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German Pages [137] Year 2014
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Philosophie und Psychologie im Dialog
Herausgegeben von Christoph Hubig und Gerd Jüttemann Band 14: Jens Kertscher / Hans Werbik Handeln: Sind wir Menschen rational?
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Jens Kertscher / Hans Werbik
Handeln: Sind wir Menschen rational? Mit einer Tabelle
Vandenhoeck & Ruprecht
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-525-45241-7 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen / Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Satz: SchwabScantechnik, Göttingen Umschlag: SchwabScantechnik, Göttingen Druck und Bindung: e Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.
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Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Hans Werbik Handlungspsychologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Jens Kertscher Handlung – ein wesentlich normativer Begriff . . . . . . . . . . . . 59 Briefwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 Schlusswort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127
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Vorwort
Die Frage, ob wir Menschen rational sind, wird in den beiden Beiträgen dieses Bandes indirekt, ausgehend von einer Reflexion über menschliches Handeln diskutiert. Das bietet sich deshalb an, weil die Fähigkeit, aus Gründen zu handeln und aufgrund dieser Fähigkeit, für das eigene Tun zur Verantwortung gezogen werden zu können, neben den Fähigkeiten zu sprechen und zu denken als paradigmatische Ausprägung menschlicher Rationalität gilt. An der Frage, was menschliches Handeln ist, lassen sich daher Einsichten darüber gewinnen, ob und wie die auf die Antike zurückgehende Bestimmung des Menschen als ζῷον λόγον ἔχον (ein über den Logos verfügendes Wesen) im Lichte aktueller philosophischer und psychologischer Forschung verständlich gemacht werden kann. In der gegenwärtigen Handlungstheorie gibt es zwei miteinander zusammenhängende Tendenzen. Handlung wird als klassifikatorischer Begriff im Hinblick auf empirisch beobachtbare und erklärbare Ereignisse – beispielsweise Körperbewegungen – verstanden. Dementsprechend wird er nicht als normativer Begriff verstanden, sondern in einen Zusammenhang gestellt, der es erlaubt, ihn für kausale Erklärungen zugänglich zu machen. Diese Tendenzen entsprechen einem unproblematischen Alltagsempirismus, dem jedes Phänomen als gegeben vorgestellt oder als durch Beobachtung auffindbar gelten muss. Normative Aspekte werden unter diesen Voraussetzungen zu einer Nebensächlichkeit. Einer Psychologie, die sich als empirische Wissenschaft versteht, kommen diese Tendenzen entgegen. Allerdings bleibt die Frage, ob nicht eine genuin geisteswissenschaftlich-hermeneutische Perspek7 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525452417 — ISBN E-Book: 9783647452418
tive gerade für eine Handlungspsychologie unverzichtbar bleibt, die Handlungserklärungen nicht einfach auf empirisch überprüfbare Hypothesen reduzieren und Rationalität als empirisch beschreibbare Disposition fassen will. Damit zeigt das Thema Handlung und Rationalität nicht nur für die auf grundsätzliche Fragen zielende Philosophie, sondern auch für die Handlungspsychologie ein Problem an. Der Beitrag von Hans Werbik diskutiert diese Fragen ausgehend von den möglichen Perspektiven der psychologischen Erkenntnisgewinnung und in der Psychologie diskutierten Erklärungsmodellen und Typologien sowie einer exemplarischen Studie als Anwendungsfall aus dem Kontext Handlung und Sport. Jens Kertscher wendet sich gegen das in der aktuellen Handlungstheorie vorherrschende kausalistische Handlungsmodell, wonach Handlungen als eine Art von kausal erklärbaren Ereignissen begriffen werden müssen. Dabei versucht er, anschließend an neuere neoaristotelische Ansätze, den Zusammenhang von Kausalität, Teleologie und Rationalität in Bezug auf Handlungen so zu erläutern, dass der Begriff der Handlung als ein wesentlich normativer verständlich wird. Aus dieser Gegenüberstellung eines handlungspsychologischen und eines philosophischen Ansatzes ergibt sich die Frage, ob Rationalität bloß eine methodisch unverzichtbare, jedoch, was ihre beobachtbaren Exemplifikationen betrifft, für Revisionen offene Unterstellung im Rahmen weiterer empirischer Forschung zu den vielfältigen psychologischen Determinanten menschlichen Handelns ist, oder eine kategoriale Bestimmung des Menschen, die von der wesentlichen Normativität des Handlungsbegriffs her erst richtig verständlich wird. Im Briefwechsel zwischen den beiden Autoren werden einige der in den Beiträgen formulierten Thesen weiter reflektiert und zu einem Austausch über den Status von Rationalität im Kontext menschlichen Handelns zugespitzt. Die Autoren danken Frau Heidemarie Sörgel-Reichmann für die Betreuung des Manuskripts sowie Herrn Sebastian Hoenisch für die umsichtige redaktionelle Unterstützung. Hans Werbik und Jens Kertscher 8 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525452417 — ISBN E-Book: 9783647452418
Hans Werbik Handlungspsychologie
Voraussetzungen Menschen sind handelnde Wesen. Sie verändern durch Handeln ihre Umwelt. Daher haben Aussagen über die Abhängigkeit des menschlichen Verhaltens von Umweltbedingungen immer nur eine vorläufige Geltung. Sie gelten bis auf Weiteres. Bis auf Weiteres gelten nach Popper (1971) auch die Naturgesetze. Naturgesetze sind empirische Allgemeinaussagen, die gelten, solange sie nicht falsifiziert werden. Bei einer aussagenlogischen Betrachtung ist der Unterschied zwischen psychologischen Allgemeinaussagen und Naturgesetzen nicht darstellbar. Eine Möglichkeit, den Unterschied zwischen psychologischen Allgemeinaussagen und Naturgesetzen deutlich zu machen, bietet die Modallogik: Naturgesetze gelten mit Notwendigkeit, psychologische Allgemeinaussagen sind dagegen kontingent. Psychologische Theorien sind nicht nur empirisch prüfbare Aussagensysteme, sie enthalten auch Annahmen, die meistens keiner empirischen Prüfung zugänglich sind. Vor allem sind die Menschenbilder solche nicht empirisch überprüfbare Voraussetzungen psychologischer Theorien.
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Überblick über übliche Menschenmodelle in der Psychologie1 Das Modell des Mechanismus Im Modell des Mechanismus dient eine Maschine als Analogie für den Menschen. Die Tätigkeit der Maschine kann vorhergesagt werden aufgrund der in ihnen verwendeten Bauteile und der Kenntnis von deren Funktion. Maschinen funktionieren aufgrund von mechanischen Kräften. Erklärungen sind individualistisch, nicht sozial. Maschinenmodelle sind wirksam in allen psychologischen Theorien, in denen menschliches Verhalten aufgrund von äußeren oder inneren Reizen oder Kräften erklärt wird. Das Maschinenmodell findet sich in S-R-Theorien (Behaviorismus), und in der Psychoanalyse. Merkmale des Mechanismus: – Elementarismus, – Kausalismus, – Vorhersagbarkeit, – Quantifizierung,
Das Modell des Organismus Ein Organismus, zum Beispiel eine Pflanze, dient als Analogie für den Menschen. Aktionen eines Organismus werden gesteuert durch inhärente Verhaltens- und Entwicklungstendenzen; äußere Bedingungen stellen (lediglich) fördernde oder hemmende Faktoren dar. Äußere Reize werden entsprechend der inneren autochthonen Verarbeitungstendenzen transformiert. Menschliches Handeln ist nach diesem Modell bestimmt durch die Ausrichtung auf Ziele hin (teleologische Kausalität). Erklärungen sind individualistisch, nicht sozial. Die Gestalttheorie oder auch die Entwicklungstheorie nach Piaget oder die Analytische Theorie von C. G. Jung sind 1
Nach Reese und Overton (1970), Herzog (1984) sowie Kaiser und Werbik (2012).
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Beispiele für organismische Modelle als Orientierungen bei der Formulierung der Theorien. Merkmale des Organismus: – Ganzheitlichkeit, – Spontaneität, – Struktur, – Funktion, – Austausch.
Das Modell des handelnden Menschen Die Handlungspsychologie geht davon aus, dass der Mensch im Rahmen seines Lebensvollzuges und relativ zu den darin auftretenden Situationen prinzipiell zwischen verschiedenen Verhaltensweisen wählen kann. Dieses sein Handeln ist mit einem spezifischen und rekonstruierbaren Sinn verbunden. Ähnlich wie ein Wissenschaftler kann der Mensch Hypothesen über seine Umwelt bilden und überprüfen (»man as a scientist« hat Kelly, 1955, dies in seiner »Psychology of Personal Constructs« genannt.) Merkmale des Handlungsmodells: – Intentionalität, – Argumentationszugänglichkeit, – Nichtvorhersehbarkeit, – Rationalität, – Reflexivität. Das Modell des Mechanismus geht auf Descartes zurück. Descartes konzipiert den Menschen als von res cogitans und res extensa zusammengesetzt. Der Zugang zur res cogitans ist nur dem Subjekt selbst durch Introspektion möglich. Zur res extensa gehört alles, was ausgedehnt ist, also auch der menschliche Körper. Körperliche Vollzüge sind nichts anderes als mechanische Abläufe (Knaup, 2012, S. 41). Während der Zugang zur res cogitans rein privat ist, ist in der öffentlichen Wahrnehmung nur die res extensa, der Körper, vorhanden. Für den menschlichen Körper gilt die Maschinenebenbildlichkeit 11 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525452417 — ISBN E-Book: 9783647452418
(S. 41). Descartes ist also ein Vorläufer des Behaviorismus, wenn man die res cogitans einfach weglässt. Ein besonders radikaler Vertreter des Maschinenmodells ist La Mettrie (»L’homme machine«): »Ziehen wir also den kühnen Schluss, dass der Mensch eine Maschine ist und dass es im ganzen Weltall nur eine Substanz gibt, die freilich verschieden modifiziert ist« (zit. nach Knaup, 2012, S. 116). Welche Maschine der Mensch ist, dies hängt vom Stand der Technik ab: zunächst Uhr, dann Dampfmaschine, heute Computer: »Das neue Richtmaß für das Denken und Deuten der Natur ist nun das, was der Mensch hergestellt hat« (Knaup, 2012, S. 117). Im handlungstheoretischen Menschenbild wird Rationalität vorausgesetzt. Rationalität kann mehrere Bedeutungen haben: a) Rationalität ist eine empirische Disposition. Die Person befolgt Prinzipien des rationalen Handelns (z. B. sie wählt geeignete Mittel für ihre Ziele). b) Rationalität ist eine heuristische Fiktion (Vahinger, 1918). Ein Handeln wird so betrachtet, als ob es rational wäre (z. B. ein neurotisches Verhalten wird als Mittel für ein Ziel interpretiert). Rationalität ist hier nicht eine empirische Disposition, sondern ein methodisches Prinzip (Schwemmer, 1976). Die Nichtvorhersagbarkeit des menschlichen Handelns scheint der Annahme der Rationalität zu widersprechen. Allerdings muss man berücksichtigen, dass Rationalität sich hauptsächlich auf die Wahl der Mittel für Ziele bezieht. Wenn jemand als treuer oder verlässlicher Partner bezeichnet wird, dann gehen wir davon aus, dass seine Oberziele im Laufe der Zeit konstant bleiben, unabhängig von der Wahl der jeweiligen Mittel, die mit der Zeit variieren können, also nicht vorhersagbar sind.
Handlungsbegriff Wilhelm Wundt (1911) unterscheidet Wahlhandlungen, Willkürhandlungen und Triebhandlungen. – Bei Wahlhandlungen sind mehrere Möglichkeiten des Sichverhaltens im Bewusstsein des Handelnden klar beschrieben. 12 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525452417 — ISBN E-Book: 9783647452418
– Die Willkürhandlungen beziehen sich auf den Begriff des Kürens, welcher eine schwache Form des Wählens bezeichnet: Eine klar beschriebene Verhaltensmöglichkeit wird vor ihrer Negation bevorzugt. – Bei der Triebhandlung ist nur eine Verhaltensmöglichkeit bewusst. Allerdings kann die Triebhandlung durch ein Veto der Vernunft blockiert werden. Aber das heißt, dass der Person auch bei Triebhandlungen eine zweite Handlungsmöglichkeit gegeben ist, nämlich die der Unterlassung. Daher können wir insgesamt sagen, dass der Begriff des Handelns immer mit dem Vorhandensein von Wahlmöglichkeiten verbunden ist. Hubert Rohracher äußert sich zu diesem Sachverhalt wie folgt: »Die unerlässliche Voraussetzung für die Entstehung eines Wollens ist das Bestehen einer Wahlsituation; es müssen mehrere, wenigstens aber zwei Verhaltensmöglichkeiten gegeben sein« (Rohracher, 1971, S. 502). Der Mensch »sieht sich vielmehr unentwegt vor solche Wahlen gestellt: er muss wählen, er muss sich für die Ausführung oder Unterlassung dieser oder jener Handlung entscheiden, er ist, wie es die Existentialisten bisweilen ausdrückten, geradezu zur Freiheit verurteilt, ja verdammt« (Straub, 1999, S. 17). Es ist üblich, den Begriff der Handlung mit Hilfe des Zielbegriffs zu definieren (Kaiser u. Werbik, 2012). Der Begriff des Ziels impliziert das Vorhandensein von Wahlmöglichkeiten: »Die Vorstellung der Wahl-, Entscheidungs- und Handlungsfreiheit und der partiellen Autonomie besagt nicht, dass Personen in ihren Handlungsmöglichkeiten keine Grenzen gesetzt wären. Die Handlungsspielräume jedes einzelnen sind durch Naturgesetze begrenzt, sie werden durch die Bedürftigkeit des Menschen bestimmt, schließlich durch die historischen und soziokulturellen, praktisch-kommunikativen Regeln und gesellschaftlichen Institutionen strukturiert, das heißt: sowohl eröffnet als auch eingegrenzt« (Straub, 1999, S. 18). Die zweite Möglichkeit, den Begriff des Handelns zu definieren, formuliert Max Weber: »Handlung soll ein menschliches Verhalten (einerlei, ob äußeres oder innerliches Tun, Unterlassen oder Dulden) heißen, wenn und insofern als der oder die Handelnden mit ihm einen subjektiven Sinn verbinden« (Weber, 1965, S. 8). Hand13 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525452417 — ISBN E-Book: 9783647452418
lungen können wir billigen oder missbilligen. Für Handlungen können wir verantwortlich gemacht werden. Der Handlungsbegriff der experimentellen Psychologie – Handlung ist eine zielgerichtete Bewegung – ist viel zu eng (Hommel u. Nattkemper, 2011, S. 42).
Erklärung von Handlungen Perspektiven der Psychologie Wir kommen nun zu der Frage, wie menschliche Handlungen erklärt werden können. Dabei gehen wir von der Annahme aus, dass menschliches Handeln aus drei Perspektiven betrachtet werden kann: – Perspektive des erlebenden Subjekts (erste Person), – Perspektive eines Gesprächs bzw. Dialogpartners (zweite Person), – Perspektive des Beobachters (dritte Person). Die naturwissenschaftliche Psychologie bezieht sich ausschließlich auf die Perspektive des Beobachters. Die Perspektive des erlebenden Subjekts ist mit dem Begriff der Introspektion verbunden. Allerdings gibt es einige Einwände gegen die Introspektive Psychologie, vor allem, dass die Introspektion eine unmögliche Teilung des Subjekts in ein erlebendes und beobachtendes Subjekt voraussetzt. Diesen Einwand kann man entkräften, wenn man annimmt, dass die sogenannte Introspektion immer Retrospektion ist, also eine Rekonstruktion des bewussten Erlebens aufgrund des Gedächtnisses (Brentano, 1874). Die menschliche Psyche als Ganzes ist unerkennbar. Psychologische Aussagen sind stets perspektivenabhängig und beschreiben immer nur einen Ausschnitt der Wirklichkeit.2 Die drei Perspektiven haben unterschiedliche kommunikative Voraussetzungen. Bei der Perspektive der ersten Person tritt das 2
Ich folge hier im Wesentlichen der Darstellung von Werbik und Appelsmeyer (1999).
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Subjekt zu sich selbst in eine reflexive Beziehung, bei der Perspektive der zweiten Person wird eine dialogische Ich-Du-Beziehung, bei der Perspektive der dritten Person wird eine Ich-Er/Sie/Es-Beziehung vorausgesetzt (Buber, 1994). Die unterschiedlichen kommunikativen Voraussetzungen können auch pragmatische genannt werden. Die unterschiedlichen theoretischen Ansätze, die im Verlauf der Geschichte der Psychologie eine Rolle gespielt haben, können durch die Dominanz einer bestimmten Perspektive und durch die Ausblendung der anderen Perspektiven expliziert werden. So ist zum Beispiel die Bewusstseinspsychologie durch die Dominanz der Perspektive der ersten Person, der Behaviorismus durch den ausschließlichen Gebrauch der Perspektive der dritten Person gekennzeichnet. Die erste dieser Perspektiven ist die Perspektive des erlebenden Subjekts, also der ersten Person. Als Beispiel für die systematische Ausarbeitung dieser Perspektive kann die Bewusstseinspsychologie gelten, die durch die Methode der Introspektion Zugang zu Bewusstseinsinhalten gewinnen wollte. Nach Auffassung Wundts hat die Physiologie bzw. allgemeiner die Naturwissenschaft die Aufgabe, »die ganze allumfassende Erfahrungswelt rein vom Standpunkt der Objekte aus (zu erforschen), die Psychologie (dagegen) hat dieselbe Erfahrungswelt nur vom Standpunkt des wahrnehmenden, fühlenden und wollenden Subjekts aus zum Gegenstand« (Wundt, 1911, S. 744). Während sich der Forschungsgegenstand der Naturwissenschaft durch eine Weglassung aller subjektiven Erfahrungselemente auszeichne und physische Verhaltensaspekte der Beobachtung allgemein zugänglich seien, eröffneten sich psychische Phänomene dagegen nur dem Subjekt. Bühler (1927, S. 17) hat die für die Bewusstseinspsychologie charakteristische Auffassung folgendermaßen formuliert: »Jeder hat sein eigenes Ich und sein Gesichtsfeld der inneren Wahrnehmung, in das ihm kein Nachbar unmittelbar hineinschauen kann.« Wittgenstein kritisiert diesen erlebnispsychologischen Denkansatz, indem er diesen mit einer Situation vergleicht, in welcher jeder eine Schachtel hat, in der sich etwas befindet, was wir Käfer nennen, jedoch niemand in die Schachtel des anderen schauen kann, und jeder sagt, er wisse nur vom Anblick seines Käfers, was ein Käfer ist: 15 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525452417 — ISBN E-Book: 9783647452418
Da könnte es ja sein, dass jeder ein anderes Ding in seiner Schachtel hätte (Wittgenstein, 1971, I, S. 293). Man kann also auf Basis des erlebnispsychologischen Denkansatzes nicht verständlich machen, woher die Person weiß, dass das, was sie in ihrem Kopfe hat, eine Erwartung oder ein Vorsatz ist. Der erlebnispsychologische Ansatz vernachlässigt, in dem er von der Fiktion des isolierten Individuums ausgeht, dass Sprache zuvor intersubjektiv eingeübt werden muss, bevor sie zur Beschreibung innerer Vorgänge herangezogen werden kann (Werbik, 1978, S. 41). Wundt hat den Begriff der Selbstbeobachtung analog zum naturwissenschaftlichen Beobachtungsbegriff gebildet. Die Erkenntnis psychischer Zustände wird dabei analog zur räumlich-visuellen Wahrnehmung von Objekten der äußeren Welt gefasst (vgl. Herzog, 1991). Introspektion ist eine optische Metapher (Ryle, 1969). Die Erfassung psychischer Zustände kann den gleichen möglichen Fehlern unterliegen wie die Beobachtung äußerer Objekte, deshalb wurden als Versuchspersonen nur Experten des Seelenlebens herangezogen: »In der klassischen Periode der einzelwissenschaftlichen Psychologie waren häufig die Forscher wechselseitig füreinander Versuchspersonen, so in der Gestaltpsychologie Wertheimer für Köhler und Köhler für Wertheimer, in der Würzburger Schule: Bühler für Marbe und Marbe für Bühler etc.« (Holzkamp, 1983, S. 544). Aber auch das für die Naturwissenschaften typische bedingungsanalytische Denken wurde auf die Erfassung psychischer Inhalte übertragen: »Die Introspektion ist die Konsequenz der Anwendung der bedingungsanalytischen Denkform auf das Erleben. Man macht aus ihm eine Ereigniswelt, die sich inwendig beäugen lässt« (Laucken, 1989, S. 31). Laucken weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass der Begriff des Ereignisses etymologisch vom Begriff des Auges abgeleitet ist (Werbik u. Appelsmeyer, 1999, S. 76). Handlungen sind keine Ereignisse, sondern Prozesse. Abgesehen von der Frage, ob die Konzeptualisierung von Erkenntnisvorgängen nach dem Modell des Sehens vermeidbar ist – oder nicht (man kann in dieser Frage unterschiedliche Meinungen vertreten), führt jedoch die Dominanz der bedingungsanalytischen Denkform zu Fehlern, die vermeidbar sind. Die Dominanz der bedingungsanalytischen Denkform führt dazu, dass Verweisungszusammenhänge (ein Prädikat A verweist auf ein Prädikat B, wenn 16 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525452417 — ISBN E-Book: 9783647452418
zwischen A und B eine semantische Relation besteht) ausgeblendet werden (Laucken, 1989). Beispielsweise verweist das Gefühl des Stolzes bei einer leistungsbezogenen Aufgabe auf den Erfolg in dieser Leistungssituation (nicht umgekehrt, denn man kann Erfolg haben, ohne Stolz zu empfinden). Man kann daher nicht sagen, dass Erfolg und Stolz voneinander logisch unabhängige Ereignisse sind, zwischen denen eine empirische Relation besteht (vgl. Smedslund, 1979; Mees, 1999). Einen Versuch, von der Analogie der Erfassung psychischer Phänomene zum naturwissenschaftlichen Beobachtungsbegriff wegzukommen, macht Brentano (1874), indem er zwischen innerer Beobachtung und innerer Wahrnehmung unterscheidet. Eine innere Beobachtung ist unmöglich: »Es ist ein allgemein gültiges psychologisches Gesetz, dass wir niemals dem Gegenstand der inneren Wahrnehmung unsere volle Aufmerksamkeit zuzuwenden vermögen« (Brentano, 1874, S. 41). Psychische Phänomene können nur »bemerkt« werden. Betrachtet man in reflexiver Einstellung den Strom seines psychischen Erlebens, so bemerkt man, dass die Isolierung einzelner psychischer Erlebnisse große Schwierigkeiten bereitet. Daher kann sich eine Psychologie aus der Perspektive der ersten Person nur auf solche Erlebnisse beziehen, die aus dem Strom des übrigen Erlebens genügend herausgehoben sind (außergewöhnliche Erlebnisse). Bei solchen Erlebnissen hat das Subjekt auch ein Motiv, diese Erlebnisse aufzuzeichnen, so dass aufgrund des schriftlichen Berichts (aus der Retrospektive) die Erlebnisse analysiert werden können. »Introspektion« ist also Retrospektion (Werbik u. Appelsmeyer, S. 77). »Es ist offenbar, dass hier die Psychologie den andern allgemeinen Wissenschaften gegenüber in großem Nachteile erscheint. Denn ohne Experiment sind zwar manche unter ihnen, wie namentlich die Astronomie; ohne Beobachtung ist keine. In Wahrheit würde die Psychologie geradezu zur Unmöglichkeit werden, wenn für den Mangel kein Ersatz sich böte. Einen solchen findet sie aber, bis zu einem gewissen Grade wenigstens, durch die Betrachtung früherer psychischer Zustände im Gedächtnisse. Dieses wurde schon oft als das vorzüglichste Mittel, sich von psychischen Tatsachen Kenntnis zu verschaffen, geltend gemacht, und Denker ganz verschiedener Richtungen stimmten darin überein.
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Herbart hat nachdrücklich darauf hingewiesen, und J. St. Mill bemerkt in seiner Schrift über Comte, es sei möglich, eine psychische Erscheinung in dem darauffolgenden Augenblicke mittels des Gedächtnisses zu untersuchen. ›Und dieses ist‹, fügt er bei, ›in Wahrheit die Weise, in der wir gemeiniglich den besten Teil unserer Kenntnis psychischer Akte uns erwerben. Wir reflektieren auf das, was wir getan, wenn der Akt vorüber, aber sein Eindruck noch frisch im Gedächtnis ist‹« (Brentano, 1874, S. 48 f.).
Nach Werbik (1991) hat jede Perspektive ein eigenes Annahmekriterium für die Beurteilung der Geltung der auf Basis dieser Perspektive formulierten Aussagen. Das Annahmekriterium für Aussagen aus der Perspektive der ersten Person ist Evidenz (Descartes, 1647; Brentano, 1874). Ich denke, also bin ich. Sagt eine Person »ich sehe rot« oder »ich denke an Wien«, »ich habe Angst« oder »ich habe Schmerzen«, so weiß sie aufgrund ihres unmittelbaren, privilegierten Zugangs von diesem Phänomen (Greve, 1996; Popp-Baier, 1996). »Jedenfalls dann, wenn ich gerade an Wien denke, wird mich kein Experte oder Beobachter davon überzeugen können, dass ich eigentlich gerade an ein Himbeereis gedacht habe […] Kein Argument eines Physiologen (wie aufwendig seine Untersuchungen, seine Daten und Experimente auch immer sein mögen) könnte mich je davon überzeugen, dass ich mich darin getäuscht habe, gerade einen Schmerz empfunden zu haben« (Greve, 1996, S. 112). Wittgenstein selbst würde das Wort Evidenz zur Bezeichnung des Annahmekriteriums von Aussagen auf Basis der Perspektive der ersten Person ablehnen, da er die gesamte traditionelle Bewusstseinstheorie ablehnt. Unter Berücksichtigung der Position Wittgensteins ist es besser, statt von Evidenz von Nichtangreifbarkeit der Aussage der ersten Person zu sprechen. Ryle (1969) lehnt den privilegierten Zugang ab und argumentiert, dass sich die Selbstkenntnis von der Kenntnis anderer Menschen nicht grundlegend unterscheidet. »Das, was ich über mich selbst herausfinden kann, ist von derselben Art wie das, was ich über andere herausfinden kann, und die Methoden, es herauszufinden, sind ungefähr dieselben« (Ryle, 1969, S. 209). Gegen die Evidenz als Annahmekriterium für Aussagen aus der Perspektive der ersten Person wendet er ein, dass es kein Widerspruch ist 18 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525452417 — ISBN E-Book: 9783647452418
zu sagen, dass einer seinen Gemütszustand verkannt habe. »Man nimmt irrtümlich an, etwas zu wissen, was tatsächlich falsch ist; man täuscht sich über seine eigenen Beweggründe; man ist überrascht zu bemerken, dass die Uhr aufgehört hat zu ticken, ohne, wie man glaubt, ihres Tickens gewahr gewesen zu sein; man weiß nicht, was man träumt, während man träumt, und manchmal ist man nicht sicher, dass man nicht träumt, wenn man wach ist; und man leugnet in gutem Glauben ab, verärgert oder gespannt zu sein, wenn man in der ersteren oder letzteren Art erregt ist« (Ryle, 1969, S. 218). Eine Möglichkeit, die nicht haltbare Theorie des privilegierten Zugangs zu revidieren, besteht darin, dass wir die Formulierung einer Aussage aus der Perspektive der ersten Person analog der Situation betrachten, in der wir einer Person eine Entscheidung überlassen. Sagt eine Person »ich denke an Wien« oder »ich fühle Trauer« oder »ich habe Schmerzen«, so verzichten wir darauf, diese Aussage anzugreifen, weil wir der Person P1 welche diese Aussagen formuliert, eine Art von Priorität einräumen. Die Konsequenz dieses Denkansatzes wäre, dass wir die Aussagen der Person als Sprechhandlungen (Austin) betrachten, weil wir unterstellen, die Person P1 hätte entschieden, sich so und nicht anders auszudrücken. Allerdings gibt es kein scharfes Kriterium, das erlaubt, diejenigen Aussagen, bei denen wir dem Sprecher Priorität einräumen und diejenigen Aussagen, die wir angreifen, voneinander abzugrenzen. Im Beispiel von Ryle greift der Gesprächspartner oder der Beobachter eine Aussage, die aus der Perspektive der ersten Person formuliert ist (»ich fühle weder Ärger noch Spannung«) an. Auch die Aussage »ich fühle Liebe zu dir« wird gewöhnlich angegriffen, indem der Gesprächspartner auf Handlungen verweist, die mit dieser Aussage aus seiner Perspektive nicht vereinbar erscheinen. Dispositionsaussagen (z. B. »ich bin ehrgeizig«) gehören auf jeden Fall zu denjenigen Aussagen, die durch Hinweis auf Beispiele gegenteiligen Verhaltens angegriffen werden können. Jedenfalls können wir als Ergebnis der bisherigen Diskussion festhalten, dass es Aussagen gibt, die, wenn sie aus der Perspektive der ersten Person formuliert werden, nicht angegriffen werden. Im Zweifel überlassen wir der sprechenden Person die Entscheidung bzw. räumen ihr Priorität ein, ohne dass von ihr verlangt wird, ihre Aussagen zu verifizieren. 19 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525452417 — ISBN E-Book: 9783647452418
»›Nur du kannst wissen, ob du die Absicht hattest‹. Das könnte man jemandem sagen, wenn man ihm die Bedeutung des Wortes ›Absicht‹ erklärt. Es heißt dann nämlich: so gebrauchen wir es. (Und ›wissen‹ heißt hier, daß der Ausdruck der Ungewissheit sinnlos ist.)« (Wittgenstein, 1977, § 247). Die Aussage »ich habe die Absicht A« geht auf eine Selbstreflexion zurück. Damit ich eine solche Aussage formulieren kann, muss ich die Prozesse meiner Handlungsvorbereitungen reflexiv betrachten. Eine Absicht haben verweist darauf, dass die Person bereit ist, in einen Suchprozess (Werbik, 1978) einzusteigen und ein geeignetes Mittel zu suchen. Absichten, die sofort aufgegeben oder vergessen werden, werden nicht »Absichten« genannt. Um zu überprüfen, ob die sprechende Person eine Absicht A hat, muss sie in einen interindividuellen Dialog eintreten. Die Aussage der Person kann angegriffen werden, indem der Gesprächspartner nachweist, dass die Person geeignete Mittel zur Realisierung ihrer »Absicht« nicht wählt. Das Kriterium zur Verteidigung der Aussage ist Konsistenz: Die sprechende Person ist immer wieder bemüht, ein geeignetes Mittel zu finden, um ihre Absicht zu realisieren (Werbik u. Appelsmeyer, S. 84). Die in der wissenschaftlichen Psychologie gebräuchlichste Perspektive ist die Perspektive des Beobachters (der dritten Person). Diese Perspektive kann in die Perspektive des teilnehmenden Beobachters und in diejenige des externen Beobachters differenziert werden. Die Perspektive des externen Beobachters liegt dem klassischen Behaviorismus zugrunde. Hier wird der naturwissenschaftliche Beobachtungsbegriff angewandt. Zudem kann ein naturwissenschaftlicher Begriff von Erklärung Anwendung finden: Das beobachtete Verhalten, die response, wird logisch unabhängig von den das Verhalten auslösenden Reizen (Stimuli) festgestellt, und die Beziehung zwischen Stimuli und responses wird unter universelle Gesetze (z. B. das Gesetz des Effekts) subsumiert. Die Form der Erklärung ist eine deduktiv-nomologische, die durch das Hempel-Oppenheim-Schema expliziert werden kann (Stegmüller, 1969, I, S. 86). Dabei wird selbstverständlich vorausgesetzt, dass nicht solche Situationsbeschreibungen Reize genannt werden, die bestimmte Verhaltensweisen auslösen (das wäre zirkulär) und dass es sich bei dem Gesetz des Effekts ebenfalls nicht um einen logischen Zirkel handelt (Meehl, 1950). Psychische Phänomene 20 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525452417 — ISBN E-Book: 9783647452418
werden als private events betrachtet, die sich der naturwissenschaftlichen Beobachtung entziehen und für die kausale Verhaltenserklärungen überflüssig sind (Skinner, 1953), oder als theoretische Termini (hypothetische Konstrukte) gefasst, die über operationale Definitionen (Tolman, 1923; Hull, 1943) mit Beobachtungssätzen verknüpft werden. »Eine grundlegende Schwierigkeit des behavioristischen Ansatzes besteht darin, dass wir nur auf Grundlage bestimmter theoretischer Vor-Annahmen Beobachtungsaussagen machen können (Popper, 1971). Eine strenge Trennung von Beobachtungssprache und theoretischer Sprache ist nicht möglich. Der enge Zusammenhang zwischen Vor-Annahmen und Beobachtung wird besonders deutlich, wenn wir die Verwendung verhaltensbeschreibender Prädikate näher analysieren: Prädikate wie ›streiten‹, ›drohen‹, ›beleidigen‹, ›helfen‹, ›flirten‹, setzen implizit bestimmte Annahmen über die Erwartungen und Absichten der handelnden ebenso wie der betroffenen Personen voraus« (Werbik, 1978, S. 44). Man könnte sagen, dass der behavioristische Ansatz die Perspektiven der ersten Person als Heuristiken voraussetzt. Aus der Perspektive des Beobachters, der die Perspektive des erlebenden Subjekts als Heuristik benutzt, ist Handeln ein »Interpretationskonstrukt« (Lenk, 1978). Annahmen über die Ziele und Erwartungen der handelnden Person werden zur Verhaltensbeschreibung »hinzukonstruiert«. Ohne solche Konstruktionsleistungen ist eine Handlung eine physikalisch beschreibbare Bewegung. Eine Handlung besteht aus einer »geordneten Summe von Muskelkontraktionen, durch sie erzeugte Skelettbewegungen und sie auslösenden peripheren und zentralen Nervenerregungen« (Wundt, 1911, S. 744), die ohne Bezugnahme auf Willensregungen und andere psychische Phänomene erklärt werden können. Aus der Perspektive der dritten Person können die Handlungen eines Subjekts nur als Bewegungsabfolge eines Objekts erklärt werden. Auch neuropsychologische Erklärungen sind Erklärungen auf Basis der Perspektive der dritten Person. Die Perspektive der zweiten Person unterscheidet sich grundsätzlich von der Perspektive des Beobachters. Sie beruht auf einer Ich-Du-Beziehung, während die Perspektive des Beobachters eine Ich-er,sie,es-Beziehung beinhaltet (Martin Buber, zit. nach Kai21 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525452417 — ISBN E-Book: 9783647452418
ser u. Werbik, 2012). Eine wissenschaftliche Methode, die auf der Perspektive der zweiten Person beruht, ist das narrative Interview. Auch die im Rahmen des Forschungsprogramms »Subjektive Theorien« entwickelte Dialog-Konsens-Methodik (Groeben, Wahl u. Scheele, 1988) beruht auf der Perspektive der zweiten Person. Bei der Dialog-Konsens-Methodik werden die Selbstbeschreibungen handelnder Personen erhoben und innerhalb von dialogischen Situationen konsensfähig rekonstruiert. Ähnlich wie bei Groeben können der Beobachter und die beobachtete Person in einem Dialog über die Ergebnisse der (Fremd)-Beobachtung einerseits und jene der Retrospektion andererseits eintreten, »Man könnte auch von einem dialektischen Prinzip bei der Ermittlung jener Aussagen sprechen, die über die Person letztlich als ›wahr‹ ausgezeichnet werden sollen: Ergebnisse der Retrospektion und der Fremdbeobachtung werden aneinander abgeglichen und aus beiden wird eine mit beiden verträgliche neue Aussage über die Person formuliert« (Kaiser u. Werbik, 2012). Das Annahmekriterium für psychologische Aussagen aus der Perspektive der zweiten Person ist Glaubwürdigkeit. Eine Person kann uns im Zusammenhang einer Erzählung über ihre Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg von Todesangst berichten, die sie als Folge der Bombardierung von Dresden erlebt hat. Der Bericht der ersten Person wird von der zweiten Person nachvollzogen und anerkannt. Man kann daher sagen, dass Glaubwürdigkeit ein (schwaches) Konsenskriterium ist. Der Perspektive der zweiten Person kommt, genetisch gesehen, eine Sonderstellung zu, da sich aus dieser Perspektive heraus in Verbindung heraus in Verbindung mit diesem Kontext die beiden anderen Perspektiven in ihrer Struktur erst entwickeln können. Sowohl die aus der Perspektive der ersten Person formulierbaren Aussagen über Subjektives (Psychisches bzw. Mentales) als auch die aus der Perspektive der dritten Person formulierbaren Aussagen über objektives (Verhalten) wurden intersubjektiv im sozialen Kontext dialogisch gelernt. Das Kind lernt in der Interaktion mit seinen Bezugspersonen die Bezeichnungen (sowohl) für Mentales als auch für Verhalten, und zwar in Geschichten verstrickt. So muss zum Beispiel die als innerer Zustand empfundene Angst ursprüng22 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525452417 — ISBN E-Book: 9783647452418
lich in der intersubjektiven, öffentlichen Sprache als Bezeichnung gelernt worden sein, sonst wäre dem einzelnen diese Bezeichnung für Inneres nicht verfügbar. Mentale Begriffe bezeichnen danach zwar subjektive Größen, aber die Verwendungsregeln dieser Begriffe werden im sozialen Kontext gelernt und sind intersubjektiv verfügbar (Carrier u. Mittelstraß, 1989). Dabei ist jedoch zu beachten, »dass dieses Lernen in eher ›prototypischen‹ Zuordnungen mentaler Begriffe zu Situationen und Handlungen als (durch) Verwendungsregeln erfolgt. Die individuelle Anwendung gelernter Begriffe erfolgt auch ›per analogiam‹, wodurch auch beträchtliche interindividuelle Differenzen im Sprachgebrauch entstehen können« (Popp-Baier, 1996, S. 7).
Kausale und teleologische Erklärung von Handlungen3 Bezüglich dessen, was »Erklärung« heißen soll, wurden zwei verschiedene Konzeptionen oder Auffassungen entwickelt. Die eine Auffassung wird gewöhnlich »kausale Erklärung«, die andere »teleologische Erklärung« genannt (Wright, 1974). Allgemeine Form einer kausalen Erklärung Das Prinzip der kausalen Erklärung besteht darin, dass ein beobachtbares Ereignis unter ein hypothetisch angenommenes allgemeines Gesetz subsumiert wird. Ein solches Verständnis von »kausal« ist von der positivistischen Wissenschaftstheorie, insbesondere von John Stuart Mill (1872, II, S. 172) vorgeschlagen worden: »Eine individuelle Tatsache nennt man erklärt, wenn man ihre Ursache nachgewiesen, das heißt, das oder die ursächlichen Gesetze festgestellt hat, von deren Wirksamkeit ihre Entstehung ein einzelner Fall ist.« Da das Wort »kausal« auch noch in anderen Bedeutungen gebraucht wird, ist es besser, die von Mill und später von Hempel vorgetragene Auffassung die »Subsumptions- Theorie der Erklärung« zu nennen. Zur Vermeidung von Mehrdeutigkeiten wird die kausale Erklärung auch »deduktiv-nomologische« Erklärung genannt. 3
Im Folgenden übernehme ich die Darstellung bei Werbik (1978).
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Die Subsumptions-Theorie der Erklärung wurde von Hempel und Oppenheim präzisiert. Die zu erklärende Tatsache wird Explanandum genannt. Um die Erklärung liefern zu können, müssen zunächst gewisse Bedingungen angegeben werden, die vorher oder gleichzeitig realisiert waren. Diese Bedingungen sollen Antecedensbedingungen Al …… An genannt werden. Außerdem müssen bestimmte allgemeine Verlaufs-Gesetze G1 …… Gr formuliert werden. »Die Erklärung besteht darin, den Satz E, der das zu erklärende Phänomen beschreibt, aus diesen bei den Klassen von Sätzen, d. h. aus der Satzklasse Al …… An, G1 …… Gr, logisch abzuleiten« (Stegmüller, 1969, S. 82). Die Struktur solcher Erklärungen kann durch das folgende Schema abgebildet werden: A1 …… An (Sätze, welche die Antecedensbedingungen beschreiben
Explanans
G1 …… Gn (allgemeine Gesetzmäßigkeiten)
Explanandum
E
(Beschreibung des zu erklärenden Ereignisses)
»Nach der von Hempel und Oppenheim vertretenen Auffassung haben wissenschaftliche Voraussagen stets dieselbe logische Struktur wie wissenschaftliche Erklärungen; der Unterschied ist ein bloß pragmatischer […]. Der pragmatische Unterschied zwischen den beiden Fällen äußert sich danach in folgendem: Wenn E in dem Sinn vorgegeben ist, dass man bereits weiß, der durch E beschriebene Sachverhalt habe stattgefunden, und wenn geeignete Antecedensbedingungen A1 … An sowie Gesetze G1 … Gn nachträglich zur Verfügung gestellt werden, aus denen zusammen E ableitbar ist, so sprechen wir von einer Erklärung. Sind hingegen die Antecedensbedingungen wie Gesetze zunächst gegeben und wird daraus E zu einem Zeitpunkt abgeleitet, bevor das durch E beschriebene Ereignis stattfindet, so handelt es sich um eine Voraussage« (Stegmüller, 1969, S. 84).
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Dispositionelle Erklärung Für viele Psychologen, darunter W. Wundt, besteht eine kausale Erklärung menschlicher Handlungen darin, dass Motive als die Ursachen von Handlungen angesehen werden (Wundt, 1911, S. 280). Zum Zwecke der Präzisierung dieses Gedankens beziehen wir uns auf das Schema der dispositionellen Erklärung (Stegmüller, 1969, S. 120). Eine solche Erklärung einer Handlung aus Motiven hat folgende Struktur: Al: Die Person befindet sich in der Situation S. A2: Die Person hat das Motiv M. G: Jede Person, die das Motiv M hat, führt in einer Situation von der Art S die Handlung H aus. E: Die Person führt die Handlung H aus. Diese Art der Erklärung entspricht formal dem Erklärungsschema von Hempel und Oppenheim, mit der Besonderheit, dass als Antecedensbedingung A2 eine Eigenschaft der Person, also eine Dispositionsaussage in das Explanans aufgenommen ist. Auf den ersten Blick scheint die Erklärung einer Handlung aus Motiven dem allgemeinen Prinzip einer kausalen Erklärung zu folgen. Doch gibt es eine Reihe von Schwierigkeiten, die dazu geführt haben, dass die Allgemeingültigkeit der Subsumptionstheorie der Erklärung, insbesondere im Hinblick auf die Erklärung von Handlungen aus Motiven oder Zwecken, von vielen Wissenschaftstheoretikern bestritten wird. Zunächst kann bezweifelt werden, ob es sich bei der Allgemeinaussage G tatsächlich um ein Gesetz im üblichen Sinne handelt. Ob eine Person tatsächlich das Motiv M hat, ist ja nicht direkt beobachtbar. Es wäre daher möglich, dass wir einer Person gerade dann das Motiv M zusprechen, wenn sie in der Situation S die Handlung H wählt. In diesem Fall wäre die Allgemeinaussage G keine empirische Hypothese, sondern eine analytisch-wahre Aussage. Stegmüller (1969, S. 120–128) hält diesen Bedenken entgegen, dass wir Dispositionsprädikate, die ja als theoretische Begriffe angesehen werden müssen, nur aufgrund des Vorliegens bestimmter symptomatischer Bedingungen einer Person zusprechen, wobei die Feststellung des Symptoms logisch unabhängig von der Feststellung der Ausführung der Handlung erfolgen muss. Der Zusammenhang 25 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525452417 — ISBN E-Book: 9783647452418
zwischen dem beobachtungsmäßig gegebenen Symptom und dem Dispositionsprädikat (in unserem Fall dem Motiv M) ist selbstverständlich kein empirischer, sondern er wird durch eine Zuordnungsregel (z. B. durch einen Reduktionssatz der folgenden Form: »Wenn die Person der Testbedingung B unterworfen wird, so hat sie, falls sie in der Weise R reagiert, das Motiv M«) gestiftet. Wenn für das Vorliegen eines bestimmten Motivs eine solche unabhängige Information vorliegt, so ist damit sichergestellt, dass die Allgemeinaussage G als eine empirische Hypothese aufzufassen ist. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass die empirische Hypothese G nicht als Naturgesetz bezeichnet werden darf, da ein solcher regelhafter Zusammenhang zwischen einem Motiv und einer Handlung in einer bestimmten Situation durchaus dem Willen der handelnden Person unterworfen sein kann. Eine solche Regelmäßigkeit kann auf eine Norm rationalen Verhaltens zurückführbar sein, die die Person freiwillig akzeptiert. Gleichwohl hat unsere Hypothese mit einem Naturgesetz mindestens zwei Gemeinsamkeiten: 1. Sie ist eine Allgemeinaussage, die sich auf eine potenziell unendliche Menge von einzelnen Situationen von der Art S bezieht. 2. Sie ist prinzipiell durch neue Beobachtungstatsachen falsifizierbar (Popper, 1971). Teleologische Erklärung Verschiedene Wissenschaftstheoretiker, darunter von Wright (1974) halten die teleologische Erklärung für eine selbstständige Form der Erklärung, die nicht in das allgemeine Schema der kausalen Erklärung integriert werden kann. Wright wählt als Ausgangspunkt für das Verstehen einer Handlung das folgende Schema, welches er »praktischen Syllogismus« nennt (Wright, 1974, S. 93): – A beabsichtigt, p herbeizuführen. – A glaubt, dass er p nur dann herbeiführen kann, wenn er a tut. – Folglich macht sich A daran, a zu tun. Bei der teleologischen Erklärung gehen wir davon aus, »daß sich jemand daran macht, etwas zu tun, oder daß, was der geläufigere 26 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525452417 — ISBN E-Book: 9783647452418
Fall ist, jemand etwas tut. Wir fragen ›Warum.‹ Die Antwort ist oft einfach: Um p herbeizuführen. Dabei gilt als erwiesen, daß vom Handelnden das Verhalten, das wir zu erklären versuchen, als für die Herbeiführung von p kausal relevant angesehen wird und daß das Herbeiführen von p das ist, worauf er mit seinem Verhalten abzielt bzw. was er intendiert. Es kann sein, daß sich der Handelnde irrt, wenn er die Handlung als kausal relevant für den von ihm anvisierten Zweck ansieht. Sein Irrtum läßt jedoch die vorgeschlagene Erklärung nicht ungültig werden. Was der Handelnde glaubt, ist hier die einzig relevante Frage« (Wright, 1974, S. 94). Das oben gegebene Schema ist aus verschiedenen Gründen verbesserungsbedürftig: Es muss zusätzlich angenommen werden, dass die Person vom Zeitpunkt der Formulierung ihrer Absicht bis zum Zeitpunkt der Ausführung der Handlung nicht ihre Absichten ändert, dass sie nicht an der Ausführung der Handlung gehindert wird und dass sie nicht darauf vergisst, die geplante Handlung auszuführen. Zur Berücksichtigung dieser Aspekte schlägt Wright (1974, S. 102) das folgende erweiterte Schema eines praktischen Syllogismus vor: – Von jetzt an beabsichtigt A, p zum Zeitpunkt t herbeizuführen. – Von jetzt an glaubt A, dass er p zum Zeitpunkt t nur dann herbeiführen kann, wenn er a nicht später als zum Zeitpunkt t' tut. – Folglich macht sich A nicht später als zu dem Zeitpunkt daran, a zu tun, wo er glaubt, dass der Zeitpunkt t' gekommen ist – es sei denn, er vergibt diesen Zeitpunkt, oder er wird gehindert. Implizit ist in diesem Schlussschema noch die Voraussetzung enthalten, dass die Person als eine rational handelnde angesehen werden kann (vgl. Stegmüller, 1969, S. 537). Notwendige Voraussetzung für eine Einordnung des teleologischen Schemas in das kausale Erklärungsschema ist die logisch unabhängige Feststellung der Gültigkeit der bei den Prämissen und der Conclusio des praktischen Schlusses. Beginnen wir mit der Erörterung der Frage, ob die Conclusio unabhängig von den Prämissen verifiziert, das heißt die Art der Handlung unabhängig von den Sätzen über die Absichten und Überzeugungen der Per27 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525452417 — ISBN E-Book: 9783647452418
son festgestellt werden kann. In dem Fall, dass die Person tatsächlich etwas getan hat, kann man zwar nachweisen, dass das Ergebnis der Handlung (die dem Vollzug der Handlung entsprechende Situationsänderung) eingetreten ist. Dies reicht jedoch nach Meinung von Wright nicht aus: »Wir müssen auch nachweisen, daß das, was stattgefunden hat, von A‘s Seite her etwas Intentionales war und nicht etwas, was er nur zufällig, irrtümlicherweise oder gegen seinen Willen herbeiführte« (Wright, 1974, S. 103). In dem Fall, wo die Person sich zwar daran gemacht hat, a zu tun, aber die Tat aus irgendeinem Grunde nicht zu Ende führt, sind wir darauf angewiesen, nachzuweisen, dass A‘s Verhalten auf ein bestimmtes Ergebnis abzielte. Auch der Nachweis, dass die Person daran gehindert wurde, a zu tun, oder dass die Person den Zeitpunkt der Ausführung der Handlung vergessen hat, setzt nach Meinung von Wright einen Nachweis voraus, dass eine Absicht a auszuführen, beim Handelnden vorliegt (Wright, 1974, S. 104). Auf der anderen Seite können auch die Prämissen nicht logisch unabhängig vom beobachteten Verhalten festgestellt werden. Man benützt ja gerade Handlungsbeschreibungen, um Annahmen über die Absichten und Überzeugungen der Person zu überprüfen. Dabei ist zudem noch zu beachten, dass die Annahme über die Ziele der Person nur relativ zu bestimmten Annahmen über den Glauben der Person, welche Mittel sie für die Erreichung der Ziele für geeignet hält, überprüft werden kann (dazu Stegmüller, 1969, S. 410). Wright kommt zu dem Schluss, dass die »Feststellung der Geltung der Prämissen eines praktischen Schlusses von der Feststellung der Geltung der Conclusio abhängig ist und umgekehrt. Aufgrund dieser wechselseitigen Abhängigkeit der« Verifikation» von Prämissen und Conclusio erscheint das teleologische Schema nicht in den allgemeinen Rahmen einer kausalen Erklärung integrierbar« (Wright, 1974, S. 109). Allerdings ist die wechselseitige Abhängigkeit der Verifikation von Prämissen und Conclusio nur dann gegeben, wenn die Perspektive des Beobachters eingenommen wird. Aus der Perspektive des erlebenden und handelnden Subjekts sind die Sätze »ich habe die Absicht a« und »ich mache mich daran, a zu tun« gut zu unterscheiden. Allerdings muss dann der Grundsatz aufgegeben werden, 28 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525452417 — ISBN E-Book: 9783647452418
dass eine Erklärung immer aus der Perspektive des Betrachters erfolgt. Zum Zwecke der Erklärung einer Handlung können wir mit der handelnden Person in einen Dialog treten und eine dispositionelle Erklärung gemeinsam formulieren. – Die Person hat den Vorsatz, den Sachverhalt herbeizuführen. – Die Person erwartet, dass nur durch die Handlung h der Sachverhalt s herbeigeführt werden kann. – Die Person befolgt das Rationalitätsprinzip, das für ihre Verwirklichung ihres Vorsatzes erforderliche (notwendige) Mittel zu wählen. – Folglich macht sich die Person daran, die Handlung h auszuführen. – Wenn Misserfolg der Realisierung von h ausgeschlossen werden kann, dann führt die Person die Handlung h aus. Diese Form der Erklärung zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass sie kein Gesetz enthält und dass die Annahme, eine Person befolge in ihrem Handeln ein bestimmtes Rationalitätsprinzip, eine empirische Hypothese darstellt. Allerdings enthält diese empirische Hypothese wiederum eine nicht überprüfbare Unterstellung, dass nämlich die Person bis zur Ausführung der als Mittel gedachten Handlung h ihren Vorsatz nicht ändert. Diese Form der dispositionellen Erklärung ist kein Spezialfall der deduktiv-nomologischen Erklärung. Das teleologische Erklärungsschema setzt voraus, dass ein praktischer Schluss von Absichten und Erwartungen auf eine Handlung möglich ist (Aristoteles). Neurowissenschaften haben diesen praktischen Schluss in Zweifel gezogen und angenommen, dass der Schluss von Absichten und Erwartungen auf Handlungen nur scheinbar möglich ist (Hommel u. Nattkemper, 2011). Das bekannte Experiment von Libet et al. (1983) hatte ja das Ergebnis, dass das motorische Bereitschaftspotenzial (aus dem EEG berechnet) bereits vor der Registrierung der Absicht festgestellt werden kann. Das motorische Bereitschaftspotenzial ist in der Regel unbewusst und bedeutet eine Einstellung auf eine Bewegung. Wenn wir jedoch berücksichtigen, dass die Registrierung der Absicht eine Retrospektion ist, so wird das Ergebnis des Libet-Experiments erwartbar. Eine Retrospektion setzt ja die Betrachtung 29 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525452417 — ISBN E-Book: 9783647452418
der eigenen psychischen Phänomene auf einer Meta-Ebene voraus, was offensichtlich Zeit benötigt. Keinesfalls können wir aus dem Libet-Experiment schließen, dass der Epiphänomenalismus wahr ist, das heißt, dass psychische Phänomene für Handlungen kausal irrelevant sind. Möglich ist allerdings ein Kompromiss mit den Neurowissenschaften, dass die Genese von Absichten im Unterbewusstsein beginnt. Keinesfalls kann jedoch der Determinismus der Neurowissenschaften übernommen werden: Neurowissenschaftliche Daten sind nur Korrelate psychischer Phänomene. Diese Korrelationen können daher nicht kausal interpretiert werden. Der Determinismus ist leicht zu widerlegen, indem man folgert, dass derjenige, der den Determinismus bestreitet, auch determiniert sein müsste. Der Determinismus ist, wie Libet (1985) selbst feststellt, lediglich ein Glaube, der nicht bewiesen werden kann.
Handlungstypologie Die meisten Autoren der Psychologie stimmen darin überein, dass sie den Begriff der Handlung als ziel- oder zweckgerichtetes, absichtsvolles Sichverhalten definieren. Allerdings zeigt eine eingehendere Überlegung, dass dieser Handlungsbegriff zu eng ist (von Cranach, 1994, S. 69). Beispielsweise ist das Grüßen eine Handlung, die nicht Mittel für ein Ziel ist, sondern einer Regel, einer sozialen Norm folgt. Für die Soziologie hat Max Weber die Idealtypen des zweckrationalen, wertrationalen, affektuellen und traditionalen Handelns unterschieden. »– –
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Wie jedes Handeln kann auch das soziale Handeln bestimmt sein zweckrational: durch Erwartungen des Verhaltens von Gegenständen der Außenwelt und von anderen Menschen und unter Benutzung dieser Erwartung als ›Bedingungen‹ oder als ›Mittel‹ für rational, als Erfolg, erstrebte und abgewogene eigene Zwecke. wertrational: durch bewussten Glauben an den –ethischen, ästhetischen, religiösen oder wie immer sonst zu deutenden – unbedingten Eigenwert eines bestimmten Sichverhaltens rein als solchem und unabhängig vom Erfolg.
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affektuell, insbesondere emotional: durch aktuelle Affekte und Gefühlslagen. traditional: durch eingelebte Gewohnheit« (Weber, 1965, S 32 f.).
Max Weber weist explizit darauf hin, dass seine Idealtypen uns noch kein Verfahren zur Klassifikation gegebener Handlungen abgeben: »Sehr selten ist Handeln, insbesondere soziales Handeln, nur in der einen oder der anderen Art orientiert. Ebenso sind diese Arten der Orientierung natürlich in gar keiner Weise erschöpfende Klassifikationen der Arten der Orientierung des Handelns, sondern für soziologische Zwecke geschaffene, begrifflich reine Typen, denen sich das reale Handeln mehr oder minder annähert oder aus denen es – noch häufiger – gemischt ist« (Weber, 1965, S. 35). Für die Psychologie hat von Cranach (1994) folgende Handlungstypen unterschieden: »1. Zielgerichtetes Handeln Innerhalb des zielgerichteten Handelns, dem in der Forschung prominentesten Prototyp, lassen sich vier Unterformen unterscheiden. Originäre, also erstmals oder selten ausgeführte Handlungen sind vor allem durch ihre bewusstseinspflichtige, hierarchisch-sequenzielle Steuerung gekennzeichnet; probieren in neuen Situationen ist nicht untypisch. Sie sind häufig konkrete Handlungen, wie sie in der Arbeitspsychologie untersucht werden, oder interaktive Handlungen wie in der Beratung, der Psychotherapie und im Unterricht. Beide Formen sind auch außerhalb der beruflichen Tätigkeit im Alltagshandeln häufig. Routine-Handlungen (z. B. die tägliche Morgentoilette) sind dagegen vor allem unterbewusst und nicht-bewusst gesteuert. Die von James (1890) angeführten ideomotorischen Handlungen (z. B. ich bücke mich schnell, um etwas aufzuheben) werden vor allem durch äußere Anreize ausgelöst und ballistisch und unterbewusst gesteuert. Ähnliche Steuerungsformen, aber andere Energetisierungen zeigt das Handeln unter Druck. Wahl (1991) führt als Beispiel dafür die schnelle Reaktion des Lehrers in einer schwierigen Unterrichtssituation an; dabei wird auch die affektive und die Willenskomponente deutlich. […] 2. Bedeutungsorientiertes Handeln Diese Handlungen richten sich darauf, soziale Bedeutungen zu schaffen oder zu verändern; sie haben primär keine materiellen Folgen. Hierher
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gehören alle Arten von Ritualen; Beispiele sind etwa die Zeremonien der Eheschließung, aber auch die Formen der Begrüßung, des Abschieds oder auch der ›Selbstdarstellung‹ im täglichen Leben (vgl. dazu Goffman, 1957, und Harré, 1972). Sie können sich auf mentale Gegenstände richten und sind u. U. auch emotional-intuitiv gesteuert und energetisiert. 3. Prozessorientiertes Handeln Darunter verstehe ich Handlungen, die um ihrer selbst willen ausgeführt werden, eben weil das Vollführen der Handlung selbst, der Handlungsprozeß an sich als belohnend empfunden wird. Im Zusammenhang mit dem Flow-Erlebnis sind u. a. das Klettern, Motorradfahren und Komponieren untersucht worden (Csikzentmihalyi, 1975, 1992). Das FlowErlebnis entsteht aus der Beherrschung schwieriger Handlungsanforderungen, dem Meistern von Gefahren, der Erfahrung von Harmonie mit der Umwelt und wie ich annehme, dem Erlebnis der rekursiven Selbstregulation. Prozeßorientierte Handlungen können sich auch auf mentale Gegenstände richten. […] 4. Emotional-intuitives Handeln Die gründlichsten Erörterungen dieses Handlungstyps habe ich bei Gehm (1991) gefunden. Darunter fallen die zahlreichen kleinen Handlungen, die einen großen Teil des Handlungsstroms ausmachen und sich nicht als Routinehandlungen verstehen lassen: Während ich diesen Artikel schreibe, stehe ich öfter einmal auf, gehe zum Fenster und schaue hinaus, ordne etwas auf dem Schreibtisch, mache mir eine Tasse Kaffee (aber das ist Routine), streichle im Vorübergehen meine Frau und blättere sogar zerstreut in einer Zeitschrift. Viele der kindlichen Handlungen, die Barker und Wright (1955) beschrieben haben, dürften in diese Kategorie fallen. […] 5. Affekt-Handeln Zornesausbrüche und Gewalttaten, spontane Liebesbezeugungen und Taten der Leidenschaft: diese Handlungen sind von großer sozialer Bedeutung. Um so erstaunlicher ist ihre bereits erwähnte Vernachlässigung in der Wissenschaft. Affekt-Handlungen sind ganz überwiegend interaktiv, und sie sind ergebnisorientiert. Das Ergebnis-Ziel kann deutlich handlungssteuernd sein, da bei Blockierung auch Umwege gesucht und begangen werden. Bei ihrer Auslösung spielen äußere Anreize eine große Rolle. […] 6. Mentales Handeln Alle diese Handlungen habe ich unter dem Stichwort Problemlösen zusammengefaßt. […] Die Klasse der mentalen Handlungen bietet eine
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willkommene Gelegenheit: Sie hilft uns, das willkürliche Nicht-Handeln als Handlung zu begreifen. Ich nehme mir fest vor, im Kolloquium nicht als Erster das Wort zu ergreifen: hier gibt es Ziele, Pläne, Entscheidungen, u. U. auch volitive Prozesse etc., aber sie richten sich eben auf das Unterlassen der Ausführung, das ich für einen mentalen Gegenstand halte« (von Cranach, 1994, S. 80 ff.).
Straub kritisiert diese Typologie. »Das Grundproblem der Typologie, die von Cranach vorstellt, liegt […] darin, daß nicht hinreichend klar wird, welchem Prinzip (oder gegebenenfalls welchen Prinzipien) die Konstruktion dieser Typologie verpflichtet ist« (Straub, 1999, S. 82). Dagegen beurteilt Straub die Typologie von Aschenbach (1984, siehe Tabelle 1) grundsätzlich positiv. Tabelle 1: Aschenbachs Handlungstypologie
Handlungstyp
Kurzcharakteristik
Geltungsanspruch Rationalitätstyp
imitationsmustergebundenes Handeln
Handeln als Nachah- Identität Übereinmung eines bekannstimmungsrationalität ten, imaginierten Vorbildes oder Musters
schemagebundenes Handeln
Handeln als Aktualisierung eines sprachlich explizierbaren Schemas
Richtigkeit Schemarationalität
regelgebundenes Handeln
Handeln als Befolgung einer (Interaktions-)Regel
Passendheit Regelrationalität
zweckgebundenes Handeln
Handeln als Mittel für das Erreichen eines Zwecks
Geeignetheit Zweckrationalität
sinnrationales Handeln
Handeln als stimmiges Element von Orientierungsstrukturen und Identitätsentwürfen
Sinnrationalität
Er schreibt: »Aschenbach geht bei der Entwicklung seiner Typologie davon aus, daß eine Handlung als argumentationszugängli33 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525452417 — ISBN E-Book: 9783647452418
ches Verhalten begriffen werden kann. Mit dieser Definition knüpft Aschenbach insbesondere an Überlegungen Schwemmers an, der Handeln als ›das rede- und insbesondere argumentationszugängliche, d. h. durch Rede, und insbesondere argumentierende Rede, herbeiführbare, verhinderbare oder beseitigbare Verhalten‹ auffasst (Schwemmer, 1976, S. 150)« (Straub, 1999, S. 85). »Ein Handlungstyp kann nun von anderen abgegrenzt werden, indem eine jeweils spezifische Orientierungs- oder Argumentationsfigur und der damit verbundene Maßstab zur rationalen Beurteilung der betreffenden Handlung angegeben wird« (S. 86). Straub bindet seine eigene Typologie des Handelns an die unterschiedlichen Erklärungsformen. Der erste Typ des zielorientierten Handelns entspricht der teleologischen bzw. intentionalistischen Erklärungsform (siehe Abschnitt »Teleologische Erklärung«) Der zweite Typus ist das regelgeleitete Handeln, für welche Straub die folgende Erklärungsform formuliert (Straub, 1999, S. 139): Akteur A gehört zur Teilmenge Ego der Gruppe oder Gesellschaft G Akteur A befindet sich zum Zeitpunkt t in einer Situation der Klasse s. In G besteht die Regel r, die besagt, dass Ego in Situationen der Klasse s Handlungen der Klasse a ausführen (unterlassen) kann oder soll.
P1 P2 P3
K
Akteur A vollzieht (unterlässt) eine Handlung der Klasse a (in einer Situation der Klasse s zum Zeitpunkt t)
Der dritte Handlungstypus ist das Handeln entsprechend dem narrativen Modell: Handeln als Geschichte, Handeln in Geschichten (Straub, 1999, S. 141 ff.). Im ersten und zweiten Handlungstypus findet weder die Geschichtlichkeit des Handelns noch seine Kreativität Berücksichtigung: »Historische Handlungsdarstellungen bedürfen einer erzählerischen Sprache […] Das Erzählen ist konstitutiv für die Repräsentation von Handlungen als Verlaufsgestalten« (Straub, 1999, S. 145). »Narrative Erklärungen gehören zur 34 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525452417 — ISBN E-Book: 9783647452418
Gruppe der wie-möglich-Erklärungen. Sie werden in der Retrospektive formuliert. Narrative Erklärungen liefern Antworten auf Fragen des Typs: warum ist ›etwas‹ zum Zeitpunkt t2 so und so, wo es doch früher, zum Zeitpunkt t1 anders war. Eine narrative Erklärung bezieht sich nicht auf ein diskretes, isoliertes Phänomen, etwa eine aus ihrem historischen Kontext herausgelöste Handlung, sondern auf die Verbindungen zwischen bestimmten Handlungen, Ereignissen, Zuständen und dergleichen« (Straub, 1999, S. 147 f.). Nach Danto (1980, S. 376) kann die Struktur einer narrativen Erklärung wie folgt formuliert werden: (1) x ist F in t1 (2) H ereignet sich mit x in t2 (3) x ist G in t3 und (3) bilden zusammen das Explandum, (2) ist das Explanans. Die Hinzuziehung von (2) ergibt die Erklärung für (1) – (3) (Straub, 1999, S. 148). Kaiser und Werbik (2012, S. 82) geben dazu folgendes Beispiel: »–
Früher (t1) hat sich Frau Müller (x) sehr gut mit ihrer Tochter verstanden (F) – Vor einem Jahr (t2) hat die Entmündigung (H) der Mutter (x) betrieben. – Jetzt (t3) hat Frau Müller (x) jede Verbindung mit ihrer Tochter abgebrochen (G)«
Abschließend soll über die Anwendung handlungstheoretischer Überlegungen auf ein Praxisfeld berichtet werden. Kaiser und Werbik (2012) geben eine Übersicht über Anwendungsmöglichkeiten der Handlungstheorie. Ein besonders geeignetes Beispiel für die Anwendung ist das Praxisfeld Sport. Kaminski (2000) hat eine Metaanalyse einer großen Zahl von wissenschaftlichen Arbeiten zum Thema »Handlung und Sport« vorgelegt, die im Folgenden – stark gekürzt – wiedergegeben wird.
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Eine Metaanalyse zum Thema »Handlung und Sport«4 Bereits vor zweieinhalb Jahrzehnten plädierte Nitsch (1975) nachdrücklich dafür, die Sportpsychologie durch die Verwendung der (hier primär psychologisch zu verstehenden) Konzepte »Handlung« und »handeln« gleichsam auf eine neue, adäquatere Grundlage zu stellen. Auch ich gehörte damals – und das verbindet mich mit ihm ganz unmittelbar – zu denen, die sich dafür engagierten, handlungspsychologisches Potenzial in die Welt des Sports, in Theoriebildung, Forschung und Praxis hinein, zu vermitteln. Dieses Potenzial selbst weitete sich noch aus, und zwar bemerkenswert rasch, so dass Nitsch etwa zehn Jahre danach (1986, S. 194) von einer »beinahe schon stürmischen Entwicklung handlungstheoretischer Konzeptionen« in der Psychologie sprechen konnte. Über die Jahre hin ist schon mehrmals versucht worden, diese Bestrebungen und ihren Ertrag aus einiger Distanz zu überschauen, zu systematisieren und – mehr oder weniger – kritisch zu reflektieren (vgl. beispielsweise Kaminski, 1979; Erdmann, 1990; Prohl, 1991). Da diese Entwicklungen bisher keineswegs zum Stillstand gekommen sind, liegt es nahe, sich immer wieder einmal zu fragen: Was ist daraus geworden? Inwiefern haben sich die ursprünglichen Intentionen, Erwartungen und Hoffnungen erfüllt? Wo stehen wir heute? Bei der Datenbank PSYNDEX entschied ich mich für die SuchFormel (Handl* or Handeln) and Sport and (py=1990–1999), was 299 Einträge zutage förderte; […]. Aus der Liste der 299 Publikationsangaben schied ich (in zugegebenermaßen durchaus subjektiver Selektion) diejenigen aus, in denen auf Handlung und/ oder Sport in einer eher untypischen, gleichsam peripheren, relativ unbedeutenden Weise Bezug genommen wird. Übrig blieben schließlich 130 Titel […], die der weiteren, eigentlichen analytischen Arbeit zugrunde gelegt wurden. […]
4
Der folgende Text ist ein stark gekürzter Auszug aus: Kaminski, G. (2000). Die Meta-Analyse »Handlung und Sport: Eindrücke, Reflexionen, Folgerungen«.
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Erste Erkenntnisse (1) Schon ein erstes Durchmustern der Materialbasis lässt – einmal mehr (vgl. Lenk, 1978) – evident werden, dass Handlung bzw. Handeln (auch im Sport) nicht als reale, in der Wirklichkeit vorhandene, anzutreffende Gegenstände aufzufassen sind, die gleichsam darauf warten, nach und nach immer mehr (auch psychologisch) erforscht zu werden. (2) Handlung und Handeln erweisen sich vielmehr als Termini, die mit vielerlei unterschiedlichen Bedeutungen erfüllt werden können und dennoch stets, jeweils spezifisch, ohne besondere Schwierigkeiten verstanden werden. Gemeinsam ist allen diesen Bedeutungsvarianten nur ein geradezu verschwindend kleiner Bestand von Kernbedeutungen. Zu ihnen gehören – soweit ich sehe – Prozesshaftigkeit und Zielorientiertheit; nicht jedoch, beispielsweise, Bewusstheit oder Intentionalität (im Sinne von expliziter Gewolltheit, Initiierung durch einen personhaften Akteur) oder Kontext- (Situations-, Umwelt- bzw. Umgebungs-)Bezogenheit. (3) Was innerhalb des unbeschreiblich komplexen Geschehensstroms, als der sich menschlicher Lebensvollzug der Beobachtung darbietet, (selektiv) als Handlung bzw. als Handeln aufgefasst wird und was an dieser Geschehensvielfalt alles übersehen, ignoriert wird, ist jeweils durch ein spezifisches Handlungs-Konzept prädeterminiert, das offenbar um bestimmter Interessen willen zweckentsprechend ausgestaltet wurde. (4) Sonach erscheint es problematisch, die Entwicklung eines Gesamt-Handlungsmodells anstreben zu wollen (vgl. Munzert, 1996); denn es ist offensichtlich, dass kein noch so umfassendes Modell alle bereits eingeführten konzeptuellen Varianten von Handeln bzw. Handlung in sich aufnehmen und dann noch für die unterschiedlichsten Zwecke und Kontexte verwendungsangemessen sein könnte. (5) Man wird sich (zumindest auf absehbare Zeit) damit abfinden müssen, dass eine schier schranken- und regellos pluralistische Verwendung der Termini Handlung und Handeln Normalität ist. Allerdings erhebt sich angesichts dieser Lage – erneut und mit neuer Dringlichkeit – die Frage, unter welchen Aspekten irgendwelche konzeptuellen Ausgestaltungen dieser Termini, 37 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525452417 — ISBN E-Book: 9783647452418
also Handlungskonzepte, Handlungsmodelle, Handlungstheorien, handlungstheoretische Perspektiven u. ä., bewertet werden können und sollen. Und dem vorgeordnet müsste gefragt werden, um welcher Zwecke willen Handlungskonzepte, Handlungsmodelle u. s. w. entworfen und verwendet werden (können) und was sie tatsächlich leisten (können).
Sport als Alltagshandeln in ökologisch-psychologischer Perspektive Die Handlungskonzepte, die sich in der von mir benutzten Materialbasis versammelt haben, legen mir eine etwas andere Form inhaltlicher Taxonomisierung nahe. Immerhin spielen auch in ihr Multidisziplinarität und Person-Kontext-Verbundenheit eine zentrale Rolle. Dabei möchte ich möglichst konsequent Nitschs (zuvor schon erwähntem) Hinweis folgen (1994, 10), dass (auch) Handeln im Sport primär »Handeln in alltäglichen Umgebungen« ist. »Handeln in alltäglichen Umgebungen« ist bekanntlich die Domäne der Ökologischen Psychologie, so wie sie von R. G. Barker (Barker et Associates, 1978) verstanden, initiiert und über Jahrzehnte hin aufgebaut wurde. Es liegt daher nahe zu prüfen, ob dieser Ansatz dafür genutzt werden kann, jene Vielfalt von Handlungskonzepten in der Welt des Sports zu ordnen. Wo auch immer sich etwas abspielt, das man als Sportgeschehen bezeichnen könnte, kommt ihm die Qualität des Kulturellen zu (Grupe, 1987), und zwar deswegen, weil es nur dann Sport genannt wird, wenn es im Rahmen bestimmter kultureingebundener, konventioneller Regeln und Normen geschieht. Dadurch wird aller Sport für die Ökologische Psychologie Barkerscher Prägung in besonders problemloser Weise erreichbar, weil sich dieser Ansatz darauf konzentriert hat, kulturell geregeltes Alltagsgeschehen zu beschreiben und zu analysieren. Es sei daran erinnert, dass Barker (1968) menschliches Alltagsleben – mindestens das im Prinzip öffentlich zugängliche –, so wie es sich konkret und direkt beobachtbar verwirklicht, gewissermaßen in elementare (überindividuelle) Geschehenssysteme aufgegliedert sah, die er »Behavior Settings« nannte. Auch wenn diese Sichtweise inzwischen unter 38 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525452417 — ISBN E-Book: 9783647452418
mehreren Aspekten relativiert und weiterentwickelt wurde (vgl. beispielsweise Wicker, 1987, 1992; Kaminski, 1986a, 1989), erweist sie sich doch speziell für eine Systematisierung der Welt des Sports und der in ihr verwendeten Handlungskonzepte als nützlich. Beispiele für Behavior Settings wären etwa eine konkrete Schulunterrichtsstunde, eine konkrete Gerichtsverhandlung, ein Vereinsfest, ein Baseball-Spiel u. ä. m. Derartige AlltagsgeschehensEinheiten werden (bei Barker) durch ein umfangreiches Ensemble von Beschreibungsmerkmalen charakterisiert, von denen hier vorerst nur die wichtigsten genannt zu werden brauchen. So kann für jedes Behavior Setting (BS) angegeben werden: – zu welchem konkreten Zeitpunkt es beginnt und wann es endet; – an welchem Ort, innerhalb welcher räumlichen Grenzen, es stattfindet; – welche Arten von typischen Handlungsmustern in ihm anzutreffen sind (beispielsweise eine Begrüßungsansprache beim Vereinsfest oder Fragen Beantworten in einer Unterrichtsstunde); – nach welchem Programm der Gesamtablauf dieses Geschehens organisiert ist; – auf welche Programm-Ziele das BS-Geschehen ausgerichtet ist; – wie viele und welche (Arten von) Personen an ihm beteiligt sind; – wie Befugnisse und Pflichten unter den Beteiligten (Inhabitanten, Partizipanten) verteilt sind (sechs Involviertheitsstufen); – in welchem Milieu (in welcher materiell-räumlichen »Umhüllung«) sich das Geschehen abspielt und welche »Verhaltensobjekte« (Gebrauchsgegenstände aller Art) einbezogen sind; – welchen (zeitlich überdauernden) Organisationsstrukturen ein BS gleichsam zugehört (z. B. einem Betrieb, einer Verwaltungseinrichtung, einem Schulsystem u. ä. m.). Wendet man diese ökologisch-psychologische Perspektive auf den Sport an, folgt daraus zunächst die Behauptung, dass sich jegliches konkrete Sportgeschehen gleichsam im Format von Behavior Settings verwirklicht (vgl. Kaminski, 1983b, 1999a). Die Sport-Behavior-Settings bilden sozusagen die Geschehens-Peripherie der zahlreichen diversen strukturellen Organisationsformen, die sich in der Welt des Sports etabliert haben. Für die systematische Beschrei39 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525452417 — ISBN E-Book: 9783647452418
bung und Analyse der verschiedensten gesellschaftlichen Organisationsstrukturen gelten bekanntlich die Sozialwissenschaften […] als zuständig. Die überindividuelle systemare Geschehenseinheit »Behavior Setting« fungiert gewissermaßen als »Interface« zwischen der das Alltagshandeln des Individuums fokussierenden Psychologie und den Sozialwissenschaften, die sich mit überindividuellen sozialen Systemen aller Art befassen (Fuhrer, 1990b). Das heißt, dass in dem Geschehenssystem BS verschiedene disziplinäre Perspektiven zur Begegnung gebracht werden können, auch innerhalb der Welt des Sports. Alltagsgeschehen kann und sollte also unter mehreren, unterschiedlichen disziplinären Perspektiven gleichzeitig betrachtet werden, und zwar jetzt speziell vermittelt über die Einheit BS. Eine konkrete sportliche Betätigung eines Menschen wäre dann sowohl als individuelles Handeln eines (das BS-Geschehen zeitlich überdauernden) Individualsystems aufzufassen wie auch als ein Partizipieren an einem konkreten (überindividuellen, temporären) BS-System (z. B. einer konkreten Sportunterrichtsstunde, einem konkreten Wettkampf u. a.). Eine individuumzentrierte und eine (spezifische) kontextzentrierte Sichtweise würden dann parallel, gleichgewichtig und komplementär eingesetzt. Ein Behavior Setting übt normative (z. B. Freiheitsgrade einschränkende, aber auch Anreize und Standards setzende und steuernde) Wirkungen auf alle Partizipant(inn)en aus, ob sie es wissen und wollen oder nicht. So gesehen, kann man das BS als ein »normatives System« bezeichnen […]. Allerdings werden die Partizipant(inne)n in ihrem Handeln auch nicht gänzlich durch das BS determiniert. Es besteht gewissermaßen ein permanentes Spannungsverhältnis zwischen der kontextuellen Determinationskraft des BS und den spezifischen Eigeninteressen jeder/jedes einzelnen Partizipantin/ten, die jede(r) in das BS mitbringt. BSs lassen den einzelnen Partizipant(inn)en im Zuge der Realisierung der Programm-Ziele (mehr oder weniger) Freiräume für das Verfolgen von spezifischen Eigenzielen. Nimmt man nun ein Individuum, also beispielsweise einen konkreten Sportler, gewissermaßen ganzheitlicher in den Blick, also nicht nur innerhalb seiner einzelnen, je aktuellen Partizipationen an Behavior Settings, dann kann man es als ein Individualsystem auffassen und bezeichnen. So gesehen, partizipiert ein Individuum zwar, je aktuell, an einer Vielzahl unter40 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525452417 — ISBN E-Book: 9783647452418
schiedlichster Behavior Settings. Man kann jedoch für den Lebensbereich Arbeit zeigen, von Partizipation auch noch in einem etwas erweiterten Sinne sprechen: Ein Individuum partizipiert auch an anderen Arten von normativen Systemen in dem Sinne, dass es von ihnen, in ähnlicher Weise wie von BSs, normative Einwirkungen empfängt (jetzt einmal abgesehen davon, dass es seinerseits auch aktiv, mitgestaltend, auf alle diese kontextuellen Systeme einwirkt). Im Falle des Sports kämen dafür beispielsweise in Betracht Familie, Mannschaften verschiedener Art, Sportverein, Sportfreundschaften u. a. m. (vgl. z. B. Hahn, 1995). Wie könnte nun dieser ökologisch-psychologische Ansatz speziell für eine Taxonomisierung der Welt des Sports und der in ihr verwendeten Handlungskonzepte nutzbar gemacht werden? Dazu kann auf die theoretischen Ausführungen Barkers zur Klassifikation von BSs zurückgegriffen werden (1968, S. 33 ff., S. 84 ff.). Grundsätzlich, meinte er, können BSs auf so viele Weisen klassifiziert werden, wie sie Merkmale haben, in denen sie sich unterscheiden. Im Alltag pflege man jedoch BSs nach komplexen Ähnlichkeiten zu Typen zusammenzufassen bzw. auseinanderzuhalten. Diverse konkrete Sportunterrichtsstunden einer Schule differieren zwar in zahlreichen Details. Dennoch haben sie, aufs Ganze gesehen, mehr Ähnlichkeiten untereinander als mit konkreten Mathematik- oder mit Englischunterrichtsstunden. Man kann also, beispielsweise, einen BS-Genotyp Sportunterrichtsstunde konzipieren. Den Begriff »Genotyp« übernimmt Barker aus der Biologie. […]
Folgerungen (1) Wenn sich konkretes Sportgeschehen stets im Rahmen kulturell definierter und geregelter Geschehenssysteme realisiert, somit sportliche Betätigung von Sportler(inne)n überall in entsprechende systemare Kontexte eingebunden ist, liegt es nahe, die verwirrende Vielfalt von Handlungskonzepten, die sportliche Betätigungen zu artikulieren versuchen, primär nach solchen Kontexten zu ordnen. (2) Für ein derartiges Ordnen bieten sich traditionelle Organisationsformen und Untergliederungen des Sports an (beispielsweise Sportarten, Sportgattungen u. a.) Dabei ist zu beachten, dass 41 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525452417 — ISBN E-Book: 9783647452418
wir es – wie in ökologisch-psychologischer (speziell BS-theoretischer) Perspektive zu erkennen ist – mit mehreren, im Prinzip voneinander unabhängigen Aufgliederungsprinzipien zu tun haben. (3) Wenn sich die vorfindbaren Handlungskonzepte danach unterscheiden, aus welchem Verwendungszusammenhang sie stammen, dann erhebt sich die Frage, an genau welche kontextuellen Bedingungen die Handlungskonzepte jeweils gleichsam angepasst werden. In ökologisch-psychologischer Sicht sind es primär BS-Genotypen, speziell deren Programme, da diese die wesentlichste Grundlage für die systemare Strukturierung der konkreten Geschehensabläufe in den BS-occurrences bilden. (4) Die der Welt des Sports zugehörenden BS-Genotypen sehen jeweils spezifische Arten und Anzahlen von Akteur[inne]n (Partizipant[inn]en) vor, mit jeweils spezifischer Funktionen-Verteilung. Dementsprechend stellt sich die Frage, für wen und für welche der von ihm/ihr innerhalb des BS wahrgenommenen Funktionen eine handlungstheoretische Artikulation angestrebt wird. Die meisten der vorfindbaren Handlungskonzepte (Handlungsmodelle u. s. w.) sind auf die sportlichen Aktivitäten der Sportler/innen zugeschnitten (wobei der Blick oft auf Bewegungshandlungen fokussiert und verengt wird). (5) Was verspricht man sich von handlungstheoretischen Konzeptualisierungen? Was soll mit ihnen jeweils erreicht werden (vgl. Kaminski, 1979, Bierhoff-Alfermann, 1986, 26 ff.)? Sollen durch sie – beispielsweise – bestimmte Geschehensausschnitte präziser wahrnehmbar, erlebbar, benennbar gemacht werden? Sollen bestimmte Geschehensausschnitte dadurch klarer gegliedert werden? Sollen innerhalb eines Geschehens bestimmte Teilkomponenten kognitiv miteinander in Verbindung gebracht werden? Hofft man, dadurch bestimmte Phänomene präziser und angemessener verstehen oder erklären, vielleicht auch bestimmte Geschehensausschnitte effizienter optimieren zu können? Verspricht man sich dadurch heuristischen Gewinn für das Generieren fruchtbarer neuer Forschungsfragestellungen? Offensichtlich muss hier jeweils noch danach unterschieden werden, wer an möglichen Vorzügen handlungstheoretischer Geschehensartikulation interessiert ist: der/die Wissenschaftler/in, der/die Trainer/in, der/die Sportlehrer/in, der/die Sportler/in. Je nachdem, auf welche (ausgesprochene oder unaus42 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525452417 — ISBN E-Book: 9783647452418
gesprochene) Zielsetzung handlungstheoretisches Artikulieren innerhalb eines spezifischen Verwendungskontextes ausgerichtet ist, wird man mehr oder weniger Anteile der entsprechenden Aktivitäten in die Konzeptualisierungen einbeziehen. Im Minimalfall ist mit dem Terminus »Handeln« derart wenig (auch kontext-) spezifischer konzeptueller Gehalt verbunden, dass er synonym mit »Verhalten«, »Tätigsein«, »Sich-Betätigen«, »Aktivität« gebraucht werden kann. Das entgegengesetzte Extrem resultiert aus dem (wie auch immer begründeten) Interesse, mit einer handlungstheoretischen Artikulation möglichst viele verschiedene Aspekte sportlichen Sich-Betätigens zu erfassen und dabei auch noch einen möglichst hohen Auflösungsgrad anzustreben. Je weniger von dem, was an einem bestimmten Geschehensausschnitt beobachtbar ist, mit einer Konzeptualisierung erfasst wird, umso größer ist der verbleibende Phänomenüberhang (vgl. Kaminski, 1983a). – Abgesehen davon wird man diejenigen spezifischen Anteile eines Geschehens mit Vorrang konzeptualisieren, deren konzeptuelle Artikulation im Sinne der verfolgten Ziele besonders wichtig erscheint, und die weniger relevanten mehr oder weniger übergehen oder ausklammern. Nachfolgend einige wenige Beispiele für derartige Fokussierungen: Antizipationen unter Zeitdruck beim Tennis (Kleinöder et al., 1994); Informationsverarbeitung zur Handlungsvorbereitung unter Zeitdruck beim Volleyballspiel (Maxeiner u. Pitsch, 1997); Wahrnehmen beim Anlauf zu turnerischen Stützsprüngen (Trillhose, 1996); Planen und mentales Verarbeiten beim Tischtennis (Klarius et al., 1997); volitive Akte im Fußballspiel (Allmer, 1997); subjektives Empfinden der eigenen Kompetenz beim Orientierungslauf (Härer und von der Werth, 1995).
Problematisches an handlungstheoretischen Konzeptualisierungen
Umgehen mit der Komplexität konkreten Sport-Alltagsgeschehens Es mag zunächst befremdlich und gewissermaßen ungerecht erscheinen, wenn hier – unter Berufung auf die ökologische Perspektive – ausgerechnet handlungstheoretischem Konzeptualisie43 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525452417 — ISBN E-Book: 9783647452418
ren vor Augen geführt werden soll, wie weit es noch davon entfernt ist, konkretes Alltagsgeschehen in seiner ganzen Komplexität zu erfassen. Können sich nicht gerade psychologisch-handlungstheoretische Ansätze – auch im Bereich des Sports – mit Recht zugute halten, gegenüber komplexem menschlichem Verhalten in besonderem Maße aufgeschlossen zu sein? In der Tat gibt es dafür mancherlei gewichtige Indizien: (1) Nicht wenige handlungstheoretische Konzeptionen beziehen sich ausdrücklich auf Alltagshandeln (vgl. z. B. Cranach et al., 1986; Nitsch, 1994; vgl. dazu auch Kaminski, 1990). (2) Es gehört in der Regel zum Kern des Selbstverständnisses handlungstheoretischer Ansätze, sich zu den Vorzügen einer integrativen Sichtweise zu bekennen. Das kommt dem Bestreben gleich, der – gewissermaßen als real unterstellten – Komplexität des Gegenstandes in höherem Maße gerecht werden zu wollen, als es andernorts (beispielsweise in laborexperimentell basierter Forschung und Theoriebildung) vielfältig anzutreffen ist (vgl. z. B. Kaminski, 1979; Nitsch, 1986, 206). (3) Es gibt handlungstheoretische Konzeptionen, die sich durch einen besonders extensiven Integrations-Anspruch auszeichnen. Die – soweit ich sehe – differenzierteste, weitaus am meisten elaborierte stammt von Nitsch. Er stellt darin für die deskriptive und interpretative Artikulation von Handlungsgeschehen ein perspektiven- und komponentenreiches konzeptuelles Instrumentarium bereit, in dem sozusagen nichts unberücksichtigt gelassen werden soll, das an der Determination dieses Geschehens – nach derzeitiger Auffassung – irgendwie Anteil hat. Nicht nur psychische Teilprozesse (wie beispielsweise Wahrnehmung, Denken, Gedächtnis, Emotionen, Motivation), sondern auch ihre somatischen Grundlagen werden mit bedacht; auch das soziale und das materiale Handlungsumfeld, jeweils in objektiver Beschaffenheit wie in der subjektiven Sicht des/r Akteurs/in. Zudem wird dem Handlungsgeschehen eine querschnittliche funktionale Gesamtorganisation nach Regulationsebenen sowie eine phasenhafte zeitliche Organisation hypostasiert. (4) Manche handlungstheoretischen Ansätze versuchen – in der Nachfolge insbesondere von Miller, Galanter und Pribram (1960) –, sich der Komplexität menschlichen Alltagshandelns über das Kon44 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525452417 — ISBN E-Book: 9783647452418
zeptualisierungsprinzip der Hierarchisierung anzunähern. Dabei werden im Handlungsgeschehensstrom – idealiter gleichzeitig – Ablaufseinheiten unterschiedlichster zeitlicher Erstreckung (sozusagen unterschiedlichster Größenordnung) beachtet, konstituiert, identifiziert, funktional interpretiert, und die Einheiten der verschiedenen Hierarchie-Ebenen werden interpretativ miteinander verknüpft. Möglicherweise ließen sich durch umsichtiges Suchen und Nachdenken noch weitere Indizien für die Komplexitäts-Tauglichkeit vorfindbarer handlungstheoretischer Ansätze beibringen. Allerdings darf trotz aller dieser Indizien nicht die ökologische Perspektive selbst aus dem Blick geraten; darf nicht vergessen werden, was mit der durch sie vermittelten Anschauung von Komplexität des (Sport-)Alltagsgeschehens gemeint war. Wenn man sich dessen erinnert und sich dann neuerlich in den Texten der Materialbasis umschaut, drängen sich mancherlei Fragen, Eindrücke und Überlegungen auf: (a) Es fällt auf, dass Autoren den handlungstheoretischen Ansatz, an dem sie sich in ihrer eigenen Forschung orientieren, in ihren Publikationen in der Regel nicht zu andersartigen handlungstheoretischen Ansätzen ins Verhältnis setzen; allenfalls zu solchen, die dem ihren besonders nahe stehen – von kompilierenden und referierenden Darstellungen sei hier einmal abgesehen. Wie lässt sich das verstehen? Sicherlich wäre für das Verständnis nichts gewonnen, dafür einfach nur Mangel an Interesse und Aufgeschlossenheit verantwortlich machen zu wollen oder das Bestreben, unnötig erscheinenden Darstellungsaufwand zu vermeiden. Plausibel erscheint mir die folgende, vielleicht etwas gewagte Hypothese: Es fehlt an einem allgemein anerkannten, gewissermaßen übergreifenden Koordinaten- und Bezugssystem (man denke etwa an das periodische System der Elemente in der Chemie), das es ermöglichen würde, die verschiedensten handlungstheoretischen Ansätze je für sich zu standorten und sie in ihren wechselseitigen Beziehungen zueinander zu charakterisieren (vgl. dazu z. B. Kaminski, 1983a). Solange ein derartiges (von der ökologischen Perspektive aus zu konstituierendes) generelles Koordinatensystem nicht verfügbar bzw. nicht konzeptuelles Gemeingut geworden ist, artikuliert jeder Ansatz seinen spezifischen Interessen- und Gegen45 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525452417 — ISBN E-Book: 9783647452418
standsbereich mittels eines eigenen Koordinatensystems und lässt alles, das nicht assimilierbar erscheint, unbeachtet. (b) Es fällt auf, dass in den Forschungsberichten handlungstheoretisch fundierter Ansätze kaum explizite Aussagen über den beanspruchten Geltungsbereich zu finden sind. In der Regel wird offen gelassen, auf welche Gegenstandsbereiche die Konzepte und Befunde jeweils angewendet werden könnten und für welche sie nur eingeschränkt oder überhaupt nicht als zuständig erachtet werden. Zur Verdeutlichung nur ein kleines Beispiel: Handlungstheoretische Konzeptionen sind fast ausschließlich monoaktional angelegt; das soll heißen, es ist jeweils eine einzelne (mehr oder weniger untergliederte) Handlung mit ihren funktionalen Implikationen, die theoretisch artikuliert wird. Warum wird dem nicht jeweils ein Hinweis darauf angefügt, dass eine solche Konzeption für die Interpretation des Funktionierens von Mehrfachhandeln (vgl. Fuhrer, 1984) nicht ohne Weiteres zu verwenden ist? Ein solcher Hinweis wäre keineswegs inopportun; denn bekanntlich haben bereits Barker und Wright (1955) innerhalb ihrer ökologischen Perspektive erkennbar gemacht (vgl. auch Rapp, 1997), dass große Anteile des alltäglichen Verhaltensstroms als Mehrfachhandeln aufzufassen sind. Es gibt gute Gründe anzunehmen, dass das auch für SportAlltagsgeschehen gilt (vgl. Kaminski, 1973). Auch im Falle dieser Auffälligkeit bietet sich die Erklärungshypothese an, dass in der Regel nicht aus einer ökologischen Sicht auf den Gegenstand heraus handlungstheoretisch konzeptualisiert wird, sondern dass ein spezieller, partikulärer Interessenfokus zur Ausgangsbasis der Entwicklung einer handlungstheoretischen Konzeption wird, deren Partikularität nicht verortet und beschrieben werden kann. (c) Es fällt auf, dass im Rahmen von handlungstheoretischem Argumentieren häufig mit einigen zwar gängigen, jedoch weitgehend unscharf belassenen Begriffen operiert wird. Herausragender Beliebtheit erfreut sich dabei der Terminus Regulation, der auf vielerlei Weise spezifiziert erscheint (beispielsweise: Handlungs-, Bewegungs-, Zustands-, Aktivitäts-, Entscheidungs-, Aufmerksamkeits-, Gedächtnis-, Psycho-, psychomotorische, sensumotorische, kognitive, psychische, psychophysische, volitive Regulation). Vermutlich hat dieser Terminus allmählich eine etwas diffuse, schematische Kernbedeutung angenommen, deren Ursprung im Regel46 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525452417 — ISBN E-Book: 9783647452418
kreismodell zu suchen ist (vgl. Nitsch, 1986, S. 220 ff.). Wo man ihn verwendet findet, vermittelt er oft den Eindruck, als übe er eine Art Platzhalter-Funktion aus. Das heißt, Regulation steht wie ein Kürzel für einen Verbund summarisch hypostasierter Mikro-Prozesse, deren Wirksamkeit zwar bestimmte beobachtbare Effekte zugeschrieben werden, die jedoch theoretisch unartikuliert gelassen werden. Ein Konzept dieser Art hat somit keine präzise Bedeutung, es scheint jedoch für eine Verständigung unter Gleich-Interessierten hinreichend bedeutungshaltig zu sein. In vergleichbarer Rolle sind, beispielsweise, auch Termini wie »Kontrolle«, »Koordination«, »Steuerung«, »Informationsverarbeitung«, »Situation«, »Ebene« anzutreffen. Die Verwendung derartiger »KonversationsKonzepte« mag durchaus nützlich und geradezu unvermeidlich sein. Trotzdem scheint es mir angezeigt – zumal wenn sie durch Häufung auffällig werden –, immer wieder einmal darüber nachzudenken, wo ihre Verwendung sinnvoll und akzeptabel ist und wo sie bedenklich zu werden beginnt. Problematischer Gebrauch könnte vielleicht ein Symptom dafür sein, dass die Komplexität konkreten (Sport-)Alltagsgeschehens – so wie sie in ökologischer Perspektive erscheint – nicht detailliert genug beachtet und vorgestellt wird und dass mit ihr gleichsam zu respektlos umgegangen wird. (d) Es fällt auf, dass die graphischen Konfigurationen (Flussdiagramme, Blockdiagramme u. ä.), die der verbalen Darstellung handlungstheoretisch orientierter Ansätze des öfteren beigegeben werden, in ihrer Gesamtheit eine nachgerade verwirrende Diversität aufweisen (vgl. dazu beispielsweise Schnabel et al., 1995). Offenbar sollen diese Visualisierungen helfen, die beschriebenen Ansätze transparenter und verständlicher zu machen. Die Vielfalt vorfindbarer handlungstheoretischer Konzeptionen lässt erwarten, dass ihr ein entsprechender Variantenreichtum derartiger Graphiken korrespondiert. Jedoch wird dieser Variantenreichtum darüber hinaus noch durch andere Varianzquellen erheblich ausgeweitet. So birgt allein schon das Verhältnis, in dem eine handlungstheoretische Konzeption selbst zu der/n beigegebenen Visualisierung(en) steht, mancherlei Variationsmöglichkeiten in sich. Die augenfällige Prägnanz einer solchen graphischen Repräsentation legt nahe, sie selbst für das eigentliche Modell (o. Ä.) zu halten. Es 47 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525452417 — ISBN E-Book: 9783647452418
darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass jede Komponente einer Graphik einer präzisen Bedeutungsbestimmung bedarf, also einer Zuordnung zu bestimmten Anteilen der grundlegenden, verbalen Konzeptionsdarstellung. Die in der Materialbasis aufzufindende Variantenfülle solcher Visualisierungen vermittelt allerdings den Eindruck, dass deren Konstruktion nicht an einem allgemein anerkannten Kanon orientiert ist. So kann es unter anderem durchaus vorkommen, dass unterschiedliche Kategorialbereiche (z. B. erlebensbezogene, verhaltensbezogene, physisbezogene Komponenten) in einer Graphik miteinander vermengt werden. Die in einem bestimmten Ansatz jeweils spezifisch intendierten Zuordnungen zwischen Elementen graphischer Repräsentationen und Komponenten der verbalen Konzeptionsdarstellung werden selten hinreichend präzis expliziert. In der Regel wird auch nicht expliziert, welche Anteile der verbal beschriebenen Gesamtkonzeption graphisch repräsentiert werden und welche graphisch unrepräsentiert bleiben. Wenn schon die Komponenten derartiger Graphiken in ihren Beziehungen zur verbalen konzeptionellen Basis nicht selten mehr oder weniger unklar bleiben, dann bleiben erst recht die Beziehungen intransparent, die sie zu irgendwelchen Anteilen konkreter Wirklichkeit haben. Gelegentlich bedienen sich Autoren zur Darstellung eines komplizierteren Ansatzes jeweils mehrerer, deutlich unterschiedlicher Graphiken. Dabei kann es Schwierigkeiten bereiten, diese konsistent miteinander zu verknüpfen. Darin kommt ein grundsätzliches Problem zum Vorschein: Je deutlicher sich – unter anderem vermittelt durch die ökologische Perspektive – sozusagen eine Anschauung von der ganzen Komplexität des Sport-Alltagsgeschehens herausbildet, um so mehr wird evident, wie eng begrenzt die Darstellungsmöglichkeiten in einer zweidimensionalen, statischen graphischen Repräsentation sind, die noch lesbar bleiben soll. Damit wird zunehmend offensichtlicher, dass stets nur ein – wie auch immer gearteter – relativ kleiner Ausschnitt aus der Realität bzw. aus einer realitätsbezogenen theoretischen Konzeption graphisch visualisiert werden kann. Umso dringlicher erscheint es dann aber auch, zu Konventionen in Form von Prinzipien und Standards für derartiges graphisches Repräsentieren zu gelangen. 48 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525452417 — ISBN E-Book: 9783647452418
(e) Es fällt auf, dass Sport-Alltagsgeschehen in Berichten über handlungstheoretisch orientierte Forschung in der Regel nur in verhältnismäßig geringem Auflösungsgrad beschrieben wird. Genauer gesagt: Zumeist sind empirische Untersuchungen auf einen bestimmten Typ von Partialgeschehen fokussiert: Aufmerksamkeit, Konzentration, aktuelle Gefühlszustände, Bewältigungsbemühungen, Antizipationen, volitive Akte, Attributionen, Entscheidungen u. a. m. Diese untersuchen und überhaupt erst einmal beschreiben zu wollen, nötigt die Forscher und Autoren dazu, ein dafür angemessenes Auflösungsniveau zu wählen. In den Berichten entsteht jedoch oft dann der Eindruck eines Missverhältnisses zwischen dem Detaillierungsgrad, der auf das jeweilige fokale Phänomen angewandt wird, und der (vergleichsweise geringen) deskriptiven Auflösung seines näheren und weiteren Geschehensumfeldes. Es hat den Anschein als ob den Autoren das nicht-fokale Geschehen nur unverhältnismäßig grobrastrig vor Augen steht, wiewohl man andernorts Beispiele dafür findet, wie derartiges Geschehen – im Prinzip – wesentlich feinkörniger (und damit gleichsam ökologisch vollständiger und präziser) beschrieben werden kann (vgl. beispielsweise Göhner, 1979, 1992a, b, 1999; vgl. auch Fuhrer, 1984, Rapp, 1997; auch differenzierte, ernst genommene Selbstbeobachtung könnte dort oft schon zu einem Korrektiv werden). Diesen Zweifeln und Fragen darf nicht ein impliziter Appell entnommen werden, handlungstheoretisch orientierte sportpsychologische Forschung sollte künftig generell nur noch so feinkörnig wie möglich konzipiert und realisiert werden. Forschungsfragestellungen sollen durchaus weiterhin gleichsam auf sehr unterschiedlichen Organisationsniveaus des (Sport-)Alltagsgeschehens angesiedelt sein können. Wünschenswert wäre allerdings, dass stets so etwas wie ein ökologisches Gesamtbild möglicher Auflösungsniveaus hergestellt und im Bewusstsein behalten wird, damit – wo auch immer man einen Schwerpunkt setzt – mögliche Wechselbeziehungen zwischen den Gegenstandseinheiten verschiedener Funktionsniveaus mit bedacht und berücksichtigt werden. Derjenige Forschungsbereich, der das Gemeinte am leichtesten modellhaft einsichtig machen kann, scheint mir die Analyse des Sprachproduktions-Geschehens in den Sprachwissenschaften zu sein (vgl. Kaminski, 1994). 49 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525452417 — ISBN E-Book: 9783647452418
Über Handeln hinaus In allen Publikationen, die von dem Such-Algorithmus zu der Materialbasis aggregiert wurden, geht es in irgendeiner Weise um »Handlung und Sport«. Dennoch wird ein großer Anteil dieser Arbeiten von den bisher vorgetragenen Überlegungen noch gar nicht in ihrem Kern betroffen. Das hat seinen Grund darin, dass die bisherigen Argumentationen so gut wie ausschließlich auf Partizipieren und auf Handeln ausgerichtet und eingeschränkt waren, das heißt auf bestimmte Formen der Interpretation von konkretem, aktuellem (Alltags-)Geschehen. Die Analyse von Handeln ist in der Sportpsychologie jedoch oftmals, wenn nicht gar zumeist, letztlich nur deswegen interessant und bedeutsam, weil Handeln in irgendwelchen Hinsichten verbessert, also verändert werden soll. Damit richtet sich der Blick auf das Wiederholen gleichartiger oder ähnlicher Partizipations- bzw. Handlungsgeschehen, und es kommt zu einem Vergleichen mehrerer Wiederholungen. Ein solches Vergleichen ist sowohl intra- als auch interindividuell möglich. Hat sich, im ersten Falle, von einer zu einer anderen Handlungsrealisierung hin etwas in einem erwünschten Sinne verändert, kann man, u. a., von Lernen (Gelernt-Haben) sprechen. Auch wenn sich im interindividuellen Vergleich eine Handlungsrealisierung gegenüber derjenigen von einem/r anderen Akteur(in) irgendwie als besser erweist, gibt es bekanntlich verschiedene Möglichkeiten, diese Differenz zu interpretieren. In beiden Fällen nimmt der Terminus Handlung eine neue, zusätzliche Bedeutung an. Er meint nicht nur, wie bisher, ein konkretes Beispiel aktuellen Geschehens, sondern darüber hinaus etwas Strukturelles, Überdauerndes, so etwas wie ein »Handlungs-System«, das einem/r Akteur(in) zur Verfügung zu stehen scheint und das er/sie zu unterschiedlichen Zeitpunkten (wieder) aktualisieren kann; als Bestandteil seines/ihres Wissens und/oder Könnens. Dieses (wie auch immer im Detail gedachte) Strukturelle ist es, an dem sich möglichst etwas durch Lernen zum Besseren hin verändern soll. Fasst man gewissermaßen eine Familie solcher Handlungs-Systeme zu einem Genotyp (relativ niedrigen Niveaus) zusammen, kann man dafür den Terminus »Fertigkeit« einsetzen. – Und führt man das Wie eines aktuellen Handelns erst einmal irgendwie auf ein aktualisiertes strukturelles Handlungssystem zurück, dann drängt sich übrigens auch die Frage auf, warum 50 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525452417 — ISBN E-Book: 9783647452418
die Aktualisierung dieses Strukturellen jeweils zu einem bestimmten Zeitpunkt geschieht, die Frage nach der Motivation des Handelns; beispielsweise in Form der Frage nach der Aktualisierung bestimmter (ebenfalls als strukturell hypostasierter) Motive. Aus dem Gesagten ergibt sich, dass alles bisherige Bemühen, die ganze Komplexität von Sport-Alltagsgeschehen – so gut es geht – vorstellbar und anschaubar werden zu lassen, gleichsam noch zu kurz gegriffen hat. Nimmt man das »Handeln Wiederholen« (im Sport: Trainieren, Üben) und seine beobachtbaren Auswirkungen mit hinein, dann kommen nochmals gänzlich neue Gesichtspunkte ins Spiel. Hier nun, kann man sagen, versagt die zuvor immer wieder verwendete ökologische Perspektive weitgehend. Sie hat für diese Blickfelderweiterung (bislang) keine hinreichenden eigenen Konzeptualisierungen anzubieten. Verschiedentlich wird versucht, zur Füllung dieser Lücke das Skript-Konzept einzusetzen (vgl. Kaminski, 1989; Fuhrer, 1990a). Abgesehen davon, kann man die Ablaufsorganisation von Lern- und/oder Lehr-Prozessen (also von Handlungswiederholungen) als Handeln auf höherem Organisationsniveau auffassen. Diese systematischen Erweiterungen der handlungstheoretischen Perspektive zu einer lerntheoretischen bedürften einer umfangreichen, gesonderten Darstellung, die hier nicht geleistet werden kann. Und doch kann die Thematik hier nicht ganz ausgeklammert werden; und zwar aus folgendem Grund: In der Materialbasis ist eine beachtliche Anzahl von HybridKonzepten anzutreffen. Sie sind so konstruiert, dass in ihnen jeweils ein Bedeutungsanteil in die Sphäre aktualistisch-handlungstheoretischen Denkens hineinreicht, der andere in der Sphäre lerntheoretisch-strukturellen (zumeist auch differenziell-psychologischen) Denkens beheimatet ist. Typische Beispiele sind: »Handlungsfähigkeit«, »Konzentrations«-, »Wahrnehmungs«-, »Repräsentations«-, »Entscheidungs«-Fähigkeit, »koordinative Fähigkeit«, »Antizipationskoinzidenzfähigkeit«, »Vorstellungskompetenz«, »Gleichgewichts-Regulationskompetenz«, »Konzentrations-Stabilität«, »Handlungssicherheit«, »Handlungszuverlässigkeit«, »Handlungsorientierung«. Jedes dieser Konzepte bedürfte eigentlich einer detaillierten, spezifischen Analyse. Davon muss hier abgesehen werden; vielmehr kann jetzt nur noch in aller Kürze auf das ihnen gemeinsame Problematische eingegangen werden. Alle diese Kon51 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525452417 — ISBN E-Book: 9783647452418
zepte müssen sich die Frage gefallen lassen, wie bei ihnen jeweils das funktionale Zusammenspiel zwischen Strukturellem und Aktuell-Geschehenshaftem genau gedacht ist. Gewiss, bei den meisten von ihnen mag das eigentlich Gemeinte durch die gewählten Termini intransparent und missverständlich bezeichnet sein. Jedoch wäre den zugrunde liegenden Problemen mit einer Präzisierung der Terminologie allein nicht beizukommen. Nehmen wir ein Beispiel: Handlungsfähigkeit. Mit Handeln kann – auch und gerade in der Welt des Sports – so verschiedenartiges und so kompliziertes Geschehen bezeichnet werden, dass schlechterdings nicht vorstellbar ist, alles dieses könnte gleichsam eindimensional von einer einzigen strukturellen Einheit aus, von einer Handlungs-Fähigkeit aus, variabel gemacht werden. Selbst wenn der Terminus nicht so verstanden wird, bleibt die Frage, was genau innerhalb dieses unübersehbar vielen Geschehenshaften, das mit Handeln bezeichnet werden kann, mit einer wie auch immer gearteten Fähigkeit funktionell verkoppelt sein soll und wie dieses Zusammenspiel funktionieren soll. Je komplexer man sich – vielleicht durch die ökologische Perspektive angeregt – Sport-Alltagsgeschehen vorzustellen gestattet, um so problematischer muss es einem erscheinen, diesem gewissermaßen eine einzelne strukturelle Einheit (wie Fähigkeit) gegenüberzustellen. Wenn es in wiederholtem Handeln irgendwelche empirischen Evidenzen gibt, die die Annahme von relativ stabilem Überdauerndem zu stützen vermögen, dann sollte nach Möglichkeiten gesucht werden, diese Stabilität in einer Weise zu interpretieren, die mit einer angemessenen handlungstheoretischen Artikulation des Sport-Alltagsgeschehen in Einklang zu bringen ist. – Im Prinzip ähnlich könnte auch für die anderen Geschehens-Komponenten der Hybrid-Konzepte argumentiert werden (beispielsweise »Aufmerksamkeit«, »Konzentration« (vgl. dazu Kaminski, 1994), »Wahrnehmung«, »Entscheidung«, »Vorstellung«, »Regulation«, »Koordination«), sowie auch für die anderen dort auftauchenden strukturellen Bedeutungsanteile (beispielsweise »Kompetenz«, »Stabilität«, »Orientierung«). Mit der Blickfelderweiterung vom Handeln zum Handeln Wiederholen (und damit zum Handeln Verändern, zum Handeln Lernen) kommen noch weitere Aspekte ins Spiel, die die Wechselbeziehungen zwischen Geschehenshaftem und Strukturellem 52 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525452417 — ISBN E-Book: 9783647452418
zusätzlich komplizieren. Die Art und Weise, wie sich handlungsartiges Geschehen bei häufigem Wiederholen in seiner Ablaufsorganisation unter Umständen fundamental ändert, wird bekanntlich mit dem Begriff Automatisierung zusammenfassend charakterisiert. In diesem Zusammenhang kommt auch die Frage nach Grenzen der Anwendbarkeit des Konzepts Handeln auf. Soll man von Handeln nur dann sprechen, wenn eine Aktivität gewissermaßen bewusster Kontrolle unterworfen ist? Oder kann auch von automatisiertem (sozusagen ehemaligem) Handeln mit guten Gründen behauptet werden, dass es weiterhin handlungsähnlich organisiert ist? Weitere Fragen schließen sich an: Was heißt »bewusst« im Zusammenhang mit »Kontrollieren« (»Steuern«, »Regulieren«) des Handelns? Welche Instanz kontrolliert, und wie funktioniert Kontrolle im Detail? Unter anderem in diesem Kontext tauchen dann auch die strukturellen Konzepte »Selbst« oder »Ich« mit von ihnen abgeleiteten (teilweise mehrdeutigen) Hybrid-Konzepten (wie »Selbstkontrolle«, »Selbstregulation«, »Selbststeuerung«, »Selbstaufmerksamkeit«, »Selbstmotivation«, »Selbstverpflichtung«, »Selbstwirksamkeitserwartung«) in handlungstheoretischen Interpretationen und Erörterungen auf. Zu allen diesen Aspekten und Konzepten gibt es Verwendungsbeispiele in der Materialbasis, die evaluativer Kommentierung harren, welche hier jedoch nicht mehr geleistet werden kann. Einige Schlussfolgerungen Eindrücke, die sich beim Durchmustern der hier verwendeten Materialbasis formieren, erst recht daran anschließende Reflexionen, entstehen nicht in einem koordinatenlosen Niemandsland. Die vorangegangenen Ausführungen waren zumeist an dem Denkund Erfahrungsrahmen der Ökologischen Psychologie orientiert. Solche orientierenden, paradigmatischen Bezugsrahmen haben jeweils ihre spezifischen Vorteile, Schwachstellen und Probleme, wie zuvor schon gelegentlich deutlich wurde (vgl. dazu McGrath, 1981). Abschließend seien einige ansatztypische Probleme und ihre Implikationen nochmals in knapper Zusammenfassung zur Sprache gebracht. (1) Unter Berufung auf die ökologische Perspektive wurde immer wieder auf die Komplexität des Alltagsgeschehens verwie53 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525452417 — ISBN E-Book: 9783647452418
sen; manchmal fast so, als würde ihr eine Art normative Qualität zugestanden. Was ist mit dieser »Komplexität« gemeint? Genauer besehen, sind dabei zwei Bedeutungen auseinanderzuhalten: Zum einen ist dabei an das Alltagsgeschehen selbst zu denken, das heißt, an die Geschehensrealität, von der wir selbst in jedem Augenblick ein Teil sind, die wir selbst ständig irgendwo und irgendwie tatsächlich leben (gegebenenfalls also auch Sport-Alltagsgeschehen). Diese Realität funktioniert unablässig, irgendwie organisiert, mit und/oder ohne unser Zutun. Sie ist in ihrer Gänze nicht zu erfassen, reicht gewissermaßen weit hinaus über alle unsere Bemühungen, ihrer irgendwie in toto gedanklich oder anschaulich habhaft oder ansichtig zu werden. Wir können sie nur relativ diffus und extrapolativ gedanklich setzen als Bedingung für die Möglichkeit bestimmter Erfahrungen, die wir machen. Um dieses uns grundsätzlich Übergreifende, unsere Möglichkeiten Überschreitende, in sich unfassbar Vielfältige der »Alltagsgeschehens-Realität selbst« andeutend zu charakterisieren, können wir ihr – wie hilflos – das Attribut Komplexität zusprechen. Davon zu unterscheiden ist das Bild, das wir uns von dieser Realität zu machen versuchen; und darum ging es im Wesentlichen in den vorangegangenen Ausführungen. Dieses Bild entsteht allmählich aus unseren Bemühungen, uns gedanklich und anschaulich der sozusagen unzulänglich hypostasierten »Alltagsrealität selbst« und der ihr zugeschriebenen Komplexität anzunähern. Insofern kann auch das Bild dann als komplex charakterisiert werden, in sich mehr oder weniger komplex sein. Dieses Bild kann mehr oder weniger diffus bzw. strukturiert, durchorganisiert sein. Der ökologischen Perspektive, so wie sie hier vertreten wird, liegt die Intention zugrunde, das Bild vom (Sport-)Alltagsgeschehen der Realität des (Sport-)Alltagsgeschehens möglichst weitgehend anzunähern. Die Komplexität dieser Realität wird uns durch eine Vielzahl partikulärer Indikatoren signalisiert, die uns einzuschätzen gestatten, ob wir mit der Approximierung unseres Bildes vorangekommen sind oder nicht. Zur progressiven Differenzierung des Bildes im Sinne einer Approximierung kann vieles einzeln beitragen, verschiedenartige Konzeptualisierungen und Erfahrungen, die gleichsam aggregativ in das Bild eingebaut werden. Aber diese aggregative Differenzierung des Bildes wird sich 54 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525452417 — ISBN E-Book: 9783647452418
nur einstellen, wenn sie intendiert wird. Man kann auch Anteile des Bildes auf einem niedrigeren Strukturiertheitsniveau belassen. Aus dem Gesagten kann man ableiten: Die auf die »Realität selbst« verweisenden »Komplexitäts-Indikatoren« sind eine Art Korrektiv für die Weiterentwicklung ökologisch-psychologischer Konzeptualisierungen, und diese wiederum können als Entwicklungs-Korrektiv für relativ unökologische psychologische Ansätze fungieren. (2) Es drängt sich nun die Frage auf, wie Komplexität, in dem soeben erläuterten Sinne verstanden, wissenschaftlich in den Griff zu bekommen ist. Innerhalb des Barkerschen Ansatzes der Ökologischen Psychologie betreibt man derartige Approximierung auf zwei sehr unterschiedlichen Auflösungsniveaus und von ihnen aus, vereinfacht gesehen, in gegensätzlicher Richtung: Das Behavior-Setting-Konzept artikuliert (der Intention nach) die umfänglichsten überindividuell-aktuellen Alltags-Geschehenssysteme als Ganze, relativ grobrastrig zunächst, und artikuliert dann weiter, gleichsam von oben nach unten in der Auflösung fortschreitend, Partialprozesse darin (Barker, 1968). Das Verhaltensstrom-Konzept dagegen (vgl. Barker et Associates, 1978) setzt bei möglichst feinkörniger (durch Verhaltensbeobachtung gerade noch erreichbarer) Auflösung an (Mikro-Handlungen und ihren Details) und arbeitet sich von da aus nach oben voran, durch Mit-Beachten größerer Handlungsgeschehens-Einheiten (vgl. z. B. Rapp, 1997). Bei Barker selbst war es noch nicht zu einem Zusammentreffen und einer Integration dieser beiden strategischen Ansätze und Artikulationsrichtungen gekommen (vgl. dazu Kaminski, 1986b, 1989, 1994, 1999a). Die Ökologische Psychologie Barkerscher Prägung hat einige spezifische Vorzüge: Sie betreibt Approximierung grundsätzlich vor Ort, sozusagen in Tuchfühlung mit der zu approximierenden Alltagsgeschehens-Realität, möglichst ohne diese in der Natürlichkeit ihres Ablaufs zu beeinträchtigen (naturalistische Vorgehensweise). Somit ist sie den korrektiven Impulsen irgendwelcher Komplexitäts-Indikatoren unmittelbarer ausgesetzt als nicht-naturalistische (beispielsweise laborexperimentelle) Ansätze. Es gehört dabei zu ihren Grundprinzipien, über längere Zeiten und zudem möglichst kontinuierlich im Kontakt mit dem Gegenstand zu bleiben und ihn in seiner systemaren Beschaffenheit und Vollständigkeit ernst zu nehmen (ganzheitliche Sichtweise). Sie lässt die durch Verhal55 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525452417 — ISBN E-Book: 9783647452418
tensbeobachtung mögliche Feinkörnigkeit der Gegenstandsartikulation – auch dann, wenn die Arbeitsschwerpunkte anderswo gesetzt werden – nie ganz aus dem Blick. Trotz dieser Vorzüge reicht die so zu erzielende Artikulation des Bildes von Sport-Alltagsgeschehen für viele Zwecke, um derentwillen eine wissenschaftliche Analyse dieses Gegenstandes angestrebt wird, nicht aus. Beispielsweise kann es erforderlich werden, für bestimmte Geschehensphasen den Auflösungsgrad zu erhöhen (etwa mittels Bildaufzeichnung, Zeitlupen-Darstellung). Zwar gibt es gewisse diesbezügliche Fortschritte auch in ökologisch-psychologisch ausgerichteter Methodik (vgl. Craik, 1994), bei der zudem (mit »Selbstkonfrontations«-Methodik) versucht wird, etwas von dem erlebnishaften, kognitiv-emotionalen Binnengeschehen mit einzubeziehen, das im klassischen ökologisch-psychologischen Ansatz weitestgehend ausgespart wurde. Jedoch fehlt es dabei u. a. noch an naturalistischer Kontinuität und Vollständigkeit. Die ökologisch-psychologische Selbstbeobachtungsmethodik von Rapp (1997) geht bezüglich der beiden genannten Defizite über den Ansatz von Craik hinaus. Jedoch vermöchte auch sie, trotz bemerkenswerter Fortschritte, noch nicht alle Artikulationsanforderungen (beispielsweise hinsichtlich des Auflösungsgrades) zu erfüllen, die an eine wissenschaftliche Analyse von Sport-Alltagsgeschehen gestellt werden können. Somit muss die konzeptuelle, perzeptive und epistemische Anreicherung des Bildes von Sport-Alltagsgeschehen auch weiterhin zusätzlich mit Hilfe von Konzepten vorangebracht werden, die aus vergleichsweise »unökologischen«, nicht-naturalistischen Ansätzen stammen. Allerdings müssten sich alle Ansätze, die sich an diesem Anreichern beteiligen wollen, die Frage stellen, ob ihre Beiträge gewissermaßen alltagstauglich sind, ob sie mit dem bereits vorentwickelten, ökologie-gestützten Bild kompatibel sind, ob sie hinreichend ökologisch repräsentativ sind (vgl. dazu Kaminski, 1994). (3) Alle vorangegangenen Erörterungen zum Thema »Handlung und Sport« und alle bisher daraus abgeleiteten Folgerungen haben bestimmte Belange der Sport-Praxis noch unberücksichtigt gelassen, die mit dem Thema »Kommunizieren über SportAlltagsgeschehen« angesprochen werden. Die fortschreitende wissenschaftliche Erschließung des Gegenstandsfeldes Sport-All56 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525452417 — ISBN E-Book: 9783647452418
tagsgeschehen bringt eine zunehmende Differenzierung, somit Komplizierung des Bildes von Sport-Alltagsgeschehen mit sich. Das führt notwendigerweise – aufs Ganze gesehen – zu einer Erschwerung der Kommunikation über Sport-Alltagsgeschehen. Für die an Sport wissenschaftlich Interessierten fällt diese Erschwerung relativ wenig ins Gewicht. Sie muss hingenommen und irgendwie verkraftet werden wie in allen anderen Bereichen der Wissenschaftsentwicklung auch. In der Praxis des Sports hingegen ist und bleibt das Kommunizieren über das Sport-Alltagsgeschehen im Prinzip in viel höherem Maße alltagssprachnah, an alltagssprachliche Konzeptualisierungen gebunden. Aus den wohletablierten Normen dieses Kommunizierens heraus werden sich Widerstände dagegen erheben, das Bild von Sport-Alltagsgeschehen zunehmend (konzeptuell und epistemisch) zu komplizieren, weil dann die Kommunikation unpraktikabel zu werden droht. Daraus dürfte ein sich fortschreitend verschärfendes Spannungsverhältnis zwischen Wissenschaft und Sportpraxis resultieren. Dieses Spannungsverhältnis wird dadurch noch dramatischer, dass beide, Wissenschaft und Sportpraxis, – mindestens teilweise – aufeinander angewiesen sind. Wissenschaftliche Analyse des Sport-Alltagsgeschehens zielt großenteils letztlich darauf ab, zur Verbesserung irgendwelcher Sport-Praxis beizutragen. Erträge dieser Bemühungen können ihren letzten Zweck jedoch nur dadurch erreichen, dass sie von der Sport-Praxis rezipiert und umgesetzt werden. Und die Wissenschaft selbst kann wiederum nicht ohne Anregungen und Rückmeldungen aus der Sportpraxis vorankommen. Somit nimmt die ohnehin sattsam vertraute Frage, wie zwischen diesen beiden Positionen vermittelt werden kann, an Dringlichkeit zu. Vermutlich wird sich ein eigenständiger Aufgabenbereich entwickeln müssen, dem es obliegt, permanent als »Interface« zwischen sportbezogener wissenschaftlicher Theoriebildung und Forschung einerseits und der auf wissenschaftliche Fundierung angewiesenen sportlichen Praxis andererseits zu fungieren. Dabei ist allerdings zu bedenken, dass sportbezogene (psychologische) Wissenschaft ohnehin nicht als einheitliche Position anzutreffen ist, sondern dass sie von sich aus bereits Varianten ausgebildet hat, die der Sport-Praxis mehr oder weniger entgegengegangen sind (vgl. Nitsch, 1986). Abgesehen davon, scheint von dem 57 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525452417 — ISBN E-Book: 9783647452418
skizzierten Spannungsverhältnis auch die Versuchung ausgehen zu können, die Kluft zwischen Wissenschaftstradition und Sportpraxis gewissermaßen kurzschlüssig zu überbrücken; das soll heißen, durch Untersuchungsansätze, die eine sorgfältige Aneignung von bereits erarbeitetem wissenschaftlichem Gemeingut vermissen lassen und sich stattdessen damit begnügen, Praxisnah-Adhocistisches, Provisorisches zu produzieren. Die fast beunruhigende Variabilität der in der Materialbasis vorzufindenden Ansätze zum Thema »Handlung und Sport« könnte zu einem nennenswerten Anteil durchaus der Wirkung dieser Versuchung geschuldet sein.
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Jens Kertscher Handlung – ein wesentlich normativer Begriff 1
Ausgangspunkte Philosophische Untersuchungen zum Begriff des Handelns sollen diesen Begriff selbst klären; sie sollen eine Antwort auf die Frage Was ist eine Handlung? anbieten. Sie sollen darüber hinaus unsere Fähigkeit, aus Gründen zu handeln, verständlich machen. Diese Fähigkeit ist für unser Selbstverständnis als geistige Wesen und damit auch als Wesen, die ihr Tun unter normativen Gesichtspunkten reflektieren und bewerten, wesentlich. Beide Fragen hängen zusammen. Handlungen werden normalerweise von anderen Vorgängen dadurch unterschieden, dass ihnen das Merkmal der Absichtlichkeit (Intentionalität) zukommt. Absichtliche Handlungen sind aber solche, bei denen die Frage warum? Anwendung findet (Anscombe, 1957/2011, S. 23). Wir verstehen jemandes Tun als absichtliches Handeln, wenn es auf diese Frage eine Antwort gibt; ein Handelnder versteht sein eigenes Tun seinerseits als absichtlich, wenn er es im Lichte von Gründen erklären kann. Die Frage, was eine Handlung ist, überschneidet sich also mit der Frage, was es heißt, aus Gründen zu handeln. Zwischen Grund und Handlung gibt es einen begrifflichen Zusammenhang. Gegen diese auf den ersten Blick einleuchtende Überlegung lassen sich jedoch Einwände formulieren. 1
Für die aufmerksame Kommentierung einer früheren Version, die, so hoffe ich, zu vielen Verbesserungen und Klärungen geführt hat, danke ich sehr herzlich Andreas Kaminski. Darüber hinaus habe ich für intensive Diskussionen zu den Themen dieses Beitrags Jan Müller zu danken.
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Der für die handlungstheoretische Diskussion folgenreichste Einwand wurde von Donald Davidson in den 1960er Jahren formuliert: »[Es] kann sein, daß man einen Grund für eine Handlung hat und diese Handlung auch ausführt, ohne daß dieser Grund derjenige ist, weshalb man die Handlung vollzogen hat. Wesentlich für die Beziehung zwischen einem Grund und einer durch ihn erklärten Handlung ist die Vorstellung, daß der Handelnde die Handlung ausgeführt hat, weil er diesen Grund hatte« (Davidson, 1963/1990a, S. 28). Eine korrekte Handlungserklärung muss nach Davidson den Grund angeben, aus dem jemand tatsächlich gehandelt hat. Die bloße Anführung der Gründe, die jemand hatte, etwas zu tun, reicht dafür nicht aus. Ein Indiz dafür ist nach Davidson, dass wir auch im Alltag zwischen den Gründen, die jemand hatte, und den Gründen, aus denen jemand gehandelt hat, zu unterscheiden pflegen. Auch dann nämlich, wenn jemand mehrere Gründe hatte, etwas zu tun, wird er auf die Frage, aus welchem dieser Gründe er denn nun gehandelt hat, nur den Grund nennen, aus dem er tatsächlich gehandelt hat und alle übrigen Gründe diesem Grund unterordnen. Davidson zieht daraus die Konsequenz, dass eine begriffliche Beziehung zwischen Gründen und Handlung, selbst dann, wenn sie besteht, weil jemand bestimmte Gründe hatte, nicht ausreicht, um die Handlung zu erklären. Das leistet die Erklärung nur, wenn sie den primären Grund identifiziert, also den Grund, aus dem die betreffende Person gehandelt hat. Der Primärgrund kann nach Davidson dadurch identifiziert werden, dass die Erklärung etwas anführt, das dem Handelnden wünschenswert erschien (Davidson, 1963/1990a, S. 19), verbunden mit der Überzeugung, dass er diesen Wunsch mit der zu erklärenden Handlung realisieren kann. Man identifiziert mit anderen Worten einen primären Grund, indem man dem Handelnden ein Belief-desire-Paar zuschreibt. Eine Erklärung liegt nach Davidson aber erst dann vor, wenn man das erklärende »weil« auch kausal versteht. Der erklärende Primärgrund ist nämlich nur deshalb handlungserklärend, weil er tatsächlich kausal wirksam geworden ist. Wäre er das nicht, hätte die Person nicht aus dem unterstellten Grund gehandelt. Davidson muss also gar nicht bezweifeln, dass der Handelnde einen Grund hatte; er 60 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525452417 — ISBN E-Book: 9783647452418
muss auch die Qualität des Grundes nicht anzweifeln. Seine Überlegung besagt lediglich, dass eine Erklärung durch Gründe solange unzureichend ist, wie sie nicht spezifiziert wird. Es ist die Aufgabe der kausalen Komponente, diese Spezifikation zu liefern. Ihre Funktion ist es, den Unterschied zwischen einer echten Erklärung und der bloßen Anführung von Gründen einzufangen. Davidson kann sich mit diesem Vorschlag auf unser Alltagsverständnis von Handlungserklärungen berufen: »Unsere Alltagsauffassung von Handlung unterstellt, dass die Gründe eines Handelnden im Herbeiführen des Verhaltens, das wir als eine Handlung verstehen, kausal wirksam sind« (Röska-Hardy, 1995, S. 263). Nur wenn man also das »weil« der rationalen Erklärung auch kausal interpretiert, wird man der Erklärungsleistung von Handlungserklärungen, wie sie im Alltag üblich sind, gerecht.2 Allerdings will Davidson nicht einfach rationale auf kausale Erklärungen reduzieren. Handlungen sind durch das Vorliegen genau der Gründe verursacht, die das Getane rationalisieren, es also aus der Perspektive des Handelnden als begründet erscheinen lassen; das Anführen dieser Gründe muss zugleich einen »ätiologischen Nexus« (Thompson, 2011a, S. 110) erschließen. Erklärungen durch Gründe und kausale Erklärungen stellen demnach nicht zwei distinkte Erklärungstypen dar. Erklärungen durch Gründe können vielmehr als eine Art von Kausalerklärungen verstanden werden. Davidson wendet sich also einerseits gegen Handlungstheoretiker, die beide Erklärungstypen trennen wollen. Andererseits deutet er die für Handlungserklärungen maßgebliche Kausalbeziehung aber auch nicht nomologisch, wie es in der empiristischen Tradition bis Hempel üblich war. Die Frage, welcher Grund eine Handlung tatsächlich verursacht hat, beantwortet Davidson, indem er Gründen auf der Ebene neuronaler Korrelate eine kausale Rolle
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Schon Aristoteles hat diesen Zusammenhang herausgestellt: »Ursprung einer Handlung – im Sinn des Ursprungs der Bewegung, nicht des Zwecks – ist ein Vorsatz, und der Ursprung des Vorsatzes ist das Streben und die Überlegung, die auf einen Zweck gerichtet ist« (Aristoteles, NE/2011, 1139a31–33). Allerdings interpretiert Davidson die aristotelische Rede von Ursachen physikalistisch im Sinne einer causa efficiens. Dass diese Interpretation nicht zwingend ist (vielleicht sogar falsch), wird im weiteren Verlauf deutlich werden.
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zuweist.3 Damit lässt sich im Prinzip der kausal relevante Grund identifizieren. Davidson spricht genau in diesem Fall von einem »primären Grund« (Davidson, 1963/1990a, S. 22). Versucht man Davidsons Verbindung von kausaler und rationaler Erklärung in Form einer Handlungsdefinition zu bündeln, bietet sich folgender Vorschlag von Keil (2000, S. 72) an: (Df.) Eine Handlung vom Typ H ist eine Körperbewegung einer Person, die unter der Beschreibung »H« durch Wünsche und Überzeugungen der Person rationalisiert wird und die durch diese Wünsche und Überzeugungen verursacht wird.
Ein viel diskutiertes Problem, mit dem sich dieses Erklärungsmodell konfrontiert sieht, ist das der abweichenden Kausalketten. Es besteht darin, »daß nicht jeder beliebige kausale Zusammenhang zwischen rationalisierenden Einstellungen und gewollter Wirkung genügt, um zu gewährleisten, daß die Herbeiführung der gewünschten Wirkung absichtlich war. Die Kausalkette muß auch in der richtigen Weise verlaufen« (Davidson, 1973/1990c, S. 120). So kann es vorkommen, dass Wunsch und Überzeugung eine Kausalkette in Gang setzen, das Handlungsziel erreicht wird, aber nicht auf die »richtige Weise«, und das heißt: Alle von der kausalen Theorie verlangten Bedingungen sind erfüllt, »ohne daß 3
Die Idee, Handlungserklärungen als Aussagen über zwei Typen von Ereignissen zu begreifen, nämlich Körperbewegungen und mentale Ereignisse (Fassen einer Absicht, Wünsche, Überzeugungen), wobei die neuronalen Korrelate dieser mentalen Ereignisse Körperbewegungen verursachen, ist unter der Bezeichnung anomaler Monismus bekannt geworden (vgl. Davidson 1970/1990b). Sehr vereinfacht besagt der anomale Monismus, (1) dass es keine psychophysischen Gesetze gibt; (2) dass es auf der Ebene alltagspsychologischer Erklärungen keine strikten Gesetze gibt, die Voraussagen über mentale Ereignisse und das Verhalten von Personen erlauben; (3) wenn es aber eine wahre Beschreibung der Beziehung eines mentalen zu einem physischen Ereignis gibt, dann ist auch garantiert, dass diese Beziehung unter eine wahre Gesetzesaussage fällt, die in rein physikalistischem Vokabular formuliert werden kann. Für eine exzellente Darstellung des anomalen Monismus vgl. Kim (2003). Grundsätzliche Argumente gegen die Tokentoken-Identität von mentalen und Gehirnzuständen liefert Sehon (2005), vgl. dazu Löhrer (2008).
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wir das Geschehen als ein absichtliches Tun anerkennen würden« (Keil, 2000, S. 73).4 Das Problem der abweichenden Kausalketten ist in der Literatur ausführlich diskutiert worden (vgl. die differenzierte Darstellung dieser Diskussion bei Keil, 2000, S. 72–111, sowie neuerdings Löhrer, 2006, Keil, 2007, Horn u. Löhrer, 2010, S. 23 f., sowie Horst, 2012, S. 45 ff., jeweils mit weiteren Literaturangaben), ohne dass es zu einer zufriedenstellenden Lösung gekommen wäre. Davidson war übrigens selbst der Auffassung, dass sich dieses Problem nicht direkt lösen lässt, weil man dann erklären müsste, was es heißt, etwas auf »richtige Weise« zu verursachen. Das geht aber nicht ohne schon die Vorstellung einer richtig verlaufenden Kausalkette vorauszusetzen. Jede Erklärung bliebe daher zirkulär. Davidson hat sein Modell daher argumentationslogisch als Schluss auf die beste Erklärung verstanden und diejenigen, die an der rationalen Erklärung festhalten wollen, dazu aufgefordert, eine bessere Alternative zu entwickeln (Davidson, 1963/1990a, S. 31). Diese Aufforderung ist als Davidson’s Challenge bekannt geworden. Davidsons Rede von der »richtigen Weise« des Verlaufs einer Kausalkette, verweist noch auf ein weiteres Problem kausalistischer Ansätze. Offensichtlich haben Handlungserklärungen eine normative Komponente, die auf den ersten Blick nicht mit der kausalen Komponente verträglich ist. Die Rede von Gründen ist nämlich schon deshalb normativ zu verstehen, weil sie auf eine Dimension der Bewertung verweist. Davidson berücksichtigt das selbstverständlich. Es ist der Witz seines anomalen Monismus, den normativen Aspekt von Rationalität mit kausalen Erklärungen vereinbaren zu wollen. Dass Kausalerklärungen Gesetze erfordern, die für Erklärungen durch Gründe nicht zur Verfügung stehen, ergibt sich aus der Anomalität des Mentalen: Voraussagen über mentale Ereignisse und das Verhalten von Personen, wie man sie von alltagspsychologischen Erklärungen her kennt, unterliegen keinen strikten Gesetzen. Es handelt sich vielmehr um Zuschreibungen aus der Perspektive der dritten Person, deren Funktion es ist, das Verhalten von Personen möglichst rational (d. h. gut begründet) erscheinen zu lassen. 4
Eines der von Davidson (1973/1990c, 120) angeführten Beispiele lautet, dass ein Killer mit seinem Schuss die angezielte Person verfehlt, stattdessen Wildschweine aufscheucht, die diese Person tot trampeln.
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Solche Erklärungen, die nicht nur einzelne Handlungen betreffen, sondern die Gesamtheit der Überzeugungen eines Handelnden, unterliegen ihrerseits rationalen Einschränkungen, zu denen auch das Principle of Charity gehört (Davidson, 1974/1990e, S. 280, dazu grundsätzlich Scholz, 1999). Sie sind insofern normativ zu verstehen als sie zum Zweck der Erklärung das Verhalten und das Überzeugungssystem einer Person unter Maßstäbe der Rationalität stellen. In diesem noch sehr allgemeinen und unspezifischen Sinne sind Handlungserklärungen also immer ein normatives Unterfangen, wobei die Normativität nach Davidsons Modell auf Zuschreibungen im Lichte von Rationalitätsstandards aus drittpersonaler Perspektive bezogen bleibt. Nicht der Handlungsbegriff selbst ist normativ, sondern die Praxis der Zuschreibung von Überzeugungen und Wünschen zum Zweck der Handlungserklärung unterliegt rationalen und damit normativen Einschränkungen. In meinem Beitrag werde ich hier ansetzen, allerdings den Begriff der Handlung als einen wesentlich normativen Begriff erläutern. Damit greife ich eine Diskussionslinie in der Handlungstheorie auf, die durch die Vormachtstellung des Kausalismus verdrängt wurde und erst in den letzten Jahren durch ein erneutes Interesse am Aristotelismus wieder Aufmerksamkeit auf sich ziehen konnte (vgl. Foot, 2004 und Thompson, 2011a, Horst, 2012 sowie mit Bezug auf die neuere Philosophie des Geistes Knaup, 2012). Ein zentraler Gedanke dabei ist, dass der ätiologische Zusammenhang zwischen einem Handelnden und dem, was er tut, durchaus als eine Kausalbeziehung verstanden werden kann (so wie es auch schon bei Aristoteles in der bereits in Fn. 1 zitierten Stelle aus der »Nikomachischen Ethik« geschieht), sie aber nicht auf eine Kausalbeziehung zwischen physikalischen Ereignissen zurückgeführt werden kann. Es handelt sich vielmehr um einen ätiologischen Nexus besonderer Art (Thompson, 2011a, S. 110, Fn. 3). Dieser Gedanke ist bereits von Elizabeth Anscombe formuliert worden und kann als eine ihrer wertvollsten handlungstheoretischen Einsichten gelten. Ihre Bedeutung ist allerdings von Anscombes Kritikern nicht erkannt worden und wird nach wie vor unterschätzt. Das übliche Bild, wonach Davidsons nachempiristisch revidierter Kausalismus Anscombes Ansatz der Erklärung durch Gründe endgültig abgelöst hat, bedarf also einer Revision: Es geht hier gar nicht 64 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525452417 — ISBN E-Book: 9783647452418
um den Gegensatz rational oder kausal, sondern vielmehr um das richtige Verständnis von Kausalität im Kontext von Handlungserklärungen. Vor diesem Hintergrund kann die Frage neu gestellt werden, ob das von Davidson favorisierte physikalistisch verengte Kausalitätsverständnis tatsächlich alternativlos ist. Um Anscombes aristotelisches Verständnis rationaler Handlungserklärungen wieder zur Geltung zu bringen, muss der Zusammenhang zwischen Kausalität, Teleologie und Rationalität in Bezug auf Handlungen anders durchdacht werden als es in Diskussionen entlang der Dichotomien kausal versus rational oder kausal versus teleologisch üblich geworden ist. Weil die Protagonisten dieser Diskussionen den Handlungsbegriff nicht als einen wesentlich normativen Begriff analysieren, kommen sie aus dem physikalistischen Paradigma nicht heraus. Daher leiden ihre Modelle unter einem mentalistischen und individualistischen Missverständnis psychologischer Begriffe in Handlungserklärungen.
Alternativen zum individualistischen Handlungsmodell Bevor ich auf das Thema der wesentlichen Normativität des Handlungsbegriffs eingehe, will ich zunächst noch ein wenig genauer die Diskussionslandschaft skizzieren, in die sich meine weiteren Überlegungen einfügen werden. Die knappen Bemerkungen zu Davidson haben schon gezeigt, dass die Dichotomie Gründe oder Ursachen, entlang derer man die von Davidson ausgelöste Debatte nachzeichnen kann, nicht exklusiv ist. Theoriegeschichtlich lässt sich dieser Gegensatz nur auf einen ganz bestimmten Zeitraum eingrenzen, nämlich die frühen 1960er Jahre (vgl. Keil, 2000, S. 19 f.). Schon Davidson hatte seinen Beitrag als Reformulierung der Kausaltheorie verstanden, die sich einerseits gegen die empiristische Tradition der nomologischen Handlungserklärung richtet (vgl. dazu auch Lanz, 1987, Kap. I), andererseits das Modell der Erklärung durch Gründe kausalistisch fundiert, so dass Handlungserklärungen ohne Berufung auf Gesetze auskommen. Gemäß Davidsons anomalem Monismus können Handlungserklärungen nämlich kausal sein, obwohl 65 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525452417 — ISBN E-Book: 9783647452418
es keine deterministischen Gesetze gibt, die Wünsche, Überzeugungen und Handlungen miteinander verknüpfen. Mit diesem eleganten argumentativen Manöver gelingt es Davidson, das Covering-Law-Modell für Handlungserklärungen zu verabschieden und gleichzeitig die Ansprüche rationaler Erklärungen einsichtig zu machen. Rationalisierungen können nun nämlich als Spielart kausaler Erklärungen rekonstruiert werden. Davidson hat damit ein Standardmodell etabliert, das seitdem die philosophische Handlungstheorie dominiert. Seine beiden Säulen sind eine physikalistische Spielart des Kausalismus und die so genannte Alltagspsychologie, nach der Handlungen durch den Verweis auf ein Wollen bzw. eine Absicht des Handelnden erklärt werden. Verbunden mit der Zuschreibung der Überzeugung, dass die Ausführung dieser Handlung das Gewollte herbeizuführen geeignet ist, erhält man eine Rationalisierung für diese Handlung (vgl. die im vorherigen Abschnitt zitierte Definition sowie Blackburn (2001) für eine mustergültige Darstellung und Verteidigung dieses Modells). Alltagspsychologische Erklärungen haben, wie bereits erwähnt, immer auch eine normative Dimension, denn sie zeigen, was für die handelnde Person so wertvoll war, dass es ihr einen Grund gab, entsprechend zu handeln. Die Alltagspsychologie geht allerdings methodisch individualistisch vor, das heißt, sie geht von der individuellen, empirisch verstandenen Psychologie der handelnden Person aus. Ihr Rationalitätsverständnis ist instrumentell und steht philosophisch insofern in der Tradition Humes. Von seinen Anhängern wird versichert, dass dieses Modell von Rationalität im common sense verankert sei. Das ist allerdings nur insofern richtig, als dieser common sense von unreflektiert empiristischen Annahmen zehrt, zum Beispiel dass Wünsche und Überzeugungen als mentale Zustände von Personen irgendwie empirisch im Bewusstsein gegeben sind, dass diese Zustände den Handlungen vorausgehen und sie gleichsam mechanisch verursachen. Der Verdacht drängt sich auf, dass diese Alltagspsychologie doch nicht mehr ist als zum common sense verfestigte »seichte Metaphysik« (McDowell, 2009a, S. 50). Nun ist die Leistungsfähigkeit alltagspsychologischer Erklärungen kaum zu bestreiten. Das erklärt neben der von Davidson philosophisch gestützten Synthese aus kausaler und Gründe basierter 66 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525452417 — ISBN E-Book: 9783647452418
Erklärung den Erfolg dieses Modells. Das bis Davidson vorherrschende Modell der Erklärung durch Gründe und der damit einher gehende Intentionalismus sind seitdem mehr oder weniger aus der handlungstheoretischen Diskussion verdrängt worden.5 Seit einigen Jahren beginnen die Akzente innerhalb des kausalistischen Paradigmas, sich ein wenig zu verschieben. Die bereits erwähnten Grundlagenprobleme von Davidsons Kausalismus haben zu einer Renaissance intentionalistischer Überlegungen geführt. Man beginnt, das Mainstream-Modell durch teleologische Handlungserklärungen behutsam zu korrigieren bzw. zu ergänzen (Löhrer, 2006; Horn u. Löhrer, 2010). Diese neuere Diskussion kreist um die Frage der Irreduzibilität teleologischer Erklärungen: Handelt es sich bei Handlungserklärungen durch Zwecke um einen Erklärungstyp sui generis oder können teleologische Erklärungen auf kausale Erklärungen reduziert werden (Horn u. Löhrer, 2010, S. 13)? Davidson würde zweifellos letzteres behaupten. Ein starkes Argument gegen Davidson, das von Fred Schueler in mehreren Beiträgen entwickelt wurde, wirft die Frage der Normativität unserer Praxis der Handlungserklärung noch einmal grundsätzlich auf. Um sie zu verstehen, bedarf es eines Sinnbegriffs, der sich nur unter Einbeziehung teleologischer Kategorien, insbesondere der Angabe von Zielorientierungen des Akteurs erschließt. Den sich daraus herleitenden Erklärungstyp bezeichnet Schueler als »interpretativ« (Schueler, 2009, S. 112; dazu Löhrer, 2006, 2008). Schuelers Argumentation ist grundlegend, denn sie zeigt nicht nur, dass es im Rahmen von Davidsons Modell prinzipiell nicht möglich ist, den primären Grund einer Handlung durch seine kausale Rolle zu identifizieren. Darüber hinaus rückt sie mit der Einbeziehung von Werturteilen bei der Festlegung von Handlungszielen normative Dimensionen der Handlungserklärung in den Blick, die bei Davidson nur eine marginale Rolle spielen (ich werde darauf im folgenden Abschnitt noch genauer eingehen).
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Dass der Intentionalismus im Übrigen kausale Relationen nicht leugnen muss, betont Keil (2000, S. 19): »Dieser Auffassung zufolge wird die mit einer Handlung einhergehende Körperbewegung durchaus verursacht, aber nicht durch irgendwelche (mentalen oder psychischen) Ereignisse, sondern durch den Handelnden selbst.« Kein Aristoteliker würde dem widersprechen!
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Man kann die Beiträge zu dieser Debatte als Präzisierungen der bzw. als Korrekturen an der kausalistischen Orthodoxie verstehen. Sie brechen aber nicht mit den Prämissen der individualistischen Belief-desire-Psychologie. Eine philosophische Alternative, die die irreduzibel normativen Komponenten von Handlungserklärungen adäquater erfasst, eine Kritik am Belief-desire-Modell sowie der darin implizierten mentalistischen Psychologie bietet und zugleich den methodischen Individualismus der kausalistischen oder auch der neueren teleologischen Standardmodelle zu überwinden erlaubt, findet sich dagegen in der als ethischer Naturalismus bekannt gewordenen Variante des Neoaristotelismus. Als deren bekanntesten Vertreter können neben Anscombe auch McDowell, Foot und Thompson gelten. In der deutschsprachigen praktischen Philosophie konnte sich dieser Ansatz bisher kaum etablieren. Ein Grund dafür könnte sein, dass neoaristotelische Ansätze unter den Verdacht gestellt wurden, mit einem politisch fragwürdigen Antiuniversalismus und Traditionalismus einherzugehen (Schnädelbach, 1986). Das sieht in den vor allem im englischsprachigen Raum geführten metaethischen Debatten anders aus, wo der aristotelische Naturalismus seit Anscombes Aufsatz »Modern Moral Philosophy« (1958) eine wichtige Rolle als Alternative zu deontologischen Ethiken und zum Utilitarismus spielt. Wie in meinem Beitrag deutlich werden soll, unterscheidet sich der aristotelische Naturalismus glücklicherweise prägnant von den auch in der deutschsprachigen Philosophie bekannten bzw. rezipierten Neoaristotelismen (z. B. Spaemann, 2009 oder auch MacIntyre, 1984, dazu kritisch Tugendhat, 1993). Zwei programmatische Überlegungen aus Anscombes Aufsatz von 1958 haben sich dabei als besonders fruchtbar erwiesen: Ihre Forderung nach einer Revision der gängigen Moralpsychologie und ihr Bruch mit einer weithin akzeptierten Doktrin der modernen Moralphilosophie, nämlich der Dichotomie von Sein und Sollen. Natürliche Erscheinungen besitzen demnach eine eigene normative Autorität. »Modern Moral Philosophy« beginnt mit drei Thesen. Gleich die erste behauptet die Nutzlosigkeit moralphilosophischer Untersuchungen, solange eine adäquate Philosophie der Psycholo68 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525452417 — ISBN E-Book: 9783647452418
gie fehlt.6 Diese These richtet sich in erster Linie gegen die auf Hume zurückgehende Tradition der Handlungspsychologie, die ich bereits angefangen habe zu charakterisieren. Eine Implikation dieser mit dem Belief-desire-Modell operierenden Psychologie ist, dass eine Handlung durch den bloßen Rückgriff auf die Überzeugungen eines Handelnden weder erklärt noch gerechtfertigt werden kann. Hume hatte die Machtlosigkeit der Vernunft behauptet, aus sich selbst heraus Handlungen zu bewirken bzw. zu rechtfertigen (Hume, 1740/2011, S. 266). Vernunft erzeugt Überzeugungen über das, was der Fall ist (nach Hume ist sogar das zweifelhaft). Solche Überzeugungen bewirken aber keine Handlungen. Sie sind daher praktisch ohnmächtig. Handlungen entspringen vielmehr Gefühlen und Leidenschaften. Spätere Vertreter der Hume’schen Handlungspsychologie sprechen von Wünschen, Pro-Einstellungen, Wollungen oder Ähnlichem. Handlungsgründe müssen daher immer auf den Wünschen des Handelnden basieren, wenn Vernunft bzw. Moral praktisch sein sollen. Philippa Foot (2004, S. 24) nennt das »Humes Forderung nach Praxisbezug«. Der Vernunft kommt nach diesem Bild lediglich eine instrumentelle Funktion im Hinblick auf Wünsche zu, die durch die affektive Verfasstheit des Handelnden vorgegeben sind. Wünsche sind gleichsam etwas Ursprüngliches. Man kann sie nicht aus etwas ableiten, das man weiß oder wovon man durch rationale Überlegung überzeugt ist. Eine Wurzel der Unterscheidung zwischen Tatsachen und Werten, die dazu dienen soll, den Verstoß gegen »Humes Gesetz« zu vermeiden, liegt in dieser Handlungspsychologie und ihrer Grundannahme, dass die Vernunft Sklavin der Leidenschaften ist. Eine Gegenargumentation kann man aus Anscombes Rekonstruktion des so genannten praktischen Syllogismus gewinnen. In »Intention« diskutiert sie folgendes Beispiel (Anscombe, 1957/2011, S. 95 f.):
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Anscombe (1958/1981a, 26) schreibt wörtlich: »[I]t is not profitable for us at present to do moral philosophy; that should be laid aside at any rate until we have an adequate philosophy of psychology, in which we are conspicuously lacking.« Die beiden anderen Thesen betreffen ihre Kritik an der Gesetzeskonzeption von Ethik und die Kritik am Konsequenzialismus. Ich gehe darauf nicht ein, da es in diesem Beitrag nicht um Ethik geht.
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Vitamin X ist für alle Männer über 60 gut. Schweinekutteln sind reich an Vitamin X. Ich bin ein Mann über 60. Hier sind Schweinekutteln. Also werde ich etwas davon essen. Die praktische Konklusion zeigt, was derjenige, der so räsoniert, will, nämlich etwas essen, das gut für ihn ist. Zur Rechtfertigung seiner Schlussfolgerung muss er sich nur auf die Prämissen des Syllogismus beziehen, zu denen »ich will etwas essen, das gut für mich ist« nicht gehört. Der Schweinekutteln-Esser kann seinen praktischen Schluss also allein dadurch rechtfertigen, dass er sich auf seine Überzeugungen über die gesundheitsförderlichen Wirkungen von Vitamin X und Schweinekutteln beruft. Auch aus der Perspektive der dritten Person lässt sich sein Handeln mit Berufung auf diese Überzeugungen rechtfertigen. Es ist allerdings zu beachten, dass Standards der Rechtfertigung und Kritik von Überzeugungen und möglichen Handlungszielen bereits gelten müssen, damit eine bestimmte Menge von Sätzen einen praktischen Schluss auf diese Weise rechtfertigen kann. Auf diesen Punkt werde ich noch ausführlich zu sprechen kommen, wenn es um die Frage des praktischen Denkens gehen wird. Nach Hume würde jedenfalls nur die Berufung auf einen gegebenen Wunsch des Akteurs einen möglichen Regress des Fragens nach immer weiteren Gründen stoppen. Die Auskunft »weil es gut für mich ist« würde nach seinem Modell dafür nicht ausreichen. Das wirft die Frage auf, ob es denkbar ist, dass jemand vernünftigerweise etwas wollen kann, das nicht gut für ihn ist. Nach Hume ist das eine psychologische Selbstverständlichkeit, die gar nicht weiter thematisiert werden muss. Anscombes neoaristotelische Strategie besteht darin, dies zu bestreiten, und es wird sich zeigen, dass die Konzeption von Handlung als wesentlich normativer Begriff, die auch ich mir hier zu Eigen machen werde, weitere Argumente für diese Strategie liefert. Dass etwas gut für mich ist, kann demnach tatsächlich als ein abschließender Grund, es zu tun, in Anspruch genommen werden. Nimmt man das ernst, wird auch deutlich, warum Anscombe eine Revision der philosophischen Psychologie fordert: Sie müsste sich zunächst Begriffen wie »Handlung«, »Absicht«, »Lust« oder »Wollen« zuwenden 70 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525452417 — ISBN E-Book: 9783647452418
(Anscombe, 1958/1981a, S. 38) und zeigen, dass diesen Begriffen eine andere Funktion zukommt als in einer an Hume anschließenden Handlungspsychologie angenommen zu werden pflegt. Vertreter der neoaristotelischen Alternative haben diese Anscombe’schen Motive mit je unterschiedlichen Akzentsetzungen ausgearbeitet. Philippa Foot hat die Rationalitätskonzeption, wonach Gründe praktisch wirksam sein können, aufgenommen und mit einer Konzeption natürlicher Normen verbunden, die geeignet sein soll, die Forderung nach strikter Trennung von Tatsachen und Normen zu unterlaufen. Was den rationalitätstheoretischen Punkt betrifft, lautet ihre Formulierung für den Handlungen hervorbringenden Charakter praktischer Rationalität: »Die Moral eignet sich dazu, Handeln hervorzubringen und zu verhindern, weil das Verstehen von Gründen das tun kann« (Foot, 2004, S. 36). Foot geht es hier um moralisches Handeln. Von Hume herkommende Ansätze haben damit grundsätzliche Schwierigkeiten, weil sie den handlungspsychologisch vorausgesetzten Subjektivismus mit dem Objektivitätsanspruch moralischer Forderungen zusammenführen müssen. Dazu erklären sie einen bestimmten Aspekt praktischer Rationalität, nämlich das, was man vielleicht als instrumentelle oder auch egoistische Rationalität bezeichnen kann, zum Paradigma und verstehen alle weiteren Formen von Rationalität, zum Beispiel auch eine spezifisch moralische, altruistische als davon abgeleitet. Nach Foot kann man diesen Zusammenhang aber einfach auflösen, indem man moralisches Urteilen von der Bindung an subjektive Wünsche ablöst und damit anerkennt, dass Moral Teil praktischer Rationalität sein kann. Praktische Rationalität wird dann eben nicht mehr ausschließlich vom instrumentellen Handeln her konzipiert. Es erscheint dann auch als völlig unproblematisch, die handlungsleitende Autorität von Gründen anzuerkennen: »Die Anerkennung eines Grundes liefert dem Vernünftigen ein Ziel. Und diese Anerkennung beruht […] auf Tatsachen und Begriffen, nicht irgendwelchen vorgängigen Einstellungen, Gefühlen oder Zielen« (Foot, 2004, S. 41). Hier wird deutlich, an welcher Stelle Foots Versuch ansetzt, die Dichotomie von Tatsachen und Werten zu unterlaufen. Die im Zitat erwähnten Tatsachen, die einem moralischen Argument oder Grund normative Autorität verleihen, sollen Tatsachen des menschlichen Lebens sein (S. 42). Es kann an dieser Stelle 71 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525452417 — ISBN E-Book: 9783647452418
offen bleiben, was damit gemeint ist, da es mir hier zunächst nur darauf ankam, die Argumentationslinie zu skizzieren. Ein weiteres Thema, das bei Foot untergeordnet bleibt, aber ebenfalls schon bei Anscombe vorgeprägt ist, ist das der Form menschlicher Praxis. Anscombe hat dazu in mehreren Arbeiten zum Thema »Versprechen« beigetragen (Anscombe, 1981b, 1981c). Praxis ist insofern für unser Thema relevant, als damit ein unverzichtbarer normativer Bezugspunkt angesprochen ist. Was eine Handlungsform ist, lässt sich nur vor dem Hintergrund einer Praxis verstehen. Damit ist vorerst nur eine These formuliert. Es wird noch eigens zu klären sein, in welcher Weise eine Praxis als Voraussetzung für die begriffliche Explikation der Form des Handelns unverzichtbar ist. Eine Quelle von Missverständnissen sei aber schon jetzt erwähnt. Die These wird oft material verstanden: In diesem Fall werden Traditionen und eingespielte, historisch gewachsene Kulturen als Quelle ganz bestimmter Normen ausgezeichnet oder gar als Legitimation bestimmter moralischer Orientierungen verstanden. Diese, vor allem in der deutschsprachigen, sich dabei auf Hegel berufenden Philosophie verbreitete Spielart des Neoaristotelismus ist zu Recht und mit sehr überzeugenden Argumenten kritisiert worden.7 Man kann die These aber auch formal verstehen, und das scheint mir die einzige sinnvolle Option zu sein, wenn man die Schwächen der soeben erwähnten Ansätze meiden will (vgl. grundsätzlich Thompson, 2011a, dritter Teil, sowie McDowell, 2009a, 2009b, 2009c, sowie Stekeler-Weithofer, 2002). Die Funktion des Praxisbegriffs erschöpft sich aber nicht darin. Geht man bei der begrifflichen Explikation des Handelns davon aus, dass es sich dabei immer auch um eine Erläuterung der menschlichen Praxisform handelt, dann kann diese Explikation nur immanent aus der Perspektive der wirklichen Praxis erfolgen. Praxis ist dann der methodische Ausgangspunkt, von dem her so eine Erläuterung erst einen Ort bekommt. Diese methodische Perspektive erlaubt, 7
Vgl. neben dem bereits erwähnten Aufsatz von Schnädelbach (1986) auch Tugendhat (1993, 10. und 11. Vorlesung). Zu dieser Debatte, die entlang der Dichotomie Moralität versus Sittlichkeit geführt wurde (vgl. die Beiträge in Kuhlmann, 1986).
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wie Thompson eindrucksvoll gezeigt hat, eine Neubewertung von alltäglichen oder, wie er es nennt, naiven Handlungserklärungen. Das für die Alltagspsychologie so wichtige Belief-desire-Modell erscheint aus dieser Perspektive als davon abgeleitet. Dieser in zwei Gängen entwickelte Überblick sollte nicht nur den Diskussionszusammenhang für die nun folgenden, in die Einzelheiten gehenden Untersuchungen skizzieren, sondern auch schon einige Motive andeuten und Thesen vorstellen. Es ging vor allem darum, die Voraussetzungen des vorherrschenden kausalistischen Modells der Handlungserklärung zu benennen. Dabei wurde auch deutlich, dass die neuerdings rehabilitierte Spielart teleologischer Handlungserklärungen nicht mit diesen Voraussetzungen bricht, obwohl sie als ein Erklärungstyp sui generis in diese Diskussion eingeführt wurde. Immerhin lenkt diese Debatte den Blick auf eine unverzichtbare normative Komponente, die über bloße Zuschreibungsnormativität hinausgeht. Diese Überlegung bietet einen Anknüpfungspunkt, der sich mit den Mitteln eines genuin neoaristotelischen Modells weiter präzisieren lässt und es erlaubt, das kausalistische Denken zu überwinden. Die zunächst als Kontrastfolie vorgestellte neoaristotelische Theoriebildung sollte zwei Ansatzpunkte dafür herausarbeiten: Die Kritik an der Belief-desirePsychologie und am damit verbundenen Rationalitätsverständnis; der abschließende Verweis auf Praxisformen sollte die methodische Abkehr vom Individualismus andeuten. Ich werde nun zunächst das Thema der Normativität des Handlungsbegriffs vertiefen und daran anschließend die Thematik des praktischen Denkens und Wissens diskutieren.
Drei Arten, die Normativität des Handlungsbegriffs zu verstehen Handlungserklärungen haben eine normative Komponente, da es sich immer um Erklärungen durch Gründe handelt. Auch Kausalisten würden das nicht bestreiten. Was Kausalisten hingegen bestreiten, ist, dass Erklärungen durch Gründe Erklärungen sui generis sind. Erklärungen durch Gründe sind, so behaupten sie 73 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525452417 — ISBN E-Book: 9783647452418
dagegen, eine bestimmte Art von Kausalerklärungen. Wenn man diesen Kausalismus überwinden will, muss man zeigen, dass Erklärungen durch Gründe irreduzibel normativ sind und deshalb sui generis. Eine Handlung durch Gründe zu erklären, hieße dann, die normative Ordnung explizit zu machen, die jede eigentlich absichtliche Handlung ist (Thompson, 2011a, S. 143). Die Bezugnahme auf empirisch aufweisbare kausale Zusammenhänge leistet keinen eigenen Beitrag zur Erklärung einer Handlung; die Frage, ob so eine Erklärung auch kausal rekonstruiert werden kann bzw. mit einer kausalen Erklärung kompatibel ist, wäre dann bestenfalls irrelevant.
Normativität durch Zuschreibung Dass Handlungserklärungen, sofern sie auf Gründen beruhen, normativen Standards genügen müssen, wird schon bei Davidson deutlich, dessen anomaler Monismus genau das leisten sollte: die Kompatibilität kausaler und rationaler Erklärungen sichern, so dass auch das normative Moment von Handlungserklärungen erhalten bleibt. Davidsons Lösung lautet, dass ein Akt unter einer Beschreibung intentional ist, wenn diese Beschreibung als Konklusion eines praktischen Syllogismus erscheint, der die Gründe des Handelnden offen legt. Der praktische Syllogismus wird häufig instrumentell als Zweck-Mittel-Empfehlung analysiert. Das tut auch Davidson, und er verspricht sich davon eine Erklärung des Zusammenhangs zwischen Gründen und Handlungen (Davidson, 1963/1990a, S. 31). Seine Analyse zielt, wie schon erwähnt, darauf ab, die primären Gründe durch Paare von Überzeugungen und Werteinstellungen zu erläutern. Aus solchen Paaren lassen sich dann Prämissen konstruieren, aus denen eine Handlung folgen soll. Wer etwas für wünschenswert und ein bestimmtes Vorgehen als angemessenes Mittel dafür hält, wird es auch für schlüssig halten, die entsprechende Handlung zumindest als empfehlenswert einzuschätzen. Im Gegensatz zur üblichen Interpretation des praktischen Syllogismus besteht Davidson allerdings darauf, dass er keine zwingende Ableitung einer bestimmten Handlung liefert. Damit würde man dem tatsächlichen praktischen Überlegen nicht gerecht. Eine bestimmte Handlung kann nämlich unter Einbeziehung weiterer 74 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525452417 — ISBN E-Book: 9783647452418
Gesichtspunkte als bedenklich und damit auch nicht als empfehlenswert erscheinen. Eine Pro-Einstellung und die Verfügbarkeit geeigneter Mittel liefern also noch keinen hinreichenden Grund zur Ausführung der Handlung. Diese Einschränkungen ändern aber nichts daran, dass Davidsons Rekonstruktion des praktischen Syllogismus ein Modell für eine Analyse des Handlungsbegriffs liefert (Brandom, 2000, S. 374). Ich hatte bereits erwähnt, dass die primären Gründe zugleich diejenigen sein müssen, die den Akteur zu der Handlung ursächlich veranlassen. Nur so kann der im praktischen Syllogismus behauptete Zusammenhang zwischen Grund und Handlung gesichert werden. Für das Thema der Normativität ist nun entscheidend, dass der primäre Grund immer auch eine Pro-Einstellung des Akteurs reflektiert. Mit der Pro-Einstellung kommt also eine wertende Komponente bei der Handlungserklärung ins Spiel. Der praktische Syllogismus kann nur dann gültig sein, wenn er eine normative im Sinne einer wertenden Prämisse besitzt, denn er beansprucht nach Davidsons Verständnis, eine Konklusion zu stützen, die als Antwort auf die Frage »Was soll ich tun?« verstanden werden kann. Um es also noch etwas genauer zu formulieren: Die normative Prämisse des praktischen Syllogismus besagt immer auch, dass es wertvoller ist, aufgrund bestimmter Überlegungen zu handeln als aufgrund anderer (dazu Davidson, 1970/1990d, S. 61 ff. und Foot, 2004, S. 81 f.). Auch nach Davidsons Modell sind Handlungserklärungen, insofern als sie Gründe ins Spiel bringen, notwendig normativ. Indem wir Handlungen rationalisieren, sprechen wir Handelnden die Fähigkeit zu, die verschiedenen Gesichtspunkte, die für oder gegen eine Handlung sprechen, nicht nur abzuwägen, sondern grundsätzlich auch entsprechend handeln zu können. Nach Davidson müssen wir einander sogar unterstellen, in den meisten Fällen nach vernünftiger Abwägung der gegebenen Umstände zu handeln. Ohne eine solche Rationalitätsunterstellung wären wir nicht in der Lage, das Verhalten anderer als Handeln zu verstehen.8 8
Vgl. Davidson (1979/1990b, S. 312): »Da wir seinen Äußerungen Sinn beilegen müssen, werden wir uns um eine Theorie bemühen, derzufolge er sich (nach unserem Verständnis freilich) widerspruchsfrei verhält, das Wahre glaubt und das Gute liebt.«
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Wir tun das, indem wir Verhalten beobachten und es durch Gründe als absichtsvoll und überlegt interpretieren. Dazu müssen wir eine handelnde Person immer auch als jemand betrachten, die glaubt, dass ihr Tun es wert ist, getan zu werden. Der Gehalt zugeschriebener Überlegungen muss also normativ sein (Schueler, 2010, S. 256). Mit dem Problem der abweichenden Kausalketten ist bereits eine prinzipielle Schwierigkeit dieses Modells angesprochen worden. Wenn man die wesentliche Normativität von rationalen Erklärungen in einen ausschließlich kausalistischen Rahmen integrieren will, drängt sich die Frage nach dem Zusammenhang von Kausalität und rationaler Erklärung noch einmal grundsätzlich auf. Es fragt sich dann nämlich, ob die rationale Erklärung tatsächlich auf unproblematische Weise mit einer kausalen Erklärung korreliert werden kann.9 Nach Davidson sind Handlungen eine bestimmte Klasse von Ereignissen. Eine Handlung zu sein, ist eine extensionale Eigenschaft von Ereignissen. Ob eine Handlung ein Ereignis ist, hängt demnach nicht von der Beschreibung ab. Von der Beschreibung hängt allerdings ab, ob die Handlung intentional ist. Intentional zu sein, ist also eine intensionale Eigenschaft des Ereignisses. Die extensionale Eigenschaft eine Handlung zu sein, wird durch die intensionale Eigenschaft, absichtlich (intentional) zu sein, definiert: Wenn ein Akt unter irgendeiner Beschreibung intentional ist, dann ist er unter allen Beschreibungen eine Handlung. Da die Eigenschaft einer Handlung, ein Ereignis zu sein, beschreibungsunabhängig ist, und jedes Ereignis kausal erklärt werden kann, kann auch jede Handlung kausal erklärt werden. Für Davidson folgt daraus, wie wir bereits gesehen haben, dass rationale Erklärungen als kausale Erklärungen im Sinne des »gewöhnlichen Ursachenbegriffs« (Davidson, 1963/1990a, S. 28) aufgefasst werden müssen. Allerdings kann er die epistemische Frage, wie wir feststellen können, ob eine bestimmte Handlung und ein bestimmter Grund von Fall zu Fall kausal verknüpft sind, nicht zufriedenstellend beantworten.10 9 Diese Frage stellt sich selbstverständlich nur dann, wenn man nicht von vornherein eine reduktionistische Erklärung für möglich hält, bei der rationale Erklärungen lediglich als Epiphänomen erscheinen (vgl. Dretske, 1991, oder Mele, 1992). 10 Dieser Punkt ist in aller Klarheit von Löhrer (2006, S. 796) herausgearbeitet worden. Seinem Fazit kann man nur zustimmen: »Die beschreibungsunab-
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Die postulierte Korrelierbarkeit von Gründen und kausal verknüpften Ereignissen ist aber nicht nur epistemisch problematisch. Sie ist es auch deshalb, weil rationale Rechtfertigungsbeziehungen durch Gründe einer anderen Logik folgen. Kausale Relationen sind deterministisch, Ursachen bringen unfehlbar ihre Wirkungen hervor. Ursachen haben daher einen klar bestimmbaren Ort in einem kausalen Netz. Das ist bei Gründen gerade nicht der Fall, denn Gründe sind selbst noch einmal einer rationalen Bewertung zugänglich. Wir unterscheiden zwischen guten und weniger guten Gründen, unterziehen Begründungen einer rationalen Kritik, können sie in Zweifel ziehen und dazu nach rationalen Kriterien Stellung nehmen, ihnen zustimmen oder sie ablehnen. Gründe haben einen unbestimmten Ort in einem diskursiven Raum, weil sie offen sind für bewertende Abwägungen. Damit hat man schon mehr behauptet als Davidson mit seiner These von der Anomalie des Mentalen zugesteht, wonach es keine deterministischen Gesetze gibt, auf deren Grundlage geistige Ereignisse prognostiziert werden können. Bezieht man diese Überlegung auf Handlungserklärungen, so gelangt man zu einem anspruchsvolleren Verständnis der Normativität von Gründen. Indem man zugesteht, dass eine Handlungserklärung durch Gründe immer die Gründe des Akteurs spezifizieren muss, hat man auch schon zugestanden, dass diese Gründe ihrerseits der Bewertung ausgesetzt sind, ob es sich dabei um gute Gründe handelt (so Schueler, 2010, S. 253). Genau diese Art von qualitativer Abwägung von Gründen hat kein kausales Korrelat. Schon weil sie in diesem anspruchsvolleren Sinne normativ ist, ihren Ort im »Raum der Gründe« (Sellars, 1956/1999, S. 66) hat, ist die Erklärung von Handlungen durch Gründe eine Erklärungsart sui generis. Die Beschreibung kausaler Zusammenhänge enthält dagegen nichts Normatives. In kausalen Erklärungen haben die Unterscheidungen zwischen wertvollen und wertlosen, zwischen guten und schlechten Gründen keinen Platz. hängig bestehende kausale Ereignisrelation pickt aus der Menge möglicher Rechtfertigungsgründe die richtige Handlungsbeschreibung des handlungswirksamen Ereignisses heraus. Genauer besehen, ist dies jedoch kaum mehr als ein Versprechen, das die Theorie abgibt.«
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Verfechter der bescheideneren Normativitätsauffassung könnten hier einwenden, dass die Zuschreibung eines normativen Gedankens nicht selbst etwas Normatives ist. Die Zuschreibung von Gründen steht freilich unter dem »konstitutiven Ideal der Rationalität« (Davidson, 1979/1990b, S. 313). Ich selbst kann es für wertvoll halten zu Φen. Wenn ich glaube, dass es wichtig oder lohnend ist zu Φen, habe ich einen normativen Gedanken, einen Gedanken über den Wert meines Φens. Wenn jemand allerdings meine Handlung aus der Perspektive der dritten Person erklärt, indem er mir den Gedanken zuschreibt, es sei für mich lohnend zu Φen, dann hat er selbst keinen normativen Gedanken. Man darf diese beiden Hinsichten nicht vermischen. Die Normativität solcher Erklärungen ist daher bescheidener zu fassen. Sie beschränkt sich auf die Rationalitätspräsumtion, zu der auch wertende Momente hinsichtlich unterstellter Präferenzen gehören. Die rationale Erklärung selbst ist also nur insofern normativ als sie die Zuschreibung von Präferenzen impliziert, typischerweise in Form einer normativen Prämisse im praktischen Syllogismus. Wer eine Handlung aus der Perspektive der dritten Person erklärt, muss selbst die Präferenzen und Werteinstellungen, die er zuschreibt, um die Handlung rational erscheinen zu lassen, gar nicht zu teilen. Diese bescheidene Normativität der Zuschreibung aus der Perspektive der dritten Person reicht nach diesem Bild völlig aus. Es ist also auch nicht richtig, dass es eine genuine, darüber hinaus gehende Normativität von Handlungserklärungen gibt, so dass rationale Erklärungen eine von kausalen Erklärungen distinkte Erklärungsart sind. Unabhängig davon, wie wir mit dem genannten epistemischen Problem umgehen: Ein normativitätstheoretisches Problem haben wir bei der Korrelation von Gründen und Ursachen nach dieser Auffassung jedenfalls nicht.
Teleologische Normativität Diese erste, bescheidene Weise, die Normativität von rationalen Erklärungen zu verstehen, überzeugt nur scheinbar, nämlich dann, wenn man übersieht, dass Gründe auch auf falschen Wertungen beruhen können, wobei die dabei investierten Wertprädikate den 78 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525452417 — ISBN E-Book: 9783647452418
gesamten Bereich »normativer Erwägungen, inklusive der moralischen« (Schueler, 2010, S. 259) umfassen. Wir können nicht nur, sondern wir müssen immer auch die Frage stellen, ob die Gründe des Akteurs gute Gründe waren, und zwar nicht nur für den Akteur, sondern auch unabhängig von seinen Überzeugungen und Wünschen. Wenn ich überlege, welche Gründe dafür sprechen, etwas zu tun, nehme ich selbst eine Position im Raum der Gründe ein; ich beteilige mich am Spiel des Gebens und Nehmens, des Aufstellens und Verteidigens von Begründungen. Das schließt ein, dass ich mich als Akteur hinsichtlich eines Wunsches irren kann, weil einfach nichts dafür spricht, ihn zu realisieren. In so einem Fall können meine Gründe zwar die fragliche Handlung erklären, aber sie beruhen auf einer falschen Wertung. Die normativen Urteile, die dem Wunsch, die Handlung auszuführen, zugrunde lagen, erweisen sich bei näherer Überlegung als falsch. Eine Handlungserklärung muss diesen Unterschied einfangen können. Auch wenn wir einer Person aus der Außenperspektive einen Grund zuschreiben, verpflichten wir uns zu der normativen Behauptung, dass tatsächlich etwas dafür spricht, eine bestimmte Handlung unter gegebenen Umständen auszuführen.11 Die Vernünftigkeit von Überlegungen, die auf die Qualität von Gründen abzielt, hat immer etwas Objektives und muss auch so verständlich gemacht werden können: »Notwendig objektiv ist sie, weil das, was ich herauszufinden suche, nicht das ist, wovon ich glaube, dass es für oder gegen die von mir betrachtete Handlung spricht, sondern das ist, was wirklich für oder gegen sie spricht« (Schueler, 2010, S. 261).
11 Schueler (2010, S. 259 f.) diskutiert das Beispiel einer Person, die einen bestimmten Bus erreichen will und glaubt, dass dies nur durch besonders schnelles Laufen zu erreichen sei. Schueler fragt nun, inwiefern sich diese Person über die genauen Gründe ihres Handelns täuschen kann. In seinem Beispiel täuscht sie sich über ihren Wunsch, weil in der gegeben Situation nichts dafür spricht, genau diesen Bus erreichen zu wollen. Wenn es richtig ist, dass eigentlich nichts dafür spricht, erweist sich diese Handlung als irrational, obwohl man einen Grund im Sinne einer beschreibenden Erklärung dafür anführen kann. Dieses Beispiel soll zeigen, dass wir unsere Gründe, etwas zu tun, prinzipiell einem normativen Test, im Hinblick auf die Frage, ob es sich dabei tatsächlich um gute Gründe gehandelt hat, unterziehen können müssen.
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Da wir auf diese Unterscheidung bei der rationalen Erklärung von Handlungen nicht verzichten können, reicht eine bloße Normativität der Zuschreibung unter dem konstitutiven Ideal der Rationalität nicht aus. Wir erklären ein Verhalten durch Gründe nicht einfach aus der Beobachterperspektive, sondern weisen mit solchen Erklärungen dem jeweils handelnden und uns selbst eine Position im Raum der Gründe zu. Das bedeutet eben auch, dass wir nur dann hinter die Gründe kommen, die jemand dazu bewogen haben, etwas zu tun, wenn wir auch Überlegungen zulassen, die die Qualität der angeführten Gründe bzw. die Richtigkeit von Wertungen einbeziehen. Wenn man diesen Schritt über das bescheidene Normativitätsverständnis hinaus mitgeht, hat man eine zweite Art, die Normativität des Handelns zu begreifen, ins Spiel gebracht. Ich möchte allerdings behaupten, dass auch sie noch nicht ausreicht. Zwei Punkte sind mit den bisherigen Überlegungen zur Normativität von Handlungserklärungen deutlich geworden: 1. Erklärungen durch Gründe sind eine von kausalen Erklärungen distinkte Erklärungsform. Sie erklären auf grundsätzlich andere Weise als kausale Erklärungen. 2. Erklärungen durch Gründe sind selbst normativ »bis auf den Grund« (Brandom, 2000, S. 92): Sie machen von normativen Gedanken nicht nur in der Zuschreibung aus der drittpersonalen Perspektive Gebrauch. Nach Schueler, der für beide Thesen überzeugend argumentiert hat, erscheinen diese Ergebnisse hinreichend tragfähig, um entgegen der handlungstheoretischen Orthodoxie, Handlungserklärungen teleologisch zu interpretieren. Nur die teleologische Deutung von Handlungserklärungen ist imstande, die irreduzibel normative Dimension des Handelns angemessen zu erfassen. Die Deutung von rationalen Erklärungen als Typ von kausalen Erklärungen verfehlt dagegen die für rationale Erklärungen relevanten normativen Unterscheidungen. Die teleologische Auffassung geht zunächst einmal vom Gemeinplatz aus, dass Menschen sich Zwecke setzen. Der Zweck, den sich jemand setzt, gibt normalerweise auch einen erklärenden Grund, warum er etwas tut; er impliziert aber auch eine nor80 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525452417 — ISBN E-Book: 9783647452418
mative Orientierung. Menschliche Zwecksetzungen lassen sich nämlich immer gemäß einer Vorstellung des Guten verstehen und beurteilen: Was jemand plant oder welche Ziele er verfolgt, lässt sich als ein Gut immer danach befragen, ob es wert ist, ausgeführt zu werden. Eine solche Bewertung erfolgt grundsätzlich auch nach etablierten und in einer Praxis anerkannten Standards; sie ist nicht nur eine Angelegenheit subjektiver Präferenzen. Schueler betont zu Recht, dass schon der Begriff des Zwecks einen solchen öffentlichen Verwendungszusammenhang voraussetzt (vgl. Schueler, 2009, S. 128). Um einen hinreichenden, also erklärenden Grund für eine Handlung zu identifizieren, ist es demnach erforderlich, dass die Gründe auch unabhängig von persönlichen Präferenzen wertvoll und rational sind; außerdem müssen wir ihren unterstellten Sinn auf die Zielorientierung des Akteurs beziehen.12 Da es der Handelnde selbst ist, der sich den Zweck setzt, muss die Erklärung den Zweck anführen, den der Akteur selbst seinem Tun verliehen hat. Wenn wir eine Handlung mit den Gründen erklären wollen, die tatsächlich die Gründe des Akteurs sind, müssen wir mit anderen Worten versuchen, so drückt Schueler das aus, hinter die Geschichte seiner Überlegungen kommen (vgl. Schueler, 2010, S. 261). Hier deutet sich ein Problem an. Schuelers Kritik am Kausalismus akzeptiert die physikalistische Ereignisontologie. Handlungen liegen Ereignisse zugrunde. Allerdings betont er, dass diese Ereignisse nicht determinieren, welche Art Handlung ausgeführt wurde. Die zugrunde liegenden Tatsachen lassen mehrere miteinander verträgliche Interpretationen für ein bestimmtes Verhalten zu, wobei die kausalen Verhältnisse zwischen den zugrunde liegenden Ereignissen, die diese Interpretationen stützen sollen, jeweils gleich blieben.13 Auch wenn alle physikalisch beschreib12 »So for actions, or at least for most of them, figuring out what the purpose of the action is or was is essential to figuring out what the action is or was. To do that is to give what I am calling an interpretative explanation« (vgl. Schueler, 2009, S. 126). 13 »An interpretation is indeterminate if so far as the interpretation is concerned the underlying facts being interpreted can be of various different sorts without being evidence against the interpretation« (vgl. Schueler, 2009, S. 120).
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baren Ereignisse (Körperbewegungen, Bewegungen von Muskeln, Vorgänge im Nervensystem usw.) gleich bleiben; diese Vorgänge legen, wenn es richtig ist, dass teleologische Erwägungen für eine rationale Erklärung irreduzibel sind, nicht fest, welche Handlung ausgeführt wurde. Der kausale Faktor kann demnach nicht bestimmen, welche Interpretation richtig ist. Woran soll aber dann die Richtigkeit einer Interpretation festgemacht werden, wenn Schueler keinen relativistischen Interpretationismus zulassen will? Diese Frage stellt uns nun vor zwei gleichermaßen unattraktive Optionen. Die erste besteht in der Tat im Interpretationismus: Da wir nie sicher sagen können, welches die relevanten, also die eine bestimmte Handlung determinierenden Ereignisse waren, müssen wir uns auf einen prinzipiell unabschließbaren Interpretationsprozess bzw. einen Prozess des Abgleichs konkurrierender Interpretationen einlassen. Die von Schueler selbst aufgeworfene Frage nach der richtigen Interpretation müsste dann allerdings als unbeantwortbar abgewiesen werden. Handlungen können, anders als kausale Zusammenhänge, nicht erklärt werden, sondern sie werden typischerweise verstanden und stehen damit grundsätzlich unter dem Vorbehalt der Vorläufigkeit (so von Wright, 1972 und 1974, Teil III). Das ist unbefriedigend, weil man einen Dualismus zwischen vorläufigen Interpretationshypothesen und einer zugrunde liegenden Schicht von physikalischen Ereignissen, die einer völlig anderen Erklärungslogik folgen, annehmen muss. Wir hätten es mit einer Spielart des dritten Dogmas des Empirismus (Davidson, 1974/1990e, S. 270) zu tun. Will man also doch nicht wieder Davidson darin folgen, rationale Erklärungen als Typ von kausalen Erklärungen zu verstehen, benötigt man eine Antwort auf die Frage nach der Richtigkeit der Interpretationen. Schuelers eigene Antwort ist einfach und auch schon erwähnt worden: »So for actions, or at least for most of them, figuring out what the purpose of the action is or was is essential to figuring out what the action is or was. To do that is to give what I am calling an interpretative explanation« (Schueler, 2009, S. 126). Die richtige Interpretation ist diejenige, die den Zweck identifiziert, die ein Akteur tatsächlich hatte (S. 124). Und welcher das ist, legt der Akteur aus seiner erstpersonalen Perspektive fest, denn nur er weiß wirklich, was seine Zwecke sind oder 82 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525452417 — ISBN E-Book: 9783647452418
waren. Die Berufung auf die Autorität der ersten Person ist insofern in der Tat unverzichtbar, wenn der Begriff des Zwecks hier nicht bloß wie ein Zuschreibungsbegriff eingesetzt werden soll, der einem Akteur nicht zugänglich sein muss (Schueler, 2009, S. 129). Allerdings muss man nicht schon an Fälle von Selbsttäuschung oder Lüge denken, um einzusehen, dass sich sehr leicht Beispiele konstruieren lassen, bei denen die Berichte eines Akteurs über seine Zwecke nicht den alleinigen Maßstab für die Identifizierung des Handlungstyps abgeben können. Die Autorität der ersten Person reicht also nicht, um Schueler vor dem Interpretationismus zu bewahren.14 Vor dem Hintergrund dieser beiden unattraktiven Optionen erweist sich Schuelers Modell als eine um eine genuin teleologische Komponente erweiterte und damit normativ differenziertere Spielart von Davidsons Interpretationismus. Ein zweites Problem ist, dass Schueler, wie die meisten Handlungstheoretiker, praktisches Überlegen vom theoretischen, logisch-deduktiven Schließen her konzipiert. Der Unterschied zwischen beiden Formen des Überlegens, der theoretischen und der praktischen, ist demnach ein inhaltlicher. Praktisches Überlegen hat einen anderen Gegenstandsbereich, nämlich die eigenen Handlungsoptionen, das heißt in erster Linie Zwecke und die Mittel zu ihrer Realisierung. Die Konklusion einer praktischen Deliberation zielt dann nicht auf ein Urteil, das, wenn es wahr ist, feststellt, wie sich die Dinge in der Welt verhalten, sondern auf eine für den Handelnden alles in allem wünschenswerte Handlung: Praktisches Überlegen steht unter dem Maßstab des Guten und kann als Antwort auf die Frage verstanden werden, was vernünftigerweise in einer bestimmten Situation vorzuziehen ist. Es ist dann, schon wegen der kategorialen Inhomogenität des praktischen Syllogismus, bloß eine defiziente Form des deduktiv gültigen theoretischen Schließens. Warum das ein Problem sein soll, ist mit dieser bloßen Feststellung nicht deutlich geworden und muss erst noch gezeigt werden. Meine Behauptung ist allerdings, dass die wesent14 Dass Schueler an der Autorität der ersten Person festhält, dürfte damit zusammenhängen, dass er den methodischen Individualismus der kausalistischen Tradition ebenso wenig problematisiert wie Davidsons physikalistische Ereignis-Ontologie.
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liche Normativität des Handelns unverstanden bleibt, solange der Unterschied zwischen theoretischem und praktischem Denken bloß inhaltlich als Unterschied von Gegenstandsbereichen begriffen wird. Dieser Punkt sowie die beiden unattraktiven Optionen – interpretationistischer Relativismus und Rekurs auf die Autorität der ersten Person –, vor die uns Schuelers Rehabilitierung teleologischer Erklärungen stellt, macht es erforderlich, einen weiteren Schritt über das bisher zur Normativität des Handelns Ausgeführte hinaus zu gehen.15
Intrinsische Normativität Die dritte Art, die Normativität des Handelns zu verstehen, geht von einem logisch-grammatischen Zusammenhang zwischen den Begriffen Handlung und Gut aus.16 Ein solcher Zusammenhang hatte sich in Schuelers teleologischem Modell allenfalls angedeutet. Die normative Dimension ergibt sich bei ihm durch ein Gut im Sinne eines gesetzten Ziels, das dem Handelnden alles in allem als Erstrebenswert gilt. Sie ergibt sich außerdem dadurch, dass damit die Evaluation von Zielen, sofern Ziele immer auch Handlungsgründe geben, nach normativen Standards mitgedacht ist. Solche Abwägungen haben ihren Ort im logischen Raum der Gründe und transzendieren damit eine bloß subjektive Perspektive. Allerdings erfährt man bei Schueler nicht, worin die Standards, nach denen eine Abwägung zwischen guten und schlechten Gründen erfolgen kann, eigentlich bestehen und woher sie kommen. Diese Frage muss man aber beantworten, wenn die Rede von einer normativen Dimension, in die rational Handelnde mit ihren Gründen gestellt werden, nicht unspezifisch bleiben oder
15 Dieser Einwand gilt auch für von Wright (1974), der bekanntlich schon in den 1970er Jahren die Irreduzibilität teleologischer Erklärungen gegen die Ansprüche des Kausalismus verteidigt hat. 16 Die Rede von einem begrifflichen Zusammenhang könnte als definitorischer oder a priorischer Zusammenhang verstanden werden. Das scheint mir zu stark. Ich ziehe daher Wittgensteins Ausdruck »grammatisch« vor, um diese Art von Reflexion auf Begriffsverwendungsformen zu bezeichnen.
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doch am Ende wieder mit dem Verweis auf subjektive Präferenzen beantwortet werden soll.17 Um zu verdeutlichen, wie die Behauptung eines formalen Zusammenhangs zwischen Handlung und Gut zu verstehen ist, bietet es sich an, diese Frage aufzunehmen. Einer Antwort kann man sich nähern, indem man den Zusammenhang von Wünschen und Beabsichtigen bzw. Wollen näher beleuchtet. Die verbreitete Versuchung, absichtliches Handeln mit Rückgriff auf die Wünsche des Handelnden zu erklären, ist eine unmittelbare Folge der kausalistischen Auffassung, wonach Wünsche als gleichsam innere Ursachen verstanden werden können oder, wenn man Davidson folgt, ihnen als token eines mentalen Zustandes ein kausal beschreibbares neuronales Ereignis korrespondieren können muss (Tokentoken-Identität). Warum erscheint dieses Bild so zwingend? Ich möchte dagegen vorschlagen, nicht nur Beabsichtigen, sondern auch schon Wünschen und Wollen sowie ihren Zusammenhang mit Beabsichtigen als Begriffe zu verstehen, die grundsätzlich einer rationalen Grammatik folgen. Etwas wollen oder es wünschen heißt gerade nicht, eine erklärende Beschreibung eines mentalen Zustandes zu geben, sondern eine Position im logischen Raum der Gründe einzunehmen. Für die Erklärung von Handlungen bedeutet das: Wenn wir eine Handlung mit Bezug auf die Wünsche eines Handelnden erklären, dann liefern wir nicht die empirische Beschreibung einer Kausalgeschichte, wir beziehen uns auch nicht auf mentale Zustände des Handelnden (seine Wünsche), sondern stellen sein Tun in den logischen Raum der Gründe.18 Warum das so ist, dürfte teilweise schon im Zusammenhang mit der Diskussion von Schueler klar geworden sein. Man kann seinen Gedanken, der sich zunächst auf die Abwägung von Gütern nach Gründen bezog, aber noch weiter führen. Die für 17 Der Verweis auf gemeinsame Praktiken und kollektiv etablierte Standards der Rationalität würde das Problem bloß verschieben – vom Individuum auf das Kollektiv. 18 So kann man es in Anlehnung an Sellars (1957/1999, S. 66) ausdrücken. Vgl. auch Thompson (2011a, S. 143): »Jede (im eigentlichen Sinn) absichtliche Handlung tritt in einem Raum der Gründe als ein Gebiet auf und nicht als Punkt; oder, was gleichbedeutend ist, jede von ihnen, ob Handheben oder Hausbauen, ist selbst ein solcher Raum.«
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jedes absichtliche Handeln einschlägige Warum-Frage richtet sich nicht nur auf die Tätigkeit als solche, sondern auch auf die Wünsche selbst. Etwas Gewolltes muss einem Handelnden nicht nur als Wünschenswert erscheinen, sondern sein Wunsch muss prinzipiell eine »Erwünschbarkeitscharakterisierung« (Anscombe, 1957/2011, S. 113) enthalten, um überhaupt verständlich zu sein, das heißt sinnvoll in einer Handlungserklärung angeführt werden zu können. Man kann sich das leicht klar machen: Die bloße Auskunft, »weil ich es will« auf die Frage, »Wozu möchtest du das?« reicht nicht aus, um verständlich zu machen, was eine gewollte Sache erstrebenswert macht, und zwar schon aus der Sicht der handelnden Person selbst. Erwünschbarkeitscharakterisierungen erlauben es, die jederzeit mögliche Frage zu beantworten, warum eine Tätigkeit oder ein Zustand überhaupt als etwas von einer Person Gewünschtes oder als ein Habenwollen zu verstehen ist. Anscombe (1957/2011, S. 10 ff.) zeigt das sehr schön an Beispielen von Personen, die ohne weitere Spezifizierung ein »Schälchen Schlamm« oder »eine Stecknadel« haben wollen. Solche Wünsche provozieren sofort die Frage, wozu jemand solche Dinge haben will. Diese Frage verlangt eine verständliche Antwort. Der nicht weiter bestimmte Verweis auf einen Wunsch (»ich möchte sie lediglich haben«) leistet das nicht oder provoziert seinerseits wenigstens die weitere Frage, was diese Person dann unter »haben wollen« versteht. Wer eine empiristische Philosophie des Geistes vertritt, wird davon ausgehen, dass eine Äußerung des Typs »ich will F« als Bericht über einen inneren Zustand des Handelnden interpretiert werden kann. Wenn wir wissen, auf welchen Zustand jemand sich mit dieser Äußerung bezieht, dann ist keine weitere Erklärung erforderlich, was damit gemeint ist, weil die Bezugnahme auf den Wunsch eine endgültige Erklärung liefert.19 19 So beispielsweise Hare (1973, S. 45 ff., sowie 1992, S. 143 ff. und 293 ff.). Hare setzt dementsprechend auch voraus, dass man Beliebiges wollen kann. Auch moralische Prinzipien werden individuell gewählt, wobei diese Wahl immer als Ausdruck einer grundlegenden, nicht weiter rechtfertigungsbedürftigen subjektiven Präferenz verstanden werden muss. Das ist, wie Anscombe (1957/2011, 111) in aller wünschenswerten Klarheit betont (allerdings ohne Hare oder sonst jemanden zu nennen), »reiner Unsinn.«
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Wenn es aber richtig ist, dass sich die Warum-Frage auch auf den Wunsch selbst beziehen lassen muss, damit die auf diesen Wunsch hin vollzogene Handlung insgesamt als absichtlich verstanden werden kann, dann greift dieses empiristische Modell zu kurz. Der Zusammenhang zwischen Wünschen bzw. Wollen und absichtlichem Handeln ist also nicht nur schon deshalb rational, weil Gründe für Handlungsziele qualitativ abgewogen werden können, sondern auch weil jedes Wollen grundsätzlich als etwas Wünschenswertes charakterisierbar sein muss, und zwar so, dass nicht nur das Objekt des Wollens, sondern der jeweilige Wunsch selbst für die Warum-Frage zugänglich ist.20 Die bei Schueler offen geblieben Frage nach Maßstäben für die richtige Handlungsinterpretation ist damit freilich noch nicht ganz beantwortet. Dazu ist ein weiterer Schritt erforderlich. Wie wir bereits gesehen haben, ist das Gewollte im Kontext des praktischen Überlegens der Handlungszweck. Nach Anscombe kann das Ziel, das über eine Erwünschbarkeitscharakterisierung ausgezeichnet werden kann, zugleich als eines verstanden werden, das alles in allem wert ist, angestrebt zu werden. In diesem Sinne ist »wünschenswert« durch »gut« ersetzbar: »Bonum est multiplex – das Gute hat viele Gestalten, und was unseren Begriff des Wünschens und Wollens betrifft, muß der Betreffende lediglich erkennen, was er – von einer Deutung des positiven Werts ausgehend – haben will. Hat sich jemand vorgenommen, eine Sammlung von zehn Zentimeter langen Knochen anzulegen, handelt es sich um ein Ziel, dessen Lob wir erst einmal hören wollen, bevor wir es als Ziel begreifen können« (Anscombe, 1957/2011, S. 117 f.). Etwas unter dem Aspekt des Guten zu erwägen, heißt, es als wünschenswert auszuzeichnen. Ausgehend von diesen Überlegungen kann man drei Hinsichten unterscheiden, nach denen man Antworten auf die Frage »Warum bzw. wozu willst Du F?« verstehen kann: (1) als angemessene Reaktion bzw. als eine Reaktion, die weiteres Fragen ad infinitum verhindern soll; (2) einen Zweck als Wünschenswert zu präsentieren; 20 Die Begriffe des »Wollens« und des »Wünschens« lassen sich daher auch nicht in einem rein askriptivistischen oder gar behavioristischen Modell verständlich machen. Weitere Argumente mit Bezug auf Motive finden sich bei Kenny (1963, S. 53 ff.).
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(3) einen Zweck als gut auszuzeichnen. Es erscheint plausibel, dass diese drei Aspekte miteinander zusammenhängen; ihr Zusammenhang reicht aber nicht aus, um zu zeigen, dass das Gute der Gegenstand des Handelns ist. Erst, wenn man das gezeigt hat, wäre der Handlungsbegriff so bestimmt, dass er ohne Bezugnahme auf ein normatives Konzept unverständlich bleibt. Handlungen verhalten sich zum Guten wie Propositionen zur Wahrheit. Daher zielt praktisches Denken auf Gutes, genauso wie theoretisches Denken auf Wahrheit zielt. Anscombe nennt das »the great Aristotelian parallel« und erläutert den Gedanken folgendermaßen: »if it is right, then the goodness of the end and of the action is as much of an extra, as external to the validity of reasoning, as truth of the premises and of the conclusion is an extra, is external to the validity of theoretical reasoning. As external, but not more external. We know that the externality is not total. For truth is the object of belief, and truth-preservingness an essential associate of validity in theoretical reasoning. The parallel will hold for practical reasoning« (Anscombe, 1989/2005a, S. 146). Man muss die Frage nach der Wahrheit der Prämissen eines theoretischen Schlusses von der Frage nach seiner Gültigkeit trennen; genauso muss man Fragen des gültigen praktischen Schließens von Fragen nach dem, was gut zu tun ist, trennen. Trotzdem gibt es hier einen Zusammenhang, da theoretisches Denken auf die Wahrheit einer Proposition abzielt. Ebenso zielt praktisches Denken auf das Gute. Die Frage, ob eine Handlung oder ein Ziel tatsächlich (d. h. nicht nur »für mich«) gut ist, verhält sich analog zur Frage, ob eine Überzeugung tatsächlich wahr ist. Das heißt aber nichts anderes als, dass das Gute der formale Gegenstand des Handelns ist, so wie das Wahre der formale Gegenstand des theoretischen Denkens (dazu ausführlich Rödl, 2010). Die Aristotelische Einsicht, wonach alles Handeln nach einem Gut strebt, ist daher zunächst nur eine formale Bestimmung. Folgt aber daraus, dass alles absichtliche Handeln nach einem Gut strebt, auch dass es ein (höchstes) Gut gibt, nach dem alles strebt? Dieser Fehlschluss wird manchmal Aristoteles zugeschrieben (für eine Diskussion vgl. Tugendhat, 1993, S. 239 ff.). Aristoteles’ Argumentation kann aber so verstanden werden, dass die Annahme eines höchsten Guts notwendig ist, um unter88 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525452417 — ISBN E-Book: 9783647452418
geordnete und relative Güter nach ihrem Wert ordnen zu können. Dazu ist der formale Begriff eines höchsten Guts erforderlich. So kommt es immer wieder vor, dass wir jemanden dafür kritisieren, einen bestimmten Zweck zu verfolgen, der als solcher zwar durchaus als etwas für ihn Gutes charakterisiert werden kann. Weil er aber anderen Zwecken, die er verfolgen sollte, abträglich ist, erweist sich dieser Zweck gerade nicht als das Gut, für das ihn der Handelnde hielt. Das ist der Witz von Schuelers Beispielen, und es zeigt sich nun, dass wir diese Pointe erst richtig verstehen, wenn wir berücksichtigen, dass das Gute formales Objekt des Handelns ist. Um die Art von Kritik führen zu können, die Schulers Beispielen zugrunde liegt, damit sie also überhaupt als Kritik verständlich ist, müssen wir den Begriff des höchsten Gutes voraussetzen (vgl. auch Anscombe, 1989/2005a, S. 147). Die Frage, ob es eine objektive Ordnung von Gütern gibt und ob diese Ordnung gar material ausgewiesen werden kann, gehört dagegen zunächst nicht in die Handlungstheorie, sondern wäre Gegenstand der Ethik (Anscombe, 1957/2011, S. 118). Eine solche material qualifizierte, auf ein höchstes Gut hin geordnete Hierarchie der Güter ist aber auch gar nicht erforderlich, um zu sehen, dass auch im Fall von Wertkonflikten der Rückzug auf subjektive Präferenzen, die keiner rationalen Güterabwägung mehr zugänglich sind, nicht zwingend ist. Der Spielraum dafür, was als guter oder weniger guter Grund bei der Wahl eines Gutes gilt, ist nicht normativ unqualifiziert. Jeder konkrete Zweck kann seinerseits als Mittel zu einem weiteren, übergeordneten Zweck verstanden werden, der sich seinerseits vor dem Horizont dessen verstehen lassen kann, was man als generischen Zweck fassen kann (Anscombe, 1989/2005a, S. 141): Dazu gehören Gesundheit, Wissen, Wohlstand, Reichtum, Macht usw. Solche generischen Zwecke können in Sätzen auftreten, die bestimmte Güter generisch auszeichnen und damit auch als Prämissen in praktischen Schlüssen auftauchen: »Wissen ist besser als Unwissenheit« oder auch »Menschen sind wichtiger als Pflanzen.« Es sind solche generischen Werturteile, die den normativen Fluchtpunkt für unsere praktischen Überlegungen und Güterabwägungen bilden und insofern wie Prinzipien funktionieren. Es wäre allerdings ein Missverständnis, wenn man sie als »Fundamente« 89 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525452417 — ISBN E-Book: 9783647452418
im Sinne von letzten Gründen verstehen würde. Sie bilden sozusagen das »Bezugssystem« (Wittgenstein, 1989, § 83) für die normativen Orientierungen, die wir sinnvollerweise ins Spiel bringen können, wenn wir konkrete, aber auch generische Güter gegeneinander abwägen. Indem sie so auf das verweisen, was »Menschen tun« oder wie »Menschen ihr Leben führen« und sich dabei orientieren, schränken sie ein, was als guter Grund in Frage kommt. Hat man einmal einen solchen Satz angeführt, ist man »auf dem harten Felsen angelangt«, auf dem sich der Spaten zurückbiegt (Wittgenstein, 1953/2003, § 217). In der Literatur zu Wittgenstein hat sich für solche Sätze auch die Bezeichnung »Angelsätze« eingebürgert.21 Überträgt man das auf den Kontext des praktischen Überlegens, so kann man solche generischen Werturteile als praktische Angelsätze bezeichnen. Sie fungieren wie Prinzipien, die generische Ziele gleichsam vorgeben, aber nicht im Sinne eines »Fundaments«, und vor allem lassen sich ihnen keine Antworten auf die Frage entnehmen, worin das höchste Gut, nach dem alle Menschen streben, materialiter besteht.22 Dazu sind, wie man schon bei Aristoteles erfahren kann, weitere Argumente erforderlich, die im Rahmen der Ethik und einer allgemeinen (an Aristoteles orientierten) Theorie der Normativität entwickelt werden müssten. Im vorliegenden Zusammenhang dürfte es reichen, klar gemacht zu haben, was es heißt, dass das Gute formaler Gegenstand des Handelns ist und damit »Handeln« in diesem formalen Sinne ein normativer Begriff ist. Die These, wonach alles Handelns nach dem Guten strebt, wurde auf der Grundlage von empirischen Beobachtungen und 21 Vgl. Wittgenstein (1983, § 341): »D. h. die Fragen, die wir stellen, und unsere Zweifel beruhen darauf, daß gewisse Sätze vom Zweifel ausgeschlossen sind, gleichsam die Angeln, in welchen sich jene bewegen« (vgl. dort auch §§ 343 und 655). 22 Mir ist bewusst, dass diese Überlegungen nur sehr skizzenhaft ausgefallen sind. Sie sollen eine Antwortrichtung für die Frage andeuten, inwiefern sich aus generischen Zielen Prinzipien gewinnen lassen, die in den Prämissen praktischer Syllogismen auftreten können und zugleich den Bereich dessen abgrenzen, was gute Gründe stützt ohne seinerseits begründungsbedürftig zu sein. Die Unterschiede zu Wittgensteins Angelsätzen sollte darüber nicht übersehen werden. So ist für sie charakteristisch, dass sie nicht sinnvoll thematisierbar sind.
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Gegenbeispielen nicht nur angezweifelt, sondern auch als erstaunliche Naivität abgewiesen (vgl. exemplarisch Velleman, 2000). Typische Gegenbeispiele liefern Fälle von Willenschwäche (akrasia), Trägheit (acedia) oder von Bosheit. Dabei wird sicherlich verkannt, dass diese These auf eine formale Bestimmung des Handelns abzielt. Ein anderes Missverständnis beruht darauf, dass es sich nicht – zumindest nicht in erster Linie – um eine motivationstheoretische These handelt, sondern um eine Behauptung über das, was menschliches Handeln ist.23 Jede Handlung steht demnach als Handlung unter der Norm des Guten. Das Prädikat gut funktioniert hier wie ein Standard, der es dann auch erlaubt erlaubt, bestimmte Manifestationen von Handeln als Handlungen einer bestimmten Form zu beschreiben und zu erklären. Meine bisherigen Überlegungen zur Normativität des Handlungsbegriffs haben sich vor allem auf die Struktur der rationalen Erklärung bezogen und sollten deren grundlegende Normativität herausarbeiten. Die Behauptung, dass jede Handlung als Handlung »gut« ist, soll die Frage beantworten, wie wir Handlungen identifizieren. Die Auffassung Davidsons ist bereits mehrfach angesprochen worden: Eine Handlung zu sein, ist eine extensionale Eigenschaft bestimmter Ereignisse. Handlungen sind eine Klasse von Ereignissen. Die These vom »generischen Gutsein« (Anscombe, 1982/2005b, S. 214) von Handlungen als Handlungen geht nicht vom Ereignisbegriff aus. Ausgangspunkt ist nicht die Unterscheidung zwischen Handlungen und dem, was einfach nur geschieht, um dann in einem weiteren Schritt im Bereich der Handlungen die intensionale Eigenschaft, absichtlich zu sein, mit Hilfe von geeigneten Beschreibungen zu definieren. Wenn dagegen behauptet wird, jede Handlung ist als Handlung gut, dann funktioniert der Ausdruck gut wie ein Standard. Ein Standard ist eine bestimmte Art von Norm. Standards sind Maßstäbe dafür, dass etwas bestimmte Eigenschaften hat, genauer: Es sind Maßstäbe dafür, überhaupt ein Etwas einer bestimmten Art zu sein. 23 Dass damit auch motivationstheoretische Aspekte angesprochen sind, habe ich im zweiten Abschnitt angedeutet, als ich auf Foots Bemerkungen zur praktischen Rationalität eingegangen bin. Für eine Diskussion dieser motivationstheoretischen Implikationen vgl. ausführlich Tenenbaum (2007).
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Um ein Etwas einer bestimmten Art zu sein, muss das, was nach dem fraglichen Standard beurteilt wird, diesem Standard entsprechen; es muss so sein, wie es der Standard verlangt. So zu sein, wie es der Standard verlangt, ist daher konstitutiv für das Haben bestimmter Eigenschaften, für die der Standard ein Maßstab ist. Etwas ist ein Etwas einer bestimmten Art, dadurch dass es dem Standard entspricht. Die Konjunktion dadurch dass drückt hier eine konstitutive Bedingung aus.24 Überträgt man das auf Handlungsformen, dann können wir ein bestimmtes Φen als Instanz einer Handlungsform identifizieren, weil wir über den Standard verfügen, der dieses Φen als ein solches konstituiert. Die Beschreibungsform enthält immer die Norm für das, was eine Manifestation dieser Form als eine Handlung eines Typs bestimmt. Der wertende Ausdruck gut bezeichnet daher formal die Norm, in deren Licht Handlungen generisch als Handlungen eines bestimmten Typs identifiziert werden. Insofern kann man tatsächlich behaupten, dass Handlungen als Handlungen generisch gut sind; sie setzen eine Norm des Guten voraus, die bestimmt, was die fragliche Handlung als die Handlung, die sie ist, konstituiert. Damit ist gesagt, dass jede Handlungsbeschreibung eine normative Grammatik exemplifiziert, die unter der so verstandenen Norm des Guten steht.25 Das heißt natürlich nicht, dass jede konkrete Handlung gut ist. Sie ist es als Handlung; als konkrete Exemplifikation einer bestimmten Form ist sie selbst freilich immer gut, weniger gut oder schlecht.26 24 Ich stütze mich hier auf die instruktiven Ausführungen von Stemmer (2008, S. 216 f.), dessen Normativitätstheorie ich jedoch im Übrigen nicht teile. 25 Handlungsformen bzw. Beschreibungsformen für Handlungen sind nicht einfach vorhanden, sondern werden in Praktiken, also durch wirkliches Handeln etabliert, stabilisiert und weiter geführt. Für das Verhältnis des Standards und seiner Instantiierung in konkreten Handlungen gilt, was Wittgenstein (1953/2003, § 242) sehr schön bemerkt hat: »Eines ist, die Meßmethode zu beschreiben, ein anderes Messungsergebnisse zu finden und auszusprechen. Aber, was wir ›messen‹ nennen, ist auch durch eine gewisse Konstanz der Messungsergebnisse bestimmt.« 26 Vgl. dazu die Ausführungen von Anscombe (1982/2005b, S. 207–215). Sie schreibt: »All human action is moral action. It is all either good or bad. (It may be both)« (S. 209). Als Exemplifikation eines Standards des Guten ist jede Handlung in der Tat moralisch, wobei damit nicht eine zusätzliche
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Im letzten Teil dieses Beitrags will ich nun noch einigen Konsequenzen dieser Überlegungen für den Zusammenhang von praktischem Denken und praktischem Wissen nachgehen. Damit nehme ich meine frühere Behauptung auf, dass die wesentliche Normativität des Handelns unverstanden bleibt, wenn man den Unterschied zwischen theoretischem und praktischem Denken bloß inhaltlich als Unterschied von Gegenstandsbereichen begreift.
Praktisches Denken und praktisches Wissen Praktisches Denken Wenn es richtig ist, dass die Norm des Guten eine konstitutive Bedingung für Handlungen bezeichnet, dann sind auch psychologische Ausdrücke wie »absichtlich«, »willentlich« oder »freiwillig« keine Namen für so genannte mentale Zustände oder für innere Gegenstände, die nur von der individuellen Psychologie des Handelnden her verständlich sind, sondern Beschreibungsformen. Solche Beschreibungsformen funktionieren wie aristotelische Kategorien, denn sie determinieren, was man über das durch sie Beschriebene sagen kann (vgl. dazu Anscombe, 1957/2011, S. 128 ff.). Demnach gehört es zur kategorialen Form von Handlungen, absichtlich zu sein. Es wird nun auch deutlicher, wie sich diese kategoriale Auffassung von der klassifikatorischen Auffassung der Davidson-Tradition unterscheidet. Wir haben es hier nicht mit einem Substrat von »zugrunde liegenden Ereignissen« (Schueler) zu tun, für die es mehrere Beschreibungen gibt, so dass man immer vor der Frage steht, welche davon, gemessen an diesem Substrat, die richtige ist. Im Lichte der kategorialen Auffassung bleibt die Rede von Ereignisarten (bzw. Prozessen, wenn es um Handlungen geht) durchaus unproblematisch, solange man diese UnterscheiEigenschaft angezeigt ist, sondern nur, dass die Handlung durch eine Norm konstituiert wird. Sie ist daher entweder gut oder schlecht oder beides, das heißt, ihre Beschreibung exemplifiziert ihrerseits eine Skala, die von gut bis schlecht reicht.
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dung nicht extensional, sondern intensional als modifizierende Bestimmung versteht.27 Für die Beschreibungsformen von Handlungen ist es charakteristisch, so hatten wir gesehen, dass sie einer normativen Grammatik folgen: Die Norm des Guten ist für sie eine konstitutive Bedingung, und das Gute ist ihr formaler Gegenstand. Das führt wiederum zur ebenfalls schon angesprochenen aristotelischen Parallele: Praktisches Denken zielt auf das Gute; theoretisches Denken auf das Wahre.28 Mit den Überlegungen zur normativen Grammatik des Handlungsbegriffs wird nun auch deutlicher, wie diese Parallele genauer zu verstehen ist. Ein Aspekt dieser normativen Grammatik ist nämlich, dass für die Spezifikation von absichtlichen Handlungen die Warum-Frage relevant ist. Oder andersherum formuliert: Absichtlich ist eine Beschreibungsform, auf die diese Frage passt. Man kann das wiederum gut mit einem Beispiel Anscombes (1957/2011, S. 64) klar machen. Auf die Frage »Warum bewegst du den Arm auf und ab?« lassen sich einige plausible Antworten geben: »ich bediene die Pumpe« oder »ich versorge das Haus mit Wasser« oder »ich vergifte die Bewohner des Hauses« oder »ich stürze die Regierung« (wobei diese letzte Antwort die Absicht nennt, um derentwillen die Person handelt, im Gegensatz zur Absicht, mit der sie etwas tut). Diese Beschreibungen haben eine bestimmte Ordnung bzw. bilden eine Reihe A – B – C – D, »in der jede Beschreibung 27 Die Unterscheidung zwischen »Motorjacht« und »Segeljacht« ist extensional; beides sind Arten von Jachten. Die Unterscheidung zwischen »absichtlicher Handlung« und »unfreiwilliger Geste« markiert eine Differenz zwischen zwei Arten von Vorgängen. Sie funktioniert aber wie die Unterscheidung zwischen »lebendiger Körper« und »toter Körper« im Hinblick auf die Art »animalischer Körper«, also als attributive Bestimmung, nicht als Klassifikation. Zur Unterscheidung »lebendiger und toter Körper« vgl. Gutmann (2008). 28 Es gilt dann übrigens, dass wahr ebenso eine formale Bestimmung von Gedanken ist wie gut von Handlungen. Wahr funktioniert einerseits als generischer Standard für Gedanken, andererseits als Spezifikationsprinzip für Instanzen von Gedanken, wie sie von Denkenden gefasst und in Urteilen ausgesprochen werden. Die Differenz von wahr und falsch erlaubt jedoch keine Graduierung. Darin unterscheidet sie sich von der Unterscheidung gut/schlecht wie sie hier eingeführt wurde. Vgl. dazu die weiterführenden Überlegungen von Rödl (2010).
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als eine von der jeweils vorangehenden abhängige, aber von der jeweils folgenden unabhängige eingeführt wird« (S. 74). A, B, C und D sind jeweils Beschreibungen derselben Handlung, denn, indem der Handelnde antwortet, warum er etwas tut, sagt er auch, was er tut – und umgekehrt. Nach Anscombe haben Handlungen also eine mehr oder weniger komplexe teleologische Struktur, die aus verschiedenen, geordneten Phasen besteht: Jemand Φt, um zu ξen und ξt, um zu ψen usw.29 Fragt man also jemanden, warum er etwas tut, so wird diese Person zunächst auf die Gründe für ihr Tun verweisen; sie wird sich auf das beziehen, was sie tut, indem sie Φt. Der sprachliche Ausdruck solcher Beschreibungen des eigenen Tuns ist der »imperfektive Aspekt« (Thompson, 2011a, S. 156 ff.). Solche Beschreibungen drücken aus, was der Handelnde gerade tut oder versucht zu tun, aber noch nicht getan hat und möglicherweise auch nie getan haben wird. Daher dürfen auch die Sätze »er Φt mit der Absicht zu ξen« und »der Grund für sein Φen ist, dass er ξt« als äquivalent betrachtet werden: Jemand kann gerade dabei sein zu Φen, auch wenn er nie geΦt haben wird. Die Struktur einer absichtlichen Handlung ist selbst eine explanatorische Struktur, und wer eine Handlung erklärt bzw. rationalisiert, schreibt dem Akteur nicht einen Zustand bzw. ein Belief-desire-Paar zu, sondern behauptet, dass die explanatorischen und normativen Beziehungen zwischen Explanans und Explanandum für die fragliche Instanz einer Handlungsform bestehen.30 Die logische Struktur 29 Dabei spielt es keine Rolle, ob man sagt: »Er Φt, um zu ξen« oder »er Φt, mit der Absicht zu ξen« oder »der Grund, warum er Φt ist, dass er ξt«. Die auf diese Weise bestimmbare Handlungsform gibt das Einheitsprinzip eines Prozesses an. Dieser Gedanke wird ausführlich von Thompson (2011a, Teil II) ausgearbeitet. 30 Das bedeutet eben auch, wie schon angedeutet, dass das psychologische Vokabular (»Absicht«, »wollen«, »wünschen«, »glauben, dass«) nicht referenziell funktioniert (es bezieht sich nicht auf »innere Zustände«), sondern einer logisch-explanatorischen Grammatik gehorcht. Das schließt freilich nicht aus, dass man die für das Handeln relevanten physiologischen, kognitiven und meinetwegen auch neuronalen Vorgänge beschreiben und empirisch untersuchen kann. Eine solche Untersuchung fügt der rationalen Erklärung aber nichts hinzu. Vor allem kann man nicht behaupten, dass die rationale Erklärung eine gegenüber der empirischen Erklärung bloß vorwissenschaftliche bzw. alltagspsychologische Erklärungsform ist.
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dieses explanatorischen Zusammenhangs ist wiederum der praktische Syllogismus. Was bedeutet das alles nun für das Verhältnis von theoretischem zu praktischem Denken? Anscombes Antwort lautet in aller Kürze: der Unterschied zwischen praktischem und theoretischem Denken ist nicht einer von Gegenstandsbereichen, sondern des unterschiedlichen Gebrauchs, der von den logischen Strukturen in den jeweiligen Denkformen gemacht werden kann, und entsprechender Argumentationsformen.31 Beispielsweise lässt sich das erwähnte Betätigen einer Pumpe in ein theoretisches Argument umformen: P 1 Ich bediene die Pumpe. P 2 Wenn ich die Pumpe bediene, wird vergiftetes Wasser in den Tank geleitet. P 3 Wenn vergiftetes Wasser in den Tank geleitet wird, werden die Bewohner des Hauses es trinken. K: Die Regierung wird gestürzt. Diese Folge von Konditionalsätzen (P 2 und P 3) kann unterschiedlich gebraucht werden: beispielsweise zur Ableitung einer Konklusion aus für wahr gehaltenen Prämissen oder zur Ableitung einer Handlung aus einem angenommenen Zweck. Beide Strukturen verhalten sich spiegelbildlich (Anscombe, 1989/2005a, S. 122) zueinander, wie folgendes Beispiel zeigt (ich vereinfache hier die Darstellung bei Anscombe, S. 134): P 1* Wenn Pflanzen mit der Substanz X genährt werden, werden sie wachsen. P 2* Wenn sich die Substanz X im Boden befindet, werden die Pflanzen damit genährt.
31 Damit bietet Anscombe eine Alternative zu in der Philosophie verbreiteten Konzeptionen des Theorie-Praxisverhältnisses: Weder wird das praktische Denken vom theoretischen her gedacht, so dass es nur als demgegenüber unzulänglichere Denkform erscheinen kann; noch wird einfach umgekehrt die Praxis zur (undurchschauten) Grundlage theoretischen Denkens deklariert.
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Mit dem praktischen Ziel, Wachstum zu erreichen, kann man aus diesen beiden Prämissen eine Handlung ableiten: »Gebe Substanz X in den Boden«. Die praktische Konklusion ist wiederum Ausgangspunkt des theoretischen Schlusses, was man als Prämisse folgendermaßen formulieren kann: »Substanz X befindet sich im Boden«. Die Konklusion des theoretischen Schlusses »die Pflanzen werden wachsen« lässt sich ihrerseits als Prämisse des praktischen Syllogismus umformulieren usw. Anscombe betont, dass in der ersten Prämisse des praktischen Syllogismus etwas Gewolltes genannt wird. Das ist aber etwas anderes als die Nennung eines subjektiven Wunsches (»ich will X«). Der Schweinekutteln-Esser aus dem früheren Beispiel muss seiner praktischen Überlegung nicht die Prämisse »Ich will etwas essen, das gut für mich ist« hinzufügen. Sein Essen von Schweinekutteln zeigt, wenn er es im Lichte dieser Überlegung tut, was er will, nämlich etwas essen, das gut für ihn ist. Es zeigt, dass er diesen Schluss aus Prämissen, die er für wahr hält, gezogen hat. Nichts anderes heißt es in so einem Zusammenhang, einen praktischen Schluss zu ziehen. Dass jemand mit einem praktischen Syllogismus sein Handeln erklärt, ist in ein Kriterium für sein Wollen. Das ist aber auch der Grund, weshalb im Syllogismus die Prämisse, die dieses Wollen explizit macht, nicht eigens genannt zu werden braucht. Dies käme einem irreführenden Psychologismus gleich, so wie es auch irreführend psychologistisch wäre zu fordern, dass in einem theoretischen Schluss die Prämisse »ich glaube, dass die Substanz X im Boden ist« eigens angeführt werden müsste. Wenn jemand theoretisch schließt und dabei die Prämissen nennt, so zeigt das schon, was diese Person für wahr hält. Theoretisches Schließen handelt ebenso wenig von »Überzeugungen« wie praktisches Schließen von »Wünschen« (1989/2005a, S. 138 ff.). Daher ist es auch plausibel, wenn Aristoteles behauptet, dass die Konklusion eines praktischen Schlusses eine Handlung ist.32
32 Aristoteles (NE/2011, 1141b 18 ff. und de motu/1985, S. 701a 10 ff.). Dazu grundsätzlich Müller (1982). Zur Rezeption des praktischen Syllogismus nach Aristoteles vgl. Corcilius (2008). Zu beachten ist hierbei freilich, dass auch schon der Versuch zu Φen, als Kriterium für die praktische Konklusion »Also werde ich Φen« gelten kann.
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Praktisches Wissen Ich hatte behauptet, dass die logische Struktur des explanatorischen Zusammenhangs, als den sich absichtliche Handlungen verstehen lassen, der praktische Syllogismus ist. Wenn nun die so bestimmbare Handlungsform das Einheitsprinzip eines Prozesses angibt, das die konstitutive Bedingung dieser Form ist, dann hätte das praktische Wissen des Handelnden, das heißt sein Wissen, was er tut, die Form des praktischen Syllogismus. Diese Formulierung ist missverständlich. Sie suggeriert nämlich, dass das praktische Wissen ein Wissen ist, das sich als Konklusion eines solchen Schlusses im Sinne eines begründeten Werturteils zugunsten einer bestimmten Handlung, artikulieren lässt. Urteile, die praktisches Wissen artikulieren, enthalten demnach eine wertende Komponente, die dazu dient, eine Handlung zu empfehlen. Sie haben daher die Form eines Imperativs. Praktisches Wissen erscheint dann als Ergebnis eines spezifisch praktisch-rationalen Überlegungsprozesses im Hinblick auf verschiedene Handlungsoptionen. An seinem Ende steht ein Urteil darüber, was alles in allem für den Handelnden wünschenswert und damit rational ist zu tun. Man sieht sofort, dass sich diese Auffassung ergibt, wenn man den praktischen Syllogismus als eine defizitäre Form theoretischen Schließens begreift. Damit wäre man wieder in der Davidson-Tradition.33 McDowell (2010, S. 418 ff.) hat – in Anlehnung an Anscombe – dagegen sehr schön gezeigt, dass der sprachliche Ausdruck praktischen Wissens vielmehr die Form einer Tatsachenbehauptung hat: »Ich Φe gerade.« Darin kommt kein wertender Ausdruck vor. Wenn man diesen Gedanken plausibel findet, wird man praktisches Wissen auch nicht als Antwort auf die Frage »Was soll ich tun?« rekonstruieren (so vor allem Rödl, 2011a und 2011b). Wenn die Ausführungen zur Bedeutung der Warum-Frage im Zusammenhang mit der explanatorischen Struktur, die jede absichtliche Handlung exemplifiziert, zutreffen, reicht eine Antwort auf die 33 Die folgenden Ausführungen stützen sich auf eine eigene Vorarbeit (Kertscher, 2012). Die beharrlichen Fragen von Jan Müller haben mich jedoch, vor allem, was die Deutung der Fehlbarkeit des praktischen Wissens nach McDowell betrifft, zu einer Korrektur meiner damaligen Auffassung genötigt.
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Warum-Frage aus (so auch Müller, 2011, S. 9, Fn. 18). Wenn jemand darauf antwortet, indem er die Gründe für sein Tun angibt, sagt er zugleich, was er tut (und vice versa). Das lässt sich als Behauptung der Art: »Ich Φe gerade« ausdrücken.34 Praktisches Wissen ist die Voraussetzung dafür, dass ein Geschehen unter die Beschreibung fallen kann, die es erlaubt, dieses Geschehen als eine absichtliche Handlung zu verstehen. Das ergibt sich ebenfalls aus den Ausführungen zur explanatorischen Struktur absichtlicher Handlungen. Ohne praktisches Wissen könnte ein Geschehen nicht unter die Beschreibung »Ausführung von Absichten« fallen. Deshalb ist es auch, wie Anscombe (1957/2011, S. 135) mit Thomas von Aquin festhält, die causa formalis dessen, was es versteht.35 Diese Formulierung besagt zunächst, dass im Falle des theoretischen Wissens das Wissen von der gewussten (verstandenen) Sache bewirkt wird. Beim praktischen Wissen ist es umgekehrt: Das Wissen ist (formale) Ursache der gewussten Sache (dessen, was es versteht). Diese Unterscheidung ist damit verträglich, dass auch praktisches Wissen propositionales Wissen ist. Die aquinatische Bestimmung verdeutlicht zudem, dass kontemplatives (theoretisches) und praktisches Wissen tatsächlich zwei genuine Formen des Wissens sind. Dieser Unterschied wird nach Anscombe von modernen Philosophen verschleiert. Ihr Fehler besteht darin, ein Vorurteil für das kontemplative, durch das Bestehen von Tatsachen wahr gemachte Wissen zu hegen und daher »im Handeln nach dem anderen Modus des kontemplativen Wissens« (1957/2011, S. 91) zu suchen. Ihr Ausgangspunkt für diese Vermutung ist, dass Handlungsbeschreibungen aus der Perspektive der ersten Person beobachtungsunabhän34 Der Kontext für die Frage »Was soll ich tun?« scheint mir eher der Bezug auf den Willen desjenigen, der diese Frage stellt, zu sein. Eine sinnvolle Antwort auf die Frage »Was soll ich tun?« wäre gewiss nicht: »Ich öffne gerade das Fenster.« Das gilt auch dann nicht, wenn ich mir vor einigen Minuten tatsächlich überlegt habe, was ich tun soll: sitzen bleiben oder das Fenster öffnen? Die sinnvolle Antwort müsste vielmehr lauten: »Das ist es, was ich tun will!« Die Frage »Was soll ich tun?« erlaubt es, den eigenen Willen zu artikulieren. Wenn das Bisherige richtig ist, ist praktisches Wissen gerade nicht das Ergebnis eines Überlegungsprozesses. 35 Es ist wichtig darauf zu insistieren, dass hier tatsächlich die causa formalis gemeint ist. Weitere Argumente dafür finden sich bei Moran (2004).
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gig ein Geschehen beschreiben (»ich öffne gerade das Fenster«), das seinerseits aus einer drittpersonalen Perspektive als ein beobachtbares Geschehen in der Welt beschrieben werden kann (»er öffnet gerade das Fenster«). Es sieht dann so aus, als gäbe es hier zwei Formen des Wissens, und zwar, wie nach Anscombe stillschweigend unterstellt wird, des kontemplativen Wissens: das beobachtungsunabhängige Wissen von der eigenen Handlung und das beobachtungsbedingte Wissen eines Geschehens in der Welt. Wie können sich aber zwei Formen des Wissens auf »genau dieselbe Sache beziehen?« (1957/2011, S. 82). Um Anscombes Erläuterung des praktischen Wissens zu verstehen, sollte man sich nicht zu sehr von ihrer (zugegebenermaßen nicht leicht zu verstehenden, wenn auch gewiss zentralen) Unterscheidung zwischen beobachtungsbedingtem und nicht-beobachtungsbedingtem Wissen irritieren lassen. Es empfiehlt sich vielmehr, von der Aquinatischen Unterscheidung zwischen zwei Richtungen der Adäquation eines Behaupteten mit dem, was der Fall ist bzw. geschieht, auszugehen. Theoretisches Wissen bemisst sich daran, wie sich die Dinge in der Welt verhalten. Wenn jemand etwas Falsches sagt, liegt der Fehler daher immer im Urteil, nicht in den Tatsachen. Wenn dagegen jemand sagt, er Φe gerade, tatsächlich aber gar nicht Φt, dann liegt der Fehler nicht in der Behauptung, sondern in der Handlung, die mit dem Gesagte nicht übereinstimmt.36 Mit unseren Handlungen greifen wir in die Welt ein, sie sind immer auch beobachtbares Geschehen. Das hatte, nach Anscombes Diagnose, dazu verführt, praktisches Wissen dem kontemplativen Wissen anzugleichen und es sozusagen als Modus theoretischen Wissens aus der Perspektive des Akteurs zu betrachten. Dann hätten wir zwei Formen kontemplativen Wissens über einen Vorgang. Ich hatte bereits angedeutet, dass sich die mögliche Reaktion auf diese Herausforderung, praktisches Wissen an einen spe36 Anscombes (1957/2011, S. 88 ff.) Beispiel eines von einem Detektiv beobachteten Einkäufers verdeutlicht diesen Punkt: Stimmt die vom Detektiv auf der Grundlage seiner Beobachtungen erstellte Liste nicht mit dem Einkauf überein, liegt der Fehler im Protokoll des Detektivs. Sein theoretisches Wissen über das Handeln des Einkäufers ist falsch. Umgekehrt, wenn der Einkäufer anstatt Butter Margarine kauft, liegt der Fehler in seinem Handeln.
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zifischen Modus praktischer Deliberation zu binden, nicht gut mit der sprachlichen Artikulationsform für dieses Wissen verträgt: »Ich Φe gerade.« Andererseits kann man nicht davon absehen, dass Handlungen als Eingriffe in die Welt immer diesen doppelten Aspekt haben: Als Akteur habe ich Wissen davon, was ich tue, indem ich es tue. Daher scheint es, dass ich als Akteur zunächst einmal am besten weiß, ob ich gerade Φe oder Ψe. Das ist deshalb gesichert, weil mein praktisches Wissen causa formalis dessen ist, was es versteht. Auf der anderen Seite ist meine Handlung als Teil eines Weltgeschehens immer etwas Beobachtbares: »X Φt gerade.« Der Form nach handelt es sich um eine Tatsachenbehauptung und als solche ist sie auch fallibel: »›Was du getan hast, war ein Fehler, denn das Gesagte sollte Dein Tun beschreiben, hat es aber nicht beschrieben‹« (Anscombe, 1957/2011, S. 90). Die Frage ist nun, was damit genau gemeint ist. McDowell (2010, S. 431) schlägt eine disjunktive Konzeption praktischen Wissens vor: Jemand weiß demnach als Akteur, dass er gerade Φt. Seine Absicht umfasst dabei immer auch das, was in der Welt tatsächlich geschieht und von dem er, indem er seine Absicht artikuliert (»ich Φe gerade«), behauptet, dass es geschieht, indem er es tut. Das ist nach McDowell damit verträglich, dass seine Handlung irgendwie misslingen kann, er einen Fehler machen kann und in diesem Fall nicht, wie er behauptet, Φt. In diesem Fall glaubt er nur geΦt zu haben. McDowell scheint hier aber den Zusammenhang des praktischen Wissens mit der explanatorischen Struktur eigentlich absichtlicher Handlungen zu übersehen. Praktisches Wissen ist der Grund, den ein Handelnder im Sinne einer Antwort auf die Warum-Frage als Repräsentation seines Tuns geben kann, so dass die Handlung zugleich als der Grund ihrer einzelnen Phasen erklärt werden kann. Das ist der ätiologische Nexus, den Thompson (2011a) in Anlehnung an Anscombe herausarbeitet (vgl. auch Thompson, 20011b): Ich Φe, um zu ξen und ξe mit der Absicht zu ψen. Wie schon erläutert, ist das damit verträglich, dass ich darin scheitern kann zu ψen und daher niemals geψt haben werde; es ist aber auch damit verträglich, dass ich in dem Moment, in dem ich Φe, um zu ξen und ξe, mit der Absicht zu ψen, praktisches Wissen von der Handlungsform habe, die ich mit meinem wirklichen 101 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525452417 — ISBN E-Book: 9783647452418
Tun gerade exemplifiziere. Die Bewertungsnorm dafür ist nicht die Differenz von wahr und falsch, sondern die Norm des Guten. Es ist daher auch irreführend zu behaupten, ich habe nur geglaubt zu ψen, oder es war zum fraglichen Zeitpunkt falsch, dass ich ψe, weil ich darin gescheitert bin. Als Beobachter sehen wir einen Prozess, der aufgrund seiner Form durch ein Einheitsprinzip zusammengehalten wird – auch dann, wenn er nicht vollendet wird: Der imperfektive Aspekt impliziert nicht den perfektiven! Weil er richtig sieht, dass die Artikulationsform praktischen Wissens propositional ist, aber diesen ätiologischen Nexus nicht berücksichtigt, meint McDowell dagegen, praktisches Wissen unter die Differenz wahr/falsch stellen zu müssen.37 Ich hatte behauptet, Anscombe paraphrasierend, praktisches Wissen sei die Voraussetzung dafür, dass ein Geschehen unter eine Beschreibung fallen kann, die es erlaubt, dieses Geschehen als eine absichtliche Handlung zu verstehen. Ohne praktisches Wissen könnte daher ein Geschehen nicht unter die Beschreibungsform »Ausführung von Absichten« fallen. Es ist nun möglich zu erläutern, wie das zu verstehen ist. Dafür ist eine Erinnerung erforderlich, wie Anscombe mit der Frage umgeht, warum es überhaupt Ereignisse gibt, auf die die für absichtliches Handeln relevante Warum-Frage passt und andere nicht. Ihre Antwort lautet: Die Beschreibung dieser Ereignisse setzt die Anwendbarkeit dieser Frage voraus. Ohne Warum-Frage wäre es nicht möglich, bestimmte Ereignisse als Handlungen zu beschreiben, so wie es auch nicht möglich wäre zu fragen, was diese Kritzeleien auf der Tafel bedeuten, wenn es nicht schon bedeutungsvolle Zeichen, eine Sprache gäbe. Es gehört zur kategorialen Form von Handlungen, absichtlich zu sein. Absichtlich ist keine Eigenschaft bestimmter Ereignisse oder die Bezeichnung eines mentalen Zustandes, sondern eine Beschreibungsform. Bezogen auf die Frage nach dem praktischen Wissen kann man nun sagen: Ich kann einerseits wissen, was geschieht, weil ich einen 37 McDowell (2013) hat diesen Gedanken weiter ausgearbeitet. Ohne darauf näher eingehen zu können, sei lediglich angemerkt, dass er auch in diesem neuen Beitrag praktisches Wissen als eine Art gegenständlichen, wenn auch nicht kontemplativen Wissens begreift.
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Vorgang beobachte und in einer Tatsachenbehauptung repräsentieren kann; es gibt aber Fälle, in denen ich es selbst bin, der das, was geschieht, tut, und, indem ich es tue, durch den Zweck meiner Handlung herbeiführe. Ich kann wissen, dass ich das Fenster öffne, da ich es bin, der das tut. Warum ist dieses Wissen praktisch? Weil es die causa formalis dessen ist, was es versteht; dieser Vorgang kann als ein solcher nur so beschrieben werden, nämlich als ein Vorgang, der für die Warum-Frage zugänglich ist. Diese Beschreibungsform ist aber nicht nur mir zugänglich, sondern gehört zu den »lebensbezogenen Beschreibungen« (Anscombe, 1957/2011, S. 132), mit denen wir alle unser Tun sprachlich artikulieren. Es gibt sie nur deshalb, weil es eine Praxis gibt, auf die solche Beschreibungen anwendbar sind. Wenn es um die Beschreibungsformen geht, bin ich als Akteur also in keiner besseren Lage als die Beobachter des von mir verantworteten Geschehens. Als Teilnehmer an einer entsprechenden Praxis stehen uns jeweils diese Beschreibungsformen zur Verfügung, um unser Wissen zu artikulieren. Ich habe als Akteur aus meiner Innenperspektive praktisches Wissen, wenn ich die fragliche Handlung ausführe. Ich übe das Wissen in diesem Fall aus, indem ich Φe und damit den Begriff dieser Handlung im Sinne einer rationalen Fähigkeit realisiere (McDowell, 2010, S. 431). Das schließt ein, dass ein Beobachter dieses Geschehens ebenfalls über den Begriff dieser Handlung verfügt und mein Handeln demgemäß beschreiben bzw. beurteilen kann. Es muss sogar möglich sein, dass andere ebenfalls über diesen Begriff verfügen, denn ich selbst könnte meine Handlung gar nicht als ein Φen beschreiben, wenn diese Beschreibungsform nicht schon zur Verfügung stünde. Erstpersonale und Drittpersonale Beschreibung korrelieren. Ich als Akteur und Er als mein Beobachter können jeweils Handlungen nur deshalb als »absichtliche« beschreiben, weil wir über die dafür erforderlichen Begriffe und Beschreibungsformen verfügen. Wir verfügen darüber, weil diese Beschreibungsformen in unserer gemeinsamen Praxis öffentlich zugänglich sind. Gäbe es keine solche Praxis, gäbe es auch kein praktisches Wissen und keine Warum-Frage. Ausüben kann dieses praktische Wissen freilich immer nur ich als Akteur. Daher ist es auch ein genuin praktisches Wissen: Ich bin derjenige, der, indem er Φt, so oder so in die Welt eingreift. Einen privilegierten Zugang habe ich zu 103 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525452417 — ISBN E-Book: 9783647452418
meinem Φen allerdings nicht. Es gibt daher auch keinen in den Relativismus oder Skeptizismus führenden Konflikt der Interpretationen über ein unabhängig von den Beschreibungen bestehendes Ereignis, der, wie bei Schueler, nur aus der erstpersonalen Perspektive aufgelöst werden kann. Praktisches Wissen ist tatsächlich eine eigene Form des Wissens, aber nicht, weil sie sich auf einen anderen Gegenstandsbereich bezieht (das ist der Fehler derjenigen, die das praktische Wissen als Ergebnis einer besonderen Art normativpraktischen Überlegens fassen), sondern weil sie auf einer anderen Richtung der Adäquation zwischen Wissen und Gewusstem beruht: Das Wissen ist in diesem Fall causa formalis des Gewussten.
Zusammenfassende Bemerkung Die vorangehenden Überlegungen sollten durch die Einbeziehung teleologischer Denkfiguren einen Beitrag zur Rehabilitierung einer in der philosophischen Handlungstheorie lange Zeit vernachlässigten Perspektive auf den Handlungsbegriff leisten. Wie eingangs bemerkt, wurde diese Perspektive aufgrund von Defiziten der Handlungserklärung durch Gründe vom Kausalismus verdrängt. Das kausalistische Modell impliziert eine physikalistische Ontologie, die Handlungen als diskrete zeitliche Einheiten zu verstehen nötigt. Damit einher geht die Reifizierung psychologischer Begriffe: »Absicht«, »Wollen«, »Wunsch« werden demnach – das ist eine weitere Annahme – als geistige Entitäten konstruiert, die prinzipiell empirisch feststellbar sind (oder wenigstens als nützliche Fiktionen im Kontext alltagspsychologischer Zuschreibungspraktiken postuliert werden müssen) und denen eine explanatorische Funktion im Sinne deterministischer Wirkursachen zukommen soll. Dagegen habe ich zur Diskussion gestellt, ob der Gegensatz zwischen rationalen und kausalen Erklärungen nicht an der entscheidenden Frage vorbeiläuft: Geht es nicht vielmehr um das richtige Verständnis von Kausalität im Kontext von Handlungserklärungen? Wenn Handlungen gar nicht angemessen als eine besondere Klasse von Ereignissen zu thematisieren sind, sondern als zielgerichtete Bewegungen unter der Leitung der Vernunft, dürfte sich 104 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525452417 — ISBN E-Book: 9783647452418
auch das von Davidson und anderen favorisierte physikalistisch verengte Kausalitätsverständnis im Zusammenhang mit unserem Thema als problematisch erweisen. Ich habe daher versucht zu zeigen, dass die explanatorische Struktur, die absichtliche Handlungen ihrer Form nach sind, ein allgemeines Schema liefert. Es macht verständlich, wie einzelne Handlungen tatsächlich rational erklärt werden können (pace Davidson’s Challenge). Es ging mir jedoch nicht nur um die Rehabilitierung teleologischer Erklärungen, die auch innerhalb des physikalistischen Paradigmas wieder Anhänger gewinnen, sondern vor allem darum, die Implikationen herauszuarbeiten, die sich aus dieser veränderten Perspektive für unser Verständnis dessen, was menschliches Handeln ist, ergeben. Handlung erweist sich aus der hier eingenommenen Perspektive als ein irreduzibel normativer Begriff; Handeln exemplifiziert eine rationale Fähigkeit. Nur rationale Wesen, also Menschen, können handeln. Lediglich angedeutet wurde in diesem Beitrag eine weitere Konsequenz dieses Ansatzes, nämlich der notwendige Bezug individuellen Handelns auf menschliche Praxisformen. Menschliches Handeln ist Teil einer Praxis und kann als solches nicht unabhängig davon, wie in der neueren Handlungstheorie üblich, thematisiert werden. Für die praktische Philosophie ergibt sich daraus die Aufgabe, Handlungstheorie und Praxisphilosophie zusammen zu führen. Dieser Beitrag konnte dazu allenfalls vorbereitende und grundsätzliche Gedanken entwickeln.
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Briefwechsel
Lieber Herr Werbik, Psychologen und Philosophen scheinen mit ganz ähnlichen Grundfragen an das Thema des Handelns heranzutreten: Was ist überhaupt eine Handlung? Wie unterscheidet man Handlungen von anderen Vorgängen in der Welt? Der zweite Fragenkomplex betrifft das Problem der Handlungserklärung. Hier gibt es wohl die meisten Überschneidungen; die von Ihnen erwähnten Modelle werden auch in der Philosophie diskutiert. Was die Frage nach dem Handlungsbegriff als solchen betrifft, interessieren sich Philosophen eher für ontologische Fragen und beschränken sich dabei auf absichtliches Handeln. In der Psychologie, so schien es mir, löst man das Problem mit Hilfe von Typologien, die aber weit mehr erfassen als absichtliche Handlungen. Mein Eindruck ist, dass wir in vielen Punkten, was die grundsätzliche Herangehensweise an das Thema betrifft, übereinstimmen. Ich würde jedoch gerne das Thema der Handlungserklärung vertiefen und Sie bitten, auf folgende Punkte ergänzend zu Ihren Ausführungen noch ein wenig einzugehen: Ich habe mich in meinem Beitrag sehr darum bemüht, die Frage, was Handlungen sind, nicht als ontologisches Problem derart anzugehen, dass ich vom Ereignisbegriff ausgehe und dann frage, was für eine Art Ereignisse Handlungen sind. Stattdessen habe ich versucht, Handeln als einen wesentlich normativen Begriff zu erläutern. Handlungen sind Prozesse, für die teleologische Erklärungen maßgeblich sind. In diesem Zusammenhang hat Rationalität eine geradezu konstitutive Bedeutung. Kurzum: Ohne Bezugnahme auf diesen Begriff, kann 106 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525452417 — ISBN E-Book: 9783647452418
man nicht verständlich machen, was handeln ist. Wenn das richtig ist, dann ist Rationalität nicht einfach nur ein Zuschreibungsbegriff. Mich würde interessieren, wie Sie die Funktion von Rationalität aus psychologischer Sicht einschätzen würden. Sie schreiben an einer Stelle, dass das Rationalitätsprinzip »eine empirische Hypothese« darstellt. Das scheint mir aber nicht plausibel. Ihre Ausführungen zur unverzichtbaren Perspektive der zweiten Person haben mir sehr eingeleuchtet, weil sie einem methodischen Individualismus entgegenlaufen. Umso mehr würde mich interessieren, wie Sie diese zweitpersonale Perspektive im Hinblick auf die Frage nach dem Zusammenhang von Ich, Du und Wir einschätzen würden. Eine gemeinsame Praxis soll mehr sein als ein Aggregat von Ichen oder Ich-Du-Beziehungen. Bei Hegel gibt es in der »Phänomenologie des Geistes« die schöne, aber auch rätselhafte Formulierung »Ich, das Wir, und Wir, das Ich ist.« Trotz dieser Einsichten gibt es die Tendenz, von einem Primat des Ichs auszugehen, wie im methodischen Individualismus, oder Ich-DuBeziehungen gegenüber dem »Wir« explanatorisch privilegieren. In der Philosophie ist beides verbreitet. Mich würde Ihre Auffassung zu diesem Punkt sehr interessieren. Eine letzte Frage: Sie beziehen sich ausführlich auf das HempelOppenheim-Schema. In der Philosophie spielt das seit Davidsons Kritik, wenn überhaupt, nur noch eine marginale Rolle. Wird in der Psychologie damit (oder mit verwandten, abgewandelten Modellen) gearbeitet? Was ist aus Ihrer Sicht davon zu halten? Soviel also erst einmal meinerseits zu Ihrem Beitrag, den ich mit großem Gewinn gelesen habe. Mit freundlichen Grüßen Jens Kertscher
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Lieber Herr Kertscher, zunächst möchte ich Ihre Fragen beantworten: Psychologen verwenden anstelle von Ratio den Begriff der Intelligenz. In diesem Begriff wird zwischen dem instrumentellen Verstand und der Vernunft nicht unterschieden, was ein Nachteil ist. Weiters besteht innerhalb der Psychologie die Neigung, Rationalitätsregeln als empirische Hypothesen umzuwandeln. Das wurde insbesondere von Smedslund kritisiert, indem er versucht zu zeigen, dass angebliche psychologische Gesetzmäßigkeiten analytisch wahr sind. Ein Beispiel für die Auffassung von Rationalität als empirische Disposition ist die Erwartung-mal-Wert-Theorie in der Motivationspsychologie: Diejenige Verhaltensweise wird ausgeführt, für die das Produkt Erwartung-mal-Wert maximal ist. Diese Theorie ist das empirische Gegenstück zum Rationalitätsprinzip bei Entscheidungen unter Risiko (Maximierung des erwarteten Nutzens). Ein Argument für die Auffassung von Rationalitätsregeln als empirische Hypothesen ist, dass das tatsächliche Befolgen von Rationalitätsregeln immer eine empirische Frage ist. Ihre zweite Frage möchte ich so beantworten: Alle drei Perspektiven, unter denen eine Handlung betrachtet werden können, setzen die Wir-Perspektive voraus. Die grundlegenden Sprachregeln unserer Kultur sind Voraussetzungen, die wir als gegeben annehmen müssen, bevor wir ein psychologisches Institut für einen Versuch betreten (Kamlah, 1973). Insofern ist der methodische Individualismus eingeschränkt. Wir prädizieren zwar einzelne Individuen, aber wir explizieren vorher die kulturellen Voraussetzungen der einzelnen Handlungen. Ihre dritte Frage betrifft das Hempel-Oppenheim-Schema. Dieses Schema hat in der Psychologie nur einen geringen Verbreitungsgrad, weil es nur wenige psychologische Gesetze gibt, die deterministisch sind. Die meisten bewährten Hypothesen sind statistische Aussagen (Kaiser u. Werbik, 2012). Ich komme nun zu Fragen und Kommentaren zu Ihrem außerordentlich interessanten Essay. Besonders wichtig scheint mir die Abkehr von der von David Hume geforderten Trennung von Sein und Sollen. Gerade das Konzept der Rationalität zeigt, dass Rationalität sowohl ein normativer Begriff als auch eine empirische Dis108 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525452417 — ISBN E-Book: 9783647452418
position ist. Freilich wird der normative Begriff stillschweigend vorausgesetzt, wenn man Rationalität als empirische Disposition auffasst. Ein weiteres Beispiel für den Zusammenhang zwischen Sein und Sollen gibt Kamlah (1973) bei seiner Herleitung der praktischen Grundnorm aus dem deskriptiven Satz: »Wir Menschen sind alle bedürftig und aufeinander angewiesen […] Wer diese Einsicht wirklich gewonnen hat, der erkennt damit eine Forderung an, die täglich an ihn ergeht und die sich etwa so ausdrücken läßt: Beachte, daß die Anderen bedürftige Menschen sind wie du selbst und handle demgemäß!« (Kamlah, 1973, S. 95). Ein weiterer Diskussionspunkt ist Ihre Skepsis bezüglich der Autorität der ersten Person. Es gibt viele Situationen, in denen wir nur die Aussagen der handelnden Person zur Verfügung haben. Beispielsweise ist der Entschluss, eine bestimmte Handlung auszuführen, nur der handelnden Person zugänglich. Zwar gibt es eine Sprachregelung, dass wir aus der Ausführung einer bestimmten Handlung auf einen entsprechenden Entschluss zurückschließen, aber diese Sprachregelung sagt nichts darüber aus, welcher Entschluss getroffen worden ist, wenn das Ergebnis der Handlung nicht eingetreten ist, beispielsweise bei einer Fehlleistung. Hier können wir die handelnde Person nur fragen, welches ihre Absicht war (Groeben, 1986, S. 265). Wir beide stimmen überein, dass wir eine physikalische Handlungserklärung ablehnen. Wir bezeichnen Handlungen übereinstimmend als Prozesse, nicht als Ereignisse. Zielgerichtete Handlungen sind hierarchisch-sequenziell organisiert, sie sind – gestaltpsychologisch ausgedrückt – Verlaufsgestalten, die durch Antizipation des Oberziels (Boesch, 1980) gesteuert werden. Zu der Ansicht, Handlungen seien Ereignisse, kann man nur kommen, wenn man ausschließlich die Ergebnisse der Handlungen aneinanderreiht und den Handlungszusammenhang dieser Ergebnisse ausblendet. Mit herzlichen Grüßen Hans Werbik
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Lieber Herr Werbik, vielen Dank für Ihre ausführliche Antwort, die mir die Gelegenheit gibt, einige meiner Punkte noch einmal etwas weiter zu präzisieren. Lassen Sie mich zunächst auf das Thema Rationalität eingehen. Auf diesem Punkt lege ich sehr viel Wert, und Ihre instruktiven Bemerkungen zu gängigen Rationalitätsauffassungen in der Psychologie scheinen mir besonders gut auf den Punkt zu bringen, was bei dieser Diskussion auf dem Spiel steht. Dazu möchte ich noch einmal den Status meiner Ausführungen erläutern. Ich hatte drei Arten unterschieden, wie man die Normativität des Handlungsbegriffs verstehen kann. Die beiden ersten erläutere ich primär auf der Ebene der Handlungserklärung. Diese Ebene ist auch die für empirisch-wissenschaftliche Erklärungen maßgebliche. Bereits hier ist Rationalität konstitutiv, und zwar nicht als eine empirische Gesetzmäßigkeit. Philosophen interessieren sich dabei vor allem für die logische Struktur solcher Erklärungen, Empiriker zudem noch für die faktischen Bedingungen der Befolgung von Rationalitätsregeln. Insofern kann man als Empiriker immer so tun, als hätte man es hier mit empirischen Hypothesen zu tun. Als Philosoph kann man das aber nicht. Ein Problem der Handlungstheorie in der Tradition Davidsons besteht nun darin, dass sie, indem sie den Handlungsbegriff ausschließlich von der Perspektive der Erklärung her thematisiert (einschließlich der Frage, was eine Handlung ist), Gefahr läuft, ständig von der logisch-begrifflichen Ebene auf die empirische Ebene zu wechseln. Aufgrund dieser empiristischen Schlagseite muss Davidson danach fragen, was eine Handlung tatsächlich verursacht (eine sogar empirisch letztlich unbeantwortbare Frage). Davidson’s Challenge besteht daher nur, wenn man den Handlungsbegriff ausgehend von der Frage thematisiert, wie wir Handlungen tatsächlich erklären und welche Bedingungen empirisch und logisch erfüllt sein müssen, damit eine solche Erklärung richtig ist. Indem ich eine dritte Art, die Normativität des Handlungsbegriffs zu verstehen, vorgeschlagen habe, habe ich die begriffliche Frage, was eine Handlung ist, in den Vordergrund gestellt. Die dritte Art von Normativität ist daher nicht einfach eine Steigerung der beiden vorherigen, sondern bewegt sich auf einer anderen Ebene. Das ist die eigentlich philosophische Frage. Sie zielt auf 110 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525452417 — ISBN E-Book: 9783647452418
eine begriffliche Klärung ab. Ich hatte versucht zu zeigen, dass wir den Handlungsbegriff ohne Bezugnahme auf den Begriff des Guten nicht angemessen verstehen. Das wirkt zurück auf die Rationalität von Erklärungen (dazu dienten nicht zuletzt die Ausführungen zum praktischen Syllogismus). Im notwendigen Bezug auf das Gute besteht die irreduzible Normativität des Handlungsbegriffs. Sie müssen wir schon in Anspruch nehmen und verstanden haben, bevor wir uns psychologisch mit Handlungserklärungen befassen und dafür Modelle entwickeln. Vermutlich ist dieser Unterschied im Status der drei Arten, die Normativität des Handelns zu thematisieren, in meinem Beitrag nicht richtig deutlich geworden. Wenn meine Überlegungen aber in die richtige Richtung weisen, dann kann Rationalität keine empirische Disposition sein. Man kann als Empiriker für die Zwecke der eigenen Forschung so tun, als wäre sie das. Wer aber ernsthaft, das heißt mit dem Anspruch zu erläutern, was Handeln ist, behauptet, Rationalität sei eine (dispositionale) Eigenschaft, begeht einen »grammatischen« Fehler. Ein Mensch ist nicht rational so wie ein Stück Zucker wasserlöslich. Sie betonen das auch, wenn Sie schreiben, dass die empirische Auffassung von Rationalität als Disposition die normative Auffassung voraussetzt. Vor diesem Hintergrund kann ich Ihnen nur zustimmen, wenn Sie den Vorrang der Wir-Perspektive für alle Formen der Handlungsbetrachtung hervorheben. So wie ich den begrifflichen Vorrang der Normativität unterstrichen habe, würde ich allerdings auch hier den Vorrang der Wir-Perspektive nicht bloß als faktischen, sondern anspruchsvoller als begrifflichen Vorrang fassen. Der Individualismus ist daher lediglich als eine methodisch oder heuristisch akzeptable Verkürzung anzusprechen und auch nur mit dieser Einschränkung sinnvoll (wie auch die Rede von Rationalität als Disposition). Bei der Frage nach der Autorität der ersten Person liegen wir möglicherweise gar nicht so weit auseinander. Es gehört zum Begriff der Handlung, dass Handlungen nur in Form von Beschreibungen zugänglich sind. Zum Handlungsbegriff gehört daher auch, dass immer ein Streit um die Angemessenheit einer Beschreibung möglich sein muss. Wenn wir festlegen wollen, was ein bestimmtes Tun war (z. B. Mord oder Totschlag, absichtlich, fahrlässig oder 111 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525452417 — ISBN E-Book: 9783647452418
unabsichtlich usw.), dann können wir uns immer auch auf Tatsachen beziehen. Das sind dann aber keine gleichsam nackten Tatsachen, sondern Tatsachen relativ auf eine Beschreibung und deren Angemessenheit. Der Verweis auf eine Tatsache kann daher diesen Streit um die Angemessenheit einer Beschreibung immer nur faktisch, aber nicht begrifflich beenden. Anscombe hat das sehr schön in ihrem Aufsatz über »Brute facts« (1981d) analysiert. So funktioniert auch der Rekurs auf die Autorität der ersten Person: Der Verweis darauf ist sehr oft ein unverzichtbarer Bezugspunkt im Streit um die angemessene Beschreibung einer Handlung. Allerdings können der Verweis darauf oder die entsprechende Versicherung des Akteurs diesen Streit allenfalls faktisch, aber nicht begrifflich beenden. Ich wollte hervorheben, dass der Verweis auf die Autorität der ersten Person im Zusammenhang mit dem Handlungsbegriff ebenso wenig übrigens wie eine Ereignisontologie die Funktion hat, Handlungsbeschreibungen wahr zu machen. Die Tatsache, dass Handlungen immer nur mehr oder weniger angemessen beschrieben werden können, führt aber nicht in einen Relativismus oder Konstruktivismus, sondern hängt mit der normativen Grammatik dieses Begriffs zusammen. Nur wenn man sie übersieht und gebannt von einem Alltagsempirismus zwischen Beschreibungen und Tatsachen trennt, muss man sich fragen, wie beides zusammenpasst. Wenn man dieses Bild aufgibt, verschwindet auch das Gespenst des Interpretationismus. Ich kann Ihnen daher auch nur zustimmen, dass Handlungen wesentlich in der Verlaufsform thematisiert werden sollten, nicht aus der Perspektive der Vollendung. Gerade weil Handlungen Prozessbeschreibungen sind, bezeichnen psychologische Verben wie versuchen oder beabsichtigen keine Zustände, sondern »Erfolge und Vollzüge«, wie zuletzt Thompson (2011a, S. 155 f.) in Anlehnung an Ryle und Kenny herausgearbeitet hat. Davidson geht übrigens paradigmatisch von vollendeten Handlungen aus, sprachlich im Perfekt ausgedrückt, so dass sie zur Ereignisontologie passen. Abschließend noch einige Bemerkungen zum Verhältnis von Sein und Sollen. Zum einen hängt es mit dem zusammen, was ich gerade ausgeführt habe, nämlich dass Handlungsformen immer Beschreibungsformen sind. Wegen des normativen Vokabulars, das wir bei diesen Beschreibungen investieren, kann man nicht prinzi112 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525452417 — ISBN E-Book: 9783647452418
piell zwischen Tatsachen und Werten unterscheiden. Auch der Satz Kamlahs, den Sie ins Spiel bringen, ist dafür ein sehr gutes Beispiel. Ich würde den Satz »Menschen sind bedürftig« zur Art von generischen Sätzen einordnen, die ich in Anlehnung an Wittgenstein, vielleicht nicht ganz passend, als »praktische Angelsätze« bezeichnet habe. Sie sind ein sehr allgemeiner Bezugspunkt für praktische Überlegungen, aber nicht im Sinne eines echten Fundaments. Ich würde vor allem nicht behaupten wollen, dass man aus solchen Sätzen materialiter ableiten kann, was für alle Menschen geboten ist, oder gar, dass sie beschreiben, was »Menschen sind.« Da wäre ich zurückhaltender. Es ist aus meiner Sicht eine Gefahr bestimmter Formen des Aristotelismus, von materialen Normen auszugehen, die zudem noch anthropologisch fundiert sein sollen, um von da aus festzulegen, was für Menschen gut ist. Dagegen hat die kantische Tradition gute Einwände vorzubringen, und auch der Verweis auf den naturalistischen Fehlschluss ist hier berechtigt. Aristoteles selbst geht übrigens so nicht vor. Er beginnt in der »Nikomachischen Ethik« damit zu klären, was Menschen tun, also einer Analyse des Handlungsbegriffs, und nähert sich so dem Begriff des für den Menschen Guten. Er beginnt nicht mit einer Anthropologie, also mit Thesen darüber, was Menschen sind, um daraus abzuleiten, was gut ist. Das aristotelische »Menschenbild« gibt es nur in Schulbüchern. Jetzt bin ich doch sehr ausführlich geworden und auch ein wenig polemisch. Ich mache daher einen Punkt! Ganz herzliche Grüße Jens Kertscher
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Lieber Herr Kertscher, herzlichen Dank für Ihre ausführliche Stellungnahme, die mir geholfen hat, Ihre Position besser zu verstehen. Bei der Aufzählung möglicher Güter in Ihrem Aufsatz, denen einen Handlung zugeordnet werden kann, ist mir aufgefallen, dass Sie den Begriff des höchsten Gutes nicht erwähnt haben. Was ist aus philosophischer Sicht das höchste Gut und durch welche Handlungen kann es erreicht werden? Außerdem würde mich interessieren, wie man einen Konflikt zwischen einem höherstufigen Gut (z. B. die Erhaltung der Gesundheit) und einem unmittelbaren Wollen (z. B. der Wunsch, sich eine Zigarette anzuzünden) behandeln kann, ohne in Widersprüche zu geraten. Noch nicht einigen konnten wir uns bezüglich der Auffassung, dass Rationalität nicht nur ein normativer Begriff, sondern auch eine empirische Disposition ist. Ich schlage vor, dass wir diese Frage an Hand eines Beispiels diskutieren. Betrachten wir den folgenden Satz: »Wer den Vorsatz hat, ein bestimmtes Ziel zu erreichen, der sucht solange nach Mitteln, bis er ein geeignetes Mittel gefunden hat.« Dieser Satz ist offensichtlich eine deskriptive Aussage, genauer: eine empirische Allgemeinaussage, die auf eine entsprechende normative Aussage verweist. Diese deskriptive Aussage hat empirischen Gehalt; sie ist empirisch prüfbar und falsifizierbar. Kaiser und Werbik (1977) haben diese deskriptive Aussage im sogenannten »Telefonzellenversuch« empirisch geprüft und gefunden, dass 100 % der Versuchspersonen die Geltung dieser Aussage durch ihr Verhalten bestätigt haben. Allerdings besteht noch die Möglichkeit, die deskriptive Aussage nicht als empirische Allgemeinaussage, sondern als idealtypische Aussage aufzufassen. In diesem Fall können die empirischen Daten von der idealtypischen Aussage mehr oder weniger abweichen. Mit herzlichen Grüßen Hans Werbik
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Lieber Herr Werbik, es ist gut, dass Sie die Frage nach dem Status der Rationalität noch einmal aufgegriffen haben. Nach den Bemerkungen in Ihrem letzten Brief glaube ich, dass unsere Uneinigkeit sich auf die Frage zuspitzen lässt, ob der von Ihnen angeführte Satz (»Wer den Vorsatz hat etc.«) eher eine heuristische Funktion hat, also idealtypisch zu verstehen ist, wie Sie auch vorschlagen, oder ob es sich um eine Art Norm handelt. Ich würde zunächst behaupten, dass es sich logisch nicht um einen Allsatz handelt. Ein Allsatz ist bei einem Gegenbeispiel falsifiziert. Wäre der fragliche Satz falsifiziert, wenn eine Person diese Aussage durch ihr Verhalten nicht bestätigen würde? Das wird man kaum behaupten wollen. Ihr Vorschlag, ihn als eine idealtypische Aussage zu verstehen, von der das empirisch beobachtete Verhalten mehr oder weniger abweichen kann, ist daher wissenschaftstheoretisch der einzig sinnvolle. Ich würde – und vielleicht ist das der Dissens zwischen uns – einen Schritt weiter gehen und sagen, dass solche Sätze einen Standard ausdrücken, demgemäß wir absichtliche Handlungen erklären. Wir gewinnen ihn nicht durch Abstraktion aus der Beobachtung von Verhalten, sondern nehmen ihn bereits in Anspruch, wenn wir Verhalten als Handeln identifizieren wollen. Er hat daher eher eine kategoriale Funktion, denn er erlaubt uns zu verstehen, was eine Handlung ist. Das hat etwas damit zu tun, dass das formale Objekt absichtlicher Handlungen die Norm des Guten ist. Gut ist hier ein teleologischer Begriff, der bereits investiert ist, wenn man von Zweck-Mittel-Relationen spricht. Ganz nebenbei bemerkt, würde ich auch die von Kaminski angenommenen behavior settings heuristisch begreifen. Aus handlungstheoretischer Sicht könnte man aber auch hier umgekehrt sagen, dass damit Praxisformen gemeint sind, die wir bereits in Anspruch nehmen, um speziellere Praktiken (innerhalb des Feldes Sport) identifizieren zu können. Aber vermutlich werde ich damit dem Ansatz von Kaminski nicht gerecht. Das führt mich nun zu Ihrer ersten Frage nach dem höchsten Gut. Grundsätzlich folge ich hier nur der Überlegung von Aristoteles, wonach alles Handeln nach einem Gut (Ziel) strebt. Absichtliche Handlungen sind zielgerichtete Bewegungen. Aristoteles führt nun aus, dass man ein bestes oder höchstes Gut annehmen muss, 115 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525452417 — ISBN E-Book: 9783647452418
denn ohne diese Annahme könnte man jedes Ziel nur als ein weiteres Mittel für ein anderes Ziel verstehen, was in einen Regress führt. Aristoteles erläutert nicht, warum der Regress ein Problem ist. Eine Möglichkeit, sich das klar zu machen, besteht darin, dass man die zunächst nur formal zu verstehende Annahme eines höchsten Guts benötigt, um untergeordnete und relative Güter nach ihrem Wert ordnen zu können. Ohne eine Vorstellung eines höchsten Gutes bliebe jede Hierarchie von Gütern beliebig. Das lässt sich zunächst als rein formale Bestimmung begreifen, die sich gleichsam analytisch aus der Behauptung ergibt, dass Handlungen zielgerichtete Bewegungen sind. In der »Summa Theologiae« des Thomas von Aquin findet man übrigens ein sehr interessantes Argument, das man zur Erläuterung des aristotelischen Gedankens auch noch hinzuziehen kann. Thomas unterscheidet dort (STh. I-II, q. 1, a. 4 c.a.) im Hinblick auf Handlungen zwischen dem »ordo intentionis« (Ordnung der Absicht) und dem »ordo executionis« (Ordnung der Ausführung). Das Argument, das ich hier etwas verkürzt wiedergebe, läuft darauf hinaus, dass Handlungen als zielgerichtete Bewegungen nach der Ordnung der Absicht immer ein Ende, das begrifflich auf ein letztes Ende (höchstes Gut) verweist, und nach der Ordnung der Ausführung einen Anfang haben müssen. Bei dem, was auf ein Ziel hin geordnet ist, muss es ein Erstes geben, denn sonst würde die Bewegung, die die Handlung ist, nicht anfangen. Sie wäre also keine Handlung. Das sind »grammatische«, formale Bemerkungen; darüber, worin das höchste Gut besteht, ist damit selbstverständlich noch nichts gesagt. Nur in diesem Sinne würde ich erst einmal den Begriff des höchsten Gutes verwenden. Die weiter reichende Frage nach der Bestimmung des höchsten Guts, zum Beispiel als gutes Leben, gehört in die Ethik, für die die handlungstheoretischen Überlegungen freilich den Hintergrund liefern. Der Gedanke eines notwendigen Anfangs auf der Ebene des »ordo executionis« erinnert an die Diskussion über Basishandlungen in der zeitgenössischen Handlungstheorie. Nach von Wright (1974, S. 70) sind Basishandlungen, »Handlungen, von denen man nicht sagen konnte, daß sie dadurch vollzogen wurden, daß man etwas anderes tut.« Basishandlungen führt man demnach sozusagen unmittelbar (»simpliciter« wie von Wright auch schreibt) aus. 116 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525452417 — ISBN E-Book: 9783647452418
Insofern handelt es sich um eine Körperbewegung. Thomas von Aquin (STh. I-II, q. 1, a. 1 c.a.) unterscheidet dagegen zwischen Handlungen des Menschen (actiones humanae) und menschlichen Handlungen (actiones homini). Zu letzteren zählen unwillkürliche Bewegungen (seinen Bart reiben, stolpern, einen Grashalm aufheben usw.). Die Handlungen des Menschen stehen dagegen unter der Leitung der Vernunft, es sind die willentlichen bzw. absichtlichen Handlungen. Auch wenn diese Unterscheidung nicht klassifikatorisch zu verstehen ist, bezieht sich die Unterscheidung zwischen den beiden Ordnungen nur auf die Handlungen des Menschen, sofern er Mensch ist (actiones humanae). Die Frage, welche Körperbewegungen auch noch als Basishandlungen bezeichnet werden können, damit gewissermaßen empirisch ein Regress von immer feineren Beschreibungen abgebrochen werden kann (von Wrights Beispiel: die Drehbewegung eines Griffs beim Fensteröffnen, um zu lüften), stellt sich für Thomas von Aquin so nicht. Bei absichtlichen Handlungen genügt der formale Verweis auf einen notwendigen Anfang, der selbst aber zur absichtlichen Handlung gehört und nicht als Basis gleichsam herausfällt. Nach dem bisher Gesagten gilt auch hier, dass sich dieses Problem der Bestimmung von Basishandlungen nur ergibt, wenn man Handlungen als eine Klasse von Ereignissen versteht. Der von Ihnen angesprochene Konflikt zwischen übergeordneten Werten, wie die Erhaltung von Gesundheit, und kurzfristigen Strebungen, wie den Wunsch, eine Zigarette zu rauchen, würde ich einfach mit der Bemerkung auflösen, dass es unvernünftig ist, zu rauchen, wenn die Erhaltung von Gesundheit ein höheres Gut ist als ein spontaner Wunsch nach einer Zigarette. Bekanntlich kommen solche Formen von Willensschwäche immer wieder vor. Man muss sie sinnvoll in eine Handlungstheorie integrieren können. Hier stellt sich dann vor allem die Frage, ob die vernünftige Einsicht hinreichend ist, um die als gut erkannten Ziele auch tatsächlich zu verfolgen. Ein zentraler Streitpunkt, wenn es um die Frage nach der Funktion der Vernunft im Handeln geht, betrifft genau diese Frage. Die meisten Philosophen (und ich vermute erst recht die meisten Psychologen) würden es wohl für einen unrealistischen Intellektualismus halten, wenn man davon ausgeht, dass die Vernunft bzw. die Gründe, die wir für unser Tun anführen kön117 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525452417 — ISBN E-Book: 9783647452418
nen, selbst motivierend wirken. Auch ohne Humes Ansicht zu teilen, dass die Vernunft bloß Sklavin der Leidenschaften ist, würde man doch wohl darauf insistieren, dass die motivationale Basis für Handlungen emotional ist und als solche grundlegend. Ich vermute, dass Sie das auch so sehen, und es würde mich interessieren, wie Sie diesen Gedanken als Psychologe konkretisieren würden und vor allem, was handlungspsychologisch daraus für unser Thema »Rationalität und Handlung« folgt. Herzliche Grüße Jens Kertscher
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Lieber Herr Kertscher, normalerweise begleiten Gefühle alle unsere Handlungen. Handeln ohne Gefühle ist pathologisch. Den meisten Gefühlen können typische Handlungen zugeordnet werden, zum Beispiel dem Gefühl der Furcht die Handlung Flucht. Allerdings gibt es auch Gefühle, denen keine typische Handlung zugeordnet werden kann, zum Beispiel das Gefühl der Erleichterung (Mees, 1997, S 341). Es gibt einfache und zusammengesetzte (komplexe) Gefühle. Ein einfaches Gefühl ist zum Beispiel die Freude. Man sollte allerdings bedenken, dass die Substantivierung der Gefühlsregung zu dem Missverständnis führen kann, das Gefühl sei ein innerer Gegenstand. Korrekter ist es, davon zu sprechen, dass jemand sich über etwas freut. Daraus kann man ersehen, dass das Objekt der Freude analytisch zum Gefühl gehört. Ein komplexes Gefühl ist zum Beispiel die Eifersucht: »Notwendig für die Eifersucht scheint ja zunächst nur ein kognitives Wissen von bestimmten Sachverhalten zu sein – oder vielmehr weit häufiger lediglich entsprechende Vermutungen, das heißt etwa von Szenen, die meine Eifersucht begründen. Aber Eifersucht ist bekanntlich mehr: Peinigend wird sie nicht zuletzt durch das mitunter fast zwanghaft wiederholte, lust- und qualvolle Imaginieren solcher Szenen, die nicht selten das, was tatsächlich gewesen war (wenn überhaupt etwas gewesen war), in den Schatten stellen und so bestimmend werden können, daß neben ihnen wenig Raum für andere Denkinhalte und andere Gefühlsregungen mehr bleibt« (Kochinka, 2004, S. 40). Eifersucht ist ein Motiv für zahlreiche Handlungen, zum Beispiel die stete Suche nach Verdachtsmomenten oder die genaue Beobachtung des vermeintlich untreuen Partners. Die Eifersucht führt oft dazu, dass die Kontrolle über den Partner angestrebt wird. In diesen Fällen verbindet sich das Motiv der Eifersucht mit dem Machtmotiv. Man unterscheidet zwischen Push-Motivation (gestoßen, getrieben werden) und Pull-Motivation (von Zielen gezogen werden). Eifersucht ist ein Push-Motiv, während über einen anderen Menschen Macht haben wollen ein Pull-Motiv ist (Schultheiß u. Brunstein, 1997). Die Eifersucht selbst ist irrational, während die Mittel oder Strategien, die angewandt werden, um den Partner zu kontrollieren, rational sein können (instrumentelle Rationalität). 119 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525452417 — ISBN E-Book: 9783647452418
Ein wichtiges Forschungsgebiet ist die Emotionsregulation. Steinfurth, Wendt und Hamm (2013, S. 208) fassen die wesentlichen Überlegungen dieses Forschungsthemas wie folgt zusammen: »Die Fähigkeit, die eigenen Emotionen entsprechend situativer Anforderungen und persönlicher Handlungsziele zu regulieren, ist grundlegend für ein erfolgreiches Zusammenleben in einem sozialen Umfeld. Würden Emotionen jederzeit ungefiltert zum Ausdrucke gebracht, wären Streit und Mißverständnisse unumgänglich und langfristige Ziele für den Einzelnen kaum erreichbar. Die meisten Menschen lernen im Laufe ihres Lebens, ihre Emotionen mehr oder minder gut zu regulieren. Problematisch wird es erst, wenn Emotionen so intensiv sind, daß sie nicht mehr reguliert werden können oder Regulationsstrategien nicht mehr funktionieren. Viele psychopathologischen Phänomene sind durch eine Störung der Emotionsregulationsfähigkeit gekennzeichnet. Patienten mit Angsterkrankungen leiden beispielsweise unter der Intensität oder Generalisierung ihrer Angst, die sie nicht mehr in den Griff bekommen, und beginnen zunächst einzelne und dann immer mehr Situationen zu vermeiden.« Ein theoretisches Problem sehe ich darin, dass die üblichen Rationalitätsregeln der Entscheidungstheorie (Maximierung des erwarteten Nutzens, Maximin-Regel) die Gefühlsbasis von Handlungen ignorieren. Es ist notwendigerweise rational, die Stimmen der Gefühle bei dem Prozess des Abwägens zwischen den Handlungsalternativen zu berücksichtigen. Normalerweise ist Repression oder Verdrängung kein adäquater Weg, mit Gefühlen umzugehen. Ein mögliches Prinzip rationalen Entscheidens und Handelns könnte wie folgt formuliert werden: Handle so, dass in der gewählten Handlungsalternative Denken und Fühlen miteinander übereinstimmen (»Harmonie von Denken und Fühlen«). Mit herzlichen Grüßen Hans Werbik
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Schlusswort
Die Frage nach der Rationalität des Menschen, unter die wir unsere Überlegungen gestellt haben, könnte eine triviale Antwort nahe legen: Menschen sind eben manchmal rational und manchmal weniger. Wie stark man dann Rationalität als Merkmal des Menschen hervorhebt, wäre eine Frage des Temperaments – allemal wäre es aber eine empirische Frage. Der vorangehende Austausch hat deutlich gemacht, dass wir diese Frage ausdrücklich so nicht auffassen wollen. Das können wir als Minimalkonsens in unserer Diskussion über den Zusammenhang von Rationalität, Normativität und Handlung festhalten. Unsere Diskussion kreiste daher um die spezifischere Frage, wie denn der normative Charakter der Aussage, dass der Mensch ein rationales Wesen sei, genauer verstanden werden könnte. Hans Werbik hat in seinen Beiträgen dafür plädiert, die Rede von Rationalität bzw. Regeln der Rationalität, insbesondere im Zusammenhang mit menschlichem Handeln idealtypisch zu fassen. Empirisch beobachtbares Verhalten könnte dann unter dem Gesichtspunkt untersucht werden, inwiefern es mehr oder weniger von den Idealtypen abweicht. Dabei ist freilich Rationalität als normativer Begriff schon vorausgesetzt. Dieser Gedanke der Voraussetzung von Rationalität als normativer Begriff bildet den Ansatzpunkt von Jens Kertscher, der die kategoriale Funktion der Rationalität – oder etwas altmodischer ausgedrückt: der Vernunft – betont. Die strittige Aussage wäre dann eine kategoriale Aussage darüber, was Menschen sind und Rationalität der Standard, nach dem wir menschliches Verhalten als absichtliches Handeln identifizieren. Eine Diskussionslinie bezog sich genau auf diese Frage nach dem Status der Rationalität: Handelt es sich um eine Norm in die121 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525452417 — ISBN E-Book: 9783647452418
sem anspruchsvollen Sinn, oder lässt sie sich vielleicht doch auf eine empirische Disposition zurückführen? Und wenn es sich um eine Norm handeln sollte, dann um was für eine? Hans Werbik hat dabei ausdrücklich den Begriff der Disposition ins Spiel gebracht. Er sollte dann freilich nicht im Sinne eines naturwissenschaftlichen Dispositionsprädikats verstanden werden. Solche Prädikate implizieren einen Determinismus: Wasserlöslichkeit als Disposition von Zucker meint, dass Zucker sich notwendigerweise in Wasser auflöst. Bei menschlichem Handeln ist dagegen ausdrücklich offen gelassen, ob er Rationalitätsregeln folgt oder nicht. Das ist bei Regeln immer der Fall: Unser Handeln, sofern es eben nicht nur ein instinktives Verhalten sein soll, muss sich stets als mehr oder weniger regelkonform beurteilen lassen können. Es bietet sich daher an, den Dispositionsbegriff hier im Sinne einer Inklination zu fassen. Thomas von Aquin spricht von einer »inclinatio naturalis«, um den Zusammenhang von Vernunft und sinnlichem Streben zu erläutern (vgl. bspw. STh. I-II, q. 21, a. 1 c.a. sowie q. 94, a. 2 c.a.). Maximilian Forschner, der die Bedeutung dieses Begriffs für die praktische Philosophie des Thomas von Aquin herausgearbeitet hat, bringt diesen Zusammenhang folgendermaßen auf den Punkt: »Wir haben also einmal ein Zusammenspiel von natürlicher Neigung und Vernunft: Vernunft erkennt und anerkennt das als gut, worauf wir aufgrund unserer Wesensart immer schon aus sind. Auf der anderen Seite sichern unsere Wesensnatur und die mit ihr gegebenen Neigungen nicht die Realisierung des Ziels: Wir sind den natürlichen Neigungen gegenüber in gewisser Weise frei, wir sind irrtumsfähig, wir sind jedenfalls zum Teil verbildet und verbildbar […]. Dies macht die Ziele natürlicher Neigungen und ihre Ordnung beim Menschen zu Sollensvorstellungen (praecepta) seiner Vernunft. Und diese Ziele und Sollensvorstellungen konstituieren inhaltlich jene axiologischen und deontologischen Selbstverständlichkeiten, ohne die praktische Argumentation unter Menschen nicht möglich ist« (Forschner, 2006, S. 130 f.; vgl. auch die Studie von Bormann, 1999). Unsere Diskussion über die Funktion der Rationalität im menschlichen Handeln hat neben der Frage nach dem Status von Rationalität als Norm schließlich auch diesen Zusammenhang thematisiert. Eine Diskussionslinie bezog sich dabei auf Fragen 122 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525452417 — ISBN E-Book: 9783647452418
nach der Einheit der Vernunft, eine weitere auf die mit dem Thema der natürlichen Neigungen angesprochene Problematik nach der Reichweite von Vernunft. Was diesen letzten Punkt betrifft, besteht Einigkeit zwischen uns, dass die Unterstellung von Rationalität in empirischer Forschung heuristisch sinnvoll und sogar notwendig ist. Wir müssen menschliches Verhalten so betrachten, als ob es rational wäre. Ganz offensichtlich ist das in der Psychopathologie, wo wir die Rationalitätsunterstellung schon deshalb benötigen, um abweichendes Verhalten als solches zu identifizieren und unverständliches Verhalten verständlich zu machen. Die Rationalitätsunterstellung hat dann den Charakter einer nützlichen Fiktion im Sinne von Hans Vaihinger (1986) oder eines unverzichtbaren Interpretationsprinzips im Sinne von Davidsons »principle of charity«. Rationalität kann daher auch unter diesem Gesichtspunkt einer heuristischen Fiktion noch zu einem Gegenstand empirischer Forschung gemacht werden. Will man aber den begrifflichen Zusammenhang zwischen Rationalität und Handeln erläutern, ist dieser Gebrauch allenfalls ein Ausgangspunkt, wenn auch ein notwendiger Ausgangspunkt für eine solche Analyse. Die philosophische Untersuchung, die eine Antwort auf die Frage sucht, was menschliches Handeln ist, wird freilich nicht dabei stehen bleiben können. Der Rationalitätsbegriff ist jedoch auch noch in einer weiteren Hinsicht unbestimmt. Man könnte nämlich fragen, was wir hier eigentlich unterstellen, wenn wir Handlungen unter das Ideal der Rationalität stellen. Damit ist die Frage nach der Einheit der Vernunft angesprochen. Es ist nämlich üblich, verschiedene Typen von Rationalität zu unterscheiden: Instrumentelle Rationalität, die Rationalität von Zweck- bzw. Wertsetzungen, kommunikative Rationalität oder ganz basal: theoretische und praktische Rationalität. Solche Differenzierungen werfen ihrerseits Fragen nach dem Verhältnis dieser Rationalitätstypen auf und vor allem danach, welches Modell das Paradigma für Rationalität überhaupt darstellt. Diese Fragen sind vor allem für die Ethik von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Wer beispielsweise instrumentelle Rationalität zum Paradigma erhebt, dem wird jede Form von Handeln, das nicht auf die Maximierung des erwarteten Nutzens abzielt, zu einem erklärungsbedürftigen Problem. 123 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525452417 — ISBN E-Book: 9783647452418
Ethisches Handeln lässt sich in ein solches Modell nicht ohne Weiteres integrieren. Es muss dann prinzipiell als problematisch erscheinen, wie altruistisches Handeln möglich sein soll: Worin liegt seine besondere Rationalität und wie verhält sie sich zum unterstellten Paradigma? Warum sollen wir überhaupt altruistisch handeln? Solche Fragen können kaum abschließend beantwortet werden, wenn man instrumentelle Rationalität zum Paradigma erklärt. Eine Alternative wäre, diesen Fragen dadurch den Stachel zu ziehen, dass man Differenzierungen von Vernunfttypen allenfalls heuristisch akzeptiert, aber nicht im strengen Sinne klassifikatorisch auffasst. Die Alternative wäre, philosophisch von der Einheit der Vernunft auszugehen. Jens Kertschers Ausführungen über den Zusammenhang von praktischem und theoretischem Denken in Anlehnung an Anscombe zielten genau darauf ab. Praktische Vernunft ist nicht eine eigene, möglicherweise auf einen eigenen Gegenstandsbereich ausgerichtete Form von Vernunft neben der theoretischen Vernunft. Auch hier ist der Rückgriff auf die aristotelische Tradition hilfreich. Thomas von Aquin analysiert ausdrücklich praktische Vernunft als vernünftigen Willen. Er wendet sich damit gegen die Vorstellung, dass die Vernunft dem Willen gleichsam als eine irrationale Instanz gegenübersteht, die sie steuern muss. Dieses Druckkessel-Bild des Verhältnisses von Vernunft und Wille liegt uns sehr nahe und dürfte wohl auch verantwortlich für beliebte Fehlkonzeptionen des Verhältnisses von Vernunft und Handeln sein. Thomas von Aquin unterscheidet das sinnliche Begehren, das immer auf ein ihm vorgestelltes partikulares Gut geht, vom vernünftigen Streben, dem sein Objekt durch die Vernunft gegeben (proponitur) wird. Wenn wir von absichtlichen Handlungen im Gegensatz zu triebhaftem Verhalten sprechen, dann haben wir es immer schon mit einem vernünftigen Willen zu tun. Es lohnt sich, einige Passagen zu zitieren: »Das Gute als das Gute, d. h. als das Erstrebenswerte, gehört ursprünglicher dem Willen zu als der Vernunft; es gehört als das wahre Gute dennoch ursprünglicher der Vernunft zu denn als Erstrebbares dem Willen. Das Streben des Willens kann sich nämlich nur dann auf das Gute richten, wenn dieses zuvor von der Vernunft aufgefasst wurde. […] Der Wille bewegt in gewisser Weise die Vernunft, die Vernunft hingegen bewegt […] auf andere Weise, nämlich über 124 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525452417 — ISBN E-Book: 9783647452418
das Objekt, den Willen« (STh. I-II, q. 19, a. 3 c.a. und ad 3, Übers. zit. nach Aquin, 2001). Es gibt einen begrifflichen Unterschied zwischen »etwas wollen« und »etwas begehren.« Wenn wir Handlungen erklären und bewerten, bewegen wir uns schon auf der Ebene des Wollens. Das erkennt man bereits daran, dass wir hier immer sinnvoll fragen können, warum jemand etwas will. Auch dann, wenn wir unser Wollen im Lichte unserer sinnlichen Begierden thematisieren und dazu in ein Verhältnis setzen, begeben wir uns nicht außerhalb der Reichweite vernünftigen Wollens, sondern setzen diesen Horizont der (praktischen) Vernunft voraus. In diesem Lichte erweist sich das auf den ersten Blick so attraktive Druckkessel-Bild als ein Mythos. Da jedes mögliche Mittel sowohl nach instrumentellen als auch nach normativen Gesichtspunkten bewertet wird, ist die Eignung eines Mittels für ein Ziel selbst schon ein normativer Begriff. Gängige Unterscheidungen zwischen Formen praktischer Rationalität, also der Rationalität der Wahl von Mitteln im Lichte vorgegebener Ziele und der Rationalität von Zwecksetzungen, erweisen sich schon deshalb als notwendige Perspektiven auf praktisches Denken, die zwar faktisch immer konfligieren können, sich aber nicht auf problematische Weise ausschließen, so dass ihre Kompatibilität erst noch erklärt werden müsste. Im Lichte derart vernünftiger Reflexion lassen sich dann die instrumentell rationalen Strategien eines Eifersüchtigen durchaus als unvernünftig begreifen, und zwar ohne einen angeblich metaphysischen Vernunftbegriff in Anspruch nehmen zu müssen (vgl. auch dazu wiederum STh. I-II, q. 19, a. 3, ad 2). Metaphysisch wäre es dagegen, neben der basalen instrumentellen Rationalität noch eine praktische Rationalität höherer Ordnung postulieren zu müssen. Was die faktischen Bedingungen für die Realisierung praktischer Vernunft betrifft, bewegen wir uns dann allerdings auf einem Gebiet, das für empirisch-psychologische Forschungen offen ist und zu dem die Philosophie nur wenig beizutragen hat. Schon Aristoteles hat diese Grenze, insbesondere der praktischen Philosophie gesehen und die Frage nach der Dominanz praktischer Rationalität im je individuellen Handeln zu einer Frage persönlicher Reifungsprozesse erklärt. Solche Überlegungen, die wir an dieser Stelle nur skizzenhaft präsentieren können, dienen dazu, die uns gemeinsam leitende 125 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525452417 — ISBN E-Book: 9783647452418
Bemühung zu entfalten, wonach Rationalität, auch und gerade im Bereich des Handelns nicht einfach ein akzidentelles Merkmal des Menschen ist, also eines, das wir uns auch einfach »wegdenken« könnten. Im Gegenteil: Wir können nicht erklären, was ein Mensch ist, ohne auf den Begriff der Vernunft Bezug zu nehmen. Mehr ist mit der Rede vom Menschen als vernünftiges Wesen nicht gesagt. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass wir Menschen oft wider besseres Wissen handeln oder unsere Entscheidungen nicht im Sinne rationalitätstheoretischer Modelle treffen. In diesem Punkt sind sich beide Autoren einig. Unsere Diskussion hat, was bei so großen Themen kaum überraschen wird, auch viele wichtige Fragen offen gelassen oder gar nicht erst thematisiert. Einige davon seien abschließend wenigstens angedeutet: Dazu gehören die unter dem Stichwort »Willensschwäche« diskutierten Probleme. Hier treffen sich genuin philosophische Fragen mit solchen der Handlungspsychologie. Die vorangehenden Überlegungen und Bemerkungen haben allenfalls eine Richtung aufgezeigt, wie man dieses Problemfeld in eine Handlungstheorie integrieren könnte. In methodischer Hinsicht müsste der Status von Idealtypen noch eingehender diskutiert werden. Hier stellen sich vor allem wissenschaftstheoretische Fragen zur Thematisierung von Rationalitätsprinzipien als Idealtypen. Interessant wäre darüber nachzudenken, was Rationalitätsregeln leisten, wenn man davon ausgeht, dass sie aus dem Begriff der Rationalität abgeleitet werden können. Sie sind daher analytisch bzw. können in empirisch-methodologischen Kontexten als Exhaustionen im Sinne Hugo Dinglers begriffen werden. Somit bleiben sie letztlich tautologisch. Oder wären sie nicht angemessener als begriffliche Entwicklung dessen verstanden, was im Begriff der Rationalität in nuce enthalten ist? Doch was würde das genau heißen und vor allem: Was bedeutet das für deren empirische Überprüfbarkeit?
126 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525452417 — ISBN E-Book: 9783647452418
Literatur
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