"Eigentlich sind wir alle Geschenke": Religiöse Bildung im Elementarbereich 3766845217, 9783766845214


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Inhalt
Einleitung
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"Eigentlich sind wir alle Geschenke": Religiöse Bildung im Elementarbereich
 3766845217, 9783766845214

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Theologisieren mit Kindern und Jugendlichen Herausgegeben von Anton A. Bucher, Gerhard Büttner, Veit-Jakobus Dieterich, Petra Freudenberger-Lötz, Christina Kalloch, Friedhelm Kraft, Oliver Reis, Bert Roebben, Hanna Roose, Martin Rothgangel, Thomas Schlag und Martin Schreiner

»Eigentlich sind wir alle Geschenke« Religiöse Bildung im Elementarbereich

Jahrbuch für Kinder- und Jugendtheologie Band 3 Herausgegeben von Christina Kalloch und Martin Schreiner

Calwer Verlag Stuttgart

eBook (pdf): ISBN 978–3–7668–4522–1 © 2020 by Calwer Verlag GmbH Bücher und Medien, Stuttgart – Alle Inhalte, insbesondere Texte, Fotografien und Grafiken sind urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Wiedergabe, Kopieren und Bearbeiten der Datei, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Verlags.

ISBN 978–3–7668–4521–4 © 2020 by Calwer Verlag GmbH Bücher und Medien, Stuttgart Alle Rechte vorbehalten. Wiedergabe, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Verlags. Umschlaggestaltung: Karin Sauerbier, Stuttgart Satz und Herstellung: Karin Class, Calwer Verlag Druck und Verarbeitung: Mazowieckie Centrum Poligrafii – 05-270 Marki (Polen) – ul. Słoneczna 3C – www.buecherdrucken24.de E-Mail: [email protected] Internet: www.calwer.com

Öhler Jugend und Schöpfung – historische und neutestamentliche Anmerkungen

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Inhalt

Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

Gerhard Büttner Zwischen Pädagogik und Theologie – Beobachtungen zur religiösen Sozialisation im Vorschulalter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Angela Kunze-Beiküfner Theologisieren mit Kindergartenkindern im Kontext alltagsintegrierter religiöser Bildung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Simone Wustrack Religion im Alltag entdecken. Religiöse Bildungsbegleitung in der EKM. . . . . . . . 47 Anke Edelbrock Murat blieb stumm – Die Bedeutung migrationspädagogischer Rahmenbedingungen für Kindertheologie in religiöser Vielfalt. . . . . . . . . . . . . . . . 56 Heike Helmchen-Menke Inklusive religiöse Bildung in Kindergarten und Kita. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 Anna-Katharina Szagun Kinder als Ko-Konstrukteure – Einflussfaktoren und Merkmale frühkindlicher Gotteskonzepte. . . . . . . . . . . . . . . . 83 Helena Stockinger Differenzsensible Kindertheologie in der Elementarpädagogik. . . . . . . . . . . . . . . . 101 Henning Schluß / Christian Andersen Elementarpädagogik und Pluralität in Wien. Zentrale Ergebnisse des Forschungsprojekts PLUKI. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 Sabine Blaszcyk »Diese ganze Spiritualität, die kommt da irgendwie nicht an bei den Kindern!« Einblicke in eine ethnografische Fallstudie zur religiösen Elementarbildung in mehrheitlich konfessionslosem Kontext. . . . . . . . . . . . . . . . . 126

6 Christina Kalloch »… und dann denken wir an sie und dann ist sie ja auch bei uns!« Theologisieren mit Kindergartenkindern zum Thema »Tod«?. . . . . . . . . . . . . . . . . 146 Martin Schreiner Dankbarkeit aus kindertheologischer Sicht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 II. Pädagogische Berichte und Anregungen

Ulrich Walter »Wer ist denn dieser Jesus?« Mit dem Friedenskreuz auf Entdeckungsreise. Jesusgeschichten mit Kindern auslegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 Martina Steinkühler »Da fällt mir … Jakob ein«. Erzählmomente in der pluralitätssensiblen religiösen Elementarerziehung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 Matthias Hugoth Paradigmenwechsel: von der Glaubensvermittlung zu religionskreativen Lebens- und Lernprozessen in der Kita. . . . . . . . . . . . . . . . . 178 Henk Kuindersma Religiöse Bildung in niederländischen Kitas als Herausforderung. . . . . . . . . . . . . . 184 Bianca Kobel Elementarpädagogik und Familienbildung – Religionssensible Bildung in den Kindertageseinrichtungen des CJD e.V.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 Cornelia Mikolajczyk Große Frage vor der kleinen Frage – Religionspädagogische Qualifizierung in der Nordkirche. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 Antje Grambow Evangelisches Profil in der Fortbildung für pädagogische Fachkräfte des Diakonischen Werks Hamburg. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 Dörte Jost »Mit Gott groß werden« – Religiöse Bildung in Kindertageseinrichtungen. . . . . . 202 Dirk Schliephake Kindergottesdienst im Fokus – Zwischen empirischer Bildungsberichterstattung und riskantem Resonanzraum. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205

Öhler Jugend und Schöpfung – historische und neutestamentliche Anmerkungen

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Gerhard Büttner Erzieher/innen-Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 III. Buchbesprechung

Gerhard Büttner Gott im Spiel – Godly Play weiterentwickelt (4 Bücher). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 Die Autorinnen und Autoren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221

Einleitung

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Einleitung

2010 wurde das erste Jahrbuch für Kindertheologie im Elementarbereich veröffentlicht.1 Im Vorfeld der Durchführung einer Tagung zu diesem Thema 2018 in Hildesheim stellte sich vor allem die Aufgabe einer aktuellen Standortbestimmung der Kindertheologie im Vorschulbereich verbunden mit der Frage, welche grundlegenden Erkenntnisse, Entwicklungslinien und Herausforderungen sich nach Jahren kindertheologischer Praxis im Kindergarten herausstellen ließen. Die Hildesheimer Tagung zeigte, dass sich der Elementarbereich längst als eigenständiger religiöser Lernort herausgebildet hat, der das Anliegen der Kindertheologie nicht nur ernst nimmt, sondern diese Kommunikationsform auch gerade in der religionspädagogischen Arbeit mit jungen Kindern für einen elementaren Weg religiöser Bildung hält. Elementarpädagogische Grundlagen und entwicklungspsychologische Be­dingungen von Kindergartenkindern sind als Kon­ struktionsrahmen kindlicher Vorstellungen und Konzepte herausgearbeitet und in den Diskurs eingebracht worden. Auf inhaltlicher Ebene hat sich im Laufe kindertheologischer Forschung im Elementarbereich nicht unbedingt ein Themenwechsel vollzogen. Noch immer stehen elementare Zugänge zu biblischen Geschichten im Mittelpunkt, noch immer sind es die großen Fragen nach Glück und Sinn, aber auch Trauer, Tod und Sterben, die den Stoff für Gespräche mit Kindern im Kindergarten bieten. Schon 2010 zeichnete

sich das Thema der interreligiösen Bildung als konstitutiv und zukunftsweisend für den Elementarbereich ab. Erwartungsgemäß hat es an Bedeutung gewonnen und ist verstärkt Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtung geworden. Dies dokumentiert ein Großteil der hier veröffentlichten Beiträge, die Schlüsselworte wie differenz- und pluralitätssensibel im Titel tragen. Horizonte haben sich aber auch verändert, wie es im Themenspektrum inklusive religiöse Bildung sichtbar wird. Die sich ständig verändernden Voraussetzungen, die durch vielfältige religiöse Sozialisationsbedingungen geschaffen werden, sind zuallererst im Kindergarten spürbar und fordern religionspädagogische Antworten. Auch wenn im Kontext der Tagung ein Schwerpunkt in der Vorstellung von Settings religiösen und spirituellen Lernens im Kontext gemeindepädagogischer und katechetischer Arbeit und ein anderer in der Präsentation methodisch geeigneter Zugänge bestand, wurde doch deutlich, dass sich am Lernort Kindergarten ein fundamentaler Vorzeichenwechsel vollzogen hat. Der inzwischen etablierte Leitbegriff der religionssensiblen Erziehung hat dazu geführt, dass die

1 Anton A. Bucher / Gerhard Büttner / Petra Freudenberger-Lötz / Martin Schreiner (Hg.): »In der Mitte ist ein Kreuz« – Kindertheologische Zugänge im Elementarbereich. JaBuKi 9, Stuttgart 2010. Zuvor war 2008 ein Sonderband mit bereits veröffentlichten Beiträgen aus den Bänden ab 2002 erschienen.

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Einleitung

für den Elementarbereich postulierte Ausprägung von Kindertheologie im Begriff ist, sich unter einem neuen Paradigma zu formieren und dadurch zu verändern. Schon im Band von 2010 wurde eindrücklich gemahnt, den Kindergarten als eigenen religiösen Lernort mit seinen spezifischen Bedingungen wahrzunehmen und zu erforschen.2 Die Bestandsaufnahme der Kindertheologie-Tagung 2018 zeigt, dass dieser Forderung kontinuierlich nachgekommen und der Kindergarten als Lernort in den Blick genommen wurde. Zugleich offenbart der Tagungsband auch das Forschungsdesiderat, Kindertheologie im Elementarbereich präziser zu klären. Ein wichtiger Schritt ist mit dem Fokus auf die Theologie der Erzieherinnen schon erfolgt. Aber die Frage, wieviel Theologie in der Kindertheologie im Elementarbereich steckt und in welchem Verhältnis eine Theologie für Kinder zu der einer Theologie von Kindern steht, stellt sich verstärkt auch vor dem Hintergrund der Tagungsbeiträge. Gezeigt hat sich mit dem zweiten Band zur Kindertheologie im Elementarbereich, dass es sich hier um ein Feld kindertheologischen Forschens handelt, das viel Potential bietet und das noch intensivere inhaltliche Vernetzungen anstreben sollte.

Vorschau auf die Beiträge

Den Band eröffnen Gerhard Büttner mit Beobachtungen zur religiösen Situation im Vorschulalter unter pädagogischer und theologischer Perspektive sowie Angela Kunze-Beiküfner mit einem Überblick zum Theologisieren mit Kindergartenkindern im Kontext alltagsintegrierter religiöser

Bildung. Das Konzept der religionssensiblen Begleitung von Kindern und Familien für die Fortbildungsarbeit unter Berücksichtigung der Arbeit mit Filmbeispielen beschreibt Simone Wustrack. Die Bedeutung pädagogischer Rahmenbedingungen für Kindertheologie in religiöser Vielfalt stellt Anke Edelbrock dar. Heike HelmchenMenke untersucht den Beitrag religiöser Bildung zu inklusivem pädagogischen Handeln in Kindertageseinrichtungen. Einflussfaktoren und Merkmale frühkindlicher Gotteskonzepte stellt AnnaKatharina Szagun in ihrem Beitrag über Kinder als Ko-Konstrukteure vor. Helena Stockinger berichtet über ein empirisches Projekt zum Umgang mit religiöser Differenz im Kindergarten und Henning Schluß sowie Christian Andersen präsentieren zentrale Ergebnisse ihrer Studie zu Pluralität in Wiener Kindertageseinrichtungen. Sabine Blaszcyk gewährt Einblicke in ihre umfassende ethnographische Fallstudie zur religiösen Elementarbildung in mehrheitlich konfessionslosem Kontext. Die beiden Studien von Christina Kalloch zum Theologisieren mit Kindern zum Thema »Tod« und von Martin Schreiner zum Thema »Dankbarkeit« beschließen den ersten Teil des Bandes »Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke«. Den zweiten Teil des Bandes »Pädagogische Berichte und Anregungen« eröffnen Ulrich Walter mit einem Beitrag über das bibeldidaktische Arbeiten mit dem Friedenskreuz und Martina Steinkühler mit Erzählimpulsen für die pluralitätssensible religiöse Elementarerziehung. Für die Anerkennung der

2 So beispielsweise in dem Beitrag von Angela Kunze-Beiküfner. Ebd. 240.

Einleitung

Kita als religionsproduktiven Ort wirbt Matthias Hugoth in seinem Plädoyer für einen Paradigmenwechsel von der Glaubensvermittlung hin zu religionskreativen Lebens- und Lernprozessen. Die religiöse Bildung in niederländischen Kitas beschreibt Henk Kuindersma, während Bianca Kobel über religionssensible Bildung in Kindertageseinrichtungen des CJD berichtet. Einblicke in die religionspädagogische Qualifizierung in der Nordkirche gibt Cornelia Mikolajzyk, in das evangelische Profil in der Fortbil-

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dung des Diakonischen Werks Hamburg Antje Grambow und in religiöse Bildung in Hamburger Kindertageseinrichtungen Dörte Jost. Den evangelischen Kindergottesdienst im Spannungsfeld zwischen empirischer Bildungsberichterstattung und riskantem Resonanzraum stellt Dirk Schliephake vor, während Gerhard Büttner sich anhand der Entwicklung von Modellen im didaktischen Setting der Erzieher/in­ nen-Theologie widmet und den Band mit einer Rezension zu vier Neuerscheinungen zu »Gott im Spiel – Godly Play« abrundet. Christina Kalloch und Martin Schreiner

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

Gerhard Büttner Zwischen Pädagogik und Theologie – Beobachtungen zur religiösen Sozialisation im Vorschulalter 1. Was ist ›natürlich‹, was ›anerzogen‹?

Auf die Frage, bei welcher Gelegenheit sie über Gott nachdenke, antwortet die sechsjährige Ruth: »Wenn ich … eh … die Bäume sehe, wie ihre Knospen aufbrechen im Frühling, das liebe ich so. Oder wenn ich die Lämmer in Wales sehe … oh … das bringt mich … oh … zum Hüpfen und Springen.«1

Jeder Erwachsene wird sich an diesem Freudenruf ebenfalls erfreuen und vielleicht darüber nachdenken, wie man darauf reagieren sollte. Pädagogisches Handeln ist immer intentional und so könnte man das Gespräch fortsetzen in ökologischer Absicht, in schöpfungstheologischer oder auch in naturphilosophischer. Solche Fragen erheben sich besonders dort, wo Kinder verschiedener Religionen oder Frömmigkeitsstile und Religionsabstinente in einem Kindergarten versammelt sind und sich zusammen mit einer Erzieherin über solche Themen unterhalten. Rebecca Nye, die das Kinderzitat überliefert hat, sah in ihm eine Manifestation von ›Spiritualität‹, deren Förderung im Kontext pädagogischer Programme weithin akzeptiert ist. Wie schon gesehen, bieten solche Spiritualitätserfahrungen Anlass für Gespräche in ganz unterschiedlicher Richtung. Meine

These ist nun, dass pädagogische und theologische Sichtweisen auf diese Phänomene keineswegs identisch sein müssen und deshalb genau zu unterscheiden sind. Im Hintergrund steht dabei immer noch die Rousseau’sche Frage, was denn nun ›natürlich‹ sei und was dem Glück des Kindes am förderlichsten sei. Bevor ich diese Fragestellung breiter entfalte, möchte ich noch einen Befund des USamerikanischen Kognitionspsychologen Justin Barrett referieren.2 Kinder wurden befragt, wie sie sich den Ursprung des ihnen unbekannten ›Sonnenbärs‹ vorstellten. Es wurden offene Fragen gestellt, aber auch Auswahlmöglichkeiten vorgegeben: Gott schuf ihn, er erschien irgendwie auf der Erde oder er entwickelte sich aus anderen Arten. Die Eltern der Kinder hat man gefragt, was sie einem zehnjährigen Kind erklären würden. Durch die Bank tendierten die Kinder wesentlich stärker zu einer ›kreationistischen Option‹ als ihre Eltern. Barrett erklärt diese theistische

1 David Hay / Rebecca Nye, The Spirit of the Child, London 1998, 95, zit. nach der deutschen Übersetzung in: Delia Freudenreich. Spiritualität von Kindern. Was sie ausmacht und wie sie pädagogisch gefördert werden kann, Kassel 2011, 85f. 2 Justin L. Barrett, Born Believers. The Science of Children’ Religious Belief, New York 2012, 69ff.

Büttner Zwischen Pädagogik und Theologie

Präferenz3 mit drei entwicklungspsychologischen Beobachtungen: 1. Kinder tendieren besonders stark dazu, Sachverhalte auf ein intentional handelndes Subjekt zurückzuführen (agent-theory – bei Piaget Artifizialismus); 2. sie wollen Sachverhalte in einem sinnvollen Kontext sehen (Finalismus); 3. evolutionstheoretische Deutungen, nach denen ein Lebewesen sich aus einem anderen entwickelt hat, widersprechen dem kind­ lichen Essentialismus4, der vom Wesen eines Tieres ausgeht. Wir sehen also, dass es spezifische ›Passungen‹ gibt zwischen dem kindlichen Denken und bestimmten religiösen Deutungsmustern. D.h. im Umkehrschluss, dass Konflikte zwischen Kindgemäßheit und ›Richtigkeit‹ von der Sache her quasi vorgegeben sind. 2. Die pädagogische Perspektive – das Recht des Kindes auf Religion

Die Pädagogik verhält sich gegenüber der Frage kindlicher Religiosität zwiespältig und unsicher. Friedrich Schweitzer hat nun ein Buch vorgelegt, in dem er (obgleich auch Theologe) ein Plädoyer für die religiöse Erziehung gerade im Kindergartenalter hält.5 In einer Zeit, in der alle Varianten der Früherziehung erwogen werden, gibt es wenig Unterstützung für die Annahme, dass dazu auch Religion gehören solle – eben um der ›ganzheitlichen‹ Entwicklung des Kindes willen.6 Schweitzer setzt dabei auf ein weites Religionsverständnis, »das alle Fragen und Lebensorientierungen, soweit sie sich auf letztgültige Antworten oder Normen beziehen, einschließt«.7 Dabei nennt er einen negativen und einen positiven Kriterienkatalog.8

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Nicht förderlich ist eine Religion, die (1) »irreversible Einschränkungen eigenständiger Lebensentscheidungen fordert« – etwa medizinisch relevante Entscheidungen oder solche, die massiv in die Eltern-Kind-Beziehung eingreifen. (2) Eine Religion, »die mit angsterzeugenden Erziehungspraktiken arbeitet«. Als positive Maßstäbe nennt Schweitzer: »(3) Religion als Begründung von Werten«; »(4) Religion als Sinnangebot«, »(5) Religion als Unterstützung von Fantasie und Kreativität« und schließlich »(6) Religiöse Erziehung und Bildung als Grundlage interreligiöser Dialogfähigkeit«. Da religionsrelevante Problemstellungen auch schon im Leben junger Kinder immer wieder auftauchen, »ist ein Verzicht auf religiöse Erziehung in der Kindheit nur als Ablehnung oder Ausblendung solcher Fragen denkbar. Dies aber wäre eine Beeinträchtigung der Entwicklung des Kindes«9 Schweitzer zitiert in diesem Zusammenhang Schleiermachers ›Reden über die Religion‹. Damit stellt Schweitzer sein Programm in eine vom Protestantismus ausgehende 3 Vgl. auch Deborah Keleman, Are Children ›Intuitive Theists‹? Reasoning about Purpose and Design in Nature, in: Science 15 (2004), 295–301); Jürgen Oelkers, Die Frage nach Gott. Über die natürliche Religion der Kinder, in: Vreni Merz (Hg.), Alter Gott für neue Kinder. Das traditionelle Gottesbild und die nachwachsende Generation, Freiburg/CH 1994, 13–22. 4 Susan A. Gelman, The essential child. Origins of essentialism in everyday thought, Oxford 2003 5 Friedrich Schweitzer, Das Recht des Kindes auf Religion, Gütersloh 2013. 6 Ebd., 54. 7 Ebd., 87. 8 Ebd. 90f (i. O. kursiv). 9 Ebd. 117.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

Form bildungsbürgerlicher Religion und Religiosität mit ästhetischen und intellektuellen Akzentsetzungen, die für große Teile des hiesigen Christentums bestimmend ist und auch im Judentum und eingeschränkter im Islam akzeptiert und propagiert wird. Diese allgemeinreligiös formulierten Kriterien können natürlich an jede konkrete Religion herangetragen werden mit der latenten Aufforderung, bestimmte Züge der religiösen Praxis zu fördern bzw. eher zurückzustellen. Doch kann sich eine konkrete Religionsgemeinschaft von der Pädagogik ihre Agenda bestimmen lassen? Schweitzers Adressaten sind aber Eltern und Erzieher, die mit konkreten einzelnen Kindern zu tun haben. Ihnen empfiehlt er zwar das semantische Repertoire konkreter Tradition an (z.B. Bibel oder Gebete), doch er hat dabei immer Gesprächsformen vor Augen, die das Wohl und Interesse des einzelnen Kindes respektieren. Dabei weiß auch Schweitzer, dass die Unsicherheit der Erwachsenen im Bereich der Religion eines der größten Hindernisse für ein offenes Gespräch mit Kindern darstellt.10 Dabei wird aber auch deutlich, dass der Bezug auf eine bestimmte Religion dann auch zwangsläufig konkurrierende Wahrheitsansprüche sichtbar werden lässt.11 So führt etwa der Bezug auf die Person Jesu zwangsläufig zu (letztlich exkludierenden) Differenzierungen zwischen Christen, Juden und Muslimen. 3. Der theologische Blick – die Wir-Perspektive

Ich möchte Schweitzers pädagogischen Ausführungen nun einen explizit theologischen Text gegenüberstellen. Es geht um

die sog. ›Sohnesfrage‹ im Dtn und der entsprechenden Antwort: Wenn dich nun dein Sohn morgen fragen wird: Was sind das für Vermahnungen, Gebote und Rechte, die euch der HERR, unser Gott, geboten hat?, so sollst du deinem Sohn sagen: Wir waren Knechte des Pharaos in Ägypten, und der HERR führte uns aus Ägypten mit mächtiger Hand; und der HERR tat große und furchtbare Zeichen und Wunder an Ägypten und am Pharao und an seinem ganzen Hause vor unseren Augen und führte uns von dort weg, um uns hineinzubringen und uns das Land zu geben, wie er unsern Vätern geschworen hatte. Und der HERR hat uns geboten, nach all diesen Rechten zu tun, dass wir den HERRN, unsern Gott, fürchten, auf dass es uns wohl gehe unser Leben lang, so wie es heute ist. Und das wird unsere Gerechtigkeit sein, dass wir alle diese Gebote tun und halten vor dem HERRN, unserm Gott, wie er uns geboten hat. (Dtn 6,20–25). Der Text ist im Christentum durchaus geläufig und hat es (auszugsweise) 2004 zur Kirchentagslosung geschafft. Gleichzeitig ist dieser Text ein Element jüdischen Selbstverständnisses.12 Dies zeigt u.a. die räumliche Nachbarschaft zum jüdischen Bekenntnis ›Höre Israel!‹ im selben Kapitel und der formalen Nähe zu den Fragen in der Pessach-Hagada.

10 Ebd. 106ff. 11 Ebd., 70. 12 Karin Finsterbusch, Die kollektive Identität und die Kinder, in: M. Ebner u.a. (Hg.), Gottes Kinder, Neukirchen-Vluyn 2002, 99–120.

Büttner Zwischen Pädagogik und Theologie

Dabei treten zwei wichtige Merkmale in den Vordergrund, die eine deutliche Differenz zu Schweitzers Programm markieren: Die Erinnerung an das Exodusereignis lässt sich nur als explizite Differenz markieren. 1. Wir, die von JHWH Geretteten haben nichts mit unseren ägyptischen Verfolgern gemein! 2. Wir realisieren dies, indem wir die Gebote der Thora befolgen! Wir wissen von Michael Frickes Studie, dass dies vielen Religionslehrer/innen Schwierigkeiten bereitet.13 Und der Gedanke einer Orthopraxie im Sinne der Gebotserfüllung ist im aktuellen religionspädagogischen Diskurs kaum vertretbar. Andererseits macht dies auch verständlich, dass die von David Heller befragten jüdischen Kinder nicht willens waren, ihren Gott mit dem der Christen zu identifizieren.14 4. Implizite Theologien als Element eines ›sozialen Vorstellungsschemas‹

Schweitzers Programm ist nicht voraussetzungslos. Für den theologischen Experten wird etwa deutlich, dass seine Ausführungen zum interreligiösen Lernen15 nicht von einer exklusivistischen Perspektive ausgehen, die für ›Ungläubige‹ ein negatives Geschick erwartet. Aus den zitierten pädagogischen Kriterien lässt sich erschließen, dass eine autoritäre, strafende Gottesvorstellung abgelehnt wird. Schweitzer bewegt sich damit durchaus im religionspädagogischen Mainstream. Renommierte Kolleginnen präsentieren theologische Anregungen für eine inklusivistische Sicht Gottes16 und Grundschullehrer/innen sind gewillt, die ›schwierigen‹ Texte der Bibel wegzulassen, wenn sie nicht dieser ›theological correctness‹ entsprechen17.

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Andererseits beobachtet eine muslimische Religionspädagogin kritisch, wie weit sich in den Gottesbildern muslimischer Kinder (noch) Elemente einer autoritären Gottesvorstellung finden.18 Dies ist nun keineswegs selbstverständlich. Traditionelle Theorien wie Freuds Psychoanalyse rechnen mit Gottesbildern, die eher Moralität und Kontrolle repräsentieren. Doch bei den jüngeren Untersuchungen findet man solche Vorstellungen fast nur noch in pathologischen Einzelfällen bzw. konzentriert auf bestimmte religiöse Gruppen.19 Da der so vermittelte ›liebe Gott‹ 13 Michael Fricke, Schwierige Bibeltexte im Religionsunterricht. Theoretische und empirische Elemente einer alttestamentlichen Bibeldidaktik für die Primarstufe, Göttingen 2005, 499ff. Zur Notwendigkeit der Zeichnung einer Gegenfigur vgl. Gerhard Büttner, Pfui Pharao – der Pharao des Exodus als der exemplarisch Böse, in: ders. (Hg.), Zwischen Nachbarschaft und Abgrenzung – fremde Religionen in der Bibel. Ein Symposion zu Ehren von Hans Grewel, Berlin/Münster 2007, 39–49. 14 David Heller, The Children’s God, Chicago / London 1986, 20f. 15 Schweitzer (Anm. 5), 69ff. 16 Albert Biesinger / Helga Kohler-Spiegel (Hg.), Gibt‹s Gott? Die großen Themen der Religion. Kinder fragen – Forscherinnen und Forscher antworten, München 2007. 17 Fricke (Anm. 13). 18 Fahima Ulfat, Die Selbstrelationierung muslimischer Kinder zu Gott. Eine empirische Studie über die Gottesbeziehungen muslimischer Kinder als reflexiver Beitrag zur Didaktik muslimischen Religionsunterrichts, Paderborn 2017. 19 Für den Mainstream dürfte die Aussage von Helmut Hanisch, Die zeichnerische Entwicklung des Gottesbildes bei Kindern und Jugendlichen, Stuttgart/Leipzig 1996, 201 gelten: »Aggressive Züge Gottes lassen nur wenige Bilder erkennen. Daraus ergibt sich die Schlussfolgerung, dass Gott in erster Linie in märchenhafter Distanz dargestellt wird, der mit dem Leben der Menschen nichts zu tun hat oder der zu schwach ist, auf das Geschehen auf der Erde einzugreifen.«

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

aber nicht ganz kompatibel ist mit den oft unerfreulichen Geschehnissen auf der Welt, ergeben sich dann oft eher tastende Versuche kindgemäße Deuteangebote zu formulieren.20 Die von mir herangezogenen Belege stützen die Hypothese, dass der religionspädagogische Mainstream explizit oder implizit einer Theologie verpflichtet ist, die sich sichtlich bemüht, dem Kindeswohl zu entsprechen. Dabei stützt sie sich auf ein bestimmtes Bild vom Kind und von der Rolle der Erziehungspersonen. Diesem ordnet sie dann funktional eine ›passende‹ Religion zu. Man könnte hier von Modellen sprechen – doch hätte dies zur Voraussetzung, dass die verschiedenen Konzepte, Programme und Praxen das Ergebnis von Theorie sei. Diese spielt zwar eine Rolle, doch es sind auch Moden und implizite Trends, die hier bestimmend sind. Zur Beschreibung dieser Gemengelage möchte ich deshalb den Begriff des ›sozialen Vorstellungsschemas‹ vorschlagen – die etwas hölzerne Übersetzung des Wortes ›social imaginary‹. Der Sozialphilosoph Charles Taylor beschreibt den Begriff so:21 »Von einem ›Vorstellungsschema‹ spreche ich [.] deshalb, weil ich von der Art und Weise rede, in der sich normale Menschen ihre soziale Umgebung ›vorstellen‹ und diese Vorstellung wird oft nicht in theoretischer Terminologie ausgedrückt, sondern in Bildern, Geschichten, Legenden und so weiter überliefert.«

Im Gegensatz von Theorien, die eher kleinen Gruppen zuordenbar sind, handelt es sich hier um das, was die Leute so denken und glauben.

»Das soziale Vorstellungsschema ist jene gemeinsame Auffassung, die gemeinschaftliche Praktiken und ein weitverbreitetes Gefühl der Legitimität ermöglicht.«

Taylors Gebrauch des Begriffs umfasst dabei explizit auch die Art und Weise, in der Menschen einer bestimmten Epoche ihr Verhältnis zu Gott bestimmen und daraus lebenspraktische Konsequenzen ziehen.22 Es scheint mir von daher sinnvoll am Beispiel der religiösen Erziehung in Kindergärten und Familien von der Hypothese auszugehen, dass diese weit verbreitete Praxis durch bestimmte Merkmale gekennzeichnet ist, deren Mechanismen nur zum Teil bewusst sind. Doch nur unter der Voraussetzung, dass es gelingt diese zumindest teilweise zu erhellen, ist dann eine theologische und pädagogische Selbstreflexion möglich. 5. Karen Marie Yust: Skizze der religiösen Erziehung in den USA als Muster

Karen Marie Yust hat es unternommen, die Praxis der religiösen Erziehung in der Weise zu fassen, dass sie nicht nur 20 Anton A. Bucher, »Da hat der liebe Gott einen Wutanfall gehabt« – Gewalttexte in der Bibel. Zwischen Faszination und Trauma, in: JaBuKi 2 (2003), 64–74; Friedrich Schweitzer, Brauchen Kinder auch einen bösen Gott? Gottesbilder in der religiösen Erziehung jenseits der »Gottesvergiftung«?, in: Werner Tzscheetzsch (Hg.), Kinder und das Böse. Schule – Medien – Religion, Freiburg i.Br. u.a. 2009, 22–44. 21 Charles Taylor, Ein säkulares Zeitalter, Frankfurt a.M. 2009, 296. 22 Man kann hier etwa an Webers Beobachtung zum ›kapitalistischen Geist‹ bestimmter calvinistischen Gruppen denken.

Büttner Zwischen Pädagogik und Theologie

nach den Absichten der Erziehungspersonen fragt, sondern Praxis und Resultat begrifflich zu fassen versucht. Ich gehe an dieser Stelle davon aus, dass es angemessen ist, die von Yust skizzierte Praxis als ein ›soziales Vorstellungschema‹ im Sinne Taylors zu begreifen. Die Signaturen dieses Schemas entnimmt sie einer großen empirischen Studie über US-amerikanische Teenager. Charakteristisch für diese sind demnach fünf Punkte:23 »1. Es existiert ein Gott, der die Welt geschaffen und wohlgeordnet hat und über das menschliche Leben auf Erden wacht. 2. Gott möchte, dass die Menschen gut, freundlich und fair miteinander umgehen, wie es die Bibel und die meisten anderen Weltreligionen lehren. 3. Das zentrale Lebensziel ist, glücklich zu sein und sich gut zu fühlen. 4. Gott muss nicht unbedingt in alle Einzelheiten des Lebens involviert sein, außer wenn er benötigt wird, ein Problem zu lösen. 5. Gute Menschen kommen, wenn sie sterben, in den Himmel.«

Man könnte nun dieses Resultat als eine Variante der Adoleszenzentwicklung betrachten – etwa im Sinne von Osers ›Deismusstufe‹ –, doch Karen-Marie Yust geht der Hypothese nach, dass diese Einstellung auch die religiöse Erziehung der Kinder bestimmt. So geht es den Eltern um ›sichere Räume‹ mit ›guten Kindern‹, wenn sie sich bei kirchlichen Einrichtungen orientieren – im Gegensatz zu eher gefährlichen Schulumwelt. So meint eine Mutter, es gehe ihr eher um Sozialisation als um Glauben.24 Wir sehen die Habitualisierung einer Vorstellung, nach der entsprechender Konsum glücklich macht und ein gutes Selbstwertgefühl erzeugt.25

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Dieser Konsumismus führt zum Verlust an Verbindlichkeit und an Interesse für die Vergangenheit und Zukunft. In den Curricula der Sonntagsschulen sieht Frau Yust eine Einengung der biblischen Geschichten auf moralisch gemeinte Kernsätze: Moral statt Frömmigkeit als Ziel.26 Doch zielt die Moralität auf Anpassung an die Kategorien von ›Anständigkeit‹ und ist nicht zurückgebunden an ein theologisches Konzept von Gerechtigkeit, dessen Realisierung mit dem biblisch begründeten Gottesglauben verbunden sein sollte. Durch Verzicht auf ein ›inkarnatorisches Verständnis von Gott‹27, das mit Gott in den Alltagssituationen des Lebens rechnet, wird die religiöse Unterweisung eher unverbindlich. Insofern verwundert es nicht, dass Karen-Marie Yust in ihrer Studie immer wieder auf eine weitgehende Abwesenheit theologischer Reflexion stößt. Wenn man Gott mit den realen Konflikten der kindlichen Welt in Verbindung brächte, käme man – so Yust – nicht darum herum, diese theologisch so zu diskutieren, dass deutlich würde, dass die Beziehungen zwischen Gott und Mensch und Mensch und Mitmensch so einfach nicht zu beschreiben und zu verstehen sind. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass Yusts Konse23 Karen-Marie Yust, God is not your Devine Butler and Therapist! Countering »Moralistic and Therapeutic Deism« by Teaching Children the Art of Theological Reflection, in: A. Dillen / D. Pollefeyt (Hg.), Children’s Voices. Children’s Perspectives in Ethics, Theology and Religious Education, Löwen u.a. 2010, 49–70, 49 zitiert dabei Christian Smith, Soul Searching. The Religious and Spiritual Vlives of American Teenagers, New York 2005, 162f. 24 Ebd., 50. 25 Ebd., 52. 26 Ebd., 53f. 27 Ebd., 55.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

quenz aus ihrer Analyse der Erziehungspraktiken in kirchlichen Institutionen in einem Postulat für ein echtes Theologisieren mit den Kindern schließt. Für meine Argumentation sind mir folgende Punkte wichtig: In einem Land, in dem ein Großteil der religiösen Erziehung in kirchlichen Institutionen stattfindet, existiert offenbar die Mainstream-Attitüde einer bestimmten ›bürgerlichen Religion‹, die sich auch in den Erziehungspraktiken niederschlägt. Geprägt ist sie von einem Gottesbild, das hoch kompatibel ist mit den Ansprüchen einer Konsumwelt mit ihren Glücksversprechen und Ansprüche an eine bestimmte Orthopraxie weitestgehend vermeidet. Man kann darüber streiten, ob das hier sichtbar werdende Programm dem ›Recht des Kindes auf Religion‹ im Sinne eines Bildungsprogramms entspricht. Yust gibt zumindest zu bedenken, dass es den Ansprüchen einer biblisch begründeten christlichen Theologie nicht entspricht. Ich möchte Yusts Argumentation gerne perspektivieren in die Unterscheidung Hans Eckehard Bahrs: der Religion 1 und der Religion 2.28 Diese beiden Typen von Religion sieht er konfligierend nebeneinander. Religion 1 sieht er als eine ›Rückwärts-Erinnerung‹ im Dienste der Identitätsstiftung. Die Orientierung am »uralt Tradierten« entspringt demnach »dem Sicherheits- und Geborgenheitsbedürfnis des Menschen«.29 Es fällt nicht schwer in dieser › Religion 1‹ das von Yust geschilderte Muster zu identifizieren. Die Alternative einer ›Religion 2‹ sieht Bahr in einer zukunftsorientierten »Anlehnung nach vorne«:30 »Die biblischen Hoffnungsbilder verheißen eine Realität, vor der die gesellschaftliche

Wirklichkeit als schlechtes Gegenteil erscheinen muss.«

Diese ›Religion 2‹ möchte Yust in der religiösen Kindererziehung finden und stark machen. 6. Religiöse Vorschulerziehung als Element eines sozialen Vorstellungsschemas

Ich habe versucht zu zeigen, dass die religiösen Praxen und die pädagogischen Theorien jeweils Teil eines nur z.T. bewussten Programms sind, mit dem die Gesellschaft versucht, die nächste Generation zu formen. Dabei zeigte der Befund in den USA eine gewisse Diskrepanz zwischen Pädagogik und Theologie. Im europäischen Kontext treten andere Faktoren auf den Plan. Die christliche Vorschulerziehung in Kindertagesstätten findet statt im Kontext religiöser Pluralität und einer verbreiteten Religionslosigkeit. Wie lässt sich das von Schweitzer erhobene Postulat des ›Rechts des Kindes auf Religion‹ realisieren in staatlichen Kindergärten und in kirchlichen mit dem Auftrag, alle Kinder aufzunehmen. Ich werde dazu erst drei konzeptionelle Ansätze kurz referieren und abschließend aus der dokumentierten Praxis versuchen die implizite Pädagogik und Theologie zu erschließen.

28 Hans Eckehard Bahr, Ohne Gewalt, ohne Tränen? Religion 1, Religion 2, in: ders. (Hg.), Religionsgespräche. Zur gesellschaftlichen Rolle von Religion, Darmstadt / Neuwied 1975, 3164. 29 Ebd., 42. 30 Ebd., 34 bzw. 38.

Büttner Zwischen Pädagogik und Theologie

Sturla Sagberg verweist darauf, dass das Curriculum für den Kindergarten in Norwegen explizit die christlichen Werte und die christlichen Feiertage und Traditionen als Inhalte u.a. vorgibt.31 D.h. für ihn, dass dies genügend Anlässe schafft, um ausdrücklich mit den Kindern ein religiöses Programm christlicher Couleur zu veranstalten. Dazu rechnet er mit Erzieherinnen, die in genügender Zahl bereit sind, in authentischer Weise über ihren Glauben zu sprechen. Insoweit hier jeweils von Anknüpfungen in der kindlichen Lebenswelt auszugehen ist, situiert Sagberg diese Praxis im Rahmen einer kontextuellen Theologie. Sagbergs Argumentation ist nicht ohne weiteres für andere Länder übertragbar. Während in Norwegen wohl am ehesten in Oslo mit Kindergärten zu rechnen ist, in denen eine christliche Orientierung nicht zur lokalen Prägung zählt, ist die Situation in Deutschland wesentlich bunter. Insofern setzt man dort konzeptuell – im Sinne des zu Beginn Gesagten – an der religiösen anthropologischen Grunddisposition der Kinder an. D.h., es wird angenommen, dass Gespräche, die die existenzielle Dimension betreffen, gewissermaßen automatisch eine religiöse Dimension haben. Es kommt also – ähnlich wie bei Sagbergs Authentizitätspostulat – jetzt darauf an, dass die Erzieherinnen ›religionssensibel‹ reagieren. Ähnliches formuliert Noemi Bravená mit ihrem pädagogisch argumentierenden Postulat der ›Transzendenzsensibilität‹32 bei der Arbeit in der Kita. Ich setze mich im Folgenden mit der grundlegenden Arbeit von Angela Kunze-Beiküfner auseinander, die Theorie und Praxis der religiösen Bildungsarbeit im Kindergarten umfassend dokumentiert hat.33 Ihr theoretischer Leitbegriff ist der der ›religionssensiblen Erziehung‹34 Sie übernimmt

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ihn von drei katholischen Religionspädagogen. Bestimmend ist die Rezeption der Arbeit von Judith Weber, die den Gedanken der religionssensiblen Bildung speziell für die Kitas ausgearbeitet hat.35 Sie fußt wie Katrin Bederna36 auf den Vorarbeiten von Martin Lechner, der das Konzept im Kontext der Jugendhilfe entwickelt hat.37 Kunze-Beiküfner spricht mit Bederna von einer »grundlegende[n] und erlernbare[n] Empfindungsfähigkeit für Religion, als einer Kompetenz, die die Erzieherinnen erlernen können.38 Mit Judith Weber ist damit das religionspädagogische Handeln primär pädagogisch motiviert.39 Mit Lechner trifft sie die Unterscheidung in drei Stufen des ›weit gefassten Religiösen‹«:40 31 Sturla Sagberg, Vermittlung der Guten Nachricht im Vorschulbereich, in: JaBuKiJu 1 (2018), 92–102, 97. 32 Noemi Bravená, »Do not be concerned only about yourself …« Transendence and its Importance for the Socialization and Formation of a Child’s Personality, Kassel 2019. 33 Angela Kunze-Beiküfner, Kindertheologischsensitive Responsivität pädagogischer Fachkräfte in Kindertagesstätten. Eine Untersuchung zur Praxis des Theologisierens in Kindertagesstätten, Leipzig 2017. 34 Ebd., 49ff. 35 Judith Weber, Religionssensible Erziehung in Kindertageseinrichtungen. Eine empirischqualitative Studie zur religiösen Bildung und Erziehung im Kontext der Elementarpädagogik, Münster/New York 2014. 36 Katrin Bederna, Religionssensible Erziehung – Bedeutung für die Frühpädagogik, in: dies. / Hildegard König (Hg.), Wohnt Gott in der Kita? Religionssensible Erziehung in Kindertagesstätten Berlin/Düsseldorf 2009, 13–28. 37 Martin Lechner / Angelika Gabriel (Hg.), Religionssensible Erziehungsimpulse aus dem Forschungsprojekt »Religion in der Jugendhilfe« (2005–2008), München 2009. 38 Kunze-Beiküfner, 50. 39 Ebd., 54. 40 Ebd., 49f.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

»Ausgehend von einer anthropologischen Deutung wird Religiosität in der ersten Stufe der religionssensiblen Erziehung als ›Existenz- oder Lebensglaube› gefasst. Die zweite Stufe des ›Transzendenz- oder Gottesglaubens‹ basiert auf einem phänomenologischen Religionsbegriff und die dritte Stufe, die als ›Konfessions- oder Gemeinschaftsglaube‹ bezeichnet wird, beruht auf einer substantiellen Deutung von Religion.«

Es ist leicht ersichtlich, dass dieses Programm an ein Verständnis von Spiritualität als anthropologische Grunderfahrung anknüpft und situativ Angebote zu deren begrifflicher Verarbeitung macht. Dafür bedarf es auf Seiten der Erzieherinnen erst einmal nur einer philosophisch oder religionswissenschaftlich begründeten Semantik. Man kann ›Weihnachten‹ als christliches Fest erklären, ohne alle Inhaltspunkte selbst glaubend nachzuvollziehen. Nicht zufällig nimmt Kunze-Beiküfner an dieser Stelle dann explizit auf die Kindertheologie Bezug.41 Wir werden zu fragen haben, ob dies nur in einem pädagogischen Referenzrahmen erfolgt oder auch in einem theologischen. Angela Kunze-Beiküfner gibt Einblick in die konkrete Arbeit einzelner Erzieherinnen. Davon möchte ich zwei Vignetten vortragen. Frau Clemens berichtet vom Morgenkreis in einer Kita, wo die meisten Kinder aus nichtreligiösen Familien stammen:42 »Und wir machen es immer so, wer möchte, und meistens lassen sich die Kinder begeistern: Holt mal euer Kissen, wir wollen jetzt wieder unseren Morgenkreis machen. Und dann haben wir jetzt immer so eine Kerze in die Mitte gestellt und die Kinder die fassen sich um, in so einem Kranz ist das, und da haben wir unsere Kerze drinnen, und das ist wie so ein Ritual, und dann wird so

ein kleines oranges Tuch hingelegt, so ähnlich wie mit diesen Bodenbildern. Und dann setzen wir uns auf die Sitzkissen. Bis jetzt waren eigentlich immer alle Kinder dabei. Also meistens alle, die es wollen. Wir haben dann mit einem Lied angefangen, ›Gott ist da, Hurra‹ singen wir immer.«

Dieses Ritual lässt das ›religionssensible‹ Programm gut erkennen. Es eröffnet einen Erfahrungsraum, dessen ›Außer­ alltäglichkeit‹ gut nachvollziehbar ist und macht mit dem Lied ein vorsichtiges Deuteangebot. Auf der Grundlage solcher Erfahrung kann dann auch die Semantik biblischer Narrative aufgenommen werden. So inszeniert die Erzieherin zusammen mit Kindern im Zusammenhang mit dem Passionszyklus die Geschichte vom leeren Grab. Als Assistenz ist die Pfarrerin anwesend. Doch für Frau Clemens ergibt sich ein Problem:43 »Bloß wir haben uns dann schwergetan, als die Kinder uns dann fragten, wieso ist denn das leer, das Grab, was ist eigentlich, hatten wir dann nicht die richtige Erklärung manchmal.«

Hier wird ein Problem sichtbar, das auch Schweitzer angesprochen hat: die Unsicherheit der Erziehungspersonen. Für die Beispiele von Kunze-Beiküfner heißt das, dass die Wahrnehmung solcher Unsicherheit in der Regel die Lernchance eröffnet. Wo es möglich wird, mit den Kindern zusammen Lösungen zu suchen, führt das in der Regel dazu, dass auch die Erzieherinnentheologie reicher und

41 Ebd., 60ff. 42 Ebd., 275. 43 Ebd., 277.

Büttner Zwischen Pädagogik und Theologie

differenzierter wird. Die Schwierigkeiten dieses Prozesses möchte ich anhand der Deutung von Naturerfahrungen der Kinder thematisieren. Die Szene hat ein Vorspiel im Garten:44 »Im Freien entdecken die Kinder Käfer und Würmer und zeigen sie uns. – Frau Abel reagiert erfreut und interessiert auf die Entdeckungen der Kinder, während eine andere Erzieherin ihren Ekel bekundet.«

Die Frage stellt sich, wie eine solche Erfahrung religionssensibel aufgenommen werden kann. Die Erzieherin beginnt mit einer Kinderbibel zum Thema Schöpfung:45 »Frau Abel zeigt ein Bild in der Kinderbibel und fragt die Kinder, was da passiert sei. Zunächst kommen die Kinder etwas durcheinander, weil sie mit der Paradiesgeschichte beginnen (sie erwähnen Adam und Eva, die Schlange und Gott, der sagt: ›Raus aus meinem Garten‹). Frau Abel möchte aber mit der Entstehung der Welt nach dem ersten Schöpfungsbericht beginnen. Auf ihre Fragen (z.B. ‹Was hat Gott alles gemacht?‹, ›Welche Farbe hat der Himmel?‹, ›Was fehlt jetzt noch auf dem Land?‹, ›Was gibt es denn alles für Tiere?‹) geben die Kinder kurze Antworten, die eher einer Aufzählung gleichen.«

Die mangelnde Souveränität bei der Unterscheidung der Schöpfungserzählungen erschwert es den Kindern offensichtlich, an ihre eigenen Erfahrungen anzuknüpfen. Dies zeigt sich auch in der ansonsten sehr gelungenen Malszene (wo die Erzieherin von einem historisch gemeinten Damals spricht):46 »Bei der Betrachtung des Bildes, das nun fast völlig mit Farbe bedeckt ist, fragt Frau Abel die Kinder:

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A: Schön sieht sie aus, unsere Erde. Aber wie findet ihr denn die Mitte? Die Kinder finden sie leer und Bernd schlägt vor, Autos hineinzustellen. Diese Idee wird von Frau Abel verworfen. A: Ach, Autos! Die gabs doch damals noch gar nicht. Was können wir sonst in die Mitte stellen? Was stellen wir immer in die Mitte? Kinder rufen: Eine Kerze. A: Warum stellen wir eine Kerze hinein? Franz: Weil es Nacht ist. A: In der Nacht leuchten der Mond und die Sterne. Für wen stellen wir die Kerze rein? Bernd: Für den Gott. A: Für den Gott! Der Himmel und Erde gemacht hat. Genau, und dann leuchtet er in der Mitte über die ganze Welt.«

7. Einordnung der Befunde

Wie sind diese Befunde einzuordnen – etwa im Vergleich zu denen von KarenMarie Yust? Die Studie von Angela Kunze-Beiküfner mag die Voraussetzungen einer mehrheitlich religionsdistanzierten Region in etwa widerspiegeln. Man müsste also unbedingt solche aus eher multireligiösen Milieus47 dazufügen, um umfassendere Aussagen machen zu können. Man erkennt aber einige wichtige Merkmale von ›Kindergartenreligion‹. Es sind spezifische Praktiken, die die44 Ebd., 195. 45 Ebd., 196. 46 Ebd., 198. 47 Katja Dubiski u.a., Religiöse Differenzwahrnehmung im Kindesalter. Befunde aus der empirischen Untersuchung im Überblick, in: Anke Edelbrock u.a. (Hg.), Wie viele Götter sind im Himmel? Religiöse Differenzwahrnehmung im Kindesalter, Münster/New York 2010, 23–38.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

se prägen, z.B. Stuhlkreis, Bodenbilder etc. Diese dürften sich signifikant von anderen, z.B. häuslichen oder kirchlichen unterscheiden. D.h., dass die hier gelernte Religion eingebettet ist in ein spezifisches Praxisfeld – Jerome Bruner spricht hier von Formaten.48 Diese Praktiken orientieren sich zweifellos an einem pädagogischen Programm im Sinne des hier skizzierten von Friedrich Schweitzer. Gerade die Studie von Kunze-Beiküfner macht aber deutlich, dass die Entwicklung von eher autoritären zu theologisierenden Praktiken mit einer Qualifizierung der Erzieherinnen verbunden ist, weil nur so deren Unsicherheit überwunden werden kann. Gerade an dieser Frage dürfte es auch hängen, ob wir hier eher einer Religion 1 oder einer Religion 2 begegnen. Insgesamt gesehen wird das Programm einer religiösen Erziehung wahrscheinlich immer eher die bewahrenden Züge von Religion stark machen – auch aufgrund des Alters der Kinder.49 Für einen Rückschluss auf eine generell sichtbar werdende Tendenz religiöser Kommunikation im Sinne Yusts reichen die hier referierten Daten wohl eher nicht. Der theologische Blick auf diese Praxis stellt fest, dass der Begriff der ›Religionssensibilität‹ durchaus voraussetzungsreich ist. Er fußt letztlich auf der Annahme, dass jedes Kind bereits eine ›natürliche Religiosität‹ mitbringt, die sich erst einmal nicht explizit äußern muss. Es liegt nun in der Erziehung, die Manifestationen von Religion individuell oder in der Gruppe ausfindig zu machen, die anschlussfähig sind für eine entsprechende Sprache und Semantik. Diese Semantiken kommen dann – je nach konfessioneller Ausrichtung und

Pluralität der Einrichtung als Sprachangebot zu den Kindern. In theologischer Terminologie würde man hier von natürlicher Theologie und Offenbarungstheologie sprechen. Es ist von daher kein Wunder, dass der Theorieansatz zur ›religionssensiblen Erziehung‹ katholischer Provenienz ist. Da er – auch im Sinne der zahlreichen Befunde zu kindlicher Spiritualität50 – eine gewisse empirische Plausibilität aufweist, ist es nicht überraschend, dass er sich auch im evangelischen Diskurs bewährt.51 Das ist keinesfalls selbstverständlich und erklärt sich zum Teil damit, dass der elementarpädagogische Diskurs quasi am Rande der Religionspädagogik geführt wird. Dabei halte ich den Ansatz einer religionssensiblen Erziehung in seiner theologisch-pädagogischen Konstruktion durchaus verwandt mit dem Konzept, das Hubertus Halbfas vor Jahrzehnten für den Grundschulbereich vorgelegt hat und das damals evangelischerseits nicht zuletzt wegen seiner ›natürlichen Theologie‹ heftige Kritik hervorrief.52 48 Jerome Bruner, Wie das Kind sprechen lernt, Bern u.a. 22002. 49 Dies legen die Entwicklungskurven bei Carsten Gennerich nahe, wenngleich diese auf der Basis von Daten Jugendlicher gewonnen wurden. Vgl. Carsten Gennerich, Empirische Dogmatik des Jugendalters. Werte und Einstellungen Heranwachsender als Bezugsgröße für religionsdidaktische Reflexionen, Stuttgart 2010. 50 Rebecca Nye, Children’s Spirituality. What it is and why it matters, London 2009. 51 In diesem Sinne Karl-Ernst Nipkow, Kinder und Transzendenz – Spuren natürlicher Religion, in: ders., Gott in Bedrängnis? Zur Zukunftsfähigkeit von Religionsunterricht, Schule und Kirche, Gütersloh 2010, 137–144. 52 Hubertus Halbfas, Das dritte Auge. Religionsdidaktische Anstöße, Düsseldorf 71997.

Kunze-Beiküfner Theologisieren mit Kindergartenkindern im Kontext alltagsintegrierter religiöser Bildung

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Angela Kunze-Beiküfner Theologisieren mit Kindergartenkindern im Kontext alltagsintegrierter religiöser Bildung

1. Christliche Kindertagesstätten in der Bundesrepublik

Christliche Kindertagesstätten sind in Europa keine Selbstverständlichkeit – in vielen europäischen Ländern sind sie eher eine Ausnahme.1 In Ländern wie z.B. Finnland, in denen im Jahr 2017 noch ca. 72% der Bevölkerung zur evangelischlutherischen Kirche gehörten2, gibt es nach Angaben von Iikka Tahavanainen, Verantwortlicher in der Kirchenleitung für die Arbeit mit Kindern, trotz der großen Bedeutung der Elementarbildung im Land keine konfessionellen Einrichtungen für diese Altersgruppe. Auch viele andere Teilnehmer/innen aus den europäischen Nachbarländern, denen ich auf der jüngsten Konferenz der ECCE (European Conference on Christian Education) im Mai 2019 in Berlin begegnet bin, bestätigten diesen Befund. In Deutschland steigt dagegen die Zahl der Kindertagestätten, die sich in einer konfessionellen Trägerschaft befinden, nach wie vor leicht an (zwischen 2006 und 2016 kamen 251 Einrichtungen im Bereich EKD/Diakonie hinzu). Die evangelische Kirche und die Diakonie sind mit 15,9% nach den öffentlichen Trägern (33%) und der Caritas/ Katholischen Kirche (16,8%) bundesweit der drittgrößte und nach wie vor stetig wachsende Träger. In Einrichtungen der EKD/Diakonie und Katholischer Kir-

che/Caritas werden ca. 1.149 Millionen Kinder von mehr als 190 000 Fachkräften betreut.3 Dabei gibt es große regionale Unterschiede: Zum Stichtag 1.3. 2016 gab es in Ostdeutschland nur 10,5% evangelische Einrichtungen und 3,4% katholische Einrichtungen.4 Aber in den ostdeutschen Bundesländern, in denen ein mehrheitlich konfessionsloser Kontext seit vielen Generationen die Normalität ist, sind gerade diese christlichen Kindertagesstätten von großer Bedeutung – sie sind oft die einzige Brücke zwischen der säkularisierten Gesellschaft und den christlichen Kirchen, denn auch in den christlichen Kitas kommt die Mehrheit der Kinder aus konfessionslosen Familien. In diesem Kontext muss das Konzept einer religionspädagogischen Begleitung der Kinder die vorherrschenden Ängste der Eltern vor dem christlichen Profil und den fehlenden Bezug zu einer konfessionellen Praxis besonders zu berücksichtigen. In den westdeutschen Bundesländern besuchen dagegen überdurchschnittlich 1 Eine Anfrage bei den zuständigen Behörden in Brüssel wurde leider noch nicht beantwortet, so dass ich nicht auf Statistiken verweisen kann. 2 Vgl. https://evl.fi/the-church/membership/thechurch-in-numbers 3 Vgl. Comenius-Institut (Hg.): Evangelische Tageseinrichtungen für Kinder. Empirische Befunde und Perspektiven, Münster/New York 2018. 4 Ebd., 23f.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

viele Kinder mit Migrationshintergrund eine evangelische Kindertagesstätte. Mehr als 27% der Kinder mit Migrationshintergrund, die eine Kita besuchen, hatten zu dem oben genannten Stichtag einen Platz in einer evangelischen Kita.5 Dies bedeutet, dass die kulturelle, religiöse und ethnische Vielfalt für die Bildungsarbeit und für die religionspädagogische Begleitung eine große Herausforderung darstellt. 2. Bildungsverständnis

In den letzten zwei Jahrzehnten wurde intensiv um die Bedeutung der Elementarbildung gerungen und diskutiert. Zugespitzt gesagt gibt es zwei Positionen: Kinder müssen möglichst früh durch gezielte Anregungen und Angebote kognitiv gefördert und auf die Schule vorbereitet werden vs. Kinder lernen selbstmotiviert und benötigen in den jungen Jahren viel Freiraum und eine individualisierte Begleitung zur Entfaltung ihrer Persönlichkeit. In den elementarpädagogischen Bildungsplänen, die es für jedes Bundesland gibt, findet sich zumeist ein Kompromiss zwischen diesen beiden Ansätzen. Dabei werden der Einfluss der Umwelt, in der die Kinder aufwachsen, und die sehr unterschiedliche kognitive Entwicklung bei Kindern im Vorschulalter berücksichtigt. Viele elementarpädagogische Bildungspläne werden ausdrücklich nicht als Bildungspläne bezeichnet, sondern sehen sich als Bildungsprogramme (Berlin, Saarland, Sachsen-Anhalt), als Bildungsempfehlungen (Hamburg, Reinland-Pfalz), als Rahmenplan (Bremen), als Bildungskonzeption (Mecklenburg-

Vorpommern), als Grundsätze elementarer Bildung (Brandenburg), als Leitlinien oder Leitfaden (Schleswig-Holstein, Sachsen), als Orientierungsplan (vgl. Baden-Württemberg, Niedersachen) mit jeweils sehr unterschiedlicher Verbindlichkeit. Manche Pläne beziehen ausdrücklich auch Kinder im Grundschulalter ein und sind für Kinder im Alter bis zehn Jahre zugeschnitten (NordrheinWestfalen, Mecklenburg-Vorpommern, Hessen) und in Thüringen sogar für Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre.6 Aufgrund dieser Unterschiedlichkeit lassen sich nur sehr allgemeine Grundzüge zusammenfassen. Vor allem in der Bewertung der Ko-Konstruktionsprozesse bezüglich der Gewichtung des sozialen Einflusses und der Selbstbildungsprozesse gibt es inhaltliche Unterschiede. Allen Bildungsplänen gemeinsam ist, dass sie die Bildungsarbeit ins Zentrum stellen – mit unterschiedlicher Bezeichnung (»Bildungsbereiche«, »themenbezogene Förderschwerpunkte« o.ä.). Etwas ironisch merkt Detlef Diskowski, der die Bildungspläne in einer Studie verglichen hat, an: »Es ist bemerkenswert, dass bei aller Unterschiedlichkeit der Vorhaben, bei allen Differenzen der Urheber der jeweiligen Entwürfe und dem vollständigen Fehlen jeglicher Absprache oder gar Abstimmung, doch diese Gemeinsamkeit besteht.«7 5 Vgl. ebd., 95. 6 Vgl. auch https://www.laendermonitor.de/de/ vergleich-bundeslaender-daten/landesrechtliche-regelungen/personal-und-einrichtungen/ bildungsplaene 7 Detlef Diskowski, Bildungspläne im Vergleich: Neuer Schwung für die Bildungsdebatte. Bildungspläne für den Kindergarten, in: Ludger Pesch (Hg.), Elementare Bildung. Grundsätze und Praxis (1), Weimar/Berlin 2005, 19.

Kunze-Beiküfner Theologisieren mit Kindergartenkindern im Kontext alltagsintegrierter religiöser Bildung

Übereinstimmung in allen Bildungsund Orientierungsplänen gibt es aber auch für das ›Bild vom Kind‹. Kinder werden grundsätzlich als lernbereit und kompetent beschrieben. Es wird davon ausgegangen, dass Kinder im Vorschulalter über einen »großen Vorrat an entfalteten Wissensstrukturen [verfügen], mit deren Hilfe sie die Welt […] differenziert wahrnehmen und interpretieren können.«8 Von besonderer Bedeutung für die kognitive Entwicklung sind die Kenntnisse über bereichsspezifische Theorien und der Zusammenhang von Wissen und den intuitiven Theorien der Kinder. Aus konstruktivistischer Perspektive wird die kindliche Entwicklung nicht als eine altersabhängige Abfolge verschiedener intellektueller Stadien gedeutet, sondern als ein Prozess eines bereichsspezifischen Theoriewandels. Durch die Integration neuen Wissens und neuer Erfahrungen werden die kindlichen intuitiven Theorien immer wieder überarbeitet. Dies geschieht bevorzugt in Phasen der Offenheit für die Erschütterung des bisherigen Wissens. Diese Zeitfenster werden als Transitionalstadium bezeichnet. Um zu erkennen, wann sich die Kinder gerade in einer solchen Phase der Lernbereitschaft befinden, sollen Pädagoginnen darauf achten, wie Kinder Probleme lösen: Zeigen Kinder inkonsistente Problemlösungen, kann dies ein Hinweis dafür sein, dass das Kind unterstützende Impulse benötigt, um seine Theorien zu verändern.9 Die Theorie des konzeptuellen Wandels bietet auch die Erklärung dafür, warum Kinder manchmal trotz aller guten Hinweise und Begründungen an ihren »falschen« Theorien festhalten. Falsche Theorien sollten daher »nicht so-

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fort korrigiert werden, stattdessen sollten die Kinder durch die Konfrontation mit neuen Informationen, weiteren Objekten und Materialien stimuliert werden, ihre Vorstellungen an der Realität und an dem Wissen anderer zu überprüfen.«10 Die Selbstbildungsprozesse als individuelle Leistung der Kinder ereignen sich demnach nicht losgelöst von den sozialen Bezügen, sondern sie entstehen in interaktiven Konstruktionen, in Ko-Konstruktionen. Es gehört zu den Aufgaben der Erzieherinnen als KoKonstrukteurinnen, die Kinder zu motivieren, Erklärungen für ihre Theorien zu geben, um die Kinder in ihren Theorien und auch in ihren Fehlvorstellungen als Begleiterscheinungen des Lernprozesses zu verstehen.11 Erzieherinnen vermitteln »zwischen den Selbstbildungsprozessen des Kindes und den kulturellen Anliegen in der Erziehung.«12 Die Haltung der pädagogischen Fachkräfte ist dabei geprägt von dem Willen, dass das Kind gelingende Lernerfahrungen erlebt. Dabei sind Anteilnahme und das »Sich-berührenLassen« grundlegend. Die Ko-Konstruk8 Lilian Fried, Neue Perspektiven in der Frühund Elementarpädagogik, in: Lilian Fried (Hg.), Das wissbegierige Kind. Neue Perspektiven in der Früh- und Elementarpädagogik, Weinheim/München 2008, 9f. 9 Vgl. ebd., 192. 10 Ebd., 13. 11 Vgl. Henrik Saalbach / Miriam Leuchter / Elsbeth Stern, Entwicklungspsychologische Grundlagen der Didaktik für die ersten Bildungsjahre, in: Miriam Leuchter (Hg.), Didaktik für die ersten Bildungsjahre. Unterricht mit 4- bis 8-jährigen Kindern, Seelze/Zug 2010, 91. 12 Beate Andres, »Und woran würde ich merken, dass …?«, in: Hans-Joachim Laewen / Beate Andres (Hg.), Bildung und Erziehung in der frühen Kindheit, Weinheim/Berlin/Basel 2002, 356.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

tion wird in diesem Zusammenhang auch als ein Dialog zwischen Kindern und Erzieherinnen bezeichnet, als ein »Prozess der Verständigung und des Miteinander-Denkens«, der nicht nur in direkten Interaktionen stattfindet, sondern auch »die Beobachtungen der Erzieherin, die sich um Verstehen bemüht« einschließt.13 Eine hohe Bedeutung für die Entwicklung von Theorien und für die Aneignung von Wissen kommt daher dem Austausch und der Diskussion in Peers und in Gesprächen mit Erwachsenen zu. »Die Theorien der Kinder zu bestimmten Sachverhalten werden in der Kindergartengruppe zur Diskussion gestellt, was die Möglichkeit eröffnet, den Kindern ihre eigenen Denkkonzepte zu veranschaulichen und gegebenenfalls eine von ihnen selbst vollzogene Veränderung ihrer bisherigen Konzepte oder Theorien herauszufordern.«14

Pädagogische Fachkräfte sind in diesem Zusammenhang Bildungsbegleitende der Kinder. Von ihnen wird erwartet, dass sie sich auf die sehr individuellen Bildungsprozesse jedes einzelnen Kindes einlassen. Die pädagogischen Handlungskonzepte »sensitive Responsivität« und »Sustained Shared Thinking« knüpfen an diese Erkenntnisse an und geben eine pädagogische Handlungsorientierung für die pädagogische Interaktion mit Kindern. 3. Sensitive Responsivität und Sustained Shared Thinking

Die Begriffe »Responsivität« und »Sensitivität« haben sich in der aktuellen elementarpädagogischen Fachliteratur durchgesetzt, um gelingende Interak-

tionsprozesse zwischen Erzieher/innen und Kindern zu beschreiben.15 Während die Sensivität vor allem das Einfühlungsvermögen der Erzieherin beschreibt, betont der Terminus »Responsivität« ein Interaktionsverhalten der Erzieherin, dass das Kind ermutigt, Fragen zu stellen, nachzudenken und etwas auszuprobieren. Eine Erzieherin, die Kinder kompetent begleitet und fördert, muss sowohl sensitiv als auch responsiv sein, die Sensitivität ist gleichsam der Rahmen für die Responsivität. Während der Begriff »Responsivität« die Ansprechbarkeit, das Antwortverhalten und das Reagieren an sich in den Blick nimmt, betont der Begriff der »Sensitivität« auch die Angemessenheit der Reaktion im Hinblick auf die Rücksicht, Empfindsamkeit und Feinfühligkeit. Regina Remsperger beschreibt die Merkmale einer »sensitiven Responsivität« in Bezug auf die »generelle Haltung« der Erzieherin als Akzeptanz der Persönlichkeit des Kindes, als Interesse an den Bedürfnissen und Äußerungen des Kindes und als Respekt vor der Autonomie des Kindes während das »Involvement« definiert wird als ein hohes Engagement der Erzieherin, die Interaktion aufrechtzuerhalten. Zudem ergänzt Remsperger zwei weitere Faktoren: Das »emotionale Klima«, welches sich durch Empathie, Lob und Emotionalität auszeichnet sowie die Form der 13 Vgl. ebd. 14 Anke König, Interaktionsprozesse zwischen Erzieherinnen und Kindern. Eine Videostudie aus dem Kindergartenalltag, Wiesbaden 2009, 117f. 15 Vgl. Angela Kunze-Beiküfner, Kindertheologisch-sensitive Responsivität pädagogischer Fachkräfte, Leipzig 2017, 34–41.

Kunze-Beiküfner Theologisieren mit Kindergartenkindern im Kontext alltagsintegrierter religiöser Bildung

»Stimulation«, welche mit Begriffen wie Bestärkung und Herausforderung, beschrieben wird.16 Große Bedeutung für die Anregung von Lernprozessen hat das Einbringen von und gemeinsame Nachdenken über »offene Fragen«. Dabei hat sich die Interaktionsform »Sustained Shared Thinking« als besonders effizient erwiesen. Durch die Interaktionsform des »Sustained Shared Thinking« soll eine Dichotomie von kindzentrierter oder erwachsenenzentrierter Pädagogik zugunsten einer Intersubjektivität überwunden werden. Das »Sustained Shared Thinking« bezieht sich konsequent auf eine ko-konstruktivistische Deutung von Bildungsprozessen und »ermöglicht einen Lernprozess, an dem beide Subjekte in gleicher Weise aktiv beteiligt sind.«17 Iram Siraj-Blatchford, Professorin für »Early Childhood Education« an der »University of London«, ist eine der Pionierinnen dieser Interaktionsform. Im Rahmen des Projekts »Effective Provision of Pro-School Education« (SPPE) hat Siraj-Blatchford mithilfe von Videodokumentationen die Interaktionsprozesse zwischen Kindern und Erzieherinnen beobachtet. »Erwachsene und Kinder in den effektivsten Einrichtungen beteiligten sich häufiger an länger anhaltendem gemeinsamem Denken – Zeitabschnitte, in denen zwei oder mehr Individuen auf intellektuelle Art und Weise zusammenarbeiten, um ein Problem zu lösen, ein Konzept zu klären, Aktivitäten auszuwerten, Geschichten weiterzuführen. Während der Phasen des länger andauernden gemeinsamen Denkens tragen beide Seiten zu den Überlegungen bei, sie entwickeln und weiten den Diskurs aus.«18

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Anke König hat die Ergebnisse aus verschiedenen Studien19 zum »Sustained Shared Thinking« untersucht und kommt ebenfalls zu dem Ergebnis, dass diese Studien belegen konnten, dass »Interaktionsprozesse erst dann Lernprozesse wirklich unterstützen, wenn es gelingt, ›geteilte Denkprozesse‹ zu entwickeln. […] Die Interaktionsform ›Sustained Shared Thinking‹ [ist] als besonders effektives Handlungsmuster zur Unterstützung der kognitiven Entwicklung zu betrachten.«20 Michaela Hopf, die in einer Studie zum frühen naturwissenschaftlichen Lernen die Bedeutung der Interaktionsform des »Sustained Shared Thinking« untersucht hat, 21 weist explizit darauf hin, dass auch eine »direkte Unterweisung« kein grundsätzliches Gegenkonzept zum »Sustained Shared Thinking« darstellt, sondern dass sich beide Interaktionsformen ergänzen können.

16 Vgl. Regina Remsperger, Sensitive Responsivität. Zur Qualität pädagogischen Handelns im Kindergarten, Wiesbaden 2011, 138–141. 17 Anke König (wie Anm. 14), 125. 18 Iram Siraj-Blatchford, Effektive Bildungsprozesse. Lehren in der frühen Kindheit, in: Fabienne Becker-Stoll / Martin R. Textor (Hg.), Die Erzieherinnen-Kind-Beziehung, Berlin/ Düsseldorf/Mannheim 2007, 113. 19 Kathy Sylva u.a., The Effective Provision of Pre-School Education (EPPE) Project. London, 2003, URL: https://www.ioe.ac.uk/ Ratios_in_Pre-School_Settings_DfEE.pdf (Stand: 1.8.2014); Iram Siraj-Blatchford u.a.: Researching Effektive Pedagogy in Early Years (Research Report 356), London 2002. 20 Anke König (wie Anm. 14), 122. 21 Michaela Hopf, Sustained Shared Thinking im frühen naturwissenschaftlich-technischen Lernen, Münster/New York 2012.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

»Eine direkte Unterweisung, im Sinne eines Vorschlags oder auch einer gezielten Anleitung durch die Pädagogin, kann ein Kind dann weiterbringen, wenn es seine eigenen Vorstellungen und Ideen ausgeschöpft hat. An diesem Punkt sind vielleicht die Möglichkeiten für Sustained Shared Thinking aufgebraucht.«22

Die »Unterweisung« hat dann aber eher einen Impulscharakter – sie geschieht prozessorientiert und ist eingebunden in die gemeinsame Suche nach der Problemlösung. Als unterstützend für ein »Sustained Shared Thinking« hat sich in der Studie von Hopf die »moderatkonstruktivistische Lernumgebung, die sprachbewusste Grundhaltung der Pädagogin und die Arbeit in Kleingruppen« erwiesen.23 Aus der Perspektive einer kindzentrierten Pädagogik wird in Bezug auf die Interaktionsform des »Sustained Shared Thinking« besonders die Bedeutung der Haltung betont, mit der die Pädagoginnen in ein Gespräch gehen und Fragen stellen. Grundlegend ist eine dialogische und erkundende Haltung, die erkennen lässt, dass die Erzieherinnen ernsthaft versuchen, den Hypothesen der Kinder zu folgen. »Wahrscheinlich besteht sogar die wichtigste Bildungsaufgabe der Erzieherin darin, die Fragehaltung der Kinder nicht mit Antworten zuzuschütten, sondern sie zu erhalten. Das gelingt aber nur, wenn die Erzieherin selbst wieder zur fragenden Forscherin wird und sich mit Interesse und Spaß auf die nachdenklichen Gespräche einlässt, die dabei entstehen können.«24

Die Bedeutung der Fragehaltung und der Dialogbereitschaft wird in den verschiedenen Bildungsplänen und Bil-

dungsprogrammen der Bundesländer immer wieder hervorgehoben, wie hier am Beispiel des Bildungsprogramms von Sachsen-Anhalt, bei dem auch der Unterschied zu einer Pädagogik hervorgehoben wird, die suggerierte, dass sich die Welt naturwissenschaftlich und eindeutig erklären lässt: »Der Dialog mit den Kindern ist im Bildungsbereich Natur von grundlegender Bedeutung. Mit Kindern im Dialog nachzudenken, unterscheidet sich grundlegend von allen Formen der zielgerichteten Vermittlung und der autoritären Belehrung. […] Auch in der Natur gibt es keine absoluten Wahrheiten, können keine endgültigen Erklärungen gefunden werden und manche Fragen bleiben offen. Diese haben sich als ineffektiv […] und oft sogar als zerstörerisch für Bildungsprozesse im Bereich Natur erwiesen.«25

Steigende Bedeutung erlangt in der Forschung zudem das »zufällige Lernen« und damit einhergehend eine – womöglich neu zu denkende – Anerkennung der indirekten Erziehung und ihrer Didaktik. Ludwig Liegle bezeichnet das zufällige Lernen als »Fundament für lebenslange Bildungsprozesse«.26

22 Anke König (wie Anm. 14), 135. 23 Ebd. 24 Lothar Klein, Die richtige Frage zur richtigen Zeit, in: Rosy Henneberg u.a. (Hg.), Mit Kindern leben, lernen, forschen und arbeiten: Kindzentrierung in der Praxis, Hannover 2004, 205. 25 Ministerium für Arbeit und Soziales (Hg.), Bildungsprogramm für Kindertageseinrichtungen in Sachsen-Anhalt. »Bildung: elementar – Bildung von Anfang an«, Halle 2014, 146. 26 Ludwig Liegle, Frühpädagogik: Erziehung und Bildung kleiner Kinder. Ein dialogischer Ansatz, Stuttgart 2013, 154.

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4. Kindertheologisch-sensitive Responsivität der pädagogischen Fachkraft

In diesem pädagogischen Kontext ist auch das Theologisieren mit Kindern zu verorten. Die pädagogischen Fachkräfte sind in den Kindertagesstätten die Bezugspersonen zu den Kindern. Sie kennen die Kinder, haben eine Beziehung zu ihnen aufgebaut und wissen um die unterschiedlichen familiären Hintergründe. Ausgangspunkt des Theologisierens mit Kindern im Kindergarten ist im Sinne der Subjektorientierung das einzelne Kind mit seiner jeweils bereichsspezifischen Entwicklung. Im Kindergarten ist ein Altersunterschied von 3–4 Jahren in den Gruppen durchaus üblich, in inklusiven Einrichtungen gehören Kinder mit Förderbedarf dazu und die kulturelle und religiöse Prägung der Kinder ist von Diversität geprägt. Daher ist im Elementarbereich ein weit gefasstes Verständnis der Kindertheologie zu finden, welches die Nähe zur Kinderphilosophie und zum interreligiösen Lernen betont und sich weniger zielorientiert versteht, wie es z.B. Sylvia Habringer-Hagleitner formuliert: »Die Kinder in ihrer Kompetenz als Theologinnen und Philosophinnen zu achten und sich ernsthaft mit ihnen auseinander zu setzen, ist ein wichtiger Dienst an zukünftigen reifen Persönlichkeiten. Ein solches Theologisieren mit Kindern kann über die Religionsgrenzen hinweg geschehen, es kann für alle in der Gruppe von Interesse sein, was beispielsweise die muslimischen Kinder über Allah oder ein Leben nach dem Tod denken und was christlich geprägte Kinder dazu sagen.«27

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Ein Theologisieren im Kindergarten schließt immer alle Kinder ein, die daran teilnehmen – und ist offen für die verschiedenen religiösen und weltanschaulichen Haltungen, wie von den Kindern vertreten werden. Dies betont auch die Arbeitshilfe »Religionen in der Kita«: »In der Kita geht es aber nicht zuerst um Kulturen und Religionen, es geht um Kinder und ihre Familien. […] Die Gemeinsamkeiten auf der Ebene ihrer Freundschaften und Beziehungen ermöglichen den Umgang mit Pluralität auf der Ebene der Kulturen und Religionen. Die Beziehungen und Gefühle in einer Freundschaft sind Grundlage für interkulturelle und interreligiöse Lernprozesse.«28

In dieser, im Elementarbereich weit verbreiteten Arbeitshilfe29 wird für eine religionssensible, inklusive Religionsbildung plädiert (und unter der Voraussetzung, dass eine entsprechende Konzeption existiert, die interreligiöse Prozesse im Blick hat, auch für die Einstellung muslimischer Erzieherinnen in christlichen Kindertagesstätten). Es wird dabei betont, dass die »Familienreligionen« der Kinder häufig »nicht deckungsgleich« mit den theologisch oder lehramtlich definierten Weltreligionen sind. Daher – so 27 Silvia Habringer-Hagleitner, Zusammenleben im Kindergarten, Stuttgart 2006, 335. 28 Religionen in der Kita. Impulse zum Zusammenleben in religiöser Vielfalt, Stuttgart/ Karlsruhe/Darmstadt 2012, 5. 29 Die Arbeitshilfe wurde in Zusammenarbeit folgender Institutionen erstellt: Diakonisches Werk in Baden e.V., Evangelischer Landesverband Tageseinrichtungen für Kinder in Württemberg e.V., Fachbereich Kindertagesstätten im Zentrum Bildung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Pädagogisch-Theologisches Zentrum in Württemberg, Religionspädagogisches Institut der Evangelischen Kirche in Baden.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

betont die Arbeitshilfe – kann es nicht um ein Belehren über Religionen seitens des Erwachsenen gehen, »sondern Kinder lernen in einer offenen Kommunikation über ihre existentiellen Themen voneinander«. Dass die Erzieherin an Gott glaubt, wenn sie mit den Kindern theologisiert, sei »nicht unbedingt notwendig«, wichtig sei aber »dass sie sich der Frage des Glaubens an Gott emotional und intellektuell gestellt hat und einen reifen Standpunkt zur Gottesvorstellung und zum Gottesbild hat.«30 Folgendes ausgewählte Beispiel aus einem Kindergarten in Sachsen-Anhalt soll diese These illustrieren: Theologisieren zu David und Goliath31

Frau Finger32 ist durch ihre Bewerbung an einer christlichen Kindertagesstätte zum ersten Mal bewusst mit Religion und christlichem Glauben in Kontakt gekommen. Als Kind und auch in ihrer Ausbildung hatte sie nie die Veranlassung, sich mit Religion auseinanderzusetzen. Alle Mitglieder ihrer Familie, auch die Großeltern oder entferntere Verwandte, sind nach Frau Fingers Angaben Atheisten. Bei ihrer Anstellung in einer christlichen Kindertagesstätte wurde Frau Finger verpflichtet, eine religionspädagogische Langzeitqualifizierung (RPQ) zu absolvieren. An dem Kurs nahm sie mit einer kritisch-neugierigen Haltung teil. Während der RPQ hat Frau Finger zum ersten Mal selbst in einer Bibel gelesen und viele Fragen gestellt. Ihrer schriftlichen Hausarbeit zum Abschluss der RPQ gab sie den Titel »David und Goliath«. Zur Begründung dieses Themas beschrieb Frau Finger in der Situationsanalyse ihre

Beobachtung, dass sich die Kinder in den letzten Wochen (vor der Praxispräsentation) »verstärkt im gegenseitigen Kräfte messen übten.« Während die Jungen dies vor allem in der Form von Raufereien austrügen, würden sich die Mädchen gegenseitig ihr Können beweisen, indem sie kleine Wettbewerbe (z.B. im Klettern) erfänden. Für das Praxisprojekt zum Thema David und Goliath hatte Frau Finger zunächst drei Tage eingeplant: Am ersten Tag wurde den Kindern David mithilfe von verschiedenen Medien (Power-Point, Kinderbibel, Pappfigur, Erzählung) vorgestellt. Die Kinder erfahren etwas von seinem Leben als Hirte, erfahren etwas von seinem Glauben, lernen die Waffen kennen, die ihm zur Verfügung standen, um die Herde zu verteidigen, und dürfen sie erproben, indem sie selbst Zielschießen mit einer Schleuder und Kugeln aus Alufolie ausprobieren. Am zweiten Tag wurde den Kindern Goliath präsentiert (ebenfalls mit den Medien Power-Point, Kinderbibel, Pappfigur, Erzählung). Die Kinder erfahren etwas von seinem Leben als Kämpfer, sie dürfen seine »Arbeitsausrüstung« – Helm, Schwert und ein Kettenhemd – spielerisch erkunden und ausprobieren, sie dürfen sich »ausnahmsweise!« einmal auf ihre Stühlchen stellen und das Gefühl erleben, »selbst einmal groß zu sein«, sie dürfen gehen wie ein Riese usw. Am dritten Tag, dem Tag der eigent­ lichen Praxispräsentation, wurde nun von 30 Religionen in der Kita. Impulse zum Zusammenleben in religiöser Vielfalt, Stuttgart/ Karlsruhe/Darmstadt 2012, 17–19. 31 Vgl. Angela Kunze-Beiküfner (wie Anm. 15), 77–81. 32 Der Name wurde geändert.

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dem Kampf zwischen David und Goliath erzählt. Dieses Angebot dauerte insgesamt 56 Minuten. Frau Finger hatte dafür zu Beginn ein Bodenbild aufgebaut, das aus zwei verschieden farbigen Rundtüchern (braun und grün) bestand. In deren Zentrum lag jeweils eine Pappfigur für David und für Goliath mit aus Papier gebastelter Kleidung. Durch ihre Größe und ihre Utensilien waren sie deutlich den Namen zuzuordnen. Am Anfang durften die Kinder sich mit einem Symbol einer der beiden Figuren verorten, je nach Sympathie. Fast ausgewogen verteilen die Kinder ihre Symbole bei David und bei Goliath. Die Kinder wiederholten, was sie von David und Goliath wussten, und erzählten von ihren Erlebnissen mit den Ausrüstungsgegenständen der beiden. Als Frau Finger den Kindern von dem Kampf erzählte, veränderte sie das Ende der Geschichte: Sie erzählte, dass Goliath von dem Stein aus Davids Schleuder getroffen wurde und umfällt – aber ob er tot danach ist, ließ sie offen. In einer anschließenden Gesprächsrunde lud Frau Finger die Kinder dazu ein, das Gehörte zu reflektieren. Die Kinder riefen: »Die Geschichte war zu kurz!« Daraufhin stellte Frau Finger die Frage, wie die Geschichte wohl weitergehen könnte. In einer kurzen Gesprächsphase argumentierten die Kinder folgendermaßen: Anton: Goliath bekommt ein längeres Schwert und dann kann er nochmal kämpfen. Luise: Beide könnten Freunde werden. Max: Dann muss der Goliath kleiner gezaubert werden. Bernd: David muss die Schleuder wegtun und Goliath das Schwert. Lena: Wir können die beiden zusammenstellen, ganz nah! Bernd: Aber erst die Waffen ablegen.

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Frau Finger knüpfte an diesen letzten Impuls der Kinder an und schlug vor: »Dann macht das mal!« Zwei Kinder begannen, mit den Pappfiguren zu spielen. Sie hockten sich in die Mitte des Kreises und spielten, während die anderen ringsherum im Kreis saßen und zusahen. Die ersten beiden Kinder, Nina und Max, die in der Mitte knieten, nahmen die Figuren zur Hand (Nina spielte Goliath, Max nahm David) und entwickelten folgenden Dialog: Max: Hallo. Nina: schweigt schüchtern Max: Wollen wir spielen? Nina nickt und bewegt Goliath ein wenig, dabei fällt von Goliath ein Stiefel ab. Max: Wenn wir Freunde werden wollen, musst du die Rüstung ausziehen. Nina: Du auch.

Daraufhin begannen die Kinder, ihre Figuren weiter auszuziehen, bis diese nur noch die Unterwäsche anhatten. Dann spielten sie, wie sich die beiden Figuren begegneten, einander begrüßten und schließlich miteinander Fangen spielten. Zwei weitere Kinder setzten dieses Spiel fort. Der Spieler von Goliath begann, der Figur die Rüstung wieder anzuziehen. Die Spielerin von David sagte: »Wenn du die Rüstung anziehst, dann ist das doch wieder so schwer. Dann läufst du wieder so langsam und dann können wir nicht mehr Fangen spielen.« Schließlich kam noch ein drittes Spielerpaar in die Mitte, unter ihnen auch Robert, der wesentlich größer als die anderen Kinder in der Gruppe war und von Beginn an große Sympathien für Goliath gezeigt hatte. Robert zog Goliath die Rüstung wieder vollständig an. Folgende Szene entwickelte sich:

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

Robert: Komm, wir kämpfen! Kinder: Das sind doch Freunde. Robert: Na komm, kämpfen! Der Spieler von David schaut Frau Finger fragend an. Frau Finger: Können Freunde auch gegenein­ ander kämpfen? Kinder: Ja. Ja! Das macht doch Spaß. Klar geht das. Robert: Na klar (lacht). Freunde kämpfen immer! Los!

Die Spieler von David und Goliath kämpften mit den Figuren, die Kinder feuerten die beiden an. Beim Spiel fielen einige Kleidungsstücke bzw. Rüstungsteile ab. Die Spieler von David und Goliath versuchten einen Rüstungstausch – und alle lachen. Nach 18 Minuten beendete Frau Finger das Spiel mit der Überleitung: »Ich denke, wir machen jetzt einfach mal weiter. Wir wollten ja vor dem Essen noch nach draußen gehen.« Später, beim Freispiel im Garten, konnte man sehen, wie Mädchen und Jungen die Kampfszene immer wieder nachspielten. Eine inhaltliche Kommentierung und Bewertung der biblischen Erzählung, wie ich sie in anderen Praxispräsentationen erlebt hatte, fand durch Frau Finger nicht statt, auf eine moralische Bewertung wurde von ihr verzichtet. Auch die Kinder, die mit Goliath sympathisierten, mussten sich dafür nicht schämen. Zudem ist Frau Finger sensitiv-responsiv auf die Impulse der Kinder eingegangen. Die Ideen der Kinder wurden aufgegriffen und in den vorbereiteten Settings konnten die Kinder »Wahrheit erspielen«. Durch die Frage »Können Freunde auch gegeneinander kämpfen?« wurden die Kinder angeregt, weiterzudenken und die üblichen

Schwarz-weiß-Schablonen hinter sich zu lassen. Im Nachgespräch entwickelte Frau Finger weitere Ideen der Vertiefung des Projekts mit den Kindern zu diesem Thema, da deutlich geworden war, dass davon alle Kinder in irgendeiner Weise angesprochen wurden. Insgesamt beschäftigten sich die Kinder im Anschluss noch fast drei Wochen lang mit Projekten ringsum um das Thema »David und Goliath«. Kann bei diesem Beispiel dennoch von einem »Theologisieren« gesprochen werden, auch wenn Gott nicht erwähnt wurde? In theologisch korrekten elementarpädagogischen Entwürfen zu David und Goliath wird für die Auslegung der Aspekt betont, dass (kleine) »Menschen mit Gottes Kraft Großes bewirken können«: »Die Kinder können sich in der Person Davids gut mit eigenen Herausforderungen, Ängsten und auch Wunschträumen wiederfinden. Theologischer Leitgedanke ist, dass David von Gott zu dieser besonderen Aufgabe auserwählt […] wurde.« Dieser Bezug zur Tradition kam in den Gesprächen des obigen Beispiels nicht vor. Aus der Perspektive eines religionssensiblen Ansatzes kann diese Szene dennoch ein gelungenes Theologisieren illustrieren, denn die Kinder haben sich eigenständig und kreativ mit der biblischen Erzählung auseinandergesetzt und sie auf ihre Lebenswelt bezogen. Die Frage, ob Freunde miteinander kämpfen können, wurde von ihnen realistisch beantwortet. Ihren Wunsch nach Versöhnung und einem guten Ausgang haben sie durch ihre Weitererzählungen zum Ausdruck gebracht. Der Alttestamentler Thomas Staubli hat in einem Beitrag für den Sonderband

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des Jahrbuchs Kindertheologie zum Alten Testament dokumentiert, wie eine Gruppe von achtjährigen Kindern, die sich regelmäßig bei ihm zusammentrifft, um die Bibel kennenzulernen, Abschnitte aus dem Buch Levitikus auslegt. Staublis Resümee lautet: »Im Gegensatz zu den gängigen Schreibtischexegeten reflektieren diese Auslegungen kleine Gruppenprozesse, die die Themen einerseits auf ihre Relevanz filtern und andererseits aspektivisch anreichern. Indem sie dergestalt den biblischen Texten einen Sitz im Leben zurückgeben, erweisen sie sich als zutiefst lebendige Auslegungen.«33

Frau Finger beobachtete, dass die Kinder in den darauffolgenden Wochen immer wieder miteinander über das Projekt »David und Goliath« ins Gespräch kamen und sich dabei auch unabhängig von einer Anleitung durch Erwachsene miteinander intensiv austauschten. Dennoch kann mit Recht hinterfragt werden, ob sich dieses Beispiel wirklich als ein »Theologisieren« bezeichnet werden kann. Vielleicht kann eher von einer ganzheitlichen Aneignung einer biblischen Geschichte gesprochen werden? Dass das Theologisieren im Elementarbereich so weit gedeutet werden kann, dass auch das oben angeführte Beispiel dazu gezählt wird, hängt auch mit den religionspädagogischen Konzeptionen für Kindertagesstätten zusammen, die sich wesentlich stärker am Alltag der Kinder und am Zusammenleben mit den Kindern orientieren als das für die Religionspädagogik im schulischen Kontext der Fall ist.

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5. Alltagsintegrierte religiöse Bildung

In den letzten zehn Jahren setzen sich mehr und mehr in den religionspädagogischen Konzeptionen für den Elementarbereich Konzepte durch, die von den Lebenswelten der Kinder und den Herausforderungen, denen die Kinder im Alltag des Zusammenlebens in der Kita begegnen, ausgehen. Durch eine alltagsorientierte religionspädagogische Begleitung sollen die Kinder erleben, dass Glaubensgeschichten, Rituale, Theologische Gespräche und gemeinsame Feste mit ihren Lebenssituationen, ihren Fragen und Themen zu tun haben. Schon länger werden daher religionspädagogische Ansätze entwickelt, die diese Alltagserfahrungen zum Ausgangspunkt für die religionspädagogische Arbeit nehmen. Im Jahr 1999 erschien der erste Band einer fünfbändigen Reihe unter dem Titel »Kinder brauchen Hoffnung«. Der »dimensionale Ansatz«, der von evangelischen Religionspädagogen um Friedrich Schweitzer und Christoph Scheilke entwickelt wurde, wird darin exemplarisch in zehn verschiedenen Dimensionen entfaltet.34 Die Herausgeber sagen zu ihrem Konzept: »Religion im Alltag des Kindergarten ist (…) nicht Kirchlichkeit (…). Sie ist Ausdruck von Lebensfragen, des Zweifels, der schwierigen aber auch die schönen Erfahrungen, die über die Welt des ›Normaltags‹ mit seinen Aufgaben hinausweisen. (…) Jede Gestaltungsdimension des Kindergartens hat Folgen für die religiöse Erzie33 Thomas Staubli, Begleiter durch das Erste Testament, Düsseldorf 1997, 146. 34 Vgl. Christoph Scheilke / Friedrich Schweitzer (Hg.), Kinder brauchen Hoffnung. Religion im Alltag des Kindergartens, Gütersloh 1999.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

hung, und aus der religiösen Erziehung ergeben sich Anstöße für die Gestaltung der Einrichtung.«35 Ein Beispiel aus jüngerer Zeit für ein Konzept einer alltagsorientierten religiösen Bildung ist in dem Buch »Religion in allen Dingen« zu finden, das von einem Team um den katholischen Religionspädagogen Clauß Peter Sajak entworfen wurde.36 Dort sind 15 dokumentierte Alltagssituationen (»Erlebt«) der Ausgangspunkt für eine pädagogische Analyse (»Nachgedacht«) und eine Reflexion der theologischen und religionspädagogischen Dimensionen (»Weitergedacht«) dieser exemplarischen Situation. Da dieses Buch auch für die Aus-, Fort- und Weiterbildung von pädagogischen Fachkräften gedacht ist, werden zu jedem der 15 Alltagsbereiche auch die Kompetenzen der Erzieherinnen beschrieben und praktische Anregungen gegeben. Auch das grundlegend überabeitete ökumenische Arbeitsbuch »Religionspädagogik für Erzieherinnen«37 basiert auf dem Konzept einer alltagsintegrierten religiösen Bildung und entfaltet die religionspädagogischen Themen auf dem alltäglichen Hintergrund des Zusammenlebens in der Kita und enthält zudem ein ausführliches Kapitel zum Philosophieren und Theologisieren mit Kindern38. In diesem Buch wird auch berücksichtigt, dass viele muslimische Kinder christliche Einrichtungen besuchen, eine muslimische Autorin sensibilisiert für muslimische Perspektiven. Ein weiteres Beispiel für eine alltagsorientierte Religionspädagogik ist der Ansatz der religionssensiblen Erziehung und Bildung. Der Religionsbegriff der religionssensiblen Erziehung wird von Lechner und Gabriel in drei Stufen differenziert, denen jeweils eine bestimmte Deutung

von Religion zugrunde gelegt wird. Ausgehend von einer anthropologischen Deutung wird Religiosität in der ersten Stufe der religionssensiblen Erziehung als »Existenz- oder Lebensglaube« gefasst. Die zweite Stufe des »Transzendenz- oder Gottesglaubens« basiert auf einem phänomenologischen Religionsbegriff und die dritte Stufe, die als »Konfessions- oder Gemeinschaftsglaube« bezeichnet wird, beruht auf einer substantiellen Deutung von Religion.39 Diesen verschiedenen Deutungen von Religion werden entsprechende Handlungsorientierungen zugeordnet. Dieser Ansatz wurde von Judith Weber für den Elementarbereich weiterentwickelt. Weber hat für die religionssensible Begleitung von Kindern in Kindertagestätten sechs Handlungsgrundsätze entwickelt.40 Die Fachkraft nimmt die Fragen, Themen und Interessen der Kinder aufmerksam wahr und bietet in Form von Projektarbeit, Bildungsinseln und Lernwerkstätten Kindern die Möglichkeit, ihrem Forschergeist selbständig nachzugehen. Sie kann die alltäglichen und existenziellen Fragen, Erfahrungen und Ge-

35 Ebd., S. 12 36 Clauß Peter Sajak (Hg.), Religion in allen Dingen. Alltagsorientierte religiöse Bildung in der KiTa, München 2016. 37 Rainer Möller / Claus-Peter Sajak (Hg.), Religionspädagogik für Erzieherinnen. Ein ökumenisches Arbeitsbuch, Stuttgart 2019 38 Angela Kunze-Beiküfner, Kindertheologie und Kinderphilosophie, vgl. ebd., S. 203–214. 39 Martin Lechner / Angelika Gabriel (Hg.), Religionssensible Erziehung. Impulse aus dem Forschungsprojekt »Religion in der Jugendhilfe« (2005–2008). Benediktbeurer Beiträge zur Jugendpastoral 6, München 2009, 71f. 40 Vgl. Judith Weber, Religionssensible Bildung in Kindertageseinrichtungen, Münster/New York, 151–155.

Kunze-Beiküfner Theologisieren mit Kindergartenkindern im Kontext alltagsintegrierter religiöser Bildung

fühle der Kinder sensibel wahrnehmen und darin vorhandene religiöse Spuren erkennen und zur Sprache bringen. Die Fachkraft ermöglicht vertrauensvolle Beziehungen zu den Kindern, ihren Familien und ihren Kolleginnen. Sie erkennt und reflektiert die impliziten religiösen Dimensionen der Werte und Normen, die das Zusammenleben in der Kindertagesstätte prägen. Die Fachkraft kann den Sozialraum »Kindertagesstätte« auch unter religiösen Aspekten, z.B. auf den Ebenen der Beziehungen (durch Rituale), der Raumgestaltungen (durch Symbole) und als Treffpunkt für Menschen unterschiedlicher Religionen und Weltanschauungen, anregend gestalten. Die Fachkraft kann besondere Anlässe im Kindergartenjahr, wie z.B. biographische Anlässe und religiöse Feste im Jahreskreis, religionssensibel gestalten und deren Bildungspotential für Kinder und deren Familien kommunizieren. Die Fachkraft nutzt die geeigneten Möglichkeiten, um die Begegnung mit expliziten religiösen Orten und Repräsentantinnen und Repräsentanten aus dem religiösen Leben im Umfeld der Kindertagesstätte anzubahnen. Die berufsspezifische religionssensible Kompetenz einer pädagogischen Fachkraft in Kindertagesstätten ist nicht gebunden an eine Konfessionszugehörigkeit, sondern wird als Schlüsselkompetenz für alle Erzieherinnen verstanden. Grundlage ist die Bereitschaft zur Biographie-Arbeit und eine offene, sensible Haltung in Bezug auf die Phänomene des Religiösen und die expliziten religiösen Themen. Diese komprimierte Zusammenstellung der Anforderungen an eine religi-

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onssensible Fachkraft verdeutlicht, dass neben der Wahrnehmungs- und Identifizierungskompetenz der Kommunikations- und Dialogfähigkeit im Hinblick auf die religiösen Phänomene und Themen große Bedeutung zukommt. »Erzieherinnen brauchen die Kompetenz, mit Kindern über deren existentielle Schlüsselerfahrungen ins Gespräch zu kommen und mit ihnen über ihre religiösen Fragen zu theologisieren und zu philosophieren.«41 Henning Schluß würdigt diesen Ansatz, da hier empirisch durch die Interviews belegt wird, was bislang nur »theoretisch postuliert wurde«, nämlich »dass Erzieherinnen, die sich selbst nicht als religiös im engeren oder weiteren Sinne verstehen, durchaus in ihrem pädagogischen Handeln Kompetenzen aufweisen, die mit dem zugrunde gelegten Instrumentarium als religionssensibel beschrieben werden können […]. Pädagoginnen können demnach die Betätigung des religiösen Weltzugangs auf unterschiedlichen Abstraktionsebenen fördern, auch wenn sie selbst nicht nur keine Kirchenmitglieder sind, sondern sich selbst auch nicht als religiös beschreiben.«42 Religionssensibilität als berufliche Kompetenz setzt nicht voraus, dass die Erzieherin eine aktive Christin oder aktive Muslima ist, aber wohl, dass sie offen ist für möglicherweise unausgesprochene religiöse Aspekte in der Erfahrungen und Äußerungen von Kindern. Denn: »Religiöse Themen und Fragen zeigen 41 Ebd., 157. 42 Henning Schluß, Religionssensibilität als pädagogische Kompetenz, in: Harald SchroeterWittke/Gudrun Guttenberger (Hg.), Religionssensible Schulkultur, StRPPT 4, Jena 2011, 224.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

sich demnach nicht nur in expliziten Fragen nach Gott oder religiösen Festen, sondern auch in allgemeinen Fragen nach dem Leben, nach Sinn und Werten. Dies schließt Themen und Lebensfragen nach Gut und Böse, Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, Freude und Leid, Leben und Tod mit ein.«43 Eine alltagsintegrierte religiöse Bildung bedeutet aber nicht, dass auf jegliche explizite religionspädagogische Arbeit wie das Erzählen von Glaubensgeschichten, das Feiern von Andachten und von religiösen Festen verzichtet wird – sondern dass diese Angebote verknüpft werden mit den Fragen und Themen der Kindern und religionssensibel agiert wird. Performative Ansätze wie die KettPädagogik sind daher nach wie vor hoch angesehen in der religionspädagogischen Arbeit im Elementarbereich. Franz Kett nennt die Grundlage seiner seit den 1970er Jahren entwickelte Pädagogik, die seit 2010 in bislang neun Praxisbänden erschienen ist44, eine »GanzheitlichSinnorientierte Pädagogik«. Die Felder der pädagogischen Praxis werden von Franz Kett beschrieben als »immer wieder neu zu schaffende Erfahrungsräume, in denen der Mensch in seiner Ganzheit, im Besonderen aber in seiner religiösen Dimension angesprochen wird, in denen sich seine Religiosität entfalten und Ausdruck finden kann.«45 Als Ziele werden nicht bestimmte christliche Inhalte benannt, sondern Ziel ist, die Beziehungsfähigkeit zu stärken, sich als verdankte Existenz begreifen zu lernen, zum Schauen zu befähigen und mit symbolisierendem Handeln und Gestalten vertraut zu werden.46 Das Theologisieren nimmt eine Brückenfunktion zwischen stark alltagsba-

sierter und situationsorientierter religionspädagogischer Arbeit auf der einen Seite und expliziter, stärker angebotsorientierter Arbeit auf der anderen Seite ein. Theologische Gespräche entwickeln sich zum einen immer wieder völlig ungeplant, in Alltagssituationen und werden zum anderen zur Vertiefung oder Hinführung von Erzieherinnen initiiert. Aber auch explizit initiierte Gespräche haben Themen und Situationen aus dem Alltag der Kindertagesstätte und der ganz konkret wahrgenommenen Lebenswelt der Kinder zum Ausgangspunkt. Daher sind die Erzieherinnen auch diejenigen, die das Theologisieren mit den Kindern gestalten und verantworten. Sie kennen die Kinder, teilen den Alltag mit ihnen und haben eine Beziehung zu den Kindern aufgebaut, die im Idealfall von Sensivität und Responsivität geprägt ist. 6. Philosophieren und Theologisieren als Thema in den elementarpädagogischen Bildungs- und Orientierungsplänen/Bildungsprogrammen

In allen elementarpädagogischen Bildungs- und Orientierungsplänen / Bildungsprogrammen der verschiedenen Bundesländer wird das Philosophieren mit Kindern als eine wichtige Form der Begleitung der Kinder ausgeführt. Dabei steht im Vordergrund, dass bei den Kindern durch das Philosophieren die 43 Ebd. 44 Vgl. Institut für Franz-Kett-Pädagogik, https://franz-kett-paedagogik.de. 45 Franz Kett, Die Religionspädagogische Praxis. Ein Weg der Menschenbildung, Landshut 2009, 117f. 46 Vgl. ebd., 119–126.

Kunze-Beiküfner Theologisieren mit Kindergartenkindern im Kontext alltagsintegrierter religiöser Bildung

Freude am Erkunden, Nachfragen und Nachdenken gestärkt wird. Sofern es einen expliziten religionspädagogischen Teil gibt, wird auch das Theologisieren mit Kindern thematisiert. Oft wird das Theologisieren auch nur implizit beschrieben, wie z.B. im Kapitel »Grundthemen des Lebens« im elementarpädagogischen Bildungsprogramm für Sachsen-Anhalt: »Kinder wollen den Themen des Lebens auf den Grund gehen. Sie brauchen und wollen oft keine fertigen, eindeutigen Antworten von Erwachsenen, die erklären, wie die Dinge sind. Allein oder mit anderen wollen sie für sich selbst passende Erklärungen finden. (…) Pädagogische Fachkräfte wissen, dass Kinder sich auf ihre eigene Weise mit grundlegenden Themen des Lebens ausein­ andersetzen. Die verschiedenen Wege, die Kinder dabei gehen, respektieren sie als Ausdruck der Einzigartigkeit eines jeden Kindes. Richten sich Kinder mit Fragen an pädagogische Fachkräfte, so ergründen diese, welche Themen sich dahinter verbergen. Erkennen sie weltanschauliche, philosophische und Grundthemen des Lebens sowie religiöse Inhalte in den Fragen der Kinder, so reagieren sie darauf. Sie bieten sich als verlässliche, einfühlende und vertrauenswürdige Gesprächspartner an, ohne sich aufzudrängen oder lediglich naturwissenschaftliche Erklärungen anzubieten. Sie hören zu, fragen nach und geben Impulse für weiterführende Gedanken, indem sie zum Beispiel von ihren Gedanken und Fragen berichten und eigene Erfahrungen schildern.«47

In diesem Bildungsprogramm gibt es zwar kein explizites Kapitel für eine religionspädagogische Bildungsdimension, aber es wird u.a. vorgeschlagen, mit den Kindern auch eine nahegelegene Kirche zu erkunden. Den dabei auftauchenden

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Fragen soll individuell und gemeinsam nachgegangen werden, die Erzieherinnen sollen als Gesprächspartnerinnen aufmerksam und sensibel agieren.48 Im sächsischen Bildungsplan für Kindertageseinrichtungen gibt es einen gesonderten Anhang für die religionspädagogische Arbeit. Unter der Überschrift »Religiöse Grunderfahrungen und Werteentwicklung« werden die Kinder beschrieben als kleine »Philosophen und Theologen«, von den pädagogischen Fachkräfte wird erwartet, dass sie »aufmerksame Zuhörer« sind.49 In anderen Bildungsplänen wird der Begriff »Theologisieren« explizit erwähnt wie z.B. in den folgenden Bildungs- und Orientierungsplänen: Im Bayerischen Bildung- und Erziehungsplan für Kinder in Tageseinrichtungen bis zur Einschulung findet sich in dem ausführlichen Kapitel zur Werteorientierung und Religiosität folgender Satz: »Mit Kindern kann man über ethische und religiöse, aber auch über andere Fragen philosophische Gespräche führen, Philosophieren umfasst auch Theologisieren«.50 Wie pädagogische Fachkräfte das umsetzen sollen, wird dann im Kapitel zum Philosophieren ausgeführt.51 Im elementarpädagogischen Orientierungsplan für Baden-Württemberg heißt es im Kapitel »Sinn, Werte und 47 Bildung: elementar – Bildung von Anfang an, Weimar/Berlin 2014, 103f. 48 Vgl. ebd. 104f. 49 Der Sächsische Bildungsplan – ein Leitfaden für pädagogische Fachkräfte in Krippen, Kindergärten und Horten sowie für Kindertagespflege, Berlin/Weimar 2011, 182f. 50 Bayerischer Bildungs- und Erziehungsplan für Kinder in Tageseinrichtungen bis zur Einschulung«, 7. Auflage Berlin 2016, 165. 51 Vgl. ebd. 414f.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

Religion«: »Beim Erleben religiöser Traditionen spielen religiöse Feste, symbolische Handlungen, Ausdrucksformen und Geschichten eine wichtige Rolle. Kinder sollen in ihrem Philosophieren bzw. Theologisieren über Gott, Grund und Ursprung der Welt, das Warum von Leben und Leid ernst genommen werden und verständnisvolle Partner finden können.«52 Bei aller Freude darüber, dass das Theologisieren als ein wichtiger Bestandteil der religionspädagogischen Arbeit in den elementarpädagogischen Bildungsplänen bezeichnet wird, gilt es doch zu beachten, dass es auf die Fachkräfte, ihre Haltung und Motivation entscheidend ankommt, wenn in der Praxis Theologisieren wirksam werden soll. Von entscheidender Bedeutung ist die forschende Haltung der Erzieherinnen und ihr Interesse daran, die Bildungsprozesse der Kinder kompetent zu begleiten. Die Bildungspläne können hier immer nur ein Wegweiser sein. Wenn sich das von den Bildungsplänen eingeforderte Philosophieren und Theologisieren mit den Kindern als ein Bestandteil einer alltagsintegrierten religionssensiblen Begleitung der Kinder in der Praxis etablieren soll, sind die Erzieherinnen als die Bildungsbegleiterinnen der Kinder dafür zu qualifizieren. Nur sie erleben die Kinder im Alltag des Zusammenlebens in der Kita und können auf die sich spontan entwickelnden Fragesituationen prompt reagieren. Die pädagogische Kompetenz dafür bringen Erzieherinnen durch ihre Ausbildung mit – was den Erzieherinnen aber oft Sorge bereitet ist der Umgang mit unentscheidbaren, philosophischen und theologischen Fragen. Hier besteht die Aufgabe in Aus-, Fort- und

Weiterbildungen, Angebote vorzuhalten, in denen Erzieherinnen üben können, religionssensible Situationen im Alltag der Kita und Gesprächsanlässe zu identifizieren und angemessen zu reagieren. Nur so kann das Theologisieren mit Kindern im Kindergarten nachhaltig und qualifiziert in der pädagogischen Praxis umgesetzt werden. 7. Praxisbeispiel aus einer evangelischen Kita

Die Erzieherin Frau Bunke53 arbeitet in einer evangelischen Kindertagesstätte in einer Kleinstadt in Sachsen-Anhalt und war eine der Probandinnen für mein Dissertationsprojekt. Sie hat eine religionspädagogische Langzeitqualifizierung (RPQ) am PTI absolviert und wurde von mir über den Zeitraum von 1½ Jahren während ihrer Arbeit beobachtet und teilweise gefilmt sowie mehrmals interviewt.54 Bei Frau Bunke konnte beobachtet werden, dass sie zum einen viele Gespräche mit einzelnen Kindern geführt und diese dokumentiert hatte. Ihre Mitschriften wiesen ein hohes Maß an Achtung vor den Gedanken der Kinder auf, immer wieder sprach Frau Bunke von ihrem »Staunen« über die Kinderäußerungen. »Eigentlich ist es jedes Mal, wenn ich was aufschreibe, so ein Whow.«55 Sie war während meiner Besuche in ganz unterschiedlichen pädagogischen Settings beim Theologisieren mit einzelnen 52 http://kindergaerten-bw.de/,Lde/Startseite/ Fruehe+Bildung/Sinn_+Werte+und+Religion 53 Name geändert. 54 Zu den Forschungsmethoden vgl. Angela Kunze-Beiküfner (wie Anm.15), 133–150. 55 Vgl. ebd., 445.

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Kindern und mit Kindergruppen zu erleben – sowohl im Alltag bei kreativen Gestaltungen oder bei der Vesper als auch im großen Morgenkreis mit über fünfzig Kindern, in ihrer altersgemischten Gruppe im Gesprächskreis und während eines Angebots mit der Gruppe der Vorschulkinder. Frau Bunke hatte ein kleines Heftchen, in das sie Aussprüche von Kindern und kleine Gesprächsprotokolle notierte. Mit sichtlicher Freude blätterte sie während unserer Treffen in dem Notizbuch, verweilte immer wieder an einzelnen Stellen und sagte: »Ist natürlich auch toll, wenn du das so im Heft hast, dann kannst du auch immer nochmal gucken. […] Genau und man kann es sich immer nochmal angucken und sich freuen, was doch die Kinder für tolle Ideen haben.« Dann zitierte sie immer wieder eine Stelle aus ihren Mitschriften z.B.: »Ja, also die Kinder unterhalten sich beim Vespern, wie es sich mit Toten verhält. Es war am 6. April 2011. Das Mädchen ist fünf Jahre und sie sagt, wenn man tot ist, kommt man in den Himmel. Gott streckt seine Arme nach unten aus und holt sie in den Himmel. Im Himmel bekommt man neues Leben. Ja. Das fand ich eine tolle Feststellung und habe es deshalb auch gleich notiert.«56 Das Staunen über – und die Freude an den Gedanken der Kinder und das eigene Interesse können als Schlüssel für eine kindertheologisch-sensitive Responsivität bezeichnet werden. Diesen Schatz an Kindergedanken gilt es für Frau Bunke zu bewahren – darum notiert sie die Gespräche bzw. Äußerungen der einzelnen Kinder nicht nur in ihrem Notizbuch, sondern zum Teil auch werden sie auch in den Portfolios der Kinder dokumentiert:

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»Ich schreibe es dann öfter in die Beobachtungen mit rein [in die Portfolios, Anm. AKB.] für die Kinder. Also wenn es jetzt nicht zu umfangreich ist, dann schreibe ich es da mit hin. […] Genau, und das kriegen ja dann die Eltern auch mit nach Hause, wenn die Kinder dann den Kindergarten verlassen und dann können sie sich das auch alles angucken, je nachdem, also wenn es was Kleines ist, dann sage ich es ihnen auch auf dem Spielplatz beim Abholen, ja. Wie es grad so passt.« Viele der Gespräche, die Frau Bunke in ihrem Notizbuch festgehalten hat, waren nicht initiiert, sondern haben sich spontan aus einer Situation heraus entwickelt, »wenn es sich ergibt«.57

Manchmal erkennt Frau Bunke aber auch in den Kinderfragen einen Gesprächsimpuls für die ganze Gruppe. Dann initiiert sie ein geplantes Gruppengespräch. Im Rahmen meiner Forschungsarbeit habe ich zwei Gruppengespräche filmisch dokumentiert.58 Ein Ausschnitt aus dem Gespräch zu der von einem Kind aus der Gruppe formulierten Frage soll hier dargestellt werden. Es handelt sich um eine evangelische Kita, aber die Kinder wachsen mehrheitlich in konfessionslosen Familien auf. Am Gespräch beteiligt sind 12 Kinder, 5 Jungen und sieben Mädchen, im Alter von 5 Jahren, nur zwei Kinder kommen aus christlichen Familien. Die Kinder gehören zur »Wachgruppe«, sie sind die »Großen« in der Kita und müssen im Unterschied zu den jüngeren Kindern keinen Mittagsschlaf halten. Während die anderen Kinder ruhen, treffen sie sich zu gesonderten Angeboten. Dabei haben sie auch eine

56 Vgl. ebd., 446. 57 Vgl. ebd., 447. 58 Vgl. ebd., 450–483.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

Kirche besucht und ein Junge hatte die Frage gestellt: »Wohnt Gott in der Kirche?« Die Erzieherin verabredete mit den Kindern, dass sie über diese Frage mal in Ruhe reden könnten – und einige Tage später versammelten sich die Kinder im Morgenkreisraum, um darüber ins Gespräch zu kommen. Das Gespräch dauerte insgesamt 23 Minuten.

B: Manche Leute sagen ja, in der Kirche wohnt Gott.59 (2) Elisa: Ja. (3) B: Wie denkt ihr denn da drüber? (4) Elisa: Also Gott wohnt in der Kirche. (16) B: So nee, da wollten wir jetzt aber nicht drüber sprechen. Anne, hast du jetzt eine Antwort auf meine Frage? (17) Anne: Ich denke nicht. (18) B: Du denkst, Gott wohnt nicht in einer Kirche? Was denkst du, wo er dann wohnt? (19) Anne: In unseren Herzen. (20) B: In unseren Herzen ja. Hat jemand noch eine andere Idee oder was dazu zu sagen, was Anne sagt? Julia? (21) Julia: Gott wohnt eigentlich im Himmel. (22) B: Und woher weißt du das? (23) Julia: Weil es ja eigentlich mal so in der Bibelgeschichte stand, glaube ich. (24) B: Aha. Du glaubst, Gott ist im Himmel. (28) Julian: Eigentlich in meiner Kirche, wenn ich in meiner Kirche hingehe, da ist immer dann Gott. (29) B: Ja? (30) Julian: Ja, den sehe ich immer dann und da und da ist dann noch so ein großes Holz so und dann hier (zeichnet mit den Händen ein großes Kreuz in die Luft), irgendwie das finde ich so cool, das ist noch ein Mann. (31) B: Wer ist das? (32) Julian: Das ist Gott. (33) Viele Kinder: Das ist Jesus.

(34) Julian: Das ist dieser Goldene, aber der ist klein. (35) Julia: Jesus. (36) Elisa: Jesus. (37) Julian: Der ist an dem Kreuz dran. Viele Kinder: Jesus. (38) B: Ja, ist das Jesus? (39) Julian: Ja. (40) B: Und woher weißt du das, dass Gott da ist? (41) Julian: Weil ich hatte es, ihn gesehen eigentlich in meiner Kirche. (42) B: Ja? Und wo ist er denn da? Beschreibe uns das mal, wir waren noch nicht in deiner Kirche. Julian: Er war in einer Stufe, hier ist, da ist erst mal so eine kleine Stufe (viele untermalende Gesten). Irgendwie … Holz und da sind viele Kerzen drauf, Kerzen. (44) Julia: Da war ich auch schon mal! (45) Julian: Und dann gibt es noch was Großes. Da gibt’s noch so zwei Tiere, nein ich meine vier und dann kann man da immer reingehen und da gucken und da sind da Treppen und kann man, kann man hoch und dann sieht man den anderen da, der da oben ist. (46) B: Und wer ist das da oben? (47) Julian: Also der Gott, der immer dahin geht. Das kann ja nur der Gott machen. (48) B: Was macht der nur? (49) Julian: Er darf nur die Treppen hochgehen und danach gucken, nach oben irgendwie gehen, damit die anderen da oben das sehen, nämlich den Gott. (50) B: Hast du den auch schon mal gesehen. (51) Julian: Ja. (52) B: Und wie sieht der aus? (53) Julian: Also er hat, hat schwarze Kleider und dann und, und weißt du, was er schon mal gemacht hat?

59 B = Erzieherin, Frau Bunke (Name geändert). Auch die Namen der Kinder sind geändert.

Kunze-Beiküfner Theologisieren mit Kindergartenkindern im Kontext alltagsintegrierter religiöser Bildung

(54) B: Nee. (55) Julian: Er hat schon mal Blut hier und hier (viele Handbewegungen), da war noch so ein rundes Ding, das kennt ihr irgendwie nicht, und da war und da haben die Blut rein gemacht und dann trinken die das. (56) B: Ja, das ist Wein oder auch Saft, was dieses Blut darstellen soll. Echtes Blut ist es nicht. Ja. Die tun nur so als ob. Ist ja nur Saft. (57) Julia: Das stimmt. (58) Elisa: Apfelsaft. (59) B: Nee, das ist Weintraubensaft oder auch Wein, das ist verschieden. (60) Elisa: Ja. (61) Julian: Aber eigentlich ist es Wein. (62) B: Ja. Also warst du auch schon mal dabei. Ja? Beim Abendmahl, … (63) Julian: Und bei mir hat er immer so gemacht (legt die Hand auf seinen Kopf). (64) B: Genau, genau. (65) Anne: Ich weiß auch noch was. (66) B: So, nee, wir hatten, hört ihr eigentlich auch gut zu, was Julian erzählt hat? Anne, was wolltest du noch dazu sagen? (67) Anne: Ich wollte zu meinem noch dazu sagen, manche Menschen haben Gott schon draußen gesucht, obwohl er alle, nur, nur in unseren Herzen ist. (68) B: Ja und woher weißt du das, dass andere den draußen gesucht haben? (69) Anne: Meine Mama hat es mal im Buch gelesen und wo wir zur Logopädin gefahren sind, hat sie mir das alles mal erzählt. (70) B: Ja, und haben die den auch gefunden? Weißt du, wie es ausging? (71) Anne: Nein, weil, weil Gott ist eigentlich immer in unseren Herzen. (72) B: Denkst du dir das jetzt selber so oder stand das auch im Buch? (73) Anne: Das stand auch in Mamas Buch, weil Mama hat es mir auch erzählt. (74) B: Aha und wie siehst du das? (75) Anne: Genauso.

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(81) Mischa: Es gibt eigentlich nur ganz, ganz viele Götter. Hundert. (82) B: Woher weißt du das? (83) Mischa: Das habt ihr hier doch einmal im Morgenkreis erzählt. Hundert Namen, hundert Götter. (84) B: Nee, das hast du falsch verstanden. Der hundertste Name Gottes, das war doch so wie Spitznamen, zum Beispiel sagt, was sagt Mama zu dir manchmal? (85) Mischa: Mama hat gesagt, es gibt ganz viele Götter. (86) B: Ja, das auch. (89) Lena: Ich glaube Gott, wohnt im Himmel. (90) B: Wie kommst du darauf? Hast du das auch mal in einer Geschichte gehört? (91) Lena: Mhm (senkt den Blick, zuckt mit den Schultern). Nee, aber ich denke mir das so. (92) B: Und wie stellst du dir das vor da? Lena, hast du eine Idee, wie es dort sein könnte? (93) Lena: Gut. (105) Luise: Ich glaube, Gott lebt im Herzen und im Himmel. (106) B: Aha und wie macht er das? … Hast du eine Vorstellung wie er aussieht? Nee?(Kopfschütteln bei Luise) Julia? (107) Julia: So ein weißes Gewand und braune Haare. (108) B: Aha und ist das ein Mann oder ist das eine Frau? (109) Julia: (Lacht) Ein Mann, sonst würde er nicht Gott heißen oder Jesus. (110) Viele Kinder lachen. (111) B: Wie sonst? (112) Franz: Göttin. (113) Julia: Dann würde er eher keinen Jungen- sondern Mädchennamen haben. (114) B: Und was wollte Mischa noch dazu sagen? (115) Mischa: Ich glaube, Gott wohnt im Himmel, weil wo wir morgens hier ja noch gesungen und gespielt haben, da war ja immer zum Morgengebet Vater unser im Himmel, geheiligt werde dein

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

Name und der Anfang war das ja Vater unser im Himmel und nicht Herzen. (116) B: Gut überlegt. (117) Armin: Das kennt ja jeder. (118) Mischa: Selbst gedacht habe ich auch in dem Herzen. (119) B: Ah ja, das würdest du dir selber denken. (136) B: Und was möchte Armin noch sagen? (137) Armin: Ich wollte nur, ich wollte noch sagen wie er aussieht, ich glaube, er sieht aus wie wir alle. (138) B: Wie wir alle? Gott sieht so aus wie wir alle? Ja? (139) Armin: Ja. Und sogar mit den gleichen Haaren und mit den tausend Köpfe und tausend (unverständlich). (140) Luisa: Und sicher auch den ArminNamen. (141) Armin (lacht): Und wie (unverständlich). (142) Franz: Darf ich jetzt mal? (143) B: Nein, der Reihe nach, jetzt ist die Doris dran. (144) Doris: Ich wollte was sagen, ich stelle mir so vor, das ist Gott, weil paar Menschen haben ja an, man schaut, das ist ja anders, deswegen ist das bestimmt so, dass Gott bestimmt im Himmel ist. Weil, das glaube ich mehr so, dass er im Himmel ist. Und jeder hat ja einen anderen Geschmack. Jeder weiß ja, wir wissen es ja nicht wo er ist. Ich glaube, er ist im Himmel. (145) B: Und was bringt dich zu dieser Vermutung? (146) Doris: Weiß ich nicht. (147) B: Weißt du jetzt nicht, denkst du dir jetzt so. (148) Doris: Ja. (149) Elisa: Und ich würde sagen… (150) B: Nein, nach Lena bist du dran. Jetzt ist erst mal Lena. (151) Lena: Ich glaube, Gott wohnt im Herzen und dann, wenn der Mund auf ist, fliegt er wieder raus. (152) B: Aha, wo fliegt er dann hin?

(153) Lena: In den Himmel. (154) B: Aha. Kommt er auch irgendwann wieder zurück? (155) Lena: Keine Ahnung. (156) Franz: Vielleicht wenn es vorbei ist. (157) Julian: Eigentlich es gibt einen, eigentlich es gibt einen Gott, eigentlich den gibt´s auch irgendwo mal in einer Welt, wo alle einen Gott mit bei den hunderten Namen. Nämlich so (unverständlich). (158) B: Und jetzt ist die Elisa dran. (159) Elisa: Ich denke, Gott, es gibt zwei Gott, einmal im Herzen einen Gott und einmal im Himmel einen Gott. (160) B: Aha. Du denkst, es gibt zwei. (161) Elisa: Gibt es auch.

Auswertung

Die Frage »Wohnt Gott in einer Kirche?« war von den Kindern selbst zur Sprache gebracht worden. Allerdings waren seit der Kirchenerkundung, bei der die Frage aufgekommen war, schon einige Tage vergangen. Die Fragestellung ist durchaus nicht so einfach, wie sie zunächst erscheinen mag, denn eng verknüpft mit der Frage »Wohnt Gott in einer Kirche?« sind Fragen wie »Wo ist Gott zu finden?«, was auch impliziert: »Ist Gott für mich da?«, »Ist Gott mir nahe?« In der Frage »Wo ist Gott?« klingt auch die existenzielle Frage nach der Wirksamkeit Gottes mit. Das Ziel des Gesprächs mit den Kindern zu der Frage »Wohnt Gott in einer Kirche?« müsste vor allem darin bestehen, ihre Fragehaltung anzuregen und mit ihnen Gleichnisse und Symbole zu entdecken, die (vorläufige) Antworten auf diese Frage geben. Die Intention eines Gesprächs zu der Frage »Wohnt Gott in einer Kirche?« könnte dann z.B. sein,

Kunze-Beiküfner Theologisieren mit Kindergartenkindern im Kontext alltagsintegrierter religiöser Bildung

dass die Kinder erfahren, dass diese Frage nicht mit einer schnellen Antwort erledigt ist, sondern sie ein Leben lang begleiten kann. Zudem können die Kinder Anregungen erhalten, sowohl den Himmel als auch das Herz symbolisch als Bilder für einen immanenten bzw. transzendenten Gott zu verstehen. Gleichnisse wie das vom Vater und dem verlorenen Sohn wären geeignet, die Frage nach der Beziehung von Gott zu den Menschen zu bedenken. Ein Ziel aus der Perspektive »Theologie von und mit Kindern« wäre es, dass sich die Kinder in Ko-Konstruktion mit Erwachsenen die symbolische Deutung von »Himmel« und »Herz« selbst erarbeiten und aneignen, sowie weitere Bilder, Ideen und Konstruktionen, die von den Kindern kommen, aufnehmen. Für die Erwachsenen, die die Kinder darin begleiten, sich symbolische Bedeutungen von Begriffen zu erschließen, kann in diesem Zusammenhang ein Wissen über elementare theologische Aspekte helfen, das Gespräch kompetent religionssensibel, auch im Hinblick auf die Traditionen, zu begleiten. Der Erzieherin ist es m.E. durchaus gelungen, die Kinder sensitiv zu begleiten und durch Responsivität anzuregen, sich in einem Gruppengespräch über ihre Gedanken zu der Frage »Wohnt Gott in einer Kirche?« auszutauschen. Die Kinder haben vielfältige theologische Konstruktionen zur Sprache gebracht und wurden durch Frau Bunke dazu angeregt, ihre Positionen zu begründen bzw. miteinander in Beziehung zu setzen. Einige Kinder haben im Gesprächsprozess ihre Positionen erweitert oder revidiert, andere haben ihre Vorstellungen begründet vertreten und gleichzei-

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tig akzeptiert, dass es sich hier letztlich um unentscheidbare Fragen handelt und »dass jeder seinen eigenen Geschmack hat.« In dem Gespräch konnten zudem Missverständnisse (Gleichsetzung von der Erzählung »Der hundertste Namen Gottes« mit hundert Göttern; beim Abendmahl wird kein Blut getrunken) geklärt werden. Bemerkenswert wertfrei und konsequent zurückhaltend in Bezug auf eigene inhaltliche Positionen hat Frau Bunke das Theologisieren begleitet und ist weitgehend der Rolle einer Moderatorin eines Gruppengesprächs gerecht geworden, in welchem das Theologisieren in der Dimension Theologie von und mit Kindern im Vordergrund stand. Das »Sustained Shared Thinking« wurde als favorisierte Form der Interaktion zwischen Erzieherinnen und Kindern herausgestellt. Bei dem Gespräch zu der Frage »Wohnt Gott in einer Kirche?« geht es um die Klärung von Gotteskonzeptionen, wobei »Klärung« nicht bedeutet, dass damit eine abschließende Antwort gefunden werden soll, sondern dass eine Reflexion der Konzeptionen erfolgt. Die Kinder haben untereinander ihre Konzeptionen wahrgenommen und gemeinsam weiterentwickelt. In diesem Sinne kann das Gespräch als ein gelungenes Beispiel für eine Interaktion im Sinne des »Sustained Shared Thinking« gelten. Kritisiert werden könnte in diesem Zusammenhang die große Zurückhaltung von Frau Bunke, ihre eigenen Positionen in das Gespräch einzubringen. Auch im Bildungsprogramm von Sachsen-Anhalt wird betont, dass es in Gesprächen zu den »Grundthemen des Lebens« dazugehöre, dass sich die Erzieherinnen »selbst von den Kindern befragen lassen und ›feinfühlig, achtsam

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

und respektvoll‹ ihre Weltsicht erklären können.«60 Auch im Vorbereitungsprozess für ein Theologisieren mit Kindern ist es m.E. unabdingbar, dass sich die Gesprächsleiter nicht nur inhaltlich und methodisch vorbereiten, sondern sich auch selbst dazu befragen, welche Antwort sie auf diese Frage hätten. Zum einen, um vorurteilsbewusst und reflektiert auf die Antworten der Kinder eingehen zu können, und zum anderen, um auf eventuelle Fragen nach der eigenen Meinung auch sprachfähig zu sein. Einen Standpunkt zu reflektieren und zu kommunizieren kann dabei durchaus auch bedeuten, den eigenen Zweifel und Unglauben zur Sprache bringen zu können. In dem Gespräch zu der Frage »Wohnt Gott in einer Kirche?« ist eine Frage nach der eigenen Meinung aber nicht aufgetaucht. In der Dynamik und Dichte des Gesprächs gab es nach meinen Beobachtungen auch nicht einen Moment, wo die Kinder implizit oder unausgesprochen signalisierten, dass sie jetzt gern von Frau Bunke eine Antwort oder eine Position gehört hätten. Daher war die auffallende Zurückhaltung von Frau Bunke m.E. durchaus angemessen. Gefehlt hat mir in diesem Gespräch ein methodisch mehrdimensionaler Zugang zu dem Thema. Gerade in Bezug auf eine symbolische Deutung wäre es naheliegend gewesen, z.B. in Form einer gegenständlichen Visualisierung der Kernbegriffe (Kirche, Herz und Himmel) in der Kreismitte, die unterschiedlichen Theorien (Gott wohnt in der Kirche, im Herzen, im Himmel) während des Gesprächs anschaulich werden zu lassen. Hier hätte auch jeweils ein kleiner Impuls erfolgen können, der die Kinder darauf aufmerksam macht, dass es von al-

len drei Begriffen eine sichtbare und eine unsichtbare Form gibt. Dies setzt aber voraus, dass sich die Gesprächsleitung schon vor dem Gespräch überlegt hat, mit welchen Antworten zu rechnen sein könnte, und hierfür sowie für weitere unerwartete Theorien flexibel einsetzbares Material bereithält. Zudem können Lieder, Gesten oder Ideen zu einem spontanen Bewegungsspiel das einseitige »Aufden-Stühlen-sitzen-und-reden-Setting« nicht nur auflockern, sondern auch zu einer Vertiefung oder Veränderung der Perspektive auf das Thema beitragen. Im Anschluss an die Auswertung der Gruppengesprächs hat Frau Bunke noch viele weitere theologische Gespräche mit Kindern geführt – mal integriert im Alltag der Kita (häufig während der Mahlzeiten) oder spontan im Morgenkreis, mal geplant nach einem Morgenkreis, einem Impuls oder einer gemeinsam erlebten Situation. Mich hat interessiert, wie Frau Bunke ihre Erfahrungen mit dem Theologisieren reflektiert und welche subjektiven Theorien sie dazu entwickelt hat. Die Bedeutung der subjektiven Theorien der pädagogischen Fachkräfte zum Theologisieren mit Kindern in Kindertageseinrichtungen wurde bislang in der kindertheologischen Diskussion vernachlässigt. Dabei beeinflussen subjektive Theorien das Handeln maßgeblich. Astrid Rank weist in ihrer Untersuchung zu subjektiven Theorien von Erzieherinnen darauf hin, dass der Begriff der subjektiven Theorie weiter reicht als ähnliche Be-

60 Ministerium für Arbeit und Soziales (Hg.), Bildungsprogramm für Kindertageseinrichtungen in Sachsen-Anhalt (2014), 87.

Kunze-Beiküfner Theologisieren mit Kindergartenkindern im Kontext alltagsintegrierter religiöser Bildung

griffe wie »Alltagstheorien« oder »naive Theorien«: »Die subjektive Theorie ist nicht fertig abrufbar, lässt sich aber gemeinsam mit dem Forscher rekonstruieren. Dazu muss die Versuchsperson die Theorie in Worte fassen können. Die Argumente, Definitionen und Annahmen der subjektiven Theorie sind miteinander kausal verbunden. Die Aufgabe der subjektiven Theorie im System des Erkenntnisobjekts entspricht einer wissenschaftlichen Theorie. Das heißt, diese Theorien erlauben es dem Menschen, Geschehnisse und Sachverhalte zu erklären, vorherzusagen und produktiv mit ihnen umzugehen.«61

In einem abschließenden Interview hat Frau Bunke folgende subjektive Theorien zum Theologisieren zu Sprache gebracht, die hier abschließend und zusammengefasst genannt weden:62  Das Theologisieren knüpft an schon vorhandene Fragen und Gedanken von Kindern an. Die Aufgabe der Erzieherinnen besteht darin, die Kinder zu begleiten, eigene Antworten zu finden.  Die Erzieherinnen sollen sich im Gespräch mit ihren persönlichen Ansichten zurückhalten. Fragen, die von den Kindern an die Gesprächsleiterinnen gerichtet werden, sollen an die Kinder zurückgegeben werden.  Die Ergebnisoffenheit beim Gespräch ist ein Kernkriterium des Theologisierens. Das Ziel des Theologisierens soll der Weg der Antwortsuche sein und nicht ein schon im Voraus geplantes inhaltliches Ziel.  Biblische Geschichten sollen in einem vom Theologisieren getrennten Setting erzählt werden. Für diese Form religiöser Bildung favorisiert

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Frau Bunke den ganzheitlich-sinnorientierten Ansatz, der von Franz Kett entwickelt wurde.  Zwischen alltagsbasiertem Theologisieren und dem initiierten Theologisieren, wie z.B. im Morgenkreis, ist zu differenzieren – ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal ist die Vorgabe des Themas. Beide Formen haben jeweils ihren Platz und ihre Bedeutung im Zusammenleben des Kindergartens. Auch ein intergenerationelles Theologisieren in großer Runde ist möglich. Die Dokumentation der Gespräche und eine Kommunikation dieser Ergebnisse mit Eltern und Kolleginnen sind wichtig.  Positive Auswirkungen hat das Theologisieren mit Kindern vor allem in den Bildungsbereichen der sozialen und kommunikativen Kompetenz. Das Theologisieren ist zudem eine Möglichkeit für die Kinder, die religionspädagogischen Impulse zu vertiefen und sich kritisch mit diesen auseinanderzusetzen. Ein Schlusswort

Immer wieder erlebe ich es, dass von studierten Theolog/innen und Religionspädagog/innen grundsätzlich angezweifelt wird, dass Erzieher/innen über die notwendigen Kompetenzen für das Theologisieren mit Kindern verfügen. Dabei wird übersehen, dass das Theologisieren 61 Astrid Rank, Subjektive Theorien von Er1ieherinnen zum vorschulischen Lernen und Schriftspracherwerb, Berlin 2008, 16. 62 Vgl. Angela Kunze-Beiküfner (wie Anm. 15), 536f.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

als Interaktionsform sowohl anschlussfähig an die allgemeinpädagogischen elementarpädagogischen Konzeptionen als auch Bestandteil der Bildungs- und Orientierungspläne für Kindertagesstätten ist. Die Qualität der Beziehung zu den Kindern ist dabei von zentraler Bedeutung. Zudem ist das ungeplante Theologisieren eine wesentliche Form

der alltagsintegrierten religionssensiblen Begleitung. Die Herausforderung für die Kindertheologie im Elementarbereich besteht m. E. darin, die pädagogischen Fachkräfte in den Kindergärten zu motivieren, sich solchen Gesprächen zu stellen, und sie dann beratend zu begleiten sowie geeignete Fort- und Weiterbildungen anzubieten.

Wustrack Religion im Alltag entdecken

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Simone Wustrack Religion im Alltag entdecken. Religiöse Bildungsbegleitung in der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland

In Bildungsempfehlungen der Bundesländer wird »Religion« als ein Bestandteil früher Bildungsprozesse verstanden1. Dies gilt auch für die Bundesländer Sachsen-Anhalt und Thüringen, in denen das Pädagogisch-Theologische Institut in der EKM und der EvLKA2 den Auftrag von religionspädagogischen Fortbildungen für pädagogische Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen wahrnimmt. Dies hat Folgen für die pädagogische Arbeit in Kindertageseinrichtungen. Unabhängig von der Trägerschaft gehört es zu den Aufgaben von Pädagoginnen und Pädagogen im frühkindlichen Bereich, religiöse Bildungsbewegungen im Kontext von Vielfalt, Pluralität und Diversität kompetent zu begleiten3. Dies geschieht vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Wirklichkeiten, in die eine Einrichtung eingebunden ist. In ländlichen Regionen Sachsen-Anhalts, in denen es kaum ausgeprägte, über Generationen verankerte familiäre religiöse Einbindungen gibt und zudem eine kulturelle Vielfalt in den Kindertageseinrichtungen fehlt, stellen sich andere Herausforderungen an eine religiöse Bildungsbegleitung als beispielweise in einer Einrichtung im traditionell katholisch geprägten Eichsfeld oder in einem kulturell und religiös vielfältig gestalteten Stadtgebiet Thüringens. Es gibt Einrichtungen, in denen eine kulturelle Vielfalt und religiöse Ausdrucksformen

zum »selbstverständlichen Alltag« gehören und andere, in denen »Religion« scheinbar keine Rolle im Leben der Familien spielt. Neben diesen einrichtungsspezifischen Bedingungen hat die Trägerschaft der Kindertageseinrichtung eine Auswirkung auf die Gestaltung religiöser Bildungsbegleitung. Diese entscheidet häufig darüber, wie deutlich religiöse Themen in die Bildungsbegleitung der Kinder und die Arbeit mit den Familien eingetragen werden. Der überwiegende Teil der Fortbildungsteilnehmenden, die in konfessionell getragenen Kindertageseinrichtungen in Mitteldeutschland tätig ist, bezeichnet sich selbst als »nicht religiös«, ist durch die Herkunftsfamilie nicht konfessionell geprägt, verfügt über begrenztes religiöses Wissen und sehr eingeschränkte Vorerfahrungen im Bereich von Religion. 1 Eine Übersicht der einzelnen Empfehlungen findet sich beispielsweise unter: https:// www.bildungsserver.de/Bildungsplaene-derBundeslaender-fuer-die-fruehe-Bildung-inKindertageseinrichtungen-2027-de.html. 2 Abgekürzt durch: PTI. 3 Michael Wermke skizziert das Verständnis von Pluralität, Vielfalt und Diversität in seinen Überlegungen zu einer zeitgemäßen pädagogischen Praxis in Kindertagesstätten und Schulen. Vgl. Michael Wermke, in: Ders. (Hg.), Warum religiöse Bildung? Kultur- und religionssensible Praxis in Kindertagesstätten und Schulen, 2018, 12.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

Viele sammeln in der Kita und der Arbeit mit den Kindern erste eigene konkrete religiöse Erfahrungen. Religionssensible Begleitung – Religion »wahrnehmen, anerkennen, herausfordern und begleiten«4

Seit einigen Jahren ist das Konzept der religionssensiblen Begleitung von Kinder und Familien für die Fortbildungsarbeit des PTI prägend. Das Konzept der religionssensiblen Begleitung bezieht sich auf das Programm religionssensibler Erziehung, das unter anderem von Martin Lechner und Martin Schwer für die Arbeit in Einrichtungen der Jugendhilfe konzipiert wurde5. Johann La Gro beschreibt das zentrale Anliegen so: »Aus der Perspektive der Erziehenden stellt das Programm eine Grundhaltung und eine Kompetenz in den Mittelpunkt. Erzieherinnen und Erzieher entwickeln eine Haltung der Offenheit und des Respekts gegenüber der Religion von Kindern und Jugendlichen und fühlen sich in deren Erleben von Religion ein. Sie sind bereit, religiöse Spuren in ihrem eigenen Leben und im Leben der [Kinder und; Anm. d. Red.] Jugendlichen zu entdecken. Dabei entwickeln sie die Kompetenz, verschiedene religiöse Orientierungen wahrzunehmen und zu verstehen. Dies befähigt sie dazu, sich in der multireligiösen Kultur erzieherisch sinnvoll zu verhalten und friedliches Zusammenleben zu fördern.«6 Einen Kern der religionssensiblen Begleitung bildet die mehrdimensionale Wahrnehmung und Beschreibung von »Religion«, in der anthropologische, funktionale und substantielle Religionsbegriffe Aufnah-

me finden. Dies ermöglicht eine breite Wahrnehmung religiöser Spuren in der Kindertageseinrichtung und im pädagogischen Alltag, auf die an späterer Stelle näher eingegangen wird. Die religionssensible Begleitung in der Kindertageseinrichtung zeigt ebenso wie die sehr unterschiedlichen religionspädagogischen Konzepte zwei zentrale Grundrichtungen: Sie zeigt sich in Haltung und Gestaltung7. Die Ebene der Gestaltung ist »sichtbar« und damit »greifbar«: In Einrichtungen werden beispielsweise Andachten oder Gottesdienste mit der Gemeinde gefeiert, religiöse Morgenkreise, religiöse Feste und vieles mehr prägen das Kindergartenjahr. Schwieriger verhält es sich mit der Ebene der Haltung. Sie findet häufig in konzeptionellen Beschreibungen einer Einrichtung ihren Niederschlag: Religion zeigt sich beispielsweise in einer Orientierung der pädagogischen Arbeit auf ein »christliches Menschenbild«, in einer Ausrichtung des Alltags in Bezug auf »christliche Werte« oder ähnliches. Diese Ebene ist nicht auf den ersten Blick »sicht«- und »greifbar«. Religion im Alltag zu entdecken und zu deuten wird damit zu einer Kernherausforderung für Pädagoginnen und Päd4 Martin Lechner, Die Suche nach dem eigenen Glauben. Einführung in die Religionsdidaktik des Jugendaltes, Gütersloh 1996, 153, im Anschluss an Friedrich Schweitzer. 5 Martin Lechner / Martin Schwer, Werkbuch religionssensible Erziehungshilfe 2009. 6 Johann La Gro / Andreas Obermann u.a. (Hg.), Evangelische Religionspädagogik für sozialpädagogische Berufe, Braunschweig 2019. 7 Maike Lauther-Pohl nennt drei Elemente für die integrierte Religionspädagogik: »Haltung, Gestaltung und Versprachlichung«. Maike Lauther-Pohl in: Praktische Theologie. Zeitschrift für Praxis in Kirche, Gesellschaft und Kultur, Ausgabe 2/2015, 78.

Wustrack Religion im Alltag entdecken

agogen, die religionssensibel arbeiten wollen. Diese Herausforderung wird in religionspädagogischen Fortbildung aufgegriffen, indem den Teilnehmenden ein Rahmen ermöglicht wird, an einer religionssensiblen Haltung zu arbeiten und religiöse Spuren im Alltag zu entdecken. Dimensionen von Religion

Im Konzept der religionssensiblen Erziehung ist ein dreidimensionales Modell von Religion grundlegend. Martin Lechner unterscheidet zwischen Existenzglauben, Transzendenzglauben und

Konfessionsglaube

In der zweiten Dimension »Transzendenzglauben« verortet Martin Lechner eine »individuelle und reflektierte Bejahung einer transzendenten, unüberbietbaren Wirklichkeit«. Diese Dimension beschreibt er als »religiöse Bildung, die eine deutende Erschließung eines transzendenten Sinnhorizonts für glückendes Leben« in das Zentrum rückt. In der Formulierung G. Menschings, in der Religion als »erlebnishafte Begegnung mit dem Heiligen und antwortendes

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Konfessionsglauben und ordnet diesen Dimensionen Religionsdefinitionen und Ausdrucksformen zu. Im Existenzglauben finden sich »Grunderfahrungen menschlicher Existenz: Geschöpflichkeit – (…) Zukünftigkeit – Scheitern – »Letztes Woraufhin« des Lebens«. Anthropologische Zugänge zu Religion, wie sie sich beispielsweise in Paul Tillichs »Ergrifffensein von dem, was unbedingt angeht« finden lassen, erhalten in dieser weitesten Dimension von Religion ihren Platz8. In dieser Dimension lassen sich auch solche »religiösen Spuren« in Lebensvollzügen und im Alltag von Einrichtungen identifizieren, die oft nicht ausdrücklich als »religiös« bezeichnet werden.

Transzendenzglaube

Existenzglaube

Handeln des vom Heiligen bestimmten Menschen« beschrieben wird, kommt der Religionsbegriff dieser Dimension zum Ausdruck9. In der dritten Dimension, dem Konfessionsglauben, kommen schließlich religiöse Bekenntnisse im Rahmen von 8 Martin Lechner in: Martin Lechner / Martin Schwer (Hg.), Werkbuch Religionssensible Erziehungshilfe 2009, 37. 9 Ebd., 38.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

Glaubensgemeinschaften zum Tragen. Religion wird dabei beispielsweise mit Theo Sundermeier als »gemeinschaftliche Antwort auf Transzendenzerfahrungen, die sich in Ritus und Ethik Gestalt gibt« definiert. Die religiöse Sozialisation, das Hinweinwachsen in eine Gemeinschaft findet in dieser Dimension ihren Platz.

Religiöse Ausdrucksformen und Vollzüge kennenlernen

Die erste Dimension trägt den Titel: »Die Tiefe im Alltag wahrnehmen«. In dieser Dimension wird mit Hilfe von Bedürfnisbegriffen versucht, die beispielsweise im Rahmen der Gewaltfreien Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg Verwendung finden, existentielle Erfahrungsebenen in Alltagssituationen zu identifizieren10. Die pädagogisch Tätigen erkennen schnell, dass es beim Windeln in der Krippe um »mehr« geht, als darum, ein Kind zu säubern und zu trocknen. Dass es um Beziehung und Berührung geht, um Gesehenwerden, vielleicht um Autonomie, entdecken sie vor dem Hintergrund ihrer alltäglichen Erfahrungen. Für viele ist es entlastend zu sehen, dass »Religion« im weitesten Sinne darin zu finden ist, diese Tiefenstrukturen in jeder Alltagssituation zu sehen. »Religion« steht dabei immer in Anführungszeichen, denn ob dies für eine Person Religion ist, oder anders

Das Nachdenken über Religion

Die Grundgedanken dieses Modells wurden vor einigen Jahren in die Fortbildungsarbeit aufgenommen und an die in Mitteldeutschland prägenden Rahmenbedingungen angepasst.

Die Tiefe im Alltag sichtbar ausdrücken

Die Tiefe im Alltag wahrnehmen

bezeichnet wird, bleibt dabei offen. Zugleich ist eine pädagogische Praxis in dieser Dimension nach Martin Lechner als »allgemein menschliche Erziehung« zu bewerten und kein Alleinstellungsmerkmal für konfessionell getragene Kindertageseinrichtungen. Die Besonderheit liegt darin, die Tiefenstrukturen im Alltag auch in ihrer Bedeutung für eine religiöse Begleitung und Entwicklung der Kinder zu sehen. Diese weite Dimension von Religion bildet den »Nährboden« und die sichere Basis für alle weiteren Formen der religionssensiblen Begleitung. Die Tiefenstrukturen wahrzunehmen, bildet eine Kompetenz 10 Marshall B. Rosenberg, Gewaltfreie Kommunikation. Eine Sprache des Lebens, 2010. Frank und Gundi Gaschler: Ich will verstehen, was du wirklich brauchst. Gewaltfreie Kommunikation mit Kindern, 2011. Marina Rädiker, Giraffimo. 2015.

Wustrack Religion im Alltag entdecken

der Pädagoginnen und Pädagogen und ist ein wichtiger Aspekt im Kontext einer religionssensiblen Haltung. Die zweite Dimension trägt den Titel: »Die Tiefe im Alltag sichtbar deuten«. In dieser Dimension ist es möglich, den Alltag auf wiederkehrende Vollzüge und Rituale hin zu reflektieren, die darauf abzielen, die Tiefenstrukturen sichtbar auszudrücken. Ein Beispiel: In vielen Kindertageseinrichtungen ist es eine bekannte Form, dass die Mahlzeiten gemeinsam eingenommen werden. Warum ist das eigentlich so? Wenn wir auf Tiefenstrukturen schauen, lässt sich entdecken, dass es beim Essen scheinbar um »mehr« geht als darum, den Magen mit Nahrung zu füllen. Erst wenn weitere Bedürfnisse hinzukommen – Gemeinschaft, Austausch, Nähe und gestaltete Beziehungen oder ähnliches – dann erhält der gemeinsame Beginn Sinn. Zum gemeinsamen Beginn wird oft ein Tischspruch gesprochen, der dem Bedürfnis nach Gemeinschaft einen nach außen hin wahrnehmbaren Ausdruck verleiht. An diesen und anderen Beispielen zeigt sich, wie stark der Alltag in Kindertageseinrichtungen über selbstverständliche Rituale strukturiert ist, die für sich genommen Lebensfragen und Lebensthemen aufnehmen und ausdrücken, wobei diese in den seltensten Fällen reflektiert werden. Das Nachdenken über Rituale, über vertraute Muster und Vollzüge, über Macht und Partizipation findet im Rückschluss an diese Dimension einen angemessenen und fruchtbringenden Rahmen in Fortbildungen. Wichtig ist hierbei, dass nicht nur religiöse Rituale in den Blick geraten, sondern ebenso solche, die nicht auf den ersten Blick »reli-

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giös« sind11. Dies ermöglicht es auch Teilnehmenden aus Einrichtungen, die sich nicht in konfessioneller Trägerschaft befinden, differenziert über Alltagsrituale auszu-tauschen und diese auf die durch sie ausgedrückten Bedürfnisse und Lebensthemen hin zu befragen. Auch in dieser Dimension ist es möglich, religionssensible Kompetenzen zu vertiefen. Die dritte Dimension lautet: »Religiöse Ausdrucksformen und Vollzüge kennenlernen«. In dieser haben die vielfältigen Formen im Bereich der Gestaltungen ihren Platz: Gebete, Andachten, religiöse Feiern im Jahreslauf, biblische Geschichten, Kirchenerkundungen und vieles mehr. Dieser Bereich findet sich dabei in konfessionell getragenen Einrichtungen mit einer Selbstverständlichkeit, in Einrichtungen anderer Trägerschaft findet er sich nicht unbedingt. Insgesamt ist zu beobachten, dass es für Pädagoginnen und Pädagogen unterschiedlichster religiöser Prägungen mit Hilfe des angepassten dreistufigen Religions-Modells möglich ist, »Religion« in Haltung und Gestaltung in einer Breite wahrzunehmen und die eigene Praxis daraufhin zu reflektieren und zu einer neuen Qualität in der religionssensiblen Begleitung zu gelangen. Zu den religionssensiblen Kompetenzen zählen im Anschluss an das Modell: Ich kann Tiefenstrukturen im Alltag mit Hilfe von Bedürfnissen entdecken. Ich kann darüber hinaus die Lebensthemen, die in den Tiefenstrukturen verborgen liegen, benennen. 11 An dieser Stelle zeigt sich eine Variation in Bezug auf Martin Lechners ursprüngliches Modell, in dem in der zweiten Dimension »Gott« explizit zum Ausdruck kommt.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

Ich kann benennen, welche wiederkehrenden Strukturen des Alltags die einzelnen Lebensthemen aufgreifen und deuten. Ich kann explizite religiöse Ausdrucksformen und Vollzüge mit den Tiefenstrukturen und Lebensthemen in Verbindung bringen. Um die Teilnehmenden in der Entwicklung dieser Kompetenzen zu unterstützen, wird in den Fortbildungen häufig videografisch gearbeitet.

Moduls »Kinder-Bildung-Religion« eingesetzt, das im Jahr 2016 am Pädagogisch Theologischen Institut entwickelt wurde. Die Filme zeigen unkommentierten »normalen« Alltag in Kindertageseinrichtungen12, der es den Teilnehmenden in einer Fortbildung ermöglicht, Dimensionen von Religion im Alltag aufzuspüren. Ein Beispiel kann dies veranschaulichen. In einem Film ist eine Mittagessensituation zu beobachten. Zu sehen sind Kinder, die an runden Tischen sitzen, eine Erwachsene sitzt mit ihnen am Tisch.

Mit Filmbeispielen arbeiten

Das videografische Arbeiten bildet seit fast zehn Jahren einen Schwerpunkt in der Fortbildungsarbeit am PTI. Dies wird mit dem Ziel begründet, Theorie und Praxis in den Fortbildungsszenarien eng aufeinander beziehen zu können und ein nachhaltiges Lernen zu unterstützen. Teilnehmende, die sich in einer Langzeitfortbildung für Religionspädagogik im Elementarbereich befinden, werden daher gebeten, eigene Alltagssequenzen in die Fortbildungen mitzubringen und diese in der Kursgruppe vor dem Hintergrund des dreidimensionalen Modells zu diskutieren. Der Datenschutz erschwert dieses Vorgehen, den wenigsten ist es noch möglich, im Alltag kurze Sequenzen für die Fortbildungsarbeit festzuhalten. Daher wird verstärkt auf »fremde« Filmsequenzen zurückgegriffen, um den eigenen Alltag konstruktiv zu beleuchten. In mehreren Projekten entstanden am PTI Filme aus Schulen und Kindertageseinrichtungen. Für die Arbeit in religionspädagogischen Fortbildungen für Mitarbeitende in Kindertageseinrichtungen werden die Filme des e-Learning

In der ersten Dimension kann zunächst ein Austausch darüber stattfinden, welche Atmosphäre in der Situation für die Betrachtenden zu erahnen ist. Vielen fällt die Dekoration in der Tischmitte auf, es wird vermutet, dass die Kinder Geschirr und Besteck verteilt haben und dass diese Blickkontakt zur Erwachsenen haben. Die Szene lädt ein, sich über die tieferen Ebenen in den alltäglichen Situationen des Essens auszutauschen. Dass es um 12 Gefilmt wurde in zwei Kindertageseinrichtungen Sachsen-Anhalts. Jeweils eine Pädagogin und ein Kind wurden ein Tag lang filmisch begleitet. Daraus entstanden vier Filme mit Tageszusammenstellungen sowie Auskoppelungen abgegrenzter Angebote (Morgenkreise). Für filmische Analysen wurden Kriterien für elementarpädagogische Praxis ausgewählt, die als mitlaufende Einblendung zur Arbeit genutzt werden können. Transkripte aller Filme ergänzen das Medienpaket.

Wustrack Religion im Alltag entdecken

»mehr« geht als die Aufnahme von Nährstoffen liegt auf der Hand und ist in der Sequenz gut zu entdecken. Das gemeinsame Essen in der Tischgemeinschaft erfüllt Bedürfnisse von Nähe, Sehen und Gesehenwerden, Verbindung und Austausch. Im weiteren Verlauf des Filmes ist Folgendes zu sehen:

Die Teilnehmenden in Fortbildungen, die ja in der Regel alle in Kindertageseinrichtungen tätig sind, entdecken in dieser Szene sofort vertraute Strukturen: Das Essen wird gemeinsam mit einem vertrauten Ritual begonnen. Im Rückschluss auf die zweite Dimension ist zu erkennen, dass dieses Ritual dem tieferliegenden Bedürfnis nach Gemeinschaft einen sichtbaren Ausdruck verleiht. Die Kinder haben ihren Anteil an dem Ritual, indem sie über den Spruch entscheiden können. In der Filmsequenz geht die Szene allerdings noch weiter und Folgendes ist zu sehen:

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Nach dem Tischspruch fassen sich alle an den Händen und gemeinsam wünschen sich alle einen »Guten Appetit!«. Diese Sequenz wirkt stark ritualisiert und trägt keine individuellen Züge mehr. Alle machen mit und sprechen (wenn sie es können) mit. Viele erinnert dies an ein Tischgebet oder zumindest an das gemeinschaftlich gesprochene »Amen!« zum Abschluss eines Tischgebets. Im Anschluss an die Arbeit mit der Filmszene wird der eigene Alltag vor dem Hintergrund des Modells untersucht.

Eine wichtige Grundbedingung für den Einsatz von »fremden« Situationen ist die achtsame Vorarbeit in der Fortbildungsgruppe. Zu schnell geschieht es sonst, dass die Kollegin oder der Kollege im Film oder eine Situation herabgewürdigt wird (im Sinne von: »Was machen die denn? Das geht ja gar nicht!« oder: »Na, wenn ich solche Bedingungen hätte, könnte ich auch so arbeiten!«). Da diese herabwürdigenden Tendenzen den eigenen Lernzugang erschweren können, wurden Regeln für das gemeinsam Analysieren von Filmsequenzen in einer Expertentagung im Rahmen des Projekts »Kinder-Bildung-Religion« erarbeitet, die im Vorfeld einer Sequenzanalyse mit

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

jeder Fortbildungsgruppe diskutiert werden: Das Betrachten von fremden Filmsequenzen erfolgt anerkennend und wertschätzend Grundsatz: Jede Szene erhält ihr Recht aus der Situation heraus. Jede Situation ist ein Geschenk an das eigene Lernen. Die Betrachtenden bemühen sich um eine fragende und verstehende Haltung Grundsatz: Jede Person handelt für sich intuitiv oder reflektiert schlüssig. In der Auseinandersetzung mit dem Film kann ich mich fragen: Was treibt die Person an, so zu sprechen oder zu handeln? Die Betrachtenden nutzen die Situation, um einzelne Kriterien (religions-)pädagogischer Praxis zu reflektieren und zu deuten Vor dem Hintergrund (religions-)pädagogischer Aspekte kann das beobachtete Verhalten oder die Situation gedeutet werden und nach für den jeweiligen Aspekt mehr oder minder förderliche Tendenzen reflektiert werden. Gewinnbringend ist in besonderer Weise die Arbeit mit »irritierenden Filmszenen«. Die Filme aus dem Modul »KinderBildung-Religion« bieten dafür reichlich Material, da das Projekt nicht zum Ziel hatte, »idealtypischen Alltag« zu zeigen13. Dies ist an »fremden« Situationen häufig einfacher als an eigenen, da eine gewisse Distanz vorhanden ist. Allerdings sind gerade diese Szenen mit Achtsamkeit zu betrachten und zu analysieren. Wenn die in der Szene handelnden Personen herabgewürdigt werden, ist es für die Teilnehmenden in einem Fortbildungssetting schwierig, die Situation mit der eigenen Wirklichkeit in einen konstrukti-

ven Austausch zu bringen. Für die Arbeit mit »irritierenden Szenen« wurden daher ebenfalls Regeln entwickelt. Die Auseinandersetzung mit diesen Szenen erfolgt in vier Schritten: Schritt 1 Die in der Filmsequenz dargestellte Situation wird zunächst beschreiben und die Irritation ausgedrückt »Ich bin irritiert, weil …«, »Mich irritiert, dass …«. Schritt 2 Ich beschreibe, welche Kriterien pädagogischer Qualität für mich in einer vergleichbaren Situation gelten, die ich in dieser Situation nicht erfüllt sehe. Schritt 3 Ich nähere mich der beobachteten Person in der Filmszene an und versuche, mich in ihre Situation zu versetzen: Was ist ihm oder ihr in der Situation womöglich wichtig gewesen? Schritt 4 Ich schließe auf meinen eigenen Alltag zurück: »Wie gestalte ich eine Situation konkret, um die genannten Kriterien in zu erfüllen«? Gerade für das Aufspüren religiöser Dimensionen im Alltag bringt die Arbeit mit Videos Vorteile: Der Alltag wird ver-

13 Das Problem bei idealtypischen Filmen (zum Beispiel die Produktion: Schlüssel zum Leben, Erfahrungen in der Krabbelstube) besteht darin, dass Fortbildungsgruppen häufig mit Abwehr und Herabwürdigung reagieren – niemand möchte sich in der Fortbildung erklären lassen, was er oder sie alles besser machen müsste.

Wustrack Religion im Alltag entdecken

langsamt. Ich kann die Szenen wiederholen und ich kann mich mit Kolleginnen über die gesehene Situation verständigen. Natürlich ist der Alltag schneller und somit ist die Fortbildung wie eine Laborsituation. Die Alltagsanalysen von Fortbildungsteilnehmenden, die diese im Anschluss an die videographische Arbeit durchführen, zeigen jedoch, dass eine Übertragung auf den eigenen Alltag möglich ist.

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Dies gilt zunächst unabhängig davon, inwieweit die Formen des Theologisierens mit Kindern in einer Einrichtung verankert sind. Sie ermöglichen es, in der Alltagspraxis bei den Kindern selbst und ihren Erfahrungen anzusetzen und diese mit ausdrücklichen religiösen Themen und Fragen in Verbindung zu bringen, um die die drei Formen des Theologisierens mit Kindern zirkulieren. Das Theologisieren kann durch diesen Bezug in der Praxis geerdet werden.

Folgerungen für das Theologisieren mit Kindern im Kindergarten14

Die hier aufgezeigten Such- und Nachdenkbewegungen mit Pädagoginnen und Pädagogen aus elementarpädagogischer Praxis tragen in erster Linie zur Ausdifferenzierung von Kompetenzen bei, die für eine religionssensible Begleitung von Kindern und Familien grundlegend sind.

14 Angela Kunze Beiküfner hat das Theologisieren mit Kindern im Kindergarten vor dem Hintergrund der religionssensiblen Begleitung dargestellt. Angela Kunze Beiküfner in: Thomas Schlag / Hanna Roose u.a. (Hg.), »Was hat das für einen Sinn?« Kommunikation des Evangeliums mit Kindern und Jugendlichen, 2018, 103–113.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

Anke Edelbrock Murat blieb stumm – Die Bedeutung migrationspädagogischer Rahmenbedingungen für Kindertheologie in religiöser Vielfalt Kindertheologie im Elementarbereich findet in religiöser Vielfalt statt. Anders als in der Grundschule, in der Kindertheologie oft innerhalb des konfessionellen Religionsunterrichts eingebettet ist, bedeutet Theologisieren in der Kindertagesstätte, dass religiöse und interreligiöse Bildungsprozesse innerhalb der gesamten Kindergruppe erfolgen. Der vorliegende Beitrag verdeutlicht zunächst mit Hilfe aktueller Zahlen die vorhandene religiöse Vielfalt in deutschen Kindertagesstätten, reflektiert dabei die Bedeutung von individueller Familienreligiosität und zeigt ein kindertheologisches Interesse für die religiöse Vielfalt auf. Eine entscheidende Herausforderung für theologische Gespräche in religiöser Vielfalt sind Kinder, die sich nicht einbringen, sondern schweigen. Dieser Herausforderung nimmt sich der vorliegende Beitrag an. Es werden migrationspädagogische Zugehörigkeitsordnungen in Bezug auf Religion hinterfragt und es wird deutlich, dass eine gelingende Kindertheologie in religiöser Vielfalt einer Einbettung in bewusst gestaltete pädagogische Rahmenbedingungen bedarf. 1. Kindheit in religiöser Vielfalt

Die Globalisierung als grundsätzliche und weitreichende gesellschaftliche Ver­ änderung im 21. Jahrhundert prägt durch

das Hervorbringen einer pluralen Gesellschaft auch das Leben der Kinder. Bereits 2005 betont der 12. Kinder- und Jugendbericht »die Internationalisierung von Lebenswelt«.1 Ein Blick auf aktuelle Zahlen zeigt, dass Vielfalt besonders in der Kindheit vorliegt. Im Jahr 2018 liegt innerhalb der Gesamtbevölkerung der Anteil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund bei 25,5 %.2 Bei den Kindern ist der Anteil wesentlich höher. 2018 liegt der Bevölkerungsanteil mit Migrationshintergrund bei den in Deutschland lebenden Kindern im Alter von 10 bis 15 Jahren bei 38,4 %, bei den Kindern im Alter von 5 bis 10 Jahren bei 40,0 % und bei den Kindern unter 5 Jahren bei 40,6 %.3 Das heißt, weit mehr als jedes dritte Kind in Deutschland hat einen Migra­tions­hintergrund. Und wie steht es um die religiöse Vielfalt? Vonseiten des statistischen Bundesamtes werden sehr genaue Informationen zur kulturellen Pluralität der Bevölke-

1 Bundesministerium für Familie, Frauen, Senioren und Jugend (Hg.), Zwölfter Kinder- und Jugendbericht. Bericht über die Lebenssituation junger Menschen und die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland, München 2005, 70. 2 Statistisches Bundesamt (Hg.), Bevölkerung und Erwerbstätigkeit. Bevölkerung mit Migrationshintergrund. Ergebnisse des Mikrozensus 2018, Wiesbaden 2019, 35. 3 Ebd., 35.

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rung geliefert. Statistische Erhebungen zur religiösen Pluralität sind weitaus schwieriger zu greifen, da niemand verpflichtet ist, seine religiöse Überzeugung anzugeben.4 So liefern die Zahlen der repräsentativen Erhebung des Tübinger Forschungsprojektes »Interkulturelle und interreligiöse Bildung in Kindertagesstätten« aus dem Jahr 2011 nach wie vor wichtige Grundinformationen.5 Hier konnte mit den Angaben der Erzieherinnen gezeigt werden, dass in mehr als Dreiviertel (77 %) aller Tagesstättenkindergruppen Kinder mit verschiedener Religionszugehörigkeit zusammenleben.6 In Einrichtungen in konfessioneller Trägerschaft hatten nach Schätzungen der Erzieherinnen rund 69 % der Kinder eine christliche Religionszughörigkeit, 13 % eine muslimische, rund 4 % eine andere Religionszugehörigkeit und rund 18 % der Kinder hatten keinen Religionszugehörigkeit. In Einrichtungen in nicht-konfessioneller Trägerschaft waren die Verhältnisse nur geringfügig anders (68 % christlich, 13 % muslimisch, 15 % ohne Religionszugehörigkeit, 3 % andere und 15 % ohne Religionszugehörigkeit)7. Eine jüdische Religionszugehörigkeit lag nur sehr selten vor.8 Die World Vision Kinderstudie 2018 fragt nach religiösen Familienzusammenhängen der Grundschulkinder: Hiernach wachsen im Bundesdurchschnitt 66 % der Kinder in Deutschland in einem Elternhaus auf, in dem mindestens ein Elternteil eine christliche Religionszugehörigkeit hat. Ein Blick auf Ost-West-Unterschiede: 71 % der Kinder in den alten Bundesländern (incl. Berlin) und 28 % der Kinder in den neuen Bundesländern wachsen im Jahr 2017 in einem Elternhaus auf, in dem mindestens ein Eltern-

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teil eine christliche Religionszugehörigkeit hat.9 Ferner leben 13 % der Kinder im Grundschulalter in einem Elternhaus, in dem mindestens ein Elternteil dem islamischen Glauben zuzurechnen ist. Hier wurde noch genauer differenziert: Bei Kindern mit Migrationshintergrund haben 36 % der Kinder mindestens ein Elternteil mit islamischem Glauben. Während bei Kindern ohne Migrationshintergrund der Anteil der Kinder, die in einem Elternhaus mit mindestens einem muslimischen Elternteil aufwachsen, bei unter 1 % liegt. Keine Religionszugehörigkeit beider Eltern liegt im Bundesdurchschnitt in einem Fünftel (20 %) der Elternhäuser vor.10 Damit wächst in Deutschland mit rund 80 % aller Grund-

4 Vgl. die rechtliche Grundlage in GG Art. 140, Bezug Art. 136 (3) WRV. 5 Friedrich Schweitzer / Anke Edelbrock / Albert Biesinger (Hg.), Interreligiöse und interkulturelle Bildung in der Kita. Eine Repräsentativbefragung von Erzieherinnen in Deutschland – interdisziplinäre, interreligiöse und internationale Perspektiven, Münster u.a. 2011. 6 Friedrich Schweitzer / Albert Biesinger / HansPeter Blaicher / Anke Edelbrock / Annette Haußmann / Wolfgang Ilg / Murat Kaplan / Golde Wissner, Interreligiöse und interkulturelle Bildung in Kindertagesstätten – Befunde aus der Erzieherinnenbefragung, in: Schweitzer / Edelbrock / Biesinger (Hg.), [wie Anm. 5], 29–54, 37. 7 Vgl. ebd. 8 0,2 % der Kinder in konfessionell getragenen Einrichtungen und 0,1 % der Kinder in Einrichtungen von nichtkonfessionellen Trägern gehören dem Judentum an (vgl. ebd., 32). 9 Monika Pupeter / Ulrich Schneekloth, Familie: Vielfältige Hintergründe und unterschiedliche Lebenslagen, in: World Vision Deutschland e.V. (Hg.), Was ist los in unserer Welt? Kinder in Deutschland 2018, 4. World Vision Kinderstudie, Weinheim u. Basel 2018, 54–75, 60f. 10 Ebd., 61.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

schulkinder ein Großteil aller Kinder in einem Elternhaus auf, in dem mindestens ein Elternteil eine Religionszughörigkeit hat. Beide Erhebungen zeigen sehr deutlich, dass ein großer Teil der Kinder, die in Deutschland leben, in Familien aufwachsen, in denen eine Religionszugehörigkeit vorhanden ist. Zugleich soll an dieser Stelle auch deutlich hervorgehoben werden, dass weder die Nichtzugehörigkeit noch die Zugehörigkeit Aussagen darüber macht, wie die jeweilige Familienreligiosität gelebt wird. Familienreligiosität ist eine hochindividualisierte Form gelebter Religion. In und mit ihr machen Kinder Erfahrungen damit, was den Familienmitgliedern wichtig ist und worin sie entsprechend einen Sinn sehen. Sie gilt als »Quelle gelungener Lebensbewältigung, die von kirchlich orientierten wie von kirchlich distanzierten, und sogar aus der Kirche ausgetretenen Eltern wertgeschätzt wird« und zeigt, woran man sich in schwierigen Lebenszeiten festhalten kann.11 Die Varianz gelebter Familienreligiosität ist aufgrund unterschiedlicher Stile innerhalb der verschiedenen Religionen in Deutschland sehr groß. Dies verdeutlichen die qualitativen Erhebungen der World Vision Studien beispielsweise für muslimische Kinder. Die Eltern der elfjährigen Adriana gehören beide dem muslimischen Glauben an. Adrianas Mutter kommt aus dem Kosovo, ihr Vater ist in Bosnien aufgewachsen. Trotzdem, so erzählt Adriana, wird das Weihnachtsfest in der Familie immer gemeinsam gefeiert. Die Familie habe auch einige muslimische Rituale übernommen, aber, so berichtet Adriana weiter, sie selber wisse nicht viel über den muslimischen Glauben.12 Eine

viel stärkere Rolle spielt die Religionszugehörigkeit in der Familie der neunjährigen Mia, deren Eltern beide aus Bangladesch kommen. Mia erzählt, dass sie viele Musliminnen als Freundinnen habe, weil diese Gemeinsamkeit das Schließen einer Freundschaft erleichtere.13 Es ist anzunehmen, dass aufgrund von Einwanderung in Deutschland die Pluralität gelebter Familienreligiosität quer durch alle Religionen weiterhin zunehmen wird. Hierbei kommt es auch zu Verschiebungen der migrationsgesellschaftlichen Religionsverhältnisse. In der muslimischen Community beispielsweise nimmt die nationale Vielfalt zu und die Proportionen bei der regionalen Herkunft der zugewanderten Muslime verschieben sich: im Jahr 2011 beispielsweise kamen 67,5 % aller zugewanderten Muslime aus der Türkei und 7,5 % aus dem Nahen Osten. Vier Jahre später waren es noch 50,7 % der in Deutschland lebenden Muslime, die aus der Türkei kommen, während der Anteil, der aus dem Nahen Osten stammt, 11 Werner H. Ritter, Religionsunterricht und andere Orte religiöser Bildung – Familie, Gemeinde, Öffentlichkeit, in: Georg Hilger / Werner H. Ritter / Konstantin Lindner / Henrik Simojoki / Eva Stögbauer, Religionsdidaktik Grundschule. Handbuch für die Praxis des evangelischen und katholischen Religionsunterrichts, München/Stuttgart 2014, 114–133, 123. 12 Amelie Jung, Adriana, 11 Jahre: »Kinder müssen ja auch die eigene Meinung sagen«, in: World Vision Deutschland e.V. (Hg.), Kinder in Deutschland, 3. World Vision Kinderstudie, Weinheim/Basel 2013, 271–282, 276 u. 282. 13 Dilan Iinar, Mia, 9 Jahre, 2. Klasse »Ich hätte gesagt, dass er sich eigentlich nicht so viel Sorgen machen muss. Wegen er hat ja jetzt Deutschland«, in: World Vision Deutschland e.V. (Hg.), Was ist los in unserer Welt? Kinder in Deutschland 2018, 4. World Vision Kinderstudie, Weinheim/Basel 2018, 317–321, 319.

Edelbrock Bedeutung migrationspädagogischer Rahmenbedingungen für Kindertheologie in religiöser Vielfalt

auf 17,1 % gestiegen ist. Auch im christlichen Bereich kommt es in Deutschland durch die Zuwanderung von Christen aus anderen Ländern zu einer Pluralisierung gelebter Familienreligiosität. Erfährt man beispielsweise von einem Kind, dass es in seiner Familie ausschließlich rot gefärbte Ostereier gibt, kann man von einer christlich-orthodox geprägten Familienreligiosität ausgehen, da diese Tradition oft in griechisch-orthodoxen Familien beheimatet ist. In den Ausführungen wird erkennbar, dass religiöse Vielfalt in der Migrationsgesellschaft vorhanden ist und die religiöse Zusammensetzung der Gesellschaft Veränderungsprozessen unterliegt. Für das Theologisieren in religiöser Vielfalt einer Kindertagesstätte bedeutet dies, dass man sich auch mit einem profunden Grundwissen über die verschiedenen Religionen stets als Lernende verstehen muss. 2. Religiöse Vielfalt findet in der Frühpädagogik zunehmend Berücksichtigung

Besteht in der Religionspädagogik schon seit längerem der Ansatz, interkulturelle und interreligiöse Bildung in den Kindertagesstätten zu implementieren,14 blieb der Bereich der Religion vonseiten der Pädagogik lange unberücksichtigt. Das ist heute aufgrund der zunehmenden religiösen Vielfalt anders. In bildungstheoretischen und bildungspolitischen Zusammenhängen wird deutlich wahrgenommen, dass kulturelle Vielfalt auch religiöse Vielfalt impliziert. Vonseiten der pädagogischen Diversitäts- und Inklusionsansätze betont die Soziologin

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Elisabeth Tuider in einem Sammelband zur Ausbildung frühpädagogischer Fachkräfte in der Diversity Education, dass es wichtig sei, Religion innerhalb einer inkludierenden Pädagogik als DiversityDimension wahrzunehmen.15 Auch Annedore Prengel, die sich als Erziehungswissenschaftlerin schon lange mit der »Pädagogik der Vielfalt«16 beschäftigt, hebt in der 2014 vom Deutschen Jugendinstitut herausgegebenen Schrift zur »Inklusion in der Frühpädagogik« Religion als eine wichtige und zu berücksichtigende Komponente hervor.17 Ferner werden Fluchtmigrationsprozesse, die verstärkt ab 2015 aufgrund der sogenannten »Flüchtlingskrise in Deutschland« thematisiert werden, auch mit Blick auf die Bedeutung der Religion reflektiert.18 14 Vgl. Albert Biesinger / Anke Edelbrock / Friedrich Schweitzer (Hg.), Auf die Eltern kommt es an! Interreligiöse und interkulturelle Bildung in der Kita, Münster u.a. 2011; Friedrich Schweitzer / Anke Edelbrock / Albert Biesinger (Hg.), [wie Anm. 5]; Anke Edelbrock / Albert Biesinger / Friedrich Schweitzer (Hg.), Religiöse Vielfalt in der Kita. So gelingt interreligiöse und interkulturelle Bildung in der Praxis, Berlin 2012; Frieder Harz, Interreligiöse Erziehung und Bildung in Kitas, Göttingen 2014. 15 Vgl. Elisabeth Tuider, Diversity von Anfang an. Überlegungen zu einer inkludierenden Pädagogik, in: Christin Haude / Sabrina Volk (Hg.), Diversity Education in der Ausbildung frühpädagogischer Fachkräfte, Weinheim/Basel 2015, 12–22, 13. 16 Annedore Prengel, Pädagogik der Vielfalt. Verschiedenheit und Gleichberechtigung in Interkultureller, Feministischer und Integrativer Pädagogik, Wiesbaden 32006. 17 Annedore Prengel, Inklusion in der Frühpädagogik. Bildungstheorie, empirische und pädagogische Grundlagen, hg. vom Deutschen Jugendinstitut e.V., München 22014. 18 Vgl. Anke Edelbrock, Religion ist oft mit im Gepäck. Pluralitätsfähige Religionssensibili-

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

Auch in bildungspolitischen Zusammenhängen wird die Berücksichtigung von Religionen deutlich gefordert. Besonders nach nine/eleven im Jahr 2001 hat die Obacht für die Verantwortung eines gelingenden Zusammenlebens in religiöser Vielfalt seitens der Bildungspolitik zugenommen. So verabschiedet auf europäischer Ebene 2008 das Ministerkomitee als höchstes beschlussfassendes Gremium des Europarates Empfehlungen zur Berücksichtigung religiöser und weltanschaulicher Überzeugungen innerhalb der interkulturellen Bildung und Erziehung.19 In Deutschland gibt bereits 2004 ein Beschluss der Kultusministerkonferenz einen gemeinsamen Rahmen der Bundesländer für die Frühe Bildung in Kindertageseinrichtungen vor, in dem die Berücksichtigung von religiösen Unterschieden hervorgehoben wird.20 Erinnern wir uns daran, dass 36 % der Kinder mit Migrationshintergrund21 mindestens ein Elternteil mit islamischen Glauben haben, ist es nur schlüssig, dass auch vonseiten der Migrationspädagogik das Phänomen in den Fokus des Forschungsinteresses rückt: »Auch die pädagogische Praxis steht vor spezifischen Herausforderungen bei der Suche nach angemessenen Konzepten und Methoden im Umgang mit migrationsgesellschaftlichen Religionsverhältnissen.«22 3. Kindertheologie in religiöser Vielfalt

Auch im Bereich der Kindertheologie ist die religiöse Vielfalt der Kinder ein Thema.23 Hierbei ist die Subjektbezogenheit der Kindertheologie von großem Vorteil. Denn sie eröffnet die Möglichkeit, Kin-

der in ihrer Einmaligkeit mit ihren jeweiligen familiären Zusammenhängen, d.h. auch mit ihrer jeweiligen Familienkultur und Familienreligiosität, wahrzunehmen. Gerade auf der Ebene der Theologie von Kindern haben die pädagogischen Fach

tät, intra- und interreligiöse Bildung als religionspädagogischer Zugang in Zeiten von Fluchtmigrationsprozessen, in: Jennifer Henkel, Norbert Neuß (Hg.), Kinder und Jugendliche mit Fluchterfahrungen. Pädagogische Perspektiven für Schule und Jugendhilfe, Stuttgart 2018, 101–110. 19 Council of Europe, Dimension of religions and nonreligious convictions within intercultural education. Recommendation, abgedruckt in Council of Europe Publishing (2014), Signposts – Policy and practice for teaching about religions and nonreligious world views in intercultural education, Strasbourg 2008, 115–117. 20 Kulturministerkonferenz, Gemeinsamer Rah­ men der Länder für die frühe Bildung in Kindertageseinrichtungen, 2004, 7. www.kmk. org/fileadmin/Dateien/ veroeffentlichungen_ beschluesse/2004/2004_06_03-Fruehe-Bild ung-Kindertageseinrichtungen.pdf (abgerufen am 12.2.2020). 21 Vgl. oben und entsprechend: Pupeter / Schneekloth, [wie Anm.9], 54–75, 61. 22 Yasemin Karakasoǧlu / Gritt Klinkhammer, Religionsverhältnisse, in: Paul Mecheril (Hg.) unter Mitarbeit von V. Kourabas und M. Rangger, Handbuch Migrationspädagogik, Weinheim/Basel 2016, 294–310, 307. 23 Vgl. z.B. Elisabeth Naurath, »Wer früher stirbt, ist länger tot?« Was sich christliche und muslimische Kinder nach dem Tod erwarten, in: Anton A. Bucher u.a. (Hg.), »In den Himmel kommen nur, die sich auch verstehen«. Wie Kinder über religiöse Differenz denken und sprechen, Stuttgart 2009 (Jahrbuch für Kindertheologie 8), 60–70; Eva Hoffmann, Interreligiöses Lernen im Kindergarten? Eine empirische Studie zum Umgang mit religiöser Vielfalt in Diskussionen mit Kindern zum Thema Tod, Münster u.a. 2009; Anke Edelbrock, Religion und Religionen, in: Gerhard Büttner / Petra Freudenberger-Lötz / Christina Kalloch / Martin Schreiner (Hg.), Handbuch Theologisieren mit Kindern. Einführung – Schlüsselthemen – Methoden, Stuttgart 2014, 419–425.

Edelbrock Bedeutung migrationspädagogischer Rahmenbedingungen für Kindertheologie in religiöser Vielfalt

kräfte die Chance, beim reflektierten Zuhören der Kindergespräche viel über diese Seite der Kinder zu lernen. Und wenn sich der Sinn einer Kinderäußerung der Fachkraft einmal nicht direkt erschließen sollte, kann sie in einem baldigen Tür- und Angelgespräch mit den Eltern den Punkt ansprechen und nachfragen. Voraussetzung hierfür ist, dass in der Einrichtung von vornherein – am besten direkt im Erstgespräch – deutlich gemacht wird, religiöse und interreligiöse Bildung der Kinder ist ein Teil der Allgemeinbildung und gehört für uns selbstverständlich dazu. Die Möglichkeit sehr schnell und spontan mit den Eltern der Kinder in der Bring- oder Abholsituation ins Gespräch zu kommen, ist eine große Chance der Elementarpädagogik, die schon in der Grundschule in dieser Form kaum noch besteht. Kinder können so im Rahmen ihrer jeweiligen Familien­ religiosität gesehen und im besten Fall verstanden werden. Die Bezogenheit auf die Kinder ist der Kindertheologie genuin. »Kindertheologie hat es von Anfang an mit dem Anliegen zu tun, dass die Kinder mit ihrer Theologie Gehör finden sollen. Kinder sollen auch in der Theologie eine eigene Stimme haben!«24 Es geht darum, dass die Kinder selber über theologische Themen nachdenken, dieses Nachdenken auch zum Ausdruck bringen und die Kinder dabei auf besonnene und reflektierende Zuhörende stoßen, die sie in ihren Wahrnehmungs- und Denkprozessen unterstützen. »Durch das Theologisieren mit den Kindern im Kindergarten können die Kinder ihre eigenen Gedanken zu theologischen Fragen äußern, reflektieren und vertiefen.«25 Hierbei wird es als ganz selbstverständlich vorausgesetzt,

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dass die Kinder sich mit ihrer Theologie zu Wort melden, sie ihre eigene Stimme erheben und ihre eigenen Gedanken äußern. Aber ist es in der Elementarpädagogik der Fall, dass alle Kinder Gehör finden? Wird die eigene Stimme, zu der auch ihre Familienreligiosität gehört, aller Kinder gefördert? Sind die pädagogischen Voraussetzungen in einer religiösen Vielfalt dergestalt, dass alle Kinder ermutigt werden, ihre eigenen Gedanken zu theologischen Fragen zu äußern? Sind die pädagogischen Rahmenbedingungen in der Elementarpädagogik so, dass alle Kinder, egal welche Religionszugehörigkeit sie haben, die gleiche Chance haben, Gehör zu finden? 4. Wenn Kinder schweigen – eine Herausforderung für Kindertheologie in religiöser Vielfalt

Anlass für diese Fragen sind Erfahrungen, die Studierende der Kindheitspädagogik in einem von mir eingeleiteten, betreuten und gemeinsam reflektierten bildungsdidaktischen Praktikum im Ost-

24 Friedrich Schweitzer, Welche Theologie brauchen Kinder? In: Anton A. Bucher / Elisabeth E. Schwarz (Hg.), »Darüber denkt man ja nicht von allein nach …«, Kindertheologie als Theologie für Kinder. Jahrbuch für Kindertheologie, Band 12, Stuttgart 2013, 12–26, 13. 25 Angela Kunze-Beiküfner, Kindertheologie im Kontext des Kindergartens – Grundlagen und Praxis-Beispiele, in: Anton A. Bucher / Gerhard Büttner / Petra Freudenberger-Lötz / Martin Schreiner (Hg.), Mit Kindergartenkindern theologische Gespräche führen. Beiträge der Kindertheologie zur Elementarpädagogik (Jahrbuch für Kindertheologie, Sonderband), Stuttgart 2008, 47–62, 47.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

albkreis26 gemacht haben. Die Studierenden hatten in ihrem achtwöchigen Praktikum u.a. die Aufgabe, in der jeweiligen Einrichtung interreligiöse Bildungsprozesse zu initiieren und zu gestalten und Kinderinterviews zu ihrem gewählten Thema durchzuführen, um die Familienreligiosität und das religiöse Wissen der Kinder kennenzulernen. Hierzu fanden auch Elterngespräche statt. Ein Student, der für sein Bildungsprojekt die Thematik »Entdecken, erfahren und erleben – religiöse Gemeinsamkeiten erfahren und Unterschiede gemeinsam entdecken« wählte, hat in der katholischen Einrichtung, in der er sein Praktikum absolvierte, Folgendes erlebt. Der Student hat sehr bedacht Peter und Murat als zwei Teilnehmer für eines seiner Kinderinterviews ausgewählt. Beide Jungen sind zum Interviewzeitpunkt sechs Jahre alt und gut befreundet. Sie besuchen sich auch außerhalb der Einrichtung gegenseitig. Peter kommt aus einer christlich geprägten Familie und besucht regelmäßig die Kinderkirche, also den Kindergottesdienst der evangelischen Landeskirche. Murat kommt aus einer muslimischen Familie und besucht regelmäßig die Moschee, wo er gemeinsam mit anderen Kindern betet und die arabische Sprache spielerisch lernt. Der Student berichtet von einem Gespräch, welches er mit Murats Vater und Murat führte. Der Vater, der auch in der Moschee aktiv ist, hat dabei von ihrer gelebten, islamischen Religion berichtet. Murat hat sich an diesem Gespräch aktiv beteiligt und dabei auch viel von seinen Erfahrungen erzählt. Aufgrund dieser Vorerfahrung war der Student sehr erstaunt darüber, dass Murat sich im Kinderinterview, in dem er die Kinder auf kindgerechte Wei-

se nach ihrer Familienreligiosität fragte und mit ihnen ins Gespräch kommen wollte, einfach nur still war und sich auch auf Nachfrage hin nicht einbrachte. Für Murats Schweigen kann es vielerlei Gründe geben. Vielleicht war er am Interviewtag gesundheitlich nicht ganz fit, vielleicht hatte er sich vorher mit Peter gestritten oder vielleicht hatte er an dem Tag schlichtweg keine Lust, zu reden. Die individuellen Gründe können vielfältig sein. Das genannte Beispiel ist Anlass dafür, um auf struktureller Ebene weiter zu fragen und weiter zu denken. Hat Murat ggf. Teilhabebarrieren wahrgenommen, aufgrund derer er es – noch ganz unreflektiert – nicht für angemessen hielt, den Kindern in der katholischen Einrichtung von seiner islamischen Familienreligion zu erzählen? Könnte es sein, dass Murat in Bezug auf seine Religion intuitiv eine Nichtzugehörigkeit wahrgenommen hat, die ihn dazu bewogen hat, im Interview seine eigenen Erfahrungen mit der islamischen Religion nicht mit den anderen Kindern teilen zu wollen? Es steht somit die Frage im Raum, ob in der religiösen Vielfalt, in der Kindergartenkinder heute aufwachsen, pädagogische Rahmenbedingungen im Elementarbereich vorhanden sind, die dazu führen können, dass sich Kinder – so wie Murat es tat – nicht in theologische Gespräche einbringen?

26 Zur Region vgl. Landratsamt Ostalbkreis (Hg.): Bildung im Ostalbkreis 2018. Zweiter indikatorengestützter Bericht, Bildungsbüro Ostalb, Juli 2018. https://www.ostalbkreis.de/sixcms/ detail.php?template_id=102&_topnav=68&_ sub1=491&_sub2=576&id=267152&detail_ presse=1 (abgerufen am 18.01.2020).

Edelbrock Bedeutung migrationspädagogischer Rahmenbedingungen für Kindertheologie in religiöser Vielfalt

5. Pädagogische Rahmenbedingungen: Reflexionen aus migrationspädagogischer Sicht

Interkulturelle und interreligiöse Bildungsansätze fokussieren in der Regel Lehr-Lernprozesse, die zwischen Kind und Fach- bzw. Lehrkraft stattfinden. Pädagogische Rahmenbedingungen, innerhalb derer diese Prozesse erfolgen, werden weniger berücksichtigt. Auch in der Kindertheologie sind es mit der Fokussierung auf die drei Ebenen der Theologie mit, für und von Kindern die Bildungsprozesse selbst, die im Zentrum stehen, während die pädagogischen Bedingungen, in denen Kindertheologie stattfindet, weniger beleuchtet werden. Da liegt die Frage nah, inwieweit es innerhalb der Kindertheologie eine kritische Auseinandersetzung mit den pädagogischen Rahmenbedingungen, innerhalb derer sie stattfindet, gibt? Oder ist es eher so, dass eine bei den pädagogischen Fachkräften vorhandene positive Grundhaltung und entgegengebrachte Empathie allen Kindern gegenüber stillschweigend vorausgesetzt wird, ohne ihr Vorhandensein überhaupt zu hinterfragen? Der Grundlagenbeitrag »Theologisieren mit Kindern – zwischen Empathie und Strukturierung« von Gerhard Büttner27 beispielsweise stützt diese These. Es wird hier zwar hervorgehoben, dass das Theologisieren »einer bestimmten Haltung der Lehrperson bedarf«,28 es wird aber nicht problematisiert, ob jede Fach- oder Lehrkraft diese Haltung mitbringt und allen Kindern gegenüber einnimmt. Der oben beschriebene Fall, in dem Murat sich nicht in den Prozess des Theologisierens einbringt, macht es

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notwendig, nach eventuell bestehenden, strukturell bedingten Rahmenbedingungen zu fragen, die beim Theologisieren in religiöser Vielfalt dazu führen können, dass Kinder in gemeinsamen Gesprächen ihre eigenen Gedanken nicht einbringen, sondern schweigen. Um den angezeigten strukturellen Reflexionen nachzugehen, werden migrationspädagogische Überlegungen herangezogen. Diese sind besonders geeignet, da Migrationspädagogik den Anspruch hat, Prozesse der Pluralisierung, der Partizipation und der Differenzierung zu betrachten. Der Begriff ›Migrationspädagogik‹ impliziert einen Blickwinkel, unter dem »Fragen gestellt werden und thematisiert werden, die bedeutsam sind für eine Pädagogik unter den Bedingungen der Migrationsgesellschaft.«29 Es wird bewusst nicht von einer Einwanderungsgesellschaft gesprochen, da dabei der Fokus auf den eingewanderten Menschen liegt. Mit dem Begriff der Migrationsgesellschaft wird die gesellschaftliche Notwendigkeit aufgezeigt, sich mit den Folgen der Migration und Einwanderung auseinanderzusetzen. Diese Notwendigkeit besteht auch dann noch, wenn bei vielen Familien die eigentliche Einwanderung bereits mehrere Generationen zurückliegt. Migration, so Paul Mecheril im »Handbuch Migrationspädagogik«, ist ein Phänomen, welches die Gegenwart grundlegend prägt: »Noch nie waren

27 In: Handbuch Theologisieren mit Kindern [wie Anm. 23], 19–25. 28 Ebd., 22. 29 Paul Mecheril / Maria do Mar Castro Varela / Inci Dirim / Annita Kalpaka / Claus Melter, Migrationspädagogik, Weinheim/Basel 2018, 18.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

weltweit so viele Menschen bereit, aufgrund von Umweltkatastrophen, (Bürger-)Kriegen und anderen Bedrohungen gezwungen und aufgrund der technologisch bedingten Veränderung von Raum und Zeit in der Lage, ihren Arbeits- oder Lebensmittelpunkt auch über große Distanzen zu verändern: Wir leben, so die mittlerweile breit geteilte Diagnose, im Zeitalter der Migration.«30 Für migrationspädagogische Überlegungen zentral ist dabei folgende Grundthese: »Wenn von […] Migrantenkindern, Türk/innen, von Deutschen oder Brasilianer/innen und insbesondere seit 2001 von Muslim/innen die Rede ist, dann […] ist in der Regel nicht allein von ›Kultur‹, ›Religion‹, ›Ethnizität‹ (›Rasse‹) oder ›Nation‹ die Rede, sondern es wird eine diffuses und mehrwertiges Zugehörigkeitsregister gezogen.«31 Dieses Konglomerat von verschiedenen Zugehörigkeitsdimensionen analysiert und strukturiert Mecheril, da Kinder und Jugendliche darin prägende, pädagogisch relevante Erfahrungen machen. »Diese Zugehörigkeitsordnungen sind nicht schlichtweg vorhandene, sondern historische und produktive Strukturen, in denen Subjekte Erfahrungen der symbolischen Distinktion und Klassifikation, Erfahrungen der Handlungsmächtigkeit und Wirksamkeit sowie biographische Erfahrungen der kontextuellen Verortung machen. Mitgliedschaft, Wirksamkeit und Verbundenheit können als jene analytisch unterscheidbaren Zugehörigkeitsdimensionen bezeichnet werden, die in jeder Zugehörigkeitsordnung empirisch unterschiedlich gefasst sind.«32 Auf inhaltlicher Ebene differenziert Mecheril drei Konzepte, die in einem Zugehörigkeitskontext regulierende Wirkungen ha-

ben und zugleich empirisch fassbar sind. Es ist das Konzept der Mitgliedschaft, der Wirksamkeit und der Verbundenheit. Alle drei Konzepte haben jeweils zugleich disziplinierende und subjektivierende Funktionen. Da das thematische Grundinteresse des vorliegenden Beitrages die religiöse Vielfalt ist, wird hier Religion fokussiert, wohlwissend, dass weitere Zugehörigkeitsdimensionen zugleich ordnend wirken. Mitgliedschaftskonzepte regeln nach Mecheril, wer zugehörig ist und wer nicht. Dies geschieht sowohl auf formeller als auch auf informeller Ebene. Reflektieren wir mithilfe dieser strukturellen Überlegungen Murats Situation. Seine Anmeldung im Kindergarten ist eine formelle Mitgliedschaftspraxis. Informelle Mitgliedschaftspraxis zeigt sich darin, ob es der Einrichtung gelingt, allen Kindern in der Einrichtung – unabhängig von ihrer Nation, Ethnizität, Kultur oder Religion – das Gefühl zu vermitteln, Du bist eine/r von uns, Du bist ein Teil der Kita. Dabei handelt es sich immer um ein bipolares Verhältnis. »Eine wichtige Voraussetzung für die fraglose Zugehörigkeit von Menschen in sozialen Kontexten besteht darin, dass sie nach ihrem eigenen Verständnis sowie nach dem Verständnis bedeutsamer Anderer als Mitglied dieses Zusammenhangs gelten.« Bei Kindern ist das eigene Verständnis noch stark von dem der Eltern abhängig. Bringen die Eltern ihre Kinder mit großer Selbstver30 Paul Mecheril, Migrationspädagogik – ein Projekt, in: Ders. (Hg.) unter Mitarbeit von Veronika Kourabas und Matthias Rangger, Handbuch Migrationspädagogik, Weinheim/ Basel, 2016, 8–30, 9. 31 Ebd., 15f. 32 Ebd., 17.

Edelbrock Bedeutung migrationspädagogischer Rahmenbedingungen für Kindertheologie in religiöser Vielfalt

ständlichkeit in die Kita und vermitteln ihnen, dass das nun der Ort ist, zu dem sie als Kindergartenkind gehören, prägt dies auch das Zugehörigkeitsgefühl der Kinder. Andererseits müssen die Kinder in der Kita von Menschen, die für sie wichtige Beziehungspersonen sind, spüren und erfahren, dass sie zur Kita gehören. Konzepte der Wirksamkeit verdeutlichen nach Mecheril die Zugehörigkeit auf alltagsweltlicher Ebene, indem »bestimmte Formen von Partizipation und Praxis zugestanden, andere verhindert werden.«33 Die Einrichtung in katholischer Trägerschaft, die Murat besuchte, war trotz multireligiöser Kinderschar von einem monoreligiösen Habitus34 geprägt. Eine andere Religion als die christliche Religion wurde hier, bevor der Student das interreligiöse Projekt durchführte, nicht thematisiert. Eine Partizipation des Islams, beispielsweise durch eine Gratulation zum islamischen Opferfest, kam, wie der Student berichtete, nicht vor. Auch eine zugestandene Praxis, beispielsweise indem muslimische Eltern während des Ramadan einmal alle zum abendlichen Fastenbrechen in die Räumen der Kita einladen, existierte nicht. Schnell wird an diesem Beispiel auch deutlich: »Jeder Zugehörigkeitsraum ist ein hegemonialer Handlungs- und Wirksamkeitsraum.«35 Die Vormachtstellung hat ganz die KitaLeitung bzw. der jeweilige Träger inne. Sie entscheiden, ob neben dem Christentum weitere Religionen im Raum der Kita handeln und wirksam werden dürfen. Das dritte analytische Element der Zugehörigkeitsordnung sieht Mecheril im Konzept der Verbundenheit. »Die durch Verbundenheit ermöglichte Positionie-

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rung eines Individuums ist ein zeitlich strukturiertes Phänomen. Natio-ethnokulturelle Verbundenheit einer Person bringt zum Ausdruck, dass sie sich auch auf den Zugehörigkeitskontext eingelassen hat und dass sie in den Zugehörigkeitskontext gewissermaßen eingelassen wurde.«36 Murat konnte sich in seiner Einrichtung nicht in den Zugehörigkeitskontext der religiösen Verbundenheit einlassen, da ihm die Möglichkeit, sich selbst im Zugehörigkeitskontext der monotheistischen Religionen wahrzunehmen, erst gar nicht aufgezeigt wurde. Eine kindgemäße Umsetzung hätte beispielsweise mit einem Schöpfungsprojekt erfolgen können, in welchem den Kindern deutlich werden konnte, dass im Judentum, im Christentum und im Islam Gott als der Schöpfer der Welt gilt.37 6. Religionspädagogische Relevanz von Zugehörigkeitsdimensionen

Welche religionspädagogische Relevanz haben die Zugehörigkeitsdimensionen Mitgliedschaft, Wirksamkeit und Verbundenheit für den Elementarbereich 33 Ebd.,17. 34 Die Formulierung ist an Gogolins Rede vom monolingualen Habitus in multilingualen Schulen angelehnt. Vgl. Ingrid Gogolin, Der monolinguale Habitus der multilingualen Schule, Münster u.a. 2008. 35 Paul Mecheril, Migrationspädagogik – ein Projekt [wie Anm. 30], 8–30, 17. 36 Ebd., 18. 37 So im katholischen Kindergarten St. Margareta in Brühl umgesetzt. Vgl. Hildegard Mohlberg, Interreligiöses Projekt Schöpfungsgeschichte – ein Familiensonntag der besonderen Art, in: Anke Edelbrock / Albert Biesinger / Friedrich Schweitzer (Hg.), [wie Anm. 14], 117–121.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

und für eine dort stattfindende Kindertheologie? Diese Fragestellungen stehen nun zur Diskussion. Zugehörigkeitsdimension Mitgliedschaft

Um religiöse Bildung im Elementarbereich überhaupt umsetzen zu können, brauchen Kinder das Gefühl mit ihrer eigenen Person und – da in dem Alter noch so eine hohe Verbundenheit zur Kernfamilie besteht – mit ihren Eltern in der Kita angenommen zu sein. Auf diese elementarpädagogische Grund­ voraus­setzung weist Rainer Möller: »[D] as Arrangement einer sozialen Atmosphäre in der Einrichtung, in der die Kinder Erfahrungen von Geborgenheit, Angenommenwerden, Zugehörigkeit« machen können, identifiziert Möller38 als eine erste und grundlegende Voraussetzung für die Praxis der religiösen Bildung im Elementarbereich. Das informelle Mitgliedschaftskonzept muss so aufgestellt sein, dass es die Zugehörigkeit muslimischer Kinder deutlich signalisiert. Für das Theologisieren in religiöser Vielfalt bedeutet das, dass sich die Kinder auch mit ihrer jeweiligen Familienreligion angenommen und zugehörig fühlen müssen. Die Zugehörigkeitsdimension der Mitgliedschaft vonseiten der Einrichtung auch in Bezug auf die religiöse Ebene hervorzuheben, scheint aber durchaus herausfordernd zu sein, wie Helena Stockinger in ihrer ethnographischen Studie zum Umgang mit religiöser Differenz im Kindergarten aufzeigen konnte: »Die religiöse Ausrichtung des Kindergartens in einer klar deklarierten religiösen Trägerschaft wird als Begründung herangezogen,

warum im Kindergarten ausschließlich die Religion der Trägerschaft und nicht religiöse Differenz thematisiert wird.«39 Um den Kindern ihre Zugehörigkeit auf der Ebene des Mitgliedschaftskonzeptes vermitteln zu können, bedürfen pädagogische Fachkräfte auch in theologischen Fragestellungen der Unterstützung. Kann/darf ich als getaufte Fachkraft, die dem Christentum angehört, muslimischen Kinder eine Wirksamkeit in einer Kita mit christlichem Träger einräumen? Für Maria Marberger, Leiterin der katholischen Kindertagestätte St. Elisabeth, ist dies keine Frage. Sie kennt für sich den Grund, warum sie alle Kinder annimmt und ihnen auch entsprechende Wirksamkeit in ihrer Einrichtungen öffnet: »Die monotheistischen Religionen haben alle einen Gott. Und ich weiß, dass alle diese Kinder Gottes Geschöpfe sind.«40 Für pädagogische Fachkräfte, die noch auf der Suche nach ihrer eigenen Antwort sind, und dann – oft auch aufgrund von Unsicherheit – den Islam mit den Kindern nicht zum Thema machen, wäre es hilfreich, ihnen beispielsweise in inhouse-Schulungen Zeit und Raum einzuräumen, in denen sie dieser Suche nachgehen können. Als eine 38 Rainer Möller, Religiöse Bildung im Elementarbereich, in: Theo-Web. Zeitschrift für Religionspädagogik 10 (2011), H.1, 14–34, 22 39 Helena Stockinger, Umgang mit religiöser Differenz im Kindergarten. Eine ethnographische Studie an Einrichtungen in katholischer und islamischer Trägerschaft, Münster u.a. 2017, 165. 40 Anke Edelbrock, Durch Zusammenarbeit Gemeinschaft erleben. Katholische Kindertageseinrichtung St. Elisabeth, Augsburg-Lechhausen in: Anke Edelbrock / Albert Biesinger / Friedrich Schweitzer (Hg.), [wie Anm. 14], 38–42, 40.

Edelbrock Bedeutung migrationspädagogischer Rahmenbedingungen für Kindertheologie in religiöser Vielfalt

inhaltliche Anregung kann dafür die Aussage des systematischen Theologen Christoph Schwöbel dienen: »Das Bekenntnis zu dem allmächtigen Schöpfer […] gestattet nicht, die Religionen aus dem Bereich der schöpferischen Wirksamkeit Gottes auszuschließen.«41 Auf religiöser Ebene das für das Zugehörigkeitsgefühl notwendige Konzept der Mitgliedschaft umzusetzen, bedeutet gerade nicht das Nicht-Thematisieren religiöser Differenzen, sondern das geplante und offene Gespräch mit Eltern und Kindern von Beginn an, innerhalb dessen sowohl Unterschiede als auch Gemeinsamkeiten angesprochen werden. In der bereits oben erwähnten katholischen Einrichtung St. Elisabeth in Augsburg beispielsweise findet bereits im Aufnahmegespräch ein Austausch über Religionen statt. Die Eltern erzählen, welcher Religion sie angehören und wie sie diese in ihrer Familie leben, und vonseiten der Einrichtung wird berichtet, wie Religion in der Einrichtung gelebt wird. Dabei bringt die Einrichtungsleiterin klar zum Ausdruck, dass Kinder aller Religionen in der Einrichtung willkommen sind.42 Es wird hier somit deutlich signalisiert, dass die formelle Mitgliedschaftspraxis eine Offenheit der Einrichtung für Kinder aller Religionen impliziert. Nach einem solchen Gespräch werden Eltern ihre Kinder mit der Gewissheit in die Einrichtung bringen, dass ihre Kinder – auch auf religiöser Ebene – angenommen sind. In der informellen Praxis der Kommunikation kann diese Grundhaltung dann verstärkt werden, indem beispielsweise Kinderbücher, in denen religiöse Unterschiede thematisiert werden, oder auch ein Kirchen- und ein Moscheebausatz aus Bauklötzen zur materiellen Aus-

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stattung der Einrichtung gehören. An das Durchblättern oder Vorlesen eines solchen Buches oder das Bauen mit den entsprechenden Bauklötzen können sich sehr gut kindertheologische Gespräche in religiöser Vielfalt anschließen. Eine auf formeller Ebene, beispielsweise im Leitbild und der Konzeption der Einrichtung, deutlich kommunizierte Offenheit der Einrichtung für Kinder aller Religionen gibt der weiteren informellen Kommunikationspraxis innerhalb der Einrichtung eine klare Richtung. Eine solch klare Vorgabe stellt für das ganze Kita-Team eine inhaltliche Hilfe dar. In Bezug auf Religionen bestehen in der Mitgliedschaftspraxis auch Herausforderungen, die in diesem Zusammenhang nicht vernachlässigt werden dürfen. So bedürfen religiöse Vollzüge, wie z.B. Gebete, religiöse Feiern oder Gottesdienste, die in Gruppen mit unterschiedlicher Religionszugehörigkeiten durchgeführt werden, einer sehr guten Planung, um kein Kind zu vereinnahmen. Dankgebete können z.B. in einer interreligiösen Form gut durchgeführt werden. Hingegen sprechen Muslime Isa nicht als Sohn Gottes an und für Christen ist das Opferfest kein für sie bedeutsames religiöses Fest. Bei gemeinsamen Feiern muss somit vorher überlegt und kommuniziert werden, ob es sich um eine interreligiöse Feier, eine multireligiöse Feier oder um 41 Christoph Schwöbel, Theologie der Religionen. II. Dogmatisch, in: Hans Dieter Betz (Hg.), Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft, Bd. 8, 4., völlig neu bearb. Aufl., Tübingen 2005, Sp. 309–311. 310. 42 Vgl. Anke Edelbrock, Durch Zusammenarbeit Gemeinschaft erleben [wie Anm. 40], 38–42, 41f.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

eine Feier, in der liturgische Gastfreundschaft gewährt wird, handelt.43 Zugehörigkeitsdimension Wirksamkeit

Darf islamische Religion in einer Einrichtung in christlicher Trägerschaft wirksam werden? Diese im Sprachduktus an Mecheril angelehnt und bewusst sehr deutlich – für den ein oder die andere vielleicht schon provokativ wirkend – formulierte Frage, steht im Raum, wenn migrationspädagogische Zugehörigkeitsordnungen auf religiöser Ebene buchstabiert werden. Von den Kindern her kommend ist diese Frage ganz klar und anschaulich zu beantworten. Friedrich Schweitzer formuliert es so: »Das Recht auf Religion, auch das Recht des Kindes auf Religion, ist immer auch das Recht von Kindern auf ihre Religion, also auch auf eine nichtchristliche Religion.«44 Aber in Bezug auf die konkrete Religion gestaltet sich das nicht immer so einfach. Es ist die Frage, inwieweit das aus der Soziologie bekannte Phänomen der Distinktion greift, auf welches (wie oben gesehen) auch in der Migrationspädagogik hingewiesen wird. Es ist eine in der Gesellschaft vorhandene mehr oder weniger bewusste Abgrenzung bestimmter sozialer Gruppierungen. In diesem Zusammenhang ist auf die in der Gesellschaft vorhandenen Vorurteile gegenüber der Religion des Islam zu verweisen.45 Sie können hier auch ein mehr oder weniger bewusster Grund dafür sein, dass es sich für manche pädagogischen Fachkräfte schwierig gestaltet, muslimischen Kindern und ihren Familien die aus migrationspädagogischer Sicht notwendigen Formen von Partizipation und Praxis, das sog. »habituelle Wirk-

samkeitsvermögen«46, als Ausdruck der fraglosen Zugehörigkeit einzuräumen. Auch hier sind die Fachkräfte auf Unterstützung angewiesen, in der auch theologische Themen zum interreligiösen Bereich besprochen und reflektiert werden müssen. Wie ist das, wenn ich mir meines eigenen Glaubens sicher bin, muss ich dann nicht davon ausgehen, dass auch für andere Menschen dieser Glaube der richtige wäre? Theologisch kommen wir hier zu Fragen der Mission und des sog. Absolutheitsanspruches. Auch hier brauchen Fachkräfte Raum und Zeit, um solchen Fragestellungen nachgehen zu können. Anregend hierzu ist z.B. die Aussage vom Religionspädagogen Werner H. Ritter: »Das Absolutheitsdenken verkennt, dass wir das Absolute nur vermittelt und indirekt haben, weswegen wir nur darauf verweisen können.«47 Eine Form, andere als christliche Religionen in einer Einrichtung in katholischer oder evangelischer Trägerschaft partizipieren zu lassen, ist – wie 43 Vgl. Harmjan Dam / Selçuk Doǧruer / Susanna Faust-Kallenberg, Begegnung von Christen und Muslimen in der Schule. Eine Arbeitshilfe für gemeinsames Feiern, Göttingen 2016, 73–78. 44 Friedrich Schweitzer, Menschenwürde und Bildung. Religiöse Voraussetzungen der Pädagogik in evangelischer Perspektive, Zürich 2011, 45. 45 Vgl. z.B. Wolfgang Benz, Vorurteile gegen Muslime – Feindbild Islam, in: Anton Pelinka (Hg.), Vorurteile. Ursprünge, Formen, Bedeutung, Berlin/Boston 2012, S. 205–220. 46 Paul Mecheril, Migrationspädagogik – ein Projekt [wie Anm. 30], 8–30, 17. 47 Werner H. Ritter: Mission, Absolutheitsanspruch, Theologie der Religionen, in: R. Lachmann, G. Adam / W.H. Ritter, Theologische Schlüsselbegriffe. Biblisch – systematisch – didaktisch. Göttingen, 4. Aufl. 2012, 240–254, 245.

Edelbrock Bedeutung migrationspädagogischer Rahmenbedingungen für Kindertheologie in religiöser Vielfalt

oben schon erwähnt – die Gratulation zu entsprechenden religiösen Feiertagen. Erhielte Murat und sein Vater in der Bring- oder Abholsituation vonseiten der pädagogischen Fachkraft beispielsweise zum islamischen Opferfest eine Gratulation, würde damit die islamische Religion in partizipativer Form in der Einrichtung wirksam. Murat könnte aufgrund einer solchen Partizipationsform wahrnehmen: ›Ah, die Religion, zu der ich und meine Familie gehören, wird hier zur Kenntnis genommen und gewürdigt. Dann darf auch ich von ihr erzählen.‹ Neben der Partizipation sind für die Wirksamkeitsdimension auch eine zugestandene Praxis und damit eine mögliche Teilhabe zu berücksichtigen. Die Notwendigkeit den Kindern Teilhabemöglichkeiten zu eröffnen, ist im kindertheologischen Diskurs bereits aufgenommen worden. Mit Bezug auf Kinder aus bildungs- und religionsfernen Milieus hat Katharina Kammeyer bereits auf diese Notwendigkeit hingewiesen.48 Ebenso müssen für Kinder mit einer anderen Religionszugehörigkeit als die des Trägers Teilhabemöglichkeiten eingeräumt werden. Denkbar sind hier Anstöße aus der Sakralraumpädagogik aufzunehmen und mit Kindergartenkindern Kirchen, Moscheen und – wenn in räumlicher Nähe vorhanden – auch Synagogen zu besuchen. Dass die Machtfrage auch für das Miteinander in religiöser Vielfalt von Bedeutung ist, ist in religionspädagogischen Zusammenhängen bereits auch hervorgehoben worden. In der von Martina Kraml und Zekiriija Seijdini erschienenen Veröffentlichung der Ergebnisse ihres gemeinsamen empirischen Forschungsprozess zu interreligiösen Bildungsprozessen,

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welche sie zusammen mit muslimischen und katholischen Theologiestudierenden durchführten, werden Indikatoren für den Umgang der Gesellschaft mit anderen Religionen berücksichtigt. Eines ihrer Ergebnisse ist, dass Fragen der Macht im interreligiösen Dialog nicht unberücksichtigt und unbenannt bleiben dürfen. Für eine gelingende Bildung in religiöser Vielfalt fordern sie daher »›herrschaftsfreie‹ Räume, die Annäherung und Augenhöhe ermöglichen«49, ein. Eine Vormachtstellung und ein damit einhergehendes Dominanzverhalten einer Religion gegenüber einer anderen wird, wie die Untersuchung von Helena Stockinger gezeigt hat, in Kindertagesstätten aufgrund der Trägerschaft50 oder aufgrund einer größeren Anzahl von Kita-Kindern, die einer Religion angehören,51 praktiziert. Theologisch ist eine solche Vormachtstellung nicht zu begründen. Ausgangspunkt einer 48 Katharina Kammeyer, Inklusives Theologisieren in Gesprächen und darüber hinaus. Anregungen zur Klärung von Teilhabemöglichkeiten durch fachdidaktische Neudifferenzierungen, in: Gerhard Büttner / Friedhelm Kraft (Hg.), »He! Ich habe viel Stress! Ich hasse alles.« Theologisieren mit Kindern aus bildungs- und religionsfernen Milieus (Jahrbuch für Kindertheologie 13) Stuttgart 2014, 25–43. 49 Martina Kraml / Zekirija Sejdini, Gemeinsames als theologische und didaktische Herausforderung, in: dies. (Hg.), Interreligiöse Bildungsprozesse. Empirische Einblicke in Schul- und Hochschulkontexte, Stuttgart 2018, 201–213, 205. 50 »Die religiöse Ausrichtung des Kindergartens in einer klar deklarierten religiösen Trägerschaft wird als Begründung herangezogen, warum im Kindergarten ausschließlich die Religion der Trägerschaft und nicht religiöse Differenz thematisiert wird.« Helena Stockinger, Umgang mit religiöser Differenz im Kindergarten [wie Anm. 39], 165. 51 »In der Art und Weise, wie Religion im Kindergarten thematisiert wird, zeigt sich eine Be-

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

Theologie, die ein Zusammenleben der monotheistischen Religionen anstrebt, ist der Grundgedanke, »dass die […] Vielfalt der Religionen, wie sie in der Diversifizierung und Pluralisierung der Gesellschaft ihren Niederschlag findet, gleichsam Teil der göttlichen Schöpfungsordnung ist, wie Bibel und Koran gleichermaßen zu entnehmen ist«.52 Und auch aus pädagogischer Sicht sind Dominanzverhalten und Machtansprüche weder haltbar noch förderlich. Helena Stockinger zeigt auf, dass beides Auswirkungen auf das Verhalten der Kinder hat: »Die Kinder der kleineren Religionen im Kindegarten in katholischer Trägerschaft thematisieren im Kindergarten ihre eigene Religion nicht. […] Über die von ihnen gefeierten Feste oder zu Hause gelebten Praktiken wird auch auf Nachfragen der Pädagogen nicht gesprochen. Wenn sie bestimmte religiöse Ausdrucksformen aufgrund der zu Hause gelebten Tradition kennen, wird dies im Kindergarten nicht erzählt.« Zweierlei wird an diesem Punkt ganz besonders deutlich. Erstens: Murat ist nicht das einzige schweigende muslimische Kind in Kindertagesstätten in christlicher Trägerschaft. Zweitens: In der Migrationsgesellschaft existieren in Form von Zugehörigkeitsordnungen strukturell bedingte, pädagogische Rahmenbedingungen, die Kinder einer Minderheitsreligion in der Kita daran hindern, sich beim Theologisieren in religiöser Vielfalt zu beteiligen. Zugehörigkeitsdimension Verbundenheit

Der in allen drei monotheistischen Religionen bestehende anthropologische Aspekt der Geschöpflichkeit des Menschen ist, wie oben schon angesprochen

wurde, ein Aspekt, mithilfe dessen auch Kindern in religiöser Vielfalt ein sie alle verbindendes Moment aufgezeigt werden kann. Weitere mögliche theologische Aspekte, mit denen eine Verbundenheit anschaulich werden kann, sind beispielsweise die eschatologische Perspektive oder auch eine Dankbarkeitshaltung der Menschen gegenüber Gott. Wie bei den Überlegungen zur Mitgliedschaftsdimension gehört es auf religiöser Ebene auch bei der Verbundenheitsdimension dazu, religiöse Unterschiede nicht unberücksichtigt zu lassen und diese entsprechend mit Kindern zu besprechen. Beim Weihnachtsfest z.B. kann neben den neutestamentlichen Geburtsgeschichten Jesu auch die koranische Geburtsgeschichte vorgelesen werden.53 In sich anschließenden theologischen Gesprächen lernen die Kinder Gemeinsamkeiten und Unterschiede kennen und können in diesem Zusammenhang auch ihre je eigene familiäre Religionszugehörigkeit reflektieren. Silke Feldberg-Akhand hat in einem Frankfurter Kindergarten in evangelischer Trägerschaft in einer extra

vorteilung der größeren Religion und wenig Anerkennung der kleineren Religionen.« Ebd., 167. 52 Peter Schreiner, Theologie des Zusammenlebens – Was können Christentum und Islam, Christen und Muslime dazu beitragen? Einige Anregungen, in: Bernd Jochen Hilberath / Mahmoud Abdallah (Hg.), Theologie des Zusammenlebens. Christen und Muslime beginnen einen Weg, Ostfildern 2017, 17–50, 27. 53 Vgl. Saida Aderras, Die Weihnachtsgeschichte im Koran – Isa und Maryam, in: Dies., Beate Brauckhoff / Reinhard Horn / Michael Landgraf / Ulrich Walter, Aufeinander zugehen – gemeinsame Schätze teilen. Christliche und islamische Geschichten, Lieder und Ideen für die interreligiöse Begegnung in Kita und Schule, Lippstadt 2018, S. 85f.

Edelbrock Bedeutung migrationspädagogischer Rahmenbedingungen für Kindertheologie in religiöser Vielfalt

dafür zusammengesetzten interreligiösen Kindergruppe viele Geschichten, die sowohl in der Bibel als auch im Koran vorkommen, gemeinsam angeschaut. Hegemoniale Mehrheitsverhältnisse herrschen in dieser Kindergruppe nicht. Die Gruppe besteht aus zwei muslimischen Kindern, einem äthiopisch-orthodoxen Kind, einem evangelischen Kind, einem katholischen Kind und einem konfessionslosen Kind. Alle Kinder außer einem haben einen Migrationshintergrund. Mit Hilfe einer Handpuppe, dem Esel Ruben, initiiert Silke Feldberg-Akhand interreligiöse, kindertheologische Gespräche. Alle Kinder beteiligen sich, kein Kind schweigt. Es »zeigt sich, dass es Kindern wichtig ist, ihre religiösen Erfahrungen und Fragen einzubringen. Sie sind neugierig, wissbegierig und Neuem gegenüber aufgeschlossen. Sie zeigen große Offenheit füreinander und lernen, Verschiedenheit als normal zu akzeptieren.«54 Resümierend beurteilt Feldberg-Akhand ihr Projekt: »Viele Bildungschancen ergeben sich, wenn kulturelle und religiöse Vielfalt als Aufgabe und Bereicherung wahrgenommen wird.«55 7. Fazit: Geeignete pädagogische Rahmenbedingungen als Voraussetzung gelingender Kindertheologie in religiöser Vielfalt

Im vorliegenden Beitrag wurde deutlich, dass Kindertheologie in religiöser Vielfalt auf geeignete pädagogische Rahmenbedingungen angewiesen ist, um initiiert und durchgeführt werden zu können. Um Theologie von, mit und für Kindern in religiöser Vielfalt zu gestalten, muss somit zunächst kritisch nach den

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Bedingungen gefragt werden, in denen Kindertheologie stattfindet. Die inhaltliche Grundausrichtung dieser Rahmenbedingungen, die in den obigen Ausführungen angesprochen wurden, sei hier abschließend zusammengefasst. Voraussetzungen für eine gelingende Kindertheologie in religiöser Vielfalt sind: Eine reflektierte Offenheit für Kinder aller Religionen und ein entsprechendes Annehmen aller Kinder; Grundwissen über Religionen und Interesse an der jeweiligen Familienreligiosität; Ein die religiöse und interreligiöse Bildung integrierendes Leitbild und eine entsprechende Konzeption; Eine Sensibilisierung für vorhandene, negative stereotype religiöse Zuordnungen und einen vorurteilsbewussten Umgang damit; Ein Bewusstsein für die Notwendigkeit geeigneter Teilnahmemöglichkeiten für Kinder und deren Eltern, die einer Minderheitenreligion angehören; Eine Sensibilisierung für die Wahrnehmung bestehender Machtverhältnisse, mit dem Ziel diese abzubauen; Die Kompetenz zu erkennen, wenn aufgrund von Fanatismus o.ä. die Religiosität einer Familie nicht toleriert werden kann; Reflexionen theologischer Fragestellung, die aufgrund des Miteinanders in religiöser Vielfalt entstehen. Da die Thematik des vorliegenden Aufsatzes bisher wenig in religionspädagogischen, respektive kindertheologischen und auch wenig in erziehungswissenschaftlichen, respektive migrationspädagogischen Diskursen diskutiert worden 54 Silke Feldberg-Akhand, Die interreligiöse Kleingruppe, in: Anke Edelbrock, Albert Biesinger, Friedrich Schweitzer (Hg.), Religiöse Vielfalt in der Kita [wie Anm. 5], 89–93, 92. 55 Ebd., 93.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

ist, verstehen sich die obigen Ausführungen als ein Beitrag, der anregen möchte, pädagogische Rahmenbedingungen der Kitas auf den Prüfstand zu stellen: zu reflektieren, zu diskutieren und dabei nach eventuell notwendigen Ergänzungen oder Modifikationen zu fragen. Im Zentrum all dieser Überlegungen stehen die Kinder, die unabhängig, ob oder welcher

Religion sie bzw. ihre Familie angehören, alle auf entsprechende Voraussetzungen in den Kitas treffen sollen, die sie ermutigen und herausfordern, religiöse Fragen zu stellen, um dann untereinander und miteinander durch Unterstützung religions- und pluralitätssensibler Fachkräfte diese Themen in religiöser Vielfalt erfahren und besprechen zu können.

Helmchen-Menke Inklusive religiöse Bildung in Kindergarten und Kita

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Heike Helmchen-Menke Inklusive religiöse Bildung in Kindergarten und Kita

Inklusive religiöse Bildung bedeutet, die religiösen bzw. auch nichtreligiösen Prägungen aller Kinder wert zu schätzen. Und auch wenn inklusive religiöse Bildung vom Standpunkt einer bestimmen Religion aus geschieht (Christentum oder Islam) findet keine Missionierung statt. Inklusive religiöse Bildung spricht alle Kinder an, unabhängig von der oder einer religiösen Prägung des Elternhauses. Sie gibt allen Kindern Orientierung in der Welt der Religionen und eröffnet Kindern religiöse Zusagen zu den existentiellen Fragen der Menschen. Religiöse Bildung ist Teil des allgemeinen pädagogischen Bildungsauftrags, den Bundesländer in den Bildungsplänen vorgeben. Damit meine ich allerdings nicht, dass inklusive religiöse Bildung nur von einer »Religionswissenschaft, die keiner bestimmten religiösen Tradition verpflichtet ist, als Bezugswissenschaft für die aktuelle internationale Bildungsdiskussion um pädagogische Qualitätskriterien im Kindergarten- und Vorschulbereich relevant ist«, wie Christa Dommel im Handbuch der Religionen behauptet.1 Vielmehr leistet gerade Religion – und nicht Religionswissenschaft – einen wichtigen Beitrag zur (nicht nur) religiösen inklusiven Bildung, insbesondere durch:  Wertebildung, z.B. Achtung vor den Grundrechten aller Menschen  Nachhaltigkeit und Hoffnung auf eine

lebenswerte Zukunft (gerade bei den drei monotheistischen Religionen)  interreligiöses (Begegnungs-)lernen  Heilige Schriften als Werke inklusiven Handelns (insbesondere die Bibel) Zunächst möchte ich noch einen Blick auf das inklusive Bildungsverständnis in Kindergärten und Kitas richten, bevor ich die genannten Punkte ausführe.

1 Christa Dommel, Religion und religiöse Unterschiede als »Weltwissen« im Kindergarten, in: Michael Klöcker / Udo Tworuschka (Hg.), Handbuch der Religionen 18. EL 2008, eDidact.de – Handbuch der Religionen. »Religionswissenschaft, die keiner bestimmten religiösen Tradition verpflichtet ist, ist als Bezugswissenschaft für die aktuelle internationale Bildungsdiskussion um pädagogische Qualitätskriterien im Kindergarten- und Vorschulbereich daher ebenso relevant wie die Naturwissenschaften oder Fremdsprachen. Religion im öffentlichen Leben erscheint gleichzeitig als Gefahr wie als Ressource für Individuen und Gesellschaft. Die aktuellen bildungspolitischen Bestrebungen, die forschende Neugier der Kinder in diesem außerordentlich aufnahmefähigen Alter zu unterstützen (»Wissenschaft für Kinder«, Kinderuniversitäten) und ihren Fragen nachzugehen, die das scheinbar Selbstverständliche unter die Lupe nehmen, erfordern religionswissenschaftlich reflektierte Perspektiven: Warum fällt Weihnachten in jedem Jahr auf dasselbe Datum, Ostern aber nicht? Warum wandert der Ramadan rückwärts durch das ganze Jahr? Oder die Sache mit dem Schweine­fleisch – wer isst es, wer nicht, und warum? Oder: Wann ist jemand »richtiger« Muslim, Jude oder Christ?«

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

1. Alle Kinder sind wertvoll. Bildung, Erziehung, inklusives pädagogisches Handeln

In Kindergärten wurde inklusives pädagogisches Handeln schon umgesetzt, längst bevor der Begriff »Inklusion« in die Frühpädagogik Einzug gehalten hat. In den meisten Kindergärten werden Kinder aus unterschiedlichen sozialen Schichten, mit unterschiedlicher Religionszugehörigkeit, mit Behinderungen, mit sozialen Auffälligkeiten, mit Hochbegabung oder mit sonderpädagogischen Förderbedarf gemeinsam betreut, gebildet und erzogen. Das mag daran liegen, dass Kindergärten einen weiten Bildungsbegriff haben und Erziehung zum ausdrücklichen Auftrag mit dazu gehört: Bildungs- und Erziehungsprozesse orientieren sich an der Würde jedes Kindes. Die Mädchen und Jungen werden nicht aus der Defizitperspektive betrachtet. Es steht nicht im Vordergrund, was das einzelne Kind (noch) nicht kann, sondern, wie es am besten an Entwicklungs- und Bildungsprozessen teilhaben kann und wer es dabei begleitet. Die Basis für inklusive religiöse Bildung im Kindergarten und in der Kita ist der Bezug zum Grundgesetz: »Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.« (Grundgesetz Artikel 3, Absatz 3). Einige Bundesländer haben für den Elementarbereich (Kita und Kindergarten) eigene Publikationen und Rahmenpläne für das inklusive pädago-

gische Arbeiten entwickelt oder geben den von der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft herausgegebenen »Index für Inklusion – Tageseinrichtungen für Kinder« an alle Kindergärten und Krippen weiter. In diesem Index wird es deutlich formuliert: »Bei Inklusion geht es darum, alle Barrieren für Spiel, Lernen und Partizipation für alle Kinder auf ein Minimum zu reduzieren. … Im Grunde geht es darum, um unserer selbst Willen wahrgenommen, akzeptiert und wertgeschätzt zu werden.«2 Inklusion richtet sich auf die Vielfalt und will (in Zusammenarbeit mit vielen Partnern) »die Partizipation von allen Kindern wie auch Erwachsenen steigern«.3 Auch im Verständnis von Erziehung wird den pädagogischen Fachkräften eine wesentliche Bedeutung beigemessen: Die Beziehungen zwischen den Kindern und den Erwachsenen sind von entscheidender Bedeutung, ob Bildungsund Erziehungsprozesse gelingen. Für die Gestaltung der Beziehung sind die Erzieherinnen und Erzieher zuständig. Bildung und Erziehung sind die zwei wesentlichen Brückenpfeiler für die Entwicklung von Kindern und das Handeln der pädagogischen Fachkraft in Kindergarten und Kita. Im Kindergarten wird im Alltag vom Beginn der Kindergartenzeit bis zum Übergang in die Schule von den Bedürfnissen der Kinder her gedacht. Das beschreibt natürlich das Ideal. Dass 2 Tony Booth / Mel Ainscow / Denise Kingston, Index für Inklusion. Tageseinrichtungen für Kinder, hg. von der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft, Frankfurt a.M. 2005, 13. 3 Ebd., 10.

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im Alltag oft genug diese Ansprüche nicht erfüllt werden ist auch Realität. Es fehlt an personellen Ressourcen und an Ausstattung. Es fehlt an räumlichen Möglichkeiten und an der Sensibilisierung für die Bedürfnisse von Kindern mit besonderem Förderbedarf. Und oft fehlt es auch an Möglichkeiten, Kindern sonderpädagogische Förderung zukommen zu lassen und so Benachteiligung auszugleichen. Aber die Weichen sind gestellt, um allen Kindern im Sinne der Deutschen Unesco-Kommission inklusive Bildung zu ermöglichen, damit ihnen die gleichen Möglichkeiten offen stehen, an qualitativ hochwertiger Bildung teilzuhaben und ihre Potenziale zu entwickeln – unabhängig von Geschlecht, Religion, ethnischer Zugehörigkeit, besonderen Lernbedürfnissen, sozialen oder ökonomischen Voraussetzungen. 2. Bildungsstandards zur religiösen Bildung in den Bildungsplänen der deutschen Bundesländer

Alle Bildungspläne für den Elementarbereich haben eine gemeinsame Grundlage: »Die verfassungsmäßigen Grundwerte, wie sie im Sozialgesetzbuch (SGB) VIII in den Kinderbetreuungsgesetzen der Bundesländer verankert sind, bilden die verbindliche Klammer für alle Kitas. Alle Bildungspläne gründen auf diesem Wertekanon, dessen Einhaltung für alle verbindlich ist, die in den Einrichtungen arbeiten. […] Alle Bildungspläne widmen sich den Bereichen Ethik und Religion, dies jedoch in unterschiedlicher Intensität und Ausführlichkeit.«4 Einige Bildungspläne weisen einen eigenen religiösen Bildungsbereich aus, so etwa Ba-

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den-Württemberg, Bayern, Hessen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Sachsen. Die Bildungspläne der anderen Bundesländer haben den Bereich der religiösen Bildung als Querschnitts-Dimension in die Bildungsfelder des sozialen Lernens (Wertebildung), der Friedenserziehung und des interkulturellen Lernens oder in die allgemeinen Felder Kultur und Gesellschaft integriert. Grundsätzlich übereinstimmend in den Bildungs- und Erziehungsplänen zur religiösen Bildung sind einige Bildungsstandards, auch wenn sie unterschiedlich verortet und abweichend voneinander formuliert sind. Sie ermöglichen es Erzieherinnen und Erziehern, den Kindern in Kindergärten und Kitas neben dem naturwissenschaftlichen und dem musisch-ästhetischen Weltzugang auch den religiösen Weltzugang zu eröffnen. Dabei ist selbstverständlich, dass die pädagogischen Fachkräfte vom einzelnen Kind ausgehen, dessen Fragen wertschätzen und ernstnehmen und den Kindern ethische und religiöse Orientierung geben. Grundlegende Standards dafür sind:5  eine Haltung der Wertschätzung und des Respekts gegenüber anderen Menschen und Achtung vor der Welt (Schöpfung) entwickeln 4 Carola Fleck, Religiöse Bildung in der Kita. Ein Blick in die Bildungs- und Erziehungspläne der deutschen Bundesländer, in: Heike Helmchen-Menke / Andreas Leinhäupl, KITA als pastoraler Ort. Rahmenbedingungen – Praxisbausteine – Perspektiven. Ein Handbuch, Ostfildern 2016, 21–26, hier 22. Vgl. Carola Fleck, Religiöse Bildung in der Frühpädagogik, Berlin 2011, 76ff. 5 Vgl. Carola Fleck, Religiöse Bildung in der KITA [wie Anm. 4].

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

 Bedeutungsfragen artikulieren und Antwortversuche erproben (Philosophieren und Theologisieren)  mit vorfindlicher Religiosität (Religionssensibilität) und unterschiedlichen Religionen umgehen (Interreligiöses Lernen)  grundlegende religiöse Sinndeutungen menschlichen Lebens und Zusammenle-bens erschließen  Orientierung in der christlichen Prägung unserer Kultur erhalten  Wertebildung und Umgang mit unterschiedlichen Wertesystemen in Elternhaus und Kindergarten/Kita einüben  Geschichten und Erzählungen der Religionen als Beispiele gelungenen Umgangs mit Grunderfahrungen menschlicher Existenz (Glück, Trauer, Geborgenheit, Verlassenheit, Vertrauen, Angst, Tod) kennenlernen  Stärkung für anstehende Übergänge (Transitionen) und Krisenbewältigung (Resilienz) geben  Rituale einüben und Symbole kennenlernen, die Sicherheit im Umgang mit der Zeit, mit (Kirchenjahres-)Festen oder mit besonderen Lebenssituationen geben (spirituelle Sensibilisierung)  den vorurteilsbewußten Umgang mit unterschiedlicher Nationalität, Geschlecht, Hautfarbe, Behinderung, Lebensweise, Alter und Entwicklungsstand, Stärken und Schwächen sowie Weltanschauungen einüben. Religiöse Bildung wird also in den meisten Bildungsplänen als allgemeine Aus­ ein­ andersetzung mit Sinnfragen und Wertehaltungen dargestellt.

3. Inklusive Aspekte im Bereich der religiösen Bildung

Der Beitrag, den religiöse Bildung zur Entwicklung von Inklusion leistet, wird in vielen Veröffentlichungen zu Inklusion in der Frühpädagogik viel zu wenig beachtet. Im Index für Inklusion z.B. kommt er praktisch gar nicht vor. Zur ganzheitlichen Persönlichkeitsentwicklung gehört aber die Auseinandersetzung mit Religion dazu. Diese Erkenntnis hat sich in den letzten Jahren breit durchgesetzt. Religion und Religionen leisten einen wesentlichen Beitrag inklusiver Bildung. 4. Wertebildung

Der Index für Inklusion hebt die Prägekraft der Werthaltungen hervor. Das Menschenbild und die Werte, die für die Träger und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in einer Einrichtung leitend sind, sind für das pädagogische Handeln auch im Fokus Inklusion im Alltag prägend. »Solche Werte haben mit Gleichheit und Fairness, der Bedeutung von Partizipation, dem Aufbau sozialer Beziehungen und dem Recht auf gut sozialräumliche Unterstützungssysteme, mit Mitgefühl und Respekt vor Unterschieden zu tun.«6 Wenn Inklusion nicht mit diesen Werten verbunden ist, »dann mag das Streben nach Inklusion nur die Anpassung an eine vorübergehende Mode sein, oder eine offenkundige Befolgung von Anweisungen der nationalen oder lokalen Regierung.«7 6 Index für Inklusion [wie Anm. 2], 13. 7 Tony Booth, Wie sollen wir zusammen leben? Inklusion als wertebezogener Rahmen für die pädagogische Praxis, hg. von der Gewerk-

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Werte, wie sie in den Religionen vermittelt werden, tragen dazu bei, dass das Zusammenleben in unserer Gesellschaft auch von den Bedürfnissen der Schwächeren geprägt wird. Christliche Werte wie Nächstenliebe, Hinwendung zu den Armen, Bewahrung der Schöpfung und Barmherzigkeit spielen hier eine wichtige Rolle. Ebenso humanistische Werte wie »Gleichheit, Rechte, Teilhabe, Gemeinschaft, Respekt für Vielfalt, Nachhaltigkeit, Gewaltfreiheit, Vertrauen, Mitgefühl, Ehrlichkeit, Mut, Freude, Liebe, Hoffnung, Optimismus und Schönheit.«8 Bei der Wertebildung ist die Eigenaktivität des Kindes wichtig. Religion unterstützt Kinder bei der Wertebildung, damit »nicht einfach Vorgelebtes unhinterfragt übernommen« wird.9 Religion begleitet Kinder kritisch bei der Ausbildung von Werten, indem sie den Jungen und Mädchen hilft »hinter die Dinge zu schauen, nach dem Warum zu fragen und den Sinn auch von Werten und Normen her zu entdecken und vor allem zu spüren. Daher ist die religiöse Bildung auch und gerade in den heterogenen Gruppen vieler Kindertageseinrichtungen Ausdruck des Respekts vor den Kindern, die einen Anspruch darauf haben, dass die Gottesfrage konfessions- und religionsübergreifend wach gehalten bleibt.«10 5. Nachhaltigkeit und Hoffnung auf eine lebenswerte Zukunft

Der Index für Inklusion betont auch, dass es wichtig ist, dass das inklusive pädagogische Handeln auf Nachhaltigkeit ausgerichtet ist: »Genauso wichtig ist das Bestreben, eine verlässliche Zukunft für unsere Kinder und Jugendlichen zu

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schaffen.«11 »Das Engagement für inklusive Werte muss mit dem Engagement für das Wohlergehen künftiger Generationen einhergehen [… und] muss mit Hoffnung und Optimismus verbunden sein, dass Umweltrisiken bewältigt werden können.«12 Im Index für Inklusion wird damit der Weltdeutung eine wichtige Rolle zugesprochen, auch wenn die Relevanz religiöser Weltdeutungen nicht benannt wird. Dabei kommt gerade in diesem Bereich der religiösen Bildung eine besondere Bedeutung zu. Wenn Kinder mit den religiösen Deutungen der Welt vertraut gemacht werden, die hoffen lassen, dass sie selbst und die ganze Welt von Gott durch die Zeit gehalten sind, dann haben sie die Möglichkeit, diese positiven Zusagen in die Konstruktion ihres eigenen Weltbildes einzubauen: Gerade die Vorstellung der großen monotheistischen Weltreligionen (Christentum, Judentum und Islam) von der Erschaffung und dem Erhalt der Welt ist eine religiöse Grundüberzeugung, die die Hoffnung auf eine lebenswerte Zukunft stärkt. Viele Kinder möchten nicht nur wissen wie die Welt entstanden ist, sondern auch warum. Sie wollen gewissermaßen hinter das Ganze schauen: Hat schaft für Erziehung und Wissenschaft, Frankfurt a.M. 2011, 9. 8 Ebd. 10. 9 Frank Mentrup, Wertebildung in Kindertageseinrichtungen als bildungspolitische Herausforderung, in: Werte bilden in der Kita, hg. vom Institut für Religionspädagogik der Erzdiözese Freiburg durch Heike HelmchenMenke, Freiburg i.Br. 2013, 20. 10 Ebd., 21. 11 Index für Inklusion [wie Anm. 2], 13. 12 Wie sollen wir zusammen leben? [wie Anm. 7], 15.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

es einen Sinn, dass es die Welt gibt, wer hat das alles so gewollt, gibt es gar jemanden, der heute noch gewährleistet, dass die Welt erhalten bleibt und auch mein eigenes Leben einen Sinn hat? Daher ist es wichtig, dass den Kindern auch die Fragen erschlossen werden, die über rein naturwissenschaftliche Erklärungen hinausgehen. Auf diese Fragen gibt die Religion Antworten, in unserem Kulturkreis vor allem das Christentum mit der Bibel. Gerade die Texte der Bibel, die sich mit der Entstehung und dem Erhalt der Welt befassen, helfen den Kindern, dass sie die Natur als Teil ihres Lebenszusammenhangs begreifen können, z.B. im Psalm 8, indem der Mensch über seine Stellung in der Welt staunt. Die Vorstellung der Bibel ist eine Schöpfung aus dem Willen Gottes für eine gute Welt (Buch Genesis). Und im Psalm 104 z.B. wird auf eindrückliche und für Kinder gut verständliche Weise das Vertrauen ausgedrückt, dass Gott die Welt auch heute noch trägt und hält. 6. Interreligiöses Lernen ist inklusives Lernen

Ein weiteres wichtiges Ziel im Zusammenhang mit Inklusion ist es, dass Kinder auch in der (religiösen) Vielfalt angenommen werden. Grundlegend für die Annahme jedes einzelnen Kindes ist die Würde des Kindes. Die Unantastbarkeit der Würde jedes Menschen ist im Grundgesetz verbürgt. Die Begründung im Grundgesetz stützt sich auf das abendländisch-christliche Menschenbild. Hier wird der Mensch nicht über seine Leistung, seine Gesundheit oder seine Religionszugehörigkeit definiert.

Das christliche Menschenbild geht davon aus, dass jeder Mensch ein Ebenbild Gottes ist und von Gott gewollt und angenommen ist. Darin begründet sich die Würde des Menschen. Viele Kinder wachsen heute ganz selbstverständlich mit anderen Religionen auf. Sie erleben die religiöse Pluralität unserer Gesellschaft hautnah, da Kinder, deren Familien unterschiedlichen Religionen angehören, bei ihnen im Kindergarten sind. Dadurch entsteht auch ein erster Kontakt mit religiösen Ritualen und Festen dieser Religionen. Bei uns in Deutschland kommen Kinder nach dem Christentum am ehesten mit dem Islam in Kontakt. Die Auseinandersetzung mit Ritualen und Bräuchen (anderer) Religionen ist nicht immer unkompliziert. Die Frage »Gehört der Islam zu Deutschland?« wird konkret, wenn es darum geht, ob auf das, was für Muslime relevant ist, Rücksicht genommen wird oder nicht. »Soll unser Kindergarten das Sommerfest dieses Jahr besser nicht Anfang Juni machen, weil der Ramadan da noch nicht zu Ende ist und die muslimischen Familien dann nicht mitfeiern würden?« Häufiges Thema ist auch, ob Speisegebote der Religionen, wie das Schweinefleischverbot bei Juden und Muslimen, bei der Essensplanung von Kita und Schule berücksichtigt werden sollen. Kinder beantworten diese Fragen in der Regel ganz unkompliziert. »Die Aishe isst kein Schweinefleisch wegen ihrem Gott – muss sie ja auch nicht. Der Hannes ist allergisch auf Brot (Gluten), das isst er auch nicht, auch wenn es nicht wegen seinem Gott ist.« Spannender sind dann schon Fragen danach, warum Aishes Mutter ein Kopftuch trägt und ob Aishe das auch mal machen wird.

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Zum Angenommensein mit religiösen bzw. weltanschaulichen Prägungen, Haltungen und Meinungen gehört auch, dass Kinder etwas über ihre eigene Religion erfahren und erleben. Ebenso gehört dazu, dass die Heranwachsenden durch interreligiöses Lernen etwas über die Religionen anderen Menschen erfahren. Der wertschätzende Umgang mit religiöser Pluralität ist in Kindergärten eine besondere Aufgabe, unabhängig davon, in welcher Trägerschaft die Einrichtung ist. »In unserer Gesellschaft, in der Menschen aus unterschiedlichen Kulturen und Religionen zusammenleben, gehören in unsere Bildungspläne Lerneinheiten, die uns Wissen über andere als die eigene Religion vermitteln. Jedoch können wir jungen Menschen nicht lediglich ein Potpourri von Weltanschauungen anbieten, ohne Kriterien für die Auswahl und Entscheidung zu vermitteln. Und ungleich anschaulicher und herausfordernder ist es, die Begegnung und die Beziehung zu Persönlichkeiten als potentielle Vorbilder herzustellen, die eine solche Entscheidung getroffen haben. […] Freiheit findet ihre volle Entfaltung, wenn ich von einem Standpunkt aus entscheide, wenn ich mich für einen Standpunkt entscheide.«13 Das kann konkret werden, wenn Kinder in Kindergarten und Kita die Möglichkeit bekommen, sich im Sinne des interreligiösen Begegnungslernens mit Religion und Religionen auseinanderzusetzen.14 Beim Kennenlernen der Weltreligionen nehmen Kinder Gemeinsamkeiten der Religionen wahr (etwa das monotheistische Gottesbild, also den Glauben an einen einzigen Gott, dem wir uns alle verdanken; wenn alle Menschen Kinder Gottes sind, sind sie zugleich so etwas wie Geschwister; aber die Kinder entdecken auch

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gemeinsame heilige Schriften, gemeinsame Werte wie den Erhalt der Schöpfung usw.). Im Austausch darüber entwickeln sie religiöse Sprachfähigkeit (über die eigene Religionsgemeinschaft und darüber hinaus – interreligiöse Gesprächskompetenz). Dabei hilft die interreligiöse Begegnung in Kitas zur vorurteilsbewussten Begegnung in Verschiedenheit: Wie lebt der andere, woran glaubt er? Kinder lernen so religiöse Inhalte, Gebetsweisen, Gebräuche, Symbole, Gotteshäuser anderer Religionen kennen (interreligiöse Kompetenz auf Wissensebene). Weiterhin erleben sich Kinder bei gemeinsamen religiösen Feiern nach dem Gastgebermodell als Gäste anderer Religionen (interreligiöse Kompetenz in Fremdheitswahrnehmung / Fremdheitskompe­tenz). Das Gastgebermodell für den Umgang mit den Festen der Religionen im pädagogischen Alltag der Kita hat der Religionspädagoge Frieder Harz als ein Modell zur interreligiösen Gastfreundschaft entwickelt.15 Vertreter verschiedener Religionen laden zu Festen oder zum Besuch des eigenen Gotteshauses ein. Christliche Kindertageseinrichtungen, die einen großen Teil aller Kita­s in Deutschland ausmachen, müssen dann auch nicht selber als Gastgeber für die Feiern anderer Religionen auftreten. Vielmehr können Eltern oder Vertreter der Religionsgemeinschaften wie z.B. 13 Frank Mentrup [wie Anm. 9], 21. 14 Vgl. dazu: Interreligiöses Lernen in der Kita. Reihe: Erleben & Erfahren. Sinn, Werte und Religion in Kindertageseinrichtungen, hg. vom Institut für Religionspädagogik der Erzdiözese Freiburg durch Heike HelmchenMenke, Freiburg i.Br. 2016. 15 Vgl. dazu den Beitrag »Das Modell interreligiöser Gastfreundschaft« von Frieder Harz, in: Interreligiöses Lernen in der Kita [wie Anm. 14], 11–12.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

Imame oder Rabbiner gebeten werden, ein solches Fest – dann durchaus in den Räumen der Einrichtung – auszurichten. Da Kinder die Welt ganzheitlich erfassen, geht es auch im Bereich der (inter-) religiösen Bildung, darum Religion(en) erfahrbar werden zu lassen. Das geschieht  durch die Raumgestaltung in der Kita  durch Symbole der Religionen, mit denen Kinder sich frei beschäftigen dürfen  durch Erkundungen von Gotteshäusern oder  durch das gemeinsame Feiern von Festen im Jahreslauf (nach dem Gastgebermodell als Gäste der jeweils anderen Religion). Gezielte Lernangebote für den Bereich der religiösen Bildung tragen dazu bei, den Kindern die Symbole und Gegenstände der Weltreligionen zu erschließen. Auch Kinder, deren Familien keiner Religion angehören und die zu Hause keine religiöse Praxis ausüben, können durch diese Angebote erste Orientierung in der Welt der Religionen bekommen. Diese interreligiösen Begegnungen in Kitas finden vielfach spielerisch und elementarisiert statt – das heißt: im täglichen Miteinander, ganz einfach, manchmal gewiss nur anfanghaft wie ein Samenkorn. Doch wenn wir diese interreligiösen Begegnungen fördern und respektvoll begleiten, wird Orientierung in der religiös pluralen Gesellschaft schon für die Kinder möglich. Jedes Kind kann eine religiöse und kulturelle Identität ausbilden. In diesem Prozess des interreligiösen Lernens und der interreligiösen Begegnung wird der Kindergarten zu einem Lernort des Friedens.

7. Auseinandersetzung mit der Bibel

Zur Grundlage der Religionen gehören die religiösen Schriften. Sie sind selbst inklusive Schriften. Die Arbeitshilfe »Da kann ja jede(r) kommen. Inklusion und kirchliche Praxis«16 enthält eine »theologische Spurensuche zur Inklusion«.17 Hier wird die Bibel als das Werk mit inklusiven Aspekten gezeigt. »Über die Bibel kommen Menschen in Kontakt mit alten, orientalischen Kulturen und Traditionen. Sie kann die Offenheit für die Stimmen anderer wachhalten. Auch die interreligiöse Begegnung ist bereits mit unseren biblischen Grundlagen gegeben. Mit den Juden teilen wir das Erste Testament, also etwas drei Viertel unseres Kanons. Mit dem Islam teilen wir Traditionen, Geschichten und Propheten. Das Christentum verdankt die Texte seiner heiligen Schrift einer Teilhabe- und Teilgabegemeinschaft von Autoren, Völkern, Epochen und Religionen. Und in dieser Gemeinschaft befindet sie sich bis heute.«18 Ein Beispiel ist der Segen als Teilhabe und Teilgabe. Gen 12,3 erzählt davon, wie Gott Abraham segnet: »Durch dich sollen alle Geschlechter der Erde Segen erlangen.« Gott will hier »Segen für sein Volk UND für die Völker in ihrer Verschiedenheit. Der biblische Gott hat sich an die »Eigenen« und an die »Anderen« gebunden. Er bindet sich an die beson16 »Da kann ja jede(r) kommen. Inklusion und kirchliche Praxis«, hg. von der Evangelischen Kirche im Rheinland, Landeskirchenamt/ Abteilung IV Bildung und dem PädagogischTheologischen Institut der Evangelischen Kirche im Rheinland, Bonn 2013. Download: www.pti-bonn.de. 17 Ebd., 36–44. 18 Ebd., 37.

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dere Minderheit und will Segen für die »normale« Mehrheit. Alle sind Gesegnete und auf irgendeine Weise verstrickt in die Weggenossenschaft Gottes mit den Menschen, die bis heute anhält.«19 Aus christlicher Sicht hat der katholische Theologe und Professor für Praktische Theologie, Ottmar Fuchs, einen Beitrag zur Inklusion als theologischer Leitkategorie geschrieben.20 Auf diesen Beitrag bezieht sich »Inklusion und kirchliche Praxis«. Es wird deutlich, dass Jesu Zuwendung zu den Menschen von inklusivem Handeln geprägt war. »Vielleicht wurde bislang noch zu wenig gesehen, dass viele Geschichten des Evangeliums die Themen Integration und Inklusion mitprägen. Jesus, der Jude, hält sich laut dem, was uns über ihn überliefert ist, nicht nur unter Unbeschädigten und ›Normalen‹ auf. Die Erzählungen der Evangelien sind in besonderer Weise interessiert an den Anderen, den Besonderen, den Fremden, den Entwerteten: an Zöllnern, an Syrophönizierinnen, an Prostituierten, an Aussätzigen, Armen und Kranken. Sie stellen Menschen vom gesellschaftlichen Rand in die Mitte. Jesus irritiert und verschiebt darin das Verhältnis zwischen Randständigen und der gesellschaftlichen Mitte. Jesus entgrenzt bestehende Gemeinschaften, indem er mit den Ausgegrenzten gemeinsame Sache macht.«21 Diese Geschichten aus dem Neuen Testament der Bibel zeigen inklusives Handeln in einer Weise, die auch Kindergartenkinder verstehen und zum Vorbild für eigenes Handeln nehmen können. Die Impulse aus Jesu Handeln eignen sich für alle Kinder, unabhängig, ob sie selbst aus einem christlichen Elternhaus stammen oder nicht, denn »hier wird ein anderer Aspekt von Inklusion

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thematisiert, nämlich der Respekt vor der (bleibenden) Andersheit des anderen und dessen wertschätzender Wahrnehmung.«22 8. Ohne Eltern geht es nicht

In einem Punkt sind sich alle Beteiligten einig: Die Eltern müssen im Sinne einer gelebten Erziehungspartnerschaft auch im Bildungsbereich der inklusiven religiösen Bildung einbezogen werden. Das bedeutet, ihnen das Konzept der religiösen Bildung und des interreligiösen Lernens in der Einrichtung transparent vorzustellen, ihre Fähigkeiten – besonders, wenn sie anderen Religionen angehören – einbeziehen und Probleme offen anzusprechen. Eltern sollen nicht das Gefühl haben, dass ihre Kinder missioniert werden. Eltern schätzen es sehr, wenn deutlich wird, dass im Kindergarten die Religionen nicht auf eine bloße Patchwork-Religiosität reduziert werden, die verschiedene religiöse Bekenntnisse zu einer Einheitsreligion light auf kleinstem gemeinsamen Nenner vermischt. Und viele Eltern sind bereit, sich zu engagieren, wenn sie von den Erzieherinnen und Erziehern angesprochen werden, ob sie etwas von ihrer Religion in die Kita einbringen möchten. Sei es, dass sie ein religiöses Fest ausrichten oder über das Fest erzählen, oder dass sie Symbole ihrer Religion der Einrichtung zur Verfügung stellen, damit Kinder die Vielfalt 19 Ebd. 38. 20 Ottmar Fuchs, Inklusion als theologische Leit­k ategorie, in: Behinderung und Pastoral 9/2012, 29–39. 21 Inklusion und kirchliche Praxis [wie Anm. 16] 39. 22 Ebd.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

an religiösen Ausdrucksmöglichkeiten authentisch kennenlernen. 9. Was brauchen pädagogische Fachkräfte, um die staatlichen Bildungsziele zu religiöser Bildung umsetzen zu können?

Pädagogische Fachkräfte brauchen auch für die religiöse Bildung eine kompetenzorientierte Auseinandersetzung mit Fachthemen – entweder im Team oder bei (religions-)pädagogischen Fortbildungen. Diese Auseinandersetzung unterliegt den allgemeinen Anforderungen der Kompetenzaneignung im Bereich der Frühen Bildung bzw. in der Frühpädagogik:23 Erkennen,  dass religiöse Bildung Teil des allgemeinen Bildungsauftrages ist  dass zur religiösen Bildung domainspezifisches Fachwissen und Methodenkompetenz gehören  dass religiöse Bildung zunächst nicht an ein persönliches Bekenntnis geknüpft ist, sondern Wissen und Fachkompetenz voraussetzt  dass schließlich die Beschäftigung mit Religion eine existenzielle Bereicherung für Kinder und Erwachsene sein kann Für die pädagogischen Fachkräfte ist es eine große Entlastung zu erkennen, dass es in der religiösen Bildung im Elementarbereich nicht um die Wahrheitsfrage geht, sondern um das Kennenlernen und Verstehen von religiösen Fragen, Themen und Haltungen. Es geht um Vielfalts-Wahrnehmung und das Ausbilden von religiöser Sprachfähigkeit, um das Aushalten von Fremdheitserfahrung und interreligiöser Toleranz, und schließlich

darum, alle Kinder, auch diejenigen, die aus religionsfernen Elternhäusern kommen, mit den Zusagen und Hoffnungen der Religion(en) bekannt zu machen – denn, kompetent in unserer Gesellschaft aufzuwachsen beinhaltet auch, verschiedene religiöse Orientierungen zu kennen. Für Erzieherinnen und Erzieher kommt es nicht darauf an, für die Kinder zu deren religiösen Fragen Entscheidungen zu treffen. Vielmehr geht es darum, den Jungen und Mädchen Anregungen zu geben und sie in Denkprozesse einzubeziehen, damit die Kinder im Sinne der Ko-Konstruktion zu eigenen Haltungen und Entscheidungen kommen können. 10. Fazit

In der Frühpädagogik sollte der Beitrag religiöser Bildung zu inklusivem pädagogischen Handeln in Kindertageseinrichtungen mehr wahrgenommen und rezipiert werden. Insbesondere das christliche Menschenbild trägt zu einer kritischen Auseinandersetzung mit Leistungsorientierung und Gesundheitshype in unserer Gesellschaft bei. Das christliche Verständnis von Menschenwürde, die christlichen Werte und der christliche Auftrag zum interreligiösen Dialog sind wichtige Bausteine in der Weiterentwicklung von Inklusion in Kindertageseinrichtungen.

23 Vgl. hierzu: Heike Helmchen-Menke, Gelingenskriterien für die religionspädagogische Fortbildung, in: KTK Position. Dokumentation der Religionspädagogischen Jahrestagung 2017, hg. vom KTK-Bundesverband e.V., Freiburg 2018. Dort finden sich auch weitere Literaturhinweise.

Szagun Kinder als Ko-Konstrukteure – Einflussfaktoren und Merkmale frühkindlicher Gotteskonzepte

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Anna-Katharina Szagun Kinder als Ko-Konstrukteure – Einflussfaktoren und Merkmale frühkindlicher Gotteskonzepte

1. Einleitung

Die Erforschung frühkindlicher Gotteskonzepte begann 2013 als zeitlich nachgeordnetes Teilprojekt der 1999 gestarteten »Rostocker Langzeitstudie zu Gottesverständnis und Gottesbeziehung von Kindern, die in mehrheitlich konfessionslosem Kontext aufwachsen«. Die Untersuchungen von Rostock wurden ab 2009 durch Erhebungen in Westdeutschland (Schulalter) ergänzt, ab 2013 auf den Elementarbereich ausgeweitet. Die beiden Teilprojekte bilden von der Methodologie her eine Einheit. Zentrale Merkmale werden daher einleitend skizziert, ehe die methodischen Instrumente des Elementarbereichs genauer dargestellt werden. Beide Teilprojekte orientieren sich an der heuristischen Methodologie von Kleining (1995). Basis: Dialogprinzip, das auf die Beziehung zwischen Forschungssubjekt und -objekt übertragen und über die Anwendung von Regeln1 in ein wissenschaftliches Entdeckungsverfahren verwandelt wird. Entsprechend wurde in den Teilprojekten induktiv, auf Hypothesen verzichtend, primär mit deskriptivem Interesse vorgegangen. Im Verlauf des Forschungsprozesses wurden – um weitere Seiten des Gegenstandes zu entdecken – ergänzende Forschungsinstrumente entwickelt und eingesetzt.  Ca. 55 Kinder wurden in Rostock über 4–11 Jahre mehrfach pro Jahr befragt,

etliche davon von Klasse 1 bis Abitur. Etwa je die Hälfte der Proband/innen besuchte eine staatliche bzw. eine private Schule. Konfessionslos waren ca. 70 %. Bei Beginn des Befragungszeitraums waren die Proband/innen 7–10 Jahre alt. (ergänzende Befragungen von ca. 90 Proband/innen – 9–14 Jahre – im Westen ab 2009).  Ca. 55 Kinder aus vier Kitas (Ev. Trägerschaft) bilden das Sample von Teilprojekt 2, Familien überwiegend ev. bzw. konfessionslos; vereinzelt kath., freikirchlich, orthodox, muslimisch, bei Beginn von Beobachtung 3–6 Jahre 1 »Regel 1: Offenheit der Forschungsperson/ des Subjektes. Die Forschungsperson soll dem Gegenstand gegenüber ›offen‹ sein und ihr Vorverständnis ändern, wenn die Daten ihm entgegenstehen. – Regel 2: Offenheit des Gegenstandes/ des Objektes. Die Kenntnis vom Gegenstand und seine Bestimmung sind vorläufig und so lange der Änderung unterworfen, bis der Gegenstand ›ganz‹ entdeckt ist. – Regel 3: Maximale strukturelle Variation der Perspektiven. Der Gegenstand soll von maximal verschiedenen Seiten erfasst werden. Dies geschieht durch Variation aller Bedingungen der Forschung, die von Einfluss auf die Abbildung des Gegenstandes sind oder sein könnten. Die Variation sucht strukturelle, d.h. dem Gegenstand eigene Aspekte, die aus den verschiedenen Perspektiven erkennbar werden. – Regel 4: Die verschiedenen Seiten oder Bilder des Gegenstandes werden auf ihren Zusammenhang untersucht, oder das Verfahren entdeckt das Gemeinsame in den Verschiedenheiten.« Kleining (1995), 228.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

alt. Einige Kinder wurden nur 1–3 mal befragt, andere bis weit in die Grundschulzeit begleitet und bis zu 13 mal befragt. (nur länger begleitete Kinder sind im Forschungsband KET 6).  Von den Proband/innen erstellte und kommentierte Visualisierungen (Materialcollagen, Zeichnungen, Aufstellungen etc.) bildeten in beiden Projekten zentrale Forschungsinstrumente2, ab Schulalter ergänzt durch Befragungsbögen, standardisierte Tests usw.  Das Gotteskonzept wurde – in Anlehnung an Bernhard Grom3 – als mehrdimensionales Konstrukt verstanden, bei dem die kognitiven Aspekte dem Gottesverständnis, die emotionalen und motivationalen Aspekte der Gottesbeziehung zuzuordnen sind. Die in dynamischer Wechselwirkung stehenden Dimensionen sind nur theoretisch zu trennen: Schema 1.

Schema 1

 Der Zugang zur Gottesfrage (speziell Gottesverständnis) erfolgte durchgehend primär über visualisierte Analogien/ Metaphern (»GOTT ist heute für mich wie …« bzw. »Mein Leben und was es hält, nährt und trägt ist wie …«), zur Gottesbeziehungen über Aufstellungen. In modifizierten Formen wurden diese beiden Zugänge auch im Teilprojekt 2 genutzt.  Parallel wurde durchgehend die aktuelle Perspektive der Proband/innen auf ihre Lebenswelt ermittelt (Zeichnungen: »Schönes und Schlimmes in meinem Leben«, Collagen u.Ä.). Im Teilprojekt 2 wurde die Lebensweltperspektive mittels Fotoauswahl und Aufstellungen von Figuren erhoben.  Die Erhebungen erfolgten lerngruppenbezogen: In den Rostocker Samples durch Erfassung von Inhalten/ Methoden des RU im Grundschulalter, im Teilprojekt 2 durch Erfassung von Inhalten/Methoden von Kita-Aktivitäten (Bibelrunden, Andachten), Kindergottesdienst (+ RU-Mappen im Grundschulalter).  Die Erhebungen fanden in beiden Teilprojekten in geschützten Einzelsituationen in Form des Persönlichen

2 Warum? 1. Kinder können Gedanken und Gefühle in Bildern ausdrücken, bevor sie sie in Begriffe fassen. 2. Fragwürdige oder auch widersprüchliche Elemente können in Bildern simultan ausgedrückt werden. 3. Symbolische Verschlüsselungen erlauben Offenheit, weil sie zugleich schützen durch ihre Mehrdeutigkeit. 4. Bildgestaltungen strukturieren Dialoge, aktuell wie zeitversetzt. Vgl. ausführlich KET 1, 49–103 bzw. KET 6, 49–63. 3 Grom, 2000, 115f.

Szagun Kinder als Ko-Konstrukteure – Einflussfaktoren und Merkmale frühkindlicher Gotteskonzepte

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Gesprächs nach I. Langer (2000)4 statt, gestaltet als Begegnung von Person zu Person.  Die visuellen (Fotos) und verbalen Daten (transkribierte Mitschnitte) wurden in beiden Teilprojekten dokumentiert und vor der Auswertung durch die Autorin mit pädagogisch bzw. psychotherapeutisch versierten Personen kommuniziert.

Abbildung 3

Abbildung 1

Abbildung 2

4 Die an C. Rogers orientierten Grundannahmen für persönliche Gespräche nach Langer: Jede Person trägt in sich ihre eigene Welt an Wahrnehmungen, Bewertungen, Zielen, Freuden, Ängsten, Beziehungen usw., die im Fluss sind. Insofern ist jedes Gespräch neu, auch wenn wir bereits zum gleichen Thema sprachen: Angebracht ist daher eine lernbereite, auf Entwicklung ausgerichtete Grundhaltung, welche Personen in ihrem Suchen und Erfahrungen respektiert. – Die Forschenden verstehen sich nicht als Autorität für die Richtigkeit/ Fehlerhaftigkeit der mitgeteilten Inhalte, formulieren vorher auch keine Hypothesen, die verleiten könnten, die Vielfalt der Sicht- und Erlebensweisen in einfache Schemata zu pressen. Alles Mitgeteilte ist nur Baustein, Hinweis, Anregung. – Wichtig ist, ein aufrichtiges Gegenüber zu sein und dem Gegenüber zu zeigen, wie sehr die/der Forschende es zu schätzen weiß, dass es ihr/ihm etwas aus seiner inneren Welt anvertraut. – Zentral ist die verstehende Resonanz, welche durch aufmerksames Einfühlen das vom Gegenüber Gesagte in sich lebendig werden lässt und zum eigenen »Mitschwingen« Rückmeldung gibt: Diese Art von Verbindung zwischen erzählender und aufnehmender Person sei wichtige Voraussetzung für eine befriedigende Beziehung zwischen den Dialogpartner/innen und die Ergiebigkeit von Gesprächen. Leitend für die forschende Person seien letztlich die von C. Rogers für psychotherapeutische Gespräche herausgearbeiteten Haltungen: Kongruenz = Stimmigkeit von innerem Erleben und geäußerten Signalen; Wertschätzung und Achtung der Person sowie einfühlendes Verstehen.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

2. Skizze zentraler visualisierender Untersuchungsinstrumente der Teilprojekte

Im Teilprojekt A (Schulalter) wurden aus Alt- und Naturmaterialien beim freien Analogisieren Collagen zu »Gott ist heute für mich wie …« gebaut. Annika (7.1, vgl. Abb. links) kommentiert: »Gott ist wie der Frühling und macht alles neu, mich auch« (Knetfigur in der Mitte). Collagen zu diesem Thema wurden jedes Jahr erstellt, Fotos zu früheren Konstrukten jeweils neu gedeutet. Es zeigte sich, dass in Visualisierungen Vorstellungen zu Tage treten, die u.U. erst Jahre später verbalisierungsfähig werden. In Teilprojekt B (Elementarbereich) wurde Kindern zum freien Analogisieren ein – nach Altersstufe im Umfang gestaffeltes – Materialangebot gemacht, aus dem sie auswählten, was »zu Gott passt« oder »irgendwie zu Gott gehört«. Die Kinder arrangierten die gewählten Teile und begründeten – sofern dazu verbal in der Lage – ihre Auswahl. Den Kindern wurde teils auch eine Art Stockwerkmodell (unten die Erde, oben die Wolken) angeboten zur Platzierung ihrer ausgewählten Gegenstände: Die Platzierung verriet etwas zu den noch nicht verbalisierungsfähigen Vorstellungen. Durch Platzieren von Figuren, welche die eigene Person symbolisierte, wurde in beiden Teilprojekten die Gottesbeziehung erhoben. Es begann mit einer Figur (vgl. Annika 7.1), wurde später auf sechs farbige Figuren erweitert, die jeweils verschiedene Gemütslagen repräsentierten (gelb: fröhlich; schwarz: traurig; weiß: in Angst; rot: in Wut; blau: über GOTT nachdenkend; grau: mit schlechtem Ge-

Abbildung 4

wissen). Im Elementarbereich erfolgte dies verbunden mit der Imagination, Gott sei unsichtbar im Kindergarten zu Besuch und befinde sich an der Stelle des leeren Gläschens. Das Kind – repräsentiert in der jeweiligen Figur – möge entscheiden, wie dicht es zu Gott hingehen möge und ob es Gott auch etwas sagen wolle. – In der Variante dazu (vgl. Abb. unten) standen alle Figuren als Aspekte der eigenen Person um eine Zentralfigur, und das für Gottes unsichtbare Präsenz stehende leere Gläschen zeigte die Distanz, die dem Kind in der jeweiligen Gemütslage stimmig erschien. Platzhalter zeigten, wo das Gläschen gestanden hatte.

Abbildung 5

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Erhoben werden sollte auch die Sicht bzw, die gefühlte Nähe des Kindes zu den in der Tradition bereits geformten Analogien bzw. Metaphern für Gott. Diese »Bilder« sind Bestandteile der Themen im RU und eingewebt in den Jahresfestkreis, in Liturgie, Lieder Gebete, Kunst und Literatur. Ermittelt werden sollte die Distanz bzw. die Nähe zu diesen »Bildern« im Teilprojekt A allgemein (vgl. Abb. links) und auch differenziert nach Gemütslagen (vgl. Abb. rechts).

Abbildung 6

Das freie Analogisieren stand am Anfang jeder Untersuchung. Es ruft bevorzugt die je aktuelle Fassung des kindlichen Konstrukts ab, welches sich aus rezipierten bzw. der Intuition oder Phantasie entsprungenen Elementen zusammensetzt. Auch Kinder ohne explizite religiöse Sozialisation können sich im gegebenen kulturellen Kontext marginal in dieser Form zu einem Gotteskonzept äußern.

Abbildung 7

Abbildung 8

Im Teilprojekt A waren diese Bilder der Tradition im Rahmen des RU vorausliegend eingebracht. Es gab folgende Bilder (in Klammern jeweils die gegenständliche Variation inTeilprojekt B): Gott ist: wie ein inneres Licht: Teelicht; – wie Liebe/Verbundenheit: Netz (golden) mit Engel; – wie eine innere Stimme: Klangschale (Glocke); – wie eine große Kraft/Energie: Handwärmer (Batterie); – wie die Quelle des Lebens: brauner Becher mit Grün (rotes Schälchen mit Tieren, Blumen o.Ä.); – wie der Vater im Himmel: Statue auf Podest (goldene Figur); – wie die Natur oder Mutter Erde: Matrioschka (grüne Figur).

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

3. Bündelung von Ergebnissen in Schemata, ergänzt durch Ankerbeispiele

Abbildung 9

Im Teilprojekt B kamen weitere Teile dazu: Gott ist: – wie Jesus: Kruzifix; – wie das Geheimnis hinter Welt und Leben: Marmorstein; – wie Geborgenheit: Kuschelvlies; – wie ein tragendes Schiff: Boot aus Nussschale. Kuschelvlies und Boot kannten die Kinder vom Lied »Bist du ein Haus aus dicken Steinen«, das Licht durch Weihnachten, das goldenes Netz und Engel durch Geschichten, Gott als geheimnisvolle Kraft, der sich Welt und Leben verdanken, kam beim Thema Schöpfung vor. Nur ein Teil der befragten Kinder nahmen allerdings an diesen (freiwilligen) thematischen Einheiten teil. Nach einer Erklärung der Bedeutung der Teile wählten die Kinder die für sie passenden Gegenstände und stellten sie stimmig zur gefühlten Distanz um sich (Puppe) auf. Sie konnten sie auch im Stockwerkmodell verorten. Eine Übersicht zu Ergebnissen wird Beobachtungen, die auf Intuition als Quelle früher Gotteskonzepte hindeuten vorangestellt.

Die Ergebnisse beider Teilprojekte deuten darauf hin, dass die religiöse Entwicklung von einer Vielzahl von Faktoren beeinflusst wird, wobei Sozialisationsaspekte die wichtigere Rolle spielen. Basis für die Ausbildung einer Gottesbeziehung im Sinne einer Ressource scheinen vorausliegende Erfahrungen verlässlicher menschlicher Beziehungen zu sein, eine Art Urvertrauen, Kohärenzgefühl (Dannenfeldt 2009). – In Anfangsbegegnungen (Babyalter) nimmt das Kind fast nur emotional etwas auf. Dies geschieht auch aktiv im Zuwenden von Augen und Ohren, im Greifen, Näherkommen (Krabbeln) oder – bei Abwehr – in den gegenteiligen Reaktionen. Das Kind spürt die Atmosphäre, lässt sich davon anstecken und liest an den Reaktionen der nächsten Bezugspersonen deren Haltung zu religiösen Phänomenen ab. Falls es in liebevoller Umgebung fortlaufend religiösen Inhalten begegnet, ist zwar anfangs die kognitive Dimension nur als winziger Nucleus vorhanden: vgl. Schema 2. Aber peu à peu diffundieren Elemente des Erlebten (Töne, Bilder, Gerüche, Bewegungen etc.) von außen nach innen. In

Schema 2

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Schema 3

Form von Assoziationen bzw. auch Assoziationsketten bildet sich ein erstes »Gottesverständnis«: Das, was »irgendwie« zu Gott gehört, »irgendwie passt«, ist darin gespeichert. Die Bedeutung der Inhalte wird noch nicht erfasst. Erkennbar konstruieren Kinder ihre ersten Konzepte aus Versatzstücken, die sie von ihrem nächsten Umfeld (Modellen der primären, später auch der sekundären Sozialisation) angeboten bekommen, seien es beiläufige Äußerungen oder auch bewusst gesetzte Impulse (Schema 3). Das Kind übernimmt »Aufgeschnapptes« aber nicht 1:1, sondern wählt das aus, was ihm emotional besonders eindrücklich ist: Deshalb spielt in frühen Konzepten gerade Weihnachten – einschließlich Weihnachtsmann – eine große Rolle. Eigenständig ist das Kind nicht nur bei der Selektion, sondern auch bei der Interpretation des Aufgenommenen. Religiöse Phänomene werden i.S. des von der Lebenswelt her geprägten Begriffsverständnisses interpretiert. So denkt sich Jerry (4.7 J.), der mehrmals in Jesusgeschichten etwas von Liebe hörte, dass Jesus verliebt sei und inszeniert eine Szene der Zärtlichkeit zwischen Jesus und seiner Geliebten: Liebe ist für Jerry mit einer Partnerbeziehung verknüpft. – Die

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Wahrnehmung der Lebenswelt prägt insgesamt die Konzepte. Wenn Josa (4.6; 4.7; 4.11; 5.1), der seine berufstätige Mutter schmerzlich vermisst und einen ständig von häuslichen Bauarbeiten absorbierten Vater erlebt, sich Gott lange Zeit als am Haus bauend vorstellt, das er mit Maria bewohnen will, so spricht dies Bände. – Konfliktlagen der Kinder können sich negativ im Gottesbild spiegeln oder aber Sehnsuchtsbilder auslösen. Der elterlich zum Besuch kirchlicher Events genötigte Peter (6.5) erlebt dies als Niederwalzen seiner eigenen Bedürfnisse und vergleicht Gott dementsprechend mit einem Panzer. Benno (4.11) dagegen, dem wegen aggressiver Ausfälle der Rauswurf aus dem Kindergarten droht, entwirft ein Sehnsuchtsbild. In seiner Gestaltung findet sich ein Hund, der gerade auf die Blumen »gekackt« hat. Als Benno Vliesteile für »Gott ist wie eine Kuscheldecke« in sein Bild einfügen kann, bekommt der die Regeln verletzende Hund – »trotzdem«, wie Benno dies kommentiert – noch vor seiner Familie ein Vlies. Offensichtlich schreibt Benno Gott die unbedingte Akzeptanz zu, die er selber gern erfahren würde. Die positive Beziehung des Kindes zum Modell wie dessen Religiosität spielen insgesamt offenbar die wichtigste Rolle: Nur, wenn Religiosität dem als authentisch erlebten Modell zentral bedeutsam ist, schwingt das Kind mit im Sinne einer Resonanzbeziehung. Die Konzepte sind zunächst fragil. Gleichsam wie Sandbänke im Gezeitenwandel tauchen sie auf und verschwinden wieder, falls es keine kontinuierlichen Anregungsimpulse gibt. Werden kontinuierlich Wachstumsimpulse eingebracht, so erweitern, vernetzen und

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

verfestigen sich die Konzepte zu bereichsspezifischen Domänen. Fehlen Anregungen und Kommunikation, kapseln sich die Konstrukte früh ein. Schema 3 bildet den Aufbau modellhaft ab. Die emotionale Dimension bildet sich meistens früher aus und stellt bleibend den Hauptfilter der Rezeption und Verarbeitung religiöser Inhalte dar. Je nach selbst erlebter bzw. am Modell gespürter emotionaler Reaktion auf die Begegnung mit religiösen Phänomenen bilden sich unterschiedliche Haltungen gegenüber religiösen Phänomenen heraus. Emotional nicht »geimpfte« konfessionslose Kinder tasten sich teils auch über das Gottesverständnis an ein Gotteskonzept heran. Im Gottesverständnis sind die Zuschreibungen enthalten, die wesentlich den Deutungsrahmen und damit auch den Erwartungshorizont des Kindes gegenüber Gott bestimmen. Da religiöse Inhalte in Familien heute ohne Anlass kaum angesprochen werden (»Schweigespiralen«: Pickel 2018, 29ff), bilden Kinderfragen, jahreszeitliche Feste oder auch Todesfälle wesentliche Auslöser für religiös konnotierte Äußerungen von Erwachsenen, die Kinder erkennbar in ihre Konstrukte einbauen. Für das Kleinkind sind aufgrund seiner Abhängigkeit von Bezugspersonen zunächst die Inhalte und Haltungen der »religiösen Heimat« seiner Herkunftsfamilie verbindlich. Eltern, Großeltern usw. sind seine »Modelle«, an denen es sich emotional wie kognitiv orientiert: Nachahmungslernen. Mit dem Wachsen von kognitiver Reife und Interaktionsräumen – vgl. Schema 4 – wächst auch die Zahl der Einflussfaktoren – ebenso ihr Gewicht – auf beide Dimensionen des Konstrukts. Prägt zunächst (1) fast nur

Schema 4

die Herkunftsfamilie mit ihrer gelebten Religiosität, so können ergänzend oder auch anstelle einer religiös distanzierten bzw. indifferenten Familie schon früh Personen (2) der sekundären Sozialisation (Kindergarten, Kindergottesdienst, später Schule, Chor, Jugendgruppen) als Impulsgeber bedeutsam werden (vgl. parallel de Roos 2008). Als Ko-Konstrukteure sind Kinder im Fragen, Suchen und Tun auch selbst Motoren ihrer Entwicklung. D.h. sie orientieren sich nicht nur an Modellen, sondern überprüfen (3) eigenaktiv die ihnen vermittelten Aussagen schon ab 4 J. an der Realität und stellen entsprechende Fragen, z.B. Lea, vierjährig »Warum heißt Gott lieb, wenn er Splitter gemacht hat, die weh tun?« Angesichts eines Todesfalls im Umfeld wird gefragt: »Wo war Gott, als Friedemanns Papa ertrank? – Kinder mit ausgeprägt positiver Gottesbeziehung versuchen häufig beim Eintritt leidvoller Ereignisse Gott zu entschuldigen parallel zu ihrem Erleben wohlmeinender Erwachsenen, die auch zuweilen überfordert sind: Sie deuten das Ausbleiben des rettenden Eingreifens Gottes damit, dass er anderswo beschäftigt gewesen sei oder dass z.B. das Meerschweinchen leider schon zu krank gewesen sei als dass

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man es heilen konnte. Ihr Verzicht auf die Allmachtvorstellung ermöglicht den Kindern, an ihrer vertrauensvollen Gottesbeziehung festzuhalten. Kinder unterziehen ihnen vermittelte Zuschreibungen Gottes (z.B. Allmacht, Allgüte usw.) aber nicht nur aus der Beobachtungsrolle der Realitätsprüfung. Sondern sie nehmen in Belastungssituationen (4) Gott gemäß dem in ihnen geweckten Erwartungshorizont auch persönlich in Anspruch und erleben – je nach den Ergebnissen ihrer Beanspruchung – Verstärkungen ihrer Vertrauensbeziehung oder auch herbe Enttäuschungen. Petra (9 J.) betet, wenn sie Panik hat wegen verlorener Gegenstände. Beten schenkt ihr Gelassenheit beim Suchen, weshalb sie Verlorenes meist wiederfindet. Dies stärkt ihre Gottesbeziehung. Emma (5 J.) dagegen erbittet die Heilung ihrer krebskranken Oma. Deren zunehmendes Leiden führt zum Einbruch von Emmas Konzept: Gott scheint menschenfern, Emma meidet religiös konnotierte Gespräche bis zum Begräbnis der Oma. Danach erfolgt ein Umbau des Konzepts: Gott wird nun als nur begrenzt mächtig konzipiert: Ihm wird parallel zu den Menschen ein Wunschstein zugeordnet. Und Emma sieht Gott – parallel zu sich – als ebenfalls leidend an: So wie sie selbst, auf ein Foto der Verstorbenen blickend, um die Oma trauert, so trauert Gott um Jesus: Sie lässt ihn in ihrem Artefakt auf ein Bild von Jesus im Klappaltar schauen. – Spätestens mit dem Schulalter (5) werden auch Peers zu wesentlich Impulsgebern in beiden Dimensionen. Dass wachsende Erfahrung und Reife Umbauprozesse auslösen, ist ein »normaler« Vorgang: Die sich oft in Kinderfra-

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gen andeutenden Bruchstellen sensibel wahrzunehmen und unterstützend inhaltliche Anregungsimpulse anzubieten gehört zu den wichtigsten Aufgaben von Begleitpersonen. Die Ergebnisse beider Teilprojekte deuten darauf hin, dass sich Gotteskonzepte bei Kindern bzw. im Lebenslauf in Wechselwirkung von Gottesverständnis und Gottesbeziehung unter Einflussnahme vielfältiger Faktoren entwickeln und immer wieder umgebaut werden, falls sie sich nicht einkapseln und erstarren. Je nach gespürter Religiosität der Modelle, dem Kommunikationsraum für Religiöses und Art und Zahl von Anregungsimpulsen können die Konzepte von Altersgleichen sehr unterschiedlich sein. Natalie z.B. (evangelikale Großeltern, kirchendistanzierte Eltern) entwickelt früh ein Konzept, das auf Gott als Weltversorger und -polizist fixiert ist und über Jahre starr bleibt. Achtjährig bezeichnet sie Gott als »Faultier«, weil er gar nichts tue, vielleicht habe er früher einmal etwas getan. Der Pfarrerstochter Senta ist jederzeit Kommunikation zu religiösen Fragen möglich. Entsprechend ist sie früh religiös sprachfähig. Nach den Befunden der Rostocker Langzeitstudie spielt die kognitive Reife zwar für die Verbalisierung von Konzepten eine wichtige Rolle, weniger aber für ihre inhaltliche Füllung. Diese verdankt sich vor allem der Sozialisation. Auch intuitiv gefundene Bilder bzw. Theorien nähren sich dabei weitgehend von aufgenommenen Impulsen. Schema 5 zeigt die zentralen Faktoren. Der Binnenraum mit seinen Aktionsfeldern ist blau markiert. Daneben finden sich die für eine religiöse Thematik besonders wichtigen Faktoren Kom-

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Schema 5

munikationsräume, Zahl und Art der Anregungsimpulse, Kontinuität des Inputs und Emotionale Tönung, je einmal bezüglich der primären und der sekundären Sozialisation (gelb unterlegt). Im Schema haben so auch konträre religiöse Impulse in primärer und sekundärer Sozialisation Raum. Rechts bzw. links von diesem Binnenraum sind die für das Denken und Empfinden materiell, kulturell und sozial wesentlichen Faktoren angeordnet. Die all diese Faktoren umgebende Ellipse enthält vereinfachend Stichworten zum mitprägenden Rahmen religiöser Bildung. Unter dem Begriff »Kulturelle Tapete« werden die aus der christlichen Tradition als Lebensform erwachsenen Sprachspiele, alltags- und jahreszeitlichen Bräuche, Kulturgüter usw. gefasst, die Kinder auch nach dem Traditionsbruch umgeben. Die einst berührenden

Symbole mutieren im säkularen Kontext zu Klischees. Die Sprachspiele werden – herausgelöst aus ihrer Lebensform – fremd, unverständlich, wirken nicht mehr sinnstiftend. Aber sie begegnen von klein auf in Antwortversuchen auf Kinderfragen, in Riten, Bräuchen, Literatur, Kunst, Musik, Werbung, Medien usw. und prägen so mit. Von den vielfältigen Ergebnissen der Langzeitbeobachtung im Elementarbereich thematisiert dieser Beitrag exemplarisch die Frage nach Intuition als möglicher Quelle frühkindlicher Gotteskonzepte. Zuvor werden bündelnd Schnittmengen zu anderen Studien zur religiösen Entwicklung benannt5.

5 Vgl. ausführlich KET 6, 27–44 bzw. 391–415. Zu den Merkmalen frühkindlicher Konzepte vgl. dort 341–390.

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4. Schnittmengen zu ausgewählten Studien

Bezüglich der Rolle vorausliegender Beziehungserfahrungen für die Ausformung eines Konzeptes, das sich potentiell zu einer auch als Ressource wirkenden Gottesbeziehung entwickeln kann, ist u.a. auf Rizzuto (1979), Winnicott, Naurath (2007) und Dannenfeldt (2009) zu verweisen. Schnittmengen zeigen sich deutlich auch u. a. zu Petrovich (1999) und Barret (2006): Kinder können früh (vierjährig) zwischen einer künstlichen und natürlichen Herkunft von Phänomenen bzw. Dingen ihrer Umwelt unterscheiden: Ihr Konzept der zwei »Akteure« ermöglicht damit auch früh den Zugang zu einem abstrakten Gotteskonzept (Gott als »Geheimnis von Welt und Leben«). Übereinstimmend mit Klein (2000) lässt sich der Aspekt Schöpfung als Zugang zur Gottesfrage feststellen. Sozialisationsbedingt wird dieser Zugang allerdings häufig durch die Zuschreibung von Gott als »Weltpolizist und -versorger« überlagert. – Übereinstimmend mit Klein lässt sich auch festhalten, dass die Integration von religiösem Wissen zunehmend Konzepte verändert. Die Rostocker Befunde bestätigen durchgängig die These Kammeyers (2002), dass sich Gotteskonzepte an der Wahrnehmung der Lebenswelt orientieren. Schnittmengen zu de Roos (2008) finden sich nicht nur darin, dass strafende Gotteskonzepte selten sind, sondern vor allem darin (vgl. auch Schwab 2000), dass die lebensrelevante Religiosität von »Modellen« eine zentrale Rolle

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in religiöser Bildung spielt, wobei (de Roos 2008) Modelle der sekundären Sozialisation die Funktion »ansteckender Resonanz« übernehmen können, wenn in der Herkunftsfamilie keine Religiosität gelebt wird. Die Langzeitbeobachtung zeigte, dass mit Ausdünnen bzw. Abbrechen von Kontakten zu Modellen der sekundären Sozialisation bei Kindern im Elementar- bzw. Primarbereich meistens eine Regression auf frühere Konzepte einhergeht. Auch die Beobachtung von Eckerle (2008) zur Vielfalt von Gotteskonzepten bzw. zur notwenigen mindestens marginalen religiösen Sozialisation dafür, dass sich ein Kind visuell oder verbal zu Gott äußern kann, bestätigten sich durchgehend, ebenso Zimmermanns (2010) These, dass religiöses Wissen Voraussetzung für komplexe Bearbeitung ist. Schnittmengen zu Klimt (2017), die mittels des Rostocker Methodeninstrumentariums Gotteskonzepte von baptistischen Erwachsenen untersuchte, zeigen sich u.a. darin, dass bei Kindern wie bei Erwachsenen Gott in vielen Gottesbeziehungen als Nothelfer fungiert und dass überwiegend Wut als die problematischste Gemütslage bezüglich Gott erlebt wird. Auch zu Kammeyers Studie zum Beten (2009) finden sich Schnittmengen sowohl in der Betonung von Gottes Daseinsvorsorge als auch im Aufzeigen der Grenzen von Gottes Macht. Ebenso wie bei Kammeyer zeigt sich »Luft« für viele Kinder als hilfreiche Chiffre für Gottes Nähe, und das Händefalten wird als Kontaktaufnahme verstanden. Auch sehen – wie bei Kammeyer – manche Kinder im Beten einen Akt, in dem man Gott etwas Gutes tut.

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5. Intuition – eine von »Inputs« gespeiste Quelle früher Gotteskonzepte?

Nachfolgend soll – exemplarisch an Senta, ergänzt durch andere Kinder – auffälligen Beobachtungen nachgegangen werden, die auf Intuition als Quelle früher Konzepte hindeuten. A Nachhinkende Verbalisierungsfähigkeit

Die Verbalisierungsfähigkeit der Kinder hinkt gegenüber ihrer Fähigkeit zur Visualisierung religiöser Konstrukte stark nach, oft über Jahre. Manche Kinder können zunächst zu Auswahl und Arrangement gar nichts sagen, bei anderen beschränkt sich die Sprachlosigkeit auf bestimmte Aspekte des Konstrukts, die aber visualisiert wiederholt auftauchen. Senta z.B., die in einer theologisch traditionell ausgerichteten Pfarrersfamilie aufwächst, visualisiert wiederholt (4.0, 4.7, 5.9) die dunkle Seite Gottes, ehe sie diese (5.10, 6.1) explizit anspricht. Woher stammt dies »Wissen«? B Kontinuität in der Auswahl von zu Gott »passenden« Teilen

Die von Kindern als zu Gott »passend« ausgewählten Teile können als Aspekte der Gott zugeschriebenen Merkmale oder Eigenschaften gedeutet werden. Sie repräsentieren einen Teil des kindlichen Konstrukts, unabhängig davon, ob das Kind dies benennen kann oder nicht. Auffallend ist die hohe Kontinuität in der Auswahl, obwohl den Kindern keine Erinnerungshilfen – z.B. in Form von Fotos

– gegeben wurden6 und das Materialangebot sehr breit war. Senta trifft erstmalig mit 4.0 eine Auswahl. Beim nächsten Mal (4.5) sind fünf der neun gewählten Teile identisch mit ihrer ersten Wahl. Bei manchen Kindern tauchen einige Teile fast über den ganzen Beobachtungszeitraum auf. Ist implizit eine Art von Vorbegriff früh angelegt? Die Entwicklung von Fred könnte darauf hindeuten. Fred wächst in einer bildungsbürgerlich kirchlichen Familie auf (Vater bzw. früher Großmutter im Kirchenvorstand). Gottesdienste und Bibelbilderbücher sind ihm vertraut. Dreimal vor Schuleintritt (5.8; 6.0; 6.5) trifft er eine Auswahl von zu Gott »passenden« Teilen, bei denen sich auch Kontinuität zeigt. In Klasse 2 (7.8) wird er eingeladen, aus dem ihm früher vorgelegten Materialangebot noch einmal auszuwählen. Er wählt alle früher schon einmal genommenen Teile aus, ohne je ein Foto seiner früheren Gestaltungen gesehen zu haben. Während er im Vorschulalter einige Teile mit Gottes oder Jesu Eigenbedarf begründete oder biblischen Personen zuschrieb (z.B. Eukalyptussalbe: Schnupfen von Jesus), ordnet er nun alle Teile bestimmten – ihm selbst wichtigen – Aspekten von Gott zu, z.B. der Schüssel stehe dafür, dass Gott mit seiner Kraft alles aufschließen könne, Schmuck und Zierstein dafür, dass Gott auch »etwas Schönes sein kann, so edel«, der Thron, »weil Gott vielleicht auf einem Thron sitzt«, die Kugel, »weil das die Erde ist. Und Gott hat alle Dinge auf der Erde geschaffen.« Seine gewachsene kognitive Reife ermöglicht Fred offenbar nun, Teile, denen er vorher andere Be6 Vgl. in KET 6 u. a. Natalie, Fred, Ina, Mira, Mona, Josa, Pele, Benno, Emma, Tom, Dora.

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deutungen zugeschrieben hatte, seinem Konzept zuzuordnen. C Diskrepanz zwischen dem Spektrum gewählter Aspekte und deren Begründung

Verblüffend groß ist in frühen Konstrukten die Diskrepanz zwischen dem Spektrum der gewählten Aspekte und ihrer Begründung. Senta (4.0) wählt beim ersten Mal zehn Teile, die vier Aspekten zugeordnet werden können (Schöpfung, Weihnachten, Jesu Tod, Gottes Wirken), formuliert aber nur eine Begründung: »Gott passt darauf auf« (»hütet«). Fünf Monate später (4.5) wählt sie neun Teile (geschichtet platziert, daher nicht alle sichtbar) zu fünf Aspekten und liefert dazu auch fünf Begründungen: Das Herz stehe dafür, dass Gott Liebe wolle; die Hand sei zum Beten da; Taschenlampe, Wiese, Blume und Muschel seien Gaben Gottes = Daseinsvorsorge; der Stern sei von Gott geschaffen; Engel und Kreuz gehörten zu Jesu Tod. Das Verhältnis zwischen gewählten Aspekten und Begründungen wirkt ausgeglichen.

Abbildung 10

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Was ist ursächlich für die beobachtbare Ausdifferenzierung? Senta ist immerhin fünf Monate älter und hat an kognitiver Reife zugenommen. Das wirft die Frage auf: Verläuft die Ausdifferenzierung linear mit der wachsenden kognitiven Reife? Offenbar nicht unbedingt. Denn zwei Monate später (4.7) wählt Senta dann 21 Teile zu sieben Aspekten und beschränkt sich auf vier Begründungen, wobei die meisten Teile – wie schon bei (4.5) – der Daseinsvorsorge zugeordnet werden (Schöpfung/ Daseinsvorsorge, Tod, Weihnachten, Kreuzestod). Und vierzehn Tage später (4.75) wählt Senta 18 Teile zu sieben Aspekten und beschränkt sich wieder auf vier Begründungen (Jesu Tod und Himmelfahrt, Tote/Himmel; Schöpfung, Daseinsvorsorge). Die Begründung der Auswahl von zu Gott »passenden« Teilen folgt eigenen Mustern. Manche Kinder wählen konstant als zu Gott »passend« einen bestimmten Gegenstand aus, weisen ihm aber wechselnde Bedeutungen zu, so z.B. Josa: Er platziert wiederholt eine Glocke. Zuerst (4.7) sieht er sie als Hausklingel Gottes an, dann (4.8) gehört sie für ihn zum Schatz

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der drei Könige. Mit (4.10) ist sie eine Kuhglocke bei den Hirten, die mit ihren Tieren und Maria bei Gott wohnen. D.h. die Zuschreibung der Bedeutung des Gegenstandes wird jeweils dem angepasst, was aktuell in seinem Konstrukt wichtig ist. Nach Schuleintritt schreibt er der Glocke die Funktion zu, Leute zum Gottesdienst zu rufen. – Ein anderes Muster der Bedeutungszuschreibung liegt darin, dass über aktuell bedeutsame Aspekte in schematisch wirkenden Reihen Verknüpfungen vorgenommen werden. Natalies Konzept ist wesentlich durch Gespräche bei Friedhofsgängen mit der Oma geprägt: In ihrer Auswahl von zu Gott »passenden« Teilen findet sich stets eine Friedhofskerze (5.4; 5.7; 5.9; 5.11; 8.0). Bei der Auswahl von Fotos, die »mit Gott zu tun haben könnten«, wählt sie ein Spektrum von zwölf Bildern aus, bei dem nur eins – Kind trauert um toten Hund – mit Tod zu tun hat, verknüpft aber, nachdem sie dies Bild als zweites Bild damit begründet hat, dass Tote – auch Hunde – in den Himmel kämen, nachfolgend alle weiteren Fotos nach diesem Muster: Alle, die da drauf seien, stürben irgendwann und kämen dann in den Himmel. Ist Natalie nur zu »bequem«, andere Verknüpfungen zu finden? – Mona hat früh (3.11) mit Gestaltungen begonnen und (4.4; 4.6; 4.10; 5.7) auch differenziertere Begründungen abgegeben. Der Kontakt zur Autorin über Bibelrunden und Andachten ist ausgedünnt. Monas Familie (Mutter kath., Vater konfessionslos) ist religiös distanziert. Mona wächst mit zwei älteren Schwestern heran. Kurz nach Schuleintritt (5.9) begründet Mona von 15 gewählten Teilen zehn mit ihrer Schönheit und verwendet viel Zeit darauf, die gewählten Teile besonders ästhetisch zu platzieren.

Verdankt sich das Schema der Verlegenheit, Begründungen zu finden für ihr entfallene Inhalte, ist also Zeichen von Regression? Drückt es die aktuell große Bedeutung von Schönheit aus? Ist es ein Mixtum von beidem? – Auch Senta (6.1) und Emma (6.0) reduzieren und schematisieren nach Ausdünnung des Kontakts das Spektrum ihrer Begründungen der Auswahl. D Räumliche Arrangements: Formen gedanklicher Systematisierung

Nicht nur Auswahl und Begründung von Teilen, die zu Gott »passen«, lassen etwas von kindlichen Konstrukten erkennen. Die von ihnen gestalteten Arrangements deuten darauf hin, dass möglicherweise viel komplexere Gedankengänge in den Artefakten enthalten sind, als man Kindern zutrauen mag. Dies lässt sich exem-

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plarisch an Senta zeigen. Die Platzierung der Teile (4.5) im Stockwerkmodell zeigt eine Struktur, die zur Deutung herausfordert. Die Hand liegt auf dem Herzen, das dafürsteht, dass Gott die Liebe will. Kreuz und Engel lehnen am Stein, die Taschenlampe steht dahinter. Inszeniert Senta hier tätige Liebe bzw. Tod und Auferstehung Jesu? Auffälliger noch sind die Arrangements, die sie zwei Monate später gestaltet, insbesondere, wenn man die Fragen miteinbezieht, die sie Minuten zuvor Gott bei der »Gläschen-Übung« (»Gott kommt zu Besuch«) stellt: Obwohl ihr die Aufgabenstellung samt den Farben der Gemütslagen wiederholend erklärt wurde, inszeniert Senta etwas Anderes. So, als ob Unerklärtes in ihr gestaut sei, lässt sie – die eigentliche Aufgabe überspringend – alle Figuren Gott Fragen7 stellen, u.a. warum Jesus gestorben sei, warum überhaupt Menschen sterben? Warum Gott im Himmel sei und wo Gott am Anfang hergekommen sei, wenn es doch noch gar nichts gab? Warum manche Flüchtlinge ertrinken müssen und andere nicht? – Nach dieser Fragebatterie kommt das Materialangebot. Beim Auspacken des Materials kommentiert sie: »Der Weihnachtsmann sieht aus wie Gott«, wählt ihn aber nicht. Das Kruzifix küsst sie und sagt: »O, Jesus!« Sie wählt zügig 21 Teile aus, die sieben Aspekten zugeordnet werden könnten, vor allem zu Schöpfung bzw. Daseinsvorsorge. Die Begründungen beginnen beim Sessel. Der passe, »weil Gott den Sessel gebaut hat ganz am Anfang der Welt. Der Vater sitzt da drauf.« Nach Jesu Geburt sei Gott krank geworden, merkt sie an, Näheres dazu sagt sie nicht. Die Wiese

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passe, »weil Gott die Wiese hat wachsen lassen. Jesus hat ihm dabei geholfen.« Der Klappaltar passe, »weil Gott Jesus in den Himmel geholt hat.« Zum Krippenkind meint sie: »Das Jesusbaby wurde größer und wurde dann gestorben. Und dann ist er in den Himmel gefahren. Der ist auf eine Wolke gekommen und dann in den Himmel.« Das habe ihr die Mama erzählt. – Sentas Kommentare enthalten deutlich Spuren häuslicher Gespräche: Der vom Anfang der Welt her im Himmel thronende Vater kam in Kita-Bezügen nie vor: Hier war Gott als »Geheimnis der Welt« eingeführt. Auch Jesus als Mitschöpfer der Wiese deutet auf familiäre Impulse hin: Wurde Joh1,1 thematisiert? Bei der Begründung vom Sessel 7 Originalton vgl. KET 6, S. 196f.

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wie von Teilen, die der Daseinsvorsorge dienen (z.B. Buch, Stoff, Schlafsack, Wecker, Computer, Gitarre), fällt auf, dass Senta so formuliert, als habe Gott sie konkret handwerklich hergestellt, z.B. Die Gitarre passe, »weil – Gott hat einfach so Holzgitarren gemacht wie die von Papa. Und Gott hat sie runter gebracht in ein Geschäft und ist dann einfach wieder raufgegangen.« – Auswahl und Kommentare zeigen ein anthropomorphes Bild, einen Gott, der sich umfänglich um das Wohl der Menschen kümmert. Man mag kaum glauben, dass dieselbe Vierjährige wenige Minuten zuvor auffallend kritischen Fragen gestellt hat. Wie passt das zusammen? Könnte es sein, dass Senta in Auswahl und Kommentaren zu den Gegenständen die ihr häuslich vermittelten Inhalte (in selektiver und kreativer Rezeption) zwar I gegenüber als Positionen ihrer wichtigsten Bezugspersonen vertritt, sie aber zugleich – in der »GläschenImagination« radikal hinterfragt? Z.B. Wo bleibt die tolle Daseinsvorsorge, wenn viele Menschen ertrinken müssen? Oder: Wie kann das gehen mit dem Thron am Anfang, wenn doch gar nichts da war? Usw.

Abbildung 14

Wie sind ihre beiden Arrangements zu verstehen? Sentas Hantieren dürfte ablaufende Denkprozesse spiegeln, einen visualisierten theologischen Diskurs. In beiden Fotos liegt das Kreuz Jesu direkt neben dem Thron, auf dem sie den Gottvater der Weltschöpfung imaginiert. Senta scheint hier auszudrücken, dass Jesus – ohne geboren zu sein – bereits beim Beginn der Welt mit dabei war. Im ersten Arrangement reicht ein goldenes Band von Jesus bzw. Gott bis zur Hand von Senta. Soll das ausdrücken, dass Senta mit diesem Schöpfungswerk verbunden ist? Die goldene Seite des schwarzgoldenen Tuches ist ausgebreitet und bildet das Hauptzentrum, dem die meisten Teile zugeordnet sind. Das kleinere Zentrum nahe von Thron und Kruzifix enthält unter dem Netz eine menschliche Figur, Stern und Computerteil, links und rechts daneben Glocke und Vogel. – Das zweite Foto zeigt eine systematisiert wirkende Anordnung: Die Blumen liegen mit dem Krippenkind auf der Wiese, Glocke und Buch liegen übereinander (Assoziation Kirche?). Das schwarzgoldene Tuch zeigt jetzt gleich große goldene und schwarze Anteile: Das goldene Band befindet sich eingerollt auf dem goldenen Anteil: Drückt Senta hier die Ambivalenz Gottes aus? – Wie ist das Arrangement des goldenen Netzes zu deuten, das beim Kruzifix beginnt und – die menschliche Figur damit überdeckend – auf dem goldenen Anteil endet? Könnte es ausdrücken, dass durch Liebe im Sinne Jesu Leid partiell aufgehoben werden kann? Ist es denkbar, dass eine Vierjährige intuitiv derart hochkomplexe theologische Gedanken entfaltet? – Hier scheinen noch viele Fragen offen …

Szagun Kinder als Ko-Konstrukteure – Einflussfaktoren und Merkmale frühkindlicher Gotteskonzepte

Abbildung 15

E Aufgreifen komplexer theologischer Themen …

Überraschend ist die Komplexität der theologischen Themen, die manche Kinder bereits im Vorschulalter bewegen. Senta entwickelt (4.8) eine Szenerie im Himmel. Maria sitzt schwanger und krank auf dem Thron. Gott ist ihr helfend im Kuschelvlies wie im goldenen

darüber nachdenken, was aus ihrem ungeborenen Kind einmal wird und ob es später ans Kreuz muss. Was hat die Vierjährige gehört, was sind eigenständig entwickelte Überlegungen? Die Frage, warum Jesus am Kreuz sterben muss, stellte Senta Gott einen Monat zuvor (4.7) und merkte an, Gott sei nach Jesu Geburt krank geworden, ohne zu erläutern, was damit gemeint sei. Nun (4.8) ist die schwangere Maria krank und braucht Zuwendung von Gott angesichts der Vorstellung, ihr noch ungeborenes Kind müsse später ans Kreuz. Drückt sie mit diesen beiden Voten aus, dass Gott wie Maria am vorbestimmten Kreuzestod Jesu leiden? Sechsjährig (6.1) inszeniert Senta ein kosmisches Drama. Darin spiegeln sich Versatzstücke, die sie aus ihrem häuslichen Umfeld aufgenommen hat. Offenbar kennt sie das Wort »Teufelsbraten«, weiß, dass Menschen vor Schreck in Ohnmacht fallen können und ist vertraut mit dem Gedanken, dass es Zusammenhänge gibt zwischen schlechter Kindheit und Entwicklung zum Bösen. Die rote Gestalt unten ist für Senta ein

Abbildung 16

Netz nahe. Maria hat den Klappaltar als Fernseher vor sich: Das Bild darin zeigt den erwachsenen Jesus. Bezieht sich das im Fernseher ablaufende Programm auf Jesu Zukunft? Senta erwähnt dies nicht. Aber sie rückt das Kruzifix direkt an die Rückwand des Throns und lässt Maria

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Abbildung 17

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

Abbildung 18

zum Teufel mutierter Mensch, der eine schlechte Kindheit hatte. Jetzt will er alles, was lebt – Pflanzen, Tiere und Menschen – in seiner Pfanne braten und essen. Diese Hölle, wo alles Leben sukzessive vernichtet wird, platziert sie zunächst unten, verlagert sie dann nach oben als eine Art Negativ-Himmel. Dem Bösen, dem personifizierten Konsumismus, scheint niemand wehren zu können. Die Menschen versuchen es nicht einmal. Nur Gott kann das. Aber selbst dessen Macht scheint gegenüber diesem fressenden Bösen begrenzt, denn die Wende ist

davon abhängig, ob der Böse auf Gottes NEIN zu dieser Zerstörung hört, – was sich Senta von einem anhaltenden Einsatz Gottes erhofft (das laute NEIN vom unsichtbaren Gott könnte den Teufel vor Schreck in Ohnmacht fallen lassen). – Falls das Böse besiegt wird, genesen Flora und Fauna. Mit Jesus und Gott feiern alle das Neuwerden der Schöpfung. Anhand der Frage nach Intuition als Quelle kindlicher Konzepte wurden exemplarisch einige Ergebnisse der Langzeitstudie zum Elementarbereich zum Weiterdenken und -fragen vorgestellt. Senta hat Zugang zu religiöser Bildung. Ihre Inszenierungen theologischer Themen in Untersuchungssituationen erfolgten also nicht voraussetzungslos. Aber auch bei weniger religiös gebildeten Kindern finden sich intuitiv entwickelte Entfaltungen religiöser Konstrukte, wenn auch vielleicht weniger reich an Facetten. Aber auch weniger komplexe Entfaltungen verweisen auf Kinder als eigenständige Ko-Konstrukteure religiöser Vorstellungswelten: Eingeladen wird zum Diskurs – und viele weitere Teilergebnisse könnten kommuniziert werden.

Stockinger Differenzsensible Kindertheologie in der Elementarpädagogik

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Helena Stockinger Differenzsensible Kindertheologie in der Elementarpädagogik

Elementare Bildungseinrichtungen sind ein Spiegelbild der Gesellschaft, in ihnen zeigt sich die Vielfalt an religiösen Glaubensgemeinschaften und Weltanschauungen im jeweiligen Land. Oftmals sind sie die ersten Einrichtungen, in denen Kinder außerhalb ihres familiären Umfelds mit verschiedenen Religionen und religiösen Einstellungen konfrontiert werden. Somit sind Kindertageseinrichtungen bedeutende Räume, um mit Kindern differenz- und religionssensiblen Umgang zu lernen, vielleicht auch Räume, um kindertheologische Gespräche über religiöse Differenz zu führen. Unterschiedliche empirische Studien beschäftigen sich mit religiöser Differenz im Kindergarten, wobei in den letzten Jahren auch im deutschsprachigen Raum eine verstärkte Aufmerksamkeit diesem Thema gegenüber feststellbar ist.1 Mein Forschungsprojekt verschränkt den Blick auf die Kinder mit dem auf die Organisation. Es beschäftigt sich mit der Frage, wie in einem Kindergarten in katholischer und einem Kindergarten in islamischer Trägerschaft mit religiöser Differenz umgegangen wird und wie Kinder diese thematisieren. Das Forschungsdesign und die Ergebnisse des Forschungsprojekts wurden an anderen Stellen bereits dargestellt,2 weswegen hier ausgehend von einer kurzen Zusammenfassung Überlegungen für eine differenzsensible Kindertheologie im Elementarbereich aufgestellt werden.

1. Zusammenfassung des Forschungs­projekts »Umgang mit religiöser Differenz im Kindergarten«

Dem qualitativ-empirischen Forschungsprojekt lag ein ethnographischer Zugang zum Forschungsfeld Kindergarten verbunden mit der Datenerhebungs- und Auswertungsmethode der Grounded Theory3 und des Thematischen Kodierens4 zu Grunde. Im Prozess der Datenerhebung wurden die Methoden der 1 Vgl. bspw. Anke Edelbrock / Friedrich Schweitzer / Albert Biesinger (Hg.), Wie viele Götter sind im Himmel? Religiöse Differenzwahrnehmung im Kindesalter. Interreligiöse und interkulturelle Bildung im Kindesalter, Bd. 1. Münster/New York/München/Berlin 2010; Eva Hoffmann, Interreligiöses Lernen im Kindergarten? Eine empirische Studie zum Umgang mit religiöser Vielfalt in Diskussionen mit Kindern zum Thema Tod, Berlin 2009. 2 Für die ausführliche Studie vgl. Helena Stockinger, Umgang mit religiöser Differenz im Kindergarten. Eine ethnographische Studie an Einrichtungen in katholischer und islamischer Trägerschaft, Münster 2017. Für eine kurze Darstellung der Forschungsergebnisse vgl. Helena Stockinger, Umgang mit religiöser Differenz in elementarpädagogischen Einrichtungen, in: Maria Fürstaller / Nina HoverReisner / Barbara Lehner (Hg.), Vielfalt in der Elementarpädagogik. Theorie, Empirie, Professionalisierung, Frankfurt a.M. 2018, 39–48. 3 Barney G. Glaser / Anselm Strauss, The Discovery of Grounded Theory. Strategies for Qualitative Research, New York 1967. 4 Uwe Flick, Qualitative Sozialforschung. Eine Einführung, Reinbek bei Hamburg 2012.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

Teilnehmenden Beobachtung, Expertinnen- und Experteninterviews mit den Leitungen der Kindergärten sowie Gruppendiskussionen mit den Kindern und den Pädagoginnen durchgeführt. Die Untersuchungsdurchführung berücksichtigte sowohl entwicklungspsychologische Erkenntnisse als auch Überlegungen aus der Kindheitsforschung5. Die beiden Kindergärten befinden sich im selben Bezirk in Wien. Kinder aller Religionsbekenntnisse werden in den Kindergarten aufgenommen. Die Leitungen der beiden Kindergärten sind religiöser Differenz gegenüber positiv eingestellt und der Respekt anderen Religionen gegenüber ist im Leitbild verankert. Im Kindergarten in katholischer Trägerschaft ist die Mehrzahl der Kinder katholisch (45,7 %), ansonsten befinden sich Kinder verschiedenster Religionszugehörigkeiten im Kindergarten (muslimisch 17,4 %; ohne Bekenntnis 17,4 %, orthodox 13,1 %, Hindu 2,2 %, Sikhs 2,2 %). Im Kindergarten mit islamischer Trägerschaft ist die Mehrzahl der Kinder muslimisch (91,9 %), die anderen Kinder sind katholisch (8,1 %). Die Pädagoginnen sind im Kindergarten in katholischer Trägerschaft ausschließlich katholisch, im Kindergarten in islamischer Trägerschaft sind diese sowohl muslimisch als auch katholisch. Beim Umgang mit religiöser Differenz zeigen sich in beiden Kindergärten eine Dominanz der größeren Religion und wenig Anerkennung der kleineren Religionen. (Die Begriffe größere und kleinere Religion beziehen sich auf die Verteilung im jeweiligen Kindergarten.) Der Kindergartenalltag ist von der größeren Religion geprägt und die Erkennbarkeit religiöser Differenz wird im Kindergartenalltag weitge-

hend vermieden. Wo religiöse Differenz dennoch erkennbar ist, wird kaum darüber gesprochen. Die jeweils größere Religion prägt die Auswahl und die Gestaltung der Feste, die gesprochenen Gebete, die Sichtbarkeit der Religion im Kindergartenalltag und die religiösen Angebote, wohingegen die kleineren Religionen kaum einen Einfluss darauf haben. Wie die Kinder ihre eigene Religion und ihre religiösen Audrucksformen thematisieren, unterscheidet sich sowohl zwischen den beiden Kindergärten als auch zwischen den jeweiligen Kindern der größeren Religion und der kleineren Religionen. So zeigen die Kinder der kleineren Religionen einen Wunsch nach Zugehörigkeit, wohingegen sich die Kinder der größeren Religion bei religiösen Angeboten selbstverständlich zugehörig fühlen. Der Wunsch nach Zugehörigkeit wird bei den Kindern der kleineren Religionen deutlich, da sie Differenz nicht offenlegen, über ihre eigene Religion und religiösen Ausdrucksformen schweigen und ihr Verhalten dem der Mehrheit anpassen. Die selbstverständliche Zugehörigkeit der Kinder der größeren Religion zeigt sich, indem sie über ihre eigene Religion und ihre religiösen Gewohnheiten sprechen, Verhaltensweisen, die sich von anderen unterscheiden, offenlegen und Fragen an die Kinder stellen, die bei bestimmten Aktivitäten nicht teilgenommen haben und diese beschuldigen, gefehlt zu haben. Zwischen dem Umgang mit religiöser Differenz im Kindergarten und der Thematisierung religiöser Differenz 5 Friederike Heinzel (Hg.), Methoden der Kindheitsforschung. Ein Überblick über Forschungszugänge zur kindlichen Perspektive, Weinheim/Basel 22012.

Stockinger Differenzsensible Kindertheologie in der Elementarpädagogik

durch die Kinder zeigen sich Parallelen. Die kleineren Religionen werden nur insofern erkennbar, als diese Kinder etwas nicht dürfen beziehungsweise bei etwas nicht mitmachen, eigene religiöse Ausdrucksformen oder Bräuche werden weder von den Pädagoginnen noch von den Kindern thematisiert. Die eigene Religion kann von den Kindern der kleineren Religionen nicht als Bereicherung, sondern ausschließlich als Defizit erfahren werden. Die Kinder der kleineren Religionen passen ihr Verhalten dem der Kinder der größeren Religion an, wodurch ihr Verhalten und ihre Kommunikation mit der Struktur des Kindergartens, in der die größere Religion dominiert und die kleineren Religionen nicht anerkannt werden, übereinstimmt. In den Kindergärten zeigt sich auf Grund der Dominanz der jeweils größeren Religion eine organisationale Benachteiligung der Kinder der kleineren Religionen. Kindern der größeren Religionen werden im Unterschied zu den Kindern der kleineren Religionen unterschiedliche Möglichkeiten der Zugehörigkeit und der religiösen Bildung zur Verfügung gestellt. 2. Entwicklung der Kindergärten

Die untersuchten Kindergärten scheinen nicht die Orte zu sein, in denen sich alle Kinder offen zu der von ihnen erlebten religiösen Differenz äußern wollen. Es stellt sich die Frage, wie es Kindergärten gelingen kann, Möglichkeiten der Zugehörigkeit und der Partizipation für alle Kinder zu entwickeln. Hierfür sind unterschiedliche Blickwinkel möglich, wobei im Folgenden

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eine Perspektive der Organisationsentwicklung eingenommen wird. Jede Organisation, so auch jede elementare Bildungseinrichtung, steht in vielfältigen Verflechtungen und wechselseitigen Abhängigkeiten zur Umwelt. Zugleich ist jede Organisation in sich eine lernende Organisation mit einer Eigendynamik, in der Entwicklungen und Veränderungen möglich sind, sofern die Organisationsmitglieder diesen gegenüber aufgeschlossen sind. Die Entwicklung von Räumen, in denen differenzsensibel und -kompetent gehandelt wird, ist ein Prozess, der sich besonders in der Kultur der jeweiligen Organisation zeigt. Die Kultur einer Organisation hat Einfluss auf deren Angehörige, auch wenn ihnen dies nicht in allen Facetten bewusst ist. Der jeweilige Kontext kann beeinflussen, wie und ob Kinder Differenz thematisieren. Wird im Kindergarten die eigene Kultur reflektiert sowie die eigene Haltung hinterfragt, kann dies zu einem gerechteren Umgang mit Verschiedenheit führen. Im Kulturmodell von Edgar Schein werden drei Ebenen benannt, anhand derer eine Kultur analysiert werden kann.6 Die Ebene der Symbole und Zeichen inkludiert alle Phänomene, die sicht-, hör- und fühlbar sind, die aber interpretationsbedürftig bleiben, beispielsweise die Sprache, die Arbeitsweise, die Kleidung, die Rituale oder die materielle Ausstattung im Kindergarten. Diese verweisen auf die Werte und Normen, die in Geboten, Verboten, Verhaltensrichtlinien und Tabus im Kindergarten teilweise bewusst 6 Edgar H. Schein, Organizational Culture and Leadership, San Francisco 2010.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

sind. Die Werte und Normen lassen auf grundlegende Annahmen schließen, die häufig nicht bewusst sind und das Verhalten der Organisationsmitglieder beeinflussen wie beispielweise Annahmen über die Außenwelt, die Wahrheit oder das Wesen des Menschen. Langfristige Veränderungen finden statt, wenn die Ebene der grundlegenden Annahmen, betroffen ist. So könnte in einem Kindergarten, in dem die Kinder der kleineren Religionen über ihre eigene Religion schweigen und sich den Ausdrucksformen der größeren, dominanten Religion anpassen, keine Kultur entwickelt sein, die Vielfalt anerkennt. Versucht eine Organisation hingegen religiöse Differenz anzuerkennen, kann dies für Kinder und Eltern Auswirkungen auf ihr Zugehörigkeitsgefühl und ihre Partizipationsmöglichkeiten haben. Es gilt somit, den Kindergarten zu einem Raum zu entwickeln, in dem sich Kinder zugehörig fühlen und ihre Religion oder religiösen Einstellungen thematisieren dürfen. Hierfür wird als eine mögliche Orientierung die Metapher safe space mit relevanten Bedeutungsdimen­ sionen für Kindergärten eingeführt.7 3. Safe spaces als Metapher

Aufgrund der unterschiedlichen Verständnisse gilt es, den Begriff safe space, wie er hier verstanden werden will, von anderen Verwendungen abzugrenzen: Safe spaces werden nicht als Räume verstanden, in denen benachteiligte Personen unter sich und von anderen Personen separiert sind. Dieses Verständnis von safe spaces wird von unterschiedlichen Organisationen gefordert und

möchte Personen vor Diskriminierung schützen. Allerdings bestimmen in solchen Räumen häufig Ängste und eine klare Abgrenzung gegenüber anderen das Verhalten. Eine solche Trennung macht es Päda­gog/in­nen in Bildungskontexten schwer, auf Fälle von Diskriminierung und Beleidigungen angemessen und konstruktiv zu reagieren.8 Im Unterschied dazu, will der Begriff der safe spaces, wie er in diesem Beitrag verwendet wird, eine Metapher für Räume sein, in denen Differenz zugelassen ist und in denen dieser Offenheit und Wertschätzung entgegengebracht wird. Um Lernen mit- und voneinander zu ermöglichen, sind Räume notwendig, in denen Differenz erlaubt ist, sensibel wahrgenommen und thematisiert werden darf. Konflikttheorien haben gezeigt, dass es notwendig ist, Plätze mit einer Atmosphäre der Sicherheit zu entwickeln, wenn ein konstruktiver Dialog zwischen Menschen stattfinden soll, die sich voneinander unterscheiden.9 Als Metapher beschreibt der Begriff ein Idealbild, das als Orientierung dienen soll, aber nicht vollständig erreicht werden kann. Metaphern erlauben uns, Phänomene zu beschreiben, die ansonsten möglicherweise nicht bemerkt werden. Die Verwendung einer Metapher ist ein Weg, um einer Perspektive einen verdich7 Vgl. auch Helena Stockinger, Elementare Bildungseinrichtungen als safe spaces für (religiöse) Differenz. ÖRF 24 (2016) 2, 79–87. 8 Barbara S. Stengel, The Complex case of Fear and Safe Space, in: Studies in Philosophy and Education 29/6 (2010) 523–540, 524–528. 9 Peter Schreiner, A »safe space« to foster selfexpression. In: John Keast, Religious diversity and intercultural education: a reference book for schools, Strasbourg 2007, 57–66, 58.

Stockinger Differenzsensible Kindertheologie in der Elementarpädagogik

teten Ausdruck zu geben.10 Und bedeutet nicht, dass dies automatisch die Arbeit verbessert, das Verstehen fördert oder Ungerechtigkeiten und Diskriminierungen reduziert. Die Orientierung daran kann aber unterstützen, bestehende Benachteiligungen sensibel wahrzunehmen und einen Raum zu eröffnen, in dem Personen einen Umgang miteinander lernen können, der von gegenseitigem Respekt und Vertrauen getragen ist. »Organising a ›safe space‹ can allow a school to: – provide a secure environment to foster selfexpression; – explore differences outside a context of insecurity, fear and tension; – share, tell and listen without ready-made statements; – foster dialogue-oriented ways of learning; – begin a process of reconciliation free from hatred and violence.«11 Safe space meint somit nicht, dass der Kindergarten eine heile Welt oder Schutzzone ist, die von der Gesellschaft abgekoppelt ist. Kindergärten sind nicht in sich geschlossen, sondern sind mit der Außenwelt vernetzt wobei sich Einstellungen und Haltungen inner- und außerhalb wechselseitig bedingen können. Auch wenn safe spaces das Bestreben zu Grunde liegt, Differenz zuzulassen und anzuerkennen, beeinflussen individuelle und kollektive Geschichten, die auch Diskriminierungen beinhalten können, das Geschehen. Der Kindergarten sollte bestrebt sein, sich zu einem Raum zu entwickeln, indem Kinder in ihrer Unterschiedlichkeit angenommen sind, und Ungerechtigkeiten und Machtgefälle reduziert werden. Safe spaces bedeuten nicht notwendigerweise eine Umgebung ohne Unannehmlichkeiten, Anstrengungen oder Schmerzen. Sicher zu sein, bedeutet nicht unmittelbar, es gemütlich zu haben. Vielmehr verweist die Metapher safe

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space darauf, dass der Kindergarten ein Raum ist, um mit- und voneinander zu lernen. So können gerade Konflikte und Herausforderungen Ausgangspunkte für Lernprozesse sein.12 Intensive Situationen können Frustration, Wut, Konflikte, aber auch Verspieltheit und Entdeckung beinhalten. In safe spaces erleben Kinder diese in einem Raum, der begleitet wird und von dem sie wissen, dass unterschiedliche Meinungen wertgeschätzt werden. Personen können ihrer Individualität Ausdruck verleihen, auch wenn diese von den gesetzten Normen anderer Personen abweichen. Die Sicherheit in safe spaces bezieht sich auf den Schutz vor psychologischen oder emotionalen Nachteilen.13 4. Der Kindergarten als Raum des Lernens – Raum der Zugehörigkeit – Raum der Anerkennung

Kindergärten können sich in Orientierung an der Metapher safe spaces weiterentwickeln, wobei sie Räume des Lernens, der Zugehörigkeit und der Anerkennung eröffnen können. Raum des Lernens: Kinder und Jugendliche benötigen Räume, in denen 10 Robert Boostrom, ›Safe spaces‹: Reflections on an educational metaphor, in: Journal of Curriculum Studies 30/4 (1998) 397–408, 397. 11 Peter Schreiner (wie Anm. 9), 58. 12 Vgl. Cheryl A. Hyde / Betty J. Ruth, Multicultural content and class participation. Do students self-censor? In: Journal of Social Work Education 38/2 (2002) 241–256, 252; Melissa Redmond, Safe Space Oddity: Revisiting Critical Pedagogy, in: Journal of Teaching in Social Work 30/1 (2010) 1–14, 3. 13 Lynn C. Holley / Sue Steiner, Safe Space: Student perspectives on classroom environment, in: Journal of Social Work Education 41/1 (2005) 49–64, 50.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

sie sicher lernen können. »They will always need launching pads from which to follow their curiosity into the larger world. And they will always need places to make the transition from their childhood homes to the larger society of peers and adults.«14 Safe spaces sind Räume für Erkundung, Austausch und Wachstum.15 In ihnen ist Selbsterfahrung möglich, in Interaktion mit anderen können das Selbstbewusstsein gestärkt und in Auseinandersetzung mit anderen Meinungen und Sichtweisen das Urteilsvermögen sowie das kritische Denken geschult werden. Dabei kommt der Kommunikation eine Schlüsselfunktion im Umgang mit religiöser Differenz zu. Menschen lernen einander durch Kommunikation kennen. »Anderssein ist nicht bedrohlich, sondern weckt den Wunsch nach Kommunikation. Gerade weil die oder der Andere anders ist, brauchen wir Kommunikation.«16 In Bildungseinrichtungen ist die Kommunikation über religiöse Differenz eine Chance, einander, sich selbst und die unterschiedlichen Religionen besser kennen zu lernen und gemeinsam zu lernen. Raum der Zugehörigkeit: Zugehörigkeiten gilt es immer neu auszuhandeln, da Zugehörigkeitsmerkmale »über soziale Differenzbildung hergestellt« werden.17 Wenn »jemand als zugehörig gilt oder als nicht-zugehörig ausgegrenzt wird«, kann dies »unterschiedliche Handlungsmöglichkeiten und Perspektiven für die Lebensgestaltung« mit sich bringen.18 Inwieweit die Frage der Zugehörigkeit eine Rolle spielt, hängt davon ab, ob sich eine Person als zugehörig erfährt oder nicht. »Für diejenigen, deren Zugehörigkeit als selbstverständlich angesehen wird, spielt die Frage der Zugehörigkeit

eine andere Rolle als für diejenigen, deren Zugehörigkeit umstritten ist oder gar abgelehnt wird. So wird das Thema vor allem für diejenigen relevant, die als Andere kategorisiert und nicht als zugehörig anerkannt werden.«19 Kinder, die der Mehrheit angehören, fühlen sich leichter zugehörig, weswegen insbesondere auf die Kinder zu achten ist, die dieser nicht angehören. Die Bedeutung eines safe space wäre es, Formen der Zugehörigkeit und der Partizipation für alle Kinder zu entwickeln. Dies inkludiert, dass Kinder Differenz nicht als Mangel, sondern als Bereicherung erleben und jede Person einen Beitrag zum Zusammenleben im Kindergarten leisten kann. Raum der Anerkennung von Differenz: Insbesondere Bildungseinrichtungen kommt die Verantwortung zu, gemeinsam mit allen Beteiligten einen respektvollen Umgang einzuüben, was auch bedeutet, Differenz wahrzuneh14 Peter Senge u.a., Schools that learn. A Fifth Discipline Fieldbook for Educators, Parents, and Everyone who Cares About Education, New York 2012, 4. 15 Vgl. Veronika Kisfalvi / David Oliver, Creating and Maintaining a Safe Space in Experiental Learning, in: Journal of Management Education 39/6 (2015) 713–740, 726; Lynn C. Holley / Sue Steiner (wie Anm. 13), 49–64. 16 Annedore Prengel, Pädagogik der Vielfalt. Verschiedenheit und Gleichberechtigung in Interkultureller, Feministischer und Integrativer Pädagogik, Wiesbaden 32006, 56. 17 Christine Riegel / Thomas Geisen, Zu­ ge­ hörigkeit(en) im Kontext von Jugend und Migra­tion – eine Einführung, in: Christine Riegel / Thomas Geisen (Hg.), Jugend, Zugehörigkeit und Migration. Subjektpositionierung im Kontext von Jugendkultur, Ethnizitäts- und Geschlechterkonstruktionen, Wiesbaden 2007, 7–23, 7. 18 Ebd., 7. 19 Ebd., 8.

Stockinger Differenzsensible Kindertheologie in der Elementarpädagogik

men und diese anzuerkennen. Bildungseinrichtungen sind wichtige Orte, um demokratisches Lernen anzuregen und gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten zu begegnen. Mecheril und Plößer machen auf Dilemmata aufmerksam, mit denen sich eine auf Differenz bezogene Pädagogik auseinanderzusetzen hat, da einerseits Ungleichheiten (re)produziert werden, wenn Differenz nicht anerkannt wird, andererseits die Anerkennung von Differenz Macht- und Ungleichheitsverhältnisse reproduziert. Da diese Dilemmata im pädagogischen Umgang mit Differenz unaufhebbar sind, wird eine »kritisch-reflexive Thematisierung von Differenz präferiert […].«20 Somit geht es beim Verhältnis von Differenz und Pädagogik »um eine erfahrungsbezogene Reflexion darauf, wie Differenzen pädagogisch so thematisiert werden, dass als Konsequenz dieser Thematisierung weniger Macht über andere erforderlich ist.«21 Annedore Prengel hält in ihren Thesen zu Differenz fest, dass Differenz nicht einfach da ist, sondern dass »die nicht zur dominierenden Kultur gehörenden Lebensformen […] zum Schweigen gebracht, verdrängt, ausgegrenzt, entwertet, ausgebeutet [sind]. Differente Lebensweisen sind darum immer neu zu entdecken, zur ihnen eigenen Sprache zu bringen und in ihrem Wert anzuerkennen.«22 Dies impliziert, Differenz sensibel wahrzunehmen und nicht zu ignorieren. »Gerechtigkeit, so das Credo differenzsensibler Ansätze, kommt nicht zustande, wenn die Vielheit der Lebenslagen, Vermögen, Bedürfnisse und Identitäten nur mit einem einzigen Maßstab gemessen werde. […] am Maßstab der Mehrheit beurteilt wird das ›AndersSein‹ der Minderheiten, ihre sprachli-

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chen und kulturellen Lebensformen zu einem Mangel.«23 Dies umfasst Sensibilität besonders auch gegenüber denjenigen Personen, die nicht der Mehrheit angehören. Bildungseinrichtungen können Räume des Hörens und Wahrnehmens sein. »Safe Spaces is also about listening to voices.«24 Dies kann das Wahrnehmen von Stimmen beinhalten, die normalerweise leicht überhört werden oder das Achten auf Menschen, denen in der Organisation wenig Anerkennung zukommt. Die Anerkennung der Menschen mit ihren jeweiligen religiösen oder weltanschaulichen Einstellungen kann die Basis bilden, damit sich Kinder im Kindergarten zugehörig erfahren und religiöse Differenz, sofern sie diese beschäftigt, thematisieren. »Social justice is mainly concerned with equality, in all spheres of society, and the empowerment of the marginalized.«25 Indem Differenz in elementaren Bildungseinrichtungen sensibel wahrgenommen und thematisiert wird, können Formen der Zugehörigkeit und der Partizipation für alle Kinder angestrebt und somit organisationale Benachteiligungen reduziert werden, was zu mehr Bildungsgerechtigkeit beiträgt. 20 Paul Mecheril / Melanie Plößer, Differenz, in: Sabine Andresen u.a. (Hg.), Handwörterbuch Erziehungswissenschaft, Weinheim/Basel 2009, 194–208, 196. 21 Ebd., 206. 22 Annedore Prengel (wie Anm. 16), 183. 23 Paul Mecheril / Melanie Plößer (wie Anm. 20), 199. 24 Cornelia Roux, A social justice and human rights education project, in: Cornelia Roux, Safe Spaces. Human Rights Education in Diverse Contexts, Rotterdam/Boston/Taipei 2012, vii. 25 Ebd., 35.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

5. Differenzsensible Kindertheologie

Die Ergebnisse der Studie sowie die Metapher der safe spaces für religiöse Differenz im Kindergarten verdeutlichen auch die Bedeutung von Kindertheologie: Räume zu eröffnen, in denen eine Atmosphäre geschaffen wird, die Kinder ermutigt, ihre Gedanken zu thematisieren, sensibel zu sein für verschiedene Äußerungen der Kinder und zu versuchen, diese zu verstehen. Der Blick auf die Individualität jedes Kindes und die Wertschätzung der Aussagen jedes Kindes ist der Kindertheologie eingeschrieben und prägt die Kindertheologie als subjektorientierte Pädagogik. Im Folgenden werden einige Aspekte betont, die ausgehend von der durchgeführten Studie für die Kindertheologie in der Elementarpädagogik besonders bedeutend erscheinen. 5.1 Formen der Zugehörigkeit und Partizipation für alle Kinder

Ausgehend von den beobachteten Tendenzen des Schweigens, die sich in Bildungsinstitutionen ergeben können, stellt sich die Frage, welche Kinder ihre Einschätzungen und ihre Gedanken zu religiösen Einstellungen oder ihre religiösen oder weltanschaulichen Gedanken im Kindergarten besprechen, insbesondere auch in kindertheologischen Gesprächen. Dass manche Kinder sich in Gesprächen nicht äußern möchten, kann Ausdruck der Persönlichkeit eines Kindes sein, aber es kann auch Hinweis darauf sein, dass das Kind den Raum nicht als sicher genug erlebt, um sich zu äußern. Hier könnte alleine oder im Team reflektiert werden, welche Faktoren das

Kind möglicherweise daran hindern, sich an dem Gespräch zu beteiligen. So könnte das Schweigen Ausdruck dafür sein, dass Kinder in ihrer Verschiedenheit nicht sichtbar werden möchten. Besonders jene Kinder zu berücksichtigen, die sich nicht zu äußern trauen, ist eine Aufgabe der Kindertheologie. Es gilt Machtund Dominanzverhältnisse wahrzunehmen, diese zu reflektieren und Wege zu suchen, um diese im Kindergarten zu reduzieren. Bei kindertheologischen Gesprächen, die Zugehörigkeit und Mitsprache von allen Kindern ermöglichen möchten, werden Kinder in ihrer Verschiedenheit berücksichtigt und insbesondere auch der Blick auf jene Kinder intensiviert, die auf Grund von Dominanzverhältnissen strukturell benachteiligt werden. Dies bedeutet insbesondere auch jene Kinder zu bedenken, die sich von der Mehrheit unterscheiden und denen – ohne dies zu beabsichtigen – nicht die Möglichkeiten der Zugehörigkeit und der Partizipation geboten werden. Da religiöse Differenz eine Dimension ist, die mit anderen Dimensionen verschränkt ist und Personen immer in ihrer Gesamtheit zu betrachten sind, bezieht sich die Frage der Zugehörigkeit und der Möglichkeit der Partizipation auch auf andere Dimensionen, wie beispielsweise kulturelle, sprachliche und soziale Differenzen. Ebenso gilt es gesellschaftliche Chancen und Grenzen zu berücksichtigen, denen Menschen aufgrund ihren sozialökonomischen Möglichkeiten unterliegen. Der Blick auf eine »kritische, marginalitätssensible Kindertheologie«26, die sich die 26 Bernhard Grümme, Öffentliche Religionspädagogik. Religiöse Bildung in pluralen Lebenswelten, Stuttgart 2015, 247.

Stockinger Differenzsensible Kindertheologie in der Elementarpädagogik

»Perspektive und das Anliegen der benachteiligten marginalisierten Kinder«27 zu eigen macht, scheint für Kinder bedeutsam zu sein. Der Kindertheologie kommt in diesem Zusammenhang die Verantwortung und die Möglichkeit zu, die Unterschiede der Kinder zu berücksichtigen, Formen der Zugehörigkeit und der Partizipation für alle Kinder zu entwickeln und einen Beitrag zur Subjektwerdung der Kinder zu leisten. Dabei können Reflexionsfragen helfen: Inwiefern werden in den durchgeführten kindertheologischen Gesprächen unterschiedliche Religionen und religiöse Einstellungen bedacht und wertgeschätzt? Inwiefern können sich alle teilnehmenden Kinder selbstverständlich zugehörig fühlen? Welche Möglichkeiten der Partizipation werden für alle teilnehmenden Kinder geschaffen? Wie werden die unterschiedlichen Erfahrungen von Kindern wertgeschätzt? 5.2 Berücksichtigung der Kultur im Kindergarten

Dass die Entwicklung von Möglichkeiten der Zugehörigkeit und Partizipation für alle Kinder nicht alleinige Aufgabe der Kindertheologie oder der kindertheologischen Gespräche im Kindergarten ist, sondern insbesondere die gesamte Kultur des Kindergartens, die in kindertheologischen Gesprächen zum Ausdruck kommen kann, umfasst, wird in der Orientierung an safe spaces deutlich. Kindertheologische Gespräche können Ausdruck einer Kultur im Kindergarten sein, die von einer Wertschätzung von Verschiedenheit getragen ist. Kindertheologische Gespräche

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nehmen somit nicht einen Sonderraum im Kindergarten einnehmen, sondern in ihnen kann sichtbar werden, was in den grundlegenden Annahmen des Kindergartens verankert ist (vgl. die Auseinandersetzung mit Schein). Der gesamte Kindergarten kann eine Kultur entwickeln, in der Kinder in ihrer Differenz, auch religiösen Differenz, anerkannt sind. In einem Kindergarten, in dem eine Kultur entwickelt wird, die von Sicherheit, Vertrauen und Respekt (vgl. Ausführungen zu safe space) geprägt ist, ist ein Rahmen gegeben, der zum Gelingen von kindertheologischen Gesprächen beitragen kann und der sich auch in der Gesprächsführung der Pädagoginnen und Pädagogen widerspiegelt. Gerade der Anspruch der Kindertheologie, die Stimmen der Kinder zu hören, deren Sichtweisen ernst zu nehmen und von ihnen zu lernen, erfordert eine Atmosphäre, in der dies möglich ist. Weiterhin erfordert es eine Auseinandersetzung mit dem Kontext, in dem die kindertheologischen Gespräche stattfinden. Insofern kann die Orientierung an safe spaces einen Beitrag zum Gelingen kindertheologischer Gespräche liefern: Es braucht einen Raum der Sicherheit, in dem voneinander gelernt wird, in dem miteinander gesprochen wird, in dem jeder und jede in ihren unterschiedlichen Sichtweisen und Zugängen anerkannt ist. In dieser Kultur eines Kindergartens ist es möglich, mit Kindern in einen Austausch über ihre jeweiligen Gedanken und Zugänge zu treten.

27 Ebd., 243.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

5.3 Kindertheologie als Teil des Alltags

Gespräche über religiöse Unterschiede treten im Kindergarten an unterschiedlichen Zeiten während des Kinderalltags auf, wie beispielsweise in kurzen, nicht planbaren Gesprächen zwischen Kindern am Maltisch, beim Spielen oder beim Essen. Diesen Gesprächen kann eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden, indem die Fragen und Antworten der Kinder im Kindergartenalltag wahrgenommen werden. Manche der von den Kindern thematisierten Inhalte können von den Pädagog/in­nen zu einem späteren Zeitpunkt aufgegriffen werden, andere können direkt mit den Kindern besprochen werden oder beobachtet und nicht weiter thematisiert werden. Hierfür sind Pädagog/innen gefordert, die aus einer forschenden Grundhaltung diese Gespräche sensibel wahrnehmen und einschätzen, inwiefern eine weitere Bearbeitung des aufgeworfenen Themas für die Kinder weiterführend sein kann. Bietet der gesamte Raum des Kindergartens eine Kultur der Offenheit, des Vertrauens und der Zugehörigkeit können auch an nicht geplanten Zeiten kindertheologische Gespräche durchgeführt werden. Die Formate der Kindertheologie in der Elementarpädagogik, abseits der von der Pädagogin oder dem Pädagogen initiierten Gespräche, wie solche, die sich spontan im Kindergartenalltag ergeben, gilt es verstärkt zu fokussieren und deren Potenziale weiter zu entfalten. 5.4 Unterschiedliche Formen der Kindertheologie intensivieren

Um Ungerechtigkeiten zu vermeiden und um allen Kindern Möglichkeiten

der Zugehörigkeit und der Partizipation anzubieten, sind Personen immer in ihrer Ganzheit zu berücksichtigen. »Im Kindergarten theologische Gespräche zu führen bedeutet immer, dass auch eine ganzheitliche Kompetenzförderung anzustreben ist.«28 Dies ist bei kindertheologischen Gesprächen in der Themenwahl zu berücksichtigen, in der Form des Theologisierens und in der Frage, inwiefern es notwendig ist, sich sprachlich auszudrücken oder ob verstärkt Möglichkeiten der nicht-sprachlichen Kommunikation gefunden werden können. »Zum Theologisieren in Kindergartengruppen gehören daher immer spielerische Angebote zur Schulung von Achtsamkeit, differenzierter Wahrnehmung und Gelassenheit sowie die Einbeziehung von nonverbalen Kommunikationsformen und Raum für eine persönliche Vertiefung.«29 Andere Sozialformen und Arbeitsformen abseits des üblichen Sitzkreises könnten ausprobiert werden. Formen der Kindertheologie, die es Kindern auf unterschiedliche Weise ermöglichen, zu theologisieren und sich einzubringen, können mit Blick auf die Elementarpädagogik weiterentwickelt werden. 5.5 Bedeutung der Pädagog/innen

Anders als Religionslehrer/innen sind Kindergartenpädagog/innen meistens 28 Angela Kunze-Beiküfner, Kindertheologie im Kontext des Kindergartens, in: Anton A. Bucher / Gerhard Büttner / Petra Freudenberger-Lötz / Martin Schreiner, »Vielleicht hat Gott uns Kindern den Verstand gegeben« Ergebnisse und Perspektiven der Kindertheologie. Stuttgart 2006, 95–110, 103. 29 Ebd., 103.

Stockinger Differenzsensible Kindertheologie in der Elementarpädagogik

keine Theolog/innen. Sie haben eine päda­gogische Ausbildung absolviert, in deren Rahmen möglicherweise nur ein kleiner Bereich der religiösen Bildung zu­geordnet war. Anforderungen, die an Pädagog/innen im Rahmen von kindertheologischen Gesprächen gestellt werden, dürfen diese in ihrem komplexen Alltag nicht überfordern. Die Unsicherheiten von Pädagog/innen gilt es ernst zu nehmen. Damit die »Wahrnehmung, Würdigung, Anregung und Dokumentation der theologischen Kompetenz der Kinder« gelingen kann, sollte »auch die theologische Kompetenz der Erzieher/innen und der Eltern in den Blick genommen, gewürdigt und gefördert werden. Die Weigerung bei Erzieherinnen und Eltern, sich auf theologische Gespräche mit den Kindern einzulassen, entspringt oft einer Unsicherheit und der Angst, keine Antwort zu wissen, oder etwas Falsches zu sagen.«30 In der Aus-, Fort- und Weiterbildung können Pädagog/innen und Leitungen sensitivresponsive kindertheologische Kompetenzen weiterentwickeln.31 Sie können erarbeiten, inwiefern eine Haltung der Offenheit und der Sensibilität auch mit Blick auf religiöse Differenz umgesetzt und weiterentwickelt werden und unter anderem in kindertheologischen Gesprächen Ausdruck finden kann. Bei diesen ist von Pädagog/innen zu berücksichtigen, Grenzen zu ziehen und zu korrigieren, wenn Kinder beispielsweise Äußerungen über eine andere Religion oder ein Kind einer anderen Religionszugehörigkeit tätigen, die nicht stimmen und möglicherweise für das betroffene Kind verletzend sind. »Würden Lehrer[/in­nen], Eltern und Erzieher[/innen] die Kinder in ihrem Theologisieren nicht korrigieren,

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würden nicht neue Perspektiven eingebracht, um neue Selbstkonstruktionsprozesse anzubahnen, würde man den Kindern nicht den Schritt in eine reflektierte und verantwortete Religiosität ermöglichen […].«32 Insbesondere kindertheologische Gespräche können einen Rahmen schaffen, der Sicherheit und Vertrauen ermöglicht, indem die Leiterin der kindertheologischen Gespräche moderierend und schützend eingreift, falls inkorrekte oder verletzende Aussagen getätigt werden. 5.6 Bedeutung von ethnographischen Zugängen in der Kindertheologie

Da viele Gespräche von Kindern im Alltag vorkommen, die nicht von einer Pädagogin oder einem Pädagogen geleitet, initiiert oder moderiert werden, ist ethnographische Forschung besonders relevant, die den Alltag der Kinder über längere Zeit in den Blick nimmt, und offen für Fragen und Themen der Kinder ist. Anders als bei Gesprächen mit Kindern, die häufig als Reaktion auf einen Impuls erfolgen, wird durch ethnographische Forschung deutlich, welche Themen Kinder bei ihrem Spiel und in ihren Gesprächen beschäftigen. Ethnographische Forschung ermöglicht es, die Themen und Fragen der Kinder zu entdecken und diese als Themen der

30 Ebd., 98. 31 Angela Kunze-Beiküfner, Kindertheologisch-sensitive Responsivität pädagogischer Fachkräfte in Kindertagesstätten. Eine Untersuchung zur Praxis in Kindertagesstätten, Leipzig 2017. 32 Bernhard Grümme (wie Anm. 26).

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

Forschung aufzugreifen und somit neue Formen der Kindertheologie in der Elementarpädagogik zu entwickeln. 5.7 Elementarpädagogik als Erkenntnisquelle

Elementarpädagogik darf nicht ausschließlich Adressatin kindertheologischer Gespräche sein, sondern ihr kommt ein theologischer und kindertheologischer Erkenntnisgewinn zu. Kindertheologie in der Elementarpädagogik ist ein eigenständiger Bereich, der der

Kindertheologie in der Primar- oder Sekundarpädagogik Impulse bieten kann, genauso wie Elementarpädagogik von deren Erkenntnissen bereichert werden kann. Die Verschränkung bei gleichzeitiger Eigenständigkeit der einzelnen Bereiche ist für die Weiterentwicklung der Kindertheologie relevant. Elementarpädagogik als Quelle von Erkenntnissen für die Pädagogik, für die Theologie und in diesem Zusammenhang für die Kindertheologie gilt es sowohl im Bereich der Forschung als auch im pädagogischen und theologischen Denken und Handeln zu stärken.

Schluß / Andersen Zentrale Ergebnisse eines Forschungsprojekts zu Pluralität …

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Henning Schluß / Christian Andersen Elementarpädagogik und Pluralität in Wien. Zentrale Ergebnisse eines Forschungsprojekts zu Pluralität in Kindergärten und Kindergruppen unter besonderer Berücksichtigung sogenannter »islamischer« Einrichtungen (PLUKI) 1. Forschungsdesign

Seit einigen Jahren gibt es in Österreich und insbesondere in Wien eine breite politische und mediale Diskussion sogenannte islamische Kindergärten und Kindergruppen betreffend.1 Seit der Publikation einer »Pilotstudie« des Professors für Islamische Religionspädagogik an der Wiener Universität, Ednan Aslan, zu vermeintlich islamischen Kindergärten und -gruppen in Wien2 ist im Feld eine erhebliche Verunsicherung zu spüren. Diese Pilotstudie war in ihrer Durchführung von Anfang an stark umstritten, nicht nur, weil sie sich auf eine sehr schmale Datenbasis stützte, sondern auch weil nicht immer nachvollziehbar war, wie diese Daten überhaupt gewonnen und analysiert worden waren3. Gleichwohl war die mediale Berichterstattung beachtlich. Bereits vor der Durchführung dieser Studie wurde gemutmaßt, dass islamische Kindergärten und Kindergruppen Parallelgesellschaften heranbilden. Mit der Studie wurde diese Interpretation weiter unterfüttert. Eine Schlussfolgerung schon der Pilotstudie, die vom damaligen Integrationsministerium unter dem späteren Bundeskanzler Sebastian Kurz finanziert worden war, war jedoch, dass vertiefte Forschungen notwendig sind. Diese vertiefte Studie sollte deutlich breiter aufgestellt sein. Sie wurde von der

für den elementarpädagogischen Bereich zuständigen Stadt Wien gemeinsam mit dem Integrationsministerium in Auftrag gegeben. Schon diese Konstellation war nicht ohne Spannungen, da das Bundesland Wien traditionell stark sozialdemokratisch geprägt war, das Außen- und Integrationsministerium jedoch von einem Minister der ÖVP geführt wurde. Insofern war es ein Zeichen der Versachlichung der Debatte, dass Stadt und Ministerium gemeinsam als Auftraggeber einer erweiterten Studie auftraten. In einem Forscher/innenteam aus Universität Wien und Fachhochschule Campus Wien, die einen eigenen Studiengang Sozialmanagement in der Elementarpädagogik anbietet, bewarben wir uns um diese Forschungsaufgabe. Von Seiten der Universität Wien war Ednan Aslan für 1 Kindergruppen sind in Deutschland am ehesten mit größeren Kindertagespflegegruppen vergleichbar. 2 Ednan Aslan, Projektbericht. Evaluierung ausgewählter Islamischer Kindergärten und -gruppen in Wien: Tendenzen und Empfehlungen. Universität Wien. Forschungsplattform Institut für Islamische Studien, 2016. https://typo3.univie. ac.at/fileadmin/user_upload/p_iis/Abschlussbericht__Vorstudie_Islamische_Kindergarten_ Wien_final.pdf [Stand: 29.09.2016] 3 Andrea Schaffar, Islamische Kindergärten: Der Abschlussbericht – Eine methodische Kritik, Langfassung, 2016. ScienceBlogs.de. http://scienceblogs.de/sociokommunikativ/2016/03/23/ langfassung-kritik-islamische-kigas-abschlussbericht/

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

die Islamische Religionspädagogik und Elif Medeni, Christian Andersen und Henning Schluß für die Bildungswissenschaft im Team vertreten. Von Seiten der FH waren es Nina Hover-Reisner, Maria Fürstaller und Magdalena Habringer. Unsere Bewerbung machte von Anfang an auf mehrere Probleme aufmerksam, die so in der Ausschreibung noch gar nicht berücksichtigt waren. So war deutlich, dass ganz unbestimmt war, was mit der Rede von den islamischen Kindergärten eigentlich gemeint sein sollte. Waren es Kindergärten in muslimischer Trägerschaft (solche gab es nicht, weil die islamische Glaubensgemeinschaft zwar als Schulerhalter nicht aber als Träger von Kindergärten und Kindergruppen auftritt), war es, dass der Vereinsvorstand mehrheitlich aus Muslimen bestand? Aber würde man einen Kindergarten, dessen Trägerverein mehrheitlich aus Christen besteht, automatisch als christlichen Kindergarten rubrizieren ohne seine inhaltliche Ausrichtung zu berücksichtigen? Oder war das entscheidende Kriterium, ob mehrheitlich muslimische Kinder diesen Kindergarten besuchten? Dann würden aber zahlreiche Kindergärten in Trägerschaft der Kommune ebenfalls als islamisch bezeichnet werden müssen. Das wäre auch der Fall, wenn man die Religionszugehörigkeit der Leitung oder der Mehrheit der Erzieher/innen zum entscheidenden Kriterium erheben würde. Deutlich war, ein eindeutiges Kriterium zur Bezeichnung als »Islamischer Kindergarten«, jenseits einer Selbstbeschreibung als islamischer Kindergarten,4 schien nicht gegeben zu sein. Da gleichwohl der Diskurs um diese Kinderbetreuungseinrichtungen geführt wurde, entschieden wir uns, den Begriff selbst als diskursiven Begriff zu betrach-

ten und nicht festzulegen, sondern ihn vielmehr zu einem Untersuchungsgegenstand zu machen. Eine andere zentrale Entscheidung, die unsere Untersuchung zur Pluralität in Wiener Kindergärten und Kindergruppen5 von der Pilotstudie unterschied, war, dass wir, um auftragsgemäß die Besonderheiten sogenannter islamischer elementarpädagogischer Einrichtungen überhaupt identifizieren zu können, diese mit anderen Einrichtungen vergleichen mussten. Nur durch einen Vergleich lässt sich sagen, ob die Eigenschaft, die man an einer als islamisch rubrizierten Einrichtung bemerkt, für islamische elementarpädagogische Einrichtungen oder vielleicht überhaupt für Kindergärten und Kindergruppen in Wien oder z.B. für Einrichtungen in freier Trägerschaft im Unterschied zu denen in Trägerschaft der Kommune typisch ist. Die Pilotstudie hatte Vergleichsgruppen nicht untersucht und so musste unklar bleiben, ob das, was an den als islamisch bezeichneten Einrichtungen gefunden und kritisiert wurde, wie z.B. die hohe Zahl an nicht oder unzureichend ausgebildeten Pädagog/innen nun ein besonderes Sym4 Auch wenn es vor 2015 durchaus vereinzelt Kindergärten und Kindergruppen gegeben hatte, die sich selbst als islamisch bezeichneten, war das nach der breiten öffentlichen Diskussion über »islamische Kindergärten« in Reflex auf die Pilotstudie Ednan Aslans nicht mehr der Fall. Nahezu alle Kindergärten benannten sich um und strichen den Islam aus ihren Konzeptionen (siehe unten). 5 Nina Hover-Reisner / Henning Schluß / Maria Fürstaller / Christian Andersen / Magdalena Habringer / Elif Medeni u.a., Pluralität in Wiener Kindergärten: Prozesse und Strukturen von In- und Exklusion (Pädagogik in Forschung – Theorie – Geschichte), Wien 2018.

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ptom islamischer Einrichtungen war, oder ob dies für andere Einrichtungen in vergleichbarer Weise zutraf. Mit diesen grundlegenden Unterschieden im Studiendesign stellten wir an die Auftraggeber Anforderungen, die diese bei der Ausschreibung noch nicht im Blick hatten. Umso erfreulicher war, dass die Stadt Wien wie auch das Integrationsministerium sich von diesem Studiendesign überzeugen ließen und alle notwendige Unterstützung zusagten. Diese Zusage wurde insbesondere auch von der Stadt Wien als zuständiger Instanz umgesetzt. So unterstützte uns die Stadt beim Anschreiben aller Wiener Kindergärten und Kindergruppen, deren Leitung wir einluden, einen Fragebogen mit relevanten Fragen online auszufüllen. Die Rücklaufquote lag erstaunlich hoch bei 48 % der Einrichtungen. Dennoch war nicht unwahrscheinlich, dass gerade die problematischen und in die öffentliche Kritik geratenen Einrichtungen nicht auf die Fragebögen antworten würden und insofern das Ergebnis gerade durch die Ausklammerung der problematischen Einrichtungen verzerrt werden würde. Um dies zu umgehen fügten wir weitere Untersuchungsschritte hinzu. Zum einen besuchten wir in Zweierteams Einrichtungen und beobachteten dort den Alltag. Dies waren einerseits Einrichtungen, die in der Beantwortung des Fragebogens in bestimmter Weise auffällig waren oder aber andererseits den Fragebogen nicht ausgefüllt hatten. Ein besonderes Augenmerk wurde darauf gelegt, sowohl Einrichtungen, die man dem islamischen Kontext zurechnen konnte, als auch solche zu besuchen, die nicht dem islamischen Kontext zugeordnet werden konnten und so eine mögli-

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che Breite der besuchten Einrichtungen abzubilden. Zum anderen führten wir Gruppendiskussionen durch, in denen Gruppen mit Pädagog/innen aus unterschiedlichen Einrichtungstypen gebildet wurden und in denen auch Bezug auf die Ergebnisse der Fragebogenerhebung genommen wurde. Für die Durchführung der Gruppendiskussionen war die Arbeitsgruppe der FH zuständig. Wesentlich war aber darüber hinaus die Auswertung der Akten der Aufsicht führenden Behörde. Die Stadt Wien stellte diese Akten in großer Kooperationsbereitschaft zur Verfügung, so dass wir insbesondere auch Kindergärten und Kindergruppen, die eine in verschiedener Weise problematische Vorgeschichte hatten, im Lichte dieser Handakten untersuchen konnten, selbst dann, wenn sie an der Fragebogenerhebung nicht teilgenommen hatten. Um die Ergebnisse interpretieren zu können war es notwendig, diese im Lichte der jeweiligen Gesetzeslage zu lesen. Insofern bestand eine weitere Aufgabe darin, die Gesetzestexte und Verordnungen in ihrer Entwicklung zu rekonstruieren. Im Zuge des Forschungsprozesses hatte sich gezeigt, dass Ednan Aslan mit seinem Team einer eigenen Fragestellung nachging, die mit unserem Ansatz nur bedingt kompatibel war. Während die Gruppe um Ednan Aslan sich vor allem auf die Träger und deren Analyse konzentrierte, blieb die Trägerperspektive für das verbleibende Team aus FH und Bildungswissenschaft eher nebensächlich. Von daher macht es Sinn, die beiden dann entstandenen Studien durchaus vergleichend und aufeinander beziehend zu lesen.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

2. Zentrale Ergebnisse

Der gesellschaftspolitisch geführte Diskurs zu sogenannten »islamischen« Einrichtungen war in unseren Erhebungen in Bezug auf verschiedene Dimensionen nachweisbar: 1. Verstärkte Kontrollen in sogenannten »islamischen« Einrichtungen. 2. Es wird verstärkt darauf gedrungen, das kulturelle Brauchtum Österreichs in den Fokus zu stellen und die Vermittlung von nicht-christlich konnotierten Traditionen als bestenfalls zweitrangig dargestellt. 3. Es lässt sich insbesondere seit 2015 eine Praxis dokumentieren, die darauf abzielt, alle Symbole und Gegenstände zu entfernen, die auf den Islam hindeuten. 4. Es werden autonom neue Konzepte von den Einrichtungen eingereicht, in denen jeder Bezug zum Islam getilgt ist oder allenfalls als fakultatives Zusatzangebot gekennzeichnet wird. Hier offenbart sich eine Distanzierung von Praxen mit religiösen Bezügen in Einrichtungen mit besonderen Bezügen zum Islam, die in Einrichtungen anderer religiöser Orientierung nicht zu beobachten war. Diese Praxis steht jedoch in Spannung zu dem im Bundesländerübergreifenden Bildungsrahmenplan6 formulierten Diversitätsprinzip oder der Selbstbeschreibung Wiens als »pluralistischer« Stadt und weist somit erhebliche Hegemonietendenzen auf. Die Studie konnte bei der Untersuchung der Praxen in den Einrichtungen durchaus Zusammenhänge mit den Trägerüberzeugungen feststellen. Dies ist

jedoch kein Alleinstellungsmerkmal von Einrichtungen mit besonderen Bezügen zum Islam. Allerdings sind hier die Einflüsse zuweilen als sogenannte »perverse Effekte«7 zu beschreiben. Während andere konfessionelle oder weltanschauliche Träger darauf Wert legen, dass ihre Werthaltungen und Glaubensüberzeugungen auch den Kindergarten- bzw. Kindergruppenalltag prägen, ließ sich in allen Projektteilen dieses Teilprojekts eine Tendenz nachweisen, dass Orientierungen des Trägers von Einrichtungen mit besonderen Bezügen zum Islam mehr und mehr zurückgenommen werden und der Fokus zunehmend auf eine Integrationsfunktion durch Assimilation gelegt wird, indem den Kindern österreichische Werte vermittelt werden sollen. Der medialen und politischen Logik einer plakativ darstellbaren Integrationsfunktion folgend findet eine Abkehr von religionspädagogischer Praxis und eine Zuwendung zu Brauchtum – vor allem über christlich konnotierte Feste – statt. Dieser Wechsel des Fokus haben wir sowohl auf der Ebene der Konzeptionen der Einrichtungen, in den im- und expliziten Orientierungen der Pädagog/innen wie sie im Rahmen der Gruppendiskussionen erhoben wurden, als auch in der pädagogischen Praxis nachgewiesen. Das pädagogische Personal, das in Ein6 Charlotte Bühler Institut. Bundesländerübergreifender BildungsRahmenPlan für elementare Bildungseinrichtungen in Österreich. (BMUKK, Hg.), Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur, Wien 2009. 7 Johannes Bellmann, Ökonomische Dimensionen der Bildungsreform: unbeabsichtigte, perverse Effekte, Externalitäten, Vierteljahreszeitschrift für Erziehung und Gesellschaft, 45 (1), 2005, 15–31.

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richtungen mit besonderen Bezügen zum Islam tätig ist, ist selbst häufig nicht muslimisch. Häufig sind selbst die Leitungen in elementarpädagogischen Einrichtungen mit besonderen Bezügen zum Islam keine Muslime. Christliche Träger wie St. Nikolausstiftung, Diakonie oder die Vereinigung Katholischer Kindertagesheime treten in der Öffentlichkeit mit klaren Leitbildern auf, an denen sich die Einrichtungen orientieren können. Sie werden darin von einem Diskurs, der das Christentum als europäische Leitreligion bezeichnet, gestützt. Einrichtungen mit besonderen Bezügen zum Islam gehen mit dem Bekenntnis zum Islam hingegen ein Risiko ein und deklarieren sich selbst in aller Regel deshalb als Einrichtungen mit einem bestimmten pädagogischen Profil, das oftmals »Integration« genannt wird. Von solchen Einrichtungen, die sich selbst nicht als einer bestimmten Bezugsreligion verpflichtet beschreiben, wird denn auch von der behördlichen Aufsicht eine Enthaltsamkeit in Bezug auf Religion gefordert, die vielleicht in Zukunft zumindest einer Haltung der Äquidistanz zu den Religionen weichen könnte, wenn der Ethikleitfaden der Stadt Wien8 beginnt, Wirksamkeit zu entfalten. Im Hinblick auf das Qualifikationsniveau des Personals von Einrichtungen mit besonderen Bezügen zum Islam macht die Analyse der Handakten deutlich, dass von Seiten der Aufsicht auf pädagogische Qualifikation Wert gelegt wird. Dabei muss jedoch berücksichtigt werden, dass aufgrund der dargestellten gesetzlichen Ausgangslage bei Kindergartenpädagog/innen und Kindergruppenbetreuer/innen unterschiedliche Qualifikationsniveaus und

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Ausbildungsanforderungen vorliegen – was sich auch in der Fragebogenerhebung zu den tatsächlichen Ausbildungsabschlüssen niederschlägt. Aufgrund der gesetzlichen Veränderungen seit 2009, insbesondere der Einführung des verpflichtenden Kindergartenjahres, ist ein Zuwachs von elementarpädagogischen Einrichtungen zu verzeichnen, dabei ist insbesondere die Zahl der Kindergruppen gestiegen. Vor allem im Bereich der Kindergärten fehlt es an ausgebildetem Personal. Für den Bereich der Kindergärten hat sich die Praxis der sogenannten »Nachsichten« als besonders bedeutsam herausgestellt und wurde bereits in der Pilotstudie von Ednan Aslan 2015/16 für die sogenannten islamischen Kindergärten thematisiert. Die PLUKI-Studie konnte sehr klar zeigen, dass es bei fast allen größeren Trägern dazu kommt, dass zumindest zeitweise, aber auch häufig über längere Zeiträume kein der gesetzlichen Grundlage entsprechend ausgebildetes Personal zur Verfügung steht und von den gesetzlich legitimierten Nachsichten Gebrauch gemacht wird. Darüber hinaus gibt es die Möglichkeit der Bewilligung eines Projektkindergartens, der es u.a. möglich macht, vom Einsatz des gesetzlich grundsätzlich vorgeschriebenen ausgebildeten Personals entbunden zu werden. Unter diesem Titel nahmen 2018 sieben Kindergärten in Wien die Möglichkeit wahr, nicht an Ausbildungsstätten für Elementarpädagog/innen oder im engeren Sinne 8 MA 10, Ethik im Kindergarten: Vom Umgang mit Religionen, Weltanschauungen und Werten. Wien: Magistratsabteilung 10 – Wiener Kindergärten, 2017.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

vergleichbar ausgebildetes Personal im Kindergarten als Pädagog/innen, einzusetzen. Keine dieser Einrichtungen kann als eine bezeichnet werden, die besondere Bezüge zum Islam aufweist. In Österreich findet die Ausbildung zur Kindergartenpädagogin an einer berufsbildenden weiterführenden Schule (BAFEP) statt, auf die man mit der 9. Klassenstufe wechseln kann. Der dort erreichte Abschluss ist zum einen eine Berufsausbildung, zugleich aber absolviert man auch eine Matura, die als Studienzugangsberechtigung gilt. Die besondere Struktur der Ausbildung zum Kindergartenpädagogen in Österreich ist so mitverantwortlich dafür, dass ein großer Teil der ausgebildeten Kindergartenpädagog/innen nicht im Beruf arbeitet, sondern nach der BAFEP ein Studium aufnimmt. Deutlich wurde im Zuge der PLUKIStudie, dass es allerdings systematische Fehlanreize zur Einstellung von nicht oder wenig ausgebildetem Personal gibt. Denn die Kindergartenhalter werden je nach Anzahl der betreuten Kinder refinanziert. Da eine nicht ausgebildete Kraft ein deutlich niedrigeres Gehalt als eine ausgebildete Kindergartenpädagogin bekommt, haben kühl rechnende Kindergartenträger nicht unbedingt ein Interesse daran, viele ausgebildete Kräfte einzustellen, weil sie diese, bei gleicher Refinanzierung, mehr kosten als solche, die den Ausbildungsvorgaben nicht entsprechen.

Anzahl von elementarpädagogischen Einrichtungen in Wien deutlich gestiegen. Mit diesem Gründungsboom kam es auch zur Bildung von Einrichtungen, die auf eine spezifische Klientel zugeschnitten sind. Dies kann aber nicht als ein Spezifikum von Einrichtungen mit besonderen Bezügen zum Islam angesehen werden. Die Diversität der Träger mit ihren unterschiedlichen weltanschaulichen und religiösen Positionierungen oder pädagogischen Profilierungen ist kein Novum, vielmehr ist sie vom Gesetzgeber ermöglicht und kann als Ausdruck der sich als pluralistisch verstehenden Gesellschaft interpretiert werden. Diese findet traditionell ihren Niederschlag in Ausbildungseinrichtungen in katholischer und nunmehr auch muslimischer Trägerschaft sowie in der Trägerschaft elementarpädagogischer Einrichtungen, die sowohl eine Nähe zu Religionsgemeinschaften als auch zu politischen Parteien oder pädagogischen Schulen haben. In einer pluralen Stadt führt die Anwendung des auf die katholische Soziallehre zurückgehenden Subsidiaritätsprinzips zu dieser Mannigfaltigkeit der Träger mit unterschiedlichen religiösen und weltanschaulichen oder pädagogischen Orientierungen. Die Errichtung von Bildungs- und Wohlfahrtseinrichtungen ist diesem Prinzip folgend erst dann Aufgabe kommunaler oder staatlicher Organisationen, wenn der Bedarf nicht durch Selbsttätigkeit der gesellschaftlichen Gruppen gedeckt werden kann.9 Aus dieser Perspektive betrachtet ist

2.1 Segregation, Exklusion und Inklusion

Um dem Anspruch von Bildungsgerechtig­ keit und Bildungschancengleichheit zu entsprechen, ist durch eine Änderung der Förderungsmodalitäten seit 2009 die

9 Bereits Jahre vor der Problematisierung »islamischer« Kinderbetreuungsstätten werden Einrichtungen mit dezidierter Integrationsprogrammatik errichtet, mit denen dezidiert autochthone Kinder und deren Eltern ange-

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damit gerade die Errichtung von Bildungsund Wohlfahrtseinrichtungen durchaus auch von monokonfessionell islamischen Einrichtungen ein Zeichen von Integration. Mit dem Ausloten der Wünsche der Eltern, den Kunden elementarpädagogischer Einrichtungen, wird mit dieser Praxis entsprochen. Seit der Änderung des Kindergartengesetzes10 sind elementarpädagogische Einrichtungen in Wien zur Berücksichtigung von Kundenwünschen im Rahmen der Erstellung eines Businessplanes, der durch Kundenorientierung die ökonomische Überlebensfähigkeit der Einrichtungen für zumindest 5 Jahre sicherstellen soll, verpflichtet. Deutlich wird durch die PLUKI-Studie, dass ein auch in der Forschung übliches Konzept von Segregation zu kurz greift, denn Segregation ist kein Privileg von Einrichtungen mit besonderen Bezügen zum Islam, sondern von Segregation muss auch da gesprochen werden, wo Kinder ohne Migrationshintergrund oder aber mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung abgeschirmt von anderen eine elementarpädagogische Einrichtung besuchen. Die vorliegende Studie weist zwar Tendenzen zur Segregation nach, allerdings sind diese gegenläufig zu den landläufigen Vorannahmen, indem es Einrichtungen selbst in gemischten Wohngebieten gelingt, sich von Kindern mit Migrationshintergrund frei zu halten und diese sich dann gehäuft in sogenannten »islamischen« Einrichtungen wiederfinden. Dabei ist auffällig, dass es gar nicht nur Kinder mit Bezügen zum Islam sind, die diese Einrichtungen besuchen, sondern es sind Kinder, deren Eltern einen Migrationshintergrund insbesondere aus nicht privilegierten Zusammenhängen

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aufweisen, also z.B. aus der Türkei und dem arabischen Raum aber auch aus Polen, Rumänien oder afrikanischen Ländern kommen. Die Eltern dieser Kinder gehören durchaus verschiedenen christlichen Kirchen an, haben es aber gleichwohl schwer, an »einheimischen« Einrichtungen einen Platz für ihre Kinder zu finden. Diese Segregationstendenzen werden durch ökonomische Dynamiken verstärkt. Paradoxerweise unterstützte gerade die Einführung des beitragsfreien Kindergartens diese »perversen Effekte«. So ist die Kita zwar für alle beitragsfrei, außerhalb der direkt von der Kommune betriebenen Einrichtungen sind jedoch »Zusatzbeiträge« von bis zu 400 Euro monatlich zu entrichten. Diese Zusatzbeiträge unterliegen in der Regel keiner Einkommensstaffelung, wie die ehemaligen Kita-Beiträge. Allerdings sind sie steuerlich absetzbar und so vor allem für gutverdienende Eltern leistbar. Hier wirkt ein ökonomisches Selektionsprinzip viel stärker, als es vorher im kostenpflichtigen Kindergarten gewirkt hat. Einkommensschwache Eltern sind deshalb auf die Kindergärten und Gruppen verwiesen, die keine oder geringe Zusatzbeiträge erheben. Dies sind entweder die in kommunaler Trägerschaft oder häufig diejenigen, die dem »islamischen« Zusammenhang zugerechnet werden. sprochen werden. Es gelingt diesen allem Anschein nach kaum, durchmischte Gruppen zu errichten, weil insbesondere autochthone Eltern diese Einrichtungen kaum anwählen. Eine Studie zu den Gründen dieser Problematik liegt für Wien bisher nicht vor. 10 WKGG. Gesetz, mit dem das Wiener Kindergartengesetz – WKGG – geändert wird. Landesgesetzblatt für Wien, (19), Wien 2018.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

Für die Kindergärten in kommunaler Trägerschaft kommt verschärfend allerdings ein weiterer Grundsatz zum Tragen, der sozialpolitisch ausgesprochen nachvollziehbar ist. Kinder von Eltern, die einer Berufstätigkeit nachgehen, sollen bevorzugt einen Platz erhalten. Dies ist unter dem Aspekt der Ermöglichung von Erwerbstätigkeit gerade von Frauen sicherlich zu begrüßen, führt allerdings dazu, dass Kinder von Eltern, bei denen ein Elternteil nicht arbeitet, erst dann berücksichtigt werden können, wenn alle Kinder von berufstätigen Eltern versorgt sind. Die etwas höhere Arbeitslosigkeit von Eltern mit Migrationshintergrund führt somit dazu, dass gerade diesen Kindern der Zugang zu den kommunalen Einrichtungen tendenziell versperrt bleibt. Ihnen bleibt dann nur noch der sogenannte »islamische«, oder nach seinem Selbstverständnis interkulturelle Kindergarten, weil hier in der Regel ebenfalls keine oder geringe Zusatzbeiträge erhoben werden. Es handelt sich damit nicht um ein bewusstes Abschirmen der Minderheits- von der Mehrheitsgesellschaft, sondern viel eher haben wir Strukturen gefunden, die die Ausgrenzung aus der Mehrheitsgesellschaft begünstigen. Dass dabei alle Ausgegrenzten unter dem Label »Islam« rubriziert werden, hat weniger mit den von dieser Ausgrenzung Betroffenen zu tun, als mit den Kategorien unter denen die so Ausgegrenzten versammelt werden. Diese Kategoriebezeichnungen ändern sich im gesellschaftlichen Diskurs über die Zeit11. Waren es ehedem die Arbeiter oder die Türken, ist es seit 2009 und insbesondere 2015 vor allem der Islam, der als Unterscheidungskriterium herhalten muss, unabhängig davon, ob die

betroffenen Kindergartenkinder selbst aus Familien kommen, die sich dem Islam in einer seiner Strömungen zugehörig fühlen. Hinzu kommt eine Homogenisierungsdynamik, die u.a. im Kontext der anthropologischen Existentialie des Essens beobachtbar wird. Ein Umgang mit Essen, der bestimmten – religiös motivierten – Speisevorschriften genügt, ist zwar in vielen Kindergärten in Bezug auf die Hauptmahlzeiten gegeben, bleibt aber zuweilen auf diese beschränkt. Beim Umgang mit Snacks z.B. zeigt sich so eine fehlende Kultur- und Religionssensibilität, die bei Eltern, die auf die Einhaltung religiös motivierter Speisevorschriften Wert legen, das Vertrauensverhältnis zu den Pädagog/innen belastet. Das führt oft zu einer Auswahl von Einrichtungen, in der die Einhaltung der Speisevorschriften vom Träger glaubhaft verbürgt werden kann. Insofern verstärken sich hier verschiedene Tendenzen gegenseitig, die dazu führen, dass Kinder aus Elternhäusern mit niedrigem sozioökonomischen Status, Migrations- und muslimischem Hintergrund von Einrichtungen der Mehrheitsgesellschaft durch subtile Mechanismen ausgeschlossen werden, die

11 Stefan Hirschauer, Un/doing Differences. Die Kontingenz sozialer Zugehörigkeiten. Zeitschrift für Soziologie, 43 (3) 2014, 170–191. – Christian Andersen, Handaktenanalyse: Aushandlungsprozesse zwischen behördlicher Aufsicht und elementarpädagogischen Einrichtungen, in: Nina Hover-Reisner / Henning Schluß / Maria Fürstaller / Christian Andersen / Magdalena Habringer / Elif Medeni, u.a., Pluralität in Wiener Kindergärten: Prozesse und Strukturen von In- und Exklusion, Wien 2018, 121–148.

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eigentlich gerade darauf abzielen sollten, die Bildungschancen eben dieser Kinder durch Teilhabe an diesen Institutionen zu erhöhen. Da der Verzehr von halal – aber auch koscherem – Essen für Christen in der Regel unproblematisch ist, dies aber umgekehrt nicht der Fall ist, kann gerade die Nichtbeachtung von religiösen Speisevorschriften in Kindergärten und Kindergruppen exkludierend wirken, während umgekehrt die Beachtung von Speisevorschriften in elementarpädagogischen Einrichtungen mit besonderen Bezügen zum Islam, aber auch zum Judentum per se nicht exkludierend ist. So lässt sich feststellen, dass in elementarpädagogischen Einrichtungen mit religionsbezogener Ausrichtung, die die Einhaltung religiös begründeter Speisevorschriften praktizieren, keine Exklusionsmechanismen im Bereich des Essens wirken müssen, wohl aber in elementarpädagogischen Einrichtungen, die diese nicht berücksichtigen. Diese genannten ökonomischen Faktoren und die der religionsbezogenen Speisevorschriften wirken nicht nur unabhängig voneinander, sondern verstärken sich gegenseitig, sodass jedenfalls von klaren Exklusions- oder Inklusionstendenzen oder (im Sinne von sich selbst einschließenden Gruppen) gewissermaßen umgekehrten Segregationstendenzen, in denen sich die Mehrheitsgesellschaft von jenen mit anderem kulturellen und/oder religiösen Hintergrund segregiert, gesprochen werden muss. Diese sind durchaus potentiell problematisch und ihnen müsste konzeptionell begegnet werden.

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2.2 Religions- und Kultursensibilität der Pädagog/innen

Religions- und Kultursensibilität ist in den Ausbildungen noch nicht allgemein verbindlich geregelt. Dazu ist über Nachsichten pädagogisches Personal in den Kindergärten tätig, das nicht einmal über eine elementarpädagogische Ausbildung verfügt. Die Studie zeigt, dass der nichtkonfessionelle Kindergarten bzw. die Kindergruppe von den Kindern häufig nicht als ein Ort erlebt werden kann, an dem Religion artikuliert und gelebt werden kann, was dem Recht des Kindes auf freie Religionsausübung widerspricht.12 Der Ausschluss von Religion bzw. bestimmter Religionen kann zu Benachteiligungen oder Diskriminierungen führen und verringert die Möglichkeit von Differenzerfahrungen, die wichtig sind, damit Kinder selbst Pluralitätskompetenzen erwerben können. Zum anderen könnte diese Praxis auch dazu führen, dass »der« Islam im Bereich außerhalb der Kindergartenbzw. Kindergruppenzeit zurückgedrängt wird und dieser damit nicht mehr im öffentlich geregelten Bildungsraum Kindergarten/Kindergruppe verankert ist. Welche Praxen hier außerhalb des Kindergartens bzw. der Kindergruppe vorherrschend sind, war nicht Gegenstand der vorliegenden Untersuchung. Insofern kann hier nur konstatiert werden, dass das Verschwinden der Religion – und insbesondere des Islam – aus dem Kindergarten oder der Kindergruppe nicht dazu führt, dass dieser gänzlich aus der 12 UNICEF (Hg.), Konvention über die Rechte des Kindes, New York 1989.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

Gesellschaft oder dem Erfahrungsraum der Kinder verschwindet oder das Interesse der Eltern an der Beheimatung in der Bezugsreligion abnimmt, sondern dies nur verlagert wird in einen Bereich, der der öffentlichen Bildungsverantwortung kaum zugänglich ist. In Bezug auf den Forschungsauftrag, zu erheben, »ob die pädagogischen Konzepte jener privaten institutionellen Kinderbildungs- und Betreuungseinrichtungen (Kindergärten und Kindergruppen) in Wien, die von islamischen Trägervereinen betrieben werden, mit den Grundwerten der österreichischen Verfassung, Kinderund Menschenrechte sowie dem Wiener Bildungsplan übereinstimmen«, kommt die PLUKI-Studie zu einem möglicherweise überraschenden Befund: Belege für ein massiv indoktrinierendes Verhalten in Einrichtungen mit besonderen Bezügen zum Islam konnten nicht erbracht werden. Umgekehrt aber scheint das massive Zurückdrängen und Zurückweichen der Thematisierung der Religion – insbesondere des Islam – aus den Kindergärten und Kindergruppen dem Verfassungsgut der Religionsfreiheit entgegenzuwirken. 2.3 Elternzusammenarbeit

Pädagog/innen scheinen ihren Auftrag in Bezug auf die Zusammenarbeit mit Eltern (insbesondere muslimische Eltern) darin zu sehen, diese an Regeln heranzuführen und über deren Bedeutung aufzuklären. Eine dialogische Zusammenarbeit im Sinne einer Erziehungs- und Bildungspartnerschaft, wie dies im Bundesländerübergreifenden Bildungsrahmenplan formuliert ist13, findet sich in allen Untersuchungsteilen kaum.

Innerhalb der Elementarpädagogik lassen sich in den letzten Jahrzehnten Verschiebungen in Bezug auf die Zusammenarbeit mit Eltern ausmachen. Dies zeigt sich nicht zuletzt in der Analyse der Gesetzestexte, der u.a. entnommen werden kann, dass Kindergärten aus einer Tradition kamen, in der sie Unterstützungsinstitutionen des elterlichen Erziehungsauftrages waren. Insbesondere im Zuge des Barcelona-Prozesses ist jedoch eine Verselbständigung des Bildungs- und Erziehungsauftrages der elementarpädagogischen Einrichtungen nachweisbar, die nicht nur unabhängig vom elterlichen Erziehungsauftrag, sondern teilweise auch gegen diesen verstanden wird. Damit ist zum einen gemeint, dass elementarpädagogischen Einrichtungen ein eigenständiger Bildungs- und Erziehungsauftrag zugeschrieben wird, der von den Erzieher/ innen als professionellen Pädagog/innen wahrzunehmen ist. Die pädagogische Professionalität ist zum anderen mit der Erfordernis verbunden, diese Expertise in die Zusammenarbeit mit Eltern zum Wohle des Kindes einzubringen. Dies ist insbesondere dann bedeutsam, wenn die Entwicklungschancen des Kindes über den Bildungs- und Erziehungsauftrag der Einrichtung gesichert werden sollen, auch da, wo die Eltern das nicht wollen oder können. Dabei ist jedoch zu unterstreichen, dass bei »abweichenden« Bildungsund Entwicklungsvorstellungen gerade die Zusammenarbeit mit den Eltern eine hohe Bedeutung hat, befinden sich doch Kinder nicht nur im Kindergarten oder in der Kindergruppe, sondern auch zu Hause bei ihren Familien. 13 Vgl. Charlotte Bühler Institut [wie Anm. 6].

Schluß / Andersen Zentrale Ergebnisse eines Forschungsprojekts zu Pluralität …

2.4 Sprache und Sprachförderung

Weil Sprache als universales Kommunikationsmedium die Möglichkeit der Welt- und Selbsterschließung bietet, sind die fehlenden – oder nur ansatzweise vorhandenen – Kompetenzen der Kinder im Gebrauch und im Verstehen der deutschen Sprache eine besondere Herausforderung. Die Vermittlung und Förderung der deutschen Sprache wird auf allen Ebenen (Eltern, Einrichtungen, Pädagog/innen, Betreiber/innen, Aufsicht) als hoch bedeutsam erachtet. An der von der MA 10 angebotenen Sprachförderung können allerdings nicht alle Kinder teilnehmen, die eine andere Erstsprache als Deutsch sprechen. Deutlich wurde, dass im alltäglichen Sprechen mit Kindern in den Einrichtungen oftmals lediglich banale Sprachfloskeln eingesetzt werden. Bezogen auf den konkreten Auftrag, die Sprachentwicklung der Kinder zu fördern – sei es über den Einsatz von Programmen oder alltagsintegriert – zeigt sich, dass Mehrsprachigkeit und professionelle Sprachförderung in den Aus- und Fortbildungen in der Vergangenheit zu wenig berücksichtigt wurden, weshalb Mehrsprachigkeit und eine alltagsintegrierte Förderung der Erstsprache der Kinder für den Erwerb der Zweitsprache Deutsch eine Herausforderung für die Pädagog/innen darstellt und eine ausreichende Förderung in der Zweitsprache Deutsch nicht sichergestellt werden konnte14. Für den wertschätzenden Umgang mit der Erstsprache der Kinder, die wesentliche Voraussetzung für den gelingenden Erwerb der Zweitsprache ist, fanden sich in allen Untersuchungsteilen leider zu

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wenig Belege (obwohl es diese durchaus gibt). Vielmehr wird weithin auch von Seiten der Aufsicht auf eine Sprachpraxis abgestellt, die Deutsch als Umgangssprache fraglos macht. 3. Drei Konsequenzen 3.1 Religionspädagogischer Bildungsplan Islam

Mit der Etablierung von Bildungsplänen für den elementarpädagogischen Bereich auf Landes- und Bundesebene ab 2006 respektive 2009 ging auch die Entwicklung eines religionspädagogischen Bildungsplanes von Seiten der katholischen St. Nikolausstiftung und der Caritas einher. Dieser versteht sich für die eigenen Einrichtungen als Ergänzung zu den gesetzlich bindenden Bildungsplänen und stellt somit auch die eigene religionspädagogische Position zur Diskussion. Für den islamischen Bereich liegt bisher ein religionspädagogischer Bildungsplan nicht vor, während in der Schule nicht nur Bildungspläne, sondern auch ein komplett neues österreichisches Lehrplanwerk vorliegen. Hier sollte den Einrichtungen, die sich auf eine besondere Nähe zum Islam verstehen, ein Angebot gemacht werden, mit dem sie ihren religionspädagogischen 14 Wilfried Datler / Regina Studener-Kuras / Valentina Bruns, Das Vergnügen am Fremden und die Entwicklung von Kompetenzen im Bereich der Zweitsprache Deutsch: Aus dem Wiener Forschungsprojekt »Spracherwerb und lebensweltliche Mehrsprachigkeit im Kindergarten«, in: Julia Dahlvik / Christoph Reinprecht / Wiebke Sievers (Hg.), Migration und Integration: Wissenschaftliche Perspektiven aus Österreich, Göttingen 2013, S. 127–141.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

Ansatz verbindlich und transparent darstellen können. Die PLUKI-Studie konnte zeigen, dass einige Einrichtungen an einem solchen Bildungsplan hoch interessiert sind und mittlerweile gemeinsam mit der Glaubensgemeinschaft daran arbeiten, um ihre religionspädagogische Praxis auf eine professionelle Grundlage zu stellen. Insbesondere ist hier von den im österreichischen Islamgesetz anerkannten Religionsgemeinschaften eine Klärung zu erwarten,15 wie eine verantwortete Religionspädagogik für den Elementarbereich aussehen sollte. Entsprechende religionspädagogische Bildungspläne wären für die Einrichtungen, die sich als solche mit besonderen Bezügen zum Islam verstehen, eine wesentliche Hilfe und könnten der öffentlichen Debatte in Österreich auch einen neuen Impuls des Umgangs mit Religion in Bildungseinrichtungen insgesamt und dem Islam im Besonderen verleihen. Mit dem Islamgesetz von 1912 war Österreich Vorbild im Umgang mit dem Islam nicht nur in Zentraleuropa. Die Tendenz der Herausnahme der Religion aus dem elementarpädagogischen Bereich entspricht somit weder der bewährten österreichischen Tradition noch dem Stand der Forschung zum Umgang mit Religion im Bildungsbereich noch dem EthikLeitfaden der Stadt Wien und ihr muss deshalb gestaltend in der Verantwortung für den demokratischen Rechtsstaat in der pluralen Gesellschaft entgegengewirkt werden. 3.2 Aufsicht

Das Verhältnis von Aufsicht und elementarpädagogischen Einrichtungen ist zu entwickeln oder zu stärken, indem

die Aufsicht als Partnerin in Fragen der Qualitätsentwicklung wahrgenommen und wertgeschätzt wird. Nur wenn es ein solches Verhältnis gegenseitiger Anerkennung gibt, wird eine Einrichtung sich auch mit ihren Fragen und Problemen an die übergeordnete Behörde wenden, statt sich so gut wie möglich vor ihr zu verbergen. Wenn die Befürchtung der Schließung der eigenen Einrichtung oder des Entzugs der Zuwendung die Kommunikation mit der Aufsicht bestimmt, ist das einer vertrauensvollen Kooperation nicht zuträglich. Gerade für diesen Mangel an einer vertrauensvollen Kommunikation mit der Aufsicht fanden wir immer wieder auf allen Ebenen Belege. Dazu trägt auch eine Beanstandungspraxis bei, die nicht immer nachvollziehbar erscheint. Da jede Beanstandung aber letztlich Konsequenzen bis hin zur Schließung oder dem Fördergeldentzug (was faktisch für die Einrichtung gleichbedeu15 Hierbei spielen die Unterschiede in der Organisation religiöser Gruppierungen eine Rolle. Die weitgehend hierarchische Strukturierung der katholischen Kirche hat die Etablierung eines viele Kindergärten umfassenden Trägers begünstigt. Allerdings zeigt sich auch hier, dass die Einigkeit nicht so weit geht, dass alle katholischen Kindergärten und Kindergruppen unter einem Dach vereint werden konnten. Vielmehr zeigen sich auch hier unterschiedliche Positionen in Bezug auf die Frage, was eine gute religionspädagogische Praxis auszeichnet, was sich in der Trägerstruktur katholischer Kindergärten widerspiegelt. Sofern Einrichtungen, in denen eine islamische religionspädagogische Praxis angestrebt wird, eine gemeinsame Außendarstellung guter elementarpädagogischer Praxis benötigen, muss ein solcher Einigungsprozess erst durchlaufen werden und kann kaum in der gleichen Art wie in der Zusammenarbeit zwischen der katholischen St. Nikolausstiftung und der Caritas erfolgen.

Schluß / Andersen Zentrale Ergebnisse eines Forschungsprojekts zu Pluralität …

tend ist) nach sich ziehen kann, reagieren die Einrichtungen in der Regel nicht mit der Rückfrage nach der Begründung oder der Sinnhaftigkeit der Anweisung, sondern sie reagieren mit Vollzug und ärgern sich bestenfalls hinter vorgehaltener Hand über die Anordnungen der Aufsicht. Dazu ist allerdings ein gesellschaftliches Klima nicht förderlich, das Kindergärten oder Kindergruppen mit besonderen Bezügen zum Islam vor allem als Bedrohung der österreichischen Gesellschaft und nicht als eine Möglichkeit der Bereicherung wahrnimmt. Hier muss eine professionelle Aufsicht beratend und begleitend sowie nach nachvollziehbaren, klaren und auch rechtlich abgesicherten Kriterien arbeiten. Dies wird ihre Akzeptanz und Anerkennung im Feld sicher stärken. 3.3 Aus- und Weiterbildung

Der Mangel an gut oder zumindest ausreichend ausgebildetem Personal ist ein flächendeckendes Problem elementarpädagogischer Einrichtungen in Wien und keinesfalls nur auf Einrichtungen mit besonderen Bezügen zum Islam begrenzt. Deshalb muss in die Qualifizierung der Qualifizierung (der Ausbildung) »investiert« werden. Diesbezüglich wurden (nicht nur, aber auch in Wien) eine Reihe von Maßnahmen umgesetzt: So sind die Ausbildungsanforderungen an Kindergruppenbetreuer/innen seit 2016 deutlich gestiegen, was sich auch darin zeigt, dass die geforderte Stundenzahl von

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90 auf 240 Stunden reine Ausbildungszeit erhöht wurde. Hinzu sind noch 160 Stunden Praxis gekommen. Dabei ist jedoch vor Augen zu halten, dass diese Anforderungen von verschiedenen Ausbildungsinstitutionen unterschiedlich interpretiert werden. Um hier eine größere Klarheit, aber auch Vergleichbarkeit erreichen zu können, wäre eine Orientierung an dem im universitären Raum üblichen ECTS-System möglich. Der Erwerb (inter-)religiöser und (inter-)kultureller Kompetenzen müsste hierbei zentraler Bestandteil der Ausbildung sein. Hier können religionspädagogische Ansätze ebenso verankert werden wie sozial- und kulturwissenschaftliche Überlegungen zur Frage, wie Differenzen (vor dem Hintergrund individueller und gesellschaftlich getragener Werte und Normen) konstruiert werden, in welcher Weise damit verbundene Differenzzuschreibungen mit Prozessen der Exklusion oder auch der Diskriminierung sowie Benachteiligung verbunden sein können und in welcher Weise (aktuelle) gesellschaftliche Kontexte, Diskurse und Prozesse hierfür eine Rolle spielen. In Bezug auf jene Elementarpäda­gog/ innen, die bereits im Dienst sind und deren Ausbildung keinen Baustein zum Thema Religion und religiöser/kultureller Vielfalt enthielt, ist zu überlegen, welche Fort- und Weiterbildungen zu realisieren sind und welcher praxisbegleitender Maßnahmen es bedarf, damit ein qualitätsvoller Umgang mit Religion und religiöser sowie kultureller Vielfalt ermöglicht werden kann.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

Sabine Blaszcyk »Diese ganze Spiritualität, die kommt da irgendwie nicht an bei den Kindern!« – Einblicke in eine ethnografische Fallstudie zur religiösen Elementarbildung in mehrheitlich konfessionslosem Kontext 1. Einleitung

Der folgende Beitrag bezieht sich auf eine Studie1, die initiiert wurde durch die Forschungsstelle für religiöse Kommunikations- und Lernprozesse der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Die spezielle Aufgabe der hier vorgestellten Studie war es, das empirische Datenmaterial zur religionspädagogischen Praxis in Kindertagesstätten in Ostdeutschland zu vermehren, da bisherige Studien dazu fast ausschließlich aus Westdeutschland kommen und damit aus einer Kultur der (noch) weit verbreiteten Konfessions- bzw. Religionsmitgliedschaft. Zur Datenerhebung fuhr ich in den Jahren 2013–2014 mehrfach in ein kleines Dorf in Sachsen-Anhalt zur dortigen Kita (anonymisierter Name: Kita »Waldkinder«). Das Untersuchungsfeld musste auf den Kindergarten eingegrenzt werden, der damals von 57 Kindern besucht wurde, die zu 87 % aus konfessionslosen Elternhäusern kamen. Von den zwölf pädagogischen Fachkräften der gesamten Einrichtung waren acht konfessionslos, unter ihnen die Leiterin der Einrichtung. Die Verantwortung für religiöse (Bildungs-) Offerten lag in den Händen der zwei internen religionspädagogisch ausgebildete Erzieherinnen, einer externen Gemeindepädagogin, einer externen Kantorin und mitunter denen des Trägerpfarrers.

Eine Besonderheit der Kita »Waldkinder« ist in dem Umstand zu sehen, dass die Einrichtung erst 2010 in evangelische Trägerschaft wechselte. Damit kam es erstmals in der bis dahin 56jährigen (DDR- und bundesrepublikanischen) Geschichte der Einrichtung zu einer christlichen Trägerschaft. Dieses besondere Feld ist für die empirische Forschung religiöser Bildungsprozesse von außerordentlichem Interesse, denn zum einen gibt es bisher keine deutsche Studie, die einen solchen Trägerwechsel untersuchte. Zum anderen war aufgrund der in Ostdeutschland mehrheitlichen »Kultur der Konfessionslosigkeit«2 zu erwarten, dass die evangelische Trägerschaft auch Differenzen zwischen christlicher Lebensorientierung und nicht-christlichen Weltanschauungen zu bearbeiten hatte. Es kann an dieser Stelle nicht auf die Begrifflichkeit der Konfessionslosigkeit (und deren Problematik) eingegangen werden. Jedoch ist der Vermerk wesentlich, dass mit »konfessionslos« keine defizitäre Zuschreibung gemeint ist, sondern vielmehr eine soziologisch differenzierte und komplexe 1 Sabine Blaszcyk, Also kommt nicht mehr der Weihnachtsmann, sondern das Christkind. Ethnografische Fallstudie zur religiösen Elementarbildung in mehrheitlich konfessionslosem Kontext, Leipzig 2020. 2 Gert Pickel, Religionssoziologie, Wiesbaden 2011, 341.

Blaszcyk Einblicke in eine ethnografische Fallstudie zur religiösen Elementarbildung

Kategorie, die die vielfältigen Ausprägungen von Konfessionslosigkeit nicht negiert. 2. Forschungsdesign

Es stellte sich mit Studienbeginn zum einen die Aufgabe rückwirkend empirisches Material zum Prozess des Trägerwechsels zu generieren. Zum anderen galt es, die neuen (religiösen) Praktiken und Ordnungen, die dieser Trägerwechsel hervorgebracht hatte und stets aufs Neue wiederholt, zu entdecken und zu beschreiben. Um dies zu erforschen reichte Interviewforschung nicht aus, denn Interviews sind rationalisierte, spezifisch apostrophierte wie adressierte und dem Phänomen der sozialen Erwünschtheit unterworfene Darstellungen.3 Es bedurfte eines Forschungsstils, der es ermöglicht, im Feld, vor Ort und inmitten des (religions-) pädagogischen Alltags selbst zu forschen. Dies konnte nur ein ethnografischer Forschungsstil leisten. Mit der Wahl der Ethnografie zum Forschungsdesign rahmt man eine Untersuchung zwangsläufig soziologisch, genauer gesagt folgt ethnografische Forschung praxeologischen Prämissen. Das heißt unter anderem, dass man soziale Praktiken zum Forschungsgegenstand macht und das Ziel verfolgt, immanente, oft unbewusste Logiken von Abläufen zu rekonstruieren und so soziale Ordnungen zu beschreiben. Praxeologie beruht auf der Annahme, dass jede soziale Ordnung sich aus Praktiken zusammensetzt. Unter Praktiken werden Zusammensetzungen aus »sayings« und »doings« verstanden4, die Verhaltensweisen bilden, in deren Zusammenhang das praktische Wissen der Akteure aktiviert

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wird. Nicht unwesentlich für die Beobachtungen sind dabei Körperpraktiken, Räume und auch Artefakte. Ethnografische Forschung – wie sie hier vertreten wird5 – verzichtet auf normative Vorannahmen und evaluative Blickwinkel. Das Vor-Wissen von »guter« bzw. »schlechter« religionspädagogischer Praxis muss (zumindest zunächst) zurückgestellt werden. Das verlangt von den Forschenden, sich von der eigenen Herkunftsdisziplin befremden zu müssen – wohl wissend, dass eine Tabula-rasa-Perspektive Fiktion ist. Unter anderem heißt das, religionspädagogische Konzepte (wie z.B. das der religionssensiblen Begleitung) nicht als Folie für die protokollarische Erfassung der Praxis zu verwenden, sondern die Praxis vor Ort – die immer für die Akteure einen wie auch immer gearteten Sinn macht, denn sonst gebe es sie nicht – möglichst urteils- und wertfrei zu beobachten. Dieses methodische Befremden kann man durchaus als »AlienBlick« beschreiben (»Was, warum und wie passiert (es) hier?« »Welcher Logik folgen die Akteure?«). Solch »außerirdischer« Blick entdeckt – aufgrund der Freiheit, dass man ja »von einem ganz anderen Stern kommt« – Dinge, die Binnenperspektiven verstellen. Die teilnehmende Beobachtung erbrachte 31 Protokolle. Die Datenanalyse erfolgte mittels der Grounded Theory.

3 Georg Breidenstein / Stefan Hirschauer / Herbert Kalthoff / Boris Nieswand, Ethnografie, Konstanz/München 2013, 83. 4 Frank Hillebrandt, Soziologische Praxistheorien, Wiesbaden 2014, 11. 5 Vgl. dazu Breidenstein / Hirschauer / Kalthoff / Nieswand, Ethnografie [wie Anm. 3].

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

Ergänzend wurden 24 Interviews mit verschiedenen Akteuren (Kinder, Eltern, Erzieherinnen, kirchliche Mitarbeiterinnen, Trägerpfarrer, Bürgermeister) geführt und mittels qualitativer Inhaltsanalyse ausgewertet. Außerdem konnten Artefakte der Einrichtung (Logo und Konzeptionstexte) mittels der Konversationsanalyse untersucht werden.

Es können im folgenden Kapitel aufgrund des Rahmens dieses Aufsatzes nur grob die Ergebnisse skizziert werden. Da solche Skizzen immer Komplexität reduzieren und mitunter Missverständnisse provozieren, sei an dieser Stelle nochmals auf die komplette Studie verwiesen. 4. Einblicke in die empirischen Analysen

3. Forschungsfragen

1. Mit welchen Praktiken bzw. sozialen Ordnungen wird religiöse Bildung in der Kita »Waldkinder« seit 2010 hergestellt und mit welchen Herausforderungen und Schwierigkeiten sind diese religionspädagogischen Inszenierungen verbunden? 2. Welches Verständnis von religiöser Bildung wird von den für die Bildungsprozesse in der Kita »Waldkinder« verantwortlichen Akteuren konstruiert? 3. Wie interpretieren die Akteure (Träger, Kita-Leitung, pädagogische Fachkräfte, Eltern, Kinder) den Prozess der evangelischen Profilierung bzw. die religionspädagogische Praxis zum Untersuchungszeitpunkt? 4. Wie wurde und wird die Differenz von mehrheitlicher Konfessionslosigkeit und marginaler Konfessionsmitgliedschaft durch die verschiedenen Akteure (Träger, Kita-Leitung, pädagogische Fachkräfte, Eltern und Kinder) bearbeitet? 5. Welche Spuren expliziten wie impliziten Wissens, welche Körperpraktiken und Artefakte, welche doings and sayings hinterlassen die religionspädagogischen Bemühungen bei Kindern, Eltern und Team?

4.1 Ausgewählte Befunde zur ersten und vierten Forschungsfrage

In Anbetracht der Befunde ist es sinnvoll, die Ergebnisse zur ersten und vierten Forschungsfrage zusammenzufassen. Die Analyse der Protokollnotizen der teilnehmenden Beobachtung offenbarte schnell eine hohe Komplexität, die Differenzierungen im Begriff »Praktiken« erforderlich machte. Da Praktiken sich verketten, wurde der jeweilige Verkettungsgrad zum Anlass genommen, um feingliedriger zu unterscheiden. So entstand ein System von unterschiedlichen Kategorien: diverse Strategien, 44 Praktiken, vier allgemeine Phänomene (Modellierung, Humansteuerung, Narrativ, Lied, Geselligkeit), fünf spezifische Phänomene (Forcierte Zitation, Ritual, Integrierende Adaption, Administrative Trichotomie), das Backgroundphänomen und die soziale Ordnung (Doing Protestantism mittels Epithese). Um diese Ordnung in ihrer Prozesshaftigkeit und praktischen Vollzugsbedürftigkeit zu fassen, nutzte ich – wie andere praxeologische Forschungsarbeiten auch – einen begrifflichen, heuristischen Kniff, indem man die Ordnung mit der englischen Form eines Present Progressi-

Blaszcyk Einblicke in eine ethnografische Fallstudie zur religiösen Elementarbildung

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

ve fasst.6 Diese (im Deutschen nicht vorhandene) Verlaufsform der Gegenwart ist hervorragend geeignet, um die Notwendigkeit der je aktuellen Herstellung einer sozialen Ordnung zu betonen und die elementare Praxis – vor allem die vor aller Intentionalität und Attribution – zu beschreiben. Es geht dabei um die Wahrnehmung dessen, was Akteure dafür tun, um einfach ›ganz normal‹ zu erscheinen.7 Die Abbildung (s. S. 129) versucht, die Erstellung der sozialen Ordnung der religiösen (Bildungs-) Offerten in der Kita »Waldkinder« grafisch darzustellen. Es ist an diese Stelle nicht möglich, für alle analysierten Strategien, Praktiken und Phänomene nähere Erläuterungen zu tätigen. Skizzierend kann hier gesagt werden, dass das Phänomen Ritual zeigt, wie die Differenz christlicher und säkularer Liedkulturen bearbeitet wird. Das Phänomen Integrierende Adaption fügt dem Kita-Alltag gottesdienstliche Praktiken mittels einer speziellen liturgisch-pädagogischen Ordnung hinzu. Das Phänomen der Administrativen Trichotomie macht auf die Existenz unterschiedlicher Festkalender aufmerksam und zeigt unter anderem, dass diese Differenz vorwiegend mittels administrativer Anfügung christlicher Feste bearbeitet wurde. Um den Einblick in die Daten dennoch zu vertiefen, soll an dieser Stelle das spezifische Phänomen Forcierte Zitation exemplarisch etwas näher ausgeführt werden. Forcierte Zitation beschreibt das Hinzufügen christlicher bzw. evangelischer Narrative in den Kanon säkularer Narrative von Kita und Familien. Zudem fokussiert dieses spezifische Phänomen markante Praktiken der Kita »Waldkin-

der« und lenkt den Blick so auch auf das Spektrum der Herausforderungen, vor denen die Akteure stehen. Ich habe beobachtet, dass im Zentrum unterschiedlicher religionspädagogischer bzw. religiöser Offerten immer ein (meist kirchenjahresbezogenen) biblisches bzw. kirchengeschichtlichen Narrativ steht. Wenn Sie jetzt denken: »Ja aber, das ist doch normal!« – dann sind wir genau bei dem, was mit Doing … beschrieben werden soll. Was tun Akteure bewusst oder unbewusst, um – auch hinsichtlich religiöser Bildung – »normal« zu sein? Das Phänomen Forcierte Zitation beschreibt wie über verschiedene Praktiken (z.B. Inszenieren, Fokussieren, Wiederholen) in religiös apostrophierten »Angeboten« bzw. Feiern stets ein Narrativ zitiert und zentral arrangiert wird. Dies sieht beispielsweise so aus: Die Erzieherin bringt beide Figuren zum blauen Tuch. »Und als Jesus getauft war, da wurde es auf einmal ganz hell.« Sie geht zum Lichtschalter und macht das Licht an. Etliche Kinder schauen nach oben zur Lampe. (Praktik Inszenieren) Die Erzieherin fährt fort: »Und eine Stimme kam, die sagte: ›Das ist mein geliebter Sohn, auf den sollt ihr hören.‹« (Praktik Zitieren) Ronja sagt: »Gott!« […] Es wird wieder etwas unruhiger. Einige Kinder »hummeln« auf ihren Stühlen, ein paar beginnen miteinander zu reden. (Praktik reaktiv/nicht-reaktiv subversiv Agieren) Frau Reuter fordert die Kinder auf: »Wer kann das noch mal wiederholen, was die Stimme gesagt hat? Das ist …« Ronja ergänzt:

6 Ebd., 30. 7 Stefan Hirschauer, Praktiken und ihre Körper, in: Karl H. Hörning / Julia Reuter (Hg.), Doing Culture, Bielefeld 2004, 73f.

Blaszcyk Einblicke in eine ethnografische Fallstudie zur religiösen Elementarbildung

»Mein geliebter Sohn.« Frau Reuter: »auf den sollt ihr …?« Ronja: »Hören!« (Praktik Wiederholen) Frau Reuter: »Genau. Und von da an wussten die Menschen, dass Jesus von Gott geschickt war.« (Praktik Fokussieren)

Wir erleben hier ein Beispiel (von mehreren) einer forcierten Zitation: Trotz mannig-faltiger Subversionen seitens der Kinder zitiert Frau Reuter fast wortwörtlich aus der Bibel und treibt das Geschehen auf den Satz zu, dass die Menschen wussten, dass Jesus von Gott gesandt war. Nun ist die Identifizierung von Praktiken und Phänomenen das eine. Das andere ist die Fragestellung: Welchen (oft unbewussten) Logiken folgt diese Praktik, dieses Phänomen, diese Praxis? Zunächst kann aufgrund der massiven Zitation biblischer Textstellen und der klaren Trennung von Spezialistentum und Laien gesagt werden, dass hier – mit Pierre Bourdieu gesprochen – versucht wird, ein religiöses Feld aufzubauen. Mittels Forcierter Zitation werden zudem christliche Akteure (empirische wie extraempirische) als Autoritäten eingespielt und damit symbolische Machtansprüche skizziert.8 Zudem zeigte sich, dass mit Forcierter Zitation enorme Zeitkonflikte gelöst werden: Die Erzieherin hat pro Woche 20 bis maximal 30 Minuten Zeit, um ein religionspädagogisches Angebot zu unterbreiten. Weiterhin kann durch Forcierte Zitation ein Verständnis von religiöser Bildung als grund(!)-legender religiöser Bildung (nicht familienergänzender) umgesetzt werden. Unbewusst werden die Kinder durch die Erzieherin hinsichtlich der religiösen Wissensstände aufgrund des mehrheitlich konfessionslosen Kon-

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textes als bildungsbedürftig bzw. defizitär adressiert. Außerdem kompensiert die Forcierte Zitation das Fehlen einer wesentlichen Komponente eines religiösen Feldes: das Gebet. Frau Reuter (die eine der zwei internen Religionspädagoginnen der Kita) bearbeitet so auch die unklare bzw. nicht vollzogene Gebetspraxis in den Räumen der Kita. Da sie in den Räumen der Kita nicht beten darf, nutzt die Erzieherin die wenige Zeit, um biblische oder kirchengeschichtliche Narrative verstärkt einzuspielen. Oder anders gesagt heißt die unbewusste Logik: Wo nicht gebetet werden darf, muss verstärkt zitiert werden. Doch wieso darf in den Kita-Räumen nicht gebetet werden? Hier wirkt aus dem Background der Kita heraus eine markante Differenz zwischen mehrheitlich konfessionslosem Kontext und marginaler Konfessionsmitgliedschaft: Vor allem im Prozess des Trägerwechsels, aber auch in der anschließenden evangelischen Profilierung zeigte sich, dass das Beten zum Signum der Differenz zwischen konfessionsfreien und konfessionell gebundenen Menschen avancierte. Mehrfach erinnern verschiedene Akteure (Eltern, Trägerpfarrer, Leiterin der Kita, Erzieherinnen) gebetskritische Äußerungen seitens der Elternschaft und auch der Erzieherinnen nach Bekanntgabe der Idee des Trägerwechsels. Hier erinnert sich ein Elternpaar:

8 Vgl. dazu Hanns Wienold / Franka Schäfer, Glauben-Machen. Elemente und Perspektiven einer soziologischen Analyse »religiöser« Praxis nach Pierre Bourdieu, in: Anna Daniel / Franka Schäfer / Frank Hillebrandt / Hanns Wienhold (Hg.), Doing Modernity-Doing Religion, Wiesbaden 2012, 61–112.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

Sven Gehrden (Vater, konfessionslos): Wie gesagt, bei diesen Elternversammlungen, bei dieser Elternversammlung hat man doch mitgekriegt, dass da einige Leute wahrscheinlich mehr Probleme hatten mit. Schon von den Fragen her: »Muss unser Kind dann jetzt jeden Morgen beten?« Ja? Und solche Fragen. […] Sabine Blaszcyk: Gebet war so ein Thema? Sven Gehrden: Das war so dieses, weil das andauernd immer wieder hoch kam hier mit diesem ((tiefes Luftholen)) […] Marion Gehrden (Mutter, konfessionslos): […] Man verbindet automatisch Kirche: Beten!

Dass eine gebetskritische bzw. -ablehnende Haltung unter der Elternschaft (und im Erzieherinnenteam) nicht nur ein Problem der ersten Zeit direkt nach dem Trägerwechsel war, sondern auch noch vier Jahre nach dem Wechsel eine Rolle spielte, zeigt der folgende exemplarische Interviewauszug, der eine Situation des Martinsfests 2013 erinnert: Doris Anschütz (Mutter, konfessionslos): Bei dem Gebet, wo dann Ruhe sein sollte, das war es einfach nicht. (Sabine Blaszcyk: Sie haben das auch so empfunden, oder?) Damit müssen sie leben. Das ist eben so. Sabine Blaszcyk: Wie geht es Ihnen denn damit, wenn das passiert vorn, so: »Gebet, jetzt beten wir. Bitte Ruhe!«? Doris Anschütz: Ähm, ich gehe dann. Das ist jetzt nichts, was ich mitmache. Für mich nicht mitmache. Da habe ich, ähm, also meine Eltern sagen immer, irgendwann kommt man zu so einem Punkt, da bin ich noch zu jung. Und das nehme ich mir gerne an. Ja? Das kann sein, aber momentan, finde ich, ist es für mich nichts. Oder für uns nichts. Also für die ((lacht)) für die Kinder sowieso nicht. Das war ja dann viel zu lang und für mich insbesondere auch nicht. Und für meinen Mann auch

nicht. Wir sind eben einfach auch nicht so erzogen, das muss man sagen, ja?

Der Befund, dass für etliche konfessionslose Beteiligte (Eltern wie Erzieherinnen) das Gebet als Signum der Differenz fungiert, verweist darauf, dass hier die Grenze zwischen Eigen- und Fremdgruppe klar gezogen wird. Die Sozialpsychologie hat nachgewiesen, dass es bei diesen Grenzziehungen immer um soziale Identitäten geht.9 Dass die Frage, wie man zur evangelischen Trägerschaft steht, Fragen nach der eigenen und der familiären Identität nach sich zieht, überrascht nur dann, wenn man die innerfamiliären Prozesse nach 1989 in DDRsozialisierten, säkularisierten Familien übersieht. Die Aufrechterhaltung säkularer Haltungen gehört in diesen Familien zum Loyalitätserweis und stabilisiert diese Familien.10 Diese Differenz zwischen konfessionslos und konfessionell Sozialisierten wurde größtenteils unbewusst mit einer bestimmten Praxis bearbeitet, die als Verkettung zweier Phänomene zu fassen ist: Zum einen wird in den Räumen der Kita nur sehr selten gebetet. Während des Untersuchungszeitraumes konnte hier kein Gebet (z.B. Tischgebet, Gebet zum Mittagsschlaf) beobachtet werden. Der Vorstoß der internen Religionspädagogin Frau Reuter, das Gebet durch administrative Anweisungen seitens der Kitaleiterin zu etablieren, miss-

9 Stefan Stürmer / Birte Siem, Sozialpsychologie der Gruppe, München 2013, 16f. 10 Monika Wohlrab-Sahr / Uta Karstein / Thomas Schmidt-Lux, Forcierte Säkularität. Religiöser Wandel und Generationendynamik im Osten Deutschlands, Frankfurt a.M./New York 2009, 164.

Blaszcyk Einblicke in eine ethnografische Fallstudie zur religiösen Elementarbildung

lang laut Aussagen der Erzieherin. Zum anderen wurde eine reguläre Gebetspraxis im Kindergottesdienst in der Kirche sowie eine – sich entwickelnde – Gebetspraxis bei christlich apostrophierten Festen beobachtet und protokolliert. Wie die Abbildung aufweist, wurden insgesamt acht Praxen der Differenzbearbeitung – die unter der Kategorie Background-Phänomen subsumiert werden konnten – herauskristallisiert, auf die an dieser Stelle jedoch nicht weiter eingegangen werden kann. Die Interviewanalysen erbrachten zudem den Befund zwei weiterer Differenzbearbeitungspraxen. Zum einen zählt dazu die Praxis der sukzessiven Kommunikation im Anfangsstadium des Trägerwechsels, die aufweist, dass die Impulsgeber der Trägerwechselidee die vorherrschenden Differenzen als so wirkmächtig einschätzten, dass nur eine schrittweise, den Kreis der Einbezogenen stets erweiternde Kommunikation erfolgversprechend erschien. Zum anderen ist auch die konservierende und reformierende Personalpraxis als Differenzbearbeitungspraxis zu interpretieren. Einerseits wurde versucht, das Erzieherinnenteam in seiner Zusammensetzung vor dem Trägerwechsel zu halten, zu »konservieren«. Es gab keine Kündigung von konfessionslosen Erzieherinnen durch den Träger. Allerdings verließen zwei pädagogische Fachkräfte (aus weltanschaulichen Gründen bzw. altersbedingt) zum Trägerwechsel das Team. Andererseits sieht die Satzung der Kita vor, dass bei Neueinstellungen eine konfessionelle Bindung zwingend ist. Diese Personalpraxis generierte ein erstaunlich stabiles pädagogisches Team, das sich aus einer Zweidrittelmehrheit

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von konfessionslosen Fachkräften und einem Drittel konfessionszugehörigen Pädagoginnen zusammensetzt. Diese Mischung wirkt sich zum einen hemmend auf die Gebetspraxis, die religionspädagogischen Qualifizierungen und die religionspädagogische Arbeit mit Kindern, Eltern bzw. Großeltern aus. Zum anderen sorgte diese Personalpraxis für eine stabile und weithin als (sehr) zufriedenstellend wahrgenommene Betreuungsqualität und damit für die Akzeptanz des Trägerwechsels insgesamt. Gemäß der Grounded Theory wurde nach der Identifikation von Strategien, Praktiken, Phänomen und Praxen abschließend ein Kernphänomen (soziale Ordnung) ermittelt, das in der Lage ist, alle ermittelten Kategorien zu integrieren: Doing Protestantism mittels Epithese. Was ist damit gemeint? Die religionspädagogischen »Angebote« und christlich apostrophierten Feste in der Kita »Waldkinder« erstellen immer aufs Neue eine soziale Ordnung des Doing Protestantism mittels Epithese. Die soziale Ordnung als Doing Protestantism sprachlich zu fassen hat u.a. seinen Hintergrund in den religionssoziologischen Überlegungen einiger Soziolog/innen11, die die Vollzugswirklichkeiten in unterschiedlichen religiösen Feldern mit Doing Religion beschreiben. Doing Religion war für den vorliegenden empirischen Fall jedoch nicht spezifisch genug, denn es zeigte sich deutlich, dass die religiösen Arrangements in der Kita »Waldkinder« eine christliche Ordnung evangelischer Prägung (Doing Protestan11 Daniel / Schäfer / Hillebrandt / Wienhold (Hg.), Doing Modernity [wie Anm. 8].

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

tism) spiegeln. Es konnten keine interreligiösen oder spezifisch kontextsensiblen Ansätze ermittelt werden. Alle Praktiken, Phänomen etc. dieser sozialen Ordnung dienen dazu, eine christliche Ordnung evangelischer Prägung (Doing Protestantism) anderen Ordnungen der Kita »Waldkinder« (Doing Variety, Doing Community, Doing Secularity, hybride Ordnungen) hinzuzufügen bzw. anzufügen (Epithese) und stets zu erneuern. Der Begriff der Epithese (griech.: »epíthesis« »Hinzufügung« oder auch »Herauflegung«) wird hier bewusst aus dem Sprachgebrauch der ästhetischen Chirurgie bzw. der Linguistik überführt und für eine soziologische Beschreibung genutzt. Die Kinder (und Eltern) der Einrichtung wirken am Doing Protestantism mittels Epithese durch Teilnahme (die als Praxis zu interpretieren ist) mit oder reagieren mit Nicht-Teilnahme (keine Praxis), da aufgrund des vorrangig fakultativen Prinzips stets aufs Neue eine Entscheidung möglich ist. Diese stete Wahlmöglichkeit stellt eine besondere Herausforderung für die verantwortlichen religionspädagogischen Akteure dar. Die Praktik Teilnahme wird durch Kinder und Eltern unterschiedlich gestaltet. Neben Partizipationen gibt es reaktive und nicht-reaktive Subversionen, Reservierungspraktiken und die Praktik des Wächteramtes. Insbesondere konfessionslose Eltern nutzten reaktive Subversionen bei Gebetsaufforderungen zur Markierung der eigenen (konfessionsbzw. religionslosen) Orientierung und zur Grenzziehung. Die Resonanz auf religionspädagogische »Angebote« bzw. christlich apostrophierte Feste war unterschiedlich. Im Untersuchungszeitraum besuchten

zwischen 19–35% der Kindergartenkinder das religionspädagogische »Angebot Morgenkreis«. Dabei war zu beobachten, dass diese – etwas irrführend als »Morgenkreis« titulierte – Veranstaltung von einigen Kindern regelmäßig besucht, von anderen Kindern selten oder nie. Eine ähnliche Homogenität und Besucherfrequenz verzeichnet auch das »Angebot Kindergottesdienst« (18–37%). Spitzenreiter unter den beobachteten religionspädagogischen »Angeboten« war eine Veranstaltung des Angebotes »Singen mit Kindern« mit 42% Beteiligung. Die Teilnahmebereitschaft der Familien (mit Großeltern) an christlich apostrophierten Festen übersteigt bei weitem die Teilnahmefrequenz der religionspädagogischen »Angebote«. Aufgrund der ethnografischen Beobachtungen sowie aufgrund von Aussagen der Kita-Leitung bzw. des Trägerpfarrers lag die Frequenz bei Festen bei circa 90 %, wobei hier das Phänomen Geselligkeit als wesentlicher Faktor bei der Entscheidung für eine Teilnahme berücksichtigt werden muss. Doing Protestantism mittels Epithese versucht sprachlich den Befund auszudrücken, dass es weder zu einer stabilen Synthese (im Sinne von »Verknüpfung«) der bisherigen Alltagspraktiken mit religiösen Praktiken bzw. evangelischen Bildungsangeboten kam, noch zu deutlich ausgeprägten antithetischen Phänomenen (im Sinne von »Gegenwehr«). Diese Ordnung gründet auch in dem Umstand, dass die Teilnehmergruppen für religiöse (Bildungs-) Offerten fast ausschließlich nach einem fakultativen Prinzip generiert werden. Das wirft unter anderem die Frage auf, was Kinder motiviert, religionspädagogische »Angebote« zu besuchen. Eine

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(!) Antwort darauf ist der Befund, dass die Ordnung Doing Protestantism mittels Epithese zugleich als Ordnung eines Doing Community identifiziert werden muss. Dieser Kontrast zum vorrangigen Doing Variety des Kita-Alltags generiert Teilnehmer/innen, denn die stete freie Wahl von Spielorten, Spielzeug und Spielkameraden minimiert Gruppenerlebnisse samt deren Möglichkeiten der Explikation von Fähigkeiten und Fertigkeiten vor einer Gruppe. 4.2 Ausgewählte Befunde zur zweiten Forschungsfrage

Das ermittelte Kernphänomen Doing Protestantism mittels Epithese verweist auf ein Verständnis von religiöser Bildung als evangelischer Bildung. Religionstheoretisch gesehen agieren die Verantwortlichen dabei tendenziell mit einem substantiellen Religionsbegriff12, denn für alle beobachteten religionspädagogischen »Angebote« oder christlich apostrophierte Feste war die Bezugnahme auf extra-empirische Akteure (»Gott«; »Jesus«) zentrales Anliegen. Die verantwortlichen Akteure konstruieren religionspädagogische Praxis vorwiegend mittels einer inhalts- bzw. objektorientierten Didaktik. Dieser Befund verweist sowohl auf strukturelle Rahmenbedingungen (Zeit-, Raum- und Personaldilemmata) wie auch auf habituell erworbene Dispositionen hin. Aufgrund des empirischen Befundes, dass religiöse Bildungsofferten bzw. christliche Feste ausschließlich von externen bzw. internen religionspädagogischen Expert/innen leitend durchgeführt werden, kann rückgeschlossen werden,

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dass die verantwortlichen Akteure (unbewusst) einem Verständnis religiöser Bildung folgen, das auf der Unterscheidung von Spezialist/innen und Laien basiert. Auch dieser Befund deutet auf habituelle Prägungen hin. Die Aussagen der religionspädagogischen Expertinnen zu eigenen religionspädagogischen Handlungsorientierungen stehen in Kongruenz zu den Dokumenten der Einrichtung hinsichtlich der Fokussierung auf die Vermittlung von evangelischen und vorwiegend kognitiven Lerninhalten. Allerdings betonen die Expertinnen in den Interviews ausdrücklich die Bedeutsamkeit des Gebets. Die Dokumente (Konzeptionsbroschüre, Homepagetexte) wie auch das Logo der Einrichtung beschreiben eine kindzentrierte bzw. subjektorientierte (nach dem Offenen Konzept arbeitende) Pädagogik als grundlegend für die Kita »Waldkinder«. Die separat ausgewiesenen religionspädagogischen Handlungsorientierungen innerhalb der Dokumente ordnen sich dem Offenen Konzept durch textsprachliche Prinzipien unter, die u.a. darauf abzielen, religiöse Bildung allgemein und religiöse (Bildungs-) Offerten in der Kita »Waldkinder« plausibel zu machen. Obgleich der Anspruch erhoben wird, religiöse Bildung alltagsintegriert zu gestalten, weisen die Texte Merkmale auf, die den zusätzlichen Charakter der »Angebote« und eine Fokussierung auf die Vermittlung von christlichen und vorwiegend kognitiven Lerninhalten nachweisen. Damit treten die religionspädagogischen Handlungsorientierungen 12 Vgl. dazu Michael Domsgen, Familie und Religion, Leipzig 22006, 100f.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

in Kontrast und Spannung zur kindzentrierten Pädagogik des Offenen Konzepts. Ausführungen zur Gebetspraxis werden in den Dokumenten nicht getätigt. 4.3 Ausgewählte Befunde zur dritten Forschungsfrage

Der Wechsel der Kita »Waldkinder« in eine evangelische Trägerschaft wurde durch regionalpolitische Herausforderungen verursacht und durch spezifische Kontextfaktoren (Beliebtheit der Einrichtung, dörfliche Gemeinschaft, persönliche Kontakte, risikobereite Kirchengemeinde) begünstigt. Grundsätzliche Bedenken gegen eine evangelische Trägerschaft seitens der konfessionslosen Elternschaft wurden mitunter in sprachlichen Symbolen erinnert, in denen sich die Sorge vor unkontrolliertem Herrschaftswechsel und ideologischer Überwältigung artikulierte. An dieser Stelle sei noch einmal ein konkretisierendes Beispiel erlaubt: Sabine Blaszcyk: Was haben Sie sich gedacht, als Sie gehört haben: Evangelischer Kindergarten? Rainald Schütz (Vater, konfessionslos): Dass alle, übertrieben, mit einer Kette rumrennen und ein Kreuz umhaben. Okay, ja, mhm, ja. Oder, dass hier morgendliche, äh, Bet (1) aktionen, also wie soll ich denn das jetzt nennen? […] Ich hab, ich hab die dollsten Szenarien, sag ich ganz ehrlich: »Großes Kreuz dranmalen!« Na ja und die Nähe zur Kirche: »Der [gemeint ist der Träger, S.B.] baut dann noch einen Tunnel!«

Wie zuvor schon erläutert, avancierte das Gebet bzw. Beten als religiöse Praktik in den Prozessen des Trägerwechsels und

auch danach zum Signum der Differenzwahrnehmung. Der überwiegende Teil der (interviewten) Eltern war (sehr) zufrieden hinsichtlich der Betreuungsqualität der Kita »Waldkinder«. Ein Befund, der aufgrund des Zusammenhangs von impliziter und expliziter religiöser Bildung13 nicht zu unterschätzen ist. Die Mehrheit der interviewten konfessionslosen Eltern steht der bisherigen Praxis des religiösen Lernens vor allem aufgrund des fakultativen Prinzips aufgeschlossen gegenüber. Es zeigen sich in den Aussagen gelegentlich Tendenzen einer akzeptierten »Kindergartenreligion« – eine religiöse Praxis, die in den Mauern der Einrichtung durchaus als sinnvoll und angebracht erachtet wird, der jedoch darüber hinaus eine Bedeutsamkeit (z.B. im Doing Family) abgesprochen bzw. nur beschränkt zugestanden wird. Das Hinzufügen christlich apostrophierter Feste in den bis dato rein säkularen Festkalender der Einrichtung hatte mitunter Auswirkungen bis in das Doing Family hinein, da bisherige Konzepte (Weihnachtsmann, Osterhase) durch christliche Konzepte (Nikolaus, Christkind, Ostern) irritiert wurden und werden. Die in einer Minderheit vertretenen konfessionszugehörigen Eltern erwarteten mitunter eine stärkere christliche Profilierung (insbesondere der Gebetspraxis), zeigten jedoch Verständnis für den besonderen ostdeutschen Kontext.

13 Vgl. dazu Michael Domsgen, Kita und Familie, in: Maike Lauther-Pohl / Uta Pohl-Patalong (Hg.), Die Kita als religionspädagogisches Handlungsfeld, Zeitschrift für Praxis in Kirche, Gesellschaft und Kultur, Gütersloh 2015, 91.

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Aufschlussreich sind zudem die Äußerungen der internen wie externen religionspädagogisch agierenden Fachkräfte, die insgesamt die Erfahrung begrenzter religionspädagogischer Wirksamkeit spiegeln. Strukturelle (fakultatives Prinzip, Zeit- und Raummangel, wenig Vernetzung) und personale (Personalmangel, überwiegend konfessionsloses Team) Grenzen lassen – nach anfänglich als motivierend erlebtem Start – gegenwärtig Gefühle von Stagnation und Frustration aufkommen. Die fehlende Gebetspraxis in den Räumen der Kita wird durch diese Expert/innen als Mangel beschrieben. Aber auch persönliche, als habituelle Grenze erlebte Barrieren werden sichtbar. Dazu zwei exemplarische Einblicke: Veronika Thowan (ev. Erzieherin): Weil, ich meine, wir haben das ja nicht so gelernt ähm, ich hatte zwar die Ausbildung, also diese, die Qualifizierung ähm, die kirchliche Qualifizierung. Die hatte ich damals noch mitgemacht. […] Aber da war natürlich nicht: »Wie bringe ich die Kirche an die Krippenkinder ran?« Annemarie Ziegler (Gemeindepädagogin): Ich habe dann irgendwann mal im Februar gesagt, ich möchte mal im Februar / März, ich möchte mal so wissen, wie es, wie es ist, was, was wir so machen, was wir nicht so machen, was wir anders weiter machen. Weil ich den Eindruck habe, ich hole die Kinder nicht da ab, wo sie sind. (Sabine Blaszcyk: Woran merken Sie das?) Na ja, das ist, weil sie überhaupt dieses, äh, diese ganze Spiritualität, die kommt da irgendwie nicht an bei den Kindern. Da bin ich auch noch nicht so, ich meine, heute ging das ja beim Austeilen. Das war dann doch ganz schön ruhig und dicht und, äh, (4), aber das Andere. Ob ich da zu viel erwarte? Ob ich da, pff, falsche Herangehensweise oder eine

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andere Herangehensweise brauche oder eine falsche habe, das/ da bin ich mir noch nicht, und das habe ich auch mal versucht mit Frau Reuter zu be-sprechen, aber wir sind da nicht so (2). Es hat mir in dem Moment jetzt nicht geholfen. Nicht wesentlich.

4.4 Ausgewählte Befunde zur fünften Forschungsfrage

Die wenigen Befunde zur religiösen Bildung der Kinder spiegeln sowohl den ausschließlich evangelischen Bezugsrahmen wie auch die vorwiegend inhaltsbzw. objektorientierte und die vor allem auf das Kirchenjahr fokussierte Didaktik der verantwortlichen Pädagoginnen. Insbesondere (die wenigen) Einschulkinder, die regelmäßig und freiwillig die religionspädagogischen »Angebote« besuchten, zeigten kognitive Fähigkeiten, biblische Geschichten zum Kirchenjahr aus dem Vorjahr zu erinnern und verbal wiederzugeben, das Symbol des Kreuzes zu deuten und eigene Vorstellungen über Gott, Jesus bzw. Engel zu nennen. Mitunter kollidierte das Weltwissen der Fünfjährigen mit den dargebrachten Inhalten. Die beiden folgenden Beispiele zeigen solche Kollisionen. Zugleich wird an diesen Beispielen deutlich, dass der »Kindergottesdienst« in seiner spezifisch liturgisch-pädagogischen Ordnung (Phänomen Integrierende Adaption) keinen Raum lässt für Verständnisfragen (die Gemeindepädagogin reagiert in beiden Fällen nicht auf die Einwürfe), sondern als religiöse Feier auf die Integration der Kinder in das Gottesdienstgeschehen zielt. Dies führt mitunter zu Irritationen bei Kindern, die es gewohnt sind, in der Kita Fragen zu stellen:

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

Frau Ziegler spricht weiter: »Bei jedem Fest ist Jesus bei uns!« Da sagt Ronja, die neben mir sitzt, mit etwas leiserer Stimme als sonst zu mir: »Bei mir nicht! Ich sehe den gar nicht!« Frau Ziegler berichtet, dass es auch so bei Jesus war und den 5000 Menschen. Jeder wurde satt. Es war sogar so viel Brot übrig, dass es in Körben eingesammelt werden musste. Da ruft Ronja wieder rein: »Das geht nicht! Für 1000 Leute reicht das nicht!«

Anders als im »Kindergottesdienst« können Kinder im »Morgenkreis« stärker agieren und bspw. Fragen stellen, die dann beantwortet werden, wenn sie im Rahmen der Zielorientierung der Erzieherin liegen. Mitunter zeigten Kinder ablehnende Haltungen gegenüber christlichen Praktiken. Die zuvor schon bei den Erläuterungen des spezifischen Phänomens Forcierte Zitation protokollierte Darbietung der biblischen Erzählung der Taufe Jesu provozierte beispielsweise diese Reaktionen: Frau Reuter sagt: »Und es gibt auch heute noch Menschen, die sich taufen lassen. Ihr wisst ja, dass ich immer diese Kette umhabe.« Sie holt ihre Kreuzkette hervor. »Heute sieht man sie nicht so, weil ich einen Rollkragenpullover anhabe. Diese Kette zeigt«, Ronja ruft: »Dass du getauft bist!« Frau Reuter bestätigt: »Dass ich getauft bin und zu Jesus gehöre. Ich weiß gar nicht, wer von euch getauft ist?« Stephanie meldet sich. Ronja (5 Jahre) sagt: »Ich nicht! Meine Mutter sagt, wenn ich getauft werden will, kann ich das machen. Aber ich will nicht.« Anke (5 Jahre) reagiert: »Ich auch nicht.« Pia (5 Jahre): »Ich auch nicht.«

Der Trägerpfarrer berichtet im Interview von sehr wenigen Taufen, eine Mutter erinnert ein familiäres Taufgespräch.

Mitunter artikulierten Kinder ihre Einstellung zum christlichen Glauben spontan vor der Kirchentür: Wir können aber nicht gleich in die Kirche und müssen vor der Tür warten. Vor mir steht Thomas (5 Jahre). Er dreht sich zu mir um und sagt: »Glaubst du an Jesus?« Ich antworte: »Ja.« Er antwortet: »Ich nicht.«

Das obligatorische (!) Krippenspiel der Einrichtung hinterlässt nachweislich Spuren in der Wissenslandschaft der Kinder, wobei eine Verknüpfung von Krippenspiel und christlichem Weihnachtsfest von den meisten DarstellerKindern nicht hergestellt werden konnte. Etliche Kinder – wiederum vorwiegend die ältesten Kinder und regelmäßig an den religionspädagogischen Angeboten Teilnehmende – wirkten an der Erstellung eines Doing Protestantism aktiv durch inkorporiertes, routiniertes bzw. implizites (Körper-)Wissen mit: Die strukturellen Abläufen waren bekannt und wurden durch die (besonders bei kleineren Kindern mimetische) Einnahme von Körperhaltungen bestätigt, Lieder wurden mitgesungen bzw. wurde das Mitsingen versucht, Bewegungen zu den Liedern selbstläufig körperlich erinnert und eingespielt oder (vor allem von jüngeren Kindern) kopiert. Mitunter wurden im »Kindergottesdienst« in der Kirche selbstläufig Gebetshaltungen eingenommen und routiniert auf den Gebetsabschluss »Amen« reagiert. Obgleich letztlich empirisch nicht festgestellt werden kann, aus welchen Quellen sich diese religiöse Kompetenz speist, weisen vor allem konfessionslose Eltern der religiösen Bildung durch die Kita »Waldkinder« eine entscheidende Rolle zu.

Blaszcyk Einblicke in eine ethnografische Fallstudie zur religiösen Elementarbildung

Die interviewten Eltern benennen als Resonanzen christlicher Bildung vor allem Liedkenntnisse. Mitunter werden narrative Inhalte durch die Kinder wiedergegeben, wobei aufgrund des Krippenspiels besonders die Figuren der Weihnachtsgeschichte in den Fokus rücken. Vereinzelt kommt es zu Neuinterpretationen von symbolischen alltagssprachlichen Begriffen durch die Kinder aufgrund der Vermittlung christlicher Inhalte. Unter den pädagogischen Fachkräften, die nicht zu den religionspädagogischen Expertinnen gehören, zeigten die religionspädagogischen »Angebote«, aber auch teaminterne Fortbildungssequenzen bzw. die Wahrnehmung von Verantwortung für christlich apostrophierte Feste wenig Resonanz. Spuren evangelischer Profilierung lassen sich vor allem in einem erweiterten Liedrepertoire sowie in Wissenszuwächsen über kirchliche Feste und deren Ursprungsgeschichten finden. Das Interesse an einer religionspädagogischen Qualifizierung ist marginal. Aufgrund der veränderten Einstellungsbedingungen kam es in zwei Fällen auch zu intensiverer persönlicher Auseinandersetzung mit dem evangelischen Glauben. Das gesamte Team vereint in sich Personen, die eine große Spannbreite (von kritischer Distanz bis hoch engagierte Kirchlichkeit) abbilden. 5. Religionspädagogische Perspektiven

Ziel einer ethnografischen Studie ist nicht die Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse zur Reform bzw. zur Verbesserung einer Praxis, sondern eine

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verbesserte bzw. detailliertere sozialwissenschaftliche Beschreibung der Vorgänge in pädagogischen Institutionen.14 Eine abschließende Perspektivierung fokussiert daher vor allem, was durch die ethnografische Beforschung neu, anders oder genauer in den Blick gekommen ist. Insbesondere die Dilemmata des (religions-) pädagogischen Alltags, für die es oft keine Lösungen gibt, sondern die im alltäglichen Geschäft stets aufs Neue lediglich ausbalanciert werden können, geraten durch ethnografische Forschung ins Bewusstsein. Die folgenden Perspektiven verstehen sich daher als BalanceImpulse und wollen nicht bagatellisieren, wie herausfordernd sich der Alltag in (evangelischen) Kindertageseinrichtungen gestaltet. 5.1 Die Stabilität der strukturellen Dilemmata

Der Alltag der Kita »Waldkinder« ereignet sich in einem Szenarium, das erheblich von Zeit- und Raumkonflikten sowie einem eng bemessenen Personalstand geprägt ist. Diese strukturellen Einschränkungen wirken sich auch auf religionspädagogische Settings aus und provozieren unter anderem Konkurrenzen religionspädagogischer und allgemeinpädagogischer Formate sowie inhalts- bzw. objektorientierte Praktiken. Aufgrund der enormen Wirkmächtigkeit struktureller Dilemmata sind diese

14 Katja Flämig, Freiwillig und verbindlich. Ethnografische Studien zu »Angeboten« in der Kindertageseinrichtung, Weinheim/Basel 2017, 260.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

an erster Stelle zu thematisieren. Der durch die hier vorgestellte Studie erbrachte Befund erheblicher Zeit,- Raum und Personalkonflikte ist kein empirischer Einzelfall.15 Auffällig ist in der religionspädagogischen Forschungslandschaft, dass auf strukturelle Rahmenbedingungen nur wenig Bezug genommen wird. Erzieherinnen werden gezielt beforscht (beobachtet in religionspädagogischen Settings und interviewt), die Verhältnisse, unter denen sich der pädagogische Alltag vollzieht, aber nur marginal thematisiert.16 Die ethnografische Beforschung der Kita »Waldkinder« hat Befunde erbracht, die dieses Vorgehen als unterkomplex erscheinen lassen. M.E. sitzen etliche normative Forderungen der Religionspädagogik einem Attributionsfehler auf. Damit wird in der Sozialpsychologie die Tendenz bezeichnet, den Einfluss von Personen (dispositionale Faktoren) auf das Verhalten anderer systematisch zu überschätzen und situative Einflüsse (äußere Faktoren) zu unterschätzen.17 Zeit,- Raum- und Personalnot sowie Betreuungsschlüssel sind kontinuierliche äußere Faktoren in der Kita »Waldkinder«, die sehr konkrete Konsequenzen haben. Vor allem der stabile Mangel an Zeit macht den religionspädagogischen Akteuren zu schaffen und ist nicht losgelöst von der religionspädagogischen Praxis zu sehen. Gerhard Regel (langjähriger Fachberater für evangelische Kindergärten mit Forschungsschwerpunkt Offener Kindergarten), konstatiert aus seiner Tätigkeit, dass Zeit und Kräftemangel »Rückfälle« in alte pädagogische Muster befördern und meint unter »alte Muster« eine objektorientierte Didaktik im Vor-

schulsetting.18 Dies wird durch die hier vorgestellte Studie bestätigt. Strukturelle Rahmenbedingungen haben in der Kita »Waldkinder« nachweislich einen Anteil an der Entscheidung, dass auf die elementarpädagogische Organisationsform »Angebote« zurückgegriffen wurde, was angesichts der Konzeption einer Offenen Arbeit durchaus als Paradoxon angesehen werden kann. Eine »Angebotspädagogik« steht für eine curriculare, erwachsenenzentrierte Ausrichtung der Frühpädagogik, die sich an grundschulpädagogischen Konzepten und dem Begriff der (individuellen) Förderung orientiert.19 Hirnphysiologische Erkenntnisse und die Betonung kon­struktivistischer Lerntheorien riefen dagegen Konzeptionen auf den Plan, die den Selbstbildungspotenzialen der Kinder Raum geben sollen und alltagsintegrierte Bildung forderten. Die Kita »Waldkinder« befindet sich im Spannungsfeld dieser unterschiedlichen Richtungen der Frühpädagogik. Zum einen wird das Konzept der Offenen Arbeit eingeführt, deren Kern die Orientierung am Kind bildet, zum an15 Vgl. z.B. Susanne Viernickel / Iris NentwigGesemann / Katharina Nicolai / Stefanie Schwarz / Luise Zenker, Schlüssel zu guter Bildung, Berlin 2013, 14–19. 16 Vgl. z.B. Peter Müller, Religiöse Bildung am Bayrischen Untermain, Würzburg 2013, 399– 437. 17 https://www.spektrum.de/lexikon/psychologie/attributionsfehler-fundamentaler/1590, 30.8.19. 18 Gerhard Regel, Die Zukunft des Offenen Kindergartens liegt in der Bewältigung der Gegenwart, in: Gerhard Regel / Uwe Santjer, Offener Kindergarten konkret in seiner Weiterentwicklung, Berlin 2011, 293f. 19 Katja Flämig, Freiwillig und verbindlich [wie Anm. 14], 22.

Blaszcyk Einblicke in eine ethnografische Fallstudie zur religiösen Elementarbildung

deren greift das Team auf »Angebots­ pädagogik« zurück. Auffällig ist dabei, dass neben den religionspädagogischen »Angeboten« (Morgenkreis, Singen mit Kindern, Kindergottesdienst) nur das waldpädagogische »Angebot« (für Einschulkinder) als reguläres »Angebot« hinzutritt. Dass ausgerechnet religiöse Bildung nahezu ausschließlich im Setting von »Angeboten« läuft und damit Erwachsenenzentrierung, Verinselung und Alltagsablösung sowie curricularstrukturierte bzw. unterrichtsförmige Wissensvermittlung schon allein aufgrund der Organisationsform befördert werden, mag durchaus auch an den religionspädagogischen Habitus der jeweiligen religionspädagogischen Akteure bzw. an einem Habitus kirchlicher Kommunikation20 liegen, jedoch begünstigen auch die strukturellen Dilemmata nachweislich diesen konzeptionellen Spagat der Einrichtung. Hinzu kommen elterliche Erwartungen, die der Entwicklung einer »Angebotspädagogik« Vorschub leisteten, obwohl diese zugleich mehr Personal und zusätzliche Räume bindet und damit die personalknappe Betreuungssituation und die Raumsituation verschärft wird.21 Die ethnografischen Beobachtungen von Katja Flämig wie auch der hier vorgestellte Studie zeigen, dass es sich bei einem »Angebot« grundsätzlich um «eine fragile, störanfällige und risikobehaftetete Veranstaltung handelt«22. Für religionspädagogische Theorie und Praxis ist es von Belang, zum einen in den Blick zu nehmen, dass das Format »Angebot« durch strukturelle Dilemmata, geschichtliche Prozesse, dauerhafte Konzeptionsdiskurse und neoinstitutionalis-

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tische Anpassungstendenzen begünstigt wird. Zum anderen muss gesehen werden, dass diese geschlossene Organisationsform konnotiert ist mit Formalität, Verbindlichkeit, Verpflichtung, Zielorientierung und schulpädagogischen Konzepten.23 Durch unterrichtliche Settings werden die für religiöse Lernprozesse wesentlichen kommunikativen Zugänge eingeschränkt.24 Grundsätzlich sind insbesondere strukturelle Dilemmata stärker in ihrer Auswirkung auf die religionspädagogische Arbeit zu gewichten. Es reicht m.E. nicht aus, das Personal religionspädagogisch zu schulen und dabei die jeweils konkreten strukturellen Rahmenbedingungen des pädagogischen Alltags auszublenden. Es genügt nicht, an bestimmte habituelle Dispositionen (z.B. religionssensible Haltungen) zu appellieren und gleichzeitig die organisatorische (mitunter hoch konflikthafte) Komplexität des (jeweiligen) Kita-Feldes zu vernachlässigen. Die Verantwortung für gute Praxis kann nicht ausschließlich individualisiert werden. Die vorliegende Studie bestätigt die ethnomethodologisch gewonnene Erkenntnis von Harald Garfinkel, wonach es immer »gute organisatorische Gründe für schlechte Praxis«25 gibt.

20 Vgl. dazu Domsgen, Kita und Familie [wie Anm. 13], 89. 21 Katja Flämig, Freiwillig und verbindlich [wie Anm. 14], 261. 22 Ebd., 247. 23 Ebd., 249 und 253. 24 Michael Domsgen, Chancen für die Zukunft der Kirche? In: Michael Domsgen / Frank Lütze, Religionserschließung im säkularen Kontext, Leipzig 2013, 113. 25 Vgl. Katja Flämig, Freiwillig und verbindlich [wie Anm. 14], 261.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

5.2 Die Stabilität der differenten Kulturen

Eine wesentliche Erkenntnis aus der Beforschung der Kita »Waldkinder« liegt in dem – durchaus überraschenden – Befund, dass trotz mehrheitlich konfessionslosem Kontext religiöse Bildung immer wieder neu mittels einer Ordnung des Doing Protestantism hergestellt wird. Eine kontextsensible Religionspädagogik ließ sich empirisch nicht nachweisen. Religiöse Lernprozesse sind in der Kita »Waldkinder« nahezu ausschließlich learning religion, d.h. eine Einführung in die evangelische Glaubenstradition. Damit wird zugleich Religiosität auf die Gestalt von Kirchlichkeit reduziert. Praktiken eines learning from religion – verstanden als Bezugnahme auf eigene religiöse Erfahrungen bzw. Identitätsbildung über Orientierung / Dialog und vor allem als Eigenleistung der Lernenden26 – sowie Praktiken eines learning about religion (Weitergabe von Wissen über Religionen) konnten nur vereinzelt bzw. gar nicht beobachtet werden. Die vorfindliche Differenz der Kulturen von mehrheitlicher Konfessionslosigkeit und marginaler Konfessionsmitgliedschaft wird nur sehr begrenzt öffentlich thematisiert und die Praxen der Differenzbearbeitung sind – bis auf sehr wenige Ausnahmen – eigentümlich intransparent. Aufgrund der ethnografischen Beobachtungen entstand (zunächst) der Eindruck, dass die konfessionslose Kultur sich der konfessionellen Kultur anzupassen hat. Diese Beobachtung einer stabilen evangelischen Kultur wird allerdings enorm irritiert durch das ermittelte Kernphänomen Doing Protestantism mittels Epithese, das u.a. beschreibt, wie die Kul-

tur der Konfessionsmitgliedschaft der Kultur der Konfessionslosigkeit angefügt bzw. hinzugefügt wird. Dieses epithetische Agieren ist ein Indiz dafür, dass die konfessionszugehörigen Akteure sich durch die mehrheitliche Konfessionslosigkeit so beeinflusst sehen, dass sie keine generelle Neuordnung der pädagogischen Landschaft anstreben oder umsetzen. Einige Aussagen der religionspädagogischen Akteure lassen darauf schließen, dass in Zukunft Prozesse erwartet werden, durch die das religiöse Feld wächst und an Einfluss gewinnt. Stärker scheint jedoch aktuell die Stabilität der Kultur der Konfessionslosigkeit auf die Kultur der Konfessionsmitgliedschaft zu wirken. Obgleich einerseits in religionspädagogischen Settings und bei christlich apostrophierten Festen agiert wird, als gäbe es ein stabiles religiöses Feld, wird das Doing Protestantism hinsichtlich der Gebetspraxis erheblich eingeschränkt. Die Differenzbearbeitungspraxis, das Gebet nur einmal im Monat in der Kirche im Kindergottesdienst und bei christlich apostrophierten Festen auszuüben, in den Räumen der Kita aber zu unterbinden (bzw. nur gelegentlich auszuüben) oder Lieder als hinreichende Gebetsform zu deklarieren, kann als Wirkung der konfessionslosen Kultur auf die konfessionelle Kultur interpretiert werden. Die (unbewusste) Entscheidung, das Beten nicht in routinierte Körper- bzw. Alltagspraktiken zu überführen, ist als ein 26 Peter Schreiner, Religionsunterricht, international, in: Mirjam Zimmermann / Heike Lindner, Das wissenschaftlich-religionspädagogische Lexikon im Internet (WiReLex), http:// www.bibelwissenschaft.de/stichwort/100208, 3 (28.11.18).

Blaszcyk Einblicke in eine ethnografische Fallstudie zur religiösen Elementarbildung

Kennzeichen von Instabilität des religiösen Feldes zu interpretieren. Aus religionssoziologischer wie religionspädagogischer Perspektive ist weder der empirische Befund einer Stabilität der Kultur der Konfessionslosigkeit noch der Befund einer beharrlichen Ausschließlichkeit der konfessionellen Kultur auch unter unverkennbar pluralen Verhältnissen neu.27 Ebenso ist der Befund einer Darbietung von Religiosität in Gestalt von Kirchlichkeit keine neue empirische Erkenntnis.28 Grundsätzlich lässt die in der vorliegenden Studie empirisch ermittelte Stabilität der differenten Kulturen nach religionsdidaktischen Konzeptionen für die Elementarpädagogik in Ostdeutschland fragen. Konzepte für dieses Arbeitsfeld sind rar bzw. nicht existent. Die elementarpädagogische Reflexion von Konfessionslosigkeit bzw. nicht-religiöser Perspektiven und deren didaktischen Konsequenzen befindet sich noch in Anfängen29 bzw. in Suchbewegungen. Mitunter wird Konfessionslosigkeit als Sonderfall religiöser Pluralität gefasst und Konfessionslosen wird dabei »eine ›subjektive Religion‹ zugeschrieben, die diese wohl mehrheitlich zurückweisen würden.«30 Wiederholt wird in Konzepten, Handreichungen und Bildungsplänen zum interreligiösen Lernen mit einem Pluralitätsbegriff gearbeitet, der die Möglichkeit eines nicht-religiösen Lebens gar nicht in Betracht zieht.31 Das Fortbildungsformat der RPQ (Religionspädagogische Qualifizierung) der beiden evangelischen Landeskirchen in Sachsen-Anhalt orientiert sich an kindertheologischen bzw. religionssensiblen Konzepten.32 Das Lernen an der Differenz der Kulturen könnte m.E. auch durch Ansätze

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der Komparativen Theologie befördert werden, auch wenn diese Ansätze für den Dialog von konfessionslosen und christlichen Lebensorientierungen weiterentwickelt werden müssen. Religiöse Lernprozesse können nach Ansicht der Vertreter/innen der Komparativen Theologie nur gelingen, wenn vom anthropologisch vorfindbar Eigenen ausgegangen wird, dieses Eigene sichtbar und ins Bewusstsein gehoben wird und dann das Fremde (seien es Glaubenstraditionen verschiedener Religionen oder eben auch nicht-religiöse Traditionen, S.B.) komparativ in den Blick genommen wird33. 27 Vgl. z.B. zur Stabilität der konfessionslosen Kultur: Monika Wohlrab-Sahr, Forcierte Säkularität oder Logiken der Aneignung repressiver Säkularisierung, in: Gert Pickel / Kornelia Sammet (Hg.), Religion und Religiosität im vereinigten Deutschland, Wiesbaden 2011, 161. Zur Beharrlichkeit der konfessionellen Kultur trotz pluraler Verhältnisse vgl. z.B. Albert Biesinger / Friedrich Schweitzer / Anke Edelbrock, Neue empirische Befunde, in: Friedrich Schweitzer / Albert Biesinger / Anke Edelbrock (Hg.) Mein Gott – Dein Gott, Weinheim/Basel 2008, 29. 28 Vgl. dazu Michael Domsgen, Kita und Familie [wie Anm. 13], 89. 29 Vgl. z.B. Gundula Rosenow, Individuelles Symbolisieren, Leipzig 2016, deren »Didaktik der Potentialität« jedoch anhand der Arbeit mit Schüler/innen der Oberstufe entworfen wurde und nicht im Kontext elementar-pädagogischer Bildungsarrangements. 30 David Käbisch, Konfessionslose verstehen, in: Andrea Schulte (Hg.), Evangelisch Profil zeigen im religiösen Wandel unserer Zeit, Münster/New York 2014, 174. 31 Ebd. 32 Vgl. dazu Angela Kunze-Beiküfner, Kindertheologisch-sensitive Responsivität pädagogischer Fachkräfte in Kindertagesstätten, Leipzig 2017, 118–126 und 576–578. 33 Jan Woppowa, Das Konfessorische als Stein des Anstoßes, in: Rita Burrichter / Georg Langenhorst / Klaus von Stosch (Hg.), Komparative Theologie, Paderborn 2015, 27.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

Diese Ansicht sowie die anderen ausgewiesenen Grundhaltungen (konfessorische Verbundenheit, Empathie mit dem Fremden und Gastfreundschaft für die Wahrheit des anderen) der Komparativen Theologie sind anschlussfähig zu aktuellen elementar-pädagogischen Konzepten, die eine offene, prozessbezogene und dialogisch-dynamische Didaktik favorisieren (wie z.B. die religionssensible Begleitung bzw. kindertheologische Zugänge). Als Chance kommt zudem eine performative Didaktik in den Blick, die sich nicht scheut, konsequent die Probeaufenthalte in religiösen Praktiken metareflexiv mit Kindergartenkindern und auch deren Eltern zu diskutieren. Hinsichtlich einer kindorientierten Gebetspraxis hat Katharina Kammeyer interessante didaktische Perspektiven aufgewiesen.34 5.3 Die Stabilität des religionspädagogischen Habitus

Eine wesentliche Erkenntnis aus der Beforschung der religionspädagogischen Praxis der Kita »Waldkinder« liegt in dem durchaus auffälligen Befund, dass trotz mehrheitlich konfessionslosem Kontext den Kindern wenig und mitunter gar kein Raum gegeben wird für das Eintragen subjektiver Erfahrungen, Einstellungen, Fragen oder Ko-Konstruktionen. Noch überraschender wirkt dieser Befund einer stark inhalts- bzw. objektorientierten Didaktik angesichts des seit 2010 verordneten Paradigmenwechsels in die Offene Arbeit samt deren Grundparadigma der kind- bzw. subjektorientierten Pädagogik. Eine (unbewusste bzw. durch das Format »Angebote« vorgegebene) Überbrückung dieser Diskrepanz

liegt in der Praxis des fakultativen Prinzips. Interessanterweise wird durch die Freiwilligkeit der Teilnahme an den religiösen (Bildungs-) Offerten in den Augen der Akteure (pädagogische Fachkräfte wie Eltern) eine Subjektorientierung ausreichend sichergestellt. Die Überraschung über den Grad der vorfindlichen Kontextsensibilität bzw. Subjektorientierung bzw. der Diskrepanz von handlungspraktischer Theorie und vorfindlicher Praxis lässt sich auch in anderen (theoriegeleiteten) Studien finden.35 Neben den Befunden manifester struktureller Dilemmata wie auch stabiler kultureller Felder erbrachte auch die ethnografische Beforschung der Kita »Waldkinder« Befunde, die durchaus auch den Blick auf die einzelnen religionspädagogischen Akteure lenkt. Tiefgreifend und die Befunde von Ausbildungsqualitäten, strukturellen Rahmenbedingungen, Sozialisationserfahrungen und individuellen Dispositionen aufnehmend, gibt das Habituskonzept nach Pierre Bourdieu ein soziologisches Instrument in die Hand, um das Agieren der jeweiligen Akteure zu deuten. Erwerb und Erhalt des Habitus werden aufgrund sozialer Konstellationen beschrieben und individuell-defizitäre Etikettierungen vermindert. Empirische Befunde der Diskrepanz von religionspädagogischen Handlungsorientierungen und vollzogenen Praktiken lassen sich mit dem Habituskonzept hinreichend erklä-

34 Katharina Kammeyer, »Lieber Gott, Amen!«, Stuttgart 2009, 512–518. 35 Vgl. z.B. Müller, Religiöse Bildung am Bayrischen Untermain [wie Anm. 16], 285; Simone Wustrack, Religionspädagogische Arbeit im evangelischen Kindergarten, Stuttgart/Hannover 2009, 215.

Blaszcyk Einblicke in eine ethnografische Fallstudie zur religiösen Elementarbildung

ren. So ist es von außerordentlicher Bedeutsamkeit für die Ausbildung eines religionspädagogischen Habitus, in welchen Traditionsformen familiär bzw. kirchlich sozialisiert bzw. in welchen religionspädagogischen Traditionen ausgebildet wurde, denn es »stürzt die soziale Ordnung nicht nur völlig in die Menschen hinein, sie bricht auch, in all ihren Einzelheiten zwar je anverwandelt, in ihren Maßen aber immer noch sie selbst, aus ihnen heraus.«36 Insbesondere einverleibte (inkorporierte), meist nicht reflexiv zugängliche Praktiken spielen hier eine wesentliche Rolle. Da jeglicher Habitus grundsätzlich träge ist, kann er nur in Bezug zu schon bisher erworbenen Dispositionen verändert werden.37 Dieser Gedanke der Verfestigung des Habitus als grundsätzliches Wesensmerkmal menschlicher Dispositionssysteme erklärt und ernüchtert zugleich. Zum einen wird deutlicher, warum konzeptionelle Neuaufbrüche in der Religionspädagogik oft auch nach Jahren sich nur schwerfällig (bzw. wenn überhaupt) in die Praxis implementieren lassen. Vergegenwärtigt man sich Ausbildungskonstellationen, Sozialisationserfahrungen (u.a. auch des Christseins in der DDR) sowie gegenwärtige Strukturdilemmata (Zeit-, Raum-, Personalnot, neoinstitutionalistische Tendenzen u.a.m.) der religionspädagogischen Akteure in der Kita »Waldkinder«, so hilft das Habituskonzept anzuerkennen, dass Anpassungsleistungen nur sehr eingeschränkt zu erwarten bzw. einzufordern sind. Das Sprichwort »Gelernt ist gelernt!« spiegelt nicht nur routiniertes Können, sondern

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auch die Grenzen dieser Routinen. Wer nicht frühzeitig gelernt und inkorporiert hat, wie man Kindern und Eltern aus mehrheitlich konfessionslosem Bezugsrahmen kontextsensibel begegnet, hat habituell gesehen nicht unendliche Möglichkeiten, es sich später noch – unter dilemmabehafteten Strukturen des Kita-Alltags – anzueignen. Die Arbeit am religionspädagogischen Habitus fokussieren Stefan Heil und Manfred Riegger.38 Hinsichtlich einer (zu entwickelnden) religionspädagogischen Professionalität in mehrheitlich konfessionslosen Kontext sind insbesondere die Gedanken zum Modus der Abduktion innovativ, der in bestimmten empirischen Konstellationen etwas Neues sieht (das nicht subsumiert unter bisheriges Fachrepertoire oder abgeleitet werden kann aus bisherigem Fachrepertoire). Zudem scheint die simulationsbasierte Professionalisierung zielführend, die nicht nur über die Anhäufung von kognitivem Wissen, sondern durch eigene Handlungen im simulierten Modell erfolgt.40

36 Stephan Egger, Pierre Bourdieus Religionssoziologie, in: Pierre Bourdieu, Religion, Berlin 2011, 271. 37 Stefan Heil, Der professionelle religionspädagogische Habitus, in: Stefan Heil / Manfred Riegger, Der religionspädagogische Habitus, Würzburg 2017, 20. 38 Ebd. 39 Ebd., 25. 40 Vgl. dazu die Ausführungen von Stefan Heil / Manfred Riegger, Simulationsbasierte Kompetenzentwicklung, in: Heil / Riegger, Der religionspädagogische Habitus [wie Anm. 37], 85–124.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

Christina Kalloch »… und dann denken wir an sie und dann ist sie ja auch bei uns!« – Theologisieren mit Kindergartenkindern zum Thema »Tod«? Das Thema »Tod« hat in religionspädagogischen Kontexten seit geraumer Zeit an Bedeutung gewonnen. Auch Kindern gegenüber werden Fragen über das Ende menschlichen Lebens nicht mehr tabuisiert. Vielmehr wird auch ihnen zunehmend die Möglichkeit eröffnet, sich ihrem Entwicklungsstand entsprechend mit Tod, Sterben und Trauer auseinanderzusetzen. Selbst im Elementarbereich wird daher der Thematik inzwischen große Aufmerksamkeit geschenkt.1 Im Zuge der Bewusstmachung, dass Tod und Trauer schon im Leben junger Kinder eine hohe Relevanz haben können, sind fast unüberschaubar viele Kinderbücher erschienen, die zumeist behutsam und kindgerecht Gesprächsanlässe schon für Kinder im Elementarbereich zu diesem schweren Thema bieten. 1. Theologische Gespräche zum Thema »Tod« im Kindergarten

Da das Thema äußerst komplex und emotional berührend ist, setzt es gerade mit Blick auf Kindergartenkinder eine sorgfältige didaktische Analyse voraus. Zunächst gilt es zu bedenken, dass Kinder im Alter von bis zu sechs Jahren über Todeskonzepte verfügen, die nicht mit denen Erwachsener oder auch nur älterer Kinder oder Jugendlicher gleichzusetzen sind. Abhängig von der jeweiligen

kognitiven Entwicklung sind die für das erwachsene Todesverständnis konstitutiven Dimensionen des Verstehens von Irreversibilität, Universalität, Kausalität und Nonfunktionalität im Hinblick auf den Tod bei Kindergartenkindern nicht als gegeben vorauszusetzen2. Andererseits werden schon junge Kinder mit dem Tod konfrontiert, oft in medial vermittelter Form. Diese Begegnungen mit dem Tod sind für sie zwar in keiner Weise vergleichbar mit Verlusterfahrungen im Leben von Kindern, die mit dem Tod von engen Bezugspersonen einhergehen. Letztere werden in der Regel als existentiell bedrohlich wahrgenommen und können massive Krisensituationen hervorrufen. Ängste und Fragen lösen dagegen beide Dimensionen der Konfrontation mit dem Tod – die unmittelbare und die medial erfahrene – aus. Dies ist auf die kognitive wie emotionale Ent1 Beispielhaft seien hier genannt: Christoph Scheilke / Friedrich Schweitzer, Musst du auch sterben? Kinder begegnen dem Tod, Kinder brauchen Hoffnung. Religion im Alltag des Kindergartens 3, Gütersloh 2000; Claudia Guggemoos, Trauern wie Pippi Langstrumpf? Mit Kindern über den Tod nachdenken, in: Katrin Bederna / Hildegard König (Hg.), Wohnt Gott in der Kita. Religionssensible Erziehung in Kindertageseinrichtungen, Berlin – Düsseldorf 2009, 155–162. 2 Vgl. Monika Specht-Tomann / Doris Tropper, Wir nehmen jetzt Abschied. Kinder und Jugendliche begegnen Sterben und Tod, Ostfildern 32000, 67.

Kalloch Theologisieren mit Kindergartenkindern zum Thema »Tod«?

wicklung von jungen Kindern, ihre Art des Trauerns und ihre Möglichkeiten, Traueraufgaben zu bewältigen, zurückzuführen3. Ein Theologisieren mit Kindergartenkindern muss daher von diesen Rahmenbedingungen aus betrachtet und reflektiert werden. Auch ist vorab klarzustellen, von welchen Axiomen Kindertheologie ausgeht und inwieweit diese in Gesprächen mit Kindern im Elementarbereich Geltung beanspruchen können. Kindertheologie geht von der Prämisse aus, dass Kinder zu einem theologischen Thema eigenständig Vorstellungen, Ideen und Gedanken hervorbringen, diese durch andere oder auch sich selbst in Frage stellen lassen können, um im Prozess der Kommunikation ihre Äußerungen modifizieren und möglicherweise Standpunkte revidieren zu können. Kindertheologische Gespräche setzen also die Fähigkeit zu Perspektivübernahme und Reflexion voraus. Darüber hinaus macht es die wissenschaftliche Untersuchung kindertheologischer Gespräche notwendig, zwischen drei Dimensionen von Kindertheologie zu unterscheiden, die sich in einer Theologie von und mit Kindern sowie einer Theologie für Kinder artikuliert.4 Erstere bezieht sich auf theologische Aussagen, die von Kindern hervorgebracht und reflektiert werden, die zweite auf den kommunikativen Prozess des gemeinsamen Entwickelns theologischer Vorstellungen. Die letzte Dimension beschreibt das, was religionsdidaktisch schon immer praktiziert wurde: In elementarisierter Form wird hier eine Theologie für Kinder geboten, die Maß nimmt an ihrem Verständnishorizont und die anschlussfähig ist an die Ausbildung differenzierterer theolo-

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gischer Konzepte. Die zweite und dritte Dimension gelten in religionspädagogischen Zusammenhängen als weitgehend unstrittig. Die erste Dimension sieht sich dagegen oft kritischen Fragen ausgesetzt, die im Kern darum kreisen, ob Kinder zu eigenständiger theologischer Reflexion kognitiv überhaupt in der Lage sind. Mit Blick auf Kinder im Elementarbereich verstärken sich diese Bedenken sicherlich, so dass im Folgenden Möglichkeiten des Theologisierens mit Kindern angesichts eines schwierigen, emotional stark besetzten Themas einer genaueren Beobachtung unterzogen werden sollen. 2. Wie und über was konkret mit Kindern ins Gespräch kommen?

Das Vorhaben, mit Kindergartenkindern über den Tod zu sprechen, bezog sich vor diesem Hintergrund vornehmlich auf die Frage, inwieweit kindertheologische Gespräche im Sinne ihrer Definition nach Schweitzer5 im Elementarbereich möglich sind und inwieweit das Thema Tod im Kindergarten seine Bedeutung und Berechtigung hat. Die zu Grunde gelegten Gespräche mit Kindern wurden in einer evangelischen Kindertagesstätte geführt, so dass davon ausgegangen 3 Vgl. dazu auch Martina Plieth, Kind und Tod. Zum Umgang mit kindlichen Schreckensvorstellungen und Hoffnungsbildern, Neukirchen-Vluyn 2007. 4 Vgl. Friedrich Schweitzer, Was ist und wozu Kindertheologie, in: Anton A. Bucher / Gerhard Büttner / Petra Freudenberger-Lötz / Martin Schreiner (Hg.), »Im Himmelreich ist keiner sauer«. Kinder als Exegeten. JaBuKi 2, Stuttgart 2003, S. 9–18. 5 Ebd., 18.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

werden konnte, dass auch Bezüge zum Tod Jesu hergestellt werden würden. Zugleich eröffnete sich durch eine kirchliche Kindertagesstätte die Möglichkeit, mit den Kindern explizit über biblische Geschichten ins Gespräch zu kommen. Zur Durchführung der Gespräche wurden eine Gruppe von fünf Vierjährigen sowie zwei Gruppen von ebenfalls jeweils fünf Fünfjährigen zusammengestellt. Die Gesprächsdauer sollte zwanzig Minuten nicht überschreiten. Wie es zu erwarten war, hatten bereits alle drei Gruppen an kirchenjahreszeitlichen Andachten zu Passion und Ostern teilgenommen und waren so unmittelbar mit dem Thema des Todes Jesu und seiner Auferstehung in Berührung gekommen. Besondere Vorkommnisse wie der Tod eines Familienmitgliedes wurden im Vorfeld durch die Erzieherin nicht benannt und stellten sich im Nachhinein auch als ihr nicht bekannt heraus, obwohl es im Falle eines Kindes während des Gesprächs eine besondere Rolle spielen sollte.

Die Erde bebt laut. Der Himmel verdunkelt sich. Und Jesus starb.

2.1 »Das große Osterwunder« (Bibelbilderbuch von Antonia Woodward)

Um direkt an das anzuknüpfen, was den Kindern vertraut zu sein schien, fand zunächst ein Gespräch mit der Gruppe der Fünfjährigen über den Tod Jesu statt. Als Gesprächsimpuls wurde ein Bild aus der Kinderbibel von Antonia Woodward »Das große Osterwunder« gewählt, das drei Kreuze vor einem sich verdunkelnden Himmel zeigt6: 2.1.1 Gesprächssequenz mit einer Gruppe fünf Fünfjähriger Klaas: Das ist von Jesus, also von seinem Tod, dann ist er in den Himmel gegangen … C.K.: Woher wisst ihr von Jesus? Anna: Wir haben da immer so eine Andacht … Ella: Von Michael ihm seine Tochter ist die Katze gestorben, also von unserm Nachbarn, aber die war schon alt … C.K.: Schaut ihr euch bitte noch einmal das Bild an? Klaas: Das ist das Kreuz von Jesus in der Mitte. Simon: Ich habe mal einen Film gesehen, da stand aber noch einer von den Bösen unter dem Kreuz … Rahel: Da waren aber auch noch die Frauen, die wollten Öl über ihn kippen, aber da war er auf einmal weg. Anna: Aufgestanden, also auferstanden! Klaas: Im Film war da auch, wie Jesus am Kreuz war und wie er verhaftet wurde. Ella: Also Uropa Bernhard, der ist auch gestorben, der war aber schon alt und ich war da noch ganz klein, da hat er mich immer auf den Arm genommen …. Klaas: Im Film, da wurde Jesus mit einem ganz langen Seil geschlagen … 6 Antonia Woodward, Das große Osterwunder, Stuttgart 2018.

Kalloch Theologisieren mit Kindergartenkindern zum Thema »Tod«?

Anna: Die haben nicht geglaubt, dass er der König war. Simon: Die haben nicht geglaubt, dass er der Herr ist. Klaas: Weil er die Welt gemacht hat, aber Augustus wollte nicht, dass es noch einen König gab … Ella: Ah, den kenne ich! Klaas: Er hat ein paar Menschen, die da im Tempel waren, weggejagt … Simon: Die Tiere da im Tempel, die haben da alle hingekackert (Lachen). Anna: Jetzt ist er (Jesus) aber in einer Hülle … Klaas: Hülle? Simon: Du meinst Höhle, du meinst Höhle, ne? Das Grab, das ist doch die Höhle … Ella: Nein, in der Hölle! Wo der Teufel kokelt … Anna: Mein Opa ist auch gestorben … Klaas: Also Kaiser Augustus hat dann wirklich seine Wachen geschickt … Ella: Also Jesus war da noch ein Kind … Simon: Als er gestorben ist, da war da so ein Erdbeben … Ich habe immer so Albträume, wenn ich von Erdbeben träume. Klaas: Ich habe im Fernsehen ein Erdbeben gesehen … Ella: Ich habe die Hochzeit gesehen. (gemeint war die als Medienereignis groß inszenierte Trauung Prinz Harry und Meghan) Klaas: Und ich Starwars! 2.1.2 Beobachtungen zur Gesprächssequenz

Durch liturgische Feiern im Kindergartenalltag sind den Fünfjährigen Elemente – teilweise auch überraschende Details – der biblischen Passionserzählungen bekannt. Ein systematisches Wissen zum Thema »Tod Jesu« ist erwartungsgemäß dagegen nicht vorhanden. Informationen aus Filmen und Büchern fließen selbstverständlich in die Äußerungen der Kinder mit ein. Da-

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bei werden Missverständnisse deutlich (Hülle/ Höhle/ Hölle, Jesus als Kind, die Salbungsgeschichte, Austreibung der Händler aus dem Tempel), die der Vielzahl und vor allem der Komplexität der bereits im Vorfeld angesprochenen Geschichten geschuldet sind. Wissensbestände aus anderen Kontexten werden reproduziert, ohne dass inhaltlich logische Verknüpfungen, sondern eher Assoziationsketten hergestellt werden. Die Kinder nehmen den Gesprächskreis und das Bibelbild zum Anlass, ihre Geschichte (z.B. den Film) nachzuerzählen. Ihre Gesprächsbeiträge erfolgen häufig unvermittelt und zusammenhanglos (wenn z.B. das Stichwort »Fernsehen« fällt). Die Fünfjährigen tun sich noch schwer, beim Thema zu bleiben oder auf Äußerungen der anderen zu reagieren, auch wenn sie zeitweilig auf das im Mittelpunkt stehende Thema zurückkommen bzw. zurückgeführt werden können. Im Vordergrund steht bei den Kindern das Bedürfnis, von ihren Erfahrungen berichten zu können bzw. von dem erzählen zu wollen, an was sie durch das Thema erinnert werden (Mein Opa ist auch gestorben, die Katze des Nachbarn war schon alt). Es fällt ihnen nicht leicht, sich über einen längeren Zeitraum auf das Gesprächsthema zu konzentrieren. Die Aufmerksamkeit einzelner Kinder wurde zudem – besonders zum Ende der geplanten Gesprächszeit – auf äußerliche Veränderungen gelenkt (»Die Kerze steht ja jetzt auf der anderen Seite. Warum?«; »Warum hast du die Blumenvase weggestellt?« oder »Du hast keine Socken an. Ich muss jetzt aber noch Socken anziehen, sonst erkälte ich mich, sagt meine Mama«). Von den Dingen, die sie

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

gedanklich beanspruchten, wieder zum Thema zu kommen, erwies sich daher als äußerst schwierig. Die Kommunikation über den ursprünglichen Gesprächsgegenstand geriet ins Stocken und Ermüdungserscheinungen machten sich bei allen Kindern bemerkbar. 2.2 Opa, welche Farbe hat der Tod? (Bilderbuch von Annett Schütze/ Britta Vorbach / Mascha Greune)

Um den Gesprächsschwerpunkt einzugrenzen und zu fokussieren und zugleich stärker die Erfahrungen der Kinder einzubeziehen, wurde für die Gruppe der Vierjährigen ein anderer, grundlegenderer Gesprächsanlass gewählt. Als Impuls fungierte das Kinderbuch »Opa, welche Farbe hat der Tod?« von Annett Schütze u.a. – ein kindgerechtes Bilderbuch für den Elementarbereich, welches behutsam die Frage nach Abschiednehmen, Sterben, Trauer und Trost thematisiert7.

2.2.1 Sequenz des Gesprächs mit fünf Vierjährigen Maja: Da war der Hasenopa gestorben, der war da auch schon ganz grau … Yven: Der ist jetzt nicht mehr da. Elias: Wenn die Menschen sterben, dann sieht man sie nicht. Greta: Die sind ja dann im Himmel … Maja: Man muss nicht traurig sein, man kommt ja dann auch in den Himmel. Greta: Als meine Oma tot war, ich, da war ich dann aber traurig … C.K.: Kann man sich denn trösten, wenn man jemanden so vermisst, der gestorben ist? Yven: Nee, das geht nicht, der ist ja dann weg … Elias: Nur, wenn er wiederkommt. Maja: Wenn er wieder lebt. Greta: Nein! Meine Oma ist ja auch gestorben und die, die ist noch nie wiedergekommen! Maja: Und dann ist man traurig … C.K.: Was hilft denn vielleicht, wenn man traurig ist? Sagt der Hasenopa in der Geschichte etwas dazu? Greta: Es sieht so aus, als ob der alte Hase nur schläft … C.K. (spricht den Satz aus dem Buch): Wenn du an mich denkst, bin ich bei dir. Yven: Ja, wenn man dolle an den denkt. Maja: Aber im Himmel ist er dann allein … Elias: Aber man kann ja nichts mehr merken, wenn man tot ist. Greta: Unser Nachbar ist auch gestorben, der war schon ganz alt und schwach und der wollte nichts mehr essen. Maja: Ich finde, Opa Hase sieht aus wie ein Ziegenbock (lacht). Da guck mal … Yven: Wo? Elias: Ziegenbock? Wie?

7 Annette Stütze / Britta Vorbach / Mascha Greune, Opa, welche Farbe hat der Tod? Ostfildern 2017.

Kalloch Theologisieren mit Kindergartenkindern zum Thema »Tod«?

2.2.2 Beobachtungen zur Gesprächssequenz

An der Gesprächssequenz mit den Vierjährigen lassen sich alters- und entwicklungstypische Merkmale von Todeskonzepten im Kindergartenalter erkennen, wie z.B. die Vorstellung, dass Tod zum Alter gehört (Unser Nachbar war schon ganz alt und schwach). Auch die Irreversibilität des Todes wird erst allmählich erkannt (Vielleicht wenn er, Opa Hase, wiederkommt, wenn er wieder lebt). Beeinflusst und weiterentwickelt wird das kindliche Todesverständnis offensichtlich durch konkrete Erfahrungen mit Sterben und Tod. Die Reaktion von Greta (Meine Oma ist auch gestorben und die ist noch nie wiedergekommen) zeigt, dass sie die Endgültigkeit des Todes zu erfassen beginnt: Mit dem Tod der Oma ist etwas für immer anders geworden. Sie ist nicht wiedergekommen. Diese Erfahrung von Greta verändert ihr Wissen über den Tod und beschleunigt damit auch die Annahme eines erwachsenengemäßen Todeskonzeptes. Es lassen sich zudem entwicklungsbedingte Merkmale kindlicher Bildrezeption feststellen. Kinder sehen Bilder anders, indem sie Bildelemente anders decodieren (Der eine Hase sieht aus wie ein Ziegenbock). Im konkreten Fall ermöglichte Majas Anderssehen des Motivs es ihr, unvermittelt aus dem Thema Tod auszusteigen. Indem sie ein lustiges Detail entdeckte, konnte sie auf Distanz gehen. Das Besprochene oder Gesehene wurde von ihr so plötzlich aus einem anderen – möglicherweise sie entlastenden – Blickwinkel wahrgenommen.

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2.3 Gesprächssequenz mit fünf Fünfjährigen

Das Gespräch über Sterben und Tod – ausgehend vom lebensweltlichen Kontext – gestaltete sich zwar immer noch stark assoziativ, durch die Reduktion auf den Erfahrungshorizont der Kinder, fiel es ihnen jedoch leichter, eigene Vorstellungen zum Ausdruck bringen. Auch mit der zweiten Gruppe der Fünfjährigen wurde daher der Zugang über die Geschichte vom Hasenopa gesucht. Damit sollte der Versuch unternommen werden, die Komplexität des Themas zu verringern, wodurch sich die Chance erhöhen sollte, beim Schwerpunkt Sterben, Tod und Trauer zu bleiben und sich über diesen auseinanderzusetzen. 2.3.1 Gesprächssequenz Karl: Da ist er gestorben, der Opa und der kleine Hase hatte Angst, aber der Opa ist im Himmel mit den anderen … Finn: Er ist bei Gott im Himmel. Lotte: Er hat seine Pfote bei der Pfote vom Opa. Er will den Opa festhalten … Karl: Ich glaube, er schläft nur, weil er so müde ist. Finn: Nein, der ist gestorben. Der Körper ist gestorben und die Seele … die Seele, die ist im Himmel … Fenja: Der kleine Hase ist deswegen auch so aufgeregt und so traurig. Aber er kann ja an ihn denken. Ich denke auch immer an meine Schwester, die schon im Bauch von meiner Mama gestorben ist … C.K.: Der Hasenopa sagt dem kleinen Hasen, damit er nicht mehr so traurig ist: Wenn du an mich denkst, bin ich bei dir. Lotte: Man kann ja auch einen Brief schreiben, aber da kriegt man keine Antwort … Karl: Zu meinem Opa gehen wir immer alle ans Grab. Mama, Papa und die Oma und meine Tante und wir ganzen Kinder …

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

Finn: Da ist ein Kreuz auf dem Grab und Blumen und so Lichter. Fenja: Wenn Geburtstag ist oder so, dann machen wir auch immer Kerzen an. Wir haben drei Kerzen … eine für mich, eine für meine kleine Schwester und eine für meine gestorbene Schwester … und dann denken wir an sie und dann, dann ist sie ja auch bei uns. 2.3.2 Beobachtungen zur Gesprächssequenz

Was sich schon in der vorangegangenen Sequenz zeigte, wird auch hier evident: So wie das Schlafen wird auch das Totsein als reversibler Zustand wahrgenommen – möglicherweise verknüpft mit der Hoffnung, dass Opa Hase doch nicht tot ist, sondern nur schläft, »weil er so müde ist«. Lottes Aussage spiegelt in ihrer Ambivalenz ein noch nicht konsistentes Todeskonzept. Der kleine Hase legt seine Pfote auf die Pfote des Großvaters, weil er ihn festhalten will. Zugleich bahnt sich das Wissen darüber an, dass der kleine Hase den sterbenden Opa nicht festhalten kann, auch wenn er es noch so sehr möchte. Zum Zeitpunkt eines sich wandelnden Todesverständnisses legt sich daher ein Ansatz für kindertheologische Gespräche nahe, in dessen Vordergrund der Umgang mit Verlust und Trauer stehen sollte. Denn das von Finn angesprochene Körper-Seele-Konzept reproduziert in erster Linie eschatologische Vorstellungen von Erwachsenen, die das Wissen über den Verfall des menschlichen Körpers mit der Hoffnung auf eine unsterbliche Seele im Himmel zu verbinden versuchen. Wenn Kindern diese Bilder, die zwangsläufig unreflektiert bleiben müssen helfen, den Tod zu verstehen oder gar besser zu ertragen, dann haben sie durchaus ihre Berechtigung.

Aber theologische Spekulationen darüber, was mit den Toten geschieht, sollten im Elementarbereich nicht forciert werden, da sie einen problematischen Leib-Seele-Dualismus propagieren und möglicherweise zudem an den für Kinder zentralen Fragen vorbeigehen. Wie es die Erfahrungen von Fenja zeigen, sollte es in Gesprächen mit Kindergartenkindern vorrangig um Rituale der Trauerbewältigung gehen, die den Kindern nicht nur Hilfestellung geben können, sondern auch ihnen schon bewusstmachen, dass die Verstorbenen nicht wiederkommen und ihr Ort nicht mehr die irdische Welt ist. Trauerrituale wie Friedhofsbesuche und Erinnerungsfeiern können schon für sehr junge Kinder zu Bewältigungsstrategien werden und ihnen helfen, Verstorbene loslassen zu können und ihnen zugleich Möglichkeiten eröffnen, verstorbenen Menschen einen Platz in ihrer Mitte einzuräumen. 3. Ergebnisse

Wie lassen sich nun die Beobachtungen aus den mit Kindern im Elementarbereich geführten Gespräche interpretieren? Zunächst ist festzuhalten, dass das Gespräch über den Tod Jesu auf der einen und die Sequenzen über den Tod des Opa Hase auf der anderen Seite nicht nur aufgrund ihrer inhaltlichen Ausrichtung sehr unterschiedlich verlaufen sind. Obwohl für alle Kommunikationssituationen galt, dass sie nicht durchgehend als Gespräch charakterisiert werden konnten, sondern streckenweise eher – durch die Redenanteile anderer unterbrochene – Monologe darstellten, war dies im Hinblick auf das Thema des Todes Jesu

Kalloch Theologisieren mit Kindergartenkindern zum Thema »Tod«?

besonders deutlich. Obgleich die Illustration aus dem biblischen Osterbuch ein konkretes Thema vorgab, nutzten es einige Kinder, um von Dingen zu erzählen, die ihnen zu Tod und Sterben einfielen bzw. die sie in diesem Zusammenhang beschäftigten. Die Einfälle der Kinder bezogen sich dabei sowohl auf Alltagssituationen als auch auf Bruchstücke aus den biblischen (Oster)Erzählungen. Besonders prägend waren für Simon die Geschehnisse aus einem Passionsfilm, die seine Gesprächsanteile beherrschten und die praktisch als Wiedergabe des Films gesehen werden mussten. Die Bilder des Films ließen ihn nicht los, so dass er alles um den Tod Jesu aus dieser filmischen Perspektive wiedergab. Für die anderen Kinder führte die Nennung des Begriffs Film dazu, von ihren Fernseherfahrungen zu berichten. Assoziativer Bezugspunkt war in diesem Moment das Stichwort »Film« und nicht mehr der Tod Jesu. Parallel dazu wurden zwar auch eigene Erfahrungen mit dem Thema Tod eingebracht (Opa Bernhard, die Katze der Nachbarn), die allerdings durch den dominierenden Aspekt »Fernsehen« immer wieder überlagert wurden. Die Erkenntnis, dass auf diesem Wege kindertheologische Gespräche nicht in befriedigender Weise zu führen sind, war ausschlaggebend dafür, in einem Gespräch über den Tod mit Kindern aus dem Elementarbereich bei lebensweltlichen Erfahrungen anzusetzen und das Bilderbuch mit der potentiellen Identifikationsfigur des kleinen Hasen zu wählen. Beide Gespräche – sowohl mit den Vier- als auch den Fünfjährigen – verliefen dementsprechend anders. Hier kreisten die Gesprächsbeiträge um das Thema »Tod« und die für die Kin-

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der in diesem Zusammenhang zentralen Dimensionen der Verlusterfahrung und des Trauerns. Rückblickend erwies sich das Gespräch über den Tod Jesu als Überforderung der Kinder. Zum einen, weil sie im freien, nur vorsichtig gelenkten Gespräch über ein Thema nicht geübt waren, zum anderen, weil die im Vorfeld gebotene biblische Thematik des Todes Jesu offensichtlich nicht in so elementarisierter Weise umgesetzt worden war, dass Kindergartenkinder überhaupt an dem Gespräch hätten partizipieren können. Entwicklungspsychologisch bedingt rezipieren Kinder dieser Altersstufe Geschichten, Filme und Bücher vorrangig auf der Ebene, das Vorgestellte als wahr und richtig im Sinne eines »so ist es passiert« hinzunehmen: »Im Film war es so, also stimmt es« oder auch »In der Andacht wurde das so gesagt, also ist es so gewesen«. Im Hinblick auf theologische Gespräche zum Tod Jesu müsste die Ausgangslage der konkreten Gesprächssituation präzise analysiert werden. Nach welchem didaktischen Konzept wurde die Ostergeschichte dargeboten? Welche Materialien wurden verwendet? Plakativ formuliert: Wie sieht die Theologie der Erzieherinnen aus, die ihre Theologie für Kinder bestimmt? Mit welchen Einflüssen (Filme, Bücher, Andachten) auf ein theologisches Gespräch ist darüber hinaus zu rechnen? Welche Theologie vermittelt der Jesusfilm? Kann es sich hierbei überhaupt um ein altersgerechtes theologisches Konzept handeln? Inwieweit sehen sich die gewählten Vermittlungsstrategien – ob medial oder liturgisch initiiert – überhaupt dem Elementarisierungsprinzip verpflichtet?

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

4. Konsequenzen im Umgang mit dem Thema »Tod und Trauer« im Elementarbereich

Auch wenn die geführten Gespräche mit Kindergartenkindern nicht als repräsentativ angesehen werden können, so lassen sich doch einige Schlussfolgerungen aus dem Beobachteten ziehen, die im Umgang mit dem Thema im Elementarbereich berücksichtigt werden sollten. 4.1 Das Setting von Gesprächen im Elementarbereich

Zunächst gilt es zu bedenken, dass Gespräche mit vier- bis fünfjährigen Kindern entwicklungsabhängig nicht als Unterrichtsgespräche, wie sie im Grundschul- Religionsunterricht stattfinden, durchgeführt werden können. Dazu mangelt es noch an ausreichendem Konzentrationsvermögen und der Fähigkeit, auf Fragen stärker sachbezogen und weniger assoziativ zu reagieren. Ein wesentlicher Beitrag zur Erlangung religiöser Sprach- und Reflexionsfähigkeit von Kindergartenkindern scheint eher darin zu sehen zu sein, Kinder zu einem Thema erzählen zu lassen und sie zu ermutigen, zunehmend auf die Aussagen anderer einzugehen, um so allmählich zu einem Gespräch über eine Sache zu gelangen. Gespräche brauchen in dieser Altersstufe notwendigerweise ergänzende handlungsorientierte Methoden zur Unterstützung. Bilderbücher, Lieder, (selbstgestaltete) Bodenbilder und Handpuppen können als konkrete Beispiele genannt werden. Gespräche sollten ritualisiert beendet werden, wenn diese für Kinder ermüdend und überfordernd

werden. Dass ein greifbares Ergebnis erlangt und verbalisiert wird – also ein feststellbarer Lernzuwachs ermittelt werden kann, – ist für den Elementarbereich nicht zu erwarten und letztlich auch nicht intendiert. Gespräche verfolgen an diesem Lernort eine andere Absicht. Kinder sollen angeregt werden, über lebensweltlich relevante Themen nachzudenken, sie verbal auch zum Ausdruck zu bringen und ansatzweise mit anderen darüber ins Gespräch zu kommen. Zu reflektieren wäre zudem die Rolle der Gesprächsleiterin/Erzieherin im Kontext der Elementarbildung. Sieht sie sich als Religionspädagogin, die Kindern einen Zugang zum christlichen Glauben eröffnen will und dabei ein elementartheologisches Curriculum als Richtschnur zu Grunde legt? Oder versteht sie sich eher als Moderatorin, die Gesprächsanlässe zu religiösen Themen im Kontext des Paradigmas der Religionssensibilität aufgreift? 4.2 Inhaltliche Schwerpunktsetzungen

Das noch im Übergang begriffene Todeskonzept von Vier- bis Sechsjährigen erfordert Schwerpunktsetzungen im Hinblick auf das Thema »Tod«, die den individuellen lebensweltlichen Bezug von Kindern dieser Altersstufe berücksichtigen. Gespräche zu Tod, Sterben und Trauer erscheinen nur gerechtfertigt, wenn sie für Kinder hilfreich und nicht belastend sind. Als förderlich könnten sie sich im gebotenen Zusammenhang erweisen, wenn sie auf Fragen von Kindern eingehen und ihnen die Möglichkeit eröffnen, über das zu sprechen, was sie beschäftigt und bewegt. Unter

Kalloch Theologisieren mit Kindergartenkindern zum Thema »Tod«?

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Berücksichtigung dieser Intention sollten Gespräche gelenkt werden. Wie die dokumentierten Mitschnitte zeigen, sind traurig sein, Abschied nehmen, sich erinnern, an jemanden denken, trösten und getröstet werden elementare Anknüpfungspunkte, zu denen Kinder ihre Vorstellungen und Gedanken entwickeln können. Entscheidend ist es für Kinder dabei, von Erfahrungen und Handlungsmöglichkeiten berichten und Rituale in ihrem unterstützenden Charakter als Bewältigungsstrategie entdecken zu können.

sche Vorstellungen zu führen, kann aber nicht das vorrangige Ziel der Begegnung mit dem Thema Tod im Elementarbereich sein. Hier bedürfte es noch der Durchführung, Dokumentation und Auswertung weiterer Gespräche unter der Fragestellung, ob Kinder in diesem Alter theologische Gespräche im eigentlichen Sinn führen können. Notwendige Grundlage dafür wird wohl zunächst ein Kennenlernen der biblischen Botschaft und ein eher affirmativer Umgang mit ihr sein.

4.3 Kognitive Hürden

5. Theologisieren mit Kindergartenkindern zum Thema »Tod«?

Die Ergebnisse der durchgeführten Gespräche legen zudem die vorsichtige Einschätzung nahe, dass mit Kindern über Tod, Sterben und Trauer im Kindergarten zu sprechen nicht bedeutet, unbedingt den Tod Jesu als Anlass für theologische Gespräche zu wählen. Wie sich gezeigt hat, ist das Thema »Tod« für manche Kinder im Elementarbereich bereits eine existentielle Frage, die sie beschäftigt und nach Antworten suchen lässt. Das Thema hat somit seinen Platz im lebensweltlichen Kontext von Kindern und darf nicht ausgeklammert werden. Der Tod Jesu allerdings setzt dagegen gerade nicht an menschlichen Grunderfahrungen an, sondern sprengt deren Rahmen. Die Evangelien verkünden Tod und Auferstehung Jesu als frohe Botschaft und erzählen daher hoffnungsvolle Gegengeschichten zu Alltagserfahrungen. Als solche werden sie ganz selbstverständlich als Hoffnungsbilder in Andachten und in der Katechese ihren Platz haben. Theologische Gespräche über derartig spezielle eschatologi-

Nimmt man an den Hauptkriterien der Kindertheologie, wie denen der themenbezogenen Formulierung von Gedanken und Vorstellungen, deren Begründung und Infragestellung und auch der Bezugnahme auf die Äußerungen anderer Maß, wird man mit Blick auf den Elementarbereich von ihm nicht uneingeschränkt als einem Ort der Kindertheologie sprechen können. Dass sich ein Theologisieren über komplexe Bibeltexte wie die über Passion, Tod und Auferstehung Jesu als schwierig erweisen könnte, hat sich zumindest angedeutet. Anders sieht es in der Auseinandersetzung über das Thema »Tod« im Nahbereich der Kinder aus. Hier war nicht nur eine stärkere Bezugnahme untereinander erkennbar, hier entwickelten die Vier- bis Fünfjährigen nicht nur zunehmend ein realistisches Todeskonzept, sie waren bei diesem Thema auch deutlicher in der Lage, ihr Wissen und ihren Zugang zu Sterben und Tod zu beschreiben und ansatzweise zu reflektieren. Besonders die Phänomene

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

des Erinnerns und Trauerns forderten die Kinder zu Deutungen heraus und zeugten von dem Wunsch, über dieses für sie wichtige Thema sprechen zu können. Hier wäre bezüglich der Todesthematik beim Theologisieren mit Kindern anzusetzen. Inwieweit sich dabei eine Theologie von Kindern entdecken ließe, müsste differenzierter untersucht

werden. Deutlich machen die Gespräche mit den Kindern zum Tod Jesu jedoch, dass es im Elementarbereich vorrangig um die ständige Verknüpfung einer Theologie für Kinder mit der einer mit Kindern gehen sollte. Je nach thematischer Schwerpunktsetzung kann hieraus möglicherweise erst eine Theologie von Kindern erwachsen.

Schreiner Dankbarkeit aus kindertheologischer Sicht

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Martin Schreiner Dankbarkeit aus kindertheologischer Sicht

Der Pfarrer und Schriftsteller Christian Lehnert erinnert sich, wie er das erste Mal gebetet hat: »Mein erstes Gebet war vermutlich, dass ich als Kind in der DDR von einer Tafel Schokolade, die in meinem Geschenkpaket aus dem Westen eingepackt war, ein Stück abgebrochen und auf die Fensterbank gelegt habe. Eine Art Opfer. Da stand keine Gottesvorstellung dahinter, denn ich bin zwar getauft, aber ohne jegliches religiöses Wissen aufgewachsen. Es war einfach das überwältigende Gefühl von Dankbarkeit: dass ich da bin, dass ich dieses schöne Päckchen bekommen habe … Dieses Glück musste man jemandem verdanken. Deswegen wollte ich davon ein Stück abgeben.«1

Dieses »Schokoladengebet« ist m.W. eines der wenigen konkreten Beispiele aus der Sicht von Kindern für die Anerkenntnis des Verwiesenseins von uns Menschen auf Gott, für das überwältigende Gefühl von Dankbarkeit aus Freude am Dasein, für das Dasein aus unverfügbarem Grunde. Es erinnert an die erste Strophe des Liedes »Täglich zu singen« des »Wandsbecker Boten« Matthias Claudius aus dem Jahre 1777: »Ich danke Gott und freue mich Wie’s Kind zur Weihnachtsgabe, Dass ich bin, bin! Und dass ich dich, Schön menschlich Antlitz! habe.«2

Dankbarkeit aus kindertheologischer Perspektive: Haben Kinder ein Konzept dessen, was Dank ist und wenn ja, ab wann sind sie in der Lage, ihn auf unterschiedliche Weise auszudrücken – und mit Gott in Verbindung zu bringen? So lautet die leitende Fragestellung. Eine erste Station auf der Spurensuche stellen die Ergebnisse einiger Gruppeninterviews mit Vorschulkindern zum Thema »Erntedank« dar, die Herrad Anacker 2004 im dritten Jahrbuch für Kindertheologie veröffentlicht hat unter dem Titel »Wenn man lieb sein kann, kann man Gott was Gutes tun.«3 Insgesamt wurden 18 Kinder im Alter von 3–6 Jahren in Kleingruppen befragt. Die Interviewerin stellte zu Beginn eine Handpuppe vor, »einen etwas ängstlichen und naiven Raben, der den Kindern ein Bild zeigte, das er nicht verstand. Das Bild zeigt einen landwirtschaftlichen Betrieb zur Erntezeit, und der Rabe bat die Kinder ihm das Bild zu erklären. Sie sollten 1 Christian Lehnert: in: Publik-Forum Dossier »Warum ich (nicht) bete«, Oberursel, Dezember 2016, zitiert aus: Kalender »Der andere Advent 2017/18«, Hamburg. 2 Vgl. Jost Perfahl: Matthias Claudius. Sämtliche Werke, München 1976, 149–150, hier: 149. 3 Herrad Anacker, »Wenn man lieb sein kann, kann man Gott was Gutes tun.« Ergebnisse einiger Gruppeninterviews mit Vorschulkindern zum Thema »Erntedank«, in: JaBuKi 3 »Zeit ist immer da«. Kinder erleben HochZeiten und Fest-Tage, Stuttgart 2004, 95–107.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

das Bild beschreiben und die Herkunft der Ernte erklären. Weiter wurde nach der Entstehung von Bäumen, Regen, Wolken, Sonne und Naturphänomenen und danach, welche Rolle Gott dabei spielt, gefragt. Sofern er eine Rolle spielte, wurde gefragt, warum er das mache und ob man ihm dafür danken solle – und wenn ja, wie man das machen könne.«4 Zwei Aspekte konnte Anacker herausarbeiten: 1. Die Kinder hatten erst auf detailliertes Nachfragen Gott in Bezug zur Schöpfung gebracht. Gott scheint für die Kinder in seiner Schöpfung wenig präsent zu sein. 2. Kinder haben folgende Vorstellungen davon, wie man Gott für seine guten Gaben danken könnte. Zum einen durch ein Gespräch mit Gott im Sinne eines Gebets: »Man kann auch ein Gebet sprechen am Abend, wenn man ins Bett geht«, und sich bedanken, »dass der die Sonne scheinen lässt. Und dass wir auch so schön Geburtstag feiern konnten«, meint beispielsweise der vierjährige Marvin.5 Zum anderen könne man für Gott etwas tun im Sinne von Danken als Erwiderung von Guttaten: »Ich muss essen, lieb sein und machen, was meine Mama sagt, und hören und nicht böse sein … Und wenn meine Mama sagt ›zieh dich an‹, dann zieh ich mich an«, sagt etwa Marco. Und Lisa meint: »Wenn man lieb sein kann, kann man Gott was Gutes tun.« Anacker hält fest: »Dank gegen Gott wird zur guten Tat gegen den Nächsten mit den Möglichkeiten, die Vorschulkindern zur Verfügung stehen.«6 Als Fazit ihrer kleinen Studie markiert sie: »Von den Aussagen der Kinder können wir lernen, dass sich Dankbarkeit zum einen in Gebet und Lied, zum anderen aber in Taten, besonders in der Hinwendung zum Nächsten äußert.«7

Zweite Station: In einer eigenen Untersuchung in einem Kindergarten 2018 habe ich folgenden Zugang zum Dankbarkeitsverständnis von Kindern gewählt. Ich habe zunächst in zwei Kleingruppen mit sechs Kindern zweimal hintereinander den zweiminütigen Zeichentrickfilm »Fast ein Gebet« nach dem gleichnamigen Gedicht von Reiner Kunze gezeigt. Das Gedicht lautet wie folgt: Fast ein Gebet Wir haben ein Dach und Brot im Fach und Wasser im Haus da hält man’s aus. Und wir haben es warm und haben ein Bett. O Gott, dass doch jeder das alles hätt’! Reiner Kunze

Ich habe lange nach einer geeigneten »Brücke« gesucht, um mitten im Kindergartenalltag Zugänge zum Dankbarkeitsverständnis von Kindern legen zu können. Leider muss ich einräumen, dass mein methodisches Design nicht die erhofften Ergebnisse gezeitigt hat. In den anschließenden Gesprächen im Sitzkreis über den Inhalt des gezeigten Kurzfilmes stellte sich heraus, dass die Kinder sich kaum einige Minuten lang konzentrieren konnten. Zwar konnten sie mehr oder minder die genannten Dinge (Dach, Brot, Wasser, Haus und Bett) aufzählen, aber erst auf explizites Nach4 5 6 7

Ebd. 99. Ebd. 104. Ebd. 105. Ebd. 107.

Schreiner Dankbarkeit aus kindertheologischer Sicht

fragen und Nennen des entscheidenden Satzes »O Gott, dass doch jeder das alles hätt!« tauchte am Horizont die theologische Dimension und erst auf explizites Fragen, wofür die Kinder danken, das Thema Dankbarkeit auf. Sequenz 1: Interviewer: Für was dankt ihr denn so? Junge 1: Dass es Gott gibt. … Weil sonst hätten wir kein Wasser. Junge 2: Dass es Essen gibt. Junge 1: Dass es Lina gibt. Mädchen 1: Dass wir wirklich auf der Welt sind. Junge 1: Und nicht, dass wir tot sind. Junge 2: Oder es ist alles nur ein Traum. Wenn alles nur ein Traum wäre, leben wir gar nicht in der richtigen … wenn wir gar nicht auf dieser Welt wären … Mädchen 1: Dann wäre es nur ein Traum. Interviewer: Und was meint ihr? Ist es nur ein Traum? Kinder: Nein! Mädchen 2: Schläfst du gerade? Also ist es kein Traum. Junge 1: Das weiß man nie, ob es ein Traum ist oder nicht. Weil manchmal schreit man auch in den Traum hinein und schreit da richtig laut. Sequenz 2: Interviewer: Wann dankt ihr denn? Junge 2: Ähm … wenn wir was kriegen. (…) Zum Beispiel Spielzeug. Mädchen 3: Wenn man was teilt. Sequenz 3: Interviewer: Und sie danken für das und sagen »O Gott, wenn das doch jeder hätt.« Wie ist es denn bei euch? Dankt ihr auch manchmal? Wann dankt ihr denn? Wann sagt ihr »Danke«? Mädchen 4: Ähm … wenn jemand uns, wenn wir lieb sind, wenn man irgendwas ganz gut gemacht hat, wenn man Süßigkeiten kriegt. … Und für Geschenke.

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Mädchen 5: Wenn man zum Geburtstag ein Geschenk bekommt, was man eigentlich immer wollte, zum Beispiel CDs, das hat man nicht immer und dann sagt man »Danke«. Mädchen 6: Ich sage danke, wenn ich Mama zum Beispiel morgen ein Geschenk schenke, wenn ich die Blumen behalten hab, dann kriege ich eine Belohnung und dann sage ich auch danke. (…) Mädchen 4: Ich weiß noch was. Ich sag »Danke«, wenn ich nach dem Schwimmen ein Eis kriege. Sequenz 4: Interviewer: Also ich fand es ja interessant, was Mädchen 7 gesagt hat. Sie hat gesagt, sie betet abends mit ihren Eltern. (…) Mädchen 5: Also ich mach das immer so: Ich falte meine Hände und nehme den Gebetswürfel, dann liest Mama das vor und ich mache das nach. Und das Gebet heißt: »Lieber Gott, ich danke dir Gott, dass ich alles von uns habe.« Interviewer: Für was kann man Gott denn noch danken? Mädchen 4: Dass Gott uns Essen gibt. Mädchen 6: Man kann Gott danken, dass wir neue Freunde machen. Mädchen 5: Ähm, ich danke Gott, dass ich in den Kindergarten gehen kann und in die Schule und dass ich ganz viele Leute, Freunde habe.

Die angeführten Gesprächssequenzen scheinen zu bestätigen, dass Kindergartenkinder das im oben zitierten »Schokoladengebet« angesprochene Dankbarkeitsgefühl bzw. das Gefühl des Sich-verdankt-Wissens noch nicht oder nur sehr rudimentär ausdrücken können. Am ehesten vermag es das Mädchen 5 zu artikulieren: »Ich danke Gott, dass ich in den Kindergarten gehen kann und in die Schule und dass ich ganz viele Leute, Freunde habe.«

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

Dritte Station: Im Rahmen eines Praxisprojektes zum Thema Dankbarkeit entstanden folgende Ergebnisse aus Gruppeninterviews zum Inhalt der Kurzgeschichte »Das Geheimnis der Dankbarkeit« und zu Ps 118,28+29 mit sechs Grundschülerinnen und -schülern aus den Jahrgängen 1 bis 3.8 Den Beginn der Interviews stellte das Vorlesen des Textes »Das Geheimnis der Dankbarkeit« dar: »Eine weise, alte Frau lebt zufrieden in ihrer kleinen Hütte. Eines Tages kommen die Kinder des Dorfes zu ihr. Schüchtern stehen sie am Gartenzaun. Die Frau, die das auf-geregte Wispern natürlich längst wahrgenommen hat, wartet geduldig, bis sich eines der Kinder traut, sie anzusprechen. ›Die Leute im Dorf sagen, dass du reich bist,‹ sagt das Kind. ›Warum lebst du dann in dieser kleinen Hütte und nicht in einem großen Schloss?‹ Nachdenklich blickt die alte Frau die Kinder an. ›Sagen die Leute das? Nun, sie meinen damit nicht, dass ich viel Geld habe. Ich habe viel Freude am Leben – und deshalb bin ich reich.‹ Nicht viel Geld und trotzdem reich? Wie war das zu verstehen? Die Kinder schauen erstaunt. ›Soll ich euch mein Geheimnis verraten?‹ fragt die Frau. Erwartungsvolles Nicken bei den Kindern. Natürlich wollen sie das Geheimnis wissen! Die Frau greift in die linke Tasche ihrer Weste und holt eine Handvoll Bohnen heraus. ›Das ist das Geheimnis meines Glücks und meines Reichtums: Jeden Tag, wenn ich aufstehe, stecke ich eine Handvoll Bohnen ein – in die linke Tasche. Und jedes Mal, wenn mir etwas gut gefällt und es mein Herz be-

rührt, nehme ich eine Bohne und lege sie in meine rechte Tasche. Zum Beispiel, wenn ich mich darüber freue, wie prächtig die Rosen in meinem Garten blühen – eine Bohne in die rechte Tasche. Wenn ein Vogel singt – eine Bohne. Wenn ein Mensch mich freundlich grüßt oder wenn die Sonne meine Haut wärmt – wieder eine Bohne. Am Abend nehme ich all die Bohnen dieses Tages aus meiner rechten Tasche. Ich erinnere mich daran, wie viel Gutes und Schönes ich an diesem Tag erlebt habe und sage (Gott) Danke dafür. Die Dankbarkeit macht mich reich! … Wartet einen Moment! Ich hole etwas für euch …‹ Still und staunend schauen die Kinder der alten Frau nach, die im Haus verschwindet. Die Dankbarkeit macht sie reich?! Mit einem Körbchen voller Bohnen taucht da die Frau schon wieder in der Haustür auf. Jedem Kind hält sie das Körbchen hin und jeder steckt eine Handvoll Bohnen in seine linke Hosentasche. Und was tut die Frau, als die Kinder kurze Zeit später fröhlich abmarschieren? Sie nimmt nicht nur eine Bohne sondern sogar zwei aus der linken Tasche und legt sie in die rechte.«9 Nach dem Lesen des Textes erfolgte eine Phase, in der die Interviewten sich frei zu dem Text äußern konnten. Es erfolgte dann der Einstieg in das eigentliche Leitfadeninterview. In der ersten Frage ging

8 Vgl. Projektbandbericht von Felix Prokop, Universität Hildesheim 2018. 9 Das Geheimnis der Dankbarkeit. Verfasser unbekannt, in: MiniFundus. Zeitschrift für Ministrantengruppenleiter/innen, Januar 2013, Themenheft »Ich danke dir«, Erzdiözese Wien, 5.

Schreiner Dankbarkeit aus kindertheologischer Sicht

es um eine allgemeine Definition des Begriffs Dankbarkeit aus der Perspektive der Interviewten. Dementsprechend lautete die erste Frage: »Was ist Dankbarkeit für dich/euch?«. Im nächsten Punkt wurde nach einer näheren Beschreibung gesucht, indem gefragt wurde, inwieweit Dankbarkeit ein Gefühl darstellt und wie sich dies für die Interviewten persönlich anfühlt. Hier spielen die Erfahrungen der Interviewten eine ganz besondere Rolle. Nach dem Einstiegsimpuls sowie den anschließenden eher allgemeinen Fragen folgte der zweite Impuls durch das Vorlesen der Psalmverse 118,28+29 (»Du bist mein Gott, und ich danke dir; mein Gott ich will dich preisen. Danket dem Herrn, denn er ist freundlich, und seine Güte währet ewiglich.«), danach erneut eine Phase, in der die Schülerinnen und Schüler sich spontan zu dem gehörten Text äußern konnten, bevor die nächste Leitfrage erfolgte. In der nächsten Leitfrage ging es um das Verhältnis zwischen Gott und Dankbarkeit, indem danach gefragt wurde, wofür man Gott dankbar sein kann. Die abschließende Frage innerhalb des Interviews war von dem Verhältnis zwischen Dankbarkeit und Jesus bestimmt. Die Schülerinnen und Schüler haben alle bereits Geschichten über Jesus im Religionsunterricht behandelt und konnten sich daher zu dieser Frage äußern und sich dazu positionieren. Im letzten Teil der Interviews schilderten die Schülerinnen und Schüler abschließend ihre persönlichen Erfahrungen mit Dank gegenüber Gott. Zwei eindrucksvolle Beispiele: Kind 1: »Naja ehrlich gesagt kann ich Gott danken, dass ich überhaupt da bin. Weil Mama hatte ja einmal nen schweren Un-

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fall. Eigentlich wäre sie beinah gestorben. Da isse mitm Kopf aufs Lenkrad geknallt, das war nen Käfer, der hatte keinen Airbag.« Interviewer: »Autsch. Dann bist ja auch sowas wie ein Geschenk – irgendwie …« Kind 1: »Ja!« Kind 2: »Eigentlich sind wir alle Geschenke.« Kind 1: »Eigentlich kann ich Gott danken, dass er auf Mama aufgepasst hat, weil sonst wäre ich ja gar nicht am Leben, wenn se da gestorben wäre.« Kind 3: »Ja, also ich war schon mal dankbar, weil mein Opa im Krankenhaus lag und der hatte Herzinfarkt und das war ja schon schlimm und der is dann noch raus gekommen.« Kind 4: »Als ich nen Schlüsselbeinbruch hatte, da hatt er mir geholfen. … Zuerst ham die das nich bemerkt, dann haben dies bemerkt, weil ich nich mehr getrunken hab. Ich glaub, da hat Gott das ja den Menschen gesagt, dass ich das hatte. Das kann ja sein. Was is überhaupt das Schlüsselbein?«

Die Auswertung mittels der qualitativen Inhaltsanalyse nach Philipp Mayring erbrachte vier theologische Kategorien, die in beiden Interviewgruppen eine mehr oder weniger stark ausgeprägte Rolle spielten. 1. Schöpfung. Das Wort Schöpfung kommt in den Interviewtranskripten zwar nicht vor, dennoch haben die Interviewten Begriffe genutzt, die eng mit Elementen des Schöpfungsbegriffs verbunden sind. So könne man Gott beispielsweise dankbar sein für »das Leben« und »dass er überhaupt uns auf die Welt gebracht hat, also er hat ja alles zum Leben gebracht.« In beiden Interviewgruppen gaben die Interviewten zudem an, dass man auch für die Natur dankbar sein könne: »Man kann dankbar sein … ja … für ganz viele Bäu-

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me«. »Gott hat auch so viele Sachen außer uns gemacht, zum Beispiel die Bäume oder so.« »Die Atmosphäre«. »Dass die Sonne erschaffen wurde.« 2. Die Beziehung zwischen Mensch und Gott. Die Grundschulkinder gaben an mehreren Stellen innerhalb der Interviews an, dass sie Gott dafür dankbar sind bzw. dankbar dafür sein können, dass Gott sie beschützt und begleitet. Auch der Kontakt zu Gott, mittels eines Gebets, wurde in einer der beiden Interviewgruppen genannt: »[…] der [Gott] passt aber eigentlich über uns auf, […], dass er über uns wacht, Tag und Nacht.« Und ein anderes Kind sagt: »Wenn Gott einen beschützt, dann kann man dankbar sein oder wenn jemand fast hinfällt oder so.« Diese beiden Zitate zeigen, dass Gott als ein den Menschen begleitender und beschützender Gott wahrgenommen wird. Zudem scheint die Vorstellung eines personalen Gottes vorzuliegen. Auf die Frage, welche Möglichkeiten der Mensch hat, um Gott zu danken, sagt ein Kind knapp: »Beten, beten.« Gott wird von den Interviewten als Beschützer, Begleiter und Ansprechpartner angesehen. Auch in der Person Jesu wird die enge Verbindung zwischen Gott und den Menschen gesehen. Ein Kind erkennt in Jesus eine Person, die zwar Mensch war, aber dennoch eine enge Verbindung zu Gott hatte: »Jesus ist so wie ’n Nachgänger von Gott, weil der ja auch Gutes tut wie Gott.« 3. Glaube. Ein Kind sagt, wenn man« […] einfach an Gott überhaupt glauben« würde, dann wäre das bereits eine Art von Dankbarkeit Gott gegenüber: »Weil manche glauben ja auch gar nicht an Gott, sondern dass das irgendein Scherz ist. Das kann zwar sein, aber ich glaube nicht. Das weiß man ja nicht.« 4. Glück und Zufriedenheit. Innerhalb der Interviews wurde die Kategorie

im Zusammenhang mit den beiden vorgelesenen Texten genannt. Die Interviewten gaben nach dem jeweiligen Hören der Texte stets an, dass Dankbarkeit auch mit einem Gefühl des Glücks einhergeht. Im Anschluss an das Lesen des Psalms stellten zwei Kinder gemeinsam fest: »Da hat sich irgendein Mensch bedankt bei Gott, der vielleicht …« … »wegen seinem Glück.« Die Interviewten beziehen also den Dank, der in dem Psalm ausgesprochen wird, auf das Glück, das jemand hat und wofür er Gott danken kann. Eine weitere Äußerung, die auf Glück als relevante Kategorie hinweist, ist die Frage, wie Dankbarkeit sich eigentlich anfühlt bzw. ob es sich dabei um eine Art Gefühl handelt. Ein Kind gab an, dass ein Dankbarkeit empfindender Mensch »[…] dann ja auch einfach nur glücklich […]« sei. Fazit

Bernhard Dressler ist zuzustimmen, wenn er festhält: »Es ist klar, dass niemand sich zu Selbstzuständen wie Dankbarkeit entschließen kann. Sie stellen sich ein. Umso weniger lassen sie sich didaktisch erzeugen. Eine kluge und sensible Pädagogik kann aber immerhin die Möglichkeitsbedingungen dafür verbessern, Gründe der Dankbarkeit für das eigene geschöpfliche Sein zu entdecken.«10 Die Früchte einer solchen klugen und sensiblen Pädagogik aufzuspüren ist nicht ganz leicht. Gleichwohl lohnt sie sich, um die Freude am Dasein zu erhalten, zu gestalten und zu einem Ausdruck zu bringen. 10 Bernhard Dressler, Verdanktes Leben. Dankbarkeit und Religion, in: Grundschule Religion 32/2010, 4–6, hier 6.

Walter Jesusgeschichten mit Kindern auslegen

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Ulrich Walter Wer ist denn dieser Jesus? Mit dem Friedenskreuz auf Entdeckungsreise. Jesusgeschichten mit Kindern auslegen 1. Das Friedenskreuz – ein religionspädagogisches Angebot zwischen »implizit und explizit«

Das Friedenskreuz mit seinen sieben Elementen entstand vor mehr als zehn Jahren als Angebot für den Elementar- und Primarbereich.

Es verbindet Zeichen, die an die Lebenswelt von Kindern anknüpfen, mit biblischen Geschichten, in denen sie in ihrer symbolischen Dimension aufgenommen sind. Am Anfang der Arbeit mit dem Friedenskreuz lernen die Kinder die einzelnen Zeichen des Friedenskreuzes kennen und suchen gemeinsam nach Zugängen in ihrem Alltag. Hier kommt es zu Entdeckungen auf der Sachebene (z.B. Haus – Zugänge über das Budenbauen usw.). Bei genau-

em Betrachten spüren sie schon bald eine tiefere Dimension auf. Die Zeichen lassen sich mit ihren Fragen verbinden, z.B. nach dem, was Menschen zum Leben brauchen: Bei den Elementen Wasser und Brot denken wir an die Grundbedürfnisse aller Menschenkinder: Nahrung, Kleidung, ein sicheres Zuhause usw. Das Haus mit der Taube weist dann auf eine weitere Ebene. Menschen brauchen ein verlässliches Zuhause, wo sie geborgen und sicher leben können und wo Liebe und Wärme zu spüren sind. Der Stern verweist auf den Forscherdrang des Menschen oder kann daran erinnern, dass Menschen Mut und Hoffnung brauchen, um die Welt Gottes zu gestalten. Die Krone regt zu Gedanken über die Themen Gerechtigkeit und Zusammenleben an: Wenn ich mal etwas zu sagen hätte, dann … Die Auswahl der Zeichen war dabei auch bestimmt von der Entdeckung, dass diese Zeichen sowohl auf der Sach- als auch auf der Symbolebene in den biblischen Texten präsent sind. Das »frische Wasser«, das der Seele gut tut, das Haus, das zum Bild für eine ganzheitliche Geborgenheit in Gott wird (Ps 23,1.6). Das Brot, das sättigt an Leib und Seele … Und in der Jesusüberlieferung werden diese Zeichen dann, übrigens kongruent zur ersten Hälfte des Kirchenjahres,

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Pädagogische Berichte und Anregungen

Schritt für Schritt entwickelt, beginnend mit der Krone, die für die Ankündigung der Geburt des Christus in Bethlehem steht, und dem Stern, dem die Weisen folgen. Aus ihnen wächst dann nach und nach das Friedenskreuz zusammen. Von daher eröffnet das Friedenskreuz vielfältige religionspädagogische Zugänge. Es ist: – Lebensweltorientiert in den Zeichen – Ganzheitlich – denn es lädt zum Sehen, Hören, zum Anfassen und selber Gestalten ein, zur Gestaltung von Ritualen und Gottesdiensten mit Liedern und Geschichten … – Nachhaltig – denn im Wiederentdecken von Bildern erschließen sich Zusammenhänge; z.B. begegnet das Symbol des Hauses mit der Taube in der Begegnung Jesus – Zachäus (Lk 19.10 »Heute ist diesem Haus Heil widerfahren.«) und wird wieder aufgenommen im Gleichnis vom Vater und seinen Söhnen, wo der Sohn im Moment des Scheiterns an das Haus des Vaters denkt, mit Brot in Fülle für alle, die dort leben und arbeiten. – Elementartheologisch – in der Beschäftigung mit der alten und bleibenden, immer neuen Frage: »Wer ist denn dieser Jesus?« werden Erkenntnisse und Entdeckungen angebahnt. Von Ostern mit dem Bild des Friedenskreuzes in allen seinen Zeichen her erschließen sich die Geschichten dessen, der in den Evangelien von Anfang an als der »Sohn Gottes« verkündigt wird (Krone, Stern und Taube), und von dessen Wirken gleichzeitig so menschlich und elementar (Wasser und Brot) erzählt wird.

2. Das Friedenskreuz als Medium religiöser Bildung im Zusammenhang der Bildungsbereiche in Kindertagesstätten

Die Bildungsgrundsätze der Länder verstehen die Kinder als Subjekte und Ko-Konstrukteure ihrer Welt und ihres Glaubens. Grundlegend für ein Gelingen früher Bildung wird darüber hinaus immer wieder postuliert: Es bedarf einer angemessenen Befriedigung der Grundbedürfnisse, einer angemessenen Gestaltung von Zeit und Raum z.B. durch wiederkehrende Rituale; und es bedarf der sicheren Bindung, damit Entdeckergeist zum Tragen kommen kann. Dabei spielt die Beziehung zwischen den Akteuren eine große Rolle. Auf diese Weise werden die »EntdeckerKräfte« stimuliert, die den Kindern innewohnenden Zugänge zur Spiritualität werden entdeckt und bekommen Raum und Zeit zur Entfaltung, im Sinne eines Gesättigt-Werdens an Leib und Seele mit Kopf, Herz und Hand. Das Entdecken der Welt wirft Fragen auf, die aufgenommen werden. Die »großen Fragen« der Kinder haben einen Ort, an dem gemeinsam nach Antworten gesucht wird, denn wer fragt, weiß schon ganz viel! Und diese Suchbewegung verbindet sich mit dem, was Kindern von Geburt her mitgegeben ist: Ihre Kompetenz, sich als Wesen mit Spiritualität zu begreifen, wie dies ist in der Religionspädagogik Großbritanniens durch Rebecca Nye, David Hay und andere seit langem erforscht ist. In solchem Entdecken, Aufspüren und Weiterführen haben in der religi-

Walter Jesusgeschichten mit Kindern auslegen

ösen Bildung insbesondere in konfessionellen Kindertagesstätten und im Religionsunterricht der Primarstufe auch Jesusgeschichten ihren Ort. 3. Das Friedenskreuz als anregendes Element zum Theologisieren mit Kindern im Elementarbereich

Als ein Theologisieren der Kinder: Die religionspädagogische Arbeit mit dem Friedenskreuz öffnet immer wieder neu den Blick für die Kinder und ihre Herangehensweisen an die Fragen ihres Lebens. Die nachhaltigen und sich wiederholenden Bilder ermöglichen Raum und Impulse zum Entdecken. Im miteinander »Auslegen im doppelten Sinn« kommen religiöse Gedanken und Gefühle zur Sprache, und die Kinder reflektieren die in ihren Gedanken und Gefühlen auftauchenden Wahrnehmungen und Erfahrungen. Als ein Theologisieren mit den Kindern, die im Entdecken, Aufspüren und Weiterführen als autonome, selbst- und mitgestaltende Lernende aktiv beteiligt sind. Dies geschieht heute (qua Konzept bzw. der Leitlinien des Qualitätsmanagements) in allen Dimensionen der frühen Bildung in der Kita, aber ist auch gerade in der Kommunikation mit ihnen im Alltag präsent und bietet Anlässe zum Aufhorchen (im wahrsten Sinne des Wortes) und zum miteinander Entdecken und miteinander den tieferen Sinn aufspüren: Mit den wunderbaren Geschichten, die uns von Jesus überliefert sind, geht die Entdeckungsreise in wachsenden Ringen weiter. (Für manche ist auch das Bild des Spiralcurriculums hilfreich).

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Manchmal ist die Frage nach dem Sinn des Lebens scheinbar verborgen und bedarf der außergewöhnlichen Handlungen: Zachäus dringendes Verlangen und Suchen, diesen Jesus von Nazareth kennenzulernen, wird dann bei Lukas übrigens mit demselben Wortstamm versprachlicht, wie das Menschensohnwort Jesu am Ende der Perikope vom Suchen und Finden des Verlorenen (Lk 19,1–10: ἐζήτει – ζητῆσαι). Solche Erkenntnisprozesse erwachsen aus dem Zusammenspiel von Erzählen, Nachfragen und Auslegen! Woher wusste Jesus, dass der Mann im Baum Zachäus heißt? Ein anderes Beispiel: Was bedeutet eigentlich Sehen? Über das Philosophieren und Theologisieren zu dieser Frage werden Erkenntnisse der Kinder geweckt, dass es auch das gibt: Ein Sehen mit geschlossenen Augen in Träumen und in der Phantasie, aber auch das Nichtsehen, obwohl es nicht an der Sehkraft liegt … Solche »Vorübungen« verhelfen dann zu einer vertieften Weise der Begegnung mit der Geschichte, die Markus von Bartimäus und Jesus erzählt (Mk 10,46–52). Theologisieren für Kinder: Die Arbeit mit dem Friedenskreuz eröffnet Raum für den Hinweis auf größere Zusammenhänge – und hilft bei der Korrektur »wirkungsgeschichtlicher Fehlleistungen«. Die elementare Arbeit mit der gehörten Jesusgeschichte und die Aneignung des Gehörten mit den Zeichen des Friedenskreuzes führt in vielen Seminaren mit Erzieher/innen »nebenbei« zum Ablösen der wirkungsgeschichtlichen Patina über vielen der bekannten Jesusüberlieferungen, weil solches Aus-Legen auf das Wesentliche aufmerksam macht und

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Pädagogische Berichte und Anregungen

damit mancher bürgerlichen und moralischen Einengung einer langen Kinderbibeltradition in Bild und Text wehrt. So wird das in vielen Illustrationen und Kinderbibeln erzählte Geschick des jüngeren Sohns in der Fremde (Lk 15,11–32) als nachträglich eingetragene Realität der Phantasie des älteren Bruders nach der Heimkehr seines Bruders entlarvt. Auf diese Weise werden in guter Weise Entdeckungen am Text eröffnet: Es geht hier zum einen um Bindung und Weltentdecken und in diesem Zusammenhang um die Frage nach Scheitern – Einsicht – und Eröffnung einer neuen Beziehung und eines Neuanfangs. Und es geht zum anderen um das Ganze, und das schon in der Kita. Kinder stellen fest, nachdem sie mit dem Material ihr eigenes Bild zur Geschichte gelegt haben: Der Papa von den beiden geht zweimal seinen Kindern entgegen; zuerst dem, der zurückkommt, und dann noch einmal dem, der immer bei ihm geblieben ist. 4. Von Jesus erzählen – und dabei die Fragen des Lebens wecken

In solchen Prozessen »doppelter Auslegung« entdecken Erzieher/innen mit den Kindern: Jesus war ein begabter Erzähler. Er hat die Menschen auf einen Erkenntnisweg mitgenommen, indem er ihre expliziten und impliziten Fragen aufgenommen hat. Dabei hat er diesem Suchen und Fragen in seinen Geschichten einen weiten Raum gegeben. Raum und Zeit, in denen sie aufspüren konnten, was sie im Innersten betraf, und was ihnen zum Leben half.

Es waren und sind, ein schönes Wortspiel in unserer Sprache, Ge-SCHICHTEN, in denen sich die einzelnen SCHICHTEN zum Hineinwandern aufblättern, so dass die Menschen hier und da ins Weiterfragen, und sicher auch darüber ins Gespräch kamen. Beeindruckend ist dabei zu sehen, wie in den vier Evangelien nahezu kongenial diese Jesu eigene Weise des Theologisierens auf unterschiedliche Art aufgenommen und damit überliefert ist. So ist es z.B. bei Markus das Motiv des Nichtverstehens der Jünger, bei Johannes erleben wir Missverständnisse, z.B. die Aussagen des Nikodemus zur Neugeburt (Joh 3), Matthäus erzählt uns von Jesus als einen von der kanaanäischen Frau Lernenden (Mt 15); und schließlich Lukas, der mit seiner Sensibilität für Sprache imstande ist, immer wieder neu Entdeckungen zu ermöglichen. Etwas provokativ formuliert: Jesus hat auf die Frage nach Gottes Reich keine Senfsaaten, Kressesamen oder Weizenkörner verteilt, hat dazu kompetenzorientierte Lernaufgaben in heterogener Aufgabenstellung gestellt und ist nach zwei Wochen wieder ins Dorf gekommen, um sich von der Dorfbevölkerung ihre Antworten präsentieren zu lassen. – Er hat erzählt. Er hat auch nicht die Gesetze seiner Tradition in Lückentexten verteilt oder die Menschen in Partnerarbeit einen Thoratext lesen lassen, um dem Volk als »richtiges« Ergebnis zu präsentieren, was schon von vorn herein feststand. – Jesus hat erzählt. Und dabei war er sehr wach für das, was er bei den Menschen spürte. Und das waren ihre existenziellen Fragen.

Walter Jesusgeschichten mit Kindern auslegen

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Nicht immer konnten sie das so gut formulieren wie einer derer, die mit Jesus über das Erlangen des ewigen Lebens in einen Disput gingen (Lk 10,25ff). 5. Jesusgeschichten mit dem Friedenskreuz erzählt

Für solche Entdeckungen ist es hilfreich, wenn Verbindungen der Motive einzelner Geschichten in Bildern nachhaltig werden: Das Haus als Zeichen sicherer Bindung bei Zachäus kommt wieder vor im Gleichnis des Vaters und seiner Söhne.

Hier bekommt das Entdecken und Aufspüren in der Interaktion mit den zuhörenden Kindern eine bedeutende Dimension: Die Frage danach, woher denn Jesus wohl den Namen dessen wusste, der da oben im Baum sitzt, bekommt eine auch von den Kindern erfasste Tiefe: Da treffen sich zwei, die sich gesucht und gefunden haben. Gleichzeitig schärft es die Aufmerksamkeit der Erwachsenen für die häufig

ungewöhnlichen nonverbalen Zugänge von Kindern, mit denen sie sich an die Fragen des Lebens herantasten, zum Beispiel dem Zusammenspiel von Bonding und Attachement, wie es uns die Bindungstheorie veranschaulicht. So erleben die Kinder diese Geschichten als kommunikative und geradezu zum eigenen Deuten anregenden Impulse. Von Jesus, der mitten unter den Menschen lebte, ihre Sorgen und Freuden geteilt, gekannt und sich ihrer Sprachbilder und Fragen bedient, und ihnen so Geschichten vom kommenden Reich der Liebe Gottes erzählt hat. Da ging ihnen das Herz auf, sie wussten sich in ihrem Glauben sicher und geborgen (aufs Neue rückgebunden in ihrer Religion), und in ihren Köpfen entwickelte sich eine vernünftige Hoffnung und ein Vertrauen, das ihrem Leben Be-Deutung gab. Er hat es wohl gut gemacht, dieser Jesus! Er war ein guter Lehrer, der den Menschen, die zu ihm kamen, gezeigt hat, was er liebt. Bis zuletzt hat er hat sich in seiner Haltung nicht beirren lassen. Und so kam es, dass seine Vertrauten, die Männer und Frauen an seiner Seite,

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Pädagogische Berichte und Anregungen

nach Ostern es ihm nachtaten, wozu er sie schon angeleitet hatte: Sie haben erzählt. Von dem, was sie mit ihm an wunderbaren Dingen erlebt haben, und die wunderbaren Geschichten, die er ihnen ins Herz gelegt hat. Und auch hier ist hermeneutische Klarheit wichtig! Der Auferstandene ist in den Zeichen des Friedenskreuzes präsent, und von hier aus müssen die Jünger/innen nicht nur in Emmaus neu lernen, was das heißt: »Ich bin bei euch alle Tage!« So werden die Kinder von vornherein mit hineingenommen in die Bewegung der nachösterlichen Texte der Evangelien. Ihnen ist die Bemühung abzuspüren, den geheimnisvollen Zugang zur Präsenz Jesu in der Gemeinde in den Erscheinungsgeschichten ein Bild zu geben. Und so wächst in diesen Geschichten, was auch diejenigen trägt, die nicht Ohren- und Augenzeugen des Jesus von Nazareth waren (und sind). Die Frauen kommen am Ostermorgen zum Grab und hören dort die Botschaft des Engels vom auferstandenen Christus, der den Jüngerinnen und Jüngern in Galiläa begegnet, also dem »Ort« der Geschichten, die sie mit Jesus von Nazareth erlebt haben, und der nun in ihrem Erzählen aufs Neue lebendig wird. Die elementare Arbeit mit dem Friedenskreuz ermöglicht eine solche hermeneutische Klarheit, sowohl in der Aus- und Fortbildung von Erzieher/innen als auch in der religionspädagogischen Bildungsarbeit mit den Kindern im Alltag der Kindertagesstätte. Im Wissen um das Beteiligungspotenzial haben Kinder auch diese Kompetenz: Ich finde zur Ruhe und lasse mich

auf eine Geschichte ein. Sinn und Geschmack für das Unendliche bedarf auch einer Ahnung vom umfassenden Schatz unseres Glaubens. Als Erzählende haben wir diese Kinder ja schon vor Augen und so wird geschehen, was seit Jahrhunderten mit diesen Geschichten geschehen ist: Mit-

Walter Jesusgeschichten mit Kindern auslegen

einander entdecken die Kinder – ohne Erklärung – die Schicht, in die sie heute und hier in diese Geschichte einsteigen und sich mit ihr auf den Weg machen. So wird Erzählen zu dem, was es ist: Ein kommunikatives Geschehen, auch wenn wir nicht ständig nachfragen bzw. nach jedem Sinnabschnitt eine Feedback-Schleife einlegen. Eine gute Erzählung, verbunden mit den wiederkehrenden Zeichen und Motiven, regt in den Köpfen der Kinder die Auseinandersetzung an und weckt die Fragen von selbst (Was habe ich gehört? Wo bin ich ganz dabei gewesen, mit wem bin ich heute mitgegangen? Was war für mich heute das Wichtigste?) Solches Erzählen vertraut auf den Strom, in den wir mit unseren Geschichten einsteigen, ein Strom, der in der Tradition des Volkes Israels entsprungen, von Jesus aufgenommen, mit den Männern und Frauen nach Ostern weitergeführt, sich in Texten verdichtet hat, in Übersetzungen übertragen wurde, und an jedem Tag neu auf seine Ent-Deckung wartet, damit er die Köpfe und Herzen der Menschen heilsam mit den Quellen unseres Lebens verbindet. Solches Erzählen lädt dann, im nächsten Schritt, natürlich auch dazu ein, methodisch-didaktische (aber auch liturgische) Kompetenzen mit in den Blick zu nehmen. Zugänge, die in guter Weise – zur Geschichte führen, – und – weil dieses Erzählkonzept offen und nicht dogmatisch ist – in der Geschichte Beteiligung eröffnen, – und nach der Geschichte das Gehörte miteinander zu teilen, zu entdecken, dass es sich bei den anderen ganz an-

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ders anhört, die Vielfalt der Schichten und Zugänge bestaunen und als Bereicherung erfahren, indem wir Räume des Ausdruckes schaffen – und Lernprozesse initiieren, die zum Miteinander-Teilen des Erlebten einladen – und so individuell, kompetent und nachhaltig Lernzuwachs generieren. Und damit verbindet sich eine lange und gute Tradition reformatorischer Schriftauslegung. Als Beispiel, wie der Funke überspringen kann, zum Schluss ein letzter Rekurs auf die Erzähltradition. In der Pfingstgeschichte erfüllt sich das Versprechen Jesu von der Gabe des Geistes als einer Kraft, die aus ihm leben und von ihm erzählen lässt, oder auch »Begeisterung als religiöse Kraft« (Wolfram Kurz). Und das kann dann in der Kindertagesstätte auch einmal so geschehen, dass die Kinder im Nachvollziehen der Geschichten andere einladen und diese Geschichten auf vielschichtige Weise neu auslegen und darüber ins Gespräch kommen: Nach der Erzählung der Pfingstgeschichte mit einem Legebild singen die Kinder »Gottes Geist erzählt vom Leben, frischer Wind, der uns aus Angst befreit«. Da nimmt eines der Kinder aus dem Legebild eine der Feuerzungen der Jünger und setzt sie sich auf den Kopf, dem folgen andere Kinder. Miteinander verlassen sie singend den Raum durch die Tür zum Garten, wo die anderen Kinder z.T. Spott und Unverständnis äußern (siehe Apg 2,13) oder auch neugierig nachfragen. Daraufhin laden die Feuerzungen tragenden Kinder die anderen neugierig gewordenen Kinder in den Gruppenraum ein.

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Pädagogische Berichte und Anregungen

Neben dem Legekreuz sind bisher folgende Titel (jeweils Buch und LiederCD) erschienen: – Mit dem Friedenskreuz durch das Kirchenjahr – Advent und Weihnachten mit dem Friedenskreuz (als Download) – Groß werden mit dir, lieber Gott! – Jesusgeschichten mit dem Friedenskreuz – Martin Luther mit dem Friedenskreuz erzählt

Dort wird das Legebild komplett zusammengeräumt, das Material sortiert, und dann entsteht die Geschichte von Neuem, wird lebendig in den ausgelegten Bildern der Kinder und ihrer Erzählung.1 Literaturhinweis Das zum Friedenskreuz entwickelte Material erscheint im KONTAKTEMusikverlag, Lippstadt (https://www. kontakte-musikverlag.de/) und im Verlag Junge Gemeinde, Leinfelden-Echterdingen (https://www.junge-gemeinde.de/).

Autoren sind jeweils Reinhard Horn (für die Komposition und Vertonung) und Ulrich Walter.

1 »Begeisterung als religiöse Kraft« hat das Professor Dr. Wolfram Kurz, Leiter des Instituts für Logotherapie und Existenzanalyse (Tübingen / Wien), genannt, der in seiner universitären Laufbahn auch eine Stelle als Assistent bei Professor Dr. Dr. K. E. Nipkow innehatte, und dem ich als Student in seinem Seminar zur »Pädagogik der Gleichnisse Jesu« einschneidende hermeneutische und pädagogische Einsichten verdanke. http://www.logotherapie. net/Vortrag%20Begeisterung%20als%20religioese%20Kraft2.pdf (17.12.2018).

Steinkühler Erzählmomente in der pluralitätssensiblen religiösen Elementarerziehung

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Martina Steinkühler »Da fällt mir … Jakob ein«. Erzählmomente in der pluralitätssensiblen religiösen Elementarerziehung »Da fällt mir … Jakob ein …« – Sätze wie diesen sagt man, wenn sich in einer konkreten Situation eine Assoziation einstellt, die Erinnerung an eine ähnliche Lage, an eine Geschichte, die klärend, helfend, vertiefend hierher passen könnte. Was folgt, ist eine Erzählung. »Da fällt mir … Jakob ein …« – Der Gedanke an Jakob, den Bruder Esaus, passt auch. Bei dem Projekt, das ich vorstellen möchte (genauer: den Ausschnitt aus einem sehr viel umfänglicheren Projekt), handelt es sich um Theologie für Kinder, die ins Theologisieren führt – ein bibeldidaktisches Konzept für die Arbeit mit Kindern im KiTa-Alter. Anlass waren und sind die Zeichen der Zeit: Pluralisierung und Relativierung.1 Die Gruppen, auch in der KiTa, werden immer pluraler, religiös, weltanschaulich, kulturell; es gilt, nicht die eine verbindende und verbindliche Lebenswelt in die pädagogische Arbeit einzubeziehen, sondern deren viele. Das gilt auch und erst recht für die religiöse Dimension innerhalb ganzheitlicher Bildungsarbeit. Im Untertitel meines Beitrags findet sich das Schlüsselwort »Erzählmomente«. Es fasst zusammen, worauf es hier ankommt: »Momente« – das steht für das »da fällt mir … ein«, für das Situative; und »Erzählen« – das ist das, was ich dann empfehle. Erzählen als Bildungs- und Gesprächsangebot: niedrigschwellig, ganzheitlich, mit Mehrwert2.

Insbesondere religiöses Erzählen, das hineinnimmt und auch wieder Abstand schafft, einführt und zum Fragen einlädt, konkret wird und offen bleibt. So ein Erzählen, das ich für alle Altersgruppen entwickelt habe, stelle ich hier im Ausschnitt für Drei- bis Sechsjährige vor. Dazu folge ich in drei Schritten der Genese des Projekts: (1) Entwickelt wurde es ursprünglich für den Familienkontext. Dabei ist eine Taufbibel3 entstanden. (2) Die Familien-Idee übertrage ich im zweiten Schritt in die Gruppensituation. (3) Schließlich stelle ich ein weiterführendes Bibelerzählkonzept vor, das – wiederum für die Familie entwickelt – sich auch im Kindergottesdienst bewährt hat.4 1 Ich wähle die Begrifflichkeit von Peter L. Berger, die sich gut in den religionspädagogischen Kontext fügt: vgl. Peter L. Berger / Friedrich Schweitzer, Dialog zwischen religiösen Traditionen in einem Zeitalter der Relativität, Tübingen 2011. 2 »Mehrwert« bedeutet: Es handelt sich um ein vorbereitetes Erzählen« mit semantischer Tiefenstruktur«; vgl. Anita Schilcher / Markus Pissarek (Hg.), Auf dem Weg zur literarischen Kompetenz. Ein Modell literarischen Lernens auf semiotischer Grundlage, Großgehren 2018 (4., überarbeitete Aufl.), 91. 3 Martina Steinkühler, Du bist willkommen. Taufbibel, Ostfildern 22018. 4 Dirk Schliephake/ Martina Steinkühler (Hg.), 12 Kindergottesdienste mit elementaren Bibelgeschichten. Von Adam bis Johannes der Täufer, Göttingen 2012.

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Pädagogische Berichte und Anregungen

1. Anfängliche religiöse Bildung im Kontext Familie

Ich beginne mit einem Beispiel, einer Doppelseite aus der Taufbibel:5 Linke Seite: Der Apfel ist am Baum gewachsen. / Der Baum ist aus der Erde gewachsen. / Die Erde ist voll guter Kraft. / Wasser ist in der Nähe. / Da kann ein Baum gut wachsen. / Der Apfel ist am Apfelbaum gewachsen. / Jetzt ist er reif. / Und sieh: / Ich habe ihn gepflückt! / Für dich. Rechte Seite: Das hat Gott gemacht. / Wir sagen: / Das hat Gott gemacht. / Den Apfel. / Den Baum. / Die Erde. / Das Wasser. / Warum hat Gott das gemacht? / Damit Gott sich daran freuen kann. / Wir sagen: Damit Gott sich / an dem Apfel freuen kann. / Damit wir uns / an dem Apfel freuen können. / Damit du / diesen Apfel / gleich / essen kannst. Der Apfel stellt den »Moment«, die Situation, dar. Durch ihn entsteht ein Gespräch. Der Erwachsene gibt erste Hinweise auf die Fragen »woher« und »wozu«. Der Schöpfungsgedanke wird nahegelegt, ohne sogleich ausgeführt zu werden. Die linke Seite ist im Konzept dieses Buches stets offenen Zugängen vorbehalten. Erst die rechte Seite ist dezidiert religiös bzw. christlich. Der Erwachsene nennt den Schöpfer – und zwar einen zugewandten: der Freude an seiner Schöpfung hat. Der seinen Menschen Freude machen will. Entstanden ist diese Idee aus dem Ringen mit einer bibeldidaktischen Herausforderung. Erstmals darauf gestoßen bin ich bei einer Tagung über Kinder­ bibeln. Unter anderem wurden vorgestellt: Kinderbibeln »für die Allerkleinsten«.6 Die Beispiele, die gezeigt wurden,

waren Mini-Fassungen vollständiger Bibelgeschichten: Schöpfung, Sintflut, Abraham, Mose, Jesus – alles möglichst komplett, alles möglichst knapp. Abstract, würde man das im Englischen nennen. Und ich fragte mich: Was ist das Ziel? Was soll das Kind, Kleinkind (!), davon haben? Es ist nicht im Geschichtenalter, es ist im Beziehungsalter. Es ist primär mit Familien-Beziehungen beschäftigt; und Gott ist »Mama« und »Papa« in Verlängerung bzw. Vergrößerung. Geht es den Autor/innen und Herausgeber/innen solcher Kleinstkind-Bibeln ums Hineinwachsen in die christliche Tradition und darum, dass die Kinder »schon mal« Namen hören, »schon mal« Motive kennenlernen? Ich kann darin durchaus einen Sinn erkennen; jedoch stellt sich die Frage, welche Namen und welche Motive sich da eignen, und vor allem: wie viele? Und so begann ich zu experimentieren. Ich setzte auf Beziehung und Situation. Zuerst geht es für das Kind um Lebensweltorientierung: Was erlebt es mit seinen Bezugspersonen und wie passt dazu eine theologisch-seelsorgliche Perspektive? Die kleinen Erzählideen, die ich entwickelte, wären ebenso gut Gebetsanlässe – und werden doch in einem wichtigen Detail anders umgesetzt. Ich meine den zweimaligen – hoffentlich auffälligen – Einschub: Wir sagen. Er markiert den Bekenntnisstatus. Hier wird ein Grundgefühl für die eigene Religion angelegt, und zwar mit subjektivem Wahrheitsanspruch. »Wir sagen« impliziert: »Für uns

5 Steinkühler, Taufbibel [wie Anm. 3], 6f. 6 Diese Zuschreibung entspricht im Buchhandel einer Zielgruppe »ab 2«.

Steinkühler Erzählmomente in der pluralitätssensiblen religiösen Elementarerziehung

gilt das«, aber auch: »Andere sagen es anders. Und das ist okay.« Die nächsten beiden Doppelseiten der Taufbibel sind der Sintflutgeschichte7 und der Erzählung von Abrahams Berufung8 gewidmet. Ihre Kommentierung gibt mir die Gelegenheit, weitere bibeldidaktische Grundentscheidungen anzusprechen. Linke Seite: Es regnet und es stürmt. / Hier sitzen wir. / Und draußen regnet es. / Wir gehen lieber nicht nach draußen. / Oder lieber erst später. / Horch: der Regen, wie er trommelt! / Horch: der Sturm, wie er wütet! / Blätter reißt er vom Baum. / Und Mützen von den Köpfen. Rechte Seite: Gott hat den Regen gemacht. / Wir sagen: Gott hat den Regen und den Sturm gemacht. / Gott hat die Sonne, den Mond und die Sterne gemacht. / Die ganze Welt. Und dich und mich. / Wir sagen: Gott hat den Regen gemacht. / Und Gott gibt Schutz gegen Regen und Sturm. / Gott hat einen Bogen in den Himmel gesetzt, / den schönen bunten Regenbogen. / Warum hat Gott das gemacht? / Damit du weißt: Gott denkt an dich. Das Besondere – und möglicherweise Anstößige – an dieser Sintflut-Doppelseite ist: Die Sintflut selbst wird nicht erzählt. Gott wird erneut als Schöpfer vorgestellt – auch als Urheber von Unwettern (!); und erneut wird Gottes guter Wille bezeugt. Das ist natürlich Absicht. Ich bin dagegen, kleinen Kindern zu erzählen: »Die Menschen waren zu schlecht – Gott wollte sie vernichten …« Dafür ist noch genügend Zeit, wenn die Kinder erst Vertrauen ins Leben und ein eigenes Gottesbild haben. Dann kann man darüber reden, warum wohl so etwas von

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Gott erzählt wird. Vorher ist es weder harmlos noch sinnvoll. Ich lege aber bereits eine Spur: »Wir sagen: Alles kommt von Gott – Gutes und Schlimmes …« Daran lässt sich später anknüpfen. Der Verlag bestand – wie alle Verlage, die Kinderbibeln herausgeben – auf einer Abbildung der Arche. Gerade das hat mir dann auch gefallen: Wir bilden ab, was wir noch nicht in Worte fassen. Dann haben es die Erwachsenen in der Hand, wann sie mehr erzählen wollen und wie. Eine ähnliche Taktik verfolge ich auch mit der Abraham-Doppelseite: Linke Seite: Sieh mal: die Sterne! / Sind sie nicht schön? / Sieh, wie sie leuchten und funkeln. / Sieh mal: die Sterne. / Kannst du sie zählen? / Sag mir, wie viele sie sind! / Ja, du hast recht: Kein Mensch kann das sagen. Rechte Seite: Gott allein zählt die Sterne. / Wir sagen: Gott allein. / Warum kann Gott die Sterne zählen? / Wir sagen: Gott hat sie gemacht. / Gott hat die Sterne an den Himmel gesetzt. / Als Lichter für die Nacht. / Einmal hat Gott die Sterne zum Trost werden lassen / für einen Mann, der traurig war. / Ich erzähle dir seine Geschichte, / die Geschichte von Abraham und Sara. Es wird erzählt: / Abraham war auf dem Weg mit Gott / in ein gutes, weites Land. / Mit Abraham ging Sara, seine Frau. / Und beide waren schon alt. / So sehr sie es sich auch wünschten: / Abraham und Sara hatten kein Kind. / Siehst du: Deshalb war Abraham traurig. / Und Gott?, fragst du. Es wird erzählt: / Gott zeigte Abraham die Sterne / in ei7 Steinkühler, Taufbibel [wie Anm. 3], 8f. 8 Steinkühler, Taufbibel [wie Anm. 3], 10f.

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Pädagogische Berichte und Anregungen

ner klaren, dunklen Nacht. / »Kannst du sie zählen?«, fragte Gott. / »Das kann ich nicht«, sprach Abraham. / »Siehst du«, sagte Gott: / »So viele Enkelkinder wirst du haben. / Mach dein Herz weit, Abraham. / Dein Wunsch ist nicht vergessen.« / Warum so viele Sterne? / Für Abraham, für dich und mich. Lebensweltlicher Anlass (linke Seite) ist der gemeinsame Blick in den Sternenhimmel. Die Frage nach der Zahl der Sterne spielt ebenso auf das Kinderlied »Weißt du, wie viel Sternlein stehen« an wie auf Gen 15,5f. Auf der rechten Seite findet sich zum dritten Mal Schöpfungstheologie. Der Übergang zur Abraham-Tradition geschieht durch Deutung: »Einmal hat Gott die Sterne zum Trost werden lassen …« und mit Ansage: »Ich erzähle dir seine Geschichte …« Und dann noch einmal: »Es wird erzählt«. Ebenso bedeutsam wie das »Wir sagen« ist das »Es wird erzählt« ein Signal: Hier kommt etwas, für dessen Glaubwürdigkeit andere geradestehen: der alte Erzähler, die Tradition, die »Wolke der Zeugen«. Bei dem, was ich dann aus der Gesamterzählung der Bibel auswähle und neu erzähle, konzentriere ich mich ganz auf das eingeführte zentrale Motiv, den Trost der Sterne. Im Hintergrund freilich klingen weitere Motive an: Sara, auf dem Weg mit Gott, die Kinderlosigkeit (für später). Ins Bewusstsein tritt ein wichtiges Merkmal von Religion: Hoffen und Vertrauen wider den äußeren Anschein. Die Beispiele machen es hoffentlich deutlich: Die Idee der Taufbibel besteht darin, ernst zu nehmen, dass Drei-, Vierjährige noch nicht vollständig im Erzählalter sind, sondern dabei, die Lebenswelt zu entdecken und darin durch Beziehungen Halt zu suchen. Dabei helfen ihnen

nicht komplexe Erzählungen, wohl aber erste Bausteine. Deutlich darf dabei werden: Da ist noch mehr. 2. Anfängliche religiöse Bildung in der KiTa

Zur bibeldidaktischen Herausforderung – situatives Verknüpfen elementarer Bibelmotive – kommt die aktuelle religionspädagogische Aufgabe: religionssensibel und pluralitätssensibel zu erziehen in der KiTa. In der frühkindlichen Bildung wie in der Grundschule ist auf drei Phänomene zu reagieren: immer weniger religiöse Sozialisation, immer mehr verschiedene Religionen – oder keine. Dabei erweisen sich zwei Strategien als hilfreich: Die eine zielt auf ganzheitliche Bildung (einschließlich der religiösen Dimension) im Sinn von Partizipationserziehung; die andere auf Toleranzerziehung; da geht es darum, Differenz zu erkennen und damit umgehen zu können, sprachfähig im Eigenen zu sein und gesprächsfähig im Gegenüber mit anderem. In diesem Kontext ist den Erziehenden empfohlen: Religion aufzugreifen, wo sie begegnet – gemäß dem Grundsatz des Lebensweltbezugs und des situativen Ansatzes. Anlässe finden sich in der KiTa ebenso wie in der Familie. Freilich ist das vertraute Zwiegespräch daheim im Kontext KiTa zu ersetzen durch Gruppeninteraktion (z.B. Morgenkreis). Das lenkt das Augenmerk auf allgemeinere und planbare Anlässe. Ein selbstverständlicher Anlass ist in den Verwandlungen der Natur, den Jahreszeiten, zu finden. Diese werden im Alltag der KiTa seit jeher erlebt, angeeignet und bedacht. Das Staunen über Früh-

Steinkühler Erzählmomente in der pluralitätssensiblen religiösen Elementarerziehung

ling, Sommer, Herbst und Winter kann darüber hinaus exemplarisch religiös gedeutet werden: Dann mündet Staunen in Lob und Dank gegenüber dem Schöpfer. Ein zweites Thema, das von außen in die KiTa getragen wird, sind die Feste im Jahreskreis. Sie werden begangen und – wiederum exemplarisch – gedeutet. Erzählt werden die dazu gehörigen religiösen Geschichten (Christ/innen sagen …, Muslim/innen sagen …). Neben den Jahres- und Festzeiten sind es ebenso wie zu Hause die kleinen und großen Geschehnisse aus der Lebenswelt, die solche Momente provozieren: »Da fällt mir … ein«. Geschichten des Alten Testaments bieten reichhaltige Anknüpfungspunkte im Alltag: Da geht es um Familie, Geschwister, um Babys, um Aufbruch und Segen … Ich werde abschließend an einem Beispiel zeigen, wie radikal situativ solche Anknüpfungen aufgegriffen werden können. Und im Neuen Testament? Jesus-Geschichten handeln vom guten Leben. Auch das hat seine Momente. Schauen Sie sich Bilderbücher an: Die Kinder sollen teilen lernen, gönnen lernen, Mitleid lernen – das ist gewissermaßen die linke Seite der Doppelseiten in der Taufbibel; die rechte Seite nennt ein Beispiel: »Wir erzählen: Jesus …« Das ist alles nicht neu. Und es wird längst so getan. Ich nenne nur exemplarisch einige Vorgänger und Mitstreiter: John Hull entwickelte mit »A Gift to the Child«9 ein frühes, konsequent multireligiös konzipiertes Lernen an Objekten der Religionen. In Jerome Berrymans »Godly Play«10 wird Religion am Beispiel Christentum erfahrbar, befragbar und offen für individuelle Aneignungen; Karlo Meyer empfiehlt Vergewisserung der eigenen Religi-

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on und Annäherung an die der anderen durch gegenseitiges Erzählen und Zuhören, Zeigen und Probieren.11 Jochem Westhofs »Familienkirche«12 funktioniert über Bilder, Handlungen und über Gegenstände, die im Miteinanderfeiern zu Symbolen werden. Und schließlich arbeitet Ulrich Walter mit multifunktionalem Legematerial wie dem Schöpfungskreis13 und dem Friedenskreuz.14 Und doch glaube ich, ein auch eigenes Profil in die Arbeit hineinzutragen, insbesondere mit drei Spezifika: – der besonderen Betonung des Moments. Er ist mehr als ein Aufhänger; er bestimmt die ganze »linke Seite« (in der Taufbibel). – dem konsequent Bausteinhaften. Ich habe keine Angst, »nur« Ausschnitte der Geschichte zu erzählen. Im Gegenteil: Ich tue das mit Wonne. Die Kinder sollen wissen, dass da noch mehr ist; dass diese Geschichten mit ihnen zusammen wachsen werden – und dass 9 Vgl. Michael Grimmitt / Julie Grove / John Hull / Louise Spencer, A Gift to the Child. Religious Education in the Primary School, London 1991. 10 Für den deutschen Kontext: vgl. Martin Steinhäuser (Hg.), Godly Play. Das Konzept zum spielerischen Entdecken von Bibel und Glauben. Analysen – Handlungsfelder – Praxis, Leipzig 2008. 11 Vgl. Karlo Meyer, Lea fragt Kazim nach Gott. Christlich-muslimische Begegnungen in den Klassen 2 bis 6, Göttingen 2006, 7. 12 Vgl. Jochem Westhof, Familienkirche ist lebendig. Gottesdienste mit Eltern und Kindern, Gütersloh 2014. 13 Ulrich Walter, Der Schöpfungskreis. Materialband II: Praxismaterialien für den Kindergarten, Hamburg 2012. 14 Vgl. Reinhard Horn /Ulrich Walter, Mit dem Friedenskreuz durch das Kirchenjahr. Lieder, Geschichten, Gebete und Rituale, Lippstadt 2010.

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Pädagogische Berichte und Anregungen

selbst die Erwachsenen längst nicht fertig sind mit ihnen. – dem Beispielhaften: Ganz bewusst sage ich nie: So war das oder: So ist das richtig. Sondern ich betone dieses Es wird erzählt und Wir glauben das so … Das bedeutet dann immer – und für die Kinder nachvollziehbar: Es gibt auch andere Erzählungen. Es gibt auch andere Überzeugungen und Bekenntnisse … Insgesamt bewegen sich die Erzählungen, die ich vorschlage, wie ein Pendel zwischen Nähe und Distanz: Nähe, um Erfahrungen zu machen; Distanz, um zu reflektieren. Beides ist wichtig, beides gehört zusammen. 3. Bibelgeschichten zwischen Lebenswelt und Tradition

Der Moment im Alltag, der eine religiöse Erzählung als Deutungsangebot nahelegt, wird nicht immer erkannt und selbst wenn, ist es nicht immer möglich, die passende Version zur Hand zu haben oder spontan zu entwickeln. So habe ich ›Prototypen‹ entwickelt, zwei Bücher mit je zwölf Vorschlägen.15 Für die – hier freilich lebensnah konstruierten – ›Momente‹ habe ich eine Rahmenerzählung entwickelt. Sie ist bewusst nur wenig ausgeführt, enthält aber wiedererkennbare Charaktere und Elemente. Es gibt eine Babysitterin, Frau Bibelwitz, mit wenigen, aber auffälligen Attributen: bunte Schals und einer Vorliebe für Lakritzschnecken. Gesa und Niklas, die Kinder. Und Mose, eine Eidechse, die sich mit Gott gut auskennt. Dieses Tier – ein Fantasy-Element – übernimmt das Deuten des Erzählten

durch den (bisweilen variierten) Standardsatz: »Das war Gott.« Die Verknüpfung von Bibelgeschichte und Lebenswelt bzw. ›Moment‹ ist ebenfalls standardisiert: Jede Episode beginnt mit: »Einmal erzählte Frau Bibelwitz uns von …« und wird fortgesetzt mit: »Das war, als Niklas …« oder »Das war, als ich …« (Gesa ist die Ich-Erzählerin). Von der Bibelgeschichte wird – gemäß dem oben Gesagten – nur ein Ausschnitt erzählt, nämlich das, was der Moment erfordert. Dass da noch mehr ist, wird angedeutet, aber nicht ausgeführt. Meistens kommt Gott in dem, was Frau Bibelwitz erzählt, nicht vor. Gott wird dann durch die Eidechse Mose nachgetragen. Das gibt dem Bekenntnis zu Gott das Achtergewicht einer Pointe und lädt so zum Theologisieren ein. Aber lesen Sie selbst: die Erzählung von Abrahams Segen.16 Einmal erzählte Frau Bibelwitz uns von Abraham und Sara. Das war, als Papa angerufen hatte, dass er noch eine Tour fahren muss mit seinem Brummi und dass er erst am Wochenende nach Hause kommt. Wir waren sehr traurig darüber, Niklas und ich, und Niklas warf seine Spielzeugbrummis durch das Zimmer, dass es schepperte. »Warum muss er immer fort? Warum bleibt er nicht bei uns?«, fragte Niklas. Da wickelte Frau Bibelwitz eine der Lakritzschnecken ab und machte meinem Bruder daraus ein Arm-band. »Denk an ihn«, sagte sie, »dann ist er bei dir, auch wenn er weit weg ist.« Und Mose zwinkerte mir zu und sagte: »So wie Gott bei Abraham.« 15 Schliephake/Steinkühler, 2012 und Schliephake/Steinkühler, 2014. 16 Martina Steinkühler, Bibelgeschichten für kleine Leute, Ostfildern 2012, 28–34.

Steinkühler Erzählmomente in der pluralitätssensiblen religiösen Elementarerziehung

Haran war eine Stadt mit festen Häusern. Eines davon gehörte Abraham und Sara, seiner Frau. Ihre Herden grasten an den Ufern des großen Flusses. Der hatte immer genug Wasser, um alles Land grün und fruchtbar zu machen. Aber Abraham und Sara waren nicht so glücklich, wie sie hätten sein sollen. Abraham war unruhig. Das Wandern lag ihm im Blut, das hatte er von seinem Vater geerbt. Und Sara – Sara wünschte sich ein Kind. »Wie wäre es denn, wenn wir weiterziehen?«, fragte Abraham eines Abends am Feuer. Er stocherte in der Glut. Sein Neffe Lot saß bei ihm. »Das ist eine großartige Idee!«, rief Lot sofort. »Endlich einmal weg hier! Fremde Länder, Abenteuer!« Er fing gleich an zu schwärmen. Abraham achtete auf Sara. Sie blieb lange still. »Vielleicht«, sagte er, »gibt es irgendwo ein Land, das noch viel mehr zu uns gehört als dieses.« Sara lachte leise. »Das müsste ein Land sein, in dem wir Kinder haben.« Sie meinte wohl: So ein Land gibt es nicht. Aber Abraham sagte plötzlich:

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»Ja!« Er warf den Stock weg und stand auf. »Ja, Sara. So wird es sein!« Am nächsten Tag packte Abraham alles zusammen, was Sara und er besaßen. Dann verabschiedete er sich von seiner Familie. Er musste nicht einmal weinen. »Wo geht ihr hin?«, fragte Abrahams alter Onkel. »Gott weiß es«, sagte Sara und lächelte. »Und?«, fragte ich. »Was geschah?« Frau Bibelwitz legte auch mir eine Lakritzschnecke ums Handgelenk. »Einen Sohn hat Sara bekommen«, sagte sie fröhlich. »Den Isaak. Und sie ist die Ururururururgroßmutter des ganzen Volkes Israel geworden.« »Und Abraham der Ururururururururururgroßvater«, ergänzte Niklas. Er muss immer übertreiben. »So kann es gehen, wenn man aufbricht«, sagte Frau Bibelwitz. »Wie konnte Abraham das wissen?«, fragte ich skeptisch. »Das hat ihm Gott gesagt«, sagte Mose, die Eidechse und kniff ein Auge zu. »Und dann noch mehr. Gott sagte: ‚Ich werde mit dir gehen. Ich segne dich – und das ist wie ein Band zwischen uns, unsichtbar und stark.«

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Pädagogische Berichte und Anregungen

Matthias Hugoth Paradigmenwechsel: von der Glaubensvermittlung zu religionskreativen Lebens- und Lernprozessen in der Kita

In den folgenden Ausführungen ist mit »Paradigmenwechsel« eine neue Denkrichtung mit Konsequenzen für die Praxis gemeint. Diese soll die alte nicht ablösen, aber in den Hintergrund treten lassen. Konkret geht es darum, das alte Paradigma der Vermittlung von religiösen Inhalten und Verhaltensweisen an Kinder, die als Objekte solcher Beibringprozesse verstanden werden, durch ein neues Paradigma in eine moderne Religionspädagogik für Kindertageseinrichtungen als zweitrangig einzuordnen. Dieses neue Paradigma geht vom Kind als Lernsubjekt aus, das aus sich heraus »Religion produziert« durch eigene Fragen und eigene Antworten, durch individuelle Prozesse der Aneignung, des Verstehens und Kommunizierens. Die dahinterstehende These lautet: Kinder können schon von sich aus Formen der Welterklärung entwickeln, welche die religiöse Dimension berühren. Sie sind in gewisser Weise »religionsproduktiv«. Dieser Ansatz stellt eine Radikalisierung des in der Religionspädagogik geltenden Axioms dar, dass Lernprozesse nur als Konstruktionsprozesse der Lehrenden und der Lernenden erfolgen können. Der Grad der Eigenständigkeit, den man den Konstruktionsleistungen der Kinder beimisst, manifestiert sich darin, ob man sie nur als Ko-Konstrukteure der Fachkräfte in den Kitas versteht oder sie

als Eigen-Konstrukteure auch in Sachen Religion anerkennt. Von dieser letzten Sichtweise geht dieser Beitrag aus. Zur Veranschaulichung, warum ein Paradigmenwechsel anstelle einer instruktivistischen Glaubensvermittlung sinnvoll ist, soll eine Erfahrung dienen, die der Autor bei einer Inhouse-Fortbildung in einer städtischen Kindertageseinrichtung zum Thema »Werteerziehung« gemacht hat. Eine Mutter hatte vergessen, dass die Einrichtung einen Schließtag hatte und deshalb auch keinen Ersatz für die Betreuung ihrer beiden Kinder (vier und sechs Jahre alt) organisiert. Nun stand sie mit ihren beiden Kindern vor der Tür und war in großer Not: Sie musste mit ihrem Chef eine Dienstreise antreten, der bereits im Bahnhof auf sie wartete. Sie musste sich beeilen, sonst »gibt es eine Katastrophe, wenn der Chef ohne mich fährt«. Wohin nun mit den Kindern? Wir beschlossen kurzerhand, dass sie sich in unserem Tagungsraum in einer Spielecke mit sich selbst beschäftigen sollten; eine Erzieherin würde regelmäßig nach den beiden Kindern schauen. Bei unserer Arbeit zu Fragen der Werteerziehung kam das Gespräch auch auf traditionelle christliche Werte und auf die Frage, inwieweit der christliche Glaube die Werte in unserer Gesellschaft auch heute noch bestimmt. Da sagt der Junge laut aus seiner Spielecke heraus:

Hugoth Paradigmenwechsel: von der Glaubensvermittlung zu religionskreativen Lebens- und Lernprozessen

»Die Sache mit Gott habe ich ganz allein herausgefunden.« Einige Teilnehmerinnen waren offensichtlich irritiert: Weil es einige Eltern so wollten, und weil die meisten Erzieherinnen dem zustimmten, verzichtete dieser städtische Kindergarten auf den Bildungsbereich »Religion«. Manchen der Eltern und der Erzieherinnen war »Religion« in ihrer Kindheit auf eine sehr fragwürdige Art und Weise beigebracht worden, das sollte ihren eigenen Kindern nicht widerfahren. Wie kam aber Jonas, der sechsjährige Junge in der Spielecke, darauf, dass er »ganz allein« die Sache mit Gott herausgefunden hat? Von seinen Eltern und von den Erzieherinnen konnte er das nicht haben. Der Referent bat nun Jonas, zu der Gruppe der Erzieherinnen an den Tisch zu kommen und uns zu erzählen, was er denn genau herausgefunden hat. Jonas erzählte, dass er sich mit seinen beiden Freunden Max und Jessica oft über solche Sachen unterhält wie: Wer hat eigentlich die Welt gemacht? Wer hat die Jahreszeiten eingerichtet? Warum glauben die einen an Gott und die anderen nicht? Warum gibt es so viele verschiedene Religionen? – allein in unserem Kindergarten gibt es Christen, Muslime, Hindus, Zeugen Jehovas und ein jüdisches Kind. Hilft Gott wirklich, wenn man zu ihm betet? Für Jonas steht fest: Es muss einen Gott geben, denn warum würden die vielen Millionen Menschen auf der Welt an einen Gott glauben, die können sich doch nicht alle irren. Max und Jessica sahen das auch so und auch einige der anderen Kinder, mit denen Jonas über die Sache gesprochen hatte.

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Die Erzieherinnen in der Runde waren erstaunt, dass sich ihre Kinder über solche Dinge Gedanken machten. Warum hatten sie nie mit ihren Erzieherinnen darüber gesprochen? Notwendig: neu ansetzen

Wir waren wieder beim Thema: Werteerziehung. Was wollten wir eben noch unseren Kindern beibringen? Müssen wir nicht ganz anders anfangen, nämlich bei dem, was die Kinder denken und meinen, was sie für wertvoll halten und warum? Waren wir nicht eben dabei, genau dasselbe Muster durchzubuchstabieren, wie einige es leidvoll bei ihrer religiösen Erziehung als Kinder erlebt hatten: Die Erwachsenen sagten, was man zu glauben hatte, und was Schlimmes geschehen würde, wenn man es nicht tat? Religion beibringen, Werte vermitteln – sind das nicht die falschen Vokabeln? Aber die Kinder wertfrei zu erziehen, das geht auch nicht. Denn es gibt keine wertfreie Erziehung. Eigentlich geht es auch nicht ohne Religion, denn die Kinder haben ja ein Recht darauf, dass wir mit ihnen solche Fragen behandeln, wie sie Jonas und seine Freunde diskutieren. Und schließlich gehören noch immer die meisten Menschen im Land einer Religion an, und nach wie vor gibt es »Religion« bei vielen öffentlichen Veranstaltungen. Das Leben gestalten, Probleme meistern aus dem Glauben heraus, diese Erfahrungen, wie überhaupt: die Bedeutung von Religion für die Menschen – können wir das den Kindern vorenthalten? Wenn aber die »Vermittlungsdidaktik«, wie sie viele erlebt (und die älteren Erzieherinnen auch selbst praktiziert)

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Pädagogische Berichte und Anregungen

haben, nicht viel taugt, zumindest geändert und mit anderen Didaktiken ergänzt werden müsste – welche ist denn heute angesagt bei der religiösen Bildung in Kindertageseinrichtungen? Klärung: Religiöse Bildung und Katechese

Zunächst ist zu unterscheiden zwischen religiöser Bildung und Katechese. Denn besonders in konfessionellen Kindertageseinrichtungen finden kontinuierlich Kinderkatechesen statt, zumal wenn der Pfarrer oder pastorale Mitarbeiter/innen der Gemeinde zu religiösen Lerneinheiten herangezogen werden. Wann sind solche Katechesen angebracht, wann eine religiöse Bildung, die eine offenere und lebensweltorientierte Perspektive verfolgt? Dazu müssen zuerst die Spezifika beider Ansätze geklärt werden: 1. Religiöse Bildung

Religiöse Bildung initiiert und gestaltet Lernprozesse zu religiösen und religiös-affinen Themen unter Einbezug aller Formen, wie Kinder sich grundsätzlich einen Inhalt oder eine Fähigkeit aneignen. Sie zielt darauf, das Wissen und Verstehen religiöser Inhalte zu erweitern und zur Auseinandersetzung und Positionierung sowie zur Umsetzung ins Handeln zu befähigen. Bei der religiösen Bildung ist das Kind das Subjekt, das sich auf Aneignungsprozesse mit Begleitung und Unterstützung von pädagogischen Fachkräften einlässt. Dabei bringt es natürlich auch seine Beobachtungen, Erlebnisse und Erfahrungen aus seiner Lebenswelt außerhalb der

Einrichtung mit ein. Religiöse Bildung setzt die Inhalte und Methoden in Bezug zu den Themen, die die Kinder mitbringen – aus sich selbst heraus und aufgrund dessen, was sie in ihren Lebenswelten erfahren (vgl. Situationsansatz). 2. Katechese

Katechese zielt auf das Vertrautmachen mit Glaubensinhalten, -bildern, -symbolen und -praktiken ab. Hier geht es darum, dass Kinder in die Welt des Glaubens eingeführt werden und »glauben lernen«. Der Katechese geht es also darum, das Religiöse im Menschen zu wecken und zu beleben. Katechese setzt bereits eine persönliche Offenheit und Empfänglichkeit für das Religiöse voraus. Religiöse Bildung ist stärker auf das Begreifen, Prüfen, Übernehmen und logisch konsequentes Handeln ausgerichtet. Katechese ist stärker auf Glaubenserziehung und -vermittlung ausgerichtet und zielt letztlich auf die Zugehörigkeit zu einer Glaubensgemeinschaft ab.1 Heute sind die (Religions-)Pädagoginnen und -Pädagogen, die eine Vermittlungsdidaktik bei ihrer katechetischen Arbeit anwenden, durchaus darin geschult, diese kindgerecht zu gestalten, sodass die früher oft praktizierte Form des »Überstülpens« und autoritären Beibringens von Stoff und das kompromisslose Einüben religiös-ritueller und religiös-moralischer Handlungen nicht mehr anzutreffen sein dürfte. 1 Vgl. Caritasverband für das Bistum Magdeburg (Hg.), Religion in der Konzeption. Redaktion: Matthias Hugoth/Marita Magnucki (Arbeitshilfe 3), 2016.

Hugoth Paradigmenwechsel: von der Glaubensvermittlung zu religionskreativen Lebens- und Lernprozessen

Dennoch gilt: »Religiöse Bildung als Vermittlung religiöser Inhalte und Praktiken ist ein anspruchsvolles Unterfangen, wenn es nicht in dem früher gängigen Gestus des Beibringens, Anerziehens, Vereinnahmens, ›im Glauben Großziehens‹ erfolgen soll – also unter Ausblendung der Subjekthaftigkeit des Kindes, seiner Bedürfnisse, Fragen, Interessen und seiner eigenen Vorstellungen von ›Gott und der Welt‹. Und: Diese traditionelle Methode muss durch weitere lebenswelt- und situationsbezogene Methoden ergänzt werden, da religiöse Inhalte und Vollzugsformen nicht wie ein ›Schatz ewiger Wahrheiten und ewig richtiger Verhaltensweisen‹ angesehen und beigebracht werden können, sondern hinsichtlich ihrer Bedeutung und Relevanz für die Kinder in ihren jeweiligen Lebenswelten und Entwicklungsstadien erschlossen und gedeutet werden müssen.«2 Religiöser Bildung und Katechese gemeinsam ist ein intentionales Vorgehen: Es geht um das Erschließen, Aneignen, Verstehen, Praktizieren von religiösen Überzeugungen, Inhalten, Bildern, Symbolen, Handlungsweisen. Bei der religiösen Bildung stehen das Kind und seine Lebenswelt im Vordergrund, bei der Katechese eher das Thema in Abstimmung mit den Möglichkeiten und Formen des Aneignens, Verstehens und Einübens. Beide setzen eine Zustimmung von Eltern und pädagogischen Fachkräften zur Sinnhaftigkeit und Praxis religiöser Lernprozesse voraus – bei denen mal mehr Erwachsene (Katechese), mal mehr die Kinder die Erstakteure sind. Diesen beiden Formen religionspädagogischer Arbeit vorgelagert sind zwei relativ neue Ansätze: die religionssensib-

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le und die religionsproduktive pädagogische Arbeit. Religionssensible Bildungsarbeit in Kindertageseinrichtungen

Religionssensible Bildungsarbeit geht von folgendem Grundverständnis aus: Religion muss nicht erst zu den Kindern gebracht werden. Sie ist eine vorhandene Dimension des Fühlens, Denkens, Glaubens, Handelns – oft unbestimmt und ohne klare Konturen, nicht mit Worten darstell- und begreifbar; dann aber auch real in zahlreichen Bildern, Symbolen, Gebäuden, Schriften, Personen erlebbar. Religionssensible Bildung verfolgt drei Intentionen: 1. Im Blick auf das, was bei den Kindern und durch sie geschieht: Sie ist sensibel dafür, wie die Kinder religiöse Dimensionen spüren, in ihr Fühlen, Denken und Erklären einbeziehen. Religionssensibles pädagogisches Vorgehen bedeutet dann aber auch: zunächst alles zulassen, was sich bei den Kindern an Vorstellungen, Bildern, Erklärungsmustern entwickelt, um »das Religiöse« in ihnen wirken zu lassen. Was der Glaube einer Religion aussagt – etwa über die Frage, wer die Welt geschaffen hat und warum er es getan hat – kann dann hinzugenommen und mit den Vorstellungen der Kinder verbunden werden. 2. Im Blick auf zahlreiche Themen der Menschen, von denen aus Bezüge zur Religion hergestellt werden können: Wenn es etwa um die Frage geht: Was macht Menschen glücklich? Was braucht 2 Matthias Hugoth, Handbuch religiöse Bildung in Kita und Kindergarten. Freiburg 2012, 187.

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Pädagogische Berichte und Anregungen

man für ein schönes, zufriedenes Leben? »An etwas glauben können« – das antwortet nach den aktuellen KinderGlücksstudien ein Großteil der Kinder in Deutschland auf die Frage, was sie glücklich macht. 3. Im Blick auf das Teilhabenlassen am eigenen Glauben bzw. an den eigenen Suchbewegungen bei den Lebensfragen mit Bezug auf die Religion: Religionssensible pädagogische Arbeit geschieht dann, wenn pädagogische Fachkräfte als individuelle Personen und als Team von den Kindern wahrgenommen werden als Menschen, für deren Lebensthemen und Alltagspraxis Religion eine Rolle spielt – ob sie dies eigens so zur Sprache bringen oder es nur »spüren lassen«, dass der Glaube für sie wichtig ist. Ein kontinuierliches Teilhabenlassen an dem, was einen selbst religiös bewegt. In diesem letzten Punkt treffen sich sowohl der oben dargestellte Ansatz der religiösen Bildung als auch der Ansatz der Katechese: Die Glaubwürdigkeit der Behandlung religiöser Themen als menschenrelevante Themen geht letztlich nur über das eigene Zeugnis. Eine Radikalisierung des »Ansatzes vom Kind her« bei der religiösen Bildungsarbeit stellt das Konzept der »religionsproduktiven Bildungsarbeit« dar. Vom religionssensiblen zum »religionsproduktiven« Vorgehen

Der Begriff »religionsproduktiv« hat eine zweifache Bedeutung: 1. Er hat eine »Signalfunktion«. 2. Er hat eine »programmatische Funktion«.

Als Signalbegriff zeigt er einen Paradigmenwechsel, also eine Veränderung gewohnter Denkmuster an: Bisher bestand das Lernziel katechetischer Vermittlung von Glaubensinhalten vor allem darin, dass die Kinder fähig wurden, das zu re-produzieren, was man ihnen beigebracht hatte (etwa »Wer Gott ist«, »Warum man Sonntag in die Kirche geht«). Dabei waren die Kinder eher die Objekte von Vermittlung, Tradierung, Einübung. Kinder wurden gesehen als kleine Menschen, die noch nicht in der Lage waren, sich selbstständig die Welt des Glaubens zu erschließen. Das »Signal« des Begriffs »religionsproduktiv« besteht darin, dass dieses herkömmliche Denkmuster durch ein neues ersetzt wird: Kinder sind sehr wohl in der Lage, über »Gott und die Welt« nachzudenken, sich auf ihre Fragen selbst Antworten zu geben und diese mit denen der Erwachsenen zu vergleichen. Sie bilden »Theorien« in Form von Antworten, Ansichten, Vorstellungen, Erklärungen, Bildern. Dabei schließen sie gewöhnlich keinen Bereich aus, in dem sich Antworten und Erklärungen für ihre Beobachtungen und Fragen finden lassen könnten. Sie stoßen von sich aus auf den Bereich des Glaubens; oder sie werden (von Eltern, Erzieher/innen, pastoralen Mitarbeitern/innen, Pfarrern) an diese herangeführt. Dann machen sie sich ebenfalls ihre eigenen Vorstellungen und Bilder von dem, was man ihnen erzählt und erklärt: Sie sind immer als »Produzenten« eigener Vorstellungen aktiv. Das Signalwort »religionsproduktiv« zeigt ferner an, dass auch im Bereich der religionspädagogischen Arbeit das Bild vom Kind als Ko-Konstrukteur gilt.

Hugoth Paradigmenwechsel: von der Glaubensvermittlung zu religionskreativen Lebens- und Lernprozessen

Dieses Leitbild wird in allen Bildungsbereichen der Kindheitspädagogik schon lange zur Geltung gebracht; für den Bildungsbereich »Religion« ist das bisher noch kaum umgesetzt worden. Dass nun aber auch hier ein neues Denken Einzug hält, dafür steht das Signalwort »religionsproduktiv«. Als programmatischer Begriff kommt die »Religionsproduktive Pädagogik« dadurch zur Geltung, dass 1. eine Sensibilität dafür entwickelt wird, wie die Kinder direkte und indirekte religiöse Vorstellungen entwickeln bzw. solche Vorstellungen, die an den Bereich der Religion grenzen; 2. die Kinder animiert werden, bei ihren Fragen, Welterklärungen, Sinnformulierungen auch den Bereich von Religion ins Auge zu fassen; und dann die Glaubensaussagen zu ko-konstruieren, also eigene Bilder und Vorstellungen zu dem zu entwickeln, was ihnen als Glaubensinhalte vorgestellt wird; 3. die Fachkräfte wahrnehmen, wenn die Kinder individuell oder mit anderen zusammen Erklärungen über »Gott und die Welt«, Verstehenskonstrukte, Schlussfolgerungen erstellen und als eigene Konstrukteure agieren, wobei die Fachkräfte ihrerseits die Ko-Konstrukte entwickeln; 4. sich die Fachkräfte mit den Kindern zusammen auf die Suche nach Ant-

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worten auf Lebensfragen begeben und deren Vorstellungen und Erklärungen als mögliche Antworten ernst nehmen und darüber miteinander ins Gespräch zu kommen; 5. die Fachkräfte den Kindern helfen, »das Religiöse« an ihren Vorstellungen, Erklärungen und Theorien zu erkennen, also zu verstehen, wo ihre Konstruktionen religiösen Vorstellungen und Bildern entsprechen. Zusammenfassend: das »Produzieren« religiöser Bilder, Vorstellungen, Erklärungen zulassen – mit den Kindern religiöse Elemente in ihren Konstruktionen entdecken, thematisieren und weiterentwickeln – sich als Dialogpartner auf gemeinsame Konstruktionen von religiösen Vorstellungen, Auffassungen, Überzeugungen einlassen und somit gemeinsam »religionsproduktiv« agieren. Jonas und seine Freunde, die wir zu Beginn dieses Beitrags kennengelernt haben, waren durchaus »religionsproduktiv« aktiv. Sie hätten »religionssensible« Erzieherinnen gebraucht, die statt des Gebotes »In unserem städtischen Kindergarten kommt Religion nicht vor« konsequent bei den Kindern und ihren religiösen Interessen ansetzen. Dann wären sie wahrscheinlich zu KoKonstrukteuren der »religionsproduktiven« Lernprozesse der Kinder geworden.

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Pädagogische Berichte und Anregungen

Henk Kuindersma Religiöse Bildung in niederländischen Kitas als Herausforderung

Jüngsten Untersuchungen zufolge gehen 45 Prozent1 der niederländischen Kinder von 0–4 Jahren in eine Kindertagesstätte.2 Im Alter von vier Jahren schließt sich dann die Grundschule für Kinder von 4–12 Jahren an. Nach Schweden und Dänemark besucht in den Niederlanden der höchste Prozentsatz in Europa eine Kita. Bis vor kurzem hatte die niederländische Politik, was Kitas anbetraf, einen anderen Ausgangspunkt als in Deutschland. In Deutschland geht es in erster Linie darum, die Entwicklung des Kleinkindes von Anfang an zu fördern. In den Niederlanden steht im Prinzip die Unterbringung von Kindern im Mittelpunkt mit dem Ziel die Partizipation der Eltern am Arbeitsmarkt zu ermöglichen und zu fördern. Daher ist in den Niederlanden das Ministerium für soziale Sachen und Beschäftigung für die Kindertagesstätten zuständig und nicht das Bildungsministerium. Die Einrichtung von Kindertagesstätten ist in den Niederlanden eine Privatangelegenheit. Organisationen und Einzelpersonen können die Initiative ergreifen. Dabei stellt die niederländische Regierung gesetzliche Anforderungen an die Sicherheit, Qualität, Finanzierung und Fachkompetenz der Betreuer.3 Die niederländische Regierung hat jedoch, der Privatinitiativen-Politik zum Trotz, die Einrichtung von Kindertagesstätten bei den Regionalbehörden sehr stark gefördert. So entstanden im Laufe der Jahre Kitas im ganzen Land.

Seit etwa zehn Jahren gibt es viel Bewegung im Bereich der Qualitätsförderung mit einer immer deutlicheren Verschiebung des Schwerpunkts in Richtung Entwicklung und Bildung des Kleinkindes. Doch das frühere Primat der Kinderbetreuung wirkt sich nach wie vor spürbar aus. In diesem Beitrag möchten wir einen Überblick über die aktuellen Prozesse rund um Kitas in den Niederlanden geben. Dabei gilt unser besonderes Interesse dem Thema Religion und der religiösen Betreuung und Bildung von Kindern. 1. Das niederländische System der Kindertagesstätten im Umbruch

Bis zum 1. Januar 2018 gab es in den Niederlanden ein buntes und fragmentiertes Angebot an Kinderbetreuungsinstituten, darunter Kindertagesstätten und Kinderspielgruppen. Bei diesen Formen der Kinderbetreuung können Kinder im Haus oder auf dem Spielplatz spielen, al-

1 Im Jahre 2017 waren das 775.730 Kinder. Siehe: jeugdstatline.cbs.nl/Jeugdmonitor/publication /?DM=SLNL&PA=20214NED&D1=a&D2=a& D3=a&D4=0-16&D5=a&VW=T%3C%3C 2 Siehe: https://www.kinderopvangtotaal.nl/ nederlandse-kinderen-vaakst-opgevangen/ 3 Siehe Wet Kinderopvang (Gesetz zur Kinderbetreuung) vom Juli 2005.

Kuindersma Religiöse Bildung in niederländischen Kitas als Herausforderung

lein oder zusammen, mit Spielzeug oder Spielgeräten. Sie können kreative Gruppenspiele oder Bewegungsspiele tun, Momente mit Bilder- und Lesebüchern und Filmen erleben oder sich Bilderbücher aller Art ansehen. Und das alles in einem täglichen Rhythmus von Aktivität, Essen und Ruhen. Die Finanzierung dieser Einrichtungen für die Kinderbetreuung erfolgte durch erhebliche einkommensabhänge Pflichtbeiträge der Eltern sowie staatliche Finanzierung. Reine Kinderbetreuung war der regierungsseitige Ausgangspunkt und das blieb er bis zum 1. Januar 2018. Seit 2000 hatten sich aber die ersten niederländischen universitären Professoren für Kinderbetreuung (J.M.A. Riksen-Walraven und L.W.C. Tavecchio) für die Einrichtung von Kindertagesstätten als pädagogische Zentren für die Begleitung von Kleinkindern in ihrer Entwicklung und Bildung ausgesprochen.4 Unter anderem aufgrund solcher Initiativen entstanden nationale Organisationen zur Unterstützung von Kindertagesstätten. Sie haben der Qualitätsentwicklung von Kitas, einschließlich des Entwicklungsund Bildungsaspekts, wesentliche Impulse gegeben. In diesem Zusammenhang ist insbesondere die Nationale Pädagogische Plattform für Kinderbetreuung zu erwähnen, die mit Kindertagesstätten und anderen Kinderbetreuungsinstituten zu tun hatte. Ein Autorenkollektiv aus dieser Plattform gab unter dem Titel Pädagogischer Rahmen Kinderzentren 0–4 Jahre5 Orientierung und Inspiration für Erneurungsprozesse.6 In dieser Publikation wurden zahlreiche Themen angesprochen, die die Begleitung von Kindern in ihrer Entwicklung und Bildung zum Thema hatten. Es sollte aber

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noch bis zum Jahr 2017 dauern, bis die Regierung die Veröffentlichung Pädagogischer Lehrplan für das Kleinkind in der Kinderbetreuung 7 mit Schwerpunkt auf der Entwicklung des Kleinkindes zuwege gebracht hat. In einem neuen Gesetz Innovation und Qualität der Kinderbetreuung wurde entsprechend festgelegt: »Die Entwicklung des Kindes steht im Mittelpunkt«.8 Dieses Gesetz war ein sogenanntes Harmonisierungsgesetz, worin alle institutionalisierten Formen der Kinderbetreuung künftig als Kindertagesstätten bezeichnet werden. Dieses Gesetz trat am 1. Januar 2018 in Kraft. 2. Welche Kindesentwicklung? Welche Bildung?

Welche Entwicklung und Bildung wird in den oben genannten Publikationen Pädagogischer Rahmen Kinderzentren 0–4 Jahre und Pädagogischer Lehrplan für das Kleinkind angestrebt? Genauer gesagt: Welches Interesse besteht in den Dokumenten an Bildung durch die Begegnung

4 J.M.A. Riksen-Walraven, Tijd voor kwaliteit in de kinderopvang. Amsterdam 2000; L.W.C. Tavecchio, Van opvang naar opvoeding. De emancipatie van een uniek opvoedingsmilieu. Amsterdam, 2002; R. IJzendoorn,, L.W.C. Tavecchio & M. Riksen-Walraven, De kwaliteit van de Nederlandse kinderopvang. Amsterdam, 2004. 5 Elly Singer und Loes Kleerekoper, Pedagogisch kader kindercentra 0–4 jaar, Maarsen 2009. 6 Die Arbeit der bereits genannten Hochschullehrer Riksen-Walraven und Tavecchio dienten u.a. als Inspiration. 7 Ruben Fukking, Pedagogisch curriculum voor het jonge kind in de kinderopvang, 2017. 8 Siehe: www.veranderingenkinderopvang.nl/ikk

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Pädagogische Berichte und Anregungen

mit kulturellen Inhalten? An unserem Thema »religiöse Inhalte«? Da die bis dahin bekanntesten Studien in die genannten Veröffentlichungen eingeflossen waren, können diese als Grundlagendokumente der niederländischen Kita-Politik betrachtet werden. Aber die Publikation Pädagogischer Rahmen Kinderzentren 0–4 Jahre geht in erster Linie einen anderen Weg. Diese will die Kindesentwicklung durch die Vermittlung und Entwicklung der folgenden Kompetenzen fördern9: – Schau, ich bin wertvoll (emotionale Kompetenzen) – Schau, ich kann es selbst (motorische Kompetenzen) – Schau, wir machen es zusammen (soziale Kompetenzen) – Schau, ich bin ein liebes, gutes Kind (moralische Kompetenzen) – Hör zu, ich kann es selbst sagen (Sprachkompetenzen) – Schau, ich kann fühlen, denken und entdecken (kognitive Kompetenzen) Kulturelle Bildung zieht sich aber wohl wie ein roter Faden durch das gesamte Dokument und es werden auch Vorschläge dazu gemacht. Inhaltliche Beachtung finden Kultur und kulturelle Bildung vor allem in Erzählungen, Lesetexten und thematischen Arbeiten. Die Kleinkinder kommen auf bahnbrechende Weise mithilfe von allen möglichen Formen des visuellen Ausdrucks, der Begegnung mit Bildmaterial und Kunstwerken sowie durch den Input von Künstlern mit Kunst in Berührung.10 Religion allerdings wird – trotz ihrer tiefen Verankerung in der genannten Erzähl-, Lese- und Kunstkultur – in keiner Weise erwähnt.

In Kitas ist der Diversität der Kinder bezüglich Veranlagung und sozialem Hintergrund alle Aufmerksamkeit zu widmen. Dazu heißt es im Text: »Die enorme Diversität der Kinder, Eltern und Mitarbeiter ist typisch für ein Kinderzentrum. Diversität hinsichtlich Religion, persönlicher Lebensumstände, Kultur, Charakter usw. Dies hat direkte Auswirkungen auf die Art und Weise, wie Pädagogen, Eltern und Kinder miteinander umgehen. Kinder zum Beispiel haben in einer isolierten Familie andere Erfahrungen gemacht als in einer großen Familie, in der man sich oft trifft. Auch die Sprache, in der die Kinder erzogen werden, die kulturellen und religiösen Bräuche, die Wohnsituation und die Bildung der Eltern haben Einfluss auf das Leben der Kinder. Für alle Kinder und ihre Eltern ist es sehr wichtig, dass das pädagogische Personal für ihr Lebensumfeld offen ist. Alle Mitarbeiter sollten über die Offenheit und Kommunikationsfähigkeit verfügen, alle Eltern zu erreichen. Kinder fühlen sich in der Kita sicher, wenn sie feststellen, dass auch ihre Eltern wertgeschätzt und ernst genommen werden.«11 Religion in Pädagogischer Rahmen Kinderzentren 0–4 Jahre: Im Rahmen der sozialen Kompetenzen wird kurz auf Religion aufmerksam gemacht im Zusammenhang mit der Entwicklung von »spirituellen oder religiösen Gefühlen sowie Bewunderung für die Natur und

9 Siehe: Elly Singer und Loes Kleerekoper, Pedagogisch kader kindercentra 0–4 jaar, Maarsen 2009, 67 (Zusammenfassung). 10 Ebd., 254–256. 11 Ebd., 58.

Kuindersma Religiöse Bildung in niederländischen Kitas als Herausforderung

Schönheit.«12 Und weil man lernen kann, es zu »genießen, zusammen religiöse Lieder zu singen und Feste zu feiern.«13 Mit dem Zusatz: »Das Kind hört gern Geschichten und nimmt am Gebet teil.«14 Aber trotz der Erwähnung von – oft religiös bestimmten – saisonalen15 Festen in der Kultur wird Religion inhaltlich nicht wirklich ausgearbeitet. Im Dokument Pädagogischer Lehrplan für das Kleinkind in der Kinderbetreuung16 geht es darum, dass Kinder in den Bereichen Motorik, Sensorik, Sprache, Denken, Zahlenverständnis, Kunst, Kultur und Kreativität Kompetenzen erwerben. Pädagogischer Ausgangspunkt ist Soziale Inklusion: »Bei der Sozialen Inklusion geht es um eine Perspektive für alle Kinder, die zusammen verschiedene Formen von Diversität zeigen. Darüber hinaus erfordert Soziale Inklusion eine Perspektive für die gesamte Gruppe. Bei der Sozialen Inklusion geht es nicht darum, einige Kinder in eine größere Gruppe zu integrieren. Es geht um alle Kinder und die Gruppe selbst.«17 Moralische Erziehung hingegen bezieht sich auf »Sozialisation durch die Vermittlung allgemein anerkannter Normen und Werte«. In diesem unter anderem von der niederländischen Regierung gewünschten Dokument und dem darin vorgeschlagenen Lehrplan für Kindertagesstätten kommt Religion als Thema praktisch überhaupt nicht vor18. 3. Resümee

Aus unseren bisherigen Studien können wir schließen, dass es in den Niederlanden einen Richtungswechsel

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gibt: Eine Verschiebung von einem bunten und fragmentierten Angebot an Kinderbetreuungseinrichtungen, die es beiden Elternteilen ermöglichen, im Arbeitsprozess zu funktionieren, hin zu Kindertagesstätten mit Ausrichtung auf die Entwicklung und Bildung von Kindern. Das Programm legt großen Wert auf die Betreuung der Kinder beim Erwerb regulärer Kompetenzen in den Bereichen Sprache, Zahlenverständnis, Weltorientierung und Kreativität. Es legt aber auch Wert auf kulturelle Bildung, in der das Lesen, die Begegnung mit der Kunst und der Umgang mit Ausdrucksformen der Diversität in Kultur und Religion gewürdigt werden. Die Aneignung von Wissen über religiöse Geschichten und Rituale und deren Zusammenhang mit dem eigenen Leben oder dem der Kinder in der Gruppe finden jedoch keine Erwähnung. Das Fehlen einer religiösen Lernumgebung bedeutet, dass der Erwerb religiöser Kompetenzen, wie zum Beispiel das (narrative) Verständnis von Religion, insgesamt nicht angesprochen wird bzw. angesprochen werden kann. Kurz: Es liegt nicht im Interesse der offiziellen Träger der Kindertagesstätten – und dazu gehört auch die Regierung – Kinder aktiv mit Religion in Kontakt zu bringen.

12 Ebd. 13 Ebd. 14 Ebd. 15 Ebd., 132, 16 Ruben Fukking, Pedagogisch curriculum voor het jonge kind in de kinderopvang, 2017, 31/32. 17 Ebd., 87. 18 Ebd., 78/79.

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Pädagogische Berichte und Anregungen

4. Umsetzung in die Praxis

Umfangreiche Internetrecherchen zeigen, dass die niederländischen Kindertagesstätten die neuen Vorgaben auf Basis eines selbst erstellten Bildungsprogramms in die Praxis umsetzen. Und dieses im Geist der in dieser Studie aufgeführten Dokumente Pädagogischer Rahmen für Kinderzentren 0–4 Jahre, Pädagogischer Lehrplan für das Kleinkind in der Kinderbetreuung und des Gesetzes Innovation und Qualität der Kinderbetreuung. Im Bildungsprogramm werden thematische Lernumgebungen entwickelt, in denen Kompetenzaneignung sowie Entwicklung und Bildung inhärent sind. Angeboten werden Themen mit direktem Bezug zur Kinderwelt. Zum Beispiel: Frühling, Sommer, Herbst und Winter (die Jahreszeiten); der Bauernhof; Reisen (Ferien); krank/gesund; Familie; Wasser; Wohnen; etc. Das nationale Netzwerk öffentlicher Bibliotheken in den Niederlanden unterstützt die thematische Arbeit in den Kindertagesstätten mit Büchern, Geschichten-CDs und DVDs.19 Wer die Bildungsprogramme auf Grundlage eines religiösen Interesses erforscht, findet keine Hinweise auf das Thema Religion. Mit Ausnahme einer begrenzten Anzahl von Kindertagesstätten mit christlicher Identität.20 5. Herausforderung

In relativ kurzer Zeit erfolgte in den Niederlanden, wie wir gesehen haben, der Richtungswechsel von der Kinderbetreuung als Erleichterung für Beschäftigte hin zur Bildungs-Kita. Wenn man als Religionspädagoge mit der Erkennt-

nis konfrontiert wird, dass Religion in den Bildungsprogrammen der Kindertagesstätten neuen Stils keine Rolle spielt, muss man sich geradezu herausgefordert fühlen, etwas daran zu ändern. In der gleichen Phase des Übergangs von Kinderbetreuung zu Kindertagesstätten schrieb der vielseitige Theologe Gijs Dingemans (1931–2017)21 sein positiv aufgenommenes Buch Spuren des verborgenen Gottes22: Es ist ein Buch über die Bedeutung der christlichen Religion im Dialog mit anderen Religionen in einer durch einen ständigen Wandel der Weltanschauung gekennzeichneten Zeit. Kinder werden in eine Welt hineingeboren, in der die Dinge für sie zunächst mehr oder weniger feststehen. So entdecken sie frühzeitig, wer ihre Eltern sind. Aber schon bald erleben sie, dass sich die Welt ständig ändert. Sie werden aufgefordert, sie unter Begleitung ihrer Erzieher immer wieder neu zu ordnen und ihr einen Sinn zu geben23. Dieses Ordnen und einen Sinn-Geben gilt auch für die Welt des Glaubens, die über Personen und Medien mit vielen Facetten

19 Siehe zum Beispiel: www.bibliotheekaandevliet.nl/dam/bestanden/educatie/educatiefprogramma_psz_en_kdv_2015-2016.pdf 20 Zum Beispiel: https://ckodeark.info/ 21 Professor Gijs Dingemans publizierte auf den Fachgebieten Praktische Theologie, Religionspädagogik und Systematische Theologie. 22 Gijs Dingemans, Sporen van de verborgen God. Een theologie van de Geest, Kampen 2010. 23 Übereinstimmende kulturhistorische und pädagogische Erkenntnisse finden sich auch bei Lev Vygotsky (1896–1934) und John Dewey (1859–1932). Für weitere Informationen siehe das niederländische Standardwerk Pedagogiek in Meervoud, S. Miedema (Red.), Houten 1997.

Kuindersma Religiöse Bildung in niederländischen Kitas als Herausforderung

in sie eindringt, und ihnen etwas über ihre Wirklichkeit und sie selbst aufzeigt. Das stellt Kinder und ihre Begleiter vor viele Fragen und Rätsel. Den Religionen wäre es am liebsten, wenn sie darüber ins Gespräch kommen. Aber dann müssten Religionen weit über die einzelnen Fragmente hinaus erschlossen werden.24 Und, wie wir gesehen haben, geschieht das in niederländischen Kindertagesstätten nicht: weder vor dem Richtungswechsel noch danach. Wurden bisher keine Versuche unternommen, dies zu tun? Unseres Wissens nur in einer einzigen Studie, und zwar in der Masterarbeit Lebensanschauliche Bildung des kleinen Menschen in der Kinderbetreuung25 der Studentin Linda ten Have von der University of Applied Sciences Fontys in Tilburg. Die Studentin stellt in ihrer Studie – ebenso wie wir – fest, dass es in der damaligen Kinderbetreuung (einschließlich Kindertagesstätten) an jeglicher Aufmerksamkeit für Religion mangelt. Dabei stellt sie das Konzept der Kindertheologie als gangbaren Ansatz vor. Das Konzept der Kindertheologie wurde 2008 von Johan Valstar und Henk Kuindersma in den Niederlanden eingeführt, und zwar über ein Lehrbuch für die Ausbildung von Grundschulleh-

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rern.26 Es zeichnet sich Linda ten Have zufolge durch das Schaffen einer offenen, abwechslungsreichen Lernumgebung aus, in der Verwundern, Entdecken und die (begleitende) Aneignung (erster) (inter)religiöser Erkenntnisse über kinderphilosophische und kindertheologische Gespräche stattfinden. Für Religionspädagogen und Praktiker in den Niederlanden müsste es in der aktuellen Situation eine Herausforderung sein, die formulierten Gedanken der Studentin Linda ten Have aufzugreifen, natürlich ergänzt um aktuelle Untersuchungen und Erfahrungen auf dem Feld der Kindertheologie. Im thematischen Ansatz der Bildungsprogramme von Kindertagesstätten sollte auf jeden Fall auch für religiöse Themen Raum sein.

24 Haupterkenntnisse entlehnt aus Gijs Dingemans, Sporen van de verborgen God. een theologie van de Geest, Kampen 2010, 7–10. 25 Linda ten Have, Levensbeschouwelijke Vorming van de kleine mens in de kinderopvang, Tilburg 2009. 26 Johan Valstar und Henk Kuindersma, Verwonderen & Ontdekken. Vakdidactiek godsdienst primair onderwijs, Amersfoort 2008.

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Pädagogische Berichte und Anregungen

Bianca Kobel Elementarpädagogik und Familienbildung – Religionssensible Bildung in den Kindertageseinrichtungen des CJD e.V. Die Lebenswelt in unseren Kindertageseinrichtungen ist bunt, fröhlich, offen und vielfältig und bietet daher einen wunderbaren Raum der Begegnung mit sich selbst und anderen. Unsere Kindertageseinrichtungen sind Bildungseinrichtungen, in denen Vielfalt gelebt wird und in denen wir religions- und kultursensibel aufeinander zu und miteinander umgehen. Doch was bedeutet eine Pädagogik der Vielfalt für einen christlichen Träger? Als christlicher Träger ohne missionarischen Auftrag geht es um den wertschätzenden, anerkennenden und achtsamen Umgang mit interchristlicher und interreligiöser Ausprägung und es geht weiter um das Herausarbeiten von Gemeinsamkeiten hinsichtlich von Werten, Normen und Haltung auf der Basis eines christlich/humanistischen Weltbildes. Ein wesentlicher Teil ist hierbei auch Mitarbeitende zu unterstützen, in Bezug auf Glauben und Religiosität sprachfähig zu sein oder zu werden und Sicherheit im Umgang mit ihrem Glauben zu haben. Dazu gehört auch die Übersetzungsaufgabe für religiöse Menschen in einem säkular orientierten gesellschaftlichen Umfeld. Sprich, es geht um das professionelle Verstehen und Erlebbarmachen religiöser Realitäten. »Wenn Diakonie Räume eröffnen will, in dem die Menschen Gott begegnen können, dann ist die wesentliche Voraussetzung die Authentizität und Sprachfähigkeit aller Mit-

arbeitenden. Ihre Aufgabe ist es, Menschen – angestoßen durch Fragen und Anregungen – zu ermutigen je eigene Fragen zu formulieren.«1 Um CJD-weit verbindlich eine ähnliche und weltoffene pädagogische Praxis leben zu können, bietet das CJD mit seinem Bildungsverständnis Orientierung: Wir lieben Menschen, denn Gott liebt uns Menschen. Wir fördern Neugierde. Und fragen: Was willst du? Wir eröffnen Wege. Und fragen: Was brauchst du? Wir achten Freiheit. Und fragen: Wer bist du und wer willst du werden? Wir gestalten Gemeinschaft. Und fragen: Was bringst du ein und wie feiern wir unsere Gemeinschaft? Die Haltung, die wir damit zum Ausdruck bringen ist, dass Bildung für uns mehr ist als reine Wissensvermittlung darstellt und Menschen im Dreiklang von Körper, Geist und Seele gesehen werden müssen. Hierzu gehört die ganzheitliche Entwicklung der Persönlichkeit eines jeden Einzelnen. Vor diesem Erfahrungshorizont haben sich vier unterschiedliche pädago-

1 A. Dierssen, Religionssensibilität: Liebe, Freiheit & Authentizität, in: Diakonie Deutschland (Hg), #religions- und kultursensibel, Leipzig 2018, 255–258.

Kobel Elementarpädagogik und Familienbildung

gische Handlungsfelder entwickelt, in denen wir die Entwicklung der Persönlichkeit fördern: – Religionspädagogik stellt die Frage nach der eigenen Existenz unter dem Motto: »Stell die Fragen deines Lebens.« – Sport- und Gesundheitspädagogik ermöglichen die Selbstwahrnehmung und die Erfahrung des eigenen Körpers unter dem Motto: »Beweg dein Leben.« – Musische Bildung sucht nach einer kreativen und individuell einzigartigen Ausdrucksweise unter dem Motto: »Und das Leben lacht.« – Politische Bildung vermittelt die Erkenntnis, als Person unabdingbar notwendig für die Gesellschaft zu sein, unter dem Motto: »Gib dem Leben Raum.« Durch diese vier Handlungsfelder gibt das CJD jungen Menschen in besonderer Weise Raum und Möglichkeiten, ihre eigene Persönlichkeit zu entwickeln.2 Doch wie gelingt der Transfer einer religionssensiblen Bildung in den Alltag? Wir orientieren uns an den Lebenswelten der Kinder und ihren Familien. Die wertschätzende, respektvolle Begegnung, die gegenseitige Anerkennung und echtes Interesse am Gegenüber ermöglichen den Kindern, Familien und Mitarbeitenden sich dialogisch mit ihren jeweiligen Lebenswelten auseinander zu setzen und die Anderen daran teilhaben zu lassen. Lebenswelten sind immer ein Raum der Kommunikation (verbal und nonverbal) und somit auch immer Ausdruck der dort gelebten Werte und Normen. Dieser Dialog kann den Blick für die Gemeinsamkeiten schärfen und bietet die Chance zur Reflexion der eigenen Le-

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benswelt. Dieses voneinander und miteinander Lernen ermöglicht interreligiöses Lernen. Strukturelle Unterstützung und fachliche Beratung zur Bewältigung dieser komplexen pädagogischen Aufgaben bietet das CJD intern durch das eigene Institut für »Theologie, Wertekommunikation und Persönlichkeitsbildung«, Gremien wie den Wissenschaftlichen Beirat, Fachausschüsse, Besinnungen und Gottesdienste, Fachtagungen und die jährlich stattfindende Woche der biblischen Besinnung. Konkret im Fachbereich Elementarpädagogik und Familienbildung im CJD bedeutet dies Verständigung auf und Umsetzung gemeinsamer Standards CJD-weit, Fachveranstaltungen wie eine jährliche Bundesfachkonferenz für alle Einrichtungsleitungen (und nach Möglichkeit auch deren Stellvertretungen) sowie Weiterbildungs- und Beratungsangebote vor Ort durch das Bundesreferat Elementarpädagogik und Familienbildung. Dadurch möchten wir den Mitarbeitenden ermöglichen sich mit ihren Lebens- und Glaubensfragen zu beschäftigen. Denn nur durch die Auseinandersetzung mit den eigenen Fragen entsteht Sprachfähigkeit und Authentizität im Umgang mit den Kindern und ihren Familien. Nur so kann es uns gelingen Gemeinschaft zu leben, im Respekt mit- und füreinander, denn schließlich ist jede Bildungsarbeit immer auch Beziehungsarbeit.

2 Vgl. »Die Persönlichkeitsbildung im CJD«. 2017.

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Pädagogische Berichte und Anregungen

Cornelia Mikolajczyk Religionspädagogische Qualifizierung in der Nordkirche

»Kleine Frage / glaubst du / du bist / noch zu klein / um große fragen / zu stellen?« Mit der ersten Strophe dieses Gedichts von Erich Fried verlockt Rainer Oberthür in seinem Buch »Kinder und die großen Fragen«1 Erwachsene dazu, die Perspektive zu wechseln und Kinder zu fördern, ihre großen Fragen zu stellen. Dieses Buch ist für diejenigen eine Ermutigung, die den Wert der Frage erkannt, die sich auf das Unverfügbare freuen und selbst Lust am Fragen, Philosophieren und Hinterfragen haben. Doch wie komme ich dahin, dass ich das Fragen als wertvoll, bereichernd, alltäglich in meine pädagogische Arbeit in einer KiTa als pädagogische Fachkraft integriere und gerade das Fragen nach Gott und der Welt als Grundlage des Seins erkenne? In den Religionspädagogischen Qualifizierungen (RPQ) für pädagogische Fachkräfte in ev. Kindertageseinrichtungen im Sprengel Mecklenburg und Pommern, die vom Pädagogisch-Theologischen Institut der Evangelisch Lutherischen Kirche in Norddeutschland (Nordkirche) angeboten werden, stellt sich die große Frage vor der »Kleinen Frage« immer wieder: Glaubst du, du bist schon zu groß um große Fragen zu stellen? Das Fragen ist im Erwachsenenalter oftmals mit Scham behaftet und gerade die Fragen in religiösen und religionspädagogischen Bildungsangeboten in

einem historisch von Kirchenferne und -feindlichkeit geprägten Bundesland. Zu bedenken ist, dass hier durch 40 Jahre DDR- Diktatur Glaube, Religion, Religiosität mit Rückschritt, Benachteiligung, staatsfeindlichem Verhalten gleichgesetzt wurden und werden. Zu Situation und Verständnis muss gesagt werden, dass es bis 1989 in der Evangelisch-Lutherischen Mecklenburgischen Landeskirche drei Evangelische Kindergärten gab. Jetzt sind es 120 Kindertagesstätten in MecklenburgVorpommern. Das bedeutet, dass ein Großteil der pädagogischen Fachkräfte übernommen wurde, die keinerlei Beziehung zur Kirche hatten und ihre Ausbildung in der staatlichen Volksbildung erworben hatten, die sich am sozialistischen Menschenbild und Kollektivierung orientierte. Die Zeit nach der Übernahme zumeist von diakonischen Trägern war von Angst vor Unwissenheit geprägt: Was bedeutet »evangelisches Profil« in einer KiTa? Muss ich jetzt beten, mich taufen lassen, jeden Sonntag in die Kirche rennen? Wo finde ich andere Arbeit oder werde ich aus »Brotangst gefügig« (Kurt Marti)? In dieser Situation bot das TPI (seit 2013 der Nordkirchenfusion PTI) diese 1 Rainer Oberthür, Kinder und die großen Fragen, München 2015.

Mikolajczyk Religionspädagogische Qualifizierung in der Nordkirche

Qualifizierungskurse an, die bis heute erfolgreich durchgeführt werden. Dafür musste und muss sich die Kursleitung bewusst sein, dass die diakonischen Träger von der ACK-Bindung der Mitarbeitenden absehen und die meisten Teilnehmer/innen nicht Mitglied einer Kirche sind. In der Erstellung des Curriculums wurde klar, dass es um religiöse Bildungsprozesse im umfänglichen Sinne und nicht allein um Religionspädagogik gehen kann. Welcher Kompetenzen bedarf es, dass eine Erzieherin in einer Kindertagesstätte auf die großen Fragen der Kinder eingehen kann? Kann Haltung verändert werden? Wie wird in den Dialog mit Kindern über Gott und die Welt getreten, wenn eine Erzieherin weder religionspädagogisch gebildet, nicht christlich sozialisiert noch mit Grundtexten des Christentums in Berührung gekommen ist? Das Konzept der RPQ sieht vor, dass in allen Themen und in allen Kompetenzbereichen, die der Deutsche Qualifikationsrahmen (DQR) vorschlägt, das Theologisieren und Philosophieren mit Kindern vorkommen soll. Die Grundermutigung zum Fragen sind das Prinzip der Kursarbeit: »Wer fragt, weiß schon etwas« und das Prinzip, dass die Teilnehmer/innen Akteur/innen ihres Lernprozesses sind. Am Beginn des 19 Tage umfassenden Kurses stehen das Abklären von Wünschen, Befürchtungen und das Herausstellen des Überwältigungsverbotes. In der Kategorie »Das soll nicht passieren« nennen die Teilnehmer/innen u.a. Überwältigung und Ziel »Taufe«; Rollenspiele; Angst vor Tränen und Berührt-sein sowie Biografiearbeit. Bei den Erwartungen geht es vornehmlich um Informationen über Religion, Methoden

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erlernen und Fragen der Kinder beantworten können. Im Folgenden werden die Kompetenzbereiche beschrieben und die damit verbundenen Inhalte. 1. Selbstkompetenz

Wie bekannt, ist diese Kompetenz die Wichtigste unter den Kompetenzen, denn sie ist an ein lebenslanges Lernen gebunden, entwickelt Selbstwirksamkeit und entwickelt sich nicht allein durch Aneignung von Methoden oder Fachwissen sondern benötigt Selbsterfahrung. Sie hat zum Ziel »in sich verändernden Zusammenhängen motiviert und aktiv gestaltend handeln zu können. […] Die Handlungsfähigkeit des Einzelnen hängt entscheidend von der Fähigkeit ab, Wissen und Emotionen miteinander zu verbinden. Eine hohe Selbstreflexivität ist dabei unabdingbar.«2 Grundlegend dafür ist eine eigene Fragehaltung einzunehmen und reflektieren können. Die Teilnehmer/innen des Kurses werden ermutigt, ihre eigenen Fragen zu stellen. Das klingt banal, aber die Hürde ist sichtbar hoch, sich zu trauen, da mit dem Fragen immer noch die Befürchtung verbunden ist, dass man als dumm und unwissend da steht. Die Seminare sind so angelegt, dass immer wieder die eigenen Fragen formuliert und zur Sprache gebracht werden

2 Claudia Solzbacher / Birgit Behrens / Meike Sauerhering, Individuelle Förderung und Selbstkompetenz, in: Julius Kuhl / Susanne Müller-Using / Claudia Solzbacher / Wiebke Warnecke, Bildung braucht Beziehung. Selbstkompetenz stärken – Begabungen entfalten, 2011, 42.

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Pädagogische Berichte und Anregungen

sollen. Zumeist wird in dem Dreischritt »Think, Pair, Share« gearbeitet, um zunächst einen kleinen Schutzraum (Think und Pair) und um dann erst im Plenum, also in der Öffentlichkeit, die Frage zu präsentieren. Erst am Ende wird nach den Fragen der Kinder gefragt. Die Erkenntnis, dass ihre eigenen Fragen auch die der Kinder sein können, überrascht die Teilnehmer/innen oft. Das Theologisieren wird immer wieder eingeübt. Dabei lernen sie am Vorbild der Dozent/innen, die mit dem Theologisieren vertraut sind und die Kursgruppe in diese Formen des Gespräches mitnehmen. So erleben sie den wertschätzenden Umgang, die Achtung vor den Gedankengängen der anderen und das teilnehmende Zuhören im Vollzug. Verschiedene Konzepte der Religionspädagogik werden im Erleben ausprobiert. Dazu gehören der Bibliolog, Godly play, Bibeltheater, Ganzheitlich- Sinnorientierte Religionspädagogische Praxis und durch künstlerisches Gestalten erfahren sie, dass es vielfältige Antworten und »Sprachen« gibt und geben darf. Das Lerntagebuch, verbunden mit einer festen Zeit des Schreibens, der sog. »Blauen Stunde«, ermöglicht u.a., die Fragen zu notieren und den Gedanken am Abend noch einmal nachzugehen. Am Ende der Kurswoche werden die »Sätze des Tages« vorgelesen – wenn das Theologisieren selbst in der Theorie Thema war, wird darum gebeten, diese Sätze als Fragen zu formulieren. In den Zeiten zwischen den Kursen dient das Tagebuch als Notizbuch für die eigenen Fragen, die wiederum mitgebracht werden. Auch hier ist es das Ziel, dass die Erzieher/innen eigenständig ein Gespür für die eigenen Fragen

entwickeln und Sprache für das, was sie bewegt, finden. Zur Selbstkompetenz gehört auch, der eigenen Religiosität nachzuspüren und diese reflektieren zu können. Ausgehend davon, dass es vielfältige Religiositäten gibt, reflektieren die Teilnehmenden ihre eigenen Zugänge zu ihrer Religiosität. An Hand des Spiritualitätsbegriffes nach A.A. Bucher3 setzen sie sich mit sich selbst und ihrer Religiosität auseinander. Zu beobachten ist, dass sie zumeist die Verbundenheit mit sich selbst, dem Sozialen und dem Kosmos nachvollziehen und dem auch zustimmen können. Die Verbundenheit mit Gott ist dagegen meist fremd und befremdlich. Dadurch aber, dass die ersten drei genannten Dimensionen zumeist bejaht werden, wird diese Dimension besser verstanden. Über Biografiearbeit, verknüpft mit den Fragen: »Wo habe ich gespürt, dass ich behütet wurde oder dass ein Engel mir nahe war?«, erschließt sich ein basaler Zugang. Hier werden wiederum die großen Fragen relevant und ein Verständnis für die Vielfalt der Antworten wird befördert und die Frage betont: »Was geht mich unbedingt an?« 2. Fachkompetenz

Natürlich geht es hier auch um die theoretischen Grundlagen des Theologisierens. Entlastend ist dabei, dass die Teilnehmer/innen entdecken, dass sie nicht auf alle (religiösen) Dinge eine Antwort haben müssen, sondern dass die Fach3 Anton A. Bucher, Wurzeln und Flügel, Stuttgart 2007.

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kompetenz im Fragen, Zuhören, Wahrnehmen liegt. Die Teilnehmer/innen eignen sich dieses Wissen so an, dass sie argumentativ den »Raum der Frage«, den Kompetenzerwerb durch das Theologisieren für die Kinder und das christliche Menschenbild als Haltung der pädagogischen Fachkraft darstellen können. Dieses Wissen speisen sie zum einen an ihren Regionaltagen ein, bei denen sie es in ihrer Einrichtung den anderen Teilnehmer/innen der Kursgruppe präsentieren und die Praxis der Einrichtung in Bezug auf religionspädagogisches Arbeiten reflektieren. Auch bei dem Kolloquium benötigen sie dieses Wissen. In den »Hausaufgaben«, die sie zu den Kurstagen mitbringen, geht es auch immer um das Thema »Wie kommen Kinder zu Wort?« und dessen Reflexion. In den Seminaren werden Grundlagen der konstruktivistischen Pädagogik, der Ko-Konstruktion von Kindern erarbeitet. Als sehr wertvoll hat sich erwiesen, über die Achtung vor dem Kind und die Betonung von gelungenen pädagogischen Beziehungen zu diskutieren. Die Leitlinien der Reckahner Reflexionen4 fordern dazu heraus, die Würde des Kindes, die Gestaltung von pädagogischen Beziehungen und die Entwicklung von Kindern so zu befördern, dass sie in ihrem Da-Sein, in ihrem Hineinwachsen in die Gesellschaft unterstützt, gefördert und auch geschützt werden. Das ermöglicht u.a., dass sich der Raum der Frage für Kinder ergibt und sie furchtlos fragen können. Die Fundierung in der Allgemeinen Pädagogik und der Zusammenhang von Allgemeiner Pädagogik und Religionspädagogik auf Grundlage des christlichen Menschenbildes plausibilisieren das Theologisieren mit Kindern.

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Da die Erzieher/innen durch ihre Ausbildung bereits gute Kenntnisse in der Entwicklungspsychologie haben, sind die Modelle religiöser Entwicklung wichtige ergänzende Bausteine. Sicherheit für die Arbeit in der Evangelischen KiTa im Umgang mit den Eltern und deren Fragen nach der religiösen Bildung, den Zweifeln und der Abwehr von Themen des Glaubens und Theologie wird durch eine Aneignung theologischen Grundwissens gewonnen. Auch hier wird in der Aneignung erlernt, dass es verschiedene Zugänge, Hindernisse und Chancen gibt und dass dieses wichtig und in Ordnung ist. Gerade in der Entwicklung von Bodenbildern wird die Veränderung in Lernprozessen verdeutlicht. Erzieher/innen vollziehen mit, wie durch das Eintragen verschiedener Positionen und der Verzicht auf eine absolute Wahrheit, sich das eigene Bild verändert und Fachwissen dazu hilft, Verknüpfungen herzustellen und Argumentationen nicht nur »aus dem Bauch heraus« geschehen. Da bei vielen Erzieher/innen durch ihre religionsferne und/oder ablehnende Sozialisation ein Wissen über Religion(en) fehlt und der Umgang mit Texten und Traditionen der Evangelischen Kirche und Diakonie ungeübt ist, wird hier ein Schwerpunkt gelegt. Die Kunst besteht darin, dass die Kursleitung eine Sprache findet, die verständlich, auf den Erfahrungen der Teilnehmer/innen fußend und trotzdem griffig ist, das Heilige und Spirituelle einbeziehend. Erstaunlich ist immer wieder, dass die Luther-Bibel der Guten Nachricht 4 www.paedagogische-beziehungen.de

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Pädagogische Berichte und Anregungen

vorgezogen wird, weil das die »richtige« Sprache für Kirche sei (O-Ton einer Teilnehmerin). Im Lesen und Durchleben von Texten durch Bibliolog, Bibliodrama sowie Textcollagen erstellen erschließen sich Texte deutlich nachhaltiger als bei kognitiven Methoden und eine größere Fragebereitschaft ist zu verzeichnen. 3. Methodenkompetenz

Wie stelle ich Fragen so, dass sie ein Gespräch ermöglichen? Wie weiche ich nicht den Fragen der Kinder aus, sondern gehe mutig daran, mich durch die Kinder in das Gespräch verwickeln zu lassen? Wie kann ich im Alltag gut die Fragen der Kinder einbauen und das Fragen befördern? Diese wichtigen Fragen im Theologisieren mit Kindern streifen den Bereich der Methodenkompetenz. Teilnehmer/innen der Qualifizierung lernen Gesprächsführung und Impulse zu setzen. Dazu kommt auch, Hilfsmittel zu kennen und anwenden zu können. Ein wichtiger Methodenerwerb ist das Erlernen und Vertiefen des Erzählens von biblischen Geschichten. Verschiedene Erzählansätze, Materialien, die das Erzählen unterstützen, werden ausprobiert und geübt. Dabei ist es eine Herausforderung, aus einem Bibeltext eine Geschichte für die Kinder zu entwickeln. Erzieher/innen wagen sich daran, ohne die Vorlagen von Kinderbibeln sich den Text zu erschließen und ihn zunächst zu befragen und ihre Fragen sowohl zu Sachfragen als auch inhaltlich zu stellen. Das Umschreiben und dann das Erzählen sind nachlaufende Schritte. Die sich aus dem Aneignen der Texte ergebenden Fragen werden daraufhin untersucht, in

welchem Alter der Kinder und/oder der Erwachsenen sie gestellt werden. Das eigene Befragen der Bibeltexte, das Üben dieses Befragens, befähigen dazu, mit den Kindern gemeinsam auf eine Gesprächsebene zu kommen. Den »100 Sprachen des Kindes« gerecht zu werden durch verschiedene kreative Ergründungsmethoden erlernen die Teilnehmer/innen durch eigenes Erleben. Erwartet wird, dass sie, wenn sie diese Geschichte vor der Kursgruppe erzählen, auch den anschließenden Impuls für das Theologisieren für die »Probegruppe« setzen. Das Herstellen eigener Erzählmaterialien erhöht die Identifikation mit den Geschichten und dem Erzählen. Durch Gesprächsprotokolle in Anlehnung an die Seelsorgegesprächsprotokolle der Klinischen Seelsorgeausbildung dokumentieren sie Gespräche mit den Kindern im Alltag. Im Kurs werden die Protokolle in verschiedenen Rollen gelesen und nach den Schritten der Kollegialen Beratung besprochen. Die Reflexion dient dazu, herauszufinden, wo die Stärken, die Möglichkeiten anderer Reaktionen, die theologischen Gedanken der Kinder sind und wie das Fragengestalten gelingt. Auch das Setting, die Impulse und Situationen werden reflektiert. Die Seminargruppe ist dabei Akteurin, Resonanzraum und Lernende zugleich. Für Morgenkreise und religiöse Lernangebote werden Planungsschritte erarbeitet und in der Praxis erprobt. In der Planung geht es auch darum, der eigenen Authentizität Raum zu geben und zu reflektieren, ob nur einer Vorgabe des Arbeitgebers oder der Leitung Genüge getan wurde und wie man damit umgehen kann. Ein wichtiges Seminar ist das der Kirchenpädagogik, weil hier eine große

Mikolajczyk Religionspädagogische Qualifizierung in der Nordkirche

Chance besteht, einen fremden Raum sich so zu erschließen, dass Kinder sowohl in ihrem Fragen aber auch auf ihrer Suche nach Verortung und Heimat unterstützt werden können. Kirchenpädagogische Methoden so zu lernen, dass pädagogische Fachkräfte sich sicher ihren nächstgelegenen Kirchraum (und das möglichst im Kontakt mit der Kirchengemeinde) erschließen und Kinder wie Eltern und Kolleg/innen mit in die Erkundung nehmen zu können, ist Ziel der Seminare zur Kirchenpädagogik. 4. Sozialkompetenz

Wie bereits mehrfach angeklungen, gehört zum Theologisieren und der Aneignung der Welt ein Heterogenitätsbewusstsein: Der Blick auf das einzelne Kind und die Haltung, dass Kinder Weltendecker und Gottsucher sind, wird immer wieder ins Bewusstsein geholt. Das Thema »Ich bin anders als du bist anders« ist ein wichtiger Teil um zu lernen, dass es nicht die eine Antwort gibt. An einem Projekttag, der als ein (großes) Büfett gestaltet ist, erarbeiten sich die Teilnehmer/innen den Umgang mit Heterogenität und heterogenen Fragen/ Antworten. Immer wieder wollen die Teilnehmer/ innen wissen, was nun die richtigen Antworten seien. Der mühsame Lernprozess bedeutet, dass ein Bewusstsein für unterschiedliche und doch gleichwertige Religiositäten erlernt wird. Zugleich werden die Inhalte des Religionspädagogischen Qualifizierungskurses natürlich auf dem Hintergrund der Kommunikation des Evangeliums und des evangelischen Bildungshandelns erschlossen und damit

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einer Beliebigkeit enthoben. Der Erwerb von Sozialkompetenz im Rahmen der RPQ bedeutet auch, dass der Träger der Einrichtung, der das evangelische Profil vorgibt, durch die pädagogische Fachkraft vertreten und kommuniziert werden kann. Dazu muss sie die Heterogenität, der sie in den Familien der ihr anvertrauten Kinder begegnet, wahrnehmen und wertschätzen und zugleich das christliche Menschenbild als Haltung und Konzept pädagogischen Handelns vertreten. Auch hier helfen die wertschätzende Fragehaltung und das Ausstrahlen eines grundsätzlichen »Mich interessiert, was du denkst«. Eine Forderung ist, dass die pädagogische Fachkraft sich gegenüber menschen- und gruppenfeindlichen Äußerungen und Handlungen positionieren und abgrenzen kann. Immerwährende Frage(n)

Glaubst du, du bist schon zu groß, um große Fragen zu stellen? Im Kolloquium zeigen die Teilnehmer/innen des Qualifizierungskurses, dass sie mit Fragen umgehen können. Dazu werden ehemalige Kursteilnehmer/innen eingeladen und in Workshops geht es dann um Themen der Religionspädagogik. Ein Bewertungskriterium ist, ob und wie die großen Fragen im Workshop vorkommen und wie damit im Gespräch umgegangen wurde. Die große Frage vor der »kleinen Frage« ist ein Kurskontinuum in der Religionspädagogischen Qualifizierung und darüber hinaus eine sich immer wieder stellende Frage. Träger und Leitungen müssten sich diesem genauso stellen und dieser Frage Raum und Zeit zur Verfügung stellen.

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Pädagogische Berichte und Anregungen

Antje Grambow Evangelisches Profil in der Fortbildung für pädagogische Fachkräfte des Diakonischen Werkes Hamburg

1. Einführung

Anstöße zur Reflexion eines evangelischen Profils der Kinder- und Jugendhilfe im Diakonischen Werk Hamburg kommen von Innen und Außen: Zunächst einmal ist im Zuge der Qualitätsentwicklung für das evangelische Gütesiegel die Auseinandersetzung mit der Frage »Was macht uns zu einer evangelischen Einrichtung?« deutlich im Interesse des Landesverbandes und der Trägerschaft. Zudem erfordert die EKD-weite Veränderung der sogenannten Loyalitätsrichtlinie zum Mitarbeiteranforderungsgesetz eine inhaltliche Bestimmung des Profils, da die formale Bestimmung durch die zwingend erforderliche Kirchenmitgliedschaft entfällt. Gesellschaftliche Anstöße von außen sind die zunehmende Diversität in der Mitarbeiterschaft sowie der steigende Fachkräftemangel. Die Nordkirche versucht mit einem Prozess der interkulturellen Öffnung landeskirchenweit in Gemeinde und Diakonie dieser Situation angemessen zu begegnen. Im Folgenden möchte ich einen Einblick in den Hamburger Profilbildungsprozess geben, der sich je nach Einrichtung sehr unterschiedlich gestaltet und in verschiedenen Phasen befindet.

2. Theologisch-Religionspädagogische Grund- und Aufbaukurse

Das Diakonische Werk Hamburg bietet für pädagogische Fachkräfte und Einrichtungsleitungen Qualifizierungsmaßnahmen in Theologie und Religionspädagogik sowie spezielle Fortbildungen zum evangelischen Profil für Einrichtungsleitungen aus der Kinder- und Jugendhilfe an. Zudem nehmen neu beginnende Mitarbeitende des Diakonischen Werkes selbst seit einigen Jahren an einem hausinternen Profilkurs teil. Dort werden vier Bausteine für die Erkennbarkeit eines evangelischen Profils vorgestellt: – Äußere Zeichen (z.B. Kreuz, Satzung mit Bibelzitat, Weihnachtskrippe) – Hausklima (z.B. gemeinsame Auszeiten, Feste) – Geistliches Leben (z.B. Monatsandacht, Mittagsgebet, Segen für neue Mitarbeitende und welche, die verabschiedet werden) – Sprachfähigkeit der Mitarbeiter/innen (z.B. Qualifizierungsmaßnahmen, Fortbildungen) Dem letzten Punkt dient das Quali­ fizierungsangebot, welches eine »The­ o­ logisch-Religionspädagogische Grund­qualifizierung« (TRG) und eine »Theologisch-Religionspädagogische Aufbauqualifizierung« (TRA) als Langzeitfortbildungen umfasst.

Grambow Evangelisches Profil in der Fortbildung des Diakonischen Werkes Hamburg

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3. Profilierung und Sprachfähigkeit

5. Praxiserfahrungen

Die Grundqualifizierung beinhaltet eine Einführung in die biblische Überlieferung, die Feste des Kirchenjahres und die Struktur der evangelischen Kirche. Die Fortbildung eröffnet Raum zur Auseinandersetzung mit Gottesbildern von Kindern, dem christlichen Menschenbild und der eigenen religiösen Lebenserfahrung. Sie will Kindern (und Eltern) gegenüber sprachfähig machen und den Blick für die eigene (Glaubens-)Haltung schärfen. Praxisanregungen, Reflektion von Projekten und kollegialer Austausch sind feste Bestandteile. Die Fortbildung erstreckt sich über ein Jahr. Am Ende gestalten die Teilnehmenden einen Gottesdienst und erhalten ein Zertifikat.

Aus der Fortbildungspraxis heraus ergibt sich ein heterogenes Bild: Die Profilschärfung in den verschiedenen evangelischen Kitas (und diakonischen Einrichtungen) ist unterschiedlich stark notwendig. Einige Einrichtungen sind sehr bewusst evangelisch, andere eher zurückhaltend christlich, die pädagogischen Fachkräfte ebenso. Von zwei Erzieherinnen möchte ich erzählen: Die eine nenne ich Tina. Tina kommt in den Grundkurs und ihr erstes Statement ist: »Ich will mit der Kirche ja eigentlich nichts mehr zu tun haben!« Sie ist da, weil ihre Leitung sie schickt. Ihr Baum, den sie zu ihrer religiösen Biografie malt, ist kahl und ohne Blätter. Trotz ihrer negativen Einstellung zur Kirche, gelingt es ihr aber, sich auf die Fortbildung und vor allem auch die Gruppe einzulassen. Sie macht eine erstaunliche Wandlung durch, genießt die Zeit, um Fragen und Kritik loszuwerden und öffnet sich Stück für Stück. Im Laufe verändert sie ihre Haltung grundsätzlich. In dem von der Gruppe selbst gestalteten Abschlussgottesdienst nach knapp einem Jahr und vier Kursblöcken lässt sie sich nach zwanzig Jahren Ehe mit ihrem Mann trauen. »Prüft alles und das Gute behaltet« ist ihr Trauspruch. Die andere Erzieherin heißt Beate. Sie besucht die Aufbauqualifizierung, das Modul Den Islam kennenlernen und sagt: »Bei mir in der Kita sind alle evangelisch oder nichts, eigentlich brauche ich das hier gar nicht.« Sie selbst ist kirchlich sozialisiert, relativ bibelfest, in der Gemeinde aktiv. Trotz ihrer Skepsis ob der Nutzbarkeit in ihrem Kontext hört sie genau hin, gerade bei der Moscheeführung

4. Religionssensibilität und Öffnung

Die Aufbauqualifizierung nimmt die (religiöse) Vielfalt in den Einrichtungen in den Blick und beinhaltet eine Auseinandersetzung mit anderen Religionen, Traditionen und Konfessionen und der Frage, wie ein religionssensibles, begegnungs- und gesprächsoffenes Miteinander aussehen kann. Eine Einführung in die Religion des Islam, die Feste und Rituale der abrahamitischen Religionen, der Umgang mit religiös bedingten Konfliktsituationen sind ebenso Bestandteil der Fortbildung wie das Gespräch mit Religionsvertretern und der Besuch ihrer Gebetsräume. Zudem ist Raum für Praxisanregungen, Reflektion von Projekten und kollegialen Austausch.

200 Pädagogische Berichte und Anregungen oder im Gespräch mit der muslimischen Mutter, die unsere Gruppe besucht. Ihr Praxisprojekt ist die Gestaltung der Geschichte von Hagar und Ismael in der Wüste aus islamischer Tradition. Die Kinder staunen, dass Geschichten Geschwister haben können und unterhalten sich mit Beate, ob Religionen das vielleicht auch haben. Beide Erzieherinnen haben ihr evangelisches Profil reflektiert, entwickelt und anderen gezeigt – sehr unterschiedlich, aber beide in sichtbar aktivem Prozess. Das möchte die Arbeit am evangelischen Profil bewirken: – Dass die pädagogischen Fachkräfte sich ihrer Haltung bewusstwerden. – Dass sie Worte dafür finden und Raum haben, Fragen zu stellen. – Dass sie die Arbeit an der eigenen Haltung als Prozess begreifen, sie immer wieder neu reflektieren. – Dass sie dialogbereit und begegnungsoffen Kinder, Eltern und ihr Team in diesen Prozess mit hineinnehmen. – Und dadurch zur Profilierung und Öffnung ihrer evangelischen Kita beitragen. Bisweilen läuft der Prozess auch ganz anders. Ein weiteres Beispiel: Eine Leitung kam ohne umgesetztes Praxisprojekt in die Aufbauqualifizierung zurück. Ihr Anliegen, mit Eltern mit und ohne Migrationshintergrund gemeinsam einen Festkalender für die Kita zu erarbeiten, scheiterte an der Bereitschaft der zugewanderten Eltern. Sie wollten über ihre Traditionen lieber nicht berichten und beteuerten, dass sie ja auch Weihnachten feiern würden. Es war deutlich, dass sie in der Elternschaft, in der fremdenfeindliche Stimmungen kursierten, nicht auffallen wollten. Gemeinsam mit der

Gemeindepastorin hat die Kita-Leitung dann einen Elternabend organisiert, auf dem diese Situation besprochen wurde. Auch ohne umgesetztes Praxisprojekt war auch das Arbeit am evangelischen Profil: die Kita und die Gemeinde sind zusammen zu einem Ort geworden, an dem Versöhnung versucht wird. 6. Evangelisch in der Jugendhilfe?

Bei Einrichtungen, die nicht explizit religionspädagogisch arbeiten, etwa Jugendhilfeeinrichtungen, Ganztagsbetreuung oder Beratungsstellen, ist bei der Klärung des Profils der Fokus weniger auf die eigene Person, sondern stärker auf die Einrichtung und das Team insgesamt gerichtet. Im Zentrum steht die Frage: Wie wird unser Profil nach innen (Team) und nach außen hin (Eltern/ Öffentlichkeit/ Mitbewerber) erkennbar? In einer Fortbildungsreihe »Diakonisch Handeln im Ganztag« haben sich pädagogische Fachkräfte aus der Nachmittagsbetreuung in evangelischer Trägerschaft an einer Ganztagsgrundschule in vier Schritten dem evangelischen Profil genähert. Sie haben sich gefragt: – Wie gestalten wir Begegnung und Gemeinschaft? – Wie bewahren wir Gemeinsamkeit und Verschiedenheit? – Was bedeuten für uns Versöhnung und Frieden? – Wie bleiben wir im Miteinander verbunden? In Bibelarbeiten, künstlerischem Gestalten, Praxisreflektion, Rollenspiel und Diskussion haben die Teilnehmenden diese Punkte als Gruppe reflektiert und eine Orientierungshilfe für diakonische Trä-

Grambow Evangelisches Profil in der Fortbildung des Diakonischen Werkes Hamburg

ger in der Ganztagsbetreuung erarbeitet. Fünf Grundanliegen heben sie hervor: – Haltung zeigen, Schwerpunkte setzen – Christliches Menschenbild leben – Persönlichkeitsentwicklung ermöglichen – Frieden suchen – Raum für Sinnfragen eröffnen 7. Fazit

Evangelisches Profil taugt nicht zum Auswendiglernen, Nachsprechen und

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Abhaken. Denn das evangelische Profil ist ebenso wenig wie die lutherische Identität etwas Absolutes, auf das wir uns beziehen könnten, sondern muss reflektiert, erarbeitet, in die eigene Identität integriert werden. Evangelisches Profil wird erkennbar bei Pädagoginnen und Pädagogen, die untereinander im Team und mit den Kindern gemeinsam über das Leben staunen, ohne Scheu Fragen nach Gott und der Welt stellen und Antworten suchen – in der christlichen Tradition, im Alltag, im Gespräch mit anderen.

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Pädagogische Berichte und Anregungen

Dörte Jost »Mit Gott groß werden« – Religiöse Bildung in Kindertageseinrichtungen

Mit Gott groß werden – so lautet das Motto der Evangelischen Kindertageseinrichtungen in Norddeutschland. Ein wunderbares Motto, denn »Großwerden« mit Religion, Glaube, mit Gott, das können dort nicht nur die Kinder, das gilt auch für die Erwachsenen, die Familien, die pädagogischen Fachkräfte; immer wieder, immer wieder neu … Aber was heißt das konkret? Kommt nun zu all den Bildungsaufträgen und Kompetenzbereichen in der Kindertageseinrichtung auch noch die religiöse Bildung obendrauf? Was denn noch alles? Nein, »dazu« kommt gar nichts, denn religiöse Bildung in Form von religionspädagogischem Arbeiten versteht sich als Grundhaltung, auf der das Leben in der Kindertageseinrichtung aufbaut. Sie ist alltagsintegriert, ganzheitlich-sinnorientiert, erfahrungsorientiert, religionssensibel und frei von dogmatischen Ansprüchen. Anders als vielleicht in früheren Zeiten geht es nicht um die Vermittlung von »Wissen« über Glaube, Religionen o.ä., sondern um das Erleben, das Spüren, von »Angenommen sein«, vielleicht von »Heimat«. Religiöse Begleitung fängt nicht mit »Verstehen« an, sondern dort, wo ein Kind etwas wahrnehmen kann, spüren kann: einen Ort, eine Handlung, einen Menschen. Anerkannte Pädagogen, die Forschung ebenso, gehen davon aus, dass der Mensch ein religiöses Wesen ist; dass wir

religiöse Fragen schon mit auf die Welt bringen, unabhängig davon, ob wir in einem religiös geprägten Elternhaus aufwachsen oder nicht. Kinder wollen »wissen«, sind offen, neugierig, wollen ergründen, bohren; sie wollen Zusammenhänge und Ausblicke, Werte und Orientierung für ihr Leben entdecken. Dabei stellen sie Fragen, die über das Sicht- und Beweisbare, über Vermittlung von Wissen hinausgehen und zumindest potentiell eine religiöse Deutung der Welt berühren, weil sie hinter die Dinge schauen wollen. Diese Fragen sind nicht »angelernt« oder von außen beigebracht. In ihnen stecken Themen des Lebens; Themen, die Kinder, aber auch Erwachsene, beschäftigen, wie Angst, Geborgen sein, Anerkennung, Sinnhaftigkeit und vieles mehr. Kinder fragen so die großen Fragen (der Menschheit) auf ihre Weise. In unseren Kindertageseinrichtungen »antworten« wir auf diese Fragen, mit unserer Haltung, unserem Menschenbild, ebenso wie mit der Gestaltung des pädagogischen Alltags, beispielsweise mit Ritualen, Gebeten, aber auch mit entsprechenden Geschichten. Korrelations-Didaktik ist ein Fachbegriff dafür, Lebenswelt und (christlichen) Glauben, vielleicht Religion überhaupt, in Wechselbeziehung zu setzen, soll heißen: Texte und Geschichten der Bibel zu »entdecken«; mit den Kindern

Jost »Mit Gott groß werden« – Religiöse Bildung in Kindertageseinrichtungen

gemeinsam zu entdecken, wie viel aktuelle Lebensthemen und Grund-Erfahrungen, Grund-Gefühle in diesen so uralten Texten stecken. Kinder kurz vor der Einschulung beispielsweise können sich sehr gut mit Abraham und Sara identifizieren, wissen sehr genau und präzise, wie die sich dabei gefühlt haben, Vertrautes zu verlassen, Neues zu wagen, ängstlich, mutig und auch neugierig – und im Koran kann man diesen Text auch nachschlagen; da werden ähnliche Lebensthemen deutlich. Religiöse Begleitung und Bildung in der Kindertageseinrichtung erfolgt durch gelebten Alltag, in dem sich die grundsätzliche Haltung, das Menschenbild, ebenso wie das Gottesbild der dort tätigen Erwachsenen widerspiegelt. Glaubenserfahrungen müssen hinterfragt und auch abgelehnt werden können. Dafür brauchen Kinder Menschen, die bereit sind, sich auf Fragen und Antwortsuche der Kinder einzulassen, die eigene Meinungen ernst nehmen und trotzdem sichtbar sind in der eigenen Haltung. Souveränität im eigenen Glauben und ein respektvoller Umgang mit anderen Glaubens- oder Nicht-Glaubenssystemen sind wichtige Elemente einer solchen Haltung, in der es nicht darum geht, Glauben einzufordern, sondern in einer ganz persönlichen, individuellen Beziehung zu Religion, zu Glaube, zu Gott, ein offenes Verständnis dafür zu entwickeln; d.h. bereit zu sein, sich persönlich damit auseinanderzusetzen und den Kindern Erfahrungen damit zu ermöglichen. Religionspädagogisch arbeiten heißt also auch, sich mit den Kindern »auf den Weg machen«; immer wieder. Konkret heißt das, im Gespräch zu bleiben mit den Kindern, miteinander

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reden, immer wieder zu fragen und nicht immer eine Antwort zu haben; heißt auch, GOTT oder religiöse Werte und Aussagen in den alltäglichen Sprachgebrauch, in meine alltägliche Handlungsweise mit aufzunehmen. Glauben mit Leichtigkeit zu begegnen, ohne despektierlich oder beliebig zu werden. Für die Mitarbeitenden bedeutet das, eine Haltung zu Glaube und Religion, genauso wie zum Leben an sich zu finden und natürlich immer wieder überprüfen, zu reflektieren. Souveränität entwickeln, sprachfähig werden, heißt auch, Ängste, Fragen und Zweifel zulassen zu können. Eine Konkretion der Haltung, des Menschenbildes, der Beziehung zu Glaube und Religion findet sich dann wieder in der Gestaltung des pädagogischen Alltags in der Kindertageseinrichtung. Eine Geschichte, ein Text aus der Bibel, ohne Andacht, einfach mal situationsbezogen frei erzählt; ein »freies« Gebet zum Abschluss eines Ausflugs genauso wie für die kranke Großmutter eines Kindes oder die kranke Kollegin; ein Ritual, um zu trösten, genauso wie der bewusste Einsatz von Symbolen in ihrer Besonderheit, all dies holt Gott in den Alltag, lässt für die Kinder und ihre Familien, Glaube, Religiosität spürbar werden. So bekommen die Kinder aus dem Alltag heraus Gelegenheit, eine Beziehung zu Gott, zu Glauben, zu Religion, kennenzulernen, zu entwickeln und ein Gottesbild, eine Lebens-Haltung mitzunehmen auf ihrem Weg in das weitere Leben, in die Welt. Religiöse Begleitung, bestimmt durch ein Menschenbild, in dem deutlich ist, dass jeder so wie er/ sie ist, von Gott geliebt ist, stärkt jeden einzelnen Menschen

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Pädagogische Berichte und Anregungen

und lässt ihn widerstandsfähig werden, ohne Anpassung zu erwarten. In diesem Sinne, in dieser Gewissheit, können die Mitarbeitenden in den evangelischen

Kindertageseinrichtungen zusammen mit den Kindern und deren Familien jeden Tag aufs Neue gut, vertrauensvoll und fröhlich »mit Gott groß werden«.

Schliephake Kindergottesdienst im Fokus

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Dirk Schliephake Kindergottesdienst im Fokus – Zwischen empirischer Bildungsberichterstattung und riskantem Resonanzraum In der Praktischen Theologie scheint evangelischer Kindergottesdienst in seinen vielfältigen Formen weiterhin ein Randthema zu sein.1 Vielleicht liegt eine Ursache in den unterschiedlichen historischen Wurzeln der deutschen Kindergottesdienstlandschaft. 1. Unterschiedliche historische Wurzeln des Kindergottesdienstes

Eine tiefe historische Wurzel des Kindergottesdienstes in Deutschland2 ist die Sonntagsschulbewegung ab 1780 in den USA und in Großbritannien als kirchliches Bildungsangebot für arbeitende Kinder bzw. Ersatzangebot für Religionsunterricht. Die Sundayschool als »educational institution« – vor oder nach dem Gottesdienst – setzt bis heute einen besonderen Schwerpunkt auf pädagogische bzw. katechetische Methoden. Eine weitere Wurzel ist die sozialdiakonische Bewegung zu Beginn des industriellen Zeitalters (Sonntagsarbeit) besonders in England mit starken Folgen für Kinder. Kirchengemeinden nahmen ihre diakonische Verantwortung für Kinder wahr und sorgten für ihren Leib (Tafelspeisung) und ihre Seele (Andachten). In der Hafenstadt Hamburg trafen diese Bewegungen nicht nur bei JohannHinrich Wichern und seine Arbeit im

Rauhen Haus auf offene Ohren und Herzen. Besonders in evangelischen Vereinen der Inneren Mission spielte der Gottesdienst eine herausragende Rolle. Mit kindgemäßen Gottesdienstformen sollten Kinder an den Hauptgottesdienst herangeführt werden. Ende des 19. Jahrhunderts wurden Kindergottesdienste in die evangelischen Landeskirchen integriert bzw. neu gegründet und in Verantwortung des Gemeindepfarramtes – durch viele ehrenamtliche Mitarbeiter/innen unterstützt – zu einer Kernaufgabe der Kirchengemeinde. In Wellenbewegungen geriet im Laufe von rund 170 Jahren der pädagogische, gottesdienstliche oder diakonische Aspekt jeweils verstärkt ins Blickfeld. Schließlich auch die Kinder selbst und ihre Lebens- und Glaubensthemen als theologische Subjekte auf Augenhöhe. Zahlreiche Innovationen in der Kirche gingen vom Kindergottesdienst aus: 1 Zuletzt legte Christian Grethlein einen Gesamtentwurf vor: Kinder in der Kirche. Eine Orientierung für Mitarbeitende im Kindergottesdienst, Göttingen 2010. 2 Christian Berg, Gottesdienste mit Kindern. Von der Sonntagsschule zum Kindergottesdienst, Münster 1987. Karl-Heinz Voigt, Internationale Sonntagsschule und deutscher Kindergottesdienst. Eine ökumenische Herausforderung. Von der Zeit der Anfänge bis zum Ende des Deutschen Kaiserreichs, Göttingen 2007.

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Pädagogische Berichte und Anregungen

Familiengottesdienste, Schulgottesdienste, religiöse Kinderlieder, Abendmahl mit Kindern, ästhetische und kreative Gestaltungsformen, Bibel erzählen. Und es fließen immer wieder neue kindertheologische, religionspädagogische und liturgische Themen und Methoden in den Kindergottesdienst ein.3 Kindergottesdienst in seiner großen Vielfalt und seiner herausfordernden Verwurzelung ist heute weiterhin eine Kernaufgabe jeder Kirchengemeinde: gemeinsam mit Kindern und jugendlichen und erwachsenen Mitarbeiter/ innen Gottes Nähe und Barmherzigkeit feiern – hoch sensibel für die aktuellen gesellschaftlichen und kirchlichen Entwicklungen. 2. Kindergottesdienst heute: ein Auslaufmodell?

Wird Kindergottesdienst jedoch immer häufiger in der pädagogischen Perspektive als ein außerschulischer Bildungsort bzw. non-formaler Lernort wahrgenommen, kann seine Existenzberechtigung in aktuellen bildungspolitischen und kirchlichen Debatten zur Disposition stehen. Denn es besteht große Einmütigkeit darin, dass nur durch eine gute Bildung bzw. gute Bildungseinrichtungen wie Kindertagesstätte und Schule – in der ökonomischen Perspektive der sozialen Marktwirtschaft – die Zukunft des Wirtschaftsstandortes Deutschland gesichert werden kann. Darum werden diese Bildungseinrichtungen auch in kirchlich-diakonischer Trägerschaft gezielt finanziell und personell gefördert und ausgebaut.4 Auch Landeskirchen verstärken ihre personellen und finanziellen Mittel für

ihre kirchlich-diakonische Kindertagesstättenarbeit. Denn durch »den Rückgang ausdrücklicher christlich religiöser Kommunikation«, eine »schwächer werdende religiöse Sozialisation« bzw. »Weitergabe des Glaubens« steckt die Kirche als Institution oder Organisation in der Gesellschaft in einer »Reproduktionskrise«.5 Nicht nur aus demografischen Gründen schrumpft die Mitgliederzahl der Landeskirchen, sondern Taufen, Konfirmation und Christenlehre, werden weniger nachgefragt. 6 Regelmäßige Kindergottesdienste mit geringen Teilnehmer/in­ nenzahlen können dabei leicht aus dem Blick geraten, wenn z.B. in Einschulungsgottesdiensten als Übergangsritus von Kindertagesstätte in die Grundschule gar nicht mehr zum Kindergottesdienst der Kirchengemeinde eingeladen wird. Darüber hinaus gerät die Familie zunehmend in den Fokus als wichtige zweite Säule der sozialen Marktwirtschaft. Zeitliche Ressourcen werden immer knapper, um als Familie zu leben, Scheidungsraten steigen. Familienentlastende Dienste, Familienzentren und Familienberatungsstellen erfahren starken Zulauf.

3 Dirk Schliephake, Emotionale Erfahrungen mit Gott ins Spiel bringen. KindergottesdienstImpulse zur Liturgie und elementaren Religionspädagogik, in: Pastoraltheologie 102. Jg., 325–336, Göttingen 2013. 4 Z.B. Tagesbetreuungsausbaugesetz, geplantes Gesetz der Bundesregierung zur Ganztagsbetreuung in Grundschulen. 5 Vgl. Gerhard Wegner, Von der Anstalt zum Akteur, si-kompakt, Sozialwissenschaftliches Institut der EKD, Nr. 4/2018, 1. 6 Vgl. 5. KMU, Kirchenmitgliedschaftsunter­ suchung 2014.

Schliephake Kindergottesdienst im Fokus

Kirchengemeinden geraten zunehmend unter Druck: Vereine, die ebenfalls die Auswirkungen der Veränderungen in der Arbeitswelt spüren, entdecken den Sonntag als einzigen freien Familientag und konzentrieren ihre Angebote auf den Sonntag. Fragen werden laut: Brauchen Kinder überhaupt noch einen eigenen Gottesdienst? Lohnt sich der Einsatz der vielen ehrenamtlichen und beruflichen Mitarbeiter/innen für diesen Dienst der öffentlichen Verkündigung überhaupt noch? Welche Bildungschancen liegen eigentlich im Bildungsort Kindergottesdienst? Was geschieht eigentlich im Kindergottesdienst? 3. Evangelische Bildungsberichterstattung: Gottesdienstliche Angebote mit Kindern

Im Rahmen Evangelischer Bildungsberichterstattung hat das Comenius-Institut Münster in Kooperation mit dem Gesamtverband für Kindergottesdienst in der EKD e.V. als Teilprojekt 2015 erstmalig eine repräsentative Befragung unter Mitarbeitenden in allen evangelischen Landeskirchen durchgeführt.7 Ziel war es, datengestützte Informationen über Rahmenbedingungen, Strukturen, Inhalte, Entwicklungstendenzen und mögliche Erträge evangelischen Bildungshandelns im Lebenslauf bereitzustellen«8, um das »Feld Kindergottesdienst mit seinen Potenzialen und Herausforderungen angemessen zu beschreiben und in der Praxis weiterentwickeln zu können«.9 Die Projektsteuergruppe bestand aus der

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Bildungs-, Erziehungs- und SchulfragenReferentenkonferenz der EKD. Kindergottesdienst als Gegenstand der Untersuchung wurde theologisch mit Martin Luthers Torgauer Formel definiert als ein doppeltes, öffentliches und gemeinsames Beziehungsgeschehen: Gott kommt nahe in Wort und Sakrament, die Gemeinde wendet sich mit Gesang und Gebet zu Gott.10 Für den Bildungsbericht wurde der »offene« Begriff: »Gottesdienstliche Angebote mit Kindern« gewählt, um andere Angebotstypen nicht auszuschließen (z.B. Christenlehre, Jungschar). Verantwortliche vor Ort hatten die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, »ob sie ihr Angebot als solches definieren«.11 4. Gottesdienstliche Angebote mit Kindern als Bildungsgeschehen

Friedrich Schweitzer schreibt im Vorwort der Erhebung, dass es »zentrale Aufgabe« für evangelische Kirche und ihre Gemeinden sei, »mit Kindern den christlichen Glauben zu leben und zu feiern, ihn öffentlich zu gestalten und Kindern Zugänge zum Glauben zu er7 Gottesdienstliche Angebote mit Kindern, Empirische Befunde und Perspektiven, Evangelische Bildungsberichterstattung, ComeniusInstitut (Hg.), Münster 2018. 8 Vgl. Gottesdienstliche Angebote, 11. 9 Vgl. ebd., 17. 10 Vgl. ebd., 18f. 11 Vgl. ebd., 19 Nicht aufgenommen wurden gottesdienstliche Angebote in Kindertageseinrichtungen und Schulen. Das ist schade, da es sich häufig um Gottesdienste der Gemeinde handelt. Eine weitere Untersuchung dazu soll erfolgen. 4510 zufällig ausgewählte Gemeinden. Ergebnis: 1252 Personen (54,5%) aus 1001 Gemeinden (22,2%) haben geantwortet.

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Pädagogische Berichte und Anregungen

öffnen.12 »Mit gottesdienstlichen Angeboten setzen Gemeinden diesen Auftrag in vielfältiger Weise um. Diese Angebote fördern zugleich Bildungsprozesse, denn Erfahrungen liturgischen Feierns und die Begegnung mit dem Evangelium können Menschen verändern und bieten Impulse für eine Auseinandersetzung mit Gottes- und Menschenbildern.«13 Für die Autor/innen der Pilotstudie ist die gottesdienstliche Feier ein »unverfügbares, nicht pädagogisch arrangierbares Geschehen«.14 Die »Teilnahme am Ritual (Liturgie und Verkündigungsgeschehen) wird selbst zu einem Bildungsgeschehen: »der Mensch kann sich selbst ändern, es kann sich etwas für den Menschen verändern«. »Es geschieht etwas, in das die Teilnehmenden aktiv einbezogen werden«. Zum zweiten bieten gottesdienstliche Angebote »Impulse für die subjektive Konstruktion des Gottes-, Welt- und Selbstbildes in Auseinandersetzung mit der biblischen und kirchlichen Tradition«.15 Durch eine ganzheitliche Beteiligung an diesen Prozessen wird Bildung möglich durch mimetische Zugänge zu christlichen Ausdrucks- und Kommunikationsformen, Beschäftigung mit christlichen Gestaltungsformen, Begegnung mit der ästhetischen Dimension des Glaubens, Einübung in religiöse Sprache und Erleben christlicher Werte und Deutungsmuster.16 5. Sechs zentrale Ergebnisse17

Die Pilotstudie kommt zu sechs zentralen Ergebnissen.18 1. Gottesdienstliche Angebote mit Kindern sind durch Innovation und Tradition geprägt

Dabei ist die Vielfalt der Angebotstypen ein Indiz für ein sich vielfältig und variantenreich entwickelndes Feld der Kommunikation des Evangeliums. Sie passen sich an den veränderten Familienalltag (Sonntag) an, orientieren sich an Bedürfnissen der Kinder und am Kirchenjahr. Eine Gleichrangigkeit katechetischer und liturgischer Ziele liegt vor und eine historisch gewachsene Polarität von beruflicher und ehrenamtlicher Mitarbeit. Es gibt regionale und zentrale Angebote bei sinkender Kinderzahl. 2. Die meisten leitenden Mitarbeitenden sind weiblich, älter, gut ausgebildet, zufrieden, ehrenamtlich, im Team Bei den im Durchschnitt 46–55jährigen Mitarbeiter/innen liegt ein hoher formaler Bildungsstand und Erfahrungsreichtum vor. Bis auf Christenlehre gibt es ein intergeneratives Zusammenarbeiten im Team, zu 53% ehrenamtlich verantwortet. Es wird kein Veränderungsbedarf gesehen bei den Rahmenbedingungen. 3. Lange Verweildauer der freiwillig teilnehmenden Kinder. Stark schwankendes Teilnahmeverhalten, große Altersspanne, binnenkirchlicher Hintergrund

12 Vgl. ebd., 7. 13 Vgl. ebd., 7. 14 Vgl. ebd., 15. 15 Vgl. ebd., 15. 16 Vgl. ebd., 15–16. 17 Vgl. ebd., 88ff. 18 Die Studie fragt leider nicht nach konkreten liturgischen Formen und der Qualität der eingesetzten Methoden und Formen. So tragen diese Ergebnisse leider nichts zur inhaltlichen Qualitätsprüfung und Qualitätsentwicklung aus. Eine Folgestudie müsste dieses Forschungsdesiderat beheben.

Schliephake Kindergottesdienst im Fokus

Getaufte evangelische Kinder deutscher Muttersprache ohne Beeinträchtigungen feiern größtenteils im Gemeindehaus. Kirchengemeinden nehmen ihre Verantwortung für die Begleitung ihrer getauften Kinder und Familien wahr. 4. Gottesdienstliche Angebote erscheinen als ein Bildungsort mit eigenem Profil Eine explizite Hinwendung zu Gott ist das Unterscheidungsmerkmal zu anderen Bildungsorten. Bildungsprozesse finden im Rahmen liturgisch geprägten Mitfeierns statt. Es wird keine zu erbringende, zu bewertende, zu vergleichende Leistung gefordert. Mitarbeiter/innen orientieren sich an katechetischen und liturgischen Zielen. Vielfältige Arten christlicher Ausdrucksformen/Kommunikationsformen kommen vor, ebenso kognitive Lernprozesse und emotionale Zugänge. Neben einer Methodenvielfalt und musisch-künstlerischen Zugängen gibt es ein gemeinsames Lernen und Feiern über Altersgruppen hinweg, um religiöse Kompetenz zu erleben und zu erwerben. 5. Gottesdienstliche Angebote mit Kindern lassen Beziehungen mit Familien entstehen 6. Eine Vernetzung mit Kindertagesstätte und Grundschulen ist unterschiedlich Gottesdienstliche Angebote mit Kindern sind somit ein innerkirchliches Angebot zur Begleitung von Kindern und Familien in religiösen Bildungsprozessen. Insgesamt bestätigt die empirische Pilotstudie die historisch verwurzelte Bildungsqualität von Gottesdienst und Kindergottesdienst durch einen ganzheitlichen Bildungsbegriff. Ob der pä-

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dagogische Begriff »Angebot« für ein gottesdienstliches Geschehen, in dem Gott der »Anbieter« bzw. Einladende ist, auch biblisch-theologisch reflektiert gewählt ist, möge die weitere Diskussion zeigen. Eine Aussage aber, die nicht in den sechs Ergebnissen betont wird, spiegelt meine Erfahrungen in der Fortbildungsund Beratungsarbeit mit Mitarbeiter/innen im Kindergottesdienst wider: »Offenbar herrscht unter den hauptverantwortlich Mitarbeitenden in gottesdienstlichen Angeboten mit Kindern ein relativ breiter Konsens darüber, welche Inhalte auf welche Art und Weise Kindern vermittelt werden sollen, und das über Angebotsformate und die in diesen tätigen Personen hinweg.«19 Dieser Konsens, so die Studie, sei möglicherweise darin begründet, dass die Mitarbeitenden hinsichtlich ihres »soziodemografischen Hintergrunds eine recht homogene Gruppe mit darauf aufbauend ähnlicher Weltsicht darstellen«. Hierdurch würde das »Gemeinschaftsgefühl gestärkt« aber auch die »Innovativkraft eingeschränkt«. Durch die oft lange Mitarbeit im Kindergottesdienst und eine starke Fortbildungsresistenz werden Methoden, liturgische Bausteine, Lieder, Gebete, die vor 20 oder 30 Jahren en vouge waren (z.B. Bodenbilder, Ausmalbilder, Schablonenbasteln usw…) weiterhin unreflektiert eingesetzt und dogmatische Kernaussagen »vermittelt«. Aber dies mag im Religionsunterricht und im Kindergarten auch vorkommen. Viele Weiterentwicklungen z.B. von einer Vermittlungspädagogik 19 Vgl. ebd., 90.

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Pädagogische Berichte und Anregungen

zu einem gemeinsamen erfahrungsorientierten Entdecken auf Augenhöhe mit Kindern sind anscheinend immer noch nicht an der Basis angekommen. Theologische Gespräche mit Kindern? Fehlanzeige. Ein wesentlicher Grund, warum heutige Kinder Kindergottesdienste als nicht relevant für ihren Glauben und ihre Lebenswirklichkeit erleben. Es besteht ein riesiger Handlungsbedarf! Denn wenn Kirchengemeinden und Kirchenleitungen ehrenamtlichen Mitarbeiter/innen zutrauen, Kinder in Kindergottesdiensten in die wesentlichen Grundformen des christlichen Glaubens kompetent einzuführen und sie in ihrer Glaubensentwicklung gut zu begleiten, dann müssen diese Mitarbeiter/innen entsprechend fortgebildet und qualifiziert werden.20 6. Resonanzraum Kindergottesdienst – drei Resonanzförderer

Die neue Resonanztheorie des Soziologen Hartmut Rosa21 kann für Kindergottesdienste innovative Anregungen geben. Sie kann helfen, eigene Resonanzbeziehungen wahrzunehmen, zu stärken und zu fördern. Dort, wo es zu Resonanzen kommt zwischen Menschen, Kirchenraum, Musik, biblischen Erzählungen, beim ästhetischen Vertiefen, im Gebet, beim Abendmahl …, dort kann auch Begegnung mit Gott geschehen. Dort kann Leben inmitten von Entfremdungserfahrungen gelingen. Das aber bleibt unverfügbar und allein Sache des Heiligen Geistes. Resonanzerfahrungen bestehen aus drei körperlich spürbaren Erfahrungen:

Jemand/Etwas berührt mich – Ich erfahre Selbstwirksamkeit – Ich werde verändert/ Transformation Im Kindergottesdienst können Resonanzerfahrungen verhindert (z.B. vollgestellter Gemeinderaum, schwere Gebete, Malen nach Zahlen, Produktbasteln, Beschämungserfahrungen, Angst) oder gefördert werden (z.B. durch schöne Kirchenräume, Orgelklang, Mitsingen, freies künstlerisches Gestalten, wertvolle Farben, tiefe theologische Gespräche, freundliche Blicke, Konkurrenzfreiheit). Ich möchte drei Resonanzförderer kurz skizieren und neugierig machen auf neue Erfahrungen im Kindergottesdienst. 1. Non-verbale berührende Begegnungen Menschen werden übersehen und nicht gehört, ihre Sehnsucht nach Zuwendung und Nähe läuft ins Leere. Sie erfahren Ablehnung. Besonders Kinder leiden an Begegnungsenttäuschungen und Mangelerfahrungen des Schauens, Tönens, Greifens, Drückens und Lehnens. Ihre Begegnungsversuche haben oft wenig Wirkungen, sie gehen ins Leere. Ein Gefühl der Wirkungslosigkeit kann entstehen. Manche Menschen verlieren ihre Motivation zu Begegnungen, andere wollen ihre Wirksamkeit aggressiv erzwingen, wieder andere füllen die Leere mit Konsum. 20 Dirk Schliephake, Die KindergottesdienstCard der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers, in: Handbuch Gottesdienstqualität, Im Auftrag des Zentrums für Qualitätsentwicklung im Gottesdienst, herausgegeben von Folkert Fendler, Christian Binder und Hilmar Gattwinkel, Leipzig, 2017, 206. 21 Hartmut Rosa, Resonanz, Eine Soziologie der Weltbeziehung, Berlin, 42016.

Schliephake Kindergottesdienst im Fokus

Besonders Kinder brauchen Begegnungen, die sie würdigen und einen spürenden Dialog ermöglichen. Sie brauchen Erfahrungen wirksamer Begegnungen: Ich wurde gesehen, gehört, nicht abgelehnt … Im Kindergottesdienst geht es um diese berührenden non-verbalen Erlebnisqualitäten, die Resonanzerfahrungen ermöglichen:22 Schauen und gesehen werden – tönen und gehört werden – greifen und ergriffen werden – drücken und gedrückt werden – lehnen und nicht abgelehnt werden 2. Bibel erzählen Bibel erzählen ist ein Jahrtausende altes Handwerk und Mundwerk. Beim freien Erzählen werden alles Sinne berührt. Resonanzen entstehen während der Erzählung mit meinen eigenen Lebenserfahrungen und -gefühlen. Ich erlebe mich selbstwirksam als Teil der biblischen Geschichte und werde – so Gott will – aufgerichtet, getröstet, befreit und erlöst. Bibel erzählen gehört zu den größten Schätzen gelingender Kindergottesdienste. Die erlebten Geschichten bleiben lebenslang im Gehirn gespeichert und können ihre Widerstandskraft (Resilienz) besonders in den Krisentälern des Lebens entfalten.23 3. Theologisieren mit Kindern Im leistungsfreien Kontext Kindergottesdienst können theologische Gespräche mit Kindern gelingen.24 Von einer biblischen Erzählung berührt, erleben sich Kinder mit ihren Resonanzen wahrgenommen und wertgeschätzt. Sie werden in eine gemeinsame Suchbewegung hineingenommen nach möglichen Antworten auf die großen Fragen des

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Lebens. Mit ihren Beiträgen zum Gespräch erleben sich Kinder als selbstwirksam. Theologisieren braucht aber kompetente Mitarbeiter/innen, die das Handwerk der Gesprächsführung spielend leicht beherrschen und Lust haben, sich mit Kindern auf neue Wege zu begeben.25 7. Kindergottesdienst: Riskanter Resonanzraum

Die Qualität von Kindergottesdiensten zeigt sich, ob und wie Resonanzerfahrungen in diesem Resonanzraum geschehen können. Das setzt voraus, dass auch Mitarbeiter/innen empfangsbereit sind für solche Resonanzerfahrungen. Eine intensive eigene Begegnung mit dem Bibeltext in der Vorbereitung eines Kindergottesdienstes ist dafür unbedingt erforderlich.26 Besonders der Kirchenraum als durchbeteter Raum, als kunstvoller

22 Berührende Begegnungen, KIMMIK-PraxisGreenline10, herausgegen von Dirk Schliephake, Hildesheim 2016, www.michaeliskloster.de. 23 Monika Fuchs/ Dirk Schliephake, Bibel erzählen, Neukirchner Theologie, 2014. 24 Hanna Roose, Kindertheologie und schulische Alltagspraxis. Eine Studie zum Verhältnis von kindertheologischen Normen und eingeschliffenen Routinen im Religionsunterricht, Stuttgart 2019. Diese empirische Studie stellt die Frage, ob Theologisieren in der unterrichtlichen Klassenöffentlichkeit überhaupt möglich sei (175). 25 Theologisieren im Kindergottesdienst, KIMMIK-Praxis GreenLine 05, herausgegeben von Dirk Schliephake, Hildesheim, 2. überarbeitete Auflage 2019, www.michaeliskloster.de. 26 Kindergottesdienst vorbereiten, Teil 1, KIMMIK-PraxisGreenLine15, herausgegeben von Dirk Schliephake, Hildesheim 2019, www.micheliskloster.de.

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Pädagogische Berichte und Anregungen

Raum der Nähe und Barmherzigkeit Gottes öffnet für berührende Resonanzerfahrungen. In den oft prekären Lebensverhältnissen von Kindern und ihren Familien bieten Kirchengemeinden mit ihren vielfältigen Kindergottesdiensten Bildungsund Resonanzräume, die helfen, dass das Leben gelingen kann. Diese Erfahrungen im Kindergottesdienst können vernetzt werden mit anderen liturgischen und religionspädagogischen Arbeitsfeldern, wie es die Bildungsberichterstattung erwünscht. Dadurch bekommt Kindergottesdienst auch über die wichtige Bildungs-

dimension hinaus die Lebens- und Glaubensrelevanz, die ihn zu diesem einzigartigen Herzstück, Quellort, Wurzelort und Resonanzsort der Nähe und Barmherzigkeit Gottes machen. Aber Gottes Nähe ist riskant. Sie kann Menschen verändern. Kinder haben das Recht auf diese riskante Erfahrung im Kindergottesdienst – heute.27

27 In Aufnahme von Janusz Korczaks theologisch-pädagogischen Leitsatz: Kinder haben das Recht auf den heutigen Tag.

Büttner Erzieher/innen-Theologie

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Gerhard Büttner Erzieher/innen-Theologie

1. Problembeschreibung

Auf dem Heimweg vom Gottesdienst fragt der fast vierjährige Elias seine Eltern: »Geht Jesus auch nach Hause oder bleibt er in der Kirche?« Dass wir über diese Frage nachdenken können, ist keinesfalls selbstverständlich. Wer im öffentlichen Raum erlebt, dass die meisten Kinderfragen keine oder sehr kurze Antworten erhalten, der wird es auf jeden Fall wertschätzen, dass hier eine Mutter eine Kinderfrage aufgenommen hat und sie ihr noch nach längerer Zeit präsent ist. Wir können dann wohl auch davon ausgehen, dass Elias eine Antwort auf seine Frage erhalten hat. Wir begegnen hier der Grundkonfiguration von Kindertheologie. Eine Kinderäußerung, auf die keiner reagiert, kann erst einmal keine Theologie sein. Die Ausführungen von Jerome Bruner zeigen uns, dass es für den Spracherwerb des Kindes essentiell ist, dass die Wortbildungen und der Sprachgebrauch des Kindes von einem erwachsenen GegenAntwort Weder noch! Jesus lebte vor 2000 Jahren und ist jetzt im Himmel bei seinem Vater.

über verstanden werden und dann durch Erklärungen und Korrekturen im kollektiven Sprachgebrauch situiert werden.1 Ähnlich verhält es sich mit den religiösen Äußerungen der Kinder. Sie müssen als solche verstanden werden, damit sie dann auch entsprechend gewürdigt werden können. Durch ihre Einordnung in eine theologische ›Syntax‹ werden sie dann selber Teil der theologischen Sprache. Damit wird deutlich, dass der erwachsene Gesprächspartner des Kindes zwangsläufig zum Repräsentanten einer wie auch immer gearteten Theologie wird. Denn jede Reaktion gegenüber dem Kind bedeutet eine Einordnung von dessen Frage. Ich möchte dies nun im Detail zeigen. Was können die Eltern des kleinen Elias antworten? Das hängt nun sehr davon ab, wie sie selbst die Frage verstehen. Es gibt dabei – neben unangemessenen! – durchaus mehrere Antwortmöglichkeiten, die sich auf theologische Positionen rückbeziehen lassen. Ich möchte dies im Folgenden demonstrieren: Theologischer Bezug Diese Antwort ist einerseits historisch, andererseits biblisch (vielleicht auch biblizistisch), indem sie auf die Himmelfahrt rekurriert.

1 Jerome Bruner, Wie das Kind sprechen lernt, Bern 1987.

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Pädagogische Berichte und Anregungen

Er ist in der Kirche.

Er begleitet uns nach Hause.

Sowohl als auch!

Keine der Antwortmöglichkeiten ist falsch. Für alle lassen sich Bezüge in der theologischen Tradition und Diskussion finden. Welche im konkreten Fall am angemessensten ist, hängt davon ab, welche Folgegespräche als sinnvoll ins Auge gefasst werden. 2. Ein Blick in die Praxis eines Kindergartens

Angela Kunze-Beiküfner zeigt uns, dass meine Überlegungen in der Praxis des Kindergartens eine unmittelbare Entsprechung finden.2 Den Ausgangspunkt bildet die Frage: »Ist der lebendige Jesus wirklich immer noch gegenwärtig wirksam und erfahrbar?'«

Hier kann man an Jesusbilder oder -figuren denken – vielleicht den Korpus eines Kruzifixes. Wenn es sich um eine katholische Kirche handelt, wird man an die aufbewahrte Hostie im Tabernakel denken, die die Anwesenheit Jesu repräsentiert. Die Präsenz Jesu wird (protestantisch) nicht an einen Raum gebunden (Kirche), sondern an die Gottesdienst feiernde Gemeinde. Insofern ist es konsequent diese Präsenz auch auf den Heimweg zu beziehen (Wo zwei oder drei …). Auch wenn jüngere Kinder dazu neigen, die Präsenz Christi exklusiv zu denken (wenn er hier ist, kann er nicht gleichzeitig anderswo sein), ist es sinnvoll, darauf zu verweisen, dass Jesus in der Kirche ›wohnen‹ kann und trotzdem ›bei uns‹ sein.

Frau Clemens, die Erzieherin, rekurriert bei ihrer Antwort erst einmal auf den historischen Jesus und betont, dass der wirklich gelebt hat. Doch das genügt den Kindern nicht. »Als Celine mit dieser Antwort nicht zufrieden war und nachfragte: ›Das kann man gar nicht glauben, oder?‹, reagiert Frau Clemens« irritiert. »Nachdem Hans und Jana sagen, dass Jesus nicht jedes Jahr zu Weihnachten geboren werde, erläuterte Frau Clemens später, dass Jesus an einem Weihnachten vor ›ganz vielen Jahren‹, als die Kinder

2 Angela Kunze-Beiküfner, Kindertheologischsensitive Responsivität pädagogischer Fachkräfte in Kindertagesstätten: eine Untersuchung zur Praxis des Theologisierens in Kindertagesstätten, Leipzig 2017, 364f.

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noch nicht geboren waren, auf die Welt gekommen sei. Doch die Fragen, ob Jesus wirklich leiblich den Tod überwunden habe, ob Jesus heute noch lebe und wie das zusammenpasse, dass Jesus lebt und wir ihn dennoch nicht sehen können, diese Fragen beschäftigten nicht nur Alex. Viele Kinder hatten dazu ›eine Idee‹. Folgende Lösungen hatten die Kinder: Jesus ist aus Luft, Jesus ist am Kreuz gestorben, Jesus ist in einem anderen Land, Jesus ist im Himmel.« Dabei kommt es auch zu missverständlichen Vermischungen. Man kann leicht erkennen, dass ›die Christologie‹ der Kinder – zumindest in ihrer Gesamtheit – reicher ist als das Deuteangebot der Erzieherin. Angela Kunze-Beiküfner betont deshalb: »Von Frau Clemens kamen hier kaum Hilfestellungen. Ihre Aufgabe wäre es gewesen, die Themen in den Antworten der Kinder zu erkennen, die Kategorien der Fragestellungen klären zu helfen, Strukturierungen für die Antworten der Kinder anzubieten und Vernetzungen zu schon erfolgten Impulsen, Gesprächen und Erfahrungen herzustellen.« 3. Die Entwicklung von Modellen

Frau Clemens hätte in unserem Anfangsbeispiel vermutlich die erste Antwortvariante gewählt: weder noch. Im Kontext einer historischen Fragestellung ist der Hinweis auf die geschichtliche Gestalt Jesu hinreichend. Doch die Frage, warum und wie dieser Jesus in der Kirche und im Gottesdienst heute noch eine Rolle spielt, lässt sich so nicht beantworten. Die Theologie fügt deshalb dem

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historischen Jesus einen kerygmatischen Christus hinzu. Dieses Konstrukt verbindet biblische Aussagen von Auferstehung und Himmelfahrt mit der Frage, in welcher Weise Jesus heute als präsent gedacht werden kann. Die Kinder bewegen sich mit ihren Antworten in dieser Spur. Dass die Antworten zwei bis vier sich unterscheiden, zeigt, dass die Frage der ›Anwesenheit‹ Jesu durchaus unterschiedlich gedacht werden kann. Ich schlage vor, hier von unterschiedlichen (Denk-)Modellen zu sprechen.3 Ich gebrauche den Modellbegriff, weil ich betonen möchte, dass der Zugang zu dem hier besprochenen Thema gar nicht so einfach ist. Das Gespräch geht hier um Jesus. D.h., die für den Kindergarten so typische Zugänglichkeit des Gegenstandes ist erst einmal nicht gegeben.4 Dies gilt auch für die Erzieherin. Historische Figuren entziehen sich einem unmittelbaren Zugang. Die Überlieferung und Zeugnisse ihres Wirkens können allenfalls Plausibilität erzeugen. Das gilt in gewisser Weise auch für Bilder und plastische Darstellungen. Ein anderer Verweisort sind Praktiken, die auf diese historische Gestalt erinnernd oder verehrend Bezug nehmen. Aus diesen Hinweiszeichen kann dann eine Vorstellung generiert werden, die ich Modell nennen möchte. In unserem Beispiel betrifft das die Kinder ebenso wie die Erzieherin. Diese Modelle sind erst einmal sehr fragmentarisch, müssen sie doch an sich inkompatible Aspekte zusammenbekom-

3 Gerhard Büttner, Theologische Modelle im Religionsunterricht, KatBl 142 (2017), 52–58. 4 Hans Blumenberg, Theorie der Unbegrifflichkeit, Frankfurt a.M. 2007.

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Pädagogische Berichte und Anregungen

men. Jesus hängt als Kruzifix am Kreuz, soll aber leben und man kann ihn nicht sehen. Die biblischen Narrative geben hier ein Modell ab: Jesus lebte (in Israel), starb und fuhr nach seiner Auferstehung in den Himmel zu Gott. Doch von dort kommt er (meist unsichtbar) zu Menschen, die an ihn denken. Dies geschieht ganz besonders im Gottesdienst in der Kirche. Dort findet man oft auch Hinweiszeichen auf Jesus. Ein solches Narrativ versucht, die ansonsten z.T. widersprüchlichen Erfahrungen und Phänomene zeitlich und räumlich zu ordnen. Diese Modelle können dann, so Hans Blumenberg, etwas wie eine Landkarte bilden, an der die Erziehungspersonen sich orientieren können. In diesem Sinne lassen sich meine vier Antwortvorschläge als Weg zu einer Modellierung verstehen. 4. Modelle im didaktischen Setting

Es ist typisch für Lernprozesse im Kindergarten, dass systematische Instruktion eher die Ausnahme ist. Das Ideal sieht vor, dass Kinder aus der Situation heraus ihre Lernaufgabe suchen und dabei u.U. dann auf die Unterstützung der Erzieherin angewiesen sind.5 Dieses induktive Vorgehen ist allerdings äußerst anspruchsvoll. Ich muss als Erzieherin erst einmal erfassen, um was es dem Kind geht. Angesichts der Komplexität ›ganzheitlicher‹ Prozesse muss man erst einmal wahrnehmen, in welcher Richtung das auftretende Problem bearbeitet werden soll. Dabei ergibt sich häufig die Situation, dass das Problem eine Eigenlogik hat (z.B. mit der Schubkarre einen Graben zu überqueren), gleichzeitig aber auch die Entwicklungslogik des Kindes

zu beachten ist (Was weiß es schon und was folgt als nächstes?). Die Erzieherin braucht hier Modellvorstellungen, wie das Problem zu verstehen ist und welche Lösungsmöglichkeiten existieren. Das Gesagte gilt so auch für theologische Themen. Dabei zeigt sich ebenfalls die Doppelstruktur. Wenn das Kind einen Jesus am Kreuz in Gestalt einer Plastik erblickt, stellen sich ihm viele Fragen. Ist der echt? Darf man den anrühren? Steht der immer da? Ich habe schon ein Bild von Jesus gesehen. Ist das derselbe? Man kann diese Fragen pragmatisch beantworten. Doch stehen dahinter schwerwiegende theologische Kontroversen: Darf man Jesus (als Gottheit) bildlich darstellen? Hatten die Bilderstürmer der Reformation recht, als sie Bilder in der Kirche verboten? Soll man das Kreuz mit oder ohne Corpus zeigen? Darf man zu der Figur beten? Es gibt für jede dieser Fragen jeweils begründete Antworten – und zwar im Sinne des Ja und des Nein. Oft hängt das mit konfessionellen Traditionen zusammen: Katholiken zeigen eher Jesus am Kreuz, Protestanten das leere Kreuz als Zeichen der Auferstehung. Aber das muss nicht so sein. Wir sind heute in der Situation, dass wir die unterschiedlichen Deutemöglichkeiten ins Spiel bringen können. Brauche ich für mein Gebet ein Gegenüber, z.B. in Gestalt einer Jesusfigur? Hilft das? Lenkt das ab? Soll man zu Gott(-Vater) beten oder zu Jesus Christus? Macht das einen Unterschied? Für die Erzieherinnen be-

5 Hans Rudolf Leu u.a., Bildungs- und Lerngeschichten. Bildungsprozesse in früher Kindheit beobachten, dokumentieren und unterstützen, Weimar/Berlin o.J.

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deutet das, dass sie keine Angst haben müssen, hier etwas Falsches zu sagen. Sie sollten sich aber selbst überlegt haben, warum sie eine bestimmte Option wählen. Das heißt aber auch, dass sie sich vergewissern müssen, dass es außer ihrer eigenen Deutung noch andere gibt. Letzteres ist aus zwei Gründen wichtig: Die Beiträge der Kinder sind vielfältig. Diese Vielfalt kann ich nur erkennen, wenn ich erst einmal davon ausgehe, dass die durchaus kontrovers einzuordnenden Aussagen doch alle in der einen oder anderen Weise stimmig sein könnten. Dies führt mich zu dem Schluss, dass die Erzieherinnen zu jedem theologischen Thema mehrere Modelle brauchen. Sie sollten besonders gut das Modell bedenken, dem sie zuneigen. Hier brauchen sie Begründungen und ein Nachdenken darüber, worauf ihr Modell keine Antwort geben kann. Dazu sollte die Modell Jesus ist in seinen Geschichten gegenwärtig Wundergeschichten, Gleichnisse, Weihnachten, Ostern Er ist im Gebet anwesend: Komm Herr Jesus, sei du unser Gast Empfindung der Nähe bei einer Jesusfigur. Feier der Eucharistie

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Einsicht kommen, dass es noch andere Modelle gibt. Das schützt vor dogmatischen Übergriffen – denn es könnte ja sein, dass das andere Modell die Sache eher besser trifft. Nur auf der Grundlage der eigenen Modellreflexion wird dann vollends klar, dass auch die Kinder ihre Modelle haben und diese letztendlich affin sind zu den Modellen der Erwachsenen. Von dieser Prämisse her kann dann ein Ein- und Zuordnen der Modelle der Kinder gelingen. Ich möchte abschließend vier Modelle skizzieren, die Anschluss an die obige Diskussion nehmen. Sie nennen einerseits die Sache, geben aber auch eine theologische Referenz. Dabei sei vorausgeschickt, dass das Reden von Jesus als historischer Gestalt erst einmal keine theologische Qualität hat. Ich diskutiere vier Phänomene, in denen sich die Gegenwart Jesu Christi zeigt. Theologischer Bezug Präsenz im Wort

Gebet, Wo zwei oder drei … Orthodoxe Tradition. Ikonen als Fenster Gemeinsames Mahl mit Christus

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Buchbesprechung

Buchbesprechung

 Martin Steinhäuser / Rune Øystese (Hg.), Godly Play. European Perspectives on Practice and Research / Gott im Spiel. Europäische Perspektiven auf Praxis und Forschung, Münster/ New York 2018. Ursula Ulrike Kaiser u.a., Gott im Spiel. Godly Play weiterentwickelt, Stuttgart/Leipzig/München 2018. Martin Steinhäuser (Hg.) Gott im Spiel – Godly Play weiterentwickelt. Jesusgeschichten, Stuttgart /2018. Martin Steinhäuser (Hg.) Gott im Spiel – Godly Play weiterentwickelt. Vertiefungsgeschichten zum Alten Testament, Stuttgart/Leipzig/München 2018.

Im IT-Bereich spräche man von Godly Play 2.0. Vor Jahrzehnten entwickelte Jerome Berryman ein Modell, Kinder bibelzentriert in den christlichen Glauben einzuführen. Er hatte dazu intensiv das Programm von Sofia Cavalletti, einer Schülerin Maria Montessoris, studiert, um es für die Arbeit in US-amerikanischen Sonntagsschulen und darüber hinaus anzupassen. Inzwischen hat dieses Konzept europaweit, besonders aber auch im deutschsprachigen Raum Karriere gemacht. Dies drückt sich u.a. auch darin aus, dass in den hier besprochenen Büchern jetzt ein deutscher Name auftaucht »Gott im Spiel«. Das Erscheinen dieser vier Werke bildet insofern eine

Zäsur, als einmal die Expansion dieses Ansatzes und seine Beheimatung in verschiedenen Ländern Europas sichtbar werden, aber auch der Versuch, gemäß der Konstruktionsregeln von Godly Play neue Erzähleinheiten – mit dem Segen Berrymans – zu kreieren. Das erste Buch ist das Ergebnis einer Tagung in Riga, die sich als ›Leistungsschau‹ der europäischen Fortschritte in Sachen »Gott im Spiel« ansehen lässt. Das Buch gibt aber auch einen guten Einblick in den religionspädagogischen Diskurs auf unserem Kontinent. Die einleitenden Artikel sind deutsch und englisch abgedruckt, die meisten folgenden englisch mit deutscher Zusammenfassung – bei einigen ist es umgekehrt. Beim Überblick über die einzelnen Länder zeigen sich zwei wichtige Merkmale. Die europäische ›Ökumene‹ erfasst UK und Irland, Skandinavien, Benelux, den deutschsprachigen Bereich und die osteuropäischen Länder – allerdings oft nur mit wenigen Vertretern. Oft sind es einzelne, oft Vertreter protestantischer Minderheitenkirchen, die Godly Play in den östlichen Ländern praktizieren. Die romanisch-katholischen Länder sind kaum vertreten (u.a. wegen des konkurrierenden Montessori-Ansatzes vom ›Guten Hirten‹), das orthodox geprägte Europa fehlt. Man kann insgesamt sagen, dass die Länderberichte zeigen, dass man die Rolle der wenigen Initiatoren und Multi-

Buchbesprechung

plikatoren kaum überschätzen kann. Für Deutschland und Europa gilt dies auch für den Herausgeber Martin Steinhäuser. Mit wenigen anderen zusammen hat er die Übersetzung und Herausgabe des Materials gefördert, so dass die institutionellen Voraussetzungen ähnlich gut sind wie im angelsächsischen Bereich. Ein Anlass für die Riga-Konferenz war u.a. die Frage, inwieweit das Konzept beforscht werden kann. Hier zeigte sich schon ein Grundproblem. Berryman hatte die Frage nach Forschung gestellt unter der Voraussetzung eines etablierten Systems. In vielen Beispielen des Buches geht es dagegen um die Frage, was passiert, wenn man Godly Play einführen will. Wer den Kindertheologie-Diskurs verfolgt, wird in dem Buch auf zahlreiche bekannte Namen stoßen. Ich skizziere im Folgenden einige Beiträge, die ich besonders anregend empfunden habe. Jerome Berryman erzählt eindrücklich seinen Weg mit diesem Konzept. Dominik Black stellt Godly Play neben den parallelen Ansatz von Cavalletti. Miriam Zimmermann formuliert ein anspruchsvolles Programm für die empirische Forschung bei Kindern generell, dem die referierten Studien – nicht unerwartet – wohl oft nicht genügen. Spannend finde ich die irischen Studien von Cora O’Farrell, die zeigt, wie ein sich öffnendes Konzept wie Godly Play die Kommunikation verbessert und spirituelle Fragen überhaupt erst zulässt. Anregend sind einige Studien für die hierzulande aktuelle Diskussion des kindlichen Verständnisses von Eucharistie (Trudie Morris). Das Buch eröffnet einen Blick über den Tellerrand und macht deutlich, wie Godly Play den konkreten Bedingungen vor Ort angepasst werden kann. Die em-

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pirischen Einblicke zeigen oft Schwierigkeiten und Chancen – die insgesamt Mut machen. Der Kreis der deutschen Gott-imSpiel-Protagonist/innen war vom Anfang an bei seiner Rezeption daran interessiert – beeinflusst von der Kindertheologie – das diskursive Element des Ansatzes zu stärken. Dies wird sichtbar in dem programmatischen Handbuch zu Gott-im-Spiel. Wer braucht ein solches Handbuch? Man kann davon ausgehen, dass kaum jemand mit Gott-im-Spiel arbeiten wird, der nicht schon einer entsprechenden Praxis beigewohnt hat. Doch was hat man dadurch verstanden? Der/die Autor/innen des Handbuches haben eine überraschende aber einleuchtende Darstellungsform gewählt. Gott-im-Spiel umfasst mehrere Module: Begrüßung, Darbietung, Erörterung, Kreativphase, Fest. In jedes dieser Module wird man in der Weise eingeführt, dass Elemente von Darstellung, Problematisierung, Erfahrung, Methode in einem anregenden Miteinander präsentiert werden. Das hilft all denen, die Gott-im-Spiel nicht in einem organisierten und bestens ausgestatteten Kontext praktizieren können oder wollen, sondern erst einmal mit Teilelementen ausprobieren wollen, was an ihrem pädagogischen Ort ›geht‹. Man spürt in jedem Teilkapitel, dass hier viel Erfahrung und Reflexion zusammengeführt worden ist, die zu einem vorläufigen Optimum für die hiesige Situation geführt hat – mit Anregungspotential für Anfängerinnen und Fortgeschrittene. Wie weit dieser kollektive Reflexionsprozess über Berryman hinausgeführt hat, hat Martin Steinhäuser dezent aber präzise unter Anhang 5 (259ff) versteckt.

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Buchbesprechung

Von daher ist es imponierend, jetzt zwei Bände in Händen zu haben, die sich als explizite Weiterentwicklungen verstehen lassen. Sie sind gemäß dem Schema – mit Zustimmung Berrymans – entworfen. Der AT-Band bietet ›Vertiefungsgeschichten‹, d.h., dass an die Grundlagenbände angeknüpft wird, aber bestimmte Akzente neu gesetzt werden: z.B. vom Exodus hin zu Mose. Es finden sich drei Gattungen: Menschheitsgeschichten, Biographiegeschichten und Prophetengeschichten. Diese Kategorien sind durchdacht und spiegeln sich in der Präsentation wider. Die Menschheitsgeschichten erfordern auch einen neuen ›Untergrund‹, den Erdsack. So schlagen sich die neuen Überlegungen der deutschen Gott-im-Spiel-Gruppe eben nicht nur in neuen Erzähltexten nieder, sondern in eigenen Materialien. Die Entwürfe – z.B. zu Prophentengeschichten – sind nie naiv, sondern versuchen z.B, dem ›dreifachen Auftreten‹ Jesajas gestalterisch Raum zu gewähren. Auch die ›Jesusgeschichten‹ sind gattungsorientiert entworfen. Zur Gattung ›Jesus lehrt‹gehört dann auch eine Präsentation zur Bergpredigt – mit einer Inszenierung des Treffens der Menschen

und wenigen Jesusworten: Salz, Licht, Hausbau. Insgesamt setzen die beiden Bände die Grundwerke zwar im Prinzip voraus, doch in jedem werden die inszenatorischen Grundlagen so geboten, dass man im Prinzip jederzeit anfangen kann. Doch weiß jeder, der Gott-im-Spiel schon erlebt hat, dass auch erfahrene Religionspädagog/innen ohne einen Kurs Gefahr laufen, dem komplexen Setting nicht gerecht zu werden. Andererseits zeigen gerade die Berichte des ersten hier besprochenen Buches, wie in Ländern, wo weder ein Manual in der Landessprache vorliegt, geschweige denn die Materialien zur Verfügung stehen, dennoch mit Engagement und Einfallsreichtum Godly Play ins Laufen kommen kann. In den Vorworten wird deutlich, wer alles durch Beitrage, Übersetzungen und finanzielle Unterstützung das Projekt gefördert hat – dennoch wird man zu Recht Martin Steinhäusers Engagement nicht vergessen dürfen. Wie gesagt, es sind vergleichsweise wenige, die das ›große Projekt‹ profilieren und weitertreiben. Die Nutzer können von allen vier Büchern nur profitieren. Gerhard Büttner

Die Autorinnen und Autoren

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Die Autorinnen und Autoren

Mag. Christian Andersen ist Mitabeiter am Institut für Bildungswissenschaft der Universität Wien. Dr. Sabine Blaszcyk ist Sozialarbeiterin, Pfarrerin und Dozentin am PädagogischTheologischen Institut der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland und der Evangelischen Landeskirche Anhalts. Dr. Gerhard Büttner ist em. Professor für Religionspädagogik am Institut für Evangelische Theologie an der Technischen Universität Dortmund. Dr. Anke Edelbrock, Evangelische Theologin, ist akademische Oberrätin am Ökumenischen Institut für Theologie und Religionspädagogik an der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd. Antje Grambow ist evangelisch-lutherische Pastorin und Theologische Referentin in der Kinder- und Jugendhilfe im Diakonischen Werk Hamburg. Heike Helmchen-Menke, Dipl. Theol., Bacc. Phil., Past.Ref. ist Referentin für Elementarpädagogik der Erzdiözese Freiburg im Institut für Religionspädagogik. Dr. Matthias Hugoth ist Theologe und Pä­da­goge, Professor für Erziehungswissenschaft und Elementarpädagogik an der Katholischen Hochschule Freiburg mit den Schwerpunkten Soziale Arbeit

mit Kindern in unterschiedlichen Lebenslagen, Religiöse Bildung und Spiritualität von Kindern und pädagogischen Fachkräften, Kitapastoral, interkulturelle Bildung. Buchautor und Fortbildungs­ referent. Dr. Christina Kalloch ist Professorin für Religionspädagogik am Institut für Katholische Theologie der Universität Hildesheim und im Lehrgebiet Katholische Theologie der Leibniz-Universität Hannover. Bianca Kobel ist Diplom-Pädagogin mit den Schwerpunkten Pädagogik der Frühen Kindheit und Sonderpädagogik und Systemische Beraterin (M.A.) mit den Schwerpunkten Personal- und Organisationsentwicklung. Sie leitet das Bundesreferat Elementarpädagogik und Familienbildung im Christlichen Jugenddorfwerk Deutschlands e.V. Dr. Henk Kuindersma ist Em. wissenschaftlicher Mitarbeiter für Religionspädagogik an der Protestantisch-Theologische Universität (PThU) in Groningen/ Amsterdam, Niederlande. Dr. Angela Kunze-Beiküfner war 15 Jahre Dozentin am Pädagogisch-Theologischen Institut in Drübeck (Sachsen-Anhalt) und ist seit September 2019 Hochschulund Studienpfarrerin in Magdeburg.

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Die Autorinnen und Autoren

Dörte Jost war bis zum Eintritt in den Ruhestand Referentin im Kita-Fachreferat Religiöse Bildung im Ev.-Luth. Kirchenkreis Hamburg-Ost. Cornelia Mikolajczyk ist Diplom-Religionspädagogin mit dem Schwerpunkt Gemeindepädagogik. Sie ist Studienleiterin am Pädagogisch-Theologischen Institut der Nordkirche, Standort Ludwigslust in Mecklenburg-Vorpommern. Dirk Schliephake ist Beauftragter der Ev.Luth. Landeskirche Hannovers für den Kindergottesdienst. Er leitet den Arbeitsbereich Kindergottesdienst im Michaeliskloster, Ev. Zentrum für Gottesdienst und Kirchenmusik. Dr. Henning Schluß ist Professor für Empirische Bildungsforschung und Bildungstheorie an der Fakultät für Philosophie und Bildungswissenschaft der Universität Wien. Dr. Martin Schreiner ist Professor für Religionspädagogik am Institut für Evangelische Theologie der Universität Hildesheim.

Dr. Martina Steinkühler ist Altphilologin und Theologin mit dem Schwerpunkt Religionspädagogik. Sie ist Autorin zahlreicher religionspädagogischer Publikationen, darunter Schulbücher und eine Erzählbibel. Dr. Helena Stockinger ist Vertretungs­ professorin für Religionspädagogik und Didaktik des Religionsunterrichts an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München. Dr. Anna-Katharina Szagun ist em. Profes­ sorin für Religionspädagogik an der Theologischen Fakultät der Universität Rostock. Ulrich Walter ist Pfarrer und Dozent am Pädagogischen Institut der Ev. Kirche von Westfalen. Schwerpunkt seiner Arbeit sind religionspädagogische Fortbildungen für Lehrer/innen und Erzieher/innen im Elementar- und Primarbereich und die Erstellung von Materialien für die religionspädagogische Praxis. Simone Wustrack ist Dozentin im Elementarbereich am Pädagogisch-Theologischen Institut der EKM (Standort Drübeck).