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German Pages [68] Year 2016
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Herausgegeben von Franz Resch und Inge Seiffge-Krenke
Gitta Binder-Klinsing
Psychodynamische Supervision
Vandenhoeck & Ruprecht
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-647-40558-2 Umschlagabbildung: Paul Klee, Blick aus Rot, 1937/akg-images © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen / Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Produced in Germany. Satz: SchwabScantechnik, Göttingen
Inhalt
Vorwort zur Reihe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Vorwort zum Band . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1 Was ist psychodynamische Supervision? Eine erste Annäherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1.1 Aktuelle Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 1.2 Definition und Aufgaben von Supervision . . . . . . . . . . . . . . 14 2 Historischer Kontext: Von der Kontrollanalyse zur professionellen supervisorischen Beziehung . . . . . . . . . . . . . . . . 17 2.1 Freud als »archetypical supervisor«: Der deutende Supervisor im patientenzentrierten Modell . . . . . . . . . . . . . 18 2.2 Multiple Perspektivenerweiterungen: Das intersubjektive Modell der Supervision . . . . . . . . . . . . 21 3 Komplexe Herausforderungen an Supervision . . . . . . . . . . . . . . 24 3.1 Deklaratives Wissen und implizites Können . . . . . . . . . . . . 24 3.2 Professionelle Differenzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 3.3 Ziele, Funktionen, Rahmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 3.4 Die Asymmetrie von Können, Verantwortung und Macht bei Gleichwertigkeit der Subjekte . . . . . . . . . . . 32 3.5 Polaritäten und Paradoxien zwischen Erkennen und Erfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
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4 Arbeitsstile und Entwicklungsprozesse von Therapeuten und Supervisoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 4.1 Unterschiedliche Arbeitsstile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 4.2 Entwicklung professionellen Könnens als Stufenmodelle . 45 5 Übertragungskonzepte in der Supervision . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 5.1 Triangulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 5.2 Spiegelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 5.3 Parallelprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 5.4 Container-Contained-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 6 Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 7 Interne Reflexion, Qualitätssicherung und Ausbildung . . . . . . 58 7.1 Intervision und Supervision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 7.2 Ausbildung und Evaluation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 7.3 Überlegungen zur Praxis gemeinsamer Ausund Fortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63
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Inhalt
Vorwort zur Reihe
Zielsetzung von PSYCHODYNAMIK KOMPAKT ist es, alle psychotherapeutisch Interessierten, die in verschiedenen Settings mit unterschiedlichen Klientengruppen arbeiten, zu aktuellen und wichtigen Fragestellungen anzusprechen. Die Reihe soll Diskussionsgrundlagen liefern, den Forschungsstand aufarbeiten, Therapieerfahrungen vermitteln und neue Konzepte vorstellen: theoretisch fundiert, kurz, bündig und praxistauglich. Die Psychoanalyse hat nicht nur historisch beeindruckende Modellvorstellungen für das Verständnis und die psychotherapeutische Behandlung von Patienten hervorgebracht. In den letzten Jahren sind neue Entwicklungen hinzugekommen, die klassische Konzepte erweitern, ergänzen und für den therapeutischen Alltag fruchtbar machen. Psychodynamisch denken und handeln ist mehr und mehr in verschiedensten Berufsfeldern gefordert, nicht nur in den klassischen psychotherapeutischen Angeboten. Mit einer schlanken Handreichung von 60 bis 70 Seiten je Band kann sich der Leser schnell und kompetent zu den unterschiedlichen Themen auf den Stand bringen. Themenschwerpunkte sind unter anderem: ȤȤ Kernbegriffe und Konzepte wie zum Beispiel therapeutische Haltung und therapeutische Beziehung, Widerstand und Abwehr, Interventionsformen, Arbeitsbündnis, Übertragung und Gegenübertragung, Trauma, Mitgefühl und Achtsamkeit, Autonomie und Selbstbestimmung, Bindung. ȤȤ Neuere und integrative Konzepte und Behandlungsansätze wie zum Beispiel übertragungsfokussierte Psychotherapie, Schematherapie, 7
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Mentalisierungsbasierte Therapie, Traumatherapie, internetbasierte Therapie, Psychotherapie und Pharmakotherapie, Verhaltenstherapie und psychodynamische Ansätze. Störungsbezogene Behandlungsansätze wie zum Beispiel Dissoziation und Traumatisierung, Persönlichkeitsstörungen, Essstörungen, Borderline-Störungen bei Männern, autistische Störungen, ADHS bei Frauen. Lösungen für Problemsituationen in Behandlungen wie zum Beispiel bei Beginn und Ende der Therapie, suizidalen Gefährdungen, Schweigen, Verweigern, Agieren, Therapieabbrüchen; Kunst als therapeutisches Medium, Symbolisierung und Kreativität, Umgang mit Grenzen. Arbeitsfelder jenseits klassischer Settings wie zum Beispiel Supervision, psychodynamische Beratung, Arbeit mit Flüchtlingen und Migranten, Psychotherapie im Alter, die Arbeit mit Angehörigen, Eltern, Gruppen, Eltern-Säuglings-Psychotherapie. Berufsbild, Effektivität, Evaluation wie zum Beispiel zentrale Wirkprinzipien psychodynamischer Therapie, psychotherapeutische Identität, Psychotherapieforschung.
Alle Themen werden von ausgewiesenen Expertinnen und Experten bearbeitet. Die Bände enthalten Fallbeispiele und konkrete Umsetzungen für psychodynamisches Arbeiten. Ziel ist es, auch jenseits des therapeutischen Schulendenkens psychodynamische Konzepte verstehbar zu machen, deren Wirkprinzipien und Praxisfelder aufzuzeigen und damit für alle Therapeutinnen und Therapeuten eine gemeinsame Verständnisgrundlage zu schaffen, die den Dialog befördern kann. Franz Resch und Inge Seiffge-Krenke
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Vorwort zur Reihe
Vorwort zum Band
Supervisionen sind aus der psychodynamischen Therapie nicht mehr wegzudenken: Sowohl im Katalog für die Ausbildung zum tiefenpsychologisch fundierten Therapeuten und Psychoanalytiker als auch in der alltäglichen Praxis von niedergelassenen Therapeuten und Therapeutinnen nimmt die Supervision von Fällen einen zunehmend wichtigen Raum ein. Auch im stationären Setting von psychosomatischen Kliniken, von Kliniken für Psychiatrie und Kinder- und Jugendpsychiatrie stellt die regelmäßige Fallsupervision einen bedeutsamen Baustein dar, der die Sicht auf die Patienten erweitert und die Kompetenz der Behandelnden herausfordert und stimuliert. Bislang gibt es kaum Arbeiten, die die wichtigen Konzepte der Supervision, die Aufgaben des Supervisors und das komplexe Zusammenspiel von mindestens drei Personen (Patient, Therapeut und Supervisor) kritisch aufarbeiten und reflektieren. Dies ist nun mit diesem Band von Gitta Binder-Klinsing gelungen. Supervision ist in Zeiten der intersubjektiven Wende in der Psychotherapie und der emanzipatorischen Bestrebungen der Patienten von einer autoritativen Hilfestellung für Therapeuten durch Experten zu einer gemeinsamen Suche nach Verständnismöglichkeiten in einem Kompetenzrahmen geworden. Gitta Binder-Klinsing vermag es, das komplexe Thema in seiner Breite und Tiefe spannend und verständlich darzustellen. Ausgehend vom historischen Kontext, in dem Freud als väterlicher Berater mit voller Deutungshoheit vorgestellt wird, bis hin zu den schwierigen Fragestellungen, denen sich Therapeuten heute inmitten von »Polaritäten und Paradoxien« gegenübersehen, führt uns die Autorin durch alle Labyrinthe des supervisorischen 9
Geschehens und verdeutlicht sie an Fallbeispielen. Unterschiedliche Arbeitsstile der Supervisoren und die Entwicklungen neuerer professioneller Modelle werden fassbar, die Notwendigkeit der curricularen Einbettung in die Weiterbildung deutlich. Erste Ergebnisse zur Qualitätssicherung werden dargestellt und zeigen Forschungsmöglichkeiten in diesem spannenden Feld auf. Ein im besten Sinne kompaktes und inhaltsreiches Buch. Inge Seiffge-Krenke und Franz Resch
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Vorwort zum Band
1 Was ist psychodynamische Supervision? Eine erste Annäherung
Die Frage danach, wie psychoanalytisches Arbeiten gelernt, gelehrt und verbessert werden kann, beschäftigt die Psychoanalyse von Anbeginn. Konflikte um die zunächst »Kontrollanalyse« genannte Supervision spielten dabei eine zentrale Rolle, insbesondere seit ihrer Einführung als ein Teil der strukturierten dreistufigen Ausbildung zum Psychoanalytiker in Berlin. Es wird nicht nur bis heute um ihre Aufgaben, ihre Ziele und ihre Gestaltung gerungen, sondern zunehmend rücken auch Fragen der Ausbildung und Supervision der Supervisoren in den Vordergrund. Zugleich werden Widersprüche und Paradoxien sichtbar, die nicht aufgelöst werden können. Wenn sie aber reflektiert werden, können sie »contained« werden und zu einer Vertiefung professionellen Könnens beitragen. Die historischen Veränderungen angesichts der intersubjektiven Wende der Psychoanalyse bilden sich hierbei auch im Verlust der Deutungsmacht des psychodynamisch arbeitenden Supervisors ab und erfordern eine zeitgemäße Definition von Supervision. Dabei soll hier »psychodynamische Supervision« als übergeordneter Begriff für Supervision auf der Grundlage psychoanalytischer Konzepte herangezogen werden, ohne auf die komplexe Diskussion der Unterschiede von Psychoanalyse und Psychotherapie einzugehen (vgl. dazu Körner, 2016).
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1.1 Aktuelle Fragen Die lange Auseinandersetzung um das Verständnis psychoanalytischer Supervision spiegelt zentrale Entwicklungen der Psychoanalyse hin zu intersubjektiven Konzepten wider und kann als allmähliche Herausbildung einer relationalen Auffassung auch von psychodynamischer Supervision verstanden werden. Unter einer relationalen Sichtweise gestalten idealtypisch zwei Subjekte in einem wechselseitigen Prozess intersubjektiver Verwobenheit ihre Beziehung, was Mitchell poetisch wie folgt beschrieben hat: »Like Escher’s Drawing Hands, the interpersonal and the intrapsychic realms create, interpenetrate, and transform each other in a subtle and complex manner« (1988, S. 9). Dieses Bild könnte man als Leitvorstellung dafür heranziehen, wie Supervision zu einem Lernmodell für intersubjektiv verstandenes psychodynamisches Arbeiten werden kann, in dem das Erlernen von Technik und der Zuwachs von therapeutischem Können verwoben sind mit persönlichem Wachstum. Voraussetzung hierfür ist, dass der Supervisor die Bereitschaft aufbringt, nicht nur die Theorie zu lehren und die klinischen Aspekte des Falls zu untersuchen, sondern auch wagt, sich als einbezogenen Teilnehmer zu verstehen, der offen dafür ist, auch die Aspekte der supervisorischen Beziehung und ihres Kontextes zu reflektieren. Das Medium der Supervision ist unter diesem Vorgehen konsistent mit den Aussagen der klinischen Theorie und die transgenerationale Weitergabe von psychoanalytischem Können kann so im Rahmen einer professionellen Beziehung mit den »Mitteln« der Psychoanalyse angestrebt werden. Dies verhindert auch, dass sich Supervision in einem theoretischen Vakuum abspielt (Canestri, 2007). Die im relationalen Konzept eingebundene Kontextualisierung ermöglicht zudem die Einbeziehung sozialer Aspekte und des institutionellen Umfelds. Das bedeutet dann zum Beispiel auch, die Reflexion der Subjektivität in der Supervision auch auf zentrale und kritische Aspekte der supervi12
Was ist psychodynamische Supervision? Eine erste Annäherung
sorischen Beziehung selbst wie zum Beispiel der kontextabhängigen Macht- oder Rollenasymmetrie erweitern zu können. Diese Asymmetrie ist der therapeutischen und supervisorischen Beziehung inhärent, selbst wenn der Supervisor in einem relationalen Konzept der Psychoanalyse keine Deutungsmacht und keinen privilegierten Zugang zur Wahrheit beansprucht. Für die Vorstellung, welches Modell für den Zugang zu Erkenntnis und Erfahrung in der psychodynamischen Therapie und Supervision dabei angemessen ist, erweisen sich zwei Themenkomplexe als bedeutsam, die um die Fragen kreisen: Wissenschaft oder Kunst? Medizinisches oder kontextuelles Modell? Diese unterschiedlichen Perspektiven bestimmen entscheidend mit, wie psychodynamische Supervision gesehen wird: eher als Lehre und Weitergabe von Wissen und Theorie zur Aneignung einer korrekten Technik oder eher als Selbsterfahrungsprozess mit intensiver Analyse auch von Übertragungs- und Gegenübertragungsgefühlen, zuweilen bis hin zu therapeutischen Implikationen. Das hat auch Konsequenzen für die Frage der Gestaltung von psychodynamischer Supervision im Rahmen psychoanalytischer Aus- und Fortbildung. Soll sie auf der Suche nach deklarativem Wissen, Wahrheit und Richtigkeit eher von festen Strukturen und klarer Hierarchie bestimmt sein? Oder wird unter der Annahme, dass es primär um die Suche nach subjektiver Bedeutung und die Förderung impliziten prozeduralen Könnens geht, eher Spielraum für einen persönlichen Wachstumsprozess ermöglicht und ein offener Zugang bevorzugt, der kreative und bildhafte Mittel einbezieht? Wie ist in der psychodynamischen Supervision das Verhältnis von Einsicht und Erfahrung? Was bestimmt, wo der Fokus der supervisorischen Arbeit liegt? Wie ist der Rahmen und wie wird die supervisorische Beziehung verstanden – als Übertragungsbeziehung, als Arbeitsbeziehung, als reale Beziehung? Wie kann psychodynamische Supervision, wenn sie als Ausbildungssupervision durchgeführt wird, ihre pädagogischen und sozialen Aufgaben und die damit einhergehende Verantwortung integrieren? Und wie kann sie die damit verbundene unverAktuelle Fragen
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meidliche Asymmetrie der Beziehung akzeptieren, sie aber zugleich unter ethischen Gesichtspunkten reflektieren und rahmen? Eine besondere Gewichtung bekommt dieser Aspekt der Verantwortung von Supervision unter den Bedingungen einer staatlichen Ausbildung. Nach § 117, Absatz 2 SGB V und § 6 des Psychotherapeutengesetzes gibt es Voraussetzungen dafür, dass die Ausbildungsteilnehmer überhaupt behandeln dürfen. Hier heißt es, dass »die Krankenbehandlung unter der Verantwortung von Personen stattfindet, die die fachliche Qualifikation für die psychotherapeutische Behandlung erfüllen« (Hervorhebung von der Verfasserin). In der Ermächtigung zur Krankenbehandlung vieler Institute, so zum Beispiel des Alfred-Adler-Institutes in Mainz, ist ausgeführt, dass »die Abrechnung von Leistungen […] der Maßgabe unterliegt, dass die Leistungen der ambulanten Psychotherapie […] durch den Ausbildungsteilnehmer frühestens nach […] Nachweis von ausreichenden Kenntnissen und Erfahrungen unter Supervision dafür qualifizierter Therapeuten durchgeführt werden«. Dies macht eine entsprechende Fortbildung auch der Supervisoren erforderlich ebenso wie eine interne und externe Supervision der Supervisoren und dient auch der erforderlichen Qualitätssicherung.
1.2 Definition und Aufgaben von Supervision Das in diesem Buch vertretene intersubjektive oder relationale Modell der Supervision ist bestimmt von drei zentralen Aspekten: ȤȤ der Mutualität und Kokonstruktion von Übertragungsprozessen, ȤȤ einer Asymmetrie der Beziehung bei grundsätzlicher Gleichwertigkeit der teilnehmenden Personen, ȤȤ von der Notwendigkeit der gemeinsamen Klärung (»Aushandlung«, »negotiation«) von Beziehungsaspekten und dem Verständnis des sich intrapsychisch und interpersonell Ereignenden, zumal Parallelprozesse in der Supervision als unbewusste Repräsentation des Geschehens in der Therapie und der Problematik des Patienten 14
Was ist psychodynamische Supervision? Eine erste Annäherung
überlagert und kompliziert werden durch das aktuelle Beziehungsgeschehen zwischen Supervisor und Supervisand. Psychodynamische Supervision wird hier verstanden als eine systematische Reflexion von inneren und interpersonellen Prozessen in einer professionellen Interaktion, die auf Konzepten der Psychoanalyse ruht, aber doch etwas von Psychoanalyse und Psychotherapie kategorial Unterschiedenes ist. Sie ist darauf ausgerichtet, dem Supervisanden Lern- und Erfahrungsbedingungen zu bieten, in seiner Profession als analytischer oder tiefenpsychologischer Therapeut als eine Person zu handeln, die durch reflektiertes Erleben ihrer Subjektivität und gekonntes Handeln selbst zur verändernden Ressource wird und sich nicht bloß als Anwender einer Methode oder Verfechter einer Theorie versteht. Auf dem Hintergrund dieses Konzeptes ermöglicht der Supervisor subjektive Sinnerfassung und Bedeutungsfindung für etwas zuvor vom Therapeuten und seinem Patienten nicht Verstandenes. Zugleich wird damit auch anerkannt, dass psychodynamische Supervision ebenso wie jegliche professionelle Psychotherapie jenseits von traditioneller psychoanalytischer Neutralität und Ziellosigkeit beeinflusst und beeinflussen muss. Dies schließt ein, dass Supervision Selbsterfahrungselemente enthält, die aber gerahmt und begrenzt sind durch den arbeitsbezogenen Fokus und die Zielorientierung innerhalb eines professionellen Kontextes. In der Ausbildungssupervision kommen pädagogische und evaluative Aspekte hinzu ebenso wie nach dem Ausbildungsstand abgestufte Aspekte der Verantwortungsübernahme, deren Implikationen wiederum Inhalt der supervisorischen Reflexion werden können. Der psychodynamische Supervisor steht so vor folgenden komplexen Aufgaben, auf deren zum Teil unauflösbare Widersprüchlichkeit weiter unten noch einmal eingegangen wird: ȤȤ Förderung nicht nur konzeptionellen und theoretischen Wissens, sondern auch der Selbstwahrnehmung und -reflexion und des impliziten, prozeduralen Könnens und der interaktionellen Verständigungskompetenz; Definition und Aufgaben von Supervision
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ȤȤ Anregung des Supervisanden zum Suchen und Finden der eigenen analytischen oder therapeutischen Haltung; ȤȤ Bereitschaft, selbst zur persönlichkeitsverändernden Ressource zu werden, zugleich aber bezogen zu bleiben auf das Ziel der Erlangung und Verbesserung der therapeutischen Fähigkeiten des Supervisanden im Interesse seiner Patienten; ȤȤ Offenheit für einen Prozess, der Freiheit, Kreativität und Spielraum braucht, sowie das Ertragen von Unsicherheit und Nicht-Wissen; ȤȤ Bereitschaft, sich den Konsequenzen der Verrechtlichung und Formalisierung in einem sozialen Kontext zu stellen, insbesondere im Kontext der Ausbildungssupervision; ȤȤ Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme mit der gleichzeitigen Abgrenzung von der Verantwortung des Supervisanden, da ja Ziel und Inhalt des supervisorischen Prozesses das eigenständige und eigenverantwortliche Arbeiten des Supervisanden ist. Zusammengefasst wird die Ansicht vertreten, dass psychodynamische Supervision auf eine analytische Grundhaltung angewiesen ist, aber als ein von der Psychoanalyse und Psychotherapie differenziertes Funktionssystem spezialisierter professioneller Interaktion zu verstehen ist. Dieses Unterscheidungs- und Spannungsverhältnis zur Psychoanalyse als Therapie umfasst die Abgrenzung von deren Idealen wie Abstinenz, relativer Zieloffenheit und Nicht-Bewertung. Dabei hat psychodynamische Supervision eine triangulierende Funktion und dient zugleich der Kontextualisierung und Perspektivenerweiterung. Insbesondere in der Ausbildungssupervision erfordert die Asymmetrie von Macht und Verantwortung vertiefte Reflexion, aber auch in anderen Kontexten sind komplexe Verflechtungen von Übertragungs- und realen Beziehungsaspekten zu beachten. Hierzu benötigt der Supervisor auch interaktionelle Verständigungskompetenz im intersubjektiven Beziehungsraum mit der Fähigkeit zur Gestaltung von Passung, zumal die Entwicklung impliziten prozeduralen Könnens als ein stufenförmiger Prozess verstanden werden kann.
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Was ist psychodynamische Supervision? Eine erste Annäherung
2 Historischer Kontext: Von der Kontrollanalyse zur professionellen supervisorischen Beziehung
In der Auseinandersetzung um das Verständnis von psychoanalytischer Ausbildung und Supervision und deren praktischer Handhabung spiegeln sich bis heute auch die Konflikte aus den Anfängen der Psychoanalyse mit ihren kulturellen und professionellen Unterschieden zwischen Budapest, Wien und Berlin. Unterschiedliche Haltungen und inhaltliche Differenzen bilden sich dabei auch in den Spannungen um Fragen der Gestaltung und Form der Supervision ab. Versucht man, sich thematisch im Dickicht dieser von inhaltlichen Widersprüchen und persönlichen Konflikten getriebenen historischen Auseinandersetzungen zu orientieren, kann man die Fragen, die die Supervision betreffen, um folgende vier Dimensionen gruppieren (angelehnt an Frawley-O’Dea u. Sarnat, 2001): ȤȤ die schon erörterte Kontroverse um Lehre und/oder Selbsterfahrung (»teach or treat«), ȤȤ die Frage danach, woraus die Autorität des Supervisors erwächst und welche Freiheiten dies umfasst, ȤȤ die Frage nach dem Fokus der Supervision und schließlich ȤȤ Vorstellungen über das Einbezogensein des Supervisors in den Prozess. Dabei lässt sich parallel zur Entwicklung der psychoanalytischen Konzeptionen auch in der Supervision eine intersubjektive Wende beschreiben.
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2.1 Freud als »archetypical supervisor«: Der deutende Supervisor im patientenzentrierten Modell Als informellen Beginn von Supervision in der Psychoanalyse könnte man dabei sowohl Freuds Mittwochsgesellschaft benennen als auch seinen Austausch mit Josef Breuer über die Therapie von Bertha Pappenheim (Anna O.). Die Spannung zwischen den Versuchen einer klaren Festlegung des »Richtigen« in der Geschichte der Psychoanalyse einerseits und der Ermunterung zu freiem Denken und Fühlen andererseits zeigt sich bereits hier: Nach Gay (1988), der Max Graf zitiert, habe Freud kraft seiner Autorität in der Mittwochsgesellschaft immer das letzte und entscheidende Wort beansprucht. Andererseits ermunterte er dazu, dass nichts davon abhalten dürfe, »die Wendung der Beobachtung auf unser eigenes Wesen und die Verwendung des Denkens zu seiner eigenen Kritik gutzuheißen« (Freud, 1927, S. 47). Diese Aufforderung zur Anwendung der psychoanalytischen Beobachtung auf sich selbst und das eigene Denken könnte man auch als eine wichtige basale Anforderung an psychodynamische Supervision auffassen, sich auf dem Boden psychoanalytischer Konzeptionen eine exzentrische Wahrnehmungs- und Reflexionsposition zu erarbeiten, die es ermöglicht, etwas Neues, vorher nicht Gedachtes, Unbekanntes und Unerhörtes zu erkennen. Folgt man aber der ersten Bemerkung und sieht auch in den Diskussionen der Mittwochsgesellschaft eine Wurzel der zunächst lange Jahre noch informellen psychoanalytischen Supervision, spiegeln sich hierin die sich entwickelnden patriarchalischen Denkfiguren und autoritativen Deutungsmuster eines bedeutsamen Teils der frühen Psychoanalyse wider. Verbunden war hiermit die implizite Vorstellung, der Psychoanalytiker sei gegenüber seinem Patienten der seelisch Gesündere. Im Idealfall seiner Neurosen ledig und umfassender seiner selbst bewusst, konnte er so als neutraler Spiegel für die verzerrten Phantasien und Projektionen des kranken Patienten ima18
Historischer Kontext
giniert werden. Hieraus bezog der Analytiker auch seine Autorität, dem leidenden Patienten dessen Konflikte zu deuten und bewusst zu machen. Dieses Konzept setzte sich in der Vorstellung fort, dass der wissende, erfahrene Analytiker dieses Wissen dem psychoanalytischen Anfänger als Rezipienten weitergebe, und beeinflusste so auch die sich entwickelnden und ausdifferenzierenden Modelle von Supervision. Freud als »the archetypal supervisor« anzusehen (Frawley-O’Dea u. Sarnat, 2001, S. 17) führt zu der Vorstellung, dass sich mit Hilfe entsprechender Übertragungen über viele Analytikergenerationen eine Form der Supervision entwickelt habe, in der der Supervisor als zentrale, hierarchisch übergeordnete Instanz für Wahrheit, Wissen und Macht zu stehen schien. Zu Metaphern der entsprechenden Übertragungskonstellationen verdichtet können für diese Form der Supervision fast religiös anmutende Bilder beschrieben werden wie das der Absegnung durch den Supervisor als allwissendem Übervater oder der Erlösung von niederen Konflikten durch den Supervisor als vollendet analysiertem Supertherapeuten. Allerdings verkennt diese auf Freuds Autorität verengte Sichtweise den Einfluss historischer Entwicklungen, der die Ausbreitung schon früh sehr kontrovers diskutierter Vorstellungen über psychoanalytische Supervision und die Ausbildung maßgeblich mit prägte. Während Freud selbst einer Formalisierung der Ausbildung zum Psychoanalytiker eher skeptisch gegenüberstand, etablierte das 1920 in Berlin gegründete Berliner Institut für Psychoanalyse unter Max Eitington 1923/24 die bis heute vielerorts gängige Aufteilung in theoretische Kurse, persönliche (Lehr-)Analyse als Voraussetzung zur Behandlung von Patienten und die davon getrennte, ursprünglich so genannte Kontrollanalyse. Die damit verbundenen Vorstellungen vom Primat des Wissens und der Lehre formten in den nächsten Jahrzehnten die Ausbildung von Psychoanalytikern. Unterstützt durch die erzwungene Emigration vieler Berliner Psychoanalytiker in den späten 1930er Jahren wurde das Modell des Berliner Instituts prägend und setzte sich in vielen Ländern mit seinen rigiden Regeln durch, was zum Beispiel Freud als »archetypical supervisor«
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Siegfried Bernfeld 1952 als zu hierarchisch strukturiert ansah und angesichts der mit realer Macht ausgestatteten Lehrer als Ausdruck eines »preußischen Geistes« kritisierte (Lockot, 2011). Die Bearbeitung persönlicher Schwierigkeiten und Gegenübertragungsreaktionen sollte im Berliner Modell ausschließlich der persönlichen Analyse vorbehalten bleiben, anders als es schon 1919 die ungarischen Psychoanalytiker am – aus politischen Gründen nach kurzer Zeit untergegangenen – Budapester Institut vorgeschlagen hatten. Deren mehr Freiheiten gewährendes Konzept der Supervision hatte vorgesehen, zumindest die ersten Fälle des Kandidaten durch dessen Analytiker supervidieren zu lassen, da dieser am besten die notwendige Sicherheit geben könne, um die hier als zentral geltende Bearbeitung von Gegenübertragungsreaktionen zu gewährleisten. Ihres Instituts in Budapest beraubt und unterlegen in den Auseinandersetzungen innerhalb der psychoanalytischen Bewegung – auch als Folge des Zerwürfnisses mit Ferenczi – konnte dieses Modell von Supervision nicht weiterentwickelt werden, auch wenn die Diskussion um die Gewichtung von Selbsterfahrung/Therapie und Lehre, von theoretischer Homogenität und Heterogenität sowie das Ausmaß von Freiheit in der psychoanalytischen Supervision weitergeführt wurde. Wie stark aber offenbar eine fachliche Auseinandersetzung und Erweiterung der eigenen Sichtweisen weiter von Schulloyalitäten überformt oder behindert sind, zeigt sich auch in der Lösung, die am Londoner Institut versucht wurde. Eine Vereinbarung sieht vor, dass Supervisanden aller drei Gruppen des Instituts eine Supervision bei einem Supervisor außerhalb ihrer Gruppe absolvieren sollen. Diese Regelung wurde aber offenbar von den Kleinianern (so Sorenson, 2000) nicht befolgt, die weiterhin Supervision überwiegend innerhalb ihrer Gruppierung suchten. Unter Berücksichtigung der oben angeführten vier Dimensionen bedeutet dies, dass analog zu den theoretischen und behandlungstechnischen Vorstellungen der vorherrschenden psychoanalytischen Schulen lange Zeit das klassische, Patienten-zentrierte Modell in der 20
Historischer Kontext
psychoanalytischen (Ausbildungs-)Supervision überwog. Der Supervisor wurde als unbeteiligter objektiver Experte angesehen, dessen Fokus auf dem Unbewussten des Patienten und der Vermittlung der korrekten Technik lag und der überwiegend einer didaktischen Haltung folgte (Ekstein, 1960).
2.2 Multiple Perspektivenerweiterungen: Das intersubjektive Modell der Supervision Die weitere Entwicklung der Vorstellungen über psychoanalytische Supervision kann als eine zunehmende Erweiterung der Perspektiven gesehen werden. Der Fokus der Supervision richtete sich nicht mehr nur auf den Patienten und dessen Psychodynamik, sondern auf den Therapeuten selbst. Damit rückten dessen Schwierigkeiten und Gegenübertragungsprobleme in den Vordergrund. Diese wurden als Lernprobleme und Form unbewussten Widerstandes des künftigen Psychoanalytikers verstanden und untersucht (Ekstein u. Wallerstein, 1958) und führten zu einer aktiveren Haltung des Supervisors im Sinne von Konfrontation, Klarifikation und Interpretation von Widerständen. Eine nächste, auf die Schwierigkeiten des Therapeuten gerichtete Fokuserweiterung in der Supervision kann in der Bearbeitung von Ängsten des Therapeuten gesehen werden, ausgelöst durch den Patienten und die therapeutische Situation selbst. Der Supervisor versteht sich in diesen Konzepten als Container von Ängsten des Supervisanden (Newirth, 1990) und übernimmt haltende und affektregulierende Funktionen angesichts des affektiv aufgeladenen Prozesses der Psychoanalyse und der zunehmenden Durchlässigkeit für Gefühle sowohl des Patienten als auch des Therapeuten. Allerdings bleibt auch in diesen erweiterten Modellen, die man als Therapeuten-zentrierte Supervision beschreiben kann, der Supervisor überwiegend Experte oder allenfalls neutraler Teil eines Spiegelungsprozesses. Die Einbezogenheit des Supervisors in das BeziehungsgeMultiple Perspektivenerweiterungen
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schehen konnte auch in diesem theoretischen Bezugsrahmen nicht ausreichend wahrgenommen und reflektiert werden. Erst neuere Konzepte von psychodynamischer Supervision beziehen den Supervisor unter einem objektbeziehungstheoretischen oder intersubjektiv-beziehungstheoretischen Zugang in die Reflexion mit ein (Frawley-O’Dea u. Sarnat, 2001; Berman, 2004; Ogden, 2006; Sarnat, 2015). Ein intersubjektives oder relationales Modell der Supervision ist bestimmt von den drei schon genannten zentralen Aspekten: der Mutualität von Übertragungsprozessen als einer Kokonstruktion, einer grundsätzlichen Gleichwertigkeit aller als beteiligte Subjekte bei gleichzeitiger Asymmetrie der Beziehung sowie der Notwendigkeit der gemeinsamen Klärung (»negotiation«) von Übertragungsgeschehen und Beziehungsaspekten. Neben den zwei Komponenten Übertragungs-Gegenübertragungs-Dynamik und Arbeitsbündnis wird zunehmend die reale Beziehung als ein wichtiger Teilbereich der supervisorischen Beziehung beschrieben. Angeführt werden hier zum Beispiel als wichtige Teilaspekte der Supervision als einer auch beruflichen Beziehung Kollegialität und ehrliche Kommunikation (Kernberg, 2010; Watkins, 2011). In einem Versuch, die hier aufgeführten Fokusse zusammenzuführen, entwickelt Hawkins (Hawkins u. Shohet, 2012) ein von ihm so genanntes »Seven-eyed«-Modell der Supervision, in dem sieben zentrale Perspektiven dargelegt werden, auf die die supervisorische Arbeit jeweils konzentriert sein kann und die berücksichtigt werden müssen: Fokus auf den Patienten; auf die Strategien und Interventionen des Supervisanden; auf die Beziehung zwischen Patient und Supervisand; auf den Supervisanden selbst; auf die supervisorische Beziehung als Quelle von Reinszenierungen und Parallelprozessen; auf das Hier und Jetzt der aktuellen supervisorischen Beziehung und schließlich auf den organisatorischen und sozialen Kontext der Behandlung. Zusammengefasst wurde die Konzeptualisierung von psychoanalytischer Supervision lange geprägt durch die historisch verwurzelte Betonung der Vermittlung von Wissen durch einen überlegenen 22
Historischer Kontext
Experten, obwohl schon Balint (1948) diese Art von Supervision als »superego training« kritisiert hatte. Überlegenswert ist, wie weit die heutigen Versuche, mittels empirischer Forschung nicht nur Anregung, sondern manualisierte krankheitsspezifische Handlungsanweisungen generieren zu können, nicht nur einem für die Psychotherapie inadäquaten medizinischen Modell (Wampold, 2001) folgen, sondern auch in der Tradition der oben beschriebenen ursprünglichen Vorstellungen von der instruktiven Gestaltung therapeutischer Prozesse mittels Supervision stehen.
Multiple Perspektivenerweiterungen
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3 Komplexe Herausforderungen an Supervision
Aus den bisherigen theoretischen und historischen Überlegungen ergeben sich wesentliche Konsequenzen für die Gestaltung von psychodynamischer Supervision und das Verständnis des supervisorischen Prozesses.
3.1 Deklaratives Wissen und implizites Können Buchholz wagt die These, dass wir damit leben müssen, dass »Therapie so wenig wie Musik definiert werden kann« und »Therapie nur individuell realisierbar« ist (Buchholz, 2012, S. 164). Folgt man dieser Sicht, dann realisiert sich auch Supervision nur situativ und abhängig vom Kontext im individuellen Vollzug. Zugrunde liegt dieser Vorstellung eine konstruktivistische Position, in der Psychotherapie in Folge der Auseinandersetzung mit grundlegenden philosophischen und professionstheoretischen Positionen (Luhmann, 1995; Oevermann, 1996) als ein sich ausdifferenzierendes Funktionssystem verstanden wird. Dies führt zur Leitunterscheidung zwischen Wissenschaft und Profession (Buchholz, 1999). Für das Funktionssystem einer autonomen psychotherapeutischen »Profession« ist nicht das für Wissenschaft und Expertentum spezifische diskursiv-deklarative Wissen charakteristisch, sondern implizites prozedurales Können (Buchholz, 1999). Dieses zeigt sich im lebendigen, individuellen Vollzug und macht gerade ihre Unbestimmbarkeit als einen Aspekt ihrer Bestimmung aus. Psychotherapie braucht demnach Wissenschaft, ist aber selbst keine. Als autonomes 24
Funktionssystem ist sie zudem der Wissenschaft nicht hierarchisch untergeordnet. Die zentrale Bedeutung der Differenzierung von technischem Wissen und prozeduralem Können in der Psychotherapie findet zunehmend auch empirisch Bestätigung (Wampold, 2001). Wampold (zunächst als Mathematiker ausgebildet) hat in grundlegenden metaanalytischen Untersuchungen von Psychotherapie-OutcomeStudien zwar bestätigt, dass Psychotherapie im Allgemeinen hocheffektiv ist (durchschnittliche Effektstärke von 0,8). Zugleich hat er aber die Vorstellungen erschüttert, spezifische Techniken könnten bessere und/oder spezifische Effekte in der Behandlung psychisch Erkrankter erreichen, was mit einer fundierten Kritik auch von EST (Empirically Supported Treatment) in der Psychotherapie einhergeht. Begründet sieht Wampold dies in der Unangemessenheit des medizinischen Modells für die Psychotherapie. Dieses Modell zeichnet sich durch die Vorstellung aus, Symptome seien die Zeichen einer diagnostisch klar einzuordnenden Krankheit, die mit einer psychologischen Hypothese erklärt werden und dann mit Hilfe spezifischer Faktoren des therapeutischen Ansatzes geheilt werden kann. Das medizinische Modell lässt sich nach Wampold für die Psychotherapie angesichts der Metaanalyse hunderter Studien nicht aufrechterhalten. Die allgemeinen Effekte sind höher als die spezifischen, der Einflussfaktor des individuellen Therapeuten ist hoch. Stattdessen muss nach Wampold ein kontextuelles Modell für die Psychotherapie herangezogen werden. Dieses sieht Psychotherapie als eine emotional hochbedeutsame Beziehungsform an, getragen von der Bereitschaft zu Kontakt in einem helfenden Kontext. Der Erfolg ist stark angewiesen auf das Vertrauen des Patienten in den Therapeuten und dessen Erklärungs- und Behandlungsmodell mit konsistenten Interventionen und passenden Ritualen. Von diesen muss auch der Therapeut überzeugt sein, aber zugleich in der Lage, sie adaptiert und flexibel zu handhaben. Als eine bedeutsame Erkenntnis kristallisiert sich zudem mehr und mehr der Befund heraus, dass es in jeder Therapieform Therapeuten Deklaratives Wissen und implizites Können
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gibt, die sich deutlich in ihrer Fähigkeit zu helfen von den weniger hilfreichen unterscheiden. Ausschlaggebend scheinen hierfür eine Reihe von persönlichen und interpersonellen Kompetenzen der Therapeuten zu sein: unter anderem die Fähigkeit zu Wärme und Empathie und zur Gestaltung einer kollaborativen, Hoffnung generierenden Arbeitsbeziehung mit einer breiten Gruppe von unterschiedlichen Patienten. Hinzu kommen weitere bedeutsame persönliche Fähigkeiten, so zum Beispiel vor allem diejenige, eigene Fehler anzuerkennen und starke Affekte bei sich und dem Patienten zu tolerieren, aber auf Gegenaggressionen zu verzichten (Wampold, 2007; Norcross, 2002/2011.) Man kann in diesen Ergebnissen zum einen eine Bestätigung für die Wichtigkeit intensiver Selbsterfahrung und Selbstreflexion in der psychotherapeutischen Ausbildung sehen, die die Psychoanalyse seit langem vertritt. Zum anderen wird hieraus auch eine weitere Unterstützung für ein kontextuelles und relationales Modell von psychodynamischer Supervision abgeleitet, in dem der Supervisor nicht bloß als Anwender einer Methode oder Verfechter einer Theorie für die Behandlung einer Krankheit verstanden werden kann, sondern als handelnde Person in einer professionellen Interaktion gesehen wird (Buchholz, 1999).
3.2 Professionelle Differenzierung Als gekonnte Handlung in einer professionellen Interaktion unterscheidet sich psychoanalytische Supervision dabei von psychoanalytischer Behandlung. Sie muss zwar nach dem oben Gesagten die persönliche Veränderung des Supervisanden zur Verbesserung seiner therapeutischen und interpersonellen Fähigkeiten ermöglichen und anstreben. Diese Unzertrennbarkeit von Erlernen eines technischen Vorgehens und persönlicher Veränderung wirft immer wieder die – schon mehrfach erwähnte – traditionelle Kontroverse auf, ob Supervision mehr Selbsterfahrung (bis hin zu therapeutischen Anteilen) ist oder überwiegend Lehre (z. B. Lesser, 1984). 26
Komplexe Herausforderungen an Supervision
Hier einen nächsten Schritt zu gehen erscheint folgerichtig und erforderlich und ermöglicht, psychodynamische Supervision als etwas Drittes zu sehen im Sinne einer weiteren Differenzierung verändernder professioneller Interaktion. Sie dient auch der Aneignung und Erweiterung von theoretischem, deklarativem Wissen und technischen Fertigkeiten – sie ist aber keine Lehre. Hilfreiche psychodynamische Supervision ist zwar sowohl für den Supervisanden als auch den Supervisor auf die Bereitschaft zur Selbsterfahrung, Selbstreflexion und Selbstveränderung angewiesen – sie ist aber keine Selbsterfahrung. Psychodynamische Supervision ist auch keine Therapie, selbst wenn sie vereinzelt therapeutische Züge annimmt und auf der Psychoanalyse als Therapieform basiert, die selbst wiederum auf der alltäglichen menschlichen Interaktion aufruht, aber einer »leeren Typisierung« folgt (Buchholz, 1999, S. 321) und somit gerade auch keine alltägliche Interaktion ist. Pointiert hebt dies Levenson hervor, der auf die Gefahr eines Fehlers in der logischen Typisierung hinweist und darauf besteht, dass Supervision auf einem anderen Level der Abstraktion operiert als Therapie: »supervision is possible because it is not therapy« (Levenson, 1984, S. 154; Hervorhebung von der Verfasserin). Supervision lässt sich nach Levenson dadurch charakterisieren, dass wir dem Supervisanden nicht bei einem spezifischen Patienten helfen, sondern eine Klasse von Interaktionen zu verstehen versuchen, die auf alle Patienten angewandt werden können und an dem jeweils spezifischen Patienten jeweils beispielhaft erlebt und verstanden werden können. Ausgehend von einer anderen Perspektive stimmt hier Levenson mit Buchholz überein, wenn er schreibt: »The art of teaching operates in the interstices between the word and the act. So we are confronted with an apparent paradox: We feel very clear about what we wish to teach, and we are equally clear that we do not know exactly how to formulate it. From this perspective, there is nothing unique about the problems of teaching psychoanalysis, or for that matter, psychoanalysis itself. The psychoanalytic act seems to me to be a very special case of human discourse, and its effectiveness lies not Professionelle Differenzierung
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in any esoteric distinctions, but in a rigorously maintained, focussed attention« (Levenson, 1984, S. 155). Er beschreibt das Auftauchen von etwas für den Supervisanden vorher nicht Gesehenem in einem interpersonalen Feld, angeregt durch die Exploration des Prozesses mit dem Supervisor: »one can listen to the data, show him how to expand blind spots, and point out in the process of doing so the supervisor is taking a position about the therapist’s position about the patient – not that this position is necessarily clearer or closer to the real truth. It is only more explicated. Hopefully, this would permit the supervisee to detach himself from the supervision and look at his own position vis-à-vis his own patient. It is the exploration of this engagement that is the leverage of psychoanalysis. And for that, the therapist must go back and work with his own patient – not with the supervisor« (Levenson, 1984, S. 155). Und schließlich braucht Supervision ebenso wie Psychotherapie zwar Wissen und ist im Idealfall durch Wissenschaft informiert, lässt sich anregen und irritieren. Sie ist aber weder eine Wissenschaft noch ist ihr Wissenschaft hierarchisch übergeordnet. Systemtheoretisch können Wissenschaft und Psychotherapie als ausdifferenzierte Systeme (Luhmann, 1984, 1995) gesehen werden, die einander Umwelt sind. Wissenschaft kann im Einzelfall dem Therapeuten nicht sagen (»bei Problem x tue y«, Buchholz, 2012, S. 164), wie er seinen Patienten in der Stunde behandeln soll. Deterministisch missverstanden kann Wissenschaft der Lehre von Psychotherapie sogar schaden, wie Henry (1998) offenbar zu seiner eigenen Überraschung nach langen Jahren der Beschäftigung mit empirischer Forschung in der Psychotherapie befürchtet. Um welche Paradoxie es hier in der Supervision als Vermittlung von individuellem therapeutischem Können geht, das sich erst in der therapeutischen Situation selbst zeigen und autopoietisch auftauchen kann, wird von Reik mit einer Metapher aus der Schauspielkunst sehr schön beschrieben: »The actor should, when he walks out upon the stage, forget what he has studied in the academy. He must brush it 28
Komplexe Herausforderungen an Supervision
aside as if it had never been there. If he can not neglect it now, in the moment of the real performance – if it has not gone deep enough that he can afford to neglect it – then this training wasn’t good enough« (Reik, 1949, zitiert nach Bromberg, 1984, S. 34).
3.3 Ziele, Funktionen, Rahmung Das obige Beispiel vom Schauspieler lässt aber zugleich auch ahnen, dass Training nicht alles ist. Es verweist auf die erste der zahlreichen Spannungen und Paradoxien, denen wir in der Supervision begegnen: sich darum zu bemühen, etwas nicht klar Definierbares wie Psychoanalyse oder psychodynamische Psychotherapie zu lehren, das zugleich als nur begrenzt lehrbar erkannt ist und erfahren werden muss. Aspekte wie die Unterschiedlichkeit in der Begabung sind hierbei noch gar nicht einbezogen. Möglicherweise zeigen sich aber im Umgang mit diesen Spannungen, Widersprüchen und teilweise gar nicht aufzuhebenden Paradoxien auch eine Reihe übergeordneter, in die Persönlichkeit verwobener Fertigkeiten. Diese berühren offenbar zentrale Strukturen von Supervision (und Psychotherapie) und sind zugleich Ausdruck von langer Erfahrung, eines nicht endenden Lernprozesses und einer immer wieder notwendigen Neuaufrichtung als professioneller Psychotherapeut oder Supervisor. Genannt seien hier als übergeordnete Fertigkeiten und allgemeine Aufgaben von psychodynamischer Supervision ohne Anspruch auf Vollständigkeit: ȤȤ die Bewältigung der Spannung zwischen Gestaltungs- und Beeinflussungsmöglichkeiten sowie dem Erleben von Selbstwirksamkeit einerseits und der Erfahrung von Ohnmacht und Kontrollverlust andererseits; ȤȤ die innere Bindung an ein übergeordnetes, sinnstiftendes Rational mit dem Erwerb entsprechender Techniken einerseits bei gleichzeitiger Souveränität, dies nicht für die Wahrheit zu halten und das Scheitern nicht verhindern zu können andererseits; Ziele, Funktionen, Rahmung
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ȤȤ gute Kenntnis zentraler theoretischer Vorannahmen und technischer Regeln bei gleichzeitiger Flexibilität und errungener innerer Freiheit in ihrer Nutzung; ȤȤ die Fähigkeit, die Bedeutung des Rahmens für die Kontextmarkierung als Psychotherapie zu erkennen, dessen ethische Bedeutung zu erfassen und gleichzeitig auf Regelverletzungen trotz eigener klarer Grenzen nicht ausschließlich normativ zu reagieren, sondern diese therapeutisch als Erkenntnisspielraum zu nutzen; ȤȤ das schwierige Gefühlsbad zwischen großer Idealisierungsbereitschaft und vernichtender Geringschätzung auszuhalten, beschrieben als therapeutische Resilienz (Buchholz, 2012). Wenn gilt, dass der Therapeut Bedeutung hat und den Unterschied ausmacht (Luborsky et al., 1997; Norcross, 2002/2011), wirft dies nicht nur Fragen auf für die zukünftige Psychotherapieforschung und deren größere Konzentration auf die Person des Therapeuten und dessen Bedeutung für den Psychotherapieverlauf (Orlinsky u. Ronnestad, 2005). Es ergibt sich auch die Frage nach dem Unterschied, den der Supervisor macht, und dies wird ebenfalls zukünftige entsprechende Forschungen anregen. Das kontextuelle Modell, dessen Angemessenheit für die Psychotherapie Wampold gegenüber dem medizinischen Modell (Wampold, 2001) wie ausgeführt in seiner ausführlichen Metaanalyse zahlreicher Studien begründet, geht einher mit der Erkenntnis, dass der Psychotherapeut den Glauben an sein Verfahren als Schutz vor beliebigem Eklektizismus und insofern als Teil eines hilfreichen und konsistenten Heilungskontextes braucht. Zugleich ist offenbar aber auch die innere Souveränität hilfreich, die eigene Theorie nicht für die Wahrheit zu halten. Dies ist ein Gedanke, den schon Alfred Adler (1912) vertrat und den man als frühen konstruktivistischen Ansatz verstehen kann. Er geht einher mit der Vorstellung von der Bedeutung der Funktionalität und Flexibilität einer Theorie in der Realitätsbewältigung als notwendiger handlungsleitender Fiktion, nimmt Bezug auf Vaihingers Philosophie des »als ob« und kann 30
Komplexe Herausforderungen an Supervision
auch mit dem eher ästhetisch anmutenden Bild von der Stimmigkeit in Zusammenhang gebracht werden (Adler, 1912; Bruder, 1996; Schönberg, 2007). Wenn zugleich akzeptiert werden muss, dass außertherapeutische Faktoren eine große Rolle für den Verlauf einer Therapie spielen und hierbei wiederum auch der Glaube des Patienten an die von ihm gewählte Therapie und den Therapeuten, verweist dies auch auf die Grenzen therapeutischer und supervisorischer Einflussmöglichkeiten. Im Englischen lässt sich die Begrenztheit von Machbarkeit und die Bedeutsamkeit von Kreativität und Emergenz sprachlich sehr schön erfassen: Die Frage ist nicht mehr nur, »what cures«, sondern »how the patient heals«. Lässt man sich zusätzlich von spielerisch-kreativem Material anregen, kann hier so wohl für Psychotherapie als auch für Supervision das Kinderbuch »Die kleine Raupe Nimmersatt« ein schönes bildhaftes Narrativ bieten für diese Spannung zwischen aktivem Anbieten und Handeln und kontemplativem Zuwarten und Entstehenlassen: Die Raupe braucht zwar sehr viel und unterschiedlichstes Futter und frisst es in sich hinein, aber zum Schmetterling entwickelt sich die Raupe nach ihrem eigenen Tempo und gemäß ihren inhärenten Möglichkeiten – sie kann nicht dazu gemacht werden. Ein weiteres bedeutsames übergeordnetes Ziel von Supervision wäre somit, dem zukünftigen Therapeuten gerade am Beginn seiner Ausbildung dabei zu helfen, auch seine »Passung« mit der angestrebten Psychotherapieform zu reflektieren. Eingebettet in einen intersubjektiven Zugang, der auch die Ergebnisse der Forschung zu den hilfreichen Aspekten von Therapeuten einbezieht (u. a. Norcross, 2011), erleichtert dies Supervisanden im weiteren Verlauf ihrer Ausbildung, auf die Passung ihrer Heilungsvorstellungen und derjenigen des Patienten zu achten und gegebenenfalls zu klären, ob und wie sie als Therapeut an einer Annäherung der Vorstellungen als wichtigem Prädiktor von therapeutischem Erfolg arbeiten können.
Ziele, Funktionen, Rahmung
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3.4 Die Asymmetrie von Können, Verantwortung und Macht bei Gleichwertigkeit der Subjekte Hier wird zugleich eine der zentralen Funktionen der Supervision deutlich: das Erkennen von Differenz und deren Einbettung in ein multiperspektivisches Beziehungsgeschehen. Die Triangulierung, in der Supervision später erweitert zum supervisorischen Rhombus (Ekstein u. Wallerstein, 1958; Kutter, 2000), ermöglicht, den Beitrag beider beteiligten Subjekte, des Patienten und des Therapeuten, zur Dynamik des Prozesses zu reflektieren. Der psychodynamische Supervisor fungiert als triangulierendes Objekt, trifft aber zugleich mit seiner Perspektive ebenfalls eine subjektive Wahl. In einem intersubjektiven und relationalen Modell von Supervision wird folgerichtig die Mehrdimensionalität der Perspektiven noch erweitert um die Reflexion des Beitrags des Supervisors. Idealerweise führt diese Perspektivenerweiterung zu einem Erkennen von zuvor vom Therapeuten nicht gesehener Bedeutung und kann in die Arbeit mit seinem Patienten integriert werden. Das schon genannte Thema der Passung verweist auf einen weiteren, schon in anderem Zusammenhang beschriebenen zentralen Aspekt der supervisorischen Beziehung: Es wird in einem intersubjektiven Zugang die grundsätzliche Gleichwertigkeit zweier Subjekte angenommen, ohne dass eines der beiden einen privilegierten Zugang zur »Wahrheit« hätte. Die Perspektive beider Beteiligter im Supervisionsprozess ist subjektiv, sodass der Prozess des Verstehens und der Verständigung eher dem Finden einer gemeinsamen Narration, einer Stimmigkeit und Passung der erweiterten Perspektiven entspricht (und, könnte man hinzufügen, bestätigt wird oder überarbeitet werden muss je nach Reaktion des dritten Subjekts in dieser Dreiecksbeziehung, nämlich des Patienten). Insofern kann für die supervisorische Beziehung eine grundsätzliche Symmetrie postuliert werden (Schreyögg, 1991; Frawley-O’Dea u. Sarnat, 2001; Berman, 2004; Nagell et al., 2014). Allerdings wird die symmetrische Beziehungsgestaltung zugleich begrenzt durch das 32
Komplexe Herausforderungen an Supervision
Erfahrungsgefälle, die Zielorientierung des Prozesses auf die wie auch immer verstandene Verbesserung der analytischen oder therapeutischen Kompetenz des Supervisanden und nicht zuletzt durch bedeutsame Unterschiede im Ausmaß und Inhalt der Verantwortung. Im Fall der Ausbildungssituation kommt zudem eine nicht nur phantasierte Asymmetrie der Macht hinzu. Schon die im obigen Beispiel des Schauspielers anklingende Frage von Begabung berührt die offenbar für alle Beteiligten Scham und Angst, aber auch Schuld auslösende Thematik von Unterschieden im Können. Der heftige Angst- und Schamgefühle mobilisierende Aspekt des Beurteiltwerdens gilt auch für den Beruf des Psychoanalytikers und Psychotherapeuten und vielleicht – möglicherweise durch die größere Sichtbarkeit im kollegialen Raum – sogar in größerem Maße des Supervisors (Möller, 2001, S. 286 f.). Beide Teilnehmer der supervisorischen Dyade sind insbesondere in der Ausbildungssupervision in unterschiedlichem Ausmaß konfrontiert mit der Frage des Beurteiltwerdens und Beurteilens und entsprechend vielschichtigen Übertragungsmöglichkeiten und komplexen extratherapeutischen gruppendynamischen Spannungen, zum Beispiel im Rahmen eines Instituts. Lesser schreibt hierzu: »It is important to be aware that the supervisory room is crowded with all sorts of ›persons‹ who create anxieties for both the supervisor and the supervisee. The supervisory room is often even more populated than the analytic room. Each participant must consider his own multiple transferences, which include the patient, colleagues, training-committee members, and others in the institution« (1984, S. 148). Hilfreich im Dickicht der möglichen Verwicklungen auch in ethischer Hinsicht sind hier zwei wichtige Aspekte: zum einen die Anerkennung der Verschiedenheit der Rollen und der Differenz der Aufgaben. Zum anderen ist es bedeutsam, die Ungleichheit von Macht zu realisieren, aber auch die gleichzeitige Unterworfenheit aller Beteiligten (»Die Macht wird nicht auf die Individuen angewandt, sie geht durch sie hindurch«, Foucault, 1978, S. 82). Erst dies ermöglicht eine Offenheit für die gegenseitige Abhängigkeit und Verletzbarkeit. Die Asymmetrie von Können, Verantwortung und Macht
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Verschärft wird dieses komplexe Spannungsfeld um das Phänomen, wenn es in der Ausbildungssupervision um die Notwendigkeit von kritischer Rückmeldung und Evaluation geht (Frawley O’Dea u. Sarnat, 2001; Kernberg, 2010) mit bloß befürchteten oder real möglichen beruflichen Konsequenzen für den Ausbildungsteilnehmer. Konfliktbehaftet ist dabei insbesondere die Erkenntnis, dass der Supervisand in der Supervision einerseits Vertrauen und Sicherheit braucht, andererseits es aber eine erweiterte Verantwortung des Supervisors in der Ausbildungssupervision gibt, den man in Analogie zum Rhombus der Supervision (Ekstein u. Wallerstein, 1958; Kutter, 2000) in einem Rhombus der Verantwortung sichtbar machen kann. Dieses Konzept der Verantwortung bezieht den Patienten ein, der behandelt wird, den Supervisanden in seiner Rolle als Lernender und schließlich die soziale Umgebung einschließlich des institutionellen, finanziellen und rechtlichen Rahmens. Zugleich offenbart sich hier erneut ein struktureller Widerspruch bzw. eine nicht aufzulösende Paradoxie: Der Supervisor übernimmt Verantwortung (und hat sie in der staatlichen Ausbildung in Deutschland auch juristisch) und grenzt sich gleichzeitig von der therapeutischen Verantwortung des Supervisanden ab, da ja Ziel und Inhalt des supervisorischen Prozesses das eigenverantwortliche Arbeiten des Supervisanden als Therapeut seines Patienten ist. Hinzu kommt ein weiterer Aspekt: die Zeit. Die Entwicklung der Fähigkeit, einen psychoanalytischen Zugang zum Patienten zu finden, erfordert Zeit und eine gewisse Offenheit in der Zielsetzung. In der Ausbildung zum Psychoanalytiker oder analytischen Kinder- und Jugendlichentherapeuten entsteht dadurch ein weiterer struktureller Widerspruch, da die angehenden Therapeuten zugleich unter Zeitund Erfolgsdruck stehen. Das Erreichen des Ausbildungsziels ist in den Ausbildungsregularien auch an quantitative Kriterien gebunden. Hinzu kommen quantitative Vorgaben mit strikter Bindung der Behandlung an den Ausbildungskontext etwa durch die Kostenträger. Diesen Vorgaben ist auch der Supervisor verpflichtet. Hierdurch kann er möglicherweise in einen strukturellen Konflikt geraten zwischen 34
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der Fürsorgepflicht gegenüber dem Patienten und der Fürsorgepflicht gegenüber dem Supervisanden – einige Autoren sprechen hier von »Allparteilichkeit« (Fengler, 1992; Fürstenau, 2001). Möchte zum Beispiel ein Patient kurz vor Erreichen der für den Ausbildungsteilnehmer notwendigen Stundenzahl die Psychotherapie beenden, kann dies die Ausbildung gefährden und angehende Therapeuten in existenzielle Ängste stürzen. Einen ebensolchen Druck für den Ausbildungsteilnehmer können die häufiger unter Jugendlichen beobachtbaren Tendenzen zur vorzeitigen Beendigung auslösen, die zuweilen aber als Ausdruck eines Autonomieschrittes verstanden werden können. Um die Gefahr einer ethisch nicht vertretbaren Instrumentalisierung des Patienten zu vermeiden, muss für diese Konflikte sensibilisiert werden. (Unberührt davon ist, dass zugleich auf der Ebene der Ausbildungsbedingungen eine Lösung mit einer weniger am Quantitativen orientierten Regelung anzustreben wäre.) Und es zeigt sich offenbar auch, dass in einer als hilfreich und grundsätzlich wertschätzend empfundenen supervisorischen Beziehung die Supervisanden von einer auch kritischen Rückmeldung profitieren und sich diese wünschen (u. a. Kernberg, 2010; Nagell et al., 2014). Wie stark unreflektierte Ängste und Scham- und Versagensgefühle des Supervisors den Supervisionsprozess stören können, mussten der Supervisand und ich bei einem meiner ersten supervisorischen Fälle erleben. Die Supervision war geprägt von meinen Versuchen, dem jungen Therapeuten einerseits Halt und Stabilität zu geben, da er angesichts des Leidens seines Patienten immer wieder selbst zu dekompensieren schien. Über erhebliche Schwierigkeiten, sich auf die Bearbeitung von Gegenübertragungsverstrickungen einzulassen und zentrale Absprachen und Regeln einzuhalten, sah ich hinweg. Erst nach Abbruch der Supervision konnte ich neben der in einer Intervision reflektierten Übertragungs- und Gegenübertragungsdynamik mit deutlichen Spiegelungsphänomenen auch meine eigenen bis dahin verleugneten Zweifel an der Eignung des SuperDie Asymmetrie von Können, Verantwortung und Macht
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visanden für die psychoanalytische Arbeit mit Patienten zulassen. Diese Verleugnung erwuchs nach meiner heutigen Einschätzung einerseits aus dem Tabu, als Analytikerin zu bewerten, und dürfte zugleich Aspekt des »Novizentums« in der Aneignung einer neuen Rolle sein. Hinzu kam die – mich in meinem Einfluss sicher auch überschätzende – Angst, das Leben des Supervisanden massiv zu beeinflussen, falls ich ihm die erwünschte Berufswahl verunmöglichen würde. Vielleicht hat mir diese Verleugnung aber auch die Konfrontation mit einem weiteren Konfliktbereich erspart: die Angst der Analytikerin und beginnenden Supervisorin zu handeln, nicht nur aufgrund der Möglichkeit, einen Fehler zu machen, sondern auch angesichts einer psychoanalytischen Tradition, in der Handeln oft als Agieren verstanden wird. Nach meinem jetzigen Verständnis des Supervisionsverlaufs hat die Verleugnung vor allem meiner Zweifel an der Eignung des Supervisanden und die Angst vor einer dadurch wiederum dämonisierten und überzeichneten Macht meinerseits entscheidend dazu beigetragen, dass die Zweifel des Supervisanden selbst und seine Ambivalenz gegenüber der Fortsetzung der Ausbildung innerhalb der Supervision nicht bearbeitet werden konnten (nach Binder-Klinsing, 2003, S. 14 f.).
3.5 Polaritäten und Paradoxien zwischen Erkennen und Erfahren Als sich weiter ausdifferenzierende professionelle Interaktionsspezialisierung erfolgt psychodynamische Supervision nach dem bisher Gesagten aus einer psychoanalytischen Grundhaltung, operiert aber auf einem anderen Abstraktions- und Funktionslevel. Darüber hinaus ist sie zielorientiert und gerichtet auf berufliche Aufgaben und Arbeitsprozesse. Sie hat pädagogische Funktionen mit der Vermittlung von theoretischem und technischem Wissen, dient aber vor allem der Anregung von neuen Erfahrungen zur Entwicklung impliziten prozeduralen Könnens. 36
Komplexe Herausforderungen an Supervision
Hierbei hat der psychodynamische Supervisor in seiner Handhabung der Supervision als einer psychoanalytisch basierten Arbeit Modell- und Vorbildfunktion. In der supervisorischen Beziehung hat der Supervisand die Möglichkeit, sich mit dem Supervisoren zu identifizieren und ihn zu »inkorporieren«, aber auch Unverdauliches auszuschließen und sich abzugrenzen und so seinen Weg zu seinem eigenen Sein als Psychoanalytiker zu finden. »A therapist is what he does. Conversely put, what the therapist does is an expression of what he is« (Hill, 1958, S. 2). In diesem Verständnis ist auch der Supervisor einbezogener Teilnehmer, der auf intersubjektive Beziehungsereignisse fokussiert, an Enactments und Inszenierungen teilnimmt und gleichzeitig immer wieder in der Lage ist, sie in ihren inneren Auswirkungen zu untersuchen. Dadurch regt er immer wieder auch die Reflexion möglicher Verstrickungen in der supervisorischen Beziehung an und initiiert so eine »umwandelnde Verinnerlichung« analytischen Vorgehens. Die Möglichkeit, psychoanalytisches Arbeiten in der Supervision sozusagen leibhaftig zu erfahren, wird offenbar als besonders hilfreich empfunden. Dies erfordert, dass der Supervisor gegebenenfalls die Reflexion auch der supervisorischen Beziehung und das Übertragungs- und Gegenübertragungsgeschehen zwischen Supervisor und Supervisand in die Arbeit einbezieht (Nagell et al., 2014). Dieses Veränderungspotenzial des Lernens durch Erfahrung wird immer wieder betont (u. a. Bion, 1992) und verdichtet sich in der Aussage »not just talk the talk, but walk the walk« (Sarnat, 2012, 2015). Hierdurch sind in der Supervision Erleben und Erkennen verbunden, allerdings wird der Selbsterkenntnisprozess immer gerahmt und begrenzt von der Gerichtetheit auf die Differenzierung und Vertiefung des therapeutischen Zugangs zum abwesenden Patienten und das professionelle Können des Supervisanden. Psychodynamische Supervision dient dem Ziel des Erwerbs oder der Verbesserung des psychoanalytischen oder psychotherapeutischen Könnens und dessen Vertiefung und Ausdifferenzierung. Die Frage, wie und ob psychoanalytische Konzepte in den nichttheraPolaritäten und Paradoxien zwischen Erkennen und Erfahren
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peutischen Raum transformiert werden können, ist dabei ebenso zentral wie die Frage, wie und ob Erkenntnisse aus der Beziehung zweier Personen in komplexere Beziehungskonstellationen übernommen werden können und welche Erweiterungen hier notwendig werden (Bardé u. Mattke, 1993; Fürstenau, 1990; Pühl u. Schmidtbauer, 1993). Ebenso wie die Gefahr besteht, in der Supervision in einer zu starken Orientierung am Lehren und am »technischen Pol« (Zwiebel, 2012) zu erstarren, wird immer wieder wird auf die Gefahr einer »Therapeutisierung« (Pühl, 1984) von Supervision hingewiesen. Hier werde die Orientierung an den Arbeitsprozessen und die Berücksichtigung komplexer institutioneller Rahmenbedingungen vernachlässigt und gerade Psychotherapeuten drohten der Verführung zu unterliegen, dass sie »zu sehr psychotherapeutisch intervenieren und sich auf das ihnen vertraute und damit Sicherheit stiftende Terrain zurückziehen« (Möller, 2001, S. 39). Dies verweist auf die notwendige Erweiterung der Perspektiven, Kenntnisse und Fähigkeiten für die Arbeit als psychodynamischer Supervisor. Relevant ist darüber hinaus besonders auch in Gruppensupervisionen die »Frage, wie das manifest Unausgesprochene so aktualisiert werden kann, dass es kommunikativ anschlussfähig wird« (Buchholz u. Hartkamp, 1997, S. 202), aber auch die generelle Schwierigkeit, flüchtiges situatives Können sprachlich zu erfassen und weiterzugeben. Bildhafte Zugangswege wie die Arbeit mit Metaphern oder kreative Methoden können hier sehr hilfreich sein und die kommunikativen Verständigungsprozesse auch in der Supervision erweitern. Auf dem Boden einer geteilten psychoanalytischen Grundhaltung ermöglichen sie darüber hinaus, die für die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie professionsspezifischen spielerischen und kreativen Zugangswege in die supervisorische Arbeit mit einzubeziehen und die in Untersuchungen zu Tage tretenden positiven Aspekte deren supervisorischen Zugangs in einem gemeinsamen Setting zu nutzen. (In einem quasi experimentellen Setting bietet die DGIP auf ihrer Jahrestagung 38
Komplexe Herausforderungen an Supervision
erstmals seit 2014 eine gemeinsame [G. Binder-Klinsing/S. Tibud], supervisorische Fortbildung für Erwachsenenpsychoanalytiker sowie analytische Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten an, in die auch kreative und spielerische Zugänge eingebunden sind; eine erste Evaluation steht noch aus.) Angesichts der langjährigen und kontroversen Diskussionen um die Pluralität in der Psychoanalyse und deren Folgen für das, was in der psychoanalytischen Ausbildung gelehrt, gelernt und gekonnt werden soll, kann die Auseinandersetzung mit den eigenen expliziten und impliziten Arbeitsmodellen sowie öffentlichen und privaten Theorien und Grundannahmen (Sandler, 1983; Tuckett, 2005; Will, 2008; Zwiebel, 2013) in der supervisorischen Arbeit als eine weitere zentrale Aufgabe verstanden werden. Idealerweise ist der Supervisor in der Lage, mit Hilfe seines »inneren Analytikers« oder »inneren Supervisors« in Anlehnung an Zwiebel (2013) immer wieder sein inneres Arbeitsmodell zu finden und aufzurichten, sodass dies wiederum dem Supervisanden helfen kann, in der Arbeit mit seinen in der Regel unterschiedlichen Supervisoren seine eigene und individuelle Position zumindest zu suchen. Dabei gilt es, ebenfalls in Anlehnung an Zwiebel (2013), sich auch in der Supervision oszillierend zwischen »persönlichem Pol« und »technischem Pol« den konkreten Fertigkeiten und basalen Funktionen zuzuwenden, die diese individuelle Position im Vollzug der analytischen oder therapeutischen Arbeit sichtbar machen (Buchholz, 1999; Will, 2006; Kahl-Popp, 2007; Mertens, 2011). Anregend sind hier darüber hinaus auch Versuche, die Konzepte und inneren Annahmen nach einem zunehmenden Abstraktionsgrad zu differenzieren (Leuzinger-Bohleber u. Fischmann, 2006), ausgehend von der Minitheorie der jeweilig aktuellen Stunde über kondensierte Metaphern wie »gute Brust« und allgemeine Konzepte wie Über-Ich und so weiter bis hin zu ausgearbeiteten Theorien.
Polaritäten und Paradoxien zwischen Erkennen und Erfahren
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Zusammengefasst werden können einige der Polaritäten und Paradoxien in der psychodynamischen Supervision wie folgt: Wahrheit/RichtigkeitStimmigkeit/Passung BewusstesUnbewusstes GesagtesUnausgesprochenes MachtOhnmacht Kontrolle Souveränität (Autonomie) ZielorientierungOffenheit LehreSelbsterfahrung/Therapie Dies erfordert vom Supervisoren ein Oszillieren zwischen: Beobachtung/ReflexionTeilnahme AbstinenzVerwicklung Abstand nehmen sich einlassen FokussierenAssoziieren ZielorientierungAbsichtslosigkeit AsymmetrieGegenseitigkeit
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4 Arbeitsstile und Entwicklungsprozesse von Therapeuten und Supervisoren
Die Supervision als hilfreiche Beziehung evoziert unterschiedliche Bilder, von der genügend guten, versorgenden Mutter über den gut abgegrenzten, strengen Vater bis zum beurteilenden Lehrer oder mächtigen Richter. Zugleich kann man auch ein unterschiedliches Rollenverständnis finden, sei es geprägt von psychoanalytischer Abstinenz, metatherapeutischer Hilfe, instruierender Lehre, kontrollierender Aufsicht oder haltender Fürsorge.
4.1 Unterschiedliche Arbeitsstile Levenson (1984) hat eine zugespitzte Klassifikation unterschiedlicher persönlicher und prototypischer Stile entworfen, wie Supervisoren lehren und supervisorisch arbeiten. Bei aller vom Autor selbst konzedierten Grobheit erweist sich diese Kategorisierung auch vor dem Hintergrund der genannten professionstheoretischen Erkenntnisse in Diskussionen mit Kollegen immer wieder als so anregend, dass ich sie hier in von mir übersetzter und gekürzter Form zusammenfasse. Levenson beschreibt sechs supervisorische Stile: Haltend oder bestätigend Als Beispiel für eine haltende oder bestätigende Supervision beschreibt Levenson seine eigene Supervisionserfahrung bei Clara Thompson, die geprägt war durch die offensichtlich schwer beschreibbare Erfahrung, dass die Supervisorin einfach da war: »She was like the Matterhorn – simply there«, und kreierte eine haltende Atmosphäre, ohne 41
dass sie nach seiner Beschreibung besonders mütterlich-warm und supportiv gewesen wäre. Sie eröffnete einen Spielraum und ermöglichte den Supervisanden, sich selbst in ihrem besonderen Stil zu finden. Levenson glaubt, dass diese Art der Supervision ohne Etablierung einer Struktur nur von jemandem mit besonderer Präsenz und besonderem Ruf erfolgreich möglich ist und dann dem Supervisanden hilft, ein Gefühl für den Fluss der Therapie zu bekommen. Dieser Stil ermöglicht dem Supervisanden aber auch zu fallen, und Levenson beschreibt seine Supervisionserfahrung bei C. Thompson als etwas, das so sei wie einen Adler zur Mutter zu haben: »She took you out of the nest and dropped you; if you flew, fine, if you did not, tant pis« (Levenson 1984, S. 157). Teutonisch oder nach Zahlen (Buchmethode) Diese Methode funktioniert nach Levenson wie ein Manual vorgeschriebener Situationen und Antworten. Für alles, was der Patient sagt und der Supervisand macht, hat der Supervisor eine theoretische Antwort und einen entsprechenden Vorschlag, was zu tun ist. Der Patient wird mit Hilfe der Metapsychologie erklärt, aus der sich die therapeutische Intervention abzuleiten scheint nach dem Motto: Dieser Patient ist narzisstisch und unfähig zu … Und deswegen muss man … Levenson beschreibt diesen Prozess als ebenso abschreckend wie Malen nach Zahlen mit einem ähnlich voraussehbaren und ästhetisch kläglichen Ergebnis. Er meint aber, dass ein Supervisor, der so vorgeht, bei denjenigen Ausbildungsteilnehmern sehr beliebt sei, die glauben möchten, dass wenigstens einer Klarheit darüber besitze, was sie in ihrer Therapie tun. Außerdem strahle dieser Supervisor große Zuversicht aus – der unverdiente Lohn des wahren Gläubigen. Er glaubt, dass Sullivan dieses Vorgehen im Kopf gehabt haben könnte, als er sagte: »God keep me from a therapy that goes well, and God keep me from a clever therapist.« Algorithmisch Der algorithmische Zugang scheint oberflächlich betrachtet wie der zuvor beschriebene, ist aber grundsätzlich verschieden. Die Zahlen42
Arbeitsstile und Entwicklungsprozesse von Therapeuten und Supervisoren
oder Buchmethode ist ein tautologisches Instrumentarium, da sie behauptet, ein erfolgreiches Ergebnis resultiere, wenn die Theorie korrekt befolgt und angewandt wird. Ein negatives Ergebnis wird demzufolge nur als Ausdruck eines falschen Vorgehens gewertet und ein positives als Beweis für die Validität der Theorie. Ein algorithmisches Vorgehen unterscheidet sich hiervon grundlegend. Eine Theorie kann dem Algorithmus zugrunde liegen, muss es aber nicht. Falls es eine gibt, wird nicht beansprucht, dass die Theorie notwendigerweise mit dem Ergebnis in Beziehung steht (als Beispiel wird das Wechselfieber im Mittelalter genannt, das auf schädliche Dämpfe aus den Sümpfen zurückgeführt wurde; auch wenn diese Theorie nicht stimmte, traf sie doch einen zentralen Punkt und führte nach dem Austrocknen der Sümpfe zum Verschwinden der Malaria). Levenson plädiert nun dafür, dass Supervision dazu dienen solle, den Supervisanden mit einem algorithmischen Zugang zur Psychoanalyse vertraut zu machen mit der Einschränkung, dass dieser Algorithmus die Behandlung durch einen indirekten Zusammenhang zum Therapieverlauf lediglich erleichtert. Der Autor nimmt zwar an, dass der Algorithmus zentrale Strukturen berührt, aber dass die Therapie selbst nicht auf der Richtigkeit unserer Theorie beruht, sondern es viel mehr eine Frage des persönlichen Geschmacks ist, welche Theorie man wählt. Er spricht sich dafür aus, den Supervisanden sein eigenes Glaubenssystem finden zu lassen, solange er erkennt, dass erfolgreiche Therapie nicht davon abhängt, dass man theoretische Grundsätze in systematisches Vorgehen umsetzt. Metatherapeutisch Der metatherapeutische Zugang sieht Supervision im Wesentlichen als eine Fortsetzung der Lehranalyse und arbeitet hauptsächlich an der Gegenübertragung. Das bedeutet, dass er die Supervision als eine Möglichkeit sieht, die Selbstwahrnehmung zu verbessern, und dort ansetzt, wo die größte Angst sitzt. Deswegen geht er auch weit in der Bearbeitung der persönlichen Problematik des Supervisanden. Der Supervisor sieht sich in der Rolle eines Katalysators für die LehranaUnterschiedliche Arbeitsstile
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lyse und das persönliche Wachstum des Supervisanden. Levensons Einwand gegen diese Art des Vorgehens ist nicht, dass es nicht der Arbeit des Supervisanden dient (er glaubt, dass es das tut), sondern dass es das basale Anliegen der Supervision zu wenig berücksichtigt, nämlich den Prozess des Lernens zu erleichtern, um eine professionelle Kompetenz zu erreichen. Zen- oder Öffne-die Faust-Supervision Die Zen-Methode konfrontiert den Supervisanden mit dem Unaussprechlichen, in dem sie eine Atmosphäre der kreativen Desorganisation schafft. Der Supervisor überfällt den Supervisanden und klopft ihm auf die Finger, bis der Supervisand – um den Zen-Begriff zu gebrauchen – die Faust öffnet und in einem Moment der Verzweiflung alle Vorannahmen fahren lässt. Trotz seiner drastischen Beschreibung versichert Levenson, dass er diesen Stil nicht lächerlich machen will, sondern ihn für hilfreich hält gerade im Umgang mit eher angespannten, zwanghaften Supervisanden. Er empfiehlt dieses Vorgehen als Gegenmittel, wenn man zuvor einen Supervisor der Buchmethode hatte. Erst lerne man Regeln und dann bekomme man sie aus dem Kopf geprügelt. Lehrerschaft Hier lernt der Supervisand durch Beobachtung dessen, was der Supervisor in einer ähnlichen Situation tut und was als Parallel- oder Spiegelungsprozess in der supervisorischen Situation auftaucht. Der Supervisand bringt die Therapie in die Supervision, in dem er unbewusst mit dem Supervisor das wiederholt, was sich in der Therapie zwischen ihm und dem Patienten abgespielt hat. Der Supervisor kann dann zunächst die intersubjektive psychoanalytische Situation durchleben und auf sie reagieren. Levenson konzediert zwar, dass dieser Weg dem Supervisor illustriere, was in der Therapie vor sich gehe, und er dies dann klarer formulieren könne. Aber er hält dieses Konzept für zu passiv-submissiv, insofern es den Supervisanden als
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Arbeitsstile und Entwicklungsprozesse von Therapeuten und Supervisoren
eine Art kommunizierende Röhre behandele und der Supervisor zu einer Art Superratgeber und Supertherapeuten werde.
4.2 Entwicklung professionellen Könnens als Stufenmodelle Mit der Herausarbeitung der Bedeutung von implizitem Wissen für den gekonnten Vollzug auch von professionellem Handeln (Polanyi, 1966; Neuweg, 1999) geht auch immer wieder die Beobachtung einher, dass der Könner nur schwer beschreiben kann, was er tut. Dies schlägt sich sogar in einem Buchtitel zu dieser Thematik nieder: »Das Schweigen der Könner« (Neuweg, 2015). Der gewandte Könner erkennt eher holistisch und intuitiv situative Ähnlichkeiten, weniger in einem sequenziellem Vorgehen Schritt-für-Schritt. Er arbeitet weniger begrifflich, eher bildhaft. Zugleich ist er in der Lage, Kompetenzgrenzen zu erkennen, und kann dann zu Elementen früher Kompetenzstadien oszillieren und zum Beispiel nach einzelnen bedeutsamen Aspekten oder bisher unbekannten Mustern und Zusammenhängen suchen. Gerade diese Schwierigkeit, das Können zu versprachlichen, stellt für die psychoanalytische Supervision von therapeutischen Anfängern eine besondere Herausforderung dar, da deren Bedürfnis nach theoretischer Anleitung und konkretem Rat besonders hoch ist. Dies ergibt sich auch aus den Untersuchungen von Entwicklungsprozessen therapeutischen Könnens, woraus für die Supervision gefolgert werden muss, dass sich das supervisorische Angebot nach dem Entwicklungsstand des Supervisanden richten muss. Mit der Annahme, dass es fundamental ist, die Veränderungen therapeutischen Könnens in der zeitlichen Entwicklung zu verstehen, hat Stoltenberg (Stoltenberg u. McNeill, 2010) anhand der Untersuchung von drei übergreifenden Strukturen – Selbst- und Objektwahrnehmung, Motivation und Autonomie – ein von ihm so genanntes
Entwicklung professionellen Könnens als Stufenmodelle
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»Integrated Developmental Model (IDM)« entwickelt. In diesem beschreibt er drei Level therapeutischen Könnens: Auf der Stufe 1 sind die Supervisanden ängstlich, hochmotiviert und abhängig von den Supervisoren und deren Rat und Anleitung. Der Fokus liegt auf dem eigenen Selbst und der eigenen Angst und ist ganz bestimmt von dem Ziel, korrekt zu handeln und gut bewertet zu werden. Auf der Stufe 2 haben die Supervisanden ausreichend Wissen und Können erworben. Dadurch sind sie in der Lage, den Fokus mehr auf ihre Patienten zur richten. Je nach Grad der Verwirrung und Ambivalenz, die die Therapie ihrer Patienten auslöst, schwanken Motivation und der Grad ihrer Autonomie. Auf der Stufe 3 können die Supervisanden die Perspektive des Patienten angemessen aufrechterhalten und zugleich ihre Selbstwahrnehmung zulassen. Sie funktionieren als Professionelle relativ autonom und mit stabiler Motivation. Diesen drei Entwicklungsstufen der Therapeuten analog entwirft Stoltenberg drei Stufen der Entwicklung zum Supervisor: Der Supervisor der Kategorie 3i wird geschildert als sich auszeichnend durch die Integration von Ideen und Fähigkeiten und »can move with fluidity across domains in supervision, as well as across supervision relationships with assorted supervisees« (Stoltenberg u. McNeill, 2010, S. 207). Auf diese Vorstellung von Entwicklungsstadien in der Herausbildung therapeutischer Kompetenzen bezogen gibt es eine anregende Arbeit (Haynes, 2003), in der nicht nur versucht wird, je nach Ausbildungsstand Ziele und Aufgaben des Supervisors zu differenzieren, sondern auch diejenigen des Supervisanden. Dazu gehört zum Beispiel in der Aufstellung auch die Verantwortung des Supervisanden, seinem Supervisor Rückmeldung zu geben und zu benennen, ob und eventuell welche Unterstützung fehlt. Orlinsky und Ronnestad (2005) haben den Ansatz, nicht mehr nur Psychotherapieverfahren zu beforschen, sondern Psychotherapeuten, aufgegriffen und in Gesprächen mit etwa 5000 Psychotherapeuten unterschiedlicher Ausrichtung aus der ganzen Welt deren Entwick46
Arbeitsstile und Entwicklungsprozesse von Therapeuten und Supervisoren
lung psychotherapeutischer Kompetenz untersucht. Es werden insgesamt sechs Phasen oder Stufen beschrieben: vom Laienhelfer als Grundlage unserer aller Anfänge über den beginnenden Studenten, begierig nach Theorie, angewiesen auf leicht zu lernende Techniken und ausgerichtet auf die Anerkennung der Lehrenden. Die basale professionelle Phase geht in der Regel einher mit der Haltung eines starken Glaubens an die zu erlernende Therapieform und ihre theoretischen Grundlagen und ist offenbar als Übergangsstadium Voraussetzung dafür, später nicht zum zynischen, ausgebrannten Therapeuten und/oder oberflächlichen Eklektiker zu werden. Gegen Ende der Ausbildung scheint das vierte Studium erreicht zu werden: das des Novizen mit dem inneren Erleben, man selbst sein zu können und sich daran zu erfreuen. Der Übergang in die selbstverantwortete Arbeit scheint jedoch mit einer Erschütterung einherzugehen und mit der Erkenntnis, dass die während der Ausbildung erlernten Theorien und Techniken nicht ausreichen. Es bildet sich mit der Zeit und ganz allmählich eine sehr individuelle Mixtur von Modellen aus, die abhängig vom Kontext und abgestimmt auf den Patienten verfügbar werden. Das kennzeichnet die Phase des erfahrenen Professionellen. Dieser weiß implizit, was zu tun ist, und integriert Erfahrungen aus anderen Bereichen zu einem sehr individuellen Können, das sich im Vollzug realisiert und über das nicht immer repräsentativ und sprachlich exakt verfügt werden kann. Die letzte erreichbare Phase wird als die des Senior-Professionellen beschrieben, der in dem Gefühl, seine eigene Sprache gefunden zu haben und unter nachlassendem Interesse an neuen Moden gleichwohl um seine intellektuelle Neugierde und Lernfähigkeit bemüht bleibt und oft lange in der Lehre und Ausbildung tätig ist.
Entwicklung professionellen Könnens als Stufenmodelle
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5 Übertragungskonzepte in der Supervision
Das Konzept von Übertragung und Gegenübertragung als zentrales Konstrukt der Psychoanalyse spielt auch für die psychodynamische Supervision eine überragende Rolle und soll hier in seinen für die Supervision spezifischen Aspekten erläutert werden.
5.1 Triangulierung Die Triangulierung als die Bezogenheit auf etwas Drittes wurde nicht nur als allgemeines Paradigma der Übertragungs- und Spiegelungsdynamik in der Psychoanalyse beschrieben, sondern wird auch als Grundschema der Supervision in allen möglichen Facetten genutzt. Hierbei kann man zum einen die Vorstellung des analytischen Dritten finden, das in Bezug steht zum Aspekt des Neuen, vorher nicht Dagewesenen und Kreativen in der Übertragung (u. a. Balint, 1948; Winnicott, 1979; Bollas, 1997). Dieser Aspekt ist auch zentral bei Ogden (2006) und findet sich ebenfalls in den Konzepten der Beziehungsmatrix der intersubjektiven oder relationalen Psychoanalyse (Orange, Atwood u. Stolorow, 2001; Frawley-O’Dea u. Sarnat, 2001). In diesen Ansätzen entsteht das Dritte in einem intermediären Erfahrungsbereich aus einer gemeinsamen Schöpfung der Dyade Patient/Therapeut und lässt die Parallele zur intersubjektiven Genese des Selbst aus der Mutter-Kind-Dyade und des Übergangsraumes nach Winnicott (1969, 1974) anklingen. Ogden (2006) sieht Übertragung und Gegenübertragung als un trennbare Phänomene an, die zum intersubjektiven analytischen Drit48
ten werden und das dann wiederum als drittes Subjekt angesehen wird, in dem sich das Neue konstelliert. Das Neue entsteht demnach durch das Zusammenspiel beider, des Patienten und des Therapeuten. Hier wird es als dialogisch-kreatives Finden der analytischen Wahrheit im intersubjektiven Feld von Übertragung und Gegenübertragung gesehen. Analog angewandt auf die Supervision könnte man von einem supervisorischen Dritten sprechen, das eine für beide subjektiv geteilte Wahrheit ermöglicht (Gambaroff, 2012). Insofern kommt dieses Konzept ohne die den Spiegelungsmodellen innewohnende Gefahr aus, man könne objektiv richtig spiegeln, wenn man nur die »Trübungen« erkenne (Kutter, 2009, S. 87). Dem gegenüber steht Lacans Konzept des Dritten, das sich auf den Vater bezieht, der sich in der Dyade Mutter–Kind dazwischenstellt und so den psychologischen Raum schafft, in dem die ödipale Triangulierung möglich wird. Dieser Vorstellung des die Außenwelt repräsentierenden Dritten gegenüber der Dyade Patient–Therapeut entspricht das andere Bild der Triangulierung in diesem Zusammenhang: Der Supervisor steht zur dyadischen Beziehung von Patient und Therapeut in einer externen Position und ist damit grundsätzlich der Dritte. Als dieser Dritte ermöglicht er einen differenten, man könnte sagen exzentrischen Blick auf die Beziehung des Therapeuten zu seinem Patienten und auf den Patienten selbst, steht aber gleichzeitig vor der Aufgabe, nicht durch intrusives Intervenieren die ursprüngliche Dyade zu zerstören. Die mögliche Erweiterung der Perspektive und die Kontextualisierung helfen dem Therapeuten, etwas so vorher nicht Erkanntes zu sehen. Er muss es aber wiederum als etwas Eigenes in die Beziehung zum abwesenden Dritten, seinem Patienten, mitnehmen. Dadurch kann in der therapeutischen Beziehung etwas Neues angeregt werden, was wiederum Ziel der Erörterung in der Supervision werden kann. Hieraus ergibt sich eine Art supervisorischer Regelkreis: Der als Dritter außerhalb der therapeutischen Beziehungsdyade stehende Supervisor unterliegt selbst der Teilhabe an der Szene durch die Interaktion mit dem Supervisanden. Er ermöglicht als außerhalb positionierter Dritter aber deren Reflexion, was zu einem erweiterten Triangulierung
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Verständnis der Szene führt mit möglichen Auswirkungen auf das behandlungstechnische Vorgehen, die inneren Arbeitsmodelle des Therapeuten sowie sein inneres Bild vom Patienten und initiiert so auch Veränderungen im Patienten.
5.2 Spiegelung Eine zusätzliche Bedeutung hat das Konzept der Triangulierung für die Supervision in der Vorstellung multipler Spiegelungen als Ausdruck von Übertragungen aus einem Beziehungssystem in ein anderes. Insofern kann es seine Herkunft aus dem klassischen Modell des Analytikers als neutralem Spiegel nicht ganz verleugnen, insbesondere wenn der subjektive Faktor des Therapeuten bzw. des Supervisors in der intersubjektiven Gestaltung von Übertragungsgeschehnissen nicht einbezogen wird. Trotz dieser kritischen Einwände soll das Konzept der Spiegelung im Beziehungsdreieck ausführlicher dargelegt werden, da es weit verbreitet ist und im klinischen Kontext hilfreich, wenn die geschilderten Aspekte mit reflektiert werden. Kurz gefasst geht das Konzept der Spiegelung in der Supervision davon aus, das sich die unbewussten intrapsychischen Erlebensmuster und entsprechenden intersubjektiven Beziehungsmuster des Patienten in seiner Beziehung zum Therapeuten widerspiegeln und dieses Erleben sich wiederum in der Beziehung des Therapeuten und des Supervisors gespiegelt wiederfindet. (Wenn und insofern es als unbewusste Wiederholung reinszeniert wird, könnte es auch mit den Konzepten der Reinszenierung und des Enactments verstanden werden.) Die zentrale Psychodynamik wird so auch in der Beziehung zwischen Supervisand und Supervisor reflektiert. Für Kutter gilt: »ohne Spiegelung der entscheidenden affektiven Beziehung in der Supervision keine erfolgreiche Supervision« (2009, S. 84). Das heißt, es werden zwei Spiegelphänomene beschrieben: die Psychodynamik der untersuchten Patientenproblematik aus seiner 50
Übertragungskonzepte in der Supervision
biographischen Beziehungserfahrung spiegelt sich in der Beziehung zum Therapeuten ab und gestaltet das Dreieck der Therapie. Sie bildet sich auf einer weiteren Ebene (»Gegenübertragung zweiter Ordnung«, Dantlgruber, 1977) in der supervisorischen Beziehung ab, sodass im Dreieck der Supervision eine weitere Triangulierungsgestalt beschrieben wird, bestehend aus Patient, Therapeut und Supervisor. Modifiziert wurde dieses Dreieck für die Supervision im Bild des klinischen Rhombus (Ekstein u. Wallerstein, 1958; Kutter, 2009), das zusätzlich Übertragungsphänomene auf die Institution oder den institutionellen Rahmen einbezieht und insofern die Möglichkeiten der Spiegelungsebenen erweitert und eine Kontextualisierung im sozialen Raum anbietet. Ein Beispiel aus einer Supervision soll diese komplexen Spiegelungsprozesse zwischen intrapsychischem Erleben, intersubjektiver Beziehungserfahrung und sozialem Kontext verdeutlichen. Eine erfahrene Psychoanalytikerin einer anderen Fachgesellschaft ist bei mir in Supervision, unter anderem weil sie ihren »Horizont für andere Perspektiven« erweitern wolle. Supervidiert wird die analytische Psychotherapie einer depressiven Immigrantin, die zusätzlich oft tagelang wegen einer »totalen Schwäche in den Beinen« nicht richtig laufen kann. Eine Folge davon ist, dass sie an diesen Tagen neben dem Studium nicht für ihren Vater den Haushalt so zu führen vermag, wie sie es selbst, ihr Vater und ihre Brüder erwarten. Die therapeutische Situation ist geprägt von einem lähmenden Gefühl der Ohnmacht, sowohl der Patientin als auch der sehr mit ihr identifizierten Therapeutin, die jedoch zunehmend Schwierigkeiten hat, ihre wachsende ratlose Wut angesichts der Unterordnung der Patientin unter die Vorstellungen des Vaters und der Brüder zu bewältigen. In der Supervision fällt mir dabei zunehmend auf, dass die Therapeutin zwar meinen Kommentaren und Bemerkungen interessiert zu folgen scheint, aber immer wieder Einwände hat und kaum eine meiner Interventionen hilfreich zu sein scheint. Ich selbst spüre einen wachsenden Ärger in einer für mich ungewohnten Heftigkeit mit dem Wunsch »dazwischenzugehen«, Spiegelung
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bis mir schließlich auffällt, dass auch in der supervisorischen Beziehung so etwas wie eine »gewaltige Lähmung« herrscht, als gäbe es zugleich einerseits eine Botschaft »sag mir, was ich machen soll« und andererseits die Mitteilung »du hast mir nichts zu sagen«. Erst als ich diese Beziehungsgestalt benennen kann, können wir das Geschehen in der Supervision verstehen als einen unbewussten Konflikt auf dem Boden der Unsicherheit der Kollegin, inwieweit einerseits sie mich angesichts meiner Herkunft aus einer anderen Fachgesellschaft autorisieren kann und ich zum anderen meine eigene, ängstlich getönte Unsicherheit und Ohnmacht mit entsprechenden kompensatorischen aggressiven Handlungsimpulsen reflektieren und einordnen kann, und es setzt eine fruchtbare Auseinandersetzung ein, die schließlich über ein verändertes Verständnis der unterschiedlichen psychoanalytischen Kulturen Zugang zu der machtvollen Ohnmacht der Patientin als Frau im Geflecht ihrer kulturellen Herkunft erlaubt (nach BinderKlinsing, 2009, S. 292 f.).
5.3 Parallelprozesse Ein Konzept, das eng mit den oben beschriebenen Modellen der Spiegelung verbunden ist, ist das des Spiegelungsphänomens als Handlungsdialog im Sinne eines Parallelprozesses. Searles (1955) hat noch unter dem Begriff »reflection process« als Erster das Phänomen des Parallelprozesses für die Supervision beschrieben. Die Vorstellung ist, dass sich der Therapeut unbewusst mit einem ebenso unbewussten Aspekt der Psyche des Patienten identifiziert. Dies kann zum Beispiel eine Selbst-Objekt-Repräsentation sein, aber auch ein unbewusster affektiver Zustand. Da dies dem Therapeuten unbewusst ist, wird diese unbewusste Identifikation in einem Enactment mit dem Supervisor kommuniziert. Die Vorstellung, dass der Supervisor als der am wenigsten emotional Involvierte am besten zur Einnahme einer beobachtenden Position befähigt ist, entspricht im Grunde auch hier dem Konzept einer triangulierenden Rolle des Supervisors. So 52
Übertragungskonzepte in der Supervision
kann er eigene Reaktionen wahrnehmen, beobachten und sie für die Klärung von Parallelprozessen zwischen den verschieden Beziehungsgestalten nutzbar machen. Das ursprünglich aus einem Ein-Personen-Modell entstandene Konzept, in dem allein der Patient als Auslöser von Spiegelung und sich inszenierenden Parallelprozessen verstanden wurde, erfuhr zunehmende Erweiterung (u. a. Gediman u. Wolkenfeld, 1980). In einem intersubjektiven Kontext entstand die Vorstellung, dass alle drei am Prozess Beteiligten, Patient, Therapeut und Supervisor, einen Parallelprozess auslösen und gestalten können, der in der jeweils anderen Beziehungsebene als Parallelprozess inszeniert wird und verstanden werden muss. Die Autoren halten das Auftreten von Parallelprozessen in der Supervision für ubiquitär und unvermeidlich und ebenso wie Kutter (2009) eine Supervision für unvollständig, wenn solche Prozesse nicht erfasst werden. So verstanden, können sich Parallelprozesse im klassischen Modell zeigen als Identifikationsprozesse mit dem Patienten. In diesem Fall führen sie zu Parallelen zwischen den Beziehungen des Patienten zu bedeutsamen Anderen einschließlich seinem Therapeuten und der supervisorischen Beziehung. Im erweiterten intersubjektiven Modell können sie reziproke Übertragungs-Gegenübertragungs-Phänomene darstellen, die sich in der jeweils anderen Beziehung zeigen. Dies heißt, dass im intersubjektiven Modell auch Konflikte, die aus der supervisorischen Beziehung resultieren, in die Patientenbeziehung eindringen können, sodass die Autoren folgerichtig von einem multidirektionalen Parallelismus sprechen. Überlappungen des Konzepts zu dem der projektiven Identifikation, auf die ich jetzt nicht eingehe, sind dabei deutlich. Frawley-O’Dea und Sarnat (2001, S. 196), die das Konzept des Parallelprozesses ausführlich erörtern, schlagen zur Nutzung dieser Prozesse für die Supervision eine systematische Erörterung folgender Fragen vor: Was ist das Beziehungsmuster, das sich gerade in der Supervision zeigt? Was sagt dieses Muster über die Beziehung zwischen Supervisor und Supervisand aus und worauf verweist dieParallelprozesse
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ses Muster in der Übertragungs-Gegenübertragungs-Dynamik der supervidierten Therapie?
5.4 Container-Contained-Modell Insbesondere für die Bewältigung von heftigen Affekten und für das Verständnis von Gruppensupervisionsprozessen wird häufig das Container-Contained-Modell nach Bion (2001) herangezogen. Der Supervisor ist einerseits selbst »contained« in der Gruppe, aber hat selbst in seiner besonderen Rolle die Funktion eines »Containers« für alles, was sich in der Gruppe ereignet. In der körpernahen Sprache Bions muss der Supervisor das Unverdaute, Schmerzhafte, Schwierige sozusagen durchkauen und verdauen, um es in verträglichen Portionen als supervisorische Milch zurückgeben zu können. Darüber hinaus hat er die Aufgabe, manchmal etwas hineinzugeben, das »uncontainable« ist im Sinne von etwas Neuem, Fremdem, Unheimlichem. Man könnte auch dies als Ausdruck einer Triangulierungsfunktion verstehen mit dem Ziel einer Perspektivenerweiterung auf das zuvor nicht Dagewesene. Dies hat jedoch zusätzlich manchmal eher den Charakter einer Verstörung oder – mit den Worten Bions – einer katastrophischen Änderung und somit eine destruktive Komponente als Voraussetzung für die Kreation von Neuem. Für Lazar wird Supervision erst möglich durch »dieses Quäntchen Inspiration« »in Kombination mit […] vor allem der ›negativen Befähigung‹« (2009, S. 106) als der Fähigkeit zum Ertragen des Ungewissen.
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Übertragungskonzepte in der Supervision
6 Forschung
Über Supervision ist unter anderem von verhaltenstherapeutischer Seite geforscht worden. In unserem Kontext sind Untersuchungen interessant, die auf dem in diesem Buch vermittelten Verständnis psychodynamischer Supervision beruhen. Entsprechende Versuche der externen Evaluation und Erforschung von psychodynamischer Supervision werden zunehmend unternommen. Sie reichen von Ansätzen zur Erforschung der Ausbildungssupervision (so Nagell et al., 2014) über polyzentrische Analysen (so z. B. Buchholz u. Hartkamp, 1997, mittels ZBKT, SASB und Metaphernanalyse) bis hin zu empirischen Versuchen, Wirksamkeit und Effektivität zu beforschen (ein Überblick zum Beispiel bei Haubl, 2009; Haubl u. Hausinger, 2009). Eingedenk der Unterschiedlichkeit der untersuchten Arbeitsfelder und der noch raren Arbeiten in dem Bereich erscheint es schwierig, zusammenfassende Aussagen zum Stand der Supervisionsforschung zu machen. Wegen ihres differenzierten Designs und der anregenden Ergebnisse für die Reflexion der supervisorischen Praxis möchte ich hier aber eine Arbeit ausführlicher darstellen, zumal sich in der Herausarbeitung der Arbeitsstile interessante Überschneidungen zu den oben beschriebenen und von Levenson (1984) eher intuitiv und erfahrungsgeleitet entwickelten supervisorischen Stilen ergeben. In der Arbeit von Nagell (Nagell et al., 2014) wurde das Beziehungserleben in der Ausbildungssupervision anhand des supervisorischen Prozesses bei 78 supervisorischen Paaren untersucht, und zwar unter Zuhilfenahme von ZBKT und SASB. Bei den Supervisoren konnten vier Arbeitsstile herausgearbei55
tet werden: ein erfahrungs- und beziehungsorientierter, ein fördernd-haltender, ein defensiv-kontrollierender und ein pragmatischer Arbeitsstil. Hierfür konnten sieben zugrunde liegende Faktoren identifiziert werden: a) die Arbeit an Übertragung/Gegenübertragung, b) die Fähigkeit zum Halten und Containen, c) die »negative capability«, d) die Fähigkeit, Autonomie zu gewähren und freudiges Interesse zu zeigen, e) eine verstehende, umsorgende, stärkende Haltung, f) ein beaufsichtigender, kontrollierender Zugang und schließlich g) ein unsicheres, sich zurückziehendes, angreifendes Muster. In Wechselwirkung mit dem Arbeitsstil der Supervisoren fanden sich vier Reaktionsstile der Ausbildungsteilnehmer: ein phobisch-vermeidender, ein offen interessierter, ein authentisch forschender und schließlich ein zurückhaltend-angepasster Reaktionsstil. Anregend ist der Befund, dass sich ein höherer Wert der Zufriedenheit für beide Beteiligten im Supervisionsprozess ergab, wenn neben der Vermittlung von theoretischem und technischem Wissen auch an der Beziehungsfähigkeit gearbeitet wurde und zugleich Beziehungserfahrung im supervisorischen Prozess im Sinne eines Parallelprozesses zugelassen und reflektiert werden konnte. Dies scheint in Supervisionen von zukünftigen analytischen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten häufiger zu geschehen als in den Supervisionen von zukünftigen Erwachsenenpsychoanalytikern. Vermutet wird hier ein Zusammenhang mit der unterschiedlichen Verteilung von Arbeitsstilen: KJP-Supervisoren arbeiten häufiger im pragmatischen oder fördernd-haltenden Arbeitsstil, die Supervisoren der zukünftigen Erwachsenenanalytiker dagegen häufiger im defensiv-kontrollierenden Stil. Als ein Hintergrund wird vermutet, dass es den AKJPSupervisoren leichter fallen könnte, ihre Supervisanden einen eigenen Weg gehen zu lassen und sie dabei zu unterstützen, da das Thema der Autonomieentwicklung ein zentrales und immer präsentes in der 56
Forschung
Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie sei und auch die Triangulierung durch die Präsenz der Eltern von Anbeginn immanent sei. Aufmerken an dieser Untersuchung von Supervisionspaaren lassen ferner die gefundenen Unterschiede in der Selbst- und Fremdeinschätzung der Supervisoren. Offenbar schätzen die Supervisanden ihre Supervisoren positiver ein als diese sich selbst. Allerdings glauben die Supervisoren selbst, häufiger an Übertragungs-Gegenübertragungs-Prozessen zu arbeiten, als sie dies nach Einschätzung ihrer Supervisanden tun. Dieser Befund stützt erneut die mehrfach beschriebene Vermutung, dass das konkrete Handeln von dem offiziell Vertretenen abweicht, und es kann somit auch für Supervisoren vermutet werden, dass diese Abweichung den Betroffenen oft gar nicht selbst bewusst ist. Dies wurde in anderen professionellen Zusammenhängen auch als Diskrepanz zwischen »expoused theory« und »theory-in-use« (Schon, 1983) beschrieben. Zu einer Reflexion der supervisorischen Beziehung selbst kommt es offenbar nach den Befunden von Nagell weiterhin kaum, obwohl dies als wünschenswert erlebt wird. Nach meiner Einschätzung liegt aber gerade in der Offenheit für die Reflexion auch der supervisorischen Beziehung eine wichtige Gelegenheit für ein von emotionaler Beteiligung getragenes Verstehen psychoanalytischer Konzepte. Insbesondere die Verinnerlichung psychoanalytischer und persönlicher Fähigkeit auch im Umgang mit Unsicherheit, Nichtwissen und Scheitern ist angewiesen auf die Möglichkeit, mit dem Supervisor »leibhaftig« und teilhabend das Oszillieren durchzuspielen zwischen emotionalem Einbezogensein und der Kompetenz, eine reflektierte Haltung zu bewahren oder wiederzufinden.
Forschung
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7 Interne Reflexion, Qualitätssicherung und Ausbildung
7.1 Intervision und Supervision Das Diktum, dass uns nichts hindern kann, unsere Methode auf uns selbst anzuwenden, kann erweitert werden mit der Feststellung von Buchholz: »Die Reflexion, die selbstreferenziell die Einheit des kommunikativen Systems Psychotherapie herstellt, geschieht nicht global durch externe Evaluationen, sondern intern durch die therapeutischen Persönlichkeiten selbst« (2012, S. 172). Aus der Annahme, dass es eine »reflexive Ebene der selbstreferenziellen Systemkonstitution« gibt, folgt, dass eine solche interne Reflexion innerhalb der Profession eine Notwendigkeit ist. Sie kann nicht durch externe Evaluation ersetzt werden, da »empirische Forschung auf ihre Weise zu beschreiben versucht, was Psychotherapie ist oder sein soll« (Buchholz, 2012, S. 172). Diese Annahme kann erweitert werden auf die Supervision und bedeutet, dass auch psychodynamische Supervision selbst vor dieser Aufgabe der »selbstreferenziellen Systemkonstitution« steht. Mehr und mehr setzt sich deswegen die Erkenntnis durch, dass auch psychodynamische Supervision selbst der Reflexion bedarf und demzufolge die Intervision und Supervision der Supervision eine Notwendigkeit sind, jenseits von institutionellen oder rechtlichen Vorgaben.
7.2 Ausbildung und Evaluation Darüber, dass abweichend von der historischen Praxis Supervision gelernt und gelehrt werden muss, besteht inzwischen weitgehende Einigkeit. Abzuwarten bleibt, ob sich im Laufe der nächsten 58
Jahre innerhalb der Profession akzeptierte Grundkonzepte hierfür entwickeln. Dabei dürften zunehmend auch Qualitätssicherungsanforderungen eine Rolle spielen, wenn auch bisher die Staatliche Ausbildungs- und Prüfungsverordnung zum Psychologischen Psychotherapeuten außer quantitativen Vorgaben zur Dauer der eigenen Praxis- und Lehrtätigkeit lediglich die »persönliche Eignung« vorschreibt, die allerdings das jeweilige Institut zu überprüfen hat. Als ein Beispiel, wo schon 1984 für die Supervision von Psychotherapie und 1989 für die Supervision von Psychoanalyse eine Ausbildung eingeführt wurde, sei Schweden angeführt, zum Beispiel durch Szescödy (2014) mit vierzehntägigen Supervisionen der noch lernenden Supervisoren und Seminaren einmal pro Monat. Aufgrund dieser Seminare wurden nicht nur Ziele für das Training von Supervisoren entwickelt, sondern auch Kriterien, nach denen Supervisoren evaluiert werden (Szescsödy, 2014, S.), eine Entwicklung, die als Parallele zu den Bestrebungen für die transparente Evaluation von Therapeuten (u. a. Tuckett, 2005) verstanden werden kann. Diese Kriterien sind (übersetzt und gekürzt von der Verfasserin) die Fähigkeit, 1. eine Basis für ein sehr ernstes Spiel zu etablieren, das gleichzeitig eine Arbeitsbeziehung ist; 2. die Basis zu nutzen, die der Super-Supervisor zu etablieren imstande war; 3. die unterschiedlichen Rollen zu erkennen und zu reflektieren, in denen er arbeitet, sowohl in der Organisation seines Supervisanden, in der die Supervision durchgeführt wird, als auch in der ausbildenden Gesellschaft; 4. seine eigenen Motive zur Ausübung von Supervision zu reflektieren und zu verstehen, zwischen verschiedenen Motiven und Zielen zu unterscheiden, eine Ausbildung zu machen; 5. eine pädagogische Diagnose zu stellen und zu unterscheiden zwischen Problemen, die auf Mangel zurückzuführen sind, und solAusbildung und Evaluation
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chen, die aus Konflikten entstehen (»dumbness and blindness« – Sprachlosigkeit und Blindheit); 6. dem sich entwickelnden Prozess zwischen Patient und Therapeut/ Analytiker folgen und ihn identifizieren zu können ebenso wie den Prozess mit dem auszubildenden Supervisor; 7. die impliziten Ambiguitäten im Supervisionsprozess containen zu können und mit ihnen umzugehen, ohne primitive Abwehr zu benutzen; 8. Angst auszuhalten und eine phasenspezifische Sicherheit in der supervisorischen Situation zu etablieren; 9. dem Supervisanden einen Raum zu bieten, in dem er seine emotionalen Erfahrungen mit dem Patienten einbringen kann; 10. Unsicherheiten und Nicht-Wissen zu tolerieren und die Erfahrung nicht in vorgefertigte Ideen oder Theorien zu pressen; 11. das sehr ernste Spiel der Supervision auszuprobieren und zu genießen. Szecsödy ist überzeugt davon, dass ein wichtiger Aspekt gelingender kreativer Supervision die Klarheit eines eigenen Rahmens ist, eine klare Absprache zwischen Supervisand und Supervisor, wie sie zusammenarbeiten und wie sie sich gegenseitig evaluieren.
7.3 Überlegungen zur Praxis gemeinsamer Aus- und Fortbildung Unter dem Eindruck der hier komprimiert dargestellten Auseinandersetzungen mit Supervision auf psychoanalytischer Grundlage sowie mit professioneller und rahmenrechtlicher Notwendigkeit zur Fortbildung und Qualitätssicherung ist der praktische Versuch entstanden, sich dieses professionelle Können als psychodynamischer Supervisor in einem gemeinsamen Prozess als Psychoanalytiker und analytische Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten an einem Ausbildungsinstitut anzueignen. Dieses Konzept entwickelte sich auch 60
Forschung
aus der Vorstellung des zugrunde gelegten intersubjektiven Modells der Supervision, dass sich die Autorität des Supervisors aus einem sozial konstruierten Konsens über die Arbeit eines Professionellen ergibt, der innerhalb einer Gemeinschaft Professioneller praktiziert und durch externe Rückmeldungs- und supervidierte Reflexionsprozesse ergänzt werden muss. Folgende praktische Aspekte haben sich bisher als bedeutsam gezeigt: 1. Bei der externen Supervision der Supervisoren im Wechsel mit regelmäßiger interner Supervision bzw. Intervision sollen die Ausbildungsteilnehmer nicht nur über deren Existenz informiert werden, sondern die Implikationen müssen Teil der Reflexion in der Supervision werden, wenn dies auch nicht immer ohne Spannungen bleibt. Zugleich muss der Notwendigkeit Rechnung getragen werden, die jeweiligen Lehranalytiker nicht einzubeziehen und das Prinzip des non-reporting der Lehranalyse zu gewährleisten. 2. Ein strukturiertes Curriculum für psychodynamische Supervision ist notwendig mit dem Ziel, neben dem theoretischen und technischen Wissen das implizite supervisorische Können zu vertiefen durch einen gemeinsamen kontinuierlichen Lehr- und Lernprozess. 3. Die offenbar hilfreiche Bedeutung von strukturierter Rückmeldung über den Eindruck des Supervisors vom Stand des therapeutischen Könnens in der Ausbildungssupervision zeigt sich zunehmend. Bedeutend auch zur Angstreduktion aller Beteiligter erscheint dabei Klarheit über die Aspekte, die als Ausdruck therapeutischen Könnens zur Sprache kommen können (u. a. in Anlehnung an Buchholz, 1999; Tuckett, 2005; Kahl-Popp, 2007; Will, 2006; Zwiebel, 2013). Dabei ist der schwierige Spagat zu bewältigen zwischen notwendiger Evaluation in einer Ausbildung und der Aufrechterhaltung eines Rahmens für eine sichere supervisorische Beziehung, die essenziell ist. Unter Rückgriff auf das Bild des supervisorischen Rhombus müssen die Supervisoren der geteilten Verantwortung Rechnung tragen, die sie sowohl für Überlegungen zur Praxis gemeinsamer Aus- und Fortbildung
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die behandelten Patienten als auch die Ausbildungssteilnehmer in einem sozialen und rechtlichen Kontext haben. Die Rückmeldung der Ausbildungsteilnehmer an die Supervisoren über ihre Erfahrungen in der Supervision ist im Rahmen des intersubjektiven Konzepts unverzichtbar, muss aber angesichts der Angst und Scham auslösenden Aspekte und multipler Übertragungskomplikationen mit sicher nicht immer bewussten Anteilen immer wieder neu etabliert werden. 4. Als weiterer Versuch, aus dem in dieser Arbeit Dargestellten Konsequenzen zu ziehen, wurde ein gemeinsames Fortbildungsangebot zur psychodynamischen Supervision für Psychoanalytiker und analytische Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten entwickelt, das in einem weiten Umfang kreative und spielerische Verfahren einbezieht und noch nicht abgeschlossen ist, sodass auch eine evaluative Einschätzung noch nicht möglich ist (Binder-Klinsing u. Tibud, 2014). In diesem Buch war es ein zentrales Anliegen, die Einordnung der psychodynamischen Supervision als eine professionelle Interaktionsspezialisierung zu erörtern, die gelernt und erfahren werden muss, um gekonnt zu werden. Deswegen ist es mir zum Schluss des Buches wichtig, zu einem offenen Austausch über unsere supervisorische Arbeit anzuregen und im Sinne einer professionsspezifischen Reflexion neue Formen des Austausches, der Dokumentation von Fällen sowie der gemeinsamen Aus- und Fortbildung anzuregen und in Anspielung auf das oben genannte Zitat von Hill zu schließen mit der Behauptung: Der Supervisor ist das, was er tut – und wir können uns mit unserem Tun zeigen, um es zu verbessern.
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