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German Pages [320] Year 1993
V&R
Meiner lieben Mutter in Dankbarkeit
THOMAS BERGEMANN
Q auf dem Prüfstand Die Zuordnung des Mt/Lk-Stoffes zu Q am Beispiel der Bergpredigt
VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN
Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments Herausgegeben von Wolfgang Schräge und Rudolf Smend 158. Heft der ganzen Reihe
Die Deutsche Bibliothek
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CIP-Einheilsaufnahme
Bergemann, Thomas: Q auf dem Prüfstand: die Zuordnung des Mt/Lk-Stoffes zu Q am Beispiel der Bergpredigt / Thomas Bergemann. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1993 (Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments; H. 158) ISBN 3-525-53840-5 NE: G T
© 1993 Vandenhoeck & Ruprecht, 37070 Göttingen. Printed in Germany. - Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gesamtherstellung: Hubert & Co., Göttingen
Vorwort Die vorliegende Untersuchung wurde unter dem Titel »Das Verhältnis der Grundrede zur Logienquelle" im Januar 1992 von der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Hamburg als Dissertation angenommen. Für die Drucklegung erfuhr sie eine leichte Überarbeitung. An dieser Stelle bietet sich glücklicherweise die Gelegenheit, den Menschen zu danken, die mir bei der Verwirklichung dieser Arbeit auf vielfältige Weise geholfen haben. Vor allen ist hier meine Mutter zu nennen, die meinen Weg vom ersten Tage an entscheidend begleitet und gefördert hat; ihr sei daher mein Buch gewidmet. Im selben Atemzug möchte ich meiner lieben Frau Dank sagen: Sie trug mit großer Geduld ein Gutteil der Lasten, die ein solches Projekt gerade im persönlichen Bereich mit sich bringt, und erhellte durch ihre Fröhlichkeit jede noch so dunkle Phase. Buchstäblich von meinem ersten Studientag an habe ich von der fachlichen Qualifikation und menschlichen Größe meines verehrten Lehrers, Herrn Prof. Dr. C.-H. Hunzinger, profitieren dürfen. Dieses war und ist ein Geschenk, für das ich ihm weit über die wissenschaftliche Schülerschaft hinaus von Herzen dankbar bin. Ohne seine beharrliche Ermunterung, sein Verständnis für manchen Umweg und seine phantasievollen Anregungen hätte ich die zurückliegenden Höhen und Tiefen nicht mit diesem Ergebnis zu durchschreiten vermocht. Danken möchte ich ebenso Herrn Prof. Dr. E. Rau, dessen kritische Anfragen die abschließende Gestaltung meiner Arbeit maßgeblich beeinflußt haben, und Herrn Prof. Dr. G. Strecker, der mich vor allem in meiner Göttinger Zeit entscheidend geprägt hat. In besonderem Maße danke ich der Studienstiftung des Deutschen Volkes für ihre materielle, aber ebenso für ihre nicht zu überschätzende ideelle Unterstützung, welche mir während des Studiums und der Promotionszeit gewährt wurde: Vieles wurde dadurch leichter, manch neuer Horizont eröffnet. Endlich danke ich der Nordelbischen Evangclisch-Luthcrischen Kirche in Kiel für ihre finanzielle Unterstützung bei der Drucklegung sowie den Herausgebern der „Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments", Herrn Prof. Dr. W. Schräge und Herrn Prof. Dr. R. Smend, für die Bereitschaft, einer Aufnahme meiner Dissertation in diese
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Vorwort
R e i h e z u z u s t i m m e n . Nicht zuletzt w e i ß ich mich all j e n e n v e r b u n d e n , die w ä h r e n d d e r v e r g a n g e n e n M o n a t e auf S e i t e n d e s V e r l a g e s d a z u b e i g e t r a g e n h a b e n , d a ß die P u b l i k a t i o n s t e t s von h i l f s b e r e i t e n u n d k o m p e t e n t e n D a m e n u n d H e r r e n b e t r e u t war.
Inhalt Einleitung: Zur Aufgabenstellung Exkurs: GRAMCORD
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I. Die Logienquelle 1. Was ist Q? - Zur Geschichte der Forschung a) Vorbemerkung b) Heinrich Julius Holtzmann c) Paul Ewald d} Paul Wernle e) Julius Wellhausen f) CarlS. Patton Burnett Hillman Streeter n) Wilhelm Bussmann i) Martin Dibelius j) Hans-Theo Wrege k) Dieter Lührmann 1) Siegfried Schulz m) Paul Hoffmann n> Olof Linton o j Petros Vassiliadis p) Athanasius Polag q) John S. Kloppenborg ή Migaku Sato s) Daniel Kosch
14 14 15 17 19 20 21 22 24 26 28 30 31 33 34 35 39 41 42 44
2. Was ist Q? - Versuch einer Definition a) Q als Hypothese b) Gute Gründe für Q c) Die Frage eines aramäischen Originals d) Rezensionen und kein Ende
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II. Die Grundrede 1. Wortstatistik als Methode a} Das Fundament der Wortstatistik b) Der Vollzug von Wortstatistik c) Die Grenzen der Wortstatistik d) Der Wert der Wortstatistik
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2. Vorbemerkungen zur Durchführung der Wortstatistik ai Erläuterungen zu den alleemeinen statistischen Angaben .. b) Erläuterungen zu der Aufschlüsselung der Texte
67 67 68
c) Erläuterungen zu der Einzelanalyse der differierenden Textelemente 3. Wortstatistische Analyse der Feldrede und ihrer Parallelen im Matthäusevangelium a) Die Seligpreisungen (Lk 6,20b-23 / Mt 5,3-12) b) Die Weherufe (Lk 6,24-26) Xc) Von der Feindesliebe (I) (Lk 6,27-28 / Mt 5,44) d) Von der Wiedervergeltung (Lk 6,29-30 / Mt 5,39b-42) .... e) Die Goldene Regel (Lk 6,31 / Mt 7,12) VO Von der Feindesfiebe (II) (Lk 6,32-36 / Mt 5,45-48) g) Vom Richten (Lk 6,37-38 / Mt 7,1-2) h) Der blinde Blindenführer (Lk 6,39 / Mt 15,14) i) Vom Jünger und Meister (Lk 6,40 / Mt 10,24-25) i) Splitter und Balken (Lk 6,41-42 / Mt 7,3-5) k) Gleichnis von Baum und Frucht (Lk 6,43-44 / Mt 7,15-20 / Mt 12,33) 1) Der gute und der böse Mensch (Lk 6,45 / Mt 12,34-35) ... m) Warnung vor Selbsttäuschung (Lk 6,46 / Mt 7,21) n) Das Gleichnis vom Hausbau (Lk 6,47-49 / Mt 7,24-27) ... j{4. Zusammenfassende Auswertung der Einzelanalyse 5. Ergänzende Überlegungen zur Analyse der Grundrede a) Zwei problematische Texte α Lk 6,43-45 - Mt 7,15-20 - Mt 12,33-35 Das Modell einer einzigen gemeinsamen Quelle Das Modell zweier unabhängiger Quejlen Das Modell literarisch unabhängiger Überlieferungen ... Ein Gegenvorschlag ß Lk 6,41? par Mt 7,3-5 b) Der Umfang der Grundrede c) Die Frage der Schriftlichkeit der Grundrede (X Die Anordnung der Grundrede-Elemente bei Mt und Lk ß Vergleich von Lk 6,47-49 und Mt 7,24-27 d) Die Adressaten der Grundrede 6. Struktur und inhaltliche Aussage der Grundrede a) Die Disposition der Grundrede b) Die Tat — ihr Ermöglichungsgrund c) Die Tat - ihre Forderung d^ Die Tat — ihre Konsequenzen c) Der „Sitz im Leben" der Grundrede Kommentierte Synopse der Grundrede Die synoptische Darstellung der Grundrede
70 73 73 99 102 107 129 138 159 166 171 178 182 190 194 202 229 236 236 236 238 242 243 244 247 249 254 254 256 257 262 262 264 265 271 273 277 279
Verzeichnis der benutzten Literatur
307
Register der analysierten griechischen Wörter
316
Einleitung: Zur Aufgabenstellung Die These von der Existenz einer weiteren literarischen Quelle für Mt und Lk neben dem Markusevangelium1 ist alt, und die wissenschaftliche Beschäftigung mit ihr hat seither Generationen von Theologen in Atem gehalten. Zwei Phasen lassen sich in unserem Jahrhundert erkennen, die von einem besonders intensiven und fruchtbaren Umgang mit dieser Problematik gekennzeichnet waren: Zunächst erschienen Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre 2 zahlreiche Monographien zur Logienquelle, die bis heute wirksam geblieben sind. Rund zwei Jahrzehnte danach läßt sich ungeachtet aller wichtigen Unterschiede im Detail ein grundsätzlich analoges Phänomen beobachten. Wiederum können wir auf mehrere in kurzer Zeit aufeinanderfolgende umfangreiche Untersuchungen zurückgreifen3, die der Auseinandersetzung mit und um Q entscheidende neue Impulse verliehen. Spätestens seit Schulz' Standardwerk4 konzentriert sich dabei das Hauptaugenmerk in zunehmendem Maße auf zwei Teilbereiche: die form- und die redaktionsgeschichtliche Fragestellung. Diese Anzeige einer Grundrichtung wird zwar einigen Arbeiten, die dann im weiteren Gang meiner Ausführungen eine angemessene Berücksichtigung finden werden, nur bedingt gerecht; sie bringt aber zumindest ein Charakteristikum der gegenwärtigen Forschungslage, wie sie sich mir darstellt, ans Licht: Im Grunde wähnt man sich den literarkritischen Kinderschuhen entwachsen5, bereit und befähigt, auf scheinbar weitgehend
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Zu deren Bezeichnung ist das Sigel „Q* zum ersten Mal belegt bei Johannes Weiss, Die Predigt Jesu vom Reiche Gottes, 1892, 8. Vgl. Kümmel, Einleitung 37 A.47. 2 Schulz, Q, 1972 samt griechisch-deutscher Synopse; Hoffmann, Studien, 1972. Polags . D i e Christologie der Logienquelle" wurde zwar erst im Jahre 1977 veröffentlicht, jedoch bereits 1969 von der Theologischen Fakultät Trier als Dissertation angenommen. 3 Genannt werden müssen hier vor allem die Werke von Kloppenborg, Formation 1988, Sato, Q, 1988 und Kosch, Tora, 1989. Nicht zu vergessen das eminent bedeutsame Hilfsmittel Q Parallels, ebenfalls publiziert von Kloppenborg (1988). 4 5
S. Anm. 1.
So beklagt beispielsweise Hoffmann, Sorgen 130, daß Schulz, Q .noch zu stark einer wortstatistisch-literarischen Analyse verpflichtet" sei und .die in der redaktionsgeschichtlichen Arbeit gewonnenen Einsichten" zu wenig auswerte.
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Zur Aufgabenstellung
konsensfähigem Fundament stehend, die letztlich allein interessanten, da theologisch ausschlaggebenden Probleme wie die Eruierung einer Theologie von Q in Angriff nehmen und lösen zu können6. In einer kürzlich erschienenen Rezension Wiefels findet sich gar der bezeichnende Hinweis darauf, daß die .noch ausstehende(n) umfassende(n) Rekonstruktion des lukanischen Sondergutes ... nach der Aufarbeitung von Q als nächste große Aufgabe vor der synoptischen Forschung steht."7 Sind wir wirklich schon so weit? Kann die Ausgrenzung von Q als im großen ganzen aufgearbeitet gelten, wie es im o.g. Zitat vorausgesetzt ist? Obwohl eine solch optimistische Sicht keineswegs von allen, vielleicht nicht einmal von den meisten Neutestamentlern geteilt wird8, ist es meines Erachtens in der gegenwärtigen Forschungssituation dringend erforderlich, einen Augenblick innezuhalten und die Basis aller Bemühungen erneut zu reflektieren. An diesem Punkt der Diskussion möchte ich mit den folgenden Ausführungen den Versuch unternehmen, auf methodisch begründete Art und Weise eine stärkere Differenzierung innerhalb des gemeinhin Q zugewiesenen Materials herbeizuführen. Dies soll exemplarisch im Blick auf die .Grundrede" demonstriert werden, also diejenige Mt und Lk gemeinsame Vorlage von Bergpredigt und Feldrede, welche ansonsten in zunehmendem Maße als »Programmatische Rede Jesu"9 bezeichnet zu werden pflegt10.
6 Freilich scheint bereits Harnack kurz nach der Jahrhundertwende ein ahnliches Unbehagen empfunden zu haben: .Man ergeht sich in den sublimen Fragen ... (als wenn dem Kritiker die letzte Erkenntnis geschichtlicher Dinge aus einer geheimnisvollen Quelle zuflösse), aber die .niederen' Probleme, bei deren Behandlung Kärrnerarbeit zu leisten und Staub zu schlucken ist, werden umgangen.* (Sprüche 3). 7
Rezension zu Aus, Roger David, Weihnachtsgeschichte - Barmherziger Samariter Verlorener Sohn, 1988, in: T h L Z 115, 1990, 510 (Hervorhebung von mir).
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8 Stellvertretend sei hier auf das Diktum KJoppenborgs, Parallels xxii verwiesen: , A fully documented reconstruction of Q will eventually become available through the efforts of the SBL Q Seminar and the Institute for Antiquity and Christianity." In ihm zeigt sich, daß eine Vielzahl namhafter Q-Forscher, besonders auch in den USA, an dieser Stelle ein Desiderat erkannt hat und um seine Beseitigung bemüht ist. 9 Wohl als einer der ersten Bornkamm, Evangelien 759. Vgl z.B. auch Lührmann, Redaktion 54; Gnilka, Christusbild 115; Hoffmann, Studien 4; Merklein, Gottesherrschaft 243; Schulz, Q 78; Sato, Q 34; Kosch, Tora 216; Kosch, Jesus 33; Kuhn, Liebesgebot 204; Lohfink, Bergpredigt 24. Zeller, Logienquelle 27 spricht von einer Rede mit . f ü r Q programmatis c h e ^ ) Bedeutung*. Trotz anderer Terminologie hebt auch Hirsch, Frühgeschichte 44 (.Q-Predigt von der Liebe") auf inhaltliche Gesichtspunkte ab. 10 In vielen Fällen halte ich diese Sprachregelung für nicht glücklich, da mit ihr - zuweilen beabsichtigt, zuweilen nicht - der Eindruck erweckt wird, hier liege authentisch jesuanisches Traditionsgut vor. (Vgl. u.a. Holtzmann, Evangelien 174, der von der .historische(n) Bergrede" spricht.).
Zur Aufgabenstellung
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Es gilt, das überlieferungsgeschichtliche Verhältnis von Grundrede und Logienquelle zu klären angesichts der Tatsache, daß erstgenannte ein signifikant geringeres Maß an wörtlicher Übereinstimmung zwischen ihren Bezeugungen im Matthäus- und Lukasevangelium zeigt, als dies im Kernbestand von Q der Fall ist. Es wird daraufhin zu prüfen sein, ob dies nicht zwingend zu der Annahme einer von Q unabhängigen Quelle führt und damit den Weg freimacht für eine flexiblere Handhabung der Zweiquellentheorie11. Die vorliegende Arbeit unternimmt daher eine detaillierte wortstatistische Analyse des einschlägigen Textmaterials (Π.3.), deren Ergebnisse im darauf folgenden Kapitel Π.4. zusammengefaßt und dargestellt werden; hier befindet sich das Herzstück meiner Arbeit. Nach der Klärung einer Reihe von Fragen, die mit der Analyse gestellt sind, erfolgt abschließend eine inhaltliche Deutung der Grundrede. Exkurs: GRAMCORD Vorab bedarf es jedoch wenigstens einer kurzen Würdigung12 desjenigen Hilfsmittels, ohne welches ein beträchtlicher Teil der vorliegenden Ergebnisse nicht zustandegekommen wäre. Paul Α Miller, Direktor des GRAM-
Demgegenüber versucht der von mir gewählte Terminus .Grundrede" der Tatsache Rechnung zu tragen, daß es ausschließlich um eine respektive zwei literarische Quellenschriften geht, die der Feldrede bei Lk sowie dem Kern der Bergpredigt bei Mt zugrundeliegen, bemüht sich also um ein Höchstmaß an Neutralität. Insofern ist die Wahl eines solchen Begriffes in Analogie zu sehen zu der Einführung und weitgehenden Durchsetzung des Siglums Q in Abgrenzung von Bezeichnungen wie .Logienquelle" oder .Spruchquelle". Die Beantwortung von Fragen wie der nach der Authentizität bleibt hingegen explizit außerhalb meiner Zielsetzung: So ware bei .Grundrede' jede Assoziation mit .inhaltlich grundlegend" o.a. völlig verfehlt. Von Schürmann, Warnung 292 wurde im übrigen mit guten Gründen darauf aufmerksam gemacht, daß die Bezeichnung .Feldrede" eigentlich nicht zutreffend ist; die von ihm vorgeschlagene Alternative .Predigt am Berge' gibt den Sachverhalt angesichts der Lokalisierung sowohl auf der Ebene des Evangeliums als auch auf der literarisch vorangehenden zweifellos adäquater wieder. (Hirsch, Frühgeschichte 45 läßt an eine .große Bergwiese auf halber Höhe* gedacht sein!). Allerdings führt dies zu einer starken terminologischen Ähnlichkeit mit der .Bergpredigt" des Mt. Um der besseren Unterscheidbarkeit willen halte ich daher im weiteren am traditionellen Begriff .Feldrede* fest - eingedenk der geschilderten Unzulänglichkeit! 11 Nach Maßgabe meiner in dieser Arbeit nicht dokumentierbaren vorläufigen Bemühungen zu anderen Q-Passagen bietet ein solches Vorgehen über diesen konkreten Fall hinaus deutliche Ansatzpunkte für eine Ausdehnung des methodischen Prinzips auf weitere Teile des Mt-/Lk-Gutes. 12 Es kann und soll also mitnichten eine Einführung in die Arbeit mit dem vielschichtigen Instrumentarium, das GRAMCORD an die Hand gibt, geleistet werden; jedem interessierten Leser sei dafür eine Kontaktaufnahme mit dem unten bezeichneten Institut empfohlen.
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Zur Aufgabenstellung
C O R D Institute in Deerfield, Illinois, beschäftigt sich seit Ende 1976 mit einem Projekt, das es sich zum Ziel gesetzt hat, gerade auch komplexe grammatische Konstruktionen computerunterstützt analysieren zu können. Eine solche Aufgabe macht unabdingbar den Einsatz elektronischer Datenverarbeitung nötig, gilt es doch, eine grammatische Konkordanz für das gesamte Neue Testament zu erstellen. Dazu war es erforderlich, jedes einzelne Wort zunächst morphologisch zu identifizieren, um auf diese Weise zu einer data base syntaktischer Informationen zu gelangen13. Darüberhinaus erhielten viele Wortarten wie Präpositionen, Konjunktionen und Partikel, aber auch Pronomen funktionale Beschreibungen 14 . Das Resultat war G R A M C O R D l s , eine bis zum Äußersten 16 verfeinerte Chiffrierung des neutestamentlichen Textbestandes als Grundlage der angestrebten analytischen Operationen. Die zum Teil auf keinem mir sonst bekannten Weg erzielbaren Ergebnisse wurden jedoch erst dadurch möglich, daß die beschriebene Basis mit Hilfe einer Vielzahl von verschiedensten .commands" erschlossen werden kann. Nicht weniger als 35 verschiedene Optionen sowie unbegrenzte Kombinationsvarianten stehen dem Benutzer zur Verfügung. Sie reichen von der Eingrenzung der zu berücksichtigenden Bücher des Neuen Testaments über die Bestimmung der Länge eines Textabschnittes, innerhalb dessen sich die angefragten grammatischen Konstruktionen befinden müssen, bis hin zur allgemeinen Suche nach Verbindungen wie der conjugatio periphrastica oder der nach konkreten Verknüpfungen größter Komplexität 17 . Die Brauchbarkeit von GRAMCORD hat gewiß ihre Grenzen: Abgesehen werden sollte von einer nicht unerheblichen Einarbeitungszeit, die nach meiner Erfahrung keineswegs vor zeit- und nervenraubenden Fehlern bei
1 3 Konkret bedeutet dies zum Beispiel: Jeder Verbform werden fünf, bei Partizipien acht .tag fields" zugeordnet (person, number, tense, voice, mood; ggf. participial gender, number and case) sowie das jeweilige Lemma. 1 4 Bei den Konjunktionen beispielsweise wird zwischen zwei .subclasses" (koordinierend und subordinierend) unterschieden, die ihrerseits wiederum acht bzw. zehn Differenzierungsmöglichkeiten besitzen. 15
Dieser Begriff steht für „Grammatical concordance package program".
Meines Erachtens ist mit einer derart detaillierten Aufschlüsselung des Textbestandes die Grenze des sinnvoll zu Bestimmenden erreicht, in wenigen Ausnahmefallen vielleicht sogar schon überschritten; jedes Mehr ware hier sicherlich ein Weniger. 16
1 7 Genannt sei als Beispiel die Auflistung aller Belege, in denen περί ein femininer Artikel mit kongruentem femininen Nomen sowie ein maskuliner Artikel mit kongruentem maskulinen Nomen, jeweils im Genitiv, folgen, und zwar in ununterbrochener Abfolge (wie etwa bei περί της βασιλείας τοϋ Οεοϋ)!
Zur Aufgabenstellung
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der Formulierung der „command fields" schützen; abgesehen werden sollte auch von der banalen Tatsache, daß dieses wie alle Programme nur so viel leistet, wie sein Anwender es leisten läßt. Wichtig ist dagegen der Hinweis auf die oft mühselige Kleinarbeit von Hand, mit der seitenlange Listen von Lösungsangeboten auf ihre Brauchbarkeit hin überprüft werden müssen, wenn dies über das Programm selbst nicht erfolgen kann. Berechtigt sind zuweilen auch Zweifel an der Zuordnung bestimmter Worte zu den einzelnen Kategorien und Unterkategorien 18 . Daneben soll betont werden, daß G R A M C O R D primär morphologisch arbeitet, eine immer wieder ersehnte Suchmöglichkeit nach Objektsgenitiven oder Verben im praesens historicum also ausscheidet. Schließlich bedarf es eines immensen Aufwandes, um auf den ersten Blick simpel erscheinende Probleme zu lösen, wenn dies denn überhaupt möglich ist: So existiert keine eindeutig definierbare Kategorie „Substantiv", weil Nomen, Pronomen, Adjektive und Partizipien gleichermaßen als Substantive fungieren können19. Obwohl G R A M C O R D diesen und manch anderen Beschränkungen unterworfen ist, stellt es ein Hilfsmittel mit einer enormen Potenz auf den unterschiedlichsten Anwendungsgebieten bereit. Damit trägt es in erheblichem Maße dazu bei, den Auswertungen und den auf ihnen ruhenden theologischen Konsequenzen ein solides Fundament zu verschaffen.
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Vgl. hierzu u.a. das in A.43 unter 3.e) zu καί Ausgeführte.
Man milßte folglich alle in Frage kommenden Wortarten gesondert analysieren - eine umständliche Prozedur, die zudem darauf angewiesen ist, daß sämtliche vorhandenen Möglichkeiten vorab (über eine Grammatik) bekannt sind, was bei anders gelagerten Fällen als dem beschriebenen zu großen Schwierigkeiten oder falschen Resultaten führen kann. 19
I. Die Logienquelle 1. Was ist Q? - Zur Geschichte der Forschung α) Vorbemerkung Beginnen möchte ich dieses Kapitel mit dem üblichen und nötigen Verweis auf all das, was im folgenden nicht dargestellt wird, d.h. mit der Eingrenzung seines Gegenstandes. Es kann und soll nicht um einen Abriß der Geschichte der synoptischen Frage1 gehen, pie grundsätzliche Problemstellung setze ich als bekannt voraus, Lösungsvorschläge vor und neben der Zweiquellentheorie finden allenfalls dort Berücksichtigung, wo sie bei der eng begrenzten Aufgabenstellung dieser Arbeit weiterführend scheinen. Von leitendem Interesse sind vielmehr folgende Überlegungen: Wie und warum kam man darauf, eine Logienquelle zu postulieren und inwieweit haben sich die Motive und Argumente bis heute möglicherweise verschoben? Nach welchen Kriterien bestimmte man ihren Umfang — und bestimmt ihn heute2? Weiter: Welche Erklärungen fand und findet man für die Beobachtung, daß hinsichtlich der wörtlichen Übereinstimmungen erhebliche Unterschiede zwischen Texten bestehen, die in gleicher Weise dieser Quelle zugeschrieben werden? Und schließlich: Wo wird in diesem Szenario die Grundrede angesiedelt? Dennoch wollen meine Ausführungen auch für diese eingeschränkte Thematik keinen umfassenden und vollständigen Überblick bieten, der etwa die Entwicklung der letzten 130 Jahre detailliert nachzeichnete - das wäre „eine eigene" Aufgabe, die hier nicht geleistet werden kann. Vielmehr möchte ich versuchen, die Positionen einzelner Forscher zu konturieren, deren Beiträge in der Folge einen maßgeblichen Einfluß gewannen oder in
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Derartiges ist nachzulesen in jeder Einleitung zum N e u e n Testament, gut z.B. W.G. Kümmel, ^WSO, 13ff. 2 Es geht gleichwohl auch an dieser Stelle nicht um eine Rekonstruktion des Umfangs von Q insgesamt - meine Arbeit widmet sich lediglich einem beschränkten Teil des dieser Quelle zugeschriebenen Materials.
Neben den 16 bei Moffatt, Introduction 197ff dokumentierten Wiederherstellungen bis nicht lange nach der Jahrhundertwende gibt es im Verhältnis zur Vielzahl von Publikationen zur Logienquelle nur wenige vollständige Rekonstruktionsversuche in neuester Zeit: v.a. Polag, Fragmenta; Sato, Q 18f; Schenk, Synopse; Schulz, Q; Zeller, Kommentar.
Was ist Q? - Zur Geschichte der Forschung
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ihrer Besonderheit Wirkung erzielten, sowie derjenigen, die aufgrund ihrer Publikationen die Diskussionslage in der Gegenwart (mit)bestimmen 3 . Dadurch entsteht ein partiell kommentiertes Kaleidoskop von Meinungen, die je das in ihnen zum Ausdruck kommende SpeziGkum erkennen lassen und gerade aufgrund dieser Mannigfaltigkeit d e n Blick schärfen können für e i n e angemessene Behandlung des Sachverhalts. b) Heinrich Julius
Holtzmann
Nicht zu Unrecht gilt Holtzmann als einer der Väter der Zwei-QuellenTheorie, insofern durch ihn als erstem schon sehr viel früher als bei anderen Gedanken(-splitter), die in diese Richtung wiesen, aufgenommen, entscheidend weitergeführt und argumentativ grundlegend abgesichert wurden; erst seit Holtzmann kann im eigentlichen Sinne v o n einer literarischen Theorie gesprochen werden 4 . In seiner Schrift . D i e synoptischen Evangelien" von 1863 unterscheidet er zwischen zwei Quellen, die er mit den Sigla Α und Λ bezeichnet; Α steht für s o etwas wie e i n e n Urmarkus, dessen Umfang und Inhalt jedoch stark v o n ähnlichen Hypothesen abweicht, während Λ 5 im großen ganzen dem entspricht, was wir mit „Q" zu bezeichnen pflegen.
3 Bewußt nur in einer Fußnote mag betont werden, daß die erforderliche Auswahl immer subjektiv bleiben und damit unweigerlich kritische Einwände anziehen wird; so mag es überraschen, daß Forscher wie Robinson oder Neirynck, die bei der Beschäftigung mit Q nicht fortzudenken sind, an dieser Stelle meiner Arbeit keine gesonderte Berücksichtigung finden die Ausrichtung ihrer Beiträge legt es meines Erachtens eher nahe, sie in anderen Zusammenhängen zu Wort kommen zu lassen. Entsprechendes gilt für die Darstellung der Positionen selbst, insofern z.B. die dabei erfolgende Gewichtung hinterfragt werden kann. In allen diesen und anderen Fällen habe ich mich gleichwohl bemüht, größtmögliche Objektivität walten zu lassen, ohne eine völlig neutrale, von meiner eigenen Überzeugung abstrahierende Darstellungsweise zu wählen. 4 Seine Vorgänger wie Wilke und Weisse fügten zwar bereits 25 Jahre früher ihnen schon seit Schleiermacher vorausgehende Überlegungen zu einem umfassenden Lösungsangebot zusammen. Doch standen ihre literarischen Einsichten bestenfalls gleichrangig neben traditionalistischen Motiven: Man war überzeugt, es mit der bei Papias bezeugten Spruchsammlung zu tun zu haben. (Zu den frühen Implikationen der Zwei-Quellen-Theorie für die Leben-JesuForschung vgl. Schmithals, Evangelien 593f und die dort angegebene Literatur). 5 Das Siglum Λ leitet sich hier wie bei zahlreichen anderen Autoren jener Zeit her vom Titel der bekannten Schrift des Papias .Λογίων κυριακών έξήγησις" (vgl. Euseb, KG III, 39,15f), die vor allem in jener frühen Phase der Forschung an den Synoptikern verständlicherweise von besonderer Bedeutung war als Anknüpfungspunkt für das Postulat einer weiteren Quelle neben Mk.
16
Die Logienquelle
Den Ausgangspunkt stellen für ihn folgende Beobachtungen dar 6 : Subtrahiert man den Α-Stoff vom Mt-Evangelium, läßt sich erkennen, daß der Rest an fünf bis sechs Punkten massiert begegnet; auch bei Lk wird ein ähnlicher Befund sichtbar, insofern er diese Texte fast ausnahmslos zwischen 9,51 und 18,14 sammelt, ohne sie in die chronologische Ordnung von A einzufügen. Die Zusammenstellung in Mt erfolgt dabei nach inhaltlichen Gesichtspunkten. Vor allem aber sind diejenigen Redeteile für ihn ausschlaggebend, die bis auf den Ausdruck übereinstimmen. Diese nahezu wörtliche Konvergenz bildet nach Holtzmann das entscheidende Kriterium zur Bestimmung des Umfangs von Λ 7 : Mit Stringenz und innerer Folgerichtigkeit postuliert er denn auch, daß Λ Mt und Lk in der gleichen griechischen Form 8 vorlag, ja die entsprechend konsequente Beschreibung einer hypothetischen Λ-Genese kommt zu einem Urteil wie dem: »Wir werden unter den übereinstimmenden Stellen des Matthäus und Lucas keine einzige finden, die uns nöthigte, den Grund der Differenzen in der Harmonie, etwa auf verschiedene Recensionen dieser zweiten Quelle, auf verschiedene Übersetzungen, oder gar auf blos mündliche Überlieferung zurückzuschieben." 9 Die Differenzen gehen stattdessen auf redaktionelle Eingriffe der Evangelisten zurück, die, allerdings in deutlich abweichender Intensität, besonders durch sekundäre Ein- und Anordnungen Modifikationen vornehmen. Dabei steht die in Lk erhaltene Fassung der ursprünglichen Α-Version bedeutend näher als die matthäische 10 , obgleich auch Lk arrangieren mußte, um die in Λ gar zu unverbundenen Fragmente überhaupt verwerten zu können. Holtzmann kann auf die Praktikabilität seiner Überlegungen hin jedoch kaum befragt werden, da er weitgehend darauf verzichtet, den Umfang von Λ detaillierter anzugeben; vermutlich wäre er bei einer konkreten Umsetzung mit seiner Beschränkung auf Änderungen durch die Evangelisten in arge Schwierigkeitei: geraten.
6
Evangelien 126ff.
K n a p p drei Jahrzehnte später ist für ihn mit dem Hinweis auf die Dubletten ein anderes Moment in den Vordergrund getreten (Einleitung 362). 7
8
Evangelien 162.
Evangelien 128. In der dritten Auflage seiner Einleitung von 1892 schließt er hingegen die Möglichkeit, daß Mt und Lk zwei verschiedene Redaktionen benutzt haben, nicht mehr kategorisch aus (366). 9
1 0 Holtzmann, Evangelien 130 fragt rhetorisch: . W a s ist an sich wahrscheinlicher: daß L u c a s die großen Bauten mutwillig zerschlagen und die Trümmer nach allen vier Winden auseinandergesprengt, oder daß Matthäus jene Mauern aus den Steinhaufen des L u c a s erbaut habe?·
Was ist Q? - Zur Geschichte der Forschung
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Merkwürdig, beinahe absonderlich mutet auf jeden Fall seine These 11 an, die Urfassung der Bergrede habe in Α gestanden. Das Hauptargument bilden seine Beobachtungen zur Akoluthie: Sowohl die Reihung der Redestücke selbst als auch die Abfolge von Jesu Gang auf den Berg, seiner Anrede an die Apostel sowie dem Anschluß der Hauptmann-Perikope 12 zeigten ein Maß an Übereinstimmung, das sonst nur gegenüber dem MkGut zu beobachten sei; außerdem offenbare sich hinter Mk 3,20a eine Lücke, die auf den Ausfall der Bergrede an dieser Stelle hindeute. Die bekannten und meines Erachtens unüberwindlichen Hindernisse gegenüber einer solchen Anschauung 13 brauchen nicht weiter erörtert zu werden, da sie letztlich eine Episode blieb und von Holtzmann selbst in einer späteren Publikation nicht mehr vertreten wurde14. Festzuhalten bleibt jedoch jenseits einer konkreten Benennung der Quelle, daß für ihn die „Selbigkeit des Stoffes"15 von Lk 6,20-49 und Mt 5—7 klar zu Tage liegt: bis auf wenige Ausnahmen 16 gibt Lk seine Vorlage wieder, während Mt massiv überarbeitet. c) Paul Ewald 1890 veröffentlicht Ewald sein Werk .Das Hauptproblem der Evangelienfrage", in dem schon keine eigentliche Rechtfertigung für die Annahme der Existenz von Λ mehr erfolgt, sondern lediglich ihre Gestalt Gegenstand der Erörterung ist. Er verficht im Gegensatz zu Holtzmann eine weitgehende Priorität der matthäischen Fassung, sieht also Λ als im wesentlichen durch große Redekompositionen charakterisiert an17. Die Leistung Ewalds aber ist die klar strukturierte Einteilung der gesamten Doppeltradition in drei Kategorien, deren Abgrenzung nach dem Maß
11
Evangelien 7 5 - 7 7 .
12
Zutreffend hebt Holtzmann, Evangelien 75 hervor, daß Mt redaktionell ein Element des Mk-Stoffes (Mk 1,40-44) dazwischenschiebt und somit die ursprüngliche Zusammengehörigkeit der beiden Komplexe künstlich aufbricht. 13 A u s welchem Grunde fehlt beispielsweise der gesamte Bergpredigt-Abschnitt in unserem Mk-Exemplar? 14
. S o muss die Uebereinstimmung zwischen Mt und Lc aus dem zwischen beiden Evangelien bestehenden literarischen Verhältniss erklärt werden, weil auch bei Herleitung der Rede aus der Spruchsammlung es sich noch immer um ihre wesentlich gleiche Stellung bei Mt und Lc handelt." (Synoptiker 58). 15
Evangelien 75.
16
Nach Holtzmann, Evangelien 76f sind lediglich Spuren sprachlicher Bearbeitung durch Lk zu erkennen; Lk 6,39.40 wurden von ihm an diese Stelle versetzt (vgl. S. 183; 191; 220). 17
Evangelienfrage 29; vgl. auch 237.
18
Die Logienquelle
der wörtlichen Übereinstimmung erfolgt18. Er unterscheidet dabei eine erste Klasse von Überlieferungsmaterial mit nahezu totaler Gleichheit des Wortlauts von einer zweiten, zu der Stoff mit erheblicheren Variationen zählt. Schließlich führt er die in unserem Zusammenhang besonders wichtige dritte Kategorie ein, deren zugehöriges Traditionsgut zwar nach Inhalt und Anordnung im ganzen kongruent ist; sobald jedoch der Blick auf den Umfang der Perikopen oder ihre Textgestalt gerichtet wird, überwiegen die Differenzen bei weitem. Was bedeutet dies nun für die Bestimmung von A? Ewald hält aufgrund seiner Beobachtungen, anders als noch Holtzmann, nicht mehr an der Einzigkeit einer Quelle Λ für das gesamte Material der Doppeltradition fest. Während er nachdrücklich die .ungemein hohe Wertschätzung der Quelle" und .eine ungemein weitgehende auch formale Abhängigkeit" in Bezug auf Kategorie I hervorhebt, formuliert er mit schneidender Schärfe: .Und da sollen wir glauben, daß derselbe Schriftsteller gegenüber derselben Quelle ohne andere als subjektive Gründe sich in der Weise selbständig verhalten hätte, wie es bei den Perikopen der zweiten und dritten Klasse ... der Fall erscheint."19 Angewandt auf die Bergpredigt bedeutet das für ihn die Unmöglichkeit, dieses Traditionsstück Λ zuzuordnen! Allerdings erfolgt diese Einschätzung nicht einheitlich: Lk 6,4If par gehören seiner Ansicht nach ganz offensichtlich der ersten Klasse an, und so teilt er diese beiden Verse der Quelle Λ zu. Obwohl zuweilen ein anderer Eindruck entsteht20, ist dies nicht der einzige Fall von einem gegenüber dem Gros des Stoffes differierenden literarkritischen Urteil: Ausdrücklich nennt er die Makarismen als Beispiel dafür, daß Lk auch dort, wo er seine Vorlage Λ verläßt, dies nicht sozusagen blockweise und dann ohne Einschränkung tut, sondern im Gegenteil aus dieser Quelle entlehnte Sätze mitten in solche Zusammenhänge hinein piaziert21. Es fehlt daher neben anderen Gesichtspunkten, die im Verlauf meiner Arbeit eine Rolle spielen werden, letztlich vor allem auch ein klares Bild davon, wie man sich die Motivation und Durchführung einer derartigen Quellendurchdringung vorzustellen hat.22
18
Evangelienfrage 216f.
19
Evangelienfrage 2 1 8 - 2 2 1 .
20
Ewald konstatiert in Evangelienfrage 226 eine abgesehen von Lk 6,41f .fast durchgängig abweichende(n) Relation der Bergpredigt" und weist diese ohne die genannten Verse in toto der dritten Kategorie zu (217). 21 22
Evangelienfrage 227.
Ewald, Evangelienfrage 226 begnügt sich mit einer Bemerkung wie: „Ix. weicht von der Form (wie von dem Inhalt) der Quelle Λ in der Regel nur da erheblich ab, w o ihm eine
Was ist Q? - Zur Geschichte der Forschung
19
Nichtsdestoweniger bleibt als großes Verdienst Ewalds festzuhalten, daß er wohl als erster in methodisch sauberer Form die Bergpredigt und die Mt und Lk gemeinsame Quelle auseinandergehalten hat. d) Paul Wemle
Einen ambivalenten Eindruck hinterlassen Wernles Ausführungen über „Die synoptische Frage" aus dem Jahre 1899. Zunächst einmal vertritt er in bruchloser Fortführung der Ansichten seiner Vorgänger die Prämisse, daß wörtliche Übereinstimmung entscheidendes Kriterium für die Bestimmung der Spruchquelle23 sei24. Mehr noch: Geht es um die Bearbeitung von Q, so konstatiert Wernle schon bei Lk eine große, oft peinliche Treue zur Vorlage, die allein in Ausnahmefällen in erheblicherem Umfang verlassen wird25; eine Veränderung unter sachlichem Aspekt bestreitet er gänzlich26. Da er zudem sprachliche Eingriffe durch Mt in noch wesentlich geringerem Ausmaß als bei Lk festzumachen vermag27, bliebe eigentlich nur die Quintessenz, eine für beide Evangelisten weitestgehend identische Logienquelle anzunehmen28. Doch Wernle zeichnet im Gegenteil ein außergewöhnlich facettenreiches Bild von der Geschichte dieser Sammlung, was durch folgendes Zitat illustriert werden soll: .Die Vermutung scheint nicht ungerechtfertigt, daß die Spruchsammlung vom Augenblick ihrer Entstehung eine fortwährende Geschichte durchgemacht hat bis zu ihrer Aufnahme in Mt und Lc. Als die Hinterlassenschaft Jesu für die Gemeinde gehörte sie jedem Einzelnen an,
andere Quelle, eine andere nach seinem Urteil gleich- oder mehrwertige, bez. eine andere ihm geläufigere mündliche oder schriftliche Überlieferung zu Gebote steht.* Man darf indes nicht vergessen, daß er sich der Bergpredigt nur beispielhaft annehmen kann und will, da das Anliegen seines Buches ein wesentlich umfassenderes ist. 23
Hier wird zum ersten Mal im Kontext einer spezifisch literarkritischen Arbeit das Sigel „Q" verwendet. 24 .Überall, wo Mt und Lc wörtlich zusammentreffen, liegt der Text der Spruchsammlung vor.' (Frage 80) 25
Es handelt sich nach Wernle vor allem um Gleichnistexte, die vom Evangelisten als Erzählungen betrachtet wurden und damit nicht die gleiche Autorität wie Herrenworte besaßen; daneben verweist er besonders auf verschiedene Modifikationen, um Rede in Erzählung umsetzen zu können (Frage 81f). 26 Wernle, Frage 84ff, verwirft die These, Q hätte Lk in judenchristlich-ebionitischer Bearbeitung vorgelegen, für die Hauptmannperikope und die Gerechtigkeitsrede (Lk 6 , 2 0 49). 27 28
Frage 179f.
In diese Richtung könnte in der Tat Wernles, Frage 233, Diktum weisen: .Nur davor ist zu warnen, daß man sich den Unterschied der Vorlagen des Mt und Lc zu groß vorstelle.·
20
Die Logienquelle
und jeder hatte das Recht, sie zu ergänzen oder zu verbessern. Es werden vermutlich wenig gleich lange Exemplare existiert haben. Zwischen der ersten Niederschrift (Q) und der Sammlung, die Mt (Q Ml ) und Lc ( Q u ) vorfanden, standen Q 1 , Q 2 , Q 3 , deren Scheidung für uns freilich vergebene Mühe wäre. Eine einzelne Etappe auf diesem Weg bedeutet die judaistische Gestalt (Q1)."29 — Wie Wernle unter solchen Voraussetzungen dennoch am obengenannten Kriterium festhalten kann, ist mir nur schwer verständlich30. Nicht weniger überraschend sind Wernles Ausführungen zu der von ihm so genannten „Gerechtigkeitsrede" 31 . Obwohl nach ihm wörtliche Übereinstimmung ziemlich selten ist32, obwohl er für Lk und Mt jeweils tiefgreifende redaktionelle Tätigkeit behauptet, wenn z.B. der eine (Lk) die vorgegebene Rede kürzt, der andere (Mt) sie erweitert, so daß der .bessere Text" einmal hier und einmal dort begegnet 33 , obwohl er darüberhinaus davon spricht, daß Bergpredigt und Feldrede .freie Variationen einer gemeinsamen Vorlage" 34 seien, die schon vorredaktionell in abweichendem Umfang existierte 35 , scheut er sich nicht, auch für diesen Überlieferungszusammenhang von einer Quelle auszugehen, die sich maßgeblich durch wörtliche Übereinstimmung definiert! Auch hier vermag ich ihm in keiner Weise zu folgen. e) Julius Wellhausen Wesentlich differenzierter urteilt da Wellhausen in einer Vorbemerkung zu seinem Matthäuskommentar .Evangelium Matthaei" von 1904, in welchem er die zu erklärenden Phänomene prägnant benennt und Lösungsmöglichkeiten andeutend aufzeigt, hinter die manch einer nach ihm wieder zurückfiel36: „Die bei Mc fehlenden Stücke, die Mt mit Lc gemein hat, bezeichne
29
Frage 231 (Hervorhebung von mir).
30
Zur weiteren Kritik an diesem und ähnlichen Ansätzen siehe am Ende des Kapitels über die Logienquelle. 31
Dieser Terminus steht in etwa für das, was ich mit .Grundrede" bezeichne.
32
Frage 62.
33
Frage 64.
34
Frage 80.
35
Frage 231.
36
Ein Beispiel unter vielen ist Bernhard Weiss, Die Quellen des Lukasevangeliums, 1907, der zwar angesichts von Lk 3,7-9.17 par schreibt: .Wenn wir hier diese Worttreue noch weiter (sc. als gegenüber Mk) gehen sehen, so wird der Grund davon seine (sc. des Lk) höhere Wertschätzung dieser Quelle sein.' (63). Wenige Seiten später hindert ihn das jedoch keines-
Was ist Q? - Zur Geschichte der Forschung
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ich wie üblich mit Q. Sie stimmen mehr oder weniger bei Mt und Lc überein, teils nur im Inhalt, meist auch in der Form, aber dann manchmal nicht im griechischen Wortlaut, manchmal auch in diesem, jedoch wiederum mit Unterschieden des Grades: auf das verwickelte Problem, das dadurch gestellt wird, ist man bisher zu wenig eingegangen. Daß alle dem Mt und Lc gemeinsame Stücke aus einer einzigen Quelle entlehnt seien, braucht nicht angenommen zu werden und läßt sich nicht beweisen. Aber bei manchen, namentlich bei den ersten, läßt sich eine feste Reihenfolge, in der sie sowol bei Mt als bei Lc erscheinen, erkennen und darum in der Tat ein literarischer Zusammenhang vermuten. Diese unterscheide ich durch einen Asteriskus und bezeichne sie mit Q*."37 Diese elementare Unterscheidung zwischen Q auf der einen und Q* auf der anderen Seite, wird in der Literatur nur allzuoft übersehen. f ) Carl S. Patton In ganzer Breite widmet sich dann wieder Patton, Sources of the Synoptic Gospels, 1915 diesem Themenbereich. Seine Ausarbeitung gewinnt, einmal abgesehen von ihrer durchgängigen Solidität und Aufrichtigkeit38, dadurch besonders große Überzeugungskraft, daß der Autor nach eigenem Bekunden seine Untersuchung mit dem Ziel begann, Q auf jene Passagen zu beschränken, deren Maß an Übereinstimmung eine solche Zuweisung rechtfertigt; er scheiterte jedoch mit diesem Vorhaben und übernahm stattdessen die Theorie von zwei Q-Versionen (Q Ml und Q1*)39. Immer wieder bricht sich das bei ihm explizierte und diesem oder jenem anderen wohl zu unterstellende Motiv für diese Entscheidung Bahn: Die Bestandswahrung für q40.
wegs, grundlegende Differenzen zwischen Bergpredigt und Feldrede mit einer solchen Einschätzung in Einklang zu bringen. (92f u.a.). 37 Evangelium Matthaei 3f. Nebenbei bemerkt ist es erstaunlich, daß ganze zwölf Jahre nach der ersten Verwendung des Sigels „Q" hier schon von einer .üblichen" Bezeichnung gesprochen werden kann! 38 Unter diesem Begriff verstehe ich das offene Eingeständnis von Schwächen oder einfach fehlenden Lösungsangeboten innerhalb des eigenen Werks - eine Stärke, die ich manch einer Arbeit wünschen würde, um unseren wissenschaftlichen Bemühungen den Absolutheitsnimbus zu nehmen, der nur allzu oft ihren tastenden und fragenden Charakter kaschiert. 39 40
Sources 128 A l .
.The assumption of the two recensions therefore has the advantage of preserving the section for Q, without the disadvantage of ascribing to Luke a wholly unwarrantable amount of reworking." (Sources 227).
22
Die Logienquelle
Patton meint, auf diese Weise sowohl die redaktionelle Tätigkeit der Evangelisten auf ein belegbares Maß reduzieren als auch gleichzeitig auf das Postulat einer Vielzahl von Quellen verzichten zu können. Dafür ist er allerdings genötigt, zwischen der Abfassung von Q, die er um 60 ansetzt, und der Benutzung durch Mt und Lk (85-95) eine Phase dramatischer Veränderungen anzunehmen; den Einfluß mündlicher Tradition und die Anpassung an die Bedürfnisse und Gegebenheiten der jeweiligen Rezipienten macht er dafür geltend41. Im Hinblick auf die Behandlung der gemeinsamen Vorlage von Bergpredigt und Feldrede ergibt sich daraus für ihn die doppelte Erkenntnis, daß unzweifelhaft Zeichen literarischer Verbindung bestehen, die Diskrepanzen aber im allgemeinen wesentlich größer sind als zwischen den Seitenreferenten und Mk und nur sehr selten auf deren Redaktion zurückgeführt werden können. So erscheint die matthäische Version der Grundrede fast komplett als Teil von Q M| , und Entsprechendes gilt für die Feldrede und Q u .
g) Burnett Hillman Streeter Bis auf den heutigen Tag übt Streeter in weiten Bereichen vor allem der angelsächsischen Forschung bleibenden Einfluß aus mit seiner erstmals 1924, maßgeblich dann in der vierten Auflage von 1930 seines Werkes »The Four Gospels" entwickelten Vier-Quellen-Theorie; im deutschsprachigen Raum führt er dagegen eine Randexistenz und wird eher als (herausragender) Repräsentant eines beinahe doch als exotisch eingeschätzten Wissenschaftsstroms betrachtet, der die bei uns weithin gültigen Prämissen nicht ohne weiteres anzuerkennen bereit ist. Es wird nicht nur an dieser Stelle vonnöten sein, den Dialog und das gegenseitige Verständnis füreinander stärker als bisher schon zu fördern. „The symbol Q, by itself, stands for a perfectly definite concept — a written document from which both Matthew and Luke made copious extracts with some slight amount of editorial change." 42 Klarer läßt sich der Ansatzpunkt für ein aus meiner Sicht legitimes Postulat einer von Mt und Lk benutzten Quelle neben Mk nicht formulieren — hieran werde ich im weiteren anzuknüpfen haben. Streeter hebt von einem so definierten Dokument Q all jene Passagen ab, die allein bei Mt belegt sind, sowie solche, die ob ihrer geringen wörtlichen Ähnlichkeit nicht gut der Logien-
41
Sources 220; 126. Zur grundsätzlichen Kritik siehe wiederum am Ende des Kapitels über die Logienquelle. Die Tatsache eines von ihm vermuteten aramäischen Originals bleibt dagegen ohne weitere Konsequenzen (123). 42
Gospels 236.
Was ist Q ? - Zur Geschichte der Forschung
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quelle zugerechnet werden können43. Diesen Stoff proklamiert er als dritte Quelle des Mt, „M" genannt, während ihn ein analoges Vorgehen bei Lk zu dessen dritter literarischer Vorlage, „L", führt. Die diesbezüglichen Einzelheiten spielen hier keine Rolle; wichtig ist stattdessen, daß Streeter die augenfälligen Diskrepanzen zwischen matthäischen und lukanischen Texten, die gemeinhin Q eingegliedert werden, sowohl auf .cycles of oral tradition"44 als auch eben auf Dokumente, welche diese enthalten und verarbeiten (z.B. Μ und L), zurückführt. Er verwirft folgerichtig die Theorie von unterschiedlichen Q-Rezensionen, die in je anderer Gestalt auf die Evangelisten kamen, und wertet sie als eine Verschleierung des Zusammenbruchs der klassischen Zwei-Quellen-Theorie45. Auch Streeter benutzt Bergpredigt und Feldrede als Probe aufs Exempel für seine Vier-Dokumenten-Hypothese und kommt dabei zu dem Ergebnis, daß Mt zwei unterschiedliche Reden kombiniere: Eine aus Q, die praktisch mit der lukanischen Feldrede identisch sei, und eine aus M, dem großen Sammelbecken für das gesamte nicht Mk oder Q zuschreibbare Material. Allerdings mutet es merkwürdig an, von einer Q-Rede zu sprechen, wenn die im Grunde einzigen umfangreicheren Passagen, die Streeter nach Maßgabe seines eigenen Kriteriums für Q-Zugehörigkeit als aus ihr entnommen einsichtig machen kann46, Mt 7,1—5.24—27 sein sollen47! Denn zum einen ist es mindestens erstaunlich, ausgerechnet das Gleichnis vom Hausbau den Anforderungen wörtlicher Übereinstimmung entsprechen zu sehen48. Zum anderen leuchtet es mir nicht recht ein, inwiefern einige wenige Verse eine hinreichende Basis abgeben können für die Behauptung, eine der beiden Reden habe in Q gestanden — ganz zu schweigen von ande-
4 3 .... I will assign to Matthew's third source all discourse peculiar to Matthew, and also that part of the material usually assigned to Q which differs so much from its Lucan parallels as to have suggested the need for the Q M i hypothesis; retaining Q as the name of the source o f the close parallels only.· (Gospels 231). 44
Gospels 184.
. T h e ,Two Document Hypothesis', so far as it concerns the non-Marcan element in Matthew and Luke, has broken down. But the breakdown has been concealed by the hypothesis that Matthew and Luke made use of two different recensions of Q which have been styled respectively Q M l and Q L k . * (Gospels 235). 45
4 6 Mt 6 , 2 2 - 3 3 par und 7 , 7 - 1 1 par stammen nach ihm zwar ebenfalls aus Q, wurden aber redaktionell an diese Stelle versetzt (vgl. Gospels 249). 47
Gospels 251.
Gerade für Mt 7 , 2 4 - 2 7 par müßte doch gelten, was Streeter, Gospels 251, von fast allen anderen Partien der Bergpredigt sagt, nämlich daß eben so viel Ähnlichkeit mit den Versionen der Feldrede besteht, wie man bei verschiedenen Traditionen desselben Logions erwarten kann. 48
24
Die Logienquelle
ren Einwänden z.B. bezüglich der Wahrscheinlichkeit, daß in zwei vollkommen unterschiedlichen Dokumenten zwei Reden mit in vielem übereinstimmendem Inhalt und Aufbau zu finden gewesen sein sollen49. Dies alles darf jedoch auf keinen Fall den Blick verstellen für den immensen Fortschritt, den die Beschäftigung mit synoptischen Themen durch Streeters Arbeit gemacht hat und der von ihm an einem mir besonders wichtigen Punkt unnachahmlich folgendermaßen zusammengefaßt wird: „We cannot fall back on Q M | and Q u as a kind of Limbo for innocent sayings unfortunately disqualified from entering Q.*50 h) Wilhelm Bussmann Fast zur selben Zeit wie Streeters Opus erscheint das zweite Heft der „Synoptische(n) Studien" von Bussmann über die Redenquelle (1929). Er setzt ebenfalls damit ein, daß er das Maß der Abweichungen innerhalb des Materials der bei ihm ,R" genannten Logienquelle analysiert. Dabei kommt Bussmann zu dem Resultat, es ließen sich zwei Gruppen annähernd gleichen Umfangs eruieren, deren eine verbotenus übereinstimmt, während die andere in Sprache, Vokabular, Wortfolge oder gar der gesamten Ausdrucksweise massiv auseinandergeht s< . Im weiteren Verlauf seiner Untersuchung bemüht sich Bussmann nun, diesen beiden Gruppen näher auf die Spur zu kommen, indem er versucht, den Nachweis zu führen, daß jede von ihnen ein besonderes Sprachgut besitze und inhaltliche Charakteristika aufweise, ja daß man sogar einige Dubletten entdecken könne und beide Überlieferungsstränge einen je einsichtigen Aufbau zeigtenS2. Seine Schlußfolgerung lautet: „In R sind zwei Sammlungen miteinander vereinigt, die ursprünglich getrennt gewesen sind, eine auch Erzählungen enthaltende und die andere nur Reden enthaltende, also wohl das eigentliche R." 53 Bei Bussmann spielt dabei die Annahme verschiedener Übersetzungen eine beherrschendere Rolle als bei den meisten seiner Vorgänger. Er geht nämlich davon aus, daß die zweite Reihe, also jene mit großen Abweichungen zwischen Mt und Lk, den Evangelisten in verschiedener Übersetzung vorlag, die mindestens teilweise die Unterschiede erklären kön-
49 Zur weiteren Erörterung dieses Fragenkomplexes siehe am Ende des Kapitels über die Logienquelle. 50
Gospels 238.
51
Studien 118.
52
Studien 123ff.
53
Studien 137.
Was ist Q? - Zur Geschichte der Forschung
25
nen54; in diesem Zusammenhang vermutet er darüberhinaus, daß Lk selbst für die Übersetzung seines Exemplars verantwortlich gewesen ist55. Die erste Reihe hingegen existierte, wenigstens zur Zeit der Abfassung der Evangelien von Mt und Lk, allein in griechischer Form. Besonders pikant, aber doch auch zusätzlich fragwürdig wird Bussmanns Analyse dadurch, daß er gerade die zweite Reihe in Anlehnung an das immer wieder einmal herangezogene Papiaszitat für das eigentliche R hält, damit also völlig von einer Definition der Logienquelle über die Wortlautübereinstimmungen abkommt56! Dieser auf solche Weise neu verstandenen Vorlage ordnet er schließlich auch die Masse der sowohl in der Bergpredigt als auch in der Feldrede begegnenden Perikopen zu, obwohl er im Einzelfall durchaus mit einer Überschneidung beider Reihen rechnen kannS7. Bussmanns große Leistung, die bis heute nichts von ihrer Bedeutung eingebüßt hat, liegt vor allem darin, pointiert auf das Nebeneinander von großer wörtlicher Übereinstimmung und eklatanten Diskrepanzen in einem Material hingewiesen zu haben, welches dennoch gemeinhin derselben Quelle, Q, zugeschrieben wird - bezeichnenderweise sieht er in der literarischen Vorlage von Bergpredigt und Feldrede völlig zu Recht ein charakteristisches Beispiel für die stärker divergierende der beiden postulierten Reihen. Im Gegensatz zu manch anderem beließ er es darüberhinaus nicht bei dieser Beobachtung, sondern versuchte, lösungsträchtige Konsequenzen zu ziehen. Allerdings dürfte sein Bemühen, für jede der beiden Reihen eine sprachliche und inhaltliche Eigenart zu eruieren, als gescheitert anzusehen sein; eine solche säuberliche Verteilung läßt sich nicht überzeugend durchführen. Der Rückgriff auf verschiedene Übersetzungen zur Erklärung der Unterschiede verdient zwar Beachtung, soweit das Korpus der Grundrede betrachtet wird; eine Relevanz für ganz R kann indessen gerade nicht plausibel gemacht werden58. So steht eine Beantwortung der durch Bussmann unüberhörbar aufgeworfenen Anfragen an die herkömmliche QHypothese noch aus59.
54 Es verdient jedoch betont zu werden, daß die lange Liste der von Bussmann veranschlagten Übersetzungsvarianten nur ganz vereinzelt akzeptable Lösungen bietet. Vgl. zu dieser Frage die wesentlich vorsichtigeren Äußerungen von Black, Muttersprache. 55
Studien 151.
56
Studien 155.
57
Vgl. zum Gleichnis von Baum und Frucht (Studien 26).
58
Vgl. I.2.c). Insbesondere Bussmanns Annahme, Lk selbst sei für die Übersetzung seiner Vorlage verantwortlich, ist nicht zu halten. 59
Dennoch halte ich Grobeis, Formgeschichie 58 Verdikte (.Über Bussmanns zweites
26
Die Logienquelle
i) Martin Dibelius In eine andere Richtung als die von mir bisher berücksichtigten Arbeiten führt der Weg, den Martin Dibelius eingeschlagen hat40. Seine Äußerungen in der maßgeblichen zweiten Auflage der .Formgeschichte des Evangeliums" von 193361 sind insgesamt von einer auffallenden Vorsicht und Zurückhaltung geprägt, die mir dem Untersuchungsgegenstand wesentlich angemessener scheinen als die Sicherheit vieler seiner Fachkollegen62. Unter der Rubrik »Sammlung"63 bzw. .Paränese"64 verhandelt Dibelius die Logienquelle als eine von der Forschung .mit... berechtigter Sicherheit"65 erschlossene Größe. Deren Definition erfolgt sachgemäß ausschließlich über das Maß der wörtlichen Konvergenz66, offenbart jedoch Ungenauigkeiten, wenn an anderer Stelle von ungefährer Übereinstim-
Heft . Z u r Redenquelle" zu reden, lohnt sich our wenig.*; .seine Methodologie m u ß von vornherein abgelehnt werden") für unsachgemäß. 60 Die Mehrheit der Q-Forscher ist dem Autor auf diesem Wege zwar nicht gefolgt; nicht übersehen werden darf jedoch die nachhaltige Wirkung, welche seine Thesen z.B. auf B o m k a m m hatten, der mit Nachdruck bestreitet, daß Q .eine schon fest umrissene literarische Größe" war, und in der mündlichen Tradition eine noch stark prägend wirkende Kraft erblickt. E r postuliert, hier allerdings im Gegensatz zu Dibelius, daß Mt und Lk sich gegenüber Q ein größeres Maß an Freiheit gestatten konnten als gegenüber Mk (Evangelien 756). Wie steht es aber mit letztgenannter Behauptung angesichts der z.T. beinahe totalen Obereinstimmung in zahlreichen Q-Logien? Und wie ware eine größere Freiheit zu erklaren? 61 Er führt darin im großen ganzen aus und weiter, was bereits 1926 im I. Band seiner .Geschichte der urchristlichen Literatur" formuliert worden war. 62
Dibelius warnt vor einer leichtfertigen Selbstverständlichkeit im Umgang mit Q; ansonsten .laufen wir Gefahr, mit der Quelle, die wir nicht kennen, ebenso sicher zu rechnen wie mit Markus, den wir vor uns sehen, und vergessen, daß wir es mit einer hypothetischen Größe zu tun haben." (Formgeschichte 236). 63 Geschichte 32; sachlich besteht zu der späteren Einordnung unter .Paränese" kaum ein Gegensatz, vgl. Geschichte 37. 64
Formgeschichte 234. Die ursprüngliche Abzweckung beim Zusammentragen der einzelnen Logien war danach eine paränetische (.Rat, Losung und Gebot"); vgl. Dibelius, Formgeschichte 247. Zu Recht hebt er hervor, daß eine solche Interessenlage nicht allein die Entstehung von Q, sondern die .Sammlung" (vgl. A.65!) von Jesusworten überhaupt bestimmt hat. 65 Formgeschichte 234. Diese Formulierung steht in einem gewissen Mißverhältnis zum sonstigen Duktus seiner Aussagen (vgl. A.64); offensichtlich möchte Dibelius mit dieser irritierenden Wortwahl nicht mehr als den Erweis des bloßen Vorhandenseins einer wie auch immer zu bestimmenden Vorlage konstatieren. 66 .Texte, in denen diese beiden (sc. Mt und Lk) miteinander und über Markus hinaus nahezu wörtlich zusammenstimmen." (Formgeschichte 234; vgl. auch Geschichte 39).
Was ist Q? - Zur Geschichte der Forschung
27
mung67 gesprochen wird, ohne daß z.B. deutlich würde, wie weitgehend diese sein muß, damit ein Logion Q zugerechnet werden darf. Abgesehen von dieser allgemeineren Bestimmung legt Dibelius Wert auf die Feststellung, daß vieles im Zusammenhang der Quelle unbekannt sei und bleiben werde, so vor allem ihr exakter Wortlaut68 und Umfang69. Die bereits kritisierte Unscharfe bei der Definition hat immerhin zur Folge, daß ungeachtet des korrekten Ansatzes auch .der Grundstock der Bergpredigt"70, mithin die Grundrede, auf Q zurückgeführt wird, obwohl deren Fassung bei Mt und Lk keineswegs nahezu wörtlich übereinstimmt. Insgesamt rechnet der Verfasser mit einer schwer faßbaren Traditionsgeschichte, innerhalb derer die produktiven Anteile der Redaktion durch Mt und Lk sowie der ihnen vorausgehenden Gemeindeüberlieferung vage bleiben 71 . Die bekannteste und spezifischste Aussage zu Q ist ein Resultat dieser Anhäufung von Unsicherheiten und Unbestimmbarkeiten: .Was wir bei dem heutigen Stande der Forschung von der Quelle Q wissen, berechtigt uns eher von einer Schicht als von einer Schrift zu reden."72. Daß es sich bei ihr um ein oder mehrere Bücher handelte, also greifbare literarische Größen, erscheint ihm eher unwahrscheinlich73. Letztlich sieht er die rekonstruierbaren Stücke der Quelle primär als Beleg für das Bedürfnis des Urchristentums, Worte Jesu zu sammeln - und zwar auf mündlicher Basis. Die nach meinem Dafürhalten durchschlagenden Gegenargumente brauchen hier nicht näher erörtert zu werden74. Wichtig bleibt Dibelius' Mut und Größe, — von allen! - Ungelöstes als solches beim Namen zu nennen, sowie die daraus resultierende Behutsamkeit im Umgang mit Q. Mein Haupteinwand ist, wie gegenüber nahezu allen anderen auch, das Fehlen einer Differenzierung innerhalb des dieser Quelle zugeschriebenen
67
Formgeschichte 235.
68
Die diesbezügliche Skepsis erhellt u.a. aus dem Votum, die verlorene Quelle sei an vielen Stellen (zu) rekonstruieren" (Geschichte 40, Hervorhebung von mir).
jogar
69
Bezeichnend sein Diktum, wir wüßten .nicht Sicheres' (Formgeschichte 235); vgl. auch die Äußerungen Formgeschichte 236. 70
Geschichte 39.
71
Dibelius spricht von verschiedenen Gestalten, welche die Quelle in verschiedenen Gemeinden gehabt habe (Geschichte 37), und davon, daß beide Evangelisten .gelegentlich" etwas geändert hätten - eine Schilderung der Umstände und konkreten Ausgestaltung dieses Prozesses sucht man indes vergebens. 72
Formgeschichte 236.
73
Formgeschichte 236; vgl. Geschichte 36.
74
Vgl. stattdessen vor allem meine Darlegung unter 1.2.b).
28
Die Logienquelle
Gutes, was bei ihm um so schwerer wiegt, als sein Ausgangspunkt eigentlich weiterführende Überlegungen ermöglicht, wenn nicht gefordert hätte. j) Hans-Theo Wrege Mit »Die Überlieferungsgeschichte der Bergpredigt" aus dem Jahre 1968 legte Wrege eine Arbeit vor, die sowohl im Überblick der Q-Forschung als auch in ihrer thematischen Nähe zur vorliegenden Untersuchung von besonderer Bedeutung ist: Forschungsgeschichtlich gehört er zu den ganz wenigen Bestreitern der Q-Hypothese als solcher, jedenfalls was die Wissenschaft deutscher Provenienz betrifft; seiner Grundannahme, .von der Spruchquelle als einer gesicherten Voraussetzung" könne nicht mehr ausgegangen werden, vermag bis heute, meines Erachtens zu Recht, kaum jemand zuzustimmen. Und in Bezug auf meine eigene Darlegung zeigt sich eine Ambivalenz von wichtigen Beobachtungen, deren Wert in der Vergangenheit oft genug unterschätzt worden ist, und Schlußfolgerungen, die ich für nicht überzeugend halte. Wrege betrachtet zutreffenderweise die weitgehenden Wortlautübereinstimmungen im Spruchgut des Mt und des Lk als ausschlaggebend für die Entstehung der Q-Hypothese75. Angesichts zahlreicher abweichender Gewichtungen der diesbezüglich möglichen Argumente verdient eine solche Einschätzung nachdrücklich hervorgehoben zu werden. Demgegenüber führt er eine Reihe von Gründen an, die ihn gegen eine schriftliche Spruchquelle votieren lassen76: Die Unklarheit ihrer literarischen Gattung 77 ; die Erklärbarkeit paralleler Überlieferungen durch mündliche Tradition78; unüberbrückbare Spannungen zwischen Motiven, die in gleicher Weise einer als einheitlich vorgestellten Endredaktion durch die Evangelisten zugeschrieben werden. Bedeutsam wird vor allem das letztgenannte79 Argument im Zusammenhang mit der Einzelanalyse der Bergpredigt, in deren Vollzug sich die Berechtigung der These Wreges zeigen muß. Er weist an vielen Stellen einleuchtend auf die erheblichen Differenzen hin, die zwischen den beiden
75
Überlieferungsgeschichte 1.
76
Überlieferungsgeschichte 2.
77
In Anlehnung an Dibelius, Formgeschichte 235ff.
78
In Anlehnung an Jeremias, Hypothese.
Die Frage der literarischen Gattung kann zwar trotz zahlreicher spezifischer Untersuchungen immer noch nicht als konsensfähig geklart gelten. Es liegen inzwischen jedoch solche Lösungsangebote vor (vgl. z.B. Sato, Q), daß dieses Problem sicherlich kein hinreichendes Gegenargument (mehr) darstellen kann. Zur Schriftlichkeit von Q vgl. die Ausführungen unter 2.b), zur Schriftlichkeit der Grundrede diejenigen unter 6.. 79
Was ist Q? - Zur Geschichte der Forschung
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Fassungen häufig existieren. Darüberhinaus gelingt ihm zuweilen der Nachweis, daß diese nicht durch Eingriffe der Evangelisten erklärt werden können. Dann ergibt sich aber die Notwendigkeit, vorredaktionelle Modifikationen anzunehmen, was ihn zu einer Ablehnung der Q-Hypothese veranlaßt. Die gravierenden Mängel der Position Wreges liegen allerdings darin, daß er zum einen die Möglichkeit einer unterschiedlichen Fortentwicklung des ursprünglich identischen Q-Exemplars überhaupt nicht erörtert; obwohl er mit der Definition von Q über die wörtliche Konvergenz und mit dem Bemühen, die Diskrepanzen als im Grunde vorredaktionell zu erweisen, die Voraussetzungen in Händen hält, kommt er zu keiner expliziten Bestreitung verschiedener Q-Rezensionen 80 . Zum anderen scheitert sein Entwurf daran, daß, wie er selbst schreibt, .die Konstanz der konkurrierenden Traditionen als Problem ... (erklärt werden muß), ohne dafür literarische Abhängigkeiten behaupten zu können"81. Eben dies ist ihm weithin nicht gelungen82. Er rechnet vielmehr mit .intakten, untereinander unabhängigen Überlieferungsreihen der urchristlichen Tradition"83 bzw. .mündlichen Traditionen ... (und) ihren literarischen Niederschlägen*184. Schließlich wird er besonders der Tatsache nicht gerecht, daß die Bergpredigt Material vereinigt, das ein sehr unterschiedliches Maß an Übereinstimmungen aufweist, und daß damit auch unter Zugrundelegung einer nicht-literarischen Herkunft der Überlieferungseinheiten ein Erklärungsbedarf in diesem Punkt bestehen bleibt. Zusammenfassend sehe ich die bleibende Bedeutung der Arbeit Wreges neben zahlreichen Einzelergebnissen darin, auf die große Divergenz im Wortbestand eines beträchtlichen Teils der Bergpredigt und der ihr parallelen Perikopen aufmerksam gemacht und an die Notwendigkeit erinnert zu haben, die Zugehörigkeit der Doppelüberlieferungen zu Q je neu zu erweisen. Abzulehnen ist dagegen vor allem sein Bestreben, über die Unter-
80
Vgl. dagegen meinen Versuch unter 2., der genau an dieser Stelle ansetzt.
81
Überlieferungsgeschichte 3.
82
Überlieferungsgeschichte 131 beispielsweise unternimmt er den besonders wenig überzeugenden Versuch, Mt 7,3ff/ Lk 6,41 f ohne gemeinsame, schriftliche Vorlage zu erklären. Abgesehen davon, daß nach Maßgabe derartiger Kriterien (u.a. die angeblich stabilisierende Funktion des unliterarischen Milieus auf die geprägte, mündliche Überlieferung) jede Art von Quellenkritik prinzipiell fragwürdig werden kann, dürfte die Geringfügigkeit von Abweichungen kaum gegen eine gemeinsame Vorlage sprechen (so aber Überlieferungsgeschichte 130). 83 84
Überlieferungsgeschichte 79.
Überlieferungsgeschichte 85. Vgl. erneut das zugunsten der Schriftlichkeit der Grundrede unter II. 7. Gesagte.
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Die Logienquelle
suchung einzelner Logien und Logiensammlungen Q selbst als unnötige und falsche Prämisse zu entlarven. k) Dieter Lührmann Die 1969 erschienene Arbeit „Die Redaktion der Logienquelle" nimmt im Zusammenhang der Erforschung von Q insofern eine besondere Stellung ein, als mit ihr die redaktionsgeschichtliche Methode erstmals in ausführlicher Weise an dieses Dokument herangetragen wird. Von daher verwundert,es zunächst wenig, wenn das Hauptaugenmerk der Untersuchung sich von literarkritischen Problemen abwendet. Gleichwohl ist gerade jede redaktionsgeschichtliche Bemühung auf durch die Literarkritik zu erzielende Ergebnisse als ihre konstitutive Basis angewiesen. Dann genügt es aber nicht, diese Grundlagen, ohne eine ausführlichere Thematisierung, innerhalb einleitender Bemerkungen zur Fragestellung des Buches sowie in einem Anhang zur weiteren Überlieferung der Logienquelle zu benennen. Lührmann setzt in Gemeinsamkeit mit den zu seiner Zeit neuen Versuchen über Q die Existenz dieser zweiten Quelle neben Mk als erwiesen voraus85. Gegenüber Zweifeln an jeglicher Bestimmbarkeit von Q, wie er sie vor allem in der formgeschichtlichen Forschung im deutschsprachigen Raum ausmacht86, schließt er sich der .üblichen Definition" an, wonach „zu Q alles gehört, was Matthäus und Lukas über Markus hinaus gemeinsam haben", d.h. mehr als 200 Verse87. Dieses Material muß seines Erachtens zwar nicht den vollständigen Text der Quelle wiedergeben 88 , bietet jedoch als der „mit Sicherheit" Q zuschreibbare Überlieferungskern ein solides Fundament für weitergehende Analysen. Während die zuweilen frappierenden wörtlichen Übereinstimmungen seines Erachtens eine griechisch abgefaßte, schriftliche Sammlung nahelegen, erklärt Lührmann die teilweise erheblich differierenden Abschnitte als durch die Redaktion der Evangelisten verursacht oder „als Umgestaltungen in der Gemeinde, aus deren Tradition Lukas und Matthäus Q übernommen haben" 89 ; Lührmann schließt sich demnach der These an, Q habe zwischen der Erstabfassung und der Aufnahme in die beiden Evangelien eine je unterschiedliche Entwick-
85
Redaktion 11.
86
Redaktion 17.
87
Redaktion 18.
88 In Entsprechung zu ihrer Behandlung von Mk sei davon auszugehen, daß Mt und Lk auch bei ihrer zweiten Quelle Passagen ausgelassen haben (Redaktion 18). 89
Redaktion 21.
Was ist Q? - Zur Geschichte der Forschung
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lung durchlaufen 90 , und versucht dies zu exemplifizieren anhand von Mt 5,(17).18f und 18,15-18, an welcher Stelle er eine vormatthäische Weiterüberlieferung in zeitlicher Nachordnung gegenüber der von ihm untersuchten Q-Redaktion postuliert91. Wie immer dieses Unterfangen im einzelnen zu beurteilen sein mag92, offen bleibt auch bei Lührmann die Frage, worin die zu Recht konstatierte Disparatheit der zu Q gerechneten Stoffe hinsichtlich der Übereinstimmung ihres Wortlautes begründet ist. Erst eine Antwort darauf kann aber ein Vorgehen rechtfertigen, bei dem per definitionem die gesamte Doppeltradition zugrundegelegt wird unabhängig davon, ob enge wörtliche oder allenfalls lose thematische Berührungen bestehen. I) Siegfried Schulz Wenige Jahre später erschien 1972 ein Buch, das bis auf den heutigen Tag die Beschäftigung mit der Logienquelle maßgeblich beeinflußt: »Q. Die Spruchquelle der Evangelisten". Diese grundlegende Untersuchung besticht vor allem durch eine minutiöse Analyse des gesamten für Q reklamierten Tratbestandes, was sie zu einem unentbehrlichen Nachschlagewerk gemacht hat. Die Voraussetzungen seiner Arbeit erörtert Schulz allerdings auf nicht mehr als drei Seiten: Die Existenz von Q steht ihm fraglos fest, in Anlehnung an Lührmann 93 sieht er in den Doppelüberlieferungen von Mt und Lk den zweifelsfrei feststellbaren Kern der Quelle 94 . Weiterhin argumentiert er für ihre Schriftlichkeit mit der Übereinstimmung in der Reihenfolge der Logien und dem Faktum von Dubletten, während ihre Abfassung in griechischer Sprache durch die auffallenden Konvergenzen im Wortlaut gesichert sei9S. Insoweit bleiben seine Ausführungen ganz im Kontext der communis opinio. Ihr Proprium freilich steht in Verbindung mit der von ihm artikulierten Überzeugung, der ursprüngliche Wortlaut müsse von Fall zu Fall verifiziert
90
Auffälligerweise vermeidet er dabei allerdings, soweit ich sehen kann, die Bezeichnung dieser Traditionsstrange als QMt/QLk o.a. 91 Redaktion 11 Iff. Auch die Perikopen der Grundrede werden, soweit verhandelt, ausnahmslos der Logienquelle bzw. ihren jeweiligen Fortbildungen zugewiesen. 92
Zu einer ausführlichen Auseinandersetzung ist hier nicht der Ort.
93
Redaktion 18.
94
Q 40.
95
Q 41.
32
Die Logienquellc
werden 96 , und zwar in erster Linie mit Hilfe der Vokabelstatistik 97 . Bemerkenswert ist nicht so sehr die Methode selbst als vielmehr der Optimismus, auf diesem Wege den gesamten Q-Stoff 98 rekonstruieren zu können. Zwar hält er es für .durchaus möglich, daß im vormatthäischen und vorlukanischen Traditionsbereich eine Weiterbildung der Q-Doppeltraditionen stattgefunden hat"99; doch gilt diese Einschätzung kaum für Modifikationen an schon bestehenden Texten, sondern fast ausschließlich für die Ergänzung weiterer in der nur je einem der Evangelisten verfügbaren Fortbildung der Logienquelle, sofern man überhaupt geneigt ist, eine solche Aufsplitterung anzunehmen. Konsequenterweise werden alle Differenzen zwischen den Versionen bei Mt und Lk auf deren redaktionelle Eingriffe zurückgeführt. Dies hat allerdings zur Folge, daß im Vollzug der Analysen entgegen der einleitenden Ankündigung 100 verstärkt auf andere als wortstatistische Argumente zurückgegriffen wird (werden muß?), die vor allem inhaltlich-sachlicher Natur sind. Trotz dieser Ausweitung verzichtet Schulz auf eine eigentliche Wiederherstellung von Q, indem er keine Darstellung des Wortlautes dieser Quelle bietet. Zudem bleibt auch bei ihm das Nebeneinander von stark übereinstimmenden Stücken und solchen mit großen Abweichungen innerhalb derselben Quelle gänzlich unberücksichtigt. Schulz ist daher meines Erachtens wegweisend für die beharrliche Anwendung der Vokabelstatistik zur Eruierung redaktioneller Bearbeitung; daran werde ich ungeachtet aller Unterschiede in der Methodik und bei Einzelergebnissen im folgenden Hauptteil anknüpfen können. Doch wird sich bei der Grundrede sowohl im Detail als auch in Bezug auf umfangreichere Überlieferungseinheiten zeigen, daß der Austrag wesentlich geringer ist, als von Schulz postuliert wird, und keinen umfassenden Rückgriff auf die ursprüngliche Textfassung ermöglicht.
96 Damit wendet sich Schulz gegen Versuche vor allem früherer Forscher, einen der beiden Evangelisten bis auf wenige Ausnahmen grundsätzlich als primär zu bevorzugen. 97
Q 41.
98
Schulz, Q 41 A.191 zählt lediglich vier Passagen auf, die der Doppclüberlieferung angehören, ohne daß er sie zu Q rechnen kann (Lk 9,48c par; Lk 1 2 , 5 4 - 5 6 par; Lk 14,5 par; Lk 19,39f par). 99 100
Q 41. 0 41.
Was ist Q? - Zur Geschichte der Forschung
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m) Paul Hoff mann Noch dezidierter als vor ihm Lührmann101 versteht Hoffmann seine erstmals 1972102 veröffentlichten „Studien zur Theologie der Logienquelle" als eine der redaktionsgeschichtlichen Methode verpflichtete Untersuchung 103 . Neben der Annahme der Existenz von Q beschränken sich dabei seine Aussagen zur näheren Bestimmung dieser Quelle auf eine grobe Definition des Umfangs, nämlich die Mt und Lk gegen Mk gemeinsamen Stoffe 104 , und die Feststellung, daß sie den Evangelisten in griechischer Sprache vorlag105. Vieles andere bleibt indessen bewußt offen: Er sieht es weder als erheblich an, ob es eine schriftliche aramäische Vorlage gab, noch ob überhaupt mit einer schriftlichen Fixierung oder nicht eher mit einer sehr festen Überlieferungsschicht gerechnet werden muß, obwohl letzteres aufgrund der Wortlautübereinstimmungen einzelner Logien sowie der Konvergenz bei der Anlage von Logienkompositionen weniger wahrscheinlich ist106. Endlich hält er es zwar für möglich, daß Q den Evangelisten .in verschiedenen Stadien ihrer Tradition" vorlag, vermag aber auch an diesem Punkt keine Entscheidung zu treffen, sondern verweist auf die Notwendigkeit einer gesonderten diesbezüglichen Untersuchung vor allem der Mt-Tradition 107 . So führen Hoffmanns knappe Anmerkungen zu den für redaktionsgeschichtliche Analysen grundlegenden Fragestellungen108 nicht nur nicht weiter, sie nähren vielmehr den Verdacht, daß diesen kaum eine Bedeutung beigemessen wird und die Ergebnisse damit ihres konstitutiven Fundaments entbehren. Obwohl Hoffmann überzeugt ist, „aufgrund inhaltlich-theologischer Kriterien" die redaktionelle Schicht der Bearbeitung durch Mt und Lk abheben zu können, zeigt der konkrete Umgang mit den Texten ein verhältnismäßig stark ausgeprägtes Desinteresse an literarkritischen Fragen zugunsten einer Interpretation des Materials, soweit es im großen ganzen sachliche Parallelen aufweist. Dementsprechend tritt ein Befund wie der des
101
Redaktion.
102
Ich zitiere allerdings nach der 3. Auflage von 1982.
103
Studien 5.
104
Diese Definition .vermag jedoch (nur) zu helfen, einen festen Kern der Tradition zu erfassen" (Studien 1). 105
Studien 2, ohne eine Erörterung der Sachlage.
106
Studien 2.
107
Studien 2.
108
Vgl. meine Kritik an Lührmanns, Redaktion Vorgehensweise.
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Die Logienquelle
erheblich abweichenden Maßes an wörtlicher Übereinstimmung innerhalb des (vermeintlichen?) Q-Stoffes genausowenig als Problem ins Bewußtsein wie die damit eng verbundene Erklärungsbedürftigkeit der Tatsache, daß die Grundrede fast ausschließlich Texte mit auffallend geringer Konvergenz enthält109. Eine (positive) Anknüpfung an Hoffmanns Arbeit ist für mich aus diesen Gründen nur in den seltensten Fällen möglich110. n) Olof Linton In dem Artikel .Das Dilemma der synoptischen Forschung" von 1976 nimmt Linton Beobachtungen und Thesen einer vier Jahre älteren Veröffentlichung111 auf und führt sie entscheidend weiter. Radikal wie vor ihm vielleicht nur Bussmann legt er den Finger in die Wunde der Q-Hypothese, wenn er fragt, warum die Evangelisten ihre Vorlage einmal beinahe wortgetreu wiedergeben, ein anderes Mal aber völlig umarbeiten sollten. Allein im ersten Fall würde man auf dieselbe Vorlage schließen, während eine solche Vermutung bei sehr großen Abweichungen überaus unsicher bleibe112. Den Kern seiner Untersuchung bildet dementsprechend die Unterscheidung zwischen einem bloß technischen Terminus „Q", der weit verbreitet, aber letztlich unbrauchbar, da viel zu unbestimmt, sei, und einer radikalen Q-Hypothese, der sein Interesse gilt. Deren Vertreter müssen seiner Überzeugung nach fünf Prämissen anerkennen, damit die Gleichsetzung des Signums Q mit einer konkreten Quelle aufrechterhalten werden kann113. Es sind dies im einzelnen: Mt und Lk haben von Jesus nur gelesen, eine mündliche Tradition gab es niemals; das gemeinsame Material von Mt und Lk über Mk hinaus stammt aus einer einzigen Quelle; diese Quelle
109 Hoffmann greift auch dort, wo er keinen Versuch unternimmt, Differenzen (als redaktionelle Eingriffe) zu erklaren, unterschiedslos auf solche Texte als Belege für Aspekte der Theologie von Q zurück!. 110 Eine etwas andere Gewichtung ist in einer neueren Arbeit erkennbar: Bei d e m Rekonstruktionsversuch des Mt 6,25-33/Lk 1 2 , 2 2 - 3 1 zugrundeliegendcn Q-Textes bedient H o f f m a n n sich in größerem U m f a n g wortstatistischer Begründungszusammenhänge; vor allem fällt ihr deutlich höherer Stellenwert innerhalb seiner Argumentation auf. Allerdings bleibt seine Analyse nach wie vor gekennzeichnet durch ein Ineinander wortstatistischer, inhaltlicher und stilistischer Argumente. Dennoch ist es zu begrüßen, daß die an anderem Ort (Artikulation der Wirklichkeit, FS S. Oppolzer, 1989, 7 3 - 9 4 ) vorgelegte weitergehende Interpretation auf diesen Vorarbeiten basiert! 111
Q-Problem.
112
Dilemma 888f.
113
Dilemma 890.
Was ist Q? - Zur Geschichte der Forschung
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ist eine schriftliche mit einer extremen Übereinstimmung in Wortlaut und Anordnung; sie wurde von Mt und Lk als ganze übernommen, ohne jede Schichtung; Mt und Lk benutzten dieselbe Fassung dieser Quelle. Da diese Voraussetzungen jedoch nicht zu akzeptieren seien, müsse die radikale 2Quellen-Theorie ad acta gelegt werden114. Überzeugend weist Linton den eklatanten Widerspruch auf zwischen dem, was die Q-Hypothese, will man ihr eine konkrete Gestalt belassen, per definitionem fordert — nämlich ein außergewöhnliches Maß an wörtlicher Übereinstimmung —, und dem objektiven Befund bei einem beträchtlichen Teil des Q zugeschriebenen Materials. Nur führt sein Argumentationsgang meines Erachtens in die Irre, wenn diese dringend notwendige Beobachtung zu einer Ablehnung von Q als einer konkreten Quelle überhaupt führt. Die von ihm angebotene Alternative eines Ineinanders von verschiedenen, schriftlichen und mündlichen, Überlieferungen, deren mehr oder weniger treue Bewahrer die Evangelisten waren lis , ist allenfalls unter Zuhilfenahme einer Vielzahl von ihrerseits nicht eben wahrscheinlicheren Prämissen in der Lage, das nicht nur punktuell festzustellende Höchstmaß an Konvergenz in der Gestalt von Texten der Doppeltradition zu erklären. Außerdem kann zu Recht bezweifelt werden, ob alle fünf genannten Voraussetzungen einer radikalen Q-Theorie in dieser Form aufrechtzuerhalten sind: Ist es z.B. wirklich methodisch unerlaubt, mit mündlichen Traditionen zu rechnen? Geht es hier nicht vielmehr um das Ausmaß des Einflusses, den man ihnen im Überlieferungsprozeß einzuräumen bereit ist? Und inwiefern muß das gesamte Gut der Doppeltradition einer einzigen Quelle entstammen? Insgesamt können Lintons Prämissen daher kaum das Fundament bieten für den Versuch, die Logienquelle als eine faßbare Größe zu bestimmen. o) Petros Vassiliadis
Unter den zahlreichen Publikationen des griechischen Neutestamentiers gerade auch zu Q 116 ragt in Bezug auf unsere Fragestellung ein Aufsatz
114
Vorsichtiger fällt das Resümee in Q-Problem 59 aus: .A Q-Document did exist, but it contained ... only part of the Q-material... and ... also Markan material.· Nicht die Existenz der Logienquelle selbst wird also bestritten, sondern ihr Umfang grundsätzlich neu bestimmt und der Einfluß mündlicher Tradition betont (.not... dependent on written sources alone*). 115
Vgl. auch Q-Problem 50. Leider sind einige von ihnen besonders aus sprachlichen Gründen für Nicht-Griechen kaum zugänglich, z.B. seine Athener Dissertation aus dem Jahre 1977 (η περι της πηγης των λογίων θεωρία) oder ein Aufsatz im ersten Jahrgang der Reihe εκκλησία και βεολογια (1980). 116
36
Die Logienquelle
aus dem Jahre 1978 heraus" 7 ; in ihm widmet sich Vassiliadis ausführlicher der Frage nach Gestalt und Umfang von Q. Ein erster Teil mit dem Titel „The Nature of the Document" beschreibt Q als eine schriftliche Quelle118, die nach ihrer Entstehung, aber vor ihrer Verarbeitung durch die Synoptiker einem gewissen Einfluß mündlicher Tradition ausgesetzt war. Der Autor hält Q bemerkenswerterweise für ein „single document"119, geht also davon aus, daß Mt und Lk dieselbe Form von Q zur Verfügung stand120. Dementsprechend führt er die Differenzen zwischen der Q-Tradition, wie sie Mt bietet, und ihrer Ausformung bei Lk ausschließlich auf die redaktionelle Tätigkeit der Evangelisten zurück, die er als teilweise durch die mündliche Überlieferung veranlaßt zu erkennen meint. Konsequenter noch als Schulz121 bestreitet er potentielle Rezensionen oder sonstige Zwischenstufen im Überlieferungsprozeß von Q und gründet seine weiteren Ausführungen damit auf ein tragfähiges Fundament, das im ganzen überzeugen kann. In einem zweiten Teil unternimmt Vassiliadis den Versuch einer „Reconstruction of the Q-Document"122. Aufgrund von sieben noch zu benennenden Prinzipien unterteilt er den Bestand an Q-Texten in vier Gruppen123: Material, das bei Mt und Lk (nahezu) identisch vorliegt, und solches mit leichten Abweichungen zwischen den Versionen; beides bildet seiner Einschätzung nach den Kern der Quelle. Darüberhinaus findet er sowohl Material mit beträchtlichen Differenzen als auch nur bei einem der beiden Evangelisten Erhaltenes.
117
Nature.
I1S
Nature 54. Zu Recht betont er dabei, daß eine .detailed redaction" von Mk und Q, wie sie Mt und Lk zuweilen in der Tat vornehmen, kaum ohne in schriftlicher Form zur Verfügung stehende Exemplare vorstellbar ist. Auffällig ist darüberhinaus sein Verweis auf die Existenz von Q-Texten ohne Kontexteinbindung, die seines Erachtens bei Annahme bloß mündlicher Tradition nicht erklärt werden kann. Es wäre jedoch genauer zu prüfen, inwieweit diese Logien etwa im zweiten Teil der Quelle massiert begegnen oder gar auf ihn beschränkt bleiben und was das für die Gestalt des Dokuments bedeuten würde; außerdem müßte man nicht nur, aber auch auf der Grundlage der von Vassiliadis selbst erarbeiteten Kriterien - in jedem Einzelfall sorgfältig prüfen, o b diese .isolierten* Sprüche überhaupt Q zuzurechnen sind. 119
Nature 54.
120
Explizit in der Zusammenfassung des genannten ersten Teils seiner Untersuchung; vgl. Nature 71. 121
Q; vgl. Abschnitt k).
122
Nature 60.
123
Nature 66.
Was ist Q ? - Z u r Geschichte der Forschung
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Man kann zustimmend vermerken, daß zu Recht unterschieden wird zwischen Texten mit und ohne weitgehende wörtliche Übereinstimmung und vor allem daß letztgenannte nicht mit derselben Sicherheit Q zugerechnet werden — an diesem Differenzkriterium ist unbedingt festzuhalten. Gleichwohl zeigt sich hier erneut, was auch bei der Besprechung der Rekonstruktionsprinzipien zu bedenken sein wird: Obgleich das Problembewußtsein eines stark variierenden Maßes an Übereinstimmung vorhanden ist, werden identische und erheblich divergierende Passagen in analoger Weise derselben Vorlage zugeschrieben. Was die bereits mehrfach erwähnten sieben Prinzipien betrifft, so stuft Vassiliadis ihre Aussagekraft dreifach ab124: Das erste Kriterium erweist die Zugehörigkeit zu Q .quite certainly*; aufgrund von vier anderen erfolgt sie „almost certainly"125; und schließlich führt er zwei weitere an, die für ihn immerhin .likely" eine Zugehörigkeit nach sich ziehen. Eine Staffelung scheint mir grundsätzlich sachgemäß zu sein; es ist jedoch zu prüfen, inwieweit den einzelnen Prinzipien die ihnen beigemessene Beweiskraft wirklich zukommt. Nach Ansicht des Verfassers gehören alle umfangreichen sowie alle kurzen, aber aufeinanderfolgenden 126 Logien mit fast wörtlicher Konvergenz ohne jeden Zweifel zu Q. Diese Bestimmung des innersten Kerns der Logienquelle dürfte von allen, die deren Existenz annehmen, unwidersprochen bleiben, wird jedoch keineswegs immer von allen so klar und deutlich vorgenommen. Wesentlich schwerer fällt die Zustimmung bei den folgenden Prinzipien, die, wie gesagt, beinahe sicher auf Q-Texte schließen lassen sollen: Am ehesten einsichtig ist es, wenn größere Einheiten mit weitgehender wörtlicher Übereinstimmung in den Redepassagen ungeachtet großer Divergenzen in den Erzählpartien zu Q gerechnet werden127.
124
Nature 66f.
125
Die mit Hilfe dieser fünf Prinzipien ermittelten Texte stimmen im übrigen mit dem genannten .Kern* von Q überein. 126
Vassiliadis, Nature 66 erwägt berechtigterweise, ob kurze isolierte Sprüche, die bei Mt und Lk in je anderem Kontext begegnen, eher der mündlichen Tradition entstammen und dementsprechend nicht Q angehören. Dies schließt selbstverständlich nicht die Möglichkeit aus, d a ß solche Logien zuweilen erst von den Evangelisten aufgrund redaktioneller Überlegungen aus ihrem Q-Kontext entfernt und anderweitig piaziert wurden. Insbesondere gilt dies, wenn glaubhaft gemacht werden kann, daß nur einer der beiden Evangelisten eine Umstellung vornahm, während der andere die Einbettung der Vorlage konservierte. Beispielhaft sei auf Lk 6,39.40 hingewiesen, zwei Sprüche, deren Q-Zugehörigkeit Vassiliadis bestreitet, wo jedoch manches für eine lediglich matthäische neue Anordnung spricht; vgl. II.6.. 127
Vgl. aber z.B. die vorsichtig differenzierende Analyse der Perikope vom Hauptmann
38
Die Logienquelle
Im Zusammenhang meiner eigenen Aufgabenstellung ist das dritte Kriterium von entscheidender Bedeutung. Danach gehören umfängliche Reden bei Lk zu Q, sofern ihre Bestandteile bei Mt .in the same overall context"128 begegnen, unabhängig davon, wie stark sie im Wortlaut divergieren. Vassiliadis gibt damit faktisch die zentrale Bedeutung der wörtlichen Übereinstimmung für die Definition von Q zugunsten eines recht nebulösen Kontext-Arguments auf129. Es bleibt völlig unklar, warum Mt gerade hier derartig massiv in den Wortlaut eingegriffen haben sollte — zumal diese Modifikationen allenfalls partiell durch die redaktionell geschaffene neue Umgebung im Evangelium erklärt werden kann, insofern der .overall context" bei Mt und Lk per definitionem übereinstimmen muß. Darüberhinaus ist eine Zuweisung zu Q, gerade bei auffallend abweichendem Wortlaut, mitnichten die einzige und, wie sich zeigen wird, nicht einmal die überzeugendste Erklärungsmöglichkeit für eine entsprechende Kontexteinbindung mit vielfach gleicher Abfolge der Logien. Aus diesem Grunde greift Vassiliadis' Begründung an dieser Stelle zu kurz. Analog verhält es sich mit der Angabe, eine nur bei Mt oder Lk vorhandene Einheit mit einer gewissen Ähnlichkeit zu einer markinischen Perikope stamme aus Q, falls Teile dieser Einheit bei dem dritten Evangelisten verstreut in einer parallelen oder auch kombinierten Gestalt begegnen. Das Verhältnis zwischen Mk und Q ist jedoch zu kompliziert und (noch?) nicht letztgültig geklärt, so daß sichere Aussagen in einer solch verallgemeinernden Form kaum vertretbar sind. Außerdem ist zu fragen, was der Autor konkret unter .similar"130 versteht und inwieweit er die Möglichkeit des Einflusses anderer Quellen und besonders mündlicher Tradition außer acht läßt. Endlich zählt er Passagen, in denen Mt und Lk gemeinsam gegen Mk übereinstimmen, also die sogenannten „minor agreements", zu den Elementen der Logienquelle. Obwohl diese Herleitung nicht a limine ausgeschlossen werden kann, ist der Sachverhalt, wie die Forschungsgeschichte lehrt, komplexer, als es eine allzu einlinige Lösung nahezulegen versucht. Den beiden letzten Prinzipien gesteht Vassiliadis selbst lediglich ergänzende Funktion zu131; der Ertrag für den Umfang von Q ist äußerst ge-
von Kafarnaum durch Wegner, die in einem solchen Fall nur bedingt zu einer Bestätigung der T h e s e Vassiliadis' führt. 128
Nature 67.
129
Im weiteren wiederholt sich dies mit je anderer inhaltlicher Füllung mehrfach.
130
Nature 67.
131
Nature 6 6 spricht er von .only extra evidence for secondary characteristics".
Was ist Q ? - Zur Geschichte der Forschung
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ring132. Zum einen hält er kleinere Einheiten 133 trotz gewichtiger Abweichungen für zur Logienquelle gehörig, wenn sie die ursprüngliche Reihenfolge von Q 134 nicht durchbrechen, in den Kontext des nach den vorhergehenden fünf Kriterien ermittelten Dokuments passen und sich Gründe für ihre Modifikation finden lassen. Zum anderen schreibt er lukanisches oder matthäisches Sondergut Q zu, sofern einige von insgesamt sechs Bedingungen 135 erfüllt sind. Die Unzulänglichkeiten dieser Prinzipien liegen auf der Hand und sollen nur exemplarisch benannt werden. Beispielsweise entbehren viele Unterpunkte der nötigen Präzision: Was bedeutet .fit in the document" für Passagen mit gravierenden Abweichungen oder .have to do with components" eines Q-Textes für Sondergutpartien? Ebenso bleiben die .country-life language" und die .theological ideas"136 von Q unbestimmte Größen. Schließlich sind gute Gründe für die Veränderung einer Vorlage bei allen für Q reklamierten Texten vonnöten, nicht aHein für diejenigen, welche aufgrund der letzten Kriterien eruiert werden sollen. Vassiliadis kommt das große Verdienst zu, sich in fast einzigartiger Weise um eine Objektivierung bei der Rekonstruktion von Q bemüht zu haben. Nicht wenige seiner Einsichten sind weiterführend und können im Verlauf meiner Arbeit gewinnbringend verwandt werden. Neben einer Reihe von zum Teil gravierenden Kritikpunkten, die ich oben angeführt habe, liegt das entscheidende Manko meines Erachtens wie bei vielen anderen darin, keine Erklärung angeboten zu haben für den auffalligen Sachverhalt, daß in ein und demselben Dokument Texte mit (fast) völliger und solche fast ohne wörtliche Übereinstimmung nebeneinander postuliert werden. p) Athanasius Polag Polags umfangreiches Wirken im Bereich der Q-Forschung hat aufs Ganze gesehen eine andere Zielsetzung als die vorliegende Arbeit, insofern es ausgesprochen redaktionsgeschichtliche Anliegen verfolgt. Daher finden die
132
Es handelt sich jeweils um wenige Verse, deren Q-Zugehörigkeit zudem teilweise durch den Verfasser als unsicher bezeichnet wird. 133
Vassiliadis, Nature 67 nennt sie etwas undeutlich .semi-extensive sections'.
134
Vassiliadis, Nature 67 setzt dabei die Ergebnisse der Untersuchungen von Taylor als abschließend voraus. 135 Genannt werden: Verbindung zu einem nach den Prinzipien 1 - 6 rekonstruierten Text; Übereinstimmung mit den theologischen Vorstellungen oder der .country-life language* von Q; keinerlei Zeichen redaktioneller Aktivität; einleuchtende Gründe für die Eliminierung durch den jeweils anderen Evangelisten; Plazierung in der sogenannten .Großen Einschaltung' des Lk. 136
Nature 67.
40
Die Logienquelle
uns primär interessierenden Fragestellungen allenfalls137 im Zusammenhang einleitender Vorklärungen Berücksichtigung. Am ausführlichsten geschieht dies in seinem Aufsatz „Die theologische Mitte der Logienquelle" aus dem Jahre 1983. Auch dort beschränkt er sich allerdings vor allem auf die bekannten Argumente zugunsten der Existenz einer Mt und Lk gemeinsam auf Griechisch zur Verfügung stehenden Schrift wie sprachliche Übereinstimmung138 oder Dubletten. Er ist zurückhaltend, wenn es um die Möglichkeiten geht, den genauen Umfang der Quelle zu ermitteln, bezieht diese Skepsis aber in erster Linie auf potentielle Auslassungen seitens der mt oder lk Redaktion139. Eine interessante Randnotiz, die in Polags konkreten Analysen des einschlägigen Überlieferungsmaterials leider häufig nicht mit Leben erfüllt wird140, kann man an dieser Stelle immerhin ebenfalls entdecken: Es ist dort von Texten die Rede, welche .wegen der Übereinstimmung von Mt und Lk für Q in Anspruch genommen wurden". Hier wäre mit der Betonung der Übereinstimmung ein Ansatz für eine Definition der Logienquelle, wie sie mir als allein zukunftsweisend erscheint. Schließlich äußert sich der Verfasser zur Traditionsgeschichte von Q. Nach meinem Dafürhalten hat seine Position zwei teilweise gegenläufige Ausrichtungen: Einerseits postuliert er unterschiedliche Fassungen der Sammlung, die Mt und Lk vorlagen, und einen mehrstufigen Traditionsprozeß; dieser erstreckt sich offenbar nicht allein auf Ergänzungen oder Auslassungen geschlossener Überlieferungselemente141, sondern reicht bis in die Modifikation des Wortlauts hinein142. Andererseits spricht er davon, daß der Wortlaut der Sprüche von den Tradenten sehr hoch eingeschätzt und kaum verändert wurde143, ja daß die Logienquelle .Jesusworte mit
137 In seiner überarbeiteten Dissertation .Die Christologie der Logienquelle" (1977) verzichtet der Autor weitestgehend auf eine Erörterung und verweist stattdessen auf verschiedene Arbeiten anderer Wissenschaftler und eine eigene in Vorbereitung befindliche (Sprache und Gestalt der Logienquelle Q), die m.W. bisher nicht erschienen ist. 138
Besonders hingewiesen wird zu Recht auf die Konvergenz in der Stellung von Partikeln und Possessivpronomen, die bei mündlicher Überlieferung zu variieren pflegen; vgl. Mitte 103
A.1. 139
Polag, Mitte 104 zieht darüberhinaus u.a. in Betracht, daß Q auf mehr als eine einzige Spruchsammlung zurückgeht. 140 Dies gilt sowohl für diesen Aufsatz als auch besonders für die übrigen von mir berücksichtigten Arbeiten. 141
Diesen Eindruck erweckt die Darstellung in Mitte 105.
142
Vgl. z.B. die auffallend unbestimmte Formulierung .Außerdem muß ... mit dem Ausmaß an Variationen gerechnet werden, das wir aus den uns erhaltenen Textzeugen kennen." (Mitte 103). 143
Mitte 106.
Was ist Q? - Zur Geschichte der Forschung
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der geringsten Bearbeitung im Vergleich zu anderen Traditionssträngen" bietet144. Diese Inkonzinnität läßt im Grunde nur den Schluß zu, daß die zuweilen beträchtlichen Differenzen zwischen der Q-Gestalt bei Mt und jener bei Lk hauptsächlich dem Konto der Evangelisten angerechnet werden, obwohl explizit an einer unterschiedlichen Entwicklung der Sammlung festgehalten wird145; ein Blick in Polags „Fragmente" bestätigt diese Einschätzung. So bleibt das von ihm zugrundegelegte Bild von Q ganz überwiegend in dem von anderen Forschern her bekannten Rahmen. Ansätze für eine Lösung des Problems, welches durch Einheiten wie die Grundrede mit ihrem geringen Maß an wörtlicher Konvergenz angesichts zahlreicher fast gleichlautender Passagen für die Logienquelle gegeben ist, vermag ich bei Polag nicht zu erkennen. q) John S. Kloppenborg Obwohl Kloppenborgs Untersuchung »The Formation of Q" aus dem Jahre 1987 Q unter gattungskritischen Gesichtspunkten behandelt und analysiert, widmet der Verfasser sich vorab einigen Fragestellungen, die für die nähere Bestimmung der Logienquelle von Belang sind. Vier Beobachtungen macht Kloppenborg zur Begründung seiner Überzeugung geltend, daß Q in schriftlicher Form und nicht etwa nur als mündliche Tradition vorlag146: Auffällige Übereinstimmungen bei der Abfolge des für Q reklamierten Materials147; das Überleben von Formulierungen, die für die Evangelisten untypisch sind; das Phänomen der Dubletten; und besonders die großen wörtlichen Konvergenzen zwischen Mt und Lk, die durch den Hinweis auf (vermeintliche)148 mnemotechnische Möglichkeiten nicht hinreichend erklärt werden können. Besitzt diese Argumentation auf der einen Seite auch ein hohes Maß an Plausibilität, so offenbart sie auf der anderen Seite eine eklatante Schwäche: Kloppenborg realisiert zwar die
144
Mitte 107.
145
Greift man zu weit, wenn man diese Annahme als Auffangbecken für jene .viele(n) unbeantwortbare(n) Fragen" versteht, die Polag, Mitte 106 - zweifellos völlig zu Recht erwähnt? 146
Formation 4 2 - 5 1 .
147
Gegen Jeremias, Hypothese u.a. zeigt Kloppenborg, Formation 48 auf, daß Stichwortkompositionen mitnichten exklusive Kennzeichen mündlicher Überlieferung sind. 148 Nach Kloppenborg, Formation 46 fehlt es sowohl in Q selbst als auch in der Urchristenheit generell an Belegen dafür, daß die Einrichtungen und Technik zur Verfügung standen, die nötig sind, um bei einem solchen Ausmaß an Wort- und Konstruktionsgleichheit auf die Voraussetzung schriftlicher Grundingen verzichten zu können.
42
Die Logieriquelle
Diskrepanz zwischen fast totaler Wortlautübereinstimmung und fast völligem Fehlen einer solchen im Überlieferungsgut derselben Quelle; er zeigt zwar auf, welche Konsequenzen dieses Faktum im Kontext der Forschungsgeschichte für die Frage nach der Schriftlichkeit von Q sowie nach weiteren Quellen hatte und bis heute hat149. Doch er wird dem Befund nicht schon dadurch gerecht, daß er Perikopen mit extrem geringer Konvergenz mündlicher Tradition zuweist150: Das eigentliche Problem, nämlich eine vorauszusetzende zutiefst unterschiedliche Behandlung des Stoffes als erkennbare Motivation dafür, bleibt davon unberührt. Es verwundert deshalb kaum, wenn bei der Umfangsbestimmung von Q weiterhin grundsätzlich an der Doppeltradition festgehalten wird151 - Kloppenborg widmet sich lediglich der Ermittlung möglicher Kriterien zur Ausweitung dieses Kernbestandes um einige nur bei einem Evangelisten belegte Texte152. Selbst dort, wo, wie bei dem .inaugural sermon", wesentliche Gegensätze bezüglich der konkreten Gestalt der matthäischen und lukanischen Fassung konstatiert werden1S3, bleibt es bei dem knappen und bei näherer Prüfung wenig überzeugenden Versuch, analog dem Vorgehen von Schulz154 ausschließlich redaktionelle Eingriffe geltend zu machen. So gelingt es auch Kloppenborg insgesamt nicht, eine aus meiner Sicht zu undifferenzierte Definition der Logienquelle präzisierend zu überwinden; vielmehr bleibt er letztlich den ihm vorgegebenen Lösungsangeboten verhaftet. r) Migaku Sato
Ausführlich und differenziert setzt sich Sato 1988 in seiner sorgfältigen Untersuchung „Q und Prophetie" mit den meisten der uns bewegenden
149
Formaiion 43.
150
Im übrigen möchte ich seine optimistische Einschätzung zurückweisen, daß es einen .Beinahe-Konsens" zu Texten wie dem Gleichnis vom großen Abendmahl gibt, wenn er sie Q ab- und mündlichen Quellen zuschreibt (Formation 43). 151
Formation 81. Dies schließt die auf Beobachtungen zum U m g a n g mit der MkTradition fußende Vermutung ein, daß manche Elemente von Q unwiederbringlich verlorengegangen sind (vgl. Formation 82). 152 In Auseinandersetzung vor allem mit Honori, Schürmann und Vassiliadis gelangt er zu der Quintessenz, daß die Anwendung derartiger Prüfsteine keine signifikante Erweiterung nach sich zieht (vgl. Formation 84). 153 154
Formation 171.
Q; man muß jedoch feststellen, daß dessen aufwendige Sorgfältigkeit von Kloppenborg an keiner Stelle erreicht wird - vielleicht gar nicht erreicht werden soll, da für ihn bei dieser Frage nichts auf dem Spiele zu stehen scheint, was sein Anliegen unmittelbar betrifft.
Was ist Q? - Zur Geschichte der Forschung
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Probleme auseinander. Nachdem er die bekannten Argumente zugunsten der Schriftlichkeit von Q (wörtliche Übereinstimmung, Dubletten/Doppelüberlieferungen, übereinstimmende Reihenfolge) erneut dargelegt hat iss , wendet er sich einer Bestimmung des Umfangs der Logienquelle zu. Bemerkenswert ist die Tatsache, daß dies nicht, wie bei vielen seiner Vorgänger, durch die weitgehende Identifizierung des über Mk hinausgehenden Mt-/LkGutes mit Q geschieht; vielmehr untersucht der Autor eine Vielzahl von Logien je gesondert auf ihre Q-Zugehörigkeit hin156. Dazu verwendet er eine Reihe von Kriterien, die allerdings nirgends in einer Art Katalog gebündelt genannt werden, sondern den Einzelanalysen zu entnehmen sind. Obwohl allgemeine Indizien berücksichtigt werden, deren Berechtigung zumindest hinterfragbar ist157, überwiegen Hinweise auf die Verbindung zum unmittelbaren Kontext15* und auf das Maß der Übereinstimmungen159 im Wortlaut bei weitem. Anders als besonders Schulz160 erkennt Sato jedoch, daß die Unterschiede zwischen den Versionen mancher Parallelsprüche durch die Herausarbeitung matthäischer und lukanischer Redaktion allein nicht erklärt werden können161. Da es außerdem Logien gibt, die bei einem der Evangelisten in erweiterter Form begegnen, sich also der Eindruck einer sekundären Fortbildung aufdrängt, votiert der Verfasser für die Annahme unterschiedlicher Quellen-Vorlagen für Mt und Lk162. Bezeichnenderweise wählt er als Beispiel, anhand dessen die Sinnhaftigkeit und Effektivität dieser These verdeutlicht werden soll, die Seligpreisungen
155
Q 16f.
156
Q 20-28.
157
Inhaltliche Berührungen zwischen der Mt- und der Lk-Fassung oder (inhaltliche) Analogien im sonstigen Q-Stoff können meines Erachtens in keinem Fall ein entscheidender Grund für die Annahme von Q-Zugehörigkeit sein; als komplementäre Motive mögen sie im Einzelfall eine Erwähnung rechtfertigen. 158 So ist wahrscheinlicher, daß ein Wort zu Q gerechnet werden kann, wenn es von anderen Worten umgeben ist, die eindeutig dieser Quelle angehören. Dieses Argument hat sein unbestreitbares Recht, kann jedoch in der vorliegenden Untersuchung nicht in Anschlag gebracht werden, insofern eine traditionsgeschichtlich abgeschlossene Oberlieferungseinheit auf ihre Quellenzugehörigkeit hin befragt wird. 159 Am Rande sei erwähnt, daß Sato die solide Verwendung dieses Kriteriums u.a. dadurch unter Beweis stellt, daß er zu Recht eine Berücksichtigung der Länge einer Überlieferungseinheit anmahnt: Bei sehr kurzen Logien muß ein hoher Prozentsatz an wörtlicher Übereinstimmung nicht viel bedeuten! 160 q 161
Q 47.
162
Q 47.
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Die Logienquelle
aus, in denen sowohl Wortlautveränderungen163 als auch Weiterungen164 zu beobachten sind. Damit ist die gerade für die Grundrede165 zu konstatierende Sachlage zutreffend beschrieben: Einerseits Übereinstimmungen, die ohne jede gemeinsame schriftliche Vorlage kaum hinreichend begründet werden können, andererseits frappierende Differenzen im Wortlaut, die nur selten auf die Evangelisten zurückgehen. Diesen Ansatz werde ich im Verlauf meiner Arbeit für den gesamten zu verhandelnden Stoff umzusetzen haben. Sato bleibt indessen nicht bei dem Postulat und der Begründung von zwei Q-Rezensionen166 stehen; er versucht darüberhinaus in einem Exkurs167 aufzuzeigen, daß man sich die Logienquelle als eine Art aus Notizblättern zusammengestelltes Ringbuch vorstellen kann. Dies entspräche ihrem angenommenen unabgeschlossenen Charakter und böte die Möglichkeit, daß sukzessive weitere Blätter eingefügt werden konnten. Ein solches Modell ist aber, so bestechend es auf den ersten Blick wirken mag, gerade nicht in der Lage, ein Problem lösen zu helfen, das in seiner bleibenden Offenheit meiner Ansicht nach die große Schwäche in den Überlegungen Satos ausmacht: Wie ist es zu erklären, daß ein Teil der Q zugeschriebenen Tradition den vorausgesetzten Wachstums- und Bearbeitungsprozeß nahezu unverändert überdauerte, während ein anderer Modifikationen gegenüber dem Original teilweise bis an den Rand der Unkenntlichkeit erfuhr? An dieser Stelle fehlt ein überzeugender Vorschlag, der die Rezensionen-These griffig machen würde. s) Daniel Kosch
Als vorerst letzte große Untersuchung über (ein bestimmtes Problemfeld von) Q erschien vor zwei Jahren Koschs umfangreiche Publikation „Die eschatologische Tora des Menschensohns", die sich zu den meisten für uns relevanten Fragestellungen detaillierter äußert. Der Verfasser setzt die Existenz von Q als erwiesen voraus und versteht diesen Text als ein in griechischer Sprache abgefaßtes schriftliches Doku-
163
Sato, Q 47f verweist auf Lk 6,21b.22 par.
164
Sato, Q 48f erwähnt die bei Mt ohne lukanische Parallele begegnenden Makarismen sowie die Weherufe in Lk 6 , 2 4 - 2 6 . 165
Als weitere Q-Fortbildung in diesem Korpus nennt Sato, Q 54 Lk 6 , 3 7 b - 3 8 b .
166
Es spricht für Satos erfreuliche Abneigung gegen jede Spekulation, wenn er Ο 5 0 mehr als zwei Rezensionen zwar nicht generell ausschließt, eine solche Möglichkeit aber als nicht belegt von einer weiteren Erörterung ausnimmt. 167
Q 62-68.
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ment168. Wie viele andere vor ihm geht er bei der Bestimmung des Urafangs von Q von den Mt und Lk gemeinsamen Stoffen aus, die nicht dem Markusevangelium entstammen169, betont aber in einer Deutlichkeit wie vielleicht allein noch Sato die Vorläufigkeit einer solchen Abgrenzung in beide Richtungen: Es ist nicht nur mit der Möglichkeit zu rechnen, daß QTexte nur von einem Evangelisten aufgenommen wurden und ihre Herkunft damit kaum noch erkennbar ist170, sondern ebenso mit einer bloß scheinbaren Gemeinsamkeit zwischen zwei in Wirklichkeit unterschiedlichen Texten je eigenen Ursprungs sowie dem besonderen Problem der zwischen Lk 14,26 und 17,6 verstreuten Sprüche. Bei Unsicherheit sei Q-Zugehörigkeit deshalb in sorgfältiger und differenzierender Abwägung immer neu zu hinterfragen171. Besonders instruktiv sind Koschs Ausführungen zum Wortlaut von Q, seiner Rekonstruierbarkeit und der damit in Verbindung stehenden Frage nach Q-Rezensionen. Er stellt heraus, daß vor allem zwei Faktoren von entscheidender Bedeutung sind, nämlich wie zuversichtlich man ist, im Matthäus- und Lukasevangelium die redaktionelle Schicht abheben zu können, und welchen Stellenwert man dem Faktum einer mehr oder minder beträchtlichen Zeitspanne zwischen der Abfassung von Q und der matthäischen bzw. lukanischen Redaktion beimißt172. In diesem Zusammenhang versteht er die von ihm vertretene Sicht als Alternative zu dem Ansatz von Schulz173, der bekanntlich versucht, die Differenzen als Ergebnis einer Redaktion der Evangelisten begreiflich zu machen174. Demgegenüber meint er aufgrund der in der Tat erheblichen Abweichungen zwischen Mt und Lk, die .relativ häufig" nicht oder nicht eindeutig auf den jeweiligen
168
Tora 28.
169
Vgl. auch seine Ausführungen in Kosch, Jesus 33ff.
170
Meines Erachtens zu Recht verweist er Tora 29 A.75 darauf, daß trotz verschiedener Bemühungen um die Erstellung eines Kriterienkataloges die Verifikation solcher Logien methodisch weiterhin schwer kontrollierbar ist. 171
Tora 29.
172
Tora 30.
173
Q.
174
Kosch, Tora 31 sieht die Möglichkeit, auf einem solchen Wege weiter zu kommen als Schulz, darin, die Spracheigentümlichkeiten von Q in wesentlich stärkerem Maße zu berücksichtigen. Ich möchte jedoch sehr bezweifeln, daß eine Auswertung des O-Wortbestandes eine Basis bieten kann für eine auch nur annähernd ausreichende Scheidung von Redaktion und Tradition in Stoffen, die dieser Quelle zugeschrieben werden und in den beiden Versionen beträchtlich differieren. Trotz Koschs Hinweis auf die Arbeit von Wegner, Hauptmann gebricht es meines Erachtens bisher an einem überzeugenden Beispiel für die Praktikabilität einer solchen Methode.
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Die Logienquelle
Endredaktor zurückgeführt werden können, mit zwei unterschiedlichen Rezensionen rechnen zu müssen (QLk und QMt)17S. Außerordentlich bedeutsam scheint mir sein Zugeständnis zu sein, daß das Überlieferungsstadium zwischen der Abfassung von Q und der Redaktion durch die Evangelisten so weit im Dunkeln liegt, daß es allein sinnvoll ist, dasjenige Stadium zu untersuchen, nach welchem sich die Entwicklungslinien trennten176. Obwohl Kosch darüberhinaus sogar einräumt, daß es zuweilen unsicher bleibt, ob die Abweichungen redaktionellen oder vorredaktionellen Ursprungs sind177, vermag sein Lösungsangebot letztlich jedoch nicht zu überzeugen: Nach Abzug der redaktionellen Eingriffe durch Mt und Lk möchte er die ursprüngliche Fassung .aufgrund formaler, sprachlicher und auch sachlicher Erwägungen" eruieren, selbst wenn beide Versionen redaktionell gestaltet sein sollten178. Für ihn ist Q ein vielschichtiges, gewachsenes Gebilde mit geringerer Abgeschlossenheit als beispielsweise das Markusevangelium179. Gerade wenn man von einer hohen Traditionsgebundenheit der verschiedenen Q-Redaktionen ausgeht, die einen geradlinigen gedanklichen Fortschritt verhinderte, so daß allenfalls eine Kompositionsanalyse, nicht aber Wort- oder Stilkritik irgendeine Aussage über redaktionelle Eingriffe in der Q-Tradition ermöglichen180, erklärt ein solches Modell nicht im mindesten das zentrale Problem der Disparatheit des Materials bezüglich der wörtlichen Konvergenz. Kosch macht eine Reihe von wichtigen Beobachtungen, die z.T. deutlich über das hinausgehen, was in der Q-Forschung gemeinhin zugestanden zu werden pflegt181, die von ihm vorgeschlagene Alternative ist jedoch nicht
175
Tora 32. An anderer Stelle geht er davon aus, daß die Existenz verschiedener Versionen von Q als Vorlagen für die Seitenreferenten .weitgehend anerkannt" sei (29 A.71 mit Hinweis auf Kümmel, Einleitung 42f und die bei Schmithals, Einleitung 222f genannten Autoren). Diese Einschätzung dürfte der auch an diesem Punkt kontroversen Forschungslage allerdings nicht gerecht werden. 176
Kosch, Tora 32 definiert als Q-Fassung eines Textes .das letzte Stadium seiner Traditionsgeschichte vor ihrem Auseinanderfallen in einen zu Mt und einen zu Lk hinführenden Zweig*. Beachtung verdient sein nachdrückliches Insistieren auf einer so bestimmten Q Fassung in Abgrenzung von einem Verständnis von Q als einer wachsenden Schicht (Tora 3 2 A.86). 177
Tora 32f.
178
Tora 33.
179
Vgl. Tora 28f; 38.
180
Tora 38.
181
Hier ist vor allem der Verzicht auf das Postulat weitreichender Kenntnisse über die Stationen, Motive und Einflüsse bei der Entwicklung des Dokuments von der gemeinsamen Fassung bis zu den angeblichen Rezensionsexemplaren zu nennen.
Was ist Q ? - Versuch einer Definition
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mehr als eine Notlösung, die sich in ihrer konkreten Umsetzung nur unwesentlich von ihren Vorgängern unterscheidet. Ich bin der Überzeugung, daß es dringend geboten ist, sich dessen zu erinnern, was einst zur Entstehung der Q-Hypothese führte, nämlich in erster Linie die Beobachtung auffälliger wörtlicher Konvergenz; besinnt man sich darauf zurück, bekommen wir es wieder mit einer Logienquelle zu tun, die trotz ihrer nur erschlossenen Existenz eine akzeptable Grundlage für die Arbeit an den Synoptikern bietet. Als ein solcher Versuch, ad fontes zu rufen, möchte das folgende Kapitel verstanden werden.
2. Was ist Q? — Versuch einer Definition a) Q als Hypothese So banal es klingen mag, so grundlegend ist doch die Feststellung: Q ist nicht mehr und nicht weniger als eine Hypothese, deren Berechtigung und Wert (hirchaus hinterfragt werden darf1. Im Rahmen theologischer Wissenschaft kann mit ihr meines Erachtens nur eine Annahme gemeint sein, die, anders als in den Naturwissenschaften üblich, nicht auf eine Verifikation oder Falsifikation im strengen Sinn rechnen kann2; ihr Anspruch auf Validität hat sich vielmehr dem permanenten Öiskurs zu stellen und wird per definitionem immer zur Disposition stehen. Ihre Brauchbarkeit gründet sich hauptsächlich auf zwei Faktoren: Erstens muß eine Hypothese möglichst viele, im Idealfall alle, Phänomene einer plausiblen Erklärung zuführen, die in ihrem Geltungsbereich einer Erhellung bedürfen, und dabei möglichst wenige, im Idealfall keine offenen Fragen neu aufwerfen. Zweitens ist eine solche Hypothese prinzipiell darauf angewiesen, mit möglichst wenig, im Idealfall ohne, weitere Zusatz- oder Folgehypothesen auszukommen; jede weitere unbeweisbare Annahme reduziert die Aussagekraft drastisch und bewirkt vielfach das Gegenteil von dem, was eigentlich intendiert ist. Postuliert man also beispielsweise eine längere Entstehungsgeschichte von Q mit einer Vielzahl von literarischen Zwischenstufen, die ihrerseits zusätzliche Hypothesen darstellen, ist es eine Illusion zu meinen, man hätte damit ein Szenario entworfen, das mehr Plausibilität besitzt als eine Logienquellen-Hypothese, die sich mit einer einzigen und abschließenden Redaktion zu begnügen sucht!
1
Ähnlich Hoffmann, Studien 1.
2
Vgl. schon Streeter, Gospels 184.
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Die Logienquelle
b) Gute Gründe für Q Schmithals3 schreibt zu Recht mit ablehnendem Unterton, Q als eine mündliche Überlieferungsschicht sei .ein moderner Einfall" im Kontext der Formgeschichte. Wenn Einfälle auch nicht schon deshalb, weil sie in den letzten Jahrzehnten zu Papier gebracht wurden, falsch sein müssen, ist es doch angemessen, von Q als einem schriftlich fixierten Werk auszugehen. Für eine solche Sicht der Dinge, die den Hauptstrom der Forschung repräsentiert, werden vor allem drei4 Gründe genannt: Dubletten bzw. Doppelüberlieferungen, Übereinstimmungen in der Reihenfolge und Übereinstimmungen im Wortlaut. Selbstverständlich können diese Argumente nur im Zusammenspiel ihre ganze Überzeugungskraft entwickeln, die in Zweifel zu ziehen ich keinerlei Veranlassung sehe 5 . Gefragt werden mag gleichwohl, an welchem Punkte letztlich die Entscheidung fällt: Es ist keineswegs so, daß die genannten, geschweige andere 6 Gründe bei der Beschäftigung mit einzelnen Logien oder auch Sammlungen stets in toto verifiziert werden könnten oder müßten. Dies leuchtet bei den Dubletten unmittelbar ein, gilt aber ebenso für die Abfolge. Das genannte Argumentationsgeflecht versucht, meines Erachtens einleuchtend, aufzuzeigen, daß es eine schriftliche Quelle Q gab, entbindet uns jedoch gerade nicht der Verpflichtung, in jedem Einzelfall besonders auch die Frage nach der Zugehörigkeit zu Q neu zu stellen. Betrachtet man die Problematik von dieser Seite, ergibt sich folgende Antwort: Ausschlaggebend ist ausschließlich das Maß der wörtlichen Übereinstimmung7! Nur an ihm kann sich die Wahrscheinlichkeit bemessen, Bestandteil dieses Dokumentes zu sein. Nehmen wir als Beispiel die Täuferpredigt (Lk 3,7-9 par Mt 3,7-10); nicht etwa ihre parallele Plazierung im Abriß der beiden Evangelien, die kaum überrascht, läßt sie uns Q zuweisen,
3
Evangelien 598. Kloppenborg, Formation 46f führt als vierten die Bewahrung von .peculiar phrases* an, die dem Sprachgebrauch der Evangelisten wider- oder zumindest nicht entsprechen. 4
5 Für einen Überblick über die Begründungsmöglichkeiten der Q-Hypothese vgl. z.B. die entsprechenden Abschnitte bei Kümmel, Einleitung 37ff oder Schmithals, Evangelien 597ff. Eine besonders sorgfältige Darstellung bietet Kloppenborg, Formation 42-51. 6 Häufig wird mit inhaltlichen Kriterien gearbeitet, oder man postuliert eine fast totale Übereinstimmung zwischen Mt und Lk bei der Auswahl des Spruchgutes (so Schmithals, Evangelien 598). 7 Vgl. an diesem Punkte völlig richtig Wrege, Überlieferungsgeschichte 1. Tuckett, Beatitudes 194 argumentiert in Bezug auf die bei Mt und Lk gemeinsamen Seligpreisungen strukturell vergleichbar, wenn er .the close verbal agreement* als zwingenden Grund für eine liierarische Beziehung erachtet.
Was ist Q? - Versuch einer Definition
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sondern die Konvergenz im Wortlaut. Oder die Parabel vom Auge (Lk ll,34f par Mt 6,22f): Niemand käme vermutlich auf die Idee, sie Q abzusprechen, nur weil ihre Einordnung in die jeweilige Evangelienschrift gänzlich unterschiedlich ist: Das verhindert die große Übereinstimmung im Wortlaut. Schließlich sei auf den umfangreichen Komplex .Vom Sorgen und Schätzesammeln" (Lk 12,22-31 par Mt 6,25-33) hingewiesen, dessen QZugehörigkeit durch die völlig andere Plazierung nicht im mindesten gefährdet ist. In Fällen wie den genannten pflegt man im allgemeinen darauf zu verweisen, daß einer der beiden Evangelisten, gewöhnlich Mt, gemäß eigener Kompositionsvorstellungen Arrangements vorgenommen habe — eine vielfach erprobte und bewährte Annahme, die bei einer Bereitschaft zur Flexibilität en detail einen hilfreichen Rahmen setzt. Solange man am Postulat wörtlicher Übereinstimmung festhält, kann die Substanz der Q-Hypothese durch abweichende Einordnungen der Logien nicht in Frage gestellt werden. Mit dem wie auch immer im einzelnen begründeten und konkret ausgestalteten Verzicht darauf aber berauben wir uns des entscheidenden Fundaments und bewirken damit den Zusammenbruch eines der beiden Pfeiler der Zwei-Quellen-Hypothese, welche für die meisten weiterhin das literarkritische Rückgrat der eigenen Arbeit bildet. c) Die Frage eines aramäischen Originals Gab es jemals ein aramäisch formuliertes Q-Exemplar? Oder wurde Q von Anfang an in Griechisch verfaßt? Und wenn eine Übersetzung nötig war: Wann erfolgte sie und wo? Und vor allem: Hatte sie mehrere verschiedene Übersetzungsergebnisse zur Folge? Daß die gesamte älteste Jesus-Überlieferung inklusive der Logien, die später zu Q gebündelt wurden, zunächst aramäisch zirkulierte, ist unbestritten — in Palästina wurde eben auch und vor allem diese Sprache gesprochen, besonders in den sozialen Schichten und der geographischen Provinz, die für die erste Gemeinde typisch waren. Spätestens8 beim Übertritt der christlichen Botschaft zu anderen Bevölkerungsgruppen und vollends in die benachbarten und dann sogar fernere Länder trat das Griechisch in den Vordergrund, so daß alle uns überlieferten christlichen Zeugnisse im Bereich des Neuen Testaments in dieser Sprache abgefaßt sind. Nicht mehr als rudimentäre Brocken sind uns von der Sprache Jesu erhalten. Auch Q, die älteste bekannte Quelle der synoptischen Evangelien, ist uns allein in
8 Dibelius, Formgeschichte 235 geht davon aus, daß die Übersetzung der .echten" Jesuslogiei zuerst in zweisprachigen Gemeinden erfolgte, auf jeden Fall aber vor ihrer Sammlung
50
Die Logieriquelle
griechischer Sprache überkommen. Die entscheidende Frage lautet aber: In welcher Überlieferungsphase der synoptischen Tradition ist die Entstehung von Q anzusiedeln — erst in einer (schriftlichen) griechischen oder schon in einer (mündlichen oder schriftlichen) aramäischen? Bultmanns9 Position hat bis heute bei vielen großes Gewicht: Seiner Meinung nach war die Logienquelle als ganze ursprünglich aramäisch verfaßt, wurde verschiedentlich ins Griechische übersetzt und lag auch Mt und Lk in unterschiedlichen Übersetzungen vor, die den größten Teil der Abweichungen zwischen den beiden Ausformungen des entsprechenden Gutes verständlich machen sollen. Wie jedoch fügt sich in eine solche Sicht das Nebeneinander von starken Abweichungen in einigen Passagen abgesehen davon, ob ihre Erklärung als Übersetzungsvariante überzeugen kann oder nicht — und extremen Übereinstimmungen in anderen? Warum sollten einerseits Übersetzungen ein und desselben aramäischen Originals so auffallend disparate Ergebnisse gebracht haben? Ist es andererseits vorstellbar, daß Übersetzungen, die völlig unabhängig voneinander entstanden sind, zu vielfach beinahe identischen griechischen Texten führten? Meines Erachtens gelingt es Bultmann nicht, eine für die Haltbarkeit seiner These unbedingt erforderliche schlüssige Antwort auf diese Fragen zu geben. Andere entgehen dieser Notwendigkeit, indem sie das Postulat einer aramäischen Vorlage lediglich auf einen Ausschnitt der Q-Überlieferung beschränken. Besonders markant argumentieren in diesem Zusammenhang Bussmann10 und Bussby11. Bussmann bringt wie viele vor ihm die eigentliche Redenquelle mit dem seit Schleiermacher12 immer wieder herangezogenen Papiaszitat13 in Verbindung. Die großen Differenzen dieses Textbestandes zwischen Mt und Lk basieren danach vornehmlich auf einer Verschiedenheit der Konstruktionen, der Wortstellung oder ganzer Wendungen, vor allem aber einer Unzahl von
9 10
Geschichte 354. Studien 15Iff.
11
Q. Friedrich Schleiermacher, Über die Zeugnisse des Papias von unsern beiden ersten Evangelien, TSK 5, 1832, 735-768, folgerte als erster aus der genannten Notiz, daß es eine aramäische Spruchsammlung als Quelle des Matthäusevangeliums gegeben haben müsse. 12
13 Μ α τ β α ί ο ς μέν οΰν 'EßpatSi δ ι α λ έ κ τ ω τ α λ ό γ ι α σ υ ν ε τ ά ξ α τ ο , ή ρ μ ή ν ε υ σ ε ν δ' α ύ τ ά ώς ή ν δ υ ν α τ ό ς Εκαστος, Eusebius, hist. eccl. III 39,15f. Zu einer ausführlicheren Auseinandersetzung mit diesem Argumentationsstrang vgl. u.a. Kloppenborg, Formation 51—54; er gelangt zu der Überzeugung, daß die für Papias bezeugten Feststellungen apologetisch motiviert und auf die kanonischen Evangelien zu beziehen sind. Ähnlich auch schon Dibelius, Formgeschichte 234 A.2.
Was ist Q ? - Versuch einer Definition
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Vokabelvarianten, lauter Phänomene, die in zwei unterschiedlichen Übersetzungen der aramäischen Urschrift begründet sind. Er führt nicht weniger als 122 von diesen Vokabelabweichungen an; allein im Text der Feldrede macht er 35 Wörter aus, die seiner Ansicht nach auf eine gemeinsame aramäische Vorlage zurückzuführen sind14! Allerdings ist die Aussagekraft dadurch erheblich eingeschränkt, daß die griechischen Wortpaare (matthäische/lukanische Version) einfach benannt werden, ohne die vorausgesetzten aramäischen Äquivalente anzugeben. Zudem entpuppen sich viele Varianten bei näherer Betrachtung als redaktionell erklärbare Synonyme15. Bussby nennt 25 Jahre später in einem grundlegenden Aufsatz fünf Gesichtspunkte, die nach seinem Dafürhalten die These einer semitischen Quelle für einen Teil von Q unausweichlich werden lassen: 1. Q enthält zahlreiche Beispiele für Parallelismen, die der semitischen Poetik entstammen. 2. Er entdeckt eine Reihe von .transliterations" wie z.B. Amen, Beelzebul oder Mammon. 3. Ortsnamen begegnen nur aus dem Gebiet von Galiläa16. 4. Alle Personennamen sind semitischer Herkunft17. 5. Auch Bussby enumeriert einige Übersetzungsvarianten, wenn auch bedeutend weniger als Bussmann. Er differenziert dabei zwischen zwei Gruppen: Zum einen werden Beispiele für solche Fälle genannt, in denen der abweichende Wortlaut auf unterschiedliche Übersetzungen derselben Vorlage zurückzuführen ist — sei es, daß diese durch die Evangelisten erfolgten, sei es, daß deren Quellen dafür verantwortlich sind. Zum anderen handelt es sich um (teilweise optisch bedingte) Fehlübersetzungen auf einer der genannten literarischen Ebenen; an diesen Stellen lag zwar faktisch eine übereinstimmende Lesart zugrunde, der oder die Übersetzer gingen jedoch (fälschlich) von unterschiedlichen Texten aus. Zur Tragfähigkeit derartiger Argumente muß folgendes gesagt werden: 1. Semitische Stilmitte) lassen keineswegs auf eine aramäisch verfaßte Schrift zurückschließen; sie finden sich vielmehr in der gesamten urchristlichen Evangelienliteratur, zumindest soweit diese auf Jesus selbst zurückgeht,
14
Studien 151-154.
15
Eine gute Darlegung dieses Sachverhalts bietet Kloppenborg, Formation 55f.
16
Betsaida wird danach in der Quelle als Teil von Galiläa verstanden.
17 Die einzige Ausnahme stellt für Bussby der Beiname des Johannes, ό β α π τ ι σ τ ή ς , dar; er erklärt ihn deshalb als einen ursprünglich verächtlichen Spitznamen, der jedoch als Ehrenname übernommen wurde. Vgl. Q, 274.
52
Die Logienquelle
da er — und mit ihm die früheste Gemeinde - unbestritten semitisch dachte und formulierte 18 . 2. Bussbys .transliterations" sind auf entsprechende Weise zu erklären: Nicht nur in Q, sondern ebenso in anderen synoptischen und außersynoptischen Traditionen begegnen derartige Termini, die schlicht aus dem aramäisch geprägten Umfeld Jesu und seiner Anhänger erhalten blieben. 3. Die Dominanz galiläischer Ortsnamen nimmt nicht wunder angesichts der Tatsache, daß Jesus ganz überwiegend in Galiläa wirkte. 4. Semitische Personennamen können niemanden überraschen, weil Jesus bis zu seiner Passion fast ausschließlich mit Angehörigen semitischer Völker zu tun hatte. Derartige Beobachtungen belegen folglich nicht mehr als eine Einbettung der zugrundeliegenden Tradition in der semitischen (Sprach-)Welt - für die Frage nach einer aramäischen Komposition der Logienquelle tragen sie dagegen nichts aus19. 5. Demgegenüber sind Übersetzungsdifferenzen, besonders solche, die durch Lesefehler verursacht wurden, in der Tat starke Indizien für eine schriftlich und aramäisch verfaßte Quelle. Durchaus uneinheitlich sind allerdings die Antworten darauf, wie man sich den Einfluß einer partiellen aramäischen Vorlage konkret zu denken hat, selbst wenn die genannten Indizien zweifelsfrei ausfindig gemacht werden können. Entweder man erwägt, mindestens einem der Evangelisten habe zusätzlich zu einer griechischen Logienquelle ein zweites aramäisches Exemplar zur Verfügung gestanden, aufgrund dessen er die griechische Version hin und wieder überarbeitete 20 . Oder man differenziert, wie bei Bussmann21 geschehen, Q selbst, indem man zwischen einem griechischen und einem aramäischen Teil — von ihm „T" und „R" genannt — unterscheidet. Schließlich besteht die Möglichkeit, daß lediglich isolierte Einzelsprüche aramäisch tradiert wurden und in dieser Gestalt auch den Evangelisten bekannt waren, welche sie bei der Niederschrift ihres Evangeliums von Fall zu Fall al§ Alternative zur griechischen Version berücksichtigten22. Derlei Thesen zeigen jenseits einer Bewertung ihrer Plausibilität immerhin unabweisbar die Komplexität der Problemlage an, die sich keineswegs a limine befriedigend bewältigen läßt. Sie weisen jedoch auch das ernstzuneh-
18
Vgl. u.a. auch Dibelius, Formgeschichte 235.
19
Vgl. auch Kloppenborg, Formation 54f.
20
So ζ. B. Manson, Sources.
21
Studien.
22
So neben vielen anderen Brown, Form 27.
Was ist Q ? - Versuch einer Definition
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mende prinzipielle Manko auf, gegenüber .einfachen" Lösungen jeweils mit zusätzlichen Prämissen arbeiten zu müssen. Zudem erheben sich gegen diese Erklärungsmodelle über das bisher Gesagte hinaus einige Einwände en detail, von denen ich wenigstens zwei erwähnen möchte: Zum einen mag die Annahme, isolierte aramäische Logien hätten den Evangelisten als Wahlmöglichkeit neben den griechischen Quellen zur Verfügung gestanden, eine Lösungsperspektive bieten für vereinzelte mehr oder minder zufällige Übersetzungsvarianten23 — zumindest das Entstehen von Lesefehlern kann auf diese Weise hingegen nicht einsichtig gemacht werden. Zum anderen reduziert eine genauere Analyse die aufgelisteten Beispiele von .translations and mistranslations in Q"24 erheblich. Exemplarisch dargestellt bedeutet dies für die insgesamt elf Belege bei Bussby25: Abgesehen von den Versen Lk 6,22.23, die weiter unten behandelt werden, finden drei Stellen Berücksichtigung, an denen der Wortlaut zwischen Mt und Lk übereinstimmt, die für die vorliegende Fragestellung also keinerlei Relevanz haben, nichtsdestoweniger aber erörtert werden, da ein Rückgriff auf aramäische Wurzeln inhaltliche Klärung bringen soll: Sowohl ύπό έξουσίαν (Lk 7,8 par Mt 8,9) als auch διχοτομήσει (Lk 12,46 par Mt 24,51) sind allerdings ohne Schwierigkeit als griechische Wendungen ohne Zuhilfenahme aramäisch bedingter Konjekturen verständlich; und ό υίός τοϋ άνΟρώπου (Lk 7,34 par Mt 11,19) kann auf dem Hintergrund von ergeltung (Lk 6,29-30 / Mt
5,39b-42)
1. Allgemeine statistische Angaben a) Der Text im Überblick 34 Gesamtzahl der Worte — übereinstimmend 13 - abweichend 21 08(02) Vokabelabweichung 03(02) Grammtikabweichung 10 Konstruktion 02 Überschießend b) Maß an Übereinstimmung: 38% (Lk) -
51 13 38 08(02) 03(02) 09 20 26% (Mt)
2. Aufschlüsselung des Textes a) identisch
σε την σιαγόνα
19
Mt 21,20 ist kaum als Streichung gegenüber Mk zu bewerten. Sollte man dennoch von einer solchen Annahme ausgehen, legen sich dafür inhaltliche Gründe (Jesus Christus verflucht nicht!) nahe; für die gänzlich kontrare Verwendung von κ α τ α ρ ά ο μ α ι im Zusammenhang eines Aufrufes zur Feindesliebe trüge dies nicht viel aus. Primär auch nach Kosch, Tora 289; Sauer, Feindesliebe 8 A.29. 20 Dem zuweilen vorgetragenen Argument, Lk vermeide eher Parallelismen, als daß er neue schaffc (Kloppenborg, Formation 174 in Anlehnung an eine Beobachtung H J . Ladburys, The Style and Literary Method of Luke, 1969 (repr., =1920), kommt sicherlich keine ausschlaggebende Bedeutung zu, es verstärkt jedoch die Notwendigkeit einer transredaktionelIcn Erklärung.
108
Die Grundrede
και τήν άλλην καί σου καί αίτοϋντί σε καί μή b) Folgeabweichung c) Vokabelabweichung
έπί τό ίμάτιον τόν χιτώνα παντί
είς τόν χιτώνα τό ίμάτιον τώι
d) Grammatik
δίδου
δός
e) Mehrfachabweichungen
πάρεχε άπαίτει
στρέψον άποστραφης
f) Konstruktion I g) Konstruktion Π
τω τύπτοντι άπό τοϋ αίροντος μή κωλύσης άπό τοϋ αιροντος
δστις Σαπίζει τω ύέλοντι λαβείν αφες τόν Οέλοντα δανίσασύαι
h) überschießend
άλλ' δεξιάν σου αύτω σοι κριΰήναι καί αύτω και δστις σέ άγγαρεύσει μίλιον 8ν ΰπαγε μετ' αύτοϋ δύο άπό σοϋ τα σα
Wortstatistische Analyse - Von der Wiedervergeltung
109
3. Einzelanalyse der differierenden Textelemente
τύπτω mit Objekt Lk 6,29 lOmal mit dir. Obj.1 lmal mit έ π ί Meines Erachtens spricht die Einmaligkeit einer Verbindung von τύπτω mit έπί deutlich gegen lukanische Redaktion; daß τύπτω von Lk zuweilen redaktionell gebraucht wird2, steht dem gerade nicht entgegen.
φαπίζω mit Objekt Mt 5,39 ist der einzige Beleg für β α π ί ζ ω mit Objekt bei den Synoptikern und in der Apg. Alternierender Gebrauch von έ π ί und ε ί ς
Lk 6,29 τύπτω έπί τήν σιαγόνα Mt 5,39 φαπίζω είς τήν σιαγόνα Mt 3,16 = Lk 3,22 καταβαίνω έπί Mk 1,10 καταβαίνω είς Mt 13,7 πίπτω έπί Mk 4,7 πίπτω είς Mt 13,8 πίπτω έπι Mk 4,8 = Lk 8,8 πίπτω είς Mt 24,3 κάύημαι έπί Mk 13,3 κάύημαι είς Mk 4,31 σπείρω έπί της γης Lk 13,19 βάλλω είς κήπον Mk 15,22 φέρω έπι τόν ΓολγοΜν τόπον Lk 23,33 έρχομαι έπί τόν τόπον Mt 27,33 έρχομαι είς τόπον Lk 4,43 έπί τοΰτο αποστέλλω Mk 1,38 έρχομαι είς τόπον Lk 22,21 ή χειρ έπί της τραπέζης Mk 14,20 έμβάπτω είς τό τρύβλιον Lk 22,40 γίνομαι έπί τοϋ τόπου Mk 14,32 = Mt 26,36 έρχομαι είς χωρίον Mt 22,9 πορεύομαι έπί τάς διεξόδους Lk 14,21 έξέρχομαι είς τάς πλατείας
1 2
Mt 24,49; Mk 15,19; Lk 12,45; 18,13; 23,48; Apg 18,17; 21,32; 23,2.3.3. So Kosch, Tora 292 ohne Angabe von Belegen.
110
Die Grundrede
Die ihrem Anspruch nach vollständige Liste aller synoptischen Belege für alternierenden Gebrauch von έπί und είς kann trotz ihrer sicherlich beschränkten Aussagekraft3 folgendes zeigen: Die Belege für und gegen die Behauptung, die Abweichung von έπί und είς sei auf Eingriffe eines der Evangelisten zurückzuführen, halten einander die Waage. Einmal setzt Mt είς (27,33) gegen seine Vorlage έπί, die in diesem Falle auch bei Lk bewahrt ist, gleich dreimal tut dies Lk unter umgekehrtem Vorzeichen (4,43; 22,21.40). Andererseits gibt es wenigstens vier gegenteilige Beobachtungen: Lk ändert an einer Stelle zu είς (13,19), Mt an dreien zu έ π ί (13,7.8; 24,3). Da, wie oben gesehen, die Analyse des jeweiligen Objektanschlusses bei β α π ί ζ ω und τ ύ π τ ω genausowenig Aufschluß bietet, bleibt es bei einem negativen Bescheid auf die Frage nach redaktionell bedingter Abweichung.
παρέχω 1 _ 1_ 4_ 5 0.05 - 0.09 - 0.21 - 0.27 Lk 6,29 Lk 7,4: # gegenüber Mt Lk 11,7: S Lk 18,5: S Mk 14,6 = Mt 26,10 Kein Anhaltspunkt für redaktionelle Bevorzugung oder Meidung4.
στρέφω 6 - 0 - 7 - 3 Mt 5,39 S: 2mal5 #:
0.33 - 0 - 0.36 - 0.16
3 Zum einen haben wir es oft mit parallelen / analogen Passagen zu tun, die aber im Wortlaut recht stark variieren; besonders wichtig ist dies bei gänzlich unterschiedlichen Objekten. Zum anderen ist im Einzelfall nicht abzuschließen, daß die beiden Präpositionen, anders als in Lk 6,29/Mt 5,39, eine auch inhaltliche Nuancierung darstellen (vgl. in diesem Sinne schon Harnack, Sprüche 45). 4 Dies gilt ungeachtet der Tatsache, daß Kosch, Tora 292 einen allgemeinen Konsens postuliert dahingehend, daß Lk στρέφω durch παρέχω ersetzt. Schulz, Q 122 halt die Anzahl der Belege in Apg für überzeugend, Sauer, Feindesliebe 13 das Verb für ein lukanisches Vorzugswort. Hilfreich scheint mir der Hinweis Wreges, Überlieferungsgeschichte 76 A.2 darauf, daß παρέχω bei Lk meist formelhaft (π. κόπους bzw. it. έ ρ γ α σ ί α ν ) , mithin charakteristisch anders als in Lk 6,29 verwendet wird. 5
Mt 7,6; 27,3.
Wortstalistische Analyse - V o n der Wiedervergeliung
9,22 16,23 18,3
111
(έπιστρέφω 5,30) (έπιστρέφω 8,33) (al 10,15), al 18,17
Lk S: 3mal6 # : 2mal gegenüber Mt 7 lmal gegenüber Mk* - : 7,9
-8,10
Kein Anhaltspunkt für redaktionelle Bevorzugung oder Meidung9. άπαιτέω 0 - 0 - 2 - 0
Lk 6,30 Lk 12,20: S Kein Anhaltspunkt für redaktionelle Bevorzugung oder Meidung10. άποστρέήγμα
άνδρί καί άνδρί άμμον έπεσεν ή πτώσις
d) Grammatik
των λόγων ποιών ό ποταμός άκούσας ποιήσας ό ποταμός
τους λόγους ποιεί οί ποταμοί άκούων ποιών οί ποταμοί
e) Mehlfachabweichungen
προσέρρηξεν έγένετο
προσέπεσαν ήν
204
Die Grundrede
f) Konstruktion I
ό άκούων δμοιός έστιν οίκοδομοϋντι δμοιός έστιν οίκοδομήσαντι g) Konstruktion Π
ισχυσεν σαλεΰσαι αΰτήν δια τό καλώς ώκοδομήσύαι αύτήν fj προσέρηξεν της οίκίας έκείνης
δστις ακούει όμοιωύήσεται δστις ώκοδόμησεν όμοιωύήσεται δστις ώκοδόμησεν έπεσεν τεθεμελίωτο γαρ έπί την πέτραν και ήλΰον και προσέκοψαν αύτής
h) überschießend
ούν έρχόμενος πρός με καί
ύποδείξω ύμϊν τίνι έστίν δμοιος δς έσκαψεν και έβάΰυνεν και έΑηκεν Αεμέλιον πλημμύρης δέ γενομένης
χωρίς θεμελίου
τουτους
φρονιμω αύτοϋ τήν
καί κατέβη ή βροχή και ήλθαν καί έπνευσαν οί άνεμοι καί πας μου τους λόγους τούτους αύτούς μωρω αύτοϋ τήν καί κατέβη ή βροχή καί έπνευσαν
Wortstatistische Analyse - Vom Hausbau
205
οι άνεμοι τη οίκία έκείνη εύΟύς 3. Einzelanalyse der differierenden Textelemente
άνθρωπος' 3.92 - 3.54 - 3.03 - 1.79 72 - 40 - 59 - 33 Lk 6,48.49 S: 20mal2 # : lmal gegenüber Mt 3 lmal gegenüber Mk4 - : 5,18 ( - 2,3), - 9,2 5,20 (τέκνον 2,5), τέκνον 9,2 7,31 - 11,16 8,33 ( - 5,13), - 8,32 8,35 (δαιμονιζόμενος 5,15), αύτός 8,34 22,58 (al 14,70), al 26,72 22,60 (al 14,71), al 26,74 =: 3mal mit Mk allein5 14mal mit Mt allein6 9mal mit Mk und Mt7 22,10 (14,13), δείνα 26,18 23,47 (15,39), - 27,54 Mk S: 2mal8 # : 4mal9 - : 3,3 5,2 7,11 7,18
άνήρ Lk 6,8 άνήρ Lk 8,27, δαιμονιζόμενος Mt 8,28 0ς αν Mt 15,5 στόμα Mt 15,17
1 Samtliche Belege für den Hoheitstitel ό υ(ός τ ο ΰ ά ν ΰ ρ ώ π ο υ ( 3 0 - 1 5 - 2 5 - 1 ) werden im folgenden nicht berücksichtigt. 2
Lk 2,25.ZS; 5,10; 10,30; 12,14.16; 13,4; 14,2.30; 15,11; 16,1.15.19; 18,2.4.11; 23,4.6.14.14.
3
Lk 19,22.
4
Lk 21,26.
5
Lk 4,33; 8,28; 19,30.
6
Lk 4,4; 6,45; 7,8.25.34; 11,24.26.46; 12,8.9; 13,19; 14,16; 15,4; 19,21.
7
Lk 6,6; 9,25; 9,44/24,7; 19,12; 20,4.6.9; 22,22.
8
Mk 4,26; 8,24.
9
Mk 2,27.27; 7,8.15.
206
Die Grundrede
7,20 7,21 = : 12mal mit Mt allein10 3,5 12,14 14,71 Mt S: 16mal n # : 4mal gegenüber Lk12 2mal gegenüber Mk13 - : 7,9 9,9 9,32 10,17 10,35 12,11 12,35 17,14 18,7 19,3 23,13 27,32 27,57
σ τ ό μ α Mt 15,18 - Mt 15,19 Mt 12,13, α υ τ ό ς Lk 6,10 Mt 22,16, - Lk 20,21 Mt 26,74, al Lk 22,60
- 11,11 ( Λ ε υ ί ς 2,14), τ ε λ ώ ν η ς 5,27 - Mt 12,22, al Lk 11,14 - Mt 24,9, (al 13,9), al 21,12 al 12,53 τ ι ς 14,5/£καστος 13,15 -6,45 ( ε ί ς 9,17), ά ν ή ρ 9,38 -17,1 ( ά ν ή ρ 10,2) al 11,52 ( τ ι ς 15,21), τ ι ς 23,26 ('Ιωσήφ 15,43), ά ν ή ρ 23,50
Es ist weithin anerkannt 14 , daß Lk an dieser Stelle die ursprünglichere Version bietet. Dafür lassen sich in der Tat zahlreiche Indizien anführen: Neben einigen anderen Belegen (Lk streicht ά ν θ ρ ω π ο ς zumindest in 6,1015, Mt setzt es in 9,9) ist vor allem auf mit ά ν ή ρ alternierenden Gebrauch zu verweisen (Lk ersetzt markinisches ά ν θ ρ ω π ο ς entsprechend in 6,8 und 8,27; in Lk 9,38 par und 23,50 par ändern sowohl Mt als auch Lk ihre Vorlage, letzterer zu ά ν ή ρ , erstgenannter zu ά ν θ ρ ω π ο ς ; schließlich tauscht Mt in 19,3 markinisches ά ν ή ρ gegen ά ν θ ρ ω π ο ς aus).
10
Mk 1,17; 7,7.15.15.20.23; 8,27.33.37; 10,7.9; 14,21.
11
Mt 5,16.19; 6,1.2; 13,24.25.28.44.45.52; 18,23; 19,10.12; 20,1; 21,28; 22,11.
12
Mt 5,13; 10,36; 12,12; 23,7.
13
Mt 15,20; 26,72.
14
Vgl. z.B. Schulz, Q 313; Polag, Fragmente 38.
15 Lk 20,21 stellt ein eigenes Problem dar, weil das Fehlen von άνθρωπος durch den Wechsel zum Verb λαμβάνω bedingt sein dürfte.
Wortstatistische Analyse - Vom Hausbau
207
Ebenso verbreitet ist es jedoch, eine stattliche Anzahl von Gegenbelegen zu übersehen: Nicht weniger als sechsmal eliminiert Mt ein ihm vorgegebenes ά ν θ ρ ω π ο ς (Mt 15,5.17.18.19; 26,18; 27,54), während Lk es immerhin viermal von sich aus einfügen dürfte (Lk 5,18.20; 8,33.35). άνήρ 8 _ 4 _ 27 - 100 Mt 7,24.26 S: 2mal16
0.44 - 0.35 - 1.38 - 5.42
14,35 15,38 =: lmal mit Lk allein17 lmal mit Mk und Lk18 Mk S: lmal 19 10,2 10,12 Lk S: 9mal20 # : lmal gegenüber Mt21 3mal gegenüber Mk22 - : 5,12 5,18 6,8 8,27 8,38 8,41 9,30 9,38 11,31 22,63
16
( - 6,54) (-8.9)
ά ν ΰ ρ ω π ο ς Mt 19,3 Lk 16,18, - Mt 5,32/ 19,9
(λεπρός 1,40), λεπρός 8,2 ( - 2,3), - 9,2 ( ά ν θ ρ ω π ο ς 3,3) ( ά ν θ ρ ω π ο ς 5,2), δαιμονιζόμενος8,28 ( δ α ι μ ο ν ι ζ ό μ ε ν ο ς 5,18) (είς 5,22), είς 9,18 ( - 9,4), - 17,3 (εϊς 9,17), ά ν θ ρ ω π ο ς 17,14 - 12,42 (τις 14,65), - 26,67
Mt 1,16.19. Mt 12,41. 18 Mt 14,21. 19 Mk 6,20. 20 Lk 1,27.34; 2,36; 5,8; 7,20; 17,12; 19,2.7; 24,19. 21 Lk 14,24. 22 Lk 9,32; 23,50; 24,4. 17
208
Die Grundrede
23,50
( - 15,43), ά ν θ ρ ω π ο ς 27,57
Läßt es sich wahrscheinlich machen, daß ά ν ή ρ hier von Mt gesetzt wurde? Die von Schulz dafür beigebrachten Belege23 sind fraglos zutreffend, finden aber in Mt 19,324 und 5,32/19,9 ihre Relativierung, da dort ά ν ή ρ gerade gestrichen wird. Das stärkste Argument zugunsten der Annahme, ά ν θ ρ ω π ο ς sei die originäre Fassung, liegt sicherlich in der unbestreitbaren Tatsache, daß Lk eine große Vorliebe25 für ά ν ή ρ hat (redaktionell wohl in 5,12; 6,8; 8,27.38.41; 9,30.38; 22,63; 23,5026), aufgrund derer eine Eliminierung dieses Wortes kaum vorstellbar erscheint27. Insgesamt dürfte ά ν θ ρ ω π ο ς ursprünglich sein. XQ Lk 6,49 Vgl. zu Lk 6,20ff par Mt 5,3ff unter h) überschießend. Kein fundiertes Urteil möglich. &μμος Mt 7,26 Hapaxlegomenon bei den Synoptikern und in Apg. συμπίπτω Lk 6,49 Hapaxlegomenon. πίπτω Mt 7,27 Vgl. unter e) Konstruktion II. Simplex - Kompositum mit συ- 28 Lk 6,49 σ υ ν έ π ε σ ε ν Mt 7,27 έ π ε σ ε ν
23
Q 313: Mt 14,35; 15,38.
24
Vgl. unier ά ν ύ ρ ω π ο ς .
25
Schulz, Q 313.
26
Zu einigen der genannten Belege vgl. unter ά ν θ ρ ω π ο ς .
27
Zumindest wäre dies, soweit überprüfbar, singular.
28
Keine Berücksichtigung finden Belege von Komposita, deren Präfix differiert, ohne daß wenigstens ein Evangelium an der entsprechenden Stelle ein Simplex bietet.
Wortstalistische Analyse - Vom Hausbau
209
Lk 15,2* συνεσύίει
Mk 2,16 = Mt 9,11 έσΰίει μετά, Lk 5,30(!) έσθίετε μετά Lk 20,5 συνελογίσαντο Mk 11,31 έλογίζοντο, Mt 21,25 διελογίζοντο Lk 23,49 ODvaicoXoDdoüacuMk 15,41 ήκολούθουν, Mt 27,55 ήκολούΑησαν Mk 4,7 συνέπνιξαν Mt 13,7 έπνιξαν, Lk 8,7 άπέπνιξαν Mt 14,9 συνανακειμένους Mk 6,26 άνακειμένους Mk 14,31 συναπούανεϊν Mt 26,35 άποΟανειν σύν Mk 14,54 ήν συγκαόημένοςΜΐ 26,58 έκάύητο, Lk 22,25 συγκαΟισάντων έκάΟητο Lk 12,2 συγκεκαλυμμένον Mt 10,26 κεκαλυμμένον An dieser Stelle kann ein weiteres Mal die Einschätzung überprüft werden, Lk liebe Komposita und modifiziere Simplexe dahingehend. Unter den zahllosen Belegen von Verbzusammensetzungen mit συν- gibt es nur einen einzigen, der eine solche These wirklich zu unterstützen vermöchte (Lk 23,49)30; daneben kann man allenfalls auf Mt 13,7 verweisen, wo Mt ein Simplex bietet, während Lk das markinische gegen ein anderes Kompositum austauscht. Auf der anderen Seite modifiziert auch Mt einmal von der einfachen zur komplexen Form (14,9). Für lukanische Redaktion an unserer Stelle spricht das alles nicht.
Lk 6,49 Hapaxlegomenon.
πτώσις Mt 7,27 Nur noch ein Beleg im lukanischen Sondergut31.
29
Wirkliche Parallele zu Mk 2,16 parr?
30
Jeremias, Sprache 86f bemüht sich zwar, eine lukanische Vorliebe für Verbkomposita mit dem Präfix σ υ ν - gerade auch statistisch zu erweisen; die von ihm aufgelisteten 18 Belege von (vermeintlich!) in Mk eingearbeiteten Komposita tauscht jedoch darüber hinweg, daß bis auf die genannte Ausnahme an keiner Stelle zweifelsfrei feststeht, daß der abweichende Wortlaut auf einen lukanischen Eingriff zurückgeht, da jeweils der gesamte Zusammenhang eine andere Gestalt hat. 31
Lk 2,34.
210
Die Grundrede
άκούω mit Genitiv 3 _ 9 _ 13 _ 26 0.16 - 0.80 - 0.67 - 1.41 Lk 6,47 S: 6mal32 # : lmal gegenüber Mt 33 2mal gegenüber Mk 34 - : 10,16 al 10,40 10,16 al 10,40 18.36 (ÖTl 10,47), ÖTl 20,30 = : lmal mit Mk und Mt 35 Mk S: # : 2mal 36 - : 6,11 Akk. Mt 10,14 7,14 o. Objekt Mt 15,10 12,28 ÖTl Mt 22,34 12.37 o. Objekt Lk 20,45,al Mt 23,1 14,58 al Mt 26,61 14.64 Akk. Mt 26,65 Mt 2,9: S Mt 18,15: ai 17,3
άκούω mit Akkusativ 22 - 5 - 21 - 2 9 1.20 - 0.44 - 1.08 - 1.57 Mt 7,24 S: 2mal37 # : 2mal gegenüber Lk38 4mal gegenüber Mk 39 - : 10,14 (Gen 6,11) 10,27 al 12,3 13,19 (o. Obj. 4,15), o. Obj. 8,12 26.65 (Gen 14,64), o. Obj. 22,71 32
Lk 2,46.47; 15,25; 16,29.31; 21,38.
33
Lk 15,1.
34
Lk 6,18; 19,48.
35
Lk 9,35.
36
Mk 6,20.20.
37
Mt 12,19; 21,16.
38
Mt 7,26; 11,2.
39
Mt 13,18; 15,12; 21.33.45.
Wortstatistische Analyse - Vom Hausbau
=: 3mal mit Lk allein,40 3mal mit Mk und Lk41 13,22 14,1 19,22 Lk S: 7mal42 43 #: 2mal gegenüber Mt.43 3mal gegenüber Mk44 - : 7,9
211
(4,18), o. Obj. 8,14 9,7, (o. Obj. 6,14) 18,23, (al 10,22)
o. Obj. 8,10
Mk 4,24: π ώ ς Lk 8,18 Schulz45 argumentiert, der Genitiv bei Lk sei sekundär, weil klassischer46. Unter dieser Voraussetzung müßte man allerdings besonders den markinischen Sprachgebrauch hervorheben: Er benutzt ά κ ο ύ ω mit Genitiv von allen Evangelisten eindeutig am häufigsten47 und wird mehrfach (zum Unklassischeren hin?) verändert (Mt 10,14 und 26,65 Akk, 22,34 ÖXl). Nur einmal läßt sich zeigen, daß Lk den Genitiv gegen die Vorlage setzt (18,36), die allerdings keinen Akkusativ, sondern ÖTl bietet. Eher ließe sich umgekehrt an eine matthäische Bevorzugung des Akkusativs denken. Neben den genannten Beispielen gibt es jedoch keine weiteren für oder gegen eine solche Annahme. Diese These stünde also auf ähnlich schwachen Beinen wie die vorher genannte, so daß Redaktion letztlich nicht verifiziert werden kann. ποταμός 3_1_2-1 Lk 6,48.49 Sg Mt 7,25.27 PI Mk 1,5: = Mt 3,6 (Singular)
40
Mt 11,4; 12,42; 13,17. Mt 13,20.23; 24,6. 42 Lk 1,41; 4,28; 5,1; 10,39; 11,28; 16,14; 18,6. 43 Lk 14,15; 19,11. 44 Lk 4,23; 8,21; 9,9. 45 Q 312. 46 Nicht überzeugen kann Schulz' Verweis auf Lk 19,48 - der einzige von ihm genannte Fundort besitzt keine (vergleichbare) Parallele in Mk und ermangelt damit der Aussagekraft. Vgl. richtig auch Wrege, Überlieferungsgeschichte 154 A.3. Sekundär dagegen nach Polag, Fragmente 39 und Jülicher, Gleichnisreden 260. 41
47
Vgl. die relativen Angaben.
212
Die Grundrede
Ac 16,13 (Singular) Kein Anhaltspunkt für redaktionelle Bevorzugung oder Meidung.
προσρήσσω Lk 6,48.49 Dislegomenon.
προσπίπτω 1_ 3_ 3_ 1 Mt 7,25 Mk 3,11: # Mk 5,33: = Lk 8,47
Mk 7,25: προσκυνέω Mt 15,25 Lk 5,8: S
Lk 8,28: προσκυνέω Mk 5,6 Sowohl Mt 15,25, wo der Evangelist gegen die Vorlage προσπίπτω ersetzt, als auch Lk 8,28, an welcher Stelle gerade umgekehrt verfahren wird, machen eine Zuweisung zur matthäischen Redaktion nahezu unmöglich. Alternierender Gebrauch von γίνομαι und είμί Lk 6,49 Mt 7,27 Vgl. zu Lk 6,32ff par Mt 5,45ff unter e) Mehrfachabweichungen. Keine zuverlässige Beurteilung möglich.
βστις Mt 7,24.24.26 Vgl. zu Lk 6,29f par Mt 5,39ff unter Konstruktion II. Keine einlinige Verteilung auf Tradition oder Redaktion möglich.
δμοιος 0.49 9 - 0 - 9 - 1 Lk 6,48.49 S: lmal48 # : 2mal gegenüber Mt49 - : 13,18 50 =: 3mal mit Mt allein,50
44
Lk 12,36.
49
Lk 6,47; 7,31.
50
Lk 7,32; 13,19.21.
0 - 0.46 - 0.05
(όμοιόω 4,30)
Wortstatistische Analyse - Vom Hausbau
213
Mt S: 5mal 5 1 #:
- : 22,39
( - 12,31)
όμοιόω 8 - 1 - 3 - 1 0.44 - 0.09 - 0.15 - 0.05 Mt 7,24.26 S: 4mal52 #: lmal gegenüber Lk53 =: lmal mit Lk allein54 Mk 4,30: δμοίος ε ί ν α ι Lk 13,18 Lk 13,18: # gegenüber Mk* Lk 13,20: # gegenüber Mt Die einander widersprechenden Stellungnahmen der Kommentatoren weisen auf eine Unentscheidbarkeit hin56: δμοίος wird einmal von Lk sehr wahrscheinlich redaktionell statt όμοιόω 57 gesetzt (13,18), Mt handelt ähnlich in 22,39. Die Annahme, ό μ ο ΐ ω ϋ ή σ ε τ α ι habe redaktionellen Charakter58, ist spekulativ. ισχύω
4_4_ 8- 6 Lk 6,48
0.22 - 0.35 - 0.41 - 0.33
51
Mt 13,44.45.47.52; 20,1. Mt 6,8; 13,24; 18,23; 25,1. 53 Mt 22,2. 54 Mt 11,16. 55 Der Vers Mt 13,18c wird dementsprechend nicht, was auch vorstellbar ware, als Parallele zu Mk 4,30b betrachtet. 56 Polag, Fragmente 38 und Schulz, Q 312 halten den lukanischen Text für primär, letzterer mit Hinweis auf Belege von δμοιός έστιν in Q und darauf, daß όμοιόω im Passiv bei den Synoptikern nur siebenmal und zwar bei Mt erscheint. Bovon, Lukas 341 hingegen favorisiert offenbar den matthäischen Text. 52
57
Allerdings in aktivischer Form! Vermutet von Luz, Matthäus 412; Polag, Fragmenta 39. Strecker, Weg 214 hält όμοιωΟήσεται für eine redaktionelle Einführungsformel unter Verweis auf die beiden Belege in der vorliegenden Perikope und Mt 25,1 (in keinem Fall steht uns eine Vorlage zur Verfügung, die fundiertere Aussagen ermöglichte!). 58
214
Die Grundrede
S: 4mal59 60 # : lmal gegenüber Mt,«ο lmal gegenüber Mk61
-: 8,43 Mk S: # : lmal 62 - : 9,18 =: lmal mit Mt allein63 2,17
(al
5,26)
δύναμαι Mt 17,16, δύναμαι Lk 9,40
Mt 9,12, υγιαίνω Lk 5,31 Mt 5,13: εύθετος είναι Lk 14,35 Mt 8,28: # gegenüber Mk Starke lukanische Färbung vermag ich bei Ι σ χ ύ ω nicht festzustellen: Ob Lk 8,43 als Argument dafür dienen kann, möchte man zumindest fragen; mehr gibt der Befund jedenfalls sicher nicht her64. Stattdessen kann auf Lk 5,31 verwiesen werden, wo der Evangelist entgegen der ihm zugeschriebenen Vorliebe trotz der Vorlage υ γ ι α ί ν ω präferiert. Redaktionelle Bevorzugung oder Meidung ist somit nicht erkennbar65.
σαλεύω Lk 6,48 Vgl. zu Lk 6,37f par Mt 7,If unter h) überschießend. Kein Anhaltspunkt für redaktionelle Bevorzugung oder Meidung66.
59
Lk 14,6.29.30; 16,3.
60
Lk 13,24.
61
Lk 20,26.
62
Mk 5,4.
63
Mk 14,37.
64
Gegen Schulz, Q 313, der Lk 8,43 als unzweideutig redaktionell betrachtet und dies für nicht weniger als neun weitere Fundorte (Lk 13,24; 14,6.29f; 16,3; 20,26; Apg 6,10; 15,10; 25,7) vermutet. Über eine Aufzählung dieser Stellen hinaus bietet er dafür jedoch keine weiteren Argumente an. Redaktionell allerdings auch für Jeremias, Sprache 150. 65 66
Anders Polag, Fragmente 38.
Polag, Fragments 38 hält σ α λ ε ύ ω für sekundär; Schulz, Q 313 erwägt dies unter Hinweis auf die Häufung der lukanischen Belege, die er im Evangelium allerdings als durchgängig traditionell erkennt!
Wortstatistische Analyse - Vom Hausbau
πίπτω 1 9 - 8 - 17-9 Mt 7,25
215
1.04 - 0.71 - 0.88 - 0.49
S: 3mal67 # : lmal gegenüber Mk68
- : 4,9 7,27 10,29 15.14 15,27 17.15
-4,7 σ υ μ π ί π τ ω 6,49 έ π ι λ α ν Μ ν ο μ α ι 12,6 έ μ π ί π τ ω 6,39 ( - 7,28) (al 9,18), al 9,39
=: lmal mit Mk allein69 2mal mit Lk allein70 3mal mit Mk und Lk 71
13,5 26,39
(4,5), κ α τ α π ί π τ ω 8,6 (14,35), al 22,41
Mk S: # : 9,20 =: 5,22 Lk
Lk 8,41, π ρ ο σ κ υ ν έ ω Mt 9,18
S: 6mal72 #:
5,12 8,14 11,17 14,5 16,17
( γ ο ν υ π ε τ έ ω 1,40), π ρ ο σ κ υ ν έ ω 8,2 (σπείρω 4,18), σ π ε ί ρ ω 13,22 (ού δ ύ ν α μ α ι σ τ α ύ ή ν α ι 3,25), ο ύ ϊ σ τ η μ ι 12,25 έ μ π ί π τ ω 12,11 π α ρ έ ρ χ ο μ α ι 5,18
π ί π τ ω ist nicht als redaktionelle Formulierung einsichtig zu machen: Zwar könnte Mt dieses Wort einmal von sich aus einbringen (15,27), an anderem
67 68 69 70 71 72
Mt Mt Mt Mt Mt Lk
2,11; 18,26.29. 17,6. 24,29. 21,44.44. 13,4.7.8. 10,18; 13,4; 16,21; 17,16; 21,24; 23,30.
216
Die Grundrede
Ort ersetzt er es aber durch π ρ ο σ κ υ ν έ ω (9,18)73. Vor allem sollte auf mindestens zwei74 Fälle geachtet werden, in denen Lk sich gegen seine Vorlage für π ί π τ ω entscheidet, während ein umgekehrtes Vorgehen nicht zu beobachten ist. δια τό 3 - 2 - 8 - 8 0.16 - 0.18 - 0.41 - 0.43 Lk 6,48 S: 4mal75 # : lmal gegenüber Mt76 —: 9,7 (verbum fin. 6,14), verbum fin. 14,2 =: lmal mit Mk und Mt77 Mk 4,5: = Mt 13,5 Mt 24,12: # gegenüber Mk Als .typisch für Lk"78 kann man δ ι α τ ό kaum bezeichnen79; zwar ist der Beleg in 9,7 wohl redaktionell, so daß ein gewisser Anhaltspunkt besteht. Für weiterreichende Urteile gibt es jedoch keine Grundlage. καλώς 2 - 6- 4- 3 Lk 6,48 S: lmal 80
0.11 - 0.53 - 0.21 - 0.16
73 Lk 8,6 zeigt keineswegs eine lukanische Meidung von πίπτω, sondern eine Sympathie für Komposita, die aber, wie an mehreren Stellen gezeigt, nicht verallgemeinert werden darf. 74
Lk 11,17 bietet eine von Mk und Mt recht stark abweichende Version, die daher nur bedingt vergleichbar ist. 75
Lk 2,4; 11,8; 18,5; 23,8.
76
Lk 19,11.
77
Lk 8,6.
78
Schulz, Q 314.
79 Sondergutbelege (Lk 11,8; 18,5) helfen nicht weiter; für Lk 19,11 ist keineswegs von lukanischer Formulierung auszugehen, da höchstens eine matthäische Parallele zur Verfügung steht, die dementsprechend keine Kontrolle erlaubt, und diese Parallelität darüberhinaus nur unter größten Vorbehalten auf eine gemeinsame Quelle zurückgeführt werden darf. D a ß der Hinweis auf die Blaßheit der lukanischen Konstruktion (bis einschließlich ώ κ ο δ ο μ ή σ ΰ α ι α ύ τ ή ν ) argumentativen Wert hat, möchte ich bezweifeln; auch die Vermeidung einer Wiederholung von θεμέλιος (so Schulz, Q 313f) ist angesichts des χωρίς θ ε μ ε λ ί ο υ (Lk 6,49) nicht überzeugend. Lukanisch ebenso nach Polag, Fragmenta 38. 80
Lk 6,26.
Wortstatistische Analyse - Vom Hausbau
217
# : lmal gegenüber Mt81 lmal gegenüber Mk82
Mk S: lmal 83 # : lmal84 7,9 12,28 12,32 =: lmal mit Mt allein85 Mt 12,12: (αγαθός 3,4),
al Mt 15,3 al Mt 22,34 ό ρ ύ ώ ς Lk 10,28
άγαύοποιέω 6,9
Nichts spricht für Redaktion86, zweierlei freilich deutlich dagegen: Lk ersetzt einmal καλώς durch όρΰώς (10,28), und Mt zieht καλώς markinischem άγαΰός vor (12,12).
οίκοδομέω 8 - 4 - 12 - 3 0.44 - 0.35 - 0.62 - 0.16 Lk 6,48 S: ömal87 # : lmal gegenüber Mt88 =: 3mal mit Mt allein89 lmal mit Mk und Mt90 Mk 12,1: = Mt 21,33 Mk 14,58: = Mt 26,61 Mk 15,29: = Mt 27,40
81
Lk 6,27.
82
Lk 20,26.
83
Mk 16,18.
84
Mk 7,37.
85
Mk 7,6.
86
Anders Schulz, Q 313; Polag, Fragmente 38.
87
Lk 4,29; 7,5; 12,18; 14,28.30; 17,28.
88
Lk 11,48.
89
Lk 6,48.49; 11,47.
90
Lk 20,17.
218
Die Grundrede
Mt 16,18: S Kein Anhaltspunkt für redaktionelle Bevorzugung oder Meidung 91 .
ΰεμελιόω Mt 7,25 Hapaxlegomenon bei den Synoptikern und in Apg.
πέτρα 5_ 1 _ 3_ 0 Mt 7,25 S: 2mal92 #:
0.27 - 0.09 - 0.15 - 0
= : lmal mit Lk allein 93
27,60 (15,46), λαξεύω 23,53 Lk 8,6: πετρώδης Mk 4,5, πετρώδης Mt 13,5 Lk 8,13: πετρώδης Mk 4,16/Mt 13,20 Der Befund führt kaum weiter: Daß Lk in 23,53 πέτρα eliminiert, ist nicht als Abneigung gegen dieses Wort zu verstehen, wie auch ein Blick auf Lk 8,6.13 lehren kann, sondern durch den Wechsel des Verbs bedingt.
έρχομαι + ποταμός Mt 7,27 Hapaxlegomenon.
προσκόπτω Mt 7,27 Nur noch in einem AT-Zitat bei Mt und Lk94.
ούν Mt 7,24 Vgl. zu Lk 6,32ff par Mt 5,45ff unter h) überschießend.
91
Anders Schulz, Q 313; Polag, Fragmente 38.
92
Mt 16,18; 27,51.
93
Mt 7,24.
94
Mt 4,6 = L k 4 , l l (Dtn 6,16).
Wortstatistische Analyse - Vom Hausbau
219
Nicht spezifisch matthäisch95, sondern von Mt und Lk relativ beliebig verwendet.
Ερχομαι96 114 - 85 - 101 - 5 0 6.21 - 7 . 5 1 - 5 . 1 8 - 2.71 Lk 6,47 S: 41mal97 # : 7mal gegenüber Mt98 2mal gegenüber Mk99 - : lOmal =: 9mal mit Mk allein101 16mal mit Mt allein102 13mal mit Mk und Mt103 2mal mit Mt gegen Mk104 Mk S: 2mal10S # : 11 mal106 - : 24mal107
95
Anders Polag, Fragroenta 39. Black, Muttersprache 59 plädiert ebenfalls für lukanische Ursprünglichkeit, da das Asyndeton ungriechisch und auf eine aramäische Grundlage zurückzuführen sei. 96 Aufgrund der Fülle von Belegen und eines verhältnismäßig geringen Nutzens an dieser Stelle beschranke ich mich auf eine im Detail verkürzte (z.B. keine Berücksichtigung von ,al"), gleichwohl vollständige Auflistung der Varianten unter „-"; bei Bedarf kann die fehlende Information vom Leser im Einzelfall mit relativ geringem Aufwand ergänzt werden. 97 Lk 1,43.59; 2,16.27.44.51; 3,12; 5,7.7; 7,3.20; 10,32.33; 1236.3738.49; 13,6.7.14; 14,1.9.10.31; 15,17.20.25.30; 16,21.28; 17,20.20.22; 18,3.5.8; 19,5.10; 23,29.42; 24,23. 98 Lk 7,7; 10,1; 14,17.20.26; 15,6; 19,13. 99 Lk 5,17; 8,51. 100 Lk 3,3 (Mt παραγίνομαι); 4,42 (Mk εύρίσκω); 12,45 (Mt -).54; 14,27 (Mt άκολουβέω); 19,18 (Mt προσέρχομαι).20 (Mt προσέρχομαι); 21,6 (Mk/Mt - ) ; 22,7 (Mk/Mt -).18. 101
Lk 4,34; 6,18; 8,17.35.47.49; 18,30; 20,16; 23,26. Lk 7,8.8.19.3334; 11,2.25.31; 12,39.40.43; 13,35; 17,1.1.27; 19,23. 103 Lk 3,16; 4,16; 5,3235; 8,12.41; 9,26; 18,16; 19,38; 21,8.27; 22,45; 24,1. 104 Lk 9,23(Mk άκολουβέω); 23,33(Mk φέρω). 105 Mk 3,20; 8,22. 106 Mk 1,45; 2,13; 5,26; 6,31; 9,33; 11,10.13.15; 1336; 14,16; 16,2. 107 Mk 1,9 (Mt παραγίνομαι). 14 (Mt άναχωρέω, Lk ΰποστρέφω)39 (Mt περιάγω, Lk εΙμί).40 (Mt προσέρχομαι, Lk -); 2 3 (Mt/Lk -).18 (Mt προσέρχομαι); 3,31 (Mt - , Lk παραγίνομαι); 4,21; 5,14 (Lk έξέρχομαι).27 (Mt/Lk προσέρχομαι); 6,29 (Mt προσέρχομαι); 7,1 (Mt προσέρχομαι); 10,46 (Lk έγγίζω).50 (Lk έγγίζω); 11,27 (Mt προσέρχομαι); 12,14 102
220
Die Grundrede
=: 24mal mit Mt allein108 2mal mit Mt gegen Lk109 Mt S: 31mal no #: 3mal gegenüber Lk111 3mal gegenüber Mk112 - : 20mal Wie in den .-"-Zeilen ersichtlich, gibt es zahllose Fundorte, an denen redaktionelle Eingriffe der Evangelisten festgestellt werden können; eine Verteilung, die annähernd klare Schlüsse zuließe, ist dabei nicht zu erkennen — έ ρ χ ο μ α ι wurde augenscheinlich nahezu nach Belieben verwendet1M. άρχομαι πρός 1 2 - 11 - 8 - 6 0.65 - 0.97 - 0.41 - 0.33 Lk 6,47 S: 2mal115 #: 2mal gegenüber Mt116
(Mt/Lk -).18 (Mt/Lk προσέρχομαι).42; 14,3 (Mt προσέρχομαι). 17 (Mt -).38 (Mt/I.k εΙσέρχομαι).41 (Mt έγγ{ζω).45 (Mt/Lk -).66 (Mt προσέρχομαι). 108 Mk 1,29; 4,4; 5,1.23.38; 6,48.53; 7,25.31; 8,10; 9,1.11.12.13; 10,1.45; 11,13.27; 13,35; 14,32.40.41.62; 15,36. 109 Mk 9,14 (Lk 937 κατέρχομαι); 15,43 (Lk 23,50 - ) . 110 Mt 2,2.8.9.11.23; 3,14; 5,17.17.24; 7,15; 9,28; 10,23; 11,14; 13,15.36; 14,28.28.29; 17,24.25; 18,31; 20,9.10; 21,5.32; 25,31.36.39; 27,64; 28,11.13. 111 Mt 8,7; 10,35; 22,31,2 Mt 8,29; 14,12; 16,5. 113 Mt 3,7 (Lk έκπορεΰομαι).16 (Mt/Lk - ) ; 4,13 (Mk είσπορεύομαι, Lk κατέρχομαι), 7,25.27; 9,1 (Mk εΙσέρχομαι). 10 (Mk/Lk - ) ; 10,13 (Lk έπαναπαΰομαι).34 (Lk παραγίνομαι).34 (Lk - ) ; 12,9 (Mk/Lk εισέρχομαι); 13,32 (Mk δύνομαι); 16,13 (Mk έξέρχομαι); 21,1 (Mk/Lk -).40 (Mk/Lk - ) ; 23,35 (Lk έκζητέομαι); 25,10 (έγε(ρομαι).11 (Lk ϊστημι).19 (Lk έπανέρχομαι); 26,47 (Mk παραγίνομαι, Lk προέρχομαι). 114 Friedrich, Gott 14 kommt dennoch zu dem Urteil .matt Red möglich·, ohne dabei meines Erachtens der geschilderten Sachlage gerecht zu werden. 115 Lk 15,20; 18,3. 116 Lk 7,7; 14,26.
Wortstatistische Analyse - Vom Hausbau
=: lmal mit Mk und Mt117 8,35 22,45
221
(5,15), είς συνάντησιν 8,34 26,40, ( - 14,37)
Mk S: #: 3mal ni
I,40 3,8
II,27 12,18
Mt 8,2 προσέρχομαι ο. Obj Lk 6,18 έρχομαι ο. Obj Mt 21,23 προσέρχομαι + Obj, Lk 20,1 έφίστημι Mt 22,23 προσέρχομαι + Obj, Lk 20,27 προσέρχομαι ο. Obj
=: lmal mit Mt allein119
9,14
Mt 17,14, al Lk 9,37
Mt S: 7mal120 #:
26,45
Mk 14,41 έρχομαι ο. Obj
Die gesamte Wendung ό έ ρ χ ό μ ε ν ο ς πρός με gilt weithin als lukanische Ergänzung121. Es fällt jedoch schwer, dies anhand der Belege zu verifizieren: έρχομαι πρός begegnet in ganz unterschiedlichen Gebrauchsweisen; betrachtet man allein solche Fundorte, an denen Jesus in wörtlicher Rede sich als Zielpunkt des Kommens bezeichnet, so steht Lk 14,26 keineswegs singulär da. Während der redaktionelle Charakter an dieser Stelle überhaupt nicht wahrscheinlich gemacht oder sogar erwiesen werden kann122, findet sich eine sehr analoge Formulierung schon im MkStoff123 sowie eine entferntere Entsprechung im matthäischen Sondergut124. Da auch der weitere statistische Befund nicht in diese Richtung
117
Lk 18,16. Mk 1,45; 2,13; 10,50. 119 Mk 6,48. 120 Mt 3,14; 7,15; 14,28.29; 21,32; 25,36.39. 121 Bovon, Lukas 341 spricht von einem theologisch wichtigen Zusatz, Schulz, Q 312 von einem Rückbezug auf Lk 6,18. Vgl. Polag, Fragmente 39. Diese allgemeinen Erwägungen sind nicht überzeugend, da sie gerade lukanische Motivation keineswegs erharten können. 122 Gegen Schulz, Q 312. 123 Mk 10,14 par Lk 18,16. 124 Mt 25,36.39. 118
222
Die Grundrede
weist, sollte auf die Zuweisung von schen Redaktion verzichtet werden.
ό έρχόμενος πρός με
zur lukani-
ούτος125 + λόγος 7Mt S: #:
1- 6 - 8 7,24.26 2mal126 2mal127
0.38 - 0.09 - 0.31 - 0.43
- : 7,28
πάντα τά βήματα αύτοΰ 7,1
Mk 7,29: - Mt 15,28 Lk S: 3mal12» # : lmal gegenüber Mk129
-: 436 9,28
(τοϋτο 1,27) (- 9,2), - 17,1
Mt eliminiert einmal die Kombination von ούτος und λόγος (15,28), wobei seine Vorlage diese allerdings in singularischer Form bietet; weitere Eingriffe sind nicht erkennbar. Lk hingegen setzt mehrfach redaktionell ούτος + λόγος, singularisch (4,36) und pluralisch (9,28 sowie vielleicht 9,44), so daß ihm eine Streichung kaum zuzutrauen ist. Daß das Demonstrativum rückweisenden Charakter hat130, läßt sich nicht leugnen, besagt aber nichts für die Frage nach Redaktionalität131. Meines Erachtens muß an dieser Stelle mit Tradition gerechnet werden132.
125 Eine detaillierte Einzelzuweisung der zahlreichen Belege für ούτος (147 - 79 - 229 - 236 / 8.01 - 6.98 - 11.75 - 12.78) ist für unsere Fragestellung entbehrlich (vgl. Friedrichs, Gott 39 abschließendes Urteil .matt Red möglich", das nicht weiterhilft); stattdessen kann die Untersuchung aller Fundorte für die Kombination von ούτος und λόγος wesentlich mehr austragen. 126
Mt 19,11; 28,15.
127
Mt 19,1; 26,1, Abschlüsse von Redekomplexen.
12S
Lk 7,17; 24,17.44.
129
Lk 9,44.
130
Schulz, Q 312.
131 Andernfalls müßte davon auszugehen sein, daß eine literarische Quelle per definitionem keine Rückbezüge enthalt! 132
Anders auch Polag, Fragmenta 39.
Wortstatistische Analyse - Vom Hausbau
223
ύποδείκνυμι ι - 0 - 3 - 2 Lk 6,47 Lk 3,7: = 3,7 Lk 12,5: # gegenüber Mt Kein Anhaltspunkt für redaktionelle Bevorzugung oder Meidung'33.
φρόνιμος 7 _ 0 - 3 134 - 0 Mt 7,24 S: 5mal135 #:
0.38 - 0 - 0 . 1 5
-0
=: lmal mit Lk136 Lk 16,8: S Lk 16,8: S Kein Anhaltspunkt für redaktionelle Bevorzugung oder Meidung137. mit attributivem138 Adjektiv 4 - 2 - 10-27 0.22 - 0.18 - 0.51 - 1.46 Mt 7,24.26 Mt 14,21: ( = 6,44), = 9,14 Mt 15,38: (al 8,9) Mk 6,20: al Mt 14,5 Lk S: 4mal139
άνήρ
133 Polag, Fragmenla 39 halt ύπο5ε(ξω ύμϊν τίνι έστίν Ομοιος für originär. Anders z.B. Bultmann, Geschichte 353, der zur Begründung allerdings nur auf Lk 12,5 verweist, und Jeremias, Sprache 149. 134 Der einzige Beleg der adverbialen Form φρονίμως wird gleichberechtigt mitgezahlt. 135 Mt 10,16; 25,2.4.8.9. 136 Mt 24,45. 137 Abwegig scheint mir das Votum von Luz, Matthäus 412, der in φρόνιμος ein matthaisches Vorzugswort erblickt und für Mt 10,16 m.E. unbegründet redaktionelle Setzung behauptet (richtig dagegen Schulz, Q 313, der aber ohne Differenzierung häufiges Vorkommen konstatiert und erwägt, daß von diesem oder anderen Fundorten Mt 7,24.26 veranlaßt worden sein könnte). Sekundär auch nach Harnack, Sprüche 54; Zeller, Logienquelle 35; Polag, Fragmente 39; Gnilka, Matthäus 280 A.3. 138 139
Nicht berücksichtigt sind Belege für Adjektive in Funktion von Prädikatsnomen. Lk 5,8; 17,12; 19,7; 24,19.
224
Die Grundrede
# : 4mal gegenüber Mk 140 - : 5,12
(al 1,40), al 8,2
ά ν ΰ ρ ω π ο ς mit attributivem141 Adjektiv 6 - 1- 7 - 1 0.33 - 0.09 - 0.36 - 0.05 Lk S: 3mal 142 # : lmal gegenüber Mt 143 - : 19,12 o. Adj. 25,14 = : 2mal nur mit Mt 144 Mk 13,34: ά ν θ ρ ω π ο ς mit Part Mt 25,14 Mt
S: lmal145 #: - : 9,32 12,35 27,57
al Mt 12,22/Lk 11,14 ο. άνθρωπος 6,45 ( - 15,43), άνήρ ο. Adj 15,43
In Verbindung mit ά ν ή ρ oder ά ν θ ρ ω π ο ς könnte höchstens Mt 27,57 redaktionelles Interesse an der Ergänzung von attributiven Adjektiven belegen. Allerdings steht zu fragen, ob hier nicht eher eine zusätzliche Information aus der dem Evangelisten zur Verfügung stehenden (mündlichen) Tradition eingewirkt hat, als daß er ausschmückend eingegriffen hätte. Da Lk darüberhinaus an keiner Stelle Attribute nachweislich streicht, reicht der Befund nicht zur Behauptung von Redaktion. Substantiv mit attributivem Adjektiv Mt 7,24.26 Vgl. zu Lk 6,29f par Mt 5,39ff unter h) überschießend. Kein annähernd eindeutiges oder auch nur eine bestimmte Tendenz anzeigendes Urteil möglich.
140
Lk 9,30.32; 23,50; 24,4.
141
Nicht berücksichtigt sind Belege für Adjektive in Funktion von Prädikatsnomen.
142
Lk 12,16; 13,4; 24,7.
143
Lk 19,22.
144
Lk 6,45; 19,21.
145
Mt 13,28.
Wortstatistische Analyse - Vom Hausbau
225
σκάπτω Lk 6,48 Nur noch zwei Belege im lukanischen Sondergut146.
βαθύνω Lk 6,48 Hapaxlegomenon.
θεμέλιος Lk 6,48.49 Nur noch je ein weiterer Beleg im lukanischen Sondergut147 sowie in der Apg-
καταβαίνω 11 - 6 - 13 - 19 0.60 - 0.53 - 0.67 - 1.03 Mt 7,25.27 S: lmal14* # : lmal gegenüber Mk149 - : 28,2 (al 16,5), al 24,4 =: 3mal nur mit Mk150 lmal nur mit LK151 2mal mit Mk und Lk152 Mk 3,22: # Lk S: 8mal153 # : lmal gegenüber Mk154 - : 8,23 (γίνομαι 4,37), al 8,24
146 Lk 13,9; 16,3. Polag, Fragmenta 39 hält die gesamte Passage 0ς έσκαψεν ... θεμέλιον für lukanisch. 147 Lk 14,29. Bemerkenswert ist die auch hier anzutreffende Konstruktion mit τίΰημι. 148 Mt 14,29. 149 Mt 8,1. 150 Mt 17,9; 27,40.42. 151 Mt 11,23. 152 Mt 3,16; 24,17. 153 Lk 2,51; 9,54; 10,30.31; 18,14; 19,5.6; 22,44. 154 Lk 6,17.
226
Die Grundrede
Lk 8,28 zeugt nicht von lukanischer Abneigung gegenüber καταβαίνω. Nachprüfbar matthäische Einfügungen fehlen 155 . Kein Anhaltspunkt für redaktionelle Bevorzugung oder Meidung 156 . βροχή Mt 7,25.27 Nur hier bei den Synoptikern und in der Apg.
πλημμύρα Lk 6,48 Hapaxlegomenon.
πνέω Mt 7,25.27 Weiterer Beleg nur noch in Lk 12,55 (al Mt 16,3). Kein Anhaltspunkt für redaktionelle Bevorzugung oder Meidung.
άνεμος 9 _ 7_ 4 _ 4 Mt 7,25.27 S: lmal 157 #:
0.49 - 0.62 - 0.21 - 0.22
= : 3mal mit Mk allein 158 lmal mit Lk allein159 2mal mit Mk und Lk 160 Mk 4,37: = Lk 8,23 al Mt 8,24 Mk 4,39: al Lk 8,24 Kein Anhaltspunkt für redaktionelle Bevorzugung oder Meidung 161 .
μωρός 6 - 0- 0 - 0 Mt 7,26
155
0.33 - 0 - 0 - 0
Anders Schulz, Q 313.
156
Diese Einschätzung teilen auch Schulz, Q 313; Polag, Fragmenta 38.
157
Mt 14,30.
158
Mt 14,24.32; 24,31.
159
Mt 11,7.
160
Mt 8,26.27.
161
Primär auch nach Polag, Fragmenta 38 (nach ihm allerdings von Lk ausgelassen!).
Wortstatistische Analyse — Vom Hausbau
227
S: 5mal162 #: Kein Anhaltspunkt für redaktionelle Bevorzugung oder Meidung163. χωρίς 3 - 1 -
1 -
0
Lk 6,49 Mk 4,34: = Mt 13,34 Mt 14,21/15,38: # gegenüber Mk Kein Anhaltspunkt für redaktionelle Bevorzugung oder Meidung. εύύύς164 5 _ 41 _ 1 _ 1 0.27 - 3.62 - 0.05 - 0.05 Lk 6,49 Mk S: lmal165 # : 5mal166 - : 5mal bei in Mt und Lk167 5mal bei in Mt allein168 6mal bei in Lk allein169 1,12 τ ό τ ε Mt 4,1, - Lk 4,1 1,18 ε ύ ΰ έ ω ς Mt 4,20 162
Mt 5,22; 23,17; 25,2.3.8. Luz, Matthaus 412 bezeichnet μωρός zu Unrecht als matthaisches Vorzugswort: Die von ihm angeführten Belege in 23,17 und 23,19 (textkritisch sehr zweifelhaft) sind nicht redaktionell (so richtig Schulz, Q 314, der aufgrund der Parallelität zu φρόνιμος trotzdem für Redaktion plädieren muß). Sekundär auch nach Harnack, Sprüche 54, Polag, Fragmente 38 und Gnilka, Matthaus 280 A.3. 163
164
Berücksichtigung finden lediglich Belege für εύβύς als Adverb; weder adjektivische Formen noch das weitestgehend synonyme εύβέως werden ausführlich behandelt. Die unter ε ύ ύ ύ ς noch nicht genannten der insgesamt 29 Belege für εύβέως in dem von uns untersuchten Bereich (13 - 1 - 6 - 9 / 0.71 - 0.09 - 0.31 - 0.49) verteilen sich derart, daß Schlußfolgerungen über die dort gemachten hinaus nicht möglich sind (Mk 7,35: # ; Mt 14,31 S; 25,15 # ; 24,29 und 27,48 - Mk; Lk 12,36 und 17,7 S; 12,54 und 14,5 - Mt; 21,9 οΰπω Mk/Mt). 165 166 167 168 169
Mk Mk Mk Mk Mk
4,29. 1,43; 5,30; 6,25; 9,15.24. 1,29; 2,8; 5,2; 14,43; 15,1. 3,6; 6,27.54; 7,25; 8,10. 1,21.23.30; 2,12; 5,42; 9,20.
228
Die Grundrede
14,45 14,72
70 ευθέως Mt 4,22'170 - Lk 4,37/- Mt 4,24/- Lk 4,14 ευθέως Mt 8,3, ευθέως Lk 5,13 ευθέως Mt 13,5, - Lk 8,6 - Mt 13,19, είτα Lk 8,12 παραχρήμα Lk 8,44 - Mt 13,25, παραχρήμα Lk 8,55 εύθέως Mt 14,22 ευθέως Mt 20,34, παραχρήμα Lk 18,43 εύθέως Mt 21,2, - Lk 19,30 εύθέως Mt 26,49, - Lk 22,47 ευθέως Mt 26,74, παραχρήμα Lk 22,60
4.16 4.17
Mt 13,20, - Lk 8,13 Mt 13,21, - LK 8,13
1,20
1,28 I,42 4,5 4,15 5,29 5,42 6,45 10,52 II,2
= : 3mal mit Mt allein 171
Kein Anhaltspunkt für redaktionelle Bevorzugung oder Meidung 1 7 2 .
4. Gesamibeurteihng Die wortstatistische Analyse des Gleichnisses vom Hausbau hat insofern paradigmatische Bedeutung, als in ihm ein verhältnismäßig umfangreicher und überlieferungsgeschichtlich ohne Frage einheitlicher Text zur Verfügung steht, der das Charakteristikum überaus geringer wörtlicher Übereinstimmung zwischen den beiden Fassungen bei Mt und Lk in besonders eklatantem Maße aufweist. Dementsprechend ist das Ergebnis gerade dieser Untersuchung von exemplarischem Wert, wenn sich wieder einmal zeigt, daß nur in Einzelfällen eine Zuweisung der Differenzen zur bearbeitenden Hand der Evangelisten möglich ist - die zu vermutende Ursprünglichkeit von ά ν ή ρ sowie mit Abstrichen die Redaktionalität einer Konstruktion mit δ ι α τ ό stellen bereits fast alles dar, was in diesem Zusammenhang genannt werden kann 173 .
170
ε ύ ΰ έ ω ς steht bei M k und Mt an etwas anderer Stelle, ist j e d o c h unschwer als Pendant
erkennbar. 171 172
M k 1,10; 6,50; 11,λ. Alle B e l e g e bei Mt entstammen dem Mk-Stoff; beide Seitenreferenten eliminieren eine
Vielzahl von ihnen vorgegebenen ε ύ ύ ύ ς - Lk sogar ohne A u s n a h m e alle, s o daß L k 6 , 4 9 mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit
nicht von ihm stammt. Vgl. dazu J e r e m i a s ,
Sprache 150Γ. Sekundär aber nach Polag, Fragmenta 39. 173
Die bis heute stets aufs neue vorgetragene Behauptung, die lukanische Gestaltung des
Gleichnisses sei anschaulicher und stärker auf eine sich differenzierende christliche G e m e i n d e zugeschnitten, vermag ungeachtet ihrer potentiellen Berechtigung über eine größere Ursprünglichkeit nichts auszusagen (so schon Harnack, Sprüche 5 2 ) .
Zusammenfassende Auswertung der Einzelanalyse
229
Damit leitet das Resultat der abschließenden Analyse unmittelbar über zu dem Versuch, die im Verlaufe dieses Kapitels auf Schritt und Tritt erkennbare Problematik der auffallenden Disparatheit der Tradition einer Erklärung zuzuführen - und zwar anders als durch den Rückgriff auf vermeintliche tiefgreifende ModiGkationen seitens der beiden Evangelisten, der angesichts unserer detaillierten Untersuchungen nicht mehr aussichtsreich erscheinen dürfte.
4. Zusammenfassende Auswertung der Einzelanalyse Auf etwa 150 Seiten habe ich mich bemüht, den Text der Feldrede samt seinen matthäischen Parallelen einer detaillierten wortstatistischen Analyse zu unterziehen. An dieser Stelle soll nun einem Resümee Raum gegeben werden, das die erzielten Resultate bündelt und deren Konsequenzen im Rahmen der gegenwärtigen Beschäftigung mit Q aufzeigt Der statistisch verwertbare Teil der Grundrede1 zeigt insgesamt unter Zugrundelegung der ein wenig kürzeren Fassung bei Lk eine Übereinstimmung des Wortlauts von knapp 40%2; blickt man auf die Ausgestaltung bei Mt, so liegt sie gar bei nur 35%3. Seine unverzerrte Aussagekraft gewinnt der Befund aber erst, wenn diejenigen Passagen ausgeklammert werden, die höchstwahrscheinlich als Q-Einschübe zu betrachten sind4 und aufgrund ihrer großen Wortlautkonvergenz die genannten Werte in unzulässiger Weise auf ein höheres Niveau ziehen. Damit reduzieren sich die Werte folgendermaßen: Bleiben allein Lk 6,41-42 par unberücksichtigt, liegt die Übereinstimmung noch bei 34%5 (Lk) bzw. 30%6 (Mt). Der, wie ich es
1 Zu ihm rechne ich Lk 6,20b-23.27-42.45-49 par; zu den Gründen für eine Nichtberücksichtigung der Weherufe Lk 6,24-26 (vorlukanische Erweiterung des ursprünglichen Umfangs) und des Wortes von Baum und Frucht Lk 6,43-44 par (für einen Einzelvergleich der verschiedenen Versionen zu undurchsichtige Überlieferungsgeschichte) vgl. meine Ausfahrungen unter II.6. bzw. II.5.a). 2 Von 491 Worten können lediglich 1% als übereinstimmend bezeichnet werden, 295 differieren dagegen. 3
Bei einer natürlich mit dem lukanischen Wert identischen Anzahl übereinstimmender Worte (196) umfaßt der matthäische Textbestand 555 Worte, von denen 359 von Lk differieren. 4 Vgl. die Darlegungen unter II.5. 5 145 von insgesamt 422 Worten stimmen überein, 277 weichen ab. 6 Von 491 Worten insgesamt weichen neben wiederum 145 übereinstimmenden 346 ab.
230
Die Grundrede
nennen möchte, Kernbestand der Grundrede 7 , mithin nach Abzug auch des Verses Lk 6,45 par, besitzt demnach einen Anteil an wörtlich übereinstimmenden Worten von maximal 32%8 (Lk), vielleicht sogar von nicht mehr als 28% 9 (Mt). Der Kernbestand der Grundrede weist eine Wortlautübcrcinstimmung von nur etwa 30% auf10. Die Bandbreite bei denjenigen 70 Prozent des Textes, die nicht übereinstimmen, reicht von einfachen Vokabelunterschieden bei identischer Form über weitgehende grammatische Differenzen und Konstruktionen, deren Vergleichbarkeit zuweilen nur unter Schwierigkeiten erkennbar ist, bis zu Abschnitten ohne jede Parallele. Vergegenwärtigt man sich die Verteilung der Differenzen auf die von mir eingeführten Kategorien .V", „G", „K" und „Ü", dann fällt ein signifikantes Übergewicht bei den gravierenden Divergenzen, repräsentiert durch „K" und „Ü", ins Auge. Mehr als drei Viertel11 aller Fälle, in denen Mt und Lk einen ungleichen Text der Grundrede bieten, stellen solche starken Abweichungen dar. Dem korrespondiert die Tatsache, daß eine Auflistung der übereinstimmenden Worte größtenteils sachlich irrelevante Textbausteine enthält: Unter den insgesamt 21 identischen Worten in Lk 6,32-36 par Mt 5,45—48 zum Beispiel befinden sich lediglich drei Verben 12 und drei Nomina13; 15mal handelt es sich dagegen um andere Elemente wie sechs Artikel und fünf Konjunktionen. Oder in Lk 6,47—49: Es geht um ein Haus ( ο ί κ ί α ) und dessen Untergrund ( π έ τ ρ α ) . Um diese beiden Konstanten ranken sich zwei weitgehend verschiedene Erzählungen, verbunden nur noch durch eine komparable Grobstruktur; die anderen übereinstimmenden Worte sind von offenkundiger Belanglosigkeit ( π α ς - μ ο υ - κ α ί - α υ τ ο ύ ς - κ α ι ο ΰ κ - ό - κ α ι μ ή - έ π ι τ η ν - κ α ί - καί).
7
Dieser Kernbestand bildet im folgenden die Grundlage aller weiteren Angaben.
8
Bei 393 Worten Gesamtbestand differieren 268, wahrend lediglich 125 übereinstimmen.
9
125 Übereinstimmungen stehen 330 Abweichungen gegenüber (insgesamt 455 Worte).
10
Zu analogen Werten kommen Orchard/Riley, Order 56, deren Bemessungsgrundlagc mit Mt 5,3-12.38-48; 7,12.16-21.24-27 teilweise jedoch von meiner abweicht. Ohne irgendwelche, geschweige denn überzeugende Konsequenzen daraus zu ziehen, werden ähnliche Beobachtungen in sehr allgemeiner Form von manchen Forschern artikuliert; vgl. z.B. Kloppenborg, Formation 171 (.Disagreements between Matthew and Luke in the extent and order of materials in this speech are substantial."). 11
Bei Lk sind es mit 206 von 268 Abweichungen 77%, bei Mt mit 268 von 330 sogar
81%. 12
ά γ α π ά ω , ποιέω und ε(μ(.
13
Zwei Substantive (υ(ός, πατήρ) und ein Adjektiv (πονηρός).
Zusammenfassende Auswertung der Einzelanalyse
231
Weit über 75% aller Differenzen im Kcrabcstand der Grundrede sind massive Diskrepanzen — die Übereinstimmungen haben indessen meist Bagatcllcharaktcr. Diesen Sachverhalt gilt es zu erklären. Aus einem anderen Bereich der Synoptikerexegese, nämlich der Erforschung der Behandlung des Markusgutes bei Mt und Lk, steht uns eine probate Möglichkeit zur Verfügung, mit deren Hilfe ein derartiger Befund gedeutet werden kann: der Vergleich vorliegender Fassungen mit ihrer Quelle. Allerdings haben wir bei der Beschäftigung mit Q insofern größere Probleme als bei Mk, als diese Quelle verlorenging, so daß wir darauf angewiesen sind, aus der Gegenüberstellung des lukanischen und des matthäischen Textes auf den ursprünglichen Wortlaut zurückzuschließen. Die einzige objektivierbare Methode bei diesem Unterfangen ist die Wortstatistik. Sie allein kann nachprüfbare Ergebnisse bereitstellen, die in der Lage sind, dringend erforderliche Antworten ausreichend zu fundamentieren; denn sie bezieht, richtig verstanden und angewandt, ihre Kriterien ausschließlich aus für jedermann zu verifizierenden Beobachtungen zum Umgang der Seitenreferenten mit ihrer Hauptquelle, dem Markusevangelium. Exemplarisch wurde in meiner Arbeit dieser Argumentationsgrund für das Korpus der Grundrede gelegt. Das Resultat ist eindeutig: Selbst unter Einbeziehung aller mit Vorbehalt gefällten Urteile, d.h. all jener Stellen, an denen redaktioneller Sprachgebrauch nur mit einem eingeschränkten Maß an Wahrscheinlichkeit vermutet werden kann, konnten kaum mehr als dreißig Wörter als matthäische oder lukanische Charakteristika identifiziert werden - und das bei 268 (Lk) bzw. 330 (Mt) erklärungsbedürftigen Abweichungen. Das bedeutet: Legt man der wortstatistischen Untersuchung eine etwa 30%ige Konvergenz für den Kern der Grundrede zugrunde, so erhöht sich dieser Prozentsatz durch ihre Ergebnisse um nicht einmal 10% und erreicht einen Höchstwert von knapp 40% (Lk)14; mindestens 60% des Textes bleiben hingegen Divergenzen, die redaktionell nicht erklärt werden können. Obwohl fraglos einzuräumen ist, daß auch Wortstatistik das Überlieferungsdickicht nicht in allen Einzelheiten vollkommen durchsichtig machen kann, spricht der Blick auf zwei Beispiele eine unmißverständliche Sprache: 1. Die Einheit „Vom Richten" (Lk 6,37-38 par) ist in extrem divergierenden Formungen erhalten - die Übereinstimmungen reduzieren sich mit dem zweimaligen μή κρίνετε sowie zwei Wörtern im Bedeutungsfeld .Maß" (μέτρον, μετρέω) auf Bestandteile, die dieser Perikope ein 14
Der entsprechende Wert für Mt beträgt sogar etwa 36%.
232
Die Grundrede
Minimum an Identität verleihen. Dennoch hat die wortstatistische Analyse keines der zahlreichen abweichenden Textelemente der Redaktion eines der beiden Evangelisten zuweisen können. 2. Noch bemerkenswerter verhält es sich mit dem Gleichnis vom Hausbau (Lk 6,47—49 par): Identische Stücke sind so gut wie nicht vorhanden. Gleichzeitig bleiben abgesehen von der wohl matthäischen Ersetzung des άνθρωπος durch άνήρ und der vielleicht ebenfalls sekundären grammatischen Konstruktion mit δ ι α τ ό viele Dutzende von Differenzen redaktionell nicht ableitbar. Diese besonders frappanten, keineswegs jedoch für die Grundrede untypischen Befunde sind weder zufällig noch sachlich-theologisch bedingt; genausowenig offenbaren sie eine Unzulänglichkeit der Methodik. Sie lassen im Gegenteil nur eine Schlußfolgerung zu: Die in der Sekundärliteratur allgegenwärtigen Versuche, die Evangelisten selbst für den Großteil oder gar, wie Schulz in seiner wichtigen Arbeit über die Logienquelle, für die Gesamtheit der Differenzen verantwortlich zu machen, muß als gescheitert angesehen werden. Die Wortstatistik als das verläßlichste Mittel zur Eruierung redaktioneller Eingriffe seitens der Evangelisten erweist durchschnittlich nur eine von zehn Abweichungen im Kern der Grundrede als wahrscheinlich matthäisch bzw. lukanisch. Eine entscheidende Verschärfung der Sachlage ergibt sich daraus, daß es auf der anderen Seite nicht schwerfällt, eine ganze Reihe von Texten zu benennen, deren Maß an wörtlicher Übereinstimmung bei mindestens 80% liegt, zum Teil auch weit darüber. Als Belege führe ich nur fünf an: Jesu Zeugnis über den Täufer (Lk 7,24-28 par)15, die Wehe über galiläische Städte (Lk 10,12-15 par)16 und Jerusalem (Lk 13,34-35 par)17, das Logion über die Rückkehr des unreinen Geistes (Lk 11,24-26 par)18 und der Spruch vom Doppeldienst (Lk 16,13 par)19. Nachdem eine redaktionskritische Erklärungsmöglichkeit als nicht ausreichend zurückgewiesen werden mußte, steht die außerordentliche Disparatheit des Q zugeschriebenen Überlieferungsstoffes bezüglich des Ausmaßes der Übereinstimmungen wie ein großes Fragezeichen vor jedem,
15
80%.
16
83%.
17
87%.
18
95%.
19
100% (Mt) bzw. 96% (Lk).
Zusammenfassende Auswertung der Einzelanalyse
233
der sich mit Q auseinandersetzt20. Es verdeutlicht die innere Brüchigkeit des heutigen Q-Bildes, wenn trotz dieser unübersehbaren Gegensätze beispielsweise Lk 6,47—49 par und Lk 11,24—26 par unterschiedslos einer, nämlich der Lcgienquelle einverleibt werden21. Obwohl die Vertreter einer solchen Ansicht die Logienquelle im allgemeinen weiterhin als eine wirkliche Quelle ansehen, muß festgehalten werden, daß „Q" auf diese Weise faktisch auf die Stufe eines bloßen Symbols für das nichtmarkinische Material sinkt, soweit es bei Mt und Lk begegnet. Dies hat den .Vorteil", auf keine eklatanten Unterschiede bei der Wortlautübereinstimmung Rücksicht nehmen zu müssen, aber den gravierenden Nachteil, Q auf ein austauschbares Siglum zu reduzieren, hinter dem sich keine konsistente Quelle mehr verbirgt. Als Alternative versteht sich die weitverbreitete Hypothese, Q sei den Evangelisten in verschiedenen Fassungen ( Q u und Q M| ) überkommen. Zwar kann auf diese Weise der vorredaktionellen Herkunft der Differenzen Rechnung getragen werden22, doch bringt diese Annahme das Kardinalproblem einer Lösung nicht einen einzigen Schritt näher: Der Rückgriff auf eine mögliche vorangehende literarische Stufe von Q, auf welcher die Entstehung der Abweichungen angesiedelt wird, bleibt unbefriedigend, wenn nicht erklärt werden kann, aus welchem Grunde die Tradenten einen Teil der Überlieferung nahezu identisch weitergaben und einen anderen ungemein stark modifizierten. Logische Folge dieser Hypothese ist vielmehr eine analogielose, da gänzlich unmotivierte Ungleichbehandlung; es ist bisher nicht gelungen, einen derart widersprüchlichen Umgang mit der Tradition einsichtig zu machen. Solange dies nicht in überzeugender Weise für das gesamte zu Q gerechnete Material geschehen ist, bleibt eine überlieferungsgeschichtlich aufgespaltene Logienquelle ein Postulat, das aus der Not, die Diskrepanzen im Wortlaut nicht (mehr) redaktionell erklären zu können, geboren wurde23, die entscheidende Frage aber unbeantwortet läßt. 20 Dieses Fragezeichen kann durch einen Erklärungsversuch wie den Bovons, Lukas 292 sicher nicht beseitigt werden, der meint, die Unterschiede rührten daher, daB die Logien, je wichtiger sie waren, desto lebendiger überliefert wurden. Soll dies bedeuten, daß Sprüche wie Lk 13,34-35 par oder Lk 10,12-15 weniger .wichtig* waren? 21 In Stellvertretung für viele Gnilka, Matthaus 111: .Es besteht kein Zweifel, daß Bergpredigt und Feldrede auf eine gemeinsame Vorlage in Q zurückgehen.* Oder Schönle, Johannes 32: .Zunächst erklärt sich doch auch bei sehr unterschiedlichen mt-lk Parallelen deren Existenz am ehesten durch die Annahme, daß eine entsprechende Perikope in irgendeiner Fonn in Q gestanden hat.* (Hervorhebung von mir). 22 Vgl. z.B. Broer, Seligpreisungen 38. 23 Sauer, Feindesliebe 6 A17 betrachtet die These einer unterschiedlichen Q-Überlieferung denn auch als eine .ultima ratio*, die allein .beim Versagen aller redaktionellen
234
Die Grundrede
Das überaus seltsame Nebeneinander von Logien, die im Wortlaut stark divergieren, und solchen, die stark übereinstimmen, in derselben Quelle Q läßt sich weder ignorieren noch redaktionskritisch oder mit Hilfe der Annahme von Q-Rezensionen erklären. Die einzig vertretbare Lösung besteht stattdessen darin, innerhalb des Mt-/Lk-Gutes, d.h. innerhalb des gewöhnlich Q zugeschriebenen Stoffes zu differenzieren - und zwar nach Maßgabe des Grades der wörtlichen Übereinstimmung. Es ist aus den dargelegten Gründen unzulässig, die Doppeltradition mit der Logienquelle oder einem Teil von ihr24 gleichzusetzen. Was in Bezug auf Einzelverse zuweilen durchaus praktiziert wird25, muß auch und gerade für umfangreichere Logien und ganze Logiensammlungen in Anwendung gebracht werden: Nur solche Überlieferungseinheiten sind als Bestandteile von Q anzuerkennen, die sich durch ein sehr hohes Maß an wörtlicher Konvergenz auszeichnen oder deren geringere Übereinstimmungen man durch den Aufweis redaktioneller Eingriffe begreiflich machen kann. Die Begründung der Zuweisung eines Traditionsstückes zu Q hat grundsätzlich in jedem einzelnen Fall zu erfolgen und kann keineswegs qua Zugehörigkeit zur Doppeltradition vorausgesetzt werden. Allein auf diese Weise wird es möglich sein, ein klareres und letztlich konsensfähigeres Bild der Logienquelle zu erhalten. Der Umfang von Q bestimmt sich nicht mechanisch durch den Umfang der Doppeltradition; er ist vielmehr erst von Fall zu Fall aufgrund der ermittelten Wortlautübereinstimmung zu erweisen. Die Grundrede besteht in ihrem Kern aus Texten, die ein geringes Maß an wörtlicher Konvergenz besitzen. Es erwies sich als unmöglich, einen beträchtlichen Teil der Abweichungen als redaktionelle Modifikationen zu deuten. Dementsprechend kann die Lösung der geschilderten Probleme nur darin liegen, die Grundrede in toto aus dem Korpus von Q herauszulösen, als dessen fester Bestandteil sie bisher trotz des unerklärlichen Ausmaßes
Erklärungsmöglichkeiten* heranzuziehen sei. Hinter dieser Stellungnahme verbirgt sich jedoch ein, wenigstens für die Grundrede, ungerechtfertigt großes Vertrauen in die Rückführbarkeit eines Großteils der Diskrepanzen auf Eingriffe der Evangelisten, s o daß die Annahme verschiedener Q-Exemplare zu einem - möglichst selten zu begehenden - Fluchtweg wird. 24 Diese Einschränkung gilt für diejenigen Forscher, welche annehmen, daß Q mehr Stoff enthielt, als uns heute mit der Doppeltradition zur Verfügung steht (vermeintliche .Sondergut'-Passagen oder Texte, die von beiden Evangelisten ausgelassen wurden). 25 Donaldson, Jesus 109 schließt von der massiven Abweichung zwischen Mt und Lk bei der Lokalisierung von Bergpredigt und Feldrede darauf, daß es in Q keine geographische Angabe gegeben habe. Ob er damit recht hat oder nicht - die Struktur seiner Argumentation ist auf jeden Fall weiterführend.
Zusammenfassende Auswertung der Einzelanalyse
235
der Differenzen im Wortlaut angesehen wird. Auch diese These besitzt wie alle Thesen ihre Schwachstelle26, die aber gering wiegt im Vergleich zu anderen. Ihre größte Stärke liegt hingegen darin, daß die auffälligen Unterschiede des Wortlauts zwischen Mt und Lk eine überzeugende Erklärung finden.
Der Kern der Grundrede ist kein Bestandteil von Q. Der Kern der Grundrede ist ein eigenständiger Traditonskomplex. Meine Arbeit unternimmt den Versuch, ein als richtig erkanntes Prinzip auf einen klar umgrenzten Textbestand anzuwenden. Streckers27 berechtigte Feststellung, daß die Zweiquellentheorie keinen dogmatischen Anspruch erhebt und .im einzelnen für Variationsmöglichkeiten offenzuhalten" ist, verdient, mit Leben erfüllt zu werden: Ähnliche Analysen wie die von mir vorgelegte bleiben als Aufgabe für andere Texte - namentlich solche mit geringer wörtlicher Übereinstimmung —, deren Q-Zugehörigkeit neu zu überprüfen wäre28. Gewiß läßt sich auch bei der Verarbeitung des Mk-Stoffes durch die beiden Seitenreferenten ein je und je sehr unterschiedliches Maß an Divergenzen und Übereinstimmungen feststellen, so daß die Beobachtungen zu Q in diesem Horizont ihren exzeptionellen Charakter einzubüßen scheinen. Demgegenüber gilt es zweierlei zu bedenken: Zum einen ist innerhalb des Markusevangeliums ausschließlich dessen Worfüberlieferung mit der Logienquelle sinnvoll vergleichbar; beschränkt man sich aber auf sie, reduziert sich das Ausmaß der Abweichungen beträchtlich. Zum anderen hat Schramm29 im Hinblick auf die Rezeption des Mk-Stoffes bei Lk nachgewiesen, daß mit von Mk und Q unabhängigen Paralleltraditionen zu rechnen ist, welche die Gestaltung des Mk-Stoffes bei der Übernahme durch Lk maßgeblich beeinflußten. Durch die Untersuchung von Dubletten gelingt es ihm, für Lk das methodische Verfahren der Quellenkombination zu erweisen und auf diesem Wege die Selbstverständlichkeit massiv in Frage zu stellen, mit der weithin Differenzen zwischen Stoffen des Mk-Evangeliums und ihrer Wiedergabe bei Lk der freien Redaktionstätigkeit dieses Evangelisten zugeschrieben
26 Zu der quellenkritischen Fragestellung bezüglich Lk 6,41-42.43-45 parr vgl. meine Darlegungen unter II.5.. 27
Weg 11.
28
Lohnend schienen mir z.B. das Logion von der Entzweiung innerhalb der Familien (Lk 12,51-53 par) und die zahlreichen für Q reklamierten Sprüche innerhalb von Lk 17 per oder auch das Gleichnis vom großen Gastmahl (Lk 14,15-24 par), welches zuweilen als Q-Gut betrachtet wird (vgl. u.a. Schottroff, Gastmahl). 29
Markus-Stoff.
Die Grundrede
236
werden. Abgesehen davon, daß ein solches Ergebnis selbstverständlich für den von mir ermittelten literarischen Charakter der Grundrede als eine wichtige Analogie von größter Bedeutung ist, lehrt es eines mit Nachdruck: Eine Analyse des Mk-Stoffes ist nur unter ständiger Berücksichtigung der genannten Gesichtspunkte zu leisten. Dies stellt allerdings eine eigene Aufgabe dar, die im Rahmen dieser Arbeit nicht geleistet werden kann. Deutlich geworden sein sollte durch diese kurzen Hinweise jedoch auf jeden Fall, daß sowohl im Bereich der Q- als auch im Bereich der Mk-Forschung allzu simplen Lösungen der Abschied zu geben ist. Unter partiellem Vorgriff auf spätere Kapitel30 enthüllt sich die Grundrede zusammenfassend als eine eigenständige, von Q gänzlich unabhängige Quelle. Deren gravierende Wortlautdifferenzen zwischen lukanischer und matthäischer Fassung sind nicht zuletzt darauf zurückzuführen, daß man von zwei unterschiedlichen Übersetzungen eines semitischen Originals ausgehen muß; darüberhinaus ist jedoch auch mit einem darauf folgenden anschließenden Traditionsprozeß zu rechnen, den stärkere Eingriffe vor der endgültigen Redaktion durch Mt bzw. Lk kennzeichnen. Wir haben in Bergpredigt und Feldrede mithin Kristallisationsprodukte eines vom Zeitpunkt seiner Übersetzung an in zwei abweichenden Versionen umlaufenden Überlieferungsstranges („Grundrede") zur Verfügung, der niemals Bestandteil der Logienquelle war.
5. Ergänzende Überlegungen zur Analyse der Grundrede a) Zwei problematische Texte α Lk 6,43—45 - Mt 7,15-20 - Mt 12,33-35 Die Elemente der Grundrede sind bis auf eine Ausnahme durchgängig höchstens doppelt bezeugt, nämlich einmal bei Lk und einmal bei Mt, selten auch allein bei Lk. Diese eine Ausnahme stellen die Worte von Baum und Frucht (A) sowie vom Schatz (B) und vom Überfluß (C) dar. Sie begegnen insgesamt dreimal, bei Lk in der Feldrede (6,43—45), bei Mt sowohl in der Bergpredigt (7,16-20) als auch im Rahmen der Beelzebul-Kontroverse (12,33—35), wo ihnen das Wort von der unvergebbaren Sünde vorangeht. Damit erhebt sich die Frage nach dem überlieferungsgeschichtlichen und gegebenenfalls literarischen Verhältnis zwischen den drei Fassungen.
30
Vgl. vor allem II.7..
Ergänzende Überlegungen zur Analyse
237
Eine überzeugende Antwort wird dadurch beträchtlich erschwert, daß nicht alle genannten Logien (AB und C) an allen Fundorten (Lk 6, Mt 7 und 12) belegt sind. Die Sachlage ist also selbst dann komplex, wenn man einstweilen ausschließlich die großen Einheiten betrachtet und die Details unberücksichtigt läßt. So folgen in der Feldrede auf das Baum-und-FruchtWort (Lk 6,43f) die Sprüche vom Schatz und Überfluß (Lk 6,45). In Mt 12 ist der Bestand zwar ähnlich; allerdings Gndet sich dort, neben einem Teilvers ohne Parallele (Mt 12,34a), die entgegengesetzte Abfolge von Schatz- und Überfluß-Logion. Dagegen sind die Differenzen in der Bergpredigt wesentlich markanter: Nach einer Warnung vor Falschpropheten (Mt 7,15) folgt das Baum-und-Frucht-Logion in einer ausgeführteren Fassung (Mt 7,16—20) — sowohl das Wort vom Schatz als auch jenes vom Überfluß fehlen aber gänzlich. Dargestellt in einem groben graphischen Überblick ergibt sich daher: Lk 6 A
Mt 7 A
Mt 12 A
Β
C
C
Β
Die Palette an Lösungsvorschlägen ist diesem Befund entsprechend mannigfaltig: Sie umfaßt zum einen die Annahme, eine Verbindung zwischen den drei Versionen dieser Sprüche bestehe nur vorliterarisch, insofern sie auf ein gemeinsames .echtes" Jesuswort zurückgingen; von da an seien sie jedoch völlig unabhängig voneinander weiterentwickelt und den jeweiligen Gemeindesituationen adaptiert worden, bis sie endlich in dreifach unterschiedlicher Form den Evangelisten zur Verfügung gestanden hätten1. Zum anderen wird die Auffassung vertreten, daß Mt auf zwei selbständige Traditionen zurückgreifen konnte, während Lk entweder bereits eine Kombination von beiden vorlag oder er selbst eine solche bewerkstelligte2. Ein drittes Grundmodell schließlich postuliert eine einzige, beiden Evangelisten gemeinsame Quelle der besagten Logien — für gewöhnlich als Bestandteil von Q identifiziert —, die von Mt auf je unterschiedliche Art und Weise in Mt 7 und in Mt 12 benutzt wurde3.
1 2 3
Kramer, Propheten. Bussmann, Studien. So die überwiegende Anzahl der Forscher, z.B. Bultmann, Geschichte 55; Schmid, Lukas
238
Die Grundrede
Das Modell einer einzigen gemeinsamen Quelle Es ist immer wieder zu Recht konstatiert worden, daß Mt 12,33—35 und Lk 6,43—45 untereinander bedeutend größere Übereinstimmung zeigen als jeweils mit Mt 7,15—204. Hatten beide Evangelisten also dieselbe Textfassung zur Verfügung, so muß man nicht nur einsichtig machen, wie es zu den Abweichungen zwischen Lk 6 und Mt 12, sondern vor allem zu denen zwischen Lk 6/Mt 12 auf der einen und Mt 7 auf der anderen Seite kam. Es muß mithin gezeigt werden können, welche redaktionellen Motive die teilweise massiven ModiGkationen bewirkten, die bis hin zu einer absichtlichen Dublettenbildung durch Mt reichen. Blicken wir zunächst auf Mt 7,15-20, dann springen folgende Beobachtungen sofort ins Auge: 1. Die bis auf ά ρ α γ ε (V 20) wortgleichen Verse Mt 7,16a.20 bilden eine deutliche Inclusio, angesichts derer Mt 7,15 wie ein vorgeschaltetes Motto wirkt. 2. V 19 wiederholt verbatim 5 eine für den Täufer in Mt 3,10 par Lk 3,9 bezeugte Aussage. So läßt sich begründet ein Überlieferungskern vermuten, der mindestens 6 die Verse Mt 7,16b.(17).187 umfaßt. Die sich unmittelbar anschließende entscheidende Frage lautet: Wer ist für die Auffüllung und Gestaltung der Perikope Mt 7,15-20 verantwortlich? Gegenüber der weitverbreiteten Antwort, der Evangelist Mt sei deren Urheber 8 , müssen mehrere Gesichtspunkte Berücksichtigung finden:
138; Kosch, Tora 249f; Wanke, Kommentarworte 2 6 - 2 8 ; Bovon, Lukas 336 und A.35; Strecker, Bergpredigt 165f. 4 Hawkins, Horae 85; Schürmann, Überlieferungsgeschichte 141 u.a.m..
Lukas 3 7 5 - 3 7 7 ;
Luz, Mattäus2
275;
Wrege,
5
Diese Herleitung ist unbestritten; vgl. nur Strecker, Weg 159. D a s in Lk 3,9 par Mt 3,10 der Verbindung zum Kontext dienende ο ύ ν kann in diesem Zusammenhang unberücksichtigt bleiben. 6
Mit Strecker, Bergpredigt 166 kann vermutet werden, daß ein dem Teilvers Mt 7,16a entsprechendes Logion (vgl. Lk 6,44) ursprünglicher Bestandteil war, der mit dem Ziel einer Rahmung sekundär verdoppelt wurde (Mt 7,20). Ohne besondere Bedeutung ist die Differenz zu Bultmann, Geschichte 78, der gerade V 16a für eine redaktionelle Neubildung hält, während er in V 20 lediglich eine aus dem Bild fallende Formulierung erblickt (anders aber ders., Geschichte 95). 7 Zu der vermeintlichen oder tatsächlichen leicht modifizierten Wiederholung von V 18 in V 17 siehe unten. s
Als repräsentativ kann in diesem Zusammenhang die Position Schürmanns, Lukas 375 gelten, wie die enge Anlehnung an seine Argumentation und deren Ergebnisse z.B. bei Schulz, Q, Kosch, Tora 249f oder Wanke, Kommentarworte 26ff zeigt.
Ergänzende Überlegungen zur Analyse
239
1. W i e die e i n g e h e n d e wortstatistische Analyse erwiesen hat 9 , ist e s auf diesem W e g e keinesfalls möglich, eine matthäische Formung von Mt 7,15—20 auch nur wahrscheinlich zu machen 10 . Insbesondere gilt dies auch für d e n überlieferungsgeschichtlich sekundären V 15", der als redaktionelle 1 2 Themenangabe (Warnung vor falschen Propheten) die V e r s e 16—20 weitestgehend geprägt haben soll 13 . 2. Es lassen sich keine überzeugenden sachlich-theologischen Argumente verifizieren, die Mt 7 , 1 5 - 2 0 als eine matthäische Neuformulierung der in Lk 6 , 4 3 - 4 5 und Mt 1 2 , 3 3 - 3 5 erkennbaren Vorlage erweisen könnten. Vielmehr erfolgt die Argumentation fast ausschließlich textimmanent, s o daß e s im wesentlichen eine Ermessensfrage bleibt, welcher Stufe der Überlieferung man die Eingriffe zuweist 14 . 3. D i e s e s Urteil bestätigt sich an einer Vielzahl von Einzelheiten: S o stellt L u z l s zwar zu Recht heraus, daß erst in V 2 2 inhaltlich und terminolo-
9
Vgl. II. 3. k). Kramer, Propheten 358 A33 hat dies in erfrischender Deutlichkeit artikuliert. Vgl. selbst Wrege, Überlieferungsgeschichte 136. Gegen Luz, Matthaus 401 und A.3 betrifft dieses Ergebnis in gleicher Weise die Rahmenverse Mt 7,16a.20, deren Herkunft ungeklärt bleibt: Weder ein Wechsel der Präpositionen έκ und άχό noch der Gebrauch des Kompositums έχιγινώσκω anstelle des Simplex sind als matthaiscb zu verifizieren. Zur Inklusion stellt Luz, Matthaus 22 selbst zu Recht fest, daß es sich um .eine gebräuchliche alttestamentliche Kompositionstechnik" handelt; es mag ergänzt werden, daß ihre sinnvolle Verwendung nicht auf eine schriftliche Überlieferungsphase oder diesen Evangelisten beschrankt sein muß. 11 Vgl. richtig besonders Kramer, Propheten 357 A.33. In Mt 7,22 diff Lk wird προφητεύω zwar polemisch aufgenommen; zur Ambivalenz einer Verknüpfung von Mt 7,15 und 7,22 vgl. aber unten. Allenfalls Mt 24,10-12 konnten als Parallele herangezogen werden. Doch kann man auch hier die Frage stellen, ob es sich um einen redaktionellen Zusatz zur Vorlage in Mk 13 handelt oder nicht eher um die Aufnahme einer dem Evangelisten zur Verfügung stehenden (?Gemeinde-)Tradition. 12 Vgl. u.a. Bultmann, Geschichte 131. 13 Repräsentativ Schulz, Q 316-318; vgl. Schmid, Lukas 138. Bultmann, Geschichte 131 vermutet dagegen umgekehrt, daß Mt durch das im Kern vorgefundene Logion Mt 7,16-20 zur Schaffung von V 15 veranlaßt wurde! Undeutlich bleiben diese Äußerungen jedoch durch andere scheinbar gerade entgegengesetzt zu verstehende (vgl. Geschichte 108). 14 Eine Feststellung Krämers, Propheten 349 A.1 macht auf eine sozusagen .systembedingte* Tendenz aufmerksam, die sich meines Erachtens in der Tat in einer Reihe von Veröffentlichungen zu unserem Thema bestätigt: .Aufgrund der Zweiquellentheorie neigt man sehr stark dazu, dem Evangelisten Mattaus einen Löwenanteil an den Abweichungen seiner beiden Textgestalten von jener des Lukas zuzuschreiben...*. 15 Matthaus 401. Vor ihm, allerdings mit anderer Konsequenz, Wrege, Überlieferungsgeschichte 136. 10
240
Die Grundrede
gisch (προφητεύω) zu dem Motiv der ψευδοπροφήται von V 15 zurückgelenkt wird, während besonders auch V 16—20 eine andere Ausrichtung zeigen. Ging es Mt jedoch um die konkrete Anwendung auf eine aktuelle Auseinandersetzung mit Falschpropheten innerhalb der Gemeinde16, steht zu fragen, warum das zentrale Stichwort ψευδοπροφήται einem in dieser Hinsicht allenfalls allgemein andeutenden Passus (Mt 7,16—20) vorangestellt worden sein soll und nicht vor V 22 piaziert wurde - eine Reihenfolge wie etwa Mt 7,15.(21).22-23.16-20 hätte der Mt unterstellten redaktionellen Absicht meines Erachtens deutlich besser entsprochen. Auch die Wahl gerade dieses Bildmaterials in V IS, mit welchem Mt teilweise ohne Zweifel traditionelle Vorgaben aufgreift 17 , war nicht unbedingt zwingend angesichts seiner (vermuteten) Intentionen: Ihm kommt es auf die selbstverständlich äußerlich sichtbaren Früchte, also Taten an — dazu paßt denkbar schlecht eine Warnung vor Pseudopropheten, die innerlich λύκοι αρπαγές sind, während sie sich nach außen den Schein von πρόβατα geben18. Die Voranstellung von V 16b mag zwar durch den Wunsch nach einer größeren Nähe von falschen Propheten und Dornen bzw. Disteln bedingt sein19. Die matthäische »Verdoppelung" von Lk 6,43 par Mt 7,18 in V 17 stellt indes vor große Erklärungsnöte: Schürmanns Versuche, ihn als positive Vorformulierung20 oder als .Übergangsbildung"21 zu deuten, erhöhen kaum die Plausibilität des matthäischen Vorgehens22. Schließlich bleibt unklar, warum Mt mit V 19 einen Teilvers der Täuferpredigt an dieser Stelle
16
So Luz, Matthäus 402.
17
Vgl. z.B. Ev Thom 45; Ign Eph 14,2. Dazu u.a. Luz, Matthäus 401 A.2 und Krämer, Propheten 376. 18 Mir leuchtet es nicht ein, wieso Luz, Matthäus 401 A.2 trotzdem in Bezug auf ένδύματα προβάτων von einer .geglückte(n) Neuschöpfung des Mt" spricht. 19
Man kann immerhin fragen, ob eine Reihenfolge wie die in Lk 6,43f nicht einen vergleichbaren Effekt erzielt hätte: eine adversative Assoziation zum guten Baum oder (bei einer möglichen Umstellung) eine unmittelbare zum schlcchten. Zu beachten ist darüberhinaus Krämers, Propheten 356 A.30 Vorbehalt, nach dem nicht einzusehen ist, aus welchem Grund Mt den Parallelismus des Bildes zerstört haben soll. 20
Lukas 375.
21
Reminiszenzen 121.
22
Dementsprechend äußert sich z.B. Luz, Matthäus 402 trotz seiner grundsätzlichen Übereinstimmung mit einer Position wie der Schürmanns sehr vorsichtig, während Strecker, Bergpredigt 166 den Vers gar zum ursprünglichen Textbestand rechnet: Gegen Schulz, Q 318 erscheine der Vers nur wie eine .sekundäre Verdoppelung*; vgl. entsprechend Wrege, Überlieferungsgeschichte 141 A.3.
Ergänzende Überlegungen zur Analyse
241
„repetiert"23; denn mit ihm dringt ein Element in die Perikope Mt 7,15—20 ein, das dem Argumentationsduktus nicht förderlich scheint: Weder eine eschatologische Perspektive als solche noch das Moment der Bestrafung sind in diesem Zusammenhang verankert; vielmehr beherrschen ihn die Warnung vor falschen Propheten sowie der Blick auf deren Identifizierbarkeit hier und jetzt24. Endlich fällt auf, daß in Mt 7,17-18 καρπός stets im Plural begegnet, während sowohl Mt 12 als auch Lk 6 ausschließlich den Singular bieten; dies mag durch die Mehrzahl der ψευδοπροφήται verursacht sein — nur fragt man sich dann, wieso eine entsprechende Bearbeitung nicht ebenso dem der Täuferpredigt entnommenen Vers zuteil wurde, welcher gleichfalls vom δένδρον spricht, in markantem Gegensatz zum Kontext (V 17f) jedoch den Singular καρπός beibehält. Oder die angenommene Abänderung einer Vorlage wie Lk 6,44 in Mt 7,16b: Es bleibt unerklärt, was den Redaktor bewogen haben sollte, die Zuordnung von Gewächsen und Früchten zu vertauschen 25 und die Aussageform in eine Frageform umzugießen - abgesehen von scheinbar unmotivierten terminologischen und grammatischen26 Modifikationen. Nicht zuletzt ist es nach meinem Dafürhalten bislang nicht gelungen, einen in seiner Bedeutung kaum zu überschätzenden Tatbestand verständlich zu machen: die bei einer einzigen gemeinsamen Quelle unbegreifliche Zerstörung des in Lk 6,43 vorgegebenen Chiasmus der qualifizierenden Adjektive. Die kunstvolle Anordnung καλός/σαπρός — σαπρός/καλός müßte zu άγαύός/πονηρός - σαπρός/καλός (Mt 7,18) entstellt und in dieser wenig glücklichen Form in einem neu geschaffenen Vers (Mt 7,17) wiederholt worden sein.
23 Luz, Matthäus 401; wie er beschranken sich viele, die eine matthäische Wiederholung vertreten, auf eine unbegründete Konstatierung dieses - vermeintlichen - Faktums (vgl. u.a. Jtllicher, Gleichnisreden 118; Steinhauser, Doppelbildworte 82). 24 Dem steht nicht entgegen, daß im Kontext der Bergpredigt ab Mt 7,13 fraglos eine eschatologische Ausrichtung vorherrscht; denn Mt 7,16—20 heben sich von einem solchen Hintergrund besonders auffallend ab. Vgl. Krämer, Propheten 351 und 358f. Auch Strecker, Bergpredigt 166 erwägt hier vormatthäischen Einfluß. 25 Mt 7 Lk 6 ά κ α ν β α ι — σταφυλαί &καν6αι - σύκα τρίβολοι - σύκα βάτος — σταφυλή 26 Kann es überzeugen, eine Änderung des Singulars βάτος/σταφυλή in den Plural τρίβολοι/σΰκα durch den matthäischen Wunsch nach einer Angleichung an die beiden vorangehenden Plurale (Λκανβαι/σταφυλαί) motiviert zu sehen, wenn den gleichen Redaktor dieselbe Unstimmigkeit drei Verse später nicht zu stören scheint? Andere Einwände bei Wrege, Überlieferungsgeschichte 139.
242
Die Grundrede
Einer Rückführung der Texte Mt 7.15-2027, Mt 12,33-35 und Lk 6,43-45 auf eine Vorlage und der damit verbundenen Notwendigkeit, alle Differenzen der redaktionellen Tätigkeit des Evangelisten zuzuschreiben, stellen sich demnach unüberwindbare Hindernisse in den Weg28. Das Modell zweier unabhängiger Quellen Einsetzend bei der Beobachtung des zweifachen Befundes bei Mt und der Überzeugung, daß eine einlinig redaktionskritische Erklärung ungenügend ist, präferieren einige Forscher eine quellenkritische Differenzierung. Hauptvertreter eines solchen Herleitungstypus ist Harnack29. Sein Lösungsangebot ist zwar knapp formuliert und sparsam argumentativ untermauert, dafür aber pointiert. Harnack erklärt die Existenz der zu behandelnden drei Perikopen durch die Verwendung von zwei unterschiedlichen Quellen: Die eine identifiziert er als Q, die andere als eine nicht mehr greifbare Quelle unbekannter Herkunft. Bei der Rekonstruktion dient ihm die lukanische Textfassung als Grundlage für die Wiederherstellung der Q-Version, so daß diese im Ergebnis weitgehend mit Lk 6,43f zusammenfällt. Alles das, was an nicht für Q zu reklamierenden Bestandteilen der drei Texte übrigbleibt, wird der zweiten Quelle zugewiesen. Die große Schwäche der Harnackschen Position liegt in ihrer bestenfalls skizzierenden Darstellung. Sowohl die Gestalt als auch der genaue Umfang der beiden Vorlagen bleiben unbestimmt. So wird z.B. nicht deutlich, inwieweit Mt und Lk ihre Vorlagen vermischt haben und wie man sich den Entstehungsprozeß der drei Texte aus den Quellen konkret zu denken hat. Eine detailliertere Lösung bietet dagegen Bussmann30 an. Auch nach ihm gab es ursprünglich zwei Quellen, die jedoch nur noch von Mt getrennt vorgefunden wurden, während Lk bereits ein Konglomerat von beiden zur Verfügung stand bzw. er selbst die Zusammensetzung vornahm. Bussmann
27
Verwiesen sei an dieser Stelle darauf, daß die Auslassung von Lk 6,45 in Mt 7 mit Bedacht nicht eigens angeführt wurde, alldieweil mir diese durch die Betonung der Früchte =Taten in Mt 7 erklärbar scheint, zu welcher ein Logion schlecht paßt, das explizit vom Reden spricht; vgl. Luz, Matthäus 401. Einem grundsätzliche Irrtum unterliegt meines Erachtens Krämer, Propheten 372 u.ö., wenn er voraussetzt, daß ψευδοπροφήται per definitionem auf Worte anstatt Taten zu beziehen sind. 28 Da dieses Erklärungsmodell als widerlegt zu gelten hat, sofern sich ihm mindestens einer der drei Abschnitte nicht einfügen läßt, kann eine Analyse des Verhältnisses von Mt 12 und Lk 6 weiter unten erfolgen. 29 30
Sprüche 50f. Vgl. dazu Schürmann, Lukas 375 A.204.
Studien 26. Dabei geht er von den Überlieferungseinheiten Lk 6,43-46; Mt 7,16-21; 12,33-35 aus, bezieht also das Herr, Herr-Rufer-Logion mit ein.
243
Ergänzende Überlegungen zur Analyse
ermittelt nach Abzug von drei Wiederholungen31 sowohl für Mt als auch für Lk jeweils eine durchgehende Quelle, „A" und „B" genannt, die trotz einiger Ungereimtheiten im Detail etwa folgendes Aussehen haben: Mt Lk Α
Β
7,16 7,18 (7,20 aus 7,16) 7,21
A
B
6,44 7,17; 12,33 (12,34 aus 12,33) (7,19 aus 3,10) 12,35
6,43
6,45 6,46
Das Verdienst der Modelle Harnacks und besonders Bussmanns liegt darin, eine Alternative aufgezeigt zu haben gegenüber der verbreiteten Einquellenhypothese. Sie sind nicht darauf angewiesen, daß man die Unterschiede zwischen den drei Versionen zu nivellieren oder der literarischen Leistung eines bzw. beider Evangelisten zuzuschreiben versucht. Gleichwohl enthüllt obiges Schema ein frappierend glatt aufgehendes .Sortier-Szenario", das nicht ohne Gewaltakte entsteht und letztendlich kaum mehr als Torsi gebiert. Gegen jede überlieferungsgeschichtliche Wahrscheinlichkeit werden beispielsweise zwei Verse wie Mt 7,17 und Mt 7,18 quellenmäßig aufgespalten32, ohne daß die Motivation für ein derartiges redaktionelles Vorgehen zu erkennen wäre. Und wie kann man sich eine .Quelle" vorstellen, die einmal Lk 6,44.46 umfaßt hat? Wir haben es daher mit einem Lösungsangebot zu tun, welches von zutreffenden Beobachtungen seinen Ausgang nimmt, einen vielversprechenden Weg einschlägt, dann aber doch letztlich willkürliche Ergebnisse zeitigt. Das Modell literarisch unabhängiger Überlieferungen Wie Harnack und Bussmann lehnen auch Wrege und Krämer die literarische Ableitbarkeit der drei Textfassungen von einer gemeinsamen Vorlage ab. Doch während die einen eine Lösung von literarkritischen Operationen erwarten, bemühen sich die anderen aufzuzeigen, daß die erheblichen Diskrepanzen zwischen den einzelnen Versionen nur die Annahme voneinander unabhängiger Überlieferungseinheiten sinnvoll erscheinen lassen33.
31
Mt 7,19 wiederholt 3,10; Mt 7,20 wiederholt 7,16 und Mt 12,34 wiederholt 12,33.
32
Vgl. Wrege, Überlieferungsgeschichte 142 A.1.
33 .Keine der auf uns gekommenen Varianten zeigt sich ... als unmittelbare Bearbeitung einer der beiden anderen als schriftlicher Vorlage.· (Krämer, Propheten 356). Vgl. auch Wrege, Überlieferungsgeschichte 142, der von verschiedenen Schichten der Gemeindeüberlie-
244
Die Grundrede
Die vielfältige positive Berücksichtigung der Überlegungen Wreges und Krämers bei der Auseinandersetzung mit der communis opinio unter a) weist bereits darauf hin, daß mir ein Großteil der angeführten Argumente zur Verhältnisbestimmung von Mt 7 und Lk 6/Mt 12 stichhaltig erscheint. In Bezug auf dieses Teilproblem ist der Nachweis geglückt, daß redaktionelle Veränderungen nicht allein oder auch nur in erwähnenswertem Maße für die dreifache Textüberlieferung verantwortlich gemacht werden können. Andererseits muß die auffällig kongruente Einschätzung der synoptischen Frage beachtet werden: Beide, Wrege und Krämer, bestreiten die Existenz einer Logienquelle. Man darf vermuten, daß diese Grundentscheidung, ähnlich wie unter umgekehrtem Vorzeichen bei vielen Befürwortern von Q, argumentationsfiltrierende Wirkung hat. Auf jeden Fall spricht folgende Aussage Krämers für sich: .Die Zweiquellentheorie zwingt natürlich zur Annahme einer unmittelbaren literarischen Abhängigkeit."34. Diese Zwangsläufigkeit möchte ich mit Nachdruck verneinen; es scheint mir im Gegenteil möglich, einen Lösungsweg zu beschreiten, welcher zum einen der berechtigten Kritik an dem Postulat einer rein redaktionsgeschichtlich bedingten Genese der Varianten Rechnung trägt und zum anderen nicht die beträchtlichen Übereinstimmungen zwischen Lk 6,43—45 und Mt 12,33-35 aus den Augen verliert. Ein Gegenvorschlag Betrachten wir zunächst Lk 6,45 par Mt 12,34b.35. Sowohl das Wort vom Schatz (Lk 6,45a par Mt 12,35) als auch jenes vom Überfluß (Lk 6,45b par Mt 12,34b) offenbaren ein erstaunlich großes Maß an wörtlicher Konvergenz: Das kürzere περίσσευμα-Logion liegt in nahezu identischen Fassungen vor35. Im umfangreicheren ι3ησαυρός-Ιχ^ίοη sind die Abweichungen kaum gravierender: Sie beschränken sich im wesentlichen36 auf die differierenden Verben, π ρ ο φ έ ρ ω bei Lk und έ κ β ά λ λ ω bei Mt37, sowie den Unterschied zwischen τ ό ά γ α ι ϊ ό ν (Lk) und α γ α θ ά (Mt). Wenigstens letzterer mag in seiner möglichen Entstehung einsichtig werden.
ferung spricht und gemäß der These seiner Arbeit den Rahmen der Bergpredigt als ein nichtliterarisches Problem erachtet (Überlieferungsgeschichte 143). 34
Propheten 356 A.30 (Hervorhebung von mir).
35
Die Differenzen entbehren jeder Relevanz (der zweifache Gebrauch des Artikels bei Mt über Lk hinaus) oder sind als unbedeutende redaktionelle Eingriffe ersichtlich (das ans Ende des Satzes gestellte λ α λ ε ί und die Eliminierung des α ύ τ ο ϋ erklären sich problemlos aus der Positionierung des Logions hinter Mt 12,34a). 36
Weder das nur in Lk 6,45 belegte τ η ς καρδίας noch das ausschließlich in Mt 12,35b parallel zu Ml 12,35a - wiederholte ά ν θ ρ ω π ο ς verdienen besondere Beachtung. 37
Wrege, Überlieferungsgeschichte 143 plädiert für Übersetzungsvarianten.
Ergänzende Überlegungen zur Analyse
245
falls man den artikellosen Plural α γ α θ ά als Angleichung an die analoge Formulierung in Mt 12,34a versteht38. Jener Teilvers, dessen Anrede γεννήματα έχιδνών aus Lk 3,7 par Mt 3,7 bekannt ist und auch von dort stammen könnte, dürfte als Überleitung durch Mt geschaffen worden sein39; er greift mit dem Verb λαλέω ein wichtiges Element des Überfluß-Wortes (Mt 12,34b) und mit dem Gegensatz von άγαϋός und πονηρός die prägende Struktur des Schatz-Wortes (Mt 12,35) auf. Die charakteristische Formung mit der direkten Anrede entspricht der Situation, wie sie sich für Mt 12 darstellt, welches Kapitel mehrere scharfe Auseinandersetzungen mit Pharisäern (und später Schriftgelehrten) enthält Auf sie hin ist auch der Passus Mt 12,33fr40 ausgerichtet und gestaltet: Das gilt schon für den doppelten Imperativ ποιήσατε (Mt 12.33)41, der an die Stelle eines wahrscheinlich ursprünglichen Partizips getreten ist42, und genauso für V 34. Ein auf diese Weise vorgegebener Plural der Person machte es aber ratsam, λαλέω mit dem Plural von άγαΰός zu verbinden. Und dies wiederum wirkte bis in V 35 hinein, wo der Plural zwar nicht gleichermaßen nötig gewesen wäre, um der Parallelität willen jedoch beibehalten wurde. Insgesamt muß also davon ausgegangen werden, daß Lk 6,45 par Mt 12,34b.35 derselben Vorlage entstammt und diese Vorlage aufgrund der extremen Übereinstimmungen sowie der redaktionellen Ableitbarkeit der meisten Unterschiede als Q zu identifizieren ist. Mt 12,34a dagegen stellt vermutlich eine matthäische Neubildung dar. Bleiben noch Lk 6,43f mit Mt 12,33. In diesen Versen ist die Sachlage ambivalent: Einerseits sind die Konvergenzen auch hier verblüffend, was besonders ins Auge fällt, wenn man die „Parallel'fassung Mt 7,16.18 damit vergleicht. Zu betonen sind unter anderem der gleiche Aufbau und die gleiche Abfolge innerhalb des Logions, das übereinstimmende Adjektiv-Paar καλός/σαπρός, dieselbe Präposition (έκ) in Abhängigkeit von demselben Verb in derselben Flektion (γινώσκεται) und ein identischer Numerus (Singular) bei allen Belegen von δένδρον und καρπός. Andererseits ist sehr zweifelhaft, ob man die nicht unerheblichen Differenzen allein Mt
38
Üblich ist im allgemeinen die Behauptung, Mt habe mit ά γ α β ά den ursprünglichen Text, während Lk mit τό Αγαθόν ins Sittliche abwandle. Vgl. Schulz, Q 318; Schürmann, Lukas 378 A.221; Steinhauser, Doppelbildworte 315. 39 So z.B. Jülicher, Gleichnisreden 127; Schulz, Q 317; Luz, Matthäus2 258; Schürmann, Lukas 376 erblickt hier auch eine Anlehnung an Mt 12,26.29, Steinhauser, Doppelbildworte 316 an Mt 7,11. 40 Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Voranstellung des χερίσσευμα-Logions. 41 Vgl. Steinhauser, Doppelbildworte 315; Schürmann, Lukas 377. 42 Vgl. ποιούν Lk 6,43.
246
Die Grundrede
unterstellen darf. Am ehesten erlaubt scheint dies in Bezug auf die 43 Imperativform ποιήσατε und die damit in Verbindung stehende ή-ήKonstruktion (Mt 12,33). Kaum möglich ist es hingegen für manch anderes: der Umstand, daß die Zuordnung von Substantiven und Adjektiven in Lk 6 chiastisch erfolgt, während in Mt 12 gleiche Paare (καλός-καλός, σαπρός—σαπρός) zusammengestellt sind; die Verwendung einzelner Worte in jeweils nur einer Version44; das vollständige Fehlen eines Lk 6,44b entsprechenden Textes bei Mt. Besonders die letztgenannte Tatsache gibt zu denken, zumal Mt in Mt 7,16b ein vergleichbares Textelement bietet — wenn auch mit signifikanten Abweichungen. Gewöhnlich45 erklärt man dies dadurch, daß der Evangelist das Wort bereits in Mt 7 verwendet hatte, es deshalb in Mt 12 überging und stattdessen mit V 34a eine eigene Überleitung bildete. Nun hat sich aber gezeigt, daß Mt 7 sehr wahrscheinlich eine von Lk 6 unabhängige Tradition repräsentiert und damit eine derartige Deutung wohl ausscheidet46. Genausowenig gelingt es, eine Auslassung durch redaktionelle Intentionen in Kapitel 12 zu begründen. Die Gesamtheit der geschilderten Befunde läßt sich meines Erachtens bestmöglich folgendermaßen deuten: Sowohl Mt47 als auch Lk standen zwei voneinander literarisch völlig unabhängige Ausgestaltungen einer im ganzen ähnlichen Überlieferungseinheit zur Verfügung, mit denen die beiden Evangelisten auf charakteristisch unterschiedliche Art verfuhren: Mt hielt grundsätzlich an einer doppelten Bezeugung fest (Mt 7 und 12), Lk reduzierte dagegen auf einen einzigen Text (Lk 6). Da die eine matthäische Version innerhalb der Bergpredigt piaziert ist, die lukanische sich in der Feldrede findet und beide in Wortlaut und Gestalt fundamental differieren, muß davon ausgegangen werden, daß die erste Fassung den Evangelisten als ein Bestandteil der Grundrede überkam. Da die andere matthäische Version in Mt 12 in weiten Teilen mit der lukanischen übereinstimmt, diese Übereinstimmung in der zweiten Hälfte der Perikope sogar beinahe das Ausmaß einer Identität
43
Siehe oben.
44
α ύ τ ο ϋ (Mt), π ά λ ι ν , Εκαστος, Ιδιος (Lk).
45
Vgl. nur stellvertretend für viele Schulz, Q 317; Schürmann, Lukas 377; Luz, Matthäus2
257f. 46 Im übrigen bliebe selbst unter Zugrundelegung der genannten Hypothese völlig unverständlich, warum Mt gerade diesen Vers eliminiert haben sollte - beim größten Teil des Baum-und-Frucht-Wortes hatte er scheinbar keine Bedenken gegen eine zweifache Verwendung derselben Überlieferung in seinem Evangelium! 47
Dies sieht auch Wrege, Überlieferungsgeschichte 141.
Ergänzende Überlegungen zur Analyse
247
erreicht und vor allem Mt 12,33-35 mit der Beelzebul-Szene in einen Q-geschwängerten Kontext48 eingebettet ist, muß davon ausgegangen werden, daß die zweite Fassung den Evangelisten als ein Bestandteil von Q überkam. Da Mt, wie die Tradition vor ihm, zwei Versionen erhalten hat, liegt es nahe, bei der Rekonstruktion der beiden Vorlagen von Mt 7 und Mt 12 auszugehen. Dementsprechend haben wir mit einer Grundrede-Version zu rechnen, welche die Worte von Baum und Frucht, vermutlich zusammen mit der Warnung vor Falschpropheten und einer eschatologischen Drohung, enthielt (vgl. Mt 7). Die Q-Version umfaßte hingegen alle drei Komponenten, nämlich die Logien von Baum und Frucht, vom Schatz und vom Überfluß (vgl. Mt 12). Lk schließlich orientierte sich bei der Gestaltung dieses Abschnitts seines Evangeliums stark an der Q-Version, piazierte ihn jedoch an der Stelle, wo er eine offenbar massiv abweichende Fassung vorfand und weitestgehend ersetzte - gegen Ende der Grundrede: Er übernahm danach mit V 45 das Q-Wort vom Schatz und Überfluß, mit V 44b ein Element der Grundrede-Fassung und bietet in V 43.44a eine von der QVersion dominierte Mischform beider Vorlagen. Ein solches alternatives Modell kann zwar nicht jede Einzelheit abschließend klären, und die detaillierte Rekonstruktion des überlieferungsgeschichtlichen Verlaufs stößt vielleicht nicht bei allen auf ungeteilte Zustimmung. Die entscheidenden Grundbeobachtungen jedoch dürften nach den vorangehenden Analysen unstrittig sein: 1. Es liegen an dieser Stelle zwei Traditionen vor, Q und die Grundrede. 2. Lk hat Q-Material in die Grundrede eingearbeitet. β Lk 6,41 f par Mt 7,3-5 Mit dieser Analyse hat sich das zentrale Ergebnis meiner Arbeit ein weiteres Mal bestätigt, wonach die Grundrede von der Logienquelle vollkommen abzulösen ist. Doch wie verhält es sich mit dem Wort vom Splitter und Balken (Lk 6,4If par Mt 7,3-5), das ohne jede Frage Bestandteil von Q ist49?
48
Vgl. nur Mt 12,24.26-28.30. Wreges, Überlieferungsgeschichte 130f Versuche, selbst diese Verse ohne die Annahme einer gemeinsamen schriftlichen Vorlage in ihrer fast völligen Konvergenz zu erklaren, können in keiner Weise überzeugen. Wie man schon einige Seiten vorher bei seinen Analysen zu Lk ll,9ff par und Lk 16,13 par erkennen konnte, besteht sein Hauptargument darin, .das unverwechselbare Ineinander von Form und Sachaussage* (107) für die Übereinstimmungen verantwortlich zu machen. Er verweist daneben auf die enge Begrenzung des in solchen Fällen benutzten Wortschatzes, nimmt aber die dann doch nicht verwunderliche Geringfügigkeit der Abweichungen zum Anlaß, diese den Evangelisten abzusprechen. Abgesehen von solchen Widersprüchen ist zu fragen, inwiefern viele der übrigen, für Wrege samt und sonders 49
248
Die Grundrede
Zunächst dies: Die Verse Lk 6,41 f par stellen in jedem Fall ein Problem dar - unabhängig davon, ob man die Grundrede der Logienquelle zurechnet oder nicht! Vielleicht sind die Schwierigkeiten für die Befürworter einer QZugehörigkeit der Grundrede sogar größer. Denn sie müssen hier für einen nur wenige Sätze umfassenden Passus erklären, was wir für Q insgesamt bereits konstatiert haben: ein scheinbar strukturloses Nebeneinander von Texten mit sehr großer und solchen fast ohne Wortlautübereinstimmung. Letztlich werden wir an dieser Stelle über begründete Vermutungen kaum hinauskommen; eine rundherum befriedigende abschließende Antwort bleibt - für die „Rezensionisten" mit mindestens gleich großer Dringlichkeit — ein Desiderat! Könnte es sein, daß Mt wie auch Lk — selbstverständlich unabhängig voneinander — an derselben Stelle das Bedürfnis gehabt hätten, Q-Gut einzufügen? Was sollte dieses Bedürfnis aber verursacht haben? Wesentlich naheliegender ist es meines Erachtens, daß sich ein analoger Vorgang wie bei Lk 6,43-45 / Mt 7,15-20 / Mt 12,33-35 vollzog, daß also beiden Evangelisten zwei Versionen zur Verfügung standen, eine aus Q und eine aus der Grundrede — nur müßten sich Mt und Lk dann unabhängig voneinander gegen die Grundrede- und für die Q-Version entschieden und diese an der Position von jener eingefügt haben. Wir hätten in diesem Fall mithin nicht das Glück gehabt, daß zumindest ein Evangelist an beiden Versionen festhielt. Obwohl manche Einzelheiten undeutlich sind: Daß es so etwas wie oben angenommen gibt, daß nämlich zwei unterschiedliche Fassungen eines Überlieferungsstückes existierten und die Entscheidung des bzw. der Evangelisten zuungunsten der Grundrede- und zugunsten der Q-Version fiel, ist durch Lk 6,45 par grundsätzlich erwiesen. Und im Hinblick auf das Kompositionsverfahren des Mt innerhalb der Bergpredigt kann man jedenfalls nachweisen, daß er die von ihm als Grundstock herangezogene Grundrede mit Q-Material kombiniert hat, wie es sich ohne Zweifel in den beiden Abschnitten Mt 6,22f.24.25-33 und Mt 7,7-11 findet, zwischen welchen Mt 7,3-5 steht.
ebenfalls unmittelbar der mündlichen Tradition entstammenden Überlieferungseinheiten - wie z.B. das Logion über Feindeslicbe oder die kurzen Sprüche Lk 6,39.40 par - größere Differenzen zwischen Form und Inhalt an den Tag legen! Wreges Argumentation wirkt überaus künstlich und kann die (fast) allgemein anerkannte Einschätzung nicht ins Wanken bringen: Wenn es Q überhaupt gab - und daran scheint mir kein Zweifel zu bestehen - , dann gehörte Lk 6,4If par dazu!
Ergänzende Überlegungen zur Analyse
249
b) Der Umfang der Grundrede Wir haben mit Bergpredigt und Feldrede zwei literarische Dokumente zur Verfügung, die offensichtlich eine ihnen gemeinsame Vorlage benutzen und verarbeiten. Es darf als Konsens betrachtet werden, daß Mt hier, wie auch sonst, größere Redeeinheiten schafft, indem er Material aus den unterschiedlichsten Richtungen zusammenträgt und kunstvoll arrangiert; Sondergut findet neben Q-Passagen und Mk-Stoff Platz. Diese seit langem bekannte Vorgehensweise sorgt verständlicherweise für ein beträchtliches Maß an Skepsis, wenn es darum geht, nach der ursprünglichen Einordnung eines Logions Ausschau zu halten. Abgesehen von dieser allgemeinen Feststellung, die in unserem Fall immerhin z.B. die Zugehörigkeit von Lk 6,39.40 zur Grundrede wahrscheinlicher macht, verdient eine methodische Prämisse Beachtung: Solange keine gewichtigen Indizien eine andere Lösung nahelegen, scheint es sinnvoll, vom kleinsten gemeinsamen Nenner auszugehen, um den Umfang der Grundrede zu eruieren. Man wird nicht fehlgehen, in den sowohl von Mt (Bergpredigt) als auch von Lk (Feldrede) gebotenen Logien zumindest den Kern der zugrundeliegenden Schrift zu erblicken. Es wäre höchst ungewöhnlich, wenn beide Evangelisten unabhängig voneinander ein aus einer anderen Tradition stammendes Wort übereinstimmend, dazu noch an derselben Stelle, innerhalb einer je parallelen Komposition eingefügt hätten — jedenfalls dann, wenn für ein solches Vorgehen keinerlei auslösende Veranlassung erkennbar ist50. Etwas Vergleichbares findet man in Bergpredigt und Feldrede nicht. Die Analyse im vorangehenden Kapitel hat gezeigt, daß der Abschnitt Lk 6,41—45 nicht zur Grundrede zu rechnen ist: Während Lk 6,41f.45 par als eingeschobenes Q-Material identifiziert wurde, kann hinter Lk 6,43f wenigstens eine Grundrede-Vorlage wahrscheinlich gemacht werden. Somit verbleiben nur drei Überlieferungsstücke, die einer Klärung bedürfen: Lk 6,24—26.39.40. Beginnen wir mit den beiden Einzellogien, die bei Mt in vollkommen anderem Zusammenhang belegt sind. Kann ihre vorredaktionelle Plazierung ausfindig gemacht werden? Beim Wort vom blinden Blindenführer mag eine Entscheidung am ehesten möglich sein51: Es erscheint im ersten Evangelium innerhalb eines Kapitels (15), das dem markinischen Aufbau mit der Parabel über Rein und
50 Eben darin unterscheidet sich der für Lk 6,4 lf favorisierte Erklärungsversuch, nach welchem mit guten Gründen an der entsprechenden Stelle in der Grundrede eine andere Fassung des gleichen Logions angenommen werden kann. 51
Vgl. u.a. Schulz, Q 472; Kloppenborg, Formation 181.
250
Die Grundrede
Unrein (Mk 7,Iff) und deren Deutung (Mk 7,17ff) folgt. In diesen Zusammenhang hinein stellt offenbar Mt selbst mit Mt 15,12—14 ein Konglomerat von ursprünglich sicher isolierten Logien52, die eindeutig als gegen die Pharisäer gerichtet erscheinen (V 12). Den Abschluß dieser kleinen Gruppe bildet nun das Pendant zu Lk 6,39, welcher Vers damit der Grundrede zuzuschreiben sein dürfte 53 . Obwohl die z.B. von Jülicher54 geäußerte Vermutung, dieser Spruch sei Mt wie Lk als Fragment außerhalb des primären Kontextes zugekommen ohne weiter begründend erhärtet werden zu können — nicht auszuschließen ist55, sollte die verhältnismäßig problemlose Einbettung des Wortes in den Zusammenhang vom Richten (besonders V 41f) keine entsprechende Annahme nötig machen56. Gerade diese Stellung zum Kontext aber bereitet in Bezug auf Lk 6,40 par Mt 10,24f akute Schwierigkeiten. Wieder ist es Jülicher, der sich an exponierter Stelle unmißverständlich äußert57: Lk 6,40 passe überhaupt nicht zu V 39.41 f, während bei Mt ein wenigstens befriedigender Zusammenhang feststellbar sei. So weit wagen sich zwar nicht viele vor, doch kann manch einer ein gewisses Maß an Unbehagen nur schwer verbergen, wenn er sich letztlich zugunsten der lukanischen Reihenfolge entscheidet: Bovon58 beispielsweise konstatiert, daß V 40 durch seine Stellung zwischen V 37f und V 41f, mithin zwischen zwei Aussagen über das Richten, zu einer gemeinschaftlichen Regel wird! Noch größer scheint die Verlegenheit bei Schulz59 zu sein, wenn er mehrfach lukanische Eingriffe in den Bestand des Logions zugunsten einer akzeptableren Verknüpfung mit dem ihn umge-
52
Vgl. auch Wrege, Überlieferungsgeschichte 127.
53
Bovon, Lukas 331f plädiert aus einem weiteren Grund für die Originalität der Stellung von Lk 6,39: Die Assoziationen zum Splitter-und-Balken-Spruch wie Blindheit und Sehfähigkeit seien in semitischem Milieu erfolgt. 54
Gleichnisreden 54.
55
Einen Schritt weiter in diese Richtung geht in neuester Zeit Luz, Matthäus 2, 417 (vielleicht in Anlehnung an BuKmann, Geschichte 103), der eine schriftliche Vorlage ( Q ) leugnet und stattdessen die Übernahme einer mündlichen Tradition durch Mt voraussetzt (vgl. seinen Hinweis auf den sprichwörtlichen Charakter des Logions). 56
Diese Einschätzung gilt unabhängig davon, o b die Einleitungswendung, was wahrscheinlich ist (vgl. die wortstatistische Analyse z.St.), einen lukanischen Ursprung hat oder nicht. Es scheint mir gerade aufgrund des Kontextes unnötig, eine Diskrepanz zwischen der paränetischen Feldrede und dem (scheinbar?) anders gelagerten V 4 0 herausstellen zu wollen (vgl. Luz, Matthäus 2, 417). 57
Gleichnisrede 50.
58
Lukas 333.
59
Q 449.
Ergänzende Überlegungen zur Analyse
251
benden Spruchgut ausmacht, um schließlich eine letzte Aporie einzugestehen60. Sehr naheliegend ist es in der Tat nicht, einen solchen Vers an dieser Stelle zu piazieren61! Andererseits sollte man sich über die vermeintliche Homogenität des Abschnittes Mt 10,17fF nicht täuschen: Ob V 24f wirklich problemlos zwischen den beiden Teilen der vermutlich von Mt komponierten Rede verständlich sind62, mag zumindest bezweifelt werden; wenigstens scheint mir Mt 10,24f im Zusammenhang der Verfolgungs- und Nachfolgethematik kaum zwangloser aufgehoben als im Zusammenhang von Logien über das Richten63. Vielleicht hat der von Schürmann64 artikulierte Gedanke die größte Plausibilität, daß gerade die Tatsache, daß man sich diesen Passus der Feldrede gut ohne V 39.40 vorstellen könnte, eher gegen eine lukanische Einfügung spricht6S. Zu einem anderen Ergebnis gelange ich dagegen im Hinblick auf die Weherufe. Ihre Herkunft ist seit je umstritten, ein Konsens in der Forschung nicht zu erkennen. Wir können uns hier auf die Frage beschränken, ob Lk 6,24—26 zur ursprünglichen Fassung der Grundrede gehörte oder nicht. Eine erste Erklärungsmöglichkeit scheidet mit großer Wahrscheinlichkeit aus: Lk selbst hat die Weherufe kaum gebildet, wie ein Blick auf die Untersuchung ihrer sprachlichen Form gezeigt hat66.
60 .Der Abschnitt Lk 6 3 7 - 4 2 läßt allerdings die Absicht des Lukas (sc. bei der Eingliederung von V 40) nur schwer erkennen.* (Q 449). 61 Vgl. auch Schürmann, Lukas 370; Wrege, Überlieferungsgeschichte 128; Steinhauser, Doppelbildworte 189. 62 Luz, Matthaus 2, 119; Steinhauser, Doppelbildworte 185f. Vgl. dagegen Gnilka, Matthaus 374. 6J Kloppenborg, Formation 182. 64 Lukas 370; Steinhauser, Doppelbildworte 192. 65 Schürmanns mannigfache Argumentation, die besonders auch mit postulierten sprachlichen Reminiszenzen bei Mt an eine Einheit wie Lk 6,39f.41f.43fT arbeitet, besitzt darin einen überaus wichtigen Aspekt, daß .eine isolierte Einfügung von Versen wie Lk 6,39f gegen das Kompositionsverfahren des Luk ist.* (Lukas 370). Ähnlich Wrege, Überlieferungsgeschichte 129; Wanke, Kommentarworte 22f. 66 Vgl. in diesem Sinn auch Sato, Q 49; Steck, Israel 21 A.3 u.a.. Jeremias, Sprache 138 weist darüberhinaus darauf hin, daß Lk 7 von 20 in Mk vorgefundenen antithetischen Parallelismen zerstört, aber keinen einzigen von sich aus eingefügt hat. Gnilka, Matthaus 118 verweist dagegen auf den nochmaligen (!) Adressatenwechsel und das besondere soziale Anliegen des dritten Evangeliums, um die These eines lukanischen Ursprungs zu erharten. (Vgl. auch Klein, Weherufe 158, nach welchem Lukas die Tradition des Pauperismus ausgebaut, nicht nur bewahrt hat). Beide Gesichtspunkte müßten jedoch zumindest für die abschließende Redaktion erst erwiesen werden.
252
Die Grundrede
Andere67 meinen, Mt habe die Verse gelesen, aber ausgelassen. Die vorgetragenen Hauptargumente68 sind diese: — Mt habe bekanntermaßen eine Vorliebe für kompositorische Einheiten, die ihn in diesem Fall dazu veranlaßte, sich die literarische Form der ούαί aufzusparen, um sie dann sozusagen en bloc in Kapitel 23 einzusetzen69. — Mt habe die Weherufe in der Bergpredigt unmöglich bieten können, da sie deren Charakter als .Tugendkatalog* diametral entgegenliefen 70 . - Mt verrate durch zahlreiche Reminiszenzen an den Text von Lk 6,24—26 dessen Kenntnis71: π ε ν θ έ ί ύ (Lk 6,25) bewirkte die matthäische Ände-
rung von κλαίοντες in π ε ν ύ ο ϋ ν τ ε ς mit; παράκλησις half ihm bei der Glättung von γελάσετε in παρακληύήσονταΐ; Mt 5,11 weicht aufgrund von Lk 6,26 gegenüber der Lk-Parallele ab; die ψ ε υ δ ο προφήταΐ (Lk 6,26) zogen Mt 7,15 und ψευδόμενοι (Mt 5,11) nach sich; ja Lk 6,24 sorgte dafür, daß Mt das Lehrgedicht Mt 6 einfügte (vgl.
άπέχω Mt 6,2.5.16). Für eine umfassende Auseinandersetzung mit diesen und weiteren Begründungen mag auf die vorzügliche Arbeit Broers72 verwiesen werden. Nur so viel in Kürze an Gegenüberlegungen zu einer Position wie der von Schürmann: - Mt 23 enthält bezeichnenderweise keinerlei Erinnerung an ein LJberlieferungsstück wie Lk 6,24-26; außerdem kann man ο ύ α ί - R u f e bei Mt
Verheißungsvoller wirkt zunächst der Ansatz von Klein, Weherufe 154-156, der die Wcherufe als lukanischem Stil gemäß formuliert diesem Evangelisten zuschreiben möchte. Doch scheitert sein Unterfangen m.E. daran, daß er an keinem einzigen Punkt eine entsprechende Beweisführung überzeugend leistet: Entweder beschränkt er sich auf die Feststellung, lukanische Redaktion sei nicht auszuschließen (z.B. zu πλην) oder er liefert selbst durchschlagende Argumente gegen die Annahme lukanischer Redaktion (άπέχω begegne in aktiver Form sonst nie bei Lk, παράκλησις sei ein für Lk nicht üblicher Terminus, πενβέω redaktionell nicht verifizierbar, andere Begriffe bloße Umkehrungen der Formulierungen in den Makarismen)! 67
Vgl. vor allem Schürmann, Lukas 339; nach ihm u.a. Frankemölle, Makarismen 64f und Tuckett, Beatitudes 199. 68 Nicht weiter erörtert werden Beobachtungen wie die diesbezügliche Parallelität zwischen Jak und den Weherufen von Lk 6,24-26, welche die Annahme einer gegenseitigen literarischen Kenntnis nicht erhärten können, bei Schürmann aber auch kein besonderes Gewicht tragen (vgl. Kloppenborg, Formation 172 A.4). 69 70 71 72
Frankemölle, Makarismen 64f. Degenhardt, Lukas 52; Schürmann, Lukas 339. Schürmann, Lukas 339f; ders., Warnung 305f; ähnlich Frankemölle, Makarismen 64. Seligpreisungen 24ff.
Ergänzende Überlegungen zur Analyse
253
sehr wohl auch in anderem Zusammenhang als in diesem Kapitel entdecken73. — Angesichts von Mt 6,Iff kann nicht davon die Rede sein, daß Wehe sich mit dem Korpus der Bergpredigt nicht vertrügen. — Die aufgelisteten Reminiszenzen sind insgesamt von allenfalls eingeschränkter Aussagekraft: Zu einem Teil unterliegen sie denselben Vorbehalten, die man Schürmanns Prinzip als solchem gegenüber hegen mag, nämlich erstaunlich weitreichend informiert zu sein über das große Ausmaß an Niederschlägen, welches ausgelassene Textpartien im ersten Evangelium gefunden haben; zu einem anderen Teil lassen sich bestimmte Phänomene auf andere Weise überzeugender erklären74. Kann so weder eine lukanische Bildung noch eine matthäische Auslassung einsichtig gemacht werden, helfen vielleicht einige Beobachtungen zum Verhältnis von Makarismen und Wehe in Lk 6,20—26 weiter, mit denen ich mich ausdrücklich an die schon genannte Arbeit von Broer7S anschließe: Die Parallelität zwischen Lk 6,20-23 und Lk 6,24-26 ist so frappant, daß sich der Eindruck aufdrängt, das eine sei dem anderen nachgebildet worden 76 — und zwar eindeutig in der Reihenfolge Seligpreisungen — Wehe 77 . Dieser Vorgang dürfte zudem auf einer literarischen Ebene anzusiedeln sein, die zeitlich vor der Entstehung von Lk 6,27a, also wohl vor der lukanischen Redaktion 78 liegen muß; denn τοις άκούουσιν offenbart ungeachtet der Frage, woher die antithetische Struktur ( ά λ λ α ύ μ ΐ ν λέγω; vgl. Mt 5,39) stammen mag, ein gewisses .Ressentiment*79 gegenüber dem Kontext der Weherufe, insofern durch diese Wendung über die
73
Vgl. Mt 11,21; 18,7; 24,19; 26,24. Mt 5,4 z.B. ist ohne Rückgriff auf eliminierte Passagen oder andere Operationen völlig ausreichend verstehbar als aufgrund von Jes 61,2 (καρακαλέσαι π ά ν τ α ς τούς πενβοϋνχας) entstanden. Vgl. auch Sato, Q 49; Klein, Weherufe 157. 74
75
Seligpreisungen. Sato, Q 48; 200; Steck, Israel 21 A.3; Lührmann, Redaktion 54; Beasley-Murray, Jesus 157; Kloppenborg, Formation 172 A.4; Klein, Weherufe 154 verweist u.a. darauf, daß die Wiederholung einer „Anormalität" der Seligpreisung beim Weheruf (Lk 6,26), nämlich ein temporaler Nebensatz anstelle des üblichen Partizipialsatzes, die literarische Abhängigkeit deutlich anzeige. 76
77
Broer, Seligpreisungen 34 betont zu Recht, daß es nicht vorstellbar ist, daß Lk 6,20b nach Lk 6,24 geformt worden sein sollte. Vgl. auch Tuckett, Beatitudes 195. 7S Vgl. das Ergebnis der wortstatistischen Analyse z.St„ Außerdem z.B. Bultmann, Geschichte 100. 79 Broer, Seligpreisungen 26.
254
Die Grundrede
Wehe hinweg zu den ursprünglich Angeredeten der Feldrede zurückgelenkt wird80. Schließlich verrät ein Blick auf den jeweiligen Beginn von Seligpreisungen und Weherufe, daß man von einer uneinheitlichen, d.h. traditionsgeschichtlich späteren Formulierung der Wehe auszugehen hat, da zwar beide Verse die zweite Person bieten, sie aber jeweils grundsätzlich anders eingeführt wird, nämlich hier erst durch das zweite Glied (υμετέρα έστιν), dort jedoch schon im ersten (ύμΐν τοις πλουσίοις). So läßt sich zusammenfassend konstatieren: Die Weherufe Lk 6,24—26 wurden irgendwann nach der ersten Niederschrift der Grundrede und vor der lukanischen Redaktion dem Korpus der Grundrede beigefügt. c) Die Frage der Schriftlichkeit der Grundrede Da die von mir postulierte Grundrede als ein eigenes Dokument verstanden wird, das niemals Bestandteil der Logienquelle war, gilt der für Q weitgehend erzielte Konsens, daß wir es nämlich mit einem schriftlich fixierten Werk zu tun haben, nicht auch von vornherein für sie. Wenn ich gleichwohl gerade daran festhalte, mithin ein schriftliches Korpus der Grundrede voraussetze und nicht allein mündlich umlaufende Traditionsstücke annehme, die von den Evangelisten zu ihren Redeeinheiten kompiliert wurden81, bedarf dies einer Erläuterung. Es sind im wesentlichen zwei Gründe, die mich nicht daran zweifeln lassen, daß die Grundrede in der Tat nicht nur mündlich umlief: α Die Anordnung der Grundrede-Elemente bei Mt und Lk Läßt man die von mir zur Grundrede gezählten Verse zunächst einmal als große Passagen Revue passieren, fällt eine bis auf drei Einzellogien82 signifikant übereinstimmende Akoluthie ins Auge:
80
Vgl. Bultmann, Geschichte 117; Klein, Weherufe 152.
81
Vgl. Wrege, Überlieferungsgeschichte, passim.
82
Lk 6,31/ Mt 7,12; Lk 6,39/ Mt 15,14; Lk 6,40/ Mt 10,24f zahlen u.a. auch bei Taylor, Order 28 zu den kurzen isolierten Sprüchen, deren redaktionelle Verfügbarkeit zur Einordnung in andere Zusammenhänge aufgrund der weithin fehlenden Kontext-Verbindung einleuchtet. Er vermutet darüberhinaus, daß Mt es war, der gemäß seinem sonst zu beobachtenden Verhalten eine Verschiebung vornahm. Eine Übernahme dieser Logien allein aus der mündlichen Tradition mag erwogen werden; ich halte dies jedoch angesichts des ansonsten relativ festgefugten Umfangs der Grundrede für unnötig, da, wie gesehen, eine matthäische Umstellung tatsächlich wahrscheinlich gemacht werden kann.
Ergänzende Überlegungen zur Analyse
Lk 6,20-23 6,27-30 6,32-36 6,37-38 6,41-42 6,43-44 6,46 6,47-49
255
Mt 5,3-4-6.1 lf 5,39-44 5,45-48 7,1-2 7,3-5 7,16-20 7,21 7,24-27
Diese Konvergenz ist überraschender, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Einen Einstieg mit Makarismen und vielleicht auch einen eschatologisch ausgerichteten Abschluß mit dem Gleichnis vom Hausbau könnte man sich auch unter Absehung von einer fixierten Quelle vorstellen; aber die Abfolge der übrigen Elemente ist keineswegs sachlich zwangsläufig vorgegeben. Vielmehr wäre es ohne Schwierigkeit möglich, das Material völlig anders zu mischen, ohne auf eine sinnvolle Sequenz verzichten zu müssen. Wenn man nun auf die kleineren Einheiten sieht und dafür den Grundrede-Stoff versweise untersucht, ist das Bild zwar nicht mehr ganz so eindeutig, aber doch allemal überzeugend genug, um auch von dieser Ebene her ein klares Votum für die Schriftlichkeit zu gewinnen. Neben den genannten drei Logien müssen Lk 6,34 wegen fehlender Parallele bei Mt und Lk 6,43—45, eine Spruchgruppe mit doppelter Parallele bei Mt, die, wie gesehen, eigene Fragen literar- und Überlieferungsgeschichtlicher Art aufwirft, ausgeklammert werden. Dann ergibt sich: Lk 6,20b Mt 5,3 * 6,21a 5,6 6,21b 5,4 6,22 5.11 6,23 5.12 6,27-28 5,44 6.29 5,39-40 * 6.30 5,42 6.32 5.46 6.33 5.47 6.35 5,45 6.36 5.48 6.37 7.1 6.38 7.2 6.41 7.3 6.42 7,4-5 6,46 7,21
256
Die Grundrede
6.47 6.48 6.49
7,24 7,24-25 7,26-27
Selbst falls die Auswahl des Materials auf mündlicher Tradition basierend gedacht zu werden vermag, sollte diese weitestgehende Übereinstimmung bis in kleinste Einzelheiten hinein überzeugen können. Denn sowohl Mt 5,4 wie auch Mt 5,39—42.45 verdanken ihre abweichende Einordnung höchstwahrscheinlich matthäischer bzw. vormatthäischer Redaktion, befinden sich zumindest nicht an ihrem primären Ort: Die Seligpreisung der Trauernden wird mit der der Armen im Geist vorangestellt worden sein, um auf diese Weise zwei Makarismen über Menschen in einer Notlage von sechs Makarismen über Täter menschlicher Tugenden gefolgt sein zu lassen; auf jeden Fall ist der Grund für die Umstellung durch die Erweiterung des Materials bedingt83. Mt 5,39—42 wurden von einem Redaktor aus der ursprünglichen Abfolge herausgetrennt und zur Bildung der fünften Antithese verwandt84. Mt 5,45 dagegen ist kaum zufriedenstellend als matthäische oder lukanische Variation verständlich zu machen; hier bleibt ein ungeklärter Rest85. β Vergleich von Lk 6,47-49 und Mt 7,24-27 Am Beispiel einer umfänglichen Perikope mag in aller Kürze ein Phänomen aufgezeigt werden, das sich auch an anderer Stelle in der Grundrede nachweisen ließe und bei ausschließlich mündlich kursierenden Traditionen kaum einzusehen wäre: Das unlösliche In- und Miteinander von weitestgehender Differenz im Wortlaut und erstaunlicher Konvergenz des Aufbaus. Ein Vergleich der beiden Fassungen anhand des beigefügten synoptischen Materials beweist, von zwei völlig unbedeutenden Ausnahmen abgesehen86: Beide Versionen halten sich über alle Ergänzungen hinweg und ungeachtet
83
Vgl. Schulz, Q 76.
84
Strecker, Bergpredigt 90; Kuhn, Liebesgebot 204 u.a.. Dabei spielt es keine Rolle, ob, wie die meisten vermuten, Mt selbst für eine solche Vorgehensweise verantwortlich ist oder auch nicht. 85 Schulz, Q 131 und Strecker, Antithesen 67 plädieren z.B. für matthäische, Schürmann, Lukas 346 und Strecker, Bergpredigt 90 dagegen für lukanische Originalität (letztgenannter im Zusammenhang mit einer Einordnung der Goldenen Regel vor Mt 5,46f.45 par). 86 Es handelt sich neben der abweichenden Stellung der beiden Konjunktionen καί und δέ (S2 + V), die eine grammatische Notwendigkeit bedeutet und damit als Gegenbeleg ausscheidet, um eine weitere Bagatelle: Durch die Einfügung der δνεμοι in die matthäische Textfassung erfolgte eine Änderung des Beziehungsgeflechts zwischen Subjekt(en) und Verb(en), so daß ποταμός/ποταμοί ein wenig gegeneinander verschoben wurden.
Ergänzende Überlegungen zur Analyse
257
aller tiefgreifenden Unterschiede besonders in den „K"-Passagen geradezu sklavisch an offensichtlich dasselbe formale Schema! Als Ergebnis läßt sich festhalten: Die Grundrede wurde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit schriftlich abgefaßt. d) Die Adressaten der Grundrede Schließlich bleibt die schwierige Frage zu beantworten, an wen sich der Jesus der Grundrede mit seinen Worten gewandt hat; die Problematik liegt vor allem darin, daß offenbar beide Evangelisten stark in die Rahmung ihrer Vorlage eingegriffen und besonders in der Einleitung markinische Formulierungen (Mk 3,13!) bei weitem überwiegen. Der Sachverhalt im einzelnen 87 ist folgender: Nach Mt 5,1 f entzieht sich Jesus bewußt den δχλοι , die ihm laut Mt 4,25 seit Beginn seiner öffentlichen Wirksamkeit folgen, indem er auf den Berg88 steigt. Seine Jünger — μαβηταί in deutlicher Abhebung von den Volksmassen — sind es, die nun zu ihm treten und die er zu lehren beginnt. So jedenfalls legt es der Text zu Beginn der Bergpredigt nahe; αύτούς als Objekt der διδαχή (Mt 5,2) bezieht sich syntaktisch am zwanglosesten ohne Frage auf μαύηταί und nicht auf δχλοι. Wenn also immer wieder betont wird, Jesus steige vielmehr auf den Berg, um von dort zu der gewaltigen Menschenmenge verständlich sprechen zu können 89 , so kann sich eine solche Einschätzung im Grunde nur auf den Abschluß der Rede berufen. Dort allerdings werden die Adressaten — nachträglich eindeutig genannt: oi δχλοι geraten über diese Lehre außer sich, was zwangsläufig voraussetzt, daß sie diese selbst unmittelbar oder doch wenigstens, durch andere vermittelt, von ihr gehört haben90. Im allgemeinen versucht man, dieser Schwierigkeit durch die Annahme von zwei Hörerkreisen zu begegnen, ein engerer (die Jünger) und ein weite-
87
Vgl. u.a. Jeremias, Gleichnisse 38 A.3; Goulder, Reply 213. είς τό δρος begegnet sowohl in Mt 5,1 als auch in Lk 6,12 und Mk 3,13, einem Vers, der mit den ihm unmittelbar vorangehenden eine nicht unbeträchtliche Bedeutung für die Gestaltung des Eingangs der Bergpredigt inklusive des vorgeschalteten Summariums Mt 4,23-25, vor allem aber der Feldrede gehabt hat - konnte es sein, daß das Bergmotiv nicht von Mk übernommen wurde, sondern sich auch schon in der Grundrede vorfand und damit maßgeblich zu deren Einordnung in den markinischen Rahmen beitrug? 88
89
Strecker, Bergpredigt 26; Luz, Matthäus 197. Bovon, Lukas 289 sieht fälschlich bereits in Lk 6,27a und Lk 6,39a die Menge angesprochen; dies ist allenfalls aus der Rückschau von Lk 7,1 her möglich, zwangloser jedoch sicherlich mit den bis dahin allein explizit genannten Jüngern in Verbindung zu bringen. 90
258
Die Grundrede
rer (das Volk)91. Die gesamte Szenerie wirkt in der Tat, als spräche Jesus allein oder doch primär zu seinen Jüngern, während die ΰχλοί in (gebührendem) Abstand seine Worte verfolgen. Woher kommen die beiden Gruppen? Mt folgt dem markinischem Aufriß treu bis einschließlich der Berufung der ersten Jünger (Mk 1,16-20 par Mt 4,18—22). Während dann aber Mk den Exorzismus in Kapernaum schildert, bietet Mt in 4,23—25 ein Summarium, das aus freien Formulierungen des Evangelisten und markinischem Überlieferungsmaterial besteht 92 . Der für unsere Fragestellung entscheidende Vers 25 ist offensichtlich Mk 3,7b.8a entnommen; man darf folglich davon ausgehen, daß Mt selbst die δχλοί πολλοί direkt vor den Anfang der Bergpredigt piaziert hat. Er scheint ein Interesse daran zu haben, das Auditorium, in wie großer Unmittelbarkeit auch immer, die Volksmassen mit umgreifen zu lassen93. Es bleibt daher sehr fraglich, ob die Grundrede wirklich durch die matthäische Redaktion zu einer Jüngerrede geworden ist94, oder ob nicht gerade die μαθηταί die ursprünglichen Adressaten bildeten. Betrachten wir zur weiteren Klärung die Gestaltung des Beginns der Feldrede bei Lk: Sie wird eröffnet mit dem expliziten Hinweis darauf, daß Jesus seine Augen auf seine Jünger erhob und (doch wohl zu ihnen) sprach. Und schließlich können wir auch im unmittelbaren Kontext von Lk 6,20—49 erneut eine Umstrukturierung beobachten, die bei Lk noch stärker ins Gewicht fällt, da er im Gegensatz zu Mt nur in Ausnahmefällen von der ihm durch die Tradition vorgegebenen Reihenfolge des Berichteten abzuweichen pflegt. Mk überliefert nach dem zweiten Sabbatkonflikt (3,1-6) zunächst einen Sammelbericht (3,7-12) und im Anschluß die Berufung der Zwölf (3,13-19). Demgegenüber vertauscht95 Lk Berufung (6,12-16) und Sammelbericht (6,17-18), offenkundig, um seine Feldrede vor einer größeren Gruppe als nur den Jüngern (6,20a) halten lassen zu können. Letztgenannte Verschiebung macht es mir denn auch sehr wahrscheinlich, daß ungeachtet
91
Donaldson, Jesus 107; Strecker, Bergpredigt 26.
92
Luz, Matthäus 179 analysiert die Herkunft der einzelnen Elemente dieses Abschnittes genauer. 93 Es mutet demgegenüber merkwürdig an, in der Erwähnung der δχλοι Mt 7,28 ein matthäisches Versehen erkennen zu wollen (so Goulder, Reply 213). 94 95
So Jeremias, Gleichnisse 39 A.3.
Schürmanns, Lukas 323 A.30 Hinweis, Lk habe nicht eigentlich umgestellt, sondern nur einige Verse des markinischen Sammelberichts verarbeitet, übergeht gerade das Ausschlaggebende, nämlich die Positionierung hinler dem Berufungsbericht!.
Ergänzende Überlegungen zur Analyse
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aller Differenzen im Detail Mt und Lk jeweils von sich aus eine Erweiterung des ursprünglich engen Hörerkreises vornahmen96. Wiederum steht einer Eindeutigkeit aber Lk 7,1, d.h. der Abschluß dieser Redekomposition entgegen, wonach Jesus seine βήματα, etwas überraschend, in die Ohren des λαός vollendet hat. Es fällt auf, daß trotz der terminologischen Verschiedenheit (δχλοι Mt 7,28 — λαός Lk 7,1) in einer gewissen Übereinstimmung wieder die Menschenmenge Erwähnung findet. Von den meisten jener, die auf eine Ähnlichkeit der beiden Abschlußwendungen aufmerksam machen und sie zum Anlaß nehmen, mit einer, wenn auch nicht mehr im einzelnen rekonstruierbaren, gemeinsamen Vorlage zu rechnen, wird zwar kurz zusammengefaßt folgendes vertreten: Mt 7,28a ist der erste Beleg für eine derartige Formel am Ende einer Rede im Matthäusevangelium, die in dessen weiterem Verlauf noch viermal in ähnlicher Form begegnet97, ohne jemals wieder ein auch nur entferntes Pendant im Lukasevangelium zu besitzen, wie dies mit Lk 7,1 der Fall ist. Von daher scheint die Vermutung nicht abwegig, Mt habe einen entsprechenden Schlußsatz in derjenigen Quelle schon vorgefunden, welcher er auch die Grundrede entnahm, und ihn dann erst gemäß seinem auch anderwärts zu bemerkenden Vorgehen9® durch beinahe stereotype redaktionelle Wiederholung zu einer Formel werden lassen99. Mir scheint eine solche Annahme, unbeschadet ihres weitgehend hypothetischen Charakters100, durchaus plausibel zu sein; immerhin sollte mit Luz101 nicht gering geachtet werden, daß Mt 7,28a mitnichten matthäische Diktion verrät102, was allerdings
96 Auf der Grundlage einer solchen Annahme, d.h. auf der abschließenden Redaktionsebene, gilt dann auch eine Aussage wie die von Tuckett, Beatitudes 19S, der zwischen den μ α θ η τ α ί in V20 und dem δχλος πολύς in V17 keine Diskrepanz festzustellen vermag. 97 Mt 11,1; 13,53; 19,1; 26,1. 98 V. Dobschütz, Matthäus 341 nennt als Analogien έν έκείνω τώ καιρώ, das Mt in Q vorfand (11,25), um es redaktionell in 12,1 und 14,1 zu verwenden; das Wort vom Heulen und Zähneklappen (Mt 8,12 aus Q, redaktionell in 13,42.50; 22,13; 24,51; 25,30); sowie den vielleicht aus Mk 14,49 stammenden Erfüllungsgedanken (ίνα πληρωΰΐη, τότε έπληρώβη o.a.), wie er sich dann z.B. in Mt 1,22; 2,15.17.23; 4,14; 8,17; 12,17; 13,35; 21,14; 27,9 findet. Vgl. auch Kosch, Tora 230. 99 Hirsch, Frühgeschichte 296; v. Dobschütz, Matthäus 341; Wegner, Hauptmann 102; Luz, Matthäus 415. 100 Gleichsam mit einem tiefen Seufzer konstatiert Luz, Matthäus 415 diesen Umstand! 101 Matthäus 415. 102 Obwohl καί ένένετο nicht weniger als 46mal bei den Synoptikern und in Apg belegt ist, findet man außerhalb der fünf genannten Abschlußwendungen kein einziges Mal einen Anschluß mit δτε (meistens έν τώ + Infinitiv oder ώς).
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Die Grundrede
gegen einen weiten Konsens103 mutatis mutandis auch von Lk 7,1a gilt104! Im allgemeinen wird jedoch zu Recht genau für Mt 7,28a eine solche Vorlage postuliert, während man Mt 7,28b.29 als Übernahme von Mk 1,22 betrachtet105. Die uns besonders interessierenden δ χ λ ο ί erscheinen bekanntlich in dem weitestgehend wörtlich aus Mk 1,22 übernommenen V 28b, stellen aber ein überschießendes Element dar und entstammen als
τελέω begegnet bei Mt jenseits der Abschlußwendungen nur noch in zwei S-Belegen (10,23; 17,24). ot λόγοι ούτοι kann ebenfalls nicht auf mauhäische Formulierung zurückgeführt werden (vgl. zu Lk 6,47ff par Mt 7,24ff unter h) aberschießend). 103 Exemplarisch wieder Luz, Matthaus 415 und A.4. 104 έπειθτι findet sich zwar dreimal in Apg (13,46; 14,12; 15,24), im Lukasevangelium jedoch neben 7,1 lediglich in einem S-Beleg (11,6); es ware verwunderlich, daß Lk diese Vokabel im gesamten Evangelium so selten benutzt haben sollte, wenn er eine Vorliebe dafür hätte. Harnack, Sprüche 54 nimmt hingegen den postulierten lukanischen Charakter dieses Wortes zum Anlaß, den gesamten Text Lk 7,1 als sekundär erwiesen zu sehen. πληοόω ist bei Lk neben einer Fülle von Apg-Belegen vor allem an S-Stellen bezeugt (1,20; 2,40; 4,21; 21,24; 24,44), außerdem # gegenüber Mk (Lk 3,5; 9,31; 22,16). Vorlukanisch selbst für Luz, Matthäus 415 A.4. πάντα τά ήτιιατα ist im gesamten Neuen Testament auf das lukanische Doppelwerk beschränkt (Lk 1,65; 2,51; Apg 5,20), kann aber nirgends als redaktionell wahrscheinlich gemacht werden. Aufgrund der kaum bestreitbaren Vorliebe des Lk für (ot) λόγοι ούτοι (vgl. zu Lk 6,47ff par Mt 7,24ff unter h) überschießend) leuchtete es auch nicht ein, wollte man an eine lukanische Ersetzung durch πάντα τά βήματα denken. etc τάί άκοάς kann nicht unter Verweis auf Apg 17,20 für die lukanische Redaktion reklamiert werden! Richtig Kosch, Tora 231 gegen Wegner, Hauptmann 120f. λαός hingegen, merkwürdigerweise von Luz, Matthäus 415 nicht erwähnt, ist gut als Vorzugswendung des dritten Evangelisten verständlich zu machen: In zahllosen Fällen verwendet er das Wort in zusammenfassenden oder Übergangsversen, mindestens dreimal gegen markinisches δχλος (Lk 19,48; 20,19.45). Mt andererseits benutzt es über Mk hinaus fast ausschließlich im Zusammenhang der Kombination πρεσβύτεροι τοϋ λαοϋ. Dies konzediert auch Kosch, Tora 231, der allerdings fragend vermutet, daß Lk mit diesem von ihm bevorzugten Terminus den in Q bezeugten δχλος umbenennt. 105 Vgl. u.a. Luz, Matthäus 415; v. Dobschütz, Matthäus 341; Hirsch, Frühgeschichte 296; Wegner, Hauptmann 102. Dann aber stellt sich eine Frage, die in dieser Arbeit nur eben benannt werden kann: Konstatierte die ursprüngliche Abschlußwendung schlicht, daß Jesus seine Rede beendete? Dies ist durchaus möglich. Die Formulierung in Mt 7,28 wie auch besonders in Lk 7,1 erweckt jedoch den Eindruck, als ob hier noch etwas gefolgt sei. Wäre es vorstellbar, daß die bei Lk unmittelbar sich anschließende, bei Mt lediglich fünf Verse später belegte Perikope vom Hauptmann von Kapernaum schon vorredaktionell mit der Grundrede verknüpft gewesen ist? An dieser Stelle könnten weitergehende Untersuchungen zu mancher Überraschung führen. Doch selbst in diesem Fall bliebe die Grundrede eine eigene Einheit, die zunächst als solche analysiert und interpretiert werden muß.
Ergänzende Überlegungen zur Analyse
261
„Teil der ringförmigen Komposition um die Bergpredigt"106 offenbar matthäischer Feder. Inkonzinnitäten verbleiben unabhängig davon, wie man sich letztlich entscheidet, auf jeden Fall. Mir persönlich leuchtet die These am ehesten ein, daß Mt und Lk jeweils eine Rede vorfanden, die sich ausschließlich an die μ α ύ η τ α ί wandte, und diese unabhängig voneinander auf die Menge der Hörwilligen ausdehnten. Trotz allem bisher dargelegten Pro und Contra halte ich folgende Hauptargumente für entscheidend: Der bereits erwähnte möglicherweise redaktionelle Sprachgebrauch von λαός (sei es gegenüber όχλοι, sei es als Einfügung ohne traditionelles Äquivalent); die Eindeutigkeit des Auditoriums ohne Zuhilfenahme von .konzentrische(n) Hörerkreise(n)"107 oder anderer Modelle; schließlich und vor allem die Motivation, welche Mt und Lk dazu veranlaßte, in dieser Weise modifizierend einzugreifen. Ein wenig spitz formuliert möchte ich sagen: Die Motive der Evangelisten damals für die Einarbeitung der όχλοι sind denen mancher Exegeten heute für die Bestätigung eines solchen Vorgangs wohl sehr ähnlich. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß die lange und intensive Wirkungsgeschichte gerade der Bergpredigt dazu geführt hat, daß zahlreichen Forschern sehr daran gelegen ist, ein Verständnis als Sonderethik für die Jünger auszuschließen und den Anspruch der Gültigkeit für alle Menschen aufrechtzuerhalten — all dies wäre bei einem von Anfang an zweifachen Publikum eben auch schon für die Grundrede gesichert und dadurch mit großer Wahrscheinlichkeit für den irdischen Jesus vorauszusetzen. Ein, wie ich denke, verständliches Anliegen auf gleichwohl tönernen Füßen 108 . Mt und Lk wußten natürlich nichts von der Wirkungsgeschichte, hatten jedoch sicherlich ein Interesse daran, das offenbar schon in ihrer Zeit zentrale ethische Dokument der Grundrede ebenso Aufgeschlossenen am Rande 109 oder jenseits der Gemeinde nahezubringen und als auch ihnen geltend darzulegen. Insofern treffen sich die Evangelisten und einige Forscher in der gut gemeinten und erklärlichen, im sozialethischen Diskurs der Gegenwart vielleicht sogar gebotenen (?) — Verzeichnung der Intentionen auf Seiten der Grundrede, die gleichwohl wenigstens historisch eine Verzeichnung bleibt.
106
Luz, Matthäus 415.
107
Luz, Matthäus 197.
108
Besonders eklatant scheint mir diese Tendenz bei Schürmann, Lukas 323 zu sein, der eine Gedankenführung, die meiner eigenen vielfach ähnelt, plötzlich mit etwas schwachen Gründen umkehrt. 109
Vgl. die bezeichnende Plazierung der ό χ λ ο ι in Mt 5,1.
262
Die Grundrede
6. Struktur und inhaltliche Aussage der Grundrede a) Die Disposition der Grundrede Nachdem sich die Grundrede als ein eigenständiger Überlieferungskomplex erwiesen hat, stellt sich die Frage nach ihrem inhaltlichen Profil. Bevor wir aber zu einer schwerpunktmäßigen Einzelinterpretation schreiten können, muß das Korpus als ganzes kurz in seinem Aufbau bedacht werden1. So erkennt man als erste Grobgliederung eine Dreiteilung, bestehend aus dem Auftakt der Seligpreisungen (Lk 6,20-23), dem mehrschichtigen Mittelteil (Lk 6,27-40.41—42*2.43-44*3) sowie dem abschließenden Gleichnis vom Hausbau (Lk 6,46-49). Das Logion von den .Herr, Herr-Rufern" (Lk 6,46) gehört danach also zu den ihm folgenden letzten Versen: Während der vorangehende Abschnitt die Möglichkeit eines Rückschlusses vom Tun auf das Sein behandelt, widmen diese sich wie V 46 der Konsequenz des Verhältnisses von Bekenntnis und Tat. Wenn gelegentlich der betreffende Vers in seiner Überleitungsfunktion, die er zweifellos erfüllt4, als primär rückwärts orientiert angesehen wirds, dürfte man damit seine thematische Einbettung verkennen. Der Mittel- und damit Hauptteil seinerseits kann, wie die Literatur eindrücklich zeigt, sehr verschieden segmentiert werden. Nichtsdestoweniger hat folgender Lösungsvorschlag meines Erachtens die größte Plausibilität für sich:
1
Im folgenden wird stets auf Umfang und Verseinteilung der Feldrede rekurriert; der Übersichtlichkeit halber und weil, wie dargelegt, der lukanischen Anordnung im Zweifelsfalle der Vorzug zu geben sein dürfte, habe ich in diesem Unterabschnitt auf eine Berücksichtigung der matthäischen Parallelen verzichtet. 2 Im folgenden gehe ich von der nach meinem Dafürhalten wahrscheinlichsten These aus, daß hinter Lk 6,4 lf eine dann doch wohl inhaltlich vergleichbare Grundrede-Fassung vorauszusetzen ist; diese kann mit aller gerade hier gebotenen Vorsicht in den folgenden Argumentationsgängen Berücksichtigung finden, obwohl ihr genauer Wortlaut uns unbekannt bleiben muß. 3 Gemäß dem unter 5. a) erzielten Ergebnis bezeichnet Lk 6 , 4 3 - 4 4 * hier und im folgenden denjenigen Text, der anstelle dieser beiden Verse in der Grundrede gestanden hat und von Lk ersetzt worden sein dürfte. Obwohl er sich inhaltlich weitgehend mit Mt 7 , 1 5 - 2 0 gedeckt haben wird, bleibe ich um der Einheitlichkeit willen bei einer lukanischen Stellenangabe. 4 Die mit dem Verb κ α λ έ ω eingeleitete .κύριος-Homologese* (Schürmann, Lukas 380f) knüpft unmittelbar an das λ α λ έ ω von V 45 an und führt mit dem ποιέω zu V 47ff weiter. 5
Rengstorf, Lukas 92f; Ernst, Lukas 231; Schmid, Lukas 140.
Struktur und inhaltliche Aussage
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Lk 6,27-36 Über die Feindesliebe Lk 6,37-40 Über das Richten Lk 6,43-44* Die Erkennbarkeit eines guten bzw. schlechten Menschen V 36 stellt dabei insofern das erste Problem dar, als es durchaus umstritten ist, ob dieser nicht eher als Überschrift des nächsten Passus zu betrachten sei. Darüberhinaus bleibt zu klären, welcher Umfang diesem dann zugebilligt wird - nur bis V 38 oder bis einschließlich V 42? Vor allem Schürmann6 setzt sich mit Nachdruck für eine Trennung von V 35 und V 36 bei einem auf V 37f beschränkten Geltungsbereich des letztgenannten Verses ein7. Dagegen muß jedoch betont werden: Zum einen rechtfertigt es der zwischen Lk 6,36 und 6,37 erfolgende Übergang von einer positiven Forderung mit Heilsverheißung zu einem Verbot mit Gerichtsdrohung8, in V 37 einen Neuanfang zu erblicken. Zum anderen macht besonders die sowohl in V 35 als auch in V 36 bestimmende Empfehlung, sein eigenes Verhalten dem .des Vaters" anzugleichen, einen Schnitt an dieser Stelle schwer verständlich9. Sollte meine These zutreffend sein, daß hinter Lk 6,41 f eine dann doch wohl inhaltlich vergleichbare Grundrede-Fassung vorauszusetzen ist, würden V 37f.41f zudem deutend die Sprüche vom blinden Blindenführer bzw. vom Jünger-Meister-Verhältnis umfangen, dürften also auf keinen Fall auseinandergerissen werden10. Folgende innere Entwicklung mag demnach als für die Grundrede maßgeblich angesehen werden: Eingerahmt von dem eschatologisch motivierten Zuspruch der Makarismen und der die eschatologische Relevanz des Tuns hervorhebenden .Parabel" vom Hausbau, entfaltet sie positiv das Gebot der Feindesliebe; diesem stellt sie negativ das Verbot des Richtens an die Seite, um schließlich in einer quasi .ontologischen Analyse" der faulen (Richten) und guten (Feindesliebe) Frucht auf den Grund zu gehen.
6
Lukas 358f. Seiner Ansicht nach trennt der asyndetische Anschluß V 36 von V 35c, während das καί von V 37 verbindend wirkt; der StichwortanschluB habe die vorliegende Stoffanordnung bewirkt, zeige aber aufgrund seiner unterschiedlichen inhaltlichen Ausrichtung, daß V 36 auf das Folgende ausgerichtet ist; V 39 stelle einen klaren Neueinsatz dar. Ähnlich Catchpole, Jesus 310. 7
8
Kosch, Tora 252. Vgl. Merklein, Gottesherrschaft 224; Schulz, Q 132. 10 Kosch, Tora 252f.
9
264
Die Grundredc
b) Die Tat — ihr Ermöglichungsgrund Die Grundrede setzt mit einer zutiefst paradoxen" Aussage ein: μακάDie übrigen Makarismen mildern diese hart aufeinanderprallenden Gegensätze von .Heil" und „Armut" nicht im geringsten; vielmehr exemplifizieren12 sie die πτωχοί als Hungernde und Trauernde und machen damit jeden Versuch zunichte, dem Armsein einen anderen als einen sozio-ökonomischen Sinn zu geben13. Gemeint sind mit großer Sicherheit die Mittellosen, die materiell Bedürftigen, deren Schicksal durch πεινάω und κλαίω realistisch und treffend beschrieben wird14. Unwillkürlich erhebt sich die Frage, worin dieses μακάριοι begründet sein mag. Darauf antworten die jeweiligen Nachsätze in aller Deutlichkeit: Es ist die Anteilhabe an der βασιλεία τοΰ Οεοϋ (V 20c), welche allgemeine Erklärung analog den Vordersätzen angelegt wird in Richtung auf vermutlich eschatologisch zu verstehendes (Futur!) Gesättigtwerden und Lachen15. Wir haben also einen primär vom zukünftigen Geschick her motivierten Zuspruch vor uns, der notleidenden Menschen in der Gegenwart gilt und deren Los durch das Bewußtsein der Partizipation an Gottes Herrschaft verändert16. Insofern liegt zwar zutage, warum die Angeredeten seliggepriesen werden; nicht aber, warum gerade sie es sind, welche die Verheißung trifft! Bei diesem Problem hilft der bisher unberücksichtigte vierte Makarismus etwas weiter. Er zeichnet das Bild der verfolgten Jünger, die großen Lohn zu
ριοι οί πτωχοί.
11 Sato, Q 256 erkennt in der ersten Seligpreisung, anders als in den beiden folgenden, kein kompensatorisches Paradox. Obgleich dies rein begrifflich zutreffend ist, mag gefragt werden, ob eine Verheißung wie .Ihr werdet reich sein* überhaupt denkbar gewesen wäre - es gibt bei den Synoptikern bezeichnenderweise keinen einzigen Beleg für πλούσιος, der nicht zumindest einen kritischen Unterton hatte; meist wird Reichtum sogar mit Uneinsichtigkeit in Verbindung gebracht (Lk 12,16ff) oder hat den Ausschluß von der βασιλεία zur Folge (Mt 19,23f). Daß Joseph von Arimatäa bei solchem Befund ohne Abwertung als reich bezeichnet wird (Mt 27,57), verdient besondere Beachtung, ändert aber nichts an der prinzipiellen Unmöglichkeit, Vermögen im synoptischen Kontext als Objekt eschatologischen Versprechens zu denken. 12
Vgl. Sato, Q 256; Boring, Sayings 138. Dezidiert auch Gnilka, Matthäus 130, Schulz, Q 81f;84 und Catchpole, Schaf 99. Zutreffend streicht Grundmann, Christenheit 71 heraus, daß die Armut der Seliggepriesenen .sozial und seelisch ... bedingt ist*. Vgl. Wrege, Überlieferungsgeschichte 12—15. 14 Nur eine kurze Anmerkung zum Einfluß von Jes 61 auf die Seligpreisungen: Mit Sato, Q 255 glaube ich, daß man für die Erklärung der ursprünglichen literarischen Fassung problemlos ohne einen derartigen Hintergrund auskommt (vgl. jedoch Mt 5,4). 15 Schulz, Q 80 spricht von einer .streng apokalyptisch(en)" Ausrichtung. 16 Ähnlich Gnilka, Matthäus 130. 13
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erwarten haben. Spätestens jetzt wird offenbar, daß die Vordersätze nicht bestimmte Eigenschaften oder Werte preisen17, sondern von der faktischen bzw. bevorstehenden Situation ausgehen und den Zuhörern als in ihr Befindlichen (im Nachsatz) die bekannten Zusagen geben. Es gibt nach meiner Überzeugung keinerlei Hinweis darauf, daß auch nur einer der Angesprochenen nicht zu den Armen, Hungernden, Trauernden und mit Verfolgung Rechnenden zählt; es gibt keine Ausgrenzung, sondern allein unverdienten und damit paradoxen Trost und Zuspruch, keinen Imperativ, sondern nur Indikativ. Daraus, daß die schon gegenwärtig wirksame Verheißung gerade den mit leeren Händen und Herzen Dastehenden gegeben wird, erhellt ihr voraussetzungsloser Geschenkcharakter18! Diese Deutung ist meines Erachtens unumgänglich, wenn man die Makarismen innerhalb der Grundrede, zu der die Weherufe nicht gezählt werden, interpretiert ohne Bezug auf die Evangelien oder Q und wenn vor allem in Rechnung gestellt wird, daß die Formulierung in der zweiten Person eben nicht generelle Einsicht und Anerkenntnis voraussetzt! Um es noch einmal unmißverständlich zu sagen: Ich entdecke keine Spur einer Annenfrömmigkeit, weder eine Glorifizierung der Armut noch gar Mittellosigkeit als „Einlaßbedingung" in das Reich Gottes. Stattdessen liegt der Akzent auf dem μακάριοι, auf dem Heilruf, der, metaphorisch gesprochen, wie ein Blitz unverhofft und unverfügbar die dunklen Wolken über dem menschlichen Leid zertrennt und dieses zwar nicht beseitigt, aber doch in einem neuen Licht erscheinen läßt. Eine solche Auslegung hat ihre Bedeutsamkeit für die Einschätzung der Rede als ganzer: Wenn in den folgenden Versen und Abschnitten nämlich fast durchgängig Forderungen erhoben, hohe Ziele gesetzt und das Tun obendrein als entscheidendes Kriterium im Gericht genannt werden, so wird es nötig sein, sich des einleitenden Indikativs zu erinnern, unter dessen Vorzeichen alle Imperative unabweislich stehen. c) Die Tat — ihre Forderung Dieselben Jünger, denen in ihrer verzweifelten Situation bedingungsloses Heil zugesagt worden war, sehen sich nun der Forderung einer ebenso bedingungslosen Feindesliebe gegenüber. Sie wird ihnen zugemutet als solchen, deren Lebenswirklichkeit durch die eschatologische Verheißung in einem grundsätzlich anderen Licht erscheint, denen mit und in dieser
17
Es geht nicht um Weisheitssprüche, die bestimmte Tugenden preisen. Vgl. auch Schutz,
Q 80. 18
Gnilka, Matthäus 130.
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Verheißung der Ermöglichungsgrund für ein derartiges Verhalten geschenkt ist. Allerdings widmet der Text diesem Problem keine einzige Zeile, sondern prägt das zentrale Gebot α γ α π ά τ ε τ ο υ ς έ χ ύ ρ ο ύ ς υμών, welches gleichsam als Überschrift vorangestellt ist, in immer neuen Konkretionen ein. Es geht dabei nicht um Handlungsanweisungen für bestimmte Gelegenheiten, etwa nach dem Motto: Sollte dir jemand einmal auf die Wange schlagen, dann reagiere folgendermaßen ...; für ein solch kasuistisches Verständnis fehlt jede Grundlage19. Ebensowenig markieren die einzelnen Exempel eine Grenzlinie, jenseits derer das eigene Durchsetzungsstreben realisiert werden könnte20. - Indes sind durchaus Situationen ausgewählt, die den Angeredeten vertraut sind oder zumindest realistisch scheinen: Man wird nicht fehlgehen in der Annahme, daß ein Vers wie Mt 5,41 darum in der einen Version geboten wird und in der anderen nicht, weil das in ihm Geschilderte in nur bestimmten Gemeinden der Lebenswirklichkeit entsprach21 —. Es geht im Gegenteil besonders in der lukanischen, aber auch in der matthäischen22 Fassung um eine klimaktische, d.h. sich fortlaufend steigernde23 Enumeration von Beispielen, die allesamt der Veranschaulichung der einen Forderung dienen24. Ihren Höhepunkt erreicht diese Reihe in V 30, wo bewußt und explizit die (materielle) Selbstaufgabe in Kauf genommen wird25. Das geforderte Verhalten bezeichnet nicht etwa
19
Zeller, Mahnsprüche 56.
20
2
Vgl. Gnilka, Matthaus 185 in Aufnahme eines Diktums von H. Braun, Jesus, 1969, 124.
21 Zeller, Mahnsprüche dafür, daß eine Nötigung verständlich gewesen sei. In habe vermeiden wollen, die
55 A.13 verweist allerdings auf Epiktet, diss. IV, 1, 79 als Beleg zum Mitgehen auch außerhalb Palastinas üblich und damit dieselbe Richtung weist Sauer, Feindesliebe 9, der vermutet, Lk Römer .in ein schlechtes Licht" rücken zu müssen.
22
Sato, Q 27 postuliert einen Dreizeiler: private Schlägerei (V 39b), offizielles Gericht ( V 40), öffentliche Ebene des Frondienstes (V 41). Es ist allerdings problematisch, wenn er aus der behaupteten Ursprünglichkeit dieses Tristichons eine sekundäre lukanische Zerstörung (Eliminierung von Mt 5,41) ableitet; denn Mt 5,42 par Lk 6,30, ein Vers, den er selbst als beträchtliche Minderung (!) der vorangehenden Harte empfindet, ist sicher Bestandteil der gemeinsamen literarischen Vorlage gewesen, so daß insofern beide Evangelisten bereits eine .zerstörte* Abfolge vorfanden und es schwierig wird, zwischen zwei verschiedenen Zerstörungen (vorredaktionell und lukanisch) zu differenzieren. 23 Neben die inhaltliche tritt hier eine formale Gradation: Die allgemeinere 2. Ps. PI. wechselt a b V 29 zur noch eindringlicheren 2. Ps. Sg.. 24 Gnilka, Matthäus 184 spricht von Erläuterungen .der psychologischen Voraussetzungen der Feindesliebe". 25 Zeller erblickt in (Lk 6,30 par) Mt 5,42, ahnlich der Einschätzung Satos, Q 27, eine Durchbrechung des .Gesetz(es) der finalen Steigerung", insofern dieser Vers wortkarg sei
Struktur und inhaltliche Aussage
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nur einen Verzicht auf die Durchsetzung des eigenen Rechts; denjenigen Gutes zu tun, die einen hassen (Lk 6,27) oder erzwungenen Leistungen von sich aus noch etwas zuzusetzen (Mt 5,41), geht weit darüber hinaus. Unter Berücksichtigung dieses Gedankengangs ist eine Deutung der Goldenen Regel unmöglich, bei der ihr vermeintlich naiver Egoismus26 einem altruistischen Kontext gegenübergestellt wird. Stattdessen muß sie vom Vorausgehenden her als dessen Conclusio verstanden werden 27 ; denn V 27-29 sind ja nicht als besondere Leistungen gedacht, als extraordinäre Taten einzelner .Heiliger", sondern als fast schon — sonst wären diese (auf-)fordernden Sätze nicht mehr notwendig! — habituelle Verhaltensweise eines jeden Christen, die selbstverständlich .erfüllbar", will sagen praktikabel ist28. Gleichwohl enthält die Goldene Regel auch ein überschießendes neues Element, insofern zum ersten Mal im weitesten Sinn eine Motivation für das beschriebene Handeln genannt wird. Bemerkenswert ist daran besonders die Tatsache, daß nicht spezifisch theologisch argumentiert, sondern eher an die Einsicht appelliert wird, an die Überzeugungskraft und Plausibilität des Gedankens, meine Erwartungen an andere müßten doch eigentlich Maxime des eigenen Tuns sein29! Mit Lk 6,32 par Mt 5,46 beginnt eine zweite Strophe innerhalb des Abschnittes über die Feindesliebe. Sie führt das Thema in abgewandelter Form fort und einige neue Aspekte ein. So wird die Wertlosigkeit einer Nächstenliebe herausgestellt, die diesseits der Grenzen von Freundschaft und Sympathie verharrt. Es gilt demgegenüber ein DifFerenzkriterium: Während solche Nächstenliebe als ethischer Gemeinplatz30 disqualifiziert ist, muß ein Verhalten, das vor Gott zu Buche schlägt, an diesem Punkt erst seinen Ausgang nehmen und jenes dann weit transzendieren. Feindesliebe meint
und alltägliche Begebenheiten nenne. Mag man mit ihm auch eine ursprüngliche, d.h. vor der Fixierung der Grundrede anzusetzende, Selbständigkeit des Logions vermuten, fungiert es im vorliegenden Kontext doch eindeutig als verallgemeinemd-umfassende Zusammenfassung des zuvor Exemplifizierten. 26 Bultmann, Geschichte 107. 27 Vgl. Strecker, Weg 135; Gnilka, Matthäus 265 (.eine zusammenfassende Maxime sittlichen Handelns*). 28 Zuweilen wird in ihr gar eine ähnliche Einseitigkeit entdeckt wie bei der Forderung der Feindesliebe: Kosch, Tora 392 erinnert daran, daß die Goldene Regel durchaus dazu auffordert, .selbst die Initiative zu ergreifen* und .vom anderen her zu denken*. 29 So spricht Kosch, Tora 392 von ihrer Funktion, .das Geforderte einsichtig zu machen*. 30 Kosch, Tora 390 spricht anschaulich von .Clan-Denken* und einer auf Gegenseitigkeit beruhenden Ethik.
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Die Grundrede
gerade die Zuwendung zu dem, der eine solche Zuwendung nach Maßstäben der Vernunft keineswegs verdient31, dem alles Liebenswerte abgeht 32 . Die Abgrenzung von denen, die nicht zur Gemeinde zählen, wird also betont herausgekehrt; deren sittliche Normen werden als so weit unterhalb der eigenen angesiedelt betrachtet, daß man im Grunde nicht mehr von einer positiven Aufnahme derselben sprechen kann, obwohl sie selbstverständlich auch von Christen anerkannt sind und umgesetzt werden. Man kann davon sprechen, daß der Feindesliebe die Funktion einer Art kritischer Instanz gegenüber der Nächstenliebe zukommt; denn sie verunmöglicht den potentiellen Rückzug auf eine falsch verstandene, da nach außen sich abschließende Gruppensolidarität33, deren sektiererischer Charakter gefährliche Konsequenzen haben kann34. Wie der kaufmännische Begriff »zu Buche schlagen" schon andeutete, spielt der Lohngedanke eine wichtige Rolle. Ganz unbefangen macht der Text von ihm Gebrauch; er stellt den Anreiz dar, für welchen es sich vor Gott lohnt, das Gebot der Feindesliebe zu befolgen. Es wird gewissermaßen eine Rechnung aufgemacht: Erst wenn die Investitionen die Höhe der Feindesliebe angenommen haben, zahlen sie sich bei Gott aus! — Gemeint ist natürlich die letzte Abrechnung im Jüngsten Gericht; doch dies thematisieren erst V 4 7 - 4 9 . Aus einem Vergleich der genannten Beweggründe mit denen der Goldenen Regel erhellt, daß zwar einerseits primär wiederum auf die Vernunft abgezielt ist: Wenn die Endereignisse besonders auch in ihrer forensischen Dimension als fraglose Realität betrachtet werden, dann avancieren das Bestehen in ihnen und die dafür nötigen Voraussetzungen zu einem rational einsichtigen Anliegen. Andererseits offenbart der Umstand, daß an keinen innerweltlichen, sondern an einen Lohn bei Gott gedacht wird, zum ersten Mal spezifisch theologische Gedanken; eine explizite Nennung Gottes findet sich bezeichnenderweise erst kurz vor dem Ende dieses Abschnitts (Lk 6,35 par Mt 5,45). Damit stehen wir beim dritten und letzten Schritt der kleinen Reihe von Motivationen, deren Abschluß sicherlich gleichzeitig den Höhepunkt bildet, wie Lk 6,36 par Mt 5,48 als Zusammenfassung nicht nur der zweiten
3 1 Dihle, Ethik 703 spricht denn auch völlig zu Recht von einer .letztlich unnatürliche(n), dem Wesen des empirischen Menschen zuwiderlaufende(n) Forderung*. 32
Schräge, Ethik 78.
33
Schräge, Ethik 79.
3 4 Vgl. dazu Noll, Jesus 17: Je unbedingter ... und unkritischer man den Nächsten, die Familie, die Klasse, die Nation liebt, desto leichter fällt die Rechtfertigung des Hasses und des Kampfes gegen deren Feinde.·
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Strophe, sondern eben des gesamten Abschnitts zeigt: die Angleichung an Gottes Handeln. Seine Barmherzigkeit, die sich in der unterschiedslosen Gnadenzuwendung an alle Menschen manifestiert (Mt 5,45), dient als Vorbild, dem es nachzueifern gilt35. Ja, die Aufforderung Lk 6,36 scheint sogar eine Identität von menschlicher und göttlicher ο ί κ τ ψ μ ο ί wenigstens ins Auge zu fassen, ohne daß man in der Imitatio Dei die einzige eigentliche Begründung für das Gebot der Feindesliebe sehen sollte36. Wir können folglich beobachten, wie das Gebot der Feindesliebe, in verschiedener Weise ausgeführt, zunächst unbegründet ausgegeben wird, um es dann, gleichsam nachträglich und sukzessive, zu motivieren — in einer Abfolge vom Allgemeinen zum Besonderen, vom Natürlich-Menschlichen zum spezifisch Christlichen. Das Kapitel über das Verbot des Richtens stellt ein formal antithetisches, inhaltlich jedoch kongruentes Pendant zum Abschnitt über die Feindesliebe dar: Wurde dort die Forderung erhoben, alle Menschen zu lieben, so hier, keinen Menschen zu richten37. Sogar das erste Argument zur Unterstützung dieser Anweisung (Mt 7,lf) läuft einem Teil derer des vorigen Passus parallel: Winkte dem Christen dort die Verheißung großen Lohnes bei Erfüllung des Gebots, so baut sich hier vor ihm drohend die Aussicht auf, den eigenen Beurteilungsmaßstäben anderen gegenüber selbst unterworfen zu werden. In welche Richtung man beim zunächst eher vieldeutigen κρίνω der Vordersätze vornehmlich zu denken hat, dürfte schon die postulierte Vorlage des bildhaften Logions vom Splitter und Balken Lk 6,41—42* konkretisierend erläutert haben: .Richten" meint danach nicht erst ein Verurteilen, also die (endgültige) Ablehnung eines anderen38, sondern schon dessen Zurechtweisung. Nicht wie, sondern daß überhaupt der Versuch gemacht wird, einen .Bruder" auf seine Schwäche hinzuweisen, bezeichnet der Text als illegitim. Der Grund dafür, daß den Angeredeten das Recht rundweg abgesprochen wird, an Fehlern anderer Kritik zu üben, ist in der Beschaffenheit der vermeintlich Besseren zu finden; sie sind selbst nicht
35 Gnilka, Matthäus 193 streicht zu Recht die Bindung der Nachahmungsforderung an Wort und Tat, mithin an die Person Jesu heraus, in der die Imitatio Anschaulichkeit erlangt. 36 So z.B. Merklein, Gottesherrschaft 233f und Schulz, Q 138. Zeller, Mahnsprüche 103 sieht in diesem Gedanken richtig die Begründung des Zusammenhangs von Imperativ (Feindesliebe) und Tatfolge (zukünftige Sohnschaft). 37 Unter besonderer Betonung des Themenwechsels hin zum Konflikt mit dem Bruder bei inhaltlich-struktureller Analogie auch Gnilka, Matthäus 254. 38
Wie nahe eine solche Interpretation liegt, beweist das καταδικάζω der längeren lukanischen Textfassung.
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untadelig, ja ihre Mängel sind noch weit ärger. So geißeln die Verse ein Verhalten als Heuchelei, bei dem sich unter Absehung von der eigenen Unzulänglichkeit der moralisierende Eifer allein auf den anderen richtet. Angemessen sind demgegenüber Zurückhaltung sowie der Kampf gegen den eigenen „Balken" und um die eigene Makellosigkeit. Wenn zum Schluß gesagt wird, erst nach Erreichen dieses Zustandes sei man befugt, andere zu ermahnen, stellt sich die Frage, ob dies tatsächlich als reale oder nicht vielmehr als irreale Möglichkeit zu betrachten ist. Obwohl sich der Text dazu nicht äußert, tendiere ich dazu anzunehmen, daß die Voraussetzung zum έ κ β ά λ λ ω τ ό κ ά ρ φ ο ς faktisch nicht erreicht werden kann. Diese Einschätzung paßt erstens zum anzunehmenden Duktus der Verse Lk 6,41—42* mit dem oben genannten Schwerpunkt; sie fügt sich vor allem zweitens dem kategorischen Richtverbot (Lk 6,37 par Mt 7,1) deutlich besser ein; und schließlich mag sie drittens durch Lk 6,40 par Mt 10,24f unterstützt werden. Damit stehen wir bei der bereits unter b) angedeuteten Schwierigkeit einer Einordnung und Interpretation von V 39.40. Diese beiden Sprüche dürfen sicher nicht anders als vom unmittelbaren Kontext her gedeutet werden; so sind sie im Zusammenhang der Thematik des Richtens auszulegen und machen dann unter dieser Prämisse verhältnismäßig guten Sinn. ό δ η γ έ ω (Lk 6,39 par Mt 15,14) muß verstanden werden in Analogie zu κρίνω und wahrscheinlich zum Sehen und Entfernen-Wollen des Splitters, also auch als .zurechtweisen"; es geht um die auf dem Wege der Zurechtweisung erfolgende Führung des einen durch einen anderen. Die Pointe liegt in Übereinstimmung mit Lk 6,41—42* darin, daß dies nicht rechtens ist, da beide, auch und gerade der ό δ η γ ώ ν , blind sind; ja mehr noch als in den abschließenden Versen, daß sie zu solchem Verhalten gar nicht in der Lage sind! Daher würde ein Zuwiderhandeln gegen diese Einsicht unabweislich zur Katastrophe führen. Entsprechend schärft Lk 6,40 par Mt 10,24f ein, kein Schüler könne seinen Lehrer übertreffen, bestenfalls könne er ihm gleich werden. Ohne Zweifel meint διδάσκαλος Jesus und μαθητής einen Jünger, einen Christen, während das ΰπέρ είμι zum bestimmenden Wortfeld κρίνω zu rechnen ist. Infolgedessen stellt der Vers Jesus als den einzigen Beurteilungsmaßstab heraus, mit welchem niemand in Konkurrenz treten sollte, dem es sich vielmehr (innerhalb eines Prozesses) im eigenen Handeln immer weiter anzugleichen gilt. Ich verstehe das Logion folglich als eine bewußt eingeschränkte (V 40a), aber eben doch als eine Verheißung (V 40b) für die Christen, an der alleinigen richterlichen Autorität Jesu partizipieren zu können. Diese steht nach V 36 jedoch im Zeichen der
Struktur und inhaltliche Aussage
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Barmherzigkeit und erteilt mithin keine auch nur bedingte Freigabe zum Richten! Mit dem Bild vom Baum und seiner Frucht wird schließlich aus den beiden vorangehenden Abschnitten die ontologische Konsequenz gezogen: Wer auch seine Feinde liebt und auf jede Art von Richten verzichtet, muß ein guter Mensch sein; der schlechte dagegen ist zu erkennen an seiner nur egoistischen Liebe und dem anmaßenden Bedürfnis, andere zurechtzuweisen. Diese klare Aussage gilt es in ihrer nicht umkehrbaren Ausrichtung festzuhalten: Betonter Anknüpfungspunkt ist das jedermann sichtbare Tun, von dem aus auf das an sich unzugängliche Sein zurückgeschlossen werden kann39. Dabei darf als sicher angenommen werden, daß der Akzent gerade darauf liegt, am praktischen Verhalten zweifelsfrei40 ablesen zu können, ob ein Mensch gut ist oder schlecht. d) Die Tat - ihre Konsequenzen Das abschließende Gleichnis vom Hausbau steht unter der in ihrer Prägnanz unüberbietbar eindringlichen Themenangabe von Lk 6,46 par Mt 7,21: Als aggressive Frage formuliert, wird hier alles Gewicht weg vom Lippenbekenntnis hin auf die ausschlaggebende Tat gelegt, deren Ausbleiben dem κύριε-Rufen widerspricht, ja es ad absurdum führt und als Scheinheiligkeit entlarvt. Was ist aber das Objekt dieses Tuns? Lk 6,47 par Mt 7,24 nennt ausdrücklich .meine (sc. Jesu) Worte"; es liegt auf der Hand, daß diese Wendung bezogen werden muß auf die vorangehenden λόγοι über Feindesliebe, Richten usw., daß also analog dem Bild von der Frucht des Baumes die Befolgung der Anordnungen Jesu verlangt wird. Sie sind das einzig maßgebliche Kriterium — doch wofür? Im Gegensatz zur Mt-Fassung, die mit 7,21 eindeutig eschatologisch geprägt ist, bereitet es in der lukanischen Version größere Probleme, die im
39 In Abwandlung des bekannten Goethe-Zitates (Maximen und Reflexionen 459b) könnte man diesen Abschnitt unter das Motto stellen: .Weiß ich, wie du handelst, so weiß ich, wie du bist*. 40 Mir scheint es nicht überzeugend zu sein, das nur in Mt 7,16 (diff Mt 12,33; Lk 6,44) begegnende Futur έπιγνώσεσΟε zum Anlaß zu nehmen, Gewißheit bei der Scheidung zu leugnen: Gnilka, Matthaus 275 z.B. sieht allein eine Möglichkeit, keine sichere Zusage, ein Kriterium, welches in seiner Bildhaftigkeit .nur sehr beschränkt(e)' Hilfestellung geben kann. Demgegenüber dient der metaphorische Charakter des Wortes doch gerade einer Erhöhung der Plausibilität und will, auch auf dem Hintergrund des folgenden Szenarios (Lk 6,46.47—49), tröstend und ermahnend die entscheidende Differenz einleuchtend und praktikabel (!) darlegen.
272
Die Grundrede
Verlaufe dieses Hauptteils wiederholt postulierte Deutung auf die Endereignisse zu verifizieren 41 . Weder findet man einen einzigen Begriff aus dem Pool spezifisch eschatologischer Terminologie, noch begegnen wenigstens futurische Verbformen, die eine entsprechende Interpretation nahelegten. Trotzdem möchte ich an der von mir bevorzugten Sichtweise festhalten: Ganz abgesehen davon, daß die Grundrede immer wieder einmal kaum bezweifelbare Bezüge zur Situation des Endgerichts enthält (z.B. der μ ι σ ύ ό ς Gedanke und das passivum divinum Lk 6,37f par Mt 7,lf), die in einer derart kunstvollen Komposition geradezu nach einer zusammenhängenden Berücksichtigung am Ende zu verlangen scheinen, ganz abgesehen davon gibt der Text selbst meines Erachtens einige Anhaltspunkte. Zum einen fragt es sich, ob ein innerweltliches Ergehen, als welches Lk 6,47-49 par Mt 7,24—27 andernfalls zu deuten wären, so dramatisch geschildert würde, wie es in der matthäischen und lukanischen Darstellung geschieht. Zum anderen ist es sehr zweifelhaft, ob man dem Abschluß dieser Rede angesichts ihrer bisher herausgearbeiteten Tendenzen zutrauen darf, an exponierter Stelle zukünftige Erfahrungen bei der praktischen Durchführung jesuanischer Weissagungen auf solche Art zu thematisieren; wir konnten nämlich beobachten, wie die Christen um ihres Christseins willen ( £ ν ε κ α έ μ ο ϋ ) Verfolgung trifft (Lk 6,22f), sie jedoch nicht auf eine diesseitige Katastrophe zusteuern, sofern sie dem Bekenntnis keine Taten folgen lassen. Überhaupt bliebe zu überlegen, inwiefern ein Verzicht auf π ο ι έ ω im täglichen Leben jenes £ ή γ μ α μ έ γ α (Lk 6,49) bzw. jene π τ ώ σ ι ς μ ε γ ά λ η (Mt 7,27) nach sich ziehen muß, was das Gleichnis offenbar voraussetzt von einer nur potentiellen Gefährdung verlautet jedenfalls nichts. Diese und ähnliche Überlegungen machen es nach meinem Dafürhalten sehr wahrscheinlich, daß die Verse eschatologisch auszulegen sind42. Unter dieser Voraussetzung erreicht die seit Lk 6,27 par massiv begegnende Wertschätzung des Tuns, ja seine fast uneingeschränkte Dominanz innerhalb des gesamten Textstückes ihren Höhepunkt, indem Errettung oder Untergang im letzten Gericht allein von der Praktizierung der Gebote Jesu abhängig gemacht werden. Es gibt schlechterdings keinen anderen Maßstab, kein auch noch so untergeordnetes Kriterium daneben, durch welches die alles entscheidende eschatologische Relevanz des Tuns relativiert würde. Man kann die dogmatische Anstößigkeit zusätzlich dadurch verdeutlichen, daß man den sachlich exakt treffenden Terminus „Werke" einführt, der
41 Für .not particularly suited to Q" halt Kloppenborg, Formation 186 denn auch eine solche Interpretation. 42
Vg. Gnilka, Matthäus 282.
Struktur und inhaltliche Aussage
273
bislang vermieden wurde, da er in der Grundrede nicht erscheint. Denn um nichts anderes geht es: Um die Aufforderung zu Werken der Nächstenliebe, um die „Klassifizierung" der Menschen anhand ihrer Werke und schließlich um ein Gericht nach den Werken. Etwa sechs Siebtel des gesamten Stoffes widmen sich in immer neuen Variationen diesem Thema, ohne uns geläufige und vielleicht sympathischere Kategorien wie etwa .Glaube" auch nur von ferne ins Auge zu fassen. Dieser Befund darf deshalb jedoch nicht aufgeweicht, sondern muß benannt und durchgehalten werden43. e) Der *Sitz im Leben"der Grundrede Diese Arbeit soll nicht abgeschlossen werden, ohne wenigstens in groben Zügen44 den Versuch zu unternehmen, einen Kontext im Gemeindeleben ausfindig zu machen, innerhalb dessen man sich ein Dokument wie die Grundrede als historisch verankert und gewachsen vorstellen kann. Denn wenn meine These zutrifft, daß Bergpredigt und Feldrede in ihrem gemeinsamen Bestand nicht auf Traditionsstücken aus Q basieren, ist der Weg frei für ein notwendigerweise anzunehmendes, relativ umfangreiches literarisches Wachstum — und dieses kann ich mir am ehesten bei Überlieferungseinheiten vorstellen, die im liturgischen oder katechetischen Alltag der Gemeinde eine herausragende Rolle gespielt haben4S. Überblickt man unter dieser Perspektive noch einmal zusammenfassend Struktur und Inhalt der Grundrede, so fallt auf, daß dem indikativischen Beginn ein umfangreicher imperativischer Hauptteil folgt mit ebenfalls paränetisch bestimmtem „eschatologischen Ausblick". Obwohl dieser Aufbau zunächst sachlich naheliegt, bietet er meines Erachtens Indizien für nachstehende Hypothese: Der einleitende Zuspruch läßt nach allem, was wir
43
Nicht sachgemäß scheint es meines Erachtens zu sein, wenn, wie z.B. bei Gnilka, Matthäus 282 belegt, Wort und Tat gegeneinander ausgespielt werden: .Es ist das Wort Christi, das den Menschen rettet, nicht dessen Tun. Aber sein zuvorkommendes Wort rettet den Menschen nur dann, wenn er es tut.* Von einer rettenden Funktion des Wortes ist an keiner Stelle die Rede; vielmehr weist erst die konkrete Anwendung und Umsetzung der Worte (Plural!) diesen ihren Wert zu. 44 Eine Aufarbeitung urchristlicher Gemeinde- und besonders Tauftheologie wäre hilfreich, kann hier aber nicht erfolgen; es soll nur auf einige Aspekte aufmerksam gemacht werden, die zu weiteren Überlegungen Ursache und Ansatzpunkte bieten könnten. 45 Verwiesen sei hier auf die markant abweichenden Fassungen des Vaterunsers, an dem offensichtlich trotz der außergewöhnlichen Autorität, die ihm als .Herrengebet· eigen war, bedeutende Modifikationen vorgenommen wurden. Wieviel leichter mußte das bei einem wesentlich umfangreicheren Korpus möglich sein!
274
Die Grundrede
wissen46, am ehesten an die Taufe denken; denn mit und in ihr fand das Geschehen statt, welches die Situation der Menschen von Grund auf veränderte, wie dies in den Seligpreisungen vorausgesetzt wird47. Es ließe sich also denken, daß die Grundrede am Anfang auf diesen Vorgang Bezug nimmt, die Angeredeten gleichsam bei dem Ereignis .abholt", das für sie einzigartige Bedeutung hatte. Sollte dies der Fall sein, müßte man die ersten vier Verse als Erinnerung betrachten — ohne ihnen die oben dargestellte theologische Relevanz in irgendeiner Weise bestreiten zu wollen —, während das eigentliche Anliegen, der Sinn und Zweck des untersuchten Dokuments und seiner Abfassung ab V 27 zu suchen wären, was auch schon die quantitative Relation nahelegte. Ein weiteres Indiz für einen Zusammenhang mit der Taufe könnte man in der Wendung πας ό έρχόμενος πρός με (V 47) sehen; ihr geht erstaunlicherweise der (als ungenügend gekennzeichnete) κύριε-Ruf voran, eine unter den Bedingungen einer von Jesus gehaltenen Rede wörtliche Wiedergabe des aus Rom 10,9 bekannten Taufbekenntnisses κύριος 'Ιησούς! Wir hätten demnach in V 46.47a erneut eine Reminiszenz an dieses Sakrament vor uns, der sich in Analogie zum Aufbau der gesamten Texteinheit ein Verweis auf Jesu Worte und deren Befolgung anschlösse. Obwohl ich eine solche Parallelität zwischen der Macro- (V 20—49) und einer Mikrostruktur (V 46.47a) für eine überlegenswerte und einsichtige Theorie halte, habe ich bewußt stets den Konjunktiv gewählt, um auch formal die Unsicherheit deutlich zu machen, mit der alle Gedanken zum „Sitz im Leben" zwangsläufig behaftet sind48. So kann die Grundrede mit einiger Wahrscheinlichkeit als „postbaptismale Unterrichtung der Neugetauften"49 angesehen werden! Die Gruppe der
4
46 Hier mag ein Blick auf den kompendienhaften Abriß bei J. Roloff, Neues Testament, 1985, 2 2 7 - 2 4 4 genügen.
47 Wrege, Überlieferungsgeschichte 9 erblickt darüberhinaus gerade auch auf einer zweiten Überlieferungsstufe einen Zusammenhang mit der Taufe, wenn er aktuellen Segen (Makarismen) und potentiellen Fluch (Weherufe) vom Aufnahmeritus in Qumran (1 QS l,18ff) her versteht. 48 Braumann, Seligpreisungen 258f unternimmt den interessanten Versuch, das über die lukanische Version hinausgehende Material der matthaischen Makarismen der urchristlichen Tauftheologie zuzuweisen. Obwohl er richtig erkennt, daß die Änderungen nicht auf das Konto des Evangelisten gehen, erweisen sich die von ihm herausgestellten Anklänge an die Taufsprache jedoch durchgängig als nicht überzeugend: Mt 5,3 z.B. ist keineswegs von einer dann möglicherweise baptismal zu verstehenden Gabe des Geistes die Rede, und πραΰς (Mt 5,5) läßt sich kaum über Kol 3,12 und Gal 3,27 (miteinander verbunden allein durch ένδύομαι!) als Taufterminus erklären. 49
Schürmann, Lukas 383f; vgl. dazu auch die dort genannten Autoren.
Struktur und inhaltliche Aussage
275
Adressaten wird damit durch die Taufe definiert, umfaßt folglich alle Christen, und nur sie. Die Grundrede verpflichtet jeden, der in der Taufe die Verheißung des μακάριος empfing, mit drohendem Verweis auf das eschatologische Gericht zur alltäglichen Umsetzung einer außerordentlich weitreichenden Ethik.
Kommentierte Synopse der Grundrede
Die synoptische Darstellung der Grundrede1 „Form must follow function" Diese Kernaussage eines sehr instruktiven Aufsatzes von Dungan2 kann gleichsam programmatisch über dem folgenden Versuch einer synoptischen Darstellung der Textgrundlage3 dieser Arbeit stehen. Dungan streicht das Recht, ja die Notwendigkeit heraus, eine dem jeweiligen wissenschaftlichen Anliegen so weit wie möglich adäquate Gestaltung zu wählen. Da es, wie er überzeugend nachweist4, eine auch nur annähernd neutrale Darbietung des Textbefundes niemals geben kann, fordert er das schlichte Eingeständnis, daß eine jede Synopse etwas anderes zu zeigen und damit wenigstens partiell zu untermauern vermag5. Als Konsequenz ergibt sich: Es gilt, die (optische) Aufbereitung eines Textes als interessegeleitet zu erkennen und in diesem Bewußtsein zu bewerkstelligen6. Nach einigen Vorläufern7 liegt jetzt der bedeutende Entwurf einer QSynopse vor8, auf den im folgenden kurz eingegangen werden soll. ΚToppenborg stellt hier ein ungemein wichtiges Hilfsmittel zur Verfügung, indem er den gesamten für Q zu reklamierenden Stoff samt allen relevanten Paral-
1
Bei der Darbietung des Textbestandes babe ich mich bemüht, die Abgrenzung der Oberlieferungseinheiten im Zweifelsfalle großzügig zu handhaben. So wurden einige Logien aufgenommen, die ob ihrer zu erläuternden literarischen Herkunft im Fortgang der Arbeit weitgehend unberücksichtigt bleiben. 2 Synopses 486. 3 Wenn nicht audrtlcklich anders vermerkt, liegt im folgenden die in der 26. Auflage von Nestle-Aland rekonstruierte Fassung des Textes zugrunde; die wichtigen Varianten sind geprüft und vereinzelt berücksichtigt worden. 4 Synopses 457-486. Die unausweichlichen Präjudize beziehen sich demnach auf den Text einer jeden Synopse (wegen der immer vorausgesetzten Quellenhypothesen), ihre Disposition (u.a. aus demselben Grund) sowie die in ihr erfolgende Perikopenabgrenzung (kleinste mündliche Einheiten? Gemäß dem redaktionellen Anliegen der Evangelisten?). 5 Synopses 484. 6 Dungans, Synopses 486ff Vorschläge für drei Grundtypen von Synopsen tragen in meinem Fall nicht sonderlich viel aus und werden daher nicht eigens thematisiert. 7 Schulz' Synopse ist leider von sehr eingeschränkter Brauchbarkeit, da ihr Aufbau sich völlig an die Gliederung seines Q-Buches anschließt und damit allenfalls eine grobe inhaltliche Ordnung bietet. Zudem sind die Texte ohne jede Kenntlichmachung von Übereinstimmungen und Abweichungen nebeneinander abgedruckt. 8 Kloppenborg, Parallels.
280
Synopse der Grundrede
lelen — darin liegt sicherlich ein Gutteil seines Wertes begründet — und englischer Übersetzung übersichtlich zusammenstellt9. Abgesehen von den Abstufungen bezüglich der Wahrscheinlichkeit einer Q-Zugehörigkeit führt Kloppenborg eine dreifache Klassifizierung durch, die er m.E. dadurch wirkungsvoll ad oculos demonstriert, daß Abweichendes nicht, in der Wurzel Übereinstimmendes durch Unterstreichung und Identisches durch Unterstreichung und Fettdruck hervorgehoben wird. So springen dem Leser grundlegende Informationen über den jeweiligen Text gleichsam zwangsläufig ins Auge und vermitteln damit in aller Vorläufigkeit einen ersten wichtigen Eindruck von der Beschaffenheit der zu untersuchenden Tradition10. Eben dies ist auch die Hauptintention der von mir gewählten11 synopti-
9 Die Falle weiterer Informationen zur Frage der Q-Zugehörigkeit eines jeden Abschnittes kann an dieser Stelle unberücksichtigt bleiben. 1 0 Einen weniger überzeugenden Eindruck macht auf mich die im selben Jahr 1988 publizierte .Q-Synopsis" Neiryncks. Nicht so sehr der Verzicht auf jedwede Obersetzung wirkt störend - die Veröffentlichung zielt offensichtlich auf einen unterschiedlichen Leserkreis; auch die fortlaufende Benennung der unterteilten Verse mit Kleinbuchstaben (.a", . b " usw.) birgt neben einer sicherlich nicht gesteigerten Übersichtlichkeit manche Vorzüge, vor allem die unproblematische Verweismöglichkeit auf abweichend piazierte Versteile innerhalb des anderen Evangeliums. Entscheidender sind vielmehr einige Details:
1. Ein kleines Quadrat erscheint regelmäßig dort, wo die Parallelstelle einen umfangreicheren Text bietet; soll der Eindruck vermieden werden, daß die optische Gestaltung eher eine Ursprünglichkeit der längeren Fassung nahelegt, müßte auch das Uberschießende Element gekennzeichnet werden. 2. Fettdruck markiert nicht nur zwischen der matthäischen und der lukanischen Version identische Worte, was zweckmäßig ist, sondern auch identische Wortteile. Dadurch entsteht ein verzerrter Eindruck: Beispielsweise bedeutet ein fettgedrucktes ό keineswegs in jedem Fall, daß auch der andere Evangelist ό bietet; ebensogut kann sich bei ihm o( finden. Umgekehrt wird προς- in προσέρηξεν (Lk 6,49) bzw. προσέκοψεν (Mt 7,27) unverständlicherweisc nicht hervorgehoben. Es ist nach meinem Dafürhalten unabdingbar, zwischen totaler Übereinstimmung und einer Übereinstimmung lediglich der Wurzel gerade auch optisch zu differenzieren. 3. Ein Asteriskus verweist nach der Erklärung Neiryncks, Q-Synopsis 4 auf Synonyme oder .substitutes"; besonders die letztgenannte Kategorie entbehrt der nötigen Bestimmtheit. So kommt es, daß unter . * " die verschiedenartigsten Differenzen subsumiert werden: Simplex gegenüber Kompositum, stark abweichende Verben wie das transitive σ α λ ε ύ ω (Lk 6,48) gegenüber dem intransitiven πίπτω (Mt 7,25) oder auch ein Adjektiv (Ομοιος Lk 6,48) gegenüber einem Verb (όμοιόω Mt 7,24). Dies führt zu einer Asterisken-Inflation, die ein weit höheres Maß an Konvergenz als tatsächlich vorhanden suggeriert. Diese und ähnliche Mängel schränken den Wert der vorgelegten Arbeit ein; dennoch stellt sie einen wichtigen Beitrag zu der Suche nach einer möglichst viele Ansprüche erfüllenden QSynopse dar. 1 1 Dies geschah im übrigen zu einem Zeitpunkt, als mir die genannte Publikation von Kloppenborg noch nicht zur Verfügung stand.
.Form must follow function*
281
sehen Darstellungsform: die nahezu unwillkürliche Vermittlung fundamentaler Fakten. Nicht nur im Detail sind darüberhinaus jedoch tiefgreifende Differenzen festzustellen, biete ich den Text doch in drei Spalten12, d.h. mit dem Versuch, ein möglichst hohes Maß an Übersichtlichkeit mit wesentlich weitergehenden Informationen zu kombinieren. Ein solcher Ansatz scheint mir zumindest in einer Arbeit mit einer klar umgrenzten Textgrundlage erfolgversprechend zu sein13. Auf eine besondere Markierung gleicher Wurzeln bei unterschiedlicher Flexion habe ich verzichtet14, da es mir darum geht, alle Divergenzen zu benennen, ohne vorab eine wenigstens indirekte Wertung vorzunehmen; mitunter können beispielsweise synonyme Termini auch literarisch wesentlich engere Verwandtschaft zweier Textfassungen anzeigen, als dies dieselbe Wurzel in gänzlich abweichendem Kontext vermag. Auch in meinem Darstellungsvorschlag findet sich also eine Dreiteilung, allerdings derart, daß neben den identischen Textelementen (Unterstreichung) solche ohne sprachliche und/oder inhaltliche Parallele in Fettdruck erscheinen, während alle übrigen ausnahmslos ohne weitere Kennzeichnung bleiben. Um dieser umfangreichen dritten Kategorie einerseits ihre Gemeinsamkeit im Gegenüber zu den beiden anderen zu erhalten, andererseits jedoch eine gewisse Vorstrukturierung im Hinblick auf die spätere Aufschlüsselung und detailliertere Analyse des Textes zu ermöglichen, piaziere ich zwischen der lukanischen und der matthäischen Version15 eine Erläuterungsspalte.
12
Eine einmalige Abweichung von dieser Regel wird vor der synoptischen Darstellung von Lk 6,43f par begründet und erläutert. 13 Dies dürfte in einem textlich sehr viel umfassenderen Hilfsmittel wie der Kloppenborgschen Synopse kaum der Fall sein; dort sollte die Übersichtlichkeit den eindeutigen Primat haben. 14 Eine später vor der Einzelanalyse zu erörternde Ausnahme bildet die Differenzierung zwischen zwei Arten von Konstruktionsunterschieden; vgl. dort. ls Die Ausrichtung an der lukanischen Abfolge der Logien ist zunächst einmal rein pragmatisch bedingt, entspricht aber auch der allgemeinen Einschätzung der weitaus meisten Forscher der Gegenwart (vgl. u.a. die im Zuge der forcierten US-amerikanischen Bemühungen um die Logienquelle zunehmend auch im europäischen Kontext begegnende Zitationsweise von Q-Texten mit Q... nach dem jeweiligen lukanischen Beleg); gleichwohl ist mit ihr keinerlei Wertung z.B. in Bezug auf Fragen nach der ursprünglichen Gestalt oder auch nur An- und Einordnung eines Textes verbunden.
282
Synopse der Grundrede
Erläuterungen zur synoptischen Darstellung In den Textspalten Unterstreichung Fettdruck .. bzw.... (..) bzw. (...) *
identisches Textelement überschießendes Textelement abweichende Stellung eines identischen Textelementes abweichende Stellung eines differierenden, aber vergleichbaren Textelementes Stellvertreter für einen Teil einer Konstruktion, der über das entsprechende Kn aufzufinden ist In der Erläuterungsspalte identisches Textelement überschießendes Textelement andere Vokabel oder Wortart bei ansonsten gleicher grammatischer Gestalt grammatische Abweichung (Konjugation16 oder Deklination") Folgeabweichung18 andere Konstruktion (starke Abweichungen bei grundsätzlicher Vergleichbarkeit); gleiche η korrespondieren einander andere Stellung im Text; gleiche η korrespondieren einander Angabe unsicher
Ü V G G* Kn
Sn ?
16 Bei Deponentien und passiven Deponentien wird die Genusdifferenz zu .normalen" Verben nicht vermerkt. 17 Wenn eine andere Vokabel ein anderes Genus bedingt, wird dies nicht als „G" gewertet. 18
Nur die ganz sicheren Folgedifferenzen werden mit * gekennzeichnet; die Abweichung m u ß sich zwingend aus der unmittelbar übergeordneten grammatischen Struktur ergeben.
Die Seligpreisungen
Die Seligpreisungen Lk 6,20b—23
Mt 5,3.6-4-5.7-12
μακάριοι oi πτωχοί
μακάριοι οί πτωχοί U
δτι υμετέρα
τω πνεύματι δτι
ΚΙ
αύτών
έστιν
έστιν
ή βασιλεία
fi βασιλεία
τοϋ ΰεοϋ
V+G των ούρανών
μακάριοι
μακάριοι
οί πεινώντες
οί πεινώντες
νυν
U
καί διψώντες
Ü
τήν δικαιοσύνην
Ü
δτι χορτασύήσεσύε
δτι Ü
αυτοί
G
χορτασΰήσονται
μακάριοι οί
μακάριοι οί
κλαίοντες
V
νϋν
Ü
δτι
δτι
γελάσετε
πενΟοΰντες
Ü
αυτοί
V+G
παρακληύήσονται
Ü
μακάριοι
Ü
οί πραεΐς
284
Synopse der Grundrede
Ü
δτι αυτοί
Ü
κληρονομήσουσιν
Ü
τήν γήν
Ü
μακάριοι
Ü
οί έλεήμονες
Ü
δτι αυτοί
Ü
έλεηϋήσονται
Ü
μακάριοι
Ü
oi καθαροί τη καρδία
Ü
δτι αύτοι
Ü
τόν θεόν δψονται
Ü
μακάριοι
Ü
οί ειρηνοποιοί
Ü
δτι αυτοί
Ü
υίοί θεοϋ κληθήσονται
Ü
μακάριοι
Ü
οί δεδιωγμένοι
Ü
£νεκεν δικαιοσύνης
Ü
δτι αύτών έστιν
Ü
ή βασιλεία των ουρανών
μακάριοι έστε ΰταν
μακάριοι έστε όταν
μισήσωσιν υμάς
U
οί άνθρωποι
U
και δταν άφορίσωσιν
U
ύμάς και
S1?
U
Seligpreisungen
όνειδίσωσιν
όνειδίσωσιν S1?
υμάς και
και Ü
διώξωσιν
Ü
καΐ είπωσιν
Ü
πάν
έκβάλωσιν
Ü
τό δνομα υμών
Ü
ώς
Ü
πονηρόν πονηρόν
Ü
καθ' ύμών
Ü
ψευδόμενοι Ενεκεν
Ενεκα τοΰ υίοϋ τοϋ ανθρώπου
Κ2
έμοϋ
G
χαίρετε
Ü
χάρητε
και
έν έκείνη τη ήμέρα
V+G
άγαλλιασϋε
και
Ü
δτι
Ü
σκιρτήσατε
ό μισθός ύμών πολύς έν
Ιδού γαρ
G
τοις ούρανοϊς
6 μισθός ύμών πολύς
Κ3
οϋτως
έν τω ούρνανώ κατά τά αυτά γάβ έποίουν
γάβ V+G έδιωξαν
286
τοις προφήταις οί πατέρες αυτών
Synopse der Grundrede
G*
τους προφήτας
Ü
τούς πρό υμών
Ü
Die Weherufe Lk 6,24-26
πλήν ούαί ύμϊν
Ü
τοις πλουσίοις
Ü
δτι απέχετε
Ü
τήν παράκλησιν ύμών
Ü
ούαι ύμϊν
Ü
oi έμπεπλησμένοι νΰν
Ü
δτι πεινάσετε
Ü
ούαί
Ü
ol γελώντες νΰν
Ü
δτι πενθήσετε
Ü
καί κλαύσετε
Ü
ούαί δταν ύμάς
Ü
καλώς εϊπωσιν
Ü
πάντες οί άνθρωποι
Ü
κατά τά αύτά γάρ
Ü
έποίουν
Ü
τοις ψευδό προφήταις
Ü
οί πατέρες αύτών
Ü
Von der Feindesliebe (I)
Von der Feindesliebe (I) Lk
Mt 5,43-44
6,27-28
άλλα
υ
ήκουσατε
ü
ΰτιέρρέΰη
ü
αγαπήσεις
ü
τόν πλησίον σου
ü
καΐ μισήσεις
ü
τόν έχθρόν σου
ü
έγώδέ
ü S1
λέγω ύμϊν
ύμΐν λέγω
S1
τοις άκούουσιν
Ü
Αγαπάτε
αγαπάτε
το-ύς ένΰρούο ύαών
τούς έΥθρούο ύιιών
καλώς ποιείτε
U
τοις μισοϋσιν υμάς
Ü
ευλογείτε
Ü
τούς κατοφωμένους ύμάς Ü U
Kai
προσεύχεστε
προσεύχεστε
περί
ύπέρ
των
των
288
Synopse der Grundrede
έπηρεαζόντων
V
διωκόντων υμάς
υμάς
Von der Wiedervergeltung Lk
Mt 5,38-42
6,29-30
τώ τύπτοντί
Ü
ήκούσατε
Ü
0τι έρρέύη
Ü
όφϋαλμόν άντι όφΰαλμοϋ
Ü
καί όδόντα άντι όδόντος
Ü
έγώ δέ λέγω ύμϊν
Ü
μή άντιστήναι
Ü
τω πονηρω
Ü
άλλ'
κι
δστις σε
σε *
κι
ραπίζει19
έπι
ν
εις την
την Ü
σιαγόνα
σιαγόνα Ü πάρεχε
σου
V+G στρέψον Ü
19
δεξιάν
αΰτώ«
Die Lesart βαπίσει verdient, ernsthaft in Erwägung gezogen zu werden (u.a. von Huck/Greeven bevorzugt).
Von der Wiedervergeltung
και την άλλην
και την αλλην
και
και
άπό τοϋ αϊροντός
Κ2
τώ ύέλοντί
Ü
σοι κριΰήναι
Ü
Kai
ι
σου
S1
τό Ιμάτιον
V
τόν χιτώνα
S1
σου
Κ2
λαβείν
Κ3
άφες
Ü
αύτώ
και τόν χιτώνα
V
μή κωλύσης
Κ3
παντι
%
και
τό ίμάτιον *
Ü
και δστις
Ü
σε άγγαρεύσει
Ü
μίλιον §ν
Ü
ΰπαγε
Ü
μετ* αύτοΰ
Ü
δύο
ν
τώ ι
αίτοϋντί σε
αίτοϋντί σε
δίδου
δός
και
και
άπό τοϋ αϊροντος
Κ4
τόν ΰέλοντα
Ü
άπό σοΰ
290
Synopse der Grundrede
*
K4
δανίσασθαι
χά σά
Ü
ULQ άπαίτει
IAD V+G άποστραφης
Die Goldene Regel Mt 7,12
Lk 6,31
και καθώς
Kl
πάντα οΰν δσα έάν
θέλετε
G*
θέλητε
Υνα ποιώσιν ύμΐν
ίνα ποιώσιν ύμΐν
οί άνθρωποι
οί άνθρωποι
(··)
S1+V οΰτως Ü
ποιείτε αύτοϊς όμοίως
και ύμεϊς ποιείτε αύτοΐς
S1+V (..) Ü
ούτος γάρ έστιν
Ü
ό νόμος και οί προφηται
Von der Feindesliebe (II) Lk 6,32-36
Mt
και
Sl+V (..)
εί
V
(..)
Sl+V γάρ
αγαπάτε
G*
5,46^7.45.48
έάν άγαπήσητε
Von der Feindesliebe (Π)
τούς άγαπώντας υμάς ποία ύμϊν χάρις έστίν
τους αγαπώντας υμάς ΚΙ
τίνα μισΑόν έχετε
Ü
ούχί
και
και
γάρ ΠΙ UI
Ü
άμαρτωλοί
ν
ni Ul