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German Pages 414 [416] Year 2004
Lothar Mertens DFG-Forschungsförderung 1933-1937
Ein Wissenschaftler, zwei Staatsformen, drei Themenformulierungen: „Individuelle Entwicklungsgeschichte des Wespenstaates" (1930) „Biologisch-soziologische Untersuchungen am Wespenstaat" (1932) „ Untersuchungen über die völkische Organisation im Wespenstaat" (1936)
Lothar Mertens
„Nur politisch Würdige" Die DFG-Forschungsförderung im Dritten Reich 1933-1937
Akademie Verlag
ISBN 3-05-003877-2
© Akademie Verlag GmbH, Berlin 2004 Das eingesetzte Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706. Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. Druck: Medienhaus Berlin Bindung: Norbert Klotz, Jettingen-Scheppach Printed in the Federal Republic of Germany
Inhalt
Vorwort
9
Einleitung
13
Quellenlage Überlieferungsgeschichte
13 17
Kapitel 1 Institutioneller Rahmen
29
Reichswissenschaftsministerium Dozentenschaft Berufungspolitik Die DFG vor 1933 Friedrich Schmidt-Otts Selbstgleichschaltung
29 35 38 42 50
Kapitel 2 Braune Wissenschaftspolitik Johannes Stark - der DFG-Präsident als Führer Übergehen der Fachausschüsse Stark und die Deutsche Physik Die Posse um dem Hauptausschuss Johannes Starks Rücktritt Stark und die Physikalisch-Technische Reichsanstalt Strukturierende Eingriffe durch die DFG-Förderung am Beispiel von Literaturwissenschaft/Germanistik Reichsforschungsrat
71 71 80 86 95 100 108 117 126
6
Inhalt
Kapitel 3 Personalamt als Überwachungsinstitution
131
Politische Überprüfungen Der Personal-Fragebogen Antragsbearbeitung
131 146 156
Kapitel 4 Empirische Ergebnisse
163
Grundgesamtheit Diskriminierungen von Frauen Habilitierte Bewerber Unpromovierte Bewerber Anträge und Bewilligungen nach Promotionsfach Betreuer mit drei und mehr Anträgen Mitgliedschaft in NSDAP, SA und SS Unterschiede zwischen Pg. und Nichtmitgliedern Soziale Herkunft Stipendienhöhe Durchschnittliche Förderungsdauer Etatprobleme
163 166 172 175 178 188 195 199 202 208 212 218
Kapitel 5 DFG-Kontakte zur Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft
229
Ausgangssituation Unterstützungen und Stipendien Eine Mitarbeiter-Affäre Die DFG als Nothelfer bei KWG-internen Querelen Das Kaiser-Wilhelm-Institut fur Physik NS-Personalpolitik am Beispiel des KWI für Biochemie
229 231 246 249 257 261
Inhalt
7
Kapitel 6 Irrtümer der DFG-Förderung
273
Anträge von Ewiggestrigen und Konjunkturrittern Problematische und unseriöse Bewilligungen Abgelehnte Bewerber und unerkannte Talente Frühe Kriegsvorbereitungen durch DFG-Förderungen ÖDW - die unbekannte dunkle Seite der DFG
273 275 285 288 292
Kapitel 7 Textauszüge aus politischen Gutachten
299
Beurteilende Gutachter Probleme bei der Auskunftserteilung Herkunft und ideologische Begründung Negative Beurteilungen über Stipendienbewerber Positive Auskünfte über Stipendienbewerber Beurteilungen von Frauen
299 303 305 310 327 335
Kapitel 8 Eine Erfolgsbilanz?
339
Zum Erfolg der DFG-Förderpolitik Habilitationen von Geforderten und Abgelehnten Bilanz
339 342 346
Anhang
348
Anlagenregister Graphikregister Tabellenregister Literaturverzeichnis Benutzte Archive Monografien und Aufsätze Personenregister
348 348 348 351 351 357 408
Vorwort
Die vorliegende Arbeit ist keine weitere Monographie zur Institutionsgeschichte der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) vor 1945 im allgemeinen und während des Nationalsozialismus im besonderen.1 Die Intention dieser Darstellung ist es vielmehr, quasi in Ergänzung zu Notker Hammersteins vornehmlich deskriptiver Geschichte der DFG, einen empirischen Überblick über die Forschungsförderung der DFG in den dreißiger Jahren zu geben. Dabei soll die frühzeitige Umstrukturierung der alten Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft (NDW) in den letzten Monaten eines Friedrich Schmidt-Ott2 in eine sich immer stärker nationalsozialistisch wandelnde Deutsche Forschungsgemeinschaft unter dessen Nachfolger Johannes Stark3 nachgezeichnet werden. In den meisten disziplin- und institutionsgeschichtlichen Forschungen zur Wissenschaftsgeschichte im Nationalsozialismus wird Stark nur in einer seiner beiden Funktionen als Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, bzw. als Präsident der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt knapp erwähnt. Jedoch wurde bisher selten seine zentrale Führerrolle im Wissenschaftssystem des Dritten Reiches 1933-37 näher behandelt und im Kontext der nationalsozialistischen Forschungspolitik analysiert. Als ich vor über zehn Jahren bei einem Archivaufenthalt an der kalifornischen Stanford University in den Hoover Institution Archives den Bestand „Deutsche Forschungsgemeinschaft" entdeckte, war mir zuerst noch nicht bewusst, welche Dimension dieses Projekt annehmen und welch großer Arbeitsaufwand es sein würde, diesen Bestand der Personengutachten nicht nur empirisch zu untersuchen, sondern zusätzlich in die DFG-Forschungsförderung vergleichend zu integrieren. War zuerst die Idee nur den Bestand der Forschung vorzustellen,4 wurde daraus schließlich die vorliegende Studie. 1 Hammerstein, Forschungsgemeinschaft; Marsch, Notgemeinschaft; Nipperdey/Schmugge; Zierold. 2 Schmidt-Ott, Friedrich (1860-1956), nach Jura-Studium 1883 Promotion, bereits 1882 Eintritt in preuß. Staatsdienst als Hilfsarbeiter im Reichsjustizamt, 1888 Wechsel ins preuß. Kultusministerium, ab 1895 Geheimer Rat und enger Mitarbeiter von Friedrich Althoff, 1917 preuß. Staatsminister u. bis 1918 Kultusminister, 1920-34 Präsident der Notgemeinschaft, 1919-37 2. Vizepräsident der KWG, 1919-37 Senator der KWG, 1925-45 Aufsichtsratsmitglied der I.G. Farben; Brocke, Republik, S. 350; Treue, Schmidt-Ott, S. 235 ff.; DBE, Bd. 9, S. 24. 3 Stark, Johannes (1874-1957), 1897 Promotion, 1900 Habilitation, 1906 außerord. Prof. TH Hannover, 1909 ord. Prof. an TH Aachen, 1917 in Greifswald und 1920 in Würzburg, 1919 Nobelpreis für Physik, nach Fakultätsstreit Niederlegung der Professur und private Forschungen, 1933-39 Präsident der PTR und 1934-36 Präsident der DFG; DBE, Bd. 9, S. 452; Stark, Erinnerungen; Stoecker; Westphal. 4 Siehe Mertens, Forschungsförderung; Ders., Geist.
10
Vorwort
Die Untersuchung stellt sich der forschungsleitenden Fragestellung: „Wie" die Forschungsförderung der DFG im totalitären Staat nach 1933 ablief, „wer" und „was" (Themen, Fachbereiche) gefördert wurde, welche Kriterien bei der Stipendiatenauswahl eine Rolle spielten. Problemstellungen, die in den oben genannten institutionsgeschichtlichen Darstellungen weitgehend unbeantwortet blieben. Weiter behandelt wird eine zentrale institutionsinterne Veränderung: die Schaffung einer Personalstelle, welche die politische und rassische Überprüfung der Stipendienbewerber vornahm und vor allem unter ihrem ersten Leiter in den Jahren 1934-35 zahllose Auskünfte bis hin zur Geheimen Staatspolizei und NSDAP-Stadtleitungen einholte. Kritisch ist anzufragen, warum Hammerstein in seiner im Jahre 1999 erschienenen Auftragsstudie zur Geschichte der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Dritten Reich die Existenz dieser Personalstelle innerhalb der DFG verschwieg, obgleich deren Existenz durch Kurt Zierolds Darstellung aus dem Jahre 1969 und die Überlieferung von über 1.200 politischen Beurteilungen über Stipendienbewerber durch den NSD-Dozentenbund mindestens seit 1996 in der Forschung allgemein bekannt waren.5 Die untersuchten Förderungsbereiche und der Untersuchungszeitraum von 1933-37 sind zwar nur die Vorstufen zu der durch die verschiedenen Arbeiten von Ernst Klee 6 bereits allgemein bekannten Entwicklung, dass die DFG zahlreiche Menschenversuche in den NS-Konzentrationslagem finanzierte und in Form ihres ehemaligen Vizepräsidenten Konrad Meyer 7 wichtige Vorarbeiten fur den „Generalplan Ost" unterstützte.8 Doch gerade die ersten formatierenden Jahre der NS-Wissenschaftspolitik blieben bislang weitgehend unberücksichtigt, obgleich alle weiteren Verbrechen und Fehlentwicklungen auf dieser Basis gründeten. Obgleich Ernst Klee ansonsten keine Chance zur Kritik an der DFG auslässt, ist für ihn die Forschungsförderung im NS-Staat angeblich „ weitgehend frei von politischem Druck.,