), II, 45, 59, Chandler , Marlborough (Anm. 15), 140, 303. s. auch Gustav Otruba, Prinz Eugen und Marlborough. Weltgeschichte im Spiegel eines Briefwechsels (Österreich-Reihe 137/138), Wien 1961, 28ff.; dort finden sich weitere einschlägige Hinweise. 118 s. dazu Eberhard Ritter, Politik und Kriegführung. Ihre Beherrschung durch Prinz Eugen 1704 (Schriften der Kriegsgeschichtlichen Abteilung im Historischen Seminar der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin, 10), Berlin 1934, 51, 66, 73; knappe Hinweise auf die problematische Geheimhaltung finden sich auch bei Chandler, Marlborough (Anm. 15), 126, bei Otruba, Prinz Eugen (Anm. 117), 58, und bei Wijn (Anm. 55), 416, 418. 119 Braubach, Prinz Eugen (Anm. 77), II, 44, 49f., 52ff., 67, 69, 71, Chandler, Marlborough (Anm. 15), 124, 126, und Ritter (Anm. 118), 47ff., 62f., 72ff., 108ff., 129ff., 141 f. Siehe auch Elke Jarnut-Derbolav, Die Österreichische Gesandtschaft in London (1701-1711). Ein Beitrag zur Geschichte der Haager Allianz (Bonner Historische Forschungen, 37), Bonn 1972, 157 ff., sowie generell Klaus Müller, Das kaiserliche

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n ä m l i c h die w i c h t i g e n Vorgespräche i m W i n t e r 1703/04 a m b r i t i s c h e n H o f geführt, zudem zur Ü b e r w i n d u n g des h a r t n ä c k i g e n Widerstands i m H a a g gegen den Vorstoß

eines englisch-niederländischen

Heeres n a c h

Süd-

deutschland beigetragen u n d obendrein die S t r e i t m a c h t M a r l b o r o u g h s ins F e l d begleitet, u m Bedenken u n d Hindernisse bei dieser f ü r die Sicherheit der habsburgischen E r b l a n d e so w i c h t i g e n K a m p a g n e ausräumen zu helfen. Schließlich dienten d a n n v o r einer Schlacht oder Belagerung persönliche Begegnungen der Feldherren dem Z w e c k , die Lage zu analysieren, das k o n krete Z u s a m m e n w i r k e n der Heere z u regeln u n d die t a k t i s c h e n A u f g a b e n f ü r den K a m p f z u verteilen, w i e die Treffen des Savoyers m i t dem Herzog v o n M a r l b o r o u g h b e l e g e n 1 2 0 . Diese Beratungen stellten i m ü b r i g e n n i c h t n u r die gute Z u s a m m e n a r b e i t sicher, was fallweise B e s t i m m u n g e n über den Oberbefehl einschloß u n d f ü r die Z e i t der gemeinsamen Operationen meist auf einen t ä g l i c h e n Wechsel hinauslief, sondern festigten auch das wechselseitige V e r t r a u e n u n d erleichterten die weitere Feldzugsplanung. A l l e r d i n g s w a r e n solche Aussprachen u n t e r den H e e r f ü h r e r n n i c h t selbstverständlich, w e i l sachliche Differenzen über die O p e r a t i o n s f ü h r u n g oder die vorrangigen Ziele sowie Rang- u n d E t i k e t t e s t r e i t i g k e i t e n oft i m Wege standen. D a v o n k ü n d e n beispielsweise die v i e l f ä l t i g e n Spannungen zwischen K u r f ü r s t M a x E m a n u e l v o n B a y e r n u n d M a r s c h a l l V i l l a r s über die K r i e g f ü h r u n g i m Jahr 1703 i n O b e r d e u t s c h l a n d 1 2 1 u n d das V e r h a l t e n M a r k g r a f L u d w i g W i l h e l m s v o n Baden gegenüber M a r l b o r o u g h u n d dessen D r ä n g e n auf eine Schlachtentscheidung b e i m D o n a u f e l d z u g v o n 17 0 4 1 2 2 . Das v o r t r e f f l i c h e E i n v e r n e h m e n zwischen Prinz Eugen u n d dem Herzog v o n M a r l b o r o u g h w a r n i c h t auf den operativen u n d t a k t i s c h e n Sektor beschränkt; es b e w ä h r t e sich auch bei anderen p o l i t i s c h e n u n d m i l i t ä r i schen K o m p l i k a t i o n e n , m i t denen die heterogene A l l i a n z zu r i n g e n hatte. So setzte sich M a r l b o r o u g h beispielsweise i m Spätherbst 1704 n a c h d r ü c k l i c h bei K ö n i g F r i e d r i c h I. e i n 1 2 3 , d a m i t ein s t r i t t i g e r Subsidienvertrag zugunsten der Casa d ' A u s t r i a verlängert u n d dem Savoyer die erhoffte b r a n d e n b u r gisch-preußische T r u p p e n h i l f e z u t e i l w u r d e , die jener d r i n g e n d f ü r den Feldzug i n O b e r i t a l i e n benötigte. M e h r noch, dem Einsatz u n d E i n f l u ß des commander-in-chief

w a r es zu verdanken, daß dem Erzhaus Österreich i m

F r ü h j a h r 1706 eine stattliche britische A n l e i h e g e w ä h r t w u r d e 1 2 4 , die größGesandtschaftswesen im Jahrhundert nach dem Westfälischen Frieden (1648 - 1740) (Bonner Historische Forschungen, 42), Bonn 1976, 290ff. 120 s. etwa Otruba, Prinz Eugen (Anm. 117), 37ff., 61, 63ff., 74, 77. 121 s. Bernhard R. Kroener , La planification des opérations militaires et le commandement supérieur. La crise de l'alliance franco-bavaroise à la veille de la bataille de Höchstädt, in: Forces armées et systèmes d'alliances (Anm. 20), vol. I, 169ff., 176, 180 ff. 122 Braubach, Prinz Eugen (Anm. 77), II, 55ff., 67ff., und Ritter (Anm. 118), lOlf., 107f., 122, 129f., 141f., 144f., 153ff. 123 Berney (Anm. 14), 113ff.

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tenteils v o n hochgestellten Persönlichkeiten gezeichnet w o r d e n w a r . A n d e rerseits versäumte es Prinz Eugen n i c h t , b e i den p o l i t i s c h V e r a n t w o r t l i c h e n i n den N i e d e r l a n d e n u n d i n E n g l a n d die P o s i t i o n des b r i t i s c h e n Befehlshabers z u stützen, w e n n dieser wegen seines Engagements f ü r die K o a l i t i o n s ziele auf K r i t i k stieß u n d statt dessen verlangt w u r d e , die einzelstaatlichen Interessen oder gar die i n n e n p o l i t i s c h e n K o n s t e l l a t i o n e n stärker z u b e r ü c k s i c h t i g e n 1 2 5 . D e r Prinz s t a n d i h m auch w e i t e r h i n z u r Seite, als der Herzog i n U n g n a d e gefallen, seiner Posten enthoben u n d v o n einer A n k l a g e b e d r o h t w a r 1 2 6 . D a m i t w a r e n Meinungsunterschiede über die Chancen u n d Erfolgsaussichten k ü h n e r Operationen n i c h t ausgeschlossen, w i e sich bei dem A n g r i f f Prinz Eugens auf T o u l o n 1 7 0 7 1 2 7 oder M a r l b o r o u g h s Vorschlag z u m Vorstoß gegen Paris 17 0 8 1 2 8 zeigte, ohne daß d a r u n t e r aber die wechselseitige Hochschätzung l i t t . D i e Beziehungen w u r d e n ebensowenig d u r c h die stets problematischen V e r h a n d l u n g e n über W i n t e r q u a r t i e r e oder H i l f s g e l der b e e i n t r ä c h t i g t 1 2 9 , die i m m e r w i e d e r zu K o m p r o m i s s e n z w a n g e n u n d desh a l b wechselseitig A b s t r i c h e verlangten. T r o t z d e m b l i e b e n P r i n z Eugen u n d M a r l b o r o u g h n i c h t v o n den v i e l f ä l t i gen S c h w i e r i g k e i t e n verschont, die i n jener Epoche f ü r die m i l i t ä r i s c h e K o operation i n Koalitionsheeren geradezu t y p i s c h sind. F ü r den kaiserlichen Heerführer erwies sich die Z u s a m m e n a r b e i t v o r a l l e m m i t Savoyen u n d Brandenburg-Preußen als spannungsvoll, da beide Staaten ein n i c h t z u unterschätzendes G e w i c h t f ü r das B ü n d n i s besaßen u n d demnach m e h r als die meisten anderen A l l i i e r t e n i h r e Belange vertreten konnten. So w a r i n O b e r i t a l i e n die K r i e g f ü h r u n g d u r c h latentes M i ß t r a u e n zwischen dem W i e ner u n d dem T u r i n e r H o f gekennzeichnet. D e n n s o w o h l die umfangreichen t e r r i t o r i a l e n Forderungen V i k t o r Amadeus' z u L a s t e n des Kaisers als auch die Versuche des Herzogs, die d u r c h ihre T r u p p e n f i n a n z i e r u n g auch auf diesem Kriegsschauplatz einflußreichen Seemächte gegen die Casa d ' A u stria auszuspielen, n ö t i g t e n z u r V o r s i c h t 1 3 0 . Z u d e m erwuchsen aus der u n k l a r e n Regelung des Oberbefehls i m m e r w i e d e r K o n f l i k t e , w e i l Prinz Eugen z u r engen Z u s a m m e n a r b e i t m i t d e m Vetter v e r p f l i c h t e t w a r , andererseits aber dessen A u f r i c h t i g k e i t u n d hinlängliches Engagement f ü r die K o a l i t i o n bezweifelte. D i e Differenzen des Kaiserhofs m i t B r a n d e n b u r g - P r e u 124 Otruba, Prinz Eugen (Anm. 117), 50ff.; ders., Bedeutung englischer Subsidien (Anm. 26), 200f. 125 Otruba, Prinz Eugen (Anm. 117), 45, 70f., 75. 126 Braubach, Prinz Eugen (Anm. 77), III, 83ff.; Chandler, Marlborough (Anm. 15), 303f.; Otruba, Prinz Eugen (Anm. 117), 83ff. 127 Chandler, Marlborough (Anm. 15), 196ff.; Otruba, Prinz Eugen (Anm. 117), 56ff. 128 Braubach, Prinz Eugen (Anm. 77), II, 239f.; Chandler, Marlborough (Anm. 15), 224f.; Otruba, Prinz Eugen (Anm. 117), 63f. 129 s. Österreichische Staatsverträge. Niederlande I (Anm. 96), 376ff. 130 s. Braubach, Prinz Eugen (Anm. 77), II, 172ff., 193, 196ff., und Otruba, Prinz Eugen (Anm. 117), 57.

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ßen w a r e n ä h n l i c h g e l a g e r t 1 3 1 . D i e Wiener Staatsmänner w a r e n n ä m l i c h n i c h t bereit, K ö n i g F r i e d r i c h I. die verlangte eigenständige P o s i t i o n einzur ä u m e n u n d somit die nordostdeutsche M a c h t p o l i t i s c h aufzuwerten. Selbst das Angebot v o n T r u p p e n h i l f e , die w e i t über das v e r t r a g l i c h zugesagte K o n t i n g e n t u n d die reichsrechtliche V e r p f l i c h t u n g hinausging, k o n n t e

die

ablehnende H a l t u n g n i c h t erschüttern, w e i l dieser Vorschlag an B e d i n g u n gen - u. a. den A n s p r u c h auf ein selbständiges K o m m a n d o - g e k n ü p f t w a r . Erst recht v e r m o c h t e n die zahlreichen Reibungen, die sich d a r a u f h i n über die V e r f ü g b a r k e i t , die U n t e r s t e l l u n g , die Versorgung etc. der auf G r u n d des K r o n t r a k t a t s z u stellenden Regimenter ergaben, die Wiener H o f b u r g n i c h t zu beeindrucken, auch w e n n sie mehrfach die Operationen behinderten. Diese A b f u h r n ö t i g t e schließlich den K ö n i g , große Teile seines überstarken Heeres i n den S o l d der Seemächte z u geben, u n d ließ Brandenburg-Preußen z u r „ A u x i l i a r m a c h t " 1 3 2 werden, deren T r u p p e n d a n n z u m T e i l i n I t a l i e n u n d i n Spanien eingesetzt w u r d e n ; l e t z t l i c h dienten sie somit doch h a b s b u r g i schen Zielen. Vorbehalte b e e i n t r ä c h t i g t e n auch die Zusammenarbeit z w i schen Prinz Eugen u n d K u r f ü r s t Georg L u d w i g v o n B r a u n s c h w e i g - L ü n e burg, der i m Jahr 1707 den Oberbefehl über die Reichstruppen a m Oberr h e i n ü b e r n o m m e n hatte; d a m i t setzten sich i m G r u n d e jene Spannungen fort, die b e k a n n t l i c h schon 1704 die K o o p e r a t i o n m i t M a r k g r a f L u d w i g W i l h e l m v o n B a d e n erschwert hatten. D e r Weife fürchtete i n erster L i n i e , daß m i t der R ü c k k e h r des Savoyers ins Reich oder auf den Kriegsschauplatz i n Flandern die Aussichten auf die erhoffte Verstärkung seines Heeres zunichte gemacht u n d i h m die Chancen f ü r eine r u h m v o l l e Waffentat genommen w ü r d e n . D a r u m zeigte er sich gegenüber allen Versuchen unzugänglich, die Feldzugsplanungen z u k o o r d i n i e r e n 1 3 3 , u n d u n t e r s t r i c h d u r c h sein V e r h a l ten, daß der Ehrgeiz hochgestellter Personen der gemeinsamen Sache m i t u n t e r eher z u m Schaden als z u m V o r t e i l gereichte. D e r Herzog v o n M a r l b o r o u g h hatte m i t ä h n l i c h e n Problemen zu kämpfen; seine P o s i t i o n w a r aber insofern besser, als die meisten Kontingentsherren, die T r u p p e n gegen Subsidien f ü r den b r i t i s c h e n Dienst bereitgestellt hatten, keine d i r e k t e n p o l i t i s c h e n Forderungen erhoben, sondern h a u p t s ä c h l i c h eine p ü n k t l i c h e B e z a h l u n g v e r l a n g t e n u n d einen vertragsgemäßen u n d v e r a n t w o r t u n g s v o l l e n Einsatz i h r e r Regimenter erwarteten. S i c h e r l i c h erwuchsen daraus i m m e r w i e d e r K o n f l i k t e , doch w a r e n diese zweitrangig, w e n n m a n d a m i t die m ü h e v o l l e Z u s a m m e n a r b e i t m i t der R e p u b l i k der N i e derlande vergleicht. K o m p l i k a t i o n e n ergaben sich f ü r den b r i t i s c h e n Oberbefehlshaber z u m einen d u r c h die vagen u n d eingeschränkten K o m p e t e n 131 s. Berney (Anm. 14), 24ff., 46ff., 60ff., 117ff., 158ff., 179ff., und Braubach, Prinz Eugen (Anm. 77), II, 337 ff. 132 Berney (Anm. 14), 61, 64. 133 s. Braubach, Prinz Eugen (Anm. 77), II, 216ff., 221ff., und Chandler , Marlborough (Anm. 15), 207 f.

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z e n 1 3 4 , an die seine K o m m a n d o g e w a l t über die niederländischen S t r e i t k r ä f t e gebunden w a r ; d a d u r c h w a r er sogar z u mancherlei Rücksichten auf die i h m bei gemeinsamen Operationen unterstellte niederländische

Generalität

g e z w u n g e n 1 3 5 . Kontroversen entstanden z u m anderen aus der P f l i c h t , bei allen größeren gemeinsamen U n t e r n e h m u n g e n den Rat u n d die Z u s t i m m u n g der F e l d d e p u t i e r t e n einholen zu m ü s s e n 1 3 6 , die das Heer b e i seinen Operat i o n e n begleiteten u n d i m ü b r i g e n stets „ o p het [der R e p u b l i k der N i e d e r lande] voordeel, off op de sekerheijt v a n de eene provincie, als v a n de andere" bedacht sein s o l l t e n 1 3 7 . S o m i t w a r M a r l b o r o u g h genötigt, seine Feldzugskonzeptionen sorgsam m i t den niederländischen Vorstellungen u n d Bedürfnissen a b z u s t i m m e n u n d insbesondere i m m e r w i e d e r zu beweisen, daß die A k t i o n e n auch u n d gerade den Z i e l e n der R e p u b l i k dienten. Diese Aufgabe w a r schwierig, w e i l die Interessen u n d der E i n f l u ß der Provinzen m a n c h m a l spürbar d i v e r g i e r t e n 1 3 8 , andererseits b o t e n solche M e i n u n g s unterschiede aber auch die M ö g l i c h k e i t , die i n t e r n e n Spannungen auszunutzen. D i e Vorbereitungen f ü r einen Feldzug erforderten daher v o n M a r l b o r o u g h v i e l Z e i t u n d diplomatisches Geschick, Überzeugungskraft

und

Festigkeit sowie zahlreiche U n t e r h a n d l u n g e n u n d Reisen, u m Jahr f ü r Jahr die M i t t e l z u r Fortsetzung des K a m p f s i n F l a n d e r n u n d auf anderen K r i e g s schauplätzen verfügbar z u machen. D i e K r i e g f ü h r u n g Frankreichs w a r d u r c h derartige K o n f l i k t e u n d Reibungen k a u m belastet. D e n n i m Pfälzischen E r b f o l g e k r i e g w a r der B o u r b o nenstaat isoliert, u n d i m Spanischen E r b f o l g e k r i e g stand nach d e m frühzeit i g e n Parteiwechsel Savoyens u n d der E r o b e r u n g K u r k ö l n s u n d K u r b a y e r n s d u r c h die T r u p p e n der Großen A l l i a n z seit 1704 n u r noch Spanien i m Lager L u d w i g s X I V . Das V e r h ä l t n i s zwischen diesen beiden Staaten w a r e i n d e u t i g d u r c h die Vorherrschaft Frankreichs b e s t i m m t ; P h i l i p p V. w a r n ä m l i c h angesichts der finanziellen Schwäche seines Landes u n d des Niedergangs der S t r e i t k r ä f t e n i c h t i n der Lage, den Staat z u verteidigen, u n d mußte den Schutz seiner Herrschaft F r a n k r e i c h anvertrauen. F o l g l i c h fiel französischen M a r s c h ä l l e n die L e i t u n g der Kriegsoperationen auf der Pyrenäenhalbinsel z u u n d b l i e b es diesen überlassen, „ t o coordinate m i l i t a r y a n d n a v a l strategy i n a theatre where support f r o m the sea was of immense i m p o r t a n c e " 1 3 9 . E i n e n K o a l i t i o n s k r i e g , der zur K o o r d i n a t i o n der A k t i o n e n u n d R ü c k s i c h t n a h m e auf den Verbündeten zwang, f ü h r t e F r a n k r e i c h de 134

s. auch 124. s. Chandler , Marlborough (Anm. 15), 322; vgl. auch Wijn (Anm. 55), 624 ff. 136 Wijn (Anm. 55), 113; s. auch 699 ff. (Beilage 10), dort ist die Instruktion für die Felddeputierten abgedruckt. Vgl. zudem Chandler , Marlborough (Anm. 15), 101 f., 117,208, 322. 1 37 Wijn (Anm. 55), 699 Art. 1. 138 v g l dazu etwa Österreichische Staats Verträge. Niederlande I (Anm. 96), 352 ff., und Wijn (Anm. 55), 69f. 139 Kamen (Anm. 27), 61. 135

9 Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 11

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facto n u r i n den Jahren 1703 u n d 1704, als ein französisches Heer zunächst u n t e r dem Befehl M a r s c h a l l V i l l a r s ' , d a n n u n t e r d e m K o m m a n d o Tallards i n Süddeutschland operierte, u m M a x E m a n u e l v o n B a y e r n R ü c k h a l t

zu

gewähren. Beide Feldzüge endeten m i t Mißerfolgen. Diese Rückschläge s i n d auf viele, z u m T e i l unterschiedliche Ursachen zurückzuführen, doch weisen sie auch auf typische S c h w i e r i g k e i t e n h i n , die die Z u s a m m e n a r b e i t zweier Partner m i t stark divergierendem M a c h t p o t e n t i a l u n d n u r p a r t i e l l übereinstimmenden Z i e l e n behinderten. V o n v o r n h e r e i n k o n n t e k e i n Z w e i f e l bestehen, daß der Wittelsbacher n u r m i t französischer U n t e r s t ü t z u n g seine hochgespannten Ansprüche auf Terr i t o r i a l b e s i t z aus der spanischen Erbmasse durchsetzen k o n n t e u n d somit A n l e h n u n g an L u d w i g X I V . suchen mußte, w e n n er seinen Ehrgeiz n i c h t zügeln w o l l t e . Andererseits w a r B a y e r n f ü r F r a n k r e i c h ein w i c h t i g e r P a r t ner, solange Aussichten bestanden, das Reich z u m Kriegsschauplatz z u machen, die kaisertreuen Reichsstände Süddeutschlands zur N e u t r a l i t ä t zu z w i n g e n u n d das Reichsoberhaupt i n seinen S t a m m l a n d e n anzugreifen; entfielen dagegen diese Chancen, w u r d e B a y e r n z u m Außenposten, der k a u m gehalten w e r d e n k o n n t e u n d z u m Verzetteln v o n K r ä f t e n abseits der eigenen Versorgungsbasen f ü h r e n mußte. Tatsächlich n a h m die E n t w i c k l u n g diesen Verlauf; denn z u m einen h a t t e n die h e i m l i c h e n V e r h a n d l u n g e n über einen Parteiwechsel den Wittelsbacher n o c h 1703 v o r einem d e f i n i t i v e n B r u c h m i t der Casa d ' A u s t r i a zurückschrecken lassen, so daß die zeitweilige Ü b e r l e genheit t r o t z V i l l a r s ' D r ä n g e n n i c h t z u einem Stoß auf W i e n genutzt u n d statt dessen die Z e i t m i t z w e i t r a n g i g e n U n t e r n e h m e n v e r t a n w u r d e 1 4 0 ; u n d z u m anderen h a t t e n sich M a x E m a n u e l u n d T a l l a r d i m folgenden Jahr d u r c h M a r l b o r o u g h u n d Prinz Eugen die I n i t i a t i v e entreißen lassen u n d an der oberen D o n a u i n eine Position m a n ö v r i e r t , die i h r e n Gegnern z u m V o r t e i l gereichte u n d v o n jenen d a n k überlegener F e l d h e r r n k u n s t genutzt w u r d e 1 4 1 . Bezeichnend f ü r die Unsicherheit über die A b s i c h t des Gegners u n d die U n schlüssigkeit über das zweckmäßige eigene V e r h a l t e n w a r die u n g l ü c k l i c h e W a h l des Kampfplatzes, der anscheinend weder f ü r eine V e r t e i d i g u n g noch f ü r einen A n g r i f f besonders g ü n s t i g w a r u n d auf einen halbherzigen K o m promiß hindeutet, da der Wittelsbacher z u r Schlacht drängte, v o n der h i n gegen T a l l a r d zu Recht aus strategischen G r ü n d e n abriet. D e r Z w i e s p a l t u n t e r den Befehlshabern w a r o f f e n k u n d i g der G r u n d , der die französischbayerischen S t r e i t k r ä f t e u n t e r u n g ü n s t i g e n Bedingungen den K a m p f aufnehmen ließ. Diese U n e i n i g k e i t spiegelt darüber hinaus erstens die K r i e g s erfahrungen, die beide Heerführer auf unterschiedlichen Kriegsschauplätzen, n ä m l i c h der eine v o r a l l e m i n U n g a r n , der andere i m w e s t l i c h e n M i t t e l 140

Kroener, La planification (Anm. 121), 178ff. s. zusammenfassend Johannes Kunisch, Kurfürst Max Emanuel als Feldherr, in: Hubert Glaser (Hrsg.), Kurfürst Max Emanuel, Bayern und Europa um 1700, Bd. I: Zur Geschichte und Kunstgeschichte der Max-Emanuel-Zeit, München 1976, 327. 141

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europa, gemacht h a t t e n 1 4 2 ; sie resultierte zweitens aus der größeren R i s i k o bereitschaft des auf R u h m bedachten électeur-connétable,

w ä h r e n d der

französische Marschall, der v o n den Weisungen des Versailler Hofs abhäng i g u n d diesem v e r a n t w o r t l i c h w a r , u n k a l k u l i e r b a r e R i s i k e n scheute; u n d sie t r u g d r i t t e n s dazu bei, daß v e r b i n d l i c h e Absprachen über die K o m m a n d o f ü h r u n g b e i gemeinsamen Operationen offenbar unterblieben. S o m i t w i e derholten sich die Schwierigkeiten, die auch ein Jahr zuvor die K o o p e r a t i o n zwischen dem B a y e r n u n d V i l l a r s belastet hatten. Sie w a r e n seinerzeit v o n M a x E m a n u e l außerdem d u r c h die h o c h f a h r e n d e B e h a n d l u n g des M a r schalls v e r s c h ä r f t w o r d e n 1 4 3 , der - stolz auf seinen R a n g u n d auf seine R e p u t a t i o n bedacht - w i e d e r u m i m U m g a n g m i t dem regierenden Landesh e r r n w e n i g diplomatische Geschmeidigkeit bewies, so daß persönliche u n d m i l i t ä r i s c h - s a c h l i c h e G r ü n d e u n d obendrein M i ß t r a u e n i n die politische V e r l ä ß l i c h k e i t des Verbündeten erhebliche Spannungen heraufbeschworen, die schließlich z u r A b b e r u f u n g V i l l a r s ' geführt hatten. Diese E r f a h r u n g e n m i t einem selbstherrlichen Verbündeten, m i t dem er n a c h seinem Vorstoß an die D o n a u kooperieren mußte, mögen T a l l a r d z u einer v e r b i n d l i c h e r e n H a l t u n g gegenüber dem Wittelsbacher bewogen haben, doch gedient h a t er der Sache d a d u r c h n i c h t ; denn d u r c h seine N a c h g i e b i g k e i t w a r er m i t v e r a n t w o r t l i c h , daß M a r l b o r o u g h u n d Prinz Eugen bei Höchstädt u n t e r günstigen Bedingungen angreifen konnten. M i t der Niederlage g i n g B a y e r n verloren u n d büßte M a x E m a n u e l insofern den Status eines echten Verbündeten ein, als er f o r t a n auf das E n t g e g e n k o m m e n u n d die Großzügigkeit L u d w i g s X I V . angewiesen w a r . Dagegen w a r der Z u s a m m e n h a l t der Großen A l l i a n z i m Spanischen E r b folgekrieg t r o t z vieler Differenzen u n d ständiger Reibungen bis z u m p l ö t z l i chen T o d Kaiser Josephs I. n i c h t grundlegend gefährdet, z u m a l m i l i t ä r i s c h e Erfolge auf den w i c h t i g e n Kriegsschauplätzen - zunächst i n Oberdeutschland, d a n n auch i n I t a l i e n u n d v o r a l l e m i n F l a n d e r n - die H o f f n u n g e n auf einen endgültigen Sieg n ä h r t e n u n d aufkommende K r i t i k i m m e r w i e d e r v e r s t u m m e n ließen. H i e r z u t r u g u. a. bei, daß der K a m p f gegen die Hegemonie L u d w i g s X I V . zugleich den w i r t s c h a f t l i c h e n

Interessen der

Seemächte

diente, w o v o n der Einsatz f ü r die Ansprüche Erzherzog K a r l s auf die spanische K r o n e beredt K u n d e gibt. Andererseits zeichnete sich seit dem T o d Josephs I. ab, daß K a r l n a c h dem Regierungsantritt i n den L a n d e n der Casa d ' A u s t r i a u n t e r U m s t ä n d e n auch Spanien beherrschen werde, falls er sich auf der Pyrenäenhalbinsel behaupten konnte. E i n e solche M a c h t k o n z e n t r a t i o n - w e n n g l e i c h n u r personal k o n s t i t u i e r t - gefährdete indes nach A n s i c h t mancher Staatsmänner u n d p o l i t i s c h einflußreicher Kreise i n E n g l a n d u n d 142 v g l dazu die anregenden Beobachtungen Kroeners, La planification (Anm. 121), 166ff. 143 s. Sturgill (Anm. 90), 40, 50, dessen Darstellung aber durch die weiterführenden Erkenntnisse Kroeners, La planification (Anm. 121), 169ff., zu ergänzen ist. 9'

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Bernhard Sicken

i n den N i e d e r l a n d e n n i c h t weniger als die bourbonischen Prätentionen das europäische G l e i c h g e w i c h t 1 4 4 u n d ließ den Gedanken einer T e i l u n g des spanischen Erbes w i e d e r i n den V o r d e r g r u n d treten. I n d e m v o n dieser Seite ein K o m p r o m i ß f r i e d e angestrebt w u r d e , der angesichts der übergroßen Kriegslasten selbstverständlich auf breite Z u s t i m m u n g rechnen konnte, g i n g dem B ü n d n i s s o w o h l die politische Grundlage als auch die Bereitschaft z u m t a t k r ä f t i g e n m i l i t ä r i s c h e n Engagement verloren, u n d begann i m Jahr 1711 die A u f l ö s u n g der A l l i a n z , ohne daß ihre A n h ä n g e r M i t t e l u n d Wege fanden, den Erosionsprozeß aufzuhalten. *

Der H e g e m o n i a l p o l i t i k L u d w i g s X I V . , die z u r Durchsetzung der expansiven Ziele den G r i f f z u den Waffen einschloß, k o n n t e k e i n Staat ohne B e i stand widerstehen. Deshalb b i l d e t e n Schutzbündnisse der B e d r o h t e n u n d K r i e g s k o a l i t i o n e n der Angegriffenen i n den Dezennien u m die Wende v o m 17. z u m 18. J a h r h u n d e r t einen w i c h t i g e n Bestandteil der zwischenstaatlichen Beziehungen. M i t der g r i f f i g e n F o r m e l v o m K a m p f gegen eine U n i v e r salmonarchie u n d f ü r ein Gleichgewichtssystem w a r e n dafür die nötigen p o l i t i s c h e n u n d propagandistischen B e g r ü n d u n g e n z u r H a n d , die w e i t e r e n Staaten den B e i t r i t t erleichterten u n d das a n t i l u d o v i z i a n i s c h e Lager verstärkten, deren Interessen u n d Forderungen die Z u s a m m e n a r b e i t oft aber auch belasteten. Das g a l t u m so mehr, als weder die Kriegsziele h i n l ä n g l i c h präzisiert w a r e n n o c h die politische u n d m i l i t ä r i s c h e K o o p e r a t i o n geregelt w a r oder wenigstens gemeinsame G r e m i e n vorgesehen waren, die diese A u f gabe übernehmen konnten. F o l g l i c h w a r der Z u s a m m e n h a l t u n t e r den A l l i ierten i n erster L i n i e auf den p o l i t i s c h e n Konsens gegründet, u n d b l i e b e n die Absprachen über die konkrete Zusammenarbeit zwischen den Staatsmännern u n d H e e r f ü h r e r n der h e r k ö m m l i c h e n , allerdings u n t e r dem K r i e g s d r u c k intensivierten K o m m u n i k a t i o n überlassen. I n der Ä r a des roi soleil w a r e n die Staaten z u m U n t e r h a l t stehender Heere gezwungen, u m i m M i t - , Neben- u n d Gegeneinander der M ä c h t e u n d T e r r i t o r i e n i h r e n Platz zu behaupten. D a m i t w a r e n sie auch genötigt, die a d m i n i s t r a t i v e n u n d f i n a n z i e l l e n Voraussetzungen f ü r den U n t e r h a l t eines kostspieligen K r i e g s i n s t r u m e n t s z u schaffen, f ü r das es nach A n s i c h t der L a n des· u n d Kriegsherren wegen seiner S c h l a g k r a f t u n d jederzeitigen Verfügb a r k e i t - n i c h t zuletzt z u m Einsatz i m L a n d e s i n n e r n - keine A l t e r n a t i v e gab, o b w o h l die Ausgaben f ü r Söldnerheere m i t u n t e r zu L a s t e n der w i r t schaftlichen Substanz gingen u n d d u r c h w e g z u hoher staatlicher Verschuld u n g führten. Verständlicherweise gewannen neben den d o m i n i e r e n d e n m a c h t p o l i t i s c h e n Kriegszielen, deren A n l a ß h ä u f i g s t r i t t i g e dynastische 144

s. Duchhardt, Glorious Revolution (Anm. 94), 34 f.

Heeresaufbringung und Koalitionskriegführung

133

Erbregelungen waren, zunehmend w i r t s c h a f t l i c h e Aspekte an Bedeutung, jedoch „economic measures were i n s t r u m e n t of policy, never its a i m " 1 4 5 . Andererseits w a r aber n i c h t zu bezweifeln, daß w i r t s c h a f t l i c h e K r a f t u n d finanzielles

Leistungsvermögen

politische M a c h t bedeuteten, denn sie

ermöglichten den U n t e r h a l t eines stehenden Heeres u n d e r l a u b t e n somit eine a k t i v e P o l i t i k , die v o r einem bewaffneten K o n f l i k t n i c h t z u r ü c k s c h r e k k e n mußte. I m ü b r i g e n m u ß t e n diese S t r e i t k r ä f t e n i c h t i m I n l a n d aufgeb r a c h t werden, sondern k o n n t e n aus d e m A u s l a n d gegen E n t g e l t ü b e r n o m men werden, ohne daß d a r u n t e r die Einsatzbereitschaft l i t t ; die Kriegsziele w a r e n n ä m l i c h den T r u p p e n i m allgemeinen gleichgültig. D a auch nationale oder landsmannschaftliche B i n d u n g e n k e i n nennenswertes G e w i c h t h a t t e n u n d die Heere i m Z e i t a l t e r des A b s o l u t i s m u s weder i n i h r e r S t r u k t u r noch i n i h r e r K a m p f w e i s e größere Besonderheiten aufwiesen, bereitete die Z u s a m menfassung v o n K o n t i n g e n t e n verschiedener Kriegsherren z u einer K o a l i tionsarmee keine p r i n z i p i e l l e n Probleme. S c h w i e r i g k e i t e n f ü r die K o o p e r a t i o n erwuchsen somit n i c h t i n erster L i n i e d u r c h das K r i e g s i n s t r u m e n t , sondern diese w a r e n z u m einen auf divergierende Interessen u n d Kriegsziele zurückzuführen, die den Z u s a m m e n h a l t schwächten u n d das erforderliche Engagement behinderten, u n d sie w a r e n z u m anderen d e m Fehlen eines strategischen Konzepts zuzuschreiben, so daß ein zweckmäßiger Einsatz der S t r e i t k r ä f t e auf den verschiedenen Kriegsschauplätzen - auch u n t e r B e r ü c k s i c h t i g u n g des L e i stungsvermögens der V e r b ü n d e t e n - ausgeschlossen w a r . D a r ü b e r hinaus fanden sich die M o n a r c h e n bzw. Regierungen zumeist n u r zögernd z u r Beschränkung i h r e r Verfügungsgewalt

über die S t r e i t k r ä f t e bereit.

Zu

diesen s t r u k t u r e l l e n M ä n g e l n t r u g e n neben der zeitraubenden K o m m u n i k a t i o n zwischen den Regierungssitzen u n d den daraus resultierenden I n f o r m a t i o n s l ü c k e n außerdem die E m p f i n d l i c h k e i t e n der Heerführer bei, deren K o o p e r a t i o n s w i l l i g k e i t gering w a r , w e n n i h n e n d a m i t eine U n t e r o r d n u n g zugemutet w u r d e . B e a c h t u n g verdient, daß die m i l i t ä r i s c h e Z u s a m m e n a r b e i t i n den K o a l i t i o n e n ohne U n t e r s t ü t z u n g oder V o r b e r e i t u n g d u r c h ein G r e m i u m fallweise abgesprochen w u r d e , w o b e i auf höchster Ebene v o r Feldzugsbeginn das Z i e l n u r i n groben Z ü g e n festgelegt w u r d e , hingegen die k o n k r e t e n Operationen d a n n der A b s t i m m u n g der Befehlshaber überlassen blieben. Das w a r zweckmäßig, setzte allerdings den W i l l e n z u r K o o p e r a t i o n voraus u n d bedeutete die V e r p f l i c h t u n g auf ein gemeinsames Vorhaben, w o z u die Feldherren jedoch n u r selten z u bewegen w a r e n ; d a v o n k ü n d e n die Differenzen auf Seiten der Großen A l l i a n z i m Pfälzer Erbfolgekrieg. H i n g e gen w a r die Z u s a m m e n a r b e i t i m Spanischen E r b f o l g e k r i e g zwischen Prinz Eugen u n d d e m Herzog v o n M a r l b o r o u g h beispielhaft, was offensichtlich aber atypisch w a r , w i e die zeitgenössischen Reaktionen verdeutlichen. Fest145

Lossky (Anm. 83), 187.

134

Bernhard Sicken

z u h a l t e n ist ferner, daß der politische Z u s a m m e n h a l t der A l l i a n z i m S p a n i schen E r b f o l g e k r i e g über lange Z e i t m e r k l i c h größer als i m Pfälzer E r b f o l gekrieg w a r ; d a v o n p r o f i t i e r t e selbstverständlich die K r i e g f ü h r u n g . H i e r z u t r u g e n gewiß die schlechten E r f a h r u n g e n bei, die die V e r a n t w o r t l i c h e n i n den V o r j a h r e n h a t t e n machen müssen, doch w a r das Verdienst i n erster L i n i e den beiden überragenden H e e r f ü h r e r n u n d i h r e m Einsatz i n W i e n bzw. i n L o n d o n u n d i m H a a g z u z u b i l l i g e n . F o l g l i c h s c h w a n d der Z u s a m menhalt, nachdem der politische Konsens i m B ü n d n i s d u r c h das Verlangen der Seemächte nach einem K o m p r o m i ß f r i e d e n verlorengegangen u n d M a r l b o r o u g h als Protagonist der K r i e g s p a r t e i gestürzt w o r d e n w a r ; f o r t a n d o m i nierten w i e d e r die Differenzen u n t e r den V o r m ä c h t e n 1 4 6 . Diese B e o b a c h t u n gen deuten an, daß die Defizite i n der Z u s a m m e n a r b e i t t r o t z aller S c h w i e r i g k e i t e n u n d U n z u l ä n g l i c h k e i t e n n i c h t an erster Stelle auf m i l i t ä r i s c h e r Seite, sondern auf p o l i t i s c h e r Seite z u suchen sind.

146 Analog konstatiert Chandler, Marlborough (Anm. 15), 275: „Allied disunity thus proved Louis XIV' greatest ally".

Konfession als Argument in den zwischenstaatlichen Beziehungen Friedenschancen und Religionskriegsgefahren in der Entspannungspolitik zwischen L u d w i g X I V . und dem Kaiserhof V o n Johannes B u r k h a r d t , E i c h s t ä t t W e n n u n t e r den Faktoren, v o n denen i m Z u s a m m e n h a n g m i t den i n t e r n a t i o n a l e n Beziehungen des 17. u n d 18. Jahrhunderts die Rede sein kann, a m Ende auch die Religion i n den S i n n k o m m t , d a n n w o h l n i c h t gerade m i t der gesteigerten S p a n n u n g einer Gretchenfrage, sondern eher m i t der E r w a r t u n g eines k n a p p e n Amens u m der V o l l s t ä n d i g k e i t w i l l e n 1 . D e n n i n der Reihe außenpolitisch relevanter F a k t o r e n u n d A r g u m e n t e - w i e e t a t i s t i scher, sozialer, ökonomischer, m i l i t ä r i s c h e r , ideeller oder ideologischer der verschiedensten A r t - wechselt i n den verschiedenen Epochen die P r i o r i t ä t u n d W e r t i g k e i t , u n d das sicher n i c h t zugunsten eines Trends z u dem h i e r thematisierten Aspekt. Ist es i n einem außenpolitischen Diskussionszusammenhang ü b e r h a u p t nötig, der R e l i g i o n eine eigene B e t r a c h t u n g z u widmen? Ist Konfession i m Z e i t a l t e r L u d w i g s X I V . noch ein historisch relevanter Faktor? Ist n i c h t das Konfessionelle Z e i t a l t e r 1648 zu Ende gegangen? Es g i b t n i c h t wenige angesehene Darstellungen, die uns das bis heute v e r sichern. E x p l i z i t h a t sich Theodor K . Rabb der Frage angenommen u n d R e l i g i o n zu Recht als einen der K r i s e n f a k t o r e n des 17. Jahrhunderts behandelt, deren G e w a l t p o t e n t i a l abgenommen habe. Daß aber d a r u m ü b e r h a u p t i h r E i n f l u ß auf die P o l i t i k i n der M i t t e des 17. Jahrhunderts schnell geschwunden sei u n d allenfalls ein „ t i m e l a g " zwischen i n t e r n a t i o n a l e n Beziehungen u n d „ H e i m a t f r o n t " gelegen habe, s i n d doch recht problematische W e i t e r u n gen 2 . V o r a l l e m Heinz D u c h h a r d t h a t u n t e r besonderer B e a c h t u n g der I n t e r dependenzen v o n I n n e n - u n d A u ß e n p o l i t i k die f o r t w i r k e n d e

Bedeutung

konfessioneller V e r w i c k l u n g e n an einer Reihe v o n F ä l l e n v o r a l l e m i m Z e i t 1 Der nach Stichworten gesprochene Vortrag konnte wegen der fortgeschrittenen Zeit auf dem Historikertag nur noch abgekürzt gehalten werden. Ich dokumentiere ihn in Form einer schriftlich ausgeführten vollständigen Vortragsfassung, ohne die auch den Inhalt mitbestimmende Sprechsituation ganz zu tilgen. 2 Theodore K. Rabb, The Struggle for Stability in Early Modern Europe, New York 1975. Vgl. das Kapitel „International Relations and the Force of Religion", 74 - 82, bes. 80.

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Johannes Burkhardt

alter L u d w i g s X I V . v e r d e u t l i c h t 3 . Entsprechend revidierende Gesamtdarstellungen stellen k l a r , daß das Konfessionelle Z e i t a l t e r 1648 n i c h t a b r u p t geendet hat u n d ü b e r h a u p t m i t d e m Religionskrieg n i c h t auch der umfassende Z u s a m m e n h a n g v o n P o l i t i k u n d R e l i g i o n aus der Geschichte verschwunden i s t 4 . E i n neues S t u d i e n b u c h setzt z w a r i m T i t e l dem „Konfessionellen Z e i t a l t e r "

das t r a d i t i o n e l l e Schlußjahr 1648, läßt es aber u n t e r

Rezeption neuer Forschungen über „Konfessionelle Elemente i n der Staat e n p o l i t i k " n a c h dem Westfälischen F r i e d e n erst 1763 ausgehen 5 . A l l das h ä n g t z u m großen T e i l d a m i t zusammen, daß die Staatsräson, die 1648 die Religion abgelöst haben soll, sich vorher w i e nachher m i t R e l i g i o n auch t r e f f l i c h vertragen konnte. N a c h einem v i e l z i t i e r t e n G e w ä h r s m a n n h a t z w a r Ratio status als ein „ w u n d e r l i c h e s T h i e r " i m Westfälischen Frieden alle anderen Rationes verjagt 6 , aber diesem - i m übrigen m i ß b i l l i g e n d gemeinten W o r t eines evangelischen Gesandten lassen sich andere gegenüberstellen, z u m Beispiel, w a r u m Ratio status n i c h t umsonst m i t der Religion den gleichen Anfangsbuchstaben habe 7 . I m K o n f l i k t f a l l fielen die epochalen P r i o r i t ä t e n verschieden aus, aber i m I d e a l f a l l haben sich die beiden i n s t i t u t i o n e l len Hauptvorgänge der F r ü h e n Neuzeit, die Konfessionsbildung u n d die Staatsbildung, gegenseitig gestützt u n d v e r s t ä r k t 8 . Gerade w e n n m a n die F r ü h e Neuzeit u n t e r d e m systematischen Vorzeichen des Staatsbildungsprozesses betrachtet, der alles i n a l l e m i m Z e i t a l t e r des A b s o l u t i s m u s die stärkste geschichtliche D y n a m i k entfaltete, d a n n erweist der konfessionelle A s p e k t seine Relevanz.

3 Vgl. vor allem Heinz Duchhardt, Protestantisches Kaisertum und Altes Reich. Die Diskussion über die Konfession des Kaisers in Politik, Publizistik und Staatsrecht, Wiesbaden 1977 sowie ders. (Hrsg.), Der Exodus der Hugenotten. Die Aufhebung des Edikts von Nantes 1685 als europäisches Ereignis, Köln/ Wien 1985. 4 Vgl. Heinz Duchhardt, Das Zeitalter des Absolutismus (Oldenbourg Grundriß der Geschichte, 11), München 1989, 78f. 5 So Harm Klueting, Das Konfessionelle Zeitalter 1525 - 1648 (UTB 1556), Stuttgart 1989, 348ff., bes. 359 - 362 unter pointierter didaktischer Aufbereitung meiner Habilitationsschrift (Anm. 73). 6 So der Gesandte von Sachsen-Altenburg, Thumshirn, am 28. 11. 1648, Georg Schmid, Konfessionspolitik und Staatsräson bei den Verhandlungen des Westfälischen Friedenskongresses über die Gravamina Ecclesiastica, in: ARG 54 (1953), 203 223, hier 223. 7 Dietrich Reinkingk, Biblische Policey, Frankfurt (1653), 2. Aufl. 1681, 14. Das sprechende Zitat bei Wolfgang Reinhard, Konfessionelle Grundlagen und Auswirkungen des Dreißigjährigen Krieges, in: Historischer Verein für Nördlingen und das Ries. Jahrbuch 27 (1985) u.d.T.: Friede ernährt, Krieg und Unfriede zerstört. 14 Beiträge zur Schlacht bei Nördlingen 1634, Nördlingen 1985, 21 - 38, hier 27: „Religio und Ratio Status fangen beyde vom R. an, und stecket in diesen beyden das größte Arcanum Republicarum, sonderlich wann ein neues Reich und Regiment stabilirei werden s o l l . . . Eine Religion in einem Lande und Republica verbindet und verknüpftet die Gemüther der Unterthanen unter sich und gegen ihre Obrigkeit so viel stärker und erhält besser Vertrauen". 8 Vgl. Johannes Burkhardt, Frühe Neuzeit, in: Richard van Dülmen (Hrsg.), Fischer-Lexikon Geschichte, Frankfurt a. M. 1990,364 -385.

Konfession als Argument in den zwischenstaatlichen Beziehungen

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D e r frühmoderne Staat i m A u f b a u ist als Konfessionsstaat angetreten. Z w a r s i n d alle Versuche ü b e r h o l t , b e s t i m m t e Konfessionen m i t b e s t i m m t e n ökonomischen, sozialen oder p o l i t i s c h e n Verhaltensmustern z u s y n c h r o n i sieren 9 , aber daß die E n t s c h e i d u n g f ü r eine der Konfessionen, die d a n n auch d u r c h z u h a l t e n u n d d u r c h z u b i l d e n w a r , t r o t z mancher V a r i a n t e n u n d Besonderheiten gleichsam z u m etatistischen P r o g r a m m gehörte, ist eine konsensfähige G r u n d a n n a h m e der Frühneuzeitler. Das leuchtet i n besonderem Maße i n n e n p o l i t i s c h ein, insofern der Staat m i t der konfessionellen Dezision die Homogenisierung u n d soziale D i s z i p l i n i e r u n g der U n t e r t a n e n fördern k o n n t e u n d seine politische I d e n t i t ä t v e r s t ä r k t e 1 0 . I n F r a n k r e i c h w a r z w a r die a r b i t r ä r e S t e l l u n g H e i n r i c h s I V . über den Religionsparteien ein erster Hebel des p o l i t i s c h e n Erfolgs, aber die A k z e p t a n z eines k a t h o l i s c h e n K ö n i g t u m s p r o g r a m m i e r t e doch eine E n t w i c k l u n g , die m i t der R e v o k a t i o n seines Toleranzediktes v o n Nantes 1685 die konfessionelle H o m o g e n i t ä t des Staates herstellte. A b e r eine solche konfessionelle V e r s t ä r k u n g der I d e n t i t ä t der Staaten w a r n i c h t n u r e i n innenpolitischer, sondern auch e i n a u ß e n p o l i t i scher Tatbestand. D i e zwischenstaatlichen Beziehungen gingen - u m es m i t dem P r o g r a m m b e g r i f f des H i s t o r i k e r t a g s z u sagen - noch keineswegs i n I d e n t i t ä t e n auf, die r e i n p o l i t i s c h u n d konfessionsneutral gewesen wären. D e r konfessionelle A s p e k t k o n n t e auf v i e l f ä l t i g e Weise ins a u ß e n p o l i t i sche Spiel kommen. Z u m Beispiel eröffnete die konfessionelle I d e n t i t ä t der M ä c h t e besondere I n t e r v e n t i o n s m ö g l i c h k e i t e n , w i e sie sich a m s p e k t a k u l ä r sten i n einer schwedischen K r i e g s d r o h u n g äußerte, die 1707 die Gegenreform a t i o n i n Schlesien a n h i e l t u n d z u r A l t r a n s t ä d t e r K o n v e n t i o n führte. Schon 1702 veranlaßten Schweden, die Niederlande u n d B r a n d e n b u r g i h r e n e n g l i schen Partner, eine D e n k s c h r i f t zugunsten der österreichischen Protestant e n zu präsentieren. Das w a r zu B e g i n n des Spanischen Erbfolgekriegs p o l i tisch eher störend, denn w i e die englische Forschung l a k o n i s c h feststellte, h a t die D e n k s c h r i f t nichts dazu beigetragen, die Beziehungen zwischen den A l l i i e r t e n z u verbessern 1 1 . Angesichts der dynastischen S t r u k t u r der F ü r stenstaaten, die m i t der Sukzessionsproblematik gleichsam die z u zahllosen Erbfolgekriegen

führende

destabilisierende

Schwachstelle

eingebaut

9 Vgl. dazu treffend Paul Münch (Hrsg.), Ordnung, Fleiß und Sparsamkeit. Texte und Dokumente zur Entstehung der „bürgerlichen Tugenden" (dtv dokumente), München 1984, Einleitung 33 f. - Ein neuer Versuch, religiöse Strömungen auf politische Affinitäten hin zu interpretieren, endet mit der Erkenntnis, daß sich je nach Umfeld ganz gegensätzliche Beiträge geleistet und Einstellungen gefördert haben. Mary Fulbrook, Piety and Politics. Religion and the Rise of Absolutism in England, Württemberg and Prussia, Cambridge 1983, 174ff. 10 Vgl. die grundlegenden Studien von Reinhard und Schilling, repräsentativ zum Beispiel: Wolfgang Reinhard, Zwang zur Konfessionalisierung, ZHF 10 (1983), 257 277. Heinz Schilling, Die Konfessionalisierung im Reich. Religiöser und gesellschaftlicher Wandel in Deutschland zwischen 1555 und 1620, in: HZ 246 (1988), 1 - 45. 11 Linda und Marsha Frey, A Question of Empire. Leopold I and the War of Spanish Succession, 1701 - 1705, New York 1983, 55.

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hatten, w a r es auch n i c h t gleichgültig, daß die H e i r a t s p o l i t i k n o c h v o n k o n fessionellen A f f i n i t ä t e n geprägt w a r . W e n n P h i l i p p W i l h e l m v o n P f a l z - N e u b u r g mehrere Töchter erfolgreich „ u n t e r b r i n g e n " konnte, d a n n doch m i t der charakteristischen E i n s c h r ä n k u n g seines Biographen, der „Schwiegervater des zumindest k a t h o l i s c h e n Europas seiner Z e i t " gewesen z u sein 1 2 . Eine besondere Einfallsschneise konfessioneller Vorbehalte w a r e n die geistlichen Staaten des Reichs, die auch aus existentieller F u r c h t vor S ä k u l a r i s a t i o n u n d U m s t u r z p l ä n e n z u defensiver Vorsicht gegenüber

protestantischen

M ä c h t e n n e i g t e n 1 3 . A u c h der d u r c h das P a p s t t u m h i n e i n k o m m e n d e konfessionelle A s p e k t ist t r o t z seiner seit 1648 abnehmenden p o l i t i s c h e n G e l t u n g n i c h t z u vernachlässigen; m a n sollte n i c h t vergessen, daß sich w i e Ranke auch der moderne R e k o n s t r u k t e u r des Staatensystems seit L u d w i g X I V . , M a x I m m i c h , m i t einer Papstmonographie

für

diese Aufgabe

„legiti-

m i e r t e " 1 4 . V o r a l l e m aber k o n n t e die konfessionelle I d e n t i t ä t der interagierenden Staaten politische Gegnerschaften verstärken oder konterkarieren, das politische B ü n d n i s v e r h a l t e n stützen oder d i s f u n k t i o n a l durchkreuzen. Das konfessionelle A r g u m e n t mußte, je nachdem, ob es m i t dem p o l i t i s c h e n gleichlief oder gegenläufig w a r , die politische L a g e r b i l d u n g verabsolutieren oder relativieren. Was h a t das f ü r das System v o n K r i e g u n d F r i e d e n bedeutet? Es w ä r e interessant, e i n m a l m e t h o d i s c h zu untersuchen, w a n n konfessionelle A r g u mente i m zwischenstaatlichen Verkehr einen eher kriegstreibenden C h a r a k ter h a t t e n u n d i n w i e w e i t die B e r u f u n g auf eine gemeinsame R e l i g i o n auch friedensdienliche Aspekte entwickelte. E i n e solche G e w i c h t u n g muß allerdings jeweils auch das V e r h ä l t n i s zu anderen friedensrelevanten F a k t o r e n m i t b e d e n k e n u n d gerät z u d e m i n der Epoche eines n o c h keineswegs e x i stenzgesicherten Staatensystems i n besondere I n t e r p r e t a t i o n s s c h w i e r i g k e i t e n h i n s i c h t l i c h der i n Rechnung z u stellenden Zwischenstaatlichkeiten. D i e P r o b l e m v e r w i c k l u n g soll d a r u m besser an einem F a l l b e i s p i e l angerissen werden, das es erlaubt, die Probleme ein w e n i g zu sortieren u n d i n eine historische Perspektive z u rücken. Das f r e i l i c h an einem p r o m i n e n t e n F a l l : dem habsburgisch-französischen Grundgegensatz i m Zeitalter L u d w i g s X I V . u n d dem Versuch seiner Ü b e r w i n d u n g .

12 Hans Schmidt, Philipp Wilhelm von Pfalz-Neuburg (1615 - 1690) als Gestalt der deutschen und europäischen Politik des 17. Jahrhunderts, Bd. 1, Düsseldorf 1973, 18. Grundsätzlich zur Problematik Johannes Kunisch (Hrsg. in Zusammenarbeit mit Helmut Neuhaus), Der dynastische Fürstenstaat. Zur Bedeutung von Sukzessionsordnungen für die Entstehung des frühmodernen Staates (Historische Forschungen, 21), Berlin 1982. 13 Vgl. Alfred Schröcker, Ein Schönborn im Reich. Studien zur Reichspolitik des Fürstbischofs Lothar Franz von Schönborn, Wiesbaden 1978, 20. 14 So Below und Meinecke im Vorwort zu Max Immich, Geschichte des europäischen Staatensystems 1660 - 1789, Darmstadt 1967, unter Bezugnahme auf ders., Papst Innozenz XI., Berlin 1900.

Konfession als Argument in den zwischenstaatlichen Beziehungen

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I. D i e Gegnerschaft zwischen dem Haus H a b s b u r g u n d d e m französischen Königshaus h a t b e k a n n t l i c h die d i p l o m a t i s c h e n S t r u k t u r e n der F r ü h e n Neuzeit m e h r als 250 Jahre l a n g b e s t i m m t . I m 15. J a h r h u n d e r t aus dem K a m p f u m die Vorherrschaft i n I t a l i e n entstanden, weitete sich der K o n f l i k t rasch z u einem „ D u e l l u m E u r o p a " aus, w i e H e i n r i c h L u t z die k o n k u r r e n z f i xierte Kriegsserie anschaulich bezeichnet h a t 1 5 . I n einem langen 16. Jahrhundert hatte es so ausgesehen, als ob die Habsburger i n Gestalt Kaiser K a r l s V., der spanischen M o n a r c h i e P h i l i p p s I I . oder der n e u f o r m i e r t e n Hauseinheit z u B e g i n n des D r e i ß i g j ä h r i g e n Krieges das D u e l l g e w i n n e n k ö n n t e n ; i m 17. J a h r h u n d e r t schien L u d w i g X I V . auf dem Wege dazu z u sein, u n d i m 18. J a h r h u n d e r t pendelte sich m i t H i l f e Englands das G l e i c h g e w i c h t ein. A b e r erst i m Jahre 1756 w u r d e das Renversement der A l l i a n z e n vollzogen, deren K e r n s t ü c k der Ausgleich zwischen den antagonistischen K o n t i n e n t a l m ä c h ten, ein B ü n d n i s zwischen W i e n u n d Versailles gewesen ist. A l s „ d i p l o m a t i sche R e v o l u t i o n " ist diese außenpolitische Sensation des 18. Jahrhunderts treffend bezeichnet. I n seinem schon klassischen W e r k h a t n u n M a x B r a u b a c h 1952 „ V o r s t a d i e n der d i p l o m a t i s c h e n R e v o l u t i o n " freigelegt. Es s i n d dies Anfänge, Projekte u n d Episoden einer A n n ä h e r u n g zwischen den verfeindeten Höfen, denen B r a u b a c h d e t a i l l i e r t n a c h g i n g u n d sie bis i n die Z e i t L u d w i g s X I V . z u r ü c k v e r f o l g t e 1 6 . Das historische Erkenntnisinteresse des Bonner H i s t o r i kers w a r w o h l etwas v o n der sich anbahnenden deutsch-französischen A u s söhnung der 1950er Jahre m i t b e s t i m m t ; d e u t l i c h setzt das B u c h Gegenakzente gegenüber einer historiographischen T r a d i t i o n , die i n der Geschichte v o n Reich u n d F r a n k r e i c h n u r Erbfeindschaft a m Werke gesehen hatte. Das ehrenwerte Engagement des H i s t o r i k e r s b e r ü h r t bis heute sympathisch, auch w e n n das Interesse an dieser Friedenschance heute i n eine etwas grundsätzlichere u n d - v i e l l e i c h t w i e d e r aus einer anderen Z e i t heraus andere Perspektive u n d Sprache z u r ü c k e n ist u n d die folgenden Ü b e r l e g u n gen auch die Kehrseite einer m ö g l i c h e n E n t s p a n n u n g n i c h t übersehen lassen. Jedenfalls g r ü n d e n die Beobachtungen Braubachs auf einem b r e i t e n A k t e n b e f u n d u n d s i n d z u m T e i l auch i n der g e d r u c k t e n großen französischen I n s t r u k t i o n e n s a m m l u n g ü b e r p r ü f b a r 1 7 . Anderes ist d u r c h neuere F o r 15 Heinrich Lutz, Friedensideen und Friedensprobleme in der Frühen Neuzeit, in: Gernot Heiss/Heinrich Lutz (Hrsg.), Friedensbewegungen. Bedingungen und Wirkungen (Wiener Beiträge zur Geschichte der Neuzeit, 11), Wien 1984, 28 - 54, 31. 16 Max Braubach, Versailles und Wien von Ludwig XIV. bis Kaunitz. Die Vorstadien der diplomatischen Revolution im 18. Jahrhundert (Bonner Historische Forschungen, 2), Bonn 1952, 1 - 104. 17 Recueil des instructions données aux ambassadeurs et ministres de France depuis les Traités de Westphalie jusqu'à la Révolution française. Bd. 1: Autriche, hrsg. v. A. Sorel, Paris 1884.

Johannes Burkhardt

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schung heute n o c h z u ergänzen. Insgesamt handelte es sich i n der Z e i t L u d w i g s X I V . v o r a l l e m u m d r e i historische E n t s p a n n u n g s - u n d K o o p e r a t i o n s versuche: Das erste Beispiel w a r der geheime Erbschaftsvertrag v o m 19. Januar 1668. Angesichts

des allgemein e r w a r t e t e n

u n d zwischen den

Höfen

u m k ä m p f t e n A n f a l l s des spanischen Erbes w u r d e n bereits seit 1663 T e i lungspläne als beste L ö s u n g ins Gespräch gebracht, so d u r c h den M a i n z e r K u r f ü r s t e n u n d E r z k a n z l e r J o h a n n P h i l i p p v o n S c h ö n b o r n auf dem Regensburger Reichstag. I n der Entspannungsphase a m E n d e des D e v o l u t i o n s k r i e ges gelang es dem französischen Gesandten G r é m o n v i l l e i n W i e n i n einem k o m p l i z i e r t e n Spiel, i n d e m a m Ende m i t L o b k o w i t z u n d Auersperg das p r o französische w i e das prospanische P a r t e i h a u p t a m Kaiserhof gewonnen waren, i n der T a t einen geheimen Teilungsvertrag abzuschließen. D e r bis ins 19. J a h r h u n d e r t w i r k l i c h geheim gebliebene V e r t r a g sah eine K o o p e r a t i o n der M ä c h t e b e i der D u r c h s e t z u n g des T e i l u n g s p r o j e k t s i n S p a n i e n u n d gegenseitige m i l i t ä r i s c h e U n t e r s t ü t z u n g vor, wies also sogar B ü n d n i s c h a r a k t e r auf, w e n n g l e i c h er i n den p o l i t i s c h e n u n d personellen Wechselfällen k e i n e n Bestand bis z u m tatsächlichen E i n t r i t t des Erbfalls h a t t e 1 8 . D o c h b l i e b die spanische Erbfrage

n i c h t n u r ein S t r e i t - , sondern auch ein

A n k n ü p f u n g s p u n k t , t r i e b n i c h t n u r z u K o n f l i k t e n , sondern - n a c h dem Zeugnis der umfangreichen Quellen - auch z u V e r h a n d l u n g e n 1 9 . Z u m z w e i t e n M a l v e r d i c h t e t e n sich die d i p l o m a t i s c h e n I n i t i a t i v e n i m U m k r e i s des Pfälzischen Erbfolgekriegs oder Orléansschen K r i e g s 2 0 . „ L ' h i stoire d i p l o m a t i q u e r e n a i t ! " w u r d e ein W e r k i m V o r w o r t seines Herausgebers a n g e k ü n d i g t , das unlängst dem U r s p r u n g des Krieges auf fast tausend Seiten n a c h g i n g u n d so u n t e r anderem auch d e u t l i c h macht, daß der K r i e g m i t Kaiser u n d Reich f ü r die französische D i p l o m a t i e keine vorgezeichnete Einbahnstraße gewesen i s t 2 1 . A u c h die Sondierungen u n d V e r m i t t l u n g e n , die den K r i e g begleiteten u n d i n denen sich der n o t o r i s c h französische Parteigänger i m Reich, W i l h e l m v o n Fürstenberg, n o c h e i n m a l hervortat, l o c k ten

mit

einem

grundsätzlichen

Interessenausgleich

und

kooperativen

18 Braubach, Versailles (Anm. 16), 9 - 13, zu ergänzen um die weitergehende Beurteilung von Jean Bérenger, A n Attempted 'rapprochement' between France and the Emperor. The Secret Treaty for the Partition of the Spanish Succession of 19 January 1668, in: Ragnhild Hatton (Hrsg.), Louis X I V and Europe, London 1976, 133 - 152, bes. 146 und 152, Anm. 47. Der zuerst 1965 erschienene Aufsatz setzt sich allerdings mit der hier skeptischen Position Braubachs und der deutschen Forschungstradition nicht auseinander. 19 Vgl. allein Mignet, Négociations relatives à la succession d'Espagne, 4 Bde., Paris 1835 - 1842, hier Bd. 2, 324ff. 20 Vgl. zu den internationalen Bezeichnungsdifferenzen mit dem Vorschlag „Orléansscher Krieg". Heinz Duchhardt, Altes Reich und Europäische Staatenwelt 1648 1806 (Enzyklopädie deutscher Geschichte, 4), München 1990, 22. 21 Charles Boutant, L'Europe au grand tournant des années 1680. La Succession palatine, Paris 1985. Vorwort von André Corvisier, vgl. bes. 350ff., 863 - 870.

Konfession als Argument in den zwischenstaatlichen Beziehungen

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Z u k u n f t s p e r s p e k t i v e n 2 2 . D i e b e r ü c h t i g t e R i j s w i j k e r K l a u s e l v o n 1697, die a m Ende des Krieges das auf d e m N o r m a l j a h r 1624 gründende Reichsreligionsrecht des Westfälischen Friedens f ü r die K u r p f a l z durchbrach, w a r doch ein greifbares Ergebnis einer begrenzten Zusammenarbeit. D e r französische Gesandte i n W i e n u n d spätere M a r s c h a l l u n d Staatsmann V i l l a r s suchte diese Ä n n ä h e r u n g s p o l i t i k f o r t a n zu intensivieren. E i n e n d r i t t e n H ö h e p u n k t u n d zugleich eine neue Q u a l i t ä t erreichte diese A u s g l e i c h s p o l i t i k a m Ende des Spanischen Erbfolgekriegs. N a c h Beseitigung des u n m i t t e l b a r e n K o n f l i k t s t o f f e s d u r c h die T e i l u n g des spanischen Reiches w a r der historische M o m e n t günstig. I n W i e n w a r m a n noch über den Sonderfrieden des englischen Verbündeten m i t F r a n k r e i c h verärgert, aber auch i n F r a n k r e i c h b e u n r u h i g t e das aufsteigende E n g l a n d u n t e r w e c h selnder F ü h r u n g , so daß Interessen der K o n t i n e n t a l m ä c h t e zu konvergieren begannen u n d über eine dauerhafte V e r s t ä n d i g u n g gesprochen w u r d e . D i e üblichen Vermittlungen,

Sondierungen u n d Friedensverhandlungen

er-

reichten schließlich i n d i r e k t e n K o n s u l t a t i o n e n u n d k o o r d i n i e r t e n A k t i o n e n zwischen V i l l a r s u n d Prinz Eugen eine hochrangige Ebene, w e n n g l e i c h das A u s m a ß einer a u ß e n p o l i t i s c h e n M o d i f i z i e r u n g s b e r e i t s c h a f t

Eugens u n d

der österreichischen Seite n i c h t leicht zu beurteilen i s t 2 3 . E i n s c h r ä n k e n d w ä r e auch z u bedenken, daß ewige G ü l t i g k e i t s d a u e r schon z u m P r o t o k o l l der Friedensverträge gehörte u n d dies i n einem e i n m a l näher z u untersuchenden u n d z u gewichtenden Maße i n dieser Z e i t auch f ü r den Begriffskreis u m Freundschaft, V e r s t ä n d i g u n g u n d U n i o n g a l t 2 4 . D i e b e r ü h m t e n „ l e t z t e n I n s t r u k t i o n e n " L u d w i g s X I V . v o r seinem Tod, n a m e n t l i c h diejenige f ü r den Wiener Gesandten d u L u c v o m 3. Januar 1715, scheinen aber doch eine echte Umorientierungschance geboten zu haben, die n o c h n i c h t genutzt w u r d e 2 5 . 22 Braubach, Versailles (Anm. 16), 1 4 - 1 7 und ausführlicher ders., Wilhelm von Fürstenberg und die französische Politik im Zeitalter Ludwigs XIV. (Bonner Historische Forschungen, Bd. 36), Bonn 1972, 414, 487. 23 Vgl. neben Braubach, Versailles (Anm. 16) die ausführliche Diskussion bei ders., Prinz Eugen von Savoyen. Eine Biographie, 5 Bde., München/Wien 1963 - 1965, Bd. 3, 248 - 276. Das Fazit erkennt auf ein „gut Stück Ernsthaftigkeit", aber nur im Notfall Bereitschaft zu einem echten Wechsel der Bündnisse (276). Neuere noch zurückhaltendere Gewichtung bei Hermann Weber, Prinz Eugen und Frankreich, in: Johannes Kunisch (Hrsg.), Prinz Eugen von Savoyen und seine Zeit. Eine Ploetz-Biographie, Würzburg 1986, 104 - 112, bes. 110-112, während Heinz Duchhardt, Krieg und Frieden im Zeitalter des Prinzen Eugen, ebd., 22 - 30, 29 den Eugenschen wie konfessionellen Anteil an der Annäherung höher veranschlagt. 24 Zur Gültigkeitsdauer das Grundlagenwerk Jörg Fisch, Krieg und Frieden im Friedensvertrag. Eine universalgeschichtliche Studie über Grundlagen und Formelemente des Friedensschlusses (Sprache und Geschichte, 3), Stuttgart 1978, 361. Weitere Beobachtungen in Heinz Duchhardt, Gleichgewicht der Kräfte, Convenance, Europäisches Konzert. Friedenskongresse und Friedensschlüsse vom Zeitalter Ludwigs XIV. bis zum Wiener Kongreß (Erträge der Forschung, 56), Darmstadt 1976, 76 - 86 sowie demnächst in Johannes Burkhardt, Der Dreißigjährige Krieg, Frankfurt a. M. (im Druck). 25 Instructions, Bd. 1: Autriche (Anm. 17), Nr. IX, 154 - 183. Dazu Braubach, Versailles (Anm. 16), 45 - 104.

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E i n A n k n ü p f u n g s p u n k t u n d H a u p t a r g u m e n t f ü r a l l diese Pläne u n d S c h r i t t e der A n n ä h e r u n g w a r n u n stets die B e r u f u n g a u f die g e m e i n same katholische Religion. Es w ä r e gut u n d „ z u m Besten der a l l e i n seeligmachenden R e l i g i o n " , heißt es e t w a m i t t e n i m Kriege v e r m i t t e l n d , w e n n die „ C o n f i d e n z " zwischen den beiden k a t h o l i s c h e n M ä c h t e n „ e i n w e n i g redressiert" w e r d e n k ö n n t e 2 6 . D e r Ruf n a c h vertrauensbildenden

Maßnahmen

appellierte schon h a b i t u e l l an die konfessionelle S o l i d a r i t ä t . D e r „gemeinsamen R e l i g i o n h a l b e r " , f ü r „das Beste der R e l i g i o n " , w e i l es „ d e r R e l i g i o n dienen" w ü r d e , erscheint eine V e r s t ä n d i g u n g zwischen den M ä c h t e n w ü n schenswert; das „Interesse der R e l i g i o n " fordere es oder gar „das Interesse G o t t e s " 2 7 . Entsprechend w e r d e n i n der offiziellen französischen I n s t r u k t i o nensprache W o h l , Interesse u n d N u t z e n der k a t h o l i s c h e n R e l i g i o n z u r stehenden Formel, die eine v ö l l i g e Versöhnung u n d U n i o n m i t dem Kaiser verlangten: „ L e b i e n de l a r e l i g i o n " , „ l ' i n t é r ê t de la r e l i g i o n c a t h o l i q u e " oder deren „véritables intérêts" sowie auch n o c h 1725 „l'avantage de la r e l i g i o n c a t h o l i q u e " 2 8 . A u c h i m Echo u n d i n den Beratungen Wiens sprach f ü r ein Zusammengehen m i t F r a n k r e i c h „ d i e Sicherung unserer H e i l i g e n R e l i g i o n " 2 9 . D e n n gerade f ü r die Religion, so hieß es auf dem H ö h e p u n k t der französischen B ü n d n i s k a m p a g n e selbstkritisch, sei der

machtpolitische

Z w i e s p a l t schädlich gewesen, jetzt aber k ö n n t e n das Interesse der Religion u n d die w e l t l i c h e n Interessen zusammengehen 3 0 . N a t ü r l i c h gab es auch andere ideelle A r g u m e n t e f ü r eine Verbesserung der Beziehungen, aber mehr n o c h als der Sorge f ü r Ruhe u n d Frieden Europas oder den F a m i l i e n banden - den liaisons d u sang - w u r d e doch der R e l i g i o n zugetraut, gemeinsame Interessen zu mobilisieren. D i e Religionsinteressen m ü ß t e n „ p l u s que t o u t autre m o t i f réunier le R o i et l ' E m p e r e u r " , meinte die I n s t r u k t i o n f ü r d u Luc31. Angesichts solcher R h e t o r i k stellt sich die Frage, i n w i e w e i t die Rücksicht auf die R e l i g i o n auch ein w i r k l i c h e s M o t i v gewesen ist. E i n e besondere A l t e r s r e l i g i o s i t ä t L u d w i g s X I V . u n t e r dem E i n f l u ß f r o m m e r Kreise a m Hofe, auf die i n diesem Z u s a m m e n h a n g gern verwiesen w i r d , m a g a m Ende h i l f reich gewesen sein, geht aber den H i s t o r i k e r als eine i m p o l i t i s c h e n E n t scheidungsraum sachlich w i e z e i t l i c h n i c h t recht spezifizierbare Kategorie nichts w e i t e r a n 3 2 . E i n e Rolle h a t sicher gespielt, daß an vielen dieser I n i t i a t i v e n Personen geistlicher Staaten oder konfessionell a k t i v e r A u s r i c h t u n g beteiligt waren, geistliche K u r f ü r s t e n u n d Fürsten u n d päpstliche N u n t i e n 26

Kollonitsch an Fürstenberg, 9. Jan. 1693, bei Braubach, Versailles (Anm. 16), 15. Zitate bei Braubach, Versailles (Anm. 16), 24, 72, 82; 22. 28 Recueil Bd. 7 (Bavière), 4 (bezogen auf Österreich) bei Braubach (Anm. 16), 50 Anm. 15; Recueil Bd. 1: Autriche, 176; ebd., 220. 29 Bei Braubach (Anm. 16), 96. 30 Instruktion für du Luc 1715, Recueil Bd. 1: Autriche (Anm. 17), 159. 31 Recueil Bd. 1: Autriche (Anm. 17), 176. 32 Vgl. Duchhardt, Protestantisches Kaisertum (Anm. 3). 27

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oder andere V e r m i t t l e r aus dem U m k r e i s der Reichskirche oder der r ö m i schen K u r i e . Das P a p s t t u m k u l t i v i e r t e i n der F r ü h e n Neuzeit das ü b e r p a r teiliche I d e a l eines „ p a d r e comune" der k a t h o l i s c h e n Fürsten, z u dessen A m t s p f l i c h t e n i m m e r w i e d e r M a h n u n g e n zu F r i e d e n u n d Versöhnung z w i schen den verfeindeten V o r m ä c h t e n gehörten. Gerade i n dieser Epoche k u r s i e r t e n w i e d e r entsprechende Friedensdenkschriften, u n d die französische D i p l o m a t i e hat i n diesem Sinne auch m i t der K u r i e kooperiert u n d römische Vermittlungsdienste i n A n s p r u c h g e n o m m e n 3 3 . A b e r

religiöse

Sprache u n d Sache wiesen doch auch auf die Höfe selbst z u r ü c k , f ü r deren konfessionelle S o l i d a r i t ä t sich auch praktische Veranlassung bot. Z u m einen w a r e n das gemeinsame Vorbehalte u n d Projekte gegen den d u r c h E n g l a n d erstarkenden protestantischen N o r d e n Europas. D i e E n g l i sche R e v o l u t i o n v o n 1688, die erst e n d g ü l t i g die konfessionellen w i e b ü n d nispolitischen Weichen gegen R o m u n d F r a n k r e i c h stellte, w u r d e i n i h r e n Folgen v o n L u d w i g X I V . lange n i c h t anerkannt. D i e k r y p t o k a t h o l i s c h e u n d verdeckt profranzösische P o l i t i k der r e s t i t u i e r t e n Stuarts h a t t e n i m p o l i t i schen K a l k ü l L u d w i g s X I V . einen hohen Stellenwert gehabt, u n d das j a k o bitische K ö n i g t u m i m französischen E x i l b l i e b f ü r Versailles ein H o f f n u n g s träger. Z w a r mußte 1697 die Thronfolge W i l h e l m s I I I . a n e r k a n n t werden, aber davor u n d danach unterstützte L u d w i g X I V . die j a k o b i t i s c h e Sukzession bis h i n zu U m s t u r z p l ä n e n u n d Landungsmanövern. D e r konfessionelllegitimistische A s p e k t dieser P o l i t i k , der die Beziehungen zu E n g l a n d nachh a l t i g belastete, b o t aber bei dessen Wiener Verbündeten einen gewissen A n s a t z p u n k t . So hat Kaiser L e o p o l d 1692 i n französischen Friedenssondierungen das j a k o b i t i s c h e A n l i e g e n w o h l w o l l e n d u n t e r s t ü t z t u n d selbst einen K o m p r o m i ß vorgeschlagen, der eine T o l e r i e r u n g der englischen K a t h o l i k e n u n d nach dem T o d des Oraniers die Nachfolge des Sohnes des gestürzten S t u a r t m o n a r c h e n v o r s a h 3 4 . N o c h n a c h dem T o d der K ö n i g i n A n n a

im

A u g u s t 1714 tauchte f ü r einen M o m e n t w i e d e r die Idee einer Nachfolge des S t u a r t p r ä t e n d e n t e n auf, u n d auch i n W i e n erweckte die Aussicht der n i c h t mehr zu v e r h i n d e r n d e n hannoverschen Sukzession u n d Personalunion Sorgen f ü r die W a h r u n g des m a c h t - u n d konfessionspolitischen Status quo f ü r den K a i s e r 3 5 . D i e französischen I n s t r u k t i o n e n m a l e n denn auch ein kräftiges B i l d v o n einem ü b e r m ä c h t i g e n protestantischen Nordeuropa, i n dem neben E n g l a n d - H a n n o v e r v o n Brandenburg, D ä n e m a r k u n d Schweden i m B u n d e m i t w e i t e r e n Reichsständen die Rede i s t 3 6 .

33 Braubach, Versailles (Anm. 16), 27f. Zum Hintergrund päpstlicher Vermittlungsbemühungen vgl. Burkhardt, Abschied vom Religionskrieg (Anm. 73), 19 - 24. 34 Claude Nordmann, Louis XIV and the Jabobites, in: Ragnhild Hatton (Hrsg.), Louis X I V and Europe, London/Basingstoke 1976, 82 - 111, 86. 35 Braubach, Versailles (Anm. 16), 97 f. 36 Recueil Bd. 1: Autriche (Anm. 17), 154 - 183; Recueil, Bd. 2: Suède, 247 - 276. Vgl. Braubach, Versailles (Anm. 16), 67, 74.

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Johannes Burkhardt

Z u m anderen bezog sich die praktische Interessenwahrung d i r e k t auf den Konfessionsstand des Reiches u n d benachbarter beiderseitiger I n t e r e s s e n sphären. Es ist symptomatisch, daß m i t der R i j s w i j k e r K l a u s e l das erste bleibende Ergebnis der geheimen K o o p e r a t i o n ein konfessionspolitisches gewesen ist, das der Gegenreformation a m Rhein einen späten T r i u m p h bescherte, allerdings auch G e g e n a k t i v i t ä t e n weckte. Bei Beendigung des nächsten Krieges w i e d e r h o l t e sich i n gewisser Weise dieses Spiel d u r c h eine konzertierte I n t e r v e n t i o n der beiden M ä c h t e i n der Schweiz zugunsten der k a t h o l i s c h e n R e l i g i o n s p a r t e i 3 7 . V o r a l l e m aber v e r k l a m m e r t e sich die m e h r europäische Sorge v o r einer protestantischen Ü b e r m a c h t E n g l a n d - H a n n o vers i n F r a n k r e i c h m i t den m e h r reichspolitischen Sorgen v o r einer protestantischen Ü b e r m a c h t H a n n o v e r - E n g l a n d s a m Kaiserhof. D i e Idee eines protestantischen Kaisertums, m i t der die evangelischen K u r f ü r s t e n

und

M ä c h t e i m m e r w i e d e r umgingen, schien d u r c h das zusätzliche verstärkte Gewicht der neuen hannoverschen K u r s t i m m e noch einmal a k t u e l l zu werden oder w u r d e doch dem Kaiserhof v o n der französischen D i p l o m a t i e gezielt als B e d r o h u n g v o r g e s t e l l t 3 8 . D i e Ansätze z u einer E n t s p a n n u n g s p o l i t i k zwischen Versailles u n d W i e n gründeten also auf einer sprachlich konventionellen, aber eher w i e d e r zunehmenden u n d i n t e n s i v i e r t e n Beschwörung der gemeinsamen Religion, auf der P a r t i z i p a t i o n v o n A m t s t r ä g e r n u n d A n w ä l t e n des konfessionellen Sonderinteresses u n d auf der A u f n a h m e realen K o n f l i k t s t o f f s i m Reich u n d i n Europa. Es gab i n dieser B ü n d n i s i n i t i a t i v e echte religionspolitische H o f f nungen u n d Befürchtungen, die aber doch auch etwas d r a m a t i s i e r t w i r k e n . W i e ernst ist das konfessionelle A r g u m e n t z u nehmen? Was sollte es eigentl i c h leisten? II. I n seinem einer anderen Z e i t g e w i d m e t e n Religionskriegsaufsatz h a t K o n r a d Repgen v o n der Frage der M o t i v a t i o n g r u n d s ä t z l i c h die öffentliche L e g i t i m a t i o n als die f ü r den H i s t o r i k e r maßgebliche Ebene abgehoben 3 9 . Das ist eine erhellende, w e n n auch i n der Praxis z u strenge Unterscheidung, schon w e i l die M ö g l i c h k e i t , etwas l e g i t i m i e r e n zu können, l e i c h t selbst z u m H a n d l u n g s m o t i v w i r d , u n d w e i l i m speziellen Falle gerade das Religionsargument m i t Rücksicht auf anderskonfessionelle Bundesgenossen selten ganz öffent37

Näheres bei Braubach, Versailles (Anm. 16), 55 f. Recueil Bd. 1: Autriche, 156 - 158. Vgl. mit weiteren Quellen Duchhardt, Protestantisches Kaisertum (Anm. 3), 247 ff. 39 Konrad Repgen, What is a 'Religious War'? in: Politics and Society in Reformation Europe. Essays for Sir Geoffrey Elton on his 65th birthday, London 1987, 311328, 313. Vgl. zum methodischen Hintergrund auch ders., Kriegslegitimationen in Alteuropa. Entwurf einer historischen Typologie (Schriften des Historischen Kollegs, 9), München 1985, auch in HZ 241 (1985), 27 - 49. 38

Konfession als Argument in den zwischenstaatlichen Beziehungen

145

l i e h w a r . A b e r das A b r ü c k e n v o n der Motivationsebene weist i n die r i c h t i g e Richtung. E i n A r g u m e n t , f o r m a l zwischen M o t i v a t i o n u n d n a c h t r ä g l i c h e r L e g i t i m a t i o n , soll etwas b e w i r k e n - b e i m Partner, bei der eigenen Partei oder auch z u r Selbstvergewisserung - , u n d das muß n i c h t n u r das sein, was es sagt. Schon B r a u b a c h h a t es n i c h t b e i religiösen M o t i v e n belassen, die er - m i t Vorsicht - m i t w i r k e n sieht, sondern die p o l i t i s c h - f u n k t i o n a l e Seite der Sache angedeutet 4 0 . D e n n u m i n der D i p l o m a t i e m i t e i n a n d e r ins Gespräch zu k o m m e n u n d Entgegenstehendes vergessen zu lassen, mußte m a n an Gemeinsamem heranziehen, was m a n hatte, u n d hier k a m die Religion gerade gelegen. Selbst K o n s u l t a t i o n e n u n d k o o r d i n i e r t e I n t e r v e n t i o n e n v o n M ä c h t e n lassen n i c h t den Schluß zu, daß den B e t e i l i g t e n die Sache selbst v o n p r i m ä r e r Bedeutung ist; es g i n g bei diesen k l e i n e n konfessionellen Geländegewinnen eher u m erste diplomatische D e m o n s t r a t i o n e n der vertrauensvollen Zusammenarbeit. U n d was die konfessionellen Bedrohungsvorstellungen angeht, n a m e n t l i c h d u r c h das protestantische K a i s e r t u m , so h a t der Erforscher dieses historischen Langprojektes klargestellt, daß i n dieser Z e i t k a u m noch eine u n m i t t e l b a r e Realisierungschance bestand, es aber doch n o c h als „ I n t e g r a t i o n s f a k t o r der k a t h o l i s c h e n Seite" w i r k t e 4 1 . Das konfessionelle A r g u m e n t sollte dabei n i c h t etwa f r o m m über eine andersartige politische Interessenlage hinwegtäuschen, i n der i n W a h r h e i t vieles f ü r eine b ü n d n i s p o l i t i s c h e U m o r i e n t i e r u n g sprach. Das A r g u m e n t hatte v i e l m e h r ein selbst hochideologisiertes Gegenargument z u e n t k r ä f t e n u n d relativieren: das Geschichtsbild. D e r habsburgisch-französische A n t a gonismus hatte n i c h t n u r schon 200 Jahre bestanden, sondern er w a r i n der historisch-politischen

Publizistik

des 17. Jahrhunderts

auch

sorgfältig

gepflegt worden. D i e F l u g s c h r i f t e n des D r e i ß i g j ä h r i g e n Krieges w i e die P o l e m i k u m L i s o l a u n d L e i b n i z ergingen sich n i c h t n u r i n historisch nachw i r k e n d e n Schuldzuweisungen, sondern a r g u m e n t i e r t e n dabei selbst schon historisch, w e r v o n beiden „ C h a r l e q u i n t i s c h e oder

Gustav-Adolphische

C o n s i l i a " hege 4 2 . A u c h i n den I n s t r u k t i o n e n an die Gesandten w u r d e der Antagonismus der beiden Häuser als ein schon geschichtlicher Sachverhalt behandelt u n d erläutert, m i t dem m a n rechnen müsse, j a als n a t ü r l i c h e u n d gleichsam ererbte Gegnerschaft - „ l ' o p p o s i t i o n si naturelle comme hérédit a i r e " 4 3 . D e r Begriff des Erbfeindes k a m auf oder w u r d e v o n dem t ü r k i s c h e n »Erbfeind des c h r i s t l i c h e n Namens' auf den i n n e r c h r i s t l i c h e n ,Reichsfeind' übertragen. N o c h M a r i a Theresia sprach i m R ü c k b l i c k v o m 40

„Erbfeind

Braubach, Versailles (Anm. 16), 87. Duchhardt, Protestantisches Kaisertum (Anm. 3), 204ff. 42 Gottfried Wilhelm Leibniz, Securitas Publica (1670), in ders., Sämtliche Schriften und Briefe, hrsg. von der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, 4. Reihe: Politische Schriften, Bd. 1, Berlin 1971, 174 - 207, 175. Vgl. Alfred Francis Pribram, Franz Paul Freiherr von Lisola, Leipzig 1894, 353f. 43 Instruktion für Vitry 1679, Recueil 1: Autriche (Anm. 17), 71, wiederholt 1680, 81. 41

10 Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 11

146

Johannes Burkhardt

meines Erzhauses v o n A n f a n g a n " ; nach der Wende v o n 1756 sagte sie d a n n „ d e r bisherige E r b f e i n d " 4 4 . Diese sich verselbständigende historische T r a d i t i o n , deren E i n f l u ß sich i n vielen Beratungen beider Seiten nachweisen ließe, w a r n i c h t ohne praktische Relevanz. I n dem b e r ü h m t e n französischen K r o n r a t v o m 10. November 1700, der m i t dem Beschluß zur A n n a h m e des spanischen Testaments d e n S p a n i s c h e n E r b f o l g e k r i e g auslöste, w u r d e n noch e i n m a l die Verständigungsmöglichkeiten m i t Österreich erwogen. D i e E n t s c h e i d u n g fiel u n t e r

ausdrücklichem

Hinweis

auf die

historischen

E x e m p e l bis z u r ü c k zu K a r l V., die n i c h t an redliche Teilungsabsichten der anderen Seite glauben ließen 4 5 . Dieses A r g u m e n t findet sich mehrfach. Wie m a n sieht, w ä r e also auch e i n m a l über historische A r g u m e n t e u n d ihre F u n k t i o n i n den zwischenstaatlichen Beziehungen nachzudenken. Z u beachten ist dabei das statische Geschichtsbild u n d E x e m p e l d e n k e n der F r ü h e n Neuzeit, die diesen habsburgisch-bourbonischen Gegensatz noch zusätzlich stabilisierten u n d perpetuierten. N o c h 1738, als die d i p l o m a t i sche R e v o l u t i o n fast gelungen wäre, berichtete der venezianische Gesandte k o p f s c h ü t t e l n d über einen derartigen B r u c h m i t allen d i p l o m a t i s c h e n T r a ditionen, der n i c h t gutgehen könne. N i c h t ohne professionelle Befriedigung registrierte d a n n sein Nachfolger, daß die Bedenken berechtigt gewesen w a r e n u n d zwischen den verfeindeten Häusern w i e d e r die i m m e r gleichen und

feststehenden

Maximen

galten -

„le

massime

sempre

eguali

e

c o s t a n t i " 4 6 . Erst das i n n o v a t i o n s f r e u n d l i c h e K l i m a seit der J a h r h u n d e r t m i t t e h a t d a n n den T r a d i t i o n s b r u c h begünstigt - m a n k a n n bis i n die E i n zelheiten der Sprache seit den 1750er Jahren das aufgeklärte Pathos gegen „ a l t e V o r u r t e i l e " f ü r ein „neues System" u n d eine v o r w ä r t s g e w a n d t e „Revol u t i o n " i n den d i p l o m a t i s c h e n A r g u m e n t e n f ü r den Bündniswechsel nachw e i s e n 4 7 . Umso nötiger aber w a r es, Gegenargumente zu finden, solange 44 Denkschrift Maria Theresias an Daun, 1759 im Anhang von: Johannes Kunisch, Das Mirakel des Hauses Brandenburg. Eine Studie zum Verhältnis von Kabinettspolitik und Kriegsführung im Zeitalter des Siebenjährigen Krieges, München/ Wien 1978, 98. Vgl. typische Stellen bei Heinz Duchhardt, (Hrsg.), Quellen zur Verfassungsgeschichte des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, Darmstadt 1983, 59, 64, 135 - 142 und bei Hans Hubert Hofmann (Hrsg.), Quellen zum Verfassungsorganismus des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation (Freiherr von Stein-Gedächtnisausgabe, 13), Darmstadt 1976, 250, 226ff. 45 Nach den Aufzeichnungen von de Torcy. Vgl. Legrelle, La diplomatie française et la succession d'Espagne, Bd. 4, Paris 1892, 816 - 819. Ähnlich auch in der Instruktion für Villars 1698, Recueil Bd. 1: Autriche (Anm. 17), 135. 46 Finalrelation Capello 1744, in: Alfred Ritter von Arneth (Hrsg.), Die Relationen der Botschafter Venedigs über Österreich im 18. Jh. (Fontes rerum Austriacarum, 12), Wien 1863, 221. Vgl. zuvor Finalrelation Erizzo 1738, 151. 47 Hierzu beabsichtige ich eine eigene Studie; vgl. vorläufig Burkhardt, Frühe Neuzeit (Anm. 8). Zum geschichtstheoretischen Hintergrund vgl. die Grundlagenbeiträge in dem Sammelband Reinhart Koselleck, Vergangene Zukunft, Frankfurt 1979, sowie vielfach konvergierend Johannes Burkhardt, Strukturelemente der neueren historischen Wissenschaften, in: August Nitschke (Hrsg.), Verhaltenswandel in der Industriellen Revolution, Stuttgart 1975, 73 - 91.

Konfession als Argument in den zwischenstaatlichen Beziehungen

147

B ü n d n i s t r a d i t i o n u n d vormoderne Geschichtsauffassung ü b e r e i n s t i m m e n d dafür sprachen, a m g u t e n „ a l t e n System" n i c h t z u rühren. So fungierten die konfessionellen A r g u m e n t e d e u t l i c h als Gegenideologie. D i e geschichtsbildgestützte aggressive Abgrenzungsideologie zwischen den M ä c h t e n w u r d e d u r c h eine religiöse Integrationsideologie neutralisiert - m i t sehr begrenztem u n d n i c h t anhaltendem Erfolg. D e r historische M o m e n t g i n g 1715 ungenützt vorbei, teils w e i l die französische D i p l o m a t i e doch noch verschiedene Spiele gleichzeitig spielen w o l l t e , teils wegen einer gewissen Entschlußlosigkeit i n Wien: das historische A r g u m e n t w a r stärker. B r a u b a c h kompensierte sein Bedauern über das Scheitern einer f r ü h e n Freundschaft m i t F r a n k r e i c h , i n d e m er diesen Ansatz einer europäischen N e u o r i e n t i e r u n g z u m versöhnlichen Z u k u n f t s p r o g r a m m e r k l ä r t e 4 8 . U n d i n der T a t scheint so doch e i n m a l die B e r u f u n g auf die Religion einen B e i t r a g zur E n t s c h ä r f u n g

eines kriegstreibenden europäischen

Dauerkonfliktes

geleistet z u haben. H a t t e h i e r - u m es zuzuspitzen - die Chance bestanden, daß das konfessionelle A r g u m e n t z u m Hebel einer E n t s p a n n u n g s p o l i t i k hätte w e r d e n können?

III. D i e A n n ä h e r u n g auf der G r u n d l a g e der Religion enthielt z w e i p r o b l e m a t i sche Konsequenzen. Das erste P r o b l e m entstand daraus, daß das konfessionelle I n t e g r a t i o n s a r g u m e n t auch den alten europäischen Universalismus wiederbelebte. D e n n gerade die universalistischen L e i t b e g r i f f e w a r e n r e l i giös definiert u n d beschworen eine c h r i s t l i c h - ü b e r s t a a t l i c h e E i n h e i t : „ C h r i s t i a n i t a s " , „Chrestienté", eine i m w e i t e r e n Sinne f ü r E u r o p a stehende, i m engeren aber v o r a l l e m die k a t h o l i s c h e n Fürsten meinende C h r i s t e n h e i t 4 9 . A u c h die i m p e r i a l e Terminologie v o n Kaiser u n d Reich h i e l t einen sakrosankten A n s p r u c h des d o m i n i u m m u n d i aufrecht. Selbst die „ M o n a r c h i e " v o n Gottes Gnaden bezeichnete n o c h keineswegs sicher den Einzelstaat, sondern k o n n t e heilsgeschichtlich ü b e r b a u t sein u n d ganz w ö r t l i c h auf die „ E i n h e r r s c h a f t " i n E u r o p a zielen, i m Sinne der teils p u b l i z i s t i s c h b e k ä m p f ten, teils aber auch als g o t t g e w o l l t v e r t e i d i g t e n „ m o n a r c h i a u n i v e r s a l i s " 5 0 . D e r Gebrauch einer religiösen E i n i g u n g s t e r m i n o l o g i e i n den „ z w i s c h e n 48

Braubach, Versailles (Anm. 16), 67. Zum Beispiel: Eine Verständigung sei „du bien de toute la chréstienté", Recueil, Bd. 1: Autriche (Anm. 17), 93 (1684). Vgl. allgemein Pierre Blet, Die Idee der Christianitas im Frankreich des 17. Jahrhunderts. Vorstellung und Wirklichkeit, in: Gregorianum 57 (1976),285-305. Zu Inkonsequenzen solcher Stilisierungen vgl. auch Victor-L. Tapié, Louis XIV's Methods in Foreign Policy, in: Ragnhild Hatton, Louis XIV and Europe, London 1976, 3 - 5, 8f. 50 Franz Bosbach, Monarchia universalis. Ein politischer Leitbegriff der frühen Neuzeit (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 32), Göttingen 1988. 49

10*

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Johannes Burkhardt

staatlichen" Zusammenhängen stand so gerade deren E n t f a l t u n g i m Wege u n d wies eher auf die universalchristliche E i n h e i t zurück. I m m e r n o c h befand sich E u r o p a schließlich i n einer Übergangssituation zwischen einem v o r s t a a t l i c h e n U n i v e r s a l verb a n d u n d d e m k o m m e n d e n Staatensystem 5 1 . I n diesem alteuropäischen Universalismus aber herrschte ein h i e r a r c h i sches Ordnungsideal. V i e l e n erschien das werdende Staatensystem noch als Anarchie, gleichsam ein europäisches Interregnum, i n dem der oberste Rang v a k a n t u n d w i e d e r z u besetzen w a r 5 2 . D i e klassischen K a n d i d a t e n dafür w a r e n Papst u n d Kaiser; nachdem diese i h r e n A n s p r u c h n i c h t m e h r realisieren konnten, erhob i h n L u d w i g X I V . D i e K a i s e r k a n d i d a t u r e n der französischen K ö n i g e h a t t e n diesen Sinn, ludovizianische

Propagandaschriften

n a n n t e n den K ö n i g gelegentlich schon Kaiser: l ' e m p e r e u r 5 3 . A b e r auch das französische K ö n i g t u m als solches erhob den A n s p r u c h ; die sorgfältig gepflegten T i t e l eines „ A l l e r c h r i s t l i c h s t e n K ö n i g " - R o i Très Chrestien u n d „erstgeborenen Sohnes der K i r c h e " hieß i m p o l i t i s c h e n K l a r t e x t : i n der Christenheit die N u m m e r eins. Solche c h r i s t l i c h e n P r i o r i t ä t s f o r m e l n w u r den i m 17. J a h r h u n d e r t leicht z u m „ H a u p t der C h r i s t e n h e i t " u n d z u m „ m ä c h t i g s t e n Herrscher" Europas oder gleich der W e l t ausgeweitet, u n d z w a r i m W e t t s t r e i t m i t den habsburgischen Panegyrikern. I n diesem „hegemonialen" Z u s a m m e n h a n g ordnet sich auch die A u f h e b u n g des E d i k t s v o n Nantes. Lange hat m a n das Vorgehen gegen die Hugen o t t e n v o r a l l e m u n t e r dem i n n e n p o l i t i s c h e n Vorzeichen der H e r s t e l l u n g der Glaubenseinheit i m französischen Staat gesehen 5 4 . Z u Recht w i r d heute aber auch auf die außenpolitischen Bezüge des Revokationsedikts v o n F o n tainebleau verwiesen, das i n einer b e s t i m m t e n historischen S i t u a t i o n keine Rücksicht m e h r auf protestantische B ü n d n i s p a r t n e r n a h m 5 5 . Es s p r i c h t v i e l 51 Anders als ältere Literatur wie Immich sieht die deutsche Geschichtswissenschaft, daß das Staatensystem sich im 17. Jh. nicht ändert, sondern erst zu formieren beginnt. Vgl. zum Beispiel das Vorwort zu Johannes Kunisch (Hrsg.), Expansion und Gleichgewicht (ZHF, Beiheft 2), Berlin 1986. 52 Vgl. dazu demnächst meine ausführlicheren Überlegungen in Burkhardt, Dreißigjähriger Krieg (Anm. 24). 53 So Antoine Aubery, Des justes prétentions du Roi sur l'Empire 1667, nach Duchhardt, Protestantisches Kaisertum (Anm. 3), 221. 54 Ebenso entschieden wie falsch andere Lesarten abwehrend, zum Beispiel: "Observer like the prince of Orange, for whom the measure was inspired by the political calculation that it would bind to France all other Catholic interests in Europe, and so destroy any chance of organising a new coalition against Louis were almost certainly wrong". John Stoye, Europe Unfolding 1648 - 1688 (The Fontana History of Europe), London 1969, 366. 55 Vgl. vor allem 1985 Duchhardt, Die Konfessionspolitik Ludwigs XIV. und die Aufhebung des Edikts von Nantes (Anm. 3), der den außenpolitischen Rahmenbedingungen und Perspektiven „ein mindestens gleiches Gewicht" (35) zuerkennt, wenn sie nicht sogar primär gewesen seien. Im Ansatz auch unter Betonung der religiösen Komponente und langen Entwicklung Jean Or cibai, Louis XIV et les protestants, Paris 1951 und ders., Louis XIV and the Edikt of Nantes, in: Ragnhild Hatton (Hrsg.), Louis X I V and Absolutism, London 1976, 154 - 176, 160.

Konfession als Argument in den zwischenstaatlichen Beziehungen

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dafür, daß der Entschluß dazu gleichsam h i n t e r die i n n e n - w i e a u ß e n p o l i t i sche A l t e r n a t i v e z u r ü c k g i n g u n d der „ i n n e r e K r e u z z u g " die Führungsstell u n g des französischen K ö n i g s i n der k a t h o l i s c h e n Christenheit u n t e r s t r e i chen sollte. Richelieus berühmtes W o r t über den französischen K ö n i g als dem größten M o n a r c h e n auf E r d e n w a r an einen „Ketzersieg", den F a l l v o n L a Rochelle, g e k n ü p f t gewesen 5 6 . D i e spanischen P a m p h l e t i s t e n haben sich i n dem Rangstreit den H i n w e i s n i c h t entgehen lassen, daß der „ A l l e r c h r i s t lichste K ö n i g " m i t seinen K e t z e r n n i c h t so gut f e r t i g werde w i e der „ K a t h o lische K ö n i g " m i t den seinen. Es ist symptomatisch, w i e das Revokationse d i k t v o n 1685 als ein T r i u m p h f ü r das ganze katholische E u r o p a präsentiert w u r d e 5 7 . V i e l l e i c h t h ä n g t aber auch die a u f f a l l e n d z u r ü c k h a l t e n d e R e a k t i o n anderer katholischer M ä c h t e u n d selbst des Papsttums m i t der Reserve gegenüber dem d a m i t angemeldeten r e l i g i ö s - p o l i t i s c h e n F ü h r u n g s a n s p r u c h der französischen K r o n e z u s a m m e n 5 8 . A u f diese Weise t r u g aber das religiöse A r g u m e n t selbst dazu bei, den K o n f l i k t a m L e b e n z u erhalten, den es eigentlich ü b e r w i n d e n sollte. D e n n die I n t e g r a t i o n der k a t h o l i s c h e n R u m p f c h r i s t e n h e i t mußte doch sofort die alte Frage n a c h dem Platz eins i n der Christenheit aufwerfen u n d den habsburgisch-französischen A n t a g o n i s m u s reaktivieren. So haben die ersten Anregungen v o n d r i t t e r Seite, die den französischen K ö n i g zu einem B ü n d nis m i t d e m Kaiser anspornten, zunächst d a m i t argumentiert, daß er d a d u r c h z u m „souveränen P r o t e k t o r der C h r i s t e n h e i t " w e r d e n w ü r d e 5 9 . D a hätte sich indes der Kaiser u n t e r o r d n e n müssen, so daß die c h r i s t l i c h herbeiargumentierte E i n h e i t die alte Rangfrage erst recht auf w a r f . Das konfessionelle A r g u m e n t hatte so gleichsam eine N e b e n w i r k u n g , die w e n i g Erfolgschancen ließ u n d selbst eher k o n f l i k t t r e i b e n d w i r k t e . I m E x t r e m f a l l bestand hier die Gefahr eines Religionskrieges besonderer A r t u m den i n n e r k a t h o l i schen Führungsanspruch. Der argumentative A u s w e g lief darauf hinaus, daß die beiden k a t h o l i schen Supermächte sich die W e l t t e i l e n oder sie eigentlich gemeinsam beherrschen könnten. Schon i n der ersten Annäherungsphase spielte eine angebliche M a x i m e Rudolfs I I . eine förderliche Rolle, nach der Kaiser u n d K ö n i g vereint zu gemeinsamen Schiedsrichtern der Christenheit berufen seien - „les arbitres de la Chréstienté unis e n s e m b l e " 6 0 . D i e Z w i e t r a c h t bei56 Vgl. Hermann Weber, Die Hugenottenfrage zur Zeit Ludwigs XIII., in: Heinz Duchhardt (Hrsg.), Der Exodus der Hugenotten, Köln/Wien 1985, 9 - 28, 24: „le plus puissant monarque du monde et le prince le plus estimé". Vgl. 22. 57 Vgl. Ernest Lavisse, Louis XIV, Paris 1978, Bd. I, 484. 58 Zum Faktum der Zurückhaltung vgl. André Latreille, La Révocation de l'édit de Nantes vue par les nonces d'Innocent XI, in: Bulletin de la Société de l'Histoire du Protestantisme Français 103 (1957), 231. 59 Fürstenberg 1687 bei Braubach, Versailles (Anm. 16), 13. 60 Grémonville an Ludwig XIV., 22. Januar 1668 als Wiener Diktum, Mignet (Anm. 19), Bd. 2, 438f.

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der Häuser nütze n u r den anderen Mächten, schrieb etwa V i l l a r s , w ä h r e n d die U n i o n alle u n t e r ihre A u t o r i t ä t beugen w ü r d e 6 1 . Das d o m i n i u m m u n d i erscheint hier gleichsam h a l b i e r t ; aus d e m U n i v e r s a l d o m i n a t w i r d ein U n i v e r s a l - K o n d o m i n a t . D e r „ E i f e r f ü r die R e l i g i o n u n d das berechtigte V e r l a n gen, den a l t e n V o r r a n g über die anderen M ä c h t e z u b e w a h r e n " n ä m l i c h zwinge „ d i e beiden bedeutendsten Häuser E u r o p a s " z u r Z u s a m m e n a r b e i t 6 2 . Das richtete sich v o r a l l e m gegen die protestantischen Seemächte, die „ d e n w a h r e n G ö t t e r n der E r d e die Gesetze vorschreiben w o l l e n " 6 3 . E i n solches U n i v e r s a l k o n d o m i n a t z u r V e r h i n d e r u n g des A u f k o m m e n s d r i t t e r M ä c h t e wäre aber doch, w e n n es denn ü b e r h a u p t realisierbar gewesen wäre, keine staatensystemverträgliche L ö s u n g gewesen, sondern hätte eher r e t a r d i e r e n d g e w i r k t . E i n e n S c h r i t t i n die r i c h t i g e R i c h t u n g zu einer friedlicheren W e l t des staatlichen Nebeneinanders k a n n m a n d a r i n jedenfalls k a u m sehen. Das andere P r o b l e m l a g auf der H a n d : die konfessionelle I n t e g r a t i o n brauchte auch das konfessionelle F e i n d b i l d . I n der z i t i e r t e n Sorge v o r einer G ö t t e r d ä m m e r u n g der k a t h o l i s c h e n U n i v e r s a l m ä c h t e hatte sich das Ressent i m e n t gegenüber den protestantischen M ä c h t e n schon gemeldet. W e n n es i n der zentralen französischen

Instruktion

die „Interessen der

Religion"

waren, die m e h r als alles andere den K ö n i g u n d den Kaiser „gegen deren Feinde i n n e r h a l b u n d außerhalb des Reiches" v e r b i n d e n sollten, d a n n w a r e n d a m i t auch diese Feinde n i c h t p o l i t i s c h , sondern p r i m ä r konfessionell definiert. Selbst v o n K e t z e r n u n d H ä r e t i k e r n ist i n p o l i t i s c h - d i p l o m a t i s c h e n Zusammenhängen die Rede; der ältere K a u n i t z meinte i n der Wiener K o n f e renz, eines Tages werde m a n sich doch gegen sie m i t F r a n k r e i c h v e r b ü n d e n müssen. Bei den geistlichen Ratgebern u n d V e r m i t t l e r n fielen die E m p f e h l u n g e n oft n o c h drastischer u n d offensiver aus. „ D e r K ö n i g h a t die Häresie aus seinen L a n d e n v e r j a g t " , meinte der Bischof v o n Passau i m H i n b l i c k auf das Vorgehen L u d w i g s X I V . gegen die Hugenotten, „ w a r u m k ö n n t e n w i r uns n i c h t verständigen, u m sie auch anderswo zu schwächen?" 6 4 . Daß nach dem Spanischen E r b f o l g e k r i e g „ d i e alte Jalousie der Präpotenz n u n n i c h t m e h r stattfindet, sondern pro bono religionis die K a t h o l i z i t ä t zusammenstehen muß, u m die Präpotenz der a c a t h o l i c o r u m z u schwächen", l a u t e t ein Diskussionsbeitrag aus K u r k ö l n d a z u 6 5 , der sich zwischen den Sprachen n i c h t recht entscheiden k a n n , umso deutlicher aber zwischen den Konfes61

Braubach, Versailles (Anm. 16), 83. Denkschrift für Kardinal Trémoille, 26. März 1707 bei Braubach, Versailles (Anm. 16), 27. 63 Braubach, Versailles (Anm. 16), 83. 64 Nach einem Bericht von Villars am 4. November 1699, deutsch zitiert von Braubach, Versailles (Anm. 16), 22. 65 Joseph Clemens an Karg, 13. März 1714, bei Max Braubach, Joseph Clemens von Köln als Vermittler zwischen Versailles und Wien, in: Annalen des historischen Vereins für den Niederrhein 146/147 (1948), 232f., auch in: ders., Diplomatie und geistiges Leben im 17. und 18. Jh. Gesammelte Abhandlungen, Bonn 1969, 289 - 300. 62

Konfession als Argument in den zwischenstaatlichen Beziehungen

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sionsparteien. F ü r die Teilnahme an einem solchen konfessionellen K a m p f b u n d gab es auch weitere K a n d i d a t e n ; schon des längeren w a r b die französische D i p l o m a t i e m i t den gefährlichen Plänen der protestantischen Fürsten - „ a s'opposer aux p e r n i c i e u x desseins des princes protestants" - i n B a y e r n u m Anschluß66. A u f der konfessionellen Gegenseite w u c h s denn auch seit 1685 die F u r c h t , daß L u d w i g X I V . E u r o p a n i c h t n u r eine Universalmonarchie, sondern eine U n i v e r s a l r e l i g i o n m i t Waffengewalt auferlegen w o l l e 6 7 . Das w a r w o h l gar n i c h t so w e i t v o n den WunschvorStellungen entfernt, die t a t s ä c h l i c h gehegt w u r d e n . „ L e rêve français d'une nouvelle Europe catholique?", überschrieb Charles B o u t a n t treffend

Beobachtungen zu entsprechenden

Blockbil-

dungsideen, u n d das Beispiel Friedrichs des Großen hat später bewiesen, einen w i e starken Handlungsanreiz „Politische T r ä u m e r e i e n " bieten k ö n n e n 6 8 . Entsprechend stark w a r auch u m g e k e h r t der zugleich a n t i k a t h o l i s c h e u n d antifranzösische A f f e k t i n E n g l a n d , u n d z w a r i n Presse, Parlament, D i p l o m a t i e , w i e i m f o r t a n protestantisch dienstverpflichteten Königshaus. W e n n R a g n h i l d H a t t o n den ersten englischen K ö n i g aus dem Hause H a n n o ver als einen aufgeschlossenen f r ü h a u f g e k l ä r t e n M o n a r c h e n zeichnete, so h a t Jeremy B l a c k dazu m i t freundlicher I r o n i e angemerkt, das P o r t r a i t Georgs I. bedürfe noch der E r g ä n z u n g u m den protestantischen K r e u z f a h rer. D e n n auch i n diesem U m k r e i s w u r d e n konfessionelle

Unionspläne

geschmiedet, u n d t r o t z eines gewissen außenpolitischen Pragmatismus g a l t doch i m 18. J a h r h u n d e r t : „ A n t i - C a t h o l i c i s m was a m a j o r p a r t of B r i t i s h political culture and ideology"69. Es ist k l a r , w o r a u f das hinauslief. Neben der dynastischen K o n f r o n t a t i o n der k o n k u r r i e r e n d e n U n i v e r s a l m ä c h t e stand eine konfessionelle L a g e r b i l d u n g der europäischen Staaten z u r Debatte. Das konfessionelle A r g u m e n t k o n n t e z w a r zwischen W i e n u n d Versailles A n n ä h e r u n g e n erleichtern u n d so i n i n n e r k a t h o l i s c h e r Begrenzung dem Frieden dienen. Z u einer E n t s p a n n u n g i n E u r o p a t r u g das jedoch k a u m bei, d e n n die A b k e h r v o n den a l t e n K o n f r o n t a t i o n e n zielte n i c h t auf die A u f l ö s u n g der Lager, sondern auf neue Lager, Bündnisse u n d K o n f r o n t a t i o n e n , so daß sicherheitspolitisch f ü r die „Ruhe E u r o p a s " i n W a h r h e i t w e n i g z u g e w i n n e n w a r . Diese Konsequenz eines konfessionellen Integrationsarguments m i t eingebautem 66

Feindbild

So 1687/88. Zitiert bei Boutant , L'Europe du grand tournant (Anm. 21), 865. Ragnhild Hatton, Louis XIV and his Fellow Monarchs, in: dies. (Hrsg.), Louis XIV and Europe, London 1976, 16 - 59, 43. 68 Boutant (Anm. 21), 863 - 873; vgl. Erika Bosbach, Die 'Rêveries Politiques' in Friedrichs des Großen politischem Testament von 1752 (Kölner Historische Abhandlungen, 3), Köln/Graz 1960. 69 Jeremy Black, British Foreign Policy in the Age of Walpole, Edinburgh 1985,119, 127; vgl. das ganze Kapitel 6: "A Confessional Policy? Religion and British Foreign Policy", 118-138. 67

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lassen es f ü r E u r o p a n o c h weniger friedensdienlich erscheinen als der k o n fessionalisierte Universalanspruch. Eher d r o h t e das A r g u m e n t m i t der Konfession n o c h tiefere Gräben z w i schen Staatengruppen aufzuwerfen. W i e w e i t k o n n t e n religiöse A r g u m e n t e t r o t z ihres n i c h t i m m e r w ö r t l i c h zu nehmenden f u n k t i o n a l e n Charakters bellizistische Energien freisetzen? Ob w o h l gelegentlich durchschlagende Religionskriegstendenzen i n Teilsegmenten des Pfälzischen Krieges u n d anderswo, die erste Diskurse u m den B e g r i f f des „ R e l i g i o n s - K r i e g e s " u n d Bemühungen, gegen L u d w i g X I V . M a r t i n L u t h e r p u b l i z i s t i s c h ins F e l d zu schicken, zu Tage f ö r d e r t e n 7 0 , zu großer F o r m aufgelaufen wären? H ä t t e E u r o p a m i t einem R ü c k g a n g h i n t e r die B ü n d n i s k o n s t e l l a t i o n v o n 1635, m i t einer Revision der I n t e r v e n t i o n Frankreichs i n den D r e i ß i g j ä h r i g e n K r i e g auf der konfessionell „falschen" Seite, die sich z u r D i s k r e d i t i e r u n g des großen Religionskrieges als die r i c h t i g e erwies, u m 1715 w i e d e r f e r t i g w e r d e n können? Gewißheit k a n n es hier n i c h t geben, denn die Probe aufs E x e m p e l h a t bis z u m Tode L u d w i g s X I V . n i c h t stattgefunden.

IV. I m Jahre 1718 erschien das erste v o n z w e i h u n d e r t v i e r z i g Totengesprächen, i n denen D a v i d F a ß m a n n die P r o m i n e n t e n dieser W e l t sich n a c h i h r e m A b l e b e n i m Jenseits m i t e i n a n d e r u n t e r h a l t e n ließ. D i e erste dieser o k k u l t e n Begegnungen i n Fortsetzungen, eine zugleich antikisierende w i e populäre E i n k l e i d u n g eines f r ü h a u f g e k l ä r t e n Räsonnements über die „Große P o l i t i k " , f a n d zwischen Kaiser L e o p o l d I. u n d L u d w i g X I V . statt. N a c h d e m die Potentaten noch e i n m a l h ö f l i c h m i t e i n a n d e r gestritten, aber einander auch ihre Probleme u n d K o n f l i k t e erläutert hatten, k a m e n sie einander so nahe, daß schließlich der „liebste L u d w i g " dem „wertesten L e o p o l d " versichert, er w ü r d e n i c h t das geringste m e h r gegen den Kaiser unternehmen, w e n n er „ n o c h e i n m a l i n der W e l t regieren s o l l t e " 7 1 . D e r versöhnliche Schluß dieses 70

Eine frühe begriffsgeschichtliche Buchung bei Repgen, What is a 'Religious War?' (Anm. 39), 323: Discours Von den Religions-Kriegen ins gemein/Und in specie, Ob auch der jetzige einer seye Oder nicht? (Freystadt, 1689). - Luther in Martin Rabenac: Christliches Bedencken über die außgeschickten Wär-Wölffe Des Aus einem Aller-Christlichsten in einen Aller-Unchristlichsten verwandelten Franzosen-Königes, Cöln 1689, vgl. Hans von Zwiedineck-Südenhorst, Die öffentliche Meinung in Deutschland im Zeitalter Ludwigs XIV. 1650 - 1700. Ein Beitrag zur Kenntnis der deutschen Flugschriften-Litteratur, Stuttgart 1888, Nr. 1689. - Religionskriegerische Schriften gegen den Kaiser bei: Paul Schmidt, Deutsche Publizistik in den Jahren 1667 - 1671 in: MIÖG 28 (1907), 577 - 630, 597ff. 71 (David Faßmann), Gespräche in dem Reiche derer Todten. Erste Entrevue: Zwischen Leopoldus I., Römischer Kaiser und Ludovicus XIV., König in Frankreich, Leipzig 1718, 75. Zur historischen Einordnung vgl. Fritz Valjavec, Die Entstehung der politischen Strömungen in Deutschland. Unveränderter Nachdruck der Erstausgabe von 1951. Mit einem Nachwort von Jörn Garber (Athenäum-Droste-Taschenbücher Geschichte), Düsseldorf 1978, 94f.

Konfession als Argument in den zwischenstaatlichen Beziehungen

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frühen historiographischen Vorläufers v o n B r a u b a c h m a g a m Ende dazu anregen, das dem K ö n i g als Gedankenspiel e i n m a l z u erlauben. Was w ä r e geschehen, w e n n es L u d w i g X I V . z u Lebzeiten gelungen wäre, m i t Kaiser L e o p o l d oder einem seiner Nachfolger, Joseph I. oder K a r l VI., zu einer V e r ständigung z u gelangen? W e n n die „ N e u o r i e n t i e r u n g des europäischen Staatensystems" (Braubach) d u r c h das konfessionelle A r g u m e n t bis 1715 t a t s ä c h l i c h gelungen wäre? Kontrafaktische

Überlegungen s i n d methodisch problematisch.

„Was

wäre wenn?" z u fragen, g i l t i n der Geschichtswissenschaft als n i c h t schulgerecht, w e n n g l e i c h hier i n letzter Z e i t auch bemerkenswerte i n t e l l e k t u e l l e Lockerungsübungen z u registrieren s i n d 7 2 . I n einem p r o g r a m m a t i s c h e n K o n t e x t , i n dem neben den Rahmenbedingungen auch die H a n d l u n g s s p i e l räume interessieren, liegt es jedenfalls nahe, auch an die m ö g l i c h e n Folgen zu denken, w e n n die E n t s c h e i d u n g anders ausgefallen wäre. I n diesem F a l l w i r d das der historischen Phantasie d a d u r c h erleichtert, daß die b i l a t e r a l e Entspannungsutopie doch n o c h eingelöst w u r d e , die V e r s t ä n d i g u n g z w i schen den beiden M ä c h t e n gelang, die d i p l o m a t i s c h e R e v o l u t i o n sich t a t sächlich v o l l z o g - m i t einer Phasenverschiebung v o n 50 Jahren. D i e w e n i g ermutigende Folge aber w a r der Siebenjährige K r i e g , der schwerste K o n f l i k t der Epoche u n d noch mehr. O b w o h l es sich u m eine ganz andere Epoche handelte, eine Zeit, i n der schon Lessing schrieb, die französische E n z y k l o p ä d i e erschien u n d A u f k l ä r u n g angesagt w a r , geschah 1756 noch E r s t a u n l i c h e s 7 3 : Versailles u n d W i e n n u t z t e n z u r A n b a h n u n g u n d z u m A u s b a u ihres Bündnisses w i e d e r u m das konfessionelle A r g u m e n t . Viele Reichsstände, die sich p l ö t z l i c h zwischen d e m neuen französisch-österreichischen oder englisch-preußischen B l o c k entscheiden mußten, o r i e n t i e r ten sich an der Konfession. D i e päpstliche D i p l o m a t i e n a h m engagiert f ü r die „ k a t h o l i s c h e n W a f f e n " Partei, auch w e n n sie außer ideologischer S c h ü t zenhilfe n u r noch k l e i n e Hilfsdienste leisten konnte, j a sie erhoffte sich eine Wiederaufnahme der Gegenreformation. E i n e G r u p p e katholischer A k t i v i sten p l a n t e bei einem österreichisch-französischen Sieg das seit d e m Westfälischen Frieden g ü l t i g e Reichskonfessionsrecht auszuhebeln, so daß der namhafteste Reichsrechtler Johann Jacob Moser meinte, n u r die Tatsache, daß keine Religionspartei den K r i e g gewann, habe den U m s t u r z der ganzen Reichsverfassung v e r h i n d e r t . A u f der Gegenseite aber w a r z u r Propagierung 72 Vgl. Peter Burg, Die Funktion kontrafaktischer Urteile am Beispiel der Bauernkriegsbewegung, in: GWU 34 (1983), 768 - 779. Zu bedenken wären danach wohl hier kontrafaktische Urteile des Typs 2 zur „Ermittlung des Spielraums für geschichtliches Handeln" und vor allem des Typs 3 zur „Ermittlung der Folgen einer nicht realisierten Möglichkeit" (777). Meine Überlegungen sind wohl eher ein - so streng nicht gemeintes - Spiel mit der Entwicklungsperspektive. 73 Zum folgenden siehe den Nachweis Johannes Burkhardt, Abschied vom Religionskrieg. Der Siebenjährige Krieg und die päpstliche Diplomatie, Tübingen 1985 (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom, 61), 487.

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Johannes Burkhardt

des außenpolitischen Bündniswechsels das konfessionelle A r g u m e n t das meistgebrauchte ü b e r h a u p t gewesen, u n d die englische P u b l i z i s t i k n a h m n u n die Gelegenheit w a h r , F r i e d r i c h den Großen z u m protestantischen H e l den gegen den „ P a p i s m u s " a u f z u b a u e n 7 4 . I n Preußen selbst g i n g m a n m i t Plänen f ü r einen evangelischen F ü r s t e n b u n d u n d S ä k u l a r i s a t i o n e n u m , w ä h r e n d die preußische Propaganda d e r w e i l - überzogen, aber n i c h t ganz grundlos - den Gegnern unterstellte, einen Religionskrieg zu führen. A l l das w a r das Ergebnis eines europäischen Bündniswechsels, der m i t dem habsburgisch-französischen

Kernbündnis

die p o l i t i s c h e n

Fronten

weitgehend m i t den konfessionellen z u r Ü b e r e i n s t i m m u n g brachte - die k a t h o l i s c h e n A l l i i e r t e n h a t t e n noch auf einige n i c h t k a t h o l i s c h e Reichsstände u n d H i l f s m ä c h t e Rücksicht zu nehmen, t r a f e n aber n i c h t mehr auf katholische Gegner. W e n n so dieser K r i e g i n der z w e i t e n J a h r h u n d e r t h ä l f t e , i n der die G e l t u n g des konfessionellen A r g u m e n t s w e i t herabgesetzt w a r , einen n i c h t m e h r zentralen, aber einen auch n i c h t zu unterschätzenden R e l i gionskriegsaspekt auf G r u n d der B ü n d n i s k o n s t e l l a t i o n erhielt, d a n n k a n n m a n ermessen, was w o h l geschehen wäre, w e n n die E n t s p a n n u n g zwischen W i e n u n d Versailles schon i m Z e i t a l t e r L u d w i g s X I V . gelungen w ä r e - i n einer Zeit, i n der die Gegenreformation gerade erst auslief, das P a p s t t u m noch etwas galt, das Staatensystem sich erst emanzipierte, die p r o t e s t a n t i sche Thronfolge i n E n g l a n d noch reversibel erschien, das Reichskonfessionsrecht gerade seine letzten großen Bewährungsproben zu bestehen hatte, k u r z : Konfession n o c h ein p o l i t i s c h w e i t wichtigeres A r g u m e n t w a r . D i e N i c h t ü b e r e i n s t i m m u n g politischer u n d konfessioneller

Lagerbildung,

ein n i c h t u n b e t r ä c h t l i c h e r Rest v o n D i s f u n k t i o n a l i t ä t u n d m e h r d i m e n s i o n a l e n L o y a l i t ä t e n , hat bellizistische K o n f l i k t b ü n d e l u n g e n , die bis z u m Religionskrieg gehen konnten, i n der A u ß e n p o l i t i k erschwert u n d beschränkt, w i e auch u m g e k e h r t die R e l i g i o n die V e r a b s o l u t i e r u n g politischer K o n f r o n t a t i o n e n r e l a t i v i e r e n konnte. I n der gegebenen historischen S i t u a t i o n aber erhielt so der habsburgisch-bourbonische Gegensatz auch eine präventive F u n k t i o n : W e n n sich das ludovizianische Z e i t a l t e r so w e n i g ein Ruhmesb l a t t i n der Geschichte des Friedens e r w o r b e n h a t w i e i n der Geschichte der religiösen Toleranz, so h a t doch gerade der n i c h t überwundene A n t a g o n i s mus zwischen Versailles u n d W i e n der Z e i t den großen Religionskrieg erspart.

74 Vgl. Manfred Schlenke, England und das friderizianische Preußen 1740 - 1763, München 1963, 198 - 235.

Verzeichnis der Mitarbeiter Prof. Dr. Johannes Burkhardt, stätt

Katholische Universität, Ostenstraße 26, 8078 Eich-

Prof. Dr. Heinz Duchhardt, Historisches Seminar der Westfälischen Wilhelms-Universität, Domplatz 20 - 22, 4400 Münster/W. Prof. Dr. Johannes Kunisch, Historisches Seminar der Universität zu Köln, AlbertusMagnus-Platz, 5000 Köln 41 Prof. Dr. Klaus Malettke, Seminar für Neuere Geschichte der Philipps-Universität, Wilhelm-Röpke-Straße 6 C VIII, 3550 Marburg/L. Prof. Dr. Marie-Luise Recker, Historisches Seminar der Johann Wolfgang GoetheUniversität, Gräfstraße 76, 6000 Frankfurt/M. 1 Prof. Dr. Bernhard Sicken, Historisches Seminar der Westfälischen Wilhelms-Universität, Domplatz 20 - 22, 4400 Münster/W.