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German Pages 420 [425] Year 1999
Forschungen zum Alten Testament Herausgegeben von Bernd Janowski und Hermann Spieckermann
26
Andreas Ruwe
„Heiligkeitsgesetz'' und „Priesterschrift" Literaturgeschichtliche und rechtssystematische Untersuchungen zu Leviticus 17,1-26,2
Mohr Siebeck
ANDREAS RUWE, geboren 1958; 1980-89 Studium der evangelischen Theologie in Wuppertal, Tübingen, Bern und Bethel; 1990-92 Vikarsassistent an der kirchlichen Hochschule Bethel; seit 1994 wiss. Mitarbeiter an der Universität Greifswald; 1998 Promotion.
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CIP-Einheitsaufnahme
Ruwe, Andreas: „Heiligkeitsgesetz" und „Priesterschrift" : literaturgeschichtliche und rechtssystematische Untersuchungen zu Leviticus 17,1 -26,2 / Andreas Ruwe. Tübingen : Mohr Siebeck, 1999 (Forschungen zum Alten Testament ; 26) ISBN 3-16-147130-X
© 1999 J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Guide-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier der Papierfabrik Niefern gedruckt und von der Großbuchbinderei Heinr. Koch in Tübingen gebunden. ISSN 0940-4155
978-3-16-157811-3 Unveränderte eBook-Ausgabe 2019
Vorwort Die vorliegende Studie wurde im Wintersemester 1997/98 von der Kirchlichen Hochschule Bethel als Dissertation angenommen. Für den Druck habe ich sie stellenweise ergänzt und insgesamt überarbeitet. Gegenwärtig zeichnet sich in der alttestamentlichen Wissenschaft ein neues Interesse am Heiligkeitsgesetz ab. Nach Abschluß des Manuskripts erschienen die Veröffentlichungen von Klaus Grünwaldt (Das Heiligkeitsgesetz Leviticus 17-26 [BZAW 271], Berlin u. a. 1999) und Eckart Otto (Innerbiblische Exegese im Heiligkeitsgesetz Levitikus 17-26, in: H.-J. Fabry/ H.-W. Jüngling [Hg.], Levitikus als Buch [BBB 119], Berlin u. a. 1999, 125-196), die ich nicht mehr berücksichtigen konnte. Die Auseinandersetzung mit diesen Publikationen muß ich einer späteren Gelegenheit vorbehalten. Ich danke Herrn Prof. Dr. Frank Crüsemann (Bethel), dem Erstgutachter, für die Anregung zu dieser Untersuchung sowie für die Betreuung in der entscheidenden Phase der Hypothesenbildung und ersten Ausarbeitung. Den Ergebnissen seiner eigenen rechtsgeschichtlichen Forschung und überhaupt dem ihm eigenen beharrlichen Fragen nach der theologischen und sachlichen Relevanz alttestamentlicher Texte verdankt meine Arbeit Entscheidendes. In gleicher Weise danke ich Herrn Prof. Dr. Christof Hardmeier (Greifswald), dem Zweitgutachter, für seine Bereitschaft, die Arbeit in ihrer Abschlußphase zu betreuen und mir als seinem Assistenten Freiräume für eigene Forschungen zu schaffen. Sein methodisches Insistieren darauf, daß jede Interpretation von Texten zunächst und vor allem beim Wie der Textgestaltung und ihren pragmatischen Implikationen anzusetzen hat, ist für den Gang meiner Untersuchung maßgeblich gewesen. Die vielen gemeinsamen Entdeckungsreisen in die alttestamentlichen Texte, die wir in zahlreichen Gesprächen und diversen Lehrveranstaltungen unternommen haben - stets ausgehend von einer Beschreibung der illokutionären Strukturen und uns erst dann den propositionalen Gehalten und historischen Szenarien zuwendend (und diese auch wirklich erreichend) - gehören zu den zentralen wissenschaftlichen Erfahrungen der vergangenen Jahre. Herr Prof. Dr. Thomas Willi (Greifswald), Frau PD Dr. Julia Männchen (Greifswald) sowie die Freunde und Kollegen Yuichi Osumi (Tokyo) und Matthias Miliard (Bielefeld) waren in den verschiedenen Phasen wichtige Gesprächspartnerinnen, denen ich nachhaltige Ermutigungen, kritische
VI
Vorwort
Rückfragen, methodische Anregungen oder wertvolle Literaturhinweise verdanke. Herrn Prof. Dr. Bernd Janowski (Tübingen) und Herrn Prof. Dr. Hermann Spieckermann (Hamburg) danke ich für die Aufnahme der Arbeit in d i e FORSCHUNGEN ZUM ALTEN TESTAMENT.
Das Evangelische Studienwerk Villigst hat mich in den Jahren 19931994 freundlicherweise mit einem Promotionsstipendium unterstützt. Herzlich danke ich auch Anja-Marleen Krause, Wolf-Dieter Syring und Uwe Weise für punktgenaues Korrekturlesen oder technische Hilfen bei der Erstellung der Druckvorlage. Mein größter Dank gilt schließlich Cordula Ruwe. Sie hat die Untersuchung von der ersten Niederschrift bis zur fertigen Druckvorlage nicht nur immer wieder gelesen, sondern mir in zahllosen Gesprächen über das Heiligkeitsgesetz auch geholfen, zur Klarheit der Gedanken und zur Gewißheit von Entscheidungen durchzudringen.
Greifswald, im Juni 1999
Andreas Ruwe
Inhaltsverzeichnis Vorwort
V
Einleitung
1
1. Die zentralen Fragestellungen der Untersuchung
1
2. Forschungsgeschichte 2.1 Das Heiligkeitsgesetz in der älteren Forschung 2.2 Das Heiligkeitsgesetz in der neueren Forschung 2.2.1 Lev 17-26 als spätere oder zeitgleiche Ergänzung zur „Priesterschrift" 2.2.2 Lev 17-26 als integraler Bestandteil des priester(schrift)lichen Textbereichs 2.2.3 Lev 17-26 als unverbundene Einzeltexte 2.3 Zusammenfassung 2.4 Beurteilung der verschiedenen Textmodelle 2.5 Überlegungen zum weiteren methodischen Vorgehen
5 5 13 14 20 24 26 27 33
Erster Teil: D i e Gesamtstruktur d e s H e i l i g k e i t s g e s e t z e s i m R a h m e n d e s priesterlichen Textbereichs Kapitel 1: Das Heiligkeitsgesetz im Rahmen der priester(schrift)lichen Sinaierzählung Ex ( 1 9 , l f * ) 2 4 , 1 5 b - N u m 10,10* .... 1.1 Überblick über Struktur und Leitthematik der priester(schrift)lichen Sinaigeschichte 1.2 Die Ethisierung der priester(schrift)lichenT03-Konzeption in Lev 9,1-10,20 Kapitel 2: Die Gliederung des Heiligkeitsgesetzes und seine Gliederungsmerkmale 2.1 Vorbemerkung 2.2 Die narrative Textform des Heiligkeitsgesetzes und seine Gliederungsmerkmale 2.2.1 Die geschichtenbezogenen Gliederungsmerkmale
39 40 45
53 53 53 54
VIII
Inhaltsverzeichnis
2.2.2 Die kommunikationsbezogenen Gliederungsmerkmale: Die Gliederung von Lev 17-26 nach Redeeinleitungen 2.3 Weitere Gliederungsmerkmale im Heiligkeitsgesetz 2.3.1 Die Paränesen 2.3.2 Die Rechtssatzformen 2.3.3 Die Selbstvorstellungsformeln 2.3.4 Die Ausführungsberichte in Lev 21,24 und 23,44 2.4 Fazit zu den Gliederungsmerkmalen Kapitel 3: Die Makrostruktur des Heiligkeitsgesetzes 3.1 Beobachtungen zur Abgrenzung des Heiligkeitsgesetzes 3.2 Beobachtungen zu systematischen Beziehungen zwischen einzelnen Rechtssatzabschnitten des Heiligkeitsgesetzes 3.3 Die Makrostruktur im Überblick
57 64 65 68 71 74 78 79 79 82 88
Kapitel 4: Die Basisthematik des Heiligkeitsgesetzes 90 4.1 Die übergreifende Thematik des zweiten Hauptteils Lev 23,1-25,55 .. 90 4.1.1 Die übergreifende Thematik des Kalenders Lev 23,1-24,9 90 4.1.2 Die übergreifende Thematik der Sabbatjahr- und Jobeljahrbestimmungen Lev 25,1-55 94 4.1.3 Zusammenfassung 97 4.2 Die übergreifende Thematik des ersten Hauptteils Lev 17,1-22,33 97 4.2.1 Der Zugang zur übergreifenden Thematik von Lev 17,1-22,33 .. 98 4.2.1.1 Lev 26,lf als „Unterschrift" des Heiligkeitsgesetzes 98 4.2.1.2 Der Inhalt von Lev 26,lf 100 4.2.2 „Heiligtumsfurcht" als übergreifende Thematik von Lev 17,1-22,33 103 4.2.2.1 Exkurs: Die schöpfungsrestitutive Funktion destt'ipD im priester(schrift)lichen Textbereich 103 4.2.2.2 Die schöpfungsrestitutive Funktion des itflpD und der erste Hauptteil des Heiligkeitsgesetzes 115 Kapitel 5: Literaturgeschichtliche Einordnung der Gesamtkomposition des Heiligkeitsgesetzes
121
Zweiter Teil: D a s H e i l i g k e i t s g e s e t z nach s e i n e n R e c h t s s a t z a b s c h n i t t e n Methodische Vorbemerkungen
131
Kapitel l : L e v i t i c u s 17,1-16 1.1 Übersetzung
135 135
Inhaltsverzeichnis
IX
1.2 Die Gesamtstruktur von Lev 17,3-16 1.3 Struktur und Intention von Lev 17,3-9 1.3.1 Lev 17,3-4 1.3.2 Lev 17,5-7 1.3.3 Lev 17,8aß-9 1.4 Struktur und Intention von Lev 17,10-14 1.4.1 Lev 17,10-12 1.4.2 Lev 17,13-14 1.4.3 Das Thema ,Blutgenuß' in Lev 17,10-14 1.5 Lev 17,15f
137 140 141 144 149 150 151 152 154 157
Kapitel 2: Leviticus 1 8 , 1 - 3 0 2.1 Übersetzung 2.2 Die Gesamtstruktur von Lev 18,2b-30 2.3 Der erste Unterabschnitt des Korpus: Die Inzestbestimmungen Lev 18,6-18 2.4 Der zweite Unterabschnitt: Die Trennungsund Zuordnungsvorschriften Lev 18,19-23 2.5 Der paränetische Rahmen Lev 18,2b-5.24-30 2.6 Fazit
160 160 162
Kapitel 3: Leviticus 19,1-37 3.1 Übersetzung 3.2 Lev 19,2-37 als Gesamttext 3.3 Gliederungsmarken und Gesamtstruktur von Lev 19,2a 3 b-37 3.4 Die beiden kasuistischen Paragraphen Lev 19,5-10 und Lev 19,20-25 3.5 Der erste apodiktisch formulierte Zentralteil Lev 19,11-18 und der Schlußteil 19,33-36 3.6 Der zweite apodiktisch formulierte Zentralteil Lev 19,26-32 und der Anfangsteil 19,3f 3.7 Das Programm von Lev 19,2a3b-37 3.8 Fazit Kapitel 4: Leviticus 2 0 , 1 - 2 7 4.1 Übersetzung 4.2 Lev 20,1-27 als Abschluß der allgemeinen Heiligkeitsbestimmungen Lev 18,1-20,27 4.3 Die Beziehungen zwischen Lev 20,2aß-27 und Lev 18,2b-30 4.4 Lev 20,2aß-27 als eine integrale Gesamtstruktur 4.5 Das zentrale Rechtssatzkorpus Lev 20,9-21 4.5.1 Der „todesrechtliche" Unterteil Lev 20,9-16 4.5.2 Der Gottessanktionsteil Lev 20,17-21
164 175 182 185 187 187 190 191 195 198 207 218 220 221 221 223 224 227 229 231 235
X 4.6 4.7 4.8 4.9
Inhaltsverzeichnis Die Funktion der Bestimmungen in Lev 20,2aß-5 und 20,6.27 Die Rahmenparänese in Lev 2 0 , I i und 20,22-26 Exkurs: Das hermeneutische Problem von Lev 20,1-27 Fazit
241 242 244 245
Kapitel 5: Leviticus 2 1 , 1 - 2 2 , 1 6 5.1 Übersetzung 5.2 Die These 5.3 Die Gesamtstruktur von Lev 21,1-22,16 5.4 Struktur und Intention von Lev 2 1 , l b ß - 9 und Lev 21,10-15 5.5 Struktur und Intention von Lev 21,17b-23 5.6 Struktur und Intention von Lev 22,2aß-9 und 22,10-16 5.7 Fazit
247 247 251 253 255 264 268 275
Kapitel 6: Leviticus 2 2 , 1 7 - 3 3 6.1 Übersetzung 6.2 Lev 22,18b-33 im Heiligkeitsgesetz 6.3 Überblick über die Gesamtstruktur von Lev 22,18b-33 6.4 Struktur und Intention von Lev 22,18b-25 6.5 Struktur und Intention von Lev 22,27-30
276 276 277 280 281 287
Kapitel 7: Leviticus 2 3 , 1 - 2 4 , 9 7.1 Übersetzung 7.2 Vorbemerkung 7.3 Die Abgrenzung des Abschnitts Lev 23,lff nach hinten 7.4 Die Gesamtstruktur von Lev 23,1-24,9 7.5 Über- und Unterschrift des Festkalenders (Lev 23,2aß-4.37f) 7.6 Die Bestimmungen zu Passa und zum Mazzenfest Lev 23,5-8 7.7 Die Bestimmungen zum ,Omertag' und zum Erstlingstag Lev 23,10-22 7.8 Die Bestimmungen zum Lärmblasetag Lev 23,24f 7.9 Die Bestimmungen zum Sühnungstag Lev 23,27-32 7.10 Die Bestimmungen zum Hüttenfest Lev 23,34-36.39-43 7.11 Das Konzept des Festkalenders 7.12 Der Unterabschnitt Lev 24,1-9
294 294 297 298 298 301 304 307 312 314 317 321 323
Kapitel 8: Leviticus 2 4 , 1 0 - 2 3 8.1 Übersetzung 8.2 Die Grundformation von Lev 24,10-23 und ihre Struktur 8.3 Zur Intention der Struktur von Lev 24,15b-22 8.4 Zur rechts- und kompositionsgeschichtlichen Einordnung von Lev 24,15b-22
327 327 328 330 334
Inhaltsverzeichnis
XI
Kapitel 9: L e v i t i c u s 2 5 , 1 - 5 5 9.1 Übersetzung 9.2 Vorbemerkung 9.3 Überblick über die Gesamtstruktur von Lev 25,1-55 9.4 Die Bestimmungen zum Sabbat- und zum Jobeljahr in Lev 25,2aß-12 9.4.1 Die Sabbatjahrbestimmungen in Lev 25,2aß-7 9.4.2 Die Jobeljahrbestimmungen in Lev 25,8-12 9.5 Die Solidaritätsvorschriften in Lev 25,14-55 9.6 Fazit
338 338 343 343 349 350 354 361 364
Zusammenfassung
365
Anhang
369
Literaturverzeichnis
373
Stellenregister
395
Personenregister
407
Sachregister
408
1. Die zentralen Fragestellungen der Untersuchung Die vorliegende Untersuchung will einen Beitrag zum Verständnis des sog. „Heiligkeitsgesetzes" (Lev 17-26) leisten, einem Textzusammenhang, der neben dem Bundesbuch (Ex 20,22b-23,33) und dem deuteronomischen Gesetzeskorpus (Dtn 12-26) einer der wichtigsten Gebotskomplexe im Pentateuch ist. Dieser Textbereich soll hier in zweifacher Hinsicht untersucht werden: 1. Das Heiligkeitsgesetz ist, wie es jetzt vorliegt, ein Bestandteil der „priesterschriftlichen Sinaigeschichte" (Ex 19,1-Num 10,10*), einem Erzählzusammenhang, der vom Aufenthalt des Volkes Israel am Sinai und seiner dortigen Begegnung mit dem gebietenden Gott berichtet. Die literaturgeschichtliche Einordnung des Heiligkeitsgesetzes als eines Teiles dieses übergreifenden Erzählzusammenhangs - die Frage also, ob das Heiligkeitsgesetz originär in diese Erzählung hineingehört oder nicht, ist in der alttestamentlichen Wissenschaft ein bisher ungelöstes Problem. In der vorliegenden Studie soll die These vertreten und begründet werden, daß Lev 17-26 ein integraler Bestandteil dieses übergeordneten Erzähltextes ist. Diese These berührt zugleich eine Kardinalfrage der Pentateuchforschung, nämlich die Frage nach der literaturwissenschaftlichen Einordnung der „Priesterschrift". 1 An dieser Stelle ist insofern eine Bemerkung darüber notwendig, im welchem Sinn der Begriff „priesterschriftliche Sinaigeschichte" in dieser Studie zu verstehen ist. Dazu ist folgendes festzuhalten: Es scheint uns angemessen, von einem sehr weiten und literaturgeschichtlich offenen Begriff von „Priesterschrift" auszugehen. Die Frage nach dem literarischen Charakter dieses Bestandteils des Pentateuchs kann angesichts der gegenwärtigen Forschungslage nicht eindeutig beantwortet werden. Es ist letztlich nicht auszuschließen, daß es sich um ein ursprünglich selbständiges literarisches Werk („Quelle") im Sinne der Urkundenhypothese und ihrer Nachfolgerinnen handelt. 2 Ebenso wenig auszuschließen ist aber auch, daß diese Texte im Sinne F. M. Cross', R. Rendtorffs u.a. eine „Redaktionsschicht" 3 oder im Sinne E. Blums eine „Komposi1 Vgl. dazu die Problemdarstellungen bei UTZSCHNEIDER, OBO 77, 2 2 - 3 5 und BLUM, B Z A W 189, 2 2 1 - 2 2 4 . 2 Diese Annahme wird gegenwärtig u.a. von SCHMIDT, BK II, 271ff; DERS., B Z A W 214, l f . 3 4 . 1 7 9 ; ZENGER, Einleitung, 9 2 - 9 6 ; JANOWSKI, Tempel, 222; POLA, W M A N T 70, passim vertreten. 3 CROSS, Epic, 293ff und Rendtorff, B Z A W 147, 112ff.
2
Einleitung
tion" bilden, 4 die jeweils eine ihnen vorausgehende Darstellung der Entstehung des Volkes Israels in sich schließen. Vielleicht liegt die angemessene literaturwissenschaftliche Beschreibung und Einordnung dieser Texte sogar noch jenseits dieser drei gegenwärtig diskutierten Modelle. Für die vorliegende Frage nach der literaturgeschichtlichen Einordnung des Heiligkeitsgesetzes können diese Probleme aber offen bleiben, da hier nur gezeigt werden soll, daß Lev 17-26 fest in der thematischen und narratologischen Grundstruktur der „priesterschriftlichen Sinaigeschichte" verankert ist. Die Bestimmung der basalen Thematik der „priesterschriftlichen Sinaigeschichte" ist zwischen den verschiedenen literaturwissenschaftlichen Positionen aber bemerkenswerterweise nicht strittig. Daß es in der „priesterschriftlichen Sinaigeschichte" zentral um die Einwohnung der „Herrlichkeit" JHWHs (1123) in Israel geht, wird sowohl von Vertretern des .Quellenmodells' als auch von denen des ,Redaktions-' und ,Kompositionsmodells' zum Ausdruck gebracht. 5 Die folgende Untersuchung zielt deshalb speziell auf den Nachweis, daß das Heiligkeitsgesetz in seiner Grundstruktur und rechtlichen Leitthematik fest mit der Entfaltung jener basalen Thematik der „priesterschriftlichen Sinaigeschichte" zusammenhängt. Sofern dieser Nachweis gelingt, kann das Heiligkeitsgesetz u.E. als ein Bestandteil der „priesterschriftlichen" Formation der Sinaiperikope gelten, ohne daß wir uns auf eine eindeutige Bestimmung des literarischen Charakters der „priesterschriftlichen" Texte im Pentateuch festlegen müßten. Wir halten die Frage nach dem literarischen Charakter von „P" terminologisch offen, indem wir im folgenden vom „priester(schrift)lichen Textbereich" o.ä. sprechen. Auf eine Binnendifferenzierung dieses Textbereichs in eine „Grundschrift" („P g ") und in „Ergänzungen" („P s ") 6 kann und soll hier ebenfalls verzichtet werden. Angesichts wichtiger neuerer Thesen zur literaturgeschichtlichen Einordnung des Heiligkeitsgesetzes - einerseits gilt es als ein „Programm der Exilierten", 7 andererseits wird es als ein Teil der späten „Pentateuchredaktion" verstanden 8 - ist schon viel gewonnen, wenn sich nachweisen läßt, daß das Heiligkeitsgesetz in seiner Grundstruktur und seinen grundlegenden Rechts4
Vgl. BLUM, a.a.O., 1 - 5 . 2 1 9 - 3 6 0 , dem sich ALBERTZ, ATD-Ergänzungsband 8/2, 5 0 1 - 5 3 5 weitgehend anschließt. 5 Vgl. dazu die inhaltliche Beschreibung des „P s "-Anteils in Ex 25ff bei ZENGER, a.a.O., 102f und JANOWSKI, a.a.O., 2 2 2 - 2 4 6 einerseits und die Darstellung der Sinaigeschichte von „KP" bei BLUM, a.a.O., 2 9 6 - 3 2 8 und ALBERTZ, a.a.O., 5 2 0 - 5 2 5 andererseits. Vgl. außerdem noch UTZSCHNEIDER, OBO 77, 4 9 - 5 2 , der auch ältere Literatur nennt. 6 Vgl. dazu etwa LOHFINK, Priesterschrift, 2 1 6 - 2 2 7 . 7
S o MATHYS, O B O 7 1 , 1 0 8 .
8
S o OTTO, G e s e t z e s f o r t s c h r e i b u n g ,
373-392.
Die zentralen
Fragenstellungen
der
Untersuchung
3
prinzipien ein integraler Bestandtteil der priester(schrift)lichen Sinaigeschichte ist. 2. Der zweite, in dieser Untersuchung ins Auge gefaßte Fragenkomplex betrifft das Heiligkeitsgesetz als solches. In der bisherigen Forschung überwiegt die Meinung, daß der Textzusammenhang Lev 17-26 ein planloses, heterogenes Gebilde ist, dem innere Struktur und Kohärenz fehlen. Entsprechende Urteile werden in vielen Publikationen geäußert. 9 Treffen diese Urteile aber wirklich zu? Hinsichtlich des Bundesbuches und des Deuteronomiums hat die alttestamentlich-rechtsgeschichtliche Forschung nachgewiesen, daß diese Rechtstexte sehr konsistent sind und eine hohe systematische Geschlossenheit aufweisen. 10 Auf diesem Hintergrund ist u.E. grundsätzlich zu erwarten, daß auch das Heiligkeitsgesetz, das offenkundig in der Tradition jener Korpora steht, ein systematisch durchstrukturierter Komplex ist. In der vorliegenden Untersuchung soll auf der Basis der kompositionsgeschichtlichen Einordnung von Lev 17-26 in die priester(schrift)liche Sinaigeschichte und durch konsequent strukturbezogene Analyse gezeigt werden, daß auch das Heiligkeitsgesetz eine hohe systematische Kohärenz aufweist. Im einzelnen sollen die Systematik von Lev 17-26 und die dieses Korpus bestimmenden Rechtsprinzipien beschrieben werden. Die folgenden Analysen beziehen sich konkret auf den Textbereich Lev 1 7 , 1 - 2 6 , 2 . Der Segensverheißungen und Fluchdrohungen enthaltende Abschnitt Lev 2 6 , 3 - 4 6 soll dagegen unberücksichtig bleiben. Diese A u s k l a m m e r u n g empfiehlt sich aus folgenden Gründen: Die vorliegende Studie fragt zentral nach der übergreifenden Rechtssystematik des Heiligkeitsgesetzes. Dessen letzte materiale B e s t i m m u n g findet sich aber in Lev 26,2. Lev 2 6 , 3 - 4 5 ( 4 6 ) enthält dagegen ausschließlich paränetische Formulierungen. Um die ü b e r g r e i f e n d e T h e m a t i k des Rechtskorpus „Heiligkeitsgesetz" zu bestimmen, genügt es insofern, den thematischen Z u s a m m e n h a n g von Lev 1 7 , 1 - 2 6 , 2 zu untersuchen. Da es ferner fraglich ist, ob Lev 2 6 , 3 - 4 5 ( 4 6 ) überhaupt ein Bestandteil des Heiligkeitsgesetzes ist und nicht vielmehr die Schlußparänese eines u m f a n g r e i c h e r e n Z u s a m m e n h a n g s der priester(schrift)lichen Sinaigeschichte, 1 1 können wir hier auf eine eingehende Analyse von Lev 2 6 , 3 - 4 5 ( 4 6 ) verzichten.
9
SMEND, Entstehung, 6 1 z.B. spricht von „Inkonsequenzen in der Disposition". KILIAN, B B B 19, 167 meint, daß „das Heiligkeitsgesetz in seiner heutigen Gestalt ... einen durchaus wirren und ungeordneten Eindruck erweckt ... und kein eigentliches Ordnungsprinzip zu erkennen ist". Ähnlich n i m m t CHOLEWINSKI, A n B i b 66, 337 zahlreiche Redaktionen an und meint, daß diese „aller Wahrscheinlichkeit nach ... zuerst als selbständige .Blätter' [existierten]" und erst später z u m Heiligkeitsgesetz vereinigt worden sind. 10
Vgl. dazu nur HALBE, F R L A N T 117, 3 9 1 - 5 0 5 ; SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER, B Z A W 188; OSUMI, O B O 105; BRAULIK, N E B 15; DERS., N E B 28; OTTO, Ethik, 18ff (Bundesbuch), 175ff ( D e u t e r o n o m i u m ) und CRÜSEMANN, Tora, 1 3 2 - 3 2 2 . 11 Vgl. dazu die nicht von der Hand zu weisenden Überlegungen RENDTORFFS, Einl e i t u n g , 1 5 5 ; DERS., S B S 1 6 0 , 2 6 f u n d BLUMS, B Z A W 1 8 9 , 3 2 5 .
4
Einleitung
Mit dem Begriff ,Heiligkeitsgesetz' ist im folgenden lediglich die Kapitelfolge Lev 17-26 als ein Teilkomplex des priester(schrift)lichen Textbereichs bezeichnet. Die sog. „Heiligtumstexte" in Ex 25-31.35-40, die „Opfertora" in Lev 1-7, die „Reinheitstora" in Lev 11-15 und die „Lagerordnung" in Num 1 - 1 0 bilden ähnliche, thematisch eigenständige Teilkomplexe in der priester(schrift)lichen Pentateuchformation. Die Tatsache, daß die priester(schrift)liche Sinaigeschichte aus einer Reihe solcher Teilkomplexe besteht, ist ein gewisses Indiz dafür, daß auch die Kapitelfolge Lev 17-26 einen derartigen Zusammenhang bildet. Dieser kann einigermaßen treffend als Heiligkeitsgesetz bezeichnet werden. Der Name Heiligkeitsgesetz fungiert im folgenden also als eine eher bibelkundliche Bezeichnung; er ist kein Hinweis auf eine literaturgeschichtliche Sonderstellung von Lev 17-26 im Rahmen des priester(schrift)lichen Textbereichs.
2. Forschungsgeschichte Zunächst sind die wichtigen Tendenzen der bisherigen Forschung am Heiligkeitsgesetz darzustellen. Wir rücken dabei besonders die Frage in den Vordergrund, wie das Verhältnis zwischen Heiligkeitsgesetz und priester(schrift)lichem Textbereich jeweils bestimmt wurde bzw. wird. Die Darstellung ist sinnvollerweise so zu gliedern, daß wir in einem ersten Abschnitt die älteren Thesen zu Lev 17-26 zusammenfassen und dann in einem zweiten Schritt die gegenwärtige Diskussionslage skizzieren. 1 Dabei legt es sich nahe, die dezidiert formgeschichtlich orientierten Arbeiten von C. Feucht, R. Kilian und H. Graf Reventlow noch zur älteren Forschung zu rechnen und mit der Position K. Elligers die heutige Diskussion beginnen zu lassen. 2.1 Das Heiligkeitsgesetz
in der älteren
Forschung
Die wissenschaftliche Diskussion um das Heiligkeitsgesetz begann im letzten Jahrhundert mit der Beobachtung, daß sich die Kapitel Lev 17-26 formal und inhaltlich von ihrem Kontext unterscheiden. Man wies auf die Häufung der Formeln HUT 'JK und Hin' 'JN in 17-26 hin, die im größeren Kontext weitgehend fehlen, 2 und man stellte heraus, daß 17-26 durch ausführliche Paränesen bestimmt wird, die den umgebenden Kapiteln ebenfalls fehlen. 3 Eine Erklärung für diese Abweichungen wurde zunächst auf literarkritischem Weg gesucht. K. H. Graf, A. Klostermann u.a. meinten, daß in Lev (17)18-26* eine durch diese Besonderheiten bestimmte, ältere Gesetzgebung überliefert sei, die sekundär in den jetzigen Kontext eingefügt worden ist. 4 Im einzelnen entwickelte man in dieser Forschungsphase folgende Thesen: Graf wies auf die vielfältigen Berührungen dieses Textbereichs mit dem Ezechielbuch hin und meinte, der Prophet Ezechiel sei der Autor von 18-26. 5 Im Gegensatz zu Graf bestritt Klostermann, daß in 18-26 ein älteres separates Rechtskorpus vorliegt. Er verstand diesen Text vielmehr als einen Ausschnitt aus einer umfangreicheren (am Sinai geoffenbarten) Gesetzgebung, deren einzelne Abschnitte 1
Zur Forschungsgeschichte vgl. auch die Darstellungen von HARTLEY, WBC 3, 2 5 1 - 2 6 0 ; PREUSS, TRE XIV, 714f; SUN, Investigation, 3ff und OTTO, Ethik, 2 3 4 - 2 3 7 . 2 KLOSTERMANN, Ezechiel, 374. 3 Ebd. 4 Vgl. dazu etwa GRAF, Bücher, 114-120; KLOSTERMANN, Ezechiel, 375ff. 5 GRAF, Bücher, 117.
6
Einleitung
bei der Abfassung des Pentateuchs auch noch an anderen Stellen der Bücher Exodus bis Numeri eingearbeitet worden seien. 6 Auch komme der Prophet Ezechiel als Autor dieser Gesetzgebung nicht in Frage. Ezechiel habe vielmehr seinerseits auf Lev 18-26 Bezug genommen. Das (von ihm nun so genannte) „Heiligkeitsgesetz" sei noch vorezechielisch anzusetzen. 7 J. Wellhausen schließlich machte speziell auf den (nicht zu „Q" [= sein „Vierbundbuch" 8 ] passenden) „religiös-paränetischen Ton" 9 aufmerksam und hob neben den erwähnten Beziehungen zum Ezechielbuch auch diejenigen zum Deuteronomium hervor. 10 Er stützte die von Graf und Klostermann entwickelte These eines vorpriesterschriftlichen Heiligkeitsgesetzes mit neuen Argumenten und hielt an Grafs (exilischer) Datierung im Grundsatz fest. 11 Im Unterschied zu Graf und Klostermann rechnete er allerdings noch Lev 17 zum Heiligkeitsgesetz hinzu, 12 indem er darauf verwies, daß auch andere Rechtskorpora (Bundesbuch und Deuteronomium) mit Kultgesetzen eröffnet werden; er vermutete darin eine feste Form in der Gestaltung der alttestamentlichen Rechtstexte. 13 Bei allen Unterschieden im einzelnen - in dieser frühen Forschungsphase gingen die meisten Autoren davon aus, daß das Heiligkeitsgesetz bereits vorpriesterschriftlich als Rechtssammlung vorgelegen habe und erst sekundär in „P" übernommen worden sei. 14 Diese These suchte man in der anschließenden Forschungsphase mit weiteren Argumenten zu stützen. Das Interesse war nun speziell darauf gerichtet, die literarische Entstehungsgeschichte des postulierten vorpriesterschriftlichen Rechtskorpus zu erfassen. Es ging darum, die rekonstruierbaren Vorformen literaturgeschichtlich einzuordnen und die vermutete priesterschriftliche Redaktion herauszufiltern. Die Untersuchung von B. Baentsch ist typisch für diese Phase. Baentsch kam zu dem Ergebnis, daß das vorpriesterliche Rechtskorpus im Grunde selbst schon aus verschiedenen Teilsammlungen zusammengesetzt war. 1 5 Die Schicht „H 1 ", zu der Baentsch Teile
6 Zu dieser älteren Gesetzgebung gehören nach KLOSTERMANN, a.a.O., 3 7 7 neben Lev 1 8 - 2 6 * u.a. auch noch Ex 6 , 6 - 8 ; 12,12b; 31,13ff; Lev 1 1 , 4 3 - 4 5 ; Num 3,12f; 1 0 , 8 10 und 1 5 , 3 8 - 4 1 . 7 Zur Datierung des Heiligkeitsgesetzes vgl. a.a.O., 416. 8 Vgl. dazu WELLHAUSEN, Composition, 1. 9 A.a.O., 150. 10 WELLHAUSEN, Prolegomena, 384f. 11 Vgl. dazu a.a.O., 392. 12 WELLHAUSEN, Composition, 1 6 8 - 1 7 2 . 13 A.a.O., 150. 14 Diese These vertritt auch HORST, Leviticus X V I I - X X V I , 66ff. 15 Vgl. dazu BAENTSCH, Heiligkeits-Gesetz, 6 9 - 7 2 .
Forschungsgeschichte
1
von Lev 18-20.23-25 rechnete, 1 6 und die Schicht „H 2 " (Lev 21f*) seien als diese ältesten Teilsammlungen erkennbar. 1 7 Beide Teilsammlungen seien später unter Hinzufügung von Lev 17 zu einem größeren Rechtskorpus zusammengefügt worden („H 3 "). 1 8 Dieser Text habe zwar schon ungefähr dem Umfang des jetzt vorliegenden Heiligkeitsgesetzes entsprochen; er sei aber erst von einem noch späteren Redaktor („Rp") in die „Gesetzgebung der priesterlichen Schule (P)" eingearbeitet worden. 1 9
Diese Arbeit verdeutlicht, daß an der vorpriesterschriftlichen Ansetzung des Heiligkeitsgesetzes in diesem Forschungsstadium festgehalten wurde. In diese Zeit fallen aber auch die ersten Versuche, die These eines vorpriesterlichen Heiligkeitsgesetzes mit Gründen zu bestreiten. Im Anschluß an Überlegungen A. Dillmanns 2 0 geht etwa H. Holzinger davon aus, daß „in der priesterlichen Schule (P) ... entweder verschiedene gleichzeitige Kreise oder verschiedene aufeinander folgende Perioden zu unterscheiden" sind. 2 1 Holzinger erklärt die Unterschiede zwischen dem Heiligkeitsgesetz und „PS" dementsprechend mit der Annahme verschiedener priesterlicher Schulkreise. Lev 1 7 - 2 6 gehört nach ihm zusammen mit anderen Texten (wie etwa Lev 11) zu einer „P h " genannten Hinterlassenschaft einer priesterlichen Schule. „PS" und „P s " gehen auf andere priesterliche Autorenkreise zurück. 2 2 Die Annahme einer vorpriesterlichen Entstehung des Heiligkeitsgesetzes spielt bei ihm keine Rolle. Bestritten wird die vorpriesterschriftliche Ansetzung des Heiligkeitsgesetzes dann vor allem von D. Hoffmann. Dieser meinte, daß sich in Lev 1 8 - 2 6 viele „Spuren von Pg" 2 3 fänden, und schloß aus, daß man diese Spuren als bloße redaktionelle Überarbeitungssegmente ansehen könne. 2 4 Er verwies auch auf eine Reihe von „Pg"-Passagen, die ihrerseits auf bestimmte Passagen im Heiligkeitsgesetz bezogen sei-
16 Im einzelnen zählt BAENTSCH Lev 18-20; 23,9-12.15-17.18a.l9b.20.22.39b.40. 42f; 24,15-22; 25,1-8.10.14.17.18-24(25-53?) zu „H 1 ". Vgl. dazu BAENTSCH, a.a.O., 69, ähnlich DERS., HK 1/2, 387f. 17 Vgl. BAENTSCH, Heiligkeits-Gesetz, 69f. 18 BAENTSCH, a.a.O., 70. BAENTSCH datiert diese Redaktion „zwischen Deuteronomium und Priesterkodex" (a.a.O., 117). Im Blick auf das Verhältnis zu Ezechiel legt er sich nicht fest. Er schreibt: „Im Uebrigen kann Lev XVII gleichzeitig, älter oder jünger als Ezechiel bezw. seine Cultgesetzgebung Ez. XL-XLVIII sein" (a.a.O., 119). In seinem Kommentar scheint BAENTSCH die Vermutung aufgegeben zu haben, daß Lev 17 von der letzten vorpriesterlichen Redaktion geschaffen wurde. Im großen und ganzen hält er aber an seiner früheren Rekonstruktion fest (vgl. BAENTSCH, HK 1/2, 387f). 19 BAENTSCH, HK 1/2, 387, ähnlich DERS., Heiligkeits-Gesetz, 130. 20 DILLMANN-RYSSEL, KEH 3 , 582-584. 21 HOLZINGER, Einleitung, 409f. 22
23
A.a.O., 4 1 0 f , ähnlich WURSTER, Charakteristik, 127.
HOFFMANN, Leviticus II, 5. 24 HOFFMANN setzt insbesondere bei der .Doppelüberlieferung' Lev 18 und Lev 20 an und erklärt diese mit dem Hinweis auf die beiden unterschiedlichen Orte von Gesetzesmitteilung an Mose, die in den priester(schrift)lichen Sinaitexten erwähnt werden. Lev 18 sei ein „Sinaigesetz", Lev 20 dagegen ein „Stiftszeltgesetz". „Pg" habe Gesetze aus diesen beiden Mitteilungsvorgängen überliefert, was sich etwa auch an der ,Doppelüberlieferung' der Opfergesetze in Lev 1 - 5 einerseits (Stiftszeltgesetz) und Lev 6f andererseits (Sinaigesetz) zeige (a.a.O., l f ) .
8
Einleitung
en. 2 5 Aus diesem und anderen Gründen bestritt er die These von der literaturgeschichtlichen Differenz zwischen Heiligkeitsgesetz und Priesterschrift und hielt Lev 18-27 (sie!) für einen originären Teilabschnitt von „Pg", den er „Heiligkeitsbuch" (HDD nttfltp) nannte. 26 Neben Hoffmann bestritt auch B. D. Eerdmans, daß Lev 17-26 eine ältere und erst später in die Priesterschrift übernommene Quelle sei. Er führte u.a. an, daß diese Kapitel keinen Abschnitt enthielten, der als Anfang eines ehemals selbständigen Rechtsbuches in Frage käme. 2 7 Daneben wies Eerdmans darauf hin, daß der paränetische Hinweis auf die Heiligkeit Gottes in den Abschnitten Lev 17; Lev 18 und Lev 2 3 26 fehlt, weshalb keine Rede davon sein könne, daß sich 17-26 gerade durch diesen Topos von seinem Kontext unterscheide. 28 Schließlich bestritt er die gängige Behauptung, daß sich das Heiligkeitsgesetz von den übrigen Texten des Buches Leviticus im Sprachgebrauch unterscheide, da viele in diesem Zusammenhang genannte Sonderformen entweder sachlich bedingt seien oder, wie etwa die Formel Hin' '3X, auch sonst im Pentateuch vorkämen. 2 9 Abgesehen von Hoffmann und Eerdmans hat sich etwas später auch S. Küchler gegen die opinio communis gewandt. Im Anschluß an Überlegungen A. Dillmanns kam er zu dem Ergebnis, daß dem Abschnitt Lev 17-26 jede innere Systematik fehle. 3 0 Der Text könne nicht als ein Rechtskorpus angesehen werden, 31 und zwar schon deshalb nicht, weil seine verschiedenen Unterabschnitte an ganz verschiedene Adressaten gerichtet seien. Auch spreche die „bunte Mannigfaltigkeit des Inhalts" bzw. „das Fehlen jeglichen ordnenden Geistes" 32 dagegen, daß Lev 17-26 jemals als ein selbständiges Rechtskorpus existiert habe. 3 3
Die drei zuletzt genannten Autoren sprechen sich gegen die Annahme aus, daß das Heiligkeitsgesetz literarisch von der „Priesterschrift" zu unterscheiden sei. Diese Meinung konnte sich allerdings in der weiteren Forschungsgeschichte nicht durchsetzen.34 Es blieb bei der alten These des vorpriesterschriftlichen Rechtsbuches namens „Heiligkeitsgesetz". In der Folgezeit, die man als dritte Forschungsphase bezeichnen könnte, wurden dann neue methodische Gesichtspunkte in die Debatte eingebracht. 1934 veröffentlichte A. Alt seinen wegweisenden Aufsatz „Die Ursprünge des
25 26 27 28 29 30
31
A.a.O., 5-8. A.a.O., 1. EERDMANS, Studien, 83. A.a.O., 85. A.a.O., 86f. KÜCHLER, H e i l i g k e i t s g e s e t z , 1 1 , v g l . DILLMANN-RYSSEL, K E H 3 , 5 8 3 .
Ebd. A.a.O., 61. 33 Wie schon für HOFFMANN (Leviticus II, 2-5), so spricht auch für KÜCHLER die besondere Parallelität von Lev 18 und 20 gegen die Annahme, daß 17-26 ein selbständiger Komplex ist. Er formuliert: „Man beachte in dieser Hinsicht das Nebeneinander von Kapitel 18 und 20; dieses und die Trennung beider Kapitel durch Kapitel 19 kann doch in einer .Sammlung' kaum bestehen" (a.a.O., 61). 34 In der verbreiteten Einleitung von STEUERNAGEL (Einleitung, 241ff) etwa werden diese Arbeiten zwar erwähnt, letztlich wird aber doch die alte These der vorpriesterschriftlichen Ansetzung vertreten. 32
Forschungsgeschichte
9
israelitischen Rechts". 35 Darin arbeitete er bekanntlich am Beispiel des Bundesbuchs (Ex 20,23-23,33) heraus, daß ein formeller und institutioneller Unterschied zwischen kasuistisch und apodiktisch formulierten Rechtssätzen besteht.36 Alts Unterscheidung wurde für die Erforschung der alttestamentlichen Rechtstexte im ganzen bestimmend. Sie führte dazu, daß formgeschichtliche Fragestellungen bei der Analyse dieser Texte in den Vordergrund rückten, wobei es speziell darum ging, die in diesen Texten vorhandenen Rechtssatzformen zu beschreiben und auf die jeweils formbestimmende institutionelle Basis zurückzuführen. Die Aufgabe, den jeweiligen „Sitz im Leben" der einzelnen Formen zu bestimmen, kam also als entscheidende Aufgabe hinzu.37 Auch L e v 17-26 wurde in der Folge von Alts Untersuchung vermehrt formgeschichtlicher Betrachtungsweise unterzogen. Bereits A l t selbst, K . Rabast und G. von Rad wiesen auf die Existenz zusammengehöriger Serien von formal identischen Rechtssätzen in 17-26 hin. Insbesondere machten sie auf stereotyp formulierte apodiktische Rechtssatzreihen in 18,7ff; 19,11-18 und 20,9ff aufmerksam. 38 Im Zusammenhang mit der gängigen These v o m Ursprung des apodiktischen Rechts in amphyktionischen Institutionen ging man davon aus, daß diese formal einheitlichen Reihen sehr alt seien. 39 Schließlich untersuchten W . Kornfeld und C. Feucht die im Heiligkeitsgesetz vorhandenen Rechtssätze in formgeschichtlicher Hinsicht. Sie entwickelten auf der Basis der A l t ' schen Unterscheidung etwas detailliertere Klassifikationssysteme für die
35
ALT, Ursprünge, 278-332.
36
Zum kasuistisch formulierten Recht vgl. a.a.O., 285-302; zum apodiktisch formu-
lierten Recht a.a.O., 302-332. 37
V g l . etwa die formgeschichtlich orientierten Arbeiten von LLEDKE, W M A N T 39;
GERSTENBERGER, W M A N T 20; BOECKER, W M A N T 14; SCHULZ, B Z A W 114; VAN DER PLOEG, Studies, 416-427; HENTSCHKE, Erwägungen, 108-133 und WAGNER, B Z A W 127 u.v.a. A L T zugrunde liegt die formgeschichtlich orientierte Arbeit von JIRKU, Das weltliche Recht. Zum Ganzen vgl. auch SCHOTTROFF, Recht, 19-27. 38
Vielfach versuchte man, aus diesen Texten ältere „ D e k a l o g e " und „Dodekaloge"
zu rekonstruieren. Schon ALT etwa betonte, daß L e v 18,7-17 eine „elfgliedrige Aufzählung" ist, und erwog, ob nicht aus 18,18 ein zwölftes gleichlautendes Glied zu erschliessen wäre, das nachträglich verändert worden sei (a.a.O., 315). RABAST vermutete hinter den NDV TLLQ-Sätzen in L e v 20 einen Dekalog (RABAST, Recht, 22). VON RAD erkannte in L e v 18,7ff; 1 9 , 9 f . l l . 13-18.19.26-28 ältere Reihen (VON RAD, Deuteronomium Studien, 17-20) und stellte die Frage, ob in diesen Texten die Stilform der s. E. älteren Texte Dtn 27,15ff und Ex 20,2ff nur nachgeahmt werde oder ob diese Texte ebenso alt seien. Im Ergebnis rückte er aber L e v 18,7ff usw. an Dekalog und Dodekalog heran (a.a.O., 21). 39
Zu diesem forschungsgeschichtlichen Zusammenhang vgl. CRÜSEMANN, Recht,
17-20.
10
Einleitung
hier vertretenen Rechtssatzformen. 40 Es war eine folgenschwere Weichenstellung, daß in dieser Phase die auf die formale Gestalt der Rechtssatzformen bezogene Analyse mit literarkritischen und überlieferungsgeschichtlichen Fragestellungen verbunden wurde. Die formalen Unterschiede zwischen den einzelnen Rechtssätzen wurden so in der Regel als literarkritisch auszuwertende Spannungsmomente verstanden. 41 So kam es zu dem methodischen Postulat, daß die Mischung von unterschiedlichen Rechtssatzformen in einem Komplex ein Indiz für dessen literarische Mehrschichtigkeit ist. 42 Diese methodische Prämisse und die Tatsache, daß man an der Existenz jüngerer und jüngster Texte in 17-26 festhielt, zugleich aber bei den gleichförmig formulierten apodiktischen Rechtssatzreihen zu ausgesprochenen Frühdatierungen neigte, führten dazu, daß es in dieser Zeit zu sehr komplizierten literaturgeschichtlichen Entstehungsthesen zum Heiligkeitsgesetz kam. H. Graf Reventlow und R. Kilian gingen etwa davon aus, daß die ältesten Abschnitte in 17-26 schon in der Wüsten-, Landnahme* oder Richterzeit entstanden seien, während die jüngsten Teile erst kurz vor bzw. während des Exils hinzugefügt worden seien, was einen Entstehungszeitraum im ganzen von mehr als 500 Jahren ergibt. 43 Im einzelnen finden sich in dieser Zeit folgende Thesen:
40 Vgl. KORNFELD, Studien, 33-68 und 135-138 (Übersichtstabelle); FEUCHT, Untersuchungen, 22-30. 41 Das zeigt sich z. B. sehr deutlich in der Arbeit von FEUCHT, der sich mit Einschränkungen die methodischen Thesen JlRKUs zu eigen macht (vgl. FEUCHT, a.a.O., 20ff), welcher davon ausgeht, daß „Gesetzessammlungen immer im gleichen Stil" formuliert sind (JLRKU, Recht, 32) und daß die formal gemischten Rechtstexte im Alten Testament „in ihrer heutigen Form etwas Sekundäres sind" (ebd.). FEUCHT will zwar „die Jirkusche Gleichung ,Stil = Quelle' bzw. .Stiländerung = Quellenscheidung' nicht in jedem Falle" übernehmen (a.a.O., 22). Er folgt ihr im Grundsatz aber gleichwohl, wenn er schreibt, daß „bei jedem Stilwechsel die Möglichkeit einer abweichenden Quelle in Erwägung zu ziehen ist" (ebd.). 42 Noch an den jüngeren Arbeiten von ELLIGER und CHOLEWINSKI wird deutlich, daß diese methodische Prämisse in der Analyse vorausgesetzt wird. ELLIGER hält etwa Lev 20,27 für eine späte Ergänzung in Lev 20 (HAT 1/4, 271). Diese Entscheidung ist aber eigentlich nur mit dem besonderen Stil dieses Rechtssatzes begründet. CHOLEWINSKI daneben hält etwa Lev 17,15f für einen Zusatz (AnBib 66, 27.31). Auch diese Entscheidung wird nur stilistisch begründet. 43 KILIAN hält es etwa für möglich, daß die von ihm rekonstruierte Grundschicht in Lev 17; 18 und 19 bereits in der mosaischen Zeit bzw. während der Landnahme entstanden ist (vgl. KILIAN, BBB 19, 12.27.60). Andererseits verortet er seine Bearbeitungsschicht „Rh" in die „exilische Zeit" (KILIAN, a.a.O., 174). Ähnlich hält auch REVENTLOW bestimmte Teile des Heiligkeitsgesetzes für sehr alt: „Der Kern des Ganzen, der Dekalog von Kap. 19, weist auf den Sinai als den gottesdienstlichen Ort seiner Entstehung hin. In die Sinai- und Wüstensituation gehören auch verschiedene andere seiner Teile, wie z. B. Kap. 17" (REVENTLOW, WMANT 6, 163). Anders als KILIAN denkt er
Forschungsgeschichte
11
Reventlow führte Theologie und Gestaltung von 17-26 auf die gottesdienstliche Begehung des von ihm und anderen postulierten vorexilischen Bundesfestes zurück. 4 4 Das Heiligkeitsgesetz sei das literarische Produkt der im Zusammenhang dieses Bundeskultes geübten (Rechts-)Verkündigung. Ein Teil der Bestimmungen von 17-26 stamme noch aus alten, amphyktionischen Verhältnissen. Die Jetztgestalt des Heiligkeitsgesetzes sei dann allmählich entstanden. Sie habe sich in der „jahrhundertelangen Entfaltung im Gottesdienst" 45 herausgebildet. Ausdrücklich betonte Reventlow, daß das Heiligkeitsgesetz gerade in seiner Endgestalt dem Bundeskultzusammenhang entstammt. 46 In diese These schloß er die in der Regel als redaktionell-priesterschriftlich bestimmten Redeeinleitungsformeln („Da sprach der Herr zu Mose" usw.) ausdrücklich ein. 4 7 Die einzelnen Stadien der Entstehung des Heiligkeitsgesetzes seien literarkritisch allerdings nicht mehr auseinanderzudividieren. 48 Auf die Frage nach dem Verhältnis zwischen Heiligkeitsgesetz und „Priesterschrift" geht Reventlow kaum ein.
Anders als für Reventlow geht das Heiligkeitsgesetz in seiner vorliegenden Gestalt für C. Feucht und R. Kilian auf einen Prozeß literarischer Bearbeitung und Fortschreibung zurück, der als solcher am jetzigen Text noch abzulesen sei. Aufgrund signifikanter Unterschiede zwischen den vorderen und den hinteren Passagen des Heiligkeitsgesetzes vermutete Feucht, daß 17-26 aus zwei ursprünglich selbständigen Teilsammlungen zusammengefügt worden sei, nämlich aus 18-23A (die Feucht als „H 1" bezeichnet) 49 und aus 25-26 (die er „H 2" nennt). 50 Diese beiden als vorredaktionell anzusetzenden Sammlungen gehen nach Feucht auf ältere Quellen zurück. 5 1 Die erste Sammlung sei etwa in der Manasse-Zeit (696-642 v.Chr.) entstanden, die zweite dagegen zwischen 625 und 608. 52 Nicht ganz deutlich ist, ob Feucht auch die Verarbeitung dieser beiden Teilsammlungen zu einem Komplex noch als vorpriesterschriftlich verortete. Erkennbar ist aber, daß er die Endredaktion auf priesterschriftliche Autoren zurückführte, da er die Redeeinleitungsformeln als priesterschriftlich („P") bestimmte. 53 Eine andere These zur Entstehung des Heiligkeitsgesetzes hat Kilian vorgelegt. Unter konsequenter Anwendung einer etwas rigiden Literarkritik erschloß er ein vorpriesterschriftliches „Urheiligkeitsgesetz", das aus Rechtssätzen ausschließlich reiner und einfacher Formen bestanden habe. Zu diesem „Urheiligkeitsgesetz" rechnete Kilian bestimmaber offenbar an einen noch vorexilischen Endpunkt der Entstehung des Heiligkeitsgesetzes (vgl. a.a.O., 165f). 44 A.a.O., 30. Zur Diskussion um den „Bundeskult" vgl. PERLITT, WMANT 36, 115128. 45 REVENTLOW, a.a.O., 162. 46 A.a.O., 30. 47 A.a.O., 32-35. 48 Vgl. ebd. 49 Lev 23A bezeichnet bei FEUCHT „die nicht kalendermäßig datierten Festgesetze" (Untersuchungen, 65), also Lev 23,9-20.39-43. 50 Er macht u.a. darauf aufmerksam, daß die Formel HUT 'JN im zweiten Teil des Heiligkeitsgesetzes nicht mehr vorkommt, ebensowenig die sogenannte „Satzungsformel" (vgl. Lev 18,5) (a.a.O., 64ff). 51 Zu den Quellen von „H 1" vgl. a.a.O., 66-72, zu denen von „H 2" vgl. a.a.O., 72f. 52 Vgl. a.a.O., 176 mit 177-179. 53 Vgl. a.a.O., 31 mit 222, Anm. 29.
12
Einleitung
te Passagen aus 18-22 und 25. 5 4 Anders als das Heiligkeitsgesetz in seiner heutigen Gestalt habe dieses älteste Korpus eine gewisse Ordnung aufgewiesen, die sich darin zeige, daß 18-20 durchweg „moralische Vorschriften" biete, während in 21f.25 nur „kultische Vorschriften" gebündelt ständen. 55 Dieses „Urheiligkeitsgesetz" („Ru") sei vermutlich „zwischen Dt und 586 v.Chr." entstanden, da es einerseits die deuteronomische Kultuszentralisation voraussetze, andererseits aber zugleich in einer gewissen Nähe zur Priesterschrift („P") stände. 56 Später sei dieser Text dann durch einen weiteren Redaktor („Rh") zum (ebenfalls noch vorpriesterschriftlich anzusetzenden) „Heiligkeitsgesetz" ergänzt worden. 5 7 Ein Sonderproblem ist nach Kilian die entstehungsgeschichtliche Einordnung von 17. In diesem Kapitel seien weder Spuren der „Ru"- noch der . ^ " - B e a r beitung zu entdecken. Kilian vermutet deshalb, daß 17 erst von einem späteren, priesterschriftlichen Redaktor dem vorpriesterschriftlichen „Heiligkeitsgesetz" (18ff) vorangestellt worden sei. Kilian postuliert in diesem Zusammenhang mehrere priesterschriftliche Bearbeitungsgänge, die auch für die Erweiterungen der Paränese in 18 und 20 und überhaupt für die Eingliederung des Heiligkeitsgesetzes in die Priesterschrift verantwortlich gewesen seien (z. B. die „Rp"- und „Rra II"-Bearbeitungen). 58 D i e i m e i n z e l n e n recht u n t e r s c h i e d l i c h e n A r b e i t e n v o n F e u c h t , R e v e n t l o w und K i l i a n z e i g e n , daß die A n n a h m e , daß das H e i l i g k e i t s g e s e t z der „Priesterschrift" als e i n R e c h t s b u c h bereits v o r g e l e g e n habe, auch für die f o r m g e s c h i c h t l i c h orientierte F o r s c h u n g m a ß g e b l i c h ist. M i t d e m Referat über die f o r m g e s c h i c h t l i c h orientierten A r b e i t e n läßt s i c h die D a r s t e l l u n g der älteren F o r s c h u n g am H e i l i g k e i t s g e s e t z s i n n v o l l a b s c h l i e ß e n . W i r k ö n n e n h i n s i c h t l i c h dieser P h a s e f o l g e n d e s Fazit z i e h e n : D a s literarische Verhältnis z w i s c h e n d e m H e i l i g k e i t s g e s e t z und d e m pries t e r ( s c h r i f t ) l i c h e n T e x t b e r e i c h wird in der älteren F o r s c h u n g als e i n w i c h t i g e s P r o b l e m diskutiert. D i e M e h r z a h l der älteren Forscher k o m m t in dieser Frage z u d e m Ergebnis, daß das H e i l i g k e i t s g e s e t z literaturgeschichtl i c h v o n der „Priesterschrift" z u u n t e r s c h e i d e n ist. H ä u f i g g i n g m a n d a v o n aus, daß in 1 7 - 2 6 e i n v o r p r i e s t e r s c h r i f t l i c h e s R e c h t s k o r p u s greifbar sei, das dann erst sekundär in die Priesterschrift ü b e r n o m m e n w u r d e . 5 9 I m einz e l n e n differieren die R e k o n s t r u k t i o n e n d i e s e s vorpriesterschriftlichen
54 KILIAN denkt im einzelnen, daß Lev 18,6-23*; Lev 19,5-8a.ll-18.26-28.30; Lev 20,2f*.7-9*. 10-21.27; Lev 21,lbß-8.10-15*.17b-23*; Lev 22,2-16*.18bf*.20-25.2732; Lev 25,2b-7*.14.17.25*.35-37*.9-40a.43f.47.53 zum Bestand seines „Urheiligkeitsgesetzes" gehören (KILIAN, BBB 19, 164). 55 A.a.O., 167. 56 A.a.O., 168. 57 Zu dieser Schicht rechnet KILIAN Lev 18,2b-4.24.30; 19,2aß-4.9f.23-25.31.3336; 23,10aß-22*.39f*.42f; 24,16-22*; 25,2aß.l7-22.38.42.46b*.55 und 26,1-9.11-13. 15-19f*.22*.25*.26.29-33.36.37a.39.40aß.42.45 (a.a.O., 169). Zur vorpriesterschriftlichen Ansetzung dieser Schicht vgl. a.a.O., 174f. 58 A.a.O., 175.178. 59 Zu dieser Sicht vgl. auch ELLIOT-BLNNS, Holiness Code, 26ff; NOTH, Gesetze,
5 2 f f ; DERS., A T D 6 , 5 . 1 0 9 f ; DERS., Ü b e r l i e f e r u n g s g e s c h i c h t e , 7 f ; MOWINCKEL, E r w ä -
gungen, 23f.
13
Forschungsgeschichte
Rechtsbuches allerdings erheblich. Feucht beispielsweise geht von zwei unverbundenen vorpriesterschriftlichen Sammlungen aus. Kilian postuliert hingegen ein zusammenhängendes vorpriesterschriftliches „Urheiligkeitsgesetz", das die jetztigen Konturen von Lev 17-26 schon präfiguriert. Es ist aber auch zu erwähnen, daß einzelne Forscher in dieser Phase trotz aller Gegentendenz eine literaturgeschichtliche Unterscheidung zwischen „Priesterschrift" und Heiligkeitsgesetz ablehnen (z. B. Hoffmann, Eerdmans und Küchler). 2.2 Das Heiligkeitsgesetz
in der neueren
Forschung
Wir kommen damit zur neueren Forschung. Hier ergibt sich folgendes Bild: Die These, daß 17-26 ein vorpriester(schrift)liches Rechtsbuch zugrunde liegt, wird nur noch selten vertreten.60 Allerdings ist es gleichwohl zu keinem Konsens über 17-26 gekommen, und auch die jüngsten Untersuchungen zum Heiligkeitsgesetz zeichnen sich durch weit auseinanderstrebende Thesen aus. Weiterhin wird das Verhältnis von 17-26 zum umgebenden priester(schrift)lichen Textbereich diskutiert. Allerdings geht es nun nur noch selten um die Frage, ob 17ff vorpriester(schrift)lich anzusetzen ist oder nicht. Eine wichtige Arbeit, die weiterhin für die vorpriesterschriftliche Verortung des Heiligkeitsgesetzes plädiert, stammt von W. Thiel. 61 Dieser weist besonders auf die paränetischen Passagen (18,2-5.24-30 usw.) hin und sieht darin den textlichen Niederschlag einer für das Gesamtkorpus entscheidenden vorpriesterschriftlichen Redaktion. 62 Aufgrund dieser Paränese verortet Thiel das Heiligkeitsgesetz „in deuteronomistischen Traditionszusammenhängen ",63 weil er besonders die Mahnung zum Halten der Gebote, die ein wichtiger Bestandteil dieser Paränese ist, als ein dtn.-dtr. Traditionselement identifiziert (sog. „dtn Gesetzespredigt").64 Neben Thiel spricht sich neuerdings auch J. Joosten für eine vorpriester(schrift)liche, ja vorexilische Verortung des Heiligkeitsgesetzes aus. 65
Die gegenwärtige Diskussionslage wird daneben durch folgende Fragen bestimmt: Zum einen geht es nun darum, ob das Heiligkeitsgesetz ein genuiner Bestandteil des priester(schrift)lichen Textbereichs ist oder eine spätere (oder gleichzeitige) Ergänzung dazu darstellt. Zum anderen wird diskutiert, ob 17-26 überhaupt einen zusammenhängenden Komplex bilden oder ob es sich nicht eher um untereinander unverbundene Einzeltexte 60
Vgl. etwa SMEND, Entstehung, 59-62; BOECKER, Recht, 162-165; MATHYS, OBO 71, 82ff. 6 1 THIEL, Heiligkeitsgesetz, 40-73. 62 A.a.O., 44-46. 63 A.a.O., 70. 64 A.a.O., 69f. 65
132.
JOOSTEN, V T . S 67, 1 9 3 - 2 0 7 ; zur Kritik an JOOSTEN v g l . OTTO, T h L Z 123, 1 2 9 -
14
Einleitung
handelt, die im Laufe der Formierung des priester(schrift)lichen Textbereichs an ihren jetzigen literarischen Ort gekommen sind.
2.2.1 Lev 17-26 als spätere oder zeitgleiche Ergänzung zur „Priesterschrift" In der Gegenwart sind zum einen besonders die Thesen K. Elligers zu 1726 wirksam geworden, die er vornehmlich in seinem Leviticuskommentar entwickelt hat. 66 Die Bedeutung seiner Sicht liegt in ihrer Frontstellung gegenüber der älteren These der vorpriesterschriftlichen Ansetzung. Als erster in neuerer Zeit hat nämlich Elliger behauptet, daß 17-26 „von vornherein für den Einsatz in die priesterliche Grundschrift" konzipiert wurde und „niemals als selbständiges Korpus" existierte. 67 Wie seine Vorgänger rekonstruiert zwar auch Elliger auf der Grundlage einer weitgehend auf formgeschichtlichen Erwägungen basierenden Literarkritik 68 eine komplizierte Redaktionsgeschichte des Heiligkeitsgesetzes und will neben älteren Quellen eine Reihe von Überarbeitungsschichten ausmachen. 69 Neu an seiner Sicht ist aber, daß er die Redaktionsprozesse, die s. E. zur Jetztgestalt von 17-26 geführt haben, ausschließlich auf priesterschriftlich bestimmte Autorenkreise zurückführt. Einzelne Passagen des Heiligkeitsgesetzes wie z.B. 18,7-17a hält Elliger zwar für älter. 70 Die Formung von 17-26 zu einer Rechtssammlung gehe jedoch erst auf priesterschriftlich bestimmte Redaktionsgänge zurück. Schon die erste dieser Redaktionen („Ph 1 ") setze die „priesterliche Grundschrift" („Pg") voraus. 71 Eiliger hält
66
Vgl. bes. ELLIGER, HAT 1/4, 1 6 - 2 0 und daneben DERS., RGG 3 III, 175f.
67
ELLIGER, a . a . O . ,
16.
68
Zu diesem methodischen Ansatz siehe a.a.O., 15f. 69 ELLIGER geht von vier entscheidenden Redaktionsgängen aus: Auf den Redaktor „Ph" gehen nach ELLIGER 1 7 , l - 4 . 8 a ß - 1 0 a . l l a a . l 3 . 1 4 a < x ß ; 1 8 , l - 4 . 6 ( ? ) . 7 - 1 7 a . ( 1 7 b - 2 0 . 22f).24.30; 2 5 , l - 6 a a . 8 - 1 9 . 2 3 - 3 1 . 3 5 - 4 1 a . 4 6 - 5 0 . 5 4 f sowie 2 6 , 3 - 1 3 * . 1 5 - 1 7 . 1 9 f . 2 5 a c x ß . 3 0 - 3 3 a zurück. „Ph 2 " habe in Lev 17 die V . 1 0 b . l l a ß y b . l 2 . 1 4 a y ö b , in Lev 18 die V.5. 2 5 - 2 9 , in Lev 19 die V.19.37 und in Lev 25 die V . 3 9 - 5 5 . 4 1 b . 4 2 . 4 4 b - 4 6 b a . 4 7 b y . 4 9 a . 5 0 b - 5 3 hinzugefügt, außerdem gehe auf „Ph 2 " nahezu der gesamte Text von Lev 20 (mit Ausnahme von V . l . 1 9 . 2 5 . 2 7 ) zurück und 2 1 , 1 - 8 . 1 0 - 1 5 . „Ph 3 " sei für kleinere Zusätze in Lev 2 0 und 21 ( V . 1 6 - 2 4 ) verantwortlich sowie für die Umstellung der ursprünglichen Reihenfolge 2 1 , 1 - 1 5 ; 20*. Außerdem stamme von „Ph 3 " Lev 2 2 , 1 7 22.25b und ein Grundbestand des Festkalenders Lev 23 ( V . 1 . 2 a a . 4 - 1 0 a a . 2 1 a ß y . 2 3 2 5 . 3 3 - 3 8 . 4 4 ) . Auf „Ph 4 " schließlich führt ELLIGER wichtige Ergänzungen im Festkalender (z. B. V . 9 - 2 1 . 3 7 . 3 9 - 4 2 * ) , einige Neuerungen im Priestergesetz ( 2 2 , 1 - 1 6 ) , weitere Opferregeln ( 2 2 , 2 6 - 3 0 ) , die Mahnung in 2 2 , 3 1 - 3 3 , die Bestimmungen über Leuchter und Schaubrottisch in 2 4 , 1 - 9 sowie die Episode über den Gotteslästerer (Lev 2 4 , 1 0 f f ) zurück. Vgl. zum Ganzen ELLIGER, HAT 1/4, 1 6 - 2 0 . 70 71
Zu den „Vorlagen" vgl. besonders ELLIGER, a.a.O., 17f. A.a.O., 16.
Forschungsgeschichte das H e i l i g k e i t s g e s e t z damit für e i n G e b i l d e , das w e s e n t l i c h nachbenpriesterschriftlich a n z u s e t z e n ist.
15 bzw.
ne-
Diese literaturgeschichtliche Einordnung hängt mit einer bestimmten Hypothese über die Primärformation der priester(schrift)lichen Sinaitexte (Ex 25ff) zusammen. Elliger geht nämlich davon aus, daß die Priesterschrift („Pg") im Bereich der Sinaitexte ausschließlich die Begründung und Installation des Heiligtums und des Kultes zum Inhalt hatte und keine im strengeren Sinn ethischen Bestimmungen enthielt. 72 Die Absicht des „Initiator[s]" 73 des Heiligkeitsgesetzes (sc. des ersten Redaktors „Ph 1 ") sei es dann gewesen, diese „Sinaigesetzgebung des Pg ... durch eine Gesetzgebung zu ergänzen, die ... nun auch die Gemeinde in ihrem außerkultischen Leben auf ihre Verantwortung für den Bestand und das Funktionieren des Gottesbundes hinwies". 7 4 Durch weitere, in ihren Grundintentionen an „Ph 1 " anknüpfende Redaktionen sei dann 17-26 in seiner vorliegenden Gestalt entstanden, wobei Eiliger durchaus mit der Möglichkeit rechnet, daß es auch noch nachkompositorische Überarbeitungsprozesse gegeben habe. 7 5 N e b e n der A n a l y s e E l l i g e r s ist für die g e g e n w ä r t i g e F o r s c h u n g die Arbeit v o n A . C h o l e w i n s k i , e i n e der s o r g f ä l t i g s t e n U n t e r s u c h u n g e n z u m H e i l i g k e i t s g e s e t z überhaupt, prägend g e w o r d e n . Im Prinzip geht C h o l e w i n s k i m e t h o d i s c h ähnlich v o r w i e Elliger. A u f der Grundlage einer w e i t g e h e n d f o r m g e s c h i c h t l i c h orientierten Literar- und Redaktionskritik 7 6 k o m m t auch er z u einer recht v i e l s c h i c h t i g e n T e x t e n t s t e h u n g s g e s c h i c h t e , die allerdings d e u t l i c h anders verläuft als n a c h der R e k o n s t r u k t i o n Elligers. N a c h C h o l e w i n s k i hat e s z u n ä c h s t nur s e l b s t ä n d i g e , kleinere R e i h e n v o n R e c h t s s ä t z e n g e g e b e n , die als v o r r e d a k t i o n e l l e V o r l a g e n a n z u s e h e n s e i e n . 7 7 In einer ersten Bearbeitungsphase seien diese Reihen unabhängig v o n e i n a n d e r tradiert w o r d e n . D i e s e erste B e a r b e i t u n g s p h a s e habe k a u m z u größeren, mehrere T h e m e n u m f a s s e n d e n S a m m l u n g e n geführt; e s sei v i e l m e h r bei ,,kleinere[n] K o m p l e x e [ n ] " 7 8 g e b l i e b e n . F o l g e n d e T e x t e führt C h o l e w i n s k i auf d i e s e B e a r b e i t u n g s p h a s e zurück: E i n e „H 1" g e n a n n t e
72
Zu dieser Sicht vgl. ELLIGER, a.a.O., 16; VON RAD, BWANT 65, 187; KOCH, FRLANT 71, 96-104; DERS., Sinaigesetzgebung, 36-51. Vgl. auch die Rekonstruktion bei WEIMAR, Sinai, 373-380. 73 A.a.O., 16. 74 Ebd. (Hervorhebung: A.R.) ELUGER sieht in der Heiligkeitsforderung von 19,2 die programmatische Bestimmung dieses Redaktors und meint, daß auch die sog. Langform der Selbstvorstellungsformel (DD'H^X Hin' 'JS) auf ihn zurückgehe (ebd.). 75 A.a.O., 20. 76 Vgl. dazu die methodischen Bemerkungen von CHOLEWINSKI, AnBib 66, 11-15. 77 Im einzelnen hält er Lev 17,8-10*.13f*; 18,7-17a.l7b-23; 1 9 , 9 f * . l l - 1 2 a . l 3 18*.19aß.b.27f*.30; 20,2.9-18.20-21.27; 21,lbß-4.7f*.10-14*.17bM8-20.22*.23aß; 22,3*.4-7.10-14.18-25*.26-30; 23,9-21*.39-43; 25,25b-31.48-53a.54; 26,4.5b.6a.7. llb.l4.15.16*.17.18.19-20.21.23-24.25.27-28.30b-33a.37b-38 für ,,vorgegebene[..] Gesetzesmaterialien" (vgl. a.a.O., 131f). 78 A.a.O., 132.
16
Einleitung
Redaktion habe ihre Spuren in 17,3-9 hinterlassen. 79 Eine „H 2"-Redaktion habe die Vorlagen in 18,6-23 und 19,11-18.26.28.30.32 zu einer größeren Einheit zusammengefaßt (bzw. geringfügig ergänzt) und damit eine ,„Grundordnung' des israelitischen Lebens" geschaffen. 80 Typisch für diese Redaktion sei die kurze Selbstvorstellungsformel Hin' 'JN. In einem mehrschichtigen Redaktionsprozeß - Cholewinski verwendet dafür das Siglum „H 3" - sei daneben ein 20-22* umfassender Komplex entstanden. Eine „H 4" genannte Redaktion habe den Zusammenhang der Festgesetze in 23,4-8.23-25.33-38 geschaffen. Eine „H 5" genannte Redaktion habe schließlich die in Lev 25 überlieferte Vorlage ausgebaut. Diese verschiedenen Sammlungen seien dann in einer weiteren Bearbeitungsphase, die Cholewinski mit dem Siglum „HG" kennzeichnet, zusammengefaßt und zu der Einheit geformt worden, die ungefähr dem Umfang des jetzigen Heiligkeitsgesetzes entsprochen habe. 81 Die letzte Formationsschicht ist für Cholewinski die entscheidende (zusätzlich werden noch einige nachkompositionelle Redaktionen postuliert). 82 Es zeigt sich, daß auch Cholewinski das Heiligkeitsgesetz als Rechtskorpus nachpriesterschriftlich ansetzt, 83 da er alle gestaltbildenden Redaktionen der „P-Literatur" nachordnet. 84 Wichtig ist aber noch ein anderer Punkt: Cholewinski kommt zu dem Ergebnis, daß alle Redaktionen des Heiligkeitsgesetzes - besonders die Redaktion „HG" - in einer großen Nähe zum deuteronomischen Gesetz stehen. Nach einem ausführlichen Vergleich dieser Parallelen kommt er zu dem Ergebnis, daß es in der Regel enge Berührungen, aber auch signifikante Unterschiede zwischen den Bestimmungen des deuteronomischen Gesetzes und den entsprechenden des Heiligkeitsgesetzes gebe. Auf diesem Weg gelangt er zu seiner zentralen These, daß das Heiligkeitsgesetz die Funktion habe, das deuteronomische Gesetz zu modifizieren und zu ergänzen.85 Besonders der Vergleich von 17; 23 und 25 mit ihren Parallelen in Dtn 12; Dtn 16 und Dtn 15 ist
79
Hierzu und zum folgenden vgl. a.a.O., 1 3 2 - 1 3 5 . A.a.O., 133. 81 Zur Redaktionsschicht „HG" vgl. a.a.O., 1 3 5 - 140. 82 Vgl. dazu a.a.O., 140f. 83 Schon im Blick auf seine älteste Redaktionsschicht H 1 meint CHOLEWINSKI: „Die H 1-Redaktion wird wohl nicht viel früher als die HG-Redaktion zu datieren sein. Wenn nun diese von der P-Literatur abhängt, kann auch jene nach der Abfassung der priesterlichen Grundschrift angesetzt werden." (A.a.O., 336). 84 CHOLEWINSKI schreibt über die verschiedenen Redaktionsebenen: „Sie scheinen alle, besonders aber die H 1, H 3 und H 4 Redaktoren und der HG-Redaktor, zu den priesterlichen Kreisen gehört zu haben. Die Bekanntschaft mit den P-Schriften w i e auch die spezielle Hervorhebung der kultischen Probleme ... weisen deutlich genug darauf hin" (a.a.O., 140). Vgl. auch a.a.O., 2 8 - 3 0 . 8 6 f . l 2 1 - 1 2 3 . 1 2 5 - 2 7 . 80
85
Vgl. schon die Einführung a.a.O., 1 - 8 .
Forschungsgeschichte
17
für ihn dabei entscheidend. 86 Cholewinski schließt aus diesen vielen Bezügen, daß das Heiligkeitsgesetz als Rechtskorpus hauptsächlich konzipiert worden sei, um einige, für bestimmte priesterliche Kreise mißliche Errungenschaften der deuteronomischen Reform zu korrigieren. 87 Das Heiligkeitsgesetz gehe auf eine reformkritische, konservative Gruppe innerhalb der Jerusalemer Priesterschaft zurück. 8 8 In der Hauptsache ist die Untersuchung Cholewinskis somit auf die Beziehungen des Heiligkeitsgesetzes zum Deuteronomium bezogen. Die Klärung der Beziehungen zwischen Heiligkeitsgesetz und Priesterschrift tritt demgegenüber in den Hintergrund. Allerdings macht Cholewinski gleichwohl einige Korrekturen an Inhalten der „Priesterschrift" aus, 89 die für seine nachpriesterschriftliche Ansetzung der Redaktionen des Heiligkeitsgesetzes ausschlaggebend sind. Folgende Ansichten sind damit für Cholewinski grundlegend: Ähnlich wie für Elliger ist das Heiligkeitsgesetz auch für ihn eine literarische Ergänzung zur Priesterschrift und kein integraler Bestandteil. Cholewinski unterscheidet sich von Elliger jedoch im Verständnis der hinter dieser Ergänzung stehenden Absicht. Nur am Rande sieht er das Heiligkeitsgesetz in einem Diskussionszusammenhang mit der Priesterschrift. Eigentlicher Bezugstext ist für ihn das deuteronomische Gesetz, das durch das Heiligkeitsgesetz korrigiert und ergänzt werde. 90 Cholewinskis Überlegungen in wichtigen Elementen rezipierend, nimmt in jüngsten Untersuchungen auch E. Otto die Beziehungen zum Deuteronomium als Ausgangspunkt seiner Deutung von 17-26. 9 1 Im Unterschied zu Cholewinski rechnet Otto allerdings nicht mit mehrfachen redaktionellen Überarbeitungen, sondern hält das Heiligkeitsgesetz für eine relativ geschlossene Redaktionsstruktur, die unter Benutzung kleinerer Sammlungen entstanden sei. Folgende Gesamtgestalt zeichnet sich für Otto dabei ab: Eine „Laienordnung" (18-20) steht einer „Priesterordnung" (21f) gegenüber. Diese beiden Teile werden durch zwei Abschnitte von „Opfertora" (17,lff und 22,17ff) zusammengehalten und aufeinander bezogen. Diesem ersten Teil des Heiligkeitsgesetzes stehe sodann eine „Sabbatordnung" (23-25*) als ein zweiter Teil gegenüber. 9 2 Ein „paränetisches Fachwerk" strukturiere und bündele die ganze Komposition. 9 3 Neben die86
Vgl. dazu a.a.O., 145-251. A.a.O., 318-327. 88 A.a.O., 342. 89 A.a.O., 334-338. 90 Immer noch rezipiert wird diese These von LOHFINK, Deuteronomium, 29f. 91 Vgl. zum folgenden OTTO, Ethik, 233-248; DERS., Heiligkeitsgesetz, 65-79; DERS., Gesetzesfortschreibung, 382-387. 92 Vgl. OTTO, Gesetzesfortschreibung, 384-385 (mit dem Schaubild S. 386); DERS., Heiligkeitsgesetz, 75-78. 93 Orro, Ethik, 2 3 7 - 2 4 0 (239). 87
18
Einleitung
sen (u.E. ansprechenden) Ausführungen zur Gesamtstrukur des Heiligkeitsgesetzes kommt es für Otto aber entscheidend auf die theologiegeschichtliche Einordnung an. In dieser Beziehung nimmt er die Beobachtungen Cholewiriskis positiv auf. Er geht davon aus, daß das Heiligkeitsgesetz ein Teil der relativ späten „Pentateuchredaktion" ist. Widersprüche zwischen Priesterschrift, Deuteronomium und Bundesbuch ausgleichend, führt es nach ihm dazu, daß das Deuteronomium „zu einer Wiederholung der Sinaioffenbarung" wird. 94 Als „kritische Exegese des Dtn" 95 ist das Heiligkeitsgesetz für ihn wesentlich ein „Zusatz zu P, nicht aber ein konstitutiver Bestandteil dieser Schicht." 96 Die Thesen von I. Knohl und J. Milgrom zu Lev 17-26 bilden eine weitere wichtige Variante der nachpriester(schrift)lichen Ansetzung des Heiligkeitsgesetzes in der gegenwärtigen Forschung. 97 Diese beiden Autoren können wir deshalb zusammen behandeln, da Milgrom seine Sicht im Gespräch mit Knohl entwickelt hat und sich nur in Details von ihm unterscheidet. 98 Auch wenn Milgroms Kommentarteil zum Heiligkeitsgesetz noch nicht vorliegt, so scheinen die Grundlinien seines Verständnisses doch schon festzuliegen. In der nachpriesterschriftlichen Ansetzung stimmen Milgrom und Knohl mit Elliger, Cholewinski und Otto überein. Wichtig für ihr Verständnis ist aber, daß sie das Heiligkeitsgesetz anders als jene nicht als einen erratischen Block verstehen, der als solcher „P" ergänzt habe. 17-26 ist für sie vielmehr ein Teiltext einer umfassenden Redaktion, die die priesterlichen Pentateuchtexte im ganzen durchzieht und zu der sie neben dem Heiligkeitsgesetz auch noch andere priesterliche Passagen rechnen (z. B. Lev 3,17; 6,10f; 7,22-26; 9,17b; 10,6-11; 11,43-45; 14,34; 15,31 und 16,29-33)." Aufgrund bestimmter stilistischer und inhaltlicher Eigentümlichkeiten, die diese Texte miteinander verbänden, müsse man davon ausgehen, daß hier eine eigenständige und übergreifende Redaktion innerhalb von „P" vorliege. 100
94
OTTO, Gesetzesfortschreibung, 391. OTTO, Ethik, 237. 96 Ebd. 97 KNOHL, Priestly Torah, 6 5 - 1 1 7 ; MILGROM, A n c B 3, 1 3 - 3 5 . 98 MILGROM, a.a.O., 13. Milgrom macht allerdings auf eine relativ große Zahl von Fällen aufmerksam, in denen er die von KNOHL behaupteten Eigentümlichkeiten von den „HS"- gegenüber den „PT"-Texten fragwürdig findet (a.a.O., 1 6 - 2 1 ) . Grundsätzlich kritisiert MILGROM auch KNOHLS Ansicht, daß die ursprüngliche Priesterschrift kaum ethische Bestimmungen enthalten habe (a.a.O., 2 1 - 2 6 ) . 95
99
Vgl. a.a.O., 15. KNOHL a.a.O., 66; MILGROM, A n c B 3, 13. In seinem Kommentar berührt MILGROM das Problem des literarischen Charakters des priester(schrift)lichen Textbereichs („Quelle" oder „Redaktion") nicht und spricht schlicht v o n „P". Vgl. RENDTORFF, Kinds, 77f und dazu MILGROM, Response, 8 3 - 8 5 . 100
Forschungsgeschichte
19
Die priesterlichen Abschnitte, um die es Knohl und Milgrom hier geht, sind ihrer Meinung nach das literarische Produkt der „Holiness School". Darunter verstehen sie eine besondere priesterliche Schule, die die „Priesterschrift" in einer späten Formationsphase redaktionell bearbeitet habe. 101 Hinter den als älter zu bestimmenden Texten von „P" (Knohl und Milgrom sprechen von „Priestly Torah") und diesen jüngeren der „Holiness School" („HS") ständen „two different schools of thoughts", die sich insbesondere in ihren „theological and cultic views" unterschieden. 102 Knohl meint, daß die „Holiness School" die rein rituell-kultische Orientierung dieser älteren „Priestly Torah" zugunsten einer populär-kultischen („populär cultic") Sicht abgewandelt habe, in der auch rituelle und ethische Elemente der Volksreligion Aufnahme gefunden hätten. 103 Knohls und Milgroms Thesen beziehen sich eigentlich auf den priesterlichen Textbereich im ganzen und befassen sich nur am Rande mit 17-26. Ihre Grundannahme, daß es zwei verschiedene priesterliche Schulen mit unterschiedlichen inhaltlichen Akzentsetzungen gegeben habe, führt aber implizit zu einer These über das Heiligkeitsgesetz. Denn daraus, daß sie den Textbereich 17-26 auf die „Holiness School" zurückführen, ergibt sich, daß sie das Heiligkeitsgesetz wesentlich als das Produkt eines innerpriesterlichen Diskussionszusammenhangs verstehen. Deutlich unterscheidet sich ihr Verständnis damit von Cholewinskis und Ottos ,Dtn-Ergänzungsthese'. Deren Hauptvermutung, daß das Heiligkeitsgesetz hauptsächlich dazu dient, bestimmte deuteronomische Gesetze priesterlich zu korrigieren, spielt in ihren Ausführungen keine Rolle. Nach Milgrom und Knohl manifestiert sich im Heiligkeitsgesetz vielmehr eine gegen die ältere Formation der priesterlichen Texte gerichtete Position. Die „Holiness School"
101 KNOHL, ebd.; MILGROM formuliert: „And as H ... includes the redaction of P, this can only mean that H is the terminus ad quem of P and, hence, that P - not just its teaching but its very texts - was composed not later than the middle of the eighth century
( c a . 7 5 0 B . C . E ) " (MILGROM, A n c B 3 , 2 8 ) . 102
KNOHL, a . a . O . , 6 7 . MILGROM s t i m m t KNOHL in d e r G r u n d t h e s e z u , d a ß H
die
priesterliche Antwort auf die soziale Krise des 8. Jhs. ist und deshalb eine stärker ethisch-soziale Akzentuierung aufweise als „P" (vgl. MILGROM, AncB 3, 26f). 103 KNOHL, a.a.O., 102f. Vgl auch DERS., Sin Offering Law, 200, wo er den Gegensatz zwischen diesen beiden Schulen folgendermaßen skizziert: „The Priestly Torah wished to completely separate Priestly ritual and popular cultic practices with their anthropomorphic expressions. The Holiness School, on the other hand, accepts popular cultic traditions, attaches importance to it and strives to blend this tradition with Priestly ritual practices." In diesem Punkt kritisiert MILGROM, AncB 3, 2 0 - 2 6 die Ausführungen KNOHLS. Er stimmt ihm jedoch letztlich hinsichtlich der Behauptung einer stärker ethischen Akzentuierung der H-Texte gegenüber P zu (a.a.O., 25f).
20
Einleitung
habe in 17-26 und anderswo bestimmte Details der älteren Kultgesetzgebung und deren Verständnis von Kult überhaupt modifizieren wollen.104 2.2.2 Lev 17-26 als integraler Bestandteil Textbereichs
des
priester(schrift)liehen
Die zuletzt genannten Untersuchungen halten das Heiligkeitsgesetz durchweg für nach- bzw. ne¿>enpriester(schrift)lich. Sie alle bescheinigen diesem Textbereich solche Grundpositionen und -interessen, die denen der im engeren Sinne priester(schrift)lichen Texten („PS", „P s " und „PT") entgegen laufen, quer zu ihnen liegen oder sich kritisch auf sie beziehen. In dieser Einschätzung stimmen die Arbeiten von Elliger, Cholewiñski, Knohl, Milgrom, Otto u.a. überein.105 Im Gegensatz dazu gibt es in der Gegenwart aber auch Arbeiten, die das Heiligkeitsgesetz für einen integralen Bestandteil der „Priesterschrift" halten. Diese Position hat, nachdem die Annahme eines vorpriesterschriftlichen Heiligkeitsgesetzes zunehmend in die Kritik geriet, an Gewicht gewonnen und wird nun mit neuen Argumenten vertreten. V. Wagner unternahm 1974 einen ersten Versuch in diese Richtung.106 Noch mit der Widerlegung der älteren Forschungsmeinung befaßt, tritt er der Annahme eines ursprünglich selbständigen Heiligkeitsgesetzes mit einer eigenen Gliederung des Buches Leviticus entgegen. Er verwirft die übliche Gliederung, nach der Lev 17-26 als eine von den Autoren intendierte Texteinheit aufgefaßt wird. Im Gegensatz dazu hält er Lev 11-22 für den eigentlich intendierten Textzusammenhang. Dieser behandle das Thema „kultische Unreinheit".107 Er bestehe seinerseits aus zwei Unterteilen, nämlich aus Lev 11-20 und Lev 21-22. Im ersten Abschnitt der erstgenannten Einheit, in Lev 11-15, gehe es um das Thema „reparable Unreinheit", im zweiten Abschnitt (Lev 17-20) dagegen um das Thema „irreparable Unreinheit".108 Diese Gliederung führt Wagner zu der Vermutung, daß „Lev 17-26 nur Teil eines größeren Ganzen"109 und jedenfalls keine eigenständige Einheit ist. Die These von einem selbständig existierenden 104 KNOHL (Priestly Torah, 1 0 0 - 1 0 4 ) knüpft mit dieser Sicht explizit an Thesen KAUFMANNS an, auf den die Unterscheidung zwischen einer streng auf die Rituale bezogenen Priestertradition und populär kultischen Traditionen zurückgeht (vgl. dazu KAUFMANN, History). Offensichtlich teilen KNOHL und MILGROM (vgl. MILGROM, A n c B 3, 2 7 ) auch KAUFMANNS Frühdatierung der Priesterschrift. Zu KAUFMANNS Thesen vgl. insgesamt KRAPF, OBO 119, 2 1 0 - 2 7 8 . 105 Vgl. auch BRAULIK, Redaktion, 1 - 2 5 . 106 WAGNER, Heiligkeitsgesetz, 3 0 7 - 3 1 6 . 107 A.a.O., 314. Lev 2 3 - 2 5 * beurteilt WAGNER als einen von Lev 1 1 - 2 2 unterschiedenen Abschnitt, welcher „Kalendarisches" behandle (ebd.). 108 A.a.O., 312f. 109 A.a.O., 315.
Forschungsgeschichte
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Heiligkeitsgesetz weist er ausdrücklich ab; Lev 17ff lasse sich in keiner Weise von Lev l l f f abtrennen.110 Wagners Überlegungen sind in der Forschung zurecht kritisiert worden.111 Seine Vermutung, daß es in Lev 17-20 um die „irreparable Unreinheit" gehe, trifft den Inhalt dieser Kapitel sicher nur zum geringsten Teil; „Unreinheit" ist keineswegs die zentrale Thematik dieser Texte. 112 Wagners Versuch, die Kapitel Lev 17-26 als integralen Teil des priester(schrift)lichen Textbereichs zu lesen, ist insofern fragwürdig. Abgesehen von dieser Interpretation gibt es aber noch andere Versuche in dieser Richtung. Vor allem sind hier die Ausführungen E. Blums und F. Crüsemanns zu erwähnen. E. Blum nähert sich Lev 17-26 im Rahmen seiner Untersuchung über die priesterlichen Pentateuchtexte, die er als eine weder als „Quelle" noch als „Redaktion" zu identifizierende „priesterliche Komposition" zu erweisen sucht („KP").113 Konkret entwickelt er sein Verständnis vom Heiligkeitsgesetz im Zusammenhang seiner Analyse des s. E. im Zentrum von „KP" stehenden priesterlichen Sinaierzählzusammenhangs Ex 25 - Num 10*.ii4 Nach Blum weist dieser Erzählzusammenhang eine klare Gesamtstruktur auf. Er bestehe aus „vier Textbereiche[n]", nämlich aus Ex 25-40; Lev 1-10; Lev 11-26 und Num 1 10. 115 Dieser Abfolge von Teilkomplexen liege ein klares inhaltliches Konzept zugrunde. Handelten die beiden ersten Komplexe vom „Heiligtum und seinen Einrichtungen" (Ex 25-40) und von der „Stiftung des Gottesdienstes" (Lev 1-10), 1 1 6 so schließe der Abschnitt Lev 11-26 stimmig daran an. Dieser Textbereich, der seinerseits aus den Unterkomplexen Lev 11-15 und Lev 17-26 bestehe, sei im ganzen dem Thema „.Heiligung des Gottesvolkes'" bzw. dem „Korrespondenzverhalten (ganz) Israels" gewidmet. 117 Diese Thematik sei im Gefälle der Gesamtkomposition der priesterlichen Sinaitexte aber geradezu „überfällig". 118 Denn JHWHs exklusive Zuwendung zu Israel - dies sei das zentrale Thema der auf den Kult bezogenen Texte von Ex 25-Lev 10 - habe in der Logik der priesterlichen Theologie nur dann Bestand, wenn Israel die Partnerrolle übernehme und auf die göttlichen Setzungen antworte. Nach den Stiftungen von Heiligtum
110
Ebd. Vgl. etwa PREUSS, TRE XIV, 714. 112 Besonders die vielen thematisch unterschiedlichen Einzelbestimmungen von Lev 19, etwa die Bestimmungen zum Sozialverhalten in Lev 19,11-18, lassen sich nicht unter diese Überschrift subsumieren. 111
113
114
BLUM, B Z A W 1 8 9 , 2 1 9 - 3 3 2 .
A.a.O., 293-332. 115 Vgl. a.a.O., 300. 116 A.a.O., 301-312.312-318. 117 A.a.O., 318. BLUM weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß uns das Thema .Heiligung' bereits in Lev 11,44 begegnet. Das Mittelstück Lev 16 hat nach BLUM die kompositorische Funktion, zwischen den beiden Unterteilen Lev 11-15 und Lev 1726 zu untergliedern (ebd.). 118 Ebd.
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und Kult gehe es in Lev 1 1 - 2 6 daher „folgerichtig" um das „geforderte verhalten (ganz) Israels". 1 1 9
Korrespondenz-
Neben dem Reinheitsgesetz (Lev 10-15) und dem Gesetz über den Versöhnungstag (Lev 16) ist das Heiligkeitsgesetz damit für Blum ein integraler Bestandteil der priesterlichen Komposition („KP"). Forschungsgeschichtlich wichtig ist, daß sich Blum im Rahmen seiner Analyse auch intensiv mit den Argumenten auseinandergesetzt hat, die für die literarische Eigenständigkeit von 17-26 gegenüber „P" angeführt werden. Besonders geht er auf das Problem der für das Heiligkeitsgesetz typischen Paränese ein. 120 Viele Autoren sehen in dieser Paränese ein Indiz für die literarische Sonderstellung des Heiligkeitsgesetzes im „P"-Zusammenhang, indem sie darauf verweisen, daß „P" keine derartigen Elemente enthalte. 121 Blum hält diese Sicht für unzutreffend. Paränetische Stücke fänden sich in „KP" durchaus auch noch anderswo. 122 Man könne allenfalls von einer Konzentration der Paränese auf den Textbereich Lev 11-26 sprechen. 123 Aber auch diese Konzentration sei kein Anzeichen für die literarische Heterogenität des Heiligkeitsgesetzes gegenüber „P". Sie hänge vielmehr mit der skizzierten Gesamtanlage der priesterlichen Sinaitexte zusammen. Denn die eindringliche Paränese trete erst hier auf, da im Rahmen des priesterlichen Sinaierzählzusammenhangs konsequenterweise erst hier Paränese erfordernde Ethik thematisiert werde. 124 Die Besonderheit der Paränese ist nach Blum also kompositorisch bedingt und nicht literarkritisch-redaktionell zu erklären. In gleicher Weise wendet sich Blum auch gegen einige weniger gewichtige Argumente, die für die literarische Sonderstellung des Heiligkeitsgesetzes gegenüber dem priesterlichen Textbereich gewöhnlich angeführt werden. 125
119
Ebd. Dabei geht es um folgende Texte: Lev 1 8 , 2 b - 5 . 2 4 - 3 0 ; 19,19aa.36b.37; 2 0 , 7 - 8 . 2 2 - 2 6 ; 2 2 , 9 . 3 1 - 3 3 und 2 5 , 1 8 - 2 2 . 121 A l s Argument für die literarische Differenz des Heiligkeitsgesetzes gegenüber der „Priesterschrift" wird dieses Argument u.a. von FEUCHT, Untersuchungen, 17 und THIEL, Heiligkeitsgesetz, 44f angeführt. 122 BLUM verweist u.a. auf Ex 6,2ff; 12,12.17; 2 9 , 4 2 f f (a.a.O., 321). 123 Ebd. Schon Lev 1 1 , 4 3 - 3 5 sei als ein solches Stück anzusprechen. 124 A.a.O., 319. 125 Abgesehen v o n dem Problem der Paränese geht BLUM auch auf die Annahme ein, daß sich das Heiligkeitsgesetz durch inhaltlich-konzeptionelles .Sondergut' von den priesterlichen Texten unterscheidet. BLUM bestreitet in diesem Zusammenhang etwa LOHFINKs These, in Lev 26 läge eine Abwandlung der unbedingten Gnadentheologie von PS und damit ein abweichendes theologisches Grundkonzept vor (vgl. dazu LOHFINK, Abänderung, 165f). U.a. hält BLUM LOHFINKS Literarkritik zu 2 6 , 4 2 f f im Anschluß an ELLIGER, HAT 1/4, 3 6 9 f f . 3 7 8 f (vgl. dazu LOHFINK, a.a.O., 167) für problematisch (BLUM, a.a.O., 3 2 7 ) und zeigt unter Verweis auf die Abraham-IT "Q (Gen 120
Forschungsgeschichte
23
Neben Blum hält schließlich auch F. Criisemann Lev 17-26 für einen integralen Bestandteil der priesterlichen Sinaitexte, wobei die Existenz von älteren Vorlagen in diesem Text durchaus zugestanden wird.126 Die Frage der literarischen Eigenart der priester(schrift)lichen Texte („Quelle", „Redaktion" oder „Komposition") läßt Crüsemann im Gegensatz zu Blum offen. 127 Ähnlich wie Blum meint aber auch er, „daß sich Lev 17-26 auf das beste in die kompositionelle Großstruktur der priesterlichen Gesetzgebung am Sinai einfügt, die sich mit logischer innerer Folgerichtigkeit entfaltet". Es sei aus diesem Aufbau „nicht herauszulösen" 127. Daneben widerlegt auch Crüsemann verschiedene Nebenargumente, die für die literarische Sonderstellung des Heiligkeitsgesetzes angeführt werden.129 Im Zentrum dieser Sicht stehen aber vornehmlich rechtsgeschichtliche Erwägungen. Crüsemann setzt bei der üblichen exilisch-nachexilischen Datierung der priester(schrift)lichen Texte an und legt dar, daß es sich bei P um einen Neuentwurf von Recht handelt. 1 3 0 Eine Neufassung des Rechts sei aber mit dem Exil notwendig geworden, da diese Katastrophe fundamentale Voraussetzungen der älteren Rechtstradition beseitigt habe. Die Eigenstaatlichkeit, die Organisation der Gerichtsbarkeit, der Landbesitz als Normalbedingung der Rechtssubjekte, die Plausibilität des Verweises auf den Exodus als eines Freiheitssymbols, die Geltung der Tora - alle diese fundamentalen Voraussetzungen, auf denen die älteren Rechtstexte basierten, seien mit dem Exil hinfällig geworden. 1 3 1 Ein Festhalten an der überkommenen Rechtstradition sei deshalb nur unter der Bedingung ihrer grundlegenden Transformation möglich gewesen. Crüsemann hält es für eine zentrale Leistung der Autoren des priester(schrift)lichen Textbereichs, diese Transformation vollbracht zu haben. Und zwar sei ihnen das in folgender Weise gelungen: (1) Sie hätten einerseits den Rechtswillen Gottes von den für das ältere Recht fun17,lff), daß die priesterliche Gnadentheologie selbst durchaus das Moment von Forderungen enthält (a.a.O., 328). 126 vgl. etwa CRÜSEMANN, NBL II, 93-96. 127 CRÜSEMANN, Tora, 326f. 127 CRÜSEMANN, a.a.O., 325. 129 CRÜSEMANN, a.a.O., 324, Anm. 8 schreibt in diesem Zusammenhang: „Es geht bei den immer wieder genannten Gegensätzen ... um kleinere sprachliche Differenzen sowie sachliche Nuancen, die ... durch Aufnahme älterer Materialien etc. besser zu erklären sind. Cholewiüski, Heiligkeitsgesetz 334 spricht in seiner Zusammenfassung von .kleineren Beobachtungen', die Differenzen zwischen seiner Hauptredaktion von H (HG) und PS betreffen. Die wenigen von ihm für wichtig gehaltenen davon sollen theologische .Neuerungen der PS-Schrift' kritisieren, so das Fehlen eines eigenen Sinaibundes und die fehlende Bedeutung menschlichen Handelns (339f). Das Zweite ist eindeutig ein Zirkelschluß (denn H bringt ja genau das Fehlende), das erste macht die - hier bestrittene - Voraussetzung, daß es vor P eine Sinaiperikope mit Bund gab ..." 130 CRÜSEMANN weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß viele der in den älteren Rechtsbüchern verhandelten Themen nicht nur im Heiligkeitsgesetz, sondern gerade auch in anderen Teilen des priester(schrift)lichen Textbereichs zu finden sind (a.a.O., 3250131 Vgl. dazu a.a.O., 333-337.
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Einleitung
damentalen Voraussetzungen „Exodus", „Landbesitz" und „Kult" gelöst und eine Grundlage für ein Leben vor Gott unabhängig von Land und Kult geschaffen (nämlich in jenen priesterlichen Texten der Bücher Genesis und Exodus, die die Möglichkeit eines rechten Wandeins vor Gott noch vor und unabhängig der auf den Kult bezogenen zentralen Sinaioffenbarung bezeugen). (2) Andererseits hätten sie den „Exodus als Heiligung" interpretiert und damit eine Rechtsgrundlage geschaffen, deren Leitperspektive die Gottesgegenwart ist und nicht mehr die sich im Landbesitz konkretisierende Freiheit. (3) Schließlich hätten sie Sühne und Vergebung für den Kult zentral gemacht und so das Scheitern an der Tora in die Tora integriert. 132
Crüsemann weist darauf hin, daß insbesondere im Heiligkeitsgesetz der „Exodus als Heiligung" interpretiert werde133 und daß dort viele Themen der vorexilischen Rechtstradition transformierend auf das Heiligtum bezogen werden.134 Insofern ist das Heiligkeitsgesetz für Crüsemann ein integraler Bestandteil der „Priesterschrift". Die Bedeutung dieser Sicht liegt u.E. darin, daß Crüsemann mit seinen Darlegungen zum rechtsgeschichtlichen Grundanliegen der „Priesterschrift" die vielen offenkundigen Wiederaufnahmen von Bestimmungen des deuteronomischen Gesetzes und des Bundesbuches im Heiligkeitsgesetz als ein genuin priester(schrift)liches Anliegen erklärt hat. Die vielen Bezüge zum Deuteronomium können insofern nicht einfach als Indizien für eine literarische Sonderstellung des Heiligkeitsgesetzes gegenüber der „Priesterschrift" reklamiert werden. 2.2.3 Lev 17-26 als unverbundene
Einzeltexte
Alle bisher erwähnten Untersuchungen gehen davon aus, daß die Kapitel 17(18)-26 ein zusammenhängendes und mehr oder weniger durchstrukturiertes Rechtskorpus bilden. Unabhängig davon, ob diese Kapitelfolge nun als ein integraler Bestandteil der priesterlichen Texte oder als eine spätere Ergänzung angesehen wird - gemeinsam ist den bisher erwähnten Untersuchungen der neueren Forschung das Postulat, daß 17-26 einen Gesamtzusammenhang, ein Rechtskorpus oder einen Rechtskomplex,135 bilden.136 132
A.a.O., 337.
133
V g l . d a z u CRÜSEMANN, E x o d u s , 1 1 8 - 1 2 0 .
134
CRÜSEMANN formuliert: „Kreist der Sinai um die Errichtung des Heiligtums, so sind alle dort gegebenen Gebote, also die große Masse der priesterlichen Gesetze, auf die Existenz eines solchen heiligen Ortes angewiesen. Sie sind durchgängig Regeln, die die Heiligkeit des Zentrums bewahren sollen und dazu anleiten, dem dort wohnenden Heiligen und seiner Nähe zu entsprechen" (Tora, 338). 135 Mit der Unterscheidung zwischen „Rechtskorpus" und „Rechtskomplex" zielen wir auf die verschiedenen Verhältnisbestimmungen der Rechtssatzsammlung „Heiligkeitsgesetz" zu ihrem Kontext ab. „Rechtskorpus" meint die literarisch selbständige Rechtssammlung Heiligkeitsgesetz, „Rechtskomplex" hingegen die unselbständige Sammlung, die einen Teilabschnitt innerhalb des priesterlichen Sinaizusammenhangs darstellt. 136 WAGNER, Heiligkeitsgesetz, 314f allerdings bestreitet dies.
Forschungsgeschichte
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In der Gegenwart gibt es aber auch Autoren, die gerade diese Annahme bestreiten. Diese Autoren gehen davon aus, daß 17-26 nur eine mehr oder weniger zufällige und ohne kompositorische Absicht zusammengestellte Abfolge von Einzeltexten ist. Diese Auffassung ist durchaus keine Minderheitsmeinung; sie wird von nicht wenigen Exegeten vertreten. Zu greifen ist diese Sicht etwa in der Untersuchung von H. T. C. Sun. Dieser kommt zu dem Ergebnis, daß die einzelnen Abschnitte in 17-26 unterschiedlich zu datieren sind, 137 und meint, daß zwischen diesen Einzelabschnitten keinerlei inhaltliche Verbindung besteht. Er schreibt: „a compositional layer did not emerge from the reconstruction of the compositional history of the individual units." 138 Suns Überlegungen zur Datierung einzelner Einheiten und weitere Beobachtungen führen ihn zu der Vermutung, daß 17-26 im ganzen keine einheitliche Aussageabsicht zugrunde liegt. Er sieht hinter der vorliegenden Textfolge vielmehr einen längeren und eher zufälligen Prozeß sukzessiver Hinzufügung einzelner Abschnitte. 139 Als Ausgangspunkt dieses Prozesses sei der Abschnitt 1820 anzusehen. 140 Etwas später sei dann 21 diesem Kerntext hinzugefügt worden. Der so entstandene Komplex 18-21 könne vielleicht als „protoHoliness Code" 141 angesehen werden; er sei wohl noch vorpriesterschriftlich zu datieren. Dieser „proto-Holiness-Code" sei dann unter Voranstellung von 17 in seinen gegenwärtigen Kontext, die Priesterschrift, integriert worden. Später seien die Einheiten 22,1-16; 22,17-25; 22,26-33; 23,1—44; 24,1-9; 24,10-23; 25,1-26,45(46) und 27,1-34 sukzessive hinzugefügt worden. Insgesamt hält Sun 17-26 damit für ein redaktionelles Gebilde, dessen Einzeltexte konzeptionell kaum miteinander verbunden sind. Inkohärent ist 17-26 daneben auch für J. Blenkinsopp. Dieser schreibt: „the chapters assigned to H come without a title and manifest too little internal coherence to suggest a quite distinct document." 142 Blenkinsopp re137 SUN, Investigation, 560f schreibt: „If, on the one hand, the earliest recoverable layers of Lev 1 8 - 2 0 may indeed be ancient, on the other hand the earliest recoverable layers oft Lev 17 and 25 must be later than the deuteronomic laws of Deut 12 and 15, and the Urcalender of Lev 23 must be post-deuteronomistic and well on the way towards its later Priestly version in Num 2 8 - 2 9 . Similary, the Priestly instructions of Lev 24:1-9 are most plausibly of later, rather than earlier, origin, as is the etiological legend of Lev 24:10-23." 138 A.a.O., 560. 139 „Rather it appears to follow the lead of other large Priestly corpora in Ex 2 5 - 3 1 and Num 1:1-10:10 ... in that its present shape is due to a gradual process of supplementation" (a.a.O., 564). 140 Hierzu und zum folgenden s. a.a.O., 564f. 141 A.a.O., 563. 142 BLENKINSOPP, Pentateuch, 224.
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Einleitung
konstruiert fünf voneinander unabhängige Einheiten („sections") 143 und äußert die Vermutung, daß die paränetischen Sätze in 18,24-30; 20,22-26; 2 2 , 3 1 - 3 3 und 2 5 , 1 8 - 2 4 abschließende Ermahnungen sind, die jeweils Schlußbemerkungen zu den verschiedenen Einheiten darstellen. Schließlich spricht sich auch E. Gerstenberger dagegen aus, daß 17-26 einen interpretationsrelevanten Zusammenhang darstellen. 144 Nach Gerstenberger sind vielmehr allein Lev 1 - 7 und Lev 11-15 integrale Großkomplexe im Buch Leviticus. Alle übrigen Einheiten - d. h. 8 - 1 0 ; 16f; 18-20; 21f; 2 3 25 und 26f - hält er für untereinander nicht verbunden. Es handele sich um einzelne „Themenblöcke". 145 Die Vorstellung, daß 17-26 eine Rechtssammlung bilden, teilt er nicht. 146 2.3
Zusammenfassung
Mit den zuletzt behandelten Autoren können wir den Überblick über die Forschung am Heiligkeitsgesetz abschließen. Zusammenfassend können wir festhalten: Was das Verhältnis von 17-26 zur sog. „Priesterschrift" betrifft, so lassen sich die vertretenen Meinungen auf insgesamt vier Grundmodelle zurückführen: 1. Manche Autoren meinen, daß die Textfolge 1 7 - 2 6 ein Rechtskorpus147 enthält, das als solches bereits vorpriesterschriftlich existierte und erst sekundär in die Priesterschrift übernommen wurde (A. Klostermann, J. Wellhausen, C. Feucht, R. Kilian, W. Thiel, H. P. Mathys u.a.).
143
Solche Einheiten sind für ihn 17f; 19f; 21f; 23-25 und 26 (ebd.). GERSTENBERGER spricht im Blick auf 17-26 von einer „recht bunte[n] Vorschriftensammlung" (ATD 6, 17) und deutet seine Vorstellungen von der Entstehung dieses Zusammenhangs an, wenn er formuliert: „Wer bewußte, literarische Gestaltung sucht, muß eine planvolle Sammel- und Kompositionstätigkeit voraussetzen und braucht ein redaktionelles Gebilde wie das Heiligkeitsgesetz ... Wer dagegen mit der mehr zufälligen Traditionsbildung im Rahmen gottesdienstlichen Textgebrauchs rechnet, wird das Heiligkeitsgesetz für ein Wunschgebilde wissenschaftlicher Literatur halten" (ebd). GERSTENBERGER vertritt deutlich die letztere Position, da er die Einzelabschnitte des Heiligkeitsgesetzes immer wieder auf die Gottesdienstsituation zurückführt (vgl. z. B. a.a.O., 227.241f). 145 A.a.O., 17 (vgl. a.a.O., 5). 146 A.a.O., 17. Neben den genannten Autoren bestreiten auch RENDTORFF, HARTLEY und SMITH, daß die Kapitelfolge 17-26 einen integralen Gesamtzusammenhang bildet. HARTLEY, WBC 3, 259 formuliert: „While blocks within this corpus stand close together - 18-20, 21-22, 23+25 - there is no unity among these various blocks." RENDTORFF meint, daß „Lev 17-26 kaum als selbständige Sammlung" zu betrachten sei, und hält 17-20, 21f; 23-25 für „verschiedene^.] Sammlungen" (Einführung, 154f). Ähnlich geht auch SMITH, Literary Structure, 20-32 vor. 147 Vgl. dazu Anm. 134. 144
Forschungsgeschichte
27
2. Andere hingegen gehen davon aus, daß 17-26 ein erst in priesterlicher Tradition gebildeter Rechtskomplex ist, der den priesterlichen Sinaitexten nachträglich hinzugefügt oder gleichzeitig ohne größere innere Verbindung angegliedert wurde (H. Holzinger, K. Elliger, A . Cholewiriski, J. Milgrom, I. Knohl, E. Otto u.a.). 3. Wieder andere kommen zu dem Ergebnis, daß 17-26 ein Rechtskomplex ist, der einen integralen Bestandteil der priesterlichen Sinaitexte darstellt (D. Hoffmann, E. Blum, F. Crüsemann u.a.). 4. Schließlich wird die These vertreten, daß 17-26 weder ein Rechtskorpus noch ein -komplex ist, sondern nur eine Folge von relativ unverbundenen Einzeltexten, die im Rahmen der priester(schrift)lichen Traditionsbildung sukzessive zusammengewachsen ist (H. T . C. Sun, E. Gerstenberger, J. Blenkinsopp u.a.).
2.4 Beurteilung der verschiedenen
Textmodelle
Im folgenden sind diese vier Textmodelle nun zu beurteilen, um den Verlauf unserer eigenen Untersuchung festzulegen. 1. Die in der älteren Forschung häufig vertretene These eines vorpriesterschriftlichen Heiligkeitsgesetzes wird in jüngeren und jüngsten Veröffentlichungen kaum noch vertreten, sondern zunehmend kritisiert. 148 Auch u.E. kommt sie als ein sachgerechtes Textentstehungsmodell für 17-26 nicht in Frage, und zwar aus folgenden Gründen: A . Angesichts der unterschiedlichen Ergebnisse, welche die mit dieser Grundannahme arbeitenden Untersuchungen erzielen, muß die Bemühung, aus 17-26 ein vorpriesterschriftliches Rechtskorpus mit literarkritischen Mitteln herauszulösen, als gescheitert betrachtet werden. Die Arbeiten, die dieses Ziel verfolgen ( A . Klostermann, J. Wellhausen, C. Feucht, R. Kilian, W . Thiel, H. P. Mathys u.a.) differieren in ihren Rekonstruktionen erheblich und sind in ihren Angaben über die Funktion eines solchen Rechtskorpus zudem jeweils nicht überzeugend. 149 Ist mit der Existenz von älteren Einzelvorlagen durchaus zu rechnen, so ist der Nachweis, daß 148
V g l . ELLIGER, H A T 1/4, 14ff; CRÜSEMANN, Tora, 323f; OTTO, Ethik, 235; SUN,
A n c h B D II, 254-256 u.v.a. 149
Dazu z w e i Beispiele: ( 1 ) MATHYS, O B O 71, 108 etwa bestimmt das Heiligkeits-
gesetz im Anschluß an Überlegungen ACKROYDs und HEMPELs als ein „Programm der Exilierten ..., die das nachexilische Leben zu planen begannen". Diese Bestimmung dürfte aber kaum das Wesen des Heiligkeitsgesetzes treffen, da einige Themen, die in einem solchen Zukunftsentwurf eigentlich zu erwarten wären (z. B. verfassungsrechtliche Bestimmungen im Sinne von Dtn 1 6 - 1 8 ) hier fehlen ( v g l . im Gegensatz dazu die N'lflJ-Texte in Ez 4 0 - 4 8 ) . ( 2 ) Gegen die Rekonstruktion des „Urheiligkeitsgesetzes" von KILIAN, B B B 19, 164-169 spricht, daß dieser T e x t in seiner Funktion überhaupt nur sehr v a g e bestimmt wird. KILIAN führt zu seiner Beschreibung eigentlich nur an, daß er aus „moralischen" und „kultischen Vorschriften" zusammengesetzt sei ( B B B 19, 1 6 7 f f ) .
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Einleitung
d i e s e E i n z e l v o r l a g e n bereits vorpriester(schrift)lich zu e i n e m Rechtskorpus z u s a m m e n g e f a ß t w o r d e n sind, nicht g e l u n g e n . B . H a u p t s ä c h l i c h spricht g e g e n d i e s e s M o d e l l , daß die priester( s c h r i f t ) l i c h e n E l e m e n t e in 1 7 - 2 6 k a u m als redaktionelle, z u m Z w e c k der Integration d e s H e i l i g k e i t s g e s e t z e s in die S i n a i e r z ä h l u n g h i n z u g e f ü g t e , V e r k l a m m e r u n g e n ' a n g e s e h e n w e r d e n k ö n n e n . D e r priester(schrift)liche A n t e i l in 1 7 - 2 6 i m g a n z e n w i e in s e i n e n T e i l e n ist v i e l m e h r w e i t a u s größer, als e s d i e s e s M o d e l l unterstellt. Er betrifft d i e S u b s t a n z der Kapitel m i t ihren e i n z e l n e n R e c h t s s ä t z e n und Paränesen. Dieser Punkt sei hier kurz anhand von einigen Beispielen verdeutlicht. (1) In 17,1-16 ist keineswegs nur die Redeeinleitung 17,lf als ein priester(schrift)liches Element anzusprechen. Darüber hinaus sind selbst die strukturtragenden Rechtssätze in 17,3f.6 und 8f priester(schrift)lich geprägt, da sie dieselbe Lagersituation voraussetzen, die für den priester(schrift)lichen Sinaierzählzusammenhang im ganzen kennzeichnend ist (vgl. etwa Ex 29,14; Lev 9,5; 10,4 mit Lev 17,3f.8f). Weiterhin ist die TTD-Formel, die 17,lff prägt (V.4.9f.l4), als priester(schrift)liches Element anzusehen. 1 5 0 Und schließlich ist die Forderung nach ritueller Waschung in 17,15f kaum unabhängig von den priester(schrift)lichen Reinheitsgeboten entstanden zu denken. Der Anteil der priester(schrift)lich bestimmten Elemente in 17,1-16 ist also sehr hoch. Es ist kaum möglich, diesen Anteil aus dem Ganzen literarkritisch herauszufiltern. (2) Im hinteren Teil des paränetischen Rahmens von 18,1-30 findet sich die Forderung, das „Tun" von „jenen Greueltaten" (H^KH rQyinn) zu unterlassen (18,26a). Diese Forderung dient als Zusammenfassung der Prohibitive 18,6-23. Wichtig an dieser Forderung ist, daß der Personenkreis, dem sie gilt, durch die Apposition DDDirn Hin UHl m t x n (18,26b) bezeichnet wird. Die in dieser Apposition zum Ausdruck gebrachte Gleichstellung des „Fremden" mit dem „Einheimischen" ist aber ein Spezifikum priester(schrift)licher Rechtsbildung. 151 Sogar die (gerne als deuteronomistisch qualifizierte) Paränese in 18,24-30 enthält damit priester(schrift)liche Elemente. (3) Ferner sind in Lev 21,1-23 nicht nur die Redeeinleitungen 21,1 und 21,16-17a priester(schrift)lich. Offenkundig priester(schrift)lich sind auch die Anrede an Aaron in 21,17b, die Vorstellung von der Salbung des Hohenpriesters in 21,10, die Bedeutung des „Vorhangs" ( r m D ) in 21,23 sowie die Unterscheidung zwischen D'ltflpn und D'!2)lpn ' 0 1 p in 21,22. Auch in 21f ist der Anteil priester(schrift)licher Theologie und priester(schrift)licher Vorstellungen also sehr viel größer als es die These von der bloß redaktionellen Überarbeitung durch priesterschriftliche Autoren zuläßt. Diese Beispiele ließen sich durch weitere aus den übrigen Teilen des Heiligkeitsgesetzes vermehren.
150
So mit Recht ZIMMERLI, Eigenart, 14. Diese oder eine vergleichbar formulierte Gleichstellung des „Einheimischen" und des „Fremden" findet sich sonst noch in Ex 12,19.49; Lev 16,29; 17,15; 19,34; 24,16.22; Num 9,14; 15,30 und Jos 8,33. Mit Ausnahme der Belege im Heiligkeitsgesetz und Jos 8,33 handelt es sich ausschließlich um priester(schrift)liche Belege. Zu Jos 8,33 vgl. FRITZ, HAT 1/7, 98f. Zum Problem der Gleichstellung von Einheimischen und Fremden in den priesterlichen Texten vgl. CRÜSEMANN, Fremdenliebe, 11-24, bes. 21; BERTHOLET, Stellung, 152-176 und BULTMANN, FRLANT 153, 200-207. 151
Forschungsgeschichte
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Die Grundannahme, daß 17-26 erst sekundär priesterschriftlich überarbeitet wurde, primär dagegen ein vorpriesterschriftliches Rechtskorpus enthält, kommt damit als ein sachgerechtes Textentstehungsmodell u.E. nicht in Betracht. 2. Auch das zuletzt dargestellte Modell, wonach 17-26 eine Ansammlung von relativ unverbundenen Einzeltexten ist, wird diesen Kapiteln kaum gerecht. Folgende Gesichtspunkte sprechen gegen dieses Modell: A. Der priester(schrift)liche Sinaierzählzusammenhang Ex (19,lf*) 24,15 - Num 10,10* setzt sich im ganzen aus einer Folge von Großkomplexen mit eigenen thematischen Schwerpunkten zusammen. So ist deutlich, daß in Ex 25,1-31,17; 35,1-40,38; Lev 1,1-7,38; Lev 11,1-15,33 und Num 1,1-10,10 solche Großkomplexe mit einer je eigenen Thematik vorliegen. Diese Gestaltung läßt aber erwarten, daß auch in den hinteren Kapiteln des Buches Leviticus, die einen Teil dieses Erzählzusammenhangs bilden, ein solcher Großkomplex vorliegt. Die einheitliche formale Gestaltung der priesterlichen Sinaierzählung spricht dafür, daß die Kapitelfolge 17-26 einen zusammenhängenden Großtext bieten und nicht nur mehr oder weniger unverbundene Einzeltexte. B. Daß die einzelnen Abschnitte in 17-26 untereinander kaum verbunden sind, trifft zudem nicht zu. Das Gegenteil ist vielmehr der Fall. Zum einen wird sich weiter unten noch zeigen, daß die einzelnen Abschnitte von 17-26 eine klare und systematische Gesamtstruktur bilden und insofern eng zusammen gehören. 152 Zum anderen ist auf die für 17-26 typischen Paränesen zu verweisen, die fast alle Abschnitte durchziehen und die Kapitelfolge 17-26 zusammenbinden. 153 Schließlich deuten auch systematische Beziehungen zwischen einzelnen Rechtssätzen und Rechtssatzabschnitten darauf hin, daß 17-26 einen Komplex bilden. 154 Die These, daß 17-26 nur isolierte Einzeltexte enthält, scheint damit ebenfalls ungeeignet, um die literarische Eigenart dieser Kapitel und ihr Verhältnis zu den priester(schrift)lichen Sinaitexten angemessen zu beschreiben. Scheiden damit die These, daß 17-26 ein vorpriesterschriftliches Heiligkeitsgesetz in sich birgt, und die Annahme, daß die Kapitelfolge 17-26 nur unverbundene Einzelstücke bietet, als mögliche Erklärungsmodelle für diesen Textbereich aus, dann bleiben die Modelle 2 und 3 als 152
Vgl. dazu unten Teil I, Kapitel 3. Vgl. dazu Anm. 119. 154 Der Rechtssatz 19,9f etwa wird in 23,22 wörtlich wiederholt. Durch diese Wiederholung werden 1 9 , 1 - 3 7 und der Festkalender 2 3 , 1 - 4 3 miteinander verklammert. Auch die Abschnitte 17,1-16 und 2 2 , 1 7 - 3 3 sind erkennbar aufeinander bezogen. Schließlich werden die Bestimmungen 19,3f.30 wörtlich in 2 6 , l f wiederholt. Auf diese Weise ist auch der Jobeljahrabschnitt 2 5 , 1 - 5 5 mit den vorangehenden Abschnitten verklammert. 153
30
Einleitung
s a c h g e m ä ß e literaturgeschichtliche T h e s e n zur E n t s t e h u n g d e s H e i l i g k e i t s g e s e t z e s übrig. 1 7 - 2 6 wären a l s o e n t w e d e r e i n neben- bzw. «ac/ipriester(schrift)licher R e c h t s k o m p l e x oder aber e i n integraler T e i l k o m p l e x der priester(schrift)lichen Sinaierzählung. 3. In der g e g e n w ä r t i g e n F o r s c h u n g herrscht die T e n d e n z v o r , 1 7 - 2 6 für e i n nebenbzw. nacApriesterschriftliches G e b i l d e a n z u s e h e n . 1 5 5 D i e s e S i c h t ist f r e i l i c h e b e n f a l l s mit e i n i g e n P r o b l e m e n behaftet: A . K o n z e p t i o n e l l e D i f f e r e n z e n z w i s c h e n 1 7 - 2 6 und den sicher priester( s c h r i f t ) l i c h e n T e x t e n gibt e s u.E. nicht. A u c h C h o l e w i n s k i , Otto und M i l g r o m k ö n n e n b e z e i c h n e n d e r w e i s e nur auf m a r g i n a l e D i f f e r e n z p u n k t e z w i s c h e n b e i d e n T e x t b e r e i c h e n v e r w e i s e n . 1 5 6 D i e w e n i g e n U n t e r s c h i e d e , die dabei angeführt w e r d e n , l a s s e n s i c h aber j e w e i l s auch anders interpretieren und k ö n n e n k a u m die Last e i n e s literaturgeschichtlichen U n t e r s c h i e d s dieser b e i d e n T e x t b e r e i c h e i m g a n z e n tragen. Zu den in diesem Zusammenhang angeführten Differenzpunkten sei hier im einzelnen folgendes angemerkt: Im Grunde geht es dabei immer wieder um vier oder fünf Detailbeobachtungen, die A. Cholewinski gemacht hat. 1 5 7 U.E. ist aber zu bezweifeln, daß es sich bei diesen Beobachtungen wirklich um echte Gegensätze zwischen „H" und „P" handelt. (1) So ist u.E. zu bestreiten, daß die Passabestimmungen in Ex 12,1-14 (P) und in Lev 23,5-8 konzeptionell verschieden sind. 1 5 8 Denn bei diesen beiden Passagen ist zu beachten, daß 23,5-8 im Rahmen des Festkalenders 23,1-43 eine ganz andere Darstellungsperspektive für das Passafest einnimmt als Ex 12,1-14. Während nämlich Ex 12,1— 14 Vorschriften zur Durchführung des privaten (familiären) Passa-Rituals liefert, faßt 23,5-8 die äußere, kollektiv-öffentliche Seite von Passa (und des Mazzenfestes) ins Auge, indem nur vom Termin, von der Arbeitsruhe und den kollektiven Opfern (n$N) die Rede ist. Um die in Ex 12,lff thematisierte Auswahl und Schlachtung des Passalammes und seinen Verzehr, um das familiäre Passa-Ritual also, geht es in 23,5-8 nicht. Ex 12,1-14 und Lev 23,5-8 thematisieren das Passafest insofern in unterschiedlicher Darstellungshinsicht und können deshalb nicht in einen konzeptionellen Gegensatz gebracht werden. (2) Weiterhin ist es fragwürdig, einen Gegensatz zwischen „H" und „P" in der Frage nach dem wahren Eigentümer des Landes auszumachen. 1 5 9 Denn die entsprechenden Texte in 25,23.38.42.55, in denen JHWH als der eigentliche Eigentümer des Landes gilt, stehen keineswegs im Widerspruch zu Ex 6,6ff, wo den Israeliten der Besitz (HUi-IlD) des Landes zugesagt wird. Gegen diese Hypothese spricht, daß 25,38 deutlich positiv zitierend auf Ex 6,4.7f zurückgreift. (3) Ferner ist es u.E. nicht gerechtfertigt, einen Gegensatz zwischen „H" und „P" hinsichtlich der Stellung zur sog. Profanschlachtung zu postulieren. Denn der priester(schrift)liche Beleg Gen 9,4 steht, da er ein Spei-
155
V g l . d a z u n u r KAISER, G r u n d r i ß , 5 9 . 8 2 f ; PREUSS, T R E X I V , 7 1 5 f ; ZENGER, E i n -
leitung, 74 (Skizze) und 103f. 156 Vgl. dazu MILGROM, AncB 3, 13-26; CHOLEWINSKI, AnBib 66, 334-338; OTTO, Ethik, 237 und DERS., Heiligkeitsgesetz, 66f. 157 CHOLEWINSKI, AnBib 66, 334-338, übernommen von OTTO, Ethik, 237 und ZENGER, Einleitung, 104. 158 OTTO, e b d . , v g l . CHOLEWINSKI, a . a . O . , 3 3 5 . 159
OTTO, e b d . , v g l . CHOLEWINSKI, a . a . O . , 3 3 4 .
Forschungsgeschichte
31
segebot für die gesamte Menschenwelt bietet, in ganz anderen kompositioneilen Zusammenhängen als die nach der Errichtung des Heiligtums und der Installation des Kultes an Israel gerichtete Schlachtregel Lev 17,3f. Der für die Gesamtkonzeption von „P" grundlegende Unterschied zwischen noachidischer Epoche und Sinaiepoche wird nivelliert, wenn Gen 9,4 ungeachtet seines kompositorischen Ortes mit Lev 17,3f verglichen wird. 160 Von einer „Profanschlachtung" kann in Gen 9 (P) noch nicht geredet werden, da es hier auch noch keine Sakralschlachtung gibt. (4) Ferner ist auch der postulierte Gegensatz zwischen einer priester(schrift)lichen und einer .heiligkeitsgesetzlichen' Bundeskonzeption zu bestreiten, 161 da der dafür angeführte Text Lev 26,1-45, und insbesondere Lev 26,42-45 (wie Blum, Crüsemann und Rendtorff gezeigt haben), den Boden der priesterlichen Bundestheologie, wie sie etwa in Ex 6,5ff formuliert ist, nicht verläßt. 162
B. Zudem wird bei diesem Deutungsansatz übergangen, daß die priester(schrift)liche Sinaigeschichte inklusive des Heiligkeitsgesetzes eine planvolle Gesamtgestalt bildet, aus der der Abschnitt 1 7 - 2 6 nur unter Destruktion der Gesamtkomposition herauszulösen ist. 163 C. Gegen einige Untersuchungen, die das Heiligkeitsgesetz der „Priesterschrift" literaturgeschichtlich nach- bzw. nebenordnen, erheben sich schließlich folgende Einzeleinwände: a. Gegen die Überlegung von Cholewiiiski, wonach 17-26 eine Korrektur am deuteronomischen Gesetz ist, spricht, daß sie allenfalls in den Abschnitten 17,1-16; 23,1-43 und 25,1-55 einen Anhalt hat. Weder die Priestergesetzgebung in 21,1-22,16 noch die Kultgesetzgebung in 22,18b-33, noch die Sexual- und Ehebestimmungen in 18,1-30 (und 20,1-27) kommen aber als solche „Korrekturen" in Frage. Denn die entsprechenden Bestimmungen fehlen im deuteronomischen Gesetz oder sind dort in Wortlaut und Inhalt völlig anders strukturiert, so daß an eine literarische Bezugnahme nicht zu denken ist. 164 Aber auch die Basisergebnisse Cholewinskis, denenzufolge 17,1-16; 23,1-43 und 25,1-55 Korrekturen an dtn. Bestimmungen sind, sind u.E. zu befragen. Unten werden wir noch zeigen, daß diese Texte trotz aller Parallelität zu Dtn 12,lff, Dtn 16,lff und Dtn 15,lff je einen eigenen Sinn haben und sich kaum auf eine Korrekturabsicht gegenüber den dtn. Parallelen reduzieren lassen. 160 V G I 161
DAZU
CRÜSEMANN, T o r a , 3 4 1 f .
Dieser Punkt geht auf eine These LOHFINKS (Abänderung, 129-136) zurück, der seinerseits Überlegungen ZIMMERLIS (Sinaibund, 205-216) aufgreift. 162 VGI (JAZU BLUM, BZAW 189, 325-328; CRÜSEMANN, Tora, 354f; DERS., Exodus, 125f und RENDTORFF, SBS 160, 26.59-64.86. 163 vgl. dazu BLUM, BZAW 189, 293-332; CRÜSEMANN, Tora, 324 sowie unten Teil I, Kapitel 1. 164 Dazu drei Beispiele: (1) Das in 18,6-17a und 20,11-21 breit verhandelte Inzestthema wird im dtn. Gesetz etwa nur in 23,1 angesprochen. Anhaltspunkte dafür, daß die Inzestverbote des Heiligkeitsgesetzes auf Dtn 23,1 Bezug nehmen, gibt es nicht. (2) Die Opferbestimmungen 22,18b-33 sodann haben in den Rechtssätzen Dtn 15,21 und 14,21 nur sehr entfernte Parallelen. Kaum wird man 22,18b-33 als „Korrektur" dieser Einzelsätze ansehen können. (3) Als Parallele zum Priestergesetz 21,1-22,16 kommt schließlich nur Dtn 18,1-8 in Betracht. Ein literarischer Bezug ist aber auch hier auszuschließen.
32
Einleitung
b. Fragwürdig erscheint daneben auch die These von Knohl und Milgrom, wonach das Heiligkeitsgesetz das Produkt einer jüngeren priesterlichen Schule ist, die populär-folkloristische Gesichtspunkte gegenüber der angeblich auf die reinen Rituale bezogenen „Priestly Torah" zur Geltung gebracht haben soll. 165 Gegen diese These ist zum einen einzuwenden, daß gerade in kultischen Fragen keine Gegensätze zwischen Heiligkeitsgesetz und „Priesterschrift" festzustellen sind. 1 6 6 Zum anderen ist zu berücksichtigen, daß die wenigen bei Knohl und Milgrom erwähnten Unterschiede nicht notwendigerweise literaturgeschichtlich (im Sinne zweier priesterlicher Schulen) zu interpretieren sind, sondern lediglich Ausdrucksvarianten markieren. 1 6 7 Schließlich spricht gegen diese These, daß ihr zentraler Gesichtspunkt auf das Heiligkeitsgesetz im ganzen nicht anwendbar ist. Denn das postulierte Anliegen der „Holiness School", welche populär-kultische Traditionen mit den angeblich reinen Ritualen der „Priestly Torah" zu vermischen suche, 1 6 8 kann die Existenz solcher Abschnitte im Heiligkeitsgesetz, in denen es überhaupt nicht um kultische Fragen geht, nur schlecht erklären.
4. Ist damit die These, daß 17-26 ein neben- bzw. nachpriester(schrift)licher Text ist, ebenfalls nicht ohne Probleme, so ist festzuhalten, daß die gegenteilige Behauptung zuletzt an Evidenz gewonnen hat, wo165
Siehe dazu oben unter 2.2.1. Zur Begründung dieser Behauptung sei auf folgende kultische Details hingewiesen: (1) Der mit einem DttfX belegte Rechtsfall in 19,20ff fügt sich stimmig in die in Lev 5,13-26 entwickelte Konzeption von DLTFX ein (vgl. dazu SCHENKER, Anlässe, 58f.65). (2) Die Vorschriften in 24,1-9 über den Dienst an Schaubrottisch und Leuchter bewegen sich inhaltlich genau in dem von Ex 25,30 und 27,20 vorgegebenen Rahmen (vgl. dazu UTZSCHNEIDER, OBO 77, 205.249). (3) Die auf die Priester- und Laienanteile zielende Klassifikation der Opfer in ü'Unpn 'UHp einerseits und O'UHpn andererseits (21,22) und die Bezeichnung des D'D1?!^ TOT als Hin' UHp (19,8) entspricht genau der Sprachregelung von Lev 6f, wo ntlJD, DU>N und FINün als ü'itflpn '¡¿Hp bezeichnet werden (vgl. 6,10.18.22; 7,1), während die H^IV (die vollständig verbrannt wird und weder Priester- noch Laienanteile generiert) und der D1Di7U> 1"QT (bei dem als einzigem Opfer auch Laienanteile anfallen) keine entsprechenden Klassifikationsbezeichnungen haben (vgl. 6,1-6 und 7,11-36). (4) Die Bestimmungen über den D'D^ttf TUT in 17,6; 19,5-8; 22,29f bleiben ganz in dem von Lev 3,1-17 und Lev 7,11-37 vorbestimmten Rahmen. 166
167
(1) Das gilt etwa für die Unterschiede zwischen den Vorschriften zum O'D^ttf TOT und zum TTin niT in Lev 7,11-18 und 19,5-8; 22,29f. Dieser Fall ist eher ein Beleg für das im priester(schrift)lichen Textbereich auch sonst bezeugte literarische Mittel der „Wiederaufnahme" (vgl. nur 3,17 mit 7,26), denn konzeptionelle Gegensätze ergeben sich hier nicht. (2) Ähnlich ist auch der Versuch KNOHLS ZU beurteilen, auf der Grundlage eines Vergleichs zwischen 23,1-43 und Num 28,1-29,39 einen Festkalender der „Holiness School" und einen älteren Festkalender der „Priestly Torah" herauszuarbeiten und konzeptionelle Differenzen zwischen diesen beiden nachzuweisen (vgl. dazu KNOHL, Priestly Torah, 67-98). Dieser Versuch scheitert u.E. daran, daß Num 28f keinen Festkalender, sondern einen funktional anders gearteten Op/erkalender bietet, sowie daran, daß Num 28f Lev 23 literaturgeschichtlich vermutlich folgt und insofern zur Rekonstruktion eines frühpriester(schrift)lichen Festkalenders nicht in Betracht kommt. Vgl. dazu NOTH, ATD 7, 190. MILGROM, JPSTC, 237f läßt die Frage, ob Lev 23 Num 28f vorangeht oder umgekehrt, offen. 168 So auch KNOHL, Sin Offering Law, 200 vgl. DERS., Silence, 17-30.
33
Forschungsgeschichte
nach das Heiligkeitsgesetz ein integraler Bestandteil des priester(schrift)lichen Textbereichs ist. A. Blum hat mit Recht darauf hingewiesen, daß die Formulierungsbesonderheiten des Heiligkeitsgesetzes (gehäufte Paränesen und gehäufte Selbstvorstellungsformeln) gegenüber den übrigen priesterlichen Sinaitexten als kompositioneil bedingt erklärt werden können, wenn man sie auf die besondere inhaltliche Funktion von 17-26 in der Gesamtkomposition der priesterlichen Sinaitexte zurückführt. 169 Im Rahmen der priester(schrift)lichen Sinaigeschichte bringt 17-26 in besonderer Weise das Thema , Ethik' zur Darstellung. Die Häufung von Paränesen und paränetisch wirkenden Selbstvorstellungsformeln paßt aber genau zu diesem thematischen Schwerpunkt. Diese Elemente kommen deshalb keineswegs als literarkritisch zu wertende Indizien in Betracht. B. Daneben hat Crüsemann deutlich gemacht, daß 17-26 im Zusammenhang der übrigen priesterlichen Pentateuchtexte eine „Transformation allen bisherigen Rechts" 170 realisiert, mittels derer die rechtsgeschichtlichen Herausforderungen des Exils bewältigt werden. Die modifizierende Rezeption von Bestimmungen des deuteronomischen Gesetzes und des Bundesbuches im Heiligkeitsgesetz ist damit ebenfalls als ein genuin priester(schrift)licher Vorgang deutbar. Für die inhaltlichen und sprachlichen Besonderheiten des Heiligkeitsgesetzes, die gewöhnlich als Belege für seine literarische Sonderstellung im priester(schrift)lichen Textbereich angeführt werden, sind damit Erklärungen erarbeitet worden, die die ursprüngliche Zugehörigkeit dieses Textbereiches zur „Priesterschrift" (im weiteren Sinne von „P s " oder „KP") nicht nur nicht ausschließen, sondern umgekehrt als wahrscheinlich erscheinen lassen. Insgesamt kommen wir damit zu folgendem Ergebnis: Angesichts der Einwände, die gegen die nach- und nebenpriester(schrift)liche Ansetzung von 17-26 zu erheben sind, und angesichts der neuen Argumente, die für die These erarbeitet wurden, daß 17-26 ein integraler Teilkomplex der priesterlichen Sinaitexte ist, werden wir in der folgenden Untersuchung von letzterer These ausgehen. Sie soll auf ihre Gültigkeit und ihr hermeneutisches Potential hin untersucht werden. 2.5 Überlegungen
zum weiteren methodischen
Vorgehen
Die Aufgabe, vor der wir stehen, hat folgende Aspekte. 1. Zum einen ist der größere Kontext von 17-26, die priester(schrift)liche Sinaigeschichte Ex (19,lf*)24,15b-Num 10,10* („P s " oder „KP"), in den Blick zu nehmen und daraufhin zu befragen, ob und inwiefern 17-26 169 170
Siehe oben unter 2.2.2. CRÜSEMANN, Tora, 337.
34
Einleitung
darin verankert ist. Sehr wahrscheinlich bildet dieser übergeordnete Zusammenhang einen Erzähltext, dem eine spezifische narrativisch-diskursive Entwicklung bzw. eine zentrale Thematik zugrunde liegt. Das Heiligkeitsgesetz kann deshalb nur dann als ein integraler Bestandteil der „Priesterschrift" angesehen werden, wenn deutlich zu machen ist, daß es unmittelbar mit dieser zentralen Thematik der priester(schrift)lichen Sinaitexte verbunden ist. 2. Zum anderen ist die Aussageintention des Heiligkeitsgesetzes als ein Gesamttext zu erheben und mit der Leitthematik der priester(schrift)lichen Sinaitexte zu vergleichen, wobei diese Fragestellung die wichtigere ist. Der Hauptmangel der bisherigen Untersuchungen zum Heiligkeitsgesetz besteht darin, daß es nicht gelungen ist, das leitende Kodifikationsprinzip zu benennen, das den vielen Einzelgeboten in 17-26 zugrunde liegt. Die Frage nach der Gesamtintention des Heiligkeitsgesetzes ist bisher letztlich ungeklärt. Die in diesem Zusammenhang naheliegende Auskunft, daß es in allen diesen Vorschriften um Heiligung bzw. Heiligkeit Israels geht, mag zwar grundsätzlich den Kern dieses Textbereichs treffen (vgl. 19,2 u.ö.), sie ist aber doch zu allgemein, um die konkrete Zusammenstellung der im Heiligkeitsgesetz vereinigten Rechtssätze und -abschnitte zu erklären. Die Heiligkeitsforderung kommt deshalb nur bedingt als Kodifikationsprinzip von 17-26 in Betracht. Für die Verhältnisbestimmung von Heiligkeitsgesetz und „Priesterschrift" wäre sehr viel gewonnen, wenn sich nachweisen ließe, daß das Heiligkeitsgesetz eine Gesamtintention verfolgt, und wenn sich diese Gesamtintention präzise bezeichnen ließe. In diesem Fall wäre eine Entscheidung darüber, ob 17-26 ein integraler Bestandteil der priester(schrift)lichen Sinaigeschichte ist, möglich. Eine gesicherte Aussage über eine diesem Komplex zugrunde liegende Gesamtintention ist natürlich erst nach der eingehenden Analyse aller Teile von 17-26 denkbar. Gleichwohl ist eine Aussage über diese Gesamtintention im Sinne eines Vorgriffes schon am Anfang dieser Untersuchung nötig (und möglich). Die Untersuchung der Gesamtstruktur von 17-26 (Teil I) wird die Basis für einen solchen Vorgriff liefern. Die schier unübersehbare Fülle an thematisch verschiedenen Rechtssätzen spricht auf den ersten Blick zwar dagegen, daß das Heiligkeitsgesetz eine übergreifende Gesamtthematik verfolgt. Auch der Eindruck, daß dem Heiligkeitsgesetz eine „innere Ordnung" fehlt 1 7 1 bzw. daß es „Inkonsequenzen in der Disposition" 1 7 2 aufweise, spricht gegen den Versuch, 1726 auf eine Gesamtintention festlegen zu wollen. Andererseits ist aber zu berücksichtigen, daß 17-26 eine Rechtssammlung ist. Als solche teilt die171 RENDTORFF, Einführung, 154. Ähnlich äußern sich schon STEUERNAGEL, Einleitung, 242f; WEISER, Einleitung, 129 und EISSFELDT, Einleitung, 310. 172 SMEND, Entstehung, 59.
35
Forschungsgeschichte
ser Text mit den übrigen alttestamentlichen Rechtskorpora das Schicksal, in Anlage und Systematik relativ undurchsichtig zu sein, was u.a. darin begründet liegt, daß die Sachlogik, die die Abfolge von Rechtssätzen oder Rechtssatzzusammenhängen motiviert, im jeweiligen Korpus nicht eigens mitgeteilt wird. Aus diesem Grund kann eine Rechtssatzsammlung in der Abfolge ihrer Rechtssätze auf den ersten Blick willkürlich und zufällig erscheinen, obwohl sie systematisch konsistent organisiert ist. 173 Die Frage, ob eine Rechtssatzsammlung eine systematische Gesamtstruktur bildet und eine Gesamtabsicht verfolgt, ist also vorgängig nicht zu entscheiden. Die rechtsgeschichtliche Forschung tut aus diesem Grund gut daran, Rechtssatzsammlungen nicht unmittelbar im inhaltlichen Zugriff zu interpretieren, sondern ihre Systematik und Intention aus der Analyse der Makrostruktur dieser Texte induktiv zu erschließen. Dabei ist streng von den in den Texten vorhandenen Gliederungsmerkmalen auszugehen,174 Dieses Verfahren bietet größere Gewähr, die von den Autoren intendierte Systematik in den Blick zu bekommen. Denn es ist zu erwarten, daß die Aussageintention bei der Abfassung des Textes in die Gestaltung der Textstruktur und des Oberflächentextes eingeflossen ist und daran gleichsam abgelesen werden kann. 175 Moderne Rechtstexte sind durch numerische Gliederungssysteme strukturiert und in ihrer Anlage und Aussageintention vereindeutigt. Antike Rechtstexte ermangeln solcher vereindeutigenden numerischen Gliederungssysteme zumeist. Das bedeutet aber keineswegs, daß sie unsystematischer und ungeordneter abgefaßt wären als die modernen. Ihre Systematik ist nur nicht numerisch, sondern verbal realisiert. Es ist deshalb eine wichtige Aufgabe rechtsgeschichtlicher Forschung, die relevanten Gliederungselemente antiker Rechtstexte in deren Textstruktur aufzusuchen und die Texte auf dieser Grundlage zu interpretieren. Hinsichtlich des Heiligkeitsgesetzes wenden wir uns im folgenden dieser Aufgabe zu.
173
Dazu ein Beispiel: Dem Bundesbuch Ex 2 0 , 2 2 - 2 3 , 3 3 konnte in der älteren Forschung etwa bescheinigt werden, daß es „ein buntes Durcheinander mannigfacher Bestandteile" in sich vereinigt (ELSSFELDT, Einleitung, 284). Im völligen Gegensatz dazu hat die neuere Forschung nun herausgearbeitet, daß das Bundesbuch äußerst stringent und vollkommen systematisch aufgebaut ist. Vgl. dazu die Arbeiten von HALBE, F R L A N T 114, 3 9 1 - 5 0 5 ;
OTTO, O B O 8 5 , 7 - 1 4 ; OSUMI, O B O
105;
SCHWIENHORST-
SCHÖNBERGER, BZAW 188; CRÜSEMANN, Tora, 1 3 2 - 2 3 4 . 174 Vgl. dazu die methodischen Erwägungen von OSUMI, OBO 105, 2 - 9 und CRÜSEMANN, T o r a , 1 6 f . 175
Zum Begriff der Textoberfläche vgl. HARDMEIER, BZAW 187, 6 0 - 6 2 .
Erster Teil:
Die Gesamtstruktur des Heiligkeitsgesetzes im Rahmen des priesterlichen Textbereichs
Kapitel 1:
Das Heiligkeitsgesetz in der priesterlichen Sinaierzählung Ex (19,lf*)24,15b - Num 10,10* Wir kommen damit zur ersten Fragestellung und untersuchen zunächst, in welcher Weise das Heiligkeitsgesetz in die priester(schrift)liche Sinaigeschichte eingebunden ist. Einschränkend ist allerdings zu betonen, daß die priester(schrift)liche Sinaigeschichte hier nicht erschöpfend behandelt werden kann. Aufgrund ihres Umfangs und der Fülle der in ihr behandelten Themen ist das nicht möglich. Im folgenden soll es daher schwerpunktmäßig darum gehen, die Gesamtanlage dieses textlichen Großbereiches in ihren narratologischen Umrissen und inhaltlich zentralen Aspekten darzustellen sowie die narrative und thematische Einbindung von Lev 1726 in diesen Großkontext zu erfassen. Über die Abgrenzung des priester(schrift)lichen Sinaierzählzusammenhangs herrscht in der Forschung weitgehend Einigkeit. Er beginnt bekanntlich mit der Notiz über die Ankunft Israels in der „ Wüste Sinai" ('J'D * m D ) im dritten Monat nach dem Auszug aus Ägypten (Ex 19, lf*) und endet mit einer vergleichbaren Notiz über den Aufbruch von dort knapp zwei Jahre später (Num l O J l f ) . 1 Abzüglich der sicher nicht priester(schrift)lichen Texte in Ex 19,2b-24,15a geht es also konkret um den Textbereich Ex (19,lf*)24,15b - Num 10,10* (wobei wir hier von der umstrittenen quellenmäßigen Einordnung von Ex 31,18-34,35* absehen 2 ). 1 Daß schon Ex 16,1-12* den Anfang des priester(schrift)lichen Sinaizusammenhangs bilden, wie WEIMAR, Sinai, 373ff; ZENGER, Bogen, 1 5 7 - 1 6 0 und JANOWSKI, Tempel, 224ff meinen, ist u.E. nicht wahrscheinlich. Denn es ist deutlich, daß die ,Manna-Murrerzählung' in Ex 16,1-12* nach den Wander- und Datierungsnotizen in Ex 16,lf; 19,lf und Num 1,1; 9,1; 1 0 , l l f nicht zum eigentlichen Sinaigeschehen gehört. Diese Episode wird nicht (wie die übrigen Sinaiereignisse) in „der Wüste Sinai" (~Q7Q T D ) lokalisiert, sondern in „ der Wüste Sin" (J'D HTTD), die nach priester(schrift)licher Vorstellung offenbar von „der Wüste Sinai" zu unterscheiden ist (vgl. Ex 16,1a). Auch ist zu bedenken, daß Ex 16,1-12* als priester(schrift)liche Murrerzählung mit einer Reihe von ähnlichen Murrerzählungen (Num 13f; Num 16f und Num 20, vgl. dazu SCHMIDT, BZAW 214, 3 5 - 2 0 6 ) zusammengehört. Alle Murrepisoden finden nach priester(schrift)licher Darstellung aber ausnahmslos während der Wanderung statt. Während des Aufenthalts am Sinai murren die Israeliten dagegen nicht. 2
Zum Verhältnis von Ex 3 2 - 3 4 * zu den genuin priester(schrift)lichen Texten vgl.
CRÜSEMANN, T o r a , 3 9 - 7 5 , b e s . 6 0 - 7 5 .
40
Teil I: Die Gesamtstruktur
des
Heiligkeitsgesetzes
1.1 Überblick über Struktur und Leitthematik chen Sinaigeschichte
der
priester(schrift)li-
Für die vorliegende Fragestellung ist der Umstand wichtig, daß die priester(schrift)liche Sinaigeschichte Ex 19,1 - Num 10,10* trotz ihrer offenkundigen literarischen Mehrschichtigkeit erzählerisch äußerst homogen ist und auch in der Anordnung ihrer verschiedenen Teilkomplexe eine klare Gesamtgestalt bildet. Diese Gesamtgestalt hat E. Blum u.E. im Ansatz zutreffend beschrieben. Wir greifen deshalb im folgenden auf seine Ausführungen zurück, wenn wir nach der Einbindung von Lev 17-26 in diesen Zusammenhang fragen. Im Anschluß an viele andere Autoren kommt Blum zu dem Ergebnis, daß es in diesem Großtextbereich zentral um das Thema der Gottesgegenwart in Israel, um sein Wohnen ( p $ ) inmitten seines Volkes (vgl. Ex 29,45a), um die Präsenz seiner Herrlichkeit (1113) (vgl. Ex 24,16; 29,43b; 40,35; Lev 9,24) und um die Erfüllung der in der sog. Bundesformel gemachten Zusage „Ich will euch zum Gott sein" (Ex 29,45b) geht.3 Die Passage Ex 29,42-46, die die meisten dieser Aspekte anspricht, versteht Blum aus diesem Grund als einen „programmatische[n] Abschnitt" dieses zentralen Großzusammenhangs der „priesterlichen Pentateuchkomposition" („KP").4 Daß es in der gesamten priesterlichen Sinaigeschichte zentral um das Thema ,Gottesgegenwart' (usw.) geht, ergibt sich für Blum aus größeren Zusammenhängen der priesterlichen Komposition. Das Thema ,Nähe und Gegenwart Gottes bei den Menschen' bildet nach Blum überhaupt ein inhaltliches Grundanliegen der priesterlichen Pentateuchkomposition. „KP" kommt Blum zufolge in allen ihren Teilen immer wieder auf dieses Thema zurück. Gemäß der Darstellung der Urgeschichte (Gen 1-10*) sei die Situation vor der Flut durch „die Möglichkeit einer ursprünglichen, ungebrochenen Gottesnäfte"5 gekennzeichnet, was die priesterlichen Autoren an den Gestalten Henoch und Noah exemplifiziert hätten, die beide dadurch charakterisiert werden, daß sie „mit Gott wandeln" (""[^nnn D'rftKn n«, Gen 5,22.24; 6,9). Der die Flut später heraufbeschwörende Einbruch von „Gewalttat" (0D!"l) (Gen 6,11) führe nach der priesterlichen Darstellung dann aber zu einer Distanznahme Gottes gegenüber den Men-
3 Vgl. BLUM, BZAW 189, 2 9 6 - 3 0 0 . Zu dieser Leitthematik der priester(schrift)lichen Sinaitexte vgl. auch WESTERMANN, Herrlichkeit, 118-128; JANOWSKI, WMANT 55, 301f; DERS., Tempel, 224-232; DERS., Mitte, 138ff und UTZSCHNEIDER, OBO 77, 4 9 - 5 2 . Zur sog. Bundesformel vgl. SMEND, Bundesformel, 1 1 - 3 9 und RENDTORFF, SBS 160. 4
BLUM, a . a . O . , 2 9 7 .
5
A.a.O., 291.
Kapitel
1: Das Heiligkeitsgesetz
in der priester(schrift)liehen
Sinaierzählung
41
sehen: „Mit dem Einbruch der Gewalttat hat sich etwas zwischen Gott und Mensch geschoben, das die Distanz erzwingt." 6 Beginnend mit der Abrahamsgestalt (Gen 17) — eigentlich schon mit dem nachflutlichen Noah - stellten die priesterlichen Autoren anschließend dann aber eine gegenläufige Entwicklung hinsichtlich der Gottesnähe dar: Ab Abraham gehe es permanent um die Zurücknahme der Distanz Gottes. Schon Abraham selbst werde als ein solcher beschrieben, der vor Gott wandelte ('3D1? I ^ n n n ) (Gen 17,1),7 was der Beschreibung der Gottesbeziehung vor der Flut entspreche und den Modalitäten der Gottesrelation Henochs und Noahs gleiche. Die weitere, durch „KP" geschilderte Geschichte könne dann im ganzen als ein „Prozeß der fortschreitenden Konstituierung der Gottesnähe" verstanden werden. 8 Mit dem Exodus Israels aus Ägypten kommt diese Thematik für Blum schließlich in der priesterlichen Sinaigeschichte an ihr Ziel. Im Erscheinen der „Herrlichkeit" Gottes (TOD) ereigne sich am Sinai eine „neue Qualität" von Zuwendung Gottes zu Israel, die in der Einwohnung JHWHs im „Zelt der Begegnung" und in seinem Erscheinen vor dem ganzen Volk Israel bei der Inauguration des Opferkultes (Lev 9,22ff) ihren Kulminationspunkt erreicht. 9 Wenn Zenger den Inhalt der Sinaigeschichte von „PS" dahingehend zusammenfaßt, daß sie „die Erfüllung der im Abrahambund Gen 17,7 gegebenen Zusage" erzähle, „JHWH wolle Gott Israels werden und zwar als Erscheinen der Herrlichkeit JHWHs ... inmitten des im Exodus geschaffenen' Gottesvolkes Israel", 10 so gilt das nach Blum in gleicher Weise auch für die vorliegende Gestalt der priesterlichen Sinaigeschichte Ex (19,lf*)24,15b - Num 10,10*. Blum hat nun weiter gezeigt, daß die vorliegende Gestalt der priesterlichen Sinaigeschichte aus vier Hauptteilen besteht, die mit unterschiedlichen Schwerpunkten die Grundthematik der Gottesnähe entfalten. Ex 2 5 40*; Lev 1-10*; Lev 11-26 und Num 1 - 1 0 seien als diese vier Teile erkennbar. 11 Im ersten Hauptteil (Ex 25-40*) gehe es hauptsächlich um die göttlichen Anweisungen zu Bau und Ausstattung des Heiligtums, seiner Einrichtungsgegenstände bis hin zur Bekleidung der Priesterschaft. Diese Pas6 7 8 9
A.a.O., 293. Ebd. A.a.O., 294. Vgl. a.a.O., 296f.
10
11
ZENGER, E i n l e i t u n g , 1 0 2 .
BLUM, a.a.O., 300. Beobachtungen KOCHS (FRLANT 71, 99) aufnehmend, nennt BLUM formale Gesichtspunkte für seine Gliederung: Die ersten beiden Komplexe Ex 2 5 - 4 0 * und Lev 1 - 1 0 fänden sich jeweils durch eine Erscheinung des "TQD eingeleitet bzw. abgeschlossen, während der „feierliche .Abschluß' in Lev 26" eine Zäsur zwischen dem dritten und dem vierten Abschnitt markiere (a.a.O., 300f).
42
Teil I: Die Gesamtstruktur
des
Heiligkeitsgesetzes
sagen sind nach Blum stark von der narrativen Fiktion der mosaischen Zeit bestimmt und zielen auf einmalige Realisierung ab. Die Ausführung dieser Anweisung werde in Ex 36ff beschrieben. Der primär narrative und nicht legislative Charakter dieses Textbereichs halte seine Rezeption offen. Dieser erste Hauptteil ende mit der Erfüllung der gerade errichteten Wohnstätte durch den TQ3 JHWHs (40,34ff). Der vierte Hauptteil der priesterlichen Sinaigeschichte sodann, der Schlußkomplex Num 1-10, stehe diesem ersten Teil genau gegenüber und sei mit ihm in besonderer Weise verbunden. Wie Ex 2 5 - 4 0 * sei auch dieser Teil stark „bezogen auf die Situation der Wüstenwanderung". 12 So bleibt dieser Teil ähnlich wie Ex 2 5 - 4 0 * eher dem Binnenraum der erzählten Welt verhaftet, und seine Applizierbarkeit in der Erzählsituation gestalte sich ähnlich vielschichtig. Inhaltlich handle dieser Abschnitt im wesentlichen von der Musterung des Zwölfstämmevolkes, von der Anordnung seines Lagers um das Heiligtum herum und von den Leviten. In ihrer Ähnlichkeit fungieren Ex 2 5 - 4 0 * und Num 1 - 1 0 nach Blum als eine „Klammer, welche mit ihrer Beschreibung der ,festen' baulichen und organisatorischen Institutionen des J/iw/i-Volkes" die zwischen diese Teile plazierten legislativen Gebots- und Gesetzeskomplexe Lev 1 - 1 0 * und Lev 1 1 - 2 6 umschließt. 13 Daß auch Num 1 - 1 0 zentral der Thematik der Realisierung und Gewährung von ,Gottesnähe' gewidmet ist, wird bei Blum nur angedeutet, da er diesen Komplex nur kurz behandelt. Gleichwohl trifft die These auch für diesen Textbereich zu. Denn indem dieser Komplex im wesentlichen von der Musterung der israelitischen Stämme (Num 1), von der Anordnung des Zwölf-Stämme-Lagers um das Zeltheiligtum herum (Num 2), von Musterung, Aufgabenprofil, Lagerort und Weihe der Leviten (Num 3; Num 4; Num 8) sowie von den Weihegaben der „Fürsten" anläßlich der Weihe des Heiligtums (Num 7) handelt, geht es hier durchweg um die ergänzenden Institutionen der Gottesgegenwart, die den in Ex 25-40* dargestellten primären Institutionen jeweils nachgeordnet sind. 1 4 Die Passagen über die Gestaltung des Lagers der Israeliten (Num 1 - 4 ) greifen die Ausführungen über den Bau des Zeltheiligtums (Ex 25-27.36-38) auf und erweitern diese zu einer kultischen Raumordnung, gleichsam von innen nach außen fortschreitend. Die Passagen über die Leviten, den clerus minor, die sich in Num 3 und Num 8 finden, setzen gewissermaßen die Texte über die Aaroniden, den clerus major (Ex 28f.39), fort und stellen den primären Kultfunktionären sekundäre an die Seite. Der Bericht über die Weihegaben der Fürsten (Num 7) schließlich bezieht sich auf die Erzählung von der Weihung des Heiligtums und der Aaroniden (Lev 8) zurück, die ergänzungsweise zu Ex 25-40* hinzugehört, und setzt so die Beschreibung dieser ersten kultischen Begehung Israels hinsichtlich eines Nebenaspekts fort. Num 1 - 1 0 ist damit insgesamt das genaue
12
A.a.O., 302. BLUM, a.a.O., 302. 14 Zu Num 1 - 1 0 vgl. besonders KELLERMANN, BZAW 120, der anders als viele neuere Exegeten in diesem Komplex auch noch „PS"-Texte ausmacht. 13
Kapitel 1: Das Heiligkeitsgesetz
in der priester(schrift)liehen
Sinaierzählung
43
Gegenstück zum Komplex Ex 25-40*(Lev 8), der die sekundären Einrichtungen und Ereignisse im Zusammenhang der Präsenz des "TQ3 darstellt.
Im Anschluß an den Aufweis der engen Verbindung dieser beiden Großkomplexe führt Blum dann aus, daß die zwischen Ex 25-40* und Num 1 - 1 0 plazierten Komplexe Lev 1-10* und Lev 11-26 ebenfalls in besonderer Weise zusammengehören und stimmig an die beiden äußeren, auf die Institutionen der Gottesgegenwart bezogenen Großkomplexe anschließen. Im Unterschied zu Ex 25-40* und Num 1 - 1 0 beständen letztere aus Sammlungen von Geboten „für das Handeln und Leben in diesen Institutionen".15 Lev 1-10* bezieht sich dabei auf die Stiftung des Kultes. Konkret sieht Blum in diesem Textkomplex zwei Grundaspekte des Kultes entfaltet, das Moment „Kommunikation/ Gabe" einerseits und das Moment „Restitution/ Sühne" andererseits. Insofern Blum die verschiedenen, in Lev 1-10* genannten Opferformen jeweils einem dieser beiden Funktionsaspekte zuordnen kann, gelingt es ihm, das Thema der Gottesnähe als Leitthematik auch dieses Großkomplexes plausibel zu machen, da „Kommunikation und Gabe" und „Restitution und Sühne" entscheidende Rahmenbedingungen für Gottesnähe sind. 16 Weiterhin geht es in diesem Teil um die in Ex 29 befohlene Weihe von Heiligtum und Priesterschaft (vgl. Lev 8). Dieses Thema werde sachgemäß erst hier, also erst nach der Offenbarung der Opferrituale (Lev 1 - 7 ) fortgeführt. Insgesamt seien damit „die Voraussetzungen für die Einwohnung Gottes in Israel geschaffen". 17 In dem Text über die erste kollektive Opferfeier werde die Einwohnung Gottes dann durch die Schilderung der Manifestation seines TOD besiegelt (Lev 9,23f). 18 Lev 9,23f ist für Blum insofern der Höhepunkt der priesterlichen Sinaigeschichte und vermutlich von „KP" überhaupt. Lev 11-26 versteht Blum schließlich als einen vierten Teilkomplex innerhalb der Gesamtkomposition der priesterlichen Sinaierzählung. Die Makrostruktur dieses Komplexes hat nach Blum eine klare Gestalt. Er macht zwei Unterteile aus, nämlich Lev 11-15 einerseits und Lev 17-26 15
BLUM, a.a.O., 3 0 2 (Kursivierung: A.R.). Den Opferaspekt „Kommunikation/ Gabe" sieht BLUM in folgender Weise mit dem Thema der ,Gottesnähe' bzw. ,-gemeinschaft' verbunden: „Gewiß vermeiden es unsere Texte, ungeschützt von einem ,Essen' usw. Gottes zu sprechen, doch ist besagter Sinnzusammenhang zumindest zeichenhaft gegeben, wobei der Nachdruck offenbar auf der Gabe der kultischen Gemeinschaft liegt, die dergestalt kontinuierlich mit ihrem Gott .kommuniziert'" (a.a.O., 315). Den Aspekt der „Restitution/ Sühne" bringt BLUM dagegen folgendermaßen mit der Leitthematik in Verbindung: „Es geht um Israels Privileg der Gottesgemeinschaft, welche durch die von Gott selbst gewährte Reinigung und Entsühnung geschützt wird und nur so Bestand haben kann" (a.a.O., 317). 17 A.a.O., 317. 18 Ebd. 16
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Teil I: Die Gesamtstruktur des
Heiligkeitsgesetzes
andererseits. Diese beiden Unterteile seien durch den etwas für sich stehenden Abschnitt über das Versöhnungstagsritual (Lev 16,1-34) voneinander abgesetzt. Blum meint, daß nach den Stiftungen von Heiligtum (Ex 25-40*) und Kult (Lev 1-10*) und der Vergegenwärtigung des TQD in Israel (9,22ff) in Lev 11-15 und Lev 17-26 nun „folgerichtig" das geforderte „Korrespondenzverhalten (ganz) Israels" thematisiert werde.19 Auch hinsichtlich dieses Komplexes geht Blum also von einer Prägung durch die Leitthematik ,Gottesnähe' aus. Er betont, daß das „Regelwerk eines Kultes ... nur einen Sinn in einer Gemeinschaft" habe, „die sich der Verantwortung angesichts des Heiligen bewußt" sei. 20 Soweit die Ausführungen Blums zur Gesamtanlage von Ex 24,15b Num 10,10*. U.E. treffen sie wesentliche Züge der priester(schrift)lichen Sinaigeschichte und geben die narrativisch-kompositorische Struktur dieses Großzusammenhangs angemessen wieder. 21 Die Grundthese, daß der ganze Zusammenhang auf die Leitthematik .Gottesnähe' (o.ä.) zentriert ist, überzeugt. Auch die sich auf die Einbindung des Heiligkeitsgesetzes in diesen Großzusammenhang beziehenden Ausführungen treffen u.E. im 19
A.a.O., 318. Ebd. 21 Eine Nebenbemerkung sei hier noch zur Stellung von Lev 27 gemacht. Wie sich dieser Text in die Gesamtstruktur der priester(schrift)lichen Sinaierzählung einfügt, ist nicht recht deutlich. Nach der vormasoretischen Bucheinteilung handelt es sich um einen Anhang zu Lev 11-26. Möglicherweise ist Lev 27 aber auch ein späterer Zusatz, da schon Lev 26 (vgl. besonders 26,46) deutlich den Abschluß eines größeren Zusammenhangs markiert. Es wäre schließlich zu erwägen, ob Lev 27 nicht ursprünglich zum folgenden Großkomplex Num 1-10 gehörte und erst bei der Einteilung des Pentateuchs in Bücher in einen Zusammenhang mit Lev 11-26 gekommen ist. Folgende Beobachtungen sprechen für diese Möglichkeit: In Num 1-10 geht es u.a. schwerpunktmäßig um die Thematik ,Abgaben, Weihegaben, Gelübde', wie die Levitenbestimmungen in Num 3 , l l f f , das Nasiräatsgesetz in Num 6 und der Bericht über die Weihegaben der Fürsten in Num 7 deutlich zeigen. Diese Thematik wird aber auch in Lev 27 durchgängig behandelt, während sie in Lev 11-26 keine Rolle spielt. In diesem Zusammenhang ist weiter zu beachten, daß die Vordersätze der Eröffnungsbestimmungen von Num 6 und Lev 27 auffällig parallel formuliert sind: 20
Num 6,2b lautet:
mn'*?
Lev 27,2b lautet:
mn' 1 ?
Tin1? TTO T1J TTtf> n!tf£13 I D n V l
TTJ
X^D' '3
H1ÖX IX ttf'X
K^D' ' 3
itf'N
Das Thema „Gelübde erfüllen" (TU K"7D) wird innerhalb der priester(schrift)lichen Texte überhaupt nur in Lev 27 und Num 6 behandelt. Das deutet vielleicht darauf hin, daß Lev 27 und Num 6 kompositorisch miteinander verbunden sind. Vielleicht stellen Lev 27 und Num 6 eine alte Rahmung um die Lagerordnung Num 1 - 6 (mit dem Priestersegen Num 6,22-27 als Abschluß) dar. In diesem Fall wäre Lev 27 dem Schlußkomplex der priester(schrift)lichen Sinaigeschichte, Num 1-10, zuzurechnen und kein Anhang zu Lev 11-26. Dieses Problem muß hier aber letztlich offen bleiben.
Kapitel 1: Das Heiligkeitsgesetz
in der priester(schrift)liehen
Sinaierzählung
45
Grundsatz zu. Allerdings ist an dieser Stelle zu beachten, daß das Thema der Ethik - und damit das Heiligkeitsgesetz - noch sehr viel bestimmter in das narrative Gefälle der priester(schrift)lichen Sinaitexte eingebunden ist als es Blums etwas pauschaler Hinweis auf die Folgerichtigkeit des Korrespondenzverhaltens Israels vermuten läßt. U.E. ist das Thema des Heiligkeitsgesetzes gerade mit dem erzählerischen Höhepunkt der priester(schrift)lichen Sinaierzählung, Lev 9,22ff, explizit verwoben. 1.2 Die Ethisierung
der TQ.-i-Konzeption
in Lev
9,1-10,20
Im folgenden soll diese narrative Verwurzelung des Heiligkeitsgesetzes im zentralen erzählerischen Abschnitt der priester(schrift)lichen Sinaierzählung aufgewiesen werden. Wir konzentrieren uns zu diesem Zweck auf die Textpassage Lev 9,1-10,20, denn in diesem Text erreicht die priester(schrift)liche Sinaigeschichte ihren erzählerischen Höhepunkt, da es hier um die Erscheinung des TDD „vor dem ganzen Volk" (9,23) geht, womit die entscheidende Etappe der Realisierung der Nähe Gottes bei den Israeliten erreicht ist.22 Speziell diese Passage ist deshalb für den vorliegenden Zusammenhang von großem Gewicht. Ausgangspunkt unserer Analyse ist die Vermutung, daß Lev 9,1-10,20, narratologisch betrachtet, eine Einheit bildet.23 Das ergibt sich zum einen aus der Zeitmarke in 9,1, die in den die Jetzt-Origo bezeichnenden Bemerkungen in 9,4 und 10,19 aufgenommen wird. Durch diese Marken in 9,1 ('J'DÖJn a m ) , 9,4 (arn) und 10,19 (avn) wird der Nadab-Abihu-Zwischenfall (10,lff) mit der ersten Opferfeier der Israeliten (9,1-24) zu einer szenischen Einheit verbunden. Da es abgesehen von 9,1.4 und 10,19 keine weiteren Zeitangaben in Lev 9f gibt, müssen beide Ereignisse, die erste Opferfeier der Israeliten (9,lff) und das problematische Opfer der beiden 22
Deutlich ist, daß in Lev 9,22f der erzählerische Höhepunkt der priester(schrift)lichen Sinaierzählung erreicht wird, da hier erstmalig betont vom Erscheinen des "TQ3 Hin' „vor dem ganzen Volk" die Rede ist. Mose und Aaron können zudem an dieser Stelle in das Zeltheiligtum hineingehen, was Mose bei der in Ex 40,34f berichteten Ersterfüllung des Heiligtums durch den T Q 3 nicht möglich war. Der Bericht über das Herabkommen von Wolke und "TU3 auf das gerade errichtete Zeltheiligtum (40,34f) ist insofern nur als ein Zwischenhöhepunkt in der priester(schrift)lichen Sinaigeschichte anzusehen. Die These von POLA (WMANT 70, 343), wonach der Abschluß von PS bereits in Ex 40,33b zu suchen ist, überzeugt vor allem deshalb nicht, weil seine Gründe gegen die Ursprünglichkeit von Ex 40,34f inkonsistent sind (vgl. POLA, a.a.O., 2 1 7 - 2 2 2 mit 295f, Anm. 263) und sein Argument gegen die Ursprünglichkeit von Lev 9,1-24* in PS (das hier verwendete Dyn sei für P8 untypisch, vgl. a.a.O., 221, Anm. 22) als ein Sprachgebrauchsargument kaum ausreichen dürfte, um 9,1-24* insgesamt als sekundär zu erweisen. 23 Zu dem im folgenden vorausgesetzten Verfahren von Erzähltextanalyse vgl. HARDMEIER, B Z A W 1 8 7 , 6 0 - 8 6 .
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Teil I: Die Gesamtstruktur
des
Heiligkeitsgesetzes
Aaronsöhne (10,lff), als auf den achten Tag nach der Errichtung des Heiligtums, dem Tag nach dem letzten Tag der Weihefeier, datiert gelten. Im Unterschied dazu schließt die Weihe der Aaroniden und des Heiligtums aufgrund der Zeitangaben in Ex 40,17 und Lev 8,33-36 unmittelbar an die Errichtung des Heiligtums an und dauert sieben Tage, sofern die Zeitangaben in 8,33-36 (und 9,1) von der letzten ausführlichen narrativen Zeitangabe im priester(schrift)lichen Großkontext, Ex 40,17, abhängig sind. Zwischen Weihefeier (8,lff) und erstem regulären, kollektiven Opfergottesdienst (9,lff) ist damit eine deutliche Zäsur gelegt. Nicht Weihefeier und erster Gottesdienst, sondern erster Gottesdienst und Nadab-AbihuZwischenfall sind durch das Zeitgerüst der priesterlichen Erzählung zu einer Einheit verbunden. 24 Daß die Sequenz 9,1-10,20 erzählerisch eine Einheit bildet, ergibt sich daneben auch aus dem Umstand, daß sich die Diskussion zwischen Mose und den Aaroniden über den Umgang mit den Priesteranteilen am Opfer (10,12-20) offenbar auf die in 9,15-21 erwähnten Opferhandlungen zugunsten des Volkes zurückbezieht. 25 Durch diese Inklusion wird der Nadab-Abihu-Zwischenfall als eine Teilszene der ersten Opferfeier 9,1-10,20 gekennzeichnet. Der in 9,1-24 und 10,12-20 gebotene Bericht über die Opferhandlungen bei der ersten kollektiven Opferfeier umschließt gewissermaßen den Nadab-Abihu-Zwischenfall. Viele Probleme, die sich bei der Interpretation von Lev 10,1-20 ergeben, lösen sich, wenn man Lev 10,1-20 als einen integralen Bestandteil des Berichtes über die erste Opferfeier der Israeliten (Lev 9,1-10,20) betrachtet. Der größere Kontext von 9,22ff ist insoweit einigermaßen durchsichtig. Die in Lev 9,1-10,20 hinsichtlich des Themas ,Gottesnähe' entscheidende Passage 9,22-10,2 lautet nun folgendermaßen: 9,22
Da erhob Aaron seine Hände26 zum Volk hin und segnete sie, und er stieg vom Vollzug des Sündopfers und des Brandopfers und des Gemeinschaftsopfers herab.27
24 Die Formulierung von 10,19 ist in diesem Zusammenhang besonders zu beachten. Wenn Aaron über die Priester sagt, daß „sie heute ihr Sündopfer (DriNOn) und ihr Brandopfer (DH^y) vor JHWH dargebracht haben", dann bezieht sich das deutlich auf das in 9,8-14 beschriebene Priesteropfer zurück, das eben gerade aus einer TlKOn (9,811) und einer n*?y (9,12-14) besteht. 25 Im einzelnen bezieht sich 10,12f auf die in 9,17 erwähnte nnJD, 10,14f auf den in 9,18-21 erwähnten D'D'PU» rat und 10,16-20 auf die in 9,15 erwähnte HXOn zurück.
Z u m G a n z e n v g l . NOTH, A T D 6, 7 2 ; ELLIGER, H A T 1/4, 1 3 5 f ; HOFFMANN, L e v i t i c u s I,
297-300; GERSTENBERGER, ATD 6, llOf. 26 Nach Kere\ 27 Gemeint ist der Brandopferaltar (l"QTDn); vgl. dazu 9,8ff.
Kapitel
9.23
9.24
10.1
10.2
1: Das Heiligkeitsgesetz
in der priester(schrift)liehen
Sinaierzählung
47
Und Mose und Aaron gingen in das Zelt der Begegnung hinein. Und sie kamen [wieder] heraus, und sie segneten das Volk. Da erschien die Herrlichkeit JHWHs (Hirt' TOD) dem ganzen Volk. Und es ging Feuer von JHWH her aus (mrT »JD^O tf K KXm), und es verzehrte (^DKIH) das Brandopfer und die Fetteile auf dem Altar. Und das ganze Volk sah [es] und sie jubelten und fielen auf ihr Angesicht. Und die Söhne Aarons, Nadah undAbihu, nahmen ein jeder seine Räucherpfanne28 und gaben Feuer auf sie und legten Räucherwerk29 darauf und brachten vor JHWH ein fremdes Feuer dar,30 das er ihnen nicht befohlen hatte. Da ging Feuer von JHWH her aus (Hin' 'JD^Q WH K2tm), und es verzehrte (^DNJTI) sie, so daß sie vor JHWH starben.
Bei aller Befremdlichkeit, ja Anstößigkeit, die gerade die letzte Teilszene hat: Es ist nicht zu übersehen, daß die Darbringung des „fremden Feuers" durch die Aaronsöhne Nadab und Abihu (10,1) als eine Kontrasthandlung den Opferhandlungen Aarons (9,8-21) genau gegenüber gestellt ist. Das ergibt sich aus dem auffälligen Befund, daß die Reaktion JHWHs auf beide Darbringungshandlungen mit genau denselben Worten beschrieben wird (t»3«m m n ' 'JD^D KXm). Beide Reaktionen JHWHs hängen aber deutlich mit dem Geschehen der Gegenwart Gottes in seinem TOD zusammen. Denn das Feuer, daß auf beide Opferhandlungen (9,24 und 10,2) gleichermaßen reagiert, wird offensichtlich als eine Wirkweise bzw. als ein Aspekt des in seinem TOD präsenten Gottes verstanden. 31 Sofern in 9,22-10,2 in dieser Weise der Kontrast zwischen beiden Darbringungshandlungen und ihren Folgen herausgestellt wird, scheint dieser Text offenkundig betonen zu wollen, daß die Gegenwart des göttlichen TOD eine durchaus ambivalente Angelegenheit ist. Auf dem Höhepunkt der auf die Nähe Gottes in seinem TOD bezogenen priester(schrift)lichen Sinaigeschichte soll offenbar gleich deutlich gemacht werden, daß es eine heilvolle (in Segen und Jubel mündende) und eine gefährliche (Vernichtung und Tod generierende) Seite des göttlichen TOD gibt. Textpragmatisch geht es dabei sicherlich darum, vor der gefährlichen Seite der göttlichen Nähe zu 28
Zu dem hier gemeinten Gerät vgl. ZWICKEL, OBO 97, 281f. Vgl. dazu a.a.O., 281 und CLEMENTS, T h W A T VII, 1 0 - 1 8 , bes. 12f. 30 Zum kulttechnischen Sinn von hif. an dieser Stelle vgl. GANE/ MLLGROM, T h W A T VII, 1 4 7 - 1 6 1 , bes. 155. 29
31 Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, daß TQD und „Feuer" (WV) traditionsgeschichtlich zusammenhängen, vgl. dazu die bei VON RAD, T h W N T II, 242f und WEINFELD, T h W A T IV, 2 3 - 4 0 , bes. 32ff erwähnten Belege. Zum Zusammenhang von T Q 3 , Feuer und Wolke in den priester(schrift)lichen Texten vgl. auch PODELLA, FAT 15, 2 1 2 - 2 2 6 .
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Teil I: Die Gesamtstruktur des Heiligkeitsgesetzes
warnen und die Bedeutung des mit dem göttlichen Willen konformen menschlichen Verhaltens für die Begegnung mit Gott herauszustellen. Denn es ist zu beachten, daß die priesterlichen Autoren die beiden göttlichen Reaktionen in der Art und Weise menschlichen Verhaltens begründet sehen und diesen Zusammenhang auch klar zur Darstellung bringen. Das zeigt sich daran, daß die Opferhandlungen Aarons betont als von JHWH geboten charakterisiert, das Rauchopfer der Aaronsöhne dagegen als ein nicht gebotenes „fremdes Feuer" bezeichnet wird. In 9,1-24 wird überhaupt häufig darauf hingewiesen, daß die Opfer, die Aaron vollzieht, gemäß der Weisung JHWHs durchgeführt werden (vgl. den Promulgationssatz m n ' m s "I10K3 in 9,6.7.10.[16].21). Diese Bewertung des Opfers Aarons entspricht antithetisch der des Rauchopfers der Aaronsöhne, das explizit als von JHWH „nicht befohlen" qualifiziert wird (H1S "IttfK) (10,lbß). Die beiden konträren göttlichen Reaktionen auf die beiden Opferhandlungen - und damit die ambivalente Kraft des göttlichen "1133 werden somit auf die unterschiedliche Qualität des menschlichen Handelns zurückgeführt. In 9,1-10,20 wird der göttliche "1113 also keineswegs als in sich selbst ambivalent gekennzeichnet. Der Text bindet die Wirkung des göttlichen "TQ3 vielmehr an die jeweilige ethische Qualität menschlichen Verhaltens. Der Abschnitt 9,1-10,20 hat insofern die Funktion, die heilvolle Gegenwart der Herrlichkeit Gottes als ein durch Gehorsam bedingtes Geschehen zu beschreiben. Diese Aussageabsicht wird dadurch realisiert, daß der Vollzug des nicht gebotenen Opfers mit gefährlichen Reaktionen des "TQ3, der Vollzug des gebotenen Opfers dagegen mit heilvollen Begleiterscheinungen verbunden wird. Der Abschluß der Nadab-Abihu-Episode ist besonders zu beachten. Er besteht aus folgenden Elementen: Nachdem Mose den Todesfall der Aaronsöhne mit einem Hinweis auf ein entsprechendes Gotteswort theologisch gedeutet hat („ Dies ist es, was JHWH meinte, als er sprach: ,An denen, die mir nahe sind, erweise ich mich als heilig, und vor den Augen des ganzen Volkes zeige ich mich in meiner Herrlichkeit.'") und damit als ein TQ3-Geschehen qualifizierte (10,3), werden die beiden Leichname der Aaronsöhne aus dem Heiligtum und dem Lager entfernt (10,4f). Danach kommt es zu einer weiteren Moserede an die verbliebenen Aaroniden, Aaron, Eleazar und Itammar (10,6f). Diesen wird die Ausübung der üblichen Trauerbräuche verboten, außerdem wird ihnen eingeschärft, konsequent am Eingang des Begegnungszeltes zu bleiben. Auf diese Weise wird eine klare Trennung der übrigen Aaroniden von ihren toten Brüdern erzielt und die Solidarisierung mit den Toten, die in der Ausübung der Trauerriten liegt, zwecks Vermeidung einer fortgesetzten Provokation des göttlichen Zorns verboten. Nach einer kurzen Erfüllungsnotiz (V.7b) schließt die ganze Zwischenfall-Episode mit einer Gottesrede an Aaron (10,8-11) ab.
Kapitel 1: Das Heiligkeitsgesetz
in der priester(schrift)liehen
Sinaierzählung
49
D i e beiden hinteren R e d e s z e n e n sind besonders zu beachten, denn sie sind es, die den N a d a b - A b i h u - Z w i s c h e n f a l l abschließen und z u der 9 , 1 - 2 4 w i e d e r a u f n e h m e n d e n Opferthematik in 1 0 , 1 2 - 2 0 überleiten. D a s Problem d i e s e s A b s c h l u s s e s ist allerdings, daß diese R e d e s z e n e n thematisch nur w e n i g mit d e m eigentlichen Zwischenfallbericht in V . l - 5 verbunden scheinen. Während der B e z u g z w i s c h e n der M o s e r e d e in V.6f und V . l - 5 dabei n o c h einigermaßen deutlich ist - in V.6f wird passend z u m plötzlichen T o d Nadabs und A b i h u s das Trauerverhalten Aarons und seiner übrig e n S ö h n e reglementiert - , scheint vor allem die Gottesrede in V . 8 - 1 1 inhaltlich kaum mit V . l - 5 verbunden z u sein. W e s h a l b steht gerade diese Gottesrede am Ende des N a d a b - A b i h u - Z w i s c h e n f a l l s und ist als e i n z i g e Gottesrede im Z u s a m m e n h a n g n o c h besonders hervorgehoben? 3 2 D i e s e R e d e lautet: 10.8 10.9
Da sprach JHWH zu Aaron folgendermaßen: Wein und Rauschgetränk sollst du nicht trinken, du und deine Söhne bei dir, wenn ihr in das Zelt der Begegnung geht, daß ihr nicht sterbt - eine dauernde Satzung sei dies für eure Generationen!
10.10
Und ihr sollt unterscheiden zwischen dem Heiligen und dem fanen und zwischen dem Reinen und dem Unreinen!
10.11
Und ihr sollt die Israeliten lehren durch Mose mitgeteilt hat!33
alle Gesetze,
die JHWH
Proihnen
32 Vgl. dazu VON RAD, BWANT 65, 84; ELLIGER, HAT 1/4, 134; N o r a , ATD 6, 69.72 und GERSTENBERGER, ATD 6, 105f. Es gibt u.E. allerdings keine wirklich zwingenden Gründe, dieses Stück für jünger als V.l-7 zu halten. Denn es ist auch denkbar, daß in V.9 und V.lOf Zitate aus älteren Priestervorschriften vorliegen, was die leichten Unebenheiten zwischen V.l-7 und 8-11 gut erklärt (vgl. immerhin den inhaltlich parallelen Zusammenhang in Ez 44,21.23). Wenn ELLIGER (HAT 1/4, 134) meint, daß JHWH in PS Aaron sonst nie angesprochen habe, so ist dem Ex 12,1 als ein widersprechender Beleg entgegenzuhalten. Auch ist die D^iy npfl-Formel in V.9b keineswegs als Schlußformel aufzufassen, welche V.lOf als späteren Zusatz kennzeichnet, da diese Formel in den priester(schrift)lichen Texten unterschiedliche Positionen einnehmen kann und durchaus auch in der Mitte eines Rechtssatzzusammenhangs steht (vgl. dazu RENDTORFF, BK III, 134f). 33 Zur Argumentationsstruktur der Vorschriften in Lev 10,9-11 vgl. N o r a , ATD 6, 72; ELLIGER, HAT 1/4, 134 sowie GES.-K., §114 unter 1 u. p. Die mit Kopula versehenen Infinitive in V.10 und V . l l haben einen verpflichtenden Charakter (vgl. GES.-K., §1141) und setzen den Vetitiv in V.9aa stellvertretend fort (vgl. GES.-K., §114p). Zu verschiedenen Möglichkeiten, den syndetischen Anschluß von V.lOf an V.9 zu interpretieren, vgl. MLLGROM, AncB 3, 615. Auch HOFFMANN, Leviticus I, 296 und GERSTENBERGER, ATD 6, 105 V.lOf verstehen die Sätze von V.lOf als eigenständige Befehle. Das syntaktische Problem von V.lOf muß letztlich offenbleiben, da auch nicht auszuschließen ist,
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Teil I: Die Gesamtstruktur
des
Heiligkeitsgesetzes
Diese Rede hat mit dem Nadab-Abihu-Zwischenfall vordergründig tatsächlich wenig zu tun. Auf dem Hintergrund der obigen Ausführungen über die Gesamtintention von 9,1-10,20 wird aber der Sinn dieser Rede als Abschluß dieses Erzählzusammenhangs gleichwohl verständlich. Diese Rede hängt eng mit der in der Kontrastierung der beiden Opferhandlungen beschlossenen Tendenz zur Ethisierung des "Till-Geschehens zusammen. Sie hat offensichtlich die Funktion, die in 9,1-10,20 narrativisch grundgelegte ,Ethik der Gottesnähe' programmatisch auf den Begriff zu bringen. Sie soll einschärfen, daß das rechte Verhalten im Hinblick auf die Gegenwart des 1113 neben der rechten Kultausübung auch das Alltagsverhalten betrifft. Auch das nicht-kultische Leben der Priester sowie ganz Israels soll als für die heilvolle Präsenz der Gottesnähe relevant angesehen werden. Beispielhaft wird deshalb hinsichtlich der Priester der Genuß von Wein und Rauschgetränk im Vorfeld des Eintretens in das Begegnungszelt verboten (V.9). Der Schwerpunkt dieser Gottesrede liegt aber in 10,10f. Diese Vorschriften sind die eigentlich programmatischen Sätze der hier formulierten ,Ethik der Gottesnähe'. Denn die Forderungen, zwischen „ dem Heiligen " (UHprt) und „ dem Profanen " (tTIil) sowie „ dem Unreinen" (KDün) und „dem Reinen" ("linun) zu unterscheiden (10,10) und die Israeliten in den entsprechenden „Satzungen" (H'pn) zu unterweisen (10,11), formulieren ein umfassendes ethisches Programm, das kultische wie originär nicht-kultische Lebensdimensionen umfaßt. Die Gottesrede in 10,8-11 hat im Rahmen des Erzählzusammenhangs 9,1-10,20 also die Funktion, die heilvolle Gegenwart des göttlichen programmatisch an die Unterscheidung von „Heilig und Profan" und von „Rein und Unrein" zu binden und den Erstreckungsbereich dieser ethischen Forderung beispielhaft zu beschreiben. Die Gottesrede in 10,8-11 ist aus diesem Grund ein integraler Bestandteil der Erzählsequenz 10,1-20. Diese literaturgeschichtliche Einordnung wird durch eine andere Beobachtung gestützt. An verschiedenen Stellen von 10,1-20 wird deutlich, daß diese Erzählsequenz, die bei einer Eigenmächtigkeit der Aaroniden Nadab und Abihu ihren Ausgang nimmt, auch dazu dient, .verfassungsrechtliche' Verhältnisse zu klären. Speziell geht es in 1 0 , 1 - 2 0 darum, die Kompetenz der Aaroniden im Verhältnis zur mosaischen Tradition zu normieren. Der Tod der beiden Söhne Aarons zeigt hinlänglich, daß die Aaroniden grundsätzlich für die priesterlichen Autoren an die Tora-Tradition gebunden sind und nicht nach eigenem Gutdünken verfahren dürfen. Auch bezüglich der theologischen Deutekompetenz haben sie sich an der mosaischen Tradition zu orientieren, was besonders durch V.3 verdeutlicht wird. Andererseits wird den Aaroniden hinsichtlich der Fälle, die durch die Rechtstradition nicht oder nur unzureichend abgedeckt sind, durchaus eine eigenständige Kompetenz zuerkannt (10,16-20, bes. V.20). In diesem Zusammenhang gelesen, bietet 10,11 eine grundsätzliche Bestimmung, die diese verschiedenen Aspekte
daß V.9 und V.lOf literarisch heterogen sind und V.lOf sekundär aus einem anderen Zusammenhang hierher übernommen wurde.
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Sinaierzählung
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aaronidischer Kompetenz auf einen Begriff bringt. Danach haben die Aaroniden durchaus eine Lehrkompetenz hinsichtlich des Rechts gegenüber den Israeliten. Sie sollen die Tora der Unterscheidung zwischen „Rein und Unrein" usw. aber nicht nach eigenem Gutdünken erteilen, sondern bezogen auf die mosaische Tradition, der eine große Nähe zu JHWH attestiert wird (10,10f). Durch die Vorschriften in 10,8-11 wird also die aaronidische Kompetenz in der autoritativen Form einer Gottesrede definiert und zur mosaischen Tradition in Beziehung gesetzt. 10,8-11 ist in dieser Hinsicht ein zentraler, notwendiger Teil der Erzählung 10,1-20, und es ist auch insofern problematisch, diese Sätze einfach als eine spätere Interpolation zu bezeichnen. 3 4
Soweit zum thematischen und narrativen Gefälle von Lev 9,1-10,20. Es ist nun sicher kein Zufall, daß die beiden, auf diese Erzählsequenz unmittelbar folgenden Großkomplexe der priester(schrift)lichen Sinaierzählung, Lev 11-15 und Lev 17-26, genau die programmatische Forderung der Unterscheidung zwischen „Heilig und Profan" und „Rein und Unrein" aus Lev 10,10f aufnehmen und materialreich entfalten. Der Komplex Lev I I IS enthält bekanntlich schwerpunktmäßig Vorschriften zum Thema „Unreinheit/ Reinigung". Das Stichwortpaar KDÜ/IHÜ beherrscht deshalb diesen Abschnitt. Das Heiligkeitsgesetz, Lev 17-26, ist dagegen thematisch nicht so leicht auf den Begriff zu bringen. Deutlich ist aber auf jeden Fall, daß es durch das andere Lexempaar *?n/UHp beherrscht wird, das uns in diesem Textbereich in einer auffälligen Häufigkeit begegnet. 35 Im ganzen stellt der Großabschnitt Lev 11-26 damit eine durch die Leitbegriffe „rein/ unrein" und „heilig/ profan" bestimmte Ethik dar und schließt so deutlich an Lev 10,10 an. 36 Es dürfte deutlich geworden sein, daß die priester(schrift)liche Sinaigeschichte in ihrer vorliegenden Gestalt äußerst schlüssig und konzeptionell stringent aufgebaut ist. In der gesamten Komposition geht es um das Thema der Gottesgegenwart und -nähe. Dieses zentrale Anliegen der möglichen Primärformation der priester(schrift)lichen Sinaitexte („PS", vgl. Janowski; Pola; Weimar und Zenger) wird auch in der späteren Formation (bzw. den späteren Formationen) weiterverfolgt. In der für den Gesamtverlauf der priester(schrift)lichen Sinaierzählung entscheidenden Passage Lev 9,1-10,20 wird das Thema der Gottesgegenwart deutlich ethisiert und an die das Kollektiv Israel bestimmende Unterscheidung von „Rein/ Unrein und Heilig/ Profan" gebunden (Lev 10,10f). Die priester(schrift)liche Sinaigeschichte ethisiert das Thema der Gottesnähe damit an der kompositorisch entscheidenden Stelle, und zwar gerade in der Weise, wie ,Ethik' in den dann folgenden Komplexen Lev 11-15 und Lev 17-26 entwickelt 34
Gegen VON RAD, BWANT 65, 84; ELLIGER, HAT 1/4, 134f u.a. MAASS, THAT I, 571 macht darauf aufmerksam, daß „fast zwei Drittel aller Belege von .entweihen' [...] im Buch Ez (31x) und im Heiligkeitsgesetz (16x) enthalten [sind]". Der Leitwortcharakter von für das Heiligkeitsgesetz ist damit gut belegt. 36 Auf diesen Zusammenhang macht auch ELLIGER, HAT 1/4, 134 aufmerksam. 35
52
Teil I: Die Gesamtstruktur des Heiligkeitsgesetzes
wird. Das sogenannte „Reinheitsgesetz" in Lev 11-15 und das Heiligkeitsgesetz in Lev 17-26 entfalten nur noch das Programm, das in Lev 10,10f in nuce schon beschrieben ist. Das Heiligkeitsgesetz ist insofern narrativisch konkret in der priester(schrift)lichen Sinaigeschichte („Ps" oder „KP") verankert und muß als ein integraler Teil des priesterlichen Textbereichs angesehen werden.
Kapitel 2:
Die Gliederung des Heiligkeitsgesetzes und seine Gliederungsmerkmale
2.1
Vorbemerkung
Im folgenden wollen wir die Basisthematik bzw. das leitende Kodifikationsprinzip des Heiligkeitsgesetzes herausarbeiten. Wir gehen dabei so vor, daß wir zunächst die für diesen Textbereich relevanten Gliederungsmerkmale sichten und Lev 17-26 entsprechend gliedern. In einem zweiten Schritt ist dann zu untersuchen, ob sich aus dieser textoberflächenorientierten Gliederung eine wohlstrukturierte Gesamtgestalt ergibt, d.h. ob Lev 17-26 eine kohärente Makrostruktur enthält. Auf der Grundlage dieser Analyse ist dann schließlich in einem dritten Schritt nach der möglichen übergreifenden Basisthematik von Lev 17-26 zu fragen. 2.2 Die narrative rungsmerkmale
Textform des Heiligkeitsgesetzes
und seine
Gliede-
Für die Gliederung des Heiligkeitsgesetzes ist zum einen der Umstand wichtig, daß 17-26 als Teil der priester(schrift)lichen Sinaigeschichte im Prinzip selbst ein Erzähltext ist. Wir haben aus diesem Grund zunächst nach den in diesem Text vorhandenen narratologischen Gliederungsmerkmalen zu fragen. In Anlehnung an das von Hardmeier dargestellte Erzähltextanalyseverfahren unterscheiden wir zu diesem Zweck zwischen „geschichtenbezogenen Gliederungsmerkmalen" einerseits und „kommunikationsbezogenen Gliederungsmerkmalen" andererseits.1 Während es bei ersteren vor allem um die Ortsmarken, Zeitmarken und das Ereignisträgerinventar von 17-26 geht, sind bei letzteren insbesondere die mit verba dicendi verbundenen Redeeinleitungen im Blick. Daneben ist aber schon im Ansatz zu berücksichtigen, daß sich die narrative Struktur von 17-26 im Grunde auf die Redeeinleitungen beschränkt. Die Qualifizierung von 171
Zur Erzähltextanalyse allgemein vgl. HARDMEIER, BZAW 187, 2 3 - 8 6 ; zum Verfahren der Erzähltextgliederung a.a.O., 6 0 - 8 6 (bes. 74ff), zu den „geschichtenbezogenen Gliederungsmerkmalen" a.a.O., 66f und zu den „kommunikationsbezogenen Gliederungsmerkmalen" a.a.O., 63-65. Eine Zusammenfassung des bei HARDMEIER entwickelten Verfahrens bietet Lux, FRLANT 162, 5 7 - 9 2 .
54
Teil I: Die Gesamtstruktur
des
Heiligkeitsgesetzes
26 als „Erzähltext" ist insofern nur mit Einschränkung gerechtfertigt. Genau besehen handelt es sich beim Heiligkeitsgesetz um einen Rechtskomplex, der durch Redeeinleitungen narrativisch immer wieder unterbrochen wird. Die narrative Struktur ist also denkbar schmal. Aus diesem Grund ist abgesehen von den narrativen Marken auch noch nach weiteren, redetextbezogenen Gliederungsmerkmalen in den Rechtssatzzusammenhängen selbst zu fragen. Wegen grundsätzlicher texttheoretischer Erwägungen ist aber den narrativen Gliederungsmarken bei der Gliederung des Heiligkeitsgesetzes die Priorität einzuräumen. 2 Um schließlich die sich aus diesen Merkmalen ergebende Gliederung des Heiligkeitsgesetzes in den Blick zu bekommen, sind alle Merkmale in ihrer Gliederungsfunktion eingehend zu untersuchen. Vorausgesetzt ist dabei, daß manche Gliederungsmarken Haupteinschnitte kennzeichnen, während andere nur eine untergeordnete Gliederungsfunktion haben. Eine dem Textbefund angemessene Gliederung des Heiligkeitsgesetzes setzt deshalb die Hierarchisierung der verschiedenen Merkmale voraus. 3 2.2.1 Die geschichtenbezogenen
Gliederungsmerkmale
Hinsichtlich der geschichtenbezogenen Gliederungsmerkmale in 17-26 bietet sich folgendes Bild: Zeit- und Ortsmarken, die darauf hindeuten, daß 17-26 aus verschiedenen Szenen besteht, fehlen. Temporale Marken fehlen gänzlich. Eine einzige Ortsmarke findet sich am Ende des Heiligkeitsgesetzes, in 25,1. 4 Das Reden JHWHs mit Mose wird hier 'J'O " i m lokalisiert. Diese Ortsmarke steht in Beziehung zu den Ortsmarken der vorangehenden Großkomplexe der priester(schrift)lichen Sinaigeschichte, in denen die Lokalbezeichnung 'J'D i m dominant vorkommt. 5 Das Heiligkeitsgesetz sollte 2
V g l . dazu HARDMEIER, a.a.O., 64f. Vgl. dazu HARDMEIER, a.a.O., 75. 4 Von der Ortsmarke in 2 4 , 1 0 ist hier abzusehen. Zu dem auch in anderer Hinsicht besonderen Abschnitt 2 4 , 1 0 - 2 3 vgl. unten unter 2. 5 Vgl. die entsprechenden Ortsmarken in Ex 24,16.18; (31,18; 34,2.4.29.32); Lev 7,38; 26,46; 27,34. Nicht ganz klar ist, was 'J'O " i m in 25,1 konkret bedeutet. In Ex 2 4 , 1 8 ist " i m sicherlich mit „auf dem Berg" zu übersetzen. In 25,1 macht diese Übersetzung aber nicht viel Sinn. Theoretisch kann "l!"Q zwar auch hier durchaus „ auf dem Berg" bedeuten. U.E. ist aber die andere mögliche Übersetzung „am Berg" vorzuziehen, und zwar aus folgenden Gründen: In Ex 24,18 wird berichtet, daß Mose auf den Berg steigt. Dort werden ihm die Anweisungen zum Bau des Heiligtums mitgeteilt. Im Bauausführungsbericht Ex 3 5 , 1 - 4 0 , 3 8 fehlt dann auffälligerweise eine entsprechende Notiz über den Abstieg des Mose v o m Berg und über den konkreten Ort des Baugeschehens am Fuß des Sinai. Da aber der vorpriesterliche Text Ex 34,29, der den Abstieg des M o s e v o m Berg Sinai erwähnt, in Verbindung mit Ex 3 2 - 3 4 * insgesamt in die Erzählstruktur der priesterlichen Texte einzubeziehen ist (vgl. dazu CRÜSEMANN, Tora, 63ff und in anderer Weise BLUM, B Z A W 189, 333f ), ist das Fehlen einer Abstiegsnotiz und 3
Kapitel
2: Gliederungsmerkmale
und
Gliederung
55
durch 25,1 offenbar mit den vorangehenden Großkomplexen der priesterlichen Sinaigeschichte (Ex 24,15bff) verbunden werden. In Num 1 - 1 0 herrscht demgegenüber die Ortsbezeichnung T O "IXTD1 vor. 6 Num 1 - 1 0 ist insofern von den übrigen Komplexen der priesterlichen Sinaigeschichte, Ex 24,15 - Lev 26(27)*, etwas abgesetzt. Indem in Num 1 - 1 0 die Ortsbezeichnung T O i m o n vorherrscht, wird - das ist zu beachten - auf die Ortsbezeichnung vom Anfang der priester(schrift)lichen Sinaitexte in Ex 19,lf* zurückgegriffen. Die Sinaiereignisse im engeren Sinne (Ex 24,15b - Lev 27,34*) sind auf diese Weise von den Sinaiereignissen im weiteren Sinne (Ex 19,lf - Num 10,10*) etwas abgesetzt worden. Die Ortsmarke in 25,1 ist auf diesem Hintergrund als ein Element kenntlich, das zur szenischen Gliederung der priesterlichen Sinaigeschichte im ganzen dient. Keine Bedeutung hat sie hingegen für die Binnenstrukturierung des Heiligkeitsgesetzes. Das Ereignisträgerinventar von 17-26 ist ebenfalls leicht zu überschauen: In der Regel sind JHWH und Mose die einzigen Handlungsträger. JHWH agiert dabei fast immer in der Rolle des Redenden, Mose hingegen fast immer in der Rolle des Hörenden. Aus diesem Schema fallen lediglich die beiden kurzen Notizen in 21,24 und 23,44 sowie die Episode in 24,10-23 heraus. 1. Die Verse 21,24 und 23,44 sind kurze Ausführungsberichte. Sie teilen mit, daß Mose das Gehörte an die eigentlichen Adressaten der Gottesreden, die Israeliten (und Aaron und seine Söhne), übermittelt hat. In diesen Notizen agiert Mose als Redender und die Israeliten bzw. Aaron und seine Söhne als Hörende. Hier liegt eine deutlich andere Handlungskonstellation vor als in den restlichen Teilen des Heiligkeitsgesetzes. Diese andere Konstellation ist aber im narrativen Grundgeschehen des Heiligkeitsgesetzes, der Rechtsmitteilung JHWHs an Mose, fest verankert, da die Gottesreden neben materialen Rechtssätzen auch Redeaufträge an Moeiner Ortsangabe für den Bau am Fuß des Sinai in den genuin priester(schrift)lichen Texten kein Problem. Die Errichtung des Heiligtums und die weitere Gesetzesoffenbarung sind aufgrund von Ex 34,29 am Fuß des Berges zu situieren (wofür auch Lev 1,1 spricht). Wenn dann im weiteren Verlauf des Buches Leviticus die Mitteilungen der Opferbestimmungen und des Heiligkeitsgesetzes weiterhin T D " i m lokalisiert werden (vgl. 7,38; 25,1; 26,46; auch 27,34), so ist das jeweils im Sinne von „ am Berg Sinai" gemeint. Daß diese Übersetzung vorzuziehen ist, zeigt auch der Beleg 26,46, w o die Ortsmarke 'J'D -|I"Q aus inneren Gründen nur „am Berg Sinai" bedeuten kann, da es hier um die (nur am Fuß des Sinai zu situierende) Vermittlung der Gebote an die Israeliten geht. Zur Übersetzung und Deutung der Ortsmarke T D 1113 in den priesterlichen Texten vgl. auch BLUM, B Z A W 189, 313f. 6
Vgl. die Ortsmarken in Num 1,1.19; 3,14 und 9,1. Ortsmarken sind für die Erfassung der Gesamtanlage der priesterlichen Texte im Pentateuch von großer Bedeutung (vgl. dazu POLA, W M A N T 70, 1 1 0 - 1 1 6 mit der angegebenen Literatur).
56
Teil I: Die Gesamtstruktur
des
Heiligkeitsgesetzes
se enthalten, das Gehörte weiterzusagen (vgl. nur 21,1-17 und 23,2.10.24 u.ö.). Es gibt insofern keinen Grund, diese Ausführungsberichte als literarisch sekundär zu bewerten. Sie sind bei der Gliederung des Heiligkeitsgesetzes zu berücksichtigen. 7 2. Anders liegen die Dinge bei 24,10-23. Dieser Text bietet eine Kurzerzählung, die wie ein erratischer Block im Heiligkeitsgesetz wirkt. Mit ihrem Handlungsträgerinventar unterscheidet sie sich erheblich von den umgebenden Abschnitten in 17-26. Zusätzlich zu JHWH und Mose treten hier die Israeliten, sowie ein ,Halbisraelit' (n't>iniP'n p ) und ein ,Vollisraelit' ttf'N) als Akteure auf. Das sonst vorherrschende ,RedenHören-Handlungsschema' ist deutlich verlassen. Ausgangsproblematik dieser Episode ist ein Streitfall zwischen dem ,Halbisraeliten' und dem ,Vollisraeliten' im Lager (24,10f). Dieser Streitfall führt zu einer Gotteslästerung seitens des ,Halbisraeliten', wodurch ein Rechtsproblem entsteht, das die Israeliten und Mose offenbar in eigener Regie nicht lösen können. Es kommt zu einer Befragung JHWHs (V.12). Eine Gottesrede (24,13-22) schließt an, in der neben dem Urteil für den konkreten Fall (24,14) weitere Sanktionsbestimmungen mitgeteilt werden (24,15b-22). Abschließend wird die Vollstreckung des Urteils durch die Israeliten berichtet (V.23). Angesichts der narratologischen Eigenprägung dieser Episode im sonst ausgesprochen homogenen Kontext stellt sich die Frage, ob sie ein genuiner Bestandteil des Heiligkeitsgesetzes ist oder nicht. U.E. dürfte es sich um eine nachkompositionelle Ergänzung handeln, die nachträglich in die bestehende Komposition eingefügt wurde, um die Gleichbehandlung des Fremden (Hl) und des Einheimischen (ri"ITK) in strafrechtlichen Fragen noch in der Sinaigesetzgebung zu verankern oder um ein bestimmtes Verfahren von Rechtsfortschreibung auf der Grundlage von Gottesbefragung als am Sinai praktiziert zu legitimieren. Dafür daß 24,10-23 jünger als die übrigen Passagen des Heiligkeitsgesetzes ist, sprechen auch noch andere Gründe: 24,10-23 ähnelt einer Reihe von spätpriester(schrift)lichen Episoden, in denen ebenfalls konkrete Rechtsprobleme durch Gottesbefragung gelöst werden (Num 9,6-14; 15,32-36; 27,1-11 und 36,1-12). 8 Alle diese Texte weisen dieselbe narrative Grundstruktur auf. Und zwar setzen sie sich jeweils aus den Teilen -
Entstehung eines durch Mose und die Israeliten nicht lösbaren Rechtsproblems; (Gottesbefragung durch Mose); Orakelbescheid; (Mitteilung von weiteren Geboten); (Vollzugsbericht)
zusammen. 9 Alle diese Kurzerzählungen dienen offenbar dazu, ein bestimmtes Verfahren von Rechtsfindung und -entwicklung ursprungsgeschichtlich zu verankern. 1 0 Es 7
Zur Gliederungsfunktion dieser Ausführungsberichte vgl. unten unter 2.3.4. Zu diesen Texten und ihrer rechtsgeschichtlichen Bedeutung vgl. CRÜSEMANN, Tora, 120-126. 8
9
V g l . d a z u i m e i n z e l n e n CRÜSEMANN, a . a . O . , 1 2 1 - 1 2 6 .
Kapitel 2: Gliederungsmerkmale
und
57
Gliederung
handelt sich durchweg um späte Texte. 1 1 Da die Episode 24,10-23 diesen Texten in der narrativen Grundstruktur und im Anliegen gleicht und zudem ein Fremdkörper im ansonsten homogenen Heiligkeitsgesetz ist, kann man vermuten, daß sie nicht zur Primärformation des Heiligkeitsgesetzes gehört, sondern auf eine spätere Bearbeitung zurückgeht. 1 2 Wir lassen 24,10-23 aus diesem Grund bei der Frage nach Gliederung und Makrostruktur des Heiligkeitsgesetzes unberücksichtigt - allerdings mit folgender Einschränkung: Es ist durchaus möglich, daß die Sanktionsbestimmungen in 24,15b-22 (mit der Redeeinleitung in 24,13+15a) der eigentlichen Fallerzählung bereits vorauslagen und ehemals unabhängig von ihr existierten. Diese Vermutung liegt deshalb nahe, weil sich allein die Sanktionsbestimmungen in V.15f auf die Fallerzählung 24,10-14.23 beziehen, während die Sanktionsbestimmungen in V.17-21, welche die Delikte R e n schen* und Tiertötung' und .Körperverletzung' regeln, bemerkenswerterweise keine Veranlassung in der Erzählung haben. 13 Es besteht daher eine gewisse Inkonsistenz zwischen der Fallerzählung in 24,10-14.23 einerseits und der göttlichen Rechtsverkündigung in 24,15-22 andererseits, die literarkritisch zu erklären ist. Für eine redaktionelle Überarbeitung an dieser Stelle spricht nicht zuletzt folgende Beobachtung: Löst man einmal alle Elemente aus 24,10-23 heraus, die mit der Fallerzählung zusammenhängen (24,10-12.14.23), so bleibt ein Text, der den übrigen Gottesreden des Heiligkeitsgesetzes formal genau entspricht (24,13+15-22). Es ist insofern davon auszugehen, daß der Rechtssatzzusammenhang 24,13+15-22 älter als die Fallerzählung ist und als solcher bereits zur ursprünglichen Komposition des Heiligkeitsgesetzes gehörte. 24,13+15-22 wird bei den folgenden Analysen zur Gliederung und Makrostruktur des Heiligkeitsgesetzes deshalb zu berücksichtigen sein.
Fazit: Wir können damit festhalten, daß das Heiligkeitsgesetz im wesentlichen aus einer Folge von nur durch Redeeinleitungen untergliederten Gottesreden an Mose besteht. Festzuhalten ist ferner, daß geschichtenbezogene Gliederungsmerkmale (Orts- und Zeitmarken oder Wechsel von Ereignisträgern) im Heiligkeitsgesetz kaum vorhanden sind. 2.2.2 Die kommunikationsbezogenen Gliederungsmerkmale: Gliederung von Lev 17—26 nach Redeeinleitungen
die
Angesichts des Fehlens von geschichtenbezogenen Gliederungsmerkmalen kommt den kommunikationsbezogenen Merkmalen, den sog. Redeeinleitungen (1D«'? nttfD Hin' "QTl usw.), bei der Gliederung des Heiligkeitsgesetzes eine entscheidende Rolle zu. Diese Redeeinleitungen sind 10
Vgl. dazu CRÜSEMANN, a.a.O., 125. Vgl. dazu ebd. 12 Ähnlich entscheiden die meisten Ausleger. Vgl. nur OTTO, Heiligkeitsgesetz, 79. 13 Ähnlich ELLIGER, HAT 1/4, 330-333, anders CRÜSEMANN, a.a.O., 122. Weiterführend ist bei diesem Problem ein Blick in die Paralleltexte von 24,10-23. Dabei ergibt sich folgendes Bild: In den Gottesreden von Num 9,6-14; 27,1-11; 36,1-12 finden sich neben dem Urteil für das konkrete Rechtsproblem nur noch solche Rechtsbestimmungen, die mit der Thematik des vorliegenden Rechtsfalls eng verwandt sind. In 24,10-23 ist das anders. Hier finden sich auch Strafbestimmungen für die Delikte Menschentötung, Körperverletzung und Tiertötung, die mit dem Rechtsfall nichts zu tun haben. 11
58
Teil I: Die Gesamtstruktur
des
Heiligkeitsgesetzes
über das gesamte Heiligkeitsgesetz verteilt und unterbrechen den Fluß der göttlichen Gebotsmitteilung immer wieder. Sie allein machen überhaupt kenntlich, daß es sich um unterschiedliche Rechtsmitteilungen JHWHs handelt. Diese Redeeinleitungen sind für den priester(schrift)lichen (Rechts)textzusammenhang im Bereich der Bücher Exodus bis Numeri im ganzen charakteristisch und scheinen in diesem ganzen Bereich als Gliederungsmarken zu fungieren. 14 Es ist daher notwendig, diese Einleitungen in ihrer Funktion genau zu erfassen. Im folgenden sind diese Elemente zunächst im allgemeinen zu untersuchen, dann sind die entsprechenden Belege im Heiligkeitsgesetz zu analysieren. 15 Überblickt man einmal die 69 Belege dieser Redeeinleitungen im priester(schrift)lichen Sinaierzählzusammenhang, so fällt zunächst auf, daß sie äußerst stereotyp formuliert sind. 16 Sie beginnen fast immer mit dem narrativen Satz "1DK1? ntfD Hin' 11T1 und fahren dann in der Regel mit dem an Mose (und Aaron) gerichteten „Weitergabebefehl" 'J3 "in "IDN1? 'PN-lii'' o.ä. fort. 17 Neben den narrativen Basissätzen sind also auch die Redebefehle, die auf der 2. „Ebene der Kommunikation" liegen, 18 zu diesen Redeeinleitungen zu rechnen. Die materialen Gebotstexte liegen dann weiter eingerückt nahezu durchweg auf der 3. Ebene der Kommunikation. Daneben fällt ein Zweites auf: Trotz aller Stereotypie, die diese
14
Auf die Bedeutung dieser Redeeinleitungen für die priester(schrift)lichen Texte weisen auch HOLZINGER, Einleitung, 349; MÖHLENBRINK, Überlieferungen, 226; RENDTORFF, FRLANT 62, 67-70; ROST, Bemerkungen, 54-59 (bes. 56ff); CORTESE, L'esegesi, 140-144; UTZSCHNEIDER, OBO 77, 148f u.a. hin. 15 Wir beziehen uns hier nur auf die narrativen Einleitungen von göttlichen Reden. LABUSCHAGNE, Pattern, 268-296 hat dagegen eine Untersuchung über sämtliche „pattern of divine speech" im Pentateuch vorgelegt. U.E. ist es aber nur möglich, die narrativen Berichte unter diesen Einleitungen (nttfD Hirt' HDX'l o.ä.) miteinander zu vergleichen, da die übrigen Einleitungsformeln auf anderen Kommunikationsebenen liegen (vgl. dazu Anm. 18). Ferner scheint es uns ertragreicher, die Untersuchung der Redeeinleitungen zunächst einmal auf den Bereich der priesterlichen Sinaitexte Ex 24,15b - Num 10,10* zu beschränken. 16 In der priesterlichen Sinaigeschichte Ex 24,15b - Num 10,10* finden sich (vom Heiligkeitsgesetz abgesehen) an folgenden Stellen solche Redeeinleitungen (= .Berichte über eine Gottesrede + Adressatenangabe mit Präposition'): Ex 25,1; 30,11.17.22.34; 31,1.12.18; (32,7.9.33; 33,5.17; 34,1.27); 40,1; Lev l , l a . l b ; 4,1; 5,14.20; 6,1.12.17; 7,22.28; 8,1; 10,8; 11,1; 12,1; 13,1; 14,1.33; 15,1; 16,1.2; 27,1; Num 1,1.48; 2,1; 3,5. 11.14.40.44; 4,1.17.21; 5,1.5.11; 6,1.22; 7,4.11.(89?); 8,1.5.23; 9,1.9; 10,1. Vgl. dazu die Dokumentation unten im Anhang. 17 Die Bezeichnung „Weitergabebefehl" für diese Teile stammt von RENDTORFF, F R L A N T 62, 68. 18 Zur Bedeutung, zum theoretischen Hintergrund und zur Methode der Kommunikationsebenen- oder Redeeinbettungsanalyse für die Erzähltextinterpretation vgl. HARDMEIER, BZAW 187, 63-65 sowie DERS., Textsyntax, 60-72.
Kapitel 2: Gliederungsmerkmale
und
Gliederung
59
Sätze auszeichnet, gibt es im Detail viele Gestaltungsmöglichkeiten. 19 Neben Mose wird etwa Aaron als direkter Adressat genannt. 20 Oder statt den „Israeliten" ' J l ) finden sich andere Adressatenbezeichnungen in den Redebefehlen. 21 Der Redebefehl kann statt eines Imperativs von "im auch einen Imperativ von H1S/ "IQK oder eine PK-Form aufweisen. 22 Der Redebefehl kann schließlich überhaupt fehlen. 23 Hier ist nicht der Ort, alle Redeeinleitungen zu Gottesreden im priester(schrift)lichen Textbereich systematisch zu untersuchen. 24 Eines läßt sich aber schon bei der ersten Sichtung der Belege in den priester(schrift)lichen Sinaitexten feststellen: Die Variantenbildung scheint ein bewußt eingesetztes Stilmittel zu sein, um die inhaltliche Struktur der jeweils folgenden Rechtskomplexe anzudeuten. Bei den Redeeinleitungen scheint es sich also um besonders wichtige Gliederungsmerkmale zu handeln, die der konzeptionellen Struktur der Komplexe genauestens entsprechen. Für diese Vermutung lassen sich einige Beobachtungen anführen. So ist es u.E. evident, daß die von der oben beschriebenen Normalform 25 abweichenden Redeeinleitungen in den priester(schrift)lichen Sinaitexten in der Regel inhaltliche Besonderheiten der jeweils folgenden Bestimmungsabschnitte widerspiegeln. Eine besonders gestaltete Redeeinleitung und eine besondere Rechtsthematik scheinen also miteinander zu korrespondieren. Daß dies der Fall ist, läßt sich anhand von zwei Beispielen aufzeigen: 1. Die Redeeinleitungen in Lev 6,lf.l7f zeichnen sich gegenüber den übrigen Redeeinleitungen im Opfergesetzeskomplex Lev 1,1-7,38 durch besondere Adressatenangaben aus. Während in den übrigen Redeeinleitungen von 1,1-7,38 (1,1; 4,2; 7,22.28) die '31 als Adressaten genannt werden, sind in 6 , l f . l 8 die Priester als Adressaten angesprochen {„Aaron" und „seine Söhne").26 Die Besonderheit in 6 , l f . l 8 entspricht aber genau dem inhaltlichen Akzent der durch diese Redeeinleitungen eröffneten Vorschriften. Denn die Passagen in Lev 6,1-16 und 6,17-7,10, die durch diese 19
Einen kurzen Überblick über Varianten bietet UTZSCHNEIDER, OBO 77, 149. Lev 11,1; 13,1; 14,33; 15,1; Num 2,1; 4,1.17. 21 Sonst kommen noch vor: „Aaron" (Lev 16,2; Num 8,1), „Aaron und seine Söhne" (Lev 6 , l f . l 7 f ; 22,1; Num 6,22), „ d i e Priester, die Aaroniden" (21,1) sowie „Aaron und seine Söhne und alle Israeliten" (Lev 17,1; 22,17). 22 Der Imperativ IX begegnet uns in Lev 6,lf; 24,1; Num 5 , l f , der Imperativ HDN dagegen in Lev 21,1, eine PK-Form schließlich in Lev 2 0 , l f . 23 Vgl. Ex 30,11.17.22.34; 31,1; 40,1; Lev 5,14.20; 6,12; 8,1; 10,8; 13,1; 14,1.33; 22,26; 23,36; 24,13; Num 1,1.48; 2,1; 3,5.11.14.40.44; 4,1.17.21; 7,4.11; 8,5.23; 9,1; 20
10,1.
24
Vgl. dazu LABUSCHAGNE, Pattern, 2 6 8 - 2 9 6 und DERS., Additional Remarks, 9 1 -
9 5 u n d d i e K r i t i k v o n DAVIES/ G U N N , P e n t a t e u c h a l P a t t e r n , 3 9 9 - 4 0 6 . 25 26
Von einer (ähnlichen) Normalform geht auch UTZSCHNEIDER, a.a.O., 148f aus. Vgl. dazu unten im Anhang die Belege 9-17.
60
Teil I: Die Gesamtstruktur
des
Heiligkeitsgesetzes
beiden Redeeinleitungen eröffnet werden, unterscheiden sich von den umgebenden Opferabschnitten in Lev 1,1-5,26 und 7,11-36 genau dadurch, daß nur sie speziell von Priestern zu beachtende Opferbestimmungen liefern. Während alle übrigen Opferbestimmungen in 1,1-7,38 an die Laien gerichtet sind, bieten 6,2-7,10 die speziellen Opferbestimmungen für die Priester. Die Besonderheit im Wortlaut der Redeeinleitungen 6 , l f . l 8 hängt also eindeutig mit dem besonderen Inhalt der durch sie eingeleiteten Bestimmungsabschnitte zusammen. 2. Im Reinheitsgesetzeskomplex Lev 11,1-15,33 sind die Redeeinleitungen Lev 13,1 und 14,33 exklusiv identisch formuliert. Unter allen Redeeinleitungen in Lev 11,1-15,33 bestehen diese beiden Belege nur aus dem narrativen Satz "ID«1? pTTK nttfD Hirt' 13T1, die Weitergabeformel fehlt dagegen. 27 Auch in diesem Fall korrespondiert diese formale Besonderheit mit einer inhaltlichen Besonderheit der auf diese beiden Einleitungen folgenden Vorschriftenkomplexe. Denn die Abschnitte 13,1-59 und 14,34-49(53) sind inhaltlich in besonderer Weise miteinander verbunden. Nur in diesen beiden Abschnitten finden sich Vorschriften zur Diagnose und Behandlung der Unreinheitsform nSHX, einer Haut- bzw. Oberflächenunreinheit (bei Häusern). Alle anderen Abschnitte in Lev 11,115,33 thematisieren dagegen andere Formen von Unreinheit. Auch in diesem Fall hängt also die besondere Formulierung der Redeeinleitungen mit dem besonderen Inhalt der durch sie eingeleiteten Bestimmungsabschnitte zusammen; die inhaltliche Beziehung zwischen 13,2-59 und 14,34-49(53) wird durch den identischen Wortlaut von 13,1 und 14,33 unterstrichen. Diese beiden Beispiele mögen an dieser Stelle genügen. Sie belegen u.E. hinreichend, daß die Variantenbildung bei den Redeeinleitungen inhaltlich motiviert ist. Es ist deshalb davon auszugehen, daß die Redeeinleitungen besondere Struktursignale in der priester(schrift)lichen Sinaigeschichte und im priester(schrift)lichen Textbereich überhaupt sind, die dazu dienen, die inhaltliche Systematik der einzelnen Komplexe anzudeuten. Für die Gliederung und die Strukturanalyse der einzelnen Komplexe sind die Redeeinleitungen deshalb von großer Bedeutung. Sie müssen in ihrem Wortlaut genau analysiert und mit dem Inhalt der jeweils folgenden Bestimmungsabschnitte korrelierend interpretiert werden. Da nun nicht davon auszugehen ist, daß die verschiedenen Varianten von Redeeinleitungen in allen Großkomplexen der priester(schrift)lichen Texte dieselben gliederungssystematischen Funktionen haben, wenden wir uns nun gleich der Analyse der Redeeinleitungen des Heiligkeitsgesetzes zu und erarbeiten auf dieser Grundlage die Gliederung von 17-26. 28 27
Vgl. dazu unten im Anhang die Belege 20-25. Eine Untersuchung aller Redeeinleitungen der priesterlichen Texte muß an dieser Stelle unterbleiben, da sie nur in Verbindung mit der Analyse des Inhalts der jeweils fol28
Kapitel 2: Gliederungsmerkmale
und
Gliederung
61
In 1 7 - 2 6 f i n d e n s i c h i n s g e s a m t 17 R e d e e i n l e i t u n g e n , und z w a r in 17, l f ; 18,lf; 19,lf; 20,lf; 21,1.16f; 2 2 , l f . l 7 f . 2 6 ; 23,lf.9f.23f.26.33f; 2 4 , l f . 13+ 15 und 2 5 , l f . 2 9 D i e s e b e s t e h e n e n t s p r e c h e n d d e m G e s a m t b e f u n d der priester(schrift)lichen B e l e g e in der R e g e l aus z w e i T e i l e n : D e r erste T e i l , der narrative B a s i s s a t z , lautet fast d u r c h w e g "IDX1? HttfD Hin' "QT1. 3 0 D e r z w e i t e T e i l , der R e d e b e f e h l , hat d a g e g e n u n t e r s c h i e d l i c h e F o r m e n . M e i stens lautet er DifPK m D N l [Adressat] "III. W a s die V a r i a n t e n b i l d u n g betrifft, so w e i s e n die R e d e e i n l e i t u n g e n in 1 7 - 2 6 h a u p t s ä c h l i c h Unters c h i e d e in ihren A d r e s s a t e n a n g a b e n 3 1 und in der g r a m m a t i s c h - s y n t a k t i s c h e n F o r m der R e d e b e f e h l e auf. Überblickt m a n alle 17 B e l e g e , so l a s s e n sich vier Grundformen von Redeeinleitungen im Heiligkeitsgesetz ausmachen: 1. D i e B e l e g e 1 7 , l f ; 1 8 , l f ; 1 9 , l f ; 2 1 , 1 ; 2 2 , 1 7 f ; 2 3 , l f . 9 f und 2 5 , l f b i l d e n e i n e Gruppe. S i e sind am ausführlichsten formuliert und lauten / " I T H an 1 ?« m D K l [ A d r e s s a t ] "ION/ " i m ("IDN1?) n t f D Hin' "IDK'l. K e n n z e i c h n e n d für d i e s e F o r m ist der erweiterte, m i t d e m Z u s a t z DH^N m D N l v e r s e h e n e R e d e b e f e h l . D i e s e F o r m sei i m f o l g e n d e n „Form A " genannt. 2. E i n e z w e i t e Gruppe b i l d e n die B e l e g e 2 1 , 1 6 f ; 2 2 , l f ; 2 3 , 2 3 f . 3 3 f und 2 4 , l f . D i e s e B e l e g e lauten d u r c h w e g 1 3 1 / IX 1QK1? nttfD miT 1 1 T 1 (IDK 1 ?) [Adressat] F o r m b i l d e n d ist hier, daß der R e d e b e f e h l nur aus genden Reden wirklich Sinn macht. Das würde aber eine detaillierte Untersuchung aller priesterlichen Großkomplexe erfordern, die hier nicht geleistet werden kann. Auch ohne diese Untersuchung ist aber auszuschließen, daß die verschiedenen Redeeinleitungen in den priester(schrift)lichen Texten immer dieselben gliederungssystematischen Funktionen haben. Dagegen spricht schon, daß in den einzelnen Großkomplexen jeweils unterschiedliche Anredestrukturen herrschen. Die Gottesreden in 17-26 (und in 11-16) etwa enthalten fast ausschließlich an die Israeliten gerichtete Rechtsbestimmungen. Ex 24,15b-31,17 oder Num 1,1-10,10 hingegen weisen mehrheitlich Handlungsaufträge an Mose auf, was sich auch daran zeigt, daß die 2.P.Sg. in diesen Bestimmungen besonders häufig anzutreffen ist. Diese speziell an Mose gerichteten Handlungsaufträge (vgl. etwa Num l,48f) unterscheiden sich hinsichtlich ihrer legislativen Verbindlichkeit offenkundig von den übrigen Rechtskomplexen. Dem entspricht, daß die Redeeinleitungen dieser Komplexe keine Redebefehle enthalten (vgl. etwa Ex 30,12ff.l8ff.23ff.34ff; 40,2ff). Insofern sind einer Systematisierbarkeit aller Redeeinleitungen in den priester(schrift)lichen Texten Grenzen gesetzt. Unbestreitbar ist aber, daß auch in den übrigen Großkomplexen unterschiedliche Redeeinleitungen anzutreffen sind und daß die Variantenbildung durchweg mit der Makrostruktur und Gliederung dieser Komplexe zusammenhängt. 29
Vgl. hierzu und zum Folgenden im Anhang die Belege 28-44. Einzig 21,1 und 25,1 weichen geringfügig ab (siehe dazu im folgenden). 31 In 18,2; 20,lf; 23,2.10.24.34; 24,2.15; 25,2 sind „die Israeliten" ( f t n & r 'J3) die Adressaten (19,2 hat: ^ m i T 'J1 mV); 21,1.17; 22,2 richten sich dagegen an „die Priester, die Söhne Aarons" bzw. an „Aaron" und an „Aaron und seine Söhne". Auch die Variation des verbum dicendi in 20,2; 21,1 ("IDN statt 131) und 24,2 (H1S statt "131) sei vermerkt. 30
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Teil I: Die Gesamtstruktur
des
Heiligkeitsgesetzes
dem einfachen Imperativ mit Adressatenbezeichnung besteht und der für die erste Form kennzeichnende redundante Satz •nt'N mDfcO fehlt. Diese Form sei im folgenden „Form B" genannt. 3. Weiterhin heben sich die Belege 20,lf und 24,13+15 als eine Gruppe heraus. Diese Belege lauten [Adressat] "ID«1? nttfD Hin' "QTl ~Q"Trt/ "IDKTl. Formbildend ist hier wiederum der Redebefehl. Dieser zeichnet sich dadurch aus, daß der Adressatenname betont voransteht und das verbum dicendi kein Imperativ, sondern eine PK-Form ist (= „Form C"). 4. Eine letzte Gruppe bilden schließlich die Belege 22,26 und 23,26. Diesen Belegen ist der einfache narrative Satz "IDN*? nttfD niiT "DTl sowie das Fehlen jeglichen Redebefehls gemeinsam (= „Form D"). Insgesamt lassen sich im Heiligkeitsgesetz damit vier Grundformen von Redeeinleitungen unterscheiden. Was ergibt sich aber aus dieser Typisierung für die Gliederung des Heiligkeitsgesetzes? Wir haben oben gezeigt, daß die Variantenbildung bei den Redeeinleitungen in den übrigen Texten der priester(schrift)lichen Sinaigeschichte ein bewußt eingesetztes Stilmittel ist, um Makrostrukturen von Komplexen kenntlich zu machen. Dieses Ergebnis ist auf die Redeeinleitungen des Heiligkeitsgesetzes zu übertragen. Die folgende These sei hier gleich an den Anfang gestellt: Die vier Grundformen von Einleitungen scheinen im Heiligkeitsgesetz unterschiedliche Gliederungsebenen zu kennzeichnen und insbesondere Haupt- und Unterabschnitte als solche anzuzeigen. Ferner dienen sie dazu, die Beziehungen zwischen einzelnen Rechtsabschnitten zueinander anzudeuten. Daß dies die Funktion der Variantenbildung im Heiligkeitsgesetz ist, ergibt sich daraus, daß die vier herausgearbeiteten Grundformen in folgender Gesetzmäßigkeit in 17-26 verteilt sind: 1. Die Formen B und D fehlen in den Kapiteln 17; 18; 19; 20 und 25. Sie finden sich dagegen nur in den Kapiteln 21; 22 und 23f. Durchmustert man die Belege dieser Formen im einzelnen, so zeigt sich folgende Gemeinsamkeit: Alle diese Belege stehen am Anfang von solchen Abschnitten, die aus inhaltlichen Gründen als Unterabschnitte zu bezeichnen sind. Anhand von zwei Beispielen sei dies hier kurz aufgewiesen: A. Die Priestergesetzgebung 21,1-22,16 beginnt in 21,1 mit einer Redeeinleitung der Form A. Alle übrigen Redeeinleitungen in diesem Abschnitt, 21,16f und 22,2f, weisen dagegen die Form B auf. Dabei ist deutlich, daß 21,16f und 22,2f Abschnitte von Vorschriften einleiten, die als Unterabschnitte des übergeordneten Abschnitts 21,1-22,16 zu bezeichnen sind. Die unmittelbar an 21,1-22,16 anschließende, thematisch eigenständige Opfergesetzgebung 22,17-33 wird demgegenüber wieder durch einen Beleg der Form A eingeleitet (22,17f). Deren Unterabschnitt 22,26-33 wird schließlich durch einen Beleg der Form D abgeteilt. Der aus inhaltlichen Gründen anzunehmende Hauptgliederungseinschnitt zwischen 22,16
Kapitel 2: Gliederungsmerkmale
und
Gliederung
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und 22,18ff wird also durch die besondere Form der Redeeinleitung in 22,17 bestätigt. In den Kapiteln 21 und 22 dienen die Einleitungen der Formen B und D also deutlich dazu, Unterabschnitte zu markieren. B. Abgesehen von 21,1-22,16 finden sich die übrigen Belege der Redeeinleitungen der Formen B und D sonst nur noch im Abschnitt 23,1-24,9. Die Abgrenzung des in diesem Abschnitt enthaltenen Festkalenders nach hinten ist etwas unklar. Wir gehen hier zunächst einfach davon aus, daß er bis 24,9 reicht. 32 Auch dieser Text beginnt in 23,lf.9f mit Redeeinleitungen der Form A. Alle weiteren Redeeinleitungen (23,23f.26.33f und 2 4 , l f ) weisen dann die Form B oder D auf. Dabei ist wiederum deutlich, daß die von 23,23f.26.33f und 24,1 eingeleiteten Bestimmungszusammenhänge Unterabschnitte des übergeordneten Abschnitts 23,1-24,9 darstellen. Die Belege der Formen B und D haben also auch in diesem Text die Funktion, Unterabschnitte einzuleiten. 2. Umgekehrt verhält es sich dagegen mit den Einleitungen der Formen A und C. Diese Formen stehen nie am Anfang von Unterabschnitten (abgesehen von 23,9f 33 ). Sie finden sich dagegen stets am Anfang von solchen Redeeinheiten, die nach inhaltlichen Gesichtspunkten als Hauptabschnitte kenntlich sind. So ist es offensichtlich, daß die Belege 17,lf; 18,lf; 19,lf; 20,lf; 21,1; 22,17f; 23,lf und 25,lf jeweils Anfänge von Hauptabschnitten darstellen. 34 Die Formen A und C haben demnach die Funktion, die Hauptabschnitte des Heiligkeitsgesetzes zu markieren. Die Beobachtungen zu den Redeeinleitungen im Heiligkeitsgesetz zusammenfassend, können wir folgendes Fazit ziehen: Die unterschiedlichen Formen von Redeeinleitungen im Heiligkeitsgesetz dienen dazu, die einzelnen Rechtssatzabschnitte nach ihrem gliederungssystematischen Rang zu kennzeichnen. Manche Abschnitte sind danach Hauptabschnitte, andere dagegen Unterabschnitte. Für die Gliederung von 17-26 sind die Redeeinleitungen also keineswegs in gleicher Weise relevant. Sie sind vielmehr hinsichtlich ihrer jeweiligen Gliederungsbedeutung zu unterscheiden. Für die Grundstruktur des Heiligkeitsgesetzes sind in erster Linie die Redeeinleitungen der Formen A und C signifikant. So ergibt sich folgende grundsätzliche Gliederung des Heiligkeitsgesetzes. Jeweils durch einen Beleg der Formen A und C werden die Abschnitte 17,3-16; 18,2b-30; 19,2a 3 -37;
32
Zur Beziehung zwischen dem Festkalender und den Kultbestimmungen in 2 4 , 1 - 9 vgl. unten Teil II, Kapitel 7. 33 Der Beleg 23,9f ist nur scheinbar eine Ausnahme von dieser Regel. Denn zusammen mit 2 3 , l f bildet dieser Beleg möglicherweise einen „Doppelbeleg" der Form A am Anfang des Festkalenders in Lev 23, der als solcher die Zäsur zwischen erstem und zweitem Hauptteil des Heiligkeitsgesetzes markiert. Vgl. unten in Teil II, Kapitel 7 unter 7.7. 34 Der Beleg 24,13+15 bleibt hier zunächst unberücksichtigt.
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Teil I: Die Gesamtstruktur
des
Heiligkeitsgesetzes
20,2aß-27; 21,lbß-22,16; 22,18b-33; 23,2aß-24,9; 24,15b-22 35 und 25,2aß-55 eingeleitet. 36 Diese Abschnitte bilden die Hauptabschnitte des Heiligkeitsgesetzes. Unter diesen Hauptabschnitten sind 21,1-22,16; 22,17-33 und 23,1-24,9 noch einmal besonders untergliedert. Sie weisen durch Redeeinleitungen der Formen B und D abgeteilte Unterabschnitte auf. Das Heiligkeitsgesetz besteht damit in seiner Grundstruktur aus neun Hauptabschnitten. 2.3 Weitere Gliederungsmerkmale
im
Heiligkeitsgesetz
Mit der obigen Gliederung des Heiligkeitsgesetzes in neun Hauptabschnitte haben wir eine Basis für die Analyse der Gesamtstruktur von 17-26 gewonnen. Dabei haben wir uns ausschließlich auf die im Text vorhandenen narrativen Gliederungsmerkmale und ihre systematische Auswertung gestützt. Bevor wir den sich aus diesen Merkmalen ergebenden Gesamtaufbau weiter analysieren, ist nach weiteren Gliederungsmarken, vor allem in den Redeabschnitten selbst, zu fragen. Denn: Eine wichtige Rolle kann den Redeeinleitungen bei der Interpretation der Gesamtstruktur des Heiligkeitsgesetzes nur dann beigemessen werden, wenn sicher ist, daß sie kein sekundäres und die ursprüngliche Einteilung modifizierendes Gliederungssystem darstellen. Es ist deshalb notwendig, die gewonnene Gliederung in ihrer Übereinstimmung mit der internen Gliederung der einzelnen Abschnitte zu überprüfen. Das geschieht, indem wir die Einteilung des Heiligkeitsgesetzes nach Redeeinleitungen mit derjenigen Gliederung vergleichen, die sich aus anderen Strukturmarken ergibt. Das Heiligkeitsgesetz enthält neben den Redeeinleitungen tatsächlich weitere Struktursignale, und zwar eben in den Redeabschnitten selbst. Im wesentlichen handelt es sich um folgende Elemente: - die Paränesen und paränetischen Wendungen; - die Rechtssatzformen; - die sog. Selbstvorstellungsformeln; - die Anredeformen und Redeausrichtungen; - sonstige Merkmale (Inklusionen, Stichwortverbindungen, Rahmungen usw.). Hinsichtlich der narrativen Textebene sind daneben auch die beiden Ausführungsberichte in 21,24 und 23,44 in ihrer Gliederungsfunktion in Betracht zu ziehen. Im folgenden sind die wichtigsten dieser Elemente kurz zu sichten. Die sich aus ihnen ergebenden Hinweise auf die Struktur
35
Zu diesem Text vgl. die obigen Bemerkungen unter 2.2.1 (Punkt 2). Zur Abgrenzung von 25,1-55 nach hinten vgl. unten Teil I, Kapitel 4 unter 4.2.1.1. 36
Kapitel 2: Gliederungsmerkmale
und
Gliederung
65
des Heiligkeitsgesetzes sind jeweils auszuwerten und mit der sich aus den Redeeinleitungen ergebenden Gliederung zu vergleichen. 2.3.1 Die
Paränesen
Bei den Paränesen stellt sich zunächst ein Definitionsproblem. Denn in der Forschung ist nicht ganz klar, welche Bestandteile des Heiligkeitsgesetzes genau als „Paränesen" zu bestimmen sind.37 U.E. empfiehlt es sich, einen relativ weitgefaßten Begriff von „Paränese" zugrunde zu legen. All diejenigen Passagen in den Redeabschnitten hätten danach als Paränese zu gelten, die keine materialen Rechtssätze, sondern Ermahnungen, Begründungen, Motivierungen und allgemeine Reflexionen enthalten. Auf der Grundlage dieser Definition sind idealtypisch drei Formen von Paränese zu unterscheiden: 1. Zum einen finden sich im Heiligkeitsgesetz solche paränetischen Elemente, die der Ebene der einzelnen Rechtssätze angehören und speziell diese erläutern, begründen oder mit einer Motivierung versehen. Als ein Beispiel für diese Art von Paränese kann etwa die Begründung in 19,8aß dienen. Diese Begründung {„denn das JHWH Heilige hat er entweiht") bezieht sich speziell auf die beiden Sanktionsbestimmungen in 19,8aa und 19,8b, die zum Rechtssatzgefüge 19,5-8 gehören.38 Diese Form von Paränese trägt hinsichtlich der Gesamtstruktur des Heiligkeitsgesetzes wenig aus; für die Struktur der einzelnen Abschnitte ist sie aber zu beachten. 2. Eine zweite Form von Paränese stellt der Abschnitt 26,3-45 dar, der eine Serie mit bedingten Verheißungen und bedingten Drohungen enthält. Dieser Abschnitt bildet eine großangelegte Schlußparänese, die sich entweder auf das Heiligkeitsgesetz als Ganzes oder aber auf einen noch größeren Zusammenhang des priester(schrift)lichen Textbereichs zurückbe-
37 THIEL, Erwägungen, 51.57 hält es etwa für schwierig, die paränetischen Passagen in 19,1-37 und den Kapiteln 21f genau zu benennen. Vgl. auch die im einzelnen differierenden Übersichten über die paränetischen Abschnitte im Heiligkeitsgesetz bei OTTO,
Heiligkeitsgesetz, 75f; DERS., Ethik, 327 und PREUSS, TRE XIV, 713. 38 Nach SCHULZ, BZAW 114, 131-162 (bes. 150) und evtl. auch nach BOECKER, WMANT 14, 122-143 hätten wir allerdings nicht das Recht, diesen Begründungssatz und vergleichbare Elemente im Heiligkeitsgesetz als „Paränesen" zu bezeichnen und sie damit als ein literarisches Phänomen zu fassen. Nach SCHULZ handelt es sich vielmehr um Versatzstücke, die aus realen Rechtssprechungsvorgängen stammen. SCHULZ' Verständnis ist aber problematisch. Kein einziger Rechtssatz im Heiligkeitsgesetz stellt ein wirkliches Prozeßprotokoll oder einen Teil eines solchen dar. U.E. liegt es weitaus näher, die von SCHULZ zutreffend unterschiedenen, aber immer nur vereinzelt auftretenden Elemente als literarische Adaptionen von Verfahrensvorgängen zu verstehen. Als literarische Elemente haben sie aber eine paränetische Funktion und wollen den Adressaten die jeweiligen Bewertungen in den Rechtssätzen plausibel machen.
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Teil I: Die Gesamtstruktur
des
Heiligkeitsgesetzes
zieht. Hinsichtlich der Gesamtstruktur des Heiligkeitsgesetzes kann auch diese Form von Paränese vernachlässigt werden. 3. Abgesehen von diesen beiden Formen gibt es im Heiligkeitsgesetz noch eine dritte Form von Paränese, nämlich solche Elemente, die gleichsam zwischen der ersten und zweiten Form liegen und sich auf größere Zusammenhänge von mehreren Rechtssätzen beziehen bzw. diese abschließen und so eine Art „Rahmenparänese" bilden. Auf diese letzte Form von Paränese kommt es hier besonders an. Denn diese Form hat offenkundig eine Gliederungsfunktion für das Heiligkeitsgesetz im ganzen, da sie Zusammenhänge von Rechtssätzen voneinander abgrenzt und so Abschnitte und Unterabschnitte kenntlich macht. In der Regel stehen die Elemente dieser Rahmenparänesen in 17-26 blockartig zusammen. Auch weisen sie im Gegensatz zu den materialen Rechtssätzen meist Anredeformen in der 2.P.P1. auf 39 und sind insofern relativ leicht zu identifizieren. Konkret sind folgende Passagen dieser Form von Paränese zuzurechnen: 18,2b-5.24-30; 19,2aßb.l9aa.37; 20,7f.22-24(25) 40 .26; 21,6.8.12b.23ba; 22,2aßb.9.15f.31-33; 25,18-22.(23aßb).38.42a.55. Inhaltlich ist diese Rahmenparänese recht vielfältig. Sie enthält: -
-
Aufforderungen zum „Halten" ODitf) und „Tun" (T\WV) der „Satzungen " (mpn) und „ Gesetze " (D'ÜDttfD) oder ähnliche Aufforderungen zur Toraobservanz; 41 Aufforderungen, die Sitten und Gesetze der Ägypter und der kanaanäischen ,Vorgängervölker' nicht zu befolgen; 42 Hinweise auf Konsequenzen des Bewahrens bzw. Nicht-Bewahrens der göttlichen Vorschriften; 43 Forderungen nach Heiligkeit und Warnungen vor Profanierung und Verunreinigung-,44 Motivierungen oder Begründungen, insbesondere Hinweise auf den Topos ,Herausführung aus Ägypten durch JHWH' und die damit verbundene Heiligung. 45
39 Eine Ausnahme bilden die paränetischen Passagen in 2 1 , l b ß - 2 2 , 1 6 . Diese sind nahezu durchgängig in der 3.P. formuliert. 40 20,25 ist eigentlich keine Paränese, sondern eine konkrete Vorschrift. Davon kann hier aber abgesehen werden. 41 18,4f.26act.37aa; 19,19.37; 20,8.22; 22,9.31; 25,18. 42 1 8,3.24.26ayb.30aßy; 20,23. 43 18,5aß.28.29; 20,22b; 25,19-22. 44 Forderungen nach Heiligkeit finden sich in 19,2; 20,7.26; 21,6.8. Warnungen vor Profanierung stehen in 18,21b; 19,(8).12b.29a; 20,3b; 21,4b.6a.9b.l2a.l5a.23b; 22,2a. 9a.15a.32a. Warnungen vor Verunreinigung finden sich schließlich in 18,24.30a. (20,3b).
Kapitel 2: Gliederungsmerkmale
und
Gliederung
67
Neben diesen Elementen sind vielleicht auch die auf die Geltung der Rechtssätze bezogenen Formeln DDTITf? D^iy npfl o.a. und die wiederholten Forderungen nach JHWHFurcht der Rahmenparänese zuzurechnen, da auch diese Elemente Zusammenhänge von Rechtssätzen paränetisch abschließen und ihr pragmatischer Sinn ebenfalls nicht in ihnen selbst, sondern in den Vorschriften liegt, auf die sie sich beziehen. 4 6
Welche Gliederungshinweise ergeben sich nun aus den Belegen für die Rahmenparänesen? Achtet man einmal auf ihre Anordnung in 17-26, so zeigt sich, daß sie keineswegs wahllos verteilt sind. Sie finden sich vielmehr stets an kompositionellen Schlüsselstellen. Sie bilden Umrahmungen für zusammenhängende Gesetzesabschnitte oder schließen diese ab. Im einzelnen ergeben sich aus den Belegen der „Rahmenparänese" folgende Gliederungshinweise: 1. Die paränetischen Formulierungen in 18,2b-5 und 18,24-30 gehören inhaltlich zusammen. Als solche umrahmen sie den Block mit Rechtssätzen in 18,6-23 und grenzen ihn als einen Abschnitt ab. 2. In ähnlicher Weise fassen die paränetischen Sätze 19,2aßb.l9aa.37 die materialen Rechtssätze in 19,3f.5-18.19aßb-36 zu einem Abschnitt zusammen, indem sie ganz am Anfang (19,2aßb), genau in der Mitte (19,19aa) und ganz am Ende (19,37) dieser Bestimmungen stehen. 3. Die Paränesen 20,7f.22-26 sodann stellen einen Rahmen um den Block von Sanktionsbestimmungen in 20,9-21 dar. Auch sie scheinen einen Abschnitt zu markieren. 47 4. Die Paränesen in 21,6.(8).12.15.23b; 22,2aßb.9.15f fassen die Blöcke mit Priestergesetzen in 21,1-22,16 zu einem Abschnitt zusammen. Diese paränetischen Sätze sind in besonderer Weise miteinander verbunden bzw. von den unmittelbar vorangehenden und den unmittelbar folgenden paränetischen Passagen in 20,7f.22-26 und 22,31-33 unterschieden. Alle diese paränetischen Sätze sind in der 3.P. und nicht, wie sonst üblich, in der 2.P.P1. formuliert. Durch diese einheitliche Gestaltung ist 21,1-22,16 als ein Abschnitt kenntlich gemacht. 5. Die paränetischen Passagen 22,31-33 schließen den Komplex von Opfergesetzen in 22,18b-30 ab und kennzeichnen ihn als einen Abschnitt.
45 18,3; 19,36; 22,33; 25,(23aßb).38.42.55. Zu diesem Element der Paränese vgl. CRÜSEMANN, Exodus, 1 1 7 - 1 2 9 und ZlMMERLl, Heiligkeit, 4 9 3 - 5 1 2 . 46 Geltungsformulierungen finden sich in 17,7b; 23,14.21.31.41; 24,3.8f.22. Forderungen nach JHWH-Furcht finden sich in 19,14b.32b; 25,17a.36a.43b. 47 In diesem Fall bildet die Paränese eine Art innere Rahmung, die noch durch eine äußere Rahmung umschlossen wird, welche aus den Bestimmungen in 20,6 und 20,27 besteht. Außerhalb dieser Struktur steht allein das Rechtssatzgefüge V.2aß-5. Die einfassende, strukturbildende Funktion der paränetischen Passagen in 20,7f.22ff ist gleichwohl deutlich. Zum Aufbau von 2 0 , 1 - 2 7 vgl. unten Teil II, Kapitel 4.
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Teil I: Die Gesamtstruktur
des
Heiligkeitsgesetzes
6. Die Paränesen in 25,18-22.(23aßb).38.42a.55 schließlich umrahmen die Unterabschnitte der Sabbatjahr-/ Jobeljahrgesetzgebung in Lev 25 und fassen 25,1-55 zu einem Abschnitt zusammen. Aufgrund dieser Umrahmungen und Einfassungen durch Rahmenparänesen sind 18,2b-30; 19,2aß-37; 20,2aß-27; 21,lbß-22,16; 22,18b-33 und 25,2aß-55 als Abschnitte im Heiligkeitsgesetz kenntlich gemacht. Diese Abgrenzungen stimmen aber weitgehend mit den sich aus der Gliederung nach Redeeinleitungen ergebenden Einteilungen überein. Die Belege für Rahmenparänesen bestätigen also die Gliederung nach Redeeinleitungen. 2.3.2 Die
Rechtssatzformen
Neben den Paränesen haben auch die verschiedenen Rechtssatzformen im Heiligkeitsgesetz Gliederungsfunktionen. Im einzelnen finden sich in 1726 die folgenden Formen:48 1. Die kasuistische Normalform. Zu dieser Form gehören alle Rechtssätze, die aus ,Tatbestandsdefinitions-Rechtsfolgebestimmungs-Gefügen' bestehen,49 durchgängig in der 3.P.Sg. formuliert sind und durch die Konjunktionen 'D oder DK (bzw. 'DI, DK1 o.ä.) eingeleitet werden.50 2. Die zweite kasuistische oder 'D W'K-Form. Zu dieser Form gehören alle Rechtssätze, die ebenfalls aus einem in der 3.P.Sg. formulierten ,Tatbestandsdefinitions-Rechtsfolgebestimmungs-Gefüge' bestehen. Anders als bei der kasuistischen Normalform sind die Vordersätze dieser Form 48 Zum Folgenden vgl. die formgeschichtlichen Untersuchungen von ALT, Ursprünge, passim; KORNFELD, Studien, 33-68 (mit der Übersichtstabelle 135-138); VAN DER PLOEG, Studies, 418-427; FEUCHT, Untersuchungen, 20-30; SCHOTTROFF, Recht, 22-27;
LENHARD, A n o r d n u n g e n , 4 1 4 - 4 2 3 ; OSUMI, O B O 1 0 5 , 2 0 - 2 2 u n d BELZER, N B L I, 1 2 2 -
124 und DERS., NBL II, 455f. ALTS These, wonach die einzelnen Rechtssatzformen Exponenten von zwei verschiedenen Grundformen von Recht („kasuistisches Recht" „apodiktisches Recht") sind, welche völlig verschiedene institutionelle und kulturelle Ursprünge haben („kanaanäisch" - „israelitisch") (vgl. dazu ALT, Ursprünge, 284f.322332), sei hier dahingestellt. Es kommt hier nur auf die formale Beschreibung und Typisierung der verschiedenen Rechtssätze an. 49 Der Begriff „Tatbestandsdefinitions-Rechtsfolgebestimmungs-Gefüge" ist hier und im folgenden in einem sehr weiten und nicht nur strafrechtlichen Sinne gemeint. Denn diese Struktur findet sich im Heiligkeitsgesetz nicht nur in Strafbestimmungen. Auch nicht-strafrechtliche Vorschriften sind in dieser Form gehalten (vgl. etwa 25,28). Die syntaktisch-grammatischen Verhältnisse in diesen Gefügen können unterschiedlich sein (vgl. dazu LlEDKE, WMANT 39, 35-29); Vorder- wie Nachsätze können aus mehreren Teilsätzen bestehen. 50 Im Heiligkeitsgesetz findet sich die kasuistische Normalform nur in Unterfallbestimmungen. Die Belege sind 17,16; 19,7; 20,4f; 25,28.30.51f.54. Zur Beschreibung der kasuistischen Normalform vgl. ALT, Ursprünge, 286-289 und LlEDKE, WMANT 39, 1953.
Kapitel 2: Gliederungsmerkmale
und Gliederung
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aber dadurch gekennzeichnet, daß sie stereotype Subjektsbezeichnungen enthalten (ttf'K, TlWX 1« tf'K, jro o.ä.), die am Satzanfang noch vor der Konjunktion 'D stehen („casus pendens"). 51 3. Die Relativ- oder "UtfN W^-Form. Diese Form ist der zweiten kasuistischen Form recht ähnlich. Abweichend ist, daß die stereotypen Subjektsbezeichnungen (Itf'N, WB1 o.ä.) in diesem Fall der Relativpartikel 1WH voranstehen und die Tatbestandsdefinition also in Form eines Relativsatzes formuliert ist. 52 Diese Form begegnet uns im Heiligkeitsgesetz relativ häufig. Interessant ist, daß sie sowohl zur Formulierung von Sanktionsbestimmungen als auch zur Gestaltung von quasiapodiktischen Verboten und Geboten verwendet wird. 53 Sie ist in folgenden Varianten von Satzanfängen vertreten: - -\m nute/ tf'x Ca), 5 4 - -ittfK... * ? * n r v a o / 'JID ¡TK - TB>« ... (D3/-I)y-1TD - TB>» # 3 J ( n ) ( t a ) . «
C?D), 56
4. Die Partizipialform. Auch diese Form besteht aus einem in der 3.P.Sg. formulierten ,Tatbestandsdefinitions-Rechtsfolgebestimmungs-Gefüge'. Spezifisch für diese Form ist, daß die Tatbestandsdefinition aus einem Partizip besteht. 58 5. Die direkt anredende Konditionalform. Diese Form weist ebenfalls ein ,Tatbestandsdefinitions-Rechtsfolgebestimmungs-Gefüge' auf. Im Unterschied zu den vorstehend genannten Formen, die durchgängig in der 51
Belege: 19,20-22; 20,27; 21,9; 22,11.12.13.14.21.27; 24,15b.l7.19; 25,26.29. Zur Beschreibung dieser Form vgl. KORNFELD, Studien, 40-44; FEUCHT, Untersuchungen, 23 und LIEDKE, WMANT 39, 22 (der diese Form allerdings nicht von der kasuistischen Normalform unterscheidet). 52 Zur Beschreibung dieser Form vgl. LIEDKE, WMANT 39, 117-120. Wir sehen hier von der Frage ab, ob diese Form mit FEUCHT, Untersuchungen, 25; KILIAN, Recht, 185ff u.a. zum kasuistischen oder mit LIEDKE, WMANT 39, 120 und BOECKER, Recht, 168175 u.a. zum apodiktischen Recht zu rechnen ist. 53 17,3f ist ein Beispiel für eine Sanktionsbestimmung in dieser Form. 17,13 und 21,17b.l8a.21a sind dagegen Beispiele für eine quasiapodiktische Verwendungsweise. 54 1 8,29; 20,9.11.12.13.14.15.16.17.18.20.21; 21,18.19.21; 22,4b.5. 55 17,3f.8f.l0.13; 20,2; 22,18. 56 21,17b; 22,3.(4a). In 22,4a erscheint ttf'N ttf'K am Satzanfang, außerdem vertritt der Nominalsatz 3T W VHX Nim (V.4aß) den üblichen Relativsatz der Tatbestandsdefinition. 57 17,15; 20,6; 22,6f; 23,29.30. 58 24,16.18.21a.21b. Zur Beschreibung dieser Form vgl. LIEDKE, WMANT 39, 117120. Auch hier sei davon abgesehen, ob diese Form mit FEUCHT, Untersuchungen, 24f u.a. zum kasuistischen oder mit HENTSCHKE, Erwägungen, 111 u.a. zum apodiktischen Recht zu rechnen ist.
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Teil I: Die Gesamtstruktur
des
Heiligkeitsgesetzes
3.P. formuliert sind, finden sich im Vorder- und/ oder im Nachsatz dieser Form aber direkte Anredeformen (2.P.). 59 6. Die Prohibitivform. Zu dieser Form gehören alle nicht-konditionalen, mit der Negationspartikel und einem Verb in der Langform der Präformativkonjugation formulierten Sätze, die einen vorschreibenden Charakter haben (sog. „heischendes Präsens") (2. und 3.P.). 60 7. Die Vetitivform. Diese Form ist der Prohibitivform im Grunde sehr ähnlich. Im Unterschied zu ihr weist sie aber die Negationspartikel und ein Verb in der Kurzform der Präformativkonjugation auf (2.P.). 61 8. Die Gebotform. Diese Form besteht aus nicht-konditionalen, ohne Negationspartikel formulierten, vorschreibenden Sätzen, die ein Verb in der Präformativkonjugation oder als AK-Cons. aufweisen (2. und 3.P.). 62 Mit diesem Inventar an Rechtssatzformen entspricht das Heiligkeitsgesetz den übrigen priester(schrift)lichen Bestimmungskomplexen, in denen etwa die '3 ttf'X-Form und die ihr verwandte "IttfN ttf'N-Form, die im Bundesbuch und im Deuteronomium nur marginal vorkommen, ebenfalls häufig auftreten. 63 Welche Gliederungshinweise ergeben sich nun aus diesem Inventar von Rechtssatzformen? U.E. ist festzustellen, daß mit Hilfe dieser verschiedenen Rechtssatzformen die innere Struktur der Rechtssatzabschnitte im Heiligkeitsgesetz organisiert wird. Exemplarisch sei das anhand von zwei Abschnitten aufgewiesen. 1. Der Redeabschnitt 24,15b-22 besteht hauptsächlich aus Bestimmungen der ' 3 Ifl'XForm (V.15b.17.19) und der Partizipialform (V.16.18.21a.21b). Abgesehen von diesen beiden Rechtssatzformen finden sich sonst nur noch zwei Talionsbestimmungen (V.18b. 20) und zwei Gebote in V.22a mit einer Selbstvorstellungsformel als Begründung 59 19,5-8.9f.23-25.33f; 22,29f; 25,25.35.39-41.47f. Zur Beschreibung dieser Form vgl. CAZELLES, Études, 113f; LIEDKE, WMANT 39, 59-61; KORNFELD, Studien, 64-66; GILMER, If You Form, 45ff und OSUMI, OBO 105, 21. 60 Belege für Prohibitive mit 2.P. sind etwa 18,6.7.8.9.10.11.12.13.14.15.16.17.18. 19.20.21.22.23a.23b; 25,4b