Präsenz der Vollendung: Zur transzendentalen Bedeutung eschatologischer Hoffnung bei Moltmann und Adorno [1 ed.] 9783737010252, 9783847110255


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German Pages [319] Year 2019

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Präsenz der Vollendung: Zur transzendentalen Bedeutung eschatologischer Hoffnung bei Moltmann und Adorno [1 ed.]
 9783737010252, 9783847110255

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Simon Layer

Präsenz der Vollendung Zur transzendentalen Bedeutung eschatologischer Hoffnung bei Moltmann und Adorno

V& R unipress

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Ilse und Dr. Alexander Mayer-Stiftung der FAU.  2019, V& R unipress GmbH, Robert-Bosch-Breite 6, D-37079 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Vandenhoeck & Ruprecht Verlage j www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-7370-1025-2

Vorwort

»In seinem Text richtet der Schriftsteller häuslich sich ein. Wie er mit Papieren, Büchern, Bleistiften, Unterlagen, die er von einem Zimmer ins andere schleppt, Unordnung anrichtet, so benimmt er sich in seinen Gedanken. Sie werden ihm zu Möbelstücken, auf denen er sich niederläßt, wohlfühlt, ärgerlich wird. Er streichelt sie zärtlich, nutzt sie ab, bringt sie durcheinander, stellt sie um, verwüstet sie.«1 Wie Adorno die Arbeit des Schriftstellers beschreibt, geht es wahrscheinlich auch den meisten Doktoranden und Schreibern wissenschaftlicher Arbeiten. Auch mir. Am Anfang stand eine fixe Idee, eine theologische Frage; am Ende steht das Buch, das Sie gerade in den Händen halten. Es ist die leicht überarbeitete Fassung meiner Dissertation, über die ich im Winter 2018 am Fachbereich Theologie der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg promoviert wurde. Kein Buch wird im Alleingang geschrieben und mir wurde ausnehmend viel Unterstützung zuteil. Prof. Dr. Wolfgang Schoberth hat mich über Jahre im besten Sinne doktorväterlich begleitet, scharfsinnig, freundlich und einfühlsam die Höhen und Tiefen meines Denkens und Schreibens begleitet, kommentiert und immer ermutigend und aufbauend vorangetrieben. Er hat mich zu eigenständigem Denken und Reflektieren ermutigt und auch zum Einstehen und Verteidigen strittiger Thesen. Sämtliches meines Lehrens und Forschens der letzten Jahre wurde und wird getragen mit seiner Unterstützung. Vielen Dank! Prof. Dr. Andreas Nehring danke ich für die Zweitbetreuung und das Zweitgutachten, ohne die jeweils die Fertigstellung der Dissertation nicht möglich gewesen wäre. Prof. Dr. Peter Bubmann erwies sich besonders in der Disputation als anregender und profilierter Diskussionspartner. Prof. Dr. Ingrid Schoberth danke ich, dass sie mir schon während meines Studiums die Augen für eine potentielle Dissertation öffnete und mir Adorno als – mir bis zu diesem Zeitpunkt unbekanntem – Denker nahebrachte. Ihre Hinweise, Lesevorschläge und Offenheit zum Gespräch ermöglichten diese Arbeit grundlegend. Ebenso danke ich dem DFG-Graduiertenkolleg 1718 »Präsenz und implizites Wissen«, dem ich von 2015 bis 2018 angehören durfte, für die Finanzierung mei1

Theodor W. Adorno: Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben, hrsg. v. Rolf Tiedemann unter Mitwirkung von Gretel Adorno, Susan Buck-Morss und Klaus Schultz, 8. Aufl. (Gesammelte Schriften 4), Frankfurt am Main 2012, S. 97f.

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ner Forschung auf der einen Seite, auf der anderen aber – und deutlich gewichtiger – für die vielen anregenden, interessanten, instruktiven und interdisziplinär aufschlussreichen Diskussionen und die damit einhergehenden kritischen Anmerkungen. Sie haben das Profil der Arbeit geschärft. Besonders zu erwähnen sind dabei Carmen Brosig und Florian Tatschner, die über das Ende des Kollegs hinaus zu Freunden geworden sind. Besonders dankbar verbunden bin ich Stephan Mikusch, der nicht nur minutiös die Arbeit von ihrem Beginn an bis über ihre Fertigstellung hinaus begleitet hat, sondern sie auch mehrmals komplett korrigierte und kritisch diskutierte. Dazu kommen ungezählte Nachmittage und Abende im KW, sowie Stunden, die per Fernkommunikation spielerisch verbracht wurden (und werden) und bis heute unsere Freundschaft stärken. Für weitere Korrekturen danke ich im Übrigen Matthias Braun, Nicolas Braun, Julia Feigenbutz, Amadeus Hausi, Svende Ric-Kruse, Markus Schmitt, Thea Sulmavico und Julia Weber. Sie haben mehr Fehler gefunden, als ich bereit bin zuzugeben. Auch meinen Freunden bin ich besonderer Weise dankbar für alle Formen von Unterstützung, die mir entgegengebracht wurde – um sie alle zu nennen fehlt hier der Platz. Ich danke dem Verlag Vandenhoeck&Ruprecht, besonders Frau Carla Schmidt, Frau Marie-Carolin Vondracek und Frau Laura Haase für ihre immer freundliche, schnelle und unkomplizierte Betreuung. Es hat mir die Drucklegung sehr erleichtert und den Prozess beschleunigt. Ein Dank geht auch an die Ilse und Dr. Alexander Mayer-Stiftung der FAU, die die Drucklegung finanziell unterstütze. Den größten Dank möchte ich an dieser Stelle meinen Eltern, meinem Bruder, meiner Verlobten Anna Tesch und ihrer Familie aussprechen. Sie haben gelesen und kritisch hinterfragt, interessiert zugehört und viel Langmut mit mir bewiesen. Nicht nur seit Beginn des Projekts, sondern auch davor schon und ebenfalls danach durfte und darf ich mir jeder benötigten Unterstützung gewiss sein, konnte und kann mich darauf verlassen, dass alle Launen, Launigkeiten, aller Missmut getragen und verziehen und alle Freude geteilt und zurückgegeben wird. Ohne einen jeden von euch wäre mein Vorhaben mit Sicherheit gescheitert. Danke! Mannheim, im Juli 2019 Simon Layer

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1.1 Warum Hoffnung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1.2 Zur Auswahl und Darstellung von Moltmann und Adorno . . . . . . 20 2 »Reflexionen aus dem beschädigten Leben«. Dimensionen der Hoffnungslosigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Adornos Gesellschaftskritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Gesellschaft im Bann der Verblendung . . . . . . . . . . 2.1.1.1 Exkurs: Adornos Verhältnis zum System und zum Systematischen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Individualität und Individualismus . . . . . . . . . . . . 2.2 Unter dem Bann der Verblendung . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Kulturindustrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1.1 Der Warenwert des Menschen . . . . . . . . . . . 2.2.2 Dialektik der Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 »Nur wenn, was ist, sich ändern läßt,…« . . . . . . . . . . . . .

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3 Gebrochene Hoffnung und hoffnungsvolle Negativität . . . . . . . . . . 3.1 Die Methode der Negativen Dialektik . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1 Vorrang des Objekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Kunst – Existenz auf der Grenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Probleme der Verdinglichung . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Erkenntnis – im Licht der Erlösung? . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2.1 Zur Aufgabe der Philosophie. Adornos »Rettung« der Metaphysik durch die Ästhetik . . . . . . . . . . . . 3.3 Präsenz des Utopischen im Kunstwerk . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 »Das Jenseits der Kunst« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

4 Verheißende Offenbarung und offenbarende Verheißung . . . . . . . . 4.1 Gottes Selbstoffenbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1 Transzendentale Eschatologie. Moltmanns Analyse eschatologischer Grundprobleme in der Rede von Offenbarung bei Kant, Barth und Bultmann . . . . . . . . . . 4.1.1.1 Kant . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1.2 Barth . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1.3 Bultmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2 Indirekte Offenbarung in und durch Geschichte. Moltmanns Analyse der liberalen Theologie und Pannenbergs . . . . . . 4.2 Offenbarung und Eschatologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Zukunft Jesu Christi als Zentrum der Theologie . . . . . . . 4.2.1.1 Zukunft als Parusie und Futur . . . . . . . . . . . . . 4.3 Die Kategorie der Verheißung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.1 …und das Alte Testament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2 …und die Auferstehung Christi . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.3 …als Grundlage für Hoffnung . . . . . . . . . . . . . . . . .

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5 Hoffnung als Medium des christlichen Glaubens . . . 5.1 Hoffnung und Glaube . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.1 »Hoffnung ist nicht Zuversicht« . . . . . . 5.1.1.1 Exkurs: Certitudo und Securitas . . 5.1.2 Die Auferweckung des Gekreuzigten . . . 5.1.2.1 Jesus Christus – wahrer Gott . . . . 5.1.2.2 Jesus Christus – wahrer Mensch . . 5.1.2.3 Antizipation . . . . . . . . . . . . 5.1.3 Das Kreuz als Grund des Glaubens . . . . 5.1.3.1 Der Primat der Hoffnung . . . . . 5.2 Hoffnung als Leidenschaft für das (Un-)Mögliche 5.2.1 Exkurs: Möglichkeit und Wirklichkeit . . . 5.2.2 Die Sünde der Verzweiflung . . . . . . . .

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6 Erkenntnis des Glaubens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Das Kommen des Reiches Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.1 Exkurs: Inhaltliche Grundentscheidungen von Moltmanns Eschatologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 »Spero ut intelligam« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Schöpferische Nachfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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7 Gegenwärtige Zukunft oder zukünftige Gegenwart . . . . . . . . . . . . 243 7.1 Umkehrung der Zeitlogik im Hoffnungsdenken . . . . . . . . . . . . 243 7.1.1 Dialektik der Zukunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251

Inhaltsverzeichnis

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7.1.2 Präsenz und Präsens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 8 Transzendenz und Transzendentalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 Personenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311

1 Einleitung

1.1 Warum Hoffnung? »Christentum, das nicht ganz und gar und restlos Eschatologie ist, hat mit Christus ganz und gar und restlos nichts zu tun.«1 Barth formuliert diesen Satz in der Auslegung von Röm 8,11–272 , die er mit »Die Wahrheit« betitelt, der er zuschreibt, »so hart und heilig und gewaltig« zu sein, »daß sie als Sieg, als Erfüllung, als Gegenwart in keinem Fall anders für uns zu haben ist, denn ›durch Hoffnung‹.«3 Dabei ergänzt er, dass direkte Gott-Mensch-Kommunikation eben nicht mit Gott funktionieren kann und »Geist, der nicht in jedem Augenblick der Zeit aufs neue Leben aus dem Tode ist, […] auf alle Fälle nicht der heilige Geist [ist].«4 Damit spricht Barth sehr starke Sätze aus, die vor allem um einen Themenkomplex kreisen: Hoffnung. Er führt aus, dass das »der tiefste Sinn unsrer als Aufgabe erfaßten Lebenslage [sei]: Beharren, als ob […] ein Gott wäre, dem wir unterliegend oder siegend, lebend oder sterbend in Liebe zugewandt zu dienen hätten.«5 Und dieses als ob ist der springende Punkt, dem auch diese Arbeit nachgehen möchte. Es ist dieses als ob, das Vorläufige, das thematisiert, dass der Deus revelatus in der Auferweckung des Gekreuzigten nach wie vor ein Deus revelatus absconditus ist, ein Gott, der sich in seiner Offenbarung verborgen zeigt. Die Vorläufigkeit, die eschatologische Differenz ist der Rahmen, in dem christliches Leben sich seit der Himmelfahrt Christi abspielt und abspielen muss, bis zu seiner endgültigen Offenbarung im Anbruch des Reiches Gottes. Barth spricht mit den Worten von 2Kor 4,18 davon, dass das Sichtbare der Zeitlichkeit unterworfen ist und kann deshalb nur davon reden, dass es hier um Hoffnung – und zwar genauer: um eschatologische Hoffnung – geht, die mit der Differenz immer ernst 1

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Barth: Der Römerbrief, S. 298. In allen Zitaten wurden sowohl die dem Originaltext entsprechende Rechtschreibung als auch potentielle Fehler in Orthographie, Interpunktion oder Syntax unkommentiert und unkorrigiert übernommen. Hervorhebungen, wenn nicht anders gekennzeichnet, sind ebenfalls aus dem Original übernommen. Alle Bibelstellen werden nach der Lutherbibel von 2017 zitiert. Deutsche Bibelgesellschaft (Hrsg.): Die Bibel. Barth: Der Römerbrief, S. 297. Ders.: Der Römerbrief, S. 298. Ders.: Der Römerbrief, S. 298; im Original teilweise gesperrt gedruckt. Kursivierung von mir.

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Einleitung

macht, denn in der Hoffnung »sehen [wir] eben wahrhaftig, wir sehen existentiell, was wir doch nicht sehen. Darum beharren wir.«6 Damit ist das Anliegen dieser Arbeit schon essentiell benannt. Es geht um Hoffnung und inwiefern mit ihr Erkenntnis einhergeht. Hoffnung und Offenbarung treten darum in unmittelbare Nähe zueinander. Eine direkte und unmittelbare Mitteilung Gottes stammt – hier behält Barth unumwunden recht – nicht von Gott, weil sonst der Hoffnungsinhalt, die umfassende Präsenz Gottes, sich schon erfüllt hätte – der Heilige Geist zeigt sich eben als der Heilige Geist in der Auferweckung des gekreuzigten Jesus zum Christus – Christentum, das nicht in der Hoffnung auf die Vollendung in der Offenbarung der Herrlichkeit Christi als dem König, Priester, Propheten und letztlich auch Richter lebt, kann sich nicht auf Christus beziehen.7 Deshalb kann Barth fortfahren zu schreiben: »Was nicht Hoffnung ist, das ist Klotz, Block, Fessel, schwer und eckig wie das Wort ›Wirklichkeit‹. Es befreit nicht, sondern es nimmt gefangen. Es ist nicht Gnade, sondern Gericht und Verderben. Es ist nicht göttliche Führung, sondern Schicksal. Es ist nicht Gott, sondern ein Spiegelbild des unerlösten Menschen.«8 Es dreht sich hier alles um den Akt des Hoffens und es steht und fällt die gesamte Theologie und der christliche Glaube selbst damit. Das ist das Zentrum, um das diese Arbeit kreisen wird, das sie versucht aus verschiedenen Perspektiven und in verschiedenen Dimensionen zu analysieren und darzustellen, zu verstehen und zu erläutern: Dass Hoffnung im christlichen Glauben nicht nur ein Topos unter vielen ist, sondern ihr ein ganz basaler, fundamentaler Rang in der wissenschaftlichen Theologie einerseits und dem gelebten Glauben andererseits zukommen muss. Den Maßstab, die Begründung und die Spannweite dieser fundamentalen Stellung will diese Arbeit zu erschließen suchen. Hoffnung in ihrer Tiefe zu erschließen, ist somit eine der Kernaufgaben. Dalferth ist sicher im Recht mit der Aussage: »Hoffnung ist ein ausgesprochen menschliches Phänomen.«9 So eröffnet er, deutlich zurückhaltender als Barth, seinen mit »Hoffnung« betitelten Beitrag zur Diskussion um ein Thema, das sich immer wieder als eines der zentralsten menschlichen Themen herauskristallisiert. So gibt es sprachwissenschaftliche Herangehensweisen,10 juristische Fragestellungen,11 medizin-soziologische Probleme, wie beispielsweise das reproduktionsmedizinische Themengebiet,12 ökonomische Problemstellungen,13 und eine große Bandbreite philosophischer und theologischer Veröffentlichungen, die sich un-

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Barth: Der Römerbrief, S. 298. Vgl. Ders.: Der Römerbrief, S. 298. Ders.: Der Römerbrief, S. 298. Dalferth: Hoffnung, S. 1. Vgl. Bidmon: Denkmodelle der Hoffnung; Bluhm: Selbsttäuscherische Hoffnung. Vgl. Kirchhof: Recht lässt hoffen. Vgl. Ullrich: Medikalisierte Hoffnung? Vgl. Miyazaki/Swedberg (Hrsg.): Economy of Hope.

Warum Hoffnung?

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ter verschiedenen Aspekten wie Körperlichkeit,14 politischer Theorie,15 Religionspädagogik,16 Anthropologie17 und vielen weiteren mit Hoffnung auseinandersetzen. Hoffnung, so sind sich alle Autorinnen und Autoren18 mit mal mehr, mal weniger ausgeprägter Emphase einig, ist eine grundlegende anthropologische Konstante, die, das lässt sich aus der oben nur in Ausschnitten dargestellten Vielfalt der Herangehensweisen erkennen, in allen Bereichen menschlicher Existenz eine Rolle spielt. Dalferth identifiziert dabei zwei verschiedene Traditionen, wie mit Hoffnung umgegangen wurde und wird, nämlich einerseits die philosophische und andererseits die theologische Herangehensweise in der Auseinandersetzung mit der »Ambivalenz der Hoffnung«19 , die er darin sieht, dass Hoffnung zwar Milderung der erfahrenen und erlebten Leiden und Übel innerhalb der Welt verspricht, gleichzeitig aber auch um diesen positiven Ausgang betrügt. Diese philosophische Position stellt er als er eine negative Einstellung zur Hoffnung dar und paraphrasiert sie mit: »Besser wäre es nicht zu hoffen. Dann wäre das Leben zwar immer noch voller Übel, aber man wäre nicht in der Illusion verfangen, das könnte sich irgendwann einmal ändern.«20 So kann es zwar auch nach dieser Ansicht menschliches Leben ohne Hoffnung nicht geben, doch dadurch werde Leben auch nicht angenehmer, sondern eher ernster, weil der Prospekt von Besserung unerreichbar vor Augen stehe.21 Ganz anders stellt er dagegen dar, wie Hoffnung im Christentum rezipiert wurde, nämlich »nachdrücklich positiv«, was er darin begründet sieht, dass »der Bezug auf Gott die Hoffnung disambiguiert und eindeutig macht.«22 Diese Dichotomie, die Dalferth hier entwirft, wird zwar dem Faktum gerecht, dass Hoffnung tatsächlich ein ambivalentes Phänomen ist, weil sich Hoffnungen verschiedener Menschen mitunter massiv widersprechen und diese in diametral entgegengesetzte Richtungen hoffen, allerdings kann hierbei keine so eindeutige Trennung vorgenommen werden, wie Dalferth sie vorschlägt. Denn sowohl theologische, wie sprachanalytische oder philosophische Begriffe von Hoffnung gründen allesamt auf dem griechischen ἐλπίζω, das einerseits ›hoffen‹ und ›vertrauen‹ bedeutet, andererseits aber auch ›befürchten‹ und ›ahnen‹, durchaus also auch die negative Konnotation schon in sich birgt.23 Auch wenn, wie er hervorhebt, »das Wort ›hoffen‹ […] vermutlich mit dem mittelhochdeutschen ›hüpfen‹ bzw. dem 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23

Vgl. Kristensen: Body and Hope. Vgl. Mittleman: Hope in a Democratic Age. Vgl. Roebben: Religionspädagogik der Hoffnung. Vgl. Lutz: Der hoffende Mensch. Zur vereinfachten Lesart wird diese Arbeit in diesem und allen folgenden Kapiteln: ein generisches Maskulinum verwenden. Damit soll lediglich der Lesefluss gefördert werden. Dalferth: Hoffnung, S. 1. Ders.: Hoffnung, S. 1. Vgl. Ders.: Hoffnung, S. 2. Ders.: Hoffnung, S. 2. Vgl. Gemoll/Vretska: Gemoll, S. 280.

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Einleitung

mittelniederdeutschen ›hoppen‹ verwandt« sein sollte und deshalb »ungefähr ›vor Erwartung aufgeregt herumhüpfen‹«24 bedeuten könnte,25 lässt sich doch nicht verhehlen, dass jegliche Rede von Hoffnung, sei sie nun akademischer oder umgangssprachlicher Natur, immer auch die »Möglichkeit ihrer Enttäuschbarkeit«26 impliziert. Warum also Hoffnung? Zum einen, weil Hoffnung nach wie vor »als Sinn für Möglichkeit und Unverfügbarkeit«27 für die Theologie von zentraler Bedeutung ist. Christliche Theologie, so wird später bei Moltmann zu lesen sein, hat sich ganz eminent auf Hoffnung zu beziehen. Denn der Inhalt ihres Glaubens, nämlich die Erwartung des Reiches Gottes, ist nichts, was in irgendeiner Weise propositional ist, worüber die Menschheit verfügen könnte oder es gar selbst herbeizuführen in der Lage wäre, womit sich ihr Glauben immer als hoffender Glaube im oben genannten ›Sinn für Möglichkeit und Unverfügbarkeit‹ darstellen kann. »Hoffnung«, so stellt Welker darum völlig richtig dar, »hält die Differenz des Bedürfnisses […] in der Differenz von Erfüllung bzw. Teilerfüllung und Enttäuschung bzw. Gefährdung.«28 Und ihr Spezifikum, so Welker weiter, liegt darin, dass sie »die Differenzerfahrung von Erfüllung und Enttäuschung gerade nicht zusammenfallen lässt.«29 ›Hoffnung als Sinn für Möglichkeit und Unverfügbarkeit‹ ist demnach für die Theologie ein wichtiges Thema, weil sie Ausdruck für den eschatologischen Vorbehalt, für die eschatologische Differenz zwischen der Verheißung und Ansage des Reiches Gottes, seiner Präsentation in Jesus Christus und dem faktischen Erleben seiner Nichtpräsenz in dieser Welt ist. Es ist hier der nächsten Grund erkennbar, weshalb diese Arbeit sich dem Phänomen ›Hoffnung‹ widmet: Hoffnung ist eine durch und durch lebensweltliche Konstante. Sei es in der Kantschen Auslegung: »alles Hoffen geht auf Glückseligkeit, und ist in Absicht auf das Praktische und das Sittengesetz eben dasselbe, was das Wissen und das Naturgesetz in Ansehung der theoretischen Erkenntniß der Dinge ist«30 , was verstanden sein soll im Sinne von Hoffnung als Triebfeder fürs Handeln; oder sei es die Hoffnung, die ein politisches System tragen können muss,31 die Mittleman besonders aus der

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Dalferth: Hoffnung, S. 33. Dalferth äußert diesen Gedanken selbst als Vermutung! Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 333. So die Überschrift über Borchels 3. Kapitel in Borchel: Hoffnung, S. 151. Welker: Moltmann, S. 246. Ders.: Moltmann, S. 247. Soweit nicht anders angegeben sind alle Kursivierungen oder sonstigen Hervorhebungen in Zitaten aus dem Originaltext übernommen. Von mir getätigte Veränderungen werden in der jeweiligen Fußnote markiert. 30 Immanuel Kant: Gesammelte Schriften, hrsg. v. Königlich-Preußische Akademie der Wissenschaften (Akademie Ausgabe), Berlin 1902ff. III, S. 523 (in diesem und allen folgenden Kapiteln: AA). 31 Vgl. Mittleman: Hope in a Democratic Age, S. 260ff.

Warum Hoffnung?

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Tradition und der Überzeugung der Gerechtigkeit heraus entwickelt sieht;32 aber auch ganz profane Hoffnungen wie die Hoffnung auf gutes Wetter, den Sieg der favorisierten Fußballmannschaft oder das Nicht-Abstürzen eines Flugzeugs fallen unter die lebensweltliche Erfahrung. »Die Hoffnung ist«, so kann sich Welker darum angeschlossen werden, »in das konkrete, wirklich gelebte Leben eingebunden«, was sie, »nicht nur verletzbar, sondern prinzipiell relativierbar und zerstörbar«33 macht. Es bleibt zunächst einmal der Doppelaspekt, dass Hoffnung eine Differenzerfahrung in sich birgt. Denn ob der Flug gut oder schlecht endet, liegt in der Regel nicht in eigener Hand; zu viele oder falsche oder enttäuschte Hoffnungen können ein politisches System schnell der Verdrossenheit anheim fallen lassen;34 und die Hoffnung als Impulsgeber für Tathandlungen birgt große Gefahren in sich – nicht umsonst ist gut gemeint das sprichwörtliche Gegenteil von gut gemacht. Weshalb also noch eine Arbeit über Hoffnung? Wie diese Arbeit im Folgenden aufzuzeigen versuchen wird, birgt Hoffnung noch einen anderen Aspekt in sich, der nicht weniger ambivalent, allerdings in der Forschungslandschaft – sowohl theologischer als auch nicht-theologischer Art – bisher etwas zu kurz gekommen ist. Hoffnung ist erkenntnisbedingend. Der amerikanische Philosoph Richard Rorty veröffentlichte eine »Einführung in die pragmatische Philosophie«, die er mit »Hoffnung statt Erkenntnis«35 betitelte – eine völlig verfehlte Gegenüberstellung, wie diese Arbeit in ihrem Verlauf zeigen möchte. Hoffnung und Erkenntnis sind keine sich ausschließenden, sondern sich wechselseitig bedingende und interdependente Vorgänge. Denn Hoffnung ist in ihrer inneren Dialektik, als Sinn für das Mögliche und Unverfügbare immer antizipartorisch, bezieht sich immer auf einen Zustand der nicht oder noch nicht ist, aber dennoch so erkennbar und erkannt sein muss, dass Hoffnung sich wiederum an ihm entzünden kann. Um sich aber auf diesen beziehen zu können, reicht nicht nur die Negativerfahrung der Wirklichkeit als einer mangelhaften – wäre das der Grund, aus dem heraus gehofft würde, wäre Hoffnung leer, schwach und bloß subjektiv und würde aus der Erkenntnis alleine entspringen können. Das ist zu wenig. Vielmehr kommt auch Erkenntnis aus der Hoffnung: Das, was erhofft wird, ist Grund der Hoffnung und aus der Hoffnung heraus kann es dann wiederum erst erkannt werden. So sind Erkennen und Hoffen zwei Momente, die sich wechselseitig bedingen und gleichzeitig ungleichzeitig miteinander agieren. Dadurch bringt die Hoffnung allerdings die Zeitlogik von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, von nicht-mehr, von 32 33 34 35

Vgl. besonders Ders.: Hope in a Democratic Age, S. 262f. Welker: Moltmann, S. 253. Vgl. Mittleman: Hope in a Democratic Age, S. 260. Rorty: Hoffnung statt Erkenntnis. Verfehlt ist diese Gegenüberstellung v. a. im Titel. Der Ansatz, sich mehr auf Hoffnung statt auf Erkenntnis zu beziehen, kann und sollte in der Hinsicht Unterstützung finden, in der Erkenntnis und Hoffnung sich nicht ausschließen sondern erkannt wird, dass Erkenntnis immer Hoffnung konstitutiv bei sich gestellt findet.

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eben-gerade und von noch-nicht durcheinander, wenn im eben-Gerade, in der Gegenwart, das noch-Nicht, die Zukunft, einen Prozess anstößt, nämlich den Akt des Hoffens. Besonders prägnant hat dies Bloch formuliert mit dem Satz: »Die wirkliche Genesis ist nicht am Anfang, sondern am Ende«36 , was Dalferth mit Recht auslegt im Sinne von »Hoffnung […] als Gegenbewegung zur Erinnerung […], als überschreitendes Denken nicht auf das Vergangene hin, sondern auf das Unabgegoltene und Noch-Nicht-Bewußte im Vergangenen und Gegenwärtigen hin, dessen Realisierung in der Zukunft liegt und als Utopie antizipiert wird.«37 Die Fragestellung, die diese Arbeit nun verfolgt, geht dieser Gegenbewegung nach und fragt, inwiefern Hoffnung hier nicht nur Erkenntnis ermöglicht, sondern gar Bedingung der Möglichkeit von Erkenntnis ist, sowohl dieser Wirklichkeit als auch der neuen Wirklichkeit Gottes. Und es ist für die Theologie gerade deshalb ein so zentrales und eminent wichtiges Thema, weil der Wahrheitsanspruch des Glaubens selbst mit diesem Thema steht und fällt. Hat der christliche Glaube keine Hoffnung, hat er keine Orientierung an den offenbarenden Verheißungen des Reiches Gottes, so hat er auch seine Legitimation verloren. Denn dann lebt er nicht mehr aus der Wahrheit der Selbstoffenbarung Gottes in Kreuz und Auferstehung als der, der da war, der da ist und der da kommt, sondern bleibt in bloßer Reminiszenz ans Osterereignis stehen und hat damit seine kritische Sprengkraft auf der einen, aber auch sein tröstendes, erhebendes, rettendes und verkündigendes Moment gänzlich von sich abgeschnitten. Er verkäme zum Mythos. Die Arbeit orientiert sich nun in ihrem Fortlauf an den Schriften Theodor W. Adornos und Jürgen Moltmanns. Sie tut es gerade anhand dieser beiden, weil das, was auf den letzten Seiten anhand Dalferths entwickelt wurde, zu wenig ist, um das Phänomen ›Hoffnung‹ theologisch zu beschreiben. Wo Dalferth sich darauf beschränkt, Hoffnung als anthropologische Konstante zu bezeichnen, ist es theologisch essentiell, Hoffnung als die Gestalt zu beschreiben, in der die Erlösung gegenwärtig wird. In der Hoffnung vergegenwärtigt sich die Wahrheit der Gnade, die Gott selbst in seiner Erwählung des Menschen ist. Hoffen nur als grundlegende anthropologische Kategorie des Lebens, nur als Phänomen menschlichen Seins zu beschreiben, kann deshalb nicht ausreichen. Sondern vielmehr braucht es doch noch mehr, das der Hoffnung inhärent ist, dass in der Erfahrung von Hoffnung die Bedingung der Möglichkeit von Erkenntnis dieser Wirklichkeit, aber auch einer neuen Wirklichkeit begründet liegt. Es ist dies die Präsenz der Vollendung, die Gegenwart der Erlösung im Hoffen. Der Titel dieser Arbeit bringt die Überzeugung zum Ausdruck, dass Hoffnung nicht nur ein menschliches Phänomen ist, sondern sie ist vor allem einmal ein göttliches Geschenk. Sie ist nicht nur eine lebensweltliche Erwartungshaltung, 36 Bloch: Prinzip Hoffnung, S. 1628. 37 Dalferth: Hoffnung, S. 136.

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sondern sie ist lebensbedingende und -stiftende Gabe. Diese Arbeit versucht nun gerade diese Dimension von Hoffnung zu untersuchen. Dass dabei Moltmann und Adorno die Gewährsmänner sind, kann und darf überraschen. Sowohl Adorno als auch Moltmann schreiben philosophisch und theologisch in eine Zeit, in der nicht nur der zweite Weltkrieg, den sie beide hautnah erlebten – der eine im Exil, der andere an der Front und in Kriegsgefangenschaft –, gerade erst verklungen ist. Sie schreiben in eine Zeit, in der Hoffnung zu versiegen drohte. Nach Barth hat sich in der evangelischen Theologie kaum ein zweiter Theologe noch so pointiert dazu geäußert, dass Christentum ohne eine Zentralstellung der Eschatologie nichts mit Christus zu tun habe wie Moltmann. Die Theologie der Hoffnung38 und ihre Folgewerke hatten nicht nur den Anspruch, einen weiteren Beitrag zur theologischen Debatte ihrer Zeit darzustellen, sondern sie wollten wachrütteln, klären und verdeutlichen, weshalb die Theologie zu jeder Zeit und zu dieser im Besonderen der Hoffnung nicht nur bedarf, sondern sich ihrer über alle Maßen bewusst werden muss; sowohl in der wissenschaftlichen Theologie als auch in der kirchlichen Verkündigung und dem gelebten Glauben. Adorno dürfte in diesem Zusammenhang als einer der letzten Philosophen gelten, dem Utopie und Hoffnung so wichtig waren, dass er sie als das unausgesprochene Zentrum seiner Philosophie immer und immer wieder umkreiste und aus den verschiedensten Blickwinkeln betrachtete. Was bisher als Problematik, maßgeblich an Dalferths Darstellung der Hoffnung als anthropologischem Phänomen, verdeutlicht und hervorgehoben wurde, ist ein Problem, das auf einem theologisch hohen Niveau genau zu reflektieren ist. Moltmann und Adorno bieten dieses Niveau beide auf ihre Weise auf und ermöglichen dadurch, das Problem selbst auf die ihm angemessene Weise nicht reduktionistisch anzugehen, sondern gerade in der Polarität des optimistischen Theologen und des negativen Dialektikers die Weite des Hoffnungsbegriffs in seiner für den Glauben zentralen Gestalt in kritischer Art und Weise zu beleuchten und fruchtbar zu machen. Es sollen darum in dieser Arbeit beide Gedankengänge – der optimistisch-theologische Moltmanns und der negativ dialektische Adornos – nachvollzogen, ihre Stärken und Schwächen kritisch beleuchtet und auch Lücken offengelegt werden. Dies geschieht alles unter der Fragestellung: Inwiefern lässt sich bei Hoffnung von einer Präsenz der Vollendung reden, wie bedingen sich diese beiden Momente gegenseitig, welche Grundlagen und welche Konsequenzen muss ein solches Hoffen haben und austragen? Dieses Anliegen ist groß, wird sogar noch größer, weil man dabei nicht umhin kann, sich die Frage zu stellen, inwiefern das Zukünftige, die Erlösung, das also noch Ausstehende und zu Erhoffende, präsent sein könnte, es sogar sein muss, um der Hoffnung eine

38 Wenn Theologie der Hoffnung kursiv gedruckt ist, ist das Werk, wenn sie lotrecht steht, die hoffnungsnungszentrierte Theologie selbst gemeint.

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transzendentale Bedeutung beizumessen.39 Dabei darf allerdings wiederum die Präsenz und Transzendentalität nicht wieder so stark sein, dass die Jenseitigkeit des Erhofften verloren ginge und sich in einem optimistisch-präsentischen Erlösungspositivismus wiedergefunden würde. Aus diesem Grund scheinen Moltmann und Adorno die richtigen Gesprächspartner zu sein. Die Arbeit ist dafür in acht Kapitel aufgeteilt, die sich grob in drei Teile einteilen lassen. Der erste Teil umfasst die Kapitel 2 und 3 und ist einer Analyse von Adornos Hoffnungsbegriff gewidmet, zu dem vorzudringen jedoch einiger Vorarbeit bedarf. Das zweite Kapitel muss dabei die theoretischen Grundlagen reflektieren, die für Adornos Denken zentral sind, nämlich die Analyse des gesellschaftlichen Verblendungszusammenhangs, der Hoffnung auszuschließen scheint (2.2), der in universaler Weise die Gesellschaft (2.1.1), das Individuum (2.1.2) und letztlich die gesamte Welt umfasst und unter einen Mantel der Verzerrung und Verdunkelung hüllt. Es soll also nachvollzogen werden, weshalb Adornos Theorie zu einem Hoffnungsbegriff und Hoffnungsdenken kommen muss, der in gebrochener Form nur vorhanden sein kann und umgekehrt aber auch dieses Denken selbst einem bestimmten Hoffnungsbegriff entspringt. Das dritte Kapitel nimmt diese Grundlagen auf und geht im Denken Adornos einen Schritt weiter. Auf Basis der zwar früh angelegten, aber erst deutlich später ausformulierten Methode der Negativen Dialektik (3.1) und ihrer Grundentscheidungen zum Vorrang des Objekts (3.1.1) wird der Schritt in die Ästhetische Theorie gegangen, da sich dort in ausgesprochen anschaulicher, wenn auch nicht immer ausgesprochen verständlicher Weise die Methode der Negativen Dialektik verwirklicht findet. Die Ästhetische Theorie ist dabei der Ort, an dem Adorno die Komplexität der Präsenz des nichtpräsenten Utopischen im Kunstwerk thematisiert und ausführt; es geht in ihr um die Konkretion des Utopischen im Kunstwerk, die aber nicht eine eindimensionale Gegenwärtigkeit ausdrückt, sondern gerade hier erst die Komplexität des Topos des Utopischen – und wie Hoffnung deshalb an ihm entspringen kann – sich zeigt. In der Theorie des Ästhetischen wird vor allem in den Blick geraten, inwiefern Kunst selbst eine doppelte Existenz hat (3.2), nämlich auf der Grenze zwischen dem Bann des Hoffnungslosen (3.2.1) auf der einen und der hoffnungsgebenden Erlösung (3.2.2) auf der anderen Seite. Wie zu sehen sein wird, eröffnet sich dadurch in der Kunst ein besonderes Präsenzverhältnis zwischen Präsenz- und Nichtpräsenz der Erlösung in der Kunst (3.3), was die Argumentation der Arbeit dazu bringen wird, nach dem Utopischen selbst und seiner Stellung zur Wirklichkeit zu fragen (3.3.1). Der zweite Teil beinhaltet die Kapitel 4–6 und befasst sich mit Moltmanns der Hoffnung und auch hier wird mit seinen strukturellen Grundlegungen, nämlich Hoffnung von der Verheißung her zu entwickeln (Kapitel 4), begonnen werden. 39 Welker: Zukunftsaufgaben evangelischer Theologie, S. 264f. thematisierte schon die Transzendentalität der Hoffnung bei Moltmann.

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Um zu verstehen, wie diese Entwicklung funktioniert und weshalb Verheißung bei Moltmann in spezieller Form gedacht wird, folgt diese Arbeit grob dem Aufbau der Theologie der Hoffnung und beginnt mit einer Analyse von Moltmanns Interpretation verschiedenster Offenbarungsbegriffe (4.1), der eine Auslegung und Erklärung seines eigenen Weiterdenkens folgen wird (4.2). Erst dann kann sich erschließen, weshalb Moltmann, in Aufnahme alttestamentlicher (4.3.1) und neutestamentlicher (4.3.2) Verheißungstraditionen, in eben dieser Verheißung die Grundlage von Hoffnung sieht (4.3.3), wie sie seiner Theologie eignet. Das anschließende fünfte Kapitel knüpft nach der strukturellen mit der inhaltlichen Komponente des Moltmannschen Hoffnungsbegriffs an. Dabei kann eine Diskussion des Verhältnisses von Glaube und Hoffnung (5.1) – zwei verwandte und manchmal fast schon äquivok benutzte Momente des christlichen Lebens – in Moltmanns Theologie nicht ausbleiben, die sich besonders den verschiedenen Momenten von Hoffnung und Glaube widmen soll. Dabei wird es inhaltlich im Hoffnungsbegriff darum gehen müssen, ihn von der auf den ersten Blick sehr ähnlichen, aber doch kategorial sehr verschiedenen Zuversicht zu unterscheiden (5.1.1). Moltmanns Theologie der Hoffnung sah und sieht sich bis heute oft der Kritik ausgesetzt, im Kern eine Theologie der Auferstehung, der Verherrlichung, eine theologia gloriae zu sein. Unter verschiedenen hermeneutischen Vorbedingungen kann dem – zumindest bedingt – zugestimmt werden und gleichzeitig hat Moltmann sich dieser Kritik selbst auch gestellt und an zentraler Stelle in der Theologie der Hoffnung ein Kapitel zum Kreuz geschrieben, gefolgt von der zweiten großen Veröffentlichung, die direkt an die Theologie der Hoffnung anschließt, nämlich Der Gekreuzigte Gott, womit der Vorwurf einer einseitigen Beschäftigung nur mit der Herrlichkeit der Auferweckung weithin als entkräftet gelten darf. Dementsprechend kann eine Analyse der Hoffnung bei Moltmann, gerade von der Verheißung her kommend nicht an Kreuz und Auferweckung Jesu Christi vorbei (5.1.2 und 5.1.3). Die inhaltliche Analyse von Hoffnung (und Glauben) wird durch die Aufnahme des Kierkegaardschen Diktums der »Hoffnung als Leidenschaft für das Mögliche«40 bei Moltmann abgeschlossen, wo besonders in Blick geraten wird, inwiefern das Mögliche wirklich oder das Wirkliche nur möglich sein könnte (5.2.1). Eine ausformulierte, in sich geschlossene und auf seine Theologie der Hoffnung bezogene Sündenlehre fehlt bei Moltmann; dennoch lässt sich zumindest ein Ansatz aus verschiedenen Texten rekonstruieren, der dem Hoffnungsbegriff noch eine neue Seite eintragen wird. Dies ist der Abschluss des vierten Kapitels (5.2.2). Das letzte Analysekapitel (Kapitel 6) widmet sich dann ausführlich der Erkenntnis, die mit dieser Hoffnung bei Moltmann zusammenhängen muss und aus ihr entsteht. Es wird hier zunächst einmal festzustellen sein, dass theologisch ein Umweg gegangen werden muss, da, wie Moltmann es formuliert, »die noetische 40 Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 13 in Anlehnung an Kierkegaard: Krankheit zum Tode, S. 35ff.

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Ordnung […] immer die Umkehrung der ontischen Ordnung der Dinge ist«41 . Das heißt nichts geringeres, als dass, statt direkt bei der Erkenntnis der Hoffnung und der Hoffnung als transzendentaler Bedingung von Erkenntnis einzusetzen, beim kommenden Reich Gottes selbst einzusetzen ist (6.1). Dafür werden einzelne Grundentscheidungen von Moltmanns inhaltlicher Eschatologie (6.1.1) nachvollzogen. Anschließend wird analysiert und diskutiert, inwiefern Moltmanns Modifikation des credo, ut intelligam in ein »spero, ut intelligam«42 gerechtfertigt ist (6.2). Ein kurzer, holzschnittartiger Ausblick auf die daraus resultierende Ethik der Theologie der Hoffnung (6.3) kann nicht ausbleiben, soll aber tatsächlich eher der Ausblick sein, der zum letzten Teil überleiten wird. Dieser beinhaltet die beiden Abschlusskapitel, in denen der Versuch stattfindet, mit Moltmann und Adorno über ihre Gedanken hinauszugehen. Die verschiedenen Aspekte, die für eine Hoffnung benötigt werden, die tatsächlich transzendentale Bedeutung hat, sind in diesen beiden Kapiteln dauerpräsent. Deshalb wird das erste dieser beiden abschließenden Kapitel (7) sich auch besonders mit dem Phänomen der Präsenz auseinandersetzen müssen und zwar unter dem Aspekt der Präsenz des Zukünftigen. Aus der Analyse Moltmanns und Adornos in ihren jeweiligen Hoffnungsbegriffen soll hier eine Umkehrung der Zeitlogik vorgestellt werden (7.1), die zwei Themenschwerpunkte umfasst, nämlich einerseits die interne Dialektik von Zukunft (7.1.1) und andererseits ihr Bezug zu Präsenz und Präsens (7.1.2). Das achte und letzte Kapitel nimmt diese beiden Themengebiete in umgekehrter Reihenfolge auf und versucht herauszuarbeiten, inwiefern Hoffnung transzendental ist in Bezug auf eine neue Erfahrung der Wirklichkeit.

1.2 Zur Auswahl und Darstellung von Adorno und Moltmann Aus den bisher genannten Gründen sollte zumindest grundsätzlich ersichtlich geworden sein, weshalb gerade Moltmann und Adorno in einem Gespräch über Hoffnung besonders fruchtbar gemacht werden können und nicht nur der theologische Diskurs mit Bloch zu suchen ist, wie Moltmann selbst es schon tat.43 Die innertheologische Debatte um die Theologie der Hoffnung blieb keineswegs aus und noch Jahre später bleibt sie ein vielzitiertes Werk, das in seiner internationalen Wirkung ihresgleichen sucht. Das enthebt aber nicht von der Frage, was nach 50 Jahren noch an diesem Werk geblieben ist, das auch heute produktiv gelesen werden sollte; so wie auch beim Umgang der Schriften Adornos nicht im 41 Moltmann: Kommen Gottes, S. 16. 42 Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 28. 43 Vgl. den später zugefügten Anhang Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 313–334; ebenso auch die zahlreichen Aufnahmen und Erwähnung Blochs in seinem gesamten Werk, wie beispielsweise Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 12.70.222.241; Ders.: Der Gekreuzigte Gott, S. 10.32.91.162.287; Ders.: Kirche in der Kraft des Geistes, S. 30.39.92.109.160; Ders.: Kommen Gottes, S. 12.41.48.54.80.246.361 und noch sehr viel öfter.

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zeitlichen Kontext bis 1969 stehen geblieben werden kann, sondern immer auch der kritische Ertrag für die veränderte zeitgeschichtliche Situation in die Analyse einbezogen werden muss. Dass Adorno und Moltmann hier die Gewährsmänner sind, liegt am hohen Niveau ihrer theoretischen Ausarbeitungen zur Hoffnung. Die wenigen Versuche, die sich nun schon einmal theologisch in einen Diskurs mit Adornos Schriften und Denken begeben haben,44 sind allesamt Arbeiten, die genau diesen kritischen Bezug verschiedener zeit- aber auch forschungsgeschichtlicher Dimensionen herzustellen versuchen mit dem Ziel, das kritisch negative Denken Adornos für die Theologie dergestalt fruchtbar zu machen, dass einem einseitigen Optimismus entgegengewirkt werden kann und stattdessen eine Sprachform entwickelt wird, die es ermöglicht, auch unter den Umständen zunehmender Pluralismen und der Herrschaft global kapitalistischer Marktlogik noch von Glück, Versöhnung, Hoffnung zu reden. Oft fällt dabei allerdings auf, dass aus der theologischen Sicht heraus Adorno in einer Weise gelesen und interpretiert wird, die nicht eben falsch ist und vieles Richtiges, Gutes und Wichtiges artikuliert, allerdings einerseits eienr Vereinnahmungstendenz sich nicht erwehren kann und andererseits dem Anspruch Adornos gegenüber seiner eigenen Philosophie nicht hinreichend gerecht wird.45 Dazu kommt, dass bis heute große Unklarheit darüber herrscht, wie Adorno selbst nun Religion gegenüberstand, da zwar deutlich ist, dass er über theologische Debatten gerade am Anfang des 20. Jahrhunderts informiert und einschlägig mit sowohl Personen als auch Werken vertraut war,46 im Jargon der Eigentlichkeit 47 Kierkegaards Christologie gegen eine von ihm so verstandene Fehlinterpretation Bubers verteidigte,48 aber gleichzeitig, wie Brumlik es nennt, eine »skeptische bis spöttische Haltung«49 an den Tag legte, wenn es um (Offenbarungs-)Religion ging.

44 Vgl. etwa Bindseil: Ja zum Glück; Brändle: Rettung des Hoffnungslosen; Eberlein-Braun: Erkenntnis und Interpretation; Thaidigsmann: Blick der Erlösung; Ders.: Von der Gerechtigkeit der Wahrheit. 45 Dem Autor ist sehr wohl bewusst, dass auch er sich der Gefahr dieses Vorwurfs aussetzt. Insgesamt ist ein großes Problem der Adorno-Forschung, mit heutigen Maßstäben und Erkenntnissen an Adorno heranzugehen und dabei zu zeigen, dass seine Prognosen nicht eingetroffen sind (vgl. exemplarisch Meyer: Apokalypse ohne Ende). Stattdessen müsste doch andersherum begonnen werden und untersucht, inwiefern grundlegende Gedanken Adornos auch heute denkbar wären bzw. sind. Es würde auch verhindern, wie u. a. Meyer nur ad hominem zu argumentieren und die Diskussion damit einseitig zu einem Ende zu bringen. 46 Vgl. Brumlik: Theologie und Messianismus, S. 300. 47 Theodor W. Adorno: Negative Dialektik. Jargon der Eigentlichkeit, hrsg. v. Rolf Tiedemann unter Mitwirkung von Gretel Adorno, Susan Buck-Morss und Klaus Schultz (Gesammelte Schriften 6), Frankfurt am Main 2003, S. 413–526 (in diesem und allen folgenden Kapiteln: GS 6). 48 Vgl. Ders.: GS 6, S. 423. Genauer erklärt wird dies bei Brumlik: Theologie und Messianismus, S. 299. 49 Ders.: Theologie und Messianismus, S. 299.

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Moltmann veröffentlichte die Theologie der Hoffnung 1964 einerseits als Antwort auf die vorausgegangen langjährigen, »internen Diskussionen zwischen den Herausgebern der Zeitschrift EVANGELISCHE THEOLOGIE«, in denen es um die Stellung der Geschichte in »einer biblisch begründeten systematischen Theologie« ging und »um die Überwindung des allgemeinen Existentialismus der Nachkriegszeit, um Zukunftsperspektiven für eine gerechtere, friedlichere und menschlichere Welt zu gewinnen.«50 Und andererseits ging es Moltmann auch um eine »Zukunftsorientierte Theologie«, in der »die alttestamentliche Theologie der Verheißungen, die neutestamentliche Eschatologie der Parusie Christi, die holländische Theologie des Apostolats und eine revolutionäre Ethik«51 alle aufgenommen werden konnten, ohne dass es in eine existentialistische oder präsentische oder transzendent-überhöhte Theologie münden würde. Moltmann spricht in eine Zeit, in der verschiedenste theologische Strömungen en vogue waren, zwischen denen aber teils gravierende Differenzen klafften. Zwischen der, vor allem in den USA verbreiteten, Gott-ist-tot-Theologie über Bultmanns an Heidegger sich orientierender, existentialistisch geprägter Theologie, der dialektischen Theologie in der Nachfolge Karl Barths und ihren vielen Kritikern – beispielsweise der junge Pannenberg mit einem geschichtstheologischen Programm – spannte sich ein weites Feld, von dem hier nur prominente Eckpunkte aufgezählt werden können; es gibt derer noch deutlich mehr.52 Ihnen allen ist in gewisser Form eines gemeinsam, so Moltmanns Darstellung, nämlich dass sie den zentralen Inhalt der christlichen Hoffnung, die Erwartung des Reiches Gottes, der Auferstehung der Toten, der Erlösung und all die anderen Topoi, die noch zu diesem Themengebiet zählen, unter dem Namen »Eschatologie« ans Ende stellten und »diese Ereignisse auf den ›jüngsten Tag‹ vertagte[n]«53 . Es geht Moltmann konsequent um die Auseinandersetzung mit einer Theologie, der er zwar hoch anrechnet, die Eschatologie überhaupt erst wiederentdeckt, allerdings gleichzeitig »ihre Unwirksamkeit« postuliert zu haben.54 Wo Albrecht Ritschl noch die Idee vertrat, das Reich Gottes verwirkliche sich innerweltlich durch Sittlichkeit,55 kam die Religionsgeschichtliche Schule zu der Auffassung, das Reich Gottes sei überweltlich und habe deshalb nichts mit dieser Wirklichkeit zu tun,56 was von Schweitzer weiterentwickelt wurde zu einem Postulat, dass jetzt sittlich 50 Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. I. Die Seiten des Vorworts von 1997 sind nicht nummeriert. Der Einfachheit halber führe ich deshalb hier die Paginierung I–V ein, um eine leichtere Nachvollziehbarkeit zu gewährleisten. 51 Ders.: Theologie der Hoffnung, S. II. 52 Vgl. für eine knappe weitere Darstellung Jong: Theologie der Hoffnung, besonders S. 20–32. 53 Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 11. 54 Vgl. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 31–35. 55 Vgl. Ritschl: Die christliche Lehre von der Rechtfertigung und der Versöhnung III, S. 594. 56 Vgl. Weiß: Die Predigt vom Reiche Gottes, besonders S. 85, wo er schreibt, dass auch Jesus das Reich Gottes nicht aus eigener Kraft herbeiführen kann, auch S. 145, auf der er Jesu die Doppelrolle beipflichtet, sowohl in dieser als auch der nächsten Welt mit je einem Fuß zu stehen. Ebenso die

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gehandelt werden müsse und könne für ein zukünftiges Reich.57 Allerdings, so sieht Moltmann, standen alle diese Ansätze in einem besonderen Verhältnis zur Eschatologie: Sie erklärten sie anhand »von zweitausend Jahren ausgebliebener Parusie«58 für unmöglich. Dagegen möchte Moltmann nun eine Theologie formulieren, die »ganz und gar nicht nur im Anhang Eschatologie« ist, sondern damit ernst macht, dass Eschatologie »schlechterdings das Medium des christlichen Glaubens, der Ton, auf den in ihm alles gestimmt ist, die Farbe der Morgenröte eines erwarteten neuen Tages, in die hier alles getaucht ist.«59 Eschatologie wird also nicht nur in der Mitte der theologischen Diskussion stehen können, sondern wird noch grundlegender als Basis und Bedingung christlicher Theologie verstanden werden müssen. Er rechtfertigt diese basale Funktion mit einer Fokussierung auf den gekreuzigten und auferweckten Jesus Christus, dessen Zukunft der konkrete Inhalt der Eschatologie ist,60 womit Eschatologie selbst zur Grundfunktion des Glaubens erhoben wird. Wenn aber die Basis christlicher Theologie nur von und mit einem starken Fokus auf das Reich Gottes und sein Kommen existiert, dann fordert das eine Theologie, die stark von der Hoffnung auf dieses kommende Reich her lebt. Damit rückt mit der Eschatologie als Basis die Hoffnung als Medium ebenfalls in den Fokus. Die kurz vor bzw. kurz nach Moltmanns Theologie der Hoffnung entstandenen Werke – Krecks Die Zukunft des Gekommenen61 und Sauters Zukunft und Verheißung62 –, die sich ebenfalls an einer Neubestimmung des Verhältnisses von Eschatologie und Zukunft zur christlichen Theologie versuchten, sparten das Thema »Hoffnung« zwar nicht aus, behandelten es aber auch nicht so fokussiert wie Moltmann es in seinem Entwurf tat. Sie ließen damit theologisch eine Lücke. »Was Moltmann bietet«, so schreibt es de Jong, »ist also zunächst eine Sichtung und Zusammenfassung von bereits angeschlagenen Motiven, danach ein kräfitges Durchziehen einer schon sichtbar gewordenen Linie und schließlich vor allem eine seriöse und detaillierte biblische Rechenschaftsablage über seine Neuordnung der Theologie unter dem Gesichtspunkt der Hoffnung.«63 Damit war Moltmann sehr erfolgreich, wie Marsch bemerkt: »sechs Auflagen innerhalb von zweieinhalb Jahren, Übersetzungen ins Englische, Holländische, Italienische und Japani-

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Darstellungen zur konsequenten Eschatologie bei Sauter: Zukunft und Verheissung, S. 84–96 und Kreck: Die Zukunft des Gekommenen, S. 14–25. Schweitzer: Geschichte der Leben-Jesu-Forschung. Er setzt sich ab S. 382 ausführlich mit der konsequenten Eschatologie auseinander. Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 33. Adorno sah ebenfalls, dass die Theologie hier eine massive Leerstelle hat, die ihr in seinen Augen zum Schaden gereicht, da ihr »der Kern, die Hoffnung aufs Jenseits, kaum je so wichtig war, wie ihr Begriff es forderte.« (Adorno: GS 6, S. 390). Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 12. Vgl. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 13 u. ö. Kreck: Die Zukunft des Gekommenen. Sauter: Zukunft und Verheissung. Jong: Theologie der Hoffnung, S. 32.

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sche.«64 Mittlerweile ist das Buch über zehn mal aufgelegt worden, zuletzt 2016 in einer Sonderausgabe,65 in 15 Sprachen übersetzt, und erfreut sich nach wie vor großer Beliebtheit, vor allem in der Befreiungstheologie, aber auch insgesamt im amerikanischen und ostasiatischen Kontext. Allerdings verschwand das Thema der Hoffnung auch schnell wieder aus dem akademischen Diskurs und führte somit wieder ein ›Schattendasein‹, insofern sie zwar in zahlreichen Dissertationen über Moltmanns Œuvre noch behandelt wird, aber nicht mehr im Vordergrund der theologischen Diskussion steht. Dem steht die in dieser Arbeit entwickelte Überzeugung entgegen, dass die auf die Verheißungen Gottes gegründete Hoffnung Bedingung der Möglichkeit der Erkenntnis ist, die überhaupt Theologie hervorbringt und rechtfertigt. Moltmann ist deshalb insofern für die theologische Reflexion auf Hoffnung ein unverzichtbarer Gesprächspartner, weil seine Beiträge das Thema erschlossen haben und er bis in die letzten Veröffentlichungen hinein niemals an diesem Faktum vorbeigesehen hat, dass Hoffnung zentral ist im christlichen Glauben. Bei aller werkimmanenter Kontinuität sind dabei dennoch zwei Stadien zu unterscheiden, nämlich »die frühe Trilogie und die reife ›Dogmatik‹.«66 Die frühe Trilogie67 setzt sich dabei besonders mit strukturellen Fragen zu Eschatologie, Christologie und Pneumato- bzw. Ekklesiologie auseinander und entwirft eine Theologie der Hoffnung, in der das Hoffnungsmotiv selbst im Mittelpunkt steht und von verschiedenen Seiten beleuchtet wird. Die ›reife Dogmatik‹, wie Thomas sie nennt,68 ist die darauf folgende inhaltliche Füllung des von ihm auf der Hoffnung gründenden Systems. Die Strukturen, die in der frühen Trilogie untersucht und aufgestellt wurden, werden nun inhaltlich geprüft und auf ihre Konsequenzen hin untersucht und entworfen.69 Da sich diese Arbeit vornehmlich um die strukturellen Analysen des Hoffnungsbegriffs bemüht, werden vor allem die drei frühen Werke, und von diesen mit besonderer Intensität die Theologie der Hoffnung und Der Gekreuzigte Gott, im Fokus der Analyse stehen. Wo es der Verständlichkeit halber geboten ist oder sich eine neue und wichtige Perspektive ergibt, wer64 Marsch: Wohin, S. 7. 65 Sie ist auch die zitierte Auflage, die dieser Arbeit zugrunde liegt. 66 Thomas: Neue Schöpfung, S. 316. Für einen Überblick über die denkerische und inhaltliche Entwicklung sowie ihre biographischen Ursprünge siehe Falcke: Phantasie für das Reich Gottes. 67 Bestehend aus Moltmann: Theologie der Hoffnung, Ders.: Der Gekreuzigte Gott und Ders.: Kirche in der Kraft des Geistes. 68 Sie besteht aus den fünf Beiträgen zur Systematischen Theologie Ders.: Trinität und Reich Gottes, Ders.: Gott in der Schöpfung, Ders.: Weg Jesu Christi, Ders.: Geist des Lebens und Ders.: Kommen Gottes. Dazu kommen noch die, von Moltmann selbst so genannten, »Epilegomena«: Ders.: Erfahrungen theologischen Denkens. 69 Das heißt natürlich nicht, dass die ersten drei Werke inhaltsleer seien, jedoch offenbaren sie deutliche inhaltliche Lücken, die erst in den späteren Werken gefüllt wurden. Wie Thomas allerdings zurecht bemerkt, gilt dies unter der Einschränkung, dass »keine Neufassung der Ekklesiologie« (Thomas: Neue Schöpfung, S. 317) vorgenommen wurde und eine eigenständige, ausgeführte Hamartiologie gänzlich fehlt – hier bleiben Lücken bestehen.

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den allerdings auch die späteren Texte mit einbezogen werden, zusätzlich zu einer Auswahl der zahlreichen Aufsätze, die Moltmann im Laufe seines akademischen Schaffens schrieb. Ganz anders verhält es sich dagegen mit Adorno. Sein Werk ließe sich vielleicht sogar zeitlich unterteilen in frühe Schriften, frühe Nachkriegsschriften und späte Hauptwerke, allerdings würde man damit dem Ansatz und dem Anspruch Adornos absolut nicht gerecht werden. »In einem philosophischen Text sollten alle Sätze gleich nahe zum Mittelpunkt stehen«70 , ist einer der Sätze, die am Häufigsten zur Sprache kommen, wenn es um die Form und die Struktur von Adornos Werk geht. Dieser Satz sagt nicht mehr und nicht weniger aus, als dass jedes Wort in jedem Satz und jeder Satz in jedem von Adornos Texten gleich wichtig und gleich unwichtig ist, wenn es darum geht, das Zentrum möglichst umfassend zu beleuchten, unter dem Vorbehalt, dass es selbst damit nicht ausgesprochen werden muss, nicht kann und nicht darf. Daraus können und müssen verschiedene Konsequenzen gezogen werden. Zum einen, »daß sein Denken, […] aus methodischen wie inhaltlichen Gründen, die für Adorno ineinander übergehen, jeder Tendenz zur Systembildung widerstehen will«71 , wie Schoberth es so treffend beschreibt. Ein Text, in dem jeder Satz gleich nah zum Zentrum ist, kann und muss damit zwar in sich geschlossen sein in Bezug auf dieses Zentrum, allerdings kann es hier nicht die Geschlossenheit eines Systems oder einer Systematik geben, da deren starre Strukturen das dynamische Textgefüge in seiner Anordnung um das Zentrum herum zerstören würde.72 Vielmehr, auch das betont Schoberth richtig und klar, muss »[e]ine ihrem Gegenstand angemessene Beschäftigung mit der […] Theorie Adornos […] sich darum an dem konstellativen Verfahren orientieren, das Adornos eigene Schriften kennzeichnet.«73 Dieses konstellative Verfahren äußert sich in Adornos Schriften durch einen essayistischen Stil, der »Systematik durch seine Anlage negiert und sich selbst um so besser genügt, je strenger er es damit hält.«74 Adorno meint damit, dass es hier keine »lückenlose Ordnung der Begriffe« geben kann, denn die Begriffe sind »nicht eins […] mit dem Seienden«75 , sondern fluide und kontextsensibel. Wenn Adorno also essayistisch verfährt, dann möchte er damit erreichen, dass nicht von vorneherein klare Definitionen den Text beherrschen, 70 Theodor W. Adorno: Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben, hrsg. v. Rolf Tiedemann unter Mitwirkung von Gretel Adorno, Susan Buck-Morss und Klaus Schultz, 8. Aufl. (Gesammelte Schriften 4), Frankfurt am Main 2012, S. 79 (in diesem und allen folgenden Kapiteln: GS 4). 71 Schoberth: Jenseits der Kunst, S. 13. 72 Vgl. dazu den Abschnitt 2.1.1.1 dieser Arbeit. 73 Schoberth: Jenseits der Kunst, S. 13. 74 Theodor W. Adorno: Noten zur Literatur, hrsg. v. Rolf Tiedemann unter Mitwirkung von Gretel Adorno, Susan Buck-Morss und Klaus Schultz, 5. Aufl. (Gesammelte Schriften 11), Frankfurt am Main 2015, S. 26 (in diesem und allen folgenden Kapiteln: GS 11). 75 Ders.: GS 11, S. 17.

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sondern jeder Begriff in jedem Text genau das aussagt, was er in seiner Stellung zum Zentrum bedeutet. »Damit tritt an die Stelle der linearen Gedankenführung eine prinzipiell unabschließbare kreisende Denkbewegung.«76 Adorno wurde schon zu Beginn seiner Schaffensphase eine »Ästhetisierung der Philosophie« vorgeworfen und eine Flucht in eine »pseudokünstlerisch hermetische Schreibweise«77 , die keine Argumente, sondern nur Behauptungen ausgebe. Ein Vorwurf, dem er entschieden entgegentrat und mit seiner Form der Philosophie fortfuhr, wie Sonderegger schreibt,78 die gerade deshalb essayistisch sein muss, weil sie nicht ihre Begriffe im deduktiven Stil etablierter Philosophie verschwinden sehen will, sondern gerade erst durch die essayistischer Schreibweise zu entwickeln trachtet. Denn, so rechtfertigt Adorno, ein Essay sagt genau das, was er sagen will, nicht mehr und nicht weniger: »Er fängt nicht mit Adam und Eva an sondern mit dem, worüber er reden will; er sagt, was ihm daran aufgeht, bricht ab, wo er selber am Ende sich fühlt und nicht dort, wo kein Rest mehr bliebe«79 . Damit wird diese Form Philosophie zu treiben zu einer Sonderform, die sich all ihrer Inhalte insoweit bewusst ist, wie sie sie sich selbst zu erschließen vermag, »zusammen[denkt], was sich zusammenfindet in dem frei gewählten Gegenstand«80 und nicht »durch festsetzende Manipulationen der Begriffsbedeutungen das Irritierende und Gefährliche der Sachen«81 aus dem Weg schafft, um zu einem Ergebnis zu kommen, das von vorneherein intendiert war. Denn, so Adorno weiter, diese im Essay und also auch von ihm so benutzten, entworfenen und immer unter Vorbehalt nur mit Wirklichkeitsdeckung versehenen Begriffe »empfangen ihr Licht von einem [ihnen] selbst verborgenen terminus ad quem, nicht von einem offenbaren terminus a quo«82 . Sie sprechen nicht aus und von einem Bekannten, sondern ihr Inhalt ist ihnen zunächst einmal fremd und erst von ihm her, von dem, was sie selbst nicht ausdrücken können, werden sie verständlich. Dazu kommt ein weiterer Aspekt, der für Adornos Denken zentral ist: Utopie. Indem die Begriffe des essayistischen Stils eben nicht vordefinierten Mustern folgen, sondern sich »im Prozeß geistiger Erfahrung«83 in ihrer Bewegung um das Zentrum herum entwickeln, sich in Konstellationen zusammenschließen, um neue Sinnzusammenhänge zu beleuchten, weisen sie über das hinaus, was mit ihnen begriffen werden kann und soll. Denn, die von Adorno als »Versagung im 76 Schoberth: Jenseits der Kunst, S. 13f. 77 Sonderegger: Essay und System, S. 427. 78 Vgl. Dies.: Essay und System, S. 427. Sie verweist auf Theodor W. Adorno: Philosophische Frühschriften, hrsg. v. Rolf Tiedemann unter Mitwirkung von Gretel Adorno, Susan Buck-Morss und Klaus Schultz (Gesammelte Schriften 1), Frankfurt am Main 2003, S. 343 (in diesem und allen folgenden Kapiteln: GS 1). 79 Ders.: GS 11, S. 10. 80 Ders.: GS 11, S. 19. 81 Ders.: GS 11, S. 20. 82 Ders.: GS 11, S. 21. 83 Ders.: GS 11, S. 21.

Zur Auswahl und Darstellung von Moltmann und Adorno

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Denken«84 beschriebene Art, Begriffe nach starren Definitionen zu ordnen, umschreibt Schiller als »Vorrang der Methode vor den Gegenständen«85 , was die von Adorno kritisierte Form der Begrifflichkeit von einem en terminus a quo her wäre. Es würde heißen, dass Dinge nur das darstellen, was der Begriff von ihnen ausdrücken kann und nicht mehr. Doch, wie Adorno benennt, sind gesetzte Grenzen immer schon überwundene Grenzen,86 was in diesem speziellen Fall heißt: Die gesetzte Begrenzung des Dings durch den Begriff ist schon durch die Begrenzung selbst überholt. Es muss ein Mehr geben als das, was begrifflich zu fassen ist. Und dieses Mehr ist das Zentrum, um das sich Adornos essayistischer Stil dreht, das, worauf sich alle Konstellationen beziehen, das, was kein Begriff und keine Konstellation positiv ausdrücken können. Es ist Utopie, es ist ein Nicht-Ort. Warum ist aber deshalb diese Arbeit berechtigt, gerade von Adorno seine Stimme als eine der beiden Grundlagen zu leihen? Warum nicht Ernst Bloch, der mit seinem Prinzip Hoffnung vermeintlich deutlich größerer Nähe zur christlichen, besonders zur protestantischen Theologie steht, die in Moltmanns Theologie der Hoffnung Ausdruck gefunden hat?87 Immerhin, so weist Wesche hin, »besetzte Ernst Bloch das Thema des Hoffens mit einer Wucht«, dass man nicht zwangsläufig auf Adorno kommen könnte, was Hoffnung betrifft, auch wenn »nahezu die Hälfte der Texte von Adorno mit Überlegungen zur Hoffnung schließen.«88 Wie zu sehen sein wird (Vgl. Kapitel 2), ist für Adorno die Welt, besonders nach dem Ende des zweiten Weltkrieges, in vollkommener Hoffnungslosigkeit gefangen. Diese drückt sich schon darin aus, dass Kunst nach Auschwitz von Adorno mit dem Attribut »barbarisch« versehen wird,89 dass die Gesellschaft als im Bann eines »universalen Verblendungszusammenhangs«90 beschrieben ist und »Philosophie, wie sie im Angesicht der Verzweiflung einzig noch zu verantworten ist«,

84 85 86 87

Ders.: GS 11, S. 557. Schiller: Tod und Utopie, S. 25. Vgl. Adorno: GS 11, S. 241. Liedke wies darauf hin, dass »[d]ie theologische Rezeption der Philosophie Theodor W. Adornos […] als zarte Pflanze« anzusehen sei, die »keine so breite theologische Wirkungsgeschichte entfaltet hat« wie etwa Blochs Prinzip Hoffnung (Liedke: Negative Dialektik und Theologie, S. 253). Sein Beitrag widmet sich einem Überblick über »die inhaltlichen Schwerpunkte des verzweigten Diskurses über und mit Adornos Philosophie« (Ders.: Negative Dialektik und Theologie, S. 253). Er identifiziert die Themenfelder Erlösung und Emanzipation, leeres Glücksversprechen, inverse Theologie und negative Metaphysik, Praktische Theologie und Kritische Theorie, eine kritische Theologie der Moderne, sowie Negative Dialektik und Theologie. 88 Wesche: Moral und Glück, S. 63. 89 Theodor W. Adorno: Kulturkritik und Gesellschaft I. Prismen. Ohne Leitbild, hrsg. v. Rolf Tiedemann unter Mitwirkung von Gretel Adorno, Susan Buck-Morss und Klaus Schultz, 5. Aufl. (Gesammelte Schriften 10.1), Frankfurt am Main 2015, S. 30 (in diesem und allen folgenden Kapiteln: GS 10.1). 90 Ders.: GS 6, S. 397.

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Einleitung

bezeichnet wird als »der Versuch, alle Dinge so zu betrachten, wie sie vom Standpunkt der Erlösung aus sich darstellten.«91 Doch gerade in dieser Hoffnungslosigkeit schimmert bei Adorno immer das Fünkchen durch, das er im Schlussaphorismus der Minima Moralia mit »Erlösung« benennt,92 das Zentrum eben dieses Denkens, das sich kreisend um eine Utopie, nämlich die Erlösung und deren Wahrheit, herum entwickelt. Dabei nimmt besonders die Hoffnung erkenntnistheoretisch eine zentrale Position ein, wie Adorno schreibt: »Am Ende ist Hoffnung, wie sie der Wirklichkeit sich entringt, indem sie diese negiert, die einzige Gestalt in der Wahrheit erscheint. Ohne Hoffnung wäre die Idee der Wahrheit kaum nur zu denken«93 . Nur eben, und das wird der Hauptinhalt des zweiten Kapitels sein, in mindestens einfach, eher mehrfach gebrochener Form. Dabei muss sich notwendig in die Theorie des Ästhetischen bei Adorno begeben werden, denn: »Wer die Frage nach dem Grund der Hoffnung bei Adorno zu beantworten sucht, muss sich seiner Ästhetik zuwenden.«94 Aufgrund der strukturellen Besonderheiten von Adornos Anspruch an Philosophie und seinem essayistisch-aphoristischen Stil, kann deshalb eine Trennung von Hauptwerken und eher nebensächlichen Texten nicht stattfinden. Jeder Beitrag Adornos bewegt sich gleich weit weg vom Zentrum seiner Philosophie und jeder steht in gleicher Nähe. Daher sind alle Texte Adornos, an denen das Forschungsthema der Hoffnung sich konstellativ zu entfalten lohnt, Grundlage dieser Analyse und Interpretation. Auch darum kann diese Arbeit nur ein Anfang sein, der in die Bewegung hineinnehmen will, die Hoffnung trägt. Es ist deshalb nicht der Anspruch dieses Textes, an irgendeinem Punkt der Analyse und Interpretation Adornos wie auch Moltmanns Vollständigkeit – geschweige denn einen alleinigen Anspruch auf die Wahrheit dieser Analysen – zu behaupten, sondern Denkanstöße aufzunehmen, zu reflektieren und neue zu geben, die in jeder Weise ergänzungbedürftig sind und sich dem kritischen Diskurs stellen müssen.

91 92 93 94

Adorno: GS 4, S. 283. Vgl. Ders.: GS 4, S. 283. Ders.: GS 4, S. 110. Wesche: Moral und Glück, S. 69.

2 »Reflexionen aus dem beschädigten Leben«. Dimensionen der Hoffnungslosigkeit

1951 wurde Adornos Buch Minima Moralia publiziert. Es handelt sich dabei um eine Aphorismensammlung, die er seinem Freund Max Horkheimer zueignet und deren Inhalt eine vielschichtige und differenzierte Darstellung dessen ist, was Adorno »[d]ie traurige Wissenschaft«1 nennt. Diese Aussage »bezieht sich auf einen Bereich, der für undenkliche Zeiten als der eigentliche der Philosophie galt […]: die Lehre vom richtigen Leben.«2 Die Philosophie als die ›Lehre vom richtigen Leben zu bezeichnen‹ ist keine Neuigkeit, allerdings markiert Adorno durch deren Titulierung als einer ›traurigen Wissenschaft‹ auch, dass es hier ein Problem gibt: Die Philosophie erfüllt diese Rolle nicht mehr. Denn die Minima Moralia drücken in ihrem Untertitel aus, »Reflexionen aus dem beschädigten Leben«3 zu sein. Damit macht Adorno schon in Titel und Vorwort deutlich, wie er den Stand der Philosophie seinerzeit wahrnimmt: Denkbar schlecht. Sie ist nicht mehr die ›Lehre vom richtigen Leben‹, sondern eine ›traurige Wissenschaft‹, deren Bereich sich dergestalt liquidiert hat, dass das Leben »zur ephemeren Erscheinung« von Produktion degradiert wurde.4 Was als Leben wahrgenommen wird, ist ein »Zerrbild«, und »[w]er die Wahrheit übers unmittelbare Leben erfahren will, muß dessen entfremdeter Gestalt nachforschen, den objektiven Mächten, die die individuelle Existenz bis ins Verborgenste bestimmen.«5 Ein düsterer Auftakt für ein Buch, das einem Freund gewidmet ist. Ein Auftakt, der von einer existentiellen Hoffnungslosigkeit zeugt. Dafür gibt es allerdings gute Gründe. Die Aphorismen Adornos sind nach dessen eigener Aussage aus »subjektiver Erfahrung«6 entstanden. Sie entstammen der Zeit des Exils, zunächst in Großbritannien, dann in den USA, in der Adorno »die reale Fremdheitserfahrung des Exils« erlebte und sich so »als marginalisierter Intellektueller im sozialen Schwebezustand innerhalb der Gesellschaft« 1 2 3 4 5 6

Adorno: GS 4, S. 13. Ders.: GS 4, S. 13. Vgl. den Untertitel von Ders.: GS 4, Hervorhebung von mir. Ders.: GS 4, S. 13. Ders.: GS 4, S. 13. Ders.: GS 4, S. 17.

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»Reflexionen aus dem beschädigten Leben«. Dimensionen der Hoffnungslosigkeit

erfuhr, der gleichzeitig in ihr wie auch außer ihr stand.7 Sie entstammen der Zeit und der Welt, in der Antisemitismus, Rechtsnationalismus, das Dritte Reich und (für Adorno wohl der bedeutendste, weil grausamste dieser Faktoren) Auschwitz nicht nur eine Erinnerung oder ein Faktum aus dem Geschichtsunterricht, sondern erlebte Wirklichkeit waren. Angesichts dieser Ausgangssituation ergibt es durchaus Sinn, dass Adorno seine Minima Moralia mit »Reflexionen aus dem beschädigten Leben« untertitelt, denn ein Leben, vor allem ein richtiges Leben, war schwer vorstellbar. Aus der bisher zitierten Zueignung des Buches und auch aus vielen Aphorismen lässt sich allerdings noch mindestens ein weiterer Beweggrund für diese Annahme des beschädigten Lebens finden. Dieser wird besonders in dem zeitgleich mit Max Horkheimer verfassten Fragmenten-Werk Dialektik der Aufklärung 8 thematisiert und umfasst die Gedanken zur Kulturindustrie und der damit zusammenhängenden Kritik der Produktionsverhältnisse. »[D]as Verhältnis von Leben und Produktion, das jenes real herabsetzt zur ephemeren Erscheinung von dieser, ist vollendet widersinnig«9 , schreibt Adorno und zeigt damit auf, in welchem Zusammenhang seiner Interpretation nach Leben und Industrie zueinander stehen: Das Leben geht nach und nach in Produktion auf, bis es sich völlig auflöst. »Wird einmal der Schein des Lebens ganz getilgt sein, den die Konsumsphäre selbst mit so schlechten Gründen verteidigt, so wird das Unwesen der absoluten Produktion triumphieren.«10 Die Formulierung legt nahe, dass Adorno hier nicht besonders hoffnungsvoll in die Zukunft blickt, sondern eher den Untergang erwartet; dementsprechend wurde dieser Abschnitt »Dimensionen der Hoffnungslosigkeit« betitelt. Auf den folgenden Seiten soll das ›Setting‹ erläutert werden, in das hinein Adorno seine von der Methode der negativen Dialektik geprägte Theorie bettet, die ausführlich im zweiten Kapitel behandelt werden wird. Die verschiedenen Dimensionen der Hoffnungslosigkeit, die hierbei exemplarisch identifiziert und dargestellt werden, umfassen Adornos Analyse von Gesellschaft und Individuum einerseits und seine Theorie des Verblendungszusammenhangs andererseits, hier besonders die Momente der Kulturindustrie und der Dialektik der Aufklärung. Dabei geht es nicht um eine umfassende Darstellung dieser einzelnen Bezugsrahmen, sonMüller-Doohm: Versuch eines Portraits, S. 3. Theodor W. Adorno: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente, hrsg. v. Rolf Tiedemann unter Mitwirkung von Gretel Adorno, Susan Buck-Morss und Klaus Schultz (Gesammelte Schriften 3), Frankfurt am Main 1981 (in diesem und allen folgenden Kapiteln: GS 3). Die Co-Autorenschaft von Horkheimer und Adorno ist selbstverständlich bekannt. Dennoch wird das Werk hier als Monographie Adornos geführt. Die Passagen, die eindeutig aus Horkheimers Feder stammen – z. B. der Exkurs II: Juliette oder Aufklärung und Moral (Ders.: GS 3, S. 100–140) –, werden deshalb in dieser Arbeit ausgeklammert. 9 Ders.: GS 4, S. 13. 10 Ders.: GS 4, S. 14.

7 8

Adornos Gesellschaftskritik

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dern um die Untersuchung, inwiefern sie seinen Hoffnungsbegriff infragestellen oder unterstützen. Mit Adornos Gesellschaftskritik wird begonnen, allerdings erst nach einigen kurzen Vorbemerkungen. Die diesem Kapitel zugrundeliegende Interpretation Adornos basiert vornehmlich auf einem zentralen und sehr breit rezipierten Aphorismus Adornos, nämlich dem allerletzten, dem mit »Zum Ende« überschriebenen Schlussaphorismus der Minima Moralia. Die Aphorismen, die größtenteils zwischen 1944 und 1947 entstanden, reflektieren – schon allein wegen ihrer zeitlichen Einordnung – durchweg auf ein Leben, das sich in die Situation des Umgangs mit dem, wie es auch damals schien, absoluten Übel gesetzt sieht. Die Minima Moralia sind dabei in drei Teile geteilt und deren jeweilige Schlussaphorismen nehmen hier eine besondere Stellung ein. Sie »wollen Einsatzstellen markieren oder Modelle abgeben für kommende Anstrengung des Begriffs«11 , schreibt Adorno hierzu. Besagter Aphorismus, auf den sich diese Arbeit im Besonderen bezieht, ist selbst solch ein Schlussaphorismus, nämlich der des dritten Teils und damit auch der letzte Aphorismus des gesamten Buches. Er ist mit »Zum Ende« überschrieben und markiert das Modell zur Anstrengung des Begriffs der Erlösung, um im Adornoschen Sprachduktus zu bleiben. Der Aphorismus lautet in Auszügen: »Zum Ende. – Philosophie, wie sie im Angesicht der Verzweiflung einzig noch zu verantworten ist, wäre der Versuch, alle Dinge so zu betrachten, wie sie vom Standpunkt der Erlösung aus sich darstellten. Erkenntnis hat kein Licht, als das von der Erlösung her auf die Welt scheint: alles andere erschöpft sich in der Nachkonstruktion und bleibt ein Stück Technik. Perspektiven müßten hergestellt werden, in denen die Welt ähnlich sich versetzt, verfremdet, ihre Risse und Schründe offenbart, wie sie einmal als bedürftig und entstellt im Messianischen Lichte daliegen wird. […] Es ist das Allereinfachste, weil der Zustand unabweisbar nach solcher Erkenntnis ruft, ja weil die vollendete Negativität, einmal ganz ins Auge gefaßt, zur Spiegelschrift ihres Gegenteils zusammenschießt. Aber es ist auch das ganz Unmögliche, weil es einen Standort voraussetzt, der dem Bannkreis des Daseins, wäre es auch nur um ein Winziges, entrückt ist, während doch jede mögliche Erkenntnis nicht bloß dem, was ist erst abgetrotzt werden muß, um verbindlich zu geraten, sondern eben darum selber auch mit der gleichen Entstelltheit und Bedürftigkeit geschlagen ist, der sie zu entrinnen vorhat.«12

Dieses Kapitel versteht sich als Interpretation, Erklärung, Analyse und Auslegung dieses Aphorismus.

2.1 Adornos Gesellschaftskritik Im Aphorismus spricht Adorno von einer Welt mit ›Rissen und Schründen‹, von ›Nachkonstruktion‹ und ›Technik‹, und dass der gegenwärtige ›Zustand unabwei11 Ders.: GS 4, S. 17. 12 Ders.: GS 4, S. 283.

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»Reflexionen aus dem beschädigten Leben«. Dimensionen der Hoffnungslosigkeit

sebar nach solcher Erkenntnis ruft‹, in der eben die Welt als rissig und geschunden erscheint. Es ist evident und gleichzeitig ist es das auch nicht, dass bei der Frage nach der Hoffnung als Erkenntnisbedingung Gesellschaft überhaupt in den Blick gerät – begründet sei es mit einem Zitat Adornos: »Nur die gesellschaftliche Selbstbesinnung der Erkenntnis erwirkt dieser die Objektivität, die sie versäumt, solange sie den in ihr waltenden gesellschaftlichen Zwängen gehorcht, ohne sie mitzudenken. Kritik an der Gesellschaft ist Erkenntniskritik und umgekehrt.«13 Will man sich also im Sinne und in Anlehnung an Adorno Gedanken machen über die Erkenntnisbedingungen der Hoffnung, so funktioniert das nicht ohne die notwendige Reflexion auf sein gesellschafts- und kulturkritisches Denken. Denn, so schreibt Adorno an anderer Stelle: »Eine dialektische Theorie der Gesellschaft geht auf Strukturgesetze, welche die Fakten bedingen, in ihnen sich manifestieren und von ihnen modifiziert werden.«14 Es geht somit in einer Gesellschaftstheorie immer auch um das, was in der Gesellschaft erkannt werden kann (oder eben nicht). Dabei gilt zunächst einmal festzustellen, dass Gesellschaft hier »kein bloßer Funktions-, sondern vor allem ein Strukturbegriff«15 ist, wie Schweppenhäuser sagt, und immer »zweierlei voraussetzt: erstens, daß es Gesetze gibt, nach denen sie sich bewegt und verändert, und zweitens, daß diese Gesetze der erscheinenden Mannigfaltigkeit sozialer Wirklichkeiten konstitutiv zugrunde liegen«16 . Damit unterstreicht er, was Adorno von den Strukturgesetzen schrieb, die die Fakten bedingen, manifestieren und modifizieren. Anhand verschiedener gesellschaftlicher Strukturen in Adornos Theorie wird nun aufgezeigt, inwiefern die negative Beschreibung im Schlussaphorismus begründet ist und welche Voraussetzungen die Strukturen wiederum brauchen und selbst schaffen. 2.1.1 Die Gesellschaft im Bann der Verblendung

Adorno sieht in der nachaufklärerischen Gesellschaft ein grobes und großes Problem: »Ihr ist die philosophische Idee absoluter Identität darin nächstverwandt«, schreibt er, »daß sie außerhalb ihrer selbst nichts duldet. […] Während unverändert das Ganze und Eine nur vermöge der von ihm unter sich befaßten Partikularitäten sich formiert, formiert es rücksichtslos sich über sie hinweg.«17 Damit 13 Theodor W. Adorno: Kulturkritik und Gesellschaft II. Eingriffe. Stichworte, hrsg. v. Rolf Tiedemann unter Mitwirkung von Gretel Adorno, Susan Buck-Morss und Klaus Schultz, 5. Aufl. (Gesammelte Schriften 10.2), Frankfurt am Main 2015, S. 748 (in diesem und allen folgenden Kapiteln: GS 10.2). 14 Theodor W. Adorno: Soziologische Schriften I, hrsg. v. Rolf Tiedemann unter Mitwirkung von Gretel Adorno, Susan Buck-Morss und Klaus Schultz, 3. Aufl. (Gesammelte Schriften 8), Frankfurt am Main 2003, S. 356 (in diesem und allen folgenden Kapiteln: GS 8), Hervorhebungen von mir. 15 Schweppenhäuser: Adorno, S. 71. 16 Ders.: Adorno, S. 71. 17 Adorno: GS 6, S. 309.

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ist schon mitten ins Thema seiner Gesellschaftskritik vorgedrungen. Die Gesellschaft ist ein System, so die Aussage des Zitats, das nicht die Summe seiner Teile ist, sondern sich über diese ›hinweg formiert‹. Damit wird Gesellschaft als »so starr wie defekt« beschrieben und zwar insofern, als »alle qualitativen Momente plattgewalzt werden«.18 Dabei ist besonders problematisch, dass, so Adorno, »[j]e unmäßiger die Macht der institutionellen Formen [ist], desto chaotischer [ist] das Leben, das sie einzwängen und nach ihrem Bild deformieren.«19 Was bisher also ersichtlich wurde, ist, dass Gesellschaft in Adornos Beobachtung als invariable Größe beschrieben wird, die sich nicht den Gegebenheiten derer anpasst, aus denen heraus sie entsteht, sondern umgekehrt diejenigen, die Gesellschaft zunächst einmal konstituieren, nämlich Individuen, nach dem Bild der Gesellschaft deformiert werden. Der Formierungsprozess geht damit eine umgekehrte Richtung, als man es zunächst lebensweltlich wahrnehmen würde: Nicht verändern Menschen die Gesellschaft, sondern die Gesellschaft ändert Menschen. »Die Welt wie sie ist wird zur einzigen Ideologie und die Menschen deren Bestandteil.«20 Es muss allerdings versucht werden, noch etwas detaillierter zu fassen, was Adorno hier zu sagen im Blick hat. Schweppenhäuser fasst den Impuls, der bisher aufgenommen wurde, folgendermaßen zusammen: »Das Gegenbild der gelungenen Vermittlung von individuellem und allgemeinem Interesse ist bei Adorno die total vergesellschaftete Gesellschaft.«21 Damit hebt er hervor, dass im Verhältnis von Einzelperson und Kollektivperson ein bemerkenswertes, wenn nicht (wie später gezeigt werden soll) totales Ungleichgewicht besteht, das, wie bisher mit Adorno festgestellt werden konnte, darin besteht, dass es eine »dem Individuum und seinem Bewußtsein vorgeordnete Objektivität« gibt, die »außerhalb ihrer selbst nichts duldet.«22 Die Gesellschaft ist für Adorno ein für alle und um alle in ihr befangenen Teile geschlossenes System, aus dem es zunächst einmal kein Entrinnen gibt. Was ein System im Verständnis Adornos ist und welche Problematik sich aus ihm ergibt, zeigt sich im folgenden. 2.1.1.1 Exkurs: Adornos Verhältnis zum System und zum Systematischen »System also in dem nachdrücklichen, emphatischen, dem eigentlich philosophischen Sinn wäre […] die Entwicklung der Sache selbst aus einem Prinzip heraus, dynamisch, also eben als Entwicklung, als eine Bewegung, die alles in sich hineinzieht, die alles ergreift, und zugleich total ist«23 . So leitet Adorno seine Gedanken 18 19 20 21 22 23

Ders.: GS 6, S. 95. Ders.: GS 6, S. 95. Ders.: GS 6, S. 271. Schweppenhäuser: Adorno, S. 79. Adorno: GS 6, S. 309. Theodor W. Adorno: Vorlesung über Negative Dialektik. Fragmente zur Vorlesung 1965/66, hrsg. v. Rolf Tiedemann (Nachgelassene Schriften. Abteilung IV: Vorlesungen 16), Frankfurt am Main 2007, S. 58f. (in diesem und allen folgenden Kapiteln: NgS 4/16).

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über das System in der Vorlesung über Negative Dialektik ein und stellt den Leser vor einen großen Systembegriff. System ist in diesem Zusammenhang unter anderem zu verstehen als »die Erklärung, die Deutung dessen, was davon ergriffen wird.«24 System ist also ein umfassender Entwurf, der erklären möchte, was unter ihm ergriffen ist, allerdings muss dieser letzte Teil in gewisser Weise radikalisiert werden, da der erste Satz das System schon als total beschrieben hatte. Für Adorno gilt beim Thema System, »daß nichts, was überhaupt […] zwischen Himmel und Erde gedacht werden kann, aus einem solchen System draußen bleibt.«25 Mit anderen Worten, »das System läßt keinen Ausweg«26 , weil es alles unter sich fasst und dieses dann in seiner eigenen Logik auslegt.27 Dieser Exkurs will Adornos Kritik an einer bestimmten Art systemischen oder systematischen Denkens näher bringen. Man kann nach bisherigem Wissensstand dabei bedenkenlos sagen, dass System in diesem Verständnis ein integratives Konstrukt ist. Wenn ihm nichts äußerlich sein kann, muss es radikal inkludierend sein und immer den Anspruch haben, alles integrieren zu können. Rück- und angewendet auf die Gesellschaft heißt das dann, dass »Integration […] Gesellschaft zum System zusammenschließen [soll]«28 , wie Ruschig zusammenfasst. Will Gesellschaft sich also als System verstehen, muss sie radikal integrierend sein; ein Umstand, von dem weiter oben bzgl. der Gesellschaft schon gesprochen wurde. Adorno selbst fasst es folgendermaßen: »Glaubt man der Gesellschaft ihre Integration, so, wie sie es ihrem objektiven Geist nach von uns verlangt, […] so verfällt man dabei einem Schein, das heißt, das System, das man sich dann als Theoretiker von der Gesellschaft bildet, verdeckt […] durch die Einstimmigkeit, die Glätte, die Identität und Widerspruchslosigkeit, die es annimmt, das Fortbestehen der Antagonismen.«29 Nun geht es momentan nicht um die Gesellschaft, sondern dieser Exkurs will der Struktur eines Systems in Adornos Interpretation nachspüren, weshalb die gesellschaftlichen Aspekte des Zitats zunächst unbeachtet bleiben. Es geht vielmehr wieder um die 24 Adorno: NgS 4/16, S. 60. 25 Ders.: NgS 4/16, S. 59. 26 Theodor W. Adorno: Musikalische Schriften IV. Moments musicaux. Impromtus, hrsg. v. Rolf Tiedemann unter Mitwirkung von Gretel Adorno, Susan Buck-Morss und Klaus Schultz, 3. Aufl. (Gesammelte Schriften 17), Frankfurt am Main 2003, S. 83 (in diesem und allen folgenden Kapiteln: GS 17). 27 So führt Adorno in seiner Vorlesung über Negative Dialektik aus, dass er das System Fichtes für dieses Systemverständnis für besonders anschaulich hält, da er, Fichte, »tatsächlich getrachtet [hat]«, so Adorno, »aus einer Idee, nämlich dem Ich, dem absoluten Subjekt, alles, auch das endliche Subjekt und das endliche, ihm gegenüberstehende Nicht-Ich, abzuleiten.« (Ders.: NgS 4/16, S. 59). 28 Ruschig: Materialismus, S. 342. 29 Theodor W. Adorno: Philosophische Elemente einer Theorie der Gesellschaft (1964), hrsg. v. Tobias ten Brink/Marc Philipp Nogueira (Nachgelassene Schriften. Abteilung IV: Vorlesungen 12), Frankfurt am Main 2008, S. 343 (in diesem und allen folgenden Kapiteln: NgS 4/12).

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Gestalt des Systems, das hier beschrieben wird als glatt, widerspruchsfrei und in sich geschlossen identisch. Damit stellt Adorno das System in einer Weise dar, wie es schon, nach seiner Aussage, bei Nietzsche »längst in Mißkredit geraten« ist, und spricht folglich »von der Unredlichkeit des Systems«30 . Dieser Anspruch liegt seiner Interpretation nach darin begründet, dass die Vorstellung eines alles bedingenden Systems aus einer Zeit kommt, in der »die Welt eine gewisse Übersichtlichkeit besessen«31 hat, also »daß die Systeme entstanden sind in einer Welt, in der man sich ausgekannt hat.«32 Systeme sind demnach Überbleibsel aus einer Zeit, die vor der rasanten Ausweitung des persönlichen Wissens-, Erfahrungs- und Erkenntnishorizonte durch eine immer näher zusammenrückende, globalisierte und technisch weiter fortschreitende Weltbevölkerung war. In der heutigen Zeit ist dieses »Moment des Provinzialismus«, wie er es nennt, »daß irgend jemand heute noch in sein Studierzimmer […] sich setzt und nun glaubt, daß er von dort aus, Papier, Bleistift und ausgewählte Bücher zur Hand, das Ganze begreifen könnte«33 , allerdings nicht mehr haltbar, auch wenn er dies in der Philosophie seiner Zeit noch stark verordnet sieht.34 Systeme sind also, so kann die Kritik Adornos zusammengefasst werden, deshalb zum Scheitern verurteilt, weil sie dem Eindruck aufsitzen, das Weltganze bzw. das Ganze überhaupt aus einem Prinzip heraus verstehen und entwickeln zu können. Er urteilt hier in ausgesprochen harschem Ton, dass ein Denken, das sich dieser Herangehensweise bedient, »von vornherein überhaupt keine Daseinsberechtigung hat.«35 Deshalb plädiert er für »ein Denken, das emphatisch a-systematisch oder antisystematisch ist«, weil nur dieses »es mit dem System aufnehmen kann«36 . Doch bevor hier weitergegangen wird, muss erst einem Begriff, dem man hier begegnet, sich gewidmet werden: Systematik. Systematik und System sind mitnichten dieselben Dinge und Systematik ist nicht das Strukturnomen für System. »So groß ist das Bedürfnis nach einem […] System«, schreibt Adorno, »daß heute unvermerkt die Systematik – also das Ordnungsschema; gewissermaßen das blasse Nachbild des Systems in einem positivistischen Zeitalter – als Substitut für das System akzeptiert wird.«37 Wo das System die Entwicklung von allem aus einem Prinzip formuliert, ist eine Systematik dagegen bei Adorno »eine in sich einheitliche Form der Darstellung; also ein Schema, in dem alles, was zu dem betreffenden Sachgebiet […] gehört, seinen Platz findet, seinen richtigen Raum, an 30 31 32 33 34 35 36 37

Ders.: NgS 4/16, S. 53. Ders.: NgS 4/16, S. 65f. Ders.: NgS 4/16, S. 66. Ders.: NgS 4/16, S. 67. Vgl. Ders.: NgS 4/16, S. 66f. Ders.: NgS 4/16, S. 67. Ders.: NgS 4/16, S. 59. Ders.: NgS 4/16, S. 59.

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den es hingehört.«38 Systematik ist ein Ordnungsbegriff, in dem die Kategorisierung und Katalogisierung verschiedener Sachverhalte begriffen und aufgeführt ist. Kurz: Systematik ist »eine Veranstaltung subjektiver Vernunft.«39 Adorno verdeutlicht hier anhand seiner Unterscheidung von System und Systematik zunächst einmal das Folgende: Eine Systematik ist eine Konstruktion, die das Bedürfnis nach Ordnung befriedigen soll, das durch die Lücke entstand, die das scheiternde Systemdenken gelassen hatte. Systematik ist ein Substitut. Doch ist dieser Ersatz für das ausbleibende System keineswegs gleichstellig oder -wertig – vielmehr bestehen gravierende Unterschiede. Wo das System alles aus einem Prinzip heraus entwickelt, gibt es dieses vorgeordnete Prinzip in der Systematik nicht. Vielmehr wird das Ordnungsprinzip »aus den Tatsachen und ihrer Abfolge herausabstrahiert […], um sie logisch durchsichtig anordnen zu können«40 , schreibt Adorno. Eine Systematik, so erklärt er, ist von ihrer Struktur her so aufgebaut, dass sie »wie ein Plan ist, oder wie ein Bezugssystem ist, das man entwirft und in dem dann, was sich überhaupt findet, auch untergebracht werden kann.«41 Damit wird die Systematik zu einem menschlichen Produkt erklärt. Ein System ist zwar ebenso ein menschliches Produkt, allerdings anders. Im Unterschied zum System heißt das für die Systematik konkret folgendes: Ein System ist ein Entwurf, der aus der Erkenntnis eines obersten Prinzips heraus die Welt erklärt, also ein Prinzip über, vor und hinter den Phänomenen erkennt. Die Systematik dagegen ist ein »Ordnungsschema subjektiver Vernunft, […] das man klassifikatorisch entwerfen kann«42 und hat nicht ein oberstes Prinzip zum Grund, sondern extrapoliert es aus den Phänomenen. Wo das System »die Erklärung, die Deutung dessen, was davon ergriffen wird«43 ist, da ist die Systematik als »das blasse Nachbild des Systems«44 nicht mehr Erklärung und Deutung sondern reine Kategorisierung. Liest man nun zwischen den Zeilen, dann heißt es eigentlich nur das Folgende für die aktuelle Problemstellung und Erklärung, warum Adorno sowohl den einen als auch den anderen Begriff für so kritisch erachtet: Ein System mit seinem Anspruch, das Weltganze zu erklären, muss daran scheitern, nicht so umfassend die Phänomene erfassen zu können, dass darin ein ordnendes Prinzip erkannt werden könnte – die Systematik hat dabei allerdings noch den Anspruch, nach Willkür der Wahrnehmung der Menschen ein oberstes Prinzip zu produzieren und muss deshalb noch mehr scheitern. Der »bekannteste Typus einer solchen Systematik heute ist der Entwurf einer funktionell-strukturellen Theorie der Gesellschaft«45 , 38 39 40 41 42 43 44 45

Adorno: NgS 4/16, S. 58. Ders.: NgS 4/16, S. 58. Ders.: NgS 4/16, S. 59. Ders.: NgS 4/16, S. 58. Ders.: NgS 4/16, S. 58. Ders.: NgS 4/16, S. 60. Ders.: NgS 4/16, S. 59. Ders.: NgS 4/16, S. 58.

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schreibt Adorno, womit der Exkurs beendet und zur Gesellschaftskritik zurückgekehrt wird. Wieso war dieser Exkurs nötig? Einerseits, weil das gesamte Denken Adornos als a- und antisystem(at)isch anzusehen ist und damit die Erklärung eingefahren wurde, weshalb dies so ist. Andererseits, weil oben davon gesprochen worden war, dass Gesellschaft ein System ist. Sie ist es, nach diesem Exkurs kann es wiederholt werdenen, da sie, so Adorno, »auf Strukturgesetze [geht], welche die Fakten bedingen, in ihnen sich manifestieren und von ihnen modifiziert werden«46 . Weil sie also voraussetzt, »daß diese Gesetze«, die ihr zugrundeliegen, gemeint ist das oberste Prinzip ihrer Struktur, »der erscheinenden Mannigfaltigkeit sozialer Wirklichkeiten konstitutiv zugrunde liegen und zugleich in ihnen zur Erscheinung kommen«47 , wie mit Schweppenhäuser festzustellen war. »System ist die Gesellschaft als Synthesis eines atomisierten Mannigfaltigen, als reale, doch abstrakte Zusammenfasssung eines keineswegs unmittelbar, ›organisch‹ Verbundenen«48 , heißt es bei Adorno; sie ist »›mythisches Verhältnis‹, das die Menschen in seinen ›Bann‹ zwinge«49 . Um seine Gesellschaftskritik angemessen verstehen zu können, war dieser Exkurs nötig. Jetzt kann in der Analyse fortgefahren werden. Es darf gefolgert werden, dass sowohl dem System als auch der Systematik ein gewisser Zwang inhärent ist, der darin besteht, dass in beiden Fällen alles unter ein Prinzip gefasst werden soll, nichts also äußerlich bleiben kann. »Damit droht Gesellschaftstheorie ihren spezifischen Gegenstand zu verlieren«50 , so die Analyse von Braunstein und Müller-Doohm. Denn der Gegenstand, der durch diese umfassende Kritik am System in Verbindung mit Gesellschaft verloren gehen könnte, besteht ihrer Aussage nach darin, dass Gesellschaft als »Vermittlungszusammenhang« zu begreifen ist, »der die Individuen in ihre Lebensverhältnisse hineinwachsen lässt. Die bestehende Gesellschaft hingegen tritt den Individuen als unmittelbarer Zwang des Systems entgegen, dem sie ohnmächtig gegenüberstehen.«51 Adorno spürt in der Gesellschaft verschiedene Tendenzen, die sie als totalitäres System markieren. Er sieht Gesellschaft insgesamt in einer Form von Verblendung verfangen, die einer andersartigen bzw. anders geformten Lebensweise, die nicht der gesellschaftlichen Norm entspricht, radikal widerspricht. »Die Totalität der Gesellschaft bewährt sich daran, daß sie ihre Mitglieder nicht nur mit Haut und Haaren beschlagnahmt, sondern nach ihrem Ebenbild erschafft«52 , schreibt Ders.: GS 8, S. 356. Schweppenhäuser: Adorno, S. 71. Adorno: GS 8, S. 321. Pauen: Nihilismus, S. 327. Braunstein/Müller-Doohm: Zeitdiagnose, S. 249. Ders.: Zeitdiagnose, S. 249. Zum Individuum siehe später, Kapitel 2.1.2, S. 39. Hier fokussiere ich weiterhin die Gesellschaft als Ganzes. 52 Adorno: GS 8, S. 390. 46 47 48 49 50 51

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er und formuliert damit die große Problemstellung, die er mit dem System ›Gesellschaft‹ verbindet: »Die Menschen sind, vermöge ihrer Bedürfnisse und der allgegenwärtigen Anforderungen des Systems wahrhaft zu dessen Produkten geworden«53 . Statt sich aus den Bedürfnissen, Anfragen, Eigenarten und Besonderheiten heraus zu entwickeln, eignet es der Gesellschaft zu, die Typen, die in ihr als System befangen sind, aus sich heraus zu entwerfen und zu formen. Das ist der Kern von Adornos Strukturanalyse der Gesellschaft, dass sie sich als System gebärdet, das sich selbst seine Teile setzt und schafft. Statt die Herrschenden zu sein, sind die Menschen die Beherrschten – »Im stillen ist eine Menschheit herangereift, die nach dem Zwang und der Beschränkung hungert, welche der widersinnige Fortbestand der Herrschaft ihr auferlegt.«54 Damit ist die Argumentation nun wieder am Anfang der Analyse angekommen, die Aussage Adornos des Anfangs wurde erklärt, allerdings in keinem Maße ausreichend. Es wird nun die Aufgabe der nächsten Abschnitte sein, weiter auszuführen, warum Adorno immer wieder von einer »antagonistischen Gesellschaft«55 spricht. Deshalb soll hier erklärt werden, worin der gesellschaftliche Antagonismus nach momentanem Erkenntnisstand besteht. Dieser Antagonismus besteht eben in der Widersprüchlichkeit, dass Individuum und Gesellschaft ihre wechselseitige Konstitutionsbedingtheit zugunsten der Gesellschaft verschoben haben. Es steckt hier ein Moment von Ideologie. Denn nicht geht es Adorno wirklich um eine Herrschaft des Allgemeinen, also des ganzen großen gesellschaftlichen Zusammenhangs, sondern er erkennt sehr stark, wie tendenziös diese Gesellschaftsausrichtung tatsächlich ist. Er formuliert: »Ideologie heißt heute: die Gesellschaft als Erscheinung. Sie ist vermittelt durch die Totalität, hinter der die Herrschaft des Partialen steht, nicht jedoch umstandslos reduktibel auf ein Partialinteresse, und darum gewissermaßen in all ihren Stücken gleich nah dem Mittelpunkt.«56 Die Ideologie hinter dem kritisierten Gesellschaftssystem ist, um es mit anderen Worten zu sagen, so angelegt, dass die Herrschaft der Wenigen über die Vielen, die er hier darstellt, also dass Individuen – statt zu formen – geformt werden, als Wille der Vielen erkannt und legitimiert wird. Darum muss das Movens gleich weit von jedem Punkt entfernt sein. Allerdings ergab sich hier eine Verschiebung, wie Adorno darlegt. »Die Ideologie, der gesellschaftlich notwendige Schein, ist heute die reale Gesellschaft selber, insofern deren integrale Macht und Unausweichlichkeit, ihr überwäligendes Dasein an sich, den Sinn surrogiert, welchen jenes Dasein ausgerottet hat.«57 Etwas verständlicher ausgedrückt: »Die Welt wird mit leerlaufenden Kategorien in Schwarz und Weiß aufgeteilt und zu 53 54 55 56 57

Adorno: GS 8, S. 390. Ders.: GS 4, S. 140. Ders.: GS 10.1, S. 21. Ders.: GS 10.1, S. 25. Ders.: GS 10.1, S. 26.

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eben der Herrschaft zugerichtet, gegen welche einmal die Begriffe konzipiert waren.«58 Damit drückt Adorno wiederum den Systemcharakter aus. Es gibt entweder drin oder draußen, weiß oder schwarz.59 Die Antagonismen sind dabei klar ausgesprochen und strikt gedeutet. Doch der größte Antagonismus besteht für Adorno in der Situation, dass das herrschende Allgemeine kein Parikulares erträgt. »In der Totale des Allgemeinen spricht dessen eigenes Mißlingen sich aus.«, schreibt er und fährt fort: »Was kein Partikulares erträgt, verrät damit sich selber als partikular Herrschendes.«60 Es kann dies schlechterdings kein totales System sein, das kein Partikulares erträgt, da das heißen würde, die Totalität wäre in mindestens einem Punkt nicht total, sondern gebrochen. Die Analyse dieses Gedankens fasst Adorno zusammen und sagt: »Kein gesellschaftliches Gesamtsubjekt existiert. Der Schein wäre auf die Formel zu bringen, daß alles gesellschaftlich Daseinde heute so vollständig in sich vermittelt ist, daß eben das Moment der Vermittlung durch seine Totalität verstellt wird. Kein Standort außerhalb des Getriebes läßt sich mehr beziehen, von dem aus der Spuk mit Namen zu nennen wäre; nur an seiner eigenen Unstimmigkeit ist der Hebel anzusetzen.«61

Doch alleine dass der Zustand existiert, muss einen anderen Schluss nach sich ziehen. »Die Gesellschaft erhält sich nicht trotz ihres Antagonismus am Leben sondern durch ihn«62 , hält er fest und erzwingt damit, danach zu fragen, wie das möglich ist angesichts der verfassten Partikularität, nämlich der Individuen, die Gesellschaft durch ihre soziale Existenz überhaupt erst konstituieren. 2.1.2 Individualität und Individualismus

»Die Auseinandersetzung um den Stellenwert des Individuums in der Gesellschaft zieht sich wie ein roter Faden durch die Schriften Theodor W. Adornos«63 , schreibt Schroer und führt direkt aus: »Adorno beklagt die Ohnmacht des Einzelnen angesichts einer übermächtigen Gesellschaft, die ihn auf die Existenz eines bloßen Rädchens im Getriebe reduziert.«64 Zu bemerken ist schon die Konsistenz und Kontinuität in der Herangehensweise, die Gesellschaftskritik immer 58 Ders.: GS 10.1, S. 28f. 59 So krass diese Absolutismen klingen mögen, muss man sich auch vor Augen führen, dass für die kritische Theorie unter Horkheimer und Adorno Übertreibung der modus operandi ist, da »nur die Übertreibung […] wahr« sein kann, wie Horkheimer es im Exkurs zu Juliette in der Dialektik der Aufklärung formuliert (Ders.: GS 3, S. 139). Vgl. ebenso Adorno in: Ders.: GS 10.2, S. 567. 60 Ders.: GS 6, S. 311. 61 Ders.: GS 8, S. 369. 62 Ders.: GS 6, S. 314. 63 Schroer: »Ende des Individuums«, S. 276. 64 Ders.: »Ende des Individuums«, S. 276.

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wieder neu aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Gesellschaft und Individuum stehen bei Adorno an zentraler Stelle in engster Verbindung, nämlich an der Basis. »Kein Ichbewußtsein ohne Gesellschaft, so wie keine Gesellschaft ist jenseits ihrer Individuen.«65 So betont auch Meisenheimer, »dass Individuen sich nur in Gesellschaft vereinzeln und Selbstständigkeit nur unter bestimmten gesellschaftlichen Voraussetzungen erlangen können«66 . Soweit klingt es recht positiv. Im letzten Abschnitt wurde bezüglich des Individuums allerdings schon eine andere Tendenz statt Gesellschaftskonstitution wahrgenommen, nämlich »[d]aß das Individuum mit Haut und Haaren liquidiert werde«67 . Um zum Verständnis dieser Aussage zu gelangen, müssen allerdings noch ein paar Schritte nachvollzogen werden. So stellt Schweppenhäuser fest, dass der Begriff Individuum »in der Kritischen Theorie nicht als zeitlose anthropologische Konstante verstanden [wird], sondern als historische.«68 Gleichzeitig ist es »aber auch nicht als Gegenpol des Sozialen aufgefaßt« worden, sondern »das Individuum formiert sich als gesellschaftliche Entität allererst in der Neuzeit, und zwar in der Folge jenes Zerfalls der universalen feudalen Ordnung des Mittelalters, der den Prozeß einleitet, in dem die freie, selbstbestimmte Einzelperson zum Subjekt des ökonomischen und kulturellen Geschehens wird.«69 Adorno selbst datiert es »kaum allzuweit hinter Montaigne oder den Hamlet, allenfalls auf die italienische Frührenaissance zurück«70 . Durch dieses späte Aufkommen entbehrt das Individuum sowohl einer biologischen Grundlage, die sich im Fortgang menschlicher Evolution entwickelt haben könnte, als auch einer metaphysischen Verankerung im Geist oder der Seele. Das Individuum wird vielmehr zu einer sozialen Größe erklärt, die als Idee des Menschen in die Welt trat und deshalb »nicht nur eine historische gewordene, sondern eben damit auch eine transitorische, also vergängliche soziale Organisationsform bürgerlicher Subjektivität ist«71 , wie Schweppenhäuser ausführt. Damit ist einerseits dem Ausdruck verliehen, »dass Individuum und Gesellschaft als entgegengesetzte zugleich durcheinander vermittelt sind, d. h. eigentlich nur sind, was sie sind, weil sie das jeweils Andere (oder zumindest Teilmomente des Anderen) zugleich in sich enthalten, womit die Analyse eines jeden auf Aspekte des Anderen in diesem selbst führen müsste«72 , gleichzeitig aber heißt es auch, die Negativität der Gesellschaft auf das Individuum eben auch anwenden zu müssen.

65 66 67 68 69 70 71 72

Adorno: GS 6, S. 272. Meisenheimer: Bald frei, bald unfrei, S. 42. Adorno: GS 4, S. 153. Schweppenhäuser: Adorno, S. 80. Ders.: Adorno, S. 80. Adorno: GS 8, S. 450. Schweppenhäuser: Adorno, S. 82. Meisenheimer: Bald frei, bald unfrei, S. 43.

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Wie kommt Adorno allerdings von dieser Annahme zur Erklärung, dass das Individuum sich auf dem Weg zu seiner eigenen Liquidation befinde? Zwar kann es als gewordene Kategorie auch zu einer gewesenen werden, ist also nicht als die große Klammer um den geschichtlichen Prozess der Menschheit zu verstehen, und ist damit gegenüber der schon länger bestehenden Form der Gesellschaft zunächst einmal als Kategorie überflüssig. Doch schreibt Adorno auch, dass sich ohne Ichbewusstsein, also ohne ein Bewusstsein von Individualität auch keine Gesellschaft bilden könne – da schon vor dem Aufkommen des Begriffs ›Individuum‹ eine Gesellschaft existierte, muss also auch Individualität vorhanden gewesen sein, auch wenn sie vielleicht nicht so genannt und durchdacht wurde. Es geht also um etwas anderes als das Vorhandensein des Individuellen. Schroer schreibt: »Adornos These vom Ende bzw. Niedergang des Individuums geht davon aus, dass die Ressourcen für das Erreichen von Individualität durch die sozialen Kontrollen, die Bürokratisierung und zunehmende Macht der monopolistischen Organisationen aufgezehrt werden.«73 Es findet sich hier die andere Seite des Komplexes, der in der allgemeinen Gesellschaftskritik schon angesprochen wurde,74 nämlich, dass hier ein Systemcharakter zugrunde liegt, der, so Adorno, »sich durch die Leidenschaften und Interessen der Individuen hindurch [realisiere], während es ihnen einzig so noch eingeübt wird wie das gesunde Volksempfinden denjenigen, die in seiner Maschinerie sich verfangen.«75 Es geht also wiederum um ein übergeordnetes und damit grundlegendes Prinzip, dem sich zu fügen das Individuum zur Aufgabe hat. Adorno geht sogar noch weiter. Die Individuen, so schreibt er, »haben sich selbst der Apparatur ähnlich gemacht: nur so können sie unter den gegenwärtigen Bedingungen fortexistieren.«76 Und, so führt er weiter aus, »[n]och der Widerstand des Subjekts gegen die ihm vorgegebenen Kategorien ist in sich durch diese Kategorien, die ihm vorgegeben sind, in die es eingespannt ist, vermittelt.«77 Kurz: Adorno sieht das Individuum im gesellschaftlichen Ganzen eher im Verschwinden als im Aufblühen, sieht es eher im Untergang befindlich als auf der Höhe seiner kreativen und intellektuellen Kräfte. Das Individuum als solches, nicht nur als Kategorie, sondern auch das individuelle Subjekt selbst, verschwindet unter dem, was man gemeinhin als blinde Masse bezeichnen kann. Allerdings wäre es auch nicht richtig, nicht von Individuen zu sprechen. Mit Blick auf die Gesellschaft finden sich durchaus viele verschiedene Menschen, mit verschiedenen Anschauungen, verschiedenen Vorlieben, verschiedenen Denk73 74 75 76 77

Schroer: »Ende des Individuums«, S. 279. Siehe S. 31ff dieser Arbeit. Adorno: GS 6, S. 334. Ders.: GS 8, S. 451. Theodor W. Adorno: Zur Lehre von der Geschichte und von der Freiheit (1964/65), hrsg. v. Rolf Tiedemann, 3. Aufl. (Nachgelassene Schriften. Abteilung IV: Vorlesungen 13), Frankfurt am Main 2014, S. 37 (in diesem und allen folgenden Kapiteln: NgS 4/13).

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weisen usw. Doch genau darin liegt, so Adorno, der Trick der Allgemeinheit, »weil also das principium individuationis buchstäblich ihr Prinzip, ihr Allgemeines war.«78 Das Problem daran ist allerdings, dass diese Individuen standardisierte Produkte des Systems sind, Exemplare; sie »sind austauschbar und beliebig« und stehen »in keinem Konflikt mit der Gesellschaft«79 , heißt es erklärend bei Grimm. Sie sind nicht wirklich Individuen, da sie eher die Folge des Prinzips sind, das der Gesellschaft in dieser Form zugrunde liegt. Grimm erklärt: »Während Individuierung in Auseinandersetzung und Konflikten mit Kollektiven stattfindet, ist die Pseudoindividualität durch das Gegenteil bezeichnet: der Unterordnung unter […] Kulturen, Szenen, politische oder kulturelle Kollektive.«80 Adorno spricht bildhaft von denen, »denen die rosarote Einheitsbrille aufgestülpt ward, die dann, was sie erblicken, mit der Allgemeinheit des Wahren verwechseln und regredieren.«81 Es geht ihm darum, zu betonen, dass hier das Allgemeine identifikatorisch operiert und dabei aber gerade Identität auslöscht. Der Einzelne wird nicht individuiert, sondern nach dem dem Allgemeinen zugrunde liegenden principium individuationis mit allen anderen Menschen gleichgeschaltet. Er spricht von der »nach dem Identitätsprinzip gemodelten Wirklichkeit«82 . Was als Unterschied zwischen den Menschen, die in diesem System eingeschlossen sind, noch wahrgenommen wird, ist dabei selbst auch vorgegeben, so Adornos Analyse. »Für alle ist etwas vorgesehen, damit keiner ausweichen kann, die Unterschiede werden eingeschliffen und propagiert.«83 Es wird, so könnte man es auch verstehen, dafür gesorgt, dass die Menschen »keiner eigenen Gedanken bedürfen«84 , sondern sich völlig in den Zwang begeben, »der in Gestalt von Identifikation«85 mit den vorgegebenen Normen ausgeübt wird, sodass schlussendlich die eingeschliffenen Unterschiede doch nur eines erzeugen: Gleichheit und zwar in Form von radikaler Egalität. Wo die Gesellschaft als normatives System auftritt, da vergeht das Individuum in Adornos Interpretation, weil es sich anpasst, ja sogar anpassen muss, denn jedes System trägt nach obiger Darlegung konstitutiv in sich, dass es kein ihm Äußeres geben kann. Damit ist ein besonders tragisches Moment hervorgehoben: Die innere Dialektik der Stellung des Individuums in der Gesellschaft besteht darin, dass es einerseits zur Masse zusammengefasst und in dieser als Exemplar, als Massenprodukt, scheinbar individuiert wird.

78 79 80 81 82 83 84 85

Adorno: GS 6, S. 336, Hervorhebungen von mir. Grimm: Ware, Kunst, Autonomie, S. 71. Ders.: Ware, Kunst, Autonomie, S. 71. Adorno: GS 6, S. 56. Ders.: GS 6, S. 239. Ders.: GS 3, S. 144. Ders.: GS 3, S. 159. Ders.: GS 6, S. 149.

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Es lohnt sich hier also eine begriffliche Unterscheidung zwischen Individualität und Individualismus, die genau in Folgendem besteht: »Je weniger Individuen, desto mehr Individualismus.«86 Aus dem bisher Gesagten kann geschlossen werden, dass Individualismus diejenigen Strukturen genannt werden, die scheinbare Individualität erzeugen durch genormte und denen sich anzupassende Formen.87 Es sind Strukturen, die, mit Schroers Worten, »das Individuum endgültig zur außengeleiteten Marionette herabwürdigen«88 . Wie in der Einleitung schon erwähnt, entstand und wuchs Adornos Theorie im Umfeld des Nationalsozialismus und der Shoa. Wenn er von Auschwitz spricht, spricht er »vom […] Rückfall in die Barbarei«89 und davon, dass es »für die Welt von Auschwitz charakteristische[] Typen« gebe, die sowohl auf »die blinde Identifikation mit dem Kollektiv« abzielen, als auch »danach zugeschnitten [sind][…], Kollektive zu manipulieren«90 . Um der Forderung, »daß Auschwitz nicht sich wiederhole«91 nachkommen zu können, sieht er es als Aufgabe der Philosophie, »der blinden Vormacht aller Kollektive entgegenzuarbeiten, den Widerstand gegen sie dadurch zu steigern, daß man das Problem der Kollektivierung ins Licht rückt.«92 So schreibt Adorno, dass Auschwitz etwas zutage gefördert habe, was als Novum zu behandeln sei, nämlich dass »durch Verwaltung […] der Tod zu etwas geworden [ist], was so noch nie zu fürchten war.«93 Natürlich ist Angst vor dem eigenen Sterben so nichts besonders Neues, das weiß auch Adorno, aber die Konsequenz, die er offenlegt, deckt eine neue Seite auf. »Auschwitz bestätigt das Philosophem von der reinen Identität als dem Tod«94 , schreibt er und meint damit, dass der Tod – Sinnbild des Privatesten und Eigensten eines jeden Individuums – seit Auschwitz nicht mehr genau dieses Sinnbild sein könne. »Das Schicksal, das den Individuen in autoritären Massenbewegungen und vor allem jenen, die diesen zum Opfer fielen, zuteil wurde, strafte das Bild vom autonomen Subjekt unwiderruflich Lügen«95 , erklärt Meisenheimer Adornos Theorie des Zerfalls des Individuums aus dessen Erfahrung mit der »nationalsozialistischen Vernichtungspolitik«96 . Was den Tod als Sinnbild des Individuellen, als das individuellste Moment eines menschlichen Lebens auszeichnet, wird in Adornos Denken in Auschwitz 86 87 88 89 90 91 92

93 94 95 96

Institut für Sozialforschung (Hrsg.): Soziologische Exkurse, S. 48. Vgl. Schweppenhäuser: Adorno, S. 86. Schroer: »Ende des Individuums«, S. 279. Adorno: GS 10.2, S. 674. Ders.: GS 10.2, S. 681. Ders.: GS 10.2, S. 674. Ders.: GS 10.2, S. 681. Es soll an dieser Stelle keine Diskussion über die Grundlagen und Ursachen solcher Kollektivierungen geben; diese werden später noch ausführlicher behandelt, vornehmlich im Kapitel 2.2.2, S. 64ff. Ders.: GS 6, S. 355. Ders.: GS 6, S. 355. Meisenheimer: Bald frei, bald unfrei, S. 53. Ders.: Bald frei, bald unfrei, S. 52f.

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zerstört und damit das Individuum selbst. Konkret schreibt er: »Enteignet wird das Individuum des Letzten und Ärmsten, was ihm geblieben war. Daß in den Lagern nicht mehr das Individuum starb, sondern das Exemplar, muß das Sterben auch derer affizieren, die der Maßnahme entgingen.«97 Und Adorno sieht hier kein Ende; Auschwitz mag vorüber sein, aber »Barbarei besteht fort, solange die Bedingungen, die jenen Rückfall zeitigten, wesentlich fortdauern. Das ist das ganze Grauen. Der gesellschaftliche Druck lastet weiter, trotz aller Unsichtbarkeit der Not heute.«98 Es folgt eine erste kleine Zusammenschau der verschiedenen Momente, die bisher über das Individuum reflektiert und diskutiert wurden: Das Individuum steht in einer konstituierenden wechselseitigen Beziehung mit der Gesellschaft, die sich aus Individuen zusammensetzt und demgegenüber Ichsubjekte sich nur in der sozialen Interaktion mit anderen Ichsubjekten als jeweils solche wahrnehmen. Dennoch stellt Adorno eine Verschiebung fest, die zugunsten der Allgemeinheit gegenüber dem Singulären, dem Allgemeinen gegenüber dem Besonderen, ausfällt. Die Ursache liegt im Systemcharakter der Gesellschaft und der damit eintretenden Intoleranz gegenüber Abweichendem, da das System »sich absolut bedroht fühlt nach dem Maß seiner Absolutheit. An einem Minimalen wird es als Ganzes zuschanden, weil seine Prätention das Ganze ist.«99 Darum erzeugt das System durch vorgeformte Typen einen Schein von Individualität, aber bewirkt nur Individualismus. Letztlich aber wird das Individuum als solches, nicht als Kategorie oder Funktionsbegriff, selbst liquidiert, wofür Adorno Auschwitz als traurigen Verweis darlegt. Und dass es soweit kommen konnte, das ist das wohl traurigste Moment dieser Theorie, liegt darin begründet, dass es in der Anpassung der Individuen an die gesellschaftlichen Strukturen ein selbstverschuldetes Übel ist.100 Schroer beschreibt, dass die Folge darin liegt, dass »Individuen zu bloßen Erfüllungsgehilfen einer über ihnen waltenden Macht verkommen«101 , hebt allerdings gleichzeitig etwas hervor, das bei aller Verfallstheorie nicht ungenannt bleiben darf, damit keine Einseitigkeit entsteht. Denn Schroer sieht sehr deutlich, dass die Darstellung Adornos bisher »nur die eine Seite seiner Argumentation« im Blick hatte, und »dabei der dialektische Zusammenhang zwischen der historischen Verunmöglichung von Individualität und den hin und wieder dennoch aufscheinenden Gegentendenzen, die Individualität, zumindest im Ansatz, wieder möglich erscheinen lassen«102 , unberückAdorno: GS 6, S. 355. Ders.: GS 10.2, S. 674. Ders.: GS 6, S. 184. Vgl. Schroer: »Ende des Individuums«, S. 278. Wie genau das bei Schroer gemeint ist, wird besonders im Abschnitt über die Dialektik der Aufklärung, Kapitel 2.2.2, S. 64ff., zur Sprache kommen. Bis dahin soll diese seine Analyse als Annahme um des Arguments willen dienen. 101 Ders.: »Ende des Individuums«, S. 280. 102 Ders.: »Ende des Individuums«, S. 280. 97 98 99 100

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sichtigt bleibt. Zwar erscheint es bisher so, dass es keinerlei Ausweg aus dieser hermetischen Verfangenheit in den Zwang der falschen Identifikation geben könne und deshalb Unfreiheit die einzige noch valide Wirklichkeit des Subjekts sein müsste. Oder mit Adornos Worten: »Das identifizierende Prinzip des Subjekts ist selber das verinnerlichte der Gesellschaft. Darum hat in den realen, gesellschaftlich seienden Subjekten Unfreiheit vor der Freiheit bis heute den Vorrang. Innerhalb der nach dem Identitätsprinzip gemodelten Wirklichkeit ist keine Freiheit positiv vorhanden.«103

Aber in dem Zitat steckt doch noch eine tiefer Ebene. Denn Adorno schreibt nicht, dass es nur Unfreiheit und keine Freiheit gebe. Er schreibt dezidiert, dass Freiheit vorhanden ist, aber eben nicht positiv und dass die Unfreiheit vor ihr vorrangig ist. Anstatt sich nun aber mit einer ausführlichen Diskussion des Freiheitsverständnisses von Adorno aufzuhalten,104 soll versucht werden, das Wichtigste en passant einfließen zu lassen, während die andere Seite des Individuums bei Adorno betrachtet wird. Dass dabei am Begriff ›Freiheit‹ nicht vorbeigegangen werden kann, beschreibt Schweppenhäuser: »Zwischen den Polen Freiheit und Ordnung wird in der Sozialphilosophie der Neuzeit die Entfaltung oder der Untergang des Individuums angesiedelt«105 . Bei Adorno war bisher von diesem Untergang wegen eines Übermaßes von falscher, weil verordneter Ordnung zu lesen. So sieht Adorno eines der Probleme mit der Freiheit darin begründet, dass »[d]ie Idee der Freiheit […] vorweg so abstrakt-subjektiv konzipiert war, daß die objektive gesellschaftliche Tendenz sie mühelos unter sich begraben konnte.«106 Mit anderen Worten: Adorno sieht kritisch, dass es bei Freiheit oft nur um das frei-Sein des Einzelnen ging, dabei aber außer Acht blieb, dass Freiheit nicht nur subjektiv vermittelt ist, sondern eben auch die gesellschaftliche Dimension braucht. Dass dies so war – für Adorno folgt diese Erkenntnis notwendig – wird Freiheit in seiner Interpretation nur daran erfahren, dass sie nicht (mehr) vorhanden ist. »Freiheit […] ist derart mit Unfreiheit verfilzt, daß sie von dieser nicht bloß inhibiert wird, sondern sie zur Bedingung ihres eigenen Begriffs hat.«107 103 Adorno: GS 6, S. 239. 104 Siehe dazu ausführlicher Bartonek: Philosophie im Konjunktiv, S. 184–194; ebenso Müller: Negative Dialektik, S. 113–129 und Günther: Dialektik der Aufklärung. 105 Schweppenhäuser: Adorno, S. 79. 106 Adorno: GS 6, S. 215. 107 Ders.: GS 6, S. 262. Sprachlich bindet Adorno den Freiheitsbegriff an das deutsche bzw. englische Vorbild, in dessen Semantik »das Wort frei Dingen und Leistungen […], die nichts kosten« vorbehalten bleibt (Ders.: GS 4, S. 289). Frei ist, wer oder was den Ausbruch aus dem zirkulären Kreislauf von Produktion und Konsumation durchbricht und ›wertlos‹ wird. Wertlos ist hier jedoch zu verstehen als wertlos für die Tauschverhältnisse und nicht in dem Sinne, dass etwas oder jemand keinen Wert habe. Sein Tauschwert liegt allerdings deutlich unterhalb seines Gebrauchswerts, weshalb es für die ökonomische Struktur nicht von Wert ist, es in den Produktionsverlauf

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Adorno meint damit einerseits, dass der Begriff ›Freiheit‹ nicht absolut und abgesondert von allen anderen Begriffen steht, sondern immer ein relationaler Begriff ist und sein muss; aber er drückt damit auch aus, dass »kein Einzelereignis […] von jener Vielheit ausgenommen [ist]«108 , die durch die Relationalität konstituiert wird, aber selbst auch diese überhaupt grundlegend mit bedingt. Kein Individuum steht für sich außerhalb von Sozialität und ohne Sozialität wäre auch kein Bewußtsein von und für Individuen vorhanden. Für die Freiheit heißt das: »Kein Modell von Freiheit ist verfügbar, als daß Bewußtsein, wie in die gesellschaftliche Gesamtverfassung, so durch diese hindurch in die Komplexion des Individuums eingriffe.«109 Es gibt folglich kein Freiheitsdenken ohne damit gleichzeitig Individuum zu sagen und – der Umkehrschluss darf gewagt werden – auch ohne Individuen kein Modell von Freiheit. Nun wurde schon festgestellt, dass Freiheit zwar nicht positiv, aber dafür negativ vorhanden ist. Verbindet man dies nun mit Adornos Aussage: »In der Totale des Allgemeinen spricht dessen eigenes Mißlingen sich aus. Was kein Partikulares erträgt, verrät damit sich selbst als partikular Herrschendes. Die sich durchsetzende allgemeine Vernunft ist bereits die eingeschränkte.«110 Dann kann mit Adorno nun gesagt werden, dass Freiheit in ihrer negativen Existenz den Bann des Positiven in gewisser Weise bricht, weil sie als bestimmte Negation, also zwar nicht in positivem Sein, dafür aber in ihrer Negativität über das positiv vorhandene, d. i. in diesem Fall die Unfreiheit, hinausweist. So möchte Bartonek die These von der negativen Existenz der Freiheit verstanden sehen: Sie ist »negative, aber wirkliche Möglichkeit zur Freiheit«111 . Für das Individuum gilt bei Adorno – so kann, wenn nicht gar: muss, bei aller Negativität gesagt werden – das Analoge. Das Individuum ist »das einzige Potential, durch das diese Gesellschaft sich ändern kann,

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einzugliedern. Dies trifft freilich nur einen kleinen Teilbereich dessen, was frei heißen kann, doch es lässt sich hieran erkennen, dass für Adorno gesellschaftliche Freiheit immer Unfreiheit ist, solange der Warenfetischismus existiert, in dem jedes Ding notwendig seinen Preis haben muss. Adorno: GS 6, S. 263. Ders.: GS 6, S. 262. Ders.: GS 6, S. 311. Bartonek: Philosophie im Konjunktiv, S. 184. Allerdings muss man einschränken, dass Bartonek hier die falsche Konsequenz zieht, wenn er fortfährt »Freiheit ist zudem im Nichtidentischen nicht nur möglich, sondern sie könnte Freiheit des Nichtidentischen werden: ein ›Zustand‹ in dem das Nichtidentische nicht mehr bloß nichtidentisch wäre, sondern sich positiv entfalten könnte.« (Ders.: Philosophie im Konjunktiv, S. 184, zum Nichtidentischen später mehr.) Dies kann bei Adorno nicht geschehen. Die Methode der Negativen Dialektik (Siehe 3.1, S. 71ff.) fordert, dass sie auch in ihrem eigenen Vollzug sich negativ gegen sich selbst wendet und damit gerade nicht zur Position eines gefestigten Zustands werden kann. »Freiheit ist einzig in bestimmter Negation zu fassen, gemäß der konkreten Gestalt von Unfreiheit. Positiv wird sie zum Als ob.« (Adorno: GS 6, S. 230).

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und in dem zwar alle Negativität des Systems sich speichert, zugleich aber doch auch das, was über das System, so wie es heute nun einmal ist, hinausweist.«112 Um Bartonek zu paraphrasieren: Das Individuum ist zwar eine negative, aber eine wirkliche Möglichkeit und zwar gerade in seiner Negation durch die Gesellschaft. Denn in seiner nie wirklich zu negierenden Individualität (auch der Individualismus ist eine Form von Vereinzelung in der Verallgemeinerung113 ) bleibt das einzelne Subjekt immer das Partikulare, das dem Allgemeinen den Spiegel seines verfehlten Anspruchs vorhält. So sieht Adorno beispielsweise »Widerstand gegen blinde Anpassung, Freiheit zu rational gewählten Zielen, Ekel vor der Welt als Schwindel und Vorstellung«114 aufkeimen und sieht darin seiner Theorie gerade nicht widersprochen, sondern sie erfüllt. Denn, wie er in der Zueignung an Horkheimer in den Minima Moralia schreibt: »Im Zeitalter seines Zerfalls trägt die Erfahrung des Individuums von sich und dem, was ihm widerfährt, nochmals zu einer Erkenntnis bei, die von ihm bloß verdeckt war, solange es als herrschende Kategorie ungebrochen positiv sich auslegte.«115 Er sagt damit nicht nur aus, dass das gegenwärtig gestörte Gleichgewicht zwischen Gesellschaft und Individuum in dieser Weise eher schädigend ist, sondern auch, dass der gegenüberliegende Fall ebenso falsch wäre. Wenn er also in den verschiedenen Protestbewegungen der 60er-Jahre etwas Positives sehen kann, dann, dass »[a]ngesichts der totalitären Einigkeit, welche die Ausmerzung der Differenz unmittelbar als Sinn ausschreit, […] temporär etwas sogar von der befreienden gesellschaftlichen Kraft in die Sphäre des Individuellen sich zusammengezogen haben [mag].«116 Das heißt nichts anderes, als dass »von der Gewalt des Protests manches wieder ans Individuum übergangen [ist]«117 . Statt also in eine einseitige und unreflektierte Verfallstheorie zu münden, zielt Adornos Gesellschaftskritik in Bezug auf das Individuum nicht auf dessen Untergang per se. Die Negativität und die Negation in der das eigenständige und mündige Subjekt sich durch seine Vereinheitlichung befindet, ist es vielmehr, die Adorno hier besonders im Blick hat. So wie er davon ausgeht, »dass es [d. i. das In112 Theodor W. Adorno: Einleitung in die Soziologie (1968), hrsg. v. Christoph Gödde (Nachgelassene Schriften. Abteilung IV: Vorlesungen 15), Frankfurt am Main 1993, S. 255 (in diesem und allen Folgenden Kapiteln NgS 4/15). 113 Beispielsweise durch von Google und Facebook auf das Nutzungs-, Surf- und Suchverhalten zugeschnittene Werbung, die bei jedem ein wenig anders ist. 114 Adorno: GS 8, S. 368. 115 Ders.: GS 4, S. 16. 116 Ders.: GS 4, S. 16. 117 Ders.: GS 4, S. 16. Adorno bezieht sich hier auf Hegel, dessen universalgeschichtliches Denksystem einen ersten Schritt zur dialektischen Beziehung zwischen Allgemeinem und Besonderen tat. Dadurch, dass alles Teil der großen Denkbewegung zwecks des Zu-sich-selbst-Kommens des (absoluten) Geists ist, wird das Besondere bei ihm gleichzeitig sehr hoch bewertet als eben dieser notwendige Teil der Denkbewegung, gleichzeitig aber auch gegenüber der Totalität des Geschehens stark entwertet.

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dividuum] erst unter bestimmten gesellschaftlichen Bedingungen entsteht«118 , so sieht er in der Gesellschaft eben auch dessen Untergang. Allerdings eben, und das wurde auf den letzten Seiten zur Sprache zu bringen versucht, nicht ausschließlich. Denn zwar geht die Theorie vom Ende des Individuums soweit, dass »die Enteignung sogar seines Sterbens […] den Verlust von humaner, autonomer Subjektivität«119 aussagt, wie Schweppenhäuser hervorhebt, aber gleichzeitig nicht das Individuums als solches abschafft. Schweppenhäuser hat das erkannt und schreibt: »Das ist nicht Adornos Absicht; er stimmt ja nicht in die kulturkonservative Klage über die ›Vermassung‹ ein, sondern er will die Stärke des Individuums nutzen, die ihm zuwächst in eben dem Moment, da es vom Verschwinden bedroht ist.«120 Die Diskussion der Stellung des Individuums soll an dieser Stelle verlassen werden, da das, was nun über die ›Stärke des Individuums‹ zu sagen wäre, zu voraussetzungsreich ist, um damit schon zu beginnen. Es wird im nächsten Kapitel darauf zu sprechen gekommen. Für den Moment soll Gesellschaft und Individuum nach momentanem Erkenntnisstand kurz miteinander verquickt werden. »[I]dentifizierendes Denken, das Gleichmachen eines jeglichen Ungleichen«121 , so könnte man mit Adorno das beschreiben, was dem Individuum im gesellschaftlichen System gegenübersteht. Das Individuum wird insofern liquidiert, als das Subjekt seiner inneren Verfassung gemäß, nach der es eben immer eignet, »auch Objekt zu sein«122 , radikal zu eben jenem gemacht wird. Das Subjekt verliert insofern an Bedeutung, als es nicht mehr mit der gleichen Macht dem Allgemeinen gegenübersteht, sondern zu dessen Objekt wird. Auschwitz war für Adorno das Moment, in dem diese Verobjektivierung in solch radikaler Weise kulminierte, dass nicht nur das Leben, Erkennen, Tun und Handeln von dieser Auflösung des Individuums affiziert waren, sondern sogar das Sterben und der Tod. Individualität ist, wenn überhaupt davon gesprochen werden kann, nur noch im Schein vorhanden, nämlich in den vorgemodelten Formen des Individualismus – doch ist sie damit eben nicht mehr positiv, sondern nur noch negativ vorhanden. »Die tausendfach wiederholte und abgewandelte Versicherung des Gegenteils will den schwärenden Verdacht übertäuben, das Heteronome sei mächtiger als die Autnonomie«, hält Adorno fest, um fortzufahren: »Solcher philosohische Subjektivismus begleitet ideologisch die Emanzipation des bürgerlichen Ichs als deren Begründung. Seine zähe Kraft zieht er aus fehlgeleiteter Opposition gegen das Bestehende: gegen seine Dinghaftigkeit.«123 Damit spricht Adorno ein denkbar schlechtes Urteil über das Individuum, dem er auf der Gegenseite aber genau darin seine Stärke zuspricht. Denn zwar liegt das 118 119 120 121 122 123

Schroer: »Ende des Individuums«, S. 282. Schweppenhäuser: Adorno, S. 90. Ders.: Adorno, S. 91. Adorno: GS 6, S. 174. Ders.: GS 6, S. 184. Ders.: GS 6, S. 190.

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»Unheil […] in den Verhältnissen, welche die Menschen zur Ohnmacht und Apathie verdammen und doch von ihnen zu ändern wären«124 , soll heißen, die Subjekte selbst sind in der Pflicht, hier etwas tun zu sollen, vermögen es aber nicht aus sich heraus. Allerdings, und damit muss dieser Zwang zur Apathie ausgebremst werden, verweisen sie gerade darin, dass sie immer ein Moment der Partikularität im Allgemeinen darstellen, über den Zwangscharakter des Allgemeinen hinaus. Sie sprengen den Horizont, indem sie ihm nicht entkommen können. Das nächste Kapitel beschäftigt sich mehr mit dem Sprengen des Horizontes, die verbleibenden Abschnitte dieses Kapitels möchten allerdings erst weiter die Multiperspektivität und -dimensionalität des universalen bzw. »objektiven Verblendungszusammenhangs«125 , wie Adorno es nennt, fokussieren.

2.2 Unter dem Bann der Verblendung Der Verblendungszusammenhang wurde implizit schon seit Anfang des Kapitels und gerade auch noch einmal ganz explizit angesprochen – notwendigerweise. Denn es stellt sich doch die Frage: Wenn Adorno so viel über die Gesellschaft in ihrem Systemcharakter sagen kann, wenn er vom Individuum als im Verfall, seiner Liquidation, begriffen sprechen kann, wenn das alles möglich ist, heißt das auch, dass es erkennbar ist. Wenn es das ist, wieso unternimmt dann niemand etwas? Adorno Gedanken, dass die Menschen selbst etwas ändern müssten,126 was allerdings nicht geschieht, klingen hier an. Schroer beschreibt, dass für Adorno »das Individuum einmal mehr meinte, als nur ›Akteur‹ oder ›Rollenträger‹ zu sein«127 und dennoch scheint es in einer besonderen Passivität gefangen zu sein. Wenn erkennbar ist, dass die Welt »versetzt« und »verfremdet« ist, dass »der Zustand unabweisbar nach solcher Erkenntnis ruft«128 , wieso darf das Allgemeine dann weiter schalten und walten wie es möchte? Die Antwort findet sich an derselben Stelle: Eine fundierte Änderung, eine umfassende Erkenntnis der »Risse und Schründe« muss ausfallen, »weil es einen Standort voraussetzt, der dem Bannkreis des Daseins, wäre es auch nur um ein Winziges, entrückt ist«129 . Die Verblendung ist also eine der Welt immanente Größe. Es muss dabei in zwei Richtungen nun gefragt werden, die zu untersuchen die Aufgabe auf den nächsten Seiten sein wird, nämlich ob der Verblendungszusammenhang die Wirklichkeit umfasst oder ob er »nur« die Wahrnehmung der Wirklichkeit bedingt und damit zwar nicht die Wirklichkeit selbst, wohl aber die erfahrbare und erfahrene Realität betrifft und in sich schließt. 124 125 126 127 128 129

Ders.: GS 6, S. 191. Ders.: GS 6, S. 398. Vgl. Ders.: GS 6, S. 191. Schroer: »Ende des Individuums«, S. 282. Adorno: GS 4, S. 283. Ders.: GS 4, S. 283.

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Adorno spricht von der »vergesellschafteten Gesellschaft« als »dem ausweglos dichten Gewebe der Immanenz«130 , die Menschen seien alle »ausnahmslos unterm Bann«131 , den das System als »die negative Objektivität«132 um sie herum entwirft. Dieser Bann besteht darin, dass die Menschen, komme was wolle, nicht anders können, als sich in die vorgegebenen Strukturen zu begeben und in ihnen zu leben. Und darin besteht auch der Zwang dieses Banns, dass der Menschheit keine Alternative aufscheint, diesen Bann zu durchbrechen. Die Menschen »haben sich selbst der Apparatur ähnlich gemacht: nur so können sie unter den gegenwärtigen Bedingungen fortexistieren. Die Menschen werden nicht nur objektiv mehr stets zu Bestandstücken der Maschinerie geprägt, sondern sie werden auch für sich selber, ihrem eigenen Bewusstsein nach zu Werkzeugen, zu Mitteln anstatt Zwecken.«133 Es ist der Verblendungszusammenhang also auch Ausdruck für die vorhin schon angesprochene Objetivierung des Subjekts. Es heißt bewusst ›auch‹, weil er sich darin nicht erschöpft. Was er darüber hinaus an Spielarten und Auftrittsweisen zu eigen hat, wird im Verlauf dieses Abschnitts noch zu sehen sein – für den Moment soll sich an die oben gestellte Frage gehalten werden, nämlich inwiefern der Verblendungszusammenhang universal ist. Dass er universal ist, betont Adorno selbst mit verschiedenen Ausdrücken. Sei es direkt mit der Titulierung »des universalen Verblendungszusammenhangs«134 oder mit dem gegen Hegel sich richtenden Aphorismus »Das Ganze ist das Unwahre.«135 So oder so, der Verblendungszusammenhang in seiner verobjektivierenden Gestalt ist nach diesen Aussagen universal aufzufassen. Es gibt keinen Menschen, der »in der heutigen Gesellschaft wirklich nach seiner eigenen Bestimmung existieren kann«136 . Wohlgemerkt aber, so muss hier genau hingeschaut werden, spricht Adorno in fast allen diesen Zitaten nicht von der Welt, sondern von der Gesellschaft. Ja, der Schlussaphorismus der Minima Moralia spricht von der versetzten und verfremdeten Welt und ihren Rissen und Schründen,137 doch gibt es auch noch eine alternative Lesart: Es geht um die wahrgenommene, nicht die wirkliche Welt. Wenn Adorno von Welt spricht, dann ist diese Welt »in einer Situation, in der […] die Faktizität in […] eminentem Maß zu einer Hülle, zu einem Schleier geworden ist vor dem, was wesentlich sich zuträgt«138 . Aber eben das ist das Wichtige, dass der Schleier vor dem Wesentlichen hängt und nicht selbst das Wesent130 131 132 133 134 135 136 137 138

Adorno: GS 6, S. 362. Ders.: GS 6, S. 356. Ders.: GS 6, S. 31. Ders.: GS 8, S. 451. Ders.: GS 6, S. 397. Ders.: GS 4, S. 55. Ders.: Erziehung zur Mündigkeit, S. 144. Vgl. Ders.: GS 4, S. 283. Ders.: NgS 4/13, S. 60.

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liche ist. Die Welt, die Adorno hier meint, ist die Welt, die der Wahrnehmung entspringt bzw. wiederum die Wahrnehmung selbst beeinflusst und beschränkt. Diese innere Dialektik muss wahrgenommen werden. »Die metaphysischen Interessen der Menschen bedürfen der ungeschmälerten Wahrnehmung ihrer materiellen«, schreibt er und fährt fort: »Solange diese ihnen verschleiert ist, leben sie unterm Schleier der Maja.«139 Und worin besteht dieser Schleier? Was ist das Besondere dieses Zustands? Es ist erneut auf den Systemcharakter zurückzukommen: »[J]ener Zwang ist selbst der mythische Schein, die erzwungene Identität.«140 Michael Pauen beschreibt den Schleier als tückisch, »weil er die Aussicht auf eine Änderung des Bestehenden verdeckt: das Individuum wird zum Gefangenen eines in sich geschlossenen Verweisungssystems, das jeden Gedanken an das, was anders sein könnte, zunichte macht.«141 Selbst zu denken wird durch die Verblendung des Systemischen mehr und mehr unnötig, weil die vorgemodelten Formen, nach denen sich unter diesem Bann alles zu richten hat, ja schon bestehen und nur von den Menschen angewandt werden müssen. Gleichzeitig gilt dabei aber ebenfalls: »Je mehr die Gesellschaft der Totalität zusteuert, die im Bann der Subjekte sich reproduziert, desto tiefer denn auch ihre Tendenz zur Dissoziation. Diese bedroht sowohl das Leben der Gattung, wie sie den Bann des Ganzen, die falsche Identität von Subjekt und Objekt, dementiert.«142 Je mehr also diese Totalität angesteuert wird, die der Verblendungszusammenhang durch das System schon vorgaukelt, desto weniger ist der innere Zusammenhalt aller derer, die unter ihm gefasst sind. Doch Adorno geht noch einen Schritt weiter. Bei ihm ist die Struktur keine rein oktroyierte, sondern es gibt hier seitens der Menschen ein Mitverschulden, »denn der Mechanismus der Unmündigkeit heute ist das zum Planetarischen erhobene mundus vult decipi, daß die Welt betrogen sein will.«143 Wie ist das zu verstehen? Adorno erklärt: »Der Satz, dass die Welt betrogen sein will, ist viel wörtlicher wahr, als man es sich so vorstellt in dem Sinn nämlich, daß die bestehende Welt wirklich den Betrug, selbst wenn sie ihn durchschaut eigentlich toleriert und sogar fordert, um dieser Befriedigung willen, um dieser seelischen Hygiene willen, die er gewährt. […] Das ist zutiefst in dem Zug des bürgerlichen Bewußtseins begründet, so ganz in der bloßen Funktion, in der äußerlichen Reproduktion des Lebens aufzugehen, daß es den Geist, auf den es sich immerzu beruft, eigentlich gar nicht ganz ernst nimmt und ihn damit vorab zu so einer Art von seelischem Füllsel degradiert, das kann dann auf der einen Seite so eingerichtet werden, wie man es nach seinem seelischen Bedürfnis braucht, auf der anderen Seite kann man sich dessen auch genauso bequem wieder 139 140 141 142 143

Ders.: GS 6, S. 391. Ders.: GS 6, S. 398. Pauen: Nihilismus, S. 329. Adorno: GS 6, S. 339. Ders.: Erziehung zur Mündigkeit, S. 146.

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entledigen, wenn es einem passt – unter Berufung eben darauf, daß es ja gar nicht wirklich objektiv wahr gewesen sei.«144

Versucht man dies nun beispielhaft darzustellen, kann man in Adornos kleinem Aufsatz »Kulturkritik und Gesellschaft«145 das Beispiel vom Kulturkritiker lesen, der das kritisieren soll, von dem er selbst überhaupt seine Stellung bezieht. Er habe angebliche Objektivität und zwar durch sein »Vorrecht von Information und Stellung«146 , die allerdings wiederum genau daher rühren, dass er eben nicht, wie es der Kritiker müsste, außerhalb des von ihm zu Kritisierenden steht, sondern selbst zum Teil dessen gehört. »Aber es ist«, so fährt er fort, »einzig die Objektivität des herrschenden Geistes. Sie weben mit am Schleier.«147 So verdeutlicht Adorno hier zweierlei: Auf der einen Seite steht die Aussage Adornos: »Der Splitter in deinem Auge ist das beste Vergrößerungsglas«148 , was im Beispiel von eben folgendermaßen interpretiert werden kann: Der Anspruch auf Objektivität und Information wird dadurch gedeckt, dass man der gleichen scheinbaren ›Objektivität‹ zuarbeitet. Der Kritiker hat besonders tiefe Einsichten in die Kultur, nicht weil er ihr äußerlich ist, sondern weil er aus ihr selbst heraus auch entsteht und sich konstituiert. Aber auf der anderen Seite verdeutlicht er auch, dass es hier ein »Bewußtsein davon zu erwecken [gilt], daß die Menschen immerzu betrogen werden.«149 Er schreibt: »Vom Denkenden wird heute nicht weniger verlangt, als daß er in jedem Augenblick in den Sachen und außer den Sachen sein soll – der Gestus Münchhausens, der sich an dem Zopf aus dem Sumpf zieht, wird zum Schma einer jeden Erkenntnis, die mehr sein will als entweder Festellung oder Entwurf.«150 Dieser Münchhausen-Gestus ist dabei das besonders Schwierige, denn wie soll der Denkende dieser Objektivität, wie sie ihm begegnet, entfliehen? Er steckt selbst im Sumpf mit fest aus dem er sich nun an seinem Schopf herauszuziehen hat. Oder mit Adornos Worten: »Es ist dahin gekommen, daß Lüge wie Wahrheit klingt, Wahrheit wie Lüge. Jede Aussage, jede Nachricht, jeder Gedanke ist präformiert durch die Zentren der Kulturindustrie.«151 Nun kam der Begriff ›Kultur‹ auf den letzten Seiten schon häufiger vor und es soll mit der Darstellung des Verblendungszusammenhangs nun fortgefahren werden, indem zwei Spezifika dieser Verblendung etwas genauer in den Blick genommen werden. Zunächst soll sich mit der Entwurf der sog. Kulturindustrie – man mag fast sagen: der ›Hauptweberin am Schleier der Maja‹ – beschäftigt und dann 144 145 146 147 148 149 150 151

Adorno: Philosophische Terminologie I, S. 121, Hervorhebung von mir. Ders.: GS 10.1, S. 11–30. Ders.: GS 10.1, S. 13. Ders.: GS 10.1, S. 13. Ders.: GS 4, S. 55. Ders.: Erziehung zur Mündigkeit, S. 146. Ders.: GS 4, S. 83. Ders.: GS 4, S. 122.

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herausgearbeitet werden, wie es nach der Analyse von Adorno und Horkheimer in der Dialektik der Aufklärung überhaupt dazu kommen konnte. 2.2.1 Kulturindustrie

»Kultur- und Medienkritik gibt es seit alters her. Seit der Antike tritt sie in immer neuen Variationen auf, um den Zustand von Erziehung und Bildung, der Moral und der Sittlichkeit innerhalb jeweiliger Gesellschaften aufs Korn zu nehmen«152 , schreibt Keppler zur Eröffnung ihres Beitrags zur Ambivalenz der Kulturindustrie bei Adorno. Adornos Kulturkritik, die er zusammen mit Horkheimer in der Dialektik der Aufklärung das erste Mal so konsistent, geschlossen und direkt formulierte, wird von ihr als »wohl die schäfste, dichteste und komplexeste Kritik der modernen Lebensform«153 seit dem Entstehen von Kulturkritik überhaupt beschrieben. Und das mit gutem Grund. Denn denkt man noch einmal an das letzte Zitat Adornos aus dem letzten Abschnitt zurück, so kann wiederholt werden: »Jede Aussage, jede Nachricht, jeder Gedanke ist präformiert durch die Zentren der Kulturindustrie«154 . Das schrieb Adorno in den Minima Moralia, während er schon parallel mit Horkheimer an der Dialektik der Aufklärung arbeitete. Kulturindustrie ist bei Adorno die Figur, die am Verblendungszusammenhang maßgeblich beteiligt ist und den Systemcharakter der Gesellschaft mit konstituiert und festigt, die die Formen vorgibt, nach denen gemodelt werden soll.155 Auf den ersten Blick scheint sich schon zu bestätigen, was Keppler über die Dichte und innere Komplexität von Adornos Kritik schreibt. Was aber ist diese Kulturindustrie, die schon damals zu einem der zentralsten Themen Adornos avancierte? Kulturindustrie, so Adorno, lief davor unter der Bezeichnung ›Massenkultur‹, wovon er und Horkheimer allerdings Abstand nahmen, »um von vornherein die Deutung auszuschalten, die den Anwälten der Sache genehm ist: daß es sich um etwas wie spontan aus den Massen selbst aufsteigende Kultur handele, um die gegenwärtige Gestalt von Volkskunst.«156 Mit Kulturindustrie ist demnach nicht das gemeint, was heutzutage u. a. unter den Namen Popkultur, Subkultur, Gegenkultur, etc. gemeint ist. Es geht Adorno dabei nicht um die verschiedenen kulturellen Inhalte an sich und per se, sondern um die Art und Weise, wie sie vermittelt werden. »Kultur«, so schreibt er, »schlägt heute alles mit Ähnlichkeit. Film, Radio, Magazine machen ein System aus. Jede Sparte ist einstimmig in sich und alle zusammen.«157 Neben Kultur wird dabei auch Industrie in einem anderen Sinne gebraucht. »Der Ausdruck Industrie ist dabei nicht 152 153 154 155 156 157

Keppler: Kulturindustrie, S. 253. Dies.: Kulturindustrie, S. 253. Adorno: GS 4, S. 122. Vgl. hierzu etwa Schoberth: Jenseits der Kunst, S. 103. Adorno: GS 10.1, S. 337. Zum Begriff der Masse siehe Koch: Macht es die Masse? Adorno: GS 3, S. 141.

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wörtlich zu nehmen. Er bezieht sich auf die Standardisierung der Sache selbst – etwa der jedem Kinobesucher geläufige Western – und auf die Rationalisierung der Verbreitungstechniken, nicht aber streng auf den Produktionsvorgang.«158 Die beiden Aussagen sind im folgenden in umgekehrter Reihenfolge zu analysieren. Was die Kulturindustrie zur Industrie macht, so kann Adornos Aussage paraphrasiert werden, ist nicht, dass wie am Fließband verschiedene Teile nach und nach zusammengesetzt werden, damit am Ende ein fertiges Produkt entsteht und zwar immer nur exakt das selbe. Nein, denn wie Adorno selbst hervorhebt, »werden individuelle Produktionsformen gleichwohl beibehalten.«159 Das Dass der Produktion, »die Gleichmacherei einer standardisierten Warenproduktion«160 , wie Keppler es nennt, ist das, das dagegen nicht mehr individualisiert zu denken ist. Was bei Adorno hier so stark mit der Industrie in Verbindung gebracht wird, ist die »[t]echnische Rationalität«, die er als »Rationalität der Herrschaft selbst«161 beschreibt. Es geht hier um »Standardisierung und Serienproduktion«, um den »Zwangscharakter der sich selbst entfremdeten Gesellschaft.«162 Was die Kulturindustrie demnach als Industrie kennzeichnet, ist, dass ihre »Produkte mehr oder minder planvoll hergestellt« werden, dabei immer »auf den Konsum durch Massen zugeschnitten sind und in weitem Maß diesen Konsum von sich aus bestimmen.«163 In dieser bestimmenden Funktion gegenüber dem Konsum drückt sich dabei aus, was oben Rationalität der Herrschaft genannt wurde. Die planvolle Einrichtung des zu Konsumierenden auf den Konsum ist bei Adorno als Steuerung des Konsums durch vorgegebene Produkte dargestellt. Es gilt hier zu beachten, dass nicht die Nachfrage das Angebot bestimmt, sondern das Angebot die Nachfrage lenken können soll und es für Adorno faktisch, so können die bisherigen Aussagen analysiert werden, auch tut. Dadurch kommt ein zweites schon implizit zur Sprache, was später noch ausführlicher zu bedenken sein wird, nämlich der Zweck dahinter, »das Profitmotiv blank auf die geistigen Gebilde«164 zu übertragen. Doch vorher ist noch einmal einen Schritt zurück zu machen und zu versuchen kurz aufzuklären, was Kultur hier überhaupt bedeutet. Bei Kultur denkt Adorno nicht an »etwas wie eine spontan aus den Massen selbst aufsteigende Kultur«165 . Wenn Adorno von Kultur spricht, so meint er zunächst einmal ganz allgemein kulturelle Güter wie beispielsweise Kunstwerke, Adorno: GS 10.1, S. 339. Ders.: GS 10.1, S. 339. Keppler: Kulturindustrie, S. 254. Adorno: GS 3, S. 142. Ders.: GS 3, S. 142. Ders.: GS 10.1, S. 337. Deshalb analysiert Grimm ganz folgerichtig: »Weniger auf die industrielle Produktion kultureller, geistiger Produkte zielte der Begriff, sondern auf den Identifikationszwang kulturindustrieller Güter« (Grimm: Ware, Kunst, Autonomie, S. 64). 164 Adorno: GS 10.1, S. 338. 165 Ders.: GS 10.1, S. 337. 158 159 160 161 162 163

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Kompositionen – die schon genannten geistigen Gebilde. Kultur kann hier durchaus im umgangssprachlichen Sinn benutzt werden – auch die Medien fallen darunter. Und gleichzeitig geht diese Definition bei Adorno nicht auf. Denn alle diese Güter fallen gleichzeitig in der Kulturindustrie unter das Paradigma der Standardisierung, weshalb sie nicht mehr erfüllen, was Kultur ausmacht, nämlich Kreativität und Individualität. Kultur wird deshalb bei Adorno auch zu besetzen sein »als der Inbegriff des Selbstbewusstseins einer antagonistischen Gesellschaft«166 . Sie ist dieser Inbegriff, weil »Kultur das Prinzip von Harmonie in der antagonistischen Gesellschaft zu deren Verklärung als geltend behauptet«, dabei aber, weil »sie die Konfrontation der Gesellschaft mit ihrem eigenen Harmoniebegriff nicht vermeiden«167 kann, unweigerlich mit Disharmonie konfrontiert wird. Kultur als das Selbstbewusstsein einer antagonistischen Gesellschaft soll bei Adorno ausdrücken, dass eine bestimmte Ideologie in die geistigen Gebilde Einzug gehalten hat. Adorno möchte aufmerksam machen, dass die kulturellen Gebilde tatsächlich eine Ideologie vermittelnde und herrschaftliche Funktionen innehaben. »Die Produkte selber, allen voran das charakteristischste, der Tonfilm, lähmen ihrer objektiven Beschaffenheit nach Fähigkeiten. Sie sind so angelegt, daß ihre adäquate Auffassung zwar Promptheit, Beobachtungsgabe, Versiertheit erheischt, daß sie aber die denkende Aktivität des Betrachters geradezu verbieten, wenn er nicht die vorbeihuschenden Fakten versäumen will.«168 Die Ideologie, die sie dabei vermitteln, ist, dass nicht mehr selbst gedacht werden muss. In genau diesem Sinne kann Adorno deshalb »Aufklärung als Massenbetrug«169 als Titelzusatz zum Fragment über Kulturindustrie in der Dialektik der Aufklärung formulieren. Weil eben die Produkte nicht darauf entworfen sind, was an Nachfrage aus der Masse sich ergab, so kann man Adorno hier auslegen, sondern darauf hin konzipiert sind, den Konsum der Masse zu lenken, muss man in seinem Sinne »der Kultur ihren Verfall als Verletzung der reinen Autonomie des Geistes, als Prostitution vorwerfen«170 . Darum muss Kultur, wie sie von der Kulturindustrie be- und vertrieben wird, radikaler Kritik unterzogen werden. In diese wird nun eingestiegen, indem holzschnittartig die gröbsten Verfehlungen der Kulturindustrie in Adornos Darstellung nachgezeichnet werden. Kulturindustrie als Kultur für die Massen bildet ein geschlossenes System mit scheinbarer Diversität, die tatsächlich aber ein zusammenhängendes, bruchloses Ganzes möglichst differenziert nach außen spiegelt. »In der durchvergesellschafteten Gesellschaft sind die meisten Situationen, in denen Entscheidungen stattfinden, vorgezeichnet, und die Rationalität des Ichs wird herabgesetzt zur 166 167 168 169 170

Ders.: Ders.: Ders.: Ders.: Ders.:

GS 10.1, S. 21. GS 10.1, S. 21. GS 3, S. 148. GS 3, S. 141. GS 10.1, S. 20.

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Wahl des kleinsten Schritts«171 , schreibt Adorno und betont damit, wie sehr das Individuum bis in das Privateste hinein dem gesellschaftlichen System unterworfen ist. »Den gängigen Einwand, dass die Kulturindustrie nur produziert, was der Kunde als König sehen, hören und lesen möchte, wies Adorno stets zurück«172 , betont Grimm völlig richtig und hebt damit Adornos Meinung hinsichtlich der Stellung des Individuums gegenüber der Kulturindustrie hervor. »Der Kunde ist nicht, wie die Kulturindustrie glauben machen möchte, König«, schreibt Adorno, »nicht ihr Subjekt, sondern ihr Objekt.«173 Die Problematik, auf die er damit hinweist, bildet sich ab im Umgang des Systems mit dem Einzelnen und dem Individualismus, der hierin erzeugt wird, indem die kulturindustriellen Güter selbst diese Vorformung nach Typen bestätigen, für die sich später dann ›entschieden‹ werden kann. »Jeder soll sich gleichsam spontan seinem vorweg durch Indizien bestimmten ›level‹ gemäß verhalten und nach der Kategorie des Massenprodukts greifen, die für seinen Typ fabriziert ist. Die Konsumenten werden als statistisches Material auf der Landkarte der Forschungsstellen, die von denen der Propaganda nicht mehr zu unterscheiden sind, in Einkommensgruppen, in rote, grüne und blaue Felder, aufgeteilt.«174 Die scheinbare Vielfalt des Angebots sind nur verschiedene Masken des einen Systems der Kulturindustrie.175 Denn als in sich geschlossenes System gibt es, wie schon festgestellt wurde, nichts, das nicht schon in ihm integriert wäre. Alles ist aus dem einen Prinzip entstanden und darum kann auch nur sein, was mit ihm identisch ist. Das zwingt auch jeglichen Teil des Systems, jeden Teilnehmer am gesellschaftlichen Prozess und damit jeden Konsumenten der kulturindustriellen Waren, sich mit ihnen zu identifizieren. »Die ökonomische Ordnung und, nach ihrem Modell, weithin auch die ökonomische Organisation verhält nach wie vor die Majorität zur Abhängigkeit von Gegebenheiten, über die sie nichts vermag, und zur Unmündigkeit. Wenn sie leben wollen, bleibt ihnen nichts übrig, als dem Gegebenen sich anzupassen, sich zu fügen«176 . Schoberth sieht dabei die Mannigfaltigkeit der kulturindustriellen Manifestationen, die »sowohl fast überall auf der Welt gegenwärtig sind als auch nahezu den ganzen Alltag durchziehen. Plakate sind überall im Straßenbild präsent und werden wenn auch kaum bewußt wahrgenommen; Popmusik wird nicht nur eigens angeschaltet zur Entspannung, sie begleitet nicht nur im Hintergrund viele Arbeiten, sie ist auch für den, dem sie mißfällt unausweichlich, wenn er nur ein Kaufhaus betritt.«177 Diese Diagnose war damals so richtig, Adorno: GS 8, S. 58. Grimm: Ware, Kunst, Autonomie, S. 67. Adorno: GS 10.1, S. 337. Ders.: GS 3, S. 144. Vgl. Ders.: GS 3, S. 177: »Das Individuelle reduziert sich auf die Fähigkeit des Allgemeinen, das Zufällige so ohne Rest zu stempeln, dass es als dasselbe festgehalten werden kann.« 176 Ders.: Aufarbeitung der Vergangenheit, S. 22. 177 Schoberth: Jenseits der Kunst, S. 99. 171 172 173 174 175

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wie sie es heute beinahe noch stärker ist. Nun konnte allerdings ebenfalls schon festgeshalten werden, dass das System an der Partikularität scheitert, dass es also allein an der Existenz der Individuen, die es vereinheitlichen möchte, sich schon selbst als nur bedingt totales auszeichnet, weshalb auch zu dem Schluss folgte, dass die Wirklichkeit der Verblendung nicht die Weltwirklichkeit selbst ist, sondern die Wahrnehmung dessen verblendet, was wirklich da ist. An der Kulturindustrie kann das nächste Moment der Verblendung identifiziert werden. Dazu findet sich bei Adorno zur Beschreibung der Kulturindustrie der folgende Satz: »Ihr Sieg ist doppelt: was sie als Wahrheit draußen auslöscht, kann sie drinnen als Lüge beliebig reproduzieren.«178 Das ist, wenn man Adornos Theorie ernst nimmt, das eigentlich perfide an diesem System, dass es ihm gelingt »das Immergleiche als ein stets Neues anzubieten und anzupreisen«179 , wie Keppler völlig mit Recht formuliert. Nicht nur wird das, was wesentlich wahrgenommen werden könnte als Wahrnehmung also verstellt und hinter dem schon so oft erwähnten Schleier der Maja, dem Verblendungszusammenhang, verborgen, sondern das, was verstellt wird, wird dann innerhalb des Banns noch in verzerrter Form wieder dargestellt und zwar je und je wieder neu. »Negiert wird hier nur noch, daß es ein Außen […] geben könnte«180 . Und das ist auch das qualitativ Neue der Kulturkritik bei Adorno, dass er soweit geht, zu sagen, »daß die unversöhnlichen Elemente der Kultur, Kunst und Zerstreuung durch ihre Unterstellung unter den Zweck auf eine einzige falsche Formel gebracht werden: die Totalität der Kulturindustrie. Sie besteht in Wiederholung.«181 Dabei gilt jedoch für die Kulturindustrie auch, dass sie davon abhängig ist, dass ihre Produkte auch abgenommen werden – es herrscht auch hier der stark ökonomische Charakter der Gesellschaft vor. Auch wenn die Konsumenten also wenig Wahl haben, »die ihnen angebotenen und angepriesenen Produkte, die sie nicht beeinflussen können, letztlich auch abzunehmen, […] muß die Kultur ihre Produkte so gestalten, daß sie auch gekauft werden«182 , wie Schoberth treffend betont. Er weist mit Recht darauf hin, dass ein herrschaftliches Oktroyieren fremder Kulturbestände zum Scheitern verurteilt sein muss, da die Ideologie des kulturindustriellen Systems in seiner Geschlossenheit schon von den Konsumenten angeeignet wurde. Fremdes wäre dementsprechend wieder das, was das System zum Einsturz bringen könnte. Oder mit den Worten Grimms: »Die Kulturindustrie reproduziert das Bestehende, weil sie den Reptzeptionsgewohnheiten nicht zuwider laufen kann, wenn diese einmal etabliert sind.«183 Die Dialektik der Kulturindustrie – bestehend aus Zwang zu (äußerlich) Neuem einerseits und nur 178 179 180 181 182 183

Adorno: GS 3, S. 156. Keppler: Kulturindustrie, S. 255. Holert: Bilderbuch ohne Bilder, S. 83. Adorno: GS 3, S. 157. Schoberth: Jenseits der Kunst, S. 94. Grimm: Ware, Kunst, Autonomie, S. 71.

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Wiederholung des Gleichen andererseits – bedeutet bezüglich der Aneignung der Ideologie durch den Konsumenten, dass der Kern der Beeinflussung der Masse durch die Kulturindustrie im wirklichen Bedürfnis wurzelt und nicht in rein artifizieller Abhängigkeit besteht, wobei nicht das Bedürfen selbst Grundlage der Kritik ist, sondern dessen Befriedigung seitens der Kulturindustrie.184 Worauf wird mit der Darstellung dieses kleinen Ausschnittes von Adornos Kulturkritik gezielt? Wie erwähnt, untertitelt Adorno das Fragment zur Kultur in der Dialektik der Aufklärung mit »Aufklärung als Massenbetrug«. Der letzte Gedanke war, dass Befriedigung von Bedürfnissen seitens der Kultur hier in den Blick gerät. Daran soll versucht werden, weiter fortzuschreiten. »Die anspruchsvollste Verteidigung von Kultur heute feiert ihren Geist, den man getrost Ideologie nennen darf, als Ordnungsfaktor. Sie geben den Menschen in einer angeblich chaotischen Welt etwas wie Maßstäbe zur Orientierung, und das allein schon sei billigenswert.«185 So schreibt Adorno und gibt einen ersten Anhaltspunkt. Es gibt eine gewisse Sehnsucht, ein Bedürfnis nach einem ordnenden Paradigma in einer als chaotisch erlebten Welt. Dabei entsteht dieses Bedürfnis nach einer ordnenden Struktur gerade daraus, dass das System sich selbst als fehlerhaft und nur partikular erweist.186 Die Sehnsucht nach Ordnung entsteht daran, dass Ordnung nicht gewährleistet ist. Mit Adorno kann also festgestellt werden, »daß die Gewalt der Kulturindustrie in ihrer Einheit mit dem erzeugten Bedürfnis liegt, nicht im einfachen Gegensatz zu ihm«187 . Dennoch bleibt dieser Gedanke erklärungsbedürftig. Adorno identifiziert eine Agumentationsform für die Kulturindustrie auf technologischer Basis, nämlich dass die »Teilnahme der Millionen an ihr […] Reproduktionsverfahren [erwzinge], die es wiederum unabwendbar machen, daß an zahllosen Stellen gleiche Bedürfnisse mit Standardgütern beliefert werden.«188 Das Argument ist also, dass die schiere Masse der Menschen, die durch die Kulturindustrie beliefert werden, es nötig mache, standardisierte Produkte auf den Markt zu werfen, die verschiedene Bedürfnisse und Sehnsüchte abdecken. Als Grundlage für diese »Standards seien ursprünglich aus den Bedürfnissen hervorgegangen: daher würden sie so widerstandslos akzeptiert.«189 Allein schon, dass das Wort ›widerstandslos‹ im Zusammenhang mit Akzeptanz fällt, sollte dabei stutzig machen. Denn diese Wortwahl Adornos gepaart mit der konjunktivischen Ausdrucksweise, geben doch über folgendes Aufschluss: Er sieht das sehr kritisch. So folgert er, dass die Bedürfnisse wohl nicht die Grundlage gewesen sein können. Eher gebe es einen »Zirkel von Manipulation und rückwirkendem Bedürfnis, in 184 185 186 187 188 189

Vgl. Schoberth: Jenseits der Kunst, S. 95. Adorno: GS 10.1, S. 342. Vgl. Ders.: NgS 4/16, S. 58f. Ders.: GS 3, S. 158. Ders.: GS 3, S. 142. Ders.: GS 3, S. 142.

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dem die Einheit des Systems immer dichter zusammenschießt.«190 Es geht ihm um das zirkuläre Verfahren, dass einerseits Bedürfnisse erschaffen werden, deren Befriedigung auf der anderen Seite direkt mitgegeben wird. So entsteht ein Kreislauf, aus dem sich keiner entziehen kann, so Adorno. »Für alle ist etwas vorgesehen, damit keiner ausweichen kann, die Unterschiede werden eingeschliffen und propagiert. Die Belieferung des Publikums mit einer Hierarchie von Serienqualitäten dient nur der um so lückenloseren Quantifizierung.«191 Hier beginnt nun der Umschwung von Dienstleistung für den Menschen zu Manipulation von Menschen, indem der Verweis der Stillung eines Verlangens nicht über es selbst hinausreicht, sondern im Schema von Bedürfnis und Befriedigung verbleibt und somit die Sehnsucht nach Wandel nie wirklich gestillt werden kann. Sie bedient sich des Menschen als Werkzeug zu Perpetuierung der eigenen Existenz, wie Schoberth hervorhebt.192 Adorno drückt es so aus: »Immerwährend betrügt die Kulturindustrie ihre Konsumenten um das, was sie immerwährend verspricht.«193 Sei es der Busen oder der entblößte Oberkörper der Stars, die aber im letzten Moment immer versagt bleiben oder das erwartete Lachen und die Fröhlichkeit, wenn im Film anderen der Alltag zur Schwierigkeit gerät.194 Es geht immer darum, dass gerade das, das nicht passieren darf, ins Zentrum gestellt wird, um das Bedürfnis zu erzeugen, das dann befriedigt werden kann und muss, allerdings immer unter Vorbehalt.195 Als Paradebeispiel führt Adorno Donald Duck an: Auf der einen Seite stellen die Missgeschicke und der Ärger, die dieser regelmäßig erlebt, das alltägliche Leben mit allen seinen Höhen und Tiefen dar. Die Kunstform des Comics, in dem der Charakter sich von jedem noch so harten Schlag erholt, ermöglicht dabei, immer härtere Schläge führen zu können, denen sich der Protagonist dann stellen muss; die Übertreibung ist ein Stilmittel zur Erzeugung des Humors. Doch ist auf der anderen Seite die eigentliche Funktion dieser Darstellung seitens der Kulturindustrie zwar einerseits das Hinwegtäuschen der Massen über den persönlich erlebten Ärger des Alltags und andererseits ein Gewöhnen an die bezogene Prügel des Lebens.196 Krüger kommentiert: »Es ist dieser bittere lapidare Pessimismus, der, fern jeder apokalyptischen Hysterie, von Adorno bleiben wird: Es nützt nichts, um dein Leben zu rennen, also lauf los und laß dich von hinten erschie190 Ders.: GS 3, S. 142. 191 Ders.: GS 3, S. 144. 192 Vgl. Schoberth: Jenseits der Kunst, S. 100: »Was die Gesellschaft den Menschen versagt, soll dort kompensiert werden, wo die Versagungen im Schein erfüllt werden: In der Kulturindustrie, die das Verlangen weckt, das sie zu befriedigen sich anbietet, aber doch nie befriedigen kann. Das Bedürfnis, das Kulturindustrie erzeugt, führt zu ihr zurück, weil sie es nur fiktiv stillt, Kulturindustrie ist die Reklame ihrer selbst.« 193 Adorno: GS 3, S. 161. 194 Vgl. Ders.: GS 3, S. 161ff. 195 Vgl. Ders.: GS 3, S. 163. 196 Vgl. Ders.: GS 3, S. 159f.

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ßen.«197 Die Sehnsucht, die von der Kulturindustrie geweckt wird, ist das Ausbrechen aus dem ewigen Trott, in dem jeder nur wert ist, was sein Tauschwert ist. Befriedigung findet sich scheinbar im Vergnügen über das erlebte Unheil des Anderen. Das Vergnügen, das hier suggeriert wird, ist die erlebte Unterdrückung des Subjekts durch das System, dem durch die humoreske Darstellung der Stachel der Unfreiheit und Heteronomie genommen werden soll.198 Mehr noch kann man sagen, dass dieses Vergnügen nicht Flucht vor der Realität ist, sondern einen (auch erzwungenen) Rückzug vom Widerstand gegen diese befördert.199 Adorno fasst zusammen: »Abhängigkeit und Hörigkeit der Menschen, Fluchtpunkt der Kulturindustrie, könnten kaum treuer bezeichnet werden als von jener amerikanischen Versuchsperson, die da meinte, die Nöte des gegenwärtigen Zeitalters hätten ein Ende, wenn die Leute einfach prominenten Persönlichkeiten folgen wollten. Die Ersatzbefriedigung, die die Kulturindustrie den Menschen bereitet, indem sie das Wohlgefühl erweckt, die Welt sei in eben der Ordnung, die sie ihnen suggerieren will, betrügt sie um das Glück, das sie ihnen vorschwindelt.«200

Adorno sieht hierbei besonders kritisch, wie radikal entmündigt Individuen in diesem System stehen. »Ihr Bewußtsein wird weiter zurückgebildet.«, schreibt er und fährt fort »Nicht umsonst kann man in Amerika von zynischen Filmproduzierenden hören, ihre Streifen hätten auf das Niveau Elfjähriger Rücksicht zu nehmen. Indem sie das tun, möchten sie am liebsten die Erwachsenen zu Elfjährigen machen.«201 Die Macht, die dieses nach Adorno steuert, ist »die Macht der ökonomisch Stärksten über die Gesellschaft«202 . Zu untersuchen ist demnach als nächstes, wie nach der Behauptung des Dass der Entmündigung, die Struktur dieser Entmündigung aussieht, nämlich in der Verobjektivierung des Individuums. 2.2.1.1 Der Warenwert des Menschen Aus dem bisher Gezeigten kann folgend konstatiert werden, dass die Kulturindustrie »das Profitmotiv blank auf die geistigen Gebilde«203 überträgt. Ausgeführt wurde dies allerdings noch nicht und es soll auch nicht anhand der geistigen Gebilde, sondern anhand des Produzenten, anhand des Individuums 197 Krüger: Immer langsam voran, S. 96. 198 Vgl. Adorno: GS 10.1, S. 344. 199 Ders.: GS 3, S. 160 »Sofern die Trickfilme neben Gewöhnung der Sinne ans neue Tempo noch etwas leisten, hämmern sie die alte Weisheit in alle Hirne, daß die kontinuierliche Abreibung, die Brechung allen individuellen Widerstandes, die Bedingung des Lebens in dieser Gesellschaft ist.« 200 Ders.: GS 10.1, S. 345. 201 Ders.: GS 10.1, S. 344. Bissig ironisiert findet sich ein – wenn auch zeitlich nicht mehr ganz, aber inhaltlich um so aktuellerer – Kommentar zum Verhältnis von alt und jung bei Bökelmann: Taubstummenanstalt, S. 78. 202 Adorno: GS 3, S. 142. 203 Ders.: GS 10.1, S. 338.

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diskutiert werden. Dafür soll Adorno etwas ausführlicher das Wort gegeben werden: »Die Frage nach der Individualität muß im Zeitalter von deren Liquidation aufs neue aufgeworfen werden. Während das Individuum, wie alle individualistischen Produktionsverfahren, hinter dem Stand der Technik zurückgeblieben und historisch veraltet ist, fällt ihm als Verurteiltem gegen den Sieger die Wahrheit wiederum zu. Denn es allein bewahrt in wie immer auch entstellter Weise die Spur dessen, was aller Technifizierung ihr Recht verleiht, und wovon diese doch zugleich selber das Bewußtsein sich abschneidet.«204

Und: »Sie haben sich selbst der Apparatur ähnlich gemacht: nur so können sie unter den gegenwärtigen Bedingungen fortexistieren. Die Menschen werden nicht nur objektiv mehr stets zu Bestandstücken der Maschinerie geprägt, sondern sie werden auch für sich selber, ihrem eigenen Bewusstsein nach zu Werkzeugen, zu Mitteln anstatt Zwecken.«205

Es gibt also einerseits, das ist die Quintessenz des zweiten Zitats, das Individuum, das sich selbst dem Zwang, dem Produktionsmechanismus, der Individuation gleichgeschaltet hat; und andererseits, als Kernaussage des ersten Zitats, dass in diesem selbstverschuldeten wie gleichermaßen oktroyierten Gleichschaltungsprozess der letzte Funken Individualität nicht ausgelöscht werden kann. Zwischen diesen beiden Polen muss sich die Analyse Adornos bzgl. des von ihm in Anlehnung an Marx so genannten »Warenfetischismus« bzw. der »Verdinglichung«206 aufspannen. Ruschig beschreibt Adornos Theorie der Verdinglichung als Diagnose »einer durch den Kapitalismus hervorgebrachten objektiven Verkehrung«, die darin besteht, dass zwar die Menschheit selbst die »gesellschaftliche Wirklichkeit, mit der die Menschen ganz empirisch zu tun haben«, konstituierte und konstruierte,207 allerdings sich diese Wirklichkeit nicht »als lebendige Arbeit von dem Anspruch nach freien, miteinander kooperierenden Subjekten, sondern als Verhältnisse von Dingen«208 darstellt. Worin liegt das bei Adorno begründet? Was ist sein Argument für die Annahme, dass der Mensch sich selbst der Wirklichkeit, die er schuf, so stark unterordnet? Er antwortet: »Die Berufung auf Ordnung schlechthin, ohne deren konkrete Bestimmung; auf die Verbreitung von Normen, ohne daß diese in der Sache oder vorm Bewußtsein sich auszuweisen brauchten, ist nichtig. Eine objektiv verbindliche Ordnung, wie man sie den Menschen aufschwätzt, weil es ihnen an einer fehlte, hat keinerlei Recht, wenn sie es nicht in sich und den 204 205 206 207 208

Ders.: GS 4, S. 147. Ders.: GS 8, S. 451. Vgl. Ruschig: Materialismus, S. 338ff. Ders.: Materialismus, S. 338. Ders.: Materialismus, S. 339.

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Menschen gegenüber bewährt, und eben darauf läßt sich kein kulturindustrielles Produkt ein.«209

Damit ist das Setting von Adornos Theorie der Verdinglichung noch einmal gesetzt: Es mündet wiederum im systemischen Moment der Gesellschaft, die unter und in der Herrschaft der Kulturindustrie gefangen ist. Weil eben eine verbindliche Ordnung vergebens gesucht wird, aber dennoch eine vorgestellt ist, Adorno spricht sogar von ›aufgeschwätzt‹, begibt sich die Menschheit dort hinein. »Was als das Formlose einer einzig nach subjektiver Vernunft gemodelten Verfassung des Daseins erscheint, ist, was die Subjekte unterjocht, das reine Prinzip des Füranderesseins, des Warencharakters.«210 Auch hier muss noch eine Erklärung nachgereicht werden, da dieser Satz nicht völlig unkommentiert stehen gelassen werden kann. »Die Totalität der Gesellschaft bewährt sich daran«, schreibt Adorno, »daß sie ihre Mitglieder nicht nur mit Haut und Haaren beschlagnahmt, sondern nach ihrem Ebenbild erschafft«211 . Mit dem Ruf und dem Bedürfnis nach einer Struktur ist auch der Wille seitens der Menschen gegeben, sich diesen Strukturen selbst unterzuordnen, was allerdings, so Adornos drastische Analyse, dann eben dazu führte, dass »[d]ie Menschen […], vermöge ihrer Bedürfnisse und der allgegenwärtigen Anforderungen des Systems wahrhaft zu dessen Produkten geworden [sind]«212 . Damit unterstreicht Adorno eine seiner Annahmen, nämlich dass die gesellschaftlichen Antagonismen213 gerade nicht der Vergesellschaftung widersprechen, sondern das Mittel ihres Fortschreitens gerade sind.214 Und zu dieser Gesellschaft gehört in Adornos Theorie nun einmal dazu, dass sie »(nach wie vor) Klassengesellschaft«215 ist, wie Ruschig schreibt. Nun kann bei der Analyse einen Schritt weitergegangen werden. Dem kapitalistischen System ist inhärent, so analysiert Ruschig Adorno, dass in ihr »die gesellschaftlich notwendige, abstrakt menschliche Durchschnittsarbeit […] zu Wert [gerinnt].«216 Und, so fährt er fort, »Wert wird genau dann zu einer totalen, die Menschen beherrschenden Macht, wenn Wert auf Mehrwert zielt und vermittels dieser seiner Selbstvermehrung eine alles durchdringende Existenz etabliert.«217 Was will Ruschig damit sagen? Bei Adorno verhält es sich so, dass seine Theorie 209 Adorno: GS 10.1, S. 343. 210 Ders.: GS 6, S. 101. 211 Ders.: GS 8, S. 390. »›Gesellschaft‹ oder ›Totalität‹ ist für Adorno […] nicht bloß ein Allgemeinbegriff, sondern Ausdruck einer existierenden, wenngleich nicht mit Händen zu greifenden abstrakten Allgemeinheit, deren historisches Konstituens das Tauschprinzip bildet«, führt Meisenheimer aus (Meisenheimer: Bald frei, bald unfrei, S. 48). 212 Adorno: GS 8, S. 390. 213 Man erinnere sich zurück an den Exkurs zum System in Kapitel 2.1.1.1, S. 33ff. 214 Vgl. Adorno: GS 8, S. 14f. 215 Ruschig: Materialismus, S. 336. 216 Ders.: Materialismus, S. 340. 217 Ders.: Materialismus, S. 340.

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sich an »den entsprechenden Verhältnissen der sozialen Wirklichkeit« orientiert, und diese sieht er in »der Arbeitsteilung.«218 Diese Arbeitsteilung ist auch in gewisser Weise notwendig, da nicht jeder alles gleich gut kann – deshalb »dient [sie] dem beherrschten Ganzen zur Selbsterhaltung.«219 Allerdings wird der Wert des Einzelnen dann, so auch schon die Analyse Marx’ und Engels’, daran gemessen, wie groß die jeweilige Produktivkraft ist und wie gut sie sich ins Produktionsverhältnis eingliedert. Oder mit den Worten Ruschigs: »Der Arbeiter, dessen Arbeitsvermögen gewaltsam in eine Ware verwandelt wurde, kann sich nicht äußerlich dazu verhalten, dass seine Arbeit Mittel zur Mehrwertproduktion ist«220 . Der Arbeiter, so könnte man es zusammenfassen, ist nun nicht mehr der Produzierende, sondern wird vielmehr selber zum Produzierten, zum Produkt. Wieso? Nun, die Arbeitsteilung sollte, so war es bis hier zu verstehen, den Selbsterhaltungsprozess nicht nur erleichtern, sondern auch vorantreiben. Dafür müssen allerdings persönliche Bedürfnisse, Anliegen, etc. hinter dem Allgemeinen zurücktreten. »Je weiter aber der Prozeß der Selbsterhaltung durch bürgerliche Arbeitsteilung geleistet wird«, so Adornos Aussage, »um so mehr erzwingt er die Selbstentäußerung der Individuen, die sich an Leib und Seele nach der technischen Apparatur zu formen haben.«221 Es ist hier die Parallele zur Theorie des Verfalls des Individuums genau darin zu sehen, dass, um möglichst großen Mehrwert erzielen zu können, die Typen sich nicht mehr frei subjektiv, sondern als Objekte, als Dinge entwickeln müssen, die das System als die gängigen verkauft. Nun ist auch ersichtlich, weshalb Adorno seinen Freiheitsbegriff unter anderem auch am englischen orientiert und damit Freiheit selbst mit in den Diskurs der Produktionsverhältnisse mit aufnimmt.222 Für Adorno ist eine Eigenheit der englischen und der deutschen Sprache, dass beide »das Wort frei Dingen und Leistungen […], die nichts kosten«223 , also – im wörtlichen Sinne des Wortes – wertlosen! Dingen und Leistungen vorbehalten. Wenn frei hier als ›wertlos‹ benutzt wird, dann ist das auch das Ziel, das erreicht werden müsste, wollte man diesem Kreislauf der (Eigen-)Produktion entfliehen. Frei ist, wer oder was den Horizont des Produktion-Konsumation-Verhältnisses durchbricht und ›wertlos‹ wird. Doch liegt der Tauschwert der Produktion deutlich unter dem Gebrauchswert der Konsumation, weshalb der ökonomische Mehrwert ausfällt und es nicht mehr von Wert ist, in den Produktionsverlauf eingegliedert zu sein. Allerdings, so muss man wiederum einschränken, ist das einerseits ein sehr kleiner Freiheitsbereich, ande-

218 219 220 221 222 223

Adorno: GS 3, S. 38. Ders.: GS 3, S. 38. Ruschig: Materialismus, S. 339. Adorno: GS 3, S. 46. Vgl. Ders.: GS 4, S. 289. Ders.: GS 4, S. 289; über die Richtigkeit dieser linguistischen Engführung soll hier nicht diskutiert werden.

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rerseits gibt es gesellschaftlich betrachtet Freiheit dann so lange nicht, wie der Warenfetischismus, in dem jedes Ding notwendig seinen Preis haben muss, existiert. Diese kurze Ausblick in die Strukturen der Verdinglichung ist selbstredend recht oberflächlich und wird auch erst später224 wieder aufgenommen werden, dann aber nicht mehr aufs Individuum bezogen. Es ging vor allem darum, zu zeigen, wie tief und in welchen strukturellen Formen die Verblendung bei Adorno tatsächlich gesellschaftlich verankert ist. Nun stellt sich im nächsten Abschnitt die Frage, wie es überhaupt dazu kommen konnte, dass nach der Aufklärung eben nicht das Ideal Kants – jeder möge eigenständig denken und handeln – sich durchgesetzt hat, sondern in der Analyse Adornos eher das schlechthinnige Gegenteil eingetreten ist. 2.2.2 Die Dialektik der Aufklärung

»Seit je«, so lautet es zu Beginn der Dialektik der Aufklärung, »hat Aufklärung im umfassendsten Sinn fortschreitenden Denkens das Ziel verfolgt, von den Menschen die Furcht zu nehmen und sie als Herren einzusetzen.«225 Dies ist die Version Adornos von Kants berühmten Ausspruch »Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit.«226 Für Adorno galt, dass das »Programm der Aufklärung […] die Entzauberung der Welt«227 war, womit er nichts anderes meint, als dass durch steigendes Erkennen und Verstehen der Prozesse, die in der Natur vor sich gehen, deren Schrecken genommen wird und damit auch die mythische Überzeichnung des bis dahin Unerklärlichen ausgeräumt wird.228 Es ging dabei aber nicht um reine Überwindung, sondern der Anspruch der Entzauberung war ein anderer. »Was die Menschen von der Natur lernen wollen, ist, sie anzuwenden, um sie und die Menschen vollends zu beherrschen. Nichts anderes gilt.«229 Adorno widerspricht also schon der aufklärerischen Intention des »Sapere aude!«230 , indem er nicht nur von der Beherrschung der Natur und dem Ablegen heteronomer Strukturen als Programm der Aufklärung ausgeht, sondern auch Beherrschung der Menschen selbst mit in die aufklärerische Intention einträgt. Der Dialektik der Aufklärung liegen zwei Thesen zugrunde, die den Rahmen vorgeben, in dem nun die geschichtsphilosophische Diagnose Adornos, dass die Menschheit unter der Kulturindustrie radikal entmündigt ist und sich auch selbst entmündigt, auf ihre Herkunft geprüft werden kann. Die Thesen lauten: »[S]chon 224 225 226 227 228 229 230

Kapitel 3.1.1, ab S. 76. Adorno: GS 3, S. 19. Kant: AA VIII, S. 35. Im Original kursiviert. Adorno: GS 3, S. 19. Vgl. Hetzel: Dialektik der Aufklärung, S. 391. Adorno: GS 3, S. 20. Kant: AA VIII, S. 35.

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der Mythos ist Aufklärung, und: Aufklärung schlägt in Mythologie zurück.«231 Die erste These ist recht schnell erklärt. Hetzel fasst zusammen: »In der mythischen Erzählung artikuliere sich ein Wille zur Herrschaft, zur Verankerung der Welt in einer verbindlichen, von Göttern geschaffenen Ordnung. Die Welt des Mythos tritt den Ansprüchen des Individuums als unerbittlich und unabänderlich entgegen.«232

Was der Mythos also mit der Aufklärung gemein hat, ist die ordnende Funktion, in diesem Fall eine systematische Ordnung der erfahrbaren Naturzustände und gegebenheiten. Mit anderen Worten: »Der Mythos wollte berichten, nennen, den Ursprung sagen: damit aber darstellen, festhalten, erklären.«233 Indem nun durch das nach und nach fortschreitende aufklärerische Denken234 die Menschen sich bemühten, Mythen und Naturphänomene immer weiter zu entschlüsseln, um sie für die eigenen Zwecke nutzbar zu machen, geschah allerdings auch eine »Entfremdung von dem, worüber sie die Macht ausüben.«235 Selbst ein Teil der Natur zu sein, eignet dem aufgeklärten Individuum nicht übermäßig an, in Adornos Interpretation, sondern vielmehr »verhält [es] sich zu den Dingen wie der Diktator zu den Menschen. Er kennt sie, insofern er sie manipulieren kann.«236 Und hier kommt die Problematik wiederum auf, die sich in diesem Anspruch trägt, nämlich die Problematik des Systems237 , das Adorno zum Idealbild der Aufklärung erhebt, insofern er diagnostiziert: »Als Sein und Geschehen wird von der Aufklärung nur anerkannt, was durch Einheit sich erfassen läßt; ihr Ideal ist das System, aus dem alles und jedes folgt.«238 Es geht Adorno also auch schon in der Dialektik der Aufklärung um den inneren Zusammenhang, der in der doppelten Struktur von Vereinheitlichung und Verdinglichung besteht. Durch das Anliegen, alle Dinge so zu erklären, dass sie bequem unter ein System passen, kann dann auch vor den Menschen nicht halt machen. Wo durch die Aufklärung »die Natur in bloße Objektivität«239 überführt wird, um systemische Einheit zu schaffen, gelingt es ihr zwar, so Adorno, »das Unrecht der alten Ungleichheit, das unvermittelte Herrentum« zu überwinden, aber, 231 232 233 234

235 236 237 238 239

Adorno: GS 3, S. 16. Hetzel: Dialektik der Aufklärung, S. 391. Adorno: GS 3, S. 23. Adorno und Horkheimer gehen ganz und gar nicht davon aus, dass Aufklärung tatsächlich erst im 18. Jahrhundert sich konstituierte, sondern eine soziologische Konstante ist. In ihrer Interpretation ist schon der später noch zur Sprache kommende Mythos von Odysseus ein Zeugnis für einen aufgeklärten Menschen (Ders.: GS 3, S. 50ff.). Fleming argumentiert, nicht wenig überzeugend, dass Horkheimer und Adorno gerade deshalb die Figur des Odysseus wählten, weil der Nationalsozialismus, aber auch die deutsche philosophische Tradition davor, die griechische Antike als ein geistiges Ideal ansahen (Fleming: Odysseus and Enlightenment, besonders S. 108ff.). Adorno: GS 3, S. 25. Ders.: GS 3, S. 25. Vgl. Kapitel 2.1.1.1, ab S. 33. Adorno: GS 3, S. 23. Ders.: GS 3, S. 24f.

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das ist die traurige Konsequenz, sie »verewigt es zugleich in der universalen Vermittlung, dem Beziehen jeglichen Seiendes auf jegliches.«240 Sie verfällt insofern selbst in das mythische Prinzip der Ungleichheit, indem sie von oben her »das Inkommensurable weg[schneidet]«241 , oder mit anderen Worten, wie Hetzel treffend bemerkt: »Die Positivität der von allen Mythen und Trugbildern befreiten Welt verdichtet sich zu einem neuen Zwangszusammenhang, zu einem positivistischen Mythos der Faktizität.«242 Die Dialektik der Aufklärung besteht also darin, dass eine Freiheit erreicht werden sollte, nämlich die Freiheit von der Abhängigkeit, die im mythischen Zustand vorhanden war: Abhängigkeit von den Göttern, Abhängigkeit von der Natur, etc.; dass aber gleichzeitig darin ein besonders schwieriges Moment liegt. Denn, wie Adorno schreibt: »Kein Sein ist in der Welt, das Wissenschaft nicht durchdringen könnte, aber was von Wissenschaft durchdrungen werden kann, ist nicht das Sein.«243 Diese Form von ontisch-ontologischer Differenz findet in einer Konsequenz bei Adorno dabei besonderen Ausdruck, nämlich in der Doppelbewegung, dass die Subsumtion alles Seienden unter naturwissenschaftliche und logische Formeln dadurch zustande kommt, dass man den Denkprozess selbst den Dingen unterordnet, die durch ihn erfasst werden.244 Damit ändert sich allerdings wiederum das Herrschaftsverhältnis von dem, der durch Vernunft und Lernen von der Natur diese beherrschen will, zurück zu seiner Unterordnung unter sie. Pauen weist mit Recht darauf hin, dass die Ratio selbst »zu einem der gefährlichsten Instrumente des Identitätsprinzips geworden«245 sei. Denn: »Je mehr die Denkmaschinerie das Seiende sich unterwirft, um so blinder bescheidet sie sich bei dessen Reproduktion. Damit schlägt Aufklärung in die Mythologie zurück, der sie nie zu entrinnen wußte.«246 So die Zusammenfassung Adornos. Die langfristigen Folgen sind am Ende die, die Adorno mit der Chiffre ›Kulturindustrie‹ beschreibt, dass nämlich »die genormten Verhaltensweisen dem Einzelnen als die allein natürlichen, anständigen, vernüftigen aufgeprägt«247 werden. Der Ursprung liegt gerade in der Unterordnung des Denkens selbst, das »zur Sache, zum Werkzeug«248 verkommt, unter die Dinge, die es denken soll. Adorno schreibt: »Der technische Prozeß, zu dem das Subjekt nach seiner Tilgung aus dem Bewußtsein sich versachlicht hat, ist frei von der Vieldeutigkeit des mythischen Denkens wie von allem Bedeu240 241 242 243 244 245 246 247 248

Adorno: GS 3, S. 29. Ders.: GS 3, S. 29. Hetzel: Dialektik der Aufklärung, S. 391. Adorno: GS 3, S. 43. Vgl. Ders.: GS 3, S. 41f. Pauen: Nihilismus, S. 328. Adorno: GS 3, S. 43. Ders.: GS 3, S. 45. Ders.: GS 3, S. 41.

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ten überhaupt, weil Vernunft selbst zum bloßen Hilfsmittel der allumfassenden Wirtschaftsapparatur wurde. Sie dient als allgemeines Werkzeug […]. Endlich hat sich ihr alter Ehrgeiz, reines Organ der Zwecke zu sein erfüllt. Die Ausschließlichkeit der logischen Gesetze stammt aus solcher Einsinnigkeit der Funktion, in letzter Hinsicht aus dem Zwangscharakter der Selbsterhaltung. Diese spitzt sich immer wieder zu auf die Wahl zwischen Überleben und Untergang […]. Das von Zivilisation vollends erfaßte Selbst löst sich auf in ein Element jener Unmenschlichkeit, der Zivilisation von Anbeginn zu entrinnen trachtete.«249

Kurz zusammengefasst möchte Adorno damit folgendes sagen: Der Zwang zur Selbsterhaltung – bei Adorno immer mit Arbeitsteilung im Sinne des Produktionsprozesses verbunden250 – führt am Ende dazu, dass das Subjekt sich selbst als autonomes insofern tilgt, als es sich dem gleich macht, dem es zu entfliehen drängt. Adorno erläutert dies anhand eines Beispiels, das nachvollzogen werden soll, nämlich an der Erzählung von der Vorbeifahrt des Odysseus an den Sirenen. An der Figur des Odysseus verdeutlichen Adorno und Horkheimer in ihrem Buch die doppelte Gestalt der Verfangenheit des Individuums in die aufgeklärtökonomische Gesellschaftsstruktur. »Die Irrfahrt von Troja nach Ithaka ist der Weg des leibhaft gegenüber der Naturgewalt unendlich schwachen und im Selbstbewußtsein erst sich bildenden Selbst durch die Mythen.«251 In ihrer Interpretation des Mythos steht Odysseus für das aufgeklärte Individuum, die Mannschaft repräsentiert die Masse an Individuen, die gemeinsam mit Odysseus das gesellschaftliche System bilden. Die Gesänge der Sirenen sind die Lockungen der Unmündigkeit, der Natur, der Instinkte, des »sich Verlierens im Vergangenen.«252 Sie verheißen Lust, Spaß, das Schöne und sind damit Repräsentanten des geschichtlichen Seins des aufgeklärten Subjekts und gleichzeitig die Verheißung seines Untergangs. Möglichkeiten, mit dieser Situation umzugehen, gibt es in der Odyssee und auch in der Interpretation Horkheimers und Adornos zunächst nur zwei253 : Einerseits besteht die Option, die Odysseus seiner Mannschaft vorschreibt, nämlich das völlige Ausblenden der Gefahr durch die Verstopfung der Ohren mit Wachs. Hier zeigt sich schon die erste Form der Verdinglichung, in Gestalt der nichts-hörenden Ruderer: »Frisch und konzentriert müssen die Arbeitenden nach vorwärts blicken und liegenlassen, was zur Seite liegt. Den Trieb, der zur Ablenkung drängt, müssen sie verbissen in zusätzliche Anstrengung sublimieren. So werden sie praktisch.«254

Versucht man diesen Gedanken mit dem oben über die Kulturindustrie zusammengekommenen Gedankengang zu verbinden, dann heißt das, Odysseus’ 249 250 251 252 253 254

Ders.: GS 3, S. 47. Vgl. Ders.: GS 3, S. 47. Ders.: GS 3, S. 64. Ders.: GS 3, S. 49. Ausgenommen ist natürlich, sich den Sirenen schlicht zu ergeben. Adorno: GS 3, S. 51.

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Mannschaft steht für die stumpfe, völlig in der Verblendung verfangene Masse, deren Vergnügen in der reproduktiven Unterhaltung liegt, die ihnen vorgegeben ist, in diesem Fall das Rudern. In abstrakterer Form rückgespiegelt auf die Gesellschaft besteht das Vergnügen in der Reproduktion des Bestehenden, also in der Arbeit am technologischen und kulturellen Fortschritt.255 Anders verhält es sich mit Odysseus selbst, der sich den Gesängen ganz bewusst aussetzt, dabei aber an den Mast gebunden ist, damit er nicht dem Trieb nachgibt, zu den Sirenen zu schwimmen. Er ist der »Grundherr, der die anderen für sich arbeiten läßt.«256 Odysseus ist damit Sinnbild für die willentliche Selbstunterwerfung des Subjekts, denn je stärker er sich von den Gesängen betört fühlt, desto fester lässt er sich binden. Und so sehr er auch fordert, ihn von den Fesseln zu befreien, so wenig wird er erhört, sondern sein Schicksal wird von der Mannschaft analog zu ihrem eigenen reproduziert. Beide Parteien sind gefangen in dem Trott, den sie selbst sich auferlegt haben. Mit dieser Selbstunterwerfung bindet sich Odysseus nun nicht nur selbst an den Zwang der Reproduktion des Bestehenden, er schließt auch das Schöne aus dessen Verlauf aus und verdammt es so zu einem dem System Äußeren.257 So schlägt die Vernunft, die den Menschen zur Selbstbestimmung bringen sollte, dorthin um, sein Sein in der Unmündigkeit zu reproduzieren. »Durch die Vermittlung der totalen, alle Beziehungen und Regungen erfassenden Gesellschaft hindurch werden die Menschen zu eben dem wieder gemacht, wogegen sich das Entwicklungsgesetz der Gesellschaft, das Prinzip des Selbst gekehrt hatte: zu bloßen Gattungswesen, einander gleich durch Isolierung in der zwangshaft gelenkten Konnektivität.«258

Damit bleibt er selbst im System gefangen und ist doch gleichzeitig auch der Fähigkeit beraubt, diesen Missstand zu erkennen. »Die Absurdität des Zustands, in dem die Gewalt des Systems über die Menschen mit jedem Schritt wächst, der sie aus der Gewalt der Natur herausführt«, schreibt Adorno, »denunziert die Vernunft der vernünftigen Gesellschaft als obsolet.«259

2.3 »Nur wenn, was ist, sich ändern läßt,…« Es kann nun eine kleine Zusammenschau der Gesellschaftskritik gewagt werden. Im Messianischen Licht soll sich, so die Worte aus den Minima Moralia, die Welt zeigen, wie sie ist. Wie die Welt ist, das wurde auf den letzten Seiten zu erklären 255 Der Fortschritt selbst ist dabei selbst dialektisch aufgeladen: »Er findet statt. Indem er aber stattfindet, bleibet er Reproduktion des Gleichen« (Zamora: Zeit – Katastrophe – Erkenntnis, S. 84). 256 Adorno: GS 3, S. 51. 257 Vgl. Ders.: GS 3, S. 51. 258 Ders.: GS 3, S. 53. 259 Ders.: GS 3, S. 56.

»Nur wenn, was ist, sich ändern läßt,…«

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versucht, indem die verschiedenen Momente von Adornos GesellschaftGesellschaftskritik und ihre Ursächlichkeit dargestellt wurden. Seit Aufklärung begann, trägt sie immer »schon den Keim zu jenem Rückschritt«260 in sich, der am Ende beschrieben wurde und der darin besteht, dass das Individuum sich durch fortschreitende Naturbeherrschung selbst in die Situation des Beherrschten gibt.261 Der große, alle Momente überspannende Kritikpunkt Adornos ist das Moment der Verdinglichung, das dem System inhärent ist. Mit dem Anspruch, alles aus dem obersten Prinzip heraus zu entwickeln, muss und soll gedanklich mit einem System gearbeitet werden können, auch alles in einer bestimmten Form vergleichbar gemacht werden, nämlich in der Form, dass es auf inneren Strukturen des Systems passt und mit den Grundvoraussetzungen sich identifiziert. Die Kritik Adornos ist, dass dieses gegenüber den Menschen »allherrschende Identitätsprinzip, die abstrakte Vergleichbarkeit ihrer gesellschaftlichen Arbeit« sie am Ende nur zu einem Punkt bringen kann: »[B]is zur Auslöschung ihrer Identität«262 . So kann innerhalb der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen aber vieles, was die Aufklärung gefordert hatte, nicht umgesetzt werden – Freiheit, Unabhängigkeit und Autonomie müssen notgedrungen auf der Strecke bleiben.263 Auch eignet es diesem hermetisch geschlossenen Zirkel, der sich in einem dialektischen Spiel von Bedürfniserzeugung und -befriedigung bis heute durchsetzt,264 identifizierend und verfälscht einzugliedern, was eigentlich außer ihm stehen würde und somit über ihn hinausweisen könnte.265 Dadurch entsteht ein Bannkreis schierer Immanenz, der sich selbst am Leben erhält über die Köpfe derer hinweg, die ihn ursprünglich konstituierten, nämlich die Individuen. Die Situation scheint verfahren, ein Ausweg nicht in Sicht. Allerdings liefert Adorno selbst einen mit an die Hand. Wie nämlich sollten diese vielen negativen Aussagen möglich sein, wenn das System in sich doch so hermetisch immanent ist, dass außer den von ihm vorgegebenen Erkenntnissen quasi keine andere möglich wäre? Das »Licht der Erlösung«266 scheint wohl zu scheinen und ein paar dieser Erkenntnisse möglich zu machen. Aus ihm muss wohl auch die Wahrnehmung entspringen, dass das, was ist, nicht alles sein kann. Konkret lautet die Aussage bei Adorno: »Nur wenn, was ist, sich ändern läßt, ist das, was ist, nicht alles.«267 260 261 262 263 264

Ders.: GS 3, S. 13. Vgl. Fleming: Odysseus and Enlightenment, S. 120ff. Adorno: GS 8, S. 13. Vgl. Ders.: GS 6, S. 95f. Eine exemplarische, wenn auch nicht rundheraus überzeugende Beschreibung der noch heute aktuellen Theorie der Kulturindustrie liefert beispielsweise SchroerSchuh: Kulturindustrie. Weitaus überzeugender, dafür aber eben von 1983 stammend ist Dubiel: Gesellschaftstheorie Adornos. 265 Vgl. Adorno: GS 3, S. 156. 266 Ders.: GS 4, S. 283. 267 Ders.: GS 6, S. 391.

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»Reflexionen aus dem beschädigten Leben«. Dimensionen der Hoffnungslosigkeit

In einer kurzen Darstellung der Gedanken Adornos soll im folgenden der Übergang gefunden werden von den Dimensionen der Hoffnungslosigkeit hin zur doch möglichen, wenn auch nur negativ möglichen, Hoffnung. Denn Adorno schreibt, dass sich das, was ist, ändern lässt. Es klingt hier beinahe schon der Aufruf zu einer reformierenden und revolutionären Praxis an, den man bei Adorno allerdings vermissen muss. Zwar schreibt Adorno einerseits, dass unbedingt Umformungen in der Erziehung vorzunehmen sind, dahingehend, »daß Auschwitz nicht sich wiederhole«268 , dass die »Herstellung eines richtigen Bewußtseins«269 vorangebracht wird, die zum Ziel haben sollte, eher »Widerstand zu kräftigen, als Anpassung zu verstärken«270 . Es geht ihm dabei besonders um eine Überwindung der globalisierten kapitalistischen Marktlogik, »daß man den Menschen abgewöhnt, die Ellenbogen zu gebrauchen«271 , also »eine Erziehung zum Widerspruch und zum Widerstand«272 und zwar nicht gegen andere Menschen, zumindest nicht direkt, sondern gegen das herrschende System der Unmündigkeit. Diese Aufrufe sind vor allem den späten Vorträgen Adornos inhärent. Und sie alle greifen, das weiß der Autor selbst, ins Leere, müssen dies sogar. Denn das Problem der gesellschaftsverändernden Praxis ist genau dieses, das auf den letzten Seiten beschrieben wurde. Jegliche Praxis, die die Veränderung des gesellschaftlichen Ganzen in den Blick nimmt – und auf nichts anderes darf eine an einer Sozialutopie sich abarbeitende Theorie wohl zielen –, ist selbst schon wieder systematisierend und blockiert damit ihren eigenen Anspruch. Praxis ist Affirmation, insofern sie versucht, die Negativität durch Negation in ein Positives aufzuheben, dabei aber der Negativität selbst zum Recht verhilft, für das endlich Positive grundlegend wichtig gewesen zu sein und damit den Stachel der Negation, die sie anstrebt, selbst zieht. Die innere Notwendigkeit des Übels wird mit jeder das Bestehende verändern wollenden Praxis größer. Allerdings wäre Adorno auch nicht Adorno, würde er es bei dieser einseitigen Negativität und Hoffnungslosigkeit bewenden lassen, sondern es gibt durchaus, auf theoretischer Ebene, Sprachfähigkeit hinsichtlich eines ganz anderen, eines besseren Zustands. Diesem spürt das nächste Kapitel nach.

268 269 270 271 272

Adorno: GS 10.2, S. 690. Ders.: Erziehung – wozu?, S. 107. Ders.: Erziehung – wozu?, S. 110. Ders.: Erziehung zur Entbarbarisierung, S. 127. Ders.: Erziehung zur Mündigkeit, S. 145.

3 Gebrochene Hoffnung und hoffnungsvolle Negativität

3.1 Die Methode der negativen Dialektik Wie gezeigt, läuft in Adornos Denken Gesellschaft immer mit dem Verblendungszusammenhang zusammen, Erkenntnis daher immer nur kritisch, immer nur gebrochen, ab. Es gibt, wenn es sie denn überhaupt geben kann in dieser Anschauung, wahre Erkenntnis immer nur vom Licht der Erlösung her, das die Mängel und Fehler der Welt offenlegt.1 Wie sie das tut, wie hier Erkenntnis vonstatten gehen kann, das untersucht dieses Kapitel. Dafür wird mit einer Reflexion über die Erkenntnismethode begonnen werden, die seinem Werk Negative Dialektik den Namen verlieh. »Adorno bringt«, so schreibt es Wesche, »mit dem Titel seines 1966 erschienenen Hauptwerks Negative Dialektik ein Programm auf den Begriff, das von Anbeginn im Zentrum seiner Arbeit stand: das Projekt einer philosophischen Dialektik.«2 Diese philosophische Dialektik entspricht allerdings nach Aussage Adornos selbst nicht der Norm, sie »verstößt gegen die Überlieferung«, die »durchs Denkmittel der Negation ein Positives« hervorbringen will, was Hegel später »die Figur einer Negation der Negation benannte«3 . Diesen Schritt möchte Adorno nicht gehen, sondern eher »die Dialektik von derlei affirmativem Wesen befreien«4 . Adornos neuer Ansatz sieht für die Dialektik das folgende vor: »Mit konsequenzlogischen Mitteln trachtet sie, anstelle des Einheitsprinzips und der Allherrschaft des übergeordneten Begriffs die Idee dessen zu rücken, was außerhalb des Banns solcher Einheit wäre.«5 Damit formuliert Adorno einen großen Anspruch, nämlich keinen geringeren, als die althergebrachten Ordnungen der Dialektik auf den Kopf zu stellen. Eine besondere Form dieser Dialektik ist Adorno dabei besonders im Blick, die sein Denken prägte, nämlich Dialektik bei Hegel, von der er sich »die methodischen und inhaltlichen Grundoperationen […] für sein Dialektikprojekt kritisch 1 2 3 4 5

Pritchard bezeichnet dies als »inversion: the world is upside down« (Pritchard: Bilderverbot meets Body, S. 309). Wesche: Negative Dialektik, S. 317. Adorno: GS 6, S. 9. Ders.: GS 6, S. 9. Ders.: GS 6, S. 10.

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Gebrochene Hoffnung und hoffnungsvolle Negativität

aneignet[e].«6 Allerdings, so wiederum Adornos eigene Aussage, gibt es große Unterschiede zwischen seiner und den ›üblichen‹ Dialektiken, nämlich, wie er schreibt, sie könnte, weil sie »von allen ästhetischen Themen sich fernhält, Antisystem heißen.«7 ›Antisystem‹ ist dabei kein überraschender Name, wenn man sich die Kritik am System erinnern,8 die genau dieses Einheitsmoment, das er auch der Dialektik als affirmativ vorgeworfen hat, versinnbildlicht. Nun ist zu untersuchen, wie Adorno diesen Anspruch umsetzen kann. Auf eine Detailbetrachtung Hegelscher Dialektik in Abgrenzung zu Adornos Entwurf soll allerdings hier verzichtet werden – die Hegel-Interpretation Adornos wird immer wieder einfließen, allerdings ist nicht der Anspruch dieser Arbeit, zu prüfen, ob und wenn ja in welchem Maß und Sinn Adorno Hegel hier richtig interpretiert.9 Zunächst einmal gilt es zu klären, dass Methode hier zwar benutzt wird im Sinne »von möglichst klaren und bestimmten Regeln für den erfolgsversprechenden Umgang mit theoretischen und/oder praktischen Problemen«10 , wohlwissend, dass hier der Eindruck unter dem generellen Verständnis von ›Systematik‹ entstehen kann, was nun bei Adorno einfach fern liegt. Sonst müsste sich seine Negative Dialektik nicht ›Antisystem‹ nennen. Doch auch Adorno kann und will hinter manche Entscheidungen, wie »das aristotelische Non-Kontradiktionsgebot der analytischen Logik«11 , nicht zurückgehen. Dies sollte ernst genommen werden. Eine Systematik ergibt sich hieraus nach dem in Abschnitt 2.1.1.1 genannten Verständnis dieses Begriffs nämlich nicht. Die Negative Dialektik ist ein komplexes Werk. Beim Lesen begibt man sich in »die Eiswüste der Abstraktion«, durch die die Negative Dialektik nach dem Anspruch ihres Autors »retrospektiv einen […] Weg auf[zeigt]«12 , oder zumindest aufzeigen möchte. Das Schöne und gleichzeitig Lähmende in der Beschäftigung mit diesem Text ist Adornos Anliegen, den selbstgestellten Anspruch zu erfüllen, dass in »einem philosophischen Text […] alle Sätze gleich nahe zum Mittelpunkt stehen.«13 Dadurch kann zwar auch mit jedem Satz begonnen werden. Allerdings kann auch mit jedem Satz nicht begonnen werden. Deshalb beginne ich nicht mit Adorno, sondern mit Wesches Beschreibung: »Dialektik ist bei Hegel eine Beschreibungskategorie für das Negativwertige – das, was nicht sein soll – und schließt in theoretischer Hinsicht das Unwahre – Schein, Täuschung, Un6 7 8 9

10 11 12 13

Wesche: Negative Dialektik, S. 317. Adorno: GS 6, S. 10. Vgl. Kapitel 2.1.1.1, ab S. 33. Für eine eingehendere Auseinandersetzung über das Verhältnis von Hegel und Adorno mit großer Reflexion auch Hegelscher Argumentationsstrukturen verweise ich auf Bartonek: Philosophie im Konjunktiv, S. 49–56; Bozetti: Hegel und Adorno; Müller: Negative Dialektik, S. 129–143; Sommer: Das Konzept einer negativen Dialektik; Wesche: Negative Dialektik, S. 318f. Ritsert: Methode, S. 223. Ders.: Methode, S. 223. Adorno: GS 6, S. 9. Ders.: GS 4, S. 79.

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wissenheit – und in praktischer Hinsicht das Schlechte – Leiden, Unrecht, Entfremdung, Herrschaft – mit ein.«14 Es geht Hegel dabei allerdings vornehmlich um das Negativwertige, das einer eigenen Realität eignet und »nicht bloßer Mangel an Sein ist.«15 Es geht, um Adorno diesbezüglich zu Worte kommen zu lassen, um eine »Ontologie des falschen Zustands.«16 In diesem Sinne wird schon deutlich, wieso und weshalb Dialektik bei Adorno das Mittel der Wahl ist, um seiner kultur- und gesellschaftskritischen Philosophie Ausdruck zu verleihen. Unter dem Aspekt des Verblendungszusammenhangs ist diese Form der Darstellung die einzig erfolgsversprechende. Doch geht Adorno dennoch einen anderen Weg als Hegel, denn »[b]ei diesem koinzidieren Identität und Positivität«17 , wie Adorno kritisch einwendet. Was will Adorno damit sagen? Es war zu lesen, dass es bei Hegel nicht um bloße Negativität geht, sondern um das Negative, das selbst eine eigene Realität hat. Nun bleibt das Negative bei Hegel hier nicht stehen, sondern kann selbst negiert, aufgehoben werden, woraus sich bei ihm ein Positives ergibt. Wesche erklärt: »Aus der Diagnose einer autonomen Negativität ergibt sich die Annahme eines inneren Zusammenhangs zwischen Positivem und Negativem. Das Positive wird vermittelt über die Verneinung des Negativen möglich.«18 Wenn allerdings, wie Adorno bei Hegel analysiert, Positivität mit Identität zusammenfällt, ergibt sich das Problem, das Adorno beim System schon kritisierte, nämlich der Zwang zur Vereinheitlichung, »die in jeglicher einzelnen Bestimmung wirkende Kraft des Ganzen«, die in seiner Auslegung »nicht nur deren Negation, sondern selber auch das Negative, Unwahre [ist].«19 Wieder einmal ein erläuterungsbedürftiger Abschnitt. Laut Adorno ist Dialektik Dienst an der Versöhnung, allerdings nicht die Dialektik, die Hegel vertreten hat, da diese den »logischen Zwangscharakter, dem sie folgt«, nicht überwand.20 Vielmehr liege das Problem Hegelscher Dialektik darin, dass sie um das Sein selbst die Klammer »der Vormacht des absoluten Subjekts als der Kraft, welche negativ jede einzelne Bewegung des Begriffs und den Gangs insgesamt bewirkt«21 , setze. Diese Kritik Adornos heißt nichts anderes, als dass er bei Hegel kritisch betrachtet, wie alles – was ist, was passiert, was war und was kommt – bestimmt ist durch das höchste Prinzip, das das absolute Subjekt ist; solch eine Ordnung, die aus einem Prinzip heraus entsteht, wurde vorhin als ›System‹ herausgearbeitet. Dieses höchste Subjekt, dieses Prinzip, »ist nicht bloß Einheit in14 15 16 17 18 19 20 21

Wesche: Negative Dialektik, S. 318. Ders.: Negative Dialektik, S. 318. Adorno: GS 6, S. 22. Ders.: GS 6, S. 145. Wesche: Negative Dialektik, S. 318. Adorno: GS 6, S. 145. Vgl. Ders.: GS 6, S. 18. Ders.: GS 6, S. 18.

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nerhalb der Mannigfaltigkeit«, wie Adorno schreibt, »sondern, als Stellung zur Realität, aufgeprägt, Einheit über etwas.«22 Sie ist das identifizierende Moment in der Dialektik, der Grund, warum aus der Negation der Negation bei Hegel logisch die Position folgen kann. Um es noch ein wenig aufschlussreicher darzustellen, muss noch ein Moment betont werden, das bisher außen vor bliebt, nämlich dass bei Hegel zwar das Negative eigenständig ist, da allerdings, wie Wesche ausführt, »Wahrheitsorientierung und moralisches Handeln keine Laune des Schicksals sein sollen, […] das Positive gegenüber dem Negativen einen Vorrang erhält. […] Dialektik wird hier zum Namen für den Vorrang des Positiven im Widerstreit mit dem Negativen, das ein selbstständiges, wenn auch nicht gleichrangiges Prinzip ist.«23 Was ist der von Wesche benannte Vorrang des Positiven im Denken Adornos? »Die Lehre vom Geist«, eklärt Ritsert, »der in aller scheinbaren Gegenständlichkeit letztlich nichts anderes als sich selbst erkennt«24 . Hegels universalgeschichtliches Modell des zusich-selbst-Kommens des absoluten Geistes ist eben dieser Vorrang des Positiven, dass durch alle Negation hindurch am Ende der Geist sich in allen diesen Vorgängen selbst erkennt – er identifiziert sich mit allem. Nur wenn diese übergeordnete Identität des Positiven in der Inklusion des Negativen besteht, wird die Negation der Negation als Position denkbar und logisch richtig. Dennoch ist dies eine Wendung, die Adorno nicht mitvollzieht, sondern statt der übergeordneten Identität des Positiven das Nicht-Identische der Negation in den Fokus und das Zentrum seiner Philosophie rückt. Folglich postuliert Adorno dagegen: »Dialektik ist das konsequente Bewußtsein von Nichtidentität.«25 Die objektive Einheit aller Gegenstände in der Positivität des Geistes kann für Adorno deshalb nicht mehr und nicht weniger sein als »die Unwahrheit von Identität, des Aufgehens des Begriffenen im Begriff.«26 Zur Erklärung: Schlechthinnige Identität aller Dinge in einem und aus einem Prinzip heraus würde bedeuten, dass mit der letzten, obersten Erkenntnis, alles umfassend erkannt würde. Dies ist allerdings ein Trugschluss, wie Adorno betont, da kein Begriff der Komplexität eines Phänomens gerecht werden könne, weswegen er schreibt, dass »[w]as […] an Wahrheit durch die Begriffe über ihren abstrakten Umfang hinaus getroffen wird, […] keinen anderen Schauplatz haben [kann] als das von den Begriffen Unterdrückte, Mißachtete und Weggeworfene.«27 Das folgt für Adorno daraus, dass auch er nicht davon ab kann, zu erkennen, dass Denken immer ein identifikatorischer Akt ist.28 Identifikation heißt hier, etwas nach dem 22 23 24 25 26 27 28

Adorno: GS 6, S. 311. Wesche: Negative Dialektik, S. 319. Ritsert: Methode, S. 226. Adorno: GS 6, S. 17. Ders.: GS 6, S. 17. Ders.: GS 6, S. 21. Vgl. Ders.: GS 6, S. 17.

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eigenen Muster ordnen, das Objekt nach subjektiver Wahrnehmung strukturieren. »Befriedigt schiebt begriffliche Ordnung sich vor das, was Denken begreifen will«, wohingegen Dialektik als ›Bewußtsein von NichtIdentität‹ sich nach Adorno gerade dadurch auszeichnen muss, dass sie »nicht von vorneweg einen Standpunkt [bezieht].«29 Dafür muss allerdings zunächst einmal der Zwang der Identität im positiven Subjekt der Negation der Negation überwunden sein. Denn dieser Zwang nimmt Nichtidentität, so Adorno, nicht ernst. Er nennt zwar »[t]rivial, daß das Nichtidentische keine Unmittelbarkeit [hat], daß es vermittelt ist«30 , also dass nichts als nichtidentisch wahrgenommen werden kann, ohne dass schon bereits Identifikation vorgelegen haben muss. Aber dennoch ist es damit nicht in die Identifikation aufgehoben, sondern bleibt »nichtidentisch, das Andere allen seinen Identifikationen gegenüber.«31 Die letzte Synthese, die bei Hegel als Position aus der Negation der Negation folgt, kann es, so Adorno demnach nicht geben. Vielmehr, so ist sich Meisenheimer anzuschließen, ist sie für Adorno »das Skandalon der Hegelschen Philosophie«, insofern in ihr »Identität begrifflicher Erkenntnis und Positivität (d. h. Einverständnis mit dem Bestehenden) koinzidieren, während die unversöhnte Wirklichkeit der organischen Einheit, welche der spekulative Begriff unterstellt, Hohn spricht, weil die Menschen um ihr mögliches Glück stets wieder betrogen werden«32 . Sondern vielmehr, und hier wendet er sich radikal gegen die Hegelsche Dialektik, müsste es genau andersherum sein: »Wahrhaft ist ohne Nichtidentisches keine Identität, während diese als Totale, bei ihm [d. i. Hegel] doch den ontologischen Vorrang an sich reißt. Dazu hilft die Erhebung der Vermitteltheit des Nichtidentischen zu dessen absolut begrifflichem Sein. Anstatt daß Theorie in Begriffen das Unauflösliche zu dem Seinen bringt, verschluckt sie es durch Subsumtion unter seinen Allgemeinbegriff, den der Unauflöslichkeit. Das Verwiesensein von Identität auf Nichtidentisches, wie Hegel beinahe es erreichte, ist der Einspruch gegen alle Identitätsphilosophie.«33

Doch wäre es auch falsch, Adorno hier selbst auf eine starre Struktur festzulegen, in der sich immer eines aus dem anderen ergibt, sondern es scheint doch eher so, dass bei Adorno es immer in einem dialektischen Wechselverhältnis vollzieht: »Gleiches zusammenzunehmen heißt notwendig, es von Ungleichem zu sondern.«34 Doch ist hier auch der logische Umkehrschluss erlaubt, dass eben Ungleiches zu sondern eben heißt, schon Gleiches zusammenzunehmen. Es geht

Ders.: GS 6, S. 17. Ders.: GS 6, S. 126. Ders.: GS 6, S. 126. Meisenheimer: Bald frei, bald unfrei, S. 43. Vgl. auch Sziborsky: Rettung des Hoffnungslosen, S. 85f. 33 Adorno: GS 6, S. 126f. 34 Ders.: GS 6, S. 53. 29 30 31 32

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Adorno hier um eine prozessuale Denkbewegung, mehr als eine Statik, die er Hegel vorwirft.35 Hierfür muss eine weitere Abgrenzung Adornos von Hegel vor Augen geführt werden. Sowohl bei Hegel als auch bei Adorno findet sich das Moment der »bestimmten Negation«. Im »Hegelschen System«, so beschreibt es Schweppenhäuser, »soll der Gedanke […] immer auch bei sich selbst sein. Der Gedanke sieht also von seinem Gegenstand ab, aber damit ist er zugleich negativ auf ihn bezogen. Die immanente Deduktion des Gegenstands faßt Hegel als bestimmte Negation.«36 Jeder Gedanke entwickelt sich also negativ auf das Totale bezogen, indem er sich als dessen Negation begreift und in dieser Bezogenheit sich wiederum als Teil des Totalen erkennt.37 Diesen Vorrang des Totalen kann und will Adorno nicht gelten lassen. Wo bei Hegel in der bestimmten Negation jeglichen Besonderens sich »die Totalität, das Absolute her[stellt]«, indem »alle seine Momente, alles Relative, […] als Begriffenes in seinen Grund zurück[kehrt], aus dem es ursprünglich hervorgegangen ist«38 da widerspricht Adorno mit dem Vorrang nicht des Subjekts, also nicht des Totalen, des das zu Erkennende Vermittelnden, sondern des Objekts. Denn Adorno sieht in dieser Statik der Vorordnung des totalen Subjekts, in dieser »philosophische[n] Idee absoluter Identität« genau die »Erfahrung jener dem Individuum und seinem Bewußtsein vorgeordneten Objektivität«39 , die ihm die Liquidation des Individuums befördert. Er sieht hier die Ursache für die späteren Irrwege, die er als Zeitzeuge erlebte. »Der Völkermord ist die absolute Integration, die überall sich vorbereitet, wo Menschen gleichgemacht werden«40 , schreibt er und sieht eben hier diese übergeordnete Objektivität der reinen Identität gegeben, die das totale Subjekt des absoluten Geistes in seiner Hegel-Interpretation darstellt.41 3.1.1 Vorrang des Objekts

Stattdessen schlägt Adorno vor, Objekte nicht mehr in ihrer Vermittlung durch das Totale und Allgemeine zu betrachten, sondern gerade das Gegenteil, sie nach 35 Vgl. Adorno: GS 6, S. 38: »Das Hegelsche [System] war nicht in sich wahrhaft ein Werdendes, sondern implizit in jeder Einzelbestimmung bereits vorgedacht. Solche Sicherung verurteilt es zur Unwahrheit.« 36 Schweppenhäuser: Adorno, S. 31. 37 Vgl. Ders.: Adorno, S. 31f. 38 Ders.: Adorno, S. 31. 39 Adorno: GS 6, S. 309. 40 Ders.: GS 6, S. 355. 41 In diesem Sinne ist die Eröffnung Adornos im Werk Negative Dialektik zu verstehen, in der es heißt: »Philosophie, die einmal überholt schien, erhält sich am Leben, weil der Augenblick ihrer Verwirklichung versäumt ward.« (Ders.: GS 6, S. 15) Ein Satz, der sich dezidiert gegen Marx richtet, der sich an Hegels Gedanken vom Absoluten anschloss und darum »von der Aufhebung der Philosophie durch ihre Verwirklichung im gesellschaftlichen Ganzen gesprochen hatte.« (Schweppenhäuser: Adorno, S. 48).

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aller Möglichkeit als Partikularitäten, als Singuläres in seiner Individualität wahrzunehmen. Negative Dialektik »möchte das Besondere, Nichtidentische von der Subordination unter das Allgemeine und Identische des Begriffs befreien«42 , erläutert Schweppenhäuser. Dahinter steckt zunächst einmal eine philosophische Annahme, nämlich dass Erkenntnis immer nach bestimmten, nicht zwangsläufig bewussten Denknormen funktioniert,43 und sich unter anderem auch darin vollzieht, Dinge anhand von schon Bekanntem zu kategorisieren. »Denken heißt identifizieren«44 , heißt es zu diesem Punkt bei Adorno, womit er genau dieses ausdrückt, dass Denken immer in doppelter Hinsicht identifiziert, nämlich einerseits anhand von entdeckten Gemeinsamkeiten und Unterschieden, Teilbereiche der Dinge, die erkannt wurden, mit anderem zu identifizieren, das bereits kategorisiert ist; und andererseits, immer auch begrifflich zu identifizieren. Damit ist zunächst einmal etwas formuliert, was Adorno in seiner philosophischen Arbeit nicht hintergehen kann, nämlich Kants transzendentales Subjekt und die Vermittlung aller Erkenntnis durchs Subjekt, also auch das Denken vom Subjekt her. Im Vorwort der Kritik der reinen Vernunft schreibt Kant: »Bisher nahm man an, alle unsere Erkenntniß müsse sich nach den Gegenständen richten; aber alle Versuche über sie a priori etwas durch Begriffe auszumachen, wodurch unsere Erkenntniß erweitert würde, gingen unter dieser Voraussetzung zu nichte. Man versuche es daher einmal, ob wir nicht in den Aufgaben der Metaphysik damit besser fortkommen, daß wir annehmen, die Gegenstände müssen sich nach unserer Erkenntniß richten«45 . Die Aufgabe des Subjekts in jedem Erkenntnisvorgang ist also nicht nur passiv und rezeptiv, sondern das Subjekt schafft sich gleichzeitig die Erkenntnisgegenstände. In diesem Zusammenhang gilt auch für Adorno, dass das erkannte Objekt der Vermittlung durch das wahrnehmende Subjekt bedarf. Statt rein passiv zu agieren, ist das Subjekt aktiv an der Konstruktion der Wirklichkeit anhand seiner Wahrnehmung beteiligt, »formt und produziert die Welt immer schon mit, die ihm zum Gegenstand der Erkenntnis wird«, wie Schweppenhäuser schreibt. Er fährt fort: »Aber was die Welt, die Totalität der Wirklichkeit, […] an sich selbst in Wahrheit ist, […] entzieht sich affirmativer Erkenntnis.«46 Der letzte Satz dieses Zitats bildet schon die Kritik Adornos an Kant ab. Kant nennt »alle Erkenntniß transscendental, die sich nicht sowohl mit Gegenständen, sondern mit unsern Begriffen a priori von Gegenständen überhaupt beschäftigt.«47 Daraus folgt, »[a]lle Gegenstände menschlicher Erfahrung müssen den 42 43 44 45 46 47

Ders.: Adorno, S. 52. Vgl. Ders.: Adorno, S. 53. Adorno: GS 6, S. 17. Kant: AA III, S. 11f. Schweppenhäuser: Adorno, S. 59. Kant: AA IV, S. 23, Hervorherbungen aus dem Original nicht übernommen.

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transzendentalen Bedingungen menschlicher Erkenntnis genügen«48 , womit eine Unterordnung des Objekts unter das Subjekt geschieht. Zwar sei es vornehmlich Kant zu verdanken, so rechtfertigt Schweppenhäuser, dass die Philosophie erkannt habe, »daß der Anspruch, Philosophie solle die an sich seienden Ideen, aus denen die Mannigfaltigkeit der vergänglichen Einzeldinge entspringe, nur in Begriffen nachbilden, nicht zureich[e].«49 Doch die daraus folgende Erkenntnis Kants, dass alle Erkenntnis durch das transzendentale Subjekt vermittelt sei, wird von Adorno scharf kritisiert. »Der Gang der erkenntnistheoretischen Reflexion war, der vorwaltenden Tendenz nach«, so schreibt er, »der, immer mehr an Objektivität aufs Subjekt zurückzuführen.«50 Das Problem, das sich dabei ergibt, ist, dass das Subjekt sich damit selbst verobjektiviert, es sogar muss, und zwar genau in dem Moment, in dem es sich selbst als Vermittlungsinstanz erkennt – was er bei Kant nicht erfüllt sieht. Er fasst zusammen: »Daß die Philosophie, bis heute laborierend an mangelnder Selbstbesinnung, die Vermittlung im Vermittelnden, dem Subjekt, vergaß, ist so wenig als Sublimeres verdienstlich wie irgendein Vergessen. Gleichwie zur Strafe wird das Subjekt vom Vergessen ereilt. Sobald es sich zum Gegenstand erkenntnistheoretischer Reflexion macht, teilt sich ihm jener Charakter von Gegenständlichkeit mit, dessen Abwesenheit es so gern als Vorrang vor dem Bereich des Faktischen reklamiert.«51

Sobald also epistemologische und noetische Analysen darauf reflektieren, woher und wie Wahrnehmung sich konstruiert, verflüchtigt sich, so Adornos Aussage, der vermeintliche ontologische Vorrang des Subjekts vor dem Objekt. Dieser Vorrang ist dabei insofern besonders trügerisch, weil er das Verhältnis von Subjekt und Objekt umkehrt, das bei Adorno folgendermaßen sich darstellt: »Zum Sinn von Subjektivität rechnet es, auch Objekt zu sein; nicht ebenso zum Sinn von Objektivität, Subjekt zu sein.«52 Dem Objekt eignet gegenüber dem Subjekt demnach »Präponderanz«53 , wie Adorno es ausdrückt, weil ein Subjekt immer auch objektivierbar ist, aber das Objekt selbst nie das Subjekt sein wird, also tatsächlich immer bei sich, immer in Relation, aber immer eben auch in der bestimmten Negation des Identitätszwangs steht. Nun also soll versucht werden, nachzuvollziehen, was Adorno mit dem Vorrang des Objekts erreichen möchte. Zunächst einmal stellt es eine deutliche Umwertung der Werte dar, nämlich eine breite Kritik am begrifflichen Denken. Dabei 48 49 50 51 52 53

Tetens: Kants »Kritik der reinen Vernunft«, S. 35. Schweppenhäuser: Adorno, S. 57. Adorno: GS 6, S. 178. Ders.: GS 6, S. 178. Ders.: GS 6, S. 184. Ders.: GS 6, S. 184.

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ist Adorno sehr wohl klar, dass es ohne Begriffe auch nicht funktionieren kann, dass »Denken ohne Begriffe […] keines [ist].«54 Schweppenhäuser erklärt: »Der menschliche Geist kann nicht anders, als seine Objekte nach übereinstimmenden oder abweichenden Merkmalen, nach den Kriterien von Identität und Nichtidentität, zu klassifizieren. […] Die Klassifikation aber ist Subsumtion von Diffusem, Abweichendem, Singulärem unter ein jeweiliges Erkenntnisschema.«55

Und gerade hier liegt das Problem: Solch ein Schema, man darf es in Adornos Sinn eine Systematik nennen, soll austragen, möglichst präzise durch den Begriff auszusagen, was der begriffene Gegenstand ist. Der Versuch mit dem Begriff alles zu sagen, was der Erkenntnisgegenstand in Wahrheit ist und damit Begriff und Inhalt zu identifizieren, zwingt durch das von Adorno kritisierte Analogieschema somit eine Kommensurabilität herbei, die nur der oberflächlichen Vergleichbarkeit zweckdient, jedoch keinem der Vergleichsobjekte im Ansatz gerecht werden kann.56 Er beschreibt einen Zustand, der »die Tautologie von Identität zum Inhalt« hat, dass »sein soll, was ohnehin schon ist.«57 Was damit gemeint ist, erklärt Wesche folgendermaßen: »Den Phänomenen nicht gerecht zu werden, heißt, die Dinge nicht so zu sehen, wie sie allem Anschein nach sind, indem man sich von der unvertretbaren Phänomenbetrachtung entlastet und nur das für wahr hält, was sich als ein Gegenstand der gesicherten Erkenntnis, wie sie der Wissenschaft und Technik möglich ist, vergewissern lässt.«58 Ziel von Adornos Kritik an der Möglichkeit von Erkenntnis ist dabei die Begrifflichkeit selbst, insofern er diagnostiziert, dass jeder Begriff als falscher Statthalter für einen Inhalt steht, den er selbst nicht fassen kann und ihn somit verfälscht. Stattdessen, so fordert Adorno, »müßte Bewußtsein sich versenken in die Phänomene, zu denen es Stellung bezieht.«59 Denn in der Versenkung ins Detail, im direkten und fokussierten Betrachten des Phänomens selbst, entfällt die Übermalung der Relativität jedes Dinges zu anderen Dingen. »Sytematische Einstimmigkeit zerfiele«, ist Adornos Konsequenz aus dieser Konzentration auf das Objekt, und er schließt: »Das Phänomen bliebe nicht länger, was es bei Hegel trotz aller Gegenerklärungen doch bleibt, Exempel seines Begriffs. […] Entäußerte wirklich der Gedanke sich an die Sache, gälte er dieser, nicht ihrer Kategorie, so begänne das Objekt unter dem verweilenden Blick des Gedankens selber zu reden.«60 54 Ders.: GS 6, S. 105. 55 Schweppenhäuser: Adorno, S. 55; ähnlich auch Zamora: Zeit – Katastrophe – Erkenntnis, S. 89. 56 Aus diesem Grund betont Richter völlig mit Recht, dass der Vorrang des Objekts keine Aufgabe des Denkens ist, die damit selbst Instrumentalisierung und Verobjektivierung des Denkens wäre, sondern es eine wahrheitsbezogene Art des Denkens ist (vgl. Richter: Aesthetic Theory, S. 130). 57 Adorno: GS 6, S. 342. 58 Wesche: Negative Dialektik, S. 320. 59 Adorno: GS 6, S. 38. 60 Ders.: GS 6, S. 38.

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Adorno sieht demnach, dass das Denken in seiner identifizierenden Form misslingt, sogar misslingen muss, »weil es seine Objekte immer nur als Exemplare von etwas anderem, einem Allgemeinen, auffassen und bestimmen kann. Dann aber sagt es nicht, was die Objekte selber sind«61 , wie Schweppenhäuser erläutert. Deshalb darf bei Adorno das Objekt nicht »zum Produkt von Erkenntnis«62 werden, sondern muss selbst den Erkenntnisimpuls nach außen geben. Damit stellt sich ein Ansatz durch den Vorrang des Objekts ein, der auch den Unterschied zu einer positiven Phänomenologie markiert, nämlich dass das, was Philosophie dann noch zu verhandeln habe, in einer ErkenntnisAporie münden muss. Denn »[d]er bestimmbare Fehler aller Begriffe nötigt, andere herbeizuzitieren«63 , schreibt Adorno und drückt damit erneut aus, dass Einzelbegriffe nicht geeignet sind, um Objekte zu erfassen.64 Denn zwar gibt es den Vorrang des Objekts, das selbst redet, aber es redet zum Subjekt, die Wahrnehmung des Objekts ist also nach wie vor durch das Subjekt vermittelt. So schreibt Adorno, »Philosophie ließe, wenn irgend, sich definieren als Anstrengung, zu sagen, wovon man nicht sprechen kann; dem Nichtidentischen zum Ausdruck zu helfen, während der Ausdruck es immer doch identifiziert.«65 Das schafft sie allerdings selbst auch nur über Begriffe und begriffliche Sprache. Adorno plädiert deshalb dafür, dass statt Einzelbegriffen in Konstellationen zu denken ist. »Nur Begriffe können vollbringen, was der Begriff verhindert. Erkenntnis ist ein τρώας ἰάσεται.«66 Begriffe schaffen, was der Begriff nicht kann, nämlich Objekte beschreiben, ohne sie identifizierend festzulegen. Das oben begonnene Zitat kann fortgeführt werden: »Der bestimmbare Fehler aller Begriffe nötigt, andere herbeizuzitieren; darin entspringen jene Konstellationen, an die allein von der Hoffnung des Namens etwas überging. Ihm nähert die Sprache der Philosophie sich durch seine Negation.«67 In Schweppenhäuser: Adorno, S. 65. Adorno: GS 6, S. 98. Ders.: GS 6, S. 68. Vgl. erklärend Zamora: Zeit – Katastrophe – Erkenntnis, S. 79f. Theodor W. Adorno: Zur Metakritik der Erkenntnistheorie. Drei Studien zu Hegel, hrsg. v. Rolf Tiedemann unter Mitwirkung von Gretel Adorno, Susan Buck-Morss und Klaus Schultz (Gesammelte Schriften 5), Frankfurt am Main 2003, S. 336 (in diesem und allen folgenden Kapiteln: GS 5). 66 Ders.: GS 6, S. 62. 67 Ders.: GS 6, S. 68. Schweppenhäuser erklärt, was es mit dem Namen an dieser Stelle bei Adorno auf sich hat: »Auch hier wieder: bestimmte Negation. Begriffe stehen für das Allgemeine an den Einzeldingen, Namen für das je Besondere an ihnen.« (Schweppenhäuser: Adorno, S. 68) Der Name ist demnach das, was zur Beschreibung eigentlich eignet, hat etwas vom mythischen Charakter bewahrt, dass der Gegenstand selbst sich als das zu erkennen gibt, was er gerade in diesem Augenblick für das Subjekt darstellt. Das Objekt selbst steht im Erkenntnisvorrang und gibt den Erkenntnisimpuls, was hier bedeutet, das Objekt gibt »den kognitiven Anstoß zur phänomengerechten Betrachtung« (Wesche: Negative Dialektik, S. 312), wie Wesche verdeutlicht. Er fährt fort: »Diesen Impuls eines ›Vorrangs des Objekts‹ sieht Adorno modellhaft in Kunstwerken zur Geltung gebracht.« (Ders.: Negative Dialektik, S. 321) Deshalb muss sich in der weiteren Beschäftigung mit Adorno seiner Theorie von Kunst und Kunstwerken zugewandt werden. Dort 61 62 63 64 65

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eben dieser Weise verhandelt Adorno insgesamt das Programm der bestimmten Negation und des Nichtidentischen und zwar in Gestalt der Utopie. Als Beispiel: »Utopie wäre über der Identität und über dem Widerspruch, ein Miteinander des Verschiedenen. Um ihretwillen reflektiert Identifikation sich derart, wie die Sprache das Wort außerhalb der Logik gebraucht, die von Identifikation nicht eines Objekts sondern von einer mit Menschen und Dingen redet. […] Das Urteil, jemand sei ein freier Mann, bezieht sich, emphatisch gedacht, auf den Begriff der Freiheit. Der ist jedoch seinerseits ebensowohl mehr, als was von jenem Mann prädiziert wird, wie jener Mann, durch andere Bestimmungen, mehr ist denn der Begriff seiner Freiheit.«68

Der Mann ist in diesem Beispiel durch den Begriff der Freiheit beschrieben, es wäre allerdings ungenügend, hier schon eine vollwertige und umfassende Erkenntnis und Beschreibung dessen zu sehen, was mit ›Mann‹, gerade wenn es noch ein konkretes Beispiel sein sollte, gesagt ist. Deshalb nötigt der Begriff ›Mann‹, soll eingehender von ihm gesprochen werden als nur mit der Bezeichnung ›Mann‹, sollen mehr Dimensionen seines Seins beschrieben werden als die Freiheit, dass andere Begriffe hinzugezogen werden, dass hier Konstellationen entstehen. Ersetzt werden könnte diese Konstellation nur durch den Namen des Mannes, da er die Komplexität dieses Individuums in sich trägt. Sprache, so verdeutlicht dieser Abschnitt bisher, ist demnach ungenügend, das auszudrücken, was das Objekt selbst redet. Daraus erwächst der hohe Stellenwert der Ästhetik in Adornos Programm. Adorno beschreibt Kunst als »subjektive Durchbildung […] einer nichtbegrifflichen Sprache«69 und betont in Bezug auf Kunstwerke, sie seien »[l]ebendig […] als sprechende, auf eine Weise, wie sie den natürlich Objekten, und den Subjekten, die sie machten, versagt ist. Sie sprechen vermöge der Kommunikation alles Einzelnen in ihnen.«70 Kunstwerke sprechen also eine Sprache, die nichtbegrifflich funktioniert und dabei selbst die aufeinander bezogenen Einzelheiten in ihnen nicht synthetisieren, sondern in einer dialektischen Form belassen. Kunst wird so zum Sprachrohr für den Vorrang des Objekts. Deshalb wird diese Annahme im Folgenden untersucht, um zu sehen, ob über die Kunst ein Zugang zum Utopischen bei Adorno gefunden werden kann.

wird auch erkennbar werden, weshalb Hoffnung (z. B. auf Versöhnung, die ebenfalls dort Thema sein wird), immer nur gebrochen vorhanden sein kann. Vgl. auch (Pauen: Nihilismus, S. 332f). 68 Adorno: GS 6, S. 153. 69 Theodor W. Adorno: Ästhetische Theorie, hrsg. v. Rolf Tiedemann unter Mitwirkung von Gretel Adorno, Susan Buck-Morss und Klaus Schultz (Gesammelte Schriften 7), Frankfurt am Main 2003, S. 121 (in diesem und allen folgenden Kapiteln: GS 7). 70 Ders.: GS 7, S. 15.

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3.2 Kunst – Existenz auf der Grenze Über Adornos Ästhetische Theorie zu reden, gestaltet sich durchaus als schwierig und das nicht nur, weil das Werk nie von ihm fertiggestellt, sondern aus Fragmenten und vielen Anfängen posthum zusammengestellt wurde. Laut Sonderegger ist dies allerdings nicht das Hauptproblem. »Viel schwerer wiegt der Umstand, dass Adornos Theorie des Ästhetischen in erster Instanz eine Untersuchung über die Möglichkeit solcher Theorie ist. Das meint er nicht in einem transzendentalphilosophischen Sinn, wonach erst einmal die notwendigen kategorialen Fundamente eines Gegenstandsbereichs rekonstruiert werden müssten, bevor die Theorie loslegen kann. Adorno fragt in einem eminent historischen und letztlich gesellschaftlichen Sinn, ob es so etwas wie ästhetische Theorie noch gibt und ob es sie – moralisch und politisch gesehen – überhaupt geben darf. Nicht zuletzt fragt er damit auch nach dem Vorhandensein und dem Existenzrecht von Kunst.«71

Das Existenzrecht von Kunst wird jedoch weder in diesem noch in seinen anderen Werken in irgendeiner Weise umfassend oder sonst positiv benannt. Vielmehr folgt Adorno auch in dem über 500 Seiten starken Buch seinem essayistischen Stil, nach dem Begriffe nie definiert, sondern nur in ihrem aktualen, spezifischen Gebrauch nach dem Vorrang des Objekts und in Konstellation benutzt werden können.72 Vielmehr, so wird auf den kommenden Seiten verständlich zu machen versucht, kommt der Kunst bei Adorno eine besondere Form des Daseins zu, eine Existenz ›auf der Grenze‹, auf der Schwelle zwischen ›drinnen‹ und ›draußen‹, sowohl in der Welt als auch dieser entzogen. Diese Nomenklatur bezieht sich darauf, dass, wie zu sehen sein wird, das Kunstwerk sowohl Teil des Verblendungszusammenhangs ist und damit perpetuierend in Bezug auf gesellschaftliche und erkenntnistheoretische Missstände und gleichzeitig diesem System vollkommen enthoben. Dass es aber auch gleichzeitig durch sein ›drinnen‹-Sein die Möglichkeit eröffnet, im ›Drinnen‹ von ›draußen‹ scheinen zu lassen, ohne die Grenzen damit aufzuheben und den versöhnten Zustand folglich in der reinen Immanenz oder Transzendenz aufzuheben. Auch wenn es keine Erfahrung gibt, »auch nicht die unmittelbar dem Kommerz entrückte, die nicht angefressen wäre«73 , d. h. also »alle Erkenntnis beschädigt ist, nirgends eine Unmittelbarkeit zu finden sein kann, die die Verdinglichung durchbrechen könnte«74 , wie Schoberth schreibt, muss dennoch eine Erfahrung, die nicht völlig der Verdinglichung unterworfen ist, als Bezugspunkt vorhanden sein, da die kritische Theorie sich sonst 71 72 73 74

Sonderegger: Ästhetische Theorie, S. 414. Vgl. Adorno: GS 11, S. 20ff; Sonderegger: Essay und System, S. 427ff. Adorno: GS 7, S. 55. Schoberth: Jenseits der Kunst, S. 51.

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selbst überflüssig machte.75 Kunst kann dieser Bezugspunkt sein, wenn sie dem Utopischen den Rahmen zum Scheinen im Schein bieten kann, oder, wie Sziborsky schreibt: »Das Medium, das die Intention des Rettens von sich aus vertreten kann, ist für Adorno die Kunst. Sie ist es deshalb, weil sie nicht von vornherein durch den fixierenden Begriff bestimmt und dadurch ›zugerichtet‹ ist wie die Gegenstände der Wissenschaft und der Philosophie.«76 Das gesagt habend, müssen nun allerdings wieder einige deutlich kleinere Schritte getan werden, als es in der Zielsetzung gerade geschah. Denn was bedeutet dieses Sein auf der Grenze und weshalb ist es für diese Arbeit so wichtig? Dafür soll zunächst einmal dieses Phänomen näher betrachtet und dann in verschiedene Problemfelder hinein sich begeben werden, in denen diese These nach der Grenzposition von Kunst steht. Adorno schreibt: »Zentral unter den gegenwärtigen Antinomien ist, daß Kunst Utopie sein muß und will und zwar desto entschiedener, je mehr der reale Funktionszusammenhang Utopie verbaut; daß sie aber, um nicht Utopie an Schein und Trost zu verraten, nicht Utopie sein darf. Erfüllte sich die Utopie von Kunst, so wäre das ihr zeitliches Ende.«77

Zu den ›gegenwärtigen Antinomien‹, die Adorno hier benennt, zählt u. a. die von der Kulturindustrie verblendete Gesellschaft mit ihrer konsequenten Ideologisierung des Warenfetischismus. Will Kunst nicht selbst Teil der Affirmation des Bestehenden sein und sich widerstandslos ins Gegebene eingliedern, muss sie dem entgegenstehen, was sie allerdings nicht kann, da sie sich aus diesem und in diesem System selbst entwickelt.78 Dies nimmt zu – desto mehr, je ertragreicher sie selbst als Ware gehandelt wird. Denn, so wurde mit Adorno bereits erörtert, »[d]ie gesamte Praxis der Kulturindustrie überträgt das Profitmotiv blank auf die geistigen Gebilde. Seitdem diese als Waren auf dem Markt ihren Urhebern das Leben erwerben, hatten sie schon etwas davon.«79 Es ist diese Autonomie von einer internen Dialektik, insofern zwar, wie Grimm schreibt: »Indem Kunst zur Ware wird, […] wird sie gleichzeitig aus ihrem Dasein als Auftragskunst befreit«, da »die Produktion der Ware für einen anonymen Markt […] die Voraussetzung für die Autonomie der Kunst«80 ist. Gleichzeitig ist das Problem aber, dass diese Autonomie »[a]ls gesellschaftliche, über den Markt vermittelte Autonomie […] immer auch schon Ideologie [war], weil der Künstler sich repdouzieren und seine Ware für den Verkauf zurichten musste.«81 Spinnt man diesen Gedanken weiter, kommt man zu dem Schluss, dass Kunst bei Adorno zwar ein Moment von Autonomie 75 76 77 78 79 80 81

Vgl. Ders.: Jenseits der Kunst, S. 51. Sziborsky: Rettung des Hoffnungslosen, S. 79. Adorno: GS 7, S. 55. Vgl. Ders.: GS 7, S. 16. Ders.: GS 10.1, S. 338. Grimm: Ware, Kunst, Autonomie, S. 65f. Ders.: Ware, Kunst, Autonomie, S. 66.

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immer in sich trägt, hinsichtlich ihrer Unabhängigkeit gegenüber der Anonymität des Martkes, gleichzeitig aber auch selbst diesem in Nachfrage und Angebot sich immer wieder gleich machen muss und deshalb Teil der Ideologie wird. Adorno argumentiert also, dass Kunstwerke nicht nur von der Kulturindustrie integriert werden, sie integrieren sich selbst, indem sie als Ware gehandelt werden. Das Profitdenken ist überall, auch in der sog. ›autonomen Kunst‹ zu finden, deren Autonomie »freilich nie ganz rein herrschte und stets von Wirkungszusammenhängen durchsetzt war«, wie Adorno schreibt und der Kunst attestiert, im kulturindustrieindustriellen System auch jedes letzte bisschen Autonomie einzubüßen.82 Es ist somit verständlich, was Adorno meinte, wenn er schriebt, dass »der reale Funktionszusammenhang Utopie verbaute«83 , nämlich dass Kunst durch und durch integriert ist in die Systematik der Kulturindustrie. Doch sieht er den Anspruch der Kunst auch darin, diese Wirklichkeit zu überflügeln, weshalb sie Utopie, Nicht-Ort, sein muss. Um nicht auf- und verloren zu gehen in der subjektiven Zuschreibung, ob das noch Kunst sei oder schon weg könne, muss sie aus sich heraus sich als Kunst entwickeln können. Nicht mehr darf das Kunstwerk zur bloßen Ware verkommen. Sondern vielmehr sieht Adorno: »Auch autonome Kunstwerke […] negieren bestimmt die empirische Realität, zerstören die zerstörende, das, was bloß ist, und als bloßes Dasein die Schuld endlos wiederholt.«84 Kunst überwindet also, so darf aus dem letzten Zitat herausgelesen werden, die Wirklichkeit in die sie gestellt ist, nämlich, so führt Adorno anschließend weiter aus, indem sie sich von dieser distanziert.85 Doch heißt das nicht, dass Kunst und die Wirklichkeit nichts miteinander zu tun hätten – es bleibt wie bei Adorno immer die negative Bezogenheit zu- und aufeinander, die schon darin gründet, dass eben die Autonomie selbst instrumentalisiert wird; Adorno drückt es aus mit: »Geistige Gebilde kulturindustrieindustriellen Stils sind nicht länger auch Waren, sondern sind es durch und durch.«86 Mit anderen Worten also: wie innerhalb der Produktionsstruktur alles reproduzierbar sein soll, sind diese reproduzierbaren Kulturgüter jeglicher Art nicht mehr in ihrer Doppelstruktur als Kunstwerke und Waren vorhanden, sondern sind Waren in erster Linie. Diese Kulturgüter können nur noch zur Aufrechterhaltung des Scheins dienen. Kunst soll aber gerade diesen Schein durchbrechen, indem sie Utopie sein soll. Doch sie kann und darf nicht Utopie sein. Sie kann es nicht, denn »[s]o wenig wie Theorie vermag Kunst Utopie zu konkretisieren; nicht einmal negativ.«87 Jegliche Konkretion wäre eine positive Aussage, von der dann das Gleiche gel82 Adorno: GS 10.1, S. 338. 83 Ders.: GS 7, S. 55. 84 Ders.: GS 11, S. 424; er bezieht sich an dieser Stelle auf die Anekdote, nach der Picasso auf die Frage, ob er das Guernica-Bild gemalt habe, mit »Nein, Sie.« antwortete. 85 Vgl. Ders.: GS 11, S. 425. 86 Ders.: GS 10.1, S. 338. 87 Ders.: GS 7, S. 55.

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ten muss, wie von allen positiven Aussagen: dass sie das Bestehende affirmieren. Sie darf es nicht, weil es bedeuten würde, dass die Utopie an ihr Ende käme, weil sie dann nicht mehr ein Nicht-Ort, sondern ein ganz konkreter Ort wäre. »Erfüllte sich die Utopie von Kunst, so wäre das ihr zeitliches Ende«88 , wie bei Adorno zu lesen ist. Vereinfacht ausgedrückt heißt das, dass keinerlei Konkretion des Utopischen möglich sein kann, solange die Utopie eine solche sein soll. Sich den besseren Zustand als wirklich vorzustellen, macht ihn zum schlechteren. Und auch vom zu verbessernden Zustand zu sprechen, kann deshalb nicht positiv oder negativ möglich sein – es ist ganz und gar unmöglich, konkret zu werden. Auch und vor allem für die Kunst gilt dies. So und nicht anders sollte Adornos bekanntes Diktum verstanden werden, »nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch, und das frißt auch die Erkenntnis an, die ausspricht, warum es unmöglich ward, heute Gedichte zu schreiben.«89 Ein Ausspruch, der problemlos auf Kunst selbst ausgeweitet werden kann. Um das besser zu verstehen, muss zunächst einmal mit dem Problem des Materials sich beschäftigt werden. 3.2.1 Probleme der Verdinglichung

Zunächst allerdings, bevor die andere Seite der Grenze betrachtet wird, wird sich der einen zu widmen sein, in der wir als Menschen selbst stehen und es ist dies die Seite der Wirklichkeit, in der und aus der das Kunstwerk entsteht. »Kunstwerke«, so schreibt Adorno, »begeben sich hinaus aus der empirischen Welt«90 . Sie stellen diese Welt nicht einfach nur dar, sie bilden nicht Wirklichkeit ab, sondern sie entfernen sich aus diesem Bezug. Und dennoch bleiben sie in seiner ästhetischen Theorie nicht bezugslos in einem Jenseits. »Noch das sublimste Kunstwerk bezieht bestimmte Stellung zur empirischen Realität, indem es aus ihrem Bann heraustritt«91 . Nicht also eignet es dem Kunstwerk, sich rein der Wirklichkeit zu flüchten in eine andere, selbst entworfene, sondern »Kunstwerke sind Nachbilder des empirisch Lebendigen«92 . Sie sind keine creatio ex nihilo, sondern konkret bezo88 Ders.: GS 7, S. 55. 89 Ders.: GS 10.1, S. 30. Später konkretisiert Adorno seine Aussage bezüglich der (Un-)Möglichkeit von Kunst und stellt sie in den Zusammenhang seiner Theorie der Kulturindustrie und der vergesellschafteten Gesellschaft. Die Ausweglosigkeit, wie sie schon beschrieben wurde, die in die völlige Hoffnungslosigkeit stellt, ist die Situation, in die Kunst besonders nach Auschwitz gestellt ist. Es scheint auch für die Kunst zunächst fast unmöglich, überhaupt noch zu existieren. Und dennoch geht es auch nicht ohne, denn ohne sie wäre die Ausweglosigkeit auch nicht erkennbar. »Während die Situation Kunst nicht mehr zuläßt – darauf zielte der Satz über die Unmöglichkeit von Gedichten nach Auschwitz –, bedarf sie doch ihrer. Denn die bilderlose Realität ist das vollendete Widerspiel des bilderlosen Zustands geworden, in dem Kunst verschwände, weil die Utopie sich erfüllt hätte, die in jedem Kunstwerk sich chiffriert. Solchen Untergangs ist die Kunst von sich aus nicht fähig.« (Ders.: GS 10.1, S. 452f). 90 Ders.: GS 7, S. 10. 91 Ders.: GS 7, S. 15, Hervorhebung von mir. 92 Ders.: GS 7, S. 14.

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gen auf ein bestimmtes Material93 , auf die Wirklichkeit, in der sie entstehen. »Der Widerspruch des Gemachten und Seienden ist das Lebenselement der Kunst«94 . Nun widmete sich das ganze Kapitel 2 der Analyse und Benennung, dass die Wirklichkeit selbst unter dem Bann der Verblendung gefangen ist. Indem Kunstwerke nun bewusst aus dieser Wirklichkeit hinaustreten und »eine entgegengesetzte eigenen Wesens hervor[bringen]«, wie Adorno schreibt, »tendieren sie a priori, mögen sie noch so tragisch sich aufführen, zur Affirmation.«95 Das Kunstwerk, es mag noch so kritisch sich zur Wirklichkeit stellen, kann noch so stark die Schwächen, die Risse und Schründe darstellen, es bekräftigt damit letztendlich zunächst einmal nicht eine andere Wirklichkeit, es verbessert die nicht, aus der es kommt, sondern es bekräftigt deren Existenz, in seinem negierenden Bezug. Kunst ist in diesem Punkt immer dem Problem der Verdinglichung, der Instrumentalisierung unterworfen. Denn durch ihren Verweis auf das, was nicht ist im negativen Bezug zu dem, was ist, wird sie zur bewussten Ersatzbefriedigung, wie Adorno es ausdrückt. »Verdinglichtes Bewußtsein ruft als Ersatz dessen, was es den Menschen an sinnlich Unmittelbarem vorenthält, in dessen Sphäre zurück, was dort seine Stätte nicht hat.«96 Das Kunstwerk dient hier als Moment des falschen Trostes, das dem Betrachter vorgaukelt, im rechten Verhältnis zu leben. Kritisch bemerkt Adorno hierzu: »Der Bürger wünscht die Kunst üppig und das Leben asketisch; umgekehrt wäre es besser.«97 Doch liegt das Problem dieses Vorgangs nicht nur beim Betrachter, sondern vielmehr ist es ein Schaden für die Kunst, denn »[w]ährend scheinbar das Kunstwerk durch sinnliche Attraktion dem Konsumenten in Leibnähe rückt, wird es ihm entfremdet: zur Ware, die ihm gehört und die er ohne Unterlaß zu verlieren fürchtet.«98 Es ist dies ein Problem, weil es verwäscht, was Kunst sein kann und sein soll, nämlich auch Kritik. Sonnderegger plädiert deshalb dafür »die ›Schuld‹ auch noch der gelungensten Kunst als die Gefahr zu sehen, dass ein Kunstwerk eines Tages nicht mehr in der Lage ist, kritische Differenzen zu erzeugen, sondern nur indifferente Andersheit.«99 Und das, so liest man als Konsequenz bei Adorno 93 Vgl. zum Material bei Adorno exemplarisch Schoberth: Jenseits der Kunst, S. 107–134; Dworschak: Hörbarer Sinn, S. 364–411; Stederoth: Pseudomorphose, Konvergenz und Dramaturgie; Hindrichs: Der Fortschritt des Materials. Mit verschiedener Intensität diskutieren die Autoren die besondere Stellung des Materials hinsichtlich des Objektcharakters des Materials bzgl. des »schaffenden« Subjekts und inwiefern sich in ihm ein bestimmter objektiver Geist niederschlägt, der Kunst erst zur Kunst werden lässt, worin wiederum einem aus-dem-Nichts-Kommen von Kunstwerken, gleichsam aber auch einem Ausgehen von Kunst aus dem Subjekt selbst widersprochen wird. 94 Adorno: GS 4, S. 256. 95 Ders.: GS 7, S. 10. 96 Ders.: GS 7, S. 27. 97 Ders.: GS 7, S. 27. 98 Ders.: GS 7, S. 27. 99 Sonderegger: Ästhetische Theorie, S. 424.

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»[w]as die verdinglichten Kunstwerke, nicht mehr sagen, ersetzt der Betrachter durch das standardisierte Echo seiner selbst, das er aus ihnen vernimmt. Diesen Mechanismus setzt die Kulturindustrie in Gang und exploitiert ihn.«100 Damit zwingt die Kulturindustrie Kunst dazu – für Adorno wird dies gerade in der Moderne wichtig und offensichtlich –, »zum Äußersten zu gehen«101 . Kunst muss, will sie nicht einfach nur im Affirmativen verbleiben und damit sich selbst als Kunst überflüssig machen, zwar das Material nehmen, das ihr vorfindlich ist, aber sie kann es dann nicht nur auf die Art und Weise anordnen, die ihr vorgegeben ist, sondern muss jegliche Mäßigung ablegen und ins Extreme gehen. »Gemäßigte Moderne ist in sich kontradiktorisch«, schreibt er, »weil sie die ästhetische Rationalität bremst.«102 Diese besteht darin, sich nicht auf das Traditionelle zu besinnen oder auf das, was geschichtlich vorläufig war, sondern genau mit den Mitteln zu arbeiten, die die Mittel der Moderne sind. In seinen Worten lautet diese Analyse: »Daß jedes Moment in einem Gebilde ganz und gar das leiste, was es leisten soll, koinzidiert unmitelbar mit Moderne als Desiderat: das Gemäßigte entzieht sich diesem, weil es die Mittel von vorhandener oder fingierter Tradtition empfängt und ihr die Macht zutraut, die sie nicht mehr besitzt.«103

So kann man, wollte man versuchen, an der Verdinglichung und dem Warenfetischismus, wie Adorno den herrschenden Zustand beschreibt, noch etwas Positives zu finden, immerhin festhalten, dass sie Kunst dazu zwingen, immer kritischer zu agieren, und die »Narben, die Stellen, an denen die voraufgegangenen Werke mißlangen«104 , noch weiter zu konkretisieren. Folgt man diesem Gedanken nun weiter, kommt man an den Punkt, verstehen zu können, warum Adorno schreibt, dass Kunst durch ihre fortschreitende, sie zerstörende Verdinglichung gerettet werde.105 Allerdings ist diese Verdinglichung wohl nur Symptom eines Zerstörungsprozesses, nach dem nun auch gefragt werden muss, wenn weiter von Verdinglichung geredet werden will. Schweppenhäuser nennt zwei Möglichkeiten, welche Zerstörung Adorno gemeint haben könnte. Einerseits die Zerstörungen des zweiten Weltkriegs. »Es ist ja eine entscheidende Grundannahme von Adornos Ästhetik«, so benennt es Schweppenhäuser, »daß Kunst mit der geformten Abarbeitung an der Erfahrung von Leiden zu tun hat, welches immer geschichtlichen, in der neuern Zeit: katastrophischen, Wesens ist.«106 Allerdings schränkt er direkt ein, dass das in diesem 100 101 102 103 104 105 106

Adorno: GS 7, S. 33. Ders.: GS 7, S. 58. Ders.: GS 7, S. 59. Ders.: GS 7, S. 59. Ders.: GS 7, S. 59. Vgl. Ders.: GS 4, S. 83. Schweppenhäuser: Adorno, S. 120.

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Fall nicht das treffe, worum es Adorno gehe. Adorno ziele mit seiner ästhetischen Theorie von Utopie auf etwas anderes ab, »was man als symbolische Zerstörung der Kunst bezeichnen könnte, genauer: […] die symbolische Selbstzerstörung der Kunst.«107 Das größte Problem, das sich der Kunst stellt, wurde vorhin schon angesprochen, nämlich, dass sie Utopie sein muss, aber nicht sein darf. Dem muss man sich über Adornos Vorstellung des Schönen, besonders in seiner Unterscheidung von Natur- und Kunstschönem nähern. Adorno beschreibt »die Besinnung über das Naturschöne« als »unabdingbar«, denn, wie er schreibt, »[d]er Begriff des Naturschönen rührt an eine Wunde«108 . Die Wunde ist, dass man seit Schelling das Naturschöne aus der ästhetischen Theorie und der Philosophie verdrängte und sich nur noch mit Kunstwerken und ihrer Schönheit befasste, ohne dabei zu merken, dass Kunst und Natur aufs Engste miteinander verbunden sind.109 So sind Kunst und Natur für Adorno »[a]ls pure Antithesen […] aufeinander verwiesen: Natur auf die Erfahrung einer vermittelten, vergegenständlichten Welt, das Kunstwerk auf Natur, den vermittelten Statthalter von Unmittelbarkeit.«110 Kunst versucht, so soll diese Aussage Adornos in dieser Arbeit verstanden sein, darzustellen, was Natur ist, die wiederum der Darstellung bedarf, damit sich zeige, was sie ist. Daraus ist mit Adorno eine Distinktion zwischen Kunstschönem und Naturschönem zu schließen. Diese beiden sind aufeinander bezogene, aber dennoch diametral entgegengesetzte Antithesen.111 Natur steht bei Adorno insgesamt als »Antithese zur Gesellschaft«, ist aber gerade darin nicht, »als was sie erscheint.«112 Sie ist nicht der Widerspruch zur vergesellschafteten Gesellschaft, da diese die Natur als Konterfei in der Aufklärung gezähmt, überwunden und unterworfen glaubt. Die schlechthinnige Beherrschung der Natur als Ziel der Aufklärung ist die treibende Kraft hinter jeglichem technologischen Fortschritt. Dabei ist diese vermeintliche Überwindung nur Hoffart seitens des Menschen im Drang, alles, was nicht den eigenen Maßstäben genügte und dem Fortschritt entgegenging, zu vernichten.113 Der Zwang zur Identifikation in der Kunst war der Ausschluss des Naturschönen und dessen Trennung vom Kunstschönen. Das Natuschöne sperrt sich dem Begriff, es ist das, »was als mehr erscheint, denn was es buchstäblich an Ort und Stelle ist«114 , wie er schreibt, es ist »ϕύσει, was, kantisch gesprochen, Ding an sich wäre.«115 Schön an der Natur ist vor allem 107 108 109 110 111 112 113 114 115

Schweppenhäuser: Adorno, S. 120. Adorno: GS 7, S. 98. Vgl. Ders.: GS 7, S. 97f. Ders.: GS 7, S. 98. Vgl. Ders.: GS 7, S. 98f. Ders.: GS 7, S. 104. Vgl. Ders.: GS 7, S. 99. Ders.: GS 7, S. 111. Ders.: GS 7, S. 99.

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dieses, dass es über sich selbst hinausweist, mehr ist, als erscheint. Doch kann es dieses Mehr nicht zur Sprache bringen. Das Naturschöne, so Adornos Interpretation, wurde deshalb verdrängt, weil es dieses nicht selbst schaffe, mehr zu sein, als erscheint – ein Zustand, der dem Naturschönen laut Adorno immer wieder als Mangel ausgelegt worden sei, besonders von Hegel. Adorno widerspricht diesem Mangel allerdings vehement. »Was […] Hegel dem Naturschönen als Mangel vorrechnet, das dem festen Begriff sich Entziehende, ist die Substanz des Schönen selbst.«116 Das Schöne besteht demnach gerade darin, dass es eben nicht bloß das ist, was erscheint, sondern mehr ist. Und hier tritt – nach dieser sehr holzschnittartigen, aber für das weitere Vorgehen ausreichenden Darstellung dessen, warum Adorno das Naturschöne so betont wieder in die Ästhetik und damit die Philosophie aufnimmt – die Kunst in ihrer Funktion auf den Plan. »Was Natur vergebens möchte«, so führt Adorno aus, »vollbringen die Kunstwerke: sie schlagen die Augen auf. Die erscheinende Natur selber gewährt, sobald sie nicht als Aktionsobjekt dient, den Ausdruck von Schwermut oder Frieden oder von was immer. Kunst vertritt durch ihre Abschaffung in effigie; alle naturalistische ist der Natur nur trügend nahe, weil sie, analog zur Industrie, sie zum Rohstoff relegiert.«117

Kunstwerke sind also diejenigen, die in spezifischer Weise das zum (Er-)Scheinen bringen, was die Natur nicht selbst vollbringen kann.118 Dabei wird nun diese spezifische Weise, in der sie das schaffen oder eben auch nicht, genauer zu analysieren sein. Denn das Naturschöne schafft es nicht, das zum Ausdruck zu bringen, was es möchte. Dennoch erfüllt sich, so stellt es auch Sonderegger stark heraus,119 darin für Adorno der »Vorrang des Objekts in der subjektiven Erfahrung«120 , dass gerade dieses Mehr nicht intentional darstellbar ist, sondern von sich aus spricht. Die Logik dahinter ist recht simpel: Wie könnte von einem Mehr gesprochen werden können, das nicht hervorbringbar ist, wenn es sich nicht selbst zeigte, ohne darin schlussendlich aufzugehen?121 »Ohne Rezeptivität«, so betont er, »wäre kein solcher objektiver Ausdruck, aber er reduziert sich nicht aufs Subjekt«122 . 116 Ders.: GS 7, S. 118. 117 Ders.: GS 7, S. 104. 118 Feola spricht gar davon, dass Kunstwerke den Betrachter dazu abkommandieren, hinter die empirische Realität zu blicken auf das Mehr, das später als das Jenseits der Kunst kennengelernt werden wird (Feola: Redemption of the Many, S. 220). Dagegen kann die innere Dialektik von Natur weiter hervorgehoben werden, wenn nicht einseitig positivistisch von der Kunst her gedacht, sondern auch die Eigenleistung der Natur hervorgehoben wird, »durch Erinnerung die Spuren des Zerfalls in Zeichen der Hoffnung« (Zamora: Erlösung unter Bilderverbot, S. 135) zu wandeln, wie Zamora es ausdrückt. 119 Vgl. Sonderegger: Ästhetische Theorie, S. 416. 120 Adorno: GS 7, S. 111. 121 Vgl. Ders.: GS 7, S. 110f. 122 Ders.: GS 7, S. 111.

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Das Kunstwerk geht an dieses Problem nun mimetisch heran. Für Adorno ist Kunst Mimesis, Nachahmung, allerdings »anstatt Nachahmung der Natur, Nachahmung des Naturschönen«123 . Bei der Rede von Nachahmung, Mimesis, so betont dabei Sonderegger, »hebt Adorno weniger das (aristotelische) Moment des Nachmachens hervor als vielmehr den Aspekt des Sich-gleich-Machens und passiven Sich-Überlassens.«124 Damit meint sie ein doppeltes. Wie bei Adorno immer und immer wieder betont wird, sind Kunstwerke »durch und durch θέσει, ein Menschliches«125 , also artifiziell, von Menschen hergestellt. Sie sind nicht Zweck aus sich, wie die Natur, sondern sind aus Zweck heraus entstanden. Damit fällt Kunst ebenso wie alles andere von Menschen Geschaffene unter das Verdikt der Kulturindustrie und damit unter das Problem der Verdinglichung, des Warenfetischismus. Das meint Adorno, wenn er schreibt, »Kunst vertritt Natur durch ihre Abschaffung in effigie […], weil sie, analog zur Industrie, sie zum Rohstoff relegiert.«126 Kunst arbeitet mit der Natur als Material, entwirft sie aus dem menschlichen Subjekt und damit aus der Identität heraus und vernichtet damit ihre Schönheit. »Noch das schönste Mädchengesicht«, so beschreibt es Adorno, »wird häßlich durch die penetrante Ähnlichkeit mit dem Filmstar, nach dem es am Ende wirklich präfabriziert ist: noch wo die Erfahrung eines Natürlichen als eines ungeschmälerten Individuierten sich gibt, wie wenn sie vor der Verwaltung geschützt wäre, betrügt sie tendenziell.«127 Kein Kunstwerk ist vor diesem »Zeitalter seines totalen Vermitteltseins«128 gefeit.129 Und schlimmer noch, dadurch, dass Kunstwerke das Naturschöne nachahmen wollen, geschieht darin genau auch dieses, was bei Sonderegger hervorgehoben wurde: dass es gleich gemacht wird. Das Naturschöne erliegt ebenso wie das Kunstwerk dem Bann der Identifikation und damit der Verblendung und Verzerrung. Dies ist die Crux der Kunst, das Problem ihrer Verdinglichung.130 »Daß 123 124 125 126 127 128 129 130

Adorno: GS 7, S. 111. Sonderegger: Ästhetische Theorie, S. 417. Adorno: GS 7, S. 99. Ders.: GS 7, S. 104. Ders.: GS 7, S. 106. Ders.: GS 7, S. 106. Vgl. erklärend Feola: Redemption of the Many, S. 223f; analog Pauen: Nihilismus, S. 335ff. Wenn das Schöne dergestalt nicht als Ultimum gelten kann, weil es reduktionistisch nur eine Seite der Wirklichkeit, nämlich die subjektive, konstruierende, darstellt, das Erscheinende und Natürliche aber ausschließt, dann kann die Folge daraus sein, dass sich Kunst dem Hässlichen zuwenden muss. Es geht dabei jedoch nicht darum, das Hässliche zu beschönigen oder zu zeigen, was an ihm Gutes zu sehen ist. Es geht um die Radikalität, mit dem das Hässliche aus dem Schein und dem Zwang zum Schönen ausgeschlossen ist und somit die Verblendung perpetuiert. Adorno schreibt dazu: »Kunst muss das als häßlich Verfemte zu ihrer Sache machen, nicht länger um es zu integrieren, zu mildern oder durch den Humor, der abstoßender ist als alles Abstoßende, mit seiner Existenz zu versöhnen, sondern um im Häßlichen die Welt zu denunzieren, die es nach ihrem Bilde schafft und reproduziert, obwohl selbst darin noch die Möglichkeit des Affirmativen als Einverständnis mit der Erniedrigung fortdauert, in die Sympathie mit den Erniedrigten leicht

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man sich kein Bild, nämlich keines von etwas machen soll, sagt zugleich, kein solches Bild sei möglich.«131 So kann hier noch einmal auf das Bilderverbot rekurriert werden, und mit Adorno fortfahren: »Was an Natur erscheint, das wird durch seine Verdopplung in der Kunst eben jenes Ansichseins beraubt, an dem die Erfahrung von Natur sich sättigt.«132 Doch wäre Adorno, würden diese Gedanken so einseitig gültig bleiben, in seinem eigenen Denken in negativer Dialektik nicht konsequent. Vielmehr gibt es auch hier den dialektischen Zusammenhang, den man mit Adornos Worten bezüglich der Kunst und der Ästhetik so fassen kann: »Ihr Gegenstand bestimmt sich als unbestimmbar, negativ. Deshalb bedarf Kunst der Philosophie, die sie interpretiert, um zu sagen, was sie nicht sagen kann, während es doch nur von Kunst gesagt werden kann, indem sie es nicht sagt.«133

Freilich kann man es nicht dabei bewenden lassen, sondern muss versuchen zu verstehen, was Adorno damit sagen möchte. Kunst kann das, was sie sagen möchte nicht sagen, das wurde bereits erläutert. Und indem sie es nicht sagt, sagt sie es. Diesen Teil ist allerdings sperrig und nun zu erklären. »Das Naturschöne ist die Spur des Nichtidentischen an den Dingen im Bann universaler Identität.«134 Das Kunstschöne ahmt ja nicht Natur nach und Adorno spezifiziert noch weiter, »auch nicht einzelnes Naturschönes, doch das Naturschöne an sich.«135 Und hier kommt das zweite Moment der Mimesis zum Tragen, das Sonderegger hervorgehoben hatte, nämlich dass Mimesis auch ein Moment »passiven Sich-Überlassens«136 bedeutet. In der Mimesis des Naturschönen im Kunstwerk gibt es demnach nicht nur ein aktives identifizieren und damit Verzerren des Naturschönen, sondern Kunst gibt sich diesem auch hin. Kunst lebt gerade davon, dass der sogenannte Mangel des Naturschönen, eben im Nichtidentischen und Negativen zu existieren, überhaupt da ist und übernimmt diese Negativität in ihr eigenes Dasein. Damit wird Kunst selbst zum Moment des Nichtidentischen. Für Adorno ist das »die gegenwärtige Stufe ihres mimetischen Wesens«, dass in der Kunst »der Geist nicht länger der alte Feind der Natur ist«, also hier ein Moment der Versöhnung stattfin-

131 132 133 134 135 136

umschlägt. Im Penchant der neuen Kunst für das Ekelhafte und physisch Widerliche, dem die Apologeten des Bestehenden nichts Stärkeres entgegenzuhalten wissen, als daß das Bestehende schon häßlich genug sei und darum die Kunst zu eitel Schönheit verpflichtet, schlägt das kritisch materialistische Motiv durch, indem Kunst durch ihre autonomen Gestalten Herrschaft verklagt, auch die zum geistigen Prinzip sublimierte, und für das zeugt, was jene verdrängt und verleugnet.« (Adorno: GS 7, S. 78f.). Ders.: GS 7, S. 106. Ders.: GS 7, S. 106. Ders.: GS 7, S. 113. Ders.: GS 7, S. 114. Richter führt aus, dass es sich hierbei um eine Mimesis eines noch nicht existierenden Zustandes handelt (vgl. Richter: Aesthetic Theory, S. 129). Adorno: GS 7, S. 113. Sonderegger: Ästhetische Theorie, S. 417.

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den kann, insofern »Kunst ihrer eigenen Identität mit sich folgt« und damit dem Nichtidentischen gleich wird.137 Adorno möchte genau deshalb das Naturschöne nicht missen, weil er von hier aus den Vorrang des Objekts neu duchgebildet sieht, indem er nämlich nicht durchgebildet ist: »Der Schmerz im Angesicht des Schönen, nirgends leibhafter als in der Erfahrung von Natur, ist ebenso die Sehnsucht nach dem, was es verheißt, ohne daß es darin sich entschleiere, wie das Leiden an der Unzulänglichkeit der Erscheinung, die es versagt, indem sie ihm gleichen möchte. Das setzt im Verhältnis zu den Kunstwerken sich fort. Der Betrachter unterschreibt, unwillentlich und ohne Bewußtsein, einen Vertrag mit dem Werk, ihm sich zu fügen, damit es spreche. In der angelobten Rezeptivität lebt das Ausatmen in der Natur nach, das reine sich Überlassen.«138

Worin besteht dabei nun die Selbstzerstörung der Kunst? Kunstwerke, die dermaßen gedacht sind, wie Adorno sie ans Naturschöne bindet, tragen damit immer einen Anspruch in sich, nämlich den Anspruch von Wahrheit. »Jedes Kunstwerk will seine ganze Wahrheit vertreten«139 beschreibt es Schweppenhäuser und macht damit auf ein Problem aufmerksam, das Adorno selbst auch anspricht, nämlich dass diese Wahrheit gleichzeitig Unwahrheit ist.140 Sie ist es aus dem Folgenden Grund, dass die ganze Wahrheit von jedem Kunstwerk ausgesprochen werden möchte und damit kein anderes neben sich ertragen kann, das ebenfalls mit dem Anspruch der ganzen Wahrheit auftritt.141 Diese Wahrheit, die aufscheinen möchte, ist das Mehr, das in der Natur sich zeigt. Wenn die Wahrheit nun selbst erkennbar würde, wenn sie wahr würde und zwar so, dass sie nicht mehr der Vermittlung bedürfte, würde Kunst enden. In den Minima Moralia findet Adorno dafür die Worte, dass sich die Schönheit der Nichtidentität »bloß leibhaft und wirklich: im Untergang der Kunst«142 darstellt. Aber, das ist die dialektische Einschränkung, auf die in diesem Abschnitt hingewiesen werden sollte, »[s]olange er [d. i. der Bann universaler Identität der Kulturindustrie und der Verdinglichung] waltet, ist kein Nichtidentisches positiv da.«143 Es gibt hier noch kein Ende der Kunst und wird es vielleicht nie geben, solange Kunst als solche überhaupt noch nötig ist, solange das Schöne noch nicht selbst sich zur Erkenntlichkeit zeigen kann. Darum bedarf es eben der Kunst und nicht ihres Endes. So sagt Adorno: »Die subjektive Durchbildung der Kunst als einer nichtbegrifflichen Sprache ist im Stande von Rationalität die einzige Figur, in der etwas wie Sprache der Schöpfung widerscheint, mit 137 138 139 140 141 142 143

Adorno: GS 7, S. 202. Ders.: GS 7, S. 114; Hervorhebungen von mir. Schweppenhäuser: Adorno, S. 121. Vgl. Adorno: GS 7, S. 98. Vgl. Schweppenhäuser: Adorno, S. 121ff. Adorno: GS 4, S. 84. Ders.: GS 7, S. 114.

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der Paradoxie der Verstelltheit des Widerscheinenden. Kunst versucht einen Ausdruck nachzuahmen, der nicht eingelegte menschliche Intention wäre.«144

In der Kunst wird etwas intentional verfertigt, worüber nicht verfügt werden kann. In Kunst und durch sie hindurch scheint das Licht der Erlösung in und auf die Welt. Diesem wird sich nun eingehender gewidmet. 3.2.2 Erkenntnis – im Licht der Erlösung?

Dass die Verzerrung der Welt nur im Licht der Erlösung erkennbar wird, wurde schon im Eingangszitat dieses Kapitels genannt. Doch was genau bewirkt das Licht der Erlösung? Kann das Licht selbst gesehen werden und was verbirgt sich hinter der theologischen Vokabel ›Erlösung‹? Den Essay »Der Essay als Form« überschreibt Adorno mit einem Zitat Goethes, das lautet »Bestimmt, Erleuchtetes zu sehen, nicht das Licht«145 und gibt damit schon die Richtung vor, in die die Analyse von Adornos Begriffen der Erlösung und der Hoffnung weist. Überträgt man das Zitat Goethes auf den Schlussaphorismus der Minima Moralia, liest sich unschwer, dass das Licht der Erlösung nicht Aufschluss auf die Erlösung gibt. Vielmehr kann »die Erlösung« selbst gar nicht gesehen werden, sondern es geht darum, dass in ihrem Licht etwas erleuchtet wird und damit in anderer Weise oder überhaupt erst wahrgenommen werden kann. Umgekehrt heißt das auch, dass es nur im Licht der Erlösung so wahrgenommen wird, wie es wahrgenommen werden soll. Deshalb wird dieser Abschnitt sich auch eher mit der Erkenntnis in ihrem Licht als mit der Erlösung selbst beschäftigen. Erst die beiden kommenden Unterkapitel setzen sich spezifischer mit Erlösung bei Adorno auseinander. Zunächst soll als gesetzt gelten, dass der erlöste Zustand ein Idealzustand ist, d. h. was in seinem Licht erscheint und erkannt wird, erscheint wahrhaftig, weshalb die folgende Erkenntnis eine Erkenntnis von Wahrheit sein muss. Wiederum bedeutet es aber nicht, dass der erlöste Zustand damit angebrochen sei, sondern er scheint nur in diese Welt hinein und beleuchtet sie neu.146 Diese distinkte Unterscheidung ist ausgesprochen wichtig, da sie die Welt in ihrer momentanen Verfassung, die so stark kritisiert wird, damit nicht in einen besseren Zustand transzendiert, gleichzeitig aber unterstreicht, dass die Kritik auch gar nicht möglich wäre, würde das Licht fehlen. »Bewußtsein«, so schreibt Adorno, »könnte gar nicht über das Grau verzweifeln, hegte es nicht den Begriff von einer verschiedenen Farbe, deren versprengte Spur im negativen Gan144 Ders.: GS 7, S. 121. 145 Ders.: GS 11, S. 9. 146 Pritchard arbeitet beispielsweise an Adornos Kommentaren zu Kafka heraus, dass Adorno bei jenem eine Darstellung der Hölle vom Standpunkt der Versöhnung her sieht, damit allerdings nicht Kafka zum Verkünder einer angebrochenen Versöhnung werde (Pritchard: Bilderverbot meets Body, S. 308).

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zen nicht fehlt. Stets stammt sie aus dem Vergangenen, Hoffnung aus ihrem Widerspiel, dem, was hinab mußte oder verurteilt ist; solche Deutung wäre dem letzten Satz von Benjamins Text über die Wahlverwandtschaften, ›Nur um der Hoffnungslosen willen ist uns die Hoffnung gegeben‹, wohl angemessen.«147

Eben diese versprengte Spur gilt es im folgenden zu finden und nachzuzeichnen. Bestimmend für die Suche nach diesen Spuren wird sein, dass Adorno in Anlehnung an die Theologie ein radikales Bilderverbot fordert und damit eine doppelte Implikation macht, indem er schreibt: »Das alttestamentliche Bilderverbot hat neben seiner theologischen Seite eine ästhetische. Daß man sich kein Bild, nämlich keines von etwas machen soll, sagt zugleich, kein solches Bild sei möglich.«148 Die doppelte Implikation liegt in folgendem: Einerseits sind da die bestehenden Umstände, die bisher analysiert wurden, namentlich der alles umfassende Verblendungszusammenhang,149 der eine positive Sprechweise, Darstellung oder Denkbarkeit dessen, was Inhalt der Utopie ist und worauf die Hoffnung nicht nur gründet, sondern auch verweist, verhindert. In Adornos Worten heißt das, »[s]olange die Welt ist, wie sie ist, ähneln alle Bilder von Versöhnung, Frieden und Ruhe dem des Todes.«150 Der »Schleier der Maja«151 verdeckt dabei nicht nur, was anderes sein könnte, sondern »hat Teil auch an dem, womit sie [die Menschen] den Schleier zu zerreißen wähnen.«152 Das Bilderverbot trägt hier einen pejorativen Charakter in sich, insofern es die schlechthinnige Negativität des Systems unterstützt, sogar Teil dessen ist. Auf der anderen Seite ist das Bilderverbot gleichzeitig auch apologetisch zu verstehen. Unter der Voraussetzung nämlich, dass das Negative Anteil an allem hat, das versucht, es zu durchbrechen, hat das Bilderverbot die Aufgabe, zu verhindern, dass sich die Inhalte der Versöhnung zu eigen gemacht, integriert und in pervertierter Form identifiziert werden können, wie es in der Kulturindustrie Usus ist.153 Denn, so sieht Pritchard, auch hier greift Adornos Kritik, dass nichts durch eindimensionale Darstellung vollkommen erfasst werden kann – dementsprechend ist das Bilderverbot die konsequente Durchführung der Verneinung von Darstellungsformen.154 Bevor es hier nun weiter gehen kann, muss zunächst festgestellt werden, dass häufiger von Versöhnung als von Erlösung die Rede war und fragen, in welchem Verhältnis diese beiden Begriffe zueinander stehen und mit welchem Verständnis 147 148 149 150 151 152 153 154

Adorno: GS 6, S. 371. Er bezieht sich auf Benjamin: Wahlverwandtschaften, S. 201. Adorno: GS 7, S. 106. Vgl. Ders.: GS 6, S. 364. Ders.: GS 6, S. 374. Ders.: GS 6, S. 391. Ders.: GS 6, S. 364. Vgl. Ders.: GS 3, S. 156. Vgl. Pritchard: Bilderverbot meets Body, S. 295; siehe auch Sziborsky: Rettung des Hoffnungslosen, S. 86.

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ihrer Adorno arbeitet. Wie schon gezeigt,155 ist die Differenz von Begriff und Inhalt Ausgangspunkt der negativen Dialektik Adornos. Sie bestand gerade darin, sich nicht, wie Adorno mit kritischem Blick auf Hegel schreibt, die Inadäquanz von Form und Inhalt zu konstruieren, um »durch ihre Auflösung weiterzuschreiten«156 . Negative Dialektik findet dieses Auseinandertreten eher vor, und findet ihr Vorgehen gerade darin, diese Inadäquanz nicht aufzulösen, sondern sie zu erfahren.157 Ihr Ziel ist dabei eine Erkenntnis, die nicht in der bloßen Identifizierung von Begriff und Sache besteht, sondern in einer bestimmten Negation, der bleibenden Nichtidentität. »Zu leisten ist es nur negativ. Dialektik entfaltet die vom Allgemeinen diktierte Differenz des Besonderen vom Allgemeinen. Während sie, der ins Bewußtsein gedrungene Bruch von Subjekt und Objekt, dem Subjekt unentrinnbar ist, alles durchfurcht, was es, auch an Objektivem, denkt, hätte sie ein Ende in der Versöhnung. Diese gäbe das Nichtidentische frei, entledigte es noch des vergeistigten Zwanges, eröffnete erst die Vielheit des Verschiedenen, über die Dialektik keine Macht mehr hätte. Versöhnung wäre das Eingedenken des nicht länger feindseligen Vielen, wie es subjektiver Vernunft anathema ist. Der Versöhnung dient Dialektik. Sie demontiert den logischen Zwangscharakter, dem sie folgt […].«158

Die Versöhnung, im Sinne einer Überwindung der Differenz der dialektischen Pole, ist das Ziel der Dialektik, wobei die Dialektik selbst nie die Versöhnung beibringen kann. Eine weitere Facette des versöhnten Zustandes ist die der Wahrheit. Wahrheit bleibt eine Problematik in der Welt, die nach dem Identifikationsschema konstruiert ist, da sie voraussetzt, dass in der allgemeinen Identifikation alles Bestehenden Wahrheit liegt; dass absolute Identität Wahrheit heißt. Wahrheit kann wiederum aber nicht beansprucht werden. Wahrheit zu beanspruchen heißt, über sie verfügen zu wollen – ist sie aber verfügbar ist sie beschränkt; ist sie beschränkt ist sie nicht, was sie sein sollte, also nicht Wahrheit. Adorno formuliert es folgendermaßen: »Mit dem Glück ist es nicht anders als mit der Wahrheit: Man hat es nicht, sondern ist darin. Ja, Glück ist nichts anderes als das Umfangensein, Nachbild der Geborgenheit in der Mutter. Darum aber kann kein Glücklicher je wissen, daß er es ist. Um das Glück zu sehen, müßte er aus ihm heraustreten: er wäre wie ein Geborener. Wer sagt, er sei glücklich, lügt, indem er es beschwört, und sündigt so an dem Glück. Treue hält ihm bloß, der spricht: ich war glücklich.«159

Durch die Setzung, dass es mit dem Glück nicht anders sei als mit der Wahrheit, kann davon ausgegangen werden, dass alles, was hier über das Glück gesagt wer155 156 157 158 159

Siehe Kapitel 3.1.1, S. 76ff. Adorno: GS 6, S. 156. Vgl. Zamora: Erlösung unter Bilderverbot, S. 131f. Adorno: GS 6, S. 18. Ders.: GS 4, S. 126.

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den kann, gleichsam für die Wahrheit gilt: wer sie beansprucht, wer meint, in der Wahrheit zu sein, muss schon aus ihr herausgetreten sein, um sehen zu können, dass er vielleicht in der Wahrheit war, durch sein Heraustreten, durch seine Inanspruchnahme, aber schon nicht mehr Wahrheit spricht, womit ein logischer Selbstwiderspruch formuliert ist. Es bleibt also diese Facette des versöhnten Zustands eine vollkommen unverfügbare. Sie forcieren zu wollen hieße, sie zu verlieren. Der versöhnte Zustand kann, vielmehr: muss, bei Adorno als völlig unverfügbar gelten;160 der Ursprung des Lichts der Erlösung, die Erlösung selbst, ist schlechthin transzendent. Wer nun versucht, wie der Idealismus, sich dem versöhnten Zustand mittels eines geschichtlichen Verlaufs oder dialektischer Sukzession sich von unten her zu nähern, ohne dabei die Negation des Bestehenden mit Ernst zu bedenken, macht sich der Affirmation des Bestehenden schuldig, indem er versucht, die Transzendenz in die Immanenz zu zwingen. Adorno argumentiert hier ausgesprochen theologisch. »Sie aber, die volle Versöhnung durch den Geist inmitten der real antagonistischen Welt, ist bloße Behauptung. Die philosophische Antezipation der Versöhnung frevelt an der realen; was immer ihr widerspricht, schiebt sie als philosophie-unwürdig der faulen Existenz zu.«161 Es darf also nicht geschehen, dass der Gedanke oder gar der Versuch unternommen wird, die Versöhnung aus der momentanen Situation heraus herbeizuführen. »Zu denken aber, dieser Zustand könne aus dem jetzigen hervorgetrieben werden, würde bedeuten, ein Moment von Kontinuität mit dem Grauen des Status quo anzunehmen, was für Adorno einem Sakrileg gleichkäme; in einem solchen Gedanken wäre Versöhnung bereits korrumpiert.«162 Damit wird der Zustand der Erlösung zu einem ganz anderen gegenüber der faktisch erlebten Realität; einem ganz Anderen, das in Opposition zur Wirklichkeit steht und nicht in ihr zu finden ist, sondern außerhalb ihrer. Das Licht, das die Erlösung wirft, kommt von einem Zustand, der außerhalb der Sphäre des Wirklichen, damit aber auch außerhalb des in der Wirklichkeit Möglichen liegt. Die Frage nach dem Unterschied von Erlösung und Versöhnung ist damit aber noch nicht beantwortet. Zu klären ist allerdings erst weiter der Begriff von Versöhnung. Im Anschluss an van Reijen formuliert Bartonek einen Unterschied zwischen Erlösung und Versöhnung im Denken Adornos: die Versöhnung führt zu 160 Vgl. Pritchard: Bilderverbot meets Body, S. 297; ebenso Zamora: Erlösung unter Bilderverbot, S. 127f. 161 Adorno: GS 5, S. 273. 162 Koch/Kodalle: Negativität und Versöhnung, S. 12. Zu einem ähnlichen Urteil kommt auch Brumlik und schreibt: »Nur dort, wo durch die Askese des Bilderverbots der Gedanke der Erlösung nicht an die Gegenwart beziehungsweise an eine lediglich als Verlängerung der Gegenwart gedachte Zukunft verraten wird, besteht auch die Möglichkeit des rettenden Eingedenkens an die Opfer der Geschichte – bekommt der Gedanke einer ›Rettung des Hoffnungslosen‹ einen Sinn.« (Brumlik: Theologie und Messianismus, S. 302).

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Herrschaftsfreiheit,163 zur Aufhebung von Dialektik von Nichtidentität und Identität in Nichtidentität. »Aus diesem Grund ist […] der Begriff der Versöhnung eher als der Begriff der Erlösung dazu geeignet, die Zielsetzung der Philosophie Adornos zu fassen, denn die Hoffnung auf Versöhnung entwickelt sich aus den zerstörten Gesellschaftsverhältnissen und der Kritik an diesen. Erlösung dagegen tritt von außen in die Welt hinein«164 , folgert Bartonek. Denn, so sein Schluss, Versöhnung müsse in säkularer und Erlösung in theologischer Weise verstanden werden. Es sei zwar offensichtlich, dass sich Adorno vom Begriff der Erlösung damit nicht abwende, sondern Erlösung nach wie vor wichtig sei, die Unterscheidung dennoch sinnvoll sei, da sich »[i]n der Unterscheidung zwischen Versöhnung und Erlösung […] aber die Möglichkeit zu zwei verschiedenen Interpretationen des utopischen Denkens Adornos«165 verberge. Diese seien nicht zwangsläufig miteinander vereinbar. Er verdeutlicht den Unterschied an der Frage, »ob das Utopische durch Kritik an der Gesellschaft produziert wird oder ob es (von außen) eintritt, wenn alle Hoffnung erstickt ist.«166 Er selbst plädiert für ersteren Ausgang. Dies soll nun anhand exemplarischer Textstellen diskutiert werden, in denen Adorno selbst entweder von Versöhnung oder Erlösung spricht, um herauszufinden, ob er selbst diese distinkte Trennung von Versöhnung und Erlösung durchhält und sie sprachlich und begrifflich trennt, oder die Begriffe vielleicht sogar äquivok benutzt, sie inhaltlich folglich zusammendenkt, ja sogar zusammendenken muss. Die Bartonek entgegenzustellende These stützt sich auf diese Annahme, dass Versöhnung und Erlösung bei Adorno, wenn sie überhaupt so spezifisch getrennt werden können, doch nur zwei Seiten derselben Medaille sein könnten. Bei Adorno findet man Versöhnung als »die Verwirklichung des Allgemeinen in der Versöhnung der Differenzen«167 . Analog dazu schreibt er, von der Utopie, der hier beigestellt ist, dass sie ein versöhnter Zustand ist, sie »wäre über der Identität und über dem Widerspruch ein Miteinander des Verschiedenen.«168 Utopie wäre hier ein Zustand, in dem der Widerspruch überwunden wäre, das Verschiedene in ein Miteinander umgewandelt würde. Utopie ist an dieser Stelle ohne inhaltlichen oder formalen Verlust zu ersetzen durch das Prädikat der Versöhnung. Adorno kommt hier offensichtlich von einem Hegelschen Versöhnungsdenken her, stellt sich allerdings auch kritisch gegen den Gedanken Hegels der letztendlichen Überwindung sämtlicher Gegensätze im letzten zu sich selbst Kommen des absoluten Geistes, das die Versöhnung der dialektischen Differenz von Identi163 164 165 166 167 168

Vgl. Reijen: Erlösung und Versöhnung, S. 71ff. Bartonek: Philosophie im Konjunktiv, S. 194. Ders.: Philosophie im Konjunktiv, S. 194. Ders.: Philosophie im Konjunktiv, S. 194. Adorno: GS 4, S. 116; bei Adorno geht es hier um die Utopie einer emanzipierten Gesellschaft. Ders.: GS 6, S. 153.

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tät und Nichtidentität bringt.169 Am Ende des universalgeschichtlichen Versöhnungsgedankens kann bei Hegel nur die alles umfassende Identität des absoluten Geistes stehen, von welchem her auch erkennbar ist, dass die Geschichte selbst nur der dialektische Prozess der Selbstfindung des Geistes war.170 Adorno kritisiert an dieser letzten Synthese, in der alles ins Allgemeine, ins Umfassende und Absolute aufgenommen ist, dass es sich hier nicht wirklich um Versöhnung handeln könne: »Was nichts toleriert, das nicht wie es selber wäre, hintertreibt die Versöhnung, als welche es sich verkennt. Die Gewalttat des Gleichmachens reproduziert den Widerspruch, den sie ausmerzt.«171 Bartonek fasst diese Kritik prägnant zusammen, indem er schreibt, dass »Hegels Philosophie […] denjenigen Gegensatz, den sie aufheben wolle, [verfestige,] weil sie durch das Prinzip der Identität das diesem Widersprechende unterdrücke. Da sie das Nichtidentische nicht wirklich als nicht in dem Identischen integrierbar begreife, könne sie diesen Gegensatz auch nicht aufheben.«172

Die Differenzen, die bestehen, dürfen durch die Versöhnung nicht einfach verschwunden erscheinen, denn sie wären dann nicht als Differenzen ernst genommen, sondern die angestrebte Überwindung des Identitätszwangs würde im Identitätszwang münden. Vielmehr müsste man Adorno so verstehen, wie er selbst dem Hegelschen Prinzip der Identität von Identität und Nichtidentität sein Programm entgegenstellt als Nichtidentität von Identität und Nichtidentität. Darin liegt nicht begründet, dass die beiden Pole sich schlechthin unversöhnlich und darum different gegenüberstünden, sondern sie stehen weiterhin in einer dialektischen Beziehung zueinander, die sie beide zusammendenkt, ohne sie miteinander zu identifizieren. Die größte Gefahr für die Nichtidentität besteht für Adorno darin, im Allgemeinen enden zu können. »Unmittelbar ist das Nichtidentische nicht als seinerseits Positives zu gewinnen und auch nicht durch Negation des Negativen. […] Die Gleichsetzung der Negation der Negation mit Positivität ist die Quintessenz des Identifizierens, das formale Prinzip auf seine reinste Form gebracht. Mit ihm gewinnt im Innersten von Dialektik das antidial!ektische Prinzip die Oberhand«173 .

Es gibt also in der Versöhnung keine oktroyierte Einheit der Differenzen. Van Reijen weist deshalb bewusst und richtig darauf hin, dass die Annahme der Welt, die

169 So beispielsweise in der Phänomenologie des Geistes im Abschnitt über die offenbare Religion: Hegel: TWA, Band 3, S. 544–574, besonders S. 570ff. (im Folgenden wird die Textausgabe Hegels mit TWA abgekürzt). 170 Vgl. Ders.: TWA 3, S. 577ff.581f. 171 Adorno: GS 6, S. 146. 172 Bartonek: Philosophie im Konjunktiv, S. 192. 173 Adorno: GS 6, S. 161.

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mit Adornos Worten als »Ganze […] das Unwahre«174 ist, dazu zwingt auch dasjenige, »was sich uns als Heil andient, [als] ein verkehrtes Heil«175 zu verstehen. Van Reijen fährt fort: »Dieses Prozedere zwingt dazu, eine Perspektive auf ein Heil ›außerhalb‹ der Empirie, auf ein Transzendentes, zu konstruieren.«176 Versöhnung verweist also unweigerlich auf eine Transzendenz, aus der sie auch selbst entspringt. Unter diesem Aspekt kann nun der Frage nachgegangen werden, ob Adorno die Begriffe von Versöhnung und Erlösung getrennt nebeneinander benutzt. In den Minima Moralia schreibt Adorno: »Dem Kind, das aus den Ferien heimkommt, liegt die Wohnung neu, frisch, festlich da. Aber nichts hat darin sich geändert, seit es sie verließ. Nur daß die Pflicht vergessen ward, an die jedes Möbel, jedes Fenster, jede Lampe sonst mahnt, stellt ihren sabbatanischen Frieden wieder her, und für Minuten ist man im Einmaleins von Zimmern, Kammern und Korridor zu Hause wie es ein ganzes Leben lang nur die Lüge behauptet. Nicht anders wird einmal die Welt, unverändert fast, im stetigen Licht ihres Feiertags erscheinen, wenn sie nicht mehr unterm Gesetz der Arbeit steht, und dem Heimkehrenden die Pflicht leicht ist wie das Spiel in den Ferien war.«177

Adorno spricht hier einen Zustand an, in dem die Welt zur Ruhe kommt, in dem keine Hektik, kein Zwang und keine Pflicht mehr dominant über dem eigenen Leben stehen.178 Es ist der sabbatanische Frieden die Versöhnung der Welt in der Vollendung, wenn Gott, nach dem ersten Schöpfungsbericht, ruht, da das Werk vollendet ist. Bei Adorno zu verstehen als protologische Rede eines eschatologisch-utopischen Zustands und keinesfalls von bleibender Wirklichkeit. Dementsprechend muss hier die Rede Adornos auch gleich wieder enden. Denn, wie Brumlik erklärt, auch hier gilt das Bilderverbot, fast sogar noch radikaler, als in der Kunst; damit »der Gedanke der Erlösung nicht an die Gegenwart beziehungsweise an eine lediglich als Verlängerung der Gegenwart gedachte Zukunft verraten wird«179 , muss geschwiegen werden. Zwar kann noch ein Minimum ausgedrückt werden, wie Adorno formuliert: »Im richtigen Zustand wäre alles, wie in dem jüdischen Theologoumenon, nur um ein Geringes anders als es ist«. Doch schränkt er dies direkt als die wirkliche Minimalbestimmung ein und sagt: »aber nicht das Geringste läßt sich so vorstellen, wie es denn wäre.«180 Es ist also etwas Ders.: GS 4, S. 55. Reijen: Erlösung und Versöhnung, S. 78f. Ders.: Erlösung und Versöhnung, S. 79. Adorno: GS 4, S. 126. Thaidigsmann identifiziert wenig überraschend bei »der Erfahrung ›sabbatanischen Friedens‹ […] die Erinnerung an den jüdischen Sabbat als einen bestimmten, von der übrigen Zeit abgegrenzten Zeitraum, in dem Menschen, Tiere und, indirekt, die Natur zeichenhaft aus der Fron freigelassen werden« (Thaidigsmann: Das Versprechen, S. 126). Nur übersieht er dabei, dass Adorno das Ausstehen dieses Zustands betont und nicht dessen momentane Wirklichkeit. 179 Brumlik: Theologie und Messianismus, S. 302. 180 Adorno: GS 6, S. 292. 174 175 176 177 178

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da, ein Mehr, das aufscheint, aber es ist eben in der Negation da. Das war auch die Vorstellung, die bei Adorno mit Versöhnung verbunden sich zeigte, nämlich dass die Differenzen versöhnt werden, ohne aufgehoben zu sein. Mit anderen Worten: Sie bleiben different und müssen weiterhin unterschieden sein, allerdings wird der Dualismus insofern versöhnt, als dem Mehr inhärent ist, beide Pole zu brauchen und nicht sie je ineinander oder in ein Drittes aufzuheben. Es kann, also keinen versöhnten Zustand geben, wenn nicht die Erlösung geschehen ist und gleichzeitig kann Erlösung nicht sein in einer unversöhnten Welt. Jegliche Trennung, die in der Literatur zu Adorno vorgenommen wird, scheint ein sprachlich-begriffliches Konstrukt zu sein, um verschiedene Momente zu verdeutlichen, die im utopischen Denken Adornos angelegt sind. Jedoch erschließt sich die Distinktion in zwei verschiedene Momente, von denen eines eher geeignet ist, um auszudrücken, wie »das Utopische […] seine Möglichkeit zur Verwirklichung findet«181 , wie Bartonek schreibt, nicht. Auch der Hinweis, dass der Begriff der Erlösung im Vergleich zu dem der Versöhnung in den späteren Monographien zurückgegangen sei,182 hat dann keine Bedeutung mehr, wenn die Begriffe bei Adorno unterschiedslos zusammengehören. Folgend dieser Äquivokation, kann man mit Simon Duckheim in seiner stringenten Darstellung und Reflexion der Bedeutung des Lichts der Erlösung als Voraussetzung von Erkenntnis im Schlussaphorismus der Minima Moralia weiterdenken.183 Sein Argument fußt auf der Interpretation, dass die Frage nach Erkenntnis von Wahrheit von Adorno außerhalb des Lichts der Erlösung prinzipiell verneint wird. Gleichzeitig betont er, dass es so einfach allerdings nicht sein könne, dass ein statischer versöhnter Zustand einfach anbräche, da die innere Stringenz von Adornos schon früh angelegter Dialektik der bestimmten Negation in der Spannung bestünde, dass also jeder Gedanke »um der Möglichkeit willen« »[s]elbst seine eigene Unmöglichkeit […] noch begreifen«184 müsse, wie Adorno selbst es ausdrückt. Adornos Negative Dialektik kann eben nicht in schlichter Position und damit Affirmation bestehen, womit sie statisch würde, sondern bleibt bis zum Ende und auch darüber hinaus noch dynamisch. Es reicht nicht aus, im Sinne Hegels eine Vollendung zu denken, die darin besteht, dass alle Negation in einer letzten negativen Wendung positiv in einem absoluten zu sich selbst Kommen aufgehoben wird, sondern, so Duckheim, »[v]ielmehr muß der kritische Gedanke die Anstrengung auf sich nehmen, fortwährend sich selbst zu reflektieren und zu kritisieren und auf diese Weise zwischen den sich berührenden Extremen in Bewegung zu bleiben.«185 Die beiden Extreme, die hier zur Disposition stehen, 181 182 183 184 185

Bartonek: Philosophie im Konjunktiv, S. 194. Vgl. Reijen: Erlösung und Versöhnung, S. 79. Vgl. Duckheim: Auf der Suche, S. 57–104. Adorno: GS 4, S. 283. Duckheim: Auf der Suche, S. 58.

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sind sowohl der verblendete als auch der versöhnte Zustand, wobei sich über letzteren nach wie vor nichts aussagen lassen kann. Allerdings gilt bei Adorno: Das, »[w]as ist, ist mehr, als es ist. Dies Mehr wird ihm nicht oktroyiert, sondern bleibt, als das aus ihm verdrängte, ihm immanent. Insofern wäre das Nichtidentische die eigene Identität der Sache gegen ihre Identifikation.«186 Das über den konkreten Inhalt der Erlösung nichts aussagbar ist, ist eine der Spielarten des Bilderverbots bei Adorno. Er selbst ist darin sehr konsequent und äußert sich dennoch gleichzeitig über Varianten und Möglichkeiten dessen, was Utopie sei. Dabei bleiben alle diese Äußerungen immer fragmentarisch und erheben damit keinen Anspruch darauf, genau zu erklären, was Utopie nun sei und wie sie beschaffen sein könnte.187 Es geht ihm schlussendlich um »ein Erkennen, das die von Kant gezogenen Grenzen des Erkennens überschreitet, ohne doch den Bezug zur Erfahrung und den Anspruch auf Erkenntnis preiszugeben.«188 3.2.2.1 Zur Aufgabe der Philosophie. Adornos »Rettung« der Metaphysik durch die Ästhetik Es lässt sich also nichts sagen über Utopie. Und gerade darin besteht die Aufgabe der Philosophie, dass eben nicht bei Wittgensteins Äußerung »Wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen«189 stehen geblieben werden darf, sondern Philosophie hat, so sagt es Adorno, »gegen Wittgenstein zu sagen, was nicht sich sagen läßt.«190 Das heißt eben gerade das Nichtidentische, das Negative zu betonen, und zwar nicht positiv, sondern es in seiner Negativität ernst zu nehmen. »Philosophie hat sich nach Adorno der Situation ›der Verzweiflung‹, wo 186 Adorno: GS 6, S. 164. 187 Das wurde oft, unter anderem von Müller, folgendermaßen kritisiert: »Leider bleibt Adorno […] sehr unkonkret: Weder gibt er Hinweise auf bereits bestehende Institutionen, die im Sinne seiner Vorstellungen umzubauen wären, noch benennet er Strukturmerkmale einer Institution gegen das Leiden. Die Idee bleibt, bei allem rhetorischen Nachdruck auf Gesellschaft und Gegenwart, eine abstrakte Utopie.« (Müller: Negative Dialektik, S. 111) Natürlich hat Müller hier Recht; mit seiner Forderung nach mehr Konkretion beweist er jedoch, Adornos Theorie der Nichtidentität und der bestimmten Negation nicht in ihrer utopischen Konkretion zu verstehen, sondern sie aus dem Verlangen nach einer positiv formulierbaren Ethik heraus analysieren zu wollen. Würde Adorno seine Forderungen in konkrete Worte fassen, direkte Aussagen über reale Zustände und Möglichkeiten zur Änderung, bestenfalls noch mit sehr anschaulichen Beispielen, wie diese wirklich aussehen werden, treffen, so würde er doch ad absurdum führen, was er an Kritik gegen den herrschenden Zustand vorzubringen hat. Die Konkretion wäre eine begriffliche Vereinnahmung und damit Identifikation des Vorgestellten; es wäre damit nicht mehr ein kontrafaktisches, sondern ein dem System immanentes Ereignis. Der Vorwurf, mangelnde Konkretion und dafür Konzentration auf das Besondere und Fragmentarische würde die Utopie abstrakt, also nicht von Relevanz, werden lassen, muss zurückgewiesen werden. Vielmehr rettet der Charakter des Fragments die Äußerung vor einer Vereinnahmung der Utopie durch verengende und verallgemeinernde Tendenzen. 188 Thaidigsmann: Blick der Erlösung, S. 498. 189 Wittgenstein: Tractatus, S. 111. 190 Adorno: GS 6, S. 21.

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auch die Hoffnung auf das Selbst und seine Freiheit zu Ende ist, zu stellen«191 , schreibt Thaidigsmann. Dabei spielt besonders die Metaphysik eine große Rolle, denn Adorno unterstellt, »daß Metaphysik fusioniert ist mit Kultur«192 , wodurch jedes bisschen Metaphysik sich dem Vorwurf stellen muss, ein »Philosophem von der reinen Identität«193 zu sein. Diese Kritik wiegt schwer. Denn sie sagt auch nichts anderes, als schon in der Dialektik der Aufklärung geäußert wurde, nämlich, so fasst es Bertram zusammen: »Die Identitäten, die das Kontingente bewältigen sollen, beherrschen den, um dessen Freiheit willen sie gesucht worden sind: den Menschen. Adorno gilt dies als Skandalon von Rationalität und Aufklärung. Es handelt sich zugleich um das Skandalon der Metaphysik.«194 Ein dunkles Urteil über Metaphysik und man möchte fast meinen, dass Adorno der Metaphysik keinen besonders hohen Stellenwert beimisst, geschweige denn, sie befördern und retten möchte. So schreibt Thaidigsmann über Adornos Verhältnis zur Metaphysik: »Unmöglich geworden ist sie nicht nur durch Kants Restriktion von Erkenntnis auf eine spezifische Art empirischer Erfahrung. Von ihrer Sache her unmöglich geworden ist metaphysische Erfahrung nach Adorno, weil die Schuld offenbar geworden ist, die die überlieferte Metaphysik mit ihrem Anspruch, in der Kraft des Denkens dem sterblichen Leben Sinn zu vermitteln, auf sich geladen hat.«195

Doch fehlt man damit weit. Denn als ›Philosophem der reinen Identität‹ ist Metaphysik vor allem in dem Punkt kritisch zu betrachten, so erklärt es Bertram, »das Unveränderliche immanent zu setzen (und zwar erst – bei Kant – immanent im Subjekt und dann – beim Positivismus bzw. Pragmatismus – immanent in der Welt des Bestehenden)«, weshalb er konstatiert, für Adorno gelte »[d]ie Kritik der Metyphsik […] als eine Bewegung, die von einem transzendent positionierten Unveränderlichen zu dessen Wende in die Immanenz führt.«196 Konkret heißt das: Adorno kritisiert an diesem Verständnis der Metaphysik (und der Kritik, die daran zu äußern ist ebenfalls), dass sie auf der Ebene der Immanenz verbleibe und damit ins Identische, d. i. »der geschlossene Immanenzzusammenhang dessen, was ist«197 , sich einfüge. Und gerade hier setzt Adornos eigene Rettung der Metaphysik an, nämlich »einen anderen Aspekt von Metaphysik zu rehabilitieren: den Gedanken der Transzen- denz.«198 Von diesem aus sieht Adorno die Möglichkeit zur Metaphysik, man 191 192 193 194 195 196 197 198

Thaidigsmann: Blick der Erlösung, S. 496. Adorno: GS 6, S. 360. Ders.: GS 6, S. 355. Bertram: Metaphysik und Metaphysikkritik, S. 406. Thaidigsmann: Das Versprechen, S. 131. Bertram: Metaphysik und Metaphysikkritik, S. 407. Adorno: GS 6, S. 394. Bertram: Metaphysik und Metaphysikkritik, S. 407.

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könnte sogar sagen die Notwendigkeit zu ihr, gegeben. Denn, so schreibt es Adorno, »[k]ein Licht ist auf den Menschen und Dingen, in dem nicht Transzendenz widerschiene.«199 Nach den vorhin getätigten Überlegungen sowohl zur Kunst als auch zum Licht der Erlösung200 überrascht es nicht, dass diese Gedanken schon in die Negative Dialektik Einzug gehalten haben. Dort schreibt Adorno: »Noch auf ihrer höchsten Erhebung ist Kunst Schein; den Schein aber, ihr Unwiderstehliches, empfängt sie vom Scheinlosen. Indem sie des Urteils sich entschlägt, sagt sie, zumal die nihilistisch gescholtene, es sei nicht alles nur nichts.«201 Über dieses Scheinlose, das Transzendente, in der negativen Philosophie und Theologie oft als das Absolute betitelt, soll hier weiter gedacht werden. »Das Absolute ist von der abendländischen Tradition aus Adornos Perspektive in problematischer Weise bestimmt worden«, erklärt Bertram, und zwar »als unveränderlich«202 . »Wenn es als unveränderlich gedacht wird«, so fährt er fort, »dann ist es – so lässt sich Adorno verstehen – in der Perspektive menschlicher Erkenntnis und Herrschaft verstanden. Damit aber wird es gerade in seinem Status als Absolutes nicht erreicht.«203 Diesem Themenkomplex nähert sich Adorno unter der Fragestellung, »ob Metaphysik als Wissen vom Absoluten überhaupt möglich sei ohne die Konstruktion absoluten Wissens«204 . Es ist durchaus verständlich, weshalb Adorno diese Frage hier stellt, sogar stellen muss, denn, wie er selbst weiß, kann auch negative Dialektik nicht betrieben werden, ohne den Anspruch zu haben, damit alleinstehend gegenüber der Geltung von Wahrheit zu sein. Ein solches Denken wäre dann selbst wieder System, wäre Zwang zur Identifikation mit der Methode selbst und somit würde es selbst seinem Anspruch nicht gerecht, negative Dialektik wie idealistische Dialektik verlöre sich in der Aporie, nicht das zu sein, was sie sein wollte.205 »Dialektik«, so sagt es Adorno, »ist das Selbstbewußtsein des objektiven Verblendungszusammenhangs, nicht bereits diesem entronnen. Aus ihm von innen her auszubrechen, ist objektiv ihr Ziel.«206 Und dafür taugt ihm einzig die Methode der bestimmten Negation. Negative Dialektik vollzieht sich im Akt ständiger Reflexion zwischen dem Reden des Objekts und der subjektiven Vermittlung, zwischen Kunst und Wirklichkeit bzw. Betrachter, zwischen dem Transzendenten und der Immanenz. »Deshalb bedarf Kunst der Philosophie, die sie interpretiert, um zu sagen, was sie nicht sagen kann«207 und macht damit klar, dass Aufgabe 199 200 201 202 203 204 205 206 207

Adorno: GS 6, S. 396. Siehe dazu die Abschnitte 3.2.1, S. 85ff, und 3.2.2, S. 93ff. Adorno: GS 6, S. 396. Bertram: Metaphysik und Metaphysikkritik, S. 408. Ders.: Metaphysik und Metaphysikkritik, S. 408. Adorno: GS 6, S. 397. Vgl. Ders.: GS 6, S. 397f. Ders.: GS 6, S. 398. Ders.: GS 7, S. 113.

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der Philosophie eben nicht sein kann, beim ersten Satz (in Verbindung mit dem letzten) des Tractatus Wittgensteins208 stehen zu bleiben, sondern gerade das zu sagen, was ganz explizit nicht der Fall ist. Und weil sie dieses aber nicht positiv kann, ihrem Anspruch nach aber dennoch Absolutheit im Sinne von Positivität in sich trägt, muss sie sich schlussendlich auch gegen sich selbst wenden. Die Philosophie, wie Adorno sie in der Negativen Dialektik beschreibt, ist gezwungen, sich selbst der gleichen Kritik und des gleichen Widerspruchs zu unterziehen, um nicht zu einer perpetuierend affirmativen Konservierung des Systems zu verkommen. Konsequent spricht er deshalb davon, dass die Dialektik sich gegen sich selbst kehren und nur durch einen dialektischen Schritt zu verlassen sei.209

3.3 Präsenz des Utopischen im Kunstwerk Als Abschluss der Analyse von Adornos Verhältnis zur Hoffnung aufs Utopische, soll sich jetzt konkret mit dessen Präsenz beschäftigt werden. Denn, wie Adorno schreibt: »Daß die Kunstwerke als fensterlose Monaden das ›vorstellen‹, was sie nicht selbst sind, ist kaum anders zu begreifen als dadurch, daß ihre eigene Dynamik, ihre immanente Historizität als Dialektik von Natur und Naturbeherrschung nicht nur desselben Wesens ist wie die auswendige, sondern in sich jener ähnelt, ohne sie zu imitieren.«210

Das heißt für das in dieser Arbeit vertretene Verständnis nichts anderes, als dass hier eine besondere Form der Präsenz besteht, die als negative Präsenz umschrieben werden kann und deren Struktur so gut als möglich nachzuzeichnen ist, um dann in einem zweiten Schritt dabei das »Jenseits der Kunst«211 zu thematisieren. Zunächst einmal muss dabei schärfer in den Blick genommen werden, an welchem Ort sich diese Präsenz vollzieht, nämlich an dem Ort, an dem das Kunstwerk 208 Wittgenstein: Tractatus, S. 9. 209 Vgl. Adorno: GS 6, S. 397f. Diese Wendung der Negativen Dialektik gegen sich selbst wurde und wird oft als dialektisch-wirre Aporie beanstandet (vgl. beispielsweise Müller: Negative Dialektik, S. 31). Müller verkennt aber meines Erachtens, dass anders Adornos Leitgedanke der negativen Dialektik gar nicht konsequent gedacht werden kann, denn natürlich ist, wenn die Verzerrung und Verblendung von Erkenntnis als eine totale aufgefasst wird, niemand in der Lage, den überwindenden Schritt immanent zu tätigen; die Anleitung bzw. im wahrsten Sinne des Wortes Befreiung zur Überwindung der Dialektik mit Dialektik erfordert gerade, dass diese Überwindung durch ein Anderes geschieht. Müller wendet die bestimmte Negation von Adornos negativer Dialektik hier nicht in letzter Konsequenz an, sondern verbleibt im Vorletzten, in dem sich noch die Möglichkeit eines rein synthetisch-affirmativen Überwindens des Systems im Sinne der vereinheitlichenden Aufhebung verbirgt. Denn die überwundene Dialektik steht selbst wieder im dialektischen Gegenüber zur überwindenden. Zu fragen bleibt vielmehr, ob sich hier nicht ein Stück Versöhnungsdenken verbirgt und wenn ja: ob diese Versöhnung ihrem eigenen Begriff gerecht wird. Denn, »[w]as nicht toleriert, das nicht wie es selber wäre, hintertreibt die Versöhnung, als welche es sich verkennt.« (Adorno: GS 6, S. 146). 210 Ders.: GS 7, S. 15. 211 Siehe Kapitel 3.3.1, S. 109ff.

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selbst ist, also in der Wirklichkeit. Das Kunstwerk kann nicht aus diesem Rahmen treten und, mit Adornos Worten, »[d]ie ungelösten Antagonismen der Realität kehren wieder in den Kunstwerken als die immanenten Probleme ihrer Form.«212 Es gibt daraus kein Entkommen und die Kunstwerke selbst binden sich wie mit Ketten »an das, was zu überfliegen ihr Glück ausmacht und worein sie in jedem Augenblick abermals zu versinken drohen.«213 Es ist der Kunst nicht möglich, losgelöst von ihrem sozialen und geschichtlichen Ort sich zu entwickeln. Sie braucht, um überhaupt Kunst genannt werden zu können, den Bezug zur Wirklichkeit, in die sie spricht und aus deren Bann sie zu entkommen sucht. Verbindet man nun die beiden Zitate, dass sich Kunstwerke an das ketten, was sie zu überfliegen trachten und immer in Bezug zur gegebenen Situation stehen, bekräftigt das die Aussage, dass Kunst eine durchaus bipolare Stellung in Adornos Theorie einnimmt. Sie hat als konstituierende Eigenschaft die Überwindung, im Sinne eines Heraustretens aus, der Wirklichkeit zum Telos, kann aber nicht ohne ihren Verbleib darin existieren. Sie ist darum auch gleichzeitig dazu gezwungen, der Wirklichkeit Affirmation zu spenden. Denn indem Kunstwerke aus der konkreten historischen Situation heraustreten wollen, erkennen sie sie an. Sonst könnten sie nicht aus ihr heraustreten wollen. Gleichzeitig schaffen sie damit aber auch einen Ort, an den sie hinaustreten können. »Kunstwerke begeben sich hinaus aus der empirischen Welt und bringen eine dieser entgegensetzte eigenen Wesens hervor, so als ob auch diese ein Seiendes wäre. Damit tendieren sie a priori, mögen sie noch so tragisch sich aufführen, zur Affirmation.«214 Sie nehmen also eine ontische Setzung vor. Aber ist es eine Setzung des jeweiligen Kunstwerks? Denn die Setzung würde gleichzeitig auch implizieren, dass hier eine statische Kontinuität des Anderen bestünde. Sie würden ein für alle Mal eine der konkreten Situation entgegengesetzte Wirklichkeit postulieren, die ab dem Moment der Fertigstellung sich eröffnete. Mit dem Anbruch einer neuen historischen Situation wäre das Kunstwerk dann auch nicht mehr aussagekräftig gegenüber der veränderten Wirklichkeit. Folglich braucht es einen Punkt außerhalb, auf den Kunst sich bezieht, ihn aber nicht selbst setzt, sondern in Bezug auf ihn Wirklichkeit konstruieren kann. Oder mit Adornos Worten: »In seiner Differenz vom Seienden konstituiert das Kunstwerk notwendig sich relativ auf das, was es als Kunstwerk nicht ist und was es erst zum Kunstwerk macht.«215 Zur Erhellung des Begriffs des Kunstwerks trägt vor allem die zweite Hälfte des eben Zitierten bei, nämlich: Kunst wird selbst erst zur Kunst, das Kunstwerk zum Kunstwerk, durch ein Anderes. Ihr Sein als Kunst wird konstituiert dadurch, dass sie im Verhältnis zu etwas steht, das sie selbst nicht ist, auf das 212 213 214 215

Adorno: GS 7, S. 16. Ders.: GS 7, S. 16. Ders.: GS 7, S. 10. Ders.: GS 7, S. 19.

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sie aber verweist.216 Damit verweist Adorno auf eine innere Dialektik der Kunst: Sie konstruiert eine Wirklichkeit, der sie einen ontischen Status zuweist, das ist ihre Aufgabe als Kunst; allerdings wird sie als Kunst überhaupt erst konstituiert durch das, was sie selbst konstruiert.217 Es wird nun deutlicher, weshalb, um zu diesem Punkt zu gelangen, den langen Weg über die Gesellschaftskritik zu gehen war, da Kunst, wenn sie so gedacht wird, insbesondere mit Sozialutopie zu tun hat.218 Die Utopie, die Kunst vorstellt, hat klare gesellschaftliche Dimensionen. Denn Adorno sieht die Aufgabe von Kunst darin, »eine nichtexistente Gesamtgesellschaft, deren nichtexistentes Subjekt zu antezipieren«, allerdings unter der Einschränkung, dass »ihr zugleich der Mangel von dessen Nichtexistenz an[haftet].«219 Problematisch ist also, dass Kunst etwas aufscheinen lassen soll, das nicht existiert, das aber gleichzeitig durch diesen Aufschein in eine bestimmte Form der Existenz versetzt wird. Adorno führt diesen Gedanken weiter aus: »Wahr ist Kunst, soweit das aus ihr Redende und sie selber zwiespältig, unversöhnt ist, aber diese Wahrheit wird ihr zuteil, wenn sie das Gespaltene synthetisiert und dadurch erst in seiner Unversöhnlichkeit bestimmt. Paradox hat sie das Unversöhnte zu bezeugen und gleichwohl tendenziell zu versöhnen; möglich ist das nur ihrer nicht-diskursiven Sprache.«220 Kunst trifft demnach mit dem, was sie zeigt, wahre Aussagen. Und diese wahren Aussagen sind von doppelter Natur. Zum einen sagt sie in der Affirmation des Bestehenden wahres, indem sie die momentane Situation bestätigt. Sie kennzeichnet sie als seiend und romantisiert damit nicht über einen möglichen besseren Zustand. Sie zeigt in der Affirmation das Bestehende als solches mit allen Makeln auf. Gleichzeitig betont sie auch die größere Wahrheit, dass dieses Bestehende selbst nicht die Wahrheit ist, sondern nur in Wahrheit existiert, selbst aber das Unwahre ist. Diese Aussage kann sie nur treffen, weil sie nicht einfach Versöhnung setzt, sondern die Negativität der beiden unversöhnten – und zum Zeitpunkt, in dem Kunst noch Kunst ist, auch unversöhnbaren – Wirklichkeiten in aller Zwiespältigkeit darstellt. Zur Disposition muss dann aber die Position des Kunstwerks selbst stehen. Denn die unversöhnten Zustände darzustellen, könnte auch heißen, sie wäre selbst dem Zwiespalt enthoben und würde außerhalb stehen oder als bloßes Medium fungieren. Sie hätte dann uneingeschränkten und alleinigen Anspruch auf

216 Vgl. Pauen: Nihilismus, S. 338. 217 Der Unterschied dürfte qualitativer Natur sein: Das, was Kunst konstituiert, nämlich Utopie, kann von Kunst nie konstruiert werden als Wirklichkeit, sondern Utopie ist die Bedingung der Möglichkeit der Existenz von Kunst als Verweis und darin von ihr abhängig. 218 Vgl. beispielsweise Adorno: GS 6, S. 374: »Solange die Welt ist, wie sie ist, ähneln alle Bilder von Versöhnung, Frieden und Ruhe dem des Todes.« 219 Ders.: GS 7, S. 251. 220 Ders.: GS 7, S. 251.

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Wahrheit durch ihre Position in der Erlösung. Das kann aber nicht der Fall sein. Vielmehr schreibt Adorno: »Durch ihre unvermeidliche Lossage von der Theologie, vom ungeschmälerten Anspruch auf die Wahrheit der Erlösung, eine Säkularisierung, ohne welche Kunst nie sich entfaltet hätte, verdammt sie sich dazu, dem Seienden und Bestehenden einen Zuspruch zu spenden, der, bar der Hoffnung auf ein Anderes, den Bann dessen verstärkt, wovon die Autonomie der Kunst sich befreien möchte.«221

Kunst dient also nicht mehr der Theologie als Mittel zur Darstellung von Hoffnungsinhalten (wie auch immer das überhaupt funktionieren mag), sondern erfährt ihren eigenen Zugang zur und Umgang mit der Wahrheit der Erlösung. Dieser liegt zwischen der transzendenten Versöhnung und der unversöhnten Immanenz.222 Damit ist sie nicht dem unversöhnten Zustand enthoben, sondern sie stellt ihn dar, indem sie selber auf der Grenze zwischen dem Versöhnten und Unversöhnten steht. Sie ist nicht selbst diese Grenze, wohlgemerkt, sondern sie steht auf ihr. Folglich kann es auch nicht die Aufgabe eines Kunstwerks sein, aus dieser Spannung heraus sich nur dem Schönen und der Utopie zuzuwenden. Das Schöne hat in Adornos Ästhetische Theorie so oder so einen schweren Stand.223 Denn ihm unterstellt Adorno wiederum die affirmative Tendenz des Allgemeinen in der ungleichen Hierarchie von Subjekt und Objekt, insofern »[d]ie fatale Allgemeinheit des Begriffs des Schönen […] nicht kontingent«224 sei. »Der Primat der Form, den die Kategorie des Schönen kodifiziert«, so Adorno weiter, »läuft bereits auf den Formalismus, die Übereinstimmung des ästhetischen Objekts mit allgemeinsten subjektiven Bestimmungen hinaus, an dem dann der Begriff des Schönen leidet.«225 So wird auch das Utopische, das in Nichtexistenz durch das Kunstwerk negativ existent ist in gerade dieser Negativität, die der subjektiven Bestimmung geschuldet ist, eben nur negativ vorhanden sein können als sich diesem entziehend. Genau aus diesem Grund kann auch »[k]ein daseiendes, erscheinendes Kunstwerk […] des Nichtseienden positiv mächtig«226 sein. Denn Kunst entsteht immer auch nur dann, wenn der Bezug zur Realität, also zur Verblendung, besteht, wenn sie sozial und geschichtlich einen Ort hat. Sie »hat ihren Begriff in der geschichtlich sich verändernden Konstellation von Momenten […]. Nicht ist ihr Wesen aus ihrem Ursprung deduzibel«227 . Kunst ist folglich dem geschichtlichen Wandel unterworfen und manches, was einst Kunst war, gilt heute 221 222 223 224 225 226 227

Ders.: GS 7, S. 10. Vgl. Pauen: Nihilismus, S. 337. Vgl. die Gedanken zum Natur- und Kunstschönen 3.2.1, S. 88ff. Adorno: GS 7, S. 82. Ders.: GS 7, S. 82. Ders.: GS 7, S. 200. Ders.: GS 7, S. 11.

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nicht mehr und umgekehrt. Ein Kunstwerk ist folglich nur dann eines, wenn es, egal zu welcher Zeit es geschaffen wurde, in Bezug zur gegenwärtig erlebten Realität steht.228 Gleichzeitig sind Kunstwerke aber auch dem subjektivistischen Zugriff auf ihre Konstitution enthoben dadurch, dass sie sich nicht ausschließlich in der Wirklichkeit gründen, sondern in einem ganz anderen: der Utopie. Sie sind gleichzeitig im unversöhnten wie im versöhnten Zustand beheimatet, gründen sich in der Utopie und konstruieren damit in der Wirklichkeit eine neue, dieser entgegengesetzte, die nicht den gleichen Herrschaftsstrukturen und Heteronomien unterworfen ist. In dieser Konstruktion hat sie eine gewissermaßen befreiende Wirkung, da sie den Schein als Schein und den Trug als Trug aufzeigt. Damit rückt Adorno die Kunst in die Nähe der Erlösung. »Kunstwerke sind die Statthalter der nicht länger vom Tausch verunstalteten Dinge, des nicht durch den Profit und das falsche Bedürfnis der entwürdigten Menschheit Zugerichteten.«229 Sie haben »inmitten herrschender Utilität zunächst wirklich etwas von Utopie als das Andere, vom Getriebe des Produktions- und Reproduktionsprozesses der Gesellschaft Ausgenommene, dem Realitätsprinzip nicht Unterworfene«230 . Diese spezielle Form der Präsenz von Utopie bedeutet für die Kunst aber auch, dass sie selbst nicht mehr in sich geschlossen sein kann. »Kein Kunstwerk hat ungeschmälerte Einheit«, schreibt Adorno, »ein jedes muß sie vorgaukeln und kollidiert dadurch mit sich selbst.«231 Er fährt fort: »Konfrontiert mit der antagonistischen Realität, wird die ästhetische Einheit, die jener sich entgegensetzt, zum Schein auch immanent. […] Schein ist das Kunstwerk nicht allein als Antithesis zum Dasein sondern auch dem gegenüber, was es von sich selbst will. Es ist mit Unstimmigkeit geschlagen. […] Sinn, der den Schein bewerkstelligt, hat als Oberstes am Scheincharakter teil.«232 Wenn das Kunstwerk nun dermaßen in Bezug sowohl zur Wirklichkeit als auch der Utopie steht, dass es zu beiden im Scheincharakter auftritt, folgt daraus ein schwerer, wenn nicht unmöglicher Stand für das Kunstwerk. Einerseits ist es konkret erscheinend in der Wirklichkeit, ist verarbeitetes Material und eine artifizielle Ware zur Wahrung des Verblendungszusammenhangs. Andererseits ist es völlig unkonkret eine Konstruktion einer neuen, der Wirklichkeit entgegengestellten Realität und als solches absolut nicht in der Welt beheimatet. Es hat keinen Ort und ist deshalb selbst ein Un-Ort, 228 Vgl. Adorno: GS 7, S. 11: »Die Definition dessen, was Kunst sei, ist allemal von dem vorgezeichnet, was sie einmal war, legitimiert sich aber nur an dem, wozu sie geworden ist, offen zu dem, was sie werden will und vielleicht werden kann.« 229 Ders.: GS 7, S. 337. 230 Ders.: GS 7, S. 461. 231 Ders.: GS 7, S. 160. 232 Ders.: GS 7, S. 160. Vgl. erklärend Feola: Redemption of the Many, besonders S. 216ff. wo dieser betont, dass gerade in der hermetischen Abgeschlossenheit der Kunst bei Adorno ihre Stärke für Kritik liegt.

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es ist Utopie. Kunst, die in der Situation steht, gleichzeitig konkret wie Utopie zu sein, ist nun Adornos Art und Weise des Umgangs mit der Überbrückung der Dichotomie von versöhntem und unversöhntem Zustand, die notwendig sein muss, wenn er im Schlussaphorismus der Minima Moralia vom Scheinen des Lichts der Erlösung sprechen können will. Würde er keine negative Füllung dieser Leerstelle vornehmen, wäre seine Aussage selbst überflüssig, da sie nicht vom Licht der Erlösung sprechen könnte. Da er es aber offensichtlich kann, muss hier ein Mehr mitgedacht werden, das im Aphorismus so nicht kenntlich gemacht wird. Diesem Mehr wird als letztem Thema nun sich gestellt. 3.3.1 »Das Jenseits der Kunst«

Kunst ist in die Aufgabe gestellt, davon zu reden, wofür ihr jegliche Ausdrucksform verstellt ist. Wolfgang Schoberth widmete sich diesem Thema in seinem Buch mit dem Titel »Das Jenseits der Kunst«233 – eine Bezeichnung, die hier gerne übernommen wird. Ein solches Jenseits ist erkennbar in dem schon zitierten Abschnitt, dass Kunst sich, so Adorno, von der Theologie, vom »Anspruch auf die Wahrheit der Erlösung« emanzipiert habe, und deshalb trotz der »Hoffnung auf ein Anderes«234 dem Verblendungszusammenhang zuspielt. Kunst sagte sich vom Anspruch auf die Wahrheit der Erlösung darum los, weil sie selbst diese Wahrheit zum Ausdruck bringt. Kunst muss also von Wahrheit sprechen und zwar von der Wahrheit der Utopie, die dem Schein entgegensteht und gerade in diesem Entgegenstehen nicht nur jenseitig, sondern auch wirklich ist. »Kein Kunstwerk ist, das nicht verspräche, daß sein Wahrheitsgehalt, soweit er in ihm als daseiend bloß erscheint, sich verwirklicht und das Kunstwerk, die reine Hülle, zurückläßt […]. Das Siegel der authentischen Kunstwerke ist, daß, was sie scheinen, so erscheint, daß es nicht gelogen sein kann, ohne daß doch das diskursive Urteil an seine Wahrheit heranreichte. Ist es aber die Wahrheit, dann hebt sie mit dem Schein das Kunstwerk auf. Die Bestimmung von Kunst durch den ästhetischen Schein ist unvollständig: Wahrheit hat Kunst als Schein des Scheinlosen.«235

Auch hier begegnet wieder Adornos bekanntes Muster, dass die Verwirklichung des Jenseits der Kunst Kunst zum Jenseitigen machen würde, sie aufhöbe. Erweitert wird diese Form nun noch durch die Aussage, dass das Aufheben der Kunst das Kunstwerk als Hülle zurückließe. Die Wahrheit des Kunstwerks ist damit konstituiert aus dem heraus, was sie selbst nicht verwirklichen kann, sondern was sich in der Kunst verwirklicht. Darin negiert es das Kunstwerk gleichzeitig.236 So steht 233 234 235 236

Schoberth: Jenseits der Kunst. Adorno: GS 7, S. 12. Ders.: GS 7, S. 199. Ders.: GS 7, S. 200.

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die Kunst in der merkwürdigen Situation, immer rätselhaft zu sein. »Der Rätselcharakter […] ist der aller Kunst, die es sagt, und doch nicht sagt, was sie sagt.«237 Doch stellt sich die Frage, woran es hängt, ob im Kunstwerk die Wahrheit erkannt wird oder nicht. Soll das Licht der Erlösung, das durch die Kunst in der und auf die Welt scheint, als Licht erkennbar sein, muss es transzendentale Bedingungen geben, diese Erkenntnis auch treffen zu können. Die Wahrheit, die im Kunstwerk dargestellt ist, braucht auch ihren Ort in der Wirklichkeit. »Die Wahrheit der Kunstwerke haftet daran, ob es ihnen gelingt, das mit dem Begriff nicht Identische, nach dessen Maß Zufällige in ihrer immanenten Notwendigkeit zu absorbieren. Ihre immanente Zweckmäßigkeit bedarf des Unzweckmäßigen. Dadurch gerät in ihre eigene Konsequenz ein Illusorisches hinein; Schein ist noch ihre Logik.«238

In Anlehnung an die Forderung nach der Versenkung ins Detail in der Erkenntnistheorie formuliert Adorno in seiner ästhetischen Theorie also eine Erkenntnismethode, die sich gerade ins Detail versenkt und in der besonderen Stellung zwischen Affirmation und Negation funktioniert. Die Wahrheit hängt auch daran, dass sie als Wahrheit einem Anderen, dem Schein, der Unwahrheit gegenübersteht und hier ihren Anspruch vertreten und aufzeigen kann. Sie tritt kritisch auf. Die Pointe, die hier zu sehen ist, ist die, dass dadurch eine Relativierung des Scheins in ihn hineingetragen wird, die besonders für Kunst von Bedeutung ist. Gehört nämlich zu ihrem Sein dazu, affirmativ zu sein, so kann das von der Seite her, dass sie gleichzeitig radikaler Widerspruch ist, nur heißen, dass auch die Affirmation nicht ganz falsch ist.239 Wäre sie vollkommen falsch, bräuchte Kunst dieses affirmierende Moment nicht konstitutiv, sondern könnte sich schlechthin in der Utopie gründen. Dies tut sie aber nicht. Affirmation gehört wesentlich zur Kunst dazu, diese konstituiert sich aus jener wie aus der Utopie240 und wird deshalb in dieser Verbindung auch auf eine andere Stufe gestellt. »Sie [d. i. die Affirmation] dämmt Barbarei, das Schlimmere, ein; unterdrückt Natur nicht nur, sondern bewahrt sie durch ihre Unterdrückung hindurch; in dem vom Ackerbau entlehnten Begriff der Kultur schwingt das mit. Leben hat sich, auch mit dem Prospekt eines richtigen, durch Kultur perpetuiert; in authentischen Kunstwerken hallt das Echo davon wider. Affirmation hüllt nicht das Bestehende in Gloriolen; sie wehrt sich gegen den Tod, das

237 Adorno: GS 10.1, S. 444. 238 Ders.: GS 7, S. 155. 239 Vgl. Ders.: GS 7, S. 98, den Gedanken der Natur als »vermittelten Statthalter von Unmittelbarkeit«, die ihre Entschlüsselung in der Kunst findet (Schoberth: Jenseits der Kunst, S. 156). 240 Vgl. Adorno: GS 7, S. 280. Dort spricht er von der Hoffnung, die sich am Besonderen entfache, das aber nur so hell scheinen kann, weil es im Zusammenhang des Ganzen steht. Er möchte es verdeutlichen an Beethovens d-moll-Sonate: »Man muß lediglich die Stelle im Zusammenhang des Satzes spielen und dann allein, um zu hören, wie sehr sie ihr Inkommensurables, das Gefüge Überstrahlende, dem Gefüge verdankt.«

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Telos aller Herrschaft, in Sympathie mit dem, was ist. Nicht um weniger ist daran zu zweifeln als um den Preis, daß Tod selbst Hoffnung sei.«241

Dass sich das Leben durch die Kultur, also durch die Verblendung, perpetuiert hat, hängt für Adorno auch daran, dass ein richtiges Leben im falschen nicht gänzlich unmöglich ist, sondern als Prospekt das Leben am Leben erhielt. Doch wie? Ist es unter dem Verblendungszusammenhang möglich, dass das richtige Leben im falschen gelebt werden kann oder ist es nur als Negatives in Form einer unmöglichen Wirklichkeit vorhanden? Und inwiefern kann dann von Hoffnung positiv gesprochen werden, wenn das, worauf sie gründet, nämlich der versöhnte Zustand, eigentlich nur als Negation denkbar ist? Adorno entwickelt diesen Gedanken selbst weiter und spricht davon, dass Kunst gerade dadurch, dass sie der Versöhnung im Schein entsagen muss, weil sie sie nicht vollbringen kann, sie diese in ihm verfestigt.242 Denn indem sie der Versöhnung eine Absage erteilt und damit dem Bestehenden dessen benötigten Zuspruch spendet, vollbringt sie selbst den Spagat, der sie zum Vorschein der Versöhnung konstituiert, nämlich nicht platt Differenzen zu verbinden, sondern sie in ihrer Negativität, ihrer Nichtidentität ernst zu nehmen und als unversöhnte Wirklichkeiten in ihrer Gegenüberstellung zu perpetuieren. In seinen Worten lautet dies: »Durch unversöhnliche Absage an den Schein von Versöhnung hält sie diese fest inmitten des Unversöhnten, richtiges Bewußtsein einer Epoche, darin die reale Möglichkeit von Utopie – daß die Erde, nach dem Stand der Produktivkräfte, jetzt, hier, unmittelbar das Paradies sein könnte – auf einer äußersten Spitze mit der Möglichkeit der totalen Katastrophe sich vereint.«243 Kunst ist dergestalt gleichzeitig Utopie und gleichzeitig nicht.244 So bleibt dann auch tatsächlich das richtige Leben im falschen als dessen bestimmte Negation erhalten und negativ existent.245 Weil es in dieser Negation existent ist, kann im falschen Leben die Hoffnung, dass die Welt irgendwann einmal genau in diesem versöhnten Zustand ankommen wird, sich durchhalten. Sie ist »Hoffnung, mit einem Charakter von Authentizität, der sie, ein ästhetisches Erscheinendes, zugleich jenseits des ästhetischen Scheins trifft. Dies Jenseits eines Erscheinenden von seinem Schein ist der ästhetische Wahrheitsgehalt; das am Schein, was nicht 241 242 243 244 245

Ders.: GS 7, S. 374; Hervorhebungen von mir. Vgl. Ders.: GS 7, S. 55f. Ders.: GS 7, S. 55f. Vgl. Ders.: GS 7, S. 203. Pritchard drückt eben dies, wenn auch nicht speziell auf das richtige Leben bezogen aus, wenn sie schreibt, dass bei Adorno immer mitgedacht werden muss, dass die bestimmte Negation einen Blick auf das Jenseits des status quo preisgibt (vgl. Pritchard: Bilderverbot meets Body, S. 302). Ebenso sieht Thaidigsmann hier eine erkenntnisleitende Funktion, insofern »dass das realitätssüchtige Subjekt seiner selbst im Horizont dessen inne wird, dass alles gut werden könnte« (Thaidigsmann: Das Versprechen, S. 130).

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Schein ist.«246 Trifft auf die Kunst zu, dass sie Utopie ist und Vorschein der Versöhnung, dann kann an ihr die Hoffnung entspringen, die im Licht der Erlösung ihre Erkenntnisse formuliert. Das Jenseits der Kunst, das ihr Wahrheitsgehalt ist, »ihr innerstes Prinzip, das utopische«247 , wie Adorno es nennt, kann über diese Verbindung mit dem Licht der Erlösung der Minima Moralia äquivoziert werden. Mehr noch, müsste die Annahme getroffen werden, dass das Jenseits der Kunst die Erlösung selbst ist und das Licht das Autonome, das Authentische, das das Kunstwerk zum Kunstwerk macht und aus ihm scheint. Durch die Kunst wäre damit eine Erkenntnis möglich, die dem Verblendungszusammenhang enthoben ist und darin den Wahrheitsanspruch erfüllen kann, den Erkenntnis fordert. Mit Hoffnung hat diese Aussage aber noch nicht viel zu tun, sondern spricht eher von einer metaphysischen Größe, die die Bedingung der Möglichkeit dessen ist, was hier Erkenntnis genannt wird.248 Hoffnung verweist aber auf ein Mehr. Hoffnung braucht einen Grund und einen Bezugspunkt. Und den findet sie über die Kunst und in dieser. Indem das Kunstwerk sich in einem Anderen gründet, auf das es verweist, und dieses Andere sich in ihm präsentiert, hat die Hoffnung, dass »das, was ist, nicht alles«249 ist, einen konkreten Bezugsrahmen. Würde Hoffnung allerdings ausschließlich durch die Erkenntnis des anderen bedingt, wäre sie eine leere Hoffnung, da die Erkenntnis des Jenseitigen nach wie vor in der Welt stattfindet und damit immer auch dem Schein unterworfen ist. Will man aber eine Erkenntnis, die ungebrochen auch im Licht der Erlösung getätigt werden kann, kann die Bewegung nur umgekehrt funktionieren: Das Licht der Erlösung beleuchtet dann die Welt, bringt Dinge in ihr zum Vorschein und durchbricht den Schein.250 Dass aber dieses erkannt werden kann, braucht es Hoffnung, die sich darin gründet. Dann ist das Licht der Erlösung zwar Bedingung der Hoffnung, aber Hoffnung ist Bedingung der Möglichkeit der Erkenntnis des durchbrochenen Scheins. Könnte das Licht der Erlösung in der Welt frei scheinen, bräuchte es nicht den Vorschein in der Kunst, wäre Kunst und wäre jegliche Hoffnung überflüssig, denn dann wäre Adornos Utopie Wirklichkeit geworden und hätte Bestand.251 Den hat sie aber faktisch nicht. Darum benötigt sie den Vorschein und braucht, um sich ihrer Erkenntnis sicher zu sein, die Hoffnung als Adorno: GS 7, S. 423. Ders.: GS 7, S. 451. Vgl. zur Metaphysik Kapitel 3.2.2.1, S. 101ff. Adorno: GS 6, S. 391. Zamora spricht davon, dass Kunstwerke »die Elemente der schlechten und falschen Realität so in neue Konstellationen treten zu lassen [haben], daß diese unter dem Licht der Versöhnung erscheint.« (Zamora: Erlösung unter Bilderverbot, S. 140) Das ist der dem Entwurf dieser Arbeit umgekehrte Weg, der nicht beschritten werden soll, da wohl die getroffene Interpretation zugrunde zu liegen hat, dass nicht Kunstwerke Dinge ins Licht der Erlösung rücken, sondern umgekehrt das Licht der Erlösung durch das Kunstwerk auf die Dinge scheint. 251 Vgl. Adorno: GS 7, S. 203. 246 247 248 249 250

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transzendentale Bedingung. Kunst evoziert also in ihrem dichotomischen Sein als Artefakt einerseits und als Vorschein der Versöhnung andererseits die Hoffnung auf ein Jenseits der Kunst. Damit antezipiert sich Versöhnung in der Kunst, indem sie Versöhnung als nicht-wirklich ausschließt und darum sie zu einer ›bloß‹ erhoffbaren Größe macht.252 Für Adorno ist das »die Trauer von Kunst«: »Versöhnung vollbringt sie unwirklich, um den Preis der wirklichen. Das Letzte, was sie vermag, ist die Klage um das Opfer, das sie darbringt und das sie selbst in ihrer Ohnmacht ist.«253 Sie opfert sich für die Versöhnung, die sie mit dem Opfer254 dennoch nicht selbst vollbringen kann. Deshalb beschreibt Thaidigsmann das Kunstwerk als »Ausdruck des ›Nichtidentischen‹ und damit [als] Index dessen, was im herrschenden Allgemeinen von Ehe, Familie, Gesellschaft und Staat und der durch sie bestimmten Geschichte nicht aufgeht, was verdrängt und geopfert wird.«255 Dem Opfer ist der Betrug um das zu Erreichende inhärent. Man könnte nun ausführen, dass das Opfer damit selbst überflüssig würde, die Hoffnung, die in diesem Rahmen erstehe, gerade darum eine falsche sein müsse und prinzipiell überhaupt nur ein weiteres Mittel zur Aufrechterhaltung des Scheins sei; dass Adornos Philosophie sich damit schlussendlich entweder in einer Aporie oder totaler Negativität verfangen müsse und es sich darum nicht lohne, weiter an diesem Thema zu arbeiten. Allerdings würde damit verfehlt, was das Besondere an Adornos Ansatz ist, nämlich dass gerade darin, dass er in einer Aporie mündet, er sich erst öffnen kann für ein Denken, das nicht in den Grenzen der Wirklichkeit gefangen bleibt, sondern auf vielen Ebenen operiert und damit die Enge der faktisch erlebten Realität sprengt.256 Unsere Interpretation möchte vorschlagen, mit Adorno zu entfalten, dass Hoffnung, die sich auf eine solche Form der Kunst stützt, die einzige Konsequenz in seinem Denken sein kann und deshalb als positive Negativität möglich sein kann. Eine Voraussetzung dafür ist, dass Kunstwerke »der Identität mit sich selber, und damit auch des Bildes der Versöhnung in unvergleichlich viel höherem Maße mäch-

252 Vgl. Ders.: GS 10.1, S. 451. 253 Ders.: GS 7, S. 84. Adorno verwendet hier, bewusst oder unbewusst (man dürfte ihm wohl volles Bewusstsein unterstellen können!), eine Figur, die der Christologie des Hebräerbriefes sehr nahe kommt. Vgl. Hebr 9,11f.: »Christus aber ist gekommen als Hoherpriester der Güter bei Gott und ist durch das größere und vollkommenere Zelt, das nicht mit Händen gemacht ist, das ist: das nicht von dieser Schöpfung ist. Er ist auch nicht durch das Blut von Böcken oder Kälbern, sondern durch sein eigenes Blut ein für alle Mal in das Heiligtum eingegangen und hat eine ewige Erlösung erlangt.« 254 Vgl. den für ein theologisches Opferverständnis, dem das Adornosche in vielen Punkten nah, aber nie gleich ist, höchst instruktiven Aufsatz von Schoberth: »Schlachtopfer gefallen dir nicht!«. 255 Thaidigsmann: Das Versprechen, S. 122. 256 Vgl. Adorno: GS 10.1, S. 451.

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tig sind, als es die auswendige Realität ist.«257 Damit ist bisher noch nichts Neues gesagt, sondern nur mit anderen Worten wiederholt, was bisher schon mehrfach aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet wurde, nämlich dass Kunstwerke in ihrer dichotomischen Gestalt existieren. Jedoch wird Adorno in seiner Vorlesung etwas konkreter und hebt hervor, dass gerade hierin das Mehr liegt, das Kunst braucht, um hoffnungsstiftende Kunst zu sein. »Und diese Differenz scheint mir doch zu begründen, daß in der ästhetischen Sphäre insgesamt so etwas wie positive Negativität doch weit eher die Möglichkeit hat, auch in den Gebilden selber sich zu realisieren als das, was in der Theorie der Fall ist.«258 Wichtig bleibt hierbei, dass Adorno nicht eine ontologische Setzung der positiven Negativität vornimmt und sie damit zur wirklichen und vernünftigen Größe macht, sondern sie Möglichkeit bleibt. Die Vorläufigkeit dieser Möglichkeit bleibt immer bestehen.259 Der Opfergedanke, der selbst schon den Betrug bringt, kann nun wieder aufgenommen werden und darin die positive Negativität der Hoffnung neu bedacht werden. Das Opfer, das gleichzeitig um seine Wirkung betrügt, muss deshalb so gedacht sein, um nicht selbst als das angebetet zu werden, was es nicht ist. Würde Kunst in ihrem Versuch, sich selbst zu liquidieren, darin Erfolg haben, würde sie sich selbst in eine überhöhte Position setzen. Sie wäre dann nicht der Verweis auf das Utopische, sondern wirklich gewordene Utopie. Die Hoffnung, die sich auf diese Utopie bezöge, wäre Konkretion und in sich selbst überflüssig.260 »Kunst bedarf eines ihr Heterogenen, um es zu werden. Sonst hätte der Prozeß, der dem Gehalt nach jedes Kunstwerk in sich selbst ist, keinen Angriffspunkt, liefe in sich leer«, schreibt Adorno und fährt fort: »Der Gegensatz des Kunstwerks zur Objektsphäre wird produktiv, das Werk authentisch allein dort, wo es diesen Gegensatz immanent austrägt, sich objektiviert an dem, was es in sich verzehrt. Kein Kunstwerk, auch das subjektivste nicht, geht auf in dem Subjekt, das es und seinen Gehalt konstituiert.«261 Es ginge dann nicht um eine Hoffnung auf etwas Neues, ganz Anderes, sondern eine Hoffnung, die wohl nicht einmal mehr als solche bezeichnet werden könnte. Adorno plädiert dagegen für ein Verständnis, in dem Hoffnung »einzig ans Verbot, das Falsche als Gott […], das Endliche als das Unendliche, die Lüge als Wahrheit [anzurufen]«262 , geknüpft ist. Hoffnung ist demnach, vergleicht man 257 Theodor W. Adorno: Ästhetik (1958/59), hrsg. v. Eberhard Ortland (Nachgelassene Schriften. Abteilung IV: Vorlesungen 3), Frankfurt am Main 2009, S. 33 (in diesem und allen folgenden Kapiteln: NgS 4/3). 258 Ders.: NgS 4/3, S. 33. 259 Vgl. Ders.: GS 7, S. 203, wo Adorno betont, dass Kunstwerke nur antizipierenden Charakter haben. 260 Man kann sogar so weit gehen, zu sagen, dass diese verwirklichte Utopie sich genau in dem Moment ihrer Verwirklichung als Dystopie selbst entlarven würde, die dem Schein entstammt statt außer ihm. 261 Adorno: GS 10.1, S. 439f. 262 Ders.: GS 3, S. 39.

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sie mit der allgemeinen Auffassung von Hoffnung, etwas hoffend zu erwarten mit positivem Ausgang, eine negative. Sie ist nicht nur Aussicht auf das von der Kunst Dargestellte, sondern sie ist Verbot, selbiges zu transzendieren. Sie wird transzendental aufgeladen in einer doppelten Hinsicht. Zum einen ermöglicht sie die Wahrnehmung der Wirklichkeit im Licht der Erlösung. »Daß aber die Kunstwerke da sind, deutet darauf, daß das Nichtseiende sein könnte. Die Wirklichkeit der Kunstwerke zeugt für die Möglichkeit des Mögli- chen«263 , schreibt Adorno über die Kunst und stellt sie damit gleichzeitig nicht nur als Möglichkeit des Möglichen dar, sondern macht daraus die Wirklichkeit der Möglichkeit des Möglichen. Damit ist nicht gemeint, dass die Wirklichkeit des Kunstwerks und die Wirklichkeit des Möglichen ineinanderfallen, sondern dass die Möglichkeit des Möglichen in der Wirklichkeit des Kunstwerks Ausdruck findet. Das nur Mögliche kann man zwar erhoffen, hat aber dabei keine Basis für die Hoffnung außer einer vagen, metaphysischen Möglichkeit. Die Wirklichkeit der Möglichkeit des Möglichen in der Kunst wird dagegen zur Grundlage der Hoffnung, denn so kann das Mögliche wirklich möglich sein und nicht nur vielleicht möglich. So sagt Adorno, »Utopie ist jedes Kunstwerk, insoweit es durch seine Form antezipiert, was es selbst wäre«264 . Und dadurch, dass die Kunstwerke diese Wirklichkeit nicht bloß abbilden, sondern sind, wird Hoffnung konkret. Sie wird konkret zur Bedingung der Möglichkeit der Erkenntnis des Nichtseienden, das sein könnte. Das Licht der Erlösung, das im Kunstwerk und aus ihm scheint, beleuchtet die Wirklichkeit dergestalt, dass Hoffnung Erkenntnisbedingung wird. Die Bewegung ist dabei eine doppelte: Einerseits braucht Hoffnung die Erlösung, um überhaupt entstehen zu können, eine Grundlage zu haben, auf die zu hoffen ist. Andererseits ist die Erlösung auch immer im Kunstwerk präsent gewesen, wenn man Adornos Interpretation folgt, allerdings wurde sie nicht immer erkannt – Adorno spricht von einem »Moment von Blindheit«, das Kunst immer auch inhärent ist.265 Die hier verhandelte These lautet nun, dass sie nicht erkannt wurde, weil die Hoffnung des ganz Anderen auf das ganz Andere nicht vorhanden war. Vom versöhnten Zustand her entsprungene Hoffnung ist die Grundlage dafür, dass gesehen werden kann, dass die gegebenen Umstände nicht Versöhnung sein können.266 Ganz konkret wird durch die Hoffnung über die Gegenwart die positive Negativaussage getätigt werden können, dass dieser Zustand nicht Versöhnung ist und deshalb Änderungen her müssen. Zum anderen heißt das aber auch, dass aus der Hoffnung irgendeine Form von Erkenntnis des versöhnten Zustands selbst getätigt werden können muss, um die Wirklichkeit als Schein wahrnehmen zu können. So sieht Adorno bezüglich der 263 264 265 266

Ders.: GS 7, S. 200. Ders.: GS 7, S. 203; Hervorhebungen von mir. Ders.: GS 7, S. 9. So ist der Schlussaphorismus Adornos in ders.: GS 4, S. 283 zu verstehen.

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Kunst die »Forderung, den vom Subjekt verbreiteten Bann des Selbstseins zu tilgen.«267 Positiv kann eine solche Aussage aber niemals sein,268 denn dann wäre die Versöhnung nicht wirkliche Möglichkeit des Möglichen, sondern Wirklichkeit. Ist sie das nicht, bleibt die Erkenntnis der Hoffnung immer beschränkt und beschnitten. Ihre Aussagen bewahrheiten sich dann von der Erlösung her und nicht auf die Erlösung hin. Es kann von ihr her über die Realität ausgesagt werden, dass sie so, wie sie ist, schlecht ist, aber nicht, wie es in der anderen, noch ausstehenden Wirklichkeit der Versöhnung aussehen wird. »Versöhnung als Verhaltensweise des Kunstwerks wird heute gerade dort geübt, wo die Kunst der Idee von Versöhnung absagt«, hebt Adorno hervor, denn, »[i]n ihrer Wahrheit selbst, der Versöhnung, welche die empirischer Realität verweigert, ist sie schon Komplize der Ideologie, täuscht vor, Versöhnung wäre schon. Kunstwerke fallen ihrem Apriori, wenn man will, ihrer Idee nach in den Schuldzusammenhang.«269 Diese Schranke kann nicht durchbrochen werden. Hoffnung ist in dieser Hinsicht also transzendental, sofern sie aussagekräftig wird über das Ausstehen einer anderen Wirklichkeit und deren konkreter Möglichkeit, Wirklichkeit zu werden. Damit ist sie Voraussetzung für die Erkennbarkeit dieser Möglichkeit. Gleichzeitig kann sie aber konkret nichts sagen. Nun muss man noch die Ebene bedenken, dass die Hoffnung zwar von der Erlösung her entsteht und in ihrem Licht Erkenntnisse treffen kann, die nicht solche a posteriori, sondern reine synthetische Urteile a priori sind, aber diese Funktion immer auch eine ist, die das denkende Subjekt unter dem Verblendungszusammenhang ausführt. Hoffnung ist nicht nur das Geschenk seitens des versöhnten Zustands, sondern sie ist auch eine Regung des menschlichen Geistes. Dieser ist für Adorno jedoch, das habe ich bereits darzustellen versucht, in radikaler Unfreiheit gefangen und selbst auch »der alte Feind der Natur«270 , also das Unterwerfende und Unterworfene gleichzeitig. Das Durchbrechen des Scheins der Verblendung, die Aufhebung des »Schleier[s] der Maja«271 , ist eine kontrafaktische Aussage bei Adorno, weshalb sie auch in der Dichotomie von Verblendung und Versöhnung, in einer ErkenntnisAporie münden muss. Das und die von Adorno an die Verblendung zugesprochene alles umfassende Macht machen Hoffnung in ihrer transzendentalen Gestalt zu einer gebrochenen Hoffnung. Diese gebrochene Form ist gleichzeitig aber auch nur eine der konsequenten Folgen von Adornos Herangehensweise. Wäre Hoffnung nämlich nicht gebrochen, würde sie selbst der Gefahr der Instrumentalisierbarkeit und daraus folgend der Affirmation anheim fallen und nichts erreichen können. Sie würde ihren kri267 268 269 270 271

Adorno: GS 7, S. 203. Vgl. Ders.: GS 7, S. 202f. Ders.: GS 7, S. 202f. Ders.: GS 7, S. 202. Ders.: GS 6, S. 391.

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tischen und eine neue Wirklichkeit eröffnenden Charakter verlieren und nur zur Hoffnung auf Änderung des Bestehenden verkommen. Sie würde zwar konkrete positive Aussagen über den besseren Zustand machen können, jedoch keinen besseren Zustand vorstellen, sondern nur eine Variante des Bestehenden. Darum sind Kunst und Hoffnung negativ »a priori durchs Gesetz ihrer Objektivation: sie töten, was sie objektivieren, indem sie es der Unmittelbarkeit des Lebens entreißen.«272 Es kann deshalb hier die Analyse Adornos geschlossen werden. Aus dieser letzten Aporie gibt es bei Adorno keinen Ausweg mehr.273 Hoffnung kann ihre transzendentale Bedeutung nur in ihrer Negativität und ihrer Gebrochenheit wahrnehmen. Darüber hinaus ist nichts zu sagen, denn auch wenn Adorno Hegels System eines universalgeschichtlichen Gefälles, das in der letzten großen Synthese mündet, in der der absolute Geist zu sich selbst gelangt und alles als Teil dieser großen Denkbewegung in der Bemühung um absolute Selbsterkenntnis offenbar wird, rundheraus ablehnte, weil es eine unnötige und unkritische Identifikation proklamiere, kommt auch er nicht um eine endgeschichtlich-apokalyptische Auflösung herum, soll die Verblendung ernst genommen werden. Dies ist nicht weiter tragisch. Jede Kritik, die versuchte, Adorno hier zu widerlegen, müsste sich selbst wiederum Adornos Kritik des Verblendungszusammenhangs stellen und nach der eigenen affirmativen Logik fragen. Vielmehr muss sich jetzt die Frage stellen, ob Adorno mit seinem Hoffnungsbegriff und der Versöhnungsvorstellung, die über das Licht der Erlösung transportiert wird, weit genug gegangen ist. Und gleichzeitig auch, ob ein Licht der Erlösung, das als Zentrum seiner philosophischen Arbeit mit Utopie gleichgesetzt werden kann, überhaupt Utopie ist, oder ob hier nicht besser ein neuer Begriff gefunden würde, um diese spezielle Spielart einer Theorie des Utopischen zu umschreiben?

272 Ders.: GS 7, S. 201. 273 Vgl. Sziborsky: Rettung des Hoffnungslosen, S. 91; Wolfarth: Lager, Nach-Welt, Überleben.

4 Verheißende Offenbarung und offenbarende Verheißung

Moltmanns Theologie der Hoffnung beginnt mit einer Meditation über die Hoffnung, die sowohl methodische und formale Präliminarien darstellt, als auch das gesamte Werk in nuce enthält. Er möchte hier nicht nur erklären, was genau der Inhalt der folgenden knapp 300 Seiten sein wird, sondern gibt gleich die Richtung vor, in die sich gedanklich bewegt werden soll und in welche Diskussion er spricht. Im zeitgeschichtlichen Umfeld der Theologie der Hoffnung hatte sich die existentiale Theologie Rudolf Bultmanns besonders durchgesetzt und eine breite Anhängerschaft hinter sich. Die frühe dialektische Theologie hatte mit der Eschatologie von Troeltsch, Schweitzer u. a. gebrochen, deren Hauptaussage sich zusammenfassen lässt in zwei kurzen Sätzen: »Ein moderner Theologe sagt, das eschatologische Bureau sei heutzutage zumeist geschlossen, weil die Gedanken, die es begründeten, die Wurzel verloren haben.«1 Und: »Die Erfahrung von zweitausend Jahren ausgebliebener Parusie macht heute Eschatologie unmöglich.«2 Weil Christus zwar das Reich Gottes verkündete, so kann man diese Aussagen zusammenfassen, es bis heute aber nicht angebrochen ist, hat die Eschatologie keinen nennenswerten Beitrag mehr für die christliche Theologie zu leisten. Eschatologie stand deshalb (wenn überhaupt) als de novissimis am Ende der alt- und neuprotestantischen Dogmatik und redete von den »letzten Dingen […], die einmal am Ende der Zeit über die Welt, die Geschichte und die Menschen hereinbrechen werden. […] Diese Endereignisse sollten von einem Jenseits der Geschichte ins Diesseits hereinbrechen und die Geschichte, in der sich hier alles regt und bewegt, beenden. Indem man aber diese Ereignisse auf den ›jüngsten Tag‹ vertagte, verloren sie ihre weisende, aufrichtende und kritische Bedeutung für alle jene Tage, die man hier, diesseits des Endes, in der Geschichte zubrachte.«3

Die beiden wichtigsten Vertreter dieses Problems waren einerseits Bultmann, der »das existentiale Vorverständnis zum Maßstab des Wortes Gottes«4 machte und deshalb vom Augenblick her denken konnte, also keine direkte Zukunft und damit keine futurische Eschatologie mehr brauchte. Und andererseits Pannenberg, der 1 2 3 4

Troeltsch: Glaubenslehre, S. 36, zitiert nach Berkhof: Theologie der Hoffnung, S. 168. Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 33 in Anlehnung an Schweitzer. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 11. Fries: Spero ut intelligam, S. 82.

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zwar in der Prolepse des Endes der Geschichte in der Auferweckung Jesu Christi auch eine diesseitige Perspektive in seinem Verständnis von Eschatologie transportierte, für den Eschatologie jedoch nur am Ende der Geschichte wirklich vorstellbar war, dementsprechend mit wenig bis keiner Gegenwartsrelevanz aufwarten konnte. Die daraus folgende Diagnose Moltmanns lautet, die Theologie seiner Zeit verliere ihren eschatologischen Impetus aus den Augen und münde darum entweder in Historismus oder Existentialismus. Ein schwerer Fehler, den Moltmann korrigieren möchte. Dazu, so versuche ich in meiner Darlegung Moltmanns zu zeigen, setzt er beim Verheißungsbegriff ein, den er sowohl alttestamentlich als auch neutestamentlich auslegt und über Jesus Christus als Ursprung christlicher Hoffnung markiert. Um allerdings die Verheißungen Gottes als solche zu erkennen, muss sich Gott erst als Gott zu erkennen geben, muss sich offenbaren. Denn Verheißungen, die als Rede und Versprechen Gottes verstanden werden sollen, müssen immer schon ein Offenbarungsmoment in sich schließen.5 Dementsprechend ist das folgende Kapitel dermaßen strukturiert, dass zunächst Moltmanns Auseinandersetzung mit dem und Fortführung des Gedankens der Selbstoffenbarung Gottes dargestellt werden wird und dann auf die Kategorie der Verheißung geschaut werden muss, wie er sie anhand des Alten und Neuen Testaments zur Grundlage von Hoffnung entwickelt.

4.1 Gottes Selbstoffenbarung Moltmann sieht die »Offenbarungsbegriffe der systematischen Theologie« als »durchweg geprägt durch die Aufnahme und Auseinandersetzung mit der griechischen Metaphysik der Gottesbeweise.«6 Es geht also, so die Aussage dieser Diagnose, um die formale Frage der Erkennbarkeit Gottes, was wiederum mit der theologischen Bedeutung der Eschatologie zusammenhängt. Denn Moltmann unterscheidet zwischen zwei Arten, nach der Erkennbarkeit Gottes zu fragen, nämlich einerseits zwischen den »Epiphaniegöttern«7 und andererseits dem »Gott der Verheißung«8 . Was ist der Unterschied? Moltmann fasst zusammen: »Es ist etwas anderes, wenn man fragt: wo und wann wird das Göttliche, Ewige, Unvergängliche und Uranfängliche im Menschlichen, Zeitlichen und Vergänglichen epiphan? – und etwas anderes, wenn man fragt: wann und wo offenbart der Gott der Verheißung seine Treue und in ihr sich selbst und seine Gegenwart? Das eine fragt nach der Gegenwart des Ewigen, das andere nach der Zukunft des Verheißenen.«9 5 6 7 8 9

Die Notwendigkeit, die dieses Müssen ausdrückt, wird sich besonders in Abschnitt 4.2, S. 133ff. erweisen. Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 35. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 36. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 36. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 36.

Gottes Selbstoffenbarung

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Der Unterschied ist deutlich: während die eine Fragerichtung die Präsenz des Ewigen im Präsens erfragt, fokussiert die andere die Zukunft des Präsens und thematisiert erst darin die Präsenz des Zukünftigen. Das eine ist einmalige, ewige und statische Offenbarung. Das andere ist verheißen(d)e Offenbarung. Die theologische Unterscheidung dieser beiden ist der Inhalt dieses Kapitels. Jedenfalls kann für den Moment schon einmal festgehalten werden, dass Moltmann Letzterer den Vorzug gibt mit Berufung auf das reformatorische »fides et promissio sunt correlativa«10 , mit der Begründung, dass sich Gott, so die Ergebnisse der alttestamentlichen Forschung laut Moltmann, in Verheißung bzw. Verheißungsgeschichte offenbare.11 Offenbarung, wie sie Jürgen Moltmann in seinem Buch Theologie der Hoffnung entfaltet, ist somit strukturell und formal an den Verheißungsbegriff geknüpft. Gleichzeitig ist aber das Korrelat von Verheißung und Offenbarung auch andersherum zu verstehen, nämlich dass Offenbarung Verheißung beeinflusst. Beiden Momenten ist zu eigen, dass sie zunächst einmal Aktionen Gottes sind und deshalb bei Gott selbst begonnen werden muss. 4.1.1 Transzendentale Eschatologie. Moltmanns Analyse eschatologischer Grundprobleme in der Rede von Offenbarung bei Kant, Barth und Bultmann

Offenbarung hängt immer mit Erkenntnis zusammen. Mindestens zweierlei Arten von Offenbarung lassen sich identifizieren, die Moltmann hervorhebt: Einerseits die Figur der ewigen Gegenwart12 des Offenbargewordenen und andererseits ein dynamischer Prozess.13 Der Offenbarungsbegriff der ewigen Gegenwart bezieht sich, so Moltmann, zurück auf die parmenidische Vorstellung des absoluten Gottes, der höchstes Sein und höchstes Gut ist.14 Moltmann sieht in dieser Vorstellung einen Gott, dessen Sein »keine Erstreckung in den Zeiten« hat, sondern »es ›ist‹ und ist ›jetzt‹«, woraus er folgert, dieses Gottes »Ewigkeit ist Gegenwart«15 . Der so beschriebene Gott wäre demnach die personifizierte Präsenz der Ewigkeit. Nichts gibt es vor und nichts hinter oder nach ihm, er ist die Absolutheit und Herrlichkeit des Höchsten. Eine Vorstellung, die auch christlich-theologisch weit verbreitet ist und ihre Berechtigung hat. So sieht Moltmann unter anderem Barths und Bultmanns je eigenes Offenbarungsverständnis auf diese Weise in die Irre gehen. »Wir werden finden, daß der Gedanke der Selbstoffenbarung sowohl in seiner theologischen [d. i. Barth] wie 10 11 12 13 14 15

Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 37. Vgl. ders.: Theologie der Hoffnung, S. 36. Vgl. dazu ders.: Theologie der Hoffnung, S. 34, 36f., 74, u. ö. Vgl. exemplarisch ders.: Theologie der Hoffnung, S. 74–84. Vgl. ders.: Theologie der Hoffnung, S. 36. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 23.

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in seiner anthropologischen [d. i. Bultmann] Gestalt im Banne einer ›transzendentalen Eschatologie‹ formuliert ist.«16 Doch kann nicht so voraussetzungsreich direkt bei Barth und Bultmann eingestiegen werden, sondern es muss zunächst gefragt werden, was mit transzendentaler Eschatologie gemeint ist. 4.1.1.1 Kant »Die klassische, philosophische Gestalt transzendentaler Eschatologie findet sich bei Immanuel Kant.«17 Als transzendentale Eschatologie bezeichnet Moltmann eine Form von präsentischer Eschatologie, allerdings mit einer Bedeutungsverschiebung. So geht es in beiden Eschatologien um eine Gegenwart dessen, das sich offenbart, mit dem Unterschied, dass die präsentische Eschatologie sich vornehmlich auf die Wirklichkeit der Präsenz bezieht, wohingegen die transzendentale Eschatologie sich mehr um die Denkkategorien dreht, in denen diese Präsenz wahrgenommen wird.18 »Im Rahmen einer transzendentalen Eschatologie wird die Frage nach der Zukunft und dem Ziel der Offenbarung mit einer Reflexion beantwortet: das Wozu ist das Woher, das Ziel ist identisch mit dem Ursprung der Offenbarung.«19 Damit wird eine Identifikation von Eschaton und Offenbarung vorgenommen, d. h. es geschieht ein erkenntnistheoretischer Zirkel, in dem im Offenbarungsgeschehen keine dynamische Zukunftsausrichtung mehr liegt, sondern wo im Moment der Offenbarung Ewigkeit geschieht, da es nun zum erkenntnistheoretischen Stillstand kommt.20 So sieht Moltmann bei Kant die transzendentale Eschatologie in dessen Aussage, dass es »ein verstandesmäßiges Wissen […] von den ›letzten Dingen‹« nicht geben könne, weil sie außerhalb des Bereichs des menschlichen Erkenntnisvermögens liegen.21 Vielmehr gelte es, »[d]ie Vorstellungen von den letzten Dingen […] ethisch zu prüfen und im Bereich der sittlichen Vernunft, des praltischen Selbstseinkönnens, zu vergegenwärtigen«, d. h. die Eschatologie in den Bereich der Ethik zu verschieben und sie somit jeglicher »Relevanz für die Erkenntnis der erfahrbaren Welt«22 zu berauben. Damit ist jedoch nicht gesagt, dass die Rede von den letzten Dingen vollkommen unsinnig ist, sondern als Postulat der praktischen Vernunft »ordnen sich die Eschata zu ewigen, transzendentalen Bedingungen für eine mögliche Selbsterfahrung in praktischer Hinsicht.«23 Moltmann schlussfolgert also in seiner Kant-Darstellung, dass die letzten Dinge gerade deshalb keine letzten Dinge Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 39. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 39. Vgl. ders.: Theologie der Hoffnung, S. 39. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 39. Vgl. ders.: Theologie der Hoffnung, S. 39f. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 39. Er bezieht sich hier auf Kants Schrift »Das Ende aller Dinge« (Kant: AA VIII, S. 325–340, hier S. 334f.) 22 Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 40. 23 Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 41. 16 17 18 19 20 21

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sein können, da sie einerseits als letzte Dinge den Horizont menschlicher Erfahrung vollkommen übersteigen; dem Menschen andererseits aber werden sie als Eschata zu ewigen Erkenntnisbedingungen, insofern sie als Postulate der praktischen Vernunft nicht mehr einen Wechsel der Zeiten brauchen, also keine metaphysische Zukünftigkeit, sondern immer schon gelten insofern sie das Movens sind, um nach der vollkommenen Glückseligkeit zu streben und damit ewig sind.24 . Konkret heißt es, das Übersinnliche auszuschließen, weil nichts darüber gesagt werden kann und es allein im Bereich des Sinnlichen zu suchen, unter dem Aspekt des ›richtigen‹ Seins. »An die Stelle kosmologischer und geschichtlicher Eschatologien tritt die praktischer Verwirklichung eschatologischer Existenz.«25 Statt Eschatologie hat man stattdessen transzendentale Subjektivität. Im Anschluss an Hegel formuliert Moltmann seine Kritik an dieser Position, nämlich dass »der Glaube in ein unvermitteltes Schauen ›ewiger Vernunftwahrheiten‹ überführt wurde […], der Glaube zum ›reinen, gottunmittelbaren Vernunftglauben‹ sich erhob.«26 Daraus folgt das Problem, dass der Mensch als transzendentales Subjekt hier in völliger Selbstbezüglichkeit stehen bleibt, da die geschichtliche Dimension der eschatologischen Wahrheiten wegfällt und ins ewiggegenwärtige Ewige aufgehoben ist. Moltmann plädiert deshalb für eine Kehrtwende, indem »die Kategorie der Geschichte […] wiederentdeckt wird«, damit »[d]ie von Kant transzendentale verstandenen Bedingungen möglicher Erfahrungen […] als geschichtlich gleitende Bedingungen verstanden werden.«27 Es geht Moltmann folglich um ein Offenbarungsverständnis, das nicht von einer einmaligen – dafür aber ewigen – Offenbarung ausgeht, sondern das die Geschichte als Kategorie ernst nimmt, in der Offenbarung geschieht. Statt eines transzendentalen Verständnisses von Offenbarung formuliert er ein ein geschichtstheologisches. 4.1.1.2 Barth Mit der transzendentalen Eschatologie ist es hier aber noch nicht am Ende. Denn es gibt nicht nur Kant in dieser Tradition, sondern auch für Barth sieht Moltmann die oben angedeutete Problematik, die nun aus einer etwas anderen Perspektive beleuchtet werden wird, nämlich aus der einer dialektischen Theologie. Moltmann kritisiert an Barth, durch die Selbstbezüglichkeit des Offenbarungsgeschehens in seinem Entwurf in ein Gottesbild à la Parmenides verfallen

24 Vgl. Kants »Kritik der praktischen Vernunft«: Kant: AA V, bes. S. 124–132. Vgl. zum Verhältnis von Religion und Moral bei Kant Kuhne: Moral und Religion. 25 Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 41. 26 Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 42. 27 Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 43.

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zu sein und transzendentale Eschatologie zu betreiben.28 Die eschatologische Positionierung, auf die Moltmann anspielt, ist die Karl Barths aus der zweiten Auflage seines Römerbriefkommentars. Dort schreibt Barth: »Unvergleichlich steht der ewige Augenblick allen Augenblicken gegenüber, gerade weil er aller Augenblicke transzendentaler Sinn ist«29 und stellt damit die Zeit der Ewigkeit, die Schöpfung Gott, in völliger Inkommensurabilität gegenüber. Außerdem könne jeder Augenblick als ewiger Augenblick qualifiziert werden.30 Moltmann paraphrasiert Barth dahingehend, dass die Beweisbarkeit Gottes von menschlicher Seite her ausbleiben müsse. Stattdessen »beweist [Gott] sich durch sich selbst. Seine Offenbarung ist der von Gott geführte Gottesbeweis.«31 Jedweder Versuch, Gott zu beweisen, muss darum, schon daran scheitern, dass er entweder falsch sein muss, weil nur Gott sich selbst offenbaren kann und deshalb vor der Selbstoffenbarung keinerlei Beweisgrundlage gegeben ist; oder weil ein Beweis aus der Offenbarung heraus implizierte, Gott wäre dadurch nun faktisch greifbar und be-greifbar geworden. Die Gottesbeweise aus der Welt werden somit überflüssig und die Offenbarung wird zur reinen Selbstoffenbarung. Bei Barth tritt diese in trinitarischer Gestalt auf: »Gott selbst ist der Offenbarer, das Offenbaren und das Offenbarte«32 , er ist Subjekt, Prädikat und Objekt dieses Ereignisses. Dabei offenbart er nicht einen bestimmten Gegenstand außer sich, sondern er offenbart sich und zwar offenbart er sich als Gott, der Herr, der in diesem Geschehen gleichzeitig auch seine Herrschaft offenbart, also das Reich und die Herrschaft Gottes.33 Damit erfährt die Offenbarung eine eschatologische Prägung. Doch kritisiert Moltmann, dass die Selbstbezüglichkeit in der dieser Vorgang bei Barth verläuft, zwar die eschatologische Dimension wahrnimmt, jedoch im Rahmen einer überzeitlichen Transzendenz nicht nur entspringt und mündet, sondern im Geschehen der immanenten Trinität verankert bleibt und sich auch in diesem Rahmen abspielt. Die Welt, der sich hier offenbart wird, spielt nur eine untergeordnete Rolle, die Geschichte Gottes mit der Schöpfung bleibt in einem überzeitlichen Geschehen zurück. 28 Es ist hierbei nun nicht Aufgabe dieser Arbeit, zu erläutern, inwiefern Barth auch anders interpretiert werden könnte, sondern es geht um die Darstellung der Moltmannschen Interpretation zum besseren Verständnis seines eigenen Entwurfs von Offenbarung. Dennoch sei angemerkt, dass der Vorwurf Moltmanns, Barths Offenbarungsverständnis sei transzendental, sehr schwer wiegt, da »der Vorwurf des Transzendentalismus […] nichts geringeres behauptet als den ›Verlust der Eschatologie‹« (Geyer: Theologie der Hoffnung, 42f.), und dem Entwurf wohl nicht gerecht werden dürfte. Wie sich später zeigen wird, muss für Moltmann selbst auch der Begriff der transzendentalen Eschatologie benutzt werden, allerdings mit einer deutlichen Abgrenzung gegen die bekannte Kantsche Definition. 29 Barth: Der Römerbrief, S. 482. 30 Vgl. ders.: Der Römerbrief, S. 481. 31 Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 47. 32 Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 48. Moltmann bezieht sich hier auf Barth: KDI/1, S. 311 und insgesamt den ganzen §8. 33 Vgl. Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 48.

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»Denn es ist ein ›Augenblick‹ zwischen den Zeiten, der selber kein Augenblick ist in der Zeit. Jeder Augenblick in der Zeit kann aber die volle Würde dieses Augenblicks empfangen. Es ist dieser Augenblick der ewige Augenblick, das Jetzt, in welchem Vergangenheit und Zukunft stillstehen, jene in ihrem Gehen, diese in ihrem Kommen«34 .

Damit ist die schlechthinnige Transzendenz des eschatologischen Augenblicks nochmals betont, wodurch allerdings Offenbarung ihre Zukunftsweisende Kraft und Bedeutung verliert, da sie nicht etwas in und an der Welt offenbart, z. B. die Zukunft Jesu Christi und also die Zukunft Gottes mit seiner Schöpfung.35 Barth verbleibt dadurch auf der Ebene der unverfügbaren Transzendenz der immanenten Trinität. Doch zum Vorwurf des Transzendentalen ist dabei noch nichts erklungen. Wie kommt er zustande? De Jong erklärt Moltmanns Zuschreibung an Barth treffend als die Möglichkeit einer Lesart von Barths Text »als eine Theologie, in welcher Ursprung und Ende zusammenfallen in der Mitte, in dem Mittler, als eine Theologie, in der der Kantianische Rahmen wirksam bleibt, als ein Glaubensdenken, das im Prinzip unabhängig sein will von und unangreifbar für das fortschreitende Erkennen und Vermögen des Menschen«36 . Die überzeitliche Transzendenz Barths ist demnach insofern transzendental, als sie die ewige Bedingung der Möglichkeit ihrer Erfahrbarkeit bleibt und damit transzendentale Bedingung statt Erkenntnisinhalt ist; bei Barth müssen bzgl. der Offenbarung, so Moltmann, dementsprechend »Inhalt und Akt zusammenfallen.«37 Moltmann möchte damit betonen, dass auch für Barth die Geschichte als Kategorie aus dem Offenbarungsgeschehen ausscheidet – in seinen Augen eine theologische Fehlentscheidung, da durch die Selbstreflexivität der Offenbarung »fast unmöglich [wird], auf Grund der Offenbarung des Auferstandenen noch von einer ausstehenden Zukunft Jesu Christi zu reden.«38 4.1.1.3 Bultmann Mit Barth kommt Moltmann hier also nicht weiter und auch mit dem sehr ähnlichen Ansatz Bultmanns hat Moltmann einen kritischen Umgang. Denn wo Barth schreibt, dass der »ewige Augenblick allen Augenblicken gegenüber[steht], gerade weil er aller Augenblicke transzendentaler Sinn«39 sei, da fordert Bultmann: »Du musst ihn erwecken«40 . Die Parallelität der beiden wird hier schon erkennbar. Ganz anders als Barth und doch gleich argumentiert Bultmann. Auch er geht 34 35 36 37 38 39 40

Barth: Der Römerbrief, S. 481. Vgl. Moltmann: Theologie der Hoffnung, 49f. Jong: Theologie der Hoffnung, S. 36, Hervorhebungen von mir. Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 48. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 50. Barth: Der Römerbrief, S. 482. Bultmann: Geschichte und Eschatologie, S. 184.

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von der Transzendenz Gottes aus und steht damit in der gleichen Linie wie die Aussagen Barths über die mögliche Rede von Gott, nämlich dass sie Menschen zunächst einmal unmöglich ist. Barth formuliert es folgendermaßen: »Wir sollen als Theologen von Gott reden. Wir sind aber Menschen und können als solche nicht von Gott reden. Wir sollen Beides, unser Sollen und unser Nicht-Können, wissen und eben damit Gott die Ehre geben.«41 Bultmann schließt sich dieser Position rundheraus an – beide provozieren damit aber die Rückfrage, wie es dann von Gott zu reden gilt. Bultmanns Ansatz liegt im Gegensatz zu Barth nun allerdings nicht in der Verkündigung der selbstoffenbarenden Rede Gottes, sondern er schreibt: »[W]ill man von Gott reden, so muss man offenbar von sich selbst reden«42 , denn »von Gott redet die Theologie, indem sie redet vom Menschen, wie er vor Gott gestellt ist, also vom Glauben aus.«43 Grundlage für die Rede von Gott ist also der Glaube und das Gestelltsein des Menschen vor Gott, d. h. die Existenz des glaubenden Subjekts; »So kann von Gott nur im Zusammenhang mit der eigenen Existenz geredet werden«44 , fasst Moltmann zunächst einmal zusammen. Wenn nun etwas qualitativ Neues von Gott zu sagen ist durch die Offenbarung, wovon alleine beim Gedanken Offenbarung schon auszugehen ist, dann bedeutet das allerdings auch, dass die Offenbarung Gottes auch eine qualitativ neue Rede vom Menschen ermöglichen, das Menschsein selbst verändern muss. Diese Annahme ist voraussetzungsreich. Moltmann analysiert, dass bei Bultmann der Mensch durch seine Geschöpflichkeit »darauf angelegt [ist], er selbst zu sein« und deshalb »die Fraglichkeit die Struktur des menschlichen Daseins« ist.45 In der Frage nach sich selbst stelle sich aber immer auch die Gottesfrage.46 Damit sind des Menschen Selbst und Gott in strenger Korrelation zu denken, in dem Sinne, als »der Mensch nur in Gott sich selbst« gewinnt und gleichzeitig gilt: »nur, wo er sich selbst gewinnt, gewinnt er Gott.«47 Für das Verständnis einer Offenbarung Gottes hat das Konsequenzen, denn es geht plötzlich nicht mehr nur um eine Offenbarung von Gott selbst, sondern »[i]n der Offenbarung geht es demzufolge um das Zu-sich-selbst-Kommen, das wahre Sichverstehen des Menschen.«48 Dadurch rückt, so Moltmanns Kommentar, das Subjekt theologisch in die Spannung, zwischen Gott und Welt gestellt zu sein; denn wenn erst von Gott her das wahre Zu-sich-selbst-Kommen in der Offenbarung erfüllt ist, heißt das auch, dass der Mensch vorher nicht bei sich selbst war – er

41 42 43 44 45 46 47 48

Barth: Das Wort Gottes, S. 198. Bultmann: Von Gott reden, S. 28. Ders.: Die liberale Theologie, S. 25. Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 51. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 52. Vgl. ders.: Theologie der Hoffnung, S. 52. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 52. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 57.

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muss dann differenzieren zwischen seinem Sein in der Welt und seinem Sein vor und aus Gott.49 Auch hier muss man nun genau nachfragen, inwiefern dieses Offenbarungsverständnis Ausdruck einer transzendentalen Eschatologie sein sollte. Offenbarung geschieht bei Bultmann, so Moltmanns Analyse, als Verkündigung, die Glauben erweckt, und dem Glauben selbst – sie ist »das Geschehen von Predigt und Glaube.«50 Dieses Geschehen ist der oben schon genannte »ewige Augenblick«. Moltmann schlussfolgert: »Das aktuelle Geschehen der Offenbarung ist selber die Gegenwart des Eschaton, denn das ›Sein im Augenblick‹ von Verkündigung und Glauben ist ›eigentliches Sein‹ des Menschen. Eigentliches Sein aber meint die Wiederherstellung der menschlichen Ursprünglichkeit im Sinne der Geschöpflichkeit und den Gewinn der Endgültigkeit im Sinne der Eschatologie. […] Im ›Augenblick‹ der Offenbarung fallen Schöpfung und Erlösung zusammen. Das, was offenbart wird, ist identisch mit dem Geschehen, daß Offenbarung geschieht.«51

Daraus folgt, dass im Moment der Offenbarung der Mensch schon zu seinem eigentlichen selbst-Sein kommt; die Kritik Moltmanns kommt demnach nicht von ungefähr, wenn er schreibt: »Dann wäre offenbar der Glaube selbst das praktizierte Ende der Geschichte und der Glaubende wäre selbst schon der Vollendete. Es stünde ihm nichts mehr aus und es gäbe nichts, zu dem hin er sich weltlich, leiblich und geschichtlich unterwegs befände. Gottes ›Zukünftigkeit‹ wäre eine ›ständige‹ und des Menschen Offenheit im ›Unterwegs-Sein‹ wäre ebenfalls ›ständig‹ und ›nähme kein Ende‹.«52

Offenbarung trüge demnach auch hier den Charakter des ewigen Augenblicks, wäre ein nunc stans aeternum und damit wiederum nicht mehr in der Zeit, sondern die überzeitliche, ewige Aufhebung der Zeit. Und wäre wiederum darin transzendental, weil die Kategorie der Erkenntnisbefähigung eine einmalig ewige wäre, die abseits menschlicher Bemühungen funktioniert, sie sogar vielmehr bedingt. Auch hier kommt Moltmann also zu dem Schluss, dass die Dimension der Geschichte aus der Theorie ausscheiden muss, womit sich die Offenbarung allerdings von den biblischen Grundlagen entferne. Nun kann Moltmanns Kritik an der transzendentalen Eschatologie noch einmal kurz zusammengefasst werden: Was Barth und Bultmann laut seiner Analyse durch ihre theologischen Lehrer aus der Kantischen Transzendentalen Eschatologie übernehmen, ist der Gedanke schlechthinniger, transzendentaler 49 50 51 52

Vgl. ders.: Theologie der Hoffnung, 56f. Vgl. ders.: Theologie der Hoffnung, S. 57. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 58. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 59.

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Transzendenz sowohl Gottes als damit auch der Eschatologie.53 Zum besseren Verständnis von Moltmanns Kritik hilft Geyer: »Was jedoch eigentlich mit […] Stichwort der ›transzendentalen Eschatologie‹ […] belegt werden soll, ist ein Begriff von Subjektivität, der sich durch das Moment reflexiver Entgegensetzung zu aller Gegenständlichkeit als bloßer Erscheinung für ein Subjekt definieren soll, so daß die Identität eines Subjekts mit seinem Unterschied zu allem anderen, was er nicht ist, d. h. zur Welt als dem Inbegriff möglicher Erscheinungen zusammenfällt.«54 Ihm ist deshalb die Betonung des ›ewigen Augenblicks‹ bei diesen beiden Denkern so wichtig, weil dieser ein statisches Denken unterstützt, dass es außerhalb seiner nichts Erfahrbares gebe, und sich damit das Offenbarungsgeschehen zu einem überzeitlichen Ereignis stilisieren lässt, das keine Zukunft mehr ansagt, sondern sie radikal vergegenwärtigt. Der Einwand, den Moltmann gegen die transzendentale Eschatologie bei Kant, Barth und Bultmann formuliert, lässt sich demnach formulieren als »den Vorwurf der grundsätzlichen Ausklammerung der ›Kategorien der Geschichte‹«55 . Fries fasst die Kritik noch einmal gut zusammen: Folgt man Bultmann (und damit gleichsam auch Barth und Kant in dieser Lesart), dann gilt: »Alle eschatologischen Aussagen der Bibel und des Glaubens betreffen nicht irgendein zu erwartendes oder zu befürchtendes ›Ende‹, das Eschatologische betrifft ausschließlich das ›Jetzt‹ des Augenblicks, der Gegenwart.«56 Dies wiederum kann nur geschehen, wenn das Gottesbild, das in diesem Offenbarungsverständnis vorherrschend ist, ein nach Moltmanns Definition parmenidisches ist – ein höchster, absoluter, unendlicher und ewiger Gott, der in Unverfügbarkeit transzendent existiert. Dieses erschwert die Rede von einer Offenbarung, die nicht nur von außen in die Welt tritt und von Ewigkeit her entweder in ihr erkannt werden kann, wie es die natürliche Theologie57 gerne proklamiert, oder nur nach außen verweist auf den Schöpfer. Würde christliche Offenbarung so von der Offenbarung Gottes sprechen, würde sie die dauerhafte Präsenz Gottes in der Welt zur Sprache bringen, was durchaus nicht falsch ist, damit aber gleichzeitig auch seine permanente Erkennbarkeit aussagen. Und hier stellt sich die Problematik ein, die Moltmann mit 53 Im Rahmen dieser Arbeit kann nicht hinterfragt werden, ob Moltmanns Analyse hier zutrifft. Doch soll zumindest mit Blick auf Barths KD IV betont werden, dass Barth, wie Moltmann selbst auch schreibt, in seinem Spätwerk anders formuliert, indem er in der dreifachen Struktur des Herrn als Knecht, des Knechts als Herr, und Jesus Christus als dem wahren Bürgen doch ein sehr dynamisches Offenbarungsmodell entwickelt, das nicht in einer überzeitlichen Transzendenz mündet, sondern sehr deutlich die wechselseitige Verhältnisnahme von Herr und Knecht denkt (Vgl. Barth: KD IV/1, Ders.: KD IV/2 und Ders.: KD IV/3). Ob Barth dies nicht auch im Römerbrief von 1922 mitgedacht haben könnte, bleibt außerhalb des hier möglichen Ermessens. 54 Geyer: Theologie der Hoffnung, S. 47. 55 Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 45. 56 Fries: Spero ut intelligam, S. 86. 57 Bezogen wird sich hier besonders auf die von Link identifizierte »akademisch-theologische Tradition« (Link: Die Welt als Gleichnis, S. 15f.).

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dem parmenidischen Gottesbegriff des höchsten Wesens verbindet. Es bedürfte weder des Kreuzes noch der Auferstehung, denn schon die Inkarnation Christi im Menschen Jesus müsste als Offenbarung ausreichend sein können. Das Kreuzesgeschehen hätte noch eine Daseinsberechtigung als soteriologisches Geschehen, aber nicht mehr als offenbarungs- oder glaubensstiftendes Ereignis. Der Mensch Jesus müsste für diese Form der Offenbarung auch nicht der Christus sein, sondern könnte auch, im extremsten Fall, als frommes Vorbild dienen. 4.1.2 Indirekte Offenbarung in und durch Geschichte. Moltmanns Analyse der liberalen Theologie und Pannenbergs

Wenn es Moltmannso wichtig zu sein scheint, die Geschichte als Dimension im Offenbarungsgeschehen zu erhalten, stellt sich die Frage, wie stattdessen von Offenbarung gesprochen werden kann. Es läge nun nahe, mit dem Verhältnis von Offenbarung und Geschichte, eine Interdependenz zu vermuten, wie sie einerseits in der liberalen Theologie bei Richard Rothe58 und Ernst Troeltsch59 zu finden ist, andererseits von Wolfhart Pannenberg und Rolf Rendtorff60 formuliert wurde. Rothe und die sog. liberale Theologie formulierten die These einer ›progressiven Offenbarung‹, deren Grundlage eine Lesart der biblischen Texte als historische Zeugnisse darstellte. »Dieses neue geschichtliche Verständnis der Offenbarung war in einer Wiedergeburt des eschatologischen Chiliasmus im nachreformatorischen Zeitalter begründet. […] Die Offenbarung in Christus wurde darum als ein Durchgangsstadium für einen weiterreichenden ›Reich-Gottes‹-Prozeß geschichtlich wahrgenommen und als letztes, aber über sich hinausweisendes Datum der Zukunft verstanden.«61 Das heißt nicht mehr und nicht weniger als die Historizität des Kreuzesgeschehens zu behaupten, gleichzeitig aber auch zu sagen, dass die Offenbarung sich von da an im geschichtlichen Verlauf weiterentwickelt habe. Der Ansatz mündet somit in einem universalgeschichtlichen Modell, in dem das Reich Gottes in der fortschreitenden Heilsgeschichte sukzessive auch mehr offenbar wird. »So wird bei R. Rothe Offenbarung Gottes wohl als Selbstoffenbarung verstanden, verbunden jedoch mit der heilsgeschichtlich orientierten Vorstellung von einer eschatologischprogressiven, dialektisch fortschreitenden Selbstverwirklichung des Offenbarers. Das aber 58 Richard Rothe: Zur Dogmatik, 3. Aufl., Braunschweig und Leipzig 1898. 59 Ernst Troeltsch: Die Absolutheit des Christentums und die Religionsgeschichte (1902/1912). Mit den Thesen von 1901 und den handschriftlichen Zusätzen, hrsg. v. Trutz Rendtorff in Zusammenarbeit mit Stefan Pautler (Ernst Troeltsch. Kritische Gesamtausgabe Band 5), Berlin und New York 1998. 60 Wolfhart Pannenberg (Hrsg.): Offenbarung als Geschichte, 2. Aufl., in Verbindung mit R. Rendtorff, U. Wilckens, T. Rendtorff, Göttingen 1963. 61 Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 61.

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bedeutet, daß die gegenwärtige Geschichte […] als Prozeßmoment der sich selbst verwirklichenden Offenbarung Gottes und seines Reiches dargestellt werden muß.«62

Infolge dieses Denkens müsste gesagt werden, dass die direkte Offenbarung Jesu Christi an seine Jünger in den Ostererscheinungen weniger voll an Offenbarungsinhalten gewesen wäre, als die beispielsweise heutigen Erkenntnisse historisch-kritischer Exegese. Eine Position, die Moltmann mit Recht ablehnt. Dennoch, der Zusammenhang von Offenbarung und Geschichte wird hier deutlich, doch es ist im Folgenden weniger die liberale Theologie von Interesse, sondern besonders die Veröffentlichung Wolfhart Pannenbergs »Offenbarung als Geschichte«63 . Weniger vollmundig als die Theologie der progressiven Offenbarung, aber dennoch mit historischer Progressivität der Offenbarung im Aufbau argumentiert Pannenberg in der Schrift »Offenbarung als Geschichte«. Ausgangspunkt von Pannenbergs Aufsatz ist die Auseinandersetzung mit der Unverfügbarkeit der transzendentalen Subjektivität, wie sie Barth und Bultmann im Anschluss an Kant entwarfen und dem daraus resultierenden Offenbarungsverständnis. Statt der Selbstoffenbarung des transzendentalen Subjekts stellt Pannenberg die These auf, dass Gott mittels einer »indirekten Selbstoffenbarung […] im Spiegel seines Geschichtshandelns«64 erkannt werden könne. Pannenberg und die Mitverfasser des Aufsatzes entwarfen, so erklärt es de Jong, »eine Theologie im radikalen Kontrast zu Bultmann […]: nicht die Selbstoffenbarung Gottes in dem mich hier und jetzt treffenden Wort auf dem Hintergrund einer indifferenten Realität steht hier im Mittelpunkt, sondern das fortschreitende Handeln Gottes: fortschreitend von immer neuen Verheißungen zu immer neuen – gebrochenen und partiellen – Erfüllungen, die unterwegs sind zu der endgültigen Offenbarung von Gottes Absichten und Wesen. Eine Theologie der Geschichte schlechthin.«65 Moltmann fasst zusammen: »Da jedes einzelne Geschehen als Tat Gottes genommen das Wesen Gottes nur partiell beleuchtet, kann Offenbarung im Sinne der vollen Selbstoffenbarung Gottes in seiner Herrlichkeit nur dort möglich sein, wo das Ganze der Geschichte als Offenbarung verstanden wird.«66 Bildlich gesprochen ist jede einzelne Tat Gottes im Zusammenhang der ganzen Geschichte gesehen ein Teil eines großen Mosaiks, das erst am Ende und nur vom Ende her, 62 Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 65. 63 Es ist natürlich bekannt, dass das Büchlein »Offenbarung als Geschichte« nicht alleine von Pannenberg stammt, sondern nur der 4. Teil dieser Veröffentlichung rundheraus aus seiner Feder stammt. Jedoch soll er als Herausgeber dieser Schrift benannt beliben und diese im Fortgang der Arbeit deshalb als seine Schrift ausweisen, wohlwissend, dass auch Rendtorff, Rendtorff und Wilckens beteiligt waren. 64 Pannenberg (Hrsg.): Offenbarung als Geschichte, S. 15. 65 Jong: Theologie der Hoffnung, 30f. 66 Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 68. Er paraphrasiert hier Pannenberg (Hrsg.): Offenbarung als Geschichte, S. 95ff.

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wenn es dann vollständig ist, als eben dieses erkennbar wird. Damit entwirft Pannenberg ein universalgeschichtliches Modell, das von seinem Ende her als das erkannt werden kann, was es ist, nämlich die Geschichte als indirekte Offenbarung Gottes. Statt der Offenbarung im Sinne Kants, Barths und Bultmanns geht es hier um eine andere Fragerichtung. »Eine Alternative zur Offenbarungstheologie des Glaubens muß […] die Frage nach Gott […] inklusiv aus der Fraglichkeit der Wirklichkeit im Ganzen erheben und von Gottes Offenbaren und Handeln in diesem umfassenden Fragezusammenhang reden.«67 Moltmann analysiert völlig richtig, dass sich Pannenbergs »universalgeschichtliche Theologie […] zunächst offensichtlich als eine Erweiterung und Überholung der griechischen Kosmostheologie dar[stellt].«68 Damit meint er konkret, dass vom Ganzen der Geschichte auf den einen Gott rückgeschlossen werden kann, dessen Taten ihn in der Geschichte offenbaren – wie der Gottesbeweis durch ein Rückschlussverfahren von den Wirkungen auf die erste Ursache zu schließen versuchte.69 Die Kritik, die in Pannenbergs Ansatz vertreten ist, richtet sich gegen die Kantsche Maxime, über die letzten Dinge nichts sagen zu können, weil sie nicht Teil der phänomenalen Welt sind.70 Damit kritisierte Kant die Annahme der Theologien seiner Zeit, aus dem subjektiven Betroffensein des Glaubens, positive Aussagen über Gott treffen zu können. Die Kritik, die Kant hier übt, ist eine sowohl des Wissens als auch der Wissenschaft, wie Moltmann betont – eine Kritik der reinen Vernunft. Pannenberg selbst kritisiert nun diesen Ansatz Kants mit seinem universalgeschichtlichen Modell. Jedoch schlägt, so Moltmann, diese Kritik auch in ihr Gegenteil zurück: »Diese der Worttheologie entgegengestellte Geschichtstheologie bleibt solange der Kritik Kants an der theologischen Metaphysik ausgesetzt, als sie nicht selber kritisch auf die Bedingungen für die Möglichkeit der Wahrnehmung der Wirklichkeit als Geschichte im eschatologisch und theologisch qualifizierten Sinne reflektiert.«71 Sie muss sich also selbst der Kritik ihrer transzendentalen Vorbedingungen stellen. Die

Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 67. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 68. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 68. Vgl. ders.: Theologie der Hoffnung, S. 39; siehe hierzu Kant: AA VIII, S. 334. Damit wird bezogen auf die »Kritik der reinen Vernunft« (Ders.: AA IV, S. 166ff.), wo Kant argumentiert, dass Erfahrung nur über Erscheinung zugänglich ist und man deshalb des Phänomenalen bedarf, um Erkenntnisse zu treffen – die letzten Dinge, das Reich Gottes, sind aber gerade keine solchen anschaulichen Phänomene, sondern zunächst einmal Begriffe und entziehen sich damit der direkten Erkenntnis. Zur Erklärung siehe Tetens: Kants »Kritik der reinen Vernunft«, S. 176–183. Die letzten Dinge dürften dabei in den Bereich fallen, den Tetens folgendermaßen beschreibt: »Dinge an sich als unerkennbare Gegenstände hinter den Erscheinungen, die jedoch die Letzteren kasual mitbedingen« (Ders.: Kants »Kritik der reinen Vernunft«, S. 182). 71 Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 70. 67 68 69 70

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Verheißende Offenbarung und offenbarende Verheißung

folgende Darstellung der Kritik Moltmanns an Pannenberg und seiner Methode versucht, die Grenzen klar zu ziehen.72 Für Moltmann wird es besonders bei Pannenbergs Vorstellung der Prolepse problematisch. Moltmann selbst vertritt in der Theologie der Hoffnung und den auf dieser Methode aufbauenden späteren Werken einen Verheißungsbegriff, der immer in der dialektischen Spannung steht, dass das Verheißene im Moment seiner Verheißung die Erfüllung schon mit antizipiert, sie allerdings damit nicht wirklich schon Erfüllung ist.73 Somit ist zwar die Erfüllung schon in der Verheißung präsent, aber als noch kommende präsent, also faktisch in ihrer NichtPräsenz gegenwärtig.74 Die Problematik, die sich mit dem Begriff Pannenbergs – Prolepse – eröffnet, reicht dabei sehr weit. Denn Pannenberg geht, so Moltmanns Analyse, davon aus, dass sich die am Ende der Geschichte stehende Offenbarung, die selbst das Ende der Geschichte ist, schon im Christusgeschehen proleptisch ereignet hat.75 Das bedeutet verschiedenes: Erstens kann es heißen, dass das Ende der Geschichte sich in der Geschichte ereignete und dennoch weiter Geschichte geschieht. Das ist ein logischer Widerspruch, kann deshalb nicht wahr sein. Zweitens nötigt es zu einem Verständnis von Geschichte, das gleichzeitig dem Analogieschluss widerspricht, insofern die Auferweckung Christi als einmaliges Geschehen keine innergeschichtliche Analogie haben kann, da die Auferweckung der Toten als historisch verifizierende Analogie noch aussteht. Gleichzeitig ist in der Prolepse des Endes der Geschichte die Analogie schon im zu Analogisierenden geschehen. Der Geschichtsbegriff Pannenbergs muss also einer sein, der sich über solches hinwegsetzt. Drittens heißt es, in Anlehnung an erstens und zweitens, dass das Ende der Geschichte, das Christusgeschehen selbst, als historisches Ereignis wahrgenommen werden kann und muss.76 Die rechte Erkenntnis des auferstandenen Christus als identisch mit dem Gekreuzigten Jesus wäre demnach schon die Erkenntnis des Ganzen der Offenbarung. Viertens und als Konklusio und Konsequenz der drei ersten Problemstellungen: »Wenn allein das Auferweckungs›geschick‹ Jesu die Vorwegereignung des Endes aller Geschichte und die Antizipation des allen Menschen ausstehenden ›Geschicks‹ wäre, so hätte 72 Allerdings, so muss man mit Berkhof erklärend hinzufügen, sind Moltmanns »Einwände gegen sie subtiler als gegen die anderen Fronten«, »[d]a er sich an verschiedenen Punkten in frappierender Nähe zu ihnen befindet« (Berkhof: Methode der Eschatologie, S. 181). 73 Siehe hierzu das Kapitel zur Verheißung (Kapitel 4.3, S. 141ff.). Dort wird näher darauf eingegangen werden. Für den Moment soll diese Annahme um des Arguments willen genügen, damit sie später erklärt werden kann. 74 Der Begriff der Antizipation ist zwar durchaus ebenfalls ein hochproblematischer, doch darauf wird im späteren Abschnitt zur Verheißung noch zu sprechen gekommen. Vorerst kann festgehalten werden, dass die Antizipation als strittiger Begriff aber Sinn ergibt für diese Annahmen Moltmanns. 75 Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 72. 76 Vgl. ders.: Theologie der Hoffnung, S. 72f.

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der auferstandene Jesus selber keine Zukunft mehr. Es wäre auch nicht er selber, auf den die ihn erkennende Gemeinde warten würde, sondern nur die Wiederholung seines Geschicks an ihr selber.«77

Pannenbergs Verbindung von Geschichte und Offenbarung kann also deshalb schon nicht funktionieren, weil sie in der Erkenntnisrichtung nicht die Geschichte von der Offenbarung her denkt, sondern Offenbarung aus der Geschichte extrapoliert. Sein universalgeschichtliches Programm muss sich dann aber der Frage stellen, wie es mit der Geschichtsschreibung anderer Kultur- und Lebensräume kompatibel ist. Auch muss kritisch hinterfragt werden, wie es sich zu unterschiedlichen Geschichtswahrnehmungen verhält – die Folge müssten auch unterschiedliche Offenbarungen sein. Die Offenbarung Gottes und ihre Inhalte, als Selbstoffenbarung oder geschichtliches Ereignis, aber von der subjektiven Wahrnehmung abhängig zu machen, ist theologisch mindestens strittig. Dazu kommt noch ein weiterer gewichtiger Kritikpunkt: »Es mag endlich theologisch an der Einlinigkeit universalgeschichtlicher Apokalyptik liegen, daß die theologische Bedeutung des Kreuzes Jesu hinter seiner Auferweckung zurücktritt.«78 Dies sieht Moltmann als besonders gefärhlich an, da dann der »Widerspruch des Kreuzes«79 nicht mehr die Welt und ihre Geschichte durchzieht, und damit der Offenbarungsinhalt völlig hinter das Dass von Offenbarung zurücktritt. Würde stattdessen, so Moltmann, das Kreuz in seiner Negativität ernst genommen, »[d]ann […] würde Offenbarung Gottes sich nicht als Geschichte dieser Gesellschaft erweisen und bewähren, sondern würde dieser Gesellschaft und dieser Zeit den eschatologischen Prozeß der Geschichte allererst eröffnen.«80

4.2 Offenbarung und Eschatologie. Moltmanns Weiterführung des Gedankens der Selbstoffenbarung Es war also bisher zu sehen, dass für Moltmann viele Probleme der Theologie, eschatologische zu denken und Theologie zu treiben, daran entsprangen, dass sie entweder zu stark transzendental operierte und damit Geschichte als offenbarungstheologische Ebene aus ihrem Denken ausschied oder das Eschaton in seiner Offenbarung ans Ende der Geschichte gestellt wurde, in der es sich selbst indirekt offenbart, wodurch das Verhältnis von Geschichte und Offenbarung und damit auch Geschichte und Eschatologie verkehrt wurde. Barth und Bultmann wollten einen Fortschritt gegenüber dem Historismus von Rothe und Troeltsch bewirken, fielen jedoch auf der anderen Seite vom Pferd herunter, indem sie durch die 77 78 79 80

Ders.: Ders.: Ders.: Ders.:

Theologie der Hoffnung, S. 72f. Moltmann müsste konsequent hier Prolepse einsetzen. Theologie der Hoffnung, S. 73. Theologie der Hoffnung, S. 73. Theologie der Hoffnung, S. 74.

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Verheißende Offenbarung und offenbarende Verheißung

überzeitliche Ewigkeit des eschatologischen Augenblicks wiederum am konkret nach vorne ausweisenden Charakter der biblischen Zeugnisse vorbeigingen, wie anhand von Moltmann dargestellt. Er problematisiert dabei vor allem die Verlagerung eschatologischer Inhalte in eine jenseitig-transzendentale Transzendez, von der aus ihre Gegenwartsrelevanz für ein christliches Leben verschwand: »Indem der christliche Glaube die ihn tragende Zukunftshoffnung aus seinem Leben ausschied und die Zukunft in ein Jenseits oder die Ewigkeit transportierte, […] wanderte die Hoffnung gleichsam aus der Kirche aus und kehrte sich in welcher verzerrten Gestalt auch immer gegen die Kirche.«81 Doch erkennbar waren auch die Probleme der progressiven Offenbarung bei Rothe und der Geschichte als Offenbarung bei Pannenberg, die vor allem in einem falschen Verhältnis von Offenbarung und Geschichte begründet liegen. Dabei ist Moltmann in seiner Kritik wichtig, zu betonen, dass nicht der Konnex von Offenbarung und Geschichte aufgebrochen, sondern in die richtige Ordnung gebracht werden muss. Er bietet sogar eine alternative Lesart des Begriffs der progressiven Offenbarung an, indem er besonders den Widerspruch der Offenbarung des Kreuzesgeschehens und der darin enthaltenen Verheißung zur erlebten Realität betont. Der Prozess, der in diesem Ereignis angestoßen ist, ist dann keiner, in dem »der Progreß des menschlichen Geistes progressiv« oder das »Christusgeschehen […] in einen geschichtlichen Zusammenhang eingeordnet«82 wird, »sondern sie [d. i. die Offenbarung] bewirkt in ihrem Prozeß und Widerspruch gegen die gottlose Wirklichkeit von Schuld und Tod den Progreß selber.«83 Der geschichtliche Zusammenhang der Offenbarung ist demnach ein anderer, als in der liberalen Theologie der Heilsgeschichte, insofern nicht ein Ereignis im historischen Verlauf betont wird, sondern Geschichte erst durch dieses Ereignis bewirkt, also gestiftet ist. Dröge bezeichnet diese Grundunterscheidung und Abgrenzung Moltmanns von einem Offenbarungsbegriff der Ephiphanie als »dynamischen Offenbarungsbegriff«84 . Was aber ist das Proprium von Moltmanns Offenbarungsverständnis? Er schreibt in Abgrenzung an die Theologie des ›ewigen Augenblicks‹: »Die Offenbarung des auferstandenen Christus ist keine Gestalt dieser Epiphanie der ewigen Gegenwart, sondern nötigt zu einem Verständnis von Offenbarung als Apokalypsis verheißener Zukunft der Wahrheit. An dieser Zukunft der Wahrheit, in der Verheißung offenbar, erfährt der Mensch die Wirklichkeit als Geschichte«85 .

Moltmann gibt hier direkt die Kategoriern an die Hand, die zu bedenken sind, wenn sein Offenbarungsbegriff erfasst werden soll. 1. Der Inhalt der Offenbarung 81 82 83 84 85

Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 11. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 205. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 206. Dröge: Moltmanns Frühschriften, S. 176. Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 74f. Hervorhebungen von mir.

Offenbarung und Eschatologie

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ist der auferstandene Christus; 2. Offenbarung geschieht in Verheißung und damit auch als Offenbarung der Verheißung; 3. Dem Menschen wird etwas offenbar, u. a. die Wirklichkeit als Geschichte. Dies soll nun interpretiert werden. »Von der ›Offenbarung‹ spricht die christliche Theologie, wenn sie auf Grund der Ostererscheinungen des Auferstandenen die Identität des Auferstandenen mit dem Gekreuzigten erkennt und verkündigt.«86 Jesus Christus, als der Ort der Selbstoffenbarung Gottes in der Geschichte, ist gleichzeitig Akt wie Inhalt der Offenbarung. Inhalt, weil sich Gott selbst als der und mit dem Gekreuzigten »offenbart und identifiziert«87 und Akt, weil »[d]iese Identität im unendlichen Widerspruch […] theologisch verstanden [wird] als ein Identifikationsgeschehen, als Akt der Treue Gottes.«88 Für Moltmann hat Offenbarung also ein Zentrum und zwar Jesus Christus. In Jesus Christus hat sich Gott offenbart und als Jesus Christus hat sich Gott offenbart. Diese doppelte Gestalt ist zugleich die Basis als auch der gesamte Inhalt und die Form von Moltmanns Rede von Offenbarung. Ausgesprochen wird diese Identität von vor- und nachösterlichem Jesus Christus, so Moltmann, durch die Christustitel.89 Weil diese nämlich nicht nur von Jesus reden, sondern im selben Moment schon »alle in die noch nicht erschienene Zukunft des Auferstandenen vor[greifen]«, hat »›Offenbarung‹ in diesem Geschehen […] nicht den Chrarakter logosgemäßer Erhellung vorhandener Wirklichkeit des Menschen und der Welt, sondern trägt hier konstitutiv und grundsätzlich den Charakter der Verheißung und ist darum eschatologischer Art.«90 4.2.1 Zukunft Jesu Christi als Zentrum der Theologie

Moltmann votiert entsprechend für ein »Verständnis von Offenbarung als Apokalypsis verheißener Zukunft der Wahrheit.«91 Damit treten zwei Aspekte nun mehr in den Fokus, nämlich einerseits der Aspekt der Geschichtlichkeit der Offenbarung, der bei Moltmann nicht vernachlässigt, aber auch nicht überstrapaziert werden darf; außerdem rückt Zukunft damit ins Zentrum der Beschäftigung mit Moltmanns Offenbarungsdenken. Denn »Verheißung kündigt eine Wirklichkeit aus der Zukunft der Wahrheit an, die noch nicht ist.«92 Ist Offenbarung die Aufdeckung einer verheißenen Zukunft, dann ist Offenbarung selbst auch Verheißungsakt. Es geht Moltmann in den Offenbarungsbegegnungen, die von der Auferstehung zeugen, um Zukunft, konkret: um die Zukunft Jesu Christi. »Jesus wird

86 87 88 89 90 91 92

Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 75. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 77. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 75. Vgl. ders.: Theologie der Hoffnung, S. 75. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 75. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 75. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 75.

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Verheißende Offenbarung und offenbarende Verheißung

in den Ostererscheinungen wahrgenommen als der, der er wirklich sein wird.«93 Der Bezug zur Gegenwart besteht dann darin, dass sie als Zukunft angesagt und als Kommende Zukunft gegenwärtig ist. »An dieser Zukunft der Wahrheit, in der Verheißung offenbar, erfährt der Mensch die Wirklichkeit als Geschichte in ihren Möglichkeiten und Gefährdungen und es zerbricht ihm die Fixierung der Wirklichkeit zum Bilde der Gottheit.«94 Damit sagt Moltmann einige Dinge auf einmal. Er deutet diese Zukunft nicht als in irgendeiner Weise offenbar werdend, sondern in der Verheißung. Die Verheißung, von der später noch festzustellen sein wird, dass sie immer konkret offenbarendes Verheißungswort ist,95 das Wort Gottes, ist damit Offenbarungsträger, oder wie Fries Moltmann hier darstellt: »Der Offenbarung Gottes entspricht der Logos, der ansagt, zeigt und zur Sprache bringt«96 . Der qualitative Unterschied, den Moltmann hier zur transzendentalen Eschatologie herstellen möchte, ist, dass damit nicht ein für alle Mal alles gesagt ist, sondern dass sich aus diesem Offenbarungsgeschehen heraus Geschichte entspinnt – dass Offenbarung nicht nur Teil der Geschichte ist, sondern Bedingung für die Möglichkeit der Erfahrung der Wirklichkeit als geschichtliche Wirklichkeit. »Offenbarung […] begründet und eröffnet damit einen Spielraum von Geschichte«97 . Identifiziert man nun mit Joh 1 Wort Gottes und Jesus Christus, ergibt sich, dass zum einen das Verheißungswort, damit zugleich aber auch Jesus Christus Offenbarungsträger ist – man könnte sogar noch weiter gehen und Jesus Christus als Verheißungswort denken. Deshalb geht es bei Moltmann nicht um irgendeine Zukunft. »Die christliche Eschatologie redet nicht von der Zukunft überhaupt. Sie geht aus von einer bestimmten geschichtlichen Wirklichkeit und sagt deren Zukunft an […]. Christliche Eschatologie spricht von Jesus Christus und seiner Zukunft.«98 Diese Aussage ist das Kernelement von Moltmanns Theologie. Die Zukunft Jesu Christi ist der Inhalt christlicher Theologie. Moltmann beschreibt sie »als neues Paradigma der Transzendenz«99 . Um zu verstehen, was er damit meint, wird die Voraussetzung Moltmanns aufgenommen, dass an dieser Stelle Geschichte »die Erfahrung der Wirklichkeit in Konflikten«100 heißt. Zukunft bekommt hier eine doppelte Funktion, sie kann einerseits eine geschichtsimmanente und damit vergängliche Zukunftsvision sein oder eine Zukunft der Geschichte. Als letztere »sprengt [sie], recht verstanden, alle bekannten Weltzusammenhänge.«101 Nun 93 94 95 96 97 98 99 100 101

Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 75. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 75. Vgl. ders.: Theologie der Hoffnung, S. 129. Fries: Spero ut intelligam, S. 90. Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 76. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 13. Vgl. den gleichnamigen Aufsatz Ders.: Zukunft als neues Paradigma, besonders die S. 21–23. Ders.: Zukunft als neues Paradigma, S. 21. Ders.: Zukunft als neues Paradigma, S. 21.

Offenbarung und Eschatologie

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folgert er, dass »[e]ine ›Zukunft der Geschichte‹ nicht schon eine quantitativ neue Zukunft sein kann, sondern eine qualitativ neue Zukunft sein muß. Nur wenn mit ihr an eine Veränderung der Bedingungen der Geschichte selber gedacht wird, kann sie mit Transzendenz identifiziert werden.«102 Überträgt man dies nun auf die christliche Rede von der Zukunft Christi, heißt der Satz Moltmanns konkret: Spricht man von der Zukunft Jesu Christi, des Auferweckten, dann denkt man mit dieser Zukunft eine Veränderung der Bedingungen der Geschichte, insofern in Christus die Zukunft der Schöpfung offenbart ist. Denn in Jesus Christus ist »jene qualitativ neue Zukunft unter den Bedingungen der Geschichte präsent«103 . Für Moltmanns Verständnis von Offenbarung ergibt sich daraus, dass die Erfahrungsgrenzen dieser Wirklichkeit durch die Offenbarung um das Eschatologische nicht nur erweitert werden, sondern dass gleichzeitig eine völlig neue Wirklichkeit vorgestellt wird, die (noch) nicht ist. Diese Wirklichkeit »geht damit über das Real-Mögliche oder Real-Unmögliche hinaus. Sie erleuchtet nicht eine Zukunft, die irgendwie immer schon der Wirklichkeit inhärent ist.«104 Moltmann möchte darauf hinaus, dass Offenbarung nicht als abgeschlossenes Ereignis, sondern als »nach vorne weisende und führende Offenbarung verstanden werden«105 muss. Wäre die Offenbarung der Verheißung eine ›nunc stans aeternum‹, die Gegenwart des ewigen Augenblicks, wäre die Verheißung unnötig, weil ihre noch ausstehende Erfüllung bereits Gegenwart wäre. Damit wäre Offenbarung eine Erhellung der Wirklichkeit, die ist. Sie bräuchte wiederum keine Zukunft. Dass sie aber Zukunft hat, bedeutet damit gleichzeitig, dass es hier in der Offenbarung um etwas Unabgeschlossenes geht.106 Verheißung, die Offenbarung als Eröffnung von Geschichte bringt, geht aber darüber hinaus, denn sie sagt etwas »überraschend Neues« an, worüber »nichts Sinnvolles gesagt« werden kann.107 Nur das ›Dass‹ kann dann ausgesagt werden und dient damit gleichsam als Grundlage der »Bedingung für die Möglichkeit neuer Erfahrungen«108 . Moltmanns eigener Offenbarungsbegriff muss also mit einer anderen Form eines Verständnisses von Geschichte arbeiten und mit seinem offenbarungstheologischen Ansatz verbinden. Wie erwähnt, ist Moltmanns Offenbarungsdenken u. a. an die Identifikation Jesu mit Christum am Kreuz geknüpft. Das bedeutet, dass sich Gott offenbart als der, der er ist, in Identität des Gekreuzigten und Auferstandenen und auch als der, der er sein wird, als der Kommende, der sich und

102 Ders.: Zukunft als neues Paradigma, S. 22. 103 Ders.: Zukunft als neues Paradigma, S. 23. 104 Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 76. Zur Unterscheidung von Möglichkeit, Wirklichkeit, RealMöglichkeit und Real-Unmöglichkeit, siehe später den Abschnitt 5.2.1, S. 187ff. 105 Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 78. 106 Vgl. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 78. 107 Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 13. 108 Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 13.

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Verheißende Offenbarung und offenbarende Verheißung

seine Zukunft offenbart und sein und ihr Kommen verheißt.109 Als der Kommende offenbart Gott damit aber auch nicht nur eine Zukunft, sondern die oben schon angesprochene Zukunft der Geschichte. »In diesem Sinne wird die Offenbarung des Auferstandenen nicht durch die nolens volens weiterlaufende Geschichte ›geschichtlich‹, sondern steht gleichsam als primum movens an der Spitze des geschichtlichen Prozesses.«110 Bringt man dies nun in Bezug zu Pannenberg, Barth und Bultmann, so lässt sich feststellen, dass Moltmann ihre Positionen nicht völlig ablehnt. Er nimmt ihre Ansätze vielmehr wohlwollend, wenn auch kritisch auf. Denn mit der Offenbarung als ›primum movens des geschichtlichen Prozesses‹ »ist die Notwendigkeit, ein angemessenes Daseinsverständnis und universalgeschichtliche Orientierung zu erlangen, keineswegs überflüssig gemacht. Nur wird beides, die Erhellung der Geschichtlichkeit menschlicher Existenz und die antizipartorische Erhellung universalgeschichtlicher Zusammenhänge und Aussichten, dem apostolischen Geschichtsprozeß, den Gottes Offenbarung in Verheißung ins Leben ruft, zuzuordnen sein.«111

Somit rückt die Zukunft, konkreter noch: die Zukunft Jesu Christi, ins Zentrum von Moltmanns (Offenbarungs-)Theologie. Denn mit dieser Verschränkung von Offenbarung und Verheißung betont Moltmann einerseits die Verborgenheit und Unabgeschlossenheit des Offenbarten,112 die Zukünftigkeit der Erfüllung der Verheißung und darum die Vorläufigkeit der durch die Offenbarung ermöglichten Erkenntnis. Alles, was in Wahrheit offenbar ist, was an Wahrheit der Zukunft jetzt schon aussagbar ist, ist nur spruchreif von der Zukunft her, die kommt. Weil sie verheißene Zukunft ist, kann von ihr auch mit Gewissheit gesprochen werden, aber weil sie verheißene Zukunft ist, ist sie bei aller Präsenz der Verheißung gleichzeitig nicht-präsente, sondern noch im Kommen seiende und nur so gegenwärtige Zukunft.113 Offenbarung wird so zu einem dynamischen Geschehen, das maßgeblich an der Verheißung und also an der Zukunft hängt. 4.2.1.1 Zukunft als Parusie und Futur Nun gilt für diese Zukunft ein Besonderes. Denn sie ist bei Moltmann in doppelter Bedeutung vorhanden. So analysiert er: »Unser deutsches Wort ›Zukunft‹

109 110 111 112 113

Vgl. hierzu Jong: Theologie der Hoffnung, 33f. Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 78. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 76. Vgl. ders.: Theologie der Hoffnung, S. 77. Vgl. ders.: Theologie der Hoffnung, S. 78; ebenso auch ders.: Theologie der Hoffnung, S. 184f.: »Verheißung steht auch in diesem Falle zwischen Wissen und Nichtwissen […]. Christuserkenntnis wird so zur vorgreifenden, provisorischen und fragmentarischen Erkenntnis seiner Zukunft, nämlich dessen, was er sein wird. Alle Christustitel greifen in diesem Sinne messianisch voraus. Auf der anderen Seite wird seine Zukunftserkenntnis durch nichts anderen angetrieben als durch das Rätsel Jesu von Nazareth.«

Offenbarung und Eschatologie

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deckt heute in unserem Sprachgebrauch zwei verschiedene Traditionen.«114 Diese beiden Traditionen sieht er als geeignet, um die Problematik der Zukunft zu erläutern, die sich in der Beschäftigung mit der Eschatologie im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert ergab: Die »Verhältnisbestimmung des ›Schon‹ des im Evangelium zugesprochenen Heils zum ›Noch nicht‹ seiner Erwartung«115 . Dabei dreht es sich, so Moltmann, um eine »methodische Grundsatzfrage«, die zwischen den beiden Polen steht, »ob man von der ›Zukunft des gegenwärtigen Christus‹ (oder Glaubens) oder von der ›Gegenwart des kommenden Christus ‹ ausgehen sollte.«116 Ganz konkret lautet die Frage: »Bestimmt die Zukunft die Gegenwart, oder bestimmt die Gegenwart die Zukunft?«117 Welche sprachlichen Traditionen stellen sich nun dieser Grundsatzfrage? Die Unterscheidung, die Moltmann im Wort Zukunft vornimmt, ist einerseits Zukunft als »Übersetzung des lateinischen adventus«, dessen »Äquivalent im griechischen παρουσία« ist und auf deutsch »Erwartung, Vorfreude auf nahende Erlösung, Vorbereitung auf etwas Ankommendes«118 meint. Wenn Moltmann von adventus spricht, dann meint er »die ›Ankunft‹ eines Anderen, Neuen und Ändernden, das so noch nicht da war und nocht nicht da ist.«119 Es geht hier also um den Aspekt des »Noch nicht«. Diese Zukunft ist noch nicht da, sie hat auch keine gegenwärtige Analogie. Es geht um etwas völlig Neues. Diese Zukunft ist der Gegenwart vor-gesetzt. Das verbirgt sich im Adventus, in der Parusia. »Wo dieses Wort im Neuen Testament aufgenommen wird, da tritt es in die Erwartungskategorien der prophetischen und apostolischen Hoffnung auf das Kommen Gottes und das Kommen Christi ein.«120 Dass diese Zukunft allerdings so wenig verfügbar ist, hat wiederum Konsequenzen für die Zeitlogik, nach der die Zukunft das ist, wohin sich die Gegenwart entwickelt, was aus ihr heraus entsteht. Beim Reich Gottes, beim Kommen Christi, fällt dieser Gedanke allerdings weg, denn es geht ja um das Kommen Christi und nicht um den Weg zu ihm. »Parusia – adventus – Zukunft meint wie im Alten Testament das einmalige und dann endgültige Kommen Gottes und einer Welt, die ihm ganz entspricht«121 . Das völlig Neue ist demnach nicht nur das Kommen Gottes, sondern damit gleichzeitig das Kommen einer schlechthin neuen Welt.

114 115 116 117 118 119 120 121

Ders.: Richtungen der Eschatologie, S. 35. Ders.: Richtungen der Eschatologie, S. 27. Ders.: Richtungen der Eschatologie, S. 28. Ders.: Richtungen der Eschatologie, S. 28. Vgl. die erhellende Problematisierung von Zukunft als Horizont der Schöpfung bei Link: Schöpfung, S. 251–270. Moltmann: Richtungen der Eschatologie, S. 36. Ders.: Richtungen der Eschatologie, S. 36. Ders.: Richtungen der Eschatologie, S. 36. Ders.: Richtungen der Eschatologie, S. 36.

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Verheißende Offenbarung und offenbarende Verheißung

»In diesem Sinne verstanden, ergibt sich Zukunft nicht aus der Gegenwart, weder als Postulat noch als Konsequenz, sondern Gegenwart entspringt aus solcher Zukunft, der man im Vergehen gewärtig sein muß.«122

Die Zeitrichtung kehrt sich hier folglich um. Moltmann nennt es den »eschatologischen Zeitsinn«123 , in dem auch das Geschehen von Kreuz und Auferweckung Jesu Christi zu lesen ist. Bevor hier jedoch argumentativ fortgeschritten wird, muss erst noch die andere Seite von Zukunft nachgezeichnet werden. War eben Zukunft die kommende, unverfügbare, adventliche Zukunft, so gibt es noch die zweite Seite. Moltmann analysiert hier eine Vorstellung in der Bedeutung »des lateinischen futurum«124 . Es ist das genaue Gegenteil der Zukunft, die mit Adventus verbunden wird. »Futurum meint das, was sein wird, was sich aus dem Werden des Seins (γένεσις εἰς οὐσίαν) ergibt, und hat ein Äquivalent im griechischen ϕύω, das im Verständnis von physis als dem Hervorbringenden steckt.«125 Damit beschreibt Moltmann einen klassischen, linearen Zeitverlauf, der von der Vergangenheit über die Gegenwart in die Zukunft fortschreitet. Zukunft entwickelt sich dann unmittelbar aus dem Gegebenen, ist dadurch allerdings auch veränderbar. Denn dann sind Tathandlungen jeglicher Art ausschlaggebend für die weitere Entwicklung. »Das Futur ist die zeitliche Erstreckung des Seienden.«126 Nun kann nochmals nach dem eschatologischen Zeitsinn gefragt werden. Es wurde gezeigt, dass sich bei Moltmann Gott darin offenbart, dass er sich mit dem Gekreuzigten und Auferstandenen identifiziert. Wenn man nun die Auferweckung Christi im Sinne von 1Kor 15,20 list, Christus »als Erstling unter denen, die entschlafen sind«, dann ist dieses Geschehen – Moltmanns Analyse folgend – im eschatologischen Zeitsinn zu interpretieren, also in der Art der Zukunft des adventus, denn mit dem Wort Erstling ist die Auferstehung der Toten schon mit ausgesagt. »Wir müssen dafür noch einmal versuchen, die Geschichte [von Kreuz und Auferweckung] eschatologisch, mit ›umgekehrtem Zeitsinn‹ zu lesen und also von der Zukunft Christi auf seine Vergangenheit zurückzukommen.«127 Daraus ergibt sich, dass »das Letzte das Erste« wird, also konkret: »Als der Auferweckte ist er gestorben, und als der Kommende ist er Fleisch geworden.«128 In der Methodik der Eschatologie heißt das die Antizipation des Reiches Gottes in Kreuz und Auferstehung.129 Damit sagt Moltmann nicht mehr und nicht weniger, 122 123 124 125 126 127 128 129

Moltmann: Richtungen der Eschatologie, S. 36. Ders.: Der Gekreuzigte Gott, S. 171. Ders.: Richtungen der Eschatologie, S. 36. Ders.: Richtungen der Eschatologie, S. 36. Ders.: Richtungen der Eschatologie, S. 36. Ders.: Der Gekreuzigte Gott, S. 171. Ders.: Der Gekreuzigte Gott, S. 171. Vgl. Ders.: Richtungen der Eschatologie, S. 36.

Die Kategorie der Verheißung

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als dass die zukommende Zukunft, die Parusia, in Christus gegenwärtig geworden ist. Es drückt sich in Christus deshalb das doppelte aus: Adventus und Futurum. Moltmann hebt dies hervor, indem er schreibt: »Im historischen Zeitsinn kann Christus die Antizipation des kommenden Gottes auf Grund seiner Auferweckung von den Toten genannt werden. Im eschatologischen Zeitsinn aber muß er die Inkarnation des kommenden Gottes in unser Fleisch und in den Tod am Kreuz genannt werden. Es ist einseitig und verfehlt, sieht man auf Grund seiner proleptischen Auferweckung nur in die Zukunft Gottes und auf das Ende der Geschichte. Im Sinne der Umkehrung der noetischen Ordnung in die ontische Ordnung muß man in dieser Antizipation auch die Inkarnation jener Zukunft des erlösenden Reiches in die Vergangenheit des Gekreuzigten erkennen.«130

Moltmann macht hier sehr deutlich, dass eine einseitige Betrachtung von Kreuz und Auferweckung nur aufs Eschaton hin nicht sinnvoll ist, zugleich aber eine notwendige Konsequenz des Gedankens der Präsenz des noch Ausstehenden und zwar im Kommen. Diese Zukunft ist Futur der Gegenwart genau dann, wenn sie »Gegenwart der Zukunft ist.«131 In letzter Konsequenz und auf das Christusgeschehen heißt das: »Ist diese Zukunft in Christus vergegenwärtigt, so wird dann und daraufhin die durch ihn bestimmte Gegenwart zum Keim des Kommenden und gewinnt ein Futur, das dieser Zukunft entspricht.«132 In Jesus Christus vereinigt, stehen sich Parusia und Futurum in einer inneren Dialektik gegenüber. Bindet man dies nun zurück an die Offenbarung im Identifikationsgeschehen, dann geschieht genau in dieser Doppelstruktur von Adventus und Futurum Offenbarung. In der Auferweckung identifiziert sich Gott mit dem Gekreuzigten und zeigt sich damit als Gott, der eine Zukunft ankündigt, und zwar seine Zukunft: Die Zukunft des Gottes, der in Jesus Christus Mensch geworden ist und die allen Menschen dereinst widerfahren wird. Und dass die Schöpfung sich auf dieses Futur zugehend erkennt, gelingt nur, weil Gott sich in der Zukunft seines Advents bereits gegenwärtig offenbart und offenbart hat. Damit eröffnet diese Offenbarung eine Geschichte und gleichzeitig ist in ihr etwas verheißen, nämlich die Zukunft Gottes, die schon nicht mehr nur Advent, sondern auch Futur der Schöpfung ist.

4.3 Die Kategorie der Verheißung. Moltmanns Verheißungsbegriff… Nachdem nun schon mehrfach angeklungen ist, dass Offenbarung durch Verheißung an die Zukunft geknüpft ist und nur der Verheißungscharakter des Offen130 Ders.: Der Gekreuzigte Gott, S. 171. 131 Ders.: Richtungen der Eschatologie, S. 36. 132 Ders.: Richtungen der Eschatologie, S. 36.

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Verheißende Offenbarung und offenbarende Verheißung

barungsgeschehens dieses auch eschatologisch relevant macht, soll nun der Verheißungsbegriff bei Moltmann untersucht werden. Dalferth schreibt, die herausgehobene Stellung von Verheißung bei Moltmann erklärend: »Der Grundgedanke von Moltmanns Theologie der Hoffnung lässt sich […] folgendermaßen zusammenfassen: Ohne Gottes Verheißung keine wahre Hoffnung, ohne die Bekräftigung der Wahrheit dieser Verheißung in der Auferweckung Christi keine vertrauenswürdige Hoffnung […].«133

Verheißung ist für Moltmanns Theologie also ein Grundbegriff. Doch was genau meint Moltmann mit Verheißung? Wie wird sie qualifiziert? Auf welcher Basis? Und worin unterscheidet sie sich von Voraussagen oder Prophezeihungen? Zunächst einmal kann mit einer Minimalbestimmung gearbeitet werden, die sich bei Moltmann findet: »Eine Verheißung ist eine Zusage, die eine Wirklichkeit ankündigt, die noch nicht da ist.«134 Damit hat Verheißung allerdings noch kein Alleinstellungsmerkmal. Auch ein Jahreshoroskop hat den Anspruch, eine nahende Zukunft vorauszusagen. Der besondere Charakter einer Verheißung muss demnach ein anderer sein. Moltmann ergänzt deshalb seine Minimalbestimmung direkt um einen Aspekt, nämlich: »Die Verheißung bindet den Menschen an die Zukunft und öffnet ihm den Sinn für Geschichte.«135 Es geht nun nicht mehr nur darum, dass eine Wirklichkeit angesagt wird, die noch nicht ist, sondern durch die inhaltliche Bindung der Gegenwart an die verheißene Zukunft entsteht ein Rahmen für Geschichte. Darüber hinausgehend betont Moltmann, dass, »[w]as Vergangenheit und was Zukunft ist, […] an dem Verheißungswort sichtbar [wird].«136 Er verbindet also Verheißung und Offenbarung fest miteinander und zwar in ihrem Bezug zur Dimension der Geschichte. Bisher wurde ersichtlich, dass bei Moltmann Offenbarung Geschichte ermöglicht,137 folglich kann in der Darstellung seiner Theologie nun ergänzt werden, dass sie Geschichte eröffnet als Geschehen zwischen Verheißung und Erfüllung. So lässt sich nun den Konnex herstellen zu dem, was bisher schon entwickelt wurde, nämlich zu Offenbarung und Zukunft. Dazu muss allerdings zunächst die dem Verheißungsbegriff inhärente Zeitlogik analysiert werden. In der Ankündigung der noch nicht da seienden Wirklichkeit stellt die Verheißung eine Zukunft vor und zwar eine zukommende Zukunft. Sie wird erkennbar in der Verheißung, d. h. sie ist Offenbarung in der Verheißung.138 Damit arbeitet die Verheißung im dialektischen Verhältnis von Parusia und Futurum, wie im 133 134 135 136 137 138

Dalferth: Hoffnung, S. 156. Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 92. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 92. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 93. Vgl. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 76. Vgl. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 36, wo er betont, dass sich Gott auf die und in der Art und Weise von Verheißung selbst offenbart.

Die Kategorie der Verheißung

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letzten Abschnitt entwickelt. Dies geschieht folgendermaßen: Einerseits hat »[d]ie Geschichte, die durch Verheißung bestimmt und eröffnet ist, […] ein bestimmtes Gefälle auf die verheißene und ausstehende Erfüllung hin.«139 Denn durch Verheißung wird das »Bewußtsein des Hoffenden in einem alle Erfahrung und Geschichte transzendierenden Noch-nicht«140 gehalten – das Verheißene wird erst noch Wirklichkeit werden. Sie eröffnet der Geschichte dadurch ein Futurum, eine Zukunft der Geschichte, auf das sich Geschichte zubewegt. Andererseits gilt für Moltmann allerdings auch: »Sind es Verheißungen Gottes, so muß Gott auch als Subjekt der Erfüllung angesehen werden.«141 Wenn Gott, und Gott allein, das Subjekt der Erfüllung ist, dann kann das Futurum nicht aus eigener Kraft erreicht und entwickelt werden. Das Verheißene steht dann nicht in »einer festen juristischen Systematik von geschichtlichen Verbindlichkeiten«142 , sondern es hängt ganz und gar und ausschließlich an Gott. Dadurch inhäriert der Verheißung allerdings auch eine Gewissheit, denn »[i]hre Zukunft, die sie eröffnet, ist ermöglicht und bestimmt durch die verheißene Erfüllung«143 und hängt somit nicht an einem bestimmten Geschichtsverlauf, der von Verheißung bis Erfüllung genau so und nicht anders beschritten werden muss. Sondern was aus diesem Zitat Moltmanns herausgelesen werden kann, ist ein »Schon jetzt« der Erfüllung in der Verheißung. Die Zukunft der Verheißung ist eine zukommende, keine zu erreichende und darin »Schon jetzt«. Und dennoch ist sie eine, auf die sich zu bewegt wird, deshalb »noch nicht«. Die der Verheißung inhärente Zeitlogik steht also durchweg zwischen den Polen von »Schon jetzt« und »Noch nicht«. 4.3.1 …und das Alte Testament

Wenn an Verheißung gedacht wird, so ist der naheliegende erste Einfall, im Alten Testament nach Verheißungen zu suchen. Auch Moltmann ging diesen Weg und analysierte die alttestamentliche Theologie der 50er und 60er Jahre, die sich erneut mit der Thematik der Treue Gottes und der Verheißungen auseinandersetzte und kam zu dem Schluss, dass immer, wenn im Alten Testament Offenbarung geschieht, dies mit Sätzen der Verheißung verbunden sei.144 Nun gibt es für das deutsche Wort der Verheißung kein völlig entsprechendes Wort im Hebräischen, sondern eine Vielzahl von äquivalenten Ausdrücken.145 Sie decken ein beträchtliches Spektrum ab, was unter Verheißungen Gottes verstanden werden kann – 139 140 141 142 143 144 145

Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 92. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 91. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 93. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 93. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 92. Vgl. ders.: Theologie der Hoffnung, S. 36. Vgl. Rösel: Verheißung: »Hebräische Äquivalente für Verheißung oder verheißen sind u.a.: Nomen: ’omær ›Wort‹ (Ps 77,9); ’imrāh ›Wort / Ausspruch‹ (Ps 119,38); Verb: swh Pi. ›befehlen‹ (Gen 18,19); dbr Pi. ›reden‹ (Ex 32,13); ’mr Qal ›sagen‹ (ebenfalls Ex 32,13). ˙ In der Auslegung

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Verheißende Offenbarung und offenbarende Verheißung

dementsprechend vielschichtig muss die theologische Rede von Verheißung sein. Man kann zunächst weiterhin mit der oben schon beschriebenen Minimalbestimmung Moltmanns arbeiten, nach der Verheißung eine noch nicht präsente Wirklichkeit ankündigt und mit Moltmann ergänzend daraus folgern, dass eine Verheißung die »Wirklichkeitsdeckung noch nicht gefunden hat« und deshalb »zur gegenwärtigen und ehedem erfahrbaren Wirklichkeit im Widerspruch steht.«146 Gerade die zweite Ergänzung geht nicht sinnfällig aus der Minimalbestimmung hervor, wird sich aber im Fortgang dieses Abschnitts noch bewahrheiten. Moltmann arbeitet im Anschluss an die alttestamentliche Forschung seiner Zeit heraus, dass das frühe Israel mit der synkretistischen Dialektik in ihrem Glauben zu kämpfen hatte, dass sie als nomadisches Volk sesshaft wurden und dadurch die »kinetisch-vektorischen Momente der alten Nomadenreligion und die statischen Momente der kanaanäischen Landreligion« in Konflikt gerieten.147 Dies zeige sich besonders im Verständnis von Offenbarung. Wo eine statisch-lokale Gottheit sich in Steinen, Büschen, Bäumen etc. offenbarte und damit je alleinstehende Orte in einer bestimmten Zeit durch ihre Epiphanie heiligte,148 da sei der israelitische Jahwe von anderer Natur gewesen. Vielmehr, so Moltmann, ist es »nun das Auffallende, daß Israel die ›Erscheinungen‹ Jahwes in ihrem Sinngehalt nur in geringem Maße als eine solche Weihe von Ort und Zeiten verbindet, sondern daß sich für Israel das ›Erscheinen‹ Gottes unmittelbar verbindet mit dem Ergehen von göttlicher Verheißung.«149 Diese Unterscheidung ist durchaus wichtig, denn es ergibt sich daraus ein anderes Verständnis der eigenen Existenz, insofern als eine Verheißung »von den Erscheinungen ihres Ergehens fort[weist] in die angesagte, noch nicht wirkliche Zukunft hinein«150 und damit das eigene Sein als ein Sein in Geschichte erfahrbar macht.151 Damit liegt »[d]er Sinn der Erscheinung […] dann nicht in dieser selber, sondern in der Verheißung, die in ihr vernehmbar wird, und in der Zukunft, in die sie weist.«152 Die Konsequenz daraus ist offensichtlich, nämlich die Subordination der Offenbarung unter die Verheißung.153 Moltmann nimmt diese Modifikation aus einem bestimmten Grund vor. Geschieht Offenbarung in der Verheißung, dann offenbart die Erfüllung der Verheißung die Treue Gottes zu seinem Versprechen. So sind die Erzväterverheißungen durch ihre konkreten Ansagen von Land, Nachkommenschaft und Segen auf der einen Seite und auf der anderen der Exodus durch das Versprechen, aus der Skla-

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alttestamentlicher Texte wiederum werden häufig solche Stellen als Verheißung bezeichnet, die šb‘ Nif. ›schwören‹ verwenden (z. B. Gen 22,16).« Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 93. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 86. Vgl. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 88. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 89. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 89. Vgl. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 86f. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 89. Vgl. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 86.

Die Kategorie der Verheißung

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venschaft in das eigene Land zu ziehen, geprägt und bekannt. »Wo die Züge Israels ins Land kommen, empfangen sie das Land und die neuen Erfahrungen des seßhaften Lebens als ›Erfüllung der Verheißung‹, als Verwirklichkeung der Zusage des Verheißungsgottes aus der Wüste«154 . So wird das Leben geschichtlich wahrgenommen, indem »Land und Leben […] nicht mittels der Epiphaniefrömmigkeit in die Deckung der Götter gebracht, sondern […] als ein Stück Geschichte im großen Gang der Verheißungsgeschichte verstanden [werden].«155 Nun kann auch der Frage nachgegangen werden, inwiefern Verheißung in Widerspruch versetzt. Moltmann schreibt: »Es ist wesentlich die Kraft der Verheißung und des Verheißungsglaubens, Menschen in einer bewegenden und gespannten inadaequatio rei et intelectus zu halten, solange die promissio, die den intellectus beherrscht, noch nicht ihre Entsprechung in der Wirklichkeit gefunden hat.«156 Indem die Verheißung also eine Zukunft ansagt und sie damit der erfahrbaren Wirklichkeit vorstellt, bewirkt sie »das Element der Unruhe, das kein Sichabfinden mit einer Gegenwart, die erfüllt ist, zuläßt.«157 Sie hat als Verheißung den Charakter des »Noch nicht«. Verheißungen meinen hier auch eine gewisse Form der Vorläufigkeit. So ist natürlich bekannt, »daß sehr viele Zukunftsworte der Propheten, namentlich ihre politischen Voraussagen, nicht so eingetroffen sind, wie sie ursprünglich gemeint waren, und also die Geschichte viele Verheißungsworte überholt und damit antiqziert hat«158 , wie Moltmann hervorhebt. Und genau darin liegt wiederum die Stärke der alttestamentlichen Verheißungen, so Moltmann, daß sie »nicht durch die Geschichte Israels – weder durch Enttäuschungen noch durch Erfüllungen – liquidiert wurden, sondern durch die erfahrene Geschichte Israels ständig neue und weitende Auslegungen erfuhren.«159 Damit werden sie als souveräne Taten Gottes gehandelt, insofern die Entscheidung, ob eine Verheißung nun erfüllt wurde oder nicht, nicht beim Menschen liegt, sondern bei dem, der die Verheißung hat ergehen lassen. Denn es war ja wohl eher so, meint Moltmann, »daß man weder darauf aus war, durch die Geschichte die formelle Bestätigung der alten Verheißungen zu bekommen, noch die Verheißungen nur als Deutungen der Geschichte zu nehmen.«160 . Diese Herangehensweise ergibt sich auch nicht aus Moltmanns Zugriff. Geschichte und Verheißung stehen zwar in direkter Korrelation, aber das Abhängigkeitsgefälle geht von der Verheißung zur Geschichte und nicht umgekehrt. »Man könnte vielleicht sagen: die Verheißungen gehen sich verwirklichend in die Ereignisse

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Ders.: Ders.: Ders.: Ders.: Ders.: Ders.: Ders.:

Theologie der Hoffnung, S. 90. Theologie der Hoffnung, S. 90. Theologie der Hoffnung, S. 91. Theologie der Hoffnung, S. 91. Theologie der Hoffnung, S. 99. Theologie der Hoffnung, S. 94. Theologie der Hoffnung, S. 100.

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Verheißende Offenbarung und offenbarende Verheißung

ein, aber sie gehen in keinem Ereignis auf, sondern bleiben überschüssig und zukunftsweisend.«161 Damit sind sie selbst geschichtliche Kategorie.162 Daraus ergeben sich nun mehrere Konsequenzen. Die erste ist, so Moltmann, dass Verheißungen immer Teil eines Wandlungsprozesses sind.163 Konkret heißt das, dass sich Ereignisse der Geschichte von der Verheißung her nie als abgeschlossene Ereignisse beschreiben lassen, sondern sie immer als »Stationen auf einem Wege und als Momente in einem Prozeß verstanden werden«164 Es gibt in seiner Auslegung alttestamentlicher Verheißungstradition »kein vordringliches Interesse an […] einem Verheißungs-Erfüllungs-Schema«165 . Sondern der Versuch war laut Moltmann immer, die verschiedenen geschichtlichen Ereignisse positiver wie negativer Natur »als Verwandlungen und Auslegungen der Verheißungen« zu verstehen.166 Oder, um es noch einmal mit seinen Worten zu sagen: »Der Spannungsbogen von Verheißung und Erfüllung ist durch den schlichten Fortgang der Geschichte Israels nicht überholt worden, sondern hat viel stärker den geschichtlichen Fortgang Israels geschaffen. […] Zwischen Verheißung und Erfüllung stehen eine ganze Fülle prozeßhafter Zwischenglieder, wie Auslegung, Entfaltung, Inkraftsetzung, Aufrichtung, Erneuerung usw. Zwischen Verheißung und Erfüllung spannt sich der Prozeß der Wirkungsgeschichte des Wortes«167 .

Die zweite ist, dass es dennoch eine Teleologie im Verheißungsprozess gibt im Sinne eines Futurs der Verheißung und nicht nur eines Adventus. Sie hängt eng mit der Offenbarung Gottes im Verheißungsgeschehen zusammen. »Gott erkennen, heißt ihn wiedererkennen«168 , wie Moltmann schreibt. Wieso allerdings Wiedererkennen? Wie schon mehrmals festgehalten, ist die »Voraussetzung für die Erkenntnis Gottes […] das Offenbarwerden Gottes durch Gott.«169 Soweit nichts Neues. Ebenfalls nicht neu ist der Gedanke, dass Gott sich »nicht in seiner geschichtsenthobenen Absolutheit«170 offenbart. Was Moltmann als neuen Gedanken einfügt ist das Element der Treue Gottes. Gott »wiedererkennen heißt, ihn in seiner geschichtlichen Treue zu seinen Verheißungen erkennen, ihn darin als denselben und darum ihn selbst zu erkennen.«171 Gott wird damit in der Verheißungsgeschichte erkennbar. Falsch verstanden wäre es nun, aus aufeinanderfolgenden geschichtlichen Ereignissen Gott selbst in seinem Wesen erkennen zu wollen; das wäre der Irrtum von Geschichte als indirekter Selbstoffenbarung. »Wohl 161 162 163 164 165 166 167 168 169 170 171

Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 98. Vgl. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 95. Vgl. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 100. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 97. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 93. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 100. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 100f. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 105. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 104. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 105. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 105.

Die Kategorie der Verheißung

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aber offenbart die Verheißungsgeschichte, d. h. die durch Verheißung und Bund eröffnete und erwartete Geschichte, die Treue Gottes, sofern er sich selbst darin die Treue hält.«172 Fowler betont deshalb mit Recht, dass in Moltmanns Verständnis des Bundes Gottes und seiner Verheißung auch ein Versprechen impliziert liegt und darin seine Zukünftigkeit offenbar werde.173 Es dreht sich für Moltmann hier darum, zu betonen, dass die Verheißungen Gottes nicht einfach an die Welt, an Israel, an die Menschen, ergeht, sondern durch die Ansage dieser Wirklichkeit, die adventisch kommt, ergibt sich auch, dass dieser Adventus der Welt auch zum Futur wird. Gott ist nicht jenseits der Geschichte, sondern mitten in ihr richtet er sie nach vorne aus. Oder mit Moltmanns Worten: »Gott wird nicht erst am Ende der Geschichte erkannt, sondern inmitten der werdenden, offenen und auf das Spiel der Verheißungen gesetzten Geschichte. Darum muß diese Erkenntnis ständig der ergangenen Verheißungen und der geschehenen Treue Gottes eingedenk bleiben«174 .

Für die Forschungsfrage dieser Arbeit wird es genau an diesem Punkt spannend. Denn es geht nun um die Frage, welche Folgen dieses Verheißungsdenken für die Gotteserkenntnis hat. Dies wird allerdings erst später besprochen werden.175 Jetzt wird zunächst die Frage bearbeitet werden müssen, wie Moltmann diesen Verheißungsbegriff nun an der Christusverheißung des Neuen Testaments weiter differenziert. 4.3.2 …und die Auferstehung Christi

Das Verständnis von Verheißung und Offenbarung, das bisher erarbeitet wurde, schloss immer ein, dass sich hier Geschichte eröffne; dass daran Geschichte entspringe, dass Gott sich in seinen Verheißungen offenbare. Die christliche Theologie, so Moltmann, geht nun davon aus, dass die ursprünglichen Verheißungen ans Volk Israel nicht überholt, sondern in Jesus Christus aufgehoben (im nicht negierenden Sinne) und geweitet werden. »Der Gott der Verheißungen wird durch die Auferweckung Jesu von den Toten der Gott aller Menschen.«176 Damit gelten auch die Verheißungen allen Menschen zugleich. Die Verheißungen des Alten Testaments ziehen »nach vorne […] in noch Unabgegoltenes, noch Ausstehendes hinein.«177 Es ist noch nicht. Nach dem Zeugnis des Neuen Testaments ist dieses Unabgegoltene und noch Ausstehende das Reich Gottes, das beginnt, wenn Christus alle Feinde zu seinen Füßen gelegt sind und er 172 173 174 175 176 177

Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 106. Vgl. Fowler: Future Christians, S. 95. Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 106. Vgl. Kapitel 4.3.3 dieser Arbeit, S. 152ff. Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 128. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 106.

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die Herrschaft an den Vater übergibt, der alles in allem sein wird (1Kor 15,27f.). Moltmann geht sogar noch weiter: »Im Evangelium von dem Christusgeschehen ist diese Zukunft in den Verheißungen Christi schon Gegenwart.«178 Wie kommt das? Und was bedeutet diese Gegenwart? Und was hat die Verheißung damit zu tun und mit welcher Relevanz wird Verheißungstheologie im Neuen Testament betrieben? Moltmann hebt zwei Zugänge zur Christologie hervor, die keine verheißungstheologische Herangehensweise haben. Auf der einen Seite steht die frühchristliche logos-sarx-Christologie, in der »man durchweg von der allgemeinen Gottesidee der griechischen Metaphysik auf das Geheimnis Jesu zugegangen«179 sei. Der vielzitierte Gott des Parmenides hat sich in menschliche Natur begeben und ist im Fleisch erschienen. »Das Geheimnis Jesu ist dann die Inkarnation des einen, ewigen, ursprünglichen, wahren und unwandelbaren, göttlichen Seins.«180 Die Probleme sind die altbekannten: Wenn das Ewige sich präsentiert, bleibt ihm keine Zukunft mehr, so Moltmann. Auf der anderen Seite sieht Moltmann den anthropologischen Zugang der Neuzeit, in dem »man oft von einem allgemeinen Verständnis des Menschseins in der Geschichte […] auf das Geheimnis Jesu zugegangen«181 sei. Die Konsequenz dieses Zugangs ist, nicht mehr nach einer Gottesidee o. ä. zu fragen, sondern einen universalen Begriff des Menschseins vorauszusetzen und dessen Bewahrheitung im Christusgeschehen zu suchen.182 Dagegen wendet er ein, dass einerseits das alttestamentliche Verheißungsdenken damit zwar nicht aufgehoben oder obsolet gemacht sei, diese beiden Denkrichtungen allerdings auch problemlos ohne das Alte Testament auskommen. »Der Zugang Jesu zu allen Menschen aber hat das Alte Testament mit Gesetz und Verheißung notwendig zur Voraussetzung.«183 Statt erkenntnistheoretisch vom Allgemeinen, sei es die höchste Idee oder das Menschsein an sich, auszugehen, um nach seiner Wahrheit im Besonderen des Christusgeschehens zu suchen, schlägt Moltmann vor, den Erkenntnisweg andersherum zu beschreiten, vom »Besonderen zum Allgemeinen, vom Geschichtlichen zum EschatologischUniversalen«184 zu gehen. Dafür stellt er zwei Thesen in den Raum, mit denen man ernst machen müsse: »1. Es ist Jahwe, der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, der Gott der Verheißung, der Jesus von den Toten auferweckte. Wer der Gott ist, der durch und an Jesus offenbar wird, ergibt sich allein aus seiner Differenz zum Gott des Alten Testaments. 178 179 180 181 182 183 184

Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 125. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 126. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 126. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 126. Vgl. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 127. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 127. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 127.

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2. Jesus war Jude. Wer Jesus ist und welches Menschsein durch ihn offenbar wird, ergibt sich aus seinem Konflikt mit Gesetz und Verheißung des Alten Testaments.«185

Die Sätze sind aus sich heraus recht verständlich und bedürfen nicht zwangsläufig einer inhaltlichen Klärung, allerdings muss und soll dennoch gefragt werden, weshalb Moltmann ihren Inhalt so betont als doppelte Grundlegung für das rechte Verständnis des Verhältnisses von Altem und Neuem Testament präsentiert. Beide Sätze zeugen von Kontinuitäten und Diskontinuitäten im Gottesverständnis von Altem und Neuem Testament. Mit dem ersten Satz hebt Moltmann erneut hervor, dass der biblische Gott »nicht mit dem griechischen Gottesverständnis«186 parallel geht, da er »der Gott des Exodus und der Verheißung«187 ist, ein Gott, der Zukunft als Wesensmerkmal in sich trägt und nicht reine Ewigkeit188 ist. Er geht dabei weiter und hebt hervor, dass die Konsequenz dieses Satzes ist, den Erkenntnisweg umzukehren, »vom concretum zum concretum universale«189 . Allerdings ist hier noch keine merkliche Weitung der Verheißung erkennbar. Dass sich im Christusgeschehen »der Gott Israels als der Gott aller Menschen offenbart«190 , oder dass das Auferweckungsereignis durch den »Gott der Verheißung, der aus dem Nichts das Sein schafft […] durch den universalen eschatologischen Horizont, den es vorauswirft, allgemein [wird]«191 , sind allenfalls Postulate. Die Universalität des Christusgeschehens ist hier mit keiner Begründung versehen, sondern es wird nur gesagt, dass der alttestamentliche Gott der Verheißung einen Menschen namens Jesus vom Tod auferweckt hat. Dieser Mensch war Jude, sagt der zweite Satz Moltmanns aus. Vielleicht hilft er zu einem besseren Verständnis von Moltmanns Postulat der Universalisierung. Die Besonderheit, die Moltmann mit dem Prädikat »war Jude« zum Ausdruck bringen will, ist diese: Es geht in der Geschichte Christi nicht um einen »Spezialfall allgemeinen Menschseins«, sondern konkret um die Person Jesus, der als Jude »im Zusammenhang und im Konflikt mit der alttestamentlichen Verheißungsgeschichte«192 stand. In Jesus Christus »kommt das in Aussicht, was wahres Menschsein sein kann und sein wird. Der Weg geht hier vom GeschichtlichEinmaligen zum Universalen, weil er vom konkreten Geschehen zum Allgemeinen in einem eschatologischen Richtungssinn geht.«193 Nach wie vor bleibt hier dunkel, weshalb sich im Geschehen um Christus die Verheißung des Alten Tes-

185 186 187 188 189 190 191 192 193

Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 127. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 127. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 127. Zum Verhältnis von Zeit und Ewigkeit in Gott vgl. Layer: Zeit und Ewigkeit, bes. S. 162f. Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 127. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 127. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 128. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 128. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 128.

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Verheißende Offenbarung und offenbarende Verheißung

taments vom Volk Israel auf alle Menschen weiten sollte. Für den Moment gilt es als Annahme um des Arguments willen. Für Moltmann »ist es von besonderer Bedeutung, daß im Neuen Testament Gott als der ›verheißende Gott‹ erkannt und benannt wird. Er ist der θεὸς ἐπανγγειλάμενος«194 . Denn diese Analyse lässt ihn schlussfolgern, dass es eben nicht um die Absolutheit Gottes, sondern um seine Treue geht, »[s]eine Gottheit […] in der Beständigkeit seiner Treue«195 besteht. Es gibt also eine merkliche Parallele, so Moltmann, zwischen dem alttestamentlichen und dem neutestamentlichen Gott, nämlich die Verheißungstreue Gottes. »In beiden Überlieferungen wird Gott als der erkannt, der verheißt, und dessen Treue die Erfüllung verbürgt.«196 Wie auch schon in seiner Beschäftigung mit dem Alten Testament kommt Moltmann deshalb zu dem Schluss, dass »[d]as Gott offenbarende Wort […] begründet und offen auf das Treuegeschehnis Gottes«197 ist. Es »trägt grundsätzlich den Charakter der Verheißung und ist darum eschatologischer Art.«198 Einige Gedankenstränge Moltmanns muss man nun verbinden und umsortieren, mit dem Ziel die Frage nach der Universalisierung der Verheißung zu beantworten. Wie bei Moltmann schon oft betont, geschieht Offenbarung in seiner Theologie immer im Zuge von Verheißung. Gleichzeitig offenbart sich Gott in einem Identifikationsgeschehen und zwar identifiziert er sich, so das Neue Testament und Moltmann im ersten seiner beiden Grundsätze, »durch und an Jesus«199 ; es kann also, denn das ist hier das Zentrum der Argumentation, der Satz noch einmal gesagt werden: Wenn Gott sich durch und an Jesus offenbart, so offenbart er sich in einem Identifikationsgeschehen. Dieses ist die Auferweckung des gekreuzigten Jesus von den Toten. Ist nun also Offenbarung immer auch Verheißung, dann bedeutet dies für Moltmanns Argumentation, dass auch die Auferweckung Jesu von den Toten, in der Gott sich mit Jesus Christus identifizierend als der offenbart der er ist, dann geschieht an Ostern damit gleichzeitig auch Verheißung. Verheißung ist aber immer auch zukunftsoffen, und nicht nur aktuale Präsenz, d. h. also, dass sich Gott nicht nur als der offenbart, der er ist, sondern auch als der, der er sein wird; konkret: Gott offenbart in der Auferweckung Jesu von den Toten die Zukunft Jesu. Es ist jetzt einigermaßen klarer, weshalb Moltmann dermaßen hervorhebt, dass der auferweckende Gott des Neuen Testaments der verheißende des Alten Testaments ist und dass Jesus Jude war: Es geht ihm zunächst einmal um die Verheißungskontinuität. Was Gott im Alten Testament verheißen hat seinem Volk Israel, das ergeht und gilt auch für den Juden Jesus. Gleichzeitig sagt Moltmann von 194 195 196 197 198 199

Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 129. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 129. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 130. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 129. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 129. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 127.

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Jesus, dass er als »Gotteslästerer«200 und »Aufrührer«201 gekreuzigt wurde, also im Konflikt mit der jüdischen Tradition. So begründet Moltmann Paulus’ »Streit mit dem Judenchristentum« als Streit »um die Verheißung«, in dem es darum gehe, dass »Christus das ›Ende de des Gesetzes‹ (Röm 10,4)« sei, aber »doch nicht das Ende der Verheißung, sondern vielmehr deren Wiedergeburt, Befreiung und Inkraft-Setzung.«202 Moltmann zeichnet die Auseinandersetzung zwischen Paulus und den Judenchristen theologisch als Versuch nach, die Erfüllungshoheit in Bezug auf die Verheißung allein bei Gott zu belassen und sie nicht ans Gesetz zu binden.203 Geyer gibt zu verstehen: »Für Moltmann ist das Verhältnis von Alten und Neuem Testament […] grundlegend durch den Zusammenhang der alttestamentlichen Verheißungen mit dem neutestamentlichen Evangelium [bestimmt], der allerdings auch nicht im Schema von Verheißung und Erfüllung gedeutet werden kann.«204 Um das zu zeigen, führt Paulus, so Moltmann, Abraham ins Feld,205 denn diesem hat sich Gott »durch die Verheißung als gnädig erwiesen«206 und nicht durch das Gesetz. »Wollte man das Erbe der Verheißung durch Gesetzeserfüllung erreichen, so würde man dieses Erbe verlieren«207 . Ist also nicht das Gesetz, sondern Gott allein derjenige, der die Verheißungen erfüllt, und hat dieser Gott sich in Jesus Christus geoffenbart und damit dessen Auferweckung mit Verheißungscharakter versehen, dann gilt auch, dass die Verheißung nun denjenigen gilt, die im Christusgeschehen angesprochen sind. Da nach Moltmanns Interpretation »für Paulus die Rechtfertigung des Gottlosen und das Leben aus der Auferweckung von den Toten zusammengehören, gehören für ihn auch die Gerechtigkeit des Glaubens und die In-kraft-Setzung der Verheißung in der Auferweckung Christi zusammen.«208 Und: »Wird […] die Verheißung durch Gott in Kraft gesetzt, so schenkt sie Gerechtigkeit aus Glauben.«209 Damit wird der Glaube an den verheißenden Gott und nicht das Gesetz zum Maß der Dinge. Moltmann schlussfolgert: »Wir sollen als Theologen von Gott reden Erben Abrahams, des Vaters der Verheißung, die, an denen sich im Christusgeschehen die Verheißung Abrahams in der Kraft des rechtfertigenden und Leben aus dem Tode schaffenenden Gottes erweist, so fällt der heilsgeschichtliche Vorrang der Juden vor den Heiden dahin. Was Israel verheißen war, das gilt nun

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Ders.: Der Gekreuzigte Gott, S. 121ff. Ders.: Der Gekreuzigte Gott, S. 129ff. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 131. Vgl. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 131f. Geyer: Theologie der Hoffnung, S. 58. Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 130. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 132. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 132. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 131. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 132, Hervorhebungen von mir.

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allen Glaubenden aus Juden und Heiden. Die Verheißung ist nicht mehr exklusiv, sondern wird inklusiv.«210

Diese, zugegebenermaßen harsche, Differenz von Gesetz und Evangelium, die Moltmann hier zugunsten allein des Evangeliums entscheidet, bleibt allerdings nicht in dieser Härte stehen. Nach wie vor gilt für ihn, dass die Verheißung Christi »in der Verheißungsgeschichte des Alten Testaments [ihre] unaufgebbare Voraussetzung«211 hat. Es geht ihm hier nicht um eine Annullierung der Voraussetzungen der Verheißung, sonst würde das Jude-Sein Christi völlig unerheblich, und erst recht nicht um eine Paganisierung,212 , denn auch das Christentum muss erkennen: »Was die ›uns zuvor geschriebene‹ Schrift bietet, muß also Möglichkeiten und Zukunft enthalten, auf die gegenwärtiges Hoffen sich ausrichten kann.«213 Es kann also nicht sein, dass das Alte Testament und die Verheißungsgeschichte Israels durch und in Christus obsolet geworden wären. Sondern Israel »wird […] im Evangelium die Zukunft und Zuversicht seiner eigenen Verheißungen eröffnet.«214 Das qualitativ Neue der Verheißung in Christus, seines Evangeliums, ist, dass es »trotz seiner Prolepse im Alten Testamtent […] nicht nur das eine eschatologische Heil aufs neue offenbart, sondern darüber hinaus auch die Verwirklichung dieses Heils abschließend verbürgt.«215 4.3.3 …als Grundlage für Hoffnung

Der exegetische Befund Moltmanns ist damit recht eindeutig in seiner Aussage216 : Sowohl das Alte als auch das Neue Testament leben in ihrer Botschaft, seien es nun die alttestamentlichen Hierophanien oder die neutestamentlichen Zeugnisse der Selbstoffenbarung Gottes in und am Gekreuzigten und Auferweckten, davon, dass sie in den Offenbarungsereignissen immer gleichzeitig Verheißung aussagen und Verheißung bezeugen. Zum Einstieg des Abschnitts wurde mit der Minimalbestimmung gearbeitet: »Eine Verheißung ist eine Zusage, die eine Wirklichkeit ankündigt, die noch nicht da ist.«217 Diese Aussage wurde um einige Aspekte erweitert und deren Bedeutung hervorgekehrt. Doch die wichtigste Funktion, die Verheißung bei Moltmann innehat, kommt erst jetzt explizit zur Sprache. Nämlich die, Hoffnung ins Leben zu rufen.

Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 132. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 133. Vgl. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 133. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 139. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 133. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 134, Hervorhebung von mir. Ob dieser gängigen exegetischen Methoden entspricht und einer kritischen Prüfung standhalten kann, ist hier nicht zu diskutieren. 217 Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 92. 210 211 212 213 214 215 216

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Einschlägig bekannt ist, dass für Moltmann Verheißung immer zukunftsgebunden ist und immer konkret von der Zukunft der Geschichte redet. Nach der Aufnahme der neutestamentlichen Prägung, Jesus Christus ins Zentrum zu stellen, kann man mit Moltmann konstatieren: »Die christliche Eschatologie redet nicht von der Zukunft überhaupt. […] Christliche Eschatologie spricht von Jesus Christus und seiner Zukunft.«218 Damit bleibt Jesus Christus das Zentrum der Theologie, jedoch rückt der Fokus nun auf seiner Verkündigung des kommenden Reiches Gottes und der Verheißung seiner eigenen Zukunft.219 Ganz recht erkennt Moltmann, dass hier allerdings ein Problem vorliegt, das Barth schon 1922 erkannte und formulierte: »Wir sollen als Theologen von Gott reden. Wir sind aber Menschen und können als solche nicht von Gott reden.«220 Moltmanns Problematik ist formal die gleiche. Einerseits gilt: »Wenn […] der gekreuzigte Christus aufgrund seiner Auferweckung eine Zukunft hat, so bedeutet das […], daß alle Aussagen und Urteile über ihn zugleich etwas über die Zukunft aussagen müssen, die von ihm zu erwarten ist.«221 Wenn also von Jesus Christus gesprochen wird, spricht man auch über seine Zukunft, denn dann redet man von einem auferweckten Gekreuzigten. Und es ist nicht so, als sei er danach eines natürlichen Todes gestorben, sondern die Bibel spricht von seiner Himmelfahrt und verheißt seine Ankunft und Wiederkunft. Es soll also von seiner Zukunft geredet werden. Doch andererseits bleibt zu sagen: es geht schlicht und ergreifend nicht. Über die Zukunft Christi ist keine wirkliche Aussage möglich. Mit Recht sagt Moltmann, dass »[d]er Ausdruck ›Eschato-logie‹« fehlerhaft sei, da es »[e]ine ›Lehre‹ von den letzten Dingen […] nicht geben« könne.222 Er stellt fest, dass »Lehrsätze […] ihre Wahrheit in ihrer kontrollierbaren Entsprechung zur vorliegenden erfahrbaren Wirklichkeit [finden].«223 Es wurde nun allerdings schon mehrmals bei Moltmann vorgefunden, dass die verheißene Zukunft zwar in Jesus Christus gegenwärtig antizipiert wurde und ist, trotzdem allerdings (noch) keine Wirklichkeitsentsprechung hat. Dementsprechend kann diese Zukunft nicht mit Lehrsätzen formuliert werden. Damit ergibt sich ein völlig neuer Gesprächsrahmen, denn alles, was von der Zukunft Christi ausgesagt wird, rückt, rechtmäßig, in den Stand der Vorläufigkeit. Denn nun braucht es eine neue Sprachform, die sich nicht in Tatsachenaussagen verliert. Stattdessen schlägt er eine andere Art und Weise vor, wie von Christus und seiner Zukunft geredet werden kann. »Die Weise also, wie die christliche Theologie über Christus spricht, kann […] nur die Weise der Hoffnungssätze und 218 219 220 221 222 223

Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 13. Vgl. Harvie: Living the Future, S. 150f. Barth: Das Wort Gottes, S. 198, im Original gesperrt. Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 13. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 12. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 13.

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Verheißende Offenbarung und offenbarende Verheißung

der Zukunftsverheißungen«224 sein. Wenn also von Christus und seiner Zukunft reden, dann in dem Modus, der schon durch Gott und Christus selbst vorgegeben ist, nämlich dem der Verheißung. Zu diesem Schluss kommt er, nachdem er feststellt, dass »[d]er Gott, von dem hier geredet wird, […] kein innerweltlicher oder außerweltlicher Gott« sein könne, »sondern der ›Gott der Hoffnung‹ (Röm 15,13), […] der einem in seinen Zukunftsverheißungen begegnet und den man darum nicht ›haben‹ kann, sondern nur tätig hoffend erwarten kann.«225 Es geht also statt um »logosgemäße Wahrheit«226 bei Moltmann um den Begriff Hoffnung. Wie können Verheißungssätze allerdings zu Hoffnungssätzen werden? Wieso stiften sie Hoffnung? Die Hoffnungssätze der Verheißung, so Dalferths Moltmann-Interpretation, »reden nicht nur von dem, was wirklich ist, sondern von dem, was möglich ist und wirklich sein sollte, und das, weil Gott es verheißen hat, auch wirklich werden wird.«227 Damit sagt er im Grunde das Folgende aus: Die christliche Rede von der Zukunft der Welt gewinnt ihre Wahrheit nur in einem Punkt und kann ihre Geltung auch nur dort beanspruchen, nämlich in der Treue Gottes, die in der Verheißung mitgesetzt ist.228 So kann Dalferth auch festhalten, dass »[n]icht das Streben und Drängen des Noch-Nicht in der Wirklichkeit der Welt […] der Ansatzpunkt christlicher Hoffnung [ist], sondern Gotttes durch die Auferweckung bekräftigte Verheißung einer neuen Schöpfung.«229 Dies trifft die Grundintention Moltmanns, dessen Theologie darauf setzt, dass die Grenzen der Wirklichkeit »durch die Auferweckung des Gekreuzigten durchbrochen sind.«230 Die Auferweckung Jesu ist diese Durchbrechung, indem sie der Wirklichkeit widerspricht, nämlich der Wirklichkeit der Endlichkeit des Lebens.231 Diese Verheißung in der Auferweckung kann aber nur in einer Weise Hoffnung hervorrufen, nämlich indem sie »nicht die Ewigkeit des Himmels, sondern die Zukunft eben der Erde«232 verheißt, also nicht eine ganz anders geartete Wirklichkeit der Ewigkeit ankündigt, sondern die Zukunft der Erde verheißt, die Zukunft der erlebten Wirklichkeit. Wieso kann nur sie Hoffnung hervorrufen? Weil sie nicht ewige Gegenwart, sondern Zukunft ist – weil sie Geschichte eröffnet. Und zwar die Geschichte und die Zukunft, die Jesus Christus und damit Gott mit und für seine Welt verheißt und mit der Auferweckung damit auch seine Treue verspricht, also die Gewissheit, dass es auch so kommen wird, so Moltmann. »Der Glaube wird durch Verheißung 224 225 226 227 228 229 230 231 232

Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 13. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 12. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 13. Dalferth: Hoffnung, S. 155. Die nun keimende Frage nach Gewissheit und Sicherheit werde ich erst später beantworten, im Exkurs 5.1.1.1, auf Seite 167. Dalferth: Hoffnung, S. 155. Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 16. Vgl. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 14. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 16.

Die Kategorie der Verheißung

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ins Leben gerufen und ist darum wesenhaft Hoffnung, Zuversicht und Vertrauen auf den Gott, der nicht lügen, sondern seinem Verheißungswort die Treue halten wird.«233 Und diese Gewissheit der Treue, die in der Hoffnung wirkt, entspringt wiederum den Verheißungen. »Indem sie [d. h. die Verheißungen] so verheißend seine [d. i. Jesu Christi] Zukunft zur Welt ankündigen, weisen sie den Glauben an ihn in die Hoffnung auf seine noch ausstehende Zukunft. Die Hoffnungssätze der Verheißung greifen der Zukunft vor. In den Verheißungen kündigt sich die verborgene Zukunft schon an und wirkt durch erweckte Hoffnung in die Gegenwart hinein.«234 Dann ist Verheißung allerdings nicht nur Geschichte eröffnend, sondern sie ergeht in der Geschichte; sie ist nicht deren Ende, sondern deren Anfang und Teil ihrer. »Gott wird nicht am Ende der Geschichte erkannt, sondern inmitten der werdenden, offenen und auf das Spiel der Verheißungen gesetzten Geschichte.«235 Damit kann man Moltmanns Gedanken bisher folgendermaßen zusammenfassen: Verheißung ruft Hoffnung dergestalt ins Leben, als sie nicht eine abstrakte, sondern eine ganz konkrete Zukunft ansagt und damit deren Wirklichkeit nicht als erreichbare Möglichkeit, sondern als zukommende Wirklichkeit setzt. Es ist also nicht verkehrt, wenn Moltmann formuliert, dass die Hoffnung sich »doch nicht auf Gott selbst oder auf Gott überhaupt« richtet, »sondern sie erhofft von seiner künftigen Treue auch die Erfüllung des Verheißenen.«236 Dadurch, dass sich in den Verheißungen die kommende Zukunft schon als wirklich ankündigt und deren Erfüllung erhofft, kann umgekehrt auch gesagt werden, dass die zukünftige Wirklichkeit auch gegenwärtig wahrgenommen werden kann. Aus dieser Wahrnehmung entspringt dann, so Moltmann, der Widerspruch der kommenden Wirklichkeit gegen die erlebte. Daran entspringt Hoffnung, denn der hoffende erlebt den Widerspruch als Ausgerichtet-sein der erlebten Wirklichkeit auf die kommende zukünftige. Es entsteht in der Hoffnung ein Erkenntnismoment, der eine besondere Form von Wissen hervorruft. Soweit der Gedankengang bis hierher. Dieses Wissen, das hier gemeint ist, nennt Moltmann ein »eigentümliches Hoffnungswissen«, das er beschreibt als »ein antizipierendes Wissen um die Zukunft Gottes, ein Erkennen der Treue Gottes, die aufgetragen ist auf die Hoffnungen, die durch seine Verheißungen ins Leben gerufen werden.«237 In diesem Zusammenhang muss allerdings gefragt werden, welche konkrete Gestalt von Zukunft er im Blick hat. Denn immerhin schreibt er: »Die christliche Zukunftshoffnung entspringt aus der Wahrnehmung eines bestimmten, einmaligen Geschehens, der Auferstehung und Erscheinung Jesu Christi. Doch kann theologi233 234 235 236 237

Ders.: Ders.: Ders.: Ders.: Ders.:

Theologie der Hoffnung, S. 37. Theologie der Hoffnung, S. 13. Theologie der Hoffnung, S. 106. Theologie der Hoffnung, S. 107. Theologie der Hoffnung, S. 106.

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sches Hoffnungswissen dieses Geschehen nur wahrnehmen, indem es den Zukunftshorizont zu ermessen sucht, den dieses Geschehen entwirft.«238

Dieses Ermessen soll nun nachgezeichnet werden, indem konkret nach der Zukunft gefragt wird, die in der Verheißung Hoffnung stiftet. Moltmann bennent drei Gestalten der Zukunft, die durch jeweilige Verheißungsinhalte erfahbar werden und die kurz zu diskutieren sind, um zu der Gestalt von Hoffnung vorzudringen, die Moltmann durch Verheißung ins Leben gerufen sieht. Jesu Christi »Zukunft, in deren Lichte er erkennbar wird als das, was er ist, wird im Vorschein erhellt durch die Verheißung der Gerechtigkeit Gottes, die Verheißung des Lebens aus der Auferstehung von den Toten und die Verheißung des Reiches Gottes in einer neuen Totalität des Seins«239

»Gerechtigkeit meint im Alten Testament«, so Moltmann, »ein geschichtliches Gemeinschaftsverhältnis, das durch Versprechen und Treue gestiftet wird.«240 Konkret heißt das nichts anderes als »Jahwes Gerechtigkeit ist seine Bundestreue.«241 Gerechtigkeit ist hier Ausdruck für die Freiheit, in der Gott sich als ein Gott der Treue und Beständigkeit offenbart, und gleichsam auch dafür, dass ohne diese ordnende Macht Gottes nichts Bestand haben könnte.242 Darin, so Moltmann, »ist Gerechtigkeit Gottes universal«243 , dass sie der Grund ist, dass nicht alles im schlechthinnigen Nihil sich auflöst, sondern besteht. Auch für das neutestamentliche Verständnis von Gottesgerechtigkeit, namentlich bei Paulus, identifiziert Moltmann ein solches Verständnis. Wenn Moltmann mit der alttestamentlichen Interpretation der Gerechtigkeit Gottes als Treue und universalen Existenzgrund Recht hat, »bezieht sich [Gottes Gerechtigkeit] dann nicht nur auf eine neue Ordnung des Vorhandenen, sondern auf einen neuen Existenzgrund und neues Lebensrecht der Kreatur überhaupt. So kann mit dem Kommen der Gottesgerechtigkeit auch neue Schöpfung erwartet werden.«244 Moltmann nimmt hier bewusst die eher späte, apokalyptische Tradition des Alten Testaments auf, nach der eine neue Schöpfung erwartet wird, um die Kontinuität zum und ins Neue Testament möglichst deutlich zu machen. Denn er schreibt: »Im Neuen Testament wird von Paulus Gottesgerechtigkeit entsprechend als Gemeinschaftstreue Gottes, als ein Geschehen, das Gott schafft, und als ein Geschehen, aus dem neue Schöpfung und neues Leben hervorgehen, verstanden.«245 Wo anders als in der Treue Gottes zum Gekreuzigten, die in der Auferweckung offenbar wird, sollte nun diese Gottesgerechtigkeit selbst erkennbar werden? Die 238 239 240 241 242 243 244 245

Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 176. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 185. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 185. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 185. Vgl. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 186. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 186. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 186. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 186.

Die Kategorie der Verheißung

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Gottesgerechtigkeit, die Moltmann hier bei Paulus erkennt, hat also »ihren Grund sowohl in seinem Sterben wie in seinem Leben« und ist somit auch »promissio der neuen Gerechtigkeit, deren Leben in seinem Leben gründet und deren Zukunft in der Zukunft seiner Herrschaft besteht.«246 Wo im Alten Testament die Universalität der Gottesgerechtigkeit festgestellt werden konnte, da erfährt sie durch das Neue Testament die konkrete inhaltliche Gestalt einer neuen Schöpfung für alle Menschen durch die Auferweckung des einen wahren Menschen und wahren Gottes, die Auferweckung des Gekreuzigten Jesus Christus. »So werden wir […] Gottesgerechtigkeit als Verheißung verstehen müssen. In ihr wird das Verheißene gegenwärtig dargereicht und doch ergriffen in der Hoffnung des Glaubens, die den Menschen bereit macht zum Dienst an der Zukunft der Gottesgerechtigkeit im Ganzen.«247 Analog geht Moltmann beim Thema der Zukunft des Lebens vor. Zunächst gilt es, einen alttestamentlichen Grund zu legen, der durch eine Interpretation des neutestamentlichen Evangeliums Jesu Christi geweitet wird. Jahwe, so Moltmann, ist zunächst einmal ein Gott der Lebenden. »Leben heißt hier Lobpreis und Danken in der Gegenwart Gottes«248 , was mit dem Tod des Menschen schlicht und ergreifend sein Ende findet. »Man hat sein Leben im Loben, Hoffen und Danken Gottes. Tod ist darum Ferne von Gott und Gottesferne.«249 So ist es nicht verwunderlich, dass auch der Tod Jesu »als Gottverlassenheit, als Gericht, als Fluch, als Ausschluß von dem verheißenen und gelobten Leben, als Verwerfung und Verdammnis«250 verstanden werden musste. Wenn der Tod allerdings so dermaßen mit Negativität konnotiert ist, dann stellt sich, so Moltmann, nicht von ungefähr die Frage nach der Bedeutung der Auferweckung Jesu von den Toten251 , die ja nun einen neuen Horizont eröffnen musste. Denn wenn Jesus Christus inkarnierter Gottessohn gewesen war, wäre Gott nach alttestamentlicher Vorstellung aus seinem eigenen Zuständigkeitsbereich, dem Leben, herausgefallen. Mit der Auferweckung kommt deshalb, sagt Moltmann, eine völlig neue Dimension in die Todesvorstellung hinein, die sich nun grundlegend wandelt. »Im Zusammenhang dieser Lebenserwartung muß seine Auferstehung dann nicht als Widerkehr ins Leben überhaupt, sondern als Überwindung der Tödlichkeit dieses Todes verstanden werden; als Überwindung der Gottverlassenheit, als Überwindung des Gerichtes, des Fluches, als Anfang der Erfüllung des verheißenen und gelobten Lebens, also als Über-

246 247 248 249 250 251

Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 187. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 189. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 190. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 190. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 192. Vgl. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 191.

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windung dessen, was im Tode tot ist, als Negation des Negativen (Hegel), als Negation der Negation Gottes.«252

Durch die bewusste Nennung Hegels macht Moltmann auch dieses noch deutlich: Kreuz und Auferstehung sind nicht nur das Einzelgeschehen des Menschen Jesus,253 sondern sollen hier durchaus die Dimension des »spekulativen Karfreitags« Hegels tragen, einem Geschehen »der Verlassenheit alles Seienden«, da nur dann die »Auferstehung als Auferstehung der Totalität des Seins aus dem Nichts«, also universal und nicht privativ verstanden werden könne.254 Denn dann gilt die Überwindung des Todes, die in der Auferweckung erlebbar ist, nicht nur für Jesus, sondern für die gesamte Schöpfung. »Die Wahrnehmung des Auferstehungsgeschehens Christi ist darum eine hoffende und erwartende Erkenntnis dieses Geschehens. Sie nimmt die Latenz des ewigen Lebens, das aus Negation des Negativen […] sich im Lobpreis Gottes erhebt, in diesem Geschehen wahr.«255 An der eigenen Sterblichkeit wird dennoch für jeden Menschen noch die Vorläufigkeit dieser Verheißung des Lebens erfahrbar und »[s]olange nicht ›alles sehr gut‹ ist, bleibt die Differenz der Hoffnung zur Wirklichkeit, bleibt der Glaube unabgefunden und muß er hoffend und leidend die Zukunft bedrängen.«256 Die Zukunft des Lebens bleibt im Status der Verheißung, dass sie zwar im Glauben und in der Hoffnung ergriffen werden kann, aber dennoch zur erfahrbaren Wirklichkeit noch in Widerspruch steht. Der glaubende und hoffende Mensch »findet zum Leben, aber verborgen in der verheißenen, noch nicht erschienenen Zukunft Christi. So wird der Glaubende wesentlich zum Hoffenden.«257 Erst das Reich Gottes wird diese Vorläufigkeit ausräumen. Im Widerspruch dieser Vorläufigkeit schreibt Moltmann: »›Verheißung‹ […] eröffnet […] ihren eigenen Prozeß um die Zukunft Christi zur Welt und zum Menschen.«258 Wenn gesagt wird, dass diese Widersprüche erst im Reich Gottes ausgeräumt werden, dann sagt damit, was Moltmann als Kernthema der Eschatologie auszeichnet. Das Reich Gottes als letztes Ziel ist »[d]ie eigentliche Mitte und der ständig verwendete und inhaltlich sich wandelnde Grundbegriff der Eschatologie«259 . Mit der Erwartung des Reiches geht die Erwartung der Gottesherrschaft einher, die »ursprünglich Herrschaft in Verheißung, Treue und Erfüllungen«260 meint. Woher nur kommt aber diese Erwartung? Moltmann analysiert zwei Ebenen, die in der Reich Gottes-Vorstellung und der Erwartung der 252 253 254 255 256 257 258 259 260

Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 192. Vgl. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 192. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 153. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 192. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 196. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 80. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 76. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 197. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 197.

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Gottesherrschaft verborgen liegen und die die Vorstellung beider Momente prägen, nämlich »die Erinnerung und das Vertrauen auf seine geschichtliche Herrschaft und die Erwartung seiner universalen Herrschaft«261 . Dabei sind allerdings beide Ebenen so ineinander verquickt, dass es keine Trennung gibt, sondern sie gründen wechselseitig in sich. Die Auferweckung Christi von den Toten ist nun die konkrete Umsetzung dieser beiden Momente. Denn die »Herrschaft Gottes [nimmt] damit die konkrete Gestalt dieses Geschehens der Auferweckung des Gekreuzigten an«262 und sorgt so dafür, dass sie einerseits erinnert und auf sie vertraut, andererseits sie durch ihre eschatologische Dimension auch für und von allen anderen erwartet werden kann. »Die von Jesu Reichsbotschaft offen gehaltene Zukunft, wird durch seine Auferstehungserscheinungen bestätigt, im Vorschein als Anbruch seiner Parusie gewiß gemacht und bennenbar als seine Zukunft.«263 So wird wiederum die eschatologische Note des Christusgeschehens zur Universalität geweitet, indem es als Verheißung des Reiches Gottes als seine Zukunft bennenbar wird und damit durch die Auferweckung schon auch impliziert, dass hier eine neue Schöpfung stattfinden wird.264 Ist es schon ›im Vorschein als Anbruch seiner Parusie‹ verstanden, dann beginnt das Reich Gottes mit der Auferstehung Christi, also mit einem Schöpfungsakt des Lebens aus dem Tod. »Beginnt das Reich Gottes gleichsam mit einem neuen Schöpfungsakt, so ist endlich der Versöhner der Schöpfer und so muß die eschatologische Aussicht auf Versöhnung die Versöhnung der ganzen Kreatur meinen und eine Eschatologie aller Dinge entfalten.«265 Es läuft also für diese dritte Ebene der Zukunft auf Folgendes hinaus: Es ist die Zukunft der ganzen Welt, weil es die Zukunft der Gottesgerechtigkeit und die Zukunft des Lebens ist. »Die Verheißung des Reiches Gottes, in dem alle Dinge zu Recht, zum Leben und zum Frieden und zur Freiheit und zur Wahrheit gelangen, ist nicht exklusiv, sondern inklusiv.«266 Das ist die Zukunft, auf die die Hoffnung durch die Verheißung hoffen darf. Das ist die Zukunft, die zur erfahrbaren Wirklichkeit in so radikalem Widerspruch steht. Huber formulierte es folgendermaßen: Es kann »keinen Frieden mit Gott geben ohne Unfrieden mit der Welt«267 . Geht es also um diese Zukunft im christlichen Glauben, dann bekommt die Hoffnung auf sie eine zentrale Bedeutung. Moltmanns Bestreben ist es darum, »die Hoffnung als das Fundament und als Triebfeder des theologischen Denkens überhaupt aufzuweisen und die eschatologische Perspektive in die theologischen Aussagen von Gottes Offenbarung, von der Auferstehung Christi, von der Sen261 262 263 264 265 266 267

Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 198. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 202. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 201. Vgl. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 202f. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 203. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 204. Huber: Wer hofft, kann handeln, S. 156.

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dung des Glaubens und von der Geschichte hineinzubringen.«268 Warum wird die Hoffnung so wichtig? Die Verheißung, die die Zukunft ansagt, impliziert in deren Ankündigung auch ihre Erfüllung. Aber sie ist sie nicht. Die Zukunft, die angesagt wird, ist also »nicht nur die Enthüllung eines Verborgenen, sondern auch die Erfüllung eines Verheißenen.«269 Erfüllung wird dadurch in der Verheißung erfahrbar, aber nicht erlebbar. Auch die geschichtlichen Erfüllungen, wie z. B. die Landnahme nach dem Exodus, sind aber nicht ausreichend, die Zukunft, also die Erfüllung des Verheißenen, aussagen zu können. Denn die Erfüllung der Verheißung ist die Zukunft, das Ende der Verheißungsgeschichte. Solange aber Geschichte erfahrbar ist, ist auch ihre Zukunft noch nicht eingetroffen. Dieses Problem sieht Moltmann und schreibt deshalb: »Man könnte aber auch sagen, daß der in seinen Verheißungen wahrgenommene Gott allen erfahrbaren Erfüllungen überlegen bleibt, weil in allen Erfüllungen die Verheißung, und was noch in ihr steckt, noch nicht mit der Wirklichkeit deckungsleich wird und darum ständig überschüssig bleibt.«270 Dieser Überschuss der Zukunft gegenüber der Wirklichkeit der Verheißung ist der Grund, warum Verheißung immer Hoffnung ins Leben ruft und diese ins Zentrum stellt. Weil nämlich, so Moltmann, das »Noch-nicht der Erwartung«271 in diesen Bereich vorgreift, aber ihn nicht ergreifen kann, kann sie auch nur hoffend ihm gegenüber stehen. »Darum wird jede jetzt-schon eintreffende Erfüllungsrealität zur Bestätigung, Auslegung und Freisetzung größerer Hoffnung.«272 Und darum ist Hoffnung die logische Konsequenz von Verheißung.

268 269 270 271 272

Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 15. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 78. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 94. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 95. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 95.

5 Hoffnung als Medium des christlichen Glaubens

Nach der Analyse der Grundlegung der Hoffnung in Verheißung und Offenbarung bei Moltmann ist allerdings noch nichts darüber gesagt, was genau mit Hoffnung hier gemeint ist. Welche Hoffnung meint er, wenn er davon spricht, dass »die Hoffnung als das Fundament und als Triebfeder des theologischen Denkens überhaupt aufzuweisen«1 ist, sie »das Denken des Glaubens, sein Erkennen und Bedenken des Menschseins, der Geschichte und der Gesellschaft mobilisiert und antreibt«2 ? Was verbirgt sich hinter der Aussage »Hoffnung ist nicht Zuversicht, aber Zuversicht ist auch Hoffnung und ruft ständig Hoffnungen ins Leben«3 oder in der Rede von »der nach rückwärts leuchtenden Hoffnung«, die die »Herrlichkeit des kommenden Gottes […] an dem in Ohnmacht und Schande gekreuzigten Jesus offenbar«4 macht? Und wie verhält es sich mit der Interdependenz von Glaube und Hoffnung, in der »der Glaube das Prius, aber die Hoffnung den Primat«5 hat? Das folgende Kapitel soll sich diesen Fragen stellen und versuchen, Hoffnung nun nicht mehr nur in ihren formalen, sondern inhaltlichen Funktionen innerhalb von Moltmanns Theorie zu analysieren. Dafür wird besonders das Verhältnis von Hoffnung und Glaube ins Auge rücken, wie es bei Moltmann dargestellt ist. Seine Charakterisierung der Hoffnung als »Leidenschaft für das Mögliche«6 ist dann der zweite Schritt, der zu gehen nötig wird. Doch vorher soll in aller Kürze die Rahmenstrukturen zusammengetragen werden, die zum christlichen Glauben gehören, um das Verständnis von Moltmanns Position zu erleichtern. »Ein Erstes, was den christlichen Glauben […] charakterisiert, ist dies, daß er in des Menschen Ausrichtung auf Jesus Christus hin besteht«7 , schreibt Barth und gibt damit maßgebliche Auskunft über den Gegenstand und den Inhalt des Glaubens. Im Glauben wird der Christ dazu berufen, »ihn [d. i. Jesus Christus] als den Herrn zu anerkennen, zu erkennen und zu be1 2 3 4 5 6 7

Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 15. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 28. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 333. Ders.: Der Gekreuzigte Gott, S. 155. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 16. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 15. Barth: KD IV/1, S. 830.

162

Hoffnung als Medium des christlichen Glaubens

kennen«8 . Ergänzend dazu kann man Ebeling folgen in seiner Aussage, dass es zu einer Verschiebung »zum Trinitarischen hin […] als Glaube an Vater, SohnGott und Geist«9 kam, die allerdings für die fides qua keinen Unterschied macht, sondern nur für die fides quae. Dennoch bleibt, so Joest, »Jesus Christus als Offenbarung Gottes« der Grund des Glaubens.10 Man kann dann von der Offenbarung her Glauben verstehen als »ein Begegnen Gottes und die Weise dieses Begegnens als Offenbarung«11 . Offenbarung, ist allerdings in dieser Begegnung immer verbunden mit einer Verheißung. Es kann also für den Rahmen, in dem sich der christliche Glaube gründet und in dem er stattfindet, durchaus auch wieder Offenbarung in Jesus Christus und damit in der Verheißung der Zukunft der Geschichte angenommen werden. Dadurch werden Glaube und Hoffnung schon qua ihres Grundes zu einem theologischen Paar.

5.1 Hoffnung und Glaube Dass Glaube und Hoffnung ein theologisches Paar bilden, ist auch vor Moltmann nichts Neues gewesen. Darum ist es kaum überraschend, dass Moltmann diesen Konnex selbst auch herstellt. Folglich analysiert Fries bei Moltmann: »Natürlich gibt es für die Theologie der Hoffnung die wesensnotwendige Zuordnung zum Glauben«12 . Er schlussfolgert: »Hoffnung ist entfalteter Glaube«13 , und betont richtig die innere Interdependenz von Glaube und Hoffnung anhand ihres beiderseitigen Ursprungs im Geschehen der Auferweckung Jesu Christi und damit in der Verheißung des Kreuzes und der Auferstehung.14 Für diese Arbeit ist die Weichenstellung, die Fries hier aufzeigt, insofern zentral, als sie die Frage aufwirft, in welchem Verhältnis Glaube und Hoffnung bei Moltmann stehen. »[D]er Glaube ist das Fundament, auf dem die Hoffnung ruht, die Hoffnung nährt und stützt den Glauben. […] So hat im christlichen Leben der Glaube das Prius, aber die Hoffnung den Primat.«15 Mit diesen Worten fasst Moltmann selbst das Verhältnis von Glaube und Hoffnung zusammen. Er verdeutlicht damit eine nicht nur inhaltliche, sondern auch formale Verquickung von Glaube und Hoffnung, die in wechselseitiger Abhängigkeit und abwechselnder Wichtigkeit jeweils das Zentrum des christlichen Lebens markieren. 8 9 10 11 12 13 14

Barth: KD IV/1, S. 826. Ebeling: Dogmatik, S. 82. Vgl. Joest: Fundamentaltheologie, S. 49f. Ders.: Fundamentaltheologie, S. 50. Fries: Spero ut intelligam, S. 87. Ders.: Spero ut intelligam, S. 87. Vgl. Ders.: Spero ut intelligam, S. 88. Damit widerspricht er auch der Darstellung Asendorfs, dass für Moltmann »der Glaube, speziell der rechtfertigende Glaube ohne jede Bedeutung« (Asendorf: Eschatologia crucis, S. 161) sei, die weitgehend unverständlich und auch unbegründet bleibt. 15 Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 16.

Hoffnung und Glaube

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Hoffnung wird in dieser Gestalt zum Movens des christlichen Glaubens, so Moltmann, denn dieser »streckt sich aus nach den Verheißungen der universalen Zukunft Christi«16 , von denen festgestellt wurde, dass sie wiederum in Hoffnung ergriffen werden. Ganz konkret kann Moltmann konstatieren: »Das Christentum steht und fällt mit der Wirklichkeit der Auferweckung Jesu von den Toten durch Gott. Es gibt im Neuen Testament keinen Glauben, der nicht apriori bei der Auferstehung Jesu einsetzt. […] Christlicher Glaube, der nicht Auferstehungsglaube ist, kann darum weder christlich noch Glaube genannt werden.«17 Christlicher Glaube bezieht sich also immer schon auf das Osterereignis, genauer noch: Er entsteht am und im Glauben an das Geschehen von Kreuz und Auferstehung. Nun wurde schon festgestellt, dass Ostern die universale Verheißung Gottes ist, nämlich die Verheißung und die Offenbarung der Zukunft der Schöpfung in der Auferweckung Jesu Christi, die Gott verspricht und deren Erfüllung die Hoffnung erwartet. Daraus ergibt sich: »Überall richtet sich im Neuen Testament die christliche Hoffnung auf das noch nicht Sichtbare, ist darum ein ›Hoffen wider Hoffen‹ und verurteilt damit das Sichtbare und jetzt Erfahrbare zu einer gottverlassenen und zu überholenden, vergehenden Wirklichkeit.«18 Hoffen heißt also auch, ein Urteil über die Wirklichkeit zu sprechen, in der noch gehofft wird und das Erhoffte noch nicht ist. Und gerade weil sie dieses Hoffen wider Hoffen ist, weil eine bestimmte geschichtliche Zukunft der Inhalt christlicher Hoffnung ist, zeigt sie auch, was alles nicht ist. Hoffnung ist Widerspruch gegen das Bestehende und fordert vom Hoffenden auch aktiven Widerspruch zur Wirklichkeit.19 Damit geht der Hoffnungsbegriff Moltmanns deutlich über den alttestamentlichen Sprachgebrauch des Erwartens hinaus. Allerdings wurden in den letzten Absätzen einige Schritte auf einmal gegangen. Wissend zwar, wohin die Reise geht, muss allerdings der Weg langsamer beschritten werden, als in den letzten Sätzen geschehen. Dafür wird erneut bei der Hoffnung eingesetzt, dieses Mal aber nicht bei ihren Grundlagen, sondern bei ihrer Funktion und Wirkweise. So schreibt Moltmann: »Die Hoffnung ist nichts anderes als die Erwartung der Dinge, die nach der Überzeugung des Glaubens von Gott wahrhaftig verheißen sind.«20 Mit dieser Aussage stellt Moltmann seinen Hoffnungsbegriff in die Tradition alttestamentlicher Begrifflichkeit. Die alttestamentlichen Ausdrücke für Hoffnung (beispielsweise !‫ )צפה! ;קוה! ;ׂשבר‬drücken eben dieses auch aus: Sie bedeuten warten, nach etwas spähen, genau betrachten, etwas erwarten. Die konkrete Erwartung bei Moltmann richtet sich auf Offenbarung, 16 17 18 19 20

Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 12. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 150. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 14. Vgl. ders.: Theologie der Hoffnung, S. 14.80f. u. ö. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 16.

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Hoffnung als Medium des christlichen Glaubens

ewiges Leben und Treue Gottes zu seiner Verheißung.21 Diese Erwartung heißt also Vertrauen darauf, dass der Verheißende sich keinen Scherz erlaubt und hält, was er verspricht. Hoffnung heißt dann folglich, dass nicht einfach nur gewartet wird, ob etwas passiert, sondern dass etwas erwartet wird; sie ist nicht nur passiv, sondern Hoffnung ist Aktion.22 Doch setzt dieses Erwarten können etwas voraus, was sich aus dem Konnex von Offenbarung und Verheißung ergibt, nämlich dass es einen Grund gibt, dies erwarten zu können, eine vorhergehende Erkenntnis. Mit konkreter Erwartung ist Folgendes gemeint: Hoffnung kann nicht ins utopische (N)irgendwo hoffen, sondern braucht Konkretion, wenn sie Hoffnung sein will, nämlich die Konkretion des Hoffnungsgegenstandes und seines Inhalts. Diese Konkretion erfährt sie, so Moltmann, darin, dass ihr in der Verheißung die Zukunft der Geschichte eröffnet wird, die nicht irgendeine Zukunft ist, sondern die Zukunft dieser Welt, dieser Schöpfung, die der Schöpfer ihr zugedacht hat. »Die christliche Hoffnung redet […] nicht von der Zukunft an sich und schlechthin als einem leeren Wohin möglicher Veränderungen. Sie geht von einer bestimmten geschichtlichen Wirklichkeit aus und sagt deren Zukunft an.«23 Nun kann man mit Moltmann daraus folgern, dass diese Zukunft als Zukunft der Geschichte also auch erkennbar sein muss, auch wenn sie noch nicht Wirklichkeit ist, sondern »nur« zukünftige Wirklichkeit. Aber sie ist eben Wirklichkeit und nicht nur Möglichkeit.24 Welker fasst zusammen, dass »[d]ie spezifische Kraft der Hoffnung […] darin [besteht], daß sie […] die Differenzerfahrung von Erfüllung und Enttäuschung gerade nicht zusammenfallen läßt.«25 Hoffnung hält die Dichotomie ihres zukünftigen Ausgangs vielmehr fest. Doch entsteht sie an der Verheißung Gottes, wie Moltmann betont, dann erkennt sie in dieser Verheißung auch den Gott, »der verheißt und dessen Treue die Erfüllung verbürgt.«26 In der Erkenntnis der Zukunft geht es also um »Gotteserkenntnis […], weil Offenbarung Gottes heißt, daß Gott sich zu Gott in geschichtlicher Treue zu seinen Verheißungen bekennt«27 . Für Moltmann folgt daraus, dass es sich hier um »ein eigentümliches Hoffnungswissen« dreht, um ein »antizipierendes Wissen um die Zukunft Gottes, ein Erkennen der Treue Gottes, die aufgetragen ist auf die Hoffnungen, die durch seine Verheißungen ins Leben gerufen werden.«28 Damit kommt ein wichtiger Aspekt nun erneut zur Sprache, der bisher unter dem Stichwort der Treue Gottes immer wieder mitgesagt, aber nie wirklich be21 22 23 24

25 26 27 28

Vgl. Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 16. Vgl. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 26f. Ders.: Im Ende, S. 101. Die Unterscheidung von Wirklichkeit und Möglichkeit soll hier zunächst einmal als Annahme um des Arguments willen stehen, genauer wird darauf im Exkurs 5.2.1 auf Seite 187ff. eingegangen werden. Welker: Hoffnung, S. 30. Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 130. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 106. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 106.

Hoffnung und Glaube

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sprochen wurde. Denn hier versteckt sich eine doppelte Beziehung. Zum einen ist es die Treue Gottes zu seiner Verheißung, das Versprechen ihrer Erfüllung.29 Auf der anderen Seite geht es dabei ganz wesentlich um das menschliche Vertrauen auf diese Treue. Beide sind sie erfüllt in der Person Jesu Christi, der nicht nur »der alleinige Garant der Treue Gottes«30 ist, sondern auch am Kreuz der auf diese Treue vertrauende Mensch. Das ist der erste wirklich wichtige Ansatzpunkt, denn über das Vertrauen sind auch Hoffnung und Glaube in ihrer Beziehung zueinander zu untersuchen. »Hinsichtlich des Glaubensaktes unterscheidet […] die protestantische Theologie herkömmlicherweise die Momente der notitia, des assensus und der fiducia: Der Glaubensvollzug besteht aus der Kenntnisnahme […] des Gotteshandelns, der zustimmenden Anerkennung der göttlichen Majestät und dem sich Gott hingebenden Vertrauen«31 ,

schreibt Lincoln. Damit betont er, dass Hoffnung und Glaube bei Moltmann beide nicht nur an der Offenbarung Gottes in der Verheißung entspringen,32 sondern auch ähnliche Strukturen besitzen, nämlich Kenntnis von, Zustimmung zur und Vertrauen auf die angesagte Verheißung mit all ihren Implikationen. Der weiteren Betrachtung der Funktionen von Glauben und Hoffnung wird über Moltmanns Unterscheidung der Hoffnung von der Zuversicht sich genähert. 5.1.1 »Hoffnung ist nicht Zuversicht«

Moltmann schreibt, Glaube werde »durch Verheißung ins Leben gerufen« und sei deshalb »wesenhaft Hoffnung, Zuversicht und Vertrauen auf den Gott, der nicht lügen, sondern seinem Verheißungswort die Treue halten wird.«33 Diese Dreigestalt von Hoffnung, Zuversicht und Vertrauen ist recht sinnfällig und auch im umgangssprachlichen Gebrauch werden Hoffnung und Zuversicht oft synonym verwendet und mit Vertrauen in Verbindung gebracht. Denn, wie Stock betont, wenn es um Glaube und Hoffnung geht, geht es nicht ohne Gewissheit.34 Hoffnung und Zuversicht sind jedoch grundverschiedene Bewegungsrichtungen. Im später zur Theologie der Hoffnung hinzugefügten Abschnitt über Bloch setzt sich Moltmann ganz dezidiert mit der Unterscheidung von Hoffnung und Zuversicht auseinander. Bloch, so Moltmann, werde nicht müde zu betonen, dass Hoffnung nicht Zuversicht sei,35 verstehe dabei allerdings selbst nicht, dass schon alleine 29 Vgl. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 125f. 30 Dröge: Die Kraft der Hoffnung, S. 43; diesen Gedanken formuliert ähnlich Harvie: Living the Future, S. 150. 31 Lincoln: Theologie und Hören, S. 182. 32 Vgl. Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 37. 33 Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 37. 34 Vgl. Stock: Hoffnung als Dimension der Freiheit, S. 14f. 35 Vgl. Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 331.

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in dieser expliziten Trennung der beiden Begriffe alles gesagt sei. »Die ›Zuversicht‹ nennt er abergläubisch, quietistisch, nicht aktivierend, Garantiertheit des Heils, Heilssicherheit ohne Kenntnis der Kategorie ›Gefahr‹ und darum ohne den Willen zum Experiment des Lebens im großen laboratorium possibilis salutis der Welt.«36 Damit unterstellt Bloch in Moltmanns Auslegung dem Christentum einerseits, nicht zwischen Hoffnung und Zuversicht zu unterscheiden, und andererseits einen extremen Heilspositivismus. Denn »[d]ie christliche Hoffnung nennt er in diesem Sinne ›Zuversicht‹, weil sie Gott und das Heil für ausgemacht hält und weil sie die Zukunft für ausgemacht, für datiert und fixiert in ihren Inhalten hält«37 . Solch eine missverstandene Hoffnung kann dann aber, so Moltmanns berechtigte Kritik, umschlagen in eine weltflüchtige Theologie, in der der Mensch alleine aus und in der Zukunft lebt. »Er hofft zu leben, aber er lebt nicht. Er erwartet, einmal glücklich zu werden, und diese Erwartung läßt ihn am Glück der Gegenwart vorübergleiten.«38 Eine Hoffnung, die sich eines solchen Heilspositivismus schuldig macht, ist aber auch schon keine Hoffnung mehr, wie Moltmann betont, denn dann ist der Hoffnungsinhalt nicht mehr nur antizipiert, sondern er ist proleptisch gegenwärtig. Diese Sicherheit müsste demnach auch feste Erkenntnisse produzieren können – allerdings gilt hier der Einwand Paulus’ in Röm 8,24 gegen sichtbare Hoffnungen, die keine Hoffnungen sind, so Moltmanns Argument.39 Denn, so Welker, Hoffnung hält immer die Differenz offen, sowohl positiv als auch negativ erfüllbar zu sein.40 Eine Hoffnung, die nach dem von Moltmann bei Bloch analysierten Schema funktioniert, Hoffnung in dem Sinn mit Zuversicht zu übersetzen, dass alles schon ausgemacht und sicher sei, funktioniert aber nach christlichem Verständnis nicht. Denn sie greift dann nicht »in noch Unabgegoltenes, noch Ausstehendes«41 vor, wie Moltmann von Hoffnung sagt, sondern wäre sich der angesagten Zukunft sicher – die Zukunft wäre in dieser ausgemachten Sicherheit allerdings auch schon Gegenwart. Allerdings muss nun schon gefragt werden, was eine solche konkrete Hoffnung sein könnte, deren Inhalt unverfügbar ist und keine gesicherten Erkenntnisse produziert, auf die aber trotzdem zu vertrauen ist? Moltmann beantwortet diese Frage schlicht damit, dass sie »in dieser Welt nur den Ruf und die Verheißung des Gottes der Auferstehung für sich, […] darum die Welt und den Tod mit ihren Möglichkeiten und Unmöglichkeiten gegen sich [hat].«42 So einfach und so schwer ist es hier, dass alles nur in einem Punkt gründen kann: Gott. Wenn christlich von Hoffnung gesprochen wird und 36 37 38 39 40 41 42

Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 331. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 331. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 21. Vgl. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 332. Vgl. Welker: Hoffnung, S. 31. Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 106. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 332.

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von Zuversicht gesprochen werden kann – und es wird noch festzustellen sein, wie Moltmann das kann –, dann nur von diesem Grund her, von Gott und seiner Verheißung. Die Zuversicht Blochs mit ihrer »Heilssicherheit ohne Kenntnis der Kategorie ›Gefahr‹«43 kann es zumindest nicht sein. 5.1.1.1 Exkurs: Certitudo und Securitas Hier ist allerdings etwas über Zuversicht bei Bloch vorausgesetzt, das bisher eher implizit verhandelt wurde, nämlich dass sie synonym zum Begriff ›Sicherheit‹ ist. Damit begibt diese Arbeit sich auf das theologische Feld der Unterscheidung von securitas und certitudo, von Sicherheit und Gewissheit. Für die Darstellung der Theorie Blochs seitens Moltmann kann die Äquivokation von Zuversicht und securitas zunächst übernommen werden. Gewissheit und Sicherheit trennt jedoch eine theologisch wichtige Unterscheidung, der im Folgenden kurz nachgegangen werden soll, um zu verstehen, weshalb Moltmann Bloch in der Zuordnung von Zuversicht und Sicherheit stark widerspricht.44 »Quid enim incertitudine miserius?«45 Diese Frage ist nicht nur, aber auch rhetorischer Natur und birgt ihre Antwort schon in sich: Nichts ist schlimmer als Ungewissheit. »Gewißheit ist die Heimat des Glaubens. Ungewißheit hingegen ist des Glaubens Elend, ist seine Gefangenschaft im Verworrenen, seine Irre in befremdender Fremde. […] In der Gewißheit erst ist der Glaube daheim«46 , beschreibt Jüngel das lutherische Verständnis von Gewissheit. Damit rückt zunächst in den Blick, dass Gewissheit immer auch mit einer bestimmten Form von Erkenntnis zusammenhängt; in Bezug auf den christlichen Glauben heißt Gewissheit deshalb immer auch Gottes- oder Glaubens- oder Heilsgewissheit. Dessen sich der Glaubende gewiss ist, ist ihm offenbar geworden – und er hat es auch als solche Offenbarung angenommen und verstanden. Dementsprechend kann Luther auch schreiben »Christianus vero anathema sit, si non certus sit et assequatur, id quod ei praescribitur; quomodo enim credet, id quod non assequitur«47 . Doch welcher Sinn von assequi ist hier gemeint? Entweder geht es um ein Verstehen, das ausdrückt, den Gegenstand in aller Form und umfassend zu begreifen, oder um Verstehen im Sinne einer Gewissheit, die gerade nicht greifbares Wissen bedeutet.48 Luther wählt die zweite Übersetzungsmöglichkeit, geht sogar noch weiter 43 Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 331. 44 Es sei noch angemerkt, dass sich securitas und certitudo bei Luther auf den Glauben beziehen. Bei Moltmann sind die Glaubenskategorien allerdings durchweg auch auf die Hoffnung anwendbar. 45 Luther: WA 18,604,33: »Was nämlich ist schlimmer als Ungewissheit?« Sofern nicht anders angegeben, sind alle Übersetzungen von mir. Sie sind der besseren Verständlichkeit halber in den Fußnoten mitgegeben. 46 Jüngel: Gottesgewißheit, S. 252. 47 Luther: WA 18,605,6–8. »Des Christen wahres Anathema sei, wenn er nicht gewiss sei und verstehe das, was im vorgeschrieben werde; wie nämlich könnte er glauben, was er nicht verstehe«. 48 Vgl. Ders.: WA 18,605,8–11.

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und sagt, »es müsse, damit überhaupt für Glauben Raum sei, alles, was geglaubt wird, verborgen werden«49 , wie Jüngel hervorhebt. Damit scheidet jedes faktische, sichere Wissen um Glaubensinhalte aus und übrig kann nur eine Gewissheit bleiben. Das wiederum heißt nicht, dass gar nichts zu wissen ist, sondern vielmehr, dass das, was gewusst werden kann, von Gott und von ihm alleine herkommen muss und nur von ihm aus auch erkennbar wird. Alle Gewissheit des Wissens und Gewissens hat folglich bei Gott und von ihm her ihren Ursprung. Glaubens- und Hoffnungsgewissheit entsteht also in Gottesgewissheit und, so beschreibt es Jüngel in Anschluss an Luther, »Gottesgewißheit ereignet sich da, wo Gott als die Heimat des Menschen identifizierbar wird. Und das ist nach Auffassung der alten Dogmatik […] dann der Fall, wenn Jesus Christus als der in diese Heimat führende Weg wahrgenommen und beschritten wird.«50 Folglich kann Jüngel von der Verheißung und Offenbarung her sagen, dass »Gottesgewißheit […] im Zusammenhang des Rechtfertigungsartikels nichts anderes als Heilsgewißheit [ist]. Im Glauben wird der Mensch gerade weil der Glaube ek-zentrische Struktur hat, seiner eigenen Rechtfertigung, seines eigenen Heils und damit auch seiner Erwählung durch Gott gewiß.«51 Es ist deutlich, dass Jüngel hier Gewissheit maßgeblich als Glaubensgewissheit führt; wie allerdings bereits gezeigt, entspringen sowohl Glaube als auch Hoffnung in dem Heilsgeschehen Jesu Christi – es kann daher zunächst auch hier eine Parallelität der Struktur von Glaube und Hoffnung bzgl. der Gewissheit angenommen werden. Wie kommt allerdings die Gewissheit zustande? Wie kann von Gottesgewissheit gesprochen werden? Luther erklärt: »Solus Spiritus Sanctus est, qui in certitudinem fidei Christi sine omni dubitatione incedit. Sectarii semper edunt aliquas voces, ex quibus animadvertitur dubius animus ipsorum: Ich hoffe, ich sey from, ich sey gerecht. Christianus autem: Ich thu, was ich kann; was ich nicht thu, das zalet das leiden Christi fur mich. Ich bin selig in Christo, den trotz sol mir niemand nemen; Jhesus ist mein heiland. Neque quidquam aliud est, quo Deus noster et conscientia nostra quietantur. Fidentes autem suae iustitiae non Christo, sed iustitiae suae fidunt, ideo semper dubitant.«52

49 50 51 52

Jüngel: unum aliquid, S. 63; vgl. hierzu Luther: WA 18,633,7f. Jüngel: Gottesgewißheit, S. 257. Ders.: Das Evangelium von der Rechtfertigung, S. 207. Luther: WA TR 3,102,22–30: »Allein der Heilige Geist ist es, der in der Gewißheit des Glaubens an Christus ohne allen Zweifel einhergeht. Die Sektenanhänger sagen immer mit einigen Stimmen, aus denen man ihren zweifelnden Geist wahrnehmen kann: Ich hoffe, ich sei fromm, ich sei gerecht. Ein Christ aber: Ich tue, was ich kann. Was ich nicht tue, das zahlt das Leiden Christi für mich. Ich bin selig in Christo, diesen Trotz soll mir niemand nehmen; Jesus ist mein Heiland. Und es gibt nicht irgendetwas anderes, das unseren Gott und unser Gewissen beruhigen kann. Die Vertrauenden aber auf ihre eigene, nicht auf Christi, Gerechtigkeit, vertrauen natürlich ihrer Gerechtigkeit und sind darum immer im Zweifel.« Es ist davon auszugehen, dass Luther den Ursprung des Trotzes wohl in der Gewissheit verortet.

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Der Heilige Geist ist es also, der nicht nur Glauben und Gewissheit stiftet, sondern damit auch einhergeht. »Die Gewißheit des Glaubenswissens schließt den Glaubenden derart mit dem Gegenstand seiner Erkenntnis zusammen, daß kein ungelöstes Teilproblem mehr das Ganze des Gegenstandsbereichs problematisieren kann. Obwohl der Glaubende längst nicht alles weiß, was zu diesem Gegenstandsbereich gehört«53 , fasst Jüngel zusammen. Ohne also alles wissen zu können – geschweige denn alles wissen zu müssen –, geht mit der Gewissheit eine Erkenntnis einher, die gleichzeitig selbst wieder glaubens- und hoffnungsstiftend ist, insofern der Glaubende erfasst wird vom Geist, der die Gewissheit gibt. Er führt Luthers Gedanken weiter aus: »Denn in der Gewißheit wird der Glaubende vom Ganzen, das er nur stückweise erkennt, ganz erfaßt. Aus dem sich als Erkenntnis vollziehenden Erfassen wird ein als Gewißheit sich ereignendes Erfaßt-Werden.«54 In diesem Sinne kann Luther Gewissheit und Zuversicht wie im obigen Zitat verbinden. Ganz anders verhält es sich dagegen mit der Sicherheit, securitas. Sie stützt sich auf Tatsachen und wird von Luther beschrieben als »perfecte nosse ac videre«55 . Es geht hier um ein umfassendes Wissen und Sehen können des Gegenstandes. Wäre Glaube in diesem Sinne securitas, müsste vom Glaubensgegenstand alles gewusst und gesehen, erkannt und begriffen werden können. Dieses Wissen hätte aber mit Glauben nichts zu tun. Jüngel schreibt: »Luther will die Gewißheit des Glaubens von einer bloß subjektiven Sicherheit (die sich freilich nur zu gern sogenannter objektiver Grundlagen und Tatsachen zum Zwecke der Selbstsicherung bedient) streng unterschieden wissen: ›Die Sicherheit hebt den Glauben auf: securitas …tollit fidem‹.«56 Sicherheit und Gewissheit sind also beim Thema Glauben streng zu unterscheiden. Zurück zur Diskussion des Verältnisses von Hoffnung und Zuversicht: Wenn Bloch, wie die Analyse Moltmanns feststellt, Zuversicht mit securitas übersetzt, und Hoffnung mit Zuversicht,57 dann bedeutet das für die Zuversicht, dass sie unenttäuschbares und vollkommenes Wissen um die Erfüllung ihres zukünftigen Gegenstands beinhaltet, der damit allerdings auch nicht mehr zukünftig, sondern ganz und gar gegenwärtig ist. Zuversicht braucht es dann allerdings auch nicht mehr, denn ›zuversichtlich sein‹ ist auf umfassendes Wissen nicht anwendbar – es wäre sonst nicht umfassendes Wissen. Moltmann selbst nimmt nun eine Umgestaltung vor, indem er die Äquivokation von Zuversicht und Sicherheit aufhebt. Dafür nennt er eine doppelte Begründung: 53 54 55 56

Jüngel: unum aliquid, S. 70. Ders.: unum aliquid, S. 75. Luther: WA 18,605,11. Jüngel: Das Evangelium von der Rechtfertigung, S. 209 Vgl. Luthers fünfte Disputation gegen die Antinomer Luther: WA 39/I, S. 356. 57 Vgl. Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 331.

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»Es ist ganz unklar, warum Bloch die christliche Gewißheit ›Zuversicht‹ nennt, wenn er doch eigentlich Sicherheit, securitas, meint. Für den von ihm karikierten, abergläubischen Heilspositivismus ist der Ausdruck ›Zuversicht‹ ganz unangemessen, denn Zuversicht meint niemals das garantierte Wissen um ausgemachte Fakten, sondern immer Aussicht nach vorne und ein Sich-der-Zukunft-Versehen«58

Es ist also offensichtlich, dass Moltmann hier eine Annäherung von Zuversicht und Hoffnung durchführen möchte, ohne sie selbst wiederum in eins zu setzen. Was bisher über Hoffnung entwickelt wurde, ist das, was Moltmann nun auch in die Zuversicht einträgt: Ein ›Sich-der-Zukunft-Versehen‹, d. h. eine Ausrichtung auf die Zukunft, ohne ihrer habhaft zu sein. Sie ist Antizipation, aber nicht Verwirklichung. Deshalb kann sie sich allerdings auch auf die Zukunft versehen, weil sie ihr vorgesehen ist. Die zweite Begründung für Moltmanns Umdenken schließt an die erste an: »Auf der anderen Seite hat jener Heilspositivismus mit christlicher Hoffnungsgewißheit überhaupt nicht zu tun, sondern ist vielmehr […] eine Form enttäuschter Hoffnung. Die christliche Zuversicht hat in dieser Welt nur den Ruf und die Verheißungen des Gottes der Auferstehung für sich, hat darum die Welt und den Tod mit ihren Möglichkeiten und Unmöglichkeiten gegen sich.«59

Sie kann schon allein deshalb nicht Sicherheit sein, weil ihr dauerhaft die Nichtentsprechung der erlebten Realität und der erhofften Wirklichkeit begegnet, die gerade das Erhoffte zur optimistischen Spekulation stilisiert. Sicherheit bedeutet als vollkommenes Wissen auch (Re-)Produzierbarkeit – die christliche Hoffnung weiß aber, dass der Hoffnungsgegenstand gerade nicht zur Verfügung steht, sondern extra se bei Gott zu finden ist. Sie hofft auf die Verheißungstreue Gottes, kann sie aber weder erzwingen noch beeinflussen, sondern steht ausgeliefert in der Welt. »Die ›Kategorie: Gefahr‹, die sich für Bloch der tapferen Hoffnung öffnet, ist der christlichen Gewißheit in noch radikalerem Maße eigen.«60 Sie ist völlig gestellt auf denjenigen, der sein Kommen verheißen hat und auf dessen Kommen nach wie vor nur hoffend gewartet werden kann in der Gewissheit, dass er kommt, aber niemals mit der Sicherheit, sagen zu können, wann wo und wie sich seine Verheißung erfüllt haben wird. »Die christliche Zukunftsgewißheit aber steht in der Entscheidung des Endes selber, darum ist ihr das Kreuz benachbart. Sie kann darum die Möglichkeit ihrer Enttäuschbarkeit nicht vorwegnehmen und einkalkulieren und selber im Geist über dem Wasser des Möglichen schweben. Sie muß in der ›Kraft der Auferstehung‹ das ›Kreuz der Wirklichkeit‹ annehmen.«61 58 59 60 61

Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 332. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 332. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 333. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 333.

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Die Möglichkeit der Enttäuschung der Hoffnung fordert demnach einen Standpunkt außerhalb des Hoffens – für den hoffenden Christen bedeutete es, einen Standpunkt außerhalb des Glaubens und also auch außerhalb Gottes einnehmen zu können. Nicht ›über dem Wasser der Möglichkeiten‹ schweben zu können heißt hier folglich, sich nicht selbst aus dem Prozess ausklammern zu können, der zwischen Verheißung und Erfüllung besteht, sondern Teil dessen immer sein zu müssen. Zuversicht ist demnach Zukunftsgewissheit, ist ein sich auf die Zukunft versehen können und sich der Treue Gottes zu seinem Wort gewiß sein zu können, aber nicht sicher das Heil wissen und damit verfügen zu können. Daraus folgt: »Hoffnung ist nicht Zuversicht, aber Zuversicht ist auch Hoffnung und ruft ständig neue Hoffnungen ins Leben.«62 Diese Aussage ist allerdings kritisch zu betrachten. Denn ›Zuversicht‹ ist hier nicht beide Male gleich benutzt, sondern ist in der ersten Hälfte die Blochsche Interpretation, in der zweiten dann die Umdeutung Moltmanns. ›Hoffnung ist nicht Zuversicht‹ gilt für die Zuversicht, die Sicherheit ist, wohingegen Zuversicht, die Hoffnung wirkt, Gewissheit ist. Diese Unterscheidung ist insofern wichtig, da der Begriff von Zuversicht, den Moltmann vorher in Abgrenzung zu Bloch entwickelte, der Hoffnung wirken kann, die mit Verheißung so verknüpft ist, wie bisher behandelt, auch bedeuten können müsste, dass Hoffnung auch Zuversicht ist. Denn Zuversicht als Gewissheit, die Hoffnung evoziert, ist damit gleichzeitig nicht nur Gründung, sondern auch Inhalt der Hoffnung, weshalb eine Hoffnung, die dermaßen sich geweckt sieht, sehr wohl Zuversicht im Sinne von Gewissheit hinsichtlich ihrer Erfüllung ist. Sie schwebt nicht über dem Wasser der Möglichkeiten, sondern ist Leidenschaft für das Mögliche und Leidenschaft für das Unmögliche. Bevor aber dieser doppelten Aussage nachgespürt wird, muss noch weiter gefragt werden, was konkreter Inhalt von Glaube und Hoffnung sind. Woran halten sich Glaubens- und Hoffnungsgewissheit? Die Antwort liegt bei Moltmann wiederum in der Zukunft Jesu Christi. Damit von einer Zukunft Christi gesprochen werden kann, muss zunächst einmal von seiner Auferweckung gesprochen werden und im Moment der Auferweckung wurd immer schon auch seinen Tod am Kreuz mit ausgesagt. Doch da Moltmann feststellt, dass der christliche Glaube »die Geschichte Jesu im Grunde von hinten her [liest]«63 , beginnen auch diese Arbeit bei der Auferweckung und arbeitet sich zum Gekreuzigten vor. 5.1.2 Die Auferweckung des Gekreuzigten

»Das Christentum steht und fällt mit der Wirklichkeit der Auferweckung Jesu von den Toten durch Gott. Es gibt im Neuen Testament keinen Glauben, der nicht apriori bei der Auferstehung Jesu einsetzt. […] Christlicher Glaube, der 62 Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 333, im Original kursiv gedruckt. 63 Ders.: Der Gekreuzigte Gott, S. 149.

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nicht Auferstehungsglaube ist, kann darum weder christlich noch Glaube genannt werden.«64 Christlicher Glaube bezieht sich also immer schon auf das Osterereignis, genauer noch: Er entsteht am, im und als Glaube an das Geschehen von Kreuz und Auferstehung. So ist es nicht verwunderlich, dass das Zentrum der Theologie der Hoffnung das Kapitel »Auferstehung und Zukunft Jesu Christi«65 betitelt ist, und dass Moltmann sagen kann, dass »[c]hristlicher Glaube, der nicht Auferstehungsglaube ist, […] weder christlich noch Glaube genannt werden [kann].«66 Für das rechte Verständnis von Auferstehung Christi ist dabei für Moltmann allerdings eines vorausgesetzt, das auch hier nun zunächst zu klären ist, nämlich die Identität Jesu Christi. Der »historische Jesus ist nicht ›der halbe Christus‹, und der auferweckte Christus ist nicht die andere Hälfte Jesu. Es handelt sich um ein und dieselbe Person und ihre einmalige Geschichte. Der auferweckte Christus ist der historische und gekreuzigte Jesus und umgekehrt.«67 Das ist es, was in der Auferweckung erkannt wird, die Identität von vor- und nachösterlichem Jesus Christus. Weshalb ist das für den Fortgang dieser Arbeit wichtig? Es geht Moltmann darum, dass »[c]hristliche Eschatologie […] christliche Eschatologie ist und von ›Christus und seiner Zukunft‹ spricht. Sie ist sachlich bezogen auf die Person Jesus von Nazareth und auf das Ereignis seiner Auferweckung und spricht von der Zukunft, die in dieser Person und in diesem Geschehen angelegt ist.«68

Was für Moltmann in der Auferstehung erfahrbar wird, ist die Identität von Gekreuzigtem und Auferwecktem. Das heißt also, dass die »Frage […] wie aus dem verkündigenden Jesus der verkündigte Christus wurde, […] im Grunde die christologische Frage [ist], wie aus dem Toten der Lebendige, aus dem Gekreuzigten der Auferweckte und aus dem Erniedrigten der Erhöhte wurde.«69 Allerdings kommt die Theorie hier an einen Engpass, der darin liegt, dass es einerseits keine Zeugen des konkreten Geschehens der Auferweckung gibt, sondern nur Zeugnisse von Erscheinungen des Auferstandenen, und dass andererseits dann von den Zeugen dieser Erscheinungen ein Rückbezug auf den vorösterlichen Jesus her entworfen wurde. Dabei haben die Osterzeugen in ihren Aussagen über die Auferweckung »nicht nur Existenzgewißheit im modus der Rede: ›Mir ist gewiß‹« verkündet, sondern auch »Sachgewißheit im modus der Rede: ›Es ist gewiß‹.«70 Was meint Moltmann mit dieser Unterscheidung? Worum geht es bei 64 65 66 67 68 69 70

Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 150. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 125–209. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 150. Ders.: Der Gekreuzigte Gott, S. 147. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 174f, Hervorhebungen von mir. Ders.: Der Gekreuzigte Gott, S. 117. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 156.

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Existzenz- und Sachgewissheit? Kurz zusammengefasst bedeutet es, dass nicht nur subjektiver Glaube, sondern auch objektive Erkennbarkeit in den Berichten von den Auferstehungserscheinungen zu finden ist.71 »Keiner der Osterberichte führt weiter zurück als bis zu den Erscheinungen des Auferstandenen. […] Sie schließen aus den beiden, einander radikal widersprechenden Erfahrungen von Kreuz und Erscheinungen Jesu auf das dazwischenliegende Geschehen als auf ein eschatologisches Geschehen, für das die verifizierende Analogie allererst in Aussicht gestellt ist und kommen soll. D. h. sie sprechen mit dem Ausdruck ›Auferweckung‹ nicht nur ein Urteil über ein Geschehen an Jesus aus, sondern zugleich eine eschatologische Erwartung.«72 Mit dieser Formulierung der eschatologischen Erwartung möchte Moltmann zwei Irrwege aufzeigen, die die Rede von der Auferweckung des Gekreuzigten verstellen und damit den Gegenstand der Hoffnung nicht mehr darstellen können. Er nennt sie die historische73 und die formgeschichtliche74 Frage nach der Auferstehung. Gegen erstere spricht bei Moltmann, dass sie versucht die Kategorie der Verifizierbarkeit von Analogieschlüssen auf ein analogieloses Ereignis zu stülpen und mit »dem Postulat und der Voraussetzung einer allem zugrundeliegenden, prinzipiellen Gleichartigkeit des Geschehens« folglich nur eines zu erreichen, nämlich dass »die Geschichtlichkeit der Geschichte […] zugunsten einer Substanzmetaphysik des historischen Universums vernichtet [wird.]«75 Mit anderen Worten trifft die Kritik Moltmanns an der historischen Frage nach der Auferweckung dahin, nicht Geschichte von der Auferweckung her verstehen zu wollen und es als geschichtsstiftendes Ereignis ernst zu nehmen, insofern das Geschehen eine neue, andere, analogielose Zukunft der Geschichte verheißt,76 , sondern die Kategorien historischer Forschung auf die Auferweckung anwenden zu wollen, um dann zu dem Schluss zu kommen, »die Rede von der Auferweckung Jesu durch Gott als ›unhistorisch‹ gelten [zu] lassen«77 . Die historische Frage nach der Auferweckung nach Moltmanns Auslegung bringt demnach keinen Fortschritt. Nachdem man dies erkannte, änderte man, so Moltmann die Fragerichtung, weg von historisch verifizierbarer Erkenntnis hin zur formgeschichtlichen Frage »nach den kerygmatischen Motiven, die diese Berichte geformt haben und nach ihrem Sitz im Leben und in den Verhaltensweisen bestimmter Gemeinschaften.«78 Er analysiert, dass diese Fragestellung zwar nicht die Auferstehung als geschichtliches Ereignis leugne, allerdings kein Interesse an dieser Fragestel71 72 73 74 75 76 77 78

Vgl. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 156. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 179. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 155–165. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 166–173. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 159f. Vgl. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 164. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 160. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 166.

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lung habe.79 Vielmehr könne nur der Glaube der Jünger an die Auferweckung historisch belegt werden und weshalb der bis heute noch wirksame Glaube an die Auferstehung fokussiert werden sollte. »Damit aber verschiebt sich die ›Wirklichkeit‹ der Auferstehung von einem Geschehen an dem gekreuzigten Jesus zu einem Geschehen an der Existenz der Jünger. Die Tat Gottes ist dann die Entstehung des Osterglaubens«, schreibt Moltmann und sieht darin die Gefahr, dass »[d]er Übergang von der formgeschichtlichen Forschung zur existentialen Interpretation«80 dann nahe stehe, womit eine Verschiebung der Gewichtigkeit von der Christologie als Zentrum hin in die theologische Anthropologie geschehe, was dann allerdings völlig am theologischen Gehalt der Auferweckung Jesu Christi vorbeigehe.81 Stattdessen plädiert er für eine andere Frageweise, in der »nicht mehr nur gefragt wird, wie die Gemeinde verkündigt hat, sondern warum so geredet wurde«82 . Er möchte nicht die Frage stellen, wie wann wo wer welche historische Wahrheit niedergeschrieben hat, und auch nicht, welche Bedeutung der Glaube daran heute hat, sondern »[w]as eine heutige Zeit mit vergangenen Zeiten der Geschichte zusammenschließt, ist, sofern es sich um ein ›geschichtliches‹ Verhältnis handelt, nicht der Kern gemeinsamer Gleichartigkeit und nicht eine allgemeine Geschichtlichkeit menschlichen Existierens, sondern das Problem der Zukunft.«83 Es geht nun also wieder um die Zukunft, genauer die Zukunft, die sich aus der Auferweckung ergibt und in dieser aufscheint, um die Zukunft Jesu Christi. Es geht um die Bedeutung dessen, dass die Zukunft nicht irgendeine Zukunft ist, sondern die Zukunft dessen, der gekreuzigt wurde und dann auferstand, in dem sich Gott zu seiner Verheißung in Treue bekennt und sich mit diesem und dieser identifiziert. Moltmann sieht also eine eschatologische Konstante. Sie ist bezeugt in den Berichten der Erscheinungen des auferweckten Christus, insofern sie allesamt schon die Identifikation von Jesus und Christus vornehmen. Sie verstehen aus der Schau des Auferweckten, dass er niemand anderes ist als der Gekreuzigte. Doch wie kommen sie dazu? Wo liegt der verbindende Konnex? Moltmanns Antwort lautet schlicht, der innere Grund der Identität Jesu mit Christum liege in Gott. »Mit der Auferweckung durch Gott wird Jesus identifiziert als der auferweckte Gekreuzigte. Dann liegt der Identitätspunkt nicht in der Person Jesu, sondern extra se in dem Gott, der aus dem Nichts Leben und neues Sein schafft.«84 Es geht bei Moltmann hier um die innere Seite der Zwei-Naturen-Lehre, um die wahre Gottheit Jesu. 79 80 81 82 83 84

Vgl. Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 168. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 169. Vgl. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 170. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 171. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 171. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 182.

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5.1.2.1 Jesus Christus – wahrer Gott Er betont zunächst einmal die Seite des Gekreuzigten: »Jesus starb am Urteil des Gesetzes als Gotteslästerer. […] Jesus starb, ob zu Recht oder zu Unrecht, am Kreuz den politischen Tod eines Aufrührers. […] Jesus starb in Gottverlassenheit.«85 Gerade die letzte Vorstellung ist für die Entwicklung der folgenden Gedanken maßgeblich: dass Jesus in Gottverlassenheit starb. Denn hieran entsteht die erste Frage: Ist Jesus der wahre Gott? Zunächst grenzt Moltmann die Frage weiter ein, indem er das Wort ›Gott‹ in dieser Frage analysiert und damit schon das Problem zuspitzt. Er stellt fest, dass der Mensch seit alters her von der Frage nach Gott bestimmt sei; der Endlichkeit des menschlichen Subjekts müsse ein unendliches Subjekt gegenüberstehen, das immer und in Ewigkeit gleich bleibe: »Die allgemeine Gottesfrage, von der man ausging, setzt aber durch ihren Ursprung in der Endlichkeitserfahrung und ihren Horizont in der Unsterblichkeitshoffnung einen bestimmten Gottesbegriff voraus. Das göttliche Wesen ist unvergänglich, unsterblich, unwandelbar und leidensunfähig.«86

Moltmann spielt hier auf den schon häufig benannten »Gott des Parmenides«87 an, dem er diese Prädikate eines unwandelbaren, weil überzeitlich ewige Seins attestiert, das darum unsterblich und unvergänglich ist. Damit ergibt sich folgerichtig das Problem, dass »der unvergängliche Gott zugleich in einem vergänglichen Menschen sein«88 müsste. Mit diesen Schwierigkeiten kämpfte das frühe Christentum nicht unerheblich. Auch das spätere Gottesbild des deutschen Idealismus hatte seine Schwierigkeiten mit dem christologischen Problem der Frage nach den zwei Naturen Christi und deren Erkennbarkeit in ihm. Doch haben sie etwas Entscheidendes geleistet, so Moltmann: Die spekulative Christologie des Idealismus »machte ernst damit, daß kein Weg zu Gott führt, der nicht in ihm selbst beginnt.«89 Für die Frage nach der Gottheit Jesu ist diese Aussage von Bedeutung, da für die Erkenntnis Jesu als wahrer Gott damit vorausgesetzt wird, dass nicht Gott in Jesus erkannt wird, sondern Gott sich in Jesus zu erkennen gibt. »Gotteserkenntnis setzt die Selbstoffenbarung Gottes voraus.«90 Moltmann folgert richtig: »Weiß Christus sich als Gottessohn, so muß Gott sich selbst in ihm wissen. Bringt Jesus Gott zur Sprache, so entspricht das nur dann Gott, wenn Gott sich in ihm selbst zur Sprache bringt.«91 Damit stellt sich der Idealismus in eine alte theologische 85 86 87 88 89 90 91

Ders.: Ders.: Ders.: Ders.: Ders.: Ders.: Ders.:

Der Gekreuzigte Gott, S. 71. Der Gekreuzigte Gott, S. 85. Theologie der Hoffnung, S. 23.24.74 u. ö. Der Gekreuzigte Gott, S. 85. Theologie der Hoffnung, S. 86. Der Gekreuzigte Gott, S. 86. Der Gekreuzigte Gott, S. 87.

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Tradition. »Nach alter theologischer Lehre ist die Erkenntnisordnung (ratio cognoscendi) der Seinsordnung (ratio essendi) gegenläufig zugeordnet. Was in der menschlichen Erkenntnis das Letzte ist, ist im Sein das Erste. Wird Jesus erst von seinem Ende in Kreuz und Auferweckung her als Gottessohn erkennbar, so geht dem Sein nach seine Gottessohnschaft seiner Geschichte voran.«92 Es geht also um den Gedanken der Selbstoffenbarung. Dazu kann und darf hier auf das vorhin entworfenes Offenbarungsverständnis bei Moltmann zurückgegriffen werden, nämlich Offenbarung als Identifikationsgeschehen Gottes mit dem Gekreuzigten in der Auferweckung. Die Kontinuität zwischen vor- und nachösterlichem Jesus Christus liegt in Gott. Nun offenbart sich Gott, so wurde mit Moltmann ebenfalls festgestellt, durch die Verheißung, genauer in seinen Verheißungsworten als der, der diesem Wort die Treue hält. Damit sagt Moltmann nun ein doppeltes aus: Einerseits geht es um die Treue Gottes zum Wort, das Fleisch ward (vgl. Joh 1,1–18); andererseits, dass die Identifikationsmöglichkeit »in den Reden des Erscheinenden zu suchen sein«93 muss. Konkret sagt Moltmann: »In seinen Reden muß so etwas wie eine Selbstidenfikation vorgelegen haben (›Ich bin es‹). Dann kann die SelbstIdentifikation des im Glanze des verheißenen göttlichen Lebens Erscheinenden mit dem Gekreuzigten als Akt der Selbstoffenbarung Jesu angesehen werden.«94 Doch ist damit noch nicht das gesamte Problem ausgeräumt, sondern es muss auch noch einmal gefragt werden, welche Konsequenz nach außen sich in diesem Identifikationsgeschehen verbergen. Konkret wird gefragt, was es mit Jesus als dem wahren Menschen auf sich hat, also nicht mehr nach der Auferweckung des Gekreuzigten, sondern nach der Auferweckung des Gekreuzigten. 5.1.2.2 Jesus Christus – wahrer Mensch Die SelbstIdentifikation in der Kontinuität der Rede bleibt der Anhaltspunkt: Wenn der Auferstandene und der Gekreuzigte gemeinsam in Gott ihren Identifikationspunkt haben, wie kann dann von seinem, Christi, wahren Menschsein geredet werden? Behält man für die Beantwortung dieser Frage den eschatologischen Horizont und die eschatologische Denkweise, die Moltmann vorschlug bei, so kommt man nicht umhin, alles immer von der Auferweckung zu betrachten. So kritisiert Moltmann an Kant und Schleiermacher, dass sie eine Ethisierung vornehmen, dass der wahre Mensch bei diesen beiden der »Endzweck der Schöpfung, der ›allein Gott wohlgefällige Mensch‹«95 sei (Kant), der »von allen Menschen durch seine wesentliche Unsündlichkeit unterschieden«96 war (Schlei92 93 94 95 96

Moltmann: Der Gekreuzigte Gott, S. 88. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 180. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 180. Ders.: Der Gekreuzigte Gott, S. 92. Ders.: Der Gekreuzigte Gott, S. 92.

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ermacher). An diesen beiden, das ist Moltmanns Kritik, »wird exemplarisch für die nachfolgende protestantische Jesulogie die erschließende und verschließende Kraft der Ausgangsfrage nach sittlicher Praxis, nach Gottesbewußtsein, nach eigentlichem Existieren oder nach dem identischen Selbst klar. […] Als vollkommener Mensch Gottes ist Jesus die Erfüllung der von uns nicht erfüllten Bestimmung zur Gottebenbildlichkeit.«97 Damit rückt vor allem aber der Mensch Gottes und nicht der inkarnierte Gott in den Fokus der Betrachtung.98 Moltmann möchte diesem Theologumenon darin widersprechen und hebt hervor, dass nur von der Auferweckung und der darin geschehenen Verheißung der Zukunft her die Menschheit Christi verständlich wird. Und diese findet sich besonders in seiner Verkündigung. Jesu Verkündigung, so formuliert Moltmann in Anschluss an Bultmann, ist in folgendem Sinne kairologisch zu verstehen, als »[n]icht das Was seiner Verkündigung, sondern ihr Daß […] das Entscheidende«99 sei. Kairologisch wird die Rede dadurch, dass sie nicht etwas ansagt, was immer schon wahr war, sondern »[f]ür die ›rechte Zeit‹ seiner Verkündigung bürgt die Zeit selbst, das angesagte Reich und die zugesagte Sündenvergebung Gottes.«100 Was ist daraus zu lesen? Moltmann drückt hier aus, dass die Rede Christi vom Reich Gottes nur deshalb als so vollmächtig geglaubt werden kann, weil sie vom inkarnierten Gottessohn ausgesprochen wird. Der Mensch Gottes, den er bei Schleiermacher und Kant sieht, oder eine adoptianistische Christusvorstellung könnte nicht mit gleicher Vollmacht reden, da es dann menschliches Zeugnis und nicht göttliche Verkündigung wäre. Es braucht aber in seinen Augen beides, göttliche Verkündigung im menschlichen Zeugnis und durch dieses. Es braucht die Identität und Kontinuität von vorösterlichem Jesus und nachösterlichem Christus. Diese ist allerdings durch das Kreuz unterbrochen. Und genau hier stößt man auf die Problemstellung, die Moltmann verdeutlichen möchte, nämlich dass diese Kontinuität zwischen vor- und nachösterlichem Christus »eine Kontinuität in radikaler Diskontinuität oder eine Identität im totalen Widerspruch«101 ist. Das Kreuz steht als Einspruch und Widerspruch, als Widerlegung und Kontrapunkt der Verkündigung Jesu gegenüber. Wie löst Moltmann nun dieses Problem? Die Antwort, die er gibt, ist die Verschiebung des Identifikationspunktes extra se zu Gott102 , damit wiederum vor allem die Zukunft Gottes in den Fokus rückt nämlich als verheißene Zukunft. Die Richtung der Denkweise kehrt sich bei Moltmann um: Nicht die Inkarnation rechtfertigt Kreuz und Auferweckung, sondern umgekehrt bringt die 97 98 99 100 101 102

Ders.: Der Gekreuzigte Gott, S. 93. Ders.: Der Gekreuzigte Gott, S. 91. Ders.: Der Gekreuzigte Gott, S. 114, Hervorhebungen von mir. Ders.: Der Gekreuzigte Gott, S. 114. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 181. Vgl. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 182.

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Auferweckung des Gekreuzigten die Inkarnation gedanklich hervor.103 Wahres Menschsein wird bei Moltmann – man ist versucht zu sagen: rückwirkend – begründet durch die Auferweckung des Gekreuzigten. Von hier aus offenbart sich, dass Gott Mensch geworden ist, dass das Wort Fleisch ward. Wenn mit Moltmann also ausgesagt werden soll, dass Gott sich in der Auferweckung mit dem Gekreuzigten identifiziert, dann muss immer schon die wahre Menschheit und Gottheit Christi mit ausgesagt werden. Nur durch diese Identifikation in Kreuz und Auferstehung wird die vorösterliche Reich-Gottes-Botschaft Jesu in Kontinuität gedacht und gedacht werden können. 5.1.2.3 Antizipation Weshalb, so möchte man sich nun fragen, war der kurze Umweg über diesen Teilbereich die Zwei-Naturen-Lehre wichtig? Es wurde schon festgestellt, dass Hoffnung für Moltmann stark an die Verheißung Gottes und deren offenbarenden Charakter gebunden ist und folglich verschiedentlich hervorgehoben und betont, dass Offenbarung ein Identifikationsgeschehen ist und bisher versucht, die göttliche und menschliche Bedeutung dessen zu verdeutlichen. Daran entspringt bei Moltmann die Hoffnung, an diesem Überschuss der Verheißung, die immer in die Zukunft weist.104 Und dennoch wäre es verfehlt, Moltmann hier eine reine Futurologie vorzuwerfen, wie zum Beispiel Berkhof es tat. Berkhof kritisiert an Moltmann, dass die Hoffnung begründende Auferweckung Jesu Christi »als ganz und gar vorausweisend aufgefaßt«105 werde. »Die Zukunft hat noch nicht begonnen. Die Auferstehung und auch der Heilige Geist sind nur pro-missio; sie treiben uns in neue Horizonte hinaus, hinter denen eine unvorstellbare Erfüllung wartet.«106 Soweit so gut, möchte man meinen, doch Berkhof geht weiter und bemängelt, Moltmann würde nicht erkennen, dass die Zukunft »Extrapolation dessen, was schon jetzt in Christus und im Geist geschenkt ist«107 sei und der »methodische Ansatz der Eschatologie […] nicht in der Zukunft selbst, sondern in der Gegenwart zu suchen sein«108 werde. Moltmann antwortet darauf mit dem Vorschlag, stattdessen lieber von theologischer Antizipation zu sprechen109 und genau mit diesem soll im Folgenden sich beschäftigt werden, da an der vielschichtigen Hoffnung bei Moltmann wiederum eine neue Dimension erkennbar werden wird. Moltmanns Kritik an Berkhofs Extrapolationsmodell richtet sich gegen die Extrapolation selbst, die er als gefährlich für die Eschatologie erachtet. Diese hat 103 104 105 106 107 108 109

Vgl. Moltmann: Der Gekreuzigte Gott, S. 96. Vgl. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 98. Berkhof: Methode der Eschatologie, S. 175. Ders.: Methode der Eschatologie, S. 175. Ders.: Methode der Eschatologie, S. 175. Ders.: Methode der Eschatologie, S. 176. Vgl. Moltmann: Methoden der Eschatologie, besonders S. 55ff.

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dann nämlich »zwar einen empirischen Grund, wird aber immer problematischer, je weiter sie in die Zukunft vordringt.«110 Er kritisiert: »Folgt man diesem Gebrauch des Wortes Extrapolation, dann müßte die theologische Eschatologie aus einer heilsgeschichtlichen Trend-Analyse und aus einer Hochrechnung repräsentativer Gotteserfahrungen in der Geschichte entstehen.«111 Das ist allerdings insofern schwierig, als die Zukunft von Gottes Kommen und seinem Reich eine völlig andere ist, als die Zukunft, die aus der Zeit extrapolierbar sein könnte, so Moltmann, und darüber hinaus aus der Extrapolation überhaupt keine Zukunftserkenntnis zu gewinnen, sondern diese »die Fortschreibung und damit die Festsetzung der Gegenwart in die Zukunft hinein«112 sei. Im Gegenzug dazu fragt Moltmann: »Worin liegt aber der Realgrund der gegenwärtigen Erfahrung als einer Heilserfahrung?«, und antwortet gleich selbst, dass nur diejenigen Erfahrungen, »in denen sich eschatologische Zukunft real ankündigt« eine Aussage eschatologischer Art hervorrufen.113 Er konkretisiert: »Nur wenn gegenwärtiges Heil sich als Anfang einer noch ausstehenden Vollendung zeigt, sind eschatologische Aussagen berechtigt.«114 Wo begegnete bei Moltmann diese Form von sich Zeigen als Anfang einer ausstehenden Vollendung? Natürlich in der Verheißung, und noch präziser: in der Verheißung des auferweckten Gekreuzigten. Und von diesen Verheißungen sagt Moltmann, dass sie das in Christus »und seiner Geschichte Verborgene und Angelegte im Vorschein und Vorweis herausholen und zutage bringen.«115 Die Verheißung antizipiert die in ihr angesagte und verheißene Zukunft. Verheißung operiert hier insofern antizipatorisch, als sie im Verheißen schon auch die ausstehende Erfüllung mit sagt. Aber was heißt hier Antizipation? In der Theologie der Hoffnung grenzt Moltmann sich deutlich von Pannenbergs Begriff der Prolepse ab, da er sie im Sinne einer »Antizipation und Vorwegereignung des Endes der Universalgeschichte« für »besonders schwierig« erachtet.116 Sie ist deshalb so schwierig, da sie bei Pannenberg, so Moltmanns Analyse, den Charakter einer historisch verifizierbaren Warheit trägt und somit einen »Geschichtsbegriff voraus[setzt], der von der Erwartung einer allgemeinen Totenauferstehung als des Endes und der Vollendung der Geschichte beherrscht ist.«117 Wäre also Jesus Christus die Prolepse118 , dann hätte, zumindest interpretiert Moltmann Pannen110 111 112 113 114 115 116 117 118

Ders.: Methoden der Eschatologie, S. 52. Ders.: Methoden der Eschatologie, S. 53. Ders.: Methoden der Eschatologie, S. 53. Ders.: Methoden der Eschatologie, S. 54. Ders.: Methoden der Eschatologie, S. 54. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 184. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 72. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 72. Zur besseren Trennbarkeit, verwende ich von hier ab für die Darstellung Pannenbergs den Begriff der Prolepse und für Moltmann den der Antizipation. Bei beiden sind diese Begriffe nahezu äquivok in Gebrauch. Der Unterschied liegt also in der nun folgenden Darstellung.

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berg dementsprechend, »der auferstandene Jesus selber keine Zukunft mehr.«119 Das Problem hängt an zwei Fallstricken: Einerseits die historische Verifizierbarkeit des Geschehens; andererseits die »Einlinigkeit universalgeschichtlicher Apokalyptik«120 , die Moltmann hier nennt. Das wohl durchaus gewichtigere Problem dürfte für Moltmann das in der Geschichte schon stattgefunden habende Ende der Geschichte in Pannenbergs Logik darstellen. Denn »[e]s wäre auch nicht er [d. i. Jesus Christus] selber, auf den die erkennende Gemeinde warten würde, sondern nur die Wiederholung seines Geschicks an ihr selber.«121 Es wäre nicht mehr seine Zukunft im Fokus, sondern die Vergangenheit hätte den erkenntnistheoretischen Primat. Dabei greift die apokalyptische Endzeiterwartung zu kurz, so Moltmann, da sie zwar ernst damit macht, dass Jesus der erste Auferstandene von vielen war, dabei aber nicht bedenkt, dass »die Auferweckung Jesu nicht nur als der erste Fall von endzeitlicher Totenauferstehung allein gedacht, sondern als Ursprung des Auferstehungslebens aller Glaubenden« anzusehen ist.122 Dabei legt Moltmann besonderen Wert darauf, dass natürlich eine Antizipation stattgefunden hat, aber eine Antizipation anderer Art, nicht proleptischer Natur im Sinne einer historisch verifizierbaren Vorwegnahme des Endes der Geschichte.123 So zeigt Moltmann in einem späteren Text die impliziten Tendenzen des in der Theologie der Hoffnung so stark betonten Verheißungsbegriffs hinsichtlich ihres antizipatorischen Grundtons auf. Die Geschichte Gottes mit seinem Volk ist dabei alttestamentlich »im Muster von Verheißung und Erfüllung erzählt.«124 Das heißt, dass »[z]wischen Verheißung und Erfüllung […] dann die inchoativen und partiellen Erfüllungen der Geschichte zu stehen [kommen]. Sie bestätigen die Treue des verheißenden Gottes und weisen zugleich über sich selbst hinaus in die größere Zukunft der verheißenen Erfüllung.«125 Daraus folgt für Moltmann, dass die Verheißung »immer einen spannungsgeladenen Zwischenraum zwischen dem Ergehen und dem Einlösen der Verheißung«126 öffnet. »Darum geht die Verheißung auch nicht mit den historischen Umständen und dem historischen Vorstellungsmaterial, in welchem sie vernommen wurde, zugrunde, sondern kann sich – interpretiert – wandeln, ohne ihren Gewißheits-, Erwartungs- und Bewegungscharakter zu verlieren.«127 Antizipation im Hinblick auf Verheißung heißt also für Moltmann nicht mehr und nicht 119 120 121 122 123 124 125 126 127

Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 73. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 73. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 73. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 73. Bühler: Kreuz und Eschatologie, S. 303–310 stellt Moltmanns antizipatorische Argumentation übersichtlich dar und formuliert auch eine feinsinnige Problematisierung. Moltmann: Methoden der Eschatologie, S. 56. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 56. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 93. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 93.

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weniger, als dass sie fragmentarisch die Zukunft im Hier und Jetzt aufscheinen lässt, aber damit keineswegs eine Vorwegnahme im Sinne historisch verifizierbarer Geschichtswahrheit stattfinden kann. Antizipation ist sie dergestalt, dass sie zwar eine Vorwegnahme ist, die Gewissheit bringt, aber nicht Sicherheit. So zieht sich der Bogen zum Beginn des Abschnitts zurück und es darf konstatiert werden: Hoffnung ist Gewissheit, weil sie aus der Verheißung entsteht, die im Verheißen die Zukunft antizipiert. Und sie kann deshalb und dennoch nicht sicher sein, wann wo und wie das Reich Gottes auftreten wird, sondern muss sich immer bewusst sein, dass »[z]wischen Verheißung und Erfüllung […] eine ganze Fülle prozeßhafter Zwischenglieder [stehen]«128 , die nicht zwangsläufig dem erhofften Weg zur Erfüllung folgen werden. 5.1.3 Das Kreuz als Grund des Glaubens

Doch war bisher fast ausschließlich von der Auferweckung die Rede. Jetzt muss auch das Ereignis in den Blick nehmen, das der Auferweckung im Leben Jesu chronologisch vorausging, nämlich sein Tod am Kreuz. Dieser hat insofern grundlegende Bedeutung, als Moltmann »[d]as Kreuz Christi als Grund und Kritik christlicher Theologie«129 bezeichnet und im Anschluss daran diese Arbeit hier spezifisch nach dem Verhältnis von Glaube und Hoffnung fragt. Was hat es also auf sich mit dem Verhältnis vom Kreuzesglauben und der Hoffnung aus der und auf die Auferstehung? Und wie kann Moltmann von der Theologie fordern, »sich radikal auf das Ursprungsgeschehen des Glaubens am Kreuz einzustellen, also Kreuzestheologie zu werden«130 , wenn das Kreuz doch gerade nicht die Macht und Hoheit Gottes betont, sondern seine Negation bedeutet? Es klingt reichlich paradox, dass Glaube gerade da entstehen sollte, wo Gott völlig verneint wird. Gerade darum aber ist hier der Blick in Moltmanns eigene kreuzestheologische Entfaltungen in der Theologie der Hoffnung und im späteren Buch »Der Gekreuzigte Gott« lohnenswert. Nicht als eigenständiger Korpus, sondern als ergänzender Kontrapunkt zur verheißungsgeleiteten Hoffnung, die »[i]n der Erinnerung an seine [d. h. Christi] Auferstehung gründet«131 , kann der Zugang zu Moltmanns Begriff von Glauben über das der Auferstehung zeitlich vorausgehende Kreuz gefunden werden, was mit der Rede vom »Glauben als Prius«132 korrespondiert. Moltmann konstatiert: »Findet die christliche Theologie ihr inneres Kriterium als christliche Theologie im Gekreuzigten, so kommen wir auf Luthers lapidaren Satz zurück: ›Crux probat omnia.‹«133 Das Kreuz rückt bei Moltmann damit ins 128 129 130 131 132 133

Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 101. So der Untertitel von Ders.: Der Gekreuzigte Gott. Ders.: Der Gekreuzigte Gott, S. 39. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 150. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 16. Ders.: Der Gekreuzigte Gott, S. 12; vgl. Luther: WA 5,179,31.

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Zentrum eben dieser christlichen Theologie. Christlich wird dann das genannt, was nicht nur von Jesu Auferweckung und Erhöhung spricht, sondern besonders das Kreuz und das Heils- und Offenbarungsgeschehen in diesem Ereignis fokussiert. »Der christliche Glaube steht und fällt mit der Erkenntnis des Gekreuzigten, d. h. mit der Erkenntnis Gottes im gekreuzigten Christus oder, um es mit Luther noch schärfer zu sagen: mit der Erkenntnis des ›gekreuzigten Gottes‹.«134 Damit ist wiederum ins Zentrum von Moltmanns Herangehensweise vorgerückt worden, allerdings dieses Mal nicht von der Verheißung und der Auferstehung her das Kreuz mit bedenkend, sondern fragend nach der Bedeutung des Kreuzes für Auferstehung und verheißene Zukunft. Wie schon festgestellt, hält Moltmann fest: »Jesus starb am Urteil des Gesetzes als Gotteslästerer. […] Jesus starb, ob zu Recht oder zu Unrecht, am Kreuz den politischen Tod eines Aufrührers. […] Jesus starb in Gottverlassenheit.«135 Was ist die Tragweite dieser Aussage? Wo vorhin davon zu lesen war, dass die Botschaft Jesu und die Verheißung des Auferstandenen aufs engste miteinander verknüpft waren, muss dieser Tod mit seinen Kreuzesworten (Vgl. Mk 15,34; Mt 27,46) auch die Rezeption seiner Lehre beeinflusst haben. Mit Jesu Tod, so könnte man meinen, ist auch seine Botschaft vom Reich Gottes gestorben und damit die Hoffnung der Jünger und ihre Überzeugung, er sei der Messias: »Die Erfahrung des Kreuzes Jesu bedeutet für sie die Erfahrung der Gottverlassenheit des Gottgesandten; also ein absolutes, Gott einschließendes nihil.«136 Dieses absolute nihil entlehnt Moltmann bei Hegel und seinem Konzept des spekulativen Karfreitags. Für Moltmann besteht dessen Stärke darin, dass er damit ernst gemacht hat, »daß Auferstehung und Zukunft Gottes sich nicht nur an der Gottverlassenheit des gekreuzigten Jesus, sondern auch an der Gottverlassenheit der Welt zeigen müssen.«137 Die Jünger Jesu stehen in der Situation, nicht nur einen Lehrer verloren zu haben, sondern gleichzeitig auch seine Lehre. Für sie bricht eine Welt zusammen. Erst wenn diese Gottverlassenheit der Welt, bei Hegel dürfte damit nicht nur die erfahrbare Welt, sondern das Universum selbst gemeint sein, theologisch in dieser Schärfe formuliert wird, »[e]rst dann kommt Auferstehung als Auferstehung der Totalität des Seins aus dem Nichts, erst dann kommt Geburt der Freiheit und der Heiterkeit aus dem unendlichen Schmerz in eine allem Seienden notwendige Aussicht.«138 So Moltmanns Hegel-Interpretation. Damit meint er nichts geringeres, als dass die Theologie sich bei aller Hoffnung aus der Auferstehung auf die verheißene Zukunft Jesu Christi nicht in einen Heilspositivismus stürzen dürfe. Das Kreuz ist und bleibt das Kreuz in all seiner Schlechtigkeit, 134 135 136 137 138

Moltmann: Der Gekreuzigte Gott, S. 66. Ders.: Der Gekreuzigte Gott, S. 71. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 180. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 153. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 153.

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Niedrigkeit und Negativität. Doch greift Hegel laut Moltmann mit seinem spekulativen Karfreitag ebenfalls zu kurz, da er aus dem Kreuz ein »gottimmanentes Prozeßmoment« macht und somit das historische Moment von Kreuz und Auferstehung auslöscht, namentlich »die Historizität des Offenbarungsgeschehens aufhob und es als ein ewiges Geschehen verstand.«139 Vielmehr geht es Moltmann aber wieder um den geschichtlichen Aspekt. Die Verheißung der Auferweckung ist ein geschichtliches Ereignis insofern sie Geschichte stiftet, indem sie der Geschichte eine Zukunft ansagt und sie auf den Weg zur Erfüllung hin stellt.140 Für ihn steht fest, dass »[n]ur wenn der ›Gott der Auferstehung‹ zusammen mit der Erkenntnis der Auferstehung Jesu an dem aus der Geschichte, aus der Welt und aus der eigenen Existenz bekannt gewordenen ›Tod Gottes‹ als ›Gott‹ erwiesen werden kann, ist die Verkündigung der Auferstehung, sind Glaube und Hoffnung auf den Gott der Verheißung etwas Notwendiges«141 . Es geht Moltmann demnach nicht um eine reine spekulative Absolutheit des Todes, sondern er verdeutlicht, dass der Tod Gottes, dass das Kreuz Christi nicht irgendwo steht, sondern auf »eben der Erde, auf der sein Kreuz steht.«142 Das Kreuz Christi ist darum auch geschichtlich, weil es nicht ein transzendentes Ereignis ist, sondern ein immanentes Geschehen. Deshalb scheidet es als ein rein ›gottimmanentes Prozeßmoment‹ aus und muss immer die geschichtliche Konnotation tragen.143 Geschichtlich ist es auch ohne Analogie als geschichtsstiftendes Ereignis.144 »Es wird also als etwas bezeichnet, für das es keine Analogien in der bekannten Geschichte, sondern nur apokalyptische Verheißungen und Hoffnung auf einen endzeitlichen Beweis der Gottheit Gottes am Tode gibt.«145 Doch ist hier auch zu bemerken, dass das Kreuz für das Thema dieser Arbeit eigentlich nur in einer Verbindung etwas Neues bringen kann, nämlich in der Verbindung mit der Auferstehung Christi. Denn die Auferweckung Christi trägt ins Kreuz einen bestimmten Heilscharakter ein, wie er in der Verheißung der Zukunft offenbar wird, allerdings dreht Moltmann diesen Weg auch um, nämlich beim Thema des pro nobis. Moltmann schreibt, »daß alle näheren Auslegungen der Heilsbedeutung seines Kreuzestodes ›für uns‹ von seiner Auferweckung ausgehen müssen«146 , doch ergänzt er hier eine Ebene: »Nicht seine Auferstehung legt seinen Kreuzestod als ›für uns‹ geschehen aus, sondern umgekehrt macht sein KreuDers.: Theologie der Hoffnung, S. 155. Vgl. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 163f. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 152. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 16. Dabei soll hier nicht der Eindruck entstehen, als sei das Kreuz bei Hegel kein geschichtliches Ereignis, aber eben ein universalgeschichtliches. 144 Besonders Bühler: Kreuz und Eschatologie, S. 300ff. hat dieses Geschichtsverständnis Moltmanns kritisch kommentiert. 145 Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 179. 146 Ders.: Der Gekreuzigte Gott, S. 170. 139 140 141 142 143

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zestod ›für uns‹ seine Auferweckung ›uns voran‹ relevant.«147 Diese dialektische Beziehung gilt für Moltmann als wichtige Kernbotschaft des Geschehens von Kreuz und Auferstehung, dass das Kreuz ohne die folgende Auferweckung des Gekreuzigten nichts sagt, dass aber die Auferweckung zum leeren Mirakel148 verkommt ohne das vorhergehende Kreuz. »Warum zuerst nur Jesus und nicht das ganze Heil der Welt auf einen Schlag? Die Antwort liegt im Kreuz Christi […]. Der Christus, der uns voran von den Toten auferweckt ist, wird durch sein Leiden und Sterben der Christus für uns, wie damit auch der ›Gott vor uns‹ zum ›Gott für uns‹ wurde.«149 Der springende Punkt ist aber der, dass es eben trotz allem einen Vorbehalt gibt, geben muss. Vergisst man diesen und überhöht gegenüber dem Kreuzesglauben die Auferstehungshoffnung, wird »die Auferstehung Jesu […] als seine Erhöhung und Inthronisation verstanden[…,] wird damit das Kreuz zu einem Durchgangsstadium seines Weges zur himmlischen Herrschaft.«150 5.1.3.1 Der Primat der Hoffnung Es ist Zeit für eine kurze Zusammenfassung des Themenkomplexes Hoffnung und Glaube: Wo der Glaube, nach Moltmann, »die in Leid, Schuld und Tod vermauerten Grenzen des Lebens« nicht überwinden kann und somit im Rahmen der erfahrbaren Wirklichkeit bleibt, nämlich der Welt, in und auf der das Kreuz Jesu Christi aufgerichtet ist, da »kann und muß sich der Glaube zur Hoffnung weiten«, und zwar genau »[d]ort, wo in der Auferweckung des Gekreuzigten die Grenzen durchbrochen sind«151 . So schreibt es Moltmann. Wo der Glaube in der Welt am Kreuz entspringt und wirkt, da wird er durch die Hoffnung der Auferweckung des Gekreuzigten geöffnet für die Zukunft der Geschichte und die Wirklichkeit dieser Zukunft. »Der Glaube bindet den Menschen an Christus. Die Hoffnung öffnet diesen Glauben für die umfassende Zukunft Christi.«152 Hoffnung ohne Glaube wäre laut Moltmann also insofern leere Hoffnung, als sie keinen Grund hätte, auf dem sie wachsen, von dem aus und für den sie die Zukunft eröffnen könnte. Glaube ohne Hoffnung müsste dann Kleinglaube oder gar Unglaube sein, weil ihm das Essentielle fehlt, nämlich seine Ausrichtung nicht nur auf das Kreuz, sondern auch auf die Auferweckung und die damit einhergehende Verheißung der Wirklichkeit der Zukunft.153

147 148 149 150 151 152 153

Moltmann: Der Gekreuzigte Gott, S. 170. Vgl. Ders.: Der Gekreuzigte Gott, S. 173. Ders.: Der Gekreuzigte Gott, S. 172. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 143. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 15. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 15. Vgl. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 15f.

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Mit einem ausführlichen Zitat Calvins beschreibt und verdeutlicht Moltmann seine Ausführungen, denn es fasst noch einmal zusammen und macht aufmerksam auf die Interdependenz von Glauben und Hoffnung, die Moltmann als »unzertrennliche Begleiter«154 beschreibt. Demnach erwartet die Hoffnung die Erfüllung der Verheißungen, auf die der Glaube hört; hofft darauf, dass die Vaterschaft, die am Kreuz von Jesus für alle Menschen erworben wurde und die den Glauben prägt, sich auch in Zukunft als wahr erweisen wird: »der Glaube ist das Fundament, auf dem die Hoffnung ruht, die Hoffnung nährt und stützt den Glauben.«155 Hoffnung bringt den Glauben immer wieder neu auf die Spur der Ewigkeit Gottes zurück, auf der der Glaube Hoffnung transportiert. »So hat im christlichen Leben der Glaube das Prius, aber die Hoffnung den Primat. Ohne die Christuserkenntnis des Glaubens wird die Hoffnung zur Utopie, die sich in leere Luft streckt. Ohne die Hoffnung aber verfällt der Glaube, wird er zum Kleinglauben und endlich zum toten Glauben. Durch den Glauben kommt der Mensch auf die Spur des wahren Lebens, aber allein die Hoffnung erhält ihn auf dieser Spur. So macht der Glaube an Christus die Hoffnung zur Zuversicht. So macht die Hoffnung den Glauben an Christus weit und führt ihn ins Leben hinein.«156

Folgt man Moltmann in dieser Darstellung, so kommt man zu dem Schluss, dass immer, wenn von Hoffnung im eschatologischen Sinn gesprochen wird, es um die Hoffnung des Glaubens geht, die wiederum den Glauben weitet. Über die Hoffnung wird somit »[d]as Eschatologische […] nicht etwas am christlichen Glauben, sondern es ist schlechterdings das Medium des christlichen Glaubens«157 . Dagegen ist der Glaube nicht als Medium zu verstehen, sondern Moltmann nennt dagegen oft »die christliche Identität des Glaubens«158 und erweckt damit den Eindruck, auch rückbezogen auf das vorherige Zitat in calvinischer Prägung, dass der Glaube eine bestimmte Lebenshaltung, eine Grundform ist, die aus der Erkenntnis des auferstandenen Gekreuzigten erwächst.

5.2 Hoffnung als Leidenschaft für das (Un-)Mögliche Die Pluralität der Aspekte, die bei Moltmann unter dem Begriff ›Hoffnung‹ gefasst werden, lässt sich in der Rückschau auf die bisher entwickelten Gedanken kaum verleugnen. Hoffnung braucht Gewissheit und Antizipation, Verheißung und Offenbarung, Kreuz und Auferstehung etc. Zwei Dinge sind von Welker allerdings besonders hervorgehoben worden: »Einerseits wird die Hoffnung als 154 155 156 157 158

Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 15. Zitiert nach Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 16; vgl. Calvin: Institutio, III,2,42, Sp. 432f. Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 16. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 12. Ders.: Der Gekreuzigte Gott, S. 23.

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in Christus begründet, als von Christi Kreuz und Auferstehung her geprägt bestimmt […]. Andererseits erscheint die Hoffnung als die ›Leidenschaft für das Mögliche (Kierkegaard)‹ oder sogar die ›Leidenschaft für das Unmögliche‹.«159 Was möchte Welker damit sagen? Hoffnung, so steht es bei Moltmann, wird dort zur »Leidenschaft für das Mögliche«, »wo in der Auferweckung des Gekreuzigten die Grenzen durchbrochen sind, […] weil sie Leidenschaft für das Ermöglichte sein kann.«160 Inwiefern die Grenzen durch die Auferweckung durchbrochen sind, war Inhalt der letzten Abschnitte. Hier geht es nun einen Schritt weiter: Die beiden Momente der Auferweckung und der Leidenschaft für das Mögliche treten in der Theologie Moltmanns als gegenseitig sich bedingende und inhaltlich voneinander abhängige Momente der Rede von christlicher Hoffnung zueinander. Denn »[c]hristliche Eschatologie erforscht nicht die allgemeinen Zukunftsmöglichkeiten der Geschichte. Sie entfaltet auch nicht die allgemeinen Möglichkeiten des Menschseins, das auf Zukünftiges angelegt ist.«161 Christliche Eschatologie ist, wie ihr Name schon sagt und wie mit Moltmann im Argumentationsverlauf schon oft festgestellt wurde, bezogen auf die Zukunft Christi, die ermöglicht ist durch die Auferweckung Jesu von den Toten, welche nicht nur eine Zukunft ermöglicht, die wie seine ist, sondern die seine Möglichkeiten zu den Möglichkeiten der Menschheit macht – denn »es wird verkündet, daß er [Jesus Christus] die Auferstehung und das Leben selber sei, und daß folglich die Glaubenden ihre Zukunft in ihm finden und nicht nur wie er finden.«162 Auch hier wurden wieder einmal mehrere Schritte auf einmal gegangen, die nun noch einmal fokussierter in Betracht gezogen sein wollen. Welker kehrt selbst hervor, wie nahe die Rede von der Leidenschaft für das Mögliche die Hoffnung zur Utopie rückt.163 Er sieht »das Hoffnungsdenken eher von einer Expansion bedroht, die es auflöst im Taumel der Fülle der Möglichkeiten.«164 In seiner Analyse biblischer Hoffnungstraditionen sieht er selbst auch kaum »eine Unterscheidung der Hoffnung von den vielschichtigen Leidenschaften für das Mögliche bzw. Unmögliche«165 , es sei ihnen jedoch allen gemein, dass Hoffnung »in der Regel als Garant der Ruhe und Kontinuität oder doch als Instanz der Festigkeit und als lebensförderliche Kraft angesehen werden kann.«166 Hoffnung, so schlussfolgert er, »ist nach diesen Zeugnissen nicht eine grundsätzlich trügerische Kraft […] und dies gilt, obwohl die Texte für die Möglichkeit der trügerischen Hoffnung

159 160 161 162 163 164 165 166

Welker: Moltmann, S. 235f.; vgl. Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 13.15.19 u. ö. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 15. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 174f. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 73. Vgl. Welker: Moltmann, S. 236f. Ders.: Moltmann, S. 238. Ders.: Moltmann, S. 239. Ders.: Moltmann, S. 239f.

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nicht blind sind«167 . Bisher ergibt sich daraus nur das Folgende: Hoffnung kann insofern Leidenschaft für das (Un-)Mögliche genannt werden, als sie »nicht nur Wirkliches und Mögliches, Bestimmtes und Unbestimmtes, Gewissheit und Ungewissheit zugleich fest[hält], sondern sie […] in sich prinzipiell von extremer Erlebnisoffenheit und Unfestgelegtheit [ist]«168 . Welker sieht in der ›Theologie der Hoffnung‹ den Verusch, »eine Perspektive auf Realität, eine Erlebnis- und Orientierungsform zur Geltung zu bringen, die vom konkreten, wirklich gelebten Leben ausgehend«169 operiert. Was heißt das für Moltmanns programmatischen Hoffnungsbegriff? »Allein die Hoffnung ist ›realistisch‹ zu nennen«, so schreibt er, »weil nur sie mit den Möglichkeiten, die alles Wirkliche durchziehen, ernst macht. Sie nimmt die Dinge nicht, wie sie gerade stehen oder liegen, sondern wie sie gehen, sich bewegen und in ihren Möglichkeiten veränderlich sind.«170 Denn die Hoffnung, so könnte man Moltmanns Gedanken umschreiben, die die Verheißung des Ostergeschehens gestiftet hat und in der die kommende Zukunft antizipiert ist, macht mit eben dieser Zukunft ernst und zwar mit der Zukunft, die in der Verheißung gegenwärtig ist. Christliche Eschatologie ist ausgerichtet auf diese Zukunft und redet deshalb qualitativ anders von Möglichkeit und Wirklichkeit, weil sie nicht selbst über möglich oder unmöglich, wirklich oder unwirklich entscheidet, sondern schon im entschiedenen Zustand leben kann. Der Zustand ist insofern entschieden, dass möglich und unmöglich gegeben sind, allerdings heißt dies nicht, dass die Möglichkeit eine Notwendigkeit ist und nur ein Weg von der Verheißung zur Erfüllung führt.171 »Das Entscheidende ist: alles ist möglich bei Gott«172 , schreibt derjenige, auf den die Rede von der Leidenschaft für das Mögliche zurückgeht, Søren Kierkegaard. Die Verbindung der Aussagen Moltmanns und Kierkegaards öffnet ein Feld, das erst die Wirklichkeit interpretierbar macht auf einen breiteren Begriff von Möglichkeit hin, nämlich die Möglichkeiten Gottes und seiner Zukunft, die schon die Wirklichkeit durchziehen. In einem Exkurs sollen nun Möglichkeit und Wirklichkeit kurz diskutiert werden. 5.2.1 Exkurs: Möglichkeit und Wirklichkeit

In seiner Rede von Möglichkeit unterscheidet Kierkegaard Möglichkeit und Wirklichkeit je voneinander und als drittes von der Notwendigkeit.173 Die Notwen167 168 169 170 171 172 173

Ders.: Moltmann, S. 240. Ders.: Moltmann, S. 244. Ders.: Moltmann, S. 244. Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 20. Vgl. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 101. Kierkegaard: Krankheit zum Tode, S. 35. Vgl. Ders.: Philosophische Brocken, S. 68ff. Für eine eingehendere und gründlichere Darstellung von Möglichkeit und Wirklichkeit bei Kierkegaard siehe Hüsch: Möglichkeitsbegriff bei S. Kierkegaard.

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digkeit sollte dabei aus dem Diskurs nicht ausgeschlossen werden, da sie für das gegenwärtiges Forschungsfeld ebenfalls zuträglich ist; sie »steht ganz für sich; schlechterdings nichts wird mit Notwendigkeit, ebensowenig wie die Notwendigkeit wird, oder etwas damit, daß es wird, das Notwendige wird«174 , schreibt Kierkegaard. Die Möglichkeit stilisiert er als »ein solches Sein, welches dennoch ein Nicht-Sein ist« und analog »ein Sein, welches Sein ist, das ist ja das wirkliche Sein, oder die Wirklichkeit«175 . Man könnte nun sagen, dass die Möglichkeit des verheißenen Reiches Gottes in der Wirklichkeit der Auferweckung Christi, die die Wirklichkeit dergestalt durchzieht, dass man als Christ selbst darauf hoffen darf, dass sie auch die Wirklichkeit der Welt sein wird, seit ihrer Verwirklichung im Ostergeschehen eine Notwendigkeit geworden ist. Damit wäre ein Widerspruch zu Moltmanns prozessualer Vorstellung der Veränderlichkeit formuliert und zu seinem Ansatz, dass Hoffnung zwar Gewissheit, aber nicht Sicherheit darstellt. Es muss also ein etwas anderes Verständnis von Möglichkeit vorliegen, wenn Moltmann mit Kierkegaard von Hoffnung als der Leidenschaft für das Mögliche spricht. Möglichkeit und Wirklichkeit sind, folgt man Kierkegaard, jeweils Prozesse im Werden, wohingegen das Notwendige nicht wird, sondern ist – weswegen alles, was wird, damit beweist, nicht notwendig zu sein.176 Die Vergangenheit ist damit nicht Notwendigkeit, sondern vergangene Möglichkeit bzw. Wirklichkeit, so die Essenz der obigen Aussage Kierkegaards. Er führt weiter aus: »Die Möglichkeit, aus der das Mögliche, welches das Wirkliche ward, hervorgegangen ist, begleitet fort und fort das Gewordene, und bleibt bei dem Vergangenen und lägen selbst Jahrtausende dazwischen; sobald der Spätere wiederholt, daß es geworden sei (und das tut er indem er es glaubt), wiederholt er dessen Möglichkeit, gleichgültig ob hier nun die Rede sein kann von genaueren Vorstellungen über diese Möglichkeit oder nicht.«177 Die Möglichkeit ist also nicht einmal, wird dann Wirklichkeit und bleibt dann als Vergangenheit vergangen, sondern sie bleibt Möglichkeit bis zuletzt. So lässt sich auch Moltmanns Rede von den die Wirklichkeit durchziehenden Möglichkeiten verstehen als der offene geschichtliche Prozess zwischen Verheißung und Erfüllung als die Offenheit der Wirklichkeit für die Möglichkeiten der kommenden Zukunft. Dadurch kommt den Möglichkeiten sowohl der Status des Adventus zu als auch die Aufgabe des Futurums. Allerdings ist noch nichts darüber gesagt, wie Wirklichkeit und Möglichkeit zustande kommen und was gemeint ist, wenn diese Begriffe verwandt werden. Der Aufsatz Jüngels »Die Welt als Möglichkeit und Wirklichkeit«178 soll hier zur Sprachfähigkeit verhelfen. 174 175 176 177 178

Kierkegaard: Philosophische Brocken, S. 71. Ders.: Philosophische Brocken, S. 70. Vgl. ders.: Philosophische Brocken, S. 70f. Ders.: Philosophische Brocken, S. 82. Jüngel: Die Welt als Möglichkeit und Wirklichkeit.

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Seit Aristoteles, so Jüngel, gibt es in der Geistesgeschichte einen Vorrang der Wirklichkeit vor der Möglichkeit genau aus dem Grund, »daß das Mögliche vom Wirklichen her als Mögliches definiert«179 wird. Es gilt demnach: »[M]öglich ist genau das, dessen angebliche Möglichkeit im Falle ihrer Verwirklichung nichts Unmögliches ergeben würde«180 . Das deckt sich auch mit Kierkegaards Aussage, »daß das Mögliche (nicht bloß das Mögliche, welches ausgeschlossen wird, sondern sogar das Mögliche, welches aufgenommen wird) sich als ein Nichts erweist in dem Augenblick da es wirklich wird; denn durch die Wirklichkeit ist die Möglichkeit vernichtet.«181 Die Wirklichkeit ist der Möglichkeit insofern überlegen, als sie ontologische Relevanz besitzt und die Möglichkeit in dem Moment, in dem sie Wirklichkeit wird, als Möglichkeit ausgelöscht ist. »Sein kommt dem Möglichen eigentlich nicht zu. Eigentlich ist nur das Wirkliche. […] Sein und Wirklichkeit sind letztlich identisch […]. Die Möglichkeit hingegen steht unter dem Vorzeichen eines Nicht.«182 Folgte man diesem Wirklichkeitsverständnis konsequent, bedeutete es für diese Arbeit, dass die Erfüllung die Verheißung auflösen müsste. Das würde allerdings auch für die Antizipation der Erfüllung im Verheißungsgeschehen gelten, d. h. eine jede Verheißung Gottes, deren angesagte Zukunft nicht nur kommt, sondern im Kommen gleichzeitig auch präsent ist, höbe sich im selben Moment auf, in dem sie geschähe. Sie verlöre ihre zukunftsweisende Kraft – eine Hoffnung, die sich auf sie stützte, käme unmittelbar an ihr Ende, wenn sie überhaupt entstehen könnte. Für Aristoteles, so Jüngel, weitet sich dieses Verhältnis von Möglichkeit und Wirklichkeit auch auf den Menschen aus. Ein Mensch, als Beispiel, hat die Möglichkeit, gerecht zu sein, indem er gerecht handelt. »Der Mensch ist wirklich, indem er Wirklichkeiten schafft, die dann als solche Möglichkeiten für erneutes gesteigertes Wirken sind: […] Zwischen dem Gerechten und dem Ungerechten steht nichts anderes als die verschiedene Tat.«183 Auch das Wirklichkeitsverständnis seiner Zeit sieht Jüngel kritisch, und wirft ihm vor, »mit Möglichkeiten als dem Noch-Nicht späterer Wirklichkeit« zu operieren, womit »zweifellos eine entscheidende Dimension der Welt« getroffen sei, allerdings eben nur eine Dimension.184 Auch die christliche Theologie steht immer in der Gefahr, diesem Wirklichkeitsverständnis das Wort zu reden, wenn sie, wie Moltmann zu Anfang der Theologie der Hoffnung analysiert, das Eschatologische zur Gänze in die Zukunft auslagert.185 Der Theologie obliegt es nun, dagegen Einspruch zu erheben.

179 180 181 182 183 184 185

Ders.: Die Welt als Möglichkeit und Wirklichkeit, S. 209. Ders.: Die Welt als Möglichkeit und Wirklichkeit, S. 209. Kierkegaard: Philosophische Brocken, S. 70. Jüngel: Die Welt als Möglichkeit und Wirklichkeit, S. 210. Ders.: Die Welt als Möglichkeit und Wirklichkeit, S. 216. Ders.: Die Welt als Möglichkeit und Wirklichkeit, S. 220. Vgl Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 11.

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»Sie tut das, indem sie gegenüber der Unterscheidung von wirklich und noch nicht wirklich die Unterscheidung von möglich und unmöglich als die ungleich fundamentalere Differenz zur Geltung bringt. Da, wo zwischen möglich und unmöglich unterschieden wird, geht es um Wahrheit (im Unterschied zur Wirklichkeit).«186

Jüngel schlägt vor, die Sprachgestalt von ›wirklich‹ und ›möglich‹ zu ergänzen und umzuformen. Was soll allerdings die Rede von Möglichem und Unmöglichem an Gewinn bringen, wenn doch nur theoretisch darüber spekuliert werden kann? Auch wenn Jüngel betont, dass es im Gegensatz zur Wirklichkeit um Wahrheit ginge, wenn vom Möglichen die Rede sei, ergibt das noch keinen Primat und rechtfertigt so den Titel ›ungleich fundamentalere Differenz‹ nicht. Er fährt fort: »Die ungleich fundamentalere Differenz ist die Unterscheidung von möglich und unmöglich deshalb, weil mit ihr der Unterschied von Gott und Welt berührt ist. Im Unterschied von Gott und Welt geht es nicht primär um Wirklichkeit, sondern um Wahrheit. Selbstverständlich unterscheiden sich Gott und Welt nicht so, daß die Welt mit dem Möglichen und Gott mit dem Unmöglichen zusammengehört. Sondern zwischen dem Möglichen und Unmöglichen zu unterscheiden – das ist Gottes Sache, während die sich als Schöpfung verleugnende Welt beides immer wieder in Eins setzt und sozusagen das Unmögliche möglich macht.«187

Es geht demnach darum, dass ›möglich‹ und ›unmöglich‹ als Kategorien der Wirklichkeit im Sinne von Welt ausscheiden und damit der Horizont des nochnicht-Wirklichen wegbricht. Allerdings nicht in dem Sinne, dass es ihn nicht gäbe, sondern dass er nicht mehr der Ort ist, an dem zwischen dem Möglichen und dem Unmöglichen unterschieden werden könnte, sondern umgekehrt: dass von der Unterscheidung Gottes zwischen Möglichem und Unmöglichem das nochnicht-Wirkliche der Wirklichkeit her konstituiert ist. Dann tritt nur ein Souverän als Entscheidungsinstanz gegenüber Möglichkeit und Unmöglichkeit auf: Gott. »Wenn es Gottes Sache ist, zwischen dem Möglichen und Unmöglichen zu unterscheiden, dann muß sich in dieser Unterscheidung Gottes Gottheit so vollziehen, daß mit dieser Unterscheidung sich erst entscheidet, was möglich und unmöglich ist. […] Als der, der das Mögliche möglich und das Unmögliche unmöglich macht […] unterscheidet sich Gott von der Welt. Und indem er sich von der Welt unterscheidet, läßt Gott die Welt wirklich sein.«188

Es ist dann in der Wirklichkeit nur die Rede von Möglichem und Unmöglichem möglich, weil nicht darüber entschieden werden kann, sondern schon entschieden ist und dadurch erkennbar. Allerdings ist die Gefahr eminent, Gott und Welt in diesem Punkt vollkommen divergent zu denken. Vielmehr besteht ein Verhältnis, das darin besteht, dass Gott durch sein Wort Möglichkeit und Unmöglichkeit 186 Jüngel: Die Welt als Möglichkeit und Wirklichkeit, S. 221. 187 Ders.: Die Welt als Möglichkeit und Wirklichkeit, S. 221. 188 Ders.: Die Welt als Möglichkeit und Wirklichkeit, S. 222.

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scheidet und damit Wirklichkeit ermöglicht, also durch sein Wort auf die Welt bezogen ist. »Das heißt: das Wort Gottes ereignet sich, indem es zwischen dem Möglichen und dem Unmöglichen unterscheidet, als Verheißungswort und als Wort des Gerichts.«189 Wenn Jüngel hier vom Verheißungswort selbst redet, lässt sich mit Joh 1,14 dieses wieder an Jesus Christus zurückbinden und mit dem NicaenoKonstantinopolitanum und dem Bekenntnis von Chalcedon die Beziehung Gottes zur Welt auch trinitarisch noch stärker aufzeigen. Wie Moltmann190 kommt auch Jüngel zu dem Schluss, dass die Welt demnach als Geschichte existiert, indem Gott mit der Unterscheidung von Möglichem und Unmöglichem die Basis für Wirklichkeit und noch-nicht Wirklichkeit setzt, indem er der Wirklichkeit Zukunft gibt.191 So lässt sich auch mit Jüngel festhalten, dass Hoffnung Leidenschaft für das Mögliche ist, und realistisch in dem Sinne, mit den das Wirkliche durchziehenden Möglichkeiten ernst zu machen. »Die Absolutsetzung der Wirklichkeit und der Unterscheidung von wirklich und nicht wirklich als Maßstab der Welt unterliegt der fundamentalen Kritik durch das Ereignis der Rechtfertigung, das die Welt nicht nur !‫ית‬¤‫ּבְר§ׁש‬, sondern ἐξ ἀναστάσεως νεκρῶν als Schöpfung aus dem Nichts zu verstehen gibt.«192 Oder »[p]ointiert formuliert: in der Wirklichkeit wirkt das in der Vergangenheit Vergehende. […] Mit der Unterscheidung von möglich und unmöglich aber wird das Sein vom Nichts unterschieden.«193 Irdische Hoffnungen sind auch nur deshalb sinnvoll, weil sie nicht abstrakt utopische Spekulationen und Erwartungen von Dingen sind, die der Sache nach unmöglich sind, sondern sie sind »realistische Wahrnehmungen der Horizonte des Real-Möglichen«194 . Genau aus diesem Grund geht es im Christentum nicht um Utopie, nicht um Nicht-Orte, sondern um noch-nicht-Orte, die nicht ins Unmögliche, sondern in den Raum der noch-nicht-Wirklichkeit der Möglichkeit hoffen und dieses darin antizipieren. »So weit gespannt die Hoffnung auch sein mag – sie mag selbst die Bedingungen des Irdisch-Zeitlichen übergreifen –, eine sich auf Unbestimmtes richtende und ins nur Grenzenlose erstreckende Hoffnung gibt es nicht.«195 Zurück zum ursprünglichen Thema: Wie lässt sich allerdings die Rede von Hoffnung als Leidenschaft für das Unmögliche rechtfertigen? Jüngel kommt in seinem Aufsatz zu dem Schluss, dass nicht auf Zukunft hin gehofft werden könne, 189 Ders.: Die Welt als Möglichkeit und Wirklichkeit, S. 223; vgl. Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 75f. 190 Vgl. ders.: Der Gekreuzigte Gott, S. 204: »Die neuen Möglichkeiten in der Welt entspringen aus der Welt als Möglichkeit des schöpferischen Gottes. Die Geschichte Gottes ist dann als Horizont der Welt zu denken, nicht umgekehrt die Welt als Horizont seiner Geschichte.« 191 Vgl. Jüngel: Die Welt als Möglichkeit und Wirklichkeit, S. 223f. 192 Ders.: Die Welt als Möglichkeit und Wirklichkeit, S. 221. 193 Ders.: Die Welt als Möglichkeit und Wirklichkeit, S. 226. 194 Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 20. 195 Welker: Moltmann, S. 248.

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sondern nur auf Gott. »Die zukünftige Wirklichkeit der Welt wird nicht erhofft, sondern gemacht.«196 Hoffen ist wirkliches Hoffen, wenn es »für sich und für die Welt allein auf Gott«197 hofft. Hier muss im Denken Moltmanns allerdings ein Einspruch erhoben werden. Und zwar unter dem Aspekt, dass Gott selbst seinem Wesen nach Zukunft ist, wie Moltmann immer wieder betont – hoffen auf Gott ist demnach gleichsam Hoffnung auf seine Zukunft. Wohlgemerkt seine Zukunft, doch im Kreuzesgeschehen hat er durch Jesus Christus seine Zukunft zur Zukunft der gesamten Wirklichkeit gemacht und sie somit sehr wohl nicht bloß zum Raum des Machbaren, sondern ebenso zum Raum des Hoffbaren erkoren. Zukunft ist auch machbar, wie später noch zu sehen sein wird; hier lohnt es sich aber vor allem darauf hinzuweisen, dass sie zunächst einmal hoffbar ist. Das bedeutet aber wiederum eine Offenheit der Zukunft gegenüber der Gegenwart, dass sie nämlich nicht, wie Kierkegaard gezeigt hat, notwendig sein kann, sondern als Wirklichkeit und Möglichkeit in jeglicher Hinsicht nicht notwendig ist, weil sie wird und eben nicht bloß ist.198 Dann ist Wirklichkeit nicht notwendig und festgeschrieben, sondern bleibt immer auch dynamisch. Moltmann formuliert diesen Gedanken folgendermaßen: »Die christliche Hoffnung ist nur dann sinnvoll, wenn die Welt für den veränderlich ist, auf den diese Hoffnung hofft, und also für das offen ist, worauf diese Hoffnung hofft; wenn sie alles (Gott-)Möglichen voll ist und offen ist für die Auferstehung der Toten.«199

Hier ist die Möglichkeit gegeben, auch vom Unmöglichen zu sprechen. Unmöglich ist, was Gott für solches erklärt hat. »Die Macht des Möglichen besteht formaliter darin, vom Unmöglichen so unterschieden zu sein, daß es auch im Wirklichen das Unmögliche unmöglich macht«200 , wie Jüngel es beschreibt. Damit ist aber nicht gesagt, dass im Wirklichen der Horizont des Ermöglichten sich jemals abbilden ließe, sondern es kann genau das Gegenteil gedacht werden: Was noch nicht möglich ist, als unmöglich erscheint, mag dereinst in der noch-nichtWirklichkeit möglich sein. Derzeit ist es aber realiter unmöglich. So kann man wieder auf Moltmann zurückgehen und mit ihm sagen, dass »›das Mögliche‹ und damit ›das Zukünftige‹ durchaus aus dem Verheißungswort Gottes [entsteht] und geht damit über das Real-Mögliche oder Real-Unmögliche hinaus.«201 In der Rede vom Möglichen und Unmöglichen muss folglich eine weitere Differenzierung verschiedener Ebenen vorgenommen werden. Einerseits die Ebene des Gott-Möglichen202 : In ihr steht alles das, das bei Gott möglich ist, also was 196 197 198 199 200 201 202

Jüngel: Die Welt als Möglichkeit und Wirklichkeit, S. 224. Ders.: Die Welt als Möglichkeit und Wirklichkeit, S. 225. Vgl. Kierkegaard: Philosophische Brocken, S. 70. Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 82. Jüngel: Die Welt als Möglichkeit und Wirklichkeit, S. 228. Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 76. Vgl. dazu Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 206.

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als Möglichkeit einerseits die Wirklichkeit durchzieht, andererseits aber den Rahmen für Wirklichkeit und noch-nicht-Wirklichkeit überhaupt erst konstituiert. Es wird sich von menschlicher Seite nie zur Gänze klären lassen können, was innerhalb dieses Bereichs alles möglich ist und nur Gott selbst weiß, was darüber hinaus noch unmöglich ist, weil er es dazu gemacht hat. Auf der anderern Seite die Ebene des Real-Möglichen und Real-Unmöglichen: In ihr ist das umfasst, was unter den gegebenen Umständen mit der Betrachtung sowohl gegenwärtiger als auch vergangener Wirklichkeiten und Möglichkeiten nach derzeitigem Kenntnisstand als möglich oder unmöglich von Seiten des Menschen klassifiziert werden kann. Sie ist in ihrer Konstitution absolut abhängig von der zuvor beschriebenen Ebene des Gott-Möglichen und kann niemals aus dieser ausbrechen. Damit tritt an der Hoffnung deutlich zutage, dass sie auch eine Differenzerfahrung ist. Sie ist die Erfahrung der Unterschiedenheit zwischen dem GottMöglichen, das er in der Verheißung mitteilt, und dem Wirklichen und nochnicht-Wirklichen, das durch die Verheißung aus dem Horizont der Möglichkeit entsteht. »Die spezifische Kraft der Hoffnung besteht […] darin, dass sie die Differenzerfahrung der Spannung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und die Differenzerfahrung von Erfüllung und Enttäuschung gerade nicht zusammenfallen lässt.«203 Die Hoffnung ist darum nicht einfach die Position, die entsteht aus der Negation des Negativen, sondern sie ist eine Form der Dialektik. »Der Mensch kommt zur Erkenntnis seiner selbst, indem er die Diskrepanz zwischen der göttlichen Sendung und seinem eigenen Sein entdeckt; indem er erfährt, wer er ist, und wer er sein soll, aber von sich aus nicht sein kann.«204 In der Offenbarung des noch-nicht-Wirklichen erfährt der Mensch sich hoffend als der, der er sein soll und tritt darum mit sich selbst in Nichtidentität, weil er nicht der ist, der er sein soll. Die Hoffnung hebt diese Spannung auch nicht auf, sondern bringt sie erst zutage und verschärft sie gerade noch dadurch, dass sie immer das präsentiert, was sein könnte und sollte, aber noch nicht ist. »Es ist die eigentümliche Kraft der Hoffnung, dass sie diese Differenzerfahrungen festhält und auf mehrfache Weise relationiert, voneinander abhängig und unabhängig macht, gegeneinander und vermittelt durcheinander aufhebt oder stabilisiert.«205 Eine Hoffnung, die dergestalt mit dem Möglichen, das das Wirkliche durchzieht, ernst macht, ist dann eine Hoffnung, die nicht einfach nur in zwei Ebenen leben kann, sondern die wegen der einen Ebene in der anderen Widerspruch erheben muss. Denn einerseits ist der Hoffende »mit sich selbst [und der Welt] einstimmig in spe, aber mit sich selbst [und der Welt] uneinstimmig in re«206 , und damit wird er sich und der Welt selbst entäußert und extra se gestellt. So kommt 203 204 205 206

Welker: Moltmann, S. 247. Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 263. Welker: Moltmann, S. 247. Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 80f.

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die doppelte Aufgabe der Hoffnung in ihrer Leidenschaft für das (Un-)Mögliche zustande: Einerseits erkennt sie die Möglichkeiten in der Wirklichkeit und kann deshalb selbst in »schöpferische Nachfolge«207 treten; andererseits weiß sie, dass ihr Erkennen und Handeln immer fragmentarisch, unabgeschlossen und mosaikhaft bleiben muss, solange die schlussendliche Erfüllung der Verheißung noch kommende Zukunft und nicht gekommene Zukunft ist.208 Die hoffnungsstiftende Verheißung ist also nicht nur adventus, sondern auch futurum, ist nicht nur Aufforderung zum Hören von Gottes Wort, sondern Sendungsauftrag zur schöpferischen Nachfolge. Es wird später noch konkret auf die transzendentale Bedeutung der Hoffnung zu sprechen kommen sein. Für den Moment soll ausreichen, dass sie als Erkenntnisbedingung dem Handeln vorausgehen muss. »Die Praxis der umgestaltenden Sendung bedarf also einer gewissen Weltanschauung, eines Weltvertrauens und einer Welthoffnung. Sie sucht nach dem real-objektiv Möglichen an dieser Welt, um es zu ergreifen und zu verwirklichen in Richtung auf die verheißene Zukunft der Gerechtigkeit, des Lebens und des Reiches Gottes.«209 Sie ist Leidenschaft für das Mögliche, indem sie es sucht und versucht, es auch im Wirklichen wirklich werden zu lassen. So ist die Zukunft sehr wohl auch machbar, wie Jüngel gefordert hat, aber sie ist gleichzeitig und davor noch hoffbar und darum erst machbar. Die Weltanschauung, die hier vorausgesetzt ist, ist die, dass die Welt veränderlich sein muss, denn »Gott […] wäre nicht Gott, wenn er […] nicht real-objektive Möglichkeiten schaffen könnte«210 , nach denen die Wirklichkeit sich verändern könnte. Für das hoffende Subjekt, für den glaubenden Menschen, heißt es aber auch, dass nicht subjektivische, in sich selbst gekehrte Frömmigkeit, aber auch nicht übermäßig reflektierte Distanz die Möglichkeiten der Freiheit zur Veränderung bringen, »sondern allein die Hoffnung, die ihn in die Entäußerung hineinführt und ihn zugleich von der erwarteten Zukunft her immer neue Möglichkeiten ergreifen läßt«211 , ihm die schöpferische Nachfolge überhaupt ermöglicht. Hoffnung als Leidenschaft für das (Un-)Mögliche heißt also Gehorsam gegenüber dem Sendungsauftrag Gottes, Erkennen der Möglichkeiten in der Wirklichkeit, Mitarbeit an ihrer Verwirklichung und gleichzeitiges Wissen darum, dass die Machbarkeit des Reiches Gottes völlig außerhalb der Grenzen des Real-Möglichen liegt und Jesus Christus dem Reich Gottes zum Anbruch verhelfen wird, wann er es möchte und nicht, wann der Mensch es gerne hätte. »Das aber bedeutet, daß die Auferstehungshoffnung ein neues Weltverständnis hervorbringen muß. Diese Welt ist nicht der Himmel der Selbstverwirklichung […]. Diese Welt ist nicht die Hölle der 207 208 209 210 211

Vgl. Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 308f. Vgl. ders.: Theologie der Hoffnung, 184 u. ö. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 266. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 266. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 311.

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Selbstentfremdung […]. Die Welt ist noch nicht fertig […]. Sie ist darum die Welt des Möglichen, in der man der zukünftigen verheißenen Wahrheit, Gerechtigkeit und dem Frieden dienen kann.«212 5.2.2 Die Sünde der Verzweiflung

Dienen kann man der Welt zwar, doch das stellt den Menschen vor eine große Aufgabe. Denn einerseits besteht die Gefahr der Werkgerechtigkeit, andererseits lauert die Selbstgenügsamkeit; auch stellt die Offenheit, mit der hier in den gehorsamen Dienst gesandt wird, ein großes Wagnis dar, da niemand Deutungshoheit über Maßstab, Art und Zeitpunkt der verschiedenen Handlungsmöglichkeiten für sich beanspruchen kann – die Interpretationsvielfalt der Verheißungsworte Gottes ist groß. Dazu kommt, dass das Wissen um die Handlung als fragmentarisch und unabgeschlossen nicht gerade geeignet ist, um besonders wirksam zur Tat zu motivieren. Vielmehr kann es zur Verzweiflung treiben, zu wissen, dass man in der gestellten Aufgabe einer Real-Unmöglichkeit gegenübersteht, die erst vom Gott-Möglichen her als noch-nicht-wirklich gedacht werden kann. Konsequent führt Moltmann in der ›Meditation über die Hoffnung‹ als gegenüber zum Hoffen die »Sünde der Verzweiflung«213 ein. Diese wird auch diskutiert werden müssen. Moltmann eröffnet den Abschnitt zur Sünde214 folgendermaßen: »Wenn der Glaube so für ein Leben auf die Hoffnung angewiesen ist, so ist die Sünde des Unglaubens offenbar von der Hoffnungslosigkeit getragen. Man sagt […] gewönlich, Sünde an ihrem Ursprung sei dieses, daß der Mensch sein wolle wie Gott.«215 Moltmann spielt hier auf eine theologische Tradition an, die besonders seit Augustin in der Theologie hervorgetreten ist, nämlich Sünde als Hochmut.216 Von Luther wurde der Hochmut als schwerste Sünde verstanden,217 wohingegen Barth die Sünde gar in dreifacher Ausführung gleichgewichtet nebeneinander stellt. Zunächst ist da des Menschen Hochmut: »[D]er Mensch, der wie Gott, der selber Herr, der der Richter über Gut und Böse, der sein eigener Helfer sein wollte«218 .

212 Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 312. 213 Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 18–21. 214 Eine ausformulierte Sündenlehre fehlt in Moltmanns Schriften, wie Asendorf feststellt, denn sie hat »für diesen Entwurf keine Bedeutung mehr. Übrig bleibt allein das Leid, das durch die Liebe überwunden wird«, wie er schreibt (Asendorf: Eschatologia crucis, S. 161). 215 Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 18. 216 Für Augustin selbst war jedoch die concupiscentia als Erbsünde die schwerwiegendere der beiden großen Sünden (Augustin: Confessiones, besonders S. 176ff.) 217 Luther: WA 1,220,7. 218 Barth: KD IV/1, S. 395.

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Hinzu treten bei Barth Trägheit219 und Lüge220 , deren Inhalte sich allerdings ebenfalls komplementär zum Hochmut verhalten – nur die Trägheit lässt sich noch in die Verzweiflung mit eintragen. Der Hochmut kann als eine Form der Sünde insofern gelten, als der Mensch sich völlig überschätzt und glaubt, Gottes entweder gar nicht zu bedürfen und/oder selbst größer zu sein als Gott, der nur Hirngespinst der Kleingeister sei. Ebenso schreibt auch Moltmann »[m]an sagt zwar gewöhnlich, Sünde an ihrem Ursprung sei dieses, daß der Mensch sein wolle wie Gott.«221 Doch schränkt Moltmann diese Rede als einseitige Betrachtung ein.222 Mit der Sünde der Verzweiflung bringt Moltmann darum eine neue Ergänzung mit ein, die er in Anlehnung an Kierkegaard formuliert. Bei diesem ist »Verzweiflung […] eine Krankheit im Geist, im Selbst, und kann somit ein Dreifaches sein: verzweifelt sich nicht bewußt sein ein Selbst zu haben (uneigentliche Verzweiflung); verzweifelt nicht man selbst sein wollen; verzweifelt man selbst sein wollen.«223 Es geht hier also um das genaue Gegenteil zum Hochmut, in dem man nicht über etwas verzweifelt, sondern sich selbst überhöht. Bei Kierkegaard dreht es sich in der Verzweiflung darum, »sein Selbst ganz und gar verloren zu haben«224 , weshalb er formuliert, dass »die Verzweiflung noch bestimmter die Krankheit zum Tode«225 ist. Für Kierkegaard gibt es auch keinen Menschen, der nicht »doch ein bisschen verzweifelt sei«226 , auch wenn der Mensch selbst oder Andere bei ihm es nicht so sehen: »Sobald Verzweiflung sich zeigt, erweist sich, daß der Mensch verzweifelt schon war.«227 So folgert er daraus, es sei »darum so weit wie möglich davon, daß die gewöhnliche Betrachtung annimt Verzweiflung sei eine Seltenheit, sie ist vielmehr durchaus das Allgemeine.«228 Für Moltmann tritt dabei ein Aspekt der Kierkegaardschen Verzweiflung besonders in den Fokus, nämlich dass »[d]ie Verzweiflung der Endlichkeit ist, der Unendlichkeit zu ermangeln«, was Kierkegaard ausführt als: »Der Unendlichkeit ermangeln ist ver-

219 Vgl. Barth: KD IV/2, S. 423: »[D]er Mensch, der von seiner Freiheit nicht Gebrauch machen, sondern sich in der Niederung eines in sich verschlossenen Seins genügen wollte, um eben damit unverbesserlich, von Grund auf und gänzlich der Macht seiner eigenen Dummheit, Unmenschlichkeit, Verlotterung und Sorge unterworfen, seinem eigenen Tod überliefert zu sein.« 220 Vgl. Ders.: KD IV/3, S. 425: »Indem dem Menschen Gottes in der Kraft der Auferstehung Jesu Christi wirksame Verheißung begegnet, erweist er sich als der Fälscher, in dessen Denken, Reden und Verhalten seine Befreiung durch und für den freien Gott sich wandelt in den Versuch einer Inanspruchnahme Gottes durch und für ihn«. 221 Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 18. 222 Vgl. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 18. 223 Kierkegaard: Krankheit zum Tode, S. 8. 224 Ders.: Krankheit zum Tode, S. 17. 225 Ders.: Krankheit zum Tode, S. 13. 226 Ders.: Krankheit zum Tode, S. 18. 227 Ders.: Krankheit zum Tode, S. 20. 228 Ders.: Krankheit zum Tode, S. 22.

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weifelte Begrenztheit.«229 Eine ausführliche Kierkegaard-Exegese hat hier keinen Platz, deshalb sei der Hauptgedanke in wenigen Worten zusammengefasst: »[J]eder Mensch ist […] mit Ursprünglichkeit angelegt als ein Selbst, dazu bestimmt er selbst zu werden«, was daran scheitert, dass er im Alltagstreiben und Umgang mit anderen Menschen sich selbst verliert, insofern, so Kierkegaard, er »sich nicht [getraut,] an sich selber zu glauben«230 .

Diese Menschen verlieren dann zusammen mit ihrer Ursprünglichkeit auch ihr Selbst und zwar auch vor Gott, sie verfehlen ihre Eigentlichkeit und verzweifeln dann auch darüber, ihre Aufgabe nicht erfüllen zu können.231 Dementsprechend fasst Adorno in seiner Auseinandersetzung mit Kierkegaard zusammen: »Alles Kierkegaardsche Existieren ist in Wahrheit Verzweiflung, und daraus allein ziehen die Sätze der ›Krankheit zum Tode‹ ihre Gewalt. Hoffnung hat in ›Existenz‹ keinen Raum«232 . Moltmann thematisiert in seiner Aufnahme der Sünde der Verzweiflung eben dieses, allerdings unter dem Aspekt, dass man hoffnungslos, resigniert, träge und traurig ist.233 Bei ihm ist es die Hoffnung, durch die der Mensch erst zu sich selbst kommt und darin sich selbst entäußert wird, identifiziert mit dem, der er sein soll in Nichtidentität mit dem, der er ist.234 Zwar, so schreibt Moltmann, »kommt [der Mensch] zu ›sich selbst‹, aber in Hoffnung, denn er ist noch nicht dem Widerspruch und dem Tode entnommen.«235 Der Mensch »wird sich zum homo absconditus«, in der Hoffnung, die aus der »Offenbarung als Verheißung« erwächst, wird er »bereit, den Schmerz der Liebe und der Entäußerung in dem Geiste auf sich zu nehmen, der Jesus von den Toten auferweckte und der das Tote lebendig macht.«236 Mit anderen Worten: Die Hoffnung stellt den Menschen in die Welt, in der er erkennt, was verheißen ist und wie groß die Differenz zwischen verheißener Wirklichkeit und erlebter Wirklichkeit ist und ruft ihn damit zum Handeln. »Die kommende Herrschaft des auferstandenen Christus kann man nicht nur erhoffen und abwarten. Diese Hoffnung und Erwartung prägt auch das Leben, Handeln und Leiden in der Gesellschaftsgeschichte.«237 , schreibt Moltmann und gibt damit dem Menschen die Aufgabe, aus der Hoffnung heraus auch zu handeln. Doch wie soll der Mensch handeln? Moltmann schreibt: »Gott hat den Menschen erhöht 229 230 231 232 233 234 235 236 237

Ders.: Krankheit zum Tode, S. 29. Ders.: Krankheit zum Tode, S. 30. Vgl. Ders.: Krankheit zum Tode, S. 31f. Adorno: GS 2, S. 118. Vgl. Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 18. Inwiefern dieses Sündenverständnis zu kurz greift, thematisiert Bühler: Kreuz und Eschatologie, S. 319ff. Vgl. Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 80f. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 80. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 81. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 304; was genau das von Moltmann geforderte Handeln aussagt, wird im nächsten Kapitel, besonders im Abschnitt 6.3, Seite 234ff. zu diskutieren sein.

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und ihm Aussicht ins Freie und Weite geschenkt, aber der Mensch bleibt zurück und versagt sich. […] Gott würdigt ihn seiner Verheißungen, aber der Mensch traut sich das nicht zu, was ihm zugemutet wird.«238 Man sieht nun die Parallele zu Kierkegaards Entwurf der Verzweiflung des Endlichen am Unendlichen, nämlich sich die gestellte Aufgabe nicht zuzutrauen. Wiederum lässt sich dieser doppelte Zustand bei Moltmann rückbinden an die beiden Formen der Sünde: Hochmut und Verzweiflung, die beide besondere Hoffnungslosigkeit zum Ausdruck bringen. Hoffnungslosigkeit »kann Vermessenheit: praesumptio, sein und sie kann Verzweiflung: desperatio, werden. Beides sind Formen der Sünde gegen die Hoffnung. Die Vermessenheit ist eine unzeitige, eigenwillige Vorwegnahme der Erfüllung des von Gott Erhofften. Die Verzweiflung ist die unzeitige, eigenmächtige Vorwegnahme der Nichterfüllung des von Gott Erhofften. Beide Weisen der Hoffnungslosigkeit durch vorweggenommene Erfüllung oder durch preisgegebene Hoffnung heben das Unterwegssein der Hoffnung auf. Sie empören sich gegen die Geduld der Hoffnung, die auf den Gott der Verheißung traut.«239

Wie sich hier erkennen lässt, ist Moltmanns Verständnis der Hoffnungslosigkeit nahe an der Kierkegaardschen Bestimmung der dreifachen Gestalt der Verzweiflung, die dieser selbst als Sünde charakterisiert.240 Für Kierkegaard ist Sünde »vor Gott, oder mit dem Gedanken an Gott verzweifelt nicht man selbst sein wollen, oder verzweifelt man selbst sein wollen.«241 Übertragen nun auf Moltmann zurück, kommt man entweder in den Bereich der praesumptio, unbedingt die gestellte Aufgabe zu erfüllen, oder zur desparatio, nicht an die Erfüllbarkeit der Aufgabe zu glauben. Man kann Kierkegaards Grundgedanken also für Moltmann analog übernehmen und so steht auf der einen Seite, verzweifelt man selbst sein zu wollen, dem noch-nicht-Zustand des Selbst der Hoffnung zur Gänze zu entsprechen, der Imago Dei gerecht zu werden und sich so aus seiner momentanen Situation selbst zu überhöhen. Demgegenüber besteht Verzweiflung auch darin, bloß nicht man selbst sein zu wollen, da die Verantwortung, die damit erwartet wird, zu groß sein könnte und man selbst der Aufgabe nicht gewachsen sei – es ist mangelndes Vertrauen darauf, dass Gott seiner Zukunft die Möglichkeiten ihres Anbruchs gewähren wird.242 Das bedeutet aber auch, dass der so verstandenen Verzweiflung ein Moment von Hoffnung zugrunde liegt. »So setzt auch die Verzweiflung Hoffnung voraus. […] Der Schmerz der Verzweiflung liegt wohl darin, daß eine Hoffnung da ist, aber kein Weg zur Erfüllung sich auftut. So wendet sich die erregte Hoffnung ge238 239 240 241

Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 18. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 18f. Vgl. Kierkegaard: Krankheit zum Tode, S. 75f. Ders.: Krankheit zum Tode, S. 75. Die uneigentliche Verzweiflung fällt also hier schon weg und macht aus der dreifachen Verzweiflung eine doppelte Sünde. 242 Vgl. Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 18.

Hoffnung als Leidenschaft für das (Un-)Mögliche

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gen den Hoffenden und verzehrt ihn.«243 Auch hier deckt es sich mit Kierkegaard, bei dem es heißt: »Sünde ist, nachdem man durch eine Offenbarung von Gott her darüber aufgeklärt worden, was Sünde ist, vor Gott verzweifelt nicht man selbst sein zu wollen oder verzweifelt man selbst sein zu wollen.«244 Der Sünde geht voraus, dass das noch-nicht-wirkliche Selbst, das Gott in der Verheißung dem Menschen vor-stellt, in der Hoffnung erkannt wird, wenn auch nicht unbedingt gewusst, und sich daraus die doppelte Möglichkeit der Verzweiflung des Menschen öffnet. Dabei muss es gar nicht sein, so Moltmann, dass Verzweiflung offen zutage tritt. »Sie kann auch bloße, schweigende Abwesenheit von Sinn, Aussicht, Zukunft und Absicht sein. Sie kann das Gesicht lächelnder Entsagung zeigen: bonjour tristesse!«245 Doch sieht Moltmann zwar die Sünde in Hochmut und Hoffnungslosigkeit, aber er spricht sowohl als auch ab, ein starker Einwand gegen die Hoffnung zu sein, da »diese beiden Grundstellungen menschlichen Existierens […] Hoffnung voraus[setzen]«246 . Vermessenheit und Verzweiflung sind auf je ihre Weise Illusionen, so Moltmann, was sich am Beispiel der Verzweiflung zeigt, »die meint, am Ende zu sein« und sich damit »als illusionär« erweist, da eben »noch nichts zu Ende ist, sondern alles noch voll von Möglichkeiten steckt.«247 Moltmann verweist damit wieder zurück auf die Voraussetzung von Verzweiflung und Vermessenheit in der Hoffnung. Die Hoffnungen, so seine Aussage, »greifen ins Mögliche der geschichtlichen, bewegten Wirklichkeit vor« und sind aus genau diesem Grund auch kein »verklärender Schimmer über einem grau gewordenen Dasein, sondern sind realistische Wahrnehmungen der Horizonte des Real-Möglichen«248 . Die Moltmannsche Prävalenz der Hoffnung ist hier deutlich erkennbar. Denn die Hoffnung, so Moltmann, ist gerade nicht utopisch, sondern gerade sie ist realistisch, da sie von einer ankommenden Wirklichkeit redet und nicht von einem abstrusen Nirgendwo, also von einem Noch-nicht statt einem Nie.249 Dagegen ist die Verzweiflung in seinen Augen tatsächlich utopisch, »denn für sie hat das Mögliche, das Zukünftig-Neue, mithin die Geschichtlichkeit der Wirklichkeit ›keinen Ort‹.«250 Mit anderen Worten: Die Sünde der Verzweiflung ist zwar Hoffnungslosigkeit, aber eine Hoffnungslosigkeit, die von der Hoffnung umklammert ist. Aufgabe der »Hoffnungssätze der christlichen Eschatologie« ist dabei nichts geringeres, als »sich gegen die erstarrte Utopie des Realismus durch[zu]setzen«, insofern sie alle »Möglichkeiten des Gottes der Hoffnung« zugrunde hat und »an 243 244 245 246 247 248 249 250

Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 19. Kierkegaard: Krankheit zum Tode, S. 96. Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 19. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 21. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 21. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 20. Vgl. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 20. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 21.

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Hoffnung als Medium des christlichen Glaubens

diesem gehörten Verheißungswort die Freiheit zur Erneuerung des Lebens hier und zur Veränderung der Gestalt dieser Welt« gewinnt.251 Das nächste Kapitel fragt nun nach den Konsequenzen dieses Hoffnungsdenkens für Erkennen und Handeln.

251 Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 21.

6 Erkenntnis des Glaubens und Hoffnungswissen

Die bisherigen Erkenntnisse über die Hoffnung, wie sie bei Moltmann dargelegt waren, münden nun in die nächste Frage, die vermeintlich einfach daher kommt: Was heißt das alles? Moltmanns fast schon ideologische Hoffnungs-Fixierung wäre für die Theologie ein schwieriges Konstrukt einer wenig brauchbaren Theorie, würde sie nicht auch faktisch etwas austragen. So sieht er es auch selbst und schreibt deshalb: »Solange die Hoffnung nicht das Denken und Handeln von Menschen umgestaltend ergreift, bleibt sie auf dem Kopf stehen und unwirksam.«1 Eschatologie, von ihm als »die Lehre von der christlichen Hoffnung«2 verstanden und charakterisiert als »schlechterdings das Medium des christlichen Glaubens, der Ton, auf den in ihm alles gestimmt ist, die Farbe der Morgenröte eines erwarteten neuen Tages, in die hier alles getaucht ist«3 , umfasst durch dieses Medium als Lehre von der christlichen Hoffnung, die Denken und Handeln umgestaltet, die Frage nach den Erkenntnismöglichkeiten, die durch die Hoffnung gegeben werden. Wenn Eschatologie das Medium des christlichen Glaubens ist, was sagt das für die Hoffnung? Nach wie vor kann man nicht hinter Moltmanns Satz zurückgehen, dass Eschatologie »nicht von der Zukunft überhaupt [redet]«, sondern »von einer bestimmten geschichtlichen Wirklichkeit«, und zwar ganz konkret »von Jesus Christus und seiner Zukunft«.4 Täte sie es nicht, redete sie doch von der Zukunft überhaupt, spräche sie auch nicht von der offenbarten Verheißung in Kreuz und Auferstehung und damit auch nicht von Christus. Das bedeutet aber auch, so Moltmanns These, dass »rechte Theologie […] von ihrem Zukunftsziel her bedacht werden [müßte]. Eschatologie sollte nicht ihr Ende, sondern ihr Anfang sein.«5 Weiter wurde schon festgestellt, dass Moltmann so denkend konstatiert: »Gegenwärtiges und Zukünftiges, Erfahrung und Hoffnung treten in der christlichen Eschatologie in Widerspruch zueinander«, was für ihn dazu führt, dass der Hoffende an der Wirklichkeit zu leiden beginnt.6 Dieser Widerspruch 1 2 3 4 5 6

Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 28. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 11f. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 12. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 13. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 12. Vgl. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 14, u. ö.

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Erkenntnis des Glaubens

richtet sich bei ihm gegen die Wirklichkeit »der erfahrenen Gegenwart des Leidens, des Bösen und des Todes«7 , gegen »das Nichtige, Widersprüchliche und Quälende der Welt«8 . In dieser Wirklichkeit erkennt der Hoffende »die Tödlichkeit des Fortschritts in den ökonomischen, ökologischen, nuklearen und genetischen Katastrophen und nimmt die Zukunftslosigkeit der modernen Welt wahr.«9 Die erlebte Wirklichkeit wird also als eine erkannt, der es unbedingt zu widersprechen gilt, so kann man Moltmanns Anliegen zusammenfassen, und muss dann gleichzeitig fragen, woher diese Erfahrung kommt. Moltmann spricht davon, dass dieser Widerspruch »eben der Widerspruch [ist], aus dem diese Hoffnung selbst geboren wird, es ist der Widerspruch der Auferstehung zum Kreuz«, und weiter von der den Widerspruch verursachenden »Zukunft der Gerechtigkeit gegen die Sünde, des Lebens gegen den Tod, der Herrlichkeit gegen das Leiden, des Friedens gegen die Zerissenheit.«10 Nun wird deutlicher, was Moltmann damit ausdrücken möchte, wenn er davon spricht, Theologie habe mit der Eschatologie zu beginnen, denn so, wie es seinen Aussagen bisher zu entnehmen war, gibt es keinerlei unverzerrte Erkenntnis der Wirklichkeit außer vom Reich Gottes her. Und davon kann nur geredet werden, da es in der Verheißung von Ostern eine Antizipation des Kommenden Reiches gibt. Soweit kann diese Arbeit am momentanen Punkt schon ausdrucksfähig werden. Aber es gibt nun Verschiedenes, das noch zu besprechen ist, nämlich wie die Antizipation des Reiches Gottes sprachfähig machen kann und ob in diesem Hoffnungswissen nicht mehr versteckt ist, als antizipierendes, fragmentarisches Wissen, sondern auch eine Form von explizitem, faktischem, propositionalem Wissen. Nach dieser Analyse ist die Erkenntnistheorie, die Moltmann mit der Hoffnung verbindet, darzustellen und den Abschluss bilden kurze Andeutungen zu den Folgen, genauer gesagt wie nicht nur Denken, sondern auch Handeln von der Hoffnung her transformiert werden müssen.

6.1 Das Kommen des Reiches Gottes Dass die Zukunft des Reiches Gottes im Kommen begriffen ist, findet sich an vielen Stellen in Moltmanns Programm. So wird »das Verheißene gegenwärtig dargereicht und […] ergriffen in der Hoffnung des Glaubens«11 , die Auferstehung wird verstanden als »bestätigte Verheißung, die sich an allen erfüllen«12 soll und wird, und »[d]ie von Jesu Reichsbotschaft offen gehaltene Zukunft wird durch seine Auferstehungserscheinung bestätigt, im Vorschein als Anbruch seiner Prausie 7 8 9 10 11 12

Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 14. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 179. Ders.: Kommen Gottes, S. 64. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 14, Hervorhebungen von mir. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 189. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 192.

Das Kommen des Reiches Gottes

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gewiß gemacht und benennbar als seine Zukunft.«13 Dabei, so Moltmann weiter, muss auch immer bedacht werden, dass mit der Verheißung der Auferweckung von den Toten, dem Widerspruch Gottes zur Vergänglichkeit, das so antizipierte »Reich Gottes nichts geringeres als nova creatio sein«14 kann, weil der Tod als absolutes Nihil in der Auferweckung überwunden wird, die Auferweckung also als ein »neues, das totale nihil vernichtendes totum«15 zu verstehen sei. Und dieses totum ist nichts anderes, wie Thomas betont, als ein »kreatorischer Akt Gottes«16 – um es mit Moltmanns Worten zu sagen, es geht um ein »novum ultimum«, um die »Neuschöpfung aller Dinge durch den Gott der Auferstehung Christi.«17 Dementsprechend fasst Thomas nicht ganz unbegründet zusammen, dass immer im Blick bleiben sollte, »daß Moltmann die Vorstellung der Neuen Schöpfung ins Zentrum der Eschatologie, ja in den Kernbereich seiner Theologie überhaupt gerückt hat.«18 Doch welche Vorstellung ist das? In der Theologie der Hoffnung findet sich wenig inhaltliche, dafür sehr viel strukturelle Rede vom Reich Gottes. Das Reich Gottes kommt, es ist verheißen und in der Verheißung wird es auch antizipiert, d. h. antizipierend gegenwärtig, aber nur unter Vorbehalt. Doch daraus ergibt sich ein bestimmter Engpass, nämlich dann, wenn Eschatologie als »Medium des christlichen Glaubens«19 die erfahrbare Welt als negative erkennbar macht. Diese Erkenntnis braucht dann allerdings auch ein Vorauswissen, was denn nun schlecht ist und was besser sein wird. Es geht nicht um das wie, sondern um das dass der Verbesserung, der »Negation des Negativen«20 , wie Moltmann in Anlehnung an Hegel schreibt. Ginge es Moltmann nur um »jenen unausgemachten Vorraum der Zukunft, in den hinein die Tendenzen des Geistes und die Ankündigungen des Kerygma weisen«21 bliebe es bei der reinen Vorläufigkeit, wären auch die Aussagen Moltmanns bloß Spekulation und er müsste sich selbst den gleichen Vorwurf machen, den er an Bloch richtet, nämlich dass »[a]lle Utopien vom Reiche Gottes oder des Menschen, alle Hoffnungsbilder vom glücklichen Leben, alle Revolutionen der Zukunft […] solange in der Luft [hängen…], wie es keine Gewißheit im Tode und keine Hoffnung gibt, die die Liebe über den Tod hinaus trägt.«22 Soll es also wirklich ein »theologisches Hoffnungswissen«23 geben, das zum Widerspruch bringt, und nicht bloß eine utopische Jenseits-Ahnung, dann 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23

Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 201. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 202. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 180. Thomas: Neue Schöpfung, S. 319. Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 28. Thomas: Neue Schöpfung, S. 315. Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 12. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 192. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 193. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 325. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 176.

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Erkenntnis des Glaubens

muss in den Verheißungen des Reiches Gottes nicht nur das strukturelle Kommen, sondern auch eine bestimmte inhaltliche Konkretheit mitgeliefert werden. Die Theologie der Hoffnung muss an diesem Punkt kurz verlassen werden, da sie eher die Struktur der Hoffnung thematisiert, nicht aber konkret deren Inhalt. Moltmann nahm in den deutlich späteren Beiträgen zur systematischen Theologie, namentlich in Trinität und Reich Gottes24 und in Das Kommen Gottes25 darauf Bezug. Eine ausführliche und tiefgreifende Diskussion der inhaltlichen Eschatologie Moltmanns kann und will diese Arbeit nicht leisten. Vielmehr sollen nun schlaglichtartig die prägnantesten Entscheidungen Moltmanns, sofern sie die Forschungsfrage tangieren, dargestellt, nicht aber diskutiert werden. Es geht an dieser Stelle nur darum, in chronologisch rückwärts gewandter Perspektive die Texte Moltmanns zu lesen hinsichtlich ihres inhaltlichen Gehalts, der die strukturellen Entscheidungen des Hoffnungsdenkens in der Theologie der Hoffnung beeinflusst und nicht bezüglich ihres Inhalts im Allgemeinen. 6.1.1 Exkurs: Inhaltliche Grundentscheidungen von Moltmanns Eschatologie

Moltmann setzt in der inhaltlichen Bestimmung seiner Eschatologie vier Horizonte, die Eschatologie zu eigen hat, voraus. Diese vier sind: »1. Sie ist Hoffnung auf Gott für Gottes Herrlichkeit. 2. Sie ist Hoffnung auf Gott für die neue Schöpfung der Welt. 3. Sie ist Hoffnung auf Gott für die Geschichte der Menschen mit der Erde. 4. Sie ist Hoffnung auf Gott für die Auferstehung und das ewige Leben der menschlichen Person.«26 Er selbst behandelt diese vier Punkte allerdings in umgekehrter Reihenfolge, »[w]eil die noetische Ordnung […] immer die Umkehrung der ontischen Ordnung der Dinge ist«27 . Das bedeutet die seinmäßige Gegenordnung zum erkenntnistheoretischen Fortgang. Moltmann erklärt: »Die Vollendung der zeitlichen Schöpfung ist in der personalen Eschatologie der Übergang aus dem zeitlichen in das ewige Leben, in der geschichtlichen Eschatologie der Übergang aus der Geschichte in das ewige Reich und in der kosmischen Eschatologie der Übergang von der zeitlichen Schöpfung in die Neuschöpfung einer ewigen ›vergöttlichten‹ Welt.«28

Es gibt für menschliche Erkenntnis keine Möglichkeit, nicht zeitlich und räumlich zu Erkennen. Erkenntnistheoreitsch steht aus der Offenbarung in Kreuz und Auferstehung deshalb die Auferweckung der Toten, die personale Eschatologie vorne an, die sich dann auf die Erkenntnis weiten kann und muss, dass in diesem Geschehen auch die zeitliche Geschichte eine Verwandlung erfahren muss, da sonst das ewige Leben aus der Auferweckung undenkbar würde. Wenn allerdings die 24 25 26 27 28

Moltmann: Trinität und Reich Gottes. Ders.: Kommen Gottes. Ders.: Kommen Gottes, S. 16. Ders.: Kommen Gottes, S. 16. Ders.: Kommen Gottes, S. 291.

Das Kommen des Reiches Gottes

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Transformation der zeitlichen Geschichte in das ewige Reich eintritt, tritt damit auch die Verwandlung der Schöpfung in die Neuschöpfung ein. Das ist der noetische Weg. Ontisch ist es aber laut Moltmann zunächst einmal die Herrlichkeit Gottes, die die Neuschöpfung bringt, wodurch die zeitliche Geschichte und damit auch das das zeitliche Leben verwandelt werden. Dies ist die Verkehrung von ontischer und noetischer Ordnung. Dieser Herangehensweise wird nachgegangen und mit der bei Moltmann (zumindest in der Theologie der Hoffnung) nicht besonders deutlich bedachten »Personalen Eschatologie« starten. Moltmanns Verständnis der personalen Eschatologie entwickelt sich um die Frage nach dem ewigen Leben und wie es nach dem Tod nun weitergehen könnte; er identifiziert in der »europäischen Geistesgeschichte […] zwei Bilder der Hoffnung angesichts des Todes: das antike Bild von der unsterblichen Seele und das biblische Bild der Auferstehung der Toten.«29 Die Unsterblichkeit der Seele sieht er dabei bei Plato begründet.30 Plato, so Moltmann, argumentiere auf Basis einer transzendentalen Vorraussetzung der Seele, insofern Erkennen »nichts anderes als Wiedererinnerung« sei, d. h. alles, was im Leben erkannt werde, schon vor der Geburt präexistent angelegt sein müsse.31 Er stellt fest, dass es in dieser Lehre nicht um ein Leben nach dem Tod gehe, sondern sie »von einer göttlichen Identität des Menschen jenseits von Geburt und Tod« handle, da die Seele selbst ja nicht sterben könne, deshalb in der »Geburt des Körpers auch nicht geboren« worden sei.32 Vielmehr sei der Tod eine Befreiung der Seele, die nach dem Tod des Körpers zu ihrem Ursprung zurückkehre.33 So kommt es auch, verdeutlicht Moltmann, dass die unsterbliche Seele ihre eigene Unsterblichkeit spätestens im Tod wiedererkenne; folglich kommt er zu dem Schluss: »Die Unsterblichkeit der Seele ist eine Einsicht«34 . Hier zeigt sich auch der gravierende Unterschied zum Auferstehungsdenken, wie Moltmann es denkt, das nämlich nicht Einsicht, sondern Hoffnung ist.35 Daraus folgt für ihn eine nicht unerhebliche Unterscheidung nämlich: »Das erste [die unsterbliche Seele] ist ein Vertrauen auf etwas Unsterbliches im Menschen, das zweite [die Auferstehungshoffnung] ein Vertrauen auf den Gott, der das Nichtseiende ins Sein ruft und die Toten lebendig macht.«36 Einerseits gibt es die Seele, die »den Tod als ›Freund‹ begrüßen« kann und wird, andererseits die Hoffnung auf Auferstehung, für die »der Tod der ›letzte Feind‹ (1Kor 15,26) des lebendigen 29 Ders.: Kommen Gottes, S. 74. 30 Vgl. Ders.: Kommen Gottes, S. 75. Die folgende Darstellung ist exemplarisch für Moltmanns Diskurs mit der Seelen-Thematik, die er noch an Fichte und Bloch weiter expliziert. 31 Ders.: Kommen Gottes, S. 75. 32 Ders.: Kommen Gottes, S. 76. 33 Vgl. Ders.: Kommen Gottes, S. 77. 34 Ders.: Kommen Gottes, S. 82. 35 Vgl. Ders.: Kommen Gottes, S. 82. 36 Ders.: Kommen Gottes, S. 82.

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Gottes und der Geschöpfe seiner Liebe [ist].«37 Darin steckt eine unterschiedliche Gewichtung des Leibes, der bei der Seelenvorstellung eine sehr negative Konnotation erfährt. Dies kann Moltmann nicht mitgehen. Sein Auferstehungsverständnis gründet darin, dass die Auferstehung, analog zum Tod, »ein Ereignis des ganzen Lebens ist«, d. h. »[s]ie begründet die volle Annahme des Lebens hier und bewirkt, daß Menschen sich auf das ganze Leben vorbehaltlos einlassen.«38 Zu diesem Leben gehört der Leib notwendig dazu. Moltmann plädiert also für eine leibliche Auferstehung und bindet die personale Eschatologie gleichsam mit an eine kosmische, wenn er schreibt, dass »Auferstehung […] keine Rückkehr in dieses sterbliche Leben oder ein anderes sterbliches Leben [ist], sondern Eintritt in das ewige Leben.«39 Inwiefern ist das eine kosmische Eschatologie? Die Antwort liegt im ewigen Leben, das impliziert, dass es zwar eine leibliche Auferstehung gibt, aber keine Endlichkeit im Sinne eines Todes. »Die ›Vernichtung des Todes‹ (1Kor 15,26; Apk 21,4) beschreibt die kosmische Seite des Vorgangs […]: keine Auferstehung der Toten ohne jene neue Erde, auf der Tod nicht mehr sein wird.«40 Der Leib kann in dieser Theologie demnach nicht negativ konnotiert sein, da er Teil des Lebens ist und Auferstehung das gesamte Leben umschließt und gerade darin über den Tod hinauskommen kann. Allerdings kann Moltmann dann auch nicht mehr die gleiche Leiblichkeit meinen, die faktisch erlebt wird, sondern muss notwendig umdenken, wofür er den neutestamentlichen Sprachgebrauch anführt, der der Auferweckung den Ausdruck der »›Verwandlung‹, transformatio (1Kor 15,52), und der Verklärung, transfiguratio (Phil 3,21f.)«41 Das bedeutet aber keine Auflösung des Lebens, das Menschen führen, dass sie in der transformatio oder transfiguratio völlig neu geschaffen werden, sondern Moltmann sieht hier eine Identität und zwar eine Identität bei Gott. »Auferweckung zum ewigen Leben heißt, daß Gott nichts verloren gegangen ist, die Schmerzen dieses Lebens nicht und nicht die Augenblicke des Glücks.«42 Und dennoch wird dieser Mensch ein ganz anderer sein, insofern er versöhnt ist, seine Geschichte als versöhnt wiederfindet, »in der Herrlichkeit vollendet«43 ist. Diese transformatio bzw. transfiguratio ist also keine andere Existenz, keine neue Identität, verglichen mit der alten. »Auferweckung ist keine neue Schöpfung«, schreibt Moltmann, »sondern eine Neuschöpfung dieses sterblichen Lebens zum ewigen Leben, nämlich die Aufnahme unseres Menschlichen Lebens in das göttliche Leben.«44 Der Tod bleibt allerdings, so Moltmann, als notwendi37 38 39 40 41 42 43 44

Moltmann: Kommen Gottes, S. 83. Ders.: Kommen Gottes, S. 83. Ders.: Kommen Gottes, S. 86. Ders.: Kommen Gottes, S. 86. Ders.: Kommen Gottes, S. 87f. Ders.: Kommen Gottes, S. 88. Ders.: Kommen Gottes, S. 88. Ders.: Kommen Gottes, S. 93. Es ist hier zu betonen, dass zwar die Neuschöpfung als novum ultimum einen nicht zu überbrückenden Abriss und eine radikale Diskontinuität hinsichtlich des

Das Kommen des Reiches Gottes

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ges Übel bestehen. Zwar wird nicht die menschliche Identität im Tod vernichtet, allerdings muss für eine Auferweckung der Toten nach wie vor gestorben werden.45 Das liegt daran, dass bei Moltmann aus der Hoffnung auf die Auferweckung der Toten nicht notwendig die Überwindung des Todes hervorgeht, sondern umgekehrt, aus der Überwindung des Todes kommt die Auferstehungshoffnung. Warum das so ist, wird im nächsten Schritt zu klären sein, den Moltmann »Geschichtliche Eschatologie« nennt.46 »Menschliche Wesen sind soziale Wesen und als soziale Wesen natürliche Wesen«, schreibt Moltmann und möchte damit ausdrücken, dass es ungenügend wäre, »die eschatologische Hoffnung allein im Symbol des ›ewigen Lebens‹ zu fassen«47 . Er möchte betonen, dass über die personale Eschatologie hinausgegangen werden muss. Zwar ist für ihn die »[p]ersönliche Hoffnung gegen den eigenen Tod und über ihn hinaus […] der Anfang der Eschatologie«, allerdings nur, so schränkt er direkt ein, insofern sie »als Anfang ein integraler Bestandteil der universalen Hoffnung auf die Zukunft Gottes für die ganze verelendete Schöpfung«48 ist. Nicht diese Welt, das folgert er aus seiner Aussage, ist der Ort des ewigen Lebens, sondern das Reich Gottes, das für ihn zentraler Inhalt der kosmischen Eschatologie ist, insofern nicht der Mensch oder die Geschichte der Welt im Zentrum stehen, sondern die universale »Eschatologie von der ›Neuschöpfung aller Dinge‹«49 , die die integralste Form der Eschatologie ist, aus der heraus die geschichtliche und die personale Eschatologie entspringen. Was ist aber der Inhalt der geschichtlichen Eschatologie? Sie steht »in der Mitte zwischen der personalen Hoffnung und der kosmischen Erwartung« und behandelt »die eschatologischen Symbole ›Gericht‹, ›Reich‹, ›Ende‹ und ›Vollendung‹«50 . ›Gericht‹ und ›Reich‹ identifiziert Moltmann dabei als politische, ›Ende‹ und ›Vollendung‹ als apokalyptische Begrifflichkeiten. Was heißt das für

45

46 47 48 49 50

sündigen Menschen bedeutet, damit aber nicht gesagt ist, dass Gott die Kontinuität des Menschen damit aufhebt, sondern es hier tatsächlich um eine Hineinnahme der menschlichen Endlichkeit in die Unendlichkeit Gottes geht. Damit muss die dialektische Stellung von neuer und alter Schöpfung verstanden werden als ein (mindestens) doppeltes Aufgehoben-Sein. Vgl. Ders.: Kommen Gottes, S. 92f. Moltmann vermeidet dabei die Rede vom »Tod [als] ›der Sünde Sold‹« und dreht das Verhältnis um, dass die Sünde, namentlich »Lebensgier und […] Habsucht« erst aus dem Bewusstsein der eigentlichen Sterblichkeit entstehen, und kommt deshalb zu dem Schluss »Sünde ist also ›des Todes Sold‹ und entsteht aus dem Bund mit dem Tod und breitet ihn aus.« (Ders.: Kommen Gottes, S. 112f.) Dementsprechend setzt die Überwindung der Sünde in der transformatio voraus, dass der Tod selbst überwunden wird, da sonst die Bedingung der Möglichkeit neuer Sünde nicht aus der Welt ist (Vgl. die Diskussion dieses Themas bei Thomas: Neue Schöpfung, S. 327ff.). Dieser Themenkomplex wird in der dritten Stufe von Moltmanns materialer Eschatologie weiter besprochen. Vgl. Moltmann: Kommen Gottes, S. 150–284. Ders.: Kommen Gottes, S. 150. Ders.: Kommen Gottes, S. 150. Ders.: Kommen Gottes, S. 151. Ders.: Kommen Gottes, S. 151.

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Erkenntnis des Glaubens

Moltmanns Diskurs? Er stellt fest, dass »Geschichte […] politisch gesehen immer Kampf um die Macht und die Vorherrschaft« war und jede Machtposition das »Ende dieser Macht« fürchte.51 Das heißt im Umkehrschluss auch, dass das Ende nicht nur wie ein Damoklesschwert über der Macht bzw. der Geschichte schwebt, sondern dass das Ende gleichzeitig auch eine Befreiung mit sich bringt, nämlich die Befreiung von der gegenwärtig erlebten Macht.52 Nun wurde schon festgestellt, dass Moltmann den Kreuzestod als geschichtlichen Prozess versteht, in dem Jesus Christus durch die Mächte der Welt, namentlich Politik und Religion, ans Kreuz gebracht und getötet wurde.53 Nach der Geschichtslogik, die vorhin bei Moltmann identifiziert wurde, ist damit der Kampf um die Macht und die Vorherrschaft für Jesus verloren. Die Mächte schreiben die Geschichte nun weiter. Doch so einfach ist es nicht, sagt Moltmann, denn statt dem ewigen Tod Jesu steht hier die Auferstehung und das ewige Leben Christi und damit die Überwindung der weltlichen Mächte und des Todes – es wurde dies mit Moltmann die verheißende und damit Geschichte stiftende Offenbarung Gottes genannt, die »keine historische Offenbarung Gottes in der Geschichte [ist]«, sondern »die eschatologische Offenbarung Gottes ist vielmehr das ›Ende der Geschichte‹.«54 »Gemeint ist, daß mit der Auferweckung des gekreuzigten Christus von den Toten die Zukunft der Neuschöpfung aller Dinge mitten in dieser sterbenden und vergehenden Welt schon begonnen hat.«55 Doch bleibt noch die geschichtliche Vorläufigkeit zu betonen. Das Ende der Geschichte, das offenbar wird, wird zwar offenbar, damit wird es aber noch nicht; die Zukunft der Neuschöpfung hat begonnen, aber es ist noch nicht alles neu geworden. Auch Moltmann vergisst nicht den eschatologischen Vorbehalt. Wir können und müssen an dieser Stelle mit Moltmann zurückgreifen auf die Unterscheidung von Parusia und Futurum und die Umkehrung der eschatologischen Zeitordnung56 . »Der tiefste Einfluß der Eschatologie auf die Erfahrung der Geschichte«, so schreibt Moltmann, »liegt in der ›qualitativen Differenzierung zwischen Vergangenheit und Zukunft‹.«57 Damit meint Moltmann das, was als Parusia bezeichnet wurde: »das große eschatologische Ereignis«, das Reich Gottes, das hier verstanden wird als »das Ende dieser vergänglichen Weltzeit und der Beginn der neuen ewigen Weltzeit«.58 Als dieses große eschatologische Ereignis muss es auch seine Schatten vorauswerfen »auf die Erfahrung dessen, was vergeht, und

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Moltmann: Kommen Gottes, S. 154. Vgl. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 154f. Vgl. Ders.: Der Gekreuzigte Gott, S. 121–138. Ders.: Kommen Gottes, S. 156. Ders.: Kommen Gottes, S. 156. Siehe Kapitel 4.2.1.1, S. 138. Moltmann: Kommen Gottes, S. 158. Ders.: Kommen Gottes, S. 158.

Das Kommen des Reiches Gottes

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dessen, was kommt.«59 Nur weil Moltmann von dieser Zukunft her denkt, vom Reich Gottes, das sich in der Geschichte antizipierend offenbart, kann er diese »eschatologische Qualifizierung von Vergangenheit und Zukunft«60 vornehmen, die darin besteht, das Vergangene »als Schema dieser alten Welt […], die vergehen wird«61 beschreiben, da er futurologisch argumentiert und Zukunft qualifiziert als »mit dem Bild der neuen Schöpfung erfüllt, die ewig bleiben wird.«62 Es stellt sich an dieser geschichtlich-apokalyptischen Herangehensweise nun mit Recht die Frage nach dem Ende aller Dinge, also konkret nach der Zukunft der Geschichte, der Neuschöpfung aller Dinge. Es stellt sich die Frage: Wie ist sich das vorzustellen? Gibt es ein ›jüngstes Gericht‹ oder entscheidet sich Moltmann für die Allversöhnung? Denn diesen beiden Alternativen stellt Moltmann sich. »›Allversöhnung‹, ›apokatastasis panton‹, ›Heilsuniversalismus‹ oder die ›Wiederbringung aller Dinge‹ bezeichnen die umstrittenste Frage christlicher Eschatologie«63 , schreibt Moltmann, deren Problematik er in zwei Richtungen interpretiert: Einerseits sieht er, dass durch die Verkündigung der »Allversöhnung […] jener Leichtsinn [entsteht], der sagt: Warum soll ich glauben und mich bemühen, ein gutes und gerechtes Leben zu führen, wenn ich und alle andere Menschen ohnehin erlöst werden?«64 Andererseits aber, »[w]ird der doppelte Gerichtsausgang verkündigt, dann entsteht die Frage: Wozu hat Gott die Menschen geschaffen, wenn er zuletzt die Mehrheit von ihnen verdammt und nur eine Minderheit erlöst?«65 Nach einer kurzen Analyse der biblischen Tradition zu diesen beiden Themen66 kommt Moltmann zu dem Ergebnis, dass »Allversöhnung und doppelter Gerichtsausgang […] beide biblisch gut bezeugt [sind].«67 Auf dieser Basis lässt sich also keine Entscheidung fällen. Deshalb fragt Moltmann nun nach den theologischen Implikationen. »Gegen einen doppelten Gerichtsausgang spricht«, so Moltmann, »die Erfahrung der Übermacht der Gnade Gottes über die menschliche Sünde. […] Gott zürnt über die Sünde nicht obwohl, sondern weil er die Menschen liebt. Er sagt Nein zur Sünde, weil er Ja zum Sünder sagt.«68 Es geht Moltmann hier darum, aufzuzeigen, dass nicht der Mensch selbst der Verworfene ist, sondern die Sündhaftigkeit des Menschen das ist, was verworfen wird. Moltmann bestreitet nicht, dass es Verdammnis gibt,69 aber der Vorstellung ihrer Ewigkeit widerspricht er vehement, 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69

Ders.: Kommen Gottes, S. 158. Ders.: Kommen Gottes, S. 159. Ders.: Kommen Gottes, S. 158. Ders.: Kommen Gottes, S. 159. Ders.: Kommen Gottes, S. 264. Ders.: Kommen Gottes, S. 267. Ders.: Kommen Gottes, S. 267. Vgl. Ders.: Kommen Gottes, S. 268ff. Ders.: Kommen Gottes, S. 269. Ders.: Kommen Gottes, S. 270. Vgl. Ders.: Kommen Gottes, S. 269.

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Erkenntnis des Glaubens

sei es auf der sprachlichen Ebene, dass die ewige Verdammnis ›ewig‹ ist im Sinne von »aeonisch, langzeitlich oder endzeitlich«, aber »[n]ur Gott selbst […] im absoluten Sinne ›ewig‹ und im qualitativen Sinn ›unendlich‹ [ist]«70 ; oder auch inhaltlich, dass die Verdammnis bedeutet, dass Gott »ein zeitliches Nein [sagt], weil er in Ewigkeit Ja zum Menschen als seinem Geschöpf und Ebenbild gesagt hat.«71 Dass Gottesbild, das sich aus diesem Gedanken heraus ergibt, ist das Bild eines gnädigen, gütigen Gottes, dessen Gerechtigkeit über allem steht. Dann folgt aber auch, so Moltmanns Darlegung, »daß Weltgericht und Versöhnung des Alls keine Gegensätze sind.«72 Diese Aussage folgt aus den vorherigen Überlegungen, weil es zwar laut Moltmann ein Gericht gibt, aber dieses zeitliche Ereignis der Verneinung durch Gott im Gericht und der Verdammnis schon selbst umschlossen ist vom großen und ewigen Ja Gottes zur Schöpfung und zum Menschen selbst.73 Dennoch heißt das auch nicht, dass die Allversöhnung unreflektiert übernommen wird. Sondern Moltmann hält fest: »Gegen die Allversöhnungslehre spricht, daß der versöhnende und rechtschaffende Gott, wie immer er mit anderen Kreaturen umgehen mag, Menschen jedenfalls durch Glauben retten will.«74 Das wirft die berechtigte Frage auf, ob, trotz des Willens Gottes, allen zu helfen, sich auch alle helfen lassen wollen.75 Denn Moltmann sieht hier das Problem, dass »die Entscheidung zum Glauben überflüssig« zu werden droht und »Gottes Gnade zu einer billigen Gnade wird«, insofern sie »die Freiheit Gottes fest[legt].«76 Moltmann sieht hier kritisch, wie eine Allversöhnungslehre dazu tendieren kann, nicht mehr vom Kreuz, also von Gott in solcher Niedrigkeit zu sprechen, »daß er seine Herrlichkeit in die Hände von Menschen legt«, und damit nicht ernst zu nehmen, daß Gott »offenbar auf Gegenseitigkeit angewiesen« ist, also »die freie Entscheidung der Menschen« achtet, was dann aber auch heißen muss, »die Glaubensentscheidung nicht so ernst [zu nehmen] wie Gott sie ernst nimmt«77 . Warum verhandelt Moltmann es unter geschichtlicher Eschatologie? Weil es hier um das Ende der Geschichte geht, die Zukunft der Geschichte, die verheißen ist. Vom Kreuz her möchte Moltmann deshalb folgendes in die Endzeiteschatologie eingebracht sehen: »Im Gekreuzigten erkennen wir den Richter im Endgericht, der selbst für die Angeklagten, an ihrer Stelle und zu ihren Gunsten, zum Gerichteten geworden ist. […] Wer in Christi Geschichte die Gerechtigkeit Gottes, die denen Recht schafft, die Unrecht leiden, und die 70 71 72 73 74 75 76 77

Moltmann: Kommen Gottes, S. 270. Ders.: Kommen Gottes, S. 271. Ders.: Kommen Gottes, S. 271. Moltmann selbst bleibt hier auf der Linie der Versöhnungslehre Karl Barths, der auch vom großen das Nein umschließenden Ja spricht (Vgl. Barth: KD IV/1). Moltmann: Kommen Gottes, S. 271. Vgl. Ders.: Kommen Gottes, S. 270. Ders.: Kommen Gottes, S. 270. Ders.: Kommen Gottes, S. 272.

Das Kommen des Reiches Gottes

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Gottlosen rechtfertigt, erfahren hat, der weiß welche Gerechtigkeit im Endgericht dieser ruinierten Welt wiederherstellen und alle Dinge wieder zurechtbringen wird«78 .

Die Heilstat Jesu Christi, die eschatologische Vollendung der Schöpfung in der Versöhnung und Rechtfertigung der Menschheit, ist tatsächlich erkennbar, nämlich von der Auferweckung Christi her: »Es handelt sich um Gott und seine schöpferische Gerechtigkeit«79 . Als Gott – so kann versucht werden, die vorherigen Gedanken mit diesen zu verbinden – Jesus Christus von den Toten auferweckte, verhieß er damit und antizipierte die Neuschöpfung aller Dinge in dem schöpferischen Handeln der Auferweckung, wie sie auch Inhalt der Hoffnung auf die Auferweckung ist. Und diese schöpferische Gerechtigkeit, dieses schöpferische Handeln, das in der Auferweckung Christi offenbar wurde, nimmt Moltmann wiederum als Grundlage für das weitere eschatologische Denken, kommt dann auf Basis des Gedankens der Neuschöpfung zu der Aussage, dass dieses Gericht »nicht der abschließenden Wiederherstellung einer verletzten göttlichen Weltordnung« dienen kann, da es »kein ›Sühnestrafrecht‹ exerziert«, sondern dass hier die »Vollendung seines [d. i. Christi] Rettungswerkes« geschieht.80 Zentral bleibt die Aussage: »Die wahre christliche Begründung der Hoffnung auf Allversöhnung ist die Kreuzestheologie, und die einzig realistische Konsequenz aus der Kreuzestheologie ist die Wiederbringung aller Dinge.«81

Und hierin sieht Moltmann auch die Entscheidung zwischen Allvesöhnung und doppeltem Gerichtsausgang gefällt: »Mit der Begründung der Allversöhnung und der Wiederbringung aller Dinge im Kreuzestod Christi ist der alte Streit zwischen universaler Gnadentheologie und partikularer Glaubenstheologie überwunden.«82 Denn Gnade, so formuliert er in Anlehnung an Bonhoeffer, »gibt es immer nur ›umsonst‹, gratis«83 , da sie sonst keine Gnade wäre, sondern erkauft. Aber Gnade, so ist Moltmann hier auf der Linie der Tradition und der Schrift zu verstehen, ist Geschenk und zwar Geschenk einer freien Entscheidung.84 So sieht Ders.: Kommen Gottes, S. 278. Ders.: Kommen Gottes, S. 279. Ders.: Kommen Gottes, S. 279. Ders.: Kommen Gottes, S. 279, im Original kursiviert. Natürlich gehört hier dazu, dass das Kreuz ohne die Auferstehung theologisch nicht funktioniert, d. h. die Offenbarung des Kreuzes von der Auferstehung her verstanden werden muss. 82 Ders.: Kommen Gottes, S. 283. 83 Ders.: Kommen Gottes, S. 283. 84 Vielleicht hülfe es, Gnade nicht mehr in die Geschenk-Rhetorik eingebunden zu sehen, um stärker das Machtgefälle, das ihr inhärent ist, zu betonen. Gnade ist ein Gewähr und kann nur gewährt werden, weil der gnadenhafte Akteur gegenüber dem begnadigten in einer Machtposition steht. Die Souveränität des Begnadigenden wird dadurch stärker betont, ohne die Nichtnotwendigkeit der Gnade und ihren Gewähr zu mindern. 78 79 80 81

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Moltmann im Reich Gottes den Sinn des Gerichtsdenkens, versteht das Gericht als die äußere Seite des Reiches und schreibt: »Im Gericht werden alle Sünden, jede Bosheit und jede Gewalttat, das ganze Unrecht dieser mörderischen und leidenden Welt verurteilt und vernichtet, weil Gottes Urteil bewirkt, was er sagt. Im Gericht Gottes werden alle Sünder, die Bösen und die Gewalttäter, die Mörder und Satanskinder, die Teufel und die gefallenen Engel befreit und aus ihrem tödlichen Verderben durch Verwandlung zu ihrem wahren, geschaffenen Wesen gerettet, weil Gott sich selbst treu bleibt und nicht aufgibt und verloren gehen läßt, was er einmal geschaffen und bejaht hat.«85 .

Moltmann geht also aus von einem kreuzestheologisch gewendeten doppelten Gerichtsausgang und sieht darin gerade die gnadenhafte Versöhnung aller und des Alls. Das Gericht ist hier nicht zu verstehen als Verurteilung zur ewigen Verdammnis, sondern als Urteil über die Sünde, als Vernichtung des Sünders aber gleichzeitig Rettung des Menschen. Doch stößt man auch hier wieder auf den Punkt, der zu Anfang dieses kurzen Abschnitts über Moltmanns geschichtliche Eschatologie schon genannt wurde, nämlich dass dieses alles, die Versöhnung im Gericht und die daraus folgende personale transformatio in der Auferweckung an einem Themenkomplex hängen, der hier als letztes dargestellt werden soll: Die kosmische Eschatologie, deren Inhalt die Neuschöpfung, die Wiederbringung aller Dinge in ihrer vollendeten Gestalt thematisiert, in der es um das wahre, geschaffene Wesen geht, dem Gott sich in Treue verbindet. Es geht hier um das Reich Gottes selbst, abseits der Betrachtung des Besonderen, das personale und geschichtliche Eschatologie sind. »Christliche Eschatologie muß zur kosmischen Eschatologie ausgeweitet werden, weil sie sonst zu einer gnostischen Erlösungslehre wird und nicht mehr die Erlösung der Welt, sondern eine Erlösung von der Welt, nicht mehr die Erlösung des Leibes, sondern eine Erlösung der Seele vom Leib lehren muß.«86 Dabei ist diese Zukunft, das betont Moltmann, »eine menschliche und irdische Zukunft«, was er daran fest macht, dass der »Erlöser […] nach christlichem Verständnis kein anderer als der Schöpfer« ist und es ein Widerspruch wäre, »wenn er nicht alles, was er geschaffen hat, erlösen würde.«87 Bei seinen Ausführungen möchte Moltmann sich nicht mit spekulativen Szenarien zum Weltende o. ä. auseinandersetzen, sondern wiederum den »Grund in der Erfahrung von Tod und Auferweckung Christi«88 sehen. Darin liegt nun eine weitere besondere Entscheidung Moltmanns begründet, nämlich dass nicht die »Erlösung im Lichte der Schöpfung«89 zu verstehen ist, sondern das Verhältnis umgekehrt werden muss, da man sonst in der Eschatologie 85 86 87 88 89

Moltmann: Kommen Gottes, S. 284. Ders.: Kommen Gottes, S. 285. Ders.: Kommen Gottes, S. 285. Ders.: Kommen Gottes, S. 287. Ders.: Kommen Gottes, S. 287.

Das Kommen des Reiches Gottes

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nur die »Lehre von der restitutio ad integrum«90 habe. Stattdessen sei aber zu bemerken, so seine Aussage, dass »[d]as Schöpfungsurteil ›sehr gut‹ […] nicht im griechischen Sinne vollkommen und ohne Zukunft [heißt], sondern im hebräischen Sinne zweckmäßig, dem Willen des Schöpfers ›entsprechend‹«, also die Eschatologie nicht die Restitution einer Vollkommenheit thematisieren könne, die es eben nie in diesem Sinne gab, sondern von vorneherein »auf ihre endgültige Vollendung«91 hin angelegt ist. Sie ist, so schließt er, als »zeitliche Schöpfung […] auf eine Zukunft hin entworfen, in der sie zu einer ewigen Schöpfung werden soll.«92 Moltmann stellt in Anlehnung an 1Kor 15,22–28 und Phil 2,9–11 die »Zukunft der Weltgeschichte und die Vollendung der Gottesherrschaft« folgendermaßen dar: »Zunächst wird der Auferweckungsprozeß vollendet: zuerst Christus, dann die Christen in der Parusie Christi, dann wird der Tod vernichtet und alle Menschen werden aus seiner Macht befreit.«93 Die Herrschaft Christi hat, darauf legt Moltmann auch besonderen Wert, erst ihre Erfüllung erreicht, wenn der Tod endgültig überwunden ist.94 Die Pointe bei Moltmann läuft auf eine »unterschiedliche Präsenz des Schöpfers in der Gemeinschaft seiner Geschöpfe«95 hinaus. Wo das erste Schöpfungswerk sein Ende in Gottes Sabbat findet und »alle seine Schöpfungswerke durch seine ruhende Gegenwart in ihnen« gesegnet werden, da geht es in der neuen Schöpfung um die »Schechina Gottes […,] die Gegenwart Gottes in der Zeit seiner Geschöpfe […und] die Gegenwart Gottes im Raum seiner Geschöpfe.«96 Schechina heißt nichts anderes als Einwohnung Gottes in Zeit und Raum der Schöpfung, eine Lehre, die Moltmann in Anschluss an Jes 65, Ez 37 und Apk 21 entwickelt. Er führt aus: »Die einwohnende Gegenwart macht Himmel und Erde neu und ist auch das eigentlich Neue«97 und gibt damit folgendem Gedanken Ausdruck: Wenn der Schöpfer nicht nur von ruhender Präsenz ist, wie es im Sabbat der ersten Schöpfung der Fall war, sondern tatsächlich in der Schöpfung selbst in all seiner Unfassbarkeit und Herrlichkeit einwohnt, dann kann diese Schöpfung davon nicht unaffiziert bleiben, sondern dann muss sich hier etwas tun. Es findet eine Neuschöpfung statt, denn »Gottes unmittelbare Gegenwart durchdringt alles.«98 Moltmann wendet sich im Zuge dessen gegen eine bestimmte Position der theologischen Tradition: An der »lutherischen Weltvernichtungslehre« (gemeint ist lutherisch hier im Sinne der lutherischen Orthodoxie99 ) im Eschaton kriti90 91 92 93 94 95 96 97 98 99

Ders.: Kommen Gottes, S. 288. Ders.: Kommen Gottes, S. 290. Ders.: Kommen Gottes, S. 291. Ders.: Trinität und Reich Gottes, S. 107. Vgl. Ders.: Trinität und Reich Gottes, S. 108. Ders.: Kommen Gottes, S. 292. Ders.: Kommen Gottes, S. 292. Ders.: Kommen Gottes, S. 348. Ders.: Kommen Gottes, S. 348. Vgl. Ders.: Kommen Gottes, S. 295.

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Erkenntnis des Glaubens

siert er vornehmlich, dass sie keinen Raum für die Vorstellung lasse, dass das »Heil der Geschöpfe« eben nicht im unvorstellbaren Nirgenwo, sondern »in der gottentsprechenden Welt und dem gottentsprechenden Leben [liegt], gerade weil Gott selbst in seiner unverstellten Gegenwart ihr Heil ist«, und damit nicht, wie Moltmann an Luther kritisiert, die personale Eschatologie, namentlich »der Gedanke der ›Auferstehung des Fleisches‹ gänzlich verloren [geht]«.100 Gegen diese Form der Vorstellung einer umfassenden Annihilatio wendet sich Moltmann auch mit Beruf auf den Noahbund Gen 9,11. Doch auch mit der Lehre von der Verwandlung der Welt, in der es »keine annihilatio, sondern nur eine transformatio mundi geben [kann]«101 , ist er nicht völlig einverstanden. Der bestimmte Vorteil dieser Denkform, so schreibt Moltmann, liegt darin, dass auch hier eine Vorstellung des Endes der Welt in Feuer vorliegt, aber eben nicht die Vernichtung der Welt, sondern die Verwandlung der Welt in diesem Geschehen liegt. »Die annihilatio mundi ist in die Transformation der Welt eingeschlossen weil die Neuschöpfung von Himmel und Erde die Vernichtung des jetzigen Zustands der Welt voraussetzt. Die Transformation setzt aber die Identität der Welt als Schöpfung Gottes voraus, weil sonst an die Stelle der Schöpfung etwas ganz anderes oder eben das Nichts treten müßte.«102 Doch geht es Moltmann hier noch nicht weit genug. Der Begriff der transformatio greift ihm noch zu kurz, da er laut ihm nicht ausdrückt, dass mit der Verwandlung der Welt und der damit einhergehenden Vernichtung von Sünde und Tod auch »die Möglichkeit zu dieser Verkehrung der Form der Welt vernichtet«103 wird. Dies sagt, so Moltmann, »die ostkirchlich-orthodoxe Vorstellung von der Vergöttlichung der Welt«104 , die vordergründig genau das zu meinen scheint, was er unter der Schechina Gottes versteht, nämlich Gottes Einwohnung in der Welt.105 Doch gilt auch dies nur unter Vorbehalt. Diese Lehre schafft es zwar, zum Ausdruck zu bringen, »daß die Natur erlöst, verklärt und vergöttlicht wird, wenn die Person erlöst, verklärt und vergöttlicht wird«106 und damit eine konsequente Form der Vorstellung der imago Dei zu vertreten, in der die »Gottebenbildlichkeit […] nichts [ist], das Menschen von der nicht-menschlichen Natur unterscheidet, sondern gerade das, was sie hypostatisch mit allem Lebendigen und dem ganzen Kosmos verbindet«, also die Rückkehr »der Herrlichkeit Gottes« zur sündigen Menschheit.107 Doch sieht Moltmann hier kritisch, dass »[d]ie VergöttliMoltmann: Kommen Gottes, S. 297. Ders.: Kommen Gottes, S. 298. Ders.: Kommen Gottes, S. 298. Ders.: Kommen Gottes, S. 299. Ders.: Kommen Gottes, S. 299. Diese Einwohnung wird von Moltmann als »Gemeinschaft in der fundamentalen Differenz« verstanden, als Verschränkung von Gott und Welt, »dass man von Gott in der Schöpfung und der Schöpfung in Gott sprechen kann (Perichoresis)« (vgl. ders.: Ist die Welt unfertig?, S. 330). 106 Ders.: Kommen Gottes, S. 300. 107 Ders.: Kommen Gottes, S. 301.

100 101 102 103 104 105

Das Kommen des Reiches Gottes

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chung des Kosmos […] nicht als Neuschöpfung von Himmel und Erde, sondern als Vergeistigung und geistige Durchdringung des Kosmos aufgefaßt [wird]« und damit »einer einseitigen Auferstehungstheologie [entspricht]«108 , allerdings ohne Kreuz. Letztlich sieht Moltmann in der Lehre von der »transformatio« das größte Potential, auch wenn sie daran krankt, »weder die Tiefer der lutherischen Kreuzestheologie noch die Höhe der orthodoxen Vergöttlichungstheologie erreichen [zu] können.«109 Diese Verwandlung bedeutet aber damit für Moltmann auch eine Vermischung der verschiedenen Sphären, insofern er von Johann Tobias Beck110 die Idee übernimmt, dass die Weltorganisation der Einwohnung Gottes über »den christologischen Gedanken der wechselseitigen Perichoresis«111 am Besten zu denken ist. Daraus folgt die Vorstellung eines Panentheismus, in dem »Gott ›alles in allem‹ [ist], […] Gottesgemeinschaft und Weltgemeinschaft nichts Getrenntes oder Gegensätzliches mehr [sind]«112 , sondern Gott und Menschen »in gegenseitiger Durchdringung«113 wohnen und existieren. Wenn dergestalt Gottes Herrlichkeit in der Welt wohnt, dass es eine wechselseitige Durchdringung gibt, so folgert Moltmann, erhält »das eschatologische Ziel der Schöpfung im Ganzen und aller einzelnen Geschöpfe […] damit eine theologische und eine ästhetische Dimension.«114 Um letztere, die wahrnehmende, man darf hier auch sagen: die erkenntnistheoretische Dimension, soll es im weiteren Textverlauf gehen. Vorher sollen allerdings noch wenige Sätze der vierten Dimensionen der Eschatologie bei Moltmann gewidmet werden. Das vierte Thema, die »göttliche Eschatologie«, »gilt der Verherrlichung Gottes: Soli Deo gloria« und statuiert: »Endzweck der Schöpfung ist die Herrlichkeit Gottes«115 . Diese vierte Dimension ist zwar noetisch die letzte, ontisch aber die erste der Ebenen der Eschatologie, denn hier nimmt, so Moltmanns Verständnis, alles seinen Ursprung. Ist die Schöpfung auf Vollendung in der Herrlichkeit des Eschatons angelegt, dann nimmt sie gleichsam dort ihren Ursprung. »Es gibt keine Verherrlichung Gottes, die nicht von ihm selbst ausgeht, durch ihn erfolgt und auf ihn selbst bezogen ist.«116 Denn es geht hier bei Moltmann um nichts geringeres als die Fülle Gottes, »die überschwengliche Fülle des göttlichen Lebens; ein Leben, das sich 108 Ders.: Kommen Gottes, S. 301. 109 Ders.: Kommen Gottes, S. 301. 110 Beck: Die Vollendung des Reiches Gottes, S. 95ff., zitiert nach Moltmann: Kommen Gottes, S. 305. 111 Ders.: Kommen Gottes, S. 305. 112 Ders.: Kommen Gottes, S. 306. 113 Ders.: Kommen Gottes, S. 305. 114 Ders.: Kommen Gottes, S. 349f. 115 Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 350. Thomas: Neue Schöpfung, S. 321–325 problematisiert feinsinnig Moltmanns Rede von der Neuen Schöpfung als Endzweck des Schaffens, wie es bei Moltmann gekoppelt ist an die Zimzum-Lehre Issak Lurias. 116 Moltmann: Kommen Gottes, S. 351.

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unerschöpflich-schöpferisch mitteilt; ein überströmendes Leben, das Totes und Abgestorbenes lebendig macht; ein Leben von dem alles Lebendige seine Lebenskräfte und seine Lebenslust empfängt; eine Lebensquelle, auf die alles, was lebendig gemacht worden ist, mit tiefer Freude und lautem Jubel antwortet.«117 An dieser Stelle bleibt auch Moltmann nicht mehr zu sagen als »Soli Deo Gloria«118 , denn hier muss jede menschliche Sprachform enden. Der Exkurs sollte helfen, zu verstehen, weshalb Moltmanns Hoffnungstheologie so strukturiert ist, wie sie es ist. Die dargestellten inhaltlichen Entscheidungen Moltmanns dürfen als das verstanden werden, worauf er zu Beginn der Theologie der Hoffnung anspielt und seine programmatische Umstellung der Wichtigkeit der Hoffnung basiert. Er sieht hier besonders kritisch, dass die »weisende, aufrichtende und kritische Bedeutung« dieser Inhalte – Versöhnung, Erlösung, Auferstehung – »für alle jene Tage, die man hier, diesseits des Endes, in der Geschichte« lebt, durch die Vertagung »diese[r] Ereignisse auf den ›jüngsten Tag‹« völlig verloren gehe.119 Hoffnung, so müsste man dann konsequent Moltmanns Gedanken weiterdenken, kann erst dann Hoffnung sein, wenn sie eben nicht nur die Zukünftigkeit, sondern auch die Präsenz des Erhofften aussagen kann. Eschatologie, als »die Lehre von der christlichen Hoffnung«120 hat sich dementsprechend nicht nur mit der abstrakten Zukunft des Reiches Gottes, sondern mit dessen Erfahrbarkeit als »einer bestimmten geschichtlichen Wirklichkeit«121 auseinanderzusetzen. Eschatologie kann dann nicht nur futurisch sein, sondern muss auch präsentische Eschatologie werden.122 Wenn ernst genommen wird, was zu Anfang des Exkurses von Moltmann übernommen wurde, nämlich dass die noetische Ordnung der Wahrnehmung umgekehrt zur ontischen steht, dann ist nicht die Auferstehung der Toten, die hier zuerst behandelt wurde, sondern die Selbstverherrlichung Gottes von höchster ontischer Ordnung in Moltmanns inhaltlicher Eschatologie. Dann ist die Aufgabe der Theologie, im Reden vom Kommen des Reiches Gottes von dessen Selbstverherrlichung zu sprechen. Dann steht und fällt jede theologische Aussage in diesem System mit Gottes Herrlichkeit. Stellt man nun den Konnex her zu dem, was bisher über Hoffnung herausgearbeitet wurde, besonders im Hinblick auf den antizipatorischen Aspekt der Hoffnung stiftenden Verheißung, ergibt sich nun ein theologisch hochkomplexes Gebilde. Denn die Verheißung wurde als immer in gewisser Weise offenbarend 117 118 119 120 121 122

Moltmann: Kommen Gottes, S. 365. Ders.: Kommen Gottes, S. 367. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 11. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 11f. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 13. »›Präsentische Eschatologie‹ heißt«, so Moltmann, »nichts anderes als eben ›schöpferische Erwartung‹, Hoffnung, die zur Kritik und Veränderung der Gegenwart ansetzt, weil sie sich der universalen Zukunft des Reiches öffnet.« (Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 309).

Das Kommen des Reiches Gottes

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analysiert und Offenbarung selbst als Identifikationsgeschehen. Dies wurde mit besonderer Gestalt für die Auferweckung des gekreuzigten Christus von den Toten festgestellt. Es kann also für Moltmanns Theologie folgendes festgehalten werden: »Der grundlegende Vorgang ist nicht die Überbrückung der Vergänglichkeit durch Bleibendes, sondern die das Ziel der Geschichte antizipierende Auferweckung von den Toten, die Ankunft von kommendem Heil, Leben, Freiheit und Gerechtigkeit in der Auferstehung Christi.«123 Doch sollte hier vorsichtig bedacht sein, was Moltmann damit meint. Geht es in erster Linie um ein personales Verständnis von Eschatologie, das dann zu einer ›Reich Gottes Vorstellung‹ geweitet wird oder steht ein universales Heil im Vordergrund, auf das sich dann die persönliche Hoffnung richten kann? Mit dem Rückbezug darauf, dass es Moltmann beim Reich in erster Linie um die Herrlichkeit Gottes und deren Schechina in der Schöpfung geht, kann ein rein personales Verständnis schon jetzt ausgeschlossen werden. Personalistische, oder gar reduktionistische Eschatologie hat in der Theologie der Hoffnung keinen Platz. Das Heil, das die verheißene Zukunft bringen wird, muss für Moltmann, will es wirkliches Heil sein, immer auch universale Geltung haben und kann nicht nur der Partikularität des Christentums und des erwählten Judentums gelten.124 »Wahre Hoffnung«, so schreibt Moltmann, »muß universal sein, weil ihre heilende Zukunft jedes Einzelne und das ganze Universum umfaßt. Würden wir nur für ein einziges Geschöpf die Hoffnung aufgeben, dann wäre für uns Gott nicht Gott.«125 Hier ist eine der ersten Konsequenzen, die Moltmanns inhaltliche Entscheidungen für die Struktur der Hoffnung mit sich bringen, ersichtlich. Hoffnung ist zwar Hoffnung des Einzelnen, aber nicht für den Einzelnen, sondern, ist sie christologische Auferstehungshoffnung, Hoffnung für die Schöpfung. So wird der Einwand Moltmanns, dass in seiner Analyse »der christliche Glaube die ihn tragende Zukunftshoffnung aus seinem Leben ausschied und die Zukunft in ein Jesneits oder die Ewigkeit transportierte« zum zentralen Kritikpunkt, den die Rückund Umbesinnung auf eine Theologie der Hoffnung zu beseitigen hat, indem sie betont, dass »die biblischen Zeugnisse […] aber randvoll von messianischer Zukunftshoffnung für die Erde sind«126 . Diese Zeugnisse sind dabei – Moltmann bedient sich hier an Karl Barths Idee, die Schöpfung als Gleichnis aufzufassen127 – immer in Form von Gleichnissen formuliert und weisen in dieser Form »die 123 Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 277. 124 Moltmann rechtfertigt dies mit der Schöpfungsmittlerschaft Christi, (vgl. ders.: Trinität und Reich Gottes, S. 118) der »der Grund des Heils der ganzen Schöpfung« ist und deshalb auch »das Ziel der ganzen Schöpfung sein« muss, was, so Moltmann notwendig auch heißt, dass »von Ewigkeit her ihr Grund« ist, was seine Defition von Schöpfungsmittlerschaft ist (Ders.: Trinität und Reich Gottes, S. 117). 125 Ders.: Kommen Gottes, S. 151. 126 Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 11. 127 Vgl. Barth: KD IV/3, S. 126–175; diese Sprachform wurde noch aufgegriffen, vertieft und auch klar von Moltmann und Barth abgegrenzt in Link: Die Welt als Gleichnis.

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Erkenntnis des Glaubens

verborgene Gegenwart der Zukunft des kommenden Reiches auf.«128 Damit sagt Moltmann aus, dass das Reich Gottes eben nicht nur ein kommendes, nicht nur ein noch-nicht-Seiendes, sondern ein auch gegenwärtig wirkliches ist und dass die biblischen Zeugnisse nicht nur das Kommen ankündigen, sondern auch seine Gegenwart hier und jetzt verkünden. »Als Proklamation ist das Evangelium auf die Ankunft der kommenden Herrschaft Christi bezogen und ist selber ein Moment dieser Ankunft. Es offenbart die Gegenwart des kommenden Herrn.«129 Der Kommende ist demnach in dem Geschehen, wovon das Evangelium Zeugnis gibt, gänzlich gegenwärtig; das Christusgeschehen von Inkarnation bis Himmelfahrt ist nicht nur irgendeine Erzählung, so darf man Moltmann hier auslegen, sondern ist Gegenwart der Erfüllung der Verheißung. Dennoch vergisst er dabei nie den eschatologischen Vorbehalt, sondern drückt aus: »Das ›Jetzt‹ und ›Heute‹ des Neuen Testaments ist ein […] ›Jetzt‹ und ein ›Plötzliches‹, in dem das Neue der verheißenen Zukunft aufblitzt und einleuchtet. Es ist nur in diesem Sinne ein ›eschatologisches‹ Heute zu nennen.«130 Und nun bemerkt man die Kontinuität, die in Moltmanns Denken und Schreiben liegt, die sein Entwurf mit sich bringt, denn, so Moltmanns Konsequenz, »[v]erstehen wir das Gleichnis als die verborgene Gegenwart einer qualitativ neuen, erlösenden Zukunft in den Alltagserfahrungen dieser Welt, dann wird das Gleichnis zur Verheißung.«131 Doch läge es Moltmann fern, zu behaupten, dass vom Gleichnis her, von der Verheißung aus das Reich Gottes erkannt werden könne, sondern die Reihenfolge muss auch hier, wie in der oben erwähnten Umkehrung von ontischer und noetischer Ordnung, andersherum verstanden werden: Damit die Verheißung als Verheißung erkannt wird, muss erst die Gegenwart der Erfüllung im Moment der Verheißung, also durch die Anwesenheit der Herrlichkeit Gottes in der Welt wirklich sein. »Mit der Auferweckung des Gekreuzigten beginnt«, so Moltmann, »der endzeitliche Prozeß der Totenauferweckung und der Neuschöpfung der Welt.«132 Und nur weil dem so ist, weil die Gottesherrschaft133 hier schon anbricht, wenn auch nicht vollmächtig und endgültig, darum kann es als Verheißung dieser Zukunft des Reiches Gottes interpretiert werden. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich Hoffnung bei Moltmann nicht denken lässt, ohne dass die Herrlichkeit Gottes sich schon in der Welt eingewohnt hat und noch einwohnt und auch einwohnen wird. Der Gott, den Moltmann hier 128 129 130 131 132 133

Moltmann: Gott in der Schöpfung, S. 75. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 276. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 26. Ders.: Gott in der Schöpfung, S. 76. Ders.: Gott in der Schöpfung, S. 79. Gottesherrschaft ist dabei für Moltmann ein innertrinitarisches Geschehen und ein innertrinitarischer Prozess, »durch den das Reich vom Sohn Gottes auf den Vater übergeht. Eschatologie ist demnach nicht nur, was in den letzten Tagen im Himmel und auf Erden geschieht, sondern was wesentlich dann in Gott selbst geschieht« (Ders.: Trinität und Reich Gottes, S. 108f.).

»Spero ut intelligam«

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beschreibt, ist »ein Gott der Verheißung und des Aufbruches aus der Gegenwart in die Zukunft«134 . Und gleichzeitig ist er damit der Gott, dessen Zukunft in diesem Aufbruch gegenwärtig ist. Würde die Herrlichkeit Gottes als Erfüllung der Schöpfung135 nicht am Kreuz offenbar, würde auch die Auferweckung Christi nicht als Verheißung erfahren werden können – die Auferstehung der Toten, das Ende der Geschichte und das universale Heil wären nicht mehr aussagbar. Weil sie aber aussagbar sind, darum gibt es überhaupt Hoffnung und zwar Hoffnung, die nicht nur erwartet, sondern tatsächlich auch erkennt, welche Zukunft kommen wird. Moltmann bezieht sich auf Paulus und schreibt: »2Kor 4,6 sieht Paulus die Erleuchtung des Glaubens durch die Erkenntnis Christi in einer Perspektive mit der Schöpfung des Lichtes am Anfang: Wer glaubt, wird vom Licht der neuen Schöpfung erfaßt.«136 »Darum lebt der Glaubende nicht in den Tag hinein, sondern über den Tag hinaus in Erwartung der Dinge, die laut den Verheißungen des creator ex nihilo und des Totenauferweckers kommen sollen.«137 Der nächste Abschnitt soll sich nun genauer mit dieser speziellen Form der Erkenntnis auseinandersetzen.

6.2 »Spero ut intelligam« Alles, was bisher besprochen wurde, brachte die Arbeit diesem zentralen Thema näher. Erkenntnis geschieht durch Hoffnung und Hoffnung entsteht durch Erkenntnis. Das Ganze der Theologie, alle Aussagen, die theologisch getroffen werden können, alle Loci, alle Bekenntnisse, sie alle fußen darauf, dass Gott sich in Jesus Christus geoffenbart hat und er (wenn auch nicht umfassend oder gar vollständig) in dieser seiner Selbstoffenbarung durch sein offenbar-Sein erkennbar wird. Jede Theologie hat daher ihre eigene kleine Erkenntnistheorie, sei sie durch ein Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit oder die Christusoffenbarung beschrieben. Was also ist das besondere Proprium der Erkenntnis bei Moltmann, außer, dass in ihr Hoffnung eine etwas größere Rolle spielt? Wieder ist der Ausgangspunkt das Geschehen von Kreuz und Auferstehung Jesu Christi, in dem sich Gott offenbart, indem er sowohl den Auferstandenen mit dem Gekreuzigten, als auch sich mit diesem auferstandenen Gekreuzigten identifiziert und damit eine Zukunft vorstellt, nämlich die Zukunft der gesamten Schöpfung, die Schechina Gottes und damit Einwohnung der Herrlichkeit und einhergehend Verherrlichung der Welt in der Selbstverherrlichung des Schöpfers.138 Der Ort der Erkenntnis ist damit zu134 135 136 137 138

Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 25. Vgl. besonders Ders.: Gott in der Schöpfung, S. 76f. Ders.: Gott in der Schöpfung, S. 80. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 26. Auf die genauen Abläufe der Selbstverherrlichung als innertrinitarischem Gottesgeschehen wie Moltmann sie präsentiert, kann hier, auch wenn es sehr interessant ist, nicht tiefer eingegangen werden. Siehe dazu Ders.: Trinität und Reich Gottes, S. 140ff. und Ders.: Die einladende Einheit, besonders S. 124ff.

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Erkenntnis des Glaubens

nächst einmal klar umrissen: Das Kreuz Jesu Christi und die Welt, auf der es stand (und steht). An diesem Ort folgt Erkenntnis im Allgemeinen dem Analogieprinzip. Die landläufige Erkenntnis, die Moltmann in Anlehnung an Platon vorstellt, sagt aus: »Erkennen geschieht am Leitfaden der Analogie und ist dann immer ein Wiedererkennen.[…] Wird der Gleichheitsgrundsatz strikt verstanden, so wird Gott nur von Gott erkannt. Wird aber Gleiches auf diese Weise nur von Gleichem erkannt, so wird eine Offenbarung im anderen, das nicht Gott ist, und im Fremden, das nicht göttlich ist, eigentlich unmöglich.«139

Für die christliche Theologie wäre es allerdings problematisch, würde Gleiches nur von Gleichem erkannt werden. So könnten Menschen zwar den Menschen Jesus am Kreuz erkennen und am auferweckten Christus scheiterte schon jegliche Erkenntnis an der fehlenden Möglichkeit – von allem Göttlichen in diesem Geschehen würde dann nur Christus selbst Erkenntnis haben können. Offenbarung bliebe rein selbstreferentiell und würde dem Menschen sich nicht eröffnen können. Der christliche Glaube sagt allerdings genau das Gegenteil aus, nämlich dass im Gekreuzigten Jesus der Christus auferweckende Gott offenbar wird.140 Und um das ausdrücken zu können, muss ein anderes Erkenntnisprinzip herrschen. »Wenn Kreuzestheologie von Gott im gottverlassenen Christus, von seiner Herrlichkeit in seiner Erniedrigung und folglich von der Rechtfertigung der Gottlosen spricht, so muß sie jenes analogische Erkenntnisprinzip verlassen und zunächst ein dialektisches entwickeln. […] Contraria contrariis curantur«141

Ein dialektisches Erkenntnisprinzip kümmert sich, so sagt es Moltmann, um das genaue Gegenteil des analogischen. Nicht mehr heißt es dann ›Gleich und Gleich gesellt sich gern‹, sondern umgekehrt ›Gleiches wird von Ungleichem erkannt‹. »Auf die christliche Theologie angewendet heißt das: Gott wird nur in seinem Gegenteil, in der Gottlosigkeit und Gottverlassenheit, als ›Gott‹ offenbar.«142 Damit ist aber keinesfalls das analogische Erkenntnisprinzip als wertlos abzutun, schränkt Moltmann ein. »Das dialektische Prinzip der Offenbarung im Gegenteil und der Erkenntnis des Ungleichen ersetzt nicht das analogische Prinzip der Erkenntnis des Gleichen, sondern macht Erkenntnis des Ungleichen durch Ungleiches überhaupt erst möglich. Sofern Gott im Widerspruch des gottverlassenen Christus offenbar wird, kann er von Gottverlassenen erkannt werden«143 . So ist und bleibt Ostern der Ausgangspunkt der Herangehensweise an Analyse und Interpretation von Moltmanns Texten. 139 140 141 142 143

Moltmann: Der Gekreuzigte Gott, S. 31. Vgl. ders.: Der Gekreuzigte Gott, S. 32. Ders.: Kreuzestheologie, S. 85; siehe auch ders.: Der Gekreuzigte Gott, S. 32. Ders.: Der Gekreuzigte Gott, S. 32; siehe auch ders.: Kreuzestheologie, S. 85. Ders.: Kreuzestheologie, S. 85.

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Mit Moltmann wurde schon festgehalten und ausgelegt: »Die Voraussetzung für die Erkenntnis Gottes ist das Offenbarwerden Gottes durch Gott. Insofern bleibt Gott bis in den menschlichen Erkenntnisvorgang hinein das Subjekt und der Herr. Menschliches Erkennen ist antwortendes Erkennen.«144 Antwortend ist dieses Erkennen insofern, als die Erkenntnis Gottes des Vaters, des SohnGottes und des Geistes am Kreuz entspringt und zwar von Gott her. Wo Dumont über Moltmann noch schreibt, dass Christen von diesem Allen »Kenntnis [haben], weil Jesus sich vom Vater gesandt wußte und weil er den Gottesgeist nicht nur verheißen, sondern auch vom Vater uns gesandt hat«145 , da greift er noch zu kurz und wird der Pointe des Moltmannschen Erkenntnisbegriffs aus der Hoffnung nicht gerecht. Die Erkenntnis des dreieinigen Gottes in Jesus Christus des Herrn ist bei Moltmann bedingt durch den Glauben und bedingt gleichzeitig den Glauben. Der Glaube ist bei Moltmann das Werk des Geistes zur Verherrlichung des Vaters und des Sohnes in, an und durch die glaubenden Menschen. Der Geist »verherrlicht Christus in den Glaubenden und vereinigt sie mit ihm.«146 So kommt Moltmann auch zu dem Schluss, dass menschliches Erkennen antwortet auf die Befreiung zum Glauben und zwar mit Glauben. Wieso sollte diese Offenbarungserkenntnis aber einerseits zum Glauben befreien und gleichzeitig aber auch Glauben als Antwort daraus folgern? Ist damit nicht ein merkwürdig zweigestaltiges Glaubensverständnis formuliert, das zwei Stadien kennt? Nämlich erstens Erkennen und zweitens Glauben? Oder ist es gar umgekehrt und erst kommt der Glaube und dann die Erkenntnis? Oder beide gleichzeitig und sich gegenseitig bedingend? Zu Fragen ist zunächst einmal, was Erkennen bei Moltmann für eine Bedeutung hat, insbesondere, wenn es um Gotteserkenntnis geht. »Gott erkennen, heißt ihn wiedererkennen. Ihn wiedererkennen aber heißt, ihn in seiner geschichtlichen Treue zu seinen Verheißungen zu erkennen, ihn darin als denselben und darum ihn selbst erkennen.«147 Es führt also der Weg wieder über den Verheißungsbegriff. Moltmann führt aus: »Wo Gott in seiner Treue zu gegebener Verheißung sich zu dem bekennt, der zu sein er versprach, wird er selbst in seiner Selbigkeit offenbar und erkennbar.«148 Gott in seiner geschichtlichen Treue wiederzuerkennen ist demnach an die Verheißungen geknüpft. Die ultimative, antizipierende und das christliche Leben begründende Verheißung ist die der Zukunft Christi, die in Kreuz und Auferstehung gegeben ist. Damit ist die Erkenntnis, die Moltmann hier anspricht, eine Erkenntnis des hoffenden Glaubens, also der Hoffnung, die den Glauben auf diese Zukunft hin 144 Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 104. 145 Dumont: Kirche und Reich Gottes, S. 104. 146 Moltmann: Kirche in der Kraft des Geistes, S. 75. Siehe zur weiteren Thematik der Verherrlichung die obige Fußnote (138) mit Verweisen zu einschlägigen Texten Moltmanns. 147 Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 105. 148 Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 104.

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weitet. Gott wird wiedererkannt und wiedererkennbar von der Zukunft her, »in deren Licht er erkennbar wird als das, was er ist«149 . Erkennbar als das, was er ist, hat hier eine besondere Bedeutung, denn es unterstreicht Moltmanns Aussage, dass es hier nicht um eine Möglichkeit für eine Zukunft geht, sondern tatsächlich eine zukünftige Wirklichkeit. Diese Wirklichkeit ist und wie vorhin erarbeitet ist für Moltmann diese Zukunft die panentheistische Vorstellung von der Schechina Gottes in all seiner Herrlichkeit. Ein für menschliche Maßstäbe unbegreifliches Geschehen. So betont Fries in seiner Moltmanninterpretation mit Recht, »daß Ostern als absoluter, neuer, zukunftseröffnender Anfang mit anderen als den weltimmanent üblichen Kategorien zu beschreiben ist.«150 Die Kategorien der Analogie, des Wiedererkennens oder auch schlicht der bloßen Vernunft können hier nie ausreichend sein. Ausreichend sein kann für Moltmann dagegen der Glaube, denn »[d]er Glaube bindet die Menschen an Christus.«151 Er schottet sie nicht ab und versucht nicht, zu »erkennen, um zu beherrschen«152 , wie Moltmann an anderer Stelle sagt, sondern der Glaube kann und darf sich, weil er Geschenk Gottes ist, nur auf Gott als den Souverän dieses Erkenntnisprozesses verlassen. Eine andere Form der Gotteserkenntnis, aus der Natur, aus der Welt oder aus den Phänomenen, sieht Moltmann sehr kritisch. Denn: »Es ist eine solche ›natürliche Thologie‹, in der Gott jedem Menschen offenbar und beweisbar ist, nicht die Voraussetzung des christlichen Glaubens, sondern das Zukunftsziel der Hoffnung. Diese allgemeine und unmittelbare Gegenwart Gottes ist nicht das, wovon der Glaube herkommt, sondern das, worauf er zugeht.«153 Stattdessen gewichtet Moltmann um. Gott ist die Herrlichkeit und als solche offenbart er sich, aber nur von ihm aus kommt das, was von ihm erkannt werden kann. Für Moltmann folgt daraus eine andere Note dieser Erkenntnis: »Die eigentliche Theologie, d. h. die Gotteserkenntnis, wird in Dank, Lobpreis und Anbetung zum Ausdruck gebracht.«154 Gotteserkenntnis findet ihren Ausdruck demnach im Glauben. Nun heißt Moltmanns Programmschrift aber nicht Theologie des Glaubens, sondern Theologie der Hoffnung, weshalb zu fragen ist, was die Hoffnung damit zu tun hat. Bevor allerdings hier weiter vorgegangen und wieder direkter Moltmanns Aussagen analysiert und dargestellt werden, gilt es noch einen wichtigen Wegweiser zu bennen: Die Herrlichkeit Gottes, auch wenn sie ontologisch die höchste Ordnung hat, bleibt noetisch bei Moltmann die niedrigste Ordnungskategorie. Das liegt daran, dass die Herrlichkeit Gottes sich zwar im Ostergeschehen offenbart, allerdings, wie mit Fries schon festgestellt, damit auch menschliche und weltli149 150 151 152 153 154

Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 185. Fries: Spero ut intelligam, S. 88. Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 16. Ders.: ›Sein Name ist Gerechtigkeit‹, S. 158. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 259. Ders.: Trinität und Reich Gottes, S. 169.

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che Erkenntniskategorien überschreitet. Es sind darüber schlicht und ergreifend keine Aussagen zu treffen, die in irgendeiner Weise direkt auf die Herrlichkeit zu beziehen wären. Allerdings kann, wie Moltmann es tut und diese Arbeit es demnach auch so nachvollziehen sollte, ›von unten‹ her herangegangen werden. Es ist nichts über das Reich der Herrlichkeit selbst sagen, aber über das Licht das es wirft und was in diesem Licht zu sehen ist. Nach dieser Grundsatzentscheidung nun also die Frage nach der Hoffnung. Auch hier gibt es zunächst eine kurze, knappe, aber dafür erläuterungsbedürftige Antwort: »Der Glaube erkennt den Anbruch dieser Zukunft der Weite und der Freiheit in dem Christusgeschehen. Die Hoffnung, die sich daran entzündet, ermißt die Horizonte, die sich damit über einem verschlossenen Dasein öffnen.«155 Der Glaube erkennt den Anbruch dieser Zukunft in der Auferweckung Christi. Das heißt also auch, dass Gott im Kreuz erkennbar ist als der Gott, der nicht im Tod alles enden lassen wird, sondern der aus dem Toten Leben schaffen kann. Doch »[d]ie Auferweckung Jesu von den Toten durch Gott spricht noch nicht ›die Sprache der Tatsachen‹, sondern erst die Sprache des Glaubens und der Hoffnung, d. h. die ›Sprache der Verheißung‹.«156 Fries präzisiert: »Von dem als Verheißung verstandenen Ostergeschehen wird die Situation der Welt, des Menschen und des Menschengeschickts gedeutet: nicht mit Kierkegaard als paradoxe Gegenwart des Ewigen im jeweiligen ›Jetzt‹, sondern als ›eschatologische Differenz‹, die durch die Erwartung des Kommenden gegeben ist.«157 Fries erklärt hier erfolgreich, was es bei Moltmann mit der Sprache der Verheißung auf sich hat, nämlich dass es hier um eine Ansage geht, die als solche erkannt werden kann, die aber ihre »Wirklichkeitsdeckung noch nicht gefunden hat«158 . Noch kann man nur glauben, was offenbar ist, allerdings bekommt die Hoffnung hier eine besondere Aufgabe zugesprochen. »Er [d. i. der Mensch] hofft, um zu erkennen, was er glaubt. Darum wird alle seine Erkenntnis als eine vorgreifende, fragmentarische, die verheißene Zukunft präludierende Erkenntnis auf die Hoffnung aufgetragen sein.«159 Schon ein paar Mal fiel dieser merkwürdige Ausdruck des ›Hoffnungswissens‹ bei Moltmann. Dieses Wissen hat dabei besondere Bedeutung. »Nicht die kosmischen und weltgeschichtlichen Geheimnisse der Endzeit werden nach himmlischem Plan vorweg enthüllt, […] sondern die Zukunft der Herrschaft des gekreuzigten Christus über alles leutet in den Ostererscheinungen auf.«160 Moltmann macht hier sehr deutlich, dass der Ansatz, der in der Erkenntnis weiterverfolgt werden muss, von unten her kommt. Nicht die ohnehin mit weltlichen Kategorien nicht beschreibbare Gottesherrschaft ist hier 155 156 157 158 159 160

Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 15. Ders.: Der Gekreuzigte Gott, S. 160. Fries: Spero ut intelligam, S. 88f. Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 93. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 28. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 176.

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gemeint, sondern »[d]ie Auferstehung Christi erkennen heißt […], in diesem Geschehen die Zukunft Gottes zur Welt und die Zukunft des Menschen, die er an diesem Gott und seinem Handeln findet, erkennen.«161 Aber, und darauf legt Moltmann mindestens ebenso großen Wert, das alleine reicht nicht aus, um das Hoffnungswissen zu beschreiben, das wäre die einseitige Verkürzung der Erkenntnis auf ein dialektisches Prinzip, wie es oben beschrieben wurde, dass eben Gleiches nur im Ungleichen erkannt werden wird; Moltmann besteht darauf, dass auch »die alttestamentliche, prophetische und apokalyptische Erwartung einer universalen Offenbarung und Verherrlichung Gottes an allen Dingen erhalten [bleibt].«162 Wenn diese Verherrlichung Teil des Reiches Gottes ist, das in Jesus Christus verheißend antizipiert ist, dann ist auch die Verherrlichung schon der Welt geschehen und damit muss auch das analogische Erkenntnisprinzip seinen Ort in dieser Erkenntnis haben.163 Das ist der Punkt, an dem Fries im obigen Zitat zu kurz griff. Doch kommt man nicht umhin, weiter die Struktur dieses Hoffnungswissens zu untersuchen. Es gibt, so scheint es, bei Moltmann zwei Ebenen, auf denen Erkenntnis Gottes sich immer in dialektischer Gleichzeitigkeit abspielt: Einerseits die Ebene des proleptischen, antizipierenden und fragmenthaften Hoffnungswissens, das sich voller Vertrauen auf Gott werfen muss, da es keine Tatsachen verhandelt, sondern Glaubens- und Hoffnungssätze, die sich noch als wahr oder falsch erweisen müssen, nämlich vom Ende, von der Zukunft her.164 Es ist die Erkenntnis der Hoffnung, die den Glauben für die Zukunft weitet, also für das Reich Gottes bereitet, und ihn damit voran treibt. »Wenn es die Hoffnung ist, die den Glauben erhält, trägt und nach vorne zieht, wenn es die Hoffnung ist, die den Glaubenden in das Leben der Liebe hineinzieht, dann wird es auch die Hoffnung sein, die das Denken des Glaubens, sein Erkennen und Bedenken des Menschseins, der Geschichte und der Gesellschaft mobilisiert und antreibt. Er ›hofft, um zu erkennen, was er glaubt‹. Darum wird alle seine Erkenntnis als eine vorgreifende, fragmentarische, die verheißene Zukunft präludierende Erkenntnis auf die Hoffnung aufgetragen sein.«165 Das Wissen, das in dieser Hoffnung in den Glauben eingeht, ist ein Hoffnungswissen, ein unabgeschlossenes Wissen, das der Tatsachendeckung ermangelt und darum bei Gott ruht. Andererseits sind diese Glaubens- und Hoffnungssätze teil des Werkes des Heiligen Geistes und somit nicht nur Vorschein und Teil der Herrlichkeit, sondern sie kommen aus der Herrlichkeit des Herrn zu seiner Verherrlichung durch den Menschen und sind somit auch erkennbar als Momente der Gnade, Wahrheit, Liebe 161 Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 176, Hervorhebungen von mir. 162 Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 176. 163 Bühler: Kreuz und Eschatologie, S. 317 zeigt, inwiefern das Analogieprinzip bei Moltmann wiederum problematisch ist. 164 Vgl. Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 28; ebenso auch Ders.: Der Gekreuzigte Gott, S. 154; u. ö. 165 Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 28.

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und Treue Gottes, dessen »Herrlichkeit […] an dem in Ohnmacht und Schande gekreuzigten Christus offenbar geworden«166 ist. Diese »Gotteserkenntnis ist dann ein antizipierendes Wissen um die Zukunft Gottes, ein Erkennen der Treue Gottes, die aufgetragen ist auf die Hoffnungen, die durch seine Verheißungen ins Leben gerufen werden.«167 Sie ist ein antizipierendes Wissen der Hoffnung, aber sie ist Wissen. Gott scheint nicht nur teilweise in Jesus Christus und seiner Geschichte durch, sondern die Geschichte Jesu Christi ist die Geschichte Gottes und die Geschichte Gottes wird als Geschichte Gottes mit der Welt offenbar an der Geschichte Jesu Christi. Nicht nur ein bisschen, sondern ganz und gar. Dann muss sich auch die Zeitlogik umkehren. »Gott wird nicht erst am Ende der Geschichte erkannt, sondern inmitten der werdenden, offenen und auf das Spiel der Verheißungen gesetzten Geschichte. Darum muß diese Erkenntnis ständig der ergangenen Verheißungen und der geschehenen Treue Gottes eingedenk bleiben und zugleich ein eigentümliches Hoffnungswissen sein.«168 Inmitten der erlebten Geschichte zeigt sich, dass es eine Geschichte Gottes ist und nicht erst dann, wenn in der Rückschau alles als Plan und Handeln Gottes überblickt werden kann. Inmitten der erlebten Geschichte ist das Kreuz Christi aufgerichtet.169 Demnach ist Gott auch inmitten dieser Geschichte erkennbar. Nun darf es nicht so verstanden werden, dass diese beiden Erkenntnismomente sich gegenseitig ausschließen, sondern sie ergänzen sich bei Moltmann. Denn beide Seiten sind gleich stark repräsentiert, wenn Moltmann schreibt: »Unter dem Stern der Verheißung Gottes wird die Wirklichkeit als ›Geschichte‹ erfahrbar. Der Spielraum dessen, was als ›Geschichte‹ in Erfahrung, in Erinnerung und Erwartung gebracht werden kann, wird eröffnet und erfüllt, wird offenbar und gestaltet durch Verheißung.«170 Denn es geht für den Menschen in seinem Glauben immer auch um seine momentane Stellung in der Geschichte. Er erkennt sich als geschichtliches Wesen – allerdings wird die Geschichte, in der er sich stehend sieht, erst von der Verheißung und also durch die Hoffnung dem Glaubenden offenbar. »Aus der verheißenen Zukunft der Wahrheit wird die Welt als Geschichte erfahrbar.«171 Es ist also sehr wohl zunächst einmal die eigene Geschichte, die dem Menschen erkenntlich wird. Wie genau, kommt später noch gesondert zur Sprache, für den Moment reicht die Einsicht, dass in der Offenbarung Gottes eine Selbsterkenntnis des Menschen eingeschlossen ist. Doch nicht nur. Denn das offenbarende Gegenüber ist Gott:

166 167 168 169 170 171

Ders.: Ders.: Ders.: Ders.: Ders.: Ders.:

Der Gekreuzigte Gott, S. 155. Theologie der Hoffnung, S. 106. Theologie der Hoffnung, S. 106. Theologie der Hoffnung, S. 16. Theologie der Hoffnung, S. 95. Theologie der Hoffnung, S. 82.

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»Der in seinen Verheißungen gegenwärtige Gott ist für den menschlichen Geist ein Gegenstand in dem Sinne, daß er dem menschlichen Geiste entgegen-steht solange, bis eine Wirklichkeit geschaffen wird und erkennbar wird, die seinen Verheißungen ganz entspricht und ›sehr gut‹ genannt werden kann. Darum machen nicht die Erfahrungen den Glauben und die Hoffnung, sondern der Glaube und die Hoffnung machen Erfahrungen und bringen den menschlichen Geist zu einem immer neuen, unruhigen Transzendieren seiner selbst.«172

Es erschöpft sich, folgt man dem Inhalt dieses Zitats, nicht die Erkenntnisfähigkeit des Menschen in dem, was ihm als Gegenstand in der Geschichte gegenübersteht, also in der Gegenwart.173 Die erfahrbare Wirklichkeit um ihn herum ist nur die eine Seite, die nicht hinüberführen kann zu einer Erkenntnis Gottes. Vielmehr tritt Gott der Erkenntnis als Gegen-stand entgegen, steht der Wirklichkeit als etwas Gegenüber, für das ihre Grenzen zu eng sind. Und er steht nicht statisch als dieses Gegenüber, weil ihm kein Raum zu schaffen ist in der Wirklichkeit, sondern er nimmt die Geschichte hinein in sich, macht sie zu seiner Geschichte und tritt damit in sie ein. Darum kann Moltmann sagen, dass nicht die Erfahrungen Glauben und Hoffnung hervorbringen, sondern dann, wenn der Mensch seine Geschichte als Geschichte Gottes erkennt und durch den Geist zum Glauben befreit ist, dann hat er die Möglichkeit zur wirklichen Erkenntnis und Erfahrung. »Denn das Wesen, die Identität des Verheißungsgottes liegt nicht in seiner geschichtsenthobenen Absolutheit, sondern in der Beständigkeit der von ihm frei gewählten Relation zu seinen Geschöpfen, in der Beständigkeit seiner erwählenden Barmherzigkeit und Treue.«174 Die erlebte Wirklichkeit wird dadurch durch die Wirklichkeit Gottes erweitert. Sie ist nicht mehr auf Fakten fixierbar, sondern das Faktum ist Gott und das, was er für möglich und unmöglich erklärt. Das führt die theologische Erkenntnistheorie der Hoffnung an den Punkt, dass sie ihre Urteile erweitern muss, dass ihr Umgang mit der Wirklichkeit sich radikal wandeln muss. »Das bedeutet für das Erkennen, Begreifen und Bedenken der Wirklichkeit wenigstens dieses, daß im Medium der Hoffnung die theologischen Begriffe nicht zu Urteilen werden, die die Wirklichkeit auf das fixieren, was sie ist, sondern zu Vorgriffen, die der Wirklichkeit ihre Aussicht und ihre zukünftigen Möglichkeiten aufdecken. Theologische Begriffe fixieren die Wirklichkeit nicht, sondern sie werden von der Hoffnung expandiert und antizipieren zukünftiges Sein.«175 172 Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 108. 173 So schreibt Moltmann: »Parusie […] meint […] nicht praesentia Christi, sondern adventus Christi, und ist nicht seine ewige Gegenwart, die die Zeit zum Stillstand bringt, sondern seine ›Zukunft‹, […] die das Leben in der Zeit eröffnet, denn das Leben der Zeit ist Hoffnung« (Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 26). Es geht folglich bei aller Präsenz des eschatologischen Inhalts eben immer noch auch um ein Vorläufiges, das in der Hoffnung verhandelt wird. 174 Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 105. 175 Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 30.

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Wie ist aber die Wirklichkeit, die im Urteil fixiert werden könnte? Moltmann betont mehrfach, dass die »Hoffnungssätze im Widerspruch zur erfahrenen Gegenwart des Leidens, des Bösen und des Todes«176 stehen, dass »[a]llein die Hoffnung […] mit den Möglichkeiten, die alles Wirkliche durchziehen, ernst macht«177 , dass von der Auferstehung her und also durch die Hoffnung »der ständig und überall wahrnehmbare Widerspruch einer unerlösten Welt, […] Trauer und Leiden«178 wahrgenommen und erkannt werden. Die Welt, die Wirklichkeit steht hier in einem doppelten Erkenntniprozess. Sie wird wahrgenommen als schlechte Welt, als sündhafte Welt, als Welt, in der der Hoffende verzweifeln kann, weil »kein Weg zur Erfüllung [der Hoffnung] sich auftut.«179 Aber diese Verzweiflung an der Welt setzt schon voraus, dass Hoffnung vorhanden ist.180 Gleichzeitig wird Hoffnung erst als Hoffnung erfahren, wenn sie eben nicht im Bestehenden stehen bleibt, sondern wenn sie durch das Auferweckungsgeschehen »über sich selbst hinausweist in ein Eschaton der Fülle aller Dinge.«181 Denn bliebe sie bei dem Bestehenden stehen, käme überhaupt nicht in den Blick, dass das, was ist, nicht unbedingt dem Prädikat ›sehr gut‹ in menschlicher Wahrnehmung entspricht, sondern oft genug eher dem Gegenteil. Und darüber muss die Hoffnung im Angesicht der Auferstehung hinausgehen. »Der Bann des Dogmas der Hoffnungslosigkeit: ex nihilo nihil fit, wird dort gebrochen, wo der als Gott erkannt wird, der die Toten erweckt. Wo man im Glauben und in der Hoffnung auf dieses Gottes Möglichkeiten und Verheißungen hin zu leben beginnt, erschließt sich die ganze Fülle des Lebens als des geschichtlichen und darum zu liebenden Lebens.«182 Dies sind allerdings Erkenntnisse der Hoffnung und des Glaubens und Moltmann ist nicht der erste, der einen Zusammenhang zwischen Glauben, Hoffen und Wissen sucht. Er führt aus: »Im Mittelalter hatte Anselm von Canterbury für die Theologie den seither maßgeblichen Grundsatz aufgestellt: fides quaerens intellectum – credo, ut intelligam.«183 Der Glaube sucht nach Verstehen. Und das muss er auch, denn, so Moltmann, »[s]olange die Hoffnung nicht das Denken und Handeln von Menschen umgestaltend ergreift, bleibt sie auf dem Kopf stehen und unwirksam. Darum muß die christliche Eschatologie den Versuch machen, Hoffnung ins weltliche Denken und Denken in die Hoffnung des Glaubens zu bringen.«184 Es ist für die Theologie zu kurz gegriffen, würde sie plump Eines zum An176 177 178 179 180 181 182 183 184

Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 14. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 20. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 178. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 19. Vgl. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 19. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 178. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 26. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 28. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 28; man erinnere sich an Abschnitt 5.1, S. 162ff., in dem herausgestellt wurde, dass bei Moltmann Prädikate des Glaubens auch für die Hoffnung gelten und umgekehrt.

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deren bringen oder es gar aus der Diskussion ausschließen wollen. Doch nimmt Moltmann gegenüber Anselm eine Umformulierung vor, an die sich nun anzunähern ist. Denn bei Moltmann wird der Glauben durch die Hoffnung nach vorne gezogen, durch sie für die Zukunft geweitet.185 Und diese Zukunft ist es, die es nun zu verstehen gilt. Denn der Glaubende »hofft, um zu erkennen, was er glaubt.«186 Die Zukunft, von der die christliche Eschatologie spricht, bringt etwas qualitativ Neues zur Sprache.187 Dafür gibt es in der Wirklichkeit keine Entsprechung, außer dem Ostergeschehen, das wiederum selbst analogielos ist und sein muss und bleibt. Hier kommt man nun zu dem Punkt, der vorhin nicht besprochen wurde, nämlich das Moment der Selbsterkenntnis in der Offenbarung Gottes. Bisher wurde gezeigt, dass Moltmann zwar nicht die Herrlichkeit selbst beschreiben kann und will, aber das Licht, das vom Eschaton her strahlt, zumindest beschreiben kann als ein veränderndes Licht. Zunächst einmal nur der Wahrnehmung, aber implizit steckte in diesen Betrachtungen auch schon etwas mehr, nämlich, dass hier auch eine weitere Ebene betrachtet wird, nämlich die Welt und der Mensch, in der und auf die dieses Licht scheint. Warum ist das so? Moltmann spricht davon, dass Gott gegenwärtig ist, »indem er seine und des Menschen und der Welt Zukunft verheißt und Menschen in die Geschichte, die noch nicht ist, sendet.«188 Dieser Gott ist also »ein Gott der Verheißung und des Aufbruches aus der Gegenwart in die Zukunft«189 , allerdings nicht so, dass von jetzt auf gleich die Welt »in den hohen Mittag des Lebens gestellt [wird], sondern in die Morgenröte eines Neuen Tages«190 , also noch im Anfang steht. Das hängt damit zusammen, dass die schlussendliche Offenbarung noch aussteht. Es begegnete schon mehrfach Moltmanns Formulierung, dass der Mensch ›hofft, um zu erkennen, was er glaubt‹, und so hält es sich auch mit der Vorläufigkeit und nicht Allumfasstheit des menschlichen Wissens in Hoffnung und Glaube, dass der Mensch erwartend und hoffend ist gegenüber der »Offenbarung dessen, was er in Chritus schon verborgen gefunden hat«, wie Moltmann schreibt.191 Die Verheißungen Gottes offenbaren ihn als den, der da war, der da ist und der da kommt. Sie sind der Prüfstein für Gottes Treue und gleichzeitig ist seine Treue der Grund, ihnen Glauben zu können. Durch ihre antizipierende Funktion weisen sie nicht nur auf ein Kommendes hin, sondern richten den Glaubenden auch auf den Weg aus, der in diese Zukunft führt. »Der Glaubende versteht sich selbst ja nicht als Anhänger einer Religion, die unter anderen Religionen auch noch möglich ist, sondern als auf dem Wege zum wahren Menschsein, zu dem, was 185 186 187 188 189 190 191

Vgl. Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 15f. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 28. Vgl. ders.: Theologie der Hoffnung, S. 13; Ders.: Zukunft als neues Paradigma, S. 22. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 25. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 25. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 26. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 78.

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allen Menschen bestimmt ist.«192 Was dieses inhaltlich ist, wurde schon im letzten Abschnitt erläutert,193 allerdings geht es nun um die Konsequenz. Moltmann entlehnt hier aus Luthers Römerbriefauslegung »das ›Harren der Kreatur‹, von dem Paulus Röm 8,19 spricht«194 . Die Quintessenz von Moltmanns Lutherzitat ist, »daß er [d. i. Luther] von der theologisch verstandenen ›Aussicht der Kreatur‹ und ihrer Erwartung her ein neues Denken und also ein der christlichen Hoffnung entsprechende Erwartungsdenken über die Welt fordert. Die Theologie wird darum von der in der Auferweckung Christi verheißenen Aussicht für die ganze Kreatur her zu einem eigenen, neuen Bedenken der Geschichte von Menschen und Dingen kommen müssen.«195 Moltmann schreibt: »Gerade der sich der Verheißung Anvertrauende wird sich selbst zum Rätsel und zur offenen Frage, er wird sich zum homo absconditus.«196 Der, der sich hoffend auf die Verheißung stützt, so ist hier umzuformulieren, verliert sich selbst partiell aus den Augen. Damit ist man schon mitten drin in dem Versuch eines neuen Bedenkens von Menschen und Dingen. Dass Gott den Menschen Jesus als den Christus auferweckt hat und damit »ein eschatologisch bestimmter Geschichtsprozeß in Gang gekommen«197 ist, stellt den Menschen in die Dialektik, dass damit zwar verheißen ist, dass es allen so geschehen werde,198 allerdings es noch nicht geschehen ist. »Die Getaufen sind mit Christus gestorben, wenn sie auf seinen Tod getauft werden«, schreibt Moltmann in Anlehnung an Röm 6, »[a]ber sie sind nicht in einem kultischen Perfekt schon mit ihm auferstanden und in den Himmel versetzt.«199 Das steht noch aus, aber weil es verheißen ist, ist es darin verborgen auch gegenwärtig. Das steckt hinter der moltmannschen Rede vom ›homo absconditus‹, dass der Mensch von der Auferstehung her weiß, was ihm zukommt, aber es nicht erlebt. Er beschreibt dieses Sein als einen Zustand einer »offenen Frage an die Zukunft Gottes«, in der »der Hoffende nicht einstimmig und zentrisch in sich selbst, sondern […] exzentrisch zu sich selbst in jener facultas standi extra se coram Deo [steht]«200 . Der Mensch wird sich selbst entäußert. Er »wird identifiziert – als das, was er ist – und zugleich differenziert – als das, was er sein wird.«201 Damit trifft Moltmann eine weitreichende Grundentscheidung für die Erkenntnistheorie, nämlich dass der, der nach Erkenntnis fragt, der Mensch, aus sich her192 193 194 195 196 197 198

Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 264. Siehe hierzu Kapitel 6.1.1 auf S. 204ff. Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 30. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 30. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 81. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 148. Und zwar dergestalt, »daß die Glaubenden ihre Zukunft in ihm finden und nicht nur wie er finden« (Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 73). 199 Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 146. 200 Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 81. 201 Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 80.

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aus nicht dazu fähig ist, tatsächliche Erfahrungen zu machen. Die Welt, die er um sich herum wahrnimmt, und auch seine eigene Stellung in ihr kann er, folgt man Moltmann hier, nur vom Eschaton her wahrnehmen. »Der Mensch erfährt sein Menschsein nicht aus sich selbst, sondern aus der Zukunft, in die ihn die Sendung führt«202 , sagt Moltmann und führt sogar noch aus: »Anders gesagt: die natura hominis ergibt sich erst von der forma futurae vitae her. Sie liegt von ihr her im Werden und steht in bezug auf sie geschichtlich auf dem Spiel. Durch die Hoffnung auf verheißene Neuschöpfung durch Gott steht der Mensch hier in statu nascendi, im Prozeß seiner Hervorbringung durch das rufende, lockende, treibende Wort Gottes.«203

Die Natur, das Wesen des Menschen kommt von der Sendung her. Doch stellt sich dann die Frage, ob das ein exklusivistisches Verständnis von Erkenntnis ist. Kann nur derjenige, der an Gott glaubt, derjenige der von der Auferstehung Christi her auf die Auferweckung der Menschheit von den Toten in der Neuschöpfung der Welt hofft, kann nur dieser Mensch tatsächlich wahre Erfahrungen haben? Ist nur er oder sie zur Erkenntnis seiner selbst fähig? Besteht die Möglichkeit für Nichtchristen überhaupt nicht? Ja und Nein muss die Antwort lauten. Nein, denn das Heil, in dessen Licht erkannt wird, »muß universal sein«204 , so Moltmanns Aussage. Es geht um das Ganze des Universums, die »Zukunft der Weltgeschichte und die Vollendung der Gottesherrschaft«205 und die ist in Jesus Christus ja schon angebrochen, d. h. mit Moltmanns Worten, »[d]ie Zukunft Jesu Christi ist in diesem Zusammenhang die Offenbarung und Veröffentlichung des Gekommenen.«206 Und dennoch bleibt ein Nein, denn auch wenn universale Geltung beansprucht wird, ist es nicht für jedermann Wahrheit, dass dem so ist. Wer diese Offenbarung nicht empfangen hat oder die Augen vor ihr verschließt, der glaubt nicht und kann deshalb nicht hoffend nach dem Erkennen dessen fragen, das er glaubt. Die Möglichkeit zur Erkenntnis ist jedem offen. Was heißt es also für den Menschen, dass seine Natur von der Sendung herkommt? Moltmann antwortet: »Der Mensch kommt zur Erkenntnis seiner selbst, indem er die Diskrepanz zwischen der göttlichen Sendung und seinem eigenen Sein entdeckt; indem er erfährt, wer er ist, und wer er sein soll, aber von sich aus nicht sein kann.«207 Moltmann führt dazu aus, dass der Mensch durch Verheißung »mit sich selbst einstimmig in spe, aber mit sich selbst uneinstimmig in re« wird.208 Die Identifikation mit seinem Sein und die Nichtidentität mit seinem Sein, wie es sein sollte, »bringt ihn noch nicht in eine Heimat der Iden202 203 204 205 206 207 208

Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 263. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 265. Ders.: Kommen Gottes, S. 151. Ders.: Trinität und Reich Gottes, S. 107. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 77. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 263. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 80f.

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tität, sondern nimmt ihn hinein in die Spannungen und Differenzen der Hoffnung, der Sendung und der Entäußerung«209 . Jetzt wäre es allerdings zu kurz gegriffen, würde man dabei stehen bleiben, führt Moltmann aus. Wäre es nun so, dass eine Selbsterkenntnis aus diesem Auferweckungsgeschehen erwüchse, käme die christliche Eschatologie auch nie dazu, vom Reiche Gottes zu reden, sondern würde nur vom eigenen Leben nach dem Tod reden können. Statt wirklich geschichtlicher oder kosmischer oder sogar göttlicher Eschatologie wäre ihr Inhalt nur das Heil des Einzelnen – ein Irrweg, der mit Moltmann vorhin schon aufgezeigt wurde.210 Stattdessen führt Moltmann aus: »Wenn aber das Verheißungsgeschehen der Auferstehung den Menschen identifiziert, indem sie ihn in die Entäußerung seiner selbst führt, so ist diese Selbsterfahrung unmittelbar verbunden mit einer entsprechenden Welterfahrung.«211 Es wurde vorhin schon darauf hingewiesen, dass die Welt hier in denkbar schlechter Weise wahrgenommen wird, weil auf sie das Licht der Vollendung scheint. Und oft genug in der Kirchengeschichte zog sich die Theologie wegen eben dieser Wahrnehmung, dass die Welt selbst nicht vollkommen und vollendet ist, in subjektivistische Frömmigkeit und Glaubensreflexion zurück. Die Welterkenntnis blieb außen vor und was übrig blieb, war ein »direktes« Gott-Mensch-Verhältnis, in dem der Mensch sich in seiner Gottesbeziehung selbst erkennen konnte. »Dagegen muß«, spricht Moltmann, »kritisch eingewandt werden, daß sich die Selbsterkenntnis des Menschen gar nicht im Gegensatz zur Welterkenntnis […] gewinnen läßt, sondern stets beides nur zusammen gewonnen werden kann.«212 Es ist ihm dabei wichtig, zu betonen, dass Gotteserkenntnis immer mit Menschen- und Welterkenntnis verbunden sein muss.213 Denn umgekehrt muss auch, so Moltmann, völlig klar sein, dass die »heile Welt, die Gottes Gottheit beweisen wird«, eben nicht schon durch die Hoffnung erreicht werden kann, »sondern erst dort, wo Gott ›alles in allem sein wird‹«214 , was nicht früher eintreten wird als im Reich Gottes selbst; allerdings scheint das Licht ja auch von dort schon in diese erlebte Wirklichkeit hinein. Erkennt man in diesem Licht das Licht der Vollendung, dann erkennt man gleichzeitig, was die Welt und was der Mensch noch nicht ist. »Die christliche Theologie kann in der Weise ihre Wahrheit an der Wirklichkeit des Menschen und der Wirklichkeit der den Menschen angehenden Welt erweisen, daß sie die Fraglichkeit des menschlichen Daseins und die Fraglichkeit der Wirklichkeit im Ganzen aufnimmt und hineinnimmt in die eschatologische Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 81. Vgl. Kapitel 6.1.1. Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 81. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 253. Er wendet sich hier besonders gegen Rudolf Bultmann und dessen existentiale Interpretation. 213 Vgl. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 253. 214 Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 256. 209 210 211 212

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Fraglichkeit des Menschseins und der Welt, die durch das Verheißungsgeschehen geöffnet wird.«215 Diese Fraglichkeit ist eine der Selbsterkenntnis, wie bisher festzustellen war, und Moltmann führt aus, dass Selbsterkenntnis »hier im Angesicht der göttlichen Berufung und Sendung [geschieht], die dem Menschen Unmögliches zumutet.«216 Darin wird für den Menschen aber auch die Voraussetzung geschaffen, eben nicht mehr nur im Hier und Heute zu leben, sondern über die Wirklichkeit hinausblicken zu können. Der Erkenntnishorizont wird geweitet, der Glaubende lebt »über den Tag hinaus in Erwartung«217 . Natürlich fragt Moltmann an dieser Stelle sehr sinnfällig, ob damit nicht eine Weltflucht einhergeht, die über ein erwartetes Eschaton zu begründen wäre. Denn, so die mögliche Kritik an diesem Hoffnungsverständnis, »[i]st der Mensch nicht immer nur in der Gegenwart ein Seiender, ein Wirklicher, ein mit sich Gleichzeitiger, ein Einverstandener und Gewissert?«218 Nein, so muss er aber auch konsequent anworten, denn sie schafft überhaupt erst den Raum, sich nicht mit den Gegebenheiten abfinden zu müssen. Sie betrügt nicht um »das Glück der Gegenwart«219 , sondern gibt Aufschluss darüber, dass das vermeintliche Glück der Gegenwart nichts erkaufen kann, sondern empfängt und spendet Kraft »auf creatio ex nihilo«220 , d. h. nicht weniger als voraussetzungsloses Glück des Reiches Gottes, das in der Antizipation selbst hoffend antizipiert wird. Moltmann vollführt damit einen impliziten Rundumschlag gegen sämtliche Verwirklichungstheorien, die das größte Glück in dieser Welt darin sehen, persönliche Bedürfnisse zu befriedigen durch verschiedenste Herangehensweisen, sei es durch Arbeit, Geld, o. ä.; in jedem Fall eine individualisierende Gesellschaftsform.221 Stattdessen plädiert er für eine andere Herangehensweise, die durch die Hoffnung eröffnet wird. »Nicht die Reflexion, die die eigene Subjektivität aus ihrer sozialen Verwirklichkung zurückholt, bringt dem Menschen seine Möglichkeiten und damit seine Freiheit wieder«, formuliert Moltmann seine Kritik, »sondern allein die Hoffnung, die ihn in die Entäußerung hineinführt und ihn zugleich von der erwarteten Zukunft her immer neue Möglichkeiten ergreifen läßt.«222 Es geht also hier nicht um eine Gesellschaftskritik, die sich »innerhalb der Entzweiung von Subjektivität und Verdinglichung, welche das Prinzip dieser Gesellschaft ist«223 , bewegt, sondern deren Proprium ist, dass sie die Grundlagen selbst in ihrer radikalen Diesseitigkeit und Vorläufigkeit vom Eschaton her 215 216 217 218 219 220 221 222 223

Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 83f. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 263. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 26. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 21. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 21ff. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 27. Vgl. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 283ff. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 311. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 285.

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angreift und aber nicht annihiliert, sondern verändernd mit einbezieht. »Durch diese Hoffnung auf Gottes Zukunft wird die Welt […] offen für die liebende, dienende Entäußerung zugunsten einer Humanisierung der Verhältnisse, zugunsten der Rechtsverwirklichung im Lichte des kommenden Gottesrechts. Das aber bedeutet, daß die Auferstehungshoffnung ein neues Weltverständnis hervorbringen muß. […] Die Welt ist noch nicht fertig, sondern wird als in Geschichte befindlich begriffen.«224 Zurück zu Moltmanns Anlehnung an Anselm für ein kurzes Zusammenfassen, was dieser Abschnitt verdeutlichen sollte. Die Quintessenz ist jene, dass sämtliche »Erkenntnis als eine vorgreifende, fragmentarische, die verheißene Zukunft präludierende Erkenntnis auf die Hoffnung aufgetragen« ist.225 Aber, und das darf dabei nie vergessen werden, es ist eine Erkenntnis. Es bezieht sich jenes mysteriöse Hoffnungswissen komplett auf das verheißene Reich Gottes und zieht auch alle seine Inhalte aus diesem Bezug. Und damit geht besonders einher, dass die Hoffnung »sich als eschatologische Hoffnung nicht länger […] von den kleinen, auf erreichbare Ziele und sichtbare Veränderungen im menschlichen Leben gerichteten Hoffnungen dadurch distanzieren [kann], daß sie diese in ein anderes Reich verweist, ihre eigene Zukunft aber für überirdisch und rein geistlicher Natur hält.«226 Sondern vielmehr geht es um eine innerweltliche Wirklichkeit, nämlich eine wirkliche Zukunft, die offengelegt wird. Diese Zukunft ist aber Parusia, sie ist adventus, sie kommt, sie ist erwartbar, aber nicht hervorbringbar. Insofern ist die Hoffnung transzendental im ganz kantischen Sinne, sie ist Bedingung für die Möglichkeit von Erkenntnis. Sie ist damit eine der irreduziblen Kategorien von wahrer Erkenntnis. Aber gleichzeitig ist sie sehr viel mehr als das. »Theologische Begriffe fixieren die Wirklichkeit nicht«, geht Moltmann weiter, »sondern sie werden von der Hoffnung expandiert und antizipieren zukünftiges Sein.«227 Dass die Wirklichkeit als schlechte Wirklichkeit wahrgenommen werden kann, geht doch nur im Kontrast zur antizipierten heilen Welt, die die eschatologische Zukunft der Herrlichkeit Gottes darstellt. Sie ist ganz und gar nicht Utopie, Un-Ort oder Nicht-Ort, sondern sie ist sehr wohl ein Ort, nur eben einer, der »seine Wirklichkeitsdeckung noch nicht gefunden hat.«228 Die Antizipationen der christlichen Hoffnung »erleuchten die Wirklichkeit, indem sie ihr Zukunft vorweisen«229 und damit etwas völlig Neues vorstellen. »Sie resultieren nicht aus Erfahrungen, sondern sind die Bedingung für die Möglichkeit neuer Erfahrungen«230 , sie nehmen »das absconditum 224 225 226 227 228 229 230

Ders.: Ders.: Ders.: Ders.: Ders.: Ders.: Ders.:

Theologie der Hoffnung, S. 312. Theologie der Hoffnung, S. 28. Theologie der Hoffnung, S. 28. Theologie der Hoffnung, S. 30. Theologie der Hoffnung, S. 93. Theologie der Hoffnung, S. 30. Theologie der Hoffnung, S. 13.

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sub cruce als Latenz und das revelatum in resurrectione als Tendenz«231 dieser erlebten Wirklichkeit und weisen damit der Erkenntnislehre einen neuen Horizont: Nicht mehr diese Welt wird bloß erkennbar, sondern die neue Wirklichkeit des Reiches Gottes ist Teil dieses fragmentarischen (Hoffnungs-)Wissens. Für Moltmann ist es nicht nur ansatzweise möglich, »daß es für die christliche Theologie heute von entscheidender Bedeutung ist, dem Grundsatz zu folgen: spes quaerens intellectum – spero, ut intelligam.«232 Endlich kann man mit Moltmann feststellen – das ist der Höhepunkt seines Werkes und er findet sich am Ende seiner ›Meditation über die Hoffnung‹: »›Spes quaerens intellectum‹ ist der Ansatz zur Eschatologie und, wo sie gelingt, wird sie zur docta spes.«233 Diese Erkenntnis ist es, die der Theologie als solcher zu eigen ist und aus dieser Erkenntnis heraus kommt ihre Sendung, nämlich dieses Wissen weiterzugeben und weiterzusagen. Und diese Sendung ist in Moltmanns Theologie nicht zu wenig zu betonen. Er drückt sich mit den folgenden Worten aus: »Endlich wird die Hoffnung des Glaubens selbst zur unerschöpflichen Quelle für die schöpferische, erfinderische Phantasie der Liebe werden. Sie provoziert und produziert ständig ein antizipierendes Denken der Liebe zum Menschen und zur Erde, um die neu aufbrechenden Möglichkeiten im Lichte des verheißenen Zukünftigen zu gestalten, um nach Möglichkeiten im Lichte des verheißenen Zukünftigen zu gestalten, um nach Möglichkeit hier das Bestmögliche […] schaffen.«234

Endlich geht es Moltmann also auch hier nicht nur um ein erkenntnistheoretisches, sondern auch ein ethisches Programm. Diese Arbeit fokussiert den ersten Teil, kann allerdings dabei den Handlungsaspekt nicht gänzlich unerwähnt lassen. Mit einigen Anstößen und Andeutungen soll die Analyse Moltmanns schließen.

6.3 Schöpferische Nachfolge »Solange die Hoffnung nicht das Denken und Handeln von Menschen umgestaltend ergreift, bleibt sie auf dem Kopf stehen und unwirksam. Darum muß die christliche Eschatologie den Versuch machen, Hoffnung ins weltliche Denken und Denken in die Hoffnung des Glaubens zu bringen.«235 Das wurde für Moltmanns Theologie schon gezeigt, allerdings kam im letzten Abschnitt vor allem das Denken in den Blick. Das Handeln noch nicht, was jetzt andeutungsweise nachzuho231 Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 185. 232 Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 28; dem Autor ist natürlich völlig bewusst, dass dieses ›Heute‹ Moltmanns mehr als 50 Jahre zurückliegt. Doch ist das Plädoyer dieser Arbeit recht eindeutig darin, dass die Theologie wieder mehr Fokus auf die Hoffnung legen darf und muss. 233 Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 30. 234 Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 29. 235 Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 28.

Schöpferische Nachfolge

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len ist. Verheißung ist Sendung, nämlich Sendung in die neue Zukunft, für die man »nach Möglichkeit hier das Bestmögliche zu schaffen«236 möchte. Wie das vollbracht werden kann, dafür muss wiederum bei der Verheißung begonnen werden. Die Verheißungsworte, die den Glauben stiften, sind darin sendende Worte, dass sie befreiende Worte sind. Der »Glaube ist […] Befreiung von der Angst zur Hoffnung, von der Selbstsucht zur Liebe und von der Sklaverei des Bösen zum Widerstand gegen das Böse.«237 Gerade der letzte Aspekt soll im Folgenden besonders in den Fokus rücken. Angst vor der Hoffnung ist das, was vorhin in der Sünde der Verzweiflung thematisiert wurde, deren Inhalt war, angesichts der Verheißung keinen Weg zur Erfüllung sehen zu können.238 Doch liegt der Fokus hier nicht auf der Angst vor der Hoffnung, sondern darauf, zu fragen, was solche Angst vor der Hoffnung hervorrufen könnte. Schon im letzten Abschnitt war mit Moltmann festgestellt worden, dass die Welt nicht eben als über alle Maßen wunderbar dargestellt wird, sondern ernst genommen ist mit allem Fehl und Tadel. Natürlich kennt auch Moltmann die einschlägigen Zukunftsvisionen seiner Zeit, seien es die dystopischen oder die utopischen;239 allerdings sieht Moltmann auch hier eine Prävalenz der christlichen Hoffnung. Denn sie verändert nicht nur kleine Stellschrauben, sondern hat immer das große Ganze im Blick, die Herrlichkeit Gottes vor Augen. Die Hoffnung »wird also diese Zukunftsvisionen auf eine bessere, menschlichere, friedlichere Welt überholen auf Grund ihrer ›besseren Verheißungen‹ (Hebr 8,6), weil sie weiß, daß solange noch nichts ›sehr gut‹ ist, wie nicht ›alles neu‹ geworden ist.«240 Moltmann greift diesen Gedanken aus der Meditation über die Hoffnung später noch einmal auf und präzisiert ihn weiter. »Die christliche Hoffnung kann sich […] nicht auf das Vergangene und Gegebene versteifen und sich der Utopie des status quo verbünden. Sie ist vielmehr selber aufgerufen und ermächtigt zur schöpferischen Veränderung der Wirklichkeit, denn sie hat Hoffnung für die ganze Wirklichkeit.«241 Die Hoffnung ermächtigt zur schöpferischen Veränderung. Moltmann nennt diese Veränderungsmöglichkeit und den Auftrag dazu im Anschluss an Ernst Wolf »Schöpferische Nachfolge«242 und meint damit zunächst einmal im Kleinen: Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 29. Ders.: Auferstehungshoffnung, S. 109. Vgl. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 19; siehe dazu Kapitel 5.2.2, S. 195. Die Theologie der Hoffnung ist nicht ohne Grund mit viel Bezug zu Blochs Prinzip Hoffnung entstanden. 240 Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 29. 241 Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 29. 242 Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 308; vgl. ebenso den gleichnamigen Aufsatz Wolf: Schöpferische Nachfolge. Wolf selbst entwarf dieses kleine Programm in Anschluss an Dietrich Bonhoeffers Ethik. Problematisiert wird es mit Recht gerade als schöpferische Nachfolge von Bühler: Kreuz und Eschatologie, S. 308f. 236 237 238 239

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Erkenntnis des Glaubens

»Glaubensgehorsam, Nachfolge und Liebe«243 . Eingangs dieses Abschnitts wurde von einem zum Handeln befreienden Glauben gesprochen. Das ist bisher noch etwas unklar, deshalb soll es es noch einmal aufgegriffen werden: »Glaube heißt, in diese schöpferische Freiheit Gottes hinein auferweckt zu werden und aus deren Möglichkeiten heraus zu handeln.«244 Wer glaubt und wessen Glauben durch die Hoffnung der Zukunft geöffnet ist für die Botschaft des dreieinigen Gottes vom Kommen seiner Herrlichkeit, der kann nicht tatenlos zusehen und warten, sondern hat Widerstand zu leisten, hat Einspruch zu erheben gegen die Widerworte gegen Gottes Verheißungswort. »Jeder Glaubende und Hoffende ist vocatus und hat sein Leben in den Dienst Gottes, in die Mitarbeit am Reiche Gottes und in die Freiheit des Glaubens zu stellen.«245 Die Hoffnung des Glaubens fordert als das Geschenk, das sie von Gott her ist, eine Antwort ein, die für Moltmann eben diese »schöpferische Nachfolge« ist, die »nicht in Anpassung und Konservierung der bestehenden Sozial- und Rechtsordnungen bestehen oder gar religiöse Hintergrundsbildungen für Gegebenes und Gemachtes produzieren [kann].«246 Dalferth stellt dies folgendermaßen dar. »Der Glaube […] ist […] die Lebenswahrheit der Gegenwart Gottes: Gott ist gegenwärtig. […] Gott ist gegenwärtig und in seiner Liebe hier und jetzt wirksam«247 . Daraus folgt für ihn, dass, weil Gott in seiner Liebe gegenwärtig ist und die Sündhaftigkeit der Welt erkennbar, gehofft werden darf auf »die Durchsetzungskraft der Liebe Gottes«248 . Und gerade weil darauf gehofft werden darf, heißt das, nicht in Lethargie stehenzubleiben, sondern zu erkennen, »was wir tun können und müssen und was wir nicht tun können und auch nicht zu tun brauchen«249 ; es nicht tun brauchen, weil die Menschheit von der Aufgabe befreit ist, das tun zu sollen, was sie so oder so nicht kann. Aber eben darin besteht der Reiz der schöpferischen Nachfolge, genau zu wissen, was als Mensch nicht vollbracht werden kann, nämlich das Reich Gottes zu erwirken. Das kann faktisch nur Gott. Aber es kann und muss dennoch »eine christliche Lehre von Handeln entfaltet werden« und der Horizont, in dem dies zu geschehen hat »ist der eschatologische Erwartungshorizont des Reiches Gottes, seiner Gerechtigkeit und seines Friedens mit einer neuen Schöpfung, seiner Freiheit und seiner Humanität für alle Menschen.«250 Und darin besteht ja, wie schon festgestellt,251 die Besonderheit der Theologie Moltmanns, dass dieser Horizont eben nicht einer ist, der fern von allem verbleibt, sondern der auch gegenwärtig 243 244 245 246 247 248 249 250 251

Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 308. Ders.: Auferstehungshoffnung, S. 109. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 305. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 308f. Dalferth: Zeit für Gottes Gegenwart, S. 150f. Ders.: Zeit für Gottes Gegenwart, S. 152. Ders.: Zeit für Gottes Gegenwart, S. 152. Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 308. Vgl. Abschnitt 6.1.1, S. 204ff.

Schöpferische Nachfolge

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sichtbar, erfahrbar und präsent ist. Der »›Gott der Hoffnung‹ […] ist gegenwärtig, indem er seine und des Menschen und der Welt Zukunft verheißt und Menschen in die Geschichte, die noch nicht ist, sendet.«252 Damit ist die Richtung der Sendung klar vorgegeben: nach vorne. »Die Richtung der Sendung«, so sagt Moltmann, »ist das einzig Konstante in der Geschichte.«253 Es geht auf die Zukunft zu und zwar von dieser herkommend. Damit kommt Moltmann auch der alttestamentlichen Vorstellung sehr nahe. »Die christliche Verkündigung hat mit den alttestamentlichen Überlieferungen die Ausrichtung auf die Zukunft gemeinsam. Tradition ist Sendung nach vorne, ins Novum der verheißenen Zukunft hinein. Das Neue aber der christlichen Verkündigung liegt in ihrer universalen Mission an alle Völker.«254 Überhaupt sieht er die biblischen Zeugnisse als solche immer mit klarem und starkem Zukunftsbezug versehen. »Die biblischen Zeugnisse sind Zeugnisse vergangener, geschichtlicher Sendung nach vorne und können darum am Leitfaden gegenwärtiger Sendung verstanden werden als das, was sie eigentlich sind.«255 Implizit wurde hier auch schon die Frage beantwortet, worin diese schöpferische Nachfolge eigentlich besteht. Geht es um reine Handlungsethik? Oder steht hier eine prinzipienethische Vorstellung im Hintergrund? Heißt schöpferische Nachfolge, Vater und Mutter zu ehren und allen Anfeindungen mit Liebe zu begegnen während man die andere Wange hinhält? Oder geht es um aktiven, ja militanten Widerstand, wie er aus den 60er Jahren bekannt ist? Heißt »das Bestmögliche schaffen« schon die Überwerfung der Herrschenden wie in 1Kor 15,24–28 oder gar einen letzten großen Kampf wie in Apk 20,7–10 beschrieben? Die Antwort muss in allen Fällen ein recht bestimmtes »Nein« sein, so findet es sich zunächst einmal nicht in Moltmanns Theologie der Hoffnung. Hier kommt sehr viel mehr von der Verkündigung her. »Christliche Tradition ist Verkündigung des Evangeliums in Rechtfertigung der Gottlosen.«256 Dabei geht es nicht um eine Verkündigung des Reiches Gottes im jesuanischen Stil. Wenn die Gemeinde nun Jesus als den Christus verkündigt, dann tut sie nicht das, was sie nicht kann, nämlich die Reich-Gottes-Botschaft Christi fortzusetzen, sondern sie verkündigt Jesus Christus als den Herrn, wie sie ihn als den Herrn erkannt hat. »Die Gemeinde hat nicht das Selbstbewußtsein oder das Selbstverständnis Jesu fortzusetzen, sondern zu verkündigen, wer er ist. Das aber ergibt sich erst vom Ende her, d. h. vom Kreuz und von den Ostererscheinungen als dem Vorschein seines eschatologisch noch ausstehenden Zieles und Endes.«257 Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 25. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 262. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 277. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 261. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 278. Ähnlich auch Fowler: Future Christians, S. 105 und Hunter: Theology of the Cross, besonders S. 78f. 257 Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 199f. 252 253 254 255 256

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Und zu dieser Verkündigung Jesu als des Herrn gehört die Verkündigung seiner kommenden Präsenz und des Reiches Gottes in zweiter Instanz natürlich mit dazu. Diese Nachfolge muss nach Moltmann auch mit dem Prädikat »schöpferisch« verbunden sein. Er formuliert: »Der Vorgang und das Procedere der christlichen Verkündigung ist die Berufung der Heiden, die Rechtfertigung der Gottlosen, die Wiedergeburt zur lebendigen Hoffnung.«, schreibt er und führt aus: »Das ist ein schöpferisches Geschehen am Nichtigen, Verlassenen, Verlorenen, Gottlosen und Toten. Es kann darum als nova creatio ex nihilo bezeichnet werden, deren continuatio allein in der verbürgten Treue Gottes liegt.«258 Diese Verkündigung »wird durch die Auferweckung des gekreuzigten Christus ermöglicht und notwendig, sofern darin die Hoffnung auf die universale Zukunft des Heils der Welt verbürgt ist. Sie ist darum identisch mit eschatologischer Mission.«259 Diese Sätze sprechen für sich selbst. Dafür soll versucht werden, einen ersten kurzen Zusammenblick von Denken und Handeln vorzunehmen. Es wurde gezeigt, dass es Moltmann in seiner Hoffnungslehre um ein Doppeltes geht, nämlich um einerseits die Erkenntnis der Welt und der Wirklichkeit im Licht des verheißenen und kommenden Reiches Gottes wahrzunehmen und damit von der Präsenz dieses Reiches im Kommen sprachfähig zu werden. Die Erkenntnis beschränkt sich dabei allerdings nicht nur darauf, dass die Wirklichkeit in einem neuen Licht erfahrbar wird, sondern eine neue Wirklichkeit wird erfahren und erkannt, die Hoffnung ermöglicht nicht nur irgendwelche speziellen Erfahrungen, sondern sie ist Bedingung der Möglichkeit neuer Erfahrungen. Darin erkennt sich auch der Mensch selbst als in dieser Spannung befindlicher Teil und findet sich selbst in eine Dialektik von Identität und Nichtidentität mit sich selbst versetzt, allerdings im positiven Sinne, denn aus dieser Erkenntnis erwächst ihm das Wissen um die eigene Sendung nach vorne auf diese Zukunft hin. Diese Sendung ist eine Sendung in schöpferische Nachfolge, in konstruktive Mitarbeit das Bestmögliche in dieser Welt hervorzubringen,260 wohl wissend, dass 258 Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 278. 259 Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 278. 260 Was dieses ›Bestmögliche‹ nun sei, bleibt eine Leerstelle, die zu weitreichenden Problemen führen kann. Problematisch wird der Umschlag von Moltmanns Programmatik der schöpferischen Nachfolge erst in dem Punkt, in dem er nicht mehr klare Kante zeigt und zeigen kann gegenüber subjektivistischen Positionen, die unter Bezug auf seine Argumentation ihre persönliche Auslegung zur Grundlage einer Mitarbeit am Reich Gottes machen. So können beispielsweise sowohl gemäßigte als auch radikale Befreiungstheologien ihr Vorgehen mit der schöpferischen Nachfolge rechtfertigen und damit Handlungen vollbringen, die nicht nur ex post der christlichen Verkündigung von der universalen Liebe, Gnade, Güte und Gerechtigkeit Gottes widersprechen (ohne damit sagen zu wollen, dass Befreiungstheologie per se zum Übersprung neigt – die Radikalität einzelner verbiegt vielmehr die Wahrnehmung auch der Gemäßigten). Für die Gefahren subjektivistischer und relativistischer Auslegungen seiner schöpferischen Nachfolge aus der Hoffnung war Moltmann hier nicht sensibel genug.

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das Reich Gottes damit in keinster Weise selbst hervorgebracht werden kann – dennoch ist es eine Form von Mitarbeit, nämlich eine verkündigende. Sie besteht darin, zu verdeutlichen, dass es sich hier ganz und gar nicht um eine spiritualistische oder soziale Utopie handelt, die nur am Rande des Horizonts der Zeit existiert, sondern die Verkündigung umfasst ganz konkret die Aussage, dass Jesus Christus der Herr und der Erkenntnishorizont des Reiches Gottes kein ferner ist, sondern der, der ständig alle Horizonte umfasst, ermöglicht, aber gleichzeitig auch weitet und sprengt auf die und durch die gegenwärtge Herrlichkeit des Herren. Die schöpferische Nachfolge, ist der Auftrag, hier verkündigend tätig zu werden und die Möglichkeiten, die alles Wirkliche durchziehen, deutlich hervorzukehren.261 Allerdings kommt hier noch die Frage auf: An wen richtet sich dieser Sendungsauftrag, den Moltmann formuliert? Kurz und bündig lautet die Antwort: Die Gemeinschaft der christlichen Glaubenden und das ist in diesem Verständnis die christliche Kirche, »das eschatologische Volk Gottes, das sich der Herrschaft Gottes unterwirft.«262 Noch einmal kann man es aufnehmen: »Jeder Glaubende und Hoffende ist vocatus und hat sein Leben in den Dienst Gottes, in die Mitarbeit am Reiche Gottes und in die Freiheit des Glaubens zu stellen.«263 Es geht also nicht darum, dass nur bestimmte Herausgestellte in dieses Glaubensgemeinschaft in der Mission tätig sind und andere dafür in der ethischen Reflexion. Hier gibt es für Moltmann keine Aufgabenteilung. »Es ist die Aufgabe der ganzen Christenheit, nicht nur die Aufgabe besonderer Amtsträger. Die ganze Christenheit steht im Apostolat der Hoffnung an der Welt und findet darin ihr Wesen; nämlich das, was sie zur Gemeinde Gottes macht.«264 Denn die ganze Christenheit besteht ja aus Glaubenden an die Offenbarung und Verheißung Gottes, die in Kreuz und Auferweckung ergangen sind. Nun heißt vocatus nichts anderes als Berufener und so kommt es auch, dass Moltmann diese Berufung auch als Herausrufung aus den Zusammenhängen der Gesellschaft. Denn diese ist ja nicht so, wie es sein könnte, wie schon festzustellen war. Für die Glaubenden bedeutet das eine Sonderstellung: »Sollte der Gott, der sie ins Leben gerufen hat, etwas anderes von ihnen erwarten, als was die moderne Industriegesellschaft von ihnen erwartet und ihnen zumutet, so muß die Christenheit den Exodus wagen und ihre gesellschaftlichen Rollen als neue babylonische Gefangenschaft ansehen.«265

261 Auch wenn konsequent hier nicht mehr von Möglichkeiten geredet werden darf, so es um das Reich Gottes selbst geht, sondern Wirklichkeit gesagt werden müuss. Möglichkeit bezieht sich dann nur auf das, was Menschen selbst tun können oder eben nicht tun können. 262 Dumont: Kirche und Reich Gottes, S. 102. 263 Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 305. 264 Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 303. 265 Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 299.

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Fries fasst dies markant zusammen. »Wenn Moltmann«, so seine Aussage, »über die Kirche reflektiert, dann kann er sie nicht als eine Institution verstehen, die eine Funktion für den ›cultus publicus‹ hat, noch weniger kann sie als Lebensprinzip der menschlichen Gesellschaft bestimmt werden. Ihre Existenz und Situation wird umschrieben als Exodus-Gemeinde, als wanderndes Gottesvolk.«266 Die Kirche, die ihren Exodus wagt, steht damit bei Moltmann wieder vollends in der Tradition des Verheißungsgottes des Alten und Neuen Testaments. Ihr Gott ist der von Moltmann so viel beschworene »Gott mit ›Futurum als Seinsbeschaffenheit‹«267 , der Gott, der in eine Zukunft führt, nämlich seine Zukunft. Fries führt diesen Exodus-Gedanken Moltmanns weiter aus. »Die von diesem Impuls bewegte Existenz der Kirche wird – das ist eine weitere Folge – eine besonders tätige und schöpferische Kraft entwickeln. Sie wird sich der ›normativen Kraft des Faktischen‹ nicht beugen, sie wird den Dingen nicht rein passivisch, geduldig und ergeben ihren Lauf lassen, sich mit ihnen abfinden oder sie in einem falsch verstandenen, zur Ideologie entarteten Glauben sublimieren.«268 Deshalb, so seine Auslegung, wird sich Kirche »der Welt und vor allem des Menschen in der Welt annehmen, sie wird alles tun, um die Welt dieser Zukunft entgegenzuführen und sie für die Herrschaft Gottes zu bereiten.«269 Fries stellt somit dar, was Moltmanns Intention hinter der Aufnahme der Rede von der schöpferischen Nachfolge war. Moltmanns Analyse und Auslegung der modernen Gesellschaft seiner Zeit (die, nebenbei bemerkt, auch heute noch oft genug von bemerkenswerter Aktualität ist) trifft den Nagel einer Gesellschaft, die von technischer Vernunft zum Fortschritt getrieben wird, auf den Kopf. »Der Ruhm der Selbstverwirklichung und der Jammer der Selbstentfremdung entspringen gleichermaßen aus der Hoffnungslosigkeit in einer horizontlos gewordenen Welt. Ihr den Horizont der Zukunft des gekreuzigten Christus zu eröffnen, ist die Aufgabe der christlichen Gemeinde.«270 Es geht in der Verkündigung der Theologie darum, die oben beschriebenen Erkenntnisse spruchbar zu machen gegenüber denen, die beim Fortschritt auf der Strecke bleiben.271 »Hier können auch christliche Gemeinschaften zu einer Art Arche Noah für die sozial entfremdeten Menschen werden. Sie werden zu Inseln der echten Mitmenschlichkeit und des eigentlichen Lebens im rauhen Meer der Verhältnisse, an denen der kleine Mann ja doch nichts ändern kann.«272 Diesem Herrschaftsanspruch der technischen Ver266 267 268 269 270 271

Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 92. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 12. Fries: Spero ut intelligam, S. 93. Ders.: Spero ut intelligam, S. 93; vgl. auch Dumont: Kirche und Reich Gottes. Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 312. Diese Forderung ist einer der Gründe, warum Moltmann besonders in den Erweckungsbewegungen rund um den Globus bis heute von zeitloser Wichtigkeit ist. Moltmann bleibt in diesen Kreisen nach wie vor einer der prominentesten Gesprächspartner und Galionsfiguren. 272 Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 295. Natürlich sieht auch Moltmann hier die Marxsche Kritik, dass Religiösität in diesem Punkt als Opium des Volkes funktionalisiert werden könnte und

Schöpferische Nachfolge

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nunft widerspricht die Theologie der Hoffnung mit der Verkündigung vom Reich und der Herrschaft Gottes. Die Herrschaft Gottes offenbart sich nach Moltmann in der Freiheit. Er grenzt sich damit von einem mächtigen, militärisch verstandenen Herrschaftsbegriff ab und votiert dafür, »Freiheit als Gemeinschaft, nicht als Herrschaft«273 zu verstehen. Dies ist insofern wichtig, als er daraus folgert: »Freiheit im Licht der Hoffnung ist die schöpferische Leidenschaft für das Mögliche. Sie ist nicht wie die Herrschaft nur auf die vorhandenen Dinge gerichtet. […] Sie ist auf die Zukunft ausgerichtet«274 . Allerdings schränkt Moltmann diese Aussagen wiederum auf eine Weise ein, die gerade im heutigen Gerede von Gutmenschentum und ähnlichen diffamierenden Äußerungen besonders wichtig sind. »›Kirche für die Welt‹ heißt aber nicht ideenlose Solidarität und hoffnungslose Mitmenschlichkeit, sondern Dienst an der Welt und Wirken in der Welt dort und so, wo und wie Gott es will und erwartet. Wille und Erwartung Gottes werden in der Sendung Christi und im Apostolat laut.«275 Und so schließt mit diesem Abschnitt die Darstellung und Analyse Moltmanns. Der Beruf der Christenheit an der Gesellschaft ist die Verkündigung dessen, was in der Verheißung offenbart wurde. Allerdings, so muss mit Moltmann eingeschränkt werden und so sollte man das letzte Zitat Moltmanns interpretieren, soll und muss immer wieder kritisch gefragt werden, was genau verheißen ist. Damit eben nicht ideenlose Solidarität vorherrscht, sondern die Botschaft von der Rechtfertigung der Welt je und je neu an die Welt ergeht durch die christliche Verkündigung. Ein ausführliches Zitat Moltmanns soll diese Gedanken noch einmal bündeln: »Durch diese Hoffnung auf Gottes Zukunft wird diese Welt hier für den Glauben frei von allen Versuchen der Selsbterlösung oder der Selbstproduktion durch Arbeit, und sie wird offen für die liebende, dienende Entäußerung zugunsten einer Humanisierung der Verhältnisse, zugunsten der Rechtsverwirklichung im Lichte des kommenden Gottesrechtes. […] Diese Welt ist noch nicht fertig, sondern wird als in Geschichte befindlich begriffen. Sie ist darum die Welt des Möglichen, in der man der zukünftigen verheißenen Wahrheit, Gerechtigkeit und dem Frieden dienen kann. […] So wird die Entäußerung in diese Welt, die alltägliche hoffende Liebe möglich und wird menschlich in jenem Erwartungshorizont, der diese Welt transzendeiert. Der Ruhm der Selbstverwirklichung und der Jammer der Selbstentfremdung entspringen gleichermaßen aus der Hoffnungslosigkeit in einer horizontlos ge-

zwar, »weil sie den wirtschfatlich und technischen Destruktionskräften im seelischen Haushalt der Menschen einen gewissen Ausgleich zu geben vermag« (Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 295). Allerdings widerspricht diese instrumentalisierte Form der Verkündigung dem Hoffnungsbegriff, wäre dementsprechend auch nicht mehr Christusgläubigkeit, sondern eine verquere Form eines Vernunftglaubens. 273 Ders.: Trinität und Reich Gottes, S. 233. 274 Ders.: Trinität und Reich Gottes, S. 234. 275 Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 302.

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wordenen Welt. Ihr den Horizont der Zukunft des gekreuzigten Christus zu eröffnen, ist die Aufgabe der christlichen Gemeinde.«276

276 Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 312.

7 Gegenwärtige Zukunft oder zukünftige Gegenwart

7.1 Umkehrung der Zeitlogik im Hoffnungsdenken Es ist nun an der Zeit, zusammenzutragen und weiterzuentwickeln, was bisher anhand von Moltmann und Adorno analysiert wurde, und zu versuchen, kritisch und reflektiert ihre verschiedenen Herangehensweisen ans Thema Hoffnung in Übereinstimmung und Differenz fruchtbar zu machen. Dafür wird in diesem Kapitel vor allem in den Blick kommen, wie sich gegenwärtig erwartete Zukunft und von der Zukunft her entworfene Gegenwart zueinander verhalten und weshalb gerade im Hoffnungsbegriff diese interne Dialektik zum Ausdruck kommt. Bisher wurde erarbeitet, dass bei Moltmann wie bei Adorno Hoffnung immer mit einer Präsenzvorstellung hinsichtlich der Vollendung einhergeht – mal mehr, mal weniger gebrochen. Beide kommen nicht umhin, das Eschaton oder das Utopische antizipierend präsent zu denken, ohne dabei jedoch dessen Nichtpräsenz aufzuheben. Diese Arbeit kann folglich nicht an der Frage vorbei, was dieses Hoffnungsdenken für das Verhältnis der Zeitmodi untereinander bedeutet, also inwiefern eine andere Form der Zeitlogik dem bei beiden herausgearbeiteten Hoffnungsbegriff innewohnt.1 Es werden dabei nicht nur Gemeinsamkeiten auffallen. Dabei dürfte interessant sein, dass für Moltmanns futurische Eschatologie selbstredend ein Problem mit der Zeitlogik besteht, besonders hinsichtlich der Zukunft,2 was bei Adorno allerdings nicht direkt evident ist. Dennoch betont Klein: »Zeit ist das zentrale Problem der Adornoschen Musikphilosophie und zugleich oder vielleicht gerade darum ihr ausgespartes Zentrum«3 , was nicht weniger heißt, als dass sie hier auf derselben Ebene steht, in der in Adornos Philsophie die Utopie steht, nämlich dort, worum sich sein Denken bewegt. Nur, so Klein weiter, »eine Theorie der Zeit, die ihren Namen verdiente, bleibt aus«4 , denn Adorno gehe 1 2

3 4

Einige der hier ausgeführten Gedanken sind aufgenommen und in Diskurs mit physikalischen Vorstellungen irreversibler Verlaufszeit gebracht worden in Layer: Zeit und Ewigkeit. Vgl. Abschnitt 4.2.1.1, S. 138ff. dieser Arbeit. Ebenso auch die vielen Veröffentlichungen Moltmanns, die sich besonders damit auseinandersetzen, wie beispielsweise Moltmann: Probleme der Eschatologie; Ders.: Zukunft als neues Paradigma; Ders.: Richtungen der Eschatologie; Ders.: Ist die Welt unfertig? Klein: Die Frage nach der musikalischen Zeit, S. 59. Ders.: Die Frage nach der musikalischen Zeit, S. 62.

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es, das hebt der Autor gesondert hervor, nicht um eine ausgeführte »Theorie der Zeit«, sondern um verschiedene »einzelne Zeitphänomene und Zeitgestalten«5 . Und auch in seinem Hoffnungsdenken, das so prospektiv davon lebt, dass »das, was ist, nicht alles«6 ist, kann bei Adorno, so ist im Folgenden herauszuarbeiten, eine Umstrukturierungspflicht der Zeitlogik hinsichtlich von Erkenntnismöglichkeit rekonstruieren. Bevor sich allerdings über eine Umkehrung der Zeitlogik im Hoffnungsdenken Gedanken gemacht werden kann, lohnt es sich, überhaupt einmal nachzuvollziehen, welcher Struktur Zeit und Zeitempfinden gemeinhin folgt. »Alles, was ist, ist in der Zeit«7 , schreibt Link und spricht damit, wie er selbst bemerkt, etwas durchaus Triviales aus. Schon der erste Schöpfungsbericht setzt mit der Ermöglichung von Zeit ein, indem Licht und Finsternis geschieden werden (Gen 1,1–5) und auch eine Theorie der Evolution ist ohne eine Vorstellung eines zeitlichen Verlaufs nicht möglich. Dabei wird gemeinhin »eine bestimmte Zeitrichtung (von der Vergangenheit in die Zukunft) ausgezeichnet«, der »[d]as charakteristische Formmerkmal […] Unumkehrbarkeit« eignet, was bedeutet, »dass der zukünftige Zustand des Systems ein anderer ist als der gegenwärtige.«8 Dies ist eines der Hauptmerkmale für eine Wahrnehmung der Wirklichkeit als einer geschichtlichen Wirklichkeit. Noch leichter wird dieser Zusammenhang von Zeiterfahrung und Geschichtsschreibung ersichtlich, wenn, wie Link in Anlehnung an Picht vorschlägt, den einzelnen Zeitmodi verschiedene logische Modi beigeordnet werden: »Das Vergangene ist der Raum des Faktischen, dessen was wir nicht ungeschehen machen können und das insofern notwendig ist«, schreibt Link und fährt fort: »Das Zukünftige ist das Feld des Möglichen, und das Gegenwärtige ist das Wirkliche«9 . Denn damit wird vor allem ausgedrückt, dass es eine irreversible Verlaufsgeschichte gibt, die von der Vergangenheit zur Zukunft führt, vom Faktischen über das Wirkliche zum Möglichen. Was geschah, lässt sich nicht mehr ändern, es ist nur noch in Erinnerung vergegenwärtigbar – was ist, ist in dem Moment wirklich, wo es aus dem Möglichen zum Wirklichen wird, bis es zum Faktischen wurde –, das Mögliche lässt sich in dieser Denkweise aus Analyse von Faktischem und Wirklichem partiell berechnen und damit auch ändern, man kann es ergreifen oder vielleicht auch verhindern. Klaus Müller ist es zu verdanken,10 dass dabei nicht nur bei diesen drei Modi und ihrer einseitigen Linearität stehen zu bleiben ist, sondern es seinem Vorschlag nach eine drei mal drei zählende Matrix gibt, in die sich die Zeitmodi Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft aufteilen lassen. Nun muss versucht werden, dies kurz nachzuvollziehen, um sich dann eingehend mit zwei Sonderproblemen zu 5 6 7 8 9 10

Klein: Die Frage nach der musikalischen Zeit, S. 59. Adorno: GS 6, S. 391. Link: Schöpfung, S. 150. Ders.: Schöpfung, S. 150. Ders.: Schöpfung, S. 150. Vgl. Müller: Wende der Wahrnehmung; ebenso Ders.: Zeitlichkeit.

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beschäftigen, nämlich der Dialektik der Zukunft (7.1.1) und dem Problem von Präsenz und Präsens (7.1.2).11 Dies ist insofern notwendig, als es im Hinblick auf die späteren Abschnitte zur Sprachfähigkeit verhelfen kann und soll. Voraussetzung für Müllers Matrix ist eine »Verschränkung der Zeitmodi«12 , die darin ihren Ursprung hat, dass Vergangenheit und Zukunft nicht erfahren werden können, »denn wir leben nicht in ih[nen]«13 , wie Link es ausdrückt, sondern wir erinnern Vergangenheit und erwarten Zukunft, aber immer nur von einem Standpunkt innerhalb der Gegenwart her; die Modi sind miteinander verschränkt über Erfahrungen der Gegenwart und damit gleichsam in ihr. Link erklärt: »Komplettiert man diese Verschränkungen, indem man außer der Gegenwart auch Vergangenheit und Zukunft als mögliche Standorte zulässt«, kann Zeit eben in der drei mal drei fassenden Matrix14 zusammengefasst werden, die folgendermaßen aussieht: VV GV ZV

VG GG ZG

VZ GZ ZZ

Zur Erklärung: Das mittlere Segment sowohl der Spalten als auch der Zeilen zeichnet sich dadurch aus, dass alle Zeitmodi in einem Bezug zur Gegenwart stehen. Die mittlere Zeile ist Ausdruck für eine Geschichts- und Zeitvorstellung, die sich rein aus der Gegenwart in ihrer Gegenwart (GG) entwickelt und sich dadurch auszeichnet, dass auch Vergangenheit und Zukunft jeweils gegenwärtig sind (GV und GZ), insofern es hier um die aktive Präsentifizierung beider in Erinnerung und Erwartung geht, um faktisch schon Geschehenes und Erwartung von Möglichem.15 Es ist diese Gegenwart der Gegenwart »der Umschlag vom Möglichen in Faktisches, also die Wirklichkeit der Phänomene« – es ist die »Perspektive von der Zeit der Physik«16 , wie Link es in Anschluss an Müller nennt. Die mittlere Spalte ist dagegen eher sozialer und ästhetischer Natur. Zwar geht es hier immer noch um Modi der Gegenwart, allerdings mit dem Unterschied, dass es hier nicht gegenwärtige Vergangenheit bzw. Zukunft sind, sondern vergangene und zukünftige Gegenwart, die die Gegenwart der Gegenwart einrahmen. Die vier äußeren Modi haben mit Gegenwart dagegen nichts zu tun. In ihnen sind die Grenzbereiche von Zeit dargestellt, wie die »definitive Vergangeheit des 11 Für eine eingehendere Diskussion dieser Matrix siehe Link: Schöpfung, S. 152ff. ebenso auch Moltmann: Gott in der Schöpfung, S. 139ff. und Hübner: Das Phänomen der Zeit. 12 Link: Schöpfung, S. 151; im Original kursiviert. 13 Vgl. Ders.: Schöpfung, S. 151. 14 Diese Matrix findet sich so bei Müller: Wende der Wahrnehmung, S. 143, aber auch bei Link: Schöpfung, S. 152. 15 Vgl. Müller: Wende der Wahrnehmung, S. 139, ebenso S. 144f. 16 Link: Schöpfung, S. 152.

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Vergangenen (VV)«17 ; die Zukunft der Vergangenheit (ZV),18 die besonders Ausdruck für Tradition und Lernprozesse aus vergangenen Ereignissen darstellt; die Zukunft, die »in der Vergangenheit erschienen ist«19 (VZ); und schließlich die zukünftige Zukunft (ZZ), die »für eine die Zukunft unserer Welt noch einmal hinter sich lassende, sie gleichsam überholende Zukunft [steht][…]: die Zukunft des Reiches Gottes.«20 Es geht also, so Hübner, bei ZZ um »die Möglichkeit und Notwendigkeit einer ausdrücklich futurischen Eschatologie«, wie dagegen durch VZ und ZV die »Zukunft des Heils […] durch die Verheißung in der Vergangenheit [als] bereits angesagt« beschrieben wird.21 Müller selbst nennt VZ »[d]ie theologisch merkwürdigste Verschränkung« und das mit gutem Grund, »denn es ist klar, dass eine solche Verschränkung dem Prinzip der Kausalität widerstreitet.«22 Was Müller damit meint ist, dass hier eine Zukunft vorliegt, die nicht zukünftig zukommt, also zeitlich nicht vor der Gegenwart steht, sondern die in der Vergangenheit hinter dem Präsens liegt und von dort, »aus dem Feld der Deutungen«23 in die Gegenwart dringt. Aber gerade darin, so folgert er, besteht der Verweis auf Gott, da genau hier das Betroffensein des Menschen verdeutlicht ist, insofern an dieser Stelle keine andere Auslegungsmöglichkeit besteht, als dass die Transkausalität »auf den Grund der sich in der Zeit bewegenden Zeit, auf Gott«24 selbst rekurriert. Unter diesem Aspekt kann man das Diktum Moltmanns verstehen, das schon so oft betont wurde, dass Geschichte nur von der Verheißung, also gerade der Verschränkung VZ und ihrer transkausalen Inkommensurabilität her, sich als Geschichte konstituiert und erfahrbar wird. Bei Moltmann finden sich beide Motive – VZ und ZV auf der einen, ZZ auf der anderen Seite, wie sie Hübner beschrieben hat – in seiner Darstellung von der Entwicklung der Zeit und der Geschichte von der Zukunft her. »Was sich […] als Geschichte bewegt, ist die zeitliche Gegenwart mit ihrer Vergangenheit und ihrer Zukunft«25 , schreibt er und bezieht sich damit vornehmlich auf die mittlere Zeile des Diagramms Müllers. Denn die Bewegungsrichtung, die Moltmann sieht, läuft nicht von der Gegenwart zur Vergangenheit und zur Zukunft, sondern von beiden hin zur Gegenwart, insofern die Gegenwart selbst die nächste (erinnerte und deshalb Gegenwart der Vergangenheit seiende) Vergangenheit ist und die (erfahrene 17 Link: Schöpfung, S. 153. 18 Müller beschreibt sie als »[d]ie Zukunft der Vergangenheit, also das, was in der Zukunft über die Vergangenheit in die Gegenwart treten wird« (Müller: Wende der Wahrnehmung, S. 144). Das wäre beispielsweise das Moment, wenn eine (partielle) Erfüllung des in der Vergangenheit aus der Zukunft Verheißenen erkannt wird. 19 Ders.: Wende der Wahrnehmung, S. 148. 20 Link: Schöpfung, S. 153. 21 Hübner: Das Phänomen der Zeit, S. 112. 22 Müller: Wende der Wahrnehmung, S. 148. 23 Ders.: Wende der Wahrnehmung, S. 148. 24 Ders.: Wende der Wahrnehmung, S. 149. 25 Moltmann: Gott in der Schöpfung, S. 140.

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im Sinne von in ihren Möglichkeiten erkannte) Zukunft die nächste Gegenwart.26 Moltmann spricht hier, in Anlehnung an Augustin, von »gegenwärtiger Vergangenheit (GV) in memoria, gegenwärtiger Gegenwart (GG) in contuitus und gegenwärtiger Zukunft (GZ) in expectatio«27 , also von der Gegenwart als dem Augenblick, in dem alle drei Zeitmomente präsent sein können, aber eben nur die Gegenwart wirklich gegenwärtig ist. Die Vergangenheit wird hier nur in Erinnerung, also als vergangene Geschichte vergegenwärtigt, wie auch die Zukunft nur in Erwartung gegenwärtig ist, in dem Moment aber, in dem sie wirklich Gegenwart wird, keine Zukunft mehr ist, sondern eine neue Zukunft ihr schon voransteht, die sie dann als Gegenwart erwarten kann. So argumentiert auch Moltmann auf der Basis der Vorstellung irreversibler Zeit,28 woraus er allerdings eine andere, neue, nicht unwichtige Schlussfolgerung zieht: »Wenn Zeit irreversibel ist, muß die Quelle der Zeit in der Zukunft liegen.«29 Damit drückt Moltmann einen Prozess aus, der immer wieder neu von der Zukunft in die Gegenwart und in die Vergangenheit rückt, statt sich aus der Vergangenheit in die Zukunft zu erstrecken. Er schreibt: »Der ›Sinn der Gegenwart‹, der sich nur von der Zukunft her erschließt, ist nicht die Einordnung der Gegenwart in den Verlauf der bisherigen Geschichte, sondern ihr ›Sinn‹ ist ihre Verheißung und ihre Aufgabe, ihr Aufbruch aus der gewesenen und vorhandenen Wirklichkeit in eine neue Wirklichkeit.«30 Moltmann sieht also einen zeitlichen Verlauf von der Zukunft her durch die Gegenwart zur Vergangenheit. Die Zukunft der Gegenwart ist das, was in ihrem Einbruch als neue Gegenwart erfahren wird, wohingegen diese Gegenwart dann Vergangenheit sein wird. Die neue Gegenwart hat wiederum ihre eigene Zukunft, die nächste Gegenwart werden wird. Es gibt also eine sich fortsetzende Verschiebung der Zeitmodi in- und untereinander. Allerdings: »Beachtet man«, so erklärt er, »daß die Verschiebungen sich nur fortsetzen, so lange die jeweilige Gegenwart nicht die Zukunft der vergangenen Gegenwart erfüllt, dann erkennt man, daß Zukunft als Projekt stets über Zukunft als Erfahrung hinausreicht.«31 Damit bezieht Moltmann ein Doppeltes mit ein, nämlich eine Unterscheidung der Zukunft in Parusie und Futur.32 Die erwartete Zukunft kann nur aus den Feldern der erinnerten Vergangenheit erwartet werden – und zwar in der Gegenwart – und ist darum die Zukunft, auf die sich zubewegt wird. Sie ist Futurum und »Futurum meint das, was sein wird«33 . Daher ist sie aber selbst nicht die Zukunft, aus der

26 27 28 29 30 31 32 33

Vgl. das Schaubild Ders.: Gott in der Schöpfung, S. 140. Ders.: Gott in der Schöpfung, S. 139. Vgl. Ders.: Kommen Gottes, S. 314. Ders.: Kommen Gottes, S. 316. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 256. Ders.: Gott in der Schöpfung, S. 140. Vgl 4.2.1.1, S. 138ff. Moltmann: Richtungen der Eschatologie, S. 36.

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die Gegenwart entspringt, die Parusia wäre,34 sie ist nicht die »alle erinnerten, erfahrenen und noch zu erfahrenden Gegenwarten transzendierende Zukunft«, die am Ende der Geschichte steht, die »als die Zukunft der Geschichte aufzufassen« wäre.35 Es sollte dabei ins Auge fallen, dass bei Moltmann Zukunft immer mit einem starken Geschichtsbegriff verbunden steht. Denn, wie gezeigt, geht es Moltmann um eine zeitliche Entwicklung, ein Fortlaufen der Verschiebungen, von der Zukunft her. Dies ist, so seine Ausführungen, nur von der Verheißung her überhaupt erfahrbar.36 Er übernimmt damit einen Geschichtsbegriff der damaligen alttestamentlichen Forschung, die für ein israelitisches Geschichtsverständnis konstatierte, Geschichte »reichte immer so weit, wie die Verheißungen Gottes die Erinnerung und die Erwartung spannten.«37 Damit findet man sich mit Moltmann in der mittleren Zeile von Müllers Matrix wieder, wo Vergangenheit und Zukunft erfahren werden im Modus von Erinnerung und Erwartung in der Gegenwart. Doch geht es bei Moltmann einen Schritt weiter, indem er nämlich über die Verheißungen argumentiert. Denn diese ergehen zwar in der Gegenwart, aber sie ergehen von Gott her, von dem, dem die Zeit selbst entsprungen ist und entspringt.38 Für die Argumentation dieses Buches muss das dann auch heißen, dass diese Verheißungen, das heißt die von ihnen angesagte Zukunft, in der Gegenwart gerade darum erwartet werden können, weil sie aus der Zukunft selbst kommen. Und, so Moltmann nun weiter, »[g]reifen diese Verheißungen aber in jene Zukunft hinüber, die sich vor der Gegenwart auftut«, kann nicht mehr nur von der Gegenwart aus gedacht werden, noch viel weniger aus der Vergangenheit nach vorne geblickt werden, sondern stattdessen »wird alles Erzählte und Dargestellte aus dieser Vergangenheit dazu führen, sich und die eigene Gegenwart jener Zukunft auszusetzen.«39 Bei Moltmann ist also einerseits eine lineare Geschichtsführung, die sich aus der Zukunft in die Vergangenheit bewegt, wie sie oben dargestellt wurde, zu bemerken, andererseits aber auch ein die Zeitmodi hinter sich lassendes, beinahe zirkuläres Verfahren, insofern die Geschichte sich auf eine Zukunft zubewegt, die ihr entgegenkommt und die erwartet und erhofft werden kann aufgrund der in der Vergangenheit ergangenen Verheißungen Gottes. So kommt es zu einer »Vergeschichtlichung der Welt«, die laut Moltmann »von ganz ungeheurer Wichtigkeit« ist, da sich hier der universale Horizont sowohl der Zukunft als auch der in ihrer Verheißung entspringenden Hoffnung zeigt.40 Bei aller Fluidität der Zeitmodi 34 35 36 37 38 39 40

Vgl. Moltmann: Richtungen der Eschatologie, S. 36. Ders.: Gott in der Schöpfung, S. 140. Vgl. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 95. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 96. Vgl. Link: Schöpfung, S. 155. Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 97. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 124.

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bleibt Moltmann also in seinem Geschichtsverständnis dennoch bei ihnen stehen und ordnet sie nur in ihren Bezügen untereinander neu an. Bei Adorno dagegen wird die »Verhärtung des Zeitbewußtseins«41 kritisiert, was besonders mit Adornos Auseinandersetzung einerseits mit der Dialektik der Aufklärung, andererseits mit dem Mythos, der die menschlische Natürlichkeit ausdrückt, besteht.42 Die Sirenen des Odysseus-Mythos, so Adorno, locken mit der Aussicht »des sich Verlierens im Vergangenen«43 , also mit dem Schwelgen in einem vermeintlich besseren Zustand, der, ganz im Sinne eines Mythos, in zyklischer Wiederkehr sich zeitigt.44 Damit betont Adorno die besondere Nähe des Menschen zu mythischen Zeitvorstellungen, in denen das Vergangene »zur mythischen Vorzeit wird.«45 Adorno möchte an dieser Stelle nicht weniger sagen als: dem Mythos »fehlt das Bewusstsein der Irreversibilität, der strukturellen Asymmetrie der Zeitmodi«46 , wie Klein erklärt. Er führt aus: »Vergangenheit, Gegenwärtiges und Zukünftiges sind in ihm [d. i. der Mythos] nicht nur synchron zusammen, sondern auch ungeschieden voneinander.«47 Adorno sieht im Mythos also eine Zeitform, in der »Zeit […] eine Form absoluter Vergangenheit oder ›Vorzeit‹ dar[stellt], in der das einmal Geschehene, weil es geschehen ist, zum zeitlosen Gesetz einer Wiederkehr des Gleichen wird, die Zukunft vorab auf zukünftige Vergangenheit festlegt.«48 Für den Mythos, wie Adorno ihn anhand des Odysseus beschreibt, gelten demnach die Zeitmodi der Matrix Müllers nicht, sondern es gibt den einen Zeitmodus des Kreislaufs. »Mythen […] meinen die sich wiederholende Natur«, die »der Kern des Symbolischen« ist, nämlich »ein Sein oder ein Vorgang, der als ewig vorgestellt wird«49 . Der Mythos funktioniert dementsprechend nicht als Historie, 41 Adorno: GS 3, S. 44. 42 Schnädelbach: Adorno und die Geschichte, S. 132 macht darauf aufmerksam, dass Horkheimers und Adornos Dialektik der Aufklärung »den Rückzug der kritischen Gesellschaftstheorie […] in eine universalistische Geschichtsphilosophie repräsentiert.« Ihm ist nur bedingt beizupflichten. Dass sie »durch und durch undialektisch« sei (Ders.: Adorno und die Geschichte, S. 147) ist allerdings falsch, und die Unstimmigkeit der eigenen Position zeigt sich schon darin, zu konstatieren, »dass die Geschichte viel zu komplex ist, als dass man sie zum Gegenstand einer einzigen Theorie machen könnte« (Ders.: Adorno und die Geschichte, S. 152, Hervorhebungen von mir), was er allerdings mit der Fixierung auf die Geschichte selbst wieder einträgt und damit dem eigenen Anspruch, die Komplexität von Geschichte und Geschichtsphilosophie gegen Adornos vermeintlich undialektische Universalgeschichte geltend zu machen, nicht mehr gerecht werden kann. 43 Adorno: GS 3, S. 49. 44 Vgl. Ders.: GS 3, S. 43f. vgl. auch beispielsweise den Mythos der Persephone als Erklärungsmodell für Jahreszeiten, die sich, komme was wolle, immer und immer wieder in der gleichen Folge wiederholen. 45 Ders.: GS 3, S. 49. 46 Klein: Die Frage nach der musikalischen Zeit, S. 62. 47 Ders.: Die Frage nach der musikalischen Zeit, S. 62. 48 Ders.: Die Frage nach der musikalischen Zeit, S. 62. 49 Adorno: GS 3, S. 33.

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sondern nur als Geschichte, d. h. in einer erzählend-repetitiven Form, nicht aber als fortschreitendes Geschehen. So schreibt Adorno: »Wenn die Sirenen von allem wissen, was geschah, so fordern sie die Zukunft als Preis dafür, und die Verheißung der frohen Rückkehr ist der Trug, mit dem das Vergangene den Sehnsüchtigen einfängt.«50 Was demnach mit dem Rückfall in den Mythos, den die Dialektik der Aufklärung darstellt, geschieht, ist eine Auflösung der Historie, ein Abwenden von fortschreitendem Zeitverständnis. Dagegen versucht das Selbst, so Adornos Auslegung, diesem Moment der Synchronität die klare Trennung der drei Zeitmodi in ihren verschiedenen oberflächlichen Verschränkungen gegenüberzustellen. »Das dreigeteilte Schema soll den gegenwärtigen Augenblick von der Macht der Vergangenheit befreien, indem es diese hinter die absolute Grenze des Unwiederbringlichen verweist und als praktikables Wissen dem Jetzt zur Verfügung stellt.«51 Dadurch wird erst ein Bewusstsein geschaffen, Wirklichkeit von der Gegenwart her als Geschichte im Sinne einer Historie zu verstehen, die nicht zirkulär, sondern weitgehend linear verläuft – oder mit den Worten Zamoras: »Das Zeitbewußtsein dient dann dem entstehenden Subjekt als Instanz zur Entmachtung der Vergangenheit und zur Dienstbarmachung der Gegenwart an die Zukunft.«52 Durch diesen Effekt sieht darum auch Klein bei Adorno, dass »Aufklärung gleichsam als Phylogenese modaler Zeit in der Abkehr vom immergleichen mythischen Raum«53 dargestellt wird. Odysseus ist als der Prototyp eines aufgeklärten Menschen auch der Prototyp eines Menschen mit modaler Zeitvorstellung. »Wie Wasser, Erde und Luft scheiden sich ihm die Bereiche der Zeit. Ihm ist die Flut dessen, was war, vom Felsen der Gegenwart zurückgetreten, und die Zukunft lagert wolkig am Horizont. Was Odysseus hinter sich ließ, tritt in die Schattenwelt: so nahe noch ist das Selbst dem vorzeitlichen Mythos, dessen Schoß es sich entrang, daß ihm die eigene erlebte Vergangenheit zur mythischen Vorzeit wird.«54

Es wird hier offensichtlich, dass Odysseus trotz seiner Rolle als Prototyp der Aufklärung nach wie vor dem Mythischen verhaftet bleibt. Nicht steht er bei Adorno als derjenige, der das mythische Welt- und Zeitgefüge platt ersetzen möchte, sondern er hat eine Vermittlerrolle, quasi als »janusköpfiges Wesen, das den Mythos bekämpft, aber auch rettet«55 inne. »Odysseus gibt der Zeitlogik der Selbsterhaltung das ihre«, führt Klein aus und meint damit, die zitierte Textstelle, dass vor Odysseus die drei Modi klar geteilt auftauchen, allerdings, so fährt er fort, nicht ausschließlich, denn er »korrigiert sie zugleich […], indem er einen mythischen 50 51 52 53 54 55

Adorno: GS 3, S. 50. Ders.: GS 3, S. 49. Zamora: Zeit – Katastrophe – Erkenntnis, S. 90. Klein: Die Frage nach der musikalischen Zeit, S. 62. Adorno: GS 3, S. 49. Klein: Die Frage nach der musikalischen Zeit, S. 62.

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Erfahrungsbereich in sie einbindet, der ihrer finalen Grundform widerstreitet.«56 Dieses ist die Erfahrung dessen, dass nicht eine radikale Zeitlichung, sondern eher eine Entzeitlichung einsetzt, insofern »die Metaphorik der Zeitbestimmung in Adornos Deutung der Sirenenepisode je schon die einer (scheinbar) homogenen Fluchtlinie [ist], die in die Zukunft geht und die Vergangenheit hinter sich lässt, wodurch sich die Gegenwart einerseits zur bestandlosen Grenze zwischen beiden Modi verflüchtigt, andererseits aber mit dem zeitlosen Einheitsprinzip der sukzessiv dominierten Zeiterfahrung zusammenfällt.«57 Wo Odysseus die Scheidung der Zeit in ihre Modi unternimmt, verfällt er der Tendenz des Mythos und erklärt seine eigene Vergangenheit zur mythischen, also un- und urzeitlichen Vorzeit, kann deshalb die Trennung der Modi nur bedingt aufrecht erhalten und verändert beide Zeitlogiken aneinander. Es ist demnach formal die Zeit in ihre Modi geschieden, inhaltlich aber wird sie selbst der Entzeitlichung des Mythos anheim fallen. Bei beiden, Moltmann und Adorno, wird dabei deutlich, dass es hier um eine Geschichte geht, die stark mit Zukunft zusammenhängt, bei Adorno aber noch mehr mit präsentischen Motiven versehen ist.58 Sie operieren dabei beide auf der Basis von verschiedenen Wahrnehmungen der Zeitmodi. Die Spezifika werden im nächsten Abschnitt erarbeitet und dabei das bisher Gesagte noch ergänzen, um schlussendlich auch darüber hinauszuweisen, was beide für sich je an theoretischem Unterbau eingebracht haben. 7.1.1 Dialektik der Zukunft

Für Moltmann ist in seiner Auseinandersetzung mit Hoffnung und Verheißung zentral, dass der Gott, der die Verheißung ausspricht, »ein Gott mit ›Futurum als Seinsbeschaffenheit‹«59 ist. In der Verheißung wird der »bestimmten geschichtlichen Wirklichkeit« eine Zukunft und »deren Zukunftsmöglichkeit und Zukunftsmächtigkeit«60 angesagt. Darauf hofft die Hoffnung und ist darum als einzige »›realistisch‹ zu nennen, weil nur sie mit den Möglichkeiten, die alles Wirkliche durchziehen, ernst macht.«61 Das ist der Befund Moltmanns zum Ver56 Ders.: Die Frage nach der musikalischen Zeit, S. 63. 57 Ders.: Die Frage nach der musikalischen Zeit, S. 62. 58 Das liegt bei Adorno an einer engen Verknüpfung von Natur und Geschichte, die besonders im Punkt der Vergänglichkeit zusammenhängen (Adorno: GS 6, S. 353). Zamora erklärt: »Der Geschichtsphilosophie kommt nach Adorno die Aufgabe zu, die dialektische Verschränkung von Natur und Geschichte in den Trümmern und Bruchstücken, zu denen die Realität geworden ist, freizulegen, um so zu ihrer Auslegung zu gelangen« (Zamora: Zeit – Katastrophe – Erkenntnis, S. 80f.). Die Bruchstücke der Geschichte werden dabei zwar im Licht der besseren Zukunft wahrgenommen, aber sie werden in der Gegenwart wahrgenommen. Der Engel der Geschichte blickt zurück aus der Gegenwart auf die Vergangenheit, während er sich auf die Zukunft zubewegt. Dazu kommt, dass das Bestehende selbst den Blick verstellt. 59 Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 12. 60 Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 13. 61 Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 20.

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hältnis von Verheißung und Hoffnung in nuce. Dazu kommt die besondere Stellung der Zukunft, die als Parusia die Zukunft ausdrückt, die auf die Geschichte zukommt, wohin sich keine Geschichte bewegen kann, sondern was einzig selbst sich auf eine bestimmte geschichtliche Wirklichkeit zubewegen kann, gleichzeitig aber als Futurum die Zukunft darstellt, die durch genaue Betrachtung des Gewesenen sich vor der Wirklichkeit auftut und in die hinein Geschichte sich ausstreckt, die ihr auch veränderlich vorliegt und durch jeglichen gegenwärtigen Moment hindurch neu sich ausrichtet.62 Auch dies wurde schon einmal erwähnt und diskutiert.63 Was nun allerdings zu diskutieren ist, ist die schlichte, aber gewichtige Frage, inwiefern diese Zukunft überhaupt Zukunft ist bzw. noch sein kann. Zunächst gilt es, das Problem, das sich hinter dieser Frage verbirgt, genauer zu erläutern. Dazu soll sich dem Phänomen ›Parusia‹ etwas mehr genähert werden, auch über die Stellen, an denen es nicht explizit genannt wird. Wie schon gezeigt, geht es Moltmann in seiner Aufspaltung der Zukunft in Parusia und Futurum besonders darum, das prozessuale Moment von Offenbarung hervorzukehren, das sich – in Abgrenzung von einem eher statischen Offenbarungsbegriff ewiger Gegenwart – aus der engen Verquickung mit Verheißung ergibt. Moltmann schreibt: »Die Offenbarung des auferstandenen Christus ist keine Gestalt dieser Epiphanie der ewigen Gegenwart, sondern nötigt zu einem Verständnis von Offenbarung als Apokalypsis verheißener Zukunft der Wahrheit.«64 Damit formuliert Moltmann eine starke Apologie gegen einerseits eine natürliche Theologie, die aus dem Dunstkreis eines Offenbarungsverständnisses kommt, das besonders mit dem eschatologischen Augenblick und von ihm her denkt. Die Gefahr, die Moltmann hierin sieht, ist die reine Diesseitigkeit des Offenbarungsinhalts und dem gleichgestellt bzw. damit einhergehend die Problematik der Auflösung des eschatologischen Vorbehalts zwischen Verheißung und Erfüllung. Es findet eine Verlagerung in die Grenzen menschlichen und geschöpflichen Lebens statt. Dabei repräsentiert die Auferstehung Christi bei Moltmann, so Pokornys Interpretation, eine Wirklichkeit, »die den Horizont des bisherigen Lebens überragt«65 . Sie repräsentiert das Reich Gottes und die neue Schöpfung in der Welt, Dinge, die von Menschenhand nicht herbeiführbar sind und an denen, so bei Moltmann, höchstens wieder von ihnen selbst her mitgearbeitet werden kann.66 Andererseits schafft Moltmann es wiederum, von einer existentialen Interpretation des Glaubens Abstand zu gewinnen. Denn, so wieder Pokorny, »[g]erade deshalb, weil es im Glauben um diese Hoffnung geht, kann man den Glauben 62 63 64 65 66

Vgl. Moltmann: Richtungen der Eschatologie, S. 36. Siehe dazu Kapitel 4.2.1.1. Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 75. Pokorny: Theologie der Zukunft, S. 164. Vgl. Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 308ff.

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nicht auf Innerlichkeit begrenzen.«67 Gerade also weil es um eine Hoffnung geht, deren Grund und Inhalt kosmologischen Charakter hat und die sich von der Verheißung her auf die neue Schöpfung aller Dinge ausrichtet, kann nicht in einem subjektiven Spiritualismus, aber auch nicht bei einer spiritistischen Mystik stehen geblieben werden, sondern »[d]er Glaube orientiert sich in der Geschichte«68 und damit eben doch auch am geschöpflichen, menschlichen Leben. Und dieser Geschichte ist wiederum die konkrete Zukunft des Reiches Gottes verheißen, die auf sie zukommt. Aber, wie Moltmann schreibt und damit sogar noch diese Aussagen hinter sich lässt, erst von dieser Zukunft her wird Geschichte überhaupt als solche erfahrbar.69 Nicht nur steht die Verheißung in einem Spannungsverhältnis, ganz klar Teil menschlicher und natürlicher Geschichte zu sein, gleichzeitig aber auch dieses Leben zu überragen und über die Grenzen der Geschichte hinaus zu verweisen. Geschichte empfängt ja in diesem Verheißungsdenken den Grund ihres Seins und den Impetus ihres Fortschreitens von der verheißenen Zukunft her und weist somit selbst wieder auf diese hin. Es geht für Moltmann um Geschichte nur als die und in der Erfahrung von Geschichte als Verheißungsgeschichte. Und deshalb »stellt sich hier eine weitere Frage. Wenn alles ›Verheißung‹ ist, auch die Auferstehung Christi (gerade diese!), was ist dann die Bedeutung der Vergangenheit?«70 , wie Kuitert völlig mit Recht problematisiert. Welchen Stellenwert hat hier das Vergangene, wenn die Verheißung selbst, auch wenn sie in der Vergangenheit erging, eigentlich von der Zukunft her kommt und damit nicht wirklich Vergangenes, sondern Zukunft ausdrückt? Kuitert verdeutlicht hier den Kern der Problemstellung und fährt fort: »Ist Gott allein futurum, ist er nicht eben so sehr ›Gegenwart‹, ›Augenblick‹, Lunte am Benzintank, Christus praesens?«71 Ist der Gott, der die Verheißung und damit aus der Zukunft in die Gegenwart spricht, also nicht nur formal, sondern auch inhaltlich Zukunft wirklich werden lässt in der Verheißung, nicht damit mehr als nur ein »Gott mit Futurum als Seinsbeschaffenheit«? Es eignet Moltmanns Entwurf an, an diesem Punkt recht selbstreferentiell zu argumentieren. Einerseits beschreibt er die Auferweckung Christi als Verheißungsgeschehen,72 andererseits ist »[d]er Horizont, in welchem die Auferstehung Christi als ›Auferstehung‹ erkennbar wird, […] der Horizont von Verheißung und Sendung nach vorne in seine und seiner Herrschaft Zukunft hinein.«73 Damit verweist die Verheißung in der Auferstehung auf ihre eigene Wahrheit, die bezeugt ist in der Auferstehung. Pokorny: Theologie der Zukunft, S. 163. Ders.: Theologie der Zukunft, S. 163. Vgl. Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 95. Kuitert: Theologie der Hoffnung, S. 187. Ders.: Theologie der Hoffnung. Er bezieht sich selbst auf Berkhof: Methode der Eschatologie, besonders S. 175–180. 72 Vgl. Moltmann: Theologie der Hoffnung, 131.150.194.207 u. ö. 73 Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 178. 67 68 69 70 71

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Dies liegt für Moltmann darin begründet, dass die Verheißung einen Verweisungszusammenhang eröffnet, nämlich »von den Erscheinungen ihres Ergehens fort in die angesagte, noch nicht wirkliche Zukunft hinein.«74 Sauter macht hier auf die Grundlage für Moltmanns verheißungsgeleitete Hoffnung aufmerksam, die sich bei Bloch findet, der zwischen verschiedenen »Schichten der Kategorie Möglichkeit«75 differenziert. Sauter führt aus: »Wenn Moltmann vom Möglichen der Verheißungsbestimmten Welt spricht,« – er meint nichts anderes als den Verweis der Verheißung in eine ›noch nicht wirkliche Zukunft hinein‹, wie eben bei Moltmann zu lesen – »dann bezieht sich das auf die Grundschicht der Kategorie Möglichkeit, auf das ›Objektiv-real-Mögliche‹, auf die im Prozeß begriffene Welt.«76 Damit beantwortet er teilweise die Frage, die oben mit Kuitert gestellt wurde. Denn indem er aufzeigt, dass es Moltmann hier um die Blochsche Kategorie der im Prozess sich befindenden Welt geht, verdeutlicht er, dass der Gott, dessen Wesen die Zukunft ist, der Gott ist, dessen Zukunft wiederum das Wesen der Wirklichkeit und der Geschichte ist. Mitnichten »bleibt es […] bei einem nicht geklärten Nebeneinander von göttlich Möglichem und der Geschichte als Reservoir von Möglichkeiten«77 , wie Sauter es sagt, sondern genau das Gegenteil wird hier doch eigentlich betont, dass es Moltmann gerade in dem zirkulären Selbstverweis der Parusia auf ihre eigene Wahrheit darum geht, zu betonen, dass die Möglichkeiten der Geschichte gerade die sind, zu denen die in der Verheißung von und durch Gott ausgesprochene Sendung erfolgt. Konkret sagt er: »Der Gott, der beruft und verheißt, wäre nicht Gott, wenn er nicht der Gott und Herr jener Wirklichkeit wäre, in die seine Sendung hineinführt, und seiner Sendung nicht real-objektive Möglichkeiten schaffen könnte.«78 Statt also eines ungleichen Nebeneinanders von geschichtlichen Möglichkeiten und göttlichen Möglichkeiten kann und muss man mit Moltmann sehen, dass alle geschichtlichen Möglichkeiten nur existieren, weil sie zuvor schon die göttlichen Möglichkeiten waren, die Gott in der nach vorne verweisenden Verheißung der Zukunft zu den geschichtlichen machte.79 Hier ist erneut zu beobachten, wie wichtig Moltmann die Betonung ist, dass »die Quelle der Zeit in der Zukunft«80 liegt. Allerdings führt er weiter aus, dass diese Zukunft »nicht mit zukünftiger Zeit identisch sein [kann], denn jede zukünftige Zeit vergeht.«81 Die Zukunft, die die Quelle der Geschichte ist, insofern sie die Ermöglichung der Möglichkeiten 74 Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 89. Hervorhebungen von mir. 75 Bloch: Prinzip Hoffnung, S. 258. 76 Sauter: Angewandte Eschatologie, S. 118. Hervorhebungen von mir. Für die Kategorie des realobjektiv Möglichen siehe Bloch: Prinzip Hoffnung, S. 271–278. 77 Sauter: Angewandte Eschatologie, S. 118. 78 Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 266. 79 Man erinnere sich an die in Abschnitt 6.1.1, S. 204ff., festgestellte Umkehrung von ontischer und noetischer Ordnung. 80 Moltmann: Kommen Gottes, S. 316. 81 Ders.: Kommen Gottes, S. 316.

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von Geschichte ist, ist nicht das, was geschichtliche Zukunft ist, also nicht zukünftige Historie, sondern Zukunft der Geschichte.82 Denn, so Moltmann weiter, »[a]ls Zeitmodus gehört Zukunft zur phänomenalen Zeit, als Zeitquelle ist Zukunft die transzendentale Möglichkeit von Zeit überhaupt. Im transzendentalen Sinn ist Zukunft jeder Zeit präsent, der zukünftigen, der gegenwärtigen und der vergangenen Zeit.«83 Hier stoßen wir nun direkt ins Zentrum. Parusia, so müssen nun in die Ausführungen ergänzt werden, ist nicht nur die der Geschichte und der Wirklichkeit zukommende Zukunft, sie ist nicht nur die zukünftige Zeit, die sich vor die Gegenwart stellt, sondern sie ist vielmehr die Bedingung von Zeit. Sie ist die Zeit des Schöpfers, allen Zeitmodi übergeordnet, ihre Grundlage, ihre Bedingung und ihr Ziel. Damit müssen zwei verschiedene Zeitebenen unterschieden werden, nämlich einerseits die Zeit der Schöpfung, »die Zeit, die wir als Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft erfahren«, und andererseits steht die Ebene von Gottes Ewigkeit,84 aus der Zeit entspringt. Dann ergibt sich hier die Problematik des Eingehens der Ewigkeit in die Zeit, das Problem der Inkarnation Christi. Denn Moltmann steht zwar ganz in der Tradition einer Präexistenzchristologie,85 die er trinitarisch begründet sieht über den Heiligen Geist,86 und so in perichoretischer Einheit mit dem Vater denken kann,87 doch gerät er damit in den Problemkomplex, der folgendermaßen formuliert werden kann: Wie kann das Unendliche, Ewige, in endlicher Gestalt der endlichen Zeit innewohnen, ohne sie aufzuheben? Denn laut Joh 1,1f. ist der Logos in Jesus, dem Christus, Fleisch geworden, der ewige Gott in Knechtsgestalt gekommen (Phil 2,6f.). Wäre die Ewigkeit eine unveränderliche Ewigkeit, wäre sie nicht unendliche Dauer, sondern statische Gleichheit, würde das bedeuten, dass die weltliche Verlaufszeit der Schöpfung ihr Ende finden müsste, sobald das Wort im Fleisch inkarnierte. Moltmann begegnet diesem Problem folgendermaßen: er beschreibt die Ewigkeit als »aionische Zeit«88 und spricht damit nicht mehr von Ewigkeit im metaphysischen Sinn, sondern von einer anderen, aionischen Form der Zeit.89 Allerdings kommt er zu dem Schluss, dass »[d]ie der einen, unendlichen Ewigkeit entsprechende Zeitfigur […] der endlose Zeitkreis« sei, da diese Figur »die reversible, 82 Würde man sich der Nomenklatur aus der Matrix Müllers bedienen, hieße das, dass die Zukunft, von der hier geredet wird nicht ZG ist und auch nicht GZ, ja nicht einmal ZZ, wie noch festgestellt werden wird, sondern mit einer anderen Kennung versehen werden muss. 83 Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 316. 84 Link: Schöpfung, S. 266. 85 Vgl. Moltmann: Weg Jesu Christi, S. 164. 86 Vgl. Ders.: Der Gekreuzigte Gott, S. 84ff. Ders.: Trinität und Reich Gottes, S. 87; Ders.: Weg Jesu Christi, S. 92ff. 87 Vgl. Ders.: Weg Jesu Christi, S. 163f. 88 Ders.: Der Gekreuzigte Gott, S. 31. 89 Zur Unterscheidung von Aion und Ewigkeit siehe Staniloae: Orthodoxe Dogmatik I, S. 303f.

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symmetrische, endlose und darin zeitlose Form der Zeit«90 darstelle. Überträgt man dies nun auf die Parusia, wird man für das Problem sensibel, dass sich dann der Frage gestellt werden muss, inwiefern hier überhaupt noch von Zukunft gesprochen werden kann. Denn nähme man diesen ewigen Zeitkreis ernst, dann würde es wiederum die unveränderliche Zukünftigkeit, die radikale Transzendenz des Ewigen bedeuten und damit seine Fleischwerdung in das Problem stellen, dass entweder die eine (göttliche) Seite oder die andere (menschliche) nicht mehr in Jesus Christus Platz finden kann, in dem ja die merkwürdige Doppelung von menschlicher und göttlicher Zeit ihren Schnittpunkt hat. Dieses Problem stellt sich in einer doppelten Weise dar. Beiden Formen sollen nun nacheinander durchdacht werden. Zunächst einmal scheint das Problem das Folgende zu sein: Das Reich Gottes selbst wird mit dieser Fassung der Ewigkeit als aionischer, als zirkulärer Zeit, trotz aller Verheißung und Gegenwärtigkeit in den Verheißungen aus dem Dunstkreis dieser Welt hinaus gerückt, steht also als ehedem metaphysisch-transzendente Zukünftigkeit jenseits der in der Wirklichkeit möglichen Zeiterfahrungen und zwar als deren transzendentale Bedingung. Ein Problem, das sich nicht nur oberflächlich recht gleich anhört, wie der Vorwurf, den Moltmann an Barths und Bultmanns Offenbarungsverständnis äußerte.91 Konkret muss dieser Vorwurf an Moltmann hier zurückgespiegelt werden. Denn eine aionische Zeit, die reversibel, symmetrisch und endlos ist, hat mit der Zeiterfahrung dieser Wirklichkeit schlechthin keine Berührungspunkte. Damit gilt aber auch für Moltmann: »Ist von den Eschata als von dem Übersinnlichen keine Erkenntnis möglich, so haben eschatologische Perspektiven ihrerseits auch keine Relevanz für die Erkenntnis der erfahrbaren Welt«92 . Damit fällt die Eschatologie allerdings hinter ihren eigenen Anspruch, »schlechterdings das Medium des christlichen Glaubens«93 zu sein, zurück und gerät vielmehr wieder in ein Schattendasein am Ende der christlichen Dogmatik – wenn sie dann überhaupt noch gebraucht würde. Bleibt man in dieser Form mit Moltmann, dann kommt man zu einem Verständnis christlicher Zukunftshoffnung, die ganz und gar nicht mehr in der und aus der Geschichte der Wirklichkeit hoffen kann, die keinerlei Bedeutung des Eschatologischen für das christliche Leben mehr erkennt. Es ist hier gerade der Vorwurf der Vertagung der Eschata auf das Ende der Zeiten, »auf den ›jüngsten Tag‹«94 , wie Moltmann kritisiert, selbst eine mögliche Konsequenz aus der Lektüre von Moltmanns Verständnis von Zukunft im Sinne einer Parusia, die der Zeitlogik als dieser entrückt gegenübersteht. Der Gott, der hier vorherrschte, wä90 91 92 93 94

Moltmann: Der Gekreuzigte Gott, S. 311. Vgl. Abschnitt 4.1, S. 120ff dieser Arbeit. Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 40. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 12. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 11.

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re nicht mehr ein Gott mit Futurum, sondern mit Aeternum als Seinsbeschaffenheit. Der Christus, in den Gott sich inkarnierte, würde dann tatsächlich das Reich Gottes in der Inkarnation schon offenbaren müssen und zwar als die Schöpfungszeit nicht nur umspannendes, sondern sie damit auch wieder aufhebendes Offenbarungsgeschehen im Sinne einer augenblicklichen Verwirklichung. Moltmann selbst hat diese Tendenz allerdings erkannt und deshalb mit der Theologie der Hoffnung dagegen Einspruch erhoben und das Futurum statt dem Aeternum selbst betont – auch wenn er hierbei gelegentlich selbst nicht trennscharf operiert und das Futurum immer wieder im Stil eines die Zeit umfassenden und sie so bedingenden Aeternum verwendet –; damit nur eben ruft er ein weiteres, wohl gewichtigeres Problem hervor. Diesem zweiten Aspekt nähert sich die Analyse wiederum über einen kleinen Umweg: Für Link ist in Bezug auf Schöpfungszeit und Zeit des Schöpfers klar, dass »der Unterschied jener beiden Zeitgestalten nicht darin [liegt], dass die Ewigkeit zeitlos wäre, ein ›nunc stans aeternum‹, das den Fluss der Zeiten negiert.«95 Er formuliert dies aufgrund der Annahme, die Moltmanns Theologie der Hoffnung zugrunde liegt, dass Gottes Sein ein Sein im Kommen ist.96 Damit setzt er voraus, dass Zeit und Ewigkeit nicht zwei völlig verschiedene Bereiche sind, sondern sich berühren und zwar in dem Punkt, in dem der schaffende, ewige Gott als Schöpfer und Zukunft seiner Schöpfung auf diese selbst zukommt und damit auch schon in ihr irgendwie präsent ist. Dieser Schnittpunkt ist in seiner Einmaligkeit das Christusgeschehen. In diesem Verständnis ist »Ewigkeit nicht als unendliche, leere Dauer, sondern als Zeit«97 zu denken und damit also nicht als bloße Ewigkeit, sondern als ewige Zeit und als ewige Zeit ewige Dauer, aber nicht statische Gleichheit.98 Mit ewiger Dauer, aber nicht statischer Gleichheit ist im Grunde nichts anderes gesagt als: es muss eine Veränderbarkeit geben. Vielleicht nicht des Ziels der Geschichte selbst, wohl aber des geschichtlichen Verlaufs zu ihm hin. Und dies ist die christologisch, aber auch theologisch konsequente Form, vom Gott der Theologie der Hoffnung zu sprechen. Denn er ist ja ein Gott, der nicht überzeitlich existiert, sondern in Jesus Christus Mensch geworden ist und damit eine Zukunft angesagt hat, der konkret in die Zeit der Schöpfung auch eingegriffen hat und zwar nicht einmal, sondern viele Male, wenn auch das Christusgeschehen unter allen den wichtigsten Eingriff darstellen muss, da hier die Universalität der Vollendungsverheißung ihren Ausdruck findet. Aber schon die Sintfluterzählung (Gen 6–9), Abrahams Flehen um Sodom (Gen 18,16–33) und die Exoduserzählung geben Aufschluss darüber, dass Gott in seiner Ewigkeit eben nicht unveränderlich, statisch ewig ist, sondern

95 96 97 98

Link: Schöpfung, S. 268. Ders.: Schöpfung, S. 93f. Ders.: Visionen der vollendeten Welt, S. 103. Vgl. Ders.: Schöpfung, S. 268.

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sehr wohl auch Veränderungen des Geschehens zulässt und selbst bewirkt, also bewusst verändernd eingreift. Und dieses findet sich bei Moltmann formuliert in seinem verheißungsgeleiteten Denken, das ständig in der Spannung zwischen dem »Noch-nicht der Erwartung« auf der einen und allen möglichen Formen von »jetzt-schon eintreffende[r] Erfüllung«99 steht. Der Geschichtsbegriff steht daher bei Moltmann in der Situation, erst das als Geschichte zuzulassen, was ihnen durch den Akt »überschießender Verheißung«100 geschichtlich geworden ist. Das heißt nicht weniger, als dass Geschichte sich ausnehmend in der Gegenwart konstituieren muss unter Verweis auf die Zukunft. Die Geschichte der Schöpfung funktioniert also nur, weil Gott in Christus schon vor der Schöpfung und bis nach der Neu-Schöpfung im Bund die Welt erwählt hat und dies im Geschehen von Kreuz und Auferweckung offenbar gemacht hat, was ebenso auch an der Inkarnation offenbar hätte werden können: Dass die Geschichte der Schöpfung nur stattfindet im Rahmen der Geschichte Gottes mit der Schöpfung. Doch hieße dies, und das ist das Zentrum des zweiten Problems, dass damit der Eintritt der aionischen Zeit in die Schöpfungszeit in der Inkarnation Jesu Christi auch ein historisches Ereignis zu werden droht. Moltmann folgert: »Die so ›geschichtlich‹ erinnerten Ereignisse haben […] ihre letzte Wahrheit noch nicht in sich, sondern empfangen sie erst vom Ziel der zugesagten und zu erwarteten Verheißung Gottes her.«101 Sie geben, so führt Moltmann aus, »als ›geschichtliche Ereignisse‹ einen Vorschein des verheißenen Zukünftigen.«102 Die Ereignisse der Verheißung geben einen Vorschein, sie sind Antizipation der verheißenen Zukunft und können so erinnert werden. Das heißt konkret, wer auch immer die Verheißung vernahm bzw. sie in Überlieferungen, Glaube, Hoffnung und Offenbarung selbst auch wieder erlebt, kann sich dann in Hoffnung auf Basis der Verheißung der Zukunft erinnern. Allerdings ist Erinnern ein habitueller Akt. Es würde dementsprechend heißen, der Zukunft so habhaft zu sein, dass man auch aktiv auf sie zugreifen kann. Das widerspricht nicht nur dem, was unter Parusia beschrieben wurde, es würde auch heißen, die Inhalte von Moltmanns Darstellungen der Eschata103 wären hinlänglich bekannt.104 99 100 101 102 103 104

Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 95. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 96. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 97. Hervorhebungen von mir. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 97. Hervorhebungen von mir. Vgl. Abschnitt 6.1.1, S. 204ff. dieser Arbeit. Der Unterschied zum nunc stans aeternum im Gottesbegriff des Parmenides, wie Moltmann ihn konstruiert und damit auch die Differenzierung der eigenen Erinnerungsposition zu einer platonischen Anamnesis besteht hier in einer umgekehrten Dynamik, dass nämlich Moltmann versucht, gerade kein überzeitliches Faktum zu konstruieren, das von jedem Punkt der Zeitgeschichte aus durch wachsende (Wieder-)Erkenntnis erlangt werden kann, sondern der Wiedererkennungswert gerade darin liegt, unvermittelt selbst erkannt werden zu können als Offenbarung. Es gibt hier also keine stufenweise aufsteigende Erkenntnisordnung, sondern es gibt nur die sich offenbarende Gottheit. Und gerade hier entspringt das Problem, das behandelt wird.

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Es wäre somit das radikale Gegenteil dessen, was als erstes Problem erfahren wurde: es wäre nicht die schlechthinnige Transzendenz des Eschatologischen und seine Verlegung auf den ›jüngsten Tag‹ weg, sondern es würde die radikale Immanenz des Eschatologischen ausdrücken. Ein verheerendes Problem. »Die Antizipation des kommenden Reiches Gottes hat in der Geschichte am gekreuzigten Jesus von Nazareth stattgefunden«, heißt es bei Moltmann, »Das heißt: das kommende Reich Gottes hat keinen anderen Ort auf dieser Erde als das Kreuz auf Golgatha.«105 Und dieser Ort, das Kreuz auf Golgatha selbst, steht eben genau an einem Ort, nämlich auf der Erde. Wenn Moltmann also schreibt, dass das Reich Gottes im gekreuzigten Jesus antizipiert wurde, dann sagt Moltmann demnach auch, das Reich Gottes ist antizipiert auf dieser Erde, es ist gegenwärtig und zwar in dem Geschehen, dem Moltmann mit Hegel zwar nicht nur, aber auch eine überhistorische, spekulative Funktion zuschreibt, also Gültigkeit für jeden Moment der Geschichte. In Moltmanns Augen bedeutet das ein Doppeltes: Einerseits, »daß am Gekreuzigten offenbar wird, was an dieser Welt wirklich nicht in Ordnung ist«, nämlich ihre »Gottlosigkeit und Gottverlassenheit«, »daß die Mächte der Geschichte Gesetz, Sünde und Tod heißen«106 . Und andererseits: »daß am Gekreuzigten offenbar wird, wie die Zukunft Gottes, der Freiheit und der Gerechtigkeit in dieser Geschichte vermittelt werden; nämlich durch das stellvertretende Leiden Jesu Christi und das ihm folgende Handeln in Solidarität mit den Leidenden.«107 Für die Argumentation ist das insofern wichtig, als es tatsächlich Ausdruck ist für eine bestimmte habituelle, also direkt begriffliche Form des Wissens, das hier durch die Verheißung ausgesprochen wird. Das heißt also auch, dass hier eine Form von präsentischer Eschatologie, Moltmann nennt diese ja selbst »transzendentale Eschatologie«108 , vorliegt. Antizipation kann nicht heißen – und soll bei Moltmann auch nicht heißen – reine Vorahnung, sondern Wirklichkeit. Das erfüllt für Moltmann nur eigentlich eine andere Funktion des Zukunftsverständnisses, nämlich nicht mehr der Antizipation, sondern der Extrapolation.109 Eine so vermittelte Antizipation wird ihrem eigenen Begriff dabei nicht mehr gerecht. Es soll gar nicht ausgeschlossen werden, dass »[d]er christologische Begriff der Antizipation der Zukunft, den wir verwendet haben, […] dem christlichen Glauben in allen seinen Lebensäußerungen seine eigene Vorläufigkeit bewußt [macht]«110 , allerdings doch dagegen eingewandt werden, dass hier Moltmann seiner eigenen Begrifflichkeit in Konsequenz nicht mehr gerecht werden kann, weil die Trennschärfe über lange Sicht verloren geht. Es fehlt die 105 106 107 108 109 110

Moltmann: Hoffnung und Entwicklung, S. 63. Ders.: Hoffnung und Entwicklung, S. 63. Ders.: Hoffnung und Entwicklung, S. 63. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 39. Vgl. Ders.: Hoffnung und Entwicklung, S. 64f. Ders.: Hoffnung und Entwicklung, S. 67.

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eschatologische Differenz zwischen Kreuz und Auferstehung, der Erfüllungsvorbehalt in dieser Antizipation. Denn die Dialektik der Zukunft liegt doch bei Moltmann gerade darin, dass sie »das, was kommt«, dass sie »avenir« sein soll,111 aber durch einen so starken Verheißungsbegriff, wie er an Kreuz und Auferstehung Jesu Christi entwickelt wird, nicht ausschließlich sein kann, sondern über die Erfüllungsgewissheit doch gleichzeitig auch »das, was wird«, auch »futurum, future«112 sein muss. »Gottes Zukunft«, schreibt Moltmann, »ist nicht, dass er sein wird, wie er war und ist, sondern daß er in Bewegung ist und auf die Welt zukommt.«113 Allerdings ist das in-Bewegung-Sein doch auch gerade der Zustand, in dem Gott war, ist und sein wird. So steht die Hoffnung, die sich erinnernd auf diese Zukunft bezieht und ihre Wahrheit, ihr Kommen und auch ihr schon-gewesen-Sein, zu verkündigen hat, vor dem Problem, sagen zu müssen, was eigentlich nicht sich sagen lässt. Das ist beispielsweise das geschichtliche Faktum114 der in der Auferweckung Christi verheißenen und somit auch erinnerbaren(!) Auferweckung aller Toten. Eine durchaus schwierige Rede. Es bleibt zu vermuten, dass dieses durchaus nicht unwichtige Defizit seinen Ursprung darin hat, dass Moltmanns Theologie keine wirklich aussagekräftige Sündenlehre enthält und darum auch die Tiefe des Immanenzzusammenhangs nicht greifen kann, sondern diese durchbrochen und aufgehoben sieht im »geschichtlichen« Ereignis der Auferweckung Jesu Christi. Deshalb wird sich der nächste Abschnitt vor allem dem Thema von Präsenz und Präsens, von Immanenz und der ihr eigenen Zeitlichkeit widmen, wozu man sich wieder stärker bei Adorno zu bemühen haben wird, um durch dessen Stärken aber auch Schwächen eine Ergänzung zum starken, aber eben nicht umfassenden Programm der Futurologie Jürgen Moltmanns zu bekommen, die dann helfen kann, sich besonders mit einer Erkenntnistheorie auseinanderzusetzen, die beide Momente gleich stark macht. 7.1.2 Präsenz und Präsens

Moltmanns Gedanken können bei Adorno schon aus einem ganz bestimmten Grund nicht funktionieren, nämlich wegen des Holismus, mit dem Moltmanns Zukunftsbegriff aufwartet, der sich ebenfalls dem Vorwurf stellen muss, als Ganzes das Unwahre zu sein.115 Es gibt bei Adorno keine universalisierte oder universalisierbare Grundlage, die nicht dem Verdikt eines Identifikationszwangs unterworfen liegt und darum Verblendung ist, also »[e]ine Totalität, die immer mehr Lebensbereiche vergesellschaftet und immer mehr Erfahrungen und Deutungen 111 112 113 114 115

Moltmann: Hoffnung und Entwicklung, S. 65. Ders.: Hoffnung und Entwicklung, S. 65. Ders.: Kommen Gottes, S. 40. Vgl. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 96. Vgl. Adorno: GS 4, S. 55.

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aus zweiter Hand ersetzt.«116 Die Rede von einer alles überspannenden Zukunft, die jetzt schon präsent ist durch die Verheißung aber irgendwie doch noch nicht richtig, muss für Adorno deshalb seltsam anmuten. Vielmehr versteht sich Adornos Anspruch – quasi als Gegensatz zur theologischen Fokussierung auf den alles umschließenden Gott – als eine »Versenkung ins Detail«117 , in der nicht mehr das große, alles in sich fassende Reich Gottes, sondern die kleine weltimmanente Utopie einer versöhnten Welt, in der das Licht der Erlösung scheint, im Zentrum steht. Und sogar hier verbietet sich für Adorno, von einer irgendwie anderen Wirklichkeit zu sprechen, sondern es ist diese Welt, die im Licht der Erlösung mit allen ihren Ecken und Kanten, Makeln und Unvollkommenheiten darliegt.118 Das einzige, was Philosophie in diesem Punkt vermag, ist, »Leiden beredt werden zu lassen«119 . Es gibt noch einen weiteren Einwand gegen eine universelle Zukunft, wie das Reich Gottes sie darstellt. Moltmann fomuliert sie als Betrug der Hoffnung am Menschen um dessen Glück in der Gegenwart.120 Konkret lautet der Einwand, der Mensch sei »immer nur in der Gegenwart ein Seiender, ein Wirklicher, ein mit sich Gleichzeitiger, ein Einverstandener und Gewisser«121 , wohingegen Zukunft und Vergangenheit, durch Erwartung und Erinnerung verkörpert, den Menschen eher mit sich selbst entzweien und »ihn um das Glück ungeteilten Gegenwärtigseins […] betrügen.«122 Moltmann sieht hier allerdings ein falsches Verständnis, denn nicht etwa ist das reine Gegenwärtigsein das, was Glückseligkeit bringt, sondern Hoffnung ist »doch selber das Glück der Gegenwart«, denn »[s]ie preist die Armen selig, nimmt sich der Mühseligen und Beladenen, der Erniedrigten und Beleidigten, der Hungernden und Sterbenden an, weil sie die Parusie des Reiches für sie erkennt.«123 Das Problem, das sich hierbei von Adornos Analyse her stellen muss, ist, dass die universelle Zukunft, die die Gegenwart dermaßen unter ihrer Ägide hat, das Kommen des Reiches Gottes für die Armen und Schwachen zur Wirklichkeitsaussage zu erheben, zwar genau das ist, was theolo116 117 118 119

120 121 122 123

Schoberth: Jenseits der Kunst, S. 107. Adorno: GS 6, S. 298. Vgl. Ders.: GS 4, S. 283. Ders.: GS 6, S. 29. Sziborsky sieht bei Adorno ausschließlich »die neue Musik der Wiener Schule« von diesem befähigt, »die Position des Widerspruchs und des Widerstands« einzunehmen, »indem sie […] Angst und Entsetzen – […] Leiden – im expressiven musikalischen Ausdruck ›Laut‹ werden läßt« (Sziborsky: Rettung des Hoffnungslosen, S. 82). Sie liegt nicht falsch damit, dass Adorno dies der neuen Musik zuschreibt – allerdings scheint der Reduktionismus auf diese Kunstform alleine der Komplexität der Auseinandersetzung Adornos mit Kunst und ihrem Wahrheitsanspruch nicht gerecht zu werden. Vielmehr müsste man wohl hier eine exemplarische Nennung der neuen Musik in Betracht ziehen, da sich Adorno ihr besonders verbunden fühlte, und selbst dann noch die Philosophie als diesen Wahrheitscharakter vermittelnde zweite Instanz aufführen. Vgl. Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 21–27. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 21. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 21f. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 27.

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gische Eschatologie in Hoffnung zu tun habe,124 allerdings sich damit selbst als eine Universalie dem Verblendungszusammenhang zuordnen lassen müsste, da sie eben nicht nur Negation der Negation, sondern Affirmation durch Negation des Negativen darstellt.125 Dieser Gedanke soll näher erläutert werden und dafür greift die Analyse wieder auf Adornos Aufnahme und Interpretation des Bilderverbots zurück. Adorno schreibt, ganz im Sinne der negativen Dialektik: »Die Möglichkeit, für welche der göttliche Name steht, wird festgehalten von dem, der nicht glaubt.«126 Der göttliche Name, der für die Verheißung seiner Zukunft der Gerechtigkeit steht, so könnte man umformulieren, gilt nur dem, der es nicht selbst für wahr hält, dass sie anbrechen wird. Das kommt bei Adorno besonders durch einen Zusammenhang zustande: »Erstreckte einst das Bilderverbot sich auf die Nennung des Namens, so ist es in dieser Gestalt selbst der Superstition verdächtig geworden. Es hat sich verschärft: Hoffnung auch nur zu denken, frevelt an ihr und arbeitet ihr entgegen.«127 Durch die Erkenntnis des universalen Verblendungszusammenhangs und die Unfähigkeit, diesen zu durchdringen, zediert die Hoffnung selbst sich an ihn. Unter diesem Damoklesschwert muss sämtliche zukunftsgerichtete Hoffnung einer besseren Welt immer stehen, denn sie ist »die schiefe Projektion eines befriedeten, nicht länger antagonistischen Zustands auf die Koordinaten herrschaftlichen, unterdrückenden Denkens«128 womit sie selbst als Herrschaftsmittel sich auch instrumentalisierbar macht. »Die Menschen«, so beschreibt Bindseil die Situation im Anblick der Kulturindustrie, »werden zur Masse und so dumm gemacht, dass sie sogar meinen, in der Kulturindustrie, in der Unterdrückung durch den Markt, im Nicht-Selbst-Sein-Müssen, ihr Glück zu finden.«129 Wendet man dies nun zurück auf die Hoffnung auf eine befriedete Welt, dann sieht man schon, wie die Kritik mit Adorno hier lauten muss: Man kann sich nie sicher sein, inwiefern das Erhoffte tatsächlich genuine Hoffnung auf Versöhnung und Erlösung ist oder nicht doch ein Macht- und Herrschaftsmittel zur Aufrechterhaltung des Scheins. Dazu kommt noch, so Bindseil, dass durch die Verdummung die Masse dazu verleitet wird, »das Leid, das durch die Kulturindustrie erzeugt wird, zu ignorieren.«130 Es ist dieser Zusammenhang von Ungewissheit, Unsicherheit, Ignoranz, Verblendung und Verhinderung von Wahrheit, in dem der Mensch, und zwar ausnahmslos jeder, steht.131 Für Adorno entsteht hier die Dialektik von Zeit, also die Spannung zwischen der ursprünglichen, mythischen Zeitauffassung als zykli124 125 126 127 128 129 130 131

Vgl. Adorno: GS 6, S. 390. Vgl. Zamora: Zeit – Katastrophe – Erkenntnis, S. 75. Adorno: GS 6, S. 394. Ders.: GS 6, S. 394. Ders.: GS 6, S. 35. Bindseil: Ja zum Glück, S. 96. Dies.: Ja zum Glück, S. 96. Vgl. Adorno: GS 4, S. 29: »Es gibt aus der Verstricktheit keinen Ausweg.«

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sche Wiederkehr ewiger Gleichförmigkeit und der aufklärerisch-rationalen Einordnung und Einteilung der Zeit in drei Modi,132 wie sie oben schon benannt wurden.133 Und gerade in diese reine Immanenz – entweder der mythischen ewigen Gegenwart oder der subjektiven aufklärerischen – hinein, so konnte es bei Adorno ebenfalls festgestellt werden, scheint das Licht der Erlösung und zwar nun doch von außen herein. Damit wenden sich Adorno und die ganze kritische Thorie gegen eine Philosophie, »die den Wahrheitsanspruch des Denkens an das Niveau des realen Weltzustandes zurückschrauben möchten«134 , wie Zamora schreibt. Aber von welchem Außen geht er hier aus? Ist es ein futurisch-eschatologisches, wie es die Theologie gerne formuliert mit einer Vermittlungsstelle in Jesus Christus? Oder geht es eher um ein transzendental-ewiges, wie es gerade die Dialektik Hegels vorstellt?135 Oder bleibt eventuell auch nichts aussagbar, da es sich hier eher um eine Form von Präsenz in Absenz, eines Ausdrucks von Präsenz handelt, wie die negative Theologie oder Philosophie es gerne vorbringen? Christian Link formuliert: »Präsenz […] setzt das Vermögen, in die Gegenwart zu treten, voraus, was etwas durchaus anderes ist als die Gegenwart eines physikalischen Körpers oder Kraftfeldes.«136 Dabei sollte besonders den Auftakt des Zitats im Blick behalten werden, wo Link schreibt, es gehe um ein Vermögen, in die Gegenwart zu treten, also durchaus eine Aktion dessen, das Präsenz zeigt. Bei Adorno ist dieser Akt ebenfalls vorhanden, nämlich überall da, wo er vom Vorrang des Objekts spricht.137 Dabei war die Hauptlinie, die dieser Vorrang formulierte eine eigentlich schlichte Forderung, nämlich den Inhalten Vorrang vor der Form zuzusprechen. Was heißt das aber nun für den Fortgang dieser Arbeit? Zunächst die Wiederholung des vorhin konstatierten und ausgeführten Gedankens: Im Kunstwerk tritt etwas auf, zeigt etwas Präsenz, ist etwas da, was nicht als Gegenwart eines physikalischen Körpers oder Kraftfelds beschrieben werden kann – es zeigt sich hier die Utopie eines besseren Zustands, allerdings ausschließlich durch eine Herangehensweise: Bestimmte Negation. Dies muss so sein, denn: »Alle ›positive‹ Theorie konstituiert nach Adorno Herrschaft und verklärt sie ideologisch.«138 Es würde bedeuten, könnte man positiv vom Objekt reden, also den in 132 Vgl. abermals Klein: Die Frage nach der musikalischen Zeit, S. 62f. 133 Siehe Abschnitt 7.1, S. 243ff dieser Arbeit. 134 Zamora: Zeit – Katastrophe – Erkenntnis, S. 75. Er fährt fort: »Das Zusammenfallen in der Zeit von verwirklichter Vernunft und vernünftiger Wirklichkeit kann nur um den Preis eines hohen Realitäts- bzw. Vernunftverlustes, ja um den Preis einer leicht zu widerlegenden Verabsolutierung des Denkens zum absoluten Wissen bzw. einer gleichermaßen leicht zu entkräftenden Verklärung der widersprüchlichen Wirklichkeit affirmiert werden.« 135 Die Arbeit bezieht sich hier auf Hegels Formulierung, dass der Akt des zu-sich-selbst-Kommens des absoluten Geistes sich auch im jeweiligen menschlichen Leben vollzieht und darstellt (Vgl. Hegel: TWA 3, S. 577ff.). 136 Link: Schöpfung, S. 150. 137 Vgl. Abschnitt 3.1.1, S. 76ff dieser Arbeit. 138 Mörth: Religionssoziologie, S. 44f.

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der Kunst erscheinenden Inhalt theoretisch fassen, dass es selbst wiederum Beiwerk zur Ideologie wäre. Jetzt gilt es zu fragen, welche Form von Präsenz hier vorliegt und welche Bedeutung ihr für eine Zeitlogik zukommt. Wie ist also dieses Moment, um das es Adorno geht, präsent? Er möchte ja nicht, dass es beim Kunstwerk dabei bleibt, Ausdruck für irgendetwas zu sein, was nicht da ist, denn »Ausdruck ist a priori ein Nachmachen.«139 Wäre es nur ein Ausdruck für etwas Fremdes, Mysteriöses, Unerklärliches, könnte es genauso gut schweigen, denn dann sagt das Kunstwerk nichts Neues. Schlimmer sogar noch, es sagt das Falsche. »Vollends der zur Sprache objektivierte Ausdruck persistiert, das einmal Gesagte verhallt kaum gänzlich, das Böse nicht und nicht das Gute, die Parole von der Endlösung so wenig wie die Hoffnung auf Versöhnung.«140 Ist es wiederum ganz und gar gegenwärtig im Kunstwerk, kommt es im Kunstwerk zur Präsentifizierung dessen, das kein Schein ist innerhalb des Scheins und damit den Schein auflöst, löst sich das Kunstwerk selbst auf, zediert es sich an Utopie, macht es sich überflüssig.141 Uns kann dabei ein Blick in die Minima Moralia, genauer in den Aphorismus »Heliotrop«142 helfen. Dort heißt es: »Dem, zu dessen Eltern Logierbesuch kommt, schlägt das Herz mit größerer Erwartung als je vor Weihnachten. Sie gilt nicht Geschenken sondern dem verwandelten Leben. Das Parfüm, das die eingeladene Dame auf die Kommode stellt, während er beim Auspacken zusehen darf, hat den Duft, der der Erinnerung gleicht, schon wenn er ihn zum ersten Mal atmet. Die Koffer mit den Schildern vom Suvrettahaus und von Madonna di Campiglio sind Truhen, in denen die Edelsteine Aladins und Ali Babas, eingehüllt in kostbare Gewebe, die Kimonos des Logierbesuchs, aus den Karawansereien der Schweiz und Südtirols in Schlafwagensänften herbeigeschleppt werden zur gesättigten Betrachtung. Und wie im Märchen Feen zu Kindern reden, so redet der Besuch ernsthaft, ohne Herablassung zum Kinde des Hauses. […] So fühlt das Kind mit einem Male in den mächtigen und geheimnisvollen Bund der Erwachsenen sich aufgenommen, die magische Runde der vernünftigen Leute. Mit der Ordnung des Tages […] sind auch die Grenzen zwischen den Generationen suspendiert, und die wahre Promiskuität ahnt, wer um elf Uhr immer noch nicht ins Bett geschickt wird. Der eine Besuch weiht den Donnerstag zum Fest, in dessen Rauschen man mit der ganzen Menschheit zu Tische zu sitzen meint. Denn der Gast kommt von weither. Sein Erscheinen verspricht dem Kind das Jenseits der Familie und gemahnt es daran, daß diese das letzte nicht sei. […] Mitten unter den Seinen und ihnen befreundet erscheint die Figur dessen, was anders ist. Die wahrsagende Zigeunerin, durch die Vordertür eingelassen, wird in der besuchenden Dame losgesprochen und verklärt sich zum rettenden Engel. Sie nimmt vom Glück der nächsten Nähe den Fluch, indem sie es der äußersten Ferne vermählt.«143 139 140 141 142 143

Adorno: GS 7, S. 280. Ders.: GS 7, S. 179. Vgl. Ders.: GS 10.1, S. 452f. Ders.: GS 4, S. 201ff. Ders.: GS 4, S. 201f.

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Ungemein bildreich zeichnet Adorno hier ein Idyll eines Besuchs von Gästen im Haus, das das Kind des Hauses in größerer Erwartung versetzt als Weihnachten selbst. Die Gäste, gut betucht, erwecken märchenhafte Phantasien von Aladin und Ali Baba, von Feen und, das ist die versteckte Aussage hinter dieser ungewohnt voluminös-narrativen Ausdrucksweise Adornos, einer Gesellschaftsutopie, in der jegliches Mitglied, alt oder jung, Mann oder Frau, arm oder reich, auf Augenhöhe miteinander interagiert.144 Bindseil erkennt hier »ein geradezu messianisches Vokabular«, insofern »die Generationenschranke aufgehoben und Versöhnung gestiftet« wird.145 Man möchte ihr dabei auch überhaupt nicht widersprechen. Denn in der Weihung des Donnerstags zum Fest mit der Begründung, ›[d]enn der Gast kommt von weither‹ ist problemlos auch eine theologische Ausleg- und Interpretierbarkeit zu finden. Es ist diese Situation eine Umschreibung vollkommener Glückseligkeit und Versöhnung. »Darauf wartet«, so bewertet Adorno die Situation, »das ganze Dasein des Kindes, und so muß später noch warten können, wer das Beste der Kindheit nicht vergißt.«146 Beinahe merkwürdig ungebrochen kommt diese Idylle bei Adorno zur Sprache. »Im Kommen des Besuchs ereignet sich […] eine Epiphanie des dem Alltag Jenseitigien«147 . Doch es bleibt nicht dabei. Denn in dem Moment, in dem der Besuch das Haus wieder verlässt, ist alles vorbei. Es ist hier kein bleibender, kein dauernder Zustand. Und nicht nur das. Ohne die Tristesse des Alltags wäre der Höhenflug durch den Besuch nicht in dieser Form denkbar. Das soll anhand von Adornos Erklärung zum »langsamen Satz der d-moll-Sonate op 31,2«148 von Beethoven nachvollzogen werden. Dort schreibt er: »Wer kein Organ für schöne Stellen hat […], ist dem Kunstwerk so fremd wie der zur Erfahrung von Einheit Unfähige. Gleichwohl empfangen jene Details ihre Leuchtkraft nur vermöge des Ganzen.«149 Erstmals begegnet bei Adorno hier eine positive Würdigung des Ganzen, das das Unwahre ist.150 Adorno fährt fort: »Man muß lediglich die Stelle im Zusammenhang des Satzes spielen und dann allein, um zu hören, wie sehr sie ihr Inkommensurables, das Gefüge Überstrahlende, dem Gefüge verdankt. […] Sie individuiert sich in Relation zur Totalität, durch diese hindurch; ihr Produkt so gut wie ihre Suspension.«151 Ohne seine Stellung im Satz würde das zweite Thema des Adagios nicht so strahlen können, wie es das tut. Es wäre selbst zur Bedeutungslosigkeit verdammt.

144 145 146 147 148 149 150 151

Vgl. Thaidigsmann: Das Versprechen, S. 124. Bindseil: Ja zum Glück, S. 111; eine Parallelisierung zu Gal 3,28 drängt sich förmlich auf. Adorno: GS 4, S. 202. Thaidigsmann: Das Versprechen, S. 124. Adorno: GS 7, S. 280. Ders.: GS 7, S. 280. Vgl. Ders.: GS 4, S. 55. Ders.: GS 7, S. 280.

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Damit kommt allerdings auch dem Ganzen, in all seiner systemischen und systematischen Verfehlung, eine gewisse Notwendigkeit zu. Adorno akzeptiert die gegebenen Umstände so rundheraus, dass er ihnen jegliches nicht-Sein in Abrede stellt. Doch ist genau dies das spannende am Präsenzbegriff, der nun zu entwickeln ist. Denn es geht hier um eine Besonderheit, die Adorno beschreibt als »Hoffnung, mit einem Charakter von Authentizität, der sie, ein ästhetisches Erscheinendes, zugleich jenseits des ästhetischen Scheins trifft.«152 Sei es die hoffnungsvolle Erwartung des Besuchs im Hause, der die althergebrachten Ordnungen versöhnend überstrahlt oder das tonale Gefüge, dem die Melodie in ganz besonderer Authentizität und Klarheit entwächst, »die häusliche Gegenwart bleibt […] bestehen«153 , der Satz bleibt der Satz, über den sich die Melodie entfaltet, aber beides, sowohl das häusliche Interieur als auch die Musik erstrahlen in einem neuen Licht und es ist genau in diesem seinem Rahmen gegenwärtig. Es ändert sich nicht der Ort, an dem das Licht scheint. Und noch viel weniger ändert sich die Zeit, in der das Licht scheint. Die Melodie als Ganzes braucht den Satz als Ganzen, um sich über ihn hinaus entwickeln zu können. Dabei kann sie nicht anders als sukzessive vorgehen, »weil es klingenden Ereignissen in der Tat verwehrt ist, sich anders als sukzessiv anzuordnen«154 . Diese lapidar klingende Aussage Kleins ist besonders zu betonen. Denn wie beim Hausbesuch so ist es auch in der Musikphilosophie Adornos nicht der einzelne Ton, der Wahrheit ausdrückt (bedingt ist er es natürlich auch), sondern vermittels des künstlerischen Gefüges die Melodie. Klein bezieht sich hier ganz explizit auf ein Zitat Adornos aus dem späten Strawinsky-Aufsatz: »Musik ist, als Zeitkunst, durch ihr pures Medium an die Form der Sukzession gebunden und damit irreversibel wie die Zeit.«155 Es ist der Verlauf des gesamten Ereignisses, der seine Besonderheit ausmacht. Und gleichzeitig bedeutet es auch die Unumkehrbarkeit. Jegliche Wiederholbarkeit scheidet an diesem Punkt aus. Es ist nie ein zweites dieser Ereignisse mit dem ersten identisch, kein Besuch bei den Eltern wie der andere und jede Aufführung von Beethovens d-moll-Sonate für sich alleinestehend und in gewisser Weise inkommensurabel. Jedes dieser Ereignisse ist Ausdruck von Nichtidentität. Zeit ist und bleibt hier unumkehrbar.156 So kommt es auch, dass nach dem Fortgang des Besuchs sich die Tristesse wieder einstellt mit den Worten »Da bin ich wieder / hergekommen aus weiter Welt.«157 Am Ende ist dies die Präsenz, die sich bei Adorno ergibt: ein radikales Präsens. Der Besuch ist in dem Moment da, in dem er da ist, die Melodie erklingt in dem Moment, in dem sie erklingt und überstrahlt genau in diesem 152 153 154 155 156 157

Adorno: GS 7, S. 423. Bindseil: Ja zum Glück, S. 111. Klein: Die Frage nach der musikalischen Zeit, S. 65. Adorno: GS 16, S. 386f. Vgl. Ders.: GS 16, S. 221. Ders.: GS 4, S. 203.

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Augenblick das Gefüge – aber sowohl das eine als auch das andere sind schlechthin unwiederbringlich dahin, sobald es vorbei ist. So kommt es zu keiner konkreten Versöhnung. »Adornos Beschreibungen des verwirklichten Glücks verblieben […] im Konjunktiv«, schreibt Bindseil und folgert, »ein konkreter Weg zur Überwindung von Leid wird nicht aufgewiesen.«158 Was bleibt, ist die Gegenwart des Scheins, nicht des ihn überstrahlenden. Vorhin wurde die Vermutung geäußert, dass Moltmanns Futurologie eine ausformulierte Sündenlehre fehle und Adorno hier deshalb einen wichtigen Gesprächspartner darstelle. Genau wie der Mensch aus der incurvatio hominis in se ispum159 nicht ausbrechen kann, in der reinen Selbstbezüglichkeit verbleiben muss, gibt es bei Adorno keinen konkreten Ausweg aus dem Verblendungszusammenhang. Der Schein, das Bestehende, bleibt zunächst einmal absolut. Die wenigen Momente, in denen etwas den Schein durchbricht, affirmieren und prolongieren ihn in ihrem Ende selbst noch mehr. Denn die Ahnung des Anderen, dass es auch anders sein könnte, verflüchtigt sich mit ihm – übrig bleibt die Verblendung, die immer schon auch so war. Bindseil fasst zusammen: »Es mag wohl in dieser Welt einzelne Momente der Überwindung von Leid, der Versöhnung von Subjekt und Objekt, von Individuum und Gesellschaft, von Natur und Geist geben, aber dies könnte allenfalls ein zaghafter Hinweis auf die Utopie sein, mehr nicht«160 . Deshalb kann Adorno nicht anders, als mit bestimmter Negation zu argumentieren, um diesem Hinweis nahe zu kommen. Von Bindseil selbst wird dies jedoch auch scharf kritisiert. »Die Kluft zwischen der geschichtlichen Wirklichkeit und dem Stand der Versöhnung […] ist Adorno zufolge so groß, dass sie nicht einmal begrifflich überwindbar ist und ihre Überbrückung nicht Ziel menschlicher Praxis sein kann.«161 »Auch das Aufleuchten der Utopie in der Kunst«, so fährt sie fort, »ist etwas, dem der Mensch sich nur rein passiv hingeben kann, das er durch jede Aktivität zerstört.«162 Dieser Kritik sollte man sich nicht anschließen. Wäre es nicht deutlich geschickter, als durch die Brille theologischer Offenbarungs-, und damit auch Verheißungs- und Hoffnungsgewissheit auf Adorno zu schauen, zu fragen, inwiefern er selbst sprachfähig machen kann? Denn nimmt man die Hamartiologie, wie sie immer und immer wieder formuliert ist, finden sich ganz ähnliche Darstellungen, beispielsweise bei Barth: »der Mensch, der wie Gott, der selber Herr, der der Richter über Gut und Böse, der sein eigener Helfer sein wollte, um eben damit der Herrschaft seiner Gnade zu widerstehen und also vor ihm irreparabel, 158 Bindseil: Ja zum Glück, S. 115. 159 Vgl. hierzu beispielsweise Luther: WA 56,356; dort argumentiert Luther, dass der Mensch nicht nur körperlich, sondern auch geistig, also als ganzer Mensch in sich verkrümmt ist. Als solchem gelingt ihm kein Ausweg aus der Incurvatio Siehe ebenso Roth: Homo incurvatus in se ipsum und Jenson: The Gravity of Sin. 160 Bindseil: Ja zum Glück, S. 115. 161 Dies.: Ja zum Glück, S. 126. 162 Dies.: Ja zum Glück, S. 127.

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radikal und total, jeder Einzelne für sich und die Menschheit als Ganzes schuldig zu werden.«163 Bindseil kritisiert auch, Adorno habe sich der Schuldthematik nicht differenziert genug gestellt und die Frage »nach individueller und kollektiver Schuld«164 kaum bedacht. Gerade diese Tendenz sehe ich bei Adorno nicht, denn die Dialektik der Aufklärung besteht doch gerade darin, dass die Menschheit als Kollektiv, aber auch jedes Individuum immer und immer wieder bis heute sich in eine selbstverschuldete Unmündigkeit begeben, indem sie sich selbst den Produktivkräften und der technischen Vernunft unterwerfen, die sie selbst erst in diese Machtposition hoben. Insofern ist Adornos Darstellung auch eine, natürlich nicht nicht zu kritisierende, aber doch ernstzunehmende, breit ausgeführte Sündenlehre, die besonders die innere Verkehrtheit und das in-sich-verkrümmt-Sein von Welt und Wahrnehmung, Natur und Gesellschaft, Individuum und Kollektiv fokussiert und ausdrückt. Sie kann das sein, weil sie trotz ihrer inneren Bezogenheit auf das utopische Zentrum und dessen in der Negation präsenten Nichtpräsenz deutlich das Licht der Erlösung thematisiert, aber darüber nicht vergisst, dass der Lichtschein nicht gleichbedeutend ist mit der Aufhebung der Differenzen. Dementsprechend ist die Präsenz des Utopischen, sei es im Kunstwerk, sei es in der Hoffnung, immer eine gebrochene. Keine Überwindung des Zustands ist dem Menschen in seiner Verfangenheit in der Immanenz möglich. »Immer wieder wird die Sehnsucht nach Rettung explizit und zugleich ihre Verkündigung bzw. Umsetzung als Trug und Lüge entlarvt«165 , fasst Bindseil diese Gebrochenheit prägnant zusammen. Präsent sind sie also in der Wirklichkeit, allerdings in negativer Präsenz. Ein positives, bleibendes Dasein des versöhnten Zustands ist für Adorno so nicht denkbar. Für eine Verdeutlichung, wie diese Präsenz nun genau denkbar ist, hilft noch einmal Die Frage nach der musikalischen Zeit166 aufzunehmen. Klein stellt heraus, dass es besonders seit dem »Beginn der Arbeit am Beethovenbuch (1937/38) […] zu einer normatien Verschärfung der zeittheoretischen Position« Adornos gekommen sei, nämlich durch den »Diskurs vom ›intensiven‹ und ›extensiven Zeittypus‹«167 . Mit diesen Begriffen solle man zwar, so Kleins Warnung, vorsichtig umgehen, doch geht es ja nicht um eine Erarbeitung der Unterscheidung von extensiver und intensiver Zeit, sondern was Klein mit Adorno anhand dieser Differenzierung entwickelt, denn es hilft besonders, die Rede von Präsenz des Utopischen zu schärfen.168 Grundlegend ist für Klein, dass das eine nicht eine

163 164 165 166 167 168

Barth: KD IV/1, S. 395. Bindseil: Ja zum Glück, S. 127. Dies.: Ja zum Glück, S. 129. Klein: Die Frage nach der musikalischen Zeit. Ders.: Die Frage nach der musikalischen Zeit, S. 67. Für eine detaillierte Darstellung der Zeittypen und wofür sie einstehen siehe Ders.: Die Frage nach der musikalischen Zeit, bes. S. 67–69. Man verbleibt hier bei einer fragmentarischen Rekonstruktion.

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»prinzipielle Alternative«169 zum anderen darstellt, sondern, falls es überhaupt so aussagbar ist, »sich hier die Modelle wie zwei Welten gegenüber[stehen]«170 . Diese beiden »Welten« sind einerseits die der intensiven Zeit, die »in sich gebrochen ist, ja ein unmögliches Unternehmen darstellt«, da der Begriff von Zeit, der hier vorliegt, »für den spekulativen Fluchtpunkt einer Einheit der vielen Zeitperspektiven«171 einsteht. Es geht um ein Vorwärtstreiben, wenn auch kein blindes und unbeherrschtes Vorpreschen gemeint ist, einen Übergang von den vielen Einzelmomenten, die vergangen, gegenwärtig oder zukünftig sein mögen, hin zu einem großen Ganzen – jeglicher Melodie, Durchkomposition eines Themas liegt dieser Zeittyp inhärent bei und zugrunde. Demgegenüber ist die exzessive Zeit beschrieben als Betonung des räumlichen Bezugs jeglicher Zeit und damit der Vielfalt der Zeitmodi.172 Will man nun diese Gedanken bündeln und fruchtbar machen, dann bemerkt man, dass es für Adorno wohl ein doppeltes Präsens gibt, nämlich einerseits das Präsens der Sukzession. Es gibt hier nur den Einzelton oder -akkord, der erklingt, der aber Vergangenheit ist, sobald der nächste erklingt. Hier greifen die verschiedenen Zeitmodi. Nach Gestern kam Heute und nach Heute wird Morgen kommen; der Besuch war da, ist da oder wird noch kommen. Aber wenn er dann da war, dann ist es damit auch vorbei, die Versöhnung bleibt aus. Und dennoch ist hier bei Adorno auch noch eine andere Tendenz erkennbar, die der intensiven Zeit, die sich mit einer theologischen Eschatologie wie der Moltmanns denken lässt, nämlich das Ausbleiben dieser Zeitmodi unter dem vereinheitlichten Denken des Ganzen, dessen das Besondere bedarf, um im Schein den Schein zu überstrahlen und damit zu duchbrechen. Es gibt hier eine Form zeitloser bzw. überzeitlicher Gegenwart des Utopischen, da das Ganze schon auch darauf angelegt sich findet, das Besondere hervorbringen zu können und die Nichtidentität zu betonen. Nur braucht es, das macht Adorno deutlich, beide Momente explizit, besonders die Betonung des nach wie vor bestehenden Systems, das auch nach wie vor verblendet. Verbindet man diese Gedankengänge, zeigt sich: Moltmanns Entwurf eignet sich in besonderer Weise, die schlechthinnige Präsenz der Vollendung zu beschreiben. Das Reich Gottes ist nicht im Irgendwo zu finden, keine metaphysische Spekulation, keine radikale Transzendenz, sondern Wirklichkeit, die sich in verschiedenen, die erlebte Realität durchziehenden Möglichkeiten zeigt und präsentiert. Dass diese Möglichkeiten aber eben Wirklichkeiten sind, wenn sie auch erst nachträglich wahrgenommen werden, ist bei Moltmann durch die umgekehrte Reihung von ontischer und noetischer Ordnung begründet. Durch diese Umkehrung wird eine Sprachfähigkeit erreicht, der eine rein phänomenologische 169 170 171 172

Ders.: Die Frage nach der musikalischen Zeit, S. 67. Ders.: Die Frage nach der musikalischen Zeit, S. 67. Ders.: Die Frage nach der musikalischen Zeit, S. 67. Vgl. Ders.: Die Frage nach der musikalischen Zeit, S. 67f.

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Herangehensweise an die im Wirklichen aufscheinenden Möglichkeiten nicht gerecht werden kann. Adornos Auseinandersetzung mit der Präsenz der Vollendung birgt dafür die Möglichkeit, die lebensweltliche Nichtpräsenz der Vollendung besser zum Ausdruck zu bringen. Durch die Universalität des Verblendungszusammenhangs geprägt, kann die Präsenz des Utopischen in ihrer affektiven Ausprägung besser dargestellt werden und der eschatologischer Vorbehalt, der der Hoffnung inhärent sein muss, damit diese sich nicht in ihrem Gegenstand auflöst, zum Ausdruck kommen. Die Sprachfähigkeit, die sich einer theologischen Reflexion über Präsenz hier anbietet, löst ein, was Moltmanns fehlende Sündenlehre zu thematisieren hätte. Die Kombination beider Positionen dient, der inneren Dialektik von Präsenz und Nichtpräsenz im Moment von Hoffnung zu ihrem Recht zu verhelfen, ohne eine je einseitige Bejahung oder Verneinung der Präsenz der Vollendung zu verfallen. Denn einerseits wird ganz klar die im Prozess präsente Form von Zukunft, die Parusia, mit Moltmann betonbar und damit ein präsentisches Futur ausdrückbar, das nicht auf die subjektive Konstruktion von Wirklichkeit aus der Gegenwart sich versteift, sondern die Grenzen des Gegenwärtigen übersteigt und somit den weiten Horizont der Wirklichkeit der Zukunft Gottes anerkennt. Gleichzeitig aber wird mit Adorno die Vorläufigkeit dieser Erkenntnisse hervorgehoben, die doch ihrer Vollendung noch harren, die sich deshalb nicht auf die statische Darstellung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft beschränken lassen kann, aber auch nicht eine einseitige Vermischung und Vereinigung in eine metaphysische Zukunft zulässt, die schon präsent ist. Sondern, wie Adorno den Aphorismus »Heliotrop« abschließt: »Liebe zählt die Stunden bis zu jener, da der Logierbesuch über die Schwelle tritt und das verfärbte Leben wieder herstellt durch ein Unmerkliches: ›Da bin ich wieder / hergekommen aus weiter Welt‹.«173 Nach dem einen Aufscheinen der Präsenz der Vollendung muss sie sich erst wieder einstellen – sie ist keineswegs von Dauer, sie bleibt nicht. Im nächsten Kapitel sollen diese Gedanken nun weitergeführt und sich gefragt werden, welche Bedeutung diese verschiedenen Präsenzformen auch für die Hoffnung austragen. Vieles, so wird auffallen, wurde schon gesagt. Die Aufgabe, die sich nun stellt, ist, diese Gedanken zusammenzutragen, zu bündeln und damit zu zeigen, welchen Ertrag diese Arbeit für ein Verständnis von Hoffnung haben kann und soll.

173 Adorno: GS 4, S. 202f.

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Das Utopische ist in der Wirklichkeit präsent, im Licht der Erlösung wird die Welt mit ihren Rissen und Schründen wahrgenommen, die Wirklichkeit ist die Wirklichkeit, auch wenn sie – wie im Aphorismus »Heliotrop« durch den Besuch – eine andere ist, ist es dennoch diese Wirklichkeit, »die häusliche Gegenwart bleibt […] bestehen, wird aber durch den von außen Kommenden doch gänzlich verändert«1 . Sowohl Adornos als auch Moltmanns Programm sind jeweils völlig auf diese erlebte und gelebte Wirklichkeit bezogen, in der sie und wir stehen. Es gibt zwar jeweils einen Bezug auch über sie hinaus zu einer Transzendenz, allerdings immer wieder nur unter Rückbindung an das, was Wirklichkeit konstituiert. Nimmt man die Impulse auf, die von beiden Denkern bisher dargestellt und analysiert wurden, dann können sie nun einen Anstoß geben, wie Hoffnung auf der Basis beider Denker neu gedacht werden kann und auch sollte. Dabei war die Frage dieser Arbeit, inwiefern Hoffnung in beiden Entwürfen eine transzendentale Bedeutung zukommt, die herauszuarbeiten versucht wurde, und deren Komplexität an zwei Kernbereichen exemplarisch zum Ausdruck gebracht werden wollen. Nämlich inwiefern Hoffnung die Bedingung der Möglichkeit der Erfahrung der Wirklichkeit ist und inwiefern sie dabei auch Bedingung der Möglichkeit für die Erfahrung einer neuen Wirklichkeit sein muss. »Das neuzeitliche Geschichtsbewußtsein ist Krisenbewußtsein, und alle neuzeitliche Geschichtsphilosophie ist im Grunde Krisenphilosophie.«2 So steht es bei Moltmann und auch wenn für eine verheißungsgeleitete Heilsgeschichte dieser Maßstab in anderen Dimensionen anzulegen ist,3 gilt doch, dass Geschichtswahrnehmung nicht umhin kann, zu bemerken, dass »[d]ie Dämme der Traditionen und Ordnungen […] auf allen Gebieten […] zerbrechen« und den Menschen deshalb ihre »Geschichte als Krise wahrnehmbar«4 wird. Moltmann charakterisiert diesen Prozess durchaus nicht als einen positiven, wiederum aber gleichzeitig nicht als einen negativen, sondern sieht hier »neue Möglichkeiten zum 1 2 3 4

Bindseil: Ja zum Glück, S. 111. Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 210. Vgl. Ders.: Theologie der Hoffnung, Kapitel IV: Eschatologie und Geschichte, besonders S. 250– 279. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 210.

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Guten und zum Bösen, zum Fortschritt und zum endgültigen Absturz.«5 Darin entsteht sogar, so Moltmann, erst »der Sinn für Geschichte«6 , dass eine Bedrohung auftritt, die über die bisherigen Möglichkeiten hinausgeht und neue erfordert. Geschichte hangelt sich dann von Krise zu Krise, Fortschritt entsteht aufgrund von nicht optimalen Ausgangssituationen, die verschiedene Formen von Bedrohungen darstellen. Das ist der Geschichtsbegriff, den Moltmann den historischen Wissenschaften beiordnet und selbst daraufhin kritisiert. Mit einer positiven Lesart von Geschichte spricht Moltmann gegenüber der zu dieser Zeit weit um sich greifenden Kritik der Historie und der Geschichte, maßgeblich durch die Kritische Theorie um Horkheimer und Adorno. Diese beziehen sich beim Thema ›Geschichte als Fortschritt‹ besonders auf die Erfahrungen des dritten Reiches, der Verfolgung, des Exils – der Erfahrung des Schreckens von Auschwitz. Wie schon in Kapitel 2 immer wieder betont, geht es der kritischen Theorie um Adorno maßgeblich um die Frage, wie aus dem Impetus der Aufklärung sich eine Gesellschaft entwickeln konnte, die in ihrem Fortschrittsdenken sich selbst dermaßen zur Unmündigkeit erklärt, dass es in der Shoa kulminierte. Reflektierte, schlaue Menschen traten für ein Führertum ein, das sie – wie sie sich selbst – radikal entmündigte und für dessen Bestand die Anlagen mit seinem Ende nicht mit verschwanden, sondern nach wie vor gegeben sind. Geschichte wird erlebt als Verfallsgeschichte. Das ist die Situation, in der Adorno die Worte Benjamins aufnimmt: »Nur um der Hoffnungslosen willen ist uns die Hoffnung gegeben.«7 Nur weil die Situation so verfangen ist, kann auf etwas gehofft werden, nämlich darauf, dass das, »was ist, sich ändern läßt«8 . Doch damit wurde schon eine Annahme getätigt, die nicht unkommentiert gelassen werden darf und der man mit der folgenden Frage sich widmen kann und muss, um nicht eine falsche Einseitigkeit zu erzeugen bzgl. des Ursprungs der Hoffnung: Wie kommt die Erkenntnis dieser Wirklichkeit zustande, in der man hoffen darf, dass sie nicht alles ist?9 Wie kommt es, dass überhaupt auf mehr gehofft werden kann als ist? Und was hat die Hoffnung damit zu tun, ob es in der Geschichte tatsächlich in Richtung Fortschritt oder in Richtung Verfall geht, wenn diese beiden überhaupt je so in Reinform vorkommen? Eben wurd die Vermutung geäußert, dass man hoffen darf, weil die Situation so verfangen ist. Das wird nun anhand von Moltmann und Adorno allerdings gleich konterkariert werden: Bei Adorno ist die Antwort das Licht der Erlösung, in dem die Welt mit ihren Rissen und Schründen offengelegt wird. Ein durchaus biblisches Motiv. So heißt es in Ps 36,10 »Denn bei dir ist die Quelle des Lebens und in deinem Lichte sehen wir 5 6 7 8 9

Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 210. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 212. Benjamin: Wahlverwandtschaften, S. 201. Adorno: GS 6, S. 391. Vgl. Ders.: GS 6, S. 391.

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das Licht.« Das Licht Gottes ist es, in dem das Licht der Schöpfung scheint – der Zusammenhang von Licht und Leben ist hier deutlich. Das Licht des Schöpfers ist der Ursprung des Lichts, so wie der Schöpfer der Ursprung des Lebens ist und wo sein Licht scheint, da ist Leben; umgekehrt aber auch, wo Leben ist, da ist sein Licht. Dieser innere Zusammenhang von Licht und Leben ist noch an anderer Stelle ganz evident, nämlich bei Joh 1,4–5: »In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht scheint in der Finsternis und die Finsternis hat’s nicht ergriffen.« Joh 1 spricht unmissverständlich von Jesus Christus, dem inkarnierten Wort Gottes, der von sich selbst sagt, das Licht der Welt zu sein (Joh 8,12). Das Wort Gottes ist dabei immer auch ein Verheißungswort, das in sich nicht nur Erfüllung der Verheißung impliziert und ansagt, sondern diese gleichzeitig antizipiert und damit Erlösung selbst in der Welt präsent macht. So kann das Licht der Erlösung, das Adorno meint, recht gefahrlos mit Präsenz der Erlösung im unerlösten, im unversöhnten Zustand übersetzt werden. Vorerst wird sich der Moltmannschen Umkehrung von ontischer und noetischer Ordnung angeschlossen10 und daraus gefolgert, dass die Welt von ihrer Zukunft her, vom Reich Gottes, von der Erlösung und der Versöhnung her und in dem Licht, das aus dieser Zukunft scheint, erkennbar ist, wie sie ist, als eine geschichtliche Wirklichkeit, in der es ziemlich hoffnungslos zugeht. Wenn aber die Zukunft der Erlösung noetisch das Letzte ist, was erkannt wird, heißt die Umkehrung dieser Ordnung, dass sie das erste war, was war, ist und sein wird. Der nächste Schritt muss demnach lauten: Weil dieses Licht der Erlösung, das von der Zukunft her auf die Welt scheint, vorhanden ist, wird die Finsternis sichtbar und die Finsternis ergreift es nicht, um in einem biblischen Ausdruck zu bleiben. Und dass das Licht scheint, ändert prinzipiell daran erst einmal nichts. Sondern vielmehr, so schreibt Bindseil, gibt es auch die Möglichkeit, dass das Licht selbst ein Trugbild ist. Dann »würde die Erfahrung des ›Anderen‹ nur dazu dienen, die diesseitige Welt genauer zu erfassen, auszumessen und damit wiederum zu begrenzen und zu beherrschen.«11 Möglich, dass es dem Denkenden in der Verblendung nur so gehen kann wie Münchhausen im Sumpf.12 Dennoch bleibt aber, dass das Bestehende neu bzw. besser erkennbar wird als das, was es ist. Dabei tut sich zwischen Moltmann und Adorno allerdings eine gravierende Differenz auf, die im Folgenden näher zu betrachten ist, da sie hilft, besser zu verstehen, weshalb Hoffnung eine transzendentale Bedeutung beikommt. Bei Adorno bestehen Versöhnung und Erlösung in der Überwindung des Scheins der dem Zwang zur Indentifikation zugrunde liegt. »Einheit ist Schein«13 , heißt es bei Adorno, und sogar Kunstwerke – Adornos primäre Bezugsquel10 11 12 13

Vgl. 6.1.1, S. 204ff dieser Arbeit. Bindseil: Ja zum Glück, S. 111. Vgl. Adorno: GS 4, S. 83. Ders.: GS 7, S. 455.

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len, wenn es um eine Überwindung des Einheitsparadigmas geht – entstammen selbst einer gewissen Einheit, nämlich der Einheit, derer sie selbst bedürfen, um überhaupt als Kunstwerk zu bestehen. Aber sie durchbrechen gleichzeitig Einheit, nämlich die Einheit der Wirklichkeit als alleiniger möglicher Wirklichkeit; »Kunstwerke begeben sich hinaus aus der empirischen Welt und bringen eine dieser entgegengesetzte eigenen Wesens hervor«14 . Kunst durchbricht den Schein darin, dass sie der Wirklichkeit den Spiegel vorhält. Sie sind »Erscheinung und nicht Abbild«15 , d. h. sie stellen nicht einfach nur dar, sondern sie erweitern den Erkenntnisraum der Wirklichkeit um eine andere Wirklichkeit, die nicht die gleichen Makel und Mängel besitzt, wie es die Wirklichkeit tut, in der durch das Kunstwerk eine andere Wirklichkeit aufscheint. Doch damit genau legen sie etwas offen. Denn wo im Kunst!Kunstwerkwerk eine Wirklichkeit aufscheint, die der empirischen Welt entgegensteht, zeigt sie etwas auf, was nichtidentisch ist und macht damit gleichzeitig an der empirischen Welt etwas erkennbar. Als Beispiel fungiert der Aphorismus »Sur l’eau« aus den Minima Moralia, in dem Adorno der »Frage nach dem Ziel der emanzipierten Gesellschaft«16 nachgeht. Diese Frage beantwortet Adorno zunächst einmal mit einer Minimalantwort: »Zart wäre einzig das Gröbste: daß keiner mehr hungern soll.«17 Der kleinste gemeinsame Nenner, auf den ein Ideal einer besseren Gesellschaft sich gründen könnte, ist demnach die Überwindung von Hunger, was gleichzeitig auch bedeutet, die Umschichtung der Güter, dass anderernorts der Überfluss verringert wird. »Alles andere setzt für einen Zustand, der nach menschlichen Bedürfnissen zu bestimmen wäre, ein menschliches Verhalten an, das am Modell der Produktion als Selbstzweck gebildet ist.«18 Würde man also etwas anderes als die Befriedigung des Basisbedürfnisses nach Hunger anstreben, würde man sich der kapitalistischen Marktlogik unterwerfen müssen. Eine Gesellschaft, die es schaffte, sich dieser Tendenzen zu entledigen, wäre eine idyllische Gesellschaft, in der die Utopie von sozialer Gerechtigkeit verwirklicht wäre. Es wäre aber nicht nur dies positiv zu nennen, sondern die Auswirkungen wären noch deutlich tiefgreifender. »Genuß selbst würde davon berührt, so wie sein gegenwärtiges Schema von der Betriebsamkeit, dem Planen, seinen Willen Haben, Unterjochen nicht getrennt werden kann«19 , heißt es bei Adorno. Doch damit hört es nicht auf, nicht nur der Genuss wäre betroffen. »Rien faire comme une bête, auf dem Wasser liegen und friedlich in den Himmel schauen, ›sein, sonst nichts, ohne alle weitere Bestimmung und Erfüllung‹ könnte an Stelle von Prozeß, Tun, Erfüllung treten und so wahrhaft das Versprechen der dialektischen Logik einlösen, in ihren Ursprung münden. 14 15 16 17 18 19

Adorno: GS 7, S. 10. Ders.: GS 7, S. 130. Ders.: GS 4, S. 177. Ders.: GS 4, S. 178. Ders.: GS 4, S. 178. Ders.: GS 4, S. 179.

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Keiner unter den abstrakten Begriffen kommt der erfüllten Utopie näher als der vom ewigen Frieden.«20 Doch ist dieser Gedanke bei Adorno eben doch nur ein Ideal einer emanzipierten Gesellschaft, nicht deren Wirklichkeit oder deren Sein. Stattdessen liest man bei ihm eher vom Gegenteil. »In das Wunschbild des ungehemmten, kraftstrotzenden, schöpferischen Menschen ist eben der Fetischismus der Ware eingesickert, der in der bürgerlichen Gesellschaft Hemmung, Ohnmacht, die Sterilität des Immergleichen mit sich führt.«21 Es ist die gegenwärtige Gesellschaft fast genau das Gegenteil von dem, was in der Idylle des ewigen Friedens beschrieben und vorgestellt ist. Woher allerdings kommt die Erkenntnis dessen? Es gibt entweder die Möglichkeit, ex negativo vom besseren Zustand zu reden auf Basis dessen, dass man mit gewissen Um- und Zuständen der empirischen Realität nicht zufrieden ist. Dies setzte voraus, eine objektive Betrachtungsweise auf die Wirklichkeit einnehmen und haben zu können, aus der die Kritik so fundiert erwachsen könnte, dass sie die Missstände erkennen und eine Besserung in den Blick bekommen könnte. Allerdings müsste sich in diesem Fall die Frage stellen, weshalb keine Schritte zur Besserung ergriffen werden, wenn man der besseren Wirklichkeit doch ex negativo aus der schlechten habhaft werden könnte. Und selbst wenn diese Frage hinlänglich sich beantworten ließe, würde sofort die prinzipielle Erreichbarkeit selbst hinterfragt und ebenfalls verneint werden müssen, denn es gibt aus der Verstrickung keinen Ausweg. Deshalb wird das Erkenntnisverhältnis umgedreht. Im Kunstwerk als dem Ort, an dem Nichtidentität erscheint, werden gesellschaftliche, philosophische, theologische, anthropologische und auch sonstige Missstände dadurch offenbar, dass der bessere Zustand aufscheint und damit erst aufleuchten lässt, dass die empirische Realität nicht gut ist. »Die – praktische – Aufgabe der Kunst liegt darin, die Augen für den tatsächlichen Zustand der Welt zu öffnen, die dem totalen Verblendungszusammenhang unterliegt«22 , formuliert es Bindseil. So kommt durch den Vorschein der Utopie diese Wirklichkeit zur Geltung, zum Vorschein, wie sie im »Angesicht der Verzweiflung«23 ist.24 Doch ist die Wirklichkeit des Vorscheins bei Adorno nicht gleichbedeutend damit, dass es auch wirklich ist. Die Ahnung des Anderen, die Ahnung des Utopischen, darauf gründet sich zwar die Hoffnung im hoffnungslosen Zustand, dass er nicht alles sein mag und sie überschreitet damit auch seine Grenzen, aber sie hebt ihn nicht auf. Vielmehr geschieht das Gegenteil. »Je leidenschaftlicher der Gedanke gegen sein Bedingtsein sich abdichtet um des Unbedingten willen, um so bewußtloser, und damit 20 21 22 23 24

Ders.: GS 4, S. 179. Ders.: GS 4, S. 178. Bindseil: Ja zum Glück, S. 124. Adorno: GS 4, S. 283. Vgl. auch Wischke: Betroffenheit und Versöhnung, S. 913.

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verhängnisvoller, fällt er der Welt zu.«25 Das Wissen um die Wirklichkeit eines ganz Anderen hebt nicht diese Wirklichkeit auf, sondern zeigt lediglich, wie letztere tatsächlich ist. Der Gedanke, der diese überschreitet, indem er ihre Verkehrtheit im Licht des Anderen erkennt, entspringt zwar nicht dieser Wirklichkeit, wird aber in ihr gedacht und ist »eben darum selber auch mit der gleichen Entstelltheit und Bedürftigkeit geschlagen«26 . Er muss – mit Adornos Worten – »seine eigene Unmöglichkeit […] noch begreifen um der Möglichkeit willen.«27 Damit bleibt diese Hoffnung auf das Andere einzig als gebrochene Hoffnung übrig, die selbst nur die Unmöglichkeit der Möglichkeit der Erlösung ins Auge fassen kann. Damit aber, und das ist die Pointe Adornos, »ist […] die Frage nach der Wirklichkeit oder Unwirklichkeit der Erlösung selber fast gleichgültig.«28 Was einzig interessiert, ist die Erkenntnis der Unmöglichkeit der Möglichkeit aufgrund der verzerrten empirischen Wirklichkeit. Ähnlich und doch ganz anders liegt wiederum dieser Sachverhalt bei Moltmann. Auch er sieht, dass die empirische Wirklichkeit mitnichten vollkommen ist, sondern selbst erlösungs- und Versöhnungsbedürftig, dass noch vieles im Argen ist und der Weg dorthin nicht unbedingt offensichtlich, wenn auch das Ziel, das Ideal, offenbar ist. So schreibt er, dass die Menschen »untereinander und im Verhältnis zu den Dingen«29 noch ins Recht kommen müssen, dass die Gesellschaft »durch Produktion, Konsum und Verkehr bestimmt ist« und dass »die mitmenschlichen Beziehungen durch Sachen und Sachlichkeit vermittelt werden.«30 Und auch bei Moltmann sind diese Erkenntnisse dadurch vermittelt, dass von der offenbarenden Verheißung Gottes ausgehend die Hoffnung auf Erfüllung diese antizipierend der empirischen Realität eine gegenüberstehende und diese überstrahlende Herrlichkeit wahrnimmt, in deren Vorschein das Bestehende erleuchtet wird als fehlerhafte, noch auf dem Weg sich befindliche Wirklichkeit. Im »Angesicht der göttlichen Berufung und Sendung, die dem Menschen Unmögliches zumutet«31 wird die eigene Unzulänglichkeit nach Moltmann erkennbar und greifbar. Dieser Satz darf allerdings nicht ausschließlich auf den Menschen bezogen werden, denn bei Moltmann liegt die Pointe gerade darin, dass die Verheißung kosmologische Bedeutung hat und der gesamten Schöpfung gilt, der die Zukunft vorgestellt wird. Dementsprechend wird an der verheißenen Zukunft auch die Unzulänglichkeit der Welt erkennbar.

25 26 27 28 29 30 31

Adorno: GS 4, S. 283. Ders.: GS 4, S. 283. Ders.: GS 4, S. 283. Ders.: GS 4, S. 283. Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 185; siehe auch Ders.: Ist die Welt unfertig?, S. 333f. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 281. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 263.

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Dabei sind ganz konkret die Themen Gerechtigkeit,32 Leben33 und Freiheit34 diejenigen, an denen Moltmann verdeutlicht, wie stark die Unterschiede zwischen in Hoffnung erwarteter Wirklichkeit und empirisch erlebter Wirklichkeit sind. Die Auferstehung Jesu Christi, als Verheißung der Überwindung des Todes im Reich Gottes verstanden, steht im krassen Kontrast zur erlebten Sterblichkeit in den Grenzen der Welt,35 die verheißene Sündlosigkeit durch die alle Differenzen überwindende Gerechtigkeit Gottes, die bei Moltmann »Vergebung von Schuld und Vernichtung des Todesschicksals« und »Versöhnung und Erlösung des sterblichen Leibes«36 umfasst, steht in krassem Gegensatz zur erlebten Welt der Lügen, Ungerechtigkeiten, »Grund- und Rechtlosigkeit«37 , die Gegenwärtigkeit des Reiches Gottes und seiner Freiheit »als Verheißung und Hoffnung für den Zukunftshorizont aller Dinge« zeigt gleichzeitig den »Widerspruch des Zukünftigen, Möglichen und Verheißenen gegen eine schlechte Wirklichkeit.«38 Bis hier herrscht zwischen Moltmann und Adorno eine deutliche Parallelität. Doch gibt es bei Moltmann noch eine weitere Strömung, die bei Adorno so nicht zu finden ist, nämlich das, was Moltmann mit »den Möglichkeiten, die alles Wirkliche durchziehen«39 meint. Die Verheißung trägt die Erfüllung auch schon mit in sich, antizipiert das Verheißene und vergegenwärtigt es im Moment der Verheißung, indem sie es als wirkliche Zukunft der empirischen Wirklichkeit vorstellt und diese damit geschichtlich macht im Sinne einer Heilsgeschichte, der ihre Vollkommenheit von der Zukunft her zukommt. In Hoffnung und Erwartung dieser Zukunft lebt der christliche Glaube von der offenbarenden Verheißung Gottes. Für Moltmann folgt daraus ein Leben in schöpferischer Nachfolge.40 »Wenn aber die christliche Gemeinde«, schreibt Moltmann, »so auf die Zukunft des Herren ausgerichtet ist und sich selbst und ihr eigenes Wesen immer nur von dem Zukommen des Herrn, der ihr voraus ist, erwartend und hoffend empfängt, dann muß auch ihr Leben und Leiden, ihr Wirken und Handeln in der Welt und an der Welt von dem geöffneten Vorraum ihrer Hoffnung für die Welt bestimmt sein.«41 Damit kommt ein neuer Gedanke ins Spiel. Wo bei Adorno vor allem die Unmöglichkeit der Möglichkeiten erkennbar wird, da betont Moltmann den Vorraum des Reiches Gottes in der Hoffnung, dass »[n]ur wenn ein sinvoller Erwartungshorizont artikulierbar wird, […] für den Menschen die Möglichkeit und Freiheit, sich selbst zu entäußern, sich zu ob32 33 34 35 36 37 38 39 40 41

Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 185–189. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 189–196. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 197–204. Vgl. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 195. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 187. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 187. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 203. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 20. Siehe Abschnitt 6.3, S. 234ff dieser Arbeit. Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 301.

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jektivieren und sich in den Schmerz des Negativen hineinzubegeben«42 , gegeben ist. Das heißt, dass der Vorraum der Hoffnung zwar die Unzulänglichkeit der Welt offenbart, gleichzeitig aber auch noch ein Mehr, nämlich die Möglichkeiten für und Wirklichkeiten des Reiches Gottes auch in dieser Welt. Und dies kann nicht stark genug betont werden. Denn würde vom Reich Gottes gesprochen, ohne den konkreten Bezug zur erlebten und gelebten Realität, wäre eine Konsequenz, das Reich Gottes wieder ans Ende der Geschichte, ans Ende des Raumes, außerhalb der Schöpfung zu positionieren – es hätte mit der Wirklichkeit der Schöpfung nichts mehr zu tun und würde theologisch nur noch die Rede von der consumatio und annihilatio mundi zulassen.43 Es geht beim Reich Gottes nicht um irgendeine Zukunft, irgendeine Wirklichkeit, die der erlebten quer entgegensteht, sondern es ist diese Wirklichkeit, die da zukünftig verheißen und im Verheißen auch gegenwärtig ist. Und diese vom Menschen erlebte Wirklichkeit ist deshalb für Moltmann nicht nur erkennbar als unzureichend, sondern sie ist die Wirklichkeit, die »ins Novum der verheißenen Zukunft«44 auch blicken kann, gerade weil dieses Novum sich als gegenwärtig offenbart. Die Wirklichkeit wird dementsprechend anders durch die Hoffnung gesehen, denn die Hoffnung als »das Medium des christlichen Glaubens«45 offenbart dann ebenfalls die Momente, in denen Verheißung sich (partiell) erfüllt, in denen das Reich Gottes offenbar wird. Dabei werden nicht nur die Risse und Schründe offenbar, wie an Adorno gezeigt wurde, sondern es wird ganz eindeutig offenbar, dass diese Geschichte eine Heilsgeschichte ist, deren Movens die kommende Zukunft des Reiches Gottes ist. Welchem von beiden Motiven, dem gebrochenen von Adorno oder dem optimistischen von Moltmann, ist aber der Vorrang zu geben? Effektiv keinem. Vielmehr werden die beiden in diesem Punkt sehr unterschiedlichen Entwürfe als Komplemente zusammengedacht. Hoffnung, wie sie bei Moltmann und Adorno erscheint, ist immer in gewisser Weise Bedingung für die Möglichkeit der Erfahrung der Wirklichkeit – einmal als Welt mit Rissen und Schründen, als Ort der Hoffnungslosigkeit, um dessen willen Hoffnung überhaupt entsteht, jedoch ausschließlich in gebrochener Form; beim Anderen als Schöpfung auf dem Weg zum Heil. Für diese Wahrnehmungsmöglichkeit ist Hoffnung bei beiden allerdings unerlässlich. Einerseits, weil sie diese Wirklichkeit in ihrem Hoffen transzendiert, aber andererseits, weil sie eben Hoffnung ist und nicht Sicherheit, weil ihr immer der Erfüllungsvorbehalt innewohnt – ein Aspekt, der bei Moltmann, trotz aller Bemühungen, dem entgegenzuwirken, oft zu kurz kommt.46 Theologisch muss 42 43 44 45 46

Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 301. Für Moltmanns Kritik an dieser Lehre siehe Ders.: Kommen Gottes, S. 295ff. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 277. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 12. Beispielsweise im Apell zur schöpferischen Nachfolge. Doch es ist diese Arbeit nicht der Ort, um ausführlich die Stärken und mit Adorno zu kritisierenden Schwächen des starken Umschlags der Theologie der Hoffnung in eine Praxis, eine Ethik der Hoffnung, zu diskutieren. Ders.: Ethik der

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aber auch die Gebrochenheit ernst genommen werden. Moltmanns Hoffnung ist eine Hoffnung, die diese Wirklichkeit in ihrem Hoffnungsdenken überschreitet. Darin macht sie die Wirklichkeit geschichtlich und ordnet sie ein in Gottes Werk. Sie nimmt auf Basis der Verheißung wahr, dass und wie das Ziel der Schöpfung schon lange gesetzt ist, auch wenn der Weg selbst dorthin noch im Verborgenen liegt. Doch, wie nun schon oft erwähnt, es fehlt die Hamartiologie, es fehlt diesem Entwurf oft genug die Anfechtung durch die empirische Realität.47 Denn auch wenn Moltmann in der späteren ausgeführten Dogmatik auf immerhin vier Seiten die Frage nach der Sünde stellt, bleibt er hier doch auskunftspflichtig. Moltmann beantwortet die Frage nach dem peccatum originale zunächst einmal mit einem Verweis auf die Möglichkeiten einer Zwei-Stufen-Anthropologie, deren Proprium darin begründet liegt, zwischen imago als »ontische Teilnahme (methexis)« und similitudo als »moralische Entsprechung (mimesis)«48 zu unterscheiden und damit auszudrücken, dass durch die Sünde zwar die moralische, nicht aber die ontische Ebene des Gott-Mensch-Verhältnisses gestört werden könne. Der Mensch kann demnach der Tat nach, nicht aber dem Wesen nach sündig sein.49 Diese Zuschreibung hält Moltmann selbst für ungenügend und stellt deshalb noch die Alternative vor, die er der reformatorischen Theologie zuschreibt, »exemplarisch im Streit zwischen Flacius Illyricus und Victorinus Strigel diskutiert.«50 Die Diskussion, um die es hier gehe, so Moltmann, entspricht der Frage, ob der Mensch durch die Sünde seine imago Dei verloren habe oder nicht. Er kommt zu dem Schluss, dass zwar mit Recht erkannt wurde, dass die Sünde als Akzidenz den Menschen zu ihrem Knecht mache, es aber keinen Anhaltspunkt dafür gebe, dass die Gottebenbildlichkeit substantiell verloren gehen könnte.51 Er selbst plädiert für ein relationales Verständnis, das darin besteht, dass zwar die Gottesbeziehung des Menschen, niemals aber die Menschenbeziehung Gottes ge- oder zerstört werden könnte. »Diese ist von Gott beschlossen und geschaffen und kann darum auch nur von Gott selbst aufgehoben oder zurückgenommen werden. Darum wird der Sünder subjektiv ganz und gar Sünder und gottlos. Er bleibt darum aber zugleich ganz und gar Gottes Bild und wird diese seine Bestimmung nicht los, so lange Gott sie festhält und ihm treu bleibt.«52 Das ist zu wenig.

47

48 49 50 51 52

Hoffnung war genau dieser erwartete Entwurf, allerdings lässt sich auch hier einige Kritik seitens einer an der kritischen Theorie gewachsenen Denkweise anbringen. Wesche charakterisiert dies zwar etwas einseitig als die »Kluft zwischen Moral und Praxis« (Wesche: Moral und Glück, S. 49), doch trifft er auch mit etwas mangelnder Komplexität den Kern des Problems der schöpferischen Nachfolge aus Hoffnung ohne reflektierte und ausgearbeitete Sündenlehre. Moltmann: Gott in der Schöpfung, S. 235. Vgl. Ders.: Gott in der Schöpfung, S. 235f. Ders.: Gott in der Schöpfung, S. 236f. Vgl. Ders.: Gott in der Schöpfung, S. 237f. Ders.: Gott in der Schöpfung, S. 238.

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Geht man bei der Sünde nur von einem gestörten Gottesverhältnis des Menschen aus, verliert die Sünde ihren Stachel, denn sie wird zum subjektiven Erleben degradiert, hat aber objektiv keinerlei Bedeutung, denn die Sünde ist durch die Aufrechterhaltung der Beziehung seitens Gott so oder so nie wirklich zwischen Gott und Mensch getreten und darum als erlebtes subjektives Randphänomen von keiner ernstzunehmenden Bedeutung hinsichtlich der Sündhaftigkeit des Menschen und der Schöpfung. Sie bleiben gerechtfertigt von Anfang an und erfahren sich nur in Selbstwahrnehmung als Sünder. Diese Sündenform entleert das Rechtfertigungsgeschehen von Kreuz und Auferstehung zu einer bloßen Wiederherstellung der Gottesbeziehung des Menschen, doch bleibt damit unbeantwortbar, weshalb es überhaupt eines Kreuzes bedurfte, wenn doch faktisch der Mensch nie wirklich in Sünde war, sondern es nur selbst so wahrnahm. Reduzierte man das peccatum originale auf diese einseitige Störung der imago dei, bliebe auch weitgehend unverständlich, weshalb in der Verheißung der Vollendung und ihrer antizipierten Erfüllung in der Hoffnung nicht das Reich Gottes selbst als Offenbarungsgeschehen ein für alle Mal real präsent würde, denn der Mensch müssten dann folglich durch die Hoffnung die Treue Gottes erkennen und könnte – vielmehr: müsste! – damit seine eigene Wahrnehmung als Sünder als falsch wahrnehmen, da die Beziehung durch Gott bleibend aufrecht erhalten ist. Die Dialektik von simul iustus et peccator geht damit verloren, denn peccator ist der Mensch hier nicht. Hier lohnt es sich doch eher, noch einmal etwas früher, bei Barth, Anleihen zu nehmen, der die Radikalität des »Neins!« Gottes zum sündigen Menschen und zur Sünde selbst ausdrückt im »Ja!« »Gott wollte auslöschen, töten, vertilgen«53 schreibt Barth bezüglich des sündigen Menschen, an dessen Stelle Christus getreten ist und spricht hier von »der Vollstreckung und Offenbarung eines Urteils Gottes über den Menschen«54 , womit er nichts anderes ausdrückt, als dass hier ein Urteil der Vernichtung über den Menschen gesprochen ist, das nur heißen kann: der sündige Mensch wird ganz und gar, mit Haut und Haaren, seine gesamte Existenz als der in sich verkrümmte Mensch, vernichtet. Es ist das Urteil, dass dieser Mensch »als solcher keine Zukunft mehr hat.«55 Und gleichzeitig ist es das Urteil, das Gott in Jesus Christus auf sich genommen hat, das er über den sündigen Menschen spricht, aber stellvertretend in Jesus Christus und dass deshalb über den Sünder das »Nein«, aber darin ein bejahendes »Nein« gesprochen ist. Denn bei Barth hat die Sünde nicht nur als das Nichtige56 ein eigenes Sein, sondern ist Teil des Seins des Menschen und als »[s]ein eigenes Sein widerspricht

53 54 55 56

Barth: KD IV/1, S. 101. Ders.: KD IV/1, S. 99. Ders.: KD IV/1, S. 100. Vgl. Ders.: KDIII/3, §50.

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[es] seinem Sein in Jesus Christus.«57 Es geht hier deutlich holistischer zu. Und gerade hier, in dieser Dialektik der selbstverschuldeten Knechtschaft des Menschen unter der Macht der Sünde und der Sünde als eigenständigem ontischem Phänomen, kann mit Adorno eine Sprachfähigkeit erlangt werden, die bei Moltmann so deutlich nicht vorhanden ist. Adornos Hoffnung ist eine Hoffnung, die geschichtlich ist, indem sie das Seiende und das Gewesene ernst nimmt in ihrer jeweiligen und gemeinsamen Hoffnungslosigkeit. Ihre eigene Gebrochenheit reflektierend macht sie darauf aufmerksam, warum sie selbst in Gebrochenheit existiert, weil nämlich diese Wirklichkeit in der incurvatio mundi in se ipsum existiert – was durch die überstrahlende Hoffnung immer wieder ins Licht rückt, sind die Risse und Schründe, nicht die Erlösung oder die Versöhnung. Es bleibt immer der Vorbehalt des Nichtidentischen, in dem genau nicht das Ziel, aber der Weg gesehen wird, nämlich dass schlussendlich die Hoffnung der negativen Dialektik auch gegen sich selbst sich wenden muss in ihrer Hoffnungslosigkeit. Und hier muss die Argumentation wiederum von der Theologie Moltmanns aus ansetzen, denn in einem bestimmten Punkt kann er an dieser Stelle wiederum als Korrektiv gegenüber Adorno auftreten. Es geht hierbei um die Frage der Erkennbarkeit der incurvatio. Bei Adorno ist sie zwar kontrastreich dargestellt in der universalen Verblendung, allerdings kann auch die Versenkung ins Detail dann nicht mit Sicherheit, nicht einmal mit Gewissheit, sagen, ob es sich hier nicht wiederum um eine weitere Ebene des Verblendungszusammenhangs handelt und die Verzerrung so tief geht, dass jegliche Erkenntnismöglichkeit schon vorgebildet ist. Auch die Erfahrung der Verkrümmung könnte dann angenommen werden als beschwichtigendes Zugeständnis der Verblendung, damit nicht die Frage aufkommt, ob das denn etwa schon alles sei. Moltmann kann an dieser Stelle vollmundiger auftreten und konstatieren, dass es eben nicht so ist, sondern tatsächlich eine sündhafte Verzerrung stattfindet, denn die Präsenz der Vollendung zeigt als Negativfolie das (dann) offensichtlich Schlechte und Falsche. Wo Moltmanns Leerstelle mit Adorno ergänzt wird, genauer: werden muss, da muss gleichzeitig aber die Stärke der Theologie der Hoffnung betont werden in der Erkenntnisvermittlung durch die antizipierte Erfüllung ihrer selbst im Moment der Verheißung. Denn sie offenbart nicht nur das Schlechte, sondern auch die Treue Gottes zu seiner Schöpfung, die Barth umschreibt mit dem das »Nein« umschließenden »Ja« des Bundes, den Gott mit seiner Schöpfung eingegangen ist. Moltmann führt diese Linie fort mit einer Überbetonung des »Ja«, allerdings in der so wichtigen Hervorhebung eben der Treue Gottes – sei der Mensch sündig, wie er wolle. Mit Moltmann muss also einerseits betont werden, dass Hoffnung die Augen öffnet für die Möglichkeiten, die die Wirklichkeit durchziehen, für das vorwärtslaufende, das Reich Gottes erwartende und dessen Kommen in Antizipation hier 57 Ders.: KD IV/1, S. 104.

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schon zum Scheinen bringende, das in der Hoffnung aus der Verheißung und auf deren Erfüllung hin besteht. Mit Adorno muss andererseits die Hoffnungslosigkeit der Hoffnung mit gesagt werden. »Es wird alles gut« hören die Menschen und erleben angesichts der vielen nationalen, internationalen, ökonomischen und ökologischen Krisen und Konflikte – um nur einige Konfliktfelder zu benennen – doch etwas anderes. Diese Hoffnungslosigkeit ist zwar nominell das, was Moltmann mit der Sünde der Verzweiflung ausdrückt,58 würde er diese vermeintliche Sünde allerdings in ihrer Tiefe ernst genommen haben, wäre ihm aufgefallen, dass eine wirkliche Hoffnung, die nicht nur Weltflucht und/oder optimistische Erwartung des Reiches Gottes im Glauben an dessen Gegenwärtigkeit sein will, sondern in dieser Wirklichkeit und für diese ernsthaft eine Veränderung bereit halten möchte, die Tiefe der Hoffnungslosigkeit nicht mit Sünde zu brandmarken hat, sondern der Hoffnung selbst diese dialektische Position basal ist, dass sie eine hoffnungslose Hoffnung ist, aber gerade darin Hoffnung für die Welt sein kann, weil sie nicht nur das Gefüge überstrahlt, sondern weil sie eben aus genau diesem Gefüge heraus entsteht und darin das Gefüge selbst verändern kann. Hoffnung kann nicht bloß ein gänzlich Neues sein und bringen, sondern muss ernst nehmen, was in der Wirklichkeit nicht ausschließlich an Gutem, sondern auch an Bösem und Schlechten in Möglichkeiten angelegt ist. Das »sehr gut« von Gen 1,31 kann ja nicht heißen »vollkommen«, sondern wird mit Recht als Lebensförderlichkeit mit allen Konsequenzen verstanden.59 Diese Hoffnung ist dann bezüglich der empirischen Wirklichkeit transzendental in zweierlei Hinsicht, nämlich einerseits hinsichtlich der Verzerrung der Wahrnehmung der Welt und der Welt selbst, und andererseits hinsichtlich der Möglichkeiten, die aus der Gegenwart des Reiches Gottes in der verheißungstreuen Hoffnung erwachsen.60 Dieses Buch wagt deshalb den Versuch einer wechselseitigen Ergänzung und Korrektur von Moltmann und Adorno. 58 Man erinnere sich an Abschnitt 5.2.2, S. 195ff. 59 Vgl. beispielsweise Link: Schöpfung, S. 335f. 60 In dritter Instanz, so könnte man diskutieren, ist Hoffnung damit als Transzendentalie auch gegenüber der jeweiligen Wahrnehmung der Gegenwart Gottes zu verstehen. Ausgehend von der hier grundlegenden Annahme, dass Gott – wie auch immer nun konkret – in der empirischen Welt gegenwärtig ist, ist Hoffnung aus und auf ihn, auf seine Verheißung und eben seine Gegenwart wiederum prägend für das je eigene, nicht zwangsläufig mehr personal zu denkende Gottesbild. Hier ergäbe sich die Möglichkeit der Öffnung des Hoffnungsdiskurses über die Grenzen christlicher Theologie hinaus, um den interreligiösen Dialog mit anderen Weltreligionen fruchtbar am Thema Hoffnung entfalten zu können. Denn der Ursprung der Hoffnung und wiederum die in ihr als Transzendentalie gründende Wahrnehmung des sie begründenden präsenten Gottes, kann eine Basis eines gemeinsamen Austausches sein, der sowohl starke inhaltliche, aber eben damit auch strukturelle Gemeinsamkeiten und Differenzen wertneutral und ohne einseitigen Primatsanspruch geltend machen kann. Da sich diese Arbeit aber zunächst einmal theorieimmanent mit Hoffnung auseinandersetzt, wird dieser dritte Aspekt vorerst auszuklammern sein und weitere, allein stehende Arbeiten erfordern.

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Moltmanns Theologie der Hoffnung ist in vielen Bereichen ein herausragendes Werk der Theologie, besonders wegen seines methodischen Neuansatzes hinsichtlich des Strukturverhältnisses von Hoffnung und Eschatologie im Gebäude der Theologie. Die enorme Aufwertung des Verheißungsbegriffs ermöglicht nicht nur eine kritische und würdigende Aufnahme der alttestamentlichen Zeugnisse in die Dogmatik, sondern fordert sie sogar. Die Verheißungskontinuität von Altem und Neuem Testament in der Identifikation des verheißenden Gottes in der Auferweckung Jesu Christi ist eine nicht zu verachtende Grundlage für den jüdischchristlichen Dialog einerseits, aber andererseits auch der christlichen Theologie gerade hinsichtlich einer kosmologischen Weitung ihrer Eschatologie.61 Über die Verheißungstreue Gottes lässt sich so ein Geschichtsverständnis konstruieren, das sich nicht mehr von Krise zu Krise nach vorne hangelt, sondern Geschichte als sich von der Schöpfung ins Eschaton erstreckenden Prozess der Erfüllung der Verheißungen denkt. Somit liegen Anfangs- und Zielpunkt der Geschichte jeweils bei Gott. Wie im letzten Kapitel gezeigt, ergibt sich hieraus ein distinktes neues Zeitverständnis, das sich in Moltmanns Darstellung besonders aus der Zukunft und von ihr her denken lassen muss, da in der geschichtlichen Verheißungskontinuität die Schöpfung schon in ihrem Anfang auf ihre Vollendung angelegt ist, die ihr verheißen ist und somit als wirkliche Zukunft und Zukunft der Wirklichkeit voransteht und auf sie zukommt. Allerdings, hierfür ist Moltmann sensibel genug gewesen, nicht im Sinne eines eschatologischen nunc stans aeternum. Die Zukunft der Geschichte noch bevor, sie ist verheißen, aber nicht erfüllt, sie ist in der Schöpfung angelegt, aber noch nicht Präsens, sondern nur antizipiert präsent. Es gibt noch einen nicht nur zeitlich quantitativen, sondern einen durch und durch qualitativen Unterschied dieser Wirklichkeit von der verheißenen Zukunft. Es ist hier zwar die Wirklichkeit, die im Sinne von Gen 1,31 »sehr gut« ist, aber sie ist nicht die Wirklichkeit, in der die Herrlichkeit des Herren in der Welt einwohnt, wie Moltmann es mit seiner späteren Ergänzung der Theologie der Hoffnung durch die Aufnahme der jüdischen »Schechina« formuliert.62 Wo die Präsenz des Schöpfers in der empirischen Realität noch in seiner Präsenz in der Verheißung und der erinnernd erwartenden Hoffnung auf deren Erfüllung besteht, ändert sich das Präsenzverhältnis von Gott und Schöpfung im Moment der Erfüllung der Verheißung im Eschaton zu einer umfassenden Präsenz der Herrlichkeit des Herrn, in die die ganze Schöpfung aufgehoben sein worden wird. Damit ist »die Vollendung mehr als der Anfang: Am Anfang die Schöpfung – am Ende das Reich; am Anfang Gott in sich selbst – am Ende Gott alles in allem. 61 Dass Inhalte, gerade hinsichtlich einer personalen Eschatologie, dabei zu kurz kamen und kommen, ist eine Kritik, die Moltmann nur partiell mit dem späteren Buch Das Kommen Gottes abwehren konnte. 62 Vgl. Moltmann: Kommen Gottes, S. 287–349, bes. S. 287–294, 331–337 und 348–349.

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In dieser göttlichen Eschatologie gewinnt Gott durch die Geschichte sein ewiges Reich, in welchem er in allen Dingen zu seiner Ruhe kommt und alle Dinge in ihm ewig leben werden.«63 Moltmann formuliert hier bewusst prozessual in Abgrenzung von der transzendentalen Eschatologie, die er Bultmann und dem frühen Barth aufgrund ihrer Kant-Lektüre attestiert. Deren Formulierung des absoluten ganz-Anderen, das in Ewigkeit Ursprung und Ziel der Schöpfung ist, sieht Moltmann besonders kritisch im Hinblick darauf, dass es zwischen Verheißung und Erfüllung keinen Prozess mehr gibt, weil der Ursprung und das Ziel keine qualitative, sondern nur eine zeitlich quantitative Differenz trennt, was darin resultiert, dass jeder Augenblick zum eschatologischen Augenblick transformiert wird, das Eschatologische selbst aber mit dieser Welt beinahe nichts mehr zu tun hat, da es nicht deren Zukunft, sondern ein ihr Äußerliches, schlechthin Transzendentes ist.64 Stattdessen möchte Moltmann die prozessualen Momente der Geschichte zwischen Verheißung und Erfüllung mit bedenken. Dafür braucht er die qualitative Unterscheidung von Anfang und Ende der Geschichte bei gleichem Ursprung, nämlich der Herrlichkeit Gottes. Die Argumentationsstruktur, die Moltmann an dieser Stelle benutzt, versteht sich nur vom Reich Gottes selbst her und auch dann nur in panentheistischer Perspektive.65 Die Argumentation funktioniert folgendermaßen: Gott wird in seiner Herrlichkeit alles in allem sein, wie er es verheißen hat, indem er sich in seiner SelbstIdentifikation mit dem auferstandenen Gekreuzigten als Gott in »seiner Differenz und Identität zum Gott des Alten Testaments […] als der Gott aller Menschen offenbart«66 hat, aber eben damit nicht nur aller Menschen, sondern als der Gott der gesamten Schöpfung in ihrer kosmologischen Universalität. Dabei ist Verheißung allerdings so strukturiert, dass sie immer gleichzeitig Offenbarung ist und als solche Hoffnung evoziert. Sie evoziert Hoffnung in einer doppelten Hinsicht, nämlich einerseits, weil sie eine Welt offenbart, die sich im Prozess befindet, die auf dem Weg zur Erfüllung ist, mit Moltmann noch präziser ausgedrückt: der die Erfüllung zukommt, deren Zukunft im Kommen ist. Sie offenbart diese Welt als nicht vollkommen, aber als im Prozess ihrer Vollendung in und durch die Herrlichkeit Gottes befindlich. Sie offenbart eine Welt, in der Hunger, Armut, soziale, juridische, ökonomische und ökologische Ungerechtigkeit, Krieg und Leid nicht beendet sind, sondern grassieren, sich vielleicht sogar steigern und vermehren.67 Diese Verheißung stiftet nun Hoffnung, gerade weil sie 63 Moltmann: Kommen Gottes, S. 364. 64 Das wurde in Abschnitt 4.1, S. 120ff. ausführlich besprochen. 65 Kapitel 6 dieser Arbeit widmete sich dieser Perspektive eingehend, besonders Abschnitt 6.2, S. 219ff. 66 Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 127. 67 Und dies ist ja faktisch das Problem, welches weiter oben benannt wurde, dass Moltmann hier die Verwerfungen der Welt nicht ernst genug nimmt, sondern sie über die starke Verheißung beinahe schon verharmlost.

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aber nicht hier stehen bleibt, sondern es in der Verheißung um diese Welt geht, die auf dem Weg zur Erfüllung ist. Sie stiftet Hoffnung, weil sie ernst macht mit der Ungerechtigkeit und deren Überwindung ansagt und in der Ansage offenbart und antizipiert. Hoffnung ist in dieser Hinsicht die Bedingung der Möglichkeit von Erkenntnis, weil sie die Erfahrung einer Nichtidentität des momentanen mit dem verheißenen Zustand macht. Die Möglichkeiten, die für Moltmann in dieser Wirklichkeit von der Hoffnung erkannt werden können68 sind die Widersprüche, in die »die Hoffnung den Menschen zur vorliegenden Wirklichkeit seiner selbst und der Welt versetzt«69 , wie Moltmann es formuliert, das heißt diese Möglichkeiten sind die realen Antizipationen der Erfüllung in der Verheißung und damit die reale Präsenz auch des Reiches Gottes in der Verheißung. Für Moltmann sind die Verheißungen deshalb nicht vorläufige, sondern voll gültige Offenbarungen, auch wenn sie nicht alles offenbaren. Das wiederum heißt für die Hoffnung, dass sich ihr Erkenntnishorizont nicht auf die Welt in ihrer realen Widersprüchlichkeit zur Wirklichkeit des Reiches Gottes beschränken kann. Sie ist nicht nur Bedingung der Möglichkeit von Erkenntnis der Wirklichkeit aus der Erfahrung der Präsenz des Reiches Gottes in der offenbarenden Verheißung, sondern sie geht notwendig über diesen Erfahrungsbereich hinaus. Denn indem sie den Widerspruch wahrnimmt, nimmt sie, wenn auch negativ, ebenfalls das Positive des Reiches Gottes wahr. Sie erkennt nicht nur die Wirklichkeit der Schöpfung, sondern sie erkennt auch die Wirklichkeit der Zukunft der Schöpfung, die ihr unaufhaltsam näher kommt. Sie erkennt den sich offenbarenden Gott »in der Beständigkeit seiner erwählenden Barmherzigkeit und Treue.«70 Hoffnung wurde in diesem Sinne Gewissheit genannt,71 dass ihr das Wissen zugrunde liegt – und mit nicht weniger darf man sich hier zufrieden geben –, dass Gott seinem Wort die Treue hält und auch halten wird. Dabei ist dieses Wissen nicht weniger vorläufig als es die Gewissheit ist, dass die Verheißung notwendig in Erfüllung gehen wird, weil sie göttliche Verheißung ist. Insofern ist Hoffnung Bedingung der Möglichkeit der Erkenntnis einer neuen Wirklichkeit, als sie aus ihr und auf sie sich gründet und der Präsenz der Herrlichkeit Gottes in den Offenbarungen der Verheißungen seines kommenden Reiches gewahr ist. Mit der Vorläufigkeit des Wissens ist das Folgende gemeint, dass zwar die Wirklichkeit des Reiches Gottes, nicht aber dessen genaue Gestalt und noch viel weniger konkrete Inhalte aussagbar sind. Die Position der »Negation des Negativen«72 im Sinne Hegels ist bei Moltmann wie auch bei Hegel selbst eine zwar wirkliche, existierende und damit auch positiv vorhandene Größe, deren Sein wissbar ist, 68 69 70 71 72

Vgl. Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 20. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 14. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 105. Vgl. 5.1.1.1, S. 167ff. Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 192.

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allerdings eben nur das Sein selbst und nicht die konkrete Form. So scheint es zumindest zu sein. Ein wenig weiter geht Moltmann allerdings, zunächst in der dreifachen Bestimmung des Reiches Gottes als Gerechtigkeit, Leben und Freiheit im Rahmen der Theologie der Hoffnung und später noch ausführlicher in den inhaltlichen Bestimmungen in Das Kommen Gottes73 . Dort spricht Moltmann nicht bloß von den Möglichkeiten, die die präsentierte Zukunft in der Wirklichkeit eröffnet, sondern ganz konkret von den inhaltlichen Wirklichkeiten der Zukunft. Wie kann dies möglich sein? Es geht wiederum um die Hoffnung und das ihr inhärente Wissen, das vorläufige, antizipierende. Denn es muss hier eine weitere Dialektik in diesen Wissensbegriff eingezogen werden aufgrund der Verheißung. Es wurde festgehalten, dass bei Moltmann der Verheißungsbegriff mit Offenbarung korreliert und dadurch eben nicht nur eine antizipierende, sondern eine wirkliche Gegenwart des Reiches Gottes in der Verheißung schon vorhanden ist. Damit bezieht sich die Hoffnung nicht nur zurück auf die Verheißung und auch nicht nur voraus auf die Erfüllung; damit steht sie nicht nur auf dem Weg zwischen diesen beiden Elementen, sondern sie ist beiden gänzlich anteilig; sie ist nicht nur eine Kategorie der Geschöpfe und damit des Menschen, sich nach einem besseren Zustand zu sehnen, sondern sie ist gleichzeitig die Antizipation dieses besseren Zustands. Sie ist das Licht, das diese Wirklichkeit erhellt, das vom Reich Gottes her ausgesandt ist und dessen Präsenz in der Wirklichkeit real ist.74 Hier kommt man an ein Kernproblem christlicher Eschatologie, nämlich dass – auch bei Moltmann, trotz aller Vorsichtigkeit – der Eindruck entsteht, aus der Hoffnung heraus positive Aussagen über den Verlauf und den Inhalt des Eschatons treffen zu können. Ein Hoffnungswissen, das solchermaßen sich auf das Reich Gottes bezieht, wie bei Moltmann rekonstruiert, birgt die Tendenz in sich, positivistisch überladen zu sein. Es ist an dieser Stelle schwierig, die Grenze zwischen Gewissheit und Sicherheit, zwischen certitudo und securitas aufrecht zu erhalten. Stattdessen rückt beinahe eine Greifbarkeit des Hoffnungswissens in den Fokus. Dieser Tendenz kann und sollte mit Adorno gegengesteuert werden. Zwar sieht Moltmann die Souveränität der Verheißung bei Gott selbst und damit auch den Ursprung der Hoffnung faktisch in Gott und seiner Zukunft, doch Aufgabe der Kirche, so seine Aussage, ist Verkündigung.75 Das ist ihre Tradition, dass sie Verkündigung ist und gleichzeitig tradiert sich die christliche Botschaft verkündigend.76 Für das Hoffnungswissen heißt es ein zweifaches: Einerseits, dass es die 73 Vgl. Moltmann: Kommen Gottes, besonders die Kapitel IV und V. Diese beiden Bestimmungen wurden ausführlich besprochen im Exkurs 6.1.1, S. 204ff. 74 Diese Tendenz zeichnete sich, wie Dröge vorstellte, schon in Moltmanns Frühschriften, in denen schon der Gedanke aufkommt, dass es »keine von der Herrschaft Christi abgelöste Realität« (Dröge: Moltmanns Frühschriften, S. 179) geben könne. 75 Vgl. Moltmann: Theologie der Hoffnung, S. 275ff. und Ders.: Kirche in der Kraft des Geistes, besonders S. 327–340. 76 Vgl. Ders.: Theologie der Hoffnung, S. 275.

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Inhalte seiner Hoffnung weiterzugeben hat und damit den Grund der Hoffnung verkündet, nämlich die Auferweckung des Gekreuzigten von den Toten durch Gott und die Identität dieser beiden. Andererseits dass es, indem die Verkündigungstradition fortgesetzt wird, sich weiter tradiert. Christliche Hoffnung setzt sich fort in ihrer Tradierung und die Tradition der Verkündigung stiftet wiederum neue Hoffnung. Dies ist, was Moltmann unter schöpferischer Nachfolge versteht und verstanden hat,77 dass Gottes Selbstverherrlichung und Selbstverwirklichung nicht »allein von Gott selbst ausgehen« muss, sondern er »auch durch ein Zusammenwirken zwischen Gott und Welt, Gott und Menschen oder den trinitarischen Personen Gottes verherrlicht werden [kann].«78 Mit anderen Worten, christliche Tradition ist schöpferische Mitarbeit an der Wirklichkeit des Reiches Gottes im Rahmen von dessen Möglichkeiten, die in der empirischen Realität vorhanden und offenbar sind. Die Ergänzung, die man mit Adorno hier darstellen kann und soll, ist die Methode der negativen Dialektik und der Kritik, die in ihr sich äußert, vornehmlich erkenntnistheoretischer Art. Denn wenn man sich zurückerinnert an die Analyse der Gesellschaftskritik Adornos und ihrer Verquickung mit einer umfassenden Kritik Adornos an allem, was mit menschlichem Erkennen zu tun hat, muss man folgendes ganz grundlegend – und bewusst provozierend überspitzt – in Frage stellen: Woher kann der hoffende Mensch die Gewissheit beziehen, dass seine Hoffnung nicht unbegründet ist, sondern er mit Recht der Erfüllung harrt, die der Verheißung noch zu folgen hat? Wie können sich Christinnen und Christen auch 2000 Jahre nach der Auferweckung Jesu Christ, von Moltmann als die Verheißung schlechthin stilisiert, noch auf diese Verheißung berufen und ihre Erfüllung hoffend erwarten und den Verheißungsinhalt weiter verkündigen? Ist die Fortsetzung dieser Tradition nicht vielmehr ein Problem gerade unter dem Aspekt der gesellschaftsbezogenen Ideologiekritik Adornos? Wo liegt der qualitative Unterschied zwischen einer politischen Ideologie, die Verblendung hervorruft, und der theologischen Lehre vom alles Unrecht, Leid und Tod ausräumenden Reich Gottes, das die Schattenseiten der Welt unter dem Mantel einer Heilsgeschichte zu verdecken sucht? Denn an diesem Punkt muss der christlichen Eschatologie doch zunächst einmal eine harsche Absage erteilt werden: Sie redet von einem Zustand, der so nicht ist, der verheißen ist und dessen Verheißung seit 2000 Jahren verkündet wird. Das Christentum und besonders die christlichen Kirchen sind nicht gefeit vor dem Vorwurf, der ihnen nun vorzuhalten ist: Die Botschaft ihrer Verkündigung, der Inhalt ihrer Hoffnung und die Ansage ihrer Verheißung könnten ebenso Herrschaftsmomente eines universalen Verblendungszusammenhangs sein, der ganz im Sinne Adornos Diversität und falsche Hoffnung vorgibt, um die eigene Machtposition zu stärken. 77 Siehe dazu Abschnitt 6.3, S. 234ff. 78 Moltmann: Kommen Gottes, S. 358.

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Nach der eingehenden Analyse der Strukturen von Adornos Gesellschaftskritik muss sich genau dieser Vorwurf gefallen lassen werden, denn er trifft direkt ins Herz der Gewissheiten des christlichen Glaubens, in dem Sinne, dass sie immer nur im eschatologischen Vorbehalt existieren können und damit prinzipiell eben doch die Enttäuschbarkeit der christlichen Hoffnung in sich tragen müssen. So wie Moltmann von der Position der Negation des Negativen spricht, kann mit Adorno schlicht und ergreifend nicht geredet werden, da hier selbst ein Identifikationszwang vorliegt, nämlich der Zwang der Identität dieser Schöpfung mit dem späteren Reich Gottes – natürlich unter dem Verdikt der Aufhebung des Gegensatzes im Sinne einer Hegelschen Synthese. Die Negation des Negativen, die ihre Erfüllung antizipierende Verheißung der Zukunft des Reiches Gottes macht diese Wirklichkeit eben nicht einfach obsolet und hebt sie in das Reich Gottes auf. Auch sind die Widersprüche, Ungerechtigkeiten und Leiderfahrungen nach wie vor erlebte Tatsachen und nicht seit der Ankündigung und der Antizipation der Erfüllung nur noch scheinbar vorhandene Komplexe. Ihnen kommt wirkliches Sein zu – das zu verleugnen oder aus einer Reich-Gottes-Vorstellung heraus mindern zu wollen, ist zynisch. In diesem Sinne muss Adorno die alles umspannende Synthese des Reiches Gottes zumindest in dieser Form, wie sie gerade dargestellt wurde, verneinen und hier kann sie in seinem Sinne eher als Machtinstrument stilisiert werden. Der einzig gangbare Weg ist die via negativa, die keine positive und positivistische Rede zulassen kann, außer in bestimmter Negation ohne Position. Jede Aussage muss also eine eigene negativ-kritische Funktion auch zu sich selbst einnehmen. Bei Thomas Rentsch findet sich deshalb mit Recht der Satz: »Bei Adorno ist die Basis der unverfügbaren Sinnkonstitution die des Nicht-Identischen in seiner abwesenden Anwesenheit.«79 »Das […] sinnkonstitutive Nicht-Identische ist unsagbar bzw. vergessen, verdrängt oder verdinglicht«80 fährt er fort und beschreibt damit Adornos Argumentationsstruktur in diesem Punkt in nuce. Das Positive, in diesem Fall wird dafür hier das kommende Reich Gottes eingesetzt, kann bei Adorno gerade nicht aussagbar sein, denn es ist einerseits selbst als Moment der Macht des Verblendungszusammenhangs zuträglich. Aber es gibt noch eine weitere Problematik, die bisher hier außen vor geblieben war, und die nun kurz erläutert und dann in dieser inneren Dialektik immer mitgedacht werden soll, nämlich dass das Positive auch »strikt jenseits aller Bestimmungen«81 existieren muss. Würde es sich bestimmen lassen, würde es in den Identifikationszwang hineingezogen werden, würde es aufgehen in seiner Diesseitigkeit. Es wäre dann zwar nicht Instrument zur Verblendung, würde aber selbst der Verblendung anheimfallen und damit eben nicht das mehr sein, das es ursprünglich hätte sein kön79 Rentsch: Das Prinzip Hoffnung, S. 127. 80 Ders.: Das Prinzip Hoffnung, S. 127. Vgl. auch Ders.: Dialektik der Transzendenz, S. 76. 81 Halfwassen: Hegel, S. 35.

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nen und sollen. Die Problematik einer positiven Rede vom Reich Gottes ist also, dass sie entweder zur Identifikation mit diesem alles umfassenden Absolutum der verheißenen Zukunft zwingt oder diese Zukunft ihrer Zukünftigkeit und Nichtidentität mit der Wirklichkeit entzieht und sie deshalb unter den Zwang der Identifikation stellt. Das Absolute ist dementsprechend nicht positiv vorhanden bei Adorno – in der Sekundärliteratur wird oft genug den Eindruck vermittelt, weil es bei Adorno kein solches geben könne. »Nein!«, muss man hier allerdings zur Antwort geben. Nur weil es nicht benennbar und nicht positiv vorhanden ist, heißt nicht, dass es bei Adorno überhaupt nicht zu finden sei, sondern eher im Gegenteil muss man hier von einer negativen, mit Rentschs Worten von einer »abwesenden Anwesenheit«82 des Absoluten reden.83 Was vielmehr von Adorno vermieden werden will, ist die blinde Identifikation von unversöhnlichen Zuständen, wie beispielsweise dem gegenwärtigen und dem zukünftigen und der damit einhergehenden Identifikation dieser beiden verschiedenen Wirklichkeitsmomente in einer platten Versöhnungslehre. Natürlich sagt auch Adorno nicht, dass diese Wirklichkeit mit der erlösten Wirklichkeit nichts zu tun hat und es mehr zwei nebeneinander existierende Welten sind. Sondern die Spannung, die eschatologische Differenz soll aufrechterhalten werden. Mit Adorno müsste gegen Moltmanns positive Bestimmung der erkenntnisleitenden eschatologischen Hoffnung deshalb eingesprochen werden, dass dieses Reich Gottes, das hier antizipiert ist, nicht in der Wirklichkeit präsentisch antizipiert werden kann, sondern lediglich in bestimmter Negation sich mitteilen könnte und gleichzeitig auch nur bestimmt negativ von ihm verkündet werden kann. Diese bestimmte Negation gereicht Adorno allerdings selbst zu dem Problem, mit dem schon die beiden Analysekapitel Adornos (Kapitel 3 und Kapitel 4) abschlossen: Es mündet notwendig in einer Aporie. Rentsch analysiert: »Erst der eschatologische Zusammenfall von ästhetischer Erfahrung und begrifflicher Diskursivität ergäbe nach Adorno […] die ›wahre Sprache‹, deren Idee ›die Gestalt des göttlichen Namens‹ ist. Es wird sichtbar: Paradigmen der Transzendenz werden in esoterischen Randbereichen angesiedelt, sie werden marginalisiert bzw. werden in Stilformen rhetorisch aufgehoben.«84 Es ist wiederum auffällig, dass die Formulierungen, auch die von Rentsch, alle 82 Rentsch: Das Prinzip Hoffnung, S. 127. 83 Deshalb ist nicht ganz klar, weshalb Rentsch das Nicht-Identische als »eine Spielart der Substitute des Absoluten« (Ders.: Dialektik der Transzendenz, S. 76) bezeichnet, wo es doch bei Adorno sehr bestimmt, aber eben in bestimmter Negation, immer um dieses nicht aussagbare Zentrum des negativen Absolutums geht und damit nicht um ein Substitut, sondern um es selbst. Adorno selbst weist die Theologie vielmehr noch auf das Fehlen dieses eigentlich von ihr positiv zu benennenden Zentrums hin (vg. Adorno: GS 6, S. 390). Auch heißt es bei Adorno bzgl. des Absoluten, dass es jeglichem Denken konstitutiv ist: »Indem die Idee des Absoluten bereits in dem Dies-ist-so enthalten ist, werde ich genötigt, fortzuschreiten und kann eigentlich ohne einen solchen Begriff des Absoluten gar nicht denken« (Ders.: Philosophische Terminologie I, S. 114). 84 Rentsch: Dialektik der Transzendenz, S. 76. Rentsch bezieht sich hier auf Adorno: GS 16, S. 252.

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konjunktivisch sind und damit der Vorläufigkeit dieser Gedanken, Worte und Begriffe Rechnung tragen. Selbst wenn sich also aus den besonders in Abschnitt 3.3 gegebenen Gründen nicht völlig der Auslegung Rentschs angeschlossen werden kann, dass die transzendent-utopischen Momente bei Adorno in Randbereichen angesiedelt wären und marginalisiert würden, sondern sie vielmehr das Zentrum bilden, um das sein Denken kreist, bleibt der Grundtenor dennoch der der Negativität und Unverfügbarkeit. Das ist prinzipiell nichts schlechtes, ein verfügbares Reich Gottes wäre eine menschliches Reich Gottes und damit eben nicht mehr Reich Gottes. Doch findet sich aus Adornos negativer Dialektik kein wirklicher Ausweg, kann sich nicht finden lassen. Dies ist kein Mangel in Hinsicht auf die Methodik und Struktur dieses Denkens, allerdings heißt es, überspitzt formuliert, dass sich keiner Erkenntnis gegenüber jemals Gewissheit einstellen kann.85 Denn jede, auch die negativ-dialektische Erkenntnis muss sich selbst wieder nach Methode der negativen Dialektik in Frage stellen, muss wiederum kritisch vorgehen und gerät damit in eine Spirale der Ungewissheiten hinein, die sich am Ende immer weiter drehen wird, da auch die kleinste und fragmentarischste Erkenntnis doch wieder Verblendungsmoment sein könnte. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass hier die Möglichkeit besteht, das Reich Gottes, die Versöhnung, die Erlösung, gar nicht wahrnehmen zu können, weil die Verblendung alles verdeckt und/oder die Versenkung ins Detail den Ausweg aus der eigenen Verzerrung nicht (mehr) finden kann. Und genau hier darf man wiederum Moltmann zu Adorno ins Gegenüber bringen, um zur Sprachfähigkeit zu verhelfen. Bei Adorno kann es aus den oben genannten Gründen eine positive Redensart vom Absoluten, vom Positiven, nicht geben und die Theologie tut gut daran, sich Adornos kritischer Methode immer und immer wieder zu bedienen, um alle ihre Inhalte, ihre Aussagen, ihre Redeweisen und ihre Sprachfähigkeiten, ihre liturgischen Formen, ihre Verkündigung und ihren Umgang mit Sakramenten und dergleichen mehr zu prüfen, zu hinterfragen und notfalls abzulegen oder zu ändern. Gleichzeitig, und das ist der Beitrag Moltmanns, darf, kann, soll und muss sie sich dabei immer auch einer Sache gewiss bleiben, nämlich der Treue Gottes zu seiner Verheißung, seinem Versprechen, seiner Schöpfung und letztendlich zu sich selbst. Diese letzte Bastion der Gewissheiten kann und muss man selbstredend ebenso hinterfragen, sich aber auch die Antwort gefallen lassen, die von Gott selbst gegeben ist, nämlich die Antwort eines ausdrücklichen »Ja!«, die Antwort, dass es hier keine Antwort geben kann, solange die eschatologische Differenz besteht. Dementsprechend darf aus der christlichen Hoffnung, die Ausdruck dieser Gewissheit ist, die nicht nur die Möglichkeiten des Guten, sondern auch die Wirklichkeit des Schlechten erkennbar und erfahrbar, darf aus dieser Hoffnung, und nur aus ihr, »Ja!« gesagt werden und zwar im Sinne des göttlichen Ja, des Ja, das 85 Vgl. Thaidigsmann: Blick der Erlösung, S. 512.

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das Zentrum ihres Hoffens bildet. Und gleichzeitig ist aus der christlichen Hoffnung heraus ein klares »Nein!« im Sinne einer negativen Dialektik zu sprechen, nämlich ein klares Nein zu allen Jas, die menschliche Jas sind, die das göttliche Ja nur imitieren. So ist Hoffnung im doppelten Sinne transzendental, indem sie ihre eigene Gebrochenheit in der Wirklichkeit aber ihren eigenen unverbrüchlichen Ursprung in der Wirklichkeit der Zukunft Gottes erkennt und für den Hoffenden erkennbar macht. Ist Hoffnung deshalb transzendental? Noch einmal die Definition Kants: »Ich nenne alle Erkenntniß transscendental, die sich nicht sowohl mit Gegenständen, sondern mit unsern Begriffen a priori von Gegenständen überhaupt beschäftigt.«86 Es wurde gezeigt, dass sowohl Moltmann als auch Adorno, in gewisser Weise parallel strukturiert, von einer Hoffnung reden, die nicht auf ein schlechthinnig unweltliches Irgendwo hofft, sondern deren Grund die immanente Präsenz der Vollendung darstellt. Hoffnung erkennt sie und lebt aus dieser Präsenz, wodurch sie selbst wiederum zur Erkenntnisbedingung wird, zu erkennen, was alles noch nicht ist. Denn die Präsenz der Vollendung muss man mit Adorno als dieses nur affektiv aufscheinende Moment benennen und kann nicht ein radikales Jetzt! des Reiches Gottes konstatieren, sondern immer unter Vorbehalt der Immanenz, in der die Möglichkeiten des Reiches Gottes angelegt sind und erkennbar werden, aber die Wirklichkeit der Gegenwart eine nichtpräsente Präsenzform darstellt. Sie wird – um sich eines, wenn auch ungenügenden Bildes zu bedienen – zur Negativfolie der Wirklichkeit, die daraufhin selbst in ihren Versetzungen, positiver wie negativer Art, erkennbar wird. So ist die Hoffnung auf das Eschaton, die Eschatologie als Lehre von der christlichen Hoffnung tatsächlich das Moltmannsche Medium des christlichen Glaubens. In dieser Hinsicht entspricht sie auch der Nomenklatur Kants als transzendental, da sie nicht die Welt an sich im Fokus hat, sondern sie die Erkenntnisart der Welt beeinflusst. Und sie geht auch noch darüber hinaus. Wie gezeigt werden konnte, geht es in der Hoffnung bei beiden Denkern in besonderer Weise um eben die konkrete, wenn auch bei einem von beiden in Negation stattfindende, Präsenz der Vollendung. Diese Präsenz deckt nicht nur die Wirklichkeit auf, sondern, hier kann man problemlos die Schlüsse aus Moltmanns Verheißungsbegriff ziehen, sie ist in der Ankündigung des besseren Zustands gleichzeitig dessen Offenbarung. Sie macht nicht nur die Risse und Schründe dieser Wirklichkeit offenbar, zeigt nicht nur das Beleuchtete, sondern damit zeigt sie auch das neue Licht, das scheint. Es ist dieses affektive Aufscheinen der Vollendung, das Adorno gerade in der Kunst so stark macht und Moltmann in dessen Theologie der offenbarenden Verheißung der Zukunft der Geschichte darin korrigiert, nicht schon in der Wirklichkeit des Gottes zu sein, der alles in allem ist, gerade das Moment, das die Er86 Kant: AA IV, S. 23, Hervorherbungen aus dem Original nicht übernommen.

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kenntnisse dieser Welt sprengt und überwindet. Hoffnung ist damit nicht nur Bedingung der Möglichkeit für die Erkenntnis der Wirklichkeit, wie sie in Wahrheit ist, nämlich in eben dieser dichotomischen Stellung, ganz verblendet zu sein und dennoch schon die Möglichkeiten des Reiches Gottes, die Überwindung der Verblendung, in sich zu tragen. Sondern Hoffnung ist noch eines mehr, was sie sogar, wieder im Anschluss an Moltmanns Vorschlag der Umkehrung der Ordnung von Ontik und Noetik, als allererstes sein muss: Bedingung für die Erkenntnis einer neuen Wirklichkeit. Weil Hoffnung diese Erkenntnis bedingt und sie gleichzeitig selbst ist, darum kann aus Hoffnung selbst die Erkenntnis erwachsen, dass sicher nicht alles gut ist, aber dass das »Ja!« Gottes dennoch gesagt ist, das Versprechen der Vollendung gegeben und damit dessen Erfüllung auch verheißen ist. Barth hat dies in seinem Römerbriefkommentar erkannt und zum Ausdruck gebracht, man erinnere sich an den Anfang dieser Arbeit. Nichts anderes kann es heißen, dass Christentum »ganz und gar und restlos Eschatologie«87 sein muss. Dass die evangelische Theologie im Anschluss nur noch bei Moltmann mit einem starken Hoffnungsparadigma aufwartete und seitdem eine Leere herrscht, die man immer wieder mit dem Verweis auf Moltmanns Werke zu füllen trachtet, ohne sich dabei aber inhaltlich weiter zu bewegen, ist ein Versäumnis, dessen Aufarbeitung hier begonnen wurde – es muss hier aber konkret weitergedacht werden, in alle Bereiche theologischen Denkens, Handelns, Forschens und Lehrens. Diese Arbeit wollte dafür die Begründung liefern, auf deren Grundlage die Aufarbeitung stattfinden kann – einige Anstöße sind erklungen. Von hier aus muss die theologische Reflexion nun von neuem bei der Hoffnung ansetzen und sich ihrer praktisch-theologischen, ethischen, missionarischen, liturgischen, oder kurz und zusammengefasst: ihrer fundamentaltheologischen Bedeutung bewusst werden und von hier aus ihre Ansätze konsequent überdenken, anhand der nichtpräsenten Präsenz der Vollendung.

87 Barth: Der Römerbrief, S. 298.

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Personenverzeichnis

Adorno, Th. W. . . . . . . . . . . . . . . . 17, 18, 20, 21, 23, 25–117, 197, 243, 244, 249–251, 260– 278, 281, 282, 286–291 Asendorf, U. . . . . . . . . . . . . 162, 195 Augustin . . . . . . . . . . . . . . . . 195, 247 Barth, K. . . . . . . . . . . . . . . 11, 12, 17, 22, 121–128, 130, 133, 138, 153, 161, 162, 195, 196, 210, 217, 256, 268, 280, 281, 284, 292 Bartonek, A. 45–47, 72, 96–98, 100 Beck, J. T. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 Benjamin, W. . . . . . . . . . . . . . 94, 272 Berkhof, H. . . . . . 119, 132, 178, 253 Bertram, G. W. . . . . . . . . . . 102, 103 Bidmon, A. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Bindseil, C. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21, 262, 265–268, 271, 273, 275 Bloch, E. . . . . . . 16, 20, 27, 165–167, 169–171, 203, 205, 235, 254 Bluhm, R. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Bökelmann, F. . . . . . . . . . . . . . . . . 60 Borchel, C. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Bozetti, M. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 Brändle, W. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Braunstein, D. . . . . . . . . . . . . . . . . 37 Brumlik, M. . . . . . . . . . . . . 21, 96, 99 Bühler, P. . . . 180, 183, 197, 224, 235 Bultmann, R. . . . . . . . . . . . . 22, 119, 121, 122, 125–128, 130, 131, 133, 138, 177, 231, 256, 284

Calvin, J. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 Dalferth, I. U. . . . . . . . . . . . . . . . . 12– 14, 16, 17, 142, 154, 236 Dröge, M. . . . . . . . . . . 134, 165, 286 Dubiel, H. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 Duck, Donald. . . . . . . . . . . . . . . . . 59 Duckheim, S. . . . . . . . . . . . . . . . . 100 Dumont, H. . . . . . . . . . 221, 239, 240 Dworschak, A. . . . . . . . . . . . . . . . . 86 Ebeling, G. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 Eberlein-Braun, K. . . . . . . . . . . . . 21 Falcke, H. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Feola, M. . . . . . . . . . . . . . 89, 90, 108 Fleming, K. . . . . . . . . . . . . . . . . 65, 69 Fowler, J. W. . . . . . . . . . . . . . 147, 237 Fries, H. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119, 128, 136, 162, 222–224, 240 Gemoll, W. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Geyer, H.-G. . . . . . . . . 124, 128, 151 Grimm, M. . . . . . . 42, 54, 56, 57, 83 Günther, K. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 Halfwassen, J. . . . . . . . . . . . . . . . . 288 Harvie, T. . . . . . . . . . . . . . . . 153, 165 Hegel, G. F. W. . . . . . . . . . . . . . . . . 47, 50, 71–76, 79, 89, 95, 97, 98, 100, 117, 123, 158, 182, 183, 203, 259, 263, 285, 288 Hetzel, A. . . . . . . . . . . . . . . . . . 64–66

308

Hindrichs, G. . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 Holert, T. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 Horkheimer, M. . . . . . . . . . . . . . . 29, 30, 39, 47, 53, 65, 67, 249, 272 Huber, W. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 Hübner, J. . . . . . . . . . . . . . . . 245, 246 Hüsch, S. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 Hunter, R. J. . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 Jenson, M. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 Joest, W. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 Jong, J. M. d. . . 22, 23, 125, 130, 138 Jüngel, E. . . . . . . . 167–169, 188–192 Kant, I. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14, 64, 77, 78, 88, 101, 102, 121–125, 127, 128, 130, 131, 284, 291 Keppler, A. . . . . . . . . . . . . . 53, 54, 57 Kierkegaard, S. . . . . . . . . . . . . . . . 19, 21, 187–189, 192, 196–199, 223 Kirchhof, P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Klein, R. . . . . . . . . . . . . . . . . 243, 244, 249–251, 263, 266, 268, 269 Koch, G. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 Koch, T. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 Kodalle, K.-M. . . . . . . . . . . . . . . . . 96 Kreck, W. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Kristensen, J. S. T. . . . . . . . . . . . . . 13 Krüger, M. . . . . . . . . . . . . . . . . 59, 60 Kuhne, F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 Kuitert, H. M. . . . . . . . . . . . 253, 254 Layer, S. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 Liedke, U. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Lincoln, U. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 Link, C. . . . . . . . 128, 139, 217, 244– 246, 248, 255, 257, 263, 282 Luther, M. . . . . . . . . . 167–169, 181, 182, 195, 213–215, 229, 267 Lutz, R. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Marsch, W. D. . . . . . . . . . . . . . 23, 24

Personenverzeichnis

Meisenheimer, J. . . . . . 40, 43, 62, 75 Meyer, M. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Mittleman, A. . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Miyazaki, H. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Moltmann, J. . . . . 14, 16–25, 27, 28, 119–167, 169–189, 191–243, 246–249, 251–261, 269–273, 276–279, 281–288, 290–292 Mörth, I. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 Müller, A. M. K. 244–246, 248, 249, 255 Müller, U. . . . . . . . . 45, 72, 101, 104 Müller-Doohm, S. . . . . . . . . . . 30, 37 Pannenberg, W. . . . . . . . . . . 22, 119, 129–132, 134, 138, 179, 180 Pauen, M. 37, 51, 66, 81, 90, 106, 107 Pokorny, P. . . . . . . . . . . . . . . 252, 253 Pritchard, E. A. . 71, 93, 94, 96, 111 van Reijen, W. . . . . . . . . . . . . 96–100 Rendtorff, R. . . . . . . . . . . . . 129, 130 Rendtorff, T. . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 Rentsch, T. . . . . . . . . . . . . . . 288–290 Richter, G. . . . . . . . . . . . . . . . . 79, 91 Ritschl, A. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 Ritsert, J. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72, 74 Roebben, B. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Rösel, C. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 Rorty, R. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Roth, M. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 Rothe, R. . . . . . . . . . . . 129, 133, 134 Ruschig, U. . . . . . . . . . . . . 34, 61–63 Sauter, G. . . . . . . . . . . . . . . . . 23, 254 Schiller, H.-E. . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Schnädelbach, H. . . . . . . . . . . . . 249 Schoberth, W. . . . . . . 25, 26, 53, 56– 59, 82, 83, 86, 109, 110, 113, 261 Schroer, M. . . . 39, 41, 43, 44, 48, 49 Schuh, F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69

Personenverzeichnis

Schweitzer, A. . . . . . . . . . 22, 23, 119 Schweppenhäuser, G. . . . 32, 33, 37, 40, 43, 45, 48, 76–80, 87, 88, 92 Sommer, M. N. . . . . . . . . . . . . . . . 72 Sonderegger, R. . . 26, 82, 86, 89–91 Stanlioae, D. . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 Stederoth, D. . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 Stock, K. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 Swedberg, R. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Sziborsky, L. . . . 75, 83, 94, 117, 261 Tetens, H. . . . . . . . . . . . . . . . . 78, 131 Thaidigsmann, E. . . . . . . . . . . . . . 21, 99, 101, 102, 111, 113, 265, 290 Thomas, G. . . . . . . . . . . . . . . . 24, 203

309

Troeltsch, E. . . . . . . . . 119, 129, 133 Ullrich, C. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Weiß, J. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 Welker, M. . . . . . . . . . . . . . . . . 14, 15, 18, 164, 166, 185–187, 191, 193 Wesche, T. 27, 28, 71–74, 79, 80, 279 Wilckens, U. . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 Wischke, M. . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 Wittgenstein, L. . . . . . . . . . . 101, 104 Wolf, E. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 Wolfarth, I. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 Zamora, J. A. . . . . . . . 68, 79, 80, 89, 95, 96, 112, 250, 251, 262, 263

Stichwortverzeichnis

Ästhetik . 26, 28, 81, 87, 89, 91, 101 ästhetisch . . . . . . . . . . . . . . . 72, 82, 87, 94, 107–109, 111, 114, 215, 245, 266, 289 Ästhetische Theorie . . . . . . 18, 28, 82, 85, 88, 107, 110 Aporie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80, 103, 104, 113, 116, 117, 289 Auferstehung/Auferweckung . . . 11, 12, 16, 19, 23, 120, 125, 129, 132–135, 137, 138, 140– 142, 147–159, 162, 163, 166, 170–174, 176–186, 188, 194, 196, 197, 201–208, 211–221, 223, 224, 227, 229–231, 233, 236, 238, 239, 252, 253, 258, 260, 277, 280, 283, 284, 287 Auferstehung der Toten 22, 132, 140, 179, 180, 182, 192, 204– 207, 216, 218, 260 Auferstehungerscheinung 159 Auferstehungserscheinung . . . . . . . . . . 173, 202 Auferstehungsglaube 163, 172 Auschwitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27, 30, 43, 44, 48, 70, 85, 272 Christentum . . . . . . . . . . . . . . . . . 11– 13, 17, 152, 163, 166, 171, 175, 191, 217, 287, 292

Christologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21, 24, 113, 148, 174, 175 christlich . . . . . . 11, 12, 14, 16, 19, 22–24, 27, 119–121, 128, 134–137, 147, 148, 153–155, 159, 161–164, 166, 167, 170–172, 181, 182, 185–187, 189, 192, 199, 201, 203, 209, 211, 212, 216, 217, 220–222, 227–229, 231, 233–242, 256, 259, 277, 278, 282, 283, 286–288, 290, 291 Christus . . . . 11, 12, 14, 17, 19, 22, 23, 113, 119, 120, 125, 128–130, 132, 134–142, 147–159, 161–163, 165, 167, 168, 171, 172, 174– 186, 188, 191, 192, 194, 196, 197, 201, 203, 208, 210–213, 217–226, 229, 230, 237–242, 252, 253, 255–260, 263, 273, 277, 280, 281, 283, 286, 287 Gottessohn . . . . . . . . . . . . . 162, 175–177, 218, 221 Dialektik . 15, 17, 20, 30, 39, 42, 44, 51, 53, 55, 57, 58, 64–66, 71– 75, 83, 89, 95, 97, 98, 100, 102– 104, 106, 141, 144, 193, 243,

312

Stichwortverzeichnis

245, 249, 250, 260, 262, 263, 268, 270, 280, 281, 286–288 dialektisch . . . . . . . . . . . 17, 32, 44, 47, 68, 69, 75, 81, 91, 92, 95–98, 129, 132, 142, 184, 207, 220, 224, 229, 238, 249, 251, 274, 282 dialektische Theologie 22, 123 Negative Dialektik . . . . . . . 18, 27, 30, 34, 46, 71, 72, 76, 77, 91, 95, 100, 103, 104, 281, 290, 291 Erlösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16– 18, 22, 27, 28, 31, 69, 71, 93, 94, 96, 97, 99–101, 103, 107– 110, 112, 113, 115–117, 127, 139, 212, 216, 261–263, 268, 271–273, 276, 277, 281, 290 erlösen . . . . . . . . . 93, 141, 209, 212, 214, 218, 276, 289 Eschatologie . . . . . . . . . . . . . . . . . 11, 17, 20, 22–24, 119, 120, 122– 124, 127, 128, 133, 136, 137, 139–141, 148, 153, 158, 159, 172, 176, 178, 179, 185–187, 189, 199, 201–218, 226–228, 230–234, 236–239, 243, 246, 256, 259, 262, 263, 269, 283, 284, 286, 287, 289, 291, 292 eschatologisch . . . . . . . . . . . 11, 99, 140, 159, 173, 174, 211, 215, 218, 229, 231, 252, 283, 284, 289 eschatologische Differenz . . . . . . . . . . . siehe eschatologischer Vorbehalt eschatologischer Vorbehalt . . . . . . . . 14, 208, 223, 252, 260, 270, 288–290

Ewigkeit . . . . . . . . . . . 121, 122, 124, 128, 134, 149, 154, 175, 185, 209, 210, 217, 255–257, 284 ewig . . . 60, 113, 121–125, 127, 128, 134, 137, 148, 154, 158, 164, 175, 183, 204– 210, 212, 226, 249, 252, 255–257, 263, 275, 284 Freiheit . . . . . . 44–47, 63, 64, 66, 69, 81, 97, 102, 156, 159, 182, 194, 196, 200, 210, 217, 223, 232, 236, 239, 241, 259, 277, 286 befreien . . . . 12, 47, 66, 68, 71, 77, 83, 107, 108, 212, 213, 221, 226, 235, 236, 250 Befreiung . . . . . . . . . . 104, 151, 196, 205, 208, 221, 235 Befreiungstheologie . . 24, 238 frei . . . . . . . . . . . . 26, 40, 45, 46, 61, 63, 66, 81, 95, 99, 112, 196, 210, 211, 226, 241 Freisetzung . . . . . . . . . . . . . 160 Unfreiheit . . . . . 45, 46, 60, 116 Gegenwart . . . . . . . . . 11, 15, 16, 96, 99, 101, 115, 120–122, 127, 128, 134, 136, 137, 139–142, 145, 148, 154, 155, 157, 166, 178, 179, 192, 193, 202, 213, 214, 216, 218, 219, 222, 223, 226– 228, 232, 236, 243–248, 250– 253, 255, 258, 261, 263, 266, 267, 269–271, 282, 286, 291 gegenwärtig . . . . . . . . . . . . . 16, 31, 38, 41, 47, 50, 53, 56, 60–62, 83, 91, 108, 122, 123, 128, 130, 132, 136, 138, 139, 141, 144, 152, 153, 155, 157, 166, 169, 179, 187, 188, 193, 202,

Stichwortverzeichnis

203, 208, 218, 219, 226, 228, 229, 236, 237, 243– 245, 247, 250, 252, 255, 259, 264, 266, 269, 274, 275, 277, 278, 282, 289 Präsens . . . . . . . . . 20, 121, 245, 246, 260, 266, 269, 283 Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 15, 151, 156, 157, 168, 194, 195, 202, 210, 211, 217, 236, 241, 259, 262, 274, 277, 286 gerecht . . . . . 22, 168, 189, 209 Gerechtigkeit Christi . . . . . 168 Gottesgerechtigkeit . . . . . . 156, 157, 159, 210, 211, 238 Gottesrecht . . . . . . . . . 233, 241 Recht . . . . . . . . . . 175, 182, 210 rechtschaffend . . . . . . . . . . 210 Rechtsordnung . . . . . . . . . . 236 Rechtsverwirklichung 233, 241 Sühnestrafrecht . . . . . . . . . 211 ungerecht . . . . . . . . . . . . . . . 189 Ungerechtigkeit 277, 284, 285, 288 Unrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 65, 73, 175, 182, 210, 212, 287 Werkgerechtigkeit . . . . . . . 195 Geschichte . 22, 27, 96, 98, 113, 119, 120, 123–125, 127–138, 140– 149, 153–155, 160–162, 164, 171–174, 176, 179–181, 183, 184, 186, 191, 197, 204–210, 216, 217, 219, 224–226, 228, 229, 233, 237, 241, 244–259, 271, 272, 278, 283, 284, 291 Geistesgeschichte . . . . 189, 205 geschichtlich . . . . . . . . . 21, 41, 67, 87, 96, 105, 107, 117, 123, 127, 129, 132–135, 138, 143, 145, 146, 148, 149, 156, 159, 160, 163,

313

164, 173, 174, 183, 188, 208, 209, 221, 225–227, 230, 237, 254, 255, 257, 258, 260, 277, 281, 283 geschichtliche Eschatologie . . . . . . . . . . . . . . . . 123, 204, 207, 210, 212, 231 geschichtliche Möglichkeit 254 geschichtliche Wirklichkeit . . . . . . . . . . . . . . . 134– 136, 199, 201, 216, 244, 251, 252, 267, 273, 279 Geschichtsphilosophie 64, 249, 251 geschichtsstiftend . . . 173, 183, 208 Heilsgeschichte . 129, 134, 151, 179, 271, 277, 278, 287 Historie . . . 249, 250, 255, 272 historisch . . . . . . 40, 44, 61, 62, 82, 105, 129, 130, 132, 134, 141, 173, 174, 179–181, 183, 208, 258, 259, 272 historischer Jesus . . . . . . . . 172 Historismus . . . . . . . . 120, 133 Historizität . . . . . 104, 129, 183 Kirchengeschichte . . . . . . . 231 Universalgeschichte . . . . . . 47, 74, 98, 117, 129, 131, 133, 138, 179, 180, 183, 249 Verfallsgeschichte . . . . . . . 272 Verheißungsgeschichte . . . . . . . . . . . . 121, 145– 147, 149, 152, 160, 253 Verlaufsgeschichte . . . . . . . 244 Weltgeschichte . . 213, 223, 230 Zeitgeschichte . . . 21, 119, 258 Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18, 27, 29, 30, 32–34, 37–42, 44– 55, 57, 59, 60, 62, 68, 71, 83, 85, 88, 97, 101, 106, 108, 113, 133,

314

161, 224, 232, 239–241, 265, 267, 268, 272, 274–276, 287 gesellschaftlich . . . . . . . . . . . 32, 34, 37–41, 44–48, 56, 61, 62, 64, 67, 69, 70, 76, 82, 83, 106, 239, 275 Gesellschaftsgeschichte . . . 197 Gesellschaftskritik . . . . . . . . 31, 33, 37, 39, 41, 47, 68, 69, 106, 232, 287, 288 gesellschaftskritisch . . . . 32, 73 Gesellschaftssystem . . . . . . . 38 Gesellschaftstheorie 32, 36, 37, 249 gesellschaftsverändernd . . . 70 Industriegesellschaft . . . . . 239 vergesellschaftet . . . . . . . . . . 33, 50, 55, 85, 88, 260 Vergesellschaftung . . . . . . . . 62 Gewissheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165, 167–173, 180, 181, 185, 187, 188, 260, 281, 285–288, 290 certitudo . . . . . . . . . . . . . . . . 167 Gewissen . . . . . . . . . . . . . . . 168 Glaubensgewissheit . . . . . . 168 Gottesgeweissheit . . . . . . . . 168 Gottesgewissheit . . . . 167, 168 Heilsgewissheit . . . . . 167, 168 Hoffnungsgewissheit 168, 170, 171, 267 Ungewissheit . . . 167, 187, 262, 290 Zukunftsgewissheit . . 170, 171 Gott . . . . . 22, 24, 99, 113, 114, 120, 121, 124, 126–131, 133, 135– 138, 140–160, 162–168, 170, 171, 173–178, 180–183, 185, 187, 189–199, 203–231, 233, 235–241, 261, 267, 270, 273, 276, 277, 279–287, 290–292

Stichwortverzeichnis

Gottebenbildlichkeit 177, 214, 279 Gottesbegriff . . . . . . . . 129, 175 Gottesbeweis . . . 120, 124, 131 Gottesbeziehung 231, 279, 280 Gottesbild . . . . . . . . . . . . . . 123, 128, 175, 210, 279, 282 Gotteserfahrung . . . . . . . . . 179 Gotteserkenntnis . . . 147, 164, 182, 221, 222, 224–226, 231 Gottesferne . . . . . . . . . . . . . 157 Gottesfrage . . . . . . . . . 126, 175 Gottesgerechtigkeit . siehe Gerechtigkeit Gottesherrschaft . . . . 158, 159, 213, 218, 223, 230, 239 Gottesidee . . . . . . . . . . . . . . 148 Gotteslästerer . . . . . . . 175, 182 Gottesverständnis . . . . . . . 149 Gottesvolk . . . . . . . . . . . . . . 240 Gottheit 175, 178, 183, 190, 231 Gottlosigkeit . . . . . . . . . . . 151, 211, 220, 237, 238, 279 Gottverlassenheit . . . 157, 175, 182, 220 Herrschaft Gottes . . . . . . . . 124 Kommen Gottes . . . . 139, 141, 161, 179, 204, 283, 286 Negation Gottes 158, 181, 182 Tod Gottes . . . . . . . . . . . . . . 183 Wort Gottes . . . . . . . . . . . . 119, 136, 191, 194, 230, 273 Hoffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11– 24, 27, 28, 30–32, 70, 80, 81, 89, 93, 94, 96, 97, 102, 104, 107, 109–117, 119, 120, 134, 139, 142, 152–171, 173, 175, 178, 181–189, 191–195, 197– 205, 207, 211, 216–219, 221–

Stichwortverzeichnis

239, 241, 243, 244, 248, 251– 254, 257, 258, 260–262, 264, 266–268, 270–273, 275–292 Auferstehungshoffnung . . 184, 194, 205, 207, 217, 233 hoffen . . . . . . . . 12–18, 27, 113, 115, 143, 154, 155, 157– 160, 163, 164, 166, 168, 170, 171, 181, 185, 188, 191–195, 197–199, 201, 202, 216, 221, 223, 224, 227–230, 232, 236, 239, 241, 248, 251, 256, 262, 272, 277, 278, 287, 291 Hoffnungsdenken . . . . . . . 243 Hoffnungslosigkeit . . . . . . 27– 30, 70, 85, 195, 197– 199, 240, 241, 272, 273, 275, 278, 281, 282 hoffnungsstiftend 114, 169, 194 hoffnungsvoll . . . . . . . . . . . 266 Theologie der Hoffnung . . 17– 20, 22–24, 27, 119, 121, 132, 142, 162, 165, 172, 179–181, 187, 189, 203–205, 216, 217, 222, 235, 237, 241, 257, 278, 281, 283, 286 Zukunftshoffnung . . . 217, 256 Identität 32, 34, 42, 43, 51, 69, 73–76, 79, 81, 90–92, 95, 97, 98, 101, 102, 113, 128, 135, 137, 172, 174, 177, 185, 205–207, 214, 226, 231, 238, 284, 287, 288 Identifikation . . . . . . . . . . . . 42, 43, 45, 74, 75, 81, 88, 90, 95, 101, 117, 122, 137, 174, 176–178, 230, 283, 289 Identifikationsgeschehen . 135, 141, 150, 176, 178, 217

315

Identifikationsmöglichkeit 176 Identifikationszwang . . . . . 54, 103, 260, 288, 289 identifizierbar . . . . . . . . . . . 168 identifizieren . . . . . . 30, 45, 48, 56–58, 69, 74, 77, 79, 80, 91, 94, 95, 98, 99, 121, 128, 135–137, 140, 141, 150, 156, 174, 178, 197, 205, 207, 208, 219, 229, 231 Identitätsphilosophie . . . . . . 75 Identitätsprinzip 42, 45, 66, 69 Identitätszwang . . . . . . . 78, 98 Nichtidentität 74, 75, 79, 92, 95, 97, 98, 101, 111, 230, 238, 266, 269, 275, 285, 289 Selbstidentifikation . . 176, 284 Individuum . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18, 30, 33, 37–49, 51, 56, 57, 60, 61, 63–65, 67, 69, 76, 81, 267, 268 individualisieren . . . . . 54, 232 Individualismus . . . . . . . . . . 39, 43, 44, 47, 48, 56 individualistisch . . . . . . . . . . 61 Individualität . . . . . . . . . . . . 39, 41–44, 47, 48, 55, 61, 77 Individuation . . . . . . . . . . . . 61 individuell . . . . . . . . . . . . . . 33, 41, 43, 47, 54, 56, 60, 268 individuieren . . . . . 42, 90, 265 Individuierung . . . . . . . . . . . 42 Kultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40, 42, 52–55, 57, 68, 84, 102, 110, 111 Kulturindustrie . . . . . . . . . . 30, 52–60, 62, 64, 66, 67, 69, 83–85, 87, 90, 92, 94, 262 Kulturkritik . 32, 52, 53, 57, 58 Kunst 18, 27, 57, 80–93, 99, 103–117, 261, 264, 267, 274, 275, 291 Auftragskunst . . . . . . . . . . . . 83

316

Stichwortverzeichnis

Künstler . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 künstlerisch . . . . . . . . . . . . . 266 Kunstform . . . . . . . . . . . 59, 261 Kunstschönes . . . . . 88, 91, 107 Kunstwerk . . . . . . . . . . . . . . 18, 54, 80–82, 84–92, 104, 105, 107–110, 112–116, 263–265, 268, 273–275 pseudokünstlerisch . . . . . . . 26 Volkskunst . . . . . . . . . . . . . . . 53 Zeitkunst . . . . . . . . . . . . . . . 266 Offenbarung . . . . . . . . . . . . . . 11, 12, 19, 21, 120–138, 141–144, 146, 147, 150, 152, 159, 161–165, 167, 168, 176, 178, 182, 183, 185, 193, 197, 199, 204, 208, 211, 217, 219–221, 224, 225, 228, 230, 239, 252, 256–258, 267, 278, 280, 284–286, 291 offenbaren . . . . . . . . . . . . . . . 16, 24, 26, 27, 31, 98, 102, 117, 120–122, 124, 125, 127, 131, 133–138, 144, 147–150, 152, 156, 161, 178, 183, 201, 208, 209, 216, 218–220, 225, 228, 241, 257–259, 275– 278, 284, 285, 287, 291 Selbstoffenbarung . . . . 16, 120, 121, 124, 126, 129, 130, 133, 135, 138, 140–142, 146, 147, 149–152, 156, 175, 176, 178, 219, 220, 222, 241, 258, 281, 285 Präsenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12, 16– 18, 20, 104, 108, 128, 150, 213, 216, 226, 238, 243, 245, 260, 263, 264, 266, 268–270, 273, 281, 283, 285, 286, 291, 292

Nichtpräsenz . . . . . . . . . . . . 14, 18, 243, 268, 270, 291, 292 präsent . . . . . . . . . . 17, 56, 115, 189, 237, 243, 247, 255, 257, 261, 264, 268, 270, 271, 273, 280, 282, 283 Präsentation . . . . . . . . . . . . . 14 präsentieren . . . . . . . . . . . . 112, 148, 149, 193, 219, 225, 249, 252, 269, 286 Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . 191, 211, 220, 237, 238, 241 rechtfertigen . . . . . . . 151, 162, 177, 190, 191, 211, 280 Reich Gottes . . . . 11, 14, 16, 20, 22, 23, 119, 129, 131, 139, 140, 147, 153, 156, 158, 159, 177, 181, 182, 188, 194, 202–204, 207– 209, 212, 216–218, 224, 231– 234, 236–239, 246, 252, 253, 256, 257, 259, 261, 269, 273, 277, 278, 280–282, 284–292 Schechina . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213, 214, 217, 219, 222, 283 Sicherheit . 154, 166, 167, 169–171, 181, 188, 262, 278, 281, 286 securitas . . . . . . . 167, 169, 170 System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14, 15, 24, 25, 33–39, 41, 42, 44, 47– 51, 53, 55–60, 62, 63, 65, 67–70, 72, 73, 76, 82–84, 94, 101, 103, 104, 117, 216, 244, 266, 269 Antisystem . . . . . . . . . . . . . . . 72 Systematik . . . . . . . . . . . 25, 34– 37, 65, 70, 72, 79, 143, 266 transzendental . . . . . . 18, 20, 77, 78, 110, 113, 115–117, 121–125, 127, 128, 130, 131, 133, 134,

Stichwortverzeichnis

136, 194, 205, 233, 255, 256, 259, 263, 273, 282, 284, 291 Transzendentalismus . . . . . 124 Transzendentalität . . . . 18, 271 Transzendentalphilosophie 82 Utopie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16– 18, 26–28, 81, 83–85, 88, 94, 97, 100, 101, 104, 106–112, 114, 115, 117, 185, 186, 191, 199, 203, 233, 235, 239, 243, 261, 263, 264, 267–271, 274, 275 Gesellschaftsutopie . . . . . . 265 Sozialutopie . . . . . . . . . 70, 106 utopisch . . . . . . . . . . . . . . . . . 97, 99–101, 112, 164, 191, 199, 203, 235, 268, 290 Verblendung . . . . . . . . . . . 37, 49, 51, 52, 57, 64, 68, 86, 90, 104, 107, 111, 116, 117, 260, 262, 267, 273, 281, 287, 288, 290, 292 Verblendungszusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . 18, 27, 30, 49–53, 57, 71, 73, 82, 94, 103, 108, 109, 111, 112, 116, 117, 262, 267, 270, 275, 281, 287, 288 Verheißung . . . . . . . . . 14, 16, 18, 19, 22, 23, 119–121, 130, 132, 134– 138, 141–168, 170, 171, 174, 176–185, 187–189, 191–204, 216, 218, 219, 221, 223, 225– 232, 235, 236, 239–241, 246– 248, 250–254, 256–262, 267, 271, 273, 276–288, 290, 291 verheißen . . . 67, 92, 119, 121, 134, 135, 138, 141–143, 150, 151, 153–155, 157, 158, 163, 164, 170, 173, 176, 177, 179, 180, 182,

317

188, 194, 195, 197, 203, 208, 210, 217, 218, 221, 223–225, 228–230, 233, 234, 237, 238, 241, 252– 254, 258, 260, 276–278, 283–285, 287, 289, 292 Versöhnung . . . . . . . . . . . . . . . 21, 73, 81, 91, 93–100, 104, 106, 107, 111–113, 115–117, 159, 210– 212, 216, 262, 264, 265, 267, 269, 273, 276, 281, 289, 290 versöhnen . . . . . . . . . . . . . . . 82, 90, 95–97, 100, 101, 106, 108, 109, 111, 115, 116, 206, 210, 261, 266, 268 Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14, 34, 35, 103, 122, 131, 138, 155, 164, 167–170, 194, 195, 202, 223–225, 227, 228, 234, 238, 250, 259, 263, 276, 285, 286 Glaubenswissen . . . . . . . . . 169 Hoffnungswissen . . . . . . . . 155, 156, 164, 202, 203, 223–225, 233, 234, 286 Nichtwissen . . . . . . . . . . . . . 138 Unwissen . . . . . . . . . . . . . . . . 73 Vorauswissen . . . . . . . . . . . 203 wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91, 95, 126, 130, 168, 169, 171, 175, 195, 236, 238, 250 Wissenschaft . . . . . . . . . . . . 12, 17, 29, 66, 79, 83, 131, 272 Zeit . . . 11, 17, 22, 29, 30, 35, 87, 99, 108, 119–121, 123–125, 127, 131, 133, 144, 174, 177, 179, 184, 189, 213, 226, 235, 239, 240, 243–251, 254–258, 262, 263, 266, 268, 269, 272, 283 Endzeit 180, 183, 210, 218, 223

318

Neuzeit . . . . . . 40, 45, 148, 271 überzeitlich 124, 125, 127, 128, 134, 175, 257, 258, 269 ungleichzeitig . . . . . . . . . . . . 15 Verlaufszeit . . . . . . . . . . . . . 255 Vorzeit . . . . . . . . . . . . . 249–251 Weltzeit . . . . . . . . . . . . . . . . 208 Zeitalter 35, 47, 60, 61, 90, 129 Zeitform . . . . . . . . . . . . . . . . 249 Zeitgeschichte siehe Geschichte zeitlich . . . . . . . . 21, 25, 31, 60, 83, 85, 120, 140, 181, 191, 204, 205, 210, 213, 244, 246–248, 260, 283, 284 Zeitlichkeit . . . . . . . . . . . . . . 11 Zeitlogik . . . . . . . . . . . . . . . . 15, 20, 139, 142, 143, 225, 243, 244, 250, 251, 256, 264 zeitlos . . . . . . . . . . . . . . 40, 240, 249, 251, 256, 257, 269 Zeitmodus . . . . . . . . . . . . . 243– 245, 247–251, 255, 269 Zeitordnung . . . . . . . . . . . . 208 Zeitpunkt . . . . . . . . . . 106, 195 Zeitraum . . . . . . . . . . . . . . . . 99 Zeitrichtung . . . . . . . . . . . . 140 Zeitsinn . . . . . . . . . . . . 140, 141 Zeitverlauf . . . . . . . . . . . . . . 140 Zeitzeuge . . . . . . . . . . . . . . . . 76 Zukunft . . . . . 15, 16, 20, 22, 23, 30, 96, 99, 119–122, 125, 128, 129, 133–145, 148, 150, 152–160, 163, 164, 166, 170–172, 174, 177–189, 191–194, 198, 199, 201–203, 208, 209, 212, 213, 216–219, 221–225, 228–230, 232, 233, 235–238, 240, 241,

Stichwortverzeichnis

243–262, 270, 273, 276–278, 280, 283, 284, 286, 288, 289 adventus . . . . . . . . . . . 139–141, 146, 147, 194, 226, 233 futurum . . 140–143, 188, 208, 240, 247, 251–253, 257 parusia . . . . . . . . . . . . . 252, 258 Parusie . . . . . . 22, 23, 119, 159, 208, 213, 226, 247, 261 Zukunft der Geschichte . . . . . . . . . . . . . 136, 137, 162, 164, 173, 184, 210, 213, 230, 248, 283, 291 Zukunft der Schöpfung . . 154, 159 Zukunft der Schöpfung . . 137, 163, 164, 208, 257, 285 Zukunft der Schöpfung . . . 219 Zukunft des Auferstandenen . . . . . . . . . . . . . . . . 135 Zukunft Gottes . . . . . . . . . 125, 138, 141, 149, 155, 164, 177, 192, 207, 224, 225, 229, 233, 240, 241, 254, 259, 260, 270, 286, 291 Zukunft Jesu Christi . . . . . 125, 136–139, 153, 155, 158, 163, 171, 172, 174, 180, 182, 184, 186, 201, 203, 221, 226, 230, 240, 242 Zukunftserkenntnis . . . . . 138, 164, 179, 223, 224, 233 Zukunftshoffnung . . . . . . . 134 Zukunftshorizont . . . . . . . . 277 zukunftsoffen . . . . . . . . . . . 150 zukunftsweisend 125, 146, 189 Zukunftsziel . . . . . . . . . . . . 222