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German Pages 378 Year 2015
Michael Kraus, Karoline Noack (Hg.) Quo vadis, Völkerkundemuseum?
Edition Museum | Band 16
Michael Kraus, Karoline Noack (Hg.)
Quo vadis, Völkerkundemuseum? Aktuelle Debatten zu ethnologischen Sammlungen in Museen und Universitäten
Drucklegung mit freundlicher Förderung durch die Fritz Thyssen Stiftung für Wissenschaftsförderung.
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Inhalt
Quo vadis, Völkerkundemuseum? – Eine Einführung
Michael Kraus | 7
UNGLEICHE GESCHWISTER? ETHNOLOGIE AN MUSEUM UND UNIVERSITÄT Museum und Universität: Institutionen der Ethnologie und Authentizität der Objekte. Rückblicke, gegenwärtige Tendenzen und zukünftige Möglichkeiten
Karoline Noack | 41 Mensch – Objekt – Könnerschaft. Einige Überlegungen zur Frage der Wertschätzung einer ethnographischen Sammlung
Maike Powroznik | 69 Lastenverteilung: Zum Verhältnis von Museum, Universität und Kunst nach der Krise der ethnographischen Repräsentation
Mona Suhrbier | 93 Welche Ethnologie für das Museum? – Welches Museum für die Ethnologie?
Christoph Antweiler | 111
I NSTITUTIONELLE E NTWICKLUNGEN UND INTERDISZIPLINÄRE DEBATTEN Vom Naturalienkabinett zum Mehrspartenmuseum. Die ethnologischen Sammlungen der Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim
Martin Schultz | 135 Die Bonner Altamerika-Sammlung – Von der Studiensammlung zum experimentellen Universitäts-Museum
Heinrich Natho & Jennifer Schmitz | 155
Museen der ›Weltkulturen‹ oder Museen ›zwischen den Welten‹?
Peggy Goede Montalván | 169 Partizipative Museumsforschung und digitale Sammlungen: Chancen und Grenzen
Beatrix Hoffmann | 185 Und was ist mit Europa? Zur Überwindung der Grenzen zwischen ›Europa‹ und ›Außer-Europa‹ in den ethnologischen Sammlungen Berlins
Helmut Groschwitz | 205 Abwehr und Verlangen? Anmerkungen zur Exotisierung ethnologischer Museen
Michael Kraus | 227
KONZEPTE IN AKTION In-Between. Zum Grenzgang zwischen ethnologischen und kunsthistorischen Konventionen in der Ausstellungspraxis. Oder: Don’t represent – create a presence!
Iris Edenheiser | 257 Das Humboldt Lab Dahlem – Experimentelle Freiräume auf dem Weg zum Humboldt-Forum
Andrea Scholz | 277 Objekte hören? Klang im ethnologischen Museum. Ein Beitrag zur angewandten auditiven Anthropologie
Matthias Lewy | 297 Rituale und Performance religiöser Sammlungen in ethnographischen Museen
Anna Seiderer | 321 Das bessere Völkerkundemuseum? Überlegungen zu Impulsen aus indigenen Museen für die Zukunft ethnologischer Museen
Anne Slenczka | 335
Autor/-innenverzeichnis | 369
Quo vadis, Völkerkundemuseum? – Eine Einführung M ICHAEL K RAUS
B EZEICHNENDE E NTWICKLUNGEN Im April 2015 war auf der Webseite des Museums für Völkerkunde Hamburg eine Stellenausschreibung für ein Volontariat zu lesen. Als Voraussetzung wurde von den Bewerber/-innen unter anderem ein »abgeschlossenes Studium der Völkerkunde oder eines eng verwandten Gebietes« erwartet. 1 Auf den ersten Blick besitzt dieser Vorgang nichts Außergewöhnliches. Bei genauerem Hinsehen verweist er jedoch auf Entwicklungen innerhalb der deutschsprachigen Ethnologie, die durchaus bezeichnend sind. Ein Blick in die Rubrik »Ethnologie« auf der Homepage der Deutschen Gesellschaft für Völkerkunde (DGV) verrät,2 dass im deutschsprachigen Raum keine universitäre Abteilung und kein Studiengang mehr existieren, die die Bezeichnung ›Völkerkunde‹ tragen. Zumindest dem Begriff nach ist dieses Studium nicht mehr möglich. Alle ehemaligen diesbezüglichen Institute und Studienangebote wurden mittlerweile umbenannt. Setzt man die Hoffnungen in Hamburg nicht auf Langzeitstudierende, so wird man folglich eine Person »eines eng verwandten Gebietes« einstellen müssen.3
1
http://www.voelkerkundemuseum.com/281-0-Jobs.html (letzter Aufruf 11.04.2015).
2
Vgl. http://dgv-net.de/ (letzter Aufruf 15.04.2015).
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Für den Fall hingegen, dass Ethnologie/Kulturanthropologie genau das Gleiche bedeutet wie Völkerkunde, bleibt die Frage offen, welche Form der Modernisierung oder auch Anpassungsleistung hinter den Umbenennungen steckt.
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Die Ausschreibung verdeutlicht einerseits einen gewissen Grad gegenseitiger Nicht-Wahrnehmung, der zwischen den beiden traditionellen institutionellen Standbeinen der Ethnologie – dem Museum und der Universität – vorherrscht. Und sie verweist andererseits auf unterschiedliche Entwicklungen, die an beiden Standorten ethnologischer Wissensproduktion vonstatten gehen. Im Gegensatz zur Situation an den Universitäten ist bei den ethnologischen Museen, den Fachabteilungen von Mehrspartenmuseen sowie den universitären Sammlungen die Bezeichnung ›Völkerkunde‹ nach wie vor vorherrschend (z.B. Dresden, Hamburg, Hannover, Heidelberg, Leipzig, Lübeck, Marburg, Zürich). Interessanterweise ist bei Museen und Sammlungen wiederum die Bezeichnung ›ethnologisch‹ vergleichsweise selten. Was die auf der genannten Übersicht angeführten Institutionen angeht,4 so findet der Terminus zum einen in Berlin Verwendung (Ethnologisches Museum), zum anderen für die ethnologischen Universitätssammlungen in Göttingen und Tübingen (in Tübingen gemeinsam mit ›Völkerkunde‹), für die ethnologischen Sammlungen des Deutschen Ledermuseums in Offenbach sowie des städtischen Museums Natur und Mensch in Freiburg. Des Weiteren taucht der Begriff ›ethnographisch‹ als Namensbestandteil Schweizer Museen in Genf und Neuchâtel auf. Daneben existieren Eigenbezeichnungen, die sich auf Regionen (z.B. Übersee-Museum Bremen; Museum Fünf Kontinente München) oder relevante Persönlichkeiten beziehen (z.B. Linden-Museum Stuttgart, Zusatz: Staatliches Museum für Völkerkunde; Rautenstrauch-Joest-Museum Köln, Zusatz: Kulturen der Welt) sowie, vergleichsweise rezent und zumindest quantitativ ebenfalls nicht dominant, die Begriffe ›Welt‹, ›Kultur‹ bzw. Kombinationen aus beiden (z.B. Museum der Kulturen Basel, Weltmuseum Wien, Weltkulturen Museum Frankfurt, Museum Weltkulturen Mannheim). Mit dem Haus der Völker und Kulturen der Steyler Missionare in Sankt Augustin gibt es im Rahmen der genannten Aufzählung zudem ein Museum, das Bestandteile aus den unterschiedlichen Bezeichnungstendenzen seit geraumer Zeit in seinem Namen kombiniert. Vertreten ist der Begriff ›Völkerkunde‹ weiterhin im Namen der sowohl ethnologische Museen als auch Universitätsabteilungen vereinenden Deutschen Gesellschaft für Völkerkunde. Allerdings ringt auch die DGV seit ihrer Entstehung sowohl mit dem eigenen Namen als auch mit ihrem Aufgabenportfolio. Die DGV war 1929 zunächst als Gesellschaft für Völkerkunde gegründet worden,
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Die Liste auf der Homepage der DGV ist nicht in jedem Fall aktuell; ihr Bestand wurde als Grundgesamtheit verwendet, die Einzelfälle dabei jeweils auf den museums- bzw. sammlungseigenen Webseiten überprüft und gegebenenfalls aktualisiert in die hier vorgelegte Übersicht aufgenommen (Stand April 2015).
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wobei zur Gründerzeit von namhaften Vertretern gerade keine Begrenzung auf außereuropäische Gesellschaften, sondern die Erforschung aller Erdgebiete »unter Einschluß Europas und unter Berücksichtigung aller Zeitperioden« angestrebt war (Anthropologischer Anzeiger 6(1)/1929: 86, zit. nach Herzog 1982: 4).5 Der Zusatz ›Deutsch‹ wurde 1929 noch abgelehnt und erst 1936 zum Namensbestandteil der Gesellschaft. Bestrebungen, statt ›Völkerkunde‹ das Fremdwort ›Ethnologie‹ zu verwenden, lassen sich bereits für die 1930er Jahre feststellen (vgl. Herzog 1982) und wurden seitdem immer wieder einmal, wenn auch bisher ohne Erfolg zur Abstimmung gebracht. Mit einer Dichotomie ›alt‹/›neu‹, dies gilt es zu betonen, ist die Verwendung der Begriffe ›Völkerkunde‹/›Ethnologie‹ nicht gleichzusetzen. Zur Entstehungszeit der Ethnologie als akademischer Disziplin liefen beide Bezeichnungen parallel, wie neben den Völkerkundemuseen z.B. die aus dem Jahre 1869 stammenden Namensgebungen Zeitschrift für Ethnologie oder auch Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte zeigen (vgl. auch Bolz 2001; Haller 2013).6 Während Umbenennungen von Universitätsabteilungen außerhalb der Alma Mater nur selten für Aufsehen sorgen, wurde die Neubezeichnung völkerkundlicher Museen immer wieder kontrovers diskutiert.7 Und auch jenseits terminolo-
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Zu dieser bereits im 19. Jahrhundert starken, heute oft übergangenen Tendenz der Fachgeschichte vgl. auch Fischer/Bolz/Kamel 2007 sowie Groschwitz in diesem Band.
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Nach Fischer (1970) fand die Bezeichnung ›Völkerkunde‹ erstmals im »Abriß der Geographie« des Göttinger Geschichtsprofessors Johann Christoph Gatterer Verwendung und war dort gleichbedeutend mit dem Wort ›Ethnographie‹. Erste Teile des Textes finden sich auf das Jahr 1775 datiert, vollständig in Druck erschien er 1778. Stagl (1974b) konnte die Verwendung der Begriffe bereits in der 1772 publizierten »Vorstellung seiner Universal-Historie« des ebenfalls in Göttingen lehrenden Politikprofessors August Ludwig Schlözer nachweisen. Parker (2008) benennt erste Publikationen, die die Bezeichnung ›Völkerkunde‹ im Titel führen, erst für das Jahr 1786. In seiner – allerdings kaum vollständigen – Übersicht kommt der Begriff bei Publikationen im 21. Jahrhundert im Titel nurmehr bei historischen Bezügen sowie als Bezeichnung für entsprechende, ein bestimmtes Werk jeweils zu verantwortetende Institutionen vor. Der im 21. Jahrhundert erschienene Titel »Wörterbuch der Völkerkunde« (Hirschberg 2005) ist auf die Neuauflage eines auf einem Werk von 1965 aufbauenden, seit 1988 mehrfach überarbeiteten Buches zurückzuführen.
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Von Museumsseite wurde die bis dahin geführte Diskussion 2001 publiziert. Im Band 49 des Baessler-Archivs begründeten in die Debatten involvierte Personen die Entscheidung für (Peter Bolz, Berlin; Anette Rein, Frankfurt am Main; Clara Wilbert, Ba-
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gischer Fassadenanstriche gibt es eine Reihe von Indikatoren dafür, dass die ethnologische Museumslandschaft aktuell stark in Bewegung ist. Neben Namenswechseln bestimmen die Erarbeitung neuer Leitbilder, die Neukonzeption zahlreicher Dauerausstellungen bzw. die programmatische Ausrichtung von Sonderausstellungen, ›Labor‹-Experimente, interdisziplinäre Kooperationen, die Zusammenarbeit mit sogenannten source communities, aber auch Zuständigkeits- und Deutungskonflikte im Disziplinen übergreifenden Wettbewerb das Bild. Unterschiedliche Interessensgruppen tragen an die gleiche Institution zudem sehr verschiedene Erwartungen heran. Wie gehen Ethnolog/-innen mit diesen Entwicklungen um? Welche Konzepte bestimmen das jeweilige Handeln? Inwiefern sind sie treibende Kräfte, inwieweit getriebene Akteure dieser Entwicklungen, die sowohl fachspezifische als auch interdisziplinäre, gesellschaftspolitische, internationale und, dem Anspruch des Faches implizit, stets transkulturelle Facetten aufweisen? Die Beiträge im vorliegenden Band setzen sich mit zentralen Themen der aktuellen Debatten auseinander. Sie zeigen historische Entwicklungen auf und reflektieren die Stellung von Sammlungen und Museen im Rahmen des Faches. Sie diskutieren gegenwärtige Ausstellungskonzepte wie auch den Kontext ihrer Entstehungsweisen und sie stellen die eigenen Überlegungen wiederum zur Diskussion. Beziehungen innerhalb des eigenen Faches, zwischen Ethnolog/ -innen an Museen und Universitäten, werden ebenso in den Blick genommen wie Kooperationen und Auseinandersetzungen jenseits der eigenen Disziplin bzw. des akademischen Feldes. Leitend sind dabei immer wieder die Fragen nach den Möglichkeiten, die ethnologische Sammlungen bieten, nach ihrem Potential für sowohl wissenschaftlich als auch öffentlich relevante Forschungen, Ausstellungen und Diskussionsangebote. Mit eingeschlossen ist dabei auch die Kehrseite der Medaille, also Fragen nach brachliegenden Chancen wie nach internen und externen Faktoren, die ethnologische Arbeit nicht nur fördern, sondern auch erschweren können. Diese Einleitung will die Diskussionen der in diesem Band versammelten Beiträge nicht vorweg nehmen. Es geht an dieser Stelle darum, in drei kurzen Skizzen zentrale Felder aufzufächern, in denen sich die Auseinandersetzungen um ethnologische Museen und Sammlungen aktuell bewegen. Dabei soll der Blick neben der Namensfrage zunächst auf Aspekte der Fachdarstellung in Ge-
sel) bzw. gegen (Annegret Nippa, Dresden; Claus Deimel, Leipzig; Wulf Köpke, Hamburg) eine Umbenennung des Hauses, an dem sie tätig waren. Vgl. auch die Anmerkungen bei Bierschenk/Krings/Lentz 2013a: 13; L. Förster 2013: 189; sowie die Beiträge in diesem Band.
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schichts- und Einführungsbüchern gerichtet werden. Des Weiteren gilt es, die Spannweite aktueller Debatten abzustecken sowie auf die Bedeutung äußerer Einflussfaktoren, die wissenschaftliches Arbeiten bestimmen können, hinzuweisen. Im Anschluss soll schließlich die Institutionen übergreifende Frage nach der Reichweite ethnologischen Wissens gestellt werden. Während sich, wie gezeigt, das Spektrum der Bezeichnungen im institutionellen Kontext zwischen ›Ethnologie‹ (v.a. Universitäten, teilweise Sammlungen), ›Völkerkunde‹ (Museen, DGV) und ›Kultur‹ (in den terminologischen Facetten von ›Kulturen/Weltkulturen‹ bzw. ›Kulturanthropologie‹ in beiden Bereichen stellenweise präsent) bewegt, so dominiert in der aktuellen Fachliteratur trotz zahlreicher Anleihen aus dem anglophonen Raum der Begriff ›Ethnologie‹. Im Kontext der Frage nach den Perspektiven der Völkerkundemuseen interessiert an dieser Stelle vor allem, inwieweit in den zumeist von Universitätsethnolog/-innen verfassten Einführungsbüchern in das Fach auf die Bedeutung der Museen eingegangen wird. Dabei lässt sich die Tendenz beobachten, dass Herausgeber/-innen von Sammelbänden die Museumsarbeit in ihren Darstellungen in der Regel berücksichtigen (vgl. z.B. Trimborn 1971; Schweizer/ Schweizer/Kokot 1993; Kokot/Dracklé 1999; Bierschenk/Krings/Lentz 2013b), wohingegen monographisch verfasste Werke diesen sowohl fachgeschichtlich prägenden als auch aktuell relevanten Bereich entweder gar nicht oder vergleichsweise marginal und stiefmütterlich behandeln (z.B. Stagl 1974a; Bargatzky 1985; Ramaswamy 1985; Petermann 2010; Heidemann 2011; Hahn 2013). Ausnahmen hiervon, wie auch die Bereitschaft zu Ergänzungen bei Neuauflagen, lassen sich beispielsweise in den Einführungsbüchern von Karl-Heinz Kohl und Bettina Beer/Hans Fischer (2013 [1983]) feststellen, wo im Gegensatz zu früheren Ausgaben des jeweiligen Bandes ein entsprechendes Kapitel zu Museen (Kohl 2012 [1993]) bzw. zumindest ein von einem museumserfahrenen Kollegen verfasster Aufsatz zum Thema »Materielle Kultur« hinzugefügt worden sind (Feest 2013).8 Einführungen in die Fachgeschichte weisen nicht selten einen ähnlichen bias auf wie monographisch verfasste Einführungswerke. Als Beispiel für diese offenbar fast schon als Selbstverständlichkeit hingenommene Leerstelle soll der Aufsatz von Heinzpeter Znoj genannt werden. In seinem Abriss zur »Geschichte der Ethnologie« kommt der Autor nahezu ohne Referenz auf die Museen aus. In
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›Materielle Kultur‹ ist seit einiger Zeit auch wieder an Universitäten, teilweise in Kooperation mit Museen, zum wichtigen Forschungsthema avanciert. Für Einführung und Überblick vgl. neben Feest 2013 z.B. Bräunlein 2012; Hahn 2005; Samida/Eggert/Hahn 2014; Tietmeyer et al. 2010.
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den knappen Passagen, in denen sie Erwähnung finden, werden sie auf den Kontext von Weltausstellungen und Völkerschauen reduziert bzw. sind lediglich Gegenstand einer Kritik von außen (Znoj 2013: 40, 42f. Vgl. hierzu auch Suhrbier in diesem Band).9 Dieter Haller (2012) thematisiert in seiner »Geschichte der Ethnologie in der Bundesrepublik 1945-1990« beide Standbeine der Disziplin. Zumeist ist bei historischen Überblicksstudien allerdings eine Fokussierung auf Personen und Theorien festzustellen, während Institutionen und Strukturen wenig Beachtung finden (zur Kritik vgl. Kraus 2003: 239). Allein aus arbeitstechnischen Gründen sind Schwerpunktsetzungen im Rahmen derartiger Untersuchungen natürlich unvermeidlich. Doch muss zumindest darauf hingewiesen werden, dass entsprechende Überblicke keinen holistischen Anspruch aufweisen und keine Gesamtdarstellung des Faches leisten, solange in der historischen Rückschau lediglich die in Printmedien vorgelegten empirischen oder theoretischen Forschungsergebnisse berücksichtigt werden und – neben strukturellen und institutionellen Entwicklungen – nicht auch andere Formate professioneller ethnologischer Ergebnispräsentation, wie Ausstellungen (auch Ausstellungskataloge) oder Filme Eingang finden.10 Zu Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Ethnologie zählen auch Geschichte, Gegenwart und Zukunft ihrer Museen, der dort verantworteten Forschungen, Ausstellungen und Politiken. In den vorherrschenden Tendenzen der Fachdarstellung schlägt sich dies allerdings zumeist lediglich in lokal orientierten Einzelarbeiten nieder oder aber in Werken, die sich wiederum ganz auf Museen konzentrieren. Die unterschiedliche Gewichtung der Repräsentation von Universität und Museum, so lässt sich schlussfolgern, findet in den aktuellen Debatten und Fachdarstellungen eine Konturierung, die eher mit Konstruktionen der Gegenwart als mit einer umfassenden Abbildung historischer Entwicklungen korrespondiert.
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Für umfassendere Überblicksdarstellungen zur Fachgeschichte vgl. Gingrich 2002; Petermann 2004.
10 Natürlich ist zu fragen, inwieweit eine entsprechende Gesamtdarstellung von einer Einzelperson überhaupt noch geleistet werden kann. Gerade in dieser Hinsicht ist die Herausgabe von Handbüchern und sinnhaft zusammengestellten Sammelbänden weiterhin von hohem Wert, auch wenn in der akademischen Hierarchie Monographien und Einzelaufsätze in peer-reviewed journals höher angesiedelt sein mögen. Für einen anregenden und erfrischenden Blick auf die internationale Fachgeschichte vgl. z.B. Kuklick 2008. Für den Einfluss von Museumsstrukturen auf frühe Forschungsreisen vgl. Kraus 2004, 2014; für eine auf Museen fokussierte Analyse der Entstehungsphase der deutschen Ethnologie vgl. Penny 2002.
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V ERORTUNGEN , D EBATTEN , E INFLÜSSE Museen, darunter auch Völkerkundemuseen, sind im Laufe ihrer Geschichte mit einer Vielzahl von Etiketten, Funktionen und Inhalten in Verbindung gebracht worden. Den einen sind sie »gesellschaftlicher Lernort« (Hense 1990), von anderen werden sie mit einem »Mausoleum« verglichen und in die Nähe von Friedhöfen gerückt (Adorno 1953: 552; vgl. auch Baur 2010a: 36f.). Der Funktion als »Identitätsfabrik« (vgl. die Ausführungen bei Korff/Roth 1990) und »Ort der Selbstvergewisserung« (Ottomeyer 2006: 168) steht die Idee des Museums als »Schule des Befremdens« gegenüber (Sloterdijk 2007 [1988]; vgl auch Kramer 2003: 124). Museen gelten als »Wissensordnung« (te Heesen 2012: 156; vgl. auch Andraschke/Hennig 2011: 13), wobei sie immer auch Gefahr laufen, weniger reale Verhältnisse widerzuspiegeln als vielmehr einseitige oder gar politisch gewünschte Kategorien selbst zu konstruieren (Anderson 1998: 154-160). Jenseits derartiger Vereinnahmungen werden Museen allerdings auch als Zufluchtsstätte für utopisches Denken proklamiert (Kirshenblatt-Gimblett 2004). Was die spezifische Diskussion um Völkerkundemuseen angeht, so ist vom »Universal Archive of Humanity« (Fischer/Bolz/Kamel 2007, in Anlehnung an Adolf Bastian) ebenso die Rede wie von »Konserven des Kolonialismus« (Kravagna 2009). Weiterhin sorgen Konzepte wie »Museums as Contact Zone« (Clifford 1997, in Anlehnung an Mary Louise Pratt 1991) oder auch Museen als »healing place« (Lonetree 2009: 334, in der Auseinandersetzung mit ›tribal museums‹) für Reflexionen und Neubetrachtungen. Die Beispiele dafür, was Museen sind bzw. sein können oder sollen, ließen sich zweifelsohne erweitern. Neben realen Facetten von Geschichte und Gegenwart einer Institutionenlandschaft zeigen die angeführten Auffassungen nicht zuletzt den Streit um Zuschreibungen, Interessen und Interpretationshoheiten – ein Streit, der dabei keine neue Entwicklung darstellt. Auch in der Vergangenheit bildeten Völkerkundemuseen keine homogene Einheit, sondern zeichneten sich durch unterschiedliche Sammel- und Ausstellungspraktiken sowie intern und extern geführte Debatten um die in diesen Praktiken zum Ausdruck kommenden Funktionszuschreibungen und Weltdeutungen aus.11 Was manchmal als neue Erkenntnis präsentiert wird, war der Institution von Anfang an zu eigen: Dass sie selbst, ihre Sammlungen und ihre Repräsentationsweisen immer wieder neu verhandelt werden müssen (vgl. Byrne et al. 2012: 5).
11 Sehr deutlich wird dies z.B. in der von Penny (2003) vorgenommenen Gegenüberstellung der ethnologischen Ausstellungspraktiken in Köln und Berlin zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Vgl. auch Kraus 2004: 48ff. sowie Noack in diesem Band.
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Fragt man nun, welche Debatten in und über ethnologische(n) Sammlungen und Museen aktuell am virulentesten sind, so sind zum einen sicherlich die ›Dauerbrenner‹ zu nennen, also Auseinandersetzungen mit Forschungsleistungen und -möglichkeiten von Museen, Diskussionen über Repräsentationsformen sowie Debatten über thematische vs. regionale Dauerausstellungsgliederungen. Zum anderen werden gegenwärtig allerdings auch – teils eng damit verbundene – Fragen nach dem Verhältnis von Gegenwart und Geschichte dieser Institutionen und ihrer Bestände sowie nach potentiellen Kooperationen mit bzw. Zugangs- und Arbeitsmöglichkeiten von ›Außenstehenden‹ stark diskutiert (vgl. als Überblick Modest 2012; L. Förster 2013; sowie die Beiträge in diesem Band). Die Provenienz der eigenen Bestände differenziert in den Blick zu nehmen und zu erforschen, auf welche Weise die Sammlungen, die in ethnologischen Museen bewahrt werden, erworben wurden, zählt sicherlich zu den zentralen Aufgaben all derjenigen, die im Museums- und Sammlungsbereich arbeiten.12 Eng damit verbunden sind Fragen nach der Aussagekraft der vorhandenen Objekte: Inwieweit lassen sich mit den in jeweils spezifischen Situationen zustande gekommenen Sammlungen lokale, globale, thematische, ästhetische, historische oder gegenwärtige Sachverhalte erkennen, veranschaulichen und erzählen?13
12 Es können an dieser Stelle nur einige stellvertretende Literaturverweise angeführt werden. Für historische Erwerbsformen vgl. z.B. die Beiträge in O’Hanlon/Welsch 2000; Schefold/Vermeulen 2002; Plankensteiner 2007 sowie für ein aktuelles Beispiel Herzog-Schröder 2014. Ein – nicht auf ethnologische Sammlungen beschränkter – Klassiker zur Rückgabediskussion ist Paczensky/Ganslmayr 1984. Vgl. auch Feest 1995. Eine ethnologische Untersuchung über Eigentums- und Nutzungsdiskussionen bietet Brown 2003. Eine Einführung in das Konzept ›Kulturerbe‹ liefert Tauschek 2013. Am Museum der Kulturen in Basel wurde die Auseinandersetzung über das Zustandekommen von Sammlungen von Alexander Brust in eine Ausstellung umgesetzt (»Was jetzt? Aufstand der Dinge am Amazonas«), deren Texte im Internet verfügbar sind: http://www.mkb.ch/de/programm/events/2013/Amazonas.html (letzter Aufruf 15.04.2015). Für die Aufarbeitung historischer Beziehungen und Kontexte gewinnt zudem der (durchaus alte) Gedanke vom ›Museum als Archiv‹, das nicht auf seine Objekt-Sammlungen zu beschränken ist, wieder an Aufmerksamkeit. Vgl. z.B. Oppitz 2009; Kohl 2013; Fischer/Kraus 2015. Zur spezifischen Diskussion um ›menschliche Überreste/human remains‹ siehe am Beispiel des Übersee-Museums in Bremen Fründt 2011; nicht vorrangig auf ethnologische Museen fokussierend, aber grundlegend hierzu sind zudem Deutscher Museumsbund 2013; Stoecker/Schnalke/Winkelmann 2013. 13 Vgl. hierzu z.B. Karb/Levine 1991; Henderson/Kaeppler 1997; Hoffmann/Mayer 2014. Für methodische Ansätze, Museen ›zu lesen‹, vgl. z.B. Baur 2010b.
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Was mögliche Kooperationspartner/-innen bei der Arbeit in ethnologischen Sammlungen angeht, so stehen augenblicklich zum einen Künstler/-innen sowie zum anderen Vertreter/-innen sogenannter source communities, also Menschen aus den Gesellschaften, in denen die in ethnologischen Museen bewahrten Objekte hergestellt wurden, im Vordergrund. Beide Formen des Austausches können wertvoll sein. Doch gilt es, die Praxis von einer politisch aufgeladenen, rhetorischen Idealisierung zu unterscheiden. Kooperationen mit Künstler/-innen können helfen, ethnologische Erkenntnisse zeitgemäßer zu vermitteln bzw. auch zu hinterfragen. Zugleich kann damit allerdings auch lediglich der Versuch einer marktkonformeren Nutzung ethnologischer Sammlungen mit Blick auf die eigene Gesellschaft einhergehen. Die Zusammenarbeit mit Vertreter/-innen von source communities kann das Wissen um indigene Deutungen der vorhandenen Objekte wie auch der den Sammlungen zugrunde liegenden transkulturellen Beziehungen erweitern und zudem einen positiven Beitrag für edukative Arbeiten und die Förderung politisch-kultureller Eigenständigkeiten in den Herkunftsgesellschaften leisten. Doch können Kooperationen hier wie dort gleichermaßen auch instrumentalisiert werden, um über ihre diskursiv und medial gesteuerte Repräsentation einzelnen Fraktionen zur Durchsetzung politischer Interessen zu verhelfen.14 Wichtig erscheint in diesem Zusammenhang, dass das Erarbeiten ethnologischer, also auf wissenschaftlicher Forschung von Fachvertreter/-innen beruhender Perspektiven ob alldem nicht hintangestellt wird. Eine zurecht geforderte Perspektivenvielfalt wird nicht durch Verzicht auf eigene Arbeiten und Interpretationen erzielt, sondern durch Verzicht auf autoritäre Deutungsmonopole sowie durch die Möglichkeit anderer Stimmen, sich ebenfalls Gehör und Handlungsmacht zu verschaffen. Eine zumindest virtuelle bzw. digitale Form der Teilhabe streben Museen mittlerweile durch die zunehmende Publikmachung ihrer Bestände in Form von Online-Datenbanken an (vgl. Hoffmann in diesem Band). Zudem ist darauf hinzuweisen, dass Kooperationen auch auf ganz anderen Ebenen als den bisher genannten fruchtbar sein können. So schreibt beispielsweise Mareile Flitsch im
14 Zur Diskussion über Ethnologie und Kunst vgl., wiederum stellvertretend für viele, Bolz/König 2012; Deliss 2012; T. Förster 2013; Kreide-Damani 1992; Münzel/Schmalenbach 1994; Sibeth 2009; Sperling 2011; Tschirschky 1994. Zur Kritik vgl. Kraus in diesem Band. Zur Kooperation mit source communities vgl. z.B. Van Broeckhoven/Bujis/Hovens 2010; Clifford 1997; Fienup-Riordan 2005; Sanner 2007; Sleeper-Smith 2009; vgl. auch Scholz in diesem Band. Zur Kritik vgl. Boast 2011.
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Vorwort des Katalogs zu einer forschungsorientierten Ausstellung am Völkerkundemuseum der Universität Zürich: »Für die Erschliessung autochthoner Wissenssysteme ist die Ethnologie – eine Sozial- und Humanwissenschaft – oft gut beraten, sich einer Art dritter Dimension zu bedienen: der Erkenntnisse aus den Natur- und Technikwissenschaften. [...] Auch für unsere Ausstellung haben wir von interdisziplinären Gesprächen mit Natur- und Technikwissenschaftlern, mit Lebensmittelingenieuren und Chemikern sowie mit Sommeliers und Köchen profitiert« (Flitsch 2014: 18; vgl. auch Powroznik in diesem Band).
Bei der Frage nach existierenden Beziehungen darf zudem nicht übersehen werden, dass weder Museen noch Universitäten autonom agieren, sondern selbst wiederum einen Faktor in einem größeren Ordnungs- und Interessensgeflecht darstellen. Dabei sind sie ihrerseits Entwicklungen und Dynamiken unterworfen, die sie selbst nur teilweise kontrollieren können, deren Auswirkungen aber wiederum die Resultate mitbestimmen, für die Wissenschaftler/-innen die Verantwortung tragen. Ein interessantes Streiflicht auf derartige Zusammenhänge liefern zwei Aufsätze, die in der Zeitschrift Paideuma zu lesen waren und auf die im Folgenden etwas ausführlicher eingegangen werden soll. Im Beitrag »Nichts gewagt, nichts gewonnen« setzt sich Larissa Förster (2010) mit der Ausstellung »Anders zur Welt kommen« auseinander, die als ein »Werkstattblick« in laufende Vorbereitungen zum Humboldt-Forum deklariert war, in dem bekanntlich unter anderem sowohl das Ethnologische Museum als auch das Museum für Asiatische Kunst der Staatlichen Museen zu Berlin eine neue Heimstatt finden sollen. In ihrem Beitrag kritisiert Förster, dass die europäischen Sammlungen zwar aus dem Humboldt-Forum ausgeschlossen sind, eine europäisch basierte Narrative dennoch nachweislich die Deutungshoheit behalte. So wurde zu Beginn der Ausstellung in Raum 1 (»Von der Kunstkammer zum Museum«) gerade nicht auf Beziehungen, Dynamiken, historische Voraussetzungen für Inter- und Transaktionen sowie damit verbundene Kollaborationen und Widerstände fokussiert, sondern auf die Genealogien »wichtiger Männer« (ausgestellt waren hier Leibniz, die Humboldt-Brüder und Bastian), womit die Darstellung an »dasselbe konservative Geschichts- und Architekturverständnis an[schließt], dem auch die Idee zur Rekonstruktion des Berliner Schlosses entsprungen ist« (Förster 2010: 245). In Raum 3 (»Labor«) wurden dann eine Vielzahl durchaus faszinierender Projekte aus den beteiligten Institutionen vorgestellt. Förster lobt hier ausdrücklich die Forschungsbezogenheit dieses Ausstellungsteils, doch kritisiert sie zum einen, dass die gezeigten Projekte ein bloßes Nebeneinander verkörperten und gerade keine Vision für eine interdisziplinäre und inter-institutionelle Zusam-
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menarbeit erkennbar war. Zum anderen waren kritische Fragen und Forschungsansätze, die die vorhandenen Sammlungen »nicht mehr nur als wohlbehütetes Kulturerbe« inszenierten, »sondern als Werkzeug und Ausgangspunkt für eine Auseinandersetzung über koloniale Vergangenheit und postkoloniale Zukunft, über Wissensproduktion und Wissensrezeption im 21. Jahrhundert« (ebd. 255f.), nur selten auszumachen. Bildete von Europa ausgehendes Sammeln (Raum 1) und Forschen (Raum 3) somit die Klammer für die Präsentation außereuropäischer Kultur(en), so konstatiert Förster dem umfassenden Mittelteil (Raum 2: »Welten in Bewegung«) neben Überfrachtung, Textlastigkeit und dem weitgehenden Fehlen zeitgenössischer Formen der Selbstrepräsentation von Vertreter/ -innen der vorgestellten Gesellschaften dann vor allem den weitgehenden Verzicht, auch unangenehme Fragen zu stellen und die gezeigten »Bewegungen« politisch zu kontextualisieren bzw. die ausgestellten Objekte unter Verweis auf ökonomische und kulturelle Verflechtungen zu präsentieren.15 In der folgenden Ausgabe des gleichen Journals erschien daraufhin eine Replik von Markus Schindlbeck (2011). In seiner »Antwort auf Larissa Förster« betont Schindlbeck unter anderem die starke kulturpolitische Einflussnahme auf das Projekt und warf Förster vor, dass sie, übertragen und nunmehr in meinen Worten formuliert, in ihrer Kritik Äpfel – nämlich Aussagen von politisch Verantwortlichen – mit Birnen – den Ideen der Wissenschaftler/-innen und tatsächlichen Ausstellungsmacher/-innen – vergleichen würde. Beide Früchte des Denkens und Handelns seien keineswegs identisch und beeinflussten das am Ende zur Schau gestellte Stillleben auf jeweils eigene Art und Weise. Der kulturpolitische Ausgangspunkt für die Realisierung der Ausstellung führte zudem zu einem extrem engen Zeitrahmen, in dem die – am Ende verantwortlich gemachten – Wissenschaftler/-innen agieren mussten. Weiterhin brachte die Vielzahl der – wiederum nicht auf eigenen Entschluss – beteiligten Institutionen zum einen eine Reihe von Abspracheproblemen mit sich. Zum anderen würde in der Regel das Ethnologische Museum, das den mit Abstand größten Teil der ins HumboldtForum einziehenden Exponate stellt, pauschal für Ergebnisse verantwortlich gemacht, die auch aus ethnologischer Perspektive kritisierbar seien, deren Abänderung im vorherrschenden Interessensgeflecht aber nicht immer durchsetzbar war (Schindlbeck 2011).
15 Einige der angemahnten Desiderata wurden in Berlin nach Ablauf von »Anders zur Welt kommen« im Rahmen des Humboldt Lab Dahlem in Ausstellungsexperimenten thematisiert. Vgl. Scholz in diesem Band; vgl. auch http://www.humboldtforum.de/humboldt-lab-dahlem/dokumentation/ (letzter Aufruf 15.04.2015).
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Es geht mir an dieser Stelle nicht darum, die Debatte in allen Einzelheiten aufzuzeigen; beide Aufsätze sind leicht zugänglich. Stattdessen möchte ich auf einen übergeordneten Aspekt aufmerksam machen: Liest man die Artikel nicht in der chronologischen Reihung ihres Erscheinens, sondern in umgekehrter Abfolge, dann werden aus zwei antagonistischen Stellungnahmen zwei durchaus kompatible, sich auf instruktive Weise ergänzende Texte über Ebenen und Einflussfaktoren der Museumsarbeit. Schindlbecks Antwort lässt sich nicht nur als etwas larmoyant vorgetragene Verteidigung einer Ausstellung, sondern auch als ebenso offenherzige wie selbst- bzw. strukturenkritische Stellungnahme darüber verstehen, unter welchen Begleitumständen Ausstellungen realiter zustande kommen können. Försters Kritik wiederum erscheint im Anschluss weniger als Kritik der (mehr oder weniger) verantwortlichen Kustod/-innen, sondern vielmehr als konsequente Analyse, die aufzeigt, welche Art von Ergebnissen aus den geschilderten, auch systemisch zu betrachtenden Produktionsbedingungen resultieren. In einem Land, in dem mehr als 6.000 zu weiten Teilen aus öffentlichen Geldern finanzierte Museen existieren,16 ist auch den kulturpolitisch Verantwortlichen die Unterstützung von und der Sinn für den Wert von Museen nicht abzusprechen. Zudem kann der Verweis auf fehlendes Geld oder politische Maßnahmen leicht zur pauschalen ›Entschuldigung‹ für eigene, wenig präsentable Ergebnisse musealer oder universitärer Arbeit instrumentalisiert werden. Doch bleibt festzuhalten, dass für ein Verständnis von ›Ausstellungspolitiken‹ – wie natürlich auch für die Möglichkeiten universitären Arbeitens – nicht nur die wissenschaftliche, kuratorische oder gestalterische Tätigkeit als solche, sondern auch die ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen mit ihren Möglichkeiten interner und externer Einflussnahmen zu berücksichtigen sind.17
16 Diese
Zahl
nennt
der
Deutsche
Museumsbund
auf
seiner
Homepage:
http://www.museumsbund.de/de/das_museum/geschichte_definition/museum_im_wa ndel_der_zeit/ (letzter Aufruf 15.04.2015). 17 Zu kritisieren ist in diesem Zusammenhang zudem die politisch immer wieder gegebene Bereitschaft der Veräußerung von einmaligem Kulturgut. Ein Beispiel hierfür ist die Bewilligung des Verkaufs der Weltkarte von Martin Waldseemüller (1507) an die Library of Congress in Washington, D.C. (vgl. Kraus/Ottomeyer 2007: 402). In den letzten Jahren wurde sowohl in Baden-Württemberg als auch in Nordrhein-Westfalen von hochrangigen Politiker/-innen der Verkauf von historischen Dokumenten bzw. von Kunstwerken befürwortet, was auf heftigen Widerstand (nicht nur) aus Kreisen der Wissenschaft stieß. Vgl. zu Baden-Württemberg http://www.kulturrat.de/ detail.php?detail=858&rubrik=5 (letzter Aufruf 15.04.2015); zu NRW vgl. Heck
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Nicht nur die kulturpolitischen Mega-Projekte, wie das im Entstehen begriffene Humboldt-Forum in Berlin oder das Pariser Musée du quai Branly, auch die programmatischen Neuausrichtungen der ethnologischen Museen in Basel, Frankfurt am Main, Köln, Leipzig oder Zürich haben sowohl beim Publikum und im Feuilleton als auch in der Fachwelt Beachtung gefunden und für umfassende Debatten gesorgt. In Stuttgart kam es bei der Ausstellung »Inka. Könige der Anden« vor dem Völkerkundemuseum zu Schlangenbildungen und die Besucher/-innen mussten wegen des großen Andrangs Wartezeiten beim Einlass in Kauf nehmen. In Hamburg und München wurden sowohl aktuell forschungsbezogene als auch gesellschaftspolitisch relevante Themen in Ausstellungen umgesetzt (vgl. Goede Montalván in diesem Band). All dies verdeutlicht, dass die von Ethnolog/-innen erarbeiteten Wissensbestände auf Interesse stoßen und Relevanz besitzen. Forschung wird an Universitäten in größerem Umfang geleistet als an Museen. Doch auch wenn im deutschsprachigen Raum die universitäre Ethnologie sowohl in der Forschungsdichte als auch, wie oben gezeigt, in der Fachgeschichtsschreibung und -präsentation dominiert – und mit Ausbildung und Forschung zudem wesentliche Grundlagen für die Arbeit in den Museen legt –, so kann sie, zumindest was die öffentliche Wahrnehmung angeht, doch kaum von gleichen Erfolgen berichten. In einem jüngst von namhaften Fachvertreter/-innen vorgelegten Sammelband findet sich die Feststellung, dass Ethnolog/-innen »mit wenigen Ausnahmen [...] in größeren, medienbasierten öffentlichen Debatten im deutschsprachigen Raum kaum präsent [sind], auch dann nicht, wenn es um genuin ethnologische Themen wie Ethnizität oder Kultur geht« (Bierschenk/Krings/Lentz 2013a: 12). Weiter heißt es: »Das Museum ist nach wie vor die Hauptform der Vermittlung ethnologischen Wissens in der Öffentlichkeit. Gleichwohl steckt es – zumal in Deutschland – in einer gewissen Krise, die nicht zuletzt in der Umbenennungswelle der vergangenen zwanzig Jahre zum Ausdruck kommt« (ebd.: 13; vgl. auch Haller 2013).
2014; Lammert 2015; Gropp 2015 (eine entsprechende Sorge bezüglich Universitätssammlungen wurde bereits an früherer Stelle formuliert; vgl. Münzel/Kraus 2000: 8). 2009 wurde sogar über den Vorwurf direkter politischer Einflussnahme auf die Textgestaltung bei der Darstellung der europäischen Flüchtlingspolitik in der Ausstellung »Fremde? Bilder von den Anderen in Deutschland und Frankreich seit 1871« (Beierde Haan/Werquet 2009) im Deutschen Historischen Museum berichtet (Lichterbeck/ Müller 2009; Timm 2009).
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Zwei Beispiele sollen die erste Feststellung kurz untermauern. Bereits Ende der 1970er Jahre hatte Johanna Agthe (1979: 11) gezeigt, wie wenig ethnologische Ergebnisse in öffentlich relevanten Bereichen oftmals wahrgenommen werden. In einem Ausstellungskatalog wies sie darauf hin, dass in einem deutschen Schulbuch aus dem Jahr 1969 die Bewohner Indonesiens vermittels eines vorurteilsbeladenen Zitats charakterisiert werden, das aus einem geographischen Reisebericht aus dem Jahr 1921 stammte. Die Idee, rezentere ethnologische Wissensbestände in das Schulbuch einfließen zu lassen, lag für den Autor offenbar nicht auf der Hand. In einer aktuellen Untersuchung setzt sich der Ethnologe und Jurist Jonas Bens aus kulturanthropologischer Sicht mit dem 2006 in Deutschland eingeführten »Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz« (AGG) auseinander. Zu den Zielen dieses Gesetzes zählt es unter anderem, Benachteiligungen einer Person aufgrund ihrer ›ethnischen Herkunft‹ zu vermeiden bzw. gegebenenfalls zu sanktionieren. In seiner Untersuchung analysiert Bens zwei Urteile, bei denen sich Personen aus Ostdeutschland am Arbeitsplatz bzw. bei der Arbeitssuche aufgrund ihrer Herkunft benachteiligt fühlten und sich in ihren Klagen jeweils auf das AGG beriefen. Bei der Urteilsfindung konzentrierten sich die Gerichte dann vor allem auf die Frage, ob es sich bei den ›Ossis‹ um eine Ethnie handle, so dass die Schutzfunktion des AGG zur Anwendung gelangen könne. Neuere kulturwissenschaftliche Ansätze, die nicht nach einem essentialisierend gedachten ›Wesen‹ von Ethnien fragen, sondern die dynamischen Produktionsprozesse von Ethnizität in den Mittelpunkt der Analyse stellen und den Begriff in erster Linie als intersubjektiv wirksame Kategorie auffassen, wobei ›Differenz‹ weniger im Subjekt selbst begründet, sondern vielmehr als zwischen Subjekten ausgehandelte Konstruktion aufzufassen ist, waren dem Gericht jeweils unvertraut.18 In beiden Fällen wurde die Klage abgewiesen, was, so Bens, trotz vorhandener abweichender Meinungen auch dem Mehrheitsdiskurs in der rechtswissenschaftlichen Literatur entspricht. Juristisch bedeutet dies, dass eine Person, die sich benachteiligt sieht, weil sie als ›Türke‹ wahrgenommen wird, bei der Berufung auf das AGG durchaus Erfolgschancen besitzt, während eine Person, der man den Arbeitsplatz verweigert, weil sie als ›Ossi‹ wahrgenommen wird, sich nicht auf dieses Gesetz berufen kann, und das obwohl in beiden Fällen Prozesse der Fremdzuschreibung und
18 Etwas weniger fachwissenschaftlich ausgedrückt: Es kann auch beim AGG nicht darum gehen, ›Ethnien‹ dingfest zu machen, sondern es muss »vielmehr um das Recht jedes Menschen [gehen] in Deutschland nicht aufgrund von Zuschreibungen in Bezug auf Heimat, Herkunft, Kultur usw. ausgegrenzt zu werden; zum Beispiel einen Arbeitsplatz nicht zu erhalten« (Bens 2013: 91).
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der sozialen Ausgrenzung stattfinden (Bens 2013: 92). Hinsichtlich der Frage nach der Reichweite ethnologischer Forschungsergebnisse ist an Bens’ Untersuchung von Interesse, dass sich die bei der Rechtssprechung verwendeten Quellen kaum mit neueren ethnologischen Ansätzen auseinandersetzen. Der von Bens als »wissenschaftlicher Leitkommentar für das deutsche Zivilrecht« bezeichnete »Münchner Kommentar« bezieht sich bei der Auseinandersetzung mit dem Ethnien-Begriff u.a. auf einen Brockhaus-Artikel sowie einen UNESCO-Bericht von 1952. An spezifisch ethnologischer Literatur finden sich neben einem kurzen Verweis auf Claude Lévi-Strauss dann vor allem die 1964 überarbeitet vorgelegten Überlegungen zu »Rassen, Ethnien, Kulturen« von Wilhelm E. Mühlmann (ebd.: 59-65).19 In beiden skizzierten Fällen standen aktuelle ethnologische Wissensbestände zur Verfügung. Doch war es in beiden Fällen für Nicht-Ethnolog/-innen offenbar alles andere als selbstverständlich, darauf zurückzugreifen. Angesichts eines solchen Befundes drängt sich die Frage auf, inwiefern die von Thomas Bierschenk, Matthias Krings und Carola Lentz konstatierte Krise des Museums nicht eher eine Krise der gesamten Disziplin darstellt und das Museum weniger als Ausdruck dieser Krise, sondern vielmehr als eine zentrale Möglichkeit zu ihrer Überwindung wahrgenommen werden sollte. Ethnologische Museumsarbeit bedeutete dann in erster Linie die Präsentation rezenter Forschungsergebnisse der Disziplin (vgl. Antweiler in diesem Band). Dies kann über die Ausstellung ›materieller Kultur‹ mit Blick auf ihren kulturellen und ästhetischen »EigenSinn« (Museum der Kulturen Basel 2011) wie auch mit Blick auf ihre sozial, ökonomisch, politisch und weltanschaulich verflochtenen Beziehungsgeschichten erfolgen,20 aber auch über die gezielte Reflexion beispielsweise der gesellschaftspolitischen Dimension von Zuschreibungsmechanismen und Wahrnehmungspolitiken (vgl. Edenheiser, Seiderer und Slenczka in diesem Band). Vor dem Hintergrund dieses dritten Punktes – der mangelhaften öffentlichen Wahrnehmung ethnologischer Forschungsergebnisse – sollen abschließend noch einmal zwei Aspekte, die bereits in den Passagen zuvor benannt wurden, in den Blick genommen werden: Die Namensgebung wie auch der politische Kontext
19 Für Gingrich war Mühlmann »the most dangerous Nazi ideologist in German Völkerkunde« (Gingrich 2005: 106; vgl. auch ebd. 121, 123, 131-134). Zur Diskussion um Mühlmanns nationalsozialistische Einstellung vgl. weiterhin Michel 1988; Petermann 2004: 777-794; Hahn 2013: 163-166. 20 Für entsprechende Verflechtungsgeschichten vgl. z.B. Herzog 1989; Thomas 1991; Vierke 2006. Zu Ausstellungspraktiken vgl. die Beiträge von Edenheiser, Groschwitz, Lewy, Powroznik, Scholz, Seiderer und Slenczka in diesem Band.
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von Völkerkundemuseen bzw. Ethnologie. Mit Ausnahme des Berliner Museums, dem in Zukunft allerdings die Subsumierung unter der Bezeichnung Humboldt-Forum bevorsteht, wurde im Museumsbereich bei Namenswechseln von den Begriffen ›Völkerkunde‹, aber auch ›Ethnologie‹ Abstand genommen. Neue Bezeichnungen wie ›Weltkulturen‹ oder ›Fünf Kontinente‹ verraten erst einmal nicht, welche Fachdisziplin hier ihre Ergebnisse präsentiert. Dies erscheint in Zeiten, in denen sowohl interdisziplinären Rückbesinnungen als auch den Neuverhandlungen alter Kategorien und Grenzen erfreulich große Beachtung geschenkt wird, durchaus konsequent. Zu fragen ist allerdings auch, inwieweit die äußere Neucodierung zum Wegbereiter einer Entwicklung wird, die auch im Inneren der Institutionen ethnologische Ansätze und Perspektiven zunehmend in den Hintergrund drängt (vgl. Kraus in diesem Band). Die öffentliche Wahrnehmung des Faches und seiner Forschungsergebnisse wird durch den vorherrschenden Namenswirrwarr sicherlich nicht begünstigt. Was den zweiten Punkt betrifft, so können zwei Ebenen unterschieden werden: Wie groß ist die Reichweite von Ausstellungen und Kooperationen, vom einzelnen Projekt her betrachtet? Und wie ist ›das ethnologische Museum‹ selbst als Institution in der kulturpolitischen Landschaft unserer Tage repräsentiert? Sowohl was die kreativen Ansätze als auch was die konfliktiven Auseinandersetzungen um den Binnenbereich ethnologischer Sammlungen und Museen angeht, sollte nicht übersehen werden, dass die Hitze der Debatten nicht in jedem Falle auch ihrer politischen Reichweite entspricht. ›Weltpolitik‹ und ›Weltgeschichte‹ kann in Museen und an Universitäten erforscht, repräsentiert und diskutiert werden, doch wird (und wurde) sie dort im Allgemeinen nicht gemacht. Es ist somit durchaus als ein Beitrag zur Versachlichung der Auseinandersetzung, nicht nur für die Zusammenarbeit mit source communities, zu bewerten, wenn Lidia Guzy, Rainer Hatoum und Susan Kamel (selbst)kritisch anmerken: »We doubt that museums are key factors for the political, social and economic empowerment of marginalised groups; however, we do believe that a museum can be a place for discussion and a forum for debate« (Guzy/Hatoum/Kamel 2010: 12). Der Wert der Verhandlungen, die in einem ethnologischen Museum stattfinden, ist damit nicht geschmälert. Lediglich die Bedeutungszuschreibung der potentiellen Reichweite der jeweiligen Ergebnisse wird geerdet. Ihren eigenen Ansatz verorten die genannten Autor/-innen wie folgt: »to contribute to the democratisation and decolonisation of museum studies […] as well as to gain insights leading to a better representation of nonEuropean societies in European museum work« (ebd.).
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Das Ziel einer besseren Repräsentation außereuropäischer Gesellschaften in Europa bildet die Brücke zur zweiten benannten Ebene. Fragt man sich, wofür eine Institution wie ›das Völkerkundemuseum‹ bzw. ›das ethnologische Museum‹ in unserer Zeit stehen könnte, so scheint das vorhandene Potential vor allem bei politisch aufgeladenen Großprojekten gezielt nicht ausgenutzt zu werden. In der Diskussion um das Pariser Musée du quai Branly entzündet sich Kritik beispielsweise an der Entscheidung, in der Dauerausstellung den Kunstwert der Objekte in den Vordergrund zu stellen. Die Beziehungen zu den ehemaligen französischen Kolonien fallen trotz der ausgestellten Artefakte kaum in den Blick: »Hier versagt das Musée Branly – und es wird deutlich, wie sehr die Strategie der Ästhetisierung auch eine politische Funktion erfüllt« (Lepenies 2009: 172; vgl. auch Sternfeld 2009). Andernorts hat aktuell wieder die Nabelschau Konjunktur, die lieber das ›Eigene‹ in den Mittelpunkt stellt als ›Anderem‹ mehr Raum zu gewähren (– sei es mit Blick auf Unterschiede oder Gemeinsamkeiten; beides kann herausfordern, in Frage stellen, provozieren und/oder bereichern). Sowohl in der deutschen als auch in der österreichischen Hauptstadt werden von politischer Seite aktuell Vorschläge propagiert, die die lange geplanten Neukonzeptionen ethnologischer Museen durch die von Stadtbzw. Landesmarketing geprägten Konzepte einer Berlin-Ausstellung im Humboldt-Forum bzw. eines Museums der »Geschichte der Republik Österreich« ergänzen bzw. drastisch beschneiden möchten (vgl. Apa 2015; Müller 2015).21 Die »Selbstvergewisserung« dominiert über die »Schule des Befremdens«. Nicht zuletzt hier zeigt sich eine Institutionen übergreifende Herausforderung für Ethnolog/-innen: Gemeinsam für den Erhalt, ja für den Ausbau derjenigen Räume und Beziehungen einzutreten, die es den Menschen und Lebensäußerungen, denen sich das Fach widmet, ermöglichen, auch in den Metropolen Präsenz und Präsentationsmöglichkeiten zu besitzen, und sich auch potentiell mehrheitsfähigen Simplifizierungen immer wieder mutig entgegenzustellen.
21 Mag ein Berlin-Museum im ehemaligen preußischen Königsschloss historisch durchaus naheliegend sein, so werden die ursprünglichen Konzeptionen für das HumboldtForum auf politischen Einfluss hin doch noch einmal verkehrt. Während ›Europa‹ als Raum vielfältiger Beziehungen und historischer Bezüge, vermittelt über die Sammlungen des Museums Europäischer Kulturen, von den Entscheidungsträger/-innen im Humboldt-Forum explizit nicht erwünscht ist (vgl. Groschwitz in diesem Band), erobert sich neben den ›außereuropäischen Kulturen‹ stattdessen nunmehr offenbar die Stadt- und Nationalgeschichte ihren Platz.
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B UCHAUSBLICK UND D ANKSAGUNG Die Aufsätze im vorliegenden Band geben Einblick in das umfassende Spannungsfeld ethnologischer Sammlungen in Museen und Universitäten. Sie sind nach den Zwischenüberschriften »Ungleiche Geschwister? Ethnologie an Museum und Universität«, »Institutionelle Entwicklungen und interdisziplinäre Debatten« sowie »Konzepte in Aktion« angeordnet, doch überschreiten die meisten Beiträge den Einteilungsversuch dieser Gliederung. Neben der Analyse von Beispielen aus eigenständigen Völkerkundemuseen werden von den Autor/ -innen dieses Bandes auch Universitätsmuseen (Natho & Schmitz, Noack, Powroznik), Mehrspartenmuseen (Schultz, Suhrbier), indigene Museen (Slenczka) sowie Kooperationsprojekte zwischen mehreren Museen (Seiderer) in den Blick genommen. Jüngst erprobte Ausstellungskonzepte (Edenheiser, Groschwitz, Kraus, Lewy, Natho & Schmitz, Powroznik, Scholz, Seiderer, Slenczka, Suhrbier) werden ebenso analysiert wie sowohl einzelfallbezogene als auch Institutionen übergreifende historische Entwicklungen und Weichenstellungen (Antweiler, Goede Montalván, Hoffmann, Natho & Schmitz, Noack, Suhrbier, Schultz). Gestaltungsfragen und postkoloniale Präsentationsmöglichkeiten werden thematisiert (Edenheiser, Groschwitz, Scholz, Seiderer, Slenczka) und die Komplexität der Vermittlung fremder Weltanschauungen aufgezeigt (Lewy, Seiderer). Auch die Produktion aktueller Bilder über das Völkerkundemuseum selbst wird hinterfragt (Kraus, Suhrbier). Weiterhin sind die Herausforderungen der Digitalisierung Thema der Diskussion (Antweiler, Goede Montalván, Hoffmann). Das Verhältnis zur Universität ist letztlich allen Texten implizit, da auch die an den Museen arbeitenden Kolleg/-innen dort ausgebildet wurden und teilweise auch unterrichten. Was Chancen und Grenzen möglicher Kooperationsformen jenseits der eigenen Disziplin bzw. des akademischen Feldes angeht, steht vor allem die Auseinandersetzung mit Kunst und Kunstwissenschaft (Edenheiser, Kraus, Noack, Scholz, Seiderer, Suhrbier), indigenen Gemeinschaften (Hoffmann, Scholz, Slenczka), der Europäischen Ethnologie (Groschwitz) sowie technik- und naturwissenschaftlich orientierten Ansätzen (Antweiler, Powroznik) im Vordergrund. Im einführenden Beitrag kennzeichnet Karoline Noack die Institution ›Museum‹ als Gegenstand sowohl von als auch für ethnologische Forschung. Sie zeigt Länder übergreifende Einflüsse für regionale Entwicklungen an Universität und Museum auf und verfolgt den wechselhaften Status, der unterschiedlichen Objekten im Laufe ihrer Geschichte zwischen Ethnologie und Kunst zugeschrieben wurde. Dabei verweist sie auf vorhandene methodische Ähnlichkeiten zwischen beiden und stellt die Unsicherheit des jeweiligen Status’ als Möglichkeit
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einer anti-hegemonialen Annäherung an den eigenen Forschungsgegenstand heraus. Maike Powroznik diskutiert den Erkenntniswert ethnologischer Sammlungen, wobei sie sowohl Beispiele aus der aktuellen ethnologischen Literatur als auch das in Zürich entwickelte Ausstellungsprojekt »Trinkkultur – Kultgetränk« in den Blick nimmt. Ergebnisse werden hierbei auf drei unterschiedlichen Ebenen – Technik, Sozialleben und Weltanschauung – unter besonderer Berücksichtigung der jeweils notwendigen bzw. vorhandenen Fertigkeiten (skills) präsentiert, wobei der (Feld-)Forschungsbezug der Museumsarbeit betont wird. Mona Suhrbier reflektiert Entwicklungen der letzten Dekaden, die für die Wahrnehmung sowohl der Museums- als auch der Universitätsethnologie charakteristisch waren. Sie verweist auf die zunehmende Distanz zwischen beiden Institutionen und analysiert Disziplinen übergreifende Ansätze und Ausstellungen, die sich außerhalb der Ethnologie erfolgreich etablieren konnten. Dabei macht sie allerdings auch den Erkenntnisverlust deutlich, der über das Aussparen wissenschaftlicher Forschungskompetenz vorangetrieben wird. Christoph Antweiler thematisiert die Frage nach zentralen Herausforderungen für die Zukunft ethnologischer Museen, wobei er die enge Verbindung zwischen Museum und Universität als wesentlich benennt. In Abgrenzung zur Konkurrenz des Internets arbeitet er Besonderheiten ethnologischer Sammlungen und der damit verbundenen Wissensbestände heraus und fasst seine Überlegungen abschließend in zehn Thesen zu Ethnologie und Museum zusammen. Im zweiten Teil dieses Bandes untersucht Martin Schultz am Beispiel Mannheims die wechselhafte institutionelle Zugehörigkeit sowie die starken Schwankungen unterlegene Aufmerksamkeit, die ethnologischen Objekten im Laufe ihrer Geschichte zuteil werden konnten, wobei neben politischen Weichenstellungen immer auch das Engagement von Einzelpersonen entscheidend war. Der Beitrag verdeutlicht unter anderem die Notwendigkeit einer besseren Erschließung der vielfach unzureichend aufgearbeiteten Bestände als Voraussetzung für ihre sinnvolle Nutzung. Heinrich Natho und Jennifer Schmitz zeigen zunächst die Bedeutung von Sammlungen im Rahmen der Bonner Universitätsgründung im frühen 19. Jahrhundert auf und schildern dann Umbaumaßnahmen und neue Entwicklungen der Bonner Altamerika-Sammlung. Der multifunktional einsetzbare Ausstellungsraum wird in ihrer Darstellung als Labor per se erkennbar, das unterschiedlichen Akteuren ein Lern- und Experimentierfeld zur Präsentation und Diskussion wissenschaftlicher Ideen und gesellschaftlicher Entwicklungen bietet. Peggy Goede Montalván benennt die Zunahme der Aufgaben und Anforderungen, die (nicht nur) an ethnologische Museen herangetragen werden. Sie veranschaulicht Reaktionen auf diese Entwicklungen und diskutiert mögliche Antworten, wobei sie Herausforderungen der Digitalisierung ebenso in den Blick
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nimmt wie Publikumserwartungen sowie Partizipations- und Forschungsoptionen. Kooperationsmöglichkeiten, die auf Digitalisierungsprojekten basieren, sind das Thema des Beitrags von Beatrix Hoffmann. Nach einem Überblick über zentrale Entwicklungen in der Museumslandschaft der vergangenen Jahrzehnte und dem damit verbundenen Wandel, diskutiert sie an konkreten Beispielen Reichweite und Partizipationschancen digitalisierter Wissens-DingSammlungen, deren Potential es nicht nur mit Blick auf die die Sammlungen besitzenden Gesellschaften auszuschöpfen gilt, sondern auch mit Blick auf all diejenigen, für die die Objekte Teil ihres kulturellen Gedächtnisses bilden. Helmut Groschwitz nimmt die Aussparung Europas in der Planung für das Humboldt-Forum in Berlin zum Anlass, um sowohl über die Konstruktion von Kontinenten als auch über Grenzziehungen bei der Kategorisierung von Museumssammlungen nachzudenken. Die Beschreibung und Auswertung des »EuropaTests«, einer Ausstellung im Rahmen des Humboldt Lab Dahlem, rückt die oftmals grenzüberschreitenden Prozesse sowohl bei der Objekt- als auch bei der Sammlungs- bzw. Museumsentstehung in den Blick und macht die Fragwürdigkeit gängiger Dichotomien wie ›Europa/Außereuropa‹ deutlich. Michael Kraus setzt sich an zwei konkreten Beispielen aus Berlin und Frankfurt am Main mit Ansprüchen auseinander, die aktuell von Seiten der Kunst bzw. Kunstgeschichte an ethnologische Sammlungen herangetragen werden. Er zeigt auf, wie der kritische Diskurs über ethnologische Museen sich die von ihm kritisierten Praktiken und Darstellungsformen selbst zu eigen machen kann und diese somit eher reproduziert als überwindet. Empirisch ausgerichtete ethnologische Forschungen drohen dabei gegenüber zeitgenössischen Rhetoriken und der damit verbundenen kuratorischen Praxis in den Hintergrund zu treten. Der dritte Teil dieses Bandes wird von Iris Edenheiser eingeleitet, die die künstlerische Auseinandersetzung mit der indigenen Bevölkerung Nordamerikas aufzeigt, wie sie in der Ausstellung »Tecumseh, Keokuk, Black Hawk – Indianerbildnisse in Zeiten von Verträgen und Vertreibung« beleuchtet wurde. Sie betont die fruchtbare wechselseitige Ergänzung, die ethnologische und kunsthistorische Ansätze jeweils leisten können und diskutiert unter anderem szenografische Aspekte des Ausstellungsmachens. Andrea Scholz gibt Einblicke in Arbeitsweisen und -resultate des Humboldt Lab Dahlem, das mit einer Vielzahl unterschiedlicher Ausstellungsexperimente den Planungsprozess für das Humboldt-Forum flankiert und inspiriert. Über die Diskussion dreier konkreter LabExperimente – »Objektbiografien«, »Yuken Teruya: On Okinawa« und »Wissen teilen« – setzt sie sich mit aktuellen museologischen Fragen und Antworten auseinander. Der folgende Beitrag von Matthias Lewy diskutiert ebenfalls ein Projekt, das im Rahmen des Humboldt Lab Dahlem seine experimentelle Umset-
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zung fand. Am Beispiel der Klanginstallation zur Ausstellung »Mensch – Objekt – Jaguar« führt er in die Komplexität ethnologischer Annäherungen an Kosmovisionen aus dem Amazonasgebiet ein, erläutert die umfassenden Überlegungen, die in die Installation eingeflossen sind, und diskutiert die Chancen und Grenzen von sound bei der Vermittlung fremder Kulturen. Anna Seiderer reflektiert zunächst unterschiedliche Ansätze von Ausstellungsmachern, dem Thema ›Religion‹ im Museum angemessen zu begegnen, wobei sie eine Ritualisierung beim Umgang mit religiösen Objekten konstatiert. Neben einer theoretischen Auseinandersetzung stellt sie diesen Ansätzen das Projekt »Fetish Modernity« gegenüber, das, Positionen der postkolonialen Kritik aufgreifend, die Grenzziehungen bei der Darstellung von Religion(en) im Museum über die Gegenüberstellung politisierender Diskurse und hybrider religiöser Objektensembles auslotet. Anne Slenczka setzt sich im abschließenden Beitrag mit der Ausstellungspraxis sowohl eines deutschen Völkerkundemuseums – des Kölner Rautenstrauch-JoestMuseums – als auch mit der Ausstellungspraxis eines indigenen Gemeindemuseums in Mexiko – des Museums Yucu-Iti in Sta. María Yucuhiti – auseinander. Sie arbeitet heraus, welch unterschiedliche Zielsetzungen, aber auch, welch vergleichbare Problemstellungen bei den Repräsentationen des jeweils ›Eigenen‹ bzw. ›Fremden‹ zutage treten und leitet daraus Anforderungen für eine postkoloniale Museumspraxis ab. Der vorgelegte Band beinhaltet die um zwei Beiträge erweiterten Vorträge der Tagung »Quo vadis, ›Völkerkundemuseum‹? Bilder der Vergangenheit, Debatten der Gegenwart und Perspektiven für die Zukunft ethnologischer Sammlungen an Museum und Universität«, die am 27. und 28. Juni 2014 an der Abteilung für Altamerikanistik der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn stattgefunden hatte und von den Mitarbeiter/-innen der Bonner AltamerikaSammlung (BASA) in Kooperation mit dem Institut für Orient- und Asienwissenschaften organisiert worden war. Geleitet wurde die Tagung von Karoline Noack, Christoph Antweiler und Michael Kraus. Für die großzügige finanzielle Unterstützung unserer Aktivitäten gilt unser Dank der Fritz Thyssen Stiftung für Wissenschaftsförderung sowie der Philosophischen Fakultät der Bonner Universität. Für die konstruktiven inhaltlichen Debatten danken wir neben den Autor/ -innen der hier veröffentlichten Aufsätze auch allen weiteren Teilnehmer/-innen der Veranstaltung. Tatkräftige Unterstützung bei der Organisation erfuhren wir von Franziska Galinski, Lena Lindner, Christine Winter de Velarde und Jeremias Schledorn. Unser Dank gilt weiterhin dem transcript-Verlag für die Aufnahme dieses Bandes in die Edition Museum sowie für die gute Zusammenarbeit. Der Satz des Buches wurde von Lena Lindner ausgeführt.
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Bei der Aufnahme der Titelfotografie, die eine Deckenscheibe der AparaiWayana22 aus dem Bestand der BASA zeigt, waren Michael Beykirch und Christian Klinger behilflich. Für inspirierende Hinweise und anregende Diskussionen danken die Herausgeber zudem Jonas Bens, Harald Grauer, Antje Gunsenheimer, Nicola Höschle, Mark Münzel, Boris Schafgans sowie last but not least den Studierenden der Abteilung für Altamerikanistik der Rheinischen FriedrichWilhelms-Universität Bonn, mit denen wir in den letzten Semestern Dinge, Debatten und Beziehungsgeflechte in und um ethnologische(n) Sammlungen in Museen und Universitäten untersuchten.
L ITERATUR Adorno, Theodor W. 1953. Valéry Proust Museum. In: Die Neue Rundschau (Hg. von Gottfried Bermann Fischer): 552-563. Agthe, Johanna. 1979. Arm durch Reichtum. Sumatra. Eine Insel am Äquator (Roter Faden zur Ausstellung 5). Frankfurt am Main: Museum für Völkerkunde/Dezernat für Kultur und Freizeit. Anderson, Benedict. 1998. Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines folgenreichen Konzepts. Berlin: Ullstein. Andraschke, Udo und Jochen Hennig. 2011. Ausstellen als Wissens- und Versuchsanordnung. In: Andraschke, Udo, Kristin Boberg, Nikola Doll, Jochen Hennig, Michael Kraus, Frauke Stuhl und Kerstin Wallbach (Hg.). WeltWissen. 300 Jahre Wissenschaften in Berlin. Dokumentation. München: Hirmer, 9-13. Apa. 2015. Weltmuseum wird kleiner, dafür kommt Haus der Geschichte (19.01.2015). http://diepresse.com/home/kultur/kunst/4642003/Weltmuseum -wird-kleiner-dafur-kommt-Haus-der-Geschichte (letzter Aufruf 25.02. 2015).
22 Die maruana genannte Scheibe der Aparai-Wayana wurde von Manfred Rauschert bei seinen Forschungen in Nordbrasilien in den 1970er Jahren im Dorf Maschipurimo erstanden und am 21.12.1977 für die BASA erworben (Inv.-Nr. 3349). Solche Scheiben, die traditionell mit mythologischen Wesen bemalt sind und mittlerweile auch zum Verkauf angefertigt werden, waren ursprünglich an der Decke im Inneren der traditionellen Rundhäuser angebracht.
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Ungleiche Geschwister? Ethnologie an Museum und Universität
Museum und Universität: Institutionen der Ethnologie und Authentizität der Objekte. Rückblicke, gegenwärtige Tendenzen und zukünftige Möglichkeiten K AROLINE N OACK
E INLEITUNG Die Tagung mit dem Titel »Quo vadis, Völkerkundemuseum? Bilder der Vergangenheit, Debatten der Gegenwart und Perspektiven für die Zukunft ethnologischer Sammlungen an Museum und Universität« (27. - 28. Juni 2014) hat den Versuch unternommen, die Ethnologie vom Beginn ihrer Institutionalisierung als Museums- und Universitätsdisziplin über die großen Umbrüche, die in der Universität seit den 1970er und in den Museen vor allem seit den letzten 20 Jahren deutlich wurden (L. Förster 2013) bis zu den aktuellen Entwicklungen zu umreißen. Der Begriff ›Völkerkundemuseum‹ markiert dabei den Beginn der Institutionalisierung einer Disziplin, die vor allem mit dem Museum verknüpft war. Mit dem Terminus ›ethnologische Sammlungen‹ ist der Umbenennung von Museen für Völkerkunde im deutschsprachigen Raum seit der Mitte der 1990er Jahre Rechnung getragen worden. Einige Museen haben den Wechsel von der ›Völkerkunde‹ zur ›Ethnologie‹, zu den ›Kulturen der Welt‹ oder schlicht zur ›Welt‹ vollzogen. In der Universitätsdisziplin Ethnologie ist seit den 1970er Jahren das Interesse an der »materialisierten Kultur« neu erwacht (Johansen 1992; vgl. hierzu auch die Debatte in der Zeitschrift für Ethnologie 1993 sowie Samida et al. 2014). »Das Ding« wurde 1997 auch zum Thema einer Tagung der Deutschen Gesellschaft für Völkerkunde (vgl. Kraus 2003: 7). Trotz der unterschiedlichen Wege, die die Ethnologie in Museum und Universität gegangen ist, stehen
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nach wie vor die Sammlungen, die sich nicht nur in Museen, sondern auch an einer Reihe von ethnologischen Universitätsinstituten befinden, für eine Schnittmenge in der Forschung, die das Fach in den beiden Institutionen miteinander teilt. Seit 2011 wird verstärkt wissenschaftspolitische Aufmerksamkeit auf universitäre Sammlungen als wichtige Forschungsinfrastrukturen gelenkt (Wissenschaftsrat 2011). In diesem Band wird Geschichte, Gegenwart und Zukunft ethnologischer Museen diskutiert. Damit wird der Existenz der Sammlungen als historisches Erbe seit dem 19. Jahrhundert und darüber hinaus aus einer noch weiter zurückliegenden Vergangenheit Rechnung getragen. Dies geschieht jedoch vor dem Hintergrund der Überzeugung, dass das Konzept ›Museum‹ generell in einem viel weiteren Sinne für die Ethnologie interessant ist (vgl. Bouquet 2001: 178f.). Die Ethnologie beschäftigt sich spätestens seit der »Krise der ethnographischen Repräsentation« nicht mehr mit den ›anderen‹, ›primitiven‹ oder ›einfachen Kulturen‹, sondern mit sozio-kulturellen Prozessen und Praktiken in einer globalisierten Welt (vgl. Antweiler in diesem Band). Ein solcher Ansatz »makes all museums interesting for contemporary anthropologists, […] as places of cultural production« (Bouquet 2001: 179, Hervorhebung im Original). Hier findet Materialisierung von Wissen in unterschiedlichen Ausstellungs- und Museumsformen statt (ebd.). Diese transkulturelle und transmediale Übersetzungsarbeit – zwischen verschiedenen regionalen, sozialen und kulturellen Kontexten sowie Materialitäten, Raum und Design – ist der Grund, warum mit Jonathan Benthall alle Museen als ›ethnographische Museen‹ gesehen werden können (zit. in ebd.: 178; vgl. auch Bouquet 2012: 178). Auch die Tatsache, dass sich ein jedes Museum als eine Klassifizierungsstation (sorting station) der dort gelagerten Objekte anthropologisieren lässt (Bouquet 1996), macht es als Institution zu einem ethnologischen Forschungsthema schlechthin. In der Literatur wird darauf hingewiesen, dass die Unterschiede zwischen Museen nicht auf die Objekte, sondern auf die Differenzen zwischen den historisch gewachsenen, Wissensordnungen produzierenden Disziplinen zurückzuführen sind (Vaessen, zit. in ebd.: 178f., Bennett 1996: 59ff.). Jedoch sind es häufig gerade die Objekte bzw. Sammlungen, die als das zentrale Problem in der Museumslandschaft betrachtet werden – jedoch allein der ethnologischen Museen (vgl. Suhrbier in diesem Band). Mit diesem aktuellen, das Museum, die Universität und die Objekte umfassenden Spannungsfeld – zum einen ein ausgedehnter, die Institutionen übergreifender ethnologischer Forschungsbereich und zum anderen Objekte als Repräsentanten z.T. problematisch angesehener Erwerbungsumstände von Sammlungen ethnologischer Museen – beschäftigt sich dieser Beitrag.
M USEUM
UND
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T HEORETISCHE G RUNDLAGEN Von diesem Problemaufriss ausgehend werden im Folgenden zunächst die Beziehungen der Ethnologie an der Universität, im Museum und in Bezug auf die verbindenden Sammlungen in der Perspektive Kölns und Bonns herausgearbeitet. Im Rheinland beginnend und auf Spanien und die Amerikas ausstrahlend, werden markante Momente gewissermaßen als Stationen eines historischen Rückblicks, eines Blicks auf gegenwärtige Tendenzen und künftige Möglichkeiten für die Gestaltung der Beziehungen zwischen unterschiedlichen Museumstypen sowie zwischen der Universitäts- und Museumsethnologie ausgewählt. Neben der Disziplin und der Institution machen die Sammlungen die Objekte zu einem dritten Eckpunkt dieses Feldes. Die Objekte sind dabei nicht per se ethnologische Objekte. Ihre Qualitäten als ethnologische oder beispielsweise künstlerische Objekte werden unter bestimmten Bedingungen erst hergestellt. Der Beitrag geht von zwei wesentlichen Positionen aus. Eine erste ist das von James Clifford (2002 [1988]) entwickelte ›Kunst-Kultur-System‹, wodurch das ethnologische Museum Teil einer umfassenden, ›Authentizität produzierenden Maschine‹ wird, zu der auch das Kunstmuseum, der Kunstmarkt und die Kunst gehören. Eine zweite Position kontextualisiert die Geburtsstunde des Museums als Institution des Nationalstaats im frühen 19. Jahrhundert in den besonderen politischen, gesellschaftlichen und erkenntnistheoretischen Zusammenhängen zwischen der Institution und den Disziplinen (Bennett 1996). Dabei handelte es sich mit der Geologie, Biologie, Archäologie, Ethnologie, Geschichte und Kunstgeschichte um ein ganzes Fächerensemble. Es repräsentierte die neuen Wissensbestände, deren Herausbildung mit der Entstehung des Museums zusammenfiel. Das Museum bot den Disziplinen den institutionellen Raum, der die Artikulation neuer Macht- und Wissensbeziehungen im entstehenden Nationalstaat erst möglich machte (ebd.: 96, 59). In ihrer Gesamtheit bildeten die Fächer mit ihren »diskursiven Formationen« wie z.B. ›Vergangenheit‹, ›Evolution‹, ›Ästhetik‹, ›Mensch‹ (ebd.) im 19. Jahrhundert eine totalisierende Ordnung der Dinge und des Menschen (ebd.: 96). Die Disziplinen vervielfachten die Institution Museum in verschiedenen Typen wie Naturkunde-, Kunst- und Völkerkundemuseum. Der »Ausstellungskomplex« (ebd.: 60) umfasste Museen, Galerien und in periodischen Folgen auch Ausstellungen, speziell Weltausstellungen, bis hin zu den in Warenhaus-Arkaden präsentierten Waren. Bennett arbeitet heraus, dass in diesem Prozess das Warenhaus bzw. die Weltausstellungen die Schwesterinstitution des Museums war. Beispielsweise standen die Weltausstellung in Paris (1878) sowie die World’s Columbian Exposition in Chicago (1893) in einem Zusammenhang mit den Gründungen des Musée de Sculpture Comparée
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und des Musée d‘Ethnographie im Pariser Ausstellungspalast Trocadéro sowie des Chicagoer Field Museums (Mersmann 2012: 42; Conklin 2013: 32-35; Silverman 2005: 260).1 Der »Ausstellungskomplex« spielte in der Herausbildung des modernen Staates eine derart entscheidende Rolle (ebd.: 66), dass Bennett ihn dem »Gefängnisarchipel« von Foucault (1977) als ein genauso disziplinierendes Set von Institutionen mit ihren entsprechenden Macht- und Wissensbeziehungen entgegensetzt und deren parallele Geschichte unterstreicht (Bennett 1996: 59ff.). In meinem Beitrag werde ich die sich im Laufe der Geschichte verändernde Beziehung der Institutionen zu ihren Wissensordnungen nach den Effekten auf neue transdisziplinäre Arbeitsmöglichkeiten im Museum und an der Universität befragen. Dies soll abschließend am Beispiel der Bonner Altamerika-Sammlung (BASA) als eine mögliche »Lastenverteilung« (Suhrbier in diesem Band) konkretisiert werden.
E THNOLOGIE AM M USEUM UND AN DER U NIVERSITÄT – DIE ›R HEINISCHE P ERSPEKTIVE ‹ Als die Ethnologie sich im 19. Jahrhundert als Disziplin etablierte, hatte sie ihre Leitfragen an Objekte bzw. die ›materielle Kultur‹ gerichtet.2 Zum einen war es Adolf Bastians erklärtes Ziel, mittels einer kartierten »Gedankenstatistik« die Einheit der Menschen weltweit anhand ihrer »Elementargedanken« zu belegen und die Unterschiedlichkeit menschlicher Gesellschaften mittels der »Völkergedanken«, die er als »sekundäre Ableitungen« der universalen Elementargedanken innerhalb bestimmter »geographischer Provinzen« verstand, zu erklären (Chevron 2007: 32f.). Zum anderen ging es Vertretern der Ethnologie v.a. in Großbritannien und den USA unter dem Einfluss von Charles Darwin sowie der Entwicklung der Geologie und Paläoontologie darum, eine weit zurückreichende historische Zeit zu produzieren, die die Historisierung anderer Menschen als ›Primitive‹ erlaubte (Bennett 1996: 39). Mittels evolutionistischer Typologien
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Das Musée d‘Ethnographie war der Vorläufer des 1938 gegründeten Musée de l’Homme. Die Erweiterung der Sammlungen des neuen Museums war wiederum der Weltausstellung in Paris 1937 zu verdanken (Conklin 2013: 101, 140).
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Sturtevant, dabei wiederum Collier und Tschopik folgend, schlägt für die Ethnologie in den USA eine Periodisierung in eine Museums-Periode von 1840-1890, eine Museums-Universitäts-Periode von 1890-1920 und eine Universitäts-Periode von 1920 bis heute (d.h. 1969) vor. Sturtevant 1969: 622, Fußnote 2.
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auf der Basis von Technologien konnte eine universale Zeit in bestimmten Entwicklungsstufen konstruiert werden. Erdgeschichtliche Formationen und menschliches Leben entwickelten sich nach diesen Vorstellungen gleichermaßen von ›primitiven‹ zu ›zivilisierten‹ Stufen und damit zu einer einzigen Narrative (ebd.). Für beide Herangehensweisen bedeutete das, dass eine materielle Basis für diese theoretischen Vorannahmen angelegt werden musste. Für die Entwicklung der Völkerkundemuseen in Deutschland stellte Penny dementsprechend fest: »Possession […] had been at the heart of German ethnology from the very beginning« (Penny 2003: 103). So machte die sich herausbildende Ethnologie zunächst das Museum zu ihrer »institutionellen Heimat« (Sturtevant 1969: 621f.). Die ethnologischen Museen wurden wie in Berlin als »Archiv der Menschheit« (vgl. Fischer et al. 2007), allgemein als »Archiv der Völkerkunde« (Graebner 1927: 13) oder »Archive der materiellen Kultur« (Stocking 1985: 4) bezeichnet; heute gelten sie auch als »kontakthistorische Archive« (L. Förster 2013: 200). Das Königliche Museum für Völkerkunde Berlin unter Bastians Leitung war bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts das wichtigste ethnologische Museum weltweit (Penny 2003: 102, 105). Vor dieser Zeit gab es an den Universitäten keine eigenen Ethnologie-Institute bzw. Lehrstühle.3 Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde auch das Rheinland zu einem neuen wichtigen Zentrum des Fachs – mit dem Museum als Katalysator neuer theoretischer Ansätze. 1907 war Fritz Graebner vom Berliner Völkerkundemuseum an das ein Jahr zuvor gegründete Rautenstrauch-Joest-Museum in Köln gekommen (vgl. Noack 2013: 310). Im Gepäck hatte er die in Berlin mit seinem Kollegen Bernhard Ankermann entwickelte Idee der ›Kulturhistorischen Schule‹ bzw. der ›Kulturkreislehre‹. Sie wurde von Graebner mit einem gewissen Stolz als »Kölner Schule« bezeichnet (Graebner 1927: 14). Neu war, dass ihre Repräsentanten die Ethnologie gleichermaßen am Museum und an der Universität sahen. Die Gründung des ›Kölner Instituts‹ als eines der ›neueren Museen‹ bedeutete, Graebner zufolge, eine größere Anerkennung des Fachs in einem im Vergleich zum vergangenen Jahrhundert neu geordneten Fächerkanon. Zu diesem gehörten nun statt der Naturwissenschaften die vergleichende Religions- und Rechtswissenschaft sowie die Philologie (ebd.). 1911 habilitierte Graebner sich an der Universität Bonn und begann, neben seiner Arbeit am Kölner Museum, dort auch zu lehren. Im gleichen Jahr erschien sein Werk »Methode der Ethnologie« (Graebner 1911). Ziel
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In Großbritannien konnte die Ethnologie im Gegenteil dazu vor 1900 an den Universitäten Fuß fassen, die Museumssammlungen hatten, oder zu denen Fächer wie Klassische Archäologie oder Anatomie zählten (Stocking 1995: 371).
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der »Kölner Schule« sollte es sein, die »Bewegung« von Objekten in einem »komplizierten Netz der kulturgeschichtlichen Beziehungen« (Graebner 1927: 14) zu erkunden. Diese wurden zunächst stellvertretend für die Bewegung von Menschen – und als Geschichte – gedacht. Obwohl die Idee der Verbreitung unterschiedlicher kultureller ›Merkmale‹ in einem Beziehungsnetz als Gegenentwurf nicht nur zu Bastians Universalismus, sondern auch zum Evolutionismus gedacht war, näherte sich die neue Richtung den Prämissen des Evolutionismus, wie sie der Vertreter der britischen Ethnologie, Edward B. Tylor, vertrat, unfreiwillig an (vgl. Penny 2003: 111f.). In Berlin und in Köln waren die Sammlungen der ethnologischen Museen nach jeweils unterschiedlichen theoretischen Überlegungen zusammengetragen worden; sie blieben auch Ausgangspunkte unterschiedlicher theoretischer Ansätze. Die Verschiebung vom ›universalisierten Selbst‹ Bastians in Berlin zu den ›partikularisierten Anderen‹ der kulturhistorischen Schule spiegelte sich in der explizit entwicklungsgeschichtlich gestalteten Ausstellung des neuen Museums in Köln wider (vgl. ebd.: 113f.). Während das Berliner Museum Probleme wegen der Überfüllung seiner Räume und Schaukästen hatte, die die materiellen Belege Bastians universaler »Gedankenstatistik« schon bald nicht mehr aufnehmen konnten, führte Wilhelm Foy im Kölner Haus eine übersichtliche, hierarchisch von »primitiven« Naturvölkern zu Kulturvölkern geordnete Narrative ein (ebd.: 102f., 113).
V ON B ONN NACH M ADRID – I NSTITUTIONEN , UND O BJEKTE DER AMERIKAS -F ORSCHUNG
D ISZIPLINEN
Die durch Graebner geschaffene Verbindung zwischen Museum und Universität, Köln und Bonn, sollte die Ethnologie im Rheinland in den folgenden Jahrzehnten prägen. Die Kontinuität dieser institutionellen Bindung garantierte Herman Trimborn. Er hatte Rechtswissenschaft und Ethnologie bei Graebner und Julius Lips, Schüler Graebners und Nachfolger Foys, studiert und war nach dem Zweiten Weltkrieg von 1948 bis 1969 erster Ordinarius des neu gegründeten Seminars für Völkerkunde an der Universität Bonn. Für ihn verstand sich die Unverzichtbarkeit einer Sammlung für das Universitätsfach Ethnologie von selbst (vgl. Noack 2013: 313). Zu Trimborns Verständnis der Ethnologie als Museums- und Universitätsdisziplin trug neben seiner fachlichen Herkunft ein einzigartiges Museumsmodell bei, das er in Madrid kennengelernt hatte. Trimborn hielt sich als Inhaber des neuen, von der Academia de la Historia geschaffenen Lehrstuhls für »Arqueología y Etnografía precolumbina de América« von 1933 bis 1936 an der Universidad Complutense auf (Trimborn 1935: 173). Auf Anregung der
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internationalen, zu den Amerikas arbeitenden Forschergemeinschaft, die sich auf den Amerikanistenkongressen regelmäßig traf (vgl. Williams 1985: 149) und auf der Basis einer gerade nach Spanien gelangten Sammlung von Inka-Objekten sollte in Madrid auf dem neugeplanten Campus der Universität ein MuseoBiblioteca de Indias gegründet werden – bereits mitten im Bürgerkrieg (Gutiérrez Bolívar 1995: 11). Die an die Universität gekoppelte Doppelinstitution – heute das Museo de América – sollte sämtliche amerikanische Objekte, Bücher und Manuskripte aufnehmen, die in den zahlreichen Museen spanischer Städte lagerten, und neben dem Archivo de Indias in Sevilla das zweite Zentrum für die Erforschung der Amerikas werden. Die aufsehenerregende und auf abenteuerlichen Wegen nach Europa gelangte Inka-Sammlung hatte der Dichter Juan Larrea der republikanischen Regierung 1937 geschenkt (ebd.: 9). Diese Schenkung war ausschlaggebend dafür, dass noch im selben Jahr ein entsprechendes Gründungsdekret der Doppel-Institution erlassen wurde.4 Auf Einladung der Regierung und mit Unterstützung der Academia de la Historia waren die Objekte 1935 als »Arte Inca« in der Biblioteca Nacional in Madrid gezeigt worden (ebd.). Die Ausstellung hatte unter demselben Titel, »Art des Incas« (Musée d'Ethnographie/Museum National d'Histoire Naturelle 1933), zuvor bereits in der neu eröffneten Rotunde des Trocadéro-Palastes5 in Paris für Aufsehen gesorgt, nicht zuletzt, da Inka-Objekte im Vergleich zu anderen präkolumbischen Artefakten in dieser Zeit in Europa nicht in gleicher Weise bekannt waren (Gutiérrez Bolívar 1995: 9; Williams 1985: 151, 158, 160).6 Obwohl dem Titel der Ausstellungen nach als ›Kunst‹ ausgestellt, verweisen ihre Orte in der Biblioteca Nacional bzw. im Musée d‘Ethnographie des Trocadéro auf den anhaltenden »unsicheren Status« der Inka-Objekte auch im Europa des 20. Jahrhunderts (vgl. Clifford 2002 [1988]: 227). Darin unterscheiden sich diese Ausstellungen von der Schau präkolumbischer Objekte, die 1933 mit dem Titel »American Sources of Modern Art« im Museum of Modern Art in New York gezeigt wurde (Cahill 1933). Während im 19. Jahrhundert in Paris präkolumbische Objekte zwischen
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Die Kriegsereignisse machten den Plan jedoch zunichte; erst 1941 wurde unter Franco die Idee erneut aufgenommen, um sie den ideologischen Interessen des Regimes zunutze zu machen (Gutiérrez Bolívar 1995: 11).
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Anlässlich der Weltausstellung 1937 in Paris wurde es vom Ethnologen Paul Rivet als Musée de l‘Homme neugegründet und ist der Vorläufer des 2006 eröffneten Musée du quai Branly (Mersmann 2012: 30f.).
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Aus Peru waren in Paris bis dahin v.a. Keramikobjekte von der Nordküste (Trujillo) und der Nazca-Kultur der Südküste bekannt; andere südamerikanische Stücke kamen aus Bolivien, Ecuador oder Kolumbien (Williams 1985: 158).
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dem Louvre,7 der französischen Nationalbibliothek und ab 1878 dem Trocadéro ›migrierten‹, wurden nun neben deren wissenschaftlichen auch die ästhetischen Qualitäten in Ausstellungen sichtbar gemacht (ebd.; Williams 1985). Ging es Cahill als Autor des New Yorker Katalogs vor allem darum, die gemeinsam mit Skulpturen, Gemälden und Grafiken moderner amerikanischer Künstler ausgestellten Stücke präkolumbischer Herkunft als Quellen der modernen Werke kenntlich zu machen, so waren die europäischen Kataloge darauf gerichtet, die Objekte in ihrem Kontext zu verstehen. Der umfangreichste, nach Objektkriterien (Kategorie, Funktion, Material) gegliederte Katalog mit ausführlichen Beschreibungen und Informationen zu den Einzelobjekten, bei gleichzeitiger Würdigung ihrer Schönheit, ist der Madrider Katalog. Der Auftakt der beiden Autoren Hermann Trimborn und Pilar F. Vega war in diesem zeitlichen Kontext außergewöhnlich: Die »amerikanischen Völker« fanden ihnen zufolge bereits mit der spanischen Eroberung »Eingang in das visuelle Feld des europäischen Kontinents« (und nicht erst mit der »primitivistischen Revolution« im Paris des 20. Jahrhunderts, vgl. unten). Auch der Gedanke, dass sich die universalgeschichtliche Achse vom Mittelmeerraum zum Atlantik verschob (Trimborn und Vega 1935: 5), ist Jahrzehnte später erschienenen Studien vorweg genommen.8 Trimborn hatte außerdem zusammen mit Studierenden die peruanische, fast ausschließlich aus Keramikobjekten der Nordküste bestehende Sammlung des Museo Arqueológico de Madrid im Rahmen eines Universitätskurses wissenschaftlich bearbeitet (Trimborn 1935: 2). Er war einer der gefragtesten Spezialisten weltweit und im spanischen Wissenschaftssystem sehr gut vernetzt. In einer Zeit, als dies keineswegs selbstverständlich war (vgl. Eggert 2014: 26), ging es ihm darum, die gesellschaftliche Zentralität von materieller Kultur und ihrer Produktion in methodische Überlegungen zum Verhältnis von Objekten, sozialen
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Der Louvre kaufte 1850 eine Sammlung präkolumbischer Objekte an und stellte sie als Teil der ersten Präkolumbischen Ausstellung in Paris in demselben Jahr aus, ohne einen Unterschied zwischen Zentral- und Südamerika zu machen. Bis 1880 blieben die Artefakte Teil der permanenten Sammlung des Louvre. Sie gaben jedoch nie den Anstoß für Amerikanistische Studien (Clifford 2002 [1988]: 149f.).
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Cahill stellte dem Abbildungsverzeichnis des New Yorker Katalogs eine Übersicht über den derzeitigen Kenntnisstand der amerikanischen Archäologie voran. Bei den Einzelobjekten sind die archäologische Kultur und der z.T. recht allgemein formulierte Herkunftsort angegeben, Maßangaben finden sich nicht. Der Pariser Katalog verfügt im Unterschied zu dem aus Madrid über einen Bildteil. Einige Objekte sind recht ausführlich beschrieben worden. In ihrer großen Mehrheit sind die Objekte jedoch knapp beschrieben und mit Maßangaben versehen.
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Formen und Politik in Geschichte und Gegenwart einzubeziehen. »Denn der Staat kann schlechterdings nicht Bumerang werfen, die Gesellschaft nicht in einer Hängematte schlafen, die öffentliche Gewalt nicht monogam leben und das Rechtsbewußtsein keinen Tabak rauchen« (Trimborn 1936b: 936).9 Trimborns Interesse richtete sich neben den Museumssammlungen auch auf die Archive in Spanien. Er publizierte z.T. erstmals Dokumente, die er einleitend mit den musealen Sammlungen verknüpfte. Beide sollten in gleicher Weise zur Erforschung der Geschichte Perus herangezogen werden (Trimborn 1936a, 1941, Avila 1939).10 Die Quellen-Editionen beeinflussten nachhaltig die internationale Forschung über den Andenraum (vgl. Rowe 1970: 504). Dass Trimborns Beitrag in der deutschsprachigen Ethnologie während der NS-Zeit gering geblieben ist, lag möglicherweise an der Erschließung dieses besonderen, auf die Amerikas bezogenen Forschungsfeldes und seiner Einbindung in die spanische Wissenschaftswelt, was in jener Zeit eine Ausnahme darstellte.11 Nachdem Trimborn Madrid aufgrund des Bürgerkriegs verlassen hatte, ging er auf Einladung des Consejo Superior de Investigaciones Científicas (CSIC, 1939 gegründet) 1942 erneut in die spanische Hauptstadt. Ob Trimborn dies ein willkommener Rückzug aus der ideologischen Enge der Bonner Universität war, wo er zwischenzeitlich von Martin Heydrich, mittlerweile der Direktor des Kölner Museums, vertreten wurde, ist ohne weitere Quellenstudien nicht zu beantworten. In der Nachkriegszeit konzentrierte sich die Forschung in Bonn unter Trimborns Leitung regional mehr und mehr auf die Amerikas mit einem Ansatz, wie er ihn in Madrid praktiziert hatte. Diesen verknüpfte er mit den u.a. auf Franz Boas zurückgehenden neo-diffusionistischen ›culture areas‹. Die Referenz der
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In der Frage nach der Bedeutung von Keramik, der Spengler in seiner Schrift »Zur Weltgeschichte des Zweiten Vorchristlichen Jahrtausends« (1935) Trimborn zufolge »den Krieg erklärt« hat, »nämlich der ›maßlosen Überschätzung der Keramik‹ als Quelle historischer Vorgänge« (Trimborn 1936: 935).
10 Dies waren die »Description del Reyno del Piru« von Balthasar Ramirez (1597), die »Relaçion y declaraçion del … valle de Chincha« von Christobal de Castro und Diego de Ortega Morejon (1558) sowie das »Huarochirí-Manuskript«. Bei der »Relaçion de Chincha« handelte es sich um eine Neuausgabe. 11 An den 1937 und 1939 in Deutschland erschienenen Lehrbüchern für Völkerkunde (Preuss 1937; Thurnwald 1939) war er weder als Autor beteiligt, noch wird er zitiert. Zusammen mit Leonhard Adam, der wegen seiner jüdischen Herkunft 1937 als Herausgeber und 1939 gänzlich aus dem Autorenkollektiv ausgeschlossen worden war, besorgte er die Ausgabe des Lehrbuchs von 1958, alleine dann auch die vierte Ausgabe von 1971 (Adam/Trimborn 1958; Trimborn 1971).
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›culture areas‹ an die ›Kulturkreise‹ ist unumstritten (Silverman 2005: 265), allerdings vermied Boas, wie Trimborn schreibt, die »Gefahr der weltumspannenden Theorien« (Adam/Trimborn 1958: 14). Vor diesem Erfahrungshintergrund gründete Trimborn die Lehr- und Studiensammlung (heute Bonner Altamerika-Sammlung, BASA), wahrscheinlich mit einer Starthilfe von ca. 200 Objekten aus dem Rautenstrauch-Joest-Museum (vgl. Noack 2013: 313). Diese spezifischen Bedingungen, die Bonn zeitweise mit Madrid verknüpft haben, trugen dazu bei, dass die Bonner Ethnologie eine Sammlung und damit im Museum und an der Universität ihre »institutionelle Heimat« (Sturtevant) hat. 12 Das Fach erfuhr in den 1960er Jahren als Altamerikanistik13 einen Aufschwung. Damit wurde an der Universität Bonn ein weiteres wichtiges Zentrum, neben der zu Beginn des 20. Jahrhunderts ins Leben gerufenen Berliner Schule der Altamerikanistik, ausgebaut. Diese besondere Spielart der Ethnologie kommt dem von Franz Boas in den USA entwickelten »four field approach« (Hicks 2013) sehr nah. Heute wendet die Altamerikanistik eine Kombination von Methoden und Theorien der Archäologie, Ethnohistorie, Ethnologie und Soziolinguistik in der Erforschung lang andauernder, kontinuierlicher, dabei historisch gebrochener Prozesse in überregionalen, lokalen und globalen Kontexten an. Dieser interdisziplinäre Zugang vermag die Grenzen der systematischen Disziplinen immer wieder zu überschreiten und die Dialektik kulturspezifischer Dynamiken lateinamerikanischer Gesellschaften in ihren »multiplen Modernitäten« (vgl. Roninger/Waismann 2002) auszuloten. Die BASA stellt bei diesem Unterfangen eine unverzichtbare Forschungsinfrastruktur dar (vgl. unten sowie Natho/Schmitz in diesem Band). Während in der bisherigen Geschichte der Sammlung einige wenige, extern präsentierte Ausstellungsprojekte realisiert werden konnten,14 verfügt die BASA nun über einen Ausstellungs-, Lehr- und Arbeitsraum in Einem, der Studierenden, Lehrenden und anderen Forscher/-innen offensteht. Nicht zuletzt hat sich die Idee zu der Tagung »Quo vadis, Völkerkundemuseum?« aus
12 Ältere ethnologische Sammlungen gibt es an den Universitäten Göttingen, Tübingen und Marburg. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde auch am Institut für Ethnologie und Afrikastudien der Universität Mainz eine Universitätssammlung angelegt, jedoch in anderen disziplinären Zusammenhängen (vgl. Noack 2015). 13 Zum Begriff ›Altamerikanistik‹, der von Gerdt Kutscher geprägt wurde, vgl. Golte 2001. 14 Beispielsweise fand die Ausstellung »Aufbruch in eine neue Vergangenheit: die Aparai-Wayana Brasiliens« im Jahr 2000 im Wissenschaftszentrum Bonn statt, »Tod und Macht – Jenseitsvorstellungen in Altamerika und Ägypten« wurde 2007 im Ägyptischen Museum der Universität Bonn gezeigt.
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den neuen Impulsen entwickelt, die Lehrende und Studierende mit der BASA setzen. Es ging mir in diesem Teil darum zu zeigen, dass in der institutionellen und disziplinären Verknüpfung von Köln, Bonn und Madrid die Arbeit mit Objekten v.a. präkolumbischer Herkunft zu der besonderen Ausprägung der Ethnologie als Altamerikanistik führte, einem mit einer ethnologisch-archäologischen Sammlung ausgestatteten Universitätsfach. Die disziplinäre Zuordnung präkolumbischer Objekte bewegte sich in dieser Zeit zwischen Kunst und Ethnologie. Im folgenden Abschnitt lenke ich die Aufmerksamkeit auf die Fusion von Kunst und Ethnologie.
K UNST -E THNOLOGIE
VON
N EW Y ORK NACH M EXIKO
UND ZURÜCK Das Völkerkundemuseum Berlin wirkte nach dem Weggang Graebners – wenn auch als Gegenmodell – nicht nur bis nach Köln, sondern strahlte auch nach New York aus. Franz Boas, ehemaliger Assistent Bastians, hatte als Lehrstuhlinhaber die Cultural Anthropology an der Columbia University in New York mit dem erwähnten »four field approach« begründet (1899). Boas, der Bastian darin folgte, im Museum in erster Linie eine Forschungsinstitution zu sehen (Penny 2003: 92), wollte unter anderem die Begrenzungen der ›Museumsmethode‹, die er am American Museum of Natural History wahrnahm (Jacknis 1985: 108), aufbrechen. So sollte die Institution auch künftig an der theoretischen Weiterentwicklung der Cultural Anthropology beteiligt werden. Boas, zunächst Leiter der anthropologischen Abteilung des Museums, dann Lehrender und schließlich Professor an der Columbia University, hatte die universitäre Lehre immer mit dem Museum verknüpft. Anstatt die bisherigen typologisch-evolutionistischen Ausstellungen im Museum beizubehalten, plädierte er für die Einführung von Dioramen, die die Repräsentation von Kulturen in einem größeren Kontext gestattet hätte (vgl. Förster 2014: 9f.). Im gleichen Jahr, als das neue Museum in Köln zu einem Ausgangspunkt der kulturhistorischen Schule werden sollte (1907), endete Boas‘ Experiment in New York, die Museums-Ethnologie zu modernisieren (vgl. Jacknis 1985: 108). Die von Boas geführte Auseinandersetzung fand trotz der gegenläufigen Entwicklungen in Deutschland ihren Widerhall im Fach; das Ende der Beziehungen Boas‘ zum Museum hatte in der USamerikanischen und britischen Ethnologie im Wesentlichen das Ende der Museumsära eingeläutet (vgl. ebd.). Dennoch blieben Boas‘ Ideen in Bezug auf das
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Museum im Kontext neuer theoretischer Rahmungen und politischer Projekte, vermittelt durch seine Schülerinnen und Schüler, lebendig. Boas war einer der ersten, der sich mit den künstlerischen Ausdrucksformen außereuropäischer Gesellschaften beschäftigte (T. Förster 2013: 240; vgl. auch Kreide-Damani 1992: 41ff.). Als Ethnologe hatte er die »primitivistische Revolution« der Avantgarde-Künstler in Paris (s.u.) gewissermaßen vorweggenommen. Seiner Ansicht nach produzierten selbst die »poorest tribes« Werke der Schönheit (Boas 1955 [1927]: 9). Im Mittelpunkt seiner Überlegungen stand die Frage, in welcher Art und Weise Kunst Teil des Lebens einer Gesellschaft ist (T. Förster 2013: 241). Durch einen seiner Schüler, den Mexikaner Manuel Gamio, erfuhr dieses Interesse im Verbund mit dem Maler Diego Rivera auch eine politische Aktualisierung. Rivera war 1921 nach einem mehr als zehn Jahre dauernden Aufenthalt in Europa, v.a. in Paris, nach Mexiko zurückgekehrt, um ein kunstpolitisches Projekt umzusetzen, das er den Zielen der Mexikanischen Revolution (1910-1920) nutzbar machen wollte. In seinen Wandbildern als Teil des Kunstprogramms der mexikanischen Regierung – mit denen das Innere eines Museums für eine größere Öffentlichkeit nach außen gekehrt wurde – beschäftigten sich Rivera, José Clemente Orozco und David Alfaro Siqueiros mit Themen der vorspanischen Vergangenheit in einem klaren Bezug zum neuen nationalen Projekt des Indigenismus. Der Künstler und Forscher Miguel Covarrubias bezeichnete dies gleichermaßen als künstlerische Renaissance und Beginn der modernen Kunst in Mexiko. Formiert hatte sich der Indigenismus unter der intellektuellen und politischen Führung von José Vasconcelos und Manuel Gamio, dem Schüler von Boas. Diese Strömung sollte die brisante Frage nach dem Wesen der mexikanischen Nation mit einer integrierten indigenen Bevölkerung klären. Eine neue, auch in der vorspanischen indigenen visuellen Kultur wurzelnde Ästhetik der muralistas war Teil dieses politischen Projekts. Diese Bewegung, die zahlreiche US-amerikanische Künstler angezogen hatte und die nach 1929 auch in den USA selbst äußerst populär wurde, führte letztlich zur Entwicklung der modernen Kunst in den USA (Weber 2015). Ihre Avantgarde im nördlichen Amerika befand sich in Mexiko. Wenn auch Boas als einer derjenigen Ethnologen, die von der Einheit von Museums- und Universitätsethnologie überzeugt waren, mit dem Museum brach, ist doch der Gegenstand der Ethnologie um die Kunst erweitert worden. Die Ausstrahlung seines Wirkens bis nach Mexiko führte in der Kooperation eines seiner Schüler mit Avantgarde-Künstlern zum neuen politischen Projekt des Indigenismus, in dem die muralistas mit der Gestaltung öffentlicher Räume diese selbst zu einer großen Ausstellung machten. Diese Bewegung hatte wiederum Auswirkungen auf New York. Erst die Zuordnung der Eigenschaften, die
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präkolumbische Objekte im Kontext eines politischen Projekts in Mexiko erfuhren, machte es möglich, sie in den USA als »Quellen der modernen Kunst« im Museum of Modern Art zu präsentieren (Cahill 1933). In New York erlangten sie somit, anders als zeitgleich in Paris und Madrid, eindeutig den ›Kunststatus‹. Und in New York sollte sich die Bewegung von ›Kultur‹ zur ›Kunst‹ nach den hier geschilderten Anfängen in den 1950er und 1960er Jahren institutionalisieren (Clifford 2002 [1988]: 239). Ihren Anfang hatte diese Entwicklung dabei, wie im folgenden Abschnitt gezeigt werden soll, zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Paris genommen. Hier hatten Künstler eine Bewegung initiiert, auf der Basis von Objekten der ethnologischen Museen gänzlich neue Kunstformen zu entwickeln.
P ARIS UND DIE D YNAMIKEN DES ›K UNST -K ULTUR -S YSTEMS ‹ In Europa wurde u.a. mit der ›Entdeckung‹ afrikanischer Skulpturen durch Picasso und anderer Avantgarde-Künstler zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein steigendes Interesse an einer Kunst geweckt, die mit der neuen Kategorie art primitif beschrieben wurde. Obwohl präkolumbische Objekte dabei keine zentrale Rolle spielten, war ihr Einfluss dennoch deutlich spürbar (Williams 1985: 163), wie die Beispiele der Inka-Ausstellung in Paris und Madrid sowie präkolumbischer Objekte im Museum of Modern Art in New York zeigen. Aus dem Interesse wurde schließlich die »primitivistische Revolution« (ebd.: 147, 163). Der Trocadéro war zu einem Ort geworden, der Ethnologen aufgrund des schlechten Zustands seiner Sammlungen zur Verzweiflung brachte, an dem sich die Avantgarde-Künstler aber an den außereuropäischen Objekten erfreuten (ebd.: 162f.). Der Kunstkritiker Guillaume Apollinaire forderte daher im Namen weiterer ›Kunstfreunde‹ und Sammler, Artefakte afrikanischer und ozeanischer Herkunft aus dem Musée d‘Ethnographie herauszuholen, da dieses Museum von der Regierung »total vernachlässigt« werde (Apollinaire 2001 [1912]: 79f.). Die Arbeiten aus Afrika und Ozeanien, die Kunstsammler in jener Zeit »mit der gleichen Hochachtung, die sonst nur den Kunstwerken der sogenannten höherstehenden Völker Griechenlands, Ägyptens, Indiens und Chinas zukam«, betrachteten, seien dort mit anderen ethnographischen Objekten »als häßliche Fetische, groteske Auswüchse lächerlichen Aberglaubens« ausgestellt (ebd.: 79). Sie sollten am besten in ein »großes Museum für exotische Kunst« überführt werden, »entsprechend dem, was der Louvre für die europäische Kunst bedeutet« (ebd.: 82). Die Pariser ›Wilden‹, wie die Avantgarde-Künstler auch genannt
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wurden (neben Picasso auch Piet Mondrian, Paul Gauguin, Joan Miró, Paul Klee u.a.), die eine neue kubistische und surrealistische Ästhetik entwickelt hatten (Williams 1985: 163), strahlten auch nach München, Dresden und Berlin aus, wo z.T. ebenfalls mit der Rezeption von Objekten aus den Völkerkundemuseen der Expressionismus den Schritt in die Moderne tat (Wedekind 2014: 76). Legt man das ›Kunst-Kultur-System‹ Cliffords zugrunde, so handelt es sich bei der Forderung Apollinaires um die Bewegung von Objekten »from ethnographic ›culture‹ to fine ›art‹«, damit von einem ethnologischen Museum, aus dem Bereich der materiellen Kultur oder des Handwerks in ein Kunstmuseum oder auf den Kunstmarkt (Clifford 2002 [1988]: 224). Zur Zeit Apollinaires gelangten in Paris die Objekte zwar auf den Kunstmarkt (Apollinaire 2001 [1912]: 79, 83), nicht jedoch ins Kunstmuseum. Die Idee, die Objekte in einem neuen Museum für ›exotische Kunst‹ auszustellen, wurde nicht verwirklicht.15 Die »primitivistische Revolution« hatte jedoch den kanonischen Status aller im 19. Jahrhundert als ›primitiv‹ bezeichneten künstlerischen Traditionen dahingehend verändert, dass auch Ausdrucksformen außerhalb der klassischen Tradition der Antike als Kunst anerkannt wurden (Williams 1985: 163). Die Akteure dieses Wandels waren in erster Linie die Avantgarde-Künstler. Er fand seinen Widerhall aber auch unter Ethnologen, bei denen er einen Bruch mit dem ›instruktiven‹ bzw. vorwiegend edukativen, auf Information gerichteten Zugang zu den Objekten im ethnologischen Museum provozierte. Claude Lévi-Strauss war einer der Ethnologen, auf den die Künstler großen Einfluss hatten. Während des Zweiten Weltkriegs im New Yorker Exil, faszinierten ihn die auf dem Kunstmarkt angebotenen Objekte der Nordwestküste Nord-Amerikas, Melanesiens und der Inuit, die im Vergleich zu den präkolumbischen Objekten als ›echte‹ art primitif galten (Clifford 2002 [1988]: 238; Williams 1985: 148). Aber nicht nur der Markt, sondern auch das Museum of the American Indian – das zwischenzeitlich wie ein Warenhaus funktionierte – befriedigte die ästhetischen Bedürfnisse der französischen Exilanten; seiner Geringschätzung damit Ausdruck verleihend, verkaufte der Direktor des Museums die Masken der einzigartigen Kuskokwim (Inuit)-Sammlung, die er als »joke« bezeichnete (Clifford 2002 [1988]: 238f.). Vor den New Yorker Erfah-
15 Realisiert wurde dagegen die Integration nicht-europäischer Objekte mit der Gründung des Museums Folkwang, des »schönsten Museum(s) der Welt« (Paul J. Sachs, 1932, Mitbegründer des Museum of Modern Art in New York) in ein Kunstmuseum in Hagen 1902 (ab 1921 Essen). http://www.museum-folkwang.de/de/ ausstellungen/archiv/das-schoenste-museum-der-welt.html (letzter Aufruf 11.04.2015). Vgl. Fischer und Schneede 2010.
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rungen hatte Lévi-Strauss bereits im brasilianischen Amazonasgebiet für das Musée de l’Homme sowie für brasilianische Museen gesammelt. In der unmittelbaren Nachkriegszeit bemühte er sich als Kulturattaché Frankreichs in New York um einen besonderen Coup, nämlich »for a massive collection of American Indian art a few Matisses and Picassos« zu tauschen (ebd.: 239). Die französischen Behörden lehnten dies ab. Das Sammeln von Lévi-Strauss und der Surrealisten in den 1940er Jahren war Teil des ›Kunst-Kultur-Systems‹ und eines »struggle to gain aesthetic status for these increasingly rare masterworks« (ebd.). Eine Situation, die Till Förster 1988 in Paris erlebt hat, ist dem Paris Apollinaires erstaunlich ähnlich (Förster 2003). Die im Musée des Arts d’Afrique et d’Océanie von Förster verantwortete und präsentierte Ausstellung »Paroles de devin«16 provozierte bei Vertretern der Kunstszene, »Sammler[n] und Connaisseurs der so genannten traditionellen afrikanischen Kunst« (ebd.: 29) Kommentare, die sich gegen das gemeinsame Ausstellen von Objekten hoher künstlerischer Qualität der Senufo zusammen mit »gewöhnlichen« Dingen aussprachen, die in der alltäglichen Divination verwendet wurden (ebd.: 29f.). War die Betonung der ›Schönheit‹ außereuropäischer Objekte zu Beginn des 20. Jahrhunderts Teil der »primitivistischen Revolution«, so machte das gleiche Argument das Paris Ende der 1980er Jahre zu einer »Festung der idealistischen Ästhetik und der Moderne […], die man anderswo bereits geschleift hatte« (ebd.: 30). Mit Verweis auf das ›Kunst-Kultur-System‹ lässt sich sagen, dass die Bewegung der Objekte von ›Kultur‹ zur ›Kunst‹, am Beginn des 20. Jahrhunderts noch im Entstehen, nun weiter gegangen war, denn die Objekte sind nicht mehr nur auf dem Kunstmarkt, sondern auch im Kunstmuseum angekommen, wenn auch in einem auf Afrika und Ozeanien spezialisierten Haus. In der Gleichsetzung von Kunstobjekten und ›ethnographischen Objekten‹, die Förster in seiner Ausstellung vornahm (und die u.a. Lévi-Strauss mit seinem Tausch-Vorschlag zuvor bereits befürwortet hatte), wird der Authentizität herstellende Prozess gestört; die Objekte hoher künstlerischer Qualität verlieren ihren Charakter als Kunst, wodurch Widerspruch der Kunstszene provoziert wird (zu Authentizität in der Ausstellung vgl. ebd.: 31). Ein vor 15 Jahren im Louvre eröffneter Ausstellungskomplex zeigt seitdem Werke aus Afrika, Asien, Ozeanien und den Amerikas. Verwaltet wird der Bereich vom 2006 gegründeten Musée du quai Branly (in das auch das Musée des Arts d’Afrique et d’Océanie eingegangen ist), da dies von der Direktion des
16 Die Ausstellung war vom Museum für Völkerkunde Berlin ausgerichtet und mit dem Titel »Glänzend wie Gold« zunächst im Wissenschaftszentrum Bonn gezeigt worden (Förster 2003: 27).
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Louvre abgelehnt worden war. »Es kann demnach von Kontinuitäten in der Sammlungspolitik des Louvre gesprochen werden, wobei die afrikanischen und ozeanischen Werke weiterhin einem Ausschlussprinzip unterliegen« (Mersmann 2012: 281).17 Dieser Abschnitt verdeutlicht beispielhaft die Geschichtlichkeit des ›KunstKultur-Systems‹ vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis heute. Von Künstlern und Ethnologen ausgehende Impulse, den Status ethnologischer Objekte und die Grenzen des aufbewahrenden Museums zu hinterfragen, blieben im Kunstmuseum oft ungehört. Es zeichnen sich jedoch Arbeitsweisen ab, die die disziplinäre Nähe von Kunst und Ethnologie stärker betonen. Dabei spielen die unterschiedlichen Möglichkeiten der Zuschreibungen, die Objekte erfahren können, eine wesentliche Rolle.
»D EEPER AFFINITIES « UND K UNST
ZWISCHEN
E THNOLOGIE
Als »deeper affinities« bezeichnet Sansi die über die Methodologie hinausgehenden Beziehungen zwischen Ethnologie und Kunst (Sansi-Roca 2015: 5). Kunst und Ethnologie haben eine gemeinsame Historizität. Außerdem teilen sie eine gemeinsame Herkunft nicht nur als akademische Disziplinen, sondern als kritische Formen von Wissen, die ›westliche‹ Konzeptionen und Weltsichten verändert haben (ebd.: 16). Die Historizität des ›Kunst-Kultur-Systems‹ ist an den beschriebenen Beispielen deutlich geworden. Nun sollen kurz die den Disziplinen inhärenten Gemeinsamkeiten aufgezeigt werden. Die Grenzen von Kunst und Wissenschaft, des Ästhetischen und des Anthropologischen, sind nicht permanent fixiert. »While the object systems of art and anthropology are institutionalized and powerful, they are not immutable« (Clifford 2002 [1988]: 229). Die Kategorien des Schönen, des Kulturellen, des Authentischen, des Ethnographischen, der arts primitif werden in diesem Objekte-System hergestellt und wandeln sich kontinuierlich (ebd.: 226ff.). Dies wiederum führt zu neuen
17 Mersmann fügt hinzu, dass zeitgleich mit der Eröffnung des Musée du quai Branly das Musée des Arts derniers die Ausstellung »Des hommes sans histoire? Histoire et spoliation des biens culturels à travers les oeuvres d‘ artistes contemporains« (29.06.29.09.2006) eröffnet wurde. Darin setzten sich afrikanische Künstler/-innen mit dem Kunstraub in der Kolonialzeit auseinander. »Der Ausstellung ist der Versuch inhärent, das Stereotyp der ›Völker ohne Geschichte‹, das Teil des Ausschlusses afrikanischer Künste aus dem Kunstkontext ist, aufzubrechen« (Mersmann 2012: 281).
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Ambivalenzen und Möglichkeiten in dem sich wandelnden taxonomischen System (ebd.: 228), wie ebenfalls an den Beispielen aufgezeigt werden konnte. Trotz des von Sturtevant (1969) beobachteten Endpunkts der Museumsära in der anglo-amerikanischen Ethnologie und der Konjunktur universitätsbasierter, auch gegensätzlicher Ansätze wie Neo-Diffusionismus, Funktionalismus und Strukturfunktionalismus blieb das ›Kunst-Kultur-System‹ dynamisch. Die mit diesen Ansätzen verbundene ›De-Historisierung‹ der Forschung, ihre ›Ethnographisierung‹ mit einem Fokus auf stark lokalisierte Bevölkerungen und eine bisher nicht dagewesene Professionalisierung mit der Betonung der ›Nützlichkeit‹ der Ethnologie schwächten die historisch gewachsene integrative Basis des Fachs (Stocking 1995: 230ff.), zu der die Museen gehörten. Claude Lévi-Strauss hatte in den 1930er und 1940er Jahren mit seinem gescheiterten Versuch, American Indian art zu erwerben, die Möglichkeiten und Grenzen des Objekt-Systems zwischen dem Kunst- und dem ethnologischen Museum ausgetestet. Auch Edward E. Evans-Pritchard, ein Vertreter des britischen Strukturfunktionalismus, wies 1950 in einer vielbeachteten Rede darauf hin, dass die Grenzen zwischen Ethnologie und Kunst keineswegs fest sind. Für den interpretativen Ansatz einer geisteswissenschaftlichen Ethnologie werbend, wandte er sich gegen das bisherige Verständnis der Disziplin vorwiegend als Naturwissenschaft. Vielmehr sei die Ethnologie mit der Geschichte, der Philosophie und der Kunst vergleichbar (Evans-Pritchard 1950: 123, zit. in Shelton 2001: 145).18 Solche Fragen wurden erst wieder in der »Krise der ethnographischen Repräsentation« – des Schreibens und des Ausstellens – diskutiert. In der Folge veränderte sich das Fach in den theoretischen Ausgangspositionen und Forschungspraktiken deutlich. Es entwickelte sich zu einer theoretisch selbstbewussten, reflexiven semantischen Ethnologie, die die bisherige ethnologische Methode grundsätzlich in Frage stellte (Shelton 2001: 144f.). In der Bundesrepublik Deutschland war sogar bereits seit den 1970er Jahren eine »unabhängige Tradition der Behandlung des Repräsentationsproblems« zu bemerken gewesen, bei der »Themen und Perspektiven der Writing-Culture-Debatte […] vorweggenommen« worden waren (Bierschenk et al. 2013: 17). Diese Entwicklungen, dazu die erneute Erschließung des Forschungsfelds ›Materielle Kultur‹ durch die Kultur- und Sozialwissenschaften seit den 1970er Jahren in der bundesdeutschen
18 »The thesis I have put before you, that social anthropology is a kind of historiography, and therefore ultimately of philosophy or art, implies that it studies societies as moral systems and not as natural systems, that it is interested in design rather than in process, and that it therefore seeks patterns and not scientific laws, and interprets rather than explains« (Evans-Pritchard 1950: 123).
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Universitätslandschaft (Samida et al. 2014: 7), innovative Wege, die in ethnologischen Ausstellungsprojekten gegangen wurden, das neu erwachte Interesse am ›Ding‹ und die Umbenennung von Völkerkundemuseen in den 1990er Jahren lassen sich in ein und demselben Zusammenhang sehen. Der Verlust des »methodologischen Privilegs« (Shelton) des Fachs seit der Repräsentationskrise bedeutete, dass die Beziehung zwischen der Ethnologie und ihren Untersuchungssubjekten nicht länger als vorbestimmt gelten kann und in jeder beschriebenen Begegnung immer wieder neu überprüft werden muss. Bedeutungen, so Shelton, seien immer zufällig und spezifisch. Sich auf Evans-Pritchard beziehend schlussfolgert er, Ethnologie »has no other status than that of an art« (Shelton 2001: 145). Wird die Ethnologie in ihrer Einheit als Museums- und Universitätsdisziplin gesehen, kann in diesem Sinne die Museumserfahrung auch eine Kunstform und das Museum selbst als künstlerische Praxis verstanden werden (Kirshenblatt-Gimblett 2004: 189). Denn, so Clifford, auf einer intimeren, notwendigerweise persönlichen Ebene verfügen Objekte in einem Spektrum zwischen ihrem Verständnis als ›kulturelle Zeichen‹ (wie bei Geertz 1976) oder als ›künstlerische Bildzeichen‹ (artistic icons) über weit mehr Möglichkeiten der Interpretation als entweder zu ›erbauen‹ (wie in Kunstmuseen) oder zu ›informieren‹ (wie in ethnologischen Museen) (Clifford 2002 [1988]: 229). Die Bindungen zwischen der Institution Museum und den darin konstruierten Wissensordnungen bzw. zwischen Kunst und Wissenschaft, auf die Bennett und Clifford hingewiesen haben, sind weder fixiert noch historisch unveränderlich. Die Durchlässigkeit der Grenzen des Museums bis hin zu einer vollständigen Öffnung für transdisziplinäre Ansätze wird in der Praxis einiger Museen sichtbar. Beispiele sind die Dauer- und Sonderausstellungen des Landesmuseums für Vorgeschichte Halle mit der Skulptur des ›Archaischen Homo sapiens‹, der dem ›Denker‹ von Auguste Rodin (1880-1882) nachempfunden ist, des HygieneMuseums Dresden, der Foren Haus der Kulturen der Welt Berlin (z.B. »Das Potosí-Prinzip« 2010-2011) und Bundeskunsthalle Bonn (z.B. »Auf den Spuren der Irokesen« 2013-2014), die mit großem Publikumserfolg grundlegende gesellschaftliche Probleme der Gegenwart in zeitlich und räumlich übergreifenden Perspektiven verhandeln.19 Benthalls Idee, nach der sich die Grenzen zwischen den Museumstypen auflösten, da sie alle Orte kultureller Produktionen sind, könnte also Realität werden. Dann würden alle Museen unter dem Begriff des
19 Außerdem ist hier das europäische RIME-Projekt mit der Ausstellung »Fetish Modernity« (2012) zu nennen (vgl. Seiderer in diesem Band). Zu den bisherigen Ausstellungen im Hygiene-Museum vgl. http://www.dhmd.de/index.php?id=16 (letzter Aufruf 01.05.2015)
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›ethnologischen Museums‹ gefasst werden. Ethnologische Museen können aber, wie gesagt, auch als Räume künstlerischer Praktiken verstanden werden (Kirshenblatt-Gimblett 2004: 189). Auch manche Kunstmuseen, wie das Van Abbemuseum in Eindhoven, das Museo Nacional de Reina Sofia in Madrid (hier wurde »Principio Potosí« gezeigt, bevor die Ausstellung nach Berlin kam) und das Muzej sodobne umetnosti Metelkova (Museum of Contemporary Art) in Ljubljana (Bishop/Perjovschi 2014) zeichnen sich dadurch aus, dass die Grenzen zwischen Wissensformen sowie zwischen Institution und Disziplinen oder Praktiken in Bewegung gebracht werden. »These museums create multi-temporal remappings of history and artistic production outside of national and disciplinary frameworks, rather than opting for a global inclusivity that pulls everything into the same narrative« (ebd.: 56). Die Frage, die sich folgerichtig anschließt, ob solche Museen – anders als bei ihrer ›Geburt‹ im 19. Jahrhundert – auch antihegemonial sein können, wird von Bishop bejaht (ebd.). Sie sind antihegemonial durch ihren Zugang zur Geschichte, der ein Verständnis vom Heute mit Blick in die Zukunft ermöglicht. Das Museum wird als historischer, kreativ hinterfragender Akteur neu gedacht, der nicht länger auf auratische Betrachtung individueller Arbeit fokussiert, sondern sich bewusst wird, dass er sich mit Positionen auseinandersetzen kann. Objekte werden in diesem Museum de-fetischisiert, indem sie kontinuierlich mit unterschiedlichen anderen Formen wie Kunstwerke, Dokumente, Kopien, Rekonstruktionen, konfrontiert werden. Bishop schlussfolgert, Gegenwart ist keine Frage des Diskurses oder der Periodisierung, sondern die einer Methode oder Praktik, die potentiell auf alle historische Perioden anwendbar sei (ebd.: 59). In solchen ›ethnologischen Kunst-Museen‹ geht es, wie deutlich geworden ist, nicht mehr darum, eine Authentizität ethnologischer oder Kunstobjekte zu produzieren. Als Orte kultureller Produktionen nehmen diese Museen mit ihrem ›unsicheren Status‹ auch von anti-hegemonialen Positionen aus an den gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen teil.
E THNOLOGISCHES F ORSCHUNGSFELD M USEUM UND U NIVERSITÄT Die hier dargestellten Prozesse und Tendenzen können auf eine neubestimmte Beziehung zwischen dem ethnologischen Museum und dem Kunstmuseum, aber auch zwischen der Ethnologie am Museum und an der Universität verweisen. Diese kann in der Forschung sowie in der Sammlungs- und Ausstellungstätigkeit umgesetzt werden. In Bezug auf die Forschung hatte Michael Kraus bereits 2003 gefragt, ob die »oftmals wiederholte Dichotomie« zwischen »›Museum = Ob-
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jektkultur‹ vs. ›Universität=Gesellschaftsanalysen und Theorie‹«, die ja »oft weniger empirisch analysiert […], sondern […] in eher ritualisierter Form beschworen« wird, nicht »bereits an sich eine zu revidierende Vereinfachung einer zwar Institutionen gebundenen, aber dabei doch Themen übergreifenden und in sich heterogenen wissenschaftlichen Arbeitsteilung in einer […] immer differenzierter werdenden […] Welt« darstellte (Kraus 2003: 7f.). Er verwies darauf, dass immer wieder daran gearbeitet wurde, die Aufspaltung der Ethnologie in ein Fach des Museums und der Universität in alltäglicher Praxis an beiden Institutionen, aber auch in besonderen Studien und Ausstellungsprojekten zu überwinden (Kowalski 2001, Suhrbier 1998, Szalay 1993, zit. in ebd.). Dass die Wahrnehmung jedoch eine andere ist und Essentialisierungen dabei eine große Rolle spielen, ist offensichtlich. Können wir die Ursachenanalyse ethnologisch vornehmen, d.h. »führt […] das Arbeiten in verschieden strukturierten Feldern wie ›Universität‹ und ›Museum‹ nicht notgedrungen zu Unterschieden, die im ethnologischen Sinne durchaus als kulturelle Differenzen begriffen werden können« (ebd.: 10f.)? Universität und Museum könnte auch als »methodische Zweigleisigkeit« in der Ethnologie verstanden werden, statt als ein auf Abgrenzung und Prestigedenken basierendes Gruppenbewusstsein (Volker Harms, zit. in ebd.: 11). Eine Annäherung zwischen der Universitäts- und Museumsethnologie durch das wechselseitige Ausloten von Fachidentitäten ließe sich beispielsweise in einem Projekt einer Institutionenethnographie denken.
AUSBLICK Die Institutionalisierung der Ethnologie als Altamerikanistik mit einer eigenen Sammlung an der Universität Bonn war Ausgangspunkt dieses Beitrags. Im Anschluss wurden exemplarisch Statuswechsel von Objekten als ethnologische oder Kunstobjekte im Rahmen der Produktion von Authentizität sowie institutioneller und disziplinärer Bedingtheiten und Grenzen diskutiert. Davon abgeleitet ging es mir darum, mögliche Reichweiten einer disziplinären und institutionellen Öffnung von Museen als ›ethnologische Kunst-Museen‹ abzustecken, die sich gleichermaßen auf die Arbeit in der Universität auswirken würde. Abschließend soll anhand des BASA-Konzepts eine Möglichkeit transdisziplinärer Arbeitsweisen in der Museums- und Universitätsethnologie vorgestellt werden. Seit einigen Jahren befindet sich die BASA in der Oxfordstraße, einer auf den ersten Blick gesichtslosen Geschäftsstraße mit dem Charme der 1950er Jahre, die sich überall in Deutschland befinden könnte.
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Abb. 1: Blick in den Ausstellungsraum der BASA.
Foto: Boris Schafgans DGPh. 2014.
Nach dem Abschluss der Umbauarbeiten (2014) ist der zuvor verdunkelte Ausstellungsraum nunmehr lichterfüllt und sorgt für Klarheit, Transparenz und Austausch auch mit der städtischen Öffentlichkeit (vgl. ausführlich Natho/Schmitz in diesem Band).20 Die BASA bildet mit ihren drei großen Fenstern zur Oxfordstraße einen Teil der städtischen Schaulandschaft, die ständiger Veränderung unterworfen ist. Die in ihren Räumen stattfindenden Ausstellungsaktivitäten, der Wechsel der ›Auslagen‹ im Baukasten (Abb. 1), Vorträge, Seminare, das Arbeiten mit Objekten und Bildern können auch von außen betrachtet werden. Der flexible SchauRaum der BASA bietet den Rahmen für eine beispielhafte Verbindung von Forschen, Lehren21 und Ausstellen. Gelungen ist damit die Sichtbarmachung und
20 Der Umbau wurde vom Landschaftsverband Rheinland (LVR), von der Deutschen Altamerika-Stiftung und von der Philosophischen Fakultät der Rheinischen FriedrichWilhelms-Universität Bonn gefördert. 21 Im Wintersemester 2015/16 wird ein weiterbildender MA-Studiengang »Museumsstudien« an der Universität Bonn starten, an dem neben der Altamerikanistik und Ethnologie auch Kunstgeschichte, Botanik sowie weitere Sammlungen der Universität Bonn, Museen des LVR und des Bundes sowie externe Lehrende beteiligt sind.
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Stärkung eines Universitätsmuseums, die in der Forschung den Anschluss an die ethnologischen Sammlungen sucht. Seit Mai dieses Jahres ist die BASA Koordinierungsstelle eines durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Forschungsprojekts.22 Am Beispiel der Aparai-WayanaSammlung aus Französisch-Guayana und Brasilien werden Mensch-DingVerflechtungen in einem durch Objekte vermittelten Austausch von Wissen untersucht. Das Verbundprojekt mit seinen Partnern, das Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Universität Frankfurt am Main und das Linden-Museum Stuttgart, arbeitet interdisziplinär, interinstitutionell und in Kooperation mit weiteren ethnologischen Museen und Sammlungen sowie mit Angehörigen der Aparai-Wayana (vgl. Hoffmann in diesem Band). Vom Warenhaus, dem Museum in Struktur und Funktion Schwesterinstitution im 19. Jahrhundert (Bennett 1996), lässt sich der Bogen zu der in einem ehemaligen Küchenstudio beherbergten Universitätssammlung und ihrem Ausstellungsraum schlagen. Das Museum war im 19. Jahrhundert ein Ort der Disziplinierung und einer nationalstaatlichen Bildung, das »große Warenhaus« im 20. Jahrhundert Modernisierungsmetapher und Repräsentation des »gesellschaftlichen Imaginären« (Fechner-Smarsly 2009: 53ff.). Im 21. Jahrhundert ist das Nebeneinander von Warenhaus sowie Sammlungs-, Forschungs-, Lehr-, Ausstellungs- und Vortragsraum, gleichermaßen »sozialer« (Cannizzo 2001) und »transkultureller Artefakt« (O’Hanlon, zit. in L. Förster 2013: 192) bzw. »soziale Arena« (Bouquet 2001) Chance für neuartige Kommunikationsformen über die Disziplinen- und Institutionengrenzen hinweg.
22 Das Projekt, das im Rahmen des Förderprogramms des BMBF »Die Sprache der Objekte – Materielle Kultur im Kontext gesellschaftlicher Entwicklungen« gefördert wird, wird wissenschaftlich von Beatrix Hoffmann-Ihde bearbeitet und von Karoline Noack koordiniert.
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Mensch – Objekt – Könnerschaft. Einige Überlegungen zur Frage der Wertschätzung einer ethnographischen Sammlung M AIKE P OWROZNIK
In der aktuellen Diskussion über ethnologische Museen/Völkerkundemuseen ist zu beobachten, dass immer wieder die Bezüge zwischen einem Museum, seinen Sammlungen und den Regionen, aus denen diese stammen, im Fokus stehen. Zweifelsohne dringend sind Fragen nach dem möglicherweise belasteten kolonialen Erbe der Sammlungen und nach der Restitution einzelner Objekte (vgl. Bouquet 2012; Chambers et al. 2014; Förster 2013a, 2013b). Dringend ist auch das Verfolgen von Objekt-Biografien und Verflechtungsgeschichten, von denen sie Teil sind oder in denen sich solche entfaltet haben (vgl. Berns 2011; Thomas 1991). Auch die Verortung von als Kunst deklarierten oder erkannten Objekten in den ästhetischen Bedeutungsräumen westlicher Kunst ist ein viel diskutiertes Thema (Malefakis 2009; Sibeth 2009; vgl. auch Edenheiser, Kraus, Noack, Seiderer und Suhrbier in diesem Band). Vergleichsweise selten wird m.W. bislang die Frage nach dem eigentlichen Wert – nicht einem finanziellen, sondern einem Bedeutungswert – und Gehalt einer ethnographischen Sammlung gestellt. Welche sozio-technischen, ökonomischen, sozialen, ontologischen, politischen Bedeutungen sind mit den Objekten verknüpft und für wen verwahren wir dieses Wissen eigentlich? Es ist in der Ethnologie unstrittig, dass Objekte Schlüsselelemente in einer Gesellschaft wie auch für das Verständnis von ihr sein können. Wie allerdings erforscht und wie vermittelt man dies? Neuere Forschungen der Ethnologie und anderer Disziplinen können hier die bisherigen Erkenntnismöglichkeiten erweitern – auch solche über historische Dimensionen der Sammlungen. So schärft die
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Auseinandersetzung mit Material und Technik, mit Gebrauch und Handhabe, mit ihren sozialen Implikationen und ihrer jeweiligen Repräsentation den Blick, nicht zuletzt für das Thema der technischen Fertigkeiten wie auch des praktischen Wissens. Damit ist es zum Beispiel möglich, Objekte und das Handeln ihrer Hersteller/-innen und Benutzer/-innen zu rekonstruieren. All dies ist in den Objekten geradezu gespeichert und an ihnen ablesbar, erkennbar, wenn man sich den Mühen ihrer interdisziplinären Erforschung stellt. Welche Schlüsselelemente finden sich in unseren Sammlungen, und wie weit sind wir in der Lage, sie zu erkennen, zu kontextualisieren, sie in den einstigen Bezügen zur Körperlichkeit ihrer Nutzer/ -innen und in ihrer Materialität zu verstehen, ihre technische, soziale, symbolische wenn nicht sakrale Reichweite zu bestimmen und zu techno- oder ethnographieren? Entlang einiger Wegpunkte der Institution ethnologisches Museum/Völkerkundemuseum allgemein, dem Völkerkundemuseum der Universität Zürich (VMZ) im Speziellen, sowie der ethnologischen Forschung über Objekte möchte dieser Beitrag am Beispiel der Ausstellung »Trinkkultur – Kultgetränk« (Juni 2014 – September 2015) des VMZ zeigen, wie einmal versucht wurde, eine Annäherung an die Objekte einer Sammlung wie oben skizziert in der Forschungs- und Museumspraxis umzusetzen. Denn etwas Entscheidendes fehlt m.E. in der aktuellen Diskussion um ethnologische Museen/Völkerkundemuseen: Die Beschäftigung mit dem Erkenntniswert der Sammlungen.
Q UO VADIS , V ÖLKERKUNDEMUSEUM ? – W EGPUNKTE Die ethnologischen Sammlungen und Museen in den westlichen Industrienationen blicken auf eine etwa 150jährige Geschichte zurück. Bedenkt man, dass »90–95 Prozent der Museen weltweit nicht älter als 50 Jahre sind« (Baur 2010: 27, mit Bezug auf Kreps 2003: 20f. und Hoelscher 2006: 201), zählen diese Sammlungen und Museen folglich zu den alten, traditionsreichen Institutionen. Mindestens ebenso alt sind viele Objekt-, Bild- oder Tonsammlungen, die sie beherbergen. Zu diesen alten Institutionen zählt auch die nunmehr 126 Jahre alte Sammlung des heutigen Völkerkundemuseums der Universität Zürich. Entlang der Museumsund Ethnologiegeschichte in der Schweiz widerspiegeln seine Objekte, Karteikarten und Archivalien Geschichten des Bemühens um Sammlungen, der Kategorisierung, Klassifizierung, Erweiterung, Erforschung und Ausstellung. Man sollte meinen, das Wichtigste über die Objekte sei heute bekannt und dokumentiert. Doch nein, dem ist nicht so. Die Geschichte der Ethnologie ist auch eine Geschichte sich wandelnder Erkenntnisse über Gesellschaften und ihre geistigen wie
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auch technischen Errungenschaften. Es ist also schlicht unmöglich, dass die Forschung über Objekte und Sammlungen bereits abgeschlossen wäre. Aber das Problem liegt nicht so sehr hier. Das Problem liegt in einer auch in unseren Archiven überall erkennbaren Entfernung der Museen von der universitären Ethnologie. So ist das Thema Grundlagenforschung an den ethnologischen Sammlungen auch heute keineswegs obsolet. Gemäß dem Kulturwissenschaftler Joachim Baur (2010: 7) erfreut sich v.a. »[d]ie wissenschaftliche Beschäftigung mit der Institution Museum […] zunehmender Beliebtheit«. Beinhaltet der aktuelle Boom zu Museum und Forschung eigentlich auch die Beschäftigung mit den ethnologischen Museumssammlungen? Die ethnologischen Museen waren, so scheint es, besonders in den letzten 30 Jahren zunehmend mit sich selbst beschäftigt. Man reflektierte die eigene historische Rolle, die eigenen gesellschaftlichen Aufgaben und Aufträge, die eigene Geschichte, eigene Konzeptionen, die eigene Verortung in der europäischen Museumslandschaft. Die Sozialanthropologin Sharon Macdonald, demnächst Professorin an der Humboldt-Universität zu Berlin, bezeichnet dies als einen Paradigmenwechsel in der Museumspraxis und -theorie seit den 1980er Jahren. Sie betont die Bedeutung dieser bis heute anhaltenden Repräsentationskritik in der Ethnologie vor dem Hintergrund der ungleichen Machtverhältnisse zwischen Forschenden und Beforschten (Macdonald 2010: 52). Die wachsende Reflexivität der Museen sei eine notwendige Konsequenz dieser ungleichen Machtverhältnisse gewesen: »Reflexivität im Sinne von größerer Aufmerksamkeit gegenüber den Prozessen der Produktion und Verbreitung von Wissen und gegenüber dem partiellen, parteilichen und spezifisch positionierten Charakter von Wissen überhaupt« (ebd.: 52). In der Folge habe eine reichhaltige, auf poststrukturalistische Theorien gestützte Forschung danach gestrebt, »kulturelle Produkte, wie Texte oder Ausstellungen, zu ›dekonstruieren‹. Ziel war es, deren politische Verfasstheit deutlich zu machen, die Strategien hervorzuheben, durch die sie als ›objektiv‹ oder ›wahr‹ dargestellt wurden« (ebd.). Der Fokus auf eine Dekonstruktion des Forschungsgegenstandes sowohl in der Ethnologie wie auch betreffs Objekten in ethnologischen Museen, stellt wenigstens die Arbeit der Museen inzwischen offenbar gänzlich in Frage. Kaum ein anderes Fach war und ist auf vergleichbar hohem Niveau so selbstreflexiv und so selbstkritisch wie die Ethnologie. So sind die Auseinandersetzungen mit der Geschichte des Faches oder mit Geschichten von Sammlungen und Sammelnden bis hin zur Selbstreflexion der Forschenden, Kooperationen mit den ehemaligen Besitzer/-innen und Herkunftsregionen und sogar Bestrebungen der Restitutionen von unrechtmäßig erworbenem Kulturgut heute selbstverständlich.
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Doch stärkte dies die Fachpraxis und das Selbstbewusstsein des Faches? Und vor allem: Wohin führt die reflexive Ethnologie die Museen nun? Das ethnologische Museum gerät immer dann in eine Verteidigungsposition, wenn es die Hoheit über die Definition seines eigenen Gegenstandes aus der Hand gibt und sein Forschungsfeld nicht klar umreißt. Die Abspaltung oder das Abgespaltet-werden von den Universitäten im deutschsprachigen Raum hat hier die Bedingungen für die Bestimmung eines präzisen Leitbildes dieser Institution klar erschwert.1 Die Trennung von Universität und Museum hatte verschiedene Ursachen. Eines jedenfalls hatte sie direkt zur Folge: Die Datenerhebung über die Feldforschung als ein willkommener, ja ersehnter Wechsel von der Forschung am Objekt zur Forschung im Feld, wirkte sich unmittelbar auf das Verhältnis von Forschung und Sammlung aus. Der Strom an Objekten wie auch an Forschungsdaten aus den Feldforschungen in die Museen versiegte, und die Forschungsfragen entfernten sich von den Sammlungen. Der Verlust der Bedeutung des Themas materielle Kultur in der Lehre, das mangelnde Interesse an Objekten in der Forschung grenzte die Sammlungen aus der zunehmend geistes- und sozialwissenschaftlich orientierten Ethnologie aus. Für die Museen bleibt dies bis heute insofern ein herber Rückschlag, als sie nicht einmal mehr mithalten konnten, die Institute und Ethnologien aus ihrer Warte mit immer neuen Fragen an die Aussagekraft von materiellen Zeugnissen zu erinnern. Viele Museen befinden sich seit der Trennung nunmehr in öffentlicher Hand und sehen sich veränderten Strukturen und Erwartungen gegenüber, die sich in der Regel mit einer grundlegend wissenschaftlichen Arbeitsweise nicht in Einklang bringen lassen. Sie sind immer weniger in der Forschung präsent, und die Erarbeitung und damit auch gezielte Vermittlung wissenschaftlicher Inhalte, welche die universitäre Ethnologie in Bezug auf Objekte ja gar nicht mehr produziert oder induziert, können sie selbst aus eigener Kraft nicht leisten. Sie sind zunehmend einem zahlenden Publikum verpflichtet, dessen Interessen sie in einer oft dichten Abfolge von Wechselausstellungen mit möglichst hohen Besucherzahlen bedienen sollen. Was immer die Initiator/-innen dieser Tagung mit dem Titel »Quo vadis, Völkerkundemuseum?« gemeint haben, es müsste eigentlich besorgt lauten
1
Beispiele sind die Abspaltungen des Grassi Museum für Völkerkunde zu Leipzig, des Museums Fünf Kontinente in München oder des Weltmuseums Wien von den jeweiligen Universitäten, was bezeichnenderweise auf den Internetseiten zur Geschichte der jeweiligen Universitätsinstitute, nicht aber auf jenen der Museen erwähnt wird.
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»Quo vadis, Forschung im Völkerkundemuseum?«, um das aktuelle Dilemma vieler Museen zu formulieren.2 Ein wenig anders – aber nicht unbedingt besser – steht es um ethnologische Universitätsmuseen und ethnologische universitäre Sammlungen. Sie sind heute vielfach schon hybride Orte zwischen Bildungs- und Kulturinstitution. Ihre zunehmende Finanzierung aus öffentlichen Mitteln oder Kulturstiftungen birgt Probleme. Ihre Forschung muss finanziert werden, die Universitäten übernehmen jedoch häufig nur noch den geringeren Anteil der Finanzierung. Die Verwalter/ -innen der Sammlungen und die Institute, denen sie zugeordnet sind, können sich Grundlagenforschung bezüglich materieller Kultur nicht nur nicht leisten, es gibt auch keinen adäquat ausgebildeten Nachwuchs, keine Stellen, keine akademischen Perspektiven. Die wenigen verbliebenen universitären Museen oder Sammlungen sind vielerorts in die Position geraten, sich sogar gegenüber der Universität und speziell neben dem Fach Ethnologie als akademische Forschungs-, Lehr- und Lernorte rechtfertigen und behaupten zu müssen.3 Aus welcher Perspektive kann ein Völkerkundemuseum, ob universitär angebunden oder in öffentlicher Hand, vor dem Hintergrund dieser in den letzten Jahrzehnten ungebrochenen kritischen öffentlichen Aufmerksamkeit auf seine Sammlungen blicken und an ihnen arbeiten und forschen? Aktuell versuchen mehrere ethnologische Museen zu experimentieren (etwa mit Begriffen oder Kategorien wie am Museum der Kulturen in Basel), zu laborieren (z.B. Humboldt Lab in Berlin, Open Lab am Weltkulturen Museum in Frankfurt am Main), zu probieren (z.B. Probebühnen des Humboldt-Forums in Berlin) und das Museum als Forschungsmethode zu testen, also die Sammlungen wieder zum Ausgangspunkt für Forschungsfragen zu machen (z.B. »Museum as Method« am Museum for Archaeology and Anthropology der University of Cambridge; vgl. auch Thomas 2010).
2
Verwiesen sei hier auf verschiedene rezente Förderinitiativen z.B. der Volkswagen Stiftung (Museum und Forschung) und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (AG Forschung und Museum). Es bleibt abzuwarten, inwieweit die ethnologischen Museen, die in der Regel nicht über die Mittel und Möglichkeiten verfügen, überhaupt Anträge zu erarbeiten, davon werden profitieren können.
3
Dies gilt inzwischen sogar für Museen wie das Pitt Rivers Museum der University of Oxford, für The Hunterian der University of Glasgow oder das Fowler Museum der University of California. Dieser Sachverhalt wurde auf der Tagung »Museum as Method«, die vom 5.–6. November 2014 an der University of Cambridge abgehalten wurde und an der ich dank Nicholas Thomas teilnehmen durfte, eindrücklich vorgeführt.
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In den perspektivenreich angelegten Experimenten zur Neubewertung ethnographischer Sammlungen darf natürlich ein substantieller ethnologisch-wissenschaftlicher Beitrag nicht fehlen. Die größte Herausforderung besteht m.E. darin, eine aus der Repräsentationskritik erwachsende, emanzipierte und selbstbewusste ethnologische Forschung und Museumspraxis neu zu etablieren. Aus ihrer Fachgeschichte heraus ist doch gerade die Ethnologie imstande und in der Verantwortung, auf dem aktuellen Stand der Forschung, der Methoden und Theorien qualitativ wertvolle und angemessene Erkenntnisse zu generieren. Es ist erfreulich, dass während der Tagung, aus der nun dieser Sammelband hervorgeht, die Forderung nach genügend Raum für Wissenschaft und nach Konzepten, die sowohl den Objekten wie auch ihren Hersteller/-innen und ehemaligen Nutzer/-innen gerecht werden möchten, hörbar wurde.
Ü BER DIE F RAGEN DES W ERTES EINER ETHNOGRAPHISCHEN S AMMLUNG : E IN P ARADIGMENWECHSEL IN DER E RFORSCHUNG ANDINER T EXTILIEN ALS B EISPIEL FÜR DIE C HANCEN DER MUSEALEN G RUNDLAGENFORSCHUNG Die US-amerikanische Textilanthropologin Cassandra Torrico beginnt einen rezenten Aufsatz über technische Kompetenz im Weben andiner Textilien mit der folgenden Feststellung: »To date most studies of contemporary Andean textiles have focused either on the symbolic or semiotic analysis of designs, or on the description of weaving technology and techniques« (Torrico 2014: 195). Man ging also, folgt man Torrico, in den bisherigen ethnologischen Studien über andine Textilien von der Annahme aus, ihre Muster und die Motive selbst seien die wesentlichen Bedeutungsträger für die Repräsentation kultureller Werte. Torrico widerlegt dies in ihrem Beitrag und weist nach, dass der zentrale kulturelle Faktor die technische Kompetenz ist – also das praktische Wissen und die materielle Praxis (ebd.: 197), die in den gewebten Textilien, genauer dem Rückentuch (aksu) der Frauen, sichtbar werden: »Macha textile discourse is mostly a technical discourse and women value technical competence in weaving in the aesthetic appreciation and judgements of textiles, technical competence being understood as the ability to carry out an act« (Torrico 2014, unter Bezug auf Greimas 1983 [1966]: 196). Diese Schlussfolgerung hat weitreichende Konsequenzen für die Beschäftigung mit textilen Objekten in den Anden wie auch in musealen Sammlungen.
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Denn die Weberinnen selbst betonen die physischen Qualitäten von Stoffen, erlernen und üben die visuell-technische Kompetenz, Webstrukturen zu analysieren. Es ging also nicht nur darum, einfach bestimmte Designs zu produzieren, zu lesen oder zu interpretieren (Torrico 2014: 200). Die Ästhetik eines Textils besteht hier in der präzise definierten technischen Exzellenz des Gewebes. Das wiederum offenbart, so Torrico, entlang dieser technischen Kompetenz definierte Charaktereigenschaften und den gesellschaftlichen Status der Weberinnen wie auch ihre Attraktivität für potentielle Heiratspartner: »The physical qualities valued in cloth, such as stiffness, impenetrability, durability, shine/brilliance, a ›clearly visible‹ high-count three-colour 2/1 twill complementary warpweave, are associated with the cognitive and socio-moral qualities and bodily techniques that constitute a Macha feminine aesthetic subject […] [that] is intelligent, a fast learner, has a good memory, is careful, competitive, imaginative, creative, focused, engaged in the world, an attentive observer, capable of visualising a textile [sie arbeiten ohne Modelle, MP], full of vitality, energetic, productive, quick, strong, protective, well tempered, and cheerful« (ebd.: 211).
Damit gelangt Torrico zu dem folgenden Ergebnis: »to be a woman is synonymous with knowing how to weave warp-patterns on the ancient Andean four-stake ground loom. […] wearing an aksu, a backcloth with the most elaborate design and warp-patterns, is synonymous with being a civilised woman« (ebd.: 196). Anhand der Beschaffenheit des Rückentuchs der Macha lassen sich demnach komplexe technische Fertigkeiten von Frauen und darüber hinaus Ableitungen über den Charakter und die Persönlichkeit einer Frau formulieren. Solch eine sozial-technische Könnerschaft hat wiederum Einfluss auf die soziale Stellung und mögliche Beziehungen innerhalb der Gemeinschaft. Das Rückentuch ist somit ein Schlüsselobjekt: für die Persönlichkeit der Frau, für die andine Gesellschaft wie auch für unser Verständnis der sozial-technischen Performanz und Wissensrepräsentation der Macha in diesem einen Objekt. Die Forschung Torricos verdeutlicht sehr eindrucksvoll den Kern des hier thematisierten Problems, mithin des aktuellen Dilemmas ethnologischer Museen: Die Ethnologie hat einen wichtigen Schritt, nämlich die Integration von Feldforschung und Objektforschung, bislang nicht vollzogen. Ihre eher phänomenologische Betrachtung und Deutung von Objekten ist weit über diesen Fall andiner Textilien hinaus symptomatisch, sie hinkt dem ansonsten theoretisch hohen Niveau der Disziplin weit hinterher. Über die nach wie vor praktizierte Feldforschung stellen gar nicht dazu ausgebildete, alltagstechnisch in der Regel gar nicht kompetente Ethnolog/-innen in der Mehrzahl kaum mehr relevante Bezüge zu Alltagsobjekten
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wie zu den in Museen verwahrten Objekten her. Von den über Objekte ihr Wissen inszenierenden, sich über ihr technisches Können definierenden und die Welt begreifenden und in ihr agierenden Gewährspersonen in allen Regionen der Welt scheint die Ethnologie weiter denn je entfernt zu sein. In dieser Forschungspraxis spiegelt sich auch eine Trennung von Kunst und Technologie, von geistigem Wissen und praktischem Wissen wider, die vor allem eine westliche ist (Ingold 2001: 18). Es drängt sich hier die Frage auf, ob eine Ethnologie, die sich zunehmend als eine rein geistige Wissenschaft verstand und materielle Dimensionen von Kulturen zuweilen gar ablehnte, heute die praktischen Bezüge doch offensichtlich vorhandener sozial-technischer Systeme überhaupt noch versteht, oder vielmehr: Was wurde inzwischen alles übersehen? Der britische Ethnologe Maurice Bloch brachte dies bereits 1992 in seinem Aufsatz »What goes without saying« auf den Punkt: Legte er zuvor eine vergleichbar abstrakte Studie zur sozialen Organisation der Zafimaniry in Madagaskar vor (Bloch 1975), so erschloss sich ihm eine emische Perspektive schließlich erst mit dem Verständnis der Konzeptionen bezüglich des Materials Holz und hölzerner Objekte. Diese stellen die Zafimaniry in enge Beziehung zur gesellschaftlichen Struktur, zum Lebensalter oder zum individuellen Status. An Holzobjekten lassen sich die gesellschaftliche Ordnung oder die Vorstellungen von Lebenszyklen geradezu ablesen. Die Zafimaniry sprechen darüber in der Regel nicht – wohl dann mit Bloch, als dieser endlich die richtigen Fragen stellte. Damit stieß Bloch auf die wesentliche Erkenntnis, dass es gerade die Objekte sein können, in denen praktisches Wissen gespeichert ist, und dass sie die Gesellschaft, in gewisser Weise die Welt der Zafimaniry, ordnen. Torricos und Blochs Beispiele geben zu der Hoffnung Anlass, dass mithilfe neuer Fragestellungen, überhaupt eines neuen Interesses und Verstehens, neue Erkenntnisse auch über alte Sammlungen generiert werden können.
E IN UNIVERSITÄRES F ORSCHUNGS - UND L EHRMUSEUM IM J AHR 2015 Im Jahr 2014 feierte das Völkerkundemuseum der Universität Zürich das 125jährige Bestehen der Völkerkundlichen Sammlung der Universität. Es ist heute eines der wenigen über eine Professur an ein ethnologisches Institut angegliederten, universitären wissenschaftlichen Lehr- und Forschungsmuseen.
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Hinter dieser Institution stehen viele Gesichter, die die Sammlungen vor dem Hintergrund des jeweiligen Wissensstandes im Fach Ethnologie und aufgrund individueller Forschungsinteressen in immer neuen Projekten erforschten und zu einem kleinen Teil in Ausstellungen präsentierten. Unter der Leitung von bislang sechs Direktoren und einer Direktorin, die seit den 1970er Jahren mit einem ordentlichem Lehrstuhl im Fach Ethnologie an der Universität Zürich verbunden war, waren und sind hier Lehre, Forschung, Sammlung und Öffentlichkeitsarbeit immer eng verbunden.4 Heute verfügt das Museum über Depots, Archive (Film, Foto, Schrift, Ton) und Ateliers. Das Museum umfasst außerdem eine Bibliothek, ein Fotostudio, 600 m2 Ausstellungsfläche, einen Hörsaal und einen Seminarraum. Hier arbeiten Fachtechniker/-innen, Ausstellungsgestalter/-innen und Wissenschaftler/-innen gemeinsam mit Studierenden in Forschung, Sammlung und Lehre eng zusammen; die Öffentlichkeitsarbeit und Ausstellungen speisen sich aus der Forschung heraus. Im Rahmen einer Renovierung seiner Gebäude war das Völkerkundemuseum von 2013 bis 2014 geschlossen. Dies bot uns die Möglichkeit, mit Blick auf die Wiedereröffnung des Hauses dessen Geschichte für die Ausstellung »Gesichter eines Museums« (Gerber/Haslwanter/Isler 2014) aufzuarbeiten und mit dem Ausstellungsprojekt »Trinkkultur – Kultgetränk« die technischen, organisatorischen und wissenschaftlichen Möglichkeiten des Hauses auszuloten. Die Ausstellung wurde vom gesamten und für dieses Projekt erweiterten Team in verschiedenen Themenschwerpunkten konzipiert: Alpenmilch in der Schweiz (Rebekka Sutter), Palmwein im Tropengürtel (Mareile Flitsch, Lena Kaufmann, Karin von Niederhäusern), Maniokbier im Amazonasgebiet (Maike Powroznik, Renzo S. Duin, Sonia Duin), Kawa in Ozeanien (Andreas Isler, Katharina W. Haslwanter, Martina Zierhofer), Sauermilch im subsaharischen Afrika (Thomas Laely, Raphael Schwere, Luciano Gagliardi), tibetischer Buttertee (Martina Wernsdörfer) und asiatisches Reisbier (Thomas Kaiser).5 Neben den hier angeführten Autor/-innen der Katalogbeiträge bzw. Kurator/-innen der Ausstellung waren alle Techniker/-innen des VMZ an der Arbeit am Katalog und an der Ausstellung beteiligt.
4
Vgl. zur Geschichte des Völkerkundemuseums der Universität Zürich Gerber/Haslwan-
5
Die Kapitel der Ausstellung entsprechen den Beiträgen im Katalog zur Ausstellung
ter/ Isler 2014. (Flitsch 2014a).
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E IN AUSSTELLUNGSPROJEKT AM V ÖLKERKUNDEMUSEUM DER U NIVERSITÄT Z ÜRICH : E IN E RFAHRUNGSBERICHT Eine Wiedereröffnung bietet die Möglichkeit, für eine Ausstellung einmal einer grundlegenden Frage nachzugehen und die Gelegenheit zu einer Neuausrichtung des Hauses zu nutzen. Die grundlegendste Frage, die uns umtrieb, war jene nach dem wissenschaftlichen Wert der Zürcher ethnographischen Sammlung. Welches kulturelle Wissen verwahren wir mit den etwa 40.000 Objekten? Für die Neueröffnungsausstellung wählten wir das Thema ›Trinken‹, verbunden mit der weiteren Frage nach sichtbaren, ableitbaren oder rekonstruier- resp. kontextualisierbaren damit verbundenen Kompetenzen. Mit dieser Aufgabe durchforsteten die Mitarbeitenden die Sammlungen und Archive. Dabei stellten wir schon zu Beginn fest, dass – trotz einer bis zu 125jährigen Beschäftigung mit den Objekten – die auf Karteikarten abgelegten Informationen uns nicht wirklich weit brachten, aber doch immer wieder Anhaltspunkte boten. Rebekka Sutter beispielsweise fand einen Holzstab mit zahlreichen eingeritzten Markierungen – ihre ersten Gedanken: »Ainu? Dulong? Inka? Auf der Karteikarte steht in feiner Bleistiftschrift: Kippel (Lötschental, CH). Reflexartiges Umdrehen der Karteikarte – als könnte ihre Rückseite ein Missverständnis aufklären« (Sutter 2014: 30). Abb. 1: Verschiedene Tesseln aus dem Alpenraum, verwendet zur Festlegung von Rechten, Pflichten oder zur Abrechnung auf Schweizer Genossenschaftsalpen.
Foto: Kathrin Leuenberger. 2015.
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Nicht nur Tassen, Becher, Schalen, Kannen – im Verlauf der Forschung fanden sich mehr und mehr Objekte aus spezifischen Trinkkulturen: Tesseln, Spielzeugkühe, Fuß- und Körperschlingen, Tanzpfeile, Siebe, Hochzeitsstäbe, Mythen, Töne oder Texte. Was wir fanden, war ein ganzes Konvolut an Puzzleteilen, die hinsichtlich unserer Fragestellung vorerst keine Geschlossenheit erkennen ließen, anhand derer jedoch komplexe Trinkkulturen erkennbar waren, die wir in einem nächsten Schritt dann zu rekonstruieren suchten. Wir erschlossen das Forschungsfeld und den jeweiligen Forschungsstand, führten nach Möglichkeit kleinere Feldforschungen durch oder zogen gezielt externe Wissenschaftler/-innen und Expert/-innen hinzu. Überdies schöpften wir die Möglichkeiten der am Museum in Forschung und Lehre vertretenen visuellen Anthropologie aus: Während Feldforschungen entstanden auf skills fokussierende ethnographische Filme über das Zapfen von Palmsaft, die Herstellung von Reisbier (Dick 2014a, 2014b) und das Melken von Kühen in Afrika (Müller 2013). Außerdem konnten Sequenzen eines Lizentiatsfilms über die Achuar in Nordperu, welche technische, soziale und mythische Aspekte von Maniokbier offenbaren, für die Ausstellung verwendet werden (Bissegger/Elsner 2008). Das Eintauchen in die Welt der Trinkobjekte führte uns eindrücklich vor Augen, dass Menschen überall gekonnt, kompetent, fähig ihren (Trink-)Alltag organisieren und praktizieren. Uns war es zudem ein Anliegen, in einer Art Zugeständnis von Würde, eben das mit Trinkkultur verbundene Können zu erforschen und in der Ausstellung sichtbar zu machen (Flitsch 2014b).
K ÖNNERSCHAFT UND K OMPETENZ ERFORSCHEN : D AS B EISPIEL T RINKKULTUR Das Interesse am Ding bezieht am VMZ das Interesse am Menschen, der es kompetent erschafft und nutzt, mit ein. Eine Arbeitshypothese lautete folglich: Welche technischen, sozialen, eine Weltanschauung in irgendeiner Weise betreffenden skills lassen sich anhand der Objekte erschließen oder an Objekten nachweisen (Flitsch 2014, mit Bezug u.a. auf Leroi-Gourhan 1980)? Im Zusammenhang mit dem Thema Technik, inklusive Material, Materialität, Herstellung, Gebrauchsweise und Handhabe, ging es auch um Konsequenzen, die die Wahl eines bestimmten Materials und einer bestimmten technischen Lösung für den Gebrauch in einer spezifischen sozialen Umgebung hatte oder hat. Die Herstellung von Getränken erfordert technisches Wissen, etwa die Gewinnung von Palmsaft: Wie erklimmt man eine Palme? Wie und wann melkt man welche Palme und wie pflegt man sie? Wann befindet sich der Palmsaft in dem Zustand,
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den eine bestimmte Person für die Gärung bevorzugt? Wie kontrolliert man die Gärung? Ein anderes Beispiel ist das Maniokbier: Wann muss ein neuer Maniokgarten anlegt werden, damit zu einem bestimmten Zeitpunkt mehrere hundert Liter Bier für ein großes Fest zur Verfügung stehen? Wie kann Maniok entgiftet werden und welche Menge muss eingespeichelt werden, damit die Maniokmasse zu Bier fermentiert? Ferner erfordert auch die Art und Weise der Konsumierung der Getränke bestimmte Körpertechniken, etwa das Trinken von Palmwein aus einem indonesischen kitang,6 aus dem der Wein im Bogen aus der Höhe in den geöffneten Mund fließt. Oder aber das Trinken großer Mengen Maniokbiers – es erfordert die Regurgitation, also das wieder Aufstoßen desselben mittels eingeübter Körpertechnik. Die Wayana in der Region Guyana z.B. wenden diese Technik bis heute zur Körperreinigung an. Auf sozialer Ebene schien es uns relevant, in welchen Zusammenhängen ein Objekt angewendet wird und wie es eine Gesellschaft oder Beziehungen ordnen kann. Bestimmte Getränke sind an spezielle soziale Zusammenhänge gebunden. In Indien beispielsweise ist Palmwein eher das Getränk der armen Leute, in Afrika hingegen das der Könige. Das Trinken in Gemeinschaft mit anderen etwa im Rahmen von Gastfreundschaft ist nur einer, wenn auch ein zentraler sozialer Kontext im Hinblick auf sogenannte Hauptgetränke. Bei einem genauen Blick offenbaren sich wichtige soziale skills und gesellschaftliche Ordnungen: In Tibet wird einem Gast Buttertee gereicht. An der Beschaffenheit der Trinkschale lässt sich dort z.B. ablesen, welchen gesellschaftlichen Status ein individueller Gast genießt. Besonders in einer Kawa-Trinkrunde lassen die Reihenfolge des Ausschanks, die Etikette und die Sitzordnung der Trinkenden gesellschaftliche Hierarchien klar sichtbar werden.7 Maniokbier hingegen wird unabhängig vom Status der Anwesenden getrunken, jedoch immer nach einem bestimmten Protokoll. Maniokbier ist das soziale Schmiermittel, ohne das Begegnungen mit anderen, gemeinschaftliche Aktivitäten sowie die Etablierung oder das Verhandeln sozialer Beziehungen, ob im Alltag oder zu Festen, undenkbar wären. Im Hinblick auf weltanschauliche Aspekte unserer Sammlungsgegenstände zum Thema Trinkkultur ließ sich erkennen, dass wesentliche Objekte meist in verschiedenen Räumen – seien dies weltanschauliche, religiöse, literarische etc. – und auf ganz unterschiedliche Weisen repräsentiert wurden. Wenn ein Milchbauer in 6
Ein kitang ist ein Bambusköcher mit Deckel, der einen aufwärts gerichteten zylindri-
7
Die mit Schneckengehäusen besetzte Schnur an einer großen Kawa-Schale wird auf die
schen Ausguss besitzt, welcher beim Trinken nicht mit dem Mund berührt wird. ranghöchste Person in der Runde ausgerichtet. Die Trinkreihenfolge richtet sich nach Titel, Rang und Alter der Anwesenden.
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den Schweizer Alpen seinen Segen zum Schutz der Kühe und der Alp durch den Milchtrichter ruft, so ist dies ein Ausdruck dafür, dass die Milchwirtschaft in der schweizerischen Kultur tief verwurzelt und im christlich religiösen Raum repräsentiert ist. Ebenso von tiefgreifender Bedeutung ist die Milchkultur des subsaharischen Afrikas. In der Vorstellung der Peul im westlichen Afrika beispielsweise entstand gar die Welt aus einem Tropfen Milch. Die Milch gilt dort als eine ernährende Flüssigkeit, mit der alles Leben begann. Alle für die Ausstellung ausgewählten Getränke haben ernährende Eigenschaften, gelten aber nicht nur deshalb als Lebenselixiere. Es verbindet sich mit ihnen seit offenbar langer Zeit tradierte Geschichte und Leidenschaft, die vielfachen Ausdruck in Mythen, Geschichten, Liedern, Poesie und Humor findet, in denen sozial-technisches, praktisches, sakrales Wissen geradezu verwahrt wird. Das Leben der Naga in Nordostindien z.B. wurde erst erträglich, so eine Erzählung, als ein Waldgeist den Menschen beibrachte, Reisbier zu brauen. Und Maniokbier ist gewissermaßen das Urgetränk der Wayana, das die Großmutter für die Schöpferzwillinge als ihr Getränk herstellte und das somit bereits in der Schöpfungsgeschichte eine zentrale Rolle als socialiser einnimmt.8 Besondere Aufmerksamkeit gilt auch den Trinkgefäßen selbst. Im Unterschied zu anderen Haushaltsgegenständen werden gerade sie oftmals mit großer Sorgfalt und in technischer Meisterschaft hergestellt. Zudem sind sie häufig Träger spezifischer kultureller Werte, wie etwa die in männlicher Linie weitervererbten Palmweinbecher der Kuba in der Demokratischen Republik Kongo, der mit einem Glücksorakel versehene kitang, die besonders dünnwandige, bemalte ManiokbierKeramik der Kichwa in Ecuador oder der Shipibo-Conibo in Peru, die mit Kaurischnecken verzierten Sauermilch-Kalebassen der Kalendjin-Kipsigi in Kenia oder die vielbeinige aus einem Stück geschnitzte große Kawa-Schale mit Schnecken besetzter Schnur. Manche wiederum sind sehr einfach gestaltet. Über ihre kulturell repräsentative Bedeutung sollte man sich deshalb jedoch nicht täuschen lassen. Ein Reisbierbecher der Naga in Nordostindien beispielsweise wird schnell mit fünf Schnitten unterwegs aus Bambus geschnitzt und nach dem Trinken fortgeworfen. Solche Reisbierbecher könnten in ihrer äußeren Erscheinung und Herstellung schlichter nicht sein. Umso komplexer ist hier jedoch das memorierte Wissen der Trinkenden, das im Moment des Griffs zum Becher und des Trinkens rezitiert und damit 8
Die Schöpferzwillinge brauchten das Maniokbier, um die Jaguare einladen zu können. Dafür benötigten sie außerdem einen tukusipan, das gemeinschaftliche Rundhaus, um darin ihre Gäste zu empfangen und das Bier zu trinken. Haus und Bier stellten bereits im Schöpfungsmythos die Grundbedingungen für eine Begegnung zwischen Individuen oder Gruppen dar (vgl. auch Duin 2009).
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abgerufen wird. Beim Trinken singen die Naga z.B. Lieder über für sie essentielle kulturelle Belange. An diesem Beispiel entstand bei uns der Eindruck, dass ein materielles Objekt wie ein Einwegbecher – ein protokollarisches Objekt ganz im Sinn von Morin (1969) – bedeuten kann, dass das Wissen nicht in der Form des Objekts, sondern im Gebrauch aufscheint. Das heisst: Der Moment des funktionellen Objekt-Gebrauchs (oder einer damit verknüpften Rezitation) dient gleichzeitig als Technik, praktisches Wissen im Kopf resp. Körper zu speichern. In unserer Sammlung fanden wir die Tendenz, dass technisch aufwändige, ästhetisch ansprechende und auffällige Objekte häufiger gesammelt wurden. Schlichtere oder schlichter erscheinende materielle Alltagskultur, ganz zu schweigen von ephemeren Faltbehältnissen, sind stark unterrepräsentiert – ebenso das Wissen darüber. Übertragen auf das Beispiel der Trinkkulturen stellte sich bei unserer Recherche heraus, dass in manchen Regionen bestimmte Getränke rein von den Sammlungsbeständen her als Hauptgetränke hervortraten. Wie eine Bestätigung dieser Feststellung lasen sich die diesbezüglichen Ausführungen der französischen Anthropologin Claudine Fabre-Vassas: »[…] jede Gesellschaft, jede kleine Gruppe tendiert dazu, die Gesamtheit ihrer Praktiken rund um ein Hauptgetränk zu organisieren« (Fabre-Vassas 1989, Abschnitt 9).9 Ihre Herstellung erfordert lokales Spezialwissen und sorgfältig erlernte Fertigkeiten – häufig verbunden mit rhythmisch und akustisch verkörpertem Wissen. Ihr Konsum wies auf soziale Inszenierungen und Ordnungen, und sie waren auffällig häufig Gegenstand von Schöpfungsmythen.
K OMPETENZ VERMITTELN UND VERWAHREN : D IE AUSSTELLUNG »T RINKKULTUR – K ULTGETRÄNK « Die Erforschung der Objekte förderte überraschendes und vor allem sehr komplexes Trink-Wissen zutage. Die Herausforderung bestand für uns darin, dieses Wissen über sieben Getränke in seiner Fülle in einer Ausstellung zu vermitteln. Die drei zugrunde gelegten Analyseebenen (Technik – Soziales – Weltanschauliches) lassen sich zwar weiter differenzieren, sie dienten uns in dieser übergeordneten Dreiteilung jedoch als für Besucher/-innen greifbare Orientierung in der Ausstellung.
9
»toute société, tout groupe restreint tend à organiser l’ensemble de ses pratiques autour d’un breuvage principal« (Fabre-Vassas 1989, Abschnitt 9, Übersetzung MP).
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Als Einstieg wählten wir die Schweizer Alpenmilch, um anhand eines möglichst vielen Besucher/-innen bekannten Getränks die Komplexität einer Trinkkultur zu verdeutlichen: Die Technik wurde u.a. anhand von Melk- und KuhlockrufTechniken, soziale Bezüge wurden anhand des Vertragsrechts einer Genossenschaftsalp und die Weltanschauung wurde beispielhaft anhand des Alpsegens erläutert. Ein mit dieser Milchkultur vertrautes Publikum wurde, ausgehend von solchen einzelnen Impulsen und weiteren Elementen, in die Lage versetzt, das eigene erlernte und verkörperte Wissen abzurufen. Auf diesen Einstieg folgte eine allgemeine Einführung in die gesamte Ausstellung. Erst danach betraten die Besucher/-innen nacheinander sechs voneinander abgesetzte Getränkewelten. Aufgrund der Fülle und Eigenart jeder einzelnen Getränkekultur entschieden wir uns dagegen, die Ausstellung thematisch zu gliedern. Stattdessen konnte jedes Getränk für sich erkundet und als in sich geschlossener Bereich leichter erfasst werden. Den Besucher/-innen stand es frei, selbstständig Bezüge zu den übrigen Getränken herzustellen. Es wurden ausführliche und dichte Texte angeboten, denn ein Wissen wie jenes über die Alpenmilch konnte für die übrigen Getränke nicht mehr vorausgesetzt werden. Ziel war es genug Informationen zu offerieren, um jeweils einen umfassenden Einblick in die grundlegenden Aspekte und Zusammenhänge zu ermöglichen. Die gezeigten Museumsobjekte waren zumeist historische Objekte, also Zeugen vergangener Praktiken. Für jede ausgestellte Getränkewelt wurde in der Ausstellung jedoch ein Bogen durch die Geschichte bis ins Heute gespannt: beispielsweise von den durch Kauen zerkleinerten Kawa-Wurzeln hin zum käuflich erwerbbaren Kawa-Pulver in der Tüte. Vom manuellen Teemischzylinder ließ sich ein Bogen über den elektrischen Butterteemixer hin zum Buttertee im Teebeutel spannen, von der ruralen Milchwirtschaft Rinder haltender Gesellschaften hin zum Tetra Pak, zur Milchbar in urbanen Zentren des subsaharischen Afrikas und zum Milchpulver, eingeführt als Überschussprodukt aus dem EU-Raum. Viele Arbeitsprozesse wurden im Laufe der Zeit weiterentwickelt, effektiveres Gerät wurde erfunden oder beigezogen, um aufwändige Arbeitsschritte zu erleichtern. Die Ausstellung zeigte anhand der im VMZ vorhandenen Objekte bestimmte historische Momentaufnahmen über Getränke, die unter Umständen vor Ort nach wie vor auch noch mit solcher Art heute als alt klassifiziertem Gerät und Methoden gewonnen, hergestellt und genossen werden. Ein Beispiel ist das Arbeitsgerät eines indischen Palmsaftzapfers, das vor 1965 gesammelt wurde. Im Februar 2014 filmte die Doktorandin Michèle Dick einen ebenfalls indischen Palmsaftzapfer bei seiner Arbeit mit vergleichbarem Gerät.
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Abb. 2: Geräte zur Herstellung von Buttertee wie ein Teemischzylinder (rechts hinten) und ein elektrischer Teemixer (davor) sowie Butterteebeutel (Mitte).
Foto: Kathrin Leuenberger. 2015.
So verharrten die gezeigten Sammlungsbestände nicht in der Vergangenheit, sondern zeigten ein zeitlich tiefes, aber auch heute lebendiges Bild eben dieser Getränkewelten. Die einzelnen Abschnitte der Ausstellung wiederum fokussierten Kernkompetenzen einer Trinkkultur wie z.B. die Palmsaftgewinnung, die Entgiftung von Maniok und dessen Fermentation zu Bier, die soziale Hierarchie in einer KawaTrinkrunde, die Fermentation von Milch zu Sauermilch, Buttertee und mobile Fertigkeiten, Reisbiergenuss und memoriertes Wissen. Eine Kernkompetenz eines jeden Getränkes wurde in je ein Daumenkino umgesetzt. Spielerisch wurden den Besucher/-innen hiermit die zentralen Aspekte der Trinkkulturen und der mit ihnen verbundenen skills eingängig und als Objekte zur Erinnerung an vermittelte Inhalte im Museumsshop zum Erwerb angeboten.
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Anlässlich dieser Ausstellung wurde überdies ein Medienguidesystem entworfen,10 der den interessierten Besucher/-innen als Recherchetool bei Interesse zusätzliche Informationen wie Kurzfilme, Fotos, Lieder oder Mythen zum Weiterforschen an die Hand gibt. Insgesamt könnte man den Eindruck gewinnen, dass eine solche Ausstellung eigentlich angesichts der heute rasanten Veränderungen des Alltags in allen Regionen der Welt eine Art Verlustgeschichten schreibt. Auch dies ist eine Aufgabe der Ethnologie im Museum, denn »[s]o lange noch der Verlust verspürt wird oder wenigstens erinnert, so lange ist eine Wiedergewinnung möglich« (Flitsch 2014a: 27). Für uns ging es mit der Ausstellung keineswegs in erster Linie darum, Technikgeschichte zu schreiben, sondern »auch um die Verantwortung für eine gemeinsame Zukunft, für die diese Wissenspotentiale zur Verfügung stehen könnten. Man muss allerdings erst einmal lernen, sie zu erkennen, ihre Eigenart zu respektieren und ihren Wert zu verstehen« (ebd.). An einer Stelle wies unsere Ausstellung am Beispiel eines Objekts, einer Maniokpresse, über das Thema Trinkkultur hinaus. Die Restauratorin Kathrin Kocher vollzog für die Präsentation in der Ausstellung die Flechttechnik einer Maniokpresse gemäß einem kolumbianischen Vorbild aus der Sammlung nach und stellte einen Prototyp her. Sie entwickelte ferner ein Flechtset für ein einfaches kleinformatiges Schlauchgeflecht, das in Südamerika als Fingerfalle bekannt ist. An diesem Beispiel werden nicht nur die Fertigkeit und eine mit der Maniokpresse vergleichbare Effektivität in einem Objekt für Museumsbesucher/-innen erfahrbar. Hier wird auch der Bezug zu einem Forschungsfeld hergestellt, in dem das Völkerkundemuseum heute weltweit vermutlich führend ist: im Feld der Flechtgrammatik (in der Systematik von Noémi Speiser). Hier bewegen wir uns – ähnlich wie Cassandra Torrico – wissenschaftlich auf einem Niveau, das es uns ermöglicht, mit Flechter/-innen aus aller Welt in einen Dialog zu treten und bei uns auf geradezu grammatischer Ebene Geflechte technisch zu entschlüsseln und über ihre Soziales und Weltanschauliches betreffenden Aspekte zu forschen. Hier liegt eine Bedeutung von ethnologischen Sammlungen heute nämlich auch: In der Verwahrung eines gemeinsam noch zu entschlüsselnden Erbes.
10 Das Team, das den Medienguide entwickelte, wurde von dem Student Raphael Ochsenbein geleitet. Neben ihm arbeiteten weitere Studierende im Rahmen ihrer universitären und musealen Ausbildung in verschiedenen Bereichen dieses Ausstellungsprojektes mit.
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Abb. 3: Prototyp einer Maniokpresse aus gelbem Saleen-Band, geflochten von der Restauratorin Kathrin Kocher, und Fingerfallen zum Ausprobieren und selbst Flechten.
Foto: Kathrin Leuenberger. 2015.
Und die Getränke selbst? »So faszinierend und kulturhistorisch bedeutsam sie sein mögen: Gärprozesse und Getränke haben im Museumsdepot nichts zu suchen. Deshalb ist auch in diesem Ausstellungsbereich, der mit ›Reisbier‹ überschrieben ist, kein Reisbier zu sehen (und schon gar nicht zu kosten)«, ließ der Kurator Thomas Kaiser die Besucher/-innen in der Ausstellung wissen. Der Geschmack der Getränke ist jedoch ein sehr wichtiges Detail, für das sich natürlich die Hersteller/-innen und Trinkenden, aber auch die Besucher/-innen sehr interessierten. Aus diesem Grund degustierten zwei Sommeliers, Yvo Magnusson und Jan Kübler, im Vorfeld alle Originalgetränke und fertigten Gutachten an, die sowohl im Ausstellungskatalog (Flitsch 2014b) als auch auf einem Postkartenset eine professionelle Beschreibung der vielfältigen Geschmacksnoten bieten.
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Abb. 4: Geschmacksgutachten Maniokbier.
Vgl. Flitsch 2014b: 97.
Da die Herstellung der Getränke bisweilen sehr aufwändig ist bzw. Getränke in pasteurisierter Form nur begrenzt zu beschaffen sind, konnte eine Verkostung nur zu besonderen Anlässen realisiert werden. Es wurde jederzeit ein kleiner Vorrat an Butterteebeuteln und Palmwein in Flaschen bereitgehalten, so dass zumindest zwei Getränke für den Gaumentest im Museum zur Verfügung standen. Neben den kleinen Daumenkinos wurde ein umfassender 287seitiger Ausstellungskatalog (Flitsch 2014b) in Englisch und Deutsch erarbeitet, der nicht die Ausstellung abbildet, sondern auf dem jeweiligen Stand der Forschung Einblicke in die verschiedenen Getränkewelten gibt.
M ENSCH – O BJEKT – K ÖNNERSCHAFT : E THNOGRAPHISCHE S AMMLUNGEN ALS H ORTE VON ALLTAGS -, S OZIAL - UND R ITUALWISSEN Was bedeutet es also, dass die Ethnologie die Integration von Feldforschung und Objektforschung nicht vollzogen hat, dass eine fundierte ethnologische Forschung über den Bedeutungs- und Aussagewert von Objekten quasi ausgesetzt wurde?
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Was sind heute die zentralen Forschungsgebiete und Anliegen eines ethnologischen Museums? Wie können neue Erkenntnismöglichkeiten, für die heute eine nie dagewesene theoretische und methodische Vielfalt zur Verfügung steht, inklusive naturwissenschaftlich-geisteswissenschaftlich interdisziplinärer Ansätze, für die Forschung und Vermittlung an Museen fruchtbar gemacht werden? Wie etwa bei Torrico ersichtlich wurde, vermag die Beschäftigung mit sozialtechnischer Kompetenz die Erkenntnismöglichkeiten betreffs von Objekten zu erweitern und hier durch Paradigmenwechsel geradezu voranzutreiben. Das Projekt »Trinkkultur – Kultgetränk« förderte mithilfe solcher Fragestellungen zu Könnerschaft, Trinkkompetenz und Trinkwissen eine Vielfalt von Bedeutungen zutage, die wir uns am Beginn des Projekts nicht hätten vorstellen können. Die Recherche zum Forschungsstand über Trinkwissen und Trinkobjekte, überhaupt über die Kompetenzen, derer es in einer Region bedarf, um angemessen zu trinken, war allerdings, das soll hier nicht verschwiegen werden, oft ausgesprochen mühsam, langwierig und zeitintensiv. Sammlungen und Objekte wurden und werden heute auf vielerlei Weise erschlossen und jedes Projekt stellt seine eigenen Anforderungen, hat seine eigenen methodischen Herausforderungen. Der Bedeutungswert von Objekten ist jedoch heute deutlich unterforscht, hier liegen bedeutende, gerade auch interdisziplinär zu erschließende Erkenntnispotentiale. Nicht zuletzt ist die Perspektive auf Könnerschaft, wie gesagt, auch eine Würdigung menschlicher Leistungen, wie sie Torrico für jene der Macha-Frauen in Bolivien treffender nicht hätte formulieren können: »[A]n excellently woven aksu with a clearly defined high three-colour warp-bout count of 100, woven without mistakes […], is k´achitu (beautiful), and points to positive personal attributes of the weaver such as being k´acha (beautiful), umayuq (intelligent, perceptive, and receptive), wiwu, and with being civilised. The term wiwu […] refers to someone who is full of vitality, quick, active, alert, intelligent, inquisitive, curious, and is often used to refer to someone who is good humoured, joyful, and well tempered, buoyant […], and energetic and strong« (Torrico 2014: 207).
Die Diskussion um ethnologische Museen/Völkerkundemuseen wird weitergehen. Man kann nicht deutlich genug darauf hinweisen, dass der wissenschaftliche Wert unserer Sammlungen gerade auch in den Potentialen der wissenschaftlichen Zusammenarbeit mit Kolleg/-innen in den Herkunftsregionen zu Unrecht heute vollkommen unterschätzt wird. In den kommenden Jahren wird sich zeigen, ob hier ein Umdenken, wie von Stiftungen bereits vorsichtig angedacht, auch eintreten wird. Unser Museum wird sicherlich versuchen, einen Beitrag dazu zu leisten,
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indem der Wert der Sammlungen auf immer neue Weise präsentiert wird. Es fragt sich zudem, was in den Blick von Museums-Thinktanks, Wissenschaftsplanung und Mittelgebern gerückt werden sollte, damit Museen die Forschungsförderung erhalten, die sie verdienen und die erforderlich ist. Die Antwort würde einen weiteren Beitrag erfordern. Das Dilemma wurde hier formuliert: »Quo vadis, Forschung im Völkerkundemuseum?«
L ITERATUR Baur, Joachim. 2010. Was ist ein Museum? Vier Umkreisungen eines widerspenstigen Gegenstands. In: Baur, Joachim (Hg.). Museumsanalyse. Methoden und Konturen eines neuen Forschungsfeldes. Bielefeld: Transcript, 15–48. Berns, Marla C., Richard Fardon und Sidney Littlefield Kasfir (Hg.). 2011. Central Nigeria Unmasked: Arts of the Benue River Valley. Los Angeles: Fowler Museum at UCLA. Bloch, Maurice. 1975. Property and the End of Affinity. In: Bloch, Maurice (Hg.). Marxist Analyses and Social Anthropology. London: Malaby Press, 203–228. — 1992. What Goes Without Saying: The Conceptualization of Zafimaniry Society. In: Bloch, Maurice. How We Think They Think: Anthropological Approaches to Cognition, Memory, and Literacy. Oxford: Westview Press, 127– 146. Bouquet, Mary. 2012. Museums: A Visual Anthropology. London: Berg. Chambers, Iain Alessandra De Angelis, Celeste Ianniciello, Mariangela Orabona und Michaela Quadraro (Hg.). 2014. The Postcolonial Museum: The Arts of Memory and the Pressures of History. Farnham: Ashgate. Duin, Renzo S. 2009. Wayana Socio-Political Landscapes. Multi-Scalar Regionality and Temporality in Guiana. Ph.D. Thesis, University of Florida, Gainesville. Fabre-Vassas, Claudine. 1989. La boisson des ethnologues. In: Terrain 13: 5–14; http://terrain.revues.org/2944 (08.01.2015). Flitsch, Mareile. 2014a. Des Menschen Fertigkeit: Ethnologische Perspektiven einer neuen Wertschätzung praktischen Wissens / On Human Skill: Anhropological Perspectives on a New Appreciation of Practical Knowledge. Zürich: Völkerkundemuseum der Universität Zürich. (Hg.). 2014b. Trinkkultur Kultgetränk: Milch, Maniokbier, Kawa, Palmwein, Tee, Reisbier. / Drinking Skills: Milk, Cassava Beer, Kava, Palm Wine, Tea, Rice Beer. Sulgen: Benteli.
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Lastenverteilung: Zum Verhältnis von Museum, Universität und Kunst nach der Krise der ethnographischen Repräsentation M ONA S UHRBIER
Viele der ehemaligen deutschen Völkerkundemuseen beschäftigen sich zurzeit mit der eigenen Sammlungsgeschichte, mit Fragen, durch wen, wie und auf welchen Wegen Objekte Eingang in Museumssammlungen gefunden haben. Expeditionen, Sammlerpersönlichkeiten und geistige Strömungen hinter dem Sammeln werden aufgearbeitet und hinterfragt. Die Völkerkundemuseen beschäftigen sich mit sich selbst. Sie müssen das in Abständen wieder und wieder tun, weil sie alte Sammlungen haben, denen möglicherweise der Geruch von Kolonialismus, Ausbeutung und Unterdrückung anhaftet. Im Unterschied zu anderen Museen, wie Kunstmuseen, naturkundlichen oder historischen sehen sich Völkerkundemuseen zudem in regelmäßigen Abständen aufs Neue der Frage gegenüber: »Wozu brauchen wir die Völkerkundemuseen (noch)?« Mit der sozialwissenschaftlichen Wende am Ende der 1960er Jahre begann die Kritik an Kolonialismus und Imperialismus. Die universitäre Lehre wurde umgebaut. Auch deutsche und europäische Völkerkundemuseen hinterfragen seitdem das besonders ihnen anhaftende Image von kolonialistischer Verstrickung und formulieren ihr Selbstverständnis neu. Man wollte das auch nach außen deutlich machen und modernisierte alte Dauerausstellungen. Diese Entwicklung vollzog sich nicht überall gleich schnell und gleich intensiv. Nur um es zuzuspitzen ein paar Beispiele: Im Musée royal de l’Afrique centrale im belgischen Tervuren begann dieser Prozess erst vor kurzem, fast 100 Jahre nach Museumsgründung. Das Tropenmuseum in Amsterdam hat seit den 1970er Jahren schon zweimal seine Dauerausstellung komplett umgebaut und inhaltlich neu gestaltet. In Köln oder Frankfurt wurden seit den 1970er Jahren kaum noch
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›Ethnien‹ oder ›Völker‹ im Sinne der alten Völkerkunde dargestellt, sondern themenbezogene, häufig auch kulturvergleichende und kritische Ausstellungen entwickelt. Seit den 1990er Jahren besiegelte man die Anpassung der Museen an den Zeitgeist mit zahlreichen politisch geforderten Umbenennungen: Aus Völkerkundemuseum wurde wahlweise Museum der Kulturen, Weltkulturen Museum, Museum für Ethnologie, Weltmuseum, Museum Fünf Kontinente oder schlicht nach dem Standort benannt, Musée du quai Branly. Zuvor unter dem gemeinsamen Label ›Völkerkunde‹ stehende Häuser zeigten neue Profile und drückten im neuen Namen auch die gewünschte Nähe oder Ferne zum universitären Fach Ethnologie aus. Auch an den Universitäten wurde das Fach neu benannt.1 Die einst so genannte Völkerkunde schrieb sich den Staub vom Fach und erstand wieder. An der Frankfurter Universität strich man den Namensbestandteil »Historisch«. Aus »Historische Ethnologie« wurde schlicht »Ethnologie«, offen auch für sozialwissenschaftliche Ansätze. An der Freien Universität Berlin nennt sich das Institut weiterhin Institut für Ethnologie, die angebotenen Studiengänge allerdings heißen nunmehr »Sozial- und Kulturanthropologie«. In Marburg heißt das ehemalige Fachgebiet Völkerkunde mittlerweile Fachgebiet Kultur- und Sozialanthropologie. Völkerkunde wird seitdem auch oft integriert in die breiter aufgestellten ›Kulturwissenschaften‹. Vermehrt stellte man diskursive Nähe zur internationalen, vorzugsweise englischsprachigen Wissenschaft her. Dem deutschen Fach Völkerkunde gelang damit der Anschluss an den postcolonial turn und man ging die »Krise der ethnographischen Repräsentation« offensiv an. Einer besonderen britischen Tradition folgend, die im Unterschied zu anderen britischen, nordamerikanischen und europäischen Traditionen, Forschung nicht an Museen sieht, werden Völkerkundliche Sammlungen und Museen unterschiedslos als ›ethnographic collection‹ und ›ethnographic museum‹ zusammengefasst, was man neuerdings in deutschen Texten unhinterfragt mit ›ethnographisches Museum‹ übersetzt. Der Begriff Ethnographie (›Völkerbeschreibung‹) meint hier die reine Beschreibung und Darstellung im Unterschied zur vergleichenden Interpretation der Ethnologie. Maßgeblich für diese Benennung sind die »ethnographischen« Sammlungen, nicht die inhaltliche Ausrichtung der Museen oder die Themen der Ausstellungen. Unter der einschränkenden Bezeichnung »ethnographische Museen« werden allerdings auch Museen mit jahre-
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Die Bezeichnungen Völkerkunde oder Ethnologie wurden im deutschen Sprachraum seit dem 18. Jahrhundert verwendet, in Veröffentlichungen erstmalig von den Göttinger Historikern Schlözer (»Vorstellung einer Universal-Historie«, 1772) und Gatterer (»Abriß der Geographie«, 1775) (Benzing et.al. 1987: 158).
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langer kritischer und innovativer Ausstellungs- und Publikationspraxis unterschiedslos zusammengefasst, sozusagen als direkte Erben der klassischen Ethnographie der Kolonialzeit. Ein eigens von der EU initiiertes Projekt Ethnography Museums & World Cultures (EMWC, auch: RIME = réseau international des musées d’ethnographie, vgl. Seiderer in diesem Band) will den zehn im Projekt versammelten europäischen Museen aus der Krise helfen, sie u.a. mit den source communities in Kontakt bringen. Mit neu entwickelten Kooperations- und Austauschformen sollen sich die Museen aus der kolonialen Erstarrung befreien und man initiiert neue ethnographische Forschungsparadigmen und museale Praxen. Was geschieht hier? Die besondere Problematik der Museen kann man nur im Zusammenhang mit dem universitären Fach verstehen. Denn mit der sozialwissenschaftlichen Wende haben sich Museum und Universität immer weiter voneinander entfernt. Ein Teil der Probleme der Museen wird an den Universitäten produziert. So werden Museen von der universitären Ethnologie heute nicht mehr als Orte der Vermittlung von Theorien und Themen der Ethnologie ernst genommen. Es gibt kaum wirkliche Kooperationen für Ausstellungen zwischen Museum und Universität. Universitäre Seminare produzieren Ausstellungen an den Museen vorbei und suchen sich dazu eigene Räume. Das Desinteresse des Faches an den Museen zeigt sich auch in den Curricula. Begann die Geschichte der Ethnologie einst im Museum und hatte dort ihre erste Blütezeit, so bieten zurzeit nur wenige deutsche Universitäten Museumsethnologie als Teil der allgemeinen PflichtAusbildung an. Wenn doch, dann nach oft jahrzehntelanger Pause. Nur wenige Curricula der universitären Ethnologie enthalten eingehendere Fragestellungen an Museumsethnologie, wie allgemeine Sammlungsbearbeitung, neuartige Herangehensweisen an oder Interpretationen von Objekten oder gar eine ›Theorie des Objekts‹. Es wird also vom Fach selbst kaum spezialisierter Nachwuchs für die Museen ausgebildet. Wenn doch, dann ohne Beteiligung der Museen. Völkerkundliche Museen mitsamt ihren Objekten gelten bei Universitätswissenschaftlern gerne als ›verstaubt‹ oder ›gestrig‹. Auch in Politik, Presse und beim Publikum setzt sich in der Folge die Meinung vom ›verstaubten‹ Völkerkundemuseum durch. Die Mehrheit der Studierenden akzeptiert die gegenwärtige Museumsferne der heutigen Universitätsethnologie. Ausgenommen sind Universitäten mit eigener Sammlung, wie etwa Bonn, Göttingen, Marburg und neuerdings auch wieder Frankfurt. Meiner Beobachtung nach ist das Interesse vieler Studierenden an Museen eher kritischer Art. Die früher breite Unterstützung für Völkerkundemuseen und das große Interesse der Öffentlichkeit an den Themen des Faches Ethnologie nehmen in der
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Gesellschaft immer mehr ab. Der universitären Ethnologie gelingt es nicht, ihre vielfältigen, breit aufgestellten und oft in abgehobener Sprache formulierten Themen und Diskurse in einer verständlichen Sprache an ein breites Publikum zu vermitteln. Die Gesellschaft nimmt nicht zur Kenntnis, worum es im Kern des Faches Ethnologie geht. Ethnologie wird als Orchideenfach wahrgenommen oder als unwissenschaftlich abgetan. Man glaubt, die Fachinhalte schon mit gesundem Menschenverstand nachvollziehen zu können. Die große Relevanz der Ethnologie für alle aktuellen Themen in Einwanderungsgesellschaften, settler societies und im globalen Zusammenleben wird von außen nicht erkannt. Das fehlende öffentliche Interesse dehnt sich auch auf die Museen aus. Was kann dort gezeigt werden, was man nicht selbst schon auf Reisen gesehen und kennen gelernt hat? Die Distanz, ja Ignoranz des Faches den Museen gegenüber behindert die inhaltliche Museumsarbeit. Ohne didaktische Vermittlung werden junge Nachwuchswissenschaftler dann auch keine neuartigen Fragen mehr an Objekte oder Sammlungen richten. Und ohne qualifizierten Nachwuchs kann die Modernisierung der Museen nicht gelingen. Doch statt moderne Ethnologie mit all der Vielfalt an Fragestellungen und Diskursen auch an die Museen heran zu tragen, ist die Universitäts-Ethnologie sich selbst genug. Schlimmer noch: Im Umfeld der Universitäten wird zwar stellvertretend für beide Institutionen kritisch diskutiert, doch am Ende wird die Krise der Repräsentation und die Debatte um das koloniale Erbe des Faches einseitig auf den Schultern der Museen abgelegt. Das an Universitäten geschriebene Stück vom ›Ende der Ethnologie‹ wird allein im Theatrum Museum aufgeführt. Auf Kosten der Museen wäscht sich das Fach insgesamt von der eigenen kolonialen Vergangenheit ›rein‹. Die »Krise der ethnographischen Repräsentation« wird interessanterweise besonders dort laut und heftig diskutiert, wo sie visuell sichtbar wird: in Fotografie, Film und Museen. Ganz aktuelle wissenschaftliche Debatten über Museen knüpfen an die ewig aktuelle Diskussion über Völkerkundemuseen als Orte der kolonialen Vergangenheit an. In den 1970er Jahren im Zuge der sozialwissenschaftlichen Wende schien die koloniale Vergangenheit überwindbar. Wenn Museen heute erneut auf ihr koloniales Erbe reduziert werden, geschieht das ungeachtet ihrer individuellen Geschichte und Ausstellungspraxis. Die lebhaften Fachdebatten über Repräsentation in Museen lenken von der eigentlichen Krise der universitären Ethnologie ab. Die besteht aus der Perspektive der Museen darin, die eigene wissenschaftliche Debatte nicht mehr in repräsentativer Weise an ein breites Publikum zu vermitteln und damit die Relevanz dieses Faches für die Gesellschaft zu belegen.
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Während die Museen vom Fach in der Kolonialecke zusammen getrieben und wissenschaftlich analysiert werden, nähert sich ihnen von der anderen Seite die Kunst. Im Unterschied zur Ethnologie hat die Kunst ihre Krise der Repräsentation u.a. auch dadurch überwunden, dass sie sich Themen und Methoden unterschiedlicher Wissenschaften erfolgreich angeeignet hat: Künstlerische Forschungen etwa nennen sich ›Expeditionen‹, ›Spurensicherung‹ oder ›Feldforschung‹. Aus Sozialwissenschaften, Archäologie oder Ethnologie entnommene Methoden sind heute anerkannter Teil etwa der ›Konzeptkunst‹. Künstler und Kuratoren wie beispielweise Susan Hiller, Mark Dion oder Nigel Poor beschäftigen sich u.a. mit dem Phänomen des Sammelns, mit (natur-) wissenschaftlichen Objekt-Klassifizierungen, mit musealer Inventarisierung, Aufbewahrung und Präsentation. Historische Reflexion und wissenschaftliche Aufbereitung bleiben dabei oft fiktiv, ja vorgeblich wissenschaftliche Methoden werden zum Teil imitiert oder kritisch karikiert und das mit ihnen gewonnene Wissen in Frage gestellt. An die Stelle des zuvor – real oder angeblich – postulierten ›absoluten‹ oder ›objektiven‹ Wissens der Wissenschaften stellen Künstler häufig spielerischexperimentelle Ansätze oder das Persönliche: Assoziationen, Gefühle, Erinnerungen.2 Unter dem Titel »Archaeology« hat der US amerikanische Zeichner, Objektund Installationskünstler Mark Dion im Jahr 1999 für Tate Modern ein experimentelles Kunst-Projekt im Stil einer archäologischen Grabung durchgeführt. In der gleichnamigen Publikation dokumentiert er Verlauf und Ergebnisse der ›Spurensicherung‹. Die bei Grabungen am Themseufer und andernorts zusammen gekommenen Objektgruppen, bestehend u.a. aus Zähnen, Kreditkarten, Bierdeckeln, Haarbändern oder farbigen Glasscherben, behandelt Dion wie archäologische Funde und präsentiert sie entsprechend in der Ausstellung in Tate Modern. Er bereitet die Funde nach scheinbar ›natur‹wissenschaftlichen Kriterien auf und behandelt sie anschließend vorgeblich im Sinne musealer Klassifikationen: Sie werden geordnet, inventarisiert, klassifiziert und schließlich in historisch anmutenden Vitrinen präsentiert. Dion stellt die von Wissenschaftlern aufgestellten Hierarchisierungen von archäologischen Funden in Frage und plädiert für die Gleichwertigkeit der Dinge, unabhängig von Alter und Herkunft (vgl. auch Spitta 2009: 91). Die Objekte der Wegwerfgesellschaft erhalten Museumswert.
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Die Ausgangsbehauptung, dass Wissenschaft ihre Ergebnisse selbst als ›absolut‹ oder ›objektiv‹ betrachtet, steht dabei häufig ungeprüft im Raum.
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Abb. 1: Mark Dion: »Teeth from bankside«. Tate Thames Dig. 1999.
Foto: Simon Upton (Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Mark Dion).
Nicht nur die Fundstücke, auch die für den Grabungsprozess nötige Ausstattung, Werkzeuge und Kleidung, werden in Museumsvitrinen ästhetisiert. Damit und auch mit der von Dion erstellten Grabungsdokumentation wird das Verfahren selbst: die archäologische Grabung, als Kunst präsentiert. In seinen experimentellen Kunstprojekten bewegt sich Mark Dion zwischen Imitation von Wissenschaft und Ästhetisierung der Institution Museum. Inzwischen als Installationskünstler und Kurator international gefragt, wird er nicht mehr nur von Kunstmuseen angefragt, sondern von Museen aller Sparten. Insbesondere Mehrspartenmuseen mit großen naturwissenschaftlichen, historischen, anthropologischen, ethnographischen und Kunstsammlungen wenden sich an ihn. Typische Probleme in diesen Museen sind Objektfülle und –heterogenität sowie Wissenslücken in großen Sammlungsbeständen. Diese Probleme überwindet Dion mit Großinszenierungen.
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Abb. 2: Mark Dion: »Credit cards etc.« Tate Thames Dig. 1999.
Foto: Andrew Cross (Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Mark Dion).
Im Jahr 2010 entstanden Mark Dions Buch und Ausstellung »The Marvelous Museum: Orphans, Curiosities, and Treasures« für das Oakland Museum, ein Mehrspartenmuseum in Kalifornien. Die aufwändige Machart erhebt das Buch selbst in den Rang eines Museumsobjektes. Die rückwärts gewandte Wortwahl des Titels lässt die Intention vermuten, dass vor allem die möglicherweise mit Scham besetzte Schaulust der Besucher geweckt werden soll. Wie der Kurator selbst sagt, will er verstehen »how we got to our current understandig of the natural world« (Dion/Fogarty/Burnet 2010: 20). Das Projekt wurde von namhaften Sponsoren unterstützt.
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Abb. 3: Titel des Buches »THE MARVELOUS MUSEUM«. 2010.
Die Präsentationen Dions setzen auf die besondere Wirkung der »Ästhetik der Dekontextualisierung« (Appadurai 1986: 28). Nach eigener Aussage will er »die materielle Seite der Wissenschaftskultur« zeigen (Dion, http://www.weltwissenberlin.de/index.php/regal.html) und knüpft dazu visuell an die alten Kuriositätenkabinette des 17. und frühen 18. Jahrhunderts an, mit deren Hilfe man einst versuchte, Ordnung in die chaotische Welt zu bringen. Im Stil von Wunderkammern arrangierte Installationen spiegeln Dions eigenwillig und irritierend wirkende Klassifikationen und seinen Hang zum ›Historischen‹ wider. Auch in diesem Projekt bricht der Künstler mit Objekthierarchisierungen und zeigt etwa als wertvoll erachtete Dinge zusammen mit alltäglichen Gegenständen. Skelette, ausgestopfte Tiere, Abgüsse und in Formalin-Gläsern aufbewahrte Fische sowie Schaubilder und Gemälde versammelt er in offenen Inszenierungen und betont damit das fiktionale Element seiner Klassifizierungen (Dion/Fogarty/Burnet 2010: 23).
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Abb. 4: Mark Dion: »Installation details from Collections Collected«: The University Collects and Athens Collects Miniatures, 2009, mixed media, Kennedy Museum of Art at Ohio University. In: The Marvelous Museum, 2010.
Foto: Kevin Riddell (Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Mark Dion).
Radiogeräte, Musikinstrumente, Uhren, Kleiderpuppen, ein Propeller, Masken und Blechdosen mit Filmrollen stehen in oder neben alten Vitrinenschränken. Je ein Globus rechts und links darf nicht fehlen. Die Ästhetik des Krempels in einer aufwändig inszenierten Rumpelkammer simuliert Unordnung und steht im visuellen Widerspruch zum Titel »Regal als Theorie-Objekt«. Ob Tate Modern oder Ozeanografisches Museum in Monaco, in jeder Installation werden Architektur und vorhandene Raum-Ausstattung Teil von Dions Inszenierungen. Gegenstände, die einmal gesammelt wurden, um Wissen zu erlangen und zu schaffen, transformiert der Künstler in seinen Schauen zu einer Ästhetik des Wissens. Zusammen mit den Sammlungsgegenständen ästhetisiert er das Museum selbst, seine Räumlichkeiten, Inventarschränke, Vitrinen, Aktenordner, Karteikarten, Objektschildchen. Wunderkammern haben in Europa einst dazu beigetragen Forschungsdisziplinen zu entwickeln. Die Spezialisierung in Wissenschaft und Museen nahm hier ihren Anfang. Die Rückkehr Dions und anderer Künstler zur ordnenden Instanz der Wunderkammern bezeichnet Silvia Spitta (2009: 92) als Hinwendung zu »whimsical, Baroque, magical, performative, post-apocalyptic yet pre-scientific spaces« und somit geeignet, die Hierarchien, Ethik und Ästhetik insbesondere der Naturgeschichte in Frage zu stellen. Ich frage mich allerdings, warum den Wunderkammern ihr damals durchaus wissenschaftlicher und systematischer Anspruch heute von Künstlern abgesprochen wird. Spiegelt die »magical messi-
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ness« (Spitta 2009: 94), die den neu aufgelegten Kuriositätenkabinetten nachgesagt wird, wirklich ein vorwissenschaftliches Stadium der ›Unwissenheit‹ wider oder zeugt sie nicht eher von der heutigen Sehnsucht nach der weltordnenden Hand der westlichen Kunst und der Rückkehr in ein Zeitalter des Staunens? Kunst und Künstler bewegen sich genau wie die Wissenschaften in einem westlich geprägten Setting. Anstatt andere, wenn auch sperrige und schwer zu verstehende Standpunkte der Gegenwart in die Debatte über die Ansprüche der Wissenschaften einzubeziehen, begnügt man sich mit dem romantischen Rückblick auf den (westlichen!) prä-modernen Menschen. Zeigen diese wenigen von mir ausgewählten Beispiele möglicherweise eine neue Tendenz in der Gesellschaft? Die neue Ästhetik in Museen kommt besonders der Lust am Schauen entgegen. Im Zeitalter der überbordenden Informationsfülle werden ästhetisierende Ausstellungen leichter konsumierbar und vermitteln dem Flaneur nicht mehr Wissen, sondern Genuss. Wird das Museum zum Ort des Nicht-Wissens? Einen alternativen Entwurf zum dominant westlich geprägten naturwissenschaftlichen Diskurs über Umwelt und Natur, Land und Ressourcen könnten beispielsweise auch indigene Völker, etwa aus dem Amazonasgebiet, formulieren. Ja, sie tun dies sogar in Form von Bildender Kunst, wie ich in einer früheren Arbeit gezeigt habe (Suhrbier 2005: 206ff.). Für die Präsentation ihrer vielfältigen Sichtweisen auf Natur, Land und Landschaft wird diesen Künstlern jedoch keine Plattform in der Kunstwelt und damit keine Öffentlichkeit geboten. In der internationalen Wissenschaftskritik unterschätzt, ja unterschlägt man die ›andere‹ Ordnung indigener Wissenschaften, mit denen die praktische und spirituelle Verfügungsgewalt über Land, Ressourcen und materielle Kultur gesichert und ein Gegengewicht zu westlichen, naturwissenschaftlich geprägten Zugängen gebildet werden kann. Man unterschätzt auch die Dimension der Kritik indigener Künstler am national und international geführten Diskurs über den Schutz und die Nutzung des Regenwaldes, der ansonsten meistens in den Sprachen und Terminologien westlicher Naturwissenschaftler, Technokraten, Politiker und Umweltschützer geführt wird. Indigene Künstler hingegen vermitteln einen erweiterten Eindruck von der Natur – wie er weder in heute dominanten Sprachen der Naturwissenschaften noch im Kuriositätenkabinett neuer Prägung entstehen kann (Suhrbier 2003: 339-357). Die oft unterhaltsamen und inspirierenden Projekte Mark Dions enden in der Regel mit der Spurensicherung und der Präsentation der Objekte in Vitrinen, Schränken und Installationen. Was der Künstler nicht mehr verfolgt, schließt sich in den Wissenschaften jedoch direkt an: Denn nach jeder wissenschaftlichen ›Spurensicherung‹ richten die unterschiedlichen Fächer immer wieder ihre je
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eigenen Fragen an Objekte, Funde oder Fundstellen. Damit beginnt die wissenschaftliche Interpretation. Dion selbst stellt fest, dass Wissenschaft sich als Prozess und als Diskurs in einer Gruppe versteht, nicht als Ergebnis (Dion/Fogarty/ Burnet 2010: 24). Das bedeutet, an dieselben Objekte werden immer wieder neue Fragen gestellt, neue Objekte kommen hinzu und vorhandenes Wissen wird kritisch hinterfragt und erweitert; nie gibt man sich zufrieden mit einmal erworbenem Wissen. Dies sollte ebenso selbstverständlich für Museen gelten wie für Universitäten. Ich teile zwar Colin Renfrews Einschätzung (1999: 20), dass Dions Arbeiten die Barrieren zwischen Disziplinen auflösen, doch diese Art der von Künstlern unternommenen kritischen Hinterfragung spezialisierter Wissenschaft ist bisher nur an einigen Museen angekommen, nicht aber an den Universitäten. Im Unterschied zu spezialisierten, mit den fachinternen Fragestellungen identifizierten Museen, entwickeln sich Ausstellungen in Mehrspartenmuseen, insbesondere solchen mit alten Dauerausstellungen, immer mehr zu wissenschaftsfernen Parallelveranstaltungen, in denen Natur- und Kulturwissenschaften häufig unter dem Dach der Naturgeschichte geführt werden. Hier sucht man oft vergebens nach zeitgemäßen Fachdiskursen. Einen sehr interessanten Weg der Verbindung zwischen Naturwissenschaft und Kunst geht die neu eingerichtete Ausstellung »Ästhetik der Natur« im Museum Wiesbaden. Das Mehrspartenmuseum aus »Naturkunde« und »Kunst« entschied sich für eine »gestalterische Präsentation [...], die erstmals auf Querverbindungen zwischen den beiden Abteilungen Kunst und Natur abzielt« (http://www.museum-wiesbaden.hessen.de/irj/MUWI_Internet). Im Bereich Naturkunde gliedert sich die neue Ausstellung in die Begriffe »Farbe«, »Form«, »Bewegung« und »Zeit« und ordnet den Begriffen jeweils Exponate zu. Der Eisbär wird zum Repräsentanten der Farbe Weiß, der Hummer der Farbe Blau. Nach Farben sortierte Schmetterlinge, nach Formen sortierte Samenkapseln oder nach Fortbewegungsart – schwimmen, rennen, fliegen – gegliederte Tierarten verdeutlichen die Kategorien. »Die klassische Gliederung der Naturwissenschaften in Geologie, Botanik, Zoologie etc. soll weitgehend aufgehoben werden [...] Nicht das enzyklopädische Auflisten, sondern das Aufzeigen universeller Prinzipien anhand von exemplarischen Beispielen ist zentrales Anliegen« (http://www.museum-wiesbaden.hessen.de/irj/MUWI_ Internet).
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Abb. 5: Farben der Natur: Eisbär Ursus maritimus.
Foto: © Museum Wiesbaden.
Wissenschaft wird dabei nicht zugunsten der ästhetischen Präsentation aufgegeben, sondern aus der stark visuell ausgerichteten Darbietung ergeben sich neue Themenstellungen, die die Naturwissenschaften beantworten, wie etwa Chemie der Farben, Form und Farbe in der Evolution, Strategien des Tarnens und Täuschens in Tier- und Pflanzenwelt und ähnliches. Erklärt werden Grundprinzipien der Formentstehung in der Natur, die biologischen Voraussetzungen für Bewegung ganz allgemein und der im Laufe der Evolution für das Schwimmen, Laufen und Fliegen entstandene Variantenreichtum. In Begleittexten wird immer wieder auch die Verbindung von Natur und Kunst deutlich gemacht. Man betont »Eleganz und Ästhetik der Bewegung« oder die »Strahlkraft« der Exponate, den »Eigenwert der Natur«. Die Ausstellung fragt auch mit dem Hinweis auf den Biologen Ernst Haeckel (1834-1919), der von den »Kunstformen der Natur« sprach, inwiefern Naturformen seit Jahrhunderten das künstlerische Schaffen des Menschen angeregt haben. Auch im neu gestalteten Bereich der Kunstausstellung »Neupräsentation der Alten Meister« im Museum Wiesbaden wurde das frühere Konzept des chronologischen Rundgangs aufgegeben. Die neuen Themenschwerpunkte »Religion, Porträt, Mythologie, Stillleben und Landschaft« zeugen u.a. auch vom cultural
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turn in den Kunstwissenschaften.3 Neben bekannten Genres der Kunst finden Kategorien klassischer Ethnographien, wie Religion und Mythologie, Anwendung. Dieselben Kategorien würden in völkerkundlichen Ausstellungen heutzutage womöglich als problematische Themen aufgefasst. Was kann es für die Völkerkundemuseen bedeuten, wenn Künstler und Kuratoren sich ihrer Themen und Methoden bedienen? Eine Folge davon könnte sein, dass sich die angesichts des kolonialen Erbes im Zustand der Erstarrung befindlichen Völkerkundemuseen selbst vermehrt der Kunst zuwenden und sich auf die Ästhetik der Differenz konzentrieren. In eine ähnliche Richtung argumentiert der britische Archäologe Colin Renfrew (1999: 12-23; 2003) für sein Fach. In seinen wohlwollenden Rezensionen der archäologischen Kunstprojekte Mark Dions ermutigt er die Archäologen dazu, ebenfalls die Barrieren zwischen Disziplinen niederzureißen. Er schlägt vor, es Mark Dion gleich zu tun und im Umkehrschluss die Arbeit des Archäologen bei Sicherung und Studium der Vergangenheit als Kunstprozess anzusehen (Renfrew 2003). Demzufolge könnten auch Ethnologen in völkerkundlichen Museen sich in Ausübung ihres Faches durchaus als Künstler verstehen. Damit wären sie nicht einmal Vorreiter, denn Grenzüberschreitungen zwischen Kunst, Wissenschaft und Religion sind beispielsweise in Brasilien nicht die Ausnahme, sondern eher die Regel (Suhrbier 2012: 272, 480f.). Und hier ist das Experiment nicht auf Museen beschränkt, denn in Brasilien sind die Museen an die Universitäten angeschlossen, also Teile der institutionellen Wissenschaft. Wissenschaftliche Arbeit im Museum beinhaltet dort neben Sammlungsbearbeitung und Kuratieren selbstverständlich auch Feldforschung und Lehre. In Deutschland sind die Kunstmuseen offenbar beweglicher geblieben als andere Museumssparten, denn sie nehmen sich angstfrei aktueller politischer und gesellschaftlicher Umwälzungen in der außereuropäischen Welt an und integrieren kritische Auseinandersetzungen mit Globalisierung, Ethnisierung, Vertreibung und Mord schon heute ins Kunstmuseum. So hat auch hier vor nicht allzu langer Zeit ein cultural turn stattgefunden, der sich gerne bei Theorien bedient, die von den Kulturwissenschaften und der Ethnologie gerade hinter sich gelassen wurden. Trotz aller inhaltlichen Schwachpunkte wäre es vor dem Hintergrund der Mächtigkeit der Kunstrepräsentation in dieser Gesellschaft eine Überraschung, wenn sich auf diesem Weg nicht langfristig die Kunst anstelle der Ethnologie durchsetzen wird.
3
Vgl. https://www.wiesbaden.de/kultur/museen/museum-wiesbaden/museum-neuprae sentation.php (letzter Aufruf 24.07.2014).
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Wenn in völkerkundlichen Museen, wie z.B. dem Tropemuseum Amsterdam Künstler und Modeschöpfer Fragen an Objekte aus anderen Kulturen stellen, wird der wissenschaftliche Prozess im Museum umgelenkt und eine neue, spannende Ära eingeleitet, mit der man sich auseinandersetzen sollte. Ein Kulturmuseum gewinnt Züge eines Kunstmuseums. Obwohl auch hier Künstler und Kuratoren vordergründig ähnliche Methoden anwenden wie die der Wissenschaften, so sind Erkenntnisinteresse und Ziele doch andere. Tun Künstler heute nicht in gewisser Weise das, was frühere Ethnologen taten, wenn sie guten Gewissens fremde Mythen unter ihren eigenen Namen veröffentlichten und den Erzählern nur knapp, oft gar ohne Namensnennung, dankten? So wie einst Lévi-Strauss indigene Mythen zum Ausgangspunkt für seine Mythentheorie machte, ohne die Mythenerzähler zu nennen oder gar mit ihnen zu sprechen, so machen nun Künstler ethnographische Sammlungsobjekte zum Ausgangspunkt für ihre individuelle Forschung und fordern dabei das Recht auf künstlerische Freiheit. Dabei besteht die Gefahr, dass die Objekte für sie oft unbekannte Größen und somit exotisch bleiben. Was im Kontext der archäologischen Grabung im Kunstprojekt von Mark Dion gelungen ist, nämlich die Enthierarchisierung von Objekten der eigenen Kultur, gelingt beim Zugriff auf Objekte aus Völkerkundemuseen eher selten oder nur in Einzelfällen. Es ist interessant zu fragen, welche Art von Objekten aus ethnologischen Sammlungen Künstler favorisieren würden. Sind sie vorwiegend auf der Suche nach ›authentisch‹ wirkenden Objekten, hergestellt von ›ursprünglichen‹ Menschen? Dann erwiese sich die Objektauswahl eher als hierarchiestiftend, klammerte sie doch hybride bzw. im Kulturkontakt entstandene Gegenstandsgruppen von vornherein aus. Ganze Kontinente mit jahrhundertelanger Kontaktgeschichte blieben unbeachtet. Die jenseits des internationalen Kunstbetriebs entstehende populäre Kunst der Landbevölkerung der sogenannten settler societies, etwa in Mexiko, USA, Kanada und Südamerika, wird in der Kunstwelt als wenig relevant für zeitgenössische Kunstprozesse angesehen und bleibt deshalb weiterhin in den alten und neuen Kunstmuseen unberücksichtigt. Sind nicht gerade Themen wie Kontaktgeschichte, dynamische Austauschprozesse oder hybride Kulturen heute noch zentral in der Ethnologie? Im Verbund opfern Kunst und Ethnologie die Völkerkundemuseen zuerst auf dem Altar der Kolonialismusdebatten. Wenn die völkerkundlichen Museen mit Hilfe der Debatten von Ethnologen um die Repräsentationskrise ein für alle Mal als Brutstätten von Kolonialismus und Imperialismus entlarvt und paralysiert sind, wird es für die Ästhetisierer ein leichtes sein, sie im Handstreich einzunehmen. Man gewinnt neue Museen für die Kunst und neue Arbeitsstätten für Künstler und Kunstwissenschaftler statt für Ethnologen (vgl. Kraus in diesem Band). Die Gesellschaft verliert Orte für Kritik und für die kritische Auseinan-
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dersetzung mit kultureller Differenz oder mit Machthierarchien zwischen den Kulturen. Damit geht auch eine Umwidmung von öffentlichen Mitteln einher. Brauchen wir sie noch, die Orte für kulturelle Differenz, interkulturellen Dialog, für wissenschaftliche Erforschung von Sammlungen und kulturellen Themen in Gesellschaften und Welt? Dann sollten das Fach Ethnologie und die Völkerkundemuseen aufeinander zugehen und einen neuen, spannenden Anfang wagen. Mögliche Hoffnungsschimmer tauchten von unvermuteter Seite am Horizont auf. Die Wissenschaftspolitik interessiert sich zunehmend für die wissenschaftliche Arbeit an den Museen, ein Angebot, das – aus welchen Gründen auch immer – von den Museen zuerst zögerlich wahrgenommen wurde. So hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung eine Förderung von Projekten unter dem Titel »Die Sprache der Objekte – Materielle Kultur im Kontext gesellschaftlicher Entwicklungen« ausgeschrieben,4 die explizit dem Anschluss an den material turn der internationalen Geisteswissenschaften dienen und Museum und Universität in gemeinsamer Forschung zusammenbringen soll. Dem ging u.a. schon 2008 eine Förderinitiative der Volkswagenstiftung »Gesellschaft und Kultur Forschung in Museen« voraus. Natürlich sind solche Ausschreibungen noch kein Ergebnis, aber immerhin: Offenbar gibt es in der bundesweiten Förderpolitik ein Bewusstsein dafür, dass an Museen – und dabei eben auch an ethologischen Museen – Wissenschaft betrieben wird, die enger mit der Universitätswissenschaft verknüpft werden könnte.
L ITERATUR Appadurai, Arjun. 1986. Introduction: commodities and the politics of value. In: Appadurai, Arjun (Hg.). The social life of things. Commodities in cultural perspective. Cambridge: Cambridge University Press, 3-63. Benzing, Brigitta, Peter Fuchs, Erhard Schlesier und Manfred Urban. 1987. Die Völkerkundliche Sammlung. In: Beuermann, Gustav (Hg.). 250 Jahre Georg-August-Universität Göttingen: Ausstellung im Auditorium. Göttingen: Georg-August-Universität, 158-173. 4
Vgl. http://www.bmbf.de/foerderungen/18562.php (letzter Aufruf 04.04.2014) sowie http://www.foerderdatenbank.de/Foerder-DB/Navigation/Foerderrecherche/suche. html?get=4aa561e46fff16fb87d819d09c769842;views;document&doc=11653 (letzter Aufruf 04.04.2014).
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Coles, Alex und Mark Dion (Hg.).1999. Archaeology. London: Black Dog Publishing. Dion, Mark, Lori Fogarty und David Graham Burnet. 2010. The Marvelous Museum. Orphans, Curiosities and Treasures. A Mark Dion Project (on the occasion of the exhibition »The Marvelous Museum« - orphans, curiosities & treasures held Sept. 11, 2010 - Mar. 6, 2011, Oakland Museum of California). San Francisco, California: Chronicle Books. Renfrew, Colin. 1999. It may be art, but is it archaeology? Science as art and art as science. In: Coles, Alex and Mark Dion (Hg.). Archaeology. London: Black Dog Publishing, 12-23. –– 2003. Tate Thames Dig. In: Renfrew, Colin. Figuring it Out. Thames and Hudson. Textpassage auf: http://www.tate.org.uk/learn/online-resources/ mark-dion-tate-thames-dig/art-or-archeology/tate-thames-dig-colin-renfrew (letzter Aufruf 11.07.2014). Spitta, Silvia. 2009. Misplaced objects. Migrating collections and recollections in Europe and the Americas. Austin: University of Texas Press. Suhrbier, Mona. 2003. Blicke hinter die Landschaft. Interpretation einiger Werke indigener Künstler des Amazonasgebietes. In: Schmidt, Bettina (Hg.). Wilde Denker. Unordnung und Erkenntnis auf dem Tellerrand der Ethnologie. Festschrift für Mark Münzel zum 60. Geburtstag. Marburg: Curupira, 339357. –– 2005. Die Welt aus Dingen: Indianische Gegenstände und der Diskurs über Natur (Amazonien). In: Kienlin, Tobias L. (Hg.). Die Dinge als Zeichen: Kulturelles Wissen und materielle Kultur. Internationale Fachtagung an der Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main 3.-5. April 2003 (Universitätsforschungen zur prähistorischen Archäologie; 127). Bonn: Hablet, 203-212. –– 2012. Candomblé and the Brazilians: the impact of art on a religion’s success story. In: Cusack, Carole M. und Alex Norman (Hg.). Handbook of New Religions and Cultural Production. Leiden/Boston: Brill, 463-494.
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O NLINE -Q UELLEN http://www.bmbf.de/foerderungen/18562.php (letzter Aufruf 04.04.2014). http://www.foerderdatenbank.de/Foerder-DB/Navigation/Foerderrecherche/ suche.html?get=4aa561e46fff16fb87d819d09c769842;views;document&d oc=11653 (letzter Aufruf 04.04.2014). http://www.museum-wiesbaden.hessen.de/irj/MUWI_Internet (letzter Aufruf 24.07.2014). www.wiesbaden.de/kultur/museen/museum-wiesbaden/museumneupraesentation.php (letzter Aufruf 24.07.2014). http://www.weltwissen-berlin.de/index.php/regal.html (letzter Aufruf 11.07. 2014).
Welche Ethnologie für das Museum? – Welches Museum für die Ethnologie? C HRISTOPH A NTWEILER
Die zentrale Herausforderung für Völkerkundemuseen erwächst einerseits aus dem populären Angebot zu Kulturen im Internet und andererseits aus dem Trend der Individualisierung des Kultur-Konsums in der spätmodernen Gesellschaft. Die daraus erwachsenden Probleme wie Chancen teilen Museen der Ethnologie mit vielen anderen Museen. In diesem Kontext diskutiert der Beitrag das Spannungsfeld zwischen den Polen einer Ausrichtung der ethnologischen Museen hin auf ein Völkerkunde-Museum (Ethnologie-Museum) oder einem Völker-Museum (Ethno-Museum).1 Die Frage ist, wie ein ›ethnographisches Museum‹ (so die international gängige Bezeichnung) zu einem ethnologischen Museum werden kann. Ich argumentiere, dass das Besondere in dinglichen Gegenständen besteht, die als Ensembles an einem Ort versammelt sind. Demzufolge sollten ethnologische Museen primär durch sinnliche Erfahrung materieller Kultur kundig über Kultur und Kulturen machen und in diesem Sinn ›Völkerkunde‹ darstellen. Kultur ist mehr als Differenz. Die Ethnologie und die Museen sollten neben kultureller Vielfalt (weltweit und auch in der eigenen Gesellschaft) auch die Einheit der Menschheit thematisieren. Eine fundierte Museumsarbeit erfordert sämtliche klassischen Aufgaben der Museen und dies erlaubt keine Reduktion auf die Aufgabe der Präsentation. Eine enge Verknüpfung von Disziplin und Museum ist für beide von zentraler Bedeutung. Die Forschung an den Museen braucht den Kontakt zur universitären Forschung – und umgekehrt. Die Museen leisten eine für das Überleben der Disziplin nötige öffentliche Darstellung der Fachinhalte. Die Ethnologie muss die Popularisierung ihrer Forschung nicht nur als öffentliche 1
Ich danke Kerstin Eckstein, Anette Rein, Mai Lin Tjoa-Bonatz und den Herausgebern sehr für Kritik und Verbesserungsvorschläge zu einer früheren Version.
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Forderung sehen, sondern auch als wissenschaftlich zentrale wie derzeit auch fachpolitisch dringende Aufgabe.
P LURALISIERUNG UND NEUE W ISSENS -D ESIGNS : GEMEINSAME H ERAUSFORDERUNGEN FÜR M USEUM UND F ACH Worin bestehen heute die großen Herausforderungen ethnologischer Museen?2 Es sind derer viele und sie werden in den Beiträgen dieses Bandes angesprochen. Die zentrale Herausforderung besteht m.E. ganz eindeutig im individualisierten Internet-Konsum und betrifft heute Museen im Allgemeinen und ethnologische Museen im Besonderen. Museen ganz allgemein sind für viele junge aber auch manche ältere Menschen heute – mehr noch als Bücher – keine selbstverständlichen Institutionen mehr. Dieses Schicksal teilen sie etwa mit botanischen Gärten, Zoos und dem Zirkus. Der Grund liegt vor allem im alternativen Angebot im Internet. Hier stehen die Museen einerseits und die Ethnologie andererseits vor ähnlichen Problemen und wir sollten konstruktiv auf diese Trends eingehen, statt sie nur als Bedrohung zu sehen (vgl. Harris/O´Hanlon 2013: 8). Die zentralen Fragen aus Besuchersicht sind »Was macht den Mehrwert von Museen aus?« und »Warum sollten wir uns dafür interessieren?« Wohl keine andere Geistes- oder Sozialwissenschaft hat derartig eine lange und intensive Beziehung zum Museum wie die Ethnologie (Morphy 2012: 487, vgl. die Beiträge in Zwernemann 1991, Kraus/Münzel 2003 sowie Noack in diesem Band). Ähnlich eng ist der Nexus von Fach und Museum allenfalls in der Kunstgeschichte. Ethnographische Museen entwickelten sich aus den Kunstkammern und gingen der Fachentwicklung voraus. Die Institute an den Universitäten
2
Wie jeder Autor, so komme auch ich mit biographisch bedingten Vorannahmen und biases. Ich bin kein Museumsethnologe, aber an Museen und Popularisierung der Ethnologie interessiert und ich gehe auch privat gerne in Museen verschiedenster Art. Ich schätze neben modernen gerade auch alte enzyklopädische Museen und altmodische Präsentationsformate, wie Dioramen. Vor meinem Ethnologie-Studium habe ich ein naturwissenschaftliches Diplom-Studium absolviert (Geologie-Paläontologie). Ich halte die Trennung von Natur- und Geistes- bzw. Kulturwissenschaften für eine der größten Hemmnisse der Humanwissenschaften.
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haben sich daraus (oft deutlich) später entwickelt. Aus der Sicht der meisten Ethnologen 3 gehört das Museum zum Bild einer vollständigen Ethnologie (Ames 1992; Durrans 2012; Fardon et al. 2012), auch wenn es in manchem neueren Handbuch fehlt (z.B. in Carrier/Gewertz 2013). Erst wenn wir einmal eine weniger ethno-logo-zentrische Perspektive einnehmen, wird klar, dass die Existenz ethnologischer Museen alles andere als selbstverständlich ist. Das gilt historisch in Europa, im interkulturellen Vergleich und ganz besonders heutzutage. So wie in etlichen Ländern keine Ethnologie oder ein ähnliches Fach, wie Soziologie existiert, so gibt es in vielen Ländern keine explizit ethnologischen Museen. In manchen Ländern existiert das Fach, aber kein öffentlich zugängliches ethnologisches Museum. In Myanmar (Burma) etwa gibt es Ethnologie (nicht dagegen Soziologie), aber die Ethnologie verfügt nur über ein kleines Institutsmuseum in der University of Yangon (Abb. 1). In vielen Ländern sind ethnographische Bestände vor allem in Provinz-Museen zu finden (z.B. Indonesien und in China; Abb. 2). Abb. 1: Museum des Department of Anthropology, University of Yangon, Myanmar.
Foto: Christoph Antweiler. 2014.
3
Maskuline Formulierungen meinen in diesem Beitrag sämtliche Geschlechter: Frauen, Männer und weitere Gender.
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Abb. 2: Hong Kong History Museum, China.
Foto: Maria Blechmann-Antweiler. 2014.
Auch in westlichen Ländern gibt es viele Disziplinen, die über kein Museum verfügen. Dazu zählen nicht nur solche, deren Themen nur schwer mittels materieller Gegenstände vermittelbar sind, wie Philosophie und Psychologie. Nein, auch zu Wissenschaften, die eine starke empirische Ausrichtung bzw. einen Bezug zu Materialität haben, fehlen oft Museen. So gibt es kein bzw. kaum ein Museum der Soziologie oder der Politikwissenschaft. Selbst die Geographie als eine Wissenschaft, deren Gegenstand mit Materialität viel zu tun hat und deren Gegenstand sich zur visuellen Präsentation geradezu anbietet, verfügt in der Regel über kein Museum. Museen sind also nicht erst heute, sondern prinzipiell nicht selbstverständlich, sondern bedürfen der Begründung. Die größte, aber nicht die einzige Herausforderung für ethnologische Museen bildet das Internet. Dies betrifft die Funktionen der Vermittlung von Wissen, die Dokumentation als auch die Unterhaltungsfunktion. Jedem Ethnologie-Museum, welches dem breiten Publikum fremde bzw. ferne Kulturen und Länder nahebringen will, stehen Konkurrenzangebote entgegen, wie Themenparks, cultural villages und andere Einrichtungen der Unterhaltungsindustrie oder des Edutainments. Fremde Objekte sind normaler Bestandteil von Werbelandschaft und Computerspiele erlauben virtuelle Reisen in fremde Welten. Billige Fernflüge machen es
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leicht, die Kulturen, die im Ethnomuseum zu sehen sind, selbst zu besuchen. Das ist jedenfalls die Perspektive vieler Laien. Wie fast alle Museen, zeigen ethnologische Museen vor allem Gegenstände, Texte, Karten und Fotos. Gerade die beiden letzteren visuellen Formate, sind aber in der heutigen Flut visueller Angebote fast vernachlässigbar. Die United States Library of Congress verfügt derzeit über 14 Millionen analoge Fotos. Bei Facebook ist etwa die 10.000-fache Menge gespeichert (Schnapp 2012). Die Website Flickr umfasst derzeit rund sieben Milliarden digitale Bilder, für jeden Menschen der Welt eines. Derzeit werden auf der Welt alle zwei Minuten mehr Fotos gemacht als im ganzen 19. Jahrhundert zusammen. Instagram, eine Mischung aus Microblog und audiovisueller Plattform, enthielt im August 2014 20 Milliarden Fotos. Jeden Tag werden bei Instagram 60 Mio. Bilder hochgeladen und während ich diesen Satz schreibe, werden dort etwa 20.000 neue Bilder eingestellt (vgl. Instagram by the numbers 2014). Auch die Museen selbst lassen sich heute besuchen, ohne ins Museum gehen zu müssen. Viele Museen, vor allem Kunstmuseen und Naturkundemuseen, bieten selbst Bilder, virtuelle Ausstellungen und Rundgänge an und viele Menschen machen ihren ersten Museumsbesuch heute in einem virtuellen Museum. Das Internet bietet zunehmend die Möglichkeit, dass Online-Besucher sich eine Ausstellung selbst zusammenstellen. Eine solche ›Auto-Kuration‹ eröffnet neue Möglichkeiten eines individualisierten Zugangs und ist damit potentiell demokratisierend und Minderheiten inkludierend. Das kann Menschen ins Museum locken, aber für die Museen bleibt der Tatbestand, dass die Besucher oft eher zu Hause bleiben: in vielen Museen gibt es jetzt schon mehr Netzbesucher als persönliche Besucher. Eine strukturell ganz ähnliche Herausforderung besteht für die akademische Lehre solcher Wissenschaften, deren Inhalte vor allem durch gedruckte Texte vermittelt werden. Unser gegenwärtiges Denken ist (noch) an die Linearität von Texten gewöhnt. Wir müssen uns erst noch an die Eigenart elektronischer Wissensaggregate gewöhnen (Gumbrecht 2014). Elektronisch produzierte und aufbewahrte Texte sind deutlich breiter zugänglich und als Texte flexibler, weil ja im Prinzip nie abgeschlossen. Das Buch hat heute viele Konkurrenten; selbst für Studierende ist es heute überhaupt nicht mehr selbstverständlich, Bücher zu kaufen oder auszuleihen oder Aufsätze in physischer Form zu bestellen. Für diejenigen, die es noch physisch haben möchten, gibt es Bücher, die erst bei Bestellung gedruckt werden (Books on Demand). Auch hier zeigt sich ein Trend zunehmender Flexibilisierung und Individualisierung, etwa Möglichkeiten, sich ein Buch von zu Hause aus maßzuschneidern (Expresso Book Machines). Der größere Kontext, in dem sich alle Überlegungen zur Zukunft ethnologischer Museen – und eben auch der Ethnologie als Fach – ausrichten müssen, ist
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demnach nicht einfach nur das Internet, sondern weltweite Veränderungen im Wissens-Design. Es gibt nicht nur viele neue Räume für Museen, wie Flughafenmuseen oder Museen in Malls (vgl. Goede Montalván in diesem Band). Die Grenzen zwischen der Institution Museum und Bibliotheken, Archiven und Schulräumen verschwimmen zunehmend, so dass die Frage nach dem Besonderen des Museums immer dringender wird. Das ›Wissensdesign‹ kommt ganz allgemein in Bewegung: neue Formen, Genres und Räume des Wissens bei dessen Entstehung, Speicherung und Vermittlung. Das führt zu einer Konvergenz zwischen Kulturwissenschaften und technischen Wissenschaften, die im tendenziell technikfeindlichen und anti-naturwissenschaftlichen Mainstream der Ethnologie noch kaum abgebildet wird. Weltweit herrscht eine Art Laborstimmung, welche die Digital Humanities beinhaltet, aber weit darüber hinaus geht (für neue Trends vgl. Gold 2012; Schnapp et al. 2012; Schnapp 2014). Menschen gestalten ihren Konsum immer individueller und das gilt auch für den Konsum von Kultur und von Fremdheit. Wenn sich allgegenwärtige Kuration (ubiquitous curation) als Möglichkeit schon jetzt abzeichnet, können wir fragen, wie dies etwa für die Aktivierung von Museumsbesuchern in ethnologischen Museen fruchtbar gemacht werden kann. Wo etwa 85% der Museumsbestände nie öffentlich gezeigt werden, stellt sich die Frage, wie man stored collections zu storied collections machen kann (Keane 2008, siehe Rein 2014-15 als Beispiel). Ethnologie und Europäische Ethnologie sind im deutschen Raum gesellschaftlich wenig beheimatete Fächer. Es hilft, das eigene Fach einmal von außen, quasi als fremde Kultur anzusehen. In der breiten Gesellschaft sind diese Fächer kaum bekannt. Das ist in Frankreich, England, Skandinavien, den USA, aber auch etwa in Mexiko und Indonesien anders. Ethnologie ist hierzulande auch kein Schulfach und deshalb fehlt es nicht nur an Kenntnissen der begrifflichen und methodischen Grundlagen (Kultur, Relativismus, Feldforschung), sondern auch an konkretem Wissen zu Räumen, insbesondere zu außereuropäischen Regionen und Ländern. Kolumbien und Indonesien sagen nur wenigen Menschen mehr als die Assoziation mit Drogen, Stränden oder bunten Ethno-Tänzen. Das Fach hat in der Öffentlichkeit eine prekäre Stellung. Deutschsprachige Ethnologen sind pressescheu. Nur wenige Ethnologen, wie etwa Thomas Hauschild, schreiben in populären Medien. Eine Popularisierung durch das universitäre Fach selbst fehlt fast auf der ganzen Linie. Medienprodukte im Sinne einer Ethnologie als popularisierte Wissenschaft werden fast nur von Nichtethnologen gemacht (vgl. Antweiler 2005 als Überblick popularisierender Medien). Vom Fach her sind es derzeit fast nur die Museen, die für Laien ein Fenster zur Disziplin
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öffnen. Weiterhin gibt es in Deutschland kaum eine institutionalisierte praxisorientierte Ethnologie, wenn auch praktisch arbeitende Ethnologen.4 Im neoliberalen Rahmen der heutigen Kultur- und Wissenschafts-förderung ist jedoch die öffentliche Präsenz, der gesellschaftliche Stellenwert und damit auch die Finanzierung von Wissenschaften zunehmend an öffentlich relevantem Wissen orientiert (Mode 2 knowledge; Nowotny/Scott/Gibbons 2003). Wissenschaften müssen sich heute zeigen um zu überleben. Meine Antwort auf Sturtevants Frage »Does Anthropology need museums?« (1969) ist damit ein emphatisches Ja. Die ethnologischen Museen sind nicht nur für die Forschung wichtig, sondern leisten eine für das Überleben der Ethnologie notwendige öffentliche Darstellung der Fachinhalte. Die Disziplin muss das viel stärker wahrnehmen und Nutzen daraus ziehen. Öffentliche Ethnologie ist auch seitens der Akademie angesagt (Antweiler 2009 als ein Versuch). Da dieser Aufsatz im dritten Teil stark programmatisch ist, kläre ich in folgendem Abschnitt meine Haltung zum Fach Ethnologie und gebe eine Einschätzung der Eigenart der Institution Museum.
W AS MACHT DAS M USEUM BESONDERS ? – W ORIN ZEICHNET SICH DIE E THNOLOGIE
AUS ?
Die Frage, was ethnologische Museen gegenüber dem Internet bieten können, berührt den grundsätzlichen Unterschied beider Medien. 5 Die eine Institution ist jung und befindet sich in rasender, nicht vorherzusagender Entwicklung. Sie ist laut, zum Teil ungebärdig und die Fragen, die der Umgang mit ihr aufwirft, sind noch kaum richtig zu stellen. Die von ihr ausgehenden politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Problematiken beginnen gerade erst Kontur zu gewinnen. Die andere Institution ist alt und kann auf eine lange Geschichte zurückblicken. Sie versammelt Schätze, ihr stummer Bestand gehört zum Wertvollsten, was eine Nation ihr Eigen nennen kann. Wie der Wert dieses materiellen Besitzes zustande kommt, worin er eigentlich seine Deckung hat, ist eines der Geheimnisse, die die
4
Eine äußerst begrüßenswerte Initiative ist der 2012 gegründete »Bundesverband freiberuflicher Ethnolog_innen«. Das ist ein sich entwickelndes Sprachrohr in der Öffentlichkeit
für
die
gesellschaftlich
bedeutsamen
Kompetenzen
von
Ethnologen
(http://www.bundesverband-ethnologie.de). 5
Ich danke Günter Wahlefeld, Naturkundemuseum Reutlingen, für wertvolle Hinweise und Formulierungsvorschläge zu diesem Teil und meiner Familie für lebhafte Debatten am Küchentisch.
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Institution seit ihrer Entstehung umgibt. Das scheinbar Selbstverständliche, das im Impuls des Sammelns und Bewahrens steckt wiedersetzt sich letzter Analyse. Es ist etwas um die Dinge selbst, das bis heute rätselhaft geblieben ist. Sachlich stringent kann man sagen: Museen sammeln und zeigen den mobilen Teil des materiellen Kulturerbes (Korff 2011: 13). Die Dinge wurden von anderen Orten hertransportiert, aus anderen Kontexten herausgelöst und an einem neuen Ort zusammengebracht. Während die Historischen Museen die Dinge der autochthonen Vergangenheit ausstellen, sehen herkömmliche ethnologische Museen die Zeugnisse des Fremden als ihren Gegenstand vor. In beiden Fällen wurden und werden Dinge aus den selbstläufigen Vollzügen des Alltags herausgenommen und zu Dokumenten vergangenen oder fremden Lebens. Es obliegt der Präsentation sie zu einer Reflexionsfläche über vergangene beziehungsweise fremde Vorstellungswelten, vergangene beziehungsweise fremde Leitbilder, Ideale, Gesellschafts-, Natur- und Transzendentalordnungen, sprich Kulturtechnologien, Kosmologien und Jenseitsvorstellungen zu verdichten. Der wertvollste Dienst, den die materielle Kultur des Vergangenen oder Fremden leisten kann, ist es, den Besucher zu einer vergleichenden Reflexion über seine eigene Kultur zu veranlassen. Es ist die schiere Unvertrautheit der Objekte, die sie für die Besucher anziehend machen (Harris/O´Hanlon 2013: 12) sowie die Überschreitung der Grenzen zwischen der Kultur der Forscher und Erforschten das Proprium der Ethnologie ist (Kohl 2013: 137). Dieser nach wie vor aktuellen Aufgabe muss sich die Ästhetik der Präsentation im Museum unterwerfen. Sie muss die Aufmerksamkeit und die Interessen der Besucher auf die Gegenstände selbst zu lenken verstehen und dabei ist Othering weder vonnöten noch notwendig impliziert. Denn nach allem, was eine Theorie des Museums heute weiß, ist die direkte körperhafte Begegnung mit den Gegenständen unersetzbar. Dies gilt nicht nur in Bezug auf räumliche Nähe. Die physische Kopräsenz von Besucher und Objekt formt auch das zeitliche Erleben der Gegenstände: man geht durch Museen statt sich durch die Exponate hindurch zu klicken. Das Wandeln und Flanieren durch die stummen Dingwelten ist durch keine andere mediale Vermittlung zu ersetzen. Dabei kann die materielle Kultur in den Museen teilweise über das Sehen hinaus sinnlich wahrgenommen werden (auditiv, teilweise auch haptisch), mit Bedeutungen versehen und sinnhaft erlebt werden. Im Museum ist ein persönlicher Austausch mit Urhebern, Nutzern und Deutern der Sachzeugnisse zumindest im Prinzip möglich. Dies verbindet ethnologische Museen mit Museen, welche materielle Gegenwarts-Kultur der spätindustriellen Gesellschaft zeigen, wie Werks-, Naturwissenschafts-, Technik- und Mehrsparten-Museen. Im Zentrum aber steht immer das Objekt. So kommt es, dass
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nicht nur das Zeigen, sondern auch das Sammeln, Bewahren und Erforschen unabdingbarer Teil dieser Gegenstandskultur sind (Deutscher Museumsbund, ICOM-Deutschland 2006). Sammeln, Deponieren und Exponieren gehören zusammen (Korff 2007; Feest 2013). Diese Aufgaben erfordern einander und erlauben keine Reduktion des Museums auf die nach außen sichtbaren Dauer- und Sonderausstellungen (vgl. dagegen Fischer 1971). Was macht die Ethnologie als Fach aus und was interessiert das Publikum? Das ist schwierig zu beantworten, weil die Ethnologie ein enorm vielfältiges Fach ist und weil es das Publikum angesichts der Individualisierung und Pluralisierung spätmoderner Gesellschaften so wenig gibt wie den Fernsehzuschauer. Als Wissenschaft kreist die Ethnologie um den Begriff Kultur und sie ist wie die Archäologie eine stark empirisch ausgerichtete Wissenschaft. Die traditionelle wie die moderne Ethnologie ist ›Völker-Kunde‹ und ›Kultur-Kunde‹. Thema sind die Formen der Daseins-Gestaltung von Menschengruppen. Es geht um Kultur als dem, was Menschen kollektiv aus der vorgefundenen Welt machen (Arte-fakte, Soziofakte und Menti-fakte). Die herkömmliche Ethnologie ist auf einzelne Kulturen, jeweilige Besonderheiten der Lebensweise bestimmter, tendenziell fremder Gruppen fokussiert. Das heutige Fach untersucht Kulturen weltweit und nicht nur fremde Kulturen. Die untersuchten Gruppen können ethnische Gruppen im engeren Sinne sein, aber auch andere menschliche Kollektive oder Netzwerke. Von zentraler Bedeutung ist der Kulturvergleich, auch wenn der im Fach wie in Museen (Völger/von Welck 1996) nur ganz selten in systematischer Weise durchgeführt wird. Anders als in den Museen stellt materielle Kultur unter den in der universitären Ethnologie untersuchten Themen ein Stiefkind dar. Das gilt trotz einer deutlichen Renaissance des Fachinteresses an Dingen, Gütern, Technologie und Ergologie bis heute (vgl. Chua/Salmond 2012; Feest 2013; Hahn 2014: 275ff.). Ein Großteil des erneuerten Interesses an Dingen im deutschsprachigen Raum kommt eher aus anderen Wissenschaften, wie Kunstgeschichte, Archäologie oder den Science Studies, wie ein Vergleich entsprechender disziplinär gemischter Handbücher zu materieller Kultur zeigt (Tilley et al. 2006 vs. Samida et al. 2014). Hier könnte und sollte die universitäre Ethnologie im deutschsprachigen Raum mehr tun. Sie könnte eine viel größere Rolle in den Museum Studies spielen. Warum forschen nur vergleichsweise wenige Ethnologen an den Universitäten im deutschen Sprachraum explizit über Museen? Das gilt sogar für fachgeschichtlich ausgerichtete Kollegen. Die Rolle ethnologischer Museen in der Gesellschaft bietet ein enormes Potential an Fragen, die nicht etwa nur Selbstbespiegelung darstellen (Bouquet 2012). Hier ist derzeit an die Rolle der Museen in den Feldern kulturelles Gedächtnis und cultural heritage (Kirshenblatt-Gimblett 1998;
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Macdonald 2010, 2013: 137-160) zu denken. Auch im aufstrebenden interdisziplinären Feld der Material Studies ist deutschsprachige Ethnologie bislang wenig aktiv. Für universitäre Ethnologie kann eine Befassung mit den Objekten in den vielen kleinen Sammlungen der Institute eine gute Startbasis abgeben. Die Zusammenarbeit bei der Erforschung materieller Kultur könnte eine Brücke zwischen beiden problematischen Geschwistern Museum und Akademie bilden. Ein Weg zeitgemäßer Präsentation in den Museen könnte darin bestehen, die Ethnologie weniger als Wissenschaft vom Fremden, sozusagen als ›Kunde fremder Völker‹ zu sehen, weniger als Ethno-logie, sondern als Kultur-Anthropo-logie. Statt vor allem auf Ethnien, Besonderheiten und Kultur als Differenz ausgerichtet zu sein, sollten Muster in der Vielfalt im Fokus stehen (Antweiler 2015). In einer sich zunehmend globalisierenden Welt gewinnt der Blick auf die Gemeinsamkeiten aller Kulturen an Bedeutung. Die Relativität der Kulturen zeichnet sich vor einem immer deutlicher werdenden Hintergrund einer Einheit des Menschen ab. Kulturvergleich sollte kein Appendix der Ethnologie bleiben – was er de facto derzeit ist – und das gilt nicht etwa nur für den deutschen Sprachraum. So wird der Fokus auf Vielfalt das Thema der Einheit der Menschheit nicht ausblenden. Und auch eine vorsichtige Wiederannäherung an die Physische Anthropologie bzw. Humanbiologie scheint möglich. Moderne Bioanthropologen und Humanbiologen sollten nicht als Gen-Fetischisten oder Rassenforscher missverstanden werden. Eine zeitgemäße Humanbiologie ist antirassistisch und nimmt kulturwissenschaftliche Inhalte explizit auf (vgl. z.B. Grupe et al. 2012; Burda/ Bayer/Zrzavý 2014). Meine Ethnologie wäre demnach eine Ethnologie im Kontext einer Anthropologie als breiter Humanwissenschaft. Wir brauchen eine Ethnologie des ganzen Menschen und der ganzen Menschheit.
E THNOLOGIE -M USEUM EINE P ROGRAMMATIK
STATT
E THNIEN -M USEUM :
Die Museen wie auch die Ethnologie als Fach müssen die gesellschaftlichen Bedingungen beachten und der Gesellschaft etwas bieten. Ethnologen sollten aber primär selbst die Ziele der Museen bestimmen, statt sie sich als ›Aufgaben‹ von außen vorsetzen zu lassen (Feest 1999: 200). Im Mittelpunkt der internen Arbeit als auch der öffentlichen Aktivitäten von ethnologischen Museen sollten materielle Gegenstände stehen. Museen speichern und zeigen materielle Sachzeugen, die etwas repräsentieren, symbolische Bedeutung oder einen ästhetischen Wert haben (Thiemeyer 2014: 230; vgl. te Heesen 2012). Das Hauptziel (im Bereich der Präsentation, auf den sich dieser Beitrag
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konzentriert) sollte es sein, Ensembles materieller Gegenstände an einem Ort persönlich erfahrbar zu machen. Die Objekte können als solche präsentiert werden oder auch als Dokumente von Begegnungen und Transfers zwischen Menschen verschiedener Kulturen. Hierzu gehören auch die Beziehungen zwischen Museen (insbesondere dem betreffenden Museum) und den Herkunfts-Gemeinschaften der Objekte. Ethnologische Museen sollten vor allem in Sonderausstellungen gegenwarts-orientierte bzw. zeitgeschichtlich relevante Themen aufgreifen. Eine offene Frage – und vielleicht ein Lackmustest für ihre zukünftige Orientierung – ist, ob ethnologische Museen explizit moderne Sachkultur systematisch sammeln und ausstellen sollten. Wenn sie das nicht tun, werden sie nach und nach zu historischen Museen, was sie de facto von den Sammlungen her großteils sind (Förster 2013: 192ff.). Wenn das persönliche Erleben von Gegenständen die Hauptleistung der Museen ausmacht, was sind dann sekundäre Aufgaben ethnologischer Museen im Feld der Arbeit mit und für die Öffentlichkeit? Eine Leistung des ethnologischen Museums kann die Begegnung mit den Urhebern bzw. Autorinnen materieller Gegenstände sein. Für diese Funktion besteht aber schon Konkurrenz, vor allem im Fern- und Ethnotourismus. Auch die Präsentation von Abbildungen materieller Gegenstände halte ich nicht (mehr) für eine primäre Aufgabe ethnologischer Museen. Das ist zwar wichtig, aber angesichts der Möglichkeiten und teils schon Wirklichkeiten der Präsentation materieller Gegenstände im Internet sekundär. Als Objekte und zur Sammlungsdokumentationen sind Fotos für ethnologische Museen wichtige Dokumente. Deshalb brauchen unsere Museen Bildarchive. Dennoch sollte die Präsentation und Dokumentation von Fotos und Filmen zu Kulturen keine Kernaufgabe der ethnologischen Museen sein. Solche visuellen Daten finden sich vielfältig und immer mehr enzyklopädisch im Netz (zunehmend auch historische Fotos). Das Sammeln von Fotos und Filmen ist m.E. eher eine Aufgabe von Bibliotheken, Datenbanken und Archiven, mit denen sich Zusammenarbeit anbietet (vgl. Hoffmann in diesem Band). Letztere müsste es dann allerdings für die Ethnologie auch geben! Sie sollten nicht abgeschafft werden, wie kürzlich das Institut für den Wissenschaftlichen Film (IWF). Eines ist jedenfalls sicher: Ethnologische Museen egal welcher Größe können nicht alles, sonst überlasten sie ihre Mitarbeiter und ermüden die Institution. Bei aller berechtigten Forderung nach Gegenwartsorientierung sollten sich die Museen nicht an tagesaktuellen politischen oder sozialen Fragen ausrichten. Das können andere Institutionen, z.B. die Bundeszentrale für Politische Bildung (BpB) oder etwa die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) schneller und besser. Ein aktuelles Beispiel: Statt sich etwa an Pegida oder sonstiger gegenwärtiger Kritik
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am Islam in Deutschland abzuarbeiten, könnte man in ethnologischen Sonderausstellungen die damit zusammenhängenden gesellschaftlich relevanten Dauerbrenner wie Migration, Religion, Fundamentalismus, Terrorismus und Ethnisierung thematisieren. Solche Themen müssen aber immer durch entsprechende Objekte gedeckt sein. Wie steht es mit dem Eintreten für ethnische und andere Minderheiten? Als Ethnologe und Person halte ich ein Engagement für ethnische Minderheiten für wichtig und bin deshalb Mitglied der GfbV und des Infoe. Ein Partei nehmendes Engagement und vor allem politische Stellungnahmen zugunsten bestimmter Gruppen sind m.E. aber gerade nicht die Aufgabe ethnologischer Museen als Institutionen – so wie es auch nicht Aufgabe des Fachs als Korporation sein kann. Wenn sich Museen zum Sprachrohr machen, werden sie allzu leicht funktionalisiert. In diesem Sinne wäre das Konzept der Kontaktzone (Pratt 1991) zur Präsentation von Objekten als interkulturellen Dokumenten sowie als heuristisches und didaktisches Mittel zum Austausch über ungleiche Beziehungen zwischen Museen und Kulturen zu nutzen, weniger aber als Instrument der Aushandlung zwischen Interessengruppen oder Staaten (vgl. dagegen im Tenor Förster 2013: 200ff.). Die Institution des ethnologischen Museum eignet sich kaum zur Therapie historischer oder gar aktueller Ausgrenzungen oder anderer Ungerechtigkeiten. Eine solche Zurückhaltung ist auch bei Rückführungen von Objekten in ihre Ursprungsländer zu empfehlen. Dies ist zwar ein Thema, mit dem sich Museen auseinandersetzen sollten und durch Ansprüche von außen auch müssen. Dennoch würde ich sehr vorsichtig sein mit dem unvermeidlich parteinehmenden politischen Engagement bei der Repatriierung von Gegenständen. Als Museum wird man in einem unübersichtlichen Interessen-Dschungel leicht zum Werkzeug verschiedener Akteure. Hierbei sollten wir die Erfahrungen und Diskussionen zur Action Anthropology nicht vergessen. Insbesondere wird man leicht Opfer ethnisierender Politik seitens der Vertreter von Minderheiten oder aber nationalistischer Interessen (vgl. Cuno 2014). Der passendere Ort für ein politisches Engagement für ethnische Gruppen bzw. Minderheiten ist die Straße oder das Netz. Eine Kernaufgabe ist dagegen die Dokumentation von Lebensbedingungen – und eben auch von schlimmen Lebensbedingungen indigener Völker – früher und heute. Dies mag als eine Beschneidung der Aktivitäten erscheinen. Wir müssen uns aber Folgendes klar machen. Das ethnologische Museum kann nicht alles! Vor allem kann nicht jedes ethnologische Museum all das, was ethnologische Museen prinzipiell können. Die Diskussion sollte deshalb weniger als derzeit auf die großen Häuser (z.B. Wien, Berlin, Stuttgart, Köln) konzentriert sein. Kleine Museen und Institutssammlungen haben oft andere Probleme und Möglichkeiten. Dazu ein Beispiel: Ich meine, ethnologische Museen sollten ihre eigene Geschichte nicht
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nur erforschen, sondern bei umfassenden Umbauten zumindest einen Raum in alter Präsentation (als time capsule oder period piece) erhalten. Das ist gleichermaßen für die Öffentlichkeit interessant wie relevant für das Studium der Fachgeschichte, etwa des Evolutionismus. Eine solche Forderung kann man bei Neugestaltungen großer Museen, wie dem Afrika-Museum in Tervuren wünschen. In kleinen Museen ist das aber vielleicht nicht zu leisten. Auch etwa die Frage, ob Museen enzyklopädisch sein sollten (Cuno 2011), stellt sich in kleinen ethnologischen Museen nicht. Innerhalb der etwa 6.000 Museen im deutschsprachigen Raum stellen die ethnologischen Museen weniger eine echte Museumslandschaft dar als einen weitgestreuten Archipel mit wenigen großen und vielen kleinen Inseln. Deshalb könnten die ethnologischen Museen stärker kooperieren und sich die Arbeit etwas aufteilen. Oben wurde gesagt, dass es im deutschsprachigen Raum beklagenswert wenig popularisierte Ethnologie gibt. Anders als in den Feldern von Archäologie oder Kunst kann in Deutschland kein einziger Wissenschaftsjournalist von der Ethnologie allein leben. Hier ist das Fach gefragt und hier könnten Universitätsethnologen viel von den Museen lernen. Die Vereinfachung komplexer Sachverhalte ist nicht nur für Laien notwendig. Nein, sie bringt auch wissenschaftlich weiter, denn Reduktion ist eine zentrale Säule von Wissenschaft überhaupt. Obwohl im deutschsprachigen Raum Museumsethnologen dies am besten können, ist die Erstellung populärer Texte m.E. nur eine sekundäre Aufgabe der Museen. Die Popularisierung der Fachinhalte darf nicht einfach an die Museen abgeschoben werden.
I NHALTE : K ULTUR , K ULTUREN , M ENSCHHEIT – UND DER S TADTPARK IM ANTHROPOZÄN Museen müssen mit der gelebten Kultur der Besucher verbunden werden. Eine zentrale Frage ist: »Wie kann das behütete Innen ethnologischer Museen nach außen strahlen?« (Eckstein, pers. Mitt. 2015). Ethnologische Museen können nicht alles und das Fach ist thematisch extrem breit und dazu institutionell fragmentiert. Also ist die Frage virulent, welche Inhalte, welche Themen, welche Fragen ethnologische Museen transportieren wollen. Der Hauptgegenstand sollte Kultur sein, weil dies das Kernthema und den Hauptbegriff der Ethnologie bildet. Es sollte aber erstens nicht nur fremde Kultur und zweitens Kultur im Singular und im Plural sein (culture and cultures). Kultur im Plural besteht darin, die Vielfalt eigener und fremder Kulturen darzustellen, Multi-Kultur, Inter-Kultur, Trans-Kultur und Meta-Kultur.
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Hierbei sollte die Fremdheit nicht überbetont, aber durchaus an das Interesse an Exotik, wie wir es häufig bei Laien finden, angeknüpft werden. Dieses exotische Verlangen haben wir als Fachvertreter ja durchaus auch in uns selbst, auch wenn wir gern versuchen, das abzuspalten. Sicherlich bergen exotische und extreme Beispiele von Kulturen die Gefahr, Vorurteile zu bestätigen. Auf solche Stereotype kann man aber expressis verbis eingehen, denn sie bestehen ohnehin. Exotika und Extreme können auch Interesse wecken und vor allem können sie negativ wie positiv zeigen, was menschenmöglich ist – und was Menschen möglich ist. Kultur sollte aber auch im Singular Thema ethnologischer Museen sein. Das kann entweder die Summe menschlichen Kulturschaffens sein oder die Gemeinsamkeiten der Kulturen der Menschheit. Dies können durchgängige Kulturmuster und darin auch Probleme sein, die sich in allen Kulturen stellen (vgl. Engelhardt/Schneider 2010). Einheit und Vielfalt sind nicht gegeneinander auszuspielen. ›Menschheit‹ wird zwar als ideologischer Kampfbegriff eingesetzt aber der Begriff lässt sich auch inhaltlich füllen. Die Einheit der Menschheit besteht in biotischer als auch in kultureller Hinsicht. Ethnologische Museen könnten die Metaphern und Bilder darstellen und hinterfragen, die zu Globalität und Menschheit gängig sind wie ›Menschen-Familie‹, ›globales Dorf‹, ›globale Kultur-Landschaft‹, ›Eine Welt‹, ›Weltgesellschaft‹ und ›Weltkultur‹. Im globalisierten Kontext ist die Menschheit trotz aller wirtschaftlichen Ungleichheit und politischen wie religiösen Fragmentierung auch eine Art Schicksalsgemeinschaft auf einem begrenzten Planeten. Hier könnten sowohl die Disziplin als auch das Museum zur neueren interdisziplinären Debatte zum von Menschen gemachten Wandel unseres Planeten (Global Change; als Übersicht vgl. Glaser 2014) beitragen. Wir Menschen beeinflussen Ökosysteme nicht nur stark: Seit etwa 1800 ist die Menschheit ein grundlegender Geofaktor geworden. Die irreversiblen Effekte menschlicher Tätigkeit betreffen nicht nur den Klimawandel, sondern auch die Böden und insgesamt die Geosphäre. Wir leben im Anthropozän, dem »Zeitalter des Menschen« (Schwägerl 2012). Die Sozial- und Kulturwissenschaften widmen sich erst seit kurzem diesem Aspekt des grundlegenden planetaren Wandels. Die Naturwissenschaften suchen hier nach kulturwissenschaftlichen und historischen Deutungen, aber es fehlt dort an Theorieangeboten dazu. Der globale Wandel ist nämlich nicht einfach als Folge des globalisierten Kapitalismus verstehbar. Erst neuerdings befassen sich Globalhistoriker und Kulturwissenschaftler mit dem Anthropozän (Chakrabarty 2012; Antweiler 2012). Die Ethnologie und die ethnologischen Museen könnten diese aktuelle, aber dauerhafte Thematik aufnehmen, in dem darauf bezogene materielle Kulturgüter (Kulturlandschaften, gebaute städtische Umwelt, Werkzeuge) und das diesbezügliche Wissen dargestellt werden. Die Befassung mit diesem Thema könnte dazu
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beitragen, die geo- und ökowissenschaftlichen Diskussionen durch ein kulturwissenschaftliches Theorie-Komplement zu befruchten und dies der Öffentlichkeit darzustellen. Das hätte ein starkes Potential zur Motivation bei Schülerbesuchen im Museum. Das Thema Anthropozän bietet sich auch für eine Zusammenarbeit von ethnologischen mit Naturkundemuseen und Technikmuseen an, die es bislang kaum gibt (vgl. die Ausstellung »Willkommen im Anthropozän« im Deutschen Museum 2014-2016). Hier könnten auch die vielen als überkommen erscheinenden Dioramen sinnvoll eingesetzt werden, weil sie den Raum- und Lebensbezug faszinierend transportieren können. Wie könnte die Thematik des Anthropozän so im ethnologischen Museum umgesetzt werden, dass das Museum in die Gesellschaft hinein wirkt und umgekehrt? Ein konkretes Beispiel wäre der nächste Stadtpark. Städtische Grünanlagen (urban parks) stehen seit einiger Zeit im Zentrum umweltorientierter Erziehung. Ich nehme damit bewusst ein Objekte bezogenes Beispiel, welches außerhalb des Museums gelagert ist. Städtische Parks werden zumeist als ›Natur‹, als Landschaft empfunden. Der Charakter eines Ortes der Ruhe entsteht dadurch, dass man Wiesen, Wege und Bäume sieht, an denen höchstens kleine Schildchen mit SpeziesNamen angebracht sind. Solche Parks sind sonst frei von expliziter Didaktik. Sie sollen der naturnahen Erholung und nicht der Bildung dienen. Faktisch stellen Stadtparks aber weitestgehend kulturell geprägte Phänomene dar. Die Anlagen und Wege wurden genau geplant und die Bäume bestehen aus domestizierten Pflanzenarten: Bio-Kultur. Im Internet sind Bäume dagegen wissensmäßig präsentiert. Hier finden wir eine Fülle an Texten und ein enormes Bildmaterial zu Bäumen und anderen Parkoder Kulturpflanzen. Viele dieser Wissensbestände entstehen durch dezentrale Zusammenarbeit, und dieses Wissen ist häufig als Open Ressource nutzbar. Wie könnten ethnologische Museen eine Brücke zwischen diesen beiden disparaten Erfahrungs- und Wissensräumen bauen? Wie könnte ein Stadtpark auch als aktiver Lern-Raum nutzbar sein, aber ohne dabei die Erholungsfunktion zu stören? Eine Möglichkeit besteht darin, an den Bäumen im Park QR-Codes anzubringen. Spaziergänger könnten dann zu den Bäumen kulturwissenschaftliche Informationen abrufen und dabei auf Bestände des ethnologischen Museums zu Gegenständen aus entsprechenden Hölzern verwiesen werden. Wenn die Spaziergänger tragbare Kommunikationsgeräte dabei haben, könnten sie auch aktiv werden. Sie könnten botanische und ökologische Beobachtungen machen und versenden. Sie könnten beispielsweise Temperaturen messen, den Wind beobachten und mittels Sensoren nichtsichtbare Strahlung aufzeichnen. Schüler könnten ihr Handy einsetzen, um Informationen zu schaffen statt sie nur zu rezipieren; sie könnten das Handy als Feldtagebuch einsetzen.
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Ein nächster Schritt könnte darin bestehen, dass Bürger selbst kuratierte Wege erstellen, die kulturell orientiert durch den Park führen. So könnten Itinerare entstehen, die den Park thematisch mit dem nächsten ethnologischen Museum verbinden. Dort angekommen, könnten die Besucher die Pflanzen mit der Wirtschaftsweise der Menschen in Beziehung setzen. Hölzerne Objekte aus den Kulturen, aus denen die Pflanzen ursprünglich kommen, könnten gesucht, angesehen und hoffentlich auch angefasst werden. Daraus könnte sich ein Engagement für Pflanzen und Tiere als Lebewesen, die sich nicht für sich selbst einsetzen können (caretaking) entwickeln. Hier könnte man mit Zoos und botanischen Gärten zusammen arbeiten, wie das in Frankfurt gemacht wurde. Wenn so die Beziehungen zwischen Kulturen und Kulturpflanzen thematisiert sind, stellt sich die Frage, wie anhand einer solchen lokalen Situation der anthropozäne Geowandel, ein Makro-Phänomen, gezeigt werden kann. Hier könnten ethnologische Museen anhand ihrer Objekte auch aus den Archiven zeigen, wie Pflanzen sich in Kulturen der Welt ausgebreitet haben, welche Nutzungen es gibt und wie Pflanzen von anderen verdrängt werden. Das Problem invasiver Spezies führt zurück in den Stadtpark, wo die Pflanzern ermittelt werden können, die ungeplant und oft auch ungewollt aus anderen Regionen einwandern. Andererseits wandern bewusst ›eingeladene Arten‹ ungewollt auch wieder aus. Dies führt thematisch zu anderen Formen von Wanderungen, wie die von Bakterien und Pflanzenkrankheiten. Diese verschiedenen Wanderungstypen sind fast sämtlich Ergebnis menschlichen Wirkens auf unserem Planeten. Diese können teilweise in anderen Institutionen (Botanische Gärten, Zoos, Naturkundemuseen), teils aber auch mittels Objekten und Archivbeständen ethnologischer Museen thematisiert werden. Bäume könnten so die meist dichotom gedachten Sphären der Kultur und Natur verknüpfen. Kulturpflanzen sind primär Lebewesen, aber gleichzeitig auch kulturell geformte Phänomene. Sie werden als Nahrungslieferanten genutzt, zum Hausbau und zu einer Unmenge an weiteren Nutzungsweisen, was dazu einlädt den Wegen der Pflanzen und denjenigen der aus ihnen gefertigten Objekte zu folgen. Etliche ethnologische Museen haben dafür das Beispiel des Kokosnussbaums verwendet. Das weiter gefasste Thema der Beziehungen zwischen Kulturen und Pflanzen im Anthropozän kann aktuelle Theoriefragen und Konzepte der Sozialund Kulturwissenschaften, wie z.B. biokulturelle Ko-Evolution, Latours Aktanten und Hybride und die anthropogene Herausbildung von Lebensräumen (Niche construction) thematisieren. Die Darstellung dieser Sachthemen kann das ethnologische Museum mit dem Stadtpark um die Ecke verbinden.
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Das Beispiel betraf vom Menschen induzierten Wandel, der planetar ist aber lokal anhand von besonderen Dingen erfahrbar wird. Eine ganz grundlegende inhaltliche wie auch didaktische Herausforderung für ethnologische Museen ist ganz allgemein die Darstellung von Kulturwandel. Zunächst erscheint es trivial, Kulturwandel darzustellen, aber hier werden oft eine frühere und eine neuere oder gegenwärtige Situation platt nebeneinander gestellt. Die Umstände und Faktoren des Wandels werden dann oft nur in Texten und darin sehr summarisch als ›Modernisierung‹, ›Verwestlichung‹ oder ›Globalisierung‹ eher benannt als erklärt. Es reicht aber nicht, einfach nur ein Vorher und Nachher darzustellen. Kontakte, einseitige Beziehungen (Transfer), wechselseitige Beziehungen (Austausch) und Vernetzung müssen analysiert und dargestellt werden. Das ist epistemisch wie didaktisch kein Pappenstiel. Entsprechend ist auch nichts damit gewonnen, Machtbeziehungen mit Wörtern wie ›Hegemonie‹ und ›Exklusion‹ zu benennen, weil Laien damit nichts anzufangen wissen. Ein riesiges Potential schlummert in der eigenen Arbeit in den Kellern der Museen. Hieran haben viele Laien Interesse und viele Fragen. Wie wird im Museum dokumentiert? Hier könnte man Besucher auch dauerhaft mit einbeziehen. Besucher sollten miterleben können, wie restauriert wird. Wie forschen Museumsethnologen eigentlich? Wie werden Sammlungsreisen und Ankaufexpeditionen organisiert und durchgeführt? Wie arbeiten Konservatoren? Deutlich schwieriger darzustellen, aber im Gespräch zu erklären ist die Frage, was eine Kuratorin macht, nach welchen Prinzipien kuratiert wird. Hierzu gibt es Versuche internationalen Forschens und des gemeinsamen Kuratierens mit Bürgern oder Mitgliedern von source communities (vgl. Förster 2013: 200-204; Rein 2014-15). Wie können wir die Archive für die Öffentlichkeit besser nutzen? Einige Naturkundemuseen und etwa das Bremer Überseemuseum haben hier mit Schauarchiven Pionierarbeit geleistet. Für ethnologische Museen schlage ich weitergehend vor, die Depots auf breiter Front der Öffentlichkeit zu öffnen. Die Archive sind ein Pfund des ethnologischen Museums (Kohl 2013) und für jeden Konservator oder Dokumentar ist das sicher zunächst eine Horrorvision. Langfristig stellt sich aber die Frage, ob wir die Bestände in dieser Menge und angesichts vieler (annähernder) Duplikate wirklich brauchen. Häufigere bzw. weniger ›besondere‹ Objekte sollten für das Publikum in großen Mengen und dauerhaft zum Anfassen freigegeben werden. Das ermöglicht materiale Partizipation. Das würde zu Beschädigungen an Objekten und auch zu Schwund führen. Der Verlust würde aber mehr als aufgehoben durch den Gewinn an unersetzlicher physischer Nähe zum Ding – denn es sind tangible objects, die das Museum ausmachen.
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F AZIT : Z EHN T HESEN
ZU
E THNOLOGIE
UND
M USEUM
1.
Die zentrale Herausforderung an Ethnologie wie Museum erwächst einerseits aus dem Angebot zu Kultur und Kulturen im Netz und andererseits aus der Pluralisierung der spätmodernen Gesellschaften.
2.
Die Besonderheit des Museums besteht in Ensembles dinglicher Gegenstände an einem Ort.
3.
Museen sollten primär durch sinnliche Erfahrung materieller Kultur kundig über Kultur und Kulturen machen: Völkerkunde.
4.
Die klassischen Aufgaben der Museen erfordern einander gegenseitig und erlauben keine Reduktion auf die Aufgabe des Ausstellens.
5.
Ethnologische Museen sollten die eigene Geschichte eigens in je einer kleinen Abteilung dokumentieren.
6.
Kultur ist mehr als Differenz. Die Ethnologie und die Museen sollten kulturelle Vielfalt und explizit auch die Einheit der Menschheit thematisieren.
7.
Die Museen leisten eine für die ethnologische Forschung und heute auch für das Überleben des Fachs nötige öffentliche Darstellung der Ethnologie.
8.
Das Fach muss Popularisierung als sowohl fachpolitisch wichtige wie wissenschaftlich relevante Aufgabe wertschätzen.
9.
Museumsarbeit erfordert und befruchtet Theoriearbeit: Kultur-Theorie.
10. Ethnologische Museen sollten primär das Fach Ethnologie präsentieren. Sie sollten Völkerkunde-Museen (Ethnologie-Museen) sein und nicht VölkerMuseen (Ethno-Museen).
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Institutionelle Entwicklungen und interdisziplinäre Debatten
Vom Naturalienkabinett zum Mehrspartenmuseum. Die ethnologischen Sammlungen der Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim M ARTIN S CHULTZ
Als Kurfürst Carl Theodor von der Pfalz im Jahr 1763 in Mannheim seine Kurpfälzische Akademie der Wissenschaften begründete, zählte die Bildung der Untertanen zu den vornehmsten Pflichten eines Souveräns. Neben einer Reihe wissenschaftlicher Kabinette beherbergte seine Residenz auch eine der größten wissenschaftlichen Bibliotheken ihrer Zeit. In diese Zeit geht auch der Ursprung der Beschäftigung mit außereuropäischen Kulturen zurück, die im Naturalienkabinett des Kurfürsten vertreten waren. Die Verlegung des Hofes nach München 1777 und der Tod Carl Theodors 1799 leiteten bereits den Niedergang der Wissenschaften in Mannheim ein. Die Reste des Naturalienkabinetts wurden von wechselnden Institutionen verwaltet, bevor 1918 ein Museum für Natur- und Völkerkunde gegründet wurde, dass sie aufnahm. Trotz anwachsender Bestände konnte die Ethnologie ihre Bedeutung für eine Großstadt mit internationaler Bevölkerung innerhalb der Museumsstrukturen jedoch scheinbar nicht deutlich genug hervorheben. Und so fristen die mittlerweile etwa 40.000 Objekte seit der Schließung der letzten Dauerausstellung 2001 ihr Dasein in verschiedenen Depots. »Im Jahre 1763 entschied sich seine durchlauchtigste Hoheit, der Kurfürst Carl Theodor, unter seinen Untertanen die Wissenschaften zu fördern und begründete in Mannheim eine Akademie der Wissenschaften und Literatur. Da die Bibliothek und das Medaillenkabinett des Souveräns bereits im Schloss begründet worden waren, befand er es für notwendig,
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zur naturkundlichen Bildung seiner Untertanen ein Naturalienkabinett hinzuzufügen und diese ruhmreichen Einrichtungen mit einer Akademie der Wissenschaften zu bekrönen« (Collini 1778: 6f.).1
So beschreibt der von 1764 an als Leiter des Naturalienkabinetts tätige frühere Sekretär des Philosophen Voltaire, Cosimo Alessandro Collini,2 die Gründung der Mannheimer Akademie der Wissenschaften und die Einrichtung des Naturalienkabinetts durch den Kurfürsten Carl Theodor von der Pfalz. In diesem neu geformten Kabinett vereinte der Souverän mehrere Teilsammlungen und ließ sie nach naturwissenschaftlichen Kriterien ordnen, ein Merkmal, dass sein Naturalienkabinett unter die frühesten Institutionen dieser Art reiht. Grundlage des Ordnungsprinzips waren die ›drei Reiche‹ – Geologie, Zoologie und Botanik. Die Pflege und Nutzung oblag der 1763 gegründeten Kurpfälzischen Akademie der Wissenschaften, die jedoch 1803 in der Bayerischen Akademie der Wissenschaften aufging und somit in Mannheim aufgelöst wurde. Bis zum Tod des Souveräns 1799 war das Naturalienkabinett in eigenen Räumen untergebracht und durch die Verlegung des Hofes nach München 1777 in eine erste Krise geraten. Trotz des Niedergangs konnte eine Auflösung jedoch vermieden werden und in der Folge wurden die Sammlungen wieder erweitert. Neben den schon erwähnten Bereichen der Geologie, Zoologie und Botanik fanden von Beginn an auch Ethnographica Eingang in das Kabinett. Heute haben die ethnologischen Sammlungen der Reiss-Engelhorn-Museen (in der Folge kurz rem genannt), in denen auch die Bestände des Naturalienkabinetts aufgegangen sind, einen Bestand von etwa 40.000 Objekten. Fehlende Ankaufsbudgets verhindern ein gezieltes Erweitern der Sammlungen. Doch wächst die Sammlung durch zahlreiche Schenkungen aus privater Hand schnell. Im Folgenden soll auf die historische Entwicklung der ethnologischen Sammlungen und ihre Nutzung eingegangen werden, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch eng mit der heutigen Universität Mannheim verbunden war.
1
»En 1763 S.A.S.E. Charles Theodore occupe a inspirer le goût des Sciences a ses sujets, créa à Mannheim une Academie de Sciences et Belles Lettres. Ainsi la Bibliothèque et au Cabinet de Medailles que ce Souverain avoit déjà formés dans son Château, il avoit pense qu‘il falloit ajouter un Cabinet d‘Histoire naturelle pour encourager Ses sujets a l‘étude des productions de la nature, et qu‘il falloit couronner enfin ces etablissements glorieux par celui d‘une Académie de Sciences« (Collini 1778: 6f., Übers. MS).
2
Geboren 14.10.1724 in Florenz, gestorben 21.03.1806 in Mannheim.
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D AS N ATURALIENKABINETT UND DIE W ISSENSCHAFTEN IN M ANNHEIM UNTER C ARL T HEODOR VON DER P FALZ Schon 1757 war in Carl Theodor3 der Entschluss gereift, in seinem Residenzschloss in der Stadt Mannheim ein Naturalienkabinett zu begründen (Kistner 1930: 117). Hierzu wurden mehrere bereits bestehende Sammlungen umstrukturiert. Teile waren zuvor in der Garderobe aufbewahrt. Die Garderobe diente den Fürsten der Renaissance nicht nur als Raum zur Aufbewahrung der Kleidung, sondern auch zu repräsentativen Zwecken. In ihr wurden somit zahlreiche wertvolle Sammlungen untergebracht, die man dort Besuchern präsentiert. Zwischen seinem Regierungsantritt 1743 und dem Umzug des Hofes nach München 1777 investierte Kurfürst Carl Theodor 35 Millionen Gulden in Kunst und Wissenschaften in Mannheim (Reiß-Museum Mannheim 1991: 15). Das ab 1764 in eigenen Räumen aufgestellte kurfürstliche Naturalienkabinett trat als naturwissenschaftlich ausgerichtete Sammlung neben schon bestehende, wie zum Beispiel die Gemäldegalerie und das Münzkabinett. Doch sollte es neben der geistigen Erbauung der Untertanen ein weiteres wichtiges Ziel verfolgen. In einer Zeit eingerichtet, die die ›Entdeckung‹ und Erschließung ferner Weltgegenden mit sich brachte, sollten neben den einheimischen Tieren und Pflanzen auch Zeugnisse der Schaffenskraft der Bevölkerungen aus anderen Kontinenten gezeigt werden. Damit waren vor allem wirtschaftliche Interessen verbunden. Das Naturalienkabinett konnte Reisenden Auskunft über die Bewohner und Landesprodukte selbst ›neu entdeckter‹ Gebiete geben. Ein Beispiel für die Bedeutung wirtschaftlicher Überlegungen ist ein vom Hofbotaniker Friedrich Kasimir Medicus4 angelegtes Wäldchen vor den Toren der Stadt Mannheim. Aus dem Südosten von Nordamerika stammende Robinien (Robinia pseudoacacia) hatten in Europa eine steigende Bedeutung in der Möbelindustrie. Die Pflanze war genügsam und von schnellem Wuchs. Ein jähes Ende fand die Plantage bei Einmarsch napoleonischer Truppen, die sie während der Belagerung Mannheims kurzerhand abholzten. Medicus pflanzte an anderer Stelle neue Robinien. Auch diese wuchsen und gediehen gut, doch ereilte sie bei Rückzug der französischen Truppen und Anrücken der österreichischen Armee dasselbe Schicksal. Von den ursprünglich im Naturalienkabinett vorhandenen botanischen Beständen ist in den heutigen Sammlungen nichts mehr nachweisbar.
3
Geboren 10.12.1724 auf Schloss Drogenbusch bei Brüssel, gestorben 16.02.1799 in
4
Geboren 06.01.1736 in Grumbach, gestorben 15.07.1808 in Mannheim.
München.
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Wie auch in anderen Teilen Deutschlands war Tabak in Mannheim bereits im 17. Jahrhundert ein bedeutender wirtschaftlicher Faktor (Mannheimer Altertumsverein 1892: 3f). Die staatlichen Monopole auf Holz und Tabak waren unter Carl Theodor aufgegeben worden, um die Wirtschaft und den Handel zu stärken (Mannheimer Altertumsverein 1892: 15f). Zur Geologie zählte man neben Steinen und Erzen oft auch die Münzen, da sie aus Letzteren hergestellt wurden. Der erste Verwalter des kurfürstlichen Naturalienkabinetts in Mannheim, der Jesuit Christian Mayer,5 hatte es um eine Besonderheit bereichern können. Der astronomisch interessierte Mayer war durch Carl Theodor 1752 auf den neu eingerichteten Lehrstuhl für experimentelle Physik der Universität Heidelberg berufen worden. 1769 reiste Mayer auf Einladung der russischen Zarin Katharina der Großen zur Beobachtung des Venustransits6 nach Sankt Petersburg. Als Geschenk der Zarin brachte der Observator Principalis einen aus einzelnen Steinplättchen zusammengesetzten Obelisken nach Mannheim. Dieser Obelisk ist heute nicht mehr in seiner ursprünglichen Form erhalten. Wann und zu welchem Anlass er in seine Einzelteile zerlegt wurde, kann nicht bestimmt werden. Auch sind die Einzelteile nicht mehr vollständig vorhanden. In der Publikation von Kistner (1930) ist er jedoch noch in seiner originalen Gestalt zu sehen. Ob er historisch Teil der geologischen Sammlungen war, muss ebenfalls ungeklärt bleiben – seine noch erhaltenen Bestandteile sind heute in die geologischen Sammlungen integriert. Die Ethnologie war vermutlich von Beginn an Bestandteil der Sammlungen. In einer 1767 anonym publizierten Beschreibung des Naturalienkabinetts finden »verschiedene Gerätschaften und Kleidungen der Wilden« als Teil des vierten Saales des Naturalienkabinetts Erwähnung und sind damit erstmals in dieser Form belegt.7 Dass auch davor bereits außereuropäische Objekte Eingang in die kurfürstlichen Sammlungen gefunden hatten, ist durch ältere Inventare belegt.8
5
Geboren 20.08.1719 in Mederitz, gestorben 16.04.1783 in Heidelberg.
6
Dieses Ereignis war deshalb von großer Bedeutung, weil darüber der noch nicht bekannte Abstand der Erde zur Sonne bestimmt werden sollte.
7
»différents instruments et habillements des Sauvages« (Anonym 1767: 37, Übers. MS). Vermutlich wurde das Werk von Collini verfasst, seine Autorenschaft gilt allerdings bisher nicht als belegt. Erste Erwähnungen außereuropäischer Kunst finden sich bereits in den Schlossinventaren der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts.
8
Z.B. das anonym erschienene »Détail des Peintures des deux Cabinets Electoraux à Mannheim«, in dem als Nummer 24 »Deux bustes indiens de bronze« gelistet sind.
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Bis heute wichtige Impulse für Wissenschaft und Wirtschaft lieferte die Akademie der Wissenschaften unter anderem durch die Erfindung des Blitzableiters (Kreegenport-Feez 1968: 110) und eine mehr als 90-seitige Arbeit mit dem Titel »Vorlesung über die unverweslichkeit menschlicher körper [sic]«, in der neben erhaltenen Mumien (unter Einbeziehung außereuropäischer Beispiele) auch die zur Erhaltung nötigen Voraussetzungen ausführlich besprochen werden (Medicus 1770: 309-402). Mit der Verlegung des Hofes nach München und dem Niedergang der Wissenschaften und damit auch des Naturalienkabinetts in Mannheim sollte auch die Phase des fruchtbaren Austausches verschiedener Institutionen enden. Einen weiteren Einschnitt bildeten im Anschluss auch die napoleonischen Kriege, in deren Verlauf mehrfach ethnologische Objekte beschlagnahmt wurden (Collini 1799; vgl. auch Bischof 1997: 93f.).
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Einen der letzten Versuche den weiteren Niedergang zu verhindern unternahm der Hofbibliothekar Karl Theodor von Traitteur,9 der 1802 einen Bericht über »die Lage der wissenschaftlichen Kabinette, Nutzen, Verbesserung und Ersparniß« verfasste. Darin informierte er Kurfürst Max Joseph umfassend über die Lage der Wissenschaften in Mannheim und gibt Hinweise auf Entwicklungsmöglichkeiten. Einen wichtigen Punkt nahm hierbei das Naturalienkabinett ein, dessen erneuten Ausbau er propagierte. Dies, so sein Vorschlag, unter Nutzung von Figurengruppen und Dioramen: »Sein Etablissement wird von äußerstem Nutzen und Vergnügen seyn, da man in wenigen Stunden durch alle Welttheile reisen kann, und das merkwürdigste vor seinen Augen versinnlicht hat. Da wird sich, der auf Reisen gehen will, vorbereiten, der nicht mehr reisen kann, sich erinnern, was er gesehen, oder, der nie gereiset, sich fortan auch einen Begriff sich machen zu können von den ihm oft unglaublichen Erzählungen. Da wird der Chineser, Japaner, Persier, Egyptier, Marokaner, Peruaner, Otaheite, der Spanier, Italiener, der Grieche, der Russe dastehen mit seiner eigenthümlichen Gesichtsbildung, mit seinen Handlungen, Geräthschaften, Kindern und einheimischen Thieren. Da wird man, was Menschen mit so viel Lebensgefahr durch Jahrhunderte entdeckt haben, entweder in Wirklichkeit, oder doch zum Täuschen nachgemacht sehen, und so in die anderen Welttheile wandeln können. Staatsmänner werden da Ideen zu nützlichen Vorschlägen finden, der
9
Geboren 06.04.1756 in Philippsburg, gestorben 13.01.1830 in Mannheim.
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Handelsmann, der Fabrikant Einsichten bekommen. Der Maler, der Acteur, alle Künstler werden daher das Costüm, die Mienen der Menschen, den Charakter der Völker studieren können, nichts widersinniges mehr zur Schau bringen« (Traitteur 1802: 17).
Ähnlich wurden diese Ziele 1805 auch durch Max Joseph formuliert, als er die in Mannheim verbliebenen Sammlungen der Stadt zum Geschenk machte.10 Ein weiterer Ausbau der Kabinette war jedoch nicht vorgesehen. Nach Übergang der rechtsrheinischen Pfalz an das Großherzogtum Baden wurden dem neuen Souverän die Sammlungen im Jahre 1806 zum Geschenk gemacht. Er nahm dieses zwar an, stellte jedoch keine weiteren Mittel zur Verfügung und unterstellte die Sammlungen 1809 dem von ihm gegründeten Lycaeum (Bischof 1997: 99f.; Kistner 1930: 121). Im Jahr 1825 wurde die Erstellung eines Inventars der Bestände des Naturalienkabinetts in Auftrag gegeben, da das von Collini erstellte Inventar als verschollen galt (Oberhofmarschall Amts Deputation Mannheim 1825-32). Als Karl Baumann 1882 für den Mannheimer Altertumsverein einen »Katalog des Grossh. Antiquariums zu Mannheim« anlegte, galt das 1825 erstellte Inventar ebenfalls als verschollen. Einzig der weitere Ausbau durch Ankäufe und Schenkungen lässt sich nachweisen. Zu neuer wissenschaftlicher Blüte konnte sich Mannheim nach Auflösung der Akademie der Wissenschaften indes nicht aufschwingen. Obwohl der Öffentlichkeit zugänglich übte die Sammlung des Naturalienkabinetts keine große Anziehungskraft auf die Bevölkerung aus. Kistner schreibt dazu: »Aus Mangel an Mitteln blieb sie mehrere Jahrzehnte in recht unerfreulichem Zustand. Was in den Schränken und Kästen ausgestellt war, konnte die Besucher nicht fesseln; den meisten von ihnen war der mitten zwischen römischen Denksteinen (!) stehende Hund des bayrischen Straßenräubers Hiesel die Hauptsehenswürdigkeit« (Kistner 1930: 121).
Das erstarkende Bürgertum Mannheims gründete in der ersten Hälfte zahlreiche Vereine. Der 1833 begründete Naturhistorische Verein übernahm in der Folge die Pflege der Bestände des Naturalienkabinetts und führte unter Leitung von Johann Philipp Kilian,11 der auch Naturkundelehrer am Lycaeum war, eine Neu-
10 »Se. Majestät der König von Bayern hatte im Jahre 1805 die Gnade, der Stadt Mannheim das hier noch Vorfindliche sehr anschauliche Naturalienkabinett [...] unter der ausdrücklichen Bedingniß zu schenken, daß diese Natur- und Kunstschätze zum Behufe der Fremden, und zum Nutzen u. Vergnügen der Einwohner dahier stets verbleiben sollen« (Anonym: 26.07.1808). 11 Geboren 1793, gestorben 1871.
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ordnung durch. Im 1838 von Kilian publizierten »Wegweiser durch die Säle des Großherzoglichen naturhistorischen Museums in Mannheim« finden sich auf Seite 7 für den dritten Saal auch die ethnologischen Sammlungen erwähnt: »Zwei Pfeilerschränke enthalten aus dem alten Kabinet eine Anzahl beachtenswerther ethnographischer Gegenstände, Artefacten, Geräthschaften, Kleidungen, Gemälde, Waffen, von nordamerikanischen Indianern, aus Japan, China, den australischen Archipelen etc: dazu gehört noch der in einem der letzten Säle hängende Grönländische Kahn mit Seehundsfell überzogen und mit den nöthigen Gerätschaften versehen« (Kilian 1838: 7).
Trotz der lobenden Worte finden sich diese Sammlungen als Annex an eine Auflistung von Funden prähistorischer Wirbeltiere und einer Auflistung von Korallen vorgestellt, was wohl auch einen Hinweis auf ihren Stellenwert gibt. Zahlenmäßig am stärksten vertreten waren Ethnographica aus Asien. Die prominente Erwähnung nordamerikanischer Indianer ist vermutlich dem durch Reisende wie George Catlin, Maximilian Prinz zu Wied und Karl Bodmer und die Auswanderung nach Nordamerika verstärkten Interesse zu verdanken. Arbeiten über die Sammlungen selbst sind aus dieser Zeit nicht erhalten. Kilian hielt zwar 1862 einen Vortrag über die »wissenschaftliche Eroberung Binnen-Afrikas besonders des Sudan«, doch finden darin weder die Sammlungen, noch Mannheimer Forscher oder Gelehrte Erwähnung. Dass die in Mannheim lagernden Sammlungen zwar nicht vor Ort weiter bearbeitet wurden, doch international gelegentlich durchaus Beachtung fanden, zeigt unter anderem eine von dem schwedischen Ethnologen Hjalmar Stolpe (1896) verfasste Studie zu südamerikanischen Keulen, in der auch zwei Stücke aus Mannheim Erwähnung finden. Stolpe hatte die Sammlungen zur Begutachtung der Stücke besucht und auch weitere Bestimmungen vorgenommen. Diese wurden mit seinem Namen in die Inventare des Altertumsvereins aufgenommen, was bei Beginn der Inventarisierung 1936 dazu führte, dass man ihn für den Vorbesitzer hielt und eintrug. 1879/80 werden schließlich die Ethnographica – 151 Nummern – in das vom 1859 gegründeten Mannheimer Altertumsverein verwaltete neue Großherzogliche Hofantiquarium überführt (Bischof 1997: 100). Hierdurch erfolgt erstmals eine räumliche Trennung von Naturkunde und Ethnologie. Wenige Jahre später weist der von Baumann begonnene Katalog bereits 287 Nummern auf (Baumann 1882). Mit den Plänen eines von den Geschwistern Reiss finanzierten Museums wurden sowohl die bisher belegte Fläche der im Schloss untergebrachten Sammlungen als auch der zukünftige Raumbedarf in einem Museumsneubau ermittelt:
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»Im Jahre 1905 stellte das städtische Hochbauamt fest, daß die Sammlungen im Schloß zur Zeit folgenden Flächeninhalt einnehmen: Altertums (920qm) und ethnographische Sammlung (180qm) 1.100qm Naturaliensammlung 730qm Gipsabgüsse 450qm, hierzu Stadtgeschichtliches Museum 331qm« (Walter 1908: 40).
Die Neuplanung, die jedoch nicht umgesetzt wurde, sah eine enorme Vergrößerung vor und spiegelt damit den raschen Zuwachs an Sammlungen während der Zeit vor dem ersten Weltkrieg wider, in der auch Deutschland sich zur Kolonialmacht entwickelt hatte: »In dem am 14. Oktober 1905 auf Wunsch des Herrn Professor Bruno Schmitz aufgestellten Bauprogramm ist für das Reißmuseum unter Berücksichtigung des künftigen Anwachsens der Sammlungen folgender Flächeninhalt angefordert: Altertumssammlungen (Hofantiquarium, Altertumsverein, Stadtgeschichtliches Museum) 4.000qm Naturgeschichtliche Sammlungen (Besitz des Hofes, der Stadtgemeinde, des Vereins für Naturkunde, einschließlich biologischer Gruppen) 3.900qm Sammlungen für Völkerkunde (Besitz des Hofes, der Stadtgemeinde, des Altertumsvereins) unter Angliederung eines Handels- und Kolonialmuseums 1.100qm Hierzu noch weiterhin: Für Verwaltungsräume 700qm Lesezimmer und Vortragssaal 275qm Lichthof für Sonderveranstaltungen, Festakte und dergleichen ? Nebenräume, Magazine, Hausmeisterwohnung usw. ?« (Walter 1908: 41).
Dieser erhöhte Raumbedarf ist vermutlich auch einer Konferenz gedankt, die 1903 in Mannheim stattfand und auf der die Direktoren zahlreicher deutscher Museen »Die Museen als Volksbildungsstätten« diskutierten. Hugo Schauinsland, Direktor des Übersee-Museums in Bremen, propagierte die Verwendung von Schaufiguren und Dioramen und erläuterte dies am Beispiel des von ihm geführten Hauses: »Ein riesiges Kriegsboot aus Neu Guinea z.B., das für die meisten Besucher sonst wohl nur eine tote Holzmasse geblieben wäre, ist mit möglichst getreu modellierten Papuas bemannt, die die Ruder führen und mit den Waffen und dem Schmuck versehen sind, die in Potsdamhafen, von wo das Canoe stammt, gebräuchlich sind. So ist der Versuch gemacht worden, dem Besucher nicht einen toten Gegenstand, sondern Leben vorzuführen und ihn bekannt zu machen mit seinen Landsleuten in der Südsee« (Schauinsland 1904: 28).
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Hier wurde also die von Traitteur bereits 100 Jahre zuvor vorgeschlagene Form der Aufstellung propagiert, die in dieser Art bisher nur von naturkundlichen Museen umgesetzt worden war.12 Zur Aufstellung von (unter anderem von der Hamburger Firma Umlauff angebotenen) Menschenfiguren kam es in Mannheim jedoch erst 1938 im Rahmen der Kolonialausstellung, die in den Rhein-NeckarHallen stattfand. Das Zeughaus wurde seit 1937 umgebaut und saniert.
E IN NEUER AUFBRUCH Wie auch an anderen Orten wurden die ethnologischen Sammlungen nicht von einem Ethnologen betreut. Doch fanden sie, nicht zuletzt durch die weitläufigen Kontakte verschiedener Händler aus Mannheim, Beachtung und wurden sogar erweitert. Als 1917 der etwa 60.000 Objekte umfassende Nachlass des Malers Gabriel von Max13 von der Stadt Mannheim erworben werden konnte, waren ebenfalls Bürger der Stadt an der Finanzierung beteiligt. Der Nachlass umfasste die Bereiche Archäologie, Paläontologie, Anthropologie und Ethnologie. Niemand geringerer als der in Leipzig tätige Karl Weule,14 »Direktor des Museums für Völkerkunde, des Ethnographischen Seminars bei der Universität und des Kgl. Sächs. Forschungsinstituts für Völkerkunde, Professor an der Universität zu Leipzig«15 hatte hierüber ein Gutachten ausgestellt. Im Folgejahr erfolgte dann der Umzug der seit 1917 durch den Oberrealschullehrer und zum nebenamtlichen Kustos bestellten Wilhelm Föhner16 betreuten »Sammlungen der Stadt Mannheim für Natur- und Völkerkunde« in das Zeughaus. Erst ab 1922 wurden die im Schloss verbliebenen ethnologischen Sammlungen, die sich im Besitz von Staat und Altertumsverein befanden, als Dauerleihgaben an die Stadt ebenfalls in das Zeughaus verbracht (Chronik des Zeughausmuseum: fol. 4 verso, REM). Zeitgleich erfolgte die Ernennung Föhners zum Direktor des neu begründeten Städtischen Museums für Natur- und Völkerkunde. In diese Zeit fällt auch eine sehr weitläufige Vernetzung mit anderen Museen, Sammlern und Händlern und
12 Seit 1905 waren im Schloss zwölf sogenannte »biologische Gruppen« mit heimischen Tieren und Pflanzen aus der Reiss‘schen Sammlung zu sehen. 13 Geboren 23.08.1840 in Prag, gestorben 24.11.1915 in München. Zur Sammlung Gabriel von Max siehe Gagern 1967. 14 Geboren 29.02.1864 in Alt-Wallmoden, gestorben 19.04.1925 in Leipzig. 15 Weule 1917: fol. 7. 16 Geboren 28.05.1874 in Mannheim, gestorben 19.11.1931 in Mannheim.
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es fanden neben Ankäufen17 vor allem zahlreiche Tauschgeschäfte statt. Das 1904 gegründete Städtische Völkermuseum (heute Weltkulturen Museum) in Frankfurt am Main pflegte enge Kontakte, war jedoch bei ähnlicher Größe wissenschaftlich ungleich produktiver. Ein Grund hierfür ist sicherlich, dass man in Mannheim die Aufgabe des Museums vor allem im Bereich der Bildung sah.18 Ein weiterer Grund ist in der besseren Aufstellung und Ausbildung des Personals in Frankfurt zu sehen. Musste Mannheim lange Zeit mit einem nebenamtlichen Leiter der Sammlungen vorlieb nehmen, der erst 1927 durch einen wissenschaftlichen Assistenten unterstützt wurde, waren in Frankfurt schon in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg vier Wissenschaftler tätig. Beide Häuser wurden durch ehrenamtliche Hilfskräfte, häufig von den Universitäten vor Ort, unterstützt. Während das Frankfurter Museum nahezu gänzlich mit eigenem Bestand arbeiten konnte, waren in Mannheim von Beginn an neben den städtischen Sammlungen Leihgaben des Staates und des Altertumsvereins Teil der Bestände. Sowohl die Personalproblematik als auch die der Besitzverhältnisse ziehen sich in veränderter Form bis in die heutige Zeit. Mit dem frühen Tod Föhners 1931 ging die Verwaltung bis 1936 an Interimsdirektoren über.
17 Theodor Bumiller (geboren 22.06.1864 in Landstuhl, gestorben 26.11.1912 in San Stephano, Osmanisches Reich) war Adjutant, später Regierungsrat des Kolonialoffiziers und späteren Gouverneurs von Deutsch-Ostafrika Herrmann von Wissmann. Er hinterließ neben den bisher unpublizierten Expeditionstagebüchern der Wissmann‘schen Seen-Expedition auch zwei weitere Tagebücher einer Ostafrika- und eines einer Sibirien-Expedition, Fotos und einen Korpus an Ethnographica. Diese wurden 1920 aus seinem Nachlass erworben. 18 Dies schreibt schon Weule (1917: 5f.) in seinem Gutachten über die Sammlung Gabriel von Max: »Die Ziele des neuen Museums sind in den Mannheimer Verhältnissen selbst gegeben. Hier in Leipzig werden sie beherrscht von der Volkstümlichkeit, zum anderen von der Wissenschaft. Jener werden wir gerecht durch eine Aufstellung, die mit ihren plastischen Gruppen und lebensvollen Szenen auch zum Schulkinde spricht; der Wissenschaft, indem wir uns bestreben, alle primitiven und Halbkulturen behufs wissenschaftlicher Verarbeitung systematisch zusammen zu tragen, welchem Zweck ein ganzer Stab von Fachgelehrten dient [...] Mannheim ist vor allem Handelsstadt, und damit ist ihm in musealer Beziehung eine Richtung gewiesen etwa in der Art der von Bremen eingeschlagenen. Bremen legt das Hauptgewicht weniger auf lückenlose Sammlungen als eine plastische volkstümliche Darstellung von Szenen aus dem Leben der Naturvölker und der Ostasiaten. Zu gleicher Zeit sucht es die Ethnographie in enge Verbindung mit dem Handel zu bringen, dem denn auch der grössere Teil des dortigen Museums gewidmet ist.«
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D IE ÄRA R OBERT P FAFF -G IESBERG UND DIE N EUFORMUNG DER V ÖLKERKUNDE IN M ANNHEIM Mit Robert Pfaff-Giesberg19 wird 1936 der erste ausgebildete Ethnologe Direktor des Städtischen Museums für Völkerkunde und Urgeschichte. Durch den 1935 durchgeführten Ringtausch badischer Museen20 war das Museum gerade bei zeitgleicher Abgabe seiner anthropologischen Sammlungen an die Universität Freiburg und der Sammlungen aus Altägypten an die Universität Heidelberg um mehrere tausend Ethnographica bereichert worden. Ziel war es, die Profile der beteiligten Häuser durch die Schaffung von Sammlungsschwerpunkten zu stärken. Pfaff-Giesberg führte in den Jahren 1937 und 1938 gleich drei auch nach heutigen Maßstäben sehr erfolgreiche Sonderausstellungen durch:21 Die TibetAusstellung zählte etwa 60.000 Besucher, die »Welt der Maske« konnte während ihrer nur sechs Wochen dauernden Öffnung 45.000 Besucher verzeichnen (Pfaff-Giesberg 1964: 9). Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges und die Einberufung von PfaffGiesberg und anderer Mitarbeiter des Museums zum Militärdienst verhinderten eine Wiedereröffnung. Zudem richtete die Stadt dort nun Luftschutzräume und ein »Magazin für Gegenstände zum Einrichten von Hilfskrankenhäusern und Lazarette« ein (Chronik des Zeughausmuseums: fol. 68 recto; REM). Die ethnologischen Sammlungen blieben während des Krieges weitestgehend verschont. Doch kam es aus verschiedenen Gründen, unter anderem wegen der Umnutzung der Räumlichkeiten nach dem Wiederaufbau des teilweise zerstörten Zeughauses, in der Zeit nach 1945 nicht zu einer Neuaufstellung. Erst kurz vor Antritt
19 Geboren 25.11.1899 in Offenburg, gestorben 11.05.1984 in Bad Bellingen. PfaffGiesberg studierte in Heidelberg, München und Freiburg Geographie, Völkerkunde, Geschichte und Kunstgeschichte. 20 Republik Baden: »Sammlungsaustausch zwischen dem Badischen Staat und der Stadt Mannheim« vom 06.11.1934, GLA, 235, 40 314. 21 Aufgrund des weiter oben erwähnten Umbaus des Museums fanden diese in den Rhein-Neckar-Hallen statt. Den Auftakt machte bereits im März 1937 die Ausstellung »Tibet. Land und Volk, Kultur und Kunst des seltsamen hochasiatischen PriesterStaates«, in der bei freiem Eintritt der reiche Bestand des Museums, ergänzt durch Leihgaben des Linden-Museums in Stuttgart, präsentiert wurde. Den Anschluss bildete die von Juni bis August 1937 an gleichem Ort gezeigte Ausstellung »Die Welt der Maske«. 1938 folgte die bereits erwähnte Kolonialausstellung. Die Tibet-Ausstellung hätte nach Abschluss des Zeughaus-Umbaus in eine Dauerausstellung überführt werden sollen.
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des Ruhestandes konnte Pfaff-Giesberg die ethnologische Ausstellung des Museums neu eröffnen: »Im Dezember 1957, zum Abschluß der Veranstaltungen anläßlich des 350jährigen Stadtjubiläums wurden dann im dritten Obergeschoß des Zeughauses die ›Völkerkundlichen Sammlungen der Stadt Mannheim‹ durch Oberbürgermeister Dr. Hans Reschke feierlich wieder eröffnet. Sehr beschränkt, nur etwa ein Dreißigstel des Sammlungsbestandes aufnehmend, war diese ständige Ausstellung doch ein neuer hoffnungsvoller Beginn [...] Die Ausstellung war als Rundgang durch die wichtigsten Entwicklungsstufen menschlicher Kultur gedacht: der Beschauer sollte an Hand charakteristischer Beispiele einen Eindruck erhalten vom Wesen sowohl vorgeschichtlicher, paläolithischer und neolithischer historischer Lebensformen der Menschheit wie von den rezenten steinzeitlichen Kulturen Australiens, Ozeaniens, von den Naturvölkern der Arktis, den schon zur Metalltechnik übergehenden Kulturen Altamerikas, den wichtigsten asiatischen Kulturen und endlich denen der afrikanischen Völkerstämme. Auf die Ergänzung des Sammlungsgutes durch instruktive Bilder, Karten, Filme, Schallplatten und Bandaufnahmen mußte allerdings noch fast ganz verzichtet werden. Indes war das Interesse der Öffentlichkeit von Anfang an ungewöhnlich groß. Die Führungskataloge mußten mehrfach neu aufgelegt werden. Kurse und Abendführungen wurden in Verbindung mit der Mannheimer Abendakademie veranstaltet. Ebenso öffentliche Führungen und Kolloquien mit in- und ausländischen Hochschulseminaren« (Pfaff-Giesberg 1964: 11).
Unter Führung von Pfaff-Giesberg wurde vor allem die Ordnung und Inventarisierung der Bestände vorangetrieben. Eine Aufgabe, die zuvor sehr vernachlässigt wurde. Diese Arbeiten umfassten neben den Objektbeständen auch das Archivmaterial. Es wurde begonnen, die Fotosammlung zu systematisieren und die Korrespondenz wurde nach Jahren sortiert in Ordnern abgeheftet. Zudem wurden Zeitungsausschnitte gesammelt, die das Museum und seine Arbeit erwähnen. Unter den folgenden Direktoren wurden für die Korrespondenz und anderes Archivmaterial neue Formen der Sortierung gewählt, die ihrerseits über die Zeit modifiziert wurden. Somit bestehen heute verschiedene Ordnungssysteme für gleichartige Archivbestände nebeneinander. Unter anderem ist dies der sich verändernden Verwaltungssituation geschuldet, die die Auflösung des 1957 in Städtisches Reiß-Museum22 umbenannten Hauses und dessen Aufgehen in den heuti-
22 »Um für die Wiederherstellung Mittel aus dem Reiß-Nachlaß verwenden zu können, wurde das Zeughaus-Museum bei seiner Eröffnung am 24. Januar 1957 in ›Städtisches Reiß-Museum‹ umbenannt [...] Kein eigentliches Kunstmuseum, umfaßte es doch ein reiches Spektrum an Werken der Kunst und trug außerdem allgemeinbilden-
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gen Reiss-Engelhorn-Museen mit sich brachte, was auch eine Verschiebung von Verwaltungskompetenzen weg von der Sammlungsverwaltung hin zu einer zentralen Verwaltung zur Folge hatte. Zwar wurden bis zur Schließung der Dauerausstellung im Jahr 2001 auch zahlreiche Ausstellungen durchgeführt, eine wissenschaftliche Bearbeitung der Sammlungsbestände blieb jedoch weitgehend aus.23 Lediglich Einzelobjekte und kleinere Sammlungsgruppen fanden Beachtung und immer wieder wurden Sammlungsstücke für Ausstellungen verliehen.24 Trotz des Erwerbs teils bedeutender Bestände auf Feldforschungen, wie etwa 1964 einer Sammlung von fast 100 Objekten aus Tansania durch Axel Freiherr von Gagern, kam es zu keiner weiteren Bearbeitung, teilweise nicht einmal zu einer Inventarisierung, dieser Stücke. Derzeit besteht der städtische Eigenbetrieb rem neben der Verwaltung aus der Direktion Kunst (mit den Abteilungen Kunst- und Kulturgeschichte, Theaterund Literaturgeschichte und Antiken, Bibliothek und Redaktion) und der Direktion Weltkulturen (bestehend aus den Abteilungen Archäologie und Denkmalpflege und Weltkulturen und ihre Umwelt - zu Letzterer zählen Naturkunde, Paläontologie und Geologie). Seit mehreren Jahren werden neu eingehende Sammlungen nicht mehr in städtischen Besitz übernommen, sondern in den der Curt-Engelhorn-Stiftung. Diese war von Curt Engelhorn begründet worden, um die Arbeit der rem zu unterstützen. Im Jahre 1988 wurde der Neubau des Museums für Archäologie und Völkerkunde (heute Museum Weltkulturen) eröffnet, in dessen drei Stockwerken die Sammlungen der Abteilungen Archäologie und Denkmalpflege und Weltkulturen und ihre Umwelt präsentiert wurden. Aktuell werden dort neben wechselnden Ausstellungen im Erdgeschoss in den beiden oberen Stockwerken archäologische Ausstellungen gezeigt.
den Charakter im Sinne des ersten Reiß-Testaments, denn es setzte sich zusammen aus den Kunst- und Stadtgeschichtlichen, den Archäologischen und den Völkerkundlichen Sammlungen - letztere bis 1964 wieder unter der Direktion R. Pfaff-Giesbergs. Das Ergebnis des sachgerechten jahrzehntelangen Differenzierungsprozesses in der Mannheimer Museumspolitik war damit aufgehoben und die Zahl der städtischen Museen reduzierte sich wieder auf zwei, wie zu Beginn des Jahrhunderts. [...] 1971 kam noch die Theatersammlung hinzu, während die Naturkundlichen Sammlungen nach schweren Verlusten in der Kriegs- und Nachkriegszeit sowie dem Abtransport der Restbestände nach Karlsruhe erst 1981 im Reiß-Museum wiedererstanden« (Bischof 1989: 32). 23 Eine Ausnahme bildet hier die Bearbeitung eines Teils der Bestände aus Ostsibirien durch Gudrun Bucher (vgl. Bucher 1994). 24 Vgl. z.B. Born 1981; Haberland 1979; Zerries 1965.
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F ORMEN DER N UTZUNG Bereits der frühere Direktor der ethnologischen Sammlungen der rem Henning Bischof,25 wies darauf hin, dass im 18. und frühen 19. Jahrhundert gemäß dem Geist der Aufklärung außereuropäisches Kulturgut gleichberechtigt neben dem europäischen stand (Bischof: 1997: 98). Mit dem Ziel der Bildung der Untertanen eingerichtet, war die Akademie der Wissenschaften ein wichtiges Organ der Forschung und publizierte die erbrachten Ergebnisse. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts verfielen die Sammlungen mangels finanzieller Zuwendungen. Diese Situation konnte erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch Übergang der Sammlungen an den Mannheimer Altertumsverein verbessert werden. Wie aus den im Jahr 1882 von Baumann begonnenen Inventaren des Altertumsvereins ersichtlich, waren jedoch viele der ursprünglich vorhandenen Informationen zu Objekten nicht mehr vorhanden. Erst in der Zeit nach 1900 fand eine intensive Beschäftigung mit der Geschichte des Naturalienkabinetts statt. Dabei fanden die ethnologischen Sammlungen nahezu keine Berücksichtigung. Einzig neu zugegangene historische Sammlungen wurden beschrieben. Die Sammler waren fast ausschließlich Bürger der Stadt. Doch war das Wachstum bis in das 20. Jahrhundert hinein eher spärlich. Einem 1899 gestarteten Aufruf wurde nur sehr bedingt Folge geleistet, wie Karl Baumann 1904 erwähnte.26 Eine wissenschaftliche Bearbeitung entfiel fast völlig. So verwundert nicht, dass die einzige von der Stadt Mannheim mitfinanzierte Expedition des Reichskolonialbundes, die 1911-13 unter Leitung von Franz Thorbecke stattgefunden hatte,27 in der Folge ebenfalls kaum Resonanz fand. Dies kritisierte Thorbecke nahezu 20 Jahre später in einem Brief an den Verkehrsverein Mannheim: »Die meines Wissens immer noch nicht durchgeführte Aufstellung meiner Sammlung hat mir in ethnologischen Kreisen ebenso Abbruch getan, wie das Eingesperrtsein der von meiner
25 Geboren 11.05.1936 in Berlin, gestorben 10.03.2014 in Mannheim. 26 »Dieser Aufruf war, um es offen zu sagen, bis in diese Tage ohne nennenswerte Wirkung geblieben. Der Gemeinsinn, über dessen Mangel man doch im allgemeinen hier in Mannheim nicht klagen kann, war seither nicht geneigt, sich auch auf diesem Gebiete zu betätigen. Umso erfreulicher ist es, daß unser Landsmann, Herr Berthold Levy, nunmehr vorangegangen ist auf diesem Wege, auf dem recht viele andere folgen mögen« (Baumann 1904: 136). 27 Die Ergebnisse wurden zwischen 1914 und 1951 in vier Bänden publiziert (Thorbecke 1914-51; vgl. auch Schultz 2014). Thorbecke lehrte ab 1909 an der 1905 begründeten Handelshochschule, der heutigen Universität Mannheim. Schwerpunkte seiner Lehre waren Wirtschaft und die deutschen Kolonien.
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Frau der Stadt Mannheim verkauften Kameruner Ansichten in eine grosse Holzkiste meine Frau künstlerisch beschädigt hat.«28 Bis heute fand keine umfassende wissenschaftliche Bearbeitung der 1.300 Nummern umfassenden Sammlung statt, lediglich einzelne Objekte fanden Eingang in Ausstellungen und Artikel. Der staatlich angeordnete badische Ringtausch von 1935 führte zu einer Stärkung von Sammlungsschwerpunkten innerhalb des Landes Baden. Ironischerweise sind mit dem »German Mummy Project« und der neuen Ausstellung Altägypten genau die nach Heidelberg und Freiburg abgegebenen Sammlungsbereiche in den Fokus gerückt, während die Ethnologie ohne eigene Ausstellung ein Schattendasein fristet. Dies erstaunt besonders, wenn Alfried Wieczorek, Generaldirektor der rem, in einem 2011 veröffentlichten Artikel über die Entwicklung zukünftiger Formen der gemeinsamen Zusammenarbeit der Museen im Rhein-Neckar-Gebiet schreibt, es »wäre wünschenswert, wenn es innerhalb der Museumslandschaft der Metropolregion zu einer Abstimmung der Sammlungsschwerpunkte und damit zur Bildung von Museumsprofilen kommen würde« (Wieczorek 2011: 113). Als eine Möglichkeit hierfür spricht er den Transfer von Sammlungsbeständen an. Nicht in der 1935 gewählten Form eines Ringtausches jedoch, sondern als Dauerleihgaben. Als ein Beispiel hierfür gibt er den möglichen Transfer der an den rem vorhandenen Bestände aus Ozeanien an die von Portheim-Stiftung in Heidelberg an, wo Ozeanien einen Schwerpunkt der Ausstellung bildet. Diese Bestände seien in Mannheim aufgrund der Nähe zu Heidelberg während der letzten 20 Jahre nicht gezeigt worden. Die Nutzung von Museumsbeständen unterliegt im Falle ethnologischer Sammlungen offenbar anderen Bedingungen als denen vieler anderer, etwa naturkundlicher. Bisher ist aufgrund der Quellenlage davon auszugehen, dass sie in den ersten Jahrzehnten nach Gründung des Naturalienkabinetts ähnlich volkskundlichen Sammlungen behandelt wurden und Alltag und allgemeine Gegebenheiten in anderen Teilen der Welt dokumentierten. Wissenschaftliche Instrumente aus diesen Gebieten erhielten neben den europäischen ihren gleichberechtigten Platz in der Forschung. Weitere zeitgenössische Quellen mögen dieses Bild korrigieren, stehen jedoch momentan nicht zu Verfügung. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts wandelte sich die Nutzung. Die Zeit des Kolonialismus brachte auch eine verstärkte Beschäftigung mit den diese Gebiete bewohnenden Bevölkerungen, die jedoch nicht mehr als gleichberechtigt betrachtet wurden. Mit Gründung der Handelshochschule 1905 trat in Mannheim ein wirtschaftliches Interesse in den Vordergrund und es wurden verstärkt Sammlungen aus den deutschen Kolonialgebieten erworben. Die weiter anwachsenden Bestände wur-
28 Brief von Franz Thorbecke an Prof. Dr. Walter vom 07.01.1932, REM.
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den erst ab 1936, mit Robert Pfaff-Giesberg als neuem Direktor, systematisch inventarisiert. Er war der erste ausgebildete Ethnologe am Museum und begann auch die Systematisierung der historischen Fotosammlungen der Abteilung Völkerkunde. Der Zweite Weltkrieg brachte diese Arbeiten fast vollständig zum Erliegen. Die nachfolgenden Direktoren unternahmen jeweils kurze Feldforschungen. Von diesen wurden Sammlungen an das Museum mitgebracht, die ein ähnliches Schicksal erfuhren, wie bereits am Haus lagernde. Sie wurden ohne weitere Dokumentation inventarisiert. Unterlagen von diesen Reisen sind an den rem kaum erhalten. Nach dem Ausscheiden von Direktor Henning Bischof 2001 kam es zur Schließung der Dauerausstellung des Museum Weltkulturen. In den drei Stockwerken des Gebäudes findet sich seit einigen Jahren wieder eine archäologische Dauerausstellung. Die beiden anderen Stockwerke werden für Sonderausstellungen unterschiedlicher Themen genutzt, während die ethnologischen Sammlungen seither hauptsächlich als Illustrationsmaterial für verschiedene Themen dienen. Umfang und Qualität der Sammlungen lassen es als sehr wünschenswert erscheinen, diese Sammlungen wieder für sich selbst stehen zu lassen. Zu klären ist dabei allerdings, ob dies mit einer weiteren wissenschaftlichen Be- und Aufarbeitung der Sammlungen erfolgen soll. Ein Grundstein wurde hierfür durch Marion Jourdan gelegt, die bis 2012 als wissenschaftliche Mitarbeiterin nicht nur die Katalogisierung der Bestände, vor allem der im Rahmen des Ringtausches aus Karlsruhe gekommenen Objekte, vorantrieb, sondern auch die Betreuung der Sammlung und einer Gruppe ehrenamtlicher Helfer übernahm, die an einem Tag in der Woche verschiedene Aufgaben übernahmen und z.B. die Inventarisierung und das Befüllen der Datenbank unterstützten. Sie schuf weiterhin die Grundlagen für eine ergänzende Archivstruktur, die die Einführung von Akten zu den in den Beständen vertretenen Sammlern vorsah. Da durch das mit großer zeitlicher Distanz erst ab 1936 vorgenommene Inventarisieren der Sammlungen heute zahlreiche Übertragungsfehler und falsche Zuordnungen in den Inventaren zu finden sind, trägt eine eigene Sammlerdatenbank sehr nachhaltig zur Verbesserung der Datenstruktur bei. 2012 begann auch die Bearbeitung der Expeditionstagebücher von Theodor Bumiller. Diese erfolgte zuerst an der Universität Mannheim, seit 2013 dann durch Wechsel an die Universität Mainz ebendort. Eine engere Zusammenarbeit mit Universitäten wird im Falle der ethnologischen Sammlungen in Mannheim in viele Richtungen positive Impulse bringen. Hinsichtlich der Rolle von Museen für die Gesellschaft sagt Wiecorek: »Zukünftig müssen sich Museen, auch wenn sich viele derzeit noch nicht darüber im Klaren sind, neuen Herausforderungen stellen. Neben Sammeln und Konservieren ist die
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Bildungsarbeit verstärkt zur Museumsaufgabe geworden. Die Förderung der kulturellen Bildung, das heißt die Erschließung des kulturellen Erbes für immer mehr Menschen, ist zur Kernaufgabe geworden« (Wiecorek 2011: 124).
Im Falle der Ethnologie endet diese Aufgabe jedoch nicht an den Grenzen der Stadt oder Region oder gar der Türschwelle des Museums. Wünschenswert für die Zukunft ist sicher ein klares Bekenntnis der rem zu den ethnologischen Sammlungen, eine Definition von Zielen für diese und eine Vernetzung mit anderen Kultureinrichtungen der Stadt und der Region. Gerade in einer von vielen Kulturen geprägten Stadt wie Mannheim müsste die Abteilung Weltkulturen zu einer Begegnungsstätte und zum Ort des Austausches werden. Der Erschließung eines gemeinsamen kulturellen Erbes gilt es, in Mannheim und andernorts, nun den Weg zu bereiten.
U NVERÖFFENTLICHTE D OKUMENTE Bayerisches Hauptstaatsarchiv, München (BHM) Anonym. o.D. Détail des Peintures des deux Cabinets Electoraux à Mannheim. Geheimes Hausarchiv. 882 VG, Nr. 194. Collini, Cosimo Alessandro. 1799. Liste des productions de la Nature, et Objets de l'Art, tirés du Cabinet Electoral d'Histoire naturelle de Mannheim, d'après les demandes faites par Mr Manger Major au Service de S.A.S. Electorale, et à lui délivrés, pour être remis au Citoyen Lecourbe, Général en Chef de l'Armée Française du Rhin. MA 8231. Traitteur, Theodor von. 1802. Lage der wissenschaftlichen Kabinette, Nutzen, Verbesserung und Ersparniß. Geheimes Hausarchiv München. HS 215. Generallandesarchiv Karlsruhe (GK) Anonym. 1808. Unterthänigste Promemoria. (26.07.1808). 213/ 1907. Oberhofmarschall Amts Deputation Mannheim. 1825. Das Großherzogliche Naturalien Cabinet insbesondere die Fertigung eines Katalogs darüber betreffs. 56, Nr. 1838. Republik Baden. Ministerium des Kultus und Unterrichts. 1935. Sammlungsaustausch zwischen dem Badischen Staat und der Stadt Mannheim. 235, Nr. 40 314.
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L ITERATUR Anonym. 1767. Description succinte du Cabinet d'Histoire Naturelle de son Altesse Serenissime Electorale Palatinate. Mannheim: Imprimerie de l'Academie. –– 1865. Programm des Grossherzoglichen Lyceums in Mannheim für die öffentlichen Prüfungen vom 1. bis 14. August 1865. Mannheim: Buchdruckerei von J. Schneider. Baumann, Karl. 1904. Die ethnographische Sammlung des Herrn Berthold Levy. In: Mannheimer Geschichtsblätter 5: 136. Bischof, Henning. 1989. Die Völkerkundlichen Sammlungen der Stadt Mannheim. Ein historischer Rückblick. In: Mannheimer Hefte 1: 28-34. –– 1997. Das Mannheimer Naturalien-Kabinett und seine völkerkundlichen Sammlungen. In: Jahrbuch des Museums für Völkerkunde zu Leipzig XLI: 91-103. Born, Klaus. 1981. Skulpturen aus Kamerun. Sammlung Thorbecke 1911/12. Mannheim: Reiss-Museum. Bucher, Gudrun. 1994. Die »Korjaken«-Objekte der Sammlung Gabriel von Max im Reiß-Museum Mannheim. Bamberg: Selbstverlag des Faches Wirtschaftsgeographie der Universität Bamberg.
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Die Bonner Altamerika-Sammlung – Von der Studiensammlung zum experimentellen Universitäts-Museum H EINRICH N ATHO & J ENNIFER S CHMITZ
Die archäologisch-ethnographische Lehr- und Studiensammlung der Abteilung für Altamerikanistik, die Bonner Altamerika-Sammlung (BASA) ist eines von zwölf Universitätsmuseen und gut 30 Sammlungen der Rheinischen FriedrichWilhelms-Universität. Wie die meisten universitären Sammlungen wurde sie zu Studienzwecken und als Anschauungsmaterial für die Lehre angelegt. Sie war damit eng an die theoretischen und methodischen Grundlagen gebunden, auf denen die Lehre basierte. Mittlerweile beherbergt die BASA circa 10.000 archäologische und ethnographische Objekte, die zu einem großen Teil aus dem mittel- und südamerikanischen Raum stammen. Die Exponate des amerikanischen Doppelkontinents sind in ihrer zeitlichen und kulturellen Vielfalt einzigartig in einer universitären Lehr- und Studiensammlung in Nordrhein-Westfalen. Der altamerikanische Schwerpunkt der BASA wird ergänzt durch eine große Bandbreite an Objekten aus Afrika, Asien und Ozeanien. Neben der materiellen Kultur findet sich in der BASA auch Quellenmaterial wie Feldtagebücher und andere Textaufzeichnungen, Fotografien, Filme sowie Tondokumente, die ethnographische Forschungen, die in unterschiedlichen Regionen durchgeführt worden sind, belegen. Im Gegensatz zu den großen Völkerkundemuseen in Deutschland blickt die Sammlung auf eine relativ junge Vergangenheit zurück. Die Geburtsstunde der BASA fällt mit der Gründung des Seminars für Völkerkunde (heute Abteilung für Altamerikanistik) im Jahr 1948 unter der Leitung von Hermann Trimborn zusammen (vgl. Göller 1986). Trimborn förderte den planmäßigen Aufbau einer völkerkundlichen Sammlung von Archä-
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ologica und Ethnographica in Bonn, zunächst mit dem Ziel, die Lehre anschaulicher zu gestalten. Sein Nachfolger Udo Oberem setzte diese Sammeltätigkeit fort und legte wie Trimborn den regionalen Forschungs- und Sammlungsschwerpunkt auf den südamerikanischen Andenraum. Außerdem erhielt die BASA Leihgaben und Schenkungen von mehr als 35 Bonner Bürgern – Handelsreisenden, Diplomaten und Unternehmern, die ethnographische und archäologische Objekte auf ihren Reisen erworbenen hatten. Bereits 1959 war die Sammlung so weit gewachsen, dass sie in eigene Räume im Hauptgebäude der Universität im Regina-PacisWeg 7 umziehen konnte. Am 10. Juli 1961 wurde die Lehrsammlung des Seminars für Völkerkunde, die zu diesem Zeitpunkt aus ca. 2.000 Objekten bestand, auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die Ausstellung war zum einen in ›Archäologica‹ und ›Ethnographica‹ aufgegliedert worden, zum anderen regional und politisch nach den Kontinenten Amerika, Ozeanien, Afrika sowie nach Ländern wie Mexiko, Guatemala, Peru, Bolivien, Ecuador u.a. unterteilt. Darüber hinaus wurde geographisch zwischen Hochland, Tiefland und Küste unterschieden sowie in einem thematischen Bereich Flecht- und Textiltechnik gezeigt. Objekte südamerikanischer Herkunft nahmen insgesamt den größten Raum ein. Sie waren, den Prinzipien der kulturhistorischen Schule folgend, regional und typologisch organisiert (vgl. Noack in diesem Band). Die Anordnung der Objekte erinnerte an die Schaukästen der Völkerkundemuseen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Das Interesse, eine ›Ordnung der Dinge‹ in einzelnen historischen Abund geographischen Ausschnitten auszustellen, war weit größer als die Absicht, Kontinuitäten und die Beziehungen zwischen den Dingen selbst und ihren Produzenten sichtbar zu machen. Ausstellungsprojekte folgten den Vorgaben des Lehrplans. Knapp drei Jahrzehnte nach Eröffnung mussten die Ausstellungsräume der Lehr- und Studiensammlung 1989 wieder geschlossen werden. Die Räume genügten den Brandschutzbestimmungen nicht mehr. Seminare durften allerdings noch bis 2004/5 in der Sammlung stattfinden bis diese 2005/06 verpackt und in der Pädagogischen Fakultät der Universität Bonn eingelagert wurde. Trotzdem wurden seitdem, wie auch schon in den Jahren zuvor, Sonderausstellungen an anderen Orten der Stadt, wie im Wissenschaftszentrum, im Ägyptischen Museum und im LVR-LandesMuseum Bonn gezeigt. 2009/10 konnte die BASA gemeinsam unter einem Dach mit der Abteilung, von der sie viele Jahre räumlich getrennt war, in der Oxfordstraße, einer der Hauptverkehrsachsen der Bonner Innenstadt, wieder eröffnet werden.
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D IE G ESCHICHTE DER WISSENSCHAFTLICHEN S AMMLUNGEN DER U NIVERSITÄT B ONN Seit der Universitätsgründung im Jahr 1818 gehören wissenschaftliche Freiheit und die Einheit von Forschung und Lehre zum Konzept der Universität Bonn. Die Ausrichtung der Universität auf die Forschung als wesentlichen Bestandteil der universitären Aufgaben hat ihren Niederschlag auch in der Anlage und im Ausbau einer Vielzahl wissenschaftlicher Sammlungen gefunden. Schon bei ihrer Gründung erhielt die Universität Bonn als Grundausstattung mehrere Museen und sogenannte ›Kabinette‹ und ›Apparate‹.1 Mit den Berufungen Christian Nees von Esenbecks und Georg August Goldfuß' an den Rhein wurde 1818/19 der Grundstein für das naturhistorische Museum im Poppelsdorfer Schloss und viele daraus entstandene Sammlungen und Museen der Universität Bonn gelegt. Nees von Esenbeck, der zuvor an der Universität Erlangen tätig sowie Präsident der Leopoldina war, brachte die wertvollen Sammlungen der Leopoldina bei seiner Berufung mit nach Bonn (vgl. Becker 1998: 186). Ein Reiseführer von 1832 und die ersten amtlichen Verzeichnisse von 1833 bis 1886 dokumentieren sehr genau, welche Sammlungen in dieser Zeit zusammengetragen wurden.2 Allein im naturhistorischen Museum befanden sich zum Zeitpunkt der Universitätsgründung acht Museen bzw. wissenschaftliche Sammlungen. • Zoologisches Museum • Mineralogisches Museum mit Geologischen und Paläontologischen Sammlungen • Modellsammlungen für Bau- und Bergkunde • Botanischer Garten • Mathematischer Apparat • Pharmakologisches Kabinett
1
Kabinett und Apparat bezeichnen jeweils eine wissenschaftliche Sammlung.
2
Der Reiseführer »Die Stadt und die Universität Bonn am Rhein« von B. Hundeshagen aus dem Jahre 1832 beschreibt zum ersten Mal ausführlich die neu gegründete Universität Bonn und ihre wissenschaftlichen Sammlungen mit dem Ziel, sie für die ›breite Öffentlichkeit‹ als Ausflugs- und Reiseziel zu präsentieren und bekannt zu machen (Hundeshagen 1832: 133-152).
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Hinzu kamen fünf Sammlungen, die im Hauptgebäude der Universität untergebracht waren: • Anatomisches Museum • Kabinett chirurgischer Instrumente • Physikalisches Kabinett • Antiken Kabinett • Museum für Rheinische Altertümer Trotz der widrigen Umstände des Aufbaus, dem Einsetzen der Demagogenverfolgung sowie Schwierigkeiten im Zusammenspiel zwischen Universität und Staat blühte die Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn im 19. Jahrhundert auf. Im Jahr 1900 konnte die Universität bereits eine bemerkenswerte Zahl an Lehrkörpern aufweisen. 68 Ordinarien, 23 Extraordinarien, zwei ordentliche Honorarprofessoren, 57 Privatdozenten und sechs Lektoren waren in Bonn tätig (vgl. Becker 2004: 25). Hinzu kamen circa 18 wissenschaftliche Sammlungen und die botanischen Gärten.3 In der Folgezeit wurde die Sammlungslandschaft der Universität noch einmal um zwölf Sammlungen bzw. Museen erweitert. Waren im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts die wissenschaftlichen Sammlungen noch unverzichtbarer Bestandteil der universitären Lehre, so wurden sie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mehr und mehr von theoretischen Modellen und Vorlesungen mit Abbildungen ersetzt oder aus dem Lehrplan gestrichen – bis sie in vielen Fachbereichen gänzlich in Vergessenheit gerieten.
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WISSENSCHAFTLICHEN S AMMLUNGEN DER U NIVERSITÄT B ONN IN DER G EGENWART Sammlungen entstehen, wachsen, werden mit anderen zusammengelegt, geraten in Vergessenheit und werden nach Jahrzehnten wiederentdeckt. Von den zwischenzeitlich mehr als 30 Lehr- und Studiensammlungen der Universität Bonn fristen mittlerweile etliche Sammlungen ihr Dasein in Schränken und Abteilungskellern oder sind unbekannt verblieben. Ein Umstand, der an vielen Hochschulen beklagt wird, fehlte es doch häufig an Personal, Platz und Zeit, aber auch am wissenschaftlichen Interesse, mit der ›materiellen Kultur‹ der Hochschule bzw. der eigenen Fachdisziplin zu arbeiten.
3
Die meisten Sammlungen gehörten zu diesem Zeitpunkt der philosophischen Fakultät an, wobei bis 1937 auch die Naturwissenschaften Teil dieser Fakultät waren (vgl. Becker 2004: 19).
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In den letzten Jahren erlebte das Bewusstsein für die Bedeutung universitärer Sammlungen allerdings eine wahre Renaissance – so auch in Bonn. Die Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn verfügt über mehr eigene Museen und Sammlungen als viele andere Universitäten in Deutschland. Dabei werden Sammlungen nicht nur durch ihre Gegenständlichkeit charakterisiert – universitäre Sammlungen spiegeln das vergangene, gegenwärtige und hoffentlich auch zukünftige wissenschaftliche Interesse der Fachdisziplinen wider. Sammlungen berichten aber auch von den Sammlerinnen und Sammlern, von den Gegebenheiten aus denen sie stammen. Sie beschreiben ein Grundphänomen des Lebens – das Sammeln und Horten von Dingen (vgl. Junker 2012: 280). Im April 2009 rückten neben den Infrastrukturen für die Sozial- und Geisteswissenschaften auch die Infrastrukturen wissenschaftlicher Sammlungen in den Fokus des Wissenschaftsrates. Der im Jahr 2011 veröffentlichte Bericht weist dabei ausdrücklich auf die immense Bedeutung von Sammlungen als »Forschungsinfrastrukturen« hin. Wissenschaftliche Sammlungen und ihre Objekte stellen Informationsinfrastrukturen für die Forschung dar und sind eine unverzichtbare Voraussetzung für Lehre und Nachwuchsförderung in allen Disziplinen (vgl. Empfehlung zu Forschungsinfrastrukturen 2011: 11). Wolfgang Marquardt, Vorsitzender des Wissenschaftsrates, stellte fest: »Sammlungen haben einen besonderen Wert, der vor allem auf ihrer Gegenständlichkeit basiert. Man kann Objekte betrachten und anfassen, sie können faszinieren. Es war jedoch nicht die in Ausstellungen erfahrbare Faszinationskraft der Objekte ausschlaggebend dafür, dass sich der Wissenschaftsrat mit objektbasierten Sammlungen beschäftigt, sondern vielmehr der Wert, den solche Sammlungen für die Wissenschaft (heute, in der Vergangenheit und oder Zukunft) und Wissenschaftsgeschichte darstellen. Nicht selten bleibt der Wert einer Sammlung für die Forschung jahre- und jahrzehntelang verborgen. Der Wert von Sammlungen ist daher oftmals kein aktueller, sondern latenter und damit entsprechend schwer abzuschätzen« (Marquardt 2012:268).
Mit Blick auf diese außeruniversitären Prozesse und Entwicklungen war es geradezu unmöglich, die vielen Sammlungen und Museen der Universität nicht zum Gegenstand einer zukunftsorientierten, interdisziplinären Zusammenarbeit der verschiedenen Fachbereiche und Institutionen zu machen. Die Empfehlungen des Wissenschaftsrats blieben in Bonn nicht ungehört. Im April 2010 lud der damalige Rektor der Universität, Jürgen Fohrmann, die Verantwortlichen der Universitätsmuseen4 zu einem gemeinsamen Treffen ein. Es stellte sich immer dringlicher die
4
2010 gab es neun Universitätsmuseen. 2015 sind es bereits zwölf Museen.
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Frage, was mit den Museen und Sammlungen der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität passieren sollte, wo doch der Wert universitärer Sammlung latent und damit schwer abzuschätzen ist und welche Möglichkeiten es gibt, Sammlungen auch zukünftig zu nutzen. Seit 2010 trifft sich die Arbeitsgruppe ›Uni-Museen‹ regelmäßig einmal im Semester. Bei diesen Treffen wird über aktuelle Themen und Entwicklungen gesprochen und es werden gemeinsame Aktivitäten geplant. Die Museen gestalten seitdem eigene Vorlesungsreihen oder Veranstaltungen, geben einen gemeinsamen Veranstaltungsflyer zu Ausstellungen heraus, haben gemeinsame Eintrittskarten und einen gemeinsamen Internetauftritt.5 Zu Beginn dieser Treffen beschränkte sich die Teilnahme allerdings ausnahmslos auf die Museen der Universität. Die vielen Sammlungen wurden dabei noch nicht bedacht. Ein Umstand, der u.a. der Tatsache geschuldet war, dass die Sammlungen der Universität auch im Jahr 2010 noch kaum wahrgenommen wurden und zum Teil nicht einmal allgemein bekannt waren. In den letzten Jahren hat sich in diesem Punkt allerdings einiges getan. In einem ersten Schritt wurde an das Archiv der Universität Bonn auch die zentrale Koordinierungsstelle der Museen und Sammlungen der Universität Bonn angegliedert. Des Weiteren wurden Pläne zur Einführung eines weiterbildenden Masterstudiengangs »Museumsstudien« konkretisiert. Der Start des Studiengangs ist für das Wintersemester 2015/16 geplant. Die Museen und Sammlungen sollen dabei einen wichtigen Bestandteil bilden und somit stärker in die Lehre eingebunden werden. Der Studiengang bietet die Möglichkeit, in Praxismodulen die Sammlungen aktiv in das Hochschulgeschehen einzubinden und wissenschaftlich zu bearbeiten. Die praxisnahe Arbeit soll in die Aufgaben und Arbeitsgebiete eines universitären Museums bzw. einer universitären Sammlung einführen, die Forschung an Sammlungsobjekten ermöglichen und den Studierenden die Möglichkeit geben, Ausstellungsprojekte zu realisieren. Im Hinblick auf die 2018 stattfindende 200-Jahr-Feier der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn ist zudem eine Publikation zu den Sammlungen geplant. Hier sollen unter dem Titel »200 Jahre – 200 Objekte« Stücke aus den wissenschaftlichen Sammlungen der Universität vorgestellt werden. Ein Vorhaben, das gerade ebenfalls in Bearbeitung ist, ist die Erstellung eines vollständigen Sammlungskataloges der Universität Bonn. Es gibt auch heute noch Sammlungen, deren Verbleib unklar ist und die es ausfindig zu machen gilt. Erst
5
http://www3.uni-bonn.de/einrichtungen/museen; http://www.khi.uni-bonn.de/Institut/ paul-clemen-museum (letzter Aufruf 26.04.2015).
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2014 sind wieder drei ›neue Sammlungen‹ der Universität entdeckt worden.6 Im Verlauf der kommenden Jahre soll eine Internetseite mit einem Verzeichnis der Sammlungen online gestellt werden. Zusätzlich wird zurzeit eine Statusbestimmung für wissenschaftliche Universitätssammlungen durchgeführt, die der systematischen Erfassung des gegenwärtigen Zustandes der Sammlungen dienen soll. Sie soll helfen, Aussagen zur Relevanz der Sammlungen, zur Nutzbarkeit und zur Nutzung zu formulieren.
AUF DEM W EG ZU EINEM UNIVERSITÄREN E XPERIMENTIERMUSEUM Die BASA ist eines der zwölf Museen der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität. Aufgrund von Veränderungen in der Fachdisziplin, einem neuerdings wieder gesteigerten Interesse an wissenschaftlichen Sammlungen in Lehre und Forschung sowie neuer theoretischer Überlegungen zur Bedeutung ›materieller Kultur‹ wurde sie vor kurzem einer grundlegenden Umgestaltung unterzogen. Ende 2012 begann die Arbeit zur Neukonzeption. Im ersten Schritt wurde der Ausstellungsraum, der vor dem Umbau von außen nicht einsehbar war, durch den Abriss einer Trennungswand zwischen dem Raum und den ursprünglich vorhandenen Schaufensterflächen wieder zur Straße hin geöffnet. Die weitere Umgestaltung des Ausstellungsraumes beinhaltete, sich vom bislang verfolgten Konzept eines konventionellen Museumsparcours zu verabschieden. An dessen Stelle wurde ein multifunktionales, modulares System aus flexiblen Ausstellungsmöbeln eingesetzt. Die Sammlung soll auf diese Weise einen offenen Workshop-Charakter bekommen. Das prominenteste Element und der sicht- und nutzbare Ausdruck dieses Konzeptes ist der ›BASA-Baukasten‹, ein Regal, das aus einzelnen, von beiden Seiten aus einzusehenden Elementen besteht und in einem der Schaufenster platziert wurde. Es steht für Ausstellungen zur Verfügung und visualisiert durch die Betrachtungsmöglichkeit von der Straße wie auch vom Ausstellungsraum her den Anspruch der neuen BASA, Universität und Öffentlichkeit verbinden zu wollen.
6
Zangensammlung (Frauenklinik), Sammlung an Glasplattendias, Präparate-Sammlung (jeweils zugehörig zur Landwirtschaftlichen Fakultät).
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Abb. 1: Neukonzeption des Ausstellungsraums der Bonner AltamerikaSammlung.
Gestaltungentwurf: Adriaan Klein und Lothar Niewald.
In Zusammenspiel mit der Neukonzeption der BASA als Experimentiermuseum sollen Lehrveranstaltungen auf der Basis der vorhandenen Objekte wieder vermehrt in den Lehrplan integriert werden. Die konzeptionelle Neugestaltung stellt ein Gegenmodell zu dem starren, typologischen Aufbau der einstigen Lehr- und Studiensammlung dar und soll neue Lehr- und Lernformen im Sinne des ›forschenden Lernens‹ ermöglichen. Seit dem Umbau können komplette Lehrveranstaltungen oder auch einzelne Einheiten aus den Grundlagen- und VertiefungsLehrveranstaltungen sowie der Praxisanteile der BA- und MA-Studiengänge »Altamerikanistik und Ethnologie« im Ausstellungsraum durchgeführt werden.
D AS E XPERIMENTIERMUSEUM
IN DER
P RAXIS
Mit der Neukonzeption wurden die Nutzungsmöglichkeiten der BASA deutlich erweitert. Neben dem Konzipieren und Erstellen von Ausstellungen und der Arbeit
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mit Objekten in Forschung und Lehre bietet die BASA nun auch Raum für Aktivitäten, die über die klassische Museumsarbeit hinausgehen. Zur Wiedereröffnung der BASA 2014 wurde in Zusammenarbeit mit den Mitarbeiter/-innen der Abteilung für Altamerikanistik die Ausstellung »Persönliches. Fremde Objekte und Bonner Leidenschaften« gezeigt. Ziel dieser Ausstellung war es, nicht allein die neueröffneten Räumlichkeiten der Öffentlichkeit zu präsentieren, sondern die gesamte Abteilung von Anfang an in die Arbeit der neukonzipierten BASA zu integrieren. Zu diesem Zweck wurden die Mitarbeiter/-innen der Abteilung eingeladen, aus den Beständen der Sammlung ihr Lieblingsobjekt auszusuchen und einen kurzen Text dazu zu schreiben. Es wurden keine Vorgaben bezüglich der Textform gegeben. Die Texte wurden gemeinsam mit einem Foto der jeweiligen Person auf Tafeln gedruckt und mit dem jeweils ausgewählten Objekt ausgestellt. Dabei verband die Objekte keine übergeordnete Narration und es gab auch keinen vorgegebenen Weg, auf dem sich die Besucher durch die Ausstellung bewegen sollten. Die ausgewählten Objekte wie auch die Verschiedenartigkeit der Texte ergaben eine äußerst heterogene Ausstellung. Die Bandbreite an Texten reichte von eher nüchternen wissenschaftlichen Texten über solche, die biographische oder emotionale Bezüge zu den Objekten zeigten, bis hin zu einer poetischen Annäherung. Neben dem Ziel, eine bunte, äußerst vielfältige Ausstellung zu zeigen, die teilweise bewusst auf den so häufig kritisierten anonymen kuratorischen Ton verzichtete und die ganze Abteilung vorstellte, hatte die gewählte Herangehensweise weitere positive Nebenwirkungen. So wurden nahezu alle Mitarbeiter/innen der Abteilung in die relevanten kuratorischen Aufgaben der Objektauswahl und der Textproduktion miteinbezogen. Zugleich führte der Gang durch das Depot auch bei Lehrenden, die Objekte in ihren Veranstaltungen bisher selten oder gar nicht mit einbezogen hatten, zu der Erkenntnis, dass die Objektvielfalt der Sammlung verstärkt in die eigene Lehre und Forschung integriert werden kann. Als erstes studentisches Projekt nach der Wiedereröffnung erarbeiteten Studierende der Kulturgruppe OXIS – ein Zusammenschluss engagierter Studierender, der von Fachschaftsmitgliedern der Abteilung für Altamerikanistik gegründet wurde – die Ausstellung »Copa para quem? Proteste, Militarisierung und Umsiedlung in Rio de Janeiro im Kontext der Fußball-WM 2014«. Die Ausstellung zeigte Fotografien von fünf Fotografen, die an der Escola de Fotógrafos Populares ausgebildet wurden. Es handelt sich dabei um eine Fotoschule, die sich besonders an Bewohnerinnen und Bewohner der Favelas Rio de Janeiros richtet. Die Fotografien zeigten Proteste, die durch den Preisanstieg der öffentlichen Verkehrsmittel ausgelöst wurden, aber schnell auch andere Bereiche, wie Bildung und Gesundheit thematisierten. Des Weiteren waren Bilder von zerstörten Gebäuden zu sehen,
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welche der benötigten Infrastruktur oder auch lediglich zur Ästhetisierung des Stadtbilds weichen mussten. Auch der massive Einsatz der Unidade de Polícia Pacificadora, der polizeiliche Willkür sowie Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden, war dokumentiert. Die gesamte Planung und Finanzierung der Ausstellung, die Auswahl der Fotografien, das Verfassen der Ausstellungstexte sowie der Aufbau wurden durch die studentischen Mitglieder von OXIS realisiert. Zur Ausstellungseröffnung konnten die Studierenden auch den Fotografen Luiz Baltar nach Bonn einladen, der in seinem Eröffnungsvortrag über die Situation vor Ort informierte. Am 20. Oktober 2014 wurde der Kulturgruppe OXIS im Rahmen der Eröffnung des Akademischen Jahres der Initiativpreis der Universitätsgesellschaft Bonn verliehen, was zeigt, dass die Ausstellung weit über die Grenzen der Abteilung für Altamerikanistik Eindruck gemacht hatte.7 Abb. 2: Plakat zur Ausstellung »Copa para quem?«
Foto: Luiz Baltar. Plakatgestaltung: Anna Burzywoda. 7
Zu den weiteren Aktivitäten von OXIS zählte beispielsweise die Organisation eines Filmfestivals zu Lateinamerika. Vgl. http://www.iae.uni-bonn.de/abteilung/fachschaft _OXIS (letzter Aufruf 24.04.2015).
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Eine weitere Ausstellung, die gemeinsam mit Studierenden im Rahmen einer Lehrveranstaltung unter der Leitung von Beatrix Hoffmann erarbeitet worden war, wurde im Februar 2015 eröffnet. Sie stellte Objekte der BASA aus dem Amazonasgebiet Objektfotografien des Ethnologischen Museums Berlin gegenüber.8 Neben diesen größeren Ausstellungsprojekten wurde der BASA-Baukasten mittlerweile mehrfach genutzt, um studentische Projekte und Seminararbeiten in kleinerem Rahmen der Öffentlichkeit zu präsentieren.9 Dank der Variabilität des BASA-Baukastens können diese Ausstellung nach der Konzeption in vergleichsweise kurzer Zeit aufgebaut werden. Studierende präsentieren ihre Arbeitsergebnisse auf diese Weise sowohl den Angehörigen der Abteilung, den Museumsbesucher/-innen als auch den Passanten der Oxfordstraße. In diesen Projekten können erste ›Gehversuche‹ im Umgang mit Objekten, Texten und Bildern gemacht werden, die als Teil der Ausbildung anzusehen sind und im Einzelfall auch zu größeren Arbeiten innerhalb der BASA führen können. Mit dem Angebot neuer Sitzmöglichkeiten und dem Tresen in den Sammlungsräumlichkeiten hat sich aber auch der alltägliche Nutzungscharakter der BASA verändert. Sie wurde zu einem Aufenthaltsraum, der besonders seitens der Studierenden rege genutzt wird. Durch die Lage neben der Abteilungsbibliothek wurde die BASA zu einer Erweiterung des Lesesaals in dem Studierende an Projekten arbeiten, diskutieren aber auch eine kurz Erholungspause einlegen können. Der flexible Umgang mit der Ausstellungsarchitektur macht sich ferner in der Durchführung von Veranstaltungen bemerkbar. Neben Semesterauftaktveranstaltungen wurde der Raum in der kurzen Zeit seit der Neueröffnung bereits sowohl für Buchpräsentationen, Filmvorführungen als auch für Theaterstücke genutzt. Auch für Gastwissenschaftler diente die BASA bei der Aufnahme von Objekten als willkommener Studienraum.
E IN E XPERIMENTIERMUSEUM
IM
U NIVERSITÄTSALLTAG
Auch wenn Universitätsmuseen und wissenschaftliche Sammlungen in den letzten Jahren einen Bedeutungszuwachs erlebt haben, müssen sie doch weiter daran arbeiten, als wesentlicher Bestandteil der universitären Infrastruktur und als innovativer Teil der wissenschaftlichen Lehre und Forschung anerkannt zu werden. So
8
http://www.altamerikasammlung.uni-bonn.de/sonderausstellung (letzter Aufruf 24.04.
9
Zum BASA-Baukasten vgl. Abb. 1 im Beitrag von Noack in diesem Band.
2015).
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kritisiert Cornelia Weber: »Oft interessiert sich eine Universitätsleitung erst dann für ihre Sammlungen, wenn ein größeres Jubiläum ansteht« (Weber 2012: 272). Ziel muss es daher sein, Universitätsmuseen und wissenschaftliche Sammlungen zu einem, positiv betrachtet, ›gewöhnlichen‹ Bestandteil des Universitätslebens zu machen. In der Abteilung für Altamerikanistik ist die BASA als Experimentiermuseum heute ein fester Bestandteil von Lehre und Forschung, aber auch der Pausen dazwischen, kurz: des Alltags. Viele verschiedene Personen haben sich den Raum zu Eigen gemacht und es vergeht kaum ein Tag, an dem die BASA unbelebt ist. Auch wenn sich eine vergleichsweise kleine Universitätssammlung in vielen Aspekten nicht mit den großen Museumszentren messen kann, so bildet doch auch sie mit großer Selbstverständlichkeit »einen Marktplatz von Ideen, der Raum für Gespräche bietet« (Meijer-van Mensch 2012: 87). Der »latente Wert von Sammlungen«, wie ihn Wolfgang Marquardt betont hat, kann nicht von der Hand gewiesen werden. Mit jeder neuen technischen Errungenschaft oder theoretischen Wende können Objekte neue Erkenntnisse preisgeben. Dies ist aber nur möglich, wenn Menschen in die Sammlungen kommen und mit den Objekten arbeiten, sei es im Rahmen großer oder kleinerer Forschungsprojekte, sei es für eine – große oder kleine – Ausstellung. Die Mitarbeiter/-innen der Sammlungen haben die Aufgabe, diese zu einem selbstverständlichen und alltäglichen Teil des universitären Lebens zu machen und Studierenden, Forschenden und Lehrenden einen Ort zu bieten, der zum aktiven Umgang mit den vielfältigen Objektwelten einlädt. Von Blockbuster-Veranstaltungen, der Verwendung möglichst aufwändiger digitaler Ausstellungselemente oder großen szenographischen Installationen sind Universitätsmuseen in der Regel weit entfernt. Stattdessen stehen Projekte und Veranstaltungen im Vordergrund, die in Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Akteuren neue Wege gehen. Die BASA ist gerade aufgrund ihres unprätentiösen Charakters für experimentelle Vorgehensweisen bei Forschungs- und Ausstellungsprojekten offen. Der ›Bau- und Experimentierkasten Universitäts-Museum‹ bildet per se ein Labor, das es sowohl Studierenden als auch erfahrenen Akademiker/-innen erlaubt, neue Forschungs- und Präsentationsansätze in die Praxis umzusetzen. Für die Zukunft bleibt die Aufgabe, diese Chance im Lehr- und Forschungsalltag der Universität noch einmal verstärkt und Disziplinen übergreifend zu nutzen.
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L ITERATUR Becker, Thomas. 1998. Georg August Goldfuß und die Begründung der Naturwissenschaften in Bonn. In: Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn (Hg.). Chronik und Bericht über das Akademische Jahr 1997/98. Bonn: Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, 182-189. –– 2004. Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität. Ansichten – Einblicke – Rückblicke. Bonn: Sutton Verlag. Göller, Josef-Thomas 1986. Zur Geschichte der Völkerkunde an der Universität Bonn. Bonn: Bonner Amerikanistische Studien. Hundeshagen, Bernhard. 1832. Die Stadt und Universität Bonn am Rhein. Bad Honnef. Junker, Thomas. 2012.Grundphänomen des Lebens. Sammeln und Horten – eine menschliche Eigenart? In: Forschung & Lehre 4/12: 280. Marquardt, Wolfgang. 2012. Wissenschaft braucht Sammlungen. Die ›Entdeckung‹ des Werts von Objekten als Forschungsinfrastrukturen. In: Forschung & Lehre 4/12: 268. Meijer-van Mensch, Léontine. 2012. Von Zielgruppe zu Communities. Ein Plädoyer für das Museum als Agora einer vielschichtigen Constituent Community. In: Gesser, Susanne, Angela Jannelli, Sibylle Lichtensteiger und Martin Handschin (Hg.). Das partizipative Museum. Zwischen Teilhabe und User Generated Content. Neue Anforderungen an kulturhistorische Ausstellungen. Bielefeld: transcript, 86-94. Weber, Cornelia. 2012. Universität der Dinge? Akademische Sammlungen im modernen Wissenschaftsbetrieb. In: Forschung & Lehre 4(12): 272-274. Wissenschaftsrat. 2011. Empfehlungen zu Forschungsinfrastrukturen in den Geistes- und Sozialwissenschaften. Berlin. (http://www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/10465-11.pdf (letzter Aufruf 26.04.2015).
Museen der ›Weltkulturen‹ oder Museen ›zwischen den Welten‹? P EGGY G OEDE M ONTALVÁN
Das griechische Wort mουσεῖον (museion) bezeichnete ursprüngliche eine Stätte, die den Musen geweiht war. Das ›Museum‹ war als Ort des Studiums und der schönen Künste gedacht. Doch was verstehen wir heute unter einem ›Museum‹? Wofür steht es? Da der Museumsbegriff in Deutschland nicht geschützt ist, bezeichnet der Terminus viele sehr unterschiedliche Einrichtungen, wie z. B. Kunstoder archäologische Museen, Freilicht-, Kinder- und Heimatmuseen, Universitätssammlungen, Wissenschaftszentren, Ausstellungen auf Flughäfen, in Banken und vieles mehr (vgl. Dauschek 2001: 14). Der Vielfalt der Einrichtungen entspricht die Diversität der Aufgaben, die mit diesen Institutionen verbunden werden. Doch trotz all ihrer Unterschiede liegt den Museen ein gemeinsamer Grundauftrag zugrunde (vgl. Neudert 2002: 3364). Der Definition des Internationalen Museumsrates (ICOM) zufolge ist ein Museum »[…] eine gemeinnützige, auf Dauer angelegte, der Öffentlichkeit zugängliche Einrichtung im Dienste der Gesellschaft und ihrer Entwicklung, die zum Zwecke des Studiums, der Bildung und des Erlebens materielle und immaterielle Zeugnisse von Menschen und ihrer Umwelt beschafft, bewahrt, erforscht, bekannt macht und ausstellt« (ICOM 2003: 28). Dem zufolge bestehen die Kernaufgaben eines Museums im Sammeln, Bewahren, Forschen und Vermitteln bzw. Ausstellen. Zu diesen traditionellen Tätigkeitsfeldern scheinen allerdings aktuell immer mehr hinzuzukommen. In seinem 2014 erschienenen Buch »Müde Museen« resümiert Daniel Tyradellis die Lage wie folgt:
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»Die Museen sind müde. Müde davon, dass es immer mehr von ihnen gibt. Müde, unter ständigen schwierigeren ökonomischen Bedingungen arbeiten zu müssen. Müde vom dauernden Legitimationsdruck als teure Kulturinstitution. Müde davon, als Musentempel, Unterhaltungs- und Bildungsanstalt, regionaler Standortvorteil und Tourismusattraktion mit Erwartungen überhäuft zu werden. Müde von immer neuen Wellen medialer Innovationen: von der schon antiquiert wirkenden Diaprojektion über Videomonitore, Touchscreens und Richtlautsprecher bis hin zu Audioguides, Animationen und interaktiven Apps. Kurz: Sie sind müde davon, nicht mehr in Ruhe ihre Arbeit tun zu können« (Tyradellis 2014: 9).
Tyradellis‘ Zitat zeigt die wachsenden Anforderungen und Erwartungshaltungen denen sich Museen gegenübersehen. Auch ethnologische Museen sind davon betroffen. Sie bilden Teil eines schnelllebigen Alltags mit einer sich stetig wandelnden Gesellschaft, steigenden Forderungen nach Partizipation und Kooperation auf verschiedenen Ebenen, einem allgegenwärtigen web 2.0 und den damit verbundenen veränderten Denk- und Handlungsweisen sowie dem wachsenden Anspruch einer Forschertätigkeit im Museum. Zu den unterschiedlichen Bezeichnungen, die für ethnologische Museen existieren (vgl. die Einführung zu diesem Band) sind in den letzten Jahren auch Bezeichnungen wie ›Museum der Kulturen‹ bzw. ›Weltkulturen‹ hinzugekommen. Doch stehen ethnologische Museen nicht viel eher zwischen den verschiedenen Welten, seien es gesellschaftspolitische, digitale, unterhaltungstechnische oder akademische? Auf welche Weise müssen sich ethnologische Museen all den neuen Wünschen und Forderungen anpassen? Sind sie von all den Aufgaben tatsächlich überfordert wie es Tyradellis andeutet? Der folgende Beitrag strebt keine umfassende Analyse der aktuellen Entwicklungen an. Stattdessen will er in Form einer knappen Skizze einen Überblick über wesentliche Herausforderungen geben, denen sich ethnologische Museen des 21. Jahrhunderts stellen müssen.
AKKUMULATION DER AUFGABEN DURCH GESELLSCHAFTLICHEN W ANDEL Zu den Rahmenbedingungen, die sich auf die ethnologische Museumsarbeit auswirken, zählen sowohl gesellschaftspolitische Aufgaben, Erwartungshaltungen der Besucher/-innen als auch der gewandelte institutionelle Kontext, innerhalb dessen Museen ihre Aufgaben wahrnehmen. Museen sind Teil unserer Gesellschaft und wie diese einem steten Wandel unterworfen. Das wirkt sich auch auf die ethnologischen Museen aus. Besonders seit
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den 1970er Jahren kamen neben den Grundaufgaben eines Museums vermehrt gesellschaftspolitische Aufträge hinzu. Das Museum wurde zum »gesellschaftlichen Lernort« deklariert (Hense 1990; vgl. auch Spickernagel/Walbe 1976); »viele Museumspädagogen verstanden sich selbst als Kultursozialarbeiter. Neben den klassischen Aufgabenfeldern des Museums [...] wurde der Aspekt des ›Bildens‹ unter emanzipatorischen Gesichtspunkten neu akzentuiert« (Bräunlein 2003: 58). Die stärkere Zuwendung der Museen zu sozialen Aufgaben war ein besonderer Schwerpunkt der sogenannten »Neuen Museologie« (vgl. Ganslmayer 1989). Diese formte sich in den 1980er Jahren und führte zu einem tiefgreifenden Wandel in der Museumslandschaft. Neben dem Sammeln, Bewahren, Forschen und Ausstellen sollten Museen nun auch aktiv zur Bildungs- und Integrationsarbeit beitragen und Orte der Begegnung und Diskussion ›für Alle‹ sein. Für das Ende des 20. Jahrhunderts brachte Stephen Weil die geforderte Transformation dahingehend auf den Punkt, dass ein Wandel stattfinden müsse vom »being about something to being for somebody« (Weil 1999: 229). Ethnologische Museen sehen sich dabei mit einem breitgefächerten Publikum konfrontiert. Neben Einzelbesuchern verschiedener Herkunft, diversen Alters und mit unterschiedlichem sozialen Hintergrund treten äußerst heterogene Gruppen – wie Schulklassen, Wissenschaftler/-innen, Tourismusagenturen, Kulturpolitiker/ -innen oder auch Vertreter/-innen indigener Gemeinschaften (die sogenannten source communities) – den ethnologischen Museen mit mannigfachen Interessen gegenüber (vgl. Dauschek 2001: 15). Zugleich stehen die Museen im Wettbewerb untereinander, wenn es darum geht, Besucher/-innen zu erreichen, sie zu einem Museumsbesuch zu motivieren und für die eigenen Objekte und Themen, die sie repräsentieren, interessieren zu können. Darüber hinaus müssen sie mit den neu entstandenen Konkurrenten, den Wissenschaftszentren, Themen-, Freizeit- und Erlebnisparks konkurrieren (vgl. Müller-Straten 2002: 3359). Hier wird verstärkt auf publikumsattraktive Themen und auf den Einsatz neuer Medien gesetzt. Es geht um ›verstehendes Erleben‹, um Edutainment. Diese Erwartungshaltung setzt sich beim ›normalen‹ Museumsbesuch fort, so dass auch von dieser Seite neue Forderungen formuliert werden. »[...] in der Museumslandschaft wird eine neue Qualitäts- und Relevanzdebatte geführt. Der allgemeine Tenor lautet: Wir brauchen nicht mehr Museen in Deutschland, sondern bessere, das heißt besser ausgestattete, lebendigere, zeitgemäßere und vielleicht auch andere Museen, um den bildungspolitischen Auftrag erfüllen zu können. Zu Recht werden die Museen heute aufgerufen, sich zeitgemäß zu positionieren, zu definieren und zu profilieren« (Graf/Rodekamp 2012: 9).
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R EPRÄSENTATIONSKRITIKEN Parallel zu diesen Entwicklungen entspannen sich Debatten um die Repräsentationsformen ethnologischer Museen. Diese gerieten seit den 1970ern zunehmend in die Kritik und sahen sich einer Vielzahl von Vorwürfen ausgesetzt, wie beispielsweise einer stereotypen Inszenierung außereuropäischer Völker als ›Primitive‹, ihrer Kategorisierung als ›Andere‹ oder der Darstellung hybrider Gesellschaften als homogene Völker (vgl. Collet 2009: 53). Eine interessante Gemengelage für eine geforderte Neuorientierung ergibt sich dabei, wenn die wissenschaftliche Kritik nicht mit der Erwartungshaltung der Besucher/-innen konform geht. So muss gefragt werden, ob sich das Bild der ›Anderen‹ in unserer heutigen pluralistischen und oft weitgereisten Bevölkerung wirklich grundlegend geändert hat. Nach wie vor scheint bei Teilen des Publikums die Erwartung zu existieren, dass z.B. Ausstellungen über Amazonasvölker eine ›exotische Atmosphäre‹ ausstrahlen müssen oder Bilder von ›primitiven‹, federgeschmückten Menschen zeigen sollen, die von ›den Weißen‹ ausgebeutet werden (vgl. Collet 2009: 53). Bei altamerikanischen Kulturen dagegen werden häufig besonders viele Goldobjekte in der Ausstellung erwartet. Besucher/-innen von der untergeordneten Bedeutung des in Europa so wertvollen Edelmetalls in altamerikanischen Kulturen zu überzeugen, ist kein einfaches Unterfangen. Für den Erfolg von Ausstellungen können äußerliche Faktoren eine entscheidende Rolle spielen. Eine gut erhaltene, farbenprächtige Keramik ist oft ›ausstellungswirksamer‹ als ein simpel erscheinender Stein, auch wenn dieser aus diversen Gründen für die source community oder die Wissenschaft das wertvollere Objekt darstellen mag. Wird die Erwartungshaltung von Besucher/-innen nicht erfüllt, kann es zu Beschwerden kommen, was sich schlimmstenfalls in einem Besucherrückgang äußert und finanzielle Auswirkungen mit all den damit verbundenen Folgen für das Museum hat. Eine – aus ethnologischer Sicht – angemessene Darstellung und die – nicht zuletzt von Kulturpolitiker/-innen formulierte – Forderung nach der ›Quote‹ (= einer hohen Besucherzahl) sind nicht immer leicht zu vereinen. Trotz möglicher Konsequenzen muss es jedoch zum Bildungsauftrag ethnologischer Museen zählen, den Klischees über andere Völker entgegenzusteuern (vgl. z.B. Edenheiser, Lewy, Seiderer und Slenczka in diesem Band).
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R EAKTIONEN ETHNOLOGISCHER M USEEN Die Vielzahl der neuen Aufgaben und der diversen Erwartungshaltungen machten eine Neuverortung der ethnologischen Museen im 21. Jahrhundert notwendig. Die Lösungsansätze der Museen fielen dabei äußerst unterschiedlich aus und zeigten sich u.a. in Namensänderungen, Neukonzeptionen oder Sonderausstellungen zu brisanten Debatten. Äußerlich zeigt sich die Neuorientierung an Umbenennungen einiger Häuser zu Beginn des neuen Jahrtausends. Anstelle der früheren ›Völkerkunde‹-Museen finden sich nunmehr Bezeichnungen wie ›Welt‹-Museen oder Museen der ›Weltkulturen‹, so beispielsweise in Köln, Frankfurt, Göteborg, Rotterdam oder Wien (vgl. Förster 2013: 189). Jüngstes Beispiel für eine Umbenennung bildet das ehemalige Staatliche Museum für Völkerkunde München, das sich seit September 2014 als Museum Fünf Kontinente bezeichnet, sich dabei jedoch, ähnlich anderer ›Welt‹-Museen, allein den außereuropäischen Gesellschaften widmet. Besondere Diskussionen entbrennen zurzeit um das für 2019 geplante Humboldt-Forum in Berlin, das die Kulturen der diversen Kontinente unverändert räumlich trennen und außereuropäische Gesellschaften zumindest formal als ›die Anderen‹ präsentieren wird (vgl. Bose 2013; vgl. auch Groschwitz und Scholz in diesem Band). Konzeptuelle Veränderungen in der ethnologischen Museumslandschaft zeigen sich in umfassenden oder teilweise veränderten Sammlungsaufstellungen und programmatischen Neuausrichtungen. So brachte der Umzug des RautenstrauchJoest-Museum in Köln in neue Räumlichkeiten eine komplette Neugestaltung seiner Dauerausstellung mit sich, die vergleichend kulturelle Elemente diverser Gesellschaften aufzeigt anstatt diese geographisch zu trennen (vgl. Slenczka in diesem Band). Für seinen Beitrag zum interkulturellen Dialog wurde das Kölner Museum im Jahre 2012 mit dem Museumspreis des Europarates prämiert. In einer weiteren musealen Neuausrichtung wich das Konzept der früher weit verbreiteten ›Magazinausstellung‹, die eine Fülle des in einem Haus vorhandenen Museumsinventars zeigte, einer stark selektiven Objektauswahl. Das Ethnologische Museum Berlin reduzierte erst vor wenigen Jahren die Ausstellungsstücke in seiner der Inka-Gesellschaft gewidmeten Sektion. Der Blick des Besuchers soll sich bei derart gestalteten Ausstellungen u.a. auf ausgewählte Objekte konzentrieren anstatt den Betrachter mit einer Fülle von Material, die ihn als solche oftmals ermüdet, zu überschwemmen. Kritisch sei hier anzumerken, dass solche Reduktionen die Gefahr bergen, dass nun scheinbar einige wenige Stücke exemplarisch für eine Kultur, für ein Thema stehen sollen. Um dem Besucher nach wie vor einen Eindruck der oftmals umfangreichen Museumssammlungen vermitteln zu können,
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werden in einigen ethnologischen Museen Schaudepots in die Ausstellungsflächen integriert, wie es beispielsweise auch für das Humboldt-Forum in Berlin geplant ist. Bei der Neukonzeption der Museen spielen zahlreiche ethnologische Überlegungen eine Rolle, wie die nach der möglichen Thematisierung von kulturellen Diversitäten einerseits und transkulturellen Verflechtungen andererseits (vgl. z.B. die neue Dauerausstellung des Kölner Rautenstrauch-Joest-Museums). Darüber hinaus stellt sich den ethnologischen Museen die Frage nach der Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte und ihrem kolonialen Erbe. Auch eine mögliche Verbindung der meist historischen Sammlungen mit zeitgenössischen Debatten bildet einen Teil der Überlegungen. Für diesbezügliche Diskussionen eigenen sich Ausstellungen dabei besonders als Plattformen. Die Ausstellung »Andenken an den Kolonialismus« des Völkerkundlichen Instituts der Universität Tübingen beleuchtete in den 1980er Jahren die Präsentation der Kolonialisierten und die Propagierung von Stereotypen (vgl. Harms 1984). Das experimentelle Projekt »The Subjective Object – Von der (Wieder-) Aneignung anthropologischer Bilder« des Grassi Museum für Völkerkunde zu Leipzig stellte im Sommer 2012 mit Hilfe der fotografischen Sammlung des deutschen Anthropologen Egon von Eickstedt Darstellungspraktiken im Museum und das Abbilden des ›Anderen‹ in den Vordergrund (vgl. Springer 2012). Die Sonderausstellung »Ware und Wissen: or the stories you wouldn’t tell a stranger«, die 2014 im Weltkulturen Museum Frankfurt gezeigt wurde, warf dagegen kritische Fragen zum Forschungs- und Bildungsauftrag eines ethnologischen Museums in Deutschland auf (vgl. Deliss/Mutumba 2014). Auch gesellschaftspolitisch aktuelle Thematiken werden den Besucher/-innen mit Hilfe von Ausstellungen nahegebracht. So fand im Museum für Völkerkunde Hamburg 2011 mit der Sonderausstellung »Afrikaner in Hamburg« eine museale Vernetzung der Gesellschaften statt. Das Museum machte hierbei Interkulturalität deutlich, indem es einen Blick auf afrikanische Lebenswelten in Hamburg warf. Die Ausstellung beleuchtete die Geschichten auf dem Weg in ein Leben nach Deutschland, und die Konfrontation von Afrikaner/-innen mit Stereotypen und Vorurteilen (vgl. Köpke 2011). Ein Jahr später griff dasselbe Museum mit der Ausstellung »Brisante Begegnungen – Nomaden in einer sesshaften Welt«, die in Zusammenarbeit mit Mitarbeiter/-innen des Sonderforschungsbereiches »Differenz und Integration« der Universitäten Halle und Leipzig konzipiert wurde, die aktuelle Debatte um Migration, Differenz und Integration auf. Eine didaktische Besonderheit der Ausstellung bestand darin, die Besucher/-innen durch das ganze Museum ›migrieren‹ zu lassen, um den nomadischen Gedanken auf den Muse-
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umsbesuch zu übertragen (vgl. Nippa 2011). Kurz danach, von 2012-13, unternahm das Grassi Museum für Völkerkunde zu Leipzig mit der Ausstellung »Geteilte Erde - Shared Ground« eine ungewöhnliche Gegenüberstellung von zeitgenössischen Bildern indigener australischer Künstler aus der Sammlung Bähr mit Keramiken der deutschen Künstlerin Lotte Reimers (vgl. Reimers/Bähr 2013). Als letztes hier erwähntes temporäres Projekt mag die Fotoausstellung »UN/SICHTBAR« des Museum Fünf Kontinente in München dienen, die von Juni 2014 bis Januar 2015 auf die weltweit existierende Gewalt gegen Frauen aufmerksam machte (vgl. Woehrl/Salm-Reifferscheidt 2014). In einem festen Bestandteil seiner Dauerausstellung widmet sich dagegen das Rautenstrauch-Joest-Museum in Köln mit dem Themenbereich »Der verstellte Blick: Klischee und Vorurteil« der Auseinandersetzung mit der Präsentation des Fremden. Ein eigens eingerichteter ›Klischee-Container‹ wirft hierbei einen kritischen Blick auf Vorurteile gegenüber afrikanischen Gesellschaften und argumentiert multimedial dagegen. Wie die zahlreichen Beispiele belegen, haben und nutzen ethnologische Museen die Möglichkeit, Besucher/-innen an gegenwärtige Themen heranzuführen, sie für Probleme, Widersprüche und Konflikte zu sensibilisieren, zum Nachdenken anzuregen und ein globales Verständnis zu fördern.
P ARTIZIPATION
ALS
W EG ZUR N EUAUSRICHTUNG
Bei der Behandlung aktueller Thematiken können ethnologische Museen jedoch nicht als institutionelle Inseln handeln. In unserer heutigen globalen Gesellschaft gibt es immer stärkere Forderungen nach Partizipation. Diese Rufe erfolgen von verschiedenen Seiten, so zum Beispiel von source communities, Museumsbesucher/-innen oder von Forscher/-innen. Inwiefern gehen ethnologische Museen jedoch auf solcherlei Ansprüche ein und in welcher Art und Weise werden diese Einbindungen gegebenenfalls vorgenommen? Partizipation findet, wenn überhaupt, bisher hauptsächlich bei der Ausstellungskonzeption und -rezeption statt, nicht aber in den anderen Hauptbereichen der Museumsarbeit, also beim Sammeln, Bewahren und Erforschen (vgl. Ackermann et al. 2013: 11). Kooperationspartner von ethnologischen Museen sind dabei häufig andere Museen, Forschungseinrichtungen oder Universitäten (vgl. Buijs/ Van Broekhoven 2010: 12). Immer mehr fordern jedoch die Angehörigen der Gesellschaften, aus denen die vorhandenen Sammlungen stammen, ein Mitspracherecht bei der Behandlung und Präsentation ›ihrer‹ Objekte und deren Geschichte ein (vgl. Muñoz 2012: 125). Die Reaktionen darauf sind bisher sehr unterschiedlich, doch bemühen sich
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einzelne ethnologische Museen zunehmend darum, individuelle indigene Stimmen in ihr wissenschaftliches Konzept zu integrieren (vgl. Rein 2010; siehe auch Scholz in diesem Band). Einbindungen in anderen musealen Bereichen müssten jedoch verstärkt werden. Wertvoll wäre das Wissen von source communities z.B. bei der Konservierung und Restaurierung von Objekten. Auch beim Erforschen der Sammlungen ist ihr Blickwinkel von zentraler Bedeutung. Die Zusammenarbeit mit den source communities wurde u.a. sicherlich durch die Diskussionen um Repatriierungen erschwert. Deutsche Museen sind in Bezug auf Rückgabeforderungen sehr vorsichtig, auch wenn einige ethnologische Museen sensible Sammlungen, wie die menschlicher Überreste, mittlerweile sehr diskret oder gar nicht mehr öffentlich ausstellen und über etwaige Rückführungen diskutieren. Das Open Lab Projekt »Ware und Wissen: Der Weg zurück« des Weltkulturen Museum Frankfurt befasste sich 2014 mit dem Sujet der Repatriierung und ging auf die Rückgabe von Objekten und menschlichen Überresten ein. Dem brisanten Thema wurde auch mit der Gründung der Arbeitsgruppe »Human Remains« des Deutschen Museumsbundes Rechnung getragen, die ein Positionspapier mit »Empfehlungen zum Umgang mit menschlichen Überresten in Museen und Sammlungen« erarbeitete, das die gängige Ausstellungspraxis kritisch hinterfragt und Empfehlungen für den künftigen musealen Umgang mit diesen Zeugnissen individueller menschlicher Existenz ausspricht (Deutscher Museumsbund 2013).1 Eine weitere Herausforderung stellt sich ethnologischen Museen bei der Einbeziehung der Museumsbesucher/-innen. Linda Norris wies darauf hin, dass schon der Terminus ›Besucher‹ diesen eine passive Rolle zuschreiben würde.2 Es ist für Besucher/-innen jedoch wichtig, eine Beziehung zu einem Museum aufzubauen, mit der Sammlung in gewisser Weise zu interagieren. Viele ethnologische Museen versuchen daher ihr Publikum durch interaktive Medien miteinzubeziehen.
1
Auch von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz wurde inzwischen eine diesbezügliche Leitlinie erarbeitet. Vgl. http://www.preussischer-kulturbesitz.de/schwerpunkte/ provenienzforschung-und-eigentumsfragen/umgang-mit-menschlichen-ueberresten.html (letzter Aufruf 13.04.2015).
2
Linda Norris, Blog »Museums, Politics and Power«, Eintrag am 19.03.2014: »Visitor? That means it’s not your place, it’s ours. Audience? We want you to be passive. Guest? Still our place. And online? Why do we call them users, when we don’t called those who visit in person users?«. http://museumspoliticsandpower.org/2014/03/19/what-doyou-call-the-people-who-come-to-your-museum-and-those-who-dont/ (letzter Aufruf 15.04.2015).
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P ARTIZIPATION
DURCH DEN
ODER
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E INSATZ DIGITALER M EDIEN
Sogenannte ›neue Medien‹ haben unsere Welt in den letzten Jahren nachhaltig verändert. Neue Formen der Kommunikation wie das web 2.0 und das mobile Internet haben einen wachsenden Einfluss auf die Vermittlung von Kultur und Wissen. Die Erfahrungen des Internets als sozialer Raum, in dem sich neue Partizipationspraktiken entwickelt haben, transformierten auch die Vorstellung vom Museum (vgl. Ackermann et al. 2013: 12). Die neuen Angebote verändern nicht nur die Wahrnehmung und Erschließung, sondern auch den Austausch und sogar die Entwicklung kultureller und wissenschaftlicher Inhalte. Bei diesem Wandel geht es im Museumsbereich nicht nur um neue Technologien, sondern vor allem um die damit verbundenen Denk- und Arbeitsweisen. Das web 2.0 steht für Dialog und Austausch. Soziale Netzwerke wie Facebook, Twitter etc. ermöglichen eine direkte Kommunikation mit den Museumsbesucher/-innen und auch eine ständige Evaluierung durch sie. Für das Museum eröffnet diese Außenrepräsentanz neue Perspektiven, eine Chance auf mehr Kommunikation, Interaktion, umfassendere Vermittlung, eine verstärkte Werbewirkung und letztendlich auf höhere Besucherzahlen (vgl. Deeg 2012: 21; vgl. auch Weidner 2001: 2620). Die mit der Einbeziehung des web 2.0 verbundenen positiven Aspekte der Interaktivität und der Partizipation gehen jedoch mit einem unberechenbaren Verhalten der Nutzer/-innen einher. Online-Kommentare erscheinen meist direkt und ungefiltert. Bei einer wirklichen Interaktivität können Veränderungen und Verbreitungen von Inhalten nicht unterbunden bzw. gesteuert werden. Auch sind Inhalte wie Texte und Objektfotos relativ ungeschützt. Das Museum verliert durch die Verbreitung im Netz auch die Kontrolle über die korrekte Darstellung seiner intendierten Botschaft, da das digitale Zielpublikum, im Gegensatz zum physischen Museumsbesucher, unbekannt ist. Zu Bedenken ist auch der hohe Arbeitsaufwand, den die Pflege eines ständig aktuellen Internetauftrittes und die damit verbundenen Personalkosten bedeuten (vgl. Schmitt 2013: 40). Wie sinnvoll ist der Einsatz digitaler Medien im Museum selbst? Eine Diskussion ist um die sogenannten ›Museumsselfies‹ entbrannt, bei denen sich Personen vor Museumsobjekten fotografieren. Hier liegt eine Form der Interaktion des Besuchers mit dem Ausstellungsobjekt vor, die sein Interesse für das Objekt wecken und ihn zu einem erneuten Museumsbesuch animieren mögen. Wieder ist die Verbreitung und Verwendung des Fotos und die dadurch vermittelte Botschaft vom Museum nicht kontrollierbar, von verletzten Urheberrechten bei der Ablichtung
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des Originals einmal ganz abgesehen. In vielen Häusern sind solcherlei Selbstaufnahmen vor Objekten daher verboten, was häufig Enttäuschung und Unzufriedenheit der Besucher/-innen nach sich zieht. Neue Medien können jedoch innerhalb des Museums gezielt eingesetzt und genutzt werden. Multimediale Präsentationen und interaktive Anwendungen erschließen neue Wege in der Ausstellungsvermittlung und tragen darüber hinaus zur Barrierefreiheit bei. Audiovisuelle Führer wie Podcasts, Vodcasts oder auch QR Codes bieten digitale Text-, Bild- und Klanginformationen zu einzelnen Themen und Objekten an. Das Projekt »Audio Guide Special – Storylines« des Humboldt Lab Dahlem, das vom 9. November 2014 bis 6. April 2015 im Ethnologischen Museum Berlin präsentiert wurde, untersuchte in diesem Zusammenhang die diversen Möglichkeiten akustischer Führer in ethnologischen Ausstellungen.3 Auch spezifisch zugeschnittene Museum-Apps oder digitale Spiele kommen in einigen ethnologischen Museen zum Einsatz. Komplexe Zusammenhänge prägen sich auf diese Weise einsichtiger und nachhaltiger ein. Erweiterte Möglichkeiten der Partizipation wie die Integration ›indigener Stimmen‹ werden von Museen jedoch nur selten genutzt. Der Einsatz digitaler Medien in ethnologischen Museen findet auch auf anderer Ebene statt, wie die enorme Zunahme von Digitalisierungsprojekten in den letzten Jahren zeigt (vgl. Hoffmann in diesem Band). Ganze Sammlungen sind inzwischen digital erfasst und teilweise bereits öffentlich zugänglich gemacht worden. Die Verbreitung der aufgezeichneten Informationen ist essentiell für den Austausch und stellt eine weitere Möglichkeit zur Partizipation dar. Digitale Sammlungen stehen weltweit und jederzeit zur Verfügung, wodurch sich der Bekanntheitsgrad eines Museums erhöht und mehr Besucher/-innen und Forscher/innen angezogen werden. Durch den erweiterten Kreis kommen von allen Teilen der Welt unterschiedliche Fragestellungen auf. Je nach wissenschaftlicher Ausrichtung der Forscher/-innen werden dieselben Objekte u.a. unter ethnologischen, archäologischen, historischen oder kunstgeschichtlichen Gesichtspunkten mit spezifischen Forschungsfragen betrachtet und die Ergebnisse idealerweise auf der jeweiligen Museumsplattform gesammelt präsentiert. Darüber hinaus kommt es durch digitale Sammlungen zu einer teilweisen Repatriierung, da die visuelle Verfügbarmachung von Objekten für source communities in gewisser Weise eine virtuelle Rückgabe darstellt.
3
Hörproben und Textbeigabe des Projektes »Audio Guide Special – Storylines« des Humboldt Lab Dahlem sind verfügbar unter http://www.humboldt-forum.de/humboldtlab-dahlem/projekte/audio-guide-special-storylines/ (letzter Aufruf 15.04.2015).
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Ohne Zweifel bietet der Einsatz neuer Medien ethnologischen Museen mannigfaltige Möglichkeiten als Austausch-, Informations-, Kommunikations- und Marketinginstrumente. Die Gefahren eines Kontrollverlustes bei Rezeption und Verbreitung durch diese Medien sind jedoch nicht unerheblich. Zudem ist ihr Einsatz häufig mit hohem Personal- und Zeitaufwand und folglich mit Kosten verbunden. In jedem Fall müssen ethnologische Museen auch im Zeitalter des museum 2.0 darauf achten, die Balance zwischen einer zeitgemäßen Präsentation und einer Interaktion mit den Besuchern/-innen zu finden und ihren Bildungsauftrag nicht zu vergessen, der vor reiner multimedialer Unterhaltung rangieren sollte. Ethnologische Museen repräsentieren und adressieren Menschen. Bei der Neuverortung der Museen sollte eine partizipative Einbindung unterschiedlicher Seiten daher unumgänglich sein. Durch den Einsatz digitaler Medien finden Interaktionen bereits auf diversen Ebenen statt. Doch gerade was die traditionellen Bereiche Sammeln, Bewahren und Erforschen betrifft, gibt es noch viel Potential für Kooperationen. Besonders im Bereich der Forschung ist eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen Museum und Universität gefordert.
F ORSCHEN
IM
M USEUM –
EINE
U TOPIE ?
Wie gezeigt, sehen sich ethnologische Museen zahlreichen neuen Herausforderungen gegenüber. Durch diese Mehrbelastung können traditionelle Aufgaben im Museum oftmals nicht mehr die gleiche Rolle spielen wie zuvor (vgl. Ganslmayr 1989: 79). Speziell die Forschung in Museen kommt in der Praxis oft zu kurz. Es stellt sich daher die Frage: »Sind Museen nach wie vor Orte wissenschaftlicher Forschung oder beschränken sie sich, vielleicht notgedrungen, auf Konservierung und öffentlichkeitswirksame Aufbereitung der Forschungsergebnisse anderer?« (Münzel/Kraus 2000: 11; vgl. auch Powroznik in diesem Band). Programme, wie die 2008 entstandene Initiative »Forschung in Museen« der VolkswagenStiftung fördern Museen in ihrer Funktion als Forschungsinstitutionen. Hierbei werden kooperative Projekte befürwortet, die in Zusammenarbeit mit einer Universität entstehen und bei denen museale Sammlungen in Hinblick auf gemeinsam erstellte wissenschaftliche Fragestellungen untersucht werden. Kooperationen zwischen Museen und Universitäten erfolgen weiterhin in gemeinsam erstellten Ausstellungskatalogen oder in von Studierenden in den Museen durchgeführten Praktika. Auch unterrichten Museumskustod/-innen an Universitäten oder Seminare werden von Dozent/-innen in Museen abgehalten. Darüber hinaus kommen regelmäßig Forscher/-innen in die Museen, um dort ihre Untersuchungen an bestehenden Sammlungen durchzuführen.
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Ein verstärkter Austausch zwischen Universität und Museum wäre jedoch in vielerlei Hinsicht wünschenswert. Die Dichotomie ›Museum und Universität‹ erschiene dann »nicht als trennende Zweiteilung, sondern als methodische Zweigleisigkeit, die die Vielschichtigkeit der Annäherungsmöglichkeiten an fremde Kulturen besser auszuschöpfen hilft« (Kraus 2003: 11). Eine Chance, beide Institutionen zu verbinden, bieten ethnologische Universitätssammlungen, wie sie beispielsweise in Bonn, Göttingen, Marburg, Mainz, Tübingen oder Zürich existieren (vgl. Natho/Schmitz, Noack und Powroznik in diesem Band). Dort wird Studierenden ein erster Einblick sowohl in die Forschung als auch in die kuratorische Praxis ermöglicht. In universitären Sammlungen haben neben Forscher/-innen aus aller Welt auch Studierende die Möglichkeit mit originalen Objekten zu arbeiten. Im Jahre 2013 wurde auf der jährlichen ICOM Tagung vom International Committee for University Museums and Collections (UMAC) eine Resolution zur Anerkennung der Bedeutung von Universitätssammlungen und deren Schutz verabschiedet.4 Wie beschrieben wird Forschung an ethnologischen Museen entgegen bestehender Kritiken durchaus praktiziert, entweder im Zusammenhang mit universitären Kooperationen oder bei Sammlungsbearbeitungen, die durch die Museumsmitarbeiter/-innen selbst oder von Gastforschern/-innen durchgeführt werden.
E THNOLOGISCHE M USEEN ZWISCHEN
DEN
W ELTEN ?
Ethnologische Museen des 21. Jahrhunderts sind das Ergebnis tiefgreifender, sich weiterhin fortsetzender Transformationen. An die Museen werden zahlreiche und vielfältige neue Forderungen nach Partizipation, Kooperation, nach aktiver Forschung, nach Auseinandersetzung mit gesellschaftspolitischen Belangen, dem Erfüllen ihres Bildungsauftrages und nicht zuletzt nach verstärkter Wirtschaftlichkeit gestellt. Können und müssen ethnologische Museen diese Aufgaben nun alle erfüllen? Durch neue Ausstellungsformen, kreative Angebote für Besucher/-innen und den Einsatz digitaler Medien begleiten ethnologische Museen gesellschaftliche Entwicklungen und bieten unterschiedliche Möglichkeiten zur Partizipation. Zahlreiche museale Neukonzeptionen und Ausstellungsprojekte spiegeln die aktive Rolle ethnologischer Museen bei gesellschaftspolitischen Fragestellungen und
4
Vgl. UMAC 2013. http://publicus.culture.hu-berlin.de/umac/pdf/UMAC%20Resolution%20on%20protection%20of%20University%20collections%20final%20version.pdf (letzter Aufruf 14.04.2015).
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Debatten wider und zeigen sie als Impulsgeber für die akademische Forschung. Die Balance zwischen all diesen Anforderungen zu finden ist schwer. Letztendlich befinden sich die ethnologischen Museen auf einer ständigen Gratwanderung zwischen den unterschiedlichen neuen Aufgaben und Erwartungshaltungen. Sie bewegen sich tatsächlich ›zwischen den Welten‹.
L ITERATUR Ackermann, Felix, Anna Boroffka und Gregor H. Lersch. 2013. Partizipative Erinnerungsräume. In: Ackermann, Felix, Anna Boroffka und Gregor H. Lersch (Hg.). Partizipative Erinnerungsräume: Dialogische Wissensbildung in Museen und Ausstellungen. Edition Museum, 5. Bielefeld: transcript, 9-20. Bose, Friedrich. 2013. The Making of Berlin’s Humboldt-Forum: Negotiating History and the Cultural Politics of Place. In: darkmatter Journal. http://www.darkmatter101.org/site/2013/11/18/the-making-of-berlin%e2%80% 99s-humboldt-forum-negotiating-history-and-the-cultural-politics-of-place/ (letzter Aufruf 24.11.2013). Bräunlein, Peter J. 2003. Religion(en) im Museum: Einige Anmerkungen zu irritierenden Erfahrungen. In: Kraus, Michael und Mark Münzel (Hg.). Museum und Universität in der Ethnologie (Curupira Workshop 8). Marburg: Curupira, 57-76. Buijs, Cunera und Laura Van Broekhoven. 2010. Introduction. In: Van Broekhoven, Laura, Cunera Buijs und Pieter Hovens (Hg.). Sharing Knowledge and Cultural Heritage: First Nations of the Americas. Studies in Collaboration with Indigenous Peoples from Greenland, North and South America (Mededelingen van het Rijksmuseum voor Volkenkunde, Leiden No. 39). Leiden: Sidestone Press, 7-16. Collet, Dominik. 2009. The Museum Predicament: Representing Cultural Encounter in Historical and Contemporary Collections. In: Juterczenka, Sünne und Gesa Mackenthun (Hg.). The Fuzzy Logic of Encounter: New Perspectives on Cultural Contact. Münster: Waxmann, 53–74. Dauschek, Anja. 2001. Museumsmanagement: Amerikanische Strategien in der deutschen Diskussion. Schriften des Freilichtmuseums am Kiekeberg, Bd. 38. Ehestorf: Freilichtmuseum am Kiekeberg. Deeg, Christoph. 2012. Technik, Kultur und Menschen verbinden. In: Kulturbetrieb 1: 21.
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Partizipative Museumsforschung und digitale Sammlungen: Chancen und Grenzen B EATRIX H OFFMANN
E INLEITUNG Die Worte ›partizipativ‹ und ›digital‹ markieren zwei zentrale Herausforderungen der gegenwärtigen Museumsarbeit, deren erfolgreiche Bewältigung über die Zukunftsfähigkeit von Museen als räumlich-institutionellem Rahmen von WissensDing-Sammlungen entscheiden könnte. Sammlungen von zumeist dreidimensionalen natürlichen oder artifiziellen Objekten werden spätestens seit der Antike mit dem Ziel der Wissensproduktion und Welterklärung zusammengetragen, wobei sich die Kontexte ihrer Aufbewahrung und Bereitstellung in Abhängigkeit von den gesellschaftlichen Bedingungen und den konkreten Fragestellungen wandelten. Dieser Wandel als Kontinuum im Umfeld der Sammlungen, und ab Mitte des 18. Jahrhunderts auch des Museums, ist es, der ihnen über Jahrhunderte hinweg bis in die Gegenwart den Bestand als Basis der Wissensproduktion sicherte. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs führten politische Entwicklungen und gesellschaftskritische Diskurse in Nordamerika und im westlichen Europa dazu, dass die Bedeutung von Museen und den dort aufbewahrten Sammlungen hinterfragt wurde. Dies führte die Institution Museum im Verlauf der 1960er Jahre in eine Existenzkrise (Schneede 2000: 7), die es mit der Neubestimmung seiner Funktion als einer Institution nicht nur in, sondern auch für die Gesellschaft bewältigte (vgl. Ganslmayr 1989: 79). Konkret bedeutete dies eine Ausdehnung des musealen Öffentlichkeitsverständnisses, indem die Museen die Gesellschaft offensiv in ihre Arbeit einzubeziehen begannen. Auch der Übergang zum digitalen Zeitalter mit der Möglichkeit, die bisherigen physisch-räumlichen Grenzen einer Sammlung aufzuheben, indem sie scheinbar unendlich ausgedehnt und von jedem Ort der Welt zugänglich gemacht werden kann, wirkt auf die Existenzbedingungen des
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Museums ein. Dies bedeutet nicht automatisch sein Ende, aber notwendigerweise einen weiteren Wandel, also die Fortsetzung der Transformation. Mit der Einführung elektronischer Systeme in die Museumsarbeit, der Digitalisierung von Sammlungsbeständen und der Internetpräsentation auf eigenen Homepages stellen sich die Museen seit Beginn der 1990er Jahre dieser Herausforderung. Die Einbeziehung digitaler Medien hat dem Museum eine weitere Dimension der Öffentlichkeit gebracht (Guedalia 2007: 23), deren Potentiale jedoch längst nicht ausgeschöpft sind. Besonders im Bereich der Online-Bereitstellung von Informationen über die Sammlungen, der Online-Recherche in den Museumsdatenbanken mit der Möglichkeit der individuellen Zusammenstellung virtueller Sammlungen, ist die Online-Präsenz noch stark ausbaufähig. Laut der statistischen Gesamterhebung des Instituts für Museumsforschung – Staatliche Museen zu Berlin (IfM – SMB) von 2013 scheint die Befürchtung, durch eine Online-Bereitstellung von Informationen über Sammlungen und Objekte Besucher zu verlieren, der Grund für die immer noch relativ kleine Anzahl von deutschen Museen zu sein, die ihre Sammlungs-Datenbanken über das Internet zugänglich machen (IfM 2014: 53). Weder lässt sich diese Befürchtung in der Praxis bestätigen, noch sind die Museen gut beraten, diese Haltung künftig beizubehalten. So bietet eine über das Museum hinausreichende Öffnung der Arbeit mit digitalen Sammlungen bisher kaum erforschte Potentiale, um methodische Konzepte der Partizipation anzuwenden und weiterzuentwickeln. Der vorliegende Beitrag diskutiert am Beispiel ethnographischer Museen Chancen und Grenzen der Einbeziehung digitaler Sammlungen in die Forschung unter Anwendung partizipativer Methoden. Im ersten Abschnitt wird das Konzept der Partizipation als methodischer Leitfaden der new museology vorgestellt und davon ausgehend als Teil des Wandlungsprozesses von Museen und WissensDing-Sammlungen eingeordnet. Der zweite Teil des Beitrages gibt einen Überblick über Formate digitaler Sammlungen und eine Einschätzung ihrer Vor- und Nachteile für die ethnographische Museumsarbeit. Im letzten Abschnitt wird ein Forschungsvorhaben vorgestellt, das die Weiterentwicklung partizipativer Methoden ausgehend von der Arbeit mit digitalen Sammlungen anstrebt.
B ESTEHEN FÜR DIE Z UKUNFT : W ISSENS -D ING -S AMMLUNGEN
IM
W ANDEL
Das Museum als allgemein zugänglicher, räumlich-institutioneller Rahmen zur Aufbewahrung und Bereitstellung von Wissens-Ding-Sammlungen hat sich über mehrere Jahrhunderte hinweg entwickelt (vgl. Abt 2006: 115ff.; Fliedl 2007;
P ARTIZIPATIVE M USEUMSFORSCHUNG
UND DIGITALE
S AMMLUNGEN
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Hoffmann 2012: 9ff.) und endgültig im 18. Jahrhundert1 mit der Gründung des British Museums in London (1753) und der Eröffnung der Französischen Nationalmuseen in Paris (ab 1793) als gesellschaftliche Institution etabliert (Fliedl 2007: 25; Grasskamp 1981: 21). Nach einer Phase der Ausdifferenzierung in einzelne Spartenmuseen während des 19. Jahrhunderts, die zugleich ein Spiegel der Herausbildung neuer wissenschaftlicher Disziplinen waren, erlebten insbesondere National-, Geschichts- und Provinzial-, aber auch ethnographische Museen bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts eine große Blüte. Eine der wichtigsten Funktionen dieser Museen war es, durch Konstruktionen des Eigenen und des Fremden in der Begegnung mit den ausgestellten Objekten nationale Identität zu stiften und zu stärken (vgl. Slenczka 2013: 33). In den ethnographischen Museen erfolgte dies im Kontext kolonialer und evolutionistischer Diskurse vor allem im Gegenüber zum und in der Abgrenzung vom kulturell Fremden und Anderen. Dieser Ansatz sowie das Aufkommen eines kulturellen Aktivismus im Bestreben, Anschluss an die führenden europäischen Nationen Frankreich und England zu finden, führten in Deutschland u.a. zu einem Gründungsboom von Museen (vgl. Fischer et. al. 2007: 2). In diesem gesellschaftlichen Kontext wurden auch die meisten ethnographischen Museen gegründet: Zehn der dreizehn heute auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland eigenständig existierenden, weder universitär noch konfessionell verankerten ethnographischen Museen2 wurden zwischen 1862 (ehemaliges Staatliches Museum für Völkerkunde München, heute Museum Fünf Kontinente) und 1913 (Südsee-Sammlung Obergünzburg) gegründet.3 Der größte Teil des Sammlungsbestandes dieser Museen gelangte vor Ende des Ersten Weltkriegs in ihren Besitz. Doch mit dem Ende des deutschen Kolonialismus 1918 und des europäischen Kolonialzeitalters in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sowie mit dem Beginn einer kritischen Aufarbeitung dieser Epoche, mit der Zunahme individueller Mobilität sowie der sich ständig erweiternden 1
Das British Museum ist keineswegs das weltweit erste Museum im Sinne einer öffentlich zugänglichen Wissens-Ding-Sammlung. Die Sammlungen der Medici waren ab 1582 für Besucher geöffnet, wie auch andere italienische Privatsammlungen dieser Zeit (Fliedl 2007: 19). In England wandelte Elias Ashmole (1617-1692) seine Sammlungen in ein öffentliches Museum um, um ihren Bestand an der Universität Oxford über seinen Tod hinaus zu sichern (Abt 2006: 124f.).
2
Dazu zählen die Museen in München (1862), Leipzig (1869), Berlin (1873), Dresden (1876), Hamburg (1879), Witzenhausen (1900), Köln (1901), Frankfurt am Main (1904), Stuttgart (1911) und Obergünzburg (1913).
3
Zwei weitere Museen entstanden nach Ende des Ersten Weltkrieges: die Sammlung der Portheim-Stiftung in Heidelberg (1919) und das Karl-May-Museum in Radebeul (1928); für das Indianermuseum Bretten liegen mir keine Informationen vor.
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Zugänglichkeit bildbasierter Medien, welche andere Welten in die Kinosäle und Wohnzimmer brachten, begann die gesellschaftliche Relevanz ethnographischer Museen zu sinken, was diese unter Legitimierungsdruck setzte. Das Schicksal schwindender gesellschaftlicher Relevanz teilten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit den ethnographischen Museen Deutschlands auch die Museen anderer Sparten und anderer Länder, eine Entwicklung, die phasenweise in eine Existenzkrise führte (Schneede 2000: 7; Hauenschild 1988: 7).4 Für US-amerikanische Museen wurde dies angesichts des radikalen gesellschaftlichen Wandels infolge der Bürgerrechtsbewegung besonders deutlich. Der Kampf um politische Gleichberechtigung und soziale Anerkennung eines großen und bis dahin marginalisierten Teils der US-amerikanischen Bevölkerung, darunter Afroamerikaner, Puerto-Ricaner und lateinamerikanische Migranten, warf neue Fragen nach dem gesellschaftlichen Selbst- und Weltverständnis auf. Sie wurden von den Museen in ihrer bisherigen Form und den dort verwahrten Wissens-Ding-Sammlungen weder aufgegriffen noch beantwortet. Die Geschichte dieser nichtprivilegierten Bevölkerungsschichten kam in den Museen ebenso wenig zur Sprache wie ihre Lebenswirklichkeit (Ganslmayr 1989: 79f.). Dieser fehlende Bezug führte dazu, dass die überwiegende Mehrheit dieser Bevölkerungsgruppen niemals im Museum war. In Reaktion darauf und mit dem Ziel einer Neuausrichtung des Museums als Institution, die ihren sammlungsorientierten Fokus zugunsten der Wahrnehmung sozialer Verantwortung verschob, wurden neue Konzepte entwickelt, deren ideengeschichtliche und praktische Vorläufer bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts zurückreichten.5 Inmitten von Stadtteilen oder Gemeinden, deren Bewohner einen schwierigen sozialen und ökonomischen Alltag zu bewältigen hatten, wurden sogenannte Nachbarschaftsmuseen (Neighbourhood-Museum) gegründet (Ganslmayr 1989: 79; Hauenschild 1988: 11ff.). Sie zielten auf die Stiftung kultureller Identität sowie auf die Stärkung des Selbstbewusstseins sozialer oder ethnischer Minderheiten und förderten die Behandlung alltagsbezogener Fragestellungen, 4
Nach der Zählung Schneedes (2000: 7) war dies in Deutschland bereits die zweite von bisher drei Museumskrisen: Die erste setzte nach Ende der Monarchie im Zuge der gesellschaftlichen Neustrukturierung ein, die dritte ereignete sich ab Beginn der 1990er Jahre und war verursacht durch massive Mittelkürzungen, von denen Museen wie auch andere öffentliche Einrichtungen betroffen waren.
5
Zu den konzeptionellen Wegbereitern eines im Dienste der Gesellschaft stehenden, bildungs- und besucherorientierten Museums gehörte u.a. die Ausstellungsarbeit von Adolf Reichwein (1898-1944), der im Berliner Volkskundemuseum Ausstellungen konzipierte, in denen er die Objekte historisch, sozial und funktional kontextualisierte und somit neue Wege beschritt (vgl. Hauenschild 1988: 6).
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wie Ernährung oder Gewalt- und Suchtprävention. Davon ausgehend bildete die Einbindung der Stadtteil- bzw. Gemeindebewohner in die Museumsarbeit, angefangen von der Themenfindung bis hin zur Realisierung von Ausstellungen und anderen Veranstaltungen den wichtigsten methodischen Leitfaden dieser neuen Museen. Das Konzept der Partizipation und Kollaboration ist seinem Charakter nach verwandt mit der basisdemokratischen Grassroot-Bewegung, die Anfang des 20. Jahrhunderts in den USA entstand und auf die zivilbürgerliche Mitbestimmung und -gestaltung gesellschaftlicher Prozesse zielte (vgl. Assunção dos Santos 2010: 10). Somit waren die Nachbarschaftsmuseen als Institutionen von und für die umliegende Bevölkerung konzipiert, wobei diese zunächst erst einmal zur Partizipation befähigt werden musste (vgl. Hauenschild 1988: 59). Anders als die bereits etablierten Museen kamen Nachbarschaftsmuseen in ihrer Anfangsphase weitgehend ohne Wissens-Ding-Sammlungen aus. Diese wurden erst allmählich in den 1970er Jahren angelegt, als Fragen der kulturellen Identität verstärkt in den Vordergrund der thematischen Arbeit traten. Heute beherbergt z.B. das Anacostia Community Museum, eines der ersten Nachbarschaftsmuseen, das 1967 in einem überwiegend von Afroamerikanern bewohnten Washingtoner Stadtteil gegründet wurde, eine umfassende Sammlung zur lokalen, regionalen und nationalen Geschichte der Afroamerikaner.6 Mit seinem Fokus auf die Wahrnehmung sozialer Verantwortung und die Stärkung kultureller Identitäten durch eine Ausstellungs- und Veranstaltungstätigkeit, die flexibel auf Fragen der Alltagsrealität reagierte, wurde das Konzept des Nachbarschaftsmuseums seither vielfach rezipiert und eigenständig weiterentwickelt. In Mexiko bildeten sich die museos integrales und ab 1982 museos comunitarios als Orte der Identitätsbildung heraus. Sie wurden und werden zumeist auf Initiative einzelner Gemeinden gegründet und greifen Themen des unmittelbaren sozialen Umfeldes auf (vgl. Slenczka 2013). In Guatemala werden derzeit museos comunitarios von indigenen Gemeinschaften auch dazu genutzt, um die Erfahrungen mit dem Terror der Diktatur zu verarbeiten und dadurch ihre soziale Gemeinschaft zu stärken.7 Andere Museen, wie z.B. das Volkskundemuseum Wien, entwickelten auf der methodischen Grundlage partizipativer Arbeit mit Besuchern, die jedoch nicht nur aus der umliegend wohnenden Bevölkerung stammen, neue Ausstellungsformate. Dazu gehört die 2011 präsentierte Ausstellung »Familienmacher. 6
Vgl. http://anacostia.si.edu/Collections (letzter Aufruf 27.12.2014).
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Vortrag von Juan de Dios García (ADIVIMA, Guatemala) »La recuperación de la memoria histórica del pueblo Maya después conflicto armado en Guatemala« am 29.09.2012 auf der Tagung »Culturas de Memoria: Construcción, Protección y Conservación de patrimonio entre las tres Américas y Europa« im Museum der Kulturen Basel.
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Vom Festhalten, Verbinden und Loswerden«, in deren Gestaltung die Besucher einbezogen waren, indem sie Exponate mitbringen und/oder nach Hause nehmen und ihre Entscheidungen erläutern konnten (Nieradzik/Timm 2014). Die Entstehung neuer Museumsformen und die methodische Weiterentwicklung der Museumsarbeit zusammenfassend, prägte André Desvallées 1980 den Begriff »new museology« (Ganslmayr 1989: 83). Neben den Nachbarschaftsmuseen sind auch die Eco-Museen Teil dieser Entwicklung. Deren Konzept, das Georges-Henri Rivière seit den 1940er Jahren in Frankreich entwickelte, zielt auf die Überwindung der disziplinären Auffächerung in Spartenmuseen. Auf der Basis einer holistisch angelegten, transdisziplinären Sicht auf die natur- und kulturhistorische Entwicklung einer Region und seiner Menschen sollte das Eco-Museum zum Zentrum regionaler Identitätsstiftung werden (Hauenschild 1988: 72f.; Ganslmayr 1989: 82). Wenngleich ein festgeschriebenes Methodenkonzept den Grundideen der new museology, auf gesellschaftliche Bedürfnisse flexibel zu reagieren, wesenhaft widersprach, formulierten deren Protagonisten dennoch einen Aufgabenkatalog. Mit der Schaffung von kommunikativen Räumen, Angeboten identitätsstiftender Aktionsprogramme und der Erstellung von Lösungsansätzen zur Bearbeitung aktueller Problemfelder nicht nur für, sondern vor allem gemeinsam mit dem Publikum, zielte es radikal auf die Demokratisierung des Museums und der Kultur insgesamt (Ganslmayr 1989: 80). Die daraus resultierende Forderung nach der Wahrnehmung sozialer Verantwortung durch das Museum wurde für dessen Selbstverständnis so grundlegend, dass sie 1973 Eingang in die Statuten des Internationalen Museumsrates (ICOM) fand. Darin wird ein Museum als »a non-profit, permanent institution in the service of the society and its development, open to the public, which acquires, conserves, researches, communicates and exhibits the tangible and intangible heritage of humanity and its environment for the purposes of education, study and enjoyment« definiert.8 Von der new museology lernend, begannen auch ethnographische Museen, partizipative Methoden in ihre Arbeit zu übernehmen und verknüpften sie mit postkolonialen Diskursen (vgl. Slenczka 2013: 3, 24). Die Erprobung partizipativer Methoden konzentrierte sich seither auf die Zusammenarbeit mit Nachfahren der Gemeinschaften, die einst die Gegenstände produzierten und nutzten, und führte seit Beginn der 1990er Jahre zu einer stetig wachsenden Anzahl von Projekten. Führend sind in Europa die großen, nationalen Museen, wie das Museum
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ICOM Statut Artikel 3. Sektion 1, zuletzt überarbeitet und verabschiedet am 24.08.2007 in Wien; http://icom.museum/fileadmin/user_upload/pdf/Statuts/statutes_eng.pdf (letzter Aufruf 15.12.2014).
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Volkenkunde in Leiden, das Ethnologische Museum Berlin9 und das Weltmuseum Wien, aber auch das Museum der Kulturen Basel hat bereits in seinen Depots mehrere Forschungen zusammen mit Angehörigen von source communities durchgeführt. Da sich die europäischen ethnographischen Museen in großer räumlicher Distanz zu den Gesellschaften befinden, von denen sie Sammlungen materieller Kultur aufbewahren, erweist sich diese Form der Partizipation und kollaborativen Arbeit als große logistische und finanzielle Herausforderung. Die Arbeitsweise setzt den längerfristigen Museumsaufenthalt der indigenen Partner voraus, dem manchmal der Besuch von Museumsmitarbeitern in ihrer Gemeinschaft vorausging oder gelegentlich auch folgte. Zur Deckung der relativ hohen Reise- und Aufenthaltskosten müssen die Gelder zumeist eingeworben werden. Aufgrund von Reisebestimmungen in den Heimat- und/oder Zielländern kann die Vorbereitung von Europa-Aufenthalten, z.B. für Indigene aus Südamerika, sehr kompliziert und aufwändig sein. Der damit verbundene Organisationsaufwand ist enorm und erfordert lange Vorlaufzeiten, was einem der zentralen Anliegen der new museology, flexibel auf aktuelle Fragen und Bedürfnisse zu reagieren, grundlegend widerspricht. Ein weiterer Nachteil folgt aus der begrenzten Personenzahl, die auf diese Weise in die Museumsarbeit einbezogen werden kann. Zwangsläufig sind damit das Spektrum der Perspektiven und der Umfang des Wissensaustausches begrenzt. Ebenfalls von Nachteil ist die zumeist kurze Zeitspanne dieser Projekte, die nur einige Tage oder höchstens Wochen umfasst. Die Überwindung dieser Nachteile bietet einen methodischen Anknüpfungspunkt für die Arbeit mit digitalen Sammlungen, der zudem auch die Möglichkeit beinhaltet, eine bisher weitgehend unberücksichtigte Gruppe in die ethnographische Museumsarbeit einzubeziehen: die preserving society, die Gesellschaft, welche die ethnographischen Museen gegründet hat und als Teil ihres eigenen kulturellen Gedächtnisses bewahrt, auch wenn die Gegenstände ursprünglich aus fremden kulturellen Zusammenhängen stammen.
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Ein umfassender Überblick über kooperative Projekte an den einzelnen Häusern kann hier nicht gegeben werden, eines der jüngsten Projekte in der Amerika-Sammlung des Ethnologischen Museums in Berlin wurde u.a. von Michael Kraus mit Angehörigen der Desana und der Kotiria durchgeführt und von Andrea Scholz mit Vertretern der Universidad Nacional Experimental Indígena de Tauca (UNEIT) in Venezuela (vgl. Scholz in diesem Band).
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Waren es bisher vor allem gesellschaftliche Prozesse, die zu einem Wandel des räumlich-institutionellen Rahmens von Wissens-Ding-Sammlungen, zuletzt der Museen führten, ist es mit Beginn des digitalen Zeitalters nun erstmals eine technologische Revolution. Unter der Voraussetzung einer veränderten, nun virtuellen Materialität eröffnet sie der Konzentration von Wissens-Dingen einen neuen und scheinbar unbegrenzt ausdehnbaren Raum. Die Erfassung eines dreidimensionalen Wissens-Dinges als Datensatz, der im Vergleich zu seiner Vorlage einen Bruchteil an räumlicher Speicherkapazität benötigt, sowie die Möglichkeiten seiner bildlichen Wiedergabe und Verknüpfung mit anderen Informationen haben die Bedingungen für den Aufbau und die Konzeption von Wissens-Ding-Sammlungen grundlegend geändert. Nicht nur der Umfang, sondern auch die Zusammenstellung und der Zugang zu digitalen Sammlungen sind weitgehend befreit von den Grenzen physischer Räumlichkeit. Sind die technischen Voraussetzungen gegeben, kann eine digitale Sammlung grundsätzlich von jeder Person und an jedem Ort der Welt genutzt und auch erweitert werden – unabhängig davon, ob sie online oder stationär zugänglich ist. Dies bedeutet auch, dass damit die Singularität eines Gegenstandes relativiert wird: Digitalisierte Informationen, und somit auch digitale Sammlungen, können grundsätzlich zur gleichen Zeit vielfach und an räumlich weit auseinander liegenden Orten verfügbar gemacht werden. Verschiedene Gegenstände können, ohne dass sie in ihrer physischen Präsenz räumlich nahe beieinander sind, virtuell vereint und zueinander in Beziehung gesetzt werden. Dies bedeutet zugleich, dass in der digitalen Sammlung die ursprüngliche physische Vergesellschaftung eines Gegenstandes und die daraus folgende Ordnung innerhalb eines Konvolutes aufgehoben sind. Im Gegenzug jedoch kann bei einer digitalen Sammlung die Vergesellschaftung von Wissens-Dingen ausgehend von den jeweiligen Fragestellungen individuell und immer wieder neu festgelegt werden. Zugleich bieten digitale Sammlungen die Möglichkeit der Verknüpfung einer Vielzahl von Informationen, die an unterschiedliche Medien gebunden sind. Mit diesen Eigenschaften scheinen digitale Sammlungen in vielerlei Hinsicht den physischen Wissens-Ding-Sammlungen überlegen und könnten in der Zukunft zu einer Gefahr für die Existenz mancher Museen werden, wenn sie nicht umfassend für alle Aufgabenbereiche des Museums methodisch erschlossen werden (vgl. auch Antweiler in diesem Band). So bieten sie die technische Voraussetzung, um gesellschaftsfokussierte Museumsarbeit mit einer stärkeren Arbeit an
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den Objektsammlungen zu verknüpfen, die durch den Einfluss der new museology stärker an den Rand gerückt wurden. Gleichzeitig gilt es, das Spektrum unterschiedlicher Datenbank-Formate je nach Frage- und Aufgabenstellung auszunutzen und mit theoretischen Ansätzen zu verknüpfen. Im Folgenden werden drei Formate digitaler Sammlungen vorgestellt: 1) die Museumssammlung, 2) die thematische Materialsammlung sowie 3) die regionalspezifische Materialsammlung und ihr Potential für die Museumsarbeit bewertet. Dabei steht die Frage nach ihrer Eignung für die partizipative Museumsforschung im Fokus. Digitale Museumssammlungen basieren auf dem Objektbestand der jeweiligen Institution. Seit Beginn der 1990er Jahre erfassen deutsche Museen ihren Sammlungsbestand sukzessive in Datenbanken, die ausgehend vom jeweiligen Bedarf konzipiert und/oder angeschafft wurden.10 Als wichtigste Funktionen dieser Datenbanken nennt Hagedorn-Saupe (2004: 39) 1) die Katalogisierung der Sammlungen und die Objektverwaltung, 2) die Ausstellungsorganisation und 3) die Organisation des Leihverkehrs. Zunehmend werden sie auch zum Workflow-Management eingesetzt, d.h. zur Dokumentation und Optimierung von Arbeitsvorgänge im Museum. Die Nutzung für die Forschung oder Erprobung neuer methodischer Ansätze steht demnach nicht im Vordergrund der Funktionen, die diese Datenbanken erfüllen. Dem entspricht auch, dass immer noch ein verhältnismäßig kleiner Teil der Museen über das Internet Recherchen in seinen Objektdatenbanken anbietet. Dies waren laut statistischer Erhebung des Instituts für Museumsforschung im Jahr 2013 von insgesamt 6.358 Museen, die der Deutsche Museumsbund erfasst hatte, lediglich 174 Häuser (5,5%). Weitere 823 Museen bieten zu ausgewählten Objekten Informationen an (IfM 2014: 58, Tab.37). Mit Blick auf die ethnographischen Museen in Deutschland stellt sich die Situation wie folgt dar: von den 42 Museen, die entweder eine klar abgegrenzte ethnographische Sammlung als Teil eines breiter gefächerten Sammlungsbestandes besitzen oder als Ganzes ein ethnographisches Museum sind, bieten lediglich zehn Museen eine Online-Recherche in der Sammlungsdatenbank an. Das Ethnologische Museum Berlin, als größtes deutsches und eines der größten Museen seiner Art weltweit, präsentiert mit dem Stand vom Januar 2015 rund 62.000 Objekte online.11 Das sind etwa 12% seines gesamten Objektbestandes. Da die administrativen Funktionen im Vordergrund der Museumsdatenbanken stehen, ist deren Öffnung für die Nutzung außerhalb des Museums zumeist nicht 10 In einem Überblick über die in deutschen Museen eingesetzte Datenbanksoftware verwies Hagedorn-Saupe (2004: 39) darauf, dass im Jahr 2000 mindestens 20 unterschiedliche Systeme im Einsatz waren. 11 http://www.smb-digital.de (letzter Aufruf 06.01.2015).
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explizit vorgesehen.12 Dennoch zeichnet sich allmählich anhand zweier Aspekte ein Wandel ab. Museumbesucher werden nicht mehr nur als reale, sondern zunehmend auch als virtuelle Gäste umworben. Zum einen ist zu beobachten, dass der Internetauftritt von Museen kontinuierlich ausgebaut und verbessert wird. Von den im Jahr 2013 erfassten 6.383 Museen in Deutschland waren 4.303 Museen mit einer eigenen Website oder/und auf einer anderen Website vertreten (IfM 2014: 3). Wichtigste Informationskategorie sind alle Angaben, die der Vorbereitung eines Museumsbesuches dienen (IfM 2014: 55). Doch ist zu beobachten, dass zunehmend mehr Museen auch Veranstaltungskalender und das Abonnement von Newslettern anbieten, Informationen zur Sammlungsgeschichte und den Publikationen. Einige wenige Homepages bieten inzwischen auch die Möglichkeit der Kommunikation an, z.B. durch elektronische Gästebücher oder Online-Foren (IfM 2014: 59). Zum anderen gibt es sowohl auf nationaler, als auch auf europäischer Ebene Bestrebungen, nach und nach große Teile des kulturellen Erbes allen Menschen über das Internet zugänglich zu machen. In diesem Kontext wird seit 2001 das »Gemeinsame Portal zu Bibliotheken, Archiven, Museen« (BAM)13 aufgebaut, in dem die Bestände der beteiligten Institutionen sukzessive, wenn auch nicht umfassend, so doch zu großen Teilen zugänglich gemacht werden sollen. Derzeit ist es hauptsächlich auf eine wissenschaftliche Nutzung ausgelegt. Auf europäischer Ebene wurde 2003 das Projekt »ECHO – Cultural Heritage Online« (zuvor »European Cultural Heritage Online«)14 begonnen, das ebenfalls als geisteswissenschaftliche Infrastruktur konzipiert ist und Forschungsquellen zur Verfügung stellt. Im Hinblick auf eine Nutzung sowohl von Museumsdatenbanken als auch der genannten Portale durch Laien stellen augenblicklich Sprachbarrieren ein erhebliches Hindernis dar. Daher ist insbesondere für Angehörige der source communities deren Nutzung nur eingeschränkt möglich. Ein weiteres Hindernis stellen die Thesauri dar, die nicht nur für Laien, sondern oft auch für Fachwissenschaftler eine Herausforderung darstellen und die Nutzung der Datenbank erschweren. Einen weiteren Nachteil bilden die fehlenden Kommunikationsmöglichkeiten, um externes Wissen zur Verfügung zu stellen oder zu diskutieren. Der Weg über Museumsverantwortliche, wie Kuratoren oder Museologen, stellt in jedem Fall eine kommunikative Hürde dar und wirkt zugleich wie ein Filter. 12 In der Anleitung zum Aufbau von Datenbanken für Museumssammlungen von Guedelia findet sich z.B. kein einziger Hinweis auf die Einbeziehung bzw. Berücksichtigung von Museumslaien in die Datenbankkonzeption (vgl. Guedelia 2007: 13ff.). 13 www.bam-portal.de (letzter Aufruf 06.01.2015). 14 http://echo.mpiwg-berlin.mpg.de/home (letzter Aufruf 06.01.2015).
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Thematische Materialsammlungen sind digitale Sammlungen, die sich an einem thematischen Rahmen orientieren und daher zumeist Medien unterschiedlicher Formate und Herkunft zusammenführen. Das erste von drei hier vorzustellenden Beispielen ist das Louis Shotridge Digital Archive, welches vom University of Pennsylvania Museum bereitgestellt wird.15 Diese Datenbank ist eine Sammlung von rund 4.000 Digitalisaten zur Geschichte und Kultur der an der Nordwestküste Amerikas beheimateten Tlingit sowie der benachbarten Tsimshian und Athabasken. Es handelt sich hierbei um den Nachlass von Louis Shotridge (ca. 18821937), einem Tlingit, der im Auftrag und als Mitarbeiter des Pennsylvania Museums und als einer der ersten indigenen Ethnologen die Kultur seines Volkes auch fotografisch dokumentierte. Sein Nachlass, der heute in drei verschiedenen Institutionen16 aufbewahrt wird, umfasst mehr als 500 Objekte und etwa ebenso viele Fotografien sowie Korrespondenzen, Feldnotizen, Tonaufnahmen und administrative Unterlagen seiner kuratorischen Tätigkeit. Das Digitalisierungsprojekt wurde 2006 vom Pennsylvania Museum initiiert, welches damit auf das Interesse heutiger Tlingit reagierte, das von Shotridge gesammelte Wissen allgemein zugänglich zu machen und ihr Wissen über die eigene Geschichte und Kultur zu erweitern. Das digitale Archiv wurde in Zusammenarbeit mit Angehörigen der Tlingit konzipiert und steht seit 2011 online zur Verfügung. Ausgehend vom Bezugspunkt und Rahmen, den Louis Shotridge als Sammler bildet, vereint das Archiv Dokumente und Materialien unterschiedlicher Art, lokaler Herkunft und Aufbewahrungsorte: »It is now possible to read Louis's letters to Museum Director George Byron Gordon, to hear his sound recordings, to look at the photographs he took while in the field, and to see each of the objects he purchased from different Tlingit communities.«17 Darüber hinaus werden über das Portal des Louis Shotridge Digital Archives Informationen zur aktuellen Situation der Tlingit angeboten, ebenso eine Bibliographie der Tlingit-Literatur und eine Link-Liste zu Homepages, die von den Tlingit betrieben werden. Eine inhaltliche Erweiterung der Datenbank scheint zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht vorgesehen zu sein, der Rahmen orientiert sich an der Person Louis Shotridge.
15 Vgl. http://www.penn.museum/collections/shotridge/ (letzter Aufruf 4.1.2015). 16 Dies sind das University of Pennsylvania Museum in Philadelphia, die Alaska State Library in Anchorage bzw. Juneau und das Archive of Traditional Music an der Indiana University in Bloomington. 17 Vgl. http://www.penn.museum/collections/shotridge/index.html (letzter Aufruf 04.01. 2015).
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Ein weiteres Beispiel einer thematisch ausgerichteten digitalen Materialsammlung ist die Datenbank des 2002 von der VolkswagenStiftung aufgelegten und bis 2012 erneuerten Forschungs-Programms18 »Dokumentation bedrohter Sprachen« (DoBeS). In dieser Datenbank sind rund 50 indigene Sprachen auf der Basis von Film-, Ton- und Textbeispielen dokumentiert, deren Existenz aufgrund einer geringen Sprecherzahl akut bedroht ist. Das Material wurde zusammen mit Angehörigen der jeweiligen indigenen Gruppen erstellt, von Wissenschaftlern bearbeitet und in die Datenbank eingepflegt. Die Strukturen der einzelnen Spracharchive in dieser Datenbank wurden von den einzelnen linguistischen Arbeitsteams selbst erarbeitet. Sie konnten entscheiden, ob und in welchem Umfang sie die Indigenen dabei einbeziehen. In der Praxis erwies sich jedoch eine umfassende Einbeziehung der Indigenen als nicht realisierbar. Dies hätte neben den Feld-Workshops, in deren Verlauf gemeinsam mit den Indigenen die grundlegende Archivstruktur festgelegt wurde, auch längerer Arbeitsphasen außerhalb des Feldes bedurft. Denn die gemeinsame Arbeit an der Datenbank setzte eine leistungsfähige Internetverbindung voraus, die im Feld nicht gegeben war. Arbeiten mit den Indigenen, die Aufenthalte außerhalb ihrer Heimatorte voraussetzten, waren jedoch weder in Projektkonzeption noch im Finanzierungsplan vorgesehen. Derzeit ist nicht alles Material der Datenbank frei zugänglich. Wünsche der Indigenen, bestimmte Dokumente unter Verschluss zu halten, werden bisher berücksichtigt, wenngleich dies mit Hinweis auf die öffentliche Finanzierung des Dokumentationsprojektes bereits zur Disposition stand. Der Zugriff auf die Daten hingegen ist den Angehörigen der source communities möglich, einige haben zudem das aufgenommene Material als digitale Ressource erhalten.19 Das dritte Beispiel ist die Biblioteca Digital Curt Nimuendajú,20 eine thematische Materialsammlung, die sich auf Textdokumente konzentriert und ebenfalls einen linguistischen Fokus hat. Diese online zugängliche Materialsammlung entstand aus einer 2002 begründeten Mailing-Liste. Ziel der Biblioteca Digital Curt Nimuendajú ist das Sammeln von Literatur und Textdokumenten, die sich mit den indigenen Sprachen Südamerikas und mit Themen angrenzender Fachgebiete befassen, wie der Anthropologie, Archäologie und Ethnohistorie.21 Das zusammengetragene und teilweise erst selbst digitalisierte Material wird im Internet als Open Source-Quelle bereitgestellt. Alle Nutzer sind gleichzeitig eingeladen, sich am 18 Vgl. http://www.volkswagenstiftung.de/dobes-conference.html (letzter Aufruf 04.01. 2015). 19 Ich danke Sabine Reiter für die Informationen (schriftliche Mitteilung vom 08.07. 2014). 20 Vgl. http://www.etnolinguistica.org/eng (letzter Aufruf 06.01.2015). 21 Vgl. http://www.etnolinguistica.org/eng (letzter Aufruf 06.01.2015).
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weiteren Aufbau des Archivs zu beteiligen. Somit ist die Biblioteca Digital Curt Nimuendajú in ihrer jetzigen Gestalt eine Service-Datenbank, welche als bottomup-Projekt von Nutzern für Nutzer aufgebaut wird. Regionalspezifische Materialsammlungen sind in konzeptioneller Hinsicht mit den Eco-Museen vergleichbar und stellen eine Erweiterung der thematischen Materialsammlung dar, da sie auf die umfassende kulturhistorische Dokumentation einer Region und der dort lebenden Menschen zielen. Zu diesem Zweck werden in Bezug auf eine bestimmte Region Materialien zur Geschichte, zu den dort vertretenen Sprache(n) und Kultur(en) sowie zu den Umweltbedingungen erfasst. Derartige Datenbanken basieren auf der Zusammenarbeit unterschiedlicher Disziplinen und bieten zahlreiche Anknüpfungspunkte für die Einbeziehung der regionalen Bevölkerung. Ein Beispiel für eine regionalspezifische Materialsammlung ist das Portal »Digital Himalaya«.22 Es wurde im Jahr 2000 online gestellt und wird seither von Wissenschaftlern der Universitäten Cambridge und Yale betreut.23 Am Beginn des Projektes stand die Digitalisierung von fünf ethnographischen Archiven,24 deren Fotografien, Ton- und Filmaufnahmen, Feldnotizen und Texte aufgrund ihres Alters und der Aufbewahrungsbedingungen akut von der Zerstörung bedroht waren. Es handelte sich um Dokumente, die von Reisenden und Anthropologen, darunter dem Leiter des Projektes Mark Turin und seiner Kollegin Sara Shneidermann sowie Frederick Williamson, seit Beginn des 20. Jahrhunderts in Tibet, Nepal, Bhutan und im indischen Teil des Himalaya zusammengetragen wurden. Neben der Rettung dieser Dokumente ist es das Ziel des Projektes, das Material für die wissenschaftliche Forschung und für die Nutzung durch Angehörige der source communities bereitzustellen und zusammen mit ihnen Richtlinien zur Katalogisierung des Materials zu erarbeiten (Turin 2006: 2). Zwar wurden in die Konzeption und den ersten Aufbau der Datenbank des Projektes »Digital Himalaya« Angehörige von source communities nicht einbezogen, doch nachdem das Portal online gestellt wurde, entwickelte sich zwischen ihnen und den Projektwissenschaftlern ein dynamischer Austausch. Im Vordergrund steht dabei das Bestreben, sich historisches Wissen zur eigenen Vergangenheit anzueignen (Drew 2012; Shneidermann/Turin 2003). Gleichzeitig erweitern diese Nutzer die Datenbanken und stellen kontinuierlich weitere Informationen bereit, um Materialien bzw. Dokumente zu kontextualisieren, zu ergänzen oder 22 Vgl. http://www.digitalhimalaya.com/ (letzter Aufruf 06.01.2015). 23 Das sind Sara Shneiderman, Sarah Harrison und Alan Macfarlane unter der Leitung von Mark Turin. 24 Das Williamson Photographic Archive, die Fürer-Haimendorf Film Collection mit dem Haimendorf Filmarchiv, das Thak Archive und das Thangmi Archive.
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auch zu korrigieren. Häufig werden z.B. die Namen von Angehörigen mitgeteilt, die auf Fotografien erkannt wurden oder Details zu ihrer Person, was zu einem kontinuierlichen Ausbau der Datenbank beiträgt. Dieser Austausch transformierte die Datenbank von einem statischen Portal über Kultur und Umwelt des Himalaya zu einer dynamischen Online-Plattform, so dass die Beteiligung und Einbeziehung von Angehörigen der source communities schließlich das gesamte Projekt »into a collaborative digital-publishing endeavor« umwandelte (Drew 2012: 681). Die technischen Möglichkeiten der Gegenwart einbeziehend, hat sich das Portal »Digital Himalaya« als virtueller Raum für soziale Kontakte, aber auch als offenes und erweiterbares Archiv digitaler Wissens-Ding-Sammlungen etabliert. Solche als Archive konzipierten Portale sind daher »sites of interaction and energy, connection, and outreach« (Turin 2011: 451) und verknüpfen auf der Basis des Internets das Konzept des Nachbarschaftsmuseums mit dem des Eco-Museums. In dieser Verknüpfung eröffnen sie insbesondere ethnographischen Museen zukunftsfähige Wege, um auf die Herausforderungen der digitalen Revolution zu reagieren und sich auf neue Weise in den Dienst der Gesellschaft zu stellen. Grenzen der Partizipation in Bezug auf das Portal »Digital Himalaya« ergeben sich vor allem aus dem starken Bildungsgefälle zwischen den ländlich und städtisch beheimateten Angehörigen der source communities (Drew 2012), das sich ebenso zwischen den Generationen bemerkbar machen dürfte. Ein weiteres Beispiel ist die auf einem transnationalen Museumsverbund basierende Datenbank »Amazonian-Museum-Network: Collections from the Guayana-Shield«. Auch hier handelt es sich um eine regionalspezifische Materialsammlung als Erweiterung einer thematischen, deren Basis jedoch ausschließlich Museumssammlungen mit ihrer Objekt-Fokussierung sind. Es handelt sich um eine auf die Guayanas bezogene, also regionalspezifische Datenbank, in der die entsprechenden archäologischen, ethnografischen und perspektivisch auch die naturhistorischen und technischen Sammlungsbestände der beteiligten Museen nach und nach erfasst und online zugänglich gemacht werden. Grundsätzlich ist das Projekt offen für die Einbeziehung weiterer Museen mit entsprechenden regionalspezifischen Sammlungsbeständen, jedoch bleibt der Datenbankinhalt nach der jetzigen Konzeption auf die Erfassung dreidimensionaler Wissens-Dinge beschränkt. Zu den vier derzeit am Netzwerk beteiligten Museen gehören das Stichting Surinaams Museum (Paramaribo), das Museu Paraense Emílio Goeldi (MPEG, Belém), das Musée des Cultures Guyanaises (Cayenne) und das Musée Départamental Alexandre-Franconie (Cayenne).
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Das Portal des Netzwerkes wurde 2013 online gestellt25 und die Datenbank umfasst mit dem Stand vom Januar 2015 insgesamt 450 Objekte von 17 verschiedenen indigenen und afroamerikanischen Gruppen.26 Neben der virtuellen Zusammenführung der Guyanas-Sammlungen der beteiligten Museen zielt das Projekt darauf, den source communities das musealisierte, ethnographische Material als Teil ihres kulturellen Gedächtnisses wieder zugänglich zu machen, was als virtuelle Repatriierung konzipiert ist. Mit der Zugänglichmachung des Materials verknüpfen die Akteure des Netzwerkes, darunter Kuratoren, Sammlungsverwalter und Museumsverantwortliche, die Erwartung, dass es den Guayana-Völkern neue Impulse verleiht, sich für die Stärkung und den Erhalt ihrer kulturellen Identität einzusetzen. Um dies zu fördern, bietet das »Amazonian-Museum-Network« transnationale Workshops und Seminare zur Vermittlung und zum gegenseitigen Austausch von Wissen an, zu denen Multiplikatoren, wie Lehrer, Kunsthandwerker und hauptberufliche Kulturarbeiter, insbesondere auch indigene Museumsmitarbeiter, eingeladen werden.27
P ARTIZIPATIVE M USEUMSFORSCHUNG AUF DER B ASIS DIGITALER S AMMLUNGEN Die vorgestellten Formate digitaler Sammlungen beziehen unterschiedliche Materialgruppen ein und sind entweder im Kontext wissenschaftlicher Institutionen oder auch vollkommen unabhängig aufgebaut worden. Die drei Formate bieten in unterschiedlichem Maße Anknüpfungspunkte für die partizipative Einbeziehung von Laien, wobei die Museumssammlungen in ihrer bisherigen Form am wenigsten daraufhin ausgelegt sind. Sie sind als Instrumente der Museumsarbeit konzipiert, um vor allem der Sammlungsbewahrung und -erhaltung zu dienen. Als solche können sie zukünftig zugleich auch die Basis für den zeit- und ressourcenökonomischen Aufbau komplexerer und/oder spezialisierterer Datenbanken sein und sind somit eine Voraussetzung zur Erprobung neuer Methoden und Verbesserung der Forschungsflexibilität. Ausgehend von digitalen Museumssammlungen lassen sich beispielsweise themenspezifische Materialsammlungen, wie das Louis Shotridge Digital Archive, oder regionalspezifische Materialsammlungen, ähnlich dem Portal »Digital Himalaya« oder dem des »Amazonian Museum-Network«,
25 Vgl. http://amazonian-museum-network.org/en (letzter Aufruf 06.01.2015). 26 Vgl. http://amazonian-museum-network.org/en/collections (letzter Aufruf 06.01.2015). 27 Vgl. http://amazonian-museum-network.org/en/project/training (letzter Aufruf 06.01. 2015).
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aufbauen und auf die Einbeziehung von source communities und preserving societies hin konzipieren. Kritische Aspekte in Bezug auf die Arbeit mit digitalen Sammlungen unter Einbeziehung von Angehörigen der source communities ergeben sich z.B. im Kontext der Auswahl von geeigneten Personen. Welche gesellschaftlichen Gruppen sollten bzw. müssen vertreten sein, wer wählt sie aus? Welche Deutungshoheit besitzen die Personen und wie kann das Museum auf ideosynkratische Perspektiven Einzelner reagieren? Wie können gegensätzliche Positionen sichtbar gemacht werden? Wie ist dies mit dem wissenschaftlichen Anspruch vereinbar, allgemeingültige Aussagen zu treffen? Antworten auf diese und weitere Fragen lassen sich nur durch die Praxis entwickeln und werden dennoch nie statische Gültigkeit erlangen. Von den Überlegungen zu den Chancen der Einbeziehung indigener und außermusealer Perspektiven in die Museumsforschung auf der Basis der Arbeit mit digitalen Sammlungen ausgehend und die Herausforderungen annehmend, ist es das Ziel eines von der Abteilung für Altamerikanistik der Rheinischen FriedrichWilhelms-Universität Bonn geleiteten und unter Beteiligung des Instituts für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Goethe-Universität Frankfurt am Main und des Linden-Museums Stuttgart durchgeführten Forschungsprojektes Chancen und Herausforderungen auszuloten. Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Forschungsprojekt »Mensch-Ding-Verflechtungen in indigenen Gesellschaften: intra- und transkulturelle Prozesse objektbasierten Wissensaustauschs in den Guyanas« wird Prozesse des Wissenstransfers untersuchen und zugleich partizipative Methoden der Arbeit mit digitalen Sammlungen erproben. Das Vorhaben ist als transdisziplinärer Verbund von Ethnologie, Linguistik, Medien- und Museumswissenschaft konzipiert und wird ausgehend von musealen Sammlungen ein digitales Archiv der Kultur der Apalai-Wayana aufbauen, einer karibsprachigen Gruppe im Grenzgebiet von Brasilien, Französisch Guyana und Suriname. Ziel des digitalen Archivs ist zunächst, wie das des »Amazonian-MuseumNetwork«, eine virtuelle Repatriierung von in Europa musealisierten und archivierten Kulturgütern. Ausgangsbasis dafür werden Objekte und Archivdokumente der Bonner Altamerika-Sammlung (BASA), des Linden-Museums Stuttgart sowie des Museum der Kulturen Basel sein. Die Basis der Datenbank werden die ethnographischen Objekte bilden, die bildlich und deskriptiv in der Datenbank zu erfassen sind. Ergänzend werden objekt- und sammlungsbezogene Informationen mit der Datenbasis verknüpft. Schließlich werden auch Film-, Foto- und Tondokumente, welche sich zunächst auf die materielle Kultur der Apalai-Wayana, aber auch auf darüber hinausgehende Aspekte beziehen, in der Datenbank erfasst.
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In einem weiteren Schritt wird es darum gehen, in Zusammenarbeit mit den Apalai-Wayana das Spektrum ihrer aktuellen materiellen Kultur zu erfassen und Wandlungsprozesse zu dokumentieren. Gemeinsam mit den Indigenen werden dabei die zu dokumentierenden Aspekte ausgewählt und festgelegt. Ebenfalls wird im Verlauf des Projektes gemeinsam mit den Apalai-Wayana die Struktur einer weiteren Datenbank erarbeitet, welche das eigentliche Archiv ihrer Kultur sein wird. Diese Arbeit wird mit ihnen zusammen vor Ort, aber auch in der Bonner Altamerika-Sammlung und im Linden-Museum Stuttgart erfolgen. Dabei wird es auch um die Festlegung gehen, welche Daten miteinander verknüpft werden und in welchem Umfang das Archiv anderen Nutzergruppen zugänglich gemacht wird. Grundsätzlich soll die Datenbank den Apalai-Wayana ebenso wie der Museumsforschung und – gegebenenfalls mit festzulegenden Beschränkungen – auch Museumslaien, also Angehörigen der preserving society, zugänglich gemacht werden.
Z USAMMENFASSUNG Das beschriebene Forschungsvorhaben soll dazu beitragen, den Verbleib ethnographischer Sammlungen außereuropäischer Herkunft in europäischen Museen für die Zukunft zu sichern. Dies bedarf der Erfüllung zweier Voraussetzungen: 1) ethnographische Museen müssen sich nicht nur als Institution im Dienst derjenigen Gesellschaft präsentieren, von der sie finanziert werden, sondern auch all derer, von denen sie Teile des kulturellen Gedächtnisses aufbewahren. Dies bedeutet, dass die Sammlungen und das, was mit ihnen im Museum geschieht, in engerem Austausch mit Museumslaien einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden müssen. Dieser Austausch mit Museumslaien ist, wie die Protagonisten der new museology hervorhoben, unbedingt notwendig, um Bedürfnisse und Fragestellungen der Gesellschaften kennenzulernen, in deren Dienst das Museum steht. Zum anderen ist es erforderlich, dass die Sammlungen nicht nur nach besten konservatorischen Maßstäben aufbewahrt werden, sondern dass sie zugleich auch aus unterschiedlichen, nicht nur rein wissenschaftlichen Perspektiven, erforscht werden. Dies erfordert die kontinuierliche Einbeziehung der Herkunftsgemeinschaften und der preserving societies. Der Einsatz digitaler Sammlungen und moderner Kommunikationsmittel kann nicht nur die räumliche Entfernung zwischen Museum – source community und preserving society – überbrücken, sondern bietet auch die Voraussetzungen für eine kontinuierliche Zusammenarbeit zur Erfor-
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schung ethnographischer Museumssammlungen. Neueste Entwicklungen in Bezug auf den Einsatz digitaler Technik im Museum, den 3-D-Scannern und die Aussicht, bald kostengünstige 3-D-Drucker zur Verfügung zu haben, werden das methodische Spektrum der Museumsforschung auf der Basis digitaler Sammlungen immens erweitern. Das Berliner Museum für Naturkunde testet diese Technik bereits seit 2013 für den Einsatz im Museum.28 Sobald diese Technik in finanzieller Hinsicht für den Masseneinsatz bereitsteht, wird die virtuelle Repatriierung von Kulturgut eine neue Dimension erreichen. Es ist denkbar, dass z.B. ethnographische Sammlungen mit Hilfe der 3-D-Technik digitalisiert und dann dreidimensional ausgedruckt werden (vgl. Stromberg 2013).
L ITERATUR Abt, Jeffrey. 2006. The origins of the Public Museum. In: Macdonald, Sharon (Hg.). A Companion to Museum Studies. Malden MA: Blackwell, 115-134. Assunção dos Santos, Paula. 2010. To understand New Museology in 21st Century. In: Cadernos de Sociomuseologia – Sociomuseology III, 37: 5-12. Drew, Georgina. 2012. Digital Himalaya. In: American Anthropologist 114 (4): 680-681. Fischer, Manuela, Peter Bolz und Susan Kamel. 2007. Foreword. In: Fischer, Manuela, Peter Bolz und Susan Kamel (Hg.). Adolf Bastian and his Universal Archive of Humanity. The Origins of German Anthropology. Hildesheim, u.a.: Georg Olms Verlag, 1-8. Fliedl, Gottfried. 2007. Je näher man ein Wort ansieht, desto mehr zieht es sich zurück: Museum. Zur Geschichte des Museums. Reader zum Workshop 9. und 10. November 2007. Graz/Wien [Manuskript]. Ganslmayr, Herbert. 1989. Die Bewegung »Neue Museologie«. In: Auer, Hermann (Hg.). Museologie: neue Wege – neue Ziele. Bericht über ein internationales Symposium. München u.a.: Saur, 79-84. Grasskamp, Walter. 1981. Museumsgründer und Museumsstürmer. Zur Sozialgeschichte des Museums. München: C. H. Beck.
28 Vgl. http://www.naturkundemuseum-berlin.de/aktuelles/kurznachrichten/neueste-nach richten/?tx_ttnews%5Btt_news%5D=343&cHash=f75cd555ecf4522f9695764588657 cf9 (letzter Aufruf 10.01.2015).
P ARTIZIPATIVE M USEUMSFORSCHUNG
UND DIGITALE
S AMMLUNGEN
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Und was ist mit Europa? Zur Überwindung der Grenzen zwischen ›Europa‹ und ›Außer-Europa‹ in den ethnologischen Sammlungen Berlins H ELMUT G ROSCHWITZ
Der Ausgangspunkt der folgenden Betrachtungen ist eine Leerstelle. Bei den Planungen für das Humboldt-Forum, dessen Eröffnung für 2019 im rekonstruierten Berliner Stadtschloss gegenüber den Museen der Museumsinsel geplant ist, sollen – neben den Sammlungen der Humboldt-Universität und einer von der Stadt Berlin bespielten Abteilung – die ›außereuropäischen Sammlungen‹ der Dahlemer Museen, konkret das Ethnologische Museum und das Museum für Asiatische Kunst mit ihren Ausstellungen einziehen.1 Dagegen verbleibt das Museum Europäischer Kulturen, das 1999 aus der Fusion der Abteilung »Europa« des damaligen Museums für Völkerkunde mit dem Museum für Volkskunde entstanden war, weiterhin in Dahlem. Das häufige Reden über das ›Außereuropäische‹ in den Konzepten des Humboldt-Forums betont über die damit geschaffene Leerstelle gleichzeitig sehr stark die Frage nach ›Europa‹ in dem Neubau. »Warum gehört Europa nicht ins Berliner Schloss?« titelte 2011 die Frankfurter Allgemeine Zeitung (Kilb 2011) und griff damit einen Kritikpunkt auf, der häufig zu vernehmen ist. Auch das Humboldt-Forum bzw. das Ethnologische Museum Berlin stehen im Kontext jener Legitimationsprobleme vor postkolonialem Hintergrund, die vielerorts zu Neukonzeptionen und Umbenennungen von Völkerkundemuseen geführt haben. Beliebt ist dabei die Neuausrichtung als
1
Zu den Konzepten vgl. König 2008; Parzinger 2011; König/Scholz 2012; Stiftung Preußischer Kulturbesitz 2013; Bose 2013.
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›Weltmuseen‹2 und damit die Abkehr vom Museum als Ort der Musealiserung ›der Anderen‹ und des ›Fremden‹, wobei mit den neuen Namen aber oft nur verschleiert wird, dass Europa nach wie vor aus den betrachteten Gebieten ausgenommen bleibt. Für das Humboldt-Forum wurden als Namenspatrone die Brüder Alexander und Wilhelm von Humboldt gewählt, was in der Ausrichtung eine klare Blickrichtung von Europa, respektive Berlin, in die Welt impliziert. Aber insbesondere durch das Fehlen europäischer Ethnographica als Ergänzung zu den nicht-europäischen Sammlungen läuft das Berliner Modell Gefahr, die koloniale Unterscheidung des ›Wir und die Anderen‹ zu reproduzieren und durch die feste Zuordnung zu Museumsräumen zu zementieren. Gerade aus Sicht der Ethnologien – worunter hier alle Disziplinen gezählt werden sollen, die sich aus den Lehrstühlen für Völker- wie Volkskunde entwickelt haben – ist diese Trennung in ›Europa‹ und ›Nicht-Europa‹ mittlerweile unverständlich3 und ignoriert sowohl die letzten vier Jahrzehnte Wissenschaft als auch die postkoloniale Auseinandersetzung mit den eigenen Wissenschaftsgeschichten. Auch das Humboldt-Forum kann sich den postkolonialen Diskursen und der Aufarbeitung der eigenen Sammlungsgeschichte nicht entziehen. Die Herausforderung besteht zum einen darin, dass die überwiegend historischen Sammlungen von Objekten aus vergangenen Lebenswelten, die mit einem deutlichen Sammlungs-Bias und unter heute nicht mehr zeitgemäßen Prämissen (z.B. denen des Evolutionismus, der Kulturkreistheorie oder der Idee der ›Naturvölker‹) gesammelt wurden, für Fragen der Gegenwart nutzbar gemacht werden müssen. Zum anderen ist die Klärung der Modi der Erwerbungssituationen, die von Geschenk und Kauf bis hin zu Erpressung und Raub reichen, zentral, um den Ruch der ›Beutekunst‹4 ablegen zu können. In jedem Fall muss sich auch das HumboldtForum als Nachfolgeinstitution des Museums für Völkerkunde der Tatsache stellen, dass gerade die völkerkundlichen Museen im 19. Jahrhundert an der Konstruktion des ethnologischen Blicks, also der Schaffung der Blickregime auf das Fremde und damit dem Othering, der diskursiven Erzeugung des (als unterge-
2
Z.B. Weltkulturen Museum (Frankfurt am Main), Wereldmuseum (Rotterdam), Muse-
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Es sei angemerkt, dass diese ›europalose‹ Konzeption in der gesamten Zeit der Vorbe-
um der Kulturen (Basel), Världskulturmuseet (Göteborg), Welt Museum Wien. reitung und Umsetzung des »EuropaTest«, wie auch bei den von mir angebotenen Führungen, von Seiten verschiedener Wissenschaftler und Kuratoren aus unterschiedlichen Disziplinen nur auf Unverständnis stieß. 4
In diesem Zusammenhang kommt starke Kritik von der Initiative No Humboldt 21 (http://www.no-humboldt21.de, letzter Aufruf 21.03.2015), Vgl. auch Fuhr 2013; Kaschuba 2014.
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ordnet formulierten) ›Anderen‹ als Gegenpol zum (als überlegen wahrgenommenen) Eigenen beteiligt waren – aus dem dann Legitimationen für Hegemonie und Ausbeutung abgeleitet wurden (vgl. z.B. Laukötter 2013). Beim Humboldt-Forum, dem nach politischer Labelung »wichtigsten Kulturprojekt Deutschlands« (Parzinger 2011),5 wird stattdessen ›das Andere‹ zum zentralen Konzept, gerade durch die beharrliche Betonung des ›außereuropäischen‹ in den Konzeptpapieren. Es wird aber auch sichtbar in der Antrittsrede der Kulturstaatsministerin Monika Grütters vom 29. Januar 2014. In der Passage zum Humboldt-Forum betont sie: »3) Hier sollen sich die außereuropäischen Kulturen selbstbewusst und in eigener Regie präsentieren. 4) Die Neugier auf das Fremde, das Andere soll im stadträumlichen Bezug zu den Zeugnissen unserer europäischen Kunst- und Kulturgeschichte gegenüber der Museumsinsel Gestalt annehmen« (Grütters 2014). Nun können sich ›Kulturen‹ nicht selbst präsentieren, insbesondere, wenn die Museumsobjekte aufgrund der Erwerbung, Aneignung, Erforschung, Verortung und Präsentation in hohem Maße in europäische Geschichte, Machtstrukturen und Diskurse verwoben sind, und die Sammlungen und Ausstellungen oft mehr über die Sammler, Kuratoren und Besucher aussagen, als über die Dargestellten. Aus dieser Verwobenheit müssten die Objekte erst einmal ›befreit‹ werden – sofern dies überhaupt möglich ist. Stattdessen werden sie über die Konstruktion ›außereuropäische Sammlungen‹ in eurozentristischer Sicht wieder zu dem Anderen, dem Fremden. Oder ist die Betonung des ›außereuropäischen‹ als Indiz dafür zu lesen, dass man genau diese impliziten europäischen Aspekte nicht wahrhaben möchte?
W AS ,
WER ODER WO IST EIGENTLICH
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Es ist auffällig, dass die Formulierung ›außereuropäisch‹ eine geographische, damit eine räumliche Verortung bzw. Abgrenzung impliziert; man könnte stattdessen auch von den ›nicht-europäischen Sammlungen‹ sprechen, was mehr Spielraum böte – letztlich aber genauso wenig definierbar ist. Wird von ›AußerEuropa‹ geredet, so wird im selben Moment als Gegenbegriff ein ›Europa‹ impliziert – sowie die Möglichkeit der Unterscheidbarkeit und eine Grenze. Aber von welchem Europa, besser: welchen Europas bzw. Europakonzepten wird hier
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Die Formulierung wird auch in Reden und Medienberichten sehr häufig verwendet, z.B. Walde 2014.
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eigentlich gesprochen, hat es Europa doch nie als eine klar umrissene Einheit gegeben!? Ist hier ein Europa im Sinne einer geographischen Verortung oder eines Rechtsraums gemeint, steht es metonymisch als Chiffre für eine kulturgeschichtliche Einheit (z.B. als ›christliches Abendland‹), für einen Lebens- oder Denkstil, ist es ein kolonial- und wissenschaftsgeschichtlicher Akteur bei der Neustrukturierung der Welt in der Neuzeit, wird Europa als Utopie, als Bezugspunkt, als Abgrenzung verwendet, oder ist Europa das exotisch Fremde aus Sicht von Nicht-Europäern? Warum fragen wir gerade jetzt, im beginnenden 21. Jahrhundert nach Europa, warum hat Europa mit Europa solche Probleme?! Macht Europa als Kategorie überhaupt Sinn bzw. sollten wir »Europa provinzialisieren« (Chakrabarty 2002)? Werden in den aktuellen Fragen zu Europa unter Umständen wieder europainterne Auseinandersetzungen auf außereuropäische Regionen und Gesellschaften projiziert, wie das bereits seit der Neuzeit zu beobachten ist? Inwieweit fungiert ›das Andere‹ als Folie zur Selbstvergewisserung? Letztlich muss man feststellen, dass »Europa [...] keine Tatsache, aber eine wirkmächtige Fiktion« ist (Tafeltext der Themeninsel »Making Europes« in der Ausstellung »EuropaTest«). Wie soll man also umgehen mit ›Europa‹? Eine Möglichkeit – als erster Schritt und da häufig von einer regionalen Abgrenzung die Rede ist – bestünde in einer gleichberechtigten Betrachtung von Objekten aus allen Kontinenten, wie dies z.B. in der Ausstellung »EigenSinn« im Museum der Kulturen Basel 20112013 umgesetzt wurde. Dies entspräche einer kulturanthropologischen Blickweise und enthöbe die Beteiligten von der Notwendigkeit, Grenzen zu definieren – was genauso für andere undefinierbare Grenzen, etwa zwischen Australien und Asien oder zwischen Nord- und Südamerika gilt. Solange aber Europa aus der Betrachtung der Welt herausgenommen wird, bleibt der koloniale Blick des Betrachtenden bestehen, der erst überwunden wird, wenn europäische Gesellschaften auf die selbe Weise wie alle Anderen gesehen und mit äquivalenten Objekten in Beziehung gesetzt werden; ein Argument dafür, die ethnologischen Sammlungen Berlins gemeinsam ins Humboldt-Forum zu nehmen, also sowohl des Ethnologischen Museums als auch des Museums Europäischer Kulturen. Die Rede von den ›außereuropäischen Sammlungen‹ suggeriert, dass sich die Welt in Regionen ordnen ließe. Doch die Aufteilungen der Welt in Regionen, ›Kulturkreise‹ oder ethnische Repräsentationen (›Afrika‹, ›Amazonasgebiet‹, ›Orient‹, ›Islamische Welt‹ etc.) sind überholt, oft genug beruhen sie auf kolonialen Techniken der hegemonialen Ordnung und dienten der Legitimation von Übergriffen, bestenfalls der eigenen Aufwertung. Entscheidend für einen zeitgemäßen Zugang zu den Sammlungen ist das Aufzeigen der entangled history,
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also der gemeinsamen und miteinander verflochtenen Geschichte(n), einer gleichberechtigten Historizität kultureller Formen sowie der transkulturellen Beeinflussungen und Zusammenhänge. Es gibt keine europäische Kulturgeschichte (welchen Raum man auch jeweils dazu rechnen wollte) ohne außereuropäische Beziehungen, Kulturkontakt und Kulturaustausch – und umgekehrt. Es war eine koloniale Technik, die kulturellen Narrative getrennt zu halten. Jetzt stehen wir vor der Aufgabe, die Narrative zu verbinden und eine gemeinsame Geschichte zu schreiben. Interessanter als willkürliche Ab- und Ausgrenzungen sind die gegenseitigen Beziehungen und flows, die Beeinflussungen und Verfestigungen, die wechselnden Loyalitäten.
D ER »E UROPAT EST « Ein Ansatz, die Kritik am Fehlen europäischer Ethnographica im HumboldtForum aufzugreifen und nach Möglichkeiten zu suchen, wie sich Europa wenigstens teilweise in den kommenden Ausstellungen ergänzen lässt, stellt das Projekt »EuropaTest« dar (Laufzeit 21.09.2014 bis 08.02.2015, Museen Dahlem, Berlin, Rahmenkonzept und Koordination durch den Autor). Den institutionellen Rahmen bildete dabei das Humboldt Lab Dahlem.6 ein von der Kulturstiftung des Bundes mit 4,125 Mio. Euro gefördertes Projekt, mit dem von 2012 bis 2015 zahlreiche Ausstellungsprojekte und performative Experimente in den Museen Dahlem umgesetzt wurden. Diese werden gebündelt in insgesamt sieben sogenannten »Probebühnen« dem Publikum vorgestellt, wobei der Fokus vor allem auf der Erprobung neuer Formate und Zugänge und einer Stärkung der Kommunikation der am Humboldt-Forum Beteiligten lag (vgl. Scholz in diesem Band). Ein Vorläufer des »EuropaTest« war das Teaserprojekt »Warum nicht?« (17.10.2013 bis 30.03.2014). Dabei wurden gut zwei Dutzend Objekte aus allen drei Dahlemer Museen sowie einige Leihgaben aus dem Kunstgewerbemuseum an verschiedenen Stellen zwischen die Exponate der Dauerausstellungen platziert und traten dort miteinander in Dialog: provozierend oder ergänzend, kontrastierend oder fragend.
6
http://www.humboldt-forum.de/humboldt-lab-dahlem (letzter Aufruf 21.03.2015).
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Abb. 1: Intervention »Warum nicht?« in Form eines deutschen Haussegens an einem ozeanischen Haus im Ethnologischen Museum.
Foto: Helmut Groschwitz. 2015.
So standen etwa im Ethnologischen Museum eine schwedische Standuhr neben einem Maya-Kalenderstein, ein deutscher Haussegen hing am Eingang eines ozeanischen Hauses (Abb. 1), ein Kinderwagen nebst Tragetuch fand sich zu einer indianischen Kindertrage in Bezug gesetzt, im Museum Europäischer Kulturen wurde eine guatemaltekische Holzmaske mit der Darstellung des stereotypen (überraschenderweise barock-blonden) Spaniers platziert: Ein Überschreiten von Sammlungsgrenzen, das interessante Fragen initiierte, in seiner knappen Umsetzung aber oft auch Ratlosigkeit erzeugte und auf Ausarbeitung drängte. Es wurden zwar Fragen aufgeworfen, die aber nicht für einen Klärungsprozess mit weiteren Objekten oder Informationen ergänzt wurden, womit das epistemische Potential der Konfrontationen kaum zum Tragen kam.
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Der hierauf aufbauende »EuropaTest«7 ist eine Weiterentwicklung, entstanden als ein Gemeinschaftsprojekt, in das Kurator/-innen aus allen drei Dahlemer Museen sowie Externe ihre Ideen eingebracht haben. Für die Probebühne 4 entstanden dabei sechs in den Räumen des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst dezentral verteilte Themeninseln sowie eine IphoneApp als interaktive Einheit. Jede der experimentellen und exemplarischen Themeninseln verdiente eine ausführliche Behandlung, dem begrenzten Raum des Artikels geschuldet können aber nur einige zentrale Aspekte erläutert werden. Da die Themeninseln dezentral verteilt, teilweise als eigene Miniausstellungen, teilweise als Interventionen in den Dauerausstellungen angelegt waren, brauchte es ein Merkmal zur Wiedererkennungen. Dazu wurden die Elemente jeder Themeninsel durch türkisfarbene (Boden-) Platten optisch miteinander verbunden. Türkis war hierbei als Rahmenfarbe der Probebühne 4 schon länger vorgegeben und hatte keine symbolische Bedeutung. Eine feste Reihenfolge der Themeninseln war nicht vorgegeben, ein Übersichtsplan verwies auf die verschiedenen Aufstellungsorte. Europa ist keine Tatsache, kein definierbarer Raum, sondern eine wirkmächtige Fiktion. Mit dieser Ausgangsthese lassen sich die dahinter liegenden Konstruktionen, Diskurse und Instrumentalisierungen aufdecken und entlarven: Die Themeninsel »Making Europe(s)«8 fragte daher nach den möglichen Europas. ›Europa von innen‹ und ›Europa von außen‹ zeigten überwiegend figürliche Auto- wie Heterostereotype von Europäern, die letztlich aber vor allem nationale Stereotype beinhalteten. ›Europa von oben‹ machte anhand verschiedener Landkarten, die alle ein anderes Europa zeigten,9 deutlich, dass sich Europa weder geographisch noch kulturell definieren lässt, häufig verschiedene Rechtsräume darstellt und politisch weltweit in sehr unterschiedlichen Zusammenhängen vertreten ist (Abb. 2).
7
http://www.humboldt-forum.de/humboldt-lab-dahlem/projekte/europatest (letzter Aufruf 21.03.2015). Das Projektdossier ist über die Rubrik »Dokumentation« des Humboldt Lab Dahlem verfügbar: http://www.humboldt-forum.de/humboldt-labdahlem/dokumentation/probebuehne-4/europatest/teaser (letzter Aufruf 19.05.2015).
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Kuratorinnen: Elisabeth Tietmeyer, Léontine Meijer-van Mensch, Sarah Wassermann, Museum Europäischer Kulturen.
9
Dazu zählten: EU-Europa, Euro-Europa, Schengen-Europa, Geographen-Europa, Eurovision Song Contest-Europa, UEFA-Europa, Kolonial-Europa (inklusive Russland und Österreich-Ungarn), Postkolonial-Europa, Europarat-Europa, OSZE-Europa, Sammlungsgebiet des Museums Europäischer Kulturen.
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Abb. 2: Darstellung verschiedener Europakonzepte und Rechtsräume.
Foto: Helmut Groschwitz. 2015.
In Form eines externen Pinterest-Boards10 wird bei ›Europa von unten‹ den Besuchern zudem die Möglichkeit geboten, eigene Bilder, Erfahrungen und Erlebnisse zu ihrem ganz eigenen ›Europa‹ in die Ausstellung einzubringen. Die Sammlungsgeschichten und Objektbiographien zeigen, dass die Grenzziehungen in den Museen und Sammlungen ebenso wie die Kategorisierungen der Objekte keiner den Dingen inhärenten Ordnung entsprechen. Unter wechselnden politischen Vorgaben und organisatorischen Veränderungen wurden Zuordnungen mehrfach geändert – und sie sind auch weiterhin verhandelbar. Dies verdeutlichte die Insel »Europa gesammelt. Adolf Bastian, Rudolf Virchow und die ethnologischen Sammlungen Dahlem«11 mit Exponaten, die mehrfach ihre Zugehörigkeiten in den Sammlungen wechselten, sowie ein Zeitstrahl, der die Verwobenheiten der Berliner ethnologischen Sammlungen darstellte. Der Lesbarkeit geschuldet wurden einige wenige, aber zentrale Stationen genannt: die Königlich Preußische Wunderkammer als Keimzelle der Berliner Museumslandschaft, dann die Gründungen des Museums für Völkerkunde sowie des Mu-
10 Das soziale, also auf Interaktion beruhende Netzwerk »Pinterest« stellt eine Art virtuelle Pinnwand dar. Es ermöglicht ein unkompliziertes Hochladen bzw. Integrieren von im Internet gefundenen Bildern sowie die Möglichkeit, diese kurz zu kommentieren; siehe https://www.pinterest.com/mekberlin/making-europes (letzter Aufruf 21.03. 2015). 11 Kurator: Helmut Groschwitz, mit Unterstützung bei der Recherche durch Beatrix Hoffmann.
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seums für Deutsche Haustrachten und Erzeugnisse des Hausgewerbes, die im frühen 20. Jahrhundert zusammengelegt wurden, die Ausgründung des Museums für Deutsche Volkskunde sowie die Neuausrichtung der Abteilung »Eurasien« am Völkerkundemuseum (beides 1934) und schließlich die heutige Aufteilung in das Museum Europäischer Kulturen und das Ethnologische Museum. Die Museumsgeschichte macht deutlich, dass die Trennung von ›Europa‹ und ›NichtEuropa‹ in den ethnologischen Sammlungen Berlins kein Relikt aus der Gründungszeit ist, sondern erst seit 1999 existiert. Sowohl für die Kunstkammer als auch von der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte wurde stets übergreifend gesammelt, bei der Gründung des Museums für Völkerkunde gab es eine Abteilung »Europa«. Auch wenn in der Literatur vielfach der Eindruck entsteht, als sei das Völkerkundemuseum von Adolf Bastian und das spätere Volkskundemuseum von Rudolf Virchow gegründet worden, so waren an beiden Museumsgründungen tatsächlich beide auch beteiligt – und unterschieden nicht zwischen Europa und Nicht-Europa, waren ähnlichen Diskursen verbunden, etwa dem Rettungsgedanken oder der Idee, dass man umfassend sammeln solle, um ein »Universalarchiv der Menschheit« (Fischer et al. 2007) zu erstellen, aus dem heraus sich die Kulturen durch ihre materiellen Zeugnisse selbst erklären sollten. Unterschiede gibt es etwa darin, dass Virchow aus Sicht des Anthropologen auch an mitteleuropäischen Objekten interessiert war, Bastian sich aber auf die ›schriftlosen Kulturen‹ konzentrierte.12 Das »Beziehungskästchen. Frühe Formen ›globalisierter‹ Kunst«13 aus dem 16. Jahrhundert, ein mit bildlichen Schnitzereien versehenes Elfenbeinkästchen aus Kotte/Ceylon, das ebenfalls Teil des »EuropaTest« war, zeigt die vielschichtigen Verwobenheiten von Artefakten. Die Vorlagen für das Bildprogramm stammen von zwei gedruckten Stundenbüchern aus Paris, die von den ceylonesischen Schnitzern übernommen, teilweise verändert und mit lokalen Motiven vermischt wurden (vgl. Saviello 2012/13). Als diplomatische Gabe – die Herrscher von Kotte warben um die (militärische) Unterstützung der Portugiesen, die als neue Akteure in die Handelsstrukturen des Indischen Ozeans hinzutraten (vgl. Biedermann 2007) – kam das Kästchen nach Portugal und von dort in die Berliner Kunstkammer. Darüber hinaus ließen sich über das Kästchen auch der
12 Zur Museumsgeschichte vgl. Nixdorf 1973; Westphal-Hellbusch 1973; König 2003; Karasek 2010. Zu Adolf Bastian und Rudolph Virchow vgl. Fischer et. al. 2007; Saherwala et. al. 2010. 13 Kuratoren: Raffael Gadebusch, Museum für Asiatische Kunst, Alberto Saviello, DFGForschergruppe »Transkulturelle Verhandlungsräume von Kunst«. Zu dem Kästchen und Vergleichsstücken vgl. Saviello 2012/13.
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Elfenbeinhandel mit Ostafrika, das Bedürfnis nach Luxusobjekten in Indien und die Aneignungen religiöser Motive thematisieren. So verkörpert das Kästchen auf mehreren Ebenen historische Beziehungen und steht als gutes Beispiel für die mehrfache Verflechtung einer gemeinsamen Geschichte. Ähnliche Beziehungen zeigte die Themeninsel »Die Berge, nicht nah, nicht fern... Landschaftszeichnungen des 17. Jahrhunderts aus den Niederlanden und China im Vergleich«,14 ebenfalls im Museum für Asiatische Kunst, in Bezug auf Austauschprozesse zwischen chinesischer und niederländischer Landschaftszeichnung, wobei speziell die Frage der Darstellung bzw. Verschleierung des Horizontes im Mittelpunkt stand. Unabhängig von direkten kulturellen Vermittlungsprozessen wurde zudem gefragt, welchen Herausforderungen Maler und Zeichner jeweils gegenüber stehen und welche Strategien sie dabei entwickeln. Aus der Sicht der eigenen Alltagswelt behandelte »Nach Europa getragen. Die (Wieder)Entdeckung des Babytragetuchs«15 kulturelle Prozesse der Adaption des Kindertragetuchs im Mitteleuropa des späten 20. Jahrhunderts. Anregung erfolgte durch den Bildband »Die Mutter und ihr Kind« (Reich 1963) mit Fotobeispielen aus aller Welt. Zitate und Hörbeispiele machten deutlich, wie über diese kulturelle Praktik ein teils heftig geführter Diskurs entstand, der einerseits Ethnoromantizismen von den ›glücklichen Naturvölkern‹ reproduzierte und andererseits Erziehungsmethoden aus der NS-Zeit, die eine frühe Trennung von der Mutter propagierten, in Frage stellte. Über die kulturelle Adaption einer außereuropäischen Praktik hinaus wurden eigene Befindlichkeiten und Diskurse indirekt über ›das Andere‹ verhandelt. Dabei wurde übersehen, dass das Kindertragetuch zeitgleich in Deutschland weiterverwendet wurde, wie eine Bildquelle aus Thüringen deutlich machte. Doch waren die ›außereuropäischen‹ Kulturtechniken offenbar näher als die eigenen Landsleute jenseits des Eisernen Vorhangs.16 Ohne direkte genetische Bezüge oder kategoriale Entsprechungen konfrontiert ein Element der Themeninsel »Europa provinzialisieren. Der afrozentrische Blick«17 eine Statue des Kulturheros Chibinda Ilunga, der im 19. Jahrhundert bei den Chokwee in Zentralafrika zur Legitimation ihrer Herrschaft diente, mit der Reproduktion eines Gemäldes Napoleons bei der Überschreitung der Alpen (Jacques-Louis David, 1800).
14 Kurator/-innen: Holm Bevers, Kupferstichkabinett; Ricarda Brosch, Annkathrin Hoppe, Uta Rahman-Steinert, Klaas Ruitenbeek, Museum für Asiatische Kunst. 15 Kuratorin: Jane Redlin, Museum Europäischer Kulturen. 16 Vgl. hierzu auch den Katalog der Ausstellung »KinderMobil« (Dilger/Redlin 2007). 17 Kuratorin: Paola Ivanov, in Zusammenarbeit mit Peter Junge, Ethnologisches Museum.
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Abb. 3: Themeninsel »Europa provinzialisieren«, eine Figur des Chibinda Illunga (19. Jh.) vor einer Leuchtkastenreproduktion des Napoleongemäldes (1800) in der Ausstellung »Kunst aus Afrika«. Die Spiegelungen waren nicht beabsichtigt, bieten jedoch ein interessantes Potential der Vermittlung.
Foto: Helmut Groschwitz. 2015.
Damit sollte zum einen gezeigt werden, dass die Geschichten afrikanischer Gesellschaften genauso in globale Entwicklungen eingebunden sind und keine ›zeitlose, traditionelle Kultur‹ darstellen. Den Bezug stellt die Theorie dar, dass die Moderne kein europäisches Produkt sei, sondern durch die Zunahme internationaler Austauschbeziehungen als globales Gemeinschaftsprojekt entstand und dabei in unterschiedlichen Weltregionen starke Veränderungen und Krisen hervorrief, die dann zu neuen Machtkonstellationen, Aufständen und Nationalisierungsbestrebungen führte. Dieses Narrativ bedarf jedoch noch weiterer gestalterischer Ergänzungen um die komplexen Inhalte zu vermitteln. Darüber hinaus stand den Museumsbesuchern die eigens entwickelte IphoneApp »BorderCheck«18 zum Download bereit. Als serious game machte »BorderCheck« die ›Grenzen‹ zwischen den Abteilungen im Ethnologischen Museum sichtbar, die dem Prinzip der Zuordnung zu Weltregionen folgen, und verwies somit auf die aktuelle Einteilung der Welt. Mit Quizfragen ließ sich hier
18 Verantwortlich: Katharina Kepplinger, Ethnologisches Museum; Umsetzung durch neofonie mobile, Berlin.
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eigenes Wissen zu Grenzen und Grenzregimen prüfen und erweitern. Mit der Wahl verschiedener ›Identitäten‹ verlief das Spiel unterschiedlich und machte so deutlich, welche Rolle ein jeweiliger Pass in der heutigen globalisierten Welt spielt.
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UND JETZT ?
Dass bei den verschiedenen Themeninseln Europa so stark in den Mittelpunkt gestellt wurde, ergab sich schlicht aus der Fragestellung. Es ging nicht darum, den prägenden Einfluss Europas herauszustellen und leider fand sich trotz Nachfrage kein zusätzliches Teilprojekt, das Europa als (historischen) Empfänger kultureller Einflüsse zeigte (z.B. durch die Übernahme der Technik der Papierherstellung oder der indischen Ziffern nebst Dezimalsystem). Ebenso gut ließe sich analog ein »AfrikaTest« oder ein »AustralienTest« gestalten. Vielmehr ging es darum, exemplarisch zu erproben, wie sich eine entangled history, eine gemeinsame Geschichte darstellen lassen könnte, die im Sinne einer global history, ebenso der Global Arts Studies, einen übergreifenden, nicht-eurozentristischen Blick auf politische, wirtschaftliche und kulturelle Entwicklungen erlaubt. Dazu gehört auch eine Revidierung der denial of coevalness (Fabian 1983), also die Anerkennung der Historizität und Agency jener Gesellschaften, die im Sinne der kolonialen Blickregime als ›zeitlos‹ und ›traditionell‹ bezeichnet wurden (ein Phänomen, dass sich in ähnlicher Form in dem Konzept der ›zeitlosen bzw. traditionellen Volkskultur‹ in Europa wiederfindet). Und schließlich sollten exemplarisch transkulturelle Beziehungen und Beeinflussungen sichtbar gemacht werden. Ein Paradox ist dem »EuropaTest« eingeschrieben: Es wird beharrlich nach etwas gefragt, das gar nicht existiert, nämlich nach der klaren Unterscheidbarkeit von ›Europa‹ und ›Außer-Europa‹. Auf einer strukturellen, pragmatischen Ebene macht eine solche Differenzierung evtl. Sinn, etwa wenn es um Zuordnungen zu Sammlungsabteilungen oder um Zuständigkeiten geht, wenn zu entscheiden ist, ob etwas in dieses oder in jenes Regal gelegt wird. Diese institutionsimmanenten Grenzen sind, das zeigt die Museumsgeschichte Berlins anschaulich, veränderbar, oft an Personen gebunden und Folgen politischer Entwicklungen. Auch die Unterscheidung von ›europäisch‹ und ›außereuropäisch‹ steht also nicht für die Repräsentation kultureller Tatsachen, sondern repräsentiert museale Strukturen und sammlungsgeschichtliche Entwicklungen. Die Idee einer repräsentativen Sammlung ist schon lange als unmöglich erkannt worden. In heutiger Zeit können nur Sammlungen und Diskurse um diese Sammlungen ausgestellt werden
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(vgl. Tietmeyer 2003). Darauf baut etwa die aktuelle Neukonzeption des Welt Museum Wien auf, die für verschiedene Sammlungsbestände auch die Erwerbungswege und damit das Eingebundensein von Österreich in globale Beziehungen thematisiert.19 Womit hier auch die Hybridisierung eines ethnologischen und eines historischen Museums entsteht. Und in eine ähnliche Richtung geht der aktuelle Vorschlag, im Humboldt-Forum eine Geschichte Berlins unterzubringen, die aber keine Regionalgeschichte sein soll, sondern die Rolle Berlins in der Welt und die Rolle der Welt in Berlin thematisiert (Müller 2015). Die Trennung in Europa und Außer-Europa im Humboldt-Forum scheint auch mit der ehemaligen disziplinären Trennung von Volks- und Völkerkunde zu korrelieren (vgl. Lutz 1982; Imeri et.al. 2010; Welz 2013) – entsprechend der Untersuchungsgegenstände des ›Eigenen‹ vor dem Hintergrund der Idee einer deutschen ›Kulturnation‹ und der Selbst(er)findung im Prozess der Nationenwerdung und des ›Fremden‹ vor dem Hintergrund der Entdeckungsreisen und des Kolonialismus – und man könnte versucht sein, dies einfach auf die beiden ethnologischen Museen zu übertragen. Die Situation ist indes komplexer, lassen sich jene doch nicht eindeutig kategorial zuordnen, da die auf Europa bezogene Museumslandschaft deutlich differenzierter ist: Während sich ethnologische Museen häufig nicht nur für Alltagskultur, sondern auch für Geschichte, Politik und Kunst(handwerk) einer bestimmten Region oder Gesellschaft als zuständig betrachten, gibt es für Europa je eigene Museen: Kunstmuseen, Kunstgewerbemuseen, Volkskunde- und kulturhistorische Museen, Geschichtsmuseen – mit jeweils unterschiedlicher Ausrichtung der Sammlungsbestände bzw. Vorstellungen der Zuständigkeiten und des eigenen Selbstverständnisses. Insgesamt ist zudem eine Favorisierung als (renommiertes) Kunstmuseum zu beobachten, während die Alltags- oder Populärkultur (abgesehen von den zuständigen Museen selbst) eher skeptisch beäugt wird. Museumsgeschichtlich lassen sich diese unterschiedlichen Bewertungen bis in die Gründungszeit der Berliner Museen zurückverfolgen (vgl. Michel 2002), für die neuere Zeit lohnt ein Blick auf den internationalen Kunstmarkt und die Mechanismen der Inwertsetzung durch Ausstellungen und Museen. Inwieweit sich das Humboldt-Forum der Geschichte der Sammlungen und der zugehörigen Diskurse explizit stellt bzw. Markt- und Inwertsetzungsmechanismen reflektiert werden, ist noch offen. Dabei böte genau eine solche Reflexion ein spannendes Potential auch im Hinblick auf eine Überwindung eurozentristischer Sichtweisen. Es widerspräche aber der zu beobach-
19 So vorgestellt bei der Zwischentagung der AG Museum in der Deutschen Gesellschaft für Völkerkunde am 23./24.10.2014 in Wien.
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tenden Politik, die auf eine ästhetische Wiederherstellung der historischen Berliner Stadtmitte abzielt.
P OSTKOLONIALE V OLKSKUNDE L ANDESGESCHICHTE ?
UND
Die Frage nach der Postkolonialität wird, da hier wohl am deutlichsten sichtbar, vor allem in den ehemaligen Völkerkundemuseen diskutiert, beträfe aber viele weitere Museen und Institutionen. Wie notwendig das ist, zeigt etwa die Dauerausstellung des Deutschen Historischen Museums in Berlin, in der Kolonialgeschichte fast komplett ausgeblendet wird – sich aber ebenso leicht als ein möglicher Roter Faden in die Dauerausstellung integrieren ließe, wie der alternative, extern erarbeitete Hörführer »Kolonialismus im Kasten«20 zeigt. Nun scheint die Kolonialzeit Deutschlands vergleichsweise kurz gewesen zu sein – was uns von einer postkolonialen Auseinandersetzung und öffentlichen Bewusstseinsschärfung nicht befreit – die Problematik geht aber tiefer. Es sind nicht nur die Kolonien im engeren Sinn, in Namibia, Togo, Kamerun etc. – es geht auch um die ›Innere Kolonisation‹, also die Anwendung kolonialer Machtstrukturen und Wissensproduktionen innerhalb des Deutschen Reiches, der Habsburger Monarchie und anderswo in Europa (vgl. z.B. Boatcă 2013). Und diese erlauben bzw. verlangen ebenso eine postkoloniale Revision, die Frage nach den hegemonialen Verhältnissen, den asymmetrischen Blickregimen, den diskursiven Markierungen von eigen und fremd, der Produktion von Herrschaftswissen und der Entscheidung, wer zur Sprache kommt. Die Revision der Konstruktion des Indigenen muss nicht nur in Bezug auf außereuropäische Gesellschaften erfolgen, sondern auch in der Binnenperspektive. Ebenso ist im Sinne der Transkulturalität zu fragen, welche Rolle koloniale Strukturen und globaler Handel für die lokale Geschichtsschreibung bedeuten. So lässt sich die Entstehung der deutschen Arbeiterbewegung zwar primär durch die Verarmung in Folge kapitalistischer Systeme erklären. Das würde aber außer Acht lassen, dass die Industrialisierung des 19. Jahrhunderts wiederum von Importen von Rohstoffen und hochwertigen Nahrungsmitteln (z.B. Rohrzucker) abhängig war (vgl. z.B. Ortiz 1987 [1940]). Daneben sind es Blickregime und Stereotypisierungen, die historisch ebenso wie gegenwärtig weit in die Alltagskultur eingeschrieben sind (vgl. z.B. Nußbeck 1994).
20 http://www.kolonialismusimkasten.de (letzter Aufruf 21.03.2015).
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R ÜCKBLICKE
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S EITENBLICKE
Jede abgeschlossene Ausstellung wirft die Frage auf, ob die anvisierten Ziele erreicht wurden. Und abgesehen davon, dass man hinterher immer schlauer ist und ein noch besseres Konzept erstellen könnte, stellte der »EuropaTest« ein Experiment dar, das nach Reflexion drängt. Eine Frage war, wie sich das ›implizite Europa‹ in den Sammlungen (vor allem) des Ethnologischen Museums in Form von Interventionen sichtbar machen lässt. Es zeigte sich die Notwendigkeit, durch korrespondierende Objekte die Möglichkeit zu bieten, über die vielfältigen Bezüge und Beeinflussungen, in die jede kulturelle Äußerung eingebunden ist, nachzudenken, dass hierbei aber auch die eigene museale Brille (als Kurator wie als Besucher) reflektiert werden muss. Die räumliche Inbezugsetzung der Objekte kann als Ausgangspunkt für eine Auseinandersetzung dienen, benötigt aber zusätzliche Narrative, die in der Regel über Texte dargeboten werden. Hier stößt die Intervention an ihre Grenzen, da sie zwar geeignet ist, neue Bedeutungsebenen und Narrative in eine Ausstellung einzubringen und dass sie Blickwechsel anstoßen kann, dann aber meist nicht in der Lage ist, diese auch weiterzuführen und zu klären. Eine Ausstellung, die sich an einer regionalen Gliederung orientiert und einen ethnienzentrierten Blick einnimmt, kann zwar durch Interventionen zu übergeordneten Themen (z.B. Transkulturalität) erweitert werden, transportiert aber weiterhin den ethnienzentrierten, und damit oft unvollständigen Blickwinkel. Die Erfahrungen aus dem »EuropaTest« zeigen, dass solche übergreifenden Fragen bildlich gesprochen ›von der Stickerei in die Kette genommen‹, also nicht zur appliziert, sondern in die Grundstruktur eingearbeitet werden müssten. Zur Illustration sollen daher noch einige Beispiele mit interessanten Zugängen für eine solche grundsätzliche Implementierung aktueller Diskurse angerissen werden. Wenn von Europa die Rede ist, dann lohnt in Berlin ein Blick ins Museum Europäischer Kulturen. Schon der Name impliziert eine Raumzuständigkeit, die dort aber als nicht beantwortbar letztlich zurückgewiesen wird. Es ist auffällig, dass es auch nach vielen Jahren und Entwürfen innerhalb der Europäischen Union noch immer kein »Musée de l'Europe« gibt, das analog zu Nationalmuseen die Geschichte einer imagined community Europa abzubilden vermag. Was verständlich ist, denn wie sollte man eine solch heterogene und fluide Geschichte in ein gemeinsames museales Narrativ packen, auf das sich alle Beteiligten einigen können? Das Museum Europäischer Kulturen wurde gezielt nicht als Museum Europäischer Kultur bezeichnet, weil sich eine solche nicht identifizieren lässt. Stattdessen wurde die aktuelle Dauerstellung »Kulturkontakte in Europa« (seit 2011)
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nach kulturanthropologischen Kategorien strukturiert, darunter Migration, Grenzen, Religiosität, Identität. Damit wird Europa auf einen räumlich diffus abgegrenzten Rahmen reduziert und der Blick auf das Übergreifende erleichtert. Dem begrenzten Raum ist geschuldet, das hierbei der Platz für Historizitäten und Eigenentwicklungen fehlt, wie dies etwa bei den Krippen sichtbar wird – durchaus ein globales Phänomen, das aber auch eine historisch wechselhafte Geschichte aufweist. Ein weiteres Beispiel ist die Ausstellung »Auf den Spuren der Irokesen« (22.03. bis 04.08.2013 Bundeskunsthalle Bonn, 18.10.2013 bis 06.01.2014 Martin-Gropius-Bau Berlin), die einerseits die Geschichte einer komplexen Gesellschaft, aber auch die vielfältigen Beziehungen zu den neu hinzukommenden Kolonialisten bis hin zum heutigen Aktivismus darstellte, ebenso die neuere Übernahme von Elementen in die Popkultur (z.B. des Irokesen-Haarschnitts durch Soldaten, später den Punks), das Verarbeiten von Identitätskonstruktionen in der Kunst etc. Es zeigt sich hier das Potential der Verbindung von Sammlungen aus unterschiedlichen Disziplinen und Museen, gleichzeitig wird aber auch deutlich, dass der rein ›ethnische oder indigene Blick‹ nur ein vereinfachtes, verzerrtes und höchst unvollständiges Bild liefern kann. Eine umfängliche Darstellung von Verflechtungsgeschichten zeigt schließlich die Ausstellung »WeltKultur – GlobalCulture« im Badischen Landesmuseum Karlsruhe (seit 2014). Dabei sind Objekte aus unterschiedlichen Abteilungen des Mehrspartenmuseums in Beziehung zueinander gesetzt, nicht nur in Bezug auf Europa, sondern zwischen ganz unterschiedlichen Verortungen (Mostafawy 2014). Exemplarisch sei hier eine Intervention herausgegriffen, bei der deutlich wird, wie genetische Beziehungen in Vergessenheit geraten und neue Identitätskonstruktionen dies überlagern können: Vor dem Hintergrund der Orientbegeisterung wurden in Wien im frühen 19. Jahrhundert tulpenförmige Teegläser (Abb. 4) entworfen, die – in den Glashütten des Böhmerwaldes produziert – ein Exportschlager wurden. Diese Teeglasform wird mittlerweile als ›typisch türkisch‹ oder ›typisch orientalisch‹ sowohl im Nahen Osten als auch in Mitteleuropa angesehen. Der Re-Import dieser Glasform erfolgte durch die Gastarbeiter im 20. Jahrhundert, womit sich hier eine vielschichtige Vernetzungsgeschichte darstellen lässt.
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Abb. 4: Modernes Teeglas in Kombination mit einem Teebecher aus dem frühen 19. Jh., dessen Form prägend wurde. Intervention im Rahmen der Ausstellung »WeltKultur / GlobalCulture« in Karlsruhe.
Foto: Helmut Groschwitz. 2015.
I DENTITÄTSFABRIK H UMBOLDT -F ORUM Ausgangspunkt der vorliegenden Zeilen war die Frage nach der eigenartigen ›Leerstelle Europa‹ in den Konzeptionen des Humboldt-Forums – und Versuche, diese Leerstelle zu füllen, indem museumsübergreifend die impliziten Europas exemplarisch herausgearbeitet werden. Die ethnologischen Sammlungen entstanden auch vor dem Hintergrund einer Verhandlung europäischer Konzepte, Befindlichkeiten und Konflikte in der Projektion auf außereuropäische Gesellschaften. Im Sinne einer »Identitätsfabrik Humboldt-Forum« (in Anlehnung an Korff/Roth 1990) müsste jetzt gefragt werden, welche aktuellen Befindlichkeiten dort verhandelt werden sollen. Aus Sicht des Verfassers sollte ein Aufbrechen der Dichotomie des ›Wir und die Anderen‹ angestrebt werden, die Arbeit an einer entangled history, an einer globalen, vernetzten Geschichtsschreibung und der Darstellung der wechselseitigen, transkulturellen Bezüge, sowie die Wiederherstellung der coevalness, letztlich die Überwindung des eurozentristischen Blickes. Wenn sich daraus eine stärkere Vernetzung der Museen und die Aufweichung von Sammlungsgrenzen ergäben, wäre das sehr begrüßenswert – und
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es wäre auch gewinnbringend im Sinne einer postkolonialen Neuausrichtung der Ausstellungen (vgl. z.B. Förster 2013). Das soll aber nicht mit dem umgekehrten Eurozentrismus geschehen, wie er etwa im postkolonialen Aktivismus zu finden ist, indem hier den außereuropäischen Gesellschaften wieder nur eine passive Opferrolle zu- und ihre Agency bzw. Involvierung in koloniale Machtstrukturen abgesprochen werden. Ausdrücklich wird für die Auseinandersetzung mit der ›Inneren Kolonisation‹ plädiert, also einer Dekolonialisierung volkskundlicher und kulturhistorischer Ausstellungen. Dies impliziert, die Trennung zwischen völkerkundlichen, volkskundlichen und kulturhistorischen, teilweise auch kunsthistorischen Ausstellungen aufzuweichen, da die Grenzziehungen institutionsgeschichtlich häufig unter kolonialen Vorstellungen und zur Produktion des kolonialen Blickes erfolgten. Die oben genannten Beispiele machen auch deutlich, dass ein übergreifender Blick mit einer Überwindung der Blickregime von europäisch versus außereuropäisch häufig schon vollzogen und museal umgesetzt wird. Offensichtlich fehlt er aber in den kulturpolitischen Entscheidungen in Bezug auf das HumboldtForum, womit hier im Grunde überkommene museale Strukturen musealisiert werden. Nicht die Inhalte stehen in Berlin im Vordergrund, sondern die Strukturen. Festgehalten wird beharrlich an einer (essentialistischen) Europa-Definition, die schon lange nicht mehr stimmig ist – die sich aber auch als Unsicherheit im Hinblick auf die eigene kulturelle Verortung lesen lässt.
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Abwehr und Verlangen? Anmerkungen zur Exotisierung ethnologischer Museen M ICHAEL K RAUS
Völkerkundemuseen sind aktuell auf sehr ambivalente Weise dem unter anderem von Ethnologen selbst erforschten Wechselspiel von »Abwehr und Verlangen« (Kohl 1987) ausgesetzt. Die Kritik an frühen Sammelmethoden geht mit Begehrlichkeiten hinsichtlich der vorhandenen Sammlungsbestände immer wieder Hand in Hand. Im vorliegenden Beitrag soll diese Auseinandersetzung an zwei Beispielen untersucht werden. Das Thema meines Aufsatzes ist dabei ein klassisches Thema der Ethnologie und der Kulturwissenschaften: Das Reden über ›die Anderen‹, die Konstruktion von Differenz, von Alterität. Dabei will ich nicht erneut die vielfach untersuchte Konstruktion von Alterität durch Repräsentationen im Völkerkundemuseum, sondern eine Analyse des Redens über das Völkerkundemuseum in den Mittelpunkt stellen. Kritiken sollen dabei auch auf die Praxis der Kritiker rückbezogen werden, um zu prüfen, inwieweit diese tatsächlich einen Beitrag für ein differenziertes Verständnis ihres Untersuchungsgegenstandes leisten und den eigenen Maßstäben gerecht werden.
K RITIK
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ANEIGNUNGSVERSUCH
Am 2. März 2012 wurde am Ethnologischen Museum in Berlin die Ausstellung »Indianische Moderne. Kunst aus Nordamerika. Die Sammlung des Ethnologischen Museums« eröffnet. Seit Mitte der 1970er Jahre hatte man am Berliner Museum, das bis zum Jahr 2000 noch den Namen Museum für Völkerkunde trug, eine
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entsprechende, mittlerweile gut 160 Gemälde, Skulpturen und Grafiken umfassende und bis in die Gegenwart reichende Sammlung zusammengetragen. Zur Ausstellung wurde ein umfassend bebilderter Begleitkatalog publiziert (Bolz/König 2012). Darin erläutert der langjährige Nordamerika-Kustos des Hauses, Peter Bolz, nicht nur einzelne Werke, sondern auch historische Hintergründe und regionale Entwicklungen, die mit den gezeigten Arbeiten in Zusammenhang stehen. Viola König versammelt in ihrem Beitrag eine Vielzahl indigener Stimmen und Perspektiven aus und über aktuelle Diskurse zur indigenen Kunst in Nordamerika. Claudia Roch ergänzt den Band mit biografischen Informationen zu Künstlerinnen und Künstlern. Am 16. April 2012 erschien unter der Überschrift »Am Katzentisch« in der Süddeutschen Zeitung eine Besprechung der Ausstellung von der Kunsthistorikerin Astrid Mania. In ihrer Rezension lobt Mania die Existenz der Ausstellung. Doch kritisiert sie, dass die Werke nicht in einem Kunstmuseum gezeigt würden. In ihrem Artikel attackiert Mania den Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin, den Kunsthistoriker Michael Eissenhauer. Dieser habe sich auf der Pressekonferenz gegen eine Ausstellung der Bilder im Kunstmuseum ausgesprochen, da beispielsweise die Neue Nationalgalerie in Berlin der Ort für die »internationalen Verbindungslinien des 20. Jahrhunderts«, für die »wichtigsten weltweiten Strömungen« sei (Eissenhauer, zit. in Mania 2012), zu denen die indianischen Kunstwerke aus Nordamerika seiner Ansicht nach offenbar nicht zählen. In den Aussagen ihres Fachkollegen sieht Mania eine »perfide[.] Verkennung von Ursache und Wirkung«, die den »unterdrückten und marginalisierten Kulturen die daraus resultierende ›Unbedeutsamkeit‹ gleichsam zum Vorwurf« mache. Des Weiteren zitiert die Rezensentin, wenn auch jetzt in indirekter Rede, den zur Eröffnung der Ausstellung von den Verantwortlichen im Ethnologischen Museum als Redner eingeladenen Navajo Manuelito Wheeler, Direktor des Navajo Nation Museums in Window Rock, Arizona. Wheeler, so Mania, bemerkte in seiner Ansprache, dass sich manche Künstler gegen die Präsentation in einem ethnologischen Museum sperren. Andere hingegen würden die Anbindung an Museen mit traditionellen indigenen Artefakten durchaus begrüßen. Letztlich wären die meisten vor allem einfach froh, dass eine Institution ihnen überhaupt einen Raum für ihre Kunst biete (Mania 2012). Auf den ersten Blick lässt sich die Rezension Manias als flammendes Plädoyer für die Bedeutung indigener Kunst lesen. Im Gegensatz zur Ansicht Eissenhauers, und im Gegensatz zu den abwertenden Bemerkungen über die genannten indianischen Kunstwerke aus den 1990er Jahren, wie sie sowohl von Seiten des damaligen Direktors der Neuen Nationalgalerie, Dieter Honisch, als auch vom Journa-
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listen Harald Jähner anlässlich der Eröffnung der Dauerausstellung zu Nordamerika in der Berliner Zeitung erfolgten (Bolz 2010: 115f.), betont Mania den Wert der gezeigten Arbeiten. Zudem verweist die Autorin auf die Marginalisierung der indianischen Völker, auf das »Leben am Rande«, von dem zahlreiche Werke erzählen, sowie auf die inspirierenden Wechselwirkungen zwischen indigener und nicht-indigener Kunst. Richtet man den Blick auf das eingangs benannte Thema – die Konstruktion eines Bildes vom Völkerkundemuseum –, so zeigt sich im Text von Mania allerdings zugleich ein ausgesprochen dominanter Subtext. »Sub«, weil er von dem engagierten Plädoyer für die Bedeutung der indigenen Kunst scheinbar überlagert wird. »Dominant«, weil er bereits im Titel wirkmächtig zur Sprache kommt. Mit dem »Katzentisch« in der Überschrift ist das Ethnologische Museum in Dahlem gemeint. Es lohnt sich daher, den Text noch etwas genauer zu betrachten. In der Rezension findet sich unter anderem folgende Aussage: »Es ist richtig und wichtig, dass sich eine Institution für diese Kunst engagiert.« Weiterhin bestätigt die Rezensentin, dass diese Kunst, mit der zu beschäftigen sich lohnt, am Ethnologischen Museum gesammelt und ausgestellt wird. Eine durchaus naheliegende Schlussfolgerung aus diesem Befund wäre somit: Das Ethnologische Museum in Berlin ist eine wichtige Institution, da es sich bedeutsamer Kunst widmet und ihr zu Öffentlichkeit verhilft. Diese Überlegung teilt Mania allerdings nicht. Ausgehend von der Wichtigkeit der Auseinandersetzung mit den vom Ethnologischen Museum erworbenen Werken, zieht sie eine geradezu entgegengesetzte Schlussfolgerung: Da diese Kunst bedeutsam ist, muss man sie aus dem Ethnologischen Museum entfernen und in einem Kunstmuseum zeigen. Betrachtet man weiterhin die zuschreibenden Wertungen, die die Rezension durchziehen, so finden sich eine Reihe von Dichotomien, die vermutlich nicht nur Ethnologen und Historiker an die ›wild‹ und ›zivilisiert‹-Kategorisierungen vergangener Jahrhunderte erinnern (vgl. z.B. Bitterli 1991). Doch zeigt der Text, dass derartige Einteilungen kein ausschließliches Phänomen der Vergangenheit darstellen. Lediglich der Gegenstand, auf den sie Anwendung finden, hat gewechselt. Folgende Gegenüberstellungen lassen sich aufzeigen: Ethnologisches Museum Katzentisch Lehrschauen / Belegkunst unbedeutsam Rand- und Nischenphänomen
Kunstmuseum Festtafel Kunst wichtig [Zentrum]
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Interessant an diesen Dichotomien ist das Beharrungsvermögen, mit dem vorstrukturierte Kategorien sich der vorgefundenen Realität widersetzen. Das Ethnologische Museum ist nicht nur, wenn auch natürlich ebenfalls und hoffentlich weiterhin, ein Ort von »Lehrschauen«. Aber es ist eben auch ein Platz von Kunst. Dies war es seit seiner Entstehung, als andere Museen und Disziplinen die Beschäftigung mit außereuropäischen Artefakten, die nicht von Vertretern sogenannter ›Schriftkulturen‹ stammten, noch als unter ihrer Würde empfunden haben. Und es ist es weiterhin, beispielsweise und nicht zuletzt durch die von Horst Hartmann, Peter Bolz und anderen im späten 20. und frühen 21. Jahrhundert zusammen getragene Sammlung moderner indigener Kunst aus Nordamerika. Eine entsprechende Erweiterung der vorgefassten eigenen Kategorie – des bestehenden Bildes vom Völkerkundemuseum – wird von der Rezensentin allerdings nicht vorgenommen. Begleitet von politisch korrekt wirkender, aufklärerischer Rhetorik zugunsten derjenigen, die am Rande leben – ein Engagement, dass der Ethnologie selbst im Übrigen seit Dekaden zu eigen ist –, wiederholt Mania in ihrer Argumentation stattdessen bewusst oder unbewusst eine typisch koloniale Diskursfigur: Man konstruiert den Anderen – im vorliegenden Fall das Völkerkundemuseum, das von Mania »an sich schon« als problematische Institution etikettiert wird – in der eigenen Darstellung als minderwertig. Doch entdeckt man, dass diese vermeintlich minderwertige Kultur etwas auch aus eigener Sicht sehr Wertvolles besitzt. Diese Entdeckung bewirkt nun allerdings kein Umdenken. Statt einer Modifizierung der eigenen Vorannahmen nimmt ein entgegengesetzter Prozess seinen Lauf: Es wird versucht, sich das in den eigenen Kategorien als wertvoll Erachtete anzueignen. Sofern dies gelingt, sei es mittels Rhetorik, sei es mit Hilfe anderer Formen von Macht, bestätigt der neu geschaffene Status quo die Vorurteilsstruktur, die am Ausgangspunkt bereits vorherrschend war. Alles, was als wertvoll betrachtet wird, findet sich wiederum auf der eigenen Seite. Alles, was in der eigenen Vorstellung als wertlos kategorisiert wird, verbleibt auf der Seite der Anderen. Deren Fragwürdigkeit und Minderwertigkeit findet sich nach vollzogener Aneignung somit scheinbar erneut bestätigt. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch eine weitere Facette des Textes, nämlich welcher Gesprächspartner von Mania ernst genommen wird. Der Kunsthistoriker Eissenhauer wird in direkter Rede zitiert. Der Navajo Wheeler findet ebenfalls Gehör, doch wird er lediglich in indirekter Rede zitiert. Die Ethnologen, denen die Ausstellung zu verdanken ist, kommen in der Rezension gar nicht zu Wort. Nicht einmal bei der Nennung des Katalogs, der von ihnen verfasst wurde und auf den am Ende des Artikels verwiesen wird, werden sie namentlich genannt. Dies wiederum ist nicht nur mit Blick auf die vorgenommene Hierarchisierung
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erwähnter und nicht erwähnter Personen von Bedeutung. Der Hinweis der Rezensentin, dass der emanzipatorische Charakter des Bildes »Sun Dancer (The Medicine Man)« des Cheyenne Benjamin Buffalo daher rühre, dass dieses Ritual »Ende des 19. Jahrhunderts von der US-Regierung verboten und erst seit wenigen Jahrzehnten, im Zuge eines erstarkenden Selbstbewusstseins der Native Americans, wiederbelebt« wurde, findet sich in ähnlicher Formulierung bereits im Katalogbeitrag von Peter Bolz (2012: 60). So bedient sich Mania, um gegen das Ethnologische Museum Stellung zu beziehen, zwar bei der Ethnologie. Doch gewährt sie den für die von ihr gelobte Ausstellung verantwortlichen Ethnologen in ihrem Text keine Stimme. Das Lob der Ausstellung geht einher mit dem Ausblenden ihrer ethnologischen Kuratoren. Die Kritik des Ethnologischen Museums erfolgt unter Rekurs auf ethnologisches Fachwissen.
K RITIK
ALS
AUSGRENZUNGSSTRATEGIE
Das ehemalige Frankfurter Völkerkundemuseum, das nach gleich zweifacher Umbenennung mittlerweile den Namen Weltkulturen Museum trägt, zeigt in Ausstellungs- und Kataloggestaltung seit Amtsübernahme der neuen Direktorin Clémentine Deliss im Jahr 2010 eine spürbar neue und ästhetisch in vielerlei Hinsicht ansprechende Handschrift. Ihren neuen Ansatz charakterisieren die Frankfurter Verantwortlichen in den Essays der zu größeren Ausstellungen erscheinenden Kataloge dabei regelmäßig selbst. Da bereits Bronislaw Malinowski (1984 [1922]: 41f.) darauf hingewiesen hat, dass die Aussagen von Einheimischen keineswegs deckungsgleich sein müssen mit ihrem Handeln, möchte ich an dieser Stelle zwei Aspekte dieser Selbstbeschreibungen herausgreifen und auf den Prüfstand stellen. Im ersten Punkt geht es mir dabei um die Beziehung von Ethnologie und Kunst bzw. um den Stellenwert von Wissenschaft am Frankfurter Museum. In einem zweiten Punkt sollen schließlich Form und Reichweite der wissenschaftlichen Forschung betrachtet werden. Die enge Beziehung zwischen Wissenschaft und Kunst wird von Deliss regelmäßig betont. In einem Interview mit Bettina Habsburg-Lothringen erklärt sie ihre Vorstellung vom Weltkulturen Museum dahingehend, »dass es zu 50 Prozent avancierte künstlerische Praxis und zu 50 Prozent avancierte Ethnologie ist, und gleichzeitig zu 50 Prozent Forschung und zu 50 Prozent Ausstellung« (Deliss 2012a: 178). Im Einführungsartikel zu »Objekt Atlas. Forschung im Museum«, der ersten großen von ihr in Frankfurt verantworteten Ausstellung, betont sie, dass im »neuen Weltkulturen Labor [...] Gastkünstler, Schriftsteller und Ethnologen Feldforschung im Museum« betreiben (Deliss 2012b: 22). Bereits einen Absatz
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weiter findet sich dann allerdings eine nicht ganz unerhebliche Einschränkung dieser Aussage. Die gerade noch genannten »Gastkünstler, Schriftsteller und Ethnologen« transformieren sich in »sieben internationale Künstler«, die für die besagte Ausstellung Forschungen im Museum ausführen. Die angestrebte Aufteilung des alten Völkerkundemuseums in 50 % Ethnologie und 50 % Kunst findet sich in der Praxis noch einmal zuungunsten der Ethnologie verschoben. Die von Deliss zur »Feldforschung im Museum« eingeladenen Personen waren bei »Objekt Atlas« sieben Künstler, bei »Trading Style« vier Modedesigner und bei »Ware & Wissen« vier Künstler und drei Schriftsteller. Wissenschaftler, seien es Ethnologen, seien es Vertreter anderer Disziplinen, finden sich lediglich im Begleitprogramm des Hauses, in Workshops oder Vorträgen, vertreten.1 Man könnte einwenden, dass die Forschung im Museum über die am Museum beschäftigten Ethnologen erfolgt. In den Eigendarstellungen finden sich hierfür zunächst durchaus Belege. So werden die Wissenschaftlerinnen2 des Hauses seit dem Wechsel der Direktorin explizit als ›Forschungskustodinnen‹ bezeichnet. Zu-
1
Das Interview mit Habsburg-Lothringen (Deliss 2012a) findet sich im Sammelband »Dauerausstellungen« (Habsburg-Lothringen 2012), wurde also wohl mit Blick auf den seit Jahrzehnten diskutierten (vgl. Thiel 2004) und mittlerweile wieder zurück gestellten Neubau eines Frankfurter Völkerkunde-/Weltkulturen Museums geführt. Auch in diesem Interview findet sich die aus »Objekt Atlas« zitierte Rhetorik. Der zunächst angeführten Behauptung, »Künstler, Wissenschaftler oder Experten anderer Art« (Deliss 2012a: 181) einladen zu wollen, folgen im Anschluss nur mehr Beispiele aus der Kunst. Das beharrliche Nachfragen von Habsburg-Lothringen nach der Rolle der Wissenschaft wird in den Antworten regelmäßig umschifft und ignoriert. Auch Peter Osborne stellt in einem der vom Frankfurter Museum veranstalteten Workshops fest: »Im ersten Satz der Einleitung zum Katalog der Ausstellung ›Trading Style‹ sprichst du [= C. Deliss, MK] von zeitgenössischen Praktiken. Aber es fällt immer wieder auf, dass diese Praktiken Kunstpraktiken sind« (Osborne, zit. in Deliss/Mutumba 2014: 184).
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In meinem Aufsatz verwende ich in der Regel die männliche Form (Künstler, Wissenschaftler, Ethnologe), wobei hiermit sowohl männliche als auch weibliche Protagonisten gemeint sind. Wenn im Folgenden von ›Kustodinnen‹ die Rede ist, dann deshalb, weil sich dieser Sprachgebrauch in den referierten Textstellen findet. Am Weltkulturen Museum Frankfurt waren zum Zeitpunkt der Untersuchung in den entsprechenden Positionen ausschließlich Frauen beschäftigt.
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dem wird die Zusammenarbeit dieser Forschungskustodinnen mit den eingeladenen Künstlern betont.3 Des Weiteren finden, wie erwähnt, Workshops und Vorträge statt, zu denen tatsächlich »Gastkünstler, Schriftsteller und Ethnologen« geladen werden. Doch vollziehen sich diese Aktivitäten sozusagen backstage. Was die Arbeiten auf der Vorderbühne der Ausstellungspraxis angeht,4 so scheinen die Forschungskustodinnen eher auf die Rolle von Forschungsassistentinnen der Künstler reduziert, eine Rolle, für die sich in den Reiseberichten des 19. und frühen 20. Jahrhunderts gelegentlich die Bezeichnung des ›Dieners‹ findet. Bei der künstlerischen Filmproduktion von Helke Bayrle und Sunah Choi war es die Aufgabe der an dieser Stelle des Textes nun als »Museumskustodinnen« bezeichneten Wissenschaftlerinnen, 130 Objekte »mit ihren Handschuhen [...] in die Hand [zu] nehmen und herum[zu]drehen« (Deliss 2012b: 25). Die Künstlerin Peggy Buth erzählt, dass sie »das Weltkulturen Museum«, vermutlich also die Museums- bzw. Forschungskustodinnen, für ihre Arbeit recherchieren ließ (Buth 2014: 280). Die Künstler Luke Willis Thompson und David Weber-Krebs baten die Kustodinnen, Objekte nach von ihnen bestimmten Kriterien vorzusortieren. Die Ethnologin und Forschungskustodin Mona Suhrbier wird im Begleitband zu »Ware & Wissen« mit dem Hinweis zitiert, dass ihre Tätigkeit unter anderem darin bestand, für bestimmte Künstler stundenlang auf Leitern zu klettern, um Objekte bereitzustellen. Daneben berichtet sie von Gesprächen mit ihnen, deren Niederschlag sie in der Ausstellung allerdings nicht in jedem Falle nachvollziehen konnte. Der Umgang
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Auf den ersten Blick ist das Wort ›Forschungskustodin‹ ein Pleonasmus, da ›Forschung‹ ohnehin zur Arbeitsplatzbeschreibung von ›Kustoden‹, also den verbeamteten wissenschaftlichen Mitarbeitern eines Museums, zählt. Faktisch zielt der Begriff in seiner Frankfurter Anwendung offenbar auf die Trennung von ›Forschung‹ und ›Ausstellung‹, mit deren Konzeption nun mehr weniger die Wissenschaftlerinnen des Hauses, als viel mehr externe Künstler betraut werden. Für Hinweise auf den beamtenrechtlichen Hintergrund der Bezeichnung, wie auch für weiterführende Literaturhinweise danke ich Mark Münzel.
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Zum Begriff »Vorderbühne« vgl. die Arbeiten des Soziologen Erving Goffman (z.B. 2001 [1959]: 99-128), der menschliches Verhalten u.a. in Anlehnung an eine Theatersituation analysierte. So sieht Goffman beispielsweise den Kellner während des Bedienens auf der »Vorderbühne«, in der Küche, in der andere Verhaltenserwartungen gelten, hingegen auf der »Hinterbühne«. Das Verhalten auf der »Vorderbühne« ist öffentlich sichtbar, es ist – oder inszeniert sich als – an bestimmten Normen orientiert, die Darstellung ist in eine bestimmte »Fassade« (Bühnenbild) eingebettet; wohingegen auf der nicht-öffentlichen Hinterbühne die Darstellung, die ›vorne‹ bewusst hervorgerufen wurde, wieder aufgehoben werden kann.
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der Künstlerinnen und Künstler mit den Wissenschaftlerinnen ist dabei natürlich nicht einheitlich. Einige von ihnen, wie Antje Majewski, Otobong Nkanga oder Luke Willis Thompson, verweisen in Interviews und Diskussionen im positiven Sinne auf die Kenntnisse und die Auskunftsbereitschaft der Ethnologinnen (zit. in Deliss/Mutumba 2014: 115, 118, 119, 242, 264). Ähnlich wie im Text von Mania finden sich in den zitierten Frankfurter Publikationen Abstufungen und Differenzierungen bei der Namensnennung. Auch wenn die Forschungskustodinnen in eigenen Beiträgen oder im Impressum der Begleitbände namentlich Erwähnung finden, so scheint es doch nicht ganz ohne Belang, darauf hinzuweisen, dass zum einen die Künstler dies in ihren Referenzen in der Regel nicht tun. Zum anderen stellt auch Deliss in ihren Einleitungstexten zu »Trading Style« wie auch zu »Ware & Wissen« ausschließlich die Künstler namentlich vor. Auf die beteiligten Wissenschaftlerinnen wird lediglich mit dem anonymisierenden Sammelbegriff der ›Forschungskustodinnen‹ verwiesen. Der Bezug zur ›Dienerschaft‹ früher Reiseberichte ist somit durchaus ernst zu nehmen. In seiner Analyse von Afrika-Expeditionen im 19. Jahrhundert macht Johannes Fabian darauf aufmerksam, dass wir über die Forschungshelfer oft wenig erfahren und sie teilweise nicht einmal beim vollen Namen genannt werden: »ein Hinweis auf ihre niedere soziale Stellung und auf strikt hierarchische Beziehungen in einer Forschergruppe« (Fabian 2001: 60). Das faktische Verschwinden von Wissenschaft und Ethnologie zeigt sich auch in der Konstruktion der historischen Selbstdarstellung des Frankfurter Museums. In ihrem Einleitungsessay zu »Objekt Atlas« skizziert Deliss die »Geschichte des Frankfurter Weltkulturen Museums« (Deliss 2012b: 11ff.), wobei sie betont, dass das Haus im 20. Jahrhundert »maßgeblich an der Entwicklung neuer Konzepte der Museumsethnologie« beteiligt war (ebd.: 15). Vor allem in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg erfährt die historische Darstellung dabei eine interessante Fokussierung. So werden zum einen Künstler wie Joseph Kosuth oder Lothar Baumgarten, die sich zum Verhältnis von Kunst und Ethnologie geäußert haben oder gar selbst Feldaufenthalte bei einem indigenen Volk unternahmen, in den Überblick mit aufgenommen und zwar auch dann, wenn sie zur Zeit der angeführten Arbeiten mit dem Frankfurter Museum in keiner Beziehung standen. Wissenschaftlich orientierte Ausstellungen und Forschungen des Frankfurter Museums selbst hingegen werden in der vorgelegten Geschichte weitgehend ausgeblendet. Namentliche Erwähnung finden die seit dem Zweiten Weltkrieg am Museum tätigen Ethnologen im Text lediglich dann, wenn sie Kunst erforschten bzw. eine
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diesbezügliche Sammlung aufbauten.5 Frankfurter Museumsbeiträge, die Kunst und Ethnologie vor der Amtszeit von Deliss verbunden haben und für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit außereuropäischer Kunst in ihrem kulturellen Kontext wegweisend waren – wie beispielsweise die von Mark Münzel 1988 konzipierte Ausstellung »Die Mythen sehen«, die im Kustodenteam erarbeitete Ausstellung »Being Object – Being Art« (Sibeth 2009) oder die vielfältigen Arbeiten in der 1997 eröffneten und mittlerweile wieder geschlossenen Galerie 37 – werden nicht thematisiert. Es ist angesichts einer derart selektiven Geschichtsdarstellung nicht uninteressant, auf einen Kommentar von Peggy Buth im Begleitband zur Ausstellung »Ware & Wissen« zu verweisen. Betont die Künstlerin doch ausdrücklich, dass sie sich im Museum nicht nur für das Vorhandene interessiere, sondern auch für »mögliche[.] Leer- und Fehlstellen, die Berücksichtigung des ›Nichts‹, das häufig Zeugnis ist für Zerstörung und Zensur« (Buth 2014: 284). Mit der Ausstellung »Ware & Wissen (or the stories you wouldn’t tell a stranger)« hängt auch der zweite Aspekt zusammen, den ich an dieser Stelle beleuchten möchte. Yvette Mutumba, die gemeinsam mit Deliss für die Ausstellung verantwortlich zeichnet, erklärt im Begleitband: »Ware & Wissen ist eine selbstreflexive Analyse« (Mutumba 2014: 19). Welcher Teil des Selbst, so lässt sich fragen, wird hier reflektiert? Was wird analysiert? Eine Richtung gibt Deliss vor, wenn sie als Ausgangspunkt der Ausstellungsvorbereitungen die Frage benennt: »Welcher Art war die Beziehung zwischen diesem Museum und den Handels- und Geschäftsbanken am anderen Ufer des Flusses?« (Deliss 2014a: 11). Das ist eine gute Frage und man wäre an einer Antwort – gerne bis in unsere Zeit – sehr interessiert. Doch erschöpft sich die »Analyse« auf den kursorischen Verweis, dass der erste Direktor des Museums, Bernhard Hagen, mehrfach den handels- und kolonialpolitischen Nutzen des Museums betonte. Hagen steht dann in gewissem Sinne auch im Mittelpunkt der Ausstellung. Als Arzt hatte er lange in Südost-Asien gearbeitet und dabei unter anderem physisch-anthropologische Fotografien aufgenommen, die teilweise nackte Menschen, teilweise auch lediglich deren Geschlechtsteile zeigen. Es ist Deliss durchaus Recht zu geben, wenn sie betont, dass diese Fotografien »unbequeme Fragen« aufwerfen (ebd.). Schön wäre es nun, wenn man in Frankfurt nicht nur einige Fragen benennen, sondern auch bei der Antwortfindung mithelfen würde. Doch eine Analyse findet nicht statt. Den Projektionen der Besucher frei gegeben, lagen die Fotografien in der Ausstellung kommentarlos in zwei Vitrinen, die, indem man
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Auch am Frankfurter Völkerkundemuseum wurde ebenso wie in Berlin seit den 1970er Jahren gezielt zeitgenössische außereuropäische Kunst gesammelt. Vgl. Raabe/Suhrbier 1997; Raabe/Suhrbier 2004; Deliss 2012b: 17f.
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sie erhöhte, um Kindern den Anblick zu erschweren, noch einmal besonders betont wurden. Im Begleitbuch heißt es dann bei Mutumba: »Als Gründungsdirektor legte Hagen den ideologischen Grundstein des Museums und prägte dessen Entstehungsjahre. Auch wenn er seine Forschungen vor der Gründung des Museums betrieb, sind sie Teil seiner Vorstellungen von fremden Kulturen und Menschen. Diese müssen auch sein Konzept der Akkumulation, Verwaltung und Präsentation von fremder materieller Kultur auf die eine oder andere Weise beeinflusst haben« (Mutumba 2014: 19).
Auch das ist richtig, und man wüsste gerne, auf welche Weise dieses Konzept das Haus beeinflusst hatte? Doch eine Analyse findet nicht statt. Die wenigen präsentierten Daten zu Hagen sind darüber hinaus keineswegs neu. Johanna Agthe hatte bereits 1979 kritisiert, dass Hagen »das Museum als Schulungsstätte für die Konsumexpansion in außereuropäische Länder benutzen wollte« (Agthe 1979: 10) und auf seine Tätigkeit in Sumatra im Dienste einer ausbeuterischen Plantagenwirtschaft hingewiesen (ebd. 125). Später haben Dieter Kramer und Achim Sibeth Hagens physisch-anthropologische Fotografien thematisiert, allerdings ohne sie auszustellen. Sie analysierten zudem seinen evolutionistischen Ansatz, seine kolonialen Überzeugungen und seine rassistischen Äußerungen. Diese Texte müssten in Frankfurt eigentlich bekannt sein, handelt es sich doch zum einen um den Begleitband zu einer Ausstellung, die 1979 im Frankfurter Museum, das damals noch Museum für Völkerkunde hieß, zu sehen war. Zum anderen erschienen sie in dem 2004 publizierten Band zum hundertjährigen Geburtstag dieses Hauses (Kasprycki 2004), des ab 2001 nunmehr für einige Jahre in Museum der Weltkulturen umbenannten heutigen Weltkulturen Museums. Doch werden Ausstellungskatalog und Jubiläumsschrift weder im Begleitbuch zu »Ware & Wissen« noch in Deliss’ Abriss der Frankfurter Museumsgeschichte genannt. Obwohl die wissenschaftshistorischen Daten nicht über bereits früher in Frankfurt erarbeitete Ergebnisse hinausgehen, wird »Ware & Wissen« in der Selbstdarstellung von den Verantwortlichen als »Ergebnis einer einjährigen Recherche in den Archiven und Sammlungen des Weltkulturen Museums« (Deliss 2014a: 11) präsentiert. Die zuvor erarbeiteten Untersuchungen aus der eigenen Institution bleiben unerwähnt.6
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Zur Auseinandersetzung mit Hagen, wie auch für frühere Frankfurter Beispiele des Verschweigens und Umetikettierens, vgl. auch Münzel 2006. Der der Geschichte der Frankfurter Ethnologie an Museum und Universität gewidmete Band, in dem Münzels Aufsatz erschien (Kohl/Platte 2006), findet sich in den Geschichtsdarstellungen von
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In der Ausstellung »Ware & Wissen« geht es allerdings nicht um Hagen alleine. Mit dem Verweis, dass auch sie »von Typologien der Menschheit, insbesondere von allem, was ihrer Meinung nach vom europäischen Körperbau abwich«, fasziniert waren, rückt Deliss (2014a: 11) die beiden auch ethnologisch tätigen Missionare Martin Gusinde und Paul Schebesta in die Nähe von Hagens Positionen. Sowohl in der Ausstellung als auch im Katalog finden sich Fotografien, die Schebesta und Gusinde aufgenommen haben bzw. zeigen. Außer solch vagen, eher suggestiven denn soziale oder historische Beziehungen verdeutlichenden Anmerkungen erfolgt allerdings auch hier keine Analyse ihres Tuns. Dabei hatte man sich am Frankfurter Museum auch mit Gusinde und seinen Fotografien bereits einmal in einer Ausstellung auseinandergesetzt, wenn auch nicht mit den Bildern aus Afrika, sondern mit denjenigen aus Südamerika. Im von Anne Brüggemann verfassten Begleitkatalog aus dem Jahr 1989 ist zu lesen: »Gusindes Achtung und Respekt vor der fremden Kultur spiegelt sich in seinen Fotografien. Im Bewußtsein der vollen Wertschätzung des Forschers und Fotografen waren die Indianer vor die Kamera getreten und blicken nun ernst und würdevoll auf ihre Betrachter. Gusinde hat die Feuerländer einfühlsam und taktvoll portraitiert und keine Schnappschüsse gemacht, die den Menschen vielleicht peinlich gewesen wären« (Brüggemann 1989: 7).
Muss diese Ansicht nun revidiert werden? Oder war Gusinde gar nicht so voyeuristisch, wie ihn die entkontexualisierte Bilderschau im Weltkulturen Museum neuerdings darstellt? Oder hat sich sein Verhalten in Südamerika stark von seinem Verhalten in Zentral- und Südafrika unterschieden? Man wüsste es gerne. Aber eine Analyse findet nicht statt. Nicht einmal der Band von damals wird im Band von heute erwähnt.7 Was war nun der Zusammenhang von Ethnologie und Handel, dem die Ausstellung nachspüren möchte? In ihrem Essay betont Mutumba sechsmal, dass bei den frühen Forschungen auch »Geld« eine Rolle gespielt habe. Auch das wäre der
Deliss und Mutumba ebenfalls nicht angeführt. Auch in einer neueren Publikation wird die Tradition des selektiven Ausblendens Frankfurter Arbeiten beibehalten. 2014 erschien eine leicht modifizierte Fassung der Einleitung von »Objekt Atlas« (Deliss 2012b), in die nunmehr die aus der Ausstellung »Ware & Wissen« übernommene Kritik Frankfurter Sammelpraktiken der 1960er Jahre eingefügt ist (Deliss 2014b: 446). Frühere wissenschaftliche Arbeiten aus dem eigenen Haus, die Informationen zu den Intentionen und Vorgehensweisen dieser Expeditionen bieten (Haberland 1987; Raabe 2008) bleiben wiederum unerwähnt. 7
Zur Auseinandersetzung mit Gusinde vgl. weiterhin z.B. Palma 2008; Mason 2010.
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Erforschung Wert gewesen. Welche Summen, von wem erhalten, wurden wie verausgabt? Wer profitierte möglicherweise in Afrika oder in Europa? Lassen sich Wertschöpfungsketten bezüglich der heute von den Künstlern in Frankfurt als Ausgangspunkt ihrer Installationen verwendeten Ethnographica nachzeichnen? Wurde Wert kulturell unterschiedlich konstruiert? Eine Analyse findet nicht statt. Der bloße Hinweis hingegen, dass Geld eine wichtige Rolle spielte, bleibt auch bei mehrfacher Wiederholung banal. Wer im Jahr 2014, beispielsweise um die Ausstellung »Ware & Wissen« zu besuchen, das Weltkulturen Museum in Frankfurt betrat, stieß gleich nach der Eingangstür, noch bevor er das erste Objekt zu Gesicht bekam, auf zwei Tafeln, auf denen den aktuellen Sponsoren des Hauses gedankt wurde. Auch das hat mit Geld zu tun. Ich halte dies nicht für verwerflich. Ohne Geld sind in der Regel weder Forschungen noch Ausstellungen zu leisten. Die »Analyse« der Fotografien von Gusinde und Schebesta in »Ware & Wissen« allerdings ist so oberflächlich und unspezifisch, dass man die Aussagen über die beiden Missionars-Ethnologen im Begleitband auch getrost als Selbstbeschreibung der Ausstellung lesen kann: »Ging es hier also gar nicht um Wissenschaft, sondern um das Befriedigen von Sensationslust? [...] Fest steht, dass es bei der Produktion dieses Bildmaterials nicht nur um Forschung ging, sondern auch um Profilierung. Das machen die Veröffentlichungen der Fotografien deutlich. Sie wurden so zu einem Medium, welches die Neugier und Sensationslust eines westlichen Publikums befriedigen konnte. Das wiederum half, finanzielle Unterstützung für weitere Forschungen zu erhalten. Es entstand ein ambivalentes Verhältnis zwischen Wissenschaft, Moral, Glauben und Ökonomie« (Mutumba 2014: 21).8
Im Begleitbuch finden sich weitere Hinweise, über die das Nachdenken lohnt. Die Künstlerin Antje Majewski bemerkt beispielsweise, dass man sich fragen solle, »warum manche Bedeutungen zu bestimmten Zeitpunkten in der Geschichte unserer Gesellschaft [oder eines Museums, MK] so wichtig geworden sind. Einfach gesagt, sich daran zu erinnern, dass die Bedeutung, die man erzeugt, auch ein Mittel zu einem Zweck ist« (Majewski, zit. in Deliss/Mutumba 2014: 197).
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Der gezeigte Befund erinnert an das berühmte Bonmot von Karl Marx, der in der Auseinandersetzung mit G.W.F. Hegel dessen Bemerkung, dass sich Geschichte immer zweimal ereigne, um den Zusatz ergänzte: »das eine Mal als Tragödie [was sich auf Bernhard Hagen beziehen lässt, MK], das zweite Mal als Farce [was auf den Umgang mit Fotografien und Geschichte in »Ware & Wissen« zutrifft, MK]« (Marx 1975 [1852]: 226).
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Was also könnte der Zweck hinter den skizzierten Mitteln sein? Eine Lesart, die hier zur Diskussion gestellt werden soll, ist Folgende: »Ware & Wissen« ist keine Form der Selbstreflexion, sondern eine gezielt konstruierte, weniger auf Analysen denn auf fragwürdigen Assoziationsangeboten aufbauende und gerade in ihrer suggestiven Fragwürdigkeit konsequente Darstellung eines Teils der Frankfurter Museumsgeschichte, den man vom gegenwärtigen Selbst des Weltkulturen Museums gerade abzuspalten versucht: Wissenschaft und Ethnologie. Die eklektizistische Auswahl der Themen und Bilder, die auf Skandalisierung statt auf Analyse setzende Darstellung von Bereichen, die mit Wissenschaft und Ethnologie zu tun haben, zeichnen ein Bild dieser Sozialformen, das dieses Vorhaben unterstützt bzw. zu legitimieren versucht. Ohnehin bleibt zu fragen, inwiefern Gusinde und Schebesta für eine »selbstreflexive Analyse« der Frankfurter Museumsgeschichte oder auch nur für »Schlaglichter auf das Leben einer Institution« (Mutumba 2014: 18f.) die passenden Personen sind? Beide hatten dort nie gearbeitet. Die ausgestellten Fotografien gelangten erst lange nach ihrem Tod, auf Initiative des damaligen Museumsdirektors Josef Franz Thiel an das Museum, wo sie im Laufe der späten 1980er sowie der 1990er Jahre reproduziert und bearbeitet wurden. Die Originale befinden sich nach wie vor im Anthropos-Institut in Sankt Augustin.9 Die gezeigten Kopien, die somit zwar zum wohlbekannten Bestand des Archivs zählen, deren Fotografen aber nicht für eine repräsentative Phase des Museums stehen, scheinen folglich vor allem danach ausgewählt worden zu sein, inwiefern sie sich für den oben genannten Zweck verwenden ließen. Die ›kritische Darstellung‹ der Museumsgeschichte wiederholt an dieser Stelle die fotohistorisch bereits für die Zeit vor 1900 analysierte und kritisierte Vorgehensweise des Ordnens der visuellen ›Belegstellen‹ anhand der vorgefassten Theorie (vgl. Edwards 2003). Was bleibt also von der so stark betonten Kooperation von Ethnologie und Kunst? In den Frankfurter Ausstellungen gerade einmal die Hälfte, die Kunst. Was wiederum hat dies für Konsequenzen? Mit der Ethnologie verliert das Museum auch die von dieser Disziplin vertretenen Ansätze, ihre Forschungskompetenz und ihre Themenvielfalt bei der Auseinandersetzung mit anderen, allen voran außereuropäischen Gesellschaften, aus denen die Mehrzahl der in Frankfurt bewahrten
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Auch diese Informationen finden sich bereits in Publikationen des ehemaligen Museums für Völkerkunde. Vgl. Brüggemann 1989; Raabe 1994; Raabe/Wagner 1994: 138149, 204-209; Voges 1994. Für zusätzliche Hinweise danke ich zudem Josef Franz Thiel und Harald Grauer. Dass man die Ausstellung in Frankfurt in der vorliegenden Form konzipierte, obwohl man um den genannten Tatbestand wusste, findet sich bei Buth angedeutet (2014: 282, Anm. 18).
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Gegenstände stammt. Schlimmer noch: Mit der neuen Ausrichtung verliert das Frankfurter Museum offenbar generell das Interesse an diesen Gesellschaften. Eine Repräsentation oder gar Integration dieser Menschen und ihrer Weltbilder jenseits der Arbeiten zeitgenössischer Künstler und deren Verwendung der vorhandenen Objekte für eigene Installationen lehnt Deliss ab. Im Interview mit Habsburg-Lothringen betont sie: »Es geht nicht mehr um eine Darstellung von Ethnien. Es ist für mich unmöglich, Ausstellungen zu konzipieren, die Ethnien mit ihrem Glauben etc. darstellen« (Deliss 2012a: 178).10 Den Eingang eines Objektes in das Museum bzw. seine Aneignung durch die vorgenommene Inventarisierung vergleicht sie mit seiner Geburtsstunde. Das Leben eines Objektes »beginnt eigentlich erst mit diesem auf das Museum bezogenen Datum und nicht mit dem Datum seiner ursprünglichen Herstellung« (Deliss 2012b: 26).11 Das Ausblenden epistemischer Zusammenhänge könnte kaum größer sein. Spätestens an dieser Stelle bekommt das von Deliss propagierte, von Paul Rabinow entlehnte Museumskonzept der »Remediation«, das unter anderem mit »wiederherstellen« und »Heilung« in Zusammenhang gebracht wird (Deliss 2012b: 21) in seiner spezifisch Frankfurter Ausprägung einen zynischen Beigeschmack. Sind es doch in der Regel weniger Objekte, die geheilt werden müssen, als die Wunden, die indigenen
10 An anderer Stelle charakterisiert Deliss ihren »post-ethnografischen« Ansatz dahingehend, »dass wir uns nicht länger damit zufrieden geben können, Ausstellungen über die Zeugnisse der materiellen Kultur anderer Völker zu machen, die nach dem Prinzip einer Ethnie oder eines Stammes organisiert sind, wenn wir diesen Gruppen selbst nicht angehören« (Deliss 2012b: 21, Hervorhebung MK). Bei aller Sympathie für die Suche nach neuen Präsentationsformen, und durchaus eingedenk, dass Deliss von schwer zu definierenden »Ethnien« und »Stämmen« spricht, so würde dies doch bedeuten, dass zukünftig nur mehr ein Preuße Ausstellungen über Preußen und nur mehr ein Skythe Ausstellungen über Skythen kuratieren darf. Je nach Weite der Begriffsdefinition wäre zu befürchten, dass nur mehr ein Künstler der Renaissance Ausstellungen über Renaissancekunst und nur mehr ein Kannibale Ausstellungen über Kannibalismus erarbeiten sollte. Aus ethnologischer Sicht hingegen ist es ein hoher Wert, sich speziell mit den Ausdrucksweisen und Ansichten auseinanderzusetzen, denen man sich selbst nicht zurechnet. Entsprechende Herangehensweisen sind dabei selbstverständlich kein ethnologisches Privileg, sondern Fächer übergreifend von Bedeutung (vgl. z.B. Straub 1999). 11 Sehen sich nicht wenige Wissenschaftler des 19. Jahrhunderts heute dem Vorwurf ausgesetzt, andere Völker als ein Kindheitsstadium der eigenen Entwicklung imaginiert zu haben, so findet bei Deliss nun sogar eine Verschiebung in den Bereich des Pränatalen statt.
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Völkern geschlagen wurden (vgl. z.B. Lonetree 2009, 2012). In der Neukonzeption des Frankfurter Museums werden indigene Gemeinschaften allerdings einmal mehr auf die Rolle von Stichwortgebern und Rohstofflieferanten für den eigenen, diesmal von einer internationalen Kunstelite zu gestaltenden Diskurs reduziert. Die Erforschung der Herstellung der Artefakte, ihrer ursprünglichen Bedeutungen, des mit ihnen verbundenen Wissens, ihrer Biografien, der darin enthaltenen Beziehungen zu uns, wie auch der Versuch, den Sichtweisen ihrer Produzenten bzw. von deren Nachfahren Raum zu geben, sind vom Geschehen im Museum weitgehend ausgeschlossen.
K RITIK DER NICHT
DIFFERENZIERENDEN
K RITIK
Ich habe in meinen bisherigen Ausführungen zwei unterschiedliche Bewegungen vorgestellt, die jedoch beide in die gleiche Richtung zielen. Astrid Mania plädiert für die Aufhebung bestehender Hierarchien zwischen ›westlicher‹ und ›indigener‹ Kunst und versucht zugleich den Anspruch des Kunstmuseums auf eine ethnologische Sammlung über die Hierarchisierung der bestehenden Museumstypen zu legitimieren. Bei Clémentine Deliss findet sich eine Rhetorik von Integration und Kooperation zwischen Wissenschaft und Kunst, die in der Ausstellungspraxis des Frankfurter Museums allerdings durch das Primat der Kunst unterlaufen wird. Für die Frage nach der Zukunft des Völkerkundemuseums sind beide Ansätze von Belang, geht es doch in beiden Fällen um die Kappung ethnologischer Perspektiven. Als Alternative zur Ethnologie wird jeweils die Kunst – in einem Fall das Kunstmuseum, im anderen die künstlerische Praxis – propagiert.12 Ich will an einem Beispiel aus dem genannten Kontext daher zunächst noch einmal verdeutlichen, wie wenig sich künstlerische Arbeiten von den von ihnen kritisierten Methoden unterscheiden müssen. In ihrer Arbeit für die Ausstellung »Ware & Wissen« am Weltkulturen Museum Frankfurt präsentierte die Künstlerin Peggy Buth unter anderem Fotografien, die Josef Franz Thiel von Menschen im Kongo aufgenommen hatte. Thiel war
12 Die Unterschiede in der Argumentation ergeben sich meines Erachtens nicht zuletzt aus der Position der Protagonistinnen: Da Mania außerhalb des Ethnologischen Museums steht, plädiert sie dafür, einen Teil der vorhandenen Sammlungen aus dieser Institution auszulagern. Deliss befindet sich als Direktorin eines ehemaligen Völkerkundemuseums im Inneren der Institution. Sie hat somit bereits Zugriff auf die Sammlungen. Daher versucht sie nicht, diese zu verlagern, sondern ethnologische Fragestellungen und wissenschaftliche Forschungen aus dem Binnenbereich des Museums zu verdrängen.
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eine zeitlang Missionar gewesen, ist aber später aus dem Orden ausgetreten und hat geheiratet. Thiel war auch Ethnologe. Als Direktor des Frankfurter Museums für Völkerkunde war er zudem der Vorvorgänger von Clémentine Deliss (vgl. Kramer et. al. 2003). Auf den Fotos von Thiel, so Buth, sind lachende Menschen zu sehen, denen kein Widerwille gegen das Fotografiertwerden anzusehen ist (Buth 2014: 285). Genau dies wird von der Künstlerin nun scharf kritisiert. Sie sieht darin eine »mythische Selbstrepräsentation« des fotografierenden Missionars bzw. seiner »›zivilisatorischen Aufgaben‹ als ›Sendbote‹ zur Verbreitung des Evangeliums« (ebd.). Thiel, so konstatiert sie, »zieht sich in seinen Fotografien zurück auf die Darstellung eines vermeintlich harmonischen interkulturellen Kontakts« (ebd., Hervorhebung MK). Die Möglichkeit, dass die Menschen lachen, weil sie fröhlich waren oder weil sie zu dem sie fotografierenden Missionars-Ethnologen ein gutes Verhältnis hatten, schließt Buth von vornherein aus. In seinem Aufsatz »Zur Kritik der postkolonialen Kritik« weist Thomas Hauschild darauf hin, dass es der Erkenntnisfindung nicht förderlich ist, wenn man alte Fotografien von vornherein einseitig mit einer »Rhetorik des Verdachts« liest (Hauschild 2002: 16; vgl. auch Wiener 2003). Auch bei der Arbeit mit Bildern gilt es, die eigenen Vorannahmen zu reflektieren und nicht unkritisch dem Untersuchungsgegenstand überzustülpen. Buths Deutung von Thiels Aufnahmen ist eine mögliche Interpretation dieser Bilder. Es wäre angemessen, diese Deutung zu belegen oder aber durch weitere Hypothesen zu ergänzen. Beides erfolgt nicht. Im Ausstellungsraum lagen die Fotografien weitgehend kommentarlos zwischen Bildern anderer Fotografen einfach aus. Zugleich konnte man im Raum die von der Künstlerin verfremdet vorgetragene Rede Bernhard Hagens zur Museumseröffnung im Jahr 1904 hören. Erneut wurden Fotografien späterer Jahrzehnte in der Ausstellung unmittelbar zum Gründungsdirektor des Hauses und seinen handelsund kolonialpolitischen Ansichten in Beziehung gesetzt. Neben dieser suggestiven Präsentationsform erfährt der Besucher von der Künstlerin allerdings weder in der Ausstellung noch im Begleitbuch genaueres über diese Bilder, noch über Thiel, noch über die Situation im Kongo. Eine Kontextualisierung, eine Analyse des Entstehungsprozesses der Fotografien erfolgte nicht. Dennoch weiß die Künstlerin nach ihrer »Feldforschung im Museum« offenbar genau, wie diese Bilder zu lesen sind. Worauf dieses Wissen beruht, bleibt ein Geheimnis. Es geht mir in diesem Beitrag, wie eingangs betont, darum, das Sprechen über und den Umgang mit Ethnologie, ihren Vertretern und ihren Institutionen, zu untersuchen. Es ist nicht meine Intention, für eine Abgrenzung zwischen unterschiedlichen Fächern oder Berufsgruppen zu plädieren. Weder Kunst, Kunstgeschichte noch Ethnologie sind monolithische Konzeptionen oder homogene, widerspruchsfreie Sozialformen. Dispute verlaufen auch nicht einfach entlang von
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Disziplinengrenzen, wie unter anderem die Kritik von Mania an Eissenhauer oder die unterschiedlichen Reaktionen auf »Objekt Atlas« zeigen. 13 Zudem existiert eine beeindruckende Vielzahl an Arbeiten, die sich gerade nicht einseitig ›disziplinieren‹ lassen.14 Was an dieser Stelle reflektiert werden sollte, ist, mit welchen Mitteln, resp. Diskursweisen und Repräsentationsformen, die Auseinandersetzung mit dem ethnologischen Museum stellenweise erfolgt. Begriffe wie ›kritisch‹ oder ›postkolonial‹ finden heutzutage fast schon inflationäre Anwendung. Dabei wiederholen manche Arbeiten, wie gezeigt, die Methoden, die zu überwinden sie angeblich aufgebrochen waren. Essentialisierungen, Reduktionen in Form simpler Dichotomien, machtvolle Interessenetablierung und ungeprüfte a priori-Annahmen sind auch ›kritischen Studien‹ immer wieder zu eigen. Daher gilt weiterhin, sich nicht bereits von der terminologischen Etikettierung, der repräsentativen Aufmachung oder der Dominanz einer vorgetragenen Sichtweise beeindrucken zu lassen. Notwendig bleibt die Analyse von diskursiven und sozialen Praxen, um damit verbundene Formen von Inklusion und Exklusion, Aneignung und Hierarchisierung zu erkennen. Zugleich gilt es immer wieder aufs Neue zu fragen, wie verwendete Termini und Konzepte semantisch besetzt sind. In der Einleitung zu dem von ihnen herausgegebenen Sammelband »Das Kaiserreich transnational« verweisen die beiden Historiker Sebastian Conrad und Jürgen Osterhammel darauf, dass ein Verständnis der Kolonialzeit gerade nicht über pauschale Zuschreibungen zu erreichen ist. Sie schreiben: »Man sollte die Vermutung nicht generell unter Verdacht stellen, dass aus einer Situation deutscher oder europäischer Überlegenheit durchaus auch eine genuine, nicht durch Ausbeutung und Arroganz geprägte Anerkennung und Aneignung des Anderen entstehen konnte« (Conrad/Osterhammel 2004: 19). Dem ist meines Erachtens zuzustimmen. Illustriert wird diese Feststellung dann interessanterweise wiederum mit dem Verweis auf zwei Künstler, August Macke und Paul Klee, und ihren Reisen
13 Positiv reagierte neben der Kunsthistorikerin Susanne Leeb beispielsweise auch die Ethnologin Brigitta Hauser-Schäublin auf »Objekt Atlas«, negativ äußerten sich in ihren Rezensionen die Ethnologen Claus Deimel und Holger Jebens. 14 Aus der Menge derartiger Arbeiten können an dieser Stelle nur einige wenige exemplarisch genannt werden. Vgl. z.B. Beier 1997; Bolz/König 2012; Baumgarten 2011; Cowling 1989; Kamel 2007; Kasprycki/Stammbrau 2003; Kosuth 1991 [1975]; Kramer 2014; Müller 2008; Münzel 1988; Oppitz 1989; Panlon/Kenhíri 1980; Parzinger/Aue/Stock 2014; Raabe/Suhrbier 1997; Rosaldo 2013; Sibeth 2009. Vgl. weiterhin die Beiträge von Edenheiser, Noack, Scholz, Seiderer und Suhrbier im vorliegenden Band.
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nach Nordafrika. So heißt es einige Zeilen später: »Weder merkt man Mackes leuchtenden Aquarellen an, dass Tunesien damals eine französische Kolonie war, noch wird man dem Künstler eine andere Haltung als die unbefangener ästhetischer Aufgeschlossenheit unterstellen können« (ebd., Hervorhebung MK). Warum eigentlich? Welche Vorstellung vom Künstler liegt einer solchen Aussage zugrunde? Was verbinden wir mit Kategorien wie ›Künstler‹, ›Ethnologe‹, ›Missionar‹ – oder auch ›Händler‹, ›Matrose‹, ›Kolonialbeamter‹ – noch bevor wir soziale Praxen und geistige Einstellungen im Einzelfall genauer untersucht haben? Im Kapitel »Künstlerreisen und Kolonialismus« der vom Kunsthistoriker Christoph Otterbeck verfassten Monographie »Europa verlassen. Künstlerreisen am Beginn des 20. Jahrhunderts« finden sich Beispiele für Denk- und Verhaltensweisen jeglicher Couleur, die in Vielem an die Reiseberichte von Vertretern anderer Berufsgruppen jener Tage erinnern. In akribischer Detailarbeit präsentiert Otterbeck dem Leser neben einer Analyse der entstandenen Werke auch ausführlich die Umstände der Reisen sowie Ansichten und Verhaltensformen ihrer Protagonisten. Die Künstlerreise ist dabei ebenso wenig auszumachen wie die ethnologische Forschung. Versucht man dennoch zu abstrahieren, was Künstler in ihrer Gesamtheit von ihren reisenden Zeitgenossen unterschied, so findet sich vor allem eines: Die Fähigkeit, Kunst zu produzieren. Die Form der Auseinandersetzung mit der fremden Umgebung unterscheidet sich. Eine moralische oder erkenntnistheoretische Überlegenheit ist damit nicht verbunden. Damit will ich zum Ausgangspunkt meiner Überlegungen, dem Reden über das Völkerkundemuseum, zurückkehren. In seinem 1977 in erster Auflage erschienenen Buch »Verkehrte Welten« schreibt der Ethnologe Fritz Kramer, dass »die ethnographischen Museen der Metropolen […] das Ergebnis einer gigantischen Plünderungsaktion [sind]« (Kramer 1981 [1977]: 78). Dies mag in den späten 1970er Jahren eine die Diskussion beflügelnde Stellungnahme gewesen sein, ist in dieser überspitzten Form jedoch falsch. Doch sind derartige Aussagen offenbar auf fruchtbaren Boden gefallen. Einem Text der Kunsthistorikerin Susanne Leeb aus dem Jahr 2013 ist folgender Satz vorangestellt: »Ihre Objekte [= Ethnologische Museen, MK] gelangten nur durch koloniale Machtausübung in die Sammlungen« (Leeb 2013: 41, Hervorhebung MK). Dergestalt formuliert, würde dies auch für alle rezent erworbenen Sammlungen, einschließlich der Ankäufe zeitgenössischer Kunst gelten – dabei ist es historisch in dieser Verallgemeinerung nicht einmal für die Kolonialzeit richtig. Wer die zur Verfügung stehenden Quellen analysiert und sich nicht von vornherein lediglich auf eine Seite der Medaille konzentriert, weiß, dass es neben Beispielen dafür, auch Beispiele gibt, die gegen
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diese Behauptung sprechen;15 wobei es für die geführten Diskussionen bedauerlicherweise keineswegs untypisch ist, dass sie eher durch die Verabsolutierung von Theoremen geprägt sind als durch empirische Kleinarbeit im Archiv. Ein Grundproblem der Auseinandersetzung besteht in der oftmals mangelhaften Differenzierung zwischen einem Individuum und der Zeit, in der es gelebt hat. Wer zur Kolonialzeit reiste, bewegte sich in einem kolonialen Umfeld. Doch war er damit nicht automatisch Kolonialist. Verständnis fördernd ist folglich nicht die kollektive Anklage, sondern die individuelle Analyse der jeweils spezifischen Vorgehensweisen im Rahmen der kontextuell gegebenen Handlungsoptionen. Wenn Leeb, Étienne Balibar zitierend, die institutionelle Stärke der Kunst dann allerdings darin sieht, »dass sie der Ort endloser Anfechtungen auf der Basis ihrer eigenen Prinzipien oder Diskurse [ist]« (Balibar, zit. in Leeb 2013: 59), so zeigt sich hier eine Ebene, auf der sich zeitgenössische Kunst und Ethnologie wiederum sehr nahe sein könnten. Womit auch ein weiterer beachtenswerter Aspekt benannt ist, wird doch bei der Kunst zumindest eine minimale zeitliche Differenzierung eingeführt: Es geht bei diesen Aufeinandertreffen von Kunst und Ethnologie in der Regel nicht um die Kunst um 1870 oder um die Kunst aus den 1930er Jahren, sondern um zeitgenössische. Aber welche Ethnologie ist gemeint? Zur Geschichte der Völkerkundemuseen zählen sowohl der Kolonialbefürworter Bernhard Hagen und die von ihm erstellten anthropologischen Körperaufnahmen als auch der Kunstfreund Peter Bolz und die von ihm erworbene Sammlung zeitgenössischer Graphiken und Gemälde aus Nordamerika. Wer vom Völkerkundemuseum spricht, sollte daher den Moment in Raum und Zeit benennen, auf den er sich bezieht – und nicht den Einzelaspekt, der sich für das eigene Interesse instrumentalisieren lässt, für das Ganze ausgeben. Im Sprechen und Schreiben über Andere hat die Ethnologie die manchmal als ›ethnographisches Präsens‹ beschriebene Zeitform, die Homogenität und Unveränderlichkeit suggeriert, statt historische Entwicklungen und Differenzierungen zu benennen, seit langem reflektiert und vielerorts überwunden.16 Im Sprechen und Schreiben über das Völkerkundemuseum hat diese Darstellungsform weiterhin Konjunktur.
15 Zur Vielschichtigkeit des Sammlungserwerbs ethnologischer Museen vgl. z.B. die sehr unterschiedlich gelagerten Fälle und Analysen bei Essner 1986; Fischer 1981; Haberland 1987; Herzog-Schröder 2014; Hoffmann 2012; Kraus 2004, 2015; O’Hanlon/Welsch 2000; Plankensteiner 2007; Raabe 2008; Schefold/Vermeulen 2002; Schindlbeck 1993, 2007. 16 Vgl. z.B. Marcus/Cushman 1982; Clifford/Marcus 1986; Berg/Fuchs 1993.
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Es scheint mir in diesem Zusammenhang eine durchaus ernst zu nehmende Entwicklung, dass sich Fachvertreter in der aktuellen Diskussion immer wieder genötigt sehen, die Ethnologie ganz prinzipiell verteidigen zu müssen; wobei das Fach hierbei durchaus Unterstützung von Nachbardisziplinen erfährt (vgl. z.B. Hirschauer 2013, Kohl 2014, Lewis 2014). Letztlich liegt es an der Disziplin selbst, die eigenen Stärken und Kompetenzen auch öffentlich besser zur Geltung zu bringen, wobei das Verhältnis zwischen Museum und Universität hierbei eine wichtige Rolle spielen sollte (vgl. Suhrbier in diesem Band). Das Völkerkundemuseum ist nicht die einzige, aber nach wie vor eine herausragende Chance der gesamten Disziplin, für ihre Themen, Ergebnisse und Perspektiven einen öffentlich beachteten Raum und eine Vermittlungsform zu finden. Bernhard Streck (2000) bezeichnete das Museum vor nicht allzu langer Zeit noch als die Praxis der Ethnologie. Dass dieses Praxisfeld der Inszenierung und Diskussion allerdings für wissenschaftliche Ergebnisse zur Verfügung steht, ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt keineswegs selbstverständlich.
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Konzepte in Aktion
In-Between. Zum Grenzgang zwischen ethnologischen und kunsthistorischen Konventionen in der Ausstellungspraxis. Oder: Don’t represent – create a presence! I RIS E DENHEISER
Lange führte das ethnologische Museum ein Schattendasein. Doch ist das Interesse an diesem »Museum par excellence« (Pomian 2001: 48f.) mit der Etablierung der critical museology und der fachinternen »Krise der Repräsentation« im Allgemeinen, durch Wieder- und Neueröffnungen mehrerer Museen1 sowie den Debatten um das Humboldt-Forum im deutschsprachigen Raum im Besonderen in den letzten 20 Jahren enorm gestiegen.2 In der öffentlichkeitswirksamen Ausstellungspraxis ist darüber hinaus eine starke Hinwendung zu künstlerischen und/oder kunsthistorischen bzw. kunstwissenschaftlichen Strategien des Kuratierens von sogenannten Ethnographica zu beobachten.3 Das Potential einer ethno1
Dazu gehören das Museum Volkenkunde in Leiden (2001), das Värlsdkultur Museerna in Göteborg (2004), das Musée du quai Branly (2006), das Grassi Museum für Völkerkunde zu Leipzig (2006-2009), das Rautenstrauch-Joest-Museum – Kulturen der Welt (2010), das Museum der Kulturen Basel (2011) und das Völkerkundemuseum der Universität Zürich (2014).
2
Zur critical museology vgl. z.B. Macdonald 2011; Shelton 2013; Witcomb 2003; zur »Krise der Repräsentation« vgl. z.B. Berg/Fuchs 1993; Clifford/Marcus 1986; Zenker/Kumoll 2010; zum Humboldt-Forum vgl. z.B. Bose 2013; Flierl/Parzinger 2009; König/Scholz 2012; No Humboldt21! 2013.
3
Aus der Vielzahl der Ausstellungen seien an dieser Stelle beispielhaft einige aus jüngerer Zeit genannt, die eine größere mediale Berichterstattung genossen: »Bildwelten – Afrika, Ozeanien und die Moderne« (Fondation Beyeler, Basel, 2009), »Lothar
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logischen Perspektive auf dezidiert als Kunst produzierte Arbeiten wird dagegen viel seltener diskutiert (z.B. vgl. Whiles 2010). Aus dem breiten Feld der Aktivitäten eines ethnologischen Museums wendet sich dieser Beitrag deshalb explizit jenem öffentlichen Gesicht, der Ausstellung, und ihrem Entstehungsprozess, dem Kuratieren, zu. Ich schreibe dabei aus einer museumsinternen, praxisorientierten Perspektive als Kuratorin und behandele an einem eigenen Beispiel, der Sonderausstellung »Tecumseh, Keokuk, Black Hawk – Indianerbildnisse in Zeiten von Verträgen und Vertreibung« (1.10.2013-2.3.2014, Albertinum, Staatliche Kunstsammlungen Dresden), mögliche positive Effekte eines hybriden, interdisziplinären Kuratierens zwischen Ethnologie und Kunstgeschichte, das im besten Falle zu Horizontverschiebungen und -erweiterungen mit beiderseitigem Gewinn führen kann. Mein Beitrag kann auch als ein Versuch gelesen werden, gegen Usurpationsängste auf der einen und Unkenntnis der Möglichkeiten der Ethnologie auf der anderen Seite anzuschreiben.
Z WISCHEN DEN G ENRES : T ECUMSEH , K EOKUK , B LACK H AWK – UND F ERDINAND P ETTRICH IM A LBERTINUM Die genannte Sonderausstellung entstand als Kooperation der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) mit den Vatikanischen Museen und wurde im Dresdner Albertinum gezeigt. Thema und Herzstück der Präsentation war das eigentümliche Werk des Dresdner Bildhauers Ferdinand Pettrich (1798-1872), einem Spätklassizisten, der 1834 in die USA emigrierte. In Washington porträtierte er indigene Delegierte, die zu Land- und Friedensverhandlungen in die Stadt gekommen waren.4 Aus diesen Studien formte er um 1850 in seiner neuen brasilianischen Heimat terrakottafarben bemalte Gipsbüsten, Ganzkörperplastiken und Friese, die er in seiner Gesamtheit als »Indianisches Museum« bezeichnete (vgl.
Baumgarten: Abend der Zeit – Señores Naturales. Yanomami« (Museum Folkwang, Essen, 2011-12), »Beyond Melancholia« (Museum für Völkerkunde Hamburg, 201415), verschiedene Projekte im Rahmen des Humboldt Labs Dahlem, z.B. »Spiel der Throne« (2013) und »Musik sehen: lichtklangphonogramm« (2013) sowie das Ausstellungsprogramm von Direktorin Clémentine Deliss am Weltkulturen Museum Frankfurt am Main seit 2010. Zum Primat des Kunstmuseums vgl. auch den Beitrag von Kraus in diesem Band. 4
Dieser Artikel fokussiert auf die verschiedenen kuratorischen Strategien der Präsentation und Kontextualisierung von Pettrichs Werk. Für eine ausführliche Beschreibung und Analyse der Plastiken vgl. den Ausstellungskatalog (Edenheiser/Nielsen 2013).
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Geller 1955: 163). Ein Großteil der Porträtierten ist namentlich benannt und historisch verbürgt. Nach seiner Rückkehr nach Europa im Jahr 1857 schenkte Pettrich diesen Korpus von 33 Plastiken Papst Pius IX. (1792-1878), der ihm dafür eine Leibrente gewährte (vgl. Geller 1955: 163; Bott/Bott 1995: 394).5 Die Arbeiten befinden sich heute in den Vatikanischen Museen und werden dort in der ethnologischen Sammlung aufbewahrt. Pettrichs Arbeiten wurden im Vatikan nie in die Sammlungen europäischer Kunst eingegliedert. Nach der Schenkung wurden sie im Sala del Gran Concilio im Lateranspalast außerhalb des eigentlichen vatikanischen Gebietes ausgestellt, 1888 anlässlich der Feiern zum goldenen Priesterjubiläum von Papst Leo XIII. jedoch an einen weniger prominenten Standort in die zweite Etage mit der prähistorischen Sammlung verbracht, und 1926 mit der Gründung des Missionarisch-Ethnologischen Museums6 dessen nordamerikanischen Beständen zugeordnet (vgl. Dalla Torre 1940: 66ff.). Sie wurden gemeinsam mit Ethnographica aus der betreffenden Region und als authentische Repräsentationen der verschiedenen indigenen Nationen ausgestellt, was ihre bisherige Rezeption überwiegend bestimmte (vgl. Dalla Torre 1940; Geller 1955; Bott/Bott 1995). Abb. 1: Blick in die Ausstellung »Tecumseh, Keokuk, Black Hawk – Indianerbildnisse in Zeiten von Verträgen und Vertreibung« – Eingangsbereich des Hauptraums.
Foto: Jürgen Lösel © Staatliche Kunstsammlungen Dresden.
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Zu weiterführenden biografischen Informationen zu Ferdinand Pettrich vgl. die Beiträge von Edenheiser, Maaz und Nielsen im Katalog zur Ausstellung (Edenheiser/Nielsen 2013) sowie Dalla Torre 1940; Geller 1955; Stehle 1966; Bott/Bott 1995.
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Das Museum wurde 2012 in Ethnologisches Museum umbenannt.
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Die Ausstellung7 im Albertinum ermöglichte dagegen eine andere Perspektive auf das Werk: Wir interpretierten Pettrichs Arbeiten als unter dem Einfluss spätklassizistischer Tradition stehende, naturalisierende und exotisierende Anlehnungen an römische Kaiserporträts und präsentierten sie mittels der Ergänzung durch weitere Skulpturen, Zeichnungen, Fotografien, Ethnographica, Bücher, Audio- und Filmbeiträge sowie der verschiedenen textlichen Ebenen in einem Hybrid aus kunsthistorischen, historischen und ethnologischen Ausstellungskonventionen. Hier wurden einmal nicht die Bestände ethnologischer Museen einer kunsthistorischen, kunstwissenschaftlichen oder künstlerischen Betrachtungsweise zugeführt, sondern in einer umgedrehten Bewegung das Werk eines europäischen Künstlers ethnologischen und historischen Perspektiven mit dem Ziel unterworfen, eine Kontextualisierung zu schaffen, die u.a. politischer Natur war. Das heißt jedoch keinesfalls, dass Pettrichs kunsthistorische Verankerung gänzlich außer acht gelassen worden wäre: Der klassizistische Einfluss, insbesondere durch seinen Lehrer Bertel Thorvaldsen (1770-1844) und durch Antonio Canova (1757-1822), den Lehrer seines ebenfalls als Bildhauer tätigen Vaters Franz Pettrich (1770-1844), sowie die geistige Verbindung von ›Indianern‹ und klassischer Antike (z.B. vgl. Wilderotter 1986: 29ff.; Petermann 2004: 303), die durch den Vordenker des Klassizismus Johann Joachim Winckelmann (17171768) erneut zu Popularität gelangte, kamen zur Darstellung. Darüber hinaus wurden Pettrichs Skulpturen in Zusammenhang gesetzt mit anderen Indianerbildern seiner Zeit, die sich vornehmlich in den Medien Malerei und Zeichnung äußerten. Besonders zu nennen sind hier die bekannten ›Indianermaler‹ George Catlin (1796-1872) und Karl Bodmer (1809-1893) sowie die Ausstellungspraxis der Indian Galleries – Bildergalerien mit Porträts von Native Americans – von denen sich eine beispielsweise im Kriegsministerium befand (vgl. Viola 1976). Dass das Anfertigen, Ausstellen und Betrachten von indigenen Porträts auch über die Mitte des 19. Jahrhunderts hinaus bei einer euroamerikanischen Produzent/-innen- und Konsument/-innenschaft beliebt blieb, zeigen einige frühe Fotografien von indigenen Delegierten (ca. 1858-1869).8
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Die Ausstellung wurde von Astrid Nielsen als Kunsthistorikerin und Kuratorin der Skulpturensammlung (SKD) sowie der Autorin als Ethnologin und Kustodin für den Sammlungsbereich »Die Amerikas« der Staatlichen Ethnographischen Sammlungen Sachsen (bestehend aus dem Grassi Museum für Völkerkunde zu Leipzig, dem Museum für Völkerkunde Dresden und dem Völkerkundemuseum Herrnhut; SKD) kuratiert und von dem Leipziger Künstler André Böhme gestaltet.
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Diese Fotos wurden von kommerziellen Fotografen angefertigt und vertrieben. Die vermutlich erste Fotografie-Ausstellung in einem Museum in den USA, »Photogra-
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Doch ging es uns weiter ausgreifend v.a. um eine Thematisierung der politischen Situation in den 1830er Jahren in Washington, von welcher der Künstler und seine Modelle umgeben waren; sowie um indigene Positionen, die Pettrichs Darstellungen – seinem ›Sprechen über‹ – eigene Stimmen gegenüberstellten. Die Ausstellung war in folgende Abschnitte unterteilt: - Prolog - Die Antike und die Indianer - Ferdinand Pettrich: Weitgereister Künstler des 19. Jahrhunderts - Das »Indianische Museum« im Vatikan - Der politische Kontext: Die Verträge und das Land - Ethnographica: Sammeln und Repräsentieren - »Indianergalerien«: Malerei – Skulptur – Fotografie - »Der Sterbende Indianer« - Perspektivenwechsel Die folgende Beschreibung einzelner Bereiche der Ausstellung soll weniger einen kompletten Ausstellungsrundgang nachvollziehen als vielmehr die Aspekte der Ausstellung fokussieren, welche die Präsentation der Skulpturen kontextualisierend ergänzten. Im Prolog der Ausstellung in einem eigenen Vorraum war ein Skizzenbuch Pettrichs platziert, das eine mythologisierte und antikisierte Darstellung eines Indianers im Zweikampf mit einem Meerungeheuer zeigte und damit bereits auf das Folgende verwies: Pettrichs Darstellungen von Native Americans als eine besondere Form der Antikenrezeption. Demgegenüber befand sich eine Tafel mit dem deutschen und englischen Gesetzestext des Indian Removal Acts von 1830. Das Gesetz bestimmte, dass alle verbliebenen indigenen Gruppen östlich des Mississippi auf dessen westliche Seite umzusiedeln seien – und besiegelte damit den Ausschluss der Native Americans aus der US-amerikanischen Nation. Diese beiden Objekte setzten den Rahmen für den folgenden Ausstellungsparcours, in dem die Kunst Pettrichs im Kontext politisch-historischer Ereignisse verortet wurde. Der Hauptraum wurde bestimmt durch die idealisierten Skulpturen Pettrichs, die an den Wänden von zeitgenössischen Zitaten aus der Mitte des 19. Jahrhunderts begleitet wurden, die auf die verzweifelte Situation vieler Native Americans und auf die ideologischen Grundlagen und die lebenspraktischen Konsequenzen des euroamerikanischen Landraubes hinwiesen.
phic Portraits of North American Indians« 1869 an der Smithsonian Institution, zeigte über 300 Porträts von Native Americans (Hamber 2008: 68).
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Abb. 2: Blick in die Ausstellung – Bemalte Bisonrobe der Sioux und Fries mit Kampfesdarstellungen von Ferdinand Pettrich.
Foto: Jürgen Lösel © Staatliche Kunstsammlungen Dresden.
Neben Pettrichs Skulpturen nahmen in der Ausstellung auch Ethnographica breiten Raum ein. Sie stellten Pettrichs europäisch geprägter Ästhetik eine indigene Ästhetik und Bildsprache gegenüber und waren außerdem analog zu Pettrichs Büsten nach ihrer symbolischen Funktion der Prestigekommunikation innerhalb eines indigenen sozialen Kontextes ausgewählt worden: Die präsentierten Objekte hatten partiell in den Gesellschaften, deren Vertreter/-innen von Pettrich porträtiert wurden, eine ähnliche Funktion, wie Pettrichs Gipsarbeiten in einem europäischen bzw. euroamerikanischen Kontext. Die Porträtbüste war für den Bürger des ausgehenden 18. und im 19. Jahrhundert der visuelle, künstlerische Höhepunkt seines Selbstmarketings. Der verdiente Bürger ließ sich in einer solchen Büste verewigen; sie war Teil der bürgerlichen Prestige-Kultur. Pettrich bezeugte damit – bei aller Exotisierung und Naturalisierung, die uns in seinem Werk entgegentreten – dennoch, im Kontext seiner Zeit gesehen, Wertschätzung und Respekt gegenüber den indigenen Diplomaten. In einer Parallelbewegung wurden deshalb materielle Kultur und visuelle Praktiken gezeigt, die innerhalb indigener Gesellschaften für die männliche Prestigekultur der damaligen Zeit standen, z.B. Bärenkrallenkette, Männerhemd, Federhaube, Roach (Haarkamm). Als ästhetisch besonders eindrucksvoll erwies sich eine Bisonrobe (IV B 208) aus dem Ethnologischen Museum Berlin, die mit piktografischen Jagd- und
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Kampfszenen bemalt ist und die Heldengeschichte des Trägers erzählt, der seine Verdienste für seine Gemeinschaft zur allgemeinen Erinnerung, aber auch zum eigenen Prestigegewinn sichtbar zur Schau stellte. Solche Bisonroben waren und sind Teil indigener Erinnerungskultur in den Prärien und Plains. Dieses Werk wurde Pettrichs Friesen von Jagd und Kampf gegenübergestellt, um eine indigene Version ähnlicher Ereignisse in einer gänzlich anderen Bildsprache und aus emischer Perspektive zu zeigen. Die zu Recht immer wieder geäußerte Forderung nach der Repräsentation indigener Stimmen in Ausstellungen zu indigenen Themen wurde, neben indirekten Äußerungen durch Artefakte, wörtlich genommen: Einer der von Pettrich Dargestellten war Makataimeshekiakiak (1767-1838), genannt Black Hawk, von dem uns die erste, wenn auch stark redigierte Autobiografie eines amerikanischen Indigenen überhaupt vorliegt (Black Hawk 1833). In einem separaten Raum waren Ausschnitte dieser Autobiografie zu hören, deren Erstausgabe gezeigt wurde − aufgeschlagen war der Innentitel, den ein Porträt vom alten Black Hawk in Uniform zierte und der damit auf völlig andere Art repräsentiert wurde als in Pettrichs Büste, die ihn naturalisierend in eine Bisonrobe gehüllt und mit einem Falken auf dem Kopf zeigt. Die Rauminszenierung ermöglichte eine nahezu ausschließliche Konzentration auf das gesprochene Wort; Black Hawk erzählte von seiner Reise in den Osten, nach Washington. Damit bekam seine Version der Umstände, unter denen Pettrich ihn porträtierte, eine Stimme und ergänzte bzw. unterlief sogar dessen Repräsentation. Abb. 3: Blick in die Ausstellung – Inszenierung des »Sterbenden Tecumseh« von Ferdinand Pettrich.
Foto: Jürgen Lösel © Staatliche Kunstsammlungen Dresden.
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In einem zweiten Medienraum lief ein Film über Tecumseh (1768-1813).9 Der Shawnee Tecumseh gilt heute als einer der wichtigsten Politiker, Militärführer und Visionäre in native american-euroamerikanischer Geschichte, der seinen Traum von einer pan-indigenen Konföderation als Gegenüber zu den Vereinigten Staaten von Amerika mit militärischen Mitteln durchzusetzen suchte. Tecumseh fiel bereits 1813 im Britisch-Amerikanischen Krieg, wo er auf Seiten Großbritanniens gekämpft hatte (vgl. z.B. Sugden 1998). Pettrich zeigt ihn uns als sterbenden Helden, dessen Zeit zu Ende gegangen ist. Das Werk zitiert den »Sterbenden Gallier« aus dem antiken Rom als Vorbild und wurde als eins von nur zwei Werken der Serie auch in Marmor ausgeführt. Diese Marmorversion ist heute im Smithsonian American Art Museum ausgestellt und ist damit Pettrichs berühmteste Arbeit. Die Skulptur passierend konnten die Besucher/-innen dahinter den Raum betreten, in dem der oben genannte Film gezeigt wurde und der die historische Bedeutung Tecumsehs aus Sicht indigener Wissenschaftler und heutiger Shawnee reflektiert. Dies ergab ebenfalls einen Kontrapunkt zu dem starken Pettrich‘schen Bild des ›sterbenden Indianers‹, da diese Stimmen wiederrum Tecumseh gänzlich anders zeichnen – als ein Vorbild, das Hoffnung gab in dunkler Zeit – und damit Positionen des Überlebens und der Resilienz stark machten. Den Abschluss des Ausstellungsrundganges im Sinne eines (indirekten) looking und talking back bildete die Arbeit »Ghost in the machine« (2005) des USAmerikaners Jimmie Durham (*1940). Durham ist als Cherokee aufgewachsen und war ab den 1960er Jahren in der indigenen Bürgerrechtsbewegung aktiv (König 2012: 126), verweigert sich heute jedoch allen ethnisch-identitären Zuschreibungen. Seine Installation eines mit einem Seil an einen Kühlschrank gefesselten Gipsabgusses der frühklassischen Athena des Bildhauers Myron, an dieser Stelle der Ausstellung platziert, bildete einen geradezu ironischen Kommentar zum vorher Gesehenen – den Repräsentationen von Native Americans durch einen klassizistisch geprägten, europäischen Bildhauer. Das Werk erlaubt viele Lesarten: Im Kontext der Ausstellung richtete es v.a. den Blick zurück auf die europäische Rezeption der griechischen Klassik sowie den Umgang mit ihr in europäischer Geistesgeschichte und markierte mit seiner Thematisierung von der allein stehenden Athene als gefesselter Kulturbringerin, der in der Myron’schen Originalfassung der Faun Marsyas beigesellt wurde – der bei Durham jedoch abhandengekommen ist − den reflexiven Abschluss der Schau eines
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Es handelte sich dabei um Ausschnitte aus dem Film »Die Vision des Häuptlings Tecumseh«, Teil 3 der TV-Serie »Wir bleiben bestehen!« (Original »We shall remain«), USA 2009. Die deutsche Version lief 2013 auf Arte.
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Werkes, das von der europäischen Dichotomie der Welt in Kultur- und Naturvölker des 19. Jahrhunderts tief durchdrungen ist. Abb. 4: Jimmie Durham »Ghost in the machine«, 2005.
Foto: Ernani Orcorte © Collezione Viliani.
Aus einer post- bzw. dekolonialen Perspektive wäre der Ansatz naheliegend gewesen, Pettrichs künstlerische Strategien zu dekonstruieren und das »Indianische Museum« auf seine stereotypen, kolonialen Aspekte zu reduzieren. Doch in der Verzahnung einer kontextorientierten Sichtweise, welche die sozialen und politisch-historischen Umstände der Entstehung des Kunstwerks in den Blick nimmt, mit einer Ausstellungspraxis, die sich auf die visuellen Aspekte von Objekten/Kunstwerken konzentriert, blieb bei aller Rahmenerzählung nichtsdestotrotz ein ästhetischer Zugang zum Werk möglich. Mittels der Ausstellungsund Katalogtexte, der Zitate an den Wänden und des ergänzenden Medienmaterials, der Ethnographica, Durhams Arbeit, der Führungen und des Rahmenpro-
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gramms, das sich um Repräsentationen von Native Americans drehte10, wurde eine umfassende Kontextualisierung geschaffen – und dennoch hatten Pettrichs Plastiken durch die sorgsame Gestaltung einen eigenen Wirkraum, den sie mit ihrer ganzen Eigenheit und ihrer Ambivalenz zu füllen verstanden. Als Ethnologin konzentriere ich mich bei der Analyse von Repräsentationen außereuropäischer Menschen und Szenarien heute v.a. darauf, die in diesen Darstellungen wirksam werdenden kolonialen Muster offenzulegen und auf diese Weise zur dekolonialen Rehabilitation außer-europäischer Lebenswelten beizutragen. Doch das Augenmaß für den Künstler und seine historische und soziale Verortung sollte dabei nicht verloren gehen. In unserem Falle bedeutet dies auch eine Anerkennung der – neben der aufgrund Pettrichs beständig prekärer finanzieller Situation sicherlich vorhandenen Verkaufsintention – in der Quantität und der Würde der Darstellungen seines »Indianischen Museums« zum Ausdruck kommenden Faszination und Sympathie für die Porträtierten seitens Pettrichs. Der Aushandlungsprozess zwischen ethnologischer, kunsthistorischer und gestalterischer Perspektive ergab innerhalb des Rahmens des Albertinums eine ästhetisierende und objektfokussierte Präsentation, die den Werkkorpus gleichzeitig kritisch reflektierte, ohne ihn dabei jedoch als Statist einer These zu unterwerfen – eine Gefahr, die bei vielen kulturhistorisch ausgerichteten Ausstellungen durchaus lauert. Das Ausstellungsprojekt navigierte so entlang und zwischen disziplinären Grenzen und Sehgewohnheiten und war deshalb weder dem Genre ›ethnologische‹ noch dem Genre ›kunsthistorische Ausstellung‹ eindeutig zuzuordnen.
I’ LL BE YOUR MIRROR : W AS WIR EINANDER GEBEN KÖNNEN Um das folgende Argument zuzuspitzen, möchte ich hier stark vereinfachend und der diversifizierten Ausstellungspraxis in realiter kaum gerecht werdend eine Dichotomie zwischen einer werkfokussierten Praxis der Kunstausstellung und dem kontextualisierenden Ansatz ethnologischen Kuratierens machen. Dies bedeutet notwendigerweise eine extreme Verengung der Perspektiven – auch in ethnologischen Museen sind bereits vielfach Ausstellungen gemacht worden, die
10 Es gab u.a. eine Vortragsreihe mit dem Titel »›Indianerbilder‹ – Visuelle Repräsentationen von Native Americans« in Kooperation mit der Technischen Universität Dresden.
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den künstlerischen Wert ihrer Sammlungsbestände ins Zentrum rückten,11 ebenso wie in Kunstmuseen Ausstellungen gezeigt wurden, die nicht ausschließlich auf die Wirkung des Werks vertrauten sondern auch außerhalb des Katalogs von sozialen, politischen, biografischen Kontexten erzählten.12 Genauso entstehen auch Präsentationen innerhalb ethnologischer Häuser, die beides vereinigen – einen ethnologischen mit einem dezidiert ästhetischen und objektfokussierten Ansatz.13 Und dennoch: Tendenziell wird nach wie vor in Kunstmuseen über eine den ästhetischen Qualitäten des Objektes angemessene Präsentation stärker nachgedacht als innerhalb ethnologischer Sammlungen, wo wiederum das Herausarbeiten der über das Objekt selbst hinaus weisenden Dimensionen eine größere Betonung erfährt. Zudem entzündet sich die Art der Kritik, die seitens kunsthistorischer Ausstellungsmacher/-innen immer wieder an ethnologischen Displays geäußert wird, überwiegend an der ästhetischen Präsentationsweise der Objekte; während auf der anderen Seite in einem Abwehrreflex mitunter die Betonung visueller Aspekte von Dingen als inhaltsleere Verflachung gebrandmarkt wird.
11 Beispielhaft sind hier zu nennen die Dauerausstellung des Musée du quai Branly in Paris (seit 2006), »Die Kunst Neuguineas« am Museum für Völkerkunde Dresden (2000-2004), die Abteilungen »Kunst aus Afrika« in den Dauerausstellungen des Ethnologischen Museums Berlin (seit 2005) und des Museums Fünf Kontinente in München (seit 1999) sowie die Sonderausstellung »Weiter als der Horizont – Kunst der Welt« am gleichen Haus (2008) sowie die bereits erwähnte Sonderausstellung »Beyond Melancholia« am Museum für Völkerkunde Hamburg (2014-15). 12 Jüngstes Beispiel ist die Ausstellung »Gottfried Lindauer. Die Māori-Portraits« (20142015) in der Alten Nationalgalerie in Berlin. Des Weiteren sind zu nennen »Das Potosí-Prinzip. Wie können wir das Lied des Herrn im fremden Land singen. Koloniale Bildproduktion in der globalen Ökonomie« am Haus der Kulturen der Welt in Berlin (2010-2011); »Afrikanische Meister« am Museum Rietberg in Zürich (2014) und der Bundeskunsthalle in Bonn (2014); »Darwin. Kunst und die Suche nach den Ursprüngen« (2009) und »I like America. Fiktionen des Wilden Westens« (2006) an der Schirn Kunsthalle Frankfurt und »Gabriel von Max. Malerstar, Darwinist, Spiritist« an der Städtischen Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau, München (2010-2011). 13 Jüngere Beispiele sind hier die Sonderausstellung »Das Wissen der Objekte. Ethnologische Konstellationen« am Grassi Museum für Völkerkunde zu Leipzig (2014-2015), »Being Object – Being Art. Meisterwerke aus der Sammlung des Museums der Weltkulturen, Frankfurt/Main« (2009-2010) oder auch die Ausstellung »Eigensinn. Inspirierende Aspekte der Ethnologie« am Museum der Kulturen Basel (2011-2013).
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Was also hat die Ethnologie der Kunstgeschichte im Rahmen der Ausstellungspraxis zu geben? Die Kunstgeschichte kann von der Ethnologie Bedeutungskontextualisierung und eine Sensibilität gegenüber außer-europäischen, indigenen Blickweisen erwarten – und damit ein Aufbrechen ihrer eigenen, ethno- und eurozentrischen Fachwissenschaft riskieren. Sie kann, um hier eine traditionsreiche ethnologische Vokabel zu bemühen, eine ›holistischere‹ Herangehensweise erwarten. Heute von ›holistisch‹ zu sprechen, mag auf den ersten Blick anachronistisch erscheinen. Lassen sich nach Dekonstruktion aller Identitäten als fragmentarisch, fluid, prozesshaft und instabil tatsächlich noch mehr Kontext und mehr Holismus einfordern? Ich meine ja – aber in kleineren Einheiten als dies in der Konsolidierungsphase des Faches gedacht war. Die Ethnologie hat ihren Ansatz lange als holistisch beschrieben. Sie meinte damit einmal: die ganze Kultur einer sozialen Gruppe umfassend in den Blick nehmend (z.B. vgl. Kohl 1993: 131). Dass die kulturelle Monade, von der hier ausgegangen wurde, so nie existierte, ist inzwischen seit Langem ethnologischer Common Sense. Monographien mit Titeln wie »The Cubeo« (Goldman 1963) werden heute nicht mehr verfasst; vielmehr beschäftigen wir uns mit kleineren, offeneren Einheiten – Netzwerken, Nachbarschaften, Subkulturen etc. Dasselbe muss für das ethnologische Museum gelten – die gesamte materielle Kultur einer Gesellschaft sammeln und dementsprechend als vollständige Repräsentation ausstellen zu wollen, gilt zu Recht als passé. Das heißt jedoch nicht, dass wir das HolismusKonzept in der Ausstellungspraxis vollständig aufgeben müssen. Einen holistischen Ansatz zu verfolgen bedeutet für mich heute, ein Objekt/ eine künstlerische Arbeit aus möglichst vielen verschiedenen Perspektiven zu sehen, seine Entstehung in einen historischen Kontext einzuordnen und seinen biografischen Weg durch verschiedene Hände und Institutionen nachzuzeichnen. Ich möchte für einen bescheideneren, aber interdisziplinären Holismus plädieren, der sich kleineren Einheiten von Objekten, Subjekten und Sujets zuwendet, diese jedoch von möglichst vielen Seiten – von denen eine indigene Perspektive eine zentrale Position einnehmen sollte – zu betrachten sucht. Natürlich kann eine solche Erzählung niemals vollständig sein; doch sobald man das Fragmentarische und die Lückenhaftigkeit all unserer Darstellungen akzeptiert und den Anspruch auf Vollständigkeit loslässt – denn auch unsere Besucher/-innen erwarten dies nicht – wird der »Kontext ist Lüge«-Vorwurf (Kohl 2008) obsolet. Eine holistische Herangehensweise muss deshalb notwendigerweise immer scheitern, aber sie darf als Ideal im Raum stehen. Darüber hinaus ist die Ethnologie prädestinierte Partnerin für die lang überfällige Integration einer globalen Perspektive in die Kunstgeschichtsschreibung – ebenso wie für das Herausarbeiten außereuropäischer Ästhetiken und visueller Ordnungen.
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Der Gewinn, den ich aus ethnologischer Perspektive in einer interdisziplinären Auseinandersetzung mit kunsthistorischen Ausstellungskonventionen sehe, liegt v.a. im visuellen Bereich und hier im Besonderen in einer tendenziell größeren Sensibilität im ästhetischen Umgang mit Objekten und dem Aspekt der Sinnlichkeit unserer Arbeit im Museum: Das Herausheben der materiellen, ästhetischen, visuellen Qualitäten eines Objekts wird durch die Platzierung im Raum, den Umgang mit Licht, mit Farbe, mit der Grafik der Beschriftungen, mit Form und Größen der Vitrinen, der Podeste, der Halterungen etc. erreicht. Die Museumsethnologie kann hier mit einer stärkeren Anerkennung des ästhetischen Eigenwerts eines Objekts und einer damit einhergehenden größeren Ernsthaftigkeit und Akribie in der Art der Präsentation nur gewinnen.14 Während also kunsthistorische Ausstellungen von einer stärkeren Kontextualisierung profitieren können, kann die Museumsethnologie paradoxerweise den Nutzen, die Vorteile der De-Kontextualisierung – oder besser: der sehr sensiblen Kontextualisierung von Objekten im Raum – begreifen lernen: Es kann durchaus ein Zeichen von großem Respekt sowohl gegenüber dem Objekt als auch den Besucher/-innen sein, wenn ihnen zunächst eine ganz individuelle Auseinandersetzung mit den Dingen ermöglicht wird, ohne sofort Betrachtungsweisen und Interpretationsmöglichkeiten vorzugeben. Interessanterweise ist das eine Position, die manch scheinbar nüchternem Ethnologen materieller Kultur in früheren Jahren nicht gar so fremd war. Mark Münzel (1998) zeigt dies in einer Reflektion über Otto Zerries‘ Artikel »Eine seltene Südamerikanische Rassel im Besitz des Städtischen Völkerkundemuseums zu Frankfurt A. M.« von 1940: In der scheinbar ausufernden und sich Interpretationen verweigernden Beschreibung kommt eine Hingabe an das Objekt – und damit im nächsten Schritt an die Fertigkeiten seines Herstellers – zum Ausdruck, das einer schnellen Interpretierbarkeit und damit Verwertbarkeit des Gesehenen zuwiderläuft. Münzel plädiert deshalb für ein langsames Lesen solcher Texte, das sich auf das Museum als eine Aufforderung zum langsamen, konzentrierten Schauen als erster Begegnungsakt zwischen Betrachter/-in und Objekt überträgt – insbesondere im Angesicht der vielen Dinge, über die wir nahezu nichts wissen (Münzel 1998: 110f.).
14 Noch einmal: Selbstverständlich gibt es auch in ethnologischen Museen viele Kurator/ -innen, die den gestalterischen Aspekten der Präsentation von Objekten größte Sorgfalt angedeihen lassen. Es geht mir in diesen Ausführungen jedoch um generelle Tendenzen, die in den Diskussionen um ethnologisches vs. kunstwissenschaftliches Ausstellen immer wieder aufscheinen und sich vielfach an der Dichotomie Kontext vs. Ästhetik entzünden.
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D AS S CHAUEN
ERMÖGLICHEN , LENKEN , DEKOLONISIEREN : S ZENOGRAFIE UND P RÄSENZ Museen sind zuallererst visuelle Orte, in denen einer intellektuellen Erfassung der Dinge die visuelle, sinnliche vorausgehen sollte. Ausstellungen müssen sich deshalb bemühen, visuelle Erfahrungen zu ermöglichen, die in einem anderen Medium (z.B. Buch) so nicht zu erreichen wären. Dabei spielt die Ausstellungsgestaltung, heute oft mit dem Begriff ›Szenografie‹ benannt, eine zentrale Rolle. Der Terminus ›Szenografie‹ hat seine Ursprünge im Bemalen der Skene (Bühnenhintergrund) im antiken griechischen Theater und verweist damit bereits auf eine ihrer Funktionen im Museum: Den Dingen eine Bühne bereiten. Bei dem römischen Architekten Vitruv findet sich die früheste Definition der Scaenografia als Teil der Tätigkeit des Architekten: Sie widmet sich der passenden Anordnung der Dinge im Raum und ist bei ihm ausdrücklich Ergebnis von cogitatio (Denkvermögen) und inventio (Erfindungsgabe) und damit eine Verbindung von wissenschaftlicher Ordnung und künstlerischer Gestaltung (vgl. Tyradellis 2014: 142). Was Szenografie heute im besten Falle kann: Sie stellt im Raum Zusammenhänge dar bzw. überhaupt erst her, die ohne diese Visualisierung innerhalb dieses spezifischen Raumgefüges nicht verstehbar oder nicht unmittelbar einsichtig wären. Eine gelungene Ausstellung entfaltet in der Gesamtbetrachtung ihre Wirkung und ermöglicht eine bestimmte Erkenntnis – oder generiert neue Fragen – zu denen man mittels eines anderen Mediums nicht gekommen wäre (vgl. Tyradellis 2014: 204f.).15 Dabei ist die Ausstellungsgestaltung immer ein Akt nonverbaler Vermittlung – ihr kommt deshalb große Bedeutung für das gesamte Medium Ausstellung zu (Kilger 2014: 127). Gestalterische Aspekte sind deshalb gegenüber wissenschaftlichen Inhalten nicht zu vernachlässigen und Fragen nach der Wandfarbe, Lichtführung, Vitrinengröße und Podestform bedürfen unbedingten, bewussten Überlegungen. Es geht nicht nur darum, was wir zeigen und welche Inhalte wir in den Ausstellungstexten vermitteln, sondern auch darum, wie wir etwas zeigen. Ich möchte dies am scheinbar nebensächlichen Beispiel der Lichtfarbe der Beleuchtung für die Plastiken Pettrichs in der oben skizzierten Ausstellung erläutern – denn auch Licht transportiert Inhalte: Während des Aufbaus war zunächst seitens des Lichtdesigners ein warmes, dunkles Gelb zur Ausleuchtung der Büsten gewählt worden, die den Werken
15 Und damit ist eine Ausstellung dezidiert kein in den Raum transferiertes Buch – eine Vorstellung, die sich jedoch bei manchen kuratorischen Prozessen wiederfindet, in denen zuerst der Katalog geschrieben und aus ihm heraus folgend die Ausstellung generiert wird.
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eine mystische, entrückte Aura gab. Die Lichtgestaltung verhielt sich damit jedoch konträr zum eigentlichen kuratorischen Anliegen, über europäische Indianerbilder und die darin vorgenommenen Romantisierungen und Idealisierungen zu sprechen. Die Lichtfarbe und die gedämpfte Lichtintensität unterliefen dieses Anliegen auf visueller Ebene. Es wurde daher ein weißer, heller, klarer Farbton gewählt, der damit eine wesentlich nüchternere Atmosphäre erzeugte. Es muss demnach im ethnologischen Museum auch um eine Dekolonisierung der Inszenierungsebene gehen: Damit ist nicht nur das zunehmende Verschwinden des ethnographischen Dioramas gemeint, sondern alle gestalterischen Elemente des Ausstellens. Dabei ist bspw. auf Assoziationen, die bestimmte Farben, Schrifttypen oder eben auch die Beleuchtung hervorrufen können, zu achten. Als Ethnolog/-innen können wir darüber hinaus eine zusätzliche Ebene in die Ausstellungsarchitektur einbringen: Zählt es doch zum Kernbestand spezifisch ethnologischen Wissens, Perspektiven der sogenannten Herkunfts- oder Hersteller/-innenkulturen aufzunehmen, sich damit indigener visueller Kultur anzunähern und diese im besten Falle in eine nicht-normierende und nicht-exotisierende Ausstellungspraxis zu überführen. Beispiele hierfür sind die Dauerausstellung »Our Universes« des National Museum of the American Indian (NMAI) in Washington, in welcher sich Konstruktion und Gestaltung einzelner Räume an die kosmologischen Ordnungsmuster der darin jeweils repräsentierten Kulturen anlehnen. So wurde z.B. der Raum für die Lakota-Kosmologie als Kreis konzipiert, der entlang der vier Himmelsrichtungen in vier Bereiche unterteilt ist. Die Objekte sind entsprechend thematisch den Himmelsrichtungen zugeordnet. Für die dualistische Kosmologie der andinen Quechua wurde eine konsequent zweigeteilte Raumstruktur gefunden, in deren beiden Hälften die Objekte entsprechend ihrer Bedeutung nach männlichen und weiblichen Lebenswelten, Pachamama und Inti, Hochland und Tiefland, Kondor und Jaguar etc. zugeordnet sind. Auf einer weniger theoretischen denn alltagspraktischen Ebene sind für den ghanaischen Künstler, Kunsthistoriker und Kurator Atta Kwami die lokalen Ausstellungsästhetiken, die er in den offenen Verkaufsständen und den Straßenkunst-Ausstellungen Accras und Kumasis vorfindet, Inspiration für seine Museumspräsentationen. Gleichzeitig nutzt er diese Anlehnung an die außer-musealen Sehgewohnheiten der Ghanaer/-innen als einen Anknüpfungspunkt für das lokale Publikum, um Berührungsängste mit dem Medium Ausstellung und der Institution Museum in Ghana abzubauen (vgl. Kwami 2014). Auch auf der Ebene des einzelnen Objekts können indigene Perspektiven, die sich v.a. aus dessen Nutzung ableiten, in die Ausstellungsgestaltung/Szenografie – auch innerhalb eines Kunstkontextes – eingebracht werden: In ethnologischen Museen gehören z.B. große Mengen an Mokassins aus unterschiedlichen nord-
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amerikanischen Kulturen zum Standardbestand. Mokassins werden dabei üblicherweise wie Schuhe in einem Schuhladen gezeigt: mit der Spitze nach unten deutend − eine Präsentationsform, die uns einmal mehr den an anderer Stelle geführten Vergleich von Museen mit Kaufhäusern (vgl. z.B. Bennett 1995: 95) bewusst machen sollte. Werden die Schuhe um 180 Grad gedreht, also mit der Spitze nach oben ausgerichtet, wird damit der Blick der Träger/-innen auf ihr Schuhwerk nachempfunden. Das Design auf der Oberseite der Mokassins ist v.a. zu ihrem ästhetischen Vergnügen aufgebracht worden und sollte so auch im Museum betrachtet werden können. In die Szenografie als einem essentiellen Bestandteil der Botschaft eine Annäherung an außer-europäische Ästhetiken und visuelle Perzeption einzubringen – das kann besonders durch die Ethnologie geleistet werden. Der Gestaltung einer Ausstellung gebührt damit aber ebenso viel Beachtung wie der inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem eigentlichen Thema. Es muss uns dabei im Museum um das Schaffen von Präsenz gehen – statt (Fremd)Repräsentation, die nur durch Abwesenheit von Präsenz möglich wird (vgl. Fabian 1990). Die »Krise der Repräsentation« ist seit langem konstanter Begleiter jeder als ethnologisch begriffenen Aktivität. Für das Museum bedeutet dies, nicht mehr andere Welten mit auktorialer Erzählstimme im Museum zu repräsentieren, sondern stattdessen mit einer poetischen Geste im Raum Präsenz herzustellen. Der »Angst vor der Differenz« (Schiffauer 1996), vor dem Othering-Vorwurf, den uns die Repräsentationsdebatten als Extrem mitgegeben haben, müssen wir uns dabei auf produktive Weise stellen. In der anglophonen Museumswelt ist man in dieser Hinsicht schon einen Schritt weiter – in den Siedler/-innenkolonien USA, Kanada, Australien und Neuseeland leben Indigene mitten in der Nation und haben starke politische Vertretungen gebildet. Die Forderungen nach Selbstrepräsentation sind dort schon lange hörbar formuliert und Teil der alltäglichen Museumspraxis. Ausschließlich selbstreflexiv auf die eigene Institution gerichtet auszustellen oder gar das völlige Nicht-Ausstellen sind keine Optionen. Die Erfahrungen in Zusammenarbeit mit sogenannten source communities haben gezeigt, dass es vielen indigenen Akteur/-innen nicht vordergründig um die Dekonstruktion der Institution ›Völkerkundemuseum‹ und um Repatriierung sämtlicher Bestände geht, sondern sie wollen Zugang zu für sie relevanten Objekten gewährleistet sehen sowie am Zu-sehen-geben (vgl. Bal 2002) partizipieren – eben präsent sein, statt (fremd)repräsentiert zu werden. In der deutschen ethnologischen Museumslandschaft befinden wir uns zur Zeit noch in einer anderen, vorgelagerten Phase: Die notwendige Kritik und die Dekonstruktion des alten Völkerkundemuseums haben erst in den letzten Jahren in verstärktem Maße eingesetzt – derzeit auch zunehmend sichtbar in der außer-
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akademischen Öffentlichkeit v.a. durch die Diskussionen um das HumboldtForum, bei denen sich Kritiker/-innen und Fürsprecher/-innen gegenüber stehen (vgl. z.B. No Humboldt21! 2013; Kaschuba 2014; Kohl 2014). Die Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit ethnologischer Museen muss zukünftig durch differenzierte, historisch seriöse Analysen der Entstehungs-, Konsolidierungsund großen Sammelphasen der einzelnen Institutionen geschehen, welche der Agency der ›Erforschten‹ und ›Gesammelten‹ eine starke Position einräumt – auch wenn dies für alle Seiten unbequeme Wahrheiten enthalten kann. Diese kritische Auseinandersetzung sollte begleitet werden von und münden in einen Heilungs- und Aussöhnungsprozess, der die Betonung auf Kooperation und Kommunikation legt und so ein offenes, einander zugewandtes Aushandeln von Positionen im Umgang mit einem gemeinsamen Kulturgut möglich macht.
L ITERATUR Bal, Mieke. 2002. Kulturanalyse. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Bennett, Tony. 1995. The Birth of the Museum: History, Theory, Politics. London/New York: Routledge. Berg, Eberhard und Martin Fuchs (Hg.). 1993. Kultur, soziale Praxis, Text: Die Krise der ethnographischen Repräsentation. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Bose, Friedrich von. 2013. The Making of Berlin’s Humboldt-Forum: Negotiating History and the Cultural Politics of Place. In: darkmatter 11. http://www.darkmatter101.org/site/2013/11/18/the-making-ofberlin%E2%80%99s-humboldt-forum-negotiating-history-and-the-culturalpolitics-of-place/ (letzter Aufruf 19.03.2015). Black Hawk. 1833. Life of Ma-ka-tai-me-she-kia-kiak, or Black Hawk, Dictated by Himself. St. Louis: Press of Continental Printing Co. Bott, Gerhard und Katharina Bott. 1995. Die Indianer von Ferdinand Pettrich (1798-1872) im Vatikan. In: Jacobs, Rainer, Marc Scheps und Frank Günter Zehnder (Hg.). In medias res: Festschrift zum siebzigsten Geburtstag von Peter Ludwig. Köln: Dumont, 379-402. Clifford, James und George Marcus (Hg.) 1986. Writing Culture: The Poetics and Politics of Ethnography. Berkeley: University of California Press. Dalla Torre, Paolo. 1940. Le plastiche e soggetto indigeno nordamericano del Pettrich nel Pontificion Museo Missionario Etnologico. In: Annali Lateranensi IV: 9-96.
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Das Humboldt Lab Dahlem – Experimentelle Freiräume auf dem Weg zum Humboldt-Forum A NDREA S CHOLZ
D AS H UMBOLDT -F ORUM ZWISCHEN RHETORISCHEM H ÖHENFLUG UND DEM B ODEN DER T ATSACHEN Der Bundestagsbeschluss von 2002 zum Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses und die infolgedessen vorgesehene Einrichtung eines Humboldt-Forums als »Ort für die Kulturen der Welt« stellte das Ethnologische Museum (EM) in Berlin – als Teil der Staatlichen Museen Berlin (SMB) und somit der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) – vor große intellektuelle und logistische Herausforderungen. Die herausragenden außereuropäischen Sammlungen, die seit der Wiedervereinigung am Westberliner Museumsstandort Dahlem mehr und mehr in einen Dornröschenschlaf gefallen waren, sollen im Konzept des Humboldt-Forums – so beschreibt es die SPK als Hauptnutzerin1 – künftig eine tragende Rolle einnehmen, als Zeugnisse der außerordentlichen »kulturellen Leistungen«2 nichteuropäischer 1
Neben den Museen, die zur Stiftung Preußischer Kulturbesitz gehören, werden auch die Humboldt-Universität und die Zentral- und Landesbibliothek Flächen im Schloss bespielen. Für eine detaillierte Darstellung vgl. http://www.humboldt-forum.de/humboldt-forum/institutionen/ (letzter Aufruf 17.02.2015).
2
In ethnologischen Museen und so auch in den Konzepten für das Humboldt-Forum findet zumeist ein totalitätsorientierter bzw. ethnisch-holistischer Kulturbegriff Verwendung, Kultur bezeichnet demnach die historisch-spezifische Lebensweise einer Ethnie oder Gesellschaft, in Abgrenzung von anderen (vgl. Reckwitz 2000: 72). In kritisch ausgerichteten Ausstellungsansätzen findet zunehmend auch die historische und gegenwärtige Verflechtung kultureller Praktiken und eine damit einhergehende Dekonstruktion kultureller Grenzen Beachtung (vgl. Groschwitz in diesem Band).
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Gesellschaften. Darüber hinaus fordert man einen gleichberechtigten, achtungsvollen Dialog mit ihnen, Multiperspektivität soll das Ausstellungs- und Veranstaltungsprogramm entscheidend prägen. Diese Forderungen beziehen sich zum einen auf die Gegenüberstellung und Gleichsetzung der außereuropäischen Sammlungen mit denen der Museumsinsel im Herzen der Hauptstadt (vgl. z.B. Parzinger 2013: 12), zum anderen bezieht sich die Dialogforderung auf den immer wieder öffentlich geäußerten Anspruch, sich mit Menschen aus den sogenannten »Herkunftskulturen der Sammlungen« auszutauschen und zusammen zu arbeiten, in einem Forum, das dem Forscher- und Entdeckergeist der Gebrüder Humboldt verpflichtet ist. Mit der Idee der Multiperspektivität verbunden war und ist der Wunsch, multiple Deutungshoheiten auf die Sammlungen zuzulassen und die Ergebnisse einer solchen Zusammenarbeit dem Publikum zu vermitteln (König 2012: 54). Solcherlei Forderungen und Ideen wurden in Bezug auf das Humboldt-Forum bisher zumeist aus einem politischen Kalkül heraus formuliert – aus ethnologischer Perspektive sind ihr ideologischer Hintergrund und ihre Umsetzbarkeit kritisch zu hinterfragen: Ist ein gleichberechtigter Dialog als Anspruch für den Austausch in einem Forum überhaupt formulierbar, angesichts der kolonialen Hintergründe einiger Sammlungsbestände, angesichts von ungelösten Rückforderungen und zementierten Machtverhältnissen innerhalb der sogenannten Weltgesellschaft?3 Wie können in diesem Kontext Formen der Zusammenarbeit im Sinne einer Multiperspektivität praktisch durchgeführt werden, ohne ›die Anderen‹ für ein zweifellos europäisch dominiertes Großprojekt zu instrumentalisieren? Besteht nicht allgemein die Gefahr einer Re-Exotisierung und Essentialisierung der ›Anderen‹, wenn man sie mit dem Stempel der source communities versieht? Welche Kunst- und Kulturbegriffe werden implizit in den Ausstellungen mitverhandelt, auch vor dem Hintergrund, dass mit dem Museum für Asiatische Kunst (Aku) ein dezidiertes Kunstmuseum als kleinerer Partner der SMB mit in das Schloss einziehen soll? Kurzum, die Konstellation, unter der die Kurator/-innen der ethnologischen Sammlungen neue Konzepte für die Ausstellungen im Schloss entwickeln sollen, ist alles andere als einfach: Auf der einen Seite die oftmals überzogenen politischen Ansprüche an das »größte Kulturprojekt Europas«,4 auf der anderen Seite die Kritik, die von unterschiedlichen Seiten (Feuilletons, Fachdebatte, Aktivist/ 3
Vgl. u.a. die Debatte »No Humboldt 21«, http://www.no-humboldt21.de/ (letzter Auf-
4
Vgl. Kulturstaatsministerin Monika Grütters zur Intendantensuche: http://www.dw.de/
ruf 17.02.2015). intendant-f%C3%BCr-berliner-schloss-gesucht/a-17830350 (letzter Aufruf 25.02. 2015).
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-innen) an dem Projekt geäußert wird. Hinzu kommen die Mühen der Ebene hinter den Kulissen: (drohende) Planungs- und Baustopps, Geld- und Personalknappheit, gerade auch für die praktische Umsetzung von Multiperspektivität, und die auf Nutzerseite weit verbreitete Unzufriedenheit mit der unweigerlich gesetzten Schlossarchitektur, die eine konservative politische Botschaft transportiert und baulich mit den Anforderungen an ein zeitgemäßes Museum in vielen Punkten nur bedingt kompatibel ist. Ganz zu schweigen von den Hürden und Herausforderungen, die eine Neukonzeption für die Ausstellung einer ethnologischen Sammlung per se, auch ohne Schlossdebatte im Hintergrund, mit sich bringen. In der Frage »Quo vadis, Völkerkundemuseum?« wird das Problemfeld direkt angesprochen. Laut Förster (2013: 190) ist in den vergangenen 20 Jahren immer unklarer geworden, wofür ethnologische Museen überhaupt noch stehen können. Vor dem Hintergrund der Entstehungsgeschichten ihrer Sammlungen repräsentieren sie weder einen zeitgemäßen Kulturbegriff noch die aktuelle wissenschaftliche Debatte im Fach Ethnologie und auch nicht die Konfliktfelder und Situationen, mit denen die Weltgesellschaft gegenwärtig konfrontiert ist. Vielmehr materialisieren sich in den Sammlungen überholte und keinesfalls wertfreie Einteilungen der Welt in das ›Eigene‹ und das ›Fremde‹ (vgl. Fabian 1983). Eine umfassende Auseinandersetzung mit der Krise der Repräsentation, die die Ethnologie seit den 1970er Jahren strukturell veränderte, und die im Sammelband »Writing Culture« (Clifford und Marcus 1986) einen ersten Höhepunkt fand, steht in ethnologischen Museen noch aus: Entgegen aller formulierten Ansprüche liegt die Deutungshoheit über die Sammlungen in der Regel bei den fest angestellten Kurator/-innen bzw. deren Vorgesetzten. Abgesehen von finanziellen und logistischen Problemen, die das Einbeziehen von Gastkurator/-innen mit sich bringt, stehen die Museen als öffentliche Einrichtungen unter Druck, mit den allseits beliebteren Kunstmuseen zu konkurrieren und ›ihr Publikum‹ zu bedienen, über dessen Identität in aller Regel nur gerätselt wird. Erwarten die Besucher/-innen, etwa des zukünftigen Humboldt-Forums, verständlich aufgearbeitete Einblicke in ›fremde‹ Lebenswelten oder Inszenierungen von Ethnographica als ›Weltkunst‹? Oder besteht gar ein breiter öffentlicher Bedarf nach einer postkolonialen Aufarbeitung von Sammlungs- und Institutionengeschichte, wie von den Kritiker/-innen gefordert? In dieser Gemengelage aus Ansprüchen, ungelösten Fragen und oftmals kritischen Diskursen begannen die beiden Museen, die ins Humboldt-Forum einziehen werden, im Jahr 2012 ihre konkrete Ausstellungsplanung. Zuvor war fast zehn Jahre lang an Konzeptionen gearbeitet worden, im Jahr 2008 hatten die Museen erstmals ein gemeinsames Konzept zu Papier gebracht (vgl. König/Scholz 2012:
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113-184). Nun aber drängte die Zeit. Das Gestalterbüro Ralph Applebaum/Malsyteufel war unter Vertrag genommen, die Bauplanung weitgehend abgeschlossen. Als Teil eines Bauprojekts des Bundes folgt die Ausstellungsplanung für das Humboldt-Forum den strengen Vorgaben und starr festgelegten Abläufen des Bundesamts für Bauwesen und Raumordnung, wenig Spielraum bleibt für die kreative Auseinandersetzung zwischen Kurator/-innen und Ausstellungsdesigner/ -innen oder gar Externen. Als Konterpart zu dieser Arbeitsweise, zeitgleich zur Vor- und Entwurfsplanung, nahm das Humboldt Lab Dahlem (HLD), ein gemeinsames Projekt der Kulturstiftung des Bundes und der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, seine Arbeit auf. Martin Heller, der Initiator des HLD, prägte von Beginn an die Metapher von Standbein und Spielbein: Das Humboldt Lab begleitet und bereichert den Planungsprozess und bringt Bewegung in starre Prozesse und Abläufe (Heller 2014: 402). Gerichtet auf konkrete Fragen und Probleme im Planungsprozess war das HLD von Beginn an weniger als vorgegebenes Gesamtprogramm konzipiert, sondern vielmehr als heterogener Verbund aus einzelnen Fragestellungen und sich daraus ergebenden Projekten. In meinem Beitrag stelle ich das Humboldt Lab Dahlem in seiner spezifischen, in vielerlei Hinsicht museumsuntypischen Arbeitsweise vor und zeige auf, wie diese auf die Planungsprozesse zum Humboldt-Forum Bezug nimmt. Am Beispiel ausgewählter Projekte mache ich deutlich, wie sich das HLD dabei zu museologischen und ethnologischen Fragestellungen positioniert. In diesem Zusammenhang wage ich auch Ausblicke auf das Humboldt-Forum und auf die gewünschten Übertragungsmomente, die sich aus den kurzlebigen Lab-Projekten auf die längerfristigen Ausstellungsplanungen ergeben. Dabei geht es weniger um die direkte Übertragung von Ausstellungselementen als vielmehr um die Wirkungsmechanismen des Prinzips Labor auf die verschiedenen Prozesse. Zugespitzt formuliert: Hat das Labor im Humboldt-Forum strukturell gesehen eine Chance?
D AS H UMBOLDT L AB D AHLEM : E IN ›L ABOR ‹ IM M USEUM ? Der Laborbegriff und seine Rezeption im Kultur- und Museumsbereich Das ›Labor‹ als Ort des kontrollierten Experiments war bis vor wenigen Jahrzehnten eine Arbeitsform der Naturwissenschaften. In den Sozial- und Geisteswissen-
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schaften hingegen spielte das Labor seit den 1970er Jahren vor allem als Forschungsthema eine Rolle, Berühmtheit erlangte auf diesem Feld insbesondere Bruno Latour mit seinen wissenschaftssoziologischen Arbeiten zur sozialen Konstruktion wissenschaftlicher Ergebnisse (vgl. z.B. Latour/Woolgar 1979). Vom Forschungsgegenstand zum beliebten ›Etikett‹ für Diskussions- und Arbeitsgruppen aller möglicher Disziplinen und Ausrichtungen, an Universitäten und in Kulturinstitutionen, entwickelte sich das Labor erst in den letzten Jahren, wie Friedrich von Bose bei seinem Vortrag auf der Zwischentagung der Deutschen Gesellschaft für Völkerkunde (DGV) – AG Museum in Wien aufzeigte.5 Eine Parallele zwischen Labor und Museum sieht Bose darin, dass es sich in beiden Fällen um genuine »Orte der Moderne« und der nationalen Selbstvergewisserung handelt, insofern sei die Verwendung des Laborbegriffs in Museen, die neue Wege beschreiten wollen, zwar vielleicht paradox, aber nicht unpassend. Im deutschsprachigen Raum sind derzeit an zwei ethnologischen Museen sogenannte ›Labore‹ angesiedelt. Das Frankfurter Weltkulturen Museum hat ein »Forschungslabor an der Schnittstelle von Ethnologie und Kunst« eingerichtet, das als zentrales Element im neuen Konzept des Museums fungiert. Gastkünstler und Wissenschaftler sind eingeladen, während residencies neue Interpretationen der Sammlung zu entwickeln, inspiriert von einem speziellen Labormobiliar, das der Wiener Designer Mathis Esterhazy speziell für das Museum entworfen hat. Weit weniger glamourös als die Villen am Frankfurter Schaumainkai präsentieren sich die grünen Container neben dem Ethnologischen Museum in Berlin, in denen das Humboldt Lab Dahlem als temporäres Beiboot des schweren ›Tankers‹ Humboldt-Forum untergebracht ist. Zur Arbeitsweise des Humboldt Lab Dahlem Das Humboldt Lab ist ein gemeinsames Projekt der Kulturstiftung des Bundes (KSB) und der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Da es nicht komplett in die Hierarchie und Arbeitsabläufe der SPK bzw. der Museen eingebunden ist und dadurch organisatorisch quer zu den Institutionen liegt, ergeben sich besondere Arbeitsstrukturen. Weisungsgebundenheit kann sich unabhängig vom üblichen Organigramm im HLD auch in den Projekten entwickeln, sei es aus der Verantwortlichkeit der geladenen externen Kuratoren oder auch durch künstlerische Ansätze eine zentrale Voraussetzung, um verschiedene Deutungen zuzulassen.
5
Friedrich von Bose, Institut für Europäische Ethnologie, Humboldt-Universität Berlin; Vortrag auf der Zwischentagung der AG Museum der DGV, Weltmuseum Wien, 22./23.10.2014, unveröffentlichtes Vortragsmanuskript.
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Die inhaltliche Leitung des Humboldt Lab Dahlem liegt bei Viola König, Direktorin des EM, Klaas Ruitenbeek, Direktor des Aku und Martin Heller, freier Ausstellungsmacher und von der Bundesregierung beauftragter Mitwirkender im Planungsprozess zum Humboldt-Forum. Agnes Wegner leitet die Geschäftsstelle, in der die organisatorischen Abläufe koordiniert werden. Die Verantwortung für die Projekte liegt bei den jeweiligen Kurator/-innen. Von der ersten Idee bis zur Ausstellung durchläuft jedes Teilprojekt des Humboldt Lab einen festgelegten Weg. Die Anregungen kommen idealerweise aus der laufenden Planung bzw. aus der auf das Humboldt-Forum bezogenen Forschungstätigkeit der jeweiligen Kurator/-innen. Diese stellen ihre Ideen oder Fragestellungen zunächst in Form einer Projektskizze vor. In der Leitung des HLD werden die eingereichten Skizzen dann einzeln, aber auch im programmatischen Gesamtzusammenhang diskutiert und auf ihre Umsetzbarkeit geprüft. Anschließend werden die angenommenen Projektskizzen ausformuliert und zusammen mit den Planungsbudgets der Steuerungsgruppe zur Diskussion und zum Beschluss vorgelegt. Die international besetzte Steuerungsgruppe – Hortensia Völckers (Vorstand und Künstlerische Direktorin der KSB) und Herrmann Parzinger (Präsident der SPK), Hartwig Fischer (Generaldirektor, Staatliche Kunstsammlungen Dresden), Koyo Kouoh (Kuratorin und Kulturproduzentin, Raw Material Company, Dakar, Senegal), Jette Sandahl (Museumskuratorin, ehem. Direktorin Museum of Copenhagen, Kopenhagen, Dänemark), Juri Steiner (Kurator, Lausanne, Schweiz), Stefan Kaegi (Regisseur, Mitbegründer des Labels Rimini Protokoll, Rimini Protokoll, Berlin) – trifft sich halbjährlich. Die Steuerungsgruppe evaluiert die Projektskizzen und entscheidet über die Umsetzung. Koordiniert von der Geschäftsleitung werden für die positiv beurteilten Projekte jeweils Teams zusammengestellt, deren Besetzung sich nach den Inhalten richtet. Diese Herangehensweise ermöglicht es die Kompetenzen der Museumsmitarbeiter/-innen je nach Projektausrichtung um die Expertise Externer zu ergänzen, seien es wissenschaftliche Autor/-innen verschiedener Disziplinen, Architekt/-innen oder Künstler/-innen. Die Auswahl der Beteiligten erfolgt über verschiedene Verfahren wie jurierte Empfehlungen oder ausgeschriebene Wettbewerbe. Da das Humboldt Lab nicht als Teil der üblichen Arbeitsabläufe in den Museen angelegt ist, bestand von Anfang an Bedarf nach einem Raum für den konstruktiven Dialog aller Beteiligten. Unter dem Titel »Blaue Stunde« werden daher regelmäßig mehrstündige Workshops durchgeführt, an denen die Mitarbeiter/-innen des Ethnologischen Museums, des Museums für Asiatische Kunst sowie externe Beteiligte aus den Projektteams und sonstige Interessierte teilnehmen. Die »Blaue
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Stunde« dient dem Austausch und der Transparenz; fortgeschrittene Projektideen werden hier vorgestellt und in größerer Runde diskutiert. Das Humboldt Lab Dahlem ist von der Grundidee her für diejenigen Akteure gedacht, die am Planungsprozess des Humboldt-Forums beteiligt sind. Trotzdem war das Ausstellen der Arbeitsergebnisse von Anfang an fester Programmbestandteil, um die Öffentlichkeit zu informieren und am Prozess teilhaben zu lassen. Vorgeführt werden die Projekte unter dem Titel »Probebühne« (PB), entweder auf den Sonderausstellungsflächen in den Dahlemer Museen oder als Interventionen in den bestehenden Dauerausstellungen. Bis sich das Humboldt Lab zum Jahresende 2015 aus Dahlem verabschiedet, werden sieben Probebühnen mit insgesamt 29 Teilprojekten realisiert worden sein. Auf seiner Webseite veröffentlicht das HLD zudem sukzessive eine schriftliche Dokumentation6, in der jedes einzelne Projekt nach seinem Abschluss besprochen ist. Die Rhetorik der Leichtigkeit (»Spielbein«), findet sich auch in den Begriffen ›Labor‹ und ›Probebühne‹: Das Labor ist ein Ort an dem geforscht und experimentiert wird, in dem das Scheitern als struktureller Bestandteil, als ›Lernen aus Fehlern‹, ebenso vorgesehen ist wie der Erfolg. Ähnliches gilt für die Probebühne. Diese bezeichnet im Theater einen fest etablierten Ort, an dem neue Stücke einer kleinen Öffentlichkeit vorgestellt werden. Die Probebühne ist nicht die große Bühne, die Probebühne ist der Ort des künstlerischen Experiments, des Ausprobierens. Im Humboldt Lab steht das ›Labor‹ für die Summe der Arbeitsprozesse und die ›Probebühne‹ für das öffentliche Ausstellen der Arbeitsergebnisse. Diese Rhetorik der Leichtigkeit folgt dem Kalkül, die Größe und damit teilweise auch Schwere des Planungsprozesses zum Humboldt-Forum von den einzelnen Teilprojekten des Humboldt Labs wegzunehmen indem Einzelaspekte herausgenommen und entwickelt werden, für einen Moment befreit vom Ganzen und ein wenig auch vom Erfolgsdruck. Auf der Webseite der Kulturstiftung des Bundes heißt es über das HumboldtLab: »Ermöglicht wird eine enge Zusammenarbeit von Museumskurator/innen, Gestalter/innen, Künstler/innen und Wissenschaftler/innen, die in konzentrierten, raschen Projekten spielerisch und gezielt praxisorientiert neue Erfahrungen sammeln und sie mit der Öffentlichkeit und der Fachwelt teilen.«7 Wenn man die Autorenschaft der Projekte in ihrem zeitlichen Verlauf ein wenig unter die Lupe nimmt, wird deutlich, dass sich das HLD als Projekt, das von außen an die Museen 6
Vgl.
http://www.humboldt-forum.de/humboldt-lab-dahlem/dokumentation/
(letzter
Aufruf 23.02.2015). 7
Vgl.
http://www.kulturstiftung-des-bundes.de/cms/de/projekte/bild_und_raum/Hum-
boldt _Lab_ Dahlem.html (letzter Aufruf 24.02.2015).
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herangetragen worden war, seinen Platz in diesen Institutionen erst erarbeiten musste.8 Die angestrebte Schnelligkeit und Flexibilität, mit der Ausstellungsprojekte entwickelt und realisiert werden sollten, war vor allem anfangs nicht recht kompatibel mit den gewohnten Zyklen, in denen in den Staatlichen Museen zu Berlin an Ausstellungen gearbeitet wird. Darüber hinaus wurde das HLD von Beginn an vor allem intern dafür kritisiert, zu spät begonnen zu haben und daher wenig Chancen zu haben, nachhaltigen Einfluss auf die Vor- und Entwurfsplanung zum Humboldt-Forum zu nehmen. Nicht festgelegt war zudem der Mechanismus der Übertragung; vielmehr wurde vorausgesetzt, dass diese aufgrund der personellen Überlappungen (Kurator/-innen/ Direktor/-innen der Häuser und LabLeitung) automatisch passieren würde. Eine erstaunliche Setzung, denn an den ersten Probebühnen war die Beteiligung der festangestellten Dahlemer Kurator/ -innen eher gering. Die Vorschläge wurden vielmehr von externen, zumeist Gestalter/-innen eingereicht, die im Juni 2012 zu einem Kick-Off-Workshop eingeladen gewesen waren und danach von der Lab-Leitung aufgefordert wurden, ihre Fragen an die Museen in Form von Projektskizzen zur Vorlage bei der Steuerungsgruppe auszuarbeiten. Nach den ersten Probebühnen setzte sich jedoch auch unter Skeptiker/-innen im Dahlemer Stammpersonal mehr und mehr die Erkenntnis durch, dass es im Humboldt Lab um mehr ging oder – abhängig vom eigenen Engagement – gehen konnte, als um eine möglichst gefällige Anordnung von Exponaten in Vitrinen. Durch die großzügige Finanzierung seitens der KSB boten sich Chancen zur Erarbeitung von Inhalten, z.B. für Medienpräsentationen, die weit über die ersten Planungsschritte hinaus relevant waren und für die im Budget des Humboldt-Forums wenig Spielraum war. Zunehmend verstanden und wertgeschätzt wurde auch der eigentlich Sinn des HLD, die Möglichkeit zum Experiment: Ungewöhnliche Präsentationsformen auszuprobieren, von denen niemand wissen konnte, wie sie in der Praxis funktionierten und wie die Resonanz des Publikums darauf ausfallen würde. Ausstellungen zu konzipieren, die scheitern durften, um später im Humboldt-Forum funktionieren zu können. Auch wenn kaum ein Projekt im Nachhinein öffentlich als gescheitert dargestellt wurde, ergaben sich durch den nicht vorhandenen Erfolgszwang zunächst ungeahnte Freiräume und Möglichkeiten. Was die Übertragungen angeht, kann allerdings trotz zunehmender Beteiligung der direkt an der Entwurfsplanung beteiligten Kurator/-innen kein selbstverständlicher Mechanismus angenommen werden. Neben den ungünstigen zeitlichen Voraussetzungen stehen der Implementierung von Lab-Ergebnissen wohl vor allem organisatorische und finanzielle Hürden im Weg, wie an den im Folgenden vorgestellten Projektbeispielen deutlich wird. 8
Vgl. die Online-Dokumentation des HLD.
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T HEMEN UND V ERORTUNGEN IN D ISKURSEN
MUSEOLOGISCHEN
Wie bereits geschildert, basierte das Humboldt Lab Dahlem in seinen ersten Ausgangsfragen nicht auf einem festgelegten Programm, orientiert an museologischen oder gar ethnologischen Problemstellungen. Die Entwicklung der Projekte erfolgte vielmehr entlang von Einzelfragen, deren Gemeinsamkeit darin bestand, dass sie sich im Planungsprozess ergaben und zumeist auf ›zeitgemäße‹ Präsentationsmodi für die Exponate und damit verbundenen Themen der beiden Museen abzielten. Der bewusste Verzicht auf ein kohärentes inhaltliches Gesamtkonzept und die stattdessen betonte Praxisorientierung und spielerische Grundhaltung gegenüber ›ernsten Fragen‹ brachte dem HLD die Kritik ein, angesichts des Kontextes, in dem es agierte, fast schon naiv an der Identitätskrise der Museen vorbei zu sehen.9 Das Projekt mit dem Titel »Warum nicht?« als Teaser zum »EuropaTest« (Probebühne 4) symbolisiert recht gut die häufig unvereinbaren Arbeits- und Herangehensweisen, die mit den Probebühnen in Dahlem einhergingen. ›Darf‹ man Exponate aus Europa und anderen Teilen der Welt spielerisch nebeneinander ausstellen, als primär ästhetisches Experiment, auch wenn damit keine weitere Aussage verbunden ist? Oder ist eine solche Präsentation sinnlos und teilweise sogar respektlos? Auf Dauer erwies sich die anfänglich postulierte und vielfach, auch intern, kritisierte ›Programmferne‹ des HLD und seine ausschließliche Praxisorientierung als zu einseitig. Aufgrund des Kontextes, in dem es stattfindet, ist das Humboldt Lab per se immer mehr gewesen als eine Spielwiese für Externe oder eine verordnete Lockerungsübung für vermeintlich eingerostetes Museumspersonal. Der brisante Gegenstand, der Umzug der nicht-europäischen Sammlungen der Staatlichen Museen zu Berlin ins umstrittene Projekt Humboldt-Forum bettet die Arbeit des HLD unweigerlich ein in die Frage nach dem »Quo vadis, Völkerkundemuseum?«, in die Diskurse also, mit denen sich alle ethnologischen Museen heute auseinander setzen müssen, wenn sie als gesellschaftliche Institutionen weiterhin ernst genommen werden wollen. Nähme man die scharfe Kritik allerdings wirklich ernst, die z.B. von Mörsch und ihren Mitarbeiterinnen am Humboldt Lab geübt wurde (vgl. Fußnote 9), würden sich die Spielräume für Experimente wiederum so erheblich verkleinern, dass sich das Humboldt Lab selbst im Weg stünde.
9
Diese Kritik wurde dezidiert im Rahmen einer internen Evaluierung geäußert, die von Carmen Mörsch (Institute of Art Education, Zürich) und ihren Mitarbeiter/-innen durchgeführt wurde.
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Mörsch forderte eine radikale Infragestellung der Institution Museum. Die strukturelle Verortung des Lab, nicht wirklich innerhalb, aber auch nicht wirklich außerhalb der Häuser, mit den beiden Direktoren und einem externen Kurator und Berater als Leitung und die programmatische Ausrichtung auf das Humboldt-Forum, sieht eine solche radikale Positionierung nicht vor. In den Projekten wird also ein Zwischenweg gewählt, ein zunehmend reflexiver, aber betont konstruktiver Umgang mit den ›ernsten Museumsfragen‹, teilweise gepaart mit einer spielerischen Herangehensweise. Konkret berühren die ›ernsten Fragen‹ zunächst einmal das institutionelle Selbstverständnis, die kritische Reflexion musealer Tradition und Sammlungsgeschichte, insbesondere vor dem Hintergrund kolonialer Verflechtungen. Wie Kravagna (2009: 131ff.) beschreibt, tendieren ethnologische Museen zur »Konservierung des Kolonialismus«, indem sie die Einteilung der Welt in ein ›hier‹ und ein ›dort‹, ein ›Wir‹ und ›die Anderen‹, die sich in den Sammlungen manifestiert, in Ausstellungen weitgehend unhinterfragt reproduzieren. Die exotischen ›Anderen‹ seien dabei gefangen in ein zeitloses ethnographisches Präsens. Allgemein wirft Kravagna den Museen vor, die theoretischen Entwicklungen der Ethnologie seit der »Writing-Culture«-Debatte nicht nachvollzogen zu haben, kritische, auch postkoloniale Positionen blieben in der Ausstellungspraxis zumeist ausgeblendet. Institutionelle Selbstreflexion finde in der Regel nicht statt bzw. nur in Form spektakulärer, publikumswirksamer Inszenierung imperialer Sammelwut wie z.B. im Pariser Musée du quai Branly (vgl. Kravagna 2009: 133). Die Reflexion des institutionellen Selbstverständnisses und die verspätete Auseinandersetzung mit der »Writing-Culture«-Debatte sind in der aktuellen Museumspraxis eng verbunden mit der Frage der Repräsentation. Wenn eine Ausstellung vermitteln möchte, dass es keinen neutralen Ort gibt, von dem aus eine Geschichte erzählt wird, rückt die Position des Erzählens selbst stärker in den Fokus. Es geht darum, Deutungsmacht neu zu verhandeln und dann auch sichtbar zu machen. Eine Institution, die sich selbst hinterfragt, wird konsequenterweise versuchen, in kolonialen Denkmustern verankerte Epistemologien und Klassifikationsmodelle zu überwinden, auch und vor allem, indem die vermeintlich Anderen in den Ausstellungen selbst sprechen. Ein naheliegendes Problem dabei besteht darin, dass die Museen die Objekte aus ihrer Sicht und nicht aus der Sicht der ›Anderen‹ dokumentiert haben. Gerade in Ausstellungen, die sich mit Sammlungsgeschichte befassen, gilt es also erhebliche Wissenslücken aufzuarbeiten, so dass die Hersteller/-innen der Objekte nicht als passive Opfer, sondern handelnde Akteure dargestellt werden.
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Wie oben bereits erwähnt, spielt die Thematik der Repräsentation in den Konzepten für das Humboldt-Forum durchaus eine Rolle. Der Anspruch der Multiperspektivität ist nichts anderes als ein Abschied vom allwissenden Kurator. Im bislang einzigen veröffentlichten Konzept des Ethnologischen Museums für das Humboldt-Forum (vgl. Ethnologisches Museum 2012: 128) sind eine Reihe von Optionen aufgezählt, wer neben den Kurator/-innen in den Ausstellungen sprechen wird, abgesehen von Künstler/-innen und Wissenschaftler/-innen sind dies vor allem Vertreter/-innen sogenannter Herkunftsgemeinschaften (source communities). Indem das Humboldt Lab reflexiv-kritische und auch kooperative Projekte realisiert, wird ausgelotet, welche Rahmenbedingungen dafür gegeben sein müssen und wo in einer Institution wie den Staatlichen Museen zu Berlin die Grenzen liegen, sowohl im Hinblick auf künstlerische Positionen, als auch in der Zusammenarbeit mit Herkunftsgemeinschaften. Fragen der Repräsentation I: Sammlungsgeschichte und Selbstreflexion Mit ihrem Projekt »Objektbiografien«, das im Rahmen der Probebühne 6 im März 2015 eröffnet wird, nehmen die beiden Kuratorinnen Margareta von Oswald und Verena Rodatus eine Kritik auf, die häufig im Zusammenhang mit dem Umzug der ethnologischen Sammlung ins Humboldt-Forum geäußert wird. Sie bezieht sich auf den wenig transparenten Umgang mit den blinden Flecken der Museumsgeschichte, insbesondere mit der gewaltvollen Aneignung von Objekten in der Kolonialzeit. Am Beispiel der Afrika-Sammlung lotet das Projekt »Objektbiografien« Möglichkeiten der Offenlegung von Sammlungsgeschichte aus. Gedanklicher Ausgangspunkt ist dabei das ›bewegte Leben‹, das die meisten Museumsobjekte hinter sich haben; nach ihrer Herstellung und Verwendung am Ursprungsort wurden sie gekauft oder geraubt, sind gereist, wurden wieder verkauft, kategorisiert, klassifiziert, inventarisiert, teilweise verliehen und ausgestellt. Auch die musealen Ordnungsmuster für ›Ethnographica‹ haben sich verändert, je nach Ausstellungsort und -zeitraum dienten die Objekte zum Illustrieren ›traditioneller‹, ›anderer‹ Lebensweisen, dargestellt im ethnographischen Präsens, als Belegstücke für Kulturgeschichte oder als ›Weltkunst‹. Nach dem jeweiligen Status richtete sich der symbolische und materielle Wert, der den Objekten zugeschrieben wurde. Bloß der Blick der ›Anderen‹ auf die Objekte blieb in den meisten Ausstellungen ausgeblendet, denn in Museen weiß man in vielen Fällen wenig
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über den früheren Verwendungskontext und den Bedeutungswandel der jeweiligen Objekte am Herkunftsort, die schriftlich dokumentierte Objektbiografie beginnt mit der Inventarisierung im Museum. Das Projekt »Objektbiografien« setzt an diesen beiden Punkten an. Zum einen wird der Versuch unternommen, wissenschaftliche Ansätze zur Untersuchung von Museums- und Objekthistorie mit einer zeitgemäßen musealen Präsentation zu verknüpfen, in der dem Publikum Fakten vermittelt werden, die üblicherweise hinter den Kulissen verbleiben. Zum anderen arbeiten die Kuratorinnen mit Wissenschaftler/-innen aus Westafrika zusammen und schlagen so eine Brücke zur Gegenwart und zu zeitgenössischen Interpretationen historischer Objekte. Als logische Konsequenz des fokussierten Blicks, der im Projekt auf einzelne Objekte gerichtet wird, wurden nur drei Fallbeispiele ausgewählt, die in ›Objektarrangements‹ präsentiert werden. Das erste Beispiel erzählt die Geschichte zweier Figuren aus dem Königreich Kom in Kamerun. Als Folge eines kolonialen Beutezugs gerieten sie in die Berliner Sammlung und stehen in der Ausstellung für gewaltvolle Aneignung. Im zweiten Beispiel geht es um Objekte der Luba aus Zentralafrika, die über innerafrikanische Handelsrouten nach Europa gelangten. Hier wurden sie als ›afrikanische Kunst‹ entdeckt und werden bis heute immer wieder als ›Meisterstücke‹ präsentiert. Das dritte Beispiel handelt von einer Sammlung von Bochios, Handfiguren aus Benin. Dieser Teil der Ausstellung wird in Kooperation mit Wissenschaftler/ -innen aus Benin erarbeitet. Von ihrer Reise nach Westafrika, die im Rahmen der Ausstellungsvorbereitung Ende 2014 stattfand, berichten die Kuratorinnen auf dem Blog des Humboldt Lab: »Während einer dreiwöchigen Reise in den westafrikanischen Ländern Togo und Benin […] arbeiten wir gemeinsam mit Dr. Romuald Tchibozo und David Gnonhouevi von der Universität Abomey-Calavi. Wir verfolgen den Weg einer Objektgruppe, den sogenannten Bochios, an ihren Sammlungsort zurück. Diese lagen seit mehreren Jahrzehnten unbeachtet im Depot des Ethnologischen Museums Berlin. Kurz gesagt sind Bochios Handfiguren, die Teil der Vodou-Praktiken Benins sind. Sie werden zum Beispiel vor Häusern in den Boden gesteckt, um diese vor Unheil zu bewahren. Die Objekte verstehen wir als Auslöser für unsere wissenschaftliche Kooperation: Zusammen wollen wir das generelle Fehlen dieser Art Objekte vor Ort problematisieren, Fragen des kulturellen Erbes diskutieren und Lösungsansätze der zeitgenössischen Geschichtsschreibung erproben«.10
10 Vgl.
http://blog.humboldt-lab.de/2014/12/04/post-aus-togo-und-benin-1-margareta-
von-oswald-und-verena-rodatus-in-cotonou/ (letzter Aufruf 01.03.2015). Sukzessive werden hier weitere Berichte zum Projekt veröffentlicht.
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Ähnliche Ansätze wie »Objektbiografien«, wenn auch deutlich weniger ausgearbeitet und zugespitzt, verfolgten auch die früheren Lab-Projekte »Springer Surinam/Benin V A 13766« und »Bedeutungen schichten« aus der Probebühne 1. Ohne Zweifel wird Sammlungsgeschichte im Humboldt-Forum eine wichtige Rolle spielen, z.B. als übergreifendes Thema im Schaumagazin der Afrika-Sammlung. Eine so detaillierte, reflexive und kooperative Aufarbeitung von Objektbiografien, wie sie das Lab-Projekt vornimmt, wird im Budgetrahmen, der dem Humboldt-Forum voraussichtlich zur Verfügung stehen wird, allerdings wohl nicht möglich sein. Bleibt zu hoffen, dass die Ergebnisse der kooperativen Forschung in der geplanten Ausstellung einen Platz finden. Fragen der Repräsentation II: Zur zeitgenössischen Kunst im Humboldt Lab Die Deutungshoheit über die ethnologische Sammlung an zeitgenössische Künstler/-innen abzugeben um auf diese Weise Repräsentationskritik zu üben, kann fast schon als Trend in ethnologischen Museen bezeichnet werden (vgl. Leeb 2013: 47). Radikale Institutionskritik, wie sie z.B. von Fred Wilson mit seiner Arbeit »Mining the Museum« geübt wurde (vgl. Mignolo 2011), steht in den ethnologischen Museen allerdings in der Regel nicht auf dem Programm. Die verbreitete Tendenz geht hingegen dahin, Künstler/-innen in die Sammlungen einzuladen damit sie ausgewählte Objekte von ihrem subjektiven Standpunkt aus kommentieren und dadurch neben dem wissenschaftlichen weitere Deutungswege aufzeigen. Aus kritischer Sicht »[widmet] man diese umstrittenen Objekte zu ahistorischen Elementen einer zeitgenössischen Kunstpraxis um« (Ogbechie 2013:79). Insbesondere der Labor-Ansatz, den dabei das Weltkulturen Museum in Frankfurt verfolgt (vgl. Deliss 2012), wurde in Fachkreisen vielfach kontrovers diskutiert (vgl. Deimel 2012; Hauser-Schäublin 2012; Jebens 2012). Ob nun Künstler/-innen immer die besseren Kurator/-innen sind, ist ohne Zweifel zu hinterfragen. Förster (2013: 196) weist darauf hin, dass sich ethnologische Museen selbst aus ihrer Krise befreien müssen, indem sie dezidierte Haltungen im Hinblick auf Repräsentationsfragen entwickeln. Nicht eindeutig äußert sich Förster zur Frage, ob die Museen diese Aufgabe allein erfüllen müssen oder ob Künstler/-innen und andere ›Externe‹ dabei behilflich sein können. Im Humboldt Lab, das der Idee der Multiperspektivität für das Humboldt-Forum verpflichtet ist, ist es ausdrücklich vorgesehen künstlerische Strategien in die kuratorische Praxis einzubeziehen. In diesem Sinne liegt seit Beginn des Lab ein Schwerpunkt auf der Zusammenarbeit mit zeitgenössischen Künstler/-innen; die Projekte »Springer: Spiegelkugel« (PB 1), »Spiel der Throne« (PB 2), »Mensch –
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Objekt - Jaguar« (PB 3) zeugen von den unterschiedlichen Herangehensweisen, die dabei zum Ausdruck kommen. Während der Künstler Theo Eshetu mit seiner »Spiegelkugel« sehr frei agierte und eine bestehende Ausstellung seiner Wahl kommentierte, steht »Mensch – Objekt – Jaguar« für eine enge Kooperation zwischen Kunst und Wissenschaft (vgl. Lewy in diesem Band). Im »Spiel der Throne« war das Objekt, mit dem die Künstler sich beschäftigen sollten, zwar vorgegeben, in der Art ihrer Interpretation ließ man ihnen hingegen freie Hand. Die radikale, sich abgrenzende Institutionskritik ist im Humboldt Lab nicht vertreten – in logischer Konsequenz der Anlage des HLD als Projekt für das Humboldt-Forum, nicht in Opposition zur neu entstehenden Institution. Das Projekt »Yuken Teruya: On Okinawa« des Künstlers Yuken Teruya in Zusammenarbeit mit den Kurator/-innen Silvia Gaetti (Ethnologisches Museum), Alexander Hofmann (Museum für Asiatische Kunst) und Siegmar Nahser (Ethnologisches Museum) ist ein passendes Beispiel für die grundsätzlich avisierte enge Kooperation zwischen dem Künstler (hier zusätzlich als Vertreter einer source community) und den Museen. Die Initiative dazu ging vom Künstler selbst aus, der auf der Insel Okinawa geboren wurde und heute in New York lebt und arbeitet. Als die Okinawa-Sammlung, bestehend aus 500 Objekten, im Jahr 1884 von der japanischen Regierung erworben wurde, lagen der Sieg über das zuvor dort regierende Königreich Ryukyu und die gewaltsame Eingliederung der Insel erst fünf Jahre zurück. Juristisch gesehen handelte es sich also um einen legalen Erwerbsvorgang, wenn auch mit einem bitteren Beigeschmack. Der Annektierung durch die Japaner folgte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine bis 1972 andauernde Besatzung durch die USA. Diese wechselvolle Geschichte und die bis heute starke amerikanische Militärpräsenz sind Themen, die Yuken Teruya in seiner Auseinandersetzung mit der Okinawa-Sammlung des Ethnologischen Museums aufgreift. In seiner künstlerischen Produktion bedient er sich traditioneller Techniken und arbeitet zum Teil mit lokalen Kunsthandwerker/-innen aus Okinawa zusammen. Die Ausstellung, die im Herbst 2014 mit der Probebühne 4 eröffnet wurde, wird zwar in dieser Form nicht dauerhaft im Humboldt-Forum gezeigt werden. Die Zusammenarbeit mit Yuken Teruya als Artist in Residence, dessen Interesse sich nicht nur auf die ästhetischen, sondern insbesondere auch auf die inhaltlichen Charakteristika der Sammlung richtete, besitzt allerdings eindeutig Vorbildcharakter.
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Abb.1: Installationsansicht »Yuken Teruya: On Okinawa«.
Foto: Jens Ziehe. 2014 © Humboldt Lab Dahlem.
Ähnlich wie bei »Objektbiografien« wird am Ende auch hier die finanzielle Ausstattung des Humboldt-Forums den Ausschlag darüber geben, ob regelmäßige Residence-Programme die Einladung von Künstler/-innen wie Yuken Teruya ermöglichen oder fehlende Mittel dem im Wege stehen. Fragen der Repräsentation III: Involvierungen und Partizipation Mehr noch als die beiden vorangegangenen Projektbeispiele nimmt »Wissen teilen« die Idee des Museums als »Contact Zone« auf. Dieser Begriff, der von James Clifford erstmalig auf Museen bezogen wurde (vgl. Clifford 1997), bezieht sich hier in der Praxis in der Regel auf die Zusammenarbeit mit source communities. Allerdings ist dies auch in der Museumsszene nicht unumstritten: Robin Boast (2011) z.B. kritisiert die Asymmetrie in den Machtbeziehungen, die in den vermeintlichen »Contact Zones« wenig hinterfragt würden – die Deutungshoheit über Ausstellungsinhalte und Regeln der Zusammenarbeit (wie z.B. den korrekten Umgang mit den Objekten) verbleibe in der Regel bei der Institution Museum und den etablierten Kurator/-innen bzw. Restaurator/-innen, während indigene oder andere communities nur als schmückendes Beiwerk missbraucht würden. Ein weiteres Problemfeld eröffnet sich bei der Frage, wer überhaupt ›die Indigenen‹ sind, die in solchen Kooperationsprojekten beteiligt werden. Das Problem
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der Repräsentation und Authentizität betrifft nahezu jede Zusammenarbeit mit Indigenen, auch die wissenschaftliche oder politische, und ist in der Ethnologie altbekannt (vgl. z.B. Dürr 1987). In Museen bleibt eine kritische Reflektion darüber aus Zeitgründen häufig aus, da man froh zu sein scheint, überhaupt ›lebende Indigene‹ zur Hand zu haben, die (überwiegend) historische Sammlungen kommentieren können. Des Weiteren stellt sich die große Frage, wie man eine Zusammenarbeit mit indigenen und anderen Gruppen für beide Seiten nachhaltig gestalten kann. Dafür bieten die meisten Zusammenarbeitsprojekte bislang keine befriedigende Lösung. Zwar werden in der Regel Delegationen indigener Vertreter/-innen in die Museen eingeladen, um ›ihre‹ Sammlungen kennen zu lernen und ihr Wissen über die Objekte kundzutun, in der Regel nehmen die exotischen Besucher/-innen von den Sammlungen selbst aber nur die Erinnerung und bestenfalls Fotos mit. Räumliche und finanzielle Barrieren verhindern einen dauerhaften Zugang, die Entscheidungsgewalt über den Umgang mit den Objekten verbleibt bei den Institutionen des Sammelns, Bewahrens und Erforschens.11 Eine weitere Problematik betrifft die Sichtbarkeit solcher Projekte für das Publikum: Fast immer findet die Zusammenarbeit mit indigenen Gemeinschaften ›hinter den Kulissen‹ statt – das dadurch generierte Wissen wird für die Besucher/ -innen der Ausstellungen nur bedingt und indirekt sichtbar. Im produktiven Umgang mit diesen Kritikpunkten liegt die Grundidee von »Wissen teilen«. Anlass und Ausgangspunkt des Projekts ist die Sammlung des Ethnologischen Museum aus Guayana (Nordostamazonien), die im Humboldt-Forum erstmals umfassend ausgestellt wird. Partnerinstitution des Museums ist die in Venezuela beheimatete Universidad Nacional Experimental Indígena de Tauca (UNEIT), an der junge Angehörige von über zehn indigenen Ethnien (u.a. Ye’kuana, Pemón, Eñepa, Yukpa), ein besonderes Curriculum durchlaufen: Anders als die Hochschulen des ›klassischen‹ Bildungssystems will die Indigene Universität ihre Absolvent/-innen auf ein Leben als Multiplikator/-innen in ihren Gemeinschaften vorbereiten. Die Universität arbeitet eng mit diesen Gemeinschaften zusammen: Sie sind verantwortlich für die Auswahl der Kandidat/-innen für ein Studium an der UNEIT; zwischen den Semestern in Tauca verbringen die Studierenden ihre ›Feldphasen‹ in den Gemeinschaften. Zu den Lerninhalten der UNEIT gehören Alternativen der Ernährungs-
11 Eine partielle Ausnahme für das Ethnologische Museum Berlin stellt das 1998 durchgeführte Zusammenarbeitsprojekt mit den Yup’ik in der Nordamerika-Sammlung dar. Hier entstand eine umfassende zweisprachige (Englisch-Yup’ik) Publikation, die das Projekt ausführlich dokumentiert (Fienup Riordan 2005).
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sicherung (ökologischer Landbau, Fisch- und Bienenzucht) ebenso wie die Reflektion über indigene Identität im Zusammenleben mit der (nicht-indigenen) Mehrheitsgesellschaft, die Wahrnehmung indigener Rechte und die Bewahrung kultureller Praktiken. Letztere beinhalten nicht nur den selbstverständlichen Gebrauch der indigenen Sprachen und die Bewahrung oraler und performativer Traditionen, sondern auch Techniken wie Korbflechten, Schnitzen und die Herstellung von Körperschmuck. In der Sammlung des Ethnologischen Museums sind diese Techniken materialisiert, so dass die Kooperationsidee bei der UNEIT auf großes Interesse trifft. Im August/September 2014 waren sieben Angehörige der indigenen Universität im EM zu Gast, um sich mit den historischen Objekten vertraut zu machen – vieles davon war ihnen gewohnt und alltäglich, anderes neu bzw. vergessen. Dem Besuch war ein Aufenthalt der Projektkuratorin Andrea Scholz in Tauca (März 2014) vorausgegangen. Diese Besuche stellten den Auftakt für eine längerfristige digitale Zusammenarbeit dar. Derzeit entwickelt das Berliner Studio NAND eine Webplattform, mithilfe derer indigenes und ethnologisches Wissen über die Objekte gebündelt und geteilt werden kann. Die UNEIT wird diese Plattform zur virtuellen Erweiterung ihres didaktischen Materials nutzen, die Wissenschaftler/-innen des EM als Instrument zur Beforschung der Sammlung. Ein erster Prototyp der Plattform wird mit der Probebühne 7 noch während der Laufzeit des Humboldt Lab präsentiert. Angestrebt ist eine weitere Zusammenarbeit über die Eröffnung des Humboldt-Forums hinaus. Die Plattform ist als integraler Bestandteil der Amazonienaustellung im Humboldt-Forum angelegt, so dass auch das zukünftige Schlosspublikum den Wissensaustausch miterleben kann. Aus finanziellen und personellen Gründen ist allerdings auch hier fraglich, ob das Projekt über die Laufzeit des Lab hinaus weitergeführt werden kann. Es ist nicht davon auszugehen, dass die Zusammenarbeit mit der UNEIT von Ende 2015 bis zur geplanten Eröffnung des Humboldt-Forums im Jahr 2019 als Selbstläufer funktioniert – auch die Kontinuität oder potentielle Erweiterung des Projekts um andere Sammlungen und indigene Organisationen sind nicht gesichert. Bislang sind Kooperationsprojekte im Humboldt-Forum ebenso wenig konkret im Budget angelegt wie residencies von Künstler/-innen.
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AUSBLICK : J ENSEITS DER P ROJEKTE – S TRUKTURELLE Ü BERTRAGBARKEIT DES ›P RINZIPS L ABOR ‹ INS H UMBOLDT -F ORUM Den schwerfälligen Prozessen, in denen die Planungen für das Humboldt-Forum verlaufen, setzt das Humboldt-Lab schnelle, kurze Projektzyklen entgegen. Neben dem belebenden Effekt, den die Probebühnen auf die planenden Akteure ausüben, werden auch konkrete Lösungen erarbeitet, die ins Humboldt-Forum übernommen werden können (wie im geschilderten Fall von »Wissen teilen«). Mindestens ebenso entscheidend wie die Möglichkeit zur Übertragung einzelner Inhalte, angesichts von unsicherer Finanzierung und mangelnder personeller Kontinuität, ist die Frage, ob auf den Museumsflächen im Humboldt-Forum zukünftig überhaupt Spielräume für das Realisieren temporärer Projekte vorhanden sein werden. Denn dafür ist nicht nur finanzielle, sondern auch räumliche Flexibilität vonnöten. Die Planungsmodalitäten sehen allerdings für die Museumsgeschosse vor, Themen zu fixieren und Flächen zu belegen, abgesehen von wenigen Quadratmetern für Wechselausstellungen. Größere temporäre Ausstellungen und Veranstaltungen sollen im Erdgeschoss stattfinden. Der experimentelle Reiz des Humboldt Lab liegt nun aber gerade in der Wechselwirkung mit den umgebenden Ausstellungen. Dieses Prinzip ist an einzelnen Stellen, den sogenannten »Treffpunkten«, im Humboldt-Forum zwar eingeplant, aber auf sehr begrenzter Fläche und mit wenig Möglichkeit, in Ausstellungen direkt zu intervenieren. Strukturell gesehen kann von einer Verankerung des Prinzips Labor also nach jetzigem Stand noch nicht die Rede sein.
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Objekte hören? Klang im ethnologischen Museum. Ein Beitrag zur angewandten auditiven Anthropologie M ATTHIAS L EWY
»The sonic transparency of their community makes of their village a concert hall, the seasonal organization of songs makes of their year a concert series (or a single piece of music), and their rites of passage make of their live a process punctuated with transformations achieved through long periods of song.« (Anthony Seeger 1987: xiv)
Aufbauend auf der wegweisenden Forschung Anthony Seegers (1987) über die Suyá (Kisêdjê) bewegt mich die Frage, wie es möglich sein soll, eine solche »Konzerthalle« mit »jährlicher Konzertreihe« in die Ausstellungsräume und Konzeptionen der westlichen Welt zu bringen. Eine Frage, die auf eine Fülle an Konzeptionen zu Alterität, Übersetzung und den damit einhergehenden Formen der Simplifizierung verweist, zumeist mit dem Ziel, spezifisches und häufig sehr komplexes Wissen in sogenanntes allgemeines oder allgemeinverständliches Wissen zu transformieren. Für indigene Kulturen wird diese Arbeit im Museum vor allem von Ethnolog/-innen erwartet, womit ein Pol auf einer Skala benannt wäre. Der zweite Pol bezieht sich auf den derzeitigen Marketingtrend von ›Kunst‹ im Museum. Menschen, die sich dem Rollenprinzip ›Künstlerin‹ unterwerfen, arbeiten weniger mit Übersetzung und Simplifizierung von Alterität, als mit Inszenierungen ihres persönlichen Prozesses der Auseinandersetzung mit den Dingen unter der höheren Absicht des Erreichens eines einzigartigen Ausdrucks an Individualität. Aus poststrukturalistischer Sicht wird also eine Art »Fundamentalnaturalismus« produziert, wobei zur Verteidigung des Trends eingefügt werden muss, dass ein gewisser Grad an Perzeption und Vermittlung von
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Alterität auch bei Künstler/-innen erkenn- bzw. hörbar werden kann, während Ethnolog/-innen ebenso ein nicht gerade geringes Maß an Individualisierung auf sich vereinen. Um eines sogleich vorwegzunehmen, dieser Beitrag beruht weder auf einer streng ethnologisch/kulturanthropologischen Perspektive, noch soll die alleinige künstlerische Projektion auf ethnologische Themen und deren Rezeption und Produktion im musealen Kontext in den Vordergrund gestellt werden. Vielmehr soll ein Zwischenweg aufgezeigt werden, welcher unter der spezifischen Prämisse des Klangs zu besprechen ist. Arbeiten über das Kuratieren von Klang in Museen zeigen verschiedene Ansätze vom »DJ als Kurator« über die Verwendung von Audioguides, Hörräumen, Klanginstallationen bis hin zu Musikfestivals (vgl. Droguet 2008). Die Promotion von Hein Schoer (2014) beschäftigt sich erstmalig intensiv mit der Ausstellung von Klang einer indigenen Gruppe in Nordamerika und verweist auf die besondere Problematik der Vermittlung indigener Klangontologien im europäischen Museumskontext. Klang selbst kann hier als auratisch aufgeladenes Objekt verstanden werden (vgl. Schoer/Brabac de Mori/Lewy 2014: 19), das genauso wie materielle und visuelle Ausstellungsgegenstände Inhalte, Formen und Bedeutungen in sich vereint, auch wenn andere Formate der Präsentation benötigt werden. Die Überlegungen zu diesen Darstellungsformaten sollen der konstruierten Dichotomie Kunst/Ethnologie eine Möglichkeit entgegenstellen, die beide Praktiken in der Person des ›Klangkurators‹ konstruktiv verbindet. Hierzu werden die gemachten Erfahrungen der Erarbeitung, Produktion und Evaluierung einer Klanginstallation beschrieben, die in der Konzeption des science sound composings am Ende des Beitrags zur Diskussion gestellt werden. Bei der zu besprechenden Klanginstallation handelt es sich um eine Arbeit zur Ausstellung im Rahmen des Humboldt Lab Dahlem (HLD).1 Die Kuratorin von »Mensch-Objekt-Jaguar«, Andrea Scholz, betraute mich mit der Erarbeitung einer Soundinstallation für diese Ausstellung, die künstlerisch (vor allem visuell) von Sebastian Mejía gestaltet wurde.2 Die Ausstellung war Teil der Probebühne 3, deren Konzeption darin bestand, in einem fortlaufenden Prozess evaluiert und verändert zu werden (vgl. Scholz in diesem Band).3 Dieser Punkt ist insofern wichtig, da das gesamte Konzept der Probebühne als ein work in progress ausge-
1
http://www.humboldt-forum.de/humboldt-lab-dahlem/ (letzter Aufruf 28.10.2014).
2
http://www.humboldt-forum.de/humboldt-lab-dahlem/dokumentation/probebuehne-
3
http://www.humboldt-forum.de/humboldt-lab-dahlem/dokumentation/probebuehne-
3/mensch-objekt-jaguar/teaser/ (letzter Aufruf 28.10.2014). 3/mensch-objekt-jaguar/credits-impressum/ (letzter Aufruf 25.10.2014).
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richtet war, um Erfahrungen hinsichtlich einer Ausstellungskonzeption für das entstehende Humboldt-Forum in Berlin Mitte zu gewinnen4.
T HEORETISCHER H INTERGRUND Die indigenen Bevölkerungen Amazoniens haben ausgesprochen komplexe Kosmologien entwickelt, die sich in zahlreichen Aspekten von den unseren unterscheiden. Diese Komplexität kann in einer Ausstellung immer nur angedeutet werden. Mittels Feldforschungen und den darauf aufbauenden Theorien und Konzepten versuchen Ethnolog/-innen, sich diesen Weltvorstellungen anzunähern. Ausstellungen sind dabei ein weiteres Glied in einem komplexen – und letztlich nie endgültig abgeschlossenen – Prozess der Übersetzung und Annäherung. Die Begrifflichkeiten und theoretischen Überlegungen, mit denen sich »Mensch-Objekt-Jaguar« auseinandersetzte, sollen an dieser Stelle noch vor der eigentlichen Darstellung der Ausstellung bzw. Klanginstallation kurz skizziert werden. Neben der Konzeption des »Animismus« nach Philippe Descola, sind dabei die Theorie des »Perspektivismus« von Eduardo Viveiro de Castro sowie die Überlegungen zur »transspezifischen Kommunikation« von Ernst Halbmayer von Bedeutung. Nach Descola unterscheiden sich Menschen nicht nur nach ihrer Kultur, »sondern auch der Natur nach, genauer gesagt, in ihrer Art, Beziehungen zwischen Menschen und Nichtmenschen herzustellen« (Latour 2012: 68). »Stützt sich der ›Naturalismus‹ bei der Feststellung von Ähnlichkeiten zwischen Entitäten auf ihre physische Beschaffenheit und unterscheidet er sich aufgrund ihrer geistigen oder spirituellen Eigenschaften, verfährt der ›Animismus‹ [nach Descola, ML] umgekehrt: Für ihn sind alle Entitäten in geistiger Hinsicht ähnlich, unterscheiden sich aber radikal durch den Körper, mit dem sie ausgestattet sind.« (ebd.)
Individualisierung bedeutet für Descola (2011: 181ff.) dabei eine extreme Abgrenzung einer Interiorität5 gegenüber einer anderen. In der von ihm entworfe4
http://www.humboldt-forum.de/humboldt-forum/idee/auf-dem-weg-zum-humboldtforum/ (letzter Aufruf 28.10.2014).
5
Als »Interiorität« bezeichnet Descola (2011: 81f.) »eine Reihe von Eigenschaften [...], die von allen Menschen erkannt werden und die sich zum Teil mit denen decken, die wir gewöhnlich Geist, Seele oder Bewußtsein nennen – Intentionalität, Subjektivität,
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nen Typologie kennzeichnet Individualisierung die ›westliche‹ Form des »Naturalismus«. Dem steht der »Animimus« als ein ontologischer Typus gegenüber, der durch eine Ähnlichkeit der Interioritäten charakterisiert ist. Das erwähnte »Erreichen eines einzigartigen Ausdrucks an Individualität« in der Kunst steht diesem Prinzip des »Animismus« fundamental entgegen, weswegen von mir die Verwendung des Neologismus »Fundamentalnaturalismus« als ein Superlativ der Abgrenzung ins Feld geführt wurde. Während die ›westliche‹ Vorstellung dadurch geprägt ist, dass alles Seiende die gleichen natürlichen Grundlagen besitzt, sich auf dieser Basis allerdings unterschiedliche Kulturen entwickelt haben, so geht auch Viveiros de Castro in seinen Analysen der indianischen Weltanschauung davon aus (Viveiros de Castro 1997, 2012), dass hier die genau umgekehrte Vorstellung vorherrschend ist: Die Vielzahl der vorhandenen »Naturen« geht mit einer geteilten Kultur einher. Menschen und Nichtmenschen nehmen die Realität dabei allerdings aus unterschiedlichen Perspektiven war: »Die Art, wie Menschen Tiere und andere die Welt bevölkernde Subjektivitäten betrachten, unterscheidet sich grundlegend von der Art, wie diese die Menschen (und sich selbst) wahrnehmen. Normalerweise sehen Menschen Menschen als Menschen, Tiere als Tiere und Pflanzen als Pflanzen. Sehen sie Geister, ist das ein sicheres Zeichen dafür, dass etwas nicht stimmt. Umgekehrt sehen Tiere (Raubtiere) und Geister Menschen als Tiere (Beutetiere), so wie Beutetiere Menschen als Geister oder Raubtiere sehen. Sich selbst sehen Tiere und Geister hingegen als Menschen: Sie begreifen sich als (oder verwandeln sich in) anthropomorphe Wesen, wenn sie sich in ihren eigenen Gebäuden oder Ansiedlungen aufhalten; und – ganz wesentlich – sie erleben ihre eigenen Gewohnheiten und Verhaltensweisen als eine Art Kultur. Tiere sehen ihre Nahrung als menschliche Nahrung (Jaguare nehmen Blut als Maniokbier wahr, Geier die Maden im verwesenden Fleisch als gegrillte Fische); ihre Körpermerkmale (Fell, Federn, Klauen, Schnäbel) als Schmuck oder kulturelle Artefakte und ihr Sozialsystem als ähnlich organisiert wie das menschliche (mit Reflexivität, Affekte, die Fähigkeit, zu bezeichnen oder zu träumen. Einschließen kann man auch die immateriellen Prinzipien, von denen vermutet wird, daß sie die Belebung verursachen wie der Atem oder die Lebensenergie, ebenso noch abstraktere Begriffe wie die Idee, daß ich mit anderen ein und dieselbe Wesenheit, dasselbe Handlungsprinzip oder denselben Ursprung teile, manchmal in einem Namen oder einem Epitheton objektiviert, die uns gemeinsam sind. Kurzum, es handelt sich um jenen universellen Glauben, daß es dem Sein innewohnende oder ihm entspringende Merkmale gibt, die unter normalen Umständen allein durch Wirkungen zu erkennen sind und von denen angenommen wird, daß sie für seine Identität, seine Dauer und einige seiner typischen Verhaltensweisen verantwortlich sind.«
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Häuptlingen, Schamanen, Festlichkeiten, exogamen Verwandtschaftsgruppen usw.)« (Viveiros de Castro 2012: 75).
Der jeweils eingenommene ›Gesichtspunkt‹, so die Theorie des indianischen Perspektivismus, wird folglich über den Körper definiert, während die »Interiorität« immer menschlich ist. Das angesprochene Konzept der »transspezifischen Kommunikation« (Halbmayer 2010) bezieht sich auf die Interaktion zwischen Menschen und Nichtmenschen. Je nach indigener Taxonomie zählen zur Kategorie der NichtMenschen Tiere und Geister, aber auch Objekte wie Steine, Regen, Wind, Donner, etc. deren Interiorität anthropomorph ist. So ist beispielsweise in der Vorstellung der Pemón6 der Regen (konok) auch ein Mensch, der in Gestalt des Wassers zu sehen, zu hören, aber auch zu spüren ist. Mittels strukturiertem Klang kommunizieren Entitäten zwischen den perspektivisch differenten Welten transkorporal (oder sogar jenseits des Körpers). Diese klangliche Interaktion ist wichtigstes Element der Transformation, also des Prozesses, den Descola als wesentliches Definitionsmerkmal für die Ontologie des »Animismus« anführt.
V ORBEDINGUNGEN DER K LANGINSTALLATION Bevor ich dem Ausstellungsteam mit der Klanginstallation beitrat, hatte Sebastian Mejía eine Videoinstallation entworfen und eine künstlerische Umsetzung des visuellen Umgangs mit dem Raum vorgenommen. An dieser Stelle kann lediglich ein grober Gesamteindruck der Ausstellung vermittelt werden, wobei ich speziell die für die klangliche Gestaltung interessanten Anhaltspunkte aufführe. Der Raum der Ausstellung befand sich unter der flächenmäßig sehr viel größeren Südsee-Ausstellung im Ethnologischen Museum Berlin. Über eine Treppe gelangte man von dieser Ausstellungshalle nach unten (Abb. 1).
6
Die verwendeten Aufnahmen sind grösstenteils aus dem Gebiet der Pemón sprechenden Gruppen, die im Dreiländereck von Venezuela, Guyana und dem nördlichen Brasilien zu finden sind. Zu dieser Karibensprachgruppe zählen die Arekuna, Taurepán, Kamarakoto und auch die Makuxí (Lewy 2012). Im Verlauf meiner Feldforschungen bei den Pemón ist der indianische Perspektivismus für mich ein wichtiges Werkzeug für das Verstehen indigenen Denkens geworden. Allerdings ist diese Theorie insofern zu kritisieren, als dass das Sehen zum Primat im Prozess der Apperzeption (vgl. Leibniz 1714, §14) erhoben wird.
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Abb. 1: Verbindungstreppe zwischen Südsee-Ausstellung und der Probebühne 3 des Humboldt Lab Dahlem. Beim Herabsteigen der Treppe werden die Besucher/-innen mit der ersten Projektion konfrontiert.
Foto: Jens Ziehe. 2013 © Humboldt Lab Dahlem.
Bereits auf halber Höhe der Treppe wurden die Besucher/-innen Teil der Ausstellung. Während sie die Treppe hinab stiegen, sahen sie sich bereits selbst an die Wand projiziert. Unten angekommen entschieden sich die meisten Besucher/-innen für den Weg in den offenen Raum nach links. Hier warteten die zweite und die dritte Projektion (Abb. 2).7 Im Hintergrund von Abbildung 2 ist ein an die Wand gezeichneter Jaguar erkennbar. Hinter den aufgezeichneten Augen des dargestellten Tieres befanden sich Kameras, deren Bild in der ersten Projektion an der Wand zu erkennen war (Abb. 1). In die erste Leinwand war zudem ein Pfeil installiert. Dieser zeigte jeweils auf die Person, die sich mittels der (Kamera-) Augen des Jaguars symbolisch auf dieser Leinwand wiederfand.
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Projektion 1 war an der Wand gegenüber der Treppe (Abb.1), Projektion 2 auf der ersten und Projektion 3 auf der zweiten den Raum durchziehenden Leinwand (Abb. 2) zu sehen.
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Abb 2.: Projektion 3 (mit Wildschweinen, Leinwand 2). Im Hintergrund an der Wand ist der Jaguar zu erkennen. Auf der linken Leinwand (Leinwand 1) ist im Vordergrund der Pfeil zu sehen (daneben war die zweite Projektion).
Foto: Jens Ziehe. 2013 © Humboldt Lab Dahlem.
Die Installation kann als eine visuelle Interpretation der Theorie Viveiros de Castros zum »indigenen Perspektivismus« verstanden werden. Ausschnitte des »Jagdparadigmas« (vgl. Viveiros de Castro 1997), welches eines der Kernthemen dieser Theorie ist, fanden sich an die der Leinwand gegenüberliegende Wand geschrieben. Der Künstler Sebastian Mejía erschuf mit seinem Werk eine Sensibilisierung für die Besucher/-innen für den von Viveiros de Castro analysierten Perspektivwechsel (vgl. das längere Zitat oben), der in mehrfacher Hinsicht interpretierbar ist. Die von mir bevorzugte Interpretation reflektiert einen zentralen Aspekt aus dem Jagdparadigma von Viveiro de Castro. Der Jaguar, der in der Ausstellung in Form einer Zeichnung repräsentiert ist, nimmt die Besucherin als Beutetier wahr. In der ›Realität‹ weiß auch der Jaguar um die anthropomorphe Interiorität der Besucherin. Er bzw. seine Repräsentation in der Ausstellung sieht jedoch ein Beutetier, was unter Einbeziehung der zweiten Leinwand, die sich hinter der zweiten Projektion befand, deutlich wird. Hier sind Wildschweine abgebildet, die vom Menschen und vom Jaguar als Beutetiere gesehen werden, also in ihrer
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›natürlichen‹ Erscheinung (und nicht als Menschen bzw. in ihrer anthropomorphen Interiorität). Der Pfeil (Abb. 2) symbolisiert als ein Instrument der Jagd eine Bedrohung für den Menschen, da die Besucher/-innen Jaguar und Geist auf gleicher Ebene betrachten. Die visuelle Konzeption verstärkte sich durch die Hinzunahme des Objektes ›Jaguarschemel‹ der Ye’kuana aus der Sammlung Theodor Koch-Grünbergs (Abb. 3). Diese Ausgangsbedingungen führten nun zu den ersten Überlegungen für eine Klanginstallation. Würde man das Hören in den Vordergrund des Prozesses der sinnlichen Wahrnehmung hin zur Bildung von Bewusstseinszusammenhängen stellen, so ergibt sich ein zum Sehen differentes Paradigma, welches als »indianischer Sonorismus« bezeichnet werden kann (Lewy [in Druck]).8 Abb. 3: Jaguarschemel (Sammlung Koch-Grünberg, Ethnologisches Museum Berlin).
Foto: Jens Ziehe. 2013 © Humboldt Lab Dahlem. 8
Hörparadigma eines indianischen Sonorismus: 1) die Menschen hören die Menschen als Menschen, die Tiere als Tiere und/oder Menschen und die Geister als Menschen oder Tiere; 2) die Tiere (Beutetiere) hören sich selbst als Tiere und/oder Menschen, die Menschen als Menschen und/oder Tiere; 3) die Geister hören sich selbst als Menschen, die Menschen als Menschen und/oder Tiere; 4) Die Tiere (Jäger) hören die Menschen wie Menschen, die Tiere wie Tiere in ihrer typischen Physikalität (Lewy [in Druck]).
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Eine simplifizierte Grundformel dieser Idee lässt sich auf die Aussage reduzieren, dass »die Welt(en) zwar verschieden gesehen, aber ähnlich gehört werden« (Lewy 2012: 67ff.). Dieser Satz wurde im hinteren Bereich (in Abb. 2, rechts von der zweiten Leinwand aus gesehen) an die Wand geschrieben, zusammen mit einem zweiten Satz, der besagte, dass die Schweine ihre Lieder hören, worauf hin sie glauben einer Einladung zum Fest zu folgen, im Moment des Sehens aber ihren Jägern (Menschen) ausgeliefert gegenüberstehen. Diese Aussage sollte die Prozesshaftigkeit der Wahrnehmung zwischen sehen und hören verdeutlichen und deren Komplementierung, was zum Beispiel in den soundstories zur Pekari-Jagd (siehe unten) klanglich erzeugt wurde. Die über Klang funktionierende transspezifische Kommunikation (Halbmayer 2010) in animistischen Ontologien wird hierfür als Beweisargumentation verwendet. Diese bildete demnach auch den grundsätzlichen Ansatz für die Klanginstallation, die zum einen die visuellen/materiellen Elemente der Ausstellung in ihrem animistischen Ansatz unterstützte (Descola 2011) und in ihrer Umsetzung den »Perspektivismus« (Viveiros de Castro 1997, 2012) um den »Sonorismus« ergänzen sollte.9 Materielle Referenz dieses Transformationsprozesses in der Ausstellung war der Schamanenhocker. Die auf Plexiglas gemalten Umrisse eines Schamanen und/oder Geistes (Abb. 3) visualisierten diesen Prozess für die Besucher und bildeten eine gute Referenz für die Verortung. Es ist zu bemerken, dass der Hocker in der indigenen Vorstellung als ein Anlaufpunkt für die Geister in der diesseitigen Welt während eines Heilungsrituales gilt. Die Kontaktaufnahme mit der Geister- und Tierwelt erfolgt immer mit und über Klang, da Transformationen mittels transspezifischer Interaktionen in ganz Amazonien in erster Linie als Klanginteraktion stattfinden.
9
An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass es nicht um einen weiteren Beitrag zur Liturgie der great divide-Theorie gehen sollte. Es gilt die Sinne gleichermaßen und in Interaktion zu betrachten. Da den Klangwahrnehmungen und den daraus resultierenden Klangontologien nur wenig Beachtung zu Teil wird, sind derlei Superlative (»Sonorismus«) zunächst notwendig, um im Weiteren Rückschlüsse auf Sinnesinteraktionen und deren Bedeutung für die jeweiligen Epistemologien zu erarbeiten. Zur Kritik am Visualprimat gesellen sich die Auffassungen zum Problem über die Trennung der Sinne in den Wissenschaften. Jonathan Sterne spricht gar von einer »McLuhanschen/Ongianischen Litanei« bezüglich der great divide-Theorie zwischen den Sinneswahrnehmungen und deren Verankerung in philosophischen Axiomensystemen, so ist z.B. Sehen dem ›Externen‹, Hören dem ›Internen‹, Sehen dem ›Intellekt‹, Hören dem ›Affekt‹, Sehen der ›Objektivität‹, Hören der ›Subjektivität‹ zugeordnet. Eine Litanei, die sich beliebig fortsetzen ließe. Vgl. Erlmann 2010: 14; Sterne 2002: 15.
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Neben diesen Vorüberlegungen gab es noch weitere Punkte zu beachten. So sollte die gesamte Klanginstallation abwechslungsreich gestaltet sein, um ein psychoakustisches Wohlbefinden der Besucher/-innen und auch aller im Museumsbereich arbeitenden Menschen zu garantieren. Hierzu diente die Ebene der Atmosphäre (vgl. Schoer 2014; Böhme 1995). Die theoretischen Konzeptionen sind auf einer zweiten Ebene über einzelne soundstories eingeflochten worden, die jedoch nur bei intensivem Hören erschließbar waren, wobei einzelne Klangmarkierungen (siehe Anhang) für besondere Aufmerksamkeit sorgen sollten.
AUFBAU , S TRUKTUR UND B EDEUTUNGEN K LANGINSTALLATION
DER
Die Klanginstallation hatte eine Gesamtdauer von 01:07:26 h und gliederte sich in neun soundstories von ca. 4-7 Minuten Länge (siehe Anhang). Die emotionale Erschließung des Klangraumes sollte durch den Grundklang erreicht werden, der als Atmosphäre bzw. soundfloor bezeichnet wird. Die technische Umsetzung erfolgte über eine quadrophone Mischung, wobei der Klangmittelpunkt vor der ersten Leinwand zu finden war (Abb. 2, links). Die Länge ist in einer möglichst abwechslungsreichen Klanggestaltung für Menschen begründet, die sich länger oder wiederholt im Ausstellungsraum aufhielten. Die Anwesenheit von Kurzbesucher/-innen wurde mit 2-10 Minuten kalkuliert, so dass sie höchst wahrscheinlich nur eine soundstory zu Gehör bekamen. Die Aufmerksamkeit für die soundstories sollte über ear-catcher, den sogenannten soundmarkern (siehe Anhang) hergestellt werden. Atmosphäre – Soundfloor Die Klangatmosphäre reflektierte die Soundökologie Amazoniens. Ein Klangteppich (soundfloor) bildete die Grundlage bestehend aus Klangkombinationen des Regenwaldes, Geräuschen der Savanne und der Gebirge. Es handelte sich in erster Linie um eine Klangbewegung vom Regenwald in die Savannen und Gebirge Guyanas. Die Differenz ergab sich aus den jeweiligen Klang-Biozönosen (Flora und Fauna). Die Klänge des Regenwalds wurden im Gebiet des Orinoko-Deltas in Venezuela bei den Warao aufgenommen. Hierbei wurde auch der Grundklang der Flusslandschaft miteinbezogen. Für eine reale Abbildung der Klanglandschaft im Anthropozän war es wichtig, die von Menschen und Maschinen produzierten
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Klänge miteinzubeziehen, da inzwischen von den Warao beispielsweise auch Motorboote verwendet werden. Diese Einbeziehung des rezenten Klangraums und die ontologische Verknüpfung zum Perspektivismus sollten die Idee unterstreichen, dass eine ›Akkulturation‹ nur den performativen Teil der indigenen Lebenswelt vermittelt, die ontologische Basis jedoch auf Kontinuitäten verweist. Ein weiterer Punkt war die Einbeziehung von Tourist/-innen, die bei den Warao beim Piranha-Fischen aufgenommen wurden. Hier wurde zum einen der klangliche Gegenwartsbezug der Interaktion zwischen Indigenen und Europäer/-innen sowie zum anderen die Interaktion mit den Tieren (Piranhas) zum Hören gebracht. Für die Klänge der Savanne wurden Aufnahme aus Kavac, Iwana Meru und Canaima einbezogen (Gran Sabana, Venezuela). Es handelte sich hierbei um das Gebiet der Pemón sprechenden Kamarakoto. Typische Klänge waren die Flusslandschaften um den Wasserfall Kerepakupai Meru (Angel Falls) und anderer Wasserfälle (Kavac) sowie Stromschnellen (Iwana Meru). Auch endogene Vogelarten und die Geräusche des Savannengrases ließen die Spezifika dieses Gebietes erklingen. Aufnahmen aus der Selva (Regenwald) entstanden in der Nähe von Pacaraima (Brasilien 2013/2014). Zusätzlich wurden Gesänge eines Schamanen (Walze 17) sowie die Aufnahmen zum Tanzgesang parishara (Walze 37) der Taurepán aus der Sammlung von Theodor Koch-Grünberg eingemischt (vgl. Koch/Ziegler 2006) und zum Teil verfremdet, wobei die Stimme Koch-Grünbergs extrahiert wurde, um an anderen Stellen der Installation in Erscheinung zu treten. Auch sind eigene Aufnahmen mit parishara-Gesängen aus dem Jahre 2005 zu hören, die in Kavanayén (Venezuela) von Reimundo Pérez gesungen wurden. Soundstories Während die Atmosphärenklänge durchgehend in verschiedenen Varianten erklangen, bildeten die soundstories abgeschlossene dramaturgische Einheiten. Diese wiederholten sich im Rhythmus von ca. einer Stunde und konnten bei einem gewöhnlich einmaligen Besuch von ca. 2-10 Minuten nicht wiederholt gehört werden. Diese Form der Klanginstallation hatte zwar den Nachteil, nicht alles vermitteln zu können. Die Formen von kurzzeitigen Repetitionen (Klangschleifen) hätten jedoch den weitaus größeren Nachteil der Produktion von Affronts gehabt, gerade bei ästhetisch für Europäer/-innen schwer zugänglichem Material. Im Folgenden sind die einzelnen soundstories kurz beschrieben. Im
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Anhang befindet sich eine Übersicht, die auch an die Live-Speaker10 ausgegeben wurde. 1. Die anthropomorphe Interiorität – Leitmotiv Die »anthropomorphe Interiorität« zog sich durch alle soundstories und kann daher als Leitmotiv verstanden werden. Dieses Leitmotiv repräsentierte die sowohl im Animismus (Descola 2011) als auch im »Multinaturalismus« (Viveiros de Castro 1997) vertretene Idee, dass alle Wesen von ihrer »Interiorität« her Menschen sind. Das bedeutet vor allem, dass im Gegensatz zur Wahrnehmung der Physikalität (also z.B. der Wahrnehmung der Körper) weder die Sicht auf die Welt noch die klare Identität klanglich erkennbar ist. Es kann sich bei einem bestimmten Klang somit sowohl um eine Schamanin als auch um ein Beutetier (Pekari, Tapir) oder um ein Jagdtier (Jaguar) handeln. Der Klang gibt lediglich Hinweise bezüglich der Interiorität. Er macht eine körperliche Identität erahnbar, wobei aus den Klängen der physisch bestimmten Körper (Tapirquieken, Schweinegrunzen, Jaguarfauchen und -brüllen) allmählich der spezifische anthropomorphisierte, also ›vermenschlichte‹ Gesang wird, den die jeweiligen Wesen (Tiere, Geister) den Menschen gaben, um mit ihnen in Interaktion zu treten. Die Geräusche der zweibeinigen Fortbewegung bildeten die Einleitung und das Übergangs- und Leitmotiv im Rahmen der einzelnen Orte an denen die Szenarien der soundscapes spielen. 2./3. Pekari-Jagd I/II Die soundstories zur Pekari-Jagd behandelten den Aspekt des Anlockens der Tiere durch die Gesänge, die sie einst den Menschen gaben (Lewy 2011, 2012). Neben den näher kommenden Geräuschen der Jäger, die sich über das Schlagen auf riesige Wurzeln mit Stöcken und Äxten verständigen, hörte man allmählich das Stampfrohr warunká in den Vordergrund treten. Es ist neben der Rassel kewei ein wichtiges Klangelement, genauso wie das Rascheln des Tanzkostüms, welches die Klanglandschaft (soundscape) der Schweine reflektierte (Gras). Die Dramaturgie begann am Ort der Schweine und endete mit der Ankunft der Jäger, die die Schweine mit Pfeilen erlegten.
10 Die Live-Speaker hatten die Aufgabe auf die Besucher/-innen zuzugehen, um zusätzliche Informationen rund um die Probebühnen anzubieten und auch Fragen der Besucher zu beantworten.
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4. Interaktion Schamane – Bootsmotor Dieses kurze Intermezzo zeigte, dass die ›Moderne‹ längst Einzug in die indigene Welt gehalten hat und die Klänge angeeignet und in indigene Strukturen und Denkmuster übertragen wurden. Transformationen von einem Körper in einen anderen können auch in Bezug auf Bootsmotoren und andere Objekte stattfinden. Zugleich repräsentiert das Boot die Form der Fortbewegung, die in Amazonien schon seit jeher eine immense Rolle spielte. 5. Jaguar-Tapir-Jagd Auch Jaguare imitieren die Stimme des Tapirs, wenn sie jagen (Lewy [in Druck]). Dies verkompliziert die Jagd des Menschen, der nicht weiß, ob es sich bei Tapirlauten tatsächlich um Tapire handelt.11 Dieser Punkt ist ein wichtiges Argument im Hörparadigma des indianischen Sonorismus. Der Mensch (in diesem Fall: ein Pemón), der die Brunftschreie des Tapirs hört (ohne ihn zu sehen), ordnet diesen Klang zunächst der Physikalität des Tapirs zu. Eine andere Möglichkeit ist jedoch, dass es ein Jaguar sein könnte, der einen Tapir imitiert. Eine dritte Variante wäre ein Schamane, der den Körper eines Jaguars verwendet, jedoch die Brunftschreie des Tapirs imitiert, um menschliche Jäger anzulocken. Es besteht auch die Möglichkeit, dass menschliche Jäger das Tapirweibchen anlocken wollen, oder auch eventuelle andere feindliche menschliche Jäger, was früher bei den Pemón üblich war, heute jedoch nicht mehr vorkommt. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Imitation eines Klanges einem bestimmten Körper zugeschrieben wird, der im Rahmen der transspezifischen Kommunikation vorgestellt ist, also eine ›imaginierte Physikalität‹ einer Entität bedeutet, was als eine auditiv gesteuerte Konfusion oder als Maske verwendet wird, die im Moment der visuellen Interaktion zwischen Jäger und Beute fällt. Im Moment der Klangproduktion spielt jedoch die Physikalität eine entscheidende Rolle, da es – in diesem Moment! – unwichtig ist, ob dem Körper die Interiorität eines Tapirs, Jaguars oder Schamanen zugeschrieben werden kann (vgl. Lewy [in Druck]). Die Imitation des Tapirs durch den Jaguar wurde durch das Übereinanderlegen beider Lautäußerungen gelöst (Anhang 32:55–38:24 min). Am Ende ertönte die Jaguar-Mutter, die den Tapir erlegt, was anhand von Pfeilgeräuschen hörbar gemacht wurde und den Abschluss und die Auflösung dieser soundstory bildete.
11 Die Tiergeräusche (Tapirschrei, Jaguarbaby) wurden mit freundlicher Erlaubnis von Diane Hope, Smithsonian Tropical Research Institute, verwendet.
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6. Schamane-Geister-Beziehung Schaman/-innen hören und singen bzw. interagieren häufig an Wasserfällen bzw. am Flussufer. So hören sie unter Wasser die Gesänge der Geister, die ihnen auch die Gesänge der Tiere übermitteln, da zumeist die Vorsänger der Tiere ehemalige Schaman/-innen sind bzw. transformierte Entitäten (ohne konkrete Physikalität), die ihren Nachfolgern in der Schamanenlehre die Lieder übermitteln. In der Installation wurden die Walzenaufnahmen Koch-Grünbergs als Formen der Überlieferung klanglich insofern inszeniert, als dass sie häufig unter oder aus dem Wasser hervor schallten, was zum Teil mit Hall-Effekten und Wassersounds klangsymbolisch umgesetzt wurde. Am Ende ist wiederum ein Jaguar zu hören, was darauf hindeutete, das entweder ein Geist in Form eines Jaguars erschien oder ein Schamane sich in einen Jaguar transformiert hatte. 7. Regen – Wasser – Fischfang Ähnlich wie beim Jagdgesang des parishara12 ist der tukuik ein Klangritual zum Anlocken der Fische. Hier wurden eigene Aufnahmen (Lewy 2009) denjenigen Koch-Grünbergs (1911) gegenübergestellt, was bei genauem Hinhören auf Kontinuitäten und Diskontinuitäten verweisen sollte. So konnte Koch-Grünberg die Klangornamentik, wie die Bambusflöten und die wichtige Trommel (sambura) aufgrund der zu seiner Zeit verfügbaren Technik noch nicht aufnehmen. Er hat diese Instrumente aber zumindest als Bilder veröffentlicht. Die Instrumente wurden im Rahmen der Klanginstallation ergänzt. Die Gesangsstrukturen (Phrasenaufbau/Melodieverlauf) spiegeln Kontinuitäten der musikalischen Praxis über die letzten ca. 100 Jahre wider (Lewy 2009, 2011, 2012), die anhand dieser soundstory hörbar gemacht werden sollten. 8. Piranha-Fischen Die Aufnahmen stammen aus dem Orinoko-Delta und sollten die Besucher/innen für zwei Aspekte sensibilisieren. Zum einen für die Wahrnehmung, der bereits angesprochenen ›modernen‹ Welt. Dieser Aspekt verdeutlicht zugleich eine ökonomische Einnahmequelle der Warao. So werden Tourist/-innen von ihnen zum Piranha-Fischen animiert. Dass Fische per Geräusch angelockt werden, ist den meisten Tourist/-innen fremd, was auf den zweiten Aspekt verweist: die transkulturelle Interaktion, die auch im Museum reflektiert wird. Vermutlich ist es für viele Besucher/-innen eine neue Erfahrung, dass durch Gesänge und
12 Dabei handelt es sich um einen Gesang, der in Amazonien weit verbreitet ist und sich nur schwer einer einzigen Ethnie zuschreiben lässt. Vgl. Lewy 2009, 2011, 2012.
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spezifische Klangsymbole, ja sogar Maschinengeräusche, eine transspezifische Kommunikation generiert werden kann. 9. Cho'chiman und Areruya Hier wurde die aktuelle Klangwelt im Ritual bei den Pemón und Kapón in den Guyanas hörbar. Aus den parishara- und tukuik-Klangformen und der internen Rahmung des Schamanenrituals (Lewy 2011, 2012) wurde ein Tranceritual entwickelt, bei dem ›christliche Geister‹ (San Miguel, San Francisco de Asís, Jesús, verstorbene Ritualleiter/-innen) herabgerufen werden. Diese bringen den Sitz (dapón) eines jeden Teilnehmenden mit in die cho'chi (von engl.: church, indianisches Rundhaus, in dem die Rituale stattfinden). Der dapón wird von den Teilnehmenden am Ritual als eine Art »virtueller Sitz« beschrieben. Es ist der Zustand der von Außenstehenden als »Trance« bezeichnet wird, da sich im Moment des Erhaltens des dapóns die Seele vom Körper trennt und hinauf an die Himmelstür fährt, wo Engelschöre und die Stimme Gottes zu vernehmen sind und neue Lieder für das Ritual gelernt werden (Lewy 2011: 126, 2012: 61f.).
S CIENCE SOUND COMPOSING – Z USAMMENFASSUNG UND AUSBLICK Die beschriebene Klanginstallation war Teil einer work in progessAusstellungskonzeption, die die Möglichkeit des Experimentierens und des Sammelns von Erfahrungen bot, was nur selten in Museen praktiziert werden kann. Eine Evaluierung der Klanginstallation als eigenständiger Teil der Ausstellung fand durch die zu einem Evaluierungs-Workshop geladenen Expert/-innen nicht statt, ein Fakt, das wohl auf die späte Einarbeitung des Klanges in das Gesamtkonzept zurückzuführen ist. Nach meiner eigenen, auf ›teilnehmender Beobachtung‹ der Besucher/-innen beruhenden Einschätzung, kann das Element der Atmosphäre weitgehend als angenommen beurteilt werden. Allerdings wurden die soundstories nur von wenigen erfasst. Hierzu ließe sich jedoch mit vermehrter Öffentlichkeitsarbeit und Maßnahmen des Museumsmarketings nacharbeiten, wie weiterführende Erklärungen und Informationen oder konkretes mehrfaches Briefing der Live-Speaker usw. Die soundmarker (siehe Anhang) haben größtenteils funktioniert. Von einzelnen Besucher/-innen wurden etwa das »Tapirquieken« oder das »aufs Wasser schlagen« wahrgenommen. Das offensichtliche Hauptproblem und somit Angriffspunkt und Reibefläche von »Mensch-Objekt-Jaguar« war das »Ausstellen von Theorie«. Erwähnt sei
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die wohlwollende Kritik Mark Münzels,13 der in seiner Evaluation schreibt, dass die Ausstellung dem Missverständnis entgegenwirkte, dass Museen Orte gesicherter Wahrheit seien oder lediglich Übersetzer »noch verzerrter« theoretischer Diskurse der Universität. Laut Münzel trägt der Ansatz des indigenen Perspektvismus »in seinen Genen noch das Zerrbild eines universitären Diskurses: Ding und Mensch verschwinden hinter der kunstvollen Rede. Diese ungegenständliche Rhetorik überwindet er zunehmend durch den stärkeren Einbezug von Gegenständlichem« (Münzel 2014). Dieses »Gegenständliche« findet sich für ihn in der Ausstellung im Objekt »Schamanenhocker« wieder, an der Universität beispielsweise im Artikel »Animism and perspectivism: Still anthropomorphism? On the problem of perception in the construction of Amerindian ontologies« von Dimitri Karadimas (2012). Die Evaluation Münzels verweist auf zwei Diskussionspunkte. Zum einen konzentriert er sich auf den Schamanenhocker – neben dem Pfeil das einzig sichtbare Objekt, das in der Ausstellung um Visualisierungen (Kameraprojektionen, Zeichnungen) ergänzt wird. Zum anderen zeigt er mit mit dem »Verlust des Wahrheitsanspruches« eine Tendenz, die tatsächlich und glücklicherweise von der Universität ins Museum getragen wird. Was den ersten Punkt betrifft, so ist Hein Schoer (2014) der Ansicht, dass nur ein extra ausgewiesener Soundraum interessierte Besucher/-innen zur Wahrnehmung von Klangobjekten im Museum motivieren kann. Die hier vorgestellte Installation startete einen Gegenversuch, der nicht unbedingt als Erfolg einzustufen ist, da die Idee, der Übermacht des Visuellen im Museum entgegenzutreten, eher eine Form der Konkurrenz zwischen Klang und Bild geschaffen hatte, auch wenn die Installation als komplementäres Element gedacht gewesen war. Vielleicht sind die Sinne eher überlastet, beziehungsweise die Wahrnehmungsmechanismen kulturspezifisch internalisiert, denn nicht umsonst sind etwa ›Konzerthaus‹ (auditiv) und ›Museum für moderne Kunst‹ (visuell) nach Wahrnehmung und Kunstformen getrennt. Diese Kritik könnte daher zu einem ›weniger ist mehr‹ aufrufen, zeigt sie doch, dass der Klang in komplexen Ausstellungssituationen in den Hintergrund zu stellen ist, da er nur allein eine Chance hat, vordergründig wahrgenommen zu werden. Dieser Ansicht könnte entgegengehalten werden, dass ethnologische Museen gerade die Alterität als Kerngeschäft haben sollten, was an dieser Stelle jedoch nicht mehr ausführlich untersucht werden kann. Für die hier besprochene Ausstellung bedeutet das die Auseinandersetzung mit der Unterscheidung der Gewichtung der Sinne im Prozess der Wissensaneignung. Damit ist vor allem die 13 http://www.humboldt-forum.de/humboldt-lab-dahlem/dokumentation/probebuehne3/mensch-objekt-jaguar/positionen/#c999 (letzter Aufruf 30.10.2014).
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spezifische indigene Sinneswahrnehmung gemeint, die eine erhöhte, weil andere Perzeptions- und Apperzeptionspraxis in sich vereint, welche nicht ›verstanden‹,14 dennoch aber zumindest erfühlt werden kann und sollte. Eine andere Idee in diesem Zusammenhang, welche indigene Ontologien zum Thema hat, wäre die Umsetzung des indigenen Faktes der Untrennbarkeit bestimmter Objekte, welche materiell/greifbare und immateriell/nicht greifbare Elemente in sich vereinen. David Guss (1996) zeigte am Beispiel der Ye’kuana auf, dass im Prozess der Herstellung eines Korbes (materielles/greifbares Objekt) spezifische Gesänge (immaterielle/nicht greifbare Objekte) den Korb als Entität vor Transformation schützen, womit diese Gesänge ein vom Prozess der Herstellung untrennbares Element bedeuten. Diese Untrennbarkeit eines Dinges hinsichtlich seiner immateriellen und materiellen Elemente als Ausdruck indigener Ontologien verweist auf die angesprochene Differenz und verlangt andere bzw. neue Ausstellungsmethoden, -prinzipien, -formen und sogar -ontologien, unabhängig von den bereits vorhandenen. Dem zweiten erwähnten Punkt Münzels ist das kompositionistische Manifest Bruno Latours (2010) hinzuzufügen, in dem Latour die Methodik wissenschaftlicher Produktion mit dem Prozess des Komponierens in Zusammenhang bringt. So werden bei einer ›Komposition‹ Dinge zusammengesetzt (lat. componere), die dabei dennoch ihre Heterogenität beibehalten: »Vom Universalismus nimmt sie [die Komposition, ML] die Aufgabe an, eine gemeinsame Welt aufzubauen; vom Relativismus die Gewissheit, dass diese gemeinsame Welt aus absolut heterogenen Teilen aufgebaut werden muss, die nie ein Ganzes ergeben werden, sondern bestenfalls eine zerbrechliche, korrigierbare und vielfältige Komposition«.15 14 Michael Kraus bemerkte während der Diskussion zur Evaluation der Ausstellung »Fotografien berühren« treffend, dass bei einer Ausstellung etwa über Georg Wilhelm Friedrich Hegel auch nicht davon auszugehen sei, dass ein Besuch das gesamte Werk des Philosophen erfassen lasse und ein Philosophiestudium ersetzen könne (zu »Fotografien berühren« vgl. Kraus 2014). Es stellt sich demnach die berechtigte Frage, inwieweit indigene Ontologien bzw. die wissenschaftliche Komposition (vgl. Latour 2010) indigener Ontologien von den Besucher/-innen ›verstanden‹ werden können. Die Wahrnehmung der Differenz durch die Besucher/-innen ist meines Erachtens im Rahmen von Ausstellungskonzeptionen schon Herausforderung genug. Nicht zu vergessen ist die Neugier der Besucher/-innen, die erzeugt werden sollte und die in der Regel dafür sorgt, sich mit den ausgestellten Themen und Objekten weiter zu beschäftigen. 15 Latour 2010, http://www.heise.de/tp/artikel/32/32069/1.html (letzter Aufruf 28.10. 2014).
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Die eingangs erwähnte Skala zwischen den Polen der ethnologischen Vermittlung einerseits und der künstlerischer Projektion auf ethnographisches Material andererseits kann im Klangbereich zu einem Arbeitsbereich verbunden werden, deren Praxis als science sound composing bezeichnet und im Bereich einer angewandten auditiven Anthropologie verortet werden könnte. Das Zerbrechliche, Korrigierbare und Vielfältige einer solchen Arbeit findet vor allem auf der Textebene statt. Es muss aber auch auf der tatsächlichen Klangebene wissenschaftlich komponiert werden, dies nicht nur im Museumskontext, sondern, jetzt rückwirkend, auch an der Akademie. Diese Idee basiert auf eigenen Erfahrungen in der Forschungsarbeit und deren Präsentationsformen. Das über die eigene Wahrnehmung vorgenommene Erschließen von Klangräumen bzw. Klanglandschaften erfolgt über soundwalks und soundscape-Aufnahmen, die Methoden der Kulturanthropologie und Ethnomusikologie verhelfen zur Sammlung und Archivierung von Material und zu Überlegungen beim Umgang und bei der Präsentation dieses Materials, etwa in der Auseinandersetzung mit bestehenden Theorien. Ein weiterer Schritt wäre die Entwicklung von eigenen Theorien auf der Basis von Untersuchungen von Klangperzeption und Klangproduktion. Die Einsicht in den Verlust der »Sicherheit abgeschlossenen Wissens« (Münzel) bzw. in die »Vielfalt der Komposition« (Latour) ist die Grundlage dafür, die gemachten Erfahrungen unter Anwendung emotionaler und wahrnehmungsorientierter Methoden in den Mittelpunkt zu rücken. Eine Vermittlung dieser Erfahrungen, Fähigkeiten und Interpretationen sollte jedoch nicht nur auf textlichem Wege, sondern auch über klanglich orientierte Medien, u.a. soundscape recordings, stattfinden – ein Einwand, der an die langjährige Argumentation der Vertreter/-innen der visuellen Anthropologie erinnert, die versuchen, den Film als wissenschaftliches Medium zur Vermittlung der genannten Fähigkeiten als Alternative zum Text in den Vordergrund zu stellen. Es sollten in der Ethnologie demnach Bildungs- und Ausbildungskriterien gesucht werden, die spezifisch auf die Wahrnehmung, Interpretation und Präsentation von Klangphänomenen abzielen. Hierzu zählt auch die konkrete Aneignung praktischer Fähigkeiten, etwa im Bereich Tontechnik oder in den Grundlagen der musikalischen Komposition bzw. in der soundscape Komposition. Als konkretes Beispiel für solche Fähigkeiten sei die Vermittlung des Umgangs mit Computersoftware zur Audioaufbereitung erwähnt (recording, cut, mix, mastering, usw.). Zusammenfassend geht es also um eine Verbindung, die spezifisches Wissen generiert und präsentiert, im vorgestellten Beispiel vor allem in der Klangarbeit im Museum. Ein eigener Forschungsbereich für auditive Anthropologie würde nicht nur einen Gewinn für die professionelle Museumsarbeit bedeuten, etwa um die Konzert-
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halle der Suyá in die Räume der europäischen Museumslandschaft zu tragen, sondern würde auch die Aneignung von Fähigkeiten mit sich bringen, die über Akademie und Museum hinaus Nachfrage finden, etwa in Bereichen wie Theater, Eventmanagement, Architektur, Verkehrs-, Landschaftsplanung, usw. und Medien (Radio, Internet).
ANHANG (I NFORMATIONEN FÜR
DIE
L IVE -S PEAKER )
Zeit
Soundstory
Atmosphäre und soundmarker
00:00 04:02
1. Einleitung Die Reise der anthropomorphen Interiorität beginnt am Ort der ›Menschen‹ (Warao – die Bootsmenschen) und bewegt sich von der Flusslandschaft in den Regenwald
Wasser, Flussufer, Grillen, Planta, Selva Vogelgezwitscher am Anfang, Kinderweinen, Stimmen von Menschen (Warao), Wasserrauschen von Stromschnellen, Wellenschlagen am Ufer
04:03 – 09:29
2. Pekari-Jagd I
Grunzen, Knacken von Hülsen, Schnaufen, Vogelgezwitscher, Warao Baumtrommel-Jagdverständigung, Rhythmusübernahme vom Stampfrohr warunká aus Bambus der Pemón, Gesangsfragmente vom parishara kewei – Sänger Raimundo Pérez (Kavanayén 2005, Aufnahme Lewy) Abschlussgeräusch Pfeil und Einschlagen des Pfeils bei 9:29 min
09:30 – 16:11
3. Pekari-Jagd II und das Erhalten der Gesänge
Warunká mit kewei-Früchten und Halleffekt zur klanglichen Referenz auf die Unterwasserwelt, dem Ort der Geister, verstärkt durch Wasserrauschen und Wellenplätschern als Klangsymbole aus der Atmosphäre, Schweinegrunzen, Vogelgezwitscher, parishara-Gesang von Wachswalze um warunká- und kewei-
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Sound (Stampfrohr mit angebrachter Rassel) erweitert, Ansage von KochGrünberg: »Parishara-Tanzgesang der Taulipáng«, gefolgt von aktuellen parishara-Gesangsfragmenten von Raimundo Pérez (2005) zum Anlocken der Schweine, nach Abschluss des Gesanges beginnt die Jagd – Abschluss durch vereinzelte Pfeilgeräusche. Letzter Einschlag bei 16:11 min. 16:11 – 21:50
4. Interaktion Schamane – Wasserrauschen, Menschen-Gespräche, Bootsmotor Verabschiedung in der Warao-Sprache – »naria«, Bootsmotor – Menschen steigen Wasserrauschen – zurück ins Boot, Capitanes (Bootsführer) sind zu den Menschen – Refe- unter anderem Schamanen, die auch mit renz zum Schamanenge- den Motoren interagieren – Resonanz sang aus Motorengeräusch und Schamanengesang »utö« von Koch Grünberg (Walze 17, Aufnahme 1911), Stromgenerator der Warao-Dörfer mit Grillen, Wassergeräusche (Schlagen der Wellen an den Bootssteg) und weitere Bootsmotoren
22:00 27:04
1. anthropomorphe Interi- Gebirgslandschaft, teilweise Übergang orität (›AI‹) Regenwald – Bergplateau, soundwalk, Wind, Bewegungsgeräusche, Moskito, Atmen, Grillen, Schrittbewegungen, lautes Knacken als Referenz der Fortbewegung von ›AI‹ – Anthropomorphisierung der Grillengeräusche durch Rhythmisierung – entfernte und näher kommende Vogelgeräusche
27:0532:49 fade out
Atmosphäre, Selva, Referenz zu soundstory 5 – Raubtier, Beutetier Interaktion, Jaguar jagt Tapir
Knacken, Windgeräusche, Rascheln von Laub, Interaktion mit Unken, Fröschen, Wassergeräusche, Grillen, Selvasound, Donner, Gewitter in der Ferne, Tapirquieken (29:00, 30:35)
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32:55 – 38:24
5. Jaguar-Tapir-Jagd
Vogelaufnahme nah mit Hall, rhythmisierte Vogelgeräusche, Wasserrauschen, Tapirquieken (34:23, 35:06), Tapir + Jaguarbaby (35:38, 36:20, 36:48), Jaguarbaby allein (37:34-38:07), JaguarMutter (38:07), bei 38:19 mehrere Pfeilsounds, die die Jagd auf einen Tapir klanglich repräsentieren
38:24 – 41:30
6. Schamane – Geister Beziehung
Schritte auf steinigem Weg, Savannengras, Schamanengesang von ›KochGrünberg-Walze‹ 17 plötzlich bei: 39:00, Vogelgesang, Atmen, bei 40:00 Wasserrauschen, Bezug zu Schamaneninteraktion mit Geistern, Wind, Wellenrauschen, Jaguar rhythmisiert bei 40:50 mit Schamanengesang, Geist erscheint im Körper des Jaguars, Stimme der Physikalität des Jaguars, Vögel präsentieren immer Geister in der Nähe der Gebirge!
41:30 – 48:25
1. Wanderung von ›AI‹
Schritte, Astbruch, Atmen, Grillen, Regenwald, Laub, Grasrascheln, Wind, Gewitter Ankündigung für Regen, Fischfang - Komplex soundstory 7
48:25 – 59:20
7. Regen, Wasser, Fischfang
Regen auf Dach, katé (Bambusflöten für tukuik) bei 48:55 rhythmisiert, Gewitter kommt näher, sambura (Trommel) mit Gesang des tukuik von Benedita Asís (Wara 2006) bei 51:08, 52:04. Benedita gibt Anweisung an Lewy stärker in die katé-Bambusflöten zu blasen, starker Donner und Regen, Geister wurden erhört, Benedita erklärt die Bambusflöten und Schlagen der Trommel beim tukuik bei 53:42, Koch-Grünberg Ansage zum tukuik bei 54:44, tukuik-Gesang der Makuxí, Walzenaufnahme von KochGrünberg (1911), Hall-Effekt von Koch-
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Grünberg (nicht nachbearbeitet), Gewitter, Regen, Selva und Vogelgeräusche 59:20 – 1:02:49
8. Piranha-Fischen
Starker Schnitt bei 59:20, Unterhaltung von Tourist/-innen auf Deutsch, Schlagen mit der Angel auf das Wasser im Orinoko-Delta, Brüllaffen entfernt im Hintergrund, Fisch gefangen und Erfolgsjubel, Gähnen, Bootsgeräusche, Fliege, Husten, heftiges Schlagen
01:02:50 – 01:04:23 Schnitt
1. ›AI‹ fährt mit/als Auto durch die Savanne
Auto mit Halleffekt, da einziges Fahrzeug in der Savanne, Bienensounds, Vogelgezwitscher im Hintergrund
01:04:24 – 01:06:57
9. Areruya und cho'chiman
In der Nähe zur Straße befindet sich das Dorf San Luis de Awarkay, wo am Wochenende immer der areruya und/oder der cho'chiman stattfindet, Regen und Gewittergeräusche
01:06:57- 1. ›AI‹ - Fade out als Bie- Bienensummen 01:07:26 ne
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Rituale und Performance religiöser Sammlungen in ethnographischen Museen A NNA S EIDERER
E INLEITUNG Ethnographische Museen haben sich ständig gewandelt, um ihre Sammlungen durch unterschiedliche Inszenierungen und Diskurse zeitgemäß darzustellen. Seit den neunziger Jahren ist der Einfluss der postkolonialen Kritik deutlich spürbar. Dies führt zu einer neuen Art, mit Sammlungen umzugehen (vgl. Sturtevant 1969; Clifford/Marcus 1986; Karp/Lavine 1991; Ames 1993; Gorgus 2003). Ethnographische Museen besitzen Sammlungen materieller Kultur, die aus einer heute umstrittenen, evolutionistischen Perspektive als ›primitiv‹ betrachtet worden sind. Diese ideologischen Postulate werden durch neue Forschungsparadigmen sowohl von der Anthropologie als auch von den postcolonial studies angeprangert (vgl. Seiderer 2015). Die Kritik wird in der musealen Praxis auf unterschiedliche Weise umgesetzt. Dies zeigt sich zum einen in Darstellungsformen, die zur Selbstreflexion der Institution führen, zum anderen durch die Aufarbeitung zeitgenössischer politischer Themen wie Migration, Globalisierung, Integration sowie in der Förderung einer intensiven Zusammenarbeit mit source communities, Diaspora-Gemeinschaften und zeitgenössischen Künstlern (vgl. Seiderer 2014). Ich werde in diesem Text eine spezifische Praxis untersuchen, die sich speziell auf religiöse Sammlungsgegenstände konzentriert. Dabei lassen sich drei Formen unterscheiden: Die erste betrifft die Ritualisierung der Gegenstände in den Museen, die zweite behandelt die Darstellung von Religion als reflexivem Thema und die letzte hinterfragt die künstlerische Performance der religiösen Objekte oder ihrer Darstellungen. Durch spezifische Beispiele werden wir sehen, dass jede dieser Formen die Rolle des Museums hinterfragt und seine Grenzziehungen als rationale Darstellung der Vielfalt menschlicher Praxis verrückt.
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Der größte Teil der religiösen Gegenstände der europäischen Sammlungen wurde zwischen der Mitte des neunzehnten und der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts von Reisenden, Kolonialverwaltern und Missionaren bereitgestellt (vgl. De L’Estoile 2007; Debary/Roustan 2012; Seiderer 2015: 109ff.). Viele der früh gesammelten Gegenstände wurden nur sehr gering dokumentiert. Eine ernsthaftere Erforschung der kultischen Objekte entstand erst durch die religiöse Anthropologie, die sich wiederum im Laufe der Zeit konzeptuell umgestaltete. Die auf Emile Durckheim und Marcel Mauss (vgl. Durkheim/Mauss 1903) zurückgehende funktionalistische Perspektive wurde durch den Einfluss der Strukturalisten (vgl. Lévi-Strauss 1958) oder auch von Anthropologen wie Gregory Bateson (vgl. 1977/80) oder Victor Turner neu betrachtet. Dieses konzeptuell wechselnde Umfeld hatte einen sehr starken Einfluss auf die Erwerbung der religiösen Gegenstände der ethnographischen Sammlungen, sowie auf die Erforschung der schon vorhandenen Objekte und die Interpretation des beiliegenden Materials (Briefwechsel, Tagebücher, Filme und Fotos). Während die religiöse Anthropologie (Tylor, Frazer, Durkheim, Mauss, Van Gennep, Turner, Lévi-Strauss, Augé, etc.) sich immer wieder kritisch in Frage stellt und dadurch die Gegenstände neu beleuchtet, stellt die postkoloniale Perspektive eine andere Form von Kritik dar, welche die Grenzziehungen des ethnographischen Museums – als säkulare Institution – in Frage stellt. Der theoretische Hintergrund dieser Kritik stützt sich auf die Aufarbeitung philosophischer Konzepte – die von Foucault, Derrida, Deleuze, Baudrillard, Michel de Certeau entwickelt wurden – in amerikanischen Literatur-Departments. Ihre Anschauung der westlichen ›Modernität‹, die sich durch eine Kritik des Subjektes, der Darstellung und der historischen Kontinuität kennzeichnet, reizte die Cultural Studies, die diese French Theory politisch anwendeten (vgl. Cusset 2005). Sie wurden in spezifischen Situationen zu Hilfsmitteln, um Diskriminierungen der ›imperialistischen Kultur‹ theoretisch und politisch kenntlich zu machen (vgl. Seiderer 2015: 109). Da ethnographische Museen als Erbe dieser ›imperialistischen Kultur‹ betrachtet werden können, bilden sie einen wichtigen Gegenstand der postkolonialen Kritik. Viele Institutionen haben in den letzten Jahren einen Erneuerungsprozess eingeleitet, um ihre Sammlungen auf neue Weise zu erforschen und darzustellen. Es scheint, dass diese Wandlungsprozesse nicht nur Ergebnis anthropologischer Arbeiten sind, sondern auch von der postkolonialen Kritik geprägt sind. Sammlungen religiöser Objekte sind in diesem Rahmen ein sehr problematisches Thema, für das unterschiedliche Antworten vorgeschlagen werden. Gerade diese unterschiedlichen Formen werden wir hier betrachten und hinterfragen.
R ITUALE UND P ERFORMANCE RELIGIÖSER S AMMLUNGEN | 323
R ITUALISIERUNG IN M USEEN
DER RELIGIÖSEN
S AMMLUNGEN
Mein erster Punkt bezieht sich auf eine Reihe von Ausstellungen oder Events, die bei einem Seminar, welches im Rahmen des europäischen Projekts »Ethnography Museums and World Cultures« im Linden-Museum stattfand, vorgestellt wurden. In diesem Seminar ging es darum, die Säkularität der Institution, in der die religiösen Sammlungen aufbewahrt werden, zu hinterfragen, und den Gemeinden oder Individuen, die einen religiösen Zugang zu den in Museen aufbewahrten Objekten haben, diesen auch praktisch zu ermöglichen. Der Hintergrund dieser Fragestellung ist die strukturelle Antinomie der religiösen Sammlungen in einem säkularen Umfeld. Diese Frage geht weit über die ethnographischen Sammlungen hinaus, schon der Louvre – als revolutionäres Projekt – nahm Kunstwerke aus unterschiedlichen Ländern, Besitzverhältnissen und religiösen Kontexten auf, um sie in einem ›neutralen‹ und ›demokratischen‹ Rahmen zu zeigen (vgl. Poulot 1997; 2005). Ihre ursprüngliche Herstellung und Verwendungszwecke werden sozusagen ›umgeleitet‹, indem sie zum Bestandteil des kulturellen Erbes werden. Aber wem steht dieses Erbe zu? Viele Gegenstände werden heute als Symbole einer gewalttätigen Enteignung betrachtet, zu der die Museen Stellung beziehen wollen. Sie gehen von zwei Postulaten aus: Das erste ist, dass sie nicht mehr Vertreter einer imperialistischen Politik sein wollen und bereit sind, die von ihnen aufbewahrten Gegenstände zu teilen. Das zweite, dass die rationale Darstellung nicht der einzige Zugang ist und eine Form zu finden sei, in der diese religiösen Werte unterschiedlich wahrgenommen werden können. Aus dieser Perspektive ruft der Anthropologe Crispin Paine die Museen auf, ihre veraltete akademische Position zu lockern: »Visitors allowed more generous access to a devotional object might want not merely to gaze, to pray, to kiss, to touch or to make offerings of flowers and ex-votos, but might want to burn incense, sweetgrass or candles, to wash and clothe the figure, to paint or apply gold leaf or even to hammer in nails« (Paine 2013: 117).
Die Forderung von Paine, dem religiösen Betrachter mehr Raum zu verschaffen und ihm zu ermöglichen, die Gegenstände zu verehren, so wie er es als Praktizierender in seinem religiösen Umfeld tun würde, ist bewusst provozierend. Sie läuft einer der wesentlichen Aufgaben des Museums zuwider, nämlich der Aufbewahrung und dem Erhalt der Gegenstände. Die Rolle der Sammlungen geht weit über die jeweiligen Interessen des Individuums hinaus und zieht sich durch und über die Zeit hinweg. So findet man in Sammlungen Gegenstände, die in vielen Fällen
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in ihrem ursprünglichen Nutzungsumfeld schon verschwunden oder verändert sind. Die Kasteiung der Gegenstände, indem sie als Sammlung aufbewahrt werden, stellt die gleichen Fragen wie die naturwissenschaftliche Forschung im Laboratorium (vgl. Canguilhem 1992). Die Betrachtung der Sammlung, die Walter Benjamin in unterschiedlichen Werken entwickelt (vgl. z.B. Benjamin 2000: 302-345), zeigt uns, wie sehr uns die Sammlung über unsere eigene Gesellschaft und ihren Bezug zur Kunst und zur Kultur im 19. Jahrhundert aufklärt: »[…] die Sprengkraft dieser Gedanken, die Engels ein halbes Jahrhundert mit sich getragen hat, reicht tiefer. Sie stellt die Geschlossenheit der Gebiete und ihrer Gebilde in Frage. So, was die Kunst betrifft, deren eigene und die der Werke, welche ihr Begriff zu umfassen beansprucht. Diese Werke integrieren für den, der sich als historischer Dialektiker mit ihnen befasst, ihre Vor- wie ihre Nachgeschichte – eine Nachgeschichte, kraft deren auch ihre Vorgeschichte als in ständigem Wandel begriffen erkennbar wird. Sie lehren ihn, wie ihre Funktion ihren Schöpfer zu überdauern, seine Intentionen hinter sich zu lassen vermag; wie die Aufnahme durch seine Zeitgenossen ein Bestandteil der Wirkung ist, die das Kunstwerk heute auf uns selber hat, und wie die letztere auf der Begegnung nicht allein mit ihm, sondern mit der Geschichte beruht, die es bis auf unsere Tage hat kommen lassen « (Benjamin 2000: 303).
Benjamin sieht bei Engels eine Kritik der Gesellschaft des 19. Jahrhunderts, die mit seiner Ablehnung der historistischen Übermittlung übereinstimmt. Gerade diese Perspektive entwickelt der Philosoph mit der Figur des Sammlers, der wie ein »historischer Dialektiker« agiert (Benjamin 2000: 303). Das heißt, dass er sich gegen eine lineare Übermittlung stellt, indem er die Gegenstände nicht mit einem Bild der zeitlosen Vergangenheit verbindet, sondern mit einer »jeweiligen Erfahrung« (Benjamin 2000:304). Was Benjamin an der Sammlung interessiert, ist gerade das historische Material, aus dem sie besteht, und dass sie die Forschung über Kultur und Kulturen ermöglicht. Aus diesem Grund interessierte er sich für Edouard Fuchs (1870-1940), der Karikaturen und pornographische Darstellungen sammelte. Die gesammelte Ikonographie von Fuchs teilt mit der Studie der Massenkunst und der technischen Reproduktion, dass sie aus Wissen bestehen, das für die traditionelle Kunstwahrnehmung nur zerstörerisch sein kann. Wie wenige andere Forschungsrichtungen zeigt die Studie der technischen Reproduzierbarkeit die Wichtigkeit der Rezeption und ermöglicht damit in gewissem Masse den Verdinglichungs-Prozess, dem das Kunststück unterliegt, einzuschränken.
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Die drei Themen (Ikonographie, Massenkunst-Studie, technische Reproduktion), die die Praxis von Edouard Fuchs kennzeichnen, ermöglichen ihm, seine Sammlung in einen historischen Rahmen einzugliedern und zu ›dialektisieren‹. Der Sammler Edouard Fuchs betrachtet das Kunstwerk als reproduzierbaren Gegenstand, der dem Kunstmarkt zugeordnet ist, indem er die Quantität, die Qualität und das Alter der Replikate bestimmt. In diesem Sinn ist der Kunstmarkt der Maßstab der Replikate und gewährt ihnen den authentischen Charakter. Dieser dialektische Zugang von Fuchs wird durch die Kontextualisierung der Sammlung ermöglicht, was längst nicht bei allen Sammlungen der Fall ist. »Als ein Inbegriff von Gebilden, die unabhängig, wenn nicht von dem Produktionsprozess, in dem sie entstanden, so doch von dem, in welchem sie überdauern, betrachtet werden, trägt der Begriff der Kultur einen fetischistischen Zug. Sie erscheint verdinglicht. Ihre Geschichte wäre nichts als Bodensatz, den die durch keinerlei echte, d.i. politische Erfahrung im Bewusstsein der Menschen aufgestöberten Denkwürdigkeiten gebildet haben « (Benjamin 2000: 311).
Für Benjamin ist die Authentizität, oder die einmalige Erfahrung, durch ihre Fähigkeit bestimmt, eine kritische Reflexion hervorzurufen. Aus dieser Perspektive besteht vielleicht gerade in der Sammlung die Möglichkeit, dass der Zuschauer sich als historisches und zeitliches Wesen betrachtet. Im Gegensatz hierzu kann die Sammlung aber auch ein Instrument zur Verdinglichung der Kultur sein. Benjamin unterscheidet hier zweierlei Sammlungen, die kritische, die einen dialektischen Zugang zur Geschichte aufbaut, und die ideologische, die er als fetischistisch bezeichnet. Im Aufruf von Crispin Paine können wir eine gewollt polemische Stellungnahme sehen, die gerade den sakralen Aspekt der Sammlung in seinem (angeblich) zeitlosen Wesen anprangert. Die Sammlung wieder in einen ritualisierten Umgang aufzulösen, würde allerdings genauso die kritische Perspektive, die gerade die Sammlungen vor ihrer Verdinglichung bewahrt, zerstören. Anhand von drei Beispielen werden wir sehen, wie unterschiedlich Museen auf diese Fragestellung antworten. Der Kustos der Asien-Abteilung des Musée d'ethnographie de Genève, Jérôme Ducor, stellte im oben erwähnten Seminar seine Ausstellung »Le regard de Kannon« (2010) vor. Er argumentierte, dass die Tatsache, dass er Buddhist sei, es ihm ermögliche zu wissen, wie man diese religiösen Figuren ausstellen sollte, um eine transzendente Atmosphäre zu gestalten und sich nicht nur an eine ästhetische Betrachtung zu klammern.
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Johannes Beltz vom Museum Rietberg in Zürich, erwähnte zwei Ausstellungen: »Mystik –_Die Sehnsucht nach dem Absoluten« (2011-2012) und »Hinduistic Zurich« (2005), die im Zürcher Rathaus stattfand. Beltz betonte, dass diese Ausstellung mit der Hindu-Diaspora konzipiert wurde. Interviews mit Mitgliedern aus der Gemeinschaft waren auf Bildschirmen zu sehen. Gleichzeitig wurde ein Kultraum eingerichtet, in dem eine hinduistische Zeremonie stattfinden konnte. Das dritte Beispiel wurde vom Asien-Kustos Christian Schicklgruber aus dem Weltmuseum Wien präsentiert. Die Ausstellung »BÖN. Geister aus Butter« zeigte Kunst und Rituale aus dem alten Tibet und wurde wie folgt angekündigt: »Schon seit vielen Jahren touren tibetische Lamas aus dem Himalaya regelmäßig durch Europa. Sie lehren uns Ruhe, Glück und Zufriedenheit und beten für den Frieden auf der Welt. Lama Yangön Sherab Tenzin ist da etwas anders: er reist nur selten nach Europa – deshalb freuen wir uns ganz besonders, ihn hier in Wien für die einmonatige Ritualserie im Zusammenhang mit dem tibetischen Neujahr begrüßen zu dürfen. Gemeinsam mit anderen Lamas wird er eine Vielzahl authentischer Rituale praktizieren, an denen die Museumsbesucher hautnah teilhaben können. Lama Yangön Sherab Tenzin ist ein wichtiger tantrischer Meister und Linienhalter der Bön-Tradition der Großen Vollkommenheit (Dzog chen) sowie weiterer esoterischer, meditativer Traditionen. Er ist auch Abt des Klosters Samling (Provinz Dolpo in Nepal), über die Jahrhunderte hinweg das Zentrum für die Überlieferung und Bewahrung esoterischer Bön-Traditionen. Flankiert werden die Performances von einer Ausstellung. Sie präsentiert zum ersten Mal in Europa die Ritualkunst der lebenden Bön Tradition. Die ausgestellten Objekte stammen vom 10./11. bis in das 20. Jahrhundert. Der lebende Kontext für die Ritualobjekte wird in der Ausstellung mittels Fotodokumentation, Dokumentarfilm und einer monatelangen Ritualserie gezeigt. Authentische Rollbilder aus dem Kloster Shenten Dargye Ling aus Frankreich sind Teil der wichtigsten ausgestellten Objekte. Viele davon sind Malereien von Bonkyab, der von vielen als wichtigster heute arbeitender Bön Künstler betrachtet wird. Diese sakralen Malereien werden um den eindrucksvollen Altar, der ›Geister aus Butter‹, welcher im Museum für die Ausstellung konstruiert werden wird, platziert sein. Zusammen mit den verschiedenen Medien verschaffen sie einen realen Eindruck der Bön Tradition. Diese Ritualkunst bietet zudem den Rahmen für die Bön Liturgien und Rezitationen, sowie Gesang, Tanz und Musik. BÖN-Rituale: einen ganzen Monat lang!«1
Die drei Beispiele zeigen unterschiedliche Zugänge zu religiösen Sammlungen in Museen: In Genf geht man davon aus, dass die Ausstellung durch die ›Initiation‹ des Kurators der Religiosität der Gegenstände gerecht wird. Hier stellt sich die 1
http://www.univie.ac.at/boen_geisterausbutter/ (letzter Aufruf 15.03.2015).
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Frage eines unterschiedlichen Verständnisses des religiösen Phänomens – ob man es als Anthropologe oder als Gläubiger betrachtet – beziehungsweise in diesem Fall, ob man beides zugleich ist. Kann man in diesem Fall von ›partizipativer Anthropologie‹ sprechen? Es bleibt dann die Frage der Übermittlungsform. In Zürich konnte das Publikum das Ritual beobachten, so wie man Kirchen während eines Gottesdienstes besichtigen kann. Es ist zudem eine politische Geste, in der die hinduistische Gemeinde als solche anerkannt, zugleich aber auch zur Schau gestellt wird. Das Wiener Publikum ist dagegen eingeladen, an der Zeremonie teilzunehmen. Auch wenn die Ausstellung mit dem Sensationellen, Exotischen und Spektakulären spielt – was sehr wahrscheinlich marketingbedingt ist – ermöglicht sie es, eine Erfahrung zu teilen. Dies verwischt die Grenze zwischen dem ›gläubigen Anderen‹ und dem hypothetisch rationalen Publikum.
D ARSTELLUNG
DER
R ELIGION
ALS REFLEXIVES
T HEMA
Die Ausstellung »Fetish Modernity« (Bouttiaux/Seiderer 2011), die im Rahmen des europäischen Projekts »Ethnography Museums and World Cultures« erstellt wurde, ermöglichte es, die Darstellung religiöser Objekte aus rationaler Perspektive zu betrachten und zugleich diese Rationalität – als Gegensatz des Glaubens – zu befragen. Sie griff unterschiedliche Themen der postkolonialen Kritik auf und setzte diese plastisch um. »Fetish Modernity« hinterfragte: 1) die Produktion eines exotischen ›Anderen‹, 2) eine ethnozentrische Weltanschauung, 3) eine vorherrschende moderne, rationale Einstellung, die die dynamischen Prozesse der Gesellschaft und Individuen verpasst, und schließlich 4) die Konsequenzen der Begierde der Modernität in einer kapitalistischen Ökonomie. In diesem Rahmen wurde ›Religion‹ unter zwei Aspekten betrachtet: Das Publikum bekam zugleich eine Galerie und einen Altar zu sehen. Um das Thema ›Religion‹ anzusprechen, war die Ausstellung auf eine Art und Weise gestaltet, die es erlaubte, den religiösen Diskurs von den ›hybriden‹ Praktiken zu unterscheiden. So wurde das Publikum um eine ›Fotowand‹ geführt, die Demonstrationen von Hass- und Ablehnung im Namen von ›Religion‹ zeigte. Eine Toninstallation des Künstlers Pitcho skandierte Slogans verschiedener Politiker und Hassprediger, was die feindselige Stimmung der Galerie verstärkte. Diese ›Galerie‹ stand im Kontrast zu einem ›Altar‹, auf dem Kult-Objekte verschiedener Religionen gezeigt wurden. Die Atmosphäre dieses Altars war ein Gemisch aus Wärme und Chaos: Man sah dort Früchte, Blumen, verschiedene ›Heiligenbilder‹, Statuetten und Kultgegenstände, durchzogen von einer bunten flackernden Glühbirnen-Girlande.
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Abb.1: Blick auf die Galerie in der Ausstellung »Fetish Modernity«.
Sammlung KMZA Tervuren. Foto: Joris Van de Vyver. 2011 © Königliches Museum für Zentralafrika, Tervuren.
Eine Ton-Komposition des Künstlers Pitcho ließ Gebete und zusammengemixte Geräusche religiöser Zeremonien hören. Die Fiktion unterstrich, wie Religionen sich durch Anlehnung und Umwandlung konstruieren, bis sie schließlich durch einen Diskurs eingefangen und instrumentalisiert werden. Im Rahmen der Ausstellung wurde ›Religion‹ dargestellt und befragt. Die Ausstellung unterschied deutlich zwischen dem dargestellten religiösen Phänomen und dessen politischer Indoktrinierung. Der Altar bot eine Präsentation unterschiedlicher religiöser Objekte, die in einer Vitrine geschützt waren. Es bestand eine deutliche Grenze: Man spricht von Religion, man stellt sie aus, aber man praktiziert sie nicht. Das laizistische Prinzip, das gerade von der postkolonialen Kritik befragt wird, ist in diesem Beispiel erneuert. Das Gesamtbild der Installation hatte eine paradigmatische Funktion, als Synkretismus war sie keiner Religion spezifisch gewidmet. Während das Gesamtbild eine Fiktion war, hatten jedoch die unterschiedlichen Objekte für Gläubige noch einen kultischen Wert. Doch wäre es – in diesem Fall – unvorstellbar gewesen, dass sich jemand vor diesem Altar verneigt und zu beten anfängt.
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Abb.2: Ansicht des Altars in der Ausstellung »Fetish Modernity«.
Sammlung KMZA Tervuren. Foto: Joris Van de Vyver. 2011 © Königliches Museum für Zentralafrika, Tervuren.
Gerade diese Frage nach der Grenze möchte ich hier hinterfragen. Ich beziehe mich dabei auf einen zur Veröffentlichung vorgesehenen Text von Jens Kreinath, in dem er diese Grenze zwischen Museum und religiöser Praxis thematisiert: »Despite the exhibition of sacred objects and the imitation of ritual practices in the museum, the primacy of the materiality and visuality still remains in place for the display of museal objects; due to the framing of the museal objects as objects of preservation and reflection, the context of interpretation in museum practice is fundamentally different from that in religious practice« (Kreinath 2015 [in Druck]).
Kreinath wiederholt hier eine These, die sich auf die Rationalität der Institution bezieht, welche durch die Inszenierung von Religion, wie es gerade bei »Fetish Modernity« gezeigt wurde, deutlich gemacht wird. »Even if it might be possible – as some scholars of religion and some of the museums themselves argue – to define musealization as an integral part of religious practice due to
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its aesthetic qualities of preservation and appreciation […], the institutional differences between museum and religious practice and their respective contexts of interpretation remain in effect« (Kreinath 2015 [in Druck]).
Dieser wesentliche Unterschied gründet sich auf eine zunehmend umstrittene Grenzfrage. Während wir bei »Fetish Modernity« gesehen haben, dass die religiöse Praxis von ihrer politischen Aneignung getrennt ist, baute die Präsentation eine Grenze auf, die keinen ritualisierten Bezug zu den unterschiedlichen Gegenständen ermöglichte. Wenn die Glasscheibe die Installation nicht vom Publikum getrennt hätte, hätte man dann wirklich garantieren können, dass nicht der eine oder andere Gegenstand sakrale Gefühle geweckt hätte? Wir werden jetzt sehen, wie dieser Dialog und die potentielle Performativität der religiösen Gegenstände durch künstlerische Performances auf einer epistemologischen und politischen Ebene neu beleuchtet werden können.
K ÜNSTLERISCHE P ERFORMANCE – REVERSED ANTHROPOLOGY Zwischen Anthropologie und zeitgenössischer Kunst sind durch das Konzept der Performativität eine Vielzahl neuer Brücken gebaut worden (vgl. Foster 2005; Lussac 2015). Für manche Anthropologen wie Victor Turner birgt die Kunst die Möglichkeit, theoretische ethnographische Konzepte in ein dynamisches Spiel einzugliedern, in dem sie wiederum in Frage gestellt werden (vgl. Turner 1982: 84). Durch zeitgenössische Kunst wird die Grenze zwischen der Präsentation religiöser Objekte und ihrer Performativität neu aufgegriffen. Anhand unterschiedlicher Beispiele werden wir sehen, dass es sich dabei weder um eine Repräsentation von ›Religion‹ handelt, noch um eine religiöse Befassung mit den Gegenständen. Die künstlerische Performanz mit anthropologischen Ritualen in Verbindung zu bringen, kann die Betrachtung und die Übermittlung der religiösen Gegenstände erweitern. Die Reflexivität, wie sie in anthropologischen Ritualen studiert wird, ist in gewissen künstlerischen Werken in Form einer reversed anthropology zu finden. Viele Künstler intervenieren heute direkt in Museen, um die dort konstruierten Kategorien in Frage zu stellen. Wo Institutionen oft einen Metadiskurs über Identität und Kultur aufbauen, drehen manche Künstler diesen Diskurs wiederum um. Wir haben bei »Fetish Modernity« gesehen, dass die Ausstellung ihre eigene kritische Perspektive darstellte, indem sie den Altar mit der Galerie konfrontierte. Die künstlerische Performanz geht einen Schritt weiter, indem sie die Institution
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als solche aufrüttelt. Nicht, wie wir es eben erwähnt haben, durch die Veranstaltung von religiösen Ritualen, was genauso wie die ästhetische Schilderung eine Transzendenz aufbaut und dadurch die Institution stärkt, sondern indem sie – im Sinne von Walter Benjamin – eine Erfahrung bietet. Man denkt in diesem Bereich an die großen Messen von Hermann Nitsch mit seinem »Orgien-Mysterium-Theater« (OMT), in denen die katholische Religion zum Hauptthema wird. Nackte und bekleidete Körper prozessieren Stunden lang und werden mit Tierfragmenten und Blut überschüttet. Laute Töne schwellen mit jeder Aktion an. Religion wird hier in ihrer Leiblichkeit zu einer Form der Katharsis. Bei der Künstlerin Ana Mendiata wird Religion auf eine ganz andere Weise aufgegriffen. In Ihrem Werk »Santería« ist Blut mit Weiblichkeit verbunden (vgl. Fellous 2013: 111). Der beninische Künstler Alougbine Dine organisierte eine Prozession auf der letzten Biennale Dak’Art (2014). Eine Frau wurde mit Blut und Ziegenorganen bedeckt. Gélédé-Masken (Nigeria/Benin) tanzten nebenher, um einen Kontrast herzustellen zwischen der von Gewalt geprägten politischen Lage vieler afrikanischer Länder und der folkloristischen Perspektive des Kulturerbes, das durch die Gélédé-Masken veranschaulicht wurde. Religion wird in diesen Fällen mit kulturellen und politischen Fragen verbunden. Wie es Olivier Lussac andeutet, bauen sich in der Performance neue Rituale auf, die mit ›traditionellen Ritualen‹ in Verbindung gesetzt werden können, indem sie einen Raum für kulturelle und politische Verhandlungen bieten. Lussac erwähnt das Projekt »Zwei nicht entdeckte Aborigines besichtigen Irvine« von Guillermo Gómez-Penã. Das Kunstwerk baut sich in einem dynamischen Prozess auf, in dem es mit unterschiedlichen Kunstdisziplinen verbunden ist und auf festgefahrene kulturelle Vorstellungen trifft. Gemeinsam mit der Künstlerin Coco Fusco verkleidet sich Gómez-Penã als Indianer. Beide lassen sich in einen Käfig einsperren und beobachten die Reaktionen des Publikums. Diese reversed anthropology verbindet Lussac mit der Analyse von Marc Augé: »[…] es ist vielmehr ein Rückblick auf die Fragen, die wir an den Anderen richten und deren Sinn und Verständnis uns erst dann deutlich wird, wenn wir sie an uns selbst richten« (Augé 1994: 59, zit. nach Lussac 2015).2 Künstlerische Performanz kann ein Ereignis so gestalten, dass die Rolle des Publikums und des Künstlers, des Subjekts und des Objekts verwischt und dadurch neue Fragestellungen ausgelöst werden. Es wäre aber naiv zu glauben, 2
»Ce qu’il m’est arrivé d’appeler ethnologie ›inversée‹ s’apparente beaucoup moins à une espèce de retour sur soi qui s’enrichirait de l’expérience d’autrui qu’à un retour sur les questions que nous avons adressées aux autres et dont nous mesurons peut-être mieux le sens et la portée lorsque nous nous les adressons à nous-mêmes« [Übersetzung AS].
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dass dies immer der Fall ist und dass diese künstlerische Performance nicht ebenso wie das angeblich ›traditionelle Ritual‹ zu einer bloßen Schau werden kann, die wieder zu einer Verdinglichung der Kunst und der Erfahrung führt.
S CHLUSSBETRACHTUNGEN Die Aktualisierung der postkolonialen Kritik führt manchmal dazu, das laizistische Prinzip der Museen auf unterschiedliche Weise zu hinterfragen. Die scheinbare Antinomie zwischen der Ausstellung religiöser Objekte in weltlichem Umfeld führt manche Museen dazu, Kulträume zu gestalten, wohl mit der Absicht, die Verfehlung der Patrimonialisierung zu korrigieren. Angesichts einer Re-Sakralisierung des Kulturerbes verschiedener Religionsgruppen stellt sich die Frage, ob das Museum nicht sein Image des Tempelwächters und ›Fetischeurs‹ verbirgt, indem es die Kultobjekte auf eine neue Weise zur Schau stellt? Oft führt die Aktualisierung der postkolonialen Kritik ethnographische Museen zu heterogenen Praktiken, die – wie wir es gerade gesehen haben – je nach Institution variieren. Diese Praktiken scheinen manchmal lediglich ein Alibi zu sein, was zu einer Scheinöffnung zum ›Anderen‹ führt. Dadurch verfehlen sie den kritischen Blick auf den Prozess einer Neuschrift, eines Neudenkens des Anderen, der durch die Erforschung und Ausstellung materieller Kultur entwickelt werden könnte. Aber man kann sagen dass wir, solange die Aktualisierung dieser postkolonialen Kritik nicht zu einer doktrinären Position führt, beobachten können, dass sie wichtige Fragen stellt und die Museen einlädt, ein experimentaler Raum zu werden, in dem sich neue Strukturen der Überlieferung entwickeln. Und in dieser Perspektive spielt die zeitgenössische Kunst eine wichtige Rolle, indem sie eine Verwirrung der aufgeteilten Rollen vornimmt und es ermöglicht, deren Entstehungsprozess nachzuverfolgen. Doch genauso wie es bei einer Sammlung oder einer Ausstellung der Fall sein kann, kann auch die Kunst sich als solche verdinglichen und die potenzielle Reflexivität verpassen.
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Das bessere Völkerkundemuseum? Überlegungen zu Impulsen aus indigenen Museen für die Zukunft ethnologischer Museen A NNE S LENCZKA
»Alle unsere Völker haben eine gemeinsame Geschichte, streiten wir uns nicht, tun wir uns zusammen, wir sind indianische Völker, Stammes- und Blutsbrüder. […] Wachen wir über die Höhlen, die Minen, die Wälder, die Berge und die Flüsse, sie sind unser Kulturerbe. Es ist eine Aufgabe von allen, sie zu schützen, es darf nicht zugelassen werden, dass die Ausländer […] sie ausbeuten. […] Um die Erhaltung unseres Kulturerbes zu verbessern, gründeten wir dieses museo comunitario […] Mitglieder unserer comunidad haben sich in vielen Bereichen seiner Entstehung beteiligt und wir laden sie dazu ein, sein Wachstum zu fördern und es zu stärken«. (Einführungstext des Museums Yucu-Iti, in: Slenczka 2013: 243) »Wir präsentieren […] erstmals in einer Dauerausstellung einen Themenparcours, in dessen Mittelpunkt ›Der Mensch in seinen Welten‹ steht […] Dabei geht es uns um Themen, die Menschen überall auf der Welt bewegen, denen sie aber je nach regionaler und kultureller Prägung auf jeweils eigene Weise begegnen. Wir thematisieren damit eher, was die Menschen weltweit verbindet und nicht so sehr, was sie trennt«. (Engelhard 2014: 7 über das Rautenstrauch-Joest-Museum – Kulturen der Welt)
Die großen ethnologischen Museen befinden sich weltweit im Umbruch. Zu den wesentlichen Leitlinien dieser Paradigmenänderungen zählt auch eine Frage, die im Rahmen einer der wenigen Vergleichsstudien zwischen ethnologischen Museen und community museums formuliert wurde: Wie können Museen zu wirk-
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lich bedeutungsvollen Orten für diejenigen indigenen1 Bevölkerungen gemacht werden, deren Zeugnisse materieller Kultur in ihnen aufbewahrt und ausgestellt werden (vgl. Lonetree 2012: 168-176)?2 Für eine Annäherung an diese Problematik ist es naheliegend, den Blick auf solche Museen zu richten, die in indigenen Orten überwiegend in Eigenregie entstanden sind. Was könnten die ›großen‹ ethnologischen Museen von den community museums bzw. museos comunitarios (Gemeindemuseen) lernen und sind letztere vielleicht sogar die ›besseren‹ Museen, die die Existenz der ›großen‹ obsolet machen und sie gar ad absurdum führen? Tatsächlich haben die aktuellen Neukonzeptionen der ethnologischen Museen und die Entstehung von lokalen Museen in indigenen Orten ideengeschichtlich dieselbe Wurzel: die sozialen Bewegungen von 1968, die die Machtverhältnisse in der Wissensproduktion, -repräsentation und -vermittlung radikal in Frage stellten. Sie führten als Vorläufer zu den heutigen von postkolonialer Theorie getragenen und vom Blick auf globale Phänomene geprägten Debatten über Ausstellungs- und Sammelpolitik in vielen großen ethnologischen Museen.3 Auf der lokalen Ebene entstanden in Ländern mit als ›indigen‹ klassifizierten Bevölkerungsteilen wie Mexiko oder den USA zunehmend zunächst nichtindigene und später auch indigene Museen.4 Ausgehend von dieser gemeinsamen Quelle der Neukonzeption ethnologischer Museen und der zunehmenden Gründung lokaler indigener Museen muss die Frage danach, welches das ›bessere‹ Museum ist, gleich im Voraus als nur schwer zu beantworten klassifiziert werden. Dies liegt auch daran, dass die meisten großen Museen trotz vor allem im Bereich selbstbestimmter indigener Projekte weiterhin bestehender Lücken einerseits bereits indigene Anregungen aufgreifen und andererseits die Bewertungskriterien für ein ›gutes Ethnologie-
1
Lonetree bezieht sich mit dem Begriff ›indigen‹ auf die autochthonen Bevölkerungen Nordamerikas. Im vorliegenden Text sind damit generell Gruppen auf weltweiter Ebene gemeint, die sich selbst als ethnische Gruppe verstehen.
2
Die dort verglichenen Museen sind: National Museum of the American Indian der Smithsonian Institution, Mille Lacs Indian Museum in Minnesota, Ziibiwing Center of Anishinabe Culture and Lifeways in Michigan.
3
Für die Geschichte der Debatten seit 1972 vgl. Slenczka 2013: 3-5, 107ff.
4
In den USA und Kanada werden seit Ende der 1970er Jahre explizit indigene cultural centers und community museums gegründet (vgl. Bench 2014: xii; Phillips 2011). In Mexiko sind es seit 1985 die museos comunitarios im Bundesstaat Oaxaca (vgl. Burón Díaz 2012; Camarena Ocampo/Morales Lersch 2005; Sleeper-Smith 2009; Slenczka 2013: 124ff.).
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museum‹ alles andere als einheitlich sind (vgl. Goede Montalván in diesem Band).5 Die vielfältigen Fragen nach dem ›besseren Völkerkundemuseum‹ möchte ich an dieser Stelle ganz konkret anhand meines ›persönlichen museologischen Spannungsfeldes‹ erkunden: dem mexikanischen mixtekischen museo comunitario von Sta. María Yucuhiti im Bundesstaat Oaxaca einerseits, das ich im Rahmen meiner Dissertation untersucht habe, und dem Rautenstrauch-JoestMuseum – Kulturen der Welt (RJM) in Köln andererseits, in dem ich als Referentin der Amerika-Abteilung arbeite. Zwischen beiden Museen gibt es keinen direkten Kontakt, aber sie folgten bei der Planung ihrer Dauerausstellungen teilweise ähnlichen Postulaten. Als Grundlage für diesen Vergleich werden zunächst die beiden Museen kurz vorgestellt.
Z WEI M USEEN –
ZWEI
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Das museo comunitario Yucu-Iti (Oaxaca, Mexiko) In der alternativen Museologie Mexikos entwickelte sich ab Mitte der 1980erJahre als Folge einer allgemeinen Ethnisierung soziopolitischer Fragen (vgl. Dietz 2005) eine konkrete Hinwendung zu den Problematiken ethnischer Minderheiten und ihres Wunsches, selbst Gestalterin ihres eigenen Kulturerbes zu sein. Konkrete Umsetzungen fanden ab 1985 in einem – zunächst auf den Bundesstaat Oaxaca beschränkten – Projekt statt, das stark auf eine möglichst breite Partizipation der lokalen Bevölkerung baut. Bis heute gab es im Bundesstaat Oaxaca 23 Museumsprojekte (vgl. Pérez García 2014) in überwiegend indigenen Gemeinden (Hoobler 2006: 455).6
5
Für den Paradigmenwechsel in der Museologie Anfang der Nuller-Jahre vgl. Anderson 2004; Hendry 2005; Karp et.al. 2006; Witcomb 2003. Für die aktuelle Diskussion vgl. Förster 2014; Harris/O’Hanlon 2013; Modest 2012; Rein 2010; Windmüller 2011. Für aktuelle Tagungsprogramme und -berichte vgl.: Das Prinzip Museum. Museum als Labor, als Katalysator, als Forum? 2011; Rein/Wackernagel 2013; Fackler/Heck 2014, Zwischentagung der AG Museum der Deutschen Gesellschaft für Völkerkunde Wien 2014.
6
Nicht alle sind zur Zeit geöffnet. Für 2012 werden 17 Museen erwähnt (Burón Díaz 2012: 201).
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Abb. 1: Museo comunitario Yucu-Iti vom Marktplatz aus gesehen.
Foto: Anne Slenczka. 1998.
Es handelt sich um ein halbstaatliches Programm, das einerseits durch die hauptverantwortlichen Anthropolog/-innen7 institutionell im Instituto Nacional de Antropología e Historia (INAH) verankert ist und sich andererseits mittels verschiedener NGOs (Non Governmental Organisation) neue Finanzierungs- und Organisationswege sucht.8 Im Rahmen des Oaxaca-Projektes wurde auch das hier herangezogene Lokalbeispiel des Museums Yucu-Iti initiiert.9 Das mixtekische Sta. María Yucuhiti ist eines der vielen kleinen municipios10 in Oaxaca – einem der pluriethnischsten 7
In Mexiko allgemeine Bezeichnung für Ethnolog/-innen und Archäolog/-innen. Im Kontext des vorliegenden Artikels sind damit vor allem die mit dem museo comunitario-Programm befassten Verantwortlichen Teresa Morales und Cuauhtémoc Camarena des INAH-Oaxaca gemeint.
8
Weiterführende Literatur zur Arbeit der museos comunitarios in Oaxaca allgemein: Burón Díaz 2012; Erikson 1996; Healy 2003; Hoobler 2006; Camarena Ocampo/Morales Lersch 2001; Nechoechea 1996; Slenczka 2005, 2013.
9
Für die detaillierte Entstehungsgeschichte und Beschreibung des Museums vgl. Slenczka 2013: Kap. 1, 4, 8 und http://www.museoscomunitarios.org/blog5.html (letzter Aufruf 21.02.2015).
10 Lokale soziopolitische und territoriale Organisationsform in Mexiko.
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Bundesstaaten Mexikos. Die Einwohner/-innen sind überwiegend zweisprachig (Mixtekisch-Spanisch) und verteilen sich auf neun größere Ortschaften (agencias). Ihre kleinste ist der Hauptort (cabecera) des municipio, in dessen Zentrum sich neben einigen anderen Institutionen das 1992 eröffnete museo comunitario Yucu-Iti (wörtlich: Pinienhügel) befindet. Der Hauptakteur bei der Schaffung dieses Museums war eine Interessengruppe bilingualer Lehrer mit leichter Außenseiterposition innerhalb der comunidad (Gemeinde) und guten Außenkontakten zum INAH. Die Objektsammlung und der Bau des Gebäudes wurden mit einer breiten Partizipation der lokalen Bevölkerung realisiert. In seiner etwa 85 m2 großen Ausstellung sind anhand von Text- und Fototafeln sowie mittels von Objekten folgende Hauptthemen präsentiert: die vorspanische Zeit11 und Archäologie, die Geschichte der einzelnen agencias, Landkonflikte von der frühen Kolonialzeit bis zur Revolution und artesanía (Kunsthandwerk, v.a. Weberei). Im Zentrum der Ausstellung steht eine Landkarte des municipio vom Anfang des 18. Jahrhunderts – ein sogenannter lienzo (vgl. Slenczka 2013: 9).12 Abb. 2: Innenansicht Ausstellung museo comunitario YucuIti: Themenbereich »Landkonflikte«.
Foto: Anne Slenczka. 1998.
11 Vorspanische Zeit: Epoche vor der spanischen Eroberung des heutigen mexikanischen Gebietes im Jahr 1521. 12 Der lienzo war zu dieser Zeit bis Anfang des 20. Jahrhunderts als Beweisstück in den schweren Landkonflikten von großer Bedeutung und stellt auch im Rahmen des national wertgeschätzten Kulturerbes ein begehrtes Sammlerstück dar.
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Das Rautenstrauch-Joest-Museum – Kulturen der Welt (Köln) Das Rautenstrauch-Joest-Museum wurde im Jahr 1906 als vorletztes der großen ethnologischen Museen in Deutschland eröffnet.13 Die Initiative, wie auch die Finanzierung des damaligen Gebäudes am Ubierring, ging von der Kölnerin Adele von Rautenstrauch und ihrem Mann Eugen aus. Den Grundstock der Museumssammlung bilden die rund 3.500 Objekte, die Wilhelm Joest – Adele von Rautenstrauchs Bruder – auf seinen Weltreisen erworben hatte, bevor er im Jahr 1897 im Alter von nur 45 Jahren in Ozeanien starb (vgl. Engelhard/Schneider 2010: 11). Heute stammen die größten Konvolute der insgesamt mindestens 65.000 Objekte umfassenden Sammlung aus Afrika, Indonesien und Ozeanien. Asien und Amerika zählen zu den kleineren Sammlungsbereichen.14 Abb. 3: Neubau des Rautenstrauch-Joest Museums am Neumarkt.
Foto: Annabelle Springer. 2013.
13 Zur Entstehungsgeschichte des Rautenstrauch-Joest-Museums vgl. Pützstück 1995. 14 Dazu kommen eine etwa 100.000 Bilder umfassende Fotosammlung und eine Bibliothek mit 40.000 Bänden (Himmelheber 2014: 167). Zur Mesoamerika-Sammlung des RJM siehe Slenczka 2015 [in Druck].
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Etwa 100 Jahre nach der Museumsgründung wurde das Museum in einem modernen Gebäude am Neumarkt völlig neu konzipiert. Es teilt sich den Verwaltungstrakt und den Sonderausstellungsbereich mit dem benachbarten Museum Schnütgen für Kunst des Mittelalters und wurde im Herbst 2010 eröffnet. Die neue Dauerausstellung des RJM mit dem Titel »Der Mensch in seinen Welten« erstreckt sich über 3.600 m2 und wurde für ihr Konzept und die szenografische Gestaltung durch das Atelier Brückner unter anderem mit dem Council of Europe Museum Prize 2012 ausgezeichnet.15 Der Themenparcours beginnt mit dem »Prolog« – einer großformatigen Leinwandprojektion, in der Menschen aus verschiedenen Kulturen die Besucher/-innen begrüßen. Die Dauerausstellung ist in zwei Hauptbereiche gegliedert: »Die Welt erfassen« beleuchtet die Entstehungshintergründe der Sammlung und thematisiert den Blick Europas auf andere Kulturen, wie er im Sammeln und Ausstellen ethnographischer Objekte reflektiert wird: »Einstimmung« (MusikGamelan), »Begegnung und Aneignung: Grenzüberschreitungen« (die Sammler Joest und Oppenheim), »Der verstellte Blick: Vorurteile« (historische Dimension von Vorurteilen gegenüber Menschen afrikanischer Herkunft in Europa), »Die Welt in der Vitrine: Museum« (Hintergründe von Sammlungen und ihrer Präsentation), »Ansichtsachen?!: Kunst« (Betrachtung außereuropäischer Objekte als Kunst als spezifische Weise der Auseinandersetzung und Aneignung außereuropäischer Kulturen). Der zweite Teil »Die Welt gestalten« zeigt auf kulturvergleichende Weise verschiedene Lebensentwürfe auf, die anhand folgender Themen illustriert werden: »Lebensräume – Lebensformen: Wohnen«, »Der Körper als Bühne: Kleidung und Schmuck«, »Der inszenierte Abschied: Tod und Jenseits«, »Vielfalt des Glaubens: Religionen«, »ZwischenWelten: Rituale«. Abgeschlossen wird die Ausstellung mit einem »Epilog«, in dem sich dieselben Akteur/-innen des »Prologs« verabschieden und deutlich wird, dass sie alle in Köln wohnen.16 Das Rautenstrauch-Joest-Museum ist als multikultureller Begegnungsort konzipiert (vgl. Engelhard/Schneider 2010: 13). Diverse Veranstaltungen des Begleitprogramms werden in Kooperation mit den constituent communities der Kölner Region durchgeführt.
15 Auf die Sonderausstellungen des RJM wird hier nicht näher eingegangen. Einen Überblick
bietet:
http://www.museenkoeln.de/rautenstrauch-joest-museum/default.
aspx?s=1916 (letzter Aufruf 14.02.2015). 16 Für die Struktur des Themenparcours vgl. Engelhard/Schneider 2010: 4f., 13f.; Himmelheber 2014: 172.
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Abb. 4: Innenansicht Dauerausstellung Rautenstrauch-Joest-Museum: Themenbereich »Wilhelm Joest – Weltreisender, Sammler, Ethnograf«.
Foto: Nikolai Wolff. 2010 © Atelier Brückner.
Auch bei der Bearbeitung der Sammlungen soll in Zukunft das große Potential der Zusammenarbeit mit source communities der Herkunftsorte der Objekte bzw. constituent communities (vgl. Murphy 2006: 4) im Umfeld des Museums idealerweise immer mehr genutzt werden (vgl. Slenczka 2015). Von Sta. María Yucuhiti nach Köln Anhand der Kurzportraits wird deutlich, dass die beiden Museen Yucu-Iti und das RJM trotz ihres verwandten ideengeschichtlichen Auslösers inhaltlich und konzeptuell recht verschiedene Ausgangspunkte aufweisen: In Yucu-Iti stellen sich indigene Akteure in einer Art ›Autoethnographie‹17 selbst aus, indem sie explizit Lokalität (und nicht Indigenität) präsentieren. Im RJM handelt es sich in der Dauerausstellung um eine ›Fremdethnographie‹ durch nicht-indigene bzw. in einigen wenigen Bereichen um eine ›Autoethnographie‹ durch indigene Akteur/
17 Zur Autoethnographie in Museen vgl. Erikson 2004.
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-innen,18 bei der durch die kulturvergleichende Struktur ebenfalls eine Präsentation ›vieler Lokalitäten‹ im Vordergrund steht. Zudem richtet sich das Museum Yucu-Iti hauptsächlich an die lokale (und somit überwiegend indigene) Bevölkerung, während das RJM ein breites und vielfältiges Publikum unterschiedlicher Provenienz im Blick hat.19 Wie können nun also aus dem Spannungsfeld dieser scheinbar so unterschiedlichen Museumstypen Impulse für eine sinnvolle – für vielfältige indigene Bevölkerungen bedeutungsvolle – Ausstellungspraxis in europäischen ethnologischen Museen generiert werden? Als Leitlinie dieses Vergleichs werden die Kernpostulate der aktuellen Diskussion um die Neukonzeption ethnologischer Museen dienen.
D IE D EBATTE UM N EUKONZEPTIONEN ETHNOLOGISCHER M USEEN UND DIE P ROGRAMMATIKEN DER MUSEOS COMUNITARIOS IN O AXACA (M EXIKO ) Die Debatten zur Neukonzeption der Daueraustellungen ethnologischer Museen verlaufen knapp zusammengefasst entlang von drei Hauptlinien für eine wünschenswerte Museums- und Ausstellungspraxis: multikulturelle Interpretationen und Vielfalt (im Sinne von De-Essentialisierung),20 dem Verstehen von (Wirkungs-)Zusammenhängen (im Sinne von Kontextualisierung) und der Nutzung der ›Wirkmächtigkeit‹ des Museums (im Sinne eines »agent of change«21). Letztendlich lassen sich alle drei als Umsetzung einer postkolonialen Museumspraxis verstehen, die die historische Dimension der ausgestellten Objekte vor allem im Hinblick auf die kritische Reflexion des kolonialen Charakters der Sammlung und der Institution sichtbar machen soll. Dementsprechend weicht sie politischen Themen nicht aus, zeigt Gesellschafts- und Kulturwandel und setzt sie in Bezug zur Geschichte und heutigen Lebenswelten in den Herkunftsländern 18 Z.B. wurde das Unterthema »Plains – Zusammenleben der Generationen« nach den Vorgaben des Blackfoot-Co-Kurators Clifford Crane Bear gestaltet (vgl. Himmelheber 2014: 173, Fußnote 15). 19 Die Besucher/-innen kommen jedoch zu 75 Prozent aus Köln und der umliegenden Region (vgl. Himmelheber 2014: 166, Fußnote 4). 20 Unter ›Essentialisierung‹ bzw. einer ›essentialisierenden Form‹ ist hier zu verstehen, dass die bedeutungsausschließenden Qualitäten eines repräsentativen Textes für bestimmte Ziele besonders herausgestellt werden (vgl. Slenczka 2013: 2 Fußnote 8, 40ff.). 21 Für das Museum als ›agent‹ vgl. Casey 2001.
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und Europas (vgl. Shelton 2006: 77f.). Sie sucht einem Eindruck von ›exotisierender Fremdheit‹ entgegenzuwirken, der die Zurschaustellung von Objekten in ethnologischen Museen lange Zeit prägte. Darüber hinaus möchte sie einen Wandel der statischen Museumsinstitution hin zu einem experimentellen Forum mit einer neuen Vielfalt an selbstbestimmten europäischen und ›indigenen‹ Akteuren anstoßen (vgl. z.B. Basu/Macdonald 2014). Dies geschieht bisweilen auch im Rahmen eines ›Labors‹.22 Besonders die Themenbereiche dieser Debatte, die sich auf eine multikulturelle Gesellschaft, Partizipation, den Globalisierungskontext und die ›Wirkmächtigkeit‹ von Museen beziehen, sind auch in den Programmatiken der indigenen museos comunitarios von Oaxaca sehr präsent (vgl. Slenczka 2013: 126 ff.). Das Zeigen von Kulturwandel, das Anbieten multipler und pluraler Interpretationen, der Fokus auf ›Weltkultur‹, Gegenwartsthemen23 und die besondere Gestaltung der Ausstellungsräume als ›Resonanzraum der Vielfalt‹ zeichnet hingegen in erster Linie die aktuellen Debatten um europäische ethnologische Museen aus (vgl. Modest 2012; Harris/O’Hanlon 2013). Betrachtet man die einzelnen Charakteristika der beiden Museen Yucu-Iti und RJM vor der Vergleichsfolie der drei erwähnten Hauptlinien der aktuellen Diskussion und ihres Leitmottos einer ›postkolonialen Museumspraxis‹, so wird deutlich, welche Anregungen aus ihren jeweiligen Umsetzungen dieser Leitlinien erwachsen können.
P OSTKOLONIALE M USEUMSPRAXIS Reflexion von Kolonialismus und Sammlungsherkunft Die Sammlung des Rautenstrauch-Joest-Museums ist zwar nicht in einem ganz direkten kolonialen Kontext entstanden, aber auch der Weltreisende Joest war von der Überlegenheit der europäischen Zivilisation überzeugt (Fenner 2013: 132). In seiner Dauerausstellung thematisiert das RJM vier Einzelaspekte der Entstehung von bzw. des Umgangs mit ethnographischen Sammlungen im ersten Themenblock »Die Welt erfassen« (vgl. Fenner 2010: 36ff.).24 Die Objekte werden dort dafür verwendet, den von kolonialen Verhältnissen und europäi22 Ein Beispiel hierfür ist das aktuelle Konzept des Weltkulturen Museums Frankfurt am Main, in dem die Sammlung von internationalen Gastkünstlern im Rahmen von ›Labors‹ zur Generierung von Ausstellungen verwendet wird. 23 Vgl. Elpers/Palm 2014. 24 Für Details siehe Kurzporträt über das RJM zu Beginn des vorliegenden Aufsatzes.
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schem Überlegenheitsdenken mit geprägten Kontext des Sammlungserwerbs und die oft mit den Objekten verknüpften Stereotypen und Vorurteile sichtbar zu machen. Im Museum von Sta. María Yucuhiti ist Kolonialismus bzw. die Kolonialzeit ebenfalls ein zentrales Thema – und zwar in erster Linie inhaltlich in Form des konkreten Einflusses des spanischen Kolonialismus auf die Geschichte des eigenen Territoriums. Hier könnte das Museum Yucu-Iti im doppelten Sinn als beispielhaft für eine postkoloniale Museumspraxis gelten: zum einen präsentieren die indigenen Nachfahren der direkten Opfer des Kolonialismus selbst ihre Version der Ereignisse. Zum anderen präsentieren sie sie auf eine Weise, in der ihre Vorfahren nicht nur als Opfer, sondern als aktiv agierende und taktierende Akteur/-innen erscheinen (vgl. Slenczka 2013: 333f.). Die Herkunft der Sammlung durch die Stiftung lokaler Akteur/-innen wird in Yucuhiti genauso wenig sichtbar gemacht wie es in traditionellen ethnologischen Museen üblich war. Mit der Geschichte des spanischen Kolonialismus hat die Sammlung mit Ausnahme des kolonialen Kontextes des im Zug von Landkonflikten erstellten lienzo (Landkarte) von 1702 zwar nichts zu tun. Mit ihrer Präsentation sind jedoch auch Aspekte eines gewissen ›internen Kolonialismus‹ aktueller Prägung von ›oben‹ (im Sinne des Verhältnisses zum Nationalstaat)25 und nach ›unten‹ (im Sinne des Verhältnisses zu den agencias)26 verknüpft, da sie bestimmte, mit diesen strukturellen Abhängigkeiten verbundene Kontexte des Erwerbs und des Umgangs mit der Sammlung nicht offen legt. Die Thematisierung kolonialer Verhältnisse in indigenen Museen kann großen ethnologischen Museen generell als Impuls dienen. Für die indigenen Akteure stellt sie jedoch ein zweischneidiges Schwert dar, weil die koloniale Vergangenheit auch in Verbindung mit Verletzungen und Traumata steht, an die sich Viele lieber nicht erinnern und sie demnach auch nicht zum Thema ihrer Museumsausstellung machen möchten (vgl. Lonetree 2009: 333; Isaac 2007: 159). So sprachen die alten Yucuhitenses oft von der »traurigen Zeit«, in der man viel gelitten habe (vgl. Slenczka 2013: 139). Gleichzeitig kommt aus USamerikanischen community museums auch die Anregung sogenannter »Healing Rooms« (vgl. Lonetree 2009: 333; Kapfhammer 2014: 50).
25 Dies wird etwa daran deutlich, dass es für alle museos comunitarios die Verpflichtung gibt, sich offiziell beim INAH, das für alle kulturhistorischen Museen in Mexiko zuständig ist, registrieren zu lassen (vgl. Slenczka 2013: 466; Burón Díaz 2012: 188). 26 Gemeint ist die kontinuierliche Aushandlung des Machtverhältnisses zwischen dem Hauptort Yucuhiti-Centro und den agencias während des Entstehungsprozesses des Museums.
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Reflexion ›exotisierender Fremdheit‹ Für heutige ethnologische Museen existiert ein Spannungsfeld zwischen dem ›postkolonialen Auftrag‹ der Hinterfragung und Kontextualisierung des exotisierenden Blicks auf ›das Fremde‹ und der Tatsache, dass auch weiterhin gerade das ›somatische Erlebnis fremder Objekte‹ (vgl. Harris/O’Hanlon 2013: 12) eine große Besucherattraktion darstellt. Im Rautenstrauch-Joest-Museum wurde dies so gelöst, dass man das eine tat, aber das andere nicht gelassen hat: Mittels einer alle Sinne ansprechenden Inszenierung wird der Neugier auf ›Anderes‹ durchaus Rechnung getragen. Gleichzeitig wird ihr aber durch die kulturvergleichende Strukturierung, die auch Europa und die Gegenwart mit einbezieht,27 der Fokus auf das ›außereuropäische Fremde‹ genommen. Darüber hinaus werden besonders in »Der verstellte Blick: Vorurteile« einige Aspekte negativer Konnotationen von ›Fremdwahrnehmungen‹ in Deutschland am Beispiel von Menschen afrikanischer Herkunft differenziert und kritisch beleuchtet. Im Museum von Sta. María Yucuhiti spielt ›das exotische Fremde‹ oder eine Exotisierung desselben weder als Attraktionspunkt noch als kritische Reflexion eine Rolle, da es als Hauptziel die Präsentation ›des Eigenen‹ verfolgt.28 Als ›fremd‹ bestaunt wird hier vom lokalen Publikum eher die Vergangenheit – allem voran die Landkarte vom Ende des 18. Jahrhunderts. Das ›Andere‹ spielt hier weniger in seiner ›Fremdheit‹ eine Rolle, sondern explizit gleich zu Beginn im Einführungstext als ›Ausländer‹ (sprich: ›differente Externe‹), die mit der potentiellen Absicht erwähnt werden, die Natur und das Kulturerbe Yucuhitis zu zerstören (vgl. Slenczka 2013: 243). ›Interne Fremdheiten‹ – z.B. in Form des Themas von Bewohner/-innen Yucuhitis aus anderen Orten, aus dem Ausland oder nach langer Abwesenheit zurückgekehrten Migranten – tauchen nicht auf. Insgesamt gesehen lädt die vergleichende Betrachtung des Umgangs mit ›dem Fremden‹ im RJM und im Museum von Yucuhiti dazu ein, sich über die verschiedenen Ebenen und Aspekte der Darstellung bzw. des Empfindens von ›Fremdheit‹ im Museum zwischen ›fremder Vergangenheit‹, ›fremden Menschen‹ und ›Befremden‹ Gedanken zu machen.29 So könnten Ausstellungen
27 Zur Präsentation von ›Gegenwart‹ im RJM siehe Himmelheber 2014. 28 Diese Präsentation des ›Eigenen‹ hat allerdings teilweise einen genauso essentialisierenden Charakter wie manche exotisierenden Fremdbeschreibungen in großen Museen. 29 Für die Frage nach ›neuen Fremdheitspotentialen‹ im Kontext der Globalisierung vgl. den Band »Von Fremdheit lernen« (Buchenhorst 2015). Für das Thema des Umgangs mit Fremdheit im Museum vgl. Bortz 2004: 150-163; Edenheiser/Usbeck 2013: 171ff.
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einerseits die aufmerksamkeitssteigernden Qualitäten des ›Fremden‹ nutzen und gleichzeitig das entstehende Bild kritisch kontextualisieren und hinterfragen.
M ULTIKULTURELLE
UND INTERPRETATIVE
V IELFALT
Universalisierender Fokus einer multikulturellen ›Welt‹ versus Darstellung lokaler Identität Aktuell liest sich das Postulat der Multikulturalität für ethnologische Museen unter anderem wie folgt: »Ethnografische Museen können ihr Publikum dabei unterstützen, die Veränderungen in der gegenwärtigen Gesellschaft bewusst wahrzunehmen und zu reflektieren. Multikulturalismus (sollte dies überhaupt ein Begriff sein, der uns bleibt), Transnationalismus und sich verändernde Vorstellungen von Bürgerschaft und Zugehörigkeit sind aktuelle Belange, denen sich dieser Museumstyp in besonderer Weise widmen kann […]«. (Wayne Modest 2012: 89; vgl. auch Harris/O’Hanlon 2013: 10).
Das RJM ist im Kreis der bereits neu konzipierten europäischen ethnologischen Museen das einzige, das seine Objekte unter dem Motto »Der Mensch in seinen Welten« in einer ausschließlich kulturvergleichenden thematischen Struktur präsentiert und somit Pluralität und Multikulturalität in seiner Dauerausstellung einen ganz besonderen Stellenwert zuweist: »Exemplarisch stellen wir in diesem [Themenparcours, AS] also universale Aspekte der Lebensgestaltung von Kulturen unserer Einen Welt nebeneinander oder auch gegenüber und verweisen mit diesem Ansatz explizit auf die Vielfalt, die Gleichberechtigung und die Gleichwertigkeit aller Kulturen« (Engelhard 2014: 8).30 Genauso wie einige andere ethnologische Museen im deutschsprachigen Raum drückte das RJM 2010 seine konzeptuelle Neuausrichtung in einer Namensänderung – dem Zusatz »Kulturen der Welt« – aus. Damit deutet es auch universalisierende Prinzipien eines weltweiten Nutzens der Aufbewahrung und Präsentation außereuropäischer materieller Kultur an (vgl. Harris/O’Hanlon 2013: 9; Engelhard 2012: 9).
30 Eine kritische Anmerkung hierzu in Rezensionen ist, dass sich die Multikulturalität in erster Linie auf die Inszenierung und die Medien beschränke und weniger anhand der Objekte präsentiert würde (Lidchi 2014: 240f.).
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Der explizite Bezug zwischen Köln und der ›Welt‹, wird im Ausstellungsparcours des RJM als grundlegender Rahmen in Form eines begrüßenden »Prologs« und eines verabschiedenden »Epilogs« betont.31 Darüber hinaus ist der Bezug besonders zu Beginn in der Verbindung zur ›Welt‹ durch die Sammler Joest und Oppenheim im Teil »Begegnung und Aneignung: Grenzüberschreitungen« präsent. Er spielt ebenfalls eine Rolle in der Reflexion der Kontexte der Sammlungsentstehung in »Die Welt in der Vitrine« und europäischer Vorurteile in »Der Verstellte Blick« sowie anhand des ›Globalisierungstischs‹, auf den später noch genauer eingegangen werden soll. Genaugenommen besteht die Präsentation von universellen, alle Kulturen betreffenden, Themen im RJM jedoch aus einzelnen außereuropäischen ›lokalen Besonderheiten‹ (vgl. Engelhard/Schneider 2010: 10). Besonders deutlich werden diese in den vier Inszenierungen »Lebensräume – Lebensformen: Wohnen«, in denen etwa ein TuaregZelt oder der Empfangsraum eines türkischen Hauses zu sehen sind.32 Sie werden nicht explizit als ›indigen‹ bezeichnet gezeigt, können diese Konnotation jedoch durch das Bewusstsein erhalten, sich in einem ethnologischen Museum zu befinden. Das museo comunitario Yucu-Iti präsentiert hingegen in seiner Gesamtheit eine einzige solche ›lokale Besonderheit‹, die mit wenigen Ausnahmen nicht als indigene Besonderheit beschrieben wird. Vielfalt und Multikulturalität wurden auf der Programmatikebene der museos comunitarios von Oaxaca immer wieder betont. Sie spielten jedoch in erster Linie im Entstehungsprozess des Museums zwischen den verschiedenen agencias, Akteur/-innen und dem Austausch mit anderen indigenen Gemeinden eine Rolle. Dieser Prozess wurde von den externen Akteur/-innen sogar für wichtiger erachtet als das Ausstellungsergebnis selbst. Eine multikulturelle und vielfältige Präsentation mit multiplen Interpretationen stand im Museum Yucu-Iti bereits im Vorfeld explizit nicht im Fokus der Ausstellungskonzeption: Das Museum sollte als Gegengewicht zu einem aus Sicht der Akteure durch Migration und Globalisierung bewirkten ›Zuviel an Multikulturalität‹ vor allem ›das Eigene‹, das ›eigene Territorium‹ bzw. die ›einzigartige Identität‹ des Ortes zeigen. Dies wurde auf eine kollektivierende und homogenisierende Weise umgesetzt (vgl. Slenczka 2005: 252, 262; Slenczka 2013: 16). ›Die Welt‹ ist in Yucuhiti aus ähnlichen Gründen nicht von Belang (vgl. Slenczka 2013: 130). Der einzige explizite Bezug zur nationalen bzw. internationalen Ebene besteht in der Schilderung der kolonialen Wurzeln der
31 Für Details siehe Kurzporträt RJM zu Beginn des vorliegenden Artikels. 32 Für eine kontroverse Diskussion dieser Szenen siehe z.B. Lidchi 2014: 239f. und Schmidt-Linsenhoff 2014: 262.
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Landkonflikte mit den Nachbarorten, in denen die ›Welt‹ in Form der Auseinandersetzungen mit ›den Spaniern‹ und Vertretern der von ihnen etablierten Kolonialregierung aufscheint. In den beiden vorgestellten Museen geht es also im einen Fall um die Zugehörigkeit zu einer kollektiv vorgestellten lokalen comunidad bzw. zur Gruppe der ›indigenen Völker‹ und im anderen um die Zugehörigkeit zu einer zwar vielgestaltigen und multikulturellen, aber auch ›universalen‹ Menschheit bzw. Welt: zwei letztendlich ähnliche Formen kollektivierender Identifikationsangebote an das Publikum, die sich durch die Dimension ihres Bezugsraums unterscheiden. Sie können zum Nachdenken über Museumskonzeptionen inspirieren, in denen indigene Kulturen nicht mehr als ›indigen‹ wahrgenommen werden, sondern eben als ›lokal‹ in einer ›Vielfalt von Lokalitäten‹. In diesem Kontext ist auch ein weiterer Punkt relevant, der in jüngsten museologischen Tagungen und Veröffentlichungen für alle Museumstypen immer wieder im Fokus stand: Partizipation und Zusammenarbeit – und zwar sowohl zwischen den Museen und ihrem Publikum wie auch zwischen ›großen‹ ethnologischen und ›kleinen‹ indigenen Museen. Partizipation oder Selbstbestimmung? »In der partizipativ gestalteten Museumsarbeit sehen derzeit viele Museolog/ -innen die passende Antwort auf die Frage nach der gesellschaftlichen Relevanz von Museen« (Jannelli 2012: 343; vgl. auch Golding/Modest 2013). Auch die programmatischen Texte über die museos comunitarios im mexikanischen Bundesstaat Oaxaca bzw. in der Zeitschrift der Red de Museos Comunitarios de América33 betonen immer wieder besonders den partizipativen Charakter derselben bei der Gestaltung und Konzeption der Ausstellungen. So erscheinen die indigenen Gemeindemuseen auf den ersten Blick als das Leitbild für die erwünschte indigene Partizipation und Kooperation in ethnologischen Museen. Im Rautenstrauch-Joest-Museum wurden Mitglieder von source communities bei der Planung und Gestaltung der Dauerausstellung an verschiedenen Stellen mit einbezogen: Einige Themenpunkte wie etwa der indonesische Reisspeicher im Foyer, das Blackfoot-Tipi und das Tuareg-Zelt im Bereich »Wohnen« wurden mit Hilfe indigener Handwerker und Berater umgesetzt. Es gab einige Kooperationen mit Indigenen bei der Sammlungsbearbeitung – zuletzt mit der Direktorin des bolivianischen Museo Nacional de Etnografía y Folklore (MUSEF),
33 Http://www.youblisher.com/p/476949-Boletin-7-de-la-Red-de-Museos-Comunitariosde-America/ (letzter Aufruf 21.02.2015).
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Elvira Espejo. Auch in Köln lebende Mitglieder von constituent communities waren und sind präsent: So trugen etwa Kölner/-innen afrikanischer Herkunft mit ihren Stimmen zum Bereich »Der verstellte Blick« bei. Veranstaltungsprogramme eröffnen bei Thementagen und Sonderveranstaltungen wie etwa dem Mexikanischen Totenfest 2014 Mitgliedern von source- und constituent communities einen Raum der Selbstrepräsentation und der interkulturellen Begegnungen. Manchen Rezensent/-innen der Dauerausstellung geht dieses Partizipationsmodell des RJM jedoch nicht weit genug: So merkt Lidchi etwa an, dass es sich trotz gezeigter Filminterviews mit Vertreter/-innen der source communities in der Dauerausstellung (vgl. Himmelheber 2014: 172 f.) oft mehr um ein ›Sprechen über sie‹ als um eigenständig von Indigenen realisierte Gestaltungselemente handele (Lidchi 2014: 240). Macht es das indigene museo comunitario mit seinem expliziten Schwerpunkt auf selbstbestimmter Autoethnographie und der lebensweltlichen Nähe der Ausstellung an dieser Stelle deutlich ›besser‹? Es ist sicher so, dass im Gemeindemuseum Yucu-Iti schon allein in der Vorbereitungsphase mit ihren zahlreichen Abstimmungen innerhalb der Gremien des Cargo-Systems34 (z.B. der municipioVersammlung), den Interviewprojekten und der Sammlungsaufrufe von Objekten und historischen Fotografien für das Museum (vgl. Slenczka 2013: 216ff.) ein größerer Partizipationsgrad des Umfeldes zu verzeichnen war als im RJM. Zudem sticht in der Ausstellung selbst der hohe Anteil an Texten heraus, die aus Zeugnissen der lokalen mündlichen Geschichte bestehen. Ebenso wie im RJM bietet das Museum im Rahmen von Zusatzveranstaltungen Möglichkeiten der Begegnung und Selbstpräsentation: Einmal pro Woche präsentieren Weberinnen vor dem Eingang ihre Arbeit. Das Museum ist auch in diverse Gemeindeveranstaltungen mit einbezogen35 und leiht jedes Jahr am 15. September für die Zeremonie zum Unabhängigkeitstag die Figur eines der Protagonisten der Befreiungskämpfe, Miguel Hidalgo, aus. Trotzdem gibt es auch in Yucuiti immer wieder eine gewisse Schwellenangst der fast ausschließlich lokalen Besucher/ -innen vor dem Museum – ähnlich wie es in den großen ethnologischen Museen zu konstatieren ist.
34 Hierarchische Organisationsform mesoamerikanischer indigener Gemeinden, die im mexikanischen Bundesstaat Oaxaca besonders häufig vorkommt. 35 2011 organisierte das Museum ein Treffen mit Kulturinitiativen des municipio (vgl. Museo Comunitario »Yuku Iti« de Santa María Yucuhiti, Tlaxiaco, Oaxaca, México. Celebrará el Día del Museo Comunitario 2011: 26).
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Tatsächlich zeigt die genaue Betrachtung, dass der in den Museen RJM und Yucu-Iti vorhandene Anspruch, die ›eigene Stimme‹ der jeweiligen indigenen Protagonist/-innen zur Geltung zu bringen, trotz der oben beschriebenen Details in beiden nicht wirklich umgesetzt wurde. Im RJM könnte man als Grund für den Eindruck des ›Sprechens über sie‹ vielleicht eine gewisse ›starke Rahmung‹ der indigenen Stimmen durch das überwiegend von Nichtindigenen gestaltete museografische Umfeld erkennen. In Yucuhiti erscheinen hingegen im Zug des Phänomens des »Erfindens von Tradition« (vgl. Hobsbawm/Ranger 1983) manche Ausstellungselemente und Texte als ›eigene Stimme‹, die es nicht – oder auf eine andere Weise als die angegebene – sind: so etwa von Außenstehenden aufgenommene Fotos oder Texte aus externen Quellen ohne die entsprechende Quellenangabe. Zudem wäre es generell notwendig zu definieren, was sinnvollerweise unter einer ›eigenen indigenen Stimme‹ zu verstehen ist bzw. diese im Plural – anstatt im Singular – zu denken. Vor dem Hintergrund dieses Befunds ist es empfehlenswert, in der Analyse einer jeglichen Museumsausstellung intensiv danach zu fragen, vor welchem hegemonialen Wissens- und identitätspolitischen Hintergrund die jeweilige Ausstellungsproduktion zustande gekommen ist (vgl. Slenczka 2013, Kap. 14 und 15). Auch bei der Planung neuer ethnologischer Museen und Ausstellungen sollte genau reflektiert werden, was ›Partizipation‹ bedeuten soll, welche Machtverhältnisse damit sowohl auf der europäischen wie indigenen Seite verbunden sind (vgl. Rein/Wackernagel 2013: 34) und wie geeignete Kooperationspartner/ -innen aus den source communities gefunden werden können.
V ERSTEHEN VON (W IRKUNGS -)Z USAMMENHÄNGEN : G LOKALITÄT UND G EGENWART Die bereits erwähnte ›Vielfalt der Lokalitäten‹ betrifft aber in der aktuellen Diskussion über ethnologische Museen vor allem auch ihre Verbindung untereinander bzw. mit der globalen Ebene und der Gegenwart, mit der ein vertieftes Verständnis von Wirkungszusammenhängen und Kontexten der ausgestellten Objekte möglich werden kann. »Denn dies ist die Herausforderung für den Umgang mit ethnologischen beziehungsweise kulturhistorischen Sammlungen, die auf dem Nährboden kolonialen Gedankenguts entstanden: sie vor dem Hintergrund aktueller globaler Verflechtungen neu zu interpretieren« (Bystron/Zessnik 2014: 341).
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Betrachtet man das RJM im Vergleich zum Museum Yucu-Iti hinsichtlich der Einbeziehung von »Glokalität« (vgl. Robertson 1998) – der engen Interdependenz und Gleichzeitigkeit lokaler und globaler Prozesse – , so können beide sicher voneinander bzw. überhaupt dazu lernen, wie zeitliche und örtliche Vielfalt sichtbar gemacht werden kann. Globalisierung, Migration und die Einbeziehung von Diasporas spielen im RJM an verschiedenen Stellen des Ausstellungsparcours – und überwiegend in medialer Form – eine Rolle: seine bereits erwähnte Einrahmung durch Kölnerinnen und Kölner mit Migrationshintergrund in Prolog und Epilog; im ›elektronischen Buch‹ zu Beginn von »Begegnung und Aneignung« (vgl. Lidchi 2014: 234); in der Verbindung, die die beiden Reisenden Joest und Oppenheim durch ihre Sammlungen zwischen Köln und der ›Welt‹ schufen; der ›Globalisierungstisch‹ im europäisch gestalteten Bereich »Wohnen«, an dem medial und interaktiv die Wege verschiedener globaler Ströme von Menschen, Waren und Ideen exemplarisch nachvollziehbar werden (vgl. Himmelheber 2014: 171f.). Der Tisch ist andeutungsweise von einem Kreis lokaler Wohnszenen umgeben, die mit Ausnahme der Themenschublade zum »Kleine-Welt-Phänomen« mehr eine symbolische als eine tatsächliche glokale Verbindung zu den Themen des Globalisierungstischs aufweisen (vgl. Lidchi 2014: 239f.). Ein Bilderbuch mit Fotos der (klischeehaften) Imitation deutscher Orte in Übersee zeigt das Vorhandensein von ›lokalem Deutschen‹ auf der globalen Ebene und weist gleichzeitig auch auf den prototypischen Charakter der musealen außereuropäischen Wohnszenen hin (vgl. Himmelheber 2014: 173). Für die einzige direkte objektgebundene glokale Verbindung hält die Ausstellungsrezensentin Lidchi die mit Kamerun verknüpften Masken des schwäbischen Maskenschnitzers Paysan im Ritual-Teil am Schluss (Lidchi 2014: S. 242).36 Im museo comunitario von Yucuhiti befindet sich die Zielsetzung einer Darstellung glokaler Zusammenhänge nicht im Fokus: Es möchte ›Lokalkultur‹ sichtbar machen und war in erster Linie an einer Präsentation ›des Eigenen‹ interessiert. Außenräume werden hauptsächlich im Kontext konfliktiver Auseinandersetzungen um Land dargestellt und deshalb eher als ›different‹ und ›unverbunden‹ beschrieben.37 Der Gegenwartskontext38 ist in Yucuhiti hingegen
36 Ihr Hersteller ist gleichzeitig Mitglied einer Karnevalsgesellschaft bei Stuttgart und in einer Maskengesellschaft des Kameruner Graslandes und bezieht aus dieser Verbindung Anregungen für den Maskenbau. 37 Auf einer indirekten Ebene gibt es aber auch hier Brüche, die im direkten Ausstellungsdiskurs allerdings nicht sichtbar werden (siehe Slenczka 2013: 413ff., 421ff). 38 Stichwort ›lebensweltliche Nähe‹ (vgl. z.B. Windmüller 2011: 56).
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schon allein dadurch vorhanden, dass externe Besucher/-innen ihn direkt vor der Eingangstür des Museums erfahren können und er lokalen Besucher/-innen ohnehin präsent ist. Das im Alltagsleben allgegenwärtige Migrationsthema (Migration in mexikanische Städte und in die USA) und das Leben in mixtekischen Diasporas im Ausland – im Ort die glokalen Themen par excellence – finden im Museum Yucu-Iti keine Erwähnung.39 Das lokale indigene Gemeindemuseum macht die Verbindung seiner Ausstellungsobjekte mit dem extramusealen Raum und der aktuellen Lebensrealität also nicht notwendigerweise sichtbarer als das RJM: ›Große‹ und ›kleine‹ Museen können es gleichermaßen als Herausforderung begreifen, vielfältige und weltverbundene Ausstellungen zu gestalten. Gleichzeitig sind auch die Kontexte und Netzwerke, mit denen sich indigene Gruppen generell mittels ihrer Objekte verbinden wollen, sehr unterschiedlich. Sie können sich etwa auf der globalen Ebene befinden, im Austausch mit anderen ethnischen Gruppen oder im »[…] Kontakt mit der Umgebung, der Vergangenheit und den omnipräsenten mythischen Wesen« (Scholz/Mans 2014: 74). Große ethnologische Museen und lokale museos comunitarios könnten versuchen, ihre glokalen Verbindungen zueinander sichtbar zu machen. Dabei stehen die museos comunitarios auf ihrer lokalen Ebene aber letztendlich oft vor denselben Problemen von Essentialisierung, fehlender Transparenz und Machtwissen wie die großen Museen auch.
E IGENE ›W IRKMÄCHTIGKEIT ‹
DURCH
G ESTALTUNG
Zu den zentralen Überlegungen der aktuellen museologischen Debatten zählt, »dass die Kommunikation mit den Museumsnutzern auf allen Ebenen ›authentisch‹ und ›wahrhaftig‹ sein muss« (Jannelli 2012: 358). Dazu können nicht nur Partizipations- und Kooperationsmodelle einen Beitrag leisten, sondern auch die
39 Manche der externen Museumsakteure bewegen sich allerdings in einem transnationalen Raum, sodass sich bisweilen sogar transnationale Aushandlungsprozesse in den Ausstellungen widerspiegeln, ohne explizit erkennbar zu sein (vgl. Brust 2009; Slenczka 2013: 477ff.; Meyer/Savoy 2014). Auch die museos comunitarios selbst sind auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene vernetzt (vgl. Burón Díaz 2012: 201): seit 1991 in der Unión de Museos Comunitarios de Oaxaca (UMCO), vgl. Camarena Ocampo/Morales Lersch 2006), seit 1995 in der Unión Nacional de Museos Comunitarios und seit 2004 in der Red de Museos Comunitarios de América auf internationaler Ebene; vgl. http://www.museoscomunitarios.org/lazos.html# (letzter Aufruf 21.02.2015).
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Gestaltung von Ausstellungen kann ganz wesentlich bewirken, dass »sich Museen heutzutage als ›Resonanzräume kultureller Vielfalt und pluraler Lebensstile‹ formieren und als ›Identitätsfabriken‹ fungieren können.«40 Die Gestaltung der Ausstellung nimmt im RJM einen ganz anderen Stellenwert ein als im Museum Yucu-Iti. Sie unterscheidet sich schon allein darin, dass es in erstgenanntem möglich war, mit einem professionellen Designer – dem Atelier Brückner – zu arbeiten: »Die Ausstellungsgestaltung arbeitet mit Mitteln der Szenografie. Jedes Thema entwickelt sich in einem eigenen Raum, in welchem sich die Objekte mit ihrer Aura entfalten« (Engelhard/Schneider 2010: 12). Szenografie ist bei der Neukonzeption von ethnographischen Museen zunehmend ein Thema.41 Auch beim Publikum findet sie großen Anklang: Laut einer informellen Besucherbuchauswertung des RJM von 2014 zählte dort das Lob »außergewöhnlich schöne, moderne Präsentation« zu den Spitzenreitern der Kommentare (vgl. Rautenstrauch-Joest-Museum 2014). Gleichzeitig ist die szenografische, ›bühnenartige‹ Gestaltung des RJM (vgl. Groschwitz 2014: 248f.) in der Diskussion aber auch nicht unumstritten und wird von einigen Museologen als ›Überinszenierung‹ kritisiert bzw. der damit vorgegebene Parcours als zu dominierend empfunden (vgl. Lidchi 2014: 239). Die Rezensentin Schmidt-Linsenhoff beschreibt den szenografischen Effekt des RJM hingegen kritisch als »Immersionsästhetik«. Sie sieht in den dadurch entstehenden ungelenkten Bedeutungsarealen des Parcours die Gefahr, dass »gerade unkontrollierte ästhetische Effekte der Ausstellungsgestaltung ein ideologiekritisches [sprich: postkolonialer Museumspraxis entsprechendes, AS] Programm unterlaufen oder gar ins Gegenteil verkehren können« (Schmidt-Linsenhoff 2014: 264). Überraschenderweise stellen aber gerade die »unkontrollierten ästhetischen Effekte« der Gestaltung eine Gemeinsamkeit zwischen dem RJM und dem Museum Yucu-Iti dar: In Yucuhiti wurde eine eher rudimentäre und praktisch orientierte museografische Gestaltung ohne jeglichen Medieneinsatz realisiert. Sie setzt die Themenblöcke räumlich und farblich voneinander ab und sucht diese grob zu hierarchisieren, aber eine explizit intendierte Inszenierung und »Immer-
40 Vgl. Vortragsankündigungstext des Ausstellungsdesigners Brückner anlässlich der Tagung »Identitätsfabrik Reloaded« (vgl. Fackler/Heck 2014: 24f.). 41 Vgl. auch den Vortrag von Iris Edenheiser im Rahmen der Zwischentagung der DGVGruppe »Ethnografische Museen« im Weltmuseum Wien im Oktober 2014 (vgl. Zwischentagung der AG Museum der Deutschen Gesellschaft für Völkerkunde Wien 2014) und das im November 2014 eröffnete und ebenfalls vom Atelier Brückner gestaltete Ethnologische Museum Genf (Musée d'ethnographie de Genève).
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sionsästhetik« des Verschwimmens mit dem Raum ist dort nicht vorhanden. Jedoch ergibt sich ein ›Verschwimmen mit dem Raum‹ bisweilen als unbeabsichtigter Nebeneffekt: zum einen aufgrund der zahlreichen ungelenkten, wenig vernetzten Bedeutungsareale der Ausstellung, die entsprechend des Vorwissens und »Besuchsverhaltens« des Publikums eher performativ genutzt werden; zum anderen aufgrund der lebensweltlichen Nähe, sich als Besucher/-innen direkt am Ort des Dargestellten zu befinden (vgl. Slenczka 2013: 261ff.). Der im RJM geplante Bühnencharakter ist in Yucuhiti ebenfalls als Nebeneffekt vorhanden. Er wird durch die Positionierung des Museumsgebäudes im Ortszentrum bewirkt: Das Museum im ersten Stock des Gebäudes mit den Weberinnen im Bogengang ist vom Hauptplatz gut zu sehen. Umgekehrt kann man sich im Museum wie auf einer ›Bühne‹ fühlen, von der aus die umliegenden öffentlichen Gebäude und das Geschehen im Zentrum von den lokalen Besucher/-innen häufig und gern kommentiert werden (vgl. Slenczka 2013: 447). Als Fazit ist hier also zu ziehen, dass ein Erfahrungsraum42 nicht nur durch eine aufwändig gestaltete Szenografie oder minutiös ausgearbeitete multiple Interpretationen zu einem »Resonanzraum für kulturelle Vielfalt und plurale Lebensstile« werden kann, sondern bisweilen auch dann, wenn letzteres ursprünglich nicht explizit intendiert war. Durch ihre Nähe zu den Themen können die Besucher/-innen des Museums Yucu-Iti Vieles selbst ergänzen, was im ethnologischen Museum mit dem zunächst unbekannten ›Fremden‹ zumindest einigermaßen korrekt kontextualisierend nicht möglich ist. Eine der wichtigsten Anregungen, die indigene museos comunitarios für die großen Museen bereitstellen, könnte also das Angebot multiperspektivischer Identifikationsmöglichkeiten für einen kreativen und performativen Ausstellungsbesuchsprozess sein. Die sie begünstigenden »unkontrollierten ästhetischen Effekte« könnten auch zur Entstehung eines versöhnenden oder vermittelnden »middleground« oder »intercultural space« (Isaac 2007: 15f.) beitragen, wie es ihn sowohl in museos comunitarios als auch in traditionellen Redestilen gibt (vgl. Isaac 2007: 15f., 129155). Eine konkrete Möglichkeit für die Schaffung eines solchen »intercultural space« (Isaac 2007: 15f.) könnten Ausstellungen sein, in denen Vertreter/-innen indigener Kulturen ihre Objekte so anordnen, wie es ihr Verwendungskontext – oft als Leitlinie zum Geschichtenerzählen oder im Kontext bestimmter Rituale –
42 Jannelli resumiert das Lernpotential für große Museen dahingehend, dass sie von den ›wilden‹ (im Sinne von kleinen Amateurmuseen) lernen können, indem sie die Austellung in einen »Erfahrungsraum« verwandeln und »auf das symbolische und performative Potential der Dinge […] setzen« (Jannelli 2012: 335, 357).
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erfordert. Damit sie auch für Nicht-Indigene bedeutungsvoll sein können (vgl. Lima Barreto 2014: 62), wäre es sinnvoll, dass die indigenen Kurator/-innen idealerweise auch vor Ort als ›Übersetzer‹ bzw. für Erklärungen dem Publikum zur Verfügung stehen könnten. Auf diese Weise wäre es sogar möglich, den Anforderungen verschiedener Kommunikationssituationen gerecht zu werden, da die Objekterzählungen je nach Akteuren oder Zielgruppe differieren können (vgl. Slenczka 2013: 491f., Fußnote 58). Traditionelle Objektordnungen und in der außermusealen Kultur wichtige Objekte und Kontexte werden allerdings häufig auch in den museos comunitarios bewusst nicht gezeigt und sind im Vorfeld der Museumsplanung oft Gegenstand intensiver lokaler Diskussionen (siehe Slenczka 2013: 496). Immer dabei zu beachten sind die mit manchen Objekten verknüpften emischen ›Öffentlichkeitsregeln‹, die es aus indigener Sicht nicht erlauben, sie öffentlich zu präsentieren – wie etwa die historischen Fotos von Ritualen im A:shiwi A:wan Museum and Heritage Center in Zuni (vgl. Isaac 2009: 304, 315) oder die Masken im Oneida-Nation-Museum (vgl. Ackley 2009: 273). Davon ausgehend kann es also auch für ›große‹ ethnologische Museen keine allgemeingültigen Richtlinien dafür geben, welche Objekte gezeigt werden können und welche nicht: Idealerweise sollten ›Entscheidungen des Zeigens‹ immer auf der Basis von Diskussionsprozessen mit den Herkunftsgemeinschaften getroffen werden. Auf jeden Fall könnte auch in umgekehrter Richtung von großen ethnologischen Museen ein Impuls der Ermutigung zu ›eigenen Objektpräsentationen‹ an die museos comunitarios ausgehen. Eine Würdigung der ›eigenen‹ Objektpräsentationen mit einer breiten Öffentlichkeitswirkung könnte einen häufigen tief sitzenden Grund des ›Nichtzeigens‹ auch in museos comunitarios abmildern, dessen Wurzeln bis in kolonialzeitlichen Kontexte zurückreichen: Sie könnte dazu beitragen, die oft vorhandene Geringschätzung der eigenen Kultur in Stolz zu verwandeln (vgl. Kollewe 2007). In diesem Sinne könnten zur Gestaltung eines ›Erfahrungsraums‹ auch folgende Details aus der Praxis indigener museos comunitarios als Anregung für ausgewählte Projekte in ethnologischen Museen betrachtet werden: ›Objektzirkulation‹ (vgl. Windmüller 2011: 56, Fußnote 27), ein wandelbarer Objektbestand in Ausstellungen und die fortgesetzte Verehrung sakraler Objekte ähnlich wie bei anderen religiös motivierten Inszenierungen – beispielsweise einem Hausaltar oder in einer Kirche43 –, in denen die Objekte oft auch entsprechend bestimmter ›Erzählungslinien‹ angeordnet sind, die sich ändern können.
43 Einige Yucuhitenses nannten ihr museo comunitario eine »neue Kirche des Glaubens« (Slenczka 2013: 473), so dass man es im übertragenen Sinn auch als öffentlichen ›sä-
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S CHLUSSÜBERLEGUNGEN Mit seinem Namenszusatz Kulturen der Welt beruft sich das RJM ähnlich wie andere ethnologische Museen auf universalisierende Prinzipien. Sie sind letztendlich als Auswirkung der von der new museology angestoßenen Veränderungen zu verstehen, die sowohl die museos comunitarios wie die ›großen‹ Museen geprägt haben. »[…] sich auf universalisierende Prinzipien zu berufen, muss früher oder später zu analytischen Kategorien führen, die die in Museen und Wissenschaften so sehr eingeübte Trennung zwischen ›uns‹ und ›sie‹ zwischen ›wir‹ und ›die anderen‹ in Kunst und Kultur auflösen« (Modest 2012: 87). Diese Zielsetzung einer postkolonialen Praxis stellt sowohl für die indigenen wie auch die großen ethnologischen Museen immer wieder eine Herausforderung dar. Je nach Museumstyp erfordert sie aber unterschiedliche Herangehensweisen bzw. kann für die jeweiligen indigenen und nicht-indigenen Akteur/-innen auch von unterschiedlichem Interesse sein. Im vorliegenden Aufsatz wurde das Spannungsfeld zwischen diesen beiden Museumstypen anhand des mexikanischen museo comunitario Yucu-Iti und des Rautenstrauch-Joest-Museums – Kulturen der Welt in Köln betrachtet. Daraus sind unter anderem folgende Überlegungen und Anregungen für die aktuelle Debatte zu Neukonzeptionen ethnologischer Museen hervorgegangen: •
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Eine postkoloniale Museumspraxis erfordert es, behutsam abzuwägen zwischen einer Offenlegung der Kontexte kolonialer Institutions- und Sammlungsvergangenheit und der Rücksicht auf Traumata und Verletzungen der indigenen Gruppen. Europäische ethnologische Museen könnten aus museos comunitarios Anregungen aufgreifen, wie sie in Kooperation mit Vertretern von source communities zu einem bedeutungsvollen »Heilungsraum« für indigene Bevölkerungen werden können, der diese Inhalte gleichzeitig aber auch für die überwiegend nicht-indigenen Besucher sinnvoll vermittelt. Das kontroverse Thema der Darstellung und Rezeption ›exotisierender Fremdheit‹ kann dazu einladen, sich generell Gedanken über verschiedene Ebenen von ›Fremdheit‹ in Ausstellungen zu machen und auch ihre Potentiale zu nutzen. Es ist sinnvoll, indigene Kulturen mehr ›lokal‹ und weniger als ›indigen‹ bezeichnet darzustellen. Die Identitätskonstruktion einer vielfältigen und
kularen Hausaltar‹ bezeichnen könnte, der auf ähnliche Weise ambivalente Aspekte interner und externer Bezugspunkte der Identitätskonstruktion zusammen führt, wie es auf den Hausaltären der Fall ist (vgl. Slenczka 2013: 444f., 473).
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universalistischen ›Welt‹ in großen ethnologischen Museen weist im Endergebnis Ähnlichkeiten zu den homogenisierenden lokalen Identitäts- und Zugehörigkeitskonstruktionen in vielen indigenen museos comunitarios auf. Beide Formen können sich ergänzende Mosaiksteine für ein umfassendes Verständnis der aktuellen globalisierten Welt sein. Da Museumsausstellungen immer durch bestimmte Akteur/-innen und ihre Interessen geprägte essentialisierende Repräsentationen sind, gewährleistet eine breite Partizipation auch im indigenen museo comunitario nicht automatisch, dass dort auch eine ›eigene‹ Stimme zu hören ist (die im übrigen zu definieren bzw. im Plural – anstatt im Singular – zu denken wäre). Partizipation und Kooperationen sollten genau geplant und reflektiert werden. Beide Museumsmodelle haben bezüglich des Sichtbarmachens von ›glokalen‹ Aspekten ihrer Sammlungsobjekte viel zu lernen und weisen dabei ihre jeweiligen Stärken und Schwächen auf. Sie könnten dabei die vielfältigen beziehungs- und dialogstiftenden Potentiale von Objekten in Ausstellungskonzeptionen gezielter nutzen und die glokale Verbindung von Objekten untereinander sichtbarer machen. Wichtig für die durch Gestaltung erzeugte Wirkmächtigkeit einer Ausstellung sind auch die unkontrolliert auftretenden ästhetischen Effekte ungelenkter Bedeutungsareale. Sie können zwischen Publikum und Ausstellung einen versöhnenden und vielfältigen »middleground« (vgl. Isaac 2007: 15f.) kreieren. Dieser könnte in ethnologischen Museen ebenfalls durch von indigenen Kuratoren gestaltete – und für außenstehende Ausstellungsbesucher von diesen persönlich kommentierte – narrative Objektanordnungen erzeugt werden. Auch religiös motivierte indigene Inszenierungen im Stil von Hausaltären können für Wirkmächtigkeit und lebensweltliche Nähe sorgen.
Es kann zusammengefasst werden, dass die indigenen museos comunitarios durchaus die lokalen ›Antreiber‹ für eine glokale, universalistische Präsentation in den großen Museen sein können, es ihnen aber selbst nicht notwendigerweise gleichtun müssen, um ein bedeutungsvoller Ort für ihre – überwiegend lokalen und indigenen – Besucher/-innen zu sein. So ist die Frage nach dem ›besseren‹ Museum eher die Frage nach der Eignung des Museumsmodells insgesamt als Medium zur Thematisierung und Repräsentation von Fragen, die in einer vielfältigen Welt sowohl auf lokaler wie globaler Ebene für möglichst breit gefächerte Besuchergruppen gesellschaftliche und identitätskonstruktive Relevanz haben und etwas bewegen können. Meine These ist hier, dass beide Modelle einander brauchen, sich gegenseitig inspirieren, fordern und fördern können und weder das ethnologische Museum mit nationaler bzw. internationaler Ausstrahlung
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noch das kleine indigene Museum gerade in heutigen ›globalen Zeiten‹ überflüssig ist. Eine Diskussion über Ideen für eine konkrete Zusammenarbeit sollte immer wieder aufs Neue angeregt werden. Indigene Museen sind untereinander zunehmend besser vernetzt (vgl. Camarena Ocampo/Morales Lersch 2006). Jedoch gibt es nur eine geringe Vernetzung zwischen kleinen und großen Museen, wie de Varine anlässlich des 40-jährigen Jubiläums des Rundtisches von Santiago de Chile 1972 anmerkt, der als Geburtsstunde der »Neuen Museologie« gilt (de Varine 2012: 5). Die großen und kleinen Museen können und sollten sich also als »Partner und Akteur in einem globalen Netz von professionellen Beziehungen« verstehen, »in dem Fachkollegen und Vertreter von lokalen Gemeinschaften verschiedenster Gesellschaften gemeinsam agieren« (Brust 2013: 63).44 Zudem übernehmen auch in großen Museen wie beispielsweise dem National Museum of the American Indian oder dem MUSEF in La Paz, Bolivien, Experten indigener Herkunft Führungspositionen, so dass die Diskussionslinien zwischen indigenen und nicht indigenen Museumsmachern längst nicht mehr ausschließlich zwischen Museen nationaler Ausstrahlung versus lokaler Museen verlaufen. Zum Schluss sei betont, dass das Medium Museum mit seinen Originalobjekten in verschiedenen Kontexten immer wieder für bedeutungsvoll gehalten und ihm ein entscheidender Vorteil gegenüber anderen Medien zugeschrieben wird. Wie Museen für indigene Besucher/-innen ein bedeutungsvoller Ort sein können, illustriert die Aussage des mixtekischen promotor45 Rafael Ortíz Hernández46 über die indigenen museos comunitarios in Oaxaca (Mexiko):
44 So wenden sich manche Ethnien gezielt an europäische Museen zur Deponierung ihrer Objekte anstatt ein eigenes museo comunitario zu gründen, indigene Museen weltweit sehen sich in großen Museen um, wo sich ihr Kulturerbe befindet oder bitten darum, etwa Filme oder Tondokumente in einem zu planenden Museum verwenden zu dürfen (Brust 2013: 63ff., Broekhoven et. al. 2010). Eine Vernetzung kann auch so aussehen, dass Ethnien den großen Museen Repliken ihrer materiellen Kultur anbieten (vgl. Bilhaut 2012). Es gibt Bestrebungen, durch Digitalisierung von Sammlungen eine transnationale Zusammenarbeit zu intensivieren. (vgl. die Beiträge von Hoffmann und Scholz in diesem Band). Zur Zusammenarbeit mit source communities vgl. auch Bench 2014; Peers 2003; Broekhoven et. al. 2010. 45 Wörtlich: Förderer. Hier: Externer Berater der UMCO für die museos comunitarios in Oaxaca. 46 Name = Pseudonym.
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»Es […] [= das Museum, AS] hat etwas ganz von uns. Darüber hinaus hat es eine Note meiner Eltern, meiner Großeltern, [...] es ist, dass ich ein Teil dessen bin. Also hat es mit meinem Dorf zu tun, mit meinem Land, mit dem Territorium, es hat damit zu tun wo ich lebe, es hat mit Ökologie zu tun, mit Leiden, mit Elend [...]. Ah, aber wenn ich ein Radio kaufe, einen Fernseher, ist es anders, weil das sind diese Dinge, die man mit ein wenig Arbeit erwirbt, aber sie haben keine Geschichte […]« (Rafael Ortíz Hernández, 08.02.1998, Interview mit der Autorin, Slenczka 2013: 235).
Der Tukano João Paulo Lima Barreto schreibt zur Rolle, die das Museum Fünf Kontinente in München im Umgang mit der dortigen Amazonien-Sammlung Fittkau dafür einnehmen könnte, dass die großen Museen durch ihre Ausstellungs- und Netzwerktätigkeit zu bedeutsamen Orten für Indigene werden können, indem sie: »[...] indigenes Wissen außerhalb der lokalen Gemeinden […] verbreiten. Indessen ist es notwendig, sich um Einsichten zu bemühen, die näher an den indigenen Konzepten sind, damit das nichtindigene Publikum Zugang findet und den Dialog vorantreiben kann. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass im Hinblick auf die Tatsache, dass in vielen Regionen des Río Negro indigene Spezialisten fehlen, die Museen den Austausch mit indigenen Spezialisten und indigenen Studierenden fördern, damit diese sich das Wissen wieder aneignen und in ihren Regionen, Dörfern und Gemeinden weiterverbreiten können. Schließlich sollten die Objekte der Sammlung über die verschiedenen Kommunikationsmedien für alle zugänglich gemacht werden, anstatt sie nur in den Schubladen und den Lagern der Museen aufzubewahren« (Lima Barreto 2014: 62).47
47 Mein besonderer Dank für ihre sachkundigen Anmerkungen zu Teilen bzw. zum kompletten Text des vorliegenden Artikels geht an meine Kollegin Dr. Clara Himmelheber und an meinen ehemaligen Kollegen Dr. Burkhard Fenner. Für den Inhalt bin ich selbstverständlich allein verantwortlich.
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Autor/-innenverzeichnis
Christoph Antweiler ist Professor für Südostasienwissenschaft an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Er ist Mitglied der Academia Europaea. Antweiler studierte Geologie-Paläontologie und dann Ethnologie in Köln. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Kognitionsforschung, Stadtkultur, Ethnizität, Entwicklung, Popularisierung von Wissenschaft, lokales Wissen, soziale Evolution, Universalien. Seine Hauptforschungsregion ist Südostasien, vor allem Indonesien. Wichtigste themenbezogene Veröffentlichungen sind: Inclusive Humanism. Anthropological Basics for a Realistic Cosmopolitanism (Göttingen 2012); Was ist den Menschen gemeinsam? Über Kultur und Kulturen (Darmstadt 2012 und 2007); Ethnologie. Ein Führer zu populären Medien (Berlin 2005). Iris Edenheiser ist Sammlungsleiterin »Weltkulturen und ihre Umwelt« an den Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim. Zuvor arbeitete sie von 2011-2013 als Kustodin für »Die Amerikas« an den Staatlichen Ethnographischen Sammlungen Sachsen (SES) im Verbund der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) und war 2013 kommissarische Direktorin und Abteilungsleiterin »Wissenschaft« der SES (SKD). Edenheiser studierte Ethnologie, Religionswissenschaft und Hispanistik in Leipzig und Granada. Arbeitsschwerpunkte sind Materielle Kultur, v.a. aus den indigenen Amerikas, besonders Amazonien, Repräsentationsfragen und kolonialgeschichtliche Verflechtungen in ethnologischen Sammlungen sowie Theorie und Praxis des Kuratierens. Sie war Kuratorin der Sonderausstellungen »Tecumseh, Keokuk, Black Hawk – Indianerbildnisse in Zeiten von Verträgen und Vertreibung« (Albertinum Dresden 2013-2014) und »Kallawaya – Heilkunst in den Anden« (Grassi Museum für Völkerkunde zu Leipzig 2010-2011). Zu ihren Publikationen zählen u.a.: Tecumseh, Keokuk, Black Hawk – Indianerbildnisse in Zeiten von Verträgen und Vertreibung (Stuttgart 2013, hg. gem. mit Astrid Nielsen); Kallawaya – Heilkunst in den Anden (Leipzig 2010, hg. gem. mit Claus Deimel).
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Peggy Goede Montalván ist Doktorandin an der Abteilung für Altamerikanistik der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Sie ist als Gutachterin für die Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit GmbH (GIZ) in Berlin tätig und war Lehrbeauftragte am Lateinamerika Institut der Freien Universität Berlin. Goede Montalván studierte Altamerikanistik in Berlin. Ihre Forschungen konzentrieren sich auf das Andengebiet, besonders auf die Kolonialkunst sowie die Eroberungs- und Kolonialgeschichte. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind materielle Kultur und digitale Medien. Sie war Leiterin des e-learning Projektes »Caminos – Eine Reise durch die Geschichte Lateinamerikas« (Freie Universität Berlin 20092012, gem. mit Ingrid Kummels), kuratierte die Ausstellung »Leben und Tod im Alten Peru« (Kultur- und Stadthistorisches Museum Duisburg, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Lippisches Landesmuseum Detmold 2011-2014, gem. mit Karoline Noack) und war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Ausstellung »Inka – Könige der Anden« (Linden-Museum Stuttgart, Lokschuppen Rosenheim 2013-2014). Zu ihren Publikationen zählen: Das Kriegswesen im Alten Peru. In: Kultur- und Stadthistorisches Museum Duisburg (Hg.). Sammlung Köhler-Osbahr. Bonner Altamerika-Sammlung (BASA). Die Ausstellungen zu den Zustiftungen Prof. Kurt Sandweg, Horst Schuwerack. »Leben und Tod im Alten Peru«. »Faszination Keramik. Die Maya und Teotihuacan« (Duisburg 2012), 30-34; Zeit des Umbruchs – Die spanische Eroberung des Inka-Reiches. In: Kurella, Doris und Inés de Castro (Hg.). Inka. Könige der Anden (Darmstadt 2013), 204-212; Eine neue Ära beginnt – Die Kolonialzeit. In: Kurella, Doris und Inés de Castro (Hg.). Inka. Könige der Anden (Darmstadt 2013), 213-228. Helmut Groschwitz ist freiberuflicher Kurator und Kulturanthropologe. Zuvor war er u.a. Wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Vergleichende Kulturwissenschaft an der Universität Regensburg und vertrat anschließend den Lehrstuhl für Kulturanthropologie/Volkskunde in Bonn. Groschwitz studierte Germanistik und Volkskunde in Regensburg. Seine Forschungsschwerpunkte sind Wissenschaftsgeschichte, Kulturerbe/Cultural Heritage, Museumstheorie, Erzählforschung und populäre Religiosität. Er kuratierte die Ausstellungen »Moldova. Alltag – Transformation – Zukunft« (donumenta, Historisches Museum Regensburg 2004), »Tradition und Aufbruch. Die Oberpfälzische Kreisausstellung 1910»« (Historisches Museum Regensburg 2010) und »EuropaTest« (Humboldt Lab Dahlem 2014). Zu seinen jüngsten Publikationen zählen: Rewriting ›Atlas der deutschen Volkskunde‹ postkolonial. In: Objekt, Bild und Performance: Repräsentationen ethnografischen Wissens. In: Berliner Blätter 67/2014 (hg. von Hoffmann, Beatrix und Steffen Mayer): 29-40; Kulturerbe
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als Metaerzählung. In: Schneider, Ingo und Valeska Flor (Hg.). Erzählungen als kulturelles Erbe. Das kulturelle Erbe als Erzählung (Münster 2014), 75-85; Begegnungen mit Lebenswelten. Neuverortungen der Sammlung des RautenstrauchJoest-Museums. In: Paideuma 60/2014: 247-258. Beatrix Hoffmann ist wissenschaftliche Mitarbeiterin des Projektes »MenschDing-Verflechtungen indigener Gesellschaften« an der Abteilung für Altamerikanistik der Universität Bonn. Zuvor arbeitete sie u.a. als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Ibero-Amerikanischen Institut – SPK in Berlin und an der Arbeitsstelle Kleine Fächer der Universität Potsdam. Hoffmann studierte Altamerikanistik, Ethnologie und Evangelische Theologie in Berlin und San Diego (USA). Ihre Forschungsschwerpunkte sind Materielle Kultur, andine Ikonographie sowie Wissenschafts- und Museumsgeschichte. Die regionalen Schwerpunkte liegen auf dem südamerikanischen Tiefland und dem zentralen Andenraum. Zu ihren Publikationen zählen: Objekt, Bild und Performance: Repräsentationen ethnografischen Wissens (Berliner Blätter 67/2014, hg. gem. mit Steffen Mayer); Räume durch Bewegung. Ethnographische Perspektiven auf eine vernetzte Welt (Berliner Blätter 58/2012, hg. gem. mit Hansjörg Dilger); Das Museumsobjekt als Tausch- und Handelsgegenstand: Zum Bedeutungswandel musealer Objekte im Kontext der Veräußerungen aus dem Sammlungsbestand des Museums für Völkerkunde Berlin 1873 - 1973 (Münster 2012). Michael Kraus ist Akademischer Rat an der Abteilung für Altamerikanistik der Universität Bonn. Zuvor war er u.a. als Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Philipps-Universität Marburg, am Deutschen Historischen Museum (DHM) in Berlin sowie am Ethnologischen Museum Berlin tätig. Kraus studierte Völkerkunde, Soziologie und Religionswissenschaft in Tübingen, Guadalajara und Marburg. Arbeitsschwerpunkte sind Wissenschaftsgeschichte, indigene Kulturen des Amazonasgebietes, Ausstellungstheorie und -praxis, Visuelle Anthropologie und Materielle Kultur. Er kuratierte u.a. die Ausstellungen »Novos Mundos – Neue Welten. Portugal und das Zeitalter der Entdeckungen« (DHM 2007-2008); »WeltWissen. 300 Jahre Wissenschaften in Berlin« (Martin-Gropius-Bau Berlin 2010-2011, gem. mit Jochen Hennig, Udo Andraschke, Nikola Doll, Patrick Kleinschmidt); »Fotografien berühren« (Humboldt Lab Dahlem 2013). Zu seinen Publikationen zählen u.a.: Exploring the Archive. Historical Photography from Latin America. The Collection of the Ethnologisches Museum Berlin (Köln 2015, hg. gem. mit Manuela Fischer); Zur Beziehung zwischen Universität und Museum in der Ethnologie (Marburg 2000, hg. gem. mit Mark Münzel).
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Matthias Lewy ist Postdoktorand am Departamento de Música der Universidade de Brasília (UnB). Zuvor arbeitete er als Lehrbeauftragter an verschiedenen Universitäten in Berlin, Halle, Marburg, Leipzig und Bonn sowie als Komponist im Theaterbereich für die Hochschule für Schauspielkunst »Ernst Busch« in Berlin. Lewy studierte Vergleichende Musikwissenschaft, Altamerikanistik sowie Kultur- und Medienmanagement an der Freien Universität und der Hochschule für Musik Hanns Eisler in Berlin. Seine regionalen Forschungsschwerpunkte liegen auf dem immateriellen Kulturerbe indigener Gruppen Amazoniens und Mesoamerikas. Thematisch konzentriert er sich auf das Gebiet der Auditiven Anthropologie, deren angewandter Bereich vor allem in der Umsetzung von Klang innerhalb von Museen liegt. Eine von ihm erarbeitete Klanginstallation war in der Ausstellung »Mensch – Objekt – Jaguar« (Humboldt Lab Dahlem 2013-2014) zu hören. Zu seinen Publikationen zählen u.a.: Los mundos audibles (Berlin 2015, hg. gem. mit Bernd Brabec de Mori und Miguel García); The Sounding Museum: Towards an Auditory Anthropology. The Value of Human/Non-human Soundscapes and Cultural Soundscape Composition in Contemporary Research and Education on American Indigenous Cultures (2014, gem. mit Hein Schoer und Bernd Brabec de Mori); Different ›Seeing‹ – Similar ›Hearing‹. Ritual and Sound among the Pemón (Gran Sabana, Venezuela) (Berlin 2012). Heinrich Natho ist Mitarbeiter der Bonner Altamerika-Sammlung (BASA). Zuvor war er u.a. Mitarbeiter für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit am Museum der Bayerischen Könige in Hohenschwangau. Natho studierte Archäologie in Bamberg und Museum Studies in Leicester. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Ausstellungspraxis, partizipative Museumsarbeit und digitales Sammlungsmanagement. Er arbeitete an der Ausstellung »MOT NORD VED VERDENS YTTERKANT« (Nordkappmuseet Honningsvåg 2010) mit. In der Bonner Altamerika-Sammlung (BASA) war er u.a. für die Ausstellung »Persönliches. Fremde Objekte und Bonner Leidenschaften« zuständig (BASA 2014). Zu seinen Publikationen zählen: Between content and decoration. How is photography used in archaeological exhibitions? In: Flügel, Katharina und Volker Schimpff (Hg.). Curiositas. Jahrbuch für Museologie und museale Quellenkunde (Leipzig [in Druck]); Bröckelnder Beton und rostender Stahl – Überreste des Zweiten Weltkriegs. In: Verband der Landesarchäologen in der Bundesrepublik Deutschland (Hg.). Archäologie in Deutschland (Stuttgart 2012): 12-13.
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Karoline Noack ist Professorin an der Abteilung für Altamerikanistik der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und Leiterin der Bonner AltamerikaSammlung (BASA). Noack studierte Ethnologie und Geschichte in Berlin, Rostock und Leipzig. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Transkulturationsprozesse im Andenraum in der historischen Perspektive, Visuelle Anthropologie und Materielle Kultur, Museumsstudien, Urbane Anthropologie und Geschlechterstudien. In Berlin kuratierte sie die Ausstellungen »Koloniale Kunst aus Lateinamerika. Prozesse gegenseitiger Aneignung« sowie »Ungleichzeitigkeiten der Moderne: Atelierfotografie von Baldomero Alejos, Ayacucho – Peru (1902-1976)« (beide am Ethnologischen Museum Berlin, 2005-2014 und 2008-2009, gem. mit Manuela Fischer). Zu ihren Publikationen zählen u.a.: Die Sammlung Walter Lehmann am Ethnologischen Museum Berlin. Eine Einführung in die Archäologie des südlichen Zentralamerika (Aachen 2014, gem. mit Martin Künne); Qué género tiene el derecho? Ciudadanía, Historia y Globalización en América Latina (Berlin 2008, hg. gem. mit Stefanie Kron); Zeugnisse einer Welt im Wandel. Der Studiofotograf Baldomero Alejos in Ayacucho, Peru (1902-1976) (Berlin 2008, hg. gem. mit Manuela Fischer und Irene Ziehe). Maike Powroznik ist wissenschaftliche Mitarbeiterin/Kuratorin der AmerikaSammlungen am Völkerkundemuseum der Universität Zürich. Zuvor war sie u.a. Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachgebiet Kultur- und Sozialanthropologie der Philipps-Universität Marburg. Powroznik studierte Ethnologie und Kunstgeschichte in Marburg. Regional liegen ihre Arbeitsschwerpunkte auf den Amerikas und der Türkei. Thematisch beschäftigt sie sich vor allem mit den Bereichen Materielle Kultur und praktisches Wissen. Sie war die leitende Koordinatorin der Ausstellung »Trinkkultur – Kultgetränk«, und darin verantwortlich für den Ausstellungsteil über Maniokbier, den sie gemeinsam mit Sonia und Renzo S. Duin erarbeitete. Zu ihren Publikationen zählen: Maniokbier im tropischen Südamerika – Das Lebenselixier amazonischer Gesellschaften. In: Flitsch, Mareile (Hg.). Trinkkultur Kultgetränk: Milch, Maniokbier, Kawa, Palmwein, Tee, Reisbier (Sulgen 2014, gem. mit. Renzo S. Duin und Sonia Duin), 96–129; Geleitwort. In: Schüler, Harry. Irokesen – Zur Kultur, Geschichte und Gegenwart (Petersberg 2014, gem. mit Mareile Flitsch), 8–9; Ethnologie der flüchtigen Begegnung am Beispiel von Motorradtourismus und Gastfreundschaft in der Türkei (Marburg 2012).
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Jennifer Schmitz ist Studiengangskoordinatorin für den weiterbildenden Masterstudiengang »Museums Studien« der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Zuvor war sie von 2010-2013 Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Bonner Altamerika-Sammlung. Sie promoviert zum Thema »Materialität als Medium – Die Sammlungen der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn«. Schmitz studierte Ethnologie, Altamerikanistik, Kunstgeschichte und Politische Wissenschaft an der Universität Bonn. Im Rahmen ihrer Mitarbeit an der Bonner Altamerika-Sammlung betreute sie eine Vielzahl von Ausstellungsprojekten, u.a. »Einblicke«, »Die Maya und Teotihuacan. Faszination Keramik« und »Leben und Sterben im Alten Peru«. Zu ihren Publikationen zählen u.a.: Die Kulturen Mesoamerikas. In: Kultur- und Stadthistorisches Museum Duisburg (Hg.). Sammlung Köhler-Osbahr. Bonner Altamerika-Sammlung (BASA). Die Ausstellungen zu den Zustiftungen Prof. Kurt Sandweg, Horst Schuwerack. »Leben und Tod im Alten Peru«. »Faszination Keramik. Die Maya und Teotihuacan« (Duisburg 2012), 156-157; Steinerne Zeugnisse der Macht – die Architektur der Klassischen Maya. In: Ebd., 161-163; Von Bohnenkriegern und Katzengöttern – Rheinländer in Südamerika. In: Verbund archäologischer Institutionen Köln/Bonn (Hg.). Aktuelle Forschungsprojekte. Zweiter Teil (Köln/Bonn 2011), 52-53. Andrea Scholz ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Humboldt Lab Dahlem (HLD) in Berlin. Zuvor war sie Volontärin am Ethnologischen Museum in Berlin, wo sie u.a. an den Planungen zum Humboldt-Forum mitarbeitete. Scholz studierte Ethnologie, Soziologie und Romanistik in Bonn. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen regional im Amazonastiefland. Arbeitsschwerpunkte sind u.a. indigene Rechte, Materielle Kultur und Museumsethnologie. Aktuell führt sie für das HLD ein Kooperationsprojekt mit der Universidad Nacional Experimental Indígena de Tauca (Venezuela) durch. Zuvor realisierte sie die Ausstellungsprojekte »Springer Suriname/Benin« (Intervention, basierend auf sammlungsbezogener Forschung) und »Mensch – Objekt – Jaguar« (gemeinsam mit Sebastián Mejía u.a.; künstlerische Installation zur Visualisierung des »Lebens der Dinge«). Zu ihren Publikationen zählen: Menschen und Dinge aus der GuayanaRegion – als Netzwerk gedacht. In: Herzog-Schröder, Gabriele (Hg.). Von der Leidenschaft zu finden. Die Amazonien-Sammlung Fittkau (München 2014, gem. mit Jimmy Mans), 64-75; Humboldt-Forum: Der lange Weg 1999-2012 (Berlin 2012, Baessler Archiv 59, hg. gem. mit Viola König); Die Neue Welt neu vermessen. Zur Anerkennung indigener Territorien in Guayana/Venezuela (Münster 2012).
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Martin Schultz ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bernischen Historischen Museum. Zuvor arbeitete er u.a. als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Weltkulturen Museum Frankfurt am Main, am Historischen und Völkerkundemuseum St. Gallen sowie als Sammlungsleiter an den Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim. Schultz studierte Ethnologie, Geschichte und Vor- und Frühgeschichte in Hannover, Bonn und Frankfurt am Main. Seine Arbeitsschwerpunkte sind die Ethnohistorie Nordamerikas, Materielle Kultur, Geschichte ethnologischen Sammelns und Provenienzgeschichte. Er war als Mitarbeiter und Kurator an verschiedenen Ausstellungen beteiligt, darunter am Hessischen Landesmuseum Darmstadt, am Weltkulturen Museum Frankfurt am Main und am Historischen und Völkerkundemuseum St. Gallen. Zu seinen Publikationen zählen: ›Unser Haus ist das reine Museum‹ – Die Sammlung Franz und Marie Pauline Thorbecke an den Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim. In: Kunst und Kontext 7/2014: 5-15; Abu Makina – der Vater der Maschine. Carl Bosch und die fotografische Dokumentation seiner diplomatischen Reisen 1903-1907. In: Mannheimer Geschichtsblätter 25/2013: 95-108; ›Beschreibungen von Gegenständen nordamerikanischer Indianer aus der Sammlung des Herzogs Paul Wilhelm von Württemberg.‹ Neuere Untersuchungen zum Archivalien-Objekt-Verhältnis. In: Tribus 61/2012 (gem. mit Nathalie Scholz): 116-132. Anna Seiderer ist Maître de Conférence en Art contemporain et anthropologie an der Universität Paris-8. Sie ist zudem Forschungsassistentin am Musée royal de l'Afrique centrale (Tervuren, Belgien) sowie im Laboratoire d’Anthropologie des Mondes Contemporains (LAMC) der Freien Universität Brüssel. Seiderer studierte Philosophie an der Université de Paris X-Nanterre. Im Rahmen ihrer Promotion arbeitete sie über Vermittlungskonzepte der postkolonialen Museen in Benin. Ihre Forschungsschwerpunkte sind die postkolonialen Einflüsse der musealen Praxis in europäischen und afrikanischen Museen. Im Rahmen des europäischen Projekts »Ethnography Museums and World Cultures« kuratierte sie die Ausstellung »Fetish Modernity« (gem. mit Anne-Marie Bouttiaux), die zwischen 2011 und 2014 in Tervuren, Madrid, Prag, Wien, Leiden und Stockholm zu sehen war. Zu ihren Publikationen zählen u.a.: La critique postcoloniale en acte. Les musées d’ethnographie contemporains sous le prisme des études postcoloniales (Tervuren 2014); The legacy of Pierre Fatumbi Verger in the Whydah Historical Museum (Benin): Development of an ambivalent concept of Hybritity. In: History in Africa. A Journal of Method 40/2013: 295-312; Fetish Modernity (Tervuren 2011, hg. gem. mit Anne-Marie Bouttiaux).
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Anne Slenczka ist Referentin der Amerika-Abteilung im Rautenstrauch-JoestMuseum – Kulturen der Welt in Köln. Slenczka studierte Mesoamerikanistik an der Universität Hamburg und promovierte dort mit einer auf Feldforschungsbasis in Oaxaca (Mexiko) verfassten Arbeit zur Identitätskonstruktion in indigenen mexikanischen Gemeindemuseen. Ihre wissenschaftlichen Interessensschwerpunkte sind präkolumbische Geschichte und Ethnohistorie Mesoamerikas, mexikanische Totenkultur (Día de los Muertos) und mexikanische Museologie. Als Kuratorin bzw. Mitarbeiterin war sie an verschiedenen Ausstellungsprojekten in Deutschland, Spanien und Mexiko beteiligt – darunter im Museo Nacional de Culturas Populares in Mexiko-Stadt und im Museum für Völkerkunde Hamburg. Zu ihren Veröffentlichungen zählen: Mesoamerika im Rautenstrauch-Joest-Museum – Kulturen der Welt in Köln. In: Frühsorge, Lars et. al. (Hg.). Festschrift zum 50 jährigen Jubiläum der Mesoamerikanistik an der Universität Hamburg (Hamburg [in Druck]); Mesoamerika. In: Gesellschaft für Überseegeschichte (Hg.). Lexikon der Europäischen Überseegeschichte (Bayreuth [in Druck]); Lokale Musealisierung als Identitätsstrategie in Mexiko. Die Konstruktion von materiellem Kulturerbe, Vergangenheit und Raum in einem indigenen Gemeindemuseum – eine Ausstellungs- und Kontextanalyse (Hamburg 2013). Mona Birgit Suhrbier ist Kustodin für Amerika am Weltkulturen Museum in Frankfurt am Main. An den Universitäten in Marburg, Frankfurt und São Paulo (USP) nahm sie Lehraufträge wahr. Suhrbier studierte biologisch dynamische Landwirtschaft in Forest Row (Großbritannien) sowie Ethnologie, Hydrologie und Lateinamerikanistik in Frankfurt am Main und Marburg. Ihre regionalen Schwerpunkte sind das südamerikanische Tiefland sowie Afro-Brasilien. Themenschwerpunkte ihrer Arbeit sind Mythologie, Materielle Kultur und zeitgenössische Kunst. Sie konzipierte zahlreiche Ausstellungen, unternahm eine Feldforschung in einem Dorf der Guarani in Brasilien und arbeitet seit vielen Jahren mit brasilianischen Künstlern zusammen. Im Jahr 2008 realisierte sie zwei Filme über Candomblé in Salvador da Bahia. Zu ihren Veröffentlichungen zählen u.a.: Candomblé and the Brazilians: the impact of art on a religion’s success story. In: Cusack, Carole M. und Alex Norman (Hg). Handbook of New Religions and Cultural Production (Leiden/Boston 2012), 463494; Menschen und ihre Gegenstände. Amazonien – Ozeanien (Frankfurt am Main 2001, gem. mit Eva Raabe); Die Macht der Gegenstände. Menschen und ihre Objekte am oberen Xingú, Brasilien (Marburg 1997).
Edition Museum Ulli Seegers Ethik im Kunstmarkt Werte und Sorgfaltspflichten zwischen Diskretion und Transparenz Mai 2016, ca. 200 Seiten, kart., ca. 28,99 €, ISBN 978-3-8376-2625-4
Carmen Mörsch, Angeli Sachs, Thomas Sieber (Hg.) Ausstellen und Vermitteln im Museum der Gegenwart März 2016, ca. 300 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 34,99 €, ISBN 978-3-8376-3081-7
Luise Reitstätter Die Ausstellung verhandeln Von Interaktionen im musealen Raum Mai 2015, 262 Seiten, kart., farb. Abb., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2988-0
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Edition Museum Museumsverband des Landes Brandenburg (Hg.) Entnazifizierte Zone? Zum Umgang mit der Zeit des Nationalsozialismus in ostdeutschen Stadt- und Regionalmuseen März 2015, 244 Seiten, kart., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2706-0
Stapferhaus Lenzburg, Sibylle Lichtensteiger, Aline Minder, Detlef Vögeli (Hg.) Dramaturgie in der Ausstellung Begriffe und Konzepte für die Praxis 2014, 134 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 19,99 €, ISBN 978-3-8376-2714-5
Sophie Elpers, Anna Palm (Hg.) Die Musealisierung der Gegenwart Von Grenzen und Chancen des Sammelns in kulturhistorischen Museen 2014, 218 Seiten, kart., zahlr. Abb., 28,99 €, ISBN 978-3-8376-2494-6
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de