Psychotherapie als Beziehung und Prozess: Chancen, Risiken, Fehlerquellen: Silke Birgitta Gahleitner und Brigitte Schigl im Gespräch mit Uwe Britten [1 ed.] 9783666406843, 9783525406847


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German Pages [160] Year 2019

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Psychotherapie als Beziehung und Prozess: Chancen, Risiken, Fehlerquellen: Silke Birgitta Gahleitner und Brigitte Schigl im Gespräch mit Uwe Britten [1 ed.]
 9783666406843, 9783525406847

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Psychotherapeutische

Psychotherapie als Beziehung und Prozess Chancen, Risiken, Fehlerquellen

Silke Birgitta Gahleitner und Brigitte Schigl im Gespräch mit Uwe Britten

Herausgegeben von Uwe Britten

Silke B. Gahleitner/Brigitte Schigl

Psychotherapie als Beziehung und Prozess: Chancen, Risiken, Fehlerquellen Silke B. Gahleitner und Brigitte Schigl im Gespräch mit Uwe Britten

Mit 4 Abbildungen

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ­https://dnb.de abrufbar. © 2019, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: dalinas/shutterstock.com Texterfassung: Regina Fischer, Dönges Korrektorat: Edda Hattebier, Münster Satz: SchwabScantechnik, Göttingen Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2566-753X ISBN 978-3-666-40684-3

Inhalt

Umgang mit Komplexität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Funktionen und Reduktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Therapeutische Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 Risiken von Psychotherapie – Forschung und Alltag . . . . . . Nebenwirkungen, Misserfolge und Schädigungen . . . . . . . . . . Fehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rigidität und fehlende Selbstreflexion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einschätzung und Einordnung von Nebenwirkungen . . . . . .

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Beziehungsarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 Die Ermöglichung einer Beziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 Beziehungsarbeit heißt Netzwerkarbeit und Lebenswelten in den Blick zu nehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 Einschätzung der therapeutischen Beziehung . . . . . . . . . . . . 115 Abhängigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 Überforderungsgefühle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 Lösung schwieriger Situationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 Abbrüche und Beendigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 Fachliche Öffnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 Ausgewählte Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155

G

ösing, August 2018: Im knapp 900 Meter hoch gelegenen Alpenhotel in Niederösterreich, dem Ötschergipfel gegenüber, treffen sich Brigitte Schigl und Silke Birgitta Gahleitner. Draußen ist es gewittrig und schwülwarm. Frau Schigl hat ihren jungen Retriever Pace mitgebracht, der ganz brav zu unseren Füßen liegt und sich bei der Hitze während des gesamten Gesprächs kaum rühren wird. Wir sind zusammengekommen, um über das Gelingen und Misslingen, über Risiken und Nebenwirkungen von Psychotherapie und die besondere Bedeutung der professionellen Beziehungsgestaltung in diesem Geschehen zu sprechen. Die Psychotherapie ist mancherorts schon »ins Gerede« gekommen, denn natürlich kann auch sie »schiefgehen«. Fehlende fachliche Kompetenz, mangelnde Sensibilität oder gar das Verfolgen eigener Bedürftigkeiten aufseiten der Therapeutinnen und Therapeuten – so lauten einige der Vorwürfe. In unserem Gespräch geht es also um die Essentials von Psychotherapie, um die Klippen und Herausforderungen und wie sich Probleme und Missgriffe vermeiden oder wenigstens nachträglich wieder korrigieren lassen. Das beste Mittel dazu ist eine gute, stabile, verlässliche Beziehungsgestaltung. Sie bietet eine Reihe von Chancen, jedoch auch wiederum neue Gefahren für das Gelingen therapeutischer Prozesse. Kein Therapeut und keine Therapeutin ist daher fehlerfrei und allseitig grenzenlos kompetent, die Frage ist jedoch, ob und wie man mit dieser menschlichen Fehleranfälligkeit professionell im therapeutischen Prozess umgehen kann. 7

Silke Birgitta Gahleitner, Prof. Dr. phil. habil., Jahrgang 1966, ist seit 2006 Professorin für Klinische ­Psychologie und Sozialarbeit an der Alice-­ SalomonHochschule in Berlin. Von 2012 bis 2015 leitete sie zudem das Zentrum Psychotherapie und Psychosoziale Interventionen an der Donau-Universität Krems am Department für Psychotherapie und Biopsychosoziale Gesundheit. Sie war langjährig in der Sozialen Arbeit im Anti-Gewalt-Bereich und als Psychotherapeutin in eigener Praxis tätig und beschäftigt sich hauptsächlich mit der (Beziehungs-) Arbeit mit traumatisierten Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen, etwa in dem Buch »Das pädagogisch-therapeutische Milieu in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen« oder in der Publikation »Professionelle Beziehungsgestaltung in der psychosozialen Arbeit und Beratung«. Im Verlag Vandenhoeck & Ruprecht ist sie Mitherausgeberin der Reihe »Fluchtaspekte. Geflüchtete Menschen psychosozial unterstützen und begleiten«. Viele Missgriffe in Therapie und Beratung seien, sagt sie, vermeidbar, wenn eine qualifizierte Bindungsund Beziehungsdiagnostik durchgeführt und diese für die professionelle Beziehungsgestaltung genutzt würde. Für erfolgreiche therapeutische Prozesse betont sie außerdem die Notwendigkeit, außertherapeutische Faktoren bei der Unterstützung der Klientinnen und Klienten zu berücksichtigen. »Wenn die Wirkung von Psychotherapien nachweislich zu 40 Prozent von außertherapeutischen Faktoren abhängt, dann sollten wir versuchen, konstruktiv auf diese Einflüsse einzuwirken«, so ihre Position. 8

Brigitte Schigl, Dr. phil. MSc., Jahrgang 1960, ist Psychotherapeutin sowie Klinische und Gesundheitspsychologin. Sie arbeitet als Lehrtherapeutin in der Ausbildung Inte­ grativer Therapeutin­ nen am Department für Psychotherapie und Biopsychosoziale Gesundheit an der Donau-­Universität Krems, wo sie auch den ­Titel einer Ehrenprofessorin trägt. D ­ arüber ­hinaus leitet sie den Studien­ gang Psycho­ therapie- und Beratungswissenschaften an der Karl-Landsteiner-Universität für ­Gesundheitswissenschaften in Krems, der eine eigenständige akademische Grund­ausbildung für angehende Psychotherapeutinnen möglich macht. Sie ist zudem Lehrbeauftragte in der psycho­therapeu­tischen Fortbildung. Schwerpunkt ihrer Forschung ist die Beschäftigung mit geschlechtsspezifischen Themen innerhalb der Psychotherapie; ihre diesbezüglichen Ergebnisse und Überlegungen hat sie im Buch »Psycho­therapie und Gender. Forschung, Konzepte, Praxis« zusammengefasst. Zudem ist sie Mitautorin der sogenannten RISK-Studie, in der »Wirkung, Risiken und Neben­wirkungen von Psychotherapie« empirisch beforscht wurden und ein »Beipackzettel« für Psychotherapien entwickelt wurde. Auch in diesem Zusammenhang hat sie darauf hingewiesen, dass bei weiblichen und männlichen Therapeutinnen mit ihren weib­lichen und männlichen ­Patientinnen unterschiedliche Interaktions- und Beziehungs­dynamiken in den therapeutischen Prozessen stattfinden und dass die Geschlechterdyade in einer Therapie keinesfalls gleichgültig ist. »Wir müs9

sen sensibel sein für kleinste Störmomente, die uns zeigen, dass etwas in der therapeutischen Beziehung nicht stimmt.« Brigitte Schigl arbeitet seit dreißig Jahren in ihrer Praxis mit Patientinnen und Patienten.

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UMGANG MIT KOMPLEXITÄT

»Das Kausalitätsbedürfnis ist ein zutiefst menschlicher Wunsch, zu verstehen, was uns umgibt, um uns darin zu orientieren. Das ist erst einmal völlig legitim. Ich v­ ersuche immer, diese vermeintliche Linearität möglichst breit ­dar­zu­stellen, also für unterschiedliche Perspektiven zu öffnen.« Brigitte Schigl

Funktionen und Reduktionen

Fangen wir bei den Bienen an: Die Bienen sind auf der Suche nach Futter, fliegen dabei Blüte für Blüte an und bestäuben, ohne es zu ahnen, die Blumen mit Pollen und sorgen so nicht nur für Früchte, also Nahrung für viele andere Wesen, sondern auch für den Fort­ bestand der jeweiligen Gewächse. Dies wiederum zum Vorteil der Bienen selbst, denn so sichern sie ihre Nahrung im kommenden Jahr. Was würden Sie als die Hauptfunktion der Bienen bezeichnen? Schigl  Zu leben. Gahleitner  Ja, existenzialistisch gedacht. Aber ich würde auch einen Beziehungsaspekt darin sehen: Da gibt es ja ein gegenseitiges Angewiesensein aufeinander. Die Biene, die etwas für die Pflanzen tut, denn sonst funktioniert ja die Bestäubung gar nicht, und die Pflanze, die natürlich auch die Biene ernährt. Überhaupt sind ja Bienen ein sehr soziales Volk. Wenn wir auf die Natur schauen, finden wir viele echte Kooperationsbeziehungen, womit ich nicht Abhängigkeitsbeziehungen meine. Das ist immer sehr spannend. Es gibt immer mehr Filme und Kurzvideos, in denen sich zeigt, wie verschiedene Tierarten kooperieren. Es gibt zum Beispiel ein ganz schönes Video mit einem Elefanten und einem Hund, in dem der Hund immer auf den Elefanten klettert – sie stehen beide im Wasser – und von dort mit voller Wucht ins Wasser springt. Der Elefant hilft ihm dabei. Er muss sozusagen mitdenken. Und das betrifft nichts Überlebenswichtiges, es ist einfach tierischer »Fun«. So etwas haben wir Menschen lange Zeit unter Tieren nicht vermutet, einfach Kooperation aus Lust und aus eigenem Antrieb. Schigl  Warum ich so lakonisch gesagt habe, der Sinn oder die Funktion sei, dass die Biene lebt, war, weil schon das Wort 14

Umgang mit Komplexität

»Funktion« ein Kausalitätsprinzip voraussetzt beziehungsweise hineinsieht. Das ist bereits ein anthropozentrischer Blick. Für Menschen muss alles eine Funktion haben. Ich denke, es handelt sich schlicht um ein Gewordensein und um ein System, in dem nichts füreinander »Funktion« hat. Das ist dieser technifizierte Menschenblick darauf, den die westliche Welt und insbesondere die neoliberale Leistungsgesellschaft ins Extrem getrieben hat. Da hat alles für anderes eine Funktion, sonst ist es nutzlos. Deshalb habe ich mich daran gestört. Der Sinn, der ist das Leben selbst – hier denke ich wirklich existenzialistisch, Silke. Und im Leben machen alle Wesen etwas miteinander. Das ist ein System oder besser: unzählige, miteinander verschränkte Systeme, von dem jeder und jede ein Teil ist. Eine »Funktion« würde ich also dem allen nicht geben. »Funktion« ist, wenn ich sage, die Bienen haben in der Landwirtschaft diese und jene Funktion. Das wäre eben wieder ein solcher Utilitarismus … Gut, ich nehme ein zweites Beispiel: Wir wollen den Wolf wieder ansiedeln, aus verschiedenen Gründen. Nun stellen wir fest, dass er sich nicht nur für Rehe und Wildschweine interessiert, sondern auch für die Schafe auf der Weide, die zudem eine viel leichtere Beute für ihn sind. Das wiederum gefällt uns gar nicht, weder den Schäfern noch den Tierschützern. Gibt es noch ein Argument für den Wolf? Gahleitner  Auch dazu ließe sich wieder viel sagen. Wir als Menschen richten unsere Aufmerksamkeit immer auf jene Dinge, die uns als wichtig vermittelt werden. Wir betreiben ständig ein Highlighting und Hiding. Zum Beispiel ist es zurzeit schon auffällig, dass bei Straftäterinnen, über die die Medien berichten, betont wird, sie seien Afghanen oder Syrer oder stammen jedenfalls aus irgendeinem muslimischen Kontext. Auch früher gab es Straftaten, die von Muslimen verübt worden waren, aber wir erfuhren das so nicht. Und über all die Straftaten nicht muslimischer Menschen wird aktuell deutlich seltener berichtet. Wenn Funktionen und Reduktionen

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irgendwo irgendetwas passiert ist, dann nennt meistens der zweite Satz die Religionszugehörigkeit. Auch das ist eine spannende Geschichte: Warum wird das so gehighlightet? Warum war das im Kalten Krieg nicht so? Ich würde sagen, dass wir unsere Aufmerksamkeit und damit uns selbst ziemlich lenken lassen. Ich will nicht leugnen, dass Wölfe sogar im Blutrausch auch sinnlos Schafe reißen, aber in der Art und Weise, wie stark das dann sofort in so ein tief verwurzeltes, feindseliges, angstvolles Klischee gegenüber Wölfen durchschlägt, das müsste man sich genau ansehen. Wölfe sind früher systematisch ausgerottet worden, auch mit viel »Hass« im Habitus. Warum also erfahren wir in den Nachrichten, wenn ein Wolfsrudel Schafe gerissen hat? Schigl  Ich möchte wieder etwas Kulturkritisches hinzufügen: Unser Bild von der Natur hat sich seit dem neunzehnten Jahrhundert stark verändert. Früher war die Natur etwas Bedrohliches und Gefährliches, vor dem man sich schützen musste. Heute ist die Natur etwas, was schützenswert ist, was man päppeln und vorsichtig behandeln muss, damit sie nicht »kippt« und möglichst noch schön anzuschauen ist. Natürlich kann man es als romantisierend bezeichnen, auch den Wolf wieder ansiedeln zu wollen. Der hat eigentlich keine »Funktion« mehr bei uns und hat auch gar keine adäquaten Lebensräume – es handelt sich also vielleicht durchaus um ein bisschen Nostalgie. Ich habe über Untersuchungen gelesen, in denen man anhand von Schulaufsätzen von Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts und heute beschrieben hat, wie unterschiedlich es ist, was Kinder damals und heute über Natur lernen und über sie denken. Prinzipiell finde ich es schön, wenn die Wölfe wieder da sind, aber ob das so toll ist mit unserer hoch industrialisierten und aufgeteilten Landschaft, wo es keine größeren unberührten Lebensräume für Wölfe mehr gibt und in der sie in Konkurrenz zu den Jägern stehen … 16

Umgang mit Komplexität

Im Übrigen scheinen da auch viele Machtinteressen hineinzuspielen. In Österreich wurde jahrhundertelang der Jägerschaft der Wolf als gefährliche, wildernde Bestie präsentiert und schließlich mit Einsatz vieler Kräfte ausgerottet. Das steckt noch immer in den Erzählungen vom »bösen« Wolf. Sie haben mich jetzt beide gründlich dabei ausgebremst, von Funk­ tionen zu reden. Ich spitze mal zu: Wenn wir auf die Welt schauen, müssten wir sagen: Nicht die Welt ist widersprüchlich, sondern das Bild, das wir uns von ihr machen. Gahleitner Bei uns Menschen spielt es eine extrem große Rolle, welche Bedeutung wir einzelnen Aspekten geben. Das ist letztlich eine erkenntnistheoretische Frage, und die Antwort ist abhängig davon, ob jemand eine Anhängerin oder ein Anhänger vom kritischen Rationalismus, vom kritischen Realismus, vom Konstruktivismus oder sonst etwas ist. Ich würde mich am ehesten so verorten, dass es schon eine Realität gibt, dass irgendetwas existiert. Inwiefern wir das wahrnehmen können, ist die zweite Frage, und deswegen ist es ja auch in der Forschung immer so wichtig, Dinge von sehr verschiedenen Seiten auszuleuchten und unterschiedliche Konstruktionen des Gegenstandes aufzuspüren – wobei ich aber eben ablehne, dass alles nur eine Konstruktion sei. Dass ich hier auf einem breiten, bequemen Sessel sitze, ist schwer zu bestreiten. Dass wir sehr verschiedene Wahrnehmungen von ihm haben und Unterschiedliches an ihm hervorheben würden, ist eine zweite Frage und ebenso unbestreitbar. So muss man sich kommunikativ darüber austauschen, um sich wenigstens annäherungsweise ein möglichst vollständiges Bild zu machen. Schigl  Ich glaube, nicht die Welt ist widersprüchlich, vielmehr kommen die Menschen, die sie beschreiben, zu widersprüchlichen Erkenntnissen. Das wäre die konstruktivistische Sicht. Es gibt kein »objektives« Erkennen der Wirklichkeit, sondern wir Funktionen und Reduktionen

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können uns über unsere Erkenntnisse austauschen und dann zu Konsens oder Dissens kommen, hier stimme ich Silke zu. Wenn wir diesen »bequemen« Sessel anschauen, dann nehmen wir den unterschiedlich wahr. Silke jetzt als eine Nutzerin, die gerne gut sitzen möchte. Es gibt aber noch andere Sichtweisen in Abhängigkeit davon, ob ich eine Therapeutin bin, die den Stuhl für ihre Patientin zurechtrückt, eine Designerin, die ihn entwirft, eine Tischlerin, die ihn bauen muss, eine Innenarchitektin, die den Raum gestalten soll, oder was auch immer. Der Blick auf den Gegenstand und welche Interessen und Vorannahmen ich habe, macht die Widersprüchlichkeit. Gahleitner  Deshalb geht auch Forschung nur im gemeinsamen Dialog oder – um mit Hilarion Petzold (2003) zu sprechen – im Polylog, um sich praktisch in konsensorientierten Diskursen anzunähern, um ein möglichst umfassendes, mehrperspektivisches Bild zu bekommen. Das ist am ehesten ein gangbarer Weg. Schigl  Ja, da stimme ich dir zu. Nun ist die Mauer, an der wir uns den Kopf stoßen, auch von Kon­ struktivisten nie bestritten worden. Bei materiellen Dingen ist ein Konsens noch relativ leicht zu erzeugen. Bei nicht materiellen Gegen­ ständen wird es schon schwieriger. Sie beide, die Sie auch wissen­ schaftlich arbeiten, müssen die Komplexität der Beobachtungen, die Sie angedeutet haben, dennoch in Kausalitätsstrukturen darstellen. Gänzlich schwierig wird es, wenn Sie komplexe Bedingungsgefüge auch noch in Sprache bringen müssen, das ist nicht immer leicht, denn Sprache ist linear. Komplexität ist mit Linearität aber schlecht darstellbar. Macht Sie das manchmal unglücklich? Letztlich bleiben alle Darstellungen unterkomplex. Schigl  Ich glaube, dass den Menschen ein kindliches Kausalitätsbedürfnis innewohnt. »Etwas ist so, weil …« Es donnert jetzt, weil der Himmel böse ist oder weil du dein Essen nicht 18

Umgang mit Komplexität

aufgegessen hast oder warum auch immer. Dieses Kausalitätsbedürfnis ist ein zutiefst menschlicher Wunsch, um zu verstehen, was uns umgibt, um uns darin zu orientieren. Das ist erst einmal völlig legitim. Ich versuche immer, die vermeintliche Linearität möglichst breit darzustellen, also für unterschiedliche Perspektiven zu öffnen. Wenn ich also ein Thema herausgreife, dann tut sich dennoch ein ganzes System auf, mit vielfältigen Verbindungen, Abhängigkeiten und Zusammenhängen, die sicher nicht immer linear oder kausal, sondern vielgestaltig sind. Dann eröffnet sich die Komplexität. Natürlich, wenn ich einen Kongressvortrag halte, dann muss ich oft eine verkürzte Aussage machen. »Das ist, weil …« Die wenigen Forschungen zu dem Thema sagen, dass die Dyade aus weiblicher Patientin und männlichem Therapeuten die risikoreichste ist, was Übergriffe betrifft, so Monika Becker-Fischer und Gottfried Fischer schon 2008. Dann führe ich dieses Risiko auf die Genderkonstellation zurück. Wenn ich in einem Seminar sitze, in dem wir mehr Zeit für eine differenzierte Diskussion haben, dann reden wir über Männlichkeiten und Weiblichkeiten und patriarchale Hintergründe und gesellschaftliche und individuelle Vorstellungen darüber, was bei Frauen und Männern als »normal« angesehen wird. In einem solchen Kontext lässt sich das viel besser aufdröseln. Die Darstellung wird reicher und phänomenologischer und vielfältige Zusammenhänge tun sich auf. Ich denke, es kann beides nebeneinanderstehen. Das eine ist halt für die verkürzte Schlagzeile oder Überschrift, das andere ist für jene, die sich dann tiefer damit beschäftigen wollen. Gahleitner  Ich würde nicht zustimmen, dass wir immer oder meistens auf Kausalitäten hinausmüssen. Ich denke, das ist ja gerade der Sinn von Forschung, uns zu dezentrieren. Genau wie Brigitte sagt, müssen wir uns lösen von diesen früheren, einfachen Kausalitätsschemata, um zu erkennen, dass die Welt eben an vielen Stellen nicht linearen Prinzipien folgt. An manFunktionen und Reduktionen

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chen Stellen gibt es lineare Kausalitäten. Es gibt zum Beispiel mehr Täter als Täterinnen bei sexuellen Übergriffen gegenüber Kindern, auch im Bereich der Psychotherapie, aber es gibt eben nicht nur Täter. Ich denke, das betrifft ja genau die Frage danach, wo man sich erkenntnistheoretisch verortet. Wenn man sich stärker im qualitativen Forschungsbereich, also phänomenologisch, verortet und eher Hypothesen bildet als Hypothesen testet, dann gibt es ein bestimmtes Ergebnis, das zwar erst mal nicht bewiesen werden kann, aber als Dimension in der Welt steht. Wobei ich nicht gegen Hypothesentestung plädieren möchte, das ist genauso wichtig, aber Hypothesenbildung fördert in der Forschung Dinge zutage, die die Komplexität aufzeigen und die Linearität aufbrechen können. Jürgen Kriz hat das ja wunderbar in dem Buch »Subjekt und Lebenswelt« von 2017 beschrieben, dass es eben nicht immer um kausale und lineare Zusammenhänge geht, sondern um ganz andere Muster, ganz andere Abfolgen, ganz andere Logiken. Deshalb ist es schade, dass sich ein Teil der Psychotherapieforschung zu sehr auf diese linearen Wirksamkeitsanalysen versteift hat. Damit kann manches nicht beschrieben werden. Wenn Sie jetzt therapeutische Äußerungen bis hin zu Interventionen dazunehmen, dann ist es auch da nicht immer einfach, die ganze Komplexität im Blick zu behalten, worum es in einem psychosozialen Bedingungsgefüge geht. Schigl  Wenn ich therapeutisch interveniere, habe ich gar nicht immer die »ganze Komplexität« im Blick, sondern ich mache vieles eher intuitiv. Die Komplexität, die es hat, ergibt sich oft erst in Supervisionen oder in Intervisionen oder vielleicht im Nachdenken darüber, was ich besser oder anders hätte machen können oder warum etwas so gut gelaufen ist. Ich glaube, es wäre eine Hybris, zu sagen, dass die Therapeutinnen sich der 20

Umgang mit Komplexität

ganzen Komplexität ihres Handelns bewusst seien, wenn sie eine Handlung setzen. Nein, es ist eine Tatsache, dass wir Psychotherapeutinnen Fehler oft erst im Nachhinein erkennen. Ich als Therapeutin mache etwas, was gut oder weniger gut trifft, und dann beginnt die Komplexität, das Nachdenken über die Komplexität. Wenn ich die ganze Komplexität vorher bewusst hätte, dann wäre ich eher gelähmt, dann könnte ich keine Intervention setzen, weil ich dann nur darüber nachdenken würde, was jetzt das ganze System verlangt. So kämen wir in der jeweiligen Sitzung nicht mehr zu einer Intervention. Es ist wie bei einem guten Handwerker, der aufgrund der Struktur seines Materials seine Bearbeitungstechnik in einer bestimmten Weise setzt, oder einer Snowboarderin, die je nach Hang und Schneebeschaffenheit den einen oder anderen Stil wählt. Da steckt viel Erfahrungswissen, implizites Wissen, dahinter, das oft erst in der Reflexion bewusstseinsfähig wird. Gahleitner  Das stimmt. So ist die Abfolge, die du jetzt aufgezeigt hast, dass man zwar vor dem Handeln schon viele Dinge gelesen und in der Ausbildung erfahren hat, dass man aber im Handeln intuitiv reagiert und das Vorgehen erst nach dem Handeln über Supervision reflektiert. Erst dadurch kommt man zu einer »strukturierten Intuition«, wie Ilse Orth aus der Integrativen Therapie es immer genannt hat. Vor einem breiten Hintergrund von Wissensbeständen können wir in der Situation strukturierter, wenn auch intuitiv reagieren, weil schon so viel im Repertoire ist, dass dann die Intuition treffsicherer wird. Hinzu kommt dann mehr und mehr Berufserfahrung. Das ist mir immer sehr wichtig, den Studierenden klarzumachen, dass es ihnen gelingen muss, sich viele Wissensbestände anzueignen und in diesen Wissensbeständen auch Bezüge zueinander herzustellen, um damit dann je nach Indikation und Situation möglichst treffsicher reagieren zu können. In der Integrativen Therapie sprechen wir von Integratoren, also gewissen Regeln, nach denen wir versuchen, die MethoFunktionen und Reduktionen

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den verschiedener Verfahren, zum Beispiel klientenzentrierte und verhaltensorientierte, im Handeln zu integrieren. Das kann natürlich niemals alles fehlerfrei sein und das kann auch nicht das Ziel von Psychotherapie sein, denn Fehlerfreiheit gelingt in keiner sozialen Begegnung, in keiner Profession, aber es ist zumindest eine größere Treffsicherheit vorhanden, wenn wir vorher viel wissen, wenn wir uns eine ganze Menge Erfahrungskompetenzen angeeignet haben und wenn wir hinterher auch bereit sind, das eigene Handeln so oft wie möglich in Supervision oder in Intervision anzuschauen und zu reflektieren. Dann entsteht mit der Zeit mehr und mehr Kompetenz. Schigl Ja, das würde ich genauso sehen: Die Basis ist Selbsterfahrung. Die macht mir klar, in welchen Modi ich laufe und wie ich so geworden bin, wie ich jetzt bin. Damit und in der Zusammenschau mit dem theoretischen Wissen und vielem Üben entsteht diese strukturierte Intuition. So kann ich eine Intervention anwenden und wieder reflektieren und deswegen beim nächsten Mal wieder so anwenden oder eben auch ganz anders. Auf welche Resonanz stoßen Sie denn im Kolleginnenkreis, wenn Sie so stark auf Intuition abzielen? Schigl  Oh, ich will jetzt nicht falsch rüberkommen: Ich bin eher bekannt als eine Intellektuelle in der Integrativen Therapie, da sollte ich wohl besser nicht so auf die Intuition pochen. Im Kolleginnenkreis ist Intuition sehr hoch angesehen. Aber das ist auch etwas, was der Psychotherapie oft vorgeworfen wurde, zumindest in Österreich, dass das Wissen noch vorwissenschaftlich sei und dass wir »nur« aus dem Bauch heraus arbeiten würden. Und dass wir doch mehr Theorien bräuchten und mehr Wissenschaftsverwobenheit und Evidenzbasierung in den Methoden. Vielleicht ist Intuition allein deshalb auch nicht das richtige Wort. Es ist das Konglomerat aus Kompetenzen und Performanzen vor dem Hintergrund meiner Persönlichkeit, 22

Umgang mit Komplexität

abgestimmt auf Situation und Indikation. Aber die Intuition würde ich vielleicht eher »Spontanität« nennen. Vielleicht ist das das bessere Wort. Gahleitner  Ich finde »Intuition« gar kein so falsches Wort. Intuition meint ja nicht nur ein »Bauchgefühl«. Das sogenannte Bauchgefühl finde ich schwierig, dagegen wende ich mich absolut, sowohl in der sozialen Arbeit als auch in der Psychotherapie oder im Besonderen in der Integrativen Therapie und Beratung. Aber Intuition verkörpert für mich schon das, was man international »tacid knowledge«, also »schlummerndes Wissen« nennt: Was ist das eigentlich, wann kommt es hoch, an welchen Stellen kann man das gezielt akquirieren, wofür kann man das gebrauchen? Es geht dabei um nicht ganz bewusste Wissensbestände, Kompetenzen und Performanzen, die man eigentlich schon hat und die aber erst an bestimmten Stellen und manchmal unvermittelt zutage treten. Deswegen machen wir in Forschungsprojekten zum Beispiel häufig Interviews mit Fachkräften. Das macht man, weil man vermutet, dass man so über das Buchwissen hinaus an bestimmte, in der Praxis bewährte Wissensbestände herankommt. Das alles verkörpert für mich auch der Begriff der Intuition. Ich benutze deswegen lieber »strukturierte Intuition«, damit unter einer Intuition nicht »Bauchgefühl« verstanden wird. Schigl  Wir können das ja auch bei den Spieleshows im Fernsehen sehen, in denen von den Moderatoren gesagt wird, bei Unsicherheiten sollten die Kandidaten das wählen, was ihnen zuerst einfiele. Auch bezüglich der Multiple-Choice-Tests an den Hochschulen zeigen Untersuchungen, dass die Trefferquote viel besser ist, wenn die Studierenden das ankreuzen, was sie als Erstes für richtig gehalten haben. Wenn sie später noch mal drübergehen und anfangen, nachzudenken und alles abzuwägen, dann ziehen sie oft falsche Schlüsse. Viel spontanes, schlummerndes Wissen wird bereits abgerufen, das latent vorhanden ist, aber vielleicht in dem Moment noch vorbewusst bleibt. Funktionen und Reduktionen

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Gahleitner  Das gilt aber nur für Situationen, in denen man sich in einem guten inneren Spannungsverhältnis befindet. Nur wenn man sich in einem mittleren, gut regulierbaren Bereich befindet, hat diese spontane Eingebung gute Chancen, das »tacid knowledge« zu heben. Wer sich in einem zu hohen Erregungszustand befindet, hat keinen guten Zugriff auf seine kognitiven Fähigkeiten. Das betrifft auch ganz praktische Bereiche: Wenn der Therapeut oder Berater sehr stark getrieben ist von eigenen Bedürfnissen und Gefühlen oder von der eigenen Lebens­ bewältigung, dann gilt es natürlich nicht, dass das, was er spontan fühlt oder gerne machen möchte, immer das Richtige ist. Wenn Psychologiestudierende gut trainiert sind, dann entwickeln sie auch das, was wir nun »strukturierte Intuition« nennen. Gut aus­ gebildete Neulinge in der Psychotherapie haben ein solides Funda­ ment, auf dem sie aufbauen können? Gahleitner  Das wäre mir jetzt wieder zu einfach ausgedrückt. Therapeutisches Intervenieren umfasst viel Interaktionelles, die ganze Beziehungsdimension sowieso. Das ist natürlich etwas anderes als eine Multiple-Choice-Prüfung. Aber um an vorhin anzuknüpfen: In der psychotherapeutischen Sitzung müssen wir auf spontane Regungen achten. Wir müssen sehen, inwiefern wir diese spontanen Regungen konstruktiv für den Entscheidungsprozess hin zu einer Intervention einsetzen können. Man muss jedoch mit den Begrifflichkeiten ein bisschen aufpassen, wann »Intuition« überhaupt angemessen ist oder ob nicht auch noch viel anderes reinspielt. Schigl  Und manchmal kann es im therapeutischen Prozess auch sehr hilfreich sein, der Patientin zu vermitteln: Jetzt weiß ich nicht weiter. Oder: Ich bin verwirrt.

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Umgang mit Komplexität

Therapeutische Verfahren

Sich der Komplexität des psychischen und im therapeutischen Pro­ zess auch des interpsychischen Geschehens zu stellen, dafür haben wir verschiedene therapeutische Schulen mit unterschiedlichen Schwer­ punkten ausdifferenziert. Ist jede Schule eine Komplexitätsreduktion? Schigl  Eine Komplexitätsreduktion und zugleich eine Komplexitätserweiterung, beides. Jedes Verfahren oder jede therapeutische Orientierung richtet ihr Augenmerk auf jeweils Unterschiedliches, und zwar ganz wesentliches Unterschiedliches. Alle legen ihr Augenmerk auf einen Ausschnitt, aber da sie dazu dann auch viel Wissen erarbeiten und Theorien entwickeln, machen sie es natürlich wieder komplexer. Die Tiefenpsychologie hat den Fokus aufs Unbewusste gerichtet, auf Beziehungsdynamiken, auf Konflikte im Menschen. Der Behaviorismus schaut auf die Lerngeschichte. Die systemische Therapie beobachtet die vielen Verbindungen, die in einem System vorhanden sind, und wie die Subsysteme miteinander interagieren. Dies nur als vereinfachte Beispiele. Jedes Verfahren ist eine Komplexitätsreduktion, weil es eben den jeweiligen speziellen Fokus wählt. Das macht es mir als Therapeutin leichter, weil es eine grobe Richtung, was wichtig ist in der Therapie, vorgibt. Aber innerhalb dieser Bereiche entsteht eine unglaubliche Komplexität. Wenn man sich die Literatur zur Tiefenpsychologie anschaut, dann sieht man die Komplexität gut. Gahleitner  Ich würde es sogar noch mal zuspitzen: Zunächst sind die Verfahren ja entstanden, um auf Eindimensionalitäten zu reagieren. Die Psychoanalyse ist entstanden als Antwort auf die Ignoranz in der Medizin gegenüber unbewussten Inhalten, die Verhaltenstherapie ist entstanden als Reaktion auf die Tiefenpsychologie, weil es da kaum naturwissenschaftliche ForTherapeutische Verfahren

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schung gab. Aber auf diesen Fokus hat sie sich in der Folge dann wiederum einseitig konzentriert. Das war eine Art Gegenimpuls und damit einerseits eine Komplexitätserweiterung, andererseits auch wieder eine Einengung. Schigl  Das ist ja auch zeitgleich schon mit unterschiedlichen Blickwinkeln passiert, denn Pawlow arbeitete ja zeitgleich mit Freud. Gahleitner Ja, sicher, aber Burrhus Skinner hat sich ganz explizit auf die Psychoanalyse bezogen, auch Frederick Kanfer. Die beiden haben auch mit Freud darüber korrespondiert, dass es ihnen zu wenig naturwissenschaftlich sei. Freud hat darauf geantwortet, er benötige keine Empirie. Carl Rogers wiederum hat sowohl die Tiefenpsychologie als auch die Verhaltenstherapie für ihr direktives Vorgehen kritisiert. Der Therapeut wisse, wie es geht, er wisse immer alles besser. Daraus hat er seine nondirektive Konzeption entwickelt. Er hat sehr, sehr stark die Beziehung zwischen Klient und Therapeut betont. Das wiederum im Kontrast zur damaligen Verhaltenstherapie, die die Beziehung als Störfaktor konzeptualisiert hatte, und zur Psychoanalyse mit ihrem Abstinenzgebot. An den systemischen Verfahren wiederum haben alle drei anderen Verfahren kritisiert, dass der soziale Kontext der Klientinnen ausgeblendet würde. Von daher finde ich wichtig, zu sehen, dass sich die Verfahren eigentlich immer jeweils als Antwort auf eine jeweilige Reduktion entwickelt haben. Du hast aber völlig recht, dass auch innerhalb der einzelnen Verfahren verschiedene Aspekte jeweils stark ausdifferenziert worden sind. Natürlich muss man zudem sehen, dass jedes Verfahren wiederum in seiner geschichtlichen Entwicklung eine Bewegung hin zu mehr Komplexität zeigt, zu einer Rundung sozusagen. Das kann man schön an der therapeutischen Beziehung deutlich machen. Während nämlich die klassischen Analytiker stark mit dem Abstinenzprinzip gearbeitet haben, ist inzwischen 26

Umgang mit Komplexität

deutlich geworden, zum Beispiel in Traumatherapien, dass völlige Abstinenz nicht immer angebracht ist. Die relationale Psychoanalyse versucht, dem stärker Rechnung zu tragen. Daraus entwickelte sich ein ganz anderes Verhältnis zur Beziehungsdimension, wodurch die Psychoanalyse die neuere Säuglingsforschung mit hat einfließen lassen, ausgehend von den Veröffentlichungen von John Bowlby, wie sie in der dreibändigen Ausgabe von 2006 zusammengefasst sind, und nach ihm Martin Dornes (1993). Während die klassische Verhaltenstherapie Beziehung ursprünglich als Störfaktor betrachtet hatte, hat die aktuelle Verhaltenstherapie mit den verschiedenen Wellen, die sie ins Leben gerufen haben, die Beziehung betont. Und während die früheren strukturell orientierten Systemiker Beziehung eher als ein kühles und unbeteiligtes Schachspiel gesehen haben – Mara Selvini Palazolli und Kolleginnen (1977) zum Beispiel –, haben Systemikerinnen wie Rosmarie Welter-Enderlin die Beziehungsdimension wieder sehr stark eingebaut. Das heißt, es haben sich eigentlich alle weiterentwickelt und aufeinander zubewegt – das haben übrigens Ulrike Willutzki und Bernhard Strauß in dem Gespräch mit Ihnen, Herr Britten, bereits schön herausgearbeitet. Das gilt insbesondere für die Beziehungsarbeit. Die humanistischen Verfahren sind eigentlich die einzigen gewesen, die von Beginn an die Bedeutung der Beziehung betont haben und bei denen sich das sozusagen »nur« weiter ausdifferenziert hat. Schade ist, dass die Konkurrenz der Verfahren in Deutschland sehr stark dazu geführt hat, sich gegenseitig auszustechen. Die Psychotherapiegesetzgebung hat sich zum Beispiel in Österreich völlig anders entwickelt, sie ist viel integrativer. Dort gibt es eine viel größere Anzahl von Verfahren … Schigl  Dreiundzwanzig zurzeit … Gahleitner  Das ist absolut zu begrüßen. In so einer Vielfalt kann ein ganz anderer Diskurs stattfinden. Therapeutische Verfahren

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Dann müssten wir in Deutschland von Österreich lernen? Schigl  Wir in Österreich waren jedenfalls die Ersten in Europa, die ein Therapiegesetz hatten: 1990 schon. Das ist ein sehr innovativer Wurf gewesen damals, in dem zu Anfang vierzehn Therapieverfahren zugelassen wurden mit einem Reglement, was weitere Verfahren tun müssen, um sich ebenfalls da hineinzureklamieren. Es gibt eine Kommission im Bundesministerium, die prüft derartige Anträge, und es können noch immer neue Verfahren aufgenommen werden, wenn sie die nötige Internationalität, die nötige Wissenschaftlichkeit und die nötige Personenanzahl nachweisen können. Gahleitner  In Österreich findet dadurch ein viel breiterer und fruchtbarerer Diskurs zum psychotherapeutischen Vorgehen statt. Dadurch sind in Österreich viele Verfahren ganz anders verwurzelt. Es ist auch spannend, was die Ausbildungskandidaten und -kandidatinnen dort hauptsächlich wählen. Das verteilt sich nämlich ganz anders als in Deutschland. Der humanistische und der systemische Bereich sind in Österreich die eigentlichen Renner. Schigl  Ja, in Österreich spielt zum Beispiel die Verhaltenstherapie eine geringere Rolle als in Deutschland. Gahleitner  Und das muss man gar nicht bewerten, aber der starke Unterschied zu Deutschland mit seiner Regelung ist schon bemerkenswert. Schigl  Natürlich spielen hier wie dort finanzielle Gründe mit: Was kostet eine Therapieausbildung? Darum haben die tiefenpsychologischen Verfahren oft weniger Zulauf, weil dort die Ausbildungsdauer vielfach am längsten ist mit ganz, ganz viel Selbsterfahrung, oft fünfhundert Stunden Einzelselbsterfahrung – das heißt Lehrtherapie. Gerade junge Therapeutinnen und Therapeuten sind zudem manch­ mal stark verunsichert, ob sie bei ihrer jeweiligen Verfahrenswahl 28

Umgang mit Komplexität

noch Elemente aus den anderen Richtungen einsetzen dürfen. Darf ich das eigentlich? Gibt es da eine Engführung, nur weil ich eine bestimmte Schule gewählt habe? Schigl  Bei uns in Österreich gibt es dieses »Das darf ich nicht, weil …« so nicht, denke ich. Ich lehre in Integrativer Psychotherapie und die ist – wie der Name schon sagt – ohnehin ein integratives Verfahren. Ich glaube, dass solche Ängste am ehesten noch in orthodoxen tiefenpsychologischen Zusammenhängen auftreten. Gahleitner  Es ist in Österreich wirklich ganz anders als in Deutschland. Das kann man gar nicht vergleichen. In Deutschland spielt das Verfahren eine riesengroße Rolle, denn ich muss einen Kassenantrag schreiben und darin mein Verfahren ausweisen. Wir sind in Deutschland sehr stark daran gebunden. Nehmen wir das Beispiel Trauma. In der Psychotherapie mit traumatisierten Menschen wird eine Traumaexposition immer mehr zur Pflicht. Schigl  Das ist doch nicht sinnvoll! Da muss man doch viel mehr auf den einzelnen Fall, die einzelne Geschichte achten, was in der Traumatherapie nötig und was eher kontraproduktiv ist. Gahleitner  Na ja, es handelt sich eben um einen ganz anderen Diskurs. In der Forschung hat sich bei den dort einbezogenen Klienten und Klientinnen gezeigt, dass sich bei diesen Gruppen, die in den Forschungsprojekten beteiligt sind, die Exposition als tatsächlich sehr wirksam erweist. Das stimmt auch. Die große Frage ist, ob tatsächlich alle Klienten und Klientinnen damit abgedeckt sind oder ob gerade diejenigen, die besonders traumatisch belastet sind, in diesen Studien weitgehend fehlen, sodass die Ergebnisse für sie auch nicht zutreffen. Das ist eine lange Diskussion. Ich arbeite mit Ausbildungskandidaten aus der Verhaltenstherapie und ich erlebe schon, dass der Rahmen – wenn erst einmal geschlossen – gar nicht so leicht wieder zu öffnen ist, Therapeutische Verfahren

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zum Beispiel was gesellschaftliche Aspekte betrifft, darauf ist das Psychologiestudium in Deutschland wenig ausgerichtet. Vernetzungsaktivitäten erscheinen den Ausbildungskandidatinnen dann nicht mehr bedeutsam, zumal sie alle nicht bezahlt werden. Das sind sehr verschiedene Kulturen. Ich möchte aber unbedingt auch den positiven Aspekt hervorheben: Natürlich hat es trotzdem was, wenn die Psychotherapie-Community sich darum bemüht, Forschungsergebnisse wahrzunehmen, einzubauen und sonst wie zu berücksichtigen. Das erlebe ich nämlich wiederum in Deutschland stärker als in Österreich. Schigl  Ja, das stimmt. Wir sind in Österreich erst jetzt wirklich dran, uns zu akademisieren und allen Verfahren eine gewisse wissenschaftliche Kultur abzuverlangen. Also das, was in unserem Psychotherapiegesetz steht, auch umzusetzen und eine Psychotherapiewissenschaft zu entwickeln. Der Studiengang, den ich leite, heißt ja auch »Psychotherapie- und Beratungswissenschaft«, das heißt zum Beispiel, dass die Kandidatinnen jetzt verpflichtend mit Psychotherapieforschungsergebnissen vertraut gemacht werden, dass die Lehrenden auch wissenschaftlich arbeiten – das alles entwickeln wir in Österreich gerade. Wir haben da einen Leitfaden zur praxisorientierten Psychotherapieforschung entwickelt, der die ganze Bandbreite von möglicher psychotherapeutischer Forschungsmethodik enthält, aus dem sich alle Verfahren das für sie Passende auswählen können. Auch hier finden wir wieder eine breite Basis des Wissenschaftsverständnisses – dazu hat 2018 Gabriele Riess veröffentlicht. Es ist wichtig, unterschiedliche erkenntnistheoretische Paradigmen zuzulassen und daraus folgend auch unterschiedliche Forschungsdesigns. Gahleitner  Ich hätte gerne eine weniger von Machtstrukturen durchdrungene Forschungslandschaft, in der stärker Ergebnisse anderer Richtungen aufgegriffen werden, die eben nicht nur dem Schema der randomisiert-kontrollierten Studien folgen. 30

Umgang mit Komplexität

Es müsste ein besserer Austausch von Forschung und Praxis stattfinden. Dann ließe sich praxisferne Forschung kritisieren, aber auch praxisnahe Forschung besser verbreiten, nutzen und anwenden. Da hätte ich gerne wesentlich mehr Durchdringung. Das ist in Deutschland einfach nicht gelungen. Dann würde sich nämlich vermutlich auch der Umgang mit den einzelnen Verfahren ein bisschen entkrampfen, weil man sehen würde, an welchen Stellen was tatsächlich sinnvoll ist. Komplexität bedeutet auch, dass ich mich als Psychotherapeut per­ manent mitreflektieren muss. Schigl  Ja. Ich muss mich nicht nur mitreflektieren, ich muss mich auch mitspüren. Nicht nur mein Verfahren muss ich reflektieren, sondern auch mein eigenleibliches Spüren, das heißt, ich verwende, ähnlich wie in der Tiefenpsychologie, meine Gegenübertragungsreaktionen als Hinweise darauf, wie ich intervenieren soll. Reflexion läuft auf beiden Ebenen ab. Das ist ein Dreieck aus mir, der Patientin und dem Verfahren. Wir müssen unser kognitives Wissen nutzen, um in eine Exzentrizität zu kommen: Ich bin bei mir, indem ich bei der Patientin bin und mich einfühle. Wie würde es mir gehen, wenn ich auch Angst hätte, nach Hause zu kommen, weil mein Partner mich vielleicht wieder prügelt? Dann nehme ich bei mir meine Gegenübertragungsreaktion wahr, ich werde wütend, ich denke mir, dass ich die Frau verteidigen möchte, und dann schaue ich exzentrisch auf dieses Geschehen. So stelle ich vielleicht fest: Aha, du wirst jetzt wütend, das ist deine Geschichte, die Patientin hat Angst, welchen Aspekt betonen wir jetzt? Das geht immer so in diesem Dreieck: mich spüren, die Patientin spüren und darüber nachdenken. Manchmal bin ich mehr bei der Patientin und im empathischen Einfühlen. Wenn ich sehr starke Gegenübertragungsreaktionen bei mir wahrnehme oder mir eine bestimmte Intervention vornehme, dann bin ich mehr bei mir. Therapeutische Verfahren

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Grafik 1: Schigl 2019 Exzentrische Position, Wissen über Theorien und Verfahren und Reflexion der Emotionen, Analyse des Prozesses PPrProÜbertragungsgeschehen

Reflexion

Interventionen Bei sich sein als Therapeut_in: Spüren eigener Gefühle und Gegenübertragung, ggf. auch eigene Übertragung der Therapeut_in

Bei Patient_in sein als Therapeut_in: Empathie und Resonanz auf die berichteten Szenen, sich Einfühlen in Patient_in

Abbildung 1: »Das Exzentrizitäts-Dreieck« (© Brigitte Schigl)

Gahleitner  Jetzt sind wir bei der Person des Psychotherapeuten. Carl Rogers hat ja genau das, was du gerade erklärt hast, 1959 mit der sogenannten Als-ob-Position beschrieben. Dass Empathie bedeutet, sich einerseits ganz auf die Gefühle des anderen einzulassen, aber andererseits auch immer die Als-ob-ich-das-fühle-­ Position nicht aus den Augen zu verlieren. Da braucht es also gute Kompetenzen. Dazu passt auch: Wenn man Klientinnen und Klienten danach fragt, was ihnen in einer Therapie geholfen hat, dann führen sie den Therapieerfolg wesentlich weniger auf 32

Umgang mit Komplexität

Verfahren und Technik zurück, sondern sehr stark auf die Person oder die Persönlichkeit des Therapeuten beziehungsweise der Therapeutin. Schigl  Oder die Beziehung zur Therapeutin beziehungsweise zum Therapeuten. Gahleitner  Oder die Beziehung, ja. Es ist zum Beispiel wichtig, dass sich zwischen Therapeut oder Therapeutin und Klient oder Klientin eine persönliche Beziehungsdimension entwickelt. Das bedeutet aber, dass ich als Therapeutin mit mir selbst als Person arbeiten muss. Ich kann nur durch mich hindurch dieses Hilfeoder Unterstützungsgeschehen gestalten. Erving Goffman hat 1967 in seinem Buch »Stigma« so schön gesagt, dass wir hinter der professionellen Rolle auch als Personen sichtbar werden müssen. Erst diese persönliche Sichtbarkeit prägt das Vertrauensverhältnis, denn auf jemanden, der rein technisch und »professionell« reagiert, lässt man sich einfach nicht so leicht ein. Das habe ich jetzt wirklich in allen Settings, die mir forschungsmäßig zugänglich waren, erfahren: im Jugendhilfesetting, in der Opferberatung, im Krankenhaus, im psychosozialen Dienst und eben auch im psychotherapeutischen Setting. Alle Klientinnen und Klienten sagen einstimmig, wenn sie nicht eine persönliche Dimension spüren, dann vertrauen sie der Beziehung einfach nicht. Zu diesen persönlichen Dimensionen gehören ja auch meine ganzen Bindungs-, Beziehungs- und sozialen Einbettungserfahrungen. Während die Bindungstheorie inzwischen sehr bekannt ist, ist mir in meiner letzten größeren Forschung begegnet, dass vieles davon abhängt, wie stark ich mich angenommen fühle von anderen, und zwar in eher so einer kontextuellen Form. Barbara Sarason, Irwin Sarason und Gregory Pierce haben da 1990 gute Beobachtungen veröffentlicht. Sie nennen es den »sense of acceptance«, ein Konstrukt, das versucht, die »erfahrene« Unterstützung als ein Resultat aus frühen Bindungsund Einbettungserfahrungen zu begreifen, zu beforschen und zu beschreiben. Das finde ich ein schönes und brauchbares KonsTherapeutische Verfahren

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trukt. Natürlich hängt das mit Bindung zusammen, aber es ist noch mal etwas anderes. Wie fühle ich mich von Kindesbeinen an? Wurde ich immer wieder akzeptiert und angenommen, war ich gut eingebettet? Entwickle ich das Gefühl des Eingebundenseins schnell, wenn ich in eine Gruppe komme, oder nicht, weil ich eben eher andere Erfahrungen gemacht habe? Je nachdem, wie ich als Therapeutin oder Beraterin diese Aspekte mitbringe, also wie mein eigenes Bindungsgefüge ist, wie mein Einbettungsgefüge ist, vermittle ich das natürlich auch an Klientinnen und Klienten. Wir wollen die ja in Richtung mehr Bindungs- und Einbettungssicherheit führen, aber wenn ich natürlich ein anderes Bindungs- und Einbettungsmuster habe, dann unterlaufe ich das vielleicht auch immer mal wieder. Schigl  Das müssen wir reflektieren, ja, zumal Therapeutinnen und Therapeuten in der Mehrzahl keine sicheren Bindungsmuster haben. Gahleitner  Natürlich. Das ist das, was ich machen muss. Wenn wir Persönlichkeitsentwicklung bei anderen fördern möchten, dann er-fordert das permanent Persönlichkeitsentwicklung auch bei uns selbst. Wenn wir das leisten und da immer wieder offene Fragen auch wirklich möglichst ohne Schranken aufgreifen, um uns damit auseinanderzusetzen, dann glaube ich, dass wir mit unseren eigenen Betroffenheiten, mit unseren Macken und Fehlern eben auch wirklich gut arbeiten können. Natürlich passieren uns Fehler, aber die kann man dann eben über diese offene Auseinandersetzung auch wieder bearbeiten. Das heißt, man braucht eine gewisse Grundlage, aber man kann sich viel erarbeiten im Zuge der Therapie- oder Beratungsausbildung. Schigl  Ich brauche einen guten und reflexiven Bezug zu mir selbst, ich brauche Selbstvertrauen, ich brauche so viel Angstfreiheit, dass ich mir erlauben kann, mich zur Disposition zu stellen. Das ist für mich auch das Spannende in der Ausbildung von Therapeutinnen und Therapeuten, nämlich die Feedbacks, die wir von den Auszubildenden bekommen, wenn die etwa sagen: »Sie 34

Umgang mit Komplexität

machen das immer so und so …« So kann ich darüber nachdenken und mich selbst durch ihre Perspektive in den Blick nehmen. Dann stehe ich manchmal da und sage: »Ja, das stimmt. Aus dieser Sicht kann das durchaus so rüberkommen, jetzt verstehe ich.« Manchmal frage ich zurück: »Meint ihr, dass das hinderlich ist?« Wir müssen unsere Eigenarten manchmal auch einfach annehmen und damit weiterarbeiten. Will ich, dass ich in einer gewissen Art rüberkomme, oder soll ich das nicht ein bisschen entschärfen, kann ich das überhaupt entschärfen? Diese möglichst große Offenheit bei gleichzeitiger relativer – freundlich-kritischer – Sicherheit, dass ich okay bin, auch wenn ich meine Einfärbung habe und diese bei verschiedenen Menschen auch Verschiedenes auslösen kann. Psychotherapieforschungsergebnisse, die sich mit Therapeutinnen und Therapeuten beschäftigen, konstatieren eben solche Eigenschaften wie hohe interpersonelle Fähigkeiten, Wärme, Empathie und Echtheit, persönliche Sicherheit, Selbstakzeptanz, hohe Angstfreiheit und Frustrationstoleranz als positive Therapeutenvariablen. Michael Lambert hat 2015 dazu publiziert und vor kurzem ist ein gutes Buch von Louis Castonguay und Clara Hill erschienen, in dem den Therapeutenvariablen nachgegangen wird. Gahleitner  Ja, je verzerrter unsere Muster sind, desto weniger gelingt es uns zum Beispiel, flexibel auf Passungsverhältnisse zu reagieren. Das ist ja ein wichtiger Punkt, auf ein richtiges Passungsverhältnis mit den Klientinnen zu achten. Nehmen wir mal die Begegnung mit einer Borderline-Klientin: Da muss ich aufpassen, dass ich mich nicht zu sehr in der Interaktion verstricke und mit diesem Wechsel von Abwertung und Idealisierung klarkomme. Mit dem In-Kontakt-Kommen ist es dagegen nicht so schwer. Bei bindungsvermeidenden Menschen muss ich zunächst genau hinsehen, statt naiv auf sie zuzugehen und sofort in die Arme zu schließen. Das wäre keine gute Passung, kein passendes Verhalten, das wäre zu konfrontativ. Ich muss Therapeutische Verfahren

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mich vielmehr vorsichtig annähern, muss werben, Angebote machen. Das wiederum gelingt mir mehr oder weniger gut, je nachdem was für einen Bindungsstil ich selbst habe. Und da­­ rüber erhalte ich in der Selbsterfahrung Aufschluss. Schigl  Ich will in der Bindungsdiskussion anfügen, dass nicht alles schon von der frühen Biografie abhängt, denn man kann ganz vieles auch später nachholen. Gahleitner  Ja, aber dieser Punkt wird sehr oft falsch vermittelt. Das hat die Bindungstheorie schon ewig betont, ganz früh schon, sogar schon zu John Bowlbys Zeiten. In den Sechzigerjahren ist das dann mal fälschlicherweise so fixiert worden auf die Kindheit und die Kleinfamilie. Das ist aber längst vorbei. Schigl  Ja, denn sonst bräuchten wir auch keine Selbsterfahrung zu betreiben … Gahleitner  Klar, dieses ganze Arbeiten mit sich als Person ist ja ein hochreflexiver Prozess. Aber wenn ich wirklich mit dieser persönlichen Dimension arbeiten will, darf ich natürlich wiederum nicht in ihr versinken, sonst habe ich ja keine bessere Situation als in einem Ehekrach. Das heißt, ich muss permanent zwischen dieser persönlichen Dimension und einer professionellen Rolle hin- und hergehen, muss mich reflexiv in jedem Moment neu in der Arbeit verorten. Deshalb finde ich es auch so wichtig für Ausbildungskandidaten und -kandidatinnen, dass sie mal Forschung gemacht haben. Diese Dezentrierung ist unheimlich hilfreich, um genau dieses Verhältnis oder das Austarieren dieser Dimension zu schaffen. Schigl  Das ist eigentlich schon eine philosophische Frage, denn wir beschäftigen uns in der Therapie ja damit, einen Menschen zu verändern oder wenigstens menschliches Handeln zu beeinflussen. Und wir machen das immateriell, kraft der Wirkung unserer Person, unseres Wortes oder unserer Deutungen, unserer Symbolarbeit, unserer Interaktion. Dieses komplexe Änderungsgeschehen versuchen wir vor allem mit unserer Sprache zu beeinflussen, sogar zum Beispiel bei suizidalen Men36

Umgang mit Komplexität

schen oder welchen, die überhaupt nicht mehr in der Lage sind, hinauszugehen in die Welt vor lauter Angst. Das ist eigentlich ein »mission impossible«-Unterfangen. Dazu bedarf es nun eben, wie du sagst, dieses »human as instrument«, dass wir nämlich unser eigenes menschliches Instrument sind, das möglichst elaboriert sein soll, damit wir nicht unethisch handeln oder nicht irgendwo reinschlittern, was nicht gut wäre. Gahleitner  Ich finde eine Sache noch ganz wichtig zu dem, was du jetzt gesagt hast, und zwar vor dem Hintergrund, dass ich sehr von den Erfahrungen meiner Praxis in der stationären Jugendhilfe geprägt bin: Wir in den reichen Ländern können heutzutage fast alles käuflich erwerben, alles außer einem wirklichen und aufrichtigen Interesse an unserer Person, was eine große Kraft in der Beratung und Begleitung und auch in der Psychotherapie ist. Und das ist die Kraft unseres Bindungsangebots, aber es muss eben ein authentisches, offenes Bindungsangebot sein. Was ja schon Carl Rogers gut dargestellt hat, dass wir genügend gute (Umgebungs-)Bedingungen herstellen müssen, indem wir zu einem »significant other« werden. Um bereitzustellen, dass der Klient oder die Klientin wieder neue Wege gehen kann und sich lösen kann aus alten Verkrustungen und Erstarrungen, die entstanden sind durch Leid, durch Verletzung, durch was auch immer. Das ist ein hohes Gut, mit dem wir da arbeiten, dass wir uns als Personen zur Verfügung stellen für diesen Reflexionsprozess. Das finde ich etwas sehr Wertvolles. Schigl  Das, was du sagst, spricht natürlich aus deinem humanistischen Menschenbild. Wir glauben, dass jeder Mensch sich mit seiner Selbstverwirklichungskraft und mit der Heilkraft seiner Seele zu diesem Guten entwickeln kann. Gahleitner  Kann, ja. Schigl  Da spricht natürlich unser Verfahren oder unsere Orientierung aus uns heraus, dass wir eben nicht sagen, wir seien sowieso immer nur ein von Trieben gesteuertes Wesen, das durch die Kultur erst mühsam in Bahnen gehalten werden muss. Therapeutische Verfahren

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RISIKEN VON PSYCHOTHERAPIE – FORSCHUNG UND ALLTAG

»Missgriffe sind in dieser Profession absolut erwartbar, sie sind nicht völlig zu verhindern, aber was wir w ­ irklich viel mehr schulen sollten in den Ausbildungen, ist, wie man mit solchen Situationen umgeht.« Silke Birgitta Gahleitner

Nebenwirkungen, Misserfolge und Schädigungen

Die Klienten als Experten ihrer selbst, die Therapeuten als Experten für Veränderungswissen: Nun nehmen wir an, Sie haben da jeman­ den vor sich sitzen, bei dem Sie eine feste Vorstellung davon haben, was dieser Mensch jetzt tun müsste, um den letzten Schritt oder sogar so etwas wie den Durchbruch zu schaffen. Gibt es da nicht doch manchmal diesen Gedanken: Ach Mensch, ich weiß eigentlich, was für dich ansteht, tu es halt einfach! Haben Sie das gar nicht? Schigl  Doch, aber wenn ich es habe, dann ist es ein Gefahrensignal. Das betrifft genau dieses Dreieck, über das wir schon gesprochen haben. Ich erzähle mal ein Beispiel aus einer Supervision: Der Patient hatte Panikattacken, es war ihm nicht möglich, irgendwohin mit dem Auto zu fahren. Er musste sich immer bringen lassen, auch in die Therapiestunde. Die junge Therapeutin hatte ein ganz starkes inneres Ziel: »Ich will, dass der wieder Auto fahren kann und selbstständig zu mir in die Sitzung mit dem Auto kommt. Wenn er das einmal schafft, dann ist er das Symptom los und dann wird das der Durchbruch sein.« So hat sie eine Zeit am Symptom Autofahren gearbeitet, aber es ging gar nichts weiter. Wir haben das dann aufgedröselt, wie hinderlich es ist, dass sie diese konkrete Vorstellung davon hatte, was der Patient tun solle und wie sein Problem zu lösen wäre. Sie hat sich schließlich durch viel Reflexion in der Supervision viel mehr darauf fokussiert, sein Verhalten im Arbeitsumfeld anzuschauen und damit zu arbeiten. Es zeigte sich nach einiger Zeit, dass er dort mehr Selbstbewusstsein entwickelte und sich dort besser verorten konnte. Das war für sein Wohlbefinden mindestens genauso wichtig, wie Auto zu fahren. Die Panikattacken verloren sich in der Folge weitgehend, aber er ist bis zum Schluss nicht mit dem 40

Risiken von Psychotherapie – Forschung und Alltag

Auto in die Therapie gekommen. Hätte die Therapeutin sich verrannt, nur einen einzigen Weg hin zum Ziel präferiert und das ausschließlich als verhaltenstherapeutisches Techniktraining verstanden, dann hätte er ganz viele Entwicklungsschritte vielleicht nicht gemacht. Das heißt, wenn ich als Therapeutin glaube zu wissen, wie die Patientin sich entwickeln muss, dann ist das in der Metareflexion, in dieser exzentrischen Position, ein Zeichen dafür, dass ich zu viel will. Das ist oft Hybris! Natürlich »weiß« ich, dass ein magersüchtiges Mädchen wieder zu essen beginnen muss, aber ob sie jetzt Junkfood isst und Schokolade oder biologisch-vegan, ist mir völlig egal. Wenn ich zu sehr glaube, jemand müsse jetzt genau das und das machen oder diesen und keinen anderen Weg einschlagen, dann stehe ich schon in der Gefahr, jemandem meine Weltsicht überzustülpen. Da beginnen die Kunstfehler. Gahleitner  Das ist ja immer der Punkt, an dem man spürt, dass da bei jemandem ein Widerstand ist, dass jemand etwas aus irgendeinem Grund nicht kann oder will, dass es für ihn oder sie nicht in Betracht kommt. Ich mache mit meinen Studierenden immer eine schöne Übung, dass sie nämlich eine ganze Stunde lang versuchen sollen, nur stur nach einem Verfahren zu beraten. Sie bekommen ein Problem und arbeiten ausschließlich klientenzentriert, nur verhaltensorientiert, nur analytisch. Dann merkt man an manchen Stellen, dass nicht jedes Verfahren in seiner Reinform für alles geeignet ist. Und wenn jemand an einem bestimmten Verhalten festhält, gibt es dafür ja eigentlich immer irgendeine Ursache. Wenn wir dann therapeutisch einen zu starken Willen entwickeln, dass es unbedingt »klick« machen muss, dann sollte man sich Gedanken machen. Es muss dann eher darum gehen, den anderen zu verstehen, die innere Motivation, die dahintersteckt. Es kann ja nicht darum gehen, einfach nur oberflächlich ein Verhalten zu verändern. Nebenwirkungen, Misserfolge und Schädigungen

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Die Arbeit mit traumatisierten Menschen ist ein gutes Beispiel. Hier gibt es in der Traumapädagogik das Konzept des guten Grundes: Egal, ob im therapeutischen oder beraterischen Setting, erst einmal sollte immer eine gemeinsame Suche nach der Sinnhaftigkeit von Symptomen stattfinden. Oft kennen sich die Klienten und Klientinnen ja selbst nicht aus, warum der Körper so durcheinander ist und warum sie in bestimmten Situationen so reagieren und nicht anders. Das hat aber nichts mit Widerstand zu tun, sondern damit, dass wir oft erst einmal gemeinsam besser verstehen müssen, um arbeiten zu können. Entsprechende Reaktionen schon als »Widerstand« zu definieren, halte ich für falsch. Schigl  Zu glauben, ich wüsste genau, wo es mit einer Patientin hingehen muss … Dass zum Beispiel die Magersüchtige wieder essen soll, ist klar, dass der Panikmensch seinen Radius wieder erweitern soll, ist auch klar, aber in welcher Art und Weise er oder sie das tut, das festzulegen ist nicht meine Aufgabe. Gahleitner  Wir hatten es ja gerade von den persönlichen Qualitäten von Therapeuten und Therapeutinnen. Hilfreich zum Verständnis ist, glaube ich, die Kurzformel »Wissen, Können, Haltung«. Ich muss Dinge und Zusammenhänge wissen, zum Beispiel wie ein Körper funktioniert und reagiert. Und so etwas müssen wir auch erklären können. Ich muss auch bestimmte Sachen können. Ich brauche Kompetenzen und ich brauche Performanzen. Aber zu alldem brauche ich auch eine Haltung. Wenn die Haltung ist, dass ich eben nicht besser weiß als der Klient, was für ihn gut ist, und dass wir das nur gemeinsam entwickeln können – dann sind wir wieder bei dem Punkt von eben. Man sieht das übrigens gut an den ganzen kultursensiblen Ansätzen, bei denen es eben nicht nur darum gehen kann, kulturspezifisch zu denken und etwas deutsch, türkisch oder amerikanisch zu lösen, indem wir uns mal eben ein bisschen Wissen darüber aneignen. Das endet fast immer in sinnlosen Vorurteilen, wie Birgit Rommelspacher und Ursula Wachen42

Risiken von Psychotherapie – Forschung und Alltag

dorfer in ihrem Artikel »Interkulturelle Therapie« von 2008 gut beschrieben haben. Ich muss vielmehr immer wieder neugierig sein darauf, wie eine bestimmte Person etwas mit ihren Schwierigkeiten verknüpft. Ist sie denn überhaupt »typisch« türkisch? Ich muss natürlich etwas über die türkische Kultur lernen. Das ist nicht unwichtig, ich muss aber vor allen Dingen neugierig sein, wie sich das in dieser einzelnen türkischen Frau verknüpft, die vielleicht inzwischen schon seit zwanzig Jahren hier lebt. Was bedeutet das für sie ganz persönlich? Da ist die soziale Arbeit wirklich sehr hilfreich mit ihren Konzepten, finde ich. Zum Beispiel das Konzept des »doppelten Professionsverständnisses« von Ulrich Oevermann (1996): Ich brauche meine Professionstheorie, mein Wissen, mein Können, aber ich brauche auch die subjektiven Konzepte der Klientinnen und Klienten. Dann kann Verstehen entstehen, an dieser Schnittstelle. Verstehen kann nur gemeinsam entstehen. Schigl  Da sind wir wieder beim Konstruktivismus. Gahleitner  Mir ist lieber zu sagen, gemeinsame Realität im Diskurs schaffen, über einen Dialog im Sinne des Symbolischen Interaktionismus. Deshalb brauchen wir auch so viel Selbsterfahrung und Selbstreflexion und Screening in den Ausbildungen. Es geht nicht darum, dass die Auszubildenden was Bestimmtes schon können müssen, es geht darum, dass sie in der Lage sind, hinter sich zu gucken mit viel Offenheit, Reflexionsfähigkeit, Infragestellung, Durchlässigkeit. Bei jeder Bewerbung achte ich auf diesen Faktor der Durchlässigkeit. Kann ich den Kandidaten erreichen, findet da eine Hinterfragung statt, ist da Flexibilität? Sie haben das Wort »Kunstfehler« schon fallen lassen. Was sind denn nun eigentlich Nebenwirkungen von Psychotherapie? Schigl  Bei der Definition von Nebenwirkungen findet sich in der Literatur eine große Bandbreite. Die Kollegen Michael Linden Nebenwirkungen, Misserfolge und Schädigungen

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und Bernhard Strauß haben 2013 versucht, die Nebenwirkungen zu kategorisieren, aber es gibt noch einige mehr, sie sind nicht auf alles gestoßen. Wir haben es in unserem RISK-Forschungsprojekt an der Donau-Universität in Krems seinerzeit so definiert, dass Nebenwirkung etwas ist, was neben einer guten, erwünschten Wirkung von Psychotherapie auch auftreten kann. So wie das Aspirin mir hilft gegen mein Kopfweh, aber es greift auch meine Magenschleimhaut an. Wenn ich einen robusten Magen habe oder vorher etwas gegessen habe, ist es nicht so schlimm, Hauptsache, mein Kopfweh ist weg. So kann auch eine Nebenwirkung von Psychotherapie sein, dass ich mich zum Beispiel anfangs emotional sogar labiler fühle als vor der Therapie, dass ich viel infrage stelle, dass ich manchmal vielleicht über mein Leben denke: »Oh Gott, das war ja wirklich alles ganz schlimm«, weil mir das plötzlich so richtig bewusst wird. Das sind dann Phasen, in denen es Patientinnen möglicherweise auch aufgrund der Psychotherapie nicht gut geht: Nehmen wir zum Beispiel eine traumatisierte Frau, die ihre Erfahrungen bis jetzt eher als »irgendwie schlimm, aber normal« betrachtet hat. Alles liegt schon so lange zurück und sie ist prinzipiell ja auch irgendwie klargekommen damit, auch wenn es damals grausig war. In der Psychotherapie geht ihr erst auf, was sie an Beschädigung durch ihr Kindheitstrauma erlebt hat. Das macht sie möglicherweise zunächst noch labiler für einige Zeit. Das wäre dann eine solche Nebenwirkung in einer Therapie, bei der ich das Trauma bearbeite und ihr sorgfältig versuche klarzumachen, warum sie in bestimmten Situationen eben noch immer so panisch reagiert oder sich selbst so abwertet. Das Ziel müsste natürlich sein, dass die unerwünschten Nebenwirkungen nicht die erwünschte Hauptwirkung überdecken. Wenn ich trotz Aspirin noch immer Kopfweh habe und dann auch noch Gastritis und Magenkrämpfe bekomme, sollte ich vielleicht mein Medikament wechseln oder auf etwas anderes zurückgreifen. 44

Risiken von Psychotherapie – Forschung und Alltag

Für mich treten neben die Nebenwirkungen aber auch Misserfolge, Schädigungen und Fehler. Das sind wiederum andere Dimensionen einer potenziell fehllaufenden Therapie. Gahleitner  Da wir als Therapeutinnen mit uns selbst als Person arbeiten, ist es erst einmal völlig erwartbar, dass es auch zu Konfliktsituationen, zu Machtproblematiken und zu vielem anderen kommen kann, also alles, was zwischenmenschlich eben so passieren kann. Ich finde es wichtig, das erst einmal voranzustellen. Eines der Ergebnisse aus dem Projekt war damals, dass Fehler einfach nicht zu vermeiden sind, also weder Nebenwirkungen noch Fehler. Ich kann nicht fehlerlos sein, aber die Art und der Umgang mit Fehlern sind entscheidend. Es macht eben einen wahnsinnig großen Unterschied, ob ich mich dann in einer durchlässigen und offenen und dialogischen Art und Weise mit solchen Problematiken und Fehlern auseinandersetze oder nicht und ob ich meine Klientinnen und Klienten dabei angemessen begleite oder nicht. Ich möchte noch mal ein Beispiel aus der Bindungstheorie geben: Kinder werden keineswegs zu fitten Erwachsenen, wenn sie überhaupt keine »Schäden« erlitten haben, sondern Kinder werden durch schwierige bis hin zu traumatischen Erfahrungen zu fitten Erwachsenen. Der einzige entscheidende Unterschied ist, ob sie dabei wirklich angemessen begleitet wurden oder nicht. Konkret: Wenn ein Kind hinfällt und schreit, die Bezugsperson kommt und sagt: »Ach je, du hast dir wehgetan, das ist Schmerz, komm her, wir pusten«, dann lernt es: Das ist Schmerz und da kann ich pusten, damit es besser wird. Man kann dabei von einem Mentalisierungsprozess sprechen. Das Kind hat ein erstes kognitives und emotionales Schema gelernt, wie es damit umgeht. Das kann es im weiteren Lebensverlauf nutzen. Wenn es diese Unterstützung ständig nicht erfährt, dann klappt das nicht. Und so betrachte ich auch die Psychotherapie und Beratung. Ob eine Retraumatisierung aus einer therapeutischen FehlerNebenwirkungen, Misserfolge und Schädigungen

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handlung wird oder ob ich das vielleicht sogar nutzen kann zu einem Wachstumsprozess, das hängt unmittelbar davon ab, wie wir damit umgehen. Missgriffe sind in dieser Profession absolut erwartbar, sie sind nicht völlig zu verhindern, aber was wir wirklich viel mehr schulen sollten in den Ausbildungen, ist, wie man mit solchen Situationen umgeht. Das geht über Selbsterfahrung, über Selbstöffnung, über Beziehungsklärung, sich zur Disposition zu stellen, dialogisch darauf einzugehen und so weiter. Die Frage ist: Wie kann ich ein Missgeschick als Wachstumsfaktor nutzen? Das übrigens gelingt am besten, wenn wir von Beginn an darauf hinarbeiten, dass die therapeutische Beziehung eine tragfähige Qualität hat und dass die Klientinnen und Klienten gut eingebettet sind in ein verlässliches soziales Netz, aus dem he­ raus vielleicht auch mal jemand fragt: »Sag mal, der spinnt doch, der Therapeut. Was macht denn der da gerade mit dir?« Es muss so ein Gefüge geben, in dem sich die Klientin aufgehoben fühlt. Dann kann sie auch zum Therapeuten mal sagen, dass zum Beispiel ihr Bruder gefragt hat, was das Verhalten des Therapeuten denn eigentlich solle. Dann sollte man über so etwas sprechen. Das ist der entscheidende Punkt. Schigl  Ich möchte noch mal auf »Nebenwirkung« kommen. Nebenwirkungen bedeutet, es gibt Wirkungen von Psychotherapie, die für den Moment auch unerwünscht sein können. Damit wiederum kann ich produktiv oder fehlerhaft umgehen. Produktiv damit umzugehen heißt zum Beispiel, zu Anfang Informationen darüber zu geben, sodass sich die traumatisierte Patientin darauf vorbereiten kann, denn es kann sein, dass, wenn wir ihr Trauma bearbeiten und uns damit intensiv beschäftigen, sie sich vielleicht sogar verwundbarer fühlt als vorher und dass es ihr stellenweise gar nicht gut geht. Vielleicht kommen eben die Albträume wieder, von denen sie mir erzählt hat. Das heißt, ich bereite sie auf diese Nebenwirkung vor. Ich versuche neben der Aufklärung aber auch, sie bestmöglich zu 46

Risiken von Psychotherapie – Forschung und Alltag

schützen. Ich sage zum Beispiel, dass, wenn wir jetzt mehr in dieses Kindheitsgeschehen hineingehen, dann die Empfehlung lautet, keinen Täterkontakt mehr zu haben, um über einen guten sicheren Ort zu verfügen. Das ist meine Verantwortung, dass ich einschätzen lerne, was in der Therapie noch gut und sinnvoll ist. Aber selbst wenn ich alles »lege artis« mache, muss ich der Patientin mitteilen, dass ein solches Sich-schlechter-Fühlen passieren könnte. Dann ist sie gewappnet beziehungsweise manchmal auch eben nicht gewappnet, denn dann kommen vielleicht wirklich die Albträume zurück. Wir müssen sie also wieder neu auffangen und den Prozess verlangsamen. Das heißt, die Nebenwirkung kommt vielleicht, aber wie ich damit umgehe, das ist die entscheidende Frage. Es gibt aber noch andere Wirkungen außer Nebenwirkungen, es gibt Schädigungen durch Therapie, die sind keine »Nebenwirkung«. Schädigungen durch Therapie heißt, es entsteht ein iatrogener Schaden, es entsteht etwas, was ohne Therapie gar nicht entstanden wäre. Das gibt es auch, bei ethischen Fehlern zum Beispiel. Das muss man trennen. Außerdem gibt es Schäden im Sinne von Misserfolgen, wenn die Therapie beispielsweise nicht greift. Wir haben Zeit und Geld investiert, aber es geht nicht weiter. Da ist kein psychischer Schaden entstanden, dass jemand retraumatisiert wurde, aber es ist auch nichts weitergegangen, die Therapie hat nicht geholfen, obwohl Zeit und Geld investiert wurden. Das müssen wir alles unterscheiden, bevor wir überhaupt von »Fehlern« reden. Ein Fehler betrifft eine lineare Rückführung, einen Kausalzusammenhang: Da ist etwas Unangenehmes passiert, und man fragt sich unwillkürlich: Wer hat Schuld, wer trägt die Verantwortung? Es ist bei den Fehlerklassifikationen zur Psychotherapie das Problem, dass sich da phänomenologische Beschreibungen und Ursachenzuschreibungen vermischen. Darum haben wir kein gutes Klassifikationsschema, denn alles geht immer wieder durcheinander, bedingt sich gegenseitig. Ich Nebenwirkungen, Misserfolge und Schädigungen

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habe in »Wirkung, Risiken und Nebenwirkungen von Psychotherapie« mit Anton Leitner und anderen versucht, das zu sortieren und in ein Schema zu bringen. An welche Schädigungen denken Sie denn vorrangig, wenn Sie das als iatrogene Faktoren beschreiben? Schigl  Das können die verschiedensten Schädigungen sein. Zum Beispiel kann es sein, dass ich Geld verliere, weil ich ganz lange zu einer völlig inadäquaten, wirkungslosen Therapie gegangen bin. Ein anderer Schaden kann ethische Verfehlungen betreffen, dass ich ausgebeutet werde: sexuell, narzisstisch, dass mein Therapeut oder meine Therapeutin mich mehr braucht als umgekehrt. Oder dass ich als Patientin das Gefühl habe, ich gebe mehr, als ich bekomme, und dadurch vielleicht noch mehr in ein Defizitgefühl rutsche. Das wären Schäden durch Ausbeutung, durch unethisches Verhalten. Genauso kann ein Schaden entstehen in Form einer Retraumatisierung durch eine Expositionstherapie, die in dem Moment noch gar nicht angezeigt wäre. Das kann passieren, wenn die Therapeutin nur streng nach Leitlinie vorgeht und sagt, so, jetzt machen wir Exposition, das macht man laut Manual in der siebenunddreißigsten Stunde. Die Exposition geht dann prompt schief. Hier setzt die Therapie noch mal eine neue Traumatisierung auf die alte, denn die Klientin erlebt jetzt: Oh, nicht einmal mit der Therapeutin bin ich sicher. All diesen Schäden wäre gemeinsam, dass sie ohne die Therapie nicht stattgefunden hätten. Es handelt sich um therapiebedingte Schäden. Zum Unterschied zu einem Misserfolg oder einer erfolglosen Therapie, bei denen nur einfach nichts weitergeht. Wobei man sagen muss, dass es manchmal schon ein Erfolg sein kann, wenn zumindest keine Verschlechterung eintritt. Ich kann da ein eigenes Beispiel erzählen: 48

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Ich hatte mal eine Patientin, die über acht Jahre zu mir kam und bei der sich ihr Gesamtzustand nicht nur nicht besserte, er wurde eher noch schlechter. Ich habe dann den Kontakt hergestellt zu ihrem Psychiater in der Klinik, denn immer wieder wurde sie stationär aufgenommen. Ich hatte sogar Kontakt zu einem zweiten Psychiater. Es handelte sich um eine Frau, die furchtbare Schicksalsschläge erlebt hatte. Es starben gleich drei nahe, vertrauensvolle Personen unmittelbar nacheinander. Ich habe mit den Psychiatern Kontakt gehalten, und wir haben gemeinsam überlegt, was wir tun können für sie. Trotzdem: Es ging ihr immer schlechter. Ich bin viel in Supervisionen gelaufen damit und glaube nicht, dass ich in der Arbeit grobe Fehler gemacht habe. Entsprechend all ihrer Symptome hatte die Patientin bereits eine ganze Reihe von Diagnosen bekommen. Von den Rahmenbedingungen her und mit der sozialen Deprivation und mit ihrem schwierigen Leben insgesamt war es einfach nicht möglich, dass es ihr besser ging. Das ist dann kein Therapieschaden, aber es ist ein Therapiemisserfolg. Ich mache mir nach vielen Analysen nicht mehr den Vorwurf, schlecht gearbeitet zu haben, es ging einfach nicht besser, sage ich heute. Das gibt es manchmal. Hier sind die extratherapeutischen Faktoren, wie man in der Psychotherapieforschung sagt, und die Diagnosen derartig gravierend, die Lebensumstände problematisch – was ja oft zusammengeht – dass der Therapieerfolg ausbleibt, weil eben nicht alles möglich ist. Dann gibt es natürlich Therapiemisserfolge, weil das Verfahren oder das Matching nicht passt oder die Genderkon­ stellation nicht optimal ist oder die therapeutische Beziehung. Das wären alles mögliche Ursachen von Misserfolgen. Eigentlich sollten wir von uns als Therapeuten und Therapeutinnen verlangen, dass wir so etwas erkennen. Wir müssten merken, dass wir uns schwertun mit der Klientin oder sich die Klientin schwertut mit uns. Dann sollten wir uns die Frage stellen, Nebenwirkungen, Misserfolge und Schädigungen

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ob wir das nicht in andere Bahnen lenken können. Wer wäre denn gut für die Klientin? Und dann wäre es auch unsere fachliche Verantwortung, das einzuleiten, damit die Klientin eine bessere Therapieerfahrung machen kann, denn vielleicht sind beide zu unterschiedliche Persönlichkeitstypen. Wie du vorhin gesagt hast: Ich bin so ein expressiver, auf jemanden zugehender Typ, und die Klientin braucht vielleicht eher jemanden, der vorsichtig, ganz langsam und behutsam ist. Gahleitner  Man muss einfach auch eine gewisse Demut haben gegenüber solchen Prozessen. Wir können nicht alles lösen. Wir haben doch nicht alles in der Hand, das ist kein reines Handwerk, sondern Psychotherapie ist ein Versuch, jemandem eine Beziehung bereitzustellen, die die Selbstexploration fördern kann. Aber manchmal geht es eben trotzdem nicht. Es gibt ja tausend Gründe, warum. Wichtig ist aber doch, dass zumindest jemand da ist, dass wir für solche Menschen ansprechbar bleiben, bei denen sich kaum etwas zum Positiven verändert. Das ist manchmal besser über eine Institution möglich, denn dann hat das auch nicht so einen privatimen Charakter. Dieses Dableiben halte ich gerade bei schwierigen Fällen für unbedingt notwendig, ansprechbar zu bleiben für einen Brief, eine Mail, eine Kontaktaufnahme, einen Rat. Das immerhin können wir trotzdem tun. Wer weiß, wie es deiner Klientin ginge, wenn du nicht da gewesen wärest. Wenn wir das berühmte Traumadreieck von Sicherheit, Aufarbeitung, Rückkehr in den Lebensalltag nehmen, dann geht es eben bei manchen Traumaklienten nur bis zur ersten Hälfte der ersten Stufe – und dann können wir schon wahnsinnig stolz sein, wenn wir das geschafft haben, dass es ein gewisses Sicherheitsgefühl gibt. Ist das ein Misserfolg? Vielleicht müssen wir auch »Erfolg« unterschiedlich definieren. Schigl  Na ja, wenn ich von harten Outcome-Kriterien ausgehe, dann ist es ein Misserfolg. Es gibt eben prinzipiell schwierige unerwünschte Faktoren und Ereignisse, die in die Psychotherapie 50

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hineinwirken. Ich würde in meiner Definition unerwünschter Ereignisse vor allem extratherapeutische Faktoren nennen. Bei dieser Patientin waren es die vielen Todesfälle kurz nacheinander, die Trennung vom Partner und schließlich verlor sie auch noch die Wohnung. Das alles kann ich nicht beeinflussen in der Therapie. Also, es gibt unerwünschte Ereignisse. Es gibt diese Verschlechterungen trotz korrekter Therapie, die vielleicht von solchen unerwünschten Ereignissen beeinflusst werden, wo uns jedenfalls therapeutisch noch nicht viel Wirksames einfällt. Und dann gibt es eben die negativen Therapiefolgen oder Begleiterscheinungen, die als Nebenwirkungen nicht überhandnehmen sollten und die sich bis zu einem Schaden ausweiten können. Gahleitner  Zu große Destabilisierung zum Beispiel. Schigl  Genau. Das alles sind aber auch erst Annäherungen. Was hat es mit den Non-Respondern zum Beispiel wirklich auf sich? Gahleitner  Wobei, das sehe ich kritisch. Denn was heißt letztlich Non-Responder? Da sehe ich auch ein Problem in der Wirksamkeitsforschung der Psychotherapie. Die fördert immer diese Winner-Geschichten. Ich erinnere mich sehr unangenehm an diese ganzen Borderlinestationen, die vor fünfzehn, zwanzig Jahren aus dem Boden schossen. Wir hatten zahlreich die sechzehn- bis achtzehnjährigen Mädchen mit schon heftiger Tendenz zu einer Borderlineproblematik in unserer Einrichtung – wir haben das damals nicht so genannt, sondern haben die bezeichnet als »emotional instabil mit einer Tendenz zu Borderline«, um die nicht auch noch zu stigmatisieren. Also haben wir uns bei diesen Kliniken um Plätze auf den Stationen beworben, aber was stellte sich heraus? Die Mädchen und jungen Frauen mussten unterschreiben, dass sie sich nicht mehr selbst verletzten, nicht mehr suizidal sind und so weiter. Daraufhin habe ich gesagt: »Aber deshalb sollen sie doch zu Ihnen.« Die Antwort war: »Ja, sonst macht das Programm keinen Sinn, denn erst ab dem Punkt können wir auch erfolgreich sein.« Na, prima! Das Nebenwirkungen, Misserfolge und Schädigungen

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glaube ich, dass sie ab dann Erfolge haben, denn wenn ich die heftigsten Verhaltensweisen ausklammere, dann hätte ich auch Erfolge gehabt. Aber wann habe ich denn einen Erfolg mit einer Klientin, die sich selbst verletzt und hoch suizidal ist? Das ist doch auch eine wichtige Frage. Diese Forschungsprogramme und die aus ihnen resultierenden Konzepte fördern also Klienten und Klientinnen, die das gut packen, und prompt haben die Programme einen super Outcome. Wo aber bleiben denn eigentlich die anderen Leute? Die sind es doch, die erst recht Konzepte brauchen. Schigl  Auch die Drop-outs werden in der Regel gar nicht berücksichtigt. Gahleitner  Ja, da möchte ich ausdrücklich eine Lanze brechen für diese Menschen, die schwer zu erreichen sind und die als sehr »schwierig« gelten. Das sind multifaktorielle Problemlagen, die völlig an den Rand gedrängt werden in der Forschung, nicht zuletzt durch die allzu schlichte Symptomorientierung. Schigl  Die Complex-Cases-Forschung beginnt erst jetzt ganz allmählich. Gahleitner  John McLeod hat sich zum Beispiel auf der Tagung der Society for Exploration of Psychotherapy Integration 2013 in Barcelona ausführlich damit befasst. Ich möchte hier außerdem auf die vielen Beratungsstellen hinweisen, denn die Beratung ist sehr viel mehr für diese komplexen Problemlagen zuständig und diese Einrichtungen geben sich viel Mühe, Settings zu finden und zu entwickeln, zum Teil auch für aufsuchende Arbeit. Das ist ein Feld, das liegt mir sehr am Herzen. Schigl  Ja, das ist sehr notwendig. Ich sage nur zum Beispiel familientherapeutisch aufsuchende Arbeit. Das sind oft Settings, die in freier Praxis nicht durchführbar, aber immens wichtig sind. Gahleitner  Ja, zum Beispiel. Schigl  Ich fasse also mal zusammen: Psychotherapie kann auch Nebenwirkungen haben – wahrscheinlich öfter, als man denkt 52

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oder es als solche wahrnimmt. Diese Nebenwirkungen können relativ harmlos sein, wie eine kurzzeitige Labilisierung, oder auch wirklich schwerwiegend, wie Isolation, wenn ich als Patientin nur mehr meine Therapeutin als wichtigste Ansprechperson sehe und mich von allen anderen Bezugspersonen sozial und emotional zurückziehe. Solche Nebenwirkungen schaden. Ein Schaden kann also entweder durch die Therapie entstehen oder durch irgendetwas Äußeres, was in die Therapie hineinwirkt – wie im Beispiel meiner Patientin –, oder auch durch beides. Wenn ich versuche zu eruieren, was der Grund für die Verschlechterung, für den mangelnden Fortschritt, für den Misserfolg, den Schaden ist, dann bin ich bei der Ursachensuche. Und erst danach bin ich bei den Fehlern, wenn ich während der Ursachensuche die Verursachung des Misserfolgs oder der Schädigung bei den Therapeuten oder Therapeutinnen finde.

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Fehler

Welche Fehler sind denn leicht vermeidbar und werden trotzdem häufig gemacht? Schigl  Die häufigsten sind wohl die Alltagsfehler, aber ich weiß nicht, ob die leicht vermeidbar sind. Nein, es ist vielleicht anders: Am leichtesten vermeidbar sind genau genommen die gravierendsten, die ethischen Fehler. Dafür haben wir zumindest ein ganz klares Konstrukt, was eine ethische Übertretung, ein solcher ethischer Fehler ist und was nicht passieren darf. Alltagsfehler sind eigentlich nicht zu vermeiden, denn die passieren uns ständig. Gahleitner  Ja, und wir müssen auch aufpassen, dass da nicht das Bild einer geradezu synthetisch geführten Psychotherapie oder Beratung auftaucht. Was ist denn eigentlich so schlimm daran, wenn die Klientinnen und Klienten auch mal sehen, dass wir fehlbar sind? Schigl  Was heißt denn überhaupt »Fehler«? Fehler heißt, dass ich in meiner Wahrnehmung von irgendeiner Ideallinie abweiche. Das heißt, dass es ein anderes Optimum gäbe. Dann verfehle ich dieses Optimum, ich verfehle das Ziel oder den Weg. Eine Fehlerzuweisung beinhaltet die Idee, dass etwas anderes besser wäre. Bei einem Alltagsfehler zum Beispiel würde das bedeuten, nicht so laut mitzulachen über das, was die Patientin erzählt hat, obwohl sie selbst lacht und es wirklich komisch ist. Aber sie könnte mir dann in der nächsten Sitzung rückmelden, dass dieses Lachen sie eigentlich doch ziemlich gestört hat. Dann muss ich mich entschuldigen und sagen, dass das wirklich unsensibel war. Ich hätte das wissen können. Nun könnte man sagen, dass ich die therapeutische Beziehung zumindest ein biss54

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chen beschädigt habe, allerdings unbedeutend, denn die Patientin traut sich schon in der nächsten Sitzung, mir das auch zu sagen. Nun können wir darüber sprechen. Unterschieden werden in der Literatur Fehler wider die therapeutische Beziehung, aber auch Fehler wider den Verfahrenskodex. Manchmal ist ein Fehler wider den Verfahrenskodex aber kein Fehler wider die therapeutische Beziehung – da sind wir wieder bei der Komplexität. Alle therapeutischen Verfahren haben einen bestimmten Blick auf den Menschen. Nehmen wir ein Beispiel: Wenn ich brav nach meinem Verfahren arbeite, kann es passieren, dass ich immer mehr vom selben tue, immer noch vehementer dieses oder jenes streng nach meinem Verfahren anwende. Dann bleibe ich zwar im Kodex meines Verfahrens, aber ich mache vielleicht trotzdem einen Fehler, weil ich die Beziehung verliere, weil ich mich irgendwohin verrenne. Umgekehrt kann ich aber auch Fehler machen, indem ich die Beziehung zu sehr im Auge halte und mir denke, die Patientin darf mich nicht nicht mögen, die darf nicht irgendwie böse auf mich sein, sodass ich mich ihr subtil anbiedere und vielleicht Kontroversen aus dem Weg gehe. Das wäre ein Fehler wider die Beziehung, obwohl ich nach außen hin der Methodik meines Verfahrens folge. Also, ein »Fehler« ist eben auch eine komplexe Angelegenheit. Bei meiner Frage nach den einfach zu vermeidenden Fehlern haben Sie nicht beispielsweise auf das Unterlassen einer hinreichenden Infor­ mation verwiesen, was eine Psychotherapie ist und wie sie abläuft. Wäre nicht erst mal der ganze organisatorische Kontext offenzulegen? Schigl  Stimmt, ich habe jetzt nur an die Prozessqualität und an die Beziehungsgestaltung gedacht. Ich habe vorhin schon mal nebenbei erwähnt, dass wir über mögliche Nebenwirkungen aufklären müssen. Das betrifft schon die Strukturqualität. Was ist eine Psychotherapie, wie viel muss die Patientin zahFehler

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len, was passiert, wenn sie nicht kommen kann, was passiert, wenn ich nicht kann, wie machen wir die Abrechnung mit der Krankenkasse, wie machen wir es, wenn wir nicht mehr weiterkommen miteinander – das alles muss geklärt werden, das ist der Therapierahmen. Wie funktioniert denn genau eine Fehlerdiagnostik? Schigl  Wenn ich jetzt wieder vorrangig an den Prozess denke, dann geht es darum, dass ich mein Tun reflektiere, mir nach einer Sitzung etwa denke, oh, da ist irgendwas schiefgelaufen. Sollte ich selbst nicht erkennen, was es war, dann gehe ich besser zu meiner Supervisorin, um darauf zu kommen, was der Fehltritt war, an welcher Stelle ich die Technik falsch eingesetzt, etwas übersehen habe oder was auch immer. Gahleitner  Du hast ja mal eine Systematik der verschiedenen Formen von Fehlern beschrieben. Vielleicht kannst du die kurz zusammenfassen? Schigl  Ich habe aus der Literatur und aus verfügbaren RISK-Daten vier Arten von Fehlern extrahiert. Die erste Art von Fehlern ist ein sogenannter Alltagsfehler. Das hatten ursprünglich schon Stefan Bienenstein und Mathias Rother in dem Buch »Fehler in der Psychotherapie« so genannt. Das ist das, was mir passiert, wenn ich lache, weil mir eine Patientin eine Tollpatschigkeit erzählt und ich die Situationskomik wirklich umwerfend finde, dabei aber nicht auf die Verletzbarkeit der Patientin geschaut habe. Alltagsfehler sind leicht zu korrigieren, wenn ich einen »proaktiven« Umgang damit habe. Die zweite Art von Fehlern wären die »Fehler in schwierigen Situationen«. Auch Fehler in schwierigen Situationen können jedem Therapeuten und jeder Therapeutin passieren, wobei ich schwierige Situationen ähnlich wie zum Beispiel Alexander Noyon und Thomas Heidenreich so definiert habe, dass die Patientin oder der Patient den therapeutischen Prozess infrage 56

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oder die ganze Therapie zur Disposition stellt. Das kann passieren, indem zum Beispiel seitens der Patientin sehr viel Kritik geübt wird, indem die Patientin sagt, das helfe doch alles nichts. Oder auch wenn ich mich von einer Patientin oder einem Patienten zu einem schönen Candle-Light-Dinner oder zu einem Geburtstagsfest einladen lasse. Es wird also die optimale Distanz oder Nähe der therapeutischen Beziehung infrage gestellt, Kritik am Prozess geübt oder die Frage aufgeworfen, ob wir nicht die Therapie sein lassen und besser Freunde werden sollten. Das sind schwierige Situationen, die dadurch gekennzeichnet sind, dass ich im Moment schnell und richtig reagieren muss und mich nicht zurückziehen kann auf irgendeine Metaebene, denn das wäre dann auch ein Fehler. Dieses Vorgehen wird ja der Psychoanalyse oft angelastet, die dann quasi nur wieder mit einer Gegenfrage reagiert oder mit einer Deutung. Ich sage meinen Supervisandinnen immer: »Wenn Ihnen richtig heiß wird, dann wissen Sie, jetzt sind Sie in einer schwierigen Situation.« Wir spüren das am eigenen Körper, zum Beispiel durch Herzklopfen. Was mache ich jetzt? Dann kann man sich in die Enge getrieben fühlen und fängt an, sich zu rechtfertigen oder zu beschwichtigen oder zu versuchen, sich sonst wie zu drücken, indem wir sagen: »Ach, das besprechen wir beim nächsten Mal« – obwohl das manchmal vielleicht auch gar nicht das Falscheste ist. Der Kern schwieriger Situationen, so habe ich es definiert, ist, dass sie situationsspezifisch oder patientinnenspezifisch sind. Etwas ist mir nur mit dieser Patientin so passiert. Das heißt, es gibt kein System, dass es mir immer mit solchen Patientinnen passiert. Das wäre nämlich schon die nächste Fehlerkategorie. Die habe ich »Kunstfehler« genannt. In diesen Fehlern steckt dann schon etwas Systematisches, dass ich mit einer bestimmten Patientinnengruppe nicht gut kann, dass ich immer wieder mit bestimmten Interventionen reagiere im Sinne von »mehr desFehler

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selben«, obwohl sie ganz offensichtlich nicht helfen. Markus Fäh hat das 2011 als »strategische Fehler« bezeichnet. Es wird dann deshalb schwierig, weil sich da meistens ein blinder Fleck verbirgt: Ich will oder kann da etwas gar nicht sehen. Bei den ersten zwei Fehlerkategorien wird mir bewusst, dass das nur suboptimal war. Bei der Kategorie der Kunstfehler ist das nicht so. Es kann zum Beispiel sein, dass ich immer die Exposition falsch mache, weil ich einen bestimmten Schritt regelmäßig vergesse. Oder ein Kunstfehler wäre auch, dass ich bei einer anorektischen Patientin als Therapeutin ein ganz dichtes somatisches Monitoring mache, indem ich sie selbst auf die Waage stelle und so neben der Therapie- zugleich die Kontrollfunktion übernehme. Das ist fachlich ganz schlecht. Das sind systematische Fehler. Meistens gehen Therapeutinnen und Therapeuten mit diesen systematischen Fehlern auch weniger proaktiv um, sondern eher passiv. Es fällt uns gar nicht auf, dass wir da einen Fehler machen. Wir schieben es stattdessen auf die Patientin, die ja so »schwierig« oder sonst irgendwas ist. Und die letzte Fehlerkategorie umfasst die sogenannten ethischen Verfehlungen, bei denen jemand, wissentlich oder nicht wissentlich, gegen den Berufskodex verstößt, indem sexuell, narzisstisch, finanziell oder sonst wie ausgebeutet wird. Hier finden wir einen ignoranten Umgang bei diesen ethischen Fehlern. Das ist der Unterschied zum unreflektierten oder passiven Umgang bei den Kunstfehlern oder bei den schwierigen Situationen. Gahleitner  Ich finde das deswegen so schön, weil diese gemeinsame Publikation von 2013, auf die du anspielst, die Fehlertypen an den Umgang koppelt, denn darin zeigt sich auch, was es für Fehler gibt, bei denen man mit einem proaktiven Umgang relativ schnell etwas Produktives herbeiführen oder sogar etwas Stärkendes und Beziehungsstärkendes entwickeln kann. Und dem gegenüber: Was sind Fehler, bei denen wir in den Widerstand gehen? Woran kann man sie zum Beispiel in der Super58

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vision erkennen? Oder wenn wir das Problem – wie du gerade beschrieben hast – den Klienten zuweisen bis hin dazu, dass man etwas Fehlerhaftes wirklich aktiv einleitet und dann völlig ignorant damit weitermacht. Mich hat damals in der Online-­ Befragung des RISK-Projektes sehr berührt, dass die Klientinnen und Klienten sogar wieder und wieder versuchen, das den Fachkräften gegenüber anzusprechen, diese aber keine Bereitschaft zeigen, es aufzugreifen. Auch Michael Lambert hatte ja 2015 und früher schon Zahlen, dass nur rund ein Prozent der Therapeutinnen und Therapeuten achtzig Prozent der Fehler machen. Das ist natürlich schon heftig. Und es ist darüber hi­ naus auch rechtsrelevant! Es gibt wenige, die unglaublich fehlerhaft arbeiten. Glauben Sie, dass sich das häufig eher auf Kaskaden von Fehlern bezieht, dass der einzelne Fehler eigentlich auch im therapeutischen Prozess gut auf­ zuarbeiten wäre, aber dass diese Therapeuten geradezu Ketten von Fehlern fabrizieren und deshalb in die Bredouille geraten? Schigl  So hatte ich das noch nie betrachtet, aber das wäre eine spannende Überlegung. Ich kann mir auch vorstellen, dass es einfach Menschen gibt, die für diesen Beruf nicht geeignet sind – und vielleicht produzieren die dann diese vielen Fehler. Das ist ein hartes Urteil über die Kolleginnen und Kollegen. Schigl  Ja? Es kann gut sein, dass ungeeignete Personen wirklich in Fehlerketten geraten. Ich glaube, dass manche durchaus wohlwollend arbeiten und dabei merken, dass das irgendwie überhaupt nicht gut läuft, dass die Ergebnisse dürftig sind, aber sie machen halt immer weiter. Manche sagen wirklich, die Patientin spinne oder etwas sei eben typisch Borderline, aber sie selbst seien die Tollste beziehungsweise öfter: der Tollste. Aber das gibt es genauso bei Zahnmedizinern und Ärzten. Fehler

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Ich betreue gerade eine Masterarbeit, in der die Studentin qualitative Interviews mit Therapeutinnen und Therapeuten über schwierige Situationen in der Psychotherapie geführt hat. Interessanterweise berichten Frauen, dass sie in diesen Situationen mit viel mehr Selbstzweifeln reagieren als Männer. Das heißt, sie beginnen nachzudenken, was sie falsch gemacht haben, und geben das auch eher und leichter vor den Patientinnen zu, während die Männer dazu tendieren, eher direktiver zu werden in ihrem Verhalten in schwierigen Situationen. Wobei ja Selbstzweifel durchaus einen proaktiven Umgang befördern können. Es kann durchaus sein, dass es Menschen gibt, die einfach nicht gut geeignet sind für den Beruf als Therapeut oder Therapeutin beziehungsweise die nicht wirklich verinnerlicht haben, worum es geht, und zwar von der Ausbildung bis zum Schluss nicht. Wahrscheinlich neigen die eher zu Fehlern, und diese Fehler bauen dann quasi konsekutiv aufeinander auf. Wenn die Patientinnen nicht zu schwer gestört sind und halbwegs gut mitarbeiten, dann wurschteln sich diese Therapeuten irgendwie durch den therapeutischen Prozess, aber bei schwerer gestörten Menschen oder bei gröberen Passungsproblemen geht dann nicht viel. Das besagen auch Lamberts Untersuchungen: Je schwerer gestört eine Patientin oder ein Patient ist, desto mehr kommt es auf die Person der Therapeutin an. Gahleitner  Ich wage mal einen Versuch, eine bestimmte Gruppe von Therapeuten aufzugreifen. Ich beziehe mich dabei auf das Lebensbewältigungsmodell von Lothar Böhnisch, das 2005 beschreibt, wie Menschen im Verlauf des Lebens durch selbst erlebte Verletzungen, Diskriminierungen, traumatisierende Erlebnisse und anderes in starre Muster verfallen – als Antworten auf diese Erlebnisse. Eine Reaktion ist zum Beispiel die Abwertung anderer oder auch eine Selbsterhöhung, letztlich unreflektierte starre Reaktionen. »Rogerianisch« würde man das mit Inkongruenz bezeichnen. Solche Muster sammeln diese Menschen an und reagieren wenn auch nicht unbedingt 60

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böswillig, so doch das Machtgefälle nutzend, um den eigenen Selbstwert wieder irgendwie aufzurichten. Sie reagieren auf eine Art und Weise, die andere Personen abwertet und erniedrigt. Das würde ich für den häufigsten Komplex dieser ignoranten Therapeuten ansehen. Und dann, wenn man noch weiter schaut, geht es um massivere Dinge wie emotionale Missbräuchlichkeit, sexuellen Missbrauch, sexualisierte Gewalt bis hin wirklich zu körperlicher Gewalt oder zur Übergriffigkeit. Therapeuten und Therapeutinnen nutzen ihre Machtmöglichkeiten dann explizit für ihre eigene Bedürfnisbefriedigung. Eine Reflexion dieser Anteile findet nicht statt. Wenn sich nun diese Dynamik perpetuiert, dann ist klar, dass das ganze Klima in der Therapie oder Beratung davon geprägt bleibt. Und genau so beschreiben es die Klientinnen auch, und zwar gefangen in abwertenden Bemerkungen der Behandler und Behandlerinnen wie »Sie werden sich ja nie ändern, da kann ich noch so lange mit Ihnen Therapie machen« bis hin zum Einspannen für Geldleihen, für Einkäufe, für sonst was. Dabei geht es nicht selten auch um Nähe oder gar sexuelle Nähe. Die Therapeuten funktionalisieren einfach alles für die eigenen Bedürfnisse, vor allem für den eigenen Selbstwert. Letztlich geht es um ein gesteigertes Bedürfnis nach Anerkennung durch andere. Und da die Bedürfnisse dieser Menschen wie ein Fass ohne Boden sind, hören sie damit nicht auf und es betrifft ganz viele Klientinnen. Das haben wir ja auch beim sexuellen Missbrauch gegenüber Kindern. Die einzelnen Täter missbrauchen Massen von Kindern. Das ist wie eine Sucht. Und die Ausbeutung in Psychotherapien kann einen ähnlichen Charakter bekommen. Ich betone: kann! Man kann das jetzt auch alles pathologisieren, aber ich finde, darum geht es letztlich gar nicht, Es ist, glaube ich, ein viel breiteres Phänomen innerhalb der sozialen Berufsgruppen. Schigl  Ich glaube auch, dass der Verlauf von Kunstfehlern hin zu den ethischen Fehlern ein fließender ist. Ich glaube nicht, dass Fehler

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es da eine scharfe Grenze gibt. Wenn jemand es aufgrund seiner eigenen Unsicherheit und narzisstischen Bedürftigkeit gerne hat, wenn die Patientinnen ihn loben, und sich selbst so verhält, dass das möglichst auch passiert, dann ist das noch kein großes ethisches Vergehen, aber es ist sicher ein Kunstfehler. Und das, was du jetzt zuletzt angesprochen hast, sind wirklich ethische Verfehlungen. Das Problem dabei ist, dass Psychotherapie hinter geschlossenen Türen stattfindet, genauso wie Supervision oder Coaching. Jede und jeder kann also eigentlich alles tun, weil es unbemerkt hinter geschlossenen Türen geschieht. Niemand lässt sich gerne in den Prozess hereinschauen. Ich beneide oft die Systemikerinnen, die zumindest in Österreich sehr viel Live-Supervision haben. Da werden Szenen mit Patientinnen auf Video aufgenommen und die werden in der Supervision abgespielt. In den meisten Verfahren sind wir aber angewiesen auf berichtete Supervision. Die ist natürlich schon auch hilfreich, denn sie zeigt mir die Konstruktion der Welt aus Sicht des Therapeuten oder der Therapeutin, sodass ich als Supervisorin diese Weltkonstruktion mit meiner Weltkonstruktion vergleichen kann. Trotzdem wäre es natürlich spannend, zu sehen, wie Fachkräfte wirklich intervenieren. Ich habe mich selbst einmal filmen lassen bei einer Therapiesitzung als Rollenspiel, das war sehr, sehr spannend. Wenn man sich selbst bei der Arbeit sieht, fragt man sich auch, warum man denn das wohl so und nicht anders gemacht hat. Also, meine Forderung wäre schon: Psychotherapie sollte öffentlicher werden. Da scheuen sich Psychotherapeutinnen, woraus auch diese oft monierte Forschungsfeindlichkeit resultiert. Ich habe das selbst erlebt. Ich habe 1998 eine große Evaluation integrativer Gestalttherapie gemacht. Es war eine Fragebogenuntersuchung, bei der schlussendlich über vierhundertfünfzig Patientinnen geantwortet haben. Ich musste dazu die Therapeutinnen mit ins Boot holen, denn die mussten die Fragebogen an ihre ehemaligen Patientinnen schicken. Mit mehre62

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ren Veranstaltungen habe ich versucht, Werbung zu machen für das Projekt, und habe gerade auch versucht, die »Durchschnittstherapeutinnen« ohne Nähe zur Forschung zu gewinnen, damit wir eine möglichst breite Auswahl hatten und nicht nur die Lehrtherapeuten. Da haben wirklich manche gesagt, sie würden nicht mitmachen, denn sie wüssten ja nicht, was über sie dabei herauskäme. Die hatten Angst, sich zu zeigen. Ich denke, wenn ich Angst habe, dann darf ich doch diesen Beruf nicht ausüben. Wir entwickeln gerade in Krems ein Projekt und überlegen, einen Fragebogen zu verwenden, der Patientinnen vorgelegt wird und der auf die therapeutische Beziehung abzielt, auf die therapeutische Allianz. Wenn sich die Allianz verschlechtert, gibt es ein Zusatztool, dann können die Therapeutinnen mit Ampelsystem gewarnt werden: Grün heißt, »es passt«, gelb heißt »Achtung, Gefahr«, rot heißt »Verschlechterung über mehrere Sitzungen«. Wir sind gerade in den Gesprächen mit den Therapeutinnen, und viele sagen uns, sie wollten das nicht wissen, das behindere sie, das behindere vielleicht auch den therapeutischen Prozess. Wenn das so bedeckt sein muss, was da passiert, und möglichst niemand reinschauen darf, dann sehe ich da schon ein Problem. »Was soll sich da die Forscherin denken, wenn ich lauter rote Punkte bekomme?« So weit geht das. Allerdings haben ja gerade die humanistischen Verfahren die therapeutische Beziehung zumindest theoretisch sehr im Blick – und es sollte ja auch State of the Art sein, immer wieder zu reflektieren, wie es einem mit einer bestimmten Patientin oder einem Patienten geht – beziehungsweise sollte man auch in der Sitzung miteinander besprechen, was gut läuft oder was nicht so gut geht miteinander. Gahleitner  Ich glaube, es wird noch mal ein bisschen komplexer, wenn wir den Kinder- und Jugendbereich hinzunehmen, denn dann kommen noch mehr Situationen dazu, weil es nicht immer so leicht ist, in eine dialogische Rücksprache zu gehen. Fehler

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Ich kann von einer Fünfjährigen nicht so gut erwarten, dass sie mir sagt, was genau sie »blöd« fand. Natürlich muss man das versuchen, auch im Kontakt mit den Eltern, aber da geht es eben nicht immer mit der dialogischen Abstimmung. Ich muss viele Sachen vorab ethisch abklären. Wie gehe ich an eine Traumakonfrontation heran? Da wird es noch mal schwieriger und es können ganz viele Fehler auftreten. Gerade in solchen Settings braucht man den offenen dialogischen Prozess mit dem Team, in Supervision und so weiter. Und ich glaube, dass das der entscheidende Punkt ist. Genau das machen nämlich eben diese Therapeuten und Therapeutinnen nicht, sie gehen nicht proaktiv in die Fehlerdiagnostik, denn das würde ja schon ihr Weltbild bedrohen.

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Rigidität und fehlende Selbstreflexion

Haben Sie denn tatsächlich den Optimismus, dass sich während der Ausbildung herausfinden und festlegen lässt, wer nicht in diesen Beruf gehört? Schigl  Das Problem ist natürlich, dass man dieses Spannungsfeld vor sich hat: Es gibt Auszubildende, bei denen sieht man gute Anlagen und denkt, dass sich das entwickeln wird, bei anderen befällt einen schon eine hohe Skepsis, aber diese junge Person will unbedingt in dem Beruf arbeiten. Da sind die Ausbildungsverantwortlichen in einer schwierigen Situation, vielleicht aber doch zu wenig restriktiv. Wir haben außerdem das Problem, dass die Ausbildungsinstitute von den Geldern der Auszubildenden leben und es sich auch nicht leisten können, fünfzig Prozent abzulehnen – wobei es, um das schnell anzufügen, auch nur vielleicht fünf oder maximal zehn Prozent sein würden. Aber es könnten auch gerade noch jene ein oder zwei Personen fehlen, bis eine Ausbildungsgruppe zustande kommt und starten kann. Wir stehen also immer vor der Entscheidung, zu sagen, na gut, da sehe ich bei jemandem Entwicklungschancen – oder eben nicht. Die Person steigt nun in einen Prozess ein, der dauert vier, fünf Jahre, bei manchen auch länger, aber der ist jedenfalls so intensiv, dass da auch noch vieles passiert. Wenn ich mich selbst anschaue, wie ich angefangen habe, denke ich mir: Ich war mir über vieles sicherlich auch zu wenig bewusst, auch bei mir hat jemand sehr freundlich hingeschaut, dass ich da mitmachen durfte. Es ist ja eine riesige Verantwortung, jemandem die Berufsberechtigung abzusprechen oder zu entziehen. Da kann dann jemand schon in eine existenzielle Krise stürzen. Wir müssen noch etwas sehen: Die Ausbildungsstruktur ist inzwischen so, dass junge Leute mit achtzehn oder zwanRigidität und fehlende Selbstreflexion

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zig Jahren mit dem Berufsziel an die Hochschulen kommen, Psychotherapeuten werden zu wollen. Es gibt ja seit der Institutionalisierung von Psychotherapie durch staatliche Regelungen und Gesetze dieses Berufsbild eines Psychotherapeuten oder einer Psychotherapeutin, das man von Anfang an anstreben kann. Früher war es mehr etwas, was schon länger im psychosozialen Feld Tätige als weitere Ausbildung gemacht haben, die waren älter und hatten sich größtenteils schon irgendwie im Feld erprobt. Jetzt kommen viele Leute schon viel früher. Und in dem Alter ist noch so viel Entwicklung möglich und notwendig, wie wollen wir das vorhersehen? Zu welchem Zeitpunkt sage ich denn, dass es nicht geht, dass es keine Zulassung geben wird? Spätestens dann, wenn es zwei Anzeigen wegen sexueller Übergriffe gibt oder wegen unerlaubter Geschenkannahme oder Herauslocken testamentarischer Zuwendungen? Gahleitner  Es gibt im Screening an den Hochschulen immer auch einen Abschnitt, in dem geprüft wird, wie die Leistungen sind und wie weit die Selbstreflexion gediehen ist. Bei Vorbehalten müsste es dann schon ein deutliches Signal geben. Aber es gelingt in den Studiengängen insgesamt viel zu wenig. Im Bachelorstudiengang und auch im regulären Master ist es noch lange nicht so, dass diejenigen, die uns Bauchdrücken verursachen, tatsächlich auch immer in andere Berufsfelder gelenkt werden können. Ich habe auch schon Studierende erlebt, die gegen Exmatrikulationen wegen mangelnder Leistungen oder Betrugsverhalten geklagt haben und damit durchgekommen sind. Abgesehen davon rutschen viele durch, die man so früh noch nicht als maligne erkennen kann, die dann aber tatsächlich später einen Fehler nach dem anderen produzieren. Wie wollen wir das vorher alles erkennen? Qualitätssicherung in der Ausbildung und im Studium, und dies nicht nur in Bezug auf das Angebot, sondern auch den reellen Output, das ist schon ein großes Problem, auf jeden Fall.

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Und die je spezielle Fehleranfälligkeit müsste man nun auch noch auf die einzelnen Schulen beziehungsweise Verfahren herunterbrechen. Schigl  Das ist natürlich ein ganz heikles Feld. Wir hatten in unserer RISK-Studie ein paar Anzeichen dafür, die aber seriöserweise nicht interpretierbar sind, weil die Anzahl der Antworten für eine bestimmte Orientierung zu gering war. Wir konnten das in unserem RISK-Buch von 2014 nur sehr vorsichtig formulieren. Gahleitner  Das finde ich auch sehr problematisch. Dazu gibt es einfach nicht genug Daten. Ich glaube ohnehin nicht, dass das schulenabhängig ist, sondern dass die Tücken sehr tief in der Persönlichkeitsentwicklung verwurzelt sind, in sehr frühen Strukturproblematiken. Ob diese dann dazu führen, dass jemand eine Präferenz für die eine oder andere Schule hat, wäre zu untersuchen. Man kann jedes Therapieverfahren auf eine Art und Weise rigide und am Patienten vorbei handhaben oder aber reflexiv offen und proaktiv mit Fehlern umgehend. Das zeigt ja die Forschung auch, das funktioniert in jedem Verfahren. Schigl  Ganz genau. Du hast das Stichwort gesagt: Ich glaube auch, es geht um Rigidität. Ich kann jemanden auf der Couch »verhungern« lassen in meiner Abstinenz oder ich kann jemanden »zurogern«, bis der sich überhaupt nicht mehr auskennt und überhaupt nicht mehr weiß, wo denn der andere ist, weil der mir bei allem zustimmt und mich irgendwie »nachäfft«. Oder mit so viel erlebnisaktivierenden Methoden überschwemmen, dass seelisches Verdauen und Integration zu kurz kommen – man kann die Methoden jedes Verfahrens auch ad absurdum treiben. Gerade das ist ein Ergebnis des RISK-Projekts, dieses »mehr vom selben machen«, das dann angewandt wird, wenn man nicht mehr weiterweiß und nicht die Richtung ändert, sondern nur noch eins drauflegt. Das ist ein Aspekt, der in der Literatur viel zu selten beschrieben worden ist. Es heißt immer: Ja, bei korrekter Anwendung der Techniken und der Strategien und wenn das alles richtig gemacht wird, dann tritt auch kein FehRigidität und fehlende Selbstreflexion

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ler auf. Tja, das ist die Frage. Kann nicht genau das ein Fehler sein? Es geht um Flexibilität und es geht eben um diese grundsätzliche Offenheit. Wenn wir einen Fehler, so wie ich vorhin gesagt habe, als eine Abweichung von einer – sicher fiktiven – Linie eines optimalen Handelns sehen, dann fragt sich, in welchem Bereich ich dieses optimale Handeln verorte: Geht es hier um die möglichst korrekte Anwendung eines Manuals, einer Methodik? Oder geht es um die möglichst optimale Antwort auf die Bedürfnisse der Patientin? Oder geht es um eine möglichst fördernde therapeutische Beziehung? Ich kann mir durchaus Situationen vorstellen, in denen sich diese drei Aspekte widersprechen. Gahleitner  Es gibt in der Pädagogik eine Theorie von Ulrich Oevermann (1996) und einigen anderen Kolleginnen, in der es heißt, dass es um eine gesunde Mischung aus einer fachlichen Rahmung und einem Teil von Ungewissheit gehen müsse und dass das nie vollständig überbrückbar ist. Es bleibt immer ein Teil der Ungewissheit bestehen, und mit dieser Ungewissheit müssen wir gut umgehen können, müssen umsichtig und dialogisch einen Weg finden, damit die fachliche Rahmung nicht rigide durchschlägt. Man spricht dort von sogenannten Antinomien, zum Beispiel zwischen persönlicher und fachlicher Dimension, zwischen Nähe und Distanz, zwischen Fördern und Fordern. Bei diesen Antinomien hat es keinen Sinn, sie einseitig zu entscheiden, vielmehr müssen wir in der konkreten Praxis in jedem Moment neu das bestehende Spannungsverhältnis anschauen, reflektieren, eine passende Verortung für uns finden und damit umgehen, wie gut unsere Einschätzung die Situation jeweils getroffen hat. Und eventuell müssen wir nachkorrigieren, wie bereits mehrfach beschrieben. Daher meinte ich vorhin, dass gute Therapie auch andauernde Persönlichkeitsentwicklung bei der Fachkraft erfordert. Wir müssen uns ständig infrage stellen lassen. Wir dürfen uns gar nicht völlig sicher sein. Das wäre ein gefährliches Trugbild. 68

Risiken von Psychotherapie – Forschung und Alltag

Schigl Ambiguitätstoleranz. Gahleitner  Ja, Ambiguitätstoleranz und ständiges Lernen. Schigl  Vielleicht sind es eher die persönlich schwierigen Charaktere, die in methodischer Rigidität die Fehler machen. Gahleitner  »Charakter« finde ich immer ein zweifelhaftes Wort. Ich meine eher, dass durch frühe Verletzungen problematische Strukturen entstehen, die dann jemand – unreflektiert – mitbringt in den Beruf. Nehmen wir mal ein Beispiel: Wenn man Klientinnen hat, bei denen jedes Wort leicht in den falschen Hals kommen kann – ich sage jetzt mal als Stichwort Borderline-­ Problematik –, dann ist das ja schon für kompetente Therapeuten und Therapeutinnen eine echte Herausforderung. Was ist das dann erst für eine Herausforderung für Professionelle, die frühe Verletzungen erlitten und diese noch nicht verarbeitet haben. Ich habe in den letzten Jahren zum Beispiel viel im Zusammenhang mit der Bewegung um die ehemaligen Heimkinder zu tun gehabt. Dort sind verschiedenste Projekte entstanden, etwa auch Selbsthilfe- und Peerberatungsprojekte. Aber auch gemischte Projekte von Professionellen und Betroffenen, die ja wiederum als Experten ihrer jeweiligen Situation zu betrachten sind. Wir hatten zum Beispiel ein solches gemischtes Projekt mit Studierenden und Betroffenen und haben dann Dinge gemeinsam entworfen, entlang dem, was ausgemacht war, aber die Betroffenen hatten eine ganz bestimmte – und jeweils dann oft noch individuelle – Vorstellung, wie das alles am Ende aussehen sollte. Es war ganz klar, dass jede minimale Differenz von ihrer Wahrnehmung nicht erträglich war für sie. Es war schier die Quadratur des Kreises. Und das habe ich in dieser Szene ganz oft erlebt, die ehemaligen Heimkinder haben ja auch Gremien gebildet, in denen sie auch wieder für andere Heimkinder Entscheidungen treffen sollten. Das führte dann zum Teil zu tiefen Klüften innerhalb der Szene bis hin zu totalen Vereinzelungen. Rigidität und fehlende Selbstreflexion

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Um das aber gleich wieder infrage zu stellen: Es gibt äußerst gelungene Konzepte von Peerberatung und Selbsthilfe, auch in Bereichen früher Traumatisierung, Borderline und so weiter. Man denke nur an die über Jahrzehnte gewachsene Wildwasser-Selbsthilfe-Organisation in Berlin. Beeindruckend! Diese ganzen Peerberatungskonzepte oder Betroffenen­ geschichten, absolut richtig und wichtig, wenn es genug Schleusen darin gibt, die bewirken, dass eine Bewältigung alter schwieriger Erfahrungen gut erfolgt ist. Aber was machen wir in Peer­beratungssequenzen, in denen zum Beispiel – wenn es um Psychosen geht, es gibt ja auch da jetzt Peerkonzepte – die Peer­ beraterin einen eigenen psychotischen Schub an ihrer Klientin ausagiert? Das sind heikle Themen. Aber letztlich trifft es sich hier wieder mit »Nichtbetroffenen«, wenn es diese überhaupt wirklich gibt. Es geht – letztlich also bei allen – um Ambiguitätstoleranz und um einen verantwortungsvollen Umgang mit Macht und Machtstrukturen. Machtmissbrauch in Hilfeprozessen ist tödlich, einfach deswegen, weil die machtmissbrauchende Person die Underdog-Position absolut nicht ertragen kann und dann immer Topdog-Situationen konstruiert. Und das ist ja genau das, was Klientinnen, die eigentlich Hilfe suchen, immer kränker macht. In der RISK-Studie hatten wir dafür Hinweise. Schigl  Ja, wenn solche Personen selbst dekompensieren und etwas loswerden müssen und herumflattern, sodass dieses Sicherheitgebende, Aushaltende nicht mehr gewährleistet ist, sondern die flippen dann selbst mit aus oder verlieren sich oder gehen zu stark ins empathische Mitfühlen und Zerfließen und können keinen Halt mehr geben. Da können alle möglichen Arten von Problemen entstehen. Frau Professorin Gahleitner, Sie haben sich sehr betont vom Charakter­ begriff abgesetzt, warum?

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Gahleitner  Das ist ein Begriff, der einfach insgesamt inzwischen umstritten ist, und zwar sowohl »Charakter« als auch »Persönlichkeit«. »Charakter« allerdings noch deutlich mehr. Ich spreche lieber von Identität oder heute sprechen viele von fluider Identität. Wenn wir davon ausgehen, dass wir eher mit einem interaktiven Entwicklungs- und Prozessbegriff arbeiten, dann bedeutet das, dass wir uns – als Kinder wie Erwachsene – von Begegnung zu Begegnung zu Begegnung und von Szene zu Szene zu Szene weiterentwickeln. Das ist dann eher ein Entwicklungs- oder ein Wachstums- oder eben ein Identitätsbegriff, der durch Kommunikation geprägt ist, durch Kontakte zu anderen, durch Auseinandersetzungen mit anderen, letztlich durch zusammentretende Lebensnarrationen. Heiner Keupp hat mit Kollegen 1999 ein solches Konzept vernetzter Identität entwickelt und beschrieben. Aus kleineren Narrativen entsteht eine Reihe von Interaktionen und da­ raus das große für jede Person eigene Identitätsnarrativ. Dieses bleibt fluide und über den Lebensverlauf veränderlich. Das ist ein völlig anderer Begriff als der der Persönlichkeit und erst recht der des früheren Charakters. Das ist sehr viel interaktiver und beziehungsgeprägter gedacht als die stark in den biologischen Wissenschaften, in sogenannten »traits« begründeten Eigenschaftsmodelle in der Persönlichkeitspsychologie. Schigl  Angeboren oder früh erworben, es ist eher eine naturwissenschaftlich-psychologische Konzeption, dass die Persönlichkeit aus bestimmten Eigenschaftsbündeln besteht, die dann über den Lebensverlauf hinweg überdauernd sind – als eben diese »traits«. Wir in der Integrativen Therapie verwenden den Begriff der Persönlichkeit trotzdem, um auszudrücken, dass das Selbst, das Ich und die Identität gemeinsam die Persönlichkeit schaffen. Aber es ist auch ein sehr fluides, entwicklungsorientiertes Konzept – im Kontrast zu den alten psychologischen Persönlichkeitsmodellen. Rigidität und fehlende Selbstreflexion

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Ich möchte aber noch bei der Fehleranfälligkeit bleiben. Befragt man Psychotherapeutinnen danach, wie sie ihre eigene Arbeit einschätzen, dann sagen fast hundert Prozent, dass sie sich für überdurchschnittlich gut halten, während sie andere Therapeutinnen und Therapeuten nur für eher mittelgut halten, so Steven Walfish und Kollegen 2012. Jeder Einzelne zählt sich selbst zu den 25 Prozent, die überdurchschnittlich gut sind, aber das geht natürlich nicht auf! Das ist ähnlich wie bei den Autofahrern. Da sind die Einschätzungen ähnlich. Das heißt, wir haben eine Tendenz zur Selbstüberschätzung, keiner will zu den fünf Prozent schlechten Therapeuten gehören. Wenn wir drei an dieser Stelle von den Kunstfehlern und ethischen Fehlern sprechen, werden die meisten Lesenden diese Fehler als für sich nicht zutreffend erachten. Aber dennoch werden sie gemacht! Ich glaube aber auch, dass man schon bis zu einem gewissen Grad einen solchen Optimismus braucht als Psychotherapeutin, denn sonst erschiene es als ein unmögliches Unterfangen, mit Worten gegen das viele menschliche Leid angehen zu wollen, das wir fünf, sechs, sieben Stunden am Tag anhören und erleben. Diese Haltung ist wichtig, um es anzugehen, zu containen, aufzunehmen, zu ertragen und umzudeuten. Wenn man da nicht ein halbwegs optimistisches Selbstwirksamkeitskonzept hat, dann macht man das nicht lange. Aber das darf eben nicht dazu führen, dass wir die Augen vor unseren Fehlern verschließen, sondern wir müssen einen offenen Umgang mit unseren Fehlern pflegen. Gahleitner Wir wissen ja auch aus Forschungsergebnissen verschiedenster Art, dass tatsächlich der Wirkungsgrad von Psychotherapie generell gut ist. Es geht nicht darum, über diese Fehlertypen das gesamte Behandlungsangebot infrage zu stellen. Nicht zuletzt wissen wir, dass in vielen, vielen Fällen die Beziehungsgestaltung gelingt, und überall da, wo die Beziehungsgestaltung gelingt, ist es relativ gut möglich, über therapeutische Fehler zu sprechen. Da, wo wir über die thera72

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peutische Ignoranz und über mangelnde Selbstreflexion reden, da ist eben meist auch schon die Beziehung angekratzt, in aller Regel zumindest. Die Qualität der therapeutischen Beziehung ist ein gutes Indiz dafür. Insgesamt ist die Wirkung von Psychotherapie und von psychosozialer Beratung aber gut – das sollten wir sowohl in der Öffentlichkeit als auch für uns selbst in unserer Arbeit würdigen. Schigl  Ich würde sagen »gut genug«. Es gibt immer wieder Krisen oder Probleme, aber insgesamt ist es gut genug. Es reicht, eine ausreichend gute Therapeutin zu sein in der Beziehungsgestaltung, im Beziehungsangebot. Es gibt eine Reihe von Untersuchungen aus den Jahren von 2010 bis 2015 von Helene Nissen-Lie und Kolleginnen, die zeigen, dass jene Therapeutinnen, die Selbstzweifel äußern und sich eher mal infrage stellen, auch diejenigen sind, die vom Outcome her am erfolgreichsten arbeiten. Genauer: Die Patienten schätzen jene Therapeutinnen und Therapeuten bezüglich der Qualität der therapeutischen Beziehung besser ein, die angegeben hatten, häufiger Kompetenzzweifel zu haben. Vielleicht sind ja die Selbstzweifel ein Hinweis auf Fehleroffenheit  – es nicht für unmöglich zu halten, dass man solche macht. Und umgekehrt bekommen Therapeuten, die die Schwierigkeiten im Prozess hauptsächlich den Patienten zuschreiben und sich selbst nicht infrage stellen, von Patienten hinsichtlich der Therapiebeziehung eine schlechtere Beurteilung. Und die Beziehungsqualität aus Patientinnensicht ist ein stabiler Prädiktor des Behandlungserfolgs. Insgesamt fanden die Autorinnen, dass es günstig für den Erfolg von Therapeuten ist, wenn man sich prinzipiell als Person mag und wertschätzt, aber die eigene therapeutische Arbeit durchaus immer wieder kritisch hinterfragt. Also: Ich darf und soll mich als Therapeutin ruhig selbst infrage stellen.

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Da sind wir wieder bei der Offenheit. Schigl  Ja, genau. In einer Masterarbeit hat eine Psychotherapiestudentin Kolleginnen und Kollegen befragt, was für sie schwierige Situationen in der Therapie darstellen; ich hätte gedacht, dass da viele Antworten zur therapeutischen Beziehung rauskommen würden – aber nein: Die Kolleginnen nannten hauptsächlich Faktoren aus dem Umfeld, die die Situation schwierig machten, oder eben die Patientinnen. Offenbar ist es irgendwie gefährlich, sich selbst mit in den Blick zu nehmen. Da brauche ich schon diese Angstfreiheit, und dass ich mich wegen eines Fehlers nicht gleich verurteile.

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Einschätzung und Einordnung von Nebenwirkungen

In der Literatur findet sich immer mal wieder die Aussage, die Neben­ wirkungen von Psychotherapie müssten endlich einmal so präzise und offen beschrieben werden, wie das in der somatischen Medizin schon lange der Fall sei – hinkt dieser Vergleich nicht kräftig? Gahleitner  Der hinkt total. Schigl  Völlig. Mit beiden Beinen. Der ist aber nicht so selten. Gahleitner  Weil man sich das so besser vorstellen kann. Das sind einfach Vergleiche im Sinne einer Verbildlichung, die aber natürlich an bestimmten Stellen hinken. Schigl  Genau. Es ist ja genau genommen ein pharmazeutischer Vergleich und kein medizinischer. Es gibt auch den Vergleich, dass der Chirurg zuerst verletzen müsse, um zu heilen. In der Psychotherapie müsse eben eine Nebenwirkung wie zum Beispiel eine emotionale Labilisierung in Kauf genommen werden. Wenn ich mich viel mit meinem Leiden und meiner Geschichte beschäftige, kann das über eine bestimmte Zeit schon labil machen, bevor ich dann gestärkt hervorgehe. Bleiben wir bei der Pharmakologie, dann solle Psychotherapie end­ lich so transparent sein wie der Beipackzettel in der Medikamenten­ schachtel. Gahleitner  Ich würde vorab schon mal bestreiten, dass das in der Pharmakologie wirklich so transparent ist. Das kommt noch dazu, dass das eine naive Annahme ist. Einschätzung und Einordnung von Nebenwirkungen

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Gahleitner  Ich glaube, dass wir uns in allen Wissenschaften, einschließlich der Naturwissenschaften, eine Schärfe und Präzision vorgaukeln, die es definitiv gar nicht gibt. Nehmen Sie mal die Neurowissenschaft, mit der inzwischen jeder rumhantiert, weil sie auf den ersten Blick eine hohe Plausibilität hat. Auch da ist immer noch an ganz vielen Stellen ganz viel umstritten und eben nicht eindeutig geklärt. Wenn man mal gute und selbstkritische Überblicksartikel liest oder solche Experten auf Tagungen erlebt, dann merkt man erst, wie viel Vorsicht da noch geboten ist. Ich kenne das inzwischen aus der Traumaarbeit, in der permanent Leute mit neurowissenschaftlichen Beschreibungen um sich werfen, als sei das selbsterklärend und alles ganz gut abgesichert. Trotzdem: Ich finde solche Bilder nicht völlig schlecht, weil sie einem zumindest einen kleinen, bildlichen Eindruck vermitteln, sie sind aber immer mit viel Vorsicht zu genießen. Schigl  Wir haben aus den Ergebnissen der RISK-Studie ja auch einen »Beipackzettel« für Psychotherapie entworfen und diesen immer wieder diskutiert und verändert. Den kann man beim Forschungsbericht abrufen: Da werden einige generelle Dinge einfach erklärt. Aber ich sage noch etwas Kritisches dazu: Wir leben in einer Gesellschaft, in der Wahrheit gleich Wissenschaft und gleich Qualität ist. Uns ist in unserer Gesellschaft der Qualitätsbegriff extrem wichtig. Wir wollen immer Sicherheit und wir wollen immer Qualität – übrigens oft mit immer weniger Ressourcen. In unserer Zeit gilt Wissenschaftlichkeit als ein Garant für Sicherheit und Qualität. Die Leitwissenschaft dabei ist die Biologie. Darum kommen wir immer auf diese biologischen Vergleiche. Früher war Wahrheit, was der Papst sagte, weil der wusste, was Gott wollte. Wenn der gesagt hat, etwas sei richtig, dann war das so richtig, und keiner hat mehr gefragt. Wenn wir heute sagen: »Amerikanische Wissenschaftler fanden heraus, dass sich das Hirn mit Psychotherapie ändert«, und dabei möglichst noch ein paar Hirnscans hervorziehen, dann 76

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reagiert jeder mit: »Wow, Wahnsinn, Psychotherapie wirkt.« Etwas war im Scan vorher rot, jetzt ist es grün. Wir sind so sehr von dieser Naturwissenschaftlichkeit geprägt! Die Medizin und die Biologie sind die Leitwissenschaften. Darum halten wir uns an denen fest. Und dann wird es als »Goldstandard« bezeichnet, wenn man in der Psychotherapieforschung »Randomised controlled Trials« macht. Das heißt, die Psychotherapieforschung muss etwas Eigenes auf­ stellen? Schigl  Dazu ist sie wahrscheinlich noch zu wenig potent. Aber sie darf nicht nur aus dem einen Forschungsverständnis Anleihen nehmen. In Österreich haben wir jetzt eine Richtlinie zur praxisorientierten Psychotherapieforschung, herausgegeben von Ga­ briele Riess von der Koordinationsstelle zur Psychotherapieforschung, in der die Case-Studies gleichberechtigt neben den randomisiert kontrollierten Studien stehen. Das sind alles legitime wissenschaftliche Bearbeitungsmöglichkeiten für psychotherapeutische Fragestellungen. Gahleitner  Das ist nur alles leider keine so einfache Sache und erneut gekoppelt an komplexe Machtverhältnisse – diesmal im Wissenschaftsbereich. Natürlich läuft erst mal vieles über die großen Disziplinen mit ihren Peerjournals und gerankten Zeitschriften. Da haben die Psychotherapiewissenschaften, die ja in diesem Sinne auch keine einheitliche »Disziplin« sind, natürlich wenig Chancen, das ganze System umzuwerfen. Mal abgesehen davon, dass daran auch gar nicht alle Kollegen und Kolleginnen Interesse haben, die zum Teil beträchtlich vom bestehenden System profitieren. Trotzdem muss man Inseln in diesem System schaffen, und ich finde es deshalb gut, dass sich Österreich hier so positioniert hat, auch wenn international dieses Machtgefälle bestehen bleiben wird – und das noch eine geraume Weile. Einschätzung und Einordnung von Nebenwirkungen

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Weitere Inseln sind die Beratungswissenschaften, auch die psychosozialen Wissenschaftsbemühungen und andere, davon war ja vorhin bereits die Rede. Aber insgesamt betrachtet muss man schon realistisch sein. In Bezug auf das Weltbild und zentrale Modelle haben die Naturwissenschaften einfach mehr Macht als die Geistes- und Sozialwissenschaften. Schigl  Wir versuchen in Österreich dieses Feld der Psychotherapiewissenschaften zu etablieren. Der Studiengang, den ich an der Karl-Landsteiner-Universität leite, ist ein solches Basis­ studium auf Bachelorbasis. Die Inhalte sind anders positioniert, als es die momentanen deutschen Entwicklungen anstreben. Wir haben in Österreich schon eine breitere Basis, was die Verfahren betrifft, die dann auch Inhalte und Forschungsfragen beisteuern und ebenso Forschungsmethodiken. Hier kann ich wieder auf den vorhin genannten Leitfaden zur praxisorientierten Psychotherapieforschung in Österreich verweisen, der ganz unterschiedliche Forschungszugänge möglich macht. Wir sind vielleicht am Beginn eines Wegs zu einer eigenständigen Disziplin, allerdings gibt es da noch einiges zu etablieren und auszukämpfen … Aber wir sind als Psychotherapie ja auch erst knappe 150 Jahre alt. Ich habe die Befürchtung, dass mit diesen naturwissenschaftlichen Modellen eine Vorstellung eingekauft wird, die einfach die Psycho­ therapie und die Beratung viel zu wenig trifft, und zwar von ihrer Grundanlage her nicht trifft. Dieses Geschehen zwischen Klient und Therapeut ist hoch komplex und befindet sich in einer zeitlichen Dynamik. Da stellen sich Fragen wie: Wann beschreibt wer das Pro­ blem wie? Wann ist eine Psychotherapie ein Erfolg? Was ist wann eine Nebenwirkung und warum? Wer beschreibt das? Schigl  Patientin und Therapeutin im Dialog. Das gilt aber nicht für die Forschung. 78

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Gahleitner  Nein – leider agiert Psychotherapieforschung im Mainstream bis heute eher unterkomplex. Wissenschaftstheoretisch ist es durchaus so, dass es viele Ansichten gibt und dass diese sich auch nicht vereinheitlichen lassen. Letztendlich siegen dann auf dem Publikationsmarkt diejenigen, die am meisten Macht haben. In der Psychotherapie sind das eindeutig naturwissenschaftlich ausgerichtete Publikationen mit eindeutigen Kausalitäten. Das geht schon in die Richtung, wie Brigitte es beschrieben hat. Es wäre zum Beispiel eigentlich sinnvoll, dass Wissenschaft und Praxis enger verschränkt sind, dass Ergebnisse aus der Forschung in neue Handlungsmodelle einfließen, von dort überprüft werden und wieder mit neuen Fragestellungen zurückfließen. Offene Fragen gibt es genug. Zum Beispiel wird klientenorientierten Studien, die ich total wichtig finde, relativ wenig Gewicht beigemessen. Bis dann mal deutlich war und akzeptiert wurde, dass die Klientinnen einen Prozess an manchen Stellen eigentlich viel besser einschätzen können als die Therapeutinnen – das hat ziemlich lange gedauert und schlägt bis heute nicht durch. Ob es daher zweckmäßig ist, dem Goldstandard-Paradigma stets den Vorrang zu geben vor dem qualitativen Paradigma, das auch hermeneutische Verfahren und subjektforschungsorientierte Ansätze zur Datenauswertung ermöglicht, ist eine fast schmerzliche Frage in einem Bereich, in dem subjektive Prozesse der Klienten so elementar die Praxis bestimmen. »Szenarien des Kontakts« im Goldstandard zu erheben bleibt daher an vielen Stellen fragwürdig und endet in lapidaren Fachkommentaren, die man zum Beispiel vor einigen Jahren in der Zeit lesen konnte: »Die Heilkraft des Vertrauens – Wie wichtig das Verhältnis zwischen Arzt und Patient ist, entdeckt die Medizin gerade neu.« Das ist dann schon peinlich. Ebenso zeigt sich in diesem Forschungsbereich schmerzhaft der Verlust durch mangelnde Interdisziplinarität. Ein solches Vorgehen aber, Einschätzung und Einordnung von Nebenwirkungen

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wie wir es uns vorstellen, bei dem verschiedenste erkenntnistheoretische Ansätze gleichberechtigt nebeneinanderstehen, wie es Österreich momentan entschieden hat, würde die bisher übliche Methodik der Psychotherapieforschung auf den Kopf stellen oder – man sollte es eigentlich richtig benennen – vom Kopf auf die Füße, wie Diether Höger das bereits vor Jahren beschrieben hat.

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Risiken von Psychotherapie – Forschung und Alltag

BEZIEHUNGSARBEIT

»Es gibt kein Rezept, aber es gibt Aufmerksamkeitslinien, es gibt theoretische Hintergründe, es gibt Konzepte, die wir im Gepäck haben sollten und vor deren Hintergrund wir dann in der j­ eweiligen Situation Stück für Stück und b­ ehutsam anknüpfen können. [ …] Aber Fakt ist, es geht nicht ohne Arbeit mit uns selbst als Person, also ohne viel Selbsterfahrung.« Silke Birgitta Gahleitner

Die Ermöglichung einer Beziehung

Psychotherapie als ein Beziehungsgeschehen und als eine methodisch geführte zwischenmenschliche Begegnung, die dann von beiden Sei­ ten eingeschätzt und bewertet werden muss: Die Arbeit mit, an und durch die Beziehung also als eine der wichtigsten Säulen des Therapie­ erfolgs? Gahleitner  Wir haben ja gerade über die Fehler gesprochen. Auch über die Fehler aufgrund von Ignoranz und aufgrund von fehlendem proaktivem Handeln, wenn also Therapeuten und Therapeutinnen nicht hinschauen wollen: Da ist in aller Regel relativ eindeutig ein Zusammenhang zu erkennen, dass dann auch die Beziehungsgestaltung nicht funktioniert. Natürlich muss man jetzt wieder aufpassen, denn das kann ja ganz verschiedene Gründe haben: Einer ist, dass es eben dem oder der Professionellen im therapeutischen Prozess nicht gelingt, die Beziehung aufzubauen. Aber der Fairness halber müssen wir natürlich auch konstatieren, dass wir es mit sehr, sehr schwer und früh geschädigten Klientinnen und Klienten zu tun haben können, dann kann das einfach auch wirklich ein harter Brocken sein, zum Teil auch kaum zu leisten. Der entscheidende Punkt daran scheint mir zu sein, dass, wenn die Beziehungsgestaltung gelingt, man eben auch – wie vorhin beschrieben – missglückte Interventionen oder Krisen sehr viel besser überstehen kann und sie dann auch nicht diese Schärfe bekommen, dass also die extremen Fehlertypen vermieden werden können. Carl Rogers hat ja 1959 sehr schön herausgearbeitet, dass in der Bewertung eines Therapieprozesses letztlich das zählen muss, was an Kontakt, an Beziehung und an Wirkung auch wirklich bei den Klientinnen und Klienten selbst ankommt. Darin steckt also eine große Herausforderung. Denn 84

Beziehungsarbeit

wenn das, was wir tun, von den Klientinnen und Klienten als positiv empfunden wird, dann sind die Therapieverläufe definitiv besser. Und das gilt für alle Verfahren. Ich glaube jedenfalls nicht, dass es aktuell noch eine Verfahrensrichtung gibt, die das abstreiten würde. Allerdings heißt, das nicht abzustreiten, noch lange nicht, zu wissen, wie man das macht. Charles Gelso und Jean Carter haben 1994 etwas zynisch herausgestellt, dass wir alle von der tollen Wirkung der Beziehung sprechen, aber letztendlich gar nicht wissen, was diese ominöse therapeutische Beziehung genau ist, was sie beinhaltet und wie sie gestaltet werden muss. Das hat wieder mit diesen verschiedenen Forschungsvorgehensweisen zu tun, von denen wir gerade gesprochen haben. Es gibt bisher viel zu wenige Prozessstudien. Ein solches Wissen kann tatsächlich nur über Prozessforschung, über qualitative Forschung, über Interviewaussagen von Klientinnen und Klienten sowie von Professionellen herausgearbeitet werden. Das ist ein langwieriger und mühsamer Forschungsprozess, aber sehr lohnenswert. Was wir sehr wohl vorliegen haben, das sind die drei Kriterien von Carl Rogers von 1959, nämlich Empathie, Wertschätzung und Kongruenz. Die lassen sich gut mit Konzepten aus der Bindungstheorie zusammenführen, zum Beispiel mit dem Konzept der Feinfühligkeit, also Gefühle und Bedürfnisse angemessen wahrzunehmen, richtig zu interpretieren und zeitnah und adäquat darauf zu reagieren. Das hat auch John Norcross 2002 zusammengetragen, dass insbesondere Empathie, Übereinstimmung und Kooperation, ein gelungenes Anpassen der therapeutischen Beziehung an den Widerstand des Patienten oder der Patientin, an die jeweilige Problematik und den Bewältigungsstil wichtige Faktoren in diesem Geschehen sind. Auch Wertschätzung und Kongruenz, Selbstöffnung und weitere aus den humanistischen Verfahren bekannte Kriterien tauchten in seiner Untersuchung auf. Das Problem ist, dass das wahnsinnig oft so »verplattet« wird. Die Ermöglichung einer Beziehung

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Schigl  Oder zu abstrakt bleibt. Gahleitner  Ich arbeite zum Beispiel in der Ausbildung im Rahmen der Verhaltenstherapie, da wird die Empathie einfach oft stark simplifiziert. Da wird Empathie ganz häufig gleichgesetzt mit dem Phänomen der Spiegelneuronen. Also: Wenn ich jetzt dich, Brigitte, anschaue, dann sehe ich, dass du nachdenklich schaust, und folgere, dass du nachdenklich bist. Dann werde auch ich nachdenklich, weil mir meine Spiegelneuronen das sozusagen eingeben. Mal abgesehen davon, dass das Spiegelneuronenexperiment bereits mehrfach dementiert wurde, ist das aber keinesfalls Empathie, sondern Empathie bedeutet nach Carl Rogers, wie ja vorhin bereits angesprochen, zwar momentweise in diesen Empfindungen mitzuschwimmen, aber gleichzeitig immer diese Als-ob-Position durchzuhalten, also immer auch zu wissen, das ist nur, als ob ich nachdenklich bin, als ob ich traurig bin, als ob ich verzweifelt bin. Sonst kann ich ja gar nicht mehr die professionelle Seite aufrechterhalten. Schigl  Ähnlich wie das »method acting«, das ist ein ähnliches Konzept. Gahleitner  Auch das ist eine Form von Ambiguität, die wir gut in den Griff kriegen müssen. Carl Rogers hat daher auch mit dem englischen Begriff des »empathic understanding« gearbeitet. Der besagt, dass wir erst mal den anderen verstehen müssen, bevor wir empathisch sein können. Dieses Verstehen bedeutet jedoch eine ganz andere Art der Diagnostik, als sie heute in der Psychotherapie betrieben wird. Es geht um ein Verstehen, mit dem wir Beziehung und Empathie überhaupt erst möglich machen. Das bedeutet, wir müssen auf die Störung angemessen reagieren, dürfen dabei aber nicht zu stark auf die Eingeschränktheit der Klienten fokussiert bleiben. So betrachtet ist zwar eine Störungsorientierung wichtig, aber Störungsspezifität in der Behandlung nicht unproblematisch. Störungsspezifität bedeutet, den Menschen hinter der Störung zu vergessen, also sich darüber Gedanken zu machen, wie 86

Beziehungsarbeit

behandle ich eine Borderlinestörung statt wie behandle ich einen Menschen, dem eine Borderline-Problematik zugeordnet werden kann. Das ist durchaus üblich und zeichnet sich auch in der Umgangssprache ab, zum Beispiel in der Gemeinschaftspraxis nach der Mittagspause zu verkünden: »Ich gehe dann mal zu meiner Depression.« Wenn es mir dagegen gelingt, jemanden umfassend zu verstehen, also das, was er oder sie an Symp­ tomen zeigt, in einen bindungsorientierten biografischen und lebensweltlichen Kontext zu stellen und im Lebenskontinuum und -kontext zu verstehen, dann ist die Voraussetzung gegeben, eine gute therapeutische Beziehung aufzubauen und auch einen erfolgreichen Therapieprozess zu gestalten. Dazu aber wiederum brauche ich gute entwicklungsdiagnostische und bindungstheoretische Kenntnisse. Wenn uns dieses Verstehen, von dem ich gesprochen habe, gelingen soll, dann muss darin eine gute Bindungsdiagnostik enthalten sein. Nur wenn ich die Bindungsrepräsentation der Klienten und Klientinnen richtig erfasse, kann ich auch exakt daran anknüpfen und vorsichtig in der therapeutischen Beziehung in Richtung mehr Bindungssicherheit arbeiten. Und dabei muss ich mir selbst auch meiner eigenen Muster bewusst sein und sie reflektieren, wie wir es vorhin bereits diskutiert haben. So kann dann behutsam Vertrauen entstehen. Schigl  Ich wollte gerade auf Antoine de Saint-Exupérys »Der kleine Prinz« hinweisen und auf den Fuchs. Der kleine Prinz, der auf die Erde gekommen ist, um Freunde zu suchen, trifft einen Fuchs. Der Fuchs bietet ihm an, sein Freund zu werden, wenn er ihn zähmt – und der kleine Prinz fragt, wie er das tun soll. Da erklärt ihm der Fuchs, dass er dazu sehr geduldig sein und einfach nichts weiter tun muss, als sich in einiger Entfernung hinsetzen und ihn, den Fuchs, aus dem Augenwinkel beobachten. Dann soll er am nächsten Tag wiederkommen und wieder ruhig sitzen – nur vielleicht schon ein ganz kleines Stückchen näher. Und als der Prinz das dann macht, erklärt er ihm Die Ermöglichung einer Beziehung

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noch, dass es gut ist, jeden Tag um dieselbe Zeit zu kommen, damit er sich schon auf den Prinzen freuen könne. Das sind wesentliche Aspekte der Psychotherapie. Ich nähere mich behutsam an, ich schaffe Vertrauen, indem ich langsam und in der richtigen Distanz bleibe, so wie es der Prozess erfordert. Und ich gebe Struktur – immer um dieselbe Zeit kommen, sodass ich eine verlässliche Partnerin werde. Und so übernehme ich Verantwortung für den Prozess. Gahleitner  Ja, du bist verantwortlich für das, was du dir vertraut gemacht hast. Wir haben in meiner Forschungsgruppe da nochmals eine Menge gelernt an unserem letzten größeren Projekt, und zwar aus der Beratung von Frauen aus dem Frauenhandel und dem Straßenstrich. Ich erzähle dazu mal ein Beispiel. Eine junge Interviewpartnerin aus dem Projekt hat über eine lange Zeit sexuelle Gewalt erfahren und hat über die vielen Jahre großes Misstrauen angesammelt. Was muss nun eine Beraterin, die als Streetworkerin arbeitet, machen, damit überhaupt wieder ein Vertrauen der Klientin anderen Menschen gegenüber entstehen kann? Das war eine zentrale Frage von uns. Im Therapiezimmer erleben wir das genauso, da stellt es sich nur etwas anders dar. Eine Beraterin oder auch eine Therapeutin muss wissen, wie das eigentlich mit dem Vertrauen funktioniert. Das ist nämlich gar nicht so einfach. Wir sprechen so oft von Vertrauen, aber wissen eigentlich gar nicht, was das ist. Wie machen wir es also möglich, dass jemand Vertrauen schöpft, das heißt ja auch, sich auf bestimmte Handlungsoptionen einlässt, obwohl viel Misstrauen vorherrscht? Nennen wir die Beraterin Maria. Die besagte junge Frau erzählt dazu: »Ja, die Maria kam immer bei uns den Straßenstrich he­ rauf, ist immer von Frau zu Frau gegangen und hat Süßes verteilt oder manchmal auch Blumen oder mal ein Buch. Am Anfang habe ich gedacht, was will die überhaupt von uns, dass die hier so herkommt?« Danach macht die Interviewte im Interview 88

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eine längere Pause, als ob sie sich wieder in diese Zeit damals zurückversetzt. Erst dann spricht sie unvermittelt weiter: »Zwei Jahre hat es gedauert, bis ich ihr vertraute.« Die Streetworkerin hat sich also zwei Jahre lang um sie bemüht und Aufbauarbeit geleistet und konnte erst dann wirklich beginnen, zu arbeiten, so würden wir in der Psychotherapie sagen. Die Betroffene konnte auch gut beschreiben, wie die Streetworkerin das gemacht hat. Ich versuche das hier mal wörtlich und auch in dem gebrochenen Deutsch, weil es so aussagekräftig ist. Sie berichtet: »Die Maria, die hat gesehen, dass ich habe dieses Vertrauen nix, sogar mit Mikroskop konnte man Vertrauen nicht sehen, so klein war das. Und dann, langsam, ganz langsam, langsam, langsam durch Gespräche – weil mit Gesprächen verdient man das Vertrauen, weißt du.« So erzählt sie das. Und das meine ich, wenn ich sage, dass auch wir lange Zeit erst mal Vertrauen schenken müssen, bis uns stark verletzte Menschen vertrauen. Aber das ist bereits echte Knochenarbeit, genau das zu tun. Und da brauchen wir Carl Rogers und die Bindungstheorie rauf und runter. Und das, was wir vorhin bereits besprochen haben, diese persönliche Sichtbarkeit, dass wir hinter der professionellen Rolle auch als Personen sichtbar werden. Vom Verstehen über die Vertrauensbildung und eine wachsende Bin­ dung hin zur Exploration. Gahleitner  Wenn das gelingt, ist schon viel gelungen, nämlich eine erste Vertrauensdyade. In dem tiefen Misstrauen nach schwerer Traumatisierung braucht ein Mensch zunächst genau das, wenigstens eine einzige verlässliche Dyade. Das wissen wir aus der Resilienzforschung. Ich nenne das gerne – auf Basis von Arbeiten von Hilarion Petzold und anderen 1993 – »SchützendeInsel-Erfahrung«, weil es tatsächlich häufig vorkommt, dass diese Erfahrung eine seltene, also eine Inselerfahrung ist. Nur auf dieser Basis, aus dieser Sicherheit heraus kann es gelingen, Die Ermöglichung einer Beziehung

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sich Schritt für Schritt zu entwickeln, zu explorieren, sich weiterzuentwickeln, Prozesse anzustoßen, denn erst auf dem Boden einer stabiler werdenden Bindung kann ich neuen Ufern zustreben. Ohne Bindung keine Exploration, das hat John Bowlby schon in den oben erwähnten Publikationen gesagt. Die Anhänger der klientenzentrierten Verfahren sagen anschaulich, das Bezugssystem werde Stück für Stück um Nuancen erweitert. Viele Missverständnisse und Fehler passieren aber dann immer noch, die müssen wir stets abfangen können. Darüber haben wir ja vorhin schon gesprochen. Und dann erst kann ich weiter in meiner psychotherapeutischen Arbeit voranschreiten, zu der aber auch ganz wesentlich gehört, über diese (hoffentlich gelungene) Dyade in weitere Netzwerke reinzuarbeiten. Im Frauenhandel ist es besonders anschaulich, denn nur weil die Streetworkerin jetzt eine Dyade ermöglicht hat und Vertrauen entstanden ist und einzelne Explorationsprozesse geschehen, ist eine Frau noch lange nicht raus aus dem Frauenhandel. Das gesamte Netz von Gewalt um sie herum existiert nach wie vor. Das heißt, ich muss jetzt mit der Frau Fuß fassen irgendwo in einer stationären Einrichtung oder im Frauenhaus. Da sind nun aber andere Frauen, die die Frau vielleicht schon aus der Szene kennt und von denen sie vielleicht schon mal total schlecht behandelt worden ist. Jetzt muss es dieser Streetworkerin gelingen, über ihr Vertrauensverhältnis auch hier weitere schützende Beziehungen möglich zu machen: zu den Frauen im Frauenhaus, zu den Polizisten bei der Anhörung, zu der Richterin bei Gericht. Wenn da nun wieder tragfähige und auch persönlich geprägte Beziehungen entstehen, dann kann sich ganz langsam ein einbettendes Netzwerk entwickeln. Über diese Form der Einbettung gelingt es wiederum auch mir als Beraterin oder Psychotherapeutin besser, den therapeutischen Prozess anzuschieben, denn jetzt bekommt das alles Stabilität. Jetzt kann tatsächlich Stück für Stück das Leben neu aufgebaut werden. 90

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Abbildung 2: Modell für die Diagnostik und Beratung traumabetroffener Frauen aus dem Frauenhandel (Gahleitner et al., 2018, S. 201)

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Ich halte das für so wichtig, weil ich das Gefühl habe, dass in der Psychotherapie zwar die Dyade eine ganz große Rolle spielt, dass aber häufig schwer beziehungserschütterte oder strukturgeschädigte Menschen als zu schwierig und zu problematisch empfunden werden. Nach meinem Dafürhalten hat das aber ganz viel damit zu tun, dass wir zu wenig Geduld haben und uns nicht klarmachen, wie fragil das Beziehungsgebäude für diese Personen ist, dass wir diesen Beziehungs- und Einbettungsaspekt wirklich völlig unterschätzen. Schigl  Dein Beispiel zeigt doch, wie wichtig es wäre, dass eine »fallführende« Bezugsperson – ich weiß, das ist ein furchtbarer Ausdruck – konstant bleibt, dass sie zumindest das Vertrauen der Patientin hat. Gahleitner  Ja. Ein Lotse oder eine Lotsin durch den Prozess. Schigl  Man kann diese Frauen nicht einfach im Frauenhaus »abgeben«, das reicht nicht. Diese Person muss am Ball bleiben. Das ist anstrengend, aber es ist der einzige Weg. Gahleitner Genau. Schigl  Das Fallbeispiel zeigt, dass wir uns immer die Frage stellen müssen: Was ist ein guter Vertrauensaufbau? Der kann nämlich mit unterschiedlichen Patienten und Patientinnen auch unterschiedlich nötig sein. Es ist ähnlich wie mit der guten therapeutischen Beziehung. Was ist eine gute Beziehung? Was macht eine gute Therapeutin aus? Oder eine gute Supervisorin? Wir sagen dann, ja, die ist offen, warmherzig, humorvoll, liebevoll, hat aber auch die nötige Distanz. Das ist alles richtig, und doch sind es Allgemeinplätze. Wie füllen wir das mit Leben? Wir könnten ja mal anders fragen: Was macht eine gute Paarbeziehung aus? Da gibt es ja auch eine unglaubliche Vielfalt an möglichen Beziehungskonstellationen, an guten Beziehungskonstellationen. Deshalb frage ich mich, ob man die gute Beziehung überhaupt konkret beschreiben könnte, ob es dafür Rezepte gibt. Ich glaube nämlich nicht, dass es diese Rezepte gibt. Die Maria hat das bei dieser Klientel genau richtig gemacht. 92

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Sie ist immer wieder hingegangen, hat Süßigkeiten oder anderes verteilt oder der jungen Frau Kleinigkeiten geschenkt. Aber das wäre möglicherweise bei einer anderen Patientinnengruppe ganz falsch. Wenn wir wieder bei »humans as instruments« sind, dann ist die gute therapeutische Beziehung etwas, was ich mit meiner Patientin herstelle, und zwar im Hier und Jetzt und im Prozess über die Zeit hinweg. Ob die Beziehung gut ist, beurteilen wir beide im Prozess und vielleicht am Ende mittels des Outcomes. Aber was ich dazu tue und beitrage, kommt bei der einen Patientin gut an, bei der anderen jedoch nicht. Außerdem glaube ich, dass es da auch Genderunterschiede gibt. Mir fällt ein Beispiel aus der Supervision ein: Ein Kollege macht Psychotherapie und arbeitet hauptsächlich mit migrierten Männern, die unserer Einschätzung nach ein sehr konservatives, patriarchales Männerbild haben, also keine Gefühle zeigen, sehr strikt auftreten und mit denen vor allem am Anfang eines therapeutischen Prozesses oft auch ein Machtgerangel entsteht, wer in der Therapie das Sagen hat. Ein bestimmter Patient nun macht meinem Supervisanden Schwierigkeiten, sodass der Therapeut das Gefühl hat, er käme mit dem nicht so richtig in die Gänge und der blocke immer alles ab. Er weiß schließlich gar nicht mehr, was er noch tun soll. Das Symptom besteht zudem weiterhin und der Therapeut weiß nicht so recht weiter. Es ist keine Besserung in Sicht. Dann kommt der Patient eines Tages in die Sitzung und erzählt von seiner früh verstorbenen Mutter und einer sehr berührenden frühen Kindheitsszene. Der Therapeut springt emotional darauf an und geht empathisch gut mit. Er fühlt sich ein und artikuliert aus dieser Position heraus die Einsamkeit und Überforderung dieses Kindes, das da etwas ganz Schlimmes erlebt hatte mit dem Verlust der Mutter. Der Patient wirkt in dieser Sitzung sehr berührt und geht am Ende der Stunde sehr nachdenklich nach Hause. Der Therapeut ist überglücklich und Die Ermöglichung einer Beziehung

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meint, nun hat er den Durchbruch geschafft, der Patient konnte sich öffnen und jetzt beginnt die Therapie zu greifen. Aber was passiert? Der Patient kommt nicht mehr wieder. Das heißt, der Therapeut hatte etwas gemacht, was wahrscheinlich bei einer Patientin als empathisches Einfühlen ganz toll gewesen wäre. Ein solches empathisches Einfühlen hätte ihr ein tiefes Verstehen signalisiert, in dem die innere Not des Kindes endlich artikuliert worden wäre. Aber dieser hartgesottene Macho, wenn ich es mal so sagen darf, hat das nicht ausgehalten, dass jemand seine Qualen gespürt hat und auch artikulierte – jedenfalls war das dann unsere supervisorische Interpretation. Dass seine seelische kindliche Not so gespiegelt und auch ausgesprochen wurde, das konnte er nicht aushalten. Lieber hat er den Prozess verlassen. Das heißt, auch die Ingredienzen einer guten Beziehung können wir nicht wie auf einem Waschzettel benennen, sondern es ist ein genaues Gespür dafür notwendig, wie weit wir jemanden konfrontieren dürfen, wann wir empathisch mitgehen dürfen, wann was verbalisieren. Das eine wie das andere kann auf unterschiedliche Art und Weise Menschen verprellen und die Beziehung gefährden. Gahleitner  Das finde ich ein gutes Beispiel, und es ist ein wichtiger Punkt, den du ansprichst. Ich möchte dir aber in zwei Punkten widersprechen. Für mich ist dein Beispiel ein Beispiel dafür, dass der Verstehensprozess nicht geklappt hat. Wenn ich am Anfang einen guten Verstehensprozess einleite und versuche, erst mal zu begreifen, wo dieser Klient überhaupt steht, was für einen Bindungsmodus dieser Klient hat und was für ihn empathisch, wertschätzend und kongruent ist, dann hätte ich wahrscheinlich festgestellt, dass für ihn starke persönliche Gefühle eher bedrohlich sind und auf gar keinen Fall zu früh ausgedrückt werden dürfen. Ich kann beispielsweise nicht jemanden, der sehr bindungsvermeidend ist, sofort in die Arme schließen. Das meine ich damit, dass es sehr wohl Konzepte für 94

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eine gute Bindungs-, Beziehungs- und Vertrauensgestaltung gibt. Es sind aber keine 08/15-Tipps, sondern ein diagnostisch-­ verstehender Umgang mit Bindungs- und Vertrauensformen. Wenn man diese berücksichtigt, entsteht – in vielen Fällen – eine gute Beziehung, man kann sie nämlich, das ist mein zweiter Punkt, nicht herstellen, sondern nur ermöglichen. Ich will damit zwar auch nicht sagen, es gebe ein Rezept, aber ich meine, dass es Aufmerksamkeitslinien gibt. Also empirische oder theoretische Ergebnisse, an denen entlang und unter deren Einsatz man Beziehungsgestaltung anregen kann, vor deren Hintergrund man in der jeweiligen therapeutischen Situation eine höhere Wahrscheinlichkeit entwickelt, um eine passfähige Beziehung herzustellen. Wenn man zum Beispiel die erwähnte Untersuchung von John Norcross heranzieht, dann zeigt sich, dass wir auch bei der Beziehungsgestaltung nicht mehr völlig im Dunkeln tappen. Das spielt sich nicht nur auf der Ebene von Allgemeinplätzen ab, sondern wir landen tatsächlich wieder bei genau den Beschreibungen, die auch Carl Rogers schon gegeben hat und die wir in der klientenzentrierten Ausbildung auch trainieren und – in intensiven Selbstreflexionsprozessen – fachgerecht ausgestalten können. Das ist relativ sicheres Wissen. Das Konzept der Feinfühligkeit, also die Kriterien von Carl Rogers sowie die Vertrauens- und die Bindungstheorie in Kombination sind zumindest wichtige Aspekte, die man schulenübergreifend umzusetzen versuchen kann. Natürlich, die Umsetzung sieht dann noch mal wieder ganz unterschiedlich aus, wie du richtig sagst. Das finde ich sehr schön an dem Gespräch, das mit Bernhard Strauß und Ulrike Willutzki in dem vorangegangenen Band geführt wurde. Bernhard Strauß sagt darin, allgemeine Wirkfaktoren müssen für bestimmte Klienten und Klientinnen spezifiziert werden, aber sie sind trotzdem allgemeine Wirkfaktoren. Und ich würde sagen, sie bieten auch trotzdem bestimmte AufmerksamkeitsDie Ermöglichung einer Beziehung

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linien. Darum geht es mir. Wir können schon so einiges dafür tun, nicht um die Beziehung herzustellen, sondern um eine Beziehung möglich werden zu lassen. Kurz gesagt: Nein, es gibt kein Rezept, aber es gibt Aufmerksamkeitslinien, es gibt theoretische Hintergründe, es gibt Konzepte, die wir im Gepäck haben sollten und vor deren Hintergrund wir dann in der jeweiligen Situation Stück für Stück und behutsam anknüpfen können. Ich finde es wichtig, dass wir uns nicht einrichten mit Aussagen, es sei bei jedem ganz unterschiedlich und man müsse das intuitiv spüren. Aber Fakt ist, es geht nicht ohne Arbeit mit uns selbst als Person, also ohne viel Selbsterfahrung. Schigl  Ich nehme noch mal dieses Beispiel von dem jungen Kollegen. Wenn man meint, der hätte doch nichts anderes gemacht, als Rogers verlangt, also empathisch gespiegelt, dann greift das zu kurz. Eine solche Spiegelung kann eine arge Konfrontation sein, wenn das, was man da im Spiegel der Emotionen des anderen sieht, die eigenen Abgründe sind. Also, hat unser junger Kollege, im Nachhinein gesehen, einen Fehler gemacht? Er hat doch aber eigentlich dem Verfahren entsprechend reagiert. Deshalb hat er sich so gefreut, jetzt endlich wirklich Therapie machen zu können, endlich zeigt dieser Patient Gefühle, endlich kann er mit dem arbeiten. Aber genau das war der Fehler. Was war der Fehler? Eigentlich stand zu sehr eine ideale Vorstellung im Vordergrund, wie Psychotherapie zu funktionieren hätte, anstatt auf die Beziehung zu schauen und sich, wie du sagst, zu fragen: Was hält so ein Mann an weichen, für ihn beschämenden Gefühlen aus, wenn er sie vom Therapeuten gespiegelt bekommt? Fast null. Vielleicht hätte er es kumpelhafter ausdrücken müssen: »Na, das war schon ’ne harte Zeit, Junge.« Das hätte der vielleicht gerade noch ertragen. Der Fehler war in dem Falle das Abweichen vom Blick auf die therapeutische Beziehung und auf das Bindungsverhalten, wie du sagst, Silke. Und der Therapeut hätte sich fra96

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gen müssen: Was hat der für ein Männerbild, für ein Bild von sich selbst – geht das überhaupt, dass ich so spiegele? Es war aber eigentlich kein Fehler im Sinne des psychotherapeutischen Verfahrens. Gahleitner  Ich finde schon, dass das auch ein Verfahrens­fehler im Bereich der Psychotherapie war. Wenn wir – wie in den humanistischen Verfahren und am ursprünglichsten im klientenzentrierten Bereich – mit dem Beziehungsprimat arbeiten, dann war die Trauma- und Gefühlskonfrontation entschieden zu früh. Nämlich vor der Entwicklung von genug Bindungssicherheit und -vertrauen. Um in meinem Streetworkbild zu bleiben, hätte das geheißen, bereits nach einem Jahr zu der Klientin zu sagen: »Komm mit ins Frauenhaus!« Ich versuche meinen Studierenden wirklich sehr, sehr leidenschaftlich beizubringen, auf das Strukturniveau zu sehen, also auf frühe Verletzungen und auf den zugehörigen exakten Bindungsstatus. Bei einem stärker bindungsvermeidenden, also auch gefühlsvermeidenden Verhalten oder gar Desorganisationsanteilen in der Bindung muss ich mich ganz, ganz vorsichtig mit viel Bindungs- und Beziehungssensibilität rantasten. An so einer Stelle ist meines Erachtens in deinem Beispiel der Fehler passiert. Das ist das Problem bei einer zu rigiden Orientierung am Verfahren. Ich kann nicht einfach mein Verfahren durchziehen, sondern ich muss ein indikationsspezifisches und situationsadäquates Vorgehen wählen, um mich an das anzupassen, was für den Klienten verkraftbar ist. Und dazu gehört eben für mich auch eine gute Bindungs- und Beziehungs- sowie eine Strukturdiagnostik. Aber da gibt es doch keinen Widerspruch, glaube ich. Gahleitner  Nein, aber was ich sagen will, ist, dass das in dem Fallbeispiel kein korrektes Anknüpfen an die Bedürfnisse und an die Bindungsstruktur des Klienten war, definitiv nicht. Die Ermöglichung einer Beziehung

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Schigl  Es war eher das Bedürfnis des Therapeuten, jetzt endlich »richtig« Therapie zu machen und therapeutisch arbeiten zu können. Gahleitner  So ist es. Und das Bedürfnis des Klienten war, erst mal nur gehört zu werden. Sonst vermutlich noch gar nichts. Schigl  Ja, seine Erlebnisse erzählen zu dürfen. Und natürlich seine Symptome loszuwerden! Gut, jetzt haben Sie rückblickend recht. Aber wie mache ich das direkt in der Situation, wie stelle ich fest, dass auch nach dieser Erzählung des Klienten immer noch nicht der Punkt gekommen ist, ab dem ich im engeren Sinn psychotherapeutisch und nach meinem Verfahren arbeiten kann? Ich muss immer noch warten. Wie findet der Kol­ lege das heraus, unmittelbar in der Situation, denn hinterher sind wir immer klüger. Gahleitner  Ich sage mal ganz provokativ: Wir lernen das, indem wir ganz viele Fehler machen. Ernsthafter ausgedrückt: Wir haben mit hoch vulnerablen Menschen zu tun, bei denen sich diese Verletzlichkeit ab der Kindheit herausgebildet hat und die im Erwachsenenalter nicht einfach irgendwann weg ist. Das ist ein sehr empfindsamer Prozess, mit dem wir therapeutisch umgehen müssen. Ich hatte oben bereits erwähnt, wie wichtig ganz zu Beginn des Prozesses das Verstehen ist, bewusst sage ich jetzt hier nicht »Diagnostik«. Ich meine ein biografisches und lebensweltlich orientiertes Verstehen. Bei diesem Klienten wäre dabei sehr schnell deutlich geworden, dass er zu viele frühe Verletzungen erlitten hat und nicht stabil genug eingebettet ist, um so vorzugehen. Sehr erhellend und wichtig ist die jüngere Säuglingsforschung. Ich finde das wunderbar, weil man da sehen kann, wie fragil das zwischenmenschliche Verhältnis ist. Es gibt ein sehr aufschlussreiches Experiment, das »Still-Face-Experiment« genannt wird. Eine Mutter mit einem ganz sicher gebundenen 98

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Kind macht für zwei Minuten das Gesicht starr, und das Kind versucht alles, um diese Mutter wieder in Interaktion zu kriegen. Es schafft es aber nicht und weint schließlich. Dann nimmt die Mutter wieder die Interaktion auf, aber das Kind braucht zwei bis drei Sekunden, bis es wieder vertraut. Es guckt die Mutter erst nur an und weiß nicht so richtig, man sieht richtig die Zweifel im Gesicht. Man muss sich das vorstellen: Ein total gesundes, versorgtes Kind reagiert schon so, wenn nur zwei Minuten Nichtreaktion eintreten. Es spielt keine sexuelle oder sonstige physische Gewalt eine Rolle, sondern nur eine Nichtreaktion löst das schon aus, sodass das Kind zwei bis drei Sekunden braucht, bis es wieder vertrauen kann. Wie lange brauchen Klientinnen und Klienten nach Millionen misslungenen Interaktionen, damit sie uns wieder vertrauen können? Da muss man echt ackern, bis das gelingt. Wenn ich mir auf diese Weise anschaue, wie fragil letztlich unsere sozialen Beziehungen sind, dann entwickle ich eine große Demut und Behutsamkeit im Therapieprozess. Dann kann man an Geschehnissen im Entwicklungsverlauf schon ausmachen, wo die Risiken liegen. Wie groß ist die Abwehr, wie stark muss sich jemand schützen, wie starr ist im Fall dieses Mannes das Bild von Männlichkeit? Aber auch andere Forschungsergebnisse helfen uns da: Wenn ich etwas weiß über Traumaverarbeitung bei jenen Männern, die sehr viel Gewicht auf ein männlich geprägtes Rollenverständnis legen, dann weiß ich, dass die entsprechende Gefühlsentwicklung, also das Spüren der Verletzung, ganz spät kommt im Gegensatz zu Frauen, die lange vorher im Bewältigungsprozess in ihren Gefühlen geradezu ertrinken, also dass der Bewältigungsprozess unterschiedlich verläuft. Uns kann Wissen daher durchaus ganz viel helfen, um Situationen einzuschätzen. Ich sehe nur, was ich weiß! Wissen allein reicht natürlich nicht, aber ein solides Wissen ist unerlässlich. Natürlich kommt dann die Übung hinzu, um unsere therapeutische Kompetenz zu entwickeln – und natürlich machen wir Die Ermöglichung einer Beziehung

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dann trotzdem immer noch und immer wieder Fehler. Jeder von uns. Mir ist es in einem Mutter-Kind-Haus einmal passiert, dass ich zu einer Klientin die Beziehung nicht halten konnte, ich habe das nicht mehr abwenden können: Kontaktabbruch, Schluss, kein Wort mehr. Das wird es immer wieder geben, aber wir müssen stetig daran arbeiten, die Chancen für eine gelungene Beziehung zu erhöhen. Schigl  Das ist genau der springende Punkt. Mein Supervisand macht diesen Fehler sicher nicht noch einmal, weil wir das in der Supervision gut beleuchten konnten. Er hat sich das ganz genau anschauen wollen und können, weil er offen war für das, was da passiert ist. Er hat sich getraut, seine Impulse zu verbalisieren, ohne dass er anschließend gedacht hat, er sei deshalb ein schlechter Therapeut. Sicher brauchen wir viel Wissen und Theorie im Hintergrund, aber es gehört eben auch diese Fehlerfreundlichkeit dazu, um mir eingestehen zu können, was mein Anteil an einer kritischen Situation in der Therapie war. Also im Falle meines Supervisanden: »Was habe ich dazu beigetragen, dass der weggeblieben ist?« Vielleicht wäre der Patient sowieso weggeblieben oder hätte eine andere Situation genutzt, um sich zu entziehen; vielleicht ist er nur gekommen, weil seine Frau gesagt hat, sie hielte es nicht mehr aus, er solle endlich irgendwo in Behandlung gehen. All das wissen wir ja oft gar nicht so genau. Aber in dieser Supervision haben wir es so interpretiert. Indem ich als Therapeut so offen bin, dass ich mich diesem auch schmerzvollen Prozess stelle und mich selbst frage, wo ich vielleicht etwas anders hätte machen können, kann ich Fehler beim nächsten Mal vermeiden. Also, all die Theorien und unser Wissen müssen wir letztlich auch erfahren und internalisieren. Das geschieht idealiter in der Ausbildung in der Selbsterfahrungsgruppe, in der jemand seine Lebensgeschichte ausbreitet und dann die Lehrtherapeutin vielleicht auch irgendwas macht, was die Kandidatin ein bisschen verprellt. Dann wäre es gut, wenn sie sich trauen würde zu sagen: 100

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»He, stopp, das ist mir jetzt zu viel.« So lernen die Kandidatinnen, dass Patientinnen sagen dürfen, dass ihnen etwas zu weit geht oder was ihnen erst einmal noch fehlt. Dann kann ich als Therapeutin später auch adäquat darauf reagieren: »Gut, dass Sie mir das sagen, danke. Ich werde versuchen, dass ich das hinkriege. Wenn noch wieder etwas fehlt oder zu viel ist, teilen Sie es mir bitte sofort mit.« Einen solchen Umgang damit sollten wir in den Ausbildungsgruppen auch vorzeigen können. Die Lehrenden sollten nicht alles an sich abprallen lassen, was sie möglicherweise an Kritik oder Rückmeldung bekommen, nur weil sie ja die Lehrenden sind. Nein, schon in diesem Kontext könnten wir anfangen, solche dialogischen Prinzipien zu entwickeln und damit auch die eigene Fehlerfreundlichkeit. Es ist kein Schaden, wenn mir jemand Rückmeldung gibt. So bekommen wir ein Gespür dafür, dass jemand plötzlich irgendwie komisch schaut oder verstummt. Dann merke ich, dass irgendwas nicht so hingehauen, nicht so gepasst hat. Sofort sollten wir fragen: »Wollen Sie mir sagen, was gerade ist oder was da nicht gestimmt hat?«

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Beziehungsarbeit heißt Netzwerkarbeit und Lebenswelten in den Blick zu nehmen Sie haben angesprochen, dass natürlich häufig etwas im Umfeld des Klienten geschieht, was dann Auswirkungen auf die Therapie hat, aber vom Therapeuten selbst kaum zu beeinflussen ist – ist das die natürliche Grenze von Psychotherapien? Gahleitner  Ich weiß nicht, ob das eine Grenze sein muss. Ich glaube, da ist die österreichische Psychotherapie ganz anders und auch weiter als die deutsche, und zwar nicht nur, weil die Integrative Therapie und Beratung dort ein anerkanntes Verfahren ist, sondern einfach auch, weil das System insgesamt offener ist. Der Übergang von Beratung zur Psychotherapie ist ein ganz anderer, deshalb erlebe ich viele Kolleginnen und Kollegen wesentlich offener für Umfeldarbeit. Der Ansatz ist, dass Therapeutinnen und Therapeuten durch ihre Beziehung in weitere Prozesse hineinarbeiten. Ich nutze das Vertrauen und die Sicherheit, die ich aufbaue, dafür, dass mein Gegenüber seine Prozesse mit anderen reflektieren kann. So hat es auch schon John Bowlby gesagt. Nehmen wir mal an, der Klient vorhin in dem Beispiel wäre geblieben und der Therapeut hätte sehr behutsam gearbeitet, irgendwann wäre dann die Beziehung so stabil gewesen, dass eventuell sogar dieser Klient seinem verletzenden Umfeld gegenüber stark genug hätte auftreten können. Kurz gesagt: Wenn es einem also gelingt, in andere Beziehungsstrukturen hineinzuarbeiten, dann entsteht daraus auch die Fähigkeit bei den Klienten, sich mehr soziale Unterstützung im eigenen Umfeld zu organisieren, hilfreiche von destruktiven Beziehungen zu trennen und so weiter, wie das alles die Netzwerktheorie sehr anschaulich beschreibt und in Forschungsergebnissen nachweist, wenn man zum Beispiel Frank Nestmanns Publikation von 2010 liest. 102

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Schigl  Oder die systemische Therapie. Gahleitner  Ja, auch, aber dort ist mir das oft zu strukturell und zu systemtheoretisch-technisch gefasst worden. Ich denke eher daran, wie Jürgen Kriz (2017) das Systemische versteht, also seine Subjekt- und Lebensweltorientierung, oder ich denke eben an Frank Nestmann. Sie haben deutlich aufgezeigt, was für Effekte das hat. Sehr spannend sind übrigens an dieser Stelle auch Ergebnisse zu tiergestützten Verfahren, denn unser Misstrauen, das wir im zwischenmenschlichen System erwerben, wird nicht 1:1 auf Tiere übertragen. Das heißt, dass zum Beispiel ganz schwer strukturgeschädigte Kinder und Jugendliche, aber auch Erwachsene zu Tieren eine Beziehung aufbauen können und dies dann eine Eisbrecherfunktion bekommen kann hin zum Therapeuten oder zur Therapeutin. Ich finde das hoch spannend, weil das bei Personen anknüpfen kann, bei denen wir psychotherapeutisch oft nicht weitergekommen sind, weil wir das Gefühl hatten, dass das nie etwas wird. Zum Beispiel gibt es total spannende Projekte mit Straf­ tätern, die in Sicherheitsverwahrung sind, die also quasi nie mehr rauskommen werden. Was diese Menschen erzählen am Ende von solchen Projekten, das finde ich schon sehr beeindruckend. Die haben schwerste Straftaten begangen und werden als hoch dissozial eingeschätzt, aber sie wälzen sich mit den Hunden auf dem Boden herum und haben ganz intensive Gefühle zu den Tieren. »Mopsfidel & Pudelwohl« heißt eines der laufenden Projekte dort gerade und dazu ist von Anja Kirsten und Kolleginnen gerade etwas im Erscheinen. Schigl  In der Integrativen Therapie versuchen wir, diese Lebenswelt zu bedenken und zumindest indirekt hereinzunehmen. Sonst wird das oft als »extratherapeutischer Faktor« bezeichnet und außen vor gehalten, als jener Teil, den wir nicht beeinflussen können, der aber extrem viel ausmacht im Prozess. Gahleitner  Genau. Dieser Faktor macht immerhin vierzig Prozent der Veränderungseinflüsse aus. Beziehungsarbeit heißt Netzwerkarbeit

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Schigl  Ja, das bedeutet zwar, dass wir da oft chancenlos sind, aber ich gebe zu, dass wir das Umfeld mit seinen Schwierigkeiten und seinen Ressourcen nach Möglichkeit zumindest in unsere Überlegungen reinnehmen sollten. Das heißt, dass wir dann vielleicht auch ein bisschen »sozialarbeiterisch« tätig werden müssen, also Patienten an die entsprechenden Stellen im psychosozialen Feld überweisen, weil wir in der Therapie das nicht abdecken können. Zumindest aber sollten wir auch schon mal einen Wink geben, zum Beispiel auf eine bestimmte Mitarbeiterin beim Sozialamt oder bei der Schuldnerberatung, weil wir dort vielleicht eine gute Kollegin kennen: »Sagen Sie, dass Sie auf jeden Fall zu Frau X möchten.« Oder ich kann mich – nach Rücksprache mit der jeweiligen Patientin – mit dem Psychiater der Patientin kurzschließen, um die Medikation zu besprechen, wenn die Patientin von sich aus nie etwas Klärendes zu dem »Herrn Doktor« sagen würde. Das hilft auch wirklich, denn sonst würde sie vielleicht die Medikamente absetzen und einfach nicht mehr hingehen. Es gibt Studien zu Depressionen, die besagen, dass Patienten, die Psychotherapie machen, auch eine bessere Einstellung zu den Medikamenten haben und diese regelmäßiger einnehmen. Vor allem bei schweren Depressionen macht das einen Unterschied aus, da ist die kombinierte Therapie sinnvoll. Wir müssen also, da stimme ich völlig zu, auch in die Netzwerke rein und die Netzwerke stärken. Hilarion Petzold hat während meiner Ausbildung einmal gesagt: Ein wichtiger Freund des Psychotherapeuten ist das örtliche Volkshochschulverzeichnis. Das heißt, ich schaue mit vereinsamten Patienten, die wenig Ressourcen haben, in diese Programme und suche heraus, was die sich sonst noch Gutes tun können. Dann machen die auch noch etwas anderes außer Therapie, etwas, was ihnen eben auch guttut, wie Yoga oder Laufen oder Chorsingen oder auch ein Englischkurs oder Gymnastik, je nachdem, was sie gerne haben und sich zutrauen, wo also die Zugangsschwelle möglichst niedrig ist. 104

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Macht das nicht sowieso jeder Therapeut? Gahleitner Nein, offensichtlich nicht. Ich kann auch dazu ein Beispiel erzählen. Der entscheidende Punkt von dem, was Brigitte sagt, ist nämlich, dass Klienten und Klientinnen beschreiben, dass solche Interventionen bei ihnen sehr gut gewirkt haben, wenn man sie rückblickend danach fragt, was besonders hilfreich für sie war. Wir haben vor Kurzem ein Projekt in der Opferhilfe abgeschlossen. Die Opferhilfe berät Opfer von Straftaten. Eine Klientin mit schweren Gewalterfahrungen in der Familie wie in der Ehe berichtete dort: »Also, mit der Polizei habe ich gar nichts am Hut, denn früher habe ich mal so ein paar Straftaten begangen und bin geschnappt worden, vor der Polizei habe ich total Angst, da wäre ich nie hingegangen. Ich bin schon ein paarmal vergewaltigt worden, aber zur Polizei bin ich nie gegangen.« Ohne den Einsatz der Polizei konnte aber der nach wie vor stalkende Mann nicht rechtlich davon abgehalten werden, die Klientin an und auch in der eigenen Wohnung zu bedrängen und zu misshandeln. Die Klientin hatte mehrere Psychotherapieversuche hinter sich, sie waren alle gescheitert. Die Beratung in der Opferhilfe hat sich dann aktiv mit ihr um diesen bedeutsamen Umfeldfaktor gekümmert, Vertrauensaufbau zur Polizei hin geleistet und so weiter – allerdings ohne die psychosoziale Beratungstätigkeit nur auf Administratives auszurichten. Es sind auch viele psychotherapienahe Interventionen gelaufen. Die Klientin erzählte danach: »Und da hat mir die Beraterin total geholfen, dass ich dann da vorsichtig wieder mit der Polizei Kontakt aufnehmen konnte, und dann hat sie mir auch geholfen wegen dem Gerichtsurteil, das hätte ich sowieso allein nicht geschafft, geholfen hat sie mir auch mit meinem Sohn und mit meinem Konto. Da habe ich dann irgendwie auch endlich mal eine Idee gehabt, wie ich das hinkriegen kann, auch mit der Wohnungssuche.« Und dann resüBeziehungsarbeit heißt Netzwerkarbeit

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mierte sie: »Da ging es mir psychisch auch schon viel besser.« Wen wundert’s? Im deutschen Psychotherapiegesetz jedoch sind soziale Interventionen explizit ausgenommen. Schigl  Tiefenpsychologische Therapieverfahren sind da eher skeptisch und wollen die Therapie nicht mit solchen Außenkontakten kontaminieren, habe ich den Eindruck. Verhaltenstherapie wiederum arbeitet zumeist eng symptombezogen und auch mit Manualen. Da spielen dann das Umfeld und die soziale Einbettung auch nur am Rande eine Rolle, es sei denn, sie sind selbst das ausgemachte Ziel der Therapie. Aber in den interpersonellen und humanistischen Verfahren sollte das schon anders sein. Gahleitner  Aus vielen solchen Geschichten wissen wir, wie sehr das helfen kann, wenn wir den engen psychotherapeutischen Rahmen verlassen. Die Frage ist daher, ob wir nicht doch eine größere Vernetzung zwischen sozialer Arbeit und Psychotherapie schaffen wollen, um die Klientinnen und Klienten besser zu unterstützen. Annett Kupfer hat 2015 das Buch »Wer hilft helfen« geschrieben, das gut aufzeigt, was wir alles tun können. Wir wissen aus Erfahrung und auch aus der Forschung, wie wichtig das alles ist, aber wir können noch viel mehr aus diesem Gebiet rausholen. Wir machen das einfach noch nicht konsequent genug. Dabei können die Klientinnen und Klienten, die es erleben, sehr gut ausdrücken, was ihnen daran geholfen hat. Wir müssen sie danach fragen und ihnen gut zuhören – und das gewonnene Wissen dazu konzeptionell umsetzen. Manchmal, so stellt sich dabei heraus, ist auch der Zeitpunkt für Psychotherapie nicht der richtige und es benötigt zuerst andere Interventionen. Schigl  Ich erlebe es immer wieder, dass Mädchen mit Essstörungen deswegen in Therapie kommen, weil ihre Mütter das wollen beziehungsweise die Familien das wollen. Das ist ja auch klar, denn es ist furchtbar und man kann es irgendwann nicht 106

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mehr mit ansehen. Da kotzt sich ein Mädchen quasi die Seele aus dem Leib oder lebt von einer halben Gurke am Tag. Viele von denen gehen dann auf Drängen der Familie, meistens der Mütter, in Therapie, weil sie ja oft brave und vordergründig angepasste Mädchen sind. Nach einer gewissen Zeit im therapeutischen Prozess merke ich, dass ich sie nicht erreiche: Da kommt nämlich öfter so eine Phase, dass einmal der Termin wegen einer Schularbeit abgesagt wird, danach ist sie krank, einmal gibt es einen Ausflug mit den Eltern und dann wieder hat sie sich zu schwach gefühlt und ihr war schwindlig. Schließlich kommt sie mal wieder und erzählt ein bisschen von sich, will aber am liebsten die ganze Stunde nur über Kalorien reden. Wenn der Prozess nur so dahindümpelt, spreche ich das dann an und sage: »Ich glaube, das klappt noch nicht so richtig mit der Psychotherapie. Ist das vielleicht im Moment noch gar nicht richtig passend für Sie?« Viele sagen dann sehr erleichtert: »Ja, das stimmt, ich komme wegen Mama, sie will, dass ich in Therapie gehe.« Darauf wieder ich: »Na gut, vielleicht sollte dann Ihre Mama kommen und sich Hilfe holen.« Inzwischen bin ich recht radikal geworden, aber erst nach zwanzig Jahren Erfahrung, und traue mich nun, solche Therapien von mir aus zu beenden. Ich mache das auch deshalb inzwischen, weil ich nicht möchte, dass das Instrument der Psychotherapie stumpf wird. Von zehn Sitzungen werden fünf abgesagt, die anderen gehen so irgendwie dahin, beide Seiten sind froh, wenn die Zeit vorbei ist. Und irgendwann sagen die dann im Hilfesystem: »Psychotherapie habe ich auch schon ausprobiert, das nutzt überhaupt nichts.« Ich will nicht, dass Psychotherapie mit Scheitern verbunden wird. Ich will als Therapeutin offen zu einer solchen jungen Patientin sagen können: »So klappt das nicht mit einer Psychotherapie. Vielleicht ist es zum jetzigen Zeitpunkt nicht passend. Ich mag Sie gerne, ich arbeite gern mit Ihnen, kommen Sie wieder, wenn Sie bereit dazu sind.« Ich habe nämlich auch schon Beziehungsarbeit heißt Netzwerkarbeit

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erlebt, dass ein Mädchen, die mit sechzehn bei mir gewesen war, mit dreiundzwanzig wiedergekommen ist. Sie sagte: »Und jetzt will ich.« Es war noch immer schwierig genug, weil das Verhalten natürlich auch schon chronifiziert war, aber jetzt wird die Patientin bereit sein, an sich zu arbeiten und etwas zu ändern. Das meine ich jedenfalls, dass ich mir zugestehen muss, einen versandenden Prozess notfalls zu unterbrechen, weil ich merke, dass da etwas noch nicht geht. Das war auch eine Problematik, die die Expertinnen in den Interviews des RISK-Projekts angesprochen hatten, versandende Prozesse, die nur irgendwie weitergeschleppt werden. Interessanterweise scheint aber genau das Ansprechen und gegebenenfalls auch Beenden dann vertrauens- und beziehungsstärkend zu sein. Gahleitner  Genau, weil es authentisch ist. Eine zweite Möglichkeit im Sinne der Netzwerkarbeit wäre, mit ihr zu überlegen, was es denn vielleicht noch für eine andere Möglichkeit gäbe, zum Beispiel so etwas wie eine Einzelfallhilfe oder Ähnliches, damit jemand da ist, der an ihrer Seite steht und im Fall des Falles, wenn er es allein nicht schafft, wieder an die Therapeutin verweist. Auf diese Weise zeigt die Therapeutin, dass sie mitschwingt – und die Klientin spürt das und fühlt sich ernst genommen. Es wäre gut, wenn wir es als Profession besser schaffen, an solchen psychosozialen Einbettungen zu arbeiten, wo eventuell andere, vertrauenswürdige Personen Hilfe und Unterstützung bereitstellen können: Angehörige, Freunde, Selbsthilfegruppen, wer auch immer. Manchmal reicht es aber vielleicht einfach auch, zu sagen: »Ich bin jederzeit da, Sie können wiederkommen.« Das hat etwas mit Adäquatheit zu tun. Du hast ihr Bedürfnis adäquat aufgegriffen. Das meint das Konzept der Feinfühligkeit, also Passfähigkeit herzustellen. Gerade bei Jugendlichen finde ich es besonders stark, denn sie achten ja total auf Authentizität. Es gibt für Authentizität keine besseren Antennen als bei Jugendlichen. Und für echtes Verstandenwerden. Dieses wirkliche Ver108

Beziehungsarbeit

standenwerden, das ist ein hohes Gut, und das ist so schwierig zu kriegen. Man kann ja heute fast alles kaufen, aber daran herrscht immer Mangel. Das können Jugendliche – gerade heute in der virtuellen, flüchtig angelegten Welt – unglaublich gut gebrauchen. Schigl  Dazu brauchen wir als Psychotherapeutinnen aber wieder die innere Freiheit, uns einzugestehen, dass wir jetzt im Moment erfolglos sind. Als Psychotherapeutin, in der Berufsrolle, nicht als Mensch. Schigl  Ja, es ist halt in diesem Prozess nicht weitergegangen. Ich muss die innere Freiheit besitzen, diese Patientin zu verlieren. Gerade in Österreich, wo wir viel zu wenig adäquat honorierte Therapieplätze haben und es schwierig ist, ein Kontingent kassenfinanzierter Psychotherapie bewilligt zu bekommen, heißt das für mich als Therapeutin ja auch, achtzig, neunzig Euro in der Woche weniger zu verdienen, wenn jemand nicht mehr kommt. Ich muss die persönliche und finanzielle Freiheit haben, darauf zu verzichten. Das ist etwas, was wir den Ausbildungskandidatinnen immer vermitteln, sie dürfen nicht abhängig sein von einzelnen Patienten. Deshalb ist oft am Anfang einer freiberuflichen Tätigkeit ein zweites berufliches Standbein so wichtig. Die Verlockung ist nämlich groß, dass ich mir sage: Okay, das ist leicht verdientes Geld, die kommt nicht oft, sagt immer kurzfristig ab, sodass ich ein Ersatzhonorar verlangen kann oder eine Stunde habe, in der ich meine Aufzeichnungen sortiere und Bürokram erledige. Auch das ist wieder etwas, was Fehler oder Schädigungen durch Psychotherapie vermeiden hilft, wenn ich mich als Therapeutin so positionieren kann, dass ich nicht auf diese einzelne Patientin angewiesen bin und mich trauen kann, so etwas anzusprechen und gegebenenfalls die Therapie von meiner Seite aus ernsthaft infrage zu stellen oder auch zu beenden. Beziehungsarbeit heißt Netzwerkarbeit

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Gahleitner  Ja, das ist eben auch eine ethische Verpflichtung. Schigl  Genau. Und da sind wir beim Netzwerk der Therapeutin. Die Patientin wird durch extratherapeutische Faktoren beeinflusst. Das sind ja ganz viele. Aber auch Therapeuten und Therapeutinnen haben extratherapeutische Faktoren: In welchem Setting arbeiten wir, finanziert die Krankenkasse die Psychotherapie, in welches Gesundheitssystem sind wir eingebettet, arbeiten wir auf dem Land oder in der Stadt, sind wir in der freien Praxis, sind wir in einer Einrichtung? Davon hängt ganz vieles ab. Da stecken auch wieder je spezielle Fehlerquellen in diesen Faktoren. Einen recht guten Überblick über diese komplexen Zusammenhänge, soweit wir schon Daten dazu haben, gibt das GMP, das »Generic Model of Psychotherapy« von David Orlinsky und Kenneth I. Howard aus dem Jahr 2009. Aber noch einmal zurück zur Beziehung: Hinzu kommt zur Passung eine gewisse Sympathie, das kennen wir alle. Es kommt jemand zur Tür herein und auf den ersten Blick denken wir: »Oh, hm …« Das geht innerhalb von drei, vier Sekunden. Diese emotionale Bewertung geschieht, sagt die Psychologie, in wenigen Sekunden, und dann steht dieser erste Eindruck. Aber manchmal passt es mit der Sympathie zunächst nicht, allerdings können wir trotzdem arbeiten. Das ist ja die professionelle Aufgabe. Schigl  Mir hat mal eine Patientin Folgendes erzählt: Sie kam zum Erstgespräch, wir kannten uns nicht und hatten bisher nur miteinander telefoniert. Der Termin war von mir so gelegt, dass ich vorher meine Pause hatte, in der ich Besorgungen gemacht hatte und dann wieder zur Praxis bin. Vor der Praxis spricht mich eine Frau an und fragt, ob sie gleich mit hochkommen dürfe. Ich schaue sie an und frage zurück: »Ja, gerne, wo wollen Sie denn hin?« – Sie: »Ja, Sie sind doch die Frau Doktor Schigl, ich komme jetzt zu Ihnen.« – Ich: »Aha.« 110

Beziehungsarbeit

Ich war etwas zerzaust und es war heiß und ich war nicht darauf eingestellt, der Patientin jetzt schon zu begegnen und sie schon zu empfangen. Ich hatte zwei schwere Einkaufstaschen in den Händen und habe eigentlich noch einiges arrangieren wollen, bevor ich sie zum ersten Mal sehen würde. Na ja, wahrscheinlich habe ich nicht so besonders freundlich gewirkt. Ich habe sie natürlich trotzdem hochgebeten und habe sie dann ins Wartezimmer gebeten, um Platz zu nehmen, und habe mich organisiert. In der zweiten Stunde erzählte sie mir: »Wissen Sie, wie Sie mich das erste Mal behandelt haben? Da habe ich mir jedenfalls gedacht, dass das hier nichts wird.« – Ich habe ihr geantwortet: »Stimmt, ich war auch so überrascht. Erstens mal, ich kenne Sie nicht, Sie kennen aber mich und sprechen mich an. Dann war ich mit den Gedanken ganz woanders und habe erst meine Einkäufe zusammensuchen müssen. Stimmt, da war ich wahrscheinlich nicht sehr einladend.« Es muss gar nicht immer auf den ersten Blick passen, aber es muss die Verständigung darüber möglich sein. Es wurde dann übrigens noch ein recht guter Prozess. Wir hatten immer wieder solche Reibungspunkte, die wir aber gut bearbeiten konnten. Die Patientin war auch »tough« genug, es anzusprechen, wenn sie etwas störte, und wir konnten es dann gut auflösen. Manchmal, so wie bei diesem ersten Mal, war es dann völlig klar, dass da eine ungünstige Konstellation herrschte und ich deutlich dazu beigetragen hatte. Manchmal wiederum kam es wirklich von ihr und ihrer Vergangenheit, das konnten wir dann gut auf einige biografische Szenen zurückführen und sie konnte es auch nehmen. So haben wir in und an der Beziehung und deren Dynamiken und dem Übertragungs- und Gegenübertragungsgeschehen gearbeitet und uns dabei nicht geschont. Gahleitner  Genau, es muss einfach etwas Authentisches entstehen. Und ich möchte noch mal unterstreichen, was du vorhin angesprochen hast: Wenn wir professionell arbeiten, dann Beziehungsarbeit heißt Netzwerkarbeit

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gehört zu diesem professionellen Teil ein gesamtes Strukturgefüge. Was erlaubt zum Beispiel das Psychotherapiesystem und was nicht? Bei euch ist die Problematik die mit der Bezahlung, bei uns ist die Problematik die mit den Kassenanträgen. Was bedeutet Community-Vernetzung, Finanzierung und so weiter. Erst innerhalb dieses Gefüges mit seinen jeweiligen Begrenzungen kann sich die Kompetenz der Fachkräfte entfalten, die dann wiederum auf die konkreten Interventionen des Psychotherapiegeschehens einwirkt. Diese wirken wiederum auf die Klienten und Klientinnen ein und wirken immer auf eine je bestimmte Weise. Das ist also ein sehr komplexes Gefüge. An Extrembeispielen kann man sich das oft besser klarmachen, ich nehme mal wieder den Bereich des Frauenhandels, wo die ganzen rechtlichen Aspekte noch dazukommen, die manchmal sogar einen Teil der eigenen Arbeit richtig kaputtmachen. Man hat gerade jemanden aufgebaut, der womöglich hoch traumatisiert ist, und eine gute Beziehung hergestellt, aber dann wird der Klientin mit Abschiebung gedroht. Auch andere Aspekte spielen eine Rolle, die Finanzressourcen, Gesetzgebungsaspekte im Prostitutionsbereich und vieles mehr. Erst innerhalb dieses Rahmens kann die Fachkraft ihre Kompetenz einsetzen, die dann auf die Intervention Einfluss hat, also wie qualifiziert interveniert wird. Dann ist noch die Frage, wie die Intervention wiederum von der betroffenen Frau in dem Moment angenommen werden kann, weil sie vielleicht gerade in dieser oder jener Verfassung ist. Es ist schon eine fachliche Herausforderung, dies alles im Blick zu haben, denn erst im Rahmen dieses Gesamtgeschehens gelingen oder misslingen Beziehung und Einbettung beziehungsweise Intervention überhaupt. Schigl  Ja, gerade in der Traumatherapie sind die extratherapeutischen Faktoren so immens wichtig. Ich habe etwa eine Maximalstundenanzahl von hundertsechzig Psychotherapiesitzungen, die kassenfinanziert sind. Mit hundertsechzig Sitzungen bin ich 112

Beziehungsarbeit

aber bei einem schwer Traumatisierten gerade erst mittendrin. Jetzt muss ich jedoch das Ende einleiten, weil wir nur noch zehn oder zwanzig Sitzungen haben. Gahleitner  Ich hatte zum Beispiel eine Jugendliche, die war im Alter von sechs bis sechzehn Jahren schwerst vergewaltigt worden vom Stiefvater, und zwar fast jede Woche. Der Gerichtstermin stand an. Sie hat tatsächlich mit unserer Hilfe dieses Gerichtsverfahren durchgestanden und der Täter ist auch verurteilt worden. Am Ende der Zeit in der Einrichtung, in der sie wohnte, habe ich versucht, sie weiterzuvermitteln an eine Psychotherapeutin. Aber: Ich habe keine gefunden. Es war unheimlich schwer, diesen direkten Anschluss hinzukriegen. Eben weil sich viele Psychotherapeuten und Psychotherapeutinnen in Deutschland mit einer so komplexen Situation überfordert fühlen. Wenn das dann aber nicht gelingt, dann entsteht ein großer Bruch. Wir haben das dann mithilfe von Einrichtungsgeldern irgendwie hergestellt, diesen Übergang, aber das kann ja nicht die Methode der Wahl sein. Und das war kein Einzelfall, sondern wir hatten das öfter, dass wir diese jungen Frauen nicht untergebracht haben. Dann geht ganz viel von dem kaputt, was man vorher mühsam aufgebaut hat. Denn jetzt könnte man tatsächlich anfangen, psychotherapeutisch im engeren Sinne zu arbeiten.

Beziehungsarbeit heißt Netzwerkarbeit

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EINSCHÄTZUNG DER THERAPEUTISCHEN BEZIEHUNG

»Wenn mal ganz zaghaft Kritik kommt, dann ist es wichtig, darauf positiv und sogar freudig zu reagieren, um die Patientin sofort darin zu bestärken.« Brigitte Schigl

Abhängigkeiten

Es gibt diese therapeutische Situation, bei der sich beide ganz nett in ihrer Dyade einrichten. Es plätschert alles so vor sich hin, ob es dabei wirklich therapeutisch vorangeht, weiß man eigentlich nicht so recht, aber beide fühlen sich unglaublich wohl miteinander. Auch darin ste­ cken Gefahren. Was würden Sie jungen Therapeuten und Therapeu­ tinnen empfehlen, um nicht in so eine Schlummerstruktur zu geraten? Gahleitner Wir hatten ja vorhin schon die Notwendigkeit besprochen, die Klienten und Klientinnen und die Situation, in der sie und ich sind, und die Problematik, unter der sie oder das Umfeld von ihnen leiden, besser zu verstehen. Da würde ich nochmals einen neuen Anlauf nehmen. Diagnostik ist ja immer auch prozessuale Diagnostik. Und zur Diagnostik gehört auch immer die bereits angesprochene Bindungs-, Biografie- und Umfelddiagnostik. Wenn ich merke, dass sich eine Kuschel­atmosphäre einstellt, die nicht mehr zu einer weiteren Exploration animiert, dann halte ich es für sinnvoll, sich gemeinsam einfach mal zu fragen: Wo sind wir denn jetzt, was hat sich verändert, wie sieht es aus mit uns und dem sozialen Umfeld? Vielleicht ist es aber auch tatsächlich schon so weit, dass langsam das Ende eingeläutet werden kann. Doch vielleicht, nehmen wir mal den Fall an, ist im sozialen Netzwerk noch gar nicht viel passiert und beide befinden sich noch ausschließlich in der Arbeit an der Therapiedyade, dann müsste man das kritisch hinterfragen. Ich arbeite in solchen Situationen neben einer prozessual fortgesetzten Diagnostik auch viel mit Selbstöffnen und Beziehungsklären, indem ich mein Unbehagen offen anspreche und das ganz authentisch benenne und die Situation dazu nutze, die Beziehung zwischen mir und den Klienten und Klientinnen zum Thema zu machen, um sie weiter zu klären. 116

Einschätzung der therapeutischen Beziehung

Schigl  Ich würde bei der Diagnostik in jedem Fall auch zuerst bei mir selbst ansetzen und mich fragen, erstens: Warum fällt mir das überhaupt und warum jetzt auf? Eine Supervisandin, die mir das berichtet, würde ich sehr bestärken und loben, dass ihr das überhaupt auffällt. Das ist schon die halbe Miete. Bevor noch die Diagnostik aufseiten der Patientin stattfindet, würde ich raten, bei sich selbst nachzuschauen und sich zu fragen, warum der Therapeutin das jetzt so bequem oder angenehm erscheint. Das meint es eben, wenn wir davon sprechen, die Diagnostik auch auf sich selbst anzuwenden. Habe ich im Moment vielleicht so viele schwierige Patienten, dass ich ganz froh darüber bin, mich dazwischen auch mal etwas ausruhen zu können? Dann könnte es die Aufgabe sein, besser umzuverteilen oder die Tage anders einzuteilen oder keine schwierigen Patientinnen mehr aufzunehmen. Oder habe ich eigentlich Angst vor etwas, was ich im Hintergrund schlummern sehe, spreche es aber nicht an, weil ich den Prozess nicht beunruhigen will? Auch dann würde ich mich zuerst einmal selbst dafür loben, dass es mir auffällt, mich dann aber selbst explorieren, um zu schauen, was es denn bewirkt, dass ich in diesem Modus bleibe. Eventuell komme ich zu der Überzeugung, dass es sich um eine so schwer geschädigte Patientin handelt, dass es auch gut und wichtig ist, wenn sich beide mal ein paar Monate ausruhen können. Das ist völlig legitim. Hier bin ich dann aber auch schon beim Übergang zur Patientinnendiagnostik, zu der du gerade schon etwas gesagt hast. Und wenn Sie nun zu dem Eindruck kämen, dass die Klientin vom Setting und der Person der Therapeutin geradezu abhängig ist? Schigl  Hm, wie merke ich Abhängigkeit? Ich glaube nicht in der Form, dass eine Therapie so dahinplätschert, wie Sie sagen. Das ist eher, wenn es sich beide bequem einrichten und nicht anAbhängigkeiten

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strengen. In der RISK-Studie haben wir einen Nebenwirkungsfaktor gefunden, den wir »Isolation« genannt haben. Damit ist gemeint, dass Patientinnen sich nur mehr an der Therapeutin oder dem Therapeuten orientieren; mit niemand anderem mehr reden mögen, weil die alle nicht so verständnisvoll sind; für die die Therapie das Wichtigste wird. Das kann schon phasenweise so sein, gerade bei früh gestörten und schwer traumatisierten Menschen, aber generell muss es auch als eine mögliche Nebenwirkung in Betracht gezogen werden. Gahleitner  Na ja, ich kann schon spüren, dass die Klientin vielleicht nirgendwo anders Fuß fasst oder eben ihre sozialen Kreise so gar nicht erweitert, denn genau das würde sie ja benötigen in neuen Krisensituationen, dass sie auch auf andere Personen zurückgreifen kann. Die Therapeutin darf ja nicht die Einzige bleiben. Das würde uns irgendwann auch unangenehm werden. Schigl  Wenn es da stehen bleibt, muss es uns jedenfalls zu denken geben. Gahleitner  In dem Falle würde ich so anfangen, wie du zuvor gesagt hast: Wenn mir irgendetwas unangenehm wird, hole ich mir Supervision, um erst mal abzuklären, was das Unangenehme genau ist. Bei einer Klientin hatte ich mal nach sechs Jahren das Gefühl, dass es mit mir irgendwie nicht mehr weiterging. Die Klientin war gar nicht in dem Sinn abhängig von der Therapie, aber nach sechs Jahren … Schigl  Es kann sich eben auch eine Konstellation abnutzen. Gahleitner  Ja, jedenfalls habe ich mir dann eine Supervision genommen und anschließend beschlossen, dass es Sinn macht, es mit ihr zu besprechen, einen – allerdings langsamen – Übergangsprozess anzutreten. Wenn ich eine Abhängigkeit vermuten würde, dann würde ich versuchen, das zu reflektieren und auch anzusprechen in der Therapie, natürlich patientinnengerecht und nicht konfrontativ, aber ich würde es benennen, nämlich dass ich das Gefühl habe, die Klientin würde sich einfach zu viel auf die Therapie konzentrieren, dass es mir aber sehr wichtig 118

Einschätzung der therapeutischen Beziehung

sei, sie doch weiter rein ins soziale Leben zu begleiten. Ich bin ja deswegen nicht weg, ich würde zum Beispiel niemals sagen: »Der therapeutische Kontakt wird irgendwann enden und dann müssen Sie zusehen, dass Sie klarkommen.« Nein, mir ist wichtig, dass ich weiterhin noch ein Haltepunkt, ein Anhaltspunkt, eine Chance oder eine Möglichkeit im Leben der Klientin bleiben kann, wenn sie das will. Wie das genau geht, dafür ist immer ein individueller Abstimmungsprozess nötig, aber ich kann ja als soziales Umfeld nicht die Einzige bleiben, es muss andere als Haltepunkte und Möglichkeiten geben – ein soziales Netz eben, wie wir das gerade bei dem Beispiel Frauenhandel hatten. Schigl  Ich glaube nicht, wenn die Therapie so dahinplätschert, dass das ein Zeichen dafür ist, dass die Patientin abhängig ist. Ich glaube, dass sich Abhängigkeit anders zeigt, nicht im Dahinplätschern, denn im Plätschern macht es nichts, wenn mal eine Stunde ausfällt oder wenn Urlaub ist oder aus anderen Gründen eine Stunde abgesagt werden muss. Eine Abhängigkeit zeigt sich daran, dass eine Patientin schon im Herbst panisch wird, weil ich ihr gesagt habe, dass ich zu Weihnachten drei Wochen nicht da sein werde, oder indem ich Komplimente bekomme dafür, dass sie sich von mir so gut verstanden fühlt wie von sonst niemandem. Abhängigkeit von der Therapie ist eine der Nebenwirkungen, die man sogar bei gut laufenden Therapien finden kann. Ich würde auf jeden Fall mit der Patientin besprechen, weshalb sie zum Beispiel nun schon zweimal betont habe, ihr Highlight in der ganzen Woche sei die Therapiestunde, und dass es doch sehr schade sei, wenn es sonst keine Highlights gebe: »Wollen wir nicht daran arbeiten, dass Sie mehr schöne Aspekte auch außerhalb der Therapie erleben?« Ich würde entweder – je nachdem, wie reflexionsfähig sie ist – diese Abhängigkeit ansprechen, wobei es wieder drauf ankommt, wie gut die Beziehung ist, ob ich das so benennen kann. Oder aber ich überlege, ob ich nicht Abhängigkeiten

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selbst den Blick der Patientin im Gespräch mehr nach außen richte, damit die Therapiestunde nicht die einzige Quelle von Befriedigung ist, sondern noch andere Aspekte in ihrem Leben entwickelt werden können. Gahleitner  Ich kann dazu noch ein Fallbeispiel erzählen: Eine Siebzehnjährige in der stationären Jugendhilfe, in der ich damals Therapien gemacht habe, hatte sich sehr stark auf die Therapie fokussiert. Sie hatte eine sehr schwere Lebensgeschichte mit schweren frühen Misshandlungen durch den Bruder und schwerer sexueller Gewalt durch einen Freund des Bruders und hat sich selbst massiv verletzt. Sie hat dann irgendwann die Problematik entwickelt, keinen Schritt mehr rausgehen zu können, sie wurde sofort ohnmächtig. Sie war völlig fixiert auf diese Einrichtung und hat sich auch innerhalb der Einrichtung immer mehr abgeschottet. Es zeigte sich so etwas wie eine Borderline-Struktur, indem sie sich auf einzelne Personen über mehrere Monate hinweg richtig eingeschossen hat, sich total festgehakt hat an denen und dann in die Dynamik von Idealisierung und Abwertung geriet. Da sie trotz dieser Dynamik eigentlich gut »in Beziehungen« und auch gut gebunden war, habe ich versucht, über wirklich ganz viel authentisches Klären meine Eindrücke zu schildern, habe versucht, mit ihr Beziehungen zu klären, habe mit ihr aber auch versucht, vorsichtig Beziehungen zu anderen zu klären, weil es da nämlich immer wieder hakte, um an diesem sozialen Gefüge zu arbeiten, bevor wir wieder daran arbeiten konnten, dass sie rausgehen konnte. Das Rausgehen wurde zum sekundären Schritt, erst mal ging es überhaupt darum, innerhalb der Einrichtung zu den anderen Betreuerinnen und zu den anderen Mädchen wieder vorsichtig Kontakt aufzubauen. Wir wollten wieder mehr Einbettung herstellen. Die Arbeit ist dann sehr stark über diesen Vernetzungscharakter gelaufen. Dabei ist zwar nicht alles gelungen, aber wir haben Schritt für Schritt zu weiteren Möglichkeiten gefunden. Denn natürlich konnte diese Einrichtungsfokussierung so nicht bleiben. 120

Einschätzung der therapeutischen Beziehung

Über Therapeutinnen und Therapeuten, denen häufiger Fehler passie­ ren, heißt es auch, sie täten sich schwer damit, die Beziehungsquali­ tät realistisch einzuschätzen, beziehungsweise halten diese für besser, als sie ist. Auch ein Unbehagen in der Beziehung tritt bei ihnen eher nicht auf. Wie beurteile ich als Therapeut denn die Beziehungsquali­ tät realistisch, ausgewogen? Schigl  Jedenfalls nur dialogisch. Aber da gibt es eben die unterschiedlichen Bereitschaften der Therapeutinnen und Therapeuten, in diesen Dialog einzutreten. Und möglicherweise auch verfahrensbezogene Unterschiede, inwieweit das zum Repertoire einer Therapiemethode gehört. Gahleitner  Natürlich, letztendlich nur dialogisch. Aber ich würde an der Stelle gerne noch mal einen Schritt zurückgehen: Nach den ersten Sitzungen und wenn ein bisschen Vertrauen gewachsen ist, versuche ich eine Beziehungsdiagnostik zu machen. Das kann man mit einem Bindungsinterview machen oder auch mit Verfahren, in denen Klienten und Klientinnen anhand bestimmter Bildvorlagen Szenen assoziieren und beschreiben. Und zusätzlich mit einem sogenannten Sozialen Atom, einem netzwerkdiagnostischen Verfahren aus dem Psychodrama. Was ich in dem Kontext für ganz wichtig halte, ist die Suche nach positiven Bezugspersonen aus der Vergangenheit. Häufig sind Großeltern ganz wichtig gewesen, weil die in den allerersten Jahren noch da waren. Vielleicht gibt es wichtige Geschwister. Oder alte Freunde, zu denen der Kontakt zwar abgebrochen ist, bei denen die Klientinnen aber den Kontakt gerne wiederherstellen möchten. Wenn ich mir möglichst präzise Aufschluss über die frühen und jetzigen Bindungs- und Beziehungsstrukturen verschaffe, also erfasst habe, welche Bindungsrepräsentation mein Gegenüber zeigt, versuche ich, bindungssensibel daran anzuknüpfen, und zwar in der Reflexion dessen, wie es mir momentan in der Therapie mit dem Abhängigkeiten

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Klienten oder der Klientin geht und was das für das Gefüge heißen könnte. Ganz wichtig dabei ist das Achten auf die Stabilität der Identitätsstruktur, die Klienten und Klientinnen im Laufe ihres Lebens haben entwickeln oder auch nicht entwickeln können. Haben wir es, wie in meinem Beispiel zuvor, mit einer emotional sehr instabilen Person zu tun, bei der alles sehr gefühlsintensiv abläuft und die Struktur sich aufgrund früher Traumata und von wenig Bindungssicherheit beziehungsweise sogar Bindungsdesorganisation nur schwer hat aufbauen können, muss man aufpassen, denn irgendwann kommt die Abwertung nach vorheriger Idealisierung, und zwar möglicherweise bis hin zur Androhung des Therapieabbruchs. Mit einer guten Bindungsdiagnostik lässt sich das bei allen Schwankungen einigermaßen gut voraussehen und kontinuierlich bearbeiten. Ziel einer guten Bindungs- und Beziehungsarbeit ist ja, Klienten und Klientinnen in ihrer Bindungsstruktur zu erfassen, möglichst präzise an ihrer aktuellen Bindungsrepräsentation anzuknüpfen und sie von da aus im Sinne des Konzepts der Feinfühligkeit in Richtung von mehr Bindungssicherheit zu begleiten. Ich versuche dafür immer wieder, Aspekte des Beziehungsklärens einzustreuen, nämlich so, wie du sagst, Brigitte, mich dialogisch mit der Klientin zu versichern, wie sie die Beziehung empfindet, für wie stabil sie sie hält und so weiter. Wir müssen in einen Dialog darüber gehen. Und wer das tut, merkt in der Regel schon, was los ist. Außerdem gibt es diese Stundenbögen, die man einsetzen kann und auf denen die Klientinnen bewerten, wie die Stunde und wie die Einheit war. Viele mögen das nicht so, weil die Fragen sehr technisch klingen, aber entlang so eines Rasters gibt es uns als Therapeutinnen schon etwas mit, an dem wir nach jeder Stunde sehen können, wie angemessen unsere eigene Einschätzung ist und ob sie mit der der Klientin zusammenpasst. Und wir können es das nächste Mal zum Thema machen. 122

Einschätzung der therapeutischen Beziehung

Was für mich trotz einer solchen Arbeitsweise noch ungeklärt bleibt, trage ich entweder in die Supervision oder in eine Intervision. Ich glaube, wer sich strukturiert um diese Beziehungsaspekte kümmert, bekommt auch eine realistische Vorstellung davon, wo die therapeutische Beziehung jeweils steht. Ausnahmen kann es natürlich immer geben. Schigl  Also, grundsätzlich würde ich die Beziehung nur dialogisch einschätzen, aber jetzt beim Zuhören habe ich mich gefragt, ob ich vielleicht die Beziehung vor allem dann zum Thema mache, wenn ich sie als problematisch erlebe. Das heißt: Wenn es sich um ein gutes therapeutisches Arbeiten handelt, mache ich das weniger, merke ich gerade. Wenn mir ohnedies auch die Patientin mehrfach versichert, dass sie zufrieden ist, zum Beispiel indem sie das, was wir miteinander machen, auch als hilfreich erlebt. Wenn es außerdem keine Irritationen meinerseits gibt, dann spreche auch ich die Beziehung, das muss ich jetzt selbstkritisch festhalten, weniger an, als man es noch tun könnte. Diesen Dialog hole ich mir also vor allem dann, wenn irgendeine innere Irritation oder eine Diskrepanz spürbar ist. Nicht nur wenn häufiger mal Kritik kommt, sondern auch wenn ich zum Beispiel übermäßig viel Lob kriege oder spüre, dass die Klientin nicht so richtig mitzieht, dann würde ich sagen: »Ich würde jetzt gerne mal mit Ihnen prinzipiell reden, denn ich habe darüber nachgedacht, wie es denn überhaupt für Sie hier so ist? Wie geht es Ihnen denn mit mir?« Für diese Irritationen oder Diskrepanzen muss ich aber auch sensibel sein. Wir haben Belege aus der Forschung dafür, dass Therapeutinnen und Therapeuten in ihrer Fähigkeit variieren, eine positive Allianz mit Patienten zu formen, und damit auch wahrscheinlich in der Fähigkeit, diese Beziehung einzuschätzen. Bruce E. Wampold und Zac E. Imel haben das in ihrem Buch, das jetzt auch auf Deutsch erschienen ist, gut dargestellt. Bis zu 55 Prozent der Wirkung machen die Effekte der therapeutischen Allianz aus. Abhängigkeiten

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Aber wenn nun ein Therapeut sagt: Mensch, bei mir laufen einfach Therapien immer so saugut. Ich denke über Beziehungsqualität gar nicht nach, denn das kann ich einfach, bei mir ist immer alles super. Schigl  Da muss ich wieder auf die Ergebnisse von Nissen-Lie verweisen: Therapeutinnen und Therapeuten, die eher Selbstzweifel hegen und sich kritisch reflektieren, haben bessere Erfolgsquoten. Wenn immer alles super ist, dann ist das schon eine Indikation dafür, dass man darüber nachdenken sollte. Während eines Prozesses bekommt man schon punktuell Rückmeldung, wenn man genau hinhört und offen ist: Wenn die Patientin zum Beispiel sagt, das letzte Mal sei es sehr intensiv gewesen oder etwas habe ihr geholfen oder dass sie sich heute schon auf die Stunde gefreut habe – das sind immer Anzeichen dafür, dass es gut läuft. Wahrscheinlich ist das so wie in einer Partnerschaft: Wenn es gut läuft, braucht man keine Beziehungsgespräche. Aber wenn die Rückmeldungen, die sie mir gibt, sehr auseinanderklaffen mit meiner inneren Wahrnehmung oder meinem Gefühl, dann würde ich nachhaken. Übrigens möchte ich hinzufügen, dass solche Äußerungen zur Therapie selbst eher von Frauen kommen als von Männern. Wie laden Sie denn zur Kritik ein, damit die Klientin sich traut, auch Negatives auszudrücken? Schigl  Wenn mal ganz zaghaft Kritik kommt, dann ist es wichtig, darauf positiv und sogar freudig zu reagieren, um die Patientin sofort darin zu bestärken. »Super, dass Sie mir das sagen.« Oder: »Gut, das hilft mir wirklich weiter, mich auf Sie einzustellen. Bitte sagen Sie mir das wieder, wenn Ihnen so etwas auffällt.« Ich mache das auch regelmäßig im Erstgespräch, dass ich sage: »Selbstverständlich können wir beide immer wieder überprüfen, wie es uns miteinander geht und ob die Therapie sinnvoll ist. Dazu bitte ich Sie, wann immer Ihnen etwas dazu 124

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auffällt, dass Sie das sagen. Auch ich werde mir erlauben, dass ich nachfrage, wenn ich mir mit etwas unsicher bin.« Wobei ich vermute, dass die Leute im Erstgespräch so aufgeregt sind, dass sie das noch nicht so genau mitkriegen. Aber ich sage das immer und kann später darauf zurückkommen. Gahleitner  Und dann können wir natürlich auch verändernd reagieren, und zwar ganz konkret, nicht etwa beschwichtigend. Übrigens gestehe ich mir auch zu, den Klientinnen mal etwas zu sagen, was mir nicht so gefallen hat. Aber gleichzeitig lade ich sie dann dazu ein, dass sie umgekehrt sagen, was ihnen nicht gefällt, sodass wir offen miteinander darüber sprechen, was gestört hat oder was schwierig ist. Indem ich versuche, etwas offen zu äußern, können sie es ebenfalls tun. In der Mädcheneinrichtung damals habe ich außerdem darauf reagiert, wenn die Mädchen in den Gesprächen Kritik an anderen ausgedrückt haben. Dann habe ich Sätze gesagt wie: »Es wäre wichtig, wenn du mal Kritik hast in Bezug auf mich, dass wir darüber hier offen sprechen können, nicht nur über andere, sondern eben auch in dem Setting.« Man muss da Anknüpfungspunkte suchen für solche kritischen Themen, damit es auch nicht zu aufgesetzt wirkt. Aber ich glaube, der zentralste Aspekt ist die eigene, vorgelebte Offenheit in den therapeutischen Gesprächen. Das spüren die Klientinnen, ob jemand auch gut mit Kritik umgehen kann oder dichtmacht. Wenn man die Tür zur kritischen Reflexion aufmacht, kann dann nicht eben auch die Angst des Therapeuten aufkommen, oje, wenn ich das jetzt anspreche, bekomme ich vielleicht auch Kritisches zu hören? Im Eindruck einer »wohligen« Atmosphäre lebt es sich leichter. Schigl  Wir wissen aus der Forschung aber, dass schon das Ansprechen der therapeutischen Beziehung diese verbessert. Das müssten alle Psychotherapiekandidatinnen und -kandidaten eigentlich erfahren in ihren Ausbildungen: theoretisch in den Abhängigkeiten

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Lehrveranstaltungen und praktisch in ihren Lehrtherapien. Also, die müssten schon dahingehend ausgebildet sein, dass sie solche Fragen nicht scheuen. Und dann sind wir wieder bei der Fehlerfreundlichkeit und Offenheit und Angstfreiheit. Wenn ich weiß, dass ein solches Ansprechen gut für die Beziehung und somit gut für den Outcome ist, dann muss ich das professionell einsetzen, auch wenn ich vielleicht Unangenehmes zu hören bekomme. Nur dann habe ich die Möglichkeit, es auch zu reflektieren, zu erklären und gegebenenfalls zu ändern, was ich da mache. Wie Nissen-Lie sagt: Love yourself as a person, doubt yourself as a therapist. Gahleitner  Ich verpacke erst mal vieles ein bisschen humorvoll, gerade bei Jugendlichen, obwohl ich schon relativ klar bin im Ausdruck von Ärger. Wenn ich mich ärgere, dann spürt man das auch: »Ich bin jetzt echt ärgerlich, weil wir schon das dritte Mal erst verspätet anfangen können, das finde ich echt total doof. Ich möchte gerne mit dir arbeiten, nehme mir dafür die Zeit und die Konzentration, aber du kommst laufend zu spät.« Anschließend sage ich aber auch: »Wenn dir mal irgendetwas nicht gefällt oder dich ärgert, dann können wir das genauso besprechen. Gibt es etwas?« Ich suche Anknüpfungspunkte, um dann damit zu arbeiten. Ich erinnere mich gerade an eine Klientin, die mich wirklich sehr gefordert hat. Sie war hochintelligent, war wahnsinnig »verkopft« und konnte nur sehr schwer Gefühle zulassen. Sie war mit einer langfristigen Krankheit belastet, an der der Vater gestorben war. Bei ihr habe ich ganz, ganz viel mit Humor gemacht. Das war fast die einzige Möglichkeit, denn dann konnte auch sie alles mit Humor ausdrücken, was ihr leichter fiel. Man muss das mit der Kritik ja auch nicht immer so bierernst betreiben. Und, klar, hat man auch Ängste vor unangenehmen Situationen. Aber diese werden vom Schweigen nicht besser, ist meine Erfahrung.

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Einschätzung der therapeutischen Beziehung

Ja, über Humor haben wir noch gar nicht gesprochen. Schigl  Man kann so etwas auch damit lösen, was Hilarion Petzold »Theorie als Intervention« nennt: Den Patientinnen wird mitgeteilt, warum die Therapeutin etwas vorschlägt, fragt oder sagt, zum Beispiel eben, dass die therapeutische Beziehung ein ganz wesentlicher Faktor ist, der zum therapeutischen Erfolg beiträgt. Und dass es somit ganz gut ist, sich darüber mal zu unterhalten und sich gegenseitig darüber auszutauschen, um die Beziehung abzuchecken. Das heißt, ich erkläre, warum ich etwas tue, und lade so die Patientin zur Kooperation ein. Das ist auch ein Teil des »informed consent«, der ja wiederum zur guten therapeutischen Beziehung beiträgt. Gahleitner  »Beziehungsklärung« nennt das Jobst Finke (2008), genau. Schigl  Mit der Aufforderung, Kritik auszudrücken, kann man aber auch manche erschrecken, weil sie sich fragen: »Oje, was muss ich da jetzt tun?« So etwas muss immer gut eingebettet sein. Gahleitner  Überhaupt ist so ein Evaluationscheck von Zeit zu Zeit wichtig, indem wir sagen, es sei uns wichtig, mal wieder zu gucken, wie es eigentlich läuft. Schigl  Ja, aber ich hatte vorhin die Irritation, ob ich das immer nur mache, wenn irgendwas auseinanderklafft. Gahleitner  Bei meiner Jugendhilfeklientel ist das eigentlich immer ein Thema, weil diese Jugendlichen einfach emotional sehr instabil sind. Ich kann mich gar nicht erinnern, dass es mal ohne eine solche Auseinandersetzung lief. Schigl  Ja, mit erwachsenen und normal-neurotischen Menschen läuft es oft ja wirklich auch über lange Zeitabschnitte recht gut. Das ist ja auch in Ordnung. Dann kann man sich halt darüber austauschen, dass man übereinstimmt, dass alles gut läuft und seinen erwünschten Gang geht.

Abhängigkeiten

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Überforderungsgefühle

Nehmen wir den Fall, dass Sie eine Klientin vor sich sitzen haben, die alles im Leben erwischt hat, was einen erwischen kann. Entsteht da manchmal das Gefühl: Eigentlich will ich das so genau auch gar nicht hören, denn das überfordert mich völlig, diese Aneinanderreihung von Katastrophen erleben und therapeutisch auch noch tiefgehend und intensiv bearbeiten zu müssen? Schigl  Das habe ich nicht. Bei mir ist die Neugierde immer größer. Gahleitner  Ja, auch ich habe noch nie erlebt, dass mich nicht ein Mensch einfach wahnsinnig interessiert hat, sofern ich eine Grundsympathie entwickeln konnte. Schigl  Ich würde mir in Anbetracht eines solchen katastrophalen Lebens eher die Frage stellen: Wie gibt es das, dass die jetzt trotzdem hier vor mir sitzt? Das ist doch unglaublich! Wenn solche Überforderungsgefühle kommen, dann eher, wenn von den extratherapeutischen Einflüssen her während der Therapie noch viel weiteres Negatives passiert. Wenn etwa die Patientin in einer schlechten, sie schädigenden Partnerschaft lebt, wenn deren Kinder ganz arge Probleme machen, wenn es finanzielle Not gibt – und die gibt es oft bei solch schwierigen Lebenssituationen. Also immer, wenn man kaum auf trockenes Land kommt beim Arbeiten, weil die Schicksalsschläge nur so niederprasseln auf die Patientin oder den Patienten. Gahleitner Aber wir können mal etwas anderes nehmen, was wirklich sehr schwierig ist: Ich zum Beispiel finde eine bestimmte Täterschaft nicht einfach, also schwere Gewalttaten, daraus resultiert eine schwere Antipathie von mir zu dem Klienten oder der Klientin. Das sind dann genau die Punkte, an denen man wahnsinnig an sich arbeiten muss, damit man die Wertschätzung aufrechterhalten kann. 128

Einschätzung der therapeutischen Beziehung

Schigl  Ja, darum arbeiten auch viele – vor allem Therapeutinnen – nicht mit Tätern. Weil sie sagen, das geht für sie eben nicht, die nötige Wertschätzung aufzubringen, die man für eine gute therapeutische Beziehung braucht. Die Regel »Akzeptiere den Menschen, aber verurteile die Tat« aus der Arbeit mit Gewalttätern kann eben nicht jede so umsetzen. Da ist es auch gut und legitim, die eigenen Grenzen zu erkennen und festzustellen, was man nicht kann oder will. Auch das ist Professionalität und vermeidet systematische Fehler aus Überforderung. Ich finde es trotzdem weniger schwierig, wenn die Patientin traumatische Erfahrungen aus der Vergangenheit erzählt, als wenn es Ereignisse betrifft, die während der Therapie geschehen, wie im vorherigen Beispiel einer Patientin, in deren Leben nach und nach immer etwas Wichtiges wegbrach: wichtige Bezugspersonen ums Leben kommen, dass sie sonst wie verlassen wird oder dass sie das Haus verliert – dass also eine Säule nach der anderen einstürzt. Da noch optimistisch und einerseits mitfühlend zu bleiben, andererseits aber nicht emotional mit unterzugehen, das ist schwierig. Aber wenn jemand so etwas aus der Vergangenheit berichtet, dann denke ich: »Wow, und du sitzt da vor mir, Hut ab.« Gahleitner  Na ja, ich hatte durchaus schon zwei, drei Klientinnen, die von schwersten Traumatisierungen erzählten, und die Symptome, vor allem aber die Suizidneigung wurde und wurde in der Therapie nicht besser, das finde ich schon auch schlimm. Aber tatsächlich verliere ich nie das Interesse. Ich suche weiter nach Möglichkeiten und Lösungen, was man noch tun könnte. Und wenn ich manchmal ein verzweifeltes Gefühl habe in solchen Therapiesituationen, dann denke ich: »Okay, ich muss da mit einer gewissen Demut herangehen, denn man kann eben auch nicht alles lösen.« Gleichzeitig darf das kein therapeutischer Rückzug sein, um sich rauszuziehen aus dem Geschehen. In den beiden Fällen ist es dann tatsächlich besser geworden. Und im Rückblick kann man die Erfolge auch oft besser sehen. Überforderungsgefühle

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Schigl  Manchmal ist es schon mal gut, nur einen Teilbereich im Sumpf des psychischen Leides trockenzulegen oder auch nur eine Stabilisierung zu erreichen. Ich denke jetzt an eine Patientin mit ritualisierten sexuellen Gewalterlebnissen, bei der wirklich widerliche Dinge passiert waren. Da kann man nicht mal eben mit einem Schwung zack-bumm herangehen, alles ist geregelt und wieder gut, sondern dann sage ich auch der Patientin ganz im Sinne dieser Demut: »Jetzt sind Sie erst mal froh, dass Sie es da herausgeschafft haben. Das ist doch eine ungeheure Leistung. Dass Sie jetzt so hier sitzen, damit haben Sie schon viel erreicht.« Dann schauen wir, dass das stabil bleibt über die nächsten zwei Jahre. Vielleicht kann sie anschließend mit mir oder vielleicht mit jemand anderem den nächsten Schritt gehen. Manchmal ist sogar zwischendurch ein stationärer Aufenthalt sinnvoll. Das kann ja oft ein lebenslanger Prozess werden, die Integration solcher Erfahrungen. Dem allen muss man sich ja in der Berufsrolle auch erst mal gewachsen fühlen. Gahleitner  Ja, das ist richtig. Und ich stimme dir da sehr zu, Brigitte, Demut ist angesagt. Aber ich habe es tatsächlich noch nie erlebt, dass diese Menschen völlig ohne Ressourcen sind. Auch all die Mädchen damals – und die hatte es alle schon wirklich schwer erwischt wie frühe sexuelle Gewalt, organisierte sexuelle und körperliche Misshandlung und so weiter –, aber sie hatten immer auch irgendwelche Ressourcen. Für mich ist es viel schwieriger, eine moralische Geschichte geregelt zu kriegen. Mit ehemaligen Kindersoldaten kann ich gut arbeiten, aber zum Beispiel mit einem Täter, der auch aktuell noch irgendwelche Tendenzen hat … Nein, immer würde ich mich fragen: Was muss ich jetzt machen, muss ich das melden? Da wäre ich unentwegt in einem moralischen Dilemma. 130

Einschätzung der therapeutischen Beziehung

Schigl  Ja, das sind ethische Dilemmata, die unglaublich schwierig sind. Gahleitner  Da bräuchte ich echt Unterstützung. Das könnte ich nicht allein regeln. Mal abgesehen von Straftatbeständen, die eine Meldung erfordern, da ist die Sachlage dann ja ohnehin klar. Schigl  Wenn Gefahr für Leib und Leben besteht, dann müsste ich Meldung machen. Hier haben wir rechtlich eine Güterabwägung: therapeutische Schweigepflicht  – auf der ja die Beziehung aufbaut – oder Verhinderung eines leiblichen Schadens an anderen. Doch auch hier ist Vorsicht angesagt: Keine Therapeutin wird sofort die Polizei holen, das wäre oft auch gar nicht sinnvoll. Wir wissen das ja aus der Arbeit mit Kindern, die sexualisierte oder andere Formen der Gewalt erleben. Da ist es auch nicht sinnvoll, gleich bei der ersten Erwähnung, dass das passiert – also auch aktuell noch immer passiert – zu intervenieren. Denn dann würde das Kind in eine unglaublich schwierige Situation kommen und oft auch gar nicht mitmachen, um die Familie und den Täter zu schützen, wenn der eine nahe Bezugsperson ist. Aber ich möchte noch zurück zu den anderen Formen der Überforderung, diese sind in der Praxis ungleich viel häufiger. Schwierig wird es für mich als Therapeutin dann, wenn ich den Anspruch habe, ich müsste das extratherapeutische schwierige Geschehen aufhalten und den Teufelskreis stoppen. Wir sollten gar nicht den Anspruch haben, denn das wäre Hy­ bris. Hier demütig zu sein heißt, ich bin da, ich stehe meiner Patientin oder meinem Patienten zur Seite und wir schauen gemeinsam, ob wir langsam Boden unter die Füße kriegen. Es überschwemmt mich doch nur dann, wenn ich das Gefühl habe, ich müsste die Flut aufhalten. Gahleitner  Manche Fluten lassen sich auch nicht aufhalten. Ich habe eine Klientin durch Suizid verloren, nicht während der Therapiezeit, aber hinterher, und das war trotzdem schon schlimm genug für mich, und zwar obwohl sie uns sogar einen Überforderungsgefühle

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Entlastungsbrief geschrieben hatte. Darin wurde ganz deutlich, dass es für sie an der Stelle einfach nicht mehr ging. Ich bekam damals das Gefühl, dass ich es sogar ein Stück weit nachvollziehen kann. Natürlich hätte ich als Therapeutin weiterhin die Hoffnung gehabt, dass sie über diese Krise wegkommt, aber für sie war das eben so nicht. Ich glaube, es ist auch eine Erfahrungssache, damit umzugehen. Mit von Traumatisierungen Betroffenen viel Erfahrung zu machen heißt noch nicht, alles zu kennen und zu verstehen. Ich kenne aber manche Arbeitsbereiche zu wenig. Klar ist dann Supervision angesagt, aber ich muss ja handeln, bis ich das gelöst habe. Oder wenn mir wirklich jemand grundunsympathisch ist. Dann versuche ich auch eventuell weiterzuvermitteln. Ich habe es noch nicht oft gehabt, aber manchmal schon. Schigl  Oder wenn ich mich selbst fürchte. Ich hatte mal einen Patienten, der mit einer Waffe gekommen war. Er wolle sie mir nur zeigen, hat er gemeint, und sie sei ja nicht geladen. Ich habe sofort gesagt, das gehe so nicht. Er solle das nächste Mal die Pistole zu Hause lassen, sonst brauche er gar nicht zu kommen. Ich kann keine Therapie mit ihm machen, wenn eine Waffe im Zimmer ist. Gahleitner  Es gibt aber auch noch ganz andere Situationen, die sehr schwierig sind. Ich kann mich an eine ganz schwer depressive, stagnative junge Frau erinnern. Vorrangig hatte ich damals Traumaklientinnen, bei denen sich ja immer ganz viel bewegt. Aber diese Frau hatte eine schwere Depression, die als »endogen« diagnostiziert worden war, und ich konnte diese Diagnose nachvollziehen, weil nur ganz schwer an die Frau heranzukommen war. Ich hatte das Gefühl, ich kann machen, was ich will, es bleibt alles so, wie es ist. Wir hatten eine gute Beziehung zueinander, aber es blieb alles unverändert. Das war für mich nicht leicht zu verknusen. Ich habe mich dann einfach bemüht, noch irgendwelche Entwicklungsweichen für ihr späteres Leben zu stellen – auf ihren 132

Einschätzung der therapeutischen Beziehung

Wunsch hin und gemeinsam mit dem Sozialpsychiatrischen Dienst in Bezug auf Wohnen, Arbeit, Ausbildung, aber auch das ist uns nur teilweise gelungen. Sie war in einem ganz ängstlichen Haushalt groß geworden, in der Familie war diese Entwicklungsstagnation schon tradiert – sowohl biologisch wie sozial. Das hat mich damals ganz schön aus der Bahn geworfen, weil ich eben nicht so arbeiten konnte wie sonst. Sie hat vieles brav mitgemacht, auch kreative Methoden, aber es hat eben nur sehr wenig gebracht. Schigl  Solche Patienten zeichnen dann ihr bleiernes Gefühl ganz fein mit Bleistift aufs Papier. Gahleitner  Ja, da geht nichts raus. Da kann man schon gar nicht irgendwo anpacken. Was lässt sich tun? Gahleitner  Auch wieder: in Supervision gehen. Ich versuche es erst mal unter Mithilfe von anderen, um das für mich aufzuarbeiten. Schigl  Ja, mit Supervision für sich selbst ordnen. Gahleitner  Und ich würde es ganz offen einbringen, ansprechen und weiterhin Impulse zu setzen versuchen. Aber eben mit ganz viel Demut. Schigl  Ich würde das Gefühl, dass nichts vorangeht, auf jeden Fall ansprechen, denn es kann auch eintreten, dass die Patientin erleichtert sagt: »Sehen Sie, mir geht’s genauso.« Damit ist dann schon etwas passiert. Dann stimmen wir zumindest darin überein und man kann sagen: »Okay, vielleicht ist es nicht der richtige Zeitpunkt, vielleicht bin ich nicht die richtige Person und Therapeutin oder es ist nicht die richtige Methode – alles das kann sein.« Ich glaube, in dieses Überforderungsgefühl komme ich dann, wenn ich als Therapeutin und als Person meine, jetzt schnell etwas ändern zu müssen. Wenn ich glaube, mir müsse die VerÜberforderungsgefühle

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änderung gelingen. Vielleicht schleift uns an der Stelle unser Beruf auch ab, aber wir müssen uns wirklich klarmachen, dass wir als Therapeutinnen und Therapeuten direkt nichts ändern können. Ich kann Unterstützerin sein, Katalysatorin sein, aber ich kann nichts für die Patientin ändern. Das entlastet schon mal. Ich bin nicht verantwortlich für die Veränderung, ich bin verantwortlich für einen gut geführten Prozess. Trotzdem kann es natürlich sein, dass wir im therapeutischen Prozess etwas übersehen. Ich erinnere mich, dass ich als junge Therapeutin zwei Patientinnen hatte mit sexuellen Missbrauchserfahrungen, die ich damals nicht klar erkannt habe. Die haben beide nichts explizit davon erzählt und ich bin auch nicht drauf gekommen. Bei der einen konnte ich es noch irgendwie hinbiegen. Wir haben einen sehr langen Therapieprozess gemacht, und ab einem späten Zeitpunkt war es klar, dass sie ein furchtbar belastendes Geheimnis hatte, das sie nicht preisgeben konnte und wollte. Ich habe das respektiert, mit meiner heutigen Erfahrung wäre ich vielleicht etwas offensiver damit umgegangen. Die Patientin hat ihre traumatischen Erfahrungen in der Therapie nur indirekt inte­grieren können, obwohl ihre Angstsymptome und Essprobleme schon deutlich abgenommen hatten. Bei der anderen lief es allerdings nicht so gut und sie hat die Therapie abgebrochen. Je mehr Erfahrung ich habe, desto mehr kriege ich ein Gespür und sage mir: »Das fühlt sich nach Missbrauch an.« Oder: »Das fühlt sich nach Ausbeutung an.« Das kommt erst mit der Zeit. Ganz junge Kolleginnen können diese Erfahrenheit noch nicht haben. Deshalb übrigens sind klinische Praktika so wichtig, weil die Ausbildungskandidatinnen und -kandidaten dort solche Krankheitsbilder vorgestellt bekommen. Dort lernen sie, auf ihre Gegenübertragungsreaktionen und Resonanzen zu hören und die auch im Zusammenhang mit dem Störungsbild zu deuten. Das kann man dann fruchtbar in die Therapie einfließen lassen. 134

Einschätzung der therapeutischen Beziehung

Und wenn ich merke, dass mich irgendetwas zu überfordern scheint, oder wenn ich den Eindruck habe, ich übersehe vielleicht etwas, dann ist das im Grunde schon der erste wichtige Schritt, denn dann kann ich es entweder direkt in der Therapie mit den Patienten ansprechen oder damit in Supervision gehen. Das Schlimme ist ja nur, wenn ich merke, ich komme nicht richtig weiter, kann es mir aber nicht erklären, und habe das Gefühl, womöglich etwas zu übersehen, traue mich aber nicht, etwas zu sagen. Das ist das Schwierige. Gahleitner  Wenn wir so ins Rumrätseln kommen. Schigl  Genau. Mit meiner heutigen Erfahrung würde ich mich bei diesen Patientinnen von damals ganz anders verhalten. Manche älteren Therapeuten und Therapeutinnen sagen von sich, sie seien in jüngeren Jahren wahrscheinlich nicht besonders gut gewesen. Dieses Erfahrungspotenzial, das sich im Laufe der therapeutischen Arbeit entwickelt, ist vermutlich immens. Gahleitner Ich würde dem grundsätzlich zustimmen, aber interessanterweise gibt es auch Hinweise darauf, dass sich nämlich die Ausbildungskandidaten und die jungen Therapeutinnen und Therapeuten durchaus mit den Älteren messen können. Weil sie die fehlende Erfahrung durch Engagement kompensieren. Gahleitner  Ganz genau, das funktioniert offenbar über das Engagement. Schigl  Wenn ich noch mal bei meinem Beispiel bleibe, muss ich sagen, dass das ein blinder Fleck von mir war. Ich habe da etwas nicht sehen können, weil ich dafür noch nicht sensibilisiert war und es auch noch nicht wusste. Erst Anfang der Neunzigerjahre, als die Missbrauchsdebatte aufkam, haben wir vor allem sexuelle Traumatisierung insbesondere in der Kindheit als eine Diagnosefolie integriert. Überforderungsgefühle

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Gahleitner  Auch die Klientinnen und Klienten haben solche Erlebnisse oft noch völlig anders wahrgenommen und gar nicht so ausgedrückt. Schigl  Ja. Auch ich habe erst im Nachhinein und in Supervisionen die Schilderungen und Symptome der Frauen entsprechend gedeutet, zum Beispiel bei einer Patientin, die plötzlich dekompensiert ist in jenem Moment, als ihr Partner ein Kind mit ihr wollte. Die fürchtete, dass dem etwas Ähnliches wie ihr passieren könnte. Das ist so meine Interpretation im Nachhinein. Aber damals hatte ich das gar nicht auf dem Schirm, und zwar obwohl ich viel in Supervisionen gegangen bin. Ich hatte nicht das Gefühl, dass ich das in der Supervision thematisieren könnte, und die Supervisorin hat es offenbar auch nicht gesehen. Gahleitner  Wir hatten das ja eben schon: Ich sehe nur, was ich weiß! Oder ganz zu Beginn: Highlighting und Hiding. Unsere Wahrnehmungen sind sehr abhängig von den inneren Bildern und Überlegungen, die wir sowieso in uns haben. Und bei der Verinnerlichung dieser Bilder spielen gesellschaftliche und kulturelle Aspekte eine große Rolle. Gewalt gegen Frauen und Kinder, häusliche Gewalt, sexuelle Gewalt und vieles mehr sind doch früher so gar nicht thematisiert worden, und dann fehlen uns auch die entsprechenden Wahrnehmungsmuster. Und zwar allen, den Fachkräften, den Patienten und Patientinnen, aber auch den Medien, der Fachwelt und so weiter. Und wie lange wir dann alle immer brauchen, bis wir Tatsachen anerkennen! Noch bis in die Neunzigerjahre haben wir zum Beispiel geglaubt, sexuelle Gewalt gebe es zwar, aber doch eher nur in den sogenannten unteren Schichten. Brav haben das die statistischen Ergebnisse großer Untersuchungen auch abgebildet, lange noch. Bis klar wurde, nein, so ist das gar nicht, aber die »oberen Schichten« können das viel besser verbergen, und zwar bis in Forschungsprozesse hinein. Daher: Wer weiß, ob die Patientin damals überhaupt in der Lage gewesen wäre, darüber zu sprechen. 136

Einschätzung der therapeutischen Beziehung

Schigl  Na, war sie offensichtlich nicht. Gahleitner  Ich habe es so nicht erlebt, weil ich – bereits nach diesen ganzen Erkenntnissen – in einer Einrichtung gearbeitet habe, in der es explizit um dieses Thema ging. Es handelte sich entweder um sexuelle Gewalt oder um sonstige körperliche Misshandlungen. Aber wer weiß, was ich übersehen habe? Ich glaube, das ist die andere Seite von Highlighting und Hiding, dass wir immer irgendetwas haben, was wir aktuell gerade in den Fokus rücken, und dann wieder anderes übersehen. Traumatisierungen sind doch auch so ein Beispiel, das Wellen durchmacht zwischen Verleugnung und starker Aufmerksamkeit, zwischen Skandalen und Ruhe. Schigl  Vielleicht gibt es aber eine praktische Lösung: Ich glaube, was da helfen kann, ist die Mehrperspektivität, also von verschiedenen exzentrischen Positionen aus auf das Geschehen im Prozess zu schauen. Das geht erstens einmal in Selbstreflexion mittels unterschiedlicher theoretischer Folien, aber noch besser in Supervision und vor allem auch Supervisionsgruppen. Denn wenn eine Kollegin ihr klinisches Beispiel vorstellt, dann denke ich mir vielleicht: »Oh, auf diese Art und Weise habe ich ja noch gar nicht auf meinen therapeutischen Prozess geschaut. Das passt doch auch zu meiner Patientin.« Dann komme ich auch auf Ideen, die ich sonst gar nicht gehabt hätte – und auf die vielleicht auch meine Supervisorin gar nicht kommt. Gruppen helfen, die eigene konstruierte Wirklichkeit in mehrfacher Hinsicht zu überschreiten. Das gegenseitige Erläutern von Fallbeispielen ist extrem hilfreich. Noch besser wäre es, auch mal Videosupervisionen zu machen. Da kann ganz konkret beobachtet werden, was abläuft. Es ist dann nicht nur erzählt. Gahleitner  Fallbesprechungen im Team, ja. Wenn man mit anderen zusammen ein Team bilden kann, dann ist das schon wahnsinnig hilfreich. Das ist ja in der Psychotherapie in freier Praxis keineswegs üblich. Überforderungsgefühle

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LÖSUNG SCHWIERIGER SITUATIONEN

»Bei einer vorzeitigen Beendigung ist es gut, wenn die Therapie sauber und freundlich und in einem Miteinander beendet wird. Ich würde mir als Therapeutin das Feedback holen, warum das jetzt von der Patientin so beendet wird, denn das ist ja eine wertvolle Erfahrung.« Brigitte Schigl

Abbrüche und Beendigungen

Wenn nun Therapeuten bemerken, dass die Beziehung nicht gut ist, dass es schlicht nicht »stimmt« zwischen beiden, dass es kein Voran­ kommen gibt, dass auch der Klient unzufrieden erscheint und immer häufiger Sitzungen ausfallen lässt, wie gelingt es dann, das alles nicht auch noch zu einer Katastrophe werden zu lassen oder zu einem Therapieabbruch durch den Klienten? Wie schafft man es unter sol­ chen Vorzeichen, eine solide Therapiebeendigung zu erreichen? Schigl  Na ja, es gibt kalte und heiße Abbrüche, so nennen das Alexander Noyon und Thomas Heidenreich 2010. Die kalten Abbrüche sind jene, bei denen jemand immer wieder Stunden absagt oder sich irgendwann einfach um keinen neuen Termin mehr bemüht. Ich erinnere mich an eine Patientin, bei der ich von November bis März versucht hatte, einen gemeinsamen Termin wenigstens noch für ein Abschlussgespräch zu finden. Nachdem das nicht möglich war, trotz wöchentlichen SMS-Verkehrs, habe ich dann gesagt: »Ich glaube, wir lassen es.« Da war einfach kein Abschlussgespräch möglich, weil wir keinen Termin gefunden haben. Das wäre ein kalter Abbruch. Die ließ mich »an der ausgestreckten Hand verhungern«, wie man in Österreich sagt. Ein heißer Abbruch ist, wenn jemand in der Wut geht, das Honorar auf den Tisch knallt und als Letztes sagt: »Das ist ja furchtbar hier.« Und geht. Ich habe so etwas zum Glück noch nie erlebt. Aber kalte Abbrüche kenne ich. Da fehlt so gut wie immer von Anfang an die Motivation, die einfach nicht groß genug ist und sich auch nicht entwickelt. Wenn ich merke, dass irgendetwas eigenartig ist, dann würde ich das ohnehin ansprechen, allerdings nicht zwingend, um den Abbruch zu verhindern – es ist legitim, eine Therapie abzubrechen. Viel besser ist es, sie abzubrechen, als sie erfolglos weiterzuführen. 140

Lösung schwieriger Situationen

Gahleitner  Na ja, für mich in meinen anderen Arbeitskontexten kommt es darauf an, welche Problematik dahintersteht, wie weit wir damit sind, an welchem Punkt wir uns in der Therapie befinden und so weiter. Wenn ich im Kinder- und Jugendbereich das Gefühl bekomme, jemand bräuchte tatsächlich noch weiter Unterstützung, auf welche Weise auch immer, der aber das Setting verlässt, dann würde ich schon versuchen herausfinden, gerade bei Minderjährigen, was das bedeutet. Schigl  Das ist natürlich etwas anderes. Ich spreche von Erwachsenen, die selbst entscheiden, ob sie eine Therapie machen wollen oder nicht. Gahleitner  Ja, aber ich will mal versuchen, es zu übertragen. Ich würde dann vor einer Verabschiedung gerne noch darüber sprechen, was das alles bedeutet, und herauszufinden versuchen, ob ich doch noch wenigstens überleiten kann in eine andere Hilfe. Beratungssettings sind da ja meistens flexibel, da geht oft noch mal »was«. Eine andere Person kann etwas anderes anbieten, was vielleicht gerade besser passt. Im Erwachsenenbereich wäre mit einem solchen Weiterleiten verknüpft, das Angebot zu machen, dass sich die Person jederzeit wieder an die Institution oder an die konkrete Person wenden kann. Das finde ich sehr wichtig, weil wir das in unseren Studien klientelübergreifend feststellen konnten, dass diese Möglichkeit, sich später noch mal dahin zu wenden, wo man Hilfe bekommen hat oder wo einem Hilfe angeboten worden ist, ein wahnsinniger Stabilitätsfaktor sein kann. Das ist oft mit gar nicht viel Aufwand verbunden, aber es kann sehr wichtig werden. Da besteht ein Kontakt zu einer Hilfe, und der sollte von der professionellen Seite aus gehalten werden. Als ein Angebot, das bestehen bleibt. Eine Zeit lang hat man wahnsinnige Ängste geschürt, die Klienten und Klientinnen würden dann völlig grenzenlos auf diesen Kontakt zurückgreifen, einem immer näher rücken und man würde sie überhaupt nicht mehr los. Das hat sich alles als Fantasie erwiesen. Abbrüche und Beendigungen

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Klienten und Klientinnen wissen zum größten Teil sehr gut, mit diesem Angebot umzugehen, und nutzen es in schwierigen Situationen. Wenn man sie dann fachgerecht weiterverweist, ist das eine absolut sinnvolle Angelegenheit. Und wo man Grenzen setzen muss, muss man Grenzen setzen. Schigl  Wir haben jetzt unterschiedliche Patientinnengruppen vor Augen. Ich habe eher den »Normalneurotiker« oder sonst jemanden vor Augen gehabt, der in die freie Praxis kommt und merkt, es passt ihm nicht so richtig. Diese Person hat jedes Recht, auch abzubrechen. Gahleitner  Das Recht haben alle. Die Frage ist, ob ich da noch etwas tun möchte, um zumindest Möglichkeiten offenzuhalten. Das Recht dazu besteht immer, das ist sowieso klar, aber die Überlegung ist, ob ich mich aufgerufen fühle, noch etwas zu tun. Ich hatte tatsächlich noch nie den Fall, dass ich bei einer Patientin das Gefühl hatte: »Alles kein Problem. Für sie passt das Angebot nicht, sie bricht ab, es ist in Ordnung.« In meinem Erfahrungsspektrum existiert das nicht. Ich hatte eigentlich immer, wenn ein Abbruch eintrat, ein Gefühl wie: »Oh, irgendwie ist das jetzt gar nicht gut.« Dann ist mir wichtig gewesen, noch einen Impuls zu setzen, welchen auch immer, meistens einfach, dass die Tür noch offen ist. Das liegt wahrscheinlich an der spezifischen Klientel in der Jugendhilfe. In meiner Privatpraxis hatte ich diesen Fall nie und in der Jugendhilfe, wenn Mädchen die Hilfe abgebrochen haben, da haben wir uns schon immer sehr große Sorgen gemacht, ich glaube, auch machen müssen. Daher haben wir immer schon zu Beginn der Hilfe deutlich gemacht, dass sie auf die Institution zurückgreifen können, wenn sie später einmal etwas brauchen. Das haben auch eine ganze Reihe gemacht – auch welche, die wutschnaubend abgehauen sind aus der Einrichtung. Da ich an der Universität arbeite, bin ich ja ohnehin eine erreichbare Person, und ab und zu bekomme ich eine Mail: »Hallo, Silke, ich bin die Sowieso, kannst du dich noch erinnern? Ich will jetzt 142

Lösung schwieriger Situationen

wieder eine Therapie anfangen – kann ich die alten Unterlagen von uns haben und kannst du mir helfen, jemanden zu finden?« Das hat dann echt Sinn, finde ich. Und das sind Mädchen, die sich dazwischen prostituiert haben oder in schlimmen Gewaltmilieus unterwegs waren oder, oder, oder. Also, wo wir in echter Sorge waren, das geht nicht gut. Schigl  Ja, da hast du recht. Auch in der niedergelassenen Praxis gehört das zu einem geordneten Abbruch dazu. Auch wenn es jetzt nicht gut gegangen ist, dann kann es ja sein, dass in ein, zwei Jahren mehr Motivation besteht und sich die Bereitschaft vergrößert hat, in einen therapeutischen Prozess einzusteigen. Der kann mit mir sein oder auch mit jemand anderem. Ich biete sowohl bei Abbrüchen, also wenn wir uns einigen, dass wir im Moment nicht weiter miteinander arbeiten, obwohl die Ziele noch nicht erreicht sind, als auch bei geglückten Prozessen, bei denen Fortschritte und Heilung eingetreten sind, immer an, dass, sollte wieder etwas sein, die Person sich an mich wenden kann, wenn sie möchte. Gahleitner  Es geht mir einfach darum, der Klientin gegenüber noch mal zu bekräftigen, dass ich zur Verfügung stehe oder aber wenigstens die Einrichtung. Für Jugendliche und junge Erwachsene macht das einen Riesenunterschied aus, ob die noch eine Anbindung spüren oder nicht, denn es ist ein wahnsinniger Sprung aus der Jugendpsychiatrie in die Erwachsenenpsychiatrie oder aus der Jugendhilfeeinrichtung in die Eigenständigkeit. Nicht so ganz wenige reagieren in dieser Übergangszeit noch mal verstärkt mit Suizidversuchen. Ich habe zum Beispiel einmal ein Forschungsinterview mit einem jungen Mann geführt, um den sich ein Betreuer in einer Jugendhilfeeinrichtung sehr bemüht hatte. Niemand konnte ihn erreichen, aber: Dieser Betreuer hatte einen Hund. Am Anfang ist der Junge einfach beim Gassigehen mitgegangen, schweigend und verschlossen. Der Betreuer hat ihm dann angeboten, morgens mit dem Hund und ihm ein wenig joggen zu gehen, das Abbrüche und Beendigungen

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haben sie dann ganz regelmäßig in der Einrichtung morgens früh gemacht, obwohl das frühe Aufstehen der Horror für den drogenverseuchten Jungen war. Jedenfalls fing der Junge irgendwann an zu sprechen und hat sich sehr eng an den Betreuer angeschlossen. Aber dann war die Jugendhilfe zu Ende. Der Junge kam in eine Erwachseneneinrichtung und produzierte dort erst mal alles, was man sich an Katastrophen denken kann: mehrere Suizidversuche und tiefes Abrutschen wieder in den Drogenkonsum, es war richtig übel. Lebensgefährlich. Dann, als echt nichts mehr ging, hat er – trotzdem die Einrichtung eine solche Regel nicht hatte – noch mal auf den Betreuer der ehemaligen Einrichtung zurückgegriffen, und gemeinsam haben sie nach einiger Zeit eine Einrichtung gefunden, in der er einen Ort für sich fand. Das war für ihn – so sagt er heute – eine lebensrettende Möglichkeit, sich wieder an den ehemaligen Betreuer wenden zu können. Ich kann das zusätzlich auch noch mal theoretisch begründen: Diese persönliche Dimension, die verursacht tatsächlich eine Fortdaueridealisierung, wie es Karl Lenz und Frank Nestmann sehr schön in ihrem »Handbuch Persönliche Beziehungen« herausgearbeitet haben. Es ist klar, dass natürlich die Beziehung nicht genauso weitergehen kann, aber diese Fort­ dauer­idealisierung bedeutet, dass dieses Potenzial, sich dort wieder Hilfe oder Unterstützung holen zu können, und zwar da, wo es schon mal Unterstützung gab, prinzipiell angelegt bleibt. Das finde ich eine zu große Chance, um sie einfach liegen zu lassen. Für manche mag das ja nicht so wichtig sein, aber für andere eben doch, und manchmal sogar in lebensgefährlichen Situationen. Schigl  Gut, da stimme ich dir zu. Es hat jeder das Recht, abzubrechen, aber idealiter gibt es noch ein Gespräch oder zumindest einen Brief von mir, auch bei kalten Abbrüchen. In so einem Brief steht zum Beispiel: »Sie haben jetzt schon seit drei Monaten jeden ausgemachten Termin abgesagt, und ich frage mich, 144

Lösung schwieriger Situationen

ob eine Therapie zum jetzigen Zeitpunkt das Passende ist für Sie oder ob es wirklich rein organisatorisch nicht geht. Ich bin für Sie gerne telefonisch oder via SMS persönlich erreichbar, aber ich werde mich jetzt in nächster Zeit nicht mehr mit Terminvorschlägen melden. Bitte kommen Sie einfach wieder auf mich zu, wenn Sie etwas brauchen.« Damit habe ich zumindest für mich einen vorläufigen Schlussstrich gezogen und zumindest für mich Klarheit hergestellt. Für mich ist das dann erst mal abgerundet, zumal ich auch keinen Platz mehr reservieren muss in meiner Stundenund Praxisplanung. Das ist ja von der Praxisorganisation her wichtig. Natürlich, die Person kann jederzeit anrufen und sagen, sie wolle jetzt doch weitermachen. Bei kalten Abbrüchen geht es ja immer noch, dass man entweder per Brief oder per SMS oder per Telefon einlädt und fragt: »Wollen wir zumindest noch ein Gespräch darüber führen, wie und ob wir weitermachen?« Das wird auch eigentlich meistens angenommen. Wenn das nicht klappt, kommt der Brief, wie gesagt. Gahleitner  Das hört sich sehr sinnvoll an. Und darüber wird ja auch fachlich viel diskutiert, ob zu häufige Übergänge oder Therapieabbrüche, Jugendhilfeabbrüche, aber auch alle anderen Abbrüche mehr kaputtmachen, als sie geholfen haben. Ich denke, es kommt darauf an. Wenn man zum Beispiel so, wie du beschrieben hast, auf Abbrüche reagiert und dann eventuell die Möglichkeit hat, den Klienten oder die Klientin an jemand anderen zu verweisen und den Übergang nach wie vor mit Präsenz zu begleiten, dann kann so ein Übergang auch gut gelingen und zur Ressource für das weitere Leben werden. In meinem Beispiel eben hat der junge Mann dann mithilfe seines ehemaligen Betreuers auch gut in die Erwachseneneinrichtung gefunden. Das bedeutet, Abbrüche und Übergänge sind nicht prinzipiell schlecht, man muss sie nur gut gestalten. Ich sage das so deutlich, weil es da üble Missverständnisse gibt. Das Gerücht, dass Abbrüche so gefährlich sind, führt zum Abbrüche und Beendigungen

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Beispiel dazu, dass einige Kriseneinrichtungen und auch manche Beratungseinrichtungen sagen, sie lassen sich gar nicht erst richtig auf die Beziehung ein, damit nicht die Beendigung des Kontakts alles wieder kaputtmache. Aber das stimmt so einfach nicht, und zwar stimmt das dann nicht, wenn der Übergang gut begleitet wird. Deswegen ist mir das wirklich ein großes Anliegen. Und das geht bis hin zu Kurzpflegestellen, die gar nicht erst richtig mit dem Kind in Kontakt gehen. Bindungstheoretisch ist das völliger Blödsinn. Jede einzelne Erfahrung kann genutzt werden, um wiederum auf sie aufzubauen, aber es muss eben eine bindungstheoretisch versierte Beziehung sein. Diese beinhaltet eine sinnvolle Ablösung und gelungene Übergänge. Schigl  Ich erlebe es eher, dass vor allem manche jungen Therapeutinnen die Patientinnen halten wollen und sie zu überzeugen versuchen, sie sollten doch weitermachen. Deshalb habe ich das vorhin wahrscheinlich etwas arg pointiert behauptet mit dem Recht auf Abbruch. Diese Therapeutinnen fühlen sich möglicherweise selbst schuldig, wenn eine Patientin oder ein Patient nicht weitermacht, und sie versuchen, die Therapie unter allen Umständen weiterzuführen, selbst wenn es schon knarrt und knatscht. So in der Art: »Was kann ich denn tun, damit Sie bleiben?« Die Frage mag manchmal in Ordnung sein, darf aber nicht aus der Haltung resultieren: »Alles, bloß kein Abbruch!« Doch, natürlich darf auch der sein. Bei einer vorzeitigen Beendigung ist es gut, wenn die Therapie sauber und freundlich und in einem Miteinander beendet wird. Ich würde mir als Therapeutin das Feedback holen, warum das jetzt von der Patientin so beendet wird, denn das ist ja eine wertvolle Erfahrung. Manche Patientinnen können das aber einfach nicht mehr, die müssen gehen und »dürfen« sich auch nicht mehr melden – dann ist das okay. Ich habe so etwas einmal bei einer Selbsterfahrungskandidatin erlebt. Sie war zum Erstgespräch bei mir gewesen und 146

Lösung schwieriger Situationen

alles hatte wunderbar harmoniert. Sie war mir auch sympathisch. Beim zweiten Termin haben wir angefangen, miteinander zu reden, und es war in meinen Augen ein gutes Gespräch. Doch nach dieser zweiten Sitzung ruft sie mich an und sagt, sie habe sich entschlossen, nicht mehr zu mir zu kommen. Ich bin aus allen Wolken gefallen, weil ich überhaupt kein Gefühl dafür gehabt hatte, dass da etwas nicht stimmen könnte. Ich habe sie gebeten, noch einmal wenigstens für zwanzig Minuten zu kommen und natürlich ohne Bezahlung. Da das eine Selbsterfahrungskandidatin war, habe ich mich getraut, mir das von ihr zu wünschen. Sie kam dann auch und sagte mir ganz klar, ich hätte in dieser zweiten Sitzung einen Satz gesagt, den sie genauso in der Art schon oft gehört habe. Dieser Satz ist zutiefst verbunden mit ihrer Geschichte und hat etwas angestoßen, das für sie ein großes Problem war. Das hat sie so getroffen, dass für sie feststand, mit mir nicht arbeiten zu können. Vielleicht wäre, wenn ich diesen Satz erst nach der achtzehnten Sitzung gesagt hätte, die Beziehung schon so stabil gewesen, dass wir dann damit hätten weiterarbeiten können. Aber es war für mich völlig okay, und ich finde das nach wie vor ein schönes Erlebnis, dass wir uns zumindest noch darüber austauschen konnten. Es war für mich sehr lehrreich. Gahleitner  Ja, zumal man sonst rumrätselt, woran es lag und was man vielleicht falsch gemacht hat. Man kann eben auch mal einen Punkt erwischen, der sehr vieles triggert. Schigl  Sie konnte es zum Glück auch gut sagen und ausdrücken. Wichtig ist es, glaube ich, sich dann als Therapeutin oder Therapeut nicht zu rechtfertigen, sondern zu sagen: »Danke, dass Sie mir das gesagt haben, das ist eine wichtige Rückmeldung für mich.« Gahleitner  Und genau solche Trigger hat man tausendfach bei sehr schwer beziehungserschütterten Menschen. Die Irritationsgefahr unsererseits ist dann wahnsinnig hoch, zumal solche Abbrüche und Beendigungen

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Menschen oft eben nicht ausdrücken können, was es denn ist, was sie triggert. Dann setzt sich das fort und man triggert ein Ding nach dem anderen, und irgendwann knallt es. Dann kommt der Abbruch und wir können nichts zuordnen. Schigl  Obwohl es ein Abbruch war, habe ich es als sehr bereichernd erlebt. Ich bin sehr froh, dass sie damals extra noch mal gekommen ist. Ich habe mich wirklich bedankt. Gahleitner  Auch für sie wird das noch mal gut gewesen sein, das ist ein wichtiger Schritt. Das meine ich damit, dass wir einen guten Abschluss finden müssen, der wirklich die Gestalt schließt. Jedenfalls wenn es irgendwie geht.

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In der Konkurrenz der Therapieschulen oder -verfahren finden sich zuweilen auch Veröffentlichungen, in denen den anderen Verfahren ihre »typischen« Defizite, Schwächen und auch Nebenwirkungen vorgehalten werden … Schigl  Och, das passiert doch selten. Die Nebenwirkungsforschung ist nicht so weit elaboriert, dass man sich gegenseitig Nebenwirkungen vorrechnet. Es gibt sehr wohl Kritik an den einzelnen Verfahren oder den großen Orientierungen. Der Klassiker ist, dass der Verhaltenstherapie vorgeworfen wird, sie würde »nur« das Symptom behandeln und den dahinterliegenden Konflikt möglicherweise nicht berühren; umgekehrt haben wir die Effizienzforschung, die dann den tiefenpsychologischen Richtungen mit ihren lang dauernden oder hochfrequenten Therapien, die auch das »Dahinter« angehen wollen, ihre Aufwendigkeit vorrechnet. Aber das sind keine Nebenwirkungen, sondern konzeptionelle und methodische Unterschiede. Gahleitner  Ich bin auch nicht so stark darauf gestoßen, aber ich bin auch nicht so nah dran, es ist nicht mein Hauptforschungsgebiet. Aber ich habe so eine Tendenz auch noch nicht wahrgenommen. Ich meine, Angriffe gibt es ständig und überall, aber eigentlich nicht so sehr im Bereich der Nebenwirkungsforschung. Schigl Auf Forschungsebene nicht. Gahleitner  Genau, eher nicht auf Forschungsebene. Vieles ist ja auch nicht wirklich belegt. Na ja, wenn die Forschung zu Fehlern, Schädigungen und Neben­ wirkungen forciert wird zukünftig, was dann? Fachliche Öffnungen

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Gahleitner  Ich glaube nicht, dass da neue Forschungszweige entstehen werden. Schigl  Das Thema hat auch Aufs und Abs, es gibt immer wieder Zeiten, in denen mehr publiziert wird. Nach dem sogenannten Psychoboom der Achtziger- und frühen Neunzigerjahre gab es viele Stimmen, die die Psychotherapie beziehungsweise einzelne Verfahren – und man muss auch sagen: damalige Auswüchse – sehr kritisch beurteilten. Dann gab es 2002 das wichtige Buch von Michael Märtens und Hilarion Petzold zu Therapieschäden. Und dann einen Gipfel zur Forschung um Risiken zwischen den Jahren 2010 und 2016, aber im Moment ist es wieder relativ ruhig, soweit ich das überblicke. Was aber doch als Folge dieser Bemühungen zu beobachten ist, ist, dass in Handbüchern und Lehrbüchern zumindest ein Kapitelchen über schwierige therapeutische Situationen aufgenommen wird. Das beginnt jetzt. Aber große empirische Nebenwirkungsforschung, nein. Wenn zum Prozess geforscht wird, dann geht es eher in Richtung Beziehungsaspekte und Beziehungsgestaltung. Auch Therapeutenvariablen werden mehr in den Blick genommen. Aber das Gros der Studien betrifft nach wie vor mehr den Outcome, denn Prozessforschung ist einfach viel aufwendiger und komplexer. Gahleitner  Zumindest in größerem Rahmen sehe ich das Thema auch nicht an den Start gehen. Schigl  Ich denke, es wird mehr Öffnung in Richtung des Themas »Schwierige Situationen und Fehlervermeidung« geben. Da­ rauf wird zukünftig mehr Augenmerk gelegt werden. Dazu sind außer von Stefan Bienenstein und Mathias Rother (2009) oder Noyon und Heidenreich schon einige Publikationen erschienen. Auch Wolfgang Senf, Michael Broda und Bettina Wilms haben das in ihr Handbuch zu psychotherapeutischen Techniken aufgenommen, also schwierige Situationen als »Typische Problemsituationen für Anfänger«. In einem Buch zur Schematherapie von Christine Zens und Gitta Jacob habe ich es ebenfalls gesehen. 150

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Und es gibt schon einen Lehrfilm von 2017 auf DVD dazu, von Steffen Fliegel und Ulrike Willutzki. In Veröffentlichungen steht nicht mehr nur einfach, wie es richtig geht, sondern dass es schwierige Situationen gibt, die bewältigt werden müssen, und was passieren kann, wenn etwas schiefgeht. Das, glaube ich, ist schon die Tendenz. Gut, dann frage ich konstruktiver: Wenn wir in zehn Jahren zu die­ sem Thema wieder zusammensäßen, was hat sich bis dahin wie ver­ bessert? Schigl  Was auf jeden Fall noch weiter ausgebaut werden muss, das sind Beschwerdestellen und die Ethikkommissionen, also Stellen, an die sich Patienten und Patientinnen wenden können, wenn sie sich wirklich fahrlässig behandelt fühlen. Dazu gehört natürlich viel Patientenaufklärung. Ich weiß nicht, ob es in die Richtung gehen wird, wie es bei den Ärztebeurteilungen im Netz jetzt schon ist – obwohl Sternchen zu verteilen oder kurze Aburteilungen nicht besonders differenziert sind –, aber vielleicht wäre ein ähnliches System manchmal hilfreich. Es sollte natürlich viel differenzierter geschehen als die Kommentare, wie wir sie alle inzwischen aus den sozialen Medien kennen. Das ist vielleicht auch ein Prozess. Wenn die Lehrendengeneration, die wir jetzt sind, eine höhere Fehlerfreundlichkeit vermittelt, dann wird das die nächste Generation von Psychotherapeuten aufnehmen und die Beschäftigung mit Fehlern und kritischen Entwicklungen viel selbstverständlicher nehmen. In diese Richtung wird es gehen, hoffe ich. Gahleitner  An der Stelle bin ich skeptischer. Bis das alles wirklich Eingang in die Ausbildungen findet, na ja  … Psychotherapie ist im Gegensatz zur Beratung immer noch viel zu wenig selbstkritisch, auch zu wenig kritisch den Forschungsergebnissen gegenüber und dem, was dabei alles ausgeblendet wird. Wenn wir davon ausgehen, dass der Hauptwirkfaktor der Fachliche Öffnungen

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Psychotherapie wirklich die Beziehung ist, dann kann man auf der Ebene auch am meisten kaputtmachen. Hierzu müsste man deutlich mehr forschen. Prozessstudien sind eigentlich auch im Kommen, das lässt sich beobachten, sodass wir zukünftig viel mehr über Beziehung herausfinden könnten und mehr darüber wissen werden. Aber dennoch ist die Finanzierung hier gegenüber dem Forschungsmainstream verschwindend. Und das obwohl sogar die Taskforce zur Evidenzbasierung innerhalb der American Psychotherapy Association jetzt stärker als zuvor diesen Weg geht. Da ist in den letzten Jahren viel passiert. Auch das Thema »Bindung« ist stark differenziert worden. Aus den ganzen Bindungsund Fremdbetreuungsstudien kann man viel ableiten. Da sehe ich tatsächlich einen Fortschritt und hege da auch die Hoffnung, dass das stärker in die Ausbildungscurricula eingearbeitet wird. Das wird jedenfalls gerade viel angefragt, das scheint total gebraucht zu werden. Was aber das weite Feld der therapeutischen Fehlbarkeit betrifft, da sehe ich im Bereich der Hochschulen und Universitäten nicht, dass sich da viel bewegt. Dort wäre es nötig, viel mehr ins selbstkritische Reflektieren zu kommen. Jetzt denke ich natürlich vorrangig an Deutschland, ich weiß nicht, wie du es für Österreich empfindest, vielleicht ist es hier anders. Schigl Für mich gehörte es in alle Lehrveranstaltungen für angehende Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten, schon im Propädeutikum und dann auch in der fachspezifischen Ausbildung. Ich bringe das in meine Lehre und in meine Supervisionen ein. Wie stark das Kolleginnen und Kollegen ansprechen, weiß ich nicht. Aber ich bin da zuversichtlicher. Gahleitner  Ja, jeder Einzelne kann für sich damit anfangen. Schigl  Es ist schwierig, eine globale Beurteilung abzugeben. Ich kann eigentlich nur über die Generation reden, die ich mit ausbilde. Aber da habe ich schon den Eindruck, dass sich etwas tut in Richtung »open-mindedness« und Fehlerfreundlichkeit. Ich 152

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habe das unlängst rückgemeldet bekommen von einer Supervisionsgruppe, als eine Supervisandin von der Verliebtheit ihrer Patientin in sie berichtet hat. Ich hatte denen dann ein bisschen davon erzählt, wie es für mich war, als sich einmal eine Patientin in mich verliebt hatte. Welch eine Herausforderung in dieser Phase es für mich war, gerade in dieser geschlechtshomogenen Dyade dann Nähe und Distanz gut zu regulieren, und wie schwierig es war, damit weiterzuarbeiten. Anschließend hatte ich mir gedacht: »Oh, jetzt habe ich zu viel schwadroniert und dahergeredet von meinen eigenen Erfahrungen.« Ich habe dann vorsichtshalber in die Runde gefragt, ob das jetzt irgendwie blöd gewesen sei, dass ich so viel von mir erzählt habe. Aber ganz im Gegenteil – und ich glaube nicht, dass es lediglich Höflichkeit war –, die Supervisandinnen antworteten, es sei unglaublich erleichternd, von jemandem, der lehrt, auch zu hören, was das für ein Eiertanz war und wie schwierig es war und wie viel Kopfzerbrechen das gemacht hatte. Gahleitner  Ich glaube auch, dass wir viel mehr solcher persönlichen, auch negativen Erfahrungen in die Ausbildungen einbringen müssten. Das ist eigentlich die Zukunft, das wäre sehr wichtig. Die Beziehungsgestaltung ist sicherlich im Kommen, aber die Beziehungsfehler? Schigl  Ja doch, denn Fehler sind auch ein Aspekt von Beziehungsgestaltung. Gahleitner  Aber das wird eben nicht genug thematisiert. Psychotherapie und überhaupt psychosoziale Hilfen sind doch nicht Streichelpädagogik! Das ist alles sehr komplex und wir brauchen da entschieden mehr Selbstkritik und vor allem solide Forschung! Schigl  Das ist sicher in Deutschland mit den bisher zugelassenen Verfahren und dem Vorrang der Verhaltenstherapie anders als bei uns in Österreich, denn hier bewege ich mich hauptsächlich im humanistischen und tiefenpsychologischen Umfeld, und da ist die Beziehung immer ein Thema. Und damit natürlich auch Fachliche Öffnungen

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die Beziehungsgestaltung. Von da kann ich ausgehen und den offenen Umgang und die proaktive Fehlerbewältigung fördern. Aber natürlich müssen wir es auch hier erst vermehrt in die Ausbildungen bringen: Es ist ähnlich wie beim Querschnittsthema Gender- und Diversity-Sensibilität. Da müssen die Forschungsergebnisse gut aufbereitet in die Verfahren Einzug finden und dort Lehrende gewonnen und verpflichtet werden, damit sie diese Kultur an die Ausbildungskandidatinnen und -kandidaten weitergeben. Gahleitner  Ja, und damit sind auch die Selbstkritik und Selbstreflexion stärker. Da kann die deutsche Psychotherapie nicht nur aus Österreich lernen, sondern auch aus der sehr viel selbstkritischeren Beratungsarbeit und der Sozialen Arbeit. Das wäre zu wünschen.

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