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German Pages 268 Year 1982
B U C H R E I H E DER ANGLIA Z E I T S C H R I F T FÜR E N G L I S C H E P H I L O L O G I E Herausgegeben von Helmut Gneuss, Hans Käsmann, Erwin Wolff und Theodor Wolpers 21. Band
ARNO LÖFFLER
THE R E B E L MUSE Studien zu Swifts kritischer Dichtung
MAX NIEMEYER VERLAG TÜBINGEN 1982
Als Habilitationsschrift auf Empfehlung des Fachbereichs Sprach- und Literaturwissenschaften der Universität Erlangen-Nürnberg gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft.
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Löffler, Arno: "The rebel muse" : Studien zu Swifts krit. Dichtung / Arno Löffler. - Tübingen : Niemeyer, 1982. (Buchreihe der Anglia, Zeitschrift für englische Philologie ; Bd. 21) NE: GT ISBN 3-484-42121-5
ISSN 0340-5435
© Max Niemeyer Verlag Tübingen 1982 Alle Rechte vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlags ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege zu vervielfältigen. Printed in Germany. Satz und Druck: Maisch & Queck, 7016 Gerlingen. Bindearbeiten: Heinrich Koch, Tübingen.
Vorbemerkung Swifts Versdichtung ist zu wesentlichen Teilen ein Instrument der Kritik an der Literatur, den Geisteshaltungen und den gesellschaftlichen Verhaltensweisen seiner Epoche. — Diese Untersuchung zielt darauf ab, die literaturkritischen, poetologischen und moralistischen Grundsätze, die Swift in seiner Dichtung verficht und die die Konzeption seiner eigenen Gedichte thematisch und strukturell bestimmen, vor dem Hintergrund seiner Biographie wie auch der Dichtung des augusteischen Zeitalters zu analysieren. Die ursprüngliche Fassung dieses Buches wurde im Dezember 1977 fertiggestellt und im darauffolgenden Jahr vom Fachbereich Sprach- und Literaturwissenschaften der Friedrich-Alexander-Universität ErlangenNürnberg als Habilitationsschrift angenommen. Bei der Überarbeitung wurden neue Publikationen zur Versdichtung Swifts bis zum Ende des Jahres 1978 berücksichtigt. Mein besonderer Dank gilt Herrn Professor Dr. Karl Josef Höltgen, der für die Probleme meiner Arbeit stets aufgeschlossen war und dessen Rat und Förderung ich in vielfältiger Weise verpflichtet bin. Danken möchte ich der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die diese Untersuchung durch ein Habilitationsstipendium in den Jahren 1974/75 und eine Druckbeihilfe gefördert hat. Schließlich danke ich den Herausgebern für die Aufnahme der Arbeit in die Buchreihe der Anglia. Erlangen, im März 1980
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Inhalt I. Einführung: Swift als Versdichter. — Zum Stand der Forschung
1
II. Die Versdichtung Swifts im Urteil der Kritik
11
1. Das 18. Jahrhundert 2. Das 19. und 20. Jahrhundert
11 24
III. Swifts frühe Dichtung: Die Phase der Cowley-Nachahmung und die Abkehr vom „pindarischen" Stil
37
IV. " A way perfectly n e w . . . " : Wirklichkeitsbeschreibung und Literaturkritik in den großen Parodien
51
1. "Baucis and Philemon" 2. "A Description of the Morning" 3. "A Description of a City Shower"
51 65 71
V. "Proper Words in proper Places": Die Kritik an der poetischen Diktion und die Begründung eines prosaischen Dichtungsstils
85
VI. "Those heavy, illiterate Scriblers": Die Polemik gegen die Respublica Grubstreetaria
99
1. Die Karikaturen der Scribbler 2. "On Poetry: A Rapsody" als satirischer Lehrbrief
VII. " O n l y a M a n o f Rhimes...": Swifts Dichtungstheorie 1. Raillery, Wit, Humour 2. Zur Konzeption des Satirischen
99 109
124 124 142
VIII. Das Thema des Konflikts von ,Wahrheit' und ,Fiktion'. - Die Darstellung des „schönen Geschlechts" in Swifts späteren Gedichten 151 1. "The Progress of Beauty" und "A Beautiful Young Nymph Going to Bed" 151 2. "Strephon and Chloe" und "Cassinus and Peter" 177 3. Die Gedichte für Stella 188 VII
I X . Swifts Selbstdarstellungen. — Das autobiographische Element und die moralistische Intention 1. Die Gedichte aus den Jahren 1713 und 1714 2. "A Panegyric on the Reverend Dean Swift" 3. "Verses on the Death of Dr. Swift, D.S.P.D."
197 197 210 215
Literaturverzeichnis
243
Index
257
VIII
I.
Einführung: Swift als Versdichter. — Zum Stand der Forschung
Jonathan Swift (1667-1745) ist in die Literaturgeschichte vornehmlich als Meister satirischer Prosa und als politischer Journalist eingegangen. Die Werke, die seinen Ruhm zu seinen Lebzeiten begründeten und die sich bis heute am nachhaltigsten mit seinem Namen verbinden, sind vor allem A Tale of a Tub und Gulliver's Travels, The Drapier's Letters und Α Modest Proposal. Außer seinen Prosaschriften hinterließ Swift jedoch auch eine umfangreiche Produktion von Versdichtungen. Diese Gedichte sind nicht nur literarisch bedeutend und originell im Rahmen der Literatur des augusteischen Zeitalters; nirgendwo deutlicher als in seiner Versdichtung hat Swift seine literarischen und moralistischen Prinzipien dargestellt und sein schriftstellerisches Selbstverständnis erläutert. In der Einleitung zu seiner Ausgabe von Swift's Poems stellte Harold Williams im Jahre 1937 zu Recht fest, daß Swifts Gedichte ,unverdient im Schatten [seiner Prosaschriften]' stehen.1 Heute ist Swifts Versdichtung zwar kein weißer Fleck mehr in der Literaturgeschichte des 18. Jahrhunderts, aber sie ist noch immer durch alte Vorurteile der Kritik belastet und nur unzulänglich erforscht, insbesondere in ihrer Funktion als Instrument der Auseinandersetzung mit den Dichtungsprinzipien und dem literarischen Betrieb der Zeit. Swift begann früh, Verse zu schreiben, und er blieb dieser Gewohnheit bis ins hohe Alter treu. Abgesehen von den Jahren der Cowley-Nachahmung (1691—1693) verstand er sich selbst freilich nie als „ernsten" Dichter, sondern als "Man of Rhimes, and that upon Trifles". 2 Im Hinblick auf seine Versdichtungen gibt sich Swift literarisch unambitioniert, als amateurhafter Reimemacher, als heiterer und kritischer Beob-
1 2
The Poems of Jonathan Swift, ed. Harold Williams, 3 vols. (Oxford, 1937), I, p . X V . Letter to Charles Wogan, July - 2 Aug. 1732, The Correspondence of Jonathan Swift, ed. Harold Williams, 5 vols. (Oxford, 1 9 6 3 - 7 2 ) , IV, p . 5 2 .
1
achter des Alltäglichen und des Aktuellen, - als "not the gravest of Divines".3 Seine Gedichte sind dennoch weithin nicht als flüchtige und belanglose Gelegenheitsdichtungen aufzufassen, die spontanen Launen oder einer ungezügelten Phantasie entspringen. Sie sind sorgfältig komponiert und beruhen auf einer eigenständigen ästhetischen und moralistischen Konzeption. Swift selbst betonte, er habe zwar niemals ,ernste' Verse geschrieben, "yet never any without a moral View". 4 Swift distanziert sich nicht nur in seinen literaturtheoretischen Äußerungen nachdrücklich von den Prinzipien der zeitgenössischen Romantischen' und ,sublimen' Dichtung; er konzipiert seine eigene Dichtung weithin als poetry of reaction,5 als Ausdruck seiner Kritik an den modischen und den traditionellen Konventionen der Dichtung, mit dem erklärten Ziel, sie bloßzustellen und lächerlich zu machen. - Doch ist Swifts Dichtung mehr als das Ergebnis einer parodistischen Inversion der Themen und Methoden zeitgenössischer Dichtung: es ist eine originale, „prosaische" Form der Dichtung, die Swift dazu dient, die vielfältigen Aspekte und Probleme der menschlichen Erfahrungswirklichkeit unbeschönigt und kritisch darzustellen. Seinem Selbstverständnis entsprechend schreibt Swift Verse, Which might as well have been in Prose; N o Thought, no Fancy, no Sublime, But simple Topicks told in Rime.6
Man kann diese Dichtung zu großen Teilen auch als poetry of action bezeichnen.7 Denn Swift ist in seinen Gedichten kaum einmal nur ein empirischer Beobachter und ein distanzierter Analytiker des Menschen,
3 4
5
6 7
"Stella's Birth-Day" (1727), Poems, II, p . 7 6 4 , 1 . 13. Letter to Charles Wogan, Correspondence, IV, p. 52. Vgl. die analogen Formulierungen im Vorwort zum ersten Band der Miscellanies in Prose and Verse (1727) von Pope und Swift, p. 13f.: "Some Comfort however it is, that all of them are Innocent, and most of them, slight as they are, had yet a moral Tendency; either to soften the Virulence of Parties against each other; or to laugh out of Countenance some Vice or Folly of the Time; or to discredit the Impositions of Quacks and false Pretenders to Science; or to humble the Arrogance of the ill-natured and envious: In a word, to lessen the Vanity, and promote the good Humour of Mankind." Diesen Begriff führte Geoffrey Hill in seinem Aufsatz "Jonathan Swift: The Poetry of 'Reaction'", The World of Jonathan Swift, ed. Brian Vickers (Oxford, 1968), pp. 1 9 5 - 2 1 2 , in die Swift-Kritik ein; Hill meint damit "an essential quality of Swift's creative intelligence: the capacity to be at once resistant and reciprocal" (p. 195). " T o Mr. Delany" (1718), Poems, I, p. 215,11. 1 0 - 1 2 . Die Verwendung dieses Begriffs wurde angeregt durch den Titel von G. W. Knights Buch The Burning Oracle. Studies in the Poetry of Action (London, 1939); es enthält ein Kapitel über Swift, in dem jedoch auf die Versdichtung kein Bezug genommen wird.
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sondern ein kämpferisch engagierter Kritiker, Moralist8 und Satiriker, der im Bewußtsein seiner besonderen Verantwortung als Autor auf die menschlichen Denk- und Verhaltensweisen sowie auf die gesellschaftlichen Realitäten Einfluß zu nehmen versucht. Bereits in seiner "Ode to the Athenian Society" (1962) nannte Swift selbst die poetische Kraft, die seinem Wesen eigen ist, "the Rebel Muse".9 Tatsächlich ist seine Dichtung von ihrem Ansatz her weithin ein Instrument,rebellischer' Kritik, und zwar gleichermaßen an der Literatur und an den Zeitverhältnissen. Insofern erscheint es als gerechtfertigt, Swifts Versdichtung als „kritische Dichtung" zu bezeichnen und das dominierende kritische Element in den Mittelpunkt der folgenden Untersuchung zu stellen. Schon zu Lebzeiten Swifts erschien ein großer Teil seines dichterischen Werks im Druck.10 Die Kritiker und Biographen Swifts im 18. Jahrhundert erkannten durchweg die außenseiterische Originalität seiner Gedichte. Sie bewerteten diese jedoch nicht als Ausdruck besonderen dichterischen Genies, sondern eher einer betont amateurhaften Gleichgültigkeit gegenüber den geltenden literarischen Normen. So gibt es nur selten uneingeschränktes Lob, meist tolerantes Verständnis, verschiedentlich leidenschaftliche, polemische Kritik. Im 19. Jahrhundert verliert sich zusehends das Interesse an Swifts Dichtung. Es finden sich gelegentlich pauschale, meist negative Urteile: unter dem Einfluß romantischen Dichtungsverständnisses nimmt man Anstoß an der rationalen Kühle und dem Zynismus, der Intoleranz und der Überheblichkeit Swifts, an seinem Hang zum Aktuellen, Trivialen, Skatologischen. Verallgemeinernd kann man sagen, daß Swifts Gedichte mit der Etikette „unpoetisch" versehen und abgewertet wurden. Dieses Vorurteil wie auch die Schwierigkeit, Swifts Gedichte mit Hilfe der geläufigen literaturgeschichtlichen Kategorien einzuordnen, waren wohl 8
5 10
Die Auffassung davon, was ein Moralist bzw. was Moralistik ist, wurde in den vergangenen Jahrzehnten stark geprägt durch Hugo Friedrich, der in seinem Buch über Montaigne (Bern, 1949) ausführt: „Moralistik h a t . . . sehr wenig mit Moral, dagegen sehr viel mit den mores zu t u n . . . . Moralisten sind keine Erzieher und keine Ethiker. Sie sind Beobachter, Analytiker und Darsteller des Menschen" (p. 12). - Wenn ich im folgenden den Begriff des Moralisten verwende, dann in einer erweiterten Bedeutung, die das moralisch-didaktische Element durchaus mit einbeziehen kann. Ich sehe mich dazu gleichermaßen durch den heutigen und den historischen englischen Wortgebrauch gerechtfertigt, demzufolge der Moralist "One who teaches the duties of life" (Sam. Johnson) ist. Poems, I, p . 2 3 , 1.238. Zu den Problemen und zur Geschichte der Publikation der Gedichte Swifts siehe Harold Williams' "Introduction", Poems, I, pp. XVII-XLVII.
3
die H a u p t g r ü n d e d a f ü r , d a ß die L i t e r a t u r w i s s e n s c h a f t die V e r s d i c h t u n g Swifts bis w e i t ins 2 0 . J a h r h u n d e r t hinein n a h e z u u n b e a c h t e t ließ. E s ist b e z e i c h n e n d , d a ß selbst F. E l r i n g t o n Ball, der sich in s e i n e m B u c h ü b e r Swift's Swifts
Verse
Versdichtung
( L o n d o n , 1 9 2 9 ) als erster wissenschaftlich m i t
befaßte,
,weniger
aus
Neigung
als
durch
die
U m s t ä n d e ' a u f Swifts W e r k e stieß. 1 1 Balls B u c h stellt einen ersten u n d n o c h f r a g m e n t a r i s c h e n V e r s u c h d a r , d e m aus e d i t o r i s c h e r Sicht c h a o t i s c h e n Z u s t a n d ' 1 2 d e r V e r s d i c h t u n g Swifts abzuhelfen u n d den verbindlic h e n K a n o n der G e d i c h t e zu erstellen. - A n s o n s t e n geht es Ball in s e i n e m B u c h n i c h t u m die I n t e r p r e t a t i o n o d e r die B e w e r t u n g der
Gedichte
Swifts, s o n d e r n u m die M ö g l i c h k e i t , m i t Hilfe der V e r s d i c h t u n g e n die B i o g r a p h i e Swifts zu e r g ä n z e n u n d dunkle Z ü g e seiner Persönlichkeit aufzuhellen: Without knowledge of his verse a true picture of Swift cannot be drawn. In his verse he sets forth his life as a panorama, he shows more clearly than in his prose his peculiar turn of thought, and he reveals his character in all its phases from the most attractive to the most repellent. 13 Ball g a b m i t seiner A r b e i t einen w i c h t i g e n Impuls für die A u s g a b e der Versdichtungen
Swifts, die H a r o l d W i l l i a m s
1937
veröffentlichte.14
W i l l i a m s stellte m i t h e r v o r r a g e n d e r K o m p e t e n z u n d w i s s e n s c h a f t l i c h e r G r ü n d l i c h k e i t den K a n o n der V e r s d i c h t u n g e n Swifts z u s a m m e n
und
e r b r a c h t e d a m i t eine e d i t o r i s c h e L e i s t u n g v o n h ö c h s t e m R a n g , wie i h m a u c h seine R e z e n s e n t e n e i n m ü t i g b e s c h e i n i g t e n . 1 5 E r s t diese historisch11 12 13 14
15
Ball, p. VII. Ebd. Ebd., p. VIII. The Poems of Jonathan Swift, ed. Harold Williams, 3 vols. (Oxford, 1937; 2nd ed. 1958). Swifts Gedichte werden in der folgenden Untersuchung stets nach der zweiten, in einigen Details verbesserten Auflage zitiert. — Band I enthält auf pp. XLVIII—LXII ein hilfreiches "Bibliographical Summary"; überdies liefert Williams zu jedem einzelnen Gedichttext ausführliche bibliographische Angaben zur Textüberlieferung und Textgestaltung, zusammen mit Erläuterungen zur Entstehung, den Umständen der Erstveröffentlichung, den biographischen Voraussetzungen und der zeitgenössischen Rezeption. Die Angaben in Herman Teerinks Bibliography of the Writings of Jonathan Swift [2nd ed., revised and corrected by Herman Teerink, ed. by Arthur H. Scouten (Philadelphia, 1963)] sind weniger übersichtlich und verschiedentlich fehlerhaft [vgl. die Rezension in TLS, May 27, 1965, p. 424]. Teerink liefert ein nützliches, wenngleich nicht vollständiges Verzeichnis zu "Biography and Criticism, 1 7 0 9 - 1 8 9 5 " (pp. 405-31). - Die SwiftBibliographie wird fortgeführt durch: Louis A. Landa und James Tobin, Jonathan Swift. A List of Critical Studies Published from 1895-1945 (New York, 1945); die beiden folgenden Jahrzehnte der Swift-Forschung sind erfaßt bei James J. Stathis, A Bibliography of Swift-Studies, 1945-1965 (Nashville: Tennessee, 1967). Siehe Herbert Davis, College English, 2 (1940), pp. 102-15; Irvin Ehrenpreis, Modern Language Review, 54 (1959), p.260f.; Helmut Papajewski, Anglia, 79 (1962), p.504f.; Mario Praz, English Studies, 44 (1963), pp.55-57.
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kritische, vorzüglich kommentierte Ausgabe ermöglichte die wissenschaftliche Interpretation in vollem Umfang und wirkte anregend auf sie. Williams hebt in seiner Einleitung mit unüberhörbarem Bedauern hervor, daß Swift in seiner Versdichtung den Stilprinzipien seiner Prosa folgte: The very conciseness, clarity, and directness which lend to his prose a deceptive simplicity..., led him into the paths of satire and tended too frequently to narrow his range. 1 6
Für Williams manifestiert dieser Tatbestand die bewußte Selbsteinschränkung eines genial begabten Dichters; diese Selbsteinschränkung wird primär psychologisch gedeutet als die Konsequenz einer umfassenden, tiefen Frustration: His poetic vesture was too small for him. In Swift's verse, as in his life, we are conscious of a frustration. . . . He had something to give to English poetry that he never wholly gave. 1 7
Zweifellos argumentiert Williams verständnisvoll und einfühlend; dennoch sind seine Vorbehalte offensichtlich: er sieht in Swifts sachlichem, kühlem Dichtungsstil das Ergebnis einer heftigen Reaktion auf die Belanglosigkeit der unnatürlichen pindarischen Oden'18 und vermerkt dann: "But ... he allowed the pendulum to swing too far, and fell into an opposite error." 19 Wie bereits Ball betont Williams vor allem die besondere autobiographische Bedeutung der Versdichtung Swifts.20 Er bestreitet zwar nicht die dichterische Leistung Swifts, bewertet andere klassizistische Versautoren jedoch höher: "In verse ... Pope was his superior. ... Gay and Prior had a more lyrical gift." 21 Freilich hütet sich Williams, zu präzisieren, was er unter ,lyrisch' oder ,poetisch' versteht; dennoch ist nicht zu übersehen, daß er von den konventionellen, insbesondere den romantischen und den postromantischen Urteilskriterien nicht unbeeinflußt ist. So schreibt er zusammenfassend: "Poetry is there, and the instinct to poetry, though trammelled and impeded."22 Die erste Monographie zur Versdichtung Swifts lieferte Maurice Johnson mit seinem Buch The Sin of Wit: Jonathan Swift as a Poet (Syracuse, 1950). Johnson stellt Swifts Anti-Dichtung als Ausdruck eines originalen Geistes und eines dezidierten literarischen Konzepts dar; sein Buch enthält vor allem Einzelinterpretationen, die methodisch insbesondere den Prinzipien des New Criticism folgen. Johnson zielt 16
"Introduction", Poems, I, p.XIII.
17 18
Ebd. Ebd., p. XIV.
19 20
Ebd. Siehe ebd., p. XV.
21 22
Ebd. Ebd., p. XVI.
5
hauptsächlich ab auf den Ton, den Stil und die formale Struktur der Gedichte, und er geht nur gelegentlich kurz auch auf Swifts Verhältnis zu bestimmten Dichtungstraditionen und -konventionen ein. Johnson begründet weder die Auswahl der behandelten Gedichte noch den Aufbau seines Buchs in zufriedenstellender Weise; er analysiert die einzelnen Gedichte weder nach präzis umrissenen thematischen oder formalen Gesichtspunkten, noch in der Reihenfolge ihrer Entstehung. Dies hat zur Folge, daß weder ein abgerundetes Gesamtbild der Dichtung Swifts entsteht, noch Wandlungen und Entwicklungen der Dichtkunst Swifts dargestellt werden können. Der Hauptmangel des Buchs aber besteht darin, daß den Inhalten der Gedichte zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird, was auch Bonamy Dobree in seiner Rezension kritisch vermerkte: Though here and there w e come across some admirable pieces of criticism, especially on the versification, or the charm and the art of the sheer (no, not on the mere) technique, a technique which itself implies an attitude, there is little to tell us what the poetry is really about. 2 3
Etwa seit der Mitte der sechziger Jahre erschien eine Reihe von Aufsätzen zur Versdichtung Swifts, vornehmlich aus der Feder jüngerer amerikanischer Forscher. 24 Diese Arbeiten enthalten vorwiegend Einzelinterpretationen der vermeintlich besten oder besonders charakteristischen Gedichte Swifts, sind jedoch nach Methode und Ergebnissen kaum verallgemeinernd zu charakterisieren. Man befaßt sich mit biographischen und psychoanalytischen Problemstellungen; man untersucht parodistische Züge ebenso wie Formen der Ironie und des Humors; man analysiert Form, Ton, Diktion, Reim, usw. Insofern als die meisten Publikationen auf die Interpretation einzelner Gedichte oder gelegentlich kleinerer Gedichtgruppen - etwa der pindarischen Oden oder der skatologischen Satiren - abzielen, kommt es meist nur zu Teilergebnissen, die sich zudem gelegentlich widersprechen, nicht zuletzt wohl deshalb, weil eine Reihe von Autoren eine vorwiegend textimmanente 23 24
Review of English Studies, N.S., 3 (1952), p.89f. Das Interesse in den USA an Swifts Gedichten zeigt sich vor allem auch an der nicht geringen Zahl von unveröffentlichten Dissertationen. Diese wurden im Hinblick auf ihre Relevanz für das Thema dieser Arbeit in den Dissertation Abstracts überprüft; folgende Dissertationen wurden in Mikrofilm-Kopien eingesehen: J. I. Fischer, The Echoic Poetry of Jonathan Swift: Studies in its Meaning (University of Florida, 1968); G.Ellenbogen, "I the Lofty Stile Decline": An Approach to Swift's Poetry (Tuft's University, 1969); P. J. Schäkel, Method and Meaning in the Poems of Swift (University of Wisconsin, 1969); R. W. Uphaus, "The Narrow Path of Sense": A Study of Jonathan Swift's Poetry (University of Washington, 1969); W. R. Selleck, A Study of Images in the Poetry of Jonathan Swift (University of Southern California, 1970).
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Betrachtungsweise bevorzugt. - Dieser Tatbestand legt es nahe, an dieser Stelle auf einen detaillierten Bericht zum Stand der Forschung zu verzichten, weil ein solcher zu sehr ins einzelne gehen müßte und damit dieser Untersuchung vorgreifen würde. Die Ergebnisse der neueren Interpretationen zur Versdichtung Swifts werden daher erst dargestellt und analysiert, wenn sich dies aus dem systematischen Zusammenhang dieser Arbeit ergibt. - Lediglich auf die drei Buchpublikationen aus den Jahren 1977 und 1978 soll hier eingegangen werden, um die thematische und methodische Abgrenzung dieser Untersuchung von den bisherigen Monographien zu verdeutlichen. Nora Crow Jaffe geht in ihrem Buch The Poet Swift (Hanover: New Hampshire, 1977) von der zu wenig differenzierten Auffassung aus, Swifts Gedichte seien ,sparsam in der Verwendung der Kunstmittel',25 es fehle ihnen die für den Klassizismus charakteristische Fülle der Anspielungen, und sie seien in erster Linie Medien der Argumentation und der konzisen Darstellung bestimmter Themen. Jaffe verzichtet daher weithin auf die Analyse der "paraphernalia of new criticism"26 und untersucht vor allem die thematischen Hauptaspekte von Swifts Gedichten. Die unausgesprochene Absicht Jaffes ist es wohl, jene Lücke zu schließen, die Maurice Johnson hinterlassen hat und auf die insbesondere Bonamy Dobree verwies. Die methodische Frage freilich, wieweit eine solche Untersuchung ohne die gleichzeitige Analyse der zweifellos subtilen literarischen Strategien Swifts möglich ist, stellt sich die Verfasserin nicht. Jaffe ordnet Swifts Versdichtungen nach Themengruppen und behandelt zusammengehörende Gedichte in besonderen Kapiteln. Abgesehen davon, daß dieses Verfahren nicht geeignet ist, das gesamte Werk adäquat zu erfassen, wird der Aspekt der Wandlung und Entwicklung vernachlässigt; die Dichtung Swifts erscheint als eine nahezu statische Ganzheit, bestehend aus typischen und weniger typischen Elementen. Jaffe erklärt es zwar auch als ihr Ziel, "the schools of poetry which might have influenced Swift", "his original handling of methods he shares with many good poets", "his attitude towards poetry" 27 darzustellen, ohne jedoch diese programmatisch erklärte Absicht konsequent zu verwirklichen. Im Mittelpunkt des Buchs steht vielmehr die inhaltsorientierte Einzelinterpretation. Jaffes Buch, das erfreulich unvoreingenommen gegenüber alten Vorurteilen zur Versdichtung Swifts ist, liefert das, was gelegentlich in der 25
Jaffe, The Poet Swift, p.5.
26
Ebd., p. 1.
27
Ebd., p.6.
7
Kritik ein wenig euphemistisch als "a fresh reading" apostrophiert wird. Es bleibt immer wieder hinter dem bereits erreichten Stand der Forschung zurück - sei es, daß die Literatur zu Swifts Dichtung gar nicht zur Kenntnis genommen wird, sei es, daß sie nicht kritisch verarbeitet und in ihren Ergebnissen weitergeführt wird. So kann man der Verfasserin den Vorwurf einer gewissen methodischen Unbekümmertheit, einer zu undeutlichen Problemorientierung und der mangelnden Sorgfalt vor allem bei der Darstellung literaturgeschichtlicher Zusammenhänge nicht ersparen. Auch in John Irwin Fischers Buch On Swift's Poetry (Gainesville, 1978) fehlt das Interesse für literaturtheoretische, ästhetische und formanalytische Fragestellungen; auch die dichtungskritische Komponente von Swifts Versen findet nur wenig Aufmerksamkeit. Fischers Buch ist andererseits in höherem Maße thesenhaft und hypothetisch; es ist zudem Ausdruck einer von religiösen und ethischen Fragestellungen bestimmten Wissenschaftsposition. Fischers Arbeit geht von der Prämisse aus, [that] Swift's lifelong task was to temper his hubristic sense of righteousness with a standard of judgment larger than himself. Only through such tempering, he knew, could he transmute what was eccentric and potentially destructive in his personality into powerful moral vision, and the chief effort of all his works is to effect this tempering.28 Fischers Untersuchung wendet sich allerdings weniger den Aspekten der exzentrischen, destruktiven Persönlichkeit zu als den ,moralischen Konzeptionen' Swifts. Dies bringt es mit sich, daß ein beträchtlicher Teil der Gedichte unbeachtet bleibt, weil sich die postulierte ,moralische Einsicht' dort nicht aufweisen läßt, wie etwa in den politisch-satirischen und den skatologischen Gedichten, den heiteren Bagatellen für den Freundeskreis oder auch den resignierten und bitteren Gedichten wie "The Place of the Damn'd" und "The Day of Judgement". Andererseits können Fischers Textdeutungen, die von den frühen pindarischen Oden bis zu den Gedichten der Jahre nach 1730 reichen, keineswegs durchgehend überzeugen: Fischer überstrapaziert Swifts Texte bei dem Versuch, ihre ethische bzw. religiöse Botschaft bloßzulegen. Bei seiner Suche nach "central problems" und "basic meanings"29 gerät er immer wieder in textferne und fehlgehende Spekulationen, vernachlässigt er Offensichtliches und verfällt er gelegentlich in die Rolle eines Laienpredigers, so etwa, wenn er aus dem satirischen Lehrbrief "On Poetry: A Rapsody" die Summe zieht: 28
Fischer, Ort Swift's Poetry, p. 2.
8
19
Ebd., p.58f.
Normally Swift's poetry demonstrates his own power to draw good out of ill in imitation of and submission to divine providence. But in the Rapsody Swift demonstrates that this is God's world by illustrating the catastrophic consequences involved in choosing one's own will in preference to God's. 30
Solche Deutungen gehen fehl, weil Swift aus seiner Dichtung nicht nur alles Religiöse und Devotionale ausschließt, sondern es auch vermeidet, moralische Grundsätze zu verbreiten und praktische Verhaltensregeln zu propagieren. Vielmehr ist er darauf bedacht, die versteckten Motivationen menschlichen Denkens und Handelns darzustellen und zu analysieren. — Fischers Buch kann nicht voll überzeugen, weil es Swifts differenziertes Selbstverständnis als Moralist und Satiriker zu wenig berücksichtigt und unter dem Einfluß eines thesenhaften Ansatzes zu einem einseitigen und verkürzten Bild der Dichtung Swifts gelangt. Peter James Schakeis Arbeit über The
Allusion and the Development
Poetry
of Jonathan
Swift.
of a Poetic Style (Wisconsin, 1978)
schließlich analysiert die Anspielungstechniken als charakteristisches Element der Dichtung Swifts und stellt somit einen Gegenpol insbesondere zu Jaffes inhaltsorientierten Interpretationen dar. Insofern als Schäkel von der Prämisse ausgeht, Swift selbst habe seine Anspielungen durchweg als solche kenntlich gemacht, dient seine Untersuchung nicht dazu,,Anspielungen aufzudecken, sondern ihren Nutzen zu erwägen'. 31 In Einzelinterpretationen erörtert Schäkel, in welcher Weise Anspielungen die ,Form' und den ,Τοη' von Swifts Gedichten bestimmen, in welcher Weise sie ihnen ,Tiefe' und ,Bedeutung' 32 verleihen bzw. Ausdruck seines literarischen ,Könnens' und seiner ,intellektuellen Kultur' 33 sind. Wie auch der Rezensent des Buchs in Times Literary Supplement kritisch vermerkt, gibt es eine Fülle von Anspielungen, die Swift nicht selbst ,transparent' macht. 34 Insofern als gerade auch diese Anspielungen bedeutungs- und strukturbestimmend sind, läßt Schäkel einen wichtigen Bereich weitgehend außer acht, dessen Erforschung auch deshalb verdienstvoll gewesen wäre, weil sie u. a. weitere Aufschlüsse über Swifts Belesenheit gegeben hätte und eine genauere Bestimmung seines literarhistorischen und literaturkritischen Standorts ermöglicht hätte. Indem Schäkel die Anspielungen als ,die Grundlage von Swifts Entwicklung als Dichter und das Charakteristikum seiner besten Gedichte' darstellt, 35 wählt er eine zu enge Urteilsperspektive und übergeht die 30 33 35
Ebd., p. 178. Ebd., p. 120. Schäkel, p. 97.
31 34
32 Ebd., p. 97. Schäkel, The Poetry of Jonathan Swift, p.4. Times Literary Supplement, December 21, 1979, p. 165.
9
Fülle der anderen Kunstmittel, die Swift einsetzt und die für ihn vielleicht sogar bezeichnender sind. Nicht nur führt Schakeis Ansatz dazu, daß bedeutende Gedichte unbeachtet bleiben, weil es in ihnen an Anspielungen mangelt, die Bewertungskriterien erscheinen gelegentlich auch unzureichend, ja fragwürdig. Zweitrangige Gedichte wie "A Description of a Salamander" oder "Toland's Invitation to Dismal" werden in ausführlichen Analysen behandelt, während ein so raffiniertes und vollendetes Gedicht wie "A Description of the Morning" nur peripheres Interesse findet. Die StellaGedichte werden abgewertet, ,[weil] sie nicht in signifikantem Ausmaß auf Anspielungen beruhen'.36 Die Rezension in Times Literary Supplement verweist kritisch auf ein weiteres bezeichnendes Beispiel und gelangt dann zu einem lakonischen Schlußurteil, dem ich nichts hinzuzufügen habe: Verses on the Death folds up for the analyst when the "eulogist" fails to infiltrate covert references to Opposition satires. The study indicates that Swift was a more half-hearted poet of allusion than Pope, and suggests that an approach grounded on this aspect of his poetry will require a number of preliminary testbores to be sunk. 37
Die folgende Untersuchung zielt darauf ab, das dichterische Selbstverständnis Swifts, seine poetologischen Konzeptionen und moralistischen Auffassungen, seine Themen und Darstellungsformen vor dem Hintergrund der klassizistischen Dichtung und Dichtungstheorie darzustellen und zu interpretieren. Sie verfolgt zunächst die Entwicklungen und Tendenzen, die sich in der Kritik der Versdichtung Swifts vom Beginn des 18. Jahrhunderts bis zur Gegenwart erkennen lassen. Zweck dieses Vorgehens ist es nicht nur, die immer noch spürbaren Vorbehalte der Literaturwissenschaft gegenüber einigen Teilen der Versdichtung Swifts als eine Folge insbesondere der romantischen und der viktorianischen Kritik zu erklären; zugleich geht es darum, aus der Analyse der verschiedenen Positionen der Kritik Themen und Probleme abzuleiten, die in der nachfolgenden Untersuchung zu behandeln sind.
36
Ebd., p. 99.
10
37
Times Literary Supplement, December 21, 1979, p. 165.
II.
Die Versdichtung Swifts im Urteil der Kritik
1. D a s 1 8 . J a h r h u n d e r t
W e n n wir auf die Authentizität dessen vertrauen, w a s Samuel J o h n s o n in seinem " L i f e o f S w i f t " berichtet, dann s t a m m t die erste überlieferte Kritik an der D i c h t u n g und dem poetischen Genie Swifts aus d e m M u n d e J o h n Drydens: Swift began early to think, or to hope, that he was a poet, and wrote Pindaric Odes to Temple, to the King, and to the Athenian Society.... I have been told that Dry den, having perused these verses, said, "Cousin Swift, you will never be a poet"; and that this denunciation was the motive of Swift's perpetual malevolence to Dry den. 1 Die E c h t h e i t des vermeintlichen D r y d e n - A u s s p r u c h s ist freilich nicht unumstritten;
ja, es gibt gute Gründe, a n z u n e h m e n , das
berühmte
D i k t u m sei eine Erfindung Samuel J o h n s o n s , " a h a p p y literary chestnut, perfectly w o r d e d " . 2 Selbst w e n n es sich aber hierbei u m ein v o n D r .
1
2
Samuel Johnson, Lives of the English Poets (London: Everyman, 1968), II, p. 248. Zur verwandtschaftlichen Beziehung von Dryden und Swift siehe P. D. Mundy, "Dryden and Swift: Their Relationship", Notes and Queries, 147 (1924), p.243f. Vgl. auch Correspondence of Jonathan Swift, V, p.272f., sowie David Novarr, "Swift's Relation with Dryden, and Gulliver's Annus Mirabilis", English Studies, 47 (1966), pp.341-54. Maurice Johnson, "A Literary Chestnut: Dryden's 'Cousin Swift'", PMLA, 67 (1952), p. 1026. - M. Johnson gelangt zu der Auffassung: "I am quite certain that he [Dryden] did not (utter exactly these words)" (p. 1024). Er hält es für möglich, daß Sam. Johnson durch Cibber's Lives angeregt wurde, wo Dryden jedoch als geradezu freundschaftlicher Ratgeber Swifts erscheint: "Cousin Swift, turn your thoughts some other way, for nature has never formed you for a Pindaric poet" (p. 1025). Andererseits erwägt Μ. Johnson: "Or was Elijah Fenton indirectly Johnson's source? In the earliest attempt at ascription, Fenton is named as a source for the story in Joseph Warton's Essay on the Genius and Writings of Pope (1782): Ί remember to have heard my father say, that Mr. Elijah Fenton, who was his intimate friend, and had been his master, informed him that Dryden, upon seeing some of Swift's earlier verses, said to him, 'Young man, you will never be a poet" (II, 312—13, n.). In a twentieth-century study of Fenton this and other pieces of gossip are referred to as being passed on to his pupil Thomas Warton, Sr., and the conjecture is made that they became acquainted as early as 1705-06. But if Fenton told the story to his pupil Thomas Warton, might he not have told it to another 11
Johnson manipuliertes Dryden-Zitat handelt, das dazu dient, Johnsons eigenen Vorbehalten gegenüber Swifts Versdichtung Ausdruck zu verleihen, so deutet es andererseits doch den tatsächlichen, elementaren Gegensatz an, der zwischen den poetischen Grundhaltungen Drydens und Swifts besteht und der sich bereits in den sogenannten pindarischen Oden Swifts abzeichnet. Denn schon die frühesten überlieferten Gedichte Swifts verstoßen unübersehbar gegen die Konventionen heroischer und panegyrischer Dichtung. Bereits sie enthalten satirische Elemente und Ansätze skeptischer Wirklichkeitsanalyse. Swift distanziert sich in ihnen zunehmend vom Ideal erhabener, inspirierter Dichtung, das Dryden verkündete und dessen Niedergang und Profanisierung er pathetisch betrauerte: Ο Gracious God! How far have we Prophan'd thy Heav'nly Gift of Poesy? Made prostitute and profligate the Muse, Debas'd to each obscene and impious use, Whose Harmony was first ordain'd Above For Tongues of Angels, and for Hymns of Love? 3
Sollte Drydens Ausspruch authentisch sein, so wurde er für Swift dennoch gewiß nicht zum Anlaß eines lebenslangen persönlichen Grolls oder einer anhaltenden literarischen Fehde; Swifts Schriften und Briefe zumindest enthalten keine Hinweise darauf. Vielleicht aber wurde Drydens Kritik - gleich, in welcher Formulierung er sie geäußert haben mag - doch zum auslösenden Moment einer grundsätzlichen, erneuten Reflexion auf das Wesen und die Funktionen von Dichtung, vielleicht auch auf die eigenen Fähigkeiten und Fertigkeiten. Insofern könnte Dryden durchaus einen Beitrag zur Heranbildung von Swifts prosaischer, antisublimer Dichtkunst geleistet haben. Mit seinem Gedicht "A Description of the Morning", das den Tagesanbruch in der Großstadt London realistisch beschreibt, wurde Swift erstmals — wenngleich unter dem Pseudonym Humphrey Wagstaff - als poetischer Neuerer einem größeren Lesepublikum vorgestellt. Richard
3
pupil, the fifth Earl of Orrery, who in his Remarks on the Life and Writings of Dr. Jonathan Swift (1752) is unable to offer a specific reason for the 'dislike of Dryden'? Even for Fenton the anecdote must have been of almost traditional, untraceable nature: he was not yet ten years of age at the time Dryden is supposed to have hurt Swift's feelings. Yet by introduction of Fenton's name we are brought nearer to the seventeenth century than hitherto; and the substitution of 'Young man' for the familiar 'Cousin Swift' introduces a rival reading that is sometimes preferred" (p. 1032). John Dryden, "To the Pious Memory o f . . . Mrs. Anne Killigrew" (1686), The Poems and Fables of John Dryden, ed. James Kinsley (London, 1962), p. 346,11. 56-61.
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Steele, zu dem Swift persönliche Kontakte unterhielt, druckte das Gedicht am 30. April 1709 im Tatler [No. 9] ab, zusammen mit einigen einleitenden Anmerkungen zum Verständnis des Texts. Steele zufolge ist Swifts Gedicht das Ergebnis des Bemühens, sich von den dichterischen Praktiken jener "ja[u]nty scribblers" abzusetzen, [who] are so justly laughed at for their sonnets on Phillis and Chloris, and fantastical descriptions in them; . . . an ingenious kinsman of mine, . . . M r . H u m p h r e y Wagstaff by name, has, to avoid their strain, run into a way perfectly new, and described things exactly as they happen: he never forms fields, or nymphs, or groves, where they are n o t ; but makes the incidents just as they really appear. . . . the following lines . . . are a description of the morning, but of the morning in t o w n ; nay, of the morning at this end of the town, where my kinsman at present lodges. 4
Steele verweist hier auf mehr als ein lediglich neues poetisches Verfahren. Er versteht das Gedicht als kritische Antwort auf die modischen Formen des "easy writing", insbesondere auf die fantastischen Beschreibungen', die zu den Konventionen der eleganten Liebes- und Pastoraldichtung gehörten.5 Dabei enthält das Adjektiv fantastical deutlich eine negative Wertung: die Konnotationen sind „imaginär", „unwirklich" und wohl auch „unwahr";6 es impliziert die Kritik an der Praxis vieler zeitgenössischer Dichter, in der Kunst einen eigenen idealen, ästhetischen Bereich jenseits der Realität zu schaffen. Steele heißt die Intention Swifts gut, die Gegenstände und die Ereignisse der alltäglichen und trivialen Erfahrungswirklichkeit unbeschönigt darzustellen. Indem er betont, daß Swifts neues dichterisches Verfahren aus dem Bemühen resultiert, sich von Modischem zu distanzieren, gibt er zu erkennen, daß er Swifts Gedicht nicht allein als ein „Abbild der unmittelbaren Wirklichkeit" Londons versteht, sondern gleichermaßen als eine „angewandte und künstlerisch gestaltete Form der Literaturkritik". 7 Damit aber erfaßt er als erster ein zentrales Prinzip der Versdichtung Swifts, das auch in den späteren Gedichten nicht an Bedeutung verlieren sollte. Als Freund Swifts ebenso wie als Dichter und Kritiker war Alexander Pope besonders geeignet, den Menschen und den Autor Swift zu charak4
5 6
7
The Tatler, in: The British Essayists; with Prefaces Biographical, Historical, and Critical by Robert Lynam (London, 1827), I, p. 59. S. u., S. 65ff. Vgl. OED: "existing only in the imagination, proceeding merely from imagination, fabulous, imaginary, unreal"; "arbitrarily devised". Robert Weimann, Drama und Wirklichkeit in der Shakespearezeit (Halle, 1958),
s. in.
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terisieren. In den dreißiger Jahren finden sich verschiedene Äußerungen, in denen Pope die moralistische und die literarische Grundhaltung des alternden, zunehmend bitteren Swift beschreibt. Diese Äußerungen sind um so bedeutender, als sie sich auf die Phase der größten dichterischen Produktivität Swifts beziehen. Wenngleich sich Pope selbst gern in der Rolle des Weltweisen und des Philosophen sah, wenngleich er sich als Moralist in die Tradition der „lächelnden" horazischen Satire stellte, so akzeptierte er doch durchaus die juvenalische Schärfe und die Neigung zur Invektive in den satirischen Gedichten Swifts als Ausdruck eines andersartigen Temperaments. In seinem Brief an Swift vom 2. April 1733 verglich Pope die eigene Auffassung satirischer Dichtung mit derjenigen Swifts, nicht ohne eine gewisse Bewunderung für dessen Unverhohlenheit, Schärfe, intellektuelle Brillanz: I have not the courage . . . to be such a Satyrist as you, but I would be as much, o r more, a Philosopher. Y o u call your satires, Libels; I would rather call my satires, Epistles: They will consist more of morality than wit, and grow graver, which you will call duller. 8
In seinem Brief an den Earl of Orrery vom 4. März 1737 beteuert Pope nicht nur seine herzliche, freundschaftliche Zuneigung zu Swift; er rühmt auch die persönliche Integrität und die hohen moralischen Prinzipien dieses Mannes, sein dichterisches Genie und seinen literarischen Geschmack. Wenn er gerade Orrery gegenüber betont, ein adäquates Verständnis der Werke Swifts bleibe kongenialen Geistern vorbehalten, dann geschieht dies wohl mit leichter Ironie im Hinblick auf Orrerys einseitiges, vom aristokratischen Kodex der manners beeinflußtes, ästhetisches Kunst- und Gesellschaftsideal, das zwangsläufig zu einer abwertenden Kritik der Werke Swifts führen mußte: 9 M y sincere Love for this most valuable, indeed Incomparable M a n , will a c c o m p a n y him thro Life, & pursue his memory were I to live a hundred lives, as many of his W o r k s will live, which are absolutely Original, unequald, unexampled. His Humanity, his Charity, his Condescention, his C a n d o u r , are equal t o his W i t , & require as good and true a Taste to be equally valued. 1 0
Für Pope ist es selbstverständlich, daß sich Swift literarisch für die politischen und sozialen Belange Irlands engagiert; er setzt daher dem 8
9 10
The Correspondence of Alexander Pope, ed. George Sherbum (Oxford, 1956), III, p.366. S. u„ S. 18f. Correspondence of Alexander Pope, IV, p.59f.
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Freund in seiner "Epistle to Augustus" (1737) ein Denkmal für seine patriotischen Dienste: Let Ireland tell, how Wit upheld her cause, Her Trade supported, and supply'd her Laws; And leave on SWIFT this grateful verse ingrav'd, The Rights a Court attack'd, a Poet sav'd.11 In seinen Letters Concerning the English Nation (1733) 12 hebt Voltaire als erster Kritiker des Kontinents die Originalität und die Vortrefflichkeit von Swifts Versdichtung hervor, nicht freilich, ohne mit leichtem Vorbehalt auf einen gewissen Mangel an allgemeiner Relevanz ["generality"] bzw. auf das spezifisch anglo-irische Kolorit dieser Dichtung zu verweisen. Im Laufe seiner Charakterisierung Swifts stellt er die Frage, wieweit man ihn als einen ,englischen Rabelais' bezeichnen darf. Ironisch vermerkt er, daß sich die Verwandtschaft der beiden Autoren wohl im wesentlichen darauf beschränkt, daß sie beide Priester sind. Zwar vermißt Voltaire bei Swift jene Heiterkeit und Unterhaltsamkeit, die sich gelegentlich in Rabelais' Werk findet, zieht andererseits jedoch die intellektuelle Verfeinerung, das literarische Raffinement, die Eleganz und den Urbanen Geschmack Swifts der skurrilen Gelehrsamkeit, dem zotigen Humor und der geistigen Grobheit Rabelais' vor: Dean Swift is Rabelais in his [right] Senses, and frequenting the politest Company. The former indeed is not so gay as the latter, but then he possesses all the Delicacy, the Justness, the Choice, the good Taste, in all which Particulars our giggling rural Vicar Rabelais is wanting. The poetical Numbers of Dean Swift are of a singular and almost inimitable Taste; true Humour whether in Prose or Verse, seems to be his peculiar Talent, but whoever is desirous of understanding him perfectly, must visit the Island in which he was born.13 11
12
13
"The First Epistle of the Second Book of Horace Imitated" (1737), The Poems of Alexander Pope, ed. John Butt (London, 1963), p. 643,11. 2 2 1 - 2 4 . Das Buch gibt Erfahrungen und Erkenntnisse wieder, die Voltaire während seines Englandaufenthalts in den Jahren 1726 bis 1729 gesammelt hatte. - Swift und Voltaire kannten sich persönlich; vermutlich machte Pope die beiden während Swifts Londonaufenthalt im Jahre 1727 miteinander bekannt (siehe Correspondence of Swift, III, p.214). Voltaire, Letters, p. 182. - Den Vergleich Swifts mit Rabelais griffen spätere Kritiker auf. Hazlitt stellt fest, daß ein ,heiteres Gemüt wesentlich für eine heitere Literatur' ist, und fährt fort: "It is this circumstance, . . . that renders the wit of Rabelais so much more delightful than that of Swift, who, with all his satire, is 'as the remainder biscuit after a voyage'" [The Round Table (1817), in: The Complete Works of William Hazlitt, ed. P. P. Howe (London, 1930), IV, 43.]. Ähnlich äußerte sich wenige Jahre später auch Coleridge: "Swift was anima Rabelaisii habitans in sicco, — the soul of Rabelais dwelling in a dry place" [Table Talk (1830), in: Coleridge's Miscellaneous Criticism, ed. Thomas Middleton Raysor (London, 1936), p.407].
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Die Kritik der Versdichtung Swifts zu Lebzeiten Swifts reicht von begeisterter Zustimmung bis zu schroffer Ablehnung. Daß für so unterschiedliche Bewertungen nicht allein die ästhetischen und moralistischen Prinzipien Swifts ausschlaggebend waren, liegt auf der Hand. Dadurch daß Swift auch in seinen Gedichten immer wieder engagiert zu den politischen und religiösen, den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Problemen der Zeit Stellung nahm,14 rief er literarische und politische Freunde und Gegner gleichermaßen als Kritiker auf den Plan. Ein anonymes Gedicht, das im Oktober 1725 in Dublin als broadsheet erschien, feiert Swift überschwänglich als den "Guardian Genius" Irlands: W h a t ' s Great
or Good,
T h e Priest, the Poet,
is bounded all in Y O U
-
and the P A T R I O T t o o . 1 5
Beispielhaft andererseits für die Anfeindungen, denen Swift und seine Dichtung ausgesetzt war, sind die folgenden Verse aus der "Epistle to Mr. A. Pope" (1730), in denen Leonard Welsted den 'Prälaten' [Swift] beschimpft, [who] . . . exil'd by cruel Fates, . . . plagues all Churches, and confounds all States; W i t h T r e a s o n s past perplex'd, and present C a r e s ; A F o p in Rhime, a n d Bungler in Affairs. 1 6
Die heftigste und gehässigste Polemik gegen die Dichtung Swifts stammt zweifellos aus der Feder des whiggistischen Geistlichen Jonathan Smedley; in ihr manifestiert sich nicht nur bittere persönliche und politische Feindschaft,17 sondern auch ein unüberbrückbarer Gegensatz in den ästhetischen Prinzipien. Smedley ist ein engstirniger, dogmatischer Verfechter klassizistischer Gattungsästhetik und ein leidenschaftlicher Verteidiger der erhabenen Poesie. Er verurteilt daher in seinen Gulliveriana (1728) vor allem Swifts Neigung zum Trivialen und Burlesken und spricht Swift das Recht auf den Titel eines Dichters ab: H e c a n n o t pretend ever t o h a v e writ any one Piece, that c a n be called a
Poem,
in the genuine Sense of the W o r d : N o , he knew himself t o o well, ever t o 14
15
16
17
Man denke etwa an die Gedichte, die sich mit "Wood's Halfpence" befassen (Poems, I, p. 33 Iff.). A Congratulatory Poem on Dean SWIFT's Return to Τοψη. By a Member of the CLUB, held at Mr. Taplin's in Truckstreet, October, 7th, 1725. BL: C. 121. g. 8. (48.). Leonard Welsted, One Epistle to Mr. A. Pope (1730); The Augustan Reprint Society, Publication No. 14 (Los Angeles, 1965). Zur Persönlichkeit Smedleys und zu seinen Beziehungen zu Swift siehe Poems, II, p.360f.; vgl. auch Edward Graham, "Smedley and Swift — Further Reasons for their Enmity", Philological Quarterly, 48 (1969), p p . 4 1 6 - 2 0 .
16
deviate out of the Burlesque nothing like Poetry;
Stile and M a n n e r ; which is Rhitning
His whole poetick
...
third volume of the Miscellanies thence he deserves, Titulum Y o u r s is but Communi
( 1 7 2 7 ) ] , and you will easily see, if from
Nomenque
carmen
Poetae. — N o ! Captain! [Gulliver] no:
triviale, Monetä.
L o w , groveling Poetry all of
it; and I challenge all the W o r l d , to shew one good Epic, Poem of his; one Eclogue,
Pastoral,
indeed, but
Posse is publish'd there [in the
Elegiac
o r any thing like the Ancients·,
or
Lyric
and as he
c a n ' t write like them, so they had n o N a m e for such a W r i t e r as he is: And his Doggerel
and Burlesque
had banish'd him Rome
notwithstanding he is so
often huzza'd in Dublin. 1 8
So verständnislos und so borniert dieses Urteil ist, es ist für uns doch in doppelter Hinsicht aufschlußreich: Es verdeutlicht, wenngleich vereinfachend, die Grundposition jenes starren und strengen Klassizismus, den Swift in seinen Gedichten immer wieder in Frage stellt und den man als Folie seiner eigenen Dichtung sehen muß. Überdies läßt Smedleys Kritik erkennen, daß Swifts Dichtung sich weitgehend einer adäquaten Beurteilung mit Hilfe der Kategorien und des begrifflichen Instrumentariums der klassizistischen Literaturkritik verschließt. Angesichts der Verbindlichkeit der klassizistischen Literaturnormen kann es nicht verwundern, daß es im 18. Jahrhundert nur zögernde Ansätze zu individueller Auseinandersetzung mit Swifts Dichtung gibt und daß man Swifts dichterischer Leistung mit nahezu stereotypen Vorbehalten begegnete. Unsicherheit des Urteils im Hinblick auf Swifts Gedichte zeigt sich sogar in dem "Advertisement", das dem zweiten Band von George Faulkners Ausgabe der Werke Swifts (1735) vorangestellt ist. 19 Der Herausgeber ist sich der Originalität der Versdichtungen Swifts bewußt, erklärt sich andererseits jedoch für inkompetent, die dichterische Qualität zu beurteilen: W h a t Merit they have, w e confess ourselves to be no Judges of in the least; but out of due Regard to a Writer, from whose W o r k s we hope to receive some Benefit, we cannot conceal what we have heard from several Persons of great Judgment; that the Author never was known either in Verse or Prose to b o r r o w any Thought, Simile, Epithet, o r particular M a n n e r of Style, but whatsoever he writ, whether good, bad, o r indifferent, is an Original in itself. 20
18
19
20
Jonathan Smedley, Gulliveriana: or a Fourth Volume of Miscellanies. Being a Sequel of the Three Volumes, Published by Pope and Swift (London, 1728), p. XVI, p. XIX. The Works of Jonathan Swift, D.D., D.S.P.D., printed by George Faulkner, 4 vols. (Dublin, 1735). Zu Faulkner und den Umständen der Publikation dieser ersten Werkausgabe siehe Poems, ed. Williams, "Introduction", pp. X X I X - X X X V I . Ebd., vol. II, p.A2.
17
Freilich läßt sich nicht endgültig klären, ob George Faulkner wirklich der Verfasser des "Advertisement" ist. Herbert Davis und Harold Williams halten es für möglich, daß der Text nicht aus Faulkners, sondern aus-Swifts eigener Feder stammt. 21 Falls dies so sein sollte, ist die Stelle nicht minder aufschlußreich. Sie enthält dann einen Hinweis darauf, welches öffentliche Image Swift als Dichter anstrebte und propagierte: das des originellen Außenseiters, dessen Werke mit den üblichen literaturkritischen Maßstäben nicht zu erfassen sind. John Boyle, der Earl of Orrery, deutete in seinen Remarks on the Life and Writings of Dr. Jonathan Swift (1752) die dichterische Originalität Swifts als vulgäres Abweichlertum.22 Orrerys Kritik liegt sein prononciert aristokratisches Kunst- und Gesellschaftsideal zugrunde,23 innerhalb dessen delicacy und decorum, politeness und elegance, nobility und propriety, nicht zuletzt tenderness of manners zentrale Wertkategorien sind, innerhalb dessen ästhetische Vollkommenheit unbedingten Vorrang vor moralischen Zielsetzungen hat. So vermerkt er über Swifts Haltung als Dichter: He aims to be severely useful, rather than politely engaging: and as he was either not formed, or would not take pains to excel in poetry, he became, in some measure, superior to it; and assumed more the air and manners of a critic, than of a poet. 2 4
Insgesamt betrachtet, ist jedoch Orrerys Haltung ablehnender und weniger versöhnlich, als es hier erscheinen mag. Er bemängelt das 21
22
23
24
Herbert Davis, "Swift's View of Poetry", Jonathan Swift. Essays on his Satire and Other Studies (New York, 1964), p. 193. Harold Williams, "Introduction", Poems, I, p. XXXIII. Zur Person Orrerys und zu seinem Verhältnis zu Swift siehe Harold Williams, "Swift's Early Biographers", Pope and his Contemporaries. Essays Presented to George Sherburn, ed. James L. Clifford and Louis A. Landa (London and Toronto, 1949), p. 115ff.: "When the two met the young peer was about twenty-five and Swift in his sixty-third year with but a short period in complete command of his faculties remaining to him.... The harsh strictures of an author who posed as Swift's friend won for Orrery's book a phenomenal popularity. ... Orrery who counted himself a classical scholar of distinction saw in his friendship with Swift the opportunity to display literary gifts A chain of unnecessary reflections, dull displays of classical erudition, banal criticisms of Swift's writings, and stilted pronouncements on general topics, 'eked out', as Sheridan observes, 'from his commonplace book', encumber his chapters." - Bereits Samuel Johnson äußerte sich kritisch über Orrery: "His conversation was ... neat and elegant, but without strength. He grasped at more than his abilities could reach; tried to pass for a better talker, a better writer, and a better thinker than he was" [Boswell's Johnson, ed. Hill-Powell (Oxford, 1934-50), V, p.238 und Anm.5], Siehe dazu Gerd Stratmann, Englische Aristokratie und klassizistische Dichtung: eine literatursoziologische Studie (Nürnberg, 1965), S. 184f. Orrery, Remarks, p. 65f.
18
persönliche Element in Swifts Gedichten,25 er sieht in ihnen weithin Gelegenheitsprodukte, die er geringschätzig als "temporary, trifling, and ... almost... puerile" apostrophiert;26 zwar versteht er sie als Ausdruck eines ,ungewöhnlichen, faszinierenden, abnormen Geistes',27 zwar beobachtet er gelegentlich ,verborgene Anzeichen von Weisheit' und einem ,tiefen moralischen Bewußtsein',28 ebenso die ,üppige Phantasie, den Ideenreichtum, den Humor in seinen Beschreibungen',29 dennoch muß er Swifts Gedichte letztlich als Manifestationen eines ,depravierten Geschmacks'30 und einer vulgären Mentalität abwerten: Let his views and motives have been ever so beneficial, his general want of delicacy and decorum, must not hope even to find the shadow of an excuse; for it is impossible not to own, that he too frequently forgets that politeness and tenderness of manners, which are undoubtedly due to human kind. 3 1
Daß bei einer solchen moralisch weithin indifferenten, von der „Ästhetik des gesellschaftlichen Verhaltens" 32 bestimmten Auffassung von Literatur die Bitterkeit, Schärfe und Unversöhnlichkeit der Satiren Swifts Anstoß erregen mußte, liegt auf der Hand; Orrery betont daher den Gegensatz Swifts zur heiteren, milden horazischen Satire mit ihrem artistischen Raffinement: Horace is the more elegant and delicate: while he condemns, he pleases. Swift takes pleasure in giving pain
He is fond of probing wounds to their depth,
and enlarging them to open view. 3 3
Anmerkungen zur Versdichtung Swifts finden sich auch in Patrick Delanys Observations upon Lord Orrerys Remarks (1754). 34 Obgleich Delany seit etwa 1714 zu Swifts engerem Freundeskreis gehört hatte, obgleich er mit Swift poetische Bagatellen ausgetauscht hatte und mit seiner schriftstellerischen Mentalität wohlvertraut war, ist doch seine Kritik engstirnig und gelegentlich auch abhängig von Orrerys Remarks. Die Ursache dafür sieht Harold Williams sicherlich richtig: "Deference to high birth too often governed his pen." 35 Bereits Orrery hatte das Moment des Ekelerregenden und Unästhetischen als ein kennzeichnendes Merkmal Swiftscher Dichtung dargestellt.36 Delany nun rückt diesen
25 30 33 34
35 36
26 Ebd. 27 Ebd., p. 121f. 28 Ebd., p. 123. 29 Ebd., p. 122. Ebd., p. 121. 31 Ebd., p. 124. 32 Stratmann, S. 11. "Depraved taste", ebd., p.68. Orrery, p. 66. Zur Beziehung von Swift zu Delany siehe Jos. R. McElrath, "Swift's Friend: Dr. Patrick Delany", Eire, 5 (1970), pp. 53-62. Williams, "Swift's Early Biographers", p. 166. Orrery, Remarks, p. 78f.
19
Aspekt ganz ins Zentrum seines Interesses. Zunächst lobt er Swifts makellosen Konversationsstil: "SWIFT was remarkably guarded in his conversation, against any thing that had the least appearance of indecency, or offence." 3 7 Dann jedoch bemängelt er, "that [he] could never keep his style clear of offence, when a temptation of wit came in his way". 3 8 Delany vermerkt, daß der Hang zum Anstößigen und Obszönen sich in verstärktem Maße in Swifts späterer Produktion feststellen läßt, und er führt diese Tatsache - sicherlich zu unrecht - vor allem auf den persönlichen Einfluß Popes zurück. 39 Überdies sieht er in Swifts beleidigendem Stil 40 durchaus eine gezielte moralistische Maßnahme. Obwohl er die moralistische Intention Swifts grundsätzlich gutheißt, entrüstet er sich doch über das abstoßende Verfahren, dessen sich Swift in einer Reihe von Gedichten bedient; Delany ist der Auffassung, T h a t they are the prescriptions of an able physician, w h o had, in truth, the health of his patients at heart, but laboured to attain that end, not only by strong emeticks, but also, by all the most nauseous, and offensive drugs, a n d potions, that could be administered. But yet not without a mixture of the finest ingredients that could possibly be imagined, and contrived, to take off the offence, which the rest so justly gave. 4 1
Wenn auch Delany auf verschiedene purple patches - selbst in dem an skatologischen Elementen reichen Gedicht "Strephon and Chloe" hinweist, so mißbilligt er doch grundsätzlich Swifts Hang zu trivialen Themen, — "his detestable maxim: vive la bagatelle"; 42 er vermißt Sublimität gleichermaßen im Hinblick auf Swifts Themen und seinen Stil; und er räsonniert, "which was a greater debasement: to be a swine in reality, or in poetry! what can be so shocking as to see a heavenly muse, wallow in the mire." 43 - Wenn Delany am Trivialen, Obszönen, Unästhetischen in Swifts Gedichten Anstoß nimmt, dann nicht aus moralischer Entrüstung oder bürgerlicher Prüderie, sondern - wie insbesondere das letzte Zitat zeigt - weil Swifts Gedichte seinen konservativen Vorstellungen erhabener, von poetischer Phantasie erfüllter Dichtung zuwiderliefen.
37
38 41
42
Patrick Delany, Observations upon Lord Orrery's Remarks on the Life and Writings of Dr. Jonathan Swift (London, 1754), p.83. 39 Ebd., p.74. 40 Siehe ebd., p. 74f. Ebd., p.75. Ebd., p. 198; zur stereotypen Darstellung des Moralisten als Arzt siehe U. C. Knoepflmacher, "The Poet as Physician: Pope's 'Epistle to Dr. Arbuthnot"', Modern Language Quarterly, 31 (1970), pp.440-49. 43 Ebd., p,197f. Delany, p. 143.
20
Diesen grundsätzlichen Vorbehalt äußerte sogar Swifts Neffe, Deane Swift, 44 in seinem Essay upon the Life, Writings, Jonathan
and Character,
of Dr.
Swift (1755):
[Jonathan Swift] never devoted either his thoughts or his time to APOLLO and the MUSES. Throughout his whole works there is ... nothing which was ever intended as a rapture of poetry.45 Wenn Deane Swift darüber hinaus dennoch zu begründen sucht, " [that] the merits of DR. SWIFT in the character of a poet are considerably g r e a t , " 4 6 dann vor allem mit dem Ziel, das Ansehen und die Ehre seines berühmten Verwandten wiederherzustellen, die er insbesondere von Delany verletzt glaubte. Die Beurteilung der Versdichtung Swifts ist daher weitgehend beifällig und schönfärberisch. 4 7 Belangvoll erscheint mir lediglich der Hinweis auf Swifts Fähigkeit, gleichsam mit der Vorstellungskraft eines Malers ,lebendige' und ,genaue' Beschreibungen von Figuren und Figurengruppen zu schaffen. Deane Swift ergänzt hier die Beobachtungen, die Steele im Zusammenhang seiner Besprechung der "Description of the M o r n i n g " angestellt hatte, und verweist in der T a t auf ein Darstellungsprinzip, das Swift mit besonderer Meisterschaft beherrscht und zu einem besonders wirksamen Instrument zur Verwirklichung seiner moralistischen Absichten macht: His descriptions, wherein there constantly appear the distinguishing marks of his own peculiar talents, are extremely just and lively; many of his groups are not to be excelled by any painter's imagination. 48 44
45 47
48
Zu Deane Swift siehe Williams, "Swift's Early Biographers", p. 116: "Born in 1706 he had the advantage of coming into some slight touch with Swift in early years, but in no intimate way until an even later date than Orrery, indeed hardly till 1738. Deane Swift . . a l t h o u g h he ranged himself with the defenders of Swift's honour and reputation, entertained a strong aversion to Delany. ... In his knowledge of his distinguished cousin Deane Swift enjoyed an advantage in that original manuscripts came into his possession, including thirty-nine letters forming part of the collection later to be known as the Journal to Stella." 46 Ebd., p. 226. Deane Swift, Essay, p. 240. Siehe ebd., p. 227: "His rhymes and his numbers are chaste and delicate; and in places, when rather by accident than choice he rises from the earth, and soars into the regions of poetry, he is equal to the finest masters among the Greeks and Romans; his ideas are lofty and his versification musically sonorous. And yet after all, he is not to be considered in the light of a professed poet; the multitude of his writings ... being an evident demonstration, that he was superior to any particular course of learning... He never sate musing in his elbow chair upon new subjects, ... but writ occasionally to please and to reform the world, as either politicks or humour gave the spur to his faculties." Ebd., p. 227; vgl. auch p. 233: "From the same inexhaustible fund of wit, he acquired the historick arts both of designing and colouring, either in groups, or in single portraits."
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Im 18. Jahrhundert hat niemand deutlicher als Oliver Goldsmith die hervorragende Bedeutung des literaturkritischen Elements in der Dichtung Swifts erkannt. In seiner History of England (1764) legt er dar, daß die für Swift charakteristische Darstellung einer Reformierten' Natur nicht nur dazu dienen soll, Erfahrungswirklichkeit abzubilden, sondern daß sie vor allem auch die Funktion hat, die Romantisierende', d.h. idealisierende und ästhetisierende Darstellung der Realität in der zeitgenössischen Dichtung als illusionistisch zu entlarven. Wenn auch Goldsmith bezweifelt, daß Swift ein besonders begabter Dichter ist, so anerkennt er doch die außenseiterische Originalität, vor allem aber die Fähigkeit, die literaturkritischen und moralistischen Intentionen mit adäquaten Mitteln zu verwirklichen: H e perceived t h a t there w a s a spirit of r o m a n c e m i x e d with all the w o r k s of the poets w h o preceded him; o r , in other w o r d s , that they h a d d r a w n n a t u r e o n the m o s t pleasing side. There, still, therefore, w a s a place left for him, w h o , careless of censure, should describe it just as it w a s , with all its deformities; he therefore o w e s m u c h of his fame, not so m u c h t o the greatness of his genius, as t o the boldness of it. H e w a s dry, sarcastic, and severe; and suited his style e x a c t l y t o the turn of his thought, being concise and n e r v o u s . 4 9
Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts bleibt das Spektrum der Urteilskriterien im wesentlichen unverändert. Man stellt fest, daß Swift dem hohen Standard klassizistischer Dichtung nicht genügt, daß er in seinen Gedichten dennoch Geist und Phantasie an den Tag legt. Man sieht in Swifts vermeintlich mittelmäßiger Leistung teils das Produkt mangelnden poetischen Genies, teils die Konsequenz fehlender poetischer Ambitionen und eines stark ausgeprägten persönlichen Hangs zum Unbedeutenden, Alltäglichen.50 Samuel Johnson äußert sich in seinem "Life of Swift" zur Versdichtung Swifts in einer Weise, die erkennen läßt, daß er nur über eine lückenhafte Kenntnis der Gedichte verfügt. Er etikettiert Swifts Gedichte 45 50
Oliver Goldsmith, Works, ed. J. W. Gibbs (London, 1 8 8 4 - 8 6 ) , V, p.345f. Joseph Warton etwa stuft Swift in seinem Essay on the Genius and Writings of Pope (1756) als „drittklassigen" Dichter ein. Er zählt Swift nicht zu den Vertretern des pathetischen und erhabenen Stils, auch nicht zu jenen, die ein ,mäßigeres poetisches Genie' und eine ,edle Begabung für moralische, ethische und panegyrische Dichtung' besaßen, rechnet ihn - zusammen mit Prior, Walton, Pamell und Fenton - jedoch immerhin zu den "men of wit, of elegant taste, and lively fancy in describing familiar life, though not the higher scenes of poetry" [zit. in Scott Elledge (ed.), EighteenthCentury Critical Essays (Ithaca, New York, 1961), II, p.720]. In der zweiten Fassung von Wartons Essay erscheint eine veränderte Liste geistig verwandter Autoren; nun sind es: Butler, Rochester, Donne, Dorset, Oldham [siehe Elledge, II, p. 1148).
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als "gross" und "trifling". 51 Er sieht in vielen von ihnen Gelegenheitsprodukte, in denen sich eher skurrile Laune als künstlerischer Gestaltungswille manifestiert. Seine Vorbehalte artikuliert er mit jovialer Autorität: In the poetical works of Dr. Swift there is not much upon which the critic can exercise his powers. They are often humorous, almost always light, and have the qualities which recommend such compositions, easiness and gaiety. 52
Wenn Johnson im Zusammenhang damit die Verssprache Swifts als angemessene Verwirklichung des Prinzips proper words in proper places bezeichnet, dann fehlt auch dabei nicht die ironische Kritik; denn für ihn ist die poetische Diktion eine unabdingbare Voraussetzung wirklicher Dichtung: They [Swift's poetical works] are, for the most part, what their author intended. The diction is correct, the numbers are smooth, and the rhymes exact. There seldom occurs a hard-laboured expression, or a redundant epithet; all his verses exemplify his own definition of a good style — they consist of "proper words in proper places". 5 3
Die Mängel, die hier nur angedeutet werden, werden deutlicher in einem Artikel benannt, der im November 1790 anonym im European Magazine and London Review erschien. In seinem "Character of Jonathan Swift" stellt der Verfasser zunächst fest, wie meisterhaft Swift die englische Prosa beherrscht: That he understood the genius of the English language better than most of his contemporaries we are firmly persuaded. His style is pure, nervous, and manly. 5 4
Im Hinblick auf die Sprache in Swifts Gedichten freilich bedeutet dieses Lob nicht viel. Swifts Versstil erscheint als zu prosaisch, d. h. ungeeignet, als Vehikel wahrer dichterischer Imagination dienen zu können, ungeeignet, pathetische und sublime Gefühle auszudrücken: In his productions in verse there is nothing wire-drawn and insipid, jejune and bombast,... The versification is easy, and the humour is natural. But in
51 53
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52 Ebd., p.273. Samuel Johnson, Lives, II, p.274. Ebd. - Möglicherweise orientierte sich Coleridge in seinem Urteil über Swifts Dichtungsstil an dieser Stelle; in seiner Lecture on Style (1818) heißt es, freilich ohne jeden ironischen Beiklang: "Swift's style is, in its line, perfect; the manner is a complete expression of the matter, the terms appropriate, and the artifice concealed. It is simplicity in the true sense of the word" [Coleridge's Miscellaneous Criticism, ed. Th. M. Raysor (London, 1936), p.220], The European Magazine and London Review, No. 50, Nov. 1790, p. 331.
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reality they are to be regarded in the very same light with his other compositions. They are nothing more than prose in rhyme. Imagination, metaphor, and sublimity constitute no part of their merit. Sir Isaac Newton was within a trifle as great a poet as Dr. Swift. 55
2. Das 19. und 20. Jahrhundert Eine entscheidende Erweiterung der Urteilskriterien bei der Bewertung von Swifts Versdichtung läßt sich in einem Artikel im Edinburgh Review erkennen, in dem Francis Jeffrey die von Sir Walter Scott veranstaltete Gesamtausgabe der Werke Swifts (1814) rezensierte.56 Jeffrey fragt nicht mehr nach Swifts besonderer Stellung innerhalb der Dichtung des Klassizismus. Er sieht in Swift einen Repräsentanten der zunehmend in Vergessenheit geratenden Literatur des frühen 1 S.Jahrhunderts und beurteilt seine Gedichte vorwiegend aus der Perspektive romantischer Dichtungsauffassung. Für Jeffrey zählt Swift - gemeinsam
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56
Ebd., p.332. — Ansonsten wiederholt der Verfasser dieses Artikels im wesentlichen die geläufigen Punkte der Kritik; er bezeichnet einen großen Teil der Gedichte Swifts als "unworthy" und "empty", bemängelt Swifts Hang zum Häßlichen und Obszönen, entrüstet sich über die "triflingness and insipidity of the mind of Swift" (ebd.). The Edinburgh Review, Sept., 1816, No. 53, p. Iff. - Es erübrigt sich, an dieser Stelle ausführlich auf die Kritik Sir Walter Scotts einzugehen; denn in seinen Memoirs of Jonathan Swift (1814) liefert Scott im wesentlichen nicht eine selbständige Kritik der Versdichtung Swifts, sondern — nicht ohne persönliches Wohlwollen und Verständnis — eine Zusammenfassung der Kritik des 18. Jahrhunderts. Er begeistert sich für "Cadenus and Vanessa" wegen der vermeintlich ,romantischen' Qualitäten des Gedichts, hebt das satirische Element als charakteristisch für Swifts Versdichtung hervor und sieht in vielen der späten Gedichte "fugitive pieces in which the Dean neglected both the decency due to his station as a clergyman and a gentleman, and his credit as a man of literature. These were poems of a coarse and indelicate character, where his imagination dwelt upon filthy and disgusting subjects, and his ready talents were employed to embody its impurities in humorous and familiar verse" (p.385). Diese ,unglückliche Perversion des Geschmacks' (ebd.) führt er einerseits auf die allgemeinen Zeitumstände zurück, andererseits erklärt er sie psychologisch als Ausdruck beginnender Geistesgestörtheit (p.386). - Scott rühmt Swifts ,Originalität' (p.387), hebt seine ,völlige Indifferenz gegenüber literarischem Ruhm' (p.488) hervor und kommt zusammenfassend zu dem Ergebnis: "As a poet Swift's post is pre-eminent in the sort of poetry which he cultivated. He never attempted any species of composition, in which either the sublime or the pathetic were required of him. But in every department of poetry where wit is necessary, he displayed, as the subject chanced to require, either the blasting lightning of satire, or the lambent and meteor-like coruscations of frolicsome humour (p.489f.). ... In the walk of satire and familiar poetry, wit, and knowledge of mankind, joined to facility of expression, are the principal requisites for excellence, and in these Swift shines unrivalled" (p.491).
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vor allem mit Pope und Addison — zu einer Generation von Autoren, deren Ansehen wegen ihres Regenerierten Geschmacks' 57 gesunken ist. Er bemängelt, that fthey] . . . had not a great deal more than their judgment and industry to stand o n ; . . . Their laurels were won much more by good conduct and discipline, than by enterprising boldness or native force. 58
Jeffrey hält diese Dichter zwar für "sagacious, neat, clear, reasonable", gleichzeitig aber auch für "cold, timid, superficial"; 59 er vermißt bei ihnen all das, was den wahren, romantischen Dichter ausmacht, "force or greatness of fancy", "pathos", "enthusiasm", "comprehensiveness", "depth", "originality", insbesondere aber "[the] glow of feeling", "[the] blaze of imagination", "[the] flashes of genius". 60 Unter den Dichtern des Klassizismus erscheint Swift als der kraftvollste, zugleich aber der kühlste und am wenigsten mit dichterischer Phantasie begabte. 61 Für Jeffrey sind seine Gedichte belanglos, weil es Gelegenheitsprodukte sind, die selten einen anderen Zweck erfüllen als "[to] promote some temporary and immediate object, and [to] produce a practical effect". 62 Die stärksten Vorbehalte ergeben sich für Jeffrey jedoch aus den menschlichen Grundhaltungen Swifts, insbesondere aus seiner inhumanen Aggressivität und seiner anmaßenden Menschenverachtung. Das Bild der Persönlichkeit Swifts, das Jeffrey zeichnet, ist wegweisend für das gesamte 19.Jahrhundert: He was, without exception, the greatest and most efficient libeller
that ever
exercised the trade; and possessed, in an eminent degree, all the qualifications which it requires: - a clear head — a cold heart - a vindictive temper - no admiration of noble qualities - no sympathy with suffering - not much conscience — not much consistency — a ready wit - a sarcastic humour - a thorough knowledge of the baser parts of human nature — and a complete familiarity with everything that is low, homely, and familiar in language. . . . Disregarding all the laws of polished hostility, he uses, at one and the same moment, his sword and his poisoned dagger - his hands, and his teeth, and his envenomed breath, — and does not even scruple, upon occasion, to imitate his own yahoos, by discharging on his unhappy victims a shower of filth. 63
Und so gelangt Jeffrey zwangsläufig zu dem lakonischen Urteil: " O f his Poetry, we do not think there is much to be said; for we cannot persuade ourselves that Swift was in any respect a poet." 6 4 57 58 64
The Edinburgh Review, No. 53, September 1816, p.2. Ebd., p.3. 59 Ebd. 60 Ebd. 61 Ebd., p. 8. 62 Ebd., p.44. Ebd., p. 49.
63
Ebd., p.44f.
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Thackeray sah in Swifts Dichtung das Manifest einer verachtungswürdigen, von Eitelkeit und Ehrgeiz bestimmten Persönlichkeit. 65 Für ihn war Swift ein psychisch und moralisch kranker Intellektueller, der solange dies seinem Ruhm und seiner gesellschaftlichen Stellung nicht schadete — seiner Verbitterung und Misanthropie in beißendem Spott und groben Beschimpfungen Luft machte, der jedoch die Herausforderung eines geistig Ebenbürtigen nicht annahm, sondern sich feige zurückzog, um seinen aufgestauten Groll Jahre später in gehässige, heimtückische Verse zu fassen: If you had been his inferior in parts . . . , his equal in mere social station, he would have bullied, scorned, and insulted y o u ; if, undeterred by his great reputation, you had met him like a man, he would have quailed before you, and not had the pluck to reply, and gone home, and years after written a foul epigram about you - watched for you in a sewer, and c o m e out to assail you with a c o w a r d ' s blow and dirty bludgeon. If you had been a lord with a blue riband, w h o flattered his vanity, or could help his ambition, he would have been the most delightful company in the w o r l d . 6 6
Diese psychologische Skizze läßt zweifellos eine starke persönliche Voreingenommenheit erkennen und ist in ihrer karikaturhaften Uberzeichnung sicherlich nicht repräsentativ für die Swift-Kritik in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts; charakteristisch ist sie für diesen Zeitraum insofern, als nun in zunehmendem Maße die Dichtungen Swifts als Projektionen einer poesielosen, einseitig rational geprägten, vor allem aber psychisch und moralisch defekten Persönlichkeit verstanden wurden. Der einzige Kritiker des 19. Jahrhunderts, der Swifts Dichtung hohes Lob zollte, war William Hazlitt. Seine Vorliebe für Swift erklärt sich zum Teil daraus, daß er — ungeachtet der romantischen Bewegung — die klassizistische Literatur nicht in Bausch und Bogen verwarf, zum Teil aber auch dadurch, daß er in Swift einen ihm verwandten Geist sah. Obwohl er Swifts Prosa höher schätzt als seine Versdichtung, 67 räumt er ein, " [that] his name merely as a poet would have come down to us, and have gone down to posterity with well-earned honours;" 6 8 denn Swift
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66 67
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W. M. Thackeray, "Swift", The English Humourists of the Eighteenth Century (London, 1853), pp. 1 3 5 - 7 2 . Ebd., p,139f. William Hazlitt, "Preface and Critical List of Authors from Select British Poets", Complete Works of William Hazlitt, ed. P. P. Howe (London and Toronto, 1 9 3 0 - 3 4 ) , IX, p. 240. "Lectures on the English Poets", Complete Works, V, p. 109.
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besitze "sense, wit, humour, ease, and even elegance when he pleases".69 Hazlitt begeisterte sich für "A Description of the Morning" und "A Description of a City Shower", und er hatte eine besondere Vorliebe für die Horaz-Imitationen und die "Verses on the Death of Dr. Swift": "[They] place him in the first rank of agreeable moralists in verse."70 Hazlitt schätzte Swifts ,trockenen Humor' und seine ,subtile Ironie', das ,ergreifende, unprätentiöse Pathos', insbesondere aber die einzigartige Verbindung von ,Sinn' und ,Unsinn' in seinen Werken: N o man has written so many lack-a-daisical, slip-shod, tedious, trifling, foolish, fantastical verses as he, which are so little an imputation of the wisdom of the writer, and which in fact only show his readiness t o oblige others, and t o forget h i m s e l f . . . . Oh, when shall we have such another Rector of L a r a c o r ! 7 1
Hazlitts Urteil ist subjektiv und exzentrisch; es ist durch persönliche Begeisterung und durch einen entschiedenen Geschmack geprägt. Es ist im wesentlichen unabhängig von zeitgenössischen und historischen Kategorien der Literaturkritik. Gerade letzteres aber macht es so bemerkenswert; denn es verdeutlicht beispielhaft, daß eine Neuorientierung und auch eine Versachlichung der Kritik der Gedichte Swifts so lange nicht möglich war, wie man nicht bereit war, die althergebrachten, stereotypen Urteile und Vorurteile zu revidieren bzw. fallenzulassen. Davon aber konnte noch lange nicht die Rede sein. In Hippolyte Taines Histoire de la Litterature Anglaise (1864) 72 erscheinen als beherrschende Eigenschaften der Persönlichkeit Swifts die inhumane und hochmütige Kühle, die maliziöse Leidenschaftlichkeit des Geistes, die Neigung zur Destruktion und zur Aufdeckung des Häßlichen, die misanthropische Veranlagung, der Hang zum Belanglosen, Bagatellhaften. Taine vermißt Heiterkeit, Liebenswürdigkeit, Gefühl, den Sinn für die Schönheit und Größe des Menschen und der Natur. Er, der Dichtung auffaßt als "involuntary music, in which thought wraps itself, [and which] hides ugliness and unveils nature",73 kann zwar "truth and force" jenen Gedichten Swifts nicht absprechen, in denen prosaische Themen behandelt werden,74 muß jedoch ansonsten Swifts dichterische Leistung anzweifeln. In seiner Kritik bedient er sich vor allem der Kategorien, die die Dichter der Romantik entwickelt hatten:
69 72
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7 0 Ebd., V, p. 109. 71 Ebd. Ebd., IX, p. 240. Im folgenden wird zitiert nach Hippolyte A. Taine, History translated by H. van Lam (London, 1871). 74 Ebd., p. 137. Ebd., p. 135.
of English
Literature,
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[Swift] is excluded from great transports of imagination, as well as from the lively digressions of conversation. He can attain neither the sublime nor the agreeable; he has neither the artist's rapture, nor the entertainment of the man of the world. . . . What is wanting most in his verses is poetry. The positive mind can neither love nor understand it; . . . Decidedly this man is an artisan, strong of arm, terrible at his work and in a fray, but narrow of soul. . . . Rhyme and rhythm are only business-like tools, which have served him to press and launch his thought; . . . poetry was too fine to be grasped by those coarse hands. . . . All poetry exalts the mind, but this depresses it; instead of concealing reality, it unveils it; instead of creating illusions, it removes them. . . . He drags poetry not only through the mud, but into the filth; he rolls in it like a raging madman. 75 Es ist müßig, die Kritik der Versdichtung Swifts in den darauffolgenden Jahren und Jahrzehnten detailliert darzustellen; denn diese Kritik ist von einer erstaunlichen Gleichförmigkeit und Undifferenziertheit im Hinblick auf die Argumente, mit denen man die Dichtung Swifts abwertet. — Sir Henry Craik etwa stellte fest: We cannot claim for any of his verses the qualities of real poetry. We find in them no flights of imagination: no grandeur either of emotion or of form; and even the deftness of his rhythmical skill never attains to the harmony of poetic utterance. 76 In vielen Gedichten sah John Churton Collins nicht mehr als "mere trifles, thrown off occasionally, . . . listlessly, to kill time, . . . transitory gleams over an abyss of g l o o m " . 7 7 Andere, insbesondere die späten skatologischen Gedichte deutete er als Spiegelbilder einer monomanischen Perversion des Verstandes und der Psyche, als Manifestationen eines Denkens, das sich gegen die Würde und Schönheit des menschlichen Lebens richtet: "In them his misanthropy, his hatred of individuals, his rage, his pessimism, flamed out unrestrained." 7 8 A. W . W a r d vertrat in der Cambridge
History
of English
Literature
( 1 9 1 2 ) die Auffassung, that Swift's verse has very little imagination or sentiment. It is merely witty prose put into fluent verse, with clever rhimes. There is no chivalry, no real 75 76
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78
Ebd., pp. 1 3 5 - 3 9 . Sir Henry Craik, The Life of Jonathan Swift (London, 1882), zit. in: Collected Poems of Jonathan Swift, ed. Joseph Horrell (London, 1958), I, p.LIX. John Churton Collins, Jonathan Swift. A Biographical and Critical Study (London, 1893), p. 2 2 9 . Ebd. - In seiner Short History of English Literature (London, 1908) spricht George Saintsbury von Swifts "wretched Pindaric odes" (p.528) und ist ansonsten überzeugt, "[that] Poetry, in the strict and rare sense, Swift seldom or never touches" (p.530).
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emotion, except the fierce passion of indignation. If 'poet' connotes the love of beauty, the search after ideals, the preaching of what is ennobling, then Swift is not a p o e t . 7 9
Diese "attitude of refined romanticism" 80 blieb im wesentlichen während der ersten drei Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts erhalten. Selbst F. Elrington Ball, der die biographischen Aspekte der Gedichte Swifts hingebungsvoll untersuchte, bewertet die dichterische Leistung Swifts zurückhaltend; er vermißt "the fire of poetry and magnificence of imagery or language"; 81 auch er bemängelt, "[that] Swift's verse is in its essence practical". 82 Herbert Davis betrachtete als erster die Versdichtung Swifts unabhängig von den tradierten Klischees der Kritik und ohne den Ballast biographischer und psychoanalytischer Spekulation. In seinem Aufsatz über "Swift's View of Poetry" (1931) 83 versuchte er, die ästhetischen und moralistischen Prinzipien Swifts unvoreingenommen, von ihren individuellen und historischen Voraussetzungen her, zu verstehen. Seine Ergebnisse blieben im wesentlichen unwidersprochen und sind weithin noch heute für die Einstellung der Kritik zu Swifts Dichtung repräsentativ. Davis versteht Swifts poetischen Ansatz als "[a] reaction against the heroic or romantic view of the poet's function and art". 8 4 Er sieht in Swift einen Außenseiter des Klassizismus, unterstreicht daher den Gegensatz zum dichterischen Selbstverständnis Drydens; vor allem aber hebt er ab auf den Gegensatz zum jungen Pope und zu den Prinzipien, die im Essay on Criticism dargestellt sind: H e [Pope] shows the mentality of a young priest of the strictest o r t h o d o x y , bold, proud, dogmatic, with nothing but scorn for those w h o are not of the true faith. H e looks upon poetry as the special activity of a privileged and well-trained hierarchy, which professes and believes literally in a creed that has been handed d o w n by the great founders and leaders of the order. They alone have the true faith - to them the revelation has been made of Nature, " t h e source, and end, and test of a r t . " 8 5
79 80
81 83
84
The Cambridge History of English Literature, vol. IX (1912), p. 124. A. L. Rowse, "Jonathan Swift", in: A. L. Rowse, The English Spirit. Essays in History and Literature (London, 1946), p.l86f. 82 Ebd., p.3. F. E. Ball, Swift's Verse, p. 1. Herbert Davis, "Swift's View of Poetry", Studies in English, collected by Malcolm W. Wallace (Toronto, 1931); der Aufsatz wurde erneut abgedruckt in: Herbert Davis, Jonathan Swift. Essays on his Satire and Other Studies (New York, 1964), pp. 163—98; nach letzerem Text wird hier zitiert. 85 Ebd., p,164f. Ebd, p. 163.
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Swift erscheint als Anti-Typus, — und dies nicht nur wegen seiner elementaren Skepsis gegenüber dem Prinzip der Inspiration 86 oder seiner Ablehnung des Pathetischen und Sublimen. 8 7 Davis faßt Swifts Versdichtung weithin als private und politische Gelegenheitsdichtung auf, angeregt durch aktuelle, ,äußere' Anlässe; 8 8 sie diene zum Teil der eigenen Unterhaltung und dem Vergnügen der Freunde; 8 9 sie habe vor allem aber die Funktion, Ansehen und Einfluß zu gewinnen, politischsoziale Meinungen zu propagieren und mit politischen wie privaten Gegnern abzurechnen. 9 0 — Andererseits sieht Davis durchaus die spezifisch literarische Motivierung vieler Gedichte: A good number of Swift's pieces owe their existence entirely to such purely literary motives. However true it may be that much of his writing is the work of a man of action rather than a man of letters, yet Swift was always very closely associated with the literary world, and keenly interested in the work of his contemporaries. He was concerned moreover to influence their taste, and to do that he employed his usual method of satirizing what seemed to him to be the affectations and absurdities of poetical fashions. He scorned above all the artificial conventions, the outworn ornaments and false sentimentality, which are perhaps at all times the marks of minor poetry. 9 1
Auch die literarisch motivierten Gedichte erscheinen freilich als ,sehr unbedeutende Leistungen', 9 2 und so gelangt Davis zu der Auffassung, "that it is not of much real significance that Swift amuses himself thus in attacking the romantic attitude". 9 3 Manche der Gedichte versteht Davis aufgrund ihrer ,abstoßenden', 9 4 ,widerwärtigen Art' 9 5 als Ausdruck geistiger Pervertiertheit; 96 die meisten wertet er als Produkte der linken Hand ab; 9 7 als wirkliche dichterische Leistungen werden lediglich jene Gedichte anerkannt, in denen Swift persönliche Erfahrungen und Probleme thematisiert, wie etwa "Cadenus and Vanessa" oder die Stella-Gedichte. Die Verssprache hält Davis für spontan und ungezwungen, wobei er den Unterschied zu Swifts kunstvoller, geschliffener Prosa besonders hervorhebt: Swift invertiere die üblichen Maßstäbe sprachlichen Ausdrucks, so daß bei ihm die Verssprache charakteristische Funktionen der Prosasprache übernehme: 86 88
89 94 97
8 7 Siehe ebd., p. 183. Siehe ebd., p. 168 . Ebd., p. 178: " M o s t frequently his poetry was prompted entirely from without, as w a s all the political verse, and a great deal that belongs to his friendships and enmities." 9 0 Ebd. 9 1 Ebd., p. 178f. 9 2 Ebd., p. 182. 93 Ebd., p. 182f. Ebd., p. 167. 95 Ebd., p. 181: "unpleasant qualities". 9 6 Ebd. Ebd., p. 194: " u n s a v o u r y " . Ebd., p. 187.
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Swift forces the rhymed octosyllabic couplet to serve him as a means of obtaining an effect of perfect spontaneity and ease, a medium of expression even less formal than prose. M o s t poets use verse where prose would not be g o o d enough for their particular purpose. Swift seems almost to have used it as a more familiar, more intimate way of communication. . . . And so, just as in dealing with his enemies in political controversy he used verse for his roughest and least considered outbursts, tossing off ballads and broadsides shaped to popular tunes, so in his friendships his most familiar manner of address was always in verse. 9 8
Wenngleich Davis zugesteht, daß die für die breitere Öffentlichkeit bestimmten, satirischen und humoristischen Gedichte durchaus ,Kraft' besitzen," so kritisiert er doch generell die Nüchternheit des Ausdrucks, den Mangel an Gefühl, die Tendenz zur Gelegenheitsdichtung, das Fehlen allgemeiner Signifikanz in den privaten Gedichten. 1 0 0 Bei allem Bemühen um ein vorurteilsfreies Verständnis korrigiert Davis in den wesentlichen Punkten nicht die überkommene Kritik der Versdichtung Swifts, er versachlicht sie lediglich. Es bleibt ihm verborgen, daß Swift neue Wege fand, die Erfahrungswirklichkeit in der Dichtung darzustellen und zu analysieren; vor allem aber verkennt er die grundlegende Bedeutung des literaturkritischen Elements in Swifts Gedichten, wenn er gerade die literarisch motivierten Gedichte als "very slight productions" bezeichnet. Auf den ersten Blick scheint Swift selbst Davis' Werkverständnis zu rechtfertigen, indem er sich nämlich als " M a n of Rhimes", 1 0 1 als unambitionierter Verfasser gereimter Bagatellen, ausgibt. Doch erscheint es fragwürdig, ob dies eine offene, vorbehaltlose Selbstcharakterisierung Swifts ist. M a n kann darin, so scheint mir, durchaus die Schutzbehauptung eines Autors sehen, der sich selbst und seine Werke nur ungern der Kritik aussetzte und sich das Image eines Verseschmieds zulegte, um sich so eventuellen Anfeindungen durch die Kritik zu entziehen. Diese Interpretation läßt sich biographisch erhärten: Swift reagierte empfindlich und verärgert auf Kritik an seinen literarischen Leistungen, er war erpicht auf Ruhm und Anerkennung; nicht von ungefähr findet sich daher in mehreren Briefen an den Freund Pope die ausdrückliche Bitte: " O m a m e ! " 1 0 2 Andererseits hat Swifts Selbstcharakterisierung als " M a n of Rhimes" unübersehbar Züge eines Topos, zumal in Verbindung mit der Feststel-
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99 Ebd., p. 190: "power". Ebd., p. 187f. Correspondence of Jonathan Swift, IV, p.52.
100
Ebd., p. 189. Ebd., p. 116, p.335, p.382.
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lung, er habe "never any [couplet] without a moral View" 103 geschrieben: Swift greift hier zur traditionellen Apologie des Satirikers und Moralisten, die stets dazu gedient hatte, satirische Angriffe und moralistische Kritik zu entschärfen und gleichzeitig zu rechtfertigen.104 Anzunehmen, daß Swift sich nicht absichtsvoll dieses Topos bedient hätte, um sein dichterisches Selbstverständnis zu beschreiben, hieße seine Belesenheit und seine Fähigkeit zur subtilen Anspielung unterschätzen. 105 Gewiß enthält das obige Zitat auch das offene Eingeständnis Swifts, daß er selbst in einem Teil seiner Gedichte kaum mehr als literarische "trifles" sah. Seine Selbstcharakterisierung ist dennoch nicht ohne selbstbewußtes understatement; denn mit ihr stellt sich Swift bewußt in die große Tradition der Satiriker und der Moralisten bis hin zur Antike. Er versteht sich als einer ihrer legitimen Nachfahren, der durchaus auch des Titels „Dichter" würdig ist. Wenn er in einem Brief an John Gay verallgemeinernd auf den besonders weiten Erfahrungs- und Verstehenshorizont des Dichters hinweist, dann gewiß auch im Bewußtsein seiner eigenen, besonderen Fähigkeiten und seiner moralischen Verantwortung: T h e world is wider to a Poet than to any other M a n , a n d new follyes and Vices will never be wanting any more than new fashions. J e donne au diable the wrong N o t i o n that Matter
is exhausted. For as Poets in their Greek N a m e
are called Creators, so in one circumstance they resemble the great Creator by having an infinity of Space to w o r k in. 1 0 6
Swift hat öffentliche Gelegenheitsgedichte geschrieben, in denen er propagandistisch-satirisch zu aktuellen politischen, sozialen, ökonomi103 105
106
104 S. u., S. 142ff. Ebd., p. 52. Es hieße auch das Vorwort übersehen, das Swift und Pope gemeinsam ihren Miscellanies itt Prose and Verse (1727) vorangestellt hatten; dieses Vorwort enthält nicht nur den Topos in aller Ausführlichkeit, es läßt auch erkennen, daß der Bedeutungsbereich des Topos hier ausgeweitet ist: er meint nicht allein die satirische Dichtung, sondern in einem allgemeineren Sinn die moralistische Dichtung: "We are obliged to confess, that this whole Collection, in a manner, consists of what we not only thought unlikely to reach the future, but unworthy even of the present Age; not our Studies, but our Follies; not our Works, but our Idlenesses. - Some Comfort however it is, that all of them are Innocent, and most of them, slight as they are, had yet a moral Tendency; either to soften the Virulence of Parties against each other; or to laugh out of Countenance some Vice or Folly of the Time; or to discredit the Impositions of Quacks and false Pretenders to Science; or to humble the Arrogance of the ill-natured and envious: In a word, to lessen the Vanity, and promote the good Humour of Mankind" (vol. I, p. 13). Letter to Gay, 20 November 1729, Correspondence, III, p.360.
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sehen Belangen Stellung nimmt; er hat - vornehmlich zur Unterhaltung des Freundeskreises - private Gedichte verfaßt, die selten mehr sind als anspruchslose, heitere, geistreich-spielerische Bagatellen. Darüber hinaus hat er eine nicht geringe Zahl von Gedichten geschaffen, die vorwiegend literarisch motiviert sind und eine beträchtliche ästhetische und moralistische Gestaltungskraft erkennen lassen. Diese Gedichte stehen im Mittelpunkt der folgenden Untersuchung in ihrer doppelten Bedeutung als Verwirklichungen einer originalen Dichtungskonzeption und als Produkte der permanenten Auseinandersetzung Swifts mit aktuellen und tradierten Grundproblemen der Dichtung. Swift hat seine Auffassungen vom Wesen und von den Funktionen von Dichtung nie in einer systematischen Abhandlung niedergelegt; er haßte den modischen Jargon der Kritiker, 1 0 7 er verachtete den " T r i b e of L o g i c k - m o n g e r s " , 1 0 8 der sich unermüdlich um die präzise Definition literarischer Begriffe und N o r m e n bemühte. Dennoch enthalten seine Briefe und Prosaschriften, vor allem auch die Gedichte selbst immer wieder Bemerkungen, die es erlauben, von einer konsistenten Dichtungskonzeption Swifts zu sprechen. Viele Gedichte sind überdies nicht nur Anwendungen von Swifts programmatischen Grundauffassungen, sondern -
etwa als Parodien oder Travestien -
selbst Instrumente der
Dichtungskritik. Sie in dieser Funktion zu analysieren, ist eine vordringliche Aufgabe dieser Arbeit, zumal dieser Aspekt von der Forschung bisher nur in unzureichendem M a ß e in seiner Bedeutung erkannt und berücksichtigt wurde. Die Untersuchung richtet sich zunächst auf die Phase der CowleyN a c h a h m u n g in den frühen neunziger Jahren und versucht, am Beispiel der „pindarischen" Oden das dichterische Selbstgefühl und die poetologischen Auffassungen des jungen Swift darzulegen. Im Anschluß daran wird der in den panegyrischen Gedichten erkennbare Reflexionsprozeß dargestellt, der schließlich zur Abkehr Swifts vom Ideal erhabener Dichtung führte. In den beiden Jahrzehnten, die der Absage an das Idol Cowley und die durch ihn repräsentierte erhabene Dichtung folgen, hat Swift weder sein eigenes, neues Dichtungsverständnis programmatisch formuliert, noch explizit Kritik an den modischen und konventionellen T h e m e n , Formen und Haltungen der Dichtung geübt. Im ersten Jahrzehnt des 1 8 . J a h r hunderts entstehen jedoch einige bedeutende Parodien, in denen sich seine veränderte Dichtungskonzeption klar abzeichnet. — Im anschlie107
Siehe Poems, II, p.648, 1. 242.
108
Poems, I, p.215, 1. 19f.
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ßenden Hauptteil werden daher "The Story of Baucis and Philemon" (1706; 1709), "A Description of the Morning" (1709) und "A Description of a City Shower" (1710) in ihrer Funktion als angewandte Formen der Literaturkritik interpretiert. Dabei kommt es auch darauf an, mittels relativ früher Texte zu demonstrieren, wie Swift aus der parodistischen Reaktion auf die zeitgenössische Dichtung heraus zu einer originalen, „realistischen" Form der Dichtung gelangt. Die Interpretation dieser Gedichte dient daher auch dazu, einige der für Swift charakteristischen Strukturelemente und Stilmittel vor dem Hintergrund klassizistischer Dichtung zu beschreiben. Im Anschluß daran wird Swifts Kritik an der poetischen Diktion und am sublimen Stil analysiert und seine eigene Theorie eines prosaischen Dichtungsstils vorgestellt. Dabei geht es insbesondere auch um die Frage, in welchem Maße Swifts Sprachauffassung und Stilkonzeption über ästhetische Erwägungen hinaus auch durch erkenntnistheoretische und moralische Problemstellungen geprägt ist. In seinen Gedichten wandte sich Swift immer wieder gegen die Scharen der "heavy, illiterate Scriblers",109 die die literarische Szene in London weithin beherrschten. Swifts Auseinandersetzung mit der Dummheit und Arroganz, der künstlerischen Stumpfheit und moralischen Haltlosigkeit der Poetaster und Lohnschreiber findet ihren Niederschlag in einer Reihe satirischer Karikaturen des scribbler, die vor allem in den späteren Gedichten enthalten sind. Die Polemik gegen die "Respublica Grubstreetaria"110 stellt einen Kernpunkt in der Analyse des zeitgenössischen literarischen Betriebs dar; sie ist daher der Gegenstand eines besonderen Kapitels, an dessen Ende die Interpretation des — ironischen - Lehrbriefs eines erfahrenen, abgefeimten scribbler steht, "On Poetry: A Rapsody" (1733). Insbesondere in den Jahren nach der Publikation von Gulliver's Travels (1726), der Zeit seiner größten dichterischen Aktivität also, äußerte sich Swift immer wieder zur Intention, zur Methode und zu den Themen seiner Gedichte. Im anschließenden Hauptteil werden die poetologischen Grundsätze Swifts dargestellt, wobei der facettenreiche Begriff der raillery im Mittelpunkt des Interesses steht. Im Zusammenhang damit wird untersucht, wieweit Swift seine Versprodukte als private, bagatellhafte Gelegenheitsdichtung verstand bzw. wieweit er sie als Ausdruck fester ästhetischer, moralistischer und satirischer Prinzi109 110
A Tale of a Tub, ed. A. C. Guthkelch and D. Nichol Smith (Oxford, 1920), p.5. Letter to Robert Hunter, 22 March 1709, Correspondence, I, p. 133.
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pien sah. Gleichzeitig geht es darum, Entwicklungen und Wandlungen in Swifts Dichtungsverständnis darzulegen und auf Spannungen zwischen theoretischem Konzept und schriftstellerischer Praxis hinzuweisen. Die Gedichte, in denen sich Swift mit dem Thema des "fair sex" befaßt, haben seit jeher in besonderem Maße die Aufmerksamkeit der Kritik auf sich gezogen und immer wieder zur Frage nach der Bedeutung des Obszönen, Häßlichen, Unästhetischen in Swifts Versdichtung Anlaß gegeben. Die skatologischen Gedichte, in denen er die physischen und geistigen Makel des weiblichen Geschlechts beschreibt, sind jedoch keineswegs allein oder auch nur vorrangig unter psychoanalytischem oder biographischem Aspekt von Interesse. Kein anderes Thema als das der Darstellung der Frau ist besser geeignet, die für Swift grundlegende und anhaltende Auseinandersetzung mit dem problematischen Verhältnis von Illusion und Wirklichkeit, von poetischer Fiktion und Wahrheit des Verstandes und der Erfahrung zu analysieren bzw. das dichterische Verfahren zu beschreiben und zu interpretieren, das diesen Konflikt darzustellen und zu bewältigen dient. Im VIII. Kapitel werden zunächst die wichtigsten skatologischen Satiren behandelt, vor allem "The Progress of Beauty" (1719), "A Beautiful Young Nymph Going to Bed" (1731), "Strephon and Chloe" (1731) und "Cassinus and Peter" (1731). Danach werden die beiden wichtigsten Stella-Gedichte interpretiert, " O n Stellas Birth-day" (1719) und " T o Stella, Who Collected and Transcribed His Poems" (1720). Dabei geht es vor allem um die Frage, wieweit Swift fähig war, in den für seine Lebensgefährtin und Freundin bestimmten Gedichten seine elementare literarische Skepsis aufzugeben und persönliche Gedanken und Gefühle zu artikulieren, ohne auktoriale Pose, ohne moralisch-didaktische Absicht, ohne das Bewußtsein, an den thematischen und formalen Klischees der Liebesdichtung und den idealisierenden poetischen Fiktionen der Frau Kritik üben zu müssen. Der abschließende Hauptteil befaßt sich mit den verschiedenen Selbstdarstellungen Swifts, die in den Gedichten enthalten sind. Swift ist nicht nur mit seinen Auffassungen und Intentionen, mit seinen besonderen Themen und Darstellungsformen in seinem Werk als Autor anwesend, sondern stellt sich immer wieder in seinen verschiedenen gesellschaftlichen Rollen als Figur dar, als Geistlicher, Freund, politischer Ratgeber, Schriftsteller, Moralist, usw. In diesem Kapitel geht es um die Funktionen des autobiographischen Elements in Swifts Dichtung, wobei die Frage nach der moralistischen Bedeutung der Selbststilisierungen im Vordergrund steht. Damit verbunden sind Untersuchungen zur Art und
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zur Funktion von Swifts personae, zur Handhabung der Techniken perspektivischer Darstellung, den Formen der Ironie, den verschiedenen moralistischen und satirischen Verfahren Swifts. Zu den behandelten Gedichten gehören Horaz-Imitationen aus den Jahren 1713 und 1714, "The Author upon Himself" (1714) und "A Panegyric on the Reverend Dean Swift" (1730). Den Kernpunkt dieses Abschnitts freilich bilden die vielfach mit höchst unterschiedlichen Ergebnissen interpretierten, nach wie vor kontroversen "Verses on the Death of Dr. Swift" (1731). Die Fülle der Deutungen dieses Gedichts wird zum Anlaß genommen, nach den Ursachen des uneinheitlichen Verständnisses zu fragen sowie die Art und die Funktion seiner Unbestimmtheit zu ermitteln.
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III.
Swifts frühe Dichtung: Die Phase der CowleyNachahmung und die Abkehr vom „pindarischen" Stil
Die frühesten Dokumente, in denen Swift sein literarisches Selbstverständnis und seine Dichtungskonzeption erläutert, stammen aus dem Jahr 1692. Swift war zu dieser Zeit Sekretär Sir William Temples auf dessen Landsitz in Moor Park. Er hatte Muße genug, um sich ausgiebig dem Studium der Literatur zu widmen und selbst Verse zu schreiben; er glaubte an sein poetisches Genie und fand sich in seinem dichterischen Selbstbewußtsein bestätigt von Sir William Temple selbst.1 In einem Brief an seinen Vetter Thomas vom 3. Mai 1692 beschreibt Swift sein dichterisches Selbstgefühl; er stellt sich in den Gegensatz zu all jenen Poeten, die beiläufig und leichtfertig ihre Verse schmieden, und zeichnet sich in der Rolle des ernsten, begeisterten Dichters, dem das Studium der Poesie, der furor poeticus, die planvolle Komposition, die kritische Überarbeitung des Geschriebenen als unabdingbare Voraussetzungen wahrer Kunst erscheinen: I esteem the time of studying Poetry to be 2 hours in a morning, and that only when the humor sits, which I esteem for the flower of the whole Day, and truly I make bold to employ them that way and yet I seldom write above 2 Stanzas in a week I mean such as are to any Pindarick Ode, and yet I have known my self in so good a humor as to make 2 in a day, but it may be no more in a week after, and when all's done, I alter them a hundred times, and yet I do not believe my self to be a laborious dry writer, because if the fitt comes not immediatly I never heed it but think of something else. 2
1
Siehe Swifts Brief an seinen Vetter Thomas Swift vom 3. Mai 1692, Correspondence, p. 8.
2
Ebd. - Außer dieser Textstelle findet sich ein Passus in dem Brief vom 11. Februar 1692 an den Geistlichen John Kendali, in dem Swift auf den furor poeticus als die Quelle seiner dichterischen Tätigkeit deutet: "There is something in me which must be employ'd & when I am alone, turns all, for want of practice, into speculation & thought; insomuch that in these seven weeks I have been here, I have writt, & burnt and writt again, upon almost all manner of subjects, more perhaps than any man in England" (p.3f.).
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I,
Nicht von ungefähr galt Swifts besonderer Ehrgeiz der Gattung der pindarischen Ode, die Abraham Cowley als "the noblest and highest kind of writing in Verse"3 bezeichnet und in England durch seine eigenen Dichtungen zu großem Ansehen gebracht hatte.4 "Rich Mr Cowly" ist das literarische Idol des fünfundzwanzigjährigen Swift;5 mit seinen Werken war er seit langem vertraut;6 mit Cowley, so glaubte er, verband ihn eine ähnliche künstlerische Veranlagung: "I cannot write anything easy to be understood tho it were but in praise of an old Shooo." 7 Das Bekenntnis, selbst bei einem völlig trivialen Thema unvermittelt in den „dunklen" Odenstil Cowleys zu verfallen, ist gewiß nicht ernst gemeint, zeigt aber dennoch unmißverständlich die geradezu schwärmerische Begeisterung des jungen Swift für Cowleys reichen, ornamentalen Stil. - Von der Forderung nach sprachlicher Angemessenheit und dem Stilideal "proper words in proper places"8 war Swift zu diesem Zeitpunkt noch weit entfernt. In dieser frühen schriftstellerischen Phase kommt es Swift nicht darauf an, originell zu sein, sondern Cowley kongenial nachzuahmen; er posiert als Cowleys gelehriger, eifriger Schüler, kokettiert mit seiner Autoreneitelkeit und der Begeisterung für die eigenen Verse: I a m overfond of my o w n w r i t i n g s , . . . and I find when I writt what pleases me I a m Cowley to my self and can read it a hundred times over, I know 'tis a desperate weakness and has nothing to defend it but it's secrecy. 9
Cowley hatte sein Ideal des Dichters im Vorwort zur Ausgabe seiner Werke von 1656 erläutert; er zeichnete dort das Bild eines gentlemanpoet,™ der frei ist von materieller Not, unbehelligt von melancholischem Gemüt und herben Schicksalsschlägen; Heiterkeit und Gelassenheit des Geists sind ihm eigen; seine Seele ist erfüllt von leuchtenden, ergötzlichen Ideen: 3
4
5 6
7 8 9 10
Abraham Cowley, "Preface" (to Pindarique Odes), The English Writings of Abraham Cowley, ed. A. R. Waller (Cambridge, 1905), I, p. 156. Zur Konzeption und zur Methode der pindarischen Oden Cowleys siehe Ulrich Suerbaum, Die Lyrik der Korrespondenzen. Cowleys Bildkunst und die Tradition der englischen Renaissancedichtung (Bochum-Langendreer, 1958), S. 1 1 8 - 2 2 . Correspondence, I, p. 10. In seinem Letter concerning the Sacramental Test (1708) zitiert Swift zwei Zeilen aus Cowleys " Love Verses... that I thought extraordinary at Fifteen [i. e. im Jahre 1682]" (Prose Works, II, p. 114). Letter to Thomas Swift, 3 May 1692, Correspondence, I, p. 10. Swift, "A Letter to a Young Gentleman", Prose Works, IX, p. 65. Letter to Thomas Swift, 3 May 1692, Correspondence, I, p. 9. Zum folgenden vergleiche "The Preface of the Author", The English Writings of Abraham Cowley, ed. A. R. Waller (Cambridge, 1905), I, p. 7.
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The truth is, for a man to write well, it is necessary to be in good humor; neither is Wit less eclipsed with the unquietness of Mind, then Beauty with the Indisposition of Body. So that 'tis almost as hard a thing to be a Poet in despight of Fortune, as it is in despight of Nature.11
Mit seinen pindarischen Oden will Cowley nicht nur ästhetisches Vergnügen bereiten, sondern moralisch erheben und belehren; er zielt ab auf den Preis der Tugend und auf ihre Verewigung in der Dichtung, wie er in "The Resurrection" betont: 12 Not Winds to Voyagers at Sea, Nor Showers to Earth more necessary be, (Heav'ens vital seed cast on the womb of Earth To give the fruitful Year a Birth) Then Verse to Virtue, which can do The Midwifes Office, and the Nurses too; It feeds it strongly, and it cloathes it gay, And when it dyes, with comely pride Embalms it, and erects a Pyramide That never will decay Till Heaven it self shall melt away, And nought behind it stay. 13
Das den pindarischen Oden zugrundeliegende Stilideal faßt Cowley in der Formulierung zusammen, mit der Dionysios von Halikarnaß den Stil des Alkaios beschreibt: "Μεγαλοφυές και ήδύ μετά δεινότητος" (,erhaben und süß verbunden mit Strenge'). 14 Cowley behandelt ernste und gewichtige Themen in erhabenem Stil, wobei der Kühnheit und der Originalität der Bilder vorrangige Bedeutung zukommt. Als besondere Merkmale seines Stils nennt er überdies vor allem die Tendenz zur Digression und die Freiheit der Gestaltung des Sprachrhythmus. 15 Gleichzeitig verwahrt er sich gegen den möglichen Vorwurf, seine Oden seien leicht hingeworfene Gelegenheitsprodukte; er hält es hier mit Horaz: Jeder soll denken, er könne das auch; reichlichen Schweiß und vergebliche Mühe mag er opfern, sobald er es auch nur unternimmt.' 16 Wenngleich Cowley den furor poeticus, die Aktivität einer ungestümen, 11 12
13 14
15 16
Ebd., p.8. Cowley verweist in seinem "Preface" (p. 11) ausdrücklich darauf, daß er in dieser Ode seine dichterische Grundkonzeption erläutert. Cowley, English Writings, I, p. 182. "Preface", ebd., p. 11. - Das Zitat stammt aus Dionysius Halicarnassus, De Vet. Script. Censura, II, 8. "Preface", ebd. Horaz, De Arte Poetica, 11. 240-42. Siehe Cowley, "Preface", p. 11.
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leidenschaftlichen Phantasie, als wesentliche Voraussetzung für seine Odendichtung betrachtet, 1 7 so hält er es doch andererseits für unerläßlich, der inspirierten ,Raserei' [ " r a g e " ] der Phantasie mit Hilfe des Urteilsvermögens [ " j u d g m e n t " ] Einhalt zu gebieten. Erst in der kraftvollen Beherrschung des wilden Dichterrosses zeigt sich die wahre Meisterschaft des Künstlers: Stop, stop, my Muse, allay thy vig'orous heat, Kindled at a Hint so Great. Hold thy Pindarique Pegasus closely in, Which does to rage begin, And this steep Hill would gallop up with violent course, 'Tis an unruly, and a hard-Mouth'd Horse, Fierce, and unbroken yet, Impatient of the Spur or Bit. Now praunces stately, and anon flies o're the place, Disdains the servile Law of any settled pace, Conscious and proud of his own natural force. 'Twill no unskilful Touch endure, But flings Writer and Reader too that sits not sure.w Z u Beginn der neunziger Jahre hegte Swift eine zu einseitige und begeisterte Vorliebe für Cowleys Dichtung, als daß er sich mit der zeitgenössischen Dichtung und Literaturtheorie auseinandergesetzt hätte. 1 9 Er fand sich zudem in seinem dichterischen Ehrgeiz bestätigt und gefördert von Sir William Temple, den er als Mensch verehrte und den er wohl auch als Kritiker seiner Gedichte akzeptierte, zumal er dessen A u f f a s s u n g teilte, [that] among all the endowments of nature, or improvements of art, wherein men have excelled and distinguished themselves most in the world, there are two only that have had the honour of being called divine, and of giving that esteem or appellation to such as possessed them in very eminent degrees; which are heroic virtue, and poetry. 20 "The Muse", English Writings, I, p. 184. "The Resurrection", ebd., p. 183. " So läßt ζ. Β. nichts darauf schließen, daß er Rapins Auffassungen von der Odendichtung (Reflexions, II, xxx) zur Kenntnis genommen hätte. Auch Sheffields Ausführungen zu diesem Gegenstand ("An Essay upon Poetry", 11. 105-20) scheinen ihm zu diesem Zeitpunkt unbekannt gewesen zu sein; andernfalls hätte eine kritische Auseinandersetzung mit Sheffield nahegelegen; denn Sheffield kritisierte an Cowleys Oden die mangelnde Beherrschung der "rules of Art" und warf ihm "ill expression" vor. 20 Sir William Temple, "Of Heroick Virtue", The Works of Sir William Temple (London, 1770), III, p. 304. - Zu Sir William Temples Dichtungstheorie siehe Robert C. Steensma, Sir William Temple (New York, 1970), p.86ff. 17
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40
In seinen frühesten Gedichten imitiert Swift hingebungsvoll Cowleys pindarischen Stil, ohne sich um Abgrenzung und Originalität zu bemühen. Dennoch sind charakteristische Unterschiede nicht zu übersehen. In der "Ode to the King. On his Irish Expedition" (1691) beschreibt Swift sich selbst als Autor, der durchdrungen ist von "Poetick sight", 21 vom "Spirit of Exalted Poetry"; 2 2 er versteht sich als Panegyriker, 23 der begeistert und unterwürfig die heroische Tapferkeit und Tugend König Williams ,vergöttlicht' und dessen Haupt mit dem Lorbeer der Dichtung krönt: 24 . . . the Delight of Doing Good Is fix't like Fate among the Stars, And Deifi'd in Verse; 'Tis the best Gemm in Royalty, The Great Distinguisher of Blood, Parent of Valour and of Fame, Which makes a Godhead of a Name, And is Contemporary to Eternity. This made the Ancient Romans to afford To "Valour and to Virtue the same Word: To shew the Paths of both must be together trod, Before the Hero can commence a God. These are the Ways By which our happy Prince carves out his Bays; Thus he has fix'd His Name First, in the mighty List of Fame, And thus He did the Airy Goddess Court, He sought Her out in Fight, And Like a Bold Romantick Knight Rescu'd Her from the Giant's Fort: The Tyrant Death lay crouching down, Waiting for Orders at his Feet, Spoil'd of his Leaden Crown; He trampled on this Haughty Bajazet, Made him his Footstool in the War, And a Grim Slave to wait on his Triumphal Car. 25
Panegyrische Dichtung basiert auf festen moralischen und religiösen, politischen und wissenschaftlichen Wertvorstellungen und impliziert somit ein geistiges System, in dem es eine präzise, antithetische Zuordnung positiver und negativer Werte gibt. Wenn in panegyrischer Dich21 25
Poems, I, p.8, 1. 59. Ebd., 11. 19-44.
22
Ebd., p.7, 1. 46.
23
Ebd., p.6, 1. 7.
24
Ebd., 1. 8ff.
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tung der Gegensatz dieser Wertvorstellungen thematisiert wird, dann vor allem mit dem Ziel, die Tugend und Größe des Heroen durch den Kontrast stärker zu verdeutlichen. — Wie das Beispiel Cowleys und insbesondere auch Drydens zeigt, geht es in panegyrischer Dichtung nicht vorrangig darum, Menschen als wirkliche, historische Individuen zu zeichnen; vielmehr sind sie dargestellt als Verkörperungen von Tugend, Tapferkeit, geistiger Vollkommenheit: der Panegyriker korrigiert die Natur, er befreit sie von akzidentellen Unzulänglichkeiten und Schwächen, beschreibt sie in ihrer idealen Form. 2 6 Wenngleich Swift mit panegyrischer Intention schreibt, so stellt er doch — anders als etwa Cowley in seinen Oden " T o Mr. H o b s " oder " T o Dr. Scarborough" — seine Heroen nicht als Idealtypen dar, sondern zeichnet sie in der Auseinandersetzung mit einer feindlichen, tugendlosen Realität. Diese stellt er zugleich satirisch bloß, wobei er sich gelegentlich bereits jener derben, ja drastischen Ausdrucksformen bedient, die er später - vor allem in seinen politischen Satiren - immer wieder verwendet. Ein Beispiel liefert schon die " O d e to the King", in der der heroischen Gestalt Wilhelms von Oranien die verachtungsvolle Karikatur Ludwigs XIV. gegenübergestellt wird: This Gilded Meteor which flyes As if it meant to touch the Skies; For all its boasted height, For all its Plagiary Light, T o o k its first Growth and Birth From the worst Excrements of Earth; Stay but a little while and down again 'twill come, And end as it began, in Vapour, Stink, and Scum. Our Prince has hit Him, like Achilles, in the Heel, The poys'nous Darts has made him reel, Giddy he grows, and down is hurl'd, And as a Mortal to his Vile Disease, Falls sick in the Posteriors of the World. 2 7 26
27
In A Parallel of Poetry and Painting (1695) formulierte Dryden programmatisch, was er seit Jahrzehnten als Panegyriker praktiziert hatte: der Künstler solle eine ,Idee der vollkommenen N a t u r ' schaffen, "thereby correcting Nature from what she actually is in individuals, to what she ought to be, and what she was created" (Essays of John Dryden, ed. W. P. Ker (Oxford, 1926), II, p. 125. Poems, I, p. 10, 11. 1 2 2 - 2 9 , 1 4 2 ^ 6 . - Die Formulierung "Excrements of E a r t h " (1. 127) erläutert Swift in einer Anmerkung: "The French King suppos'd a Bastard"; und zu "Vile Disease" (1. 145) annotiert er: "Fistula in Ano". — Siehe zu dieser Stelle auch Uphaus, " F r o m Panegyric to Satire: Swift's Early Odes and A Tale of a Tub", Texas Studies in Literature and Language, 13 (1971), p . 5 8 .
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In der Vermischung von panegyrischen und satirischen Elementen sah bereits Herbert Davis ein kennzeichnendes Merkmal der frühen Gedichte Swifts. 28 Besonders ausführlich befaßte sich Kathryn Montgomery Harris mit diesem Aspekt in ihrem Aufsatz '"Occasions so Few'. Satire as a Strategy of Praise in Swift's Early O d e s " ; 2 9 sie kommt zu dem verbindlichen Ergebnis: Cowley and Swift are quite unlike; Cowley's material is positive, ... he praises his heroes with accounts of their successful achievements. Swift, on the other hand, alters the emphasis of the ode from panegyric to satire, celebrating his ideal by castigating the hostile world that surrounds and threatens it. Satire has become a strategy of praise. ... It is not surprising to find Swift praising his heroes not so much for their possession of an ideal or for deeds in its service, but rather for their holding action against hostile opponents or a threatening world. Such a strategy of compliment is fundamentally satiric and derives from a vision of reality that, clearer and more strident in his later work, is already here believed and formulated.30 Wenngleich Swift weiterhin im erhabenen pindarischen Odenstil schreibt und auf das Prinzip der Inspiration baut, so artikuliert er doch bereits in der " O d e to the Athenian Society" (1692) Zweifel an der moralischen Wirksamkeit panegyrischer Dichtung: ... ev'n th' Extravagance of Poetry Is at a loss for Figures to express Men's Folly, Whimsyes, and Inconstancy, And by a faint Description make them less.31 Swift erkennt nicht nur, daß die ,extravagante', pindarische Form der Dichtung ungeeignet ist, die gänzlich unheroische, triviale menschliche Realität angemessen zu beschreiben und die Menschen zu bessern; er legt, wenngleich nur andeutend, auch den Schluß nahe, daß allein die satirische Darstellung menschlicher Torheit, Schwäche und Unbeständigkeit die Gewähr für eine moralische Wirkung biete. Die Muse der pindarischen Oden erscheint Swift in der Folgezeit in zunehmendem M a ß e als betrügerisch, eitel, autoritär; sie suggeriert 28
29
30
31
Herbert Davis, "Alecto's Whip", Jonathan Swift. Essays on his Satire and Other Studies (New York, 1964), p.249ff. Modern Language Quarterly, 31 (1970), p p . 2 2 - 3 7 . Siehe zu diesem Thema auch Robert W. Uphaus, "From Panegyric to Satire: Swift's Early Odes and A Tale of a Tub", Texas Studies in Literature and Language, 13 (1971), pp. 55-70.-Ausführliche, vor allem biographisch und ideengeschichtlich ausgerichtete Interpretationen der frühen Gedichte finden sich in Irvin Ehrenpreis, Swift. The Man, his Works, and his Age (London, 1962), p,109ff. Modern Language Quarterly, 31 (1970), p.24f.
Poems, I, p.21, 11. 171-74.
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immer wieder Fiktionen einer ,schönen', harmonischen Realität, inspiriert — eigensüchtig - poetisches Lob des tyrannischen weiblichen Geschlechts, dem sie selber angehört: Thus the deluding Muse oft blinds me to her Ways, And ev'n my very Thoughts transfers And changes all to Beauty, and the Praise Of that proud Tyrant Sex of Hers. The Rebel Muse, alas, takes part But with my own Rebellious Heart. 32
Der Muse der pindarischen Dichtung gegenüber vermag sich Swifts eigene ,rebellische' Muse nicht zu behaupten, die ein rationales und empirisches Welt- und Menschenverständnis anstrebt und die das Bemühen um eine Dichtung verkörpert, die diesem Ausdruck verleiht. - Swift ist zwar fähig, sich den fatalen Konflikt, die Zwanghaftigkeit seines "unhappy Fire", 33 zu vergegenwärtigen, bleibt jedoch dem Bann der panegyrischen Dichtung vorerst verhaftet: Nature the hidden Spark did at my Birth infuse, And kindled first with Indolence and Ease, And since too oft debauch'd by Praise, 'Tis now grown an incurable Disease: In vain to quench this foolish Fire I try In Wisdom and Philosophy. 34 Me she [Nature] has to the Muse's Gallies ty'd, In vain I strive to cross this spacious Main, In vain I tug and pull the Oar, And when I almost reach the Shore Strait the Muse turns the Helm, and I launch out again. 35
Auch in der "Ode to Dr. William Sancroft" (1692) hält Swift am pindarischen Stil und am Prinzip der poetischen Inspiration fest. Das Lob des verstorbenen Erzbischofs von Canterbury gerät ihm jedoch unversehens zu einer skeptischen Reflexion über den Wert panegyrischer Dichtung. Die Stellung des tugendhaften, demütigen, wahrhaft weisen Sancroft in der Welt beschreibt Swift mit dem mythischen Bild des goldenen Zweiges: This wilderness the world, like that poetic wood of old, Bears one, and but one branch of gold. 36
32 35
33 Ebd., 1. 241. Ebd., p.23, 11. 2 3 4 - 3 9 . 36 Ebd., p.41,1. 25f. Ebd., 11. 191-95.
44
34
Ebd., p.32, 11. 2 0 2 - 0 7 .
Die Vorstellung der Welt als ,Wildnis' ist charakteristisch für Swifts zunehmend skeptische Wirklichkeitsauffassung: Nicht nur fehlt es an leuchtenden Beispielen der Tugend; die große Masse der Menschen verschließt sich in ihrer Torheit und Verderbtheit weithin der Belehrung.37 Angesichts dieses Tatbestands erkennt Swift, wie fragwürdig sein ursprüngliches Ideal war, durch den Preis von Tugend und Geist erzieherisch zu wirken; und er sieht immer deutlicher, daß ihm als Moralisten keine andere Wahl bleibt, als seinen Zorn über das vulgäre, geistlose, verderbte Zeitalter in satirische Verse zu fassen; daher beschließt er: "Each line shall stab, shall blast, like daggers and like fire", 38 — nicht freilich, ohne klarzumachen, daß er hiermit nicht einer persönlichen Neigung oder Laune folgt, sondern einer sachlichen Notwendigkeit: Forgive (Original Mildness) this ill-govern'd zeal, 'Tis all the angry slighted M u s e can do In the pollution of these days; N o province n o w is left her but to rail, And Poetry has lost the art to praise, Alas, the occasions are so few. 3 9
Swift versucht zwar, seine Gefühle zu beherrschen und seinem satirischen Temperament Einhalt zu gebieten; die an sich selbst gerichtete Ermahnung, "Check in thy satire, angry muse, / Or a more worthy subject chuse", 40 bleibt jedoch ohne Wirkung. Die desillusionierte Weltsicht und der Drang zu geißelnder satirischer Kritik menschlichen Handelns und Denkens haben sich seiner so stark bemächtigt, daß die "Ode to Dr. William Sancroft" ein Fragment bleiben muß. Swifts Gedicht "To Mr. Congreve", das im November 1693 entstand, stellt einen weiteren entscheidenden Schritt zu einer eigenen Dichtungskonzeption dar. Formal betrachtet, ist dieses Gedicht von den früheren vor allem dadurch unterschieden, daß Swift hier die freie pindarische Versform aufgibt und sich des heroic couplet bedient, das er von nun an immer wieder verwendet und in der Folgezeit mit großer Meisterschaft zu beherrschen lernt. Als panegyrisches Objekt wählt Swift hier nicht mehr eine Figur in besonders exponierter gesellschaftlicher Stellung (wie William III, Sir 37 38
39
Siehe ebd., p.37, 1. 79f. und 1. 83. Ebd., 1. 91. - Vgl. auch p.47, 1. 133f.; dort vergegenwärtigt sich Swift erneut und in noch entschiedenerer Formulierung, daß ihm nichts anderes übrigbleibt, als Laster und Dummheit in juvenalischer Schärfe zu geißeln: "My hate, whose lash just heaven has long decreed / Shall on a day make sin and folly bleed." 40 Ebd., p.42, 1. 259f. Ebd., p.38, 11. 1 0 7 - 1 2 .
45
William Temple und Dr. William Sancroft), sondern einen zwei Jahre jüngeren Freund, den er aus der Schulzeit und vom Studium am Trinity College (Dublin) her kennt und der kurz zuvor mit seinen beiden Komödien The Old Batchelor (1693) und The Double-Dealer (1693) zu literarischem Ansehen gelangt ist. 41 - Sicherlich ist es kein Zufall, daß Swift gerade einen jungen Komödienautor bedichtet; denn - so hatte etwa Dryden festgestellt Comedy consists, though of low persons, yet of natural actions and characters; I mean such humours, adventures, and designee, as are to be found and met with in the world. ... Comedy presents us with the imperfections of humane nature. ... [It] causes laughter in those who can judge of men and manners, by the lively representation of their folly or corruption.42 Für Swift war die Komödie zweifellos eine Gattung, in der er einige seiner eigenen Forderungen an die Literatur erfüllt sah, nicht nur, weil sie „realistisch" die Schwächen und Unzulänglichkeiten der menschlichen Natur und des gesellschaftlichen Verhaltens darstellt, sondern auch, weil sie als Satire die moralistische Funktion erfüllt, "to reprehend some of the Vices and Follies of the Age." 43 Congreve wird in Swifts Gedicht als Verkörperung des wahren wit dargestellt; an ihn knüpft Swift die Hoffnung auf eine Reform des Theaters: "For never did poetic mine before / Produce a richer vein or cleaner ore." 4 4 Doch enthält das Gedicht weder ein ausführliches Eulogium Congreves noch eine detaillierte Charakterisierung seiner Kunst. Das Lob Congreves wird vielmehr zum Anlaß einer bissigen Satire auf die Scharen zeitgenössischer Schreiberlinge und Kritiker. 45 Those who by wild delusions entertain A lust of rhiming for a poet's vein, Raise envy's clouds to leave themselves in night, But can no more obscure my CONGREVE's light Than swarms of gnats, that wanton in a ray Which gave them birth, can rob the world of day.46 These are the lords of the poetic schools, Who preach the saucy pedantry of rules.47 41 42
43
44 45
46
Siehe Ehrenpreis, Swift, I, pp. 132-38. Dryden, Preface to An Evening's Love (1671), The Works of John Dryden, ed. by Η. T. Swedenberg (Berkeley, 1970), X, p.203. Shadwell, Preface to The Humorists (1671), The Complete Works of Thomas Shadwell, ed. by Montague Summers (London, 1927), I, p. 183. Poems, I, p. 45, 1. 51f. Vgl. dazu ebd., p.48,1. 175f.: "Perish the Muse's hour, thus vainly spent / In satire, to my CONGREVE's praises meant." 47 Ebd., p.46, 1. lOlf. Ebd., p.45, 11. 77-82.
46
These are the slaves whom reputation chains, Whose maintenance requires no help from brains. 48
Der Prozeß der Abkehr Swifts von seinem alten Dichtungsideal zeigt sich besonders deutlich in der Handhabung des Musenanrufs. Im Unterschied zur Praxis heroisch-sublimer Dichtung, in der die Muse zumeist formelhaft-kurz um Inspiration angefleht wird, ist in "To Mr. Congreve" der Musenanruf szenisch ausgeweitet mit dem Zweck, ihn parodistisch zu verfremden. Die Muse wird aus ihrer blassen, abstrakten Impersonalität herausgehoben und nimmt Züge einer menschlichen Gestalt an, was zu einem burlesken Effekt und damit zu einer Trivialisierung des Topos führt: Thrice, with a prophet's voice and prophet's pow'r, The Muse was call'd in a poetic hour, And insolently thrice, the slighted Maid Dar'd to suspend her unregarded aid; Then with that grief we form in spirits divine, Pleads for her own neglect,.. , 49
Aus der göttlichen Vermittlerin erhabener Poesie ist eine gekränkte, streitbare Geliebte geworden, die den treulosen Verehrer bei seinem neuerlichen Annäherungsversuch grollend abweisen möchte; sie tadelt Swifts "unpoetic Fire"; 50 sie weigert sich, einen city poet zu besingen, weil sie sich durch diese Aufgabe sittlich entehrt und als Mätresse mißbraucht fühlt: Once highly honour'd! False is the pretence You make to truth, retreat, and innocence; Who, to pollute my shades, bring'st with thee down The most ungen'rous vices of the town; Ne'er sprang a youth from out this isle before I once esteem'd, and lov'd, and favour'd more, Nor ever maid endur'd such court-like scorn, So much in mode, so very city-born; 'Tis with a foul design the muse you send, Like a cast mistress to your wicked friend; But find some new address, some fresh deceit, Nor practise such an antiquated cheat; These are the beaten methods of the stews, Stale forms of course, all mean deceivers use, Who barbarously think to 'scape reproach, By prostituting her they first debauch. 51 48 51
Ebd., p.48, 1. 163f. Ebd., 11. 7 - 2 2 .
49
Ebd., p.43, 11. 1-6.
50
Ebd., p.44, 1. 25.
47
Im Mittelpunkt des Arguments der Muse stehen die antithetischen Vorstellungen retreat und town, in denen der ethische Gegensatz von Unschuld und Schuld, Tugend und Laster, Wahrheit und Lüge zum Ausdruck kommt, der auch an anderen Stellen in der Dichtung des Klassizismus immer wieder thematisiert wurde.52 Die Rede der Muse enthält die Feststellung, daß Swift sich zunächst — ganz im Sinne der Dichtungskonzeption Cowleys — als gentleman poet im ländlichen retreat verstanden hatte. Die Tatsache, daß ihr Günstling sich vom Ideal heroischer, erhabener Dichtung abwendet, bestimmt sie, ihn vorwurfsvoll zu verurteilen: Sie stellt seine ,Unschuld' und sein Bemühen um ,Wahrheit' in Frage, bezichtigt ihn der Heuchelei und unterstellt, er stelle die häßlichsten Laster der Stadt dar, um ihr hohes Ansehen zu beflecken. — Swift kann jedoch die Vorurteile der Muse entkräften und sie von der Rechtschaffenheit seines dichterischen Eifers überzeugen, so daß sie ihre Inspiration für das Lob des jungen Komödienautors Congreve nicht verwehren kann. Bezeichnend für diese Phase der literarischen Entwicklung Swifts ist die Unsicherheit seines Standpunkts: zwar tendiert er zur satirischen Darstellung der menschlichen Natur und der zeitgenössischen Gesellschaft; dennoch bleibt er zunächst im Bann der panegyrischen Dichtung und des „dunklen" pindarischen Odenstils; überdies hält er weiterhin am Prinzip der poetischen Inspiration fest. An der burlesken Behandlung des Musenanrufs wird andererseits deutlich, daß es nur noch kurze Zeit dauern konnte, bis Swift erkennen mußte, daß eine völlige Absage an seine bisherigen literarischen Praktiken unausweichlich war. Diese Erkenntnis stellte sich tatsächlich nur wenig später ein. Sie wird dargelegt in den Versen, "Occasioned by Sir William Temple's Late Illness and Recovery", die Swift im Dezember 1693 verfaßte. Swift ist nicht mehr willens, sich den Eingebungen der Muse zu unterwerfen und seine Freude über die Genesung Temples in panegyrischen Versen zu sublimieren. Das Bemühen der Muse, noch einmal seine prophetischvisionären Kräfte zu wecken, wird vielmehr für Swift zum Anlaß, dem Spuk der inspirierten, erhabenen Dichtung ein endgültiges Ende zu setzen, - nicht freilich, ohne vorher mit der Muse in einem leidenschaftlichen Ausbruch von Wut und Verachtung abgerechnet zu haben: Malignant goddess! bane to m y repose, T h o u u n i v e r s a l c a u s e o f all m y w o e s ;
52
Z u m Ideal des retreat in der klassizistischen Dichtung siehe Gerd Stratmann, Aristokratie
48
und klassizistische
Dichtung
(Nürnberg, 1 9 6 5 ) , S. 1 5 6 - 7 1 .
Englische
Say, whence it comes that thou art grown of late A poor amusement for my scorn and hate; Fools common-place thou art, their weak ensconcing fort, Th'appeal of dullness in the last resort: Ah, should I tell a secret yet unknown, That thou ne'er hadst a being of thy own, But a wild form dependent on the brain, Scatt'ring loose features o'er the optic vein; Troubling the chrystal fountain of the sight, Which darts on poets eyes a trembling light; Kindled while reason sleeps, but quickly flies, Like antic shapes in dreams, from waking eyes: In sum, a glitt'ring voice, a painted name, A walking vapor, like thy sister fame.53 Die Muse erscheint als boshaft und zynisch insofern, als sie Swift mit magischer Gewalt — gegen seinen Willen und im Widerspruch zu seiner illusionslosen, realistischen Weltsicht - als ihren devoten Priester zu bewahren und zu idealisierender, visionärer Dichtung anzuhalten sucht. Diesmal jedoch stellt Swift nicht nur frustriert und zornig seine fatale Abhängigkeit von den Suggestionen der Muse fest, sondern befreit sich argumentativ von ihrem Einfluß. Er entlarvt die Anrufung der Muse als einen sinnentleerten, abgedroschenen Topos, der zu nichts Besserem dient, als die geistige Stumpfheit und das poetische Unvermögen ehrgeiziger Schreiberlinge zu verschleiern. 54 Die Muse selbst ist nun nicht mehr ein metaphysisches Prinzip, sondern erscheint als eine jener phantastischen Chimären der Menschheit, die — wie einige Jahre später in A Tale of a Tub dargelegt wird — entstehen, when a Man's Fancy gets astride on his Reason, when Imagination is at Cuffs with the Senses, and common Understanding, as well as common Sense, is Kickt out of Doors.55 53 54
55
Poems, I, p. 53, 11. 81-102. Swifts Gesinnungswandel wurde möglicherweise beeinflußt durch die Lektüre von Hobbes' Werken, insbesondere durch Hobbes' "Answer to Davenant's Preface to Gondibert" (1650); in diesem Essay werden schwerwiegende Argumente gegen die Verwendung des Musenanrufs aufgeführt: "But why a Christian should think it an ornament to his poem, either to profane the true God or to invoke a false one, I can imagine no cause but a reasonless imitation of custom, of a foolish custom, by which a man enabled to speak wisely from the principles of nature and his own meditation, loves rather to be thought to speak by inspiration, like a bagpipe" [Spingarn (ed.), Critical Essays of the Seventeenth Century (Oxford, 1908), II, 59]. A Tale of a Tub, ed. A. C. Guthkelch and D. Nichol Smith, 2nd ed. (Oxford, 1958), p. 171.
49
In der vermeintlich inspirierten Dichtung sieht Swift nun eine Manifestation von madness,56 wobei er offenbar unter madness — ganz im Sinne seiner Definition in A Tale of a Tub - einen Zustand der Befangenheit in ,heiteren' Illusionen versteht, 57 "the perpetual Possession of being well Deceived". 58 Madness bedeutet die Abkehr von der ,Wahrheit' der Sinneswahrnehmung und des Verstandes und somit von der erfahr- und erkennbaren Wirklichkeit; madness bedeutet das Aufgehen in den trügerischen ,Fiktionen' der Imagination, die mit Hilfe von "Artificial Mediums, false Lights, refracted Angles, Varnish, and Tinsel" 5 9 geschaffen werden und die ein idealisiertes und ästhetisiertes Bild der Wirklichkeit vermitteln; denn Imagination can build nobler Scenes, and produce more wonderful Revolutions than Fortune or Nature will be at Expence to furnish.60 In den Versen, "Occasioned by Sir William Temple's Late Illness und Recovery", erkennt Swift voller Bitterkeit, daß er selbst bisher zu den "mad vot'ries" 6 1 der Muse panegyrischer Dichtung gehört hat. Nun endlich zerstört er das chimärische Bild der Muse und setzt damit zugleich seinen dichterischen Aktivitäten ein abruptes Ende: ... from this hour I here renounce thy visionary pow'r; And since thy essence on my breath depends, Thus with a puff the whole delusion ends.62
56
57 58 59 60
61 61
Poems, I, p. 55,1. 147; vgl. auch p. 54,1. 103: dort spricht Swift von den Anhängern der Muse als "thy mad vot'ries". "Brisk", p . 5 4 , 1. 106; "gay", ebd.; "happy", ebd., 1. 113. A Tale of a Tub, p. 171. Ebd., p. 172. Ebd. - Zu den Begriffen imagination und madness bei Swift siehe auch Michael V. De Porte, Nightmares and Hobbyhorses. Swift, Sterne, and Augustan Ideas of Madness (San Marino, 1974), p.66f.: "For Swift, as for Hobbes and Locke, the senses are an 'objective' faculty. . . . Imagination, on the other hand, is 'subjective'; it colors the impressions of sense to suit personal whim, and has the power, if not restrained, to project entirely alternate views of reality. Throughout the Tale madness is associated with the ascendance of imagination over the senses. . . . It is the negation of objective reality, whether by an out-and-out abandonment of the senses for the fictions of the imagination, or by a refusal to recognize the value of anything outside oneself, which Swift takes to be the chief symptom of madness." Poems, I, p . 5 4 , 1 . 103. Ebd., p.55,11. 1 5 1 - 5 4 .
50
IV.
" A way perfectly n e w . . . " : Wirklichkeitsbeschreibung und Literaturkritik in den großen Parodien
1. "Baucis and Philemon" Am Ende des Jahres 1693 steht Swift ratlos vor einem poetischen Scherbenhaufen. Wenn er feststellt, "Thus with a puff the whole delusion ends", 1 dann zeigt sich darin nicht nur die resignierende Erkenntnis, daß alle bisherigen dichterischen Versuche fehlgeschlagen sind, es deutet sich gleichzeitig an, daß Swift noch kein neues Dichtungskonzept besitzt. Swift handelt daher konsequent, wenn er in den folgenden Jahren der Neuorientierung keine Verse schreibt. In den Jahren etwa zwischen Sir William Temples Tod (1699) und der Londoner Zeit (1710—1714) formt Swift allmählich seinen neuen, unverwechselbaren Dichtungsstil. Es entstehen vorwiegend satirische, burleske, witzige Gelegenheitsgedichte, teilweise mit Anklängen an den zynischen Humor Rochesters. 2 In diese Zeit fallen einige besonders hervorragende Gedichte, die bald nach ihrer Entstehung die Anerkennung der Kritik fanden und in besonderem Maße dazu beitrugen, Swift auch als Versdichter bekannt zu machen: "Baucis and Philemon" (1706; 1708/9), "A Description of the Morning" (1709) und "A Description of a City Shower" (1710). Mit diesen Gedichten stellte Swift nicht nur eine neue Art „prosaischer" Poesie vor; er parodierte in ihnen zugleich eine Reihe thematischer und formaler Konventionen der zeitgenössischen Dichtung und fand somit zu einer für ihn charakteristischen „angewandten und künstlerisch gestalteten Form der Literaturkritik". 3 In "Baucis and Philemon" parodierte Swift einen Stoff, der erstmals von Ovid (Metamorphosen, VIII, 6 1 1 - 7 2 6 ) gestaltet worden war und
1 2 3
Poems, I, p . 5 5 , 1. 1 5 4 . Siehe zum Beispiel " T h e Problem", Swift's Poems, Robert Weimann, Drama S. 2 2 5 .
und
Wirklichkeit
I, pp. 6 4 - 6 7 .
in der Shakespeare-Zeit
(Halle,
1958),
51
seitdem zum festen Bestand der europäischen Literatur gehört hatte. 4 Jupiter und Merkur ziehen in der Gestalt müder Wanderer durch Phrygien. Auf der Suche nach einem Obdach finden sie überall nur verschlossene Türen. Schließlich jedoch werden sie von den alten Eheleuten Philemon und Baucis freundlich aufgenommen, die trotz ihrer Armut ein glückliches und frommes Leben führen. Die beiden Alten bereiten den Fremden in ihrer dürftigen Hütte ein schlichtes Mahl. Durch ein Wunder bleibt der Krug, aus dem man den Wein schöpft, gefüllt. In ihrem Schrecken über das unheimliche Geschehen wollen Philemon und Baucis ihre einzige Gans schlachten, um die Gäste gnädig zu stimmen. Die Götter jedoch verbieten dies, geben sich zu erkennen und führen die beiden Alten auf einen Berg, von dem aus sie zuschauen, wie die Häuser der hartherzigen Nachbarn im Moor versinken, während ihre Hütte die Gestalt eines Tempels annimmt. In diesem leben Philemon und Baucis nun als Priester bis zu ihrem gemeinsamen Tod, bei dem sie in eine Eiche und in eine Linde verwandelt werden. In ihr Gezweig hängt man später Kränze als Zeichen der Verehrung; denn: "cura deum di sunt, et qui coluere, colantur" (VIII, 724). Die mythische Erzählung mußte Swift zu eigener Gestaltung reizen, weil sie als Fiktion einer heiteren ländlichen Idylle, als idealisierende Darstellung von Zufriedenheit, Frömmigkeit und Gastfreundschaft im Widerspruch zur eigenen skeptischen Welterfahrung und der aus ihr resultierenden Dichtungskonzeption stand. Der Stoff der Fabel war überdies besonders aktuell, weil er zuvor gleich dreimal literarisch gestaltet worden war. 1685 hatte Jean de La Fontaine seine Nachdichtung des Philemon-und-Baucis-Stoffs veröffentlicht, in der er die Frage nach dem wahren Glück erörterte. 5 1700 war John Drydens Übersetzung der Ovidischen Erzählung in den Fables, Ancient and Modern erschienen. 6 1704 schließlich hatte Matthew Prior seine satirische Version des Stoffs in seinem Gedicht "The Ladle" publiziert.7 Es ist nicht nachzuweisen, wenngleich wahrscheinlich, daß Swift alle drei Nachdichtungen kannte. Wenn im folgenden vor allem Drydens Version als Vergleichsgrundlage dient, dann deshalb, weil Swifts Parodie in erster Linie als das Ergebnis der kritischen Auseinandersetzung mit derjenigen dichterischen Grundhaltung zu verstehen ist, die Drydens Version zugrunde liegt.8 4
5
Siehe dazu Manfred Bellers Buch über Philemon und Baucis in der europäischen Literatur (Heidelberg, 1967), das „die Anpassungsfähigkeit des Stoffes an die verschiedenen Gattungen, stilistischen Ausdrucksformen und geistesgeschichtlichen Tendenzen" (S. 12) sorgfältig von der Antike an untersucht. Siehe dazu Beller, S. 65ff. 6 Siehe dazu Beller, S. 74ff. 7 Siehe dazu Beller, S. 78ff.
52
D r y den ü b e r t r ä g t die Ovidsche V o r l a g e a m genauesten: weder setzt er neue t h e m a t i s c h e Akzente, n o c h n i m m t er einschneidende
stoffliche
V e r ä n d e r u n g e n v o r . Seine N a c h d i c h t u n g ist eine v o l l k o m m e n e Verwirklichung seines Übersetzungsideals. 9 Übersetzen bedeutet für D r y d e n eine in h o h e m M a ß e kreative, poetische Tätigkeit. V o r a u s s e t z u n g dafür ist nicht n u r eine perfekte Beherrschung der fremden wie der eigenen S p r a c h e , sondern v o r allem das V e r m ö g e n , den Geist des fremden A u t o r s , seine T h e m e n , Auffassungen u n d künstlerischen Mittel kongenial zu e r f a s s e n . 1 0 D r y d e n kritisiert gleichermaßen die p e d a n t i s c h e ' , ,servile' M e t a p h r a s e und die ,libertinistische' Imitation; er versteht seine eigenen Übersetzungen im wesentlichen als p a r a p h r a s i e r e n d e N a c h d i c h tungen, als translation[s] with latitude, where the author is kept in view by the translator, but his words are not so strictly followed as his sense; and that too is admitted to be amplified, but not altered. 11 F ü r D r y d e n ist der Übersetzer zugleich a u c h ein R e p r ä s e n t a n t
der
literarischen N o r m e n seiner Z e i t ; er h a t d a h e r durchaus das R e c h t , die historische V o r l a g e d e m eigenen h o h e n S t a n d a r d sprachlich und inhaltlich anzupassen, falls sie diesem nicht e n t s p r i c h t . 1 2 Insbesondere David Novarr hebt hervor, daß Swifts "Baucis and Philemon" eine Parodie und Travestie von Drydens Nachdichtung des Ovidschen Stoffes ist; er verweist dabei auch auf andere Forscher, die dieselbe Auffassung vertreten ["Swift's Relation with Dryden and Gulliver's Annus Mirabilis", English Studies, 47 (1966), p. 346]; siehe auch Beller, S. 75. 9 Siehe dazu insbesondere W. Frost, Dryden and the Art of Translation (New Haven, 1955); allgemein zur Theorie des Übersetzens und der Imitation im 17. und 18. Jahrhundert siehe Harold F. Brooks, "Imitation in English Poetry", Review of English Studies, 25 (1949), pp. 124-40, sowie Howard D. Weinbrot, The Formal Strain. Studies in Augustan Imitation and Satire (Chicago and London, 1969). 10 "A translator... ought to possess himself entirely, and perfectly comprehend the genius and sense of his author, the nature of the subject, and the terms of the art or subject treated of; and then he will express himself as justly, and with as much life, as if he wrote an original" [John Dryden, "Life of Lucian" (c. 1696); zit. in John M. Aden, The Critical Opinions of Dryden. A Dictionary (Nashville, 1963), p. 255], 11 John Dryden, "Preface to the Translation of Ovid's Epistles" (1680); zit. in W. P. Ker (ed.), Essays of John Dryden (Oxford, 1900), I, p. 237. 12 Siehe dazu Drydens Widmung zu seiner Aeneis-Übersetzung (1697): "I have endeavoured to make Virgil speak such English as he would himself have spoken, if he had been born in England, and in this present age" (zit. in Ker, II, p.228); vgl. auch das ' Vorwort zu den Fables (1700), wo Dryden seine Chaucer-Übertragung kommentiert: " I . . . have often omitted what I judged unnecessary, or not of dignity enough to appear in the company of better thoughts. I have presumed further, in some places, and added somewhat of my own where I thought my author was deficient, and had not given his thoughts their true lustre, for want of words in the beginning of our language" (zit. in Ker, II, p. 265). 8
53
Ovids Dichtungen jedoch erscheinen als Manifestationen der vollendeten Sprachkunst in der Endphase der römischen Klassik. 13 In Ovid sieht Dryden einen Urbanen, aufgeklärten, literarisch verfeinerten Geist, der sich nicht nur durch die suggestive Kraft seiner dichterischen Imagination auszeichnet, sondern durch seinen unvergleichlichen, eleganten Stil, "in which [he] particularly excels all poets"; 14 hier findet er wesentliche Züge seines eigenen klassizistischen Stilideals vorgeprägt. — So kann es bei der Übertragung der Fabel von Philemon und Baucis nicht darum gehen, die Vorlage inhaltlich zu korrigieren oder stilistisch zu retouchieren, sondern genau ins zeitgenössische Englisch zu übertragen; Dryden unterstreicht dies besonders im Vorwort zu den Fables: I hope I have translated [the good-natured story of Baucis and Philemon] closely enough and given [it] the same turn of verse which it had in the original. 1 5
Um Originaltreue bemüht sich Dryden einerseits hinsichtlich des Stils, als dessen hervorragende Merkmale ihm "sweetness, easiness, and smoothness" erscheinen,16 andererseits hinsichtlich der gemäldeartigen Konzeption der Metamorphose; denn für ihn ist die Ovidsche Erzählung ein vollkommenes Produkt bildhafter poetischer Vorstellungskraft im Sinne „realistischer Anschaulichkeit", 17 wie seine Bemerkung im Vorwort zu den Fables zeigt: "I see Baucis and Philemon as perfectly before me, as if some ancient painter had drawn them." 18 Dryden nimmt daher keine bemerkenswerten Veränderungen in der Anordnung des Stoffs und in der Bewertung der Details vor und beschränkt sich im wesentlichen darauf, das Ovidsche „Gemälde" durch das Hinzufügen gegenständlicher Einzelheiten, durchaus im Sinne der realistischen Fiktion Ovids, weiter auszumalen, — insbesondere bei der Beschreibung des ländlichen Mahls, das den Kern der als „Gastfreundschafts-Idylle" 19 konzipierten Erzählung ausmacht: But e'er they sat, officious Baucis
lays
T w o Cushions stuff'd with Straw, the Seat to raise; Course, but the best she had; then rakes the Load Of Ashes from the Hearth, and spreads abroad T h e living Coals; and, lest they shou'd expire,
13
14 16 17
"With Ovid ended the golden age of the Roman tongue" [John Dryden, "Preface to the Fables" (1700), zit. in Ker, II, p.254]. 15 Ebd., p. 247. Ebd., p. 257. John Dryden, "Dedication of Examen Poeticum" (1693), zit. in Ker, II, p. 10. 18 Zit. in Ker, II, p. 255. Beller, S. 32. " Beller, S. 34.
54
With Leaves and Barks she feeds her Infant-fire: It smoaks; and then with trembling Breath she blows, Till in a chearful Blaze the Flames arose. With Brush-wood and with Chips she strengthens these, And adds at last the Boughs of rotten Trees. The Fire thus form'd, she sets the Kettle on, (Like burnish'd Gold the little Seether shone) Next took the Coleworts which her Husband got From his own Ground, (a small well-water'd Spot;) She stripp'd the Stalks of all their Leaves; the best She cull'd, and then with handy-care she dress'd.20 Wie Manfred Beller darlegt, sah bereits Ovid den Mythos von Philemon und Baucis losgelöst von seinem religiösen Ursprung und betrachtete ihn mit „aufgeklärter Skepsis". 21 Bereits er machte kein Hehl daraus, daß er nicht mythische Realität darstellte, sondern einen tradierten poetischen Stoff literarisch neu gestaltete; seiner Erzählung maß er daher nicht mehr als eine „rein poetische Wirklichkeit" bei. 22 Ovid schuf ein Bild ländlich-idyllischen Lebens, in dem Glück und Eintracht, Frieden und Frömmigkeit herrschen; es ist ein Gegenbild des „politisierten und zivilisierten Urbanen Lebensstils", 2 3 drückt jedoch nicht die wirkliche Sehnsucht nach einem einfachen, natürlichen Leben aus, sondern ist ein „Glanzstück der Bildungs- und Unterhaltungsliteratur". 2 4 Auch Dry den zielt mit seiner Nachdichtung der Ovidschen Metamorphose nicht darauf ab, zu belehren; er will seine Leser unterhalten und ihnen ästhetisches Vergnügen bereiten. Dem Stoff der Fabel steht er moralisch weitgehend indifferent gegenüber. Ovids Erzählung fasziniert ihn vor allem als ein vollendetes Produkt poetischer Vorstellungskraft, als literarische Fiktion, die eine besonders gelungene Konkretisierung des Prinzips ut pictura poesis darstellt. Ovid und Dryden gaben Swift damit Anlaß genug, sich in einer Parodie mit der Erzählung von Philemon und Baucis auseinanderzusetzen. Swifts Gedicht liegt in zwei Fassungen vor, die sich stark voneinander unterscheiden. Die frühere Version, die als Manuskript in Swifts Hand überliefert ist, stammt mit einiger Wahrscheinlichkeit aus dem Jahre 1 7 0 6 ; vermutlich auf Addisons Rat hin wurde sie zwei Jahre später
20
21
John Dryden, "Baucis and Philemon, Out of the Eighth Book of Ovid's Metamorphoses", The Poems and Fables of John Dryden, ed. James Kinsley (London, 1958), p. 642,11. 46-61. 22 Beller, ebd. 23 Ebd., S. 33. 24 Ebd., S. 35. Siehe dazu Beller, S. 36.
55
überarbeitet." Die revidierte Fassung veröffentlichte Swift erstmals im Jahre 1709 unter dem Titel "Baucis and Philemon. Imitated from the Eighth Book of Ovid". 2 6 - Wenngleich einige Interpreten die spätere Fassung höher bewerten, bleibt doch Harold Williams' Auffassung bedenkenswert, "[that] the changes prompted by Addison are no improvement, [and that] much of the homeliness and vigour of the original has been lost". 27 Wie dem auch sei, die handschriftliche Version unterscheidet sich von der gedruckten so sehr, daß allein diese Tatsache eine besondere Analyse der Frühfassung als notwendig erscheinen läßt, zumal es damit auch möglich wird, einen Fassungsvergleich vorzunehmen und mit dessen Hilfe einige der bei der Überarbeitung maßgeblichen Kriterien zu ermitteln. Swift vermerkt zwar am Anfang beider Fassungen, das berichtete Geschehen habe sich in ferner Vergangenheit, "In antient Time", 2 8 ereignet; er beläßt es auch bei den ursprünglichen Namen der beiden alten Eheleute und übernimmt einige archaisierende Züge der antiken Fabel; trotzdem ist es nicht zu verkennen, daß Swift die Erzählung gründlich entmythologisiert und von idyllischen Elementen befreit hat: er transponiert das Geschehen aus der geographischen Ferne Phrygiens nach England, — in der früheren Fassung in ein Dorf nahe der nordwalisischen Stadt „Rixham" (Wrexham), in der überarbeiteten Version in ein kleines Dorf in Kent. 29 Die Handlung spielt nicht mehr in grauer Vorzeit, sondern im England der Gegenwart; Philemon wird durch die wunderwirkenden „Heiligen", denen er Gastfreundschaft in seiner Hütte gewährt, in einen anglikanischen Landgeistlichen verwandelt, Baucis wird zur Pfarrersfrau mit einem ausgesprochenen Hang zu modischer Kleidung. Indem Swift die Handlung der mythischen Idylle auf wirkliche menschliche Verhältnisse überträgt, muß er zwangsläufig thematisch neue Akzente setzen und die einzelnen stofflichen Komponenten der Erzählung neu bewerten. Denn Ovids bzw. Drydens verklärende Dar25
26 29
Delany vermerkt in seinen Observations (1754), p. 19: "[Swift] was often wont to mention: that in a poem of not two hundred lines [i. e. "The Story of Baucis and Philemon"] Mr. Addison made him blot out fourscore, add fourscore, and alter fourscore." - Zu den freundschaftlich-literarischen Beziehungen zwischen Swift und Addison wie auch zur Textgeschichte von Swifts "Baucis and Philemon" siehe Poems, I, pp. 88-90, p.llOf. 27 28 Poems, I, p. llOf. Poems, I, p.88. Ebd., p.90,1. 1; p. I l l , 1. 1. Siehe ebd., p.90, 1. 9; p . I l l , 1. 10. - Angesichts dieser topographischen Hinweise erweist sich Bellers ausführlich vorgetragene Meinung als falsch, das Gedicht spiele in einem ärmlichen irischen Bauerndorf und richte sich satirisch insbesondere gegen die niedere anglikanische Geistlichkeit in Irland (Beller, S. 87f.).
56
Stellung ländlich-einfachen Lebens hat nichts gemein mit dem tatsächlichen Egoismus, der Eitelkeit, der Dummheit und Hartherzigkeit der Menschen. So übernimmt Swifts Nachdichtung die Funktion einer gründlichen Desillusionierung; die Imitation wird zur satirischen Burleske. Nicht von ungefähr widmet sich Swift in der früheren Fassung seines Gedichts mit Akribie der Aufgabe, zunächst die beiden wundertätigen modernen „Heiligen" als Personen zu charakterisieren und ihre mühevolle, lange, vergebliche Suche nach einem Obdach zu beschreiben. Was in der Vorlage - auf wenige Verse beschränkt - den Rahmen der Erzählung ausmacht, wird hier zu einer ausführlichen Episode ausgeweitet. Bei Ovid verfolgen Jupiter und Merkur die Absicht, die Gastfreundschaft der Menschen auf die Probe zu stellen; ihr Unternehmen hat daher den Charakter des Außergewöhnlichen, Ernsten, Würdevollen. Bei Swifts umherziehenden Eremiten hingegen ist die Prüfungsabsicht nur unschwer als ein Vorwand für ihre Bettelei zu erkennen, die mit geradezu berufsmäßiger Routine betrieben wird. Wenn Swift die beiden vagabundierenden Eremiten als Heilige ausgibt, dann mit einem heiteren, ironischen Augenzwinkern, - denn schließlich benötigt er ja im weiteren Verlauf des Gedichts, entsprechend seiner Vorlage, eine wunderwirkende Kraft, selbst wenn das Wunder nur noch den Charakter einer „Farce" 3 0 hat. Und wer anders als „Heilige" könnten in christlichen Zeiten schon Wunder wirken? In Wahrheit sind die beiden zerlumpten Genossen freilich bestenfalls Schein-Heilige, "Saints by Trade", 3 1 insofern nämlich, als das fromme, mitleidheischende Gebaren zum Berufsimage dieser Landstreicher gehört. Nicht von ungefähr bezeichnet Swift daher ihren Aufzug als "Masquerade" 3 2 und beschreibt ihre Betteltour als ein burleskes Spektakel: It rain'd as hard as it could pour, Yet they were forc't to walk an Hour F r o m House to House, wett to the Skin Before one Soul would let 'em in. They call'd at ev'ry Dore; G o o d People, M y Comrade's Blind, and I'm a Creeple Here we ly starving in the Street 'Twould grieve a Body's Heart to see't: N o Christian would turn out a Beast In such a dreadfull Night at least; 30
Ebd., p. 115,1. 138.
31
Ebd., p.90,1. 7.
32
Ebd., 1. 8.
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Give us but Straw, and let us Ly In yonder Barn to keep us dry. Thus in the Strolers usuall Cant They beg'd Relief which none would grant. 3 3
Wenn die Dorfbewohner die beiden „Heiligen" verspotten und von ihren Türen vertreiben, so manifestiert sich darin sicherlich ihre Hartherzigkeit und ihre Eigenliebe, auch aber ihr Wirklichkeitssinn: sie sind gewitzt genug, das Treiben der beiden Bettelkumpane zu durchschauen: You blind and lame! tis no such Thing That's but a counterfeit sore Leg: For shame! two sturdy Rascalls beg; If I come down, I'll spoil your Trick And cure You both with a good Stick. 34
Indem Swift die beiden Eremiten als Landstreicher und Spitzbuben karikiert und indem er ihre Obdachsuche mit satirischer Komik in Szene setzt, legt er seine Verserzählung von vornherein so an, daß sie nicht als „Gastfreundschafts-Idylle" oder als würdevolle „patriarchalische Szene" fortgeführt werden kann. Beller differenziert daher nicht hinreichend, wenn er schreibt: Auf die ungehobelte Beschimpfung folgt die ländlich derbe Bewirtung. Und doch ist mit einem Schlag jegliche Travestie gebrochen. Man kann eben nur eine Autorität, einen hohen Wert, religiöse, moralische, politische Ideen oder Personen, travestierend darstellen. Der schlichten Gastlichkeit zweier armer alter Leute kann keine Travestie etwas anhaben; der Versuch müßte sich durch Geschmacklosigkeit selbst widerlegen. 35
Freilich sind die beiden alten Bauersleute in Swifts Gedicht fromm, gütig und gastfreundlich; aber sie sind auch einfältig, leichtgläubig und unerfahren. Es fehlt ihnen die Fähigkeit, den wahren Charakter der beiden Gäste zu erkennen und ihr Possenspiel zu durchschauen. Gewiß geht es Swift nicht darum, die Tugend der Gastfreundschaft abzuwerten oder zu verspotten. Er kann jedoch den Mangel an Wirklichkeitssinn und Urteilskraft nicht gutheißen, der den beiden Alten eigen ist. Am deutlichsten tritt er zutage, als Philemon nach der Verwandlung der ärmlichen Hütte in eine stattliche Dorfkirche den Wunsch äußert, Pfarrer in dieser Kirche sein zu dürfen: I'm good for little at my days; Make me the Parson if you please. 36 33 36
34 Ebd., p. 91, 11. 42-46. 35 Beller, S. 85. Ebd., 11. 11-23. Poems, I, p. 94,1.163f.; vgl. auch die Formulierung in der Zweitfassung: "I'm Old, and fain wou'd live at Ease, / Make me the Parson, if you please" (p. 115, 1. 115f.).
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Philemon wird Pfarrer nicht aus Berufung oder religiösem Eifer, sondern aufgrund der pragmatischen Erwägung, daß er zu Besserem nicht mehr taugt, durch diesen Beruf aber dennoch seinen Vorteil haben wird. Zu wenig durchschaut er jedoch den Witz seiner scheinheiligen Gäste, zu wenig weiß er von den Nöten des geistlichen Berufs, als daß er vorausahnen könnte, zu welch skurriler, lächerlicher Gestalt ihn das Wunder machen wird. Insofern als Philemon nur ein Amt verliehen wird, nicht aber auch Klugheit und Vernunft, ist das Resultat der Verwandlung nichts anderes als ein verstaubter, seniler, engstirniger, spießiger, von Geldsorgen geplagter, obrigkeitshöriger Landpfarrer, - der Prototyp aller jener von dullness beherrschten Geistlichen, die Swift später beschreibt. Der character des verwandelten Philemon ist in Swifts Vorlagen nicht vorgeprägt und wird als heitere Satire auf die anglikanische Landgeistlichkeit angefügt: He spoke, and presently he feels His Grazier's Coat reach down his Heels, The Sleeves new border'd with a List Widn'd and gatherd at his Wrist; But being old continued just As threadbare, and as full of Dust. A shambling awkward Gate he took, With a demure dejected Look. Talkt of his Off'rings, Tyths, and Dues, Could Smoak, and Drink, and read the News; Or sell a Goose at the next Toun Decently hid beneath his Goun. Contrivd to preach his Sermon next Chang'd in the Preface and the Text: Carry'd it to his Equalls high'r, But most obsequious to the Squire. 37
Über seine satirischen Absichten hinaus verfolgt Swift mit seinem Gedicht jedoch eine weitere, literaturkritische Intention. Dies zeigt sich besonders deutlich darin, daß Swift die Metamorphose der Hütte mit komischer Pedanterie ausmalt und so zum eigentlichen Kernstück seines Gedichts macht. Der wunderbare Vorgang, auf den Ovid und Dryden jeweils nur mit wenigen Versen eingehen, wird bei Swift als ein groteskes Spektakel in sechzig Versen inszeniert. Zug um Zug verwandeln sich die Teile der ärmlichen Hütte und ihrer bäuerlichen Einrichtungsgegenstände zu Bestandteilen der neuen Kirche. Die erheiternde Wirkung, die 37
Ebd., p.94, 11. 165-80.
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von dieser Beschreibung ausgeht, resultiert vor allem aus der Feststellung der Diskrepanz, die zwischen der ursprünglichen trivialen Funktion des bäuerlichen Inventars und seiner neuen, würdevollen Bestimmung besteht:
. Scarce had they spoke when fair and soft The Roof began to mount aloft Aloft rose ev'ry Beam and Rafter, The heavy Wall went clamb'ring after. The Chimny widen'd and grew high'r, Became a Steeple with a Spire: The Kettle to the Top was hoist And there stood fastned to a Joyst, But with the upside doun to shew It's Inclination for below; In vain; for a superior Force Apply'd at Bottom stops it's Course; Doomd ever in suspense to dwell, Tis now no Kettle but a Bell. The groaning Chair began to crawll Like a huge Insect up the Wall, There stuck, and to a Pulpitt grew, But kept it's Matter and it's Hue, And mindfull of it's antient State, Still Groans while tatling Gossips prate. The Mortar onely chang'd it's Name, In it's old shape a Font became The Porrengers that in a Row Hung high and made a glitt'ring Show T o a less noble Substance chang'd Were now but leathern Buckets rang'd. The Ballads pasted round the Wall, Of Chivy-chase, and English Mall, Fair Rosamond, and Robin Hood, The little Children in the Wood, Enlarg'd in Picture, Size and Letter And painted, lookt abundance better And now the Heraldry describe Of a Churchwarden or a Tribe. 38
W a s auf den ersten Blick hin Drydens Verfahren der Ausmalung vergleichbar zu sein scheint, erweist sich jedoch bei genauerem Hinsehen als gänzlich anders motiviert. Anders als bei Dryden hat Swifts Beschrei38
Ebd., p. 92,11. 91-124.
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bung der Metamorphose nicht die Funktion, das wunderbare Geschehen als poetisches Gemälde anschaulich zu machen; sie dient auch nicht dazu, es zu mystifizieren oder zu sublimieren; im Gegenteil: das Wunder wird auf diese Weise lächerlich gemacht, es erscheint als Ausgeburt einer bizarren Phantasie. Swift schafft durch seine Beschreibung nicht eine poetische Wirklichkeit, sondern weist die antike Fabel als eine unglaubwürdige poetische Fiktion aus und führt damit zugleich das Prinzip ad absurdum, "[that] Imaging is ... the very height and life of Poetry",39 das die Grundlage gleichermaßen für Ovids und Drydens Gestaltung des Philemon-und-Baucis-Stoffs gewesen war. Bei der Redaktion der unvollendeten Manuskriptfassung ging es Swift einmal darum, einzelne Begriffe und Wendungen inhaltlich zu präzisieren, stilistisch zu glätten oder auch rhythmisch zu verfeinern, ohne dabei jedoch den prosaisch-umgangssprachlichen Charakter seines Stils insgesamt zu verändern bzw. zu heben.40 Nicht jedoch diese stilistischen Retouchen, sondern die inhaltlichen Veränderungen bilden den Kern der Überarbeitung. — Swift erweiterte die Karikatur des bequemen und stupiden Dorfpfarrers; er aktualisierte sie zugleich, indem er Philemon gegen die "Dissenters" klagen und für das "Right Divine" eintreten ließ. Überdies beschrieb Swift nun auch Philemons weibliches Pendant als modisch aufgeputzte, eitle Pfarrersfrau. Er eliminierte die Obdachsuche, gab andererseits seinem Gedicht jedoch einen burlesken Schluß: Bei ihrem Tod verwandeln sich Philemon und Baucis in zwei Eiben. Indem Swift Eiche und Linde gegen die Eibe austauscht, wählt er ein typisches Friedhofsgewächs, das seit jeher ein Sinnbild der Unvergänglichkeit gewesen war; die ironische Absicht ist jedoch offensichtlich: denn diese beiden Eiben sind nicht dazu bestimmt, als Mahnmal der Frömmigkeit und Tugend die Zeiten zu überdauern, sondern gehen recht bald den Weg alles Irdischen; die eine Eibe wird gefällt, weil man ihr Holz zur Reparatur einer Scheune benötigt, die andere verkümmert, wird gerodet und verbrannt: O l d G o o d - m a n Dobson
of the Green
R e m e m b e r s he the Trees has seen; He'll talk of them f r o m N o o n till Night, A n d goes with Folks to shew the Sight:
39
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John Dryden, "The Author's Apology for Heroic Poetry and Poetic Licence", zit. in Ker, I, p. 186. Der Redaktionsprozeß wird im einzelnen dargestellt von Eric Rothstein, "Jonathan Swift as Jupiter: 'Baucis and Philemon'", The Augustan Milieu. Essays Presented to L. A. Landa, ed. Η. K. Miller, E. Rothstein, G. S. Rousseau (Oxford, 1970), p.205ff.
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On Sundays, after Ev'ning Prayer, He gathers all the Parish there; Points out the Place of either Yew; Here Baucis, there Philemon grew. Till once, a Parson of our Town, To mend his Barn, cut Baucis down; At which, 'tis hard to be believ'd, How much the other Tree was griev'd, Grew Scrubby, dy'd a-top, was stunted: So, the next Parson stub'd and burnt it. 41
Dieser realistisch verflachte Schluß erfüllt eine ähnlich desillusionierende Funktion wie die groteske Beschreibung des Hüttenwunders oder auch die satirischen characters von Philemon und Baucis. Swift stellt den Wahrheitsgehalt der antiken Fabel in Frage; er weist den erhabenen Mythos als ein Produkt idealisierender Phantasie aus, das in krassem Gegensatz zur Realität steht. Entgegen Bellers Auffassung, die zweite Version des Gedichts enthalte eine „Zuspitzung der Satire", 42 bin ich der Ansicht, daß hier das satirische Element abgeschwächt worden ist, vor allem deshalb, weil Swift den Anfangsteil strich, in dem die Bettelei der beiden scheinheiligen Kumpane ebenso wie die Hartherzigkeit und Bosheit der Dorfbewohner dargestellt worden war. Die beiden Landstreicher erscheinen nunmehr eher als ein paar pfiffige und übermütige Spaßvögel, die vor dem naiven und ahnungslosen Bauernpaar eine lächerliche Posse inszenieren. Nicht von ungefähr apostrophiert Swift daher selbst dieses Geschehen in einem kommentierenden Hinweis als "Farce" (1.138). "Farce", so hatte Dryden definiert, "consists principally of grimaces, . . . of forced humours, and unnatural events. ... [It] entertains us with what is monstrous and chimerical." 43 Anders als Dryden sieht Swift im Farcenhaften nicht eine Art von "bastard-pleasure", 44 sondern vor allem ein legitimes und wirksames Instrument literarischer Kritik. Im betonten Gegensatz zu den poetischen Gemälden Ovids und Drydens, in denen „realistische Anschaulichkeit" 45 insbesondere bei der Darstellung der Gastmahlszene angestrebt worden war, beschreibt Swift in seiner Parodie Grimassenhaftes und Unnatürliches, Monströses und Chimärisches mit komischer Ausführlichkeit. Seine Absicht ist es dabei nicht nur, den 41 43 44 45
42 Poems, I, p . 1 1 6 , 11. 1 6 5 - 7 8 . Beller, S. 86. John Dryden, "Preface to An Evening's Love" (1671), zit. in Ker, I, p. 135f. John Dryden, "A Parallel of Poetry and Painting" (1695), zit. in Ker, II, p. 133. Beller, S.32.
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besonderen Mythos von Philemon und Baucis lächerlich zu machen und als unvereinbar mit der Erfahrungswirklichkeit darzustellen; er stellt zugleich die dichterischen Darstellungsmittel in Frage, die der Illusionsbildung dienen. Mit seinem Gedicht wendet sich Swift vor allem gegen die „Beschreibung" als ein Mittel der poetischen Sublimierung der Wirklichkeit. Einen direkten Hinweis auf seine Absicht gibt er, wenn er sich selbst - in scheinbarem Überdruß - bei der Niederschrift der Baumverwandlung unterbricht und vermerkt: "DESCRIPTION would but tire my Muse." 46 Was wie eine beiläufige, private Erwägung des Autors aussieht, ist jedoch ein gezielter Interpretationshinweis für den Leser, was vor allem dadurch deutlich wird, daß Swift den terminus technicus typographisch hervorhebt. Für Dryden war die „Beschreibung" ein konstituierendes Merkmal heroischer Dichtung gewesen; im Vorwort zu Annus Mirabilis (1666) hatte er geschrieben: [The wit of an Heroic Poem] is some lively and apt description, dressed in such colours of speech, that it sets before your eyes the absent object, as perfectly, and m o r e delightfully than nature. 4 7
Insofern als die poetischen Bilder eine idealisierte, ästhetisch sublimierte Natur - "nature beautified"48 - zeigen, sind sie in besonderem Maße geeignet, Vergnügen zu bereiten und Bewunderung zu wecken. Sie stehen in betontem Gegensatz zu den Beschreibungen burlesker Dichtung, die die Natur in grotesker, lächerlicher Verzerrung darstellen.49 Die „Beschreibung" zählte im Zeitalter des Klassizismus zweifellos zu den hervorragenden Darstellungsformen erhabener Dichtung. Insofern ist John Dennis' Urteil durchaus repräsentativ, " [that] there can be no Poetry without such description; that is, without Painting". 50 Besonders aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang die Auffassung Addisons, zumal deshalb, weil Swift eine freundschaftliche Beziehung zu Addison unterhielt und mit dessen poetologischen Auffassungen bestens vertraut gewesen sein dürfte. Für Addison bedeuteten poetische „Beschreibun-
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4 7 Zit. in Ker, I, p. 15. 48 Ebd., p. 18. Poems, I, p. 116, 1. 163. Siehe ebd. - Die c/escn'prio-Diskussion war von Le Bossu angeregt worden; siehe dazu Roger Savage, "Swift's Fallen City: A Description of the Morning", The World of Jonathan Swift, ed. Brian Vickers (Oxford, 1968), p. 175. - Rene Le Bossus Traite du poeme epique (1675), der in Kap. VI. ii den descriptio-BegciH erläutert, war Swift vermutlich bekannt; siehe dazu Poems, II, p. 648, 1. 250. The Critical Works of John Dennis, ed. Ε. N. Hooker (Baltimore, 1939), I, p.45.
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gen" eine Hauptquelle der "pleasures of the imagination"; denn, so schreibt er im Spectator vom 27. Juni 1712, Words, when well chosen, have so great a Force in them, that a Description often gives us more lively Ideas than the Sight of Things themselves. The Reader finds a Scene drawn in stronger Colours, and painted more to the Life in his Imagination, by the help of Words, than by an actual Survey of the Scene which they describe. In this Case the Poet seems to get the better of Nature; he ... gives it more vigorous Touches, heightens its Beauty, and so enlivens the whole Piece, that the Images, which flow from the Objects themselves, appear weak and faint, in Comparison of those that come from the Expressions.51
Auch John Hughes stellte die „Beschreibung" als eine Quelle besonderen ästhetischen Vergnügens dar; im 39. Essay seiner Zeitschrift The Lay-Monastery (12. Febr. 1714) heißt es: There are no parts in a Poem which strike the Generality of Readers with so much Pleasure as Descriptions. ... A judicious Description is like a Face which is beautiful without Art;.. .The Reason why Descriptions make livelier Impressions on common Readers than any other Parts of a Poem, is because they are form'd of Ideas drawn from the Senses, which is sometimes too call'd Imaging, and are thus, in a manner, like Pictures, made Objects of the Sight.52
Als moralistischer Beobachter und Analytiker erfuhr Swift die Natur, insbesondere die menschliche, als defekte Natur, in der es an Schönheit und Erhabenheit, an Tugend und Heroismus mangelt, in der somit die Voraussetzungen gleichermaßen für ästhetisches Vergnügen und moralische Bewunderung fehlen. Der Dichtung, die die Erscheinungsformen einer solchen Wirklichkeit in ästhetischen Bildern verschleiert bzw. sublimiert, trat er daher mit einer Anti-Dichtung entgegen, die in den beiden Gedichten "A Description of the Morning" und "A Description of a City Shower" einen frühen Höhepunkt erreichte. Anders als in seiner Ovid-Parodie greift Swift nun jedoch nicht mehr zu den Mitteln farcenhafter Verzerrung, sondern macht die „Beschreibung" zu einem Instrument objektiver Wirklichkeitsdarstellung und zugleich zu einem Instrument der Dichtungskritik. Der Tatler erfaßt daher ein bestimmendes Merkmal von Swifts "Morning", wenn er die realistische Darstellungsweise des Gedichts als das Ergebnis der Auseinandersetzung mit jenen Poeten erklärt, 51 52
The Spectator, ed. Donald F. Bond (Oxford, 1965), III, No. 416, p.560f. The Lay-Monastery. Consisting of Essays, Discourse, & c. (London, No. X X X I X (Fryday, Febr. 12. 1714), p. 227.
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1714),
[who] are so justly laughed at for their sonnets on Phillis and Chloris, and fantastical descriptions in them;... Swift has, to avoid their strain, run into a way perfectly new, and described things exactly as they happen: he never forms fields, or nymphs, or groves, where they are not; but makes the incidents just as they really appear.... The following lines ... are a description of the morning, but of the morning in town; nay, of the morning at this end of the town. 53
2. "A Description of the Morning" Durch den Titel "A Description of the Morning" legt Swift ironisch die Erwartungshaltung des Lesers fest: Der literarisch Gebildete mußte mit einem erhabenen, mythologisch verbrämten Gemälde der Morgendämmerung in einer friedlichen, heiteren Naturszene rechnen; denn, wie John Hughes vermerkte, The chastest and most correct Writers seem to indulge themselves on this occasion in a greater Sport of Imagination ... than any Subject whatever, as if it were a Tryal of Skill among them who should paint the Morning the most beautifully. 54
Indem Swift den Tagesanbruch in der Großstadt London mit realistischer Detailliertheit beschreibt, „enttäuscht" er die Erwartung des Lesers; zugleich aber liefert er ihm auf indirekte Art einen Interpretationshinweis: diese Darstellung des Morgens ist nicht eine naive, literarisch unbezogene Abbildung des Londoner Alltags, sondern eine gezielte Parodie, in der Swift die verbreitete Praxis der „Beschreibung", insbesondere im Hinblick auf die standardisierten poetischen Gemälde des Morgens, als eine Form der literarischen Illusionsbildung in Frage stellt. Roger Savage bedient sich daher eines treffenden Vergleichs, wenn er
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The Tatler, ed. Robert Lynam and others (London, 1827), I, p.59.
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The Lay-Monastery, No. XXXIX, p. 228. - Auf die Bedeutung von Hughes' Ausführungen für das Verständnis von Swifts "Morning" hat als erster Roger Savage hingewiesen in seinem Aufsatz "Swift's Fallen City: A Description of the Morning", The World of Jonathan Swift, ed. Brian Vickers (Oxford, 1968); Savage zitiert auch die zentrale Stelle bei Hughes, in der der typische Ablauf einer Dämmerungsszene umrissen wird: "The Morning is most frequently figur'd as a Goddess, or divine Person, flying in the Air, unbarring the Gates of Light, and opening the Day. She is drawn by Homer in a Saffron Garment, and with Rosy Hands (which is the Epithet he almost constantly bestows on her) sprinkling Light thro' the Earth. She arises out of the Waves of the Sea, leaves the Bed of Tithon her Lover, ascends the Heavens, appears to the Gods and to Men, and gives Notice of the Sun-Rising. ... She is usher'd in by the Star which is her Harbinger, and which gives the Signal of the Morning's Approach" (p. 174).
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schreibt, "[that Swift] is working from the jottings of an on-the-spot reporter in an average street, . . . however on a canvas prepared for formal descriptio."55 Um zu verdeutlichen, in welcher Weise das Gedicht als eine Parodie konventioneller Beschreibungen des Morgens konzipiert ist, vergleichen wir es hier mit Charles Cottons "Morning Quatrains" aus dem Zyklus The Country Scene (1689), 5 6 nicht nur weil Cottons Genrebild ländlicheinfachen Lebens eine augenfällige Reihe paralleler Themen und Motive enthält, sondern auch weil es Swift als ein Werk, das gerade zur Zeit seines ersten literarischen Engagements erschien, bekannt gewesen sein dürfte und daher durchaus der konkrete Anlaß für seine Parodie gewesen sein könnte. 57 Den Wechsel von Tag und Nacht stellt Cotton als Teil der natürlichen, gottgewollten Ordnung dar: die Nacht erscheint dabei als Zeit der Ruhe und der Rekreation, der Tag als Zeit der Arbeit und Geschäftigkeit. Cotton zeichnet kein naturalistisches Bild der Morgendämmerung, sondern bedient sich der Mittel allegorischer Indirektion und greift dabei vor allem auf die konventionellen Dämmerungsmythen zurück: Hark! Hark! the watchfull Chanticler, Tells us the day's bright Harbinger Peeps o'er the Eastern Hills, to awe And warn night's sov'reign to withdraw. The Morning Curtains now are drawn, And now appears the blushing dawn; Aurora has her Roses shed, To strew the way Sol's steeds must tread. Xanthus and Aethon harness'd are, To roll away the burning Carr, And, snorting flame, impatient bear The dressing of the Chariotier. The sable Cheeks of sullen Night Are streak'd with Rosie streams of light, Whilst she retires away in fear, To shade the other Hemisphere.58 55 56
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Savage, p. 179. Zuerst veröffentlicht in den Poems on Several Occasions (London, 1689); hier wird zitiert nach den Poems of Charles Cotton, ed. John Buxton (London, 1958). Swifts Werke und Briefe enthalten keinen direkten Hinweis darauf, daß Swift The Country Scene kannte. Das Werk ist auch im Verkaufskatalog von Swifts Bibliothek nicht enthalten. "Morning Quatrains", st. IV-V1I, p. lf.
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Der aufziehende Tag weckt die Menschen jedoch nicht nur zu neuer Aktivität, er bringt auch alle jene Werte des good life59 ans Licht, die den Menschen in dieser dörflichen Idylle eignen: Heiterkeit und Zufriedenheit, Fleiß und Rechtschaffenheit. Bei der Betrachtung der bukolischen Szene entsteht daher der Eindruck, "as if Day taught Humanity". 6 0 Mit dem Licht stellt sich das Leben ein, die Stille der Nacht weicht den Geräuschen des Tags; diese Geräusche freilich sind nicht schrill, dissonantisch, — es sind harmonische Klänge und fröhliche Melodien, die eine heile, friedliche Welt symbolisieren: The merry Lark now takes her wings, And long'd-for day's loud wellcome sings ... Now doors and windows are unbar'd, Each-where are chearfull voices heard, ... Vulcan now makes his Anvil ring, Dick whistles loud, and Maud doth sing, And Silvio with his Bugle Horn Winds an Inprime unto the Morn.61 In dieser geordneten Welt hat jeder seine Aufgabe, die er freudig und ohne Murren erfüllt: die alte Spinnerin und die junge Mutter, der Jäger und der Schäfer, der Wanderer und der Schuljunge. Cotton fügt ein szenisches Element an das andere; es entsteht ein pittoreskes Gemälde einfachen Lebens, in dem auch Züge der Pastoralidylle ihren Platz haben: Hob yokes his Oxen to the Team, The Angler goes unto the Stream, The Wood-man to the Purlews hies, And lab'ring Bees to load their thighs. Fair Atnarillis drives her Flocks, All night safe folded from the Fox, To flow'ry Downs where Collin stays, To court her with his Roundelays.62 Swifts Morgen-Gedicht, das am 30. April 1709 im Tatler veröffentlicht wurde, gibt zweifellos einige konkrete Beobachtungen und Erfahrungen wieder, die Swift auf seinen Wegen durch London gesammelt hatte. Doch ist es falsch anzunehmen, das Gedicht enthalte nicht mehr als einige "rapid, compact, vivid pictures of urban life, . . . as in an adroitly cut sequence of a film", wie es David Ward sieht. 63 Bei genauerem 59
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Siehe dazu Earl Miner, The Cavalier Mode from Jonsoti to Cotton (Princeton, 1971), p.43ff. 61 Ebd., p.2f. 6 2 Ebd., p.3f. "Morning Quatrains", p . 2 , 1 . 36. David Ward, Jonathan Swift. An Introductory Essay (London, 1973), p. 185.
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Hinsehen zeigt sich vielmehr, d a ß Swift nicht nur Wirklichkeit realistisch abbildet, sondern gleichzeitig mit artistischem Raffinement einige der Motivklischees parodistisch invertiert, die in den konventionellen Beschreibungen des M o r g e n s i m m e r wieder als V e r s a t z s t ü c k e benutzt wurden. Now hardly here and there an Hackney-Coach Appearing, show'd the Ruddy Morns Approach. N o w Betty from her Masters Bed had flown, And softly stole to discompose her own. The Slipshod Prentice from his Masters Door, Had par'd the Dirt, and Sprinkled round the Floor. N o w Moll had whirl'd her Mop with dex'trous Airs, Prepar'd to Scrub the Entry and the Stairs. The Youth with Broomy Stumps began to trace The Kennel-Edge, where Wheels had worn the Place. The Smallcoal-Man was heard with Cadence deep, 'Till drown'd in Shriller Notes of Chimney-Sweep, Duns at his Lordships Gate began to meet, And Brickdust Moll hat Scream'd through half the Street. The Turnkey now his Flock returning sees, Duly let out a Nights to Steal for Fees. The watchful Bailiffs take their silent Stands, And School-Boys lag with Satchels in their Hands. 6 4 64
Swift's Poems, I, p. 124f. - Das Gedicht gehört zu den meistbeachteten Swifts; die wichtigsten Interpretationen sind: 1. Maurice Johnson, The Sin of Wit (Syracuse, 1950), pp. 10-15; Johnson versteht Swifts "Morning" als ein Realistisches Gruppenbild' und als ein literarisches Pendant zu Hogarths "Morning" (p. 11); der Gegenstand des Gedichts sei keineswegs originell, die Struktur hingegen unkonventionell und antisublim (ebd.). Die eigentliche Leistung Swifts sieht Johnson in der ,überraschenden Verdrehung vertrauter poetischer Form und Sprache' (p. 12); er erwähnt beiläufig die Parodie der stereotypen poetischen Tageszeitbeschreibungen und der poetischen Diktion. Johnson betrachtet das Gedicht weniger als Instrument moralistischer und literarischer Kritik denn als Manifestation von Swifts unvergleichlichem wit; sein Hauptaugenmerk richtet sich daher auf die kunstvolle Verssprache Swifts. - 2. F. W. Bateson, "Swift's 'Description of the Morning'", English Poetry. A Critical Introduction (London, 1951), pp. 175-80. Bateson glaubt in dem Gedicht ein starkes gesellschaftskritisches Element erkennen zu können: "The social order that Swift is attempting to discredit in this poem is the laissez-faire individualism of urban capitalism, and the moral that he is enforcing is the Christian one that we are members of one another" (p. 177). Diese Deutung ist subjektiv und hypothetisch; sie ist weder durch das Gedicht selbst noch durch anderweitige Äußerungen Swifts zu stützen. - 3. Roger Savage stellt in seinem Aufsatz "Swift's Fallen City: Ά Description of the Morning'" die klassizistische Theorie der descriptio dar und erläutert sie insbesondere am Beispiel der konventionellen poetischen Beschreibungen des Tagesanbruchs. Savage interpretiert Swifts Gedicht als "mock-descriptio" und kommt zu dem Ergebnis: "Swift both chafes at the classical ideal because it seems so little relevant to the reality he sees in the Strand, and
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Das Leben in der Großstadt rührt sich bereits vor der Dämmerung: so verkündet nicht das Licht den Anbruch des neuen Tages, sondern die Geräusche der Mietkutschen, die vereinzelt in den Straßen auftauchen. Dabei spielt Swift offenbar auf den Dämmerungsmythos an, demzufolge die „rosenfingrige" Aurora in einem Wagen ihre Bahn über den Himmel zurücklegt, 65 nachdem sie sich vom Lager ihres Geliebten, Tithon, erhoben hat. Auch letzteres Teilmotiv parodiert Swift, wie bereits verschiedene Interpreten darlegten:66 Die Hausmagd Betty stiehlt sich nach einer durchhurten Nacht aus dem Bett ihres Herrn in ihr eigenes Bett und durchwühlt es, um so den nächtlichen Ausflug zu verschleiern und den Anschein der Sittsamkeit zu wahren. - Gegenständliches Äquivalent der schlüpfrigen Moral ist das Unreinliche, Schäbige, Dürftige, das die Szene beherrscht: Der Unrat des vergangenen Tages ist liegengeblieben; der neue Tag ist nicht ein neuer Anfang, sondern Fortsetzung trister, abstoßender Alltäglichkeit. Cottons Bild ländlicher Menschen idealisiert die Werte des good life. Swift hingegen bildet soziale Wirklichkeit ab; er skizziert mit Hogarthscher Eindringlichkeit das belanglose und deprimierende Treiben des einfachen Volks, — des Lehrlings und der Magd, des Kohlenhändlers und des Schornsteinfegers, der Ziegelstaubverkäuferin 67 und des Gefängniswärters. Arbeit bedeutet hier nicht die freudige Erfüllung einer gottgewollten Aufgabe, sondern würdelose Pflicht. Wie bei Cotton vollziehen sich auch bei Swift die Aktivitäten des Morgens nicht lautlos; freilich dienen die Geräusche in Swifts Gedicht nicht dem Lob des Morgens; auch ist der akustische Eindruck nicht der eines musikalischen Wohlklangs, sondern des Straßenlärms und greller Disharmonie. Moll bietet kreischend ihre Ware feil, die Rufe des Schornsteinfegers überlagern schrill den Baß des Kohlenhändlers, durch den im übrigen Swifts Szene lokales Kolorit und einen konkreten
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is drily ironic about the reality he sees in the Strand because it will not live up to the standards set by the classical ideal" (p. 185). Das motivgeschichtliche Beziehungsgefüge des Gedichts wird in stoffreicher Dokumentation deutlich gemacht. Die literaturkritischen Implikationen der Parodie, vor allem auch in ihrem Zusammenhang mit Swifts poetologischen Grundsätzen, sind dabei freilich nur in vereinfachender Weise dargestellt. — 4. David M. Vieth, "Fiat Lux: Logos versus Chaos in Swift's Ά Description of the Morning'", Papers on Language and Literature, 8 (1972), pp.302-07; Vieth deutet das Gedicht ungerechtfertigt als "a parody of Creation, as depicting a postlapsarian world of disorder and imperfection" (p.304f.). Siehe dazu Η. Hunger, Lexikon der griechischen und römischen Mythologie (Wien, 1959), S. 104. Siehe Johnson, The Sin of Wit, p. 12, sowie Bateson, English Poetry, p. 176. Ziegelstaub benutzte man zum Reinigen von Töpfen und sonstigem Haushaltsgerät.
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Zeitbezug erhält: denn Swift spielt damit zweifellos auf Thomas Britton (1654P-1714) an, den zu seiner Zeit weit über London hinaus berühmten "musical small-coal man". 68 Die szenischen Details am Ende des Gedichts ergänzen das Bild der aus den Fugen geratenen, von Alltäglichkeit beherrschten Welt: Der vornehme Lord, der offenbar sein Vermögen verschwendet hat, wird von stürmischen Gläubigern bedrängt. Der Gefängniswärter läßt die ,Herde' seiner Schützlinge wieder ins Gefängnis ein: sie kehren zurück mit der Beute der vergangenen Nacht, die es ihnen ermöglicht, den Wärter zu bestechen und sich Privilegien zu erkaufen. 69 Auch hier bleibt die parodistische Intention Swifts offenkundig: denn die heimkehrende ,Herde' der Gefangenen steht in komischem Kontrast zu den Schafherden pastoraler Dichtung, die nachts zum Schutz vor wilden Tieren in die sichere Hürde getrieben werden, morgens jedoch von dem Schäfer oder der Schäferin wieder auf die Weide entlassen werden. 70 Auch der letzte Vers - "And School-Boys lag with Satchels in their Hands" — offenbart seinen spezifischen Sinn erst, wenn man ihn im Zusammenhang mit einem tradierten Motiv sieht, wie es etwa in Shakespeares As You Like it (II, 7, 145ff.) gestaltet ist oder auch in Cottons "Morning Quatrains". 71 Shakespeares Jaques verwendet das Bild des wimmernden Schuljungen, der nur widerwillig und träge — den Ranzen in der Hand - seinen Weg zur Schule zurücklegt, um das zweite der sieben Lebensalter zu charakterisieren. Für Cotton führt die Beobachtung des dahinbummelnden Schülers zu der nachsichtigen Erwägung, wie unwichtig doch momentaner Eifer angesichts zeitüberdauerndem Wissen und zeitloser Tugend ist.72 68
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John Hughes setzte ihm in seinem Gedicht "Tom Britton. The Musical Small-Coal Man" ein poetisches Denkmal: Though mean thy rank, yet in thy humble cell Did gentle Peace and arts unpurchas'd dwell. Well pleas'd Apollo thither led his train, And Music warbled in her sweetest strain; Cyllenius so, as fables tell, and Jove, Came willing guests to poor Philemon's grove. Let useless Pomp behold, and blush to find So low a station, such a liberal mind. Zit. in Johnson/Chalmers (eds.), The Works of the English Poets (London, 1810), X, p.33. — Zur Biographie Thomas Brittons siehe DNB, II, pp. 1269—71. Poems, I, p. 125, note: "In return for privileges gaolers were accustomed to exact fees from the prisoners." Vgl. Cotton, "Morning Quatrains", Poems of Charles Cotton, p.4, 11. 57-60; s.o., S. 67. Weitere Belege bei Μ. Johnson, The Sin of Wit, p. 14f. "Morning Quatrains", p.4,11. 65-68.
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Das althergebrachte Motiv dient bei Swift nicht der bildhaften Repräsentation einer Entwicklungsstufe des Menschen; es wird auch nicht zum Anlaß einer moralistischen Reflexion. Indem Swift das bekannte Motiv kommentarlos an die Reihe trivialer Szenenelemente fügt, reduziert er es auf seinen realen Kern und entpoetisiert es somit. Daß darüber hinaus der Schlußvers die Funktion haben könnte, auf Cottons "Morning Quatrains" als Vorlage anzuspielen, ist eine naheliegende Vermutung, eine Vermutung allerdings, die weder durch Hinweise in dem Gedicht selbst noch durch anderweitige Äußerungen Swifts gestützt wird, - und nicht ohne Grund: denn wenn Swift auch vielleicht beim Konzipieren seines Gedichts Cottons "Morning Quatrains" als konkrete Folie vor Augen hatte, so ist es doch nicht als die Parodie eines bestimmten Textes zu verstehen, sondern als allgemeine Kritik an den konventionellen poetischen Beschreibungen des Morgens.
3. "A Description of a City Shower" Am 17. Oktober 1710 veröffentlichte Swift im 238. Tatler ein weiteres Stadtgedicht, "A Description of a City Shower". 73 Swift selbst hielt es für seine bisher beste dichterische Leistung, und er fand sich durch das Urteil von Freunden und Bekannten bestätigt: "They say 'tis the best thing I ever writ, and I think so too." 7 4 Insbesondere Nicholas Rowe und Matthew Prior lobten das Gedicht überschwänglich, "beyond any thing that has been written of the kind: there never was such a Shower since Danae's, & c . " . 7 5 Der "City Shower" ist ein Pendant zum "Morning" nicht nur deshalb, weil er ein Stück local poetry ist; 76 wie der "Morning" ist auch das spätere Gedicht literaturkritisch motiviert, insofern als es die poetischen Beschreibungen des Landregens parodiert. - Daß man das Gedicht bereits bei seiner Erstveröffentlichung im Zusammenhang der literarischen Tradition sah, zeigt nicht nur die Stellungnahme Rowes und 73 74
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Poems, I, pp. 1 3 6 - 3 9 . The Journal to Stella, ed. Harold Williams (Oxford, 1948), I, p.62: Brief vom 17. Oktober 1710. Ebd., p . 7 4 : Brief vom 2 7 . Oktober 1710. - In seinem Brief vom 30. November 1710 verwahrte sich Swift ausdrücklich gegen das Urteil des Bischofs von Clogher: "Why, the bishop of Clogher says, he has seen something of mine of the same sort, better than the Shower. I suppose he means The Morning; but it is not half so good" (p. 109). Vgl. dazu Steeles einführende Bemerkungen im Tatler, No. 238 (October 1 7 , 1 7 1 0 ) , III, p.288.
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Priors; es wird vor allem deutlich an den Erläuterungen, die Steele dem Gedicht im Tatler vorausschickte. Steele verweist darauf, daß die Beschreibung von Seestürmen fest zum Apparat des antiken Epos ebenso wie seiner neueren Nachahmungen gehört;77 andererseits unterstreicht er: L a n d - s h o w e r s are n o less frequent a m o n g the poets than the f o r m e r , but I r e m e m b e r n o n e of t h e m w h i c h have n o t fallen in the c o u n t r y ; for which reason they are generally filled with the lowings of o x e n and the bleatings of sheep, a n d very often embellished with a rainbow. - Virgil's l a n d - s h o w e r is likewise the best in its kind. 7 8
Steele spielt hier vermutlich auf das Unwetter an, bei dem Dido und Aeneas nach dem Willen der Juno und der Venus in einer Höhle zusammengeführt werden.79 Demgegenüber lautet jedoch der Untertitel des "City Shower" in den Miscellanies von 1727: "In Imitation of VIRGIL's Georg". Ob dieser Zusatz von Swift selbst stammt, ist heute nicht mehr ausfindig zu machen. Gleichwohl ist die Auffassung der neueren Forschung zweifellos richtig, daß Swift mit seinem "City Shower" ein mock georgic geschaffen hat und daß seine Vorlage wohl vor allem die Verse 431-538 des ersten Buches der Georgica waren;80 denn dort werden nicht nur die Zeichen beschrieben, die den Wetterwechsel verkünden, sondern auch der Ablauf eines typischen Landregens, so daß die thematische Korrespondenz offensichtlich ist.81 Vergils Georgica waren in der Übersetzung Drydens zusammen mit Addisons "Essay on Virgil's Georgics" als Vorwort erst 1697 erschienen, zu der Zeit also, als Swift sich von der Cowley-Imitation gelöst hatte und sich auf der Suche nach eigenen dichterischen Themen und Ausdrucksformen befand. Swift kannte Drydens Vergil-Übersetzung82 und deshalb zweifellos auch Addisons Essay, wenngleich weder die Briefe noch die Werke Swifts sich darauf beziehen. Nicht nur die 77
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Als Motto wählt er daher treffend Vers 23f. aus Juvenals 12. Satire: " . . . Poetica surgit / Tempestas . . . " . Tatler, III, p . 2 8 8 . Aeneis, IV, 160ff.; vgl. dazu auch Brendan Ο Hehir, "Meaning in Swift's 'Description of a City Shower'", Journal of English Literary History, 2 7 (1960), p. 195. Vgl. Ο Hehir, p . l 9 5 f . Zum Einfluß von Vergils Georgica auf die englische Dichtung siehe insbesondere John Chalker, The English Georgic. Α Study in the Development of α Form (London, 1969). Swifts Kritik gegenüber Drydens Vergil-Versionen kommt bereits in The Battle of the Books (entstanden 1697) zum Ausdruck, wo er Vergil in glänzender Rüstung mit seinem Übersetzer zusammentreffen läßt, der einen Helm trägt, "nine times too large for the Head". Siehe dazu auch D. Novarr, "Swift's Relation with Dry den and Gulliver's Annus Mirabilis", p.344f.
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poetische Einstellung, die Drydens Übersetzung zugrunde lag, mußte seine Kritik herausfordern, sondern vor allem auch Addisons "Essay", in dem die Gattung des Georgikon kongenial definiert wird: "A Georgic ... is some part of the science of husbandry put into a pleasing dress and set off with all the beauties and embellishments of poetry."83 Es ist daher nicht unwahrscheinlich, daß gerade die freundschaftliche Beziehung Swifts zu Addison, die sich — wie insbesondere am Journal to Stella verdeutlicht - im Herbst 1710 in London vertiefte, die Erinnerung an dieses Jugendwerk Addisons weckte und Swift inspirierte, ein Gedicht über ein ,ganz lächerliches Thema',84 einen Regenschauer in London, zu schreiben. Nach Addisons Vorstellungen erfordert die Unterweisung in den praktischen Regeln des Landbaus dichterische Gewandtheit. Insofern als die Georgica von Gegenständen der sinnlich wahrnehmbaren Wirklichkeit handeln, bietet sich gerade in ihnen die Gelegenheit for those beautiful descriptions and images which are the spirit and life of p o e t r y . . . . This kind of poetry . . . addresses itself wholly t o the imagination: it is altogether conversant a m o n g the fields and w o o d s and has the most delightful part of nature for its province. It raises in our minds a pleasing variety of scenes and landscapes whilst it teaches us, and makes the driest of its precepts look like a description. 8 5
Darüber hinaus reflektiert Addison auch über die Normen des Stils, in dem sich das Georgikon angemessen verwirklichen läßt. Er wendet sich dabei nicht nur gegen die Zwanglosigkeit der Umgangssprache, sondern verwirft auch nachdrücklich die ,gemeine' Sprache des Landvolks: M u c h less ought the low phrases and terms of art that are adapted to husbandry have any place in such a w o r k as the georgic, which is not to appear in the natural simplicity and nakedness of its subject, but in the pleasantest dress that poetry can bestow on it. 8 6
Im betonten Gegensatz zur schlichten, kunstlosen Sprache des Landmanns ist die Sprache des Georgikons gekennzeichnet durch hohe
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Joseph Addison, "An Essay on Virgil's Georgics" (1697), Eighteenth-Century Critical Essays, ed. Scott Elledge (Ithaca, New York, 1961), I, p.2. Letter to Thomas Beach, 12 April 1735, Correspondence, IV, p.321. Joseph Addison, "An Essay on Virgil's Georgics ", zit. in Elledge, I, p. 2. - Gerade in der Kunst der ,Beschreibung' liegt die poetische Qualität dieser Gattung begründet: "Where the prose writer tells us plainly what ought to be done, the poet often conceals the precept in a description,... and so conveys the whole in a more diverting manner to the understanding" (ebd., p.2f.). Ebd., p. 5.
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Stilisierung, durch Feierlichkeit', ,Würde', ,Gepränge'.87 Die poetische Diktion hat ihr Vorbild bei Vergil selbst; denn "Virgil... abounds with metaphors, Grecisms, and circumlocutions, to give his verse the greater pomp and preserve it from sinking into the plebian style".88 Insbesondere im ersten Buch der Georgica entdeckt Addison die charakteristischen Merkmale des sublimen Stils, "significancy of expression", "pomp of verse", "heightened images", "great beauty".89 Dryden sah dies ähnlich, und er glaubte, daß ihm die Nachahmung von Vergils ,majestätischem' Stil in seiner Ubersetzung des ersten Buchs besonders gut gelungen sei: T h e poetry of this book is more sublime than any part of Virgil, if I have any taste. And if ever I have copied his majestic style, 'tis t h e r e . ' 0
Wenngleich Vergil sorgfältig darauf geachtet hatte, seinen Georgica den Charakter eines Lehrbuchs zu geben, so hatten ihn an seinem trockenen Stoff doch wohl vor allem die Möglichkeiten der künstlerischen Gestaltung gereizt. Er hatte weniger mit didaktischer Intention geschrieben als zur Unterhaltung eines Urbanen, gebildeten Lesepublikums, - was ihn den klassizistischen Dichtern in besonderer Weise als verwandt erscheinen ließ. So betont Dryden: "He writ to all in general, but in particular to men and ladies of the first quality, who have been better bred than to be too nicely knowing in the terms [of mariners,... gardeners, peasants, etc.]." 91 Auch Addison läßt keinen Zweifel daran, daß er die Georgica für ein Werk hält, das vornehmlich zum Vergnügen einer geistig verfeinerten Leserschicht bestimmt ist; auch für ihn leitet sich die Faszination des Werks nicht in erster Linie aus dem vorgegebenen Stoff ab, sondern aus dessen ästhetischer Gestaltung: "We find our imaginations more affected by his [Virgil's] descriptions than they would have been by the very sight of what he describes."92 Beispielhaft für Vergils Art der Beschreibung erscheint uns die Darstellung der wetterverkündenden Zeichen, zumal in ihrem krassen Gegensatz zu den prognostischen Zeichen in Swifts "City Shower": And that by certain signs we may presage O f Heats and Rains, and Wind's impetuous rage, 87 90
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88 Ebd., p. 5. 8 9 Ebd, p. 6. Ebd., p. 4. John Dryden, "Notes and Observations on Virgil's Works in English" (1697), The Poetical Works of Dryden, ed. G. R. Noyes (Boston, 1950), p. 710. John Dryden, "Dedication of the Aeneis" (1697), Essays of John Dryden, ed. W. P. Ker (Oxford, 1900), II, p.236. Joseph Addison, "An Essay on Virgil's Georgics", zit. in Elledge, I, p. 5.
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The Sov'reign of the Heav'ns has set on high The Moon, to mark the Changes of the Skye: When Southern blasts shou'd cease, and when the Swain Shou'd near their Folds his feeding Flocks restrain. For e're the rising Winds begin to roar, The working Seas advance to wash the Shoar: Soft whispers run along the leavy Woods, And Mountains whistle to the Murm'ring Floods: Ev'n then the doubtful Billows scarce abstain From the toss'd Vessel on the troubled Main: When crying Cormorants forsake the Sea, And stretching to the Covert wing their way: When sportful Coots run skimming o're the Strand; When watchful Herons leave their watry Stand, And mounting upward, with erected flight, Gain on the Skyes, and soar above the sight. And oft before tempest'ous Winds arise, The seeming Stars fall headlong from the Skies; And, shooting through the darkness, guild the Night With sweeping Glories, and long trails of Light: And Chaff with eddy Winds is whirl'd around, And dancing Leaves are lifted from the Ground; And floating Feathers on the Waters play. But when the winged Thunder takes his way From the cold North, and East and West ingage, And at their Frontiers meet with equal rage, The Clouds are crush'd, a glut of gather'd Rain The hollow Ditches fills, and floats the Plain, And Sailors furl their dropping Sheets amain.93 Am 12. Oktober 1710 notierte Swift im Journal to Stella, daß er den "City Shower" bis auf den Anfang fertiggestellt habe; 94 zwei Tage später berichtete er, daß er das fertige Manuskript an den Tatler abgeschickt habe. 95 Der erste Abschnitt des Gedichts (11. 1—12), entstanden vermutlich am 13. Oktober, 96 läßt sich leicht als lockere Parodie von Vergils Beschreibung der Wetterzeichen im ersten Buch der Georgica erkennen; er setzt daher auch die Perspektive für das Verständnis der nachfolgen93
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John Dryden, "Virgil's Georgics. The First Book of the Georgics", The Poems of John Dryden, ed. James Kinsley (Oxford, 1958), II, p.931, 11. 483-513. Journal to Stella, I, p.53. - Zum Entstehungsprozeß des "City Shower" siehe auch John Irvin Fischer, "Apparent Contraries: A Reading of Swift's 'Description of a City Shower'", Tennessee Studies in Literature, 19 (1974), p.23ff. Journal to Stella, I, p. 56. Siehe dazu Harold Williams' Ausführungen in Poems, I, p. 136.
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den Teile des Gedichts, in denen das parodistische Element - zumindest im Hinblick auf die Themen der Georgica — weniger offensichtlich ist.97 Swifts Darstellung des Stadtregens steht in betontem Gegensatz zu dem Gemälde eines majestätischen Naturschauspiels, das Vergil bzw. Dryden vor der Imagination des Lesers entstehen läßt. Die bathetische ,Beschreibung' des "City Shower" resultiert aus penibler, prüfender Beobachtung der Londoner Szene und knüpft auch an konkretes persönliches Erleben an, wie eine Bemerkung im Journal to Stella verdeutlicht, in der Swift über seine schlechte Unterkunft klagt: Impudence, if you vex me, I'll give ten shillings a week for my lodging; for I am almost st-k out of this with the sink, and it helps me to verses in my
Shower.™
Die Menschen in Swifts Gedicht sind nicht unbeteiligte Zuschauer eines erhebenden Naturanblicks; sie sind vielmehr vom Wetterwechsel und vom Regen schmerzhaft und ärgerlich betroffen: der Wetterumschwung kündigt sich ihnen dadurch an, daß der Wasserabfluß ekelerregend zu stinken beginnt; er fördert körperliches und geistiges Gebrechen zutage und läßt das Triste, Dürftige, Widerwärtige der menschlichen Verhältnisse in Erscheinung treten. Angesichts der geistlosen Alltäglichkeit, die die Szene bestimmt, reduziert sich das lehrhafte Moment, das wesentlich zum Georgikon gehört, in dieser Parodie auf den banalen Rat, lieber etwas mehr für den Wein in einem nahegelegenen Kaffeehaus zu zahlen, als für teures Geld mit der Mietkutsche zu einem entfernten, jedoch billigeren Gasthaus zu fahren: Careful Observers may fortel the Hour (By sure Prognosticks) when to dread a Show'r: While Rain depends, the pensive Cat gives o'er Her Frolicks, and pursues her Tail no more. Returning Home at Night, you'll find the Sink Strike your offended Sense with double Stink. If you be wise, then go not far to Dine, You'll spend in Coach-hire more than save in Wine. A coming Show'r your shooting Corns presage, Old Aches throb, your hollow Tooth will rage. Sauntring in Coffee-House is Dulman seen; He damns the Climate, and complains of Spleen." Die Korrespondenzen zwischen Vergils Georgica und Swifts "City Shower" untersucht vor allem Ο Hehir, p,195ff. 98 Journal to Stella, 8 November 1 7 1 0 , 1 , p. 87. Swift wohnte zu dieser Zeit in der Bury Street, St. James's, ganz in der Nähe der Vanhomrighs; siehe dazu Journal, I, p . 2 1 6 . " Poems, I, p,136f., 11. 1 - 1 2 . 57
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Im zweiten Teil des Gedichts (11. 13-30) beschreibt Swift das Einsetzen des Regens, den ein südlicher Wind vor sich hertreibt. - Bereits Ovid hatte den Südwind [notus] in seiner Darstellung der großen Flut als stürmisch, regenbringend und unheilverkündend charakterisiert.100 Seine Verse dienten Milton als Vorlage für die Darstellung des Südsturms, der dem Delugium vorausgeht: Meanwhile the south-wind rose, and with black wings Wide hovering, all the clouds together drove From under heaven. 101
Swift scheint die Zeilen 13 und 14 seines "City Shower" vor allem in Anlehnung an diese Verse geformt zu haben.102 Der Wind in Swifts Gedicht hat jedoch mit dem schicksalhaften Südsturm bei Ovid oder Milton nichts gemein.103 Es ist eine feuchte Bö, die den Schmutz und den Staub in Londons Straßen aufwirbelt und einen heftigen Regenguß einleitet: Mean while the South rising with dabbled Wings, A Sable Cloud a-thwart the Welkin flings, That swill'd more Liquor than it could contain, And like a Drunkard gives it up again. 1 0 4
Wenngleich Swift zweimal auf das Motiv der Sündflut anspielt105 und London als eine dem Untergang geweihte Stadt bezeichnet, dann beabsichtigt er damit gewiß nicht, die dargestellte Londoner Szene als Exempel menschlicher Sünde und menschlichen Stolzes erscheinen zu lassen. Nicht nur sind die Anspielungen auf die Sündflut unauffällig und beiläufig eingefügt; der Text enthält auch sonst keine moralischen Bewertungen und stellt ein weithin moralisch indifferentes Handeln und Verhalten dar. Insofern vermag Ο Hehirs Auffassung nicht zu überzeugen, "[that] the poem's import seems ... to be primarily an oblique denunciation of catharctic doom upon the corruption of the city". 106 100
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Ovid, Metamorphosen, I, 11. 264—69. Vgl. dazu J. I. Fischer, "Apparent Contraries", p.24ff. John Milton, Paradise Lost, XI, 11. 7 3 8 ^ 0 , The Poems of John Milton, ed. J. Carey and A. Fowler (London, 1968), p. 1019f. Vgl. dazu auch Savage, "Swift's Fallen City", p. 187, und Fischer, "Apparent Contraries", p. 24. Als Beispiel der stereotypen Darstellung des unheilvollen Südsturms siehe auch Drydens Übertragung der Aeneis, I, 1. 756f.: "The Sea came on; the South with mighty Roar, / Dispers'd and dash'd the rest [of the torn vessels] upon the Rocky Shoar" [Poems, ed. Kinsley, III, p. 1083], Poems, I, p. 137,11. 13-16. Vgl. auch 1. 32: "Threat'ning with Deluge this Devoted Town." Ο Hehir, "Meaning in Swift's 'Description of a City Shower'", p.206.
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Auch nicht hinreichend durch den Text erhärten läßt sich Fischers These, [that] Swift reconstructs for us that sense of human frailty and fallibility which they [the mythical flood narrations] told when they were whole and living legends; [that] more remarkably still, Swift also recovers that sense of grace which was the centre of the greatest of them. 107 Die Verweise auf das Delugium dienen nicht dazu, die dargestellte Londoner Szene als Beispiel menschlicher Schwäche, Fehlbarkeit und Verderbtheit erscheinen zu lassen; im Gegenteil: diese Welt ist viel zu unbedeutend, geistlos, dürftig, als daß eine Sündflut von biblischen bzw. mythischen Ausmaßen angemessen wäre. Swifts Gedicht mit seinen ironischen Anspielungen auf die große Flut dient vielmehr dazu, einen erhabenen Mythos aus der Perspektive realistischer Weltbetrachtung in den Bereich der Fiktion zu verweisen, d. h. unglaubhaft zu machen. — In einem allgemeineren Sinn geht es freilich auch in diesem Gedicht wieder darum, die Pose poetischer Inspiration, das Pathos des erhabenen Stils und dessen Darstellungsmittel zu verlachen. 1 0 8 Das Ziel seines parodistischen Angriffs wird schlaglichtartig erkennbar in den Versen 13 und 14, in denen Swift - analog zu seinen Vorlagen — den Südwind personifiziert und in hoher poetischer Stilisierung beschreibt. Die Wirkung des pathetischen Bildes wird in den nächsten beiden Versen freilich sogleich zerstört: in ihnen vergleicht Swift die dunkle Regenwolke mit einem sich erbrechenden, widerlichen Trunkenbold. Die literarische Strategie, deren er sich hier bedient, hat exemplarische Bedeutung. Swift parodiert das Mittel der Kontrastdarstellung als ästhetisches Prinzip, dem man seit langem in der literarischen Komposition gefolgt war, vor allem in der Absicht, Schönheit und Tugend um so strahlender erscheinen zu lassen. 1 0 9 Dies läßt sich an zahlreichen Belegen des 16. und 17. Jahrhunderts demonstrieren: Es zeigt sich auch in Drydens Bemerkung, der Glanz der Venus erscheine um so makelloser " b y the Neighbourhood of the Lazar",110 oder in Shaftesburys Bemer107 108
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J. I. Fischer, "Apparent Contraries", p.27f. Dies wird auch daran deutlich, daß das Gedicht eine Reihe von - mehr oder weniger versteckten - Anspielungen enthält, vor allem auf Drydens Georgi'ca-Übersetzung ebenso wie auf seine Version der Aeneis, wie vor allem Β. Ο Hehir in seinem Aufsatz dargelegt hat. Vgl. dazu Η. V. S. Ogden, "The Principles of Variety and Contrast in Seventeenth Century Aesthetics, and Milton's Poetry", Journal of the History of Ideas, 10 (1949), p. 167ff. Dedication to Plutarch's Lives, The Works of John Dryden, ed. Η. T. Swedenberg (Berkeley, 1971), vol. XVII, p . 2 3 3 .
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kung, "[that] the World's Beauty is founded . . . on Contrarietys"; 111 bei Fielding schließlich heißt es in einer rhetorischen Frage: "What demonstrates the Beauty and Excellence of any thing but its Reverse?" 112 Swift hingegen kontrastiert das Erhabene mit dem Vulgären, das Schöne mit dem Häßlichen, um den an "heightened Images" 113 bzw. "sublime conceits" 114 gewöhnten Leser aus dem Zustand geistiger Verblendung und Lethargie zu wecken, ihn gegen den "Cant which every Fool repeats" 115 zu mobilisieren und ihm zu einer kritischen Wirklichkeitsperspektive zu verhelfen. In den folgenden Versen des "City Shower" beschreibt Swift den ganz und gar unheroischen Kampf zwischen den ersten Regentropfen und dem Staub aus dem Mop einer unbekümmerten Dienstmagd. Die Situation erhält ihre Pointe jedoch erst dadurch, daß die schmutzige Mischung von Staub und Regen gerade den vorbeihastenden Poeten trifft.
Brisk Susan whips her Linen from the Rope, While the first drizzling Show'r is born aslope, Such is that Sprinkling which some Careless Quean Flirts on you from her Mop, but not so clean. You fly, invoke the Gods; then turning, stop To rail; she singing, still whirls on her Mop. Not yet, the Dust had shun'd th'unequal Strife, But aided by the Wind, fought still for Life; And wafted with its Foe by violent Gust, 'Twas doubtful which was Rain, and which was Dust. Ah! where must needy Poet seek for Aid, When Dust and Rain at once his Coat invade; His only Coat, where Dust confus'd with Rain, Roughen the Nap, and leave a mingled Stain.116 Indem Swift beschreibt, wie das Staub-Regen-Gemisch den Mantel dieses ,Stadtbarden' 117 durchnäßt und befleckt, spielt er ironisch auf den Bericht des Alten Testaments an, demzufolge der Prophet Elias mit seinem Mantel die Fluten des Jordan teilte und mit seinen Jüngern dann trockenen Fußes den Fluß durchquerte: 111
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Zit. in Fielding, The History of Tom Jones, ed. Martin C. Battestin (Oxford, 1974), I, p.212 (note). Fielding, The History of Tom Jones, I, p.212. Addison, "An Essay on Virgil's Georgics", zit. in Elledge, I, p.6. Swift's Poems, II, p.711,1. 793. Ebd., p.645,1. 153. Poems, I, p,137f., 11. 17-30. "City Bard", Poems, II, p. 649,1. 285. Die Hypothese Fischers, daß sich Swift in diesem Poeten selbst darstelle (p. 26), wird durch den Text nicht gerechtfertigt.
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And Elijah took his mantle, and wrapped it together, and smote the waters, and they were divided, hither and thither, so that they too went over on dry ground.118
Der Mantel des Elias war seit jeher Symbol der prophetischen Begabung und der wundertätigen Kraft, somit zugleich der würdevollen Erhabenheit über das Geschehen in der Welt. 119 Swift hingegen hatte nur Hohn für diejenigen, die dem Dichter prophetische Kräfte beimaßen, und er sah in der Vorstellung des Prophetenmantels nichts anderes als eine abgedroschene Bildformel: You all agree, I make no doubt, Elijah's Mantle's worn out. 120
Der Mantel seines ,armen' Poeten ist ein ganz gewöhnlicher Mantel; ihm fehlt die wunderwirkende Kraft, die der Mantel des Elias besaß. Dieser Stadtpoet ist unfähig, dem Regen zu gebieten; die Anrufung der Götter ist nicht nur wirkungslos, sondern — im Hinblick auf den belanglosen Anlaß - lächerlich zugleich, zumal sie von heftigen Beschimpfungen begleitet wird. — Die kurze Skizze des "needy Poet" ist gewiß nicht als Selbstkarikatur Swifts aufzufassen, wie Fischer meint; 121 Swift karikiert hier vielmehr zum ersten Mal einen Grubstreet-Writer, einen der Gossenliteraten und Lohnschreiber also, die die literarische Szene Londons zu Beginn des 18. Jahrhunderts in zunehmendem Maße beherrschten 122 und mit deren geistigen Haltungen und literarischen Praktiken sich Swift von nun an immer wieder in seinen Gedichten auseinandersetzte.123 Im dritten Teil des "City Shower" (11. 3 1 - 5 2 ) beschreibt Swift das Verhalten der verschiedenen Straßenpassanten, die Schutz vor dem Wolkenbruch suchen, nachdem Swift diesen in ironischem Pathos zur strafenden Sündflut sublimiert hat: Now in contiguous Drops the Flood comes down, Threat'ning with Deluge this Devoted Town.124
In den folgenden Versen erweist sich Swift als humorvoller Beobachter des Londoner Lebens und als ein Meister der konzisen, heiteren Karika118
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2 Kings, 2, 8. Zum Bild des Poetenmantels als „Bild für das Poetisieren der Welt" siehe Robert Mühlher, „Der Poetenmantel", Eichendorff Heute, hg. Paul Stöcklein (Darmstadt, 1966), S. 180ff. Poems, I, p . 2 7 0 , 1. 23f. Fischer, „Apparent Contraries", p . 2 6 . Zur soziologischen und literarischen Problematik der Scribbler im London des beginnenden 18. Jahrhunderts siehe Pat Rogers, Grubstreet. Studies in a Subculture (London, 1972). 1 2 4 Poems, I, p. 1 3 8 , 1 . 31f. S. u., S. 99ff.
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tur. Mit wenigen Strichen zeichnet er eine lebendige Straßenszene, bewegt wie die Stiche Hogarths. Seine Skizze ist ohne satirische Schärfe, sie enthüllt lediglich lächelnd Allzumenschliches: Regennasse Damen suchen Zuflucht in Läden, feilschen um Waren, ohne kaufen zu wollen; der geschniegelte Templer täuscht Eile vor, indem er vorgibt, nach einer Droschke Ausschau zu halten, wartet jedoch in Wirklichkeit das Ende des Regens ab, um Geld zu sparen; für die kokette Näherin wird der Schauer zum Anlaß, mit hochgeschürztem Kleid ihren modischen Regenschirm spazierenzuführen; ohne Rücksicht auf den sozialen Rang führt der Regen die Schutzsuchenden in einem Schuppen zusammen; die Sorge um die kostbare Perücke vereint sogar die Vertreter der verfeindeten politischen Parteien. Lediglich der Beau in seiner Sänfte provoziert Swifts nachhaltigen Spott; dieser verbindet sich mit einer geistreichen Persiflage des epischen Vergleichs: Box'd in a Chair the Beau impatient sits, While Spouts run clatt'ring o'er the Roof by Fits; And ever and anon with frightful Din The Leather sounds, he trembles from within. So when Troy Chair-men bore the Wooden Steed, Pregnant with Greeks, (Those Bully Greeks,
impatient to be freed, who, as the Moderns do,
Instead of paying Chair-men, run them thro'.) Laoco'n
struck the Outside with his Spear,
And each imprison'd Hero quak'd for Fear. 1 2 5
Dryden hatte das Simile zu den poetischsten Teilen der Dichtung gezählt, insofern als es nicht nur dazu dient, die Gegenstände - insbesondere der heroischen Dichtung - durch Analogiedarstellung zu explizieren, sondern auch zu verzieren und zu sublimieren. 126 Da sonst im "City Shower" bis auf das Bild der sich erbrechenden Wolke Vergleiche fehlen und gerade auch die vorausgehende Straßenszene bildlos beschrieben wird, erhält dieses zweite Bild, in dem die lächerliche Verzweiflung des verweichlichten Beau mit der Angst der im Trojanischen Pferd verborgenen Danaer verglichen wird, besondere Bedeutung. - Die Vorlage für Swifts Simile sind die Verse 50 bis 53 im zweiten Buch der Aeneis, bzw. wahrscheinlicher, die entsprechenden Verse in Drydens Übertragung dieser Stelle:
125
I2i
Ebd., p. 139, 11. 4 3 - 5 2 .
Siehe dazu H. James Jensen, A Glossary of John Dryden's Critical Terms (Minneapolis, 1969), p. 108.
81
Thus having said, against the Steed he [Laocoon] threw His forceful Spear, which, hissing as it flew, Pierc'd through the yielding Planks of jointed Wood, And trembling in the hollow Belly stood. The sides transpierc'd, return a ratling Sound, And Groans of Greeks inclos'd come issuing through the Wound. 127
Swift hat die heroische Episode bagatellisiert und verfremdet. Laokoon durchstößt nicht mit gewaltiger Kraft den Leib des Pferdes, er schlägt mit seinem Speer nur lässig gegen die hölzerne Wandung; und im Innern warten nicht todesmutige Helden, sondern feige Raufbolde, die schon beim Aufprall des Speeres vor Furcht erzittern. Swift invertiert mit seinem Simile das konventionelle Verfahren, Gegenstände aus dem Bereich der Erfahrungswirklichkeit durch Vergleiche, die der heroischen Dichtung entlehnt sind, zu sublimieren. Er projiziert umgekehrt die gänzlich unheroische Szene und das zimperliche Verhalten des in der Sänfte eingesperrten Beau auf die bekannte literarische Episode; so erscheinen nun zwangsläufig die Träger des Trojanischen Pferdes anachronistisch als ,Sänftenträger'. Swift macht das Handeln und Verhalten von wirklichen Menschen zum Maßstab für den Wahrheitsgehalt des in der Dichtung Berichteten. Indem er so die Wirklichkeit gegen die Fiktion ausspielt, gibt er erneut ein heroischmythisches Motiv der Lächerlichkeit preis und stellt zugleich das Simile als ein Mittel der Illusionsbildung in Frage. Im letzten Abschnitt des "City Shower" (11. 53-63) beschreibt Swift die Folgen des Wolkenbruchs; er schildert, wie das niedergegangene Regenwasser die Rinnsteine der Straßen überflutet und auf seinem Weg zur Themse Mengen widerlichen Unrats vor sich hertreibt; dieser Weg wird durch genaue topographische Hinweise markiert. 128 Es entsteht ein häßliches naturalistisches Bild: N o w from all Parts the swelling Kennels flow, And bear their Trophies with them as they go: Filths of all Hues and Odours seem to tell What Street they sail'd from, by their Sight and Smell. 127
128
John Dryden, "Virgil's Aeneis. The Second Book of the Aeneis", The Poems of John Dryden, ed. James Kinsley (Oxford, 1958), 111, p. 1093,11. 64-69. Harold Williams hat ihn im einzelnen rekonstruiert: "Swift ... pictured the garbage and offal from the sheep and cattle pens, then standing to the west of West Smithfield, washing down to meet the overflow from the neighbourhood of St. Sepulchre's Church at Holborn Conduit, the junction of Snow Hill and Cow Lane, and thence falling into the Fleet at Holborn Bridge at which point the stream was still navigable" [Poems, I, p. 139, n.].
82
They, as each Torrent drives, with rapid Force From Smitbfield,
or St. Pulchre's
shape their Course,
And in huge Confluent join at Snow-Hill Fall from the Conduit
prone to
Ridge,
Holborn-Bridge.
Sweepings from Butchers Stalls, Dung, Guts, and Blood, Drown'd Puppies, stinking Sprats, all drench'd in Mud, Dead Cats and Turnip-Tops come tumbling down the Flood. 1 2 9
Gewiß führt die Beschreibung der ekelhaften Flut, die sich durch die Straßen wälzt, wiederum zur Assoziation der Sündflut. 130 Der Kontext des Gedichts läßt jedoch erkennen, daß der Schluß nicht vorrangig moralisch, sondern literaturkritisch motiviert ist: es geht Swift vor allem darum, Unästhetisches eindringlich darzustellen, um wiederum die poetische Descriptio lächerlich zu machen. Diese Deutung wird auch durch einen Brief aus dem Jahre 1735 nahegelegt, in dem Swift über das triplet vermerkte, es sei a vicious way of rhyming, wherewith Dryden abounded, and which was imitated by all the bad versifiers in Charles the Second's reign. . . . This made him so very u n c o r r e c t ; . . . he likewise brought-in the Alexandrine verse at the end of his triplets. I was so angry at these corruptions, that about twenty-four years ago I banished them all by one triplet, with the Alexandrine, upon a very ridiculous subject. 131
Swift bezieht sich damit unzweifelhaft auf die drei letzten Verse des "City Shower". Es wäre freilich naiv anzunehmen, er habe sich lediglich gegen die formal inkorrekte Handhabung des triplet gewandt. Indem er unterstreicht, er habe das triplet durch einen ,ganz lächerlichen Gegenstand' disqualifiziert, läßt er erkennen, daß er sich gegen das triplet vor allem als eine Darstellungsform wendet, die dem dargestellten Gegenstand ,Majestät' verleiht. Dies hatte Dryden in der Widmung seiner Ae«e/s-Ubertragung als besonderes Stilmerkmal hervorgehoben: I frequently make use of triplet rhymes, because they bound the s e n s e ; . . . for, besides the majesty which it gives, it confines the sense within the barriers of three lines which would languish if it were lengthened into four. 1 3 2
Poems, I, p. 139, 11. 53-63. Diesen Aspekt stellt vor allem J. I. Fischer in seinem Aufsatz "Apparent Contraries" (p.26) heraus. Seine moralisierende Deutung ist jedoch durch den Text nicht zu rechtfertigen. 131 Letter to Thomas Beach, 12 April 1735, Correspondence, IV, p.321. 132 John Dryden, "Dedication of the Aeneis" (1697), Essays of John Dryden, ed. W. P. Ker (Oxford, 1900), II, p.228f. 129
130
83
Wenngleich Swift explizit nur von den letzten drei Versen des Gedichts sagt, sie handelten von einem ,ganz lächerlichen Gegenstand', so charakterisiert er damit dennoch den Tenor des ganzen Gedichts. Man sollte darin einen Hinweis sehen, daß Swift selbst in seinem "City Shower" nicht vorrangig eine Satire oder gar ein moralisches Lehrstück sah. Ebensowenig aber verstand er das Gedicht als ein bloßes jeux d'esprit, bestimmt für ein literarisch gebildetes Lesepublikum, das das Verfahren der parodistischen Inversion bekannter poetischer Motive und Darstellungsformen durchschaut und daraus ein verfeinertes ästhetisches Vergnügen ableitet. Er will nicht Vergnügen bereiten, sondern die Unwahrheit der Fiktionen erhabener Dichtung sinnfällig machen und die Überbewertung des Ästhetischen auch als eine moralisch fragwürdige Haltung entlarven. Hierin vor allem ist die moralistische Funktion des antipoetischen Verfahrens in den behandelten drei Parodien zu sehen.
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V.
"Proper Words in proper Places": Die Kritik an der poetischen Diktion und die Begründung eines prosaischen Dichtungsstils Wenn Swift in Drydens Vorliebe für das triplet einen Mangel an Korrektheit feststellt, so nennt er damit eine Stilnorm, die nicht nur für ihn selbst, sondern für den gesamten Klassizismus verbindlich war. Daß Swift selbst einen ,korrekten' Stil schrieb, war bei den Kritikern des 18. Jahrhunderts unumstritten. Das Urteil Samuel Johnsons ist nicht nur repräsentativ für diese Zeit, es beschreibt Swifts Dichtungsstil auch mit Hilfe von Kategorien, die Swift selbst als unentbehrlich für einen guten Stil betrachtete: The diction is correct, the numbers are smooth, and the rhymes exact. There seldom occurs a hard-laboured expression, or a redundant epithet; all his verses exemplify his own definition of a good style — they consist of 'proper words in proper places'.1 Swifts "true Definition of a Stile" entnahm Dr. Johnson dem "Letter to a Young Gentleman" (1720), 2 in dem die Grundsätze guten Stils ausführlich dargelegt werden. Swift verwahrt sich dort nicht nur gegen die Verwendung von "hard words" und "fine Language",11 er kritisiert auch den Gebrauch von "flat, unnecessary Epithets" 4 und von "old threadbare Phrases". 5 Diese Stilmittel sind für ihn Indiz einer affektierten 1
2 5
Samuel Johnson, "Jonathan Swift", Lives of the English Poets (London: Everyman, 1968), II, p.273. 3 Ebd. Prose Works, IX, p. 65. "Ebd., p. 68. Ebd.; vgl. dazu auch die ironischen Ratschläge in A Letter of Advice to a Young Poet (1721): "The Os magna sonaturum, which, if I remember right, Horace makes one Qualification of a good Poet, may teach you not to Gag your Muse, or stint your Self in Words and Epithets (which cost you nothing) contrary to the practice of some few outof-the-way Writers who use a natural and concise Expression, and effect a Stile like unto a Shrewsbury-Cake, Short and Sweet upon the Palat, they will not afford you a Word more than is necessary to make them intelligible, which is poor and niggardly, as it would be to set down no more Meat than your Company will be sure to eat up. Words are but Lackies to sense, and will dance Attendance, without Wages or Compulsion. Verba non invita sequentur" (Prose Works, IX, p. 338). — Zur Authentizität dieses Textes siehe Prose Works, IX, pp. XXIV-XXVII, sowie C. S. and W. E. Matlack, "A Statistical Approach to Problems of Attribution: Ά Letter of Advice to a Young Poet"', College English, 29 (1968), pp. 627-32.
85
Geisteshaltung; durch sie sieht er die Exaktheit und Verständlichkeit der Gedanken beeinträchtigt. Er bemüht sich daher selbst um eine sachliche, konzise Sprache; für ihn rangieren ,Klarheit' und ,Einfachheit' des Ausdrucks an erster Stelle.6 Dabei hat Swift jedoch keine im engeren Sinne normativen Stilvorstellungen; er geht vielmehr davon aus, daß der angemessene Stil sich zwangsläufig einstellt, wenn die Gedanken klar sind: When a Man's Thoughts are clear, the properest Words will generally offer themselves first; and his own Judgment will direct him in what Order to place them, so as they may be best understood. Where Men err against this Method, it is usually on Purpose, and to shew their Learning, their Oratory, their Politeness, or their Knowledge of the World. 7
Es ist daher konsequent, daß Swift grundsätzlich nicht zwischen Prosasprache und Verssprache unterscheidet, ja daß er gelegentlich - wie etwa in "To Mr. Delany" (1718) — sogar über seine Versdichtungen sagt: [they] might as well have been in Prose; N o Thought, no Fancy, no Sublime, But simple Topicks told in Rime. 8
Swift äußert sich nur beiläufig und sporadisch zur Konzeption seines eigenen Dichtungsstils oder zu seinen eigenen poetologischen Grundsätzen. Andererseits fehlt es gerade in seinen Gedichten nicht an kritischer Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Dichtung, vor allem mit der poetischen Diktion. Gerade dieser Tatbestand aber läßt erkennen, daß Swift nicht nur einen seinen Gegenständen angemessenen Dichtungsstil anstrebt, in dem res et verba harmonieren, sondern daß er seine prosaische Verssprache zugleich auch aus der ablehnenden Reaktion auf die Stilnormen der Zeit heraus entwickelt hat. — Mit dem Blick vor allem auf die Scribbler spöttelt Swift in "On Poetry: A Rapsody" (1733) über 6
7 8
Prose Works, IX, p. 66, p. 68. - Wie Charles Scruggs in seinem Aufsatz "Swift's Views on Language: The Basis of his Attack on Poetic Diction", Texas Studies in Literature and Language, 13 (1972), p.584, richtig ausführt, ist die von Swift propagierte ,einfache' Sprache nicht gleichzusetzen mit der Umgangssprache oder der Sprache des ,einfachen' Volks: "Rather it is the language spoken by the best men — men of wit and learning - in a civilized society." Prose Works, IX, p. 68. Swift folgt hier Horaz, De Arte Poetica, 1. 311: "Verbaque provisam rem non invita sequentur." Poems, I, p.215, 11. 10-12; vgl. auch p.199: "And let me in these Shades compose / Something in Verse as true as Prose." - Angesichts dieser Einstellung kann es nicht verwundern, daß Swifts Kritik sich auch gegen John Denhams Stil und dessen Nachahmer im 18. Jahrhundert richtet; in "Apollo's Edict" (1721) wendet er sich gegen das Stilkonzept, das den sogenannten "Thames Couplets" in Cooper's Hill (Draft IV, 1. 191f.) zugrunde liegt: "... I cannot bear to hear / The Mimickry of deep yet clear" [Poems, I, p.271, 1. 48f.]; vgl. auch Swifts Anspielung auf die "Thames Couplets" in "Strephon and Chloe" (1731) [Poems, II, p.585, 1. 28].
86
The trivial Turns, the borrow'd Wit. The Similes that nothing fit; The Cant which ev'ry Fool repeats, Town-Jests, and Coffee-house Conceits; Descriptions tedious, flat and dry, And introduc'd the Lord knows why. 9 E r m o k i e r t sich über die dilettantischen B e m ü h u n g e n , mit Hilfe quasipoetischer E p i t h e t a metrische L ü c k e n zu schließen, beläßt es jedoch nicht dabei, den M i ß s t a n d der Verlegenheitsepitheta einfach zu nennen, s o n d e r n illustriert die Sinn- u n d Funktionslosigkeit solcher E p i t h e t a in einer Reihe banaler Vergleiche: Or oft when Epithets you link, In gaping Lines to fill a Chink; Like stepping Stones to save a Stride, In Streets where Kennels are too wide: Or like a Heel-piece to support A Cripple with one Foot too short: Or like a Bridge that joins a Marish T o Moorlands of a diff'rent Parish. So have I seen ill-coupled Hounds, Drag diff'rent Ways in miry Grounds. So Geographers in
Afric-Maps
With Savage-Pictures fill their Gaps; And o'er unhabitable Downs Place Elephants for want of Towns. 1 0 Diese R e i h u n g v o n Vergleichen wirkt u m so lächerlicher, als der G r u n d g e d a n k e so klar u n d sachlich ist, d a ß er weder der E r g ä n z u n g durch ein erläuterndes, n o c h durch ein schmückendes oder erhebendes Simile bedarf. Swifts eigentliche Absicht ist daher w o h l v o r allem die Kritik a n 9
10
Poems, II, p. 645,11.151-56. - Mit seiner Ablehnung des modischen poetischen Jargon steht Swift nicht allein: so verwirft auch etwa sein Freund John Arbuthnot, der wie er dem Scriblerus Club angehörte, "[the] persuasive Eloquence! the quaint Metaphor, the poinant Irony, the proper Epithet, and the lively Sintilie" [John Arbuthnot, The History of John Bull (1712), ed. Alan W. Bower and Robert A. Erickson (Oxford, 1976), p. 95], doch bleibt dessen Kritik punktuell und formelhaft im Vergleich zu Swifts anhaltender, nachdrücklicher Polemik. Ebd., p.645f., 11. 167-80. - Vgl. den ähnlichen Standpunkt Samuel Butlers; dieser schreibt über "A Small Poet": "As for Epithets, he always avoids those, that are near akin to the Sense. Such matches are unlawful, and not fit to be made by a Christian Poet; and therefore all his Care is to chuse out such, as will serve, like a wooden Leg, to piece out a maim'd Verse, that wants a Foot or two; and if they will but rhime now and then into the Bargain, or run upon a Letter, it is a Work of Supererrogation" [Butler, Characters (ca. 1667-1669), ed. Charles W. Daves (Cleveland and London, 1970), p.85].
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der Mode der poetischen Vergleiche, an dem verbreiteten ,Spiel mit dem Namen What is it like?', wie es ironisch in dem seit seiner Veröffentlichung immer wieder Swift zugeschriebenen Letter of Advice to a Young Poet (1721) erläutert wird: [It is] of great use in common Practice, to quicken slow Capacities, and improve the quickest: But the chief End of it is, to supply the Fancy with variety of Similes
for all Subjects. It will teach you to bring things to a
likeness, which have not the least imaginable Conformity in Nature, which is properly Creation, and the very business of a Poet, as his Name implies; and let me tell you, a good Poet can no more be without a stock of Similes by him, than a Shoe-Maker
without his Lasts. He shou'd have them siz'd and rang'd,
and hung up in order in his Shop, ready for all Customers, and shap'd to the Feet of all sorts of Verse. 11
Welche Arten unpassender und abgenutzter Bildformeln Swift wohl in erster Linie meint, läßt sich an dem vermutlich etwa zur gleichen Zeit entstandenen Gedicht "Apollo's Edict" demonstrieren; wenngleich Swifts Autorschaft auch bei diesem Text nicht ganz zweifelsfrei gesichert ist,12 fügt sich die in ihm enthaltene Dichtungskritik doch nahtlos in Swifts poetologisches Konzept ein, - was ich als ein maßgebliches Indiz dafür werte, daß es sich wirklich um ein Werk Swifts handelt. - In lockerer Abfolge werden Versatzstücke aus dem Arsenal poetischer Klischees aufgereiht, und zwar aus dem Bereich der Mythologie und der antiken Fabeln, kosmischer und geographischer Phänomene, schließlich auch der Bibel: N o Simile shall be begun, With rising or with setting Sun: And let the secret Head
o/'Nile
Be ever banish'd from your Isle. When wretched Lovers live on Air, I beg you'll the Camelion
spare.
And when you'd make an Heroe grander, Forget he's like a
Salamander.
N o Son of mine shall dare to say, Aurora
usher'd
in the
Or ever name the milky 11
12
Day, Way.
Prose Works, IX, p. 336. - Zum Problem der Autorschaft des Letter siehe ebd., pp. XXIV—XXVII. Siehe dazu Harold Williams' Ausführungen in Poems ( 2 1958), I, p.335f., sowie O. W. Ferguson, "The Authorship of 'Apollo's Edict'", PMLA, 70 (1955), 433-40. - Ich schließe mich hier vorbehaltlos Williams' Auffassung an, daß Swift der Autor von "Apollo's Edict" ist und nicht die literarisch unbedeutende Mary Barber (1690P-1757), die Ferguson für die Verfasserin des Texts hält. 88
You all agree, I make no doubt, Elijah's Mantle's worn out. The Bird of Jove shall toil no more, To teach the humble Wren to soar. 13 S w i f t verurteilte das W i e d e r h o l e n stereotyper Bilder nicht allein als A u s d r u c k m a n g e l n d e n dichterischen Talents. Er lehnte die k o n v e n t i o nellen Bildklischees auch ab als "Vehicle[s] of Delusion",14
die zu den
b e v o r z u g t e n M i t t e l n des erhabenen Stils gehörten 1 5 u n d die geeignet w a r e n , die W a h r h e i t der S i n n e s w a h r n e h m u n g und des Verstandes zu verschleiern u n d die e m o t i o n a l e n u n d irrationalen Kräfte der Imaginat i o n zu stimulieren. V o n daher versteht es sich, d a ß Swift vor allem die d e n antiken M y t h e n u n d Fabeln entliehenen Bildmotive verwarf; d e n n sie enthalten Fiktionen, die mit der Wirklichkeit nichts g e m e i n haben. Beispielhaft für S w i f t s Einstellung ist seine Replik auf Patrick D e l a n y s "Epistle t o Lord Carteret" (173Ο); 1 6 S w i f t verspottet darin D e l a n y s gestelzte m y t h o l o g i s c h e Bilder als "Whimsical, Poetick Placefs]", 1 7 d e n Freund D e l a n y selbst als einen n e u e n D o n Q u i x o t e : 13
14 15
16 17
Poems, I, p.270, 11. 12—26. Das Bild der auf- bzw. untergehenden Sonne diente dazu, den Aufschwung und den Verfall von Wohlstand und Macht zu illustrieren (vgl. Shakesp., Timon of Athens, 1,2,141). - Der Vergleich mit der Nilquelle, nach der man in der Antike lange vergeblich suchte, wurde verwendet, um das Bemühen um die Verwirklichung von etwas besonders Schwierigem zu verdeutlichen (vgl. das lat. Sprichwort: "Facilius sit Nili caput invenire."). Die Vorstellung vom Salamander, der im Feuer zu leben vermag, ohne zu verbrennen, wurde von Swift ironisch verwendet in "The Description of a Salamander", Poems, I, p.82ff. - Die Milchstraße wurde aufgefaßt als der Weg, "[on which] the Gods fare to the halls and royal dwelling of the mighty Thunderer" (Ovid, Met., I, 156ff.); Milton hatte das Bild in PL, VII, 575-81 adaptiert. — Die Anspielung auf Adler (Bird of Jove) und Zaunkönig bezieht sich vermutlich auf Drydens All for Love (II, 1), wo Antony lamentiert: "Fool that I was, upon my eagle's wings / 1 bore this wren [= Octavius], till I was tired with soaring, / And now he mounts above me." A Tale of a Tub, p. 172. Siehe dazu etwa Thomas Parnell, "Essay on the Different Styles of Poetry" (1713), 1. 325ff.: By these the beauteous Similes reside, In look more open, in design ally'd, Who, fond of likeness, from another's face Bring every feature's corresponding grace, With near approaches in expression flow, And take the turn their pattern loves to show; As in a glass the shadows meet the fair, And dress and practise with resembling air. Thus Truth by pleasure doth her aim pursue, Looks bright, and fixes on the doubled view, [zit. in Minor Poets of the Eighteenth Century, ed. Hugh I'Anson Fausset (London, 1930), p. 193] Poems, II, p.471ff. "An Epistle upon an Epistle" (1730), Poems, II, p. 477,1. 82. 89
These Stories were, of old, design'd As Fables: But you have refin'd The Poets Mythologick Dreams, To real Muses, Gods, and Streams. Who wou'd not swear, when you contrive thus, That you're Don Quixote Redivivus?xt
Swift selbst mied in seinen Gedichten Bilder und Vergleiche; wenn er sich dennoch gelegentlich bildhaft ausdrückte, dann wählte er zumeist Bildthemen, die dem Bereich der alltäglichen Erfahrung entlehnt sind, nicht jedoch in der Absicht, den Darstellungsgegenstand zu explizieren, zu schmücken oder zu sublimieren, sondern um das Stilmittel des Simile parodistisch lächerlich zu machen. Beispielhaft für Swifts Verwendung des Simile in dieser Funktion sind daher die Verse in "On Poetry: A Rapsody", in denen er einem ausgehungerten Scribbler erläutert, welches Mißverhältnis zwischen der Mühsal des Schreibens und dem Lohn für diese Mühe besteht: Poor starv'ling Bard, how small thy Gains! H o w unproportion'd to thy Pains! And here a Simile comes Pat in: Tho' Chickens take a Month to fatten, The Guests in less than half an Hour Will more than half a Score devour. So, after toiling twenty Days, To earn a Stock of Pence and Praise, Thy Labours, grown the Critick's Prey, Are swallow'd o'er a Dish of Tea; Gone, to be never heard of more, Gone, where the Chickens went before. 19
Es liegt nahe, in diesem Zusammenhang Swifts Stilkonzeption mit derjenigen zu vergleichen, die Thomas Sprat 1667 in seiner History of 18
19
Ebd., p. 478,11. 83-88. - Auch Addison äußert sich zum Thema der "Fables out of the Pagan Theology": "When we would write a manly Panegyrick, that should carry in it all the Colours of Truth, nothing can be more ridiculous than to have recourse to our Jupiter's and Juno's" [The Spectator, No. 523, vol. IV, p.362]; dennoch ist Addison kompromißbereit: wenn er auch grundsätzlich die Mythologisierung der Kunst verwirft, so akzeptiert er doch Mythologisches, "[if] it be done in Metaphor, Simile, or any very short Allusion ... with great Caution and Circumspection" [ebd., p.364], Eine solche konziliante Position war jedoch für Swift nicht zu akzeptieren, weil inkonsequent. — Zur Bedeutung mythologischer Themen und Motive in der Dichtung des 18.Jahrhunderts siehe auch J.Sutherland, A Preface to Eighteenth-Century Poetry (London, 1948), pp. 1 4 1 ^ 4 . Poems, II, p. 642,11. 59-70.
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the Royal Society als Ausdruck seiner empirischen und rationalen Weltsicht formuliert hatte.20 Sprat hatte gefordert, "to reject all the amplifications, digressions, and swellings of style: to return back to the primitive purity, and shortness"; er setzte sich ein für "a close, naked, natural way of speaking; positive expressions; clear senses; a native easiness";21 und er wandte sich entschieden gegen die extravaganten poetischen Bilder und Vergleiche aus dem Bereich der Fabeln und Mythen der Antike; denn They have already serv'd the Poets long enough; and it is now high time to dismiss them; expecially seeing they have this peculiar imperfection, were only Fictions
at first: whereas Truth
that they
is never so well express'd or
amplify'd, as by those Ornaments which are Tru and Real in themselves. 22
Unter der Voraussetzung, daß ein poetisches Bild ,wahr' und ,wirklich' im Sinne der empirischen Wissenschaft ist, betrachtet es Sprat durchaus als ein legitimes poetisches Mittel; es hat dann eine vorwiegend ornamentale und illustrierende Funktion und dient dazu, zu erheben, zu überraschen und Vergnügen zu bereiten.23 Sprat bleibt damit im Grundsatz der vorherrschenden Poetologie seiner Zeit verhaftet, er meldet lediglich Bedenken gegenüber abgestandenen, ,unwahren' Bildthemen an und befürwortet andererseits jene, die die Betrachtung der Natur und der Geschichte zu liefern in der Lage ist. Ob Swift mit Sprats Sprach- und Stiltheorie vertraut war, ist aus seinen Werken und Briefen nicht mit Sicherheit abzulesen. Wichtiger erscheint hier die Frage nach der Verwandtschaft bzw. dem Unterschied der Konzeptionen. - Wenngleich Swift in seiner Auffassung der Prosasprache wohl weitgehend mit Sprat übereinstimmte und wenngleich er wie Sprat die den antiken Mythen und Fabeln entlehnten Bildmotive als unwahr und verbraucht ablehnte, so konnte er doch nicht eine Dichtung, wie Sprat sie verstand, gutheißen, die "greatness", "magnificence", "beauty" 24 darstellt und darauf abzielt, den Leser zu erheben.25 In dem Bemühen um eine wahrhaftige und realistische Weltsicht und die ihr angemessenen sprachlichen Ausdrucksformen liegt es begründet, daß sich Swift immer wieder — vor allem in seinen späteren Gedichten — gegen das Sublime bzw. gegen den sublimen Stil wandte. - Longinus, dessen Abhandlung über das Erhabene [Peri Hupsous] durch Boileaus 20
21
22
Ob Swift selbst mit Sprats Sprach- und Stiltheorie vertraut war, ist aus seinen Werken und Briefen nicht abzulesen. Thomas Sprat, History of the Royal Society (1667), repr. (St. Louis and London, 1966), p. 113. 23 Ebd., pp. 414-17. 24 Ebd. 25 Ebd. Ebd., p. 414.
91
Übersetzung aus dem Jahre 1 6 7 4 große Publizität erlangt hatte, legt dar, "that the Height and Excellency of Writing consists in the Sublime";26 er definiert das Sublime einerseits als stilistisches Phänomen, andererseits erklärt er es als Wirkung sprachlicher Äußerung: es resultiert aus der Kraft des Dichters, mit Hilfe großer Gedanken, hoher Gefühle und einer vornehmen, rhetorisch disziplinierten Diktion die Emotionen leidenschaftlich zu bewegen und ekstatische Begeisterung zu erzeugen: The Sublime does not persuade, but create Transport; ... As to the Persuasive, it has for the most part no more Power over us than we please, but the Sublime comes upon the Hearer with an irresistible Strength and Force, and elevates him above himself.27 Longinus' Konzeption des Sublimen impliziert die Vorstellung von der Größe der Natur; wie auch Samuel Holt Monk darlegt, ist daher ein zentraler Aspekt der Abhandlung the discussion of sublimity in external nature, and the deduction, from man's ability to enjoy and to be moved by natural grandeur, of an innate greatness in human nature that instinctively responds to greatness in the external world.28 Solchen Auffassungen konnte Swift nur mit großem Befremden oder mit Hohn begegnen; bezeichnenderweise belehrt er daher in " O n Poetry: A Rapsody" einen literarischen Dunce, der sein Glück nach mißglückten dichterischen Versuchen nun als Kritiker versucht, mit deutlicher Ironie: A forward Critick often dupes us With sham Quotations Peri Hupsous: And if we have not read Longinus, Will magisterially out-shine us. Then, lest with Greek he over-run ye, Procure the Book for Love or Money, Translated from Boileau's Translation, And quote Quotation on Quotation.29 Swift hielt die Vorstellung von der Größe der Natur bzw. der menschlichen Natur eigenen Größe für eine Fiktion; insofern als in sublimer 26
27 28
29
Übersetzung (1709) von Leonard Welsted, der zu den entschiedenen Kritikern von Swifts Dichtung gehörte (s. o., S. 16); zit. in: Leonard Welsted, Epistles, odes, &c written on several subjects. With a translation of Longinus' treatise on the sublime (London, 1724), p. 142. Ebd., p. 143. Samuel Holt Monk, The Sublime. A Study of Critical Theories in XVIII-Century England, repr. (Ann Arbor, 1960), p. 17. Poems, II, p.648f., 11. 2 5 5 - 6 2 .
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Dichtung diese Fiktion propagiert wird, mußte er das Sublime ablehnen; zudem mußte es ihm als verwerflich erscheinen, daß man durch rhetorische Mittel das analytische Vermögen des Lesers auszuschalten und einen emotionalen, unreflektierten Respons auf den jeweiligen sublimen Gegenstand herbeizuführen suchte. In seiner Rolle als Cadenus hielt Swift daher Vanessa zu sprachlicher Nüchternheit an, er lehrte sie, die sublimen Ideen zu verachten und sich vor ekstatischen "Raptures, Flights, Fancies" 3 0 zu bewahren, weil durch sie die hervorragenden Fähigkeiten des Menschen, "Knowledge, Judgment, W i t " , 3 1 zur Bedeutungslosigkeit degradiert, ja sogar völlig ausgeschaltet werden. In seiner satirischen "Epistle to a Lady" (1733) lehnt Swift das Ansinnen einer Dame ab, ihr Lob "in Strain sublime" 3 2 zu singen. Wenn er in diesem Zusammenhang betont, " I the lofty style decline", 3 3 so ist diese Äußerung nicht als ein angelegentliches Apercu zu verstehen, sondern als die endgültige und grundsätzliche Fixierung eines Prinzips, dem Swift seit langem und mit großer Beständigkeit gefolgt war. Dies wird um so deutlicher an dem Bild, mit dem Swift seine Versepistel beschließt und mit dem er der Dame seine Ablehnung des sublimen Stils erläutert. Swift zeichnet das Bild einer Feuerwerksrakete, die bei den Zuschauern die Illusion erweckt, in die Weite des Himmels vorzustoßen, in Wirklichkeit jedoch in nur geringer Höhe zerbirst, so daß die herabfallenden Funken das Haar der Zuschauer versengen: Thus, Shou'd I attempt to climb, Treat you in a Stile sublime, Such a Rocket is my Muse, Shou'd I lofty Numbers chuse, E'er I reach'd Parnassus Top I shou'd burst, and bursting drop. All my Fire would fall in Scraps, Give your Head some gentle Raps; Only make it smart a while: Then cou'd I forbear to smile, When I found the tingling Pain, Entring warm your frigid Brain Make you able upon Sight, To decide of Wrong and Right? Talk with Sense, whate'er you please on, Learn to relish Truth and Reason.34 30 33
Ebd., p . 7 1 1 , 1. 794. Ebd., p . 6 3 7 , 1. 2 1 8 .
31 34
3 2 Ebd., p . 6 3 1 , 1. 57. Ebd., p. 693, 1. 2 0 5 . Ebd., p. 638, 11. 2 5 7 - 7 2 .
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Swift verwirft hier nicht nur den sublimen Stil als ein Mittel der Illusionsbildung, als ein Instrument, den Verstand als Bedingung der Erkenntnis von Wahrheit auszuschalten; er charakterisiert auch in nuce seine eigene dichterische Mentalität und seine eigentliche dichterische Intention. Selbst wenn er sich bemühte, in einer Anwandlung poetischer Begeisterung sich zu erhabener Dichtung aufzuschwingen, so würde dieser Versuch doch zwangsläufig eine desillusionierende Wirkung zeitigen; er würde seinem Wesen gemäß zu einer Wendung zur Satire und zum Gelächter führen, zu dem Bemühen, den Verstand seiner Leser und Zuhörer durch den Schmerz, den sein Spott verursacht, zu reaktivieren und seiner ursprünglichen Bestimmung wieder zuzuführen, der Erkenntnis von Wahrheit.35 Insofern als Swift gleichermaßen in seiner Prosa und in seiner Dichtung eine „unbeschönigte" Darstellung des Wirklichen und des Wahren anstrebt, kann für ihn Popes Auffassung vom Wesen der Poesie — "True Wit is Nature to Advantage drest"36 - keine Gültigkeit haben. Selbst für den Fall, daß der Dichter einmal bestimmte Seiten der menschlichen Natur in vorteilhaftem Licht erscheinen lassen möchte, sind jene Mittel der poetischen Imagination verfehlt, die der ästhetischen Formung und emotionalen Intensivierung der Aussage dienen. Es ist daher nur konsequent, daß Swift in seinem Gedicht zu "Stella's Birthday" (1725) feststellt, — möglicherweise mit direktem Bezug auf die Maxime des jungen Pope:
35
36 37
Angesichts einer so klaren kritischen Position mag es auf den ersten Blick verwundern, daß Swift in Gulliver's Travels die Poesie der Houyhnhnms als nahezu ideale Form der Dichtung rühmt: "In Poetry they must be allowed to excel all other Mortals; wherin the Justness of their Similes, and the Minuteness, as well as Exactness of their Descriptions, are indeed inimitable. Their Verses abound very much in both of these; and usually contain either some exalted Notions of Friendship and Benevolence, or the Praises of those who were Victors in Races, and other bodily Exercises" (GT, ed. Davis, p.273f.). — Die Ergebnisse unserer Untersuchung freilich lassen eindeutig den Schluß zu, daß Swift hier ironisch Kritik übt an den modischen Stilkategorien, insbesondere der poetischen Diktion, sowie dem „aufgeklärten" Optimismus und Idealismus seiner Zeitgenossen, wie er sich etwa in der panegyrischen Dichtung niederschlug. Die Textstelle wird somit auch zum Indiz dafür, daß Swift die Gesellschaft der Houyhnhnms in einem elementar gestörten, von den Illusionen des Rationalismus geprägten Verhältnis zur Wirklichkeit erscheinen läßt und ihr gegenüber starke Vorbehalte hat. Gulliver fungiert daher durchaus als Sprachrohr Swifts, wenn er über den Master-Houyhnhnm - der mit repräsentativen Zügen ausgestattet ist - feststellt: "I could not forbear shaking my Head and smiling a little at his Ignorance" (p. 247). Pope, Essay on Criticism, 1. 2 9 7 . Poems, II, p . 7 5 7 , 1 . 31f.
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Diese Aussage fügt sich folgerichtig an die Beteuerung "I'll be still your Friend in Prose", 38 wobei das nachdrückliche Bekenntnis zu einem prosaischen Stil' die Ablehnung der poetischen Diktion impliziert, die Swift spöttisch an anderer Stelle als "poetick Cant" apostrophiert;39 denn diese Sprachform hob den Leser in eine poetische Region, in der die Konturen der alltäglichen Erfahrungswirklichkeit verschwimmen und die Chimären der Imagination den Sinn vernebeln.40 Aus demselben Grund lehnte er es ab, die musikalische Schönheit von Worten als Effekt zu nutzen, und er verwarf auch die musikalischrhythmischen, Wohlklang erzeugenden Stilmittel wegen ihrer emotionalen Qualitäten. Wie er bereits 1710 in seinem fragmentarischen Discourse Concerning the Mechanical Operation of the Spirit darlegte, glaubte er, daß dort, wo die „musikalische" - in einem umfassenderen Sinne die ästhetische — Formung überhand nimmt, das literarische Produkt demjenigen eines Komponisten zu vergleichen ist, "who in setting a Song, changes the Words and Order so often, that he is forced to make it Nonsense, before he can make it Musick". 41 Daß die verschiedenen Aspekte der "Art of Canting" Swift als grundsätzliches poetologisches Problem über Jahrzehnte hin beschäftigten, ist auch ersichtlich in seinen "Directions for a Birth-day Song" (1729), in denen er den ironischen Rat erteilt, The Sense can ne'er be too jejune, But smooth your words to fit the tune. 42
Eine erheiternde Illustration der Auffassung, daß der ,Sinn' verlorengeht, wenn die musikalisch-ästhetische Gestaltung Vorrang hat, ist Swifts Kantatenparodie, "A Cantata", die von John Echlin vertont wurde. Bereits der Titel spielt durch den in ihm enthaltenen pun darauf an, daß hier eine Form des "poetick Cant" verhöhnt wird; das Prinzip der Parodie erscheint gleichsam als ironisches Motto in den ersten beiden Versen des Textes: 38 39 40
41
42
Ebd., 1 . 3 0 . "Apollo's Edict", ebd., I, p . 2 7 0 , 1. 28. Zur poetic diction siehe insbesondere Göller, der - ohne auf Swift Bezug zu nehmen darlegt, daß diese Sprache den Leser „in poetische Stimmung schmeichelte", daß sie zu einer „poetischen Überwindung des Alltags" und zur „Befreiung vom allzu Gegenständlichen" der Erfahrungswelt führte („Die 'Poetic Diction' des 18. Jahrhunderts in England", Deutsche Vierteljahrsschrift, 38 (1964), p.26f.). A Tale of a Tub, etc., ed. by A. C. Guthkelch and D. Nichol Smith, p. 278. - Siehe dort auch den Hinweis, daß derselbe Gedanke im Spectator (No. 18) vom 21. März 1711 aufgegriffen wird, wo es heißt: "Nothing is capable of being well set to Musick, that is not Nonsense." Poems, II, p. 4 6 7 , 1 . 21 If.
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In Harmony wou'd you Excel, Suit your Words to your Musick well. 43
Mag auch Echlin vor allem darauf aus gewesen sein, das Bemühen von Komponisten ad absurdum zu führen, durch Tonmalerei Bewegungen und Geräusche nachzuahmen, so ist seine Vertonung doch auch ein eindrucksvolles Beispiel dafür, in welchem Maße durch die suggestive Wirkung musikalischen Wohlklangs der ,Unsinn', die geistlose Phrasenhaftigkeit und Trivialität des Texts abgedeckt wird: N o Muse harmonious Entertains, Rough Roystring Rustick Roaring Strains, Nor shall you twine the Crackling Bays By Sneaking Sniv'ling Roundelays. N o w slowly move your Fiddlestick Now, tan-tan-tan-tan-tan-tan-ti-vi quick, N o w trembling Shiv'ring Quiv'ring Quaking Set hoping hearts of Lovers akeing, Fly, Fly above the Sky Rambling, Gambling, Rambling, Gambling, Trolloping, Lolloping, Galloping Trolloping, Lolloping, Galloping, N o w Creep, . . . Sweep, Sweep, Sweep the Deep, See, See, . . . Celia, Celia dies, . . . While true Lovers Eyes Weeping Sleep, Sleeping Weep, Weeping Sleep. Bo peep, bo peep, bo peep, bo peep, bo peep.
Angesichts der dargelegten Prinzipien kann es nicht verwundern, daß Swift keinen Unterschied macht zwischen Prosasprache und Verssprache. Wenn er sich bemüht, ohne ,affektiertes Raffinement'44 zu schreiben, wenn er in seinen Gedichten wiederholt hervorhebt, daß er seine Themen ebensogut in Prosa behandelt haben könnte, dann unterstreicht er damit den Wahrheitsanspruch und die moralische Zielsetzung seiner Dichtung. Dies wird nirgendwo deutlicher als in seiner Imitation von "Horace, Lib. 2. Sat. 6." (1714), wo es heißt: Preserve, Almighty Providence! Just what you gave me, Competence: And let me in these Shades compose, Something in Verse as true as Prose. 45 43 44
45
Ebd., Ill, p. 956. Swift, "A Proposal for Correcting, Improving and Ascertaining the English Tongue", Prose Works, IV, p. 12: "affected Refinements". Poems, I, p. 199.
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Die Verbindung von sprachlicher und moralischer Problematik deutet sich auch an in einem Brief an Richard Steele, in dem Swift aphoristisch feststellt, "[that] there are solecisms in morals as well as in language". 46 Diese Stelle hat Charles Scruggs einfühlend und meines Erachtens durchaus im Sinne Swifts gedeutet; er schreibt: Swift associated an incorrect use of words with a breach of moral conduct. He might have added, that a solecism in language leads to a solecism in art and the morality of art.47 Aus diesen Prinzipien resultieren zwangsläufig konkrete Auffassungen vom ,angemessenen Wort am angemessenen Platz', die gleichermaßen für Versdichtung und Prosar gelten. - James L. Tyne hat kürzlich die verstreuten diesbezüglichen Bemerkungen gesammelt und kommentiert. 48 Demnach trachtete Swift nach einer Sprachform, die den Regeln der "common grammar" und des "common sense" folgt; der Dichterebenso wie der Kanzelredner und der Prosaautor - darf nur solche Wörter verwenden, die im alltäglichen, allgemeinen Sprachgebrauch vorkommen. Wie Tyne weiter ausführt, leitet Swift seine Sprachnorm vor allem von der Sprechweise des gebildeten gentleman ab: Since the civilized speech and the rational discourse of the educated gentleman is his model, the poet must content himself with the same vocabulary, the same rules of grammar, and the same principles of syntax by which that _ class of men abide.49 Swift verbannt gleichermaßen ,pomphaft affektierte' und,abgeschmackt vulgäre' Wörter aus dem Bereich guten Stils; indem er die Wörter vor allem als Bedeutungsträger versteht, hegt er Vorbehalte gegenüber jenen Wörtern, "that possess an existent aura of lyrical association". 50 Wenngleich Swift an keiner Stelle seines Werks den Begriff familiar style als Stilkategorie benutzt, so äußert er doch bereits 1693 in seiner Karikatur eines ,vollendeten Galans' unüberhörbar seinen Spott über das Bemühen der vermeintlichen Leute von Welt, mit "familiar ease" zu sprechen, 51 und es versteht sich, daß er diesen eleganten verfeinerten Sprachstil nicht nur in der Konversation verurteilen mußte, sondern auch in der Dichtung. Denn dieser Stil, der den Eindruck natürlichen, ungezwungenen, spontanen Sprechens vermitteln wollte, war in Wirklichkeit eine „raffiniert" gestaltete Kunstsprache, wie Gerd Stratmann 46 47
48
49
Letter to Richard Steele, 23 May 1713, Correspondence, I, p. 356. Charles Scruggs, "Swift's Views on Language: The Basis of his Attack on Poetic Diction", Texas Studies in Literature and Language, 13 (1972), p.582. James L. Tyne, "'Only a Man of Rhimes': Swift's Bridled Pegasus", Papers on Language and Literature, 14 (1978), p. 189ff. 50 51 Ebd., p. 192. Ebd., p. 198. "To Mr. Congreve", Poems, I, p.47, 1. 141.
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eindrucksvoll am Beispiel von Matthew Priors Gedicht "To Phillis" demonstriert. 52 Die wohl bedeutsamste Definition und Rechtfertigung dieses Stiltyps im 18. Jahrhundert stammt von William Cowper: Every man conversant with verse-writing knows ... that the familiar style is of all styles the most difficult style to succeed in. To make verse speak the language of prose, without being prosaic, to marshall the words of it in such an order as they may naturally fall from the lips of an extemporary speaker, yet without meanness, harmoniously, elegantly, and without seeming to displace a syllable for the sake of the rhyme, is one of the most arduous tasks a poet can undertake.53
Diese Sprache, die sich am gehobenen Konversationsstil orientiert, ist betont unprosaisch; die subtile, unauffällige Verwendung der künstlerischen Mittel erfordert einen äußerst sprachbewußten, intellektuell gebildeten Sprecher; in dem Bemühen um ,Harmonie' und ,Eleganz' werden primär ästhetische Gestaltungsprinzipien erkennbar, denen gegenüber die Problematik des behandelten Gegenstandes bzw. die Frage nach der Angemessenheit des Stils zurücktritt. Daß Swift einer solchen Stilform skeptisch gegenüberstand, ist unzweifelhaft, und zwar nicht nur, weil sie seinem Bemühen um eine realistische Sicht der Wirklichkeit zuwiderlief, sondern weil sie die poetischen Kunstmittel besonders unauffällig einsetzte und so in besonderem Maße suggestiv wirkte. Trotz der dargestellten Sprach- und Stilprinzipien Swifts ist dessen Dichtungsstil nicht von gleichmäßiger, prosaisch-sachlicher Beschaffenheit. Nicht nur finden sich immer wieder Elemente hohen poetischen Stils,54 sondern auch solche einer vulgären, ja ordinären Ausdrucksweise.55 Dies läßt sich freilich nicht als Ausdruck von Disziplinlosigkeit oder Stilunsicherheit bewerten, sondern ist durchgehend Manifestation einer satirischen oder parodistischen Absicht. Besonders charakteristisch ist es in diesem Zusammenhang, daß Swift innerhalb seiner Gedichte gelegentlich abrupt die Stilebenen wechselt, daß er low und lofty mischt, vor allem mit der Absicht, den poetischen Stil durch den Kontrast zu entwerten und die Inhalte erhabener Dichtung lächerlich zu machen, - wie bereits in der Interpretation des "City Shower" verdeutlicht wurde und wie es sich besonders eindrucksvoll auch an den skatologischen Parodien wie etwa "Strephon & Chloe" demonstrieren läßt. 52
53 54
55
Gerd Stratmann, "Matthew Prior, 'To Phyllis'", Die englische Lyrik, hrsg. v. Karl Heinz Gölter (Düsseldorf, 1968), I, S. 211-220. Zit. in Oswald Doughty, "The Poet of 'Familiar Style'", English Studies, 7 (1925), p.5. Vgl. dazu etwa "A Love Song..." (s. u., S. 186) oder "On Cutting down the Old Thorn...". Vgl. dazu etwa "Clad all in Brown", "The Legion Club".
98
VI.
"Those heavy, illiterate Scriblers": Die Polemik gegen die Respublica Grubstreetaria
1. Die Karikaturen der Scribbler Swifts Kritik am literarischen Betrieb seiner Zeit, an den schriftstellerischen Praktiken und ästhetischen Prinzipien ebenso wie an der Selbstdarstellung der zeitgenössischen Literaten manifestiert sich nicht zuletzt in verschiedenen Karikaturen der Scribbler, die dem Ton nach von mildem Spott bis zum bitteren Zynismus reichen. Mit seiner Ablehnung der Scribbler steht Swift nicht allein da. Verschiedene Satiriker und Kritiker der Zeit sahen eine ihrer Aufgaben darin, die Scharen talentloser und vulgärer Schreiberlinge anzuprangern, die ungestüm in die exklusive Respublica Literaria drängten und den hohen poetischen Standard des Neoklassizismus zu verwässern drohten;1 der andere Grund für den erbitterten Kampf gegen sie war ihre fragwürdige, ja verachtenswerte moralische Gesinnung: denn als mittellose literarische Tagelöhner, abhängig vom Wohlwollen politischer Arbeitgeber und adeliger Mäzene, waren sie häufig opportunistisch und gewissenlos genug, um in religiösen und politischen Pamphleten, in panegyrischen oder satirischen Gelegenheitsdichtungen, in Widmungen und Vorwörtern diejenige Haltung zu vertreten, die ihnen den höchsten Profit einzubringen versprach.2 Eine besondere Spielart der zeitgenössischen Schreiberlinge sind die heroic scribblers,3 die in ihren poetischen Werken und in ihren kriti-
1 2
3
Siehe dazu auch P. K. Elkin, The Augustan Defence of Satire (Oxford, 1973), p.77f. Im folgenden Kapitel über den Grubstreet-Writer geht es nicht darum, die Haltungen und die literarischen Praktiken der einzelnen historischen Scribbler darzustellen; auch werden nicht ihre literarischen Produkte untersucht; mit diesen Aspekten hat sich vor allem Pat Rogers in seinem Buch Grubstreet. Studies in a Subculture (London, 1972) ausführlich befaßt. Hier soll vor allem Swifts character des Scribbler im Hinblick auf seine Funktion in Swifts Dichtungskritik analysiert werden. Zum Phänomen des heroic scribbler siehe insbesondere Adina Forsgren, John Gay. Poet of a Lower Order (Stockholm, 1964), p.26ff. 99
sehen Schriften hochtrabend ihre Aspirationen kundgaben und im Bewußtsein ihres Könnens und ihres Genies verächtlich auf das Pack mietbarer Trifler herabblickten. Zu dieser Gruppe gehören Charles Gildon, Leonard Welsted und Ambrose Philips, nicht zuletzt auch Sir Richard Blackmore, der öfter als die meisten seiner dichterischen Genossen zur Zielscheibe des Spotts wurde.4 In seinem "Advice to Poets" (1706) stellte er sich selbst als inspirierten Genius von erhabenem Ernst dar, in betontem Gegensatz zu den "mercenary Wits, who Rime for Bread" bzw. den "vain Pretenders to the Song sublime".5 Überwältigt vom furor poeticus, schreibt er: 'Tis done. I've compass'd my ambitious Aim, The Hero's Fire restores the Poet's Flame. The Inspiration comes, my Bosom glows, I strive with strong Enthusiastic Throws. Oh! I am all in Rapture, all on Fire, Give me, to ease the Muse's Pangs, the Lyre. 6
Im Bewußtsein der eigenen Genialität und visionären Kraft kann dieser Poet den zeitgenössischen "Mob of Wits" nur verhöhnen und als ,Ungeziefer' verdammen: Fierce Insect-Wits draw out their noisy Swarms, And threaten Ruin more than Foreign Arms. O'er all the Land the hungry Locusts spread, Gnaw every plant, taint every flowry Bed, And crop each budding Virtue's tender Head. 7
An dieser Beschimpfung zeigt sich ein weiteres charakteristisches Phänomen, die Tatsache nämlich, daß sich die Scribbler heftig untereinander befehdeten und sich gegenseitig den Rang abzulaufen suchten. Addison schreibt dazu im Spectator: A Man seldom sets up for a Poet, without attacking the Reputation of all his Brothers in the Art. The Ignorance of the Moderns, the Scriblers of the Age, the Decay of Poetry are the Topicks of Detraction, with which he makes his Entrance into the World. 8
4
5 6 7
8
Siehe dazu Loyd Douglas, "A Severe Animadversion on Bossu", PMLA, 62 (1947), p. 694(. - In "On Poetry" wird Blackmore von Swift als ein hervorragender Vertreter des "low Sublime" (p.652, 1. 370) verspottet. Sir Richard Blackmore, "Advice to Poets" (1706), zit. in Loyd Douglas, p . 6 9 5 . Ebd. Sir Richard Blackmore, "A Satyr against Wit", Critical Essays of the Seventeenth Century, ed. J. Ε. Spingarn (Oxford, 1909), III, p. 325. Spectator, No. 253 (20 Dec. 1711), II, p. 4 8 2 .
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In ihren satirischen Angriffen auf die Scribbler folgen die Dichter und Kritiker des augusteischen Zeitalters - wie auch Elkin feststellt9 zweifellos einer von der Antike überkommenen Tradition, derzufolge der Moralist sich im Bewußtsein seiner hohen Aufgabe von unterlegenen, nichtswürdigen Gegnern distanziert. Ihre Angriffe sind jedoch gleichzeitig Dokumente der Auseinandersetzung mit der konkreten gesellschaftlichen Gruppe der "dunces" und "hacks", die Swift in ironischer Analogie zur gelehrten Respublica Literaria als Respublica Grubstreetaria bezeichnete.10 Der Name Grub Street meinte im beginnenden 18. Jahrhundert eine vom Verfall bedrohte Straße östlich des Fleet Ditch, in der Nähe von Moorfields und Bedlam, einem Wohnbezirk also, in dem ärmliches Volk und zwielichtiges Gesindel hauste. Er stand darüber hinaus repräsentativ für das soziale Milieu der Scribbler, für ihre politischen und schriftstellerischen Haltungen, wie Pat Rogers in seinem Buch Grub Street. Studies in a Subculture ausführlich darlegt.11 Vor Swift und Pope hatten besonders nachdrücklich Otway und Wolseley die Scribbler verhöhnt.12 Thomas Otway spottete in seinen Versen "To Mr. Creech upon his Translation of Lucretius" (1682) über die Ignoranz, die Dummheit und Affektiertheit der Poetaster seines ,abgeschmackten' Zeitalters, When Nonsence loads the Press, and choaks the Stage, When Block-heads will claym wit in Natures spight, And every Dunce, that Starves, presumes to write, For of all Natures works we most should scorn The thing who thinks himself a Poet born. Unbred Untaught he Rhymes, yet hardly spells, And senslessly, as Squirrels Jangle bells. 13
Otway bemängelt vorrangig die Anmaßung des poetischen Genies, der intellektuellen und gelehrten Bildung; für ihn ist der Dunce das Gegenstück des wahren Dichters, der sich durch seine verfeinerte Bildung und seinen sicheren Geschmack auszeichnet, der die ,Sache der Musen' verteidigt, ,ihr Recht verkündet', ,ihre Gesetze wahrt'.14 9
10 11 12 13 14
Elkin, p.77. - Siehe in diesem Zusammenhang etwa Popes "Epistle ... to Dr. Arbuthnot". Swift to Robert Hunter, 22 March 1709, Correspondence, I, p. 133. (London, 1972). - Siehe dazu meine Rezension in Anglia, 92 (1974), pp.493-95. Auf die beiden folgenden Textstellen macht auch Elkin, p.77f., aufmerksam. The Works of Thomas Otway, ed. J. C. Gosh (Oxford, 1932), II, p.439f. Ebd.
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Einen ähnlichen Standpunkt vertritt auch Robert Wolseley in seinem Vorwort zu Rochesters Valentinian (1685), wobei er freilich weniger auf den Londoner Lohnschreiber abzuzielen scheint als auf den modischen Fop in seiner Rolle als dummdreister Kritikaster und geckenhafter, talentloser literarischer Dilettant. Dabei wird deutlich, daß auch Wolseley das Prinzip der Inspiration, die Erfüllung der poetischen Normen sowie die Kenntnis der Werke der klassischen Antike als unabdingbare Voraussetzungen der Dichtung betrachtet. Er klagt: Every Ass that's Romantick, believes he's inspir'd, and none have been so forward to teach others as those who cannot write themselves; every man is ready to be a Judge, but few will be at the trouble to understand, and none are more blind to the faults of their own Poetry, than those who are so sharpsighted in other men's; Every Fop that falls in Love thinks he has a Right to make Songs, and all kind of People that are gifted with the least knowledge of Latin and Greek, pretend to translate. 15
Zu den Autoren, die gegen die Scribbler und gegen die Produkte der Grub Street polemisierten, gehört an prominenter Stelle auch John Arbuthnot, ein enger Freund Swifts und Popes, der in seiner History of John Bull (1712) einen ironischen Lobpreis auf die vermeintlich dem Untergang geweihte Grub Street verfaßte: In einem elegischen Panegyrikon rühmt er mit Hilfe einer satirischen Persona die Grub Street als Nährboden hochfliegender Geister und wahrer Dichtung, als Hort der Moral und der Religion, der Freiheit und der politischen Weisheit, nicht freilich ohne zugleich auf das krasse Mißverhältnis zwischen hohem Anspruch und dürftiger, korrupter Lebenswirklichkeit zu verweisen. Einen besonders heftigen Hieb versetzt er dabei der modischen Pastoralund Liebespoesie, die ja auch für Swift später zu einem Hauptangriffsziel seiner Dichtungskritik wurde: Ο Grubstreet! thou fruitful Nursery of tow'ring Genius's! how do I lament thy Downfallf ... No modern Lycaeum will ever equal thy Glory, whether in soft Pastorals, thou sung the Flames of pamper'd Apprentices and coy CookMaids, or mournful Ditties of departing Lovers; or if to Maeonian Strains thou rais'd thy Voice, to record the Stratagems, the arduous Exploits, and the nocturnal Scalade of needy Heroes, the Terror of your peaceful Citizen, describing the powerful Betty, or the artful Picklock, or the secret Caverns and Grotto's of Vulcan sweating at his Forge, and stamping the Queens Image on viler Metals, which he retails for Beef, and Pots of Ale.16 15
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Robert Wolseley, "Preface to Rochester's Valentinian" (1685), Critical Essays of the Seventeenth Century, ed. Spingarn, III, p. 12f. John Arbuthnot, The History of John Bull, ed. by Alan W. Bower and Robert A. Erickson (Oxford, 1976), p. 94.
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Mit der literarischen ,Subkultur' Londons setzt sich Swift erstmals ausführlich in A Tale of a Tub auseinander. In der 1709 hinzugefügten "Apology" zieht er über die ,Irrtümer, Ignoranz, Dummheit und Schurkerei' 17 seiner Kritiker her, jener heavy, illiterate Scriblers, prostitute in their Reputations, vicious in their Lives, and ruin'd in their Fortunes, who to the shame of good Sense as well as Piety, are greedily read, meerly upon the Strength of bold, false, impious Assertions, mixt with unmannerly Reflections. 18
Auch die fingierte Widmung des Buchhändlers an Lord Somers läßt Schlüsse auf die geistige Haltung und das soziale Milieu der Scribbler zu, - nicht nur weil der Buchhändler selbst ein Ausbund an Ignoranz, Borniertheit und Dreistigkeit ist; er charakterisiert auch seine Autoren, die er in ihren ärmlichen Dachkammern aufsucht, um sie nach den würdigsten Adressaten für seine Widmung zu befragen, "with no small Hazard and Weariness to my Person, from a prodigious Number of dark, winding Stairs". 19 Wenngleich des Lateinischen, d. h. der elementaren literarischen und gelehrten Bildung unkundig, arbeiten diese literarischen Tagelöhner doch als Übersetzer; wenngleich von erbärmlicher Geistlosigkeit, sind sie doch aufgeblasen genug, sich selbst als die ,erhabensten Genies des Zeitalters' zu betrachten, "for Wit, Learning, Judgment, Eloquence, and Wisdom". 20 Nicht nur der Buchhändler erweist sich als ein dreister Plagiator, indem er sich beim Verfassen seiner Widmung der ,üblichen Methode' bedient, "to peruse a hundred or two of Dedications, and transcribe an Abstract, to be applied", 21 auch seine gemieteten Literaten sind Literaturplünderer. Was sie an Material für die Widmung an Somers zusammentragen, ist nicht mehr als ein Verschnitt panegyrischer Topoi 22 aus dem ,universalen Menschheitsregister'.23 Abgesehen von der "Apology" und der Widmung des Buchhändlers freilich tritt Swift selbst immer wieder in die Rolle des modernen 17
18 19
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"Errors, Ignorance, Dullness, and Villany"; A Tale of a Tub, ed. A. C. Guthkelch and D. Nichol Smith, p. 6. Ebd., p. 5. Ebd., p. 24. - Die Dachkammer als Lebensraum und Arbeitsplatz des "scribbler" bzw. des "distressed poet" ist ein Topos, der auch von der bildenden Kunst - im 18. Jahrhundert insbesondere von Hogarth - aufgegriffen wurde; siehe dazu Frederick D. Leach, "Hogarth's Distressed Poet: The Riddle of the Garret", Ohio University Review, 2 (1960), 5-20. A Tale of a Tub, p. 23. 21 Ebd. Vgl. dazu ebd., p.26: "common Topicks". Ebd., p.25: "These Authors of mine, stole and transcribed every Word, from the Universal Report of Mankind."
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Schreiberlings, um mit Hilfe dieser Persona die ,Subkultur' der Grub Street bloßzustellen. 24 Der fingierte Autor der Tale of a Tub zählt sich in seiner Widmung an "Prince Posterity" selbst zu der Zunft verhinderter Laureaten, whose immortal Productions are never likely to reach [his] Eyes, tho' each of them is now an humble and an earnest Appellant for the Laurel, and has large comely Volumes ready to shew for a Support to his Pretensions.25
Von daher versteht es sich, daß er ein Verzeichnis der eigenen Schriften beifügt, um seine Bedeutsamkeit als Autor hervorzustreichen. Dieses Verzeichnis ist für den Leser ein beredtes Zeugnis scribblerischer Mentalität. In ihm manifestiert sich eine überhebliche Selbsteinschätzung, vor allem in der Anmaßung universaler wissenschaftlicher Kompetenz; so ist der Autor eingebildet genug, sich als Verfasser eines Analytical Discourse upon Zeal, Histori-theo-physi-logically considered, und eines Critical Essay upon the Art of Canting, Philosophically, Physically, and Musically considered, auszugeben. 26 Die Themen selbst zeigen nicht nur intellektuellen Größenwahn, sondern gleichzeitig das Unvermögen, wissenschaftlich Relevantes von Belanglosem und Absurdem zu trennen; so maßt er sich die Fähigkeit zu einer Dissection of Human Nature an und gibt sich andererseits als Verfasser eines Panegyrical Essay upon the Number THREE oder einer General History of Ears aus. 26 Daß der Autor der Tale of a Tub sich würdig in die Reihen der GrubStreet-Bruderschaft eingliedert, zeigt sich nicht zuletzt an seinen dürftigen Lebensverhältnissen und - damit verbunden - den Umständen der Komposition. So berichtet er, that the shrewdest Pieces of this Treatise, were conceived in Bed, in a Garret: At other times (for a Reason best known to my self) I thought fit to sharpen my Invention with Hunger; and in general, the whole Work was begun, 24
25
26
Johann Norbert Schmidt legt zurecht dar, „daß der namenlose ,hack' keine Einzelperson und kein fest umrissener Charakter ist. Die Satire rekurriert auf ihn als ihren fiktiven Verfasser nur jeweils soweit, als er den Prototyp des ,modern' vertritt, ob pseudowissenschaftlicher Kompilator von Indexen und Cliches, ob opportunistischer Parteipamphletist, Pedant, enthusiastischer Puritaner, Aufstiegsbürger, Spekulant, Sprachkombinatoriker, Verteidiger des Pöbels, Aufruhrstifter oder Advokat von ,Umwälzungen' in Geist und Staat. In all seinen Einzelteilen zusammengenommen ist er ein Konstrukt verschiedenster Eigenschaften, deren gemeinsamer Nenner die Modernität' ist" [Satire: Swift und Pope (Stuttgart, 1977), S. 93). A Tale of a Tub, p. 33. — Zur Thematik des Laureatentums in England siehe: Ε. K. Broadus, The Laureateship. Α Study of the Office of Poet Laureate in England with Some Account of the Poets (Oxford, 1921); ders., "The Laureateship", London Mercury, 22 (1930), pp. 127-36. A Tale of a Tub, p. 2.
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continued, and ended, under a long Course of Physick, and a great want of Money. 2 7
In Verkennung der wirklichen Lebensumstände und der eigenen Fähigkeiten versteht sich dieser Scribbler als literarisches Genie, als hervorragender Vertreter geistvoller, hoher Poesie, und leitet aus diesem übersteigerten Selbstbewußtsein das Recht ab, sich selbst zu preisen, zumal ihm die Welt den Ruhm vorenthält: when an Author makes his own Elogy, he uses a certain form to declare and insist upon his Title,... which I think plainly shews it to be a Matter of Right and Justice. 28
Nicht nur im Hinblick auf sich selbst, sondern auch auf seine gesellschaftliche Gruppe ist der Autor der Tale zu einer kritisch-distanzierten Betrachtung nicht fähig. Man wundert sich daher nicht, in der Reihe seiner Produkte Α Modest Defence of the Proceedings of the Rabble in all Ages zu finden. Allen modischen Literaturtrends zum Trotz enthält er sich jeglicher Satire, nicht in erster Linie, weil er an der Wirksamkeit satirischer Dichtung zweifelt, sondern weil für ihn die Welt in Ordnung ist: I am so entirely satisfied with the whole present Procedure of human Things, that I have been for some Years preparing Materials towards A upon the
Panegyrick
World.29
Der Grund für diese optimistisch-kritiklose Weltsicht ist zweifellos die unkontrollierte Abhängigkeit von jener Form des Wahnsinns, die der Autor später als ein Merkmal der moralischen Vollkommenheit des Menschen beschreibt: When a Man's Fancy gets astride on his Reason, when Imagination is at Cuffs with the Senses, and common Understanding, as well as common Sense, is Kickt out of Doors; the first Proselyte he makes, is Himself, and when that is once compass'd, the Difficulty is not so great in bringing over others;... For, if we take an Examination of what is generally understood by Happiness, as it has Respect either to the Understanding or the Senses, we shall find all its Properties and Adjuncts will herd under this short Definition: That, it is a perpetual Possession of being well
Deceived.30
Wie andere zeitgenössische Autoren betrachtet Swift Armut und Unbildung, Geistlosigkeit und Arroganz, moralische Haltlosigkeit und intellektuelle Unredlichkeit als charakteristische Merkmale des Scribblertums. Während die anderen Kritiker vor allem den Gegensatz zur "polite world of letters and learning" hervorheben, während sie das 27
Ebd., p.44.
28
Ebd., p.47.
29
Ebd., p.53.
30
Ebd., p. 171. 105
Fehlen des sozialen, intellektuellen, bildungsmäßigen Standards und der poetischen Begabung bemängeln, zielt Swift in A Tale of a Tub auf Grundsätzlicheres ab. Der Scribbler liefert ihm das markanteste Beispiel für die Unvereinbarkeit von empirischer Realität und poetischer Idealität. Insofern dient gerade die Karikatur des Scribbler als Illustration der dichtungskritischen Positionen Swifts. Bereits in "Vanbrug's House" (1703) spottet Swift über die Scharen brotloser Dichterlinge, die - ohne ein festes Dach über dem Kopf - nicht anders können, als mit den Mitteln der Poesie ,Luftschlösser' zu bauen, um dem erbärmlichen Lebensalltag zu entfliehen: T h e G o d of W e a l t h w a s therefore m a d e Sole P a t r o n of the building T r a d e , Leaving t o W i t s the spatious Air, W i t h License t o build Castles there; A n d 'tis conceiv'd, their old Pretence T o lodge in G a r r a t s c o m e s f r o m thence. 3 1
Unter dem Einfluß der wahnhaften Vorstellungen seiner Phantasie versteht sich der Scribbler als legitimer Jünger Apolls, des "God of Light and Wit"; 3 2 im Höhenflug vermeintlicher Inspiration schafft er Fiktionen des Heroischen und Erhabenen, die keinen Bezug zur Realität haben und um so chimärischer werden, je tiefer der Scribbler in Not und Elend zu versinken droht: His Birth he does f r o m Phoebus raise, A n d feeds upon imagin'd Bays,
And borne on fancy's Pinions, thinks He soars sublimest when he sinks.33 Sieht man ab von sporadischen Hinweisen auf die kümmerlichen Lebensverhältnisse und die pathetischen Posen der Scribbler,34 so läßt 31 33
34
3 2 Ebd., II, p . 5 9 7 , 1 . 1. Poems, I, p . 7 9 , 11. 2 3 - 2 8 . Ebd., I, p. 80, 1. 41f., 1. 5 l f . - Swift unterscheidet sich hier grundlegend von Lansdowne, der sich in seinem Vers-Essay "Concerning Unnatural Flights in Poetry" (1701) lediglich gegen jene Dichter wendet, die - "driven with ungovernable fire, or void of Art" - die ästhetischen Normen übergehen und eine Dichtung schaffen, "[which] mounting up in Figures out of Sight, / Leaves Truth behind in her audacious flight". Lansdowne plädiert lediglich gegen die ,Maßlosigkeit' in der Verwendung poetischer Mittel, nicht nur weil durch sie die ästhetischen Proportionen beeinträchtigt werden, sondern auch der Wahrheitsanspruch in Frage gestellt wird; dabei geht Lansdowne von der Voraussetzung aus, daß fiction und truth grundsätzlich miteinander vereinbar sind; denn "who would with care some happy Fiction frame, / So mimicks Truth, it looks the very same, / Not rais'd to force, or feign'd in nature's scorn, / But meant to grace, illustrate, and adorn" (Spingarn, III, p.292f.). S.o., S.79f.
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sich erst etwa fünfzehn Jahre später wieder ein verstärktes Interesse Swifts an der Figur des Scribbler erkennen. In "The Progress of Poetry" (1720) zeichnet Swift zunächst den vermögenden, sorgenfreien, im Überfluß lebenden Bühnenautor, With good Roast Beef his Belly full, Grown lazy, foggy, fat, and dull: Deep sunk in Plenty, and Delight.. , 3 5
Im Kontrast zum saturierten Erfolgsautor beschreibt Swift in einem grotesken Bild den vom Hunger ausgezehrten, mittellosen Poeten, der sich nur noch vom Wasser der Hippokrene, der Quelle dichterischer Begeisterung, zu ernähren vermag und dessen körperliches Wesen sich vor Hunger so weit verflüchtigt hat, daß er sich mit Hilfe seiner exaltierten Phantasie auf papiernen Flügeln über das Elend seiner GrubStreet-Existenz erheben kann. Anders als später Pope in seiner Dunciad polemisiert Swift hier nicht gegen bestimmte Poetaster und Schreiberlinge seiner Zeit, sondern legt es auf die typisierende Karikatur an. Ihm geht es vorrangig um das allgemeine Phänomen des dichterischen Wahns (madness), das trügerische Bewußtsein des Glücks, das besonders kraß dann in Erscheinung tritt, wenn die materielle Not am größten ist: But, view him in another Scene, When all his Drink is
Hippocrene,
His Money spent, his Patrons fail, His Credit out for Cheese and Ale; His Two-Year's Coat so smooth and bare, Through ev'ry Thread it lets in Air; With hungry Meals his Body pin'd, His Guts and Belly full of Wind; And, like a Jockey for a Race, His Flesh brought down to Flying-Case: N o w his exalted Spirit loaths Incumbrances of Food and Cloathes; And up he rises like a Vapour, Supported high on Wings of Paper; He singing flies, and flying sings, While from below all Grub-street
rings. 36
Sicherlich darf man die Haltung des Scribbler nicht vorrangig psychoanalytisch deuten. Dieser Pseudo-Poet benutzt die Dichtung nicht als 35 36
Poems, I, p.231, 11. 21-23. Ebd., 11. 31—46. Zur Quelle Hippokrene siehe Pauly's Realertcyclopädie Altertumswissenschaft, VIII, 7, 6ff. 1853ff.
der classischen
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Medium, die deprimierenden Erfahrungen der Armut und des Mißerfolgs durch die Flucht in das Reich des schönen Scheins zu kompensieren. Dieser Poet ist unfähig, die Wirklichkeit, in der er lebt, zu durchschauen und zu beurteilen; er ist befangen in poetischen Wahnvorstellungen. Indem Swift in seinem späteren Gedicht "To Stella, who Collected and Transcribed his Poems" (1720) ironisch "the mighty Mind" 37 als Bedingung des exaltierten Höhenflugs ausgibt, deutet er an, daß es gerade der Mangel an kritischer Intelligenz und analytischem Vermögen ist, aufgrund dessen der Scribbler zur Erkenntnis der Wahrheit nicht fähig ist und zu nichts anderem taugt, als die alten, idealisierenden Klischees - etwa aus dem Bereich pastoraler Dichtung - ,wie ein Papagei' zu wiederholen: A Poet, starving in a Garret, Conning old Topicks like a Parrot, Invokes his Mistress and his Muse, And stays at home for want of Shoes: Should but his Muse descending drop A Slice of Bread, and Mutton-Chop, Or kindly when his Credit's out, Surprize him with a Pint of Stout, Or patch his broken Stocking Soals, Or send him in a Peck of Coals; Exalted in his mighty Mind He flies, and leaves the Stars behind, Counts all his Labours amply paid, Adores her for the timely Aid. Or should a Porter make Enquiries For Chloe, Sylvia, Phillis, Iris; Be told the Lodging, Lane, and Sign, The Bow'rs that hold those Nymphs divine; Fair Chloe would perhaps be found With Footmen tippling under Ground, The charming Silvia beating Flax, Her Shoulders mark'd with bloody Tracks; Bright Phillis mending ragged Smocks, And radiant Iris in the Pox. 37
Swift zeigt sich in seinen stereotypen Karikaturen der Scribbler nicht als Sozialkritiker; er zielt nicht darauf ab, die würdelose Situation verarmter Schreiberlinge ins öffentliche Bewußtsein zu rücken; er ist hier ohne 37
Ebd., II, p.728,11. 25-48.
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Mitleid; für ihn stellt die illusionsverhaftete Mentalität und das wirklichkeitsfremde Verhalten der Scribbler keine konkrete moralische oder soziale Aufgabe dar. Die Figur des Grub-Street-Writer ist für ihn kaum mehr als ein Demonstrationsobjekt, das es ihm ermöglicht, die Tendenz zur Idealisierung und Sublimierung der Realität in der zeitgenössischen Dichtung in Frage zu stellen und als Ausdruck jenes wahnhaften Glückszustandes zu charakterisieren, den er in A Tale of a Tub als "a perpetual Possession of being well Deceived" definiert hatte.38
2. "On Poetry: A Rapsody" als satirischer Lehrbrief Das späteste und zugleich bedeutendste satirische Gedicht, in dem Swift sich mit dem Phänomen der Grub Street befaßt, ist "On Poetry: A Rapsody" aus dem Jahre 1733. Obwohl das Gedicht seit dem 18. Jahrhundert immer wieder als eine der hervorragenden dichterischen Leistungen Swifts gerühmt wurde,39 blieb es doch von der Forschung bislang weithin unbeachtet. In diesem Gedicht reflektiert Swift zunächst darüber, warum so viele Menschen gerne Dichter sein möchten; vor allem aber geht es ihm darum, die geistigen und moralischen Haltungen und die literarischen Praktiken talentloser Poetaster und Kritiker exemplarisch zu beschreiben und von ihren intellektuellen und gesellschaftlichen Voraussetzungen her verständlich zu machen. Indem Swift die Motivationen und Praktiken des Scribbler enthüllt, übt er gleichzeitig auch Kritik an der Gesellschaft, die der Scribbler als Rezipient ins Auge faßt und an deren Erwartungen und Idealen er sich orientiert. Wenngleich der Titel "On Poetry" daran denken läßt, dieses Gedicht sei so etwas wie Swifts Ars Poetica, so darf man doch weder eine programmatische Darstellung seiner Dichtungskonzeption, noch die Beschreibung seiner individuellen literarischen Praktiken erwarten; denn Swift billigte, wie bereits betont, weder als Dichter noch als Moralist den engen Rahmen von Regeln und Normen.40 Folgerichtig bezeichnete er daher sein Gedicht im Untertitel als Rhapsodie; er 38 39 40
A Tale of a Tub, p. 171. Siehe dazu Harold Williams' Ausführungen in Poems, II, p.639f. Wenn John Middleton Murry [Jonathan Swift. A Critical Biography (London, 1954), p . 4 6 0 ] darüber klagt, daß Swift es versäume, in "On Poetry" normative Kriterien für die Beurteilung der satirisch karikierten Poeten und Kritiker zu nennen, so bedeutet dies, daß er Swifts literaturkritische und moralistische Methode nicht richtig einschätzt.
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verdeutlicht damit, daß er - wie vor ihm insbesondere Montaigne41 Gedankenelemente, Beobachtungen, Erfahrungen zusammenfügt, "without necessary dependence or natural connection",42 ohne den Anspruch auf Bedeutsamkeit, Vollständigkeit und Systematik. Um das Provisorische, Beiläufige hervorzuheben, hat Swift sein Gedicht überdies als Fragment konzipiert, an dessen Ende es heißt: "Caetera desiderantur". Von daher unterscheidet sich Swifts Gedicht in seiner Konzeption grundlegend von Popes satirischem Essay Peri Batbous (1728), auf den in Vers 389ff. angespielt wird;43 denn, wie Edna L. Steeves feststellt, "Peri Bathous is preceptual; it tells us what bad writing is — and for that reason, per contra, what good writing is". 44 Aber nicht nur von dieser Literatursatire unterscheidet sich Swifts Gedicht auf charakteristische Art; es setzt sich gleichermaßen deutlich von Popes Dunciad ab, — nicht nur dadurch, daß es keine Epenparodie ist. Im Unterschied zur Dunciad ist "On Poetry" nicht die Abrechnung eines beleidigten Autors mit einzelnen Kritikern und Dichtern der Zeit; es fehlt das Moment der persönlichen Invektive und das Interesse für die konkreten Details aus dem Literaturbetrieb der Zeit. Vielmehr stellt Swifts Gedicht verallgemeinernd psychologische und gesellschaftliche, intellektuelle und moralische Aspekte literarischer Mittelmäßigkeit dar. Die Einleitung des Gedichts hat vor allem die Funktion, den Tatbestand, "[that] All Human Race wou'd fain be Wits",45 aus der menschlichen Natur heraus zu erklären. — Den universalen Drang, als Wit zu gelten, führt Swift auf die Ursünde des Menschen zurück, den Stolz,46 den er in Anlehnung an Edward Youngs Definition als "Love of Fame" 47 versteht. Während die Tiere sich in ihrem Verhalten von ihrem natürlichen Instinkt leiten lassen und nicht gegen ihre natürliche Bestim41
42
43
44 45 47
Vgl. damit etwa Montaigne, Essays, chap. XIII [transl. by John Florio (London: Everyman, 1965), I, p.59]: "There is no subject so vaine, that deserveth not a place in this rapsodie." Samuel Johnson, A Dictionary of the English Language (London, 1785), II, "rhapsody"; siehe auch die Definition von "rhapsody" in OED: "A literary work consisting of miscellaneous and disconnected pieces, etc.: a written composition having no fixed form or plan". Der Essay war am 8. März 1728 im 3. Band der Swift-Pope Miscellanies veröffentlicht worden; der volle Titel lautet: Peri Bathous: Or, Martinus Scriblerus His Treatise of the Art of Sinking in Poetry. Eine kritische Ausgabe des Werks wurde 1952 von Edna Leake Steeves veranstaltet; zur Verfasserschaft siehe ebd., "Introduction", p.XXIIIff. The Art of Sinking in Poetry, ed. Ε. L. Steeves (New York, 1952), p.LI. 4 6 S. u., S. 2 2 9 - 3 2 . Poems, II, p . 6 4 0 , 1. 1. Siehe Poems, II, p. 640,1. 3. — Farne als Motivation dichterischer Aktivität erscheint in "On Poetry" dreimal: 1. 183, 1. 2 9 9 , 1. 3 6 8 .
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mung verstoßen,48 ist der Mensch fähig und willens, den Verstand, der ihn über die Tierwelt erhebt, gegen seine eigene Natur zu wenden: But Man we find the only Creature, Who, led by Folly, fights with Nature; Who, when she loudly cries, Forbear, With Obstinacy fixes there; And, where his Genius least inclines, Absurdly bends his whole Designs.49 Den exemplarischen Kampf eines Unbegabten um literarischen Ruhm beschreibt Swift im Mittelteil seines Gedichts. Er schreibt aus der Perspektive eines ,alten erfahrenen Sünders',50 der einen neuen Jünger in der "Art of Sinking in Poetry" unterweist und ihm die verschiedenen Entwicklungsstufen in der Karriere eines Scribbler vorzeichnet, vom idealistischen Poeten zum Literaturkritiker mit zunehmend diktatorischem Gebaren und schließlich zum Vollender des "low sublime". Swift bedient sich in seinem Gedicht weithin einer ironischen Persona. Der fingierte Lehrmeister ist ein mit den Tücken des literarischen Metiers lange vertrauter Pragmatiker und Opportunist; er ist keineswegs naiv und erweist sich durchaus als fähig, die eigenen Erfahrungen zu objektivieren und als symptomatisch zu deuten, um daraus Lehren für einen unerfahrenen jungen Scribbler abzuleiten. Insofern als dieser Vertreter der Grub Street kompetent mit allen Aspekten der literarischen Szene vertraut ist, kann er durchaus zu Beobachtungen gelangen und Erkenntnisse äußern, die mit denen Swifts übereinstimmen, die aber dennoch zu einem Verhalten und zu einem Handeln führen, das demjenigen Swifts diametral zuwiderläuft. Obwohl in "On Poetry" die Perspektive des "old experienc'd Sinner" vorherrscht, wird die ironische Persona doch immer wieder zum Sprachrohr Swifts. Wie in verschiedenen anderen seiner großen Gedichte besteht das besondere methodische Raffinement darin, die Perspektive der Darstellung logisch unvermittelt und psychologisch unmotiviert zu wechseln. Hier liegt ein kennzeichnender Unterschied zur konstant ironischen Persona in Peri Bathous. Beispielhaft für die Brechungen der Perspektive ist es, daß Verse, in denen Swift seine Empörung über die heuchlerischen Schmeicheleien panegyrischer Dichtung zum Ausdruck bringt, kommentarlos anderen gegenüberstehen, in denen die Schmei48
49
Zum ideengeschichtlichen Kontext des Vergleichs von menschlichem und tierischem Verhalten siehe John Irwin Fischer, The Echoic Poetry of Jonathan Swift: Studies in its Meaning, unpubl. diss. (University of Florida, 1968), p.80f. 50 Ebd., p.642,1. 75: "an old experienc'd Sinner". Poems, II, p.641, 11. 19-24.
Ill
chelei in der Dichtung als Maßnahme zum eigenen Vorteil empfohlen wird.
O, what Indignity and Shame To prostitute the Muse's Name, By flatt'ring [Kings] whom Heaven design'd The Plagues and Scourges of Mankind. Bred up in Ignorance and Sloth, And ev'ry Vice that nurses both. 51 Say, Poet, in what other Nation, Shone ever such a Constellation.
Attend ye Popes, and Youngs, and Gays, And tune your Harps, and strow your Bays. Your Panegyricks here provide, You cannot err on Flatt'ry's Side. Above the Stars exalt your Stile, You still are low ten thousand Mile. 52
Bereits die Einleitung des Gedichtes (11. 1 - 7 0 ) ist jedoch problematisch im Hinblick auf den Standort Swifts. Hier wird die Auffassung vertreten, daß der wahre Dichter einer besonderen natürlichen Begabung ("genius") bedarf, die nicht durch andere Eigenschaften und Fertigkeiten aufgewogen werden kann: Not Empire to the Rising-Sun, By Valour, Conduct, Fortune won; Nor highest Wisdom in Debates For framing Laws to govern States; Nor Skill in Sciences profound, So large to grasp the Circle round; Such heavenly Influence require,
As how to strike the Muses Lyre.53 Der mit Swifts Dichtung vertraute Leser stellt mit Befremden fest, daß Swift sich hier - offenbar ernsthaft - mehrerer Klischeevorstellungen bedient, die er sonst allenfalls ironisch verwendet bzw. in den Bereich des poetischen Jargon verweist. Swift hatte das Prinzip der Inspiration, auf das er hier wohl in der Wendung "heavenly Influence" Bezug nimmt, verworfen, und er spottete über den furor poeticus, auf den er im Bild des "poetick Fire" 5 4 anspielt, als eine irrationale Verfaßtheit des Dichters. 51 54
Poems, II, p . 6 5 4 , 11. 4 0 5 - 1 0 . 5 2 Ebd., p . 6 5 6 , 11. 4 6 5 - 7 2 . 53 Ebd., p . 6 4 1 , II. 2 5 - 3 2 . Ebd., 1. 4 1 . — Die Vorstellung des "poetick Fire" wird hier nicht grundsätzlich negativ gesehen; Swift polemisiert lediglich gegen jene Scribbler, die glauben, vom wahren dichterischen Feuer' entflammt zu sein, in Wirklichkeit jedoch vom zornigen Phoebus ,versengt' worden sind.
112
Von daher stellt sich die Frage, was Swift wohl veranlaßte, die Tätigkeit des wahren Dichters in der Bildformel "to strike the Muses Lyre" zu umschreiben; denn die Musen, genau wie ihr Führer Apoll, waren für Swift seit seiner Abwendung von der pindarischen Dichtung nurmehr poetische Klischees. Wenn Swift die Musen in seinen Gedichten anrief, dann in parodistischer Absicht, um einen Gemeinplatz zu belächeln oder zu verhöhnen.55 Und wenn er die Musen als Gestalten in seinen Gedichten in Erscheinung treten ließ, dann mit den Mitteln der Travestie erniedrigt zu einer Schar von läppischen Prüden, denen Apoll am 1. April einen Streich spielt,56 zu Statistinnen im Hochzeitszug Strephons und Chloes,57 oder zu enttäuschten Verehrerinnen des "God of Light and Wit", 5 8 den Swift in seiner Travestie "Apollo: Or, A Problem Solved" (1731) als einen dekadenten und impotenten Londoner Beau zeichnet: As handsome as my Lady's Page; Sweet Five and Twenty was his Age. His Wig was made of sunny Rays, He crown'd his youthful Head with Bays: Not all the Court of Heav'n could shew So nice and so compleat a Beau.59
Eine vergleichbare Karikatur des Gottes der Dichtung findet sich bereits in "Apollo Outwitted" (1709); die gewitzte Ardelia erkennt dort den verliebten Gott an seinem himmlischen Geschwätz und läßt ihn abblitzen: THE Nymph who oft had read in Books, Of that Bright God whom Bards invoke, Soon knew Apollo by his looks, And Guest his Business e're he Spoke. He in the old Celestial Cant, Confest his Flame, and swore by Styx, What e're she would desire, to Grant, But Wise Ardelia knew his Tricks.60
Gerade wegen der über Jahrzehnte hin weithin konstanten poetologischen Auffassungen und schriftstellerischen Praktiken Swifts neigt man dazu, die problematischen Formulierungen im Einleitungsteil von "On 55
56 57 58
Siehe ebd., p . 8 0 , 1 . 5 7 ; p . 2 7 8 , 1 . 7 ; p . 3 2 1 , 1 . 17ff.; p . 5 8 3 , 1 . 71; p . 5 9 4 , 1 . 5ff.; p . 8 3 2 , 1 . 7 5 ff. "The First of April" (1723?), ebd., I, p p . 3 2 0 - 2 2 . "Strephon and Chloe" (1733), ebd., II, p . 5 8 5 , 1 . 53. 5 9 Ebd., p.597,11. 5 - 1 0 . i 0 Ebd., I, p. 120, 11. 1 3 - 2 0 . Ebd., p . 5 9 8 , 1. 25f.
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Poetry" als Ausdruck von Ironie zu verstehen. Diese Deutung erscheint um so plausibler, wenn man annimmt, daß bereits die Einleitung aus der Sicht des fingierten Autors geschrieben ist, eines Autors, der als Mitglied der Grab-Sireei-Bruderschaft an den Prinzipien inspirierter, hoher Dichtung grundsätzlich festhält. Dennoch ist nicht auszuschließen, daß Swift ernsthaft abhebt auf den Gegensatz von wahrem, begabtem Dichter, der im frostigen englischen Klima nur höchst selten gedeiht, 61 und der unüberschaubaren Menge ehrgeiziger Schreiberlinge, die die Gegenwart bevölkern. Vielleicht gab es auch für ihn Augenblicke, in denen seine Skepsis und sein Pessimismus schwanden, und in denen er die Möglichkeit einer großen, zeitüberdauernden Dichtung erkannte. Die Problematik der ironischen Brechung der Perspektive zeigt sich in vollem Umfang jedoch erst in den nachfolgenden Ermahnungen und Reflexionen des "old experienc'd Sinner". Dieser Pragmatiker bemüht sich nicht darum, einen Neuling in die Prinzipien der Dichtkunst einzuführen, und ihm zu erläutern, welche Anforderungen an einen wirklichen Dichter zu stellen sind. Er konzentriert sich in seinen Ratschlägen vielmehr weitgehend auf die diversen bewährten Praktiken, sich trotz minderer oder gar fehlender Begabung einen guten Platz in der Gesellschaft der Scribbler zu sichern. Nicht handwerkliches Können und nicht dichterisches Genie werden hier erwartet, sondern lediglich ein spontaner, ,mächtiger Drang' 6 2 und die Besinnung darauf, welche Gattung der Neigung wohl am ehesten entspricht. 63 Angesichts solch spärlicher Voraussetzungen erscheint es als paradox, daß Swifts Sprecher den neuen Jünger der Dichtkunst ermahnt, das Geschriebene sorgfältig zu redigieren; das Paradox löst sich jedoch leicht auf, wenn man bedenkt, daß diese Mahnung nichts anderes als ein klassizistischer Gemeinplatz ist, der hier mechanisch und gedankenlos als Bildungsreminiszenz eingesetzt wird: Consult yourself, and if you find A powerful Impulse urge your Mind, Impartial judge within your Breast What Subject you can m a n a g e best; Whether your Genius m o s t inclines T o Satire, Praise, or hum'rous Lines; T o Elegies in mournful Tone, O r Prologue sent from H a n d unknown. 61 63
62 Ebd., p.642, 1. 78: "a powerful Impulse". Vgl. ebd., II, p.640, 1. 7f. Vgl. ebd., 1. 79f.; die Vorlage dafür ist Horaz, De Arte Poetica, 11. 38^t2.
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Then rising with Aurora's
Light,
T h e M u s e invok'd, sit down to write; Blot out, correct, insert, refine, Enlarge, diminish, interline; Be mindful, when Invention fails, T o scratch your Head, and bite your Nails. 6 4
Besonders aufschlußreich im Hinblick auf Swifts Methode ist die Antiklimax, die dieser Abschnitt enthält: Zunächst wird durch die Allegorie der Morgenröte und durch die Anrufung der Muse das Erhabene, Weihevolle des poetischen Akts betont; durch den nachfolgenden banalen Rat jedoch, es mit Nägelkauen und Kopfkratzen zu versuchen, falls die Muse die Inspiration versagt, wird das tradierte Dichtungsritual ironisch ad absurdum geführt. Das Vermögen der Ironie freilich besitzt nicht der fingierte Autor, nicht er bricht die Perspektive der Darstellung, sondern Swift selbst. Wie etwa in Gulliver's Travels65 und auch in einigen Gedichten66 legt es Swift nicht darauf an, die literarische Persona als geschlossenen Charakter zu gestalten, sondern stattet sie mit paradoxen Zügen aus. Doch zielt er nicht darauf ab, die Positionen seines fingierten Sprechers immer eindeutig von den eigenen zu trennen, ja er schafft bewußt Verwirrung, indem er die Grenzen immer wieder verfließen läßt. Gerade darin liegt der literarische Reiz und die satirische Wirksamkeit von "On Poetry" begründet.67 Von Vers 91 an werden nun exemplarisch die verschiedenen Entwicklungsstadien in der "Art of Sinking in Poetry" beschrieben. Der junge Scribbler kopiert sein Werk in Schönschrift und richtet es mit akribischer Sorgfalt so her, daß die typographische Aufmachung den Anforderungen der Mode entspricht und den ohnehin mageren Sinn deutlicher hervortreten läßt. 68 Nicht von ungefähr versucht er dann sein Glück bei dem Londoner Verleger und Buchhändler Bernard Lintot, denn dessen Vorliebe für alles ,Funkelnagelneue' ist weithin bekannt.69 Die Tatsache, 64 65
66 67
68 69
Poems, II, p.642, 11. 7 7 - 9 0 . Vergleiche dazu William Bragg Ewald, The Masks of Jonathan Swift (Oxford, 1954), p. 148. Siehe unten die Interpretation der "Verses on the Death of Dr. Swift", S. 215ff. Es fällt nicht schwer, weitere Belege für das beschriebene Verfahren zu finden; siehe etwa 11. 95—104: dort empfiehlt der Scribbler eine modische typographische Aufmachung des Textes, um selbst dem dümmsten Leser den intendierten Scherz, Spott, geistreichen Einfall erkennbar zu machen; dann aber bricht Swift ironisch die Perspektive: "Or else perhaps he [the dullest reader] may invent / A better than the Poet meant, / As learned Commentators view / In Homer more than Homer knew." Siehe ebd., p.643, 11. 9 1 - 1 0 4 . "Spick and span", ebd., p.563,1. 268. Siehe auch die Karikatur Lintots in "Verses on the Death of Dr. Swift", p.562, 1. 253ff.
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daß das Gedicht im Druck erscheint, reicht schon hin, die Brust des jungen Poeten vor Selbstgefälligkeit schwellen zu lassen. Andererseits taktiert er vorsichtig: Um sich nicht dem Gelächter der Öffentlichkeit auszusetzen, publiziert er sein Gedicht anonym; denn dies ermöglicht es ihm, in Will's Kaffeehaus, als Autor unerkannt, einen ersten Verriß seines Werks zu hören: And if you find the general Vogue Pronounces you a stupid Rogue; Damns all your Thoughts as low and little, Sit still, and swallow down your Spittle. Be silent as a Politician, For Talking may beget Suspicion: Or Praise the Judgment of the Town, And help yourself to run it down. Give up your fond paternal Pride, N o r argue on the weaker Side; For Poems read without a N a m e W e justly praise, or justly blame: And Criticks have no partial Views, Except they know whom they abuse. 7 0
Konzeptions- und talentlos, abhängig vom Urteil der Allgemeinheit, ist er nicht fähig und nicht willens, das Produkt seines Geistes zu verteidigen; ja, er ist anpassungswillig genug, selbst in den Chor der Kritiker einzustimmen; im Schutze der Anonymität steckt er die Niederlage ein und macht sich beflissen daran, die Fehler in seinem Gedicht zu beseitigen, - triviale Wendungen und Plagiate, unpassende Vergleiche und belanglose Gemeinplätze, Verlegenheitsepitheta und langweilige Beschreibungen, verbrauchte Gags usw. 71 Es widerspräche scribblerischer Mentalität, selbst nach dem dritten fehlgeschlagenen Versuch aufzugeben; wenn sich dann auch die Erkenntnis eingestellt haben mag, daß wirklicher Dichterruhm aus Mangel an Genie versagt bleiben muß, so führt dies doch nicht zu Resignation oder Verzweiflung, sondern zu einer Neuorientierung: aus dem jungen Barden wird ein Partei- und Hofdichter, nicht jedoch aus innerer Überzeugung, sondern aus materieller Not: But tho' you miss your third Essay, You need not throw your Pen away. Lay now aside all Thoughts of Fame, T o spring more profitable Game. 70
Ebd., p.644, 11. 119-32.
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71
Vgl. ebd, p.645, 11. 151-56.
From Party-Merit seek Support; The vilest Verse thrives best at Court. A Pamphlet in Sir Rob's Defence Will never fail to bring in Pence; Nor be concern'd about the Sale, He pays his Workmen on the Nail.72 Damit aber sinkt er noch weiter ab; denn die panegyrischen und satirischen Gedichte, die er fortan verfaßt, sind nicht nur minderwertig, sondern heuchlerisch und opportunistisch; aus dem dilettantischen literarischen Spiel ist eine moralisch verwerfliche Handlung geworden. Immerhin hält es der Sprecher für möglich, daß selbst einem Dunce ein solches literarisches Gewerbe als zu niederträchtig erscheinen könnte. 73 Als Alternative nennt er die Tätigkeit des Kritikers. Nicht aber Geist und Bildung, Geschmack und Urteilskraft erscheinen als Voraussetzungen dieser neuen Aktivität, sondern die arroganten Posen der Kompetenz und die Beherrschung des Fachjargons. Für das Image des Kritikers ist es jedoch vor allem unerläßlich, daß er seine sporadischen Horaz-Kenntnisse immer wieder zum besten gibt, daß er die Regeln des Aristoteles auswendig zitiert und sich die Positionen der modernen Kritiker zu eigen macht: A Nod, a Shrug, a scornful Smile, With Caution us'd, may serve a-while. Proceed no further in your Part, Before you learn the Terms of Art: (For you may easy be too far gone, In all our modern Criticks Jargon.) Then talk with more authentick Face, Of Unities, in Time and Place. Get Scraps of Horace from your Friends, And have them at your Fingers Ends. Learn Aristotle's Rules by Rote, And at all Hazards boldly quote: Judicious Rymer oft review: Wise Dennis, and profound Bossu. Read all the Prefaces of Dryden, For these our Criticks much confide in, (Tho' meerly writ at first for filling To raise the Volume's Price, a Shilling.)74 Swift spottet hier nicht allein über die geistige Impotenz und die Borniertheit zeitgenössischer Kritikaster, er wendet sich zugleich gering72
Ebd., p.646, 11. 181-90.
73
Siehe ebd., p.647,1. 233f.
74
Ebd., 11. 237-54.
117
schätzig gegen die wichtigsten Literaturtheoretiker und -kritiker des Klassizismus. Als doktrinärer Verfechter der Regelpoetik mußte Thomas Rymer ebenso das Mißfallen Swifts erwecken wie der pedantische, allzu gelehrte John Dennis, dem Swift den ironischen Ehrentitel "the Critick"75 verlieh. Diese beiden tiefgründigen' Literaten 76 hatte Swift neben anderen bereits in A Tale of a Tub als "TRUE CRITICK[s]" verhöhnt, deren Stammbaum sich bis auf Momus und Hybris zurückführen läßt: Every True Critick is a Hero born, descending in a direct Line from a Celestial Stem, by Momus and Hybris, who begat Zoilus, who begat Tigellius, who begat Etcaetera the Elder, who begat B-tly, and Rym-r, and W-tton, and Perrault, and Dennis, who begat Etcaetera the Younger. 77
Rene Le Bossu dürfte nicht nur deshalb hämisch erwähnt worden sein, weil Dryden in ihm ,den besten modernen Kritiker' sah; 78 insbesondere als bedeutendster Theoretiker der heroischen Dichtung mußte Bossu Swifts Gegnerschaft provozieren. Daß Swift in diesem Zusammenhang John Dryden ein besonderes satirisches Denkmal setzt, kann nicht verwundern; in der Figur des Battus79 karikiert er ihn als das Orakel von Will's Coffee-house, dessen Spruch sich die dort versammelten Literaten widerspruchslos beugen: At Wills you hear a Poem read, Where Battus from the Table-head, Reclining on his Elbow-chair, Gives Judgment with decisive Air. To whom the Tribe of circling Wits, As to an Oracle submits. He gives Directions to the Town, To cry it up, or run it down. (Like Courtiers, when they send a Note, Instructing Members how to Vote.)
75 76 77
78 79
"Thoughts on Various Subjects", Prose Works, IV, p . 2 5 0 . "Profound Criticks", A Tale of a Tub, p. 3 7 . Ebd., p. 94. - Rymer hatte sich vor allem durch seine Werke The Tragedies of the Last Age Consider'd (1678) und Α Short View of Tragedy (1692) einen Namen als DramenKritiker gemacht. - In John Dennis sah Swift wohl insbesondere den DichtungsKritiker; seine Hauptwerke sind: The Advancement and Reformation of Modern Poetry (1701) und The Grounds of Criticism in Poetry (1704). John Dryden, "Preface to Fables", Essays of John Dryden, ed. W . P. Ker, II, p. 2 4 9 . In der Auffassung, daß mit "Battus" Dryden gemeint ist, folge ich Harold Williams, Swift's Poems, II, p . 6 4 9 (note).
118
He sets the Stamp of Bad and Good, Tho' not a Word be understood. Your Lesson learnt, you'll be secure T o get the Name of
Conoisseur.80
In den nachfolgenden Abschnitten ( 1 . 2 7 9 f f . ) beschreibt Swift satirisch die M a c h t s t r u k t u r und das soziale Verhalten in der Respublica streetaria.
Die L o n d o n e r Scribbler
leben nicht in Frieden und E i n t r a c h t
m i t e i n a n d e r ; in ihrem Gemeinwesen herrscht vielmehr Kriegszustand;
hier
kämpft
Grub-
jeder
gegen
jeden.
permanenter
Diese
Respublica
erscheint s o m i t als gleichsam lilliputanisches M o d e l l v o n H o b b e s ' Auffassungen über den N a t u r z u s t a n d der menschlichen Gesellschaft. Die Beziehung zu H o b b e s ' Philosophie stellt Swift ausdrücklich fest: Hobbes
clearly proves that ev'ry Creature
Lives in a State of War by Nature. 8 1 D a ß Swift mit H o b b e s ' Leviathan
gut v e r t r a u t w a r , ist unzweifelhaft. 8 2
E r bezieht sich hier auf das zentrale Kapitel 1 , 1 3 , " O f the N a t u r a l C o n d i t i o n of M a n k i n d , as c o n c e r n i n g their Felicity, and M i s e r y " ; darin nennt H o b b e s als die drei hauptsächlichen, in der menschlichen N a t u r begründeten
Konfliktursachen
Konkurrenz,
Mißtrauen
und
Ruhm-
sucht: " T h e first m a k e t h m e n invade for G a i n ; the second, for Safety;
80
81 82
Ebd., p. 649,11. 263-76. - Über Will's Coffee-House als einen Treffpunkt der Liebhaber der „schönen Wissenschaften" und der Kritiker, vor allem aber als Versammlungsort von John Dryden und seinen Jüngern siehe Thomas B. Macaulay,Tfce History of England from the Accession of James II, vol. I, (London, 4th ed., 1849), p.367f.: "Nowhere was the smoking more constant than at Will's. That celebrated house, situated between Covent Garden and Bow Street, was sacred to polite letters. There the talk was about poetical justice and the unities of place and time. There was a faction for Perrault and the moderns, a faction for Boileau and the ancients. One group debated whether Paradise Lost ought not to have been in rhyme. To another an envious poetaster demonstrated that Venice Preserved ought to have been hooted from the stage. Under no roof was a greater variety of figures to be seen, Earls in stars and garters, clergymen in cassocks and bands, pert Templars, sheepish lads from the Universities, translators and index makers in ragged coats of frieze. The great press was to get near the chair where John Dryden sate. In winter that chair was always in the warmest nook by the fire; in summer it stood in the balcony. To bow to him, and to hear his opinion of Racine's last tragedy or of Bossu's treatise on epic poetry, was thought a privilege. A pinch from his snuff box was an honour sufficient to turn the head of a young enthusiast." Zu Will's Coffee-House siehe auch R. J. Allen, The Clubs of Augustan London (Cambridge: Mass., 1933), pp.27-33. Poems, II, p. 651,1. 319f. Siehe Williams, Swift's Poems, II, p. 651 (note). - Daß Swift den ethischen Relativismus Hobbes' als antichristlich (Prose Works, II, p. 72) und freidenkerisch (ebd., IV, p. 47) ablehnte, braucht hier nicht im einzelnen dargestellt werden. 119
and the third, for Reputation." 83 In der Sicht von Hobbes ist die menschliche Natur von Grund auf durch ungezügelte, egoistische Regungen bestimmt. Es gibt keine gültigen moralischen Normen, nur individuelle Interessen: "Good, evil, and contemptible are ever used with relation to the person that useth them: there being nothing simply or absolutely so." 8 4 Swifts Sprecher, der selbst ein Verfechter von Hobbes' ethischem Relativismus ist, stellt die Respublica Grubstreetaria als ein Exempel für das stetige Bemühen aller dar, sich gegenseitig zu vernichten oder zu unterwerfen. — Aus dem permanenten Kampf um Gewinn, Sicherheit und Ansehen resultiert die hierarchische Struktur des Gemeinwesens der "Jobbers in the Poets Art". 8 5 Hinter den ,Stadtbarden' (1.285), die lilliputanischen Königen gleich — einzelne Straßenzüge und Stadtteile Londons in unangefochtener Machtvollkommenheit beherrschen,86 rekrutieren sich, dem Rang nach aufs peinlichste voneinander unterschieden, die endlosen Scharen unterwürfiger Schreiberlinge. Jeder hat in dieser Hierarchie seinen festen Platz, und jeder sucht dem Nächsthöheren auf der Leiter des Erfolgs seinen Rang strittig zu machen. Die hierarchische Struktur der Gesellschaft der Scribbler stellt Swift in grotesker Analogie zur Vorstellung der Kette des Seins dar; seine Verachtung für die unlauteren Motive und die egoistischen Selbsterhaltungspraktiken der Scribbler bringt er dabei in der konventionellen Bildvorstellung des Ungeziefers zum Ausdruck: T h e Vermin only teaze a n d pinch Their Foes superior by an Inch. So, Nat'ralists observe, a Flea H a t h smaller Fleas that on him prey, A n d these have smaller Fleas to bite 'em, A n d so proceed ad infinitum: T h u s ev'ry Poet in his Kind, Is bit by him that comes behind; Who, tho' t o o little to be seen, C a n teaze, a n d gall, and give the Spleen; Call Dunces, Fools, and Sons of Whores, L a y Grubstreet at each others D o o r s . 8 7
"On Poetry" hat weithin den Charakter eines Lehrgedichts; dieser Zug zeigt sich vor allem auch in den „panegyrischen" Textpassagen, die 83 84 87
Thomas Hobbes, Leviathan (London: Everyman, 1973), p. 64. 85 Poems, II, p.650, 1. 312. 86 Siehe ebd., p.649f., II. 279-310. Ebd., p. 82. Ebd., p.651, 11. 335—46.
120
Swifts ,alter, erfahrener Sünder' seinem Schüler als ein Beispiel der Meisterschaft in der Kunst des "low Sublime "ss mitliefert.89 Bei Erscheinen des von Swift anonym veröffentlichten Gedichts hatte es in Dublin einige Festnahmen gegeben; in The Political State of Great Britain wird berichtet, "[that] on the 28th of January last, several Printers and Publishers, at Dublin, were taken into Custody, for printing and publishing a Poem, called, The Rapsody on Poetry".90 Anlaß für diese Festnahmen war gewiß nicht die Satire auf die Scribbler, sondern eben die zynische Demonstration des "low Sublime" am Ende des Gedichtes, genauer: die als Exempel panegyrischer Dichtung ausgegebenen Satiren auf König George II und Königin Caroline, auf Frederick Louis, den Prince of Wales, und auf den Premier Robert Walpole. Diese „panegyrischen" Passagen enthalten, losgelöst vom Kontext des Gedichts betrachtet, kaum mehr als eine Aufzählung von Tugenden, die, weit verbreiteter Praxis entsprechend, immer wieder als "Emblems of the sov'reign Pow'r" 91 versatzstückartig eingesetzt wurden. Swift kopiert hier mit gleichermaßen parodistischer und satirischer Intention den erhabenen Stil und übernimmt die heroischen Tugendklischees, "gen'rous, valiant, just, and wise", 92 die dem zeitgenössischen Leser panegyrischer Gelegenheitsdichtung wohlvertraut waren und auch weithin als Ausdruck einer gattungsspezifischen Haltung unwidersprochen blieben.
Fair Britain
in thy Monarch blest,
Whose Virtues bear the strictest Test; Whom never Faction Nor Minister, 88 89
90 91
cou'd bespatter,
nor Poet
flatter.
Ebd., p. 652,1. 370. Swift illustriert die "Prinzipien" des "low Sublime" insbesondere im Hinblick auf die panegyrische Dichtung; diese "Prinzipien" entsprechen recht genau denen, die im XIV. Kapitel von Peri Bathous dargestellt sind; daß dieses Kapitel unter dem Einfluß Swifts entstand, unterliegt keinem Zweifel [siehe dazu Edna L. Steeves' Kommentar zu diesem Kapitel in The Art of Sinking in Poetry (New York, 1952), p. 186]; u. a. heißt es dort: "Every Man is honourable, who is so by Law, Custom or Title; The Publick are better Judges of what is honourable, than private Men. The Virtues of great Men, like those of Plants, are inherent in them whether they are exerted or not; and the more strongly inherent the less they are exerted; as a Man is the more rich the less he spends. - All great Ministers, without either private or oeconomical Virtue, are virtuous by their Posts; liberal and generous upon the Publick Money, provident upon Parliamentary Supplies, just by paying Publick Interest, couragious and magnanimous by the Fleets and Armies, magnificent upon the Publick Expences, and prudent by Publick Success. They have by their Office, a Right to a Share of the Publick Stock of Virtues; besides they are by Prescription immemorial invested in all the celebrated Virtues of their Predecessors in the same Stations, especially those of their own Ancestors" (p. 77f.). No. XLVII, March 1734, p. 231; zit. in Williams, Swift's Poems, II, p. 640. 92 Ebd., 1. 195. Poems, II, p. 646, 1. 193.
121
What Justice in rewarding Merit! What Magnanimity of Spirit! What Lineaments divine we trace Thro' all the Features of his Face; Tho' Peace with Olive bind his Hands, Confest the conqu'ring Hero stands.
Hydaspes, Indus, and the Ganges,
Dread from his Hand impending Changes.
From him the Tartar, and Chinese,
Short by the Knees intreat for Peace.
The Consort of his Throne and Bed,
A perfect Goddess born and bred. Appointed sov'reign Judge to sit On Learning, Eloquence and Wit. Our eldest Hope, divine Iülus, (Late, very late, O, may he rule us.) What early Manhood has he shown, Before his downy Beard was grown! Then Think, what Wonders will be done By going on as he begun; An Heir for Britain to secure As long as Sun and Moon endure.93
Swift hat freilich das adäquate Verständnis der „panegyrischen" Passagen auf die lange Hand hin vorbereitet; ja, man kann sagen, das ganze Gedicht ist konzipiert im Hinblick auf das ironische Panegyrikon am Ende. Der Leser sieht es zwangsläufig im Zusammenhang der Fiktion des "old experienc'd Sinner", er versteht es als Machwerk eines heuchlerischen, opportunistischen Scribbler, der der Parole folgt, "[that] You cannot err on Flatt'ry's Side", 94 und der die Eitelkeit und den Stolz der Mächtigen skrupellos zum eigenen Vorteil zu nutzen sucht. So gesehen, müssen die panegyrischen Passagen als Ausdruck verachtenswerter Schmeichelei erscheinen. Gleichzeitig aber muß der Leser, der Swifts Verfahren der ironischen Inversion des eigenen Standpunkts durchschaut, in diesem,Loyalitätsgesang'95 einen bitteren satirischen Angriff auf das Königshaus und die Regierung erkennen, der Züge einer diffamierenden Invektive hat. Formal betrachtet, blieb Swift als Autor anonym, nicht zuletzt wohl, um sich vor Strafverfolgung zu sichern. Was seine Thematik, die Unver53 95
94 Ebd., p.657,1. 470. Ebd., p.655,11. 411-36. "Songs of Loyalty", ebd., p.650,1. 290.
122
söhnlichkeit seines Standpunkts und sein literarisches Verfahren betrifft, w a r er freilich - zumindest von seinen Freunden - eindeutig zu identifizieren, wie ihm Pope in seinem Brief vom 6. J a n u a r 1 7 4 3 zu wissen gab: Your method of concealing your self puts me in mind of the bird I have read of in India, who hides his head in a hole, while all his feathers and tail stick
96
Pope to Swift, Correspondence, IV, p. 217.
123
VII.
"Only a Man of Rhimes...": Swifts Dichtungstheorie
1. Raillery, Wit, Humour Swift hat keine geschlossene Dichtungstheorie hinterlassen; dennoch äußerte er sich verschiedentlich — vor allem in den Jahren nach der Publikation von Gulliver's Travels (1726) - zur Intention, zur Methode und zu den Themen seiner Dichtung. Jedoch bereits in den frühen Oden finden sich einige für Swifts Dichtungskonzeption zentrale poetologische Begriffe, vor allem das Verb to rail. Im Hinblick auf die eigene, ursprünglich milde Muse stellt Swift in seiner "Ode to Dr. William Sancroft" fest: "No province now is left her but to rail"; 1 und in seiner Ode "Occasioned by Sir W-T-'s Late Illness and Recovery" klagt er die Muse heroischer Dichtung an: "The malice thou inspir'st I never fail / On thee to wreak the tribute when I rail". 2 — In Anbetracht der Tatsache, daß Swift die Begriffe to rail, railing und raillery auch später wiederholt zur Charakterisierung seiner schriftstellerischen Grundhaltung heranzog, erscheint es als angemessen, den Bedeutungsnuancen dieser Begriffe im Werke Swifts ausführlicher nachzugehen. Aus dem Kontext der zitierten Oden wird deutlich, daß to rail3 als Inbegriff der satirischen Haltung Swifts aufzufassen ist.4 Swift sieht die Menschen beherrscht von ,Neid' und ,Stolz', ,Ehrgeiz' und ,Unwissenheit';5 sein Zeitalter erscheint als ,korrupt' 6 und ,vergiftet' 7 . Angesichts einer Welt von ,Wahnsinnigen' 8 und ,Narren' 9 verfällt Swift in "indignation", 10 "anger", 11 "wrath", 12 "rage", 13 "scorn", 14 "hate". 15 Aus seinem Haß und seiner Entrüstung resultiert der Entschluß, die Dummheit und die Sünde zu geißeln: I 4 5 8 II 14
Poems, I, p.38,1. 110. 2 Ebd., p.53,1. 85f. 3 Ebd., p.38, 1. 110; p.53, 1. 86. Zur Verwendung des Begriffs satire siehe ebd., p.42,1. 259; p.48,1. 176. Ebd., p.39, IL 163-68. 6 Ebd., p.38, 1. 109. 7 Ebd., 1. 118. "Madmen", ebd., p.35,1. 14. » "Fools", ebd., p.37,1. 79. 10 Ebd., p.45, 1. 55. Ebd., p.38, 1. 108; p.42, 1. 259. 12 Ebd., p.47, 1. 136. 13 Ebd., p.42,1. 262. Ebd., p.53,1. 48; p.55, 1. 134. 15 Ebd., p.47,1. 133; p.53, 1. 84.
124
My hate, whose lash just heaven has long decreed Shall on a day make sin and folly bleed.16 Für die hier angedeutete satirische Haltung verwandte man gemeinhin den Begriff railing, wie Norman Knox in seinem Buch The Word Irony ausführlich darlegt. - Railing ist das and Its Context. 1500-175517 Produkt leidenschaftlichen Zorns und feindseliger Verachtung; diese Art der Satire zeichnet sich aus durch die Tendenz zu unerbittlicher Bloßstellung und rücksichtsloser Aggressivität; sie will Wunden schlagen und Schmerz verursachen; sie gerät häufig zur Invektive und ist ihrem Wesen nach humorlos ernst. Die Haltung des railing geriet in der Zeit der Restauration zunehmend in den Ruf, grobschlächtig und ästhetisch unbefriedigend zu sein. Die Vorstellungen von refinement und elegance, politeness und restraint, moderation und ease, die gleichermaßen gesellschaftliche und literarische Idealvorstellungen waren, begannen sich auch in der satirischen Dichtung durchzusetzen und die satirische Strategie des railing zu verdrängen; gegen sie polemisierte etwa der Earl of Mulgrave in seinem Essay upon Poetry (1682): Some think if sharp enough, they cannot fail, As if their only business was to rail; But 'tis mens Foibles nicely to unfold, Which makes a Satyr different from a Scold. Rage you must hide, and prejudice lay down: A Satyr's Smile is sharper than his Frown.18 Repräsentativ für die Satiretheorie im späten 17. Jahrhundert sind Drydens Erläuterungen zum Begriff der fine raillery, die im Discourse concerning the Original and Progress of Satire (1693) enthalten sind. Drydens Definition ist in diesem Zusammenhang aber auch deshalb von Interesse, weil sie möglicherweise Swift veranlaßte, über die Prinzipien satirischer Dichtung nachzudenken, und ihn provozierte, seine eigenen Formen der raillery im Bewußtsein des Gegensatzes zu Dryden zu entwickeln. " 17
18
Ebd., p.47,1. 133f.; vgl. auch p.37,1. 91: "Each line shall stab, shall blast, like daggers and like fire." (Durham: N. C., 1 9 6 1 ) ; siehe dort pp. 1 9 0 - 9 2 . - Es kommt bei den folgenden Definitionen von railing und raillery nicht auf Vollständigkeit der historischen Belege an, sondern auf die deutlich unterscheidbaren historischen Hauptbedeutungen, die im Hinblick auf Swifts Dichtung wichtig sind. John Sheffield, Earl of Mulgrave, "An Essay upon Poetry" (1682), Critical Essays of the Seventeenth Century, ed. J. E. Spingarn (Oxford, 1908), II, p. 2 9 0 . - Zur Einschätzung von "smiling satire" und "savage satire" im augusteischen Zeitalter siehe P. Κ. Elkin, The Augustan Defence of Satire (Oxford, 1973), p p . 1 4 6 - 6 6 .
125
Fine raillery als die höchste Form der Satire resultiert aus einer literarisch verfeinerten Mentalität: "The nicest and most delicate touches of satire consist in fine raillery." 19 Der Stoß, den der Railleur gegen das satirische Objekt führt, gelingt dann am besten, wenn er mit artistischem Raffinement in formaler Vollendung geführt wird; nicht von ungefähr bedient sich Dryden daher gerade in diesem Zusammenhang des Epithetons "delicate", das für ihn Konnotationen wie "light", "sensitive", "finely expressed", "refined", "elegant", "appropriate", "graceful" hatte 20 und damit die höchsten ästhetischen Werte repräsentierte.21 Die Vorstellung, daß der Satiriker sein Handwerk ohne Emotion, mit spielerischer Eleganz und ästhetischer Perfektion beherrschen müsse, führt zum Vergleich mit einem meisterlichen Scharfrichter: There is still a vast difference between the slovenly butchering of a man, and the fineness of a stroke that separates the head from the body, and leaves it standing in its place. 2 2
Grundsätzlich bleibt Dryden auch bei seiner Definition von fine raillery dem Prinzip treu, "[that] the poet is bound, and that ex officio, to give his reader some one precept of moral virtue, and to caution him against some one particular vice or folly". 23 Fine raillery soll Schmerz verursachen, um moralische Wirkung zu erzielen. Sie soll dies jedoch ,heimlich' tun: Dryden verwirft die Praktiken des frontalen Angriffs zugunsten subtiler, indirekter Methoden: er verzichtet darauf, Namen zu nennen oder auch ,große Verbrechen' und moralische Laster in direkter Weise anzuprangern; stattdessen zielt er ab auf die geistreiche Verspottung kleiner Schwächen und Absonderlichkeiten, so daß er gewiß sein kann, daß die attackierte Persönlichkeit nicht beleidigt oder wütend, sondern erheitert, lächelnd auf die geistreiche Attacke reagiert: "A witty man is tickled while he is hurt in this manner, and a fool feels it not." 24 Trotz der grundsätzlich moralischen Absicht ist diese Art satirischer Dichtung in erster Linie von ästhetischen Prinzipien her konzipiert; sie zielt darauf ab, einem verfeinerten, literarisch gebildeten, aristokrati19
20
21
22
John Dryden, "A Discourse concerning the Original and Progress of Satire" (1693), Essays of John Dryden, ed. W. P. Ker, II, p.92. Siehe dazu H. James Jensen, A Glossary of John Dryden's Critical Terms (Minneapolis, 1969), p. 39. Vgl. dazu auch Drydens Feststellung, "[that] Delicat et bien tourne are the highest commendations which they [the French critics] bestow on a masterpiece" ["A Discourse concerning the Original and Progress of Satire", Essays of Dryden, ed. Ker, II, p. 109], 2 3 Ebd., p.104. 2 4 Ebd., p.93. Ebd., p.93.
126
sehen Publikum Vergnügen zu bereiten. Für Dryden wird fine wesentlich mitbestimmt durch die manners,
raillery
den für die höfisch-aristo-
kratische Gesellschaft verbindlichen „Kodex moralisch indifferenter ästhetischer Werte"; Gerd Stratmann führt dazu aus: Die Satire wird hier offensichtlich gewissen sozialen Spielregeln unterworfen: Das Bloßstellen von moralischen Lastern ist ein Verstoß gegen die manners und kann ("justly"!) bestraft werden; der elegante ... Angriff auf gewisse Extravaganzen ... beruft sich ... auf den Maßstab der manners. Hat der Angegriffene die Spielregeln verstanden, so ist er 'too witty to resent it as an injury'. . . . Dem wahren wit geht es nicht um didaktische und pädagogische Aufgaben, sondern um die Meisterung einer ästhetischen Aufgabe. 25 Wie Norman Knox insbesondere an Textbeispielen von Flecknoe, Pope und Fielding darlegt, 26 wurde der Begriff raillery
in einer weiteren,
inhaltlich deutlich unterschiedenen Bedeutung verwendet; er bezeichnete dann eine Form heiterer Ironie, die nicht darauf abzielte, bloßzustellen oder lächerlich zu machen, sondern gerade im Gegensatz dazu verwandt wurde, um auf geistreich indirekte Weise Wohlwollen, Zuneigung, Freundschaft auszudrücken: One type of such raillery was praise-by-blame irony: under the clever hand of the rallier mock faults turned into real virtues and mock ridicule turned into real praise. ...The second type attacked either imaginary failings or real peccadilloes and aberrations so minor in nature no one could mind having them noticed. The motive of the rallier was friendly affection or simply the desire to furnish a little entertainment.27 Diese Art der raillery
ist ein heiteres, galantes Spiel, das wohl in erster
Linie der Selbstbestätigung einer kultivierten, durch politeness
und wit
bestimmten Gesellschaftsschicht diente und sowohl in der Konversation als auch in der leichten Gelegenheitsdichtung praktiziert wurde. Es ist die Kunst, Bagatellhaftes, Triviales mit intellektuellem und ästhetischem Raffinement interessant zu machen. Diesen Aspekt hatte vor allem La Bruyere hervorgehoben: There are abundance of obscene, a great many more railing and satyrical Wits, but very few delicate. A Man must have manners and politeness to trifle with a good grace, and a copious fancy to play handsomely on little things, to create matter of raillery, and make something out of nothing. 28 25 26 27 28
Gerd Stratmann, Englische Aristokratie und klassizistische Dichtung, S. 112f. Norman Knox, The Word Irony and its Context (Durham, Ν. C., 1961), pp. 196-200. Ebd., p. 197. La Bruyere, The Character, or the Manners of the Age ... Made English by several hands ... (London, 1699), p.6; zit. in Knox, p. 198.
127
Wenngleich sich Swift in den letzten seiner pindarischen Oden entschieden zur Haltung des railing bekennt, so muß man diese Tatsache doch vor allem als Auswirkung einer temporären, heftigen Resignation und Frustration sehen. — Swifts spätere Versdichtung läßt sich nicht einfach als satirische Dichtung etikettieren und erst recht nicht generell auf die Haltung des railing festlegen. Swifts Absage an die Kunst der pindarischen Ode war zugleich eine Absage an die offizielle und öffentliche Kunst und Kritik. Swift distanzierte sich nicht theoretisch etwa mit Hilfe eines kritischen Systems, er bemühte sich auch nicht um eine eigene ästhetische oder moralistische Theorie. Er verstand sich vornehmlich als literarischer Amateur, entwickelte eine Neigung zu trivialen Themen, schrieb zur eigenen Unterhaltung und zum Vergnügen der Freunde im Bewußtsein der Unabhängigkeit von dichterischer Konkurrenz. Im Zusammenhang solcher dichterischer Praxis erhielt die Haltung der raillery Bedeutung, nicht freilich im Sinne von Drydens fine raillery, ebensowenig in der Bedeutung von sharp raillery.29 Swift ging auf den Begriff raillery zum ersten Mal in seinen Hints towards an Essay on Conversation (ca. 1710) 30 ein. Raillery ist hier, ganz im Sinne letzterer Definition, die höchste Form geistreicher Konversation, die Kunst des galant-ironischen Kompliments und ein Produkt verfeinerter ästhetischer Bildung: Raillery was to say something that at first appeared a Reproach, or Reflection; but, by some Turn of Wit unexpected and surprising, ended always in a Compliment, and to the Advantage of the Person it was addressed to. And surely, one of the best Rules in Conversation is, never to say a Thing which any of the Company can reasonably wish we had rather left unsaid; nor can there any Thing be well more contrary to the Ends for which People meet together, than to part unsatisfied with each other, or themselves.31
Die Konversation stellt für Swift eine Aktivität dar, die nicht nur die Möglichkeit eleganter, geistreicher Unterhaltung bot, sondern gleichermaßen eine erzieherische und moralische Funktion erfüllte.32 Wenn er klagt, daß die Formen der politeness - und damit auch die Kunst der 29
30 31 32
Zu Swifts Begriff der raillery siehe auch John M. Bullitt, "Swift's 'Rules of Raillery'", Veins of Humor, ed. Harry Levin (Cambridge: Mass., 1972), pp. 9 3 - 1 0 8 . Bullitt erläutert Swifts raillery im Sinne der praise-by-blame-irony und demonstriert diese Art des Humors ausschließlich an Swifts Briefen. Zur Datierung siehe Prose Works, IV, p . X X X I . Ebd., p.91f. Ebd., p. 9 2 : "The two chief Ends of Conversation are to entertain and improve those we are among, or to receive those Benefits ourselves."
128
raillery - nach der Zeit Karls I. zunehmend degenerierten,33 so klagt er damit gleichzeitig über den Verfall moralischer Werte: The Reason ... why Conversation runs so low at present, is not the Defect of Understanding; but Pride, Vanity, ill Nature, Affectation, Singularity, Positiveness; or some other Vice, the Effect of a wrong Education.34 Swift verhöhnt die Beaux und die Scribbler, vor allem auch jene Vertreterinnen des weiblichen Geschlechts, die es bestenfalls zu einer schlechten Nachahmung wirklicher raillery, meist jedoch nur zum railing, bringen, nicht nur, weil es ihnen an Geist, Humor, Bildung mangelt, — er verhöhnt sie auch aus moralischer Entrüstung. "Betty the Grizette" (1730) etwa ist ein Muster degenerierter, vulgärer raillery: SETS of Phrases, cut and dry, Evermore thy Tongue supply. And, thy Memory is loaded With old Scraps from Plays exploded. Stock't with Repartees and Jokes, Suited to all Christian Fokes: Shreds of Wit, and senseless Rhimes, Blunder'd out a Thousand Times. Nor, wilt thou of Gifts be sparing, Which can ne'er be worse for wearing. Picking Wit among Collegions, In the Play-House upper Regions; Where, in Eighteen-penny Gall'ry, Irish Nymphs learn Irish Raillery: But, thy Merit is thy Failing, And, thy Raillery is Railing. THUS, with Talents well endu'd To be scurrilous, and rude; When you pertly raise your Snout, Fleer, and gibe, and laugh, and flout; This, among Hibernian Asses, For sheer Wit, and Humour passes! Thus, indulgent Chloe bit, Swears you have a World of Wit. 35 Betty vermengt Abgedroschenes, Modisches, Triviales; in ihrem Geschwätz manifestieren sich Geistlosigkeit und Unbildung, Dünkel 33
35
34 Ebd., p. 244. Siehe ebd., p. 94. Poems, II, p.523, 11. 1 3 - 3 6 ; siehe auch "The Furniture of a Woman's Mind" (1727), p . 4 1 5 f „ u. "Strephon and Chloe", p. 592, 1. 267ff.
129
u n d I m p e r t i n e n z . S i e r e p r ä s e n t i e r t d e n A n t i - T y p w a h r e r raillery. K u n s t d e r raillery,
-
Die
die e b e n s o w i e in der K o n v e r s a t i o n a u c h in der
D i c h t u n g A n w e n d u n g f i n d e n k a n n , charakterisiert S w i f t v o r a l l e m in s e i n e m G e d i c h t " T o M r . D e l a n y " ( 1 7 1 8 ) ; zugleich r ü h m t er d o r t d e n f r a n z ö s i s c h e n D i c h t e r u n d Briefautor V i n c e n t V o i t u r e ( 1 5 9 8 - 1 6 4 8 ) als d e n unübertroffenen Meister dieser subtilen,
wohlwollend-ironischen
M e t h o d e u n d g i b t z u e r k e n n e n , d a ß er i n i h m s e i n V o r b i l d s i e h t : Our Conversation to refine True H u m o r must with Wit combine: From both, w e learn t o Railly well; Wherein French Writers m o s t excell: Voiture in various Lights displays T h a t Irony w h i c h turns to Praise, H i s Genius first f o u n d o u t the Rule For an obliging Ridicule: H e flatters w i t h peculiar Air T h e Brave, the Witty, and the Fair; A n d Fools w o u l d fancy he intends A Satyr w h e r e he m o s t c o m m e n d s . 3 6 K o n v e r s a t i o n i n i h r e r i d e a l e n F o r m ist f ü r S w i f t e i n q u a s i - l i t e r a r i s c h e s Spiel, die D i c h t u n g handelt -
s o l a n g e es s i c h u m D i c h t u n g i m
Freundeskreis
eine heitere, unterhaltende Gesellschaftskunst.37 D i e s e Ver-
w a n d t s c h a f t v o n K o n v e r s a t i o n u n d D i c h t u n g ist n i c h t z u l e t z t a b l e s b a r , d a ß humour
u n d wit
V o r a u s s e t z u n g e n d a r s t e l l e n . In d e r " A p o l o g y " ( 1 7 0 9 ) z u A Tale Tub 36
37
daran
für beide g l e i c h e r m a ß e n unverzichtbare of
a
hatte Swift betont,
Ebd., I, p.216, 11. 2 9 - 5 0 . - Aus dem Auktionskatalog der Bibliothek Swifts [Harold Williams (ed.), Dean Swift's Library (Cambridge, 1932)], geht hervor, daß der Dean of St. Patrick's die Werke Voitures in zwei Ausgaben besaß, in der Pariser Ausgabe von 1652 und in der Brüsseler Ausgabe von 1695 (siehe ebd., p. 10 und p.4). - Zu Voitures Technik der raillery siehe Bullitt, p. 99t. Die Beziehungen zwischen Konversation und Dichtung hatte vor Swift insbesondere Dryden in seinem "Defence of the Epilogue" betont: "The last and greatest advantage of our writing . . . proceeds from conversation.... Now, if any ask me whence it is that our conversation is so much refined, I must freely . . . ascribe it to the Court; and, in it, particularly to the King, whose example gives law to it" (Ker, I, p. 176). Während Dryden eine einseitige Beeinflussung der Kunst — insbesondere der Komödie — durch die Konversation behauptet, sind für Swift Kunst und Konversation komplementäre Bereiche, die sich gegenseitig befruchten sollten; überdies erschien Swift die französisierende Galanterie und Eleganz am Hofe Karls II. zu dekadent und moralisch zu indifferent, als daß er sie zum Vorbild für seine Dichtung und die ihr gemäßen Formen der raillery hätte machen können; nicht von ungefähr rekurriert er daher in der Einführung zu seiner Polite Conversation (1738) auf die "Introduction of Cant-Words, in the Reign of King Charles the Second" (Prose Works, IV, p. 105). 130
[that], as Wit is the noblest and most useful Gift of humane Nature, so Humor is the most agreeable, and where these two enter far into the Composition of any Work, they will render it always acceptable to the World. 38 In " T o M r . Delany" ging Swift ausführlicher auf die beiden Begriffe ein und setzte sie definitorisch gegeneinander ab: Three Gifts for Conversation fit Are Humor, Raillery and Witt: The last, as boundless as the Wind; Is well conceiv'd thö not defin'd; For, sure, by Wit, is onely meant Applying what we first Invent: What Humor is, not all the Tribe Of Logick-mongers can describe; Here, onely Nature acts her Part, Unhelpt by Practice, Books, or Art. For Wit and Humor differ quite, That gives Surprise, and this Delight: Humor is odd, grotesque, and wild, Onely by Affectation spoild, Tis never by Invention got, Men have it when they know it not. 39 Die Funktion des wit sieht Swift darin,,Überraschung' zu erzeugen. Die überraschende Wirkung resultiert aus der unberechenbaren, verblüffenden Agilität des Geistes, auf die hier das Simile "boundless as the W i n d " verweist. Eine gewisse Beziehung dieser twi-Konzeption zu Addisons und letztlich Lockes Auffassung von wit ist dabei unübersehbar. Locke hatte wit und judgment sorgfältig voneinander unterschieden: For wit lying most in the assemblage of ideas, and putting those together with quickness and variety wherein can be found any resemblance and congruity, thereby to make up pleasant pictures and agreeable visions in the fancy; judgment, on the contrary, lies quite on the other side, in separating carefully one from another ideas wherein can be found the least difference, thereby to avoid being misled by similitude, and by affinity to take one thing for another. 40 38 39
40
A Tale of a Tub, p. 18. Poems, I, p. 215,11.13-28.- Maurice Johnsons Kapitel über "Swift's Idea of Wit" (The Sin of Wit, pp.67—75) enthält kaum mehr als eine kurze Darstellung einiger wichtiger Theorien des wit im 17. und frühen 18. Jahrhundert, denen in lockerer Anordnung einige Zitate zum Thema wit aus den Werken Swifts beigefügt sind. John Locke, An Essay concerning Human Understanding (1690), II, XI, 2.
131
A d d i s o n h a t t e ausdrücklich L o c k e s B e s t i m m u n g des Wii-Begriffs gutgeheißen und i m A n s c h l u ß d a r a n v o r allem über die V o r a u s s e t z u n g e n des Überraschungseffekts reflektiert: In order, therefore, that the resemblance in the ideas be wit, it is necessary that the ideas should not lie too near one another in the nature of things, for where the likeness is obvious, it gives no surprise. 41 Wenngleich
die Beziehung
zu L o c k e s
«^Y-Begriff offensichtlich
ist,
bedeutet wit bei Swift nicht allein das rationale V e r m ö g e n , blitzschnell die K o n g r u e n z v o n scheinbar D i s p a r a t e m zu erfassen u n d aufzuzeigen, u m einen a n g e n e h m e n Uberraschungseffekt zu schaffen. F ü r Swift ist wit v o r allem das V e r m ö g e n , das das Wissen und die A r g u m e n t e , die im G e d ä c h t n i s gespeichert s i n d , , a n w e n d e t ' , u m Erkenntnis zu g e w i n n e n . 4 2 D a ß die Aktivität des wit o h n e den Einsatz gesicherten Wissens ins Leere geht, hatte Swift bereits früher unterstrichen, im V o r w o r t zu The of the
Battie
Books:
Wit, without knowledge, being a sort of cream, which gathers in a night on the top, and, by a skilful hand, may be soon whipped into froth, but once scummed away, what appears underneath will be fit for nothing but to be thrown to the hogs. 4 3 D a s V e r m ö g e n des wit ist für Swift ein kritisches, analytisches V e r m ö gen und s o m i t d e m V e r m ö g e n des judgment
41 42
43
44
v e r w a n d t . 4 4 D e r wit erfüllt
The Spectator, No. 62, 11 May 1711, I, p. 264. Siehe dazu "To Mr. Delany", 1. 17f. - Das Aufspüren des Wissens und der Argumente, die im Gedächtnis gespeichert sind, bezeichnet Swift als invention; in dieser Bedeutung wird der Begriff nicht nur in "To Mr. Delany" (1. 18,1. 27) verwendet, sondern später erneut in "An Epistle to a Lady" (1. 216). - Dieses Begriffsverständnis entspricht dem im 17. Jahrhundert vorherrschenden. Swift fand es bei verschiedenen Autoren vorgeprägt, so etwa bei Francis Bacon: "The use of this invention is no other but out of the knowledge whereof our mind is already possessed, to draw forth or call before us that which may be pertinent to the purpose which we take into consideration" (Works, III, p.389). - Zum inventio-Begriff und zur Schnelligkeit der inventio, insbesondere im 17. Jahrhundert, siehe Karl Josef Höltgen, "John Drydens 'nimble spaniel'. Zur Schnelligkeit der inventio und imaginatio", Lebende Antike, hg. von H. Melier und H.J. Zimmermann (Berlin, 1967), S. 233—49. A Tale of a Tub, To which is added The Battle of the Books and The Mechanical Operation of the Spirit, ed. A. C. Guthkelch and D. Nichol Smith, 2nd ed. (Oxford, 1958), p.215f. - Zu den literaturtheoretischen bzw. -kritischen Aspekten von A Battle of the Books siehe Günter Ahrends, "Theorie der Dichtung und der literarischen Kritik in Swifts Battle of the Books", GRM, 49 (1968), S. 360-80. Der Begriff judgment, der ansonsten in der klassizistischen Literaturtheorie eine bedeutende Rolle spielte, wird von Swift an keiner Stelle seines Werks definiert; die inhaltliche Kongruenz von wit und judgment wird von Swift nie explizit festgestellt, läßt sich daher nur interpretatorisch erschließen.
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für ihn demnach in etwa jene Funktionen, die auch bei der Bestimmung des esprit in La Rochefoucaulds Reflexions ou Sentences et Maximes Morales benannt werden. Daß Swift mit der 97. Maxime La Rochefoucaulds — den er als einen verwandten Geist und als eines seiner literarischen Vorbilder betrachtete45 — vertraut war, ist unzweifelhaft; und man darf vermuten, daß er La Rochefoucaulds Werk vor allem durch die englische Übersetzung aus dem Jahre 1694 kannte: The making a Difference between Wit and Judgment, is a Vulgar Error. Judgment is nothing else but the exceeding Brightness of Wit, which, like Light, pierces into the very Bottom of Things, observes all that ought to be observed there, and discovers what seemed to be past any bodies finding out: From whence we must conclude, that the Energy and Extension of this Light of the Wit, is the very Thing that produces all those Effects, usually ascribed to the Judgment. 4 6
Insofern als Swift in "To Mr. Delany" wit und humour als kontrastierende Begriffe verwendet, läßt auch die Definition von humour Rückschlüsse auf Swifts Verständnis von wit zu. Indem er feststellt, daß im Falle des Humors "onely Nature acts her Part, / Unhelpt by Practice, Books, or Art", impliziert er, daß das Vermögen des wit nicht ausschließlich, vielleicht nicht einmal vorrangig, auf einer natürlichen Veranlagung bzw. Begabung beruht, sondern eben durch Übung, Studium, Beherrschung der künstlerischen Mittel geformt und verfeinert werden kann. Wit zeichnet sich aus durch Methode und Technik, wird also im Unterschied zu humour nicht wesentlich bestimmt durch die individuelle Persönlichkeit des Railleurs bzw. Dichters. Wenngleich Swift in A Tale of a Tub "Humor" als die »angenehmste Begabung der menschlichen Natur' beschrieben hatte, so hatte er doch "Wit" als der ,vornehmsten' und nützlichsten' den Vorrang eingeräumt.47 Später revidierte er offenbar diese Auffassung zugunsten von "Humor"; 1728 vermerkte er im Intelligencer: 45
4i
47
Swift schrieb am 26. November 1725 an Pope über seine Beziehung zu La Rochefoucauld: "Rochfoucault... is my Favourite because I found my whole character in him" (Correspondence, III, p. 118). - Im Auktionskatalog der Bibliothek Swifts sind La Rochefoucaulds Reflexions ou Sentences et Maximes Morales nicht enthalten. Moral Maxims and Reflections (London, 1694), Maxim 97. - Wit ist die Übersetzung von frz. esprit. — Die Maxime lautet in der Fassung der 5. Auflage der Maximen von 1678: "On s'est trompe lorsqu'on a cru que l'esprit et le jugement etaient deux choses differentes: le jugement n'est que la grandeur de la lumiere de l'esprit; cette lumiere penetre le fond des choses, eile y remarque tout ce qu'il faut remarquer, et apersoit celles qui semblent imperceptibles. Ainsi il faut demeurer d'accord que c'est l'etendue de la lumiere de l'esprit qui produit tous les effets qu'on attribue au jugement." A Tale of a Tub, p. 18.
133
Humour . . . in its Perfection, is allowed to be much preferable to Wit; if it be not rather the most useful, and agreeable Species of it. 48
Die Begriffserläuterungen in "To Mr. Delany" sind zu sporadisch, um klar erkennen zu lassen, inwiefern humour dazu geeignet ist, Vergnügen zu bewirken; dennoch zeichnen sich einige charakteristische Merkmale ab: Im Unterschied zu wit ist humour eine menschliche Eigenschaft, die allein auf einer natürlichen Veranlagung beruht, nicht also durch Studium und Bildung erworben oder „verbessert" werden kann; damit aber ist sie auch unabhängig vom sozialen Status: Neither is it a Talent confined to Men of Wit, or Learning; for we observe it sometimes among common Servants, and the meanest of the People, while the very Owners are often ignorant of the Gift they possess. 49
Humour ist für Swift der Inbegriff der Einmaligkeit und Besonderheit der Persönlichkeit; und wenn er humour als "odd, grotesque, and wild" 50 apostrophiert, gibt er damit zu erkennen, daß er exzentrische, bizarre, absonderliche Züge als Ausdruck von Individualität nicht nur duldet, sondern in ihnen gerade eine Manifestation der Mannigfaltigkeit der menschlichen Natur sieht. Wo individualistische Züge freilich eine einstudierte, durch Gewöhnung verfestigte Pose sind, kritisiert er sie als Affektiertheit. 51 Edward N. Hooker hat in seinem Aufsatz über "Humour in the Age of Pope" 52 den ideengeschichtlich bedeutsamen Wandel im Verständnis des humour-Begriiis verbindlich beschrieben. Er unterscheidet in der Restaurationszeit zwei Hauptbedeutungen: 1) a powerful individual inclination, 'a Crookedness of the Mind', a singularity with deep emotional roots; . . . the humourist of this type is 'one who has violent and peculiar passions'. 53 2) 'a fainter or weaker passion', 'without any rule but the present whim'; it is 'a toyish conceit', or a 'wilful fansie'. A humourist of this second class is not a man with a violent or virtually ineradicable impulse driving him in a certain direction, but an unstable temperament, the man whose fancies, like messy children, scramble rowdily through the corridors of the soul's mansion, where reason alone ought to prevail. 54 48 49
50 52 53
Intelligencer, No. Ill (1728), Prose Works, XII, p. 32. Ebd., p.33. - Swifts Position unterscheidet sich somit deutlich von derjenigen Addisons, derzufolge humour als ein Vermögen erscheint, das "Truth, Good Sense, Wit, Mirth" voraussetzt, d. h. an intellektuelle und literarische Bildung gebunden ist; siehe Spectator, No. 35, 10 April 1711,1, p,146f. Poems, I, p.216,1. 25. 51 Ebd., 1. 26. Huntington Library Quarterly, 11 (1947/48), pp.361-85. 54 Ebd, p.363. Ebd. 134
Gleich nun, ob es sich um das von einer heftigen Leidenschaft geprägte Individuum oder den skurrilen, exzentrischen Narren handelte, beide erweckten ,Mißbilligung und Verachtung', 55 beide wurden zur Zielscheibe satirischen Spotts, wobei freilich letzterer Typ glimpflicher davonkam. - Um 1700 erkannte man auch in der Literaturkritik zunehmend die menschliche Individualität als positiven Wert: Writers were becoming more concerned with understanding human nature than with stigmatizing an individual's deviations from the accepted pattern. ... A new view was formulating concerning the relation of the individual to society, a view which set special values upon genius and humour, an individualistic drive that tended to the diversification of mankind. 56
Zu den Konsequenzen der veränderten Einstellung gehörte es daher, daß exzentrische Züge einer Persönlichkeit nicht mehr satirischen Spott beschworen, sondern wohlwollende Heiterkeit: At least certain varieties of actions characterized by whim, eccentricity, or individual wilfulness had come to be regarded as amusing but harmless, as provocative of mirth but not scorn. 57
Es spricht einiges dafür, daß Swift mit Congreves Essay Concerning Humour in Comedy (1695) vertraut war, in dem zum ersten Mal die Vorstellung des Humors im modernen Sinn beschrieben wird. 58 Auch für Congreve ist humour eine Gabe der Natur, auch für ihn bedeutet affectation eine bewußte Verstellung der Persönlichkeit.59 Unter humour versteht er A singular and unavoidable manner of doing or saying any thing, Peculiar and Natural to one Man only, by which his Speech and Actions are distinguish'd from those of other men. 60
Humour als positiver Inbegriff menschlicher Individualität ist für ihn nicht geeignet, Spott und Verachtung zu bewirken, kann dementsprechend auch nicht mehr Gegenstand satirischer Dichtung sein.61 55 58
55
60 61
56 57 Ebd. Ebd., p.369f.; p.376. Ebd., p.366f. Nicht nur schätzte Swift die Komödien Congreves hoch ein (s. o., S. 45ff.), Congreves Essay erschien auch zu dem Zeitpunkt, als Swift nach einer eigenen poetischen Linie suchte und daher wohl eine so wichtige Schrift nicht unbeachtet ließ. "Humour is from Nature, ... and Affectation from Industry. Humour shews us as we are ... Affectation shews what we would be under a Voluntary Disguise" [Critical Essays of the Seventeenth Century, ed. Spingarn, III, p.246]). Ebd., p. 248. Siehe dazu auch die Prologe zu The Way of the World und Love for Love in The Works of William Congreve, ed. Montagu Summers (New York, 1924), II, p.93f., und III, p. 12f.
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Nach Swifts Vorstellung scheut sich der Railleur bzw. der humoristische Autor nicht, die absonderlichen Züge seiner Persönlichkeit in die Konversation bzw. in sein literarisches Werk mit eingehen zu lassen, ja er legt es darauf an, sich individuell und unverwechselbar zu artikulieren. Humor wird verstanden als die aus individueller Welterfahrung erwachsene Fähigkeit, über die Mitmenschen zu lächeln, — nicht freilich im bornierten Bewußtsein der eigenen intellektuellen oder moralischen Überlegenheit, sondern aus einer wohlwollenden, liebenswerten Heiterkeit heraus, die auch angesichts menschlicher Fehler und Launen, Schwächen und Absonderlichkeiten nicht versiegt. Das Ziel der raillery ist daher nichts anderes als "an obliging Ridicule"62 oder "an obliging Jest ... without Offence", 63 ein freundlicher und gefälliger Spott, der nicht verletzen oder brüskieren will, der sich auf korrigierbare Fehler richtet und zugleich das Wissen um die Tugenden und anderweitigen Vorzüge des Belächelten erkennen läßt. Die humorvoll-ironische Kunst der raillery ist gebunden an den privaten Kreis von Freunden und Bekannten, realisierbar nur im Bewußtsein gegenseitiger Sympathie und gegenseitigen Verständnisses. Der Railleur befaßt sich nicht mit den großen Themen der Zeit oder gar der Menschheit, sondern artikuliert in erster Linie Bagatellhaftes und Privates. Raillery ist daher auch die Kunst der Bagatelle, in der es — wie schon La Bruyere vermerkt hatte - darum geht, "to trifle with a good grace, ... to play handsomely on little things, ... and [to] make something out of nothing".64 Ein Blick in Swifts Versdichtung enthüllt freilich bald, daß die Gedichte, die man als Ausdruck heiterer raillery deuten kann, keineswegs eine beherrschende Stellung haben. Zweifellos gibt es eine Reihe von Gedichten, vor allem aus der Zeit nach 1714, in denen dieses Prinzip realisiert wird. Zu ihnen gehören die geistreichen Sticheleien und die amüsanten Spottverse, die zwischen Swift und seinen irischen Freunden — vor allem Thomas Sheridan, Patrick Delany und George Rochfort - etwa von 1718 an kursierten. Zu ihnen zählt "The Journal" (1721), in dem Swift aus der Sicht eines fidelen Urlaubers auf dem Lande possenhaft einen Tagesablauf in Gaulstown House, dem Wohnsitz der Rochforts, skizziert, und ebenso An Apology to the Lady C - R - Τ [Carteret], On Her Inviting Dean S - F - Τ To Dinner; He came accordingly, but, Her Ladyship being Abroad, went 62 i4
6 3 Ebd., p . 2 1 9 , 1 . 103. Poems, I, p . 2 1 6 , 1. 36. La Bruyere, The Character, or the Manners of the Age (London, 1699), p. 6; zit. in Knox, p. 198.
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away: At Her Return, She enquired for him; and not hearing of him, sent the next Day to invite him again: When he came, he went to make an APOLOGY, for his going away, but my Lady wou'd accept of none but in Verse (1725).65 Getragen vom Ton der raillery sind auch einige der für Stella bestimmten Geburtstagsgedichte, insbesondere das erste aus dem Jahr 1719 6 6 oder auch die Verse, die Swift zwei Jahre später zu Stellas Geburtstag schrieb. 67 Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang auch die Gruppe der Market-Hill-Gedichte, die während Swifts Aufenthalt im Hause Sir Arthur Achesons verfaßt wurden. 68 Als ein besonders gelungenes Beispiel dieses Typs erscheint mir "Dr. S w — to Mr. Ρ — e , While he was writing the Dunciad"; die launigen Verse entstanden 1727 in Popes Haus in Twickenham, als Swift unter einem Anfall von Schwerhörigkeit litt· Pope has the Talent well to speak, But not to reach the Ear; His loudest Voice is low and weak, The Dean too deaf to hear. A while they on each other look, Then diff'rent Studies chuse, The Dean sits plodding on a Book, Pope walks, and courts the Muse. Now Backs of Letters, though design'd For those who more will need 'em, Are fill'd with Hints, and interlin'd, Himself can hardly read 'em. Each Atom by some other struck, All Turns and Motion tries; Till in a Lump together stuck, Behold a Poem rise! Yet to the Dean his Share allot; He claims it by a Canon; That, without which a Thing is not Is, causa sine qua non. Thus, Pope, in vain you boast your Wit; For, had our deaf Divine Been for your Conversation fit, You had not writ a Line. Of Prelate thus, for preaching fam'd, The Sexton reason'd well, 65 67
Poems, II, p.374ff. Ebd., pp. 7 3 4 - 3 6 .
66 ί8
Ebd., II, p.721f.; Interpretation des Gedichts s.u., S. 190ff. Ebd., III, pp. 8 4 7 - 9 0 8 .
137
And justly half the Merit claim'd Because he rang the Bell.69
Dennoch sind häufig auch Gedichte, die auf der Basis freundschaftlicher Beziehungen entstanden, in einem Ton verfaßt, der die Unterscheidung zwischen wohlwollender Heiterkeit und zynischem Spott schwer macht. So erscheint es durchaus verständlich, daß man Swift bezichtigte, mit seinem Gedicht "The Journal" die Gastfreundschaft der Rochforts mißbraucht zu haben.70 Und es scheint auch nicht ausgeschlossen, daß der exzentrische, teils zynische Humor einiger der Market-Hill-Gedichte die Achesons brüskierte und zu einer anhaltenden Verstimmung führte. Selbst seinen Freunden dürfte es hin und wieder schwer geworden sein, raillery von bitterem Spott zu unterscheiden, auch wenn sie mit Swifts Auffassung vertraut waren, [That] Poets when a Hint is new Regard not whether false or true: Yet Raillery gives no Offence, Where Truth hath not the least Pretence. 71
Trotz der eindeutig ironischen Konzeption von "My Lady's Lamentation and Complaint against the Dean" (1728) dürfte Lady Anne Acheson kaum begeistert davon gewesen sein, zu einer geizigen, geistlosen, ungebildeten, störrischen, ältlichen ,Schnepfe' stilisiert zu werden.72 Und es fällt auch nicht schwer, sich vorzustellen, daß Sir Arthur über sein ironisches Portrait in "The Dean's Reasons for not Building at Drapier's Hill" (1730) verärgert gewesen sein könnte, in dem er als träger, stupider "Gosford Knight" dargestellt wird, Who keeps his wisdom out of sight; Whose uncommunicative heart, Will scarce one precious word impart: Still rapt in speculations deep, His outward senses fast asleep; Who, while I talk, a song will hum, Or, with his fingers, beat the drum; Beyond the skies transports his mind, And leaves a lifeless corpse behind. 73 "
70 72
Ebd., II, p.405f. - Zu Strophe 3: Pope geizte bekanntlich mit Papier; er schrieb gelegentlich auf bereits benutzte Umschläge und Rückseiten von Briefen, manchmal sogar zwischen die Zeilen. 71 Ebd., II, p.751,11. 75-78. Siehe dazu Poems, I, p.277. 73 Ebd., III, p.900, 11. 42-50. Ebd., III, p. 851-58.
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Was Swift daran hinderte, sich vorbehaltlos der raillery zu verschreiben, war letztlich wohl die Erkenntnis, daß sie nichts anderes als eine private, ironisch verbrämte Form der Panegyrik ist, der gegenüber er aufgrund seines skeptischen Menschenbildes starke Vorbehalte haben mußte. Was Swift am stärksten mit der Kunst der raillery verbindet, ist die Tatsache, daß er seine Gedichte, zumindest teilweise, als eine Form der privaten Unterhaltung, als literarische trifles, verstand. In diese Richtung weist auch der bereits zitierte Brief an Charles Wogan aus dem Jahre 1732, in dem der fünfundsechzigjährige Swift rückblickend sein dichterisches Selbstverständnis erläutert: I have been only a Man of Rhimes, and that upon Trifles, never having written serious Couplets in my Life; yet never any without a moral View. 7 4
Swift beschreibt hier in nuce das Autorenimage, das er sich im Laufe seiner schriftstellerischen Karriere zugelegt hat: Er gibt sich literarisch unambitioniert, stellt sich dar als unernster Poet des Alltäglichen und des Trivialen; gleichsam außer Konkurrenz, zu seinem privaten Vergnügen, schmiedet er seine Verse. Wie insbesondere an den Gedichten deutlich wird, die Swift und Sheridan austauschten,75 sind tatsächlich manche der Gedichte nicht mehr als ein witziges jeu d'esprit. Swift selbst kokettierte damit, wie mühelos und beiläufig er solche Verse schrieb. Am Ende seines "Lefthanded Letter to Dr. Sheridan" (20. September 1718) vermerkte der Dean: I beg your Pardon for using my left Hand, but I was in great Haste, and the other Hand was employed at the same Time in writing some Letters of Business. 76
Am Ende einer anderen „Vers-Epistel" rühmt er sich seiner Schnelldichterei: Written, sign'd, and seal'd, five minutes and eleven seconds after the receipt of yours, allowing seven seconds for sealing and superscribing, from my bedside, just 11 minutes after 11, Sept 15th 1 7 1 8 . 7 7
Thomas Sheridan steht hier Swift in nichts nach; auch er spielt mit dem Gedanken, die Verssprache sei für ihn das natürlichste Ausdrucksme74
75
Correspondence, IV, p. 52; vgl. dazu auch Swifts Brief an den Rev. Henry Jenney vom 8. Juni 1732, Correspondence, IV, p. 27: "What other things fell from me (chiefly in verse) were only amusements in hours of sickness or leisure, or in private families, to divert ourselves and some neighbours, but were never intended for publick view, which is plain from the subjects and the careless ways of handling them." 76 Ebd., p. 968. 77 Ebd., p. 980. Siehe Poems, III, p. 965ff.
139
dium der Welt, komme daher ganz besonders seiner wetterbedingten geistigen Trägheit entgegen. So beginnt er 1726 einen Brief an Swift: You will excuse me, I suppose, For sending rhyme instead of prose, Because hot weather makes me lazy, T o write in metre is more easy. 78
Es versteht sich, daß Feststellungen dieser Art nicht wörtlich zu nehmen, sondern als Ausdruck einer schriftstellerischen Pose zu bewerten sind, die dazu diente, das Beiläufige, Mühelose dieser Verse zu betonen, bzw. die geistige Anstrengung zu verbergen, die aufgewendet wurde, um den Eindruck der Leichtigkeit, Spontaneität und Kunstlosigkeit zu erwekken. Man pflegte die Kunst der Bagatelle als ein geistreiches Gesellschaftsspiel und als eine Darstellungsform kultivierter Bildung. Nicht von ungefähr rühmte Swift daher das Rebus einer heute nicht mehr identifizierbaren Dame: A genius like her's no Subject can stifle, It shews and discovers it self through a Trifle.79
Bolingbroke bezeichnete in seinem Brief vom 23. Juli 1726 Swift scherzend als "Professour of that divine Science, La Bagatelle."80 Swift selbst sah das Bagatellhafte als konstituierendes Merkmal vieler seiner Gedichte an; rückblickend schrieb er am 8. August 1738 an Pope und Bolingbroke: "Even at my best times I could produce nothing but trifles."81 Harold Williams hat die Gruppe der Vers-Bagatellen, die vor allem zwischen Swift, Sheridan, Delany und Rochfort ausgetauscht wurden, unter dem Titel "Trifles" in seiner Ausgabe der Poems zusammengefaßt. 82 Aber auch viele andere Gedichte Swifts lassen sich als trifles verstehen, unter ihnen "A Ballad on the Game of Traffick" (1702), "On the Little House by the Church Yard of Castleknock" (1710), "Jeux D'Esprit of the Scriblerus Club" (1714), die Gedichte aus dem Holyhead Journal (1727), die Rätsel, ebenso einige der Market-Hill-Gedichte wie zum Beispiel "On Cutting down the Old Thorn at Market Hill" (1728), nicht zuletzt "An Answer to the Ballyspellin Ballad" (1728). Für den Humor bzw. den Witz dieser leichten Gelegenheitsprodukte erscheint letzteres Gedicht besonders charakteristisch, das durch Sheri78 80
81
79 Poems, II, p.716,1. l l f . Ebd., p. 1042, 11. 1 - 4 . "Bolingbroke to the Three Yahoos of Twickenham", 23 July 1726, Correspondence Alexander Pope, ed. G. Sherburn (Oxford, 1956), II, p.384. 82 Poems, III, p. 965ff. Correspondence, V, p. 119.
140
of
dans amüsante, spöttische Ballade auf die wirkkräftige Heilquelle und den Kurbetrieb von Ballyspellan angeregt wurde. Sheridan hatte in jeder Strophe seines Gedichts mit artistischer Raffinesse den Namen "Ballyspellin" als Reim wort verwendet, bis er schließlich in gespielter Niedergeschlagenheit bekennen mußte: My Rhimes are gone, I think I've none, Unless I should bring Hell in; But since I am here to Heav'n so near,
I can't at Ballyspellin.83
Dies Eingeständnis forderte Swift heraus, nach weiteren Reimen zu suchen, um Sheridan in durchaus freundschaftlichem Wettstreit zu übertrumpfen; so schrieb er an seinen Amtsbruder John Worrall: We have a design upon Sheridan. He sent us in print a Ballad upon Ballyspelling, which he has employd all the Rimes he could find to that word; but we have found fifteen more, and employd them in abuseing his Ballad, and Ballyspelling to, .. , 8 4
Das Resultat dieses Dichtens, das durch ein „schwieriges" Reimwort angeregt wurde, ist ein heiteres jeux d'esprit, ein 15-strophiges, launiges Spottgedicht, voller unernster Sticheleien, Vorwürfe und Einwände: Dare you dispute You sawcy Brute, And think there's no refelling Your scurvey Lays, And senseless praise You give to Ballyspellin. Howe'er you flounce, I here pronounce Your Med'cine is repelling, Your Water's mud, And sowers the blood When drank at Ballyspellin, . . . 8 5
Wie an dem Zitat aus dem Brief an Charles Wogan deutlich wird, ist es jedoch auch kennzeichnend für Swifts literarisches Selbstverständnis, daß er nachdrücklich die moralische Grundtendenz seiner Dichtung betont, damit aber die Intention, durch seine Kritik erzieherisch und reformierend auf das sittliche Bewußtsein der Menschen einzuwirken. 83
84
85
Ebd., II, p.440,11. 6 9 - 7 2 . Letter to the Rev. John Worrall, 28 September 1728, Corr., Ill, p.302.
Poems, II, p. 440,11. 1-12.
141
Wie aber ist nun die scheinbar paradoxe Behauptung zu verstehen, gleichzeitig Verfasser von trifles und verantwortungsbewußter Moralist zu sein? Die Antwort auf diese Frage dürfte nicht nur einen zentralen Punkt in Swifts Dichtungsverständnis berühren, sie müßte auch klären, warum Swift selbst so eifrig die Publikation seiner „trivialen" Versdichtungen betrieb. 2. Zur Konzeption des Satirischen Der paradoxe Zug, den Swifts dichterische Selbstcharakterisierung im Brief an Charles Wogan enthält, ist nicht allein als Ausdruck einer spannungsreichen, individuellen Dichtungskonzeption zu verstehen, sicherlich auch nicht nur als das Resultat der Analyse der eigenen schriftstellerischen Praxis. Er ist Teil eines bewußt aufgebauten Autoren-Image, mit dessen Hilfe der Parodist und Satiriker Swift sich selbst und seine Dichtung vor Kritik, Anfeindung und wohl auch gelegentlich Strafverfolgung zu bewahren suchte. Sicherlich jedoch darf man hier die persönliche Motivation nicht zu hoch bewerten; denn Swifts Selbstdarstellung als Satiriker - mag sie auch zunächst nur nach persönlichem understatement aussehen — steht in der Tradition der Apologie des Satirikers, wie sie sich etwa bei Horaz und Juvenal, aber auch bei zeitlich näherstehenden Autoren — unter ihnen Boileau — findet, wie etwa P. K. Elkin ausführt: [They all] wanted to have it both ways, to be regarded at one and the same time as harmless jesters and serious reformers. 8 6
Swift nannte verschiedentlich Horaz als sein Vorbild, nach dem er sich selbst zu formen suchte. Imitationen wie "A Dialogue between an eminent Lawyer and Dr. Swift Dean of St. Patrick's, being an allusion to the first Satire of the second book of Horace" (1730), oder "Horace, Lib. 2, Sat. 6. Part of it Imitated" (1714) machen dies deutlich. Horaz versteht sich als Verseschmied,87 der ,im Ton der Alltagsrede schreibt', nicht aber als Dichter, der ,νοη schöpferischer Phantasie erfüllt' ist und ,νοη göttlicher Begeisterung einen Hauch verspürt'.88 Horaz schreibt nicht für die Öffentlichkeit und ist nur ungern bereit, 86 87 88
P. K. Elkin, The Augustan Defence of Satire (Oxford, 1973), p. 98. Siehe dazu Satiren, I, 4; I, 10. Horaz, Sat., I, 4, 1. 43f.: "ingenium cui sit, cui mens divinior atque os / magna sonaturum, des nominis huius honorem." - Übersetzung nach Horaz, Sämtliche Werke (München, 1967), II, p.31.
142
Freunden seine Verse vorzutragen, denn er schreibt ja nur zum eigenen Vergnügen und ohne den Ehrgeiz, als Dichter ernstgenommen zu werden. Andererseits leitet ihn jedoch das Bewußtsein, ein verantwortungsvoller Repräsentant von Tugend und Moral zu sein, sowie der Anspruch, durch die satirische Kritik korrupter Zeitumstände reformierend zu wirken. In seiner Rezension der Beggar's Opera (1728) vertritt Swift die orthodoxe didaktische Position des Satirikers: die lächelnde Satire in der Art des Horaz bezeichnet er als die nützlichste; denn das humorvolle Lächeln is certainly the best Ingredient towards that Kind of Satyr, which is most useful, and gives the least Offence; which, instead of lashing, laughs Men out of their Follies, and Vices; and is the Character that gives Horace Preference to
the
Juvenal.*9
Wenn sich Swift selbst im letzten seiner Geburtstagsgedichte für Stella (1727) als "not the gravest of Divines"90 bezeichnet, dann gewiß nicht, um anzudeuten, daß er es mit den Aufgaben seines geistlichen Berufes nicht ernst nimmt, sondern eher, um auf die ihm eigene, heitere, „ungravitätische" Methode, moralisch zu wirken, hinzuweisen. Swift bekannte sich zu der Horazischen Maxime, daß ,Scherz wichtige Fragen oft kräftiger und besser entscheidet als der leidenschaftliche Ernst'.91 In direkter Anlehnung an die Satire I, 10 stellt er in seiner "Epistle to a Lady" (1733) fest, "[that] Ridicule has greater Pow'r / To reform the World, than Sour"; 9 2 und er verkündet: "my Method of Reforming / Is by Laughing not by Storming". 93 Sicherlich ist es ein Charakteristikum augusteischer Satire, daß Theorie und Praxis häufig weit auseinander gehen; und gewiß betont P. K. Elkin nicht zu unrecht, daß Swift ein besonders gutes Beispiel für dieses Phänomen sei, "[that he] in theory upheld the Horatian ideal of smiling satire, but in practice sometimes put it behind him". 94 Die Problematik ist bei Swift jedoch komplexer, da bei ihm selbst die grundsätzlichen Positionen uneinheitlich, ja widersprüchlich sind. Die Frage nach der geistigen Verwandtschaft von Horaz und Swift stellten bereits die frühen Swift-Kritiker. Repräsentativ ist das Urteil Orrerys, demzufolge beide Satiriker sich gleichermaßen durch Geist und 89 90 91
92
Intelligencer, No. III (1728), Prose Works, XII, p.33. Poems, II, p.764, 1. 13. Horaz, Sat., I, 10,1. 14f.: "ridiculum acri / fortius et melius magnas plerumque secat res." - Übersetzung nach Horaz, Sämtliche Werke, p. 63. 93 Ebd., p.637,1. 229f. 94 Elkin, p,164f. Poems, II, p.636,1. 199t.
143
Humor auszeichnen, sich jedoch in ihrem satirischen Verfahren grundlegend voneinander unterscheiden: Both poets are equally distinguished for wit and humour. Each displays a peculiar felicity in diction: but, of the two, H O R A C E is the more elegant and delicate: while he condemns, he pleases. S W I F T takes pleasure in giving •
pain.
95
Wie sehr gerade dieser Zug das Bild des Satirikers Swift bestimmte, wird auch deutlich bei Deane Swift, der meinte: Like a skilful artist, he is fond of probing wounds to their depth, and of enlarging them to open view. H e prefers caustics, which erode proud flesh, t o softer balsamics which give more immediately ease. 9 6
Swift selbst wußte, daß man seine Satiren weithin als "sharp Raillery" verstand, 97 d. h. als Ausdruck einer moralistischen Methode, die darauf abzielt, menschliche Torheiten und Schwächen unnachgiebig zu verspotten und erbarmungslos zu geißeln. Der 63jährige Swift reflektiert in seiner Imitation der Satire II, 1 von Horaz über die Tatsache, [that] there are persons who complain There's too much satire in my vein, That I am often found exceeding The rules of raillery and breeding, With too much freedom treat my betters, Not sparing even men of letters.98 Er zeigt sich dennoch nicht bereit, die Tätigkeit als Satiriker aufzugeben und sich weniger riskanten und einträglicheren Bereichen der Dichtung zuzuwenden; denn er ist seinem Gewissen verpflichtet. 99 Dieses Gewissen entfremdet ihn mit zunehmendem Alter in verstärktem M a ß e der heiter-lächelnden Satire und drängt ihn zur bitteren Satire. Am 2 9 . September 1 7 2 5 hatte er an Pope geschrieben: " T h e chief end I propose to my self in all my labors is to vex the world rather then divert i t . " 1 0 0 Acht Jahre später, im April 1 7 3 3 , reflektierte er in einem Brief an Charles Ford: I think all men of wit should employ it in Satyr, if it will onely serve to vex Rogues, though it will not amend them. If my Talent that way were equal to the sourness of m y temper I would write nothing else. 1 0 1 95 96
97
98 100
Orrery, Remarks, p. 66. Deane Swift, An Essay upon the Life ... of Dr. Jonathan Swift, p.41f.; siehe auch p.235ff. Der Begriff "sharp raillery" ist belegt in Swifts Brief an Charles Wogan vom 2. August 1732, Correspondence, IV, p.53. Poems, II, p. 489,11. 1 - 6 . " Ebd., p. 490, 1. 37. 101 Ebd., IV, p. 138. Correspondence, III, p. 102.
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Swifts bitterste Satiren, für die das späte Gedicht " A Character, Panegyric, and Description of the Legion C l u b " (1736) 1 0 2 beispielhaft ist, resultieren aus einem elementaren Erlebnis der Frustration, vor allem im Hinblick auf die fehlenden Möglichkeiten der Einflußnahme im öffentlichen Leben. Swift tendiert zu geißelndem Spott aus dem resignierten Bewußtsein heraus, daß die Wirkung der Satire zu schwach sei, um den bestehenden politischen und sozialen Mißständen abzuhelfen oder die Menschheit zu bessern. Dem Satiriker bleibt daher nicht viel mehr übrig, als seiner ohnmächtigen Wut in zynischer Heiterkeit und grimmigem Spott Luft zu machen. Die ,Peitsche der Allekto' 1 0 3 ist daher Swifts Emblem; und seine Devise lautet: "Still to lash, and lashing Smile;" 1 0 4 in ihr wird erkennbar, daß Swift im Alter wieder an die satirischen Prinzipien anknüpfte, die er in den Jahren nach 1690 im Zuge seiner Distanzierung von der heroischen Dichtung erstmals vertreten hatte. Die "Epistle to a L a d y " (1733) enthält nicht nur die Definition dieser satirischen Haltung, sie enthält auch ein krasses Beispiel wütender politischer Invektive: Wicked Ministers of State I can easier scorn than hate: A n d I find it answers right: Scorn torments them more than Spight. All the Vices of a Court, D o but serve to m a k e me Sport. S h o u ' d a M o n k e y wear a C r o w n , M u s t I tremble at his Frown? C o u l d I not, thro' all his Ermin, Spy the strutting chatt'ring Vermin? Safely write a smart L a m p o o n , T o e x p o s e the brisk B a b o o n ? Let me, tho' the Smell be N o i s o m , Strip their B u m s ; let C A L E B hoyse 'em; Then, apply A L E C T O ' s Whip, Till they wriggle, howl, and skip. 1 0 5
Andererseits scheinen Swift gelegentlich doch Zweifel am Sinn seiner satirischen Wutausbrüche gekommen zu sein, und er mag die Möglichkeit zornigen, verächtlichen Schweigens als Ausweg aus seinem 102 105
103 Ebd., II, p.635, 1. 179. 104 Ebd., p.634, 1. 139. Poems, III, pp. 827-39. Ebd., 11. 143-62; 11. 177-80. - Caleb [d'Anvers]: "A general pseudonym used by the contributors to the periodical The Craftsman, including Bolingbroke and Pulteney, and by the editor, Nicholas Amhurst" (BMC).
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Dilemma erwogen haben. Das Gedicht "The Day of Judgement" (1731) etwa läßt sich unschwer auf diese Problematik beziehen: Denn der Jupiter des Jüngsten Gerichts ist zweifellos eine idealtypische Projektion des Satirikers, "a superhuman satirist", wie Nora Crow Jaffe treffend formuliert.106 Der Donnergott zieht, ,mit Schrecken bewaffnet', auf, um den aus den Gräbern geweckten armen Seelen den Prozeß zu machen für ihre Dummheit, ihre Schwäche und ihren Stolz. Angesichts so vieler läppischer Tröpfe freilich verfliegt sein erhabener Zorn und macht Verachtung und Indifferenz Platz. Und so weigert er sich, seinen Verstand zur Bestrafung närrischer Possen zu strapazieren, - denn dies hieße mit Kanonen auf Spatzen schießen. Daher läßt er die armen Sünder ungestraft laufen: I to such Blockheads set my Wit! I damn such Fools! - Go, go, you're bit.107 Zu einer solchen gleichermaßen verächtlichen und überlegenen Geste jedoch war Swift letztlich nicht bereit, vielleicht auch nicht fähig: zu sehr engagierte er sich bei den politischen, religiösen, sozialen Problemen seiner Zeit. Und so kann man "The Day of Judgement" wohl nur als ein Gedankenexperiment bezeichnen, das Swift nicht davon abhielt, weiterhin seine saeva indignatio literarisch zu artikulieren. Einige charakteristische Besonderheiten der Satire-Konzeption Swifts, die vor allem für die späten Gedichte maßgeblich sind, erhellen aus dem Vergleich mit Drydens Begriff der fine raillery. - Dryden und Swift wollen durch ihre Satiren verletzen, Wunden schlagen. Anders als Dryden will Swift nicht ,heimlich' verwunden und wählt die Methode des offenen, rückhaltlosen Angriffs. Während Dryden, orientiert am Kodex der manners, vornehmlich auf kleinere Schwächen und Extravaganzen einzelner Vertreter der aristokratischen Gesellschaft abzielt, ist Swift unbehelligt von sozialen Spielregeln und ästhetischen Normen. Ohne Rücksicht auf gesellschaftlichen Rang, politische Macht und wirtschaftlichen Einfluß attackiert der alte Swift seine Gegner im Bewußtsein, eine moralische Aufgabe zu erfüllen, im Bewußtsein zugleich der Sinnlosigkeit seines Angriffs. Er nimmt kein Blatt vor den Mund im Wissen um seine gesicherte berufliche Existenz bzw. Unabhängigkeit vom Wohlwollen literarischer Mäzene, vielleicht auch unter dem Eindruck einer gewissen Narrenfreiheit. Dieser Satiriker kann sich nicht mehr als eleganter Scharfrichter verstehen, der mit artistischem Raffine106 107
Nora Crow Jaffe, The Poet Swift (Hanover: New Hampshire, 1977), p . 2 9 . Poems, II, p . 5 7 9 , 1. Iii.
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ment den Kopf vom Rumpf trennt; sein gegensätzliches Rollenverständnis ist präzis im Bild des schimpfenden Bootsmanns ausgedrückt, das sich ebenfalls in der "Epistle to a Lady" findet: Safe within my little Wherry, All their Madness makes me merry: Like the Watermen of Thames, I row by, and call them Names. 1 0 8
Swifts Skepsis im Hinblick auf die reformierende Wirkung satirischer Dichtung, vor allem wohl politischer Satire, nahm sicherlich im Alter zu; sie war grundsätzlich jedoch bereits lange zuvor geäußert worden. Im Vorwort zu The Battle of the Books (1704) hatte Swift geschrieben: Satyr is a sort of Glass, wherein Beholders do generally discover every
body's
Face but their Own; which is the chief Reason for that kind Reception meets in the World, and that so very few are offended
with
it
it}09
Auch in seinem Gedicht "On Censure" (1727) ging Swift mit hintergründiger Ironie auf die bornierte Unbelehrbarkeit und die moralische Selbstgefälligkeit der Menschen ein. - Kritik erscheint denjenigen, die sich selbst für,tugendhaft, gelehrt oder weise' halten, als Ausdruck einer maliziösen, verleumderischen Haltung. Aus ihrer Perspektive argumentiert Swift: , ι , · wr , . YET, whence proceeds this Weight we lay On what detracting People say? For, let Mankind discharge their Tongues In Venom, till they burst their Lungs, Their utmost Malice cannot make Your Head, or Tooth, or Finger ake: Nor spoil your Shape, distort your Face, Or put one Feature out of Place; Nor, will you find your Fortune sink, By what they speak, or what they think. Nor can ten Hundred Thousand Lyes, Make you less virtuous, learn'd, or wise. 110
Angesichts der hier zutage tretenden Skepsis muß es als ein gezielter ironischer Hieb gegen den aufgeklärten Optimismus zeitgenössischer Satiriker und Kritiker verstanden werden, wenn Swift nach Fertigstellung des Manuskripts von Gulliver's Travels Ford gegenüber äußerte: "[They] will wonderfully mend the World." 1 1 1 Zu sehr stellte er die 108 109 110 111
Ebd., p. 635,11. 163-66. The Battle of the Books, in A Tale of a Tub, etc., ed. Guthkelch/Smith, p.215. Poems, II, p.414,11. 17-28. Swift to Charles Ford, 14 August 1725, Corr., Ill, p. 87.
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Kraft der menschlichen Vernunft in Frage, als daß er auf die reformierende Wirkung der Satire hätte vertrauen können.112 Swift gab sich nicht der Hoffnung hin, "to cure the Vices of Mankind", 113 und er war weit davon entfernt, daran zu glauben, "[that] his Satyr points at no Defect / But what all Mortals may correct", 114 wie es ihm in den ironischen "Verses on the Death of Dr. Swift" (1731) von einem Besucher der Rose-Tavern unterstellt wird.115 Wenn Swift dennoch in seiner "Epistle to a Lady" im Anschluß an seine leidenschaftliche Invektive auf König und Regierung Horaz beipflichtet in der Auffassung, "[that] Ridicule had greater Pow'r/ To reform the World than Sour", 116 so zeigt sich hierin meines Erachtens, daß er hinsichtlich der Methode und der Wirkung einen wesentlichen Unterschied sah zwischen derjenigen Satire, die sich verallgemeinernd an den Menschen als animal rationale oder als Vertreter von Nationen, Berufen, Institutionen richtet, und derjenigen, die sich an den Menschen als privates Individuum wendet. Dieser Standpunkt ist bereits klar ersichtlich in dem Brief an Pope vom 29. September 1725, in dem sich Swift dagegen verwahrt, pauschal zum Misanthropen erklärt zu werden: I have ever hated all Nations professions and Communityes and all my love is towards individualls for instance I hate the tribe of Lawyers, but I love Councellor such a one, Judge such a one for so with Physicians (I will not Speak of my own Trade) Soldiers, English, Scotch, French; and the rest but principally I hate and detest that animal called man, although I hartily love J o h n , Peter, T h o m a s , and so forth, this is the system upon which I have governed my self many years (but do n o t tell) and so I shall go o n . 1 1 7
Daß Swift diesem ,System' treu blieb, wird besonders deutlich an seinem Gedicht "The Place of the Damn'd" aus dem Jahre 1731, in dem er die Hölle als ,Ort der Verdammnis' nicht im Sinn der christlichen Eschato112
113 116 117
Swift stand mit seiner Skepsis im Gegensatz u. a. zu Dryden und Addison, Steele und Defoe, die allesamt auf die moralische, reformierende Kraft der Satire vertrauten; siehe Belege in P. K. Elkin, The Augustan Defence of Satire, chap. 5, "Core of the Defence: the Moral Function of Satire", p.71ff. - Swift war bezüglich der Wirkung seiner Satiren auch weit weniger selbstbewußt als Pope, der in einem Brief vom März 1732 schrieb: "I know nothing that moves strongly but Satire, and those who are asham'd of nothing else, are so of being ridiculous" (Corr. of Pope, III, p. 276); vgl. auch Popes Brief an Arbuthnot vom 26. Juli 1734: "Those who have no shame, and no fear, of any thing else, have appear'd touch'd by my Satires" (ebd., p.419). 114 Ebd., p.571,1. 463f. 115 S. u., S. 238ff. Poems, II, p.565, 1. 314. Poems, II, p.636, 1. 199f. Correspondence, III, p. 103. - Siehe in diesem Zusammenhang auch Swifts Brief an Pope vom 26. November 1725: "I tell you after all that I do not hate Mankind, it is vous autres who hate them because you would have them reasonable Animals, and ye are angry for being disappointed" (Corr., Ill, p. 118).
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logie definiert, sondern nach den ,Regeln der Logik' als den Ort, der von den ,Verdammten' wirklich bevölkert wird, - die Welt der Menschen. Angesichts dieses säkularisierten Begriffs der „Hölle auf Erden" verwundert es nicht, daß Swift geistreich die Ambiguität von "the D a m n ' d " nutzt und aus den ,Verdammten' unversehens ,Verfluchte' werden läßt. Das Gedicht ist daher vor allem ein wütender Fluch auf die verschiedenen, höchst unterschiedlichen ,Berufe' und ,Gemeinschaften', die mit fataler Beständigkeit ihr Unwesen treiben: Damn'd Poets, Damn'd Criticks, Damn'd Blockheads, Damn'd Knaves, Damn'd Senators brib'd, Damn'd prostitute Slaves; Damn'd Latvyers and Judges, Damn'd Lords and Damn'd Squires, Damn'd Spies and Informers, Damn'd Friends and Damn'd Lyars; Damn'd Villains, Corrupted in every Station, Damn'd Time-Serving Priests all over the Nation; And into the Bargain, I'll readily give you, Damn'd Ignorant Prelates, and Councellors Privy.118 Während Swift die Wirkung der general satire weitgehend abstritt, maß er der Satire im persönlichen Bereich durchaus eine begrenzte moralische Wirkung zu. Dies ergibt sich auch aus seiner "Epistle to a Lady, Who desired the Author to make Verses on Her, in the Heroick Stile", einem Gedicht, das ursprünglich an die mit Swift befreundete Lady Acheson gerichtet w a r . 1 1 9 Hier war Swift zu einem versöhnlicheren, wenngleich nicht einfach gütig-heiteren Ton bereit. Seine Einstellung erläutert er so: Horses thus, let Jockeys judge else, Switches better guide than Cudgels. Bastings heavy, dry, obtuse, Only Dulness can produce, While a little gentle Jerking Sets the Spirits all a working. Thus, I find it by Experiment, Scolding moves you less than Merriment. I may storm and rage in vain; It but stupifies your Brain. But, with Raillery to nettle, Set your Thoughts upon their Mettle: 118
Poems, II, p. 576,11. 7-14. - Zur Auseinandersetzung der Literaturkritik des augusteischen Zeitalters mit den Problemen der Wirkung von general satire und personal satire siehe etwa P. K. Elkin, The Augustan Defence of Satire, p. 118ff. 119 Siehe dazu Williams in Poems, II, p.629.
149
Gives Imagination Scope, Never lets your Mind elope: Drives out Brangling, and Contention, Brings in Reason and Invention. 120
Mit seiner provozierenden Heiterkeit bezwingt er das widerstrebende satirische Objekt. Durch sein Lachen irritiert er sein Gegenüber und reizt es zur Aufbietung aller gedanklichen Kräfte. Er aktiviert den Verstand und das Wissen 121 und regt somit Denk- und Erkenntnisprozesse an, durch die der Zustand geistiger Verblendung aufgehoben wird. 122 Satire, so verstanden, wird zum Medium kritischer Selbst- und Wirklichkeitsanalyse. Sie vermittelt Einsichten und Erkenntnisse, besitzt aber nicht die Kraft, "to cure the Vices of Mankind" 1 2 3 oder "to mend the World". 1 2 4 In dieser Auffassung von der Funktion des Satirischen ist Swift unkonventionell und modern. Zweifellos findet die hier beschriebene moralistisch-satirische Grundhaltung jedoch nicht nur Ausdruck in jenen Gedichten, die sich auf eine bestimmte Person richten. Sie ist bestimmend für einen großen Teil der satirischen Versdichtungen Swifts überhaupt, wie im folgenden Kapitel beispielhaft an den skatologischen Satiren gezeigt werden soll.
120 121 122
123 124
Poems, II, p.636,11. 2 0 1 - 1 6 . "Invention", 1. 2 1 6 ; zum Begriff invention siehe auch oben, S. 132, Anm. 42. Der Zustand der Verblendung in "An Epistle to a Lady" besteht darin, daß die Dame sich für wert hält, im heroischen Stil bedichtet zu werden. Poems, II, ρ . 5 6 5 , 1. 3 1 4 . Swift to Charles Ford, 14 Aug. 1725, Corr., III, p . 8 7 .
150
VIII.
Das Thema des Konflikts von ,Wahrheit' und ,Fiktion' Die Darstellung des „schönen Geschlechts" in Swifts späteren Gedichten
1. "The Progress of Beauty" und "A Beautiful Young Nymph Going to Bed" Die Gedichte, in denen sich Swift satirisch mit dem Thema des „schönen Geschlechts" befaßt, nehmen - nicht nur quantitativ gesehen - eine besondere Stellung in der Versdichtung Swifts ein. Sicherlich behauptet Irvin Ehrenpreis zurecht, "[that Swift's] genius as an author is deeply connected with, or derived from, his attitude towards women". 1 Die Gedichte, die zu diesem Themenkreis gehören, wurden für manche von Swifts Zeitgenossen wie auch für viele spätere Kritiker zum Anlaß, in Swift einen leidenschaftlichen Misogynen zu sehen. Diese Auffassung wird gelegentlich auch noch in neuerer Zeit vertreten, so etwa in einem Aufsatz von Katharine Μ. Rogers: Swift's degradation of the romantic ideal, disparagement of motherhood, and nauseating descriptions of the female body and sexual relations are remarkably forceful and consistent. Clearly he attacked not only the sentimentalizing of love and maternity, but the physical functions themselves. Such invective was extraordinary in the misogynistic satire of Swift's period, which generally consisted of ridicule of feminine foibles. Even in the tradition, there are few precedents for his emphasis on the unpleasant details of female animality. This evidence from Swift's works, together with his scrupulous avoidence of erotic relationships with women in his life (despite his high esteem for them as friends), suggests a deep, unconscious revulsion against Woman as Animal. 2
Die Gedichte, die Swift an Frauen richtet oder in denen er physische oder geistige Defekte des weiblichen Geschlechts darstellt, sind jedoch 1
2
Irvin Ehrenpreis, "Letters of Advice to Young Spinsters", Stuart and Georgian Monuments, ed. Earl Miner (Berkeley, 1972), p. 2 4 6 . " ' M y Female Friends': The Misogyny of Jonathan S w i f t " , Texas Studies in Literature and Language, 1 (1959), p. 3 7 9 .
151
keineswegs allein oder auch nur vorrangig unter biographischem oder psychoanalytischem Aspekt von Interesse. Verschiedentlich wurde bereits festgestellt, daß die anti-ästhetische Beschreibung des "Fair Sex"3 in diesen Gedichten sich parodistisch gegen das poetisch sublimierte Bild der Frau richtet, wie es Swift gleichermaßen in der zeitgenössischen Literatur und in der Literatur früherer Epochen vorfand. Vor allem Ehrenpreis versteht diese Gedichte als das Ergebnis der Auseinandersetzung mit b o t h the tradition of treating w o m e n as spiritual beings w h o never experience fleshly discomfort, and the related tradition of using pastoral imagery t o a d o r e w o m e n for their sensuous beauty. T h e ordinary lyrics of the seventeenth a n d eighteenth centuries m a k e a jungle of pastoral eulogy in which females possess the etherial qualities of D a n t e ' s Beatrice and the aphrodisiac features of H o m e r ' s Circe, with n o obligation t o g r o w old o r sick, n o need t o clean themselves, t o read, o r t o think. 4
Anders als Ehrenpreis es sieht, ging es Swift wohl nicht in vordergründig lehrhafter Absicht um konkrete soziale Gefahren, die das ästhetisch überhöhte Image der Frau beschwor, — "mistaken attachment on the basis of superficial beauty", "marriages wrecked and infatuations flourishing because of such mistaken values".5 — Bestenfalls am Rande übte Swift Kritik am Kodex der manners, jener „Ästhetik gesellschaftlichen Verhaltens",6 in der die gegenseitige Durchdringung von Kunst und Leben insbesondere für die aristokratische Gruppe gefordert wurde. Wenngleich Swift eine derartige „Verabsolutierung ästhetischer Werte ... auf Kosten der konventionellen Moral" 7 aufgrund seiner christlichen und moralischen Grundeinstellung verurteilen mußte, bezieht er sich doch nie auf dieses Wertsystem. Abgesehen davon legt er es auch nirgendwo darauf an, seine Repräsentantinnen des „schönen Geschlechts" als Angehörige der aristokratischen Schicht oder ihrer bürgerlichen Nachahmer erscheinen zu lassen. 3 4
5
Poems, II, p . 5 8 0 . Irvin Ehrenpreis, The Personality of Jonathan Swift (Cambridge: Mass., 1958), p . 4 1 . In seinem materialreichen Aufsatz "'To Steal a Hint Was Never Known': The Sodom Apple Motif in Swift's Ά Beautiful Young Nymph Going to Bed'" [Tennessee Studies in Literature, 22 (1977), 1 0 5 - 1 6 ] bestätigte Miller Solomon die Ausführungen von Ehrenpreis; anhand eindrucksvoller Textbelege insbesondere aus den Jahrzehnten nach der Restoration demonstriert er, daß Swifts satirische Darstellung der Frau in einer ,klar definierbaren, populären literarischen Tradition' steht, die Swift vermutlich recht genau bekannt war. — Zur Darstellung der Frau im klassizistischen Gedicht siehe auch C. W. Peltz, "The Neo-Classical Lyric, 1 6 6 0 - 1 7 2 5 " , Journal of English Literary History, 11 (1944), p.98ff. 6 Stratmann, Englische Aristokratie, S . l l . 7 Ebd. Ebd.
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Kein anderes Thema als das der Darstellung des "Fair Sex " ist besser geeignet, die für Swift grundlegende und permanente Auseinandersetzung mit dem Konflikt von Illusion und Wirklichkeit, von poetischer Fiktion und Wahrheit der Erfahrung zu analysieren, bzw. das dichterische Verfahren zu beschreiben und zu deuten, das diesen Konflikt darzustellen und zu bewältigen dient. Insofern ist diese Gruppe von Gedichten von zentraler Bedeutung für das Verständnis von Swifts Poetologie und moralistischer Methodik. Dieser Aspekt blieb in der bisherigen Forschung weithin unbeachtet. Die bedeutendsten Gedichte, die in diesen Zusammenhang gehören, entstanden in Irland etwa vom Jahr 1719 an. Zu ihnen zählen "The Progress of Beauty" (1719) und "The Progress of Love" (1719), "The Furniture of a Woman's Mind" (1727) und "The Journal of a Modern Lady" (1729), "The Lady's Dressing Room" (1730) und "A Beautiful Young Nymph Going to Bed" (1731), "Strephon and Chloe" (1731) und "Cassinus and Peter" (1731), — nicht zuletzt freilich auch die autobiographisch beziehungsreichen Gedichte, unter ihnen vor allem "Cadenus and Vanessa" (1713) und die Stella-Gedichte (1719-1727). Am 21. Dezember 1711 schrieb Swift im Journal to Stella über seinen Besuch bei einer Dame der eleganten Gesellschaft, vermutlich Lady Pembroke: I was to see lady
, who is just up after lying-in; and the ugliest sight I have
seen, pale, dead, old and yellow, for want of her paint. She has turned my stomach. But she will soon be painted, and a beauty again. 8
Swift beschreibt hier eine persönliche Desillusionierung, die um so heftiger ist, als er bisher offenbar nur das kosmetisch sublimierte, „künstliche" Erscheinungsbild dieser Dame kannte. Hinter Swifts zynischem Humor verbirgt sich jedoch sicherlich nicht nur spontaner Ekel über die Widerwärtigkeit des Anblicks einer ungeschminkten, „demaskierten" Belle, sondern gleichermaßen das Bewußtsein einer paradigmatischen Erfahrung, insofern nämlich als an der konkreten Begebenheit eindrucksvoll die konfliktreiche Beziehung von ,Natur' und ,Kunst' manifest wurde, mit der sich Swift schon lange Jahre beschäftigt hatte und die zu einem zentralen Movens seiner Dichtung geworden war. Maßgeblich für die literarische Gestaltung dieser Thematik ist unübersehbar auch die Auseinandersetzung mit Ovid, ja der Gedanke liegt nahe, daß letztlich er die Gedichte inspirierte, die den schönen Schein des weiblichen Geschlechts entlarven. 8
Journal to Stella, II, p.443; zur Identität der Dame siehe ebd., Anm. 13.
153
Felicity Nussbaum hat vor einigen Jahren erstmals darauf aufmerksam gemacht, daß Swift 1734 in seiner Ausgabe von Gedichten "for the Honour of the Fair Sex" dem Titel " A Beautiful Young Nymph Going to Bed" ein aus den Remedia Amoris entlehntes Motto beifügte: "Pars minima est ipsa Puella sui" (v. 344). 9 Dieses bislang unbeachtete Zitat läßt schlaglichtartig die erotische Ästhetik Ovids als literarischen Bezugspunkt Swifts erkennen: Remedia Amoris verkehrt die Lehren der Ars Amatoria ironisch in ihr Gegenteil, ohne sie jedoch ernsthaft zu widerrufen: "Nec nova praeteritum Musa retexit opus" (v. 12). Wenn Ovid als Heilmittel gegen die Liebesleidenschaft empfiehlt, die verdeckten Fehler und Mängel der Geliebten bloßzulegen und die unbeschönigten Tatsachen nüchtern zu betrachten, so steht dies in direktem Gegensatz zu den Grundsätzen im dritten Buch der Ars Amatoria. Dort nennt Ovid als zentrale Bedingung einer verfeinerten Erotik die artistische Beherrschung ästhetischer, d. h. vor allem kosmetischer, Sublimierung, und er macht die intendierte Wirkung davon abhängig, daß die Kunstmittel subtil und unauffällig eingesetzt werden: "Ars casu similis" (v. 155); er hebt hervor, daß ,die Kunst versteckt helfen müsse', wo die Natur vollendete Schönheit versagt habe: You keep conceal'd the Med'cines you apply: Tho' Art assists, yet must that Art be hid, Lest, whom it would invite, it should forbid. Who would not take Offence, to see a Face All daw'b, and dripping with the melted Grease? And tho' your Unguents bear th'Athenian Name, The Wooll's unsav'ry Scent is still the same. Marrow of Stags, nor your Pomatums try, Nor clean your furry Teeth, when Men are by; For many Things, when done, afford Delight, Which yet, while doing, may offend the Sight. Your Need of Art, why should your Lover know? For many Things, when most conceal'd, are best; And few, of strict Enquiry, bear the Test. 10
Ovids Kunstbegriff mußte Swift zutiefst suspekt erscheinen und zu kritischer Reaktion provozieren, zumal er unter den Literaten seiner Zeit breite Zustimmung fand. - Andererseits suggerierte Ovid selbst 9
10
"Juvenal, Swift, and The Folly of Love", Eighteenth-Century Studies, 9 (1975/76), p. 5 4 5 . "Ovid's Art of Love, Book III, Translated by Mr. Congreve" (1709), The Works of William Congreve, ed. Montague Summers (New York, 1964), IV, p. 98.
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Swifts Methode der Kritik; denn die ironische, frivole Feststellung, daß ,die Frauen nur zum geringsten Teil sie selber sind', mußte Swift zu einem bewußten Mißverständnis verlocken. Indem er Ovids Maxime im buchstäblichen Sinne auffaßte, konnte er den Kunstbegriff Ovids und des Klassizismus gleichermaßen ad absurdum führen. Zum ersten Mal hatte sich Swift in A Tale of a Tub in der Digression über den ,Wahnsinn' ausführlich mit dem Verhältnis von Natur und Kunst auseinandergesetzt.11 In der dort beschriebenen „Philosophie des schönen Scheins", in der Swifts wirklicher Standpunkt ironisch verkehrt erscheint, sind reason und memory als Bedingungen der Erkenntnis von Wahrheit bedeutungslos. Hier geht es nicht darum, die Natur des Menschen zu erforschen, ihre Defekte und Schwächen erkennen und beherrschen zu lernen; als Ideal erscheint vielmehr im Gegensatz dazu eine Pseudo-Wissensthaft, die darauf abzielt, "to sodder and patch up the Flaws and Imperfections of Nature". 1 2 Die Sinnesorgane des Menschen dienen zu nichts anderem als einer veräußerlichten, ,oberflächlichen' Betrachtung der gegenständlichen Welt: [They] never examine farther than the Colour, the Shape, the Size, and whatever other Qualities dwell, or are drawn by Art, upon the Outward of Bodies. 13
An die Stelle rationaler Erkenntnis tritt die Einbildungskraft in ihrer Funktion als "power of fiction", d. h. als das Vermögen, welches heitere, sublime, unwahre Phantasmata erzeugt: 'Tis manifest, what mighty Advantages Fiction has over Truth; and the Reason is just at our Elbow; because Imagination can build nobler Scenes, and produce more wonderful Revolutions than Fortune or Nature will be at Expence to furnish. . . . How shrunk is every Thing, as it appears in the Glass of Nature? So, that if it were not for the Assistance of Artificial Mediums, 11
12
Er hatte dort den wahnhaften Zustand des Glücks als "a perpetual Possession of being well Deceived" definiert; s. ο., S. 50f. - Nora C. Jaffe hat in The Poet Swift, p. 159, darauf hingewiesen, daß Swift die Wendung "being well Deceived" möglicherweise Rochesters "Letter from Artemisia" (1. 115) entlehnt hat. Besonders wichtig erscheint mir im Zusammenhang dieses Kapitels die thematische Korrespondenz: Artemisia klagt über jene verliebten Wits, die in ihrer impertinenten Neugier auch den Schwächen ihrer Beiles nachspionieren und darauf aus sind, hinter der Fassade der kosmetischen Kunst, der Mode und der Manners die Geliebte, wie sie wirklich ist, auszumachen: "They little guess, who at our arts are grieved, / The perfect joy of being well deceived." — Vielleicht gab, wie Jaffe vermerkt, dieser Teil von Rochesters satirischem Gedicht die thematische Anregung zu Swifts "The Lady's Dressing Room"; möglicherweise wirkte er auch in grundsätzlichem Sinne anregend für Swifts Darstellungen des „schönen" Geschlechts. 13 Ebd., p. 173. A Tale of a Tub, p. 174.
155
false Lights, refracted Angles, Varnish, and Tinsel; there would be a mighty Level in the Felicity and Enjoyments of Mortal Men. 1 4
Sicherlich zielt Swift weder mit dem Begriff Fiction noch mit der Vorstellung der "Artificial Mediums" einseitig auf den Bereich der Literatur bzw. Kunst ab. Vielmehr meint er in einem allgemeineren Sinn alle diejenigen Geisteshaltungen, die sich rationaler und empirischer Erkenntnis verschließen und somit eine illusionistische Welt- und Menschensicht begünstigen. Daß damit jedoch auch die Tendenzen in der zeitgenössischen Literatur zur Idealisierung und Ästhetisierung der Wirklichkeit gemeint sind, unterliegt keinem Zweifel, vor allem dann, wenn man sich die poetologischen Reflexionen in Erinnerung ruft, aufgrund derer sich Swift von seinem Idol Cowley trennte. Der Abschnitt über das ,Glück' verdeutlicht, daß Swift dem äußeren Schein, insbesondere dem des Gesichts- und des Tastsinns, grundsätzlich mißtraut. Nicht von ungefähr spottet er ironisch: He that can with Epicurus content his Ideas with the Films and Images that fly off upon his Senses from the Superficies of Things; Such a Man [is] truly wise. 15
Es verwundert daher nicht, daß er den Gegensatz von ,Wahrheit' und ,Fiktion' gerade am Beispiel einer Belle demonstriert, deren Erscheinungsbild nicht unerheblich durch Prügel an ästhetischem Reiz eingebüßt hat: Last Week I saw a Woman flay'd, and you will hardly believe, how much it altered her Person for the worse. 16
Gleich nun, ob der Abschnitt über das ,Glück' neben den erkenntnistheoretischen auch literaturkritische Implikationen enthält, - eine Ästhetik, die den Begriff des Schönen einseitig oder auch nur vorrangig aus der sinnenhaften Wahrnehmung der gegenständlichen Welt ableitete, mußte auf Swifts grundsätzliche Ablehnung stoßen und heftige kritische Reaktionen hervorrufen. Eine solche Theorie des Schönen hatte Joseph Addison unter dem Titel The Pleasures of the Imagination in einer Reihe von 11 Essays im Spectator17 geliefert, wobei in unserem Zusammenhang der Beitrag vom 23. Juni 1712 von besonderem Interesse ist. Swift las regelmäßig den Spectator. Es erscheint daher als unzweifelhaft, daß er mit Addisons Pleasures of the Imagination vertraut war, wenngleich explizite Hinweise auf seine Kenntnis von Addisons Theorie in Werken und Briefen fehlen. 14 17
15 Ebd., p. 174. 16 Ebd., p. 173. Ebd., p. 172. The Spectator, Nos. 4 1 1 - 2 1 , 2 1 June - 3 July 1712, III, p p . 5 3 5 - 8 2 .
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Addisons Begriff des Schönen beruht auf der Prämisse, "[that] our Sight is the most perfect and most delightful of all our Senses". 18 Der Gesichtssinn liefert der Imagination die Ideen; das ,Vergnügen der Imagination' leitet sich daher grundsätzlich aus sichtbaren Gegenständen ab, either when we have them actually in our View or when we call up their Ideas into our Minds by Paintings, Statues, Descriptions, or any the like Occasion. 19
Auch die in den verschiedenen Medien der Kunst abgebildeten Gegenstände einer augenfälligen Wirklichkeit dienen als Quelle des Vergnügens. Das Vermögen der Imagination impliziert die Fähigkeit, die wahrgenommenen Bilder in der Erinnerung zu bewahren; es hat freilich nicht allein eine mnemotechnische Funktion, sondern schließt in sich auch the Power of . . . altering, and compounding those Images, which we have once received, into all the varieties of Picture and Vision that are most agreeable to the Imagination. 20
Die Imagination ist daher auch das kreative, poetische Vermögen, ,Visionen', ,Fiktionen', zu schaffen, die die Natur übertreffen. Die ästhetisch gestaltete Natur rangiert somit, ähnlich wie bereits bei Dryden, höher als die in der Realität anschaubare Natur. 21 Im Schönen sieht Addison neben dem Großen und dem Neuen die wichtigste Quelle des Vergnügens der Imagination. 22 Das Bewußtsein des Schönen ist spontan und subjektiv, und es resultiert in besonderem Maße aus der Beobachtung der menschlichen Species. 23 — Der Eindruck des Schönen leitet sich in der Natur und in der Kunst auch aus der Beobachtung der Harmonie von Farben und Proportionen ab: This consists either in the Gaiety or Variety of Colours, in the Symmetry and Proportion of Parts, in the Arrangement and Disposition of Bodies, or in a Mixture and Concurrence of all together. Among these several kinds of Beauty the Eye takes most Delight in Colours. We no where meet with a more glorious or pleasing Show in Nature, than what appears in the Heavens at the rising and setting of the Sun, which is wholly made up of those different Stains of Light that shew themselves in Clouds of a different Situation. For this Reason we find the Poets, who are always addressing themselves to the 18 21
22 23
19 Ebd., p.537. 20 Ebd. Ebd., p.535. Vgl. Dryden, Essay of Dramatic Poesy (1668) [Ker, I, p. 63]: "A poet in the description of a beautiful garden or a meadow, will please our imagination more than the place can please our sight." Hinsichtlich Addisons Abhängigkeit von Longinus siehe Elledge, I, p.501, note 93. The Spectator, III, p.542.
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Imagination, borrowing more of their Epithets from Colours than from any other Topic.24
Maßstab für die Schönheit des Menschen und der Natur sind bei Addison nicht feste ästhetische Normen, sondern der Geschmack, der sich nicht am Verstand, sondern am Gefühl orientiert. Das Schöne ,wirkt direkt auf die Seele', es bewirkt "secret satisfaction and complacency", 25 "cheerfulness" und "delight"; es dient dazu, Kummer und Melancholie zu vertreiben, indem es die Lebensgeister (animal spirits) in ,angenehme Bewegung' versetzt.27 Wie Ria Omasreiter zurecht feststellt, wird Dichtung „bei Addison hinsichtlich ihrer physiologischen, nicht ihrer moralischen Wirkung untersucht".28 Sie dient einem unschuldigen Vergnügen, doch nicht um moralisch zu bessern, sondern nur weil diese Art des Vergnügens comfort im weitesten Sinn des Wortes gewährleistet. ... Hier wird die Ästhetik von der Ethik geschieden. Die alte Forderung von delight and teach ... ist bei Addison aufgegeben.29
Damit aber wird vollends die unüberbrückbare Kluft zwischen Addisons und Swifts Position erkennbar. Nicht nur mißbilligte Swift eine am Gefühl orientierte, anti-intellektuelle Sensibilität; als Rationalist mißtraute er grundsätzlich dem oberflächlichen' Augenschein. Wie sich zeigen wird, verwarf er jedoch nicht nur einen von der sinnenhaften Wahrnehmung abgeleiteten Begriff des Schönen, sondern stellte die Existenz des Schönen grundsätzlich in Frage. Swift konnte die aus Addisons Philosophie resultierende Literaturkonzeption auch deshalb nicht gutheißen, weil in ihr das Prinzip des prodesse zugunsten des ästhetischen Vergnügens, wenn nicht aufgegeben, so doch vernachlässigt wurde. Nach seiner Auffassung war die moralische Zielsetzung der Dichtung nicht nur unverzichtbar, aus dem Moment des moralischen Nutzens leitete er die Berechtigung von Dichtung ab. Swifts "Progress of Beauty" (1719) ist nicht nur eine allgemeine Kritik an populären Tendenzen in der zeitgenössischen Ästhetik, sondern gleichzeitig eine Parodie auf die modischen Gedichte, die das „schöne Geschlecht" idealisierend darstellten und verherrlichten. Einen Hinweis auf die parodistische Intention liefert bereits der Titel, den Swift offen24 28
25
25 E b d . , p . 5 4 1 . Ebd., p . 5 4 4 . Ria Omasreiter, Naturwissenschaft derts (Nürnberg, 1971), S. 5 7 . Ebd.
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26
2 7 Ebd., p . 5 3 9 . Ebd., p . 5 4 2 . und Literaturkritik im England des 18. Jahrhun-
bar von Lansdowne übernahm; 30 möglicherweise war dessen Gedicht auch das konkrete Angriffsziel Swifts. In seinem weithin bekannten Gedicht 31 hatte Lansdowne in der Pose pathetischer, inspirierter Begeisterung den Prozeß der Entfaltung weiblicher Schönheit beschrieben, 32 von der mythischen Helena bis hin zu den zeitgenössischen Vertreterinnen der englischen Aristokratie, deren unvergleichliche Anmut und Eleganz als glänzender Höhe- und Endpunkt eines Jahrtausende währenden Vorgangs der ästhetischen und erotischen Sublimierung erscheint. Angesichts solch vollendeter Schönheit gelangt die Dichtung an die Grenzen ihrer Ausdruckskraft, und sie sieht sich der Malerei unterlegen. So lamentiert Lansdowne: Ο K n e l l e r ! like thy p i c t u r e s w e r e m y s o n g , C l e a r like thy p a i n t , a n d like thy pencil s t r o n g ; These matchless Beauties should recorded be I m m o r t a l in m y v e r s e , a s in thy G a l l e r y . 3 3
Am Beispiel einer Londoner Dirne demonstriert Swift in seinem Gedicht, daß Schönheit nichts anderes als eine von der Kunst hervorgebrachte Illusion ist, daß Kunst andererseits in einem elementaren Gegensatz zur elenden, defekten, häßlichen, von Verfall und Tod bedrohten Wirklichkeit steht: W h e n first D i a n a l e a v e s her B e d V a p o r s a n d S t e a m s her L o o k s d i s g r a c e , A f r o u z y dirty c o l o u r ' d red Sits o n her c l o u d y w r i n c k l e d F a c e . But by degrees when m o u n t e d high H e r artificial! Face a p p e a r s D o w n f r o m her W i n d o w in the S k y , H e r S p o t s a r e g o n e , her V i s a g e clears. ' T w i x t earthly F e m a l s a n d the M o o n A l l Parallells e x a c t l y r u n ; If C e l i a s h o u l d a p p e a r t o o s o o n A l a s , the N y m p h w o u l d b e u n d o n e . 30 31
32
33
Vgl. dazu Williams' Einführung, Poems, I, p. 225. Lansdownes "The Progress of Beauty" war zuerst 1701 in A New Miscellany of Original Poems veröffentlicht worden. Zur Gattung der progress pieces siehe: R. Η. Griffith, "The Progress Pieces of the Eighteenth Century", Texas Review, 5 (1919/20), p p . 2 1 8 - 3 3 ; Mattie Swayn, " T h e Progress Piece of the Seventeenth Century", University of Texas Bulletin, 16 (1936), pp. 8 4 - 9 2 . Zit. in Johnson/Chalmers (eds.), The Works of the English Poets (London, 1810), XI, p. 22. - Lansdowne spielt hier auf Godfrey Knellers "Hampton Court Beauties" an, eine Reihe von acht Portraits (fertiggestellt 1691), auf denen die führenden Hofdamen von William III und Queen Mary dargestellt sind.
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To see her from her Pillow rise All reeking in a cloudy Steam, Crackt Lips, foul Teeth, and gummy Eyes, Poor Strephon, how would he blaspheme! The Soot or Powder which was wont To make her Hair look black as Jet, Falls from her Tresses on her Front A mingled Mass of Dirt and Sweat. 34
Swift zielt nicht nur darauf ab, in einer grotesken Karikatur die vermeintliche Schönheit Celias als eine durch die Kunst der Kosmetik bewirkte Sinnestäuschung auszuweisen. Er skizziert vielmehr im folgenden auch eine Entwicklung, die in diametralem Gegensatz zu der bei Lansdowne dargestellten verläuft. Anhand von Celias Gesicht demonstriert er einen Prozeß des Verfalls und der Auszehrung, der durch den grausamen und unerbittlichen Zugriff von Alter und Krankheit — insbesondere der „französischen" Krankheit - bewirkt wird, bis zu jenem Zustand, in dem selbst die Mittel der Kosmetik nicht mehr ausreichen, die Illusion von Schönheit aufrechtzuerhalten: But, Art no longer can prevayl When the Materialls all are gone, The best Mechanick Hand must fayl Where Nothing's left to work upon. 35
Bereits das einleitende Simile, in dem das abendliche Erwachen Celias mit dem Aufgang des Mondes verglichen wird, enttäuscht die vom Titel geweckte Erwartung des Lesers. Weder wird die Mondgöttin Diana in der Konvention höfischer Liebeslyrik als "Queen and huntress, chaste and fair" 36 vorgestellt, noch erscheint sie heroisch stilisiert als Herrscherin der Nacht, "rising in clouded majesty, [who] at length I . . . unveiled her peerless light, / And o'er the dark her silver mantle threw", 37 sondern 34 35
36 37
Poems, I, p. 226,11. 1-20. Ebd., p. 228,11. 77—80. Das in der letzten Phase völlig zerstörte Gesicht ist eindeutiges Symptom einer weit fortgeschrittenen Syphilis. Hermann J. Real und Heinz J. Vienken zitieren in ihrer Miszelle über "'Scatology' in 'The Lady's Dressing Room'", die demnächst im Scribleriart erscheinen wird, eine Stelle aus Girolamo Fracastoros De Contagione et Contagiosis Morbis et Eorum Curatione, die diese Auffassung erhärtet: "In cases where the malady was firmly established in the upper parts of the body, the patients suffered from pernicious catarrh which eroded the palate or the uvula, or the pharynx and tonsils. In some cases the lips or nose or eyes were eaten away." [Ed. Wilmer Cave Wright (New York and London, 1930), p. 137], Ben Jonson, "Hymn to Diana", Cynthia's Revels, Act V, Scene VI, I. 1. John Milton, Paradise Lost, IV, 11. 607-09.
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als widerliche, unordentliche Schlampe, die erst nach der Restauration ihres runzeligen Gesichts in künstlicher Schönheit neu erstrahlt. 38 Sicherlich geht es Swift um mehr, als eine bestimmte, konventionelle Bildformel zu travestieren. Er wendet sich, wie mir scheint, vor allem gegen jene von Addison propagierte Art ästhetisierender, emotionaler Naturbetrachtung, und zwar selbst gegen jene, die zum Anlaß religiöser Kontemplation über die Erhabenheit und Größe des Schöpfers wird, wie etwa im Fall jener "glorious and pleasing show", die Addison im 5 6 5 . Spectator (9. Juli 1714) beschreibt: I was Yesterday about Sun-set walking in the open Fields, till the Night insensibly fell upon me. I at first amused my self with all the Richness and Variety of Colours which appeared in the Western Parts of Heaven: In Proportion as these faded away and went out, several Stars and Planets appeared one after another, till the whole Firmament was in a Glow. The Blewness of the Aether was exceedingly heightened and enlivened by the Season of the Year, and by the Rays of all those Luminaries that passed through it. The Galaxy appeared in its most beautiful White. To compleat the Scene, the full Moon rose at length in that clouded Majesty, which Milton takes Notice of, and opened to the Eye a new Picture of Nature, which was more finely shaded, and disposed among softer Lights than that which the Sun had before discovered to us.39 Der Bezug zwischen Addisons Beschreibung und Swifts Strophen wird vor allem dadurch nahegelegt, daß in beiden Fällen gleichermaßen die Wirkung des Lichts und der Farbe dominiert, wenngleich freilich in entgegengesetzter Funktion: Bei Addison als Ausdruck der Schönheit und Größe der Natur, bei Swift als Manifestation des Häßlichen und der Unordnung. Dies wird noch deutlicher in den darauffolgenden Strophen, in denen Swift mit großer Genauigkeit die abstoßenden Details von Celias 38
19
In seinem Aufsatz "Those Gaudy Tulips: Swift's Unprintables" [Quick Springs of Sense: Studies in the Eighteenth Century, ed. Larry S. Champion (Athens, 1974) p. 16] hat John M. Aden die hier von Swift verwandte Darstellungstechnik treffend charakterisiert: "Swift finds it expedient to discredit the heavenly body along with the earthly, and he does so by a strategy characteristically deceptive: resorting, ostensibly, to the customary comparison, but reversing its customary direction and implicitly collapsing the whole into an alias oneness. Instead of likening the human being to the heavenly, he likens the heavenly to the human, and both come tumbling down. And this is accomplished, not by simple straighton reduction, but by an appropriately alternating, and ever so ambiguous, formula of attrition: now the myth, now the mortal (sometimes both together), now a romantic, now a realistic idiom - knocking the two together, so to speak, until they both shatter. . . . The moon is no more divine than the maid; as 'deities' there is no difference between them; they are both the same, a mere fancy." The Spectator, IV, p. 5 2 9 .
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Gesicht zeichnet, so wie sie sich dem nüchternen Beobachter aus der Nähe darbieten. Dabei wirken nicht nur die Merkmale körperlichen Verfalls abstoßend und desillusionierend, sondern vor allem die verschmierten Überreste des alten Make-up, die das Gesicht zur Fratze entstellen: Three Colours, Black, and Red, and White, So graceful in their proper Place, Remove them to a diff'rent Light They form a frightfull hideous Face, For instance; when the Lilly slipps Into the Precincts of the Rose, And takes Possession of the Lips, Leaving the Purple to the Nose. So Celia went entire to bed, All her Complexions safe and sound, But when she rose, the black and red Though still in Sight, had chang'd their Ground. The Black, which would not be confin'd A more inferior Station seeks Leaving the fiery red behind, And mingles in her muddy Cheeks. The Paint by Perspiration cracks, And falls in Rivulets of Sweat, On either Side you see the Tracks, While at her Chin the Conflu'ents met. A Skillfull Houswife thus her Thumb With Spittle while she spins, anoints, And thus the brown Meanders come In trickling Streams betwixt her Joynts. But Celia can with ease reduce By help of Pencil, Paint and Brush Each Colour to it's Place and Use, And teach her Cheeks again to blush. She knows her Early self no more, But fill'd with Admiration, stands, As Other Painters oft adore The Workmanship of their own Hands. 40 Wenngleich in "The Progress of Beauty" die kommentarlose Beschreibung vorherrscht, ist das Gedicht doch nicht ohne moralische Katego40
Poems, I, p.226f., 11. 21-52.
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rien. Der Leser bemerkt, daß die Farben, die in Celias Gesicht mit Schmutz und Schweiß zu einem widerlichen Gemisch zusammenlaufen, eine bildhafte Bedeutung besitzen. So impliziert das Schwarz, das zum Färben des Haars dient, die Vorstellung der Jugend, das Rot - zumal in Verbindung mit dem Bild der Rose - die Vorstellung der Liebe, das Bleiweiß schließlich - insbesondere im Zusammenhang mit dem Bild der Lilie - die Vorstellung von Keuschheit und Jungfräulichkeit. Swifts Celia erweckt mit Hilfe der Kosmetik für den oberflächlichen Betrachter die Illusion von Schönheit, Jugend und Tugendhaftigkeit; hinter der Fassade aber verbirgt sich Verfall und Prostitution. Trotz unübersehbarer moralischer Implikationen vermeidet es Swift jedoch, sein Bild moralisch zu deuten oder auch den Leser moralisch zu belehren. Diese Eigentümlichkeit von Swifts Verfahren wird um so deutlicher, wenn man zum Vergleich etwa im Spectator die Beiträge über die Schönheit des weiblichen Geschlechts und die Verwendung von Kosmetika studiert. Dabei wird auch klar, wieviel konkreter im Hinblick auf die Haltungen der Damen der Gesellschaft Addisons bzw. Steeles Überlegungen und Ermahnungen zugeschnitten sind. Mr. Spectator [Steele] mißbilligt das starke Schminken, weil es den Ausdruck von Emotionen verdeckt und unvereinbar mit der Natürlichkeit der Frau ist; während bei ungeschminkten Frauen das Gesicht Spiegel der Seele ist, in dem sie alle Gefühle zeigen, bleibt bei den "Picts" jegliches individuelle Mienenspiel verborgen, denn sie erscheinen alle mit dem gleichen ,uniformen Gesichtsausdruck'.41 Oder aber Mr. Spectator reflektiert über das Verhältnis von Schönheit und Tugend: How much nobler is the Contemplation of Beauty heighten'd by Virtue, and commanding our Esteem and Love, while it draws our Observation? How faint and spiritless are the Charms of a Coquet, when compar'd with the real Loveliness of Sophronia's Innocence, Piety, good Humour and Truth; Virtues which add a new Softness to her Sex and even beautify her Beauty! ... Colours, artfully spread upon Canvas, may entertain the Eye, but not affect the Heart; and she who takes no Care to add to the natural Graces of her Person any excelling Qualities, may be allow'd still to amuse, as a Picture, but not to triumph as a Beauty.42
In diesem Zusammehang noch eindrucksvoller ist ein Gedichtbeispiel von Thomas Parnell. In seiner "Elegy, To an Old Beauty" reflektiert der Autor aus der Perspektive des abgeklärten, weisen Moralisten über die 41
The Spectator, No. 41, 17 April 1711, I, p. 174.
42
Ebd., No. 33, 7 April 1711, I, p. 140.
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Vergänglichkeit von Jugend und Schönheit und nennt konkrete Verhaltensregeln für das Alter: In vain, poor nymph, to please our youthful sight You sleep in cream and frontlets all the night, Your face with patches soil, with paint repair, Dress with gay gowns, and shade with foreign hair. If truth, in spite of manners, must be told, Why really fifty-five is something old. Let time, that makes you homely, make you sage; The sphere of wisdom is the sphere of age. 'Tis true, when beauty dawns with early fire, And hears the flattering tongues of soft desire, If not from virtue, from its gravest ways The soul with pleasing avocation strays: But beauty gone, 'tis easier to be wise; As harpers better, by the loss of eyes. Henceforth retire, reduce your roving airs, Haunt less the plays, and more the public prayers, Reject the Mechlin head, and gold brocade, Go pray, in sober Norwich crape array'd. 4 3
Das dichterische Verfahren in "The Progress of Beauty" ist charakteristisch für Swift; wie kein anderer Versdichter seiner Zeit beherrschte er "the historick arts both of designing and colouring, either in groups, or in single portraits". 4 4 Swift verzichtet in seinen Gedichten weithin - man erinnere sich nur an die Beschreibung des "Morning" und des "City Shower" - auf religiöse und moralische, auf psychologische und ästhetische Reflexionen und praktische Anweisungen, er schafft eindringliche Beschreibungen von Figuren und von Handlungen und appelliert damit an das bildhafte Vorstellungsvermögen des Lesers. Im Medium des „Bildes" bzw. seines literarischen Äquivalents, der „Beschreibung", sah er offenbar ein besonders wirksames Mittel moralistischer Einflußnahme. Von daher erklärt es sich auch, daß er einer der ersten war, der die moralistische bzw. satirische Leistung Hogarths rühmte. Hogarths Kunst und seine eigene verstand er als komplementäre Medien, als "sister arts". So schrieb er in "The Legion Club" (1736): H O W I want thee, humorous
Hogart?
Thou I hear, a pleasant Rogue art; 43
44
Minor Poets of the Eighteenth Century, ed. Hugh I'Anson Fausset (London, 1930), p. 147f. Deane Swift, An Essay, p.233.
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Were but you and I acquainted, Every Monster should be painted; You should try your graving Tools On this odious Group of Fools; Draw the Beasts as I describe 'em, Form their Features, while I gibe them; Draw them like, for I assure you, You will need no Car'catura..45
Mit seinem Bild einer Londoner Dirne will Swift den Leser schockieren und zu kritischer Meinungsbildung im Hinblick auf die poetischen Fiktionen vom schönen Geschlecht provozieren. - Am Beispiel Celias stellt er die ,romantischen' Fiktionen von der Schönheit der Frau als eine Illusion ("delusion") 46 dar, die mit Hilfe der kosmetischen Kunst ("art") 47 bewirkt wird. In einem grundsätzlichen Sinn stellt er damit jedoch alle Kunst in Frage, die die Wirklichkeit idealisiert und ästhetisch sublimiert darstellt. Insofern erfüllt sein Gedicht "The Progress of Beauty" eine wichtige moralistische Aufgabe. Herbert Davis verkennt diese Zielsetzung, wenn er über dieses und einige thematisch verwandte Gedichte schreibt: These are all very slight productions, and ... it is not of much real significance that Swift amuses himself in attacking the romantic attitude. 48
Nach Thema und Methode kann das zwölf Jahre später entstandene Gedicht "A Beautiful Young Nymph Going to Bed" (1731) als Pendant zu "The Progress of Beauty" verstanden werden, zu dem Swift im Untertitel ironisch vermerkt, er habe es "for the Honour of the Fair Sex" geschrieben.49 Er beschreibt mit abstoßender Genauigkeit die mitternächtliche Heimkehr einer bettelhaften, verachteten, von den Symptomen einer fortgeschrittenen Syphilis gezeichneten Londoner Straßendirne in ihre elende Dachkammer, vor allem aber den ekelerregenden Prozeß der Demontage aller Kosmetika und Prothesen, die eingesetzt wurden, um Jugend und Schönheit vorzutäuschen: 45
46 47 48 49
Poems, III, p.839, 11. 219-28. - Umgekehrt sah Hogarth in Swift zweifellos einen verwandten Geist und ein künstlerisches Vorbild; auf seinem Selbstportrait von 1749 bildete er im Vordergrund nicht nur die "Line of Beauty" als sein ästhetisches Ideal ab, sondern auch drei Bücher, auf denen sich neben den Namen Shakespeares und Miltons der Name Swifts erkennen läßt. Daß diese Details programmatische Bedeutung haben, läßt sich nicht zuletzt daran erkennen, daß Hogarth dieses Selbstbildnis als Frontispiz gebundener Sammlungen seiner Stiche benutzte. Siehe ebd., I, p.228, 1. 70. Siehe ebd., 1. 77. Herbert Davis, "Swift's View of Poetry", p. 182f. Poems, II, p.580.
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CORINNA, Pride of Drury-Lane, For whom no Shepherd sighs in vain; Never did Covent Garden boast So bright a batter'd, strolling Toast; No drunken Rake to pick her up, No Cellar where on Tick to sup; Returning at the Midnight Hour; Four Stories climbing to her Bow'r; Then, seated on a three-legg'd Chair, Takes off her artificial Hair: Now, picking out a Crystal Eye, She wipes it clean, and lays it by. Her Eye-Brows from a Mouse's Hyde, Stuck on with Art on either Side, Pulls off with Care, and first displays 'em, Then in a Play-Book smoothly lays 'em. Now dextrously her Plumpers draws, That serve to fill her hollow Jaws. Untwists a Wire; and from her Gums A Set of Teeth completely comes. Pulls out the Rags contriv'd to prop Her flabby Dugs and down they drop. Proceeding on, the lovely Goddess Unlaces next her Steel-Rib'd Bodice; Which by the Operator's Skill, Press down the Lumps, the Hollows fill, Up goes her Hand, and off she slips The Bolsters that supply her Hips. With gentlest Touch, she next explores Her Shankers, Issues, running Sores, Effects of many a sad Disaster; And then to each applies a Plaister. But must, before she goes to Bed, Rub off the Dawbs of White and Red; And smooth the Furrows in her Front, With greasy Paper stuck upon't. She takes a Bolus e'er she sleeps; And then between two Blankets creeps.50
50
Ebd., p.581f., 11. 1-38. - Das Krankheitsbild der syphilitischen Hure analysieren Hermann J. Real und Heinz J. Vienken in ihrem Aufsatz "'Those odious common Whores of which this Town is full': Swift's A Beautiful Young Nymph Going to Bed", der demnächst in Annals of the American Academy erscheinen wird.
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Die Straßendirne Corinna gehört zur Gattung jener ,göttlichen Nymphen', die Swift bereits früher — in "To Stella, Who Collected and Transcribed his Poems" (1720) — ironisch als die wirklichen Modelle der darbenden Londoner Scribbler karikiert hatte.51 Indem er Corinna ironisch als "Pride of Drury-Lane" charakterisiert, gibt er dem Gedicht nicht nur einen topographischen Bezugspunkt, sondern setzt gleichzeitig einen moralischen und sozialen Akzent: denn die Drury Lane mit ihren Nachtkaschemmen und Spielhöllen gehörte im Bewußtsein von Swifts Zeitgenossen zu den schmutzigsten und verrufensten Teilen Londons. "Drury Lane", so schreibt Pat Rogers, connoted only secondarily theatreland. Nor was the concentration of coffeehouses, which modern descriptions of the area tend to single out, its most marked feature for men and women of the time. . . . For the most part Drury Lane was linked in the contemporary mind with organized vice.... Its squads of 'Loving Ladies' were for a long time the chief resident personnel.... It was an area linked with rookeries and thieves' dens. 52
Wenn Swift auch das niedere soziale Milieu und die schäbige Dachkammer Corinnas eindringlich darstellt, wenn er auch die Bewußtseinslage Corinnas durch die Beschreibung ihres angstvollen Wachtraums anschaulich macht, so ist dieses Gedicht doch nicht vorrangig eine sozialkritische oder psychologische Studie. Es ist auch kein character, in dem spezifisch weibliches Denken, Handeln, Verhalten typisierend dargestellt wird. Swift unterscheidet sich hier deutlich vom späten Pope, der — unter dem Eindruck von Youngs Theorie der ruling passion - in seinen Characters of Women (1732-34) auf die Analyse des Kontrasts von männlichem und weiblichem Verhalten abzielte und - hauptsächlich mit dem Blick auf die aristokratische Gruppe - solche weiblichen Typen satirisch darstellte, "as are plainest, and most strongly mark'd". 53 Swifts "Beautiful Young Nymph" ist als Parodie konzipiert. Er hat hier möglicherweise ein negatives Pendant zu jenen Gedichten geschaffen, die - wie etwa Donnes "To his Mistris Going to Bed" - die Entkleidung der Geliebten als ein erotisches Geschehen poetisieren.54 Wahrscheinlicher freilich erscheint es mir, daß er mit seinem Gedicht ein parodistisches Gegenstück zu solchen Werken geschaffen hat, die das Lever und 51 52 53
54
Siehe dazu " T o Stella . . . " , Poems, II, p.729,11. 3 9 - 5 2 . Pat Rogers, Grubstreet, p.71f.; p . 7 3 . Pope, " T o a Lady. Of the Characters of Women", The Poems of Alexander Pope, ed. John Butt (London, 1963), p. 5 5 9 . Daß Swift Donnes Gedicht kannte, erscheint zweifelhaft, zumal der Name Donnes oder auch Anspielungen auf seine Werke nirgendwo bei Swift anzutreffen sind.
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die Morgentoilette von Damen der Beau-Monde als einen Prozeß der ästhetischen Sublimierung beschrieben. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel ist in diesem Zusammenhang die Morgentoilette Belindas, die der junge Pope mit Eleganz und feinem Humor in The Rape of the Lock als weihevolles Ritual beschrieben hatte: First, rob'd in White, the Nymph intent adores With Head uncover'd, the Cosmetic
Pow'rs.
A heav'nly Image in the Glass appears, T o that she bends, to that her Eyes she rears; Th'inferior Priestess, at her Altar's side, Trembling, begins the sacred Rites of Pride. Unnumber'd Treasures ope at once, and here The various Off'rings of the World appear; From each she nicely culls with curious Toil, And decks the Goddess with the glitt'ring Spoil. This Casket India's And all Arabia
glowing Gems unlocks,
breathes from yonder Box.
The Tortoise here and Elephant unite, Transform'd to Combs,
the speckled and the white.
Here Files of Pins extend their shining Rows, Puffs, Powders, Patches, Bibles, Billet-doux. N o w awful Beauty puts on all its Arms; The Fair each Moment rises in her Charms, Repairs her Smiles, awakens ev'ry Grace, And calls forth all the Wonders of her Face; Sees by Degrees a purer Blush arise, And keener Lightnings quicken in her Eyes. 5 5
Anders als die Gedichte, die der populären Gattung des „Lobs der Häßlichkeit" zugehören,56 ist Swifts "Beautiful Young Nymph" kein paradoxes Enkomium und auch kein literarischer Scherz, sondern der durch und durch ernste Versuch, menschliche Schönheit als eine Illusion, als ein Produkt oberflächlicher Weltsicht auszuweisen. Daß es Swift vorrangig auf die Darstellung des alle sozialen Schichtungen übergreifenden Konflikts von Sein und Schein, von truth und fiction, ankommt, wird vor allem deutlich im Vergleich mit anderen Gedichten, in denen Swift bei gleichbleibender Thematik zur Demonstration eine höhere Gesellschaftsschicht wählt, wie etwa in dem Gedicht "The Lady's Dressing Room" (1730), das nur wenig früher entstand und in dem Swift das Inventar des Boudoirs einer Dame der 55 56
Pope, The Rape of the Lock, 1,11. 123-44, Poems, p. 222. Beispiele dafür sind Donnes "The Anagram" und Sucklings "The Deformed Mistress".
168
eleganten Gesellschaft zum Anlaß der Desillusionierung eines Romantischen' Liebhabers werden läßt: And first a dirty Smock appear'd, Beneath the Arm-pits well besmear'd. Strephon, the Rogue, display'd it wide, And turn'd it round on every Side. On such a Point few Words are best, And Strephon bids us guess the rest; But swears how damnably the Men lie, In calling Celia sweet and cleanly. Now listen while he next produces, The various Combs for various Uses, Fill'd up with Dirt so closely fixt, No Brush could force a way betwixt. A Paste of Composition rare, Sweat, Dandriff, Powder, Lead and Hair; A Forehead Cloth with Oyl upon't To smooth the Wrinkles on her Front; Here Allum Flower to stop the Steams, Exhal'd from sour unsavoury Streams .. . 57 Für die neuere, insbesondere die psychoanalytisch ausgerichtete SwiftKritik waren die Gedichte über die Frauen immer wieder Ausdruck einer psychisch gestörten Persönlichkeit. Aldous Huxley stellte fest, [that] Swift's poems about women are more ferocious even than his prose about the Yahoos; his resentment against women for being warm-blooded mammifers was incredibly bitter. Read (with a bottle of smelling-salts handy, if you happen to be delicately stomached) ... "A Beautiful Young Nymph Going to Bed".58 George Orwell versteht Swifts Ekel, Bitterkeit und Pessimismus als Ausdruck geistiger Krankheit: "Swift is a diseased writer, ... permanently in a depressed mood." 59 "A Beautiful Young Nymph" ist für ihn - zusammen mit "The Lady's Dressing Room" - ein besonders markantes Beispiel seiner abnormen, morbiden Psyche, gleichzeitig jedoch die faszinierende Manifestation einer allgemein menschlichen Erfahrung, vor deren Artikulation andere zurückschrecken: 57
58 59
Poems, II, p.526, 11. 11-28. - In ihrer Miszelle über "'Scatology' in 'The Lady's Dressing Room'" weisen Real und Vienken nach, daß auch diese vermeintliche „Schöne" von der Syphilis befallen ist. Aldous Huxley, "Swift", Do What You Will (London, 1956), p.93. George Orwell, "Politics vs. Literature: An Examination of Gulliver's Travels" (1946), The Collected Essays, Journalism and Letters of George Orwell, ed. Sonia Orwell and Ian Angus (London, 1968), IV, p.222.
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Swift falsifies his picture of the whole world by refusing to see anything in human life except dirt, folly, and wickedness, but the part which he abstracts from the whole does exist, and it is something which we all know about while shrinking from mentioning it. 60 Das Moment der Faszination, das Orwells Verhältnis zu Swifts Dichtung mitbestimmt, fehlt bei John Middleton Murry. 6 1 Dieser versteht Swifts Hang zur Darstellung des Häßlichen, Obszönen, Skatologischen als Ausdruck psychischer Perversion. Swift erscheint hier als besessen von seinem Ekel vor den menschlichen Exkrementen und seiner Abscheu vor der physischen Existenz des weiblichen Geschlechts. John M. Murry lehnt daher alle jene ,konventionellen Apologien' als ,lächerlich' ab, in denen auf die moralischen Intentionen Swifts verwiesen wird: It is not his direct obsession with ordure which is the chief cause of the nausea he arouses. It is the strange and disquieting combination of his horror at the fact of human evacuation with a peculiar physical loathing of women. It is an unpleasant subject; but it cannot be burked by any honest critic of Swift. The conventional excuses made for him are ridiculous. It has been said, for example, that in his loathsome picture of the diseased body of a poor prostitute he was merely castigating the horrors of sexual vice, and that his writings on sex have the merit of not exciting the lascivious appetite. To which one can only reply that it would be much better if they did. Lust is natural and wholesome compared to the feeling Swift arouses. Moreover, the horror of such a 'poem' as A Beautiful Young Nymph going to Bed is not confined to the nausea evoked by the hideous detail; it proceeds equally from the writer's total lack of charity, his cold brutality, towards the wretched woman who is anatomized. It is utterly inhuman.62 Es ist nicht meine Absicht, der vielfältigen, psychoanalytisch orientierten Swift-Literatur hier einen weiteren Beitrag hinzuzufügen, zumal der psychoanalytische Ansatz nicht geeignet ist, ein adäquates historisches Verständnis des skatologischen Themas in Swifts Gedichten herbeizuführen bzw. gerade die literaturhistorische Untersuchung manche der psychoanalytischen Spekulationen als fragwürdig oder unberechtigt erscheinen läßt. Eine Zusammenfassung der wichtigsten Probleme und Ergebnisse der psychoanalytischen Swift-Deutung findet sich in Norman O. Browns Buch Life against Death.63 Brown selbst liefert überdies die 60 61 62 ί3
Ebd. John Middleton Murry, Jonathan Swift. A Critical Biography (London, 1954). Ebd., p. 4 3 9 . (Middletown, 1959), chap. 13., "The Excremental Vision". Das Buch wird hier nach der deutschen Übersetzung zitiert: N. O. Brown, Zukunft im Zeichen des Eros (Pfullingen, 1962), Kap. 13, "Kot-Visionen", S. 2 2 5 - 5 1 .
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ausführlichste Untersuchung zur Bedeutung des skatologischen Elements in den Gedichten Swifts aus der Sicht konsequenter Freudscher Psychoanalyse. Er vertritt die Auffassung, daß „Swifts Anatomie der menschlichen Natur . . . nur als ,Kot-Vision' bezeichnet werden kann". 6 4 Er verwahrt sich jedoch gegen die weitverbreitete Ansicht, Swifts literarisches Werk sei ein „reines Nebenprodukt seiner individuellen Neurose", 6 5 und versucht, „seine Einsicht in die Universalneurose der Menschheit zu würdigen". 6 6 Als das „wirkliche Thema" der skatologischen Gedichte Swifts erscheint „der Konflikt zwischen unserem tierischen Körper . . . und unseren anspruchsvollen Sublimierungen, insbesondere den Ansprüchen der sublimierten oder romantisch-platonischen Liebe", 67 bzw. „der Gedanke an den absoluten Widerspruch zwischen dem Zustand des Verliebtseins und der Kenntnis der exkrementalen Funktion der Geliebten". 68 Swift nehme somit literarisch die Erkenntnis Freuds vorweg, „[daß] vor allem die mit den Ausscheidungen verbundenen Elemente des Triebs unvereinbar mit unseren ästhetischen Auffassungen erscheinen". 69 Einen einfachen, jedoch durchaus plausiblen Ansatz zur Kritik Browns aus spezifisch literaturwissenschaftlicher Sicht liefert Donald Greene. In seinem Aufsatz "On Swift's Scatological Poems" führt er einen Gedanken weiter, den 1963 erstmals Herbert Davis prononciert formuliert hatte, nämlich, daß — entgegen den Behauptungen einiger Psychoanalytiker - nicht Swift selbst bei der Enthüllung der skatologischen Funktionen des weiblichen Geschlechts in den Wahnsinn getrieben wird, sondern die von ihm erfundenen literarischen Figuren. 70 Greene legt dar, daß Swift in seinen skatologischen Gedichten nicht seine eigene Neurose zum Ausdruck bringt, sondern daß er die Traumata ["foul Imagination", "vicious Fancy"] 71 fiktiver Charaktere aus der Sicht eines intellektuell disziplinierten, verantwortungsbewußten Moralisten behandelt. 72 Die Tatsache, daß Swifts Persönlichkeit durch neurotische Züge mitbestimmt ist, wird hier nicht in Frage gestellt, ebensowenig, daß traumatische Vorstellungen und unbewußte Motivationen auf Swifts literarische Produkte konstituierend gewirkt haben. Dieser Aspekt wird 64 70
71 72
Ebd., S. 232. 65 Ebd. 66 Ebd. 67 Ebd., S.234. 68 Ebd. 6 , Ebd„ S.235. Siehe Herbert Davis, "A Modest Defence of 'The Lady's Dressing Room'", Restoration and Eighteenth-Century Literature, ed. Carroll Camden (Chicago, 1963), p.48. Poems, II, p. 529,1. 121,1. 127. Donald Greene, "On Swift's Scatological Poems", Sewanee Review, 75 (1967), p. 677f.
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hier jedoch nicht weiter berücksichtigt; er bleibt den Psychoanalytikern vorbehalten. In seinem Buch über The Personality of Jonathan Swift7i distanziert sich auch Irvin Ehrenpreis von den psychoanalytischen und psychologisierenden Auffassungen und erörtert das Thema der Obszönität aus vorwiegend biographischer und literaturgeschichtlicher Sicht.74 Die Frage, ob und in welchem Grade Swift neurotisch veranlagt war und seine Gedichte als Projektionen seiner Neurose zu verstehen sind, erscheint ihm müßig, da ihre Beantwortung nicht dazu beiträgt, die literarische Leistung Swifts zu erkennen und zu bewerten; ja, er vertritt die Auffassung, daß psychologische Etikettierungen Swifts nicht nur nutzlos sind, sondern zu Fehlurteilen im Hinblick auf seine obszönen Versdichtungen geführt haben.75 Am Beispiel von "A Beautiful Young Nymph" versucht Ehrenpreis daher zu demonstrieren, daß die nachdrückliche Darstellung des Häßlichen, Skatologischen und Obszönen durchaus eine künstlerische und moralische Funktion hat. Er spekuliert zunächst darüber, ob der Fall des Dean of Ferns, Dr. Thomas Sawbridge, den man 1730 wegen Notzucht eingekerkert hatte,76 oder der Fall des Betrügers und Wucherers Francis Charteris, der seine Tochter „gewinnbringend" in adelige Kreise verheiratet hatte,77 anregend für die späten skatologischen Satiren gewirkt haben könnte. Diese Ausführungen können jedoch nicht überzeugen, — nicht nur, weil in den Gedichten jeglicher Hinweis auf konkrete Anlässe und zeitgenössische Persönlichkeiten fehlt, sondern auch deshalb, weil es sich, wie in diesem Kapitel sichtbar wurde, um Varianten und Weiterentwicklungen einer thematischen Grundeinstellung handelt, die bereits in früheren Werken angelegt ist. Auch kann Ehrenpreis keinen konkreten Nachweis erbringen, daß Swift sich parodistisch gegen bestimmte, 1730 publizierte Werke richtet 73 75
76
77
7 4 Ebd., pp. 2 9 - 4 9 . (Cambridge: Mass., 1958). Siehe dazu ebd., p.29f.: "Swift had in fact the classic traits of a compulsive personality. He made lists, he collected books, he saved money, he kept himself unusually clean; he was often obsessional. Since many scientists and literary scholars are in the same way compulsively neat, it is hardly necessary to apologize for Swift. . . . It is a fair question whether Swift's flaws or virtues as a writer are linked to his personality. That there must be some connection, I quite believe. But while there are millions of tidy, collecting, list-making, picture-straightening, obsessional, compulsive personalities, there are not millions of Swift's. Merely to classify him in a psychological category is to do little towards evaluating his art." Ehrenpreis, p. 34; vgl. dazu Swifts "Excellent New Ballad: Or, The true E n — s h D — η to be hang'd for a R - p e " , Poems, II, p p . 5 1 6 - 2 0 . Ebd., p.36.
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wie etwa Matthew Pilkingtons Poems on Several Occasions, "an imitative lot of pastoral and amorous lyrics in the Caroline manner", 78 oder Joseph Thurstons The Toilette, "an imitation of The Rape of the Lock, and an exposition of such problems as the use of cosmetics". 79 Dasselbe gilt für Donnes „pornographische" xix. Elegie "To his Mistris Going to Bed". 80 Wenngleich sich die aufgeführten Werke hervorragend dazu eignen, eine Kontrastfolie zu Swifts Gedicht abzugeben, so wird doch andererseits an ihnen die bereits erwähnte Tatsache deutlich, daß Swift kaum einmal bestimmte einzelne Dichtungen parodiert, sondern sich meist allgemein gegen die konventionellen dichterischen Haltungen und Ausdrucksformen wendet, insbesondere gegen die motivlichen und stilistischen Klischees pastoraler, petrarkistischer, höfisch-libertinistischer Liebesdichtung.81 - Sicherlich muß man Ehrenpreis' Auffassung zustimmen, that Swift . . . w a s . . . ridiculing the literary fashion of praising women for their physical charms, . . . of treating women as spiritual beings w h o never experience fleshly discomfort, a n d the related tradition of using pastoral imagery to a d o r e w o m e n for their sensuous beauty. 8 2
Und sicherlich behauptet er auch zurecht im Hinblick auf verbreitete libertinistische Praktiken, "that as a conscientious priest he wished to discourage fornication". 83 Hierin aber erschöpft sich nicht Swifts Intention, und hieraus erklärt sich auch nicht die große Strenge seines Verfahrens. 78 81
79 Ebd. 80 S. o., S. 167. Ebd., p. 37. Auf welche stilistischen und thematischen Konventionen Swift im einzelnen abzielte, zeigt vor allem seine späte Parodie "A Love Song in the Modern Taste" (1733), Poems, II, p. 660f.: Fluttering spread thy purple Pinions, Gentle Cupid o'er my Heart; I a Slave in thy Dominions; Nature must give Way to Art.
Mild Arcadians, ever blooming, Nightly nodding o'er your Flocks, See my weary Days consuming, All beneath yon flow'ry Rocks.
82
Thus the Cyprian Goddess weeping, Mourn'd Adonis, darling Youth: Him the Boar in Silence creeping, Gor'd with unrelenting Tooth. Cynthia, tune harmonious Numbers; Fair Discretion string the Lyre; Sooth my ever-waking Slumbers: Bright Apollo lend thy Choir. 83 Ebd., p.39. Ehrenpreis, The Personality of Jonathan Swift, p.41.
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Swifts Beschreibungen des Häßlichen und Obszönen, des Geistlosen und Trivialen, des Morbiden und Unmoralischen lösen im Leser wohl zunächst heftige Reaktionen des Widerwillens, der Verärgerung und des Ekels aus; in ihrer Funktion als Kontrastdarstellungen zu dem in der Dichtung „Üblichen" bewirken die Gedichte dieser Gruppe gleichwohl auch ein Erkenntnisbemühen, das demjenigen verwandt ist, welches Wolfgang Iser als Folge der Beobachtung von „Umkehrkontrasten" innerhalb eines Kunstwerks beschrieben hat: Der Umkehrkontrast bringt . . . das heraus, was im Blick auf die bloße Gegebenheit des Phänomens noch verdeckt ist, so daß erst die Negativform durch ihren kontrafaktischen Charakter erkennen läßt, was das Phänomen bzw. die Idee wirklich beinhaltet, indem sie das von ihr Ausgeschlossene konturiert. Daraus entsteht eine Interaktion, in der die aus der Opposition entstandene Differenz dynamisch wird. Diese Dynamik entfaltet sich jedoch nicht im Text selbst, . . . sondern in der Vorstellung des Lesers, in der ein Bild des über den Umkehrkontrast gebotenen Phänomens entsteht. Dieses Bild deckt sich mit keiner der beiden Oppositionen vollständig. . . . So bewirkt die Negativform eines Phänomens zweierlei: Sie bringt eine Opposition hervor und schafft durch die entstehende Differenz die zentrale Bedingung für das Begreifen des Phänomens. 84
Was Iser hier über opponierende „Phänomene" bzw. „Ideen" innerhalb eines bestimmten Kunstwerks feststellt, gilt grundsätzlich auch für die Relation opponierender Kunstwerke. Bezogen auf Swifts skatologische und obszöne Gedichte heißt dies, daß der Leser erst durch sie als „AntiDichtungen" bzw. „Anti-Fiktionen" angeleitet wird, die Art und den Grad poetischer Stilisierung, damit aber den Wahrheits- und Wirklichkeitsgehalt konventioneller, ästhetisierender und idealisierender Dichtung vergleichend zu ermitteln, und zwar auf der Grundlage seiner Vernunft und seiner Erfahrung. Indem Swift in vielen seiner Gedichte „Negativformen" konventioneller Gedichte schafft, regt er somit nicht nur zur Literaturkritik im engen Sinne ästhetischer Kategorien und Normen an, er leitet den Leser gleichzeitig dazu an, sich von althergebrachten „poetischen" Klischees zu trennen und ein reflektiertes, sachliches Verhältnis zur Wirklichkeit herzustellen, ohne ihm dabei jedoch als Moralist Vorschriften und Ermahnungen aufzudrängen. Zweifellos liegt hier ein Besonderes von Swifts moralistischem Ansatz. Vermutlich hat Swift selbst die Gefahr gesehen, man könne seine Beschreibungen des Häßlichen und des Skatologischen - vor allem im 84
Wolfgang Iser, "Die Leserrolle in Fieldings Joseph Andrews und Tom Jones", Henry Fielding und der englische Roman des 18. Jahrhunderts, hg. Wolfgang Iser (Darmstadt, 1972), S. 3 0 8 .
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Hinblick auf seine Darstellung der Frau — als Ausdruck seiner eigenen Menschenverachtung und seiner Misogynie verstehen. Er hat daher möglichen Fehlbeurteilungen zumindest in einigen der späten Gedichte vorgebeugt, indem er Desillusionierungen als Erfahrungen fiktiver Figuren beschrieb, so daß eine Verwechslung des Dargestellten mit dem persönlichen Erleben und Empfinden Swifts weniger naheliegt. So beschreibt er in "The Lady's Dressing Room" die Desillusionierung des verliebten Strephon, wobei er durch den geläufigen Schäfernamen eine Chiffre liefert, mit deren Hilfe er darauf verweist, daß Strephons Verhältnis zur angebeteten ,Göttin' durch die Vorstellungen arkadischer Schönheit und Anmut, Natürlichkeit und Tugend bestimmt wird, wie sie in der pastoralen Liebesdichtung häufig propagiert wurden. Strephons ,romantische' Fiktion einer ätherischen Celia freilich bricht unwideruflich in sich zusammen angesichts der Unordnung, des Schmutzes und des Gestanks, die in Celias Boudoir herrschen, die offenbaren, in welchem Maße diese hochmütige, syphilitische Schöne, "Array'd in Lace, Brocades and Tissues", ihn mit Kosmetik und modischer Kleidung verblendet hat. Seine Desillusionierung wird freilich vor allem durch die Erkenntnis bewirkt, "[that] Celia, Celia, Celia shits!" 85 Strephon erweist sich als nicht fähig, das niederdrückende Erlebnis seines heimlichen Besuches im Zimmer der Angebeteten rational zu bewältigen; er reagiert leidenschaftlich und unreflektiert und verfällt infolge seiner tiefen Enttäuschung in den „kontrastiven", anhaltenden Zustand einer ,exkrementalen Vision': 86 Er ist von nun an besessen von "foul Imagination" 8 7 und "vicious Fancy", 88 wie Swift unmißverständlich hervorhebt. Er ist ,wahnsinnig', 89 denn er ist unfähig, sich mit der Wahrheit auseinanderzusetzen und mit der Wirklichkeit zu arrangieren: But Vengeance, Goddess never sleeping Soon punish'd Strephon for his Peeping; His foul Imagination links Each Dame he sees with all her Stinks: And, if unsav'ry Odours fly, Conceives a Lady standing by: All Women his Description fits, And both Idea's jump like Wits: By vicious Fancy coupled fast, And still appearing in Contrast.90 85 87 89 90
8i Poems, II, p.529,1. 118. Norman O. Brown, Life against Death, p. 179. 88 Poems, II, p.529, 1. 121. Ebd., 1. 127. Vgl. auch Donald Greene, p. 667f. Poems, II, p.529, 11. 119-28. — Kursivsatz Contrast von mir.
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Maurice Johnson unterschätzt Swifts intellektuelle Beherrschtheit, und er verkennt seine moralistische Absicht, wenn er unterstellt, Swift gebe sich in den abschließenden Reflexionen über die Erfahrungen Strephons "patronizingly amused at the boy's queasy stomach", 91 um so sein eigenes Übelkeitsgefühl zu kompensieren.92 Ebensowenig überzeugend erscheint mir Adens Ansicht, Swift demonstriere hier sein überlegenes Vermögen, [to] find the spectacle of beauty out of such noisome origins a source of wonder and n o t . . . of despair; 9 3
denn Swift exemplifiziert hier nicht seine eigene ,Klarsicht, Vernunft und Weisheit', 94 sondern bedient sich einer Persona, die es ihm ermöglicht, ironisch den Leser zu provozieren. Der Sprecher der abschließenden Reflexionen nimmt die Gegenposition des enttäuschten Strephon ein: er weiß durchaus um das Triviale und Abstoßende der menschlichen Natur, er durchschaut die Mittel der Illusionserzeugung; er schließt jedoch Augen und Nase vor der Realität, um in entrückter Verzückung seinen poetischen Träumen und romantischen Chimären weiter nachhängen zu können: Should I the Queen of Love refuse, Because she rose from stinking Ooze? When Celia in her Glory shows, If Strephon
would but stop his Nose;
He soon would learn to think like me, And bless his ravisht Sight to see Such Order from Confusion sprung, Such gaudy Tulips rais'd from Dung. 9 5 91 93 95
92 Siehe ebd., p.119. Maurice Johnson, The Sin of Wit, p.118. 94 Ebd. John M. Aden, "Those Gaudy Tulips: Swift's Unprintables", p. 21. Poems, II, p.530, 11. 131-32, 135-36, 141-44. - Norman O. Brown geht gründlich fehl, wenn er im Hinblick auf diese Stelle die Auffassung vertritt, Swift „versuche zu beweisen, daß Sublimierung doch möglich sei, ... ja sogar um den Preis der Verdrängung gepflegt werden muß" (p.236). - Wenn sich auch Donald Greene von Browns Interpretation distanziert, so ist doch seine Auffassung fragwürdig: "[Swift] is merely poking fun at the Strephons and Cassinuses: if their excessive 'sensibility', or rather egotism, will be satisfied with nothing less than a flawless Statira [sic!] or an odorless Caelia, then let them stop their noses; only temporarily, one hopes, until they acquire more sense" (p.679). Greene nimmt nicht zur Kenntnis, daß Swift nicht nur Kritik an der ,Sensibilität' und dem ,Egoismus' Strephons übt, sondern gleichermaßen Caelia verurteilt, die sich mit Hilfe kosmetischer Kunst und modischer Accessoirs den Anschein eines ätherischen, nymphenhaften Wesens zu geben versteht, um erotisch attraktiv zu erscheinen.
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Wiederum vermeidet Swift eine direkte moralistische Analyse; er beläßt es bei der Beschreibung einer ekelerregenden Szene; er stellt zwei mögliche, kontrastierende menschliche Reaktionen vor, verdeutlicht, daß er an beiden Haltungen Anstoß nimmt, ohne jedoch dem Leser seine eigene Einstellung mitzuteilen. Auch dieser Text wirkt vor allem durch das in ihm enthaltene Moment eindringlicher, ja drastischer bildhafter Beschreibung; auch er dient dazu, den Leser über die Provokation zur kritischen Auseinandersetzung anzuregen.96 Von diesem Schema scheint Swift in seinem wohl berühmtesten skatologischen Gedicht "Strephon and Chloe", das etwa zur gleichen Zeit wie "The Lady's Dressing Room" entstand, abzurücken; denn dieses Gedicht scheint „lebenspraktische" Anweisungen in nicht geringer Zahl zu enthalten. Um deren Funktion zu verstehen, bedarf es freilich einer ausführlichen Analyse.
2. "Strephon and Chloe" und "Cassinus and Peter" Wie das vorige Gedicht stellt "Strephon and Chloe" (1731), das unübersehbar Züge einer Epithalamion-Parodie hat, eine Desillusionierung und ihre Folgen dar: Strephon, der reiche, junge Erbe, der - "With Coach and Six, and House in Town" - seine Rivalen in der Werbung um Chloe aus dem Felde geschlagen hat, erlebt in der Hochzeitsnacht eine herbe Enttäuschung. Die junge Ehefrau Chloe, die es verstanden hatte, sich das Image nymphenhafter Schönheit, jungfräulicher Keuschheit und makelloser Tugend zu geben und in der eleganten Gesellschaft der Stadt als ein geradezu ätherisches Wesen zu erscheinen, entpuppt sich unversehens als eine nur zu menschliche Kreatur. Strephon, der sein ideales Bild der Geliebten nach den Klischees pastoraler Liebesdichtung geformt hat und der nicht fähig war, die Formen des modischen Liebesspiels als eine kunst- und absichtvolle Selbststilisierung Chloes zu durchschauen, der 96
Die von Herbert Davis vorgetragene Ansicht, Swifts Satire ziele vor allem darauf ab, die Tugend der Reinlichkeit ,einzuimpfen', erfaßt daher die moralistische Intention Swifts nur unvollständig und einseitig: "Only an ill taste could fail to have discovered the 'useful Satyr' running through every line of these poems, which were intended to inculcate the virtue of cleanliness" ["A Modest Defence of 'The Lady's Dressing Room'", p. 41]. - Daß Swift selbst diesem Aspekt eine nicht geringe Bedeutung beimaß, ist unbestreitbar; hatte er doch u. a. in seinem Letter to a Young Lady on Her Marriage (1723) dringend angeraten, auf "Cleanliness and Sweetness" des Körpers zu achten: "For, the satyrical Part of Mankind will needs believe, that it is not impossible, to be very fine and very filthy; and that the Capacities of a Lady are sometimes apt to fall short in cultivating Cleanliness and Finery together" [Prose Works, IX, p. 87].
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sich der Angebeteten trotz gründlicher, geradezu ritueller Reinigung seines Körpers im Bewußtsein seiner menschlichen Unzulänglichkeit und in heiliger Furcht vor ihrem göttlichen Zorn nicht zu nähern wagt, entdeckt voller Verwunderung, jedoch keineswegs entsetzt, ihr körperliches, sterbliches' Wesen, und zwar an den fatalen Wirkungen, die der übermäßige Genuß von Tee und Erbsen hervorgebracht hat: TWELVE Cups of Tea, (with Grief I speak) Had now constrain'd the Nymph to leak. This Point must needs be settled first; The Bride must either void or burst. Then, see the dire Effect of Pease, Think what can give the Colick Ease, The Nymph opprest before, behind, As Ships are toss't by Waves and Wind, Steals out her Hand by Nature led, And brings a Vessel into Bed: Fair Utensil, as smooth and white As Chloe's Skin, almost as bright. STREPHON who heard the fuming Rill As from a mossy Cliff distill; Cry'd out, ye Gods, what Sound is this? Can Cbloe, heav'nly Chloe —?97 Die Ernüchterung folgt auf dem Fuße. Strephons Idealvorstellungen lösen sich unvermittelt in ein Nichts auf, ohne daß er ihnen nachtrauert: ADIEU to ravishing Delights, High Raptures, and romantick Flights; To Goddesses so heav'nly sweet, Expiring Shepherds at their Feet; To silver Meads, and shady Bow'rs, Drest up with Amaranthine Flow'rs.98 Anders als in "The Lady's Dressing Room" führt die Desillusionierung nicht zu verzweifelter Resignation. Dieser Strephon reagiert animalischdumpf und arrangiert sich umgehend und geradezu erleichtert mit seiner Ehefrau, indem er, wie sie vor ihm, zum Nachttopf greift: HOW great a Change! How quickly made! They learn to call a Spade, a Spade. They soon from all Constraint are freed; Can see each other do their Need. 97
Poems, II, p . 5 8 9 , 11. 1 6 3 - 7 8 .
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" Ebd., p . 5 9 0 , 11. 2 1 7 - 2 2 .
On Box of Cedar sits the Wife, And makes it warm for Dearest Life. And, by the beastly way of Thinking, Find great Society in Stinking. Now Strephon daily entertains His Chloe in the homeli'st Strains; And, Chloe more experienc'd grown, With Int'rest pays him back his own. No Maid at Court is less asham'd, Howe'er for selling Bargains fam'd, Than she, to name her Parts behind, Or when a-bed, to let out Wind." Die verschiedenen Ermahnungen, die Swift in das Gedicht eingestreut hat, erweisen sich - vom Gedichtschluß abgesehen - bei genauerem Hinsehen als hochgradig ironisch und zynisch. Swifts Erwägungen und Ratschläge betreffen vor allem das schickliche Verhalten ["decency"] der Frau in der Ehe. Zunächst wendet er sich mit vorgetäuschter Gravität an die ,lieben Eltern' heiratsfähiger Töchter; er ermahnt sie, darauf zu achten, daß die jungen Damen maßvoll und klug Speisen und Getränke zu wählen lernen, um dem verliebten jungen Ehemann in der Hochzeitsnacht böse Überraschungen zu ersnaren· ' NOW, Ponder well ye Parents dear; Forbid your Daughters guzzling Beer; And make them ev'ry Afternoon Forbear their Tea, or drink it soon; That, e'er to Bed they venture up, They may discharge it ev'ry Sup; If not; they must in evil Plight Be often forc'd to rise at Night, Keep them to wholesome Food confin'd, Nor let them taste what causes Wind; ('Tis this the Sage of Samos means, Forbidding his Disciples Beans) Since Husbands get behind the Scene, The Wife should study to be clean; Nor give the smallest Room to guess The Time when Wants of Nature press.100 Diese Ermahnungen sind lächerlich, weil sie sich über Triviales wichtigtuerisch verbreiten; und sie sind sicherlich eine Parodie auf die Manier "
Poems, II, p . 5 9 0 , 11. 2 0 3 - 1 8 .
100
Ebd., p . 5 8 7 , 11. 1 1 5 - 2 6 ; p.588,11. 1 3 7 - 4 0 .
179
zeitgenössischer Moralisten, "the Tribe of tedious Moralists", 101 sich über alle möglichen Aspekte des menschlichen Lebens, auch die weniger belangvollen, ja unbedeutenden, umständlich und lehrhaft auszulassen. 102 Darüber hinaus interessiert hier die Einstellung des Sprechers zur Wirklichkeit. Er setzt sich dafür ein, das auf Täuschung der Phantasie des Liebhabers angelegte, modische Dekorum weiblichen Verhaltens aufrechtzuerhalten und den Mann vor Desillusionierung zu bewahren. Wenn im Zusammenhang solcher Ermahnungen, auch in der Ehe das künstliche Image ätherischer Schönheit nicht preiszugeben, der Begriff decency fällt, dann bedeutet er nicht eine positive moralische Kategorie, sondern ist nichts als eine taktische Maßnahme der Frau, die dazu dient, ihre wirkliche, körperliche Natur zu verschleiern, um die auf einer Illusion begründete Liebesleidenschaft des Mannes ungebrochen zu erhalten: _ . ^ , ...... FAIR Decency, celestial Maid, Descend from Heav'n to Beauty's Aid; Though Beauty may beget Desire, 'Tis thou must fan the Lover's Fire; For, Beauty, like supreme Dominion, Is best supported by Opinion; If Decency brings no Supplies, Opinion falls, and Beauty dies.103
Die Ermahungen in "Strephon and Chloe" sind ihrem Tenor nach paradox konzipiert. Dabei werden die Gegensätze freilich weder gedanklich noch emotional plausibel gemacht. So steht dem Ratschlag, den Ehemann im Zustand der Illusion zu belassen, unmittelbar die Aufforderung gegenüber, vor der Hochzeit das ätherische Bild von der Geliebten rücksichtslos zu zerstören und die Ehe desillusioniert und im Bewußtsein der exkrementalen Funktionen der Frau zu beginnen: Ο Strephon, e'er that fatal Day When Chloe stole your Heart away, Had you but through a Cranny spy'd On House of Ease your future Bride, In all the Postures of her Face, Which Nature gives in such a Case; 101 102
103
Ebd., p. 724,1. 15f. Siehe dazu etwa Thomas Parnells "Elegy to an Old Beauty", Minor Poets of the Eighteenth Century, ed. Hugh I'Anson Fausset (London, 1930), p.l47f., oder auch Eustace Budgells Überlegungen zum Thema decency im Spectator (No. 506) vom 10. Oktober 1712. Poems, II, p.590, 11. 219-26.
180
Distortions, Groanings, Strainings, Heavings; 'Twere better you had lickt her Leavings, Than from Experience find too late Your Goddess grown a filthy Mate. 1 0 4
Daß Swift diese Konzeption der decency und die anschließenden Ermahnungen nur unter ironischem Vorbehalt eingebracht hat, wird insbesondere vom Schluß des Gedichts her deutlich. Er nennt dort — und nun durchaus ernsthaft — diejenigen Eigenschaften und Fähigkeiten, die die unverzichtbare Voraussetzung gegenseitiger Achtung und andauernder Freundschaft, ja Liebe, sind: O N Sense and Wit your Passion found, By Decency cemented round; Let Prudence with Good Nature strive, T o keep Esteem and Love alive. Then come old Age whene'er it will, Your Friendship shall continue still: And thus a mutual gentle Fire, Shall never but with Life expire. 1 0 5
Hier erscheinen Verstand (sense) und Urteilskraft (wit)106 als Regulativ der leidenschaftlichen Gefühle, daneben jedoch auch die Wahrung des moralischen und gesellschaftlichen Dekorum (decency)}07 Decency ist in diesem Zusammenhang nicht eine heuchlerische, strategische Verhaltensweise, die den Liebenden vor Desillusionierung bewahrt, sondern um die Formulierung des Spectator zu übernehmen — sie ist "Concomitant to Virtue": "By it every Virtue 'tis joined to will seem to be doubled".108 Indem Swift denselben Begriff benutzt, um zwei miteinander unvereinbare Bedeutungen auszudrücken, zwingt er den Leser, seine Fähigkeiten rationaler Differenzierung einzusetzen, zwischen wahrer und falscher decency zu unterscheiden und sich aufgrund abwägenden Vergleichens zu einer klaren moralischen Position zu entscheiden. Somit stellt die Art der Verwendung dieses Begriffs ein Beispiel für die für Swift grundlegende moralistische Strategie dar, den Leser durch Einbringen widerstreitender Perspektiven zur Reflexion anzuregen. 104 106
107
108
105 Ebd., p.593,11. 307-12. Ebd., p.591,11. 235^t4. Auf die weitgehende Übereinstimmung von wit und judgment bei Swift wurde bereits an anderer Stelle eingegangen; siehe oben, S. 132. Vgl. dazu Spectator, No. 104, wo "Decency of Behaviour" definiert wird als "Order, Constancy, and Moderation of our Words and Actions" [I, p.433]. Ebd.
181
Ohne daß Swift sich auf Begriffsbestimmungen einläßt, erwähnt er überdies prudence und good nature als die höheren, umfassenderen Begabungen; sie vor allem scheinen den Menschen zu befähigen, die Wirklichkeit distanziert und zugleich wohlwollend zu beurteilen; sie bewahren ihn vor trügerischen Idealen genau so wie vor misanthropischer Resignation. Sicherlich war sich Swift bei der Verwendung von prudence der Bedeutung bewußt, die dieser Begriff in der christlich-humanistischen Tradition von jeher gehabt hatte; und sicherlich konnte er darauf vertrauen, daß auch die Gruppe der von ihm angesprochenen Leser den Begriff im Zusammenhang dieser Tradition zu deuten verstand. Wie Martin C. Battestin darlegt, fand man diesen prudence-Begriff insbesondere bei Cicero vorgeprägt; prudentia ist die praktische Weisheit, die erste der vier Kardinaltugenden: Prudence is essentially the ability to distinguisth between good and evil. It is a rational faculty, . . . which depends on the proper functioning of memory, intelligence, and foresight: memory enabling us to recall what has happened, so that we may learn from experience; intelligence enabling us to discern the truth of circumstances as they really are; and foresight enabling us, on the basis of past knowledge and with the aid of a penetrating judgment, to estimate the future consequences of present actions and events. Prudence is, in other words, that perspicacity of moral vision which alone permits us to perceive the truth behind appearances. 109
Mit der Tugend der prudence freilich muß sich bei Swift good nature verbinden. — Wie bei den meisten anderen literaturkritischen, philosophischen, moralistischen Begriffen, die Swift verwendet, fehlt auch hier eine Definition; und auch an anderen Stellen in Swifts Werk finden sich keine Erläuterungen dazu. Hierin zeigt sich nicht nur exemplarisch Swifts Vorbehalt gegenüber Definitionen, Spekulationen und Grundsatzerwägungen, sondern wohl auch die Erwartung, daß der Inhalt des Begriffs dem gebildeten Leser geläufig war. Die Vorstellung der good nature hatte in der Tat seit dem Ende des 17. Jahrhunderts in der Moralistik eine zentrale Bedeutung gehabt.110 Zum ersten Mal war sie im angesehenen Spectator einem größeren Lesepublikum in popularisierter Form unterbreitet worden. Dem Spectator zufolge ist good nature eine natürliche tugendhafte Disposition, 109
1,0
Battestin, "Fielding's Definition of Wisdom: Some Functions of Ambiguity and Emblem in Tom Jones", ELH, 3 5 (1968), p. 191. Siehe dazu etwa Battestin, The Moral Basis of Fielding's Art (Middletown: Conn., 1959), pp. 1 4 - 1 9 , 5 4 - 6 3 , 6 5 - 8 1 .
182
die durch Erziehung zwar verbessert', nicht jedoch ,hervorgebracht' werden kann.111 Good nature bezeichnet jene philantropische Geisteshaltung, die den Menschen befähigt, das Unglück anderer mitzufühlen und sich über deren Glück selbstlos zu freuen. Aus dieser Haltung resultiert auch das ,bewunderungswürdige' Vermögen,112 sich für die Belange anderer nachdrücklich einzusetzen aufgrund von "Compassion, Benevolence and Humanity".113 Überdies impliziert die benevolente Disposition die Fähigkeit, die Fehler und Schwächen anderer Menschen zu verzeihen und zu übersehen,114 die Tugend andererseits vorbehaltlos zu preisen: It shows Virtue in the fairest Light, takes off in some measure from the Deformity of Vice, and makes even Folly and Impertinence supportable. 115
Eine so verstandene good nature ist daher selbstverständlich auch eine unabdingbare Voraussetzung für eine glückliche Ehe; denn [it] will raise in you all the tenderness of Compassion and Humanity, and by degrees soften those very Imperfections
[of the Person beloved] into
Beauties. 116
Zweifellos tritt die ernsthafte Absicht und die inhaltliche Konsistenz der abschließenden Ratschläge deutlicher hervor, wenn man die verwendeten moralistischen Begriffe im Sinne des allgemeinen, zeitüblichen Begriffsverständnisses interpretiert. Dennoch wirken Swifts Ermahnungen farblos und formalistisch; es entsteht der Eindruck eines etwas verlegenen Spiels mit moralistischen Chiffren, das sicherlich ein Symptom für sein mangelndes Interesse an der Darlegung theoretischer Positionen ist und auch seine Skepsis gegenüber allgemeingültigen Verhaltensanweisungen verrät.117 So verwundert es nicht, daß Swift im letzten seiner skatologischen Gedichte, "Cassinus and Peter" (1731), wieder auf ernsthafte moralische Ermahnungen verzichtet. Auch dieses Gedicht behandelt eine Desillusionierung, die aus der Beobachtung der natürlichen Ausscheidungen der Geliebten resultiert. — Schon in den vorangehenden thematisch verwandten Gedichten hatte 111 113 116 117
112 Ebd., No. 607, V, p. 75. The Spectator, No. 169, II, p. 165. 114 Ebd., p. 166. 115 Ebd., p. 165. Ebd., No. 169, II, p. 165. Ebd., No. 261,11, p. 516. Diese Feststellung gilt freilich nur eingeschränkt und in erster Linie für die Versdichtungen Swifts; insbesondere im Prosawerk finden sich vielfach konkrete, praktische Anweisungen zu rechtem Verhalten; als Prosabeispiele für ernstgemeinte moralische Ermahnungen siehe etwa Swifts Letter to a Young Gentleman, Lately Enter'd into Holy Orders (1720) oder auch den Letter to a Young Lady, On her Marriage (1723).
183
sich Swift gelegentlich parodistisch jener "overused and much repeated classical tags and stories, ... words and phrases in English poetry from Milton to Pope" bedient,118 um die dichterische Überhöhung der Frau lächerlich zu machen. Während es dort jedoch in einem elementareren Sinne um das Verhältnis von Fiktion und Wirklichkeit und insbesondere auch um die moralischen Voraussetzungen zwischengeschlechtlicher Beziehungen ging, ist dieses Gedicht eher darauf angelegt, den modischen poetic cant, vor allem die abgenutzten pastoralen Klischees der Lächerlichkeit preiszugeben. Zweifellos gewinnt hier das Moment burlesker Komik größere Bedeutung, zweifellos verliert dabei das Gedicht an moralischem Gewicht. Bei Cassinus und Peter, den beiden Protagonisten, handelt es sich um "Two College Sophs of Cambridge Growth, / Both special Wits, and Lovers both". 119 Donald Greene hat die Persönlichkeiten der beiden jungen akademischen Herren treffend und pointiert beschrieben: They are not merely ordinary representatives of 'civilized behavior': they are something 'special', and acutely conscious of the fact; members of the undergraduate intelligentsia, the enlightened minority. They read and write poetry - or at least talk a great deal about it, 'Conferring as they us'd to meet, / On Love and Books in Rapture sweet'. They are experts on these two matters: they pride themselves on the fineness of their sensibilities in both literary and emotional criticism. 120
Die beiden leben in einem poetischen Wolkenkuckucksheim; sie sind in romantischen Vorstellungen von der nymphenhaften Geliebten in solchem Maße befangen, daß ihnen die Kluft zwischen Phantasie und Wirklichkeit nicht mehr bewußt ist. Gerade auf die komische Darstellung dieses Kontraste legt es Swift an. So zeichnet er zunächst, eindringlich wie Hogarth, eine karikaturhafte Skizze des hypochondrischen, verschlampten Cassinus in der tristen Umgebung seiner Studentenbude: But, such a Sight was never seen, The Lad lay swallow'd up in Spleen; He seem'd as just crept out of Bed; One greasy Stocking round his Head, The t'other he sat down to darn With Threads of diff'rent colour'd Yarn. His Breeches torn exposing wide A ragged Shirt, and tawny Hyde. 118
120
Davis, "A Modest Defence of 'The Lady's Dressing Room'", p.42. Poems, II, p.593, 1. If. Donald Greene, "On Swift's Scatological Poems", p.674.
184
Scorcht were his Shins, his Legs were bare, But, well e m b r o w n ' d with Dirt and Hair. A R u g w a s o'er his Shoulders thrown; A R u g ; for Night-gown he had none. His J o r d a n stood in M a n n e r fitting Between his Legs, to spew or spit in. 1 2 1
Die abstoßende Szene dient als Folie, um die nachfolgende Reihung poetischer commonplaces ebenso wie die Pose dichterischer Begeisterung zu verspotten. So mokiert sich Swift über die idyllischen, pastoralen Beschreibungen des Tagesanbruchs, wenn er Peter deklamieren läßt: What makes thee lie a-bed so late? T h e Finch, the Linnet and the Thrush, Their Mattins chant in ev'ry Bush: And, I have heard thee oft salute Aurora with thy early Flute. 1 2 2
Das parodistische Element bestimmt auch die folgenden Redeteile. Swift witzelt hier über die Platitüden der Liebesdichtung, wie er sie 1733 in "A Love Song in the Modern Taste" noch einmal besonders eindrucksvoll vorführte.123 Er erheitert sich hier über den sentimentalen, pathetischen Jargon, "which ev'ry Fool repeats"; 124 dabei meint er im einzelnen wohl die hyperbolischen Ausdrucksformen und die dekorativen Epitheta, die Personifikationen und die mythologischen Anspielungen, die Periphrasen und die Versatzstücke der amönen Landschaft. So läßt er Cassinus sich ergehen: N o r can Imagination guess, N o r Eloquence Divine express, H o w that ungrateful charming M a i d , M y purest Passion has betray'd. Conceive the m o s t invenom'd Dart, T o pierce an injur'd Lover's Heart. Advice in vain you w o u l d apply — Then, leave me to despair and dye. Yet, kind Arcadians,
on my Urn
These Elegies a n d Sonnets burn, A n d on the M a r b l e grave these Rhimes, A M o n u m e n t to after-Times: " H e r e Cassy lies, by Caelia slain, " A n d dying, never told his Pain. 121 123
122 Ebd., 11. 30-34. Poems, II, p.594, 11. 9-28. 124 Poems, Siehe Poems, II, 660f. II, p.645,1. 153.
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Vain empty World farewel. But hark, The loud Cerberian triple Bark. And there behold Alecto stand, A Whip of Scorpions in her Hand. Lo, Charon from his leaky Wherry, Beck'ning to waft me o'er the Ferry. I come, I come, — Medusa, see, Her Serpents hiss direct at me. Begone; unhand me, hellish Fry; Avaunt - ye cannot say 'twas I. 125 Schließlich beschwört er seinen Freund Peter, das Geheimnis allein für sich zu bewahren: Nor whisper to the tattling Reeds, The blackest of all Female Deeds. Nor blab it on the lonely Rocks, Where Echo sits, and list'ning mocks. Nor let the Zephyr's treach'rous Gale Through Cambridge waft the direful Tale. Nor to the chatt'ring feather'd Race, Discover Caelia's foul Disgrace.126 In seinem "Love Song" faßte Swift das Prinzip der hier parodierten Dichtung ironisch in der Maxime zusammen: "Nature must give Way to A r t " . 1 2 7 Seinen eigenen Standpunkt kann man durch Umkehrung der Formel in die Worte fassen: "Art must give way to nature". In der Auffassung Swifts diente art der Schaffung von Fiktionen und Illusionen; er lehnte sie daher grundsätzlich ab, dementsprechend auch die verschiedenen Dichtungsformen und Gattungen, in denen er art realisiert fand, Lied und Pastorale, Elegie und Ode, Epistel und Epigramm. Ihm selbst blieben daher im wesentlichen der Bereich der Parodie und der Satire, sowie die Spielarten des trifling und der raillery. Dennoch gab es für Swift gelegentlich Situationen und Anlässe, seine grundsätzlichen Vorbehalte gegenüber konventioneller Dichtung aufzugeben. Es finden sich etwa bis zum Tode Esther Johnsons verschiedene durchaus geistreich-wohlwollende, konventionell-panegyrische Gedichte, in denen Swift auch Frauen sein Lob zollt. Zu ihnen gehören Texte wie " T o Lord Harley, . . . , on his Marriage" (1713) 1 2 8 oder auch das amüsante Kompliment " T o Mrs. Biddy Floyd" (1708). 1 2 9 125 127
129
126 Poems, Ebd., p.595, 11. 5 5 - 6 0 ; 11. 7 1 - 8 8 . II, p.596f., 11. 1 0 5 - 1 2 . 128 Ebd., I, pp. 1 7 6 - 7 9 . Ebd., p.660, 1. 4. Poems, I, p.118. Zur Person Mrs. Floyds und ihrer freundschaftlichen Beziehung zu Swift siehe Williams in Poems, I, p.117.
186
Selbst der Earl of Orrery, der Swifts Versprodukte weithin negativ beurteilte, 130 konstatierte für einige Gedichte "a real dignity, and a most delicate kind of wit" 1 3 1 und meinte damit vor allem die Gedichte an Oxford und Peterborough, Carteret und Pulteney. 132 Zwar fällt auf, daß es sich gerade in diesen Fällen um "exalted friends" handelt, "where stations and characters did him honour", 1 3 3 und man mag mit einem gewissen Recht mutmaßen, "[that] these names abetted him in his pursuit of fame, [and that] they reflected back the glory which he gave"; 1 3 4 dennoch wäre es meines Erachtens ungerecht, Swift hier einseitig unlauterer, egoistischer Motive zu bezichtigen. Betonte er doch nachdrücklich in dem Gratulationsgedicht zur Hochzeit von Harleys Sohn, daß er um der guten, freundschaftlichen Beziehungen willen bereit sei, seine dichterischen Prinzipien aufzugeben; er schreibt dann nieder, "What friendship dictates more than wit". 1 3 5 Dasselbe kann man auch von der Horaz-Imitation " T o the Earl of Oxford, . . . Sent to him when he was in the Tower, before his Tryal" (1716) sagen, 136 zumal das Gedicht erst neunzehn Jahre später veröffentlicht wurde: H O W blest is he, who for his Country dies; Since Death pursues the Coward as he flies. The Youth, in vain, would fly from Fate's Attack, With trembling Knees, and Terror at his Back; Though Fear should lend him Pinions like the Wind, Yet swifter Fate will seize him from behind. VIRTUE repuls't, yet knows not to repine; But shall with unattainted Honour shine; Nor stoops to take the Staff, nor lays it down, Just as the Rabble please to smile or frown. 137
Die „literarische" Form der Darstellung geht meist zusammen mit der Tatsache, daß der jeweils zugrunde liegenden freundschaftlichen Beziehung etwas Unprivates, Öffentliches anhaftet, was sich teilweise gewiß aus der gesellschaftlich exponierten Stellung der bedichteten Personen erklärt.
130 132
133 136
1 3 1 Orrery, Remarks, p. 125. S. o., S. 18f. Siehe dazu: " T o the Earl of OXFORD, Late Lord Treasurer. Sent to him when he was in the Tower, before his Tryal" (1716), Poems, I, p.209f.; " T o the Earl of P - b - w " (1726), Poems, II, p p . 3 9 6 - 9 8 ; "Pethox the Great" (1723), Poems, I, p p . 3 2 3 - 2 6 ; "An Epigram on Woods's Brass-Money" (1724), Poems, I, p. 3 3 8 ; "On Mr. Ρ—y being put out of the Council" (1731), Poems, II, p p . 5 3 7 - 3 9 . 1 3 4 Ebd., p. 126. 1 3 5 Poems, I, p. 176,1. 4. Orrery, Remarks, p. 125. 1 3 7 Ebd., p.210,11. 1 - 1 0 . Ebd., p.209f. - Vorlage dazu: Horaz, Oden, III, 2.
187
3. Die Gedichte für Stella Am ehesten darf man einen persönlichen Ton und einen privaten Stil in denjenigen Gedichten erwarten, die Swift für Esther Johnson schrieb; denn seine freundschaftliche Bindung an sie, der er den poetischen Namen „Stella" gab, war zweifellos tiefer und dauerhafter als alle anderen freundschaftlichen Beziehungen. 139 Swift liebte Esther seit den gemeinsamen Jahren in Sir William Temples Haus; und er sah in ihr wohl den einzigen Menschen, dem er ganz vertrauen und dem er sich ganz anvertrauen konnte, von dem ihm uneingeschränkt Verständnis, Nachsicht und Liebe zuteil wurde. Der Name „Stella" findet sich erstmals in dem Gratulationsgedicht zu Esthers 38. Geburtstag im März 1719. 1 4 0 Er wird wiederverwendet in allen Gedichten, die Swift fortan für sie schrieb. Zweifellos wählte er den Namen „Stella" aufgrund seiner literarischen Konnotationen, so daß bereits von daher eine gewisse Skepsis im Hinblick auf das persönliche Element in den Stella-Gedichten angemessen erscheint. Aber gewiß wählte er den Namen auch, um durch ihn - wenn auch ironisch verschleiert — seine besondere geistige und emotionale Bindung an Esther auszudrücken, wie auch Herbert Davis hervorhebt: When [this name] appeared in a series of poems in honour of their friendship, it could not have been without a particular literary association both for them and for their friends. And it seems not unlikely that Swift and Stella, too, assumed the name in pleasant mockery of Sidney and his Stella, and intended it as a little joke at the expense of all romantic nonsense, particularly romantic love poetry; and this would be all the more satisfactory to them, because paradoxically it could at the same time hide and flaunt the truth that she was 'the star whereby his course was only directed'. 141
Das Besondere der Beziehung zwischen Swift und Stella erhellt nicht zuletzt aus den Zeilen, die er nach ihrem Tod einsam in seinem Schmerz schrieb. Am späten Abend des 28. Januar 1728, Stellas Todestag, Wichtige Literatur zur Beziehung zwischen Swift und Esther Johnson: Herbert Davis, Stella. A Gentlewoman of the Eighteenth Century (Toronto, 1942); Irvin Ehrenpreis, "The Pattern of Swift's Women", PMLA, 7 0 (1955), pp. 7 0 6 - 1 6 ; Ronald Paulson, "Swift, Stella, and Permanence", Journal of English Literary History, 2 7 (1960), pp. 2 9 8 - 3 1 4 ; Sybil Le Brocquy, Swift's Most Valuable Friend (Dublin, 1968); James L. Tyne, "Swift and Stella: The Love Poems", Tennessee Studies in Literature, 19 (1974), pp. 3 5 - 4 7 . 1 4 0 Das in der Zeit vom September 1710 bis Juni 1713 in London entstandene Journal to Stella erhielt seinen Namen erst viel später von Thomas Sheridan, als dieser die Tagebuchbriefe Swifts 1 7 8 4 erstmals in seiner Ausgabe der Werke Swifts publizierte. 1 4 1 Herbert Davis, "Stella. A Gentlewoman of the Eighteenth Century", in: Davis, Jonathan Swift. Essays on his Satire and Other Studies (New York, 1964), p . 3 7 . 139
188
beschloß Swift, etwas niederzuschreiben über das Leben und die Persönlichkeit Stellas, "the truest, most virtuous and valuable friend, that I, or perhaps any other person, ever was blessed with". 142 Dabei schrieb er nicht für ein Lesepublikum, sondern um sich selbst noch einmal Rechenschaft über sein Verhältnis zu Stella zu geben, "for [his] own satisfaction"; 1 4 3 er erinnert sich, daß er ihre Erziehung von früher Kindheit an beeinflußte, "by directing what books she should read, and perpetually instructing her in the principles of honour and virtue"; 144 und er vergegenwärtigt sich ihre anmutige, jugendliche Erscheinung: [She] was looked upon as one of the most beautiful, graceful, and agreeable young women in London, only a little too fat. Her hair was blacker than a raven, and every feature of her face in perfection.145 Am Abend des Todestages gedieh Stellas character nicht sehr weit; an den folgenden Tagen jedoch schrieb Swift weiter; er zeichnete das Bild einer ungewöhnlichen geistigen und moralischen Persönlichkeit, rühmte überschwänglich ihr Wissen und ihre Urteilskraft, ihre Lebensklugheit und ihre Bescheidenheit, ihre Aufrichtigkeit und ihre ungezwungenen Umgangsformen, ihre Freigebigkeit und ihre Sparsamkeit, ihre wohlwollende Heiterkeit und tätige Nächstenliebe: Never was any of her sex born with better gifts of the mind, or more improved them by reading and conversation. ... I cannot call to mind that I ever once heard her make a wrong judgment of persons, books, or affairs. Her advice was always the best, and with the greatest freedom, mixt with the greatest decency. She had a gracefulness somewhat more than human in every motion, word, and action. Never was so happy a conjunction of civility, freedom, easiness and sincerity.146 Wenn Swift neben der Weichheit des Gemüts den persönlichen Mut als weitere bestimmende Charaktereigenschaft Stellas nennt, so wird vollends deutlich, daß er an ihr nicht nur das Mütterliche und das Weibliche bewunderte, sondern ihre Fähigkeit, sich vom stereotypen weiblichen Verhalten zu emanzipieren147 und jene Haltungen und Prinzipien 142 143 146
147
"On the Death of Mrs. Johnson", Prose Works, V, p. 227. 144 Ebd. 145 Ebd. Ebd. Ebd., p.228f.; siehe auch p.234f.: "Honour, truth, liberality, good-nature, and modesty, were the virtues she chiefly possessed, and most valued in her acquaintance; and where she found them, would be ready to allow for some defects, nor valued them less, although they did not shine in learning or in wit; but would never give the least allowance for any failures in the former." Ebd., p. 230: "She was but little versed in the common topics of female chat; scandal, censure, and detraction, never came out of her mouth: Yet, among a few friends, in private conversation, she made little ceremony in discovering her contempt of a coxcomb, and describing all his follies to the life; but the follies of her own sex she was rather inclined to extenuate or to pity."
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zu übernehmen, die er selbst als ihr Lehrmeister vertrat. Denn Swift war der Meinung, es gebe keine menschliche Eigenschaft, "that is amiable in a Man which is not equally so in a woman". 1 4 8 Zu der Synthese von fraulich weichem Gemüt und männlicher Intellektualität und Bildung, die Swift als die elementare Bedingung der Freundschaft zwischen den Geschlechtern ansah, 149 waren weder Varina noch Vanessa fähig gewesen, sondern allein Stella, 150 wie auch in dem Gedicht " T o Stella, Visiting me in my Sickness" (1720) betont wird: Say, Stella, was Prometheus blind, And forming you, mistook your Kind? No: 'Twas for you alone he stole The Fire that forms a manly Soul; Then to compleat it ev'ry way, He molded it with Female Clay: To that you owe the nobler Flame. To this, the beauty of your Frame.151 Swifts Nachruf auf Stella liefert daher mehr als ein individualisiertes, autobiographisch fundiertes Portrait; es ist gleichzeitig ein Eulogium mit idealtypischen Zügen. Von daher ist zu erwarten, daß auch die Geburtstagsgedichte Privates und Typisierendes in sich vereinen, wirklich Intimes jedoch ausschließen. — Andererseits mußte Swift darauf bedacht sein, in seinen Gedichten für Stella die papierenen Beteuerungen und stereotypen Posen, die abgenutzten Motivklischees und quasi-poetischen Phrasen gleichermaßen der „romantischen" und der galanten Liebesdichtung zu vermeiden. Es verwundert daher nicht, daß er gerade hier auf seine „prosaische", wahrheitstreue Einstellung verwies: Esteem and Friendship to express, Will not require Poetick Dress; And if the Muse deny her Aid To have them sung, they may be said.152 Die frühesten erhaltenen Verse für Stella stammen aus dem Jahr 1719 und wurden 1727 erstmals veröffentlicht. Swift, selbst 51-jährig, schrieb 148 145
150
151
"A Letter to a Young Lady" (1723), Prose Works, IX, p. 92. Vgl. dazu auch "Cadenus and Vanessa", Poems, II, p . 6 9 2 , 1. 184ff.; p . 7 0 0 , 1 . 444ff.; p. 7 0 4 , 1 . 550ff. - Zur Problematik der sozialen Rolle, der Erziehung und der Bildung der Frau im frühen 18. Jahrhundert siehe: Myra Reynolds, The Learned Lady in England, 1650-1760 (Cambridge: Mass., 1920); Joachim Heinrich, Die Frauenfrage bei Steele und Addison (Leipzig, 1930); Wolfgang Riebe, Thematische und formale Aspekte des Periodical Essay im Tatler, Diss. (Erlangen, 1966), S. 61ff. Siehe zu diesem Aspekt von Swifts Freundschaftsbegriff auch Irvin Ehrenpreis, "The Pattern of Swift's Women", p. 2 3 0 . 1 5 2 Ebd., p. 757, 11. 3 1 - 3 4 . Poems, II, p. 726, 11. 8 5 - 9 2 .
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sie zu Stellas achtunddreißigstem Geburtstag, ungeachtet der Tatsache, daß der erste Vers lautet: "Stella this Day is thirty four". Die falsche Jahreszahl ist nicht eindeutig zu erklären; am besten begnügt man sich hier wohl mit Harold Williams' Feststellung, that Swift, for all his attention to detail, was at a loss, or intentionally vague, when he came to speak of the age of the woman he loved. 1 5 3
Swifts Gedicht ist ein geistreiches ironisches Kompliment; es stellt eine vollendete Form heiterer raillery dar. Das humorvolle, freundliche Lachen resultiert aus dem Bewußtsein gegenseitiger Sympathie und gegenseitigen Verständnisses, wie es in den langen Jahren gemeinsamen Lebens gewachsen ist. Das Gedicht ist freilich nicht nur ein privates Kompliment, sondern gleichermaßen ein gelungener Beitrag zu jener Kunst literarischer Konversation, wie sie von Swift und seinem irischen Freundeskreis gepflegt wurde: Stella this Day is thirty four, (We won't dispute a Year or more) However Stella, be not troubled, Although thy Size and Years are doubled, Since first I saw Thee at Sixteen The brightest Virgin of the Green, So little is thy Form declin'd Made up so largely in thy Mind. Oh, would it please the Gods to split Thy Beauty, Size, and Years, and Wit, N o Age could furnish out a Pair Of Nymphs so gracefull, Wise and fair With half the Lustre of Your Eyes, With half thy Wit, thy Years and Size: And then before it grew too late, H o w should I beg of gentle Fate, (That either Nymph might have her Swain,) T o split my Worship too in twain. 1 5 4
Nicht nur in dem Namen Stella deutet sich der literarische Hintergrund an, gegen den das liebenswerte Bild Esthers gestellt werden soll. Im Text finden sich, wie auch Eberhard Griem ausführt,155 verschiedene Klischees, die die Verbindung mit der Tradition petrarkistischer und pastoraler Liebesdichtung erkennen lassen: So erinnert sich Swift an die 16153 155
154 Ebd. Ebd., p. 721. Eberhard Griem, Form und Funktion der englischen Geburtstagsdichtung mus (Regensburg, 1971), S. 130f.
im Klassizis-
191
jährige Stella als "The brightest Virgin of the Green", er spricht vom "Lustre of [her] Eyes", bedient sich der poetischen Vokabeln "Nymph" und "Swain", nicht zuletzt auch des mit bestimmten Assoziationen verbundenen Begriffs worship·, das Thema der Verehrung der Geliebten hatte zu den festen Konventionen elisabethanischer Lyrik gehört; man hatte die Analogie zwischen Liebeserleben und Glaubenserfahrung betont und immer wieder die Beziehung des Liebenden zur Dame mit der Verehrung einer Heiligen verglichen. Diese Stilisierung lag insofern nahe, als die Frau als ideales, geradezu überirdisches Wesen erschien.156 Von dieser Auffassung der Liebe ist Swift jedoch weit entfernt; sein Gedicht stellt eine bewußte Reaktion auf den Kult der Frauenverehrung dar; dieses Moment hat Herbert Davis treffend beschrieben: There is nothing left in these easy lines of the heavenly star and the knightly worshipper in Astrophel
and Stella.
Here is only an affectionate, intimate
raillery such as is possible between old friends in a relationship which has been entirely freed of all romantic distance. There is n o r o o m here for the conventions of the tradition of courtly love, or for the ecstasies of passion and the worship of beauty belonging to that world of r o m a n c e where moved the radiant figures of Sidney and his Stella. 1 5 7
Indem Swift seine Freundin als eine zur Korpulenz neigende Mittdreißigerin darstellt, verleiht er dem Gedicht einen individuellen Zug. Durch die ironischen Anspielungen auf die petrarkistische und pastorale Liebesdichtung wird aber auch deutlich, daß Swifts Stella als Anti-Typ der Geliebten konventioneller Dichtung konzipiert ist. Sie vereinigt in sich all die positiven Eigenschaften, die nach seiner Auffassung wirkliche Freundschaft ausmachen. In dieser Freundschaft, die exemplarische Züge trägt, akzeptiert man den Prozeß des Alterns und den Verlust jugendlicher Schönheit nicht nur, sondern man heißt ihn gut im Bewußtsein geistiger, zeitüberdauernder Werte, jener "Form ... made up so largely in [the] Mind". 158 Swift erspart es sich, die Persönlichkeit Stellas detailliert zu beschreiben. Er erwähnt lediglich ihre unverändert strahlenden Augen als Zeichen ihrer unveränderten Zuneigung, und er verweist auf Stellas grace, wit und wisdom. 156 157 158
Vgl. dazu etwa Spenser, Amoretti (1595), Sonett XXII. Davis, "Stella. A Gentlewoman of the Eighteenth Century", p.38. Poems, II, p. 722, 1. 7f. - Dieselbe Thematik greift Swift mit unvergleichlicher, freundlich-heiterer raillery zwei Jahre später nochmals in seinem Gedicht "Stella's Birth-day" (1721) auf. Er beschreibt dort Stellas Gesicht als "An Angel's Face, a little crack't", rühmt andererseits ihre Tugenden, "Breeding, Humor, Wit, and Sense" (p.734f.).
192
Swifts Gedicht ist scherzhaft und voller persönlicher Zuneigung; es ist dennoch nicht „sehr privat, ja intim", wie Eberhard Griem, angelehnt an Herbert Davis, behauptet. 159 Zu offensichtlich ist das parodistische und auch das moralistische Element. An dem Gedicht "To Stella, Who Collected and Transcrib'd his Poems" (1720) 160 bestätigen sich diese Interpretationsergebnisse; zugleich werden sie auch differenziert. — Wiederum rühmt Swift die Beständigkeit der Freundschaft mit Stella; wieder verwahrt sich Swift gegen konventionelles Lob der Schönheit und der Jugend und widmet sich den wesentlichen, zeitüberdauernden Tugenden Stellas, " [which] on no Accidents depend"; 1 6 1 denn, so reflektiert er, ... should my Praises owe their Truth To Beauty, Dress, or Paint, or Youth, What Stoicks call without our Power, They could not be insur'd an Hour; 'Twere grafting on an annual Stock That must our Expectation mock, And making one luxuriant Shoot Die the next Year for want of Root: Before I could my Verses bring, Perhaps you're quite another Thing. 162
Deutlicher als im vorigen Gedicht übt Swift hier auch Kritik an den Phantastereien und exaltierten Posen talentloser Scribbler. Er verspottet die Elaborate, die aus nichts anderem als papageienhaft nachgeplapperten Formeln bestehen. 163 Als Prototyp der Poetaster wird "Maevius" genannt, 164 der, um eine Londoner Vorortdirne zu preisen, zurückgreifen muß auf das sorgsam in seinem Hirn gespeicherte Arsenal von Vergleichen, Gemeinplätzen und leeren Reimspielereien. Dies ist der Hintergrund, vor dem Swift sein wahres Bild Stellas zeichnet, Without one Word of Cupid's Darts, Of killing Eyes, or bleeding Hearts. 165
Wenn Swift auf die gewohnten Formeln poetischer Überhöhung verzichtet und einen prosaischen Stil schreibt, dann folgt er dem Prinzip der 159 160
161 164
Griem, S. 136. Das Buch, in das Stella eine Reihe von Gedichten Swifts transkribierte, befindet sich seit dem 18. Jahrhundert im Besitz der Dukes of Bedford in Woburn Abbey; genaue bibliographische Angaben dazu liefert Harold Williams in Swift's Poems, p. L f. - Das Gedicht "To Stella, Who Collected and Transcrib'd his Poems" ist in Stellas Notebook nicht enthalten. Poems, II, p.730, 1. 80. 162 Ebd., p.729, 11. 6 1 - 7 0 . 163 Siehe dazu ebd., p.728, 1. 26. Ebd., p.730,11. 7 1 - 7 8 ; vgl. ebd., p.650,1. 302. 165 Ebd., p.728, 1. l l f .
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Angemessenheit und stellt sich zugleich in den Gegensatz zur standardisierten poetischen Diktion der Liebesdichtung. Aber nicht nur der Stil ist das Ergebnis kritischer Reaktion; dasselbe gilt für die Charakterisierung Stellas: Swift liefert nicht nur ein wirklichkeitsgetreues Bild der Persönlichkeit, in dem er selbst ihre Schwächen nicht ausspart, sondern er zielt zugleich auf den Kontrast ab zu jenen ... Goddesses enroll'd In Curll's Collections, new and old, Whose Scoundrel Fathers would not know 'em, If they should meet 'em in a Poem. 166
Wenngleich das Gedicht als Kompliment und als Freundschaftsbeweis gemeint ist, so vermeidet Swift doch überschwängliches Lob; denn obwohl er beim Preis von Stellas Tugenden nur die Wahrheit sagen würde, könnten sie und die Freunde dieses Lob vielleicht als eine Art von ,Bestechung' ("Bribe", 1.84) deuten und hinter dem Gedicht egoistische Motive vermuten: zu oft artete Panegyrik in Lobhudelei aus, mit der die Autoren einen persönlichen Vorteil zu gewinnen hofften. 1 6 7 Im Bewußtsein, daß die üblichen Formen literarischen Lobs in seinem Fall unangemessen sind, in der Gewißheit andererseits seiner unverbrüchlichen Freundschaft zu Stella, entschließt er sich zu einer ungewöhnlichen Strategie: Er handelt von ihrem ,einzigen Fehler' ("your only Fau't", 1.102), ihrer Rechthaberei und Verletzbarkeit. Damit will er sie nicht kränken, sondern seine Aufrichtigkeit offenkundig machen: Resolv'd to mortify your Pride, I'll here expose your Weaker Side. Your Spirits kindle to a Flame, Mov'd with the lightest Touch of Blame, And when a Friend in Kindness tries To shew you where your Error lies, Conviction does but more incense; Perverseness is your whole Defence: Truth, Judgment, Wit, give Place to Spite, Regardless both of Wrong and Right. Your Virtues, all suspended, wait Till Time hath open'd Reason's Gate: And what is worse, your Passion bends Its Force against your nearest Friends; Which Manners, Decency, and Pride, Have taught you from the World to hide. 168 166
Ebd., p. 7 2 9 , 11. 4 9 - 5 2 .
194
167
S. o., S. 41ff.
168
Poems,
II, p. 7 3 0 , 11. 8 5 - 1 0 0 .
Es liegt nahe, diese Art von Kritik als eine Spielart der raillery zu deuten. Jedoch ist Swift hier weder ironisch noch heiter, sondern er stellt einen Charakterfehler ernst und tadelnd dar. Er schwächt seinen Tadel nur insofern ab, als er feststellt, es handele sich hier um einen exemplarischen Fall eines weitverbreiteten menschlichen Defekts, " a Fault we often find". 1 6 9 Im Unterschied zu seiner eigenen Definition von raillery wendet Swift seinen Tadel und seine Kritik am Schluß nicht ins Positive. Bleibt auch Stellas Tugendhaftigkeit grundsätzlich ungeschmälert, so stellen Swifts Vorwürfe und Anklagen das Selbstbewußtsein Stellas doch auf eine harte Probe, besonders in den letzten Versen: Say, Stella, when you copy next, Will you keep strictly to the Text? Dare you let these Reproaches stand, And to your Failing set your Hand? Or if these Lines your Anger fire, Shall they in baser Flames expire? Whene'er they burn, if burn they must, They'll prove my Accusation just. 1 7 0
In einem späteren Gedicht für Stella erläuterte Swift, daß raillery dann nicht beleidigend wirke, wenn sich ihr ironischer Tadel nicht auf wirkliche, sondern fiktive Fehler richte, daß es somit dem Dichter durchaus erlaubt sei, Fehler um des literarischen Scherzes willen zu erfinden. 171 Diese Art der raillery freilich erfordert es zwangsläufig, daß der Autor seine ironische, scherzhafte Haltung dem Adressaten bzw. dem Leser erkennbar macht, um Mißverständnisse zu vermeiden. Dies hatte Swift selbst zwar bereits in "Cadenus and Vanessa" dargetan: But those who aim at Ridicule Shou'd fix upon some certain Rule, Which fairly hints they are in jest, Else he must enter his Protest: For, let a M a n be ne'er so wise, H e may be caught with sober Lies. 1 7 2 169 171
172
1 7 0 Ebd., p. 732,11. 1 3 7 - 4 4 . Ebd., p . 7 3 1 , 1. 103. Siehe "Stella's Distress" (1723), ebd., p. 747,11. 5 9 - 6 4 : We Poets when a Hint is new Regard not what is false or true, N o Raillery gives just Offence Where Truth has not the least Pretence; N o r can be more securely plac't Than on a N y m p h of Stella's Tast. Ebd., II. p. 707,11. 6 4 - 6 9 .
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Gerade dies aber leistete Swift in "To Stella, Who Collected and Transcribed his Poems" nicht, mag auch seine Intention scherzhaft gewesen sein. Es fällt daher schwer, den Schluß als Ausdruck wohlwollend-heiterer raillery zu verstehen. Er wirkt vielmehr demütigend und provozierend autoritär. Swift erscheint hier als zynischer Moralist, der den Bereich des "obliging Ridicule" 173 verläßt und in den Bereich der "sharp raillery" 174 gerät. Ob sich diese Veränderung des Tenors absichtlich vollzieht, ob Swift selbst seine Anklagen als Manifestationen scherzhafter raillery verstand, muß dahingestellt bleiben. Sicherlich muß man in der Vermischung der „Tonarten" eine Schwäche des Gedichts sehen; sicherlich ist aber dies auch sehr bezeichnend für Swifts Mentalität: raillery im Sinne praise-by-blame-irony mußte Swift letztlich fremd bleiben, weil sie eigentlich nichts anderes als eine geistreiche, private Variante des panegyrischen Lobes war. - Swift war sich durchaus im klaren darüber, daß sein Lachen immer wieder gegen die Spielregeln der raillery und damit des gesellschaftlichen Dekorum verstieß, und es blieb ihm nicht verborgen, [That] there are persons who complain There's too much satire in my vein. That I am often found exceeding The rules of raillery and breeding. 175
Zweifellos hat Swift eine Reihe von Briefen geschrieben, in denen das Prinzip der raillery in vollendeter Weise verwirklicht ist; 176 und zweifellos ist ihm eine Reihe launiger, unbeschwerter Gelegenheitsgedichte gelungen, in denen sich ebenso dieses Prinzip des Humors manifestiert. Charakteristischer sind dennoch jene Gedichte, in denen sich die Grenze zwischen Lob und Tadel so stark verwischt, daß die Adressaten diese Verse durchaus auch als herbe Kritik verstehen konnten.
173 176
Ebd., I, p.216,1. 36. 174 Correspondence, IV, p.53. 175 Poems, II, p.489, 11. Siehe dazu John M . Bullitt, "Swift's 'Rules of Raillery'", pp. 101-08.
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IX. Swifts Selbstdarstellungen Das autobiographische Element und die moralistische Intention 1. Die Gedichte aus den Jahren 1713 und 1714 Das Werk Swifts hat von jeher zu Spekulationen und Hypothesen über seine Persönlichkeit provoziert. Swift vermied es sorgfältig, in seinen Schriften seine privaten Gedanken und Probleme preiszugeben; und auch öffentliche Themen behandelte er gern mit Hilfe einer distanzierenden, häufig ironischen Darstellungsweise. Sein Wesen erschien daher schon den Zeitgenossen rätselhaft, widerspruchsvoll und faszinierend zugleich: He always appeared to the world in a mask, which he never took off but in the company of his most intimate friends: and as the world can judge only by appearances, no wonder they were so much mistaken in the ideas formed of him. 1
Diese Feststellung Sheridans scheint jedoch ihre Gültigkeit zu verlieren, wenn man einen Blick auf die Versdichtung Swifts wirft; denn er macht sich dort selbst immer wieder zum Gegenstand seiner Dichtung. Er ist nicht nur mit seinen Auffassungen, Intentionen, spezifischen Darstellungsformen als Autor anwesend, sondern beschreibt seinen Charakter und stellt sich häufig als Figur dar, als Pfarrer und als Dean, als Schriftsteller und Moralist, als Berater der Mächtigen im Staat und als politisch Alleingelassener, als alter und kranker Mann, usw. 2 Die Neigung zum literarischen Selbstportrait ist auffällig in einer Zeit, in der die Dichtung kaum einmal direkter Ausdruck persönlichen Erle1
2
Thomas Sheridan, The Life of the Reverend Dr. Jonathan Swift (London, 1784), "Introduction". An folgenden Gedichttiteln wird dies deutlich: "The Author upon Himself", "In Sickness", "A Panegyrick on the Reverend D - η S—t", "The Life and Character of Dr. Swift", "On his Own Deafness", "A Panegyrick on the Dean", "Verses on the Death of Dr. Swift".
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bens und individueller Erfahrung ist, sondern vornehmlich auf die Darstellung der allgemeinen, typischen Eigenschaften des Menschen abzielt. Angesichts der Tatsache, daß Swift seine private Persönlichkeit wie ein Geheimnis hütete, daß andererseits das augusteische Zeitalter nur ein geringes Interesse an individualisierender Charakterdarstellung hatte,3 darf man nicht erwarten, daß Swifts literarischen Selbstdarstellungen etwas vom Selbstanalytischen oder Bekenntnishaften moderner Autobiographien eignet. Es liegt näher, anzunehmen, daß Swifts Selbstbildnisse eine besondere Funktion im Rahmen des moralistischen bzw. satirischen Konzepts seiner Dichtung erfüllen. - Sicherlich braucht man jedoch nicht damit zu rechnen, daß sich Swift — der sich selbst als "not the gravest of Divines" bezeichnete4 - dabei in der konventionellen Pose des integren, über die triviale Alltagswelt erhabenen, gravitätisch ernsten Moralisten darstellt, gleichsam als Richtmaß einer moralisch haltlosen, korrupten Menschheit. Näher liegt der Gedanke, daß Swift in einer Reihe unernster Masken und komischer Rollen auftritt, daß er private Charakterzüge und autobiographische Details so sehr stilisiert und karikaturhaft verzeichnet, daß sich Wahrheit und Fiktion unentwirrbar miteinander vermischen und repräsentative characters von allgemeiner moralistischer Bedeutung entstehen. In Titeln wie "A Panegyrick on the Dean in the Person of a Lady in the North" oder "A Panegyric on the Reverend Dean Swift in Answer to the Libel" wird deutlich, daß er in seinen Selbstdarstellungen auch die Möglichkeit nutzte, sich aus der Perspektive fingierter Autoren darzustellen. Die Charakterbeschreibung aus verschiedenen Perspektiven wird zur Folge haben, daß unterschiedliche Aspekte der Persönlichkeit und der Handlungen Swifts hervorgehoben und je nach Mentalität bzw. politischer oder sozialer Zugehörigkeit der fingierten Sprecher auf verschiedene Weise beurteilt werden. Es ist nicht zu erwarten, daß wir unter solchen Bedingungen ein einheitliches, autobiographisch relevantes Bild Swifts aus dessen Versdichtung erhalten. Vielmehr müssen wir mit sich gegenseitig relativierenden Darstellungen rechnen. Darüber hinaus ist zu erwarten, daß in denjenigen Gedichten, in denen sich Swift eines als Person faßbaren Sprechers bedient, er weniger darauf abzielt, sich selbst darzustellen, als 3
4
Siehe dazu James Sutherland, A Preface to Eighteenth-Century 1970), p. 2 4 ; ebenso Benjamin Boyce, The Charactersketches ham, 1962), p. 8ff. Poems, II, p . 7 6 4 , 1. 13.
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Poetry, repr. (London, in Pope's Poems (Dur-
auf eine subtile, indirekte Art satirische Kritik zu üben an den Haltungen und Motiven des Sprechers. Andererseits kann man sich jedoch auch vorstellen, daß Swift mit seinen literarischen Selbstportraits nicht durchgehend satirische bzw. moralistische Absichten verfolgte. Für ihn, der die Dichtung weithin auch als ein jeux d'esprit im Freundeskreis betrieb, mußte das Thema der Selbstdarstellung auch deshalb von besonderer Faszination sein, weil es für ihn eine Fülle von Möglichkeiten in der Kunst des trifling eröffnete. Die ersten Gedichte, deren Gegenstand Swift selbst ist, entstanden in den Jahren 1713 und 1714 in London, als Swift im Auftrag der irischen Bischöfe mit der Regierung verhandelte, sich immer mehr als ToryJournalist engagierte und zu einer Schlüsselfigur des politischen Lebens in der britischen Hauptstadt wurde.5 Der früheste dieser Texte ist die Imitation eines Teils der Epistel I, 7 von Horaz6 und stammt aus dem Sommer 1713, als Swift nach langem vergeblichen Bemühen um Beförderung im geistlichen Amt mit Harleys Hilfe zum Dean of St. Patrick's in Dublin ernannt worden war. In der Horazischen Vorlage richtet der Staatsmann Philippus auf dem Heimweg von seinen Amtsgeschäften das Interesse auf einen Unbekannten, Volteius Mena, „einen Makler mit geringem Einkommen, unbescholten, bekannt dafür, wo es paßt, zu schaffen und zu feiern, zu erwerben und zu genießen".7 Volteius wird nach anfänglichem Zögern zum ständigen Begleiter und Vertrauten des Philippus; dabei entfremdet er zunehmend sich selbst und seinem Stand; er unterliegt dem Reiz des sorglosen Lebens, bis sein Gönner ihm in einer Laune der Großmut zu einem Landgut verhilft. Damit aber wird „aus dem schmucken Städter ein Bauer, der ... sich halb zu Tode arbeitet und im Eifer des Erwerbs grau und grämlich wird". 8 Horaz stellt damit beispielhaft dar, welche Gefahren für die Entfaltung der Persönlichkeit und welche entwürdigende Einschränkung an individueller Freiheit die zu starke Abhängigkeit von einem Gönner in sich birgt. In seiner Imitation transponiert Swift das Geschehen nach London und in die Gegenwart. Er setzt sich selbst als heiteren, lebensfrohen Parson Swift ein, der zum Günstling Harleys avanciert und später 5
6 7 8
Die detailliertesten biographischen und historischen Informationen zu diesem wichtigen Abschnitt im Leben Swifts liefert Irvin Ehrenpreis, Swift. The Man, bis Works, and the Age, vol. II (London, 1967). Poems, I, p,169ff. Übersetzung nach Horaz, Sämtliche Werke (München: Heimeran, 1967), II, S. 159. Ebd., S. 161.
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aufgrund einer hämischen Laune seines Mäzens zum Dean befördert wird, der in seinem neuen Amt in Anbetracht pekuniärer Sorgen und lästiger Verwaltungsangelegenheiten vergrämt und sein früheres unbekümmertes Leben zurücksehnt. Im Unterschied zur Vorlage erscheint die Beförderung nicht als eine Geste der Großmut, sondern als ein heimtückischer Scherz, der eine herbe Enttäuschung Swifts zur Folge haben muß.9 Swifts Imitation wandelt jedoch nicht nur die moralistische Tendenz der Quelle in einem wesentlichen Punkt ab, sie entstellt auch die autobiographischen Bezüge: Harley lernte Swift nicht zufällig an einem Bücherstand in Whitehall kennen, sondern im Zusammenhang mit dessen politischer Mission in England; er drängte Swift das geistliche Amt nicht auf, sondern verschaffte es ihm auf sein beharrliches Drängen hin.10 Wenn Swift über seine Beförderung nicht sonderlich glücklich war, dann sicherlich deshalb, weil es ihn nicht nach Irland zurückzog und er auf ein höheres Kirchenamt gehofft hatte; abgesehen davon wäre er recht gern im politischen Geschäft geblieben, wie dem Journal to Stella zu entnehmen ist: "I confess I thought the Ministry would not let me go; but perhaps they cant help it." 11 Im Bereich des biographisch Nachprüfbaren ist daher wohl vor allem die Feststellung als wahr zu akzeptieren, daß Swift unter den Amtsgeschäften und unter der Last der Schulden litt, die er von seinem Vorgänger Stearne als Dean of St. Patrick's übernommen hatte. Die Frage nach der Objektivität der Darstellung autobiographischer Züge kompliziert sich, wenn es um die Beurteilung von Swifts character geht, der in dem Gedicht enthalten ist. Man wird diese Frage zufriedenstellend erst beantworten können, wenn man Anlaß und Motivation der 138-zeiligen Horaz-Imitation versteht, die Swift am 23. Oktober 1713 als Einzeldruck veröffentlichte. Ist es der Reiz des literarischen Spiels, sich aufgrund von Analogien zwischen einer literarischen Figur und der eigenen Person zu einem character zu stilisieren? Der eitle Wunsch, der Öffentlichkeit ein positives Bild seiner Person zu suggerieren und die Freundschaft mit einem prominenten Politiker publik zu machen? Die Möglichkeit, durch ein geistvolles Gedicht die Aufmerksamkeit eines breiteren Publikums auf den Lord Treasurer zu lenken, dessen politischer Stern bereits im Sinken war? Das persönliche Anliegen, Harley ' Siehe Poems, I, p. 171, 1. 13ff. Siehe dazu Charles Firth, "Dean Swift and Ecclesiastical Preferment", Review English Studies, 2 (1926), pp. 6-10. 11 Journal to Stella, 18 April 1713, II, p. 662. 10
200
of
humorvoll darauf hinzuweisen, daß er in Geldschwierigkeiten steckte und auf ein Geldgeschenk hoffte? Die Anekdote bei Horaz hat die Funktion eines Exempels; sie dient dazu, die persönliche Situation des Dichters humorvoll-pointiert zu erläutern und gleichzeitig als eine allgemeinmenschliche auszuweisen. Horaz legt selbstbewußt seinen Standpunkt dar, ist jedoch zugleich darauf bedacht, die freundschaftliche Beziehung zu seinem Gönner nicht durch einen anmaßenden Ton zu gefährden. Im Unterschied dazu stehen in Swifts Adaptation persönliche Belange, wenngleich humorvoll karikiert, allein im Vordergrund. Die exemplarische Anekdote wird zu einem besonderen Fall umgeformt. Swift beschreibt zunächst den Eindruck, den sich Harley von ihm macht; er zeichnet sich als .. .Parson near Whitehall, Cheapning old Authors on a Stall. The Priest was pretty well in case, And shew'd some Humour in his Face; Look'd with an easie, careless Mien, A perfect Stranger to the Spleen; Of Size that might a Pulpit fill, But more inclining to sit still. 12
Harley wendet sich dem Pfarrer zu, weil von ihm eine gewisse Faszination ausgeht. Sein streitbares Verhalten beim Bücherkauf läßt vermuten, daß er mit dem Typ des versponnenen, weltfremden Stubengelehrten wenig gemein hat. Er erweckt den Eindruck unbekümmerter Lebensfreude; seine Gesichtszüge lassen vermuten, daß er eine gute Portion Humor hat und von der modischen Hypochondrie unbehelligt ist. Seine Leibesfülle scheint dazu geeignet, seinen Worten auf der Kanzel das rechte Gewicht zu verleihen; doch bei genauerem Hinschauen gewinnt der Betrachter den Eindruck, daß dieser Geistliche wohl lieber das gesellige Gespräch pflegt, als den wortgewaltigen Kanzelredner abzugeben. Der darauffolgende Abschnitt (11. 23—46) enthält eine Beschreibung von Swifts öffentlichem Image, das Erasmus Lewis, Harleys Sekretär, erkundet hat. Diese Verse enthalten einige biographisch korrekte Einzelheiten, etwa die Feststellung, daß Swift dem Whig-Politiker und notorischen Opportunisten Wharton gegenüber eine nicht gerade freundliche Haltung einnahm, daß er sich gegen die Junta' von Halifax, Orford, Somers, Sunderland und Wharton engagiert hatte oder die Newspaper 12
Poems, I, p. 170, 11. 5-12.
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Stamp Duty ablehnte. Parson Swift ist moralisch integer und vertritt das rechte Mittelmaß zwischen Libertinismus und Pedanterie; er ist unabhängig in seinen Auffassungen und in seinem Handeln, unbehelligt von Geldsorgen und mit sich selbst eins. Diesem Bild des Parson Swift steht das Bild des durch monetäre Komplikationen geplagten, von Verwaltungsangelegenheiten und der Würde des Amts gepeinigten Dean of St. Patrick's gegenüber: Suppose him, now, a Dean compleat, Devoutly lolling in his Seat; The Silver Virge, with decent Pride, Stuck underneath his Cushion-side: Suppose him gone through all Vexations, Patents, Instalments, Abjurations, First-Fruits and Tenths, and Chapter-Treats, Dues, Payments, Fees, Demands and Cheats, (The wicked Laity's contriving, To hinder Clergymen from thriving); Now all the Doctor's Money's spent, His Tenants wrong him in his Rent; The Farmers, spightfully combin'd, Force him to take his Tythes in kind; And Parvisol discounts Arrears, By Bills for Taxes and Repairs.13 Swift tendiert sowohl bei der Beschreibung des Parson als auch des Dean zur karikaturhaften Überzeichnung. Das Moment der Stilisierung wird dadurch weiter verdeutlicht, daß Swift sich der Technik der Kontrastdarstellung bedient, um den Zustand des Vorher und des Nachher zu beschreiben. Durch den Kontrast der beiden characters entsteht eine komische Wirkung und mit ihr der Zweifel daran, ob das Gedicht tatsächlich in allen Punkten autobiographisch glaubwürdig ist. Maßgeblich für das Verständnis von Swifts literarischem Selbstportrait ist es auch, daß hier autobiographisches Material in Anlehnung an eine — dem intendierten Leserkreis bekannte — Vorlage gestaltet wurde. Der Leser vergleicht zwangsläufig die Imitation mit dem Original; er leitet aus dem Vergleich die Erkenntnis ab, daß dieses Gedicht nur in begrenztem Umfang Auskunft über den wirklichen Swift zu geben vermag. Denn Swift versteht es, das historische Geschehen und die daran beteiligten Figuren so weit an die Vorlage anzupassen, daß die 13
Ebd., p. 174, 11. 97-112. - Isaiah Parvisol war Swifts Verwalter; ihm oblag es, den Zehnten einzutreiben.
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Frage nach der historischen Wahrheit des Dargestellten zweitrangig wird. Das Augenmerk des Lesers richtet sich auf den Vorgang der literarischen Umwandlung. Daraus erklärt es sich, daß Swift das Gedicht gleich nach seiner Entstehung veröffentlichen konnte, ohne befürchten zu müssen, damit den Groll Harleys auf sich zu ziehen; ja, er konnte damit rechnen, daß Harley die vermeintlichen Vorwürfe gegen sich als eine Form der raillery auffaßte, hinter der sich die Bitte um finanzielle Unterstützung verbarg. So darf man sicherlich mit einigem Recht diese Horaz-Imitation als einen literarischen Scherz und als eine geistreiche Variante der zu Swifts Zeit üblichen und häufig plumpen Bittgedichte auffassen. 14 Außer den bisher genannten Kriterien enthält das Gedicht eine Reihe anderer, mehr oder weniger versteckter Hinweise, die eine genauere Beurteilung von Swifts Selbstbildnis ermöglichen. Von Interesse ist dabei vor allem der Abschnitt, der Swifts öffentliches Image enthält. Bei genauerem Hinsehen lassen sich nämlich in dem Charakterbild einige Ungereimtheiten erkennen. Die Tatsache etwa, daß der Parson seinen geistlichen Kollegen aus dem Wege geht, läßt sich unschwer als Ausdruck der Borniertheit und des Dünkels verstehen. Wenn dieser schriftstellernde Pfarrer politisch ,mit der Mode geht', so zeigt sich hierin weniger geistige Unabhängigkeit als die kleinkarierte Mentalität eines scribbler, der um die Gunst der Mächtigen buhlt; und wenn er Wharton ,wie eine Kröte' haßt, so zeugt dies nicht gerade von Leidenschaftslosigkeit oder christlicher Nächstenliebe. Gesellschaftlich Höherstehenden gegenüber hingegen hat er etwas Kriecherisch-Serviles, wie die Szene an Harleys Kutschenschlag verdeutlicht: S — t, w h o could neither fly nor hide, Came sneaking to the Chariot-side, And offer'd many a lame Excuse; H e never meant the least Abuse — My Lord — The Honour you design'd — Extremely proud — but I had din'd I'm sure I never shou'd neglect No Man alive has more Respect -15
Aus den bereits erwähnten Gründen lag Swift nichts daran, ein treffendes und konsistentes Bild seiner selbst zu zeichnen. Um die Verwechs14
15
Als Beispiele für diese siehe: Jonathan Smedley, "An Epistle to his Grace the Duke of Grafton, Lord Lieutenant of Ireland", Swift's Poems, II, pp. 357-60; Patrick Delany, "An Epistle to his Excellency John Lord Carteret, & c.", ebd., pp.471-74. Poems, I, p. 172, 11. 63-70.
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lung der literarischen Figur mit sich selbst auszuschließen, verlieh er seinem „Portrait" paradoxe Züge, indem er Übergangs- und kommentarlos die widersprüchlichen Elemente, aus denen sich das vermeintliche öffentliche Image zusammensetzt, aneinanderreihte. Aufgrund der brüchigen Perspektive kommt nicht nur ein komischer Effekt zustande, es relativiert und nivelliert sich auch der Wahrheitsgehalt der einzelnen Charakterzüge. Swift nimmt in dieser Horaz-Imitation keinen Bezug auf seine Tätigkeit und sein Selbstverständnis als Pfarrer. Überhaupt bleibt dieser thematische Bereich weitgehend in seiner Dichtung ausgespart. Swift betont lediglich den Gegensatz zu den anderen Vertretern der Geistlichkeit. Dieser Kontrast ist nicht allein hier ausgedrückt, sondern kehrt stereotyp in anderen Gedichten wieder. Swift zeichnet ein einheitlich negatives Bild des geistlichen Standes; es ist immer wieder die Gruppe der "dull divines" bzw. "grave divines", 16 vor der sich Swift als Mensch und Autor zu profilieren sucht. - Ein aufschlußreiches Beispiel findet sich in "The Author upon Himself", einem Gedicht, das Swift 1714 verfaßte, nachdem er — verzweifelt über sein Unvermögen, Oxford und Bolingbroke zu versöhnen - Zuflucht bei dem jungen Geistlichen John Geree in Letcombe gefunden hatte: By an pursu'd, A Crazy Prelate, and a Royal Prude. By dull Divines, who look with envious Eyes, On ev'ry Genius that attempts to rise; And pausing o'er a Pipe, with doubtful Nod, Give Hints, that Poets ne'er believe in God. So, Clowns on Scholars as on Wizards look, And take a Folio for a conj'ring Book. S — had the Sin of Wit no venial Crime; Nay, 'twas affirm'd, he sometimes dealt in Rhime: Humour, and Mirth, had Place in all he writ: He reconcil'd Divinity and Wit. He mov'd, and bow'd, and talk't with too much Grace; Nor shew'd the Parson in his Gait or Face; Despis'd luxurious Wines, and costly Meat; Yet, still was at the Tables of the Great. Frequented Lords; saw those that saw the Queen; At Child's or Truby's never once had been; 16
Ebd., p. 193,1. 3; p.764,1. 13; p.888, 1. 64; p. 1020,1. 3.
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Where Town and Country Vicars flock in Tribes, Secur'd by Numbers from the Lay-men's Gibes; And deal in Vices of the graver Sort, Tobacco, Censure, Coffee, Pride, and Port.17 In den ersten beiden Versen macht Swift seinem Groll gegen John Sharp, den Erzbischof von York, und Elizabeth Percy, die Herzogin von Somerset, Luft, auf deren Machenschaften er es zurückführte, daß Queen Anne ihn nicht zum Bischof in England ernannt hatte. 18 Die ersten Verse enthalten eine persönliche Invektive, die im folgenden auf die Gesamtheit des geistlichen Standes ausgedehnt wird. Swift wirft seinen Kollegen geistige Stumpfheit und kleinlichen Neid, Abhängigkeit von Vorurteilen und Mangel an sachlicher Kompetenz vor. Es sind Wichtigtuer und ungebildete Spießer, die den kleinen philiströsen Genüssen des Lebens frönen, die sich durch ein behäbiges Selbstbewußtsein und dümmliche Nörgelei auszeichnen. In ihrer Kaffeehausmentalität bilden "Tobacco, Censure, Coffee, Pride, and Port" ein unlösbares Konglomerat. Ein ähnliches Bild derer, die den aufstrebenden Genius in seiner freien Entfaltung behindern, findet sich in dem sechzehn Jahre später entstandenen Gedicht " T o Doctor D - L . . . Y (Delany)" (1730); hier zeichnet Swift, wiederum im Kontrast zum literarischen Genius, den er selbst repräsentiert, ein Bild der von ihm verachteten Geistlichkeit: Α Genius in the Rev'rend Gown, Must ever keep it's Owner down: 'Tis an unnatural Conjunction, And spoils the Credit of the Function. Round all your Brethren cast your Eyes, Point out the surest Men to rise, That Club of Candidates in Black, The least deserving of the Pack; Aspiring, factious, fierce and loud With Grace and Learning unendow'd, Can turn their Hands to ev'ry Jobb, The fittest Tools to work for Bobb. Will sooner coyn a Thousand Lyes Than suffer Men of Parts to rise: 17 18
Ebd., p. 193,11. 1 - 2 2 . Ausschlaggebend für Sharps Ablehnung Swifts war vor allem dessen Tale of a Tub·, den Haß der den Whigs verbundenen Herzogin hatte sich Swift vor allem durch die persönliche Invektive gegen sie in der "Windsor Prophecy" (1711) zugezogen; siehe dazu Williams in Poems, I, p . 1 9 3 (note).
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They croud about Preferment's Gate, And press you down with all their Weight. F o r , as of old, Mathematicians W e r e by the Vulgar thought Magicians; So Academick dull Ale-drinkers Pronounce all M e n of Wit, Free-thinkers. 1 9
Swift ist bitter, unversöhnlich, hämisch gegenüber dem Stand, dem er selbst angehörte. Andererseits kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß er sich selbst mit nicht geringer Überheblichkeit als ein bedeutendes, ja geniales Individuum sah, wenn er auch in seinen Gedichten das Selbstlob immer wieder mit den Mitteln der Ironie formal abschwächte. Das Journal to Stella, in dem sich Swift unverhohlener als sonst ausprach, kann den Eindruck eines stark ausgeprägten Selbstbewußtseins nur bestätigen: So berichtet er ohne jede Ironie, Darteneuf sei "the greatest punner of this town next myself";20 er fragt eitel: "Do they know any thing in Ireland of my Greatness among the Tories?"; 21 er brüstet sich: "I believe if I writt an Essay upon a Straw, I should have a Shoal of Answerers";22 oder er dramatisiert seine politische Rolle, indem er Kardinal Wolseys Worte aus Shakespeares King Henry VIII auf sich anwendet: A weak old man, battered with storms of state, Is c o m e t o lay his weary bones among y o u . 2 3
Gerade ein Gedicht wie "The Author upon Himself" ist dazu geeignet, den Eindruck einer distanzlosen Form der Selbstrechtfertigung zu erwecken. Ehrenpreis bemerkt in diesem Sinne: It is a token of the potency of human self-deception that a satirist like Swift, w h o expressly described himself as a libeller, could picture himself as so innocent, and feel baffled because his victims paid more attention to their gaping wounds than to his exalted motives. 2 4 19 21 23
24
2 0 Journal to Stella, 1 October 1710, I, p.36. Poems, II, p.503, 11. 8 5 - 9 8 . 2 2 Ebd., 17 June 1712, II, p.541. Ebd., 21 October 1710, I, p.65. Ebd., 8 January 1712, II, p. 459. - Daß dieses gesteigerte Selbstbewußtsein bzw. die verletzbare Eitelkeit Swifts wohl als bestimmender Charakterzug anzusehen ist, wird nicht zuletzt auch in dem Brief an den Reverend Henry Jenney vom 8. Juni 1732 deutlich: "One thing, I confess, would still touch me to the quick; I mean, if any person of true genius would employ his pen against me; but if I am not very partial to myself, I cannot remember that among at least two thousand papers full of groundless reflections against me, hundreds of which I have seen, and heard of more, I ever saw any one production that the meanest writer could have cause to be proud of" [Correspondence, IV, p.26f.]. Ehrenpreis, Swift, II, p.736.
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Freunde haben den Dean bewogen, seinen gefährlichen' Wit in den Dienst der Politik zu stellen; er ist diesem Rat gefolgt; er ist nichtsahnend in das intrigenreiche und wechselvolle politische Geschäft hineingezogen worden und steht nun enttäuscht und desillusioniert da: By Faction tir'd, with Grief he waits a while, H i s great contending Friends to reconcile. Performs what Friendship, Justice, Truth require: W h a t could he more, but decently retire? 2 5
Swifts lautere Persönlichkeit und sein überlegener Geist werden somit nicht nur im Kontrast zu den "dull divines" gezeichnet, sondern gleichermaßen zu den eitlen, eifersüchtigen, opportunistischen Politikern. Zieht man überdies in Betracht, in welchem Maße die schuldlose, unbeabsichtigte Verstrickung Swifts in das politische Ränkespiel Gram und Resignation nach sich gezogen hat, so wird die Parallelität zur oben besprochenen Horaz-Imitation noch deutlicher: Auch hier gibt Swift anderen die Schuld an der unglücklichen Wendung seines Schicksals. Er stellt sich selbst als die Verkörperung von Freundschaft, Gerechtigkeit und Wahrheit dar, als den Unerfahrenen, der ahnungslos in die Fallstricke politischer Intrigen gerät. Auch hier wird die Wirklichkeit entstellt: denn Swift war — spätestens seit den Jahren im Hause Sir William Temples - mit den Regeln des politischen Spiels vertraut; er hatte sich keineswegs naiv in die Politik drängen lassen, sondern alles daran gesetzt, politischen Einfluß zu gewinnen. Es ergibt sich somit der Eindruck, daß Swift hier mit den Mitteln der Schwarz-Weiß-Malerei ein positives Selbstbildnis geschaffen hat, das durch einen erstaunlichen Mangel an Selbstanalyse gekennzeichnet ist, und in dem Swift sich durch satirische Kritik auf Kosten seiner Gegner in ein besseres Licht zu rücken sucht. Die Ergebnisse der Untersuchung dieses Gedichts werden durch eine weitere Horaz-Imitation bestätigt, die Swift während seines Aufenthalts in Letcombe verfaßte. 26 Auch hier blickt er auf die Zeit politischer Aktivität und politischen Einflusses in London zurück und versucht, zu den Ereignissen und Erlebnissen der letzten Monate Distanz zu gewinnen. Swift imitiert in dieser Absicht einen Teil der Satire II, 6, in der Horaz die Ruhe und das Glück des Landlebens schildert, im Gegensatz zur Geschäftigkeit der Stadt, wo er als Vertrauter des Maecenas ständig den Belästigungen und der Mißgunst der Menschen ausgesetzt war. Anders als Horaz schreibt Swift nicht in einem Zustand des Glücks, 25
Poems, I, p.l96, 11. 71-74.
26
Ebd., pp. 197-202.
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der Zufriedenheit und Dankbarkeit; er ist vielmehr resigniert und enttäuscht über sein Schicksal. Wie schon in der zuerst besprochenen Horaz-Imitation und in dem Gedicht "The Author upon Himself" legt es Swift seinen Mitmenschen zur Last, ihn seinem ländlichen Lebensstil entfremdet und unglücklich gemacht zu haben: Aufgrund der Abhängigkeit vor allem von Harley ist er aus dem zurückgezogenen Privatleben und der Sphäre weltferner Kontemplation herausgerissen und mit der Welt des Alltäglichen, Eitlen, Banalen konfrontiert worden. Frustriert und verbittert sehnt er sein einfaches Leben zurück, in dem er persönliche Freundschaft pflegen und in Muße alte Bücher studieren konnte: Thus in a Sea of Folly tost, My choicest Hours of Life are lost: Yet always whishing to retreat; Oh, could I see my Country Seat. There leaning near a gentle Brook, Sleep, or peruse some antient Book; And there in sweet Oblivion drown Those Cares that haunt the Court and Town. 2 7
Swifts Lobpreis des ländlichen Lebens kommt autobiographisch keine besondere Bedeutung zu. Es zog Swift nicht aufs Land; er liebte die Gesellschaft, er liebte die Stadt, vor allem London, und es ist bezeichnend, daß er sein Leben in Irland nach 1714 als Verbannung in die Provinz empfand. Man darf daher wohl die Sehnsucht nach ländlicher Beschaulichkeit in diesem Gedicht nur als eine theatralische Pose werten, zumal Swifts Leben auch vor der Zeit seiner intensiven politischen Aktivität in England nur wenig gemein hatte mit horazisch-beschaulichem Lebensstil. Wenn Swift hier den retreat als sein Ideal darstellt, so bedient er sich einer Vorstellung, die zu dieser Zeit insbesondere für die aristokratische Gesellschaft von Bedeutung war und als Gegensatz zu court und town verstanden wurde. Der Landsitz war konkreter Bestandteil aristokratischen Lebenstils und zugleich Inbegriff aristokratischen Selbstverständnisses, wie Gerd Stratmann ausführlich darlegt.28 Er zeigt, daß man die Antithese court/retreat durchaus auch im Sinne des Gegensatzes von Schuld und Unschuld, Lüge und Wahrheit begriff; das moralische Prinzip der honesty hat am Hof keine Gültigkeit;,Freundschaft',,Wahrheit', ,innere Freiheit' finden sich nur im retreat.19 27 28
Ebd., p. 202, 11. 1 0 5 - 1 2 . Stratmann, Englische Aristokratie, S. 156ff.
208
29
Siehe ebd., S. 159.
Auch für Swift impliziert der retreat moralische Idealvorstellungen wie Freundschaft, Gerechtigkeit, Wahrheit; auch für ihn stellt die höfisch-städtische Welt einen moralischen Gegensatz dar; in ihr herrschen folly und pride, envy und spleen; es ist der Bereich der Schmeichler, Betrüger, Opportunisten, von denen sich Swift fernzuhalten sucht: I get a Whisper, and withdraw, When twenty Fools I never saw Come with Petitions fairly pen'd, Desiring I would stand their Friend. This, humbly offers me his Case That, begs my Interest for a Place A hundred other Men's Affairs Like Bees, are humming in my Ears. "To morrow my Appeal comes on, "Without your Help the Cause is gone The Duke expects my Lord and you, About some great Affair, at Two "Put my Lord Bolingbroke in Mind, "To get my Warrant quickly signed: "Consider, 'tis my first Request. Be satisfy'd, I'll do my best: Then presently he falls to teize, "You may for certain, if you please; "I doubt not, if his Lordship knew "And Mr. Dean, one Word from you
30
Der Aspekt der staatsmännischen Verantwortung, des patriotischen Bewußtseins und der Bindung an die Tradition, der - wie Stratmann ausführt — wesentlich zum aristokratischen Ideal des retreat gehört, geht in Swifts retreat-Begriff nicht mit ein. Bei Swift hat er eine privatere, von den Belangen einer sozialen Gruppe weithin unabhängige Bedeutung, die derjenigen bei Horaz näher verwandt ist und die vor allem Selbstbesinnung, Muße und Studium impliziert. Für Swifts Pose des weltweisen Philosophen, der aus der Beschaulichkeit seines zurückgezogenen Lebens gerissen wird, findet sich eine psychologisch einfache Erklärung: es ist die Sehnsucht, sich auf sich selbst zurückziehen zu können, nachdem sich die politische Szene zu seinen Ungunsten gewandelt hat und er als schriftstellerisch-kämpferischer Tory-Anhänger und als Freund Harleys und Bolingbrokes unmöglich geworden ist. Mit Hilfe einer idealisierten Persona überspielt Swift 30
Poems, I, p.200,11. 43-62. 209
seine Enttäuschung und Verärgerung und versucht so, seine persönlichen Frustrationen zu kompensieren. Sein literarisches Verfahren ähnelt dabei demjenigen der zuvor besprochenen Gedichte. Swift zeichnet seinen eigenen character immer wieder im Kontrast zu seiner menschlichen Umgebung, sei es "mischievous Harley", seien es die "dull divines", seien es Politiker oder Höflinge. Er selbst stellt sich dar als der zufriedene Gelehrte, der rechtschaffene Geistliche, der feinsinnige Literat, der ohne eigenes Zutun in mißliche Umstände verstrickt und ins Unglück gestürzt wird. Swift scheint zu kritischer Selbstanalyse nur in recht begrenztem Maße fähig gewesen zu sein. Er besaß, wie es scheint, ein stark ausgeprägtes Selbstwertgefühl und benutzte das Medium der Versdichtung gelegentlich dazu, Enttäuschungen und Demütigungen zu kompensieren bzw. sein Selbstgefühl zu heben, indem er seine Mitmenschen satirisch verlachte und verhöhnte und somit erniedrigte. Diesen Zug entdeckten schon die Zeitgenossen in seinem Werk. Ihm wird im folgenden weiterhin Aufmerksamkeit zu schenken sein.
2. "A Panegyric on the Reverend Dean Swift" (1730) Zu den bemerkenswerten Gedichten, die einen character Swifts enthalten, gehört ein Werk aus dem Jahre 1730, "A Panegyric on the Reverend D — nS 1". 31 Aus der Perspektive eines Schreiberlings, der für whiggistische Auftraggeber arbeitet, hat Swift hier eine eindringliche Selbstkarikatur geschaffen. Dabei imitiert er den Ton und den Stil der diversen gegen ihn gerichteten Schmähschriften so genau, daß es einigen Scharfblicks bedarf, um seine Handschrift zu erkennen. In einem Brief an Lord Bathurst vom Oktober 1730 geht Swift auf den Anlaß des Gedichts und das Vorgehen bei der Veröffentlichung des Manuskripts ein: Having some months ago much &c often offended the ruling party, and often worryed by libellers I a m at the pains of writing one in their style & manner, &
sent it by an unknown hand to a W h i g printer w h o very faithfully
published it. 3 2 31
32
Poems, II, pp. 4 9 1 - 9 9 . - Der Untertitel lautet: "In Answer to the Libel on Dr. D y, and a certain Great L d." - Die hier erwähnte Schmähschrift ist eine leidenschaftliche Verssatire, in der Swift die Zwielichtigkeit und Unmoral politischen Mäzenatentums anklagt. Correspondence, III, p.410.
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Dieses Gedicht ist nicht Ausdruck heiterer Selbstironie. Es ist mehr als ein literarischer Scherz oder eine Stilübung. Wenn Swift diesen Text eine Satire nennt, 33 dann deutet er damit an, daß es ihm darum geht, die Haltungen und Methoden seiner schriftstellerischen und politischen Gegner bloßzustellen. Am fiktiven Autor des "Panegyric" demonstriert er die niederen Motive und die Borniertheit der von den Launen der Mächtigen abhängigen Schreiberlinge. Der Sprecher des Gedichts, selbst offenbar ein Mitglied des geistlichen Standes, gibt sich als Ironiker und versucht, mit Hilfe des erprobten blame-by-praise-Schema den Menschen und Autor Swift zu diffamieren. In seiner ironischen Pose rühmt er die unmoralische Weltgewandtheit, das Machtstreben, den Stolz und Opportunismus Swifts und stellt sich dabei konsequenterweise selbst als dessen Neider und erfolglosen Nacheiferer dar. Damit aber wird es Swift möglich, aus der Perspektive „potenzierter" Ironie eine beißende Karikatur des zeitgenössischen hack zu zeichnen: das vermeintlich ironische Selbstportrait des fiktiven Autors erscheint so als direkte, unverhüllte Darstellung scribblerischer Mentalität: Could all we little Folks that wait, And dance Attendance on the Great, Obtain such Privilege as you, To rail, and go unpunish'd too; To treat our Betters like our Slaves, And all Mankind as Fools, or Knaves; The Pleasure of so large a Grant Would much compensate all we want. Mitres, and Glebes could scarce do more To scratch our endless Itch of Pow'r. For next to being Great our selves It is to think all great Ones Elves, And when we can't be tete ä tete Their Fellows, turn their Dread and Hate.34 Der Sprecher gehört in die Reihe jener literarischen Tagelöhner, die um ihres materiellen Auskommens und ihres Erfolgs willen den politischen Auftraggebern nach dem Munde reden, in ihrem Sinne "songs of Loyalty"35 verfassen und geradezu die Rolle von ,Zuhältern verruchter Machthaber' 3 6 spielen. Nur mit,muffigen Regeln und wertloser Schul33 36
3 4 Poems, II, p.492f., 11. 1 - 1 4 . 3 5 Ebd., p.650, 1. 2 9 0 . Siehe ebd. Ebd., p . 4 9 3 , 1. 2 6 : "Pimps to Wickedness in Pow'r."
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moral' vertraut,37 schauen sie in Ermangelung literarischer Begabung neidvoll auf einen Schriftsteller wie Swift, der unabhängig, fähig und kühn genug ist, auch die Spitzen der Gesellschaft zu kritisieren und verspotten zu können. Dieser scribbler gehört zur Gruppe jener geistig und materiell Abhängigen, die im Bewußtsein ihrer ständigen Unterdrückung nach nicht mehr streben als nach literarischer Macht und der Möglichkeit, einmal den Spieß umzukehren: auch einmal die Mächtigen wie überhaupt die restliche Menschheit treten, beschimpfen, abhängig machen zu können. Es ist der Typ des Grub-street-poet, der Neid und Haß gegenüber dem erfolgreichen Autor Swift empfindet und von daher dazu neigt, seine Frustrationen durch eine Diffamierung zu kompensieren.38 Er ist skrupellos genug, den ironisch gemeinten Rat in dem Letter of Advice to a Young Poet wörtlich zu nehmen: Knock down half a Score Reputations, and you will infallibly raise your Own, and so it be with Wit, no matter with how little Justice; for Fiction is your Trade. 3 9
Nach Swifts eigener Aussage ist das Gedicht weithin eine solche Fiktion: es enthält ein Portrait seiner selbst, das das genaue Gegenstück seiner wirklichen Persönlichkeit und Mentalität darstellt: I took special care to accuse myself but of one fault of which I am really guilty, and so shall continue as I have done these 16 years till 1 see cause to reform: but with the rest of the Satyr I chose to abuse myself with the direct reverse of my character or at least in direct opposition to one part of what you are pleased to give me. 4 0
Als Swifts zentrale Eigenschaft erscheint dem fiktiven Autor der ,Stolz', d. h. die überhebliche Einschätzung der eigenen Person und Erfolge; diese geht zusammen mit seinem Streben nach Macht. Swift ist andererseits der durchtriebene Spieler, der mit allen Tricks der Höflinge vertraut ist, der nach dem Gebot der Stunde bereit ist, Ränke zu schmieden und Speichel zu lecken: N o Wonder you should think it little T o lick a Rascal Statesman's Spittle, W h o have, to shew your great Devotion, Oft' swallow'd down a stronger Potion,
37 38 40
Ebd., 1. 29f.: "long enur'd to musty Rules, / and idle Morals in the Schools." 39 Prose Works, IX, p.339. Cf. "On Poetry: A Rapsody", p.651. Correspondence, III, p. 410.
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A Composition more absurd, Bob's Spittle mix'd with Harry's Τ - [turd].41 Swift wird als opportunistischer Karrieretyp dargestellt, dem es gleichermaßen an Geist und Gottvertrauen mangelt; allein mit Hilfe seiner politischen Betriebsamkeit hat er sich sein geistliches Amt als Dean of St. Patrick's erschlichen; 4 2 er wird als Geistlicher beschrieben, dessen Menschenverachtung, ja Menschenhaß, in unüberbrückbarem Gegensatz steht zur christlichen Demut und zur christlichen Nächstenliebe: For must you not have often ly'd, And griev'd your righteous Soul beside, Th' Almighty's Orders to perform, Not to direct a Plague, or Storm, But 'gainst the Dictates of your Mind, To bless, as now you curse Mankind?43 Weiterhin stellt der fiktive Autor den Geschmack und die Sensibilität Swifts in Frage; unempfänglich für alle intellektuelle und ästhetische Verfeinerung, lasse er nichts anderes gelten als die Äußerung maliziöser, wütender Gefühle sowie Beschimpfungen in einer groben, ordinären Sprache: Our Thoughts, to hit your nicer Taste, Must in a diff'rent Mold be cast; The Language Billingsgate excel, The Sentiments resemble Hell.44 Schließlich gibt er sich selbst als Geistlicher zu erkennen und zeichnet sich als verkanntes, verarmtes und gekränktes Genie, das neidvoll und gehässig auf jene Dunces schaut, die es in der Kirche zu mehr gebracht haben als er und die — im Gegensatz zu ihm — ein angenehmes, finanziell gesichertes Leben führen können: Our Ministers are void of Taste, When such Adepts as you, and I So long unbishoprick'd lie by, While Dunces of the coarsest Clay, That only know to preach and pray, Devour the Church's tiddest Bits, The Perquisites of Pimps and Wits. And leave us nought but Guts and Garbage, Or dirty Offals cook'd with Herbage.45 41
42
Poems, II, p. 495,11. 5 8 - 6 3 . Bob: Robert Harley, Lord Oxford; Harry: Henry St. John, Lord Bolingbroke. Vgl. ebd., 11. 7 2 - 7 9 . 4 3 Ebd., 11. 8 9 - 9 5 . 4 4 Ebd., 11. 1 0 6 - 0 9 . 4 5 Ebd., 11. 1 4 5 - 5 3 .
213
Obwohl in Swifts character einiger biographischer Stoff verarbeitet ist, wird Swift doch zu bösartig und diffamierend gezeichnet, als daß man nicht von vornherein Vorbehalte gegenüber der Darstellung haben müßte. Das Gedicht enthält jedoch keine Anspielungen und Hinweise, die es erlaubten, die einzelnen gehässigen Unterstellungen auf ihren Wahrheitskern zu reduzieren. Wenn Swift auch in seinem Brief an Bathurst einräumt, sein „satirisches" Selbstbildnis stelle einen Charakterfehler dar, der ihm wirklich eigen sei, so benennt er diesen Fehler doch nicht. Dennoch darf man mit Harold Williams vermuten,46 daß sich Swift in seiner Andeutung auf die Verse 17-22 ("Where'er the Wind of Favour sits, ...") bezieht. Dort gesteht er zu, daß es in seiner Natur liegt, günstige Situationen für sich zu nutzen, in mißlichen Umständen jedoch nicht zu verzagen, sondern seinem Arger durch satirisches Gelächter Luft zu machen. Bezeichnender als das Zugeständnis einer bestimmten persönlichen Schwäche scheint es mir jedoch zu sein, daß sich Swift gegenüber Bathurst als das Gegenteil dessen ausgibt, was seinen character in "A Panegyric on the Reverend D — η S 1" ausmacht. Insofern als dieser eindeutig und durchgehend negativ gezeichnet ist, ergibt sich als Kontrast ein eindeutig positives Bild, das nur durch das Zugeständnis des bewußten Charakterfehlers ein wenig vom Idealen abweicht. Dieses panegyrische Bild des frommen, demütigen, bescheidenen, altruistischen, verantwortungsbewußten, staatsmännischen, moralisch integren Dean Swift aber ist den Selbstdarstellungen aus den Jahren 1713 und 1714 in erstaunlichem Maße verwandt. Mag man Swift auch zutrauen, daß seine Satire gerade "the direct reverse of [his] character" wiedergeben solle und daß sie Ausdruck einer recht eitlen, überheblichen Selbsteinschätzung ist, so legt es andererseits Swift selbst nahe, seine Äußerung als ironisch zu verstehen: als Hinweis darauf läßt sich die einschränkende Bemerkung deuten, daß er zur Grundlage seines Selbstportraits nicht seine wirkliche Persönlichkeit macht, sondern sein vermeintlich extrem positives Image bei Lord Bathurst. - Trotz der ironischen Einschränkung und trotz des Eingeständnisses einer Charakterschwäche kann man sich freilich des Verdachts nicht erwehren, daß Swift ein stark ausgeprägtes Selbstbewußtsein besaß und in sein Gedicht mit eingehen ließ, und daß dies nicht zum konventionellen Rollenverständnis des Moralisten gehörte, sondern auf einer persönlichen Schwäche beruhte. 46
Ebd., p.493 (note).
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3. "Verses on the Death of Dr. Swift, D.S.P.D." Das bedeutendste Gedicht, das in diesen Zusammenhang gehört, trägt den Titel "Verses on the Death of Dr. Swift, D.S.P.D." und stammt aus dem Jahre 1731. Wie Swift selbst im Untertitel erläutert, wurde es durch La Rochefoucaulds Maxime angeregt, "[que] dans l'adversite de nos meilleurs amis nous trouvons quelque chose, qui ne nous deplaist pas". 1 Swifts "Verses" wurden nicht nur von seinen Zeitgenossen mißverstanden, sie sind bis auf den heutigen Tag kontrovers geblieben. Anlaß für diese Kontroverse war seit der Erstveröffentlichung im Jahre 1739 der Schlußteil des Gedichts (11. 3 0 7 - 4 8 4 ) , der einen panegyrischen, vermeintlich ,unparteiischen' character des berühmten Dean enthält. Swift stellt sich vor, daß sich nach seinem Tod einer der modischen Londoner Herrenclubs in der Rose-Tavern versammelt,2 W h e r e from Discourse of this and that, I g r o w the Subject of their Chat: And, while they toss my N a m e about, W i t h Favour some, and some without; O n e quite indiff'rent in the Cause, M y Character impartial draws: 3
Dieser ,objektive' Nachruf erregte das Mißfallen und die Kritik der Freunde Swifts, die die Publikation des Gedichts betreiben sollten.4 Swift schickte 1738 das Manuskript seiner "Verses" an Dr. William King, den Rektor von St. Mary Hall in Oxford, um es mit dessen Hilfe in London drucken zu lassen. King reichte das Gedicht über den Earl of Orrery an Pope weiter, der sich am 25. September 1738 in einem Brief an Orrery über den panegyrischen Teil äußerte: 1
2
3 4
Diese Maxime findet sich nur in der ersten Ausgabe der Reflexions ou Sentences et Maximes Morales; Harold Williams annotiert dazu: "This maxim was X C I X in the first edition of . . . 1665, and, together with a number of others, was suppressed by the author in later editions. It will be found in modern editions among the 'Reflexions supprimes'" [Swift's Poems, II, p.553 (note)]. Zum Phänomen der Londoner Clubs siehe R. J. Allen, The Clubs of Augustan London (Cambridge: Mass., 1933). Poems, II, p. 565,11. 3 0 1 - 0 6 . Entstehung und Publikationsgeschichte der "Verses" sind gründlich erforscht; siehe dazu: Herbert Davis, "Verses on the Death of Dr. Swift", Book-Collectors' Quarterly, 2 (1931), p p . 5 7 - 7 3 ; Barry Slepian, "The Ironic Intention of Swift's Verses on His Own Death", RES, N.S., 14 (1963), p p . 2 4 9 - 5 1 ; Harold Williams, textkritische Einführung in Swift's Poems, II, pp. 5 5 1 - 5 3 ; Arthur H. Scouten and Robert D. Hume, "Pope and Swift: Text and Interpretation of Swift's Verses on His Death", PQ, 52 (1973), pp. 2 0 5 - 3 1 .
215
The latter part of [the poem] is inferior to the beginning, the Character t o o dry, as well as t o o Vain in some respects, & in one or t w o particulars, n o t true. 5
Aufgrund von Textveränderungen, die wohl im wesentlichen auf Popes Initiative zurückzuführen sind, weicht der Londoner Erstdruck, der von Bathurst veröffentlicht wurde, stark vom Original ab; abgesehen von Veränderungen einzelner Wörter und Streichungen kürzerer Passagen, die als Beleidigung der Königin oder als Beschimpfung von Ministern hätten aufgefaßt werden können, wurde vor allem Swifts character zusammengestrichen und abgeändert. Man eliminierte die Verse 325—454 und setzte stattdessen sechzig unverdächtige Verse aus einem anderen Gedicht Swifts ein, dem "Life and Genuine Character of Doctor Swift", 6 wobei gewiß nicht literarische bzw. ästhetische Gründe entscheidend waren, sondern die durchaus freundschaftlich empfundene Befürchtung, das Gedicht könne den Eindruck der Eitelkeit und des Stolzes Swifts erwecken, sowie die Beobachtung, daß manche der vermeintlich autobiographischen Feststellungen nicht der Wahrheit entsprechen. - Verständlicherweise erklärte King die Textrevision Swift gegenüber nur vage;7 denn er mußte mit dessen Unzufriedenheit und Verärgerung rechnen. Kings wahre Einstellung ist in seinem Brief vom 6. März 1739 an Swifts Kusine, Mrs. Martha Whiteway, ausgedrückt: The D o c t o r ' s friends, w h o m I consulted on this occasion, were of opinion, that the latter part of the poem might be thought by the public a little vain, if so much were said by himself of himself. They were unwilling that any imputation of this kind should lie against this poem, considering there is not the least tincture of vanity appearing in any of his former writings, and that it is well known, there is n o m a n living more free from that fault than he is. 8
Eine dem Original wohl sehr nahekommende Fassung des Gedichts veröffentlichte William Faulkner auf Swifts Betreiben hin noch 1739 in Dublin, nur kurze Zeit nach der verstümmelten Londoner Ausgabe. Sie ist die Grundlage der modernen Editionen der "Verses"; sie ist der Grund dafür, daß die Deutung des autobiographischen Elements bis heute faszinierend und kontrovers geblieben ist. Ähnlich wie für Pope und King bedeutet Swifts character für John Middleton Murry nicht mehr als ein ,unqualifiziertes Eulogium'.9 Er 5 7
8 9
6 Poems, II, pp. 5 4 1 - 5 0 . Correspondence of Alexander Pope, IV, p. 130. Siehe dazu Kings Briefe an Swift vom 5. und 23. Januar 1739 in Correspondence, p. 133 und p. 135. Ebd., p. 139. J. Μ. Murry, Jonathan Swift. A Critical Biography (London, 1954), p. 457.
216
V,
betrachtet Swifts Selbstportrait als ein Stück unironischer Autobiographie und gelangt zu der Auffassung, daß Swift — sei es aufgrund fehlerhafter Erinnerung, sei es aufgrund überheblicher Selbsteinschätzung10 - die historische Wahrheit zumindest teilweise entstelle. Als eigentliche Ursache dafür erscheint ihm die zunehmende Senilität des Dean: In truth the latter part of this famous poem is unworthy in every way. It lacks the vitality and vividness, and above all the humour, of the former; and it is morally incongruous with it. The sardonic objectivity gives place to an extravagance of self-laudation. So striking a lapse from decorum must be ascribed to a radical weakening of Swift's vigour of mind. 11
Murrys Kritik ist pauschal und vorurteilsbehaftet; sie basiert zudem auf einer falschen Prämisse: der geistige Verfall Swifts ist keinesfalls vor 1740 anzusetzen; zur Zeit der Abfassung der "Verses" befand sich Swift noch auf dem Höhepunkt seiner Schaffenskraft, was sich leicht an den Gedichttiteln der frühen dreißiger Jahre ablesen läßt; zu ihnen gehören "The Day of Judgment" (1731), "Strephon and Chloe" (1731), "The Beasts' Confession to the Priest" (1732), "An Epistle to a Lady" (1733) und nicht zuletzt "On Poetry: A Rapsody" (1733). 12 Maurice Johnson versucht, die strukturelle Funktion des panegyrischen Schlußteils der "Verses" zu bestimmen.13 Er verweist darauf, daß am Gedichtanfang ein zweiter character zu finden ist, in dem Swift als Verkörperung von "Self-love, Ambition, Envy, Pride"14 beschrieben wird, als Verkörperung der zynischen Maxime La Rochefoucaulds, die den Vorwurf zu den "Verses" bildet: Exaggerated praise for the "dead" Dean, in the latter part, has the structural function of balancing the exaggerated weakness of character Swift imputes to himself in the early lines, especially 1 3 — 7 2 , . . . The satiric pattern for "Verses on the Death of Dr. Swift" is that of opposed exaggeration from which the middle ground of truth is to be inferred. 15
Johnson stellt fest, daß der Kontrast ,unvereinbarer Extreme' ein typisches Strukturmuster Swiftscher Satire ist, beläßt es jedoch bei dieser formanalytischen Beobachtung, ohne auf deren Konsequenzen für das Verständnis des Inhalts, der Intention, der Wirkung von Swifts "Verses" einzugehen. Maurice Johnsons Beitrag kann daher nicht als Interpretation, sondern nur als Denkanstoß verstanden werden. 10 13
14
11 Ebd., p.459. 12 Siehe dazu auch Barry Slepian, p.251. Vgl. ebd., p.458. Maurice Johnson, "Verses on the Death of Dr. Swift", Notes and Queries, 199 (1954), p.473f. 15 Maurice Johnson, p. 474. Poems, II, p. 555,1. 41.
217
Auch Barry Slepian bemüht sich, zu demonstrieren, daß Swifts character thematisch und strukturell voll integriert ist. 16 Er zielt darauf ab, vornehmlich anhand stilistischer Kriterien die ironische Absicht des Gedichts, insbesondere des Schlußteils, nachzuweisen und die moralistische Funktion von Swifts character zu ermitteln: T h r o u g h o u t the p o e m . . . the sources of comedy are irony and exaggeration. T h e amazing total of 1 2 2 w o r d s are superlatives and absolutes. . . . In commenting on the first t w o parts of the p o e m , no critic has mistaken Swift's ironies a n d exaggerations for statements intended literally. . . . But Swift's technique in the last p a r t is just the s a m e . 1 7
Bei dieser Betrachtungsweise liegt der Schluß nahe, [that,] when Swift informs us that he himself is humble, fearless, altruistic, diligent, innocent, and resolute, he is not presenting an apologia, but m a k i n g an assertion of his o w n vanity necessary to complete his thesis that all mankind is egoistical, selfish, and p r o u d . 1 8
Swifts Ironie resultiert in den "Verses" sicherlich nicht aus komödienhafter Heiterkeit, sondern eher aus sarkastischem oder zynischem Humor, der in einer pessimistischen Auffassung vom Menschen begründet ist. - Abgesehen davon befremdet es vor allem, daß Slepian die Begriffe ,Ironie' und ,Übertreibung' nicht hinreichend gegeneinander abgrenzt. Swifts Übertreibungen im ersten und zweiten Teil des Gedichts dienen zwar durchweg der satirischen Pointierung, verbinden sich jedoch nicht zwangsläufig mit der Methode ironischer Inversion. Auch ist die Auffassung unzulänglich begründet, Swifts character sei Ausdruck der Selbstironie, d. h. ironisches Exempel, in dem sich die pessimistische Tendenz der ersten beiden Teile des Gedichts bestätigt. — Sicherlich darf man Swifts character auch nicht einseitig als Beispiel für moralische Defekte und Schwächen des Menschen schlechthin ansehen; Swifts Bildnis ist zu stark individualisiert und hat zu viele Bezüge zur Biographie Swifts, als daß man den Aspekt des persönlichen Elements ausklammern dürfte. Ja, es läßt sich schon vor einer eingehenden Textanalyse vermuten, daß gerade die Beziehung von autobiographischem Detail und allgemeiner moralistischer Tendenz wesentlich für das Verständnis der "Verses" ist. Marshall Waingrow übt gleichermaßen Kritik an Slepian und Murry: T h e eulogy [in Swift's " V e r s e s " ] is neither unqualified, nor is it qualified by a totally negating irony. But I should say that M r . Slepians's praise is in effect m o r e damning than M r . M u r r y ' s blame, for it lays Swift open to a charge 16
Barry Slepian, p. 252.
218
17
Ebd., p. 254.
18
Ebd., p. 256.
m o r e serious than vanity, and that is a pointless h u m i l i t y . . . . I shall maintain that the poem is written in both serious and thoughtful praise of the satirist. . . . So Swift is vain; but the poem shows that his vanity is knowledgeable, that it doesn't disguise his kinship with other men, and that upon such knowledge virtue may be built. 1 9
Waingrow gelangt zu der Ansicht, daß der Schlußteil der "Verses" eine direkte Widerlegung der Maxime La Rochefoucaulds enthalte. Für ihn bedeutet Swifts character nicht eine anmaßende Autobiographie Swifts, sondern ein moralisches Exempel, - genauer die Identifizierung des historischen Autors mit der konventionellen Rolle des integren, altruistisch denkenden und handelnden Satirikers.20 Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch P. K. Elkin,21 der das panegyrische Lob Swifts in der Tradition der Apologie des Satirikers sieht: The grounds of his praise are perfectly conventional, either in the context of the classical apologia or that of the body of eighteenth-century opinion on satire generally. 2 2
Nach der Aufzählung der moralischen Eigenschaften, der politischen Aktivitäten und der literarischen Standpunkte Swifts, wie sie in dem Eulogium des Schlußteils beschrieben werden, gelangt Elkin daher zu der Auffassung: All this is pretty shopworn stuff, and it is only partly redeemed by witty turns of phrase and telling details - some of the details unfortunately are merely topical and trivial. 2 3
Die Erkenntnis, daß verschiedene der vermeintlich persönlichen Eigenschaften Swifts als Topoi zu den fest etablierten Konventionen der Selbstdarstellung des Satirikers gehören, ist sicherlich hilfreich, jedoch nicht ausreichend für ein adäquates Textverständnis. Der Interpret hat vielmehr die weitergehenden Fragen zu beantworten, in welcher Weise und mit welcher Absicht hier autobiographische Elemente und „Versatzstücke" aus der Apologie des Satirikers miteinander verbunden sind und wie Swift das traditionelle Selbstverständnis des Satirikers bewertet. Aufgrund der bisherigen Untersuchungen liegt die Vermutung nahe, daß Swift sich als Moralist keineswegs vorbehaltlos in die Tradition der Apologie des Satirikers stellt, sondern daß er ein kritisches, wenn nicht ablehnendes Verhältnis dazu hat. 19
20 22
Marshall Waingrow, "Verses on the Death of Dr. Swift", Studies in English Literature 1500-1800, 5 (1965), p.513. 2 1 P. K. Elkin, The Augustan Defence of Satire, p. 112f. Ebd., p.517. 2 3 Ebd., p. 113. Ebd., p. 112.
219
John I. Fischer zielt darauf ab, die Art und Funktion des persönlichen Elements in den "Verses" zu bestimmen;24 er setzt bei der Kritik von Waingrows Aufsatz an und gelangt zu der Auffassung, daß dieser den Dean stärker idealisiert und die Welt korrupter erscheinen läßt, als es durch das Gedicht gerechtfertigt ist.25 Im Unterschied zu denjenigen Interpreten, die den modellhaft-moralistischen und den satirischen Aspekt der "Verses" herausstellen, sieht Fischer das Gedicht vor allem als Ausdruck individuellen religiösen Erlebens und Fragens: I think that before the Verses on the Death of Dr. Swift is instructive satire and a model for us, it is a personal, deeply searching and, at the same time, very traditional consideration by Swift of the implications of his own death. 26
Fischer betrachtet das Gedicht als eine Form der Meditation, die in der Tradition der meditatio mortis steht und zur Vergegenwärtigung der biblischen Wahrheit führen soll, " [that] happy is he that hath the God of Jacob for his help, whose hope is in the Lord his God" (Ps. 146: 5). Fischer findet in den "Verses" einige für die meditatio mortis charakteristische Motive wieder;27 er verweist auf die grundsätzliche Übereinstimmung mit der christlichen Auffassung von der gefallenen Natur des Menschen,28 identifiziert einige Bibelanspielungen im panegyrischen Teil des Gedichts29 und kommt dann zu dem Ergebnis: Neither the panegyric... nor the whole of the Verses should be understood as a praise of Swift's stoic fortitude in the face of adversities, but rather as a praise of his ability, through trust in God, to translate these adversities to positive goods. 30
Zweifellos kannte Swift die Tradition der meditatio mortis. In den "Verses" fehlt jedoch nicht nur die für die Meditationsliteratur typische formale Gliederung in compositio loci, analysis und petitio, sondern vor allem der metaphysische, im engeren Sinne religiöse Bezug: Swifts Gedicht soll weder ein Mittel gegen die Todesangst sein, noch soll es die Reinigung der Seele, die Steigerung von Frömmigkeit und Gottesfurcht bewirken; es befaßt sich nicht mit dem Tod als eschatologischem Problem und läßt auch die anderen letzten Dinge - Gericht, Himmel, Hölle - unberührt.31 Den Anlaß zu Swifts Gedicht gab zweifellos La Rochefoucaulds 24
25 28 31
John Irvin Fischer, "How to die: 'Verses on the Death of Dr. Swift"', RES, 21 (1970), pp.422—41. 2 6 Ebd., p. 4 2 4 . 2 7 Siehe ebd., p.426f. Siehe dazu ebd., p. 423. 2 9 Siehe ebd., p . 4 3 6 . 3 0 Ebd., p . 4 3 9 . Siehe ebd., p.428f. Siehe dazu Robert G. Collmer, "The Meditation on Death and its Appearance in Metaphysical Poetry", Neophilologus, 4 5 (1961), p p . 3 2 3 - 3 3 .
220
Maxime, daß ,wir im Mißgeschick unserer Freunde etwas finden, was uns nicht mißfällt'. Swift antizipiert in seinen "Verses" imaginativ die Reaktionen von Freunden und anderen Zeitgenossen auf seine zunehmende Senilität, sein Sterben und seinen Tod, er stellt sich selber mit Hilfe einer persona in einem Nachruf dar, um den Wahrheitsgehalt der zynischen Feststellung La Rochefoucaulds zu überprüfen bzw. zu exemplifizieren. Wie jener ist auch der Moralist Swift darauf bedacht, die verdeckten Motivationen menschlichen Verhaltens und Handelns zu enthüllen, die Moral der zeitgenössischen Gesellschaft zu analysieren und - w o nötig - zu entlarven. Wenngleich die moralistischen Intentionen im vollen Einklang mit den Grundsätzen christlicher Ethik stehen, so tendiert Swift doch eindeutig zur psychologisch-empirischen Auseinandersetzung mit der einzelmenschlichen und gesellschaftlichen Realität. Es fehlt in Swifts Gedichten nicht nur alles Devotionale, sondern überhaupt ein Interesse am Theologischen und Religiösen im engeren Sinne. Und die "Verses on the Death of Dr. Swift" bilden hier keine Ausnahme. Fischers Versuch, das Gedicht in der Tradition der meditatio mortis zu sehen, ist daher nicht gerechtfertigt. Zieht man überdies in Betracht, daß in den character Swifts eine Reihe von Topoi aus dem Zusammenhang der Apologie des Satirikers eingegangen sind, so muß auch die Auffassung als fragwürdig erscheinen, daß Swifts Portrait in hohem M a ß e persönlich-bekenntnishafte Züge enthält. Der letzte interessante Versuch, die "Verses" zu interpretieren und die Funktion des autobiographischen Elements zu ermitteln, stammt von Robert W. Uphaus. 3 2 Er vertritt die Auffassung, daß die DelanyGedichte und die "Verses" gleichermaßen einen bedeutenden Wendepunkt in Swifts literarischer Karriere bedeuten, insofern als Swift hier nicht mehr wie früher ironisch posiert oder sich nach konventionellem Muster als vir bonus33 darstellt, sondern ein offenes, ,nach dem wirklichen Leben' 3 4 gezeichnetes Selbstportrait liefert, das tatsächlich autobiographische Relevanz besitzt: The use of such current critical terminology as satire, irony, and persona actually blurs our ability to perceive the changes taking place in Swift's poetry, simply because such terminology focuses on the poet's manipulation of literary conventions at the expense of recognizing his sincere emphasis on blunt conviction.35 32
33
Robert W. Uphaus, "Swift's 'Whole Character'. The Delany Poems and 'Verses on the Death of Dr. Swift'", Modem Language Quarterly, 3 4 (1973), pp. 4 0 6 - 1 6 . 34 Ebd., p. 407. 35 Ebd. Ebd., p. 409.
221
Uphaus versteht das Gedicht als eine Explikation der vorangestellten Maxime La Rochefoucaulds. Er geht nicht nur davon aus, daß Swift sich uneingeschränkt mit dem Inhalt der Maxime identifiziert, sondern versteht die von La Rochefoucauld beschriebene Eigenliebe des Menschen im Sinne jener Eigenliebe, die Swift 1724 in seiner Predigt "Doing Good" als Bedingung gleichermaßen der Gottes- und der Nächstenliebe, somit aber durchaus vereinbar mit der christlichen Ethik, dargestellt hatte: Nature directs every one of us, and God permits us, to consult our own private Good before the private Good of any other person whatsoever. We are, indeed, commanded to love our Neighbour as ourselves, but not as well as ourselves. The love we have for ourselves is to be the pattern of that love we ought to have towards our neighbour. 36
Es bleibt freilich bei Uphaus die Frage unerörtert, ob Swift nicht dieses Gedicht zum Anlaß nahm, seine Einstellung zu La Rochefoucauld zu überprüfen bzw. zu revidieren. Es ist vor allem jedoch zu bezweifeln, ob Swift sich selbst tatsächlich vorbehaltlos und unironisch als Beispiel jener Eigenliebe darstellen will, "consistent with the law of nature which is the law of God"; 37 denn La Rochefoucaulds Maxime ist zynisch und bitter; auf der Basis empirischer psychologischer Beobachtung stellt sie ein Faktum menschlichen Verhaltens ohne Rücksicht auf theologische Problemstellungen dar. Genauso wenig deuten sich in Swifts Gedicht theologische Fragestellungen an. Zum Wortfeld von self-love gehören vielmehr Begriffe wie ambition, envy, pride, die vorrangig von ihren psychologischen und sozialen Implikationen, nicht jedoch von ihrer theologischen Bedeutung her verstanden werden. Insofern als Swift in den "Verses" die Eigenliebe nicht als Bedingung,,Gutes zu tun', sondern als gravierenden Defekt der menschlichen Natur versteht, irrt Uphaus in der Auffassung, that Swift [who] does not exempt himself from self-love, . . . by recognizing and disciplining his own self-love , . . . can legitimately claim a freedom from the very 'partiality' he ascribes to his friends. 38
Und so kann es auch nicht überzeugen, daß Uphaus den character Swifts im Schlußteil des Gedichts schlichtweg als "Swift's declaration of his own integrity and his hope of how history will judge him" 39 verstehen will. Die hier besprochenen Interpretationen zeigen, wie unterschiedlich, ja widerspruchsvoll die Wirkung der "Verses" ist. Der Grund dafür liegt 36
Prose Works, IX, p. 232.
222
37
Ebd.
38
Uphaus, p. 413.
39
Ebd.
sicherlich nicht nur in den verschiedenen methodischen Ansätzen oder persönlichen Vorurteilen der Autoren, sondern in der besonderen Beschaffenheit des Textes. Maßgeblich für die unterschiedliche Wirkung ist vor allem das Vorhandensein sich überlagernder, konträrer, anscheinend unausgleichbarer Aspekte des behandelten Themas, d. h. dem Text ist ein relativ hoher Grad von „Unbestimmtheit" eigen.40 Diese Unbestimmtheit resultiert aus der Spannung zwischen dem „satirischen" und dem „panegyrischen" Teil des Gedichts, zwischen der Darstellung Swifts als Verkörperung von "Ambition, Self-love, Envy, Pride" im Prooemium und der Darstellung des Dean als Exempel des altruistisch denkenden und handelnden Staatsbürgers und Moralisten im Schlußteil, zwischen allgemeiner, moralistisch-didaktischer Tendenz und dem Interesse an einem individualisierten character Swifts mit autobiographischen Zügen. Die Unbestimmtheit ergibt sich jedoch nicht nur — im Sinne der Ausführungen von Wolfgang Iser - aus der Inkongruenz „schematisierter Ansichten"41 innerhalb des literarischen Texts, sondern ebenso aus der Spannung zwischen dem literarischen Portrait und der wirklichen Persönlichkeit Swifts. Die Analyse der Faktoren, die die Unbestimmtheit der "Verses" bewirken, läßt nicht nur die Struktur des Texts und die zugrundeliegende Intention Swifts genauer erkennen, sondern verdeutlicht auch einen charakteristischen Zug der moralistisch-satirischen Methode Swifts. - Dabei liegt es nahe, vom Vergleich mit "The Life and Genuine Character of Doctor Swift" 42 auszugehen; nicht nur basiert dieses Gedicht auf derselben Maxime La Rochefoucaulds, es entstand ebenfalls im Jahre 1731 und ist mit den "Verses" thematisch eng verwandt, teilweise sogar im Wortlaut identisch. Swift war bereits in jungen Jahren ein Bewunderer La Rochefoucaulds und sah in ihm einen verwandten Geist; dennoch war sein Verhältnis zu ihm nicht unkritisch, wie aus dem Brief an Pope vom 25. November 1725 hervorgeht: 40
41 42
Zur Problematik der Unbestimmtheit von Texten siehe Wolfgang Iser, Die Appellstruktur der Texte. Unbestimmtheit als Wirkungsbedingung literarischer Prosa (Konstanz, 1970), S. 5ff. Siehe ebd., S. 14. Poems, II, p. 541. — Die Frage der Autorschaft braucht hier nicht erneut aufgegriffen zu werden; aufgrund der Untersuchungen von Ball, Swift's Verse, p.268f., Herbert Davis, "Verses on the Death of Dr. Swift", p.57ff., und Harold Williams, Swift's Poems, II, pp. 541—43, erscheint es als gesichert, daß Swift der Autor auch dieses Gedichts ist. Siehe dazu auch: A. H. Scouten and R. D. Hume, "Pope and Swift: Text and Interpretation of Swift's Verses on His Death", p. 205ff.
223
Rochefoucauld . . . is my Favorite because I found my whole character in him, however I will read him again because it is possible I may have since undergone some alterations. 43
Es ist daher durchaus möglich, daß "The Life and Genuine Character of Doctor Swift" und die "Verses on the Death of Dr. Swift" gleichermaßen aus einer erneuten kritischen Auseinandersetzung Swifts mit La Rochefoucaulds Reflexions ou sentences et maximes morales hervorgingen. - Die Maxime, die Swift beiden Gedichten zugrunde legt, findet sich nur in der Erstauflage der Reflexions von 1665; sie wurde in späteren Auflagen gestrichen, vielleicht sogar aus der Erwägung heraus, [that] This Maxim more than all the rest Is thought too base for human Breast. 44
Für Swift bedeuteten friendship, benevolence, esteem, compassion, love hohe Werte, die er selbst zu verwirklichen suchte. Galt auch seine Verachtung und sein Spott immer wieder politischen, gesellschaftlichen, konfessionellen, beruflichen Gruppierungen und ihren Vertretern, so betonte er doch andererseits: All my love is towards individualls,... I hartily love John, Peter, Thomas and so forth, this is the system upon which I have governed my self many years (but do not tell) and so I shall go on. 4 5
Wenn Swift daher gerade jene sarkastische Maxime La Rochefoucaulds, die die Fähigkeit des Menschen zu altruistischem Denken und Handeln grundsätzlich in Frage stellt, zur Vorlage seiner beiden Gedichte macht, dann wohl nicht, um sie als unzweifelhafte Wahrheit mit Hilfe persönlicher Erfahrungen zu illustrieren, sondern um ihren Wahrheitsgehalt zu reflektieren und zu überprüfen: WISE Rochefoucault a Maxim writ, Made up of Malice, Truth, and Wit: If, what he says be not a Joke, We Mortals are strange kind of Folk. He says, "Whenever Fortune sends "Disasters, to our Dearest Friends, "Although, we outwardly may Grieve, "We oft, are Laughing in our Sleeve.46 43 45 46
4 4 Poems, II, p . 5 5 3 , 1. 5f. Correspondence, III, p. 118. Swift to Pope, 2 9 September 1725, Correspondence, III, p. 103. Poems, II, p. 545,11. 1 - 4 , 7 - 1 0 .
224
Swift stellt zunächst fest, daß La Rochefoucaulds Maxime zwar einen wahren Kern hat, die Realität jedoch insofern verzerrt wiedergibt, als sie einer boshaften, zynischen Mentalität und einer Neigung zu geistreicher, provozierender Pointierung entspringt. Da für Swift andererseits die Erfahrung und die Urteilskraft La Rochefoucaulds unzweifelhaft sind, stellt sich ihm die Frage, ob die vermeintlich maliziöse Maxime nicht als ein Scherz zu verstehen sei. Ohne über den intendierten Sinn weiter nachzudenken, gibt Swift dann jedoch anscheinend seinen anfänglichen Vorbehalt auf, um La Rochefoucauld beizupflichten: I could give Instances Enough, That Human Friendship is but Stuff.*7 Der Meinungsumschwung ist gedanklich nicht begründet; er mag sich aus einer spontanen melancholischen Laune erklären; er mag auf die Abhängigkeit von der Autorität La Rochefoucaulds zurückzuführen sein; er resultiert aber wohl vor allem aus dem Bewußtsein der Diskrepanz zwischen der Vorstellung ,wahrer' Freundschaft und der bedrükkenden Erfahrung der tatsächlichen zwischenmenschlichen Beziehungen: True Friendship in two breasts requires The same Aversions, and Desires; My Friend should have, when I complain, A Fellow-feeling of my Pain. Yet, by Experience, oft we find, Our Friends are of a diff rent mind; And, were I tortur'd with the Gout, They'd laugh, to see me make a rout, Glad, that themselves cou'd walk about.48 Der erste Teil des Gedichts enthält demzufolge eine Reihe paradigmatischer Situationen, anhand derer Neid, Ehrgeiz, Egoismus als bestimmende Eigenschaften des Menschen ausgegeben werden, die der Verwirklichung ,wahrer' Freundschaft im Wege stehen: When you are Sick, your Friends, you say, Will send their Howd'ye's ev'ry day: Alas! that gives you small relief ! They send for Manners ; not for Grief Nor if you dy'd wou'd fail to go That Ev'ning to a Puppet-Show : Yet, come in time to shew their Loves, And get a Hatband, Scarf, and Gloves.49 47
Ebd., p.546, 1. 23 f.
48
Ebd., 11. 4 3 - 5 1 .
49
:
Ebd., 11. 5 8 - 6 5 .
225
Wenngleich Swift die Möglichkeit,wahrer' Freundschaft recht pessimistisch beurteilt, so scheint ihn doch andererseits die Erfahrung auch zu lehren, daß ,wahre' Freundschaft — zumindest in einzelnen Fällen — realisierbar ist. 50 Diese Auffassung wird bestätigt durch die nachfolgende Fallstudie, in der sich Swift seinen eigenen Tod vorstellt und dann versucht, die Reaktionen der Nachwelt auf dieses Ereignis zu beschreiben. Der zweite Teil des Gedichts ist ein Dialog zweier anonymer Sprecher, die in bezug auf Swifts Leben und Persönlichkeit gegensätzliche, einander ausschließende Positionen vertreten. - Der character Swifts, der hier aus der Perspektive zweier „Freunde" gezeichnet wird, enthält daher nicht nur eine hämische, maliziöse Kritik des toten Dean, sondern auch Elemente eines geradezu panegyrischen Nachrufs. In diesem character wird der Kontrast von ,wahrer' und nach den Gesetzen der Erfahrung üblicher Freundschaft thematisiert: "'Tis own'd he was a Man of Wit , Yet many a foolish thing he writ ; "And, sure he must be deeply learn'd ! That's more than ever I discern'd ; "I know his nearest Friends complain, "He was too airy for a Dean . "He was an honest man I'll swear : Why Sir, I differ from you there, For, I have heard another Story, He was a most confounded Tory ! "Yet here we had a strong report, "That he was well-receiv'd at Court . Why, then it was, I do assert, Their Goodness, more than his Desert . He grew, or else his Comrades ly'd, Confounded Dull , before he Dy'd . 51
Der Titel des Gedichts läßt zwar eine Biographie erwarten, doch sind biographische Daten nur sporadisch eingestreut, so daß von einer vollständigen und individualisierten Lebensgeschichte Swifts nicht die Rede sein kann. Man erfährt, daß der Dean als Tory ein Gegner Walpoles und Anhänger Harleys war, daß er vergeblich auf eine Sendung von Medaillen als Erwiderung eines Geschenks für die Prinzessin 50
51
Als Hinweis darauf verstehe ich die Einschränkung der Aussagen durch das Adverb oft in 1. 10 und 1. 47. Ebd., p.547,11. 74-89.
226
von Wales wartete, 52 daß er sich in der Rolle des Mr. Drapier für die wirtschaftlichen Belange Irlands engagierte, daß er der Verfasser von Gulliver's Travels, von Satiren und Spottgedichten war. - Der Hauptakzent liegt demgegenüber vor allem auf der Darstellung und Bewertung von Swifts moralischer, politischer, schriftstellerischer Persönlichkeit. Die beiden Sprecher argumentieren nicht; ihre gegensätzlichen Meinungen sind blockhaft, unvermittelt aufgereiht; es fehlen psychologisch nuancierte Beobachtungen. In den Augen des whiggistischen Dialogpartners ist Swift ein gemeiner, ungebildeter, geistloser Schreiberling, der das Eintreten für die irischen Angelegenheiten Fähigeren hätte überlassen sollen, der die Welt nicht in Ruhe gewähren ließ, sondern in seinen Satiren seine boshaften Launen austobte und seinem misanthropischen Groll Luft machte, der ohne selbst moralisch integer zu sein - seine Zeitgenossen verhöhnte und deshalb ihren Haß und ihre Feindschaft auf sich zog. Dieser Sprecher unterstellt Swift unlautere Motive, vor allem Neid und Ehrgeiz, und er bestreitet, daß es ihm je darum ging, im Bewußtsein moralischer Verantwortung die menschlichen Laster anzuprangern: His Zeal was not to lash our Crimes, But, Discontent against the Times; For, had We made him timely Offers, To raise his Post, or fill his Coffers, Perhaps he might have truckled down, Like other Brethren of his Gown, For Party he would scarce have Bled I say no more , because he's dead
:
,53
Swifts toryistischer Bewunderer hingegen zeichnet ein panegyrisches Bild des Dean: Hier wird die Gelehrsamkeit, das Genie, die Ehrenhaftigkeit Swifts gerühmt; hier wird betont, daß er öffentliches Ansehen besaß, daß man ihn gerne bei Hofe sah, daß er in den Drapier's Letters sein hohes Pflichtbewußtsein gegenüber der irischen Nation zeigte. Wenn er das Laster geißelte, dann aus moralischer Entrüstung und aus tieferer Einsicht in die menschliche Natur: "If he makes Mankind bad as Elves, "I answer, they may thank themselves; "If Vice can ever be abash'd, "It must be Ridicul'd, or Lash'd.
52
Siehe Swifts diesbezügliche Glosse ebd., p . 5 5 9 .
53
Ebd., p.549,11. 1 3 6 - 4 3 .
227
"Shou'd Vice expect to 'scape rebuke, "Because its Owner is a Duke? " Vice is a Vermin; Sportsman say "No Vermin can demand fair Play, "But, ev'ry Hand may justly slay. 54
Der ,wahre' Freund sieht in Swift nicht nur Gerechtigkeit, Humanität und Tugend verkörpert, er stellt ihn auch als vorbildlichen Staatsbürger dar, der der anglikanischen Kirche und der englischen Monarchie treu war und angeekelt von kleinlichem Parteien- und Konfessionsstreit. Von daher war er berufen, in seinen Schriften als Moralist zu wirken: "'Tis plain, "To please, "And, if he "The World "The Praise
his Writings were design'd and to reform Mankind; often miss'd his Aim, must own it, to their Shame; is His, and Theirs the Blame.55
Der character Swifts, der vom ,wahren' Freund entworfen wird, weist eine Reihe von Übereinstimmungen mit der stereotypen Apologie des Satirikers auf, für die vor allem Horaz das Vorbild lieferte. 56 Der negative character Swifts, den der whiggistische Kritiker zeichnet, entspricht in wesentlichen Punkten dem Anti-Typus, für dessen Darstellung - wie insbesondere Elkin ausführt - sich bei den Kritikern und Gegnern satirischer Dichtung ebenfalls feste Konventionen gebildet hatten, denen zufolge der Satiriker als "a Malicious, Envious, Sullen, and Ill-natur'd Person" ausgegeben wurde. 57 Beim Leser hinterläßt das Studium des Gedichts einen faden Nachgeschmack, weil das Gedicht, das sich als "The Life and Genuine Character of Doctor Swift" ausgibt, seine Erwartungen enttäuscht, indem es gerade das Biographisch-Persönliche vorenthält. Das Verfahren der Vermischung paradoxer Aussagen ist zu transparent und wird zu mechanisch verwendet, als daß es auf einen geschulten Geschmack einen ästhetischen Reiz ausüben könnte. Überdies verwirklicht Swift im zweiten Teil des Gedichts nur unzulänglich die ursprüngliche Absicht, am Beispiel des eigenen Todes den Wahrheitsgehalt der Maxime La Rochefoucaulds zu exemplifizieren: Swift beschreibt nicht die vielfältigen egoistischen Reaktionen von Freunden und Bekannten auf seinen Tod, 54 57
55 56 Ebd., p.548, 11. 115-18, 123-27. Ebd., 11. 196-200. S. o., S. 142ff. Pierre Des Maiseaux, "The Life of Monsieur Boileau Despreaux", The Works of Monsieur Boileau. Made English ... by several hands (London, 1711/12), I, p. CLVI1; zit. in Elkin, p.91. - Zum Anti-Typ des wahren Satirikers siehe Elkin, p.90ff., p.40ff.
228
sondern wählt lediglich zwei anonyme Sprecher mit stereotypen Einstellungen. Zudem ist unübersehbar, daß sich Swift - ohne ironischen Vorbehalt und ohne jegliche Selbstkritik - mit dem Eulogium des ,wahren' Freundes identifiziert, so daß das Gedicht den Eindruck der eitlen und überheblichen Selbsteinschätzung Swifts erweckt. Wenn Swift das Thema dieses Gedichts nochmals in den "Verses on the Death of Dr. Swift" aufgriff, dann wohl vor allem deshalb, weil er die Mängel des früheren Gedichts selbst bemerkte und auszumerzen suchte. — Anders als im vorigen Gedicht identifiziert sich der Autor der "Verses" von Anfang an ohne Bedenken mit dem Inhalt der Maxime La Rochefoucaulds. Diese Maxime offenbare nicht die maliziöse, zynische Mentalität ihres Verfassers, sondern einen elementaren moralischen Defekt des Menschen. Aufgrund seiner Beobachtung der menschlichen Natur sei La Rochefoucauld zu der objektiven Erkenntnis gelangt, daß sich zwischen Freunden eher "Self-love, Ambition, Envy, Pride"58 entwickelt als zwischen Menschen, die sich gleichgültig sind. Das Gedicht hat daher — anscheinend - vor allem die Aufgabe, den Leser von der Wahrheit der Erkenntnis La Rochefoucaulds zu überzeugen: If this perhaps your Patience move Let Reason and Experience prove. 59
Die Identifizierung des Autors mit La Rochefoucaulds Maxime erscheint jedoch von vornherein zu unintellektuell, zu oberflächlich und pauschal, als daß der Leser sie als vorbehaltlosen, unironischen Ausdruck der wirklichen Auffassung Swifts sehen kann. Auch der Vergleich mit dem vorigen Gedicht, in dem Swift der Maxime keineswegs uneingeschränkt zustimmt, muß zu der Vermutung führen, daß der Autor der "Verses" eine Persona Swifts ist. Hatte im vorigen Gedicht Swift die Exempel des ersten Teils weitgehend ohne direkten Bezug zur eigenen Person gewählt, so zeichnet er sich hier als paradigmatischen character und als Verkörperung des Prinzips, [that] The strongest Friendship yields to Pride, Unless the Odds be on our Side.60
Zweifellos gehört der Stolz zu den zentralen moralischen Kategorien Swifts. Dies läßt sich nicht allein an der Vielzahl der Wortbelege ablesen. Swift beschreibt und analysiert immer wieder die Erscheinungsformen des Stolzes, so etwa in den Gedichten "The Day of Judgement" (1731?), 58
Poems, II, p . 5 5 5 , 1. 41.
59
Ebd., p . 5 5 4 , 1 . l l f .
60
Ebd., 1. 37f.
229
"The Beasts' Confession to the Priest" (1732) und "On Poetry: A Rapsody" (1733), die derselben Schaffensperiode angehören wie die "Verses". Im ursprünglichen biblischen Sinn war superbia die erste der sieben Todsünden, — die zügellose Eigenliebe, das anmaßende Bewußtsein der eigenen Vollkommenheit und Größe, des Wissens und der Macht; sie war die Ursache für das Aufbegehren der Engel und des ersten Menschen gegen Gott und führte zu deren Sturz bzw. zur Vertreibung aus dem Paradies. Der biblische Ursprung der superbia- Vorstellung blieb den Moralisten des 17. und 18. Jahrhunderts geläufig, wenngleich sie in zunehmendem Maße säkularisiert wurde. In Popes Essay ort Criticism (1709) etwa erscheint pride als "the never-failing Vice of Fools" ;61 pride bestimmt den Menschen, wo es an Verstand und an Wissen mangelt; pride blendet das ohnehin defekte menschliche Urteilsvermögen, verhindert die Erkenntnis von Wahrheit: Pride, where Wit fails, steps in to our Defence,
And fills up all the mighty Void of Sense!
If once right Reason drives that Cloud away,
Truth breaks upon us with resistless Day.62
Insbesondere im Essay on Man (1733/34) handelt Pope noch einmal vom ,Stolz', modifiziert dabei jedoch sein ursprüngliches Begriffsverständnis; pride erscheint nun als jene maßlose, anmaßende Haltung, die aus dem grenzenlosen Vertrauen des aufgeklärten Menschen auf seine rationalen Fähigkeiten resultiert: In Pride, in reas'ning Pride, our error lies; All quit their sphere, and rush into the skies. Pride still is aiming at the blest abodes, Men would be Angels, Angels would be Gods. Aspiring to be Gods, if Angels fell, Aspiring to be Angels, Men rebel; And who but wishes to invert the laws Of ORDER, sins against th'Eternal Cause. 63
Pope sieht den Stolz wesentlich im Bewußtsein des Besitzes der ratio begründet, jenes Vermögens, das auf,Wissen und Vollendung abzielt',64 61
62 63 64
An Essay on Criticism, 1. 2 0 4 , in: The Poems of Alexander Pope, ed. John Butt (London, 1963), p . 1 5 0 . An Essay on Criticism, 11. 2 0 9 - 1 2 , ebd., p. 151. An Essay on Man, 1,11. 1 2 3 - 3 0 , in: Poems of Pope, p . 5 0 9 . Randglosse Popes zu An Essay on Man, I, 1. 113ff., in: Poems of Pope, p . 5 0 8 .
230
,das sich ehrfurchtslos Urteile über die Fügungen der Vorsehung anmaßt', 65 das den Menschen unglücklich und elend macht, indem es ihn zu der ,absurden' Auffassung verleitet "of conceiting himself the Final Cause of the Creation, or expecting that Perfection in the moral world which is not in the natural".66 Der Stolz führt zu einem anthropozentrischen Weltbild, der Auffassung, der Mensch sei das Maß aller Dinge, die verschiedenen Teile der Natur seien allein für den Menschen geschaffen.67 Während Pope den Begriff des pride als Philosoph und Moralist grundsätzlich reflektiert, beschreibt Swift das Phänomen des pride als satirischer Beobachter der zeitgenössischen Szene mit einem besonderen Blick für seine verschiedenen konkreten Ausformungen und seine unterschiedlichen psychologischen, intellektuellen, sozialen Motivierungen. Ähnlich wie La Rochefoucauld hegt er ein besonderes Interesse für die geheimen, nicht offen zutage liegenden Beweggründe menschlichen Verhaltens und Handelns, das Aufdecken der Täuschungen, vor allem der Selbsttäuschungen, denen wir unterliegen, und der „Hintergedanken" in der damals noch allgemein geltenden Moral ... 68 An der Art der Behandlung des Themas pride läßt sich daher exemplarisch jener Unterschied der literarischen Temperamente erkennen, den Pope selbst in seinem Brief an Swift vom 20. April 1733 definierte: I have not the courage ... to be such a Satyrist as you, but I would be as much, or more, a Philosopher. You call your satires, Libels; I would rather call my satires, Epistles: They will consist more of morality than wit, and grow graver, which you will call duller.69 Swift verwendet den Begriff pride - wie auch eine Reihe anderer moralistischer Begriffe - nicht in einer präzise definierten Bedeutung; er läßt vielmehr die Bedeutung - in der Art umgangssprachlichen Gebrauchs abstrakter Begriffe - relativ variabel. Dies wird schon am Anfang der "Verses" deutlich, wo pride einmal als der zentrale moralische Defekt des Menschen erscheint,70 zum andern aber self-love, ambition und envy nebengeordnet wird.71 Bei der Begriffsbestimmung ist man einerseits auf die Analyse des Wortfeldes angewiesen, zu dem pride gehört, vor allem aber auf die Untersuchung der Figuren, anhand derer 65 66 67
68
69
Ebd. Randglosse Popes zu An Essay on Man, I, 1. 131ff., in: Poems of Pope, p . 5 0 9 . Vgl. dazu Elwins Kommentar zu An Essay on Man, I, 1. 132, in: The Works of Alexander Pope, ed. Whitwell Elwin (London, 1871), II, p . 3 5 8 . Konrad Nußbächer, „Nachwort", in: La Rochefoucauld, Maximen und Reflexionen (Stuttgart, 1969), S. 73. 70 Poems, II, p . 5 5 4 , 1. 37. 71 Ebd., p . 5 5 5 , 1 . 41. Correspondence, IV, p. 147.
231
Swift das Laster exemplifiziert. Zu den charakteristischen Epitheta von pride zählen stubborn72 und over-wheening.7i In die Reihe inhaltlich verwandter Begriffe, die immer wieder im unmittelbaren Kontext zu finden sind, gehören: insolence,74 spleen,75 vain Magnificence,76 dullness,77 conceit,79 envy,79 ambition*0 ignorance,81 falsehood,82 vanity,83 Swift verspottet den schriftstellernden Dean Smedley als "ρί Dullness, Pride, Conceit, a medley", 84 er mokiert sich über die bornierte Geistlichkeit, die im Kaffeehaus "Tobacco, Censure, Pride, and Port" huldigt, 85 er entrüstet sich über die Dichterlinge, die von Ruhmsucht — " Young's universal Passion, Pride"86 - angetrieben werden. Insofern als der Autor der "Verses" die Maxime La Rochefoucaulds uneingeschränkt bejaht, kann er selbst nicht in der Rolle des intellektuell überlegenen und integren Moralisten auftreten. Folgerichtig zeichnet er sich selbst als Exempel des Stolzes, vor allem im Hinblick auf seine schriftstellerische Haltung. Die Selbstdarstellung erhält dadurch eine besondere Pikanterie, daß hier auf tatsächliche Freundesbeziehungen Swifts angespielt wird: In POPE, I cannot read a Line, But with a Sigh, I wish it mine: When he can in one Couplet fix More Sense than I can do in Six: It gives me such a jealous Fit, I cry, Pox take him, and his Wit. WHY must I be outdone by GAY, In my own hum'rous biting Way? ARBUTHNOT is no more my Friend, Who dares to Irony pretend; Which I was born to introduce, Refin'd it first, and shew'd its Use. ST. JOHN, as well as PULTNEY knows, That I had some repute for Prose; And till they drove me out of Date, Could maul a Minister of State: If they have mortify'd my Pride, And made me throw my Pen aside; 72 74 75 78 81 84
Ebd., Ebd., Ebd., Ebd. Ebd., Ebd.,
232
73 I, p. 121, 1. 53. Ebd., II, p.448,1. 124. I, p. 172,1. 56; II, p.617,1. 3; III, p. 950, 1. 11. I, p. 199; III, p.799, 1. 8. 76 Ebd., II, p.378, 1.102. 77 Ebd., p.455, 1. 2. 79 80 Ebd., p.555,1. 41; p.725, 1. 49. Ebd., p.555, 1.41. 82 83 III, p.794, 1. 99. Ebd., p.799, 1. 8. Ebd., p.915, 1. 24. 85 86 II, p.455,1. 2. Ebd., I, p. 194, 1.22. Ebd., II, p.640,1. 3.
If with such Talents Heav'n hath blest 'em Have I not Reason to detest 'em? 8 7
Wenn Swift die literarischen Freunde erwähnt, die sich ehemals im Scriblerus Club zusammengetan hatten und denen Swift bis ins hohe Alter freundschaftlich zugetan war, so bewirkt dies weniger den Eindruck der Authentizität des Selbstportraits, als den eines ironischen Spiels mit autobiographischen Bezügen. Das Bildnis Swifts im Prooemium ist so offensichtlich als Karikatur bzw. als satirischer character angelegt, daß es weder den Zeitgenossen noch den späteren Kritikern je einfiel, diesem „Selbstportrait" autobiographische Bedeutung beizumessen. Swift nimmt hier eine stereotype Pose ein, die des neidischen, ehrgeizigen Schreiberlings. Das literarische Verfahren ähnelt somit stark demjenigen seines Gedichts "On Poetry: A Rapsody" (1733), das ebenfalls aus der Perspektive eines scribbler, eines ,alten, erfahrenen Sünders'88 verfaßt ist. Swifts Persona ist bestimmend für das Verständnis des ganzen Gedichts: Die "Verses" sind konzipiert aus der Perspektive eines von ,Stolz' beherrschten Schreiberlings, der sich die Rolle des seriösen Moralisten anmaßt, der in grotesker Fehleinschätzung der eigenen Würde und Kompetenz mit rhetorischem Pathos die Menschheit eines Lasters anklagt, für das er selbst das Paradigma abgibt: Vain human Kind! Fantastick Race! Thy various Follies, who can trace? 8 9
In der Persona Swifts wird die traditionelle Rolle des Satirikers und Moralisten ironisch invertiert. Der fiktive Autor ist jedoch keineswegs durchgehend ein schablonenhafter Antityp, sondern weithin auch ein kompetenter, scharfsichtiger Beobachter der menschlichen Realität, der als Sprachrohr für die kritischen Auffassungen Swifts dient. Die Paradoxic seines Wesens macht den Reiz des literarischen Spiels der "Verses" aus; sie provoziert den Leser zur Reflexion über den Wahrheitsgehalt der Maxime und regt ihn zu kritischer Urteilsbildung an. In den Versen 73 bis 298 stellt sich der Autor die Reaktionen der Freunde auf die geistigen und körperlichen Gebrechen seines Alters, vor allem aber auf seinen Tod vor. Der Gedanke an das eigene Ende führt im Gegensatz zur Tradition christlicher Dichtung — nicht zur Selbstbesinnung und zur Reflexion über die letzten Dinge, sondern wird zum Anlaß, eitel über das eigene weltliche Image und den Nachruhm zu sinnieren. Die moralistische Intention, die Wahrheit der Maxime La 87
Ebd., p.555, 11. 47-66.
88
Ebd., p.642, 1. 75.; s. o„ S. 111.
89
Ebd., p.555, 1. 39f.
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Rochefoucaulds zu illustrieren, erweist sich als ein Vorwand, einmal mit den diversen „Freunden" abrechnen zu können. Es entsteht ein gehässiges Gruppenbild der zeitgenössischen Gesellschaft, dem Swift - da er es aus der Perspektive seiner Persona zeichnet - zwar formal die Schärfe direkter persönlicher Angriffe nimmt, das aber auch in dieser Form noch genug satirische Aggression enthält; denn Swift bedient sich der Persona gerade auch deshalb, weil er seinem persönlichen Groll gegen bestimmte Zeitgenossen und Mißstände, durch seine ,Maske' geschützt, Luft machen will. Nicht zuletzt ist dies erkennbar an den bissigen, kommentierenden Anmerkungen, die er selbst dem Gedicht beifügte. In den Augen der Freunde erscheint der Dean of St. Patrick's als greisenhaft, kränklich, vergeßlich, senil, literarisch unproduktiv und aus der Mode gekommen: FOR Poetry, he's past his Prime, He takes an Hour to find a Rhime: His Fire is out, his Wit decay'd, His Fancy sunk, his Muse a Jade. I'd have him throw away his Pen; But there's no talking to some Men. 9 0
Mit Aufmerksamkeit verfolgt man den Verfall des Dean; man legt Besorgnis und Anteilnahme an den Tag, hinter denen die Heuchelei förmlicher Höflichkeit und die kurzsichtige, egoistische Erwägung steht: "It is not yet so bad with us". 91 Alle diese Freunde sind selbstbezogen, unsozial, befangen in den kleinlichen Belangen des Lebens, beherrscht von Standesdünkel oder politischen Interessen, auf materielle Güter erpicht, vom Neid und vom Geiz besessen. - Die Ärzte sind darauf bedacht, ihr Ansehen zu wahren, indem sie den Tod des Dean auf dessen sture Weigerung zurückführen, ihren Anweisungen zu folgen. - Königin Caroline, ironisch mit den stereotypen panegyrischen Epitheta "Gracious, Mild, and Good" 92 bedacht, erweist sich als eine geizige Person, für die der Tod Swifts nicht mehr als die Befreiung von einer lästigen Pflicht bedeutet: "He's dead you say; why let him rot; "I'm glad the Medals were forgot. "I promis'd them, I own; but when? "I only was the Princess then; "But now as Consort of the King, " Y o u know 'tis quite a different Thing. 93 90 93
91 92 Ebd., p.556,11. 99-104. Ebd., p.557, 1. 116. Ebd., p.559, 1. 181. Ebd., p.559f., 11. 183-88; siehe dazu auch Swifts eigene Randglosse, ebd.
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Francis Charteris, in Swifts Anmerkungen als ,infamer, niederträchtiger Schurke', als ,Kuppler, Schmeichler, Informant' apostrophiert, 94 zeigt bei Walpoles Lever nichts anderes als spöttelnden Zynismus: "Why, is he dead without his Shoes?" 9 5 Sir Robert selbst bedauert nur, daß ihm der Tod keinen politisch bedeutenderen Gegner aus dem Weg geräumt hat, — etwa William Pulteney, seinen abtrünnigen Intimus und jetzigen Herausgeber des toryistischen Craftsman96 oder gar den genialen und noch immer gefürchteten Oppositionspolitiker Bolingbroke. 97 Der infame Buchhändler Curll versucht, aus Swifts Tod finanziellen Nutzen für sich zu ziehen: nicht nur erdreistet er sich, einige verstaubte, minderwertige Manuskripte von Theobald, Moore und Cibber überarbeiten zu lassen, um sie dann als Swifts Nachlaß herauszugeben; er veröffentlicht auch fingierte Privatdokumente Swifts, "my Will, my Life, my Letters". 9 8 - Für die Vertreterinnen des zarten Geschlechts schließlich liefert Swifts Tod den Stoff für das geistlose Geschwätz beim QuadrilleSpiel. — Selbst die besten Freunde trauern nicht lange: Poor POPE will grieve a Month; and GAY A Week; and ARBUTHNOTT a Day. ST. JOHN himself will scarce forbear, To bite his Pen, and drop a Tear. The rest will give a Shrug and cry, I'm sorry; but we all must dye. Indifference clad in Wisdom's Guise, All Fortitude of Mind supplies: For how can stony Bowels melt, In those who never Pity felt; When We are lash'd, They kiss the Rod; Resigning to the Will of God." Ein Jahr danach ist der Autor Swift vergessen; Lintot, der Buchhändler, erinnert sich kaum noch; andere Namen und Werke sind inzwischen aktuell: die neueste Geburtstagsode des Poeta Laureatus Colley Cibber auf den König, ein Preisgedicht des Landarbeiters Stephen Duck auf die Königin, ein anonymer, säuberlich geschriebener Brief gegen den Craftsman und gegen Bolingbroke, ein Pamphlet zur Rechtfertigung der Politik Walpoles, die neueste Predigt des geschäftstüchtigen Reverend John Henley, schließlich die zwölfte Auflage der Discourses des Freidenkers Thomas Woolston. 1 0 0 94 97 98
Ebd., p.560. 95 Ebd., 1. 191. 96 Siehe ebd., 1. 194, und Swifts Randglosse dazu. Siehe ebd., 1. 196, und Swifts Randglosse dazu. 99 Ebd., 11. 207-18. 100 Siehe ebd., p.562,1. 243ff. Ebd., p.561, 1. 202.
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Es hieße das literarische Raffinement Swifts unterschätzen, wollte man annehmen, daß er im Anschluß an die sarkastische, teilweise recht persönliche Satire des Mittelteils ein idealisierendes, panegyrisches Selbstportrait - sei es auch aus didaktischen Erwägungen - bringt. Swift lehnt nicht nur grundsätzlich panegyrische Dichtung ab, er leitet den Schlußteil des Gedichts (11. 307-484) in einer Weise ein, die starke Zweifel an der Objektivität der Darstellung wecken muß: SUPPOSE me dead; and then suppose A Club assembled at the Rose; Where from Discourse of this and that, I grow the Subject of their Chat: And, while they toss my Name about, With Favour some, and some without; One quite indiff'rent in the Cause, My Character impartial draws. 101
Die Rose war eine von Dirnen und Poetastern bevorzugte, berüchtigte Taverne, gleich neben dem Theatre Royal, an der Ecke von Bridge Street und Russell Street, " . . . where Punks in numbers flock / To pick up Cullies, to increase their Stock". 102 Die sicherlich eindrucksvollste Darstellung dieses Lokals findet sich bei Hogarth auf der dritten Platte von The Rake's Progress. - Der Club, der sich dort versammelt hat, 103 pflegt eine flache Konversation: die Gesprächsthemen wechseln willkürlich, zu Swifts Person gibt es nur sporadische, widersprüchliche Meinungen. Swift selbst disqualifiziert dieses Gespräch als "chat". So ist von vornherein auch ausgeschlossen, daß eins der geschwätzigen Mitglieder dieses Herrenzirkels kompetent genug ist, ein ,objektives' Charakterbild Swifts zu zeichnen. 104 101
Ebd., p.565, 11. 2 9 9 - 3 0 6 . Joseph Addison, "The Play-House", Poems on Affairs of State. Augustan Satirical Verse, 1660-1714, ed. Frank H. Ellis (New Haven and London, 1970), VI, p.31; den Hinweis auf Addisons Gedicht entnehme ich P. J. Schäkel, "The Politics of Opposition in 'Verses on the Death of Dr. Swift'", Modern Language Quarterly, 35 (1974), p. 247 (note). 103 Zum Phänomen der Kaffeehausgesellschaften im London des frühen 18. Jahrhunderts siehe R. J. Allen, The Clubs of Augustan London (Cambridge: Mass., 1933). 104 In seinem Aufsatz "The Politics of Opposition in 'Verses on the Death of Dr. Swift'" befaßt sich Schäkel mit der Persönlichkeit und der Funktion von Swifts Lobredner und identifiziert ihn als engagierten Anhänger toryistischer Politik. Aus dessen Sicht erscheint Swift als idealer Repräsentant der Werte, für die die Opposition eintrat. Schäkel interpretiert die Rede des Tory zurecht als ein Stück politischer Propaganda (vgl. dazu insbesondere p.255). Doch scheint es mir nicht gerechtfertigt, Swifts character im Schlußteil der "Verses" einseitig von der politischen Perspektive her zu interpretieren, da allgemeine moralistische und literaturkritische Fragestellungen überwiegen. 102
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Das panegyrische Portrait Swifts im dritten Teil der "Verses" entspringt - formal betrachtet — der Vorstellungskraft von Swifts Persona; es stellt deren Versuch dar, sich das Image des moralisch integren, altruistischen, verantwortungsbewußten, jedoch verkannten Satirikers, Staatsbürgers und Geistlichen zuzulegen und sich damit den Nachruhm zu sichern. Zunächst nennt der Sprecher, der nach seiner toryistischen, irischpatriotischen und konservativ-literarischen Grundeinstellung dem Lobredner Swifts in "The Life and Genuine Character" verwandt ist, das Streben nach Freiheit als den wichtigsten politischen Grundsatz SwlftS=
"Fair LIBERTY was all his Cry; "For her he stood prepar'd to die; "For her he boldly stood alone; "For her he oft expos'd his own. 1 0 5
Er spielt darauf an, daß man 1713 nach der Veröffentlichung von The Publick Spirit of the Whiggs eine Belohnung von £ 300 für einen Hinweis ausgesetzt hatte, der zur Einkerkerung des anonymen Pamphletisten führte; und er erinnert sich, daß 1724 Lord Carteret, der Lord Lieutenant of Ireland, es mit demselben Mittel vergeblich versuchte, des Verfassers von The Drapier's Fourth Letter habhaft zu werden.106 Es wird darauf hingewiesen, daß Swift in den letzten Monaten der Herrschaft Queen Annes angestrengt versuchte, die beiden verfeindeten Minister Oxford und Bolingbroke zu versöhnen, um die Tory-Regierung zu retten: "He labour'd many a fruitless Hour " T o reconcile his Friends in Power; "Saw Mischief by a Faction brewing, "While they pursu'd each others Ruin. "But, finding vain was all his Care, "He left the Court in meer Despair. "WITH Horror, Grief, Despair the Dean "Beheld the dire destructive Scene: "His Friends in Exile, or the Tower, "Himself within the Frown of Power; "Pursu'd by base envenom'd Pens, "Far to the Land of Slaves and Fens; " A servile Race in Folly nurs'd, "Who truckle most, when treated worst. 107 105 107
1 0 6 Vgl. dazu Swifts Randglosse, ebd., p.566f. Poems, II, p. 5 6 6 , 11. 3 4 7 - 5 0 . Poems, II, p. 5 6 7 , 11. 3 6 5 - 7 0 ; p. 5 6 8 , 11. 3 9 1 - 9 8 .
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Der Sprecher bringt in Erinnerung, daß sich Swift in der Einsamkeit seines Dubliner Exils selbstlos der irischen Bevölkerung annahm, etwa in seinem literarischen Feldzug für die wirtschaftliche Unabhängigkeit der irischen Wollmanufaktur in den Drapier's Letters108 oder auch gegen Wood's Halfpence: " T H E Dean did by his Pen defeat " A n i n f a m o u s destructive Cheat. " T a u g h t Fools their Int'rest h o w to k n o w ; " A n d gave them Arms to ward the Blow. " E n v y hath o w n ' d it w a s his doing, " T o save that helpless L a n d from Ruin, "While they w h o at the Steerage stood, " A n d reapt the Profit, sought his B l o o d . 1 0 9
Swifts Leistungen erscheinen hier in der Art konventionellen panegyrischen Lobs so sehr superlativisch überzeichnet, Swift so eindeutig zum Helden stilisiert, daß man diesen Teil des Gedichts nicht anders als eine Parodie auf die panegyrische Dichtung verstehen kann. - Das parodistische Element ist nicht weniger deutlich in den nachfolgenden Abschnitten ausgeprägt, in denen Swift als optimistischer, moralisch hochstehender, sendungsbewußter Satiriker erscheint, ganz im Sinne der konventionellen Apologie, damit aber auch im Sinne der vorherrschenden SatireKonzeption des Klassizismus: 110 " A s with a moral View design'd " T o cure the Vices of M a n k i n d : " H i s Vein, ironically grave, " E x p o s ' d the Fool, a n d lash'd the Knave: " T o steal a Hint w a s never known, " B u t what he writ w a s all his own. " P E R H A P S I may allow, the Dean " H a d too much Satyr in his Vein; " A n d seem'd determin'd not to starve it, " B e c a u s e no A g e could more deserve it. " Y e t , Malice never w a s his Aim; " H e lash'd the Vice but spar'd the N a m e . " N o Individual could resent, "Where T h o u s a n d s equally were meant. " H i s Satyr points at no Defect, " B u t what all M o r t a l s may correct; 108 110
Vgl. dazu Swifts Randglosse, ebd., p. 569. Zur Apologie des Satirikers s. ο., S. 142ff.
238
105
Poems, II, p. 569,11. 407-14.
"For he abhorr'd that senseless Tribe, "Who call it Humour when they jibe: "He spar'd a Hump or crooked Nose, "Whose Owners set not up for Beaux. "True genuine Dulness mov'd his Pity, "Unless it offer'd to be witty. "Those, who their Ignorance confess'd, "He ne'er offended with a Jest; "But laugh'd to hear an Idiot quote, " A Verse from Horace, learn'd by Rote. 111
Wie bereits festgestellt wurde, 112 ist Swifts character kaum mehr als eine schematische Reihung geläufiger Topoi, was sich leicht demonstrieren läßt. - Dryden stellte optimistisch im Hinblick auf die Wirksamkeit satirischer Dichtung fest, "[that] the true end of Satyre, is the amendment of Vices by correction"; 113 und Defoe vermerkte in ähnlicher Weise, "[that] the End of Satire is Reformation". 114 - Es herrschte die Auffassung vor, daß die auf allgemeine menschliche Defekte gerichtete Satire der persönlichen Satire vorzuziehen sei; dieser Grundsatz steht hinter Addisons programmatischer Feststellung, never to draw a faulty Character which does not fit at least a Thousand People; or to publish a single Paper that is not written in the Spirit of Benevolence and with a Love to Mankind. 115
Dasselbe Prinzip ist im Kommentar Hogarths zu seiner Modern Conversation ausgedrückt:
Midnight
Think not to find one meant Resemblance there; We lash the Vices but the Persons spare.116
Mit der Behauptung, der Dean habe trotz seiner umfassenden Belesenheit nie Anleihen bei anderen Autoren gemacht und sei ein durch und durch originaler Autor gewesen, führt sich Swifts Persona selbst ad absurdum;117 denn diese Behauptung ist nichts anderes als ein leicht verändertes Zitat aus John Denhams Gedicht "On Mr. Abraham Cowley, His Death and Burial amongst the Ancient Poets" (1667), in dem es heißt: 112 S. o., S. 2 1 9 . Poems, II, p . 5 6 5 , 11. 3 1 3 - 1 8 ; p . 5 7 1 , 11. 4 5 5 - 7 4 . John Dryden, " T o the Reader", Absalom and Achitopbel, in: The Poems and Fables of John Dryden, ed. James Kinsley (London, 1958), p. 189. 114 Daniel Defoe, "The Preface", The True-Born Englishman, in: The Shakespeare Head Edition of the Novels and Selected Writings of Daniel Defoe, I, p. 29. 115 The Spectator, No. 34, 9 April 1711, I, p. 145. 116 Hogarth's Graphic Works, ed. Ronald Paulson (New Haven and London, 1965), II, no. 134. 117 Poems, II, p . 5 6 5 , 1. 317f. 111
113
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To him no Author was unknown, Yet what he wrote was all his own.118 Um eine Anleihe handelt es sich schließlich auch bei dem Zugeständnis, der Dean habe wohl ein zu starkes satirisches Temperament gehabt. Die Vorlage dafür ist ohne Zweifel der Anfang des zweiten Buchs der Satiren des Horaz: "Sunt quibus in satura videor nimis acer et ultra / legem tendere opus." 119 Überdies fällt auf, daß verschiedene der in Swifts character genannten Prinzipien im eklatanten Widerspruch zu dem tatsächlichen Verfahren in den "Verses" stehen: Das Gedicht enthält eine Fülle von Hinweisen und Anspielungen auf historische Personen und konkrete Zeitumstände; es grenzt oft genug an maliziöse, hämische Invektive; es beschreibt ein menschliches Grundübel ohne die Absicht,,heilend' bzw. Reformierend' zu wirken; es ist - insgesamt betrachtet - eine Manifestation von "Selflove, Ambition, Envy, Pride". Wie bereits im VII. Kapitel ausführlich dargelegt wurde, war Swift zu sehr Empiriker und Skeptiker, als daß er die optimistischen Auffassungen seiner Zeitgenossen vom moralischen Nutzen und von der heilenden Wirkung der Satire hätte uneingeschränkt teilen können, und er hatte starke Vorbehalte gegenüber den Topoi aus der konventionellen Apologie des Satirikers. - In den "Verses" führt er diese konventionellen und modischen Gemeinplätze ad absurdum und entlarvt das literarische Image, das man sich als Satiriker und Moralist zu geben pflegte, als eine selbstgefällige und eitle Pose. Mag sich Swift mit dem ironischen Eulogium am Ende der "Verses" auch hauptsächlich gegen die Mentalität satirischer Scribbler wenden, so liefert er hier jedoch zweifellos auch eine grundsätzliche Stellungnahme; in ihr wird auch ersichtlich, wie stark er sich in seinen Auffassungen über das Wesen und die Zielsetzungen des Satirikers von seinem Freund Pope unterschied. Das unterschiedliche Selbstverständnis wird besonders deutlich im Vergleich mit Popes "Epistle to Dr. Arbuthnot", die in den Jahren 1731 bis 1734 - also nach Swifts "Verses" - entstand und 1735 veröffentlicht wurde. Den konkreten und persönlichen Anlaß zu Popes "Epistle" lieferten zwei gehässige lampoons, deren Verfasser Lord Hervey und Lady Mary 118
119
The Poetical Works of Sir John Denham, ed. Theodore H. Banks, 2nd ed. (London, 1969), p. 148, 1. 29f. Auf diese Entlehnung machte zuerst Barry Slepian, p . 2 5 5 , aufmerksam. Vgl. dazu auch "A Dialogue between an eminent Lawyer and DR. SWIFT ..., being an allusion to the first Satire of the second book of HORACE" (1730), 1. If.: "Since there are persons who complain / There's too much satire in my vein..." [Poems, II, p.489],
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Wortley Montagu waren. Pope konzipiert seine Epistel jedoch nicht als direkte persönliche Erwiderung und Verteidigung; er definiert in ihr vielmehr grundsätzlich und selbstbewußt seine Rolle als Moralist und Satiriker.120 Zwar stellt er sich als das hilflose Opfer des Angriffs infamer Schreiberlinge dar, zwar bezieht er sich auf persönliches Erleben, auf zeitgenössische Personen und Ereignisse, doch zeichnet er kein individualisiertes Selbstporträt, sondern ein idealisiertes Bildnis: Er gibt sich als Weltweiser, Philosoph und Dichter, in dem Gelehrsamkeit und Geschmack, Verstand und Moral gleichermaßen harmonisch vereinigt sind, der — erzürnt über die menschliche Dummheit und Tugendlosigkeit — sich aufgerufen fühlt, die Menschen zu belehren und zu bessern. Von daher gibt er auch dem ernsten Argument den Vorzug gegenüber den burlesken und kapriziösen Erfindungen des wit. Insofern als Popes character moralische und literarische Normen in hervorragender Weise verkörpert und in betontem Gegensatz zur menschlichen Umwelt steht, sind freilich der figurhaften Selbstdarstellung in der Dichtung recht enge Grenzen gesetzt. Und es verwundert nicht, daß Pope seine Funktionen als Moralist und Satiriker vor allem im Bild des Lehrers und des Arztes umschreibt. Eine vergleichbare ernste Selbstdarstellung Swifts gibt es nicht. Swift war nicht in der Lage, das alte Rollenverständnis des Satirikers und Moralisten zu übernehmen, und er konnte es auch nicht durch ein verbindliches neues ersetzen. So beschränkte er sich im wesentlichen darauf, das alte in Frage zu stellen. Diese Absicht verwirklicht er in den "Verses" dadurch, daß er seine vom ,Stolz' beherrschte Persona mit einer Reihe autobiographischer Züge ausstattet, aufgrund derer die Persona dem wirklichen Swift teilweise zum Verwechseln ähnlich wird. Indem er diesen durchgehend negativen, realistisch gezeichneten character mit seinem „literarischen" Idealbild kontrastiert, entwertet er das Idealbild und damit zugleich das konventionelle Rollenverständnis des Satirikers und Moralisten. Seinem Selbstverständnis entsprechend steht Swift nicht außerhalb oder über der Wirklichkeit, die er beobachtet, analysiert, kritisch darstellt, sondern er sieht sich als Teil von ihr. Wie in seinen späteren 120
Neuere Interpretationen zu diesem Gedicht: Lillian Feder, "Sermo or Satire: Pope's Definition of his Art", Studies in Criticism and Aesthetics 1660-1800, ed. Howard Anderson (Minneapolis, 1967), pp. 128—39; J. Paul Hunter, "Satiric Apology as Satiric Instance: Pope's 'Arbuthnot'", JEGP, 68 (1969), pp. 6 2 5 - 4 7 ; U . C . Knoepflmacher, "The Poet as Physician: Pope's 'Epistle to Dr. Arbuthnot'", MLQ 31 (1970), pp.440—49; Julie B. Klein, "TTie Art of Apology: 'An Epistle to Dr. Arbuthnot' and 'Verses on the Death of Dr. Swift'", Costerus, 2 (1972), p p . 7 7 - 8 7 .
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Dichtungen mit zunehmender Deutlichkeit hervortritt, versteht er sich nicht als Weltweiser und Lehrer, der - im Besitz unverbrüchlicher Wahrheit — daran glaubt, die Menschen in ihrem Denken, in ihren Haltungen und Verhaltensweisen grundlegend verändern oder gar reformieren zu können. Eher könnte man ihn einen Provokateur nennen, der es darauf anlegt, seine Leser durch Ironie, Spott, Zynismus, wütendes Gelächter aus geistiger Lethargie zu wecken und sie zu verunsichern, ihnen neue, ungewohnte Perspektiven auf die Wirklichkeit zu eröffnen und sie so zu kritischer Reflexion und zu verstärktem Erkenntnisbemühen anzuregen. Gewiß ist hierin eine der wichtigsten Ursachen für die Faszination zu sehen, die Swifts Persönlichkeit und Werk bis zum heutigen Tag bewahrt hat.
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Literaturverzeichnis
I. Ausgaben der Werke Swifts The Poems, ed. Harold Williams, 3 vols., 2nd ed. (Oxford, 1966). Collected Poems, ed. Joseph Horrell, 2 vols. (London, 1958). The Prose Works, ed. Herbert Davis, 14 vols. (Oxford, 1937-68). I. A Tale of a Tub with Other Early Works 1696-1707. II. Bickerstaff Papers and Pamphlets on the Church. III. The Examiner and Other Pieces Written in 1710—11. IV. A Proposal for Correcting the English Tongue. Polite Conversation, Etc. V. Miscellaneous and Autobiographical Pieces. Fragments and Marginalia. VI. Political Tracts 1711-1713. VII. The History of the Four Last Years of the Queen. VIII. Political Tracts 1713-1719. IX. Irish Tracts 1720-1723 and Sermons. X . The Drapier's Letters and Other Works 1724-1725. XI. Gulliver's Travels 1726. XII. Irish Tracts 1728-1733. XIII. Directions to Servants and Miscellaneous Pieces 1733—1742. XIV. Index, Addenda, Errata, Corrigenda. The Correspondence, ed. Harold Williams, 5 vols. (Oxford, 1963-72). The Journal to Stella, ed. Harold Williams, 2 vols. (Oxford, 1948). A Tale of a Tub, To which is added The Battle of the Books and The Mechanical Operation of the Spirit, ed. A. C. Guthkelch and D. Nichol Smith, 2nd ed. (Oxford, 1958).
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Budgell, Eustace 180 Butler, Samuel 22, 87 "Cadenus and Vanessa" 24, 30, 93, 153, 190, 195 "Cantata, A" 95f. Caroline of Anspach, Gemahlin Georgs II. 121f., 226f., 234 Carteret, John, Earl Granville, Lord Lieutenant of Ireland 187, 237 "Cassinus and Peter" 35, 153, 183-87 Charles I, King 129 Charles II, King 130 Charteris, Francis 172, 235 Chaucer, Geoffrey 53 Cibber, Colley 11, 235 Cicero, Marcus Tullius 182 "Clad all in Brown" 98 Coleridge, Samuel Taylor 15, 23 Congreve, William 45f., 135, 154 Cotton, Charles 66f., 69-71 Cowley, Abraham 1,33,37ff.,48,72,156,239 Cowper, William 98 Curll, Edmund 194, 235 D'Anvers, Caleb (pseud.) 145 "Day of Judgement, The" 8,146,217, 229 "Dean's Reasons for not Building at Drapier's Hill, The" 138 Decency 180f. Defoe, Daniel 148, 239 Delany, Patrick 19f., 56, 89f., 136, 140, 203, 210, 221 Denham, John 86, 239 Dennis, John 63, 117f. Description 13, 21, 60-68, 73, 76, 83, 87, 94, 157, 164f., 175 "Description of a City Shower, A" 27, 34, 51, 64, 71-84, 98 "Description of a Salamander, A" 10, 89 "Description of the Morning, A" 10, 13, 21, 27, 34, 51, 64, 65-71
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Des Maiseaux, Pierre 228 "Dialogue between an Eminent Lawyer and Dr. Swift, A" 142, 240 Dionysios von Halikarnaß 39 "Directions for a Birth-day Song" 95 Discourse Concerning the Mechanical Operation of the Spirit, A 95 "Doctor Delany on the Libels, To" 205f. Donne, John 22, 167f., 173 Dorset, Charles Sackville, Earl of 22 Drapier's Letters, The 1, 227, 237f. "Dr. Swift to Mr. Pope" 137 Dryden, John l l f . , 29, 42, 46, 52-56, 6 0 - 6 3 , 72-78, 81-83, 85, 89, 117-19, 125-27, 130, 146, 148, 157, 239 Duck, Stephen 235 Echlin, John 95f. Epikur 156 "Epistle to a Lady, An" 93f., 132, 143, 145, 147-50, 217 "Epistle upon an Epistle, An" 89f. Epitheta 85, 87 "Excellent New Ballad, An" 172 Familiar style 13, 24, 97f. Faulkner, George 17f., 216 Fenton, Elijah l l f . , 22 Fielding, Henry 79, 127, 182 "First of April, The" 113 Flecknoe, Richard 127 Floyd, Biddy 186 Ford, Charles 144, 147, 150 Fracastoro, Girolamo 160 Frederic Lewis, Prince of Wales 121f. "Furniture of a Woman's Mind, The" 129, 153 Gay, John 5, 32, 112, 232 Geistlichkeit 58f., 204-07 George II, King 121f. Geree, John 204 Gildon, Charles 100 Goldsmith, Oliver 22 Good-nature 182f. Gulliver's Travels 1, 34, 94, 115, 124, 147f., i n Harley, Robert. Siehe Oxford Hazlitt, William 15, 26f. Henley, John 235 Hervey, John, Lord 240 Hints towards an Essay on Conversation 128
258
Hobbes, Thomas 49f., 119f. Hogarth, William 68f„ 81, 103, 164f., 184, 236, 239 Holyhead Journal 140 "Horace, Lib. 2. Sat. 6. Part of it Imitated" 96f., 142, 207-10 Horaz, Quintus Horatius Flaccus 14f., 19, 27, 39, 85f., 114, 117, 142-44, 148, 187, 199-201, 207-09, 228, 240 Horaz-Imitationen 36, 142-44, 187, 199-210 Hughes, John 64f., 70 Humour 130f., 133ff. Hunter, Robert 34, 101 Huxley, Aldous 169 "In Sickness" 197 Invention 132 Jeffrey, Francis 24f. Jenney, Henry 139, 206 "Jeux D'Esprit of the Scriblerus Club" 140 Johnson, Esther 35, 186, 188-96 Johnson, Samuel 3, l l f . , 18, 22, 85, 110 Jonson, Ben, 160 "Journal, The" 136, 138 "Journal of a Modern Lady, The" 153 Journal to Stella, The 71, 73, 75f., 153, 188, 200, 206 Juvenal, Decimus Iunius Iuvenalis 14, 72, 143 Kendall, John 37 King, William 215f. Kneller, Godfrey 159 La Bruyere, Jean de 127, 136 "Lady's Dressing Room, The" 153, 155, 168f., 175, 178, 184 Lansdowne, George Granville, Lord 106, 159f. La Rochefoucauld, Francois Due de 133, 215, 219-25, 228f., 231, 233f. Le Bossu, Rene 63, 117-19 "Left-handed Letter to Dr. Sheridan, A" 139 "Legion Club. A Character, Panegyric, and Description of the" 145, 164 Letter concerning the Sacramental Test 38 Letter of Advice to a Young Poet 85, 88, 212 Letter to a Young Gentleman, Lately Enter'd into Holy Orders 38, 85, 183 Letter to a Young Lady, on Her Marriage 177, 183, 190
Lewis, Erasmus 201 "Life and Genuine Character of Doctor Swift, The" 197, 216, 223-29 Lintot, Bernard 115f., 235 Locke, John 50, 131f. Longinus 91f., 157 "Lord Harley, on his Marriage, To" 186 "Love Song in the Modern Taste, A" 98, 173, 185f. Macaulay, Thomas Babington 119 Madness 50, 106-09, 124, 147, 155 Milton, John 77, 89, 119, 160, 165 Miscellanies in Prose and Verse 2, 17, 32 Modest Proposal, A 1 Montagu, Lady Mary Wortley 240f. Montaigne, Michel de 110 Moore Smythe, James 235 "Mr. Congreve, To" 45-48, 97 "Mr. Delany, To" 2, 86, 130-34 "Mrs. Biddy Floyd, To" 186 Mulgrave, John Sheffield, Earl of. Siehe Buckingham Musikalische Versgestaltung 95f. "My Lady's Lamentation and Complaint against the Dean" 138 Newton, Isaac 24 "Occasioned by Sir William Temple's Late Illness and Recovery" 48f., 124 "Ode to Dr. William Sancroft" 44f., 124 "Ode to the Athenian Society" 8, 43f. "Ode to the King, On his Irish Expedition" 41f. Oldham, John 22 "On Censure" 147 "On Cutting down the Old Thorn" 98, 140 "On his Own Deafness" 197 "On Poetry: A Rapsody" 8f., 34, 86f., 90, 92, 100, 109-23, 212, 217, 230, 233 "On Stella's Birth-day" (1719) 35, 190-193 On the Death of Mrs. Johnson [Stella] 189f. "On the Little House by the Church Yard of Castleknock" 140 Orrery, John Boyle, fifth Earl of 12, 14, 18f., 21, 143f., 187, 215 Orwell, George 169f. Otway, Thomas 101 Ovid, Publius Ovidius Naso 51-57, 61f., 64, 77, 89, 153-55
Oxford, Robert Harley, first Earl of 187, 199-204, 208-10, 213, 226, 237 "Panegyrick on the Dean, A" 197f. "Panegyric on the Reverend D - η S - 1 , A" 36, 197f., 210-14 Panegyrische Dichtung 22, 33, 41ff., 90, 94, 103-05, l l l f . , 117, 120-23, 139, 145, 194, 210-23, 226f„ 234, 236-38 Parnell, Thomas 22, 89, 163f., 180 "Part of the Seventh Epistle of the First Book of Horace Imitated" 199-204 Parvisol, Isaiah 202 Pastoraldichtung 13, 102, 108, 173, 175, 177f., 184-87 Percy, Lady Elizabeth 205 Perrault, Charles 118f. Peterborough, Charles Mordaunt, third Earl of 187 Philips, Ambrose 100 Pilkington, Matthew 173 Pindarische Oden 11, 33, 37ff., 128 "Place of the Damn'd, The" 8, 148f. Poetic diction 23, 85ff., 94f. Polite Conversation 130 Pope, Alexander 2, 5, 10, 13-15, 20, 25, 29, 32, 94, 101f., 107, 110, 112, 121, 123, 127, 133, 137f., 140, 144, 148, 167f., 173, 215f., 223f., 230-32, 235, 240f. Pride 212, 229-32 Prior, Matthew 5, 22, 52, 71, 98 "Progress of Beauty, The" 35, 151, 153, 158-65 "Progress of Love, The" 153, "Progress of Poetry, The" 107 Proposal for Correcting, Improving and Ascertaining the English Tongue, A 96 Prudence 182f. Public Spirit of the Whigs, The 237 Pulteney, William 145, 187, 232, 235 Rabelais, Fran$ois 15 Raillery 34, 124-42, 146, 186, 191-93, 195f. Rapin, Rene 40 Retreat 208f. Rochester, John Wilmot, Earl of 22, 51, 102, 155 Rochfort, George 136, 140 Rose-Tavern 215, 236 Rowe, Nicholas 71 Rymer, Thomas 117f.
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Sancroft, William 4 4 - 4 6 Satire 42-46, 105, 124ff., 142-50 Sawbridge, Thomas 172 „Schönes Geschlecht" 35, 44, 47f., 129f., 151-96 Scott, Sir Walter 24 Scribbler 34, 46f., 49, 79f., 86f., 90, 92, 99-123, 167, 193f., 203, 211-14, 233, 240 Shaftesbury, Anthony Ashley, Earl of 78f. Shakespeare, William 70, 89, 165, 206 Sharp, John 204f. Sheffield, John. Siehe Buckingham Sheridan, Dr. Thomas, Swifts Freund 136, 139—41 Sheridan, Thomas, Herausgeber und Biograph 18, 197 Sidney, Sir Philip 188, 192 Simile 8 If., 87-90, 94 Sniedley, Jonathan 16f., 203, 232 Somers, John, first Lord 103, 201 Spenser, Edmund 192 Sprat, Thomas 90f. Steele, Richard 13, 64, 72, 97, 148, 163 Stella. Siehe Johnson, Esther Stella-Gedichte 10, 30, 137, 153, 188-196 "Stella, Visiting me in my Sickness, To" 190 "Stella, Who collected and transcribed his Poems, To" 35, 108, 167, 193-96 "Stella's Birth-day" (1721) 192 "Stella's Birthday" (1725) 94f. "Stella's Birth-Day" (1727) 2 "Stella's Distress" 195 St. John. Siehe Bolingbroke "Story of Baucis and Philemon, The" 34, 51-65 "Strephon and Chloe" 2 0 , 3 5 , 86, 98, 113, 153, 177-83, 217 Sublime 91-94, 121f. Suckling, John 168 Swift, Deane 21, 144, 164 Swift, Thomas 37f.
260
Taine, Hippolyte A. 27f. Tale of a Tub, A 1, 49f., 89, 103-06, 109, 130-33, 155f., 205 Temple, Sir William 11, 37, 40, 4 6 , 4 8 , 5 1 , 188, 207 Thackeray, William Makepeace 26 Theobald, Lewis 235 Thoughts on Various Subjects 118 Thurston, Joseph 173 "Toland's Invitation to Dismal" 10 "Vanbrug's House" 106 Vanessa. Siehe Vanhomrigh, Esther Vanhomrigh, Esther 76, 190 Varina. Siehe Waring, Jane Vergil, Vergilius Publius Maro 53, 72-76, 81f. "Verses on the Death of Dr. Swift" 10, 27, 36, 115, 148, 197, 215^42 Voiture, Vincent 130 Voltaire, Francois de 15 Wagstaff, Humphrey 12f. Walpole, Sir Robert 117, 121, 205, 226, 235 Waring, Jane 190 Warton, Joseph 11, 22 Welsted, Leonard 16, 92, 100 Wharton, Thomas, first Marquis of 201, 203 Whiteway, Martha 216 William III, King 41f., 45, 159 Will's Coffee House 116, 118f. "Windsor Prophecy, The" 205 Wit 130-34, 181 Wogan, Charles If., 139, 141f., 144 Wolseley, Robert lOlf. Wood, William 238 Woolston, Thomas 235 Worral, John 141 Wotton, William 118 Young, Edward 110, 112, 167, 232