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German Pages [333] Year 2018
Schriften des Frühneuzeitzentrums Potsdam Herausgegeben von Iwan-Michelangelo D’Aprile, Cornelia Klettke, Andreas Köstler, Ralf Pröve, Stefanie Stockhorst und Dirk Wiemann
Band 7
Alix Winter
Protektionismus und Freihandel Europäische Pressedebatten um globale Märkte zur Zeit Napoleons
Mit 18 Abbildungen
V& R unipress
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet þber http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISSN 2198-5251 ISBN 978-3-7370-0769-6 Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhÐltlich unter: www.v-r.de Als Dissertation mit dem Titel »Globalisierung und imperialistische MÐchtekonkurrenz. EuropÐische Pressedebatten zum Welthandel im Umfeld der Kontinentalsperre« 2015 vorgelegt an der Philosophischen FakultÐt der UniversitÐt Potsdam zur Erlangung des akademischen Grades »doctor philosophiae« (Dr. phil.) im Fachbereich »Geschichtswissenschaft«. Gutachter: Prof. Dr. Iwan-Michelangelo D’Aprile (UniversitÐt Potsdam), Prof. Dr. Olaf Asbach (UniversitÐt Hamburg). Datum der Disputation: 4. Mai 2016. 2018, V& R unipress GmbH, Robert-Bosch-Breite 6, D-37079 Gçttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich gesch þtzt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen FÐllen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Titelbild: Isaac Cruikshank: The giant commerce overwhelming the pigmy blockade!!, kolorierte Radierung, 25,0 x 34,5 cm, London: Tegg 1807, British Museum Satires 10699, BM 1868,0808.7525.
für Larisa
Inhalt
Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Abbildungsnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Bemerkung zur Zitierweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Einleitung . . . . . . . . . . . . 1. Historischer Hintergrund . . 2. Gegenstand der Untersuchung 3. Stand der Forschung . . . . . 4. Quellen und Methode . . . . . 5. Aufbau der Arbeit . . . . . . .
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II. Europäische Zeitschriften mit globaler Ausrichtung 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zensur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Zeitschriften, ihre Netzwerke und Inhalte . . 3.1 Erscheinen und Verbreitung . . . . . . . . . . 3.2 Herausgeber- und Mitarbeiterprofile . . . . . 3.3 Inhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . .
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III. Kontinentalsperre und Welthandel. Debatten um globale Märkte Auftakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel 1: Isolationismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. »Die Produkte der entferntesten Länder wurden zum Bedürfnisse«: Die Debatte um wirtschaftliche Abschottung 1.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Thema: Grad der ökonomischen Verflechtung und Bedrohungsdiskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhalt
1.3 Publizistische Reaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.1 Großbritannien: Autarkiebehauptungen . . . . . . . 1.3.2 Frankreich und die deutschsprachigen Länder : Akklimatisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.3 Frankreich und die deutschsprachige Länder : Substitution und Verzicht . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.4 Bilder der Isolation: Die Bildpublizistik . . . . . . . . 1.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel 2: Seehandelsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. »Rom und Karthago«. Die Debatte um Seehandelsfreiheit und Seevölkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Thema: Veränderte Wirtschaftslage und Konkurrenzdiskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Publizistische Reaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Seehandelsfreiheit: Rechte der Neutralen . . . . . . . 2.3.2 Seevölkerrecht: Freiheit der Meere . . . . . . . . . . 2.3.3 Motivgestaltung der Seehandelskonkurrenz: Die Bildpublizistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel 3: Doux Commerce . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. »Der Handel, das mächtige Band«: Die Debatte um die Wirkung internationalen Handels . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Thema: Die Kritik an der Kontinentalsperre und der Verflechtungsdiskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Publizistische Reaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Vorteile des Außenhandels: Die Streitschriften . . . . 3.3.2 »Verschmelzung« der Völker : Annäherung durch Handel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3 Visualisierte Krise: Die Bildpublizistik . . . . . . . . 3.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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IV. Schlussbemerkungen und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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V. Annex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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VI. Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Schriften des Frühneuzeitzentrums Potsdam . . . . . . . . . 331
Danksagung
Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2015 im Fachbereich Geschichtswissenschaft unter dem Titel »Globalisierung und imperialistische Mächtekonkurrenz. Europäische Pressedebatten zum Welthandel im Umfeld der Kontinentalsperre« an der Universität Potsdam als Dissertation angenommen. Meinem Betreuer, Prof. Dr. Iwan-Michelangelo D’Aprile, danke ich für die stetige wohlwollende Begleitung und Unterstützung der Arbeit von ihrem Entstehungsprozess über thematische Neuausrichtungen bis zur Publikation. Er hat von Anfang an großes Vertrauen in mich gelegt und mir im Verlauf der Arbeit viel Gestaltungsfreiheit gelassen, mich beraten und ermutigt in Momenten, in denen ich nicht weiterkam. Dem gesamten Kollegium des Marie-Curie-ITNProgrammes Englobe – Enlightenment and Global History bin ich für die großzügige finanzielle Unterstützung für die Arbeit an meiner Promotion sowie die lehrreichen Erfahrungen innerhalb des internationalen Arbeitskontextes dankbar. Neben meinem Betreuer sei hier besonders Prof. Dr. Concha Roldan hervorgehoben, die unabhängig von formellen Verantwortungen immer ein offenes Ohr für mich hatte. Der Universität Potsdam danke ich für die zusätzliche finanzielle Unterstützung im Rahmen eines Abschlussstipendiums. Und dem New Europe College in Bukarest bin ich zu Dank verpflichtet für die informelle Aufnahme in die Reihen seiner Stipendiaten im akademischen Jahr 2013/14. Dort konnte ich einen Großteil des Schreibprozesses in produktiver Arbeitsatmosphäre und in Konzentration aufs Wesentliche abschließen. Prof. Dr. Richard John von der Columbia University danke ich für die enthusiastische Aufnahme, die guten Diskussionen zur Pressegeschichte der USA und Europas und die engagierte Zusammenarbeit während und nach meinem dortigen Forschungsaufenthalt. Prof. Dr. Olaf Asbach von der Universität Hamburg bin ich zu Dank verpflichtet für die spontane Übernahme des Zweitgutachtens meiner Dissertation sowie die ernsthafte Auseinandersetzung und guten Diskussionen in der Abschlussphase.
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Danksagung
Den Mitarbeitenden des British Museum und der BibliothHque nationale de France möchte ich für die schnelle und gute Unterstützung bei der Recherche, der Nutzung ihrer historischen Zeitschriftenbestände und der Klärung der Bildrechte für die Publikation danken und auch der Staatsbibliothek zu Berlin für den Zugang zu ihren historischen Zeitschriftenbeständen. Für die Aufnahme der Arbeit in die Schriftenreihe des Frühe Neuzeit Zentrums Potsdam danke ich ganz herzlich deren HerausgeberInnen Iwan-Michelangelo D’Aprile, Cornelia Klettke, Andreas Köstler, Ralf Pröve, Stefanie Stockhorst und Dirk Wiemann. Jula Munz bin ich für die Korrektur und die Vorbereitung des Manuskripts für den Druck verbunden. Meiner Kollegin und Freundin Larisa Strese möchte ich für die Zeit danken, in der wir in ständigem Austausch zu gemeinsamen Forschungsthemen der Frühen Neuzeit und Aufklärung die Keime unserer beruflichen Reife gesät haben, deren Ernte ich nun einfahren kann. Ohne sie wäre die Zeit der Promotion nicht möglich gewesen und diese Arbeit nicht entstanden. Auch die Unterstützung meiner Eltern und ihr Glaube an meinen gewählten Weg hat viel zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen. Schließlich danke ich meinem Mann, Damien Guillaume, für das Verständnis, die Beratung und ruhige Unterstützung meiner Arbeit während der gesamten Jahre ihres Entstehens. Berlin, im März 2018
Abbildungsnachweis
Abb. 1:
Abb. 2: Abb. 3:
Abb. 4:
Abb. 5:
Abb. 6:
Abb. 7:
Abb. 8:
Abb. 9:
Abb. 10: Abb. 11:
[Anonym], Lecture du d8cret Imp8rial faite par le 1er Ministre d’Angleterre au roi George / son conseil. D8clarant les Isles Britannique en 8tat de Blocus, kolorierte Radierung, 20,6 x 28,1 cm, Paris: Martinet 1807, Collection de Vinck 8277, BnF Estampes, Reserve QB- 370 (62) -FT 4. Britische Im- und Exporte 1765–1820; Quelle: Mitchell, B. R.: British Historical Statistics, Cambridge 1988, 494–495. Gesamtimporte Mitteleuropas 1787–1817; aus Kutz, Martin: Die Entwicklung des Außenhandels Mitteleuropas zwischen Französischer Revolution und Wiener Kongreß, In: Geschichte und Gesellschaft 6 (1980), 538–558, hier 539. [Anonym] Le Cabinet de Saint James Traiteur, ou Le Banquet Anglais, Mezzotinto, 20,2 x 32 cm, [o. O. u. o. J.], Collection de Vinck 7535, BnF Estampes, Reserve QB- 370 (55) -FT 4. Charles Williams, Blockade Against Blockade or John Bull a Match for Boney, kolorierte Radierung, 24,8 x 34,7 cm, London: Tegg 1807, BM Satires 10773, BM 1868,0808.7603. [Anonym], La Grande Bretagne / son petit couvert au commencement du 19e SiHcle, kolorierte Radierung, 29,2 x 41,9 cm, Paris: Martinet, [1803/1804], Collection de Vinck 7535, BnF Estampes, Reserve QB- 370 (56) -FT 4. [Anonym], L’Ambition le domine, kolorierte Radierung, 16,9 x 23,8 cm, Paris: Martinet [o. J.], Collection de Vinck 8250, BnF Estampes, Reserve QB- 370 (62) -FT 4. [Anonym], Le Calculateur ou le N8goÅiant Anglois, kolorierte Radierung, 17,6 x 25 cm, [o. O.] ca. 1800, Collection de Vinck 8282, BnF Estampes, Reserve QB370 (62) -FT 4. [Anonym], Mr Pitt fabriquant des nouvelles T8l8graphiques, kolorierte Radierung, 10,5 x 14,6 cm, [o. O.] 1804, Collection de Vinck 7681, BnF Estampes, Reserve QB- 370 (56) -FT 4. [Anonym], La Quadruple-Alliance, Radierung, 18,8 x 32,4 cm, Paris: Loyse 1801, Collection de Vinck 7533, BnF Estampes, Reserve QB- 370 (55) -FT 4. James Gillray, Boney & Talley. The Corsican carcase-butcher’s reckoning day, kolorierte Radierung, 31,5 x 32,5 [61,0 x 48,5] cm, London: Humphrey 1803, BM Satires 10091, BM 1866,0407.988.
12 Abb. 12:
Abb. 13: Abb. 14:
Abb. 15:
Abb. 16: Abb. 17:
Abb. 18:
Abbildungsnachweis
[Anonym], John Bulls Explosion Bum (Bomb) or a Ducking for the French Fleet in Basque Roads, kolorierte Radierung, 33,6 x 22,9 cm, London: Walker Cornhill 1809, Collection de Vinck 7688, BnF Estampes, Reserve QB- 370 (56) -FT 4. William Elmes, A rosey picture of the times, kolorierte Radierung, 23,9 x 33,3 cm, London: Tegg 1812, BM Satires 11880, BM 1868,0808.8013. Isaac Cruikshank, The giant commerce overwhelming the pigmy blockade!!, kolorierte Radierung, 25,0 x 34,5 cm, London: Tegg 1807, BM Satires 10699, BM 1868,0808.7525. Isaac Cruikshank, The happy effects of that grand systom of shutting ports against the English!!, kolorierte Radierung, 23,3 x 33,7 cm, London: Walker 1808, BM Satires 11039, BM 1868,0808.7693. [Anonym], The Sea is Open. Trade Revives, kolorierte Radierung, 33,0 x 25,1 cm, London: Ackermann 1813, BM Satires 12119, BM 1868,0808.8104. [Anonym], Prompte Arriv8e Des Denr8es Coloniale, kolorierte Radierung, 16,8 x 31,5 cm, [o. O.] 1814, Collection de Vinck 9515, BnF Estampes, Reserve QB- 370 (73) -FT 4. Hamburgs Knochen Magazin, in: Carricaturen, 1stes Heft; Sammlung der witzigsten Zerrbilder welche zu Ehren des Herrn Noch Jemand und Consorten erschienen sind, Radierung, 10,5 x 14,1 cm, Hamburg: Rosmäsler 1815, BM 1868,0808.13406.
Bemerkung zur Zitierweise
Die Schreibweise der Quellen wurde in den Zitaten weitgehend übernommen. Lediglich die zuweilen vorkommenden »e« über »u« als Umlautschreibweise in den deutschsprachigen Quellen wurde durch »ü« ersetzt. Hervorhebungen jeder Art wurden durch Kursivsetzung dargestellt.
I.
Einleitung »Der ungeheure Sturm dauert fort, […] welcher die politischen Ordnungen nicht nur der Völker unsers Welttheils, sondern auch Amerika’s, bald vielleicht auch Asiens, verwandelt und für ein neues Jahrtausend neu bildet und gründet. Unüberzählbare Heere und Flotten der mächtigsten Nationen stehen unter allen Zonen des Erdballs wider einander im unausgleichbaren Kampf; und wie ihre Waffen, bestreiten sich ihre Meinungen.«1
Ein Jahr vor Verhängung der Kontinentalsperre durch Napoleon im Jahre 1806 erschien in London eine Abhandlung mit dem Titel European Commerce. Shewing New and Secure Channels of Trade with the Continent of Europe.2 Ihr Autor Jephson J. Oddy, Mitarbeiter der Russia and Turkey or Levant Company, rief die Regierung dazu auf, nicht aufgrund erfahrungsferner Wirtschaftstheorie die tatsächliche Bedeutung des Außenhandels zu unterschätzen und verwies auf die gegenseitigen Vorteile des Handelsverkehrs zwischen Großbritannien und Nordeuropa. Angesichts der politischen Lage in Europa unterstrich er gleichwohl die Risiken einer internationalen wirtschaftlichen Abhängigkeit: »External causes«, auf die Großbritannien keinen Einfluss habe, könnten auch die noch bestehenden Handelskanäle abschneiden. Es sei daher notwendig, nach Wegen zu suchen, die Auswirkungen auswärtiger Politik auf die eigene Wirtschaft zu minimieren.3 Die Mittel dafür sah er in der Förderung der britischen Inlandsressourcen und damit in der wirtschaftlichen Isolation. Aufgrund dieser Schlussfolgerung wurde die Schrift von Oddy in der britischen Presse kritisch aufgenommen und als unwissenschaftlich abgetan.4 Auf dem europäischen Kontinent trafen seine Argumente dagegen auf Zustimmung und flossen in eine kritische Evaluation der Blockadepolitik ein. Der Hamburger Naturforscher und Ökonom Johann Reimarus nahm auf den britischen Autor Bezug, um zu unterstreichen, welche Gefahr dem Kontinent drohe, sollte sich Großbritannien tatsächlich vom Außenhandel unabhängig machen. Die Handelssperre bewirke auf dem Festland überall »Elend« und »Bedrängnis«, die besonders »brave betriebsame Bürger« treffe. Der Schaden, der gegen den Feind 1 Zschokke, Heinrich, In: Miszellen für die Neueste Weltkunde 5.1 (1811), 1–2 [Herv. im Orig.]. 2 Oddy, J. Jephson: European Commerce. Shewing New and Secure Channels of Trade with the Continent of Europe, London: Richardson 1805. 3 Ebd., 613. 4 Vgl. Napier, Macvey : Oddy’s European Commerce, In: Edinburgh Review (Apr. 1806), Art. IX, 128–137. Vgl. auch die Einordung des Werkes durch den Mitarbeiter der Edinburgh Review John McCulloch in den 1840er Jahren: McCulloch, John Ramsay : The Literature of Political Economy. A Classified Catalogue of Select Publications, London: Longman [u. a.] 1845, 56.
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Einleitung
gedacht war, falle auf den Kontinent selber zurück, während England in Zukunft den Austausch mit den europäischen Staaten entbehren könne.5 Dabei nütze internationaler Handel letztlich allen an ihm beteiligten Ländern nicht nur volkswirtschaftlich, sondern auch kulturell: »Sollte dieses [sic!] Verkehr unter den Völkern aufgehoben werden, so ist leicht vorauszusehen, daß sie, wenn auch jedes in seinem eigenen Lande sich Sättigung verschaffen könnte, alle Verfeinerung verlieren und in den ehemaligen Zustand der Barbarey zurücksinken würden.«6 Dieser kurze publizistische Dialog macht den dynamischen Kommunikationsprozess der europäischen Presse deutlich und steckt exemplarisch ein Diskursspektrum ab, das sich in der Konfrontation mit den Konsequenzen der britisch-französischen Handelsrivalität im frühen 19. Jahrhundert um Wirkung, Chancen und Grenzen von Welthandel in der Öffentlichkeit abzeichnete. Die Kontinentalsperre weckte bei ihren Zeitgenossen die Aufmerksamkeit für globale Wirtschaftszusammenhänge: War internationaler Handel bedrohlich für die Volkswirtschaft? Wirkten kaufmännische Ambitionen und ökonomische Konkurrenz kriegstreibend? Oder war Handel im Gegenteil wohlstandsfördernd? Begünstigte der internationale Warenaustausch ein friedliches Zusammenleben der Völker? Förderte Handel zivilisatorischen Fortschritt und globale Angleichung? Und, wenn ja, unter welchen Bedingungen? Europäer reflektierten im frühen 19. Jahrhundert freilich nicht zum ersten Mal über Theorien globalen Handels, doch die Auseinandersetzung mit ökonomischen Vernetzungsprozessen erfuhr vor dem Hintergrund einschneidender wirtschaftspolitischer Maßnahmen in der Zeit der Kontinentalsperre eine quantitative wie qualitative Neuerung. Wie im Eingangszitat ausgedrückt, involvierten politische Konfrontationen zunehmend mehr Länder und selbst mehrere Kontinente und wurden auch als Meinungskämpfe in der Öffentlichkeit von einem wachsenden Publikum ausgefochten. Die veränderte politisch-ökonomische Erfahrungswelt bewirkte im Zusammenspiel mit neuen medialen Strukturen eine Erweiterung der Öffentlichkeit und eine Veränderung in der theoretischen Bewertung sozio-ökonomischer Prozesse. Die Kontinentalsperre fungierte gewissermaßen als Brennglas und Treibriemen für die Diskussion und Erkenntnis ökonomischer Sachverhalte. Die Zeit der Wirtschaftsblockade des napoleonischen Europas gegen Großbritannien stellt eine faszinierende Konfrontation alter Theoriegerüste mit neuen Erfahrungen dar. Die öffentlichen 5 Vgl. Reimarus, Johann Albert Heinrich: Der Kaufmann, Hamburg: Friedrich Perthes 1808, 14. Reimarus war Beiträger der norddeutschen Zeitschrift Minerva, die dieser Arbeit als eine der Hauptquellen zugrundeliegt. In seiner Schrift Der Kaufmann erwähnte er namentlich Jephson Oddy und William Spence, dessen Streitschrift von 1807 im Kapitel III.1 dieser Arbeit genauer behandelt wird. 6 Ebd., 13–14.
Historischer Hintergrund
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Debatten zu Fragen des Welthandels konstituierten sich in der Auseinandersetzung mit einer radikalen wirtschaftspolitischen Praxis und radikalisierten sich angesichts dieser ihrerseits in extremen Positionen von Protektionismus bis Freihandel.7 Diese Debatten um globale Märkte und Funktionsweisen des Welthandels können somit verstanden werden als Reaktion auf eine veränderte und sich weiter wandelnde Welt. Die vorangeschrittene ökonomische Vernetzung dieser Welt wurde für die Zeitgenossen in den Auswirkungen der Blockademaßnahmen zwischen den beiden führenden europäischen Wirtschaftsnationen erstmals wirklich erfahr- und reflektierbar. Die Zeit von 1806 bis ca. 1813 bot eine historische Gemengelage, in der das Aufeinandertreffen von überkommenen ökonomischen Strukturen und wirtschaftspolitischen Strategien mit neuartigen Entwicklungen im Welthandel und ihrer theoretischen Reflexion die Folie für ein Nachdenken über globale Prozesse abgab.
1.
Historischer Hintergrund
Die im Laufe der Frühen Neuzeit und verstärkt seit dem 18. Jahrhundert sich intensivierenden Welthandelsbeziehungen schufen allmählich eine Form globaler Ökonomie, die den beiden führenden Wirtschaftsmächten Europas, Großbritannien und Frankreich, zum Spielfeld machtpolitischer Aspirationen wurde. Das militärisch-ökonomische Raumgreifen dieser Staaten bezog sich auf die Kontrolle und Dienstbarmachung anderer Länder und Regionen in und außerhalb von Europa zugunsten der eigenen nationalen Wirtschaft und führte zu einer imperialistischen Konkurrenz zwischen beiden um den alleinigen Weltmachtstatus.8 Diese Mächtekonkurrenz spann sich um den Einfluss etwa in 7 In den zeitgenössischen Quellen wird von Isolation, Abschottung und Handelssperre gesprochen. Die Politik in Europa unter Napoleon und später in den Vereinigten Staaten von Amerika sind mit dem Terminus Isolationismus treffend beschrieben, da sich die Unterbindung von Austausch nicht auf das Erheben von hohen Zöllen auf oder das Verbot bestimmter Importwaren beschränkte, sondern darüber hinaus den Handel und teilweise auch die Einreise oder sogar Präsenz von Bürgern des verfeindeten Landes im Inland unter Strafe stellte. Für die wirtschaftspolitischen Maßnahmen während der gesamten Phase der Kontinentalsperre und für alle beteiligten Mächte trifft dagegen eher der Begriff des Protektionismus zu, da in der Regel die Ausfuhr eigener Waren geduldet oder sogar gefördert, Importe jedoch im großem Umfang gesetzlich bekämpft wurden. In der theoretischen Debatte zu Beginn der Kontinentalsperre wurden auch extremere Formen des Protektionismus, das heißt weitergehende isolationistische Vorstellungen, die über wirtschaftliche Schutzmaßnahmen weit hinausgingen, verhandelt. Freihandel wurde von den Zeitgenossen als u. a. libre-8change, als freier (See-) Handel und freie Märkte begrifflich gefasst. 8 Angesichts der verbreitet ideologischen Verwendung des Begriffs Imperialismus seit dem 19. Jahrhundert scheint es geboten, seine Anwendung in diesem Zusammenhang kurz zu erläutern. Wolfgang Mommsen folgend, soll Imperialismus hier verstanden werden als »die
18
Einleitung
kontinentaleuropäischen Gebieten wie Portugal, auf Inseln wie Malta oder Helgoland, in asiatischen Territorien in Indien, in karibischen Inselstaaten, auf Handelsstützpunkte in Südamerika und kommerzielle Verbindungen nach Nordamerika oder Fernost. Neben der militärischen Konfrontation rückte dabei die wirtschaftliche Zurückdrängung und Schwächung des Kriegsgegners in den Fokus. Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts verhängten Großbritannien auf der einen und Frankreich auf der anderen Seite gegenseitig zahlreiche Einfuhrverbote auf die jeweils fremden Waren. Diese Politik gipfelte schließlich 1806/07 in den Dekreten von Berlin und Mailand, mit denen der französische Kaiser eine knappe Dekade absoluter Handelsverbote mit Großbritannien sowie dessen Handelspartnern einleitete. Etablierte Netzwerke wirtschaftlicher Verbindungen wurden gekappt und die Ein- und Ausfuhr des Kontinents ging drastisch zurück. Frankreich hatte mit dem Ende des Siebenjährigen Krieges praktisch alle seine überseeischen Territorien eingebüßt und geriet spätestens seit den 1780er Jahren wirtschaftlich gegenüber England ins Hintertreffen. Die Französische Revolution schließlich verstärkte die negative Wirtschaftsentwicklung statt sie umzukehren. Kolonialwaren gelangten zu einem Großteil als britische Reexporte auf den Kontinent. Vor dem Hintergrund dieser wirtschaftspolitischen Lage wurde die Kontinentalsperre gegen die Einfuhr der Kolonialwaren über Großbritannien gewaltsame Ausdehnung staatlicher Herrschaft über in der Regel unterentwickelte Territorien, unter Mißachtung des Willens der Beherrschten, mit dem Ziel der Errichtung eines, meist mit einer Rangerhöhung im Kreise der anderen Mächte verbundenen Kolonialreiches. Ideales Ziel ist dabei in der Regel die Erringung des Weltmachtstatus für den eigenen Staatsverband.«; vgl. Mommsen, Wolfgang J.: Imperialismustheorien. Ein Überblick über die neuen Imperialismusinterpretationen, Göttingen 1977, 8. Diese allgemein gehaltene Definition ermöglicht es, die Machtmechanismen im Umfeld der britisch-französischen Ausdehnungsbestrebungen um 1800 begrifflich zu fassen, ohne das »Zeitalter des Imperialismus« auf seine Hochphase ab 1870 einzuschränken, wie dies vielen historischen Studien zum Thema eignet; vgl. etwa Schöllgen, Gregor : Das Zeitalter des Imperialismus, München 1994. Ob eine solche Anwendung gerechtfertigt scheint, hängt von dem jeweiligen wissenschaftlichen Ansatz und dem Untersuchungsinteresse ab. So zählt Herfried Münkler das napoleonische Empire nicht unter die Imperien und begründet dies mit der mangelnden Dauer und der fehlenden Regenerationsfähigkeit über die Phase der Gründungs- und Aufstiegsdynamik hinaus, wodurch dieses nicht von der Entstehungsphase in eine Konsolidierungsphase eingetreten sei. Zeitliche und räumliche Ausdehnung sind für Münkler Kriterien für die Definition eines Imperiums; vgl. Münkler, Herfried: Imperien. Die Logik der Weltherrschaft – Vom Alten Rom bis zu den Vereinigten Staaten, Berlin 2005, 22 u. 80–82. Dennoch ließe sich selbst mit diesem Ansatz das Streben sowohl Frankreichs als auch Großbritanniens im frühen 19. Jahrhundert als imperialistisch bezeichnen, kann doch bis heute die klassische Definition desselben durch Heinrich Friedjung gelten: »Unter Imperialismus versteht man den Drang der Völker und Machthaber nach einem wachsenden Anteil an der Weltherrschaft.«; vgl. Friedjung, Heinrich: Das Zeitalter des Imperialismus 1884–1914, Bd. 1, Berlin 1919, 5. Zu einer jüngeren Einordnung der Historiographie zu Imperien und Imperialismus vgl. Osterhammel, Jürgen: Imperien im 20. Jahrhundert. Eine Einführung, In: Zeithistorische Forschungen/ Studies in Contemporary History, 3.1 (2006), 4–13.
Gegenstand der Untersuchung
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und dessen preisgünstigen Manufakturwaren, die dem heimischen Gewerbe Konkurrenz machten, verhängt.
2.
Gegenstand der Untersuchung
Auf den ersten Blick scheinen historische Konzepte von Globalisierung und das Ereignis der Kontinentalsperre demnach nicht recht zusammenzupassen, liefen die napoleonische Handelsblockade und die dahinterstehende Wirtschaftspolitik doch konträr zu ökonomischen Verflechtungsprozessen. Die Kontinentalsperre und die sich darum spannende, etwa acht Jahre währende Konstellation von Blockadegesetzen, Küstenkontrollen, Warenvernichtungsbefehlen, Lizenzvergaben und Schmuggelpraxis gab gleichwohl Anlass zu ausgedehnten öffentlichen Debatten um Fragen der Funktionsweisen und Wirkungen des Welthandels. Publizisten in ganz Europa setzten sich anlässlich der Blockade mit dem globalen Zusammenleben und der Regulierung bzw. Deregulierung des weltweiten Wirtschaftsverkehrs auseinander. Die intellektuelle Verarbeitung dieser Vorgänge kann als ideengeschichtliche Seite der Globalisierung verstanden werden. Die mediale Spiegelung eines derart einschneidenden historischen Ereignisses legt Wahrnehmungsstrukturen und Reflexionsprozesse frei, die sich in einen größeren ideengeschichtlichen Wandel einordnen und diesen in seinem Rückbezug auf wirtschafts-, politik- und sozialgeschichtliche Vorgänge erkennbar werden lassen. Die diskursive Verarbeitung von Weltereignissen zeugt von Erkenntnisprozessen, die als vergesellschaftetes öffentliches Bewusstsein entlang ökonomischer Theorien eine weitergehende Globalisierung greifbar machen. Aus ökonomischer Perspektive kann Globalisierung als wirtschaftliche Integration der einzelnen Erdteile und als Zunahme der weltweiten Marktverflechtung begriffen werden. Seit dem letzten Drittel des 20. Jahrhunderts wird die Welt in vielen zeitgenössischen Publikationen und Stellungnahmen als zunehmend vernetzt wahrgenommen. Ökonomen sprechen von »Marktintegration«, Soziologen vom »Weltsystem«, Politologen von »Global Governance«, Kultur- und Medienwissenschaftler von »globaler Kommunikation und Erfahrung« und für all die dahinterstehenden Prozesse hat sich der Terminus »Globalisierung« etabliert.9 Das Bewusstsein für globale Zusammenhänge und Abhängigkeiten ist dabei genuiner Bestandteil dieser Prozesse selbst und mag als 9 Vgl. Fiss, Peer C.; Hirsch, Paul M.: The Discourse of Globalization. Framing and Sensemaking of an Emerging Concept, In: American Sociological Review 70 (2005), 29–52 sowie Bach, Olaf: Die Erfindung der Globalisierung. Entstehung und Wandel eines zeitgeschichtlichen Grundbegriffs, Frankfurt a. M. 2013.
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Einleitung
Kriterium für einen Epochenumbruch gelten. In der vielstimmigen Gleichzeitigkeit einer journalistischen und wissenschaftlichen Diskussion treten euphorische und pragmatische Befürworter neben die vorsichtige Skepsis gegenüber der konkreten Entwicklung oder die grundsätzliche Ablehnung radikaler Kritiker. Es ist ein Ringen um die Gestaltung und Gestaltbarkeit der Zukunft, eine Selbstvergewisserung der Weltgemeinschaft einerseits wie auch lokaler Einheiten anderseits. Es zeigt sich eine Neujustierung der Werteortung in Reaktion auf eine veränderte und sich weiter wandelnde Wirklichkeit. Die Wahrnehmung dieser Prozesse wird begleitet von dem Versuch, diese zu steuern, sie zu bekämpfen, ihnen einen politischen Rahmen zu geben oder sie voranzutreiben. Wirtschaftspolitisch reichen die Reaktionen auf und die Beeinflussung von Globalisierungsprozessen von der Förderung handelshemmender Maßnahmen bis zur Verabschiedung von Freihandelsgesetzen. In den vergangenen Jahren ist die Debatte um das Wohl und die Wirkung von freiem Handel zur Produktionssteigerung auf der einen und Protektionismus zum Schutz nationaler Wirtschaftszweige auf der anderen Seite erneut entbrannt und wird von Politikern, einzelnen Interessengruppen und Medien teilweise hitzig ausgetragen. In Nachrichtensendungen wird wieder ein »Handelskrieg« zwischen der Europäischen Union oder China und den Vereinigten Staaten von Amerika heraufbeschworen und Amtsträger der EU drohen mit der Verhängung von »Strafzöllen«. Dabei zeigt sich die tatsächliche Politik nur selten im Gleichklang mit dem Bekenntnis eines Landes zu einer wirtschaftstheoretischen Schule. Auch heute werden in Ländern, die Freihandel als wirtschaftliche Leitlinie vertreten, wider internationale Abkommen eine merkantilistische Wirtschaftspolitik der Drosselung von Importen und der Förderung von Exporten betrieben oder Schutzzölle auf einige Waren aus bestimmten Weltregionen verhängt.10 Beim Blick in die Geschichte zeigt sich, dass dieses Auseinanderklaffen von Theorie und Praxis kein neues Phänomen ist. Diskussionen darum, ob wirtschaftliche Abschottung oder im Gegenteil der freie Warenverkehr mit dem Ausland den nationalen Wohlstand stärker fördert, verliefen in den meisten Fällen unabhängig von der wirtschaftspolitischen Linie eines Landes. So sind liberale Demokratien keineswegs zwangsläufig einer liberalen Wirtschaftspolitik verpflichtet.11 Daher stellt sich die Frage, wodurch diese Debatten zum je10 Dies gilt derzeit besonders für Deutschland, das sein Wirtschaftswachstum dem Export schuldet und damit die Verschuldung anderer, insbesondere der europäischen Länder in Kauf nimmt. Schutzzölle werden aktuell etwa von der Europäischen Union gegen bestimmte Waren aus China verhängt und auch die Vereinigten Staaten von Amerika unter Präsident Donald Trump setzen auf protektionistische Maßnahmen. 11 Kevin O’Rouke und Alan M. Taylor haben vor einiger Zeit den Versuch unternommen, protektionistische Maßnahmen im 19. Jahrhundert auf das politische Kalkül einzelner Interessenvertreter im Rahmen demokratischer Wahlen zurückzuführen, um zu erklären,
Gegenstand der Untersuchung
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weiligen historischen Zeitpunkt ausgelöst wurden und aus welchen Erfahrungen und politischen Kalkülen die unterschiedlichen ökonomischen Theorien sich speisten. Zur Beantwortung dieser Frage bedarf es der Rekonstruktion des politischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Kontextes der Zeit, um die Theorien als Reaktion auf wirtschaftliche Konstellationen, politische Konfliktlinien und rechtliche Rahmenbedingungen bzw. als ihr Auslöser und auf diese Weise Theorie und Wirklichkeit in ihrer gegenseitigen Bezogenheit kenntlich zu machen. Von Freihandel kann in der behandelten Epoche lediglich als wirtschaftstheoretische Forderung und nicht als praktizierte Wirtschaftspolitik gesprochen werden. Praktisch alle europäischen Staaten führten bis ins 19. Jahrhundert protektionistische oder dirigistische Handelsgesetzgebungen ein. Das Wirtschaftswachstum in dieser Region ist während der Frühen Neuzeit auf diesen obrigkeitlichen Gestaltungswillen des Marktgeschehens und keineswegs auf Freihandelsgesetzgebung zurückzuführen.12 Freihandel beschränkte sich auf gesetzlich festgelegte oder aufgrund mangelnder Durchsetzungsmöglichkeiten bestehende Räume fehlender Regulierung bzw. auf einige wenige bilaterale Experimente verhältnismäßig niedriger Außenhandelszölle. Mit dem ausgehenden 18. Jahrhundert nahmen staatliche Regulierungen von Markthandeln zudem deutlich zu.13 So stimmt wohl die Feststellung, dass »kaum ein Markt […] jemals so ›frei‹ gewesen [ist] wie der physiokratische Diskurs und die modernen Lehrbücher oft postuliert haben«14. Und dennoch werden und wurden eben auch vor zweihundert Jahren, als Freihandel allenfalls im lokalen Rahmen wirksam werden konnte, die positiven Effekte von freiem Warenaustausch behauptet und diskutiert. Vor diesem Hintergrund lohnt es, die historischen Debatten über globale Wirtschaftszusammenhänge in früheren Jahrhunderten zu untersuchen, um so die Ideengeschichte sich globalisierender Ökonomien fassbar zu machen. Das frühe 19. Jahrhundert ist insofern eine wichtige Zeit des Nachdenkens über die Welt als Ganzes, als dass vor dem Hintergrund der sich verschärfenden Konwarum freiheitlich-demokratische Regime nicht unbedingt Freihandelspolitik betreiben. Ungeachtet ihrer uneingeschränkten Affirmation des freien Handels als Wohlstandsmotor durch die ausschließliche Konzentration auf die Werte des Bruttoinlandsprodukts, ist die Feststellung der Abhängigkeit wirtschaftlicher Maßnahmen von politischen Willens(bildungs)prozessen eine zentrale Erkenntnis; vgl. O’Rouke, Kevin; Taylor, Alan M.: Democracy and Protectionism, In: Timothy H. Hatton; dies. (Hg.): The New Comparative Economic History, Cambridge (Mass.) 2007, 193–216. 12 Vgl. Rössner, Philipp Robinson: Freie Märkte? Zur Konzeption von Konnektivität, Wettbewerb und Markt im vorklassischen Wirtschaftsdenken und die Lektion aus der Geschichte, In: Historische Zeitschrift 303 (2016), 349–392, hier 368. 13 Vgl. Harcourt, Bernard E.: The Illusion of Free Markets. Punishment and the Myth of Natural Order, Cambridge (Mass.) 2011. 14 Vgl. Rössner : Freie Märkte? (wie Anm. 12), 384.
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Einleitung
kurrenz zwischen den beiden europäischen Großmächten Frankreich und Großbritannien und deren Anspruch, auf weite Teile der Welt politisch und ökonomisch auszugreifen, sich eine öffentliche Wahrnehmung für globale Wirtschaftszusammenhänge herausbildete und geschärft wurde. Lebensweltliches Erfahren und wissenschaftliches Begreifen sozialer Wirklichkeit verweisen aufeinander, wie Reinhart Koselleck immer wieder betonte; nie gänzlich auseinander ableitbar, begründen sie sich doch wechselseitig.15 In dieser Hinsicht stellte das historische Ereignis der Kontinentalsperre einen Kristallisationspunkt dar, an dem sich ein breiteres Publikum der wachsenden Weltvernetzung und wirtschaftlichen Abhängigkeit der Länder untereinander bewusst wurde: Napoleons Dekrete gegen die Einfuhr britischer Waren auf den europäischen Kontinent und die Gegenmaßnahmen der britischen Regierung stellten einen politischen Eingriff in einen Wirtschaftszusammenhang dar, der die Wirtschaftsvernetzung tatsächlich oder vermeintlich kappte. Sie riefen öffentliche Debatten hervor, welche bekannte Wirtschaftstheorien des 18. Jahrhunderts an die tagespolitische Situation rückbanden und die theoretische Einordnung und Bewertung von ökonomischer Vernetzung und der Rolle staatlicher Akteure in diesen Prozessen im Verlaufe des Handelskonfliktes verändern sollten. Die wirtschaftspolitischen Ereignisse und Tendenzen der beschriebenen Umbruchsphase spiegelten und beeinflussten gleichzeitig die theoretische Auseinandersetzung um Handel und Wohlstand der Staaten sowie des Staatensystems insgesamt. In dieser Arbeit soll anhand von drei Debattensträngen zur Zeit der Kontinentalsperre die Entwicklung ökonomischer Theorien, wie sie sich in dem breiteren Kommunikationszusammenhang der politisch-literarischen Presse darstellt, untersucht werden. Damit will sie erstens einen Beitrag leisten zum Verständnis der ökonomischen Ideengeschichte allgemein und damit auch zur Ideengeschichte der Globalisierung. Es werden die Hauptdebattenstränge zum Welthandel, wie sie während der Jahre zwischen 1806 und 1813 in der Zeitschriftenliteratur geführt wurden, herausgearbeitet. Das Ereignis der Kontinentalsperre wird, wenn man so will, als Kreuzungspunkt verstanden, an dem sich die über einen längeren Zeitraum vonstattengehenden Entwicklungen in der Wirtschaftsgeschichte einerseits und in der Ideengeschichte andererseits in ihrer gegenseitigen Bezogenheit veranschaulichen lassen. Ermöglicht wird dieser Brückenschlag durch die Erweiterung der ideengeschichtlichen Grundlage auf Pressequellen, welche die ereignisgeschichtliche Entwicklung ebenso abdecken wie deren diskursiv-theoretische Einbettung. In dieser Hinsicht ist die Studie zweitens auch ein Beitrag zur Pressegeschichte, indem sie die Interna15 Vgl. Koselleck, Reinhart: Begriffsgeschichten. Studien zur Semantik und Pragmatik der politischen und sozialen Sprache, Frankfurt a. M. 2006, 58–70.
Stand der Forschung
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tionalität der europäischen Presse, ihre zunehmende globale Ausrichtung aufzeigt und sie damit als informationellen Vektor erkenntlich werden lässt, der immer schon Mittel und Charakteristikum von Globalisierung war.16 Und schließlich trägt die Untersuchung zur Erforschung der Aufklärung bei, die hier nicht verstanden wird als abgeschlossene Epoche des 18. Jahrhunderts, sondern im Sinne eines Emanzipationsprozesses im Rahmen des europäischen Kommunikationsraumes, der gerade im frühen 19. Jahrhundert ein immer größeres lesefähiges und damit gegenüber gegebenen Verhältnissen potentiell kritisches Publikum erfasste.17 Dies heißt nicht, dass alle hier behandelten Presseorgane oder ihre Herausgeber und Redakteure als klassische Träger und Protagonisten der Aufklärungsbewegung verstanden werden können, noch dass sie selbst sich im Einzelnen als solche verstanden. Doch die Debattenkultur, die sich in der Untersuchung zeigt, geht auf Entwicklungen der Aufklärung zurück. Die Zeitschriften erschufen einen eigenen Kommunikationszusammenhang, der sich der politischen Macht entgegenstellen konnte und dieses Potential auch trotz zensurpolitischer Einschränkungen zu nutzen wusste. Sie ermächtigten ihre Leserschaft dazu, sich eine eigene Meinung über Kriegsmotive, Wirtschaftszusammenhänge und »die Welt« als globalen Interaktionsraum zu bilden und wirkten in diesem Sinne emanzipatorisch.
3.
Stand der Forschung
Diese Arbeit setzt sich daher erstens mit der Historiographie zur Wirtschaftstheorie und zwar im Spezielleren der Ideengeschichte eines sich globalisierenden Handels auseinander. Es gibt eine schier unüberschaubare Zahl an Studien zu (historischen) Wirtschaftstheorien, deren vereinendes Merkmal allerdings bis heute ist, dass sie sich meist in eine Tradition der Erläuterungen eines oder einer Reihe von zentralen Denkern der ökonomischen Theorie stellen. Entwicklungen in der Wirtschaftstheorie der Frühen Neuzeit und am Übergang zur Moderne werden nach wie vor meist als Verhandlungen zwischen einzelnen Theoretikern und gleichsam als Reflexionen im ahistorischen Raum betrachtet, deren geistige Auseinandersetzung mit ökonomischen Fragen sie letztendlich zur zwingenden Einsicht in die wohlstandsfördernden Strukturen des freien Marktes führten, deren Evidenz sich im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts – je nach Auffassung des Autors – zum Guten oder Schlechten der Menschheit er16 Siehe zur Einordnung des Untersuchungsansatzes in die Pressegeschichte Teil II dieser Arbeit. 17 Vgl. Vierhaus, Rudolf: Aufklärung als Prozeß – der Prozeß der Aufklärung, und Bödeker, Hans Erich: Aufklärung als Kommunikationsprozeß, beide in: Rudolf Vierhaus (Hg.): Aufklärung als Prozeß, Hamburg 1988, 3–7 u. 89–111.
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wies. Die ersten fünfzehn Jahre des 19. Jahrhunderts sind in der Ideengeschichte der Wirtschaft dabei praktisch inexistent. Falls sich eine Studie mit einem der zum Kanon der Wirtschaftstheoretiker dieser Zeit gehörenden Autoren wie David Ricardo, Jean-Baptiste Say oder Robert Malthus befasst, fallen zwar auch deren frühe Publikationen in den Blick, doch aus den Studien zu Entwicklungslinien des ökonomischen Denkens wird die Zeit um 1800 meist schlicht ausgeklammert.18 Dabei wird unterschlagen, dass die (Frei-) Handelstheorie, wie sie im 18. Jahrhundert von einzelnen Schriftstellern vertreten wurde, sich in einer Zeit entwickelte und an Glaubwürdigkeit gewann, als von freien Märkten nirgendwo auf dem Globus die Rede sein und sich die Theorie damit in keiner Praxisprüfung bewähren konnte.19 Und doch gingen ab 1815 Theoretiker wie Benjamin Constant und David Ricardo in ihrer liberalen Wirtschaftsauffassung viel weiter als noch Adam Smith oder Condorcet. Um diesen Bruch verstehen und erklären zu können, muss der Blick sich also über die klassischen Schriften einzelner Theoretiker hinaus erweitern, um so die ideengeschichtliche Entwicklung ökonomischer Theorien in ihren breiteren diskursgeschichtlichen Zusammenhang einzubetten. In den letzten Jahren ist für das 18. Jahrhundert ein Zweig der Ideengeschichte der Ökonomie entstanden, der Wirtschaftstheorien vermehrt in ihrem historischen Kontext verortet und teilweise auch eine breitere Quellenbasis zugrundelegt.20 Für das frühe 19. Jahrhundert fehlt ein solcher Ansatz bislang, wenngleich aktuelle politik- und pressegeschichtliche Studien inzwischen einzelne, heute weitgehend vergessene Autoren dieser Zeit und ihr ökonomisches Denken in Erinnerung gerufen haben.21 Dabei wird deutlich, dass die ökonomischen Prozesse und ihre globale Reichweite in der Presseöffentlichkeit aufmerksam verfolgt und intensiv diskutiert wurden. Diese Wahrnehmungen globaler ökonomischer Prozesse hat in der globalbzw. globalisierungshistorischen Forschung, die in den letzten Jahren zur Blüte geriet, bislang noch erstaunlich wenig Aufmerksamkeit erfahren. Doch gibt es einige Ansätze, von denen die vorliegende Arbeit mitangestoßen wurde. Dieser 18 Dies trifft sowohl auf Studien zu, die den Fokus auf einzelne Autoren legen wie in: Schreiber, Sebastian: Freihandel und Gerechtigkeit. Eine Theoriegeschichte des Verhältnisses von Tausch, Verteilung und Gerechtigkeit vor dem Hintergrund der Nord-Süd-Beziehungen, Frankfurt a. M., Berlin [u. a.] 1997 als auch, wenn sie nach bestimmten ökonomischen »Schulen« strukturiert sind wie etwa in: Stavenhagen, Gerhard: Geschichte der Wirtschaftstheorie, Göttingen 1969. 19 Vgl. Anm. 12 und 13. 20 Beispiel für die Heranziehung neuer Quellengattungen ist die Studie von Paul Cheney : Revolutionary Commerce. Globalization and the French Monarchy, Cambridge (Mass.) 2010. 21 Cahen, Rapha[l: Friedrich Gentz 1764–1832. Penseur post-LumiHres et acteur du renouveau de l’ordre europ8en au temps des r8volutions (Diss. Aix-Marseille Universit8s/ LMU München 2014); D’Aprile, Iwan-Michelangelo: Die Erfindung der Zeitgeschichte. Geschichtsschreibung und Journalismus zwischen Aufklärung und Vormärz, Berlin 2013.
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Zugang zur Globalisierungsgeschichte ist vorwiegend in der anglo-amerikanischen Forschung inzwischen in einzelnen Studien erfolgreich beschritten worden. Dort wird die Bedeutung einer ideengeschichtlichen Herangehensweise betont: Die Globalisierungsgeschichte erzähle nicht nur eine Geschichte von ökonomischen Abhängigkeiten und Wechselwirkungen, sondern auch davon, dass die Welt zunehmend als vernetzt und »schrumpfend« wahrgenommen wurde.22 Bemerkenswerterweise gehen diese Anregungen oftmals nicht von der Fachhistorie, sondern von der historischen Literatur-, Politik- sowie teilweise der Wirtschaftswissenschaft aus. Bemerkenswert ist diese Tatsache deshalb, weil sich die Geschichtswissenschaft bereits seit den 1970er Jahren – in der Begriffsgeschichte einerseits und der Kulturgeschichte andererseits – verstärkt Fragen der Wahrnehmung zugewandt hat.23 Auch David Armitage macht die Anfänge der Globalisierung an einem Globalbewusstsein fest, welches er auf das Ende des 18. Jahrhunderts datiert. Doch sind ihm zufolge die ideologischen Grundlagen eines globalen Empires vor diesem und damit vor 1815 nicht zu denken.24 Zu den globalen Aspekten ökonomischer Theorien ist insgesamt bisher wenig gearbeitet worden. Ausnahmen stellen Beiträge dar, die sich mit der Ideengeschichte internationaler Beziehungen befassen.25 22 Vgl. Bell, Duncan S. A.: Dissolving Distance. Technology, Space, and Empire in British Political Thought 1770–1900, In: Journal of Modern History 77, Sept. (2005), 523–562, hier 524. 23 So liegen für die Frühe Neuzeit und das Zeitalter der Aufklärung im Besonderen zahlreiche Studien zum Kulturtransfer und zur Wahrnehmung »fremder« oder schlicht »anderer« Kulturen vor. Angeregt durch literaturwissenschaftliche Forschung oder mit einem Fokus auf literarische Quellen ist das Interesse für außereuropäische Themen und andere Weltteile – sei es im entstehenden Genre des Romans, sei es in der Weltgeschichtsschreibung, den kulturvergleichenden Studien oder der Geographie und Naturgeschichte – im Europa des 18. Jahrhunderts seit längerem gut erforscht. Sehr umfangreich ist inzwischen die Literatur zu Kulturkontakten, Reise- und Entdeckungsforschung, die allesamt dazu beigetragen haben, die europäische Frühe Neuzeit besser zu verstehen, indem dieser Kontinent in seinen Kontext, in seine Umwelt eingeordnet wurde. Stellvertretend für die Fülle an interessanten Einzelstudien und Sammelbänden sollen an dieser Stelle nur einige Titel genannt werden: Bandau, Anja u. a. (Hg.): Les mondes coloniaux / Paris au XVIIIe siHcle. Circulation et enchevÞtrement des savoirs, Paris 2010; Burke, Peter : America and the Rewriting of World History, In: Karen Ordahl Kupperman (Hg.): America in European consciousness 1493– 1750, Chapel Hill [u. a.] 1995, 33–51; Lüsebrink, Hans-Jürgen (Hg.): Das Europa der Aufklärung und die außereuropäische koloniale Welt, Göttingen 2006. 24 Vgl. Armitage, David: Is There a Pre-history of Globalization?, In: Deborah Cohen; Maura O’Connor (Hg.): Comparison and history, New York 2004, 165–176, hier 168. Vgl. auch Armitage, David: The Ideological Origins of the British Empire, Cambridge 2000. 25 Vgl. Asbach, Olaf (Hg.): Der moderne Staat und »le doux commerce«. Politik, Ökonomie und internationale Beziehungen im politischen Denken der Aufklärung, Baden-Baden 2014. Auch Emma Rothschild sieht die Zeit zwischen 1770 und 1820 als eine Hochphase des wirtschaftstheoretischen Nachdenkens über globale Prozesse. Durch die Wahl ihrer Quellentexte fokussiert sie sich allerdings vorwiegend auf die vorrevolutionäre Zeit und besonders auf die 1770er Jahre; vgl. Rothschild, Emma: Globalization and the Return of History,
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Einleitung
Eine zweite Säule der Ideengeschichte der Globalisierung ist die Forschung zur zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und hier besonders Untersuchungen zum Britischen Empire. Der Frage der Bedeutung von Globalisierungsprozessen für das politische Denken der Moderne geht etwa Duncan Bell nach.26 Das volle Durchschlagen des globalen Anspruches, so Bell, trete erst nach der weltweiten Vernetzung durch Telegraph und Dampfschifffahrt ein. Der Periode bis in die 1820er Jahre dagegen attestiert er eine relative Stille im Hinblick auf globale Fragen.27 Die ideelle Verarbeitung und öffentliche Vorstellung globaler Wirtschaftszusammenhänge steht auch im Zentrum der Untersuchung Paul Youngs zur Londoner Weltausstellung von 1851 als Medienereignis. Mit einem Fokus auf kapitalistischer Freihandelstheorie gelingt es Young, die printmediale Kommentierung globaler Interdependenz in und um den Cristal Palace nachzuzeichnen. Die Darstellung der ›Welt in Miniatur‹ und ihre kolonialen wie kapitalistischen Implikationen setzt er überzeugend in den Kontext der Ideengeschichte der Wirtschaft, deren Faszination ebenso hervortritt wie die kritische Auseinandersetzung der Zeitgenossen mit der Vernetzung der Warenwelt um die Mitte des 19. Jahrhunderts.28 Es fällt erstens ins Auge, dass sich Studien zur Ideengeschichte sich globalisierender Märkte entweder der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zuwenden oder erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts ansetzen. Die ersten Jahre des In: Foreign Policy 115, Summer (1999), 106–116; Rothschild, Emma: Global Commerce and the Question of Sovereignty in Eighteenth-Century Provinces, In: Modern Intellectual History 1.1 (2004), 3–25; Rothschild, Emma: The Atlantic Worlds of David Hume, In: Bernard Bailyn (Hg.): Soundings in Atlantic History. Latent Structures and Intellectual Currents 1500–1830, Cambridge 2009, 405–448. 26 Duncan Bell setzt sich mit der Theorie des Britischen Empire auseinander, indem er darin die »cultural and cognitive preconditions for the conception of a global polity« sieht. Das Nachdenken über die Möglichkeiten eines globalen Empires, dessen Theorie stets an seine tatsächliche technische Realisierbarkeit rückgebunden wird, führt seine Untersuchung hin zur »history of global consciousness.« Erste Manifestierungen eines derartigen Globalbewusstseins verortet Bell in der Zeit nach dem Siebenjährigen Krieg: »The eighteenth century witnessed the birth pangs of globalization, at least in the sense that it was recognized […] that many of the communities of the world were becoming increasingly interdependent, […] and that the whole planet was becoming a single space for economic exchange and political action.«; vgl. Bell: Dissolving Distance (wie Anm. 22), 525–526. Die ideengeschichtlichen Auswirkungen einer derartigen technischen Vernetzung und die Phantasien der Zeitgenossen, die sich an diese knüpften, ist kürzlich in dem Buch Network Nation von Richard R. John detailliert für die Vereinigten Staaten von Amerika untersucht worden; vgl. John, Richard R.: Network Nation. Inventing American Telecommunications, Cambridge (Mass.) 2010. 27 Bell: Dissolving Distance (wie Anm. 22), besonders 540, 543 u. 550. In dieselbe Richtung geht die Studie von Kevin H. O’Rourke und Jeffrey G. Williamson: Globalization and History. The Evolution of a Nineteenth-Century Atlantic Economy, Cambridge (Mass.)/ London 2000. 28 Vgl. Young, Paul: Globalization and the Great Exhibition. The Victorian New World Order, Basingstoke 2009.
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19. Jahrhunderts sind von der Forschung bisher außer Acht gelassen worden oder werden für eine Phase des Schweigens zu globaler Vernetzung gehalten. Diese Vorstellung bedarf jedoch einer Revidierung, denn mit der Jahrhundertwende ebbte das Nachdenken über globale ökonomische Strukturen und Zusammenhänge keineswegs ab. Die Annahme einer Latenzphase in der Entwicklung der Ideengeschichte der Globalisierung während der ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts mag dazu geführt haben, dass diese bisher nicht eingehend untersucht wurde, obwohl die Zeit von führenden Globalhistorikern besonders hervorgehoben und von der Begriffsgeschichte seit Langem mit dem epochenscheidenden Etikett der Sattelzeit belegt worden ist.29 Zweitens werden Pressequellen als einer breiteren Öffentlichkeit zugängliches Medium kaum systematisch zu Rate gezogen.30 Die Breitenwirksamkeit ökonomischer Theoriebildung wird damit ausgeblendet. In diese Lücke tritt die vorliegende Untersuchung der Entwicklung der wirtschaftstheoretischen öffentlichen Debatten des frühen 19. Jahrhunderts.31 Als Zugangspunkt zu den Pressedebatten dient in dieser Arbeit, wie gesehen, das Ereignis der Kontinentalsperre. Die Kontinentalsperre gehört zu jenen historischen Ereignissen, deren Interpretation sich die Fachhistorie lange derart sicher schien, dass ihr im Ganzen wenig oder nur am Rande noch Beachtung zuteilwurde. Allenthalben dient sie als Beispiel in einem wirtschaftsgeschichtlichen Aufsatz oder aber eine Studie befasst sich mit ihren Auswirkungen auf die Wirtschaftsproduktion eines begrenzten Landstriches. Zur allgemeinen Einordnung dieses wirtschaftspolitischen Großprojekts und seiner Folgen greift die Forschung immer wieder auf die Grundlagenstudien der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zurück, die vorgeblich bereits alles abdecken, was die Kontinentalsperre historiographisch relevant macht. Da ist zum einen die Studie von Eli F. Heckscher von 1922, die offenbar den nachfolgenden Untersuchungen auf Jahre hinaus den Rang als Überblicksdarstellung abgelaufen hat.32 Zum anderen gilt FranÅois Crouzets Analyse der Auswirkungen der Kontinentalsperre auf die britische Wirtschaft trotz einiger Kritikpunkte in ihrer Gesamtanalyse bis heute als unübertroffen.33 Es folgten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts immer 29 Vgl. Bayly, Christopher A.: Die Geburt der modernen Welt. Eine Globalgeschichte 1780– 1914, Frankfurt a. M. [u. a.] 2006, 110–161. Die Zeit ist als Beginn stabiler transkontinentaler Wirtschaftsvernetzung erkannt worden, die zu einem »Aufbau weltwirtschaftlicher Verflechtungen bislang unbekannter Dichte« führte; vgl. Osterhammel, Jürgen; Petersson, Niels P.: Geschichte der Globalisierung. Dimensionen – Prozesse –Epochen, München 2003, 26. 30 Nur Paul Young untersucht ausführlich die Presseberichte zur Weltausstellung, allerdings ist seine Studie beinahe ausschließlich auf britische Periodika beschränkt. 31 Zu einer eingehenden Auseinandersetzung mit dem Forschungsstand der Pressegeschichte vgl. Kapitel II.1 dieser Arbeit. 32 Heckscher, Eli F.: The Continental System. An Economic Interpretation, Oxford 1922. 33 Crouzet, Francois: L’8conomie britannique et le blocus continental 1806–1813, 2 Bde., Paris 1958. Vgl. auch Crouzet, Francois: Kontinentalsperre und wirtschaftliche Veränderungen in
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Einleitung
wieder Arbeiten zu einzelnen Wirtschaftsregionen oder -zweigen zur Zeit der Kontinentalsperre.34 Die Frage, inwieweit Napoleons Wirtschaftspolitik auf dem Kontinent zur Integration Europas beigetragen hat, zieht sich dabei durch zahlreiche dieser Analysen.35 Letzthin hat sich ein von Katherine Aaslestad und Johan Joor herausgegebener Band dem Gesamtthema erneut gewidmet, dessen Verdienst es ist, das Ereignis vor dem Hintergrund aktueller Forschungsansätze neu zu beleuchten. Das Plädoyer der Herausgeber lautet, dass die Kontinentalsperre im Kontext des wachsenden Welthandels verstanden und somit auf transnationaler Ebene untersucht werden müsse, um die gleichzeitig destruktiven wie konstruktiven Transformationen im internationalen Handel sichtbar
Europa 1792–1815, In: Heinz-Otto Sieburg (Hg.): Napoleon und Europa, Köln 1971, 231–250. Neben Crouzet sei Roger Dufraisse zu nennen, der sich dem Thema der Kontinentalsperre besonders in Hinsicht und in Abgrenzung zur Politik des Kontinentalsystems gewidmet hat; vgl. Dufraisse, Roger : Die »hegemoniale« Integration Europas unter Napoleon I., In: Geschichte und Gesellschaft. Sonderheft 10: Wirtschaftliche und politische Integration in Europa im 19. und 20. Jahrhundert (1984), 34–44 u. ders.: Französische Zollpolitik, Kontinentalsperre und Kontinentalsystem im Deutschland der napoleonischen Zeit, In: ders. (Hg.): L’Allemagne / l’8poque napol8onienne. Questions d’histoire politique, 8conomique et sociale, Bonn/ Berlin 1992, 245–269. 34 Ohne Anspruch auf Vollständigkeit seien hier einige Studien genannt: Dunan, Marcel: Napol8on et l’Allemagne. Le systHme continental et les d8buts du royaume d BaviHre 1806–1810, Paris 1948; Ellis, Geoffrey : Napoleon’s Continental Blockade. The Case of Alsace, Oxford 1981; Marzagalli, Silvia: Les boulevards de la fraude. Le n8goce maritime et le Blocus continental 1806–1813, Villeneuve d’Ascq 1999; North, Michael: Die Auswirkungen der Kontinentalsperre auf das nördliche Deutschland und den Ostseeraum, In: Andreas Klinger u. a. (Hg.): Das Jahr 1806 im europäischen Kontext. Balance, Hegemonie und politische Kulturen, Köln 2008, 135–148; Winkler, Heinrich August: Geschichte des Westens. Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert, München 2009, 408–412. Auf dem deutsch-sowjetischen Historikertreffen 1978 gab es drei teilweise heftig umstrittene Referate zur Kontinentalsperre im deutschen und russischen Kontext, die im Tagungsband der Veranstaltung Aretin, Karl Otmar von; Ritter, Gerhard (Hg.): Historismus und moderne Geschichtswissenschaft. Drittes deutsch-sowjetisches Historikertreffen in der BRD, Wiesbaden/Stuttgart 1987 veröffentlicht wurden: Fischer, Wolfram: Wirtschaft und Wirtschaftspolitik in Deutschland unter den Bedingungen der britisch-französischen Blockade und Gegenblockade 1797–1812, 243–254; Simsch, Adelheid: Wirtschaft und Wirtschaftspolitik in Rußland unter den Bedingungen der britisch-französischen Blockade und Gegenblockade 1797–1812, 255–263 u. Tubolev, Boris M.: Wirtschaft und Wirtschaftspolitik Rußlands und Deutschlands während der Kontinentalsperre, 264–278. Einige Autoren versuchen einen Gesamtüberblick über die Lage auf dem Kontinent und in Großbritannien zu geben, konzentrieren sich dabei aber zwangsläufig auf einige Sparten und Regionen; vgl. Saalfeld, Diedrich: Die Kontinentalsperre, In: Hans Pohl (Hg.): Die Auswirkungen von Zöllen und anderen Handelshemmnissen auf Wirtschaft und Gesellschaft vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Stuttgart 1987, 121–139; Woolf, Stuart: Napoleon’s Integration of Europe, London/ New York 1991. 35 Einen Überblick über diese Debatte gibt Ellis, Geoffrey : The Continental System Revisited, In: Katherine Aaslestad; Johan Joor (Hg.): Revisiting Napoleon’s Continental System. Local, Regional and European Experiences, Basingstoke 2015, 25–39.
Quellen und Methode
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zu machen.36 Trotz dieser »Neusichtung« der Kontinentalsperre konzentriert sich die Forschung beinahe ausnahmslos auf die ökonomischen, politischen und sozialen Aspekte des Ereignisses. Die mediale Konstituierung der Kontinentalsperre und ihr Einfluss auf die Entwicklung der Wirtschaftstheorie ist bislang nicht untersucht worden.37 Dabei wird bei einem Blick in die zeitgenössischen Veröffentlichungen zu diesem Thema seine publizistische Relevanz unmittelbar deutlich, während sie in der Rezeptionsgeschichte dieses wirtschaftspolitischen Eigenwillens zweier europäischer Mächte so gut wie nicht vorkommt. Diesem Forschungsdesiderat wendet sich die vorliegende Untersuchung zu, indem sie die öffentliche Resonanz der Kontinentalsperre mit der Ideengeschichte der Wirtschaft verknüpft. Die Einordnung des hier verfolgten Ansatzes in die Pressegeschichte erfolgt im Teil II.
4.
Quellen und Methode
Die Untersuchung der zentralen publizistischen Debatten während der Kontinentalsperre von 1806 bis 1813 stützt sich in erster Linie auf Zeitschriften. Die faktenorientierte Berichterstattung zur Kontinentalsperre in den Zeitungen wird nicht mit in die Untersuchung einbezogen, da Zeitungen nicht der Ort waren, in denen die wirtschaftstheoretischen Debatten der Zeit fassbar werden. Da der europäische Zeitschriftenmarkt um 1800 eine ungekannte Erweiterung und Differenzierung erfuhr, mangelt es nicht an Quellenmaterial. Die Untersuchung wurde auf drei Sprachräume beschränkt, deren entsprechende politisch-geographische Einheiten in besonderem Maße von der Kontinentalsperre betroffen waren: Dies ist zum Ersten Frankreich selber, zum Zweiten sind es die napoleonisch besetzten Gebiete in der Schweiz und in Deutschland sowie zum Dritten Großbritannien. Die Quellenauswahl wurde auf die »Marktführer« unter den englischen, französischen und deutschsprachigen Zeitschriften eingeschränkt. Es handelt sich um allgemeine politisch-literarische Zeitschriften, die nicht auf wirtschaftliche Themen spezialisiert waren, sondern durch ihr übergreifendes 36 Vgl. Aaslestad, Katherine: Introduction: Revisiting Napoleon’s Continental System. Consequences of Economic Warfare, In: dies.; Johan Joor (Hg.): Revisiting Napoleon’s Continental System. Local, Regional and European Experiences, Basingstoke 2015, 1–22. Vgl. auch ihren Aufsatz: Revisiting the Continental System. Exploitation to Self-Destruction in the Napoleonic Empire, In: Philip G. Dwyer ; Alan Forrest (Hg.): Napoleon and His Empire. Europe 1804–1814, New York 2007, 114–132. 37 Einen Vorstoß in diese Richtung macht ein Artikel von Annie Jourdan, der allerdings allenfalls exemplarische Hinweise geben kann und sich vorwiegend auf die Rezeption der Kontinentalsperre im historiographischen Nachklang konzentriert; vgl. Jourdan, Annie: French Representations of the Continental Blockade. Three Kinds of Narratives for and against, In: Aaslestad; Joor : Revisiting Napoleon’s Continental System (wie Anm. 36), 40–55.
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Einleitung
Profil ein breites Publikum erreichten: Der Mercure de France aus Paris, die Edinburgh Review und die Minerva aus Hamburg. Ergänzend wurden drei weitere Periodika mit geringerer Auflage hinzugezogen, um die geographische Verbreitung umfassender abbilden zu können: Das Magasin encyclop8dique, ebenfalls aus Paris, aber stärker im außerfranzösischen Raum verbreitet, die Quarterly Review aus London sowie die Miszellen für die neueste Weltkunde aus Aarau in der Schweiz. Ein solches Vorgehen ermöglicht es, die Entwicklungen im öffentlichen Diskurs anhand eines über den Untersuchungszeitraum einheitlichen Quellenkorpus nachzuzeichnen. Die Auswahl der Texte erfolgte für den gesamten Korpus der drei Hauptperiodika, indem alle Artikel erfasst und nach inhaltlichen Themenfeldern im Zusammenhang der Ökonomie ausgewertet wurden. Ausgehend von den Diskussionen in den Zeitschriften werden einzelne Streitschriften, die in den Periodika besprochen wurden oder die zentrale Argumente der Zeitschriftendebatten aufnahmen, mitherangezogen. Bei diesen Streitschriften handelt es sich um Abhandlungen zu Themen der ökonomischen Autarkie, dem Seehandel, der Handelsbilanz, dem Handelsrecht neutraler Länder in Kriegszeiten, dem Nationalwohlstand und verwandten Themen. An Streitschriften zu ökonomischen Themen herrschte im frühen 19. Jahrhundert kein Mangel und so ergibt sich die Auswahl aus diesem heterogenen Textkorpus nicht immer aus deren inhaltlicher Zuordnung, sondern aus ihrer Bedeutung innerhalb der Zeitschriftendebatten. Allerdings wurden bestimmte Schriften von vornherein aus thematischen Gründen ausgeschlossen. Die Abgrenzung der ökonomischen Schriften über Außenhandel und Nationalreichtum von solchen, die den Binnenhandel, die Geldwerttheorie, Bevölkerungsentwicklung, industrielle Produktion oder die Staatsverschuldung zum Thema hatten, ist nicht immer leicht vorzunehmen und oftmals behandeln letztere ebenfalls Fragen des Außenhandels. Nichtsdestotrotz finden diese Schriften keine Beachtung, wenn sie nicht vorwiegend Themen des Welthandels behandelten, um deren Wahrnehmung es in dieser Arbeit geht. Die publizistische Bewertung und Kommentierung des ereignishistorischen Kontextes wird unterstützt durch die Hinzunahme von bildpublizistischen Darstellungen zur Kontinentalsperre, die über Karikaturen ein Bild von der ökonomischen Lage Europas und der Welt konstruierten, das ein sehr viel weiteres Publikum beeinflusste als dies textpublizistische Veröffentlichungen vermochten. Die Bildsprache, die sich um den Handelskonflikt zwischen Großbritannien und dem Kontinent und den Konflikt um die Seehoheit herausbildete, prägten in stereotyper Überzeichnung die Rolle, die den politischen Akteuren zugesprochen wurde und wirkten so auf die theoretischen Debatten ein. Die Bildquellen dienen dazu, den imaginativen Horizont der Zeitgenossen zu veranschaulichen. Obgleich sich diese Arbeit mit der Presse im Umfeld eines historischen Ereignisses befasst, verfolgt sie methodisch nicht den neueren historiographi-
Quellen und Methode
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schen Ansatz des Medienereignisses. Sie lehnt sich allenfalls in Teilen an diesen an, ohne ihm in seinem Anspruch in Gänze zu folgen.38 Es geht also nicht so sehr um die Herausarbeitung der Ereigniskonstruktion mittels seiner medialen Resonanz, als um die Frage, welchen theoretischen Diskussionen um Welthandel und globales Zusammenleben sie einen Anstoß und ihre Prägung verlieh. Gleichwohl handelt es sich in einem ersten Schritt um eine Erschließung und Interpretation der Kontinentalsperre als mediales Ereignis und ihrer Etappen über die Presseberichterstattung. Die inhaltliche Rekonstruktion der Debatten bedient sich methodisch bei der historischen Diskursanalyse. Statt jeden einzelnen Artikel als eigenständigen Beitrag zur Debatte zu deuten und einzeln zu analysieren, werden Diskursstränge und diskursive Motive herausgearbeitet, die den verschiedenen Beiträgen in einzelnen Phasen des Untersuchungszeitraumes gemeinsam waren. Diskurs wird dabei nicht im normativen, sondern pragmatischen Sinn verwendet. Der Diskursbegriff wird gleichzeitig aus seiner unbestimmten ideengeschichtlichen Abstraktion gelöst und stärker an den ereig38 Was die Theorie der Medienereignisse betrifft, mangelt es bislang an einer grundlegenden Studie. Als einführenden Artikel vgl. Bösch, Frank: Europäische Medienereignisse, In: Europäische Geschichte Online (EGO), hrsgg. vom Institut für Europäische Geschichte (IEG), Mainz 2010–12–03. URL: http://www.ieg-ego.eu/boeschf-2010-de URL: urn:nbn:de:0159– 20100921115 [Stand Juni 2015]. Es gibt einige Untersuchungen einzelner Ereignisse in verschiedenen Epochen wie Arquembourg-Moreau, Jocelyne: Le temps des 8v8nements m8diatiques, Paris/ Bruxelles 2003; Carl, Horst; Eibach, Joachim (Hg.): Europäische Wahrnehmungen 1650–1850. Interkulturelle Kommunikation und Medienereignisse, Hannover 2008; Lenger, Friedrich; Nünning, Ansgar (Hg.): Medienereignisse der Moderne, Darmstadt 2008; Morgner, Christian: Weltereignisse und Massenmedien. Zur Theorie des Weltmedienereignisses: Studien zu John F. Kennedy, Lady Diana und der Titanic, Bielefeld 2009; Vogel, Christine u. a. (Hg.): Medienereignisse im 18. und 19. Jahrhundert, München 2009. Doch das Konzept des Medienereignisses bleibt relativ vage und der Begriff des globalen Medienereignisses hat sich noch kaum für die Frühe Neuzeit durchgesetzt. Einige Wissenschaftler gehen gar davon aus, dass man von globalen Ereignissen erst seit dem Ende des 19. Jahrhunderts sprechen kann; vgl. beispielsweise Schröder, Iris; Höhler, Sabine: Einleitung. Welt-Räume. Annäherung an eine Geschichte der Globalität im 20. Jahrhundert, In: dies. (Hg.): Welt-Räume. Geschichte, Geographie und Globalisierung seit 1900, Frankfurt a. M./ New York2005, 9–50. Andere haben überzeugend argumentiert, dass spätestens seit dem Aufkommen der ersten Massenmedien, die Nachrichten aus den verschiedenen Weltteilen zusammentrugen, von Medienereignissen gesprochen werden kann. Daher wurden denn auch für das 18. Jahrhundert bereits einige wichtige Medienereignisse auf europäischer Ebene untersucht (z. B. das Erdbeben von Lissabon, die Amerikanische und die Französische Revolution). Die globalen Dimensionen einiger Ereignisse können dabei nicht einfach beiseitegeschoben werden und in der sogenannten Atlantischen Geschichte mit ihrem bekanntesten Vertreter Bernard Bailyn sowie in punktuellen Studien über global diskutierte Ereignisse wie die Haitianische Revolution kann man ein wachsendes Interesse für die Untersuchung von Ereignissen aus einem globalgeschichtlichen Blickwinkel erkennen; vgl.Bailyn, Bernard: Atlantic History, Cambridge (Mass.) 2005; Popkin, Jeremy D.: You are All Free. The Hatian Revolution and the Abolition of Slavery, Cambridge (Mass.) 2010 u. Schüller, Karin: Die deutsche Rezeption haitianischer Geschichte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Ein Beitrag zum deutschen Bild vom Schwarzen, Köln 1992.
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Einleitung
nishistorischen Kontext rückgebunden, indem ein Diskurs immer auch verstanden wird als Bewältigungsstrategie einer konkreten Lebenswelt. Diskurs stellt mithin keinen präexistenten kommunikationsstrukturierenden und -dominierenden Mechanismus dar, sondern erschließt sich aus dem gegebenen Kommunikationszusammenhang, in dessen Gemengelage gewisse Muster erkennbar werden.39 Aussagen verschiedener Autoren lassen sich bestimmten Argumentationsstrukturen zuordnen, die inhaltlichen Regeln im Kommunikationsprozess entsprechen. Der hier gewählte ideengeschichtliche Ansatz deutet Texte also als Geflecht von Aussagen, die nicht zwangsläufig auf eine einzige Bedeutungsstruktur zurückzuführen sind, und versucht die dahinterstehenden Verwendungszusammenhänge und ihre Veränderung nachzuvollziehen.40 Der Zugang erfolgt klassisch über Ideenkomplexe wie Abhängigkeit, Seehandelskonkurrenz etc., bezieht sich aber auf breitere, weniger elitär verengte Pressediskurse. Und es spielen durchaus auch sprachliche Ausdrucksformen eine Rolle, wie sie sich in Begriffen wie Seedespotie, Karthago-Rom, Handelskrieg, Freihandel etc. finden. Grundsätzlich geht es aber um das Herausarbeiten von theoretischen Konzepten bei der Feststellung, Gewichtung und Bewertung von einzelnen volkswirtschaftlichen Problemkomplexen.
5.
Aufbau der Arbeit
Zur Rekonstruktion der medialen Debatten um das Ereignis der Kontinentalsperre, wählt diese Arbeit ein chronologisches Vorgehen, das den Zugang über drei Phasen der Handelsblockade herstellt. Die erste Phase der Kontinentalsperre umfasst die Verhängung der Handelsblockade durch Napoleons Berliner Dekret 1806 und die britischen Orders in Council von 1807 sowie die darauffolgende noch wenig effektive Umsetzung der Blockade bis ca. 1808. Während der zweiten Phase wurden die Auswirkungen der Blockade spürbar : Sie umfasst 39 Damit grenzt sich die Verwendung sowohl vom Foucault’schen praxisorientierten als auch dem Habermas’schen idealistischen Diskursbegriff ab und steht dem ideengeschichtlichen Ansatz der Cambridge School näher ; vgl. Foucault, Michel: L’ordre du discours, Paris 1971 u. Habermas, Jürgen: Theorie des kommunikativen Handelns, 2 Bde., Frankfurt a. M. 1988. Zur Cambridge School vgl. den programmatischen Artikel von Quentin Skinner : Meaning and Understanding in the History of Ideas, In: History and Theory 8.1 (1969), 3–53. 40 Methodische Anregung verdanke ich für diesen Ansatz besonders Günther Lottes; vgl. Lottes, Günther : »The State of the Art«. Stand und Perspektiven der »intellectual history«, In: Frank-Lothar Kroll (Hg.): Neue Wege der Ideengeschichte. Festschrift für Kurt Kluxen zum 85. Geburtstag, Paderborn 1996, 27–45 sowie: Schöttler, Peter : Wer hat Angst vor dem »linguistic turn«?, In: Geschichte und Gesellschaft 23 (1997), 134–151 u. Pocock, J. G. A: The Political Economy of Burke’s Analysis of the French Revolution, In: ders.: Virtue, History and Commerce. Essays on Political Thought, New York 1995, 193–214.
Aufbau der Arbeit
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die Jahre von 1808 bis 1811, in denen es zu ersten ökonomischen Krisenerscheinungen auf dem Kontinent und in Großbritannien kam. Die dritte Phase beinhaltet die anschließenden zwei Jahre von 1812 bis 1813, in der die Maßnahmen durch Lizenzen gelockert und die Blockade durch die Bindung militärischer Mittel in den napoleonischen Feldzügen ineffektiver wurden. Die Kontinentalsperre blieb bis zum Sturz Napoleons offiziell in Kraft, doch wurde sie ab 1813 praktisch nicht mehr angewandt. Die diskursive Verarbeitung in bestimmten Debatten deckt sich selbstverständlich nicht in jedem Einzelfall mit den ereignishistorischen Phasen. Beiträge zu den jeweiligen Debattenthemen erschienen während des gesamten Untersuchungszeitraumes. Und doch lässt sich eine Abfolge von drei Debattenkomplexen erkennen, die aufeinander folgten, sich ablösten und eine ideengeschichtliche Entwicklung erkennen lassen. Diese Entwicklung wird im Hauptteil in drei gesonderten Kapiteln herausgearbeitet. Die Untersuchung folgt in ihrer Darstellung dem Verlauf dieser Debattenabfolge und sucht jeweils nach bekannten Vorläufertheorien, auf die sich die Argumentationslinien bezogen. Dabei wird zu zeigen sein, dass sich die theoretischen Diskussionen von ihren Vorläufern des 17. und 18. Jahrhunderts in wesentlichen Punkten unterschieden. Diese Unterschiede werden in Anbetracht der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse verständlich. Die drei Hauptdebatten werden demnach in ihrer Abfolge als Reaktion auf ereignishistorische Konstellationen und Verarbeitungsstrategien sozial-ökonomischer Wirklichkeit interpretiert. In der ersten Phase diente die politisch-ökonomische Konfrontationsstellung zwischen Großbritannien und Frankreich als Argument, die internationale Wirtschaftsverflechtung als Bedrohung abzulehnen und eine protektionistische Wirtschaftspolitik zu vertreten. In Reaktion auf die Abhängigkeit und in Affirmation der handelspolitischen Schutzmaßnahmen suchten Autoren in dieser Zeit nach Möglichkeiten, die Generierung des nationalen Wohlstandes und aller Genussgüter und Rohstoffe in die inländische Produktion und den Binnenhandel zu verlagern. In der Debatte um volkswirtschaftlichen Isolationismus ging es vor allem um den Grad der ökonomischen Vernetzung und dem sich daran knüpfenden Bedrohungsdiskurs. Dieser lässt sich auf isolationistische Theorien, wie sie etwa von den Physiokraten im 18. Jahrhundert vertreten wurden, zurückverfolgen. Als Lösungsperspektiven boten die Teilnehmer dieser öffentlichen Debatte eine autarke Wirtschaftsweise, Akklimatisierung von ausländischen Pflanzen und Substitution bestimmter Waren an. In der Bildpublizistik wurden die ökonomisch negativen Folgen der Blockadepolitik allein auf den jeweiligen Gegner projiziert (III.1). In der zweiten Phase rückten mit dem Gewahrwerden negativer Auswirkungen der Handelsrestriktionen die rechtlichen Rahmenbedingungen des internationalen Handels in den Fokus. Dadurch, dass bislang neutrale Staaten in
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den Konflikt zwischen Frankreich und Großbritannien hineingezwungen wurden und auch der Handel dieser Staaten in Bedrängnis geriet, stellte sich in der Publizistik die rechtliche Grundlage eines solchen Übergriffs auf unbeteiligte Parteien als Herausforderung im internationalen Zusammenleben dar. Das Thema der neutralen Kaufschifffahrt rief Forderungen nach völkerrechtlichen Garantien für (privat-) wirtschaftliche Unternehmungen im globalen Kontext hervor. In der Debatte um das Seehandelsrecht erfassten die Pressestimmen die veränderte Wirtschaftslage und die internationale Konkurrenzsituation auf den Weltmeeren. Daraus ergaben sich Forderungen nach freiem Handel für die Neutralen und der völkerrechtlichen Freiheit der Meere, die sich auf die Schriften des Frühaufklärers Grotius bezogen. Die Karikaturen thematisierten demzufolge die Konkurrenzsituation zwischen den Großmächten als egoistisch und selbstzerstörerisch (III.2). Während der dritten Phase kippte die Debatte schließlich in die antiprotektionistische Richtung. Mit Fortdauer des Handelskonfliktes erhielten Vorstellungen der Befreiung individueller ökonomischer Tätigkeit von politischen Beschränkungen und staatlichen Einflussnahmen Auftrieb. Die Konfliktsituation wurde somit in Umkehrung der frühen Debattenbeiträge als Argument dafür angeführt, dass freier Handel, internationale Konkurrenz und Abhängigkeit im internationalen Mächtekonzert sowohl wohlstandsteigernd als auch friedenssichernd wirke. In dieser letzten Debattenphase wurde die Kontinentalsperre zunehmend kritisiert und die positive Wirkung wirtschaftlicher Verflechtung betont. Die Auffassung des Handels als Friedens- und Zivilisierungsmotor, als »Doux Commerce«, speiste sich aus Handelstheorien der Aufklärung, wie sie bei Montesquieu, Hume, Smith und Raynal auftauchen. Die Vorteile des Außenhandels und die Annäherung der Völker durch Handel wurden hervorgehoben. Die Bildpublizistik ihrerseits illustrierte die negativen Folgen für das eigene Land und antizipierte die positiven Effekte eines wiedereröffneten Handels (III.3). Der vorangestellte zweite Teil dieser Untersuchung legt die Grundlage für die Rekonstruktion der Debatten, indem er die Charakteristika der Presseöffentlichkeit, das heißt die formellen, sozialen und inhaltlichen Merkmale der untersuchten europäischen Zeitschriften vorstellt. Hier werden die Periodika als Träger zunehmend globaler Informationsverbreitung erfasst, die Herausgeber und Mitarbeiter im Kontext ihrer sozialen und kulturellen Arbeitsformationen vorgestellt und das inhaltliche Profil der Zeitschriften, ihre Themenschwerpunkte, ihr Geschichtskonzept, ihre globale Ausrichtung und die behandelten ökonomischen Themen erläutert (II.).
II.
Europäische Zeitschriften mit globaler Ausrichtung »Journal-Lektüre bleibt noch immer Lieblingslektüre. Mag sie ihren Nachtheil haben, […] – sie hat auch ihren Nutzen. Sie ists, welche wissenschaftliche Kultur am schnellsten verbreitet, und zur Polizirung der Nation am kräftigsten wirkt. Folianten und Quartanten, und Originalwerke jeder Art, sind die großen Wasserbehälter, Journale die Kanäle, welche den Strom der Wissenschaft in tausend Auszweigungen durch alle Stände des Volks befruchtend hinleiten.«41
1.
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Die Presselandschaft des frühen 19. Jahrhunderts war zu einem Grade vernetzt, der jede Entwicklung vor 1800 überstieg. Bereits in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts war die periodische Presse im Rahmen einer sich herausbildenden europäischen Öffentlichkeit verankert, was vielfach konstatiert, wenn auch im Ganzen wenig systematisch erforscht worden ist.42 Am Ende des 18. Jahrhunderts durchliefen Zeitungen, Zeitschriften und andere Formen periodischer Publikationen eine bedeutende Entwicklung hin zur internationalen Integration, sowohl hinsichtlich ihres Inhalts als auch ihrer Korrespondentennetzwerke und Techniken der Informationsverbreitung. Die Kenntnisnahme über Vorgänge in den wichtigsten europäischen Zentren wurde zunehmend als Bedürfnis und von einer freien Presse garantierte Information als Recht wahrgenommen.43 Die Herausgeber und Verleger periodischer Publikationen vernetzten sich europaweit untereinander oder hielten Kontakte über feste Mitarbeiter bzw. gelegentliche Korrespondenten ins Ausland; sie abonnierten die wichtigsten in- und ausländischen Zeitungen sowie Zeitschriften und ihre Zeitschriften waren über ihre eigenen Abonnenten und Lesekabinette oft weit verbreitet. Nach 1800 begann die Herausbildung eines institutionalisierten Wissensaustauschs, der auf die Gründung von Nachrichtenagenturen hinauslief, von denen Information erstmals als Ware produziert und privat veräußert wurde. Im frühen 19. Jahrhundert hatte dieser Austausch noch keine agenturgestützte Kommerzialisierung erreicht, doch die Informationswege verliefen 41 Varietäten. Aus Deutschland, In: Miszellen für die neueste Weltkunde 2.5 (1808), 20. 42 Vgl. Requate, Jörg; Schulze Wessel, Martin (Hg.): Europäische Öffentlichkeit: Transnationale Kommunikation seit dem 18. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 2002. 43 Vgl. zum Entstehen der Pressefreiheit als Menschenrecht: Wilke, Jürgen: Die Entdeckung von Meinungs- und Pressefreiheit als Menschenrechten im Deutschland des späten 18. Jahrhunderts, In: Otto Dann; Diethelm Klippel (Hg.): Naturrecht – Spätaufklärung – Revolution, Hamburg 1994, 121–139.
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Europäische Zeitschriften mit globaler Ausrichtung
zunehmend in fest etablierten Bahnen internationaler Netzwerkformationen. Zu diesem Zeitpunkt begannen Periodika von den technischen und institutionellen Neuerungen des rationalen Informationsaustausches über große Distanzen über ein immer dichter ausgebautes Postwesen, regelmäßigen Schiffsroutenverkehr und später Telegraphenübertragung zu profitieren, was es ihnen ermöglichte, ihre Leser mit Nachrichten aus allen Weltteilen zu versorgen.44 In dieser Arbeit wird die Vernetzung der europäischen Presse und die inhaltliche Ausrichtung auf globale Zusammenhänge im Wesentlichen an folgenden drei Zeitschriften exemplarisch untersucht: der Edinburgh Review, der Minerva und dem Mercure de France. Diese drei Zeitschriften bilden – neben drei weiteren Periodika und ausgewählten Streitschriften – die Hauptquellen der vorliegenden Untersuchung. Sie gehörten zu den auflagenstärksten und meinungsführenden Periodika in ihren jeweiligen Sprachräumen, was sie für diese Untersuchung besonders interessant macht.45 Die Zeitschriften und die Rahmenbedingungen ihrer Publikation werden in den nachfolgenden Kapiteln dieses Teils dargestellt. Zur Pressegeschichte sind in den vergangenen Jahrzehnten wichtige und faszinierende Werke entstanden, die die ganze Spannbreite der periodischen Publikationen seit Beginn des 17. Jahrhunderts und die explosionsartige Ausweitung des Pressemarktes im 18. und 19. Jahrhundert aufzeigen konnten. Im deutschen Kontext hat das Bremer Institut Deutsche Presseforschung wichtige und grundlegende Arbeit geleistet.46 Zahlreiche regionale und nationale Studien haben eine dichte und vergleichsweise freie Presselandschaft im deutschsprachigen Raum des 18. Jahrhunderts belegt; die Periode nach 1800 hat dagegen relativ wenig Aufmerksamkeit erfahren.47 Frankreich betreffend war sowohl die 44 Vgl. u. a. John, Richard R.: Spreading the News. The American Postal System From Franklin to Morse, Cambridge (Mass.) 1998. Zum Entstehen von Nachrichtenagenturen vgl. BoydBarrett, Oliver ; Rantanen, Terhi (Hg.): The Globalization of News, London [u. a.] 1998; Wilke, Jürgen (Hg.): Telegraphenbüros und Nachrichtenagenturen in Deutschland. Untersuchungen zu ihrer Geschichte bis 1949, München 1991 u. Fr8d8rix, Pierre: Un siHcle de chasse aux nouvelles. De l’Agence d’information Havas / l’Agence France Presse 1835–1957, Paris 1959. 45 Ihre Auswahl für diese Arbeit wird in Kapitel II.3 näher begründet. 46 http://www.presseforschung.uni-bremen.de. Vgl. Böning, Holger (Hg.): Deutsche Presse. Bibliographische Handbücher zur Geschichte der deutschsprachigen periodischen Presse von den Anfängen bis 1815, Stuttgart-Bad Cannstatt 1997. 47 Bauer, Volker ; Böning, Holger (Hg.): Die Entstehung des Zeitungswesens im 17. Jahrhundert. Ein neues Medium und seine Folgen für das Kommunikationssystem der Frühen Neuzeit, Bremen 2011; Böning, Holger : Periodische Presse. Kommunikation und Aufklärung. Hamburg und Altona als Beispiel, Bremen 2002; Albrecht, Peter ; Böning, Holger (Hg.): Historische Presse und ihre Leser, Bremen 2005; Brendecke, Arndt (Hg.): Information in der Frühen Neuzeit. Status – Bestände – Strategien, Berlin/ Münster 2008; Doering-Manteuffel, Sabine u. a. (Hg.): Pressewesen der Aufklärung. Periodische Schriften im Alten Reich, Berlin 2001; Fischer, Ernst u. a. (Hg.): Von Almanach bis Zeitung. Ein Handbuch der Medien in Deutschland 1700–1800, München 2000; Haefs, Wilhelm; Mix, York-Gothart (Hg.): Zensur
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vorrevolutionäre als auch die Revolutionspresse Gegenstand intensiver Forschung. Im Gegensatz zur dezentralen Pressegeschichte in Deutschland hat sich die Forschung in Frankreich im Wesentlichen auf die Pariser Presse konzentriert. Aufgebrochen wird dieser Fokus aber zum Beispiel von der Forschergruppe Lire in Lyon.48 Auch rücken in Frankreich seit einigen Jahren neue Forschungsansätze das 19. Jahrhundert stärker in den Mittelpunkt.49 Die britische Pressegeschichte hat sich vorwiegend mit England befasst. Die wichtigsten Publikationen der letzten Jahre zur britischen Presse in der genannten Epoche sind diejenigen von Jeremy Black und Hannah Barker.50 Die jeweiligen Überblickswerke zur Pressegeschichte in den verschiedenen Ländern geben einen guten Einblick in die Bedingungen und Entwicklungen der Presse und behandeln zentrale Persönlichkeiten und Daten, doch ziehen sie allenfalls Vergleiche zu anderen Ländern, um die Partikularität eines Landes zu
im Jahrhundert der Aufklärung. Geschichte – Theorie – Praxis, Göttingen 2007; Knabe, Peter-Eckhard (Hg.): Opinion, Berlin 2000; Popkin, Jeremy : Political Communication in the German Enlightenment. Gottlob Benedikt von Schirach’s Politische Journal, In: EighteenthCentury Life 1.20 (1996), 24–41; Wilke, Jürgen: Grundzüge der Medien- und Kommunikationsgeschichte, Köln [u. a.] 2008; ders.: Personen, Institutionen, Prozesse. Fachgeschichtliche Beiträge zur Kommunikationswissenschaft und Medienforschung, Köln 2010. Hinsichtlich der technischen Bedingungen des Pressewesens vgl. Frohriep, Monika: Vom Postwagen zur Eisenbahn. Kleine Verkehrsgeschichte Schleswig-Holsteins im 19. Jahrhundert, Heide 1998; Gerteis, Klaus: Das »Postkutschenzeitalter«. Bedingungen der Kommunikation im 18. Jahrhundert, In: Aufklärung 1.4 (1989), 55–78. Von den deutschsprachigen Zeitschriften, die in dieser Arbeit berücksichtigt werden, wurde allein die Minerva in einer umfänglichen Monographie untersucht: Bovekamp, Boris: Die Zeitschrift »Minerva« und ihre Herausgeber Johann Wilhelm von Archenholz 1743–1812 und Friedrich Alexander Bran 1767–1831. Ein Beitrag zur Kompatibilität von Militär, Aufklärung und Liberalismus, Kiel 2009. Allerdings ist diese Publikation mit Vorsicht zu behandeln, da sich bei der Lektüre Stellen zeigten, die des Plagiats verdächtig sind, weshalb in dieser Arbeit auf andere Studien zu Teilaspekten der Zeitschrift oder ihrer Herausgeber zurückgegriffen wurde. 48 http://lire.ish-lyon.cnrs.fr. Vgl. stellvertretend für die große Zahl an Veröffentlichungen: Charle, Christophe: Le siHcle de la presse 1830–1939, Paris 2004; Darnton, Robert; Roche, Daniel (Hg.): Revolution in print. The press in France 1775–1800, Berkeley 1989; Popkin, Jeremy D.: News and Politics in the Age of Revolution. Jean Luzac’s Gazette de Leyde, Ithaca 1989; ders.: Revolutionary News. The Press in France 1789–1799, Durham 1990; La Motte, Dean de ; Przyblyski, Jeannene (Hg.): Making the News. Modernity and the Mass Press in Nineteenth-Century France, Amherst (Mass.) 1999; Th8renty, Marie-ðve; Vaillant, Alain (Hg.): Presse, nations et mondialisation au XIXe siHcle, Paris2010. 49 Kalifa, Dominique u. a. (Hg.): La Civilisation du journal. Histoire culturelle et litt8raire de la presse franÅaise au XIXe siHcle, Paris 2011. Einige Autoren gehen sogar so weit, den Beginn des Medienzeitalters erst mit dem Gründungsjahr der französischen Zeitung La Presse beginnen zu lassen; vgl. Vaillant, Alain; Th8renty, Marie-ðve: 1836. L’an I de l’Hre m8diatique. Ptude litt8raire et historique du journal La Presse, d’Pmile de Girardin, Paris 2001. 50 Black, Jeremy : The English Press 1621–1861, Thrupp [u. a.] 2001; Barker, Hannah: Newspapers, Politics, and Public Opinion in Late Eighteenth-century England, Oxford/ New York 1998.
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Europäische Zeitschriften mit globaler Ausrichtung
profilieren.51 Typisch für ein derartiges Verharren in nationalen Bezugsräumen sind Vergleichsstudien, in denen die Artikel zur internationalen Öffentlichkeit nach Ländern klassifiziert sind, womit sie die Gemeinsamkeiten und Transferprozesse zwangsläufig schwer fassbar machen.52 Liest man die Standardwerke der Pressegeschichte für Studenten in den unterschiedlichen Ländern, so präsentiert sich dasselbe Bild hinsichtlich der allgemeinen Entwicklungslinien der Presse: Die Presse eines Landes erscheint als weitgehend selbstreferenzielles System.53 Inzwischen ist die Literatur zur Pressegeschichte in Europa sehr umfangreich und kaum noch überschaubar. Dies gilt insbesondere für das 18. Jahrhundert, womit der Bedeutung dieser Medienform zur damaligen Zeit Rechnung getragen wird. Trotz dieser Fülle fehlen bislang systematische Untersuchungen zur Rolle der Presse als eines Motors wachsender transnationaler Vernetzung, das heißt informationeller Globalisierungsprozesse. Die vorhandenen Studien bilden daher die internationale Öffnung der periodischen Publizistik nicht hinreichend ab. Nur wenige Studien überschreiten den nationalen Rahmen, der in der pressehistorischen Forschung eine lange Tradition hat. Und selbst wenn sie den Fokus auf internationale Themenspektren der Berichterstattung richten, beschränken sich die Studien hauptsächlich auf die Untersuchung von Periodika eines nationalen oder regionalen Raumes.54 Während die Literatur zu internationalen, transnationalen, interkulturellen oder globalen Verbindungen und Vernetzungen in anderen Bereichen stetig zunimmt, bleibt die Untersuchung 51 Überwunden werden kann diese nationale Fokussierung mit dem Ansatz des Medienereignisses. Medienereignisse veranschaulichen die Reichweite ihrer Öffentlichkeit anhand ihrer eigenen informationellen Verbreitungsdynamik und nicht an vorab festgelegten nationalen oder regionalen Öffentlichkeitsräumen. Vgl. zum Ansatz des Medienereignisses Anm. 38 in der Einleitung dieser Arbeit. 52 Ein Beispiel u. a. ist der Aufbau des Sammelbandes von Barker, Hannah; Burrows, Simon (Hg.): Press, Politics and the Public Sphere in Europe and North America 1760–1820, Cambridge (N.Y.) 2002. Es finden sich darin gleichwohl Beiträge, die auf die internationalen Vernetzungen abheben. 53 Stöber, Rudolf: Deutsche Pressegeschichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Konstanz 2005; Barker : Newspapers, Politics, and Public Opinion (wie Anm. 50); Bellanger, Claude u. a (Hg.): Histoire g8n8rale de la presse franÅaise, 5 Bde., Paris 1969–1976. 54 Habel, Thomas: Deutschsprachige Rezensionszeitschriften der Aufklärung. Zur Geschichte und Erschließung, In: Albrecht; Böning (Hg.): Historische Presse und ihre Leser (wie Anm. 47), 42–77; Böning, Holger : Welteroberung durch ein neues Publikum. Die deutsche Presse und der Weg zur Aufklärung. Hamburg und Altona als Beispiel, Bremen 2002; ders.: Periodische Presse (wie Anm. 47); Friedrich, Susanne: Drehscheibe Regensburg. Das Informations- und Kommunikationssystem des Immerwährenden Reichstags um 1700, Berlin 2007; Pröve, Ralf; Winnige, Norbert (Hg.): Wissen ist Macht. Herrschaft und Kommunikation in Brandenburg-Preußen 1600–1850, Berlin 2001; Sorel, Patricia: La R8volution du livre et de la presse en Bretagne 1780–1830, Rennes 2004; Waibel, Nicole: Nationale und patriotische Publizistik in der Freien Reichsstadt Augsburg. Studien zur periodischen Presse im Zeitalter der Aufklärung 1748–1770, Bremen 2008.
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der transnationalen Dimensionen der Presse, selbst für spätere Epochen, deutlich vernachlässigt. Das seit mindestens zwei Jahrzehnten blühende Feld der Global- und Verflechtungsgeschichte hat offenbar bislang nur geringen Einfluss auf die Geschichte der Presse oder auf die Theorie der Öffentlichkeit genommen. Transnationale Ansätze blieben vorwiegend auf diejenigen Periodika beschränkt, die deutlich europäische Verbreitung fanden bzw. als transnationale Projekte von ihrer Mitarbeiterschaft angelegt waren.55 Die Einbeziehung mehrerer nationaler Pressegeschichten wird bisweilen mit dem Argument abgelehnt, die Kontexte in Großbritannien und auf dem Kontinent seien so unterschiedlich (liberale Gesetzgebung in England, verschiedene Zensurgesetzgebungen in Deutschland und Frankreich), dass ein Vergleich nicht angebracht sei.56 Dieses Argument greift aber deshalb zu kurz, weil ungeachtet des zensurpolitischen Eklektizismus die transnationale Vernetzung der einzelnen Presselandschaften offensichtlich ist, wie sich beispielsweise an den Korrespondentennetzwerken oder der Rezeption ausländischer Presse zum Zwecke der Umgehung des zensurpolitischen Zugriffs zeigt.57 Der gesamte Pressemarkt lebte wesentlich vom Austausch der Periodika untereinander, ohne welchen die Generierung von Nachrichten unter den institutionellen Bedingungen des Pressewesens um 1800 gar nicht denkbar gewesen wäre. Auch wenn selbstverständlich davon ausgegangen wird, dass die Wissenschaftslandschaft bzw. der Ideentransfer im 18. Jahrhundert international war, dass etwa ein Adam Smith in Frankreich ebenso bekannt war wie in England und ein Voltaire in ganz Europa seine Leserschaft fand, so werden diese transnationalen Dimensionen der periodischen Presse nach wie vor kaum betrachtet. Aus dem Blickwinkel der technischen Hilfsmittel der Presse, dem Druck und der 55 Vgl. beispielsweise die Studien von Jeremy Popkin und Pierre R8tat über die Gazette de Leyde und die Gazette d’Amsterdam: Popkin, Jeremy D.: International Gazettes and Politics of Europe in the Revolutionary Period, In: Journalism Quarterly 62 (1985), 482–488; ders.: The Gazette de Leyde and French Politics 1774–1789, In: ders.; Jack Richard Censer (Hg.): Press and Politics in Pre-revolutionary France, Berkeley 1987, 75–132; R8tat, Pierre (Hg.): La Gazette d’Amsterdam. Miroir de l’Europe au XVIIIe siHcle, Oxford 2001; ders.; M8tivier, Jeanne-Marie (Hg.): Les gazettes europ8ennes de langue franÅaise, Paris 2002 oder auch: Greilich, Susanne u. a. (Hg.): Presse et 8v8nement. Journaux, gazettes, almanachs, XVIIIe– XIXe siHcles, Bern [u. a.] 2000 u. Lüsebrink, Hans-Jürgen; Mollier, Jean-Yves (Hg.): Presse et 8v8nement. Journaux, gazette, almanachs XVIIIe–XIXe siHcles, Bern [u. a.] 2000. Als allgemeinen Überblick vgl. Duranton, Henri u. a. (Hg.): Les Gazettes europ8ennes de langue franÅaise XVIIe–XVIIIe siHcles, Saint-Etienne 1992; Lüsebrink, Hans-Jürgen; Popkin, Jeremy D. (Hg.): Enlightenment, Revolution, and the Periodical Press. Oxford 2004. Vgl. auch die Plattform Gazettes europ8nnes du 18e siHcle: http://www.gazettes18e.fr/ [Stand Juli 2015]. 56 Vgl. etwa Requate, Jörg: Einleitung, In: ders. (Hg.): Das 19. Jahrhundert als Mediengesellschaft – Les m8dias au XIXe siHcle, München 2009, 7–18, hier 12. 57 Vgl. den Abschnitt in diesem Kapitel über die Herausgeber der Minerva oder auch Friedrich Buchholtz’ journalistische Tätigkeit, hierzu D’Aprile: Die Erfindung der Zeitgeschichte (wie Anm. 21).
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Europäische Zeitschriften mit globaler Ausrichtung
Papiergewinnung ist diese Einschränkung nicht zu erklären.58 Noch weniger gerechtfertigt ist diese Aufteilung freilich, schaut man von der Ebene der Presseorgane selber her, ihrer Inhalte, den Mechanismen ihrer Informationsbeschaffung, der Nachrichtenentstehung und -wege, den Prozessen ihrer Verbreitung und Rezeption, den beteiligten Personen, ihren Biographien und sozialen wie professionellen Kontakten. Da nicht mit endgültiger Sicherheit gesagt werden kann, dass ein Artikel in einer deutschen Zeitschrift nicht beispielsweise aus einer englischen entnommen wurde, lassen sich die nationalen Öffentlichkeitsräume letztlich nie trennscharf bestimmen und also auch die partikularen Tendenzen etwa der englischen Presse gegenüber der deutschen oder französischen nur bedingt hervorheben. Eher sind die Grenzen der nationalen Forschungsprojekte letztendlich ein Argument für die Aufgabe der nationalen Kategorien in der Pressegeschichte. Die weitgehende Vernachlässigung der Pressegeschichte der ersten Jahre des 19. Jahrhunderts in der Forschung hat mit dazu beigetragen, dass die Integration globaler Reflexionshorizonte in der öffentlichen Wahrnehmung bislang nur unzureichend oder gar nicht abgebildet wird. Dabei geht in der Zeit um 1800 eine Entwicklung in der europäischen Presse vonstatten, die institutionell auf tradierte Formationen der Nachrichtengenerierung zurückgreift wie die Etablierung belastbarer persönlicher Netzwerke, gleichzeitig in der Kreation von Organen systematischer Informationsverbreitung idealiter über Themen der gesamten Welt auf spätere Entwicklungen des modernen Wissensmarktes vorausweist. Die auf nationale Entwicklungen beschränkte Pressegeschichte muss folglich kritisch gesehen werden. Die vorliegende Arbeit versucht diesbezüglich einen Mangel zu beheben und verfolgt bewusst die interessierenden Debatten in drei verschiedenen Ländern anhand exemplarischer Publikationsorgane.
2.
Zensur
Unter einem Gesichtspunkt ist die Strukturierung der Pressegeschichte nach Ländern freilich sinnvoll. Dann nämlich, wenn von Pressezensur und Pressefreiheit die Rede ist, von einzelnen Gesetzen, die die Presse regeln, ihren Einfluss beschneiden oder in vorgegebene Bahnen lenken sollten.59 Die legislative 58 Während viele Studien auch diese Ebene der Pressegeschichte nach nationalen Einteilungen abhandeln, ist in einigen Studien auf die technische Entwicklung der Presse auch durchaus ein transnationaler Blick gerichtet worden, der in den Bereich des Technik- und Wissenstransfer hineingeht vgl. Müller, Lothar : Weiße Magie. Die Epoche des Papiers, München 2012. 59 Vgl. beispielhaft für zahlreiche ähnliche Studien: Fuchs, Karlheinz: Bürgerliches Räsonnement und Staatsräson. Zensur als Instrument des Despotismus – Dargestellt am Beispiel des
Zensur
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Reichweite beschränkte sich selbstverständlich auf einen staatlich abgesteckten Anwendungsrahmen und entsprechenden geografischen Raum. Aber auch die Zensurgeschichte lässt sich aus einer internationalen Perspektive betreiben. So können auch hinsichtlich der Pressegesetzgebungen gemeinsame Entwicklungslinien aufgezeigt werden; sie gehen im frühen 19. Jahrhundert hin zu einer Verschärfung der Zensurpolitik und -praxis sowohl auf dem Kontinent als auch in Großbritannien.60 Die Pressezensur wird hier geschildert, um die Rahmenbedingungen der ausgewerteten Publikationsorgane und die darin erscheinenden Debatten besser verständlich zu machen. Die Presse in Frankreich zur Zeit des Kaiserreiches war so weitgehend gegängelt wie weder davor noch danach. Unter Napoleons Herrschaft gab es strenge Zensurregeln und politische Zeitungen und Zeitschriften hatten Not, ihr Fortbestehen zu sichern. Seit 1797 wurden auf Grundlage des Artikels 145 der Verfassung, der Verschwörungen zulasten der Sicherheit des Staates unter Strafe stellte, zahlreiche Herausgeber und Verleger verschiedener Periodika verhaftet oder deportiert. Die Freiheit der Presse endete also bereits vor dem Staatsstreich
rheinbündischen Württemberg 1806–1813, Göppingen 1975 u. Siemann, Wolfram: Propaganda um Napoleon in Württemberg. Die Rheinbundära unter König Friedrich I. 1806– 1813, In: Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte 47 (1988), 359–380. Zum Strukturwandel der Zensur um 1800 vgl. Siemann, Wolfram: Normenwandel auf dem Weg zur »modernen« Zensur. Zwischen »Aufklärungspolizei«, Literaturkritik und politischer Repression 1789–1848, In: John A. McCarthy ; Werner von der Ohe (Hg.): Zensur und Kultur. Zwischen Weimarer Klassik und Weimarer Republik mit einem Ausblick bis heute, Tübingen 1995, 63–86. Als einführenden Artikel vgl. Wilke, Jürgen: Zensur und Pressefreiheit, In: Europäische Geschichte Online (EGO), hrsgg. vom Leibniz-Institut für Europäische Geschichte (IEG), Mainz 2013–04–18. URL: http://www.ieg-ego.eu/wilkej-2013a-de URN: urn:nbn:de:0159–2013041649 [Stand Juni 2015]. 60 Bereits Ende der 1980er Jahre hat Robert Justin Goldstein die scharfen Unterschiede, die immer wieder zwischen den staatlichen Gesetzgebungen gezogen werden, aufzuweichen versucht und die Zensurpraxis des 19. Jahrhunderts im europäischen Kontext und in ihrer Entwicklung seit ihren Anfängen im 16. Jahrhundert untersucht. Goldsteins Studie umfasst die Zensurregelungen und die verschiedenen Zensurformen in Großbritannien, Frankreich, Spanien, den deutschen Staaten, Skandinavien, Ungarn und Russland. Dabei geht es ihm nicht so sehr um die gesetzlichen Maßnahmen (also etwa ob Vor- oder Nachzensur geübt wurde) als um die Gründe für und die Umsetzung von Zensurmaßnahmen, das heißt die Repressalien gegen Verleger, Buchhändler und Journalisten, welche er als Indikator für die Angst der Regierungen vor Unruhen und Umsturzversuchen besonders seitens der ärmeren Bevölkerungsschichten interpretiert. Er stellt eine tendenzielle Aufteilung in ein liberaleres Nordwesteuropa und ein restriktiveres Südosteuropa fest, ohne diese Tendenz zu verabsolutieren. Freilich überspringt seine Darstellung weitestgehend die Zeit von 1800 bis 1815, während der die Zensurpolitik und -praxis zwischen den europäischen Ländern stark differierte, und zwar besonders zwischen den hier untersuchten Öffentlichkeitsräumen auf dem Kontinent einerseits und den Britischen Inseln andererseits; vgl. Goldstein, Robert Justin: Political Censorship of the Arts and the Press in Nineteenth-Century Europe, London 1989.
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von 1799.61 Napoleons Pressedekret vom 17. Januar 1800 verbot schließlich 60 Zeitungen, ließ im Seinedepartement lediglich 13 politische Zeitungen weiter zu und ermöglichte so eine effektive Überwachung und Kontrolle dieser Medien.62 Zehn Jahre später, 1811, wurden die zugelassenen Blätter weiter auf nur sechs beschränkt; von nun an gab es offiziell in Paris lediglich den Moniteur, das Journal de l’Empire, die Gazette de France und das Journal de Paris, den Publiciste und den Mercure de France. Der Mercure verblieb als einzige wöchentlich erscheinende literarisch-publizistische Zeitschrift.63 In der Forschung hat sich das Gerücht verbreitet, dass der Mercure 1811 eingestellt worden sei, was wohl mit dazu beigetragen hat, dass diese Zeitschrift nach 1807 bzw. nach 1811 praktisch unerforscht geblieben ist. Sie bestand aber während des gesamten Empire und darüber hinaus fort. Sie wurde jedoch, wie alle anderen Blätter unter polizeiliche Aufsicht gestellt, was bedeutete, dass der Polizeiminister die Herausgeber ernennen und eine Liste aller Redakteure verlangen konnte.64 Unter dieser strengen Zensurpraxis konnte sich bis 1814 im Grunde keine wesentliche Oppositionspresse mehr halten und die kritischen Journalisten zogen sich vielfach in nichtpolitische Sphären der Literatur und Kunst zurück. Literarische Zeitschriften und solche mit nicht regelmäßigem Erscheinen bzw. einem Erscheinungsintervall von einem Monat und mehr waren von der Vorzensur ausgenommen und damit einer relativ geringeren staatlichen Kontrolle unterworfen – eine Regelung, die noch während der Restauration Bestand hatte. Es gab also über die oben genannten sechs Titel hinaus spezialisierte Zeitschriften, die aufgrund ihres größeren Erscheinungsintervalls einer weniger strengen Zensur unterlagen.65 Während der ersten Jahrzehnte des Jahrhunderts machten 61 Vgl. Bellanger, Claude u. a (Hg.): Histoire g8n8rale de la presse franÅaise, Bd. 1: Des origines / 1815, Paris, 543–544. 62 Diese waren der Moniteur, das Journal des d8bats, das Journal de Paris, der Bien Inform8, der Publiciste, der Ami des lois, der Clef du Cabinet, der Citoyen franÅais, die Gazette de France, das Journal des hommes libres, das Journal du soir, das Journal des D8fenseurs de la Patrie und die D8cade philosophique ; vgl. Bellanger : Histoire g8n8rale de la presse franÅaise, Bd. 1 (wie Anm. 61), 550. 63 Dekret vom 4. Februar 1811; vgl. Bellanger : Histoire g8n8rale de la presse franÅaise, Bd. 1 (wie Anm. 61), 554. Direktoren der verbliebenen Zeitungen waren Sauvo für den Moniteur, Ptienne für das Journal de l’Empire, Jay für das Journal de Paris und Tissot für die Gazette de France; vgl. Avenel, Henri: Histoire de la presse franÅaise. Depuis 1789 / nos jours, Paris 1900, 201. Der Moniteur wurde in Wirklichkeit nicht viel gelesen, das Journal de l’Empire war dank der Artikel von Geoffroy das beliebteste Blatt, das Journal de Paris war auf Unfälle, Selbstmorde und Morde, Diebstähle und anderes Vermischtes spezialisiert und die Gazette de France war das religiöse Organ; vgl. ebd., 199. 64 Ein geplantes Dekret von 1810 sah vor, den Mercure mit allen Wochenblättern und dem Journal de Litt8rature et des Arts zu vereinen; vgl. Welschinger, Henri: La censure sous le Premier Empire, Paris 1882, Appendice xxxiv, 298–299. Zu den Zensurvorgaben vgl. ebd., 114. 65 Das in dieser Arbeit mitberücksichtige Magasin encyclop8dique zählt zu dieser Gruppe.
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einige Publizisten von diesen Ausnahmeregelungen Gebrauch, indem sie durch unregelmäßiges Erscheinen ihre Periodika den strengen Zensurregeln zu entziehen versuchten.66 Die Situation der Presse zum Ende des Empires aber war eingeschränkter als zum Ende des Ancien R8gime und vor dem Hintergrund der Erfahrungen freier Presse zu Beginn der Revolution, sollte dann die Pressefreiheit eine zentrale Forderung der Restaurationszeit werden.67 Karikaturen wurden von der Zensur speziell behandelt und als besonders gefährlich eingestuft, sodass sie auch nach 1822, als die Vorzensur für gedruckte Texte aufgehoben wurde, weiter vor dem Druck zensiert wurden.68 Die französische Zensur galt ab 1806 auch in den dem Kaiserreich angeschlossenen Rheinbundstaaten und wurde von den deutschen Behörden weitgehend umgesetzt. Die besetzten, formal unabhängigen Gebiete Deutschlands und der Schweiz richteten ihre Zensurpolitik ebenfalls nach französischen Richtlinien aus.69 Verschärft wurde der Druck auf die Presse ab 1811, was neben den Zensurmaßnahmen in den deutschen Gebieten auch auf die kritische politische und ökonomische Lage zurückzuführen war. Bei vielen deutschen Zeitschriften ist um diese Zeit ein Auflagenrückgang zu verzeichnen. So lange Hamburg nicht dem Französischen Reich angeschlossen war, genossen die dortigen Publikationen eine relative Freiheit, von der die Minerva in den ersten Jahren der napoleonischen Besatzung profitierte. Die Zeitschrift geriet, soweit bekannt, in diesen Jahren nicht mit der Zensurbehörde in Konflikt und stieß höchstens in anderen Regionen, wie dem Rheinland, auf Widerstände der Behörden und auf damit einhergehende Absatzschwierigkeiten. Die Minerva konnte ihre machtdistanzierte Haltung weitgehend beibehalten, was sich etwa daran zeigte, dass sie Darstellungen des Mercure de France offen kritisierte.70 Es hatte zwar bereits seit 1806 eine Einflussnahme der französischen Behörden auf die Presse der Hansestadt gegeben, doch wirklich kritisch wurde die Situation erst mit dem Anschluss der Nordseeregion an das Französische Kaiserreich am 13. Dezember 1810. Zwei Drittel der Presseorgane der Stadt mussten schließen 66 Im Prospekt der Minerve franÅaise, Folgeblatt einer Gruppe von Journalisten um den Mercure de France, heißt es beispielsweise selbstbewusst, es erschienen 13 Nummern pro Trimester, »mais / des 8poques ind8termin8es; d8pouillant ainsi les formes p8riodiques, nous pourrons, libres de toute censure, user du droit que la Charte donne / tous les FranÅais de publier leur opinions. S’il y a moins de r8gularit8 dans nos envois, il y aura donc plus de franchise dans nos 8crits.«; vgl. Les auteurs de la Minerve au public, In: Minerve francaise 1.1 (Feb. 1818), 3–8, hier 4. 67 Vgl. Bellanger : Histoire g8n8rale de la presse franÅaise, Bd. 1 (wie Anm. 61), 567. 68 Vgl. Goldstein: Political Censorship of the Arts and the Press (wie Anm. 60). 69 Vgl. Wilke, Jürgen: Pressezensur im Alten Reich, In: Haefs; Mix (Hg.): Zensur im Jahrhundert der Aufklärung (wie Anm. 47), 27–44, hier 42–43. 70 Vgl. Bran, Alexander: Ueber die nächsten Folgen des Friedens zwischen Frankreich und Oesterreich, In: Minerva 4 (1809), 173–182.
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und die verbliebenen Blätter hatten unter französischem Namen zu erscheinen.71 Mit dem Generalgouverneur der Hanseatischen Departements Louis Nicolas Davout geriet auch der neue Herausgeber der Minerva, Alexander Bran, umgehend in Konflikt und musste die Stadt verlassen, nachdem ihm die Herausgabe seiner Zeitschriften verboten worden und er von Verfolgung mit Todesstrafe bedroht war.72 In Leipzig, wo Bran die Zeitschrift fortan herausgab, galt die Zensur des mit Frankreich verbündeten Sächsischen Königreiches und die Minerva musste vorsichtiger agieren als noch in den vorangegangenen Jahren in Hamburg. In der Verfassung des Kantons Aargau, wo die Miszellen für die neuste Weltkunde erschien (siehe Kapitel II.3) gab es keine Verbriefung von Pressefreiheit oder Zensur. Die Presse stand hier wie in Frankreich unter Aufsicht des Polizeidepartements.73 Die Miszellen unterwarfen sich zur Zeit von Napoleons Herrschaft einer relativ weitreichenden Selbstzensur. Heinrich Zschokke, der Herausgeber, sah sich oftmals dem Vorwurf der Napoleonverehrung ausgesetzt74, dem er sich jedoch zu erwehren versuchte und das vorübergehende Verbot der Zeitschrift 181175 gab ihm dazu ein willkommenes Argument in die Hand. Dennoch lesen sich die Artikel zu Napoleon in den ersten Jahren der Zeitschrift, auch und gerade im Zusammenhang der Thematisierung der Kontinentalsperre als beinahe bedingungslose Rechtfertigungen der Politik des französischen Kaisers. Gleichzeitig fügte der Herausgeber immer wieder vehemente Verteidigungen der Pressefreiheit in die Spalten seines Blattes ein und ergriff selber zu diesem Zwecke die Feder, wobei er jedoch stets die notwendigen Beschränkungen dieser Freiheit aufgezeigte. Insgesamt kamen die Miszellen mit der Zensur unter Napoleon daher nicht in Konflikt; die frankreichfreundliche Berichterstattung schien dies obsolet zu machen. In Großbritannien dagegen war eine weitgehende Pressefreiheit gesetzlich verbrieft, die im frühen 19. Jahrhundert bereits auf eine lange Bewährungszeit 71 Vgl. Fratzke-Weiß, Birgit: Europäische und nationale Konzeptionen im Rheinbund. Politische Zeitschriften als Medien der politischen Öffentlichkeit, Frankfurt a. M. 1997, 156–157, 186–187 u. 189. 72 Bran hatte noch kurz vor der Ankunft Davouts in Hamburg einen Text Martin Luthers in seinen Nordischen Miszellen abgedruckt, dessen Aussage von den französischen Behörden als Kritik an der Kontinentalsperre und der Besatzung verstanden werden musste: »Aber laßt gehen, es will doch also gehen! Wir Deutsche müssen Deutsche bleiben, wir lassen nicht ab, wir müssen denn!«; vgl. Auch ein Wort von Dr. Martin Luther über die Kontinentalsperre, In: Nordische Miszellen 14 (1810), 256–265, zitiert nach Göpfert, Herbert G.: Friedrich Alexander Bran 1767–1831. Publizist und Verleger, In: Archiv für Geschichte des Buchwesens 36 (1991), 351–364, hier 356. 73 Vgl. Ort, Werner : »Die Zeit ist kein Sumpf; sie ist Strom«. Heinrich Zschokke als Zeitschriftenmacher in der Schweiz, Bern 1998, 322. 74 Vgl. ebd., 311–313 u. 335. 75 Vgl. ebd., 329–330.
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seit dem 17. Jahrhundert zurückblicken konnte, als die Vorzensur abgeschafft worden war. Eingriffe in die politische Publikationstätigkeit fanden nunmehr in Nachzensur aus politischen, religiösen oder moralischen Gründen statt und waren nicht mehr dem direkten Einfluss der Politik zuzuschreiben, deren Möglichkeiten sich auf ökonomische Begünstigungen bzw. Repressalien durch hohe Steuern verlagerten.76 Allerdings wurden mit der Gefahr eines politischen Umsturzes nach dem Beispiel der Französischen Revolution die Zeiten für politische Publizisten auch in Großbritannien rauer. Es kam zu zahlreichen Gerichtsprozessen und Verurteilungen wegen Volksverhetzung (seditious libel). 1799 wurde ein Gesetz erlassen, das das Betreiben einer Leihbibliothek ohne Genehmigung verbot und selbst Lese- und Debattiergesellschaften durften sich nicht mehr ohne offizielle Lizenz treffen. Druckwerke mussten akribisch von den Buchdruckern gemeldet werden und durften unter hoher Geld- und Haftstrafandrohung nicht ohne Autorennamen erscheinen. Einige Studien heben hervor, dass die britische Presse seit dem 17. Jahrhundert nicht mehr derartig gegängelt worden war wie in der Zeit dieses scharfen Pressegesetzes, auf das die Regierung besonders in Kriegszeiten und Krisensituationen zurückgriff.77 In den ersten Jahren des neuen Jahrhunderts versuchte die britische Regierung die Presse gefügig zu machen; immer öfter kam es zu Prozessen wegen Verleumdung nicht mehr nur der Königsfamilie, sondern verschiedenster Persönlichkeiten von Rang und 1808 wurde ein Gesetz verabschiedet, das es dem Generalstaatsanwalt erlaubte, jeden Verleger zu Informationszwecken festzunehmen.78 Von diesen Zensurprozessen waren im Wesentlichen politische Zeitungen, Bücher und Flugschriften sowie Karikaturen betroffen. Dass die Strukturierung nach Nationen über die Zensurpolitik hinaus die Pressegeschichte allgemein prägt, zeugt von einer auf staatliche Maßnahmen verengten Perspektive. Diese Verengung ist insoweit problematisch, als dass Zeitungsprojekte vielfach erstaunlich flexibel auf Zensurregelungen reagierten und etwa ihren realen oder fiktiven Verlagsort an einen Ort außerhalb der Kontrolle der eigenen Regierung verlegten. Auch die Geschichte der Pressezensur ist also verständlich oder zumindest in ihrer Komplexität nur in einem 76 Das Lizenzsystem und hohe Steuern auf Periodika sollten besonders untere Bevölkerungsschichten von der Publikation abhalten, ebenso wie es auch für das Theater weiterhin eine Vorzensur gab, da es das illiterate Publikum und damit die Unterschichten erreichte; vgl. Black, Jeremy : The English Press in the Eighteenth century, London 1987, 135–196 u. MüllerOberhäuser, Gabriele: »The Press Ought to be Open to All«. Zensur in England im Zeitalter der Aufklärung, In: Hubert Wolf (Hg.): Inquisition und Buchzensur im Zeitalter der Aufklärung, Paderborn [u. a.] 2011, 111–144. 77 Zwischen 1807 und 1810 kam es zu 42 solcher Festnahmen, während es im 18. Jahrhundert durchschnittlich jährlich zwei bis drei gewesen waren; vgl. Thomas, Donald: A Long Time Burning. The History of Literary Censorship in England, London 1969, 131–143. 78 Ebd., 143–152.
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europäischen Kontext fassbar.79 Legen sich jedoch auch Studien zu einzelnen Zeitungsprojekten, gewissermaßen aus einem auf politische Einheiten ausgerichteten Blickwinkel, eine nationale Limitierung auf, so mag dies schlicht verwundern, waren doch Periodika weder in ihrer Verbreitung, noch was ihren Mitarbeiterstab betrifft, noch bisweilen in ihrem Verlagsort an ein Land gebunden. Darüber hinaus ist, wie gesehen, in Europa insgesamt seit 1800 eine Verschärfung der Pressezensur und damit auch ein allgemeiner Trend in der Zensurpraxis zu verzeichnen. Dennoch sollen die länderspezifischen Unterschiede in der Gesetzgebung nicht in Abrede gestellt werden. Unterschiede in der Zensurregelung und -praxis sind offensichtlich: Während die Autoren der Edinburgh Review keinerlei Repressalien aufgrund ihrer regierungskritischen Meinungsbildung ausgesetzt waren, mussten die Herausgeber des Mercure und der Minerva sich den Vorgaben der Zensurbehörden anpassen oder ihre kritische Haltung verschleiern. Neben diesem Hintergrund repressiver Pressepolitik wird in der Forschung bisweilen ein weiterer Aspekt staatlicher Medienkontrolle mit der napoleonischen Ära verbunden. Aus medienhistorischer Sicht gilt die Zeit um 1800 als Beginn »aktiver Pressearbeit«, womit staatliche Eingriffe in die öffentliche Meinungsbildung gemeint sind, die über repressive Maßnahmen in Form von Zensur und Publikationsverboten hinausgingen und unter dem Terminus der Propaganda gefasst werden können.80 Erste Formen aktiver staatlicher Meinungssteuerung finden sich zweifellos in England seit der Einführung liberaler Pressegesetzgebung im späten 17. Jahrhundert sowie im Kontext der Französischen Revolution, während der alle politischen Faktionen im ›explodierenden‹ Pressemarkt über eigene Organe auf die Öffentlichkeit einzuwirken suchten.81 Die für die Frühe Neuzeit und das 19. Jahrhundert insgesamt dürftige Lage zur Propagandaforschung kann dennoch seit den Studien von Wolfgang Piereth bestimmte Charakteristika derselben festmachen. Piereth zufolge lässt sich propagandistische Einflussnahme von Seiten staatlicher Akteure insbesondere in Zeiten beobachten, in denen Regierungen davon ausgingen, »eine stark expandierende politische Öffentlichkeit mit ›negativen‹, also unterdrückenden Mitteln der Meinungssteuerung (zum Beispiel Zensur) allein nicht mehr kon79 In einem programmatischen Artikel hob Wolfram Siemann bereits Ende der 1980er Jahre auf die Möglichkeit eines fächerintegrierenden Zugangs der Zensurgeschichte ab; vgl. Siemann, Wolfram: Ideenschmuggel. Probleme der Meinungskontrolle und das Los deutscher Zensoren im 19. Jahrhundert, In: Historische Zeitschrift 245.1 (1987), 71–106. 80 Vgl. Daniel, Ute; Siemann, Wolfram: Historische Dimensionen der Propaganda, In: dies. (Hg.): Propaganda. Meinungskampf, Verführung und politische Sinnstiftung 1789–1989, Frankfurt a. M. 1994, 7–20. 81 Vgl. hierzu den Sammelband von Harvey Chisick (Hg.): The Press in the French Revolution, Oxford 1991 oder auch die regionalfokussierte Studie von Susanne Lachenicht: Information und Propaganda. Die Presse deutscher Jakobiner im Elsaß 1791–1800, München 2004.
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trollieren zu können.«82 Das heißt, in Zeiten, in denen keine oder geringere negative Einflussnahme der Obrigkeit auf die veröffentlichte Meinung in Form strenger Zensur geübt wurde, griff diese vermehrt auf ›positive‹, das heißt aktive Einflussmöglichkeiten zurück. Umgekehrt war die subtilere, positive Beeinflussung der Verbreitung obrigkeitsliebsamer Positionen über die Förderung einzelner Presseorgane oder Journalistenpersönlichkeiten in Zeiten direkter Zensur von geringer Relevanz. Während der Napoleonischen Kriege ging die Anstrengung der staatlichen Behörden, wie gesehen, stark in die Richtung repressiver Lenkung der öffentlichen Meinung durch Zensur und Strafverfolgung. So setzten propagandistische Maßnahmen, also »regierungsseitige Förderung der Verbreitung erwünschter Nachrichten«83 im deutschen Sprachraum erst mit dem Sturz Napoleon und dem Wiener Kongress etwa in Preußen, Österreich und Bayern ein.84 Gewiss verbindet die historische Forschung auch mit der Selbstrepräsentation Napoleons in ihren facettenreichen Ausprägungen Elemente staatlicher Propaganda und aktive und repressive Einflussnahme ist hier sicherlich nicht immer trennscharf, indem Napoleon nicht nur unliebsame Publikationen weitgehend unterbinden ließ, sondern auch – wie sich gerade am Beispiel der Verkündung der Kontinentalsperre über diverse Medien zeigen wird – gezielt medienwirksam eigene Standpunkte in der Öffentlichkeit verbreiten ließ.85 Und doch ist dies mit der indirekten oder zumindest verdeckten Beeinflussung der öffentlichen Meinung über nicht offiziell staatliche Blätter, wie diese um 1815 und dann wieder nach der Revolution von 1848 auftrat, nicht vergleichbar.86 Gleichwohl ließe sich gerade die Zeit der Kontinentalsperre als Höhepunkt ökonomisch ausgetragener imperialistischer Mächtekonkurrenz durchaus als Phase einer verschärften Meinungskonfrontation, gleichsam als ›Propagandakrieg‹, untersuchen und 82 Piereth, Wolfgang: Propaganda im 19. Jahrhundert. Die Anfänge aktiver staatlicher Pressepolitik in Deutschland 1800–1871, In: Daniel; Siemann (Hg.): Propaganda (wie Anm. 80), 21–43, hier 42. 83 Vgl. Daniel; Siemann (Hg.): Propaganda (wie Anm. 80), 2. 84 Vgl. zur bayrischen Propagandakampagne gegen deutsch-nationale Bestrebungen unter dem Minister Maximilian von Montgelas: Piereth, Wolfgang: Bayerns Pressepolitik und die Neuordnung Deutschlands nach den Befreiungskriegen, München 1999 u. Greiling, Werner : Das »Sündenregister der Franzosen in Teutschland«. Antifranzösische Propaganda im Zeitalter der Befreiungskriege, Leipzig 2012. 85 Vgl. Schmidt, Rüdiger ; Thamer, Hans-Ulrich (Hg.): Die Konstruktion von Tradition. Inszenierung und Propaganda napoleonischer Herrschaft, 1799–1815, Münster 2010. 86 Napoleon, der vielleicht als erster frühmoderner Herrscher die Macht der öffentlichen Meinung erkannte, verfolgte eine sehr direkte über strenge Zensur und offizielle Organe laufende Medienstrategie und setzte auf Verbot und den Zwang zur Übernahme offizieller Darstellungen in den staatlichen Leitmedien wie dem Moniteur oder den Armeemeldungen. Vgl. zu Letzteren: Pelzer, Erich: Die »Bulletins de la Grande Arm8e« als Werkzeuge Napoleonischer Propaganda. Selbstdarstellung und Legendenbildung, In: ebd., 209–234.
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eine derartige Studie würde der historischen Propagandaforschung sicher neue und spannende Aspekte liefern. Diese Arbeit versucht demgegenüber nicht die Mechanismen staatlicher Meinungsbildung über die öffentliche Presse zu veranschaulichen, sondern sucht nach Wegen, einen breiten öffentlichen Diskurs und potentiell oppositionelle Standpunkte über den Rückgriff auf politisch-literarische Zeitschriften zu erfassen und auf diese Weise eine ökonomische Ideengeschichte sichtbar zu machen, deren Konturen sich zwar in Auseinandersetzung und im teilweisen Zusammenspiel mit den offiziellen Argumentationslinien der Regierungen der beiden Kriegsparteien entwickelten, sich darüber hinaus aber in einen allgemeinen wirtschaftshistorischen Ideenkomplex einschreiben.
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Der mediengeschichtliche Strukturwandel, der sich im frühen 19. Jahrhundert vollzog, zeigt sich anhand der drei hier untersuchten Zeitschriften im Besonderen. In der Edinburgh Review, der Minerva und dem Mercure de France manifestiert sich beispielhaft die thematische und institutionelle Grenzüberschreitung der frühmodernen Zeitschriften. Sie waren führende Presseorgane im Europa der napoleonischen Ära, allerdings variierten ihr Profil und ihre institutionelle Basis je nach ihrem Erscheinungskontext. Das »Advertisement« zur ersten Nummer der Edinburgh Review 1802 hatte nur »little to observe« und ließ die Leser über den politischen oder literarischen Standpunkt der Herausgeber im Unklaren. Was diese Neues schaffen wollten, beschrieben sie nüchtern: Die Edinburgh Review werde sich anders als vorherige Rezensionszeitschriften nicht durch die Quantität der besprochenen Titel hervortun, sondern durch ihre sorgfältige Auswahl. Nach welchen Kriterien diese Auswahl getroffen werden sollte, erläuterte der Prospekt freilich ebenso wenig wie die sonstige inhaltliche Ausrichtung der Zeitschrift, ließ jedoch erahnen, dass trotz der Beschränkung auf qualitativ hochwertige Neuerscheinungen ein umfassendes, auf keine besondere Disziplin eingeschränktes Bild entstehen 87 Boswell, Alexander : Epistle to the Edinburgh Review, Edinburgh 1803, 5. Boswells Gedicht ist eine wohlwollende Mahnung an die Redakteure, in ihren Rezensionen mildere Urteile zu fällen. Die Schärfe der Kritik in der Edinburgh Review ist zur damaligen Zeit ungewöhnlich, erwies sich aber als Erfolgsrezept der Zeitschrift.
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sollte: »a complete view of modern literature«. Die Edinburgh Review kam als Literaturzeitschrift daher, ihre Buchbesprechungen hatten aber den Charakter von eigenen Abhandlungen der Rezensenten, die sich mal mehr, mal weniger am Thema der besprochen Publikation orientierten. Die Zeitschrift kann aus diesem Grund nicht eigentlich bzw. nicht nur als Rezensionsorgan verstanden werden, sondern war die Plattform einer engagierten Autorengruppe mit meinungsbildendem Charakter.88 Die von Johann Wilhelm von Archenholz gegründete Minerva war eine der wichtigsten und erfolgreichsten Zeitschriften der deutschen Aufklärung. Sie verdient daher besondere Aufmerksamkeit bei der Betrachtung der europäischen Öffentlichkeit. Ihre Artikel waren zum Großteil eigenständige Texte ihrer Herausgeber und regelmäßiger Korrespondenten oder Zusendungen von Lesern. Im Prospekt ihrer ersten Nummer heißt es: »Dies Werk ist vorzüglich der neuesten Geschichte gewidmet, in so ferne die Schicksale naher oder ferner
88 Eine erste Rezensionszeitschrift mit dem Titel Edinburgh Review war bereits zwischen 1755 und 1756 erschienen, deren Kurzlebigkeit der Edinburgh Review des 19. Jahrhunderts allerdings nicht zum schlechten Omen werden sollte. Insgesamt 127 Jahre erschien die Zeitschrift ohne Unterbrechung oder Titeländerung bis 1929, dem ersten Jahr der Weltwirtschaftskrise, in dem ihre letzte Nummer vom Band lief. Die heutige Edinburgh Review wiederum bezieht sich explizit auf ihren langlebigen Vorgänger. Von 1969–1984 hieß sie New Edinburgh Review, seit 1984 erscheint sie wieder als Edinburgh Review. Als eine der langlebigsten Zeitschriften der Pressegeschichte haben sich der Edinburgh Review zahlreiche Studien aus verschiedenen Blickwinkeln genähert. Als wichtigstes Grundlagenwerk kann, wie dies bei so vielen Zeitschriften der Fall ist, eine der frühesten Untersuchungen gelten. Scotch Reviewers von John Clive erschien 1957 und bietet einen anschaulichen Einblick in die Gründung und die Anfänge der Zeitschrift, ihre Herausgeber und deren politische und ökonomische Einstellungen; vgl. Clive, John: Scotch Reviewers. The »Edinburgh Review« 1802–1815, London 1957. Andere Autoren wählten den Zugang über den Hauptherausgeber der ersten Jahre Francis Jeffrey ; vgl. Flynn, Philip: Francis Jeffrey, Newark 1978; Pottinger, George: Heirs of the Enlightenment. Edinburgh Reviewers and Writers 1800–1830, Edinburgh 1992. Seit diesen frühen allgemeineren Studien hat sich die Forschung in verschiedene Richtungen zergliedert. So beschäftigen sich einige Veröffentlichungen intensiv mit dem Beitrag oder der Haltung der Edinburgh Review zur Literaturströmung der Romantik, andere mit ihren politischen Positionen, wiederum andere mit ihren ökonomischen Überzeugungen; vgl. u. a. Christie, William: The Edinburgh Review in the Literary Culture of Romantic Britain, London 2009 und den anlässlich des 200. Jahrestag der Gründung der Zeitschrift herausgegebene Band: Demata, Massimiliano; Wu, Duncan (Hg.): British Romanticism and the Edinburgh Review. Bicentenary Essays, New York 2002. Im Zusammenhang dieser Arbeit ist besonders eine Studie aus den 1980er Jahren relevant. Bis einschließlich 1832 hat Biancamaria Fontana die wirtschaftspolitische Haltung der Edinburgh Review und die Aufnahme der schottischen Wirtschafts- und Sozialtheorie des 18. Jahrhunderts in der Zeitschrift untersucht und damit eine der besten Analysen zu dieser Zeitschrift vorgelegt: vgl. Fontana, Biancamaria: Rethinking the Politics of Commercial Society. The Edinburgh Review 1802–1832, Cambridge 1985. Der späteren Review sind ungleich weniger Untersuchungen gewidmet, obgleich sie gerade durch die Zeitzeugenschaft, die die Kontinuität der Zeitschrift bietet, von besonderem historischen Interesse ist.
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Länder, und die Meynungen und Handlungen ihrer Bewohner für aufgeklärte Völker Interesse haben.«89 Der Mercure de France, der häufig wechselnde Herausgeber hatte, war bis 1807 ein offen oppositionelles Blatt, musste sich dann aber den politischen Eingriffen beugen und konnte auf diese Weise und indem er zu einer in weiten Teilen literarischen Zeitschrift mit einem genehmigten politischen Teil wurde, bis zum Ende der napoleonischen Herrschaft fortbestehen. Seine Bedeutung ist zwar nicht mit den hier behandelten britischen und deutschen Zeitschriften vergleichbar, er füllte aber doch eine Lücke in der französischsprachigen gelehrten Öffentlichkeit und erlangte diesbezüglich eine wichtige Funktion.90 Der Auswahl der drei Periodika lagen vor allem zwei Kriterien zugrunde: 89 Archenholtz, Wilhelm von: [Ohne Titel], In: Minerva 1 (1792), 1–2. Die Bezugnahme auf die Minerva in der Forschungsliteratur zur Aufklärung, der Zeit der Französischen Revolution oder dem beginnenden 19. Jahrhundert sind Legion. Sie diente Generationen von Historikern als Quelle für verschiedenste Untersuchungsgegenstände. Gleichwohl hat sie das Schicksal vieler Standartreferenzen ereilt: In den letzten fünfzig Jahren wurde kein Buch veröffentlicht, das sich ausschließlich dieser wichtigen Zeitschrift oder ihrer Herausgeber widmet. Pressehistoriker in Deutschland können jedoch auf zahlreiche exzellente Studien zur Minerva und ihrem Herausgeber zurückgreifen. Die wichtigsten sind bis heute zweifellos Friedrich Gotthelf Ruofs Buch Johann Wilhelm von Archenholtz von 1915, sowie Carde Springorums Dissertation von 1945; vgl. Ruof, Friedrich Gotthelf: Johann Wilhelm vom Archenholtz. Ein deutscher Schriftsteller zur Zeit der Französischen Revolution und Napoleons 1741–1812, Berlin 1915 u. Springorum, Carde: Die Minerva des Johann Wilhelm von Archenholz. Untersuchungen über die kulturpolitische Leistung und Wirkung einer Zeitschrift der Wende des 18. zum 19. Jahrhundert (Diss. Universität Heidelberg 1945). Es ist das Verdienst von Birgit Fratzke-Weiß, in ihrer Studie über europäische und nationale Konzepte während des Rheinbundes, die Minerva und drei weitere wichtige Zeitschriften im Kontext der Herausgeber- und Mitarbeiternetzwerke eingehend untersucht zu haben; vgl. FratzkeWeiß: Europäische und nationale Konzeptionen (wie Anm. 71). 90 Zu den verschiedenen Serien, die vom frühen 18. bis ins 20. Jahrhundert unter dem Titel Mercure de France erschienen, gibt es zahlreiche Studien; die Zeitschrift dieses Namens im frühen 19. Jahrhundert ist dagegen praktisch unerforscht. Sie taucht selbstverständlich in pressehistorischen Werken auf und ihre Mitarbeiter sind als Redakteure anderer Zeitungen und als öffentliche Persönlichkeiten bekannt und beschrieben worden. Der Mercure, der von 1800 bis 1815 erschien, ist dagegen in keiner Monographie oder umfangreichen Studie untersucht worden. Einige seiner Mitarbeiter sind aber Gegenstand der Forschung gewesen, wobei sie in ihrer Funktion als Literaten und Theaterschreiber ins Licht gerückt wurden, nicht aber als Redakteure des Mercure de France. Zu Ptienne Jouy vgl. Comeau, Paul Theodore: Etienne Jouy. His Life and his Paris Essays, Princeton (N. J.) 1968 und aktueller eine Studie zu seiner Funktion als Militär, in der zu Beginn kurz auch auf seine koloniale Erfahrung eingegangen wird: Faul, Michel: Les aventures militaires, litt8raires et autres de Ptienne de Jouy, de l’Acad8mie franÅaise, Biarritz 2009; Wicks, Charles Beaumont: CharlesGuillaume Ptienne. Dramatist and Publicist 1777–1845, Baltimore 1940. Zu dem Hauptbeiträger Jacques-Barth8lemy Salgues gibt es keine Literatur. Die Pressegeschichtsschreibung hat insgesamt einen Bogen um diese Jahre unter strengster Zensur gemacht und nur wenige Autoren haben sich gerade aus diesem Grund mit der Periode beschäftigt; vgl. Cabanis, Andr8: La presse sous le consulat et l’empire, Paris 1975, der sich aber nur auf die Zeitungspresse bezieht.
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1. die hohe Auflage und weite Verbreitung, die ihre Meinungsführerschaft in ihren Erscheinungsregionen ausmachten; 2. ihre Langlebigkeit, die das Nachzeichnen der Welthandelsdiskurse und deren Veränderung über den gesamten Untersuchungszeitraum ermöglichten. Beide Kriterien zielen darauf, die theoretische Auseinandersetzung um den Welthandel und seine ökonomischen Konsequenzen auf der Basis von Dokumenten nachzuzeichnen, die einerseits ein möglichst breites Publikum erreichten, ohne andererseits die Komplexität der Debatten zu reduzieren. Das eigentliche Massenmedium der Zeit, die Zeitung, wurde aus diesem Grund nicht mitberücksichtigt. Dadurch reduzieren sich freilich das Adressatenpublikum und somit auch die Trägerschicht der untersuchten öffentlichen Debatten. Wie es der Anspruch der Herausgeber der Zeitschriften war, können ihre gelehrten Leserschichten allerdings als gesellschaftliche Multiplikatoren der theoretischen Auseinandersetzung über die wahrgenommenen ökonomischen Phänomene verstanden werden.91 Abgesehen vom Mercure de France, dessen Konkurrenten durch Zensurzwang während der Untersuchungsperiode in Frankreich ausgeschaltet oder zur Bedeutungslosigkeit verdammt worden waren, erschienen in den europäischen Ländern auch andere wichtige gelehrte Zeitschriften, von denen in dieser Arbeit jeweils eine zur Ergänzung der Untersuchung zum Zwecke der umfassenderen Abbildung der geographischen Verbreitung herangezogen wird. Der Edinburgh Review stand ab 1809 ein Pendant ihrer politischen Gegenpartei gegenüber : die Quarterly Review aus London. Im deutschsprachigen Raum finden sich zahlreiche andere Zeitschriften, die neben der Minerva, welche zeitweilig die höchste Auflage aller deutschsprachigen Zeitschriften erreichte, wichtig waren und in anderen Regionen größere Bedeutung hatten.92 Nicht zuletzt aus Gründen der 91 Es soll keineswegs behauptet werden, dass die Zeitschriften in Profil und Genre sowie ihrer Funktion im jeweiligen nationalen Kontext im Einzelnen vergleichbar wären. Dies wäre angesichts der Vielfalt und den noch fluktuierenden Genregrenzen auch ein hoffnungsloses Unterfangen. Eine Rezensionszeitschrift mit starker politischer Position und meinungsbildender Funktion unter liberaler Pressegesetzgebung wie der Edinburgh Review ist mit einem Mercure de France, der unter der strengen napoleonischen Zensur stand, nicht auf eine Ebene zu stellen. Auch springt in den tagespolitischen Zeitungen der Zeit die internationale Zirkulation von Information stärker ins Auge als es in Zeitschriften der Fall war, die zur Informationsbeschaffung selbst, neben Büchern, auch eher auf Zeitungen denn auf Zeitschriften aus dem Ausland zurückgriffen. Doch findet die Meinungsbildung dann doch in den Zeitschriften statt und nicht in den Zeitungen, die die spröde Information dagegen einfach übernahmen (oder im Falle der französischen und französisch besetzten Gebiete übernehmen mussten), während die Minerva die Informationen aus dem Morning Chronicle oder dem Moniteur zumindest kommentierte. 92 Das Politische Journal ist die weitverbreitetste deutschsprachige Zeitschrift zu Beginn des 19. Jahrhunderts, doch auf inhaltlicher Ebene ist sie nicht im Geringsten mit anderen weltweit ausgerichteten Profilen vergleichbar, sie hält sich an die Berichte der politischen Vorgänge und Beschlüsse (Abdruck von Aktenstücken) in Europa, meist Deutschland, Frankreich und England.
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Europäische Zeitschriften mit globaler Ausrichtung
geographischen Diversität soll die norddeutsche Minerva durch die schweizerischen und auch in Süddeutschland verbreiteten Miszellen für die neueste Weltkunde ergänzt werden. Dem Mercure de France wird das auflagenschwache, aber geographisch weit verbreitete Magasin encyclop8dique gegenübergestellt.
3.1
Erscheinen und Verbreitung
Erscheinungsform der Zeitschriften Das erste Heft der Edinburgh Review erschien im Oktober 1802 und wurde ein fulminanter Erfolg, der den Auftakt zu einem das gesamte Jahrhundert umfassenden, bis 1929 dauernden Erscheinungsverlauf bildete. Die Edinburgh Review war, entgegen der damals üblichen monatlichen Periodizität von Rezensionszeitschriften, im Vierteljahresrhythmus angelegt und ein Heft hatte einen Umfang von ungefähr 230–260 Seiten. In einigen Jahren erschienen lediglich drei Hefte, auch die Erscheinungstermine variierten von Jahr zu Jahr.93 Verlegt wurde die Edinburgh Review bei Archibald Constable in Edinburgh und bei Longman & Co. in London.94 Für die Edinburgh Review, wie auch für die beiden anderen Zeitschriften, ist kennzeichnend, dass sie den zur damaligen Zeit einsetzenden graphischen Neuerungen zum Trotz ausgesprochen traditionell gestaltet war. Während sich besonders die britische Presse im frühen 19. Jahrhundert strukturierenden Illustrationen im Text zu öffnen begann und zunehmend bild-text-graphische Auflockerungen einbezog, war die Edinburgh Review äußerlich schlicht gehalten. Dem Titel »The Edinburgh Review or Critical Journal« in Großbuchstaben folgte auf dem Titelblatt die Monats- und Jahresangaben des jeweiligen Bandes, der Leitspruch »Judex damnatur cum nocens absolvitur«95 von Publius Syrus und schließlich die Angaben zu Ort und Jahr. Den einzelnen Heften war auf einer Drittelseite Titel, Monat und Jahr sowie die Nummer des Heftes vorangestellt. Darauf folgten in dichtgedrucktem Fließtext die mit römischen Zahlen nummerierten Artikel der Nummer. Zitierte Passagen aus rezensierten Werken wurden teilweise in einer kleineren Schriftgröße abgedruckt und machten die Lektüre zu einer mühseligen Angelegenheit. Die Erscheinungsform sollte zum Ende des 19. Jahrhunderts noch exakt dieselbe sein; graphische Aufmachung, Einteilung der Hefte und Artikel hatten sich praktisch nicht verändert. Die Minerva. Ein Journal historischen und politischen Inhalts wurde 1792 in 93 Wurden zu Beginn grundsätzlich noch die Monate Januar, April, Juli und Oktober eingehalten, gab es in den 1820er Jahren kaum noch eine Regelmäßigkeit. 94 Ab 1826 übernahm Longman die Edinburgh Review als alleiniger Verleger. 95 »Der Richter wird verurteilt, wenn ein Schuldiger freigesprochen wird.«
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Paris gegründet und ab 1794 in Hamburg, später in Leipzig verlegt und erst 1858 eingestellt. Auch sie hat damit einen für die Zeit außerordentlich langen Erscheinungsverlauf vorzuweisen. Anfänglich hatte sie noch regelmäßig Kupferstiche, meist Portraits bekannter französischer und britischer Persönlichkeiten aus Politik und Wissenschaft, im Programm, rückte aber von diesen druckgraphischen Elementen – wohl auch aus Kostengründen – 1798 ab. Die graphische Gestaltung der Zeitschriften um 1800 war nicht in der gleichen Weise standardisiert wie dies bei Zeitungen der Fall war. Das Titelblatt der Minerva enthielt neben Titel und Untertitel, die Angabe über ihren ersten Herausgeber Wilhelm von Archenholz, die auch noch beibehalten wurde, als dieser die Herausgabe längst in andere Hände übergeben hatte. Erst im dritten Band des Jahres 1812 verschwand der Verweis auf den Gründer der Zeitschrift. Neben Band- und Jahresangabe, Verleger und Ort, stand in lateinischen Lettern das Motto »To shew – the very age and body of the time its form and pressure«. In einigen Jahren experimentierte der Verleger mit Randverzierungen des Titelblatts, kehrte aber bald zur schlichteren Gestaltung zurück. Der Mercure de France. Journal litt8raire et politique ist, wenn man die verschiedenen Zeitschriften, die im Laufe des 18. und 19. Jahrhunderts unter diesem Titel erschienen, als Einheit betrachtet, eine der langlebigsten Zeitschriften im Europa der Neuzeit. Sein Vorgänger der Mercure Galant erschien erstmalig 1672, ab 1724 lief das Projekt unter dem Namen Mercure de France. Die Herausgeber und das Profil wechselten im Laufe der Jahre mehrfach. Nach der Restauration versuchte der Zirkel um den Mercure de France, Ptienne Jouy, Antoine Jay und Charles Guillaume Ptienne, die Zeitschrift neu aufleben zu lassen; sie verlor aber zusehends an Bedeutung.96 Die Journalistengruppe gründete L’Ind8pendant (später Le Constitutionnel) und begann auch ein neues Projekt einer literarischen Zeitschrift, die die Stelle des Mercure ab 1818 übernehmen sollte: La Minerve franÅaise. Die 1799er Serie endete 1818; in den 1830er Jahren wurde der Name aber erneut aufgegriffen und der Mercure wurde um 1900 noch einmal zu einer der wichtigsten Zeitschriften des literarischen Feldes und bestand bis 1965. Der aus der Redaktion hervorgegangene Verlag besteht bis heute. Die Gestaltung des Mercure de France war mit seinem Titelstich von den drei Zeitschriften die aufwändigste und repräsentiert damit eher die typische Aufmachung von Zeitschriften um 1800. Der Mercure hielt an den Titel- und Überschriftstichen fest, die für Zeitschriften des 18. Jahrhunderts typisch waren, der Fließtext dagegen ist ebenfalls sehr schlicht gehalten. Unter dem Titel und der Bandnummer eines Halbjahresbandes befindet sich ein Kupferstich des namensgebenden römischen Götterboten, der mit Buch und Heroldstab in den Händen aus den Wolken hervortritt. Am unteren Bildrand erstreckt sich ein 96 Vgl. Annuaire de la soci8t8 des antiquaires de France (1854), 181.
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Europäische Zeitschriften mit globaler Ausrichtung
Banner mit dem Leitspruch des Mercure »Vires acquirit eundo«.97 Am Fuß des Titelblattes stehen Name und Adresse des Verlegers sowie die Jahreszahl. In späteren Ausgaben ist auch jede Nummer mit einem aufwendigen Stich versehen, der die Symbole der Themenfelder der Zeitschrift vereint: Fernrohre für Wissenschaft, Marmorbüste für Geschichte, Leier für die Lyrik, Gesetzestafeln und Waage für Recht und Politik. Insgesamt war also die äußere Gestaltung der drei Zeitschriften von einer ausgeprägten Kontinuität bestimmt. Innovationen schlugen sich nicht in ihrer äußeren Form nieder, was dem Leser der Presse des 18. Jahrhunderts vertraut vorkommen musste, im Vergleich mit der Entwicklung im Laufe des 19. Jahrhunderts dagegen erstaunen mag. Diese konservative Gestaltung gilt in gleichem Maße für die die Quarterly Review, die sich exakt an die Darstellungsform ihres Vorgängers hielt und schon damit seine Position als Gegenspieler ausdrückte. Visuell ansprechend mit einem hübschen Kupferstich als Seitenkopf kamen die Miszellen, wie der Mercure, einer Zeitschrift des 18. Jahrhunderts näher. Das Magasin enyclop8dique dagegen war eher schlicht gehalten, druckte aber regelmäßig einfache Architektur- oder Numismatikstiche ab. Auflage und Verbreitung Wenngleich die Edinburgh Review auch den regionalen Bezug im Namen trug, fand sie, wie einst die Schriften der schottischen Aufklärer, weit über die Stadt und Schottland hinaus Verbreitung. Der hohe Anteil an Exemplaren, die direkt nach London geliefert wurden, förderte ihren Weitervertrieb in andere Regionen Großbritanniens und Europas. In einem Artikel des Jahrgangs 1808 spielte Thomas Malthus mit ironischem Witz ein Gedankenspiel, in welchem er nebenbei auch die Verbreitung der Edinburgh Review andeutete: »Let us suppose a case, which we hope may happen, though we confess that our fears that it will not, greatly preponderate; – let us suppose that the emperors of France, Russia, and Austria were to send to our fraternity of reviewers at Edinburgh, five hundred thousand quarters of corn, fifty thousand pipes of wine, and ten thousand poods of tallow, as a slender testimony of their sense of the benefits which they and their subjects have derived from our critical labours, of which, to use the language of our great bard on a still more important occasion, ›all Europe rings from side to side.‹«98
Die Edinburgh Review war im frühen 19. Jahrhundert die am weitesten verbreitete Zeitschrift Europas. Die erste Auflage rief ein derart großes Interesse in 97 »Er gewinnt in seinem Lauf an Stärke.« 98 Malthus, Thomas Robert: Britain independent of Commerce; or, Proofs deduced from an Investigation into the True Causes of the Wealth of Nations. By William Spence, In: Edinburgh Review (Jan. 1806), Art. XI, 439. Die zitierte Passage im Text stammt von John Milton.
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der Stadt hervor, dass bereits einen Monat später eine Neuauflage von 750 Exemplaren gedruckt wurde. Diese erste Nummer blieb auch nach dem Erscheinen der zweiten Nummer Anfang 1803 ein Erfolg und ihre Auflage stieg bis Jahresende auf insgesamt 2 150. Auch die Ausgaben des Jahres 1803 hatten eine Auflage von bis zu 2 000 Exemplaren.99 In den folgenden Jahren stieg die Zahl kontinuierlich und für eine Zeitschrift ungewöhnlich stark an; einzelne Nummern oder Jahrgänge wurden auch lange nach ihrem ersten Erscheinen wiederaufgelegt. Für 1810 sprach der Verleger Archibald Constable von 12 000 gedruckten Exemplaren,100 was die Auflage jeder anderen europäischen Zeitschrift und der meisten Zeitungen um ein Vielfaches überstieg. Der Herausgeber ging von 3–4 Lesern pro Exemplar aus, was niedrig angesetzt ist, und schon damit käme sie auf eine Leserschaft von 36–48 000 Personen.101 Ungefähr die Hälfte der Auflage wurde zur damaligen Zeit nach London verschifft und dort verkauft. Der Preis betrug bei der Gründung fünf Shilling und wurde 1809 auf sechs Shilling erhöht.102 Die Abonnenten der Edinburgh Review gehörten damit, wie dies auch für die anderen europäischen Zeitschriften galt, zum wohlhabenden Bürgertum. Ein Fabrikarbeiter konnte sich diesen Preis nicht leisten, doch Angehörige der Mittelschicht wie reichere Bauern, Krämer und Ärzte zählten durchaus auch zum Leserkreis der Zeitschrift.103 Die Minerva war, zusammen mit dem Politischen Journal von Gottlob Benedikt von Schirach, die erfolgreichste deutsche Zeitschrift um 1800. Die Zeitschrift wurde im Selbstverlag Johann Wilhelm Archenholz’ publiziert und gehörte damit zum Typus der Herausgeberzeitschrift, wie er für das 18. Jahrhundert üblich gewesen war, im frühen 19. Jahrhundert aber allmählich von Verlegerzeitschriften mit angestelltem Herausgeber abgelöst wurde.104 Sie erschien monatlich und wurde in Dreimonatshefte zusammengefasst, deren Umfang zwischen 520 und 570 Seiten variierte. 1792 zunächst in Paris veröffentlicht, doch bald nach Hamburg verlegt, erreichte sie 1809 eine Auflage von ca. 6 000 Exemplaren105 und war die am häufigsten in Lesegesellschaften ver-
99 Vgl. Clive: Scotch Reviewers (wie Anm. 88), 30. 100 Zum Vergleich: Die Times, auflagenstärkste Tageszeitung, druckte seit der Einführung der dampfbetriebenen Druckerpresse im Jahre 1814 7 000 Exemplare. 101 Vgl. Clive: Scotch Reviewers (wie Anm. 88), 133–135. 102 Andere britische Zeitschriften zu dieser Zeit waren deutlich günstiger : Das Blackwood’s Magazine und das Monthly Magazine kosteten 3,6 Shilling, das Gentlemen’s, das Universal und das European Magazine kosteten 1,6 Shilling; vgl. Altick, Richard D.: The English Common Reader. A Social History of the Mass Reading Public 1800–1900, Chicago 1957, 319. 103 Vgl. Clive: Scotch Reviewers (wie Anm. 88), 135–136. 104 Vgl. Fratzke-Weiß: Europäische und nationale Konzeptionen (wie Anm. 71), 41. 105 Vgl. Springorum: Minerva (wie Anm. 89), 18.
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tretene deutsche Zeitschrift.106 Vorsichtige Schätzungen gehen davon aus, dass ein Exemplar ca. 12 Leser erreichte107, was eine für eine Zeitschrift beeindruckende Gesamtleserschaft der Minerva von 72 000 Personen bedeuten würde.108 Der Preis der Zeitschrift betrug im Jahr 1811 acht Reichstaler. Publikum waren das gelehrte Bürgertum und der Adel, es reichte aber über diese Kreise hinaus.109 Die Zeitschrift war vor allem in Norddeutschland verbreitet; sie wurde aber auch in beinahe allen europäischen Hauptstädten gelesen.110 Der Mercure de France war seit 1807 praktisch die einzige zugelassene Pariser Zeitschrift von Bedeutung und erreichte damit zwangsläufig eine der höchsten Auflagenzahlen in Frankreich. Die Zeitschrift erschien im Wochentakt jeden Samstag und eine Nummer hatte den Umfang von ca. 50 Seiten. Ein Jahresabonnement kostete 48 Francs und wurde portofrei ins gesamte Empire geliefert. Für den Mercure liegen nur für die Abonnenten außerhalb von Paris gesicherte Zahlen vor : 1803 wurden 830, zehn Jahre später 680 Exemplare per Post verschickt.111 Die politisch-literarischen Periodika insgesamt hatten eine Auflage von ca. 60 000 gedruckten Exemplaren.112 Auch wenn die Auflagenzahl des Mercure mit der zunehmend schärferen Zensur wohl abnahm, ist davon auszugehen, dass sie sich erhöhte als die konkurrierenden Zeitschriften verboten und die D8cade philosophique mit ihm zwangsvereinigt wurden. Aufgrund dieser politischen Intervention wurde der Mercure zur weitverbreitetsten französische Zeitschrift der Zeit. Das Blatt war damit im Zeitschriftenbereich das, was im Zeitungsbereich der Moniteur war : Sprachrohr der napoleonischen Herrschaft. Allerdings genoss ein literarisches Blatt gleichwohl Freiheiten, die im reinen Nachrichtenjournalismus der Zeitungen undenkbar waren. Die Verbreitung der Zeitschriften erfolgte über die Abonnenten, zu denen auch Lesekabinette und Herausgeber von Periodika in anderen Ländern ge106 Vgl. Prüsener, Marlies: Lesegesellschaften im 18. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Lesergeschichte, München 1972, 430. 107 Vgl. Welke, Martin: Die Presse und ihre Leser. Zur Geschichte des Zeitungslesens in Deutschland von den Anfängen bis zum frühen 19. Jahrhundert, In: Klaus Beyrer ; Martin Dallmeier (Hg.): Als die Post noch Zeitung machte. Eine Pressegeschichte, Gießen 1994, 140–147, hier 141. 108 Dies ist ca. 3,7 % des deutschen Bürgertums, zu dem zwischen 3,25 und 4,25 Millionen Personen zählten, das heißt 13 % bis 17 % der Gesamtbevölkerung des Deutschen Reiches. Zum Bürgertum um 1800 siehe Frevert, Ute: »Tatenarm und gedankenvoll?«. Bürgertum in Deutschland 1780–1820, In: Helmut Berdingu. a. (Hg.): Deutschland und Frankreich im Zeitalter der Französischen Revolution, Frankfurt a. M. 1989, 262–292. 109 Vgl. Fratzke-Weiß: Europäische und nationale Konzeptionen (wie Anm. 71), 149–150. 110 Es gibt Nachweise über die Abonnenten in Paris sowie über die Präsenz der Minerva in Lesegesellschaften im Herzogtum Warschau, vgl. ebd., 158–159. 111 Archives Nationales, AF IV 1.049, dos. 8, fol. 25 sowie 29 AP 91, fol. 119, zitiert nach Cabanis: La presse sous le consulat et l’empire (wie Anm. 90), Annex 2, 320–322. 112 Bellanger : Histoire g8n8rale de la presse franÅaise, Bd. 1 (wie Anm. 61), 555.
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hörten. Zeitschriftenherausgeber bezogen die wichtigsten ausländischen Blätter im Abonnement und sorgten so indirekt für eine weitere Diffusion der Inhalte.113 Die Edinburgh Review wurde schnell über die Britischen Inseln hinaus zum Referenzwerk und von vielen Herausgebern auf dem Kontinent abonniert und multipliziert. Die Minerva war die am häufigsten in Lesekabinetten vertretene deutschsprachige Zeitschrift und in einem Radius von Warschau, über Hamburg und Aachen bis nach Schaffhausen verbreitet114 und wurde auch in Paris rezipiert.115 Der Mercure wurde ebenfalls in Lesekabinetten in- und außerhalb Frankreichs abonniert.116
3.2
Herausgeber- und Mitarbeiterprofile
Soziales Profil Die Zeit um 1800 war in Europa eine politischer Wirren, die von den meisten Menschen und im Besonderen von Personen des öffentlichen Lebens eine ungekannte Improvisationsgabe und die Fähigkeit zur beruflichen Neuerfindung verlangte, auf der anderen Seite aber auch neuartige Karrieremöglichkeiten eröffnen konnte. Die Herausgeber der hier untersuchten Zeitschriftenprojekte wurden zum Großteil in den 1760er und 1770er Jahren geboren und erlebten damit als junge Männer die Französische Revolution. Die Mehrheit von ihnen stammte aus einem bürgerlichen Milieu oder dem niederen Adel. Ihre Ausbildung folgte zunächst oft den klassischen Bildungswegen ihres Herkunftsmilieus im Militär oder dem Studium der Theologie und der Rechte. Zu Schriftstellern entwickelten sie sich in Eigeninitiative und ohne die Unterstützung wohlhabender Gönner. Die meisten von ihnen begannen ihre journalistischen Unternehmungen bereits in jungen Jahren, während der Revolutionszeit, die in ganz Europa der Gründung von Periodika einen immensen Auftrieb verlieh. Die Zeitschriftengründung diente ihnen einerseits dazu, in die politischen Debatten
113 In Lesegesellschaften scheinen fremdsprachige Periodika kaum bis gar nicht vertreten gewesen zu sein; vgl. dazu Prüsener : Lesegesellschaften (wie Anm. 106) und Walther, Karl Klaus: Buch und Leser in Bamberg 1750–1850, Wiesbaden 1999. 114 Vgl. Fratzke-Weiß: Europäische und nationale Konzeptionen (wie Anm. 71), 161. 115 Vgl. den Nachruf auf Archenholz und sein literarisches Schaffen im Magasin: Nouvelles litt8raire, In: Magasin encyclop8dique 2 (1812), 390–391. Auch die deutschsprachige Gemeinde in Paris diente als Vektor der Verbreitung der Minerva; vgl. Ruof: Archenholtz (wie Anm. 89), 108. 116 Vgl. Candaux, Jean-Daniel: Les »Cabinets litt8raires« de Didier et de Paschoud et leurs catalogues, In: Soci8t8 de Lecture GenHve (Hg.): Soci8t8s et cabinets de lecture entre LumiHres et Romantisme, Genf 1995, 99–110.
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eingreifen zu können, andererseits aber auch zur persönlichen Existenzsicherung. Die Anfänge der Edinburgh Review sind deshalb in den Fokus des Forschungsinteresses geraten, weil sie von Beginn an ein ebenso eindeutiger wie unerwarteter Erfolg wurde. Die Mitbegründer und in der englischsprachigen Literatur als »Reviewers« bezeichneten Hauptredakteure der Zeitschrift, waren ein Kreis von vier Freunden, die ihr Studium an der Universität von Edinburgh absolviert und in der Speculative Society und der Academy of Physics Bekanntschaft geschlossen hatten. Drei von ihnen arbeiteten als Juristen am örtlichen Gericht. Allesamt waren sie liberale, den Positionen der Whigs zugeneigte junge Männer, die sich entschlossen, ein Rezensionsorgan neuer Prägung aus der Taufe zu heben. Francis Jeffrey (1773–1850) wurde ab 1803 zum Hauptherausgeber bestimmt und fungierte über 27 Jahre als zentrale Persönlichkeit der Zeitschrift. Jeffrey stammte aus Edinburgh, hatte eine höhere Bildung in Griechisch, Logik und Moralphilosophie an der Universität von Glasgow genossen, bevor er 1789 – unterbrochen nur von einem Jahr in Oxford – zum Studium der Rechtswissenschaft in seine Heimatstadt zurückkehrte. Er war seit 1794 am Gericht in Edinburgh als Anwalt tätig. Als einziger der Hauptredakteure blieb er in Edinburgh wohnhaft und steuerte von dort aus die Publikation der Review. Er übernahm einen Großteil der Besprechungen.117 1829 wurde er Dekan der Juristischen Fakultät und gab daraufhin seine Rolle als Herausgeber auf. Von London aus trug Henry Brougham (1778–1868) ab 1805 (mit) die meisten Artikel zur Zeitschrift bei: Zwischen 1807 und 1815 erschienen von ihm über 80 Artikel zu wissenschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Themen.118 Francis Horner (1778–1817) ist als Redakteur für den hier betrachteten Zeitraum nicht relevant, da er noch vor 1806 die Mitarbeit aufkündigte. Sidney Smith (1771–1845) war Pastor der Church of England und übernahm für die erste Nummer die Herausgeberschaft. In den folgenden Jahren schrieb er zahlreiche Artikel zu religionspolitischen Themen und Reiseliteratur für die Edinburgh Review. Die in der Review veröffentlichten Rezensionen widerspiegeln oftmals die Positionen ihres Herausgebers, wenngleich sich unterschiedliche Standpunkte in ihr wiederfinden. Trotz einer für das Genre der Rezensionszeitschrift üblichen Heterogenität der Positionen, hatte die Edinburgh Review politisch wie literaturkritisch ein erkennbares Profil, dem sich auch die verschiedenen aus117 Zwischen 1807 und 1815 erschienen von ihm über 80 Artikel; vgl. Houghton, Walter E. (Hg): The Wellesley Index to Victorian Periodicals 1824–1900, Bd. 1, Toronto 1966, 954–956. Christie hat zuletzt das starke redaktionelle Eingreifen Jeffreys in die einzelnen Artikel dargelegt: Jeffrey nahm für sich in Anspruch, Teile der eingesandten Rezensionen umzuschreiben, zu streichen oder zu ergänzen und holte dafür nur in seltenen Fällen das Einverständnis der Autoren ein; vgl. Christie: The Edinburgh Review (wie Anm. 88), 39–44. 118 Vgl. Houghton: The Wellesley Index (wie Anm. 117), 824–827.
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wärtigen Autoren zuordneten und das von ihren Lesern als kollektives Wir wahrgenommen wurde. Als Rezensionsorgan hatte die Edinburgh Review kein weitgespanntes Korrespondentennetzwerk. Es gab keine Berichte über bestimmte Gegenenden oder Ereignisse aus erster Hand. Ihren Inhalt entnahm sie anderen Veröffentlichungen und den Kommentaren, die ihre Mitarbeiter dazu verfassten. Dem jeweiligen Rezensenten musste lediglich die Publikation vorliegen, dann konnte er seinen Beitrag an jedem beliebigen Ort verfassen und nach Edinburgh schicken. Auffällig ist das gänzliche Fehlen nicht-britischer Autoren in den Reihen der Edinburgh Review. Dieses Bild bleibt jedoch nur erhalten, wenn man die Sicht auf die Autoren der Rezensionen beschränkt. Schaut man sich die Herkunft der Autoren der besprochenen Werke an, so speisten sich die Artikel der Edinburgh Review ebenso aus internationalen Quellen wie andere europäische Zeitschriften. Wenngleich die überwiegende Mehrzahl der rezensierten Werke englischsprachig war, so erfuhren auch französische, spanische und bisweilen deutsche Schriften eine ausführliche Besprechung in der Edinburgh Review. Berücksichtigt man zudem, dass viele der Originalartikel in anderen Zeitschriften auch keine Texte eigener Korrespondenten vor Ort waren, sondern oftmals Auszüge aus eigenständigen Veröffentlichungen, so nivelliert sich der Unterschied zur Edinburgh Review deutlich. Gleichwohl bleibt die ›Britishness‹ der Beiträger ein auffälliges Merkmal, umso mehr als auf der Rezeptionsebene die Grenzen der Inseln bei weitem gesprengt wurden. Obgleich ab Mai 1803 bis 1829 Francis Jeffrey die Hauptherausgeberschaft übernahm, ist es für die Edinburgh Review nicht angeraten, sich hinsichtlich der Autoren auf die Herausgeber zu konzentrieren. Die Liste der identifizierbaren Autoren enthüllt die prominentesten Persönlichkeiten der Whig-nahen britischen Öffentlichkeit. Neben den Mitbegründern war vor allem in den ersten Jahren der Indologe Alexander Hamilton ein treuer Beiträger der Zeitschrift. Auch der Mathematiker und Geologe John Playfair schrieb regelmäßig Rezensionen, ebenso der Ökonom James Mill, der Historiker John Allen sowie der Schriftsteller William Hazlitt. Später tauchen Namen wie die des Juristen und Literaten Henry Cockburn oder des Ökonomen John Ramsay McCulloch auf.119 Doch rund die Hälfte der Inhalte wurde bis in die Mitte der 1820er Jahre von Jeffrey, Brougham und Smith selbst geschrieben und auch sonst wachte Jeffrey darüber, den Kreis der Autoren nicht zu stark zu erweitern und verließ sich lieber auf die bewährte Qualität der regelmäßigen Beiträger.120 Ein innovatives 119 Obgleich die Rezensionen anonym veröffentlich wurden, können dank einer breiten Quellenlage praktisch alle Artikel ihren Autoren zugeordnet werden. Die detaillierte Zuordnung aller Artikel von 1802 bis 1900 findet sich in: ebd., 416–553. 120 William Christie geht gar soweit, den Erfolg der Zeitschrift auf diese Beschränkung auf
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Merkmal der Edinburgh Review war ihre finanzielle Generosität gegenüber den Beiträgern. Ihr Verleger Archibald Constable bot zehn Guineas pro Bogen, 1808 dann fünfzehn und 1812 zwanzig.121 Jeffrey hatte freie Hand, bestimmten Autoren mehr zu bezahlen und 1809 verhandelte er mit Constable und Longman, dass die ursprünglichen Gründungsmitglieder am Profit beteiligt würden. Die Bezüge für eine Rezension waren zudem obligatorisch und konnten nicht abgelehnt werden, was die Gleichbehandlung aller eingereichten Artikel garantieren sollte.122 Die Minerva war, wie bereits erwähnt, eine Herausgeberzeitschrift und lag seit ihrer Gründung bis 1809 in der Hand von Johann Wilhelm von Archenholz (1743–1812), der das Unternehmen führte, einen Großteil der Artikel selbst verfasste und die redaktionelle Betreuung der Fremdtexte innehatte. Archenholz stammte aus einer Danziger Militärfamilie, schlug selber die militärische Laufbahn ein und kämpfte unter Friedrich II. im Siebenjährigen Krieg. Ab 1780 widmete er sich journalistischen Tätigkeiten und gründete in Dresden, später Hamburg und Berlin verschiedene Zeitschriften, die Zeugnis für sein Engagement um die Verbreitung öffentlicher Kenntnisse zu britischer Kultur und Politik auf dem Kontinent sind.123 Im Jahr 1791 zog er nach Paris, um das epochemachende Revolutionsgeschehen unmittelbar beobachten und analysieren zu können. Im Jahr darauf gründete er zu diesem Zweck die Minerva. Aufgrund seiner kritischen Berichte geriet er jedoch zunehmend in Bedrängnis und verlegte deshalb 1793 den Verlagsort nach Hamburg. 1809 übergab Archenholz die Herausgabe der Zeitschrift an Friedrich Alexander Bran (1767–1831), machte den Wechsel in der Redaktion aber erst 1810, nach dem Verkauf der Zeitschrift an Bran, publik. Archenholz firmierte noch bis zu seinem Tod 1812 als Herausgeber auf dem Titelblatt. Bran124, aus einer einfachen Kaufmannsfamilie stammend, ließ sich 1800 in Hamburg nieder, wo er ab 1804 mit den Nordischen Miscellen sein erstes journalistisches Unternehmen in Angriff nahm, dessen Profil im Besonderen das Interesse Brans an ökonomische Themen erkennen lässt. Er pflegte enge Kontakte zum Hamburger Buchhändler und Verleger Friedrich Perthes. 1806 er-
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einige wenige Autoren zurückzuführen: »If the Edinburgh had opened itself up to a variety of talents, it would never have lasted […] would never have been as effective.«; Christie: The Edinburgh Review (wie Anm. 88), 46. Eine Guinea hatte um 1813 einen Wert von 27 Shilling; vgl. Frank, Ren8: Die englische Guinea. Vom Piratengold zur Recheneinheit, In: Money trend 3 (2007), 126–133. In den 1820er Jahren lag das Jahreseinkommen von Jeffrey für die Arbeit an der Edinburgh Review bei 3000 Pfund; vgl. Christie: The Edinburgh Review (wie Anm. 88), 34–36. Nach der Litteratur- und Völkerkunde, publizierte er England und Italien und in Hamburg die ›Metazeitschrift‹ British Mercury, ein Kompendium von Artikeln aus verschiedenen britischen Zeitschriften. Brans Geburtsname war Abraham Baruch Berend.
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öffnete er selbst eine Buchhandlung und Leihbibliothek und schrieb seit 1807 Beiträge für die Minerva. Aufgrund der Übersetzung napoleonkritischer Veröffentlichungen sah er sich 1811 genötigt, Hamburg zu verlassen und auf österreichischem Gebiet in Prag Schutz zu suchen, wo er die Zeitschrift Kronos. Ein Journal politischen, historischen und literarischen Inhalts gründete. In der Zeit seines Exils übergab Bran die Redaktion der Minerva an den Rechtsgelehrten und Schriftsteller Johann Adam Bergk (1769–1834), der sie von Leipzig aus bis 1813 führte. Bergk hatte zuvor den Europäischen Aufseher herausgegeben, der 1806 wegen frankreichkritischer Kommentare verboten wurde, und publizierte anschließend 1808 bis 1809 den Europäischen Beobachter. Nach der Niederlage Napoleons bei Leipzig wurde wieder Bran zum Herausgeber der Minerva, zunächst in Leipzig, später in Jena im eigenen Verlag. Aufgrund seiner zahlreichen Reisen und guten Kontakte zum buchhändlerischen Milieu in Dresden, Leipzig, Berlin und Hamburg, war es Archenholz gelungen, prominente Mitarbeiter für sein Zeitschriftenunternehmen zu gewinnen: Konrad Engelbert Oelsner schrieb anfänglich für das Blatt und auch Karl Friedrich Reinhard. Die überwiegende Mehrzahl der Autoren, die für die Minerva schrieben, waren Juristen oder Theologen. Die meisten Autoren rekrutierten sich aus einflussreichen Kreisen in Hamburg und Umgebung, etwa um Georg Heinrich Sieveking oder um den Arzt, Professor der Naturlehre und Verfasser ökonomischer Schriften Johann Reimarus. Die wichtigsten Beiträger waren der Gymnasialdirektor Friedrich Herrmann, der Jurist und preußische Kammerherr Karl Albert von Kamptz sowie der dänische Staatsbeamte Johann Nikolai Gloyer. Aber auch in anderen Regionen hatte Archenholz seine Kontakte. Es schrieben auch Friedrich Gottlieb Klopstock, Josias Ludwig Gosch, Friedrich Gottlob Zimmermann, Johann Wilhelm Gleim, Johann Georg Foster und Karl Gottlob Prätzel für das Blatt.125 Der Mercure war im Jahr 1800 auf Initiative von Napoleons Bruder und Innenminister Lucien Bonaparte als Gegenorgan der republikanisch-liberalen, den Idealen der Aufklärung verpflichteten D8cade philosophique (neu-) gegründet worden. Gedruckt wurde der Mercure de France von 1807 bis 1815 bei Arthus-Bertrand in Paris. Mit der Herausgabe wurde der Dichter und Vertraute Napoleons Louis de Fontanes (1757–1821) betraut. Fontanes, dessen Vater aus verarmtem Adel stammte und Manufakturinspektor war, tat sich mit FranÅois Auguste Ren8 de Chateaubriand (1768–1848) zusammen und machte diesen 1803 zum Eigentümer der Zeitschrift. Als Adeliger und gemäßigter Royalist war 125 36 % der Mitarbeiter waren Juristen und ebenso viele Theologen, 12 % Mediziner und 8 % Philosophen, nur jeweils 4 % waren von der Ausbildung her Historiker oder Naturwissenschaftler ; vgl. Fratzke-Weiß: Europäische und nationale Konzeptionen (wie Anm. 71), 90–104.
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Chateaubriand bereits 1791 ins Exil gegangen und erst 1800 wieder nach Frankreich zurückgekehrt. Im Konsulat setzte er sich mit Geschick für eine Rekatholisierung und die Reintegration der emigrierten Elite ein und nutzte nicht zuletzt die Zeitschrift als vorsichtiges Organ, das im Gleichgewicht gegenseitiger Interessen zwischen Machtkonsolidierung und Machtbeeinflussung balancierte. Er publizierte im Juli 1807 im Mercure eine indirekte Kritik an Napoleon, indem er in historischer Mimikry der despotischen Herrschaft des Kaisers ein baldiges Ende prophezeite.126 Daraufhin teilverstaatlichte der Kaiser die Zeitschrift und fusionierte sie mit der Revue philosophique, litt8raire et politique. Miteigentümer des neuen, scharfer Kontrolle durch einen Zensor unterworfenen Projektes waren Amaury Duval, Pierre Louis Ginguen8, Joachim Lebreton, Jean-Baptiste Say und Jean-Baptiste-Ptienne-Plie Lenormant.127 Amaury Duval übernahm die Position des Herausgebers. Als Mitarbeiter der Zeitschrift fungierten künftig Pierre-Louis Lacretelle (der Ältere), die Brüder Joseph-Alphonse, Jean-Baptiste Esm8nard und der Chevalier de Boufflers.128 Charles-Alexandre-Amaury Pineux, genannt Amaury Duval129, (1760–1839) übernahm 1807 nach der Zusammenlegung mit der Revue die Herausgeberschaft des Mercure und schrieb den Großteil der Artikel zu Kunst, Literatur und antiker Geschichte. Duval hatte in jungen Jahren als Anwalt in seiner Heimatstadt Rennes mit einigen rechtswissenschaftlichen Abhandlungen auf sich aufmerksam gemacht. Er wandte sich aber bald dem Studium der Altertumswissenschaft zu und ging als Sekretär des französischen Gesandten und früheren Journalisten Nicolas Jean Hugon de Basseville 1785 zu Forschungszwecken nach Neapel, später nach Rom und Malta. Nach Bassevilles Ermordung kehrte Duval nach Paris zurück und wurde Chef des Wissenschafts- und Kunstbüros des Innenministeriums. 1794 gründete er gemeinsam mit Ginguen8 die republikanische Aufklärungszeitschrift D8cade philosophique, litt8raire et politique und spätere Revue philosophique, litt8raire et politique (ab 1804). 1811 wurde er Mitglied des Institut National des Sciences et Arts und verfasste viele kunstgeschichtliche und literaturtheoretische Werke. Hauptsächlich veröffentlichte er allerdings in periodischen Schriften, gründete unter der Restauration den Mercure 8tranger ou annales de la litt8rature 8trangHre und schrieb unter anderem für die Revue encyclop8dique. Joseph Ptienne, genannt Ptienne de Jouy, (1763–1846) war einer der Haupt126 Vgl. Chateaubriand, FranÅois Ren8 de: Voyage pittoresque et historique de l’Espagne d’Alexandre Laborde, In: Mercure de France 3 (1807), 7–21. 127 Vgl. Berchet, Jean-Claude: Le Mercure de France et la »Renaissance« des Lettres, In: JeanClaude Bonnet (Hg.): L’Empire des Muses. Napol8on, les Arts et les Lettres, Paris 2004, 21– 58, hier 56. 128 Welschinger: La censure sous le Premier Empire (wie Anm. 64), 102. 129 Pseudonym: Polyscope.
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beiträger des Mercure de France. Jouy entstammte einer Versailler Textilhändlerfamilie und schlug zunächst eine militärische Laufbahn ein. Vom Wohlstandsausschuss zum Tode verurteilt floh Jouy 1794 in die Schweiz. Unter dem Direktorium geriet er erneut in Schwierigkeiten und quittierte den Militärdienst endgültig 1797. Er betätigte sich schon früh als Journalist und Kritiker und schrieb Gedichte und Gesellschaftssatiren, in die unter anderem seine kolonialen Erfahrungen einflossen und machte sich mit der Zeit durch seine Theaterstücke einen Namen.130 Neben dem Mercure schrieb er auch für die Gazette de France und später die Minerve franÅaise. Auch unter den Autoren des Mercure gab es einige Theologen; der Hauptbeiträger ökonomisch-politischer Artikel in der Zeit der Kontinentalsperre, Jacques-Barth8l8my Salgues, beispielsweise hatte die Priesterlaufbahn eingeschlagen, bevor er verschiedene regionale politische Ämter bekleidete und nach dem Exil während der Terreur im Empire hauptberuflich schriftstellerisch tätig wurde. Auffällig viele Autoren waren Wissenschaftler wie der Vielschreiber Jean-Baptiste Biot, der Professor für Mathematik und Physik sowie Mitglied der Acad8mie des Sciences wurde. In der Biographie von Charles-Louis Cadet de Gassicourt, der ebenfalls zahlreiche Beiträge für den Mercure verfasste, verbinden sich beide Elemente: Der Sohn eines Pharmazeuten studierte Recht und wurde Anwalt, kehrte später zur Pharmazeutik zurück und wurde Apotheker von Napoleon. Die Verlagerung des inhaltlichen Schwerpunktes auf wissenschaftliche und literarische Themen ist auch der Flucht vor der Zensur in politisch unverfängliche Sphären geschuldet, gleichzeitig drückt sich darin eine pressegeschichtliche Entwicklung aus, die im 18. Jahrhundert ihren Anfang nahm und mit zunehmend funktionaler Differenzierung der Verlagsformationen die periodische Presse in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einem Träger sich globalisierender Wissenschaftspraxis werden ließ. Schaut man sich die soziale Herkunft und die Ausbildung der Herausgeber der sechs Zeitschriften an, so stammen drei aus adligen Familien, drei aus Kaufmannsfamilien, einer aus dem Beamtenmilieu und einer aus dem Handwerkermilieu. Drei schlugen eine militärische Laufbahn ein, einer wurde Anwalt, zwei Historiker und ein Weiterer lernte Schuster, später studierte er Theologie, zwei hatten keine umfangreiche institutionelle Bildung und waren weitgehend Autodidakten.131 Nimmt man den weiteren Mitarbeiterstab der Zeitschriften hinzu, gibt es auffällig viele Juristen und Theologen und schließlich auch einige Ökonomen, wobei diese angesichts der Bedeutung ökonomischer Themen in den Blättern nichtsdestotrotz unterrepräsentiert waren. Damit zeichnet sich die Sozialstruktur der hier untersuchten Journalisten im Vergleich zum journalis130 Siehe weiter unten den Abschnitt »Weltläufigkeit«. 131 Vgl. Tabelle 1 im Annex.
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tischen Milieu insgesamt durch einen hohen Anteil unterer Gesellschaftsschichten und relativ wenige Bildungsbürger aus.132 Fragt man nach dem Selbstverständnis der Herausgeber und Mitarbeiter der hier untersuchten Periodika, so mochten sich nicht alle von ihnen uneingeschränkt in die Tradition der Aufklärung stellen. Und dennoch standen sie in ihren Forderungen nach Meinungs- und Pressefreiheit, nach politischer und ökonomischer Partizipation, nach sozialer und rechtlicher Gleichheit aufklärerischen Standpunkten des 18. Jahrhunderts sehr nahe. Die Einstellungen der Edinburgh Review speisten sich direkt aus dem Denken der Schottischen Aufklärung; die Minerva vertrat deutlich liberale Positionen, begrüßte zunächst die Revolution, später die rechtlichen Reformen, die unter Napoleon nach Deutschland getragen wurden und begann dessen Herrschaft zu kritisieren, als ihre despotischen Züge hervortraten. Am Mercure arbeiteten Schriftsteller mit, die zuvor das Presseorgan der Ideologen herausgegeben hatten. Viel stärker wiegt aber die Überzeugung, die sich in ihrer Rolle als Journalisten, d. h in ihrer eigentlichen Arbeit widerspiegelt. Unermüdlich und gegen Widerstände verfolgten sie ein Projekt, das den essentiellen Kern aufklärerischen Tuns konstituiert: die Verbreitung von Wissen und Wissenschaften voranzutreiben, um die Bevölkerung zur eigenen Meinungs- und Verstandesbildung zu ermächtigen und um im kommunikativen Austausch wissenschaftlicher Kenntnisse die Fortschritte im Zusammenleben der Menschen zu fördern. Erst die Etablierung permanenter Kommunikationsnetze ermöglichte als »Institutionalisierung der Öffentlichkeit«133 Aufklärung. Die Presse wurde mehr noch als im 18. Jahrhundert zum Instrument dialogischen Kenntnisgewinns, indem sie ihre Leser in ein überpersönliches, periodisches Gespräch miteinander brachte. Sie bot somit Formen der Emanzipation und Partizipation außerhalb und parallel zu politischen und im etablierten Wissenschaftsbetrieb möglichen Beteiligungsformen. Diese Aufgabe setzten sich die Herausgeber ganz explizit.
132 Von Aumary Duval ist die familiäre Herkunft unbekannt, aus seiner und seines Bruders Laufbahn ist aber darauf zu schließen, dass er einer Beamtenfamilie entstammte. Vergleicht man die soziale Aufschlüsselung mit der sozialen Herkunft der in Jörg Requates Studie erfassten Journalisten vor 1848, so fällt die deutliche Überrepräsentanz der Militärs und Kaufleute, sowie die Unterrepräsentanz an Bildungsbürgern und Beamten gegenüber den Gesamtanteilen auf: 50 % Bildungsbürger/Beamte; 15,5 % Kaufleute/Unternehmer ; 5 % Offiziere; 15,5 % Handwerker und 6 % Bauern/Gutsbesitzer ; vgl. Requate, Jörg: Journalismus als Beruf. Entstehung und Entwicklung des Journalismusberufs im 19. Jahrhundert, Göttingen 1995, 139. 133 Bödeker : Aufklärung als Kommunikationsprozeß (wie Anm. 17), 102.
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Weltläufigkeit Die Generation der Journalisten, die als junge Männer die Französische Revolution sowie die darauf folgenden gesellschaftlichen Umbrüche in Europa miterlebt hatten und sich in der Auseinandersetzung mit diesen teilweise direkt erlebten Ereignissen politisierten, hatten noch ein weiteres Charakteristikum ihrer Biographie gemeinsam, das sie von den meisten Schriftstellern des 18. Jahrhunderts unterschied: Viele der Redakteure hatten Europa bereist oder sogar außereuropäische Erfahrung. Ihre Reisen trugen sie über ihren regionalen Lebenszusammenhang weit hinaus, in andere europäische Länder und in einigen Fällen auch über den Atlantik nach Amerika. Sie waren damit die erste Generation von Schriftstellern, die zu einem relativ großen Anteil ihre lokale Erfahrungswelt mit europäischen oder globalen Erfahrungen anreichern und perspektivieren konnte. Die Nachbarländer und die Neue Welt rückte nicht allein durch indirekte Erfahrung über Reiseberichte und -literatur näher, sondern über das eigene Eintauchen und die selbständige Auseinandersetzung mit anderen sozialen, politischen und ökonomischen Realitäten ins Bewusstsein. Archenholz hatte von 1763 bis 1780 den europäischen Kontinent, besonders Italien und England, bereist.134 Auch Bran war, bevor er 1800 nach Hamburg kam, in Süd- und Westeuropa gewesen. Dem Verleger Perthes zufolge hatte er unter anderem die Brabanter Revolution in den Österreichischen Niederlanden erlebt. Herbert Göpfert schreibt über Bran, es sei »bezeichnend« für ihn, »daß er noch in den Jahren des nationalen Aufschwungs eine Ausweitung des Blickfeldes über die deutschen Grenzen hinaus für nötig hielt«.135 Diese Horizonterweiterung über den eigenen nationalen Kontext hinaus ist kennzeichnend für alle hier untersuchten Journalisten. Chateaubriand war in den 1790er Jahren nach Nordamerika gereist und hatte mehrere Jahre im Exil in England als Privatlehrer und Übersetzer verbracht. Unter den Korrespondenten der Edinburgh Review waren ihrerseits zum Teil weitgereiste Männer. Das sich etablierende Britische Empire bot jungen karrierebewussten Männern die Möglichkeit, auch im außereuropäischen Kontext Berufs- und Lebenserfahrung zu sammeln. Jeffrey spielte vor der Gründung der Zeitschrift mit der Idee, als Kaufmann auf die Westindischen Inseln zu gehen oder sich in Indien zum Orientalisten auszubilden.136 Er unternahm 1813 eine Reise nach Nordamerika, auf der er mit Präsident James Madison und Außenminister James Monroe zusammentraf. Der 134 Nach eigenen Angaben hatte Archenholz alle Teile Deutschlands, die Schweiz, England, Holland, die Österreichischen Niederlande, Frankreich, Italien, Dänemark, Norwegen und Polen bereist; vgl. Rieger, Ute: Johann Wilhelm von Archenholz als »Zeitbürger«. Eine historisch-analytische Untersuchung zur Aufklärung in Deutschland, Berlin 1994, 25. 135 Göpfert: Bran (wie Anm. 72), hier 353 u. 358. 136 Vgl. Clive: Scotch Reviewers (wie Anm. 88), 27.
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wohl weltkundigste Mitarbeiter der Edinburgh Review war Alexander Hamilton. Hamilton wurde Leutnant bei der East Indian Company, lebte einige Jahre in Indien und war Mitglied der Asiatic Society of Bengal. Nach seiner Rückkehr nach Europa ließ er sich in Paris nieder, wo er in der BibliothHque nationale Sanskrit-Dokumente klassifizierte und spätere Sprachforscher wie Friedrich Schlegel, Antoine-L8onard Ch8zy und Claude Fauriel in Sanskrit unterrichtete. Aus Paris und später aus London trug er zahlreiche Artikel zu Indien, der Asiatischen Gesellschaft, indischer Sprachgeschichte und verwandten Themen bei. Die Reisetätigkeit der jungen Schriftsteller beschränkte sich also nicht auf Erfahrungen zu Lehrzwecken im Sinne der bürgerlichen Bildungsreise. Zum Teil hatten Journalisten eine mehrjährige Militärlaufbahn hinter sich, welche sie in Einzelfällen sogar in koloniale Kontexte führte. Jouy hatte vor der Revolution die militärische Laufbahn eingeschlagen und stand im Dienst des Gouverneurs von Guyana und als Adjutant des Gouverneurs von Chandannagar in Bengalen. Bei Ausbruch der Revolution kehrte er nach Frankreich zurück und schloss sich als Hauptmann den Revolutionstruppen an. Antoine Jay, dem unter dem Empire die Herausgabe des Journal de Paris oblag und der sich nach der Restauration gemeinsam mit Jouy und Charles Guillaume Ptienne um die Wiederbelebung des Mercure bemühte, reiste sieben Jahre, von 1795 bis 1802, in die Vereinigten Staaten und nach Kanada, wo er unter anderem Beziehungen zu Jefferson herstellte und erstmals journalistisch tätig wurde. Die Geschehnisse in Europa vermochten die Schriftsteller aufgrund ihres weiten Horizonts in einen breiteren globalen Kontext zu verorten. Sie verarbeiteten ihre Erlebnisse in literarischen Werken und interpretierten die europäischen Thematiken vor einem Panorama weltweiter Schauplätze.137 Es war eine neue Generation von Autoren, die ihren Blick durch tatsächliche Erfahrungen über den europäischen Kontext erweiterte und diese Referenzen wie selbstverständlich in ihre intellektuellen und politischen Standpunkte einfließen ließ, auch wenn diese Horizonterweiterung stets im Rahmen europäischer Belange interpretiert und oftmals eine bloße Verlängerung heimischer Konfliktlinien in außereuropäische Kontexte darstellte. Die Öffnung dieser Journalisten auf einen globalen Bezugshorizont deutet einen Strukturwandel in der Medi137 Ptienne de Jouy schrieb eine Tragödie zum Thema: Tippo-Sa[b. Trag8die en cinq actes et en vers, Paris: Didot l’ain8 1813. Im Vorwort zur Druckausgabe bewegt er sich zwischen dem Ideal einer klassischen Tragödie und dem Anspruch der Authentizität eines Augenzeugenberichts über ein zeitgenössisches Geschichtsereignis. Jouy inszeniert sich als Kenner der kulturellen Gegebenheiten am Ort der Handlung und von Berichten direkt beteiligter Akteure und die koloniale Erfahrung als Quelle seiner literarischen Inspiration: »L’id8e des Indes se mHle / tous mes souvenirs, et l’affranchissement de ce berceau du monde est devenu le rÞve habituel de mon imagination.«; vgl. Pr8face, vij.
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enlandschaft an, der sich im Laufe des 19. Jahrhunderts intensivieren sollte. Für die in dieser Arbeit untersuchten Fragestellungen ist die Weltläufigkeit der Herausgeber und Autoren der Zeitschriften von großer Bedeutung. Sie erlaubte es ihnen, weltweite Zusammenhänge zu sehen, zu beschreiben, zu deuten und neu zu denken. Ihre globale Ausrichtung förderte die Aufmerksamkeit für die weltweiten Zusammenhänge des europäischen Wirtschafskonfliktes. Berufliche Laufbahn An den Biographien der Herausgeber und Mitarbeiter der untersuchten Zeitschriften zeigt sich, dass die Durchlässigkeit zwischen literarisch-politischer Journalisten- und politischer Amtstätigkeit im frühen 19. Jahrhundert ein Phänomen war, das sich in Europa insgesamt zunehmend durchsetzte. Die gesellschaftlichen Formationen des nachrevolutionären Europas boten Schriftstellern nicht nur vermehrt die Möglichkeit, ihre journalistische Tätigkeit zu Geld und damit zum Beruf zu machen, sondern eröffneten ihnen auch die Perspektive auf politische Ämter, für die sie sich als Journalisten und politische Kommentatoren des Zeitgeschehens qualifizierten. Chateaubriand behauptete rückblickend sogar : »[O]n ne pouvait alors arriver / la politique que par la litt8rature.«138 Die Autoren der Debatte verkörperten damit den neuentstandenen Typus des politischen »Zeitschriftstellers«, der eine deutliche Nähe zu politischen Kreisen pflegte, und dessen Literatentätigkeit ihm oftmals im Laufe seiner Karriere zu einem politischen Amt verhalf. Die Karrieren der Herausgeber stehen somit beispielhaft für die wachsende soziale Mobilität und die Fluktuation zwischen den professionellen Grenzen. Nicht wenige der Herausgeber und Mitarbeiter wurden als Beamte in den Staatsapparat übernommen oder übernahmen selber politische Ämter. Aufgrund dieser Nähe zum Staat arrangierten sich französische und deutsche Journalisten teilweise stärker mit den gegebenen politischen Bedingungen als ihre Rolle in der zunehmend unabhängigen Meinungspresse geboten hätte, wodurch sie sich auch Kritik ausgesetzt sahen. Allerdings beharrten sie auf ihrem Anspruch unabhängiger Analysen des Zeitgeschehens und nutzten die Freiräume, die sich ihnen boten, teilweise über die Grenzen hinaus aus.139 138 Chateaubriand, FranÅois-Ren8 de: M8langes litt8raires. Pr8face, In: ders.: Ptudes ou discours historiques, Paris: Penaud 1850, 469. 139 Die Staatsnähe der deutschen Literaten zeigt sich etwa in der Person des Dänen Gloyer, der an der Minerva mitarbeitete. Vgl. zur Staatsnähe der Journalisten um 1800: D’Aprile: Die Erfindung der Zeitgeschichte (wie Anm. 21) und Requate: Journalismus als Beruf (wie Anm. 42). Die soziale Mobilität schränkte sich im Verlauf des 19. Jahrhunderts wieder ein. So hat Requate für die deutschen Journalisten zeigen können, dass die Mitarbeiter der Periodika zum Ende des Jahrhunderts vorwiegend aus bürgerlichen Familien stammten,
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Henry Brougham und Francis Horner schlossen sich in den auf die Gründung der Edinburgh Review folgenden Jahren den Whigs an und Brougham saß für diese seit 1809 mit Unterbrechungen im Unterhaus.140 Im Parlament setzte er sich für Rechts- und Pressereformen ein und erreichte unter anderem 1812 die Rücknahme der Orders in Council. Er engagierte sich für die Gründung des Mechanic’s Institute und der Society for the Diffusion of Useful Knowledge und rief 1857 die Social Science Association ins Leben. Von 1830 bis 1834 war er Lordkanzler unter der Whig-Regierung. In diesen Jahren, als die Whig-Partei wieder an die Macht kam, wechselte auch der Herausgeber Jeffrey 1830 in die Politik und wurde zum Lord Advocate ernannt. Horner wurde 1806 Parlamentsmitglied in London und kündigte daraufhin die Mitarbeit an der Edinburgh Review aus zeitlichen Gründen auf. Heinrich Zschokke (1771–1848), der Herausgeber der Miszellen für die neueste Weltkunde, stammte aus Magdeburg und ließ sich nach einer Phase längerer Reisen durch Deutschland, die Schweiz und Frankreich schließlich 1796 in Zürich nieder, wo er bald in das öffentliche Leben des Kantons Graubünden eingebunden war : Er erlangte das Bürgerrecht und wurde Leiter des Bureaus für Nationalkultur, Regierungskommissar in verschiedenen Kantonen und 1804 Oberforst- und Bergrat im Kanton Aargau, von wo aus er seitdem seine Zeitschriftenprojekte voranbrachte.141 Die Verquickung zwischen Journalismus und Politik dieser Jahre ging in Frankreich gewissermaßen den umgekehrten Weg. Auch den französischen Journalisten eröffneten sich in den politischen Umbruchsphasen um 1800 immer wieder Chancen des Aufstiegs in politische Ämter. Die Möglichkeiten in der Phase der Revolution, während der die absolute Zensurfreiheit zu einer explosionsartig ansteigenden Zahl an Zeitungsprojekten geführt hatte und einen fließenden Übergang von journalistischer und politischer Arbeit ermöglichte, schränkten sich bereits während des Direktoriums und spätestens seit 1799 drastisch ein. Dennoch führten auch in Frankreich einige Journalistenkarrieren langfristig in die Politik. Fontanes wurde während des Konsulats Abgeordneter und im Kaiserreich sogar zum Präsidenten des Corps l8gislatif, bevor ihn Napoleon 1808 zum Grand Ma%tre der Universität machte, als der er das französische Bildungssystem reformierten sollte. Die Journalistenkarrieren der anderen Autoren des Mercure mündeten meist erst nach der Julirevolution in politische Ämter. Jouy wurde 1815 in die Acad8mie franÅaise aufgenommen und während die Väter von Journalisten in der ersten Hälfte noch häufiger auch Handwerker und Kaufleute waren; vgl. ebd., 139–142. 140 Brougham verlor seinen Sitz im Parlament von 1812 bis 1816; vgl. Fontana: Rethinking the Politics of Commercial Society (wie Anm. 88), 135. 141 Zu Zschokkes späteren Jahren vgl. Schaffroth, Paul: Heinrich Zschokke als Politiker und Publizist während der Restauration und Regeneration, Aarau 1950.
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war nach der Julirevolution kurzzeitig Bürgermeister von Paris, später Bibliothekar des Louvre.142 Die Überschneidungen zwischen Journalismus und Politik war im Kaiserreich sonst eher unfreiwilliger Natur. Die Zeitschriften wurden von Personen in politischen Ämtern als Zensoren und Direktoren kontrolliert und gestaltet, dazu sprach Napoleon Schriftstellern, die er für vertrauenswürdig hielt, politische Ämter zu und nicht selten setzte er sie direkt als Zensoren der wenigen verbliebenen Periodika ein. Charles-Guillaume Ptienne etwa wurde zum Zensor des Journal de Paris.143 Dem Mercure de France wurde von 1807 bis 1810 der Dichter Gabriel-Marie Legouv8 (1764–1812) als Zensor vorgesetzt. Auch der langjährige Mitarbeiter des Mercure Salgues arbeitete als Zensor der Polizeibehörde144, nach dem Sturz Napoleons wandte er sich aber vehement gegen dessen Herrschaft. In der Restauration konnte er beruflich nicht mehr richtig fußfassen, lebte weiterhin als Schriftsteller und schrieb unter anderem eine flammende Verteidigung der Pressefreiheit.145 Die gesellschaftliche Formation, in der sich die Biographien der Journalistenpersönlichkeiten abspielten, war von sozialen Vernetzungen strukturiert, die das berufliche Feld der Literatur, der Politik und der Wissenschaft integrierte und die Übergänge von einem zum anderen fließend machten. Das kulturelle Kapital, das ein Akteur in diesem oder jenem Kontext erworben hatte, konnte er unter Umständen in einem anderen Berufszweig einsetzen. Dabei bot die journalistische Tätigkeit den Einstieg in die traditionell stärker institutionalisierten Formationen der Wissenschaft und Politik. Die Journalisten wechselten so von der Schriftstellerei in politische Ämter oder wissenschaftlichen Positionen. Diese Permeabilität wurde zudem gefördert durch die wachsende Erkenntnis der Bedeutung der Öffentlichkeitspolitik seitens staatlicher Akteure. Die wissenschaftlichen Einrichtungen ihrerseits wurden sich vermehrt der Rolle medialer Kommunikation und Diffusion als Motor wissenschaftlicher Wissensgenerierung bewusst. In Deutschland war die Zäsur von 1806 eine Triebfeder der Politisierung der Wissenschaft.146 142 Vgl. Lyon-Caen, Judith: Ptienne de Jouy 1764–1846, In: Kalifa u. a. (Hg.): La Civilisation du journal (wie Anm. 49), 1101–1105. 143 Vgl. Wicks, Charles Beaumont: Charles-Guillaume Ptienne. Dramatist and Publicist 1777– 1845, Baltimore 1940, 17. 144 Vgl. Welschinger, Henri: La censure (wie Anm. 64), 59–79. Mitglieder des Bureau de l’Esprit Public: Etienne, Esm8nard, Lemontey, Jay, Tissot, Arnault, Michaud, Jouy, Lacretelle, Sauvo, BarriHre, de Montlosier, Fabien, Pillet, Merle, Lefebvre, Ourry de Lancy, Dussault, Beuchot, Martainville, Malte-Brun, baron Trouv8 ; vgl. Avenel: Histoire de la presse franÅaise (wie Anm. 63), 202, Anm. 1. 145 Salgues, Jacques-Barth8lemy : Des libert8s publiques. A l’occasion de la censure, Paris: Dentu 1824. 146 Vgl. Ries, Klaus: Wissenschaften, Universität und Krieg, In: Andreas Klinger u. a. (Hg.): Das Jahr 1806 im europäischen Kontext. Balance, Hegemonie und politische Kulturen, Köln 2008, 275–285, hier 285.
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Verbindungen Die Verbindungen der Presseorgane in andere europäische Staaten hatten um 1800 ein Maß erreicht, das man ohne Übertreibung als die Anfänge der modernen europäischen Öffentlichkeit bezeichnen kann. Gemeint ist hiermit keine flächendeckende europäische Berichterstattung, sondern die Funktionsstruktur der professionellen Formation des Verlags- und Zeitschriftenwesens, das überhaupt nur in seiner überregionalen und internationalen Vernetzung fassbar wird. Die Verbindungen fanden dabei in der Regel auf drei Ebenen statt: Erstens gab es direkte Kontakte zwischen den Herausgebern und/oder Verlegern der Periodika; zweitens hatten die Blätter regelmäßige oder gelegentlich an sie berichtende Korrespondenten in anderen Ländern; drittens abonnierten die Herausgeber selber andere Zeitungen und Zeitschriften, um sich über das Geschehen in Europa informiert zu halten und die Nachrichten gegebenenfalls an ihre Leser weiterzugeben, das heißt sie übernahmen Inhalte anderer Blätter als Übersetzungen oder Zusammenfassungen. Im Falle der Zeitschriften bestanden oftmals direkte Kontakte mit den Herausgebern anderer Blätter. In Frankreich war besonders der Herausgeber des Magasin encyclop8dique Aubin-Louis Millin eine umtriebige Mittlerpersönlichkeit zwischen den Ländern und um die Förderung des europäischen Wissensaustausches bemüht; er unterhielt zahlreiche Kontakte nach Deutschland, Italien und England.147 Zwischen den drei hier behandelten Zeitschriften ist allerdings keine direkte Korrespondenz nachgewiesen. In Einzelfällen gab es aber persönliche Verbindungen zwischen Mitarbeitern der Zeitschriften: Oelsner beispielsweise, der für die Minerva Korrespondent in Paris war, pflegte auch Kontakte zum Kreis um Millin und ebenso in die Schweiz zu Paul Usteri, der wiederum an den Miszellen von Zschokke mitarbeitete. Eigene feste Korre-
147 Cecilia Hurley zufolge war das Magasin ein »journal vraiment cosmopolite«; vgl. Hurley, Cecilia: Un cosmopolitisme journalistique. Les g8n8alogies du »Magasin encyclop8dique«, In: GeneviHve Espagne; B8n8dicte Savoy (Hg.): Aubin-Louis Millin et l’Allemagne. Le Magasin encyclop8dique – Les lettres / Karl August Böttiger, Hildesheim 2005, 107–119, hier 119. Er hatte enge Verbindungen mit anderen europäischen Zeitschriften. Alain Ruiz beschreibt sehr detailliert die Kontakte deutscher Persönlichkeiten in Paris oder von Deutschland aus mit Millin; vgl. Ruiz, Alain: Autour du Magasin encyclop8dique. Les amis et visiteurs germaniques d’Aubin-Louis Millin / Paris – De Thermidor / la Restauration, In: ebd., 5–57. Millin wirkte gleichsam als Mittler für Deutsche in Paris, ähnlich wie Alexander von Humboldt und früher Johann Georg Wille und war stets bemüht, die deutsche Literatur in Frankreich bekannt zu machen. Der im Sammelband von Espagne und Savoy gesetzte Schwerpunkt auf den deutsch-französischen Kulturtransfer, in dem die Interessen der Autoren sich treffen, blendet zwangsläufig andere Verbindungen aus, dabei waren weitere europäische Länder wie Italien und Großbritannien in Millins Netzwerk beinahe wichtiger ; vgl. Espagne: Introduction, In: ebd., VII.
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spondenten im Ausland waren zwar bei Zeitungen üblich148, nicht aber im Fall der Zeitschriften. Die Verbindungen der Zeitschriften untereinander beschränkten sich also hauptsächlich auf Abonnements, wobei die Zeitschriften vor allem ausländische Zeitungen abonnierten, um über das Tagesgeschehen informiert zu sein, und weniger andere Zeitschriften. So erhielt etwa Zschokke die wichtigsten Blätter der Epoche über die Buchhandlung seines Verlegers und er rezipierte besonders französische Zeitungen.149 Die britische Presse war eine wichtige Quelle der Journalisten auf dem Kontinent und eine der Hauptquellen etwa der Miszellen. Der Mangel an Informationen von den Britischen Inseln während der Zeit der Kontinentalsperre stellte ein großes Problem dar, das die Herausgeber explizit benannten. Der Abbruch des Austausches mit dem Kontinent traf ihrerseits auch die britische Presselandschaft. Aus dem Londoner Monthly Magazine and British Register wird in der Zeit der Blockade zitiert: »Eine der Folgen von der Unterbrechung aller Verbindungen und dauerhaften Kommunikationen mit dem Kontinent ist, wie das Monthly Magazine klagt, gänzlicher Mangel der fremden literarischen Journale seit einer langen Reihe von Monaten, und folglich Unbekanntheit mit dem Gang und Fortschritt der Wissenschaften in Europa.«150
Dieser Kommentar bezeugt aber gleichzeitig, dass noch während der Kontinentalsperre britische Periodika neben französischen und deutschen eine der Hauptquellen der Zeitschriften auf dem Kontinent blieben. Die meisten Nachrichten aus Großbritannien gelangten während der Kontinentalsperre über die französische Presse in den deutschsprachigen Raum. Spätere Serien beziehen sich regelmäßig auf ausländische Periodika und die Edinburgh Review, das 148 Eine Ausnahme bilden hier die Miszellen für die neueste Weltkunde von Zschokke, für die Zschokke exklusiv Korrespondenten in Berlin, Rom, Paris und zeitweilig auch Madrid, Florenz und Sankt Petersburg beschäftigte; vgl. Ort, Werner : Zschokke 1771–1848. Eine Biographie, Baden 2013, 461. 149 Er erwähnt beispielsweise Le Consitutionnel und La Quotidienne in einem Brief vom 8. April 1823, Bayreuther Briefverzeichnis 1549, Archiv Haus Sauerländer, In: Ort, Werner : »Guten Morgen, Lieber!«. Der Briefwechsel Heinrich Zschokkes mit seinem Verleger Sauerländer, Bern 2001, 71–72. Zschokke verfolgte die Publikation der Minerva mit Aufmerksamkeit. Sie findet auch direkte Erwähnung; vgl. etwa Varitäten. Aus Deutschland, In: Miszellen für die neueste Weltkunde 2.61 (30. Juli 1808), 244, ebenso das Magasin encyclop8dique, das die Miszellen vom Beginn seines Erscheinens als eine außergewöhnliche französische Zeitschrift loben: »Die archives litt8raires gehen, wie man hört, zur Neige; dies Journal, welches manche gute deutsche Blume auf französischen Boden pflanzte, wird gewissermaßen durch Millins Magasin encyclop8dique ersetzt.«; Varietäten. Aus Frankreich, In: Miszellen für die neueste Weltkunde 2.59 (23. Juli 1808), 236. Auch die Minerva kündigte direkt nach Erscheinen der ersten Nummern das Magasin encyclop8dique aus Paris an und verglich es mit Schillers Die Horen: Minerva, Bd. 3 (1795), 196–197. 150 Varietäten. Aus England, In: Miszellen für die Neueste Weltkunde 3.41 (1809), 164.
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Blackwood’s Magazine und die North American Review zählen zu den meistzitierten.151 Die Betrachtung der Verbindungen zwischen den Herausgebern zeigt aber auch, dass die Überbrückung national-kultureller Grenzen durch den Krieg zwischen England und dem Kontinent sehr erschwert war oder erst gar nicht etabliert wurde. Die nach England gereisten kontinentalen Herausgeber konnten aus ihren Aufenthalten keine (dauerhaften) Korrespondenzen ziehen. So waren Archenholz oder Chateaubriand von ihren Englandaufenthalten letztendlich ohne direkte Kontaktpersonen für ihre späteren Presseunternehmungen zurückgekehrt. Bedenkt man dies, so ist es bemerkenswert, dass die wirtschaftspolitischen Debatten in den Zeitschriften zur Zeit der Kontinentalsperre dennoch viele gemeinsame Züge aufweisen und sich nachweislich gegenseitig beeinflussten. Und die Verbindungen nach Übersee? Ohne dass es sich um regelmäßige, angestellte Korrespondenten handelte, erhielten die Herausgeber der europäischen Zeitschriften oft unaufgefordert Briefe aus entfernten Gegenden.152 Auch hier ist zu erkennen, dass sich im frühen 19. Jahrhundert die Informationsflüsse zunehmend in zwei Richtungen entwickeln. Die 1815 gegründete North American Review sollte schnell zur führenden literarischen Zeitschrift und zum Organ der Integration der jungen Vereinigten Staaten von Amerika werden. Sie wurde den europäischen Blättern zur Referenzlektüre über die Entwicklung der Literatur im unabhängigen Nordamerika.153 Ähnlich wie in Deutschland, ist es eine Hauptfrage der US-amerikanischen Pressegeschichte, inwieweit das Entstehen einer nationalen Einheit durch die wachsende publizistische Öffentlichkeit und die schnelle Entwicklung von Zeitungsnetzwerken im ganzen Land ermöglicht oder zumindest beschleunigt wurde.154 Einen Journalisten zeichnete 151 Vgl. Englische Zeitschriften. The Edinburgh Review, In: Unterhaltungsblätter, 30.1 (1824), 394–395; Parallelen. Die Edinburger- und die vierteljährliche Revüe, In: Unterhaltungsblätter, 24.4 (1827), 405–407; Amerikanische Zeitschriften. The North American Review, In: Unterhaltungsblätter, 22.1 (1824), 290. 152 Zschokke beklagt sich richtiggehend über die vielen Briefe von »mir gänzlich unbekannten Personen« aus »Finnland, Pensy¨lvanien, Kentuki, Frankfurt an der Oder, u.s.w.«; vgl. den Brief von Zschokke an Sauerländer vom 25. Nov. 1842, Ort: Briefwechsel Heinrich Zschokkes (wie Anm. 149), 345. 153 Vgl. Amerikanische Literatur. The North American Review, In: Unterhaltungsblätter, 15, 2 (1825), 251–252; Nordamerikanische Literatur. The North American Review, In: Unterhaltungsblätter, 28, 3 (1826), 459–460. 154 John: Spreading the News (wie Anm. 44); ders.: Network Nation. Inventing American Telecommunications, Cambridge (Mass.) 2010. Die US-amerikanische Öffentlichkeit ist im frühen 19. Jahrhundert eng mit der britischen verwoben. Die Bücher zur Kontinentalsperre werden teilweise in zwei Druckorten in Großbritannien und den USA veröffentlicht und auch der Zeitschriftenmarkt lässt eine derartige Zusammenschau zu. Interessant bleibt, dass diese publizistische Vernetzung trotz des Konfliktes und späteren Krieges erhalten
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demnach zunehmend seine Weltläufigkeit aus, wie sich an der Ankündigung neuer Zeitschriften in Louisiana erkennen lässt.155 Und auch in Südamerika etablierte sich um 1800 eine eigene Presselandschaft, die sich nach der Ablösung von den europäischen Kolonialmächten eigenständig entfalten konnte. Diese trat daraufhin auch in den Wahrnehmungshorizont der europäischen Periodika ein und diente dieser als Informationsquelle über dortige Vorgänge.156 Die fehlende Pressefreiheit, aufgrund mangelnder drucktechnischer Möglichkeiten in China, konstatiert und bemängelt die Edinburgh Review und zeigt so die wachsende Forderung nach (freier) periodischer Presse weltweit.157
blieb und ist Zeichen für die Eigenlogik der informationellen Globalisierung und ihren Abstraktionsgrad gegenüber politischen und wirtschaftlichen Vernetzungen. 155 »Sonst hatte man nur eine einzige Zeitung, die ein alter Schauspieler vom Kap, Namens Rontaine, unter dem Titel des Moniteur de la Louisiane, ein- oder zweimal die Woche, herausgab, wozu er aber kaum achtzig Abonnenten in der ganzen Provinz zusammenbringen konnte. Jetzt erschienen schon Ankündigungen von einer ganzen Menge Zeitschriften. Wunder versprach unter andern ein gewisser Beleurgy, der unter dem Titel: Der Telegraph, ein periodisches Blatt herausgeben wollte. Seinen Beruf zu solchem Geschäft beweiset er auf eine komische Art in folgender Stelle seiner Annonce: ›Buchdrucker seit vierundzwanzig Jahren, fünf Jahre lang Bewohner der Antillen, sieben Jahre lang Bewohner der vereinigten Staaten, glaub’ ich hierin Titel genug zu finden, um alle diejenigen, welche mich mit ihrem Abonnement beehren, sicher zu machen, daß ich–in der Behandlung der Lokalgesetze nicht ungeschickt sein könne‹ u.s.w.«; Die neuesten Nachrichten von Louisana, Teil 1, In: Miszellen für die neueste Weltkunde 2. 12 (10. Feb. 1808), 46–48. 156 Die Edinburgh Review kündigte 1807 das Erscheinen einer peruanischen Zeitschrift an: Allen, John: Mercurio Peruano de Historia, Literatura y Noticias publicas, In: Edinburgh Review (Jan. 1807), Art. XII, 433–458. 157 »The press in China, says Mr Barrow, is free. The press in China! and the freedom of the press! – what an abuse of terms! Because the Chinese cut out words on blocks of wood, and sometimes, for particular purposes, stamp them on paper, a practice not used for the multiplication of books, must we really be told that they have a press? But, of all things in the world, must we be told that they have a free press? […] Mr Barrow seems to have taken his notion of the freedom of the press from the lawyers of Europe, whose doctrine it is, that the press is free, when it is only subject to their arbitrary sway. […] Mr Barrow has told us, the press is free in China; where, indeed, there is no imprimatur, […] and because the power of punishing afterwards is there so prompt and effectual, and the impossibility of circulation so complete, that there is no occasion for any supernumerary precaution. A press free, in China, or any where else, merely because a license is not required to print! A well might they tell us, that thieving is free in England, because there is no previous license necessary to steal!«; vgl. Mill, James: Voyages / Peking, Manille, et l’%le de France, faits dans l’Intervalle des Ann8es 1784 / 1801 […] Par M. de Guignes, In: Edinburgh Review (Jul. 1809), Art. IX, 407–429.
74 3.3
Europäische Zeitschriften mit globaler Ausrichtung
Inhalte
Themenspektrum Die Themen variierten zwischen den untersuchten Zeitschriften und sind nicht für alle drei (bzw. sechs) Publikationen verallgemeinerbar. Die Minerva ist gegenüber dem Mercure und der Edinburgh Review deutlicher auf politisch-militärische Berichterstattung ausgerichtet, während letztere den literarischen und länderkundlichen Themen einen größeren Stellenwert einräumten. Dennoch sind bestimmte Tendenzen aufzuzeigen, die für die Zeitschriften insgesamt kennzeichnend waren. Allesamt waren sie literarisch-politische Presseorgane, die literarisch-wissenschaftliche Besprechungen und Berichte als Instrumente politischer Meinungsbildung nutzten. Die Gründe für den Rückgriff auf literarische Kritik variierten je nach nationalem Kontext: So konnten der Mercure und das Magasin ihre eigenen Standpunkte nicht im politischen Teil platzieren; dort mussten sie die Regierungslinie übernehmen, wie sie das offizielle Organ des Moniteur vorgab. Sie waren daher zwangsläufig auf Äußerungen literarischer oder wissenschaftlicher Standpunkte eingeschränkt, in die sie ihre ökonomischpolitischen Ansichten einbringen konnten. Diese Tradition der literarisch-verkappten politischen Meinungsbildung hielt sich in Frankreich bis in die Restauration hinein, während der die literarischen Rezensionszeitschriften ihre Hochphase erreichen sollten.158 Im Falle der Edinburgh Review gab die Form der Rezensionszeitschrift die politische Verortung über das Medium der Kritik praktisch vor, ohne dass das politische Projekt, welches hinter der Zeitschrift stand, damit weniger Wirkmacht entfaltete. Die Minerva wiederum griff ebenfalls zum Mittel des »verhüllten Schreibens«159, indem sie etwa Zitate unkommentiert wiedergab und die Interpretation ihren Lesern überließ oder über historische Analogien indirekt Kritik äußerte. Mochten also die Motive für das inhaltliche Wechselspiel unterschiedlich sein, die Spannbreite der Themen in den Zeitschriften reichte von politischen 158 Besonderes Merkmal der Zeitschriften zwischen 1815 und 1830 war ihr Anspruch, den Leser über alle Neuerungen in Literatur und Wissenschaft umfassend zu informieren und zwar in ganz Europa, wie Charles-Marc des Granges bereits 1907 in seiner Studie richtig festhielt. Zentrales Anliegen der Herausgeber war es, so des Granges, Literatur im Verhältnis zu den sozialen Entwicklungen der Zeit zu betrachten; vgl. Des Granges, CharlesMarc: Le Romantisme et la critique. La presse litt8raire sous la Restauration 1815–1830, Paris 1907, 51. Des Granges zufolge gab es keine Epoche, in der »une critique plus large et plus vaste, plus abondante en comparaisons instructives, plus avertie de tout ce qui se pense et de tout ce qui s’8crit« möglich gewesen wäre als die Restauration; vgl. ebd., 51–52. Besonders markant wird des Granges’ Urteil, wenn man bedenkt, dass er zwar 1907 schreibt, aber damit auch vor dem Hintergrund der Erfahrung der Dritten Republik, deren Pressefreiheit selbst heutige Leser in Erstaunen versetzen kann. 159 Göpfert: Bran (wie Anm. 72), 356.
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über literarische und historische bis zu wissenschaftlich-technischen und ökonomischen Themen.160 Im Folgenden soll diese Spannbreite der Themen in den Zeitschriften geschildert und eine Einschätzung dazu gegeben werden, welcher Stellenwert ökonomischen Themen im weitesten Sinne zukam. Der Mercure verlegte sich, nachdem er in den ersten Jahren des 19. Jahrhunderts noch ein Zufluchtsort für die royalistische Opposition gegen das Empire gewesen war, unter der strengen Zensuraufsicht ab 1807 praktisch ausschließlich auf Literatur, Literaturkritik und Wissenschaftsdiffusion, wobei innerhalb der literarischen Kritik politische und ökonomische Themen abgehandelt wurden. Er brachte stets zu Beginn einer Nummer unter »Po8sie« ein oder zwei unveröffentlichte Gedichte und Rätsel, darauf folgten Besprechungen von Werken unter der Rubrik »Sciences et Arts«, »Litt8rature et Beaux-Arts«, anschließend »Vari8t8s« und schließlich »Politique«. In den Buchbesprechungen finden sich während der Kontinentalsperre zahlreiche Werke zur Agrarökonomie, technischen Verbesserung der Produktionsweise sowie auf ökonomische Besonderheiten ausgerichtete Reiseberichte. Explizit wird der wirtschaftstheoretische Rahmen nur beim Thema Seehandelsfreiheit diskutiert.161 Sowohl während des Kaiserreiches als auch unter den Bourbonen, vermochten die Journalisten eine Linie zu verfolgen, die die Regierung nicht offiziell infrage stellte, aber ihre beschränkten Freiräume ausschöpfte und ihre kritischen Positionen einzubringen wusste. Es zeugt von der wirtschaftsliberalen Grundeinstellung der gemäßigt-royalistischen Redaktionsgruppe, die bereits vor 1815 für den Mercure tätig war, dass ab der neuen Serie auch Benjamin Constant am Mercure de France mitarbeitete. Der radikale staatliche Eingriff in die Presselandschaft unter Napoleon sah auch eine thematische Spezialisierung der Zeitschriften vor, so sollten die (natur-) wissenschaftlichen Themen nicht vom literarischen Mercure, sondern vom Magasin encyclop8dique übernommen werden. Der Prospekt des Magasin 1795 leitete den Plan der neuen Zeitschrift mit den Worten ein: »Les sciences 160 Es wird hier ganz bewusst keine statistische Aufschlüsselung der prozentualen Relation zwischen den einzelnen Themen innerhalb aller Jahrgänge der Periodika vorgenommen, da die Zuordnung der Artikel zu verschiedenen Themenblöcken eine starre Kategorisierung erfordert, wo der Inhalt in den allermeisten Fällen weiche Übergänge und diverse Überschneidungen bereithält, der in jedem Systematisierungsversuch zwangsläufig verlorengehen muss. Ein solcher Versuch der mathematischen Objektivierung verschleiert daher oftmals mehr als er erhellt, zumal wenn die Kriterien für die Zuordnung eines Artikels zu dieser oder jener thematischen Gruppe und die Etablierung der Kategorien nicht transparent gemacht wird. Für einige der Zeitschriften ist ein derartiger Versuch zudem bereits unternommen worden und soll hier nicht wiederholt werden. Dennoch finden sich im Anhang Tabellen, die anhand von drei Auswahljahrgängen die tendenzielle Relevanz bestimmter Themenbereiche in den Zeitschriften abbilden, vgl. Tabellen 2–4 im Annex. 161 Vgl. Kapitel III.2 in dieser Arbeit.
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sont depuis long-tems priv8es de ces moyens de correspondance et de communication qui leur sont si n8cessaires.«162 Diese Verbindungen wiederherzustellen bzw. neuanzuknüpfen trat also diese periodische Schrift an. Zwei bis höchstens vier Hauptartikel nehmen in einer Nummer des Magasin rund 150 Seiten ein und sind gruppiert unter die Rubriken: Malerei, Schöne Künste, Musik, Biographie, Geschichte, Naturgeschichte, Literaturgeschichte oder auch Numismatik. Die restlichen hundert Seiten sind unter der Überschrift »Vari8t8s, Nouvelles et Correspondances litt8raires« Neuerscheinungen aus den verschiedenen europäischen Ländern gewidmet. Der Schwerpunkt lag auf den Entwicklungen in der international vernetzten Wissenschaft, was die Nachfolgezeitschrift des Magasin, die Revue Encyclop8dique, später noch deutlich auszubauen vermochte. Dem Wunsch nach vollständiger Erfassung der Neuerscheinungen wird im Magasin die Besprechung der Werke geopfert und meist beschränkt sich die Notiz auf die Nennung von Autor, Titel und knapper Inhaltsangabe.163 Reisebeschreibungen von außereuropäischen Orten tauchen so gut wie gar nicht auf, während die Ankündigung neuer Literatur durchaus auch »orientalische« oder »asiatische« umfasst. Bei allen Besprechungen und Ankündigungen geht das Magasin aber über simples Kopieren, wie es von anderen praktiziert wurde, hinaus.164 Die Rezensionen der Edinburgh Review folgten ohne thematische Rubriken einer weitgehend willkürlichen Ordnung, sie waren lediglich mit römischen Ziffern nummeriert. Das thematische Spektrum reichte von literarischen Werken, über Reisebeschreibungen und Geschichtsschreibung bis zu wissenschaftlichen, ökonomischen und politischen Abhandlungen. Die Rezensionen glichen, wie bereits erwähnt, eher eigenständigen Texten, die sich eine aktuelle Veröffentlichung als Ausgangspunkt für eigene Reflexionen nahmen, denn einer bis dahin geläufigen Werkbesprechung von zwei bis drei Seiten. Rezensionen dienten im 18. Jahrhundert in der Regel der Bekanntmachung und damit Kaufempfehlung eines Werkes oder mochten die Lektüre eines schwer zugänglichen Originals ersetzen. Mit der Edinburgh Review änderte sich diese Funktion: Die Artikel umfassten häufig zwanzig bis dreißig Seiten, oftmals auch bis zu fünfzig und können somit eher als Rezensionsessays beschrieben werden.165 162 [Prospectus], In: Magasin encyclop8dique 1.1 (1795), (1)–(4), hier (1). 163 Inhaltliche Artikel kommen bei durchschnittlich drei Artikeln pro Nummer auf 36 pro Jahr und damit zwischen 1807 und 1816 auf rund 360 Artikel. 164 Vgl. Hurley : Un cosmopolitisme journalistique (wie Anm. 147), 115. 165 Diese innovative Form der Edinburgh Review wurde in der Forschung immer wieder betont, zuletzt ist William Christie ausführlicher darauf eingegangen; vgl. Christie: The Edinburgh Review (wie Anm. 88), 18–27. Wie Fontana richtig bemerkt hat, waren die Rezensionen eigentlich eigene Artikel, das heißt eigeständige Beiträge der Autoren zur öffentlichen Debatte und keineswegs bloße Besprechungen und Bewertungen des rezensierten Werkes, vgl. Fontana: Rethinking the Politics of Commercial Society (wie Anm. 88).
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Anders als in früheren Rezensionszeitschriften, in denen ebenfalls gelegentlich der eigene Standpunkt des Rezensenten im Vordergrund stehen mochte, prägte dieses Vorgehen generell die redaktionelle Praxis der Edinburgh Review und die Schärfe der Kritik an den besprochen Werken überraschte die zeitgenössischen Leser. Die Review war von Beginn an mehr als eine Rezensionszeitschrift, sie war politisches Organ für Autoren, die den Whigs nahe standen. Außenpolitisch stand sie als liberales Blatt der autoritären Regierung Napoleons besonders kritisch gegenüber. Neben den Besprechungen literarischer Neuerscheinungen stehen also geographische, historische und naturwissenschaftliche Artikel; der thematische Schwerpunkt liegt aber deutlich in den politischen Rezensionen und Kommentierungen der Parlamentsdebatten, worunter in den Jahren der Kontinentalsperre besonders die Wirtschaftspolitik der Regierung fällt. Die Minerva machte bereits in ihrem Untertitel ihr politisches Profil deutlich. Sie erschien als »Journal historischen und politischen Inhalts« und grenzte sich damit von den rein literarischen Zeitschriften um 1800 ab. Auf jeder Titelseite des Periodikums prangten bis 1858 die englischen Worte ihres Epigraphs: »To shew – the very age and body of the time its form and pressure«. Das für eine Zeitschrift ungewöhnliche Motto enthüllt seine tiefe Bedeutung nicht unmittelbar. Die »Zeit« legt die Betonung auf die Gegenwart als historische Epoche und wertet diese so gegenüber früheren Geschichtsperioden auf; Form und Druck der Gestalt dieser Zeit implizieren die Dynamik der Gegenwart, ihre besonderen Charakteristika und Problematiken.166 Eine politische Ausrichtung bedeutete im deutschen Kontext allerdings nicht die offene Positionierung für eine politische Richtung; Unparteilichkeit galt den Herausgebern nach wie vor als presseethisches Gebot. »Politischer Partheigeist« war verpönt und die Minerva versuchte dieser Regel gerecht zu werden, indem sie auch Artikel aufnahm, die nach eigener Aussage nicht ihrer Tendenz entsprachen.167 Ihr politisches Profil ist gleichwohl deutlich erkennbar, wenn auch die anfänglich positive Haltung des frühliberalen Blattes gegenüber freiheitlichen Institutionen während der Okkupationszeit und somit dem Zeitraum der Kontinentalsperre auf die Probe gestellt wurde und einer profranzösischen Berichterstattung Platz machte, die dem Blatt vielfach vorgeworfen wurde. Archenholz hatte die Revolution zunächst begrüßt, wurde vor Ort gegenüber ihren Entwicklungen jedoch zusehends kritisch, was ihn auch zurück nach Deutschland trieb, wo er sich von liberalen Revolutionsbefürwortern distanzierte. Unter den Bedingungen der napoleonischen Zensur unterwarf er sich aus pragmatischen Gründen kompromissbereit einer Anpassung, vertrat aber weiterhin eine gemäßigt liberale politische Haltung. Der ehemalige Offizier Archenholz ließ ein besonderes In166 Siehe folgenden Abschnitt »Gegenwartsbezogenes Geschichtsverständnis«. 167 Vgl. Fratzke-Weiß: Europäische und nationale Konzeptionen (wie Anm. 71), 73.
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teresse an kriegsstrategischen und -taktischen Themen erkennen, das sich in der Minerva in detaillierten Berichten über Kriegskonstellationen und Schlachtverläufen manifestierte.
Gegenwartsbezogenes Geschichtsverständnis Die Herausgeber der Zeitschriften betrachteten ihre Zeit als genuin neu und historisch beispiellos, alles schien ihnen im Wandel begriffen und die herkömmlichen Analysekategorien zum Verständnis des politischen Geschehens griffen nicht mehr. In diesem Sinne verstanden sie ihre Zeitungsprojekte als Versuch, Werkzeuge zum Verständnis dieser überwältigenden Realität zu bieten und einige Kriterien zur Ordnung der Geschehnisse zu schaffen – gleichsam eine Kartographie der Zeit. Die Gegenwart empfanden sie gegenüber früheren Epochen als grundsätzlich verschieden. Archenholz betonte 1807 in der Minerva: »Wer kann wiedersprechen, daß wir in unsern Tagen Dinge erlebt haben, die noch kein Volk und kein Zeitalter sah«.168 Die dreißig Jahre seit dem verschärften Konflikt zwischen Großbritannien und Frankreich wurden als dauerhafter Kriegszustand (»ewiger Krieg«) ganz Europas empfunden, und dieses Erleben korrelierte mit der Beschleunigungserfahrung in unheiliger Weise. Den journalistischen Beitrag der Minerva verstand ihr Herausgeber als engagierte Geschichtsschreibung, mit der Archenholz der öffentlichen Debatte der Zeit seine Prägung verlieh. Mit der gegenwartsbezogenen historiographischen Vorstellung und Praxis richtete er als Beobachter seiner Zeit die Geschichtsforschung zukünftig aus und unterlegte den gelehrten Kommentar mit dem Potential politischen Eingreifens.169 Auch die Miszellen drückten dieses gegenwartsbezogene Geschichtskonzept aus. Die Geschichte müsse gewissenhaft aufgezeichnet werden, um die Welt intellektuell zu erfassen.170 Dem heutigen journalistischen Wortgebrauch »historischer Ereignisse« ähnlich, berichteten die Miszellen über die Politik Napoleons und die Geschehnisse in Europa. Geschichte – wie im späteren Titel der Zeitschrift ausgedrückt wird: »Geschichte unserer Zeit« – bezog sich auf das aktuelle Zeitgeschehen und weniger auf Ereignisse der Vergangenheit.171 Und die Journalisten begriffen sich nicht als bloße Chronisten des Gegenwartsgeschehens, sondern als aktive zeitgeschichtliche Akteure der öffentlich verhandelten Politik. 168 Archenholz: Zur Zeitgeschichte, Minerva 1 (1807), 333–346. 169 Vgl. zum zukunftsorientierten Geschichtsbegriff bei Archenholz Rieger: Archenholz als »Zeitbürger« (wie Anm. 134), 153–170. 170 Ort: Die Zeit ist kein Sumpf (wie Anm. 73), 171. 171 Dieser Geschichtsbegriff ändert sich leicht in den späteren Serien, als die Rubrik »Historische Erinnerungen« auftaucht, die bedeutende Vorkommnisse der Vergangenheit aufgreift, wenn sie auch niemals weiter zurück geht als ein halbes Jahrhundert.
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In der Review drückte das Geschichtskonzept der meisten Beiträge die Verbundenheit mit der Schule der Schottischen Aufklärung aus. Die stufenartige Entwicklung der Zivilisation hin zum höchsten Stadium der modernen Handelsgesellschaft liegt als ideengeschichtliches Muster den historischen Beiträgen zugrunde. Abgesehen davon liegt auch ihr Schwerpunkt, wie für die Zeitschriften des frühen 19. Jahrhunderts kennzeichnend, auf der »Zeitgeschichte« im Sinne des aktuellen Zeitgeschehens. Die Edinburgh Review gebarte sich als selbstbewusste Beobachterin des politischen, wissenschaftlichen und literarischen Geschehens ihrer Zeit und betonte den Einfluss, den sie selber auf die Entwicklung einer kritischen Öffentlichkeit hatte. Damit einher ging die Auffassung der Review als aktives Organ zur Veränderung oder Herbeiführung von historischer Veränderung der Gesellschaft über die Schaffung einer öffentlichen Meinung zu bestimmten zeitrelevanten Themen. Nicht vergessen werden sollte die enge personelle Verbindung der Zeitschrift zur Politik über ihre Redakteure, die allesamt früher oder später selbst politische Ämter bekleideten. Dieses Involviertsein in den aktuellen politisch-historischen Prozess wurde als »Selbstreflexivität« bezeichnet, sowohl hinsichtlich des Platzes in der Geschichte als auch der eigenen Zeitlichkeit der Zeitschriften.172 Der Geschichtsbegriff im Magasin und dem Mercure war weit klassischer als der der anderen hier betrachteten Zeitschriften. Die Artikel zur Geschichte behandelten in der überwiegenden Mehrzahl antike Stoffe und die Herausgeber hatten einen sehr klassischen Bildungsbegriff, nach dem aktuelle Erkenntnisse stets im Rückbezug auf antike Texte verhandelt wurden. Historische Stoffe eigneten sich aber angesichts des Zensurzwangs auch zur indirekten Kommentierung gegenwärtiger Konstellationen. Die Verknüpfung von historischen und aktuellen politischen Observationen als eine neue Form der Geschichtsschreibung um 1800 fand also auch im Mercure de France statt, der im Untertitel als »Journal historique, litt8raire et politique« gekennzeichnet wurde.173 Im Mercure wurden darüber hinaus zunehmend auch Bezüge zwischen den zahlreicher werdenden aktuellen Veröffentlichungen, etwa im Hinblick auf Reisebeschreibungen, hergestellt, sodass es nicht mehr nur darum ging, überhaupt von einer Weltgegend zu erfahren, sondern aus mehreren Quellen ein möglichst exaktes Wissensgebäude zu entwerfen. Die Zeitschrift stellte den idealen Ort dar, dieses Gebäude zu errichten und alle überflüssigen oder fehlerhaften Materialien, die sich in Einzelpublikationen finden mochten, mittels ihrer Periodizität 172 Christie behauptet, dieser Aspekt unterscheide die Edinburgh Review von denen früherer Jahrhunderte und mache ihre Modernität aus; vgl. Christie: The Edinburgh Review (wie Anm. 48), 29–33. Richtig ist, dass er Merkmal eines neuentstehenden Journalismus um 1800 ist. 173 Ab 1807 fiel dann »historique« weg, wobei die historische Ausrichtung sich darum nicht änderte.
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zu überwinden. Die Zukunftsgerichtetheit des Geschichtsverständnisses bzw. die Historisierung des aktuellen Politikgeschehens drückt sich im Prospekt zum Jahr 1807 in der freimütig zur Konzession an die politische Macht erklärten Aufnahme politischer Berichte aus, die man nicht als »nouvelles«, sondern als »monumens historiques« für nachfolgende Geschichtsschreiber verstanden wissen wollte.174 1807 kaufte Chateaubriand den Mercure und positionierte sich bald darauf mit der Besprechung eines Reiseberichtes aus Spanien von Alexandre Laborde,175 in der er, ähnlich den »Rezensionen« der Edinburgh Review, eigenen Reflexionen den meisten Raum gab und indirekt der »Tyrannei« Napoleons ein nahes Ende prophezeite.176 Globale Ausrichtung Im geschilderten Konzept der ›historischen Gegenwart‹ wird das Zeitgeschehen von den Journalisten um 1800 zunehmend als global vernetzt und interdependent wahrgenommen. So wird die Wahrnehmung des Austauschs und der Abhängigkeiten zwischen den Weltregionen im Oktober 1806 als Anlass für die Gründung der Miszellen angegeben: »Die Völkerschaften der Welttheile wohnen nicht mehr in isolirten Gauen, einander fremd und ohne Einfluß; – der Compaß und die Druckerpresse, die wichtigsten aller Werkzeuge, welche menschlicher Witz ersann, führten das Entfernteste zusammen; Handel und Publicität verwandelten Bewohner entlegener Staaten in Mitglieder der gleichen Verwandtschaft; was Großes geschieht an den Mündungen des Indus und Ganges, und in der westindischen Inselgruppe setzt seine Erschütterungen über Europa fort, – was im Süden verloren und gewonnen wird, büßet oder genießet der raue Norden.«177
Nach dieser Auffassung gingen Wirtschafts- und Informationsfluss eine sich gegenseitig potenzierende und untrennbare Verbindung ein und führten so beide zum Zusammenwachsen der Menschheit: Entfernte Weltteile standen in direkter wirtschaftlicher Wechselbeziehung zueinander und die globale Zirkulation der Nachrichten war gleichzeitig Folge und Bedingung dieser neuen Verhältnisse. Diese Einschätzung erklärt auch, dass die Zeitschriften großen Wert auf Nachrichten und Informationen aller Art aus verschiedenen Ländern legten. Im Verlauf der ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts weitete sich der Blick der Presse auf globale Zusammenhänge, Europa als Bezugsrahmen wurde 174 Prospectus du Mercure de France pour l’ann8e 1807, In: Mercure de France 1 (1807), 3–8, hier 6. 175 Laborde, Alexandre: Voyage pittoresque et historique de l’Espagne, Paris: Didot l’ain8 1806. 176 Vgl. Chateaubriand: Voyage pittoresque (wie Anm. 126). 177 Schweizerbote 3 (30. Okt. 1806), zitiert nach: Ort: Die Zeit ist kein Sumpf (wie Anm. 73), 157.
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von der Zeitungsberichterstattung, wie sie noch im späten 18. Jahrhundert vorherrschte, gesprengt und einige Zeitschriften gaben sich bewusst ein weltweites Profil. Richtet man den Blick bei der Analyse der Zeitschriften auf globale Zusammenhänge, erstaunt das weite Spektrum der behandelten Literatur. Allumfänglichkeit als professionelle Verpflichtung gegenüber dem Leser wurde in thematischer wie in geographischer Hinsicht angestrebt. Seine höchste Ausformung sollte dieser universale Ansatz der Zeitschriften in der Förderung der zunehmenden weltweiten Wissenschaftsvernetzung im Nachfolger des Magasins, der Revue encyclop8dique, finden. Dieser Anspruch zeichnet die Zeitschriften, wie auch die enzyklopädischen Sammelwerke, seit dem 18. Jahrhundert aus – gleichsam als Pendant zum Museum des 19. Jahrhunderts, in dem das Wissen der Welt in seinen variantenreichen Formen gesammelt, geordnet und systematisch präsentiert wird. Das Konzept der Periodika geht aber darüber hinaus, indem es das Statische des Museums und der klassischen Enzyklopädie zu überwinden sucht; in der Periodizität sowie der Dynamik einer potenziell offenen Autorenschaft und der Möglichkeit zu dialogischem Austausch über ein Fachthema in Antwortartikeln. Erklärtes Ziel der Revue war es, eine »encyclop8die vivante« zu organisieren, um die ›stationäre Systematik‹ der klassischen Enzyklopädie zu überwinden und so den Fortschritt im menschlichen Wissen zu befruchten.178 Die Revue kann gleichsam als Fluchtpunkt dieser pressegeschichtlichen Entwicklung ab 1800 gelten. In einer Rückschau auf die Jahrgänge der Zeitschriften konnte der Leser aus der Summe der dort abgedruckten Arbeiten und vorgestellten Publikationen eine Übersicht zum Weltwissen erwerben. Es wurden Entwicklungen in Amerika behandelt, die freiheitlichen Institutionen in den Vereinigten Staaten, der Freiheitskampf auf Haiti, Buenos Aires und Venezuela sowie die Ereignisse in Brasilien; der Stand der Wissenschaften in Asien spielte eine Rolle, indische und chinesische Literatur und Sittengemälde Persiens, Japans und Indiens; Berichte von Reisen ins Innere Afrikas und dessen frühe, namentlich ägyptische, Kulturgeschichte tauchten ebenso auf wie die neuesten Berichte in den Bereichen der Wissenschaft, Industrie und Kunst aller europäischen Länder. Es reiche
178 Die Revue sollte »Abaisser peu / peu les barriHres qui s8parent les litt8ratures des diff8rentes nations, et mettre en quelque sorte les nations elles-mÞmes en pr8sence«; vgl. Jullien, MarcAntoine: Lettre / MM. les collaborateurs, les correspondants et les souscripteurs, In: Revue encyclop8dique 5.13 (Jan. 1820), 5–14, hier 11–12. Die so im publizistischen Periodikum erstmals materiell manifestierte Unabgeschlossenheit und stete Fortentwicklung des Wissens im Prozess seiner Akkumulation und Revision findet Ende des letzten Jahrhunderts dann seine bislang konsequenteste Realisierung im Medium des Internet.
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nicht, »enzyklopädisch« zu sein, eine Zeitschrift müsse vor allem »kosmopolitisch« sein, hieß es in der Revue encyclop8dique.179 Die hier untersuchten Zeitschriften fügen sich in dieses Bild der globalen Öffnung der Periodika der Spätaufklärung. Schaut man sich die Berichterstattung der Minerva über außereuropäische Länder an, so nahmen diese über den Untersuchungszeitraum signifikant zu.180 Die Verweise auf außereuropäische Kontexte schloss dabei alle Themenbereiche von vermischten Nachrichten über ein amerikanisches Wunderkind, über Ökonomisches wie die Wirtschaftspolitik Chinas, Landeskundliches wie persische Kultur und Lebensgewohnheiten und Politisches wie die Unabhängigkeitsbewegungen Südamerikas hin zu wissenschaftlichen Erkenntnissen über die Geographie des Inneren Afrikas ein. Die Öffnung auf die Welt spiegelt sich auch in Zschokkes gelehrten Zeitschriften. Während seine Zeitung, der Schweizerbote, zum Ziel hatte, die politische Bildung der schweizerischen Landbevölkerung zu fördern181, waren die Miszellen nicht nur für ein internationales Publikum geschrieben, sondern unternahmen es, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts auf der ganzen Welt stattfindenden Ereignisse und Veränderungen zu erläutern. Im Prospekt der Miszellen trat dieser Anspruch deutlich zutage. Die ursprüngliche Idee der neuen Zeitschrift drückte bereits das Bewusstsein für die weltweiten Dimensionen der zeitgenössischen Beobachtung aus, während sie – wissend um den Mangel an Bildung, der durch medienbasierte Wissensverbreitung überwunden werden sollte – gleichzeitig auf das ›gelehrte Publikum‹182 verengt war : »Der Strom der Weltbegebenheiten rauscht vorüber, größer, reicher und wichtiger mit jedem halben Jahrhundert. Was vor wenigen Jahrhunderten nur einzelne erhabene Menschen konnten, von ihrem höhern Standpunkt herab, – diesen Strom beobachten, das geschieht, seit Fausts und Guttenbergs Erfindung, von ganzen Nationen, von den gebildetern Völkern des gesammten Erdballs.«183
Stärker als bei den anderen Zeitschriften lag das Augenmerk des Mercure auf den Neuerscheinungen aus Frankreich und weitete sich in der Besprechung ausländischer Literatur höchstens auf die europäischen Nachbarn, insbesondere 179 Jullien, Marc-Antoine: Lettre / MM. les colaborateurs et les correspondans, In: Revue encyclop8dique 17.49 (Jan. 1823), 5–15, hier 9–10. 180 Vgl. Tabelle 2 im Annex. 181 Vgl. Böning, Holger : Heinrich Zschokke und sein »Aufrichtiger und wohlerfahrender Schweizerbote«. Die Volksaufklärung in der Schweiz, Bern 1983. 182 Dies ist ein allgemeines Merkmal der politischen und literarischen Zeitschriften der Epoche, die darauf abzielten, wenn nicht ein elitäres, so doch ein gelehrtes Publikum zu erreichen; vgl. Fratzke-Weiß: Europäische und nationale Konzeptionen (wie Anm. 71), 143– 148. 183 Schweizerbote 3 (30. Okt. 1806), zitiert nach: Ort: Die Zeit ist kein Sumpf (wie Anm. 73), 157.
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Deutschland und Großbritannien aus. Außereuropäische Themen spielten vordergründig kaum eine Rolle.184 Dennoch ließen auch seine Radakteure die Einbeziehung der globalen Perspektive erkennen und zwar nicht zuletzt im Zusammenhang ökonomischer Themen: »Il est mÞme trHs-probable que les r8volutions politique et commerciales qui ont signal8 la fin du dix-huitiHme siHcle et le commencement du dix-neuviHme, de nouveaux Etats cr8es, de nouvelles cultures, de nouvelles routes ouvertes au commerce, de routes anciennes ferm8es, la civilisation gagnant du terrain dans les deux Am8riques, une cinquiHme partie du monde (la Nouvelle-Hollande, ou Austrasie [sic !]) d8couverte et se peuplant par des colonies, il est probable, dis-je, que tous ces 8v8nemens, fournissant de nouvelles donn8es, des exp8riences rares, et des rapprochemens curieux, avanceront beaucoup les progrHs de cette science long-tems probl8matique, et d8sormais bien connu, de l’Economie politique.«185
Hier wird es explizit: Die globalen Veränderungen in Politik und Wirtschaft erforderten eine veränderte wirtschaftstheoretische Reflexion. In der inhaltlichen Spannbreite der Edinburgh Review, die ihre internationale Ausrichtung über das gesamte Jahrhundert beibehalten sollte, spiegelt sich dies wider : Außereuropäische Themen waren von Anfang an stark repräsentiert.186 Sie umfassten neben der systematischen und großumfänglichen Erfassung von Reiseberichten, geographische Berichte, kolonialpolitische Fragestellungen, literarische Weltkunde und kulturhistorische Darstellungen. Es tauchten regelmäßig spanische, französische, deutsche, niederländische und amerikanische Veröffentlichungen auf und das Spektrum der Inhalte rezensierter Werke umspannte von Anfang an den Erdball. Augenfällig ist das deutliche Überwiegen der Literatur zu Asien, was keineswegs nur den Berichten über das koloniale Indien geschuldet ist, und die demgegenüber allmähliche Abnahme von Artikeln zu Amerika. Afrika kam eine wachsende Bedeutung zu, was sich in einen allgemeinen Trend der epistemischen Aneignung dieses Kontinents in Europa einschrieb.187 Über die starke Präsenz reiseliterarischer Rezensionen erschlossen sich dem Leser die entferntesten Gegenden der Erde, von Nord- und Südamerika über Afrika und Australien bis nach Asien. Die Zeitschrift popularisierte auf diese Weise die weltweiten Reiseerfahrungen, welche im Zuge der Systematisierung wissenschaftlicher Erkenntnisse im frühen 19. Jahrhundert das ausgreifende Welt-Bild der Europäer konstituierten. 184 Vgl. Tabelle 4 im Annex. 185 S. F. D. C.: Des divers systHmes d’8conomie politique, par M. Ch. Genilh, In: Mercure de France 2 (1810), 473–478. 186 Vgl. Tabelle 3 im Annex. 187 Vgl. Schröder, Iris: Das Wissen von der ganzen Welt. Globale Geographien und räumliche Ordnungen Afrikas und Europas 1790–1870, Paderborn 2011.
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Europäische Zeitschriften mit globaler Ausrichtung
Ökonomische Themen
Ökonomische Themen sind in allen untersuchten Zeitschriften stark repräsentiert, obgleich diese in der Forschung und entsprechend ihrer Eigenkonzeption als »literarische« oder »literarisch-politische« Zeitschriften charakterisiert sind. Ihr Anspruch war aber ein integrativer und die Themenschwerpunkte spiegeln eine gesteigerte Aufmerksamkeit gegenüber den ökonomischen Parametern der internationalen Zusammenhänge in der frühmodernen Gesellschaft wider. Sie lassen deren theoretische Konzeptualisierung ökonomischer Zusammenhänge erkennen. Zudem galt den Herausgebern statistische Informationen über Bevölkerung, Industrie und Handelsvolumina als Mittel der politischen Emanzipation in der Tradition aufklärerischer Öffentlichkeitskonzepte. Der Bevölkerung das Wissen um die ökonomischen Grundlagen der eigenen Gesellschaft und ihrer Zusammenhänge mit anderen Ländern zur Verfügung zu stellen, barg immanent das Versprechen bürgerlicher Partizipation.188 Allerdings wurde das Mittel der Wirtschaftsberichterstattung auch zur Rechtfertigung staatlicher Politik benutzt. Die eigentliche Zahl der im engeren Sinne ökonomischen Artikel war relativ gering. Demgegenüber lässt sich eine Durchdringung der politischen, historischen und philosophischen Pressedebatten mit ökonomischen Interpretationskonzepten feststellen. Die brennendste politische Auseinandersetzung der Zeit, der Konflikt zwischen Frankreich und Großbritannien, wurde auf der Ebene eines Wirtschaftskrieges ausgefochten, der den Zeitgenossen die Vehemenz ökonomisch-sozialer Fragen vor Augen führte. Wirtschaftsberichterstattung im engeren Sinne nahm beispielsweise in der Edinburgh Review tendenziell über den Untersuchungszeitraum ab, dennoch spielten wirtschaftspolitische Fragestellungen in beinahe allen Artikeln zur Regierungs- und Außenpolitik eine zentrale Rolle. Die Redakteure der Edinburgh Review waren der Tradition der Schottischen Aufklärung verpflichtet. Mit mehr oder weniger Strenge vertraten sie Auffassungen von Adam Smith, David Hume, Adam Ferguson, William Robertson, Lord Kames, John Millar und Dugald Steward. Deren Einfluss lässt sich in vielen Themenbereichen nachverfolgen, die die Review behandelte. Die Vorstellungen der Herausgeber zur Wirtschaftstheorie waren vor allem geprägt von der Rezeption des Wealth of Nations. Die Zeitschrift rezensierte praktisch alle relevante Literatur zu wirtschaftspolitischen Themen, was einen Kommentator des 20. Jahrhunderts zu dem Urteil kommen ließ, sie sei »the closest approach that Great Britain had to an economic journal«189. 188 Vgl. Fratzke-Weiß: Europäische und nationale Konzeptionen (wie Anm. 71), 63. 189 Fetter, Frank Whitson: The Authorship of Economic Articles in the Edinburgh Review 1802–47, In: Journal of Political Economy 61.3 (1953), 232–259.
Die Zeitschriften, ihre Netzwerke und Inhalte
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Die Rezeption der schottischen Aufklärungsökonomik fand aber auch in den kontinentalen Zeitschriften statt. Archenholz etwa lag auf einer Linie mit der oppositionellen Öffentlichkeit Großbritanniens, wenn er die Monopolpolitik Großbritanniens kritisierte.190 In der Minerva nahmen explizit ökonomische Themen im Untersuchungszeitraum deutlich zu.191 Und länderkundliche Berichte, worunter besonders Reisebeschreibungen fallen, dienten bekanntlich als Quelle statistischer Information und entwickelten im europäischen Wissensspeicher des frühen 19. Jahrhunderts eine herausgehobene epistemische Relevanz, deren ökonomischer Nutzen explizit gemacht wurde. In diesem Wissensfeld manifestierte sich darum auch am sinnfälligsten der europäische Informationsmarkt, über dessen Kanäle besonders handelsrelevante Kenntnisse multipliziert und ihre systematische Erschließung und Vervollständigung vollzogen wurden. Handelsund finanzwirtschaftliche Themen hielten sich dabei weitgehend die Waage wobei der Außenhandel in praktisch allen politischen Artikeln zum Krieg zwischen Frankreich und Großbritannien besprochen wurde. Im Mercure sind die ökonomischen Themen bis zum Ende der Kontinentalsperre zwei Kategorien zuzuordnen. Artikel zu explizit ökonomischen Themen fielen hier allerdings nicht ins Gewicht. Die ökonomischen Themen wurden in politischen Artikeln oder auch literarischen Besprechungen abgehandelt.192 Ausführlich finden agrarökonomische Themen, wie sie in der Frühphase der Blockade europaweit intensiv diskutiert wurden, im Mercure über einen längeren Zeitraum Beachtung. Zum zweiten mündete die Behandlung handelsökonomischer Fragen zumeist in generellen Forderungen nach Handelsfreiheit auf den Weltmeeren. Wie auch im Magasin wurden die Zugriffs- und Abhängigkeitsstrukturen der außereuropäischen Länder im Kontext der Auseinandersetzung um die britischen Vorteile in den Kolonien verhandelt. Die Position des Mercure war dabei, soweit er sich diesen Theorien zuwandte, liberalen Denkern gegenüber durchaus aufgeschlossen und die Zeitschrift setzte sich sowohl mit Smith sowie den frühen Schriften Sismonde de Sismondis positiv auseinander und folgte deren gemeinsamer Ablehnung der merkantilistischen Denkschule der Ökonomie. Insgesamt betrachtet kann man feststellen, dass in der Review die wichtigsten Debatten zur Wirtschaftstheorie des frühen 19. Jahrhunderts geführt wurden. Namhafte Vertreter der im Entstehen begriffenen Wirtschaftswissenschaft lie190 Vgl. Archenholz, Johann Wilhelm von: Resultate der oben erzählten Ereignisse in Hannover mit Hinsicht auf die neuesten Vorfälle, In: Minerva 2 (1806), 186f. 191 Vgl. Tabelle 2 im Annex. 192 Die Inhaltsauswertung nach Kategorien ist daher für den Mercure besonders wenig aussagekräftig. Ökonomisches wurde offiziell nur in weniger als 1 % der Artikel behandelt. Wirtschaftspolitik allerdings spielte eine Rolle und politische Themen machten im Untersuchungszeitraum zwischen 16 % und 33 % aus; vgl. Tabelle 4 im Annex.
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Europäische Zeitschriften mit globaler Ausrichtung
hen dem Blatt ihre Feder. Insbesondere sind zu nennen: James Mill, Thomas Robert Malthus, John Ramsay McCulloch, Thomas Chalmers, Robert Torrens und Francis Horner.193 Ricardo dagegen hatte eine Mitarbeit abgelehnt, obgleich McCulloch ab 1818 seine Positionen – wenn auch in einer recht eigenwilligen Interpretation – in der Review vehement vertrat.194 Aber die Redakteure der Edinburgh Review erlangten nie den Status einer wirtschaftstheoretischen ›Schule‹, denn ihre Meinungen zur Wirtschaftspolitik bildeten kein einheitliches theoretisches System. Im Rahmen ihres Zeitschriftenunternehmens beeinflussten ihre Gedanken aber die Öffentlichkeit des frühen 19. Jahrhunderts und fungierten gleichsam als Forum für die wirtschaftstheoretische Debatte dieser Zeit. Ihr genuiner Beitrag lag nicht zuletzt darin, die theoretischen Aufklärungsdiskurse in praktische Handlungsanweisungen zu überführen, also der Frage nachzugehen, wie diese Theorien in der vorhandenen Gesellschaft und unter den gegebenen politischen Bedingungen in die Tat umzusetzen seien. In diesem Sinne wirkten sie weit über Großbritannien hinaus, auch wenn diese Tatsache in der Forschung zur Edinburgh Review bislang keine explizite Beachtung gefunden hat.
4.
Zusammenfassung
In diesem Teil wurden die Grundstrukturen der europäischen Zeitschriftenlandschaft im frühen 19. Jahrhundert anhand von drei Periodika exemplarisch dargestellt. Die Minerva, die Edinburgh Review und der Mercure de France wurden als 193 Horner stand der Zeitschrift auch nach seiner aktiven Mitarbeit weiterhin nahe und prägte die öffentliche Meinung über die Bedeutung der Politischen Ökonomie für die Gesellschaft mit. Er setzte sich als einziger der Redakteure auch deutlich kritisch mit Adam Smiths Theorie auseinander und sah in beiden Positionen, sowohl der der Physiokraten als auch der von Smith, richtige Überlegungen. Gleichzeitig blieb seine Theorie, auch bedingt durch seinen frühen Tod, fragmentarisch; er entwickelte kein eigenes System, sondern blieb immer in Bezug auf Smiths Theorie, den er allerdings auf den Prüfstand der historischen Entwicklung seiner Zeit stellte; vgl. Fontana: Rethinking the Politics of Commercial Society (wie Anm. 88), 48–59, 125. Zu Horners Karriere und Einfluss in der Politik, besonders als Mitglied im Bullion Committee, siehe 114–126. Besonderes Merkmal der Edinburgh Review sind ihre bissigen Kommentare gegenüber den besprochenen Werken. Als Beispiel hierfür kann die kurze Rezension einer Neuauflage des Wealth of Nations gelten:«It may be given as a specimen of the most presumptuous book-making«, schreibt Horner in den ersten Sätzen. Die Edition wird nicht weiter dargestellt, doch das Vorgehen des Herausgebers nach Strich und Faden verrissen: »The editor proves himself quite ignorant of his author, and of the science on which that author wrote«. Er erdreiste sich nichtsdestotrotz, Adam Smith zu kritisieren, obgleich er ihn grundlegen missverstehe. Derartig scharfe Urteile sind charakteristisch für die Edinburgh Review und haben, ungeachtet zahlreicher empörter Stimmen oder Mahnungen, sicher auch zu ihrem Erfolg mit beigetragen. 194 Vgl. Fontana: Rethinking the Politics of Commercial Society (wie Anm. 88), 7–9 u. 75.
Zusammenfassung
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drei der auflagenstärksten und einflussreichsten Zeitschriften in Europa identifiziert. In ihrer äußeren Form konservativ, erreichten sie für ihr Genre eine außergewöhnlich hohe Auflage und Verbreitung. Ihr Mitarbeiterprofil bildet exemplarisch den sozialen Strukturwandel in der pressehistorischen Entwicklung ab, wie er im frühen 19. Jahrhundert stattfand und währenddessen sich der Journalismus zunehmend als Einkommensquelle und somit Berufszweig etablierte. Gleichzeitig lässt sich eine professionelle Nähe zur Politik erkennen, indem die journalistische Tätigkeit für einige der Autoren als Sprungbrett in den Staatsdienst oder in öffentliche Wissenschaftsinstitutionen fungierte. Kennzeichnend für die Journalistengeneration, die im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts erste Zeitungs- oder Zeitschriftenprojekte unternahm, war darüber hinaus ihre Weltläufigkeit: Die Mitarbeiter hatten eigene Reiseerfahrungen innerhalb oder auch außerhalb von Europa gemacht. Vor dem Hintergrund veränderter sozial-politischer Rahmenbedingungen beschritten die Zeitschriften des frühen 19. Jahrhunderts inhaltliches und institutionelles Neuland, mischten sich als Meinungsbildungsorgane in die öffentliche politische Diskussion ein und reagierten flexibel auf zensurpolitische Eingriffe in ihre Arbeit, sei es durch Verlegung des Druckortes, sei es durch inhaltliche Verhüllungsstrategien. Die Analyse der Periodika hat erstens gezeigt, dass die wechselseitigen Bezüge und Beeinflussungen unter den Zeitschriften wichtiger waren als dies in der Forschung bisher abgebildet wird. Die Vernetzung der europäischen Presse lief vor allem über die wechselseitige Rezeption der Zeitschriften durch Herausgeber im Ausland und über persönliche Kontakte der Journalisten untereinander. In den einzelnen Ländern weichen die thematische Gewichtung und die Transferprozesse jeweils voneinander ab, was vor allem den politischen Bedingungen geschuldet ist. Die Verbindungen und Rezeption werden in den Kapiteln des folgenden Hauptteils, in dem die Debatten analysiert werden, ausführlich nachvollzogen. Zweitens wurde bei der Auswertung der Zeitschriften deutlich, dass um 1800 in der Behandlung vieler Themen bereits eine stark globale Perspektive in der Presse existierte und dass sich diese Perspektive zur Zeit der Kontinentalsperre anhand der Debatten zu wirtschaftlichen Fragen – wie Protektionismus, Seerecht und Freihandel – stark an ökonomischen Themen entwickelte und in der Öffentlichkeit den Boden bereitete für entsprechende Wirtschaftstheorien und politische Maßnahmen, die in der Folgezeit wirksam wurden. Diese Entwicklung wird im Folgenden anhand der inhaltlichen Auswertung der Zeitschriften aufgezeigt.
III.
Kontinentalsperre und Welthandel. Debatten um globale Märkte »Die Gewalt der Meinung (was man heutigen Tages auch wohl den Geiste der Zeit zu nennen pflegt) ist eine Macht, welche von den wenigsten Fürsten anerkannt wird. Sie strebten ihr oft verwegen genug entgegen, und unterlagen der Riesin. […] Die öffentliche Meinung ist gewaltiger, als Guillotine, Kreutz und Rad.«195
Auftakt Im März 1807 wurde der französischen Nationalbibliothek das Exemplar einer Druckgraphik übergeben, die eine Szene im britischen Kabinett darstellt (Abb. 1).196 Links im Bild sitzt der Premierminister, zu dieser Zeit William Grenville, in schwarzer Robe an einem Schreibpult und verliest ein Schriftstück. Ihm gegenüber erkennt der Betrachter König Georg III. im scharlachroten Mantel mit Generalsstern und blauer Schärpe. Im Hintergrund, abgetrennt durch eine Barriere, drängen sich vierzehn Ratsherren, wie der Premierminister in schwarzer Robe und grauer Perücke. Die Gesichter der dargestellten Politiker sind in grotesker Überzeichnung karikiert. Grenville, dessen Äußeres eher der üblichen Karikierung William Pitts des Jüngeren entspricht, hager, mit langer Nase und spitzen Ohren, drückt Erschrecken aus über das, was er liest. Georg III. fasst sich mit der rechten Hand entsetzt an den Kopf, kippt nach hinten über und droht, vom Stuhl zu rutschen und seine Krone zu verlieren. Die Ausdrücke der Ratsherren gleichen den ausgeprägten Überzeichnungen frühneuzeitlicher moralischer Sittenbilder und Emotionsstudien: Sie drücken Wut, Verzweiflung, Ärger, Resignation, Verdruss, Sorge und Ratlosigkeit aus. Was war Auslöser dieses imaginierten britischen Schreckens? Dem Titel zufolge handelte es sich um die Lektüre des Dekrets des Kaisers der Franzosen, das die Britischen Inseln in den Blockadezustand versetzte. In den Marginalien links und rechts ist der Text des Dekrets abgedruckt, das Napoleon am 21. November des Vorjahres in Berlin verabschiedet hatte. Der Text des Dekrets wurde im Moniteur universel197 am 5. Dezember 1806 erstmals abgedruckt und in allen 195 Die Heere der Europäer. Nur ein Fragment, Teil 1, In: Miscellen für die neueste Weltkunde 1.67 (1807), 265–267. 196 Lecture du d8cret Imp8rial faite par le 1er Ministre d’Angleterre au roi George / son conseil. D8clarant les Isles Britannique en 8tat de Blocus, Paris: Martinet 1807; Collection form8e et donn8e par le Baron Carl de Vinck. Un siHcle d’histoire de France par l’estampe 1770–1870 [im Folgenden: Collection de Vinck] 8277. 197 Gazette nationale ou le moniteur universel, 5. Dezember 1806, 1462–1463.
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Kontinentalsperre und Welthandel. Debatten um globale Märkte
Abb. 1: [Anonym], Lecture du d8cret Imp8rial faite par le 1er Ministre d’Angleterre au roi George / son conseil. D8clarant les Isles Britannique en 8tat de Blocus, kolorierte Radierung, 20,6 x 28,1 cm, Paris: Martinet 1807, Collection de Vinck 8277, BnF Estampes, Reserve QB- 370 (62) -FT 4.
wichtigen Zeitungen im napoleonischen Herrschaftsgebiet eingerückt und auch die britischen Blätter druckten den Text in Übersetzung ab.198 Während in den Periodika der Text meist ohne jeglichen Kommentar stehenbleibt, ist hier eine kommentierende Sinngebung und deutliche Bewertung über das Medium des Bildes zu verzeichnen. Die offiziell genehmigte Karikatur ist damit nicht nur Abbild politischer Vor- und Einstellungen zu einem historischen Ereignis, sondern Teil einer Repräsentationsstrategie, die sich moderner medialer Ausdrucksmittel bedient, um die öffentliche Meinung mitzuprägen. Der Stich traf aber auch ganz offensichtlich den Publikumsgeschmack und wurde zum langlebigen Erfolg. Martinets Buchhandlung in der Rue du Coq hatte sich unter der Leitung von Aaron Martinet auf Karikaturen spezialisiert, die im Schaufenster des Geschäfts eine Attraktion auch für das weniger kaufkräftige Publikum wurde. Leicht abgeändert (die Figur des Königs trägt hier ebenfalls eine schwarze Robe) erschien die Karikatur unter dem Titel »La Consternation« erneut.199 Statt der Nachricht von der Blockade verliest der Premierminister 198 Vgl. u. a. Foreign Intelligence, In: The European Magazine, and London Review 50 (Dez. 1806), 484–489, hier 487. 199 La Consternation. Garde a Vous, N8 15, Collection de Vinck 8278.
Auftakt
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diesmal allgemein die »Depeschen«, der Marginaltext mit dem Dekret ist in dieser Ausgabe verschwunden. Ohne diesen bot sich die dargestellte Szene auch noch 1809 zur Wiederauflage durch einen anderen Drucker an, als die Bestürzung der Briten auf den Einzug der Franzosen in Madrid umgedeutet wurde.200 Auch in der britischen Öffentlichkeit bediente man sich des Bildmediums der Karikatur, um das Dekret von Berlin zu kommentieren. Im Dezember erschienen bereits mehrere Stiche, die die Bedeutung des Blockadezustands für Großbritannien herunterspielten. Auf dem Stich »Bonaparte blockading John Bull«201 sieht man links im Bild Napoleon in einem Zweispitz sitzen, der ihm als Boot dient und unter einem Tricolore-Segel fährt, hinter ihm die »Französische Flotte« bestehend aus vier weiteren Hüten. Er bedroht mit Pistole und Schwert über die schäumenden Wogen hinweg John Bull, die hier als Fischer am britischen Ufer dargestellte Personifikation Großbritanniens. Im Hintergrund erstreckt sich bis zum Horizont die große »Britische Flotte«. Napoleon ruft: »Ich werde dich blockieren, Du englischer Halunke«. John Bull hält sich amüsiert die Seiten und macht sich über den Ankömmling lustig, er werde wohl bald auch den Mond blockieren. Die Blockade wird ob Napoleons fehlender maritimer Mittel als ineffektiv und daher für Großbritannien harmlos ins Lächerliche gezogen: »Aufgrund fehlender Segel, möchte Napoleon durch aufgeblasene Drohungen gewinnen«. Die Hybris im öffentlichen Diskurs beider Kriegsparteien war der Auftakt zu einer Reihe von Debatten, die die Wirkung internationaler Wirtschaftszusammenhänge im ereignishistorischen Wechselspiel neuinterpretierten. Die Erklärung des Dekrets von Berlin hatte einen Meinungskampf um die Thematiken von Wirtschaftsblockade, ökonomischer Isolation, Seehandelsrechten und Freihandel zur Folge, der in der Presse über die Jahre bis zum Ende der Kontinentalsperre anschwoll und der heute weitgehend in Vergessenheit geraten ist. Die Konstitution für die Zeitgenossen sinnhafter Theoriegerüste ging im Kontext öffentlicher Meinungs- und Wahrnehmungsbildung über konkrete politische und soziale Prozesse vonstatten. Die ökonomischen Theorien wurden stets vor dem Hintergrund der aktuellen wirtschaftspolitischen Lage Europas debattiert. Die Kontinentalsperre zog die Aufmerksamkeit auch der nicht explizit ökonomisch ausgerichteten Zeitschriften auf sich und erreichte somit eine maximale Leserzahl, die die theoretische Auseinandersetzung auf die Veränderungen in ihrer alltäglichen Lebenswelt beziehen konnte. Während des Höhepunktes der Blockade 1810 waren 200 Lecture de la nouvelle de l’entr8e des FranÅais dans Madrid par le premier ministre d’Angleterre au roi George et / son conseil, British Museum Nr. [im Folgenden BM] 1868,0808.7715. 201 BM 1985,0119.181.
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Kontinentalsperre und Welthandel. Debatten um globale Märkte
die Blätter voll von Schiffsnachrichten und den verschiedenen, von der französischen und britischen Regierung erlassenen Dekreten. Der Handelskrieg gewann in der politischen Berichterstattung zeitweilig die Überhand gegenüber den Schlacht- und Eroberungsverläufen. Ein Großteil der Artikel über europäische Länder beschäftigte sich mit der Frage, wie man die für die heimische Industrie notwendigen Kolonialwaren besorgen, ersetzen oder auf sie verzichten könnte. Aber der Fokus auf Berichte über Europa führte nie zur Verdrängung der Berichte über außereuropäische Gegenden, die mittels der Verknüpfung mit ökonomischen Themen in ihrem wechselseitigen Einfluss und der gegenseitigen Abhängigkeit zur Imagination eines gemeinsamen globalen Raumes beitrugen. Die Sorge um die negativen Folgen des Kontinentalsystems auf die nationale Industrie lässt sich als Indikator für das Bewusstsein einer wachsenden Abhängigkeit der nationalen Wirtschaft vom globalen Handel lesen. Dieses Bewusstsein provozierte in den ersten Jahren nach Erlass des Berliner Dekretes eine mehrheitlich isolationistische Reaktion, die im folgenden Kapitel nachgezeichnet wird. Die ersten Jahre der Kontinentalsperre waren geprägt von einer Reaktion auf die seit einigen Jahren sich verschärfenden Erfahrungen handelspolitischer Schutzmaßnahmen zwischen Großbritannien und Frankreich und der Ausweitung dieser auf Großteile des europäischen Kontinents. Handelstheorien des 18. Jahrhunderts wurden dabei auf die Probe gestellt und neu justiert. Die aufklärerische Interpretation des Handels als Mittel, die Menschheit zu bereichern, und zwar mittels der Befreiung von politischen wie ökonomischen Hindernissen, geriet mit den fortdauernden Kriegen zwischen den wichtigsten Handelsmächten der Welt ins Wanken. In der Historiographie zum Freihandel werden diese komplexen Debattenstrukturen und diskursiven Vor- und Rückbewegungen weitgehend ausgeblendet, was die letztendliche Durchsetzung liberaler Theorien im Grunde unverständlich werden und gleichsam im luftleeren Raum abstrakter intellektueller Diskussionen erscheinen lässt. Die tatsächlichen historischen Auseinandersetzungen über ökonomische Prinzipien und ihre politische Umsetzung, die eben nicht in dem großen Metanarrativ eines siegreichen Freihandelsgeistes im Laufe des 19. Jahrhunderts aufgehen, gehen dabei gänzlich verloren. Die Zeitgenossen reflektierten im Rahmen ihrer Erfahrungswelt und im Versuch der Sinngebung historischer Situationen und nicht im Vorgriff auf sich künftig realisierende Prozesse.
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Isolationismus
Kapitel 1: Isolationismus 1.
»Die Produkte der entferntesten Länder wurden zum Bedürfnisse«: Die Debatte um wirtschaftliche Abschottung »Für eine Tasse guten Kaffees alle Tage verkaufte manches Leckermaul die Interessen seines Vaterlandes, und des ganzen Welttheils dazu«.202
1.1
Einleitung
In der ersten Phase der Kontinentalsperre reagierten die Kommentatoren auf eine Wirtschaftspolitik, über deren Auswirkungen in einer neuen gesamtpolitischen Lage sie keine Vorstellungen haben konnten. Dies drückte sich in theoretischen Entwürfen aus, die den Wohlstand der Menschheit in nationaleingehegte geographische Einheiten verlegten und Freihandel zu einem fernen Ideal verblassen ließen. Die Emanzipation des Individuums wurde – in einer paradoxen Übertragung – auf den Nationalstaat verlagert, der gleichsam in stellvertretender Unabhängigkeit, die Freiheit seiner Bürger zu garantieren versprach: Die Freiheit des gerade erst entstandenen kaufmännischen Weltbürgers zerrann zur Unabhängigkeit des vor globaler Konkurrenz geschützten lokalen Gewerbetreibenden. Isolationistische Theorien erhielten Auftrieb und wirkten ihrerseits auf politische und gesellschaftliche Projekte zurück. In den vergangenen Jahren haben sich einige Studien wie etwa die von Isaac Nakhimovsky, Rapha[l Cahen oder Iwan D’Aprile mit den Diskussionen um das geeignete Wohlstandsmodell, die Staatsschuldenfrage oder das Handelsrecht anhand der Frontlinie zwischen bekannten Staatsbediensteten und Publizisten im Spannungsfeld der französisch-britischen Konkurrenz um 1800 befasst.203 Nakhimovsky hat in diesem Zusammenhang den ultraprotektionistischen Beitrag Johann Gottlieb Fichtes zu der seit dem 18. Jahrhundert schwelenden Debatte um die angemessene wirtschaftspolitische Reaktion auf die wachsende Handelskonkurrenz und die damit verbundene Gefährdung sozialer und bürgerlicher Rechte als konsequente und bedenkenswerte Theorie herausgestellt. In seiner Schrift »Der geschloßne Handelsstaat«204 habe Fichte in Anschluss an Kant 202 Ag.: Englands Lage im Jahr 1811, In: Miscellen für die neueste Weltkunde 5. 95 (1811), 377– 379, hier 379. 203 Vgl. Nakhimovsky, Isaac: The Closed Commercial State. Perpetual Peace and Commercial Society from Rousseau to Fichte, Princeton (New Jersey) 2011; Cahen, Rapha[l: Friedrich Gentz 1764–1832. Penseur post-LumiHres et acteur du renouveau de l’ordre europ8en au temps des r8volutions (Diss. Aix-Marseille Universit8s/ LMU München 2014); D’Aprile: Die Erfindung der Zeitgeschichte (wie Anm. 21). 204 Fichte, Johann Gottlieb: Der geschloßne Handelsstaat. Ein philosophischer Entwurf als
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Kontinentalsperre und Welthandel. Debatten um globale Märkte
und Rousseau eine konkrete Umsetzungsstrategie für den internationalen ewigen Frieden zwischen Nationalstaaten entworfen, die auf ökonomischer Autarkie derselben fußte und die er dem preußischen Staat zur Reformmaxime empfahl. Fichte habe den internationalen Handel als Austragungsfeld ökonomischer Rivalität zwischen Nationalstaaten im Sinne der von David Hume formulierten »Handelseifersucht« identifiziert und die Lösung dieser friedensgefährdenden und letztendlich staatszerstörerischen Praxis in einer weitestgehenden Isolation der nationalen Wirtschaft gesucht. Unabhängig davon, ob man der Interpretation Nakhimovskys zur Theorie Fichtes als Fortführung Kant’scher und Rousseau’scher Überlegungen zum ewigen Frieden und zum Gesellschaftsvertrag folgen mag, ist die Einreihung seiner Theorie in eine ideengeschichtliche Linie von F8n8lon und Mirabeau bis John Maynard Keynes und Alan Milward insofern fragwürdig, als sie den Bezug der Theorie Fichtes auf die zeitgenössischen ökonomischen und politischen Umstände zwar erwähnt, sie aber letztendlich davon unabhängig in dessen philosophischem Theoriegerüst und einem überzeitlichen Diskurszusammenhang verortet. Dabei gewinnt Fichtes wirtschaftspolitischer Vorschlag eines radikalen Isolationismus zum Zwecke des internationalen Friedens erst im zeithistorischen Kontext der Debatten zur Handelskonkurrenz zwischen Frankreich und Großbritannien und den vielartigen Bekenntnissen isolationistischer Prägung Kontur. Fichtes Werk entstand in Auseinandersetzung mit den protektionistischen Maßnahmen der Zeit um 1800, die schließlich in der Kontinentalsperre mündeten, und dieser Bezug wurde von den Zeitgenossen selbstverständlich hergestellt.205 Um derartige Vorschläge Einzelner in ihren breiten publizistischen Zusammenhang zu verorten und an den ereignishistorischen politischen Hintergrund rückzubinden, soll in diesem ersten Teil die Debatte um den ökonomischen Isolationismus in der Publizistik der ersten Jahre der Kontinentalsperre in vier Schritten erläutert werden. Nach einer Darlegung der wirtschaftshistorischen Forschung zum Stand der ökonomischen Verflechtung und der Beschreibung der zeitgenössischen Bewertung derselben als bedrohlich (1.2), werden die publizistischen Reaktionen detailliert anhand der Autarkiebehauptung in Großbritannien (1.3.1), der Forderung nach Akklimatisierung fremder Pflanzen und Tierarten (1.3.2) sowie deren Substitution durch oder der Verzicht auf heimische Produkte in Frankreich und dem deutschsprachigen Raum (1.3.3) herausgearbeitet. Im Anschluss wird ein Blick in die bildpublizistische Verarbeitung des Themas geworfen (1.3.4).
Anhang zur Rechtslehre und Probe einer künftig zu liefernden Politik, Tübingen: Cotta 1800. 205 Vgl. Nakhimovsky : The Closed Commercial State (wie Anm. 203), 166, Anm. 1.
Isolationismus
1.2
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Thema: Grad der ökonomischen Verflechtung und Bedrohungsdiskurs
Um ermessen zu können, vor welchem ökonomischen Hintergrund die Debatte um Isolationismus geführt wurde, soll im Folgenden aus wirtschaftshistorischer Sicht geklärt werden, welches Gewicht internationalem Handel um 1800 ökonomisch zukam und inwieweit man für diese Zeit von einer global vernetzten Welt sprechen kann. Die Frage nach der Bedeutung des internationalen Handels ist so alt wie die Suche nach Erklärungsursachen der Industrialisierung und setzte im 19. Jahrhundert ein. Die klassische wirtschaftshistorische Forschung übersah den Beitrag der Weltwirtschaft nicht. Für Ralph Davis war das industrielle Wachstum in Frankreich und England in zweierlei Art vom Außenhandel beeinflusst: »Industrial expansion was also influenced by overseas trade; in the first place by the substitution of home-manufactured goods for imports, and secondly by the expansion of export trade.«206 Nun lässt sich die Bedeutung von Handel aber an unterschiedlichen Kriterien messen: am Volumen der gehandelten Warenmengen, am Einfluss auf die Inlandsproduktion, am Ertrag, der sich (mit Reexporten) erzielen ließ, an globalen Arbeitsteilungsprozessen oder an indirekten Faktoren wie der Veränderungen des Konsumverhaltens. Heute stehen sich in der Wirtschaftsgeschichte, grob gesprochen, zwei Positionen gegenüber. Eine Seite geht davon aus, Wirtschafsvernetzung lasse sich präzise und ausschließlich anhand nummerisch darstellbarer Kriterien wie Handelsanteilen oder Preiskonvergenz festmachen. Die andere Seite legt breitere Kriterien zugrunde und schaut auf das Anwachsen der Handelsverbindungen und Warenströme sowie deren soziale und kulturelle und damit auch indirekte ökonomische Rückwirkungen auf die Gesellschaften der Handelspartner. Ersteren Ansatz verfolgt eine Forschergruppe um Pieter Emmer und kommt zum Ergebnis sehr geringer wirtschaftlicher Verflechtung für die Zeit vor 1820.207 Von Bedeutung, so die Überlegung, sei der Außenhandel nur im Verhältnis mit der Gesamtwirtschaftsleistung eines Landes; der prozentuale Anteil am Bruttoinlandsprodukt allein lasse Rückschlüsse auf den Grad der wirtschaftlichen Vernetzung einzelner Länder zu. Da der Anteil des interkontinentalen Handels am Wirtschaftsaufkommen im frühen 19. Jahrhundert aber selbst in Großbritannien noch sehr gering gewesen sei, könne zu diesem Zeitpunkt noch nicht von wirtschaftlicher Globalisierung die Rede sein.208 Andere Wirt206 Davis, Ralph: The Rise of the Atlantic Economies, London 1973, 305. 207 In keinem Land habe der Anteil des Interkontinentalhandels über 2 % des Bruttoinlandsproduktes gelegen; vgl. Emmer, Pieter : The Myth of Early Globalization. The Atlantic Economy 1500–1800, In: European Review 11.1 (2003), 37–47, hier 38. 208 Vgl. Crafts, N. F. R.: British Economic Growth 1700–1831. A Review of the Evidence, In: The Economic History Review 36.2 (1983), 177–199. Pieter Emmer schreibt dazu: »In none of the continents around the Atlantic Ocean was more than 2 percent of their GNP generated by intercontinental trade. […] Everywhere in the world both production and consumption
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Kontinentalsperre und Welthandel. Debatten um globale Märkte
schaftshistoriker nennen die Preiskonvergenz auf weltweiter Ebene als notwendiges Kriterium für wirtschaftliche Vernetzung. Erst mit der Herausbildung eines integrierten Marktes auf weltweitem Niveau könne von wirklicher Vernetzung der Wirtschaft gesprochen werden. Die Marktintegration aber zeige sich an der Angleichung der Preise für ein Produkt in allen Weltregion, in denen es gehandelt wird. Erst wenn mithin die Güter bzw. ihre Produzenten weltweit miteinander in Konkurrenz treten, sei globale Wirtschaftsvernetzung gegeben.209 Diese wirtschaftsgeschichtliche Position geht davon aus, dass Marktintegration zwangsläufig mit Freihandel korreliert, dass letzterer also Voraussetzung für Globalisierung ist. Dabei wird jedoch außer Acht gelassen, dass es Vernetzung auch in einer durch Monopole oder Zölle regulierten Weltwirtschaft geben kann. Auf derlei Vernetzungsprozesse haben zahlreiche Studien gerade, aber nicht nur in den letzten Jahren hingewiesen. Diese andere Seite, so disparat ihre Untersuchungen im Einzelnen sind, betont demgegenüber die Bildung von weltweiten Wirtschaftsverbindungen seit dem 15. und eines Weltmarktes seit dem 18. Jahrhundert. Unter diese Kategorie fällt zunächst als inzwischen klassischer Beitrag die Weltsystemtheorie von Immanuel Wallerstein. Dieser schreibt in seiner Studie zur Weltwirtschaft: »In the course of the renewed economic expansion the European world-economy broke the bounds it had created in the long sixteenth century and began to incorporate vast new zones into the effective division of labor it encompassed. […] These incorporations took place in the second half of the eighteenth and the first half of the nineteenth centuries.«210
Teile Asiens und Afrikas, aber auch die wachsende Bevölkerung in den Kolonien war angewiesen auf europäische Manufakturprodukte.211 Der Prozess der fortschreitenden Integration aller Weltregionen in ein globales kapitalistisches Weltsystem kam historisch Ende des 19. Jahrhunderts zum Abschluss; entstanden ist es um die Mitte des 18. Jahrhunderts.212 Zu diesem Zeitpunkt vollzog sich eine Entwicklung, die Wallerstein formelhaft auf den Punkt bringt: »The
209 210 211 212
took place locally and if goods moved, they moved within a region and hardly beyond the borders of a continent.«; vgl. Emmer, Pieter : In Search of a System. The Atlantic Economy 1500–1800, In: Horst Pietschmann (Hg.): Atlantic History. History of the Atlantic System 1580–1830, Göttingen 2002, 169–178, hier 170. Diese Sicht vertreten O’Rourke, Kevin; Daudin, Guillaume; Prados de Escosura, Leandro: Trade and Empire 1700–1870. Document de travail, In: Centre de Recherche en Economie de Sciences Po 24 (2008). Wallerstein, Immanuel: The Modern World System III. The Second Era of Great Expansion of the Capitalist World-Economy 1730–1840s, San Diego (Ca.) 1989, 129. Vgl. Davis: The Rise of the Atlantic Economies (wie Anm. 206), 306–307. Vgl. Wallerstein: The Modern World-System III (wie Anm. 210), 189.
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self-sufficiency of the region was ceding place to the self-sufficiency of the worldeconomy.«213 Zur zweiten Position gehören auch diejenigen Ansätze, welche Waren-, Münz- und Edelmetallströme zwischen den Kontinenten in den Blick nehmen. Neben dem bekannten Dreieckshandel mit Manufakturwaren, Sklaven und Rohstoffen zwischen Europa, Afrika und Amerika, zeigen zahlreiche Studien die ökonomischen Verbindungsnetze über die ganze Welt beispielsweise anhand des europäischen Teehandels mit China über den Handelsposten Canton, des Weinhandels über Madeira, des Kaffeehandels oder des Wandels im Textilgewerbe vom Gebrauch indischer Fertigerzeugnissen zur europäischen Produktion mit amerikanischen Rohstoffen und Absatzmärkten.214 Daneben rückt die Ausweitung der Untersuchungsgegenstände auf die Nachfrageseite die Konsumkultur in den Fokus und ermöglicht auf diese Weise die Profilierung der Aus- und Rückwirkungsmechanismen des internationalen Handelsaustauschs zwischen den Weltregionen.215 Große Teile des Außenhandels waren der Versorgung des europäischen Marktes mit begehrten asiatischen Produkten gewidmet. So haben denn neuere Forschungen die zahlenmäßig im Verhältnis zur Binnenwirtschaft zunächst wenig ins Gewicht fallenden Handelsvolumina zwischen Europa, seinen Kolonien und Asien auf die indirekten Folgen für die Wirtschaft hin untersucht.216 Der erfolgreiche Übergang zu einer industrialisierten Produktion hängt demnach nicht so sehr mit den inneren Verhältnissen der europäischen Regionen zusammen, sondern mit der Möglichkeit besonders Großbritanniens in einer kritischen Phase der wirtschaftlichen Entwicklung, 213 Ebd., 148. 214 Einschlägig für diese Forschungsrichtung sind die von Markus A. Denzel herausgegebenen Sammelbände; vgl. Denzel, Markus A.; Gömmel, Rainer (Hg.): Weltwirtschaft und Wirtschaftsordnung, Stuttgart 2002; Denzel, Markus A. (Hg.): From commercial communication to commercial integration. Middle Ages to 19th century, Stuttgart 2004; ders. (Hg.): Vom Welthandel des 18. Jahrhunderts zur Globalisierung des 21. Jahrhunderts, Stuttgart 2007 sowie: Hancock, David: Citizens of the World. London Merchants and the Integration of the British Atlantic Community 1735–1785, Cambridge 1995; ders.: L’8mergence d’une 8conomie de r8seau 1640–1815, In: Annales. Histoire, sciences sociales 58.3 (2003), 649–672 u. Weber, Klaus: The Atlantic Coast of German Trade. German Rural Industry and Trade in the Atlantic 1680–1840, In: Itinerario. International Journal on the History of European Expansion and Global Interaction 26.2 (2002), 99–119. 215 Vgl. De Vries, Jan: The Industrious Revolution. Consumer Bahavior and the Houshold Economy 1650 to the present, Cambridge 2009. 216 Einige Historiker stellen sich außer der Frage nach dem direkten prozentualen Anteil dieser Güter am Wirtschaftsaufkommen auch subtileren Fragestellungen, wie etwa der des Nährwertes des mit Zucker gesüßten Tees und der Verdrängung des Biers durch diese neuartigen Genüsse im Laufe des 18. Jahrhunderts; vgl. Pomeranz, Kenneth: The Great Divergence. China, Europe, and the Making of the Modern World, Princeton (N. J.) 2001, 274–275 oder Mintz, Sidney : Sweetness of Power : The Place of Sugar in Modern History, New York 1985.
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wie sie in der Zeit um 1800 sowohl in Asien als auch in Nordwesteuropa vorlag, auf externe Ressourcen zurückgreifen zu können. Durch den Zugriff auf die Neue Welt konnte Großbritannien Versorgungsengpässe umgehen, die mit der Erzeugung der Rohstoffe für die industrielle Produktion im eigenen Land und der dadurch entstandenen Knappheit an Ackerland für die Lebensmittelproduktion verbunden gewesen wären.217 Die Einzigartigkeit der (britischen) Entwicklung hin zur rapiden Industrialisierung erklärt sich somit auch aus dem Beitrag der globalen Vernetzungen dieser Wirtschaft und vor allem des Atlantikhandels.218 Derlei Berechnungen werfen ein anderes Licht auf die Bedeutung des Überseehandels für die britische Wirtschaft als ein Vergleich der heimischen Produktionsvolumina und der europäischen Importe mit den Importen aus Übersee zeigt. Und auch das Eindringen kapitalistischer Strukturen in Westeuropa insgesamt hing mit der Anbindung agrarisch-protoindustrieller Produktionsstrukturen an den Fernhandel zusammen.219 Was bedeutet dies für die weltwirtschaftliche Vernetzung in dieser Zeit? »Spätestens seit dem 18. Jahrhundert, als der Welthandel global wurde, die Edelmetallströme alle ökonomisch relevanten Weltregionen miteinander verbanden und der Verkehr auf den Weltmeeren im Vergleich zu den vorherigen Jahrhunderten deutlich intensiviert wurde, können aus wirtschaftshistorischer Perspektive Globalisierungstendenzen beobachtet werden«.220
Die zunehmend protektionistischen Bestrebungen der europäischen Staaten seit 1700221 lassen sich aus dieser Perspektive nicht als eine Phase der Deglobali217 Beziffern lässt sich die landwirtschaftliche Nutzfläche, die Großbritannien benötigt hätte, hätte es die Einfuhr der Waren aus der Neuen Welt durch heimische Produktion ersetzen wollen. Pomeranz nennt diese hypothetischen Flächen »ghost acres« und macht dazu eine Rechnung auf, die die tatsächliche Ackerfläche Großbritanniens um fast das Doppelte überstiegen hätte. Die Substitution von Baumwolle, Zucker und Holz allein hätte um 1830 25 bis 30 Millionen Acres nötig gemacht; in Großbritannien standen dagegen nur ca. 17 Mio. Acres zur Verfügung; vgl. Pomeranz: The Great Divergence (wie Anm. 216), 276; vgl. auch die detaillierte Aufstellung im Annex D, 313–315. 25 bis 30 Mio. Acres sind ca. 10 bis 12 Mio. Hektar. 218 So stellt Kenneth Pomeranz etwa heraus, dass die Regierungseinnahmen Großbritanniens im 18. Jahrhundert zur Hälfte aus Zolleinahmen bestanden und dass Ende des 18. Jahrhunderts zwei Drittel der Zolleinnahmen aus Abgaben auf Tee, Zucker, indische Kleidung, Rohseide, Tabak und Spirituosen bestanden. Vgl. auch die weitere Argumentation des indirekten Einflusses des Handels mit der Neuen Welt auf Großbritannien in Pomeranz: The Great Divergence (wie Anm. 216), 264–297. 219 Vgl. Kocka, Jürgen: Geschichte des Kapitalismus, München 2014. 220 Denzel, Markus A.: Einführung, In: ders. (Hg.): Vom Welthandel (wie Anm. 214), 9–14. 221 Im 17. Jahrhundert war in Europa die Nachfrage nach Kleidern aus feinsten Baumwollfasern gestiegen. Nacheinander verboten daher England, Frankreich und die Niederlande zu Beginn des 18. Jahrhunderts erst die Einfuhr bedruckter Baumwollstoffe und schließlich, als man die technischen Fertigkeiten zur Herstellung gleichwertiger Textile entwickelt hatte, wurde in England auch die Einfuhr der Stoffe selber unterbunden.
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sierung verstehen, sondern lesen sich als Reaktion auf die verstärkten globalen Abhängigkeiten der eigenen Wirtschaft, die sich in den Jahrzehnten zuvor herausgebildet hatte und als Sorge um nationale Wirtschaftsautonomie. Diese (neue) Weltwirtschaftsordnung wurde dominiert von Europa und vor allem von Großbritannien.222 Aus dem seit Jahrzehnten andauernden Konkurrenzkampf zwischen Frankreich und England ging letzteres schließlich, vor allem bedingt durch die militärisch-politische und argrarstrukturelle Schwäche Frankreichs, erfolgreich mit einem starken Wirtschaftswachstum hervor. Die Stärke der britischen Wirtschaft basierte in großem Maße auf dem Außenhandel.223 Dieser Außenhandel betraf die britischen Kolonien und Handelsbeziehungen mit Asien, Afrika, der Karibik, Südamerika und dem pazifischen Raum. Bedeutender aber noch war der Handel mit Kontinentaleuropa, das auf diese Weise über Großbritannien, nicht zuletzt durch die Einfuhr von Kolonial- und anderen außereuropäischen Waren, von diesem Handelsaustausch abhängig wurde. Aus europäischer Sicht war es eine Zeit, in der sich verschiedene Industrie- und Gewerbezweige entwickelten und ihre Wirtschaftsleistung erhöhten. Die Art der Beeinflussung darf in diesem Zusammenhang nicht übersehen werden. Wenngleich es den europäischen Nationalstaaten im Laufe des 18. Jahrhunderts gelang, ihre Wirtschaft von der Einfuhr außereuropäischer Manufakturwaren wie etwa bedruckter Baumwolle aus Indien unabhängig zu machen, so war die wachsende heimische Produktion verstärkt auf Rohstoffe wie Baumwolle, Seide und Indigo, aber auch Hanf, Getreide und Metall angewiesen. Gleichzeitig stieg der Konsum von außereuropäischen Genussmitteln wie Zucker, Kaffee, Tee, Tabak, Gewürzen und Kakao. Die Unabhängigkeit von asiatischen Manufakturprodukten wurde, wenn man so will, nach und nach mit der Abhängigkeit von Exporten der eigenen Industriewaren erkauft. Blieb der heimische oder europäische Markt der zentrale Abnehmer für französische Industrieprodukte insgesamt, so war die Textilindustrie bald stark von überseeischer Nachfrage abhängig. Die Baumwolltextilproduktion verdoppelte sich in Frankreich in den 1730er bis 1760er Jahren und fand Absatz in Deutschland, Flandern, Westindien und Spanien und damit Spanisch-Amerika. Englands Baumwollindustrie war zunächst deutlich geringer und nur für den nationalen Markt und in
222 Im Gegensatz zur These der Neuentstehung des Weltwirtschaftszentrums in Europa sprechen andere Autoren von einer Verschiebung des Zentrums von Asien nach Europa im 18. Jahrhundert und behaupten, dass die Weltwirtschaft bis ca. 1800 polyzentrisch blieb; vgl. Pomeranz: The Great Divergence (wie Anm. 216), 273. 223 Frankreichs Außenhandel hatte mit dem Verlust der meisten Überseegebiete als Folge der Niederlage im Siebenjährigen Krieg an Bedeutung eingebüßt. Dagegen: »In the last two decades of the eighteenth century almost 60 % of Britain’s ›additional industrial output‹ was exported.«; vgl. Wallerstein: The Modern World-System III (wie Anm. 210), 115.
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Ausnahmen für den Export nach Afrika bestimmt.224 Dagegen war der Kolonialhandel für die englische Wirtschaft in anderen neuen Industriezweigen wie der Metallverarbeitung von zentraler Bedeutung.225 Die Diskussion und Theoriebildung nach 1800 spielte sich demnach vor dem Hintergrund einer fortschreitenden Weltmarkvernetzung seit Mitte des 17. Jahrhunderts ab. Die vermehrte Ablehnung außereuropäischer Abhängigkeit bot dabei die Folie für die Übertragung einer Autarkiepolitik auch auf innereuropäische Konkurrenten. Je mehr aber die Fragen der nationalen Ökonomie und der Sinn von protektionistischen Maßnahmen diskutiert wurden und merkantilistische Politik immer wieder gegen die schwachen Versuche, Freihandelsabkommen zu schließen226, obsiegte, desto deutlicher traten die zunehmenden Außenhandelsbeziehungen ins Bewusstsein. Im Verlauf des 18. Jahrhunderts standen sich Großbritannien und Frankreich praktisch permanent als Kriegsgegner gegenüber. Diese Gegnerschaft wirkte sich in steigendem Maße auch auf ihre Position im globalen (Kolonial-) Handel aus, in welchem sie ihren Platz auf Kosten des jeweils anderen zu behaupten suchten. Die Konkurrenzsituation führte auf beiden Seiten zu wirtschaftspolitischen Maßnahmen, die auf die Schwächung der gegnerischen und den Schutz der eigenen Wirtschaft abzielte und sich wiederholt in gesetzlichen Regelungen niederschlug, welche entweder die Importe des Gegners mit hohen Zöllen belegten oder gänzlich unter Strafe stellten. Die Anfänge der protektionistischen Handelsgesetze, deren Zweck es war, den eigenen Markt vor Konkurrenz zu schützen, liegen im späten 17. Jahrhundert und sollten die rechtliche Lage in Friedens- und Kriegszeiten gleichermaßen über hundert Jahre bestimmen. Im Eden-Rayneval-Vertrag von 1786 wurde dann erstmalig ein Freihandelsabkommen zwischen beiden Ländern festgeschrieben, das die Zollabgaben für die meisten Waren auf höchstens 12 % reduzierte und den Handel zwischen Großbritannien und Frankreich für einige Jahre mit wenigen Ausnahmen zuließ. Ob der Vertrag tatsächlich allein die britische Wirtschaft begünstigte oder dies auf französischer Seite nur so wahrgenommen wurde, soll hier nicht erläutert werden, die missliche Lage der französischen Wirtschaft führte jedoch dazu, dass man während der Revolution wieder zu einer protektionistischen Gesetz224 Vgl. Davis: The Rise of the Atlantic Economies (wie Anm. 206), 311. 225 Vgl. ebd., 306–307. 226 Wallerstein hat auf die historische Ironie verwiesen, dass Frankreich, nicht England, als erster Staat die Theorie Adam Smith umzusetzen versuchte; vgl. Wallerstein, The Modern World-System III (wie Anm. 9), 75. Ein weiterer Vorstoß zu Freihandelsabkommen stellt der Eden-Rayneval-Vertrag zwischen Frankreich und Großbritannien 1786 dar, der in Frankreich aber als für die eigene Wirtschaft nachteilig wahrgenommen und somit 1793 von der Revolutionsregierung aufgehoben wurde. Bestrebungen Großbritanniens, mit anderen europäischen Staaten Freihandelsabkommen abzuschließen, scheiterten dagegen.
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gebung zurückkehrte. Während Gesetzgebung und Praxis auf französischer Seite zunächst milder waren als auf britischer, wurden unter dem Wohlfahrtsausschuss und dem Direktorium nach und nach ultraprotektionistische Maßnahmen ergriffen, die die vollständige Unterbindung aller wirtschaftlichen Kommunikation mit Großbritannien zum Ziel erklärten. Der Handel, Kauf und selbst der bloße Besitz von britischen Waren wurde mit drastischen Strafen belegt, britische Fracht an Bord eines Schiffes war Grund genug, dieses in Gänze zu konfiszieren und ungeachtet ihrer tatsächlichen Herkunft wurden bestimmte Waren per se zu britischen Waren erklärt und fielen ebenfalls unter die Gesetze, welche auf diese Weise auch die Schiffe neutraler Staaten betrafen.227 Während in den ersten Jahren die Durchsetzung der Strafen noch eher lax gehandhabt wurde, so herrschten in den letzten zwei Jahren des Direktoriums regelrechte Willkür in der Praxis gegenüber neutralen Schiffen (neben schwedischen, dänischen und norwegischen waren dies hauptsächlich nordamerikanische). Auch seit 1799 besserte sich die Situation der neutralen Mächte kaum und vielfach waren sie gezwungen, entweder der britischen oder aber der französischen Gesetzgebung zuwiderzuhandeln, und waren damit der Bedrohung durch die eine oder andere Seite ausgesetzt. Es muss allerdings zwischen Theorie und Praxis unterschieden werden: In der Auseinandersetzung zwischen Großbritannien und Frankreich im 18. Jahrhundert wie auch später, während der Kontinentalsperre, wichen die wirtschaftstheoretischen Aussagen und Gesetzestexte von der tatsächlichen Wirtschaftspolitik deutlich ab bzw. liefen vielfach konträr zu ihnen. Eli Heckscher hat hier eine Unterscheidung getroffen zwischen den theoretischen Annahmen, die diesen jeweils zugrundelagen, einerseits und ihrer Umsetzung andererseits. Erstere waren geprägt von der protektionistischen Sichtweise, Handel müsse in einer Konkurrenzsituation mit einer feindlichen Macht gänzlich unterbunden werden, um den Gegner gewissermaßen auszuhungern und in keiner Weise vom eigenen Wohlstand profitieren zu lassen. Letztere sei dagegen von merkantilistischen Prinzipien geleitet gewesen, indem entgegen der bestehenden Gesetze, der eigene Exporthandel, selbst gegen den Widerstand des Gegners, gefördert wurde, Importe dagegen nach Möglichkeit vermieden werden sollten, um eine positive Handelsbilanz zu erreichen.228 Im 18. Jahrhundert führte dies dazu, dass trotz aller gegenteiligen Gesetzesmaßnahmen der Handel zwischen Großbritannien und
227 Die Regelungen wurden vor allem in zwei Gesetzen niedergelegt: »Loi qui proscrit du sol de la r8publique toutes les marchandises fabriqu8es ou manufactur8es dans les pays soumis au gouvernement britannique« vom 9. Oktober 1793 und das »Loi du Nivise« vom 18. Januar 1798. Die Strafen für Handel mit und Besitz britischer Waren beliefen sich zumeist auf zwanzig Jahre Gefängnis. 228 Vgl. das Vorwort in Heckscher : The Continental System (wie Anm. 32), 9–12.
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Frankreich weitestgehend fortgeführt wurde, sei es in Form von Schmuggel, sei es ermöglicht durch Lizenzen. Das Dekret von Berlin Am 21. November 1806 erließ der französische Kaiser in Berlin ein Dekret, das in seinen Regelungen von früheren Gesetzen kaum abwich. Und obgleich das Dekret nur die Kulmination früherer wirtschaftspolitischer Maßnahmen war, schlug es in der öffentlichen Wahrnehmung ein wie eine Bombe und zwar in erster Linie aufgrund des Inszenierungsgeschicks Napoleons.229 Seine öffentliche Wirkung lässt sich in der Publizistik der Zeit nachverfolgen und beginnt mit der Kommunikation des Gesetzestextes in der europäischen Presse. Zeitungen wie Zeitschriften druckten ihn vollumfänglich ab und sorgten so für die schnelle Verbreitung der Information in der Bevölkerung. Das Dekret beinhaltete im Wesentlichen folgende Punkte: Präambel: – Darstellung des Fehlverhaltens Großbritanniens: England erkenne das Völkerrecht nicht an, da es das Kriegsrecht auch auf Privatleute ausweite, indem es erstens die Besatzung nicht nur von gegnerischen Kriegsschiffen, sondern auch von Handelsschiffen zu Feinden erkläre und kaufmännisches Eigentum als Eigentum des Staates der Konfiszierung und Eroberung unterwerfe und indem es zweitens das Blockaderrecht missbrauche, um die Kommunikation zwischen den Völkern zu stören und den eigenen Handel auf Kosten des Kontinents auszuweiten. (§§ 1–8) – Begründung des Dekretes: Es ist in dieser Situation, in der Gerechtigkeit und Freiheit nicht mehr gelten, erlaubt, den Feind mit seinen eigenen Mitteln zu bekämpfen. Daher sollen die folgenden Maßnahmen durchgeführt werden, bis England das Kriegsrecht, das zulande gelte, auch auf See anerkenne. (§§ 9–10) Artikel: – Erklärung: Über die Britischen Inseln wird der Blockadezustand erklärt, der jedweden Handel und alle Kommunikation mit diesen verbietet. (Art. 1–2) – Regelungen auf dem Kontinent: Alle britischen Staatsangehörigen im französischen Einflussgebiet werden zu Kriegsgegnern erklärt und gefangengenommen, ihr Eigentum konfisziert. (Art. 3–4) – Regelungen zur See: Der Handel mit englischen Waren oder Produkten seiner Kolonien ist untersagt und kein Schiff, das aus England oder seinen Kolonien kommt, wird in den Häfen des Kontinents zugelassen. (Art. 7) 229 Vgl. ebd., 88–89.
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Das Neue dieses Dekrets lag aber, wie bereits früh in der Forschung hervorgehoben wurde, nicht in den Regelungen selber, sondern vielmehr im Anwendungsrahmen der erlassenen Handelsblockade, das heißt ihrer Ausweitung auf die Teile des Kontinents, die sich nun im Machtradius des französischen Kaisers befanden und der konsequenten Anwendung der seit langem vertretenen wirtschaftspolitischen Ideen, die erstmals mit einem »tödlichen Ernst«230 verfolgt wurden und das Leben der Europäer insgesamt deutlich zu beeinflussen begannen. Seine Wirkung fußte also in erheblichem Maße auf der Machterweiterung Napoleons auf einen Großteil Europas, die im Laufe des Jahres 1807 auf ihren Höhepunkt zusteuerte. 1806 waren Spanien, die italienischen und deutschen Staaten, die Schweiz und Holland direkt oder indirekt französischer Kontrolle unterworfen und Russland schloss sich im Folgejahr der Kontinentalsperre an.231 Die Blockade Großbritanniens, die bis zu diesem Zeitpunkt, wenn man so möchte, stets nur auf dem Papier manifestiert worden war und alle Versuche, sie konsequent durchzusetzen, zwangsläufig scheitern mussten, hatte nun erstmalig das Potential, den gesamten Kontinent tatsächlich gegen britische Waren zu verschließen. Die Orders in Council Die Orders in Council, deren Name allein auf eine Gesetzesform abhebt, nämlich einen ohne Konsultation des Parlamentes erfolgten königlichen Erlass, wurden 1807 praktisch zum Synonym für die wirtschaftlichen Schutzgesetze in Großbritannien. Meist wird darunter eine Reihe von Erlässen im November und Dezember 1807 verstanden, wenngleich es auch zuvor und danach Orders in Council im Handelskonflikt mit Frankreich gab. In Parallele zum Dekret von Berlin stellt ihr Text sie als Reaktion auf völkerrechtswidriges Vorgehen des Gegners dar und erklärt über die Kolonien sowie die Länder unter der Herrschaft Frankreichs den Blockadezustand. Auf den ersten Blick sind die Orders in Council eine direkte Übernahme der französischen Politik. Sie erlauben keinerlei Handel mit französischen Waren und setzen den Kontinent in Blockadezustand. Im Anschluss an diese Regeln mit der Festlegung drakonischer Strafen folgen jedoch zahlreiche Ausnahmen, die diese Politik zu weiten Teilen wieder aufheben. Im Wesentlichen lassen sie sich wie folgt zusammenfassen: – Darstellung des Fehlverhaltens Frankreichs: Frankreich hat das Völkerrecht verletzt, indem es das Dekret von Berlin erlassen hat. 230 Vgl. ebd., 91–93. 231 Bis ins Jahr 1808 haftete Napoleon noch der Nimbus des Unbesiegbaren an, dessen Eroberungen bis dahin von keiner Niederlage getrübt worden waren. Vgl. zu den Napoleonischen Kriegen Esdaile, Charles J.: The French Wars 1792–1815, London 2001, hier 45–60.
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– Erklärung: Alle Häfen und Gegenden in Europa, die für britische Schiffe verschlossen sind, sowie die Kolonien des Feindes werden mit denselben Handels- und Schifffahrtsbeschränkungen seitens Großbritannien belegt und also in den Blockadezustand gesetzt, vorbehaltlich der genannten Ausnahmen. Aller Handel mit Waren der genannten Länder und Kolonien ist somit rechtswidrig und alle Schiffe mit derlei Ladung werden zu freier Prise erklärt. – Ausnahmen: Ausgenommen von diesen Regelungen ist der Handel neutraler Schiffe zwischen deren Heimatländern und britischen Häfen im Mutterland oder in seinen Kolonien; der Handel neutraler Schiffe, die in einem Hafen Großbritanniens oder seiner Alliierten entladen haben; der Handel auf neutralen Schiffen von einem europäischen Hafen in Blockadezustand, wenn das Schiff direkt einen britischen Hafen anläuft. In der Forschung sieht man darin seit Heckscher jedoch nicht das widersprüchliche Ergebnis eines unkoordinierten Gesetzesentwurfs, als welchen sie die zeitgenössischen Kritiker der Orders in Council darstellten, sondern den Ausdruck einer klaren wirtschaftspolitischen Linie der Regierung, den Handel mit Frankreich nicht gänzlich auszutrocknen, sondern die Exporte von dort unter für Großbritannien günstigen Bedingungen aufrechtzuerhalten: Wenn Frankreich den britischen Handel blockierte, dann unterband Großbritannien den französischen Handel mit allen anderen (also auch den neutralen) Staaten außer dem mit Großbritannien. Die Maßnahmen sahen denn auch vor, dass alle Güter auf neutralen Schiffen oder von neutralen Mächten in Großbritanniens Häfen entladen und damit auch dort versteuert werden mussten.232 Man kann sie also als Versuch lesen, die Politik Frankreichs gegen dieses selbst zu kehren. Als Napoleon von den britischen Orders in Council erfuhr, verschärfte er seinerseits die Blockademaßnahmen in einem in Mailand erlassenen Dekret vom 17. Dezember 1807, das im Wesentlichen die bereits zu Land geltenden Regelungen auch auf das Meer übertrug. Dies bedeutete, dass Schiffe auch auf See kontrolliert und zu freier Prise erklärt werden konnten, wenn sie eine der im Berliner Dekret festgelegten Bedingungen erfüllten. Damit war im Grunde die Schärfe der Blockade und Konfiszierungspraxis zur Zeit des Direktoriums wieder erreicht, mit einem grundlegenden Unterschied: der Kontrolle praktisch aller Küsten des europäischen Kontinents durch Frankreich, mit Ausnahme allein Skandinaviens. Mit dieser Regelung war neutraler Handel auf legalem Wege erstmals gänzlich unmöglich geworden. Über das gesamte 18. Jahrhundert hatte es eine deutliche quantitative Zunahme der weltweiten Handelsbeziehungen gegeben, die sich nach 1800 stark 232 Vgl. Heckscher : Continental System (wie Anm. 32), 114–121.
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beschleunigte. 1702 transportierte die britische Handelsflotte, für die die besten Zahlen vorliegen, noch 320.000 Tonnen pro Jahr, 1800 waren es bereits 1.856.000 t und bis 1830 stieg die Zahl auf 2.202.000 t.233 Die britischen Exporte stiegen bis 1815 deutlich an (Abb. 2). Die Importe erlitten mit Einsetzen der Kontinentalsperre einen Rückgang, blieben aber auf hohem Niveau, was vor allem dem zunehmenden Handel mit anderen Weltteilen geschuldet war. Im Vergleich mit der späteren Entwicklung mag die Zunahme des Außenhandels gering erscheinen, verglichen mit der Zeit davor kann man aber, wenn auch mit regionalen Unterschieden und kriegsbedingten Einbrüchen, einen deutlichen Aufwärtstrend beobachten. Der Außenhandel Mitteleuropas stieg von 1787 bis 1805 um 278 %, bevor ihn die Kontinentalsperre einbrechen ließ. Und auch danach kann eher von einer Verschiebung des Außenhandels über neue Wege gesprochen werden, als von einem generellen Rückgang. Ein erster Einbruch der Importe aus Großbritannien und den Vereinigten Staaten von Amerika nach Mitteleuropa lässt sich für das Jahr 1808 verzeichnen; ein drastischer Rückgang setzte dann mit dem Jahr 1811 ein. Ab 1813 schnellten die Importe aus diesen Ländern auf ungekannte Höhen (Abb. 3; vgl. auch Annex Tabelle 5).234 Die Zeit um 1800 erweist sich damit als Beginn des bis zum Ende des 19. Jahrhunderts sich intensivierenden ökonomischen Globalisierungsprozesses. Eine wesentliche Veränderung fand zudem in der Form der Abhängigkeit statt. Die Abhängigkeit von Industriewaren ist qualitativ nicht dieselbe wie diejenige von Rohstoffen. Wie gesehen, wehrten die führenden europäischen Wirtschaftsmächte die Einfuhr von Fertigprodukten seit dem Beginn des 18. Jahrhunderts zunehmend ab und tatsächlich importierte England in erster Linie Lebensmittel und Rohstoffe; der Import von Gewerbeprodukten nahm über das Jahrhundert hinweg stetig ab, während die Exporte zu vier Fünfteln aus Gewerbeprodukten bestanden.235 Ab 1780 war die sich wandelnde heimische Industrie zunehmend von der Einfuhr unterschiedlicher Rohstoffe abhängig und damit auch die dortigen 233 Vgl. Tabelle 8.1 in Grafe, Regina; Neal, Larry ; Unger, Richard W.: The Services Sector, In: Stephen Broadberry ; Kevin H. O’Rourke (Hg.): The Cambridge Economic History of Modern Europe 1700–1870, Bd. 1, Cambridge (UK) 2010, 187–213, hier 199. 234 Vgl. die Tabellen in: Kutz, Martin: Die Entwicklung des Außenhandels Mitteleuropas zwischen Französischer Revolution und Wiener Kongreß, In: Geschichte und Gesellschaft 6 (1980), 538–558. Kutz führt die Importeinbrüche weniger auf die Blockademaßnahmen als auf Kriegshandlungen zurück, was sich aber mit den Daten nicht deckt. Im Jahr 1808 sowie von 1811 bis 1812 habe die Kontinentalsperre am besten ›funktioniert‹ und dies sind gerade die Jahre, in denen kriegerische Handlungen weniger wurden als 1809 mit dem Spanienfeldzug und ab 1812 mit dem Russlandfeldzug Napoleons. 235 Vgl. Landsteiner, Erich: Nichts als Karies, Lungenkrebs und Pellagra? Zu den Auswirkungen des Globalisierungsprozesses auf Europa 1500–1800, In: Friedrich Edelmayer, Erich Landsteiner ; Renate Pieper (Hg.): Die Geschichte des europäischen Welthandels und der wirtschaftliche Globalisierungsprozeß, Wien 2001, 104–139, hier 131.
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Britische Im- und Exporte 70000 60000
in Tausend
50000 40000
Total Exports
30000
Total Imports
20000 10000 0
1765 1770 1775 1780 1785 1790 1795 1800 1805 1810 1815 1820
Abb. 2: Britische Im- und Exporte 1765–1820; Quelle: Mitchell, B. R.: British Historical Statistics, Cambridge 1988, 494–495.
Gesamtimport Mitteleuropas 1787‒1817 Mill. Tril. 200
ohne franz. bzw. britische Daten
(·) (( · ))
Konjektion bezogen auf Realwert Frankreich 1792
NominalwertFrankreich mitgerechnet ohne britische Angaben
180 160 140 120
( )
100 80 60 40 20
(( ))
0
Abb. 3: Gesamtimporte Mitteleuropas 1787–1817; aus Kutz, Martin: Die Entwicklung des Außenhandels Mitteleuropas zwischen Französischer Revolution und Wiener Kongreß, In: Geschichte und Gesellschaft 6 (1980), 538–558, hier 539.
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Arbeitsplätze und also das Wachstum der Inlandswirtschaft. Um 1700 war die Abhängigkeit noch überwiegend die von Gewerbegütern gewesen und hatte damit eher der Bedürfnisbefriedigung einzelner Kunden gedient, nicht aber ganze Wirtschaftszweige beeinflusst. Nun war der Anteil der Im- und Exporte am Bruttoinlandsprodukt selbst in Großbritannien 1820 mit 21,4 % im Vergleich mit den Zahlen nach 1860 noch niedrig236, doch handelte es sich hier zweifelsohne um eine ganz neue Qualität der Abhängigkeit. Wie beispielsweise Pomeranz’ Studie zeigt, vermag ein geringer Prozentsatz des Außenhandels für die Binnenwirtschaft dennoch eine essentielle Bedeutung haben, indem er der Industrie Rohstoffe liefert, die in heimischer Produktion entweder aus Gründen des Klimas oder des fehlenden Ackerlandes nicht zu gewinnen sind. Die indirekte Abhängigkeit ist somit stets mit zu berücksichtigen, um das Verständnis für die Weltwirtschaftsvernetzung zu schärfen. Die Kontinentalsperre machte die Abhängigkeit der Wirtschaftsregionen voneinander schlagartig deutlich. Die tatsächlichen Handelsverbindungen mochten also nur langsam angestiegen sein oder stagniert haben, die Bedeutung der Verbindung war dadurch jedoch ins allgemeine Bewusstsein gerückt und wurde vor dem Hintergrund des englisch-französischen Konfliktes diskutiert. Die Gesamtimporte nach Mitteleuropa ergeben also das Bild einer Restrukturierung, die in einzelnen Landstrichen und Gewerbezweigen allerdings deutliche Veränderungen nach sich zog.237 Und aus dieser erklärt sich auch die Bedrohung, die die Zeitgenossen angesichts der Unsicherheit der Weltwirtschaftsverbindungen empfanden und ausdrückten. Eine wiederkehrende Feststellung der Welthandelsberichte im frühen 19. Jahrhundert war die Beobachtung, dass die von der Natur hervorgebrachen Produkte sich je nach geographischer und klimatischer Zone unterschieden und der Reichtum der Erde sich über den gesamten Globus verteilt fand. Dieser auf den ersten Blick profane und kaum überraschende Befund erhielt jedoch vor dem Hintergrund sich seit Ende des 18. Jahrhunderts intensivierender globaler Versorgungsströme eine neuartige Brisanz. Neben die zwei Formen der Naturbeschreibung, der philosophisch-theoretischen und der wissenschaftlich-empirischen, war im 18. Jahrhundert eine dritte Form getreten: die der analytisch236 Für das Vereinigte Königreich liegt der Anteil 1790 bei 24 %; 1820 bei 21,4 %; 1830 bei 18,8 %; 1840 bei 25,2 %; 1850 bei 27,8 % und 1860 bei 41,8 %. Frankreichs Außenhandel erfuhr einen deutlichen Einbruch nach dem Verlust der Kolonien und der Französischen Revolution: 1790 lag der Anteil am BIP bei 20 %; 1820 bei 9,8 %; 1830 bei 8,2 %; 1840 bei 10,7 %; 1850 bei 13 % und 1860 bei 20,1 %. Nur in der Handelsnation der Niederlande machen Im- und Exporte über den ganzen Zeitraum einen deutlich höheren Anteil von zwischen 33 % und 110 % aus; vgl. Tabelle 4.5 in O’Rourke u. a.: Trade and Empire (wie Anm. 209), 106. 237 Vgl. Kutz: Die Entwicklung des Außenhandels (wie Anm. 234).
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utilitaristischen Beschreibung der Nutzpflanzen und -tiere. Diese Sicht auf die Natur nahm ihren Ausgangspunkt in der Betrachtung der globalen Distribution der natürlichen Vielfalt. Jedes Land, jede Region habe sein spezifisches Klima, das seine je spezifischen Pflanzen und Tiere hervorbringe. Gleichzeitig gab es auch Unterschiede in der Fruchtbarkeit des Bodens und dem Reichtum an Pflanzen- und Tierarten zwischen den Ländern. Diese Überlegung war beispielsweise grundlegend für die Konzeption der Histoire des deux Indes, in der es im letzten systematischen Buch heißt: »[L]a nature avoit r8gl8 que, sous ses sages loix, chaque contr8e seroit opulente, forte & heureuse de la richesse, de la puissance, du bonheur des autres.«238 Es schien gleichsam, als hätte die Vorsehung eine ausgewogene Distribution der Rohstoffe über den gesamten Globus vorgenommen, um die Menschen voneinander abhängig zu machen und sie so in einen Austausch zu setzen. Diese Vorstellungen der Interdependenz durch globale Distribution wurden von der Presse des frühen 19. Jahrhunderts aufgenommen und flossen vor veränderten historischen Rahmenbedingungen in eine neue Debatte ein. Im Zangengriff des Krieges zwischen Großbritannien und Frankreich verlor die globale Distribution der Naturgüter ihren neutralen Charakter und wurde zum Objekt der Sorge und Ängste der Zeitgenossen. In den Zeitschriftenartikeln zu wirtschaftlichen Themen wird deutlich, dass die Gesamtheit der auf der Erde verfügbaren Rohstoffe zum Maßstab für jeden einzelnen Landstrich geworden war. In den Reisebeschreibungen lässt sich ein mit Dringlichkeit verfolgter Detailreichtum hinsichtlich der örtlichen Versorgungssituation erkennen, sowohl in Betracht der vorhandenen Produkte als auch der importierten Rohstoffe. Derartig detailreiche Wissensakkumulation über ferne Weltgegenden schrieb sich ein in eine »neue Wahrnehmung globaler Räume« in der Zeit um 1800. Iris Schröder verortet die besondere Aufmerksamkeit für außereuropäische Regionen und das Streben nach einer Überschaubarkeit des Planeten im Rahmen eines steigenden allgemeinen Interesses an geographischem Wissen der westeuropäischen Öffentlichkeit: Reiseberichte ließen »die Erde miterlebbar und erfahrbar erscheinen. […] Die Erde bekam eine neue modellhaft vorgeführte räumliche Ordnung zugesprochen, die die zeitgenössischen Medien verbreiteten.«239 Die Aneignung der Welt über die Akkumulation geographischen Wissens ging Hand in Hand mit der Erschließung ökonomischer Erkenntnisse über die weit entfernten Landstriche und implizierte auf diese Weise die Möglichkeit ihrer Dienstbarmachung für kapitalistische Interessen. Exemplarisch für die Art, wie die Presse um 1800 die 238 Raynal, Guillaume Thomas (Hg.): Histoire des deux Indes, Genf: Pellet 1780, Buch 19, Kap. VI, 273. 239 Schröder: Das Wissen von der ganzen Welt (wie Anm. 187), 9.
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wirtschaftliche Abhängigkeit veranschaulichte, stehen die Artikel zur Warenlehre im Magazin der Handels- und Gewerbskunde, die sich der Methodik von Johann Beckmanns Warenkunde bedienten.240 Die Zeitschrift stellte ihren Lesern regelmäßig detaillierte Portraits einzelner Waren aus anderen Kontinenten vor. In diesen Beschreibungen wurde neben den botanischen Eigenschaften, den Anbaumethoden und -gebieten sowie der Qualität verschiedener Sorten auch die Einfuhr aus den einzelnen Ländern nach Europa – meist in anschaulichen Tabellen – dargelegt. In ausführlichen Texten und botanischen Illustrationen fanden die Kaffee- und Teestaude ebenso ihre Würdigung wie Zuckerrohr, Indigo und Baumwolle. Neben der botanischen Klassifizierung, die auf dem Linn8schen System aufbaute, wurden die Pflanzen hier in ihrer Qualität als »Waren« betrachtet, das heißt in Bezug auf ihre Bedeutung für den europäischen Handel. Quelle der handelsbezogenen Informationen war dabei oftmals die Histoire des deux Indes. In einem typischen Reisebericht von 1807 finden sich alle Elemente der Idee globaler Rohstoffdistribution. Ein Artikel über Neuseeland in der Edinburgh Review beispielsweise informiert seine Leser über die Ernährung der Einwohner von einer einheimischen Farnwurzel und Fisch sowie der eingeführten und mit Erfolg kultivierten Kartoffel und gibt Kenntnis über den Tausch der Feldfrucht gegen Eisen mit Europäern.241 Heimische Produkte, die Ansiedelung fremder Agrarprodukte sowie die Erweiterung der Rohstoffpalette mittels wirtschaftlichen Austauschs: All dies erfahren die Leser und können so im Laufe der Zeit, gleichsam Puzzlestück für Puzzlestück, ein umfassendes Bild der Erde und ihrer nützlichen oder nutzbarzumachenden Charakteristika zusammensetzen. Dieses Bild erschien als kompositorisches Gesamtstück, dessen Teile sich idealtypisch gegenseitig ergänzten. Handel wird in dieser Betrachtungsweise zum Mittel für den Zugang der Menschen zu potentiell allen Gütern der Erde. Dieser Gedanke steht in der Tradition handelstheoretischer Werke seit dem frühen 18. Jahrhundert und hat im weiteren Sinne Anklänge an die Klimatheorie Montesquieus, der sich der Frage des Handels in Antike und Moderne selbst ausführlich gewidmet hatte. Im De l’Esprit des Lois heißt es: »Or, les peuples du mÞme climat 240 Beckmann, Johann: Vorbreitung zur Waarenkunde. Oder zur Kenntniß der vornehmsten ausländischen Waaren, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1793. 241 »The vegetable produce of the spot in question, though limited in point of variety, is apparently very valuable. […] The root of the fern, which grows in abundance wild, furnishes a nourishing juice to the natives, who chiefly live upon it. Potatoes, which they cultivate with considerable skill, and chiefly reserve for traffic with the ships that arrive, are produced in sufficient plenty, [… and] may be exchanged for iron, the article most of all wanted by those people«; vgl. Brougham, Henry : Some Account of New Zealand […] with a Description of the Religion and Government, Language, Arts, Manufactures, Manners and Customs of the Natives, etc., By John Savage, In: Edinburgh Review (Jul. 1807), Art. XIII, 471–478, hier 472–473.
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ayant chez eux / peu prHs les mÞmes choses, n’ont pas tant de besoin de commercer entre eux que ceux d’un climat diff8rent.«242 Die verschiedenen Klimazonen auf der Erde erzwangen dieser Vorstellung nach geradezu den kommerziellen Austausch der Völker untereinander. Aus der Kenntnis und zunehmenden Erfahr- und Erlebbarkeit der Gesamtheit der natürlichen Produkte erwuchsen gleichzeitig auch neue Versorgungsansprüche. Aus der globalen Distribution ergab sich somit auch die Abhängigkeit der eigenen Bedürfnisbefriedigung vom Außenhandel und damit des nationalen Wohlstandes von internationalen Importen. In diesem Punkt aber lag potenziell eine Gefahr : Denn konnten die Bedürfnisse nicht ausschließlich aus Erzeugnissen des eigenen Landes gestillt werden, war ihre Befriedigung und damit der lokale oder nationale Wohlstand von politischen Entscheidungen fremder Regierungen und einem friedlichen Verhältnis zu anderen Ländern abhängig. Die Abhängigkeit von den Rohstoffen der anderen Weltteile ist ein zentraler Gedanke, der sich in den ökonomischen Debatten des Aufklärungszeitalters herausbildete und in den Zeitschriftenartikeln des frühen 19. Jahrhunderts wahrgenommen, problematisiert und zu lösen versucht wurde. Ein Lösungsversuch dieser Problematik war die Herstellung wirtschaftlicher Autarkie eines Landes, der sich theoretisch in einem ökonomischen Isolationismus niederschlug. Im Folgenden soll die Isolationismusdebatte des frühen 19. Jahrhunderts in Rückbezug auf ihre Vorläufer im 18. Jahrhundert nachgezeichnet werden. 1.3
Publizistische Reaktionen
Ungeachtet der oben skizzierten wirtschaftshistorischen Auseinandersetzung über die Bedeutung wirtschaftlicher Abhängigkeiten zwischen den Kontinenten, wurden die Im- und Exporte zwischen Europa und überseeischen Gebieten in den Zeitschriftenartikeln um 1800 als zunehmend notwendig angesehen, sowohl für den Lebensbedarf der Bevölkerung als auch die wirtschaftliche Prosperität des Landes. Europäer, zumal Westeuropäer, hatten globale Produkte fest in ihr Konsumverhalten integriert. Zeitgenossen bescheinigten etwa dem Zucker außergewöhnlich hohe Nahrungsqualität oder sogar kurative Wirkung. In den Ländern, die keine eigenen Kolonien besaßen oder diese zum Großteil verloren hatten, wie Deutschland und Frankreich, verspürten die Menschen diese neuen Bedürfnisse besonders brennend. Und einzelne Gewerbezweige waren zunehmend auf die internationalen Handelsströme eingestellt. In der Lesart des Magazins etwa waren es »drückendste« Notwendigkeiten der Europäer, die mit der 242 Montesquieu: De l’Esprit des lois, Buch XXI, Kap. IV. Vgl. zu Montesquieu und zur globalen Verbindung durch Handel Kapitel III.3.
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Einfuhr aus überseeischen Gebieten gedeckt wurden: »Die Produkte der entferntesten Länder wurden zum Bedürfnisse; Zucker, Kaffee, Thee, Schokolat, Tabak, indische Gewürze u.s.w wurden den Europäern unentbehrlich«243. Zucker, Kaffee, Tee, Tabak: Es erstaunt wenig, dass es diese Produkte sind, die den Zeitgenossen ganz besonders ihre Abhängigkeit vom internationalen Handel vor Augen führten. Es handelte sich, abgesehen vom Tee, der zum Großteil aus China eingeführt wurde, überwiegend um Produkte aus den europäischen Kolonien. Sie erforderten bestimmte klimatische Anbaubedingungen, die in Europa nicht gegeben waren und es gab keine vergleichbaren heimischen Produkte. Der Konsum dieser Güter in Europa hatte zum Ende des 18. Jahrhunderts in der Wahrnehmung vieler Autoren schwindelerregende Maße angenommen und sie drückten ihr Erstaunen in detaillierten Tabellen über die Einfuhr dieser Güter, ihre Mengen und Preise aus.244 Gleiches galt für das Gewerbe, welches in manchen Branchen von der Zufuhr aus dem Ausland oder Absätze auf fremden Märkten abhängig geworden war : »Die starke Konsumtion von Kattun und gedruckten Zeuchen jeder Art, die seit geraumer Zeit Frankreich macht, hatte uns in die Nothwendigkeit versetzt, viele weiße Baumwollentücher aus dem Auslande zu beziehen, und seit dem Kriege erhielten wir sie über England aus Ostindien.«245 Die Ausgaben für Kleidung waren im Laufe des 18. Jahrhunderts so stark gestiegen wie in keinem anderen Bereich. Zumindest in städtischen Zentren hatte sich das Konsumverhalten auch bei den unteren Bevölkerungsschichten vom reinen Gebrauch und der Wiederverwertung zur Kultivierung eines gewissen vestimentären Luxus’ gewandelt.246 Mit der steigenden Nachfrage wuchs auch das Textilgewerbe und bis zum Ende des 18. Jahrhunderts hatte sich die Textilindustrie in Teilen des Heiligen Römischen Reiches und der Schweiz zu einem beachtlichen Gewerbezweig entwickelt, der aufgrund seiner Wettbewerbsfähigkeit im Lohnniveau vorwiegend Leinenstoffe für den Export produzierte und diese bis nach Amerika vertrieb.247 Das Leinengewerbe bekam um 1800 nach und nach Konkurrenz von der Baumwollindustrie bzw. stellte auf diesen Rohstoff um. Letzterer hatte freilich den Nachteil, nicht im eigenen Land angebaut, sondern aus Indien, Nordafrika 243 Vorläufige Betrachtungen über den Welthandel der Europäer, In: Magazin der Handels- und Gewerbskunst 1 (1804), 6–20, hier 18. 244 Vgl. etwa die Tabelle in: Die Kolonien der europäischen Mächte in fremden Welttheilen. Fortsetzung, Teil 2, In: Miscellen für die neueste Weltkunde 2.46 (8. Juni 1808), 181–184, hier 182. 245 Ueber die Einfuhr weißer und bedruckter Baumwollentücher in Frankreich, In: Magazin der Handels- und Gewerbskunde 2 (1805), 169–171, hier 169. 246 Vgl. Roche, Daniel: La culture des apparences. Le vÞtement entre l’Pconomie et la Morale, In: Jacques Marseille (Hg.): Le luxe en France du siHcle des »LumiHres« / nos jours, Paris 1999, 39–47, hier 41. 247 Vgl. Weber : The Atlantic Coast of German Trade (wie Anm. 214).
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oder den amerikanischen Kolonien importiert werden zu müssen. Die Artikel zur Warenkunde weisen auf die Herkunft der verschiedenen Qualitätsklassen hin: »Cayenne und St. Domingo erzeugen mehr, und schönere Wolle, als die ganze Levante und alle Gegenden des mittelländischen Meeres zusammen genommen. Zu Rouen werden daraus sehr feine Zize und Musseline verfertiget, auch außerhalb Frankreich [sic!] wird solche in Baumwollenmanufacturen verarbeitet.«248
Die Abhängigkeitsstrukturen verliefen dem öffentlichen Diskurs zufolge somit in beide Richtungen: Betroffen waren Versorgung und Absatz, Ein- und Ausfuhr. Noch vor der Kontinentalsperre zeigten sich aufgrund verschiedener Handelsbeschränkungen und durch die Unabhängigkeitserklärung von Haiti 1804 die möglichen Schwierigkeiten einer von ausländischen Importen abhängigen Industrie, welche in einen Bedrohungsdiskurs eingebettet wurden: »Zu den Hauptzweigen der Industrie des Vogtländischen Kreises gehört vorzüglich die Mousselinmanufaktur welche aber leider! seit einigen Jahren weit mehr im Fallen, als im Steigen ist, und abermals auf Kosten vieler Tausende, die alte merkantilische Wahrheit bestätigt, daß Manufakturen, welche ganz von einem ausländischen Materiale abhängen, einem schnellen Wechsel unterworfen und in vieler Rücksicht gefährlich sind.«249
Sowohl in Großbritannien als auch auf dem europäischen Festland war es aber die Kontinentalsperre, die unter den Zeitbeobachtern eine Debatte über die wirtschaftlichen Abhängigkeitsstrukturen anfachte. Wie das Zitat zu den Baumwolltüchern im Magazin von 1805 andeutet, erreichten Kolonialwaren den kontinentaleuropäischen Markt vor 1806 vorwiegend über Großbritannien. Und für Großbritannien umgekehrt war Europa der wichtigste Absatzmarkt für die Waren aus den Kolonien und seine Manufakturprodukte geworden. Die Gefahr, die das Magazin in der Abhängigkeit heimischer Manufakturen vom »ausländischen Materiale« vermutet hatte, schien sich zu bestätigen. Die internationale Abhängigkeit der Wirtschaft wurde somit zur Bedrohung. Von bestimmten Zufuhren abgeschnitten zu sein, empfanden viele Zeitgenossen als Hauptproblem der »gegenwärtigen, bedrängten und traurigen Zeiten«250. Diese Erfahrung führte ihnen die internationalen ökonomischen Abhängigkeiten vor Augen und machte die Vernetzung der eigenen Wirtschaft mit globalen Handelsströmen 248 H., C.A.: Die Baumwolle, In: Magazin der Handels- und Gewerbskunde 2 (1803), 234–246, hier 241. 249 Engelhardt, K. A.: Mousselinmanufaktur im Vogtländischen Kreise in Kursachsen, In: Magazin der Handels- und Gewerbskunde 2 (1805), 110–121, hier 110. 250 [von] Wehrs, G[eorg] F[riedrich]: Schreiben […] an den Herrn v. Archenholz in Hamburg, über dessen Betrachtungen die Unterbrechung des Europäischen See-Handels betreffend, In: Minerva 3 (1808), 526–543, hier 527.
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deutlich. Zahlreiche Autoren wandten sich daher zu dieser Zeit generellen volkswirtschaftlichen Fragen zu: »And if a nation has habitually conducted itself upon the true principles of acquiring wealth, and has purchased all its commodities where they may be had the cheapest, it may have become dependent upon other countries for some of the most necessary and important articles of its consumption.«251 Diese Betonung der »notwendigsten Artikel« ist im Zusammenhang der Debatte um den Luxus aus dem 18. Jahrhundert zu lesen.252 Die Problematisierung der wirtschaftlichen Abhängigkeit der Weltteile voneinander hatte bereits zentrale Theorien des 18. Jahrhunderts geprägt. Unter dem Lemma »Commerce« der Encyclop8die heißt es: »La Providence infinie, dont la nature est l’ouvrage, a voulu, par la vari8t8 qu’elle y r8pand, mettre les hommes dans la d8pendance les uns des autres«253. FranÅois V8ron Duverger de Forbonnais eröffnete seinen Eintrag zum Handel mit dem Gedanken der globalen Gütervielfalt. Die Rohstoffverteilung führe zur gegenseitigen Abhängigkeit und nicht nur das: Sie kreiere auch neue Bedürfnisse, die über die Grundbedürfnisse des Menschen hinausgingen. »Cette d8pendance r8ciproque des hommes, par la vari8t8 des denr8es qu’ils peuvent se fournir, s’8tend sur des besoins r8els ou sur des besoins d’opinion.«254 Dadurch dass die Abhängigkeit örtlicher Wirtschaftszweige von Importen als Problem identifiziert und als Gefahr wahrgenommen wurde, entwickelten sich auf beiden Seiten des Ärmelkanals öffentliche Debatten zur ökonomischen Unabhängigkeit. An die Thematik der Unterversorgung der eigenen Bevölkerung knüpften sich Grundfragen des globalen Zusammenlebens. Verschiedene Autoren vertraten Thesen wirtschaftlicher Autarkie und forderten wirtschaftspolitische Maßnahmen zur Förderung nationaler Produktion. Die Pressedebatten lassen sich dabei auf die Diskussion der Politischen Ökonomie um 1800 zurückbinden. Paul Cheney spricht in dem Zusammenhang von einer »strategic autarky«, die das französische Kolonialreich mit seinen Überseeterritorien der zeitgenössischen Wirtschaftstheorie zufolge erreichen wollte, indem es für alle seine Bedürfnisse die geeigneten ökologischen Bedingungen in seinen ver-
251 Malthus, Thomas Robert: Britain Independent of Commerce; or, Proofs Deduced From an Investigation Into the True Causes of the Wealth of Nations […] By William Spence [Rezension], In: Edinburgh Review (Jan 1808), Art. XI, 429–448, hier 447 [Herv.: A. W.]. 252 Vgl. zu dieser Debatte: Margairaz, Dominique: La querelle du luxe au XVIIIe siHcle, In: Marseille: Le luxe en France (wie Anm. 246), 25–37. 253 [Duverger de Forbonnais, FranÅois V8ron]: »Commerce«, In: Jean d’Alembert; Denis Diderot (Hg.): Encyclop8die, ou Dictionnaire raisonn8 des sciences, des arts et des m8tiers, Bd. 3 (1753), 690 [Herv. A. W.]. 254 Im weiteren Verlauf des Textes führt Duverger dann klassisch merkantilistische Thesen zum Innen- und Außenhandel an, die sich auf die Grundannahme einer Handelsbalance stützen; ebd., 690 [Herv. A.W.].
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schiedenen Besitzungen vorfand und diese strategisch zu nutzen hatte, um von der Zufuhr fremder Staaten unabhängig zu werden.255 Um 1806 sollte diese Autarkie vielen Autoren zufolge auf den europäischen Kontinent oder gar den Nationalstaat eingeschränkt werden. Was die Debatte über wirtschaftliche Unabhängigkeit der ersten Jahre der Blockadepolitik zwischen Großbritannien und Frankreich von derjenigen des frühen 18. Jahrhunderts unterscheidet, ist eine Verengung des als autark gedachten Raumes auf die Territorien der europäischen Mutterstaaten. Dies war der Erfahrung geschuldet, dass der Zugriff auf die überseeischen Gebiete nicht oder nicht mehr im selben Maße gesichert war wie der auf das Kernland. Der Verlust der Gebiete durch Krieg oder Unabhängigkeit der eigenen Kolonien war um 1800 eine konkrete Bedrohung wie die Möglichkeit, von fremden Gütern durch Seehandelsblockaden oder Handelsdominanz fremder Mächte abgeschnitten zu werden. Territoriale Ausdehnung eines Kolonialreiches schien in dieser Zeit ebenso wenig garantiert – und vielleicht auch nicht wünschenswert – wie die Versorgung durch Handelsnetzwerke. Es gibt in der ökonomischen Theorie der Frühen Neuzeit und was sich im Laufe des 18. Jahrhunderts als Politische Ökonomie herausbildet, eine längere Tradition, Handel als Gefahr für nationalen Wohlstand, Stabilität und Frieden zu sehen. Istvan Hont hat diese Entwicklung für die britische Literatur seit dem 17. Jahrhundert nachgezeichnet und die Einschränkungen des Staates durch internationale ökonomische Zwänge als eines der Hauptmotive der ökonomischen Literatur identifiziert.256 Wirkmächtig wurde der Bedrohungsdiskurs im 18. Jahrhundert zuvorderst in den verschiedenen prohibitiven Handelsgesetzgebungen. In der Theorie kamen verschiedene, sich bisweilen als verfeindete »Schulen« gegenüberstehende Argumentationen isolationistischer Theorien auf. Physiokraten Es mag fragwürdig erscheinen, die Theorie der französischen 8conomistes (Physiokraten) einem ökonomischen Isolationismus zuzuordnen, waren sie doch harsche Kritiker des merkantilistischen Protektionismus und forderten vehement eine Liberalisierung des Handels, was sich in ihrem zur Formel ge255 Paul Cheney hat in seiner Studie zur französischen Wirtschaftstheorie des 18. Jahrhunderts den breiteren wirtschaftshistorischen Diskurs des 18. Jahrhunderts in den Blick genommen, indem er Schriften von Diplomaten, Kaufleuten und Beamten abseits der klassischen philosophischen Texte untersucht, um den bekannten Diskurs der Wirtschaftstheorie des 18. Jahrhunderts zu ergänzen und dessen Zusammenhang mit politischen und sozialen Theorien aufzuzeigen. Damit sucht er sich u. a. von der bloß auf Wirtschaftspolitik fokussierten Wirtschaftsgeschichtsschreibung zu lösen; vgl. Cheney : Revolutionary Commerce (wie Anm. 20), 46. 256 Vgl. Hont, Istvan: Jealousy of Trade. International Competition and the Nation State in Historical Perspective, Cambridge (Mass.) 2010, 185–266.
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wordenen »laissez-faire, laissez-passer« ausdrückte. Und dennoch kann die Physiokratie als eine theoretische Quelle für die wirtschaftliche Isolation eines Landes gelten, denn ihr Insistieren darauf, dass der Wohlstand einer Nation ausschließlich auf seiner agrarischen Produktion basiere, beeinflusste spätere Theorien der nationalen Abschottung. In der Forschung zur Physiokratie ist der Frage des internationalen Handels bis heute relativ wenig Aufmerksamkeit zuteilgeworden, was in erster Linie dadurch erklärt werden mag, dass sich in den Schriften der Autoren selbst nur verstreut Hinweise auf den internationalen Handel finden.257 In der Philosophie rurale ou 8conomie g8n8rale et politique de l’agriculture legen Victor Riqueti Marquis de Mirabeau und FranÅois Quesnay systematisch die Subsistenz von Gesellschaften in einer schematisierten historischen Entwicklungslinie dar, ähnlich der Stufentheorien der Schottischen Aufklärung. Im Unterschied zu schottischen Autoren negieren die Physiokraten allerdings den Schritt hin zum Stadium der Handelsgesellschaft, da die kommerzielle Wirtschaftsweise ihnen zufolge keine produktive sei und insofern nicht die Subsistenz einer Gesellschaft garantieren könne: »[L]es richesses naissent & renaissent continuellement de la terre, & ne puissent na%tre que de l/«.258 Alle Industrie und aller Handel sei nur eine Weiterverarbeitung und -verbreitung der Pflanzen, Tiere oder Bodenschätze der Erde und lasse sich daher letztlich stets auf die Agrarproduktion zurückführen. Freilich sei auch der Handel für die Landwirtschaft von Bedeutung, insofern er die Spezialisierung und damit die Produktionssteigerung ermögliche, die erklärtes Hauptanliegen der 8conomistes war. Die Wertschöpfung in der Landwirtschaft, das heißt den Physiokraten zufolge die einzig mögliche, sei am effektivsten bei möglichst geringer staatlicher Beschränkung des Handels: Getreide müsse beispielsweise dort verkauft werden, wo es den besten Preis erziele, Handelshemmnisse führten zu Preisverfall am Produktionsstandort und damit zu Elend. Handel müsse und könne nur freier Handel sein; staatliche Einflussnahme schade prinzipiell der privaten wirtschaftlichen Wertschöpfung. Die ostentative Verteidigung des Freihandels bezog sich in den Schriften der Physiokraten allerdings beinahe ausschließlich auf den Inlandshandel, dessen Hemmung durch Binnenzölle abgebaut werden sollte.
257 Dieses Desinteresse gegenüber dem Außenhandel stellte Arthur Bloomfield bereits 1938 fest; vgl. Bloomfield, Arthur I.: The Foreign-Trade Doctrines of the Physiocrats, In: The American Economic Review 28.4 (1938), 716–735. 258 Riqueti, Victor, marquis de Mirabeau: Philosophie rurale ou 8conomie g8n8rale et politique de l’agriculture, [Amsterdam]: Libraires associ8s 1763, 8.
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In einer Fußnote zur R8pt8tition de la question hält Quesnay fest: »Il est essentiel que le commerce ext8rieur jouisse, ainsi que le commerce int8rieur, de la plus grande libert8, afin d’assurer aux productions du territoire la participation du prix courant et peu variable du march8 g8n8ral; mais il n’est pas essentiel d’avoir un grand commerce ext8rieur : au contraire, car quand les productions peuvent se d8biter, sans son secours, / son plus haut prix permanent possible, la nation y gagne au moins l’8pargne des frais de transport n8cessaires pour voiturer les productions qu’elle aurait export8es depuis le lieu de leur naissance jusqu’/ ses portes, et cette 8pargne tourne, par l’effet du niveau naturel, au profit de la valeur v8nale de toutes ses productions du mÞme genre (et mÞme de celle qui dans le cas d’un commerce ext8rieur auraient n8anmoins 8t8 consomm8es dans l’ext8rieur), et accro%t par cons8quent tous ses revenus.«259
Der Vorteil, den freier Handel innerhalb eines Landes bedeutete, ließ sich demzufolge nicht auf den Außenhandel übertragen. Da Wertschöpfung für sie ausschließlich im agrarischen Wirtschaftsbereich stattfand und der Reichtum eines Landes somit im Inland erzeugt wurde, spielte Außenhandel in ihrer Theorie praktisch keinerlei Rolle. Ihr genuiner Beitrag zur Theorie des internationalen Handels liegt vornehmlich in ihrer Kritik an der merkantilistischen Theorie der Handelsbalance. Im Außenhandel vertraten sie lediglich den freien Export von Korn zum Zwecke einer nationalen Stabilität von Getreidepreisen; Importe und Handel mit Manufakturwaren dagegen schadeten den physiokratischen Denkern zufolge dem nationalen Wohlstand. Damit wurden sie auch zu Vordenkern der Debatte um 1800. Zwar begriffen sie den Wert des Geldes in seiner reinen Symbolfunktion, wiesen die Vorstellung von Reichtum als Geldakkumulation zurück und übertrugen auch die Freihandelsforderung auf den internationalen Handel, indem sie zugestanden, dass es durchaus Produkte gebe, die günstiger aus dem Ausland bezogen werden könnten als im Inland produziert zu werden.260 Auch vertraten sie die Sichtweise, dass der Handel zwischen Staaten stets beiden Parteien Vorteile bringe und nicht gegen, sondern nur mit anderen Staaten geführt werden könne.261 Doch lag für die Physiokraten 259 Quesnay, FranÅois: R8p8tition de la question, In: August Oncken (Hg.): Oeuvres 8conomiques et philosophiques de F. Quesnay, Paris: Jules Peelman 1888, 409–423, hier 419, Anm. 1. 260 »D’ailleurs elle ne doit pas pretendre pleinement / un commerce g8n8ral. Elle doit en sacrifier quelques branches les moins importantes / l’avantage des autres parties qui lui sont les plus profitables, & qui augmenteroient & assureroient les revenus des biensfonds du royaume.«; Quesnay, FranÅois: »Grains«, In: Jean d’Alembert; Denis Diderot (Hg.): Encyclop8die ou dictionnaire raisonn8 des sciences, des arts et des m8tiers, Bd. 7 (1757). Vgl. auch Le Mercier de RiviHre, Pierre-Paul: L’ordre naturel et essentiel des soci8t8s politiques, London: Jean Nourse 1767 [Ausgabe in 1 Band], 350–351. 261 Vgl. beispielsweise »Discussion sur l’argent et le commerce« in: Le Trosne, GuillaumeFranÅois: Recueil de plusieurs morceaux 8conomiques, Amsterdam: Desaint 1768, 196– 236, hier 205–207.
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in diesem Austausch kein tatsächlicher ökonomischer Gewinn, da Handel und somit auch derjenige zwischen Staaten stets Kauf wie Verkauf gleichermaßen beinhaltete und somit »st8ril« sei und daher nicht zu einer vorteilhaften Exporthandelsbilanz führen könne.262 Am deutlichsten wird die Sterilität des Handels und die Ambivalenz des Außenhandels für den nationalen Reichtum wohl in Le Merciers L’ordre naturel: »[N]ous devons conclure que le commerce ext8rieur peut Þtre nuisible, comme il peut Þtre avantageux; que son utilit8 consiste enti8rement [sic!] dans celle dont il est / la reproduction.«263 Le Mercier geht sogar noch einen Schritt weiter und bezeichnet den Außenhandel als »mal n8cessaire«. Die Abwesenheit von Außenhandel in einer Nation galt somit gewissermaßen als Zeichen für deren Wohlstand, da sie bedeutete, dass der Konsum im Inland alle Produktion zu absorbieren vermochte. Denn »le commerce ext8rieur […] suppose toujours qu’une nation manque au-dedans d’un nombre suffisant de consommateurs en 8tat de mettre un bon prix / ses productions«264. Mithilfe einer nach physiokratischen Grundsätzen reformierten Wirtschaftspolitik würde sich der Außenhandel daher auf Dauer von selbst zurückentwickeln, da kein Bedarf zur Abfuhr von Überschüssen bestünde. Handel wird von den Physiokraten insgesamt mit Instabilität assoziiert, denn er birgt die Gefahr von Abhängigkeit und internationaler Konkurrenz. Sie leugneten nicht, dass sich auch Gesellschaften gebildet hätten, die maßgeblich auf den Handel gegründet waren, doch könnten diese nur in Ergänzung zu und in Abhängigkeit von Agrargesellschaften bestehen: »A cit8 donc des soci8t8s agricoles, il put, et il dut se former des soci8t8s marchandes, comme les greniers se forment / cit8 des moissons.«265 Im Zuge der Ausdifferenzierung und der Annäherung der verschiedenen Gesellschaften sei eine zusätzliche und zweitrangige Gesellschaftsform (socit8t8s secondes et postiches) entstanden, die sich zwar durch Freiheit und Reichtum auszeichne, aber gleichzeitig instabil und vorrübergehend sei und vor allem in ihrer Existenzgrundlagen zu sehr der fremder Konkurrenz ausgesetzt.266 Langfristiger und sicherer Wohlstand eines Landes sei allein durch die richtige Förderung der Landwirtschaft zu erreichen.267 Ziel blieb es daher, den Bedarf einer Nation auf nationalem Boden zu erzeugen.
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Vgl. hierzu besonders Le Mercier: L’ordre naturel (wie Anm. 59), Kap. 37, 345–351. Ebd., 350. Ebd., 350. Mirabeau: Philosophie rurale (wie Anm. 258), 161. Vgl. ebd., 161–162. Der Fall der englischen Wirtschaft stellte diese Auffassungen vor Widersprüche und so ist es nicht verwunderlich, dass die Autoren insgesamt wenig Bezug auf diese nahmen; vgl.
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Es ist in diesem Zusammenhang nicht ohne Belang, welcher Kupferstich die Seite des ersten Kapitels der Philosophie rurale schmückt: Eingerahmt in einem Kreis von Pflanzenranken öffnet sich dem Betrachter der Blick auf eine landwirtschaftliche Szene, in der offensichtlich chinesisch gekleidete Bauern, mithilfe von Ochsen ein Feld pflügen. China steht im 18. Jahrhundert für eine geschlossene Wirtschaftsgesellschaft, die dem Handel mit den Europäern nur auf deren Drängen hin stattgab. Die Prosperität des asiatischen Großreiches wird hier bildlich auf seine agrarische Wirtschaftsbasis zurückgeführt und somit als Vorbildfolie für europäische Flächenstaaten inszeniert.268 Es lässt sich also festhalten, dass die Physiokraten auch im internationalen Kontext unbedingten Freihandel propagierten, dass aber der »natürliche« Gang der Wirtschaft, folgte die Wirtschaftspolitik der physiokratischen Doktrin, dazu führen sollte, den Außenhandel auf lange Sicht gänzlich überflüssig zu machen.269 Der physiokratische Isolationismus ist mithin kein politisch durchgesetzter Protektionismus, sondern eine auf der Stärke der landwirtschaftlichen Produktion eines Landes beruhende Autarkie. Fichte Der Ruf nach Wirtschaftsautonomie nahm neben solcherart gemäßigter Isolationsforderungen bisweilen auch radikale Züge an. Im Jahre 1800 entwarf etwa Johann Gottlieb Fichte die Utopie einer absoluten nationalen Abschottung. Sechs Jahre vor Napoleons Versuch, die kontinentaleuropäische Wirtschaft gegen den britischen Einfluss zu schließen, veröffentlichte Fichte in seinem Werk Der geschloßne Handelsstaat eine immerhin eigensinnige Theorie.270 Es ist einer von zahlreichen Texten um 1800, deren Ziel es war, die Grundlagen der modernen Ökonomie und ihre wesentlichen Voraussetzungen philosophisch zu erörtern. Fichte ging es dabei, wie allen Autoren, um die Frage, wie der Staat zum Wohlstand aller Bürger und zum internationalen Frieden beitragen könne.271 Er
268
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Charbit, Yves: L’8chec politique d’une th8orie 8conomique. La physiocratie, In: Population 57.6 (2002), 849–878, hier 868–869. Auf den Einfluss chinesischer wirtschaftspolitischer Theorie auf Europa seit dem 17. Jahrhundert und besonders auf die Physiokraten ist vereinzelt seit den 1930er Jahren verwiesen worden. Die Funktionsweisen des eurasischen Wissensnetzwerkes und der Vorbildcharakter chinesischer Ökonomie für Quesnay ist 2005 in einer Studie der London School of Economics sehr überzeugend dargelegt worden. Unter anderem betont Christian Gerlach darin die Bedeutung der Darstellungen bäuerlicher Szenen auf importiertem chinesischem Porzellan oder in den Niederlanden hergestellten Chinoiserie-Fayencen; vgl. Gerlach, Christian: Wu-Wei in Europe. A Study of Eurasian Economic Thought, In: Working Papers of the Global Economic History Network – London School of Economics 12 (2005). Vgl. Bloomfield.: The Foreign-Trade Doctrines of the Physiocrats (wie Anm. 257), 716–735. Fichte: Der geschloßne Handelsstaat (wie Anm. 204). Für eine Interpretation von Fichtes Schrift in die nach-kantische Debatte zum ewigen Frieden als Reaktion auf die napoleonischen Eroberungen vgl. Nakhimovsky, Isaac: Fichtes
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nahm an, dass in einem »Vernunftstaat« zwischen den verschiedenen Berufen ein Gleichgewicht vorherrschen müsse und setzte die Regierung als Garanten für die Bewahrung der drei Stände (»Producenten«, »Künstler«272 und »Kaufleute«). Der ideale Nationalstaat sollte für die Bedürfnisse aller seiner Bürger aufkommen können und folglich gänzlich unabhängig von den Produkten eines anderen Staates sein. Gemäß seinen legalen Grenzen sollte sich auch die Wirtschaft eines Landes nur im Rahmen des staatlichen Hoheitsgebietes bewegen und somit für den ausländischen Handel geschlossen werden: »so ist der Vernunftstaat ein eben so durchaus geschloßner Handelsstaat, als er ein geschloßnes Reich der Gesetze und der Individuen ist.«273 Zwischen Individuen der verschiedenen Nationalstaaten dürfe kein privater Handel betrieben werden, lediglich die Regierung könne einen wirtschaftlichen Austausch mit anderen Ländern unterhalten: »Aller Verkehr mit dem Ausländer muß den Unterthanen verboten seyn, und unmöglich gemacht werden.«274 Diese Selbstständigkeit bedürfe einer gewissen Vorbereitung, bevor der Staat sich gänzlich gegenüber dem Außenhandel verschließen könne. Dazu gehörte die Ansiedlung fremder und die gezielte Kultivierung heimischer Rohstoffe:
»Geschlossener Handelsstaat« und die Frage des Ewigen Friedens, In: Asbach (Hg.): Der moderne Staat und »le doux commerce« (wie Anm. 25), 275–295. 272 Handwerker. 273 Fichte: Der geschloßne Handelsstaat (wie Anm. 204), 61 [Herv. im Orig.]. 274 Fichte: Der geschloßne Handelsstaat (wie Anm. 204), 58–59. Um die offensichtliche Diskrepanz zwischen dem »Vernunftstaat« und der wirklichen Situation der meisten Staaten seiner Zeit zu erklären, führt Fichte die Geschichte des europäischen Wirtschaftssystems aus. Der offene Handel zwischen den europäischen Ländern war ihm zufolge kein modernes Phänomen, sondern ließ sich auf das Mittelalter zurückführen, als Europa noch nicht in Nationalstaaten geteilt war, sondern eine Einheit bildete, die mehr oder weniger überall demselben Gesetz unterstellt gewesen sei. In Fragen des Handels sei dasjenige, was im Mittelalter wahr und richtig gewesen wäre, zu Fichtes Zeit in vielen Aspekten noch immer wahr, jedoch nicht länger richtig, betonte er : »Die Anwendung auf den gegenwärtigen Zustand der Dinge, ist leicht zu machen. Ist das ganze christliche Europa, mit den hinzugekommnen Colonien, und Handelsplätzen in andern Welttheilen noch immer ein Ganzes, so muß freilich der Handel aller Theile mit allen frei bleiben, wie er ursprünglich war. Ist es im Gegentheil in mehrere, unter verschiedenen Regierungen stehende Staatsganze getrennt, so muß es eben so in mehrere durchaus geschlossene Handelsstaaten getrennt werden.« Fichte kehrt hier die wirtschaftliche Entwicklung gewissermaßen zum Zwecke einer Parallelsetzung von Wirtschafts- und Politikgeschichte um. Er stellt die Herausbildung von Nationalstaaten fest und folgert daraus eine vergleichbare Engwicklung der modernen Wirtschaftsweise. Das Ideal eines politisch souveränen Staates erzwingt gleichsam eine Entsprechung auf ökonomischer Ebene; vgl. ebd., 143–144. Ein Staat brauche, um die »Anforderungen seiner Bürger zu befriedigen, ein ausgedehntes Land, das ein vollständiges und geschlossenes System der nothwendigen Production in sich enthalte«; vgl. ebd., 219. Zur Definition der notwendigen Größe eines Staates müsse sich die Regierung an den »natürlichen Grenzen« orientieren, um eine »productive Selbstständigkeit« und »Selbstgenugsamkeit« zu erreichen; vgl. ebd., 214.
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»Nachdem ausgemacht ist, welche Zweige der Kunst in das Land eingeführt werden können, befördere die Regierung die Production besonders auch in Rücksicht des rohen Stoffs für jene Kunstzweige, zur Erbauung des stellvertretenden, wenn der ächte in diesem Klima nicht erbaut werden kann, zur Veredelung des bisher üblichen. Fast jedes Klima hat seine eigenen Stellvertreter für jedes ausländische Produkt, nur daß der erste Anbau die Mühe nicht lohnt.«275
Auf den territorialen Expansionismus zur ›natürlichen‹ Arrondierung des Staatsgebietes um für das wirtschaftliche Überleben notwenige Landstriche folgt dann der ökonomische Isolationismus, Garant, nach Fichte, für den Wohlstand der Bevölkerung, da aller Reichtum im Inland erzeugt werde und dort verbliebe.276 Elemente der verschiedenen, in ihrer Spannbreite von gemäßigt bis radikalen isolationistischen Theorien des 18. Jahrhunderts tauchten zu Beginn der Kontinentalsperre wieder auf. Die merkantilistische Handelsbilanztheorie wurde erneut diskutiert. Und auch auf wirtschaftstheoretisch bereits beigelegte Konzepte wie die Einteilung, gemäß ihrem volkswirtschaftlichen Nutzen, in Luxusund notwendige Güter griffen einige Publizisten wieder zurück. Wer seit den 1770er Jahren seinen Adam Smith gelesen hatte, machte aus volkswirtschaftlicher Sicht zwischen beiden keinen Unterschied. Die Politische Ökonomie sah sich durch die wirtschaftspolitische Situation Europas aber vor grundsätzliche theoretische Herausforderungen gestellt. Überlegungen zum Mangel an bestimmten Gütern oder zu Absatzschwierigkeiten führten zu generellen wirtschaftstheoretischen Fragen. Die Unterteilung bekam zur Zeit der Kontinen275 Fichte: Der geschlossne Handelsstaat (wie Anm. 204), 261–262. Fichte macht dies in einer Fußnote am Beispiel der Baumwolle deutlich: »Z. B. an baumwollne Zeuge hat unser Zeitalter sich sehr gewöhnt, sie haben eigene Bequemlichkeiten, und es wäre nicht ohne einige Härte, dieselben gänzlich abzuschaffen. […] Aber tragen nicht mehrere Grasarten, Stauden, Bäume in unsern Klimaten eine wohl eben so feine, und durch Kultur nur sehr zu veredelnde Wolle? […] Wohl; aber unsere Generation ist so sehr im Gedränge wahrer und erkünstelter Bedürfnisse, daß wir auf jahrelange Operationen, und auf Versuche, die zuletzt doch mislingen könnten, keine Zeit noch Mühe zu verwenden haben.«; vgl. ebd. 276 Nur in einem Fall sei eine Ausnahme in der strickten Autarkie denkbar : Wenn der Anbau eines Produktes in der eigenen Klimazone gänzlich unmöglich oder nur sehr unvorteilhaft sei, könne zwischen Staaten, nicht aber zwischen Privatleuten, ein Handelsabkommen über den Austausch zweier Güter getroffen werden, die der jeweils andere entbehre (Bsp. Wein Südfrankreichs gegen Korn aus dem europäischen Norden). Diesen Handel entwirft Fichte als bloßen Tauschhandel ohne jedweden Einsatz monetärer Mittel. Verbindungen zwischen den Menschen verschiedener Staaten müssen sich auf die Wissenschaft beschränken: »Durch diese, aber auch nur durch sie, werden und sollen die Menschen fortdauernd zusammenhängen, nachdem für alles übrige ihre Absonderung in Völker vollendet ist.«; vgl. ebd., 289. Die Isolation geht bei Fichte damit so weit, dass dem normalen Bürger selbst das Reisen untersagt bleibt und lediglich »Gelehrten« und »höheren Künstlern« im Auftrag des Staates gestattet sei. Nur die vollständige Autarkie führe langfristig zum allgemeinen Weltfrieden; vgl. Fichte: Der geschlossne Handelsstaat (wie Anm. 204), 269–272.
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talsperre im Zusammenhang der Suche nach Möglichkeiten der wirtschaftlichen Autarkie daher wieder neues Gewicht. Wenigstens die Grundbedürfnisse seiner Bevölkerung, so die Forderung vieler Publizisten, sollte ein Land selber decken können, auf »Luxusgüter« dagegen im Notfall verzichten. Und so wurde seit Beginn der Kontinentalsperre die Möglichkeiten der Überwindung der internationalen Abhängigkeit in der Presse auf praktischer und theoretischer Ebene eingehend diskutiert. Das Vertrauen in eine abstrakte göttliche Vorsehung, die etwa einen Daniel Defoe beseelt hatte, verlor sich angesichts konkreter Handelshindernisse. Im Folgenden werden daher die Reaktionen auf die ökonomische Dependenz in den ersten Jahren der Kontinentalsperre bis zu ihrem Höhepunkt 1810 herausgearbeitet. 1.3.1 Großbritannien: Autarkiebehauptungen Während Fichtes Schrift, mit der er sich auf ein preußisches Staatsamt bewarb, in der Presse auf ein eher geringes Echo gestoßen war, wurde die Abhandlung eines englischen Ökonomen sieben Jahre später weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt. 1807 veröffentlichte William Spence (1783–1860) eine Abhandlung mit dem Titel Britain independent of commerce und löste damit eine erbitterte Debatte in der Presse aus, die sich über die folgenden Jahre erstreckte.277 In seiner Schrift forderte er nicht allein Autarkie, sondern vertrat die These, dass der Wohlstand Großbritanniens vom Außenhandel bereits gänzlich unabhängig sei: »Britain does not derive any accession of wealth whatever from commerce of export, and consequently, […] her riches, her greatness, and her power, are wholly derived from resources within herself and are entirely and altogether independent of her trade.«278 Für Spence war Handel ein Nullsummenspiel, sowohl der Binnenhandel als auch der Außenhandel. Spence unterschied zwei ökonomische Schulen: die »merkantilistische Sekte«, die den Wohlstand einer Nation auf den Handel zurückführte und die »landwirtschaftliche Sekte«, die diesen in der Agrarproduktion verortete. Trotz einiger Kritikpunkte stellte sich Spence auf die Seite der französischen Physiokraten. Steigerung des Wohlstandes einer Nation durch Exporte könne nur erzielt werden, insofern die Handelsbilanz zugunsten des eigenen Landes ausfalle. Damit ordnet er sich in die Gruppe der Verfechter eines ökonomischen Gleichgewichtes ein, die in der modernen Ökonomie stark angegriffen, politisch aber weiterhin die tragende Rolle spielte und daher auch theoretisch weiterhin diskutiert wurde. Die Vorstellung, nationaler Wohlstand speise sich besonders aus einer positiven Außenhandelsbilanz, das heißt ein Land müsse stets mehr im Ausland 277 Zur weiteren Debatte um Spence Werk, vgl. Kapitel III.3.3. 278 Spence, William: Britain Independent of Commerce. Or, Proofs, Deduced From an Investigation into the True Causes of the Wealth of Nations, London 1807, 43 [Herv. im Orig.].
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verkaufen als von dort einzukaufen, war Grundgedanke merkantilistischer Wirtschaftstheorie und -politik. Kritik daran wurde einerseits von den Physiokraten geübt, die, wie gesehen, den Wohlstand eines Landes allein in der Landwirtschaft sahen; andererseits auch von den frühliberalen Wirtschaftstheorien, die dieser Theorie vorwarfen, Wohlstand mit Geldbesitz zu verwechseln. Trotz dieser massiven Kritik, verlor die Theorie der Handelsbilanz längst nicht für alle Autoren an Überzeugungskraft. Spence dagegen lehnte den merkantilistischen Ansatz aus anderen Gründen ab. Eine positive Handelsbilanz sei, so Spence, in der Theorie zwar möglich, in der Realität Großbritanniens dagegen werde der durch Exporte erzielte Überschuss durch Importe von Luxusartikeln zunichte gemacht. Zu diesen Importen zählte Spence auch die Einfuhren von Kolonialprodukten aus den britischen Überseegebieten. Wirklicher Wohlstand basiere auf der landwirtschaftlichen Produktion eines Landes und Importe könnten in keiner Weise zur Wohlstandssteigerung beitragen. Dass dies auch für die britischen Kolonialprodukte zutreffe, liege an der Natur der eingeführten Produkte. Spence griff also auf die traditionelle Unterscheidung zwischen Luxusgütern und Grundbedürfnissen zurück. Den Großteil der Waren aus den Überseegebieten machten Zucker, Tabak und Wein aus und diese seien Luxusgüter und nicht zur Grundversorgung der Bevölkerung notwendig. Ein Tausch von Getreide gegen Wein wäre Spence zufolge also ein Verlustgeschäft. Es gebe kaum Produkte, die Großbritannien tatsächlich einzuführen genötigt sei und die Versorgung mit Färbemitteln, Medizin, Salpeter, Öl oder Holz – einzige unabdingbare Importgüter – könnte mit wenigen Schiffsladungen pro Jahr gesichert werden. Spence räumte zwar ein, dass internationaler Handel den Globus verbinde und Zivilisation und Wissen verbreite, er also als Motor für den wissenschaftlichen Austausch zweckmäßig sein mochte, doch sei Großbritannien ökonomisch nicht abhängig von ihm. Spence verstand seine Analyse als beruhigendes Signal, angesichts des für die folgenden Jahre zu erwartenden Rückgangs des britischen Handels. Dieser Rückgang sei nicht so sehr wegen der Handelsblockaden durch das europäische Festland und Amerika anzunehmen, sondern aufgrund der wachsenden Konkurrenz mit anderen Mächten in den genannten Kontinenten.279 Als Ziel seiner Überlegungen sah Spence den weltweiten Frieden: Würden alle Nationen erkennen, dass der Wohlstand nicht vom Handel abhinge, käme es nicht zu den Versuchen der Schädigung dieses Handels und somit nicht zu den aktuellen Kriegen. Kurz nach seinem Erscheinen besprach Thomas Malthus das Werk von Spence in der Edinburgh Review. Obgleich er früher ähnliche Grundannahmen formuliert hatte, unterzog er das Buch einer gründlichen Kritik. Malthus kriti279 Vgl. zur Frage der internationalen Konkurrenz Kapitel III.2.2.
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sierte die Unterteilung in zwei »Sekten« und plädierte dagegen für die Position Adam Smiths, die er als Mittelposition zwischen beiden Schulen auslegte. Er zeigte die Denkfehler Spences in seiner Ablehnung jeglichen Außenhandels, auch des Kolonialhandels, auf. Gleichzeitig machte er aber klar, dass auch er den Außenhandel als Quelle des Nationalwohlstandes im Vergleich zu Landwirtschaft und Manufakturwesen als gering einschätzte. Es gebe andere Gründe, den Außenhandel kritisch zu beurteilen. So sei Wohlstand, der sich auf Außenhandel gründe, bloß ephemer : »foreign commerce cannot be expected permanently to bring into any country such a rapid accession of wealth as of late years has flowed from it into Great Britain«280. Neben dem Unvermögen des Handels, permanenten Wohlstand zu sichern, sei der Außenhandel darüber hinaus der Abhängigkeit durch andere Länder ausgesetzt. Angesichts der historischen Lage Großbritanniens beschrieb Malthus diese Abhängigkeit von der Einfuhr von Produkten des alltäglichen Gebrauches als Gefahr. 1808 spitzte sich die Versorgungslage der Bevölkerung durch Missernten zu: »Under these circumstances, a sudden check to foreign commerce from violent causes, can hardly fail of being attended with the most distressing consequences; and its liability to checks of this kind, forms with us a sufficient reason against pushing it to an excessive extent, and habitually importing articles of the first necessity which might be raised at home.«281
Malthus betrachtete das Thema der Abhängigkeit im Kontext der Frage der Überbevölkerung in den Industriezentren Westeuropas, denn die Abhängigkeit der nationalen Wirtschaft vom Ausland drückte sich für ihn im eigenen Land in virulenter Weise auch im Kontext der Frage des Bevölkerungswachstums aus. Malthus warnte vor einem zu starken Anstieg der Manufakturen, die zunächst durchaus den Armen halfen, ihre Familien zu ernähren, somit aber die Bevölkerung womöglich zu stark gegenüber den landwirtschaftlichen Ressourcen des Landes anwachsen ließen und ihr Wohl damit von diesen und der Ausfuhr ihrer Erzeugnisse abhängig machten. Es könnte nicht geleugnet werden, dass die Bodenschätze einzelner Länder in einigen Fällen nicht zur Ernährung der Bevölkerung ausreichten und besonders Englands Bevölkerung stieg um 1800 deutlich an, gleichzeitig war eine Verelendung einiger Bevölkerungsteile zu beobachten. Die Abhängigkeit von ausländischen Ressourcen wurde demnach als Gefahr gesehen, deren Lösung im Kontext des eigenen Landes gefunden werden musste. Malthus »Bevölkerungsfalle« oder Theorie der Überbevölkerung, die er zwischen 1798 (An Essay on the Principle of Population) und 1820 (Principles of Economics) entwickelte, geht von der Annahme aus, dass sich die 280 Malthus: Britain Independent of Commerce (wie Anm. 251), 447. 281 Ebd., 447.
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Bevölkerung schneller vergrößere als die Produktion von Nahrungsmitteln maximal gesteigert werden könne. Dies führe dazu, dass der Bevölkerungsüberschuss durch Krankheiten, Elend und Tod reduziert würde.282 Dahinter steht die Vorstellung, die Bevölkerung eines Landes könne sich nur selbst versorgen und sei mit allen dramatischen Folgen, die dies mit sich bringe, auf die eigenen Ressourcen zurückgeworfen. Es stelle sich von selbst nach einiger Zeit stets ein Gleichgewicht zwischen Bevölkerungsgröße und Nahrungsressourcen ein. Ohne dass Malthus in seinen Werken auf die handelspolitische Situation in Europa und ihre Einwirkungen auf die Sozialstruktur der Bevölkerung einging, kann seine Theorie dennoch auf die Konstellation der Blockade bezogen werden, die einen Schlüssel zu deren Verständnis bieten mag. Dieser Bezug wird an dem Dialog Malthus mit Spence deutlich, der über die Edinburgh Review geführt wurde. Auf Thomas Malthus’ Essay on the Principle of Population wurde in den Zeitschriften des frühen 19. Jahrhunderts viel reagiert und auch er selbst meldete sich journalistisch zu Wort. Jean-Baptiste Biot, der den Essay 1809 für den Mercure de France rezensierte, zweifelte am Sinn der mathematischen Herangehensweise an das komplexe Phänomen des Verhältnisses von Bevölkerungswachstum und Nahrungsproduktion, das Malthus auf eine generelle Formel des exponentiellen Wachstums der Bevölkerung und eines linearen Anstiegs der Nahrungsproduktion zurückzuführen versuchte.283 Es finden sich in der europäischen Presse diverse Einwände gegen Malthus Theorie, die kein logisches System bildet und generell als unausgereift gilt. Der Autor reagierte auf einige dieser Einwände selber in der Öffentlichkeit und versuchte, seine Überlegungen zu verteidigen. In einem Artikel in der Edinburgh Review von 1810, der aller Wahrscheinlichkeit nach von Malthus stammt, verweist er darauf, dass eine Erweiterung der Versorgungsfrage über den nationalen Kontext das Problem nur verschiebe. Es sei töricht zu glauben, dass sich im Überfluss der globalen Nahrungsvorräte die Lösung des Versorgungsproblems verberge: »in reference to the peopling of the whole earth, it involves a manifest absurdity«284. Ein Rückgriff auf die Versorgung im globalen Zusammenhang stellte in Malthus Theorie also nur eine Verlagerung des Problems dar. Die Lösung müsse auf nationaler Ebene gesucht werden, im Rückgriff auf die landwirtschaftliche Produktion und in der Vermeidung eines zu starken Anwachsens der industriellen Wirtschaftszweige, die nur scheinbar eine Lebensgrundlage für die 282 Vgl. Hollander, Samuel: The Economics of Thomas Robert Malthus, Toronto [u. a.] 1997, 13–69. 283 Vgl. Biot, [Jean-Baptiste]: Essay sur le principe de population, par T. R. Malthus, In: Mercure de France 4 (1809), 263–271. 284 [Malthus, Thomas Robert?]: Disquisitions on Population. By Robert Acklom, In: Edinburgh Review (Aug. 1810), Art. XI, 464–476, hier 468.
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arme Bevölkerung darstellten und das Wohl und Wehe des Einzelnen an den auswärtigen Handel banden. Bei beiden Autoren finden sich also physiokratische Grundgedanken wieder : die landwirtschaftliche Basis des nationalen Wohlstandes, die Annahme der wertschöpferischen Sterilität von Gewerbe und Handel sowie die Instabilität von Handelsgesellschaften aufgrund der externen Abhängigkeiten und Konkurrenz. 1.3.2 Frankreich und die deutschsprachigen Länder: Akklimatisierung Die Isolationismustheorien trafen auf dem Kontinent unter napoleonischer Herrschaft vielfach auf offene Ohren und regten ganz konkrete Projekte zur Förderung heimischer Produktion an. Der Traum von ökonomischer Selbständigkeit des Nationalstaates wurde ein Schlüsselmotiv des öffentlichen Diskurses. Die Abhängigkeit konsumatorischer Praktiken von ausländischen Importen führte nach 1800 zur Diskussion um die Möglichkeiten der Substitution dieser Einfuhren durch heimischen Anbau. Der Handel mit Kulturpflanzen – vielleicht am besten bekannt im Falle der Kartoffel, die die Nahrungsvielfalt in Europa, aber auch in China und dem Pazifikraum bereicherte – wurde im 18. Jahrhundert durch die Einrichtung botanischer Gärten und die wissenschaftliche Untersuchung ihrer Anbaumethoden systematisiert, getragen von dem Austausch innerhalb von Wissenschaftsnetzwerken in Akademien und über spezialisierte Zeitschriften.285 Aus den Forderungen nach nationaler Autarkie entwickelte sich während der kriegsbedingten Unterbrechungen der gewohnten Handelswege der Ruf nach konkreten Maßnahmen zur Förderung der Produktion im Inland. Wo die wirtschaftliche Autarkie noch nicht gegeben war, sollte daran gearbeitet werden, diese zu erreichen. In Frankreich wurde dieses Credo zum öffentlichkeitswirksamen wissenschaftlichen und staatlich geförderten wirtschaftlichen Projekt: Das europäische Festland sollte durch Zwangsmaßnahmen vom Außenhandel abgeschnitten werden. Dies glich gewissermaßen einem immensen wirtschaftspolitischen Experiment. Die Richtigkeit der isolationistischen Theorien sollte, wenn man so will, in der Realität erprobt werden. Die Förderung der heimischen Produktion bezog sich, anders als in der Forderung von Malthus, aber in gewissem Einklang mit der hochtrabenden Theorie des geschlossenen Handelsstaates, nicht allein auf die Landwirtschaft, sondern ebenso auf das heimische Gewerbe. Die verschiedensten Wissenschaftler und experimentierfreudige Laien widmeten sich der Suche nach Wegen, die radikale Isolation durch neue Anbaumethoden und industrielle Techniken erträglich zu gestalten. 285 Vgl. zum globalen Kulturpflanzenhandel: Ortmayr, Norbert: Kulturpflanzen. Transfers und Ausbreitungsprozesse im 18. Jahrhundert, In: Margarete Grandner ; Andrea Komlosy (Hg.): Vom Weltgeist beseelt. Globalgeschichte 1700–1815, Wien 2004, 73–101. Als Beispiel eines Wissenschaftsaustauschs über international vernetzte Zeitschriften kann besonders das Magasin encyclop8dique gelten.
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Unterstützt wurden sie dabei von einer überregionalen Presse, die die Versuche aktuell und detailliert dokumentierte und ihre Ergebnisse veröffentlichte. Während einzelne Industrien im Windschatten der Blockade gegen britische Warenkonkurrenz prosperierten286, setzte die Sperre großen Teilen des Kontinents und auch der französischen Wirtschaft zu: In der Landwirtschaft kam es punktuell sogar zu Überschüssen und damit zu Preisverfall, dem Napoleon durch gezielte Lizenzvergaben entgegenzuwirken suchte. Hinsichtlich der Landwirtschaft gingen die Unternehmungen in zwei Richtungen. Einerseits ging es um die Kultivierung überseeischer Pflanzen auf den heimischen Böden, andererseits suchte man nach Surrogaten für die Kolonialgüter, an die sich die europäischen Konsumenten gewöhnt hatten. In der Presse regelmäßig auftauchende Übersichten über die Preisfragen der gelehrten Gesellschaften geben die Breite der Bemühungen zur Förderung der heimischen Produktion wieder. Der Wille, die wirtschaftliche Unabhängigkeit zu fördern, drückte sich entsprechend der genannten Unterscheidung in verschiedenen Bereichen aus: Beispiele sind Preisfragen für den Vergleich der verschiedenen Baumwollarten oder für die bestgeeignete Rübensorte zur Zuckerherstellung. Auf dem europäischen Festland wurden derartige Projekte staatlich gefördert. Die Erinnerung an die Erfolgsgeschichte der Kartoffel auf dem europäischen Kontinent seit ihrer Einführung aus Amerika war noch wach und auch die fremde Herkunft anderer Pflanzenarten war den Zeitgenossen bewusst. In der Rezension eines dendrologischen Werkes drückt sich dieses Bewusstsein deutlich aus: Der französische Boden selber habe wenig Bäume oder Sträucher hervorgebracht, die zur damaligen Zeit üblichsten wie Weinstöcke, Oliven-, Pfirsich- und Aprikosenbäume unter anderem wären seit langem aus dem Ausland nach Frankreich eingeführt worden. Besonders aber seit dem 16. Jahrhundert seien die pflanzlichen Reichtümer Frankreichs stark vermehrt und inzwischen in der Folge zahlreicher, staatlich geförderter Reisen die heimischen Gärten durch verschiedenste Pflanzen aus allen Weltgegenden bereichert worden.287 In dem Maße wie die Blockadepolitik auf ihren Höhepunkt zusteuerte, häuften sich in den deutsch- und französischsprachigen Zeitschriften des Kontinents Artikel, die ausführlich über Versuche des Anbaus fremder Nutzpflanzen auf dem europäischen Boden berichteten, sprach doch nichts dagegen, dass auch neuerliche Versuche der Akklimatisierung von Erfolg gekrönt sein würden. Nicht verwunderlich ist, dass dabei die Hauptimportartikel aus den 286 Vgl. Aaslestad: Introduction (wie Anm. 36), 1–22. 287 Biot, [Jean-Baptiste]: Histoire des arbres et arbrisseaux qui peuvent Þtre cultiv8 en pleine terre sur le sol de la France, par M. Desfontaines [Rezension], In: Mercure de France 3 (1809), 3–10, hier 5.
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Kolonien die größte Aufmerksamkeit auf sich zogen. Dies betraf neben den Genussmitteln die Versorgung der wachsenden Bevölkerung mit erschwinglicher Kleidung, welche mit den Möglichkeiten der Textilproduktion zusammenhing. Versuche, außereuropäische Nutztiere auf dem Kontinent heimisch zu machen, zeigten dabei erste Erfolge, wie der Mercure de France 1808 in Bezug auf die Merinozucht in Frankreich berichtete. Doch vielsversprechender schien die Ansiedelung einer anderen Kultur : »Puisse-t-il en Þtre de mÞme un jour de la culture du coton! malgr8 les contrari8t8s d’un printemps tardif et d’un automne assez froid, les essais tent8s laissent subsister une partie des esp8rances que l’on avait conÅues.«288 Baumwolle nahm bei den Bemühungen um die Kultivierung fremder Pflanzen eine vorrangige Stellung ein. Dieser Rohstoff war vor der Kontinentalsperre vorwiegend aus Amerika eingeführt und zum Großteil als verarbeitetes Garn von Großbritannien an das Festland geliefert worden. Die Zeitgenossen maßen dem Baumwollgewerbe eine hohe Bedeutung zu und die Versorgung mit dem notwendigen Rohstoff war daher von großem Interesse begleitet. Der Handel mit dem Mittleren und Fernen Osten konnte die Zufuhr während der Blockade zwar einigermaßen sichern, doch das Französische Kaiserreich förderte im Sinne isolationistischer Wirtschaftstheorie Versuche, Baumwolle im eigenen Land anzubauen. In der Rezension eines Werkes über den Bauwollanbau von Charles Philibert de Lasteyrie heißt es, die wertvollsten Schätze der Eroberungen seien die sich jedes Jahr erneuernden Bodenschätze aus fremden Regionen. Es ging gleichsam um die Förderung nachwachsender Rohstoffe anstelle der Importe von Manufakturwaren oder gar toter Materie wie Edelmetalle aus Übersee. Letztere stellten keine Steigerung des nationalen Wohlstandes dar und so ist der Isolationismus, wie gesehen, eben auch eine Kritik an der Theorie der Handelsbilanz. Das Klima Frankreichs sei, heißt es in der Rezension weiter, ungleich gut geeignet, exotische Pflanzenarten mit Erfolg zu züchten. Dies schien von Wichtigkeit, da Hanf und Flachs nicht länger die Bedürfnisse der Konsumenten träfen: »[N]os relations coloniales nous ont tellement accoutum8s / l’usage du coton, qu’il n’est plus question d’examiner aujourd’hui si nous pouvons nous en passer ou diminuer sa consommation«289. So könnte Baumwolle statt anderer Textilfasern in Frankreich verwendet werden, die Versorgung mit diesem Rohstoff solle künftig aber durch inländische Produktion geleistet werden: »Le physicien et le naturaliste ont peine / concevoir comment elle [la France] a consenti si long-tems / Þtre tributaire du NouveauMonde et de l’Inde pour tant de productions, qu’il est possible, nous dirons 288 Expos8 de la situation de l’Empire, pr8sent8 par S. Exc. le ministre de l’int8rieur [Fortsetzung], In: Mercure de France 4 (1808), 426–431, hier 426. 289 Cadet, C. L.: Du cotonnier et de sa culture, ou Trait8 sur les diverses espHces du Cotonnier, sur la possibilit8 et les moyens d’acclimater cet arbuste en France, par C[harles] Ph[ilibert] de Lasteyrie [Rezension], In: Mercure de France 2 (1808), 272–276, hier 274.
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mÞme facile d’acclimater dans les provinces m8ridionales.«290 Viele Versuche, die begehrten Kolonialpflanzen an das europäische Klima zu gewöhnen, seien bereits erfolgreich gewesen und würden für die Zukunft gar Exportmöglichkeiten versprechen: »La riche culture du tabac s’8tend; celui que l’on recueille dans les environs de Saint-Malk, 8gale en qualit8 les tabacs d’Am8rique. La France pourra, un jour, suivant les apparences, non-seulement tirer de son sol ce genre de production; mais en exporter chez ses voisins.«291 Die Einfuhr von Rohstoffen aus dem Ausland wurde wie in den dargelegten Theorien der Zeit auch in der Presse zunehmend als Gefahr wahrgenommen. Das Bedrohliche lag für die Zeitgenossen in der Erfahrung der Abhängigkeit von handelspolitischen Entscheidungen (potentiell) verfeindeter Staaten. Unabhängigkeit von der Willkür fremder Staaten galt daher als oberstes Gebot: »Or le moyen le plus s0r d’acqu8rir cette ind8pendance est de cultiver en France le coton.«292 Der Krieg zwischen Frankreich und England während der Sperre erschien in dieser Darstellung somit ausschließlich als Handelskrieg, das heißt als Krieg um Handelsvorteile. Der Krieg wurde interpretiert als Krieg um Güter und nicht etwa um Gebiete oder politische Einflusssphären. In der kontinentalen Öffentlichkeit wird mit dieser Sichtweise das Motiv der Landeroberungen Napoleons auf dem Kontinent verschleiert und allein auf die Sicherung von Handelsvorteilen zurückgeführt: »C’est presque uniquement pour des plantes, pour le caf8, l’indigo, le coton, les 8pices, le quinquina, la canne / sucre, que l’on se bat, depuis deux siHcles dans les deux mondes, et ces bienfaits de la nature sont disput8s par les nations des armes / la main.«293 Die Versuche, exotische Pflanzen in heimischer Produktion zu erzeugen, erscheinen daher konsequenterweise als Maßnahmen zur Vermeidung internationaler Kriege und Konflikte. Jean-Baptiste Biot zeigte sich im Mercure de France außerordentlich optimistisch hinsichtlich der Adaption der genannten kolonialen Pflanzen auf heimischem Boden: Selbst den Teestrauch sah er in Zukunft im Süden Frankreichs wachsen.294 Im Mercure wurde die landwirtschaftliche Autarkie Frankreichs zum zentralen wirtschaftspolitischen Ziel und Land und Klima zur möglichen Heimstätte praktisch aller Pflanzen der Welt erklärt. Hierin läge der primordiale Unterschied zwischen Frankreichs Wohlstand und dem Großbritanniens, welches, so wurde es ihm attestiert, seinen Wohlstand allein auf die Börsensteuer aus den Kolonialwaren der Neuen Welt stütze, die es auf dem Festland abzusetzen suchte. Frankreichs Einkünfte basierten dagegen ausschließlich auf der eigenen Produktion. Im Sinne der Autarkiebestrebungen betont der Bedrohungsdiskurs die 290 291 292 293 294
Ebd., 273. Expos8 de la situation de l’Empire (wie Anm. 288), 426. Cadet: Du cotonnier et de sa culture, (wie Anm. 289), 275. Biot: Histoire des arbres et arbrisseaux (wie Anm. 287), 3–10, hier 9. Ebd., 8–9.
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Notwendigkeit von Akklimatisierungsprogrammen. Und falls sich keine Möglichkeiten finden ließen, die Pflanzen in Europa anzusiedeln, könne dies auch bedeuten, auf koloniale Produkte zu verzichten und sie durch heimische zu ersetzen: »Comme le continent, elle [la France] a int8rÞt / repousser les marchandises des deux Indes et / profiter du bienfait de la nature, qui a mis dans l’ancien continent de quoi se passer du nouveau. Aussi les entraves qu’elle a mises au courtage anglais sont telles, que la consommation du sucre, du caf8 et des denr8es coloniales, a, depuis trois ans, diminu8e de moiti8 en Europe. Les d8couvertes qu’elle a faites mettent / mÞme de suppl8er aux production des colonies.«295
Diese wirtschaftliche Autarkie des Kontinents sei viel wirksamer und nachhaltiger als alle politischen Maßnahmen und machten die Dekrete von Mailand und Berlin auf lange Sicht überflüssig. Eine derartige Darstellung 1810 unterschlägt freilich die Folge von Ursache und Wirkung: Denn der Konsum dieser Produkte hatte auf dem Kontinent aufgrund der politischen Maßnahmen abgenommen und nicht weil der europäische Kontinent alle Bedürfnisse der Europäer hinreichend befriedigte. Nichtsdestoweniger drückt sich an dieser Stelle die Übernahme der physiokratischen Idee der Autarkie als »natürlicher Isolation« aus. Die protektionistische Politik, die wie Eli Heckscher richtig vermerkt hat, letztlich merkantilistischen Prinzipien folgte, erschien somit gewissermaßen als Übergangsphase zu einem Stadium, in der das Französische Kaiserreich soweit seine Binnenwirtschaft gestärkt haben würde, dass eine erneute Öffnung der Grenzen keine Gefahr mehr bergen werde.296 Es zeigte sich aber, dass die theoretische Diskussion, die die Isolation während der Kontinentalsperre verteidigte, weniger von »vormerkantilistischen« Theorien beeinflusst war als von physiokratischen Prinzipien. 1.3.3 Frankreich und die deutschsprachige Länder: Substitution und Verzicht Neben den Versuchen der Akklimatisierung hieß die Devise der offiziellen französischen Berichterstattung – und damit auch in den deutschsprachigen besetzen Gebieten – Ersatz und Verzicht. Beide wurden gewissermaßen zu Kampfmitteln in diesem als Handelskrieg geführten Konflikt mit Großbritannien. An Ideen für Ersatzstoffe mangelte es nicht und die Suche nach und Perfektionierung von Produktionsverfahren wurde staatlich unterstützt. Die französisch- und deutschsprachige Presse auf dem Höhepunkt der Blockadepolitik war voll von Beschreibungen neuer Verfahren und möglicher Ersatzstoffe. Besonders die Zuckergewinnung aus Rüben, Trauben oder Ahorn schien dabei 295 Mercure de France 3 (1810), 186–189, hier 187. 296 Vgl. Heckscher : The Continental System (wie Anm. 32).
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erfolgversprechend und wurde in der Presse ausführlich behandelt.297 Die Miszellen etwa beschreiben die Zuckergewinnung aus Rüben als »Nothwendigkeit« nach dem Beschluss Napoleons vom 28. März 1811, »daß binnen drei Jahren der Zuckerbedarf des französischen Volks im Lande selbst erzeugt sein soll«. Dies führe in »Preussen und Frankreich« sowie in »Russland und Deutschland« zu einem »regen Wetteifer«, das geeignetste Mittel zur Zuckerherstellung zu finden.298 Die Rolle der Zeitschriften bestand darin, die Verfahren allgemein bekannt zu machen und so den wissenschaftlichen Fortschritt zu unterstützen oder zu beschleunigen. Die Presse fungierte im frühen 19. Jahrhundert als erste institutionalisierte Plattform des internationalen wissenschaftlichen Austausches. Dies konnte in diesem Kontext die detaillierte Beschreibung von Anbaumethoden bestimmter außereuropäischer Pflanzen betreffen oder aber auch ganz praktische Ratschläge etwa für Alternativen zu Baumwolldochten beinhalten.299 Wo sich kein Ersatz finden ließ, dort wurde zum Verzicht auf das eingeführte Produkt aufgerufen. Dies mochte in Form einer nüchternen Feststellung geschehen, dass etwa heimische Holzarten die ausländischen zunehmend ersetzten und damit also auf die Vielfalt der Holzarten im Tischler- und Kunsthandwerk verzichtet werden musste zum Zwecke der Förderung nationaler Industrie.300 Dort wo durchaus kein Äquivalent in der heimischen Produktion zu finden war, griff man zum Mittel der Diffamierung der fremden Güter als bloße »Luxusartikel« oder gar gesundheitsschädliche Substanzen. In einem vermeintlichen Zitat aus der Morning Chronicle im Mercure de France, in dem den französischen Analysen gleichend die Wirkkraft von Napoleons Blockade betont und eingeräumt wird, dass die Blockadepolitik von den Engländern ausgegangen sei, werden die Handelsverluste als erheblich beschrieben, doch die unteren Klassen der Gesellschaft hätten keine nennenswerten Nachteile und die höheren Klassen müssten nur auf einige Luxusartikel verzichten. Hier greift der Autor also wieder auf die Unterscheidung zwischen notwendigen und Luxusgütern aus der Debatte des 18. Jahrhunderts zurück. An den Verzicht würden die Menschen sich gewöhnen, die Ausgaben für die Kolonialwaren sparen und auf heimische
297 Beispielsweise in einer Nachricht wie dieser : »Der Moniteur vom 22 Febr. enthält ein wichtiges Schreiben des Ministers der Manufakturen und des Handels an die Präfekten der Departemente, worin dieselben aufgefordert werden, daß in denjenigen Departementen, wo noch keine Runkelrübenzuckerfabrik besteht, wenigstens eine errichtet werde […].«; Frankreich, In: Summarien der neuseten Politischen Tagesereignisse. Beilage zu Miscellen für die neueste Weltkunde 6.18 (1812), ohne Paginierung. 298 Vgl. ebd. 299 Vgl. Die Aufmunterungsgesellschaft der Nationalindustrie zu Paris im Jahr 1811, In: Miscellen für die neueste Weltkunde 6.35 (1812), 137–139, hier 138. 300 Vgl. ebd., 137–139.
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Produkte zurückgreifen.301 Beispielsweise könnten die unmäßigen Summen für chinesischen Tee wegfallen, wenn die Franzosen auf den Genuss dieses Getränks verzichteten. Freilich seien alte Gewohnheiten durch ökonomische Argumente schwer zu bekämpfen: »On perd difficilement d’anciennes habitudes, et quoiqu’en France on ait renonc8 / cette anglomanie qui avait accr8dit8 les r8unions appel8s Th8s, beaucoup de personnes auront de la peine / proscrire cette boisson, parce que le th8 vient de loin et qu’il est fort cher«302. Doch gesundheitliche Risiken brächten die Bevölkerung leicht zum Umdenken: »si les m8decins reconnaissent avec M. Cadet que cette plante est plus nuisible qu’utile, ils trouveront bien le moyen de mettre / la mode le botrys ou tout autre v8g8tal salutaire. Cette mode, que tout bon FranÅais doit d8sirer, aurait le double avantage de laisser dans les coffres du commerce des tr8sors qui se perdent dans l’Inde, et de rendre moins fr8quentes les vapeurs de nos jolies femmes.«303
Auch dem Zucker versuchten einige Autoren in der Sorge um den Nationalwohlstand eine schädliche Wirkung nachzuweisen. Jean Antoine Gay schrieb dazu eine Abhandlung unter dem Titel »Dissertation sur les propri8t8s du sucre. Dans laquelle on montre que son usage est nuisible«.304 Im Mercure wurde das Werk besprochen. Der Rezensent Jacques-Barth8l8my Salgues folgt nicht der Auffassung des Autors, dass Zucker schädlich für den Körper sei. Aber auf Zucker könne, so fordert auch er, sehr gut verzichtet werden; das Überflüssige werde allein durch Gewohnheit zum Bedürfnis: »M. Gay a trop prouv8. Il devait se contenter de d8montrer que le sucre n’est point une denr8e de premiHre n8cessit8, et qu’on peut la remplacer ais8ment. Il est de fait que toute l’Europe se portait fort bien avant que les progrHs de notre navigation nous eussent fait conna%tre le sucre. Le miel et les fruits contiennent des sucs aussi doux, aussi salutaires que la canne de l’Inde; et les matiHres qui entrent dans la pr8paration du sucre, telles que l’alun, peuvent quelquefois en alt8rer les qualit8s. […] C’est l’habitude seule qui nous fait regretter cette substance: le superflu devient n8cessaire, quand on a coutume d’en jouir.«305
Wo sich also kein Ersatzstoff finden ließ, sollten die Europäer ihre Gewohnheiten ändern und sich auf die wirklich notwendigen Bedürfnisse besinnen. Eine naiv 301 Vgl. Mercure de France 1 (1811), 187–188. 302 D.: Le Th8, est-il plus nuisible qu’utile?, par C. L. Cadet [Rezension], In: Mercure de France 2 (1808), 373–374. 303 Ebd., 373–374. Wortspiel mit den Teedämpfen: »Vapeurs« war eine Umschreibung für hysterische und hypochondrische Zustände; vgl. Adelon u. a. (Hg.): Dictionnaire de m8decine, Bd. 21, Paris: Bechet jeune 1821–1828. 304 Gay, Jean Antoine : Dissertation sur les propri8t8s du sucre. Dans laquelle on montre que son usage est nuisible, Paris: Mame frHres 1810. 305 Salgues [Jacques-Alexandre?]: Dissertation sur les propri8t8s du sucre, dans laquelle on montre que son usage est nuisible, In: Mercure de France 3 (1810), 139–144, hier 144.
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poetische Abhandlung über den Verlauf der Geschichte, die mit Napoleon die äußere Sicherheit gebracht habe, interpretiert die Einschränkungen positiv : »Wir haben es schon gelernt […], uns unabhängig zu machen von allen Gütern und eitlem Glanz dieser Erde, und immer mehr einzukehren in unser Innerstes […].« Und weiter heißt es: »Allerdings werden wir uns auch an einzelne Entbehrungen gewöhnen müssen, aber ob dieß nicht vielmehr ein Glück, als ein Unglück zu nennen sei, wird die Zukunft entscheiden. Kostbare Stoffe, künstliche Arbeiten, die das Ausland lieferte, werden nach und nach verschwinden; aber der Kunstfleiß unserer Mitbürger wird neue Aufmunterung und Unterstützung erhalten […]. Ob Ost- oder West-Indien uns unser Frühstück unsern Mittagstisch liefern sollen, wird in Zukunft wenig unsere Sorge seyn; wenn aber Sparsamkeit uns, auch von innländischen Erzugnissen, unsere Mahlzeit bereitet, Fröhlichkeit und heiterer Sinn sie würzen, welchen Verlust haben wir zu beklagen?«306
Der Diskurs verfällt hier gleichsam in eine volkserzieherische Kampagne zum Wohle der wirtschaftlichen Unabhängigkeit. Das Publikum wird mit in die Verantwortung gezogen und soll ein Bewusstsein für die Folgen des eigenen Konsumverhaltens entwickeln. Im Rahmen der Debatte um die Abschaffung des Sklavenhandels und der Sklavenarbeit tauchen vergleichbare Appelle auf. Der Zucker erscheint dort durch das tragische Schicksal der Schwarzen als blutgetränktes Produkt. Während im letzteren Fall der Aufruf einem weltbürgerlich humanitären Ziele gilt, so richtet er sich im Rahmen der Kontinentalsperre auf den nationalökonomischen Independentismus. Der öffentlichkeitspolitische Mechanismus ist aber in beiden Fällen derselbe: Die Bürger werden zur Unterstützung politischer Entscheidungen zur Verantwortung gerufen. Während der Frühphase der Kontinentalsperre wird es auf dem Kontinent gleichsam zum patriotischen Akt erklärt, auf die über Großbritannien fließenden Güter zu verzichten: »Es mus Ehrensache der ganzen Nation werden, von den Früchten ihrer eigenen Felder, von den Erzeugnissen ihrer Heerden zu leben; sich mit den Tüchern und Zeugen einheimischen Kunstfleißes zu kleiden, und selbst das, was geringer oder unvollkommner als das Fremde ist, darum vorzüglicher zu achten, weil es vaterländisch ist.«307
Patriotisch wurde der Verzicht auf oder die Substitution von Waren, die aus dem Ausland importiert werden mussten dadurch, dass man sich erhoffte, auf diese Weise das heimische Gewerbe zu stützen. Der Schutz des heimischen Gewerbes war die Hauptrechtfertigung für die Kontinentalsperre: Sie sollte einen Damm 306 Ein Blick in unsere Zukunft, In: Minerva 1 (1811), 474–488, hier 483–484. 307 Mannigfaltigeiten aus der Schweiz, In: Miscellen für die neueste Weltkunde 6.37 (1812), 145–148, hier 145 [Herv. im Original].
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gegen die Flut preiswerterer Manufakturwaren aus Großbritannien bilden. Hatten die neuen Gewerbezweige bis zur Handelssperre die Konkurrenz der britischen Industrie fürchten müssen, so schienen sich durch die Abschottung in einigen Gewerbezweigen allmählich die gewünschten Effekte zu zeigen und zwar nicht nur im französischen Kernland. Seit die Einführung englischer Waren in Russland verboten war, erholten sich dem Mercure zufolge die heimischen Manufakturen und Tuche wurden billiger produziert.308 Auch aus Petersburg heißt es, dass die Importe sehr teuer geworden seien und dies zur Stärkung der heimischen Industrie geführt habe, sodass kein Kapital mehr an England fließe. Zeigten sich viele europäische Journalisten des Festlandes zeitweilig von der Wirksamkeit der Einfuhrsperre als Mittel gegen Großbritanniens »intoleranten Welthandel« überzeugt, so lagen sie mit dieser Analyse nicht gänzlich fehl. Die Forschung zur Kontinentalsperre hat ergeben, dass ihr Scheitern nicht so sehr von der Stärke der britischen Wirtschaft und ihrer Unabhängigkeit vom Festland abhing, sondern als Folge der inkonsequenten Anwendung der Blockade, der Korruption der französischen und alliierten Beamten sowie der Kriege zu sehen ist, in denen die militärischen Kräfte Frankreichs gebunden waren. Solange die Blockade aber konsequent durchgesetzt wurde, was vor allem in den Jahren 1808 bis 1810 der Fall war, ließen sich durchaus Zeichen für eine Verbesserung der kontinentalen Gewerbe in einigen Regionen erkennen.309 1.3.4 Bilder der Isolation: Die Bildpublizistik Es findet sich in der Bildpublizistik selbstredend keine direkte Entsprechung isolationistischer Theorien. In diesem Medium entwickelte sich ein relativ eigenständiger Verarbeitungsprozess der Erfahrungen der Frühphase der Blockade. Und doch lassen sich Bezüge zwischen Bildmotiven und theoretischen Diskursen aufzeigen, die in der Verortung der Bedrohung durch Außenhandelsabhängigkeiten parallelliefen. Die historische Forschung hat Bilder nicht erst seit Kurzem als wertvolle und reichhaltige Quelle entdeckt. Die Bildkunde, die seit über zwanzig Jahren stärker in das Blickfeld der Historiker gerückt ist, konnte dabei auf verschiedene Stränge der Bildinterpretation und -analyse zurückgreifen, um ikonographische Zeugnisse als Geschichtsquelle nutzbar zu machen. Der historiographische Wert von Bildern geht weit über das bloße Zeugnis kultureller ›Realien‹ hinaus und vermag im besten Fall anhand der Einbeziehung von Einzelbildanalyse, serieller Auswertung bestimmter Bildthemen, Funktionsanalyse unter Berücksichtigung 308 Vgl. Nouvelles politiques. Russie, In: Mercure de France 3 (1808), 377. 309 Spaulding, Robert Mark: Rine River Commerce and the Continental System. In: Aaslestad; Joor (Hg.): Revisiting Napoleon’s Continental System (wie Anm. 36), 114–132.
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der Produktions- und Distributionsbedingungen oder einem semiotischen Ansatz einen sozial- und mentalitätsgeschichtlichen Wandel über lange Zeiträume detailliert herausarbeiten. Die Bildanalyse erlaubt Einblicke in das Verständnis von Wahrnehmungsmustern und Repräsentationsmechanismen innerhalb eines vergangen Kommunikationsprozesses, an dem Bilder nicht erst seit der Frühen Neuzeit ihren festen Anteil hatten. Bilder sind nicht nur »Abbildungen« vergangener Realitäten, sondern artikulieren ein bestimmtes Bewusstsein ebenso wie sie an der Seite von textuellen Medien an der Meinungsbildung teilhaben. Ein Blick auf die ikonographischen Beiträge zu den Debattenfeldern von Isolationismus, Seehandelsrecht und Doux commerce, die in den Kapiteln 1, 2 und 3 dieses Teils behandelt werden, ist aus diesen Gründen unumgänglich und gerade für die Analyse der Bewusstseinsveränderungen bzw. der mentalen Verarbeitung der Kontinentalsperre ausgesprochen lohnend, denn immer noch gilt die Forderung Heike Talkenbergers aus den frühen 1990er Jahren, dass Bildquellen mehr Gewicht einzuräumen sei, da sie »sich mit der Phantasieproduktion einer Gesellschaft befassen, mit dem Ringen um Bedeutung und der Bildung von Bewusstsein«.310 Im Kontrast zum vollständigen Fehlen ikonographischer Ausstattung in den in dieser Arbeit behandelten Streitschriften und dem auffälligen Rückgang graphischer Motive in den Zeitschriften über den Untersuchungszeitraum hinweg,311 hat das Thema der Wirtschaftsisolation, der Seehandelskonkurrenz und des Freihandels in Frankreich und Großbritannien eine große Anzahl bildlicher Darstellungen als eigenständige Publikationen hervorgerufen. Diese Bildbeiträge waren fast ausnahmslos satirischer Art. Während etwa zu bestimmten Schlachten oder den festlichen Einzügen Napoleons in den eroberten Gebieten in Frankreich eine Vielzahl von Ereignisbildern im Umlauf waren, wurde die Kontinentalsperre bildlich nicht affirmativ als Ereignis gezeichnet und verbreitet. Das Thema des Handelskrieges bot sich vielmehr für karikierende Überzeichnungen an. Damit verbunden war, dass die »Bilderschlacht« praktisch ausschließlich zwischen Frankreich und Großbritannien stattfand. Für den Karikaturenmarkt in Deutschland gab erst der Sturz Napoleons den 310 Talkenberger, Heike: Von der Illustration zur Interpretation. Das Bild als Historische Quelle, In: Zeitschrift für historische Forschung 3 (1994), 289–313, hier 313. 311 Dieser Rückgang ist in allen untersuchten Zeitschriften zu beobachten, so sie denn überhaupt je Bilder aufnahmen, und zwar trotz der anfänglich oft gemachten Ankündigungen von Portraits berühmter Persönlichkeiten. In den Miszellen beispielsweise fällt angesichts des ausgefeilten Titelseitenkopfes in jeder Nummer das Fehlen anderer Illustrationen auf. In den ersten Jahren wurden noch einige Karten oder Portraits berühmter Personen gedruckt, doch das Projekt, die Zeitschrift regelmäßig mit Stichen zu bereichern, wurde bald aufgebeben. Als Begründung dafür wurden meist die hohen Kosten für die Illustrationen angeführt, die die zunehmend als betriebliche Unternehmen fungierenden Zeitschriftenprojekte ökonomisch zu sehr belasteten.
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eigentlichen Startschuss und stilistisch wie motivisch entfaltete sich die deutsche satirische Bildpublizistik erst richtig im Vormärz und der Revolution von 1848.312 Im Falle von satirischen Bildzeugnissen ist offensichtlich, dass sie keine vergangene Realität abbilden, sondern einen Kommentar historischer Ereignisse und Zustände darstellen und somit in besonderer Weise Wahrnehmungsund Bewertungsstrukturen offenlegen. Da sie meist als anonyme Einblattdrucke – seltener als Serien – vertrieben wurden, gestaltet sich ihre Verortung in einen Entstehungs- und Verbreitungskontext schwierig. Generell lässt sich zeigen, dass es für Karikaturen in der napoleonischen Zeit in Europa einen breiten Markt gab: Sie zirkulierten in Freundeskreisen oder Lesekabinetten und fanden in Schaufenstern von Buchhandlungen ein Publikum. Man druckte sie nach, übernahm Motive aus ausländischen Karikaturen, besprach diese in Zeitschriften, übersetzte sie oder vertrieb die eigenen im Ausland. Besonders englische Graphiken wurden in Deutschland häufig kopiert und bis zur Kontinentalsperre auch offiziell vertrieben.313 Die Karikaturisten, welche sich identifizieren lassen, stammten alle aus Kupferstecher- und Buchhändlerfamilien oder dem niederen Beamtenmilieu, wobei in Großbritannien einige Karikaturisten bereits professionell arbeiten, das heißt von ihren Bildpublikationen leben konnten, während auf dem Kontinent das satirische Handwerk vorerst eine Nebenbeschäftigung blieb. Zur Thematik des Welthandels überwogen deutlich die Prozesskarikaturen, die anhand personaler Typenbildung oder Individualkarikaturen auf bestimmte Zustände hinwiesen oder erwünschte oder gefürchtete Entwicklungen aufzeigten. Die britischen Karikaturen waren häufiger von Ereignissen inspiriert und zogen ihren Stoff vielfach aus den aktuellen Parlamentsdebatten, dennoch weisen auch sie oft auf historische Prozesse hin. Den britischen Karikaturisten, die ausgehend von ihren beiden Leitfiguren James Gillray und Isaac Cruikshank 312 Vgl. zur Entwicklung der deutschen Karikatur im und nach dem Zeitalter Napoleons: Scheffler, Ernst; Scheffler, Sabine; Unverfehrt, Gerd (Hg.): So zerstieben getraeumte Weltreiche. Napoleon I. in der deutschen Karikatur, Stuttgart 1995. Die Autoren verweisen zu Recht darauf, dass der Vergleich deutscher mit englischen Karikaturen die politische und rechtliche Situation beider Länder berücksichtigen müsse. Deutsche Karikaturen werden üblicherweise an den englischen gemessen und meist als »künstlerisch minderwertig« und »politisch geistlos« abgetan. Diese Beurteilung übersieht die unterschiedlichen Bedingungen der Künstler in den Ländern, da in Großbritannien Pressefreiheit herrschte, während sich eine solche Karikaturentradition in Deutschland nicht entwickeln konnte; vgl. ebd., 15. Für eine Perspektive auf die Karikatur im Europa um 1848 vgl. den Sammelband: Fischer, Hubertus; Vassen, Florian (Hg.): Europäische Karikaturen im Vor- und Nachmärz, Bielefeld 2006. 313 Vgl. Scheffler, Ernst; Scheffler, Sabine: Deutsche Karikaturen gegen Napoleon I. Oder Wahre Abbildung des Eroberers, In: dies.; Unverfehrt (Hg.): So zerstieben getraeumte Weltreiche (wie Anm. 312), 10–23.
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einen ganz eigenen Stil entwickelten, visualisierten ihre Kritik gegenüber Frankreich beinahe ausschließlich als Individualkarikaturen Napoleons mit stark überzeichneten und verzerrten Zügen und Proportionen. Er erschien meist als kleiner hagerer Mann in Uniform mit einem überdimensionierten Zweispitz und Säbel und wurde stets in Abwandlung seines bürgerlichen Nachamens »Boney« genannt, wie auch die britischen Zeitschriften beinahe ausschließlich Bonaparte und nicht seinen Kaisernamen Napoleon verwendeten. Großbritannien wurde als John Bull personifiziert, der jedoch verschiede Kostüme und Attribute erhalten konnte. In den französischen Karikaturen erschien die Figur des John Bull dagegen selten; als Repräsentation Großbritanniens wurde, neben der gelegentlich erscheinenden Britannia, fast immer König George III. gewählt, der in seiner typisierten Darstellung im roten Generalsmantel für das Publikum unschwer identifizierbar war. Der Meinungskampf zwischen den Großmächten setzte natürlich nicht erst mit dem Blockadezustand ein. Bild-Text-Kompositionen waren um 1800 ein beliebtes Mittel der Meinungsbildung, dessen sich sowohl die Regierungen selbst als auch die Kritiker bestimmter politischer und sozialer Verhältnisse bedienten. Die Motivgestaltung des Handelskonfliktes zwischen Großbritannien und Frankreich war somit von einem ikonographischen Typenbildungsprozess vorgeprägt, in dem sich – allein schon zum Zweck der Wiedererkennung – bestimmte Konventionen etabliert hatten. Die Entstehungsgeschichte dieser Motivgestaltung soll hier nicht im Einzelnen beleuchtet werden, sondern beispielhaft nur eine französische Karikatur aus dem Jahre 1802 herausgegriffen werden, die die Wahrnehmung der Gefahr des britischen Handels in einem komplexen Ensemble repräsentiert. Das in Mezzotinto-Technik verfertigte »Cabinet de St. James Traiteur, ou Le Banquet Anglais«314 (Abb. 4) stellt den britischen Überfluss an Kolonial- und Manufakturwaren dem Mangel an Grundnahrungsmitteln gegenüber. Der Betrachter blickt auf ein Hafenkai, vor dem die »aus den vier Weltteilen ohne Lebensmittel zurückkommende Flotte« liegt. Rechts im Bild ist der Eingang des St. James’s Palace als Kaufmannsladen zu erkennen. Umringt von seinen Ministern steht der »Händler« George III. breitbeinig in der Tür. Einer seiner Minister hält an einer angelartigen Stange (»Zauberstab«) ein paar alte Kartoffeln und ein Mischbrot auf den Platz vor dem Palast. Der Premierminister Henry Addington drückt mit einer Hand die Stange zurück, mit der anderen hält er einen »Kreditschein über 28 Millionen«, die die britischen Staatsschulden bedeuten.315 Der Verkäufer habe gewechselt (Addington war 1801 William Pitt im Amt nachge314 Collection de Vinck 7535. 315 Das Erscheinungsbild Addingtons war dem Zeichner offenbar nicht bekannt und so gleicht die Darstellung einer der vielen Karikaturen Pitts.
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Abb. 4: [Anonym] Le Cabinet de Saint James Traiteur, ou Le Banquet Anglais, Mezzotinto, 20,2 x 32 cm, [o. O. u. o. J.], Collection de Vinck 7535, BnF Estampes, Reserve QB- 370 (55) -FT 4.
folgt), doch der Warenbestand bleibe derselbe, heißt es auf einem Wandanschlag des Palastes. Auf dem Platz stehen abgemagerte »Bankiers, Kaufleute, Fabrikanten, Lieferanten« und andere. Sie recken sich nach den Lebensmitteln an der Angel, was ihnen schwer fällt, da sie voll beladen sind mit Paketen an Kolonialwaren (Baumwolle, Indigo, Zimt etc.) und zudem noch dem »Bediensteten des Händlers« ein Trinkgeld geben müssen, das wichtiger sei als ein Abendessen. Im Bildvordergrund liegen zwei der Bürger am Boden, niedergedrückt durch die Last der »Produkte der englischen Besitzungen« und »englischer Fabrikwaren«; um sie herum sieht man Zuckerhüte und andere Warenbündel. Einer ruft: »Weniger Zucker, mehr Weizen« und der andere: »Könnte ich nur Brot herstellen«. In der rechten Bildecke liegen weitere geschnürte Pakete mit der Aufschrift »Piraterie« und »Beute von Tipu Sahib«. Tipu Sahib (Tipu Sultan) war Herrscher des MysoreStaates auf der indischen Halbinsel, der 1799 von den Briten eingenommen und dessen Hauptstadt Shrirangapattana zerstört worden war.316 Am Boden liegen ein Federschmuck amerikanischer Ureinwohner und ein indischer Spitzhut neben einem gebrochenen Halbmond-Zepter. Der König tritt mit einem Fuß auf die »Emanzipation der Katholiken in Irland« und eine Schriftrolle zu Füßen der
316 Erinnert sei an die Tragödie zum Thema vom Ptienne de Jouy ; vgl.Kapitel II.3.2.
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Minister kündet von »Krieg, immer nur Krieg«. Auf der gegenüberliegenden linken unteren Bildecke häufen sich als Säcke die britischen Staatsschulden von 1801 auf. Die Bildlegende besteht unter anderem aus einer verballhornten Henriade, in der das Wohlergehen des britischen Volkes im spöttischen Kontrast zum Bildgeschehen besungen wird.317 Dieses Bild der britischen Fehlwirtschaft, die Staatsschulden anhäuft und ihre eigene Bevölkerung mit Kolonial- und Manufakturwaren ernähren will, ohne genügend Lebensmittel im eigenen Land anzubauen, steht in einem Wahrnehmungskontext, dessen Motive im (ikonographischen) Diskurs der folgenden Jahre immer wieder auftauchen werden. Die Karikatur wurde hier auch deshalb so ausführlich beschrieben, weil sich darin die Kritik am britischen, auf Gewerbe statt Landwirtschaft gestützten Wirtschaftsmodell, wie sie sich späterhin unter anderen in Schriften von Spence und in der Kontinentalpresse findet, in einen komplexen ikonographischen Kommentar umgesetzt findet. Ähnliche Hinweise auf die vermeintlich apokalyptische Situation der britischen Wirtschaft sowie der Staaten, die sich der Kontinentalsperre verweigerten, finden sich etwa in der Radierung »Une scHne de d8luge survenue dans le nord en 1806!!!«318, in der der subsekutive Fall der europäischen Mächte vor der napoleonischen Macht im Bild der Sintflut festgehalten wird. Der Kurfürst von Hessen-Kassel ist bereits darin versunken; König und Königin von Preußen können sich nur noch mithilfe des russischen Zaren, an den sie sich klammern, retten, welcher aber selbst den Halt an einem Baum am rettenden Ufer zu verlieren droht, mitgezogen durch das Gewicht Preußens. Kurfürst Wilhelm I. hatte sich geweigert dem Rheinbund beizutreten, woraufhin Napoleon das Fürstentum besetzen ließ. Russland vermochte sich bis 1807 gegen einen Beitritt zum Kontinentalsystem zu wehren. Aus dem Meer ragt im Hintergrund ein Fels hervor, auf den John Bull sich gerettet hat, seine »Kolonialwarenlager« und »Basin-Stoff-Fabriken« aber in den Fluten untergehen sieht. »Meine Lager, meine Fabriken sind verloren«, ruft er, »Verdammt, ich werde vor Hunger und Elend sterben«. Die Karikatur vermittelt also: Wenn erst die Fluten der napoleonischen Macht alle Herrscher auf dem Kontinent eingeholt habe, werde auch die britische Wirtschaft nicht mehr vor diesen sicher sein. Russlands lange Weigerung taucht im Jahr 1807 in verschiedener Form auf französischen Druckgraphiken auf. Der kolorierte Stich »Georges, 8dent8«319 karikiert den britischen König fett und unförmig am Boden sitzend. Seine 317 »Ne blamez rien en Angleterre./ Louez tout jusqu’au Pommes de Terre./ Ses peuples r8gorgent d’Ecus./ Ni plus ni moins que des cr8sus;/ Pour les gagner bravant les Ondes, Il [ sic!] vont chercher de nouveaux Mondes;/ Ils iroint au Diable d’Enfer,/ s’ils y pouvoient aller par Mer.«. 318 Collection de Vinck 8253. 319 BM 1868,0808.7610.
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Hände und Füße sind mit dem »Blocus continental« gefesselt. Ein französischer Grenadier stützt sich mit einem Knie auf den Arm des Königs und ist dabei, mit einer Zange einen seiner zwei verbleibenden Zähne zu ziehen. Dem König sind bereits vier Zähne gezogen worden: Neapel, Österreich, Preußen und Russland; letzterer sei aber noch nicht bei der Wurzel gepackt, bemerkt Napoleon. George III. fleht: »Lasst mir wenigstens einen. Sie sind mir teuer!«. Erst wenn ihm alle Zähne gezogen seien, so die Bildunterschrift, könne er nicht mehr beißen. Dieser Krieg müsse der letzte sein und alle seine Verursacher sollten hart bestraft werden. Die Handelspartner auf dem Kontinent tauchen in der Karikatur als Reißzähne des Britischen Reiches auf, die Unterbrechung dieser Verbindungen mit den kontinentalen Staaten, das Kappen des Zugriffs (als ›Zubiss‹) macht den Gegner für Frankreich harmlos. Wenn erst, so die Botschaft, auch Russland gänzlich in die Reihen des Kontinentalsystems eingetreten sei, würden die Briten die Schlagkraft dieser Waffe des Handelskrieges wirklich zu spüren bekommen. Die Notwendigkeit der Vereinigung der Kontinentalstaaten unter dem Banner Napoleons ist in vielen französischen Karikaturen zentrales Motiv. Im »Epouventail Anglais«320 stehen die weiblichen Allegorien der »Kontinentalmächte« schwesterlich vereint im Bildhintergrund auf dem Festland. Vor ihnen fährt ein Engländer in dem Boot »Englische Regierung« voller Warensäcke im Meer und bietet ihnen seine Güter feil. Im Vordergrund hängt eine Vogelscheuche, Großbritannien personifizierend, im zerschlissenen Kostüm auf drei Stelzen, vollbehängt mit Waren aller Art. Die Prozesskarikatur ist voller Anspielungen auf die gewaltsame Unterdrückung der Welt durch Großbritannien: Zu Füßen der Vogelscheuche werden die Gänse Irlands vom »Unions«-Knüppel niedergedrückt und die graphische Parallelsetzung des »Amerikanischen Kontinents« und »Seringapatham«, »Malta« und »St. Helena« in vier gleichen Inseln stellt eine diskursive Verbindung zwischen der Niederschlagung des Mysore-Staates, der Besetzung Maltas und den britischen Handelansprüchen auf Amerika her. Aus der altmodischen Perücke der Vogelscheuche sticht ein Schild mit der Aufschrift »Milord Blocus« hervor, das erklärt, warum sie trotz der vielen Waren verlumpt erscheint. Auf einer weiteren Insel im Hintergrund sitzt ein Adler, den man hier als Freiheitsvogel interpretieren kann. Dank der Blockade fliegen auch den anderen Inseln Vögel zu und selbst in Großbritanniens Haarpracht haben sich bereits kleine Vögel eingenistet. Die unterstellte Folge der Blockade ist also nicht nur die Befreiung des Kontinents, sondern auch die anderer Weltteile und letztlich selbst die der Briten. Neben den Karikaturen, die explizit die Situation der Kontinentalsperre thematisierten, finden sich in vielen satirischen Bildern zu den Kriegen auf dem europäischen Kontinent oder den Eroberungen Napoleons Anspielungen auf 320 Collection de Vinck 8280.
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den Handelskrieg. Nach der Schlacht bei Jena zirkulierte eine französische Typenkarikatur, die die Niederlage Preußens in eine nationalökonomische Fehlkalkulation ummünzt. In »Les remords du Prussien«321 grämt sich ein »preußischer Rekrut« auf einer Kanone sitzend, ein Bein auf einem Warensack, aus dem Kartoffeln purzeln und der mit »Produkten aus England« bezeichnet ist. Ein französischer Soldat nimmt ihm das Banner »Preußisches Königreich« ab, wie als Übergabe eines Staffelstabs. Über dem Preußen schwebt ein fledermausartiges Geschöpf mit Krallenfüßen und symbolisiert hier wohl die »Reue«, sich für die offensichtlich wertlosen Waren aus Großbritannien an ein verlorenes Land verkauft zu haben. Der unsicherste Alliierte im napoleonischen Kontinentalsystem war, wie oben bereits gesehen, Russland, weshalb die britische Presse ihrerseits diese Brüche in der angeblichen Einigkeit gerne aufnahm. »The new method of bear baiting«322 stellt den russischen Bären an einen dicken Pfahl gefesselt und links von Taleyrand und rechts von Napoleon im Zaum gehalten dar. Von beiden Bildseiten geifern Hunde den Bären an, die gerade noch zurückgehalten werden von ihren ebenfalls wütenden Herren. Die Halsbänder der Hunde tragen die Namen baltischer Produkte: »Tannenholz«, »Hanf«, »Pelz«, »Talg«, »Teer« und »Eisen«. Die Männer drohen, bevor sie Hungers sterben, könnten sie genauso gut für ihr Brot kämpfen, da ihre Warenhäuser geschlossen und der Export verboten sei, solange der Bär von Napoleon festgesetzt sei. Napoleon spekuliert dagegen darauf, dass sie ihn zu Tode ängstigen werden, damit er einen neuen Zar einsetzen könne. Auch die beidseitige Blockadegesetzgebung wurde von der britischen Presse karikiert. Auf der Gravur »Blockade Against Blockade or John Bull a Match for Boney«323 (Abb. 5) vom November 1807 stehen sich im schrägen Winkel zwei mannshohe »Blockademauern« gegenüber. An der einen hängt ein Anschlag mit der Aufschrift »Boney in a State of Blockade – Gazette«, an der anderen »John Bull in a State of Blockade – Moniteur«. Hinter der linken steht John Bull vor einem reich gedeckten Tisch mit riesigem Roastbeef und lugt durch ein Loch in der Mauer auf Napoleon, der auf seinem Schemel vor einer »mageren Suppe« sitzt. Die Personifizierung Großbritanniens ruft Napoleon zu, es werde sich schon zeigen, wer die Blockade länger aushalte; er wette, Napoleon möchte bald seine Suppe gegen einen britischen Braten eintauschen. Napoleon sagt: »Wer hätte ahnen können, dass er auch eine Mauer baut«, besser hätte er ihn in Ruhe gelassen, denn seine Suppe schmecke ihm irgendwie nicht. Die Folgen der Verweigerung des Exports auf dem Kontinent und die Versuche der ausschließlichen Heimproduktion wurden in der britischen Bildpublizistik auf 321 Collection de Vinck, 8248. 322 BM 1868,0808.7609. 323 BM 1868,0808.7603.
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vielfältige Weise satirisch umgesetzt und nicht zuletzt die Bemühungen um die Herstellung von Rübenzucker boten eine Angriffsfläche der Kritik. So etwa in einer Karikatur, in der Napoleon eine Rübe in eine Kaffeetasse ausdrückt, während der König von Rom an einer Rübe lutscht und von seiner Amme gesagt bekommt: »Suck, dear suck, your father says it is sugar«.324
Abb. 5: Charles Williams, Blockade Against Blockade or John Bull a Match for Boney, kolorierte Radierung, 24,8 x 34,7 cm, London: Tegg 1807, BM Satires 10773, BM 1868,0808.7603.
Während der ersten Phase der Kontinentalsperre kristallisierte sich in der Bildpublizistik somit eine klare Opposition heraus, die die wirtschaftliche Lage des Gegners jeweils in den düstersten Farben malte und die eigene überlegene Stellung diskursiv mit der Politik der Abschottung verband. Diese ikonographische Zuschreibung der negativen Aspekte der Blockadepolitik einseitig auf die gegnerische Konfliktseite mochte somit ein imaginäres Futter für die Akzeptanz isolationistischer Forderungen bilden.
324 Karikatur beschrieben im Annual Register 54 (1813), 31.
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Zusammenfassung
Der zu Beginn dieses Teils dargelegte Bezugshorizont der globalen Distribution natürlicher Rohstoffe wurde in der Presse der Frühphase der Kontinentalsperre vor dem Hintergrund der instabilen außenpolitischen Lage deutlich negativ bewertet. Es wurden Fragen der Abhängigkeit der nationalen Wirtschaft vom Außenhandel, insbesondere von den Einfuhren aus den außereuropäischen Kolonien, aber auch aus Asien verhandelt, die zum Großteil über Großbritannien den Kontinent erreichten. Die Untersuchung der Pressedebatte zur ökonomischen Dependenz hat gezeigt, dass es einen Aufwind für prominente Theorien zur wirtschaftlichen Autarkie gab, in denen die Abhängigkeit als Bedrohung und die Abschottung der Wirtschaft als Ziel formuliert wurde. In der Tradition physiokratischer Schriften wurde Außenhandel insgesamt als instabil und dem nationalen Wohlstand nicht förderlich wahrgenommen. Vor dem Hintergrund der historischen Erfahrung, dass politische Entscheidungen verfeindeter Mächte Importströme oder Absatzmärkte abschneiden konnten, gingen die publizistischen Texte noch einen Schritt weiter, indem sie den Außenhandel generell als Gefährdung des Nationalwohlstandes ansahen. Sofern die Abhängigkeit als Gefahr betrachtet wurde, mochten die Bemühungen um wirtschaftliche Autarkie als Problemlösung gelten. Die zahlreichen Versuche auf dem Kontinent, für koloniale Produkte gleichwertige Substitute zu finden, die in der Presse detailliert zur Sprache kamen, zeugen davon. Aus diesen Beobachtungen wurden allgemeine Schlüsse auf das Funktionieren einer Volkswirtschaft gezogen. Hinter den genannten Bemühungen, die Isolationspolitik zu verteidigen und das Leben der Bevölkerung dennoch erträglich und in manchen Bereichen dem bekannten Wohlstand ähnlich zu gestalten, stand die Annahme, dass Interdependenzen mit dem Ausland insgesamt schädlich seien. Besonders die Importe aus den außereuropäischen Gegenden (»Les deux Indes«, »West- und Ostindien« etc.) fielen der Diffamierung anheim. Mit umgekehrten Vorzeichen verläuft der Diskurs über Großbritanniens Wirtschaft parallel dazu. Nicht die Entfernung zu den Produktionsstandorten in den Kolonien oder überseeischen Staaten stellt eine Gefahr für die eigene Wirtschaft dar, sondern der mangelnde Einfluss auf die politischen Entscheidungen der Regierungen derjenigen Staaten, in denen sich die wichtigsten Absatzmärkte befinden. Aus dieser Annahme der strukturellen Labilität externer Wirtschaftsbeziehungen ergab sich in der Öffentlichkeit aller drei Sprachräume die Behauptung bzw. das Streben nach ökonomischer Autonomie, auch wenn, trotz der Forderungen so prominenter Autoren wie Malthus und Spence und in der Presse,325 die Suche nach Surrogaten und Akklimatisierung in Großbritan325 Vgl. Oddy : European Commerce (wie Anm. 2), 621–622.
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nien sich nicht in gleicher Weise etablierte und auch nicht staatlich gefördert wurde. Die Bildpublizistik drückt in anschaulicher Weise den Grundtenor dieser frühen Jahre der Kontinentalsperre aus, in denen die Blockadepolitik in der Öffentlichkeit ausschließlich für den Kriegsgegner als wirtschaftspolitische Katastrophe imaginiert, während der eigenen Wirtschaft zumindest auf lange Sicht durch die Abschottung eine Stärkung attestiert wurde. Dieser Diskurs begreift die Gefahr der Abhängigkeit als strukturelles Problem, was sich daran zeigt, dass die historische Konfliktsituation verallgemeinert wird: Die Erfahrung der Nachteile wirtschaftlicher Abhängigkeit von ausländischen Regierungen in Kriegszeiten wird generalisiert und auf jeglichen Handel mit dem Ausland übertragen. Es findet ein Transfer der Bedrohungsrhetorik von der konkreten Kriegskonstellation auf Außenhandelstätigkeit allgemein statt. Das zweite Argument der Debatte während der Frühphase der Kontinentalsperre war beiderseits des Ärmelkanals die Behauptung, dass internationale Wirtschaftsabhängigkeit zu Konflikten mit dem Ausland führe und die Ausschaltung der Konkurrenzsituation auf internationalen Märkten durch den ausschließlichen Rückgriff auf nationale Ressourcen im Umkehrschluss zu friedlicher Koexistenz der Staaten führen mochte. In der Isolation wurde demnach die Garantie weltweiten Friedens gesehen. Auffällig ist, dass in der Argumentation die Distanzen zwischen Produktionsund Konsumptionsort in keiner Weise zum Tragen kommen. Anders als bei der Frage der kolonialen Dominanz der Europäer in überseeischen Territorien, bei der die geographische Entfernung ein gewichtiges Argument in der Debatte um politische Machtansprüche in Übersee einnimmt, scheinen die zurückgelegten Strecken der Warenkreisläufe und die Distanz zu und damit der Einfluss auf die Produktionsstätten als solche nicht ins Gewicht zu fallen. Die Einschätzung des Bedrohungspotenzials verläuft nicht entlang geographischer Bedingungen oder technisch machbarer Kommunikationsmöglichkeiten, sondern folgt allein der Logik politischer Gefahreneinschätzung. Die globale Distribution der Rohstoffe selber stellt nicht das Gefahrenpotenzial dar, sondern die mangelnde politische Garantie, sich diese zuverlässig und auf Dauer zu sichern. In diesem Punkt unterscheidet sich der Diskurs im frühen 19. Jahrhundert deutlich von der Theorie der Physiokraten, für die die Distanz und die damit verbundenen Kosten für den Transport ein gewichtiges Argument gegen den Außenhandel dargestellt hatten. Es lässt sich festhalten, dass die Erfahrung des britisch-französischen Handelskrieges während der globalwirtschaftlichen Integrationsphase um 1800 in den ersten Jahren des 19. Jahrhunderts zu einem Abhängigkeitsbewusstsein in der publizistischen Öffentlichkeit in Europa führte. Dabei wurde das zerstöre-
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Kontinentalsperre und Welthandel. Debatten um globale Märkte
rische Potential der globalen Interdependenz in den Vordergrund gestellt und in der Isolation die Garantie für Wohlstand und Frieden gesucht.
Kapitel 2: Seehandelsrecht 2.
»Rom und Karthago«. Die Debatte um Seehandelsfreiheit und Seevölkerrecht Le trident de Neptune est le sceptre du monde.326
2.1
Einleitung
Selbst Kritiker der These einer frühen ökonomischen Globalisierung wie Peter Emmer kommen zu dem Schluss, dass sich die Vernetzung der Welt bereits in der Frühen Neuzeit herausbildete: »[T]he ›Atlantic System‹ was not about the beginnings of a global economy, but about values and norms, such as the existence and protection of private property […].«327 Die Herausbildung dieser sozialen Werte und Normen in einem über den intellektuellen Elitendiskurs hinausgehenden Verständigungshorizont liegt freilich außerhalb von Emmers Untersuchungsinteresse. Auch in den richtungsweisenden Studien der Globalgeschichte gehen die bewusstseinsbildenden Prozesse globaler Wahrnehmung über Andeutungen kaum hinaus. Ihre Bedeutung wird von führenden Vertretern des Faches zwar immer wieder hervorgehoben: »The era stretching from the middle of the eighteenth century to the turn of the nineteenth, then, saw an increasing sensitivity to the pervasiveness of global interconnections.«328 Doch eignen sich die großen Entwürfe, die die Globalgeschichtsschreibung in ihren Überblicksdarstellungen hervorgebracht hat, nicht zur Erfassung der öffentlichen Debatten um die drängenden Fragen der Zeitgenossen, welche nach globalen Lösungen riefen, die nur im internationalen Zusammenspiel Erfolg versprachen. Ideentransfers, wie sie für das Zeitalter der Revolutionen rund um den Atlantik von offensichtlicher Relevanz waren, sind inzwischen detailliert nachgezeichnet worden. Doch stellten die Globalisierungsprozesse der Zeit um 1800 die Zeitgenossen vor weit mehr Herausforderungen, als die Zuspitzung auf politische Debatten um soziale Freiheiten, politische Partizipation und rechtliche Gleich326 Vers des Dichters Antoine-Marin Lemierre, der ausgesprochen weite Berühmtheit erlangte und in der Revue encyclop8dique zitiert wird: Revue encyclop8dique, 14.42 (Jun. 1822), 527. 327 Emmer : The Myth of Early Globalization (wie Anm. 207), 45. 328 Bell: Dissolving Distance (wie Anm. 22), 527. Als eines der umfänglichen Standartwerke, in denen die Wahrnehmung der Globalisierungsprozesse zumindest angesprochen wird vgl. Bayly : Die Geburt der modernen Welt (wie Anm. 29).
Seehandelsrecht
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heit vermuten lässt. Das Potential dieser zeitgenössischen Diskussionen für eine Ideengeschichte der Wirtschaft ist nicht zu unterschätzen. Um Debatten um die brennenden Probleme globaler Prozesse und die Veränderungen in den Diskursen zu erfassen und damit den Umbruch in der Wirtschaftstheorie und ihren Bezug zu den ereignishistorischen Vorgängen besser verstehen zu können, muss man sich auf die Ebene der Alltagspublizistik und Streitschriften begeben, deren Widerhall in der Ideenschichte der Globalisierung bis heute weitgehend inexistent ist. Eine der Herausforderungen, denen sich die Zeitgenossen gegenübersahen, stellten die geeigneten Rahmenbedingungen für den internationalen Seehandel verschiedener Staaten dar, deren Koexistenz auf den Weltmeeren seit Ende des 18. Jahrhunderts aufgrund des Anstiegs der Handelsschifffahrt einerseits und der zunehmenden Verdrängung neutraler Schiffe durch Kriege und die Dominanz der britischen Flotte andererseits infrage gestellt wurde. Die ›Totalität‹ des auf das private Leben der Bevölkerung ausgreifenden Handelskrieges gaben diesem eine neue völkerrechtliche Qualität.329 Von Claire Cutler ist in ihrer Studie zum Verhältnis von privaten und öffentlichen Rechtsinstanzen auf das transnationale Handelsrecht als Austragungsfeld eminenter Globalisierungskonflikte verwiesen worden. Sie begreift und problematisiert die historische Entwicklung des internationalen Handelsrechts als einen dem staatlichen Zugriff in Teilen entzogenen Machtbereich und die Globalisierung als die Proliferation des privaten ökonomischen Einflusses auf die transnationale Gesetzgebung.330 Es ist somit nicht verwunderlich, dass dieser Austragungsort globaler Kernkonflikte sich auch in den publizistischen Debatten um die Handelsblockaden widerspiegelt. Zu Recht hat Rapha[l Cahen darauf hingewiesen, dass die Revolutionszeit und die napoleonische Ära eine Hochphase der Diskussion um die Rechte neutraler Länder in Kriegszeiten darstellte. Verbunden war diese Diskussion stets mit Fragen zur Wirtschaft, zum Handel, Krieg und Völkerrecht.331 Der Diplomat in österreichischen Diensten und erbitterte Gegner des napoleoni329 Vgl. Steiger, Heinhard: Das Völkerrecht und der Wandel der Internationalen Beziehungen um 1800, In: Andreas Klinger, u. a. (Hg.): Das Jahr 1806 im europäischen Kontext. Balance, Hegemonie und politische Kulturen, Köln 2008, 23–52. 330 Vgl. Cutler, A. Claire: Private Power and Global Authority. Transnational Merchant Law in the Global Political Economy, Cambridge (U.K.) [u. a.] 2003. 331 Vgl. Cahen, Rapha[l: Fr8d8ric Gentz et les publicistes franÅais, le droit de la mer en d8bat 1795–1815, In: Phlippe Sturmel (Hg.): Navires et gens de mer du Moyen ffge / nos jours, Paris 2010, 181–307. Zur Debatte um die Rechte der Neutralen zwischen Gentz und Alexandre d’Hauterive vgl. auch Nakhimovsky, Isaac: The »Ignominious Fall of the European Commonwealth«: Gentz, Hauterive, and the Armed Neutrality of 1800, In: Koen Stapelbroek (Hg.): Trade and War : The Neutrality of Commerce in the Interstate System, Helsinki 2011, 177–190.
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Kontinentalsperre und Welthandel. Debatten um globale Märkte
schen Frankreichs und der Revolution Friedrich Gentz erachtete die Frage des Seevölkerrechts als eine der entscheidendsten politischen Probleme seiner Zeit. Seit 1800 hatte er sich finanzpolitischen Themen und dem britischen Wirtschaftsmodell zugewandt. In Auseinandersetzung mit französischen Publizisten befasste sich Gentz über Jahre hinweg mit den rechtlichen Bedingungen eines freien Handels in Kriegszeiten und legte den Hauptfokus auf verbindliche zwischenstaatliche Verträge statt allgemeiner philosophischer Prinzipien. Seit 1802 plante er ein Werk, das mit Bezug auf die maritime Völkerrechtsdebatte zwischen Grotius und Selden die seiner Meinung nach missgeleiteten Diskussionen seiner Zeitgenossen grundlegend korrigieren sollte. Er setzte sich mit französischen und britischen Schriftstellern auseinander, ohne selber mit einem gewichtigen Beitrag in die Debatte einzugreifen. Bezeichnenderweise bezog er seine Überlegungen zu generellen seevölkerrechtlichen Fragen auf die aktuelle Ereignispolitik der Kontinentalsperre. Als er sich – erst 1814 – mit einer kleinen Broschüre endlich zu Wort meldete, blieb diese allerdings unveröffentlicht.332 Seine Einschätzungen bezog er aus der intensiven Beschäftigung mit den Schriften und öffentlichen Zeitschriftenbeiträgen dieser Zeit und sind somit mitnichten der außergewöhnliche Standpunkt, den er sich selber zusprach, sondern Spiegel und Abbild einer Debatte, die, wie im Folgenden zu sehen sein wird, zu dieser Zeit in Europa brodelte und sich als Bodensatz in der gedruckten Publizistik ablesen lässt. Gentz ist somit eher Teil dieser Debatte denn Wortführer, als den Cahen ihn herausstellt. Man könnte Cahens Aussage zur Historiographie des Seehandels- und Völkerrechts, die die Rolle des Publizisten Gentz übersehen habe333, auf die zeitpublizistischen Beiträge zu diesem Thema insgesamt ausweiten: Die (Zeitschriften-)Publizistik wird in der Geschichte des Seevölkerrechts bislang weitgehend außer Acht gelassen.334 In diesem Kapitel soll der öffentliche Diskurs, die veröffentlichte Meinung um Fragen des Seerechts erörtert werden. Der Krieg zwischen Frankreich und England, der mit Voranschreiten des Jahrhunderts immer mehr Staaten einbezog, wurde, wie im vorigen Kapitel gesehen, vorwiegend als »Handelskrieg« 332 Gentz, Friedrich: Das Continentalsystem und dessen Wirkung auf die Handelsverbindungen mit England, 1814, 20 S., 8-o, Otto Wolf Sammlung, Universitäts- und Stadtbibliothek Köln, Sig. WOLF.N224. 333 Vgl. Cahen: Fr8d8ric Gentz et les publicistes franÅais (wie Anm. 331), 281. 334 Während die publizistische Wahrnehmung im Kontext anderer völkerrechtlicher Debatten in der Frühen Neuzeit durchaus untersucht worden sind, so gilt dies für das Seevölkerrecht nicht. Vgl. etwa zu friedensrechtlichen Debatten u. a. Kleinehagenbrock, Frank: Die Wahrnehmung und Deutung des Westfälischen Friedens durch Untertanen der Reichsstände, In: Inken Schmidt-Voges u. a. (Hg.): Pax perpetua. Neuere Forschungen zum Frieden in der Frühen Neuzeit, München 2010, 177–193 u. Arnke, Volker : Frieden in der Reichspublizistik. Nicolaus Schaffshausens Schrift als Beispiel für Friedenskonzepte im Römisch-Deutschen Reich zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges, In: ebd., 219–240.
Seehandelsrecht
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interpretiert. Anhand der Pressedebatten werden die rechtlichen Schlüsselfragen der Zeitgenossen hinsichtlich der Dominanz des Welthandels herausgearbeitet. Die aktuellen Kriegsentscheidungen, die handelspolitische Maßnahmen neben konkret kriegerischen Auseinandersetzungen miteinschlossen, führten zu generellen Fragen des Seevölkerrechts. Es wurde dabei grundsätzlich diskutiert, ob Seehandelsbeschränkungen in Kriegszeiten legitim seien, welchem Recht privates Eigentum unterlag oder wie die Freiheit der Meere garantiert werden könne. Dabei kam es zur Konfrontation zweier Rechtsauffassungen: der des Völkerrechts und der des Völkergewohnheitsrechts. Es wird zu zeigen sein, wie die Auseinandersetzungen um die Legitimität ökonomischer Blockadepolitik rechtstheoretisch eingeordnet wurde und inwieweit sich anhand dieser Problemstellung eine Reflexion über international verbindliche Abkommen entfaltete, an denen sich ein wachsendes Bewusstsein für globale Zusammenhänge und deren spezifische Herausforderungen erkennen lässt. Die Debatte um das internationale Seehandelsrecht soll in diesem Kapitel über drei Zugänge zum öffentlichen Pressediskurs dargelegt werden. Nach der näheren Definierung des Themenkomplexes der Seehandelskonkurrenz zwischen Großbritannien, Frankreich und den neutralen Staaten (2.2) wird erstens die Diskussion um die Rechte neutraler Schifffahrt und die Seehandelsfreiheit behandelt (2.3.1), zweitens die Entwicklung des rechtlichen Prinzips der Freiheit der Meere veranschaulicht (2.3.2) und drittens die Verarbeitung der Konfliktsituation in satirischen Druckgraphiken untersucht (2.3.3). 2.2
Thema: Veränderte Wirtschaftslage und Konkurrenzdiskurs
Die zweite Phase der Kontinentalsperre ist diejenige, in der erstens die Durchsetzung der gesetzlichen Maßnahmen zu greifen begann und zweitens deren Ausweitung auf die »Neutralen«, namentlich die Vereinigten Staaten von Amerika stattfand. Der Handel innerhalb Europas und zwischen Europa und Amerika sowie – weniger explizit, aber in der Konsequenz auch – derjenige der Europäer nach Asien wurde von der Blockadepolitik eingeschränkt. Die Vereinigten Staaten von Amerika reagierten auf die Einschränkungen ihres Handels durch Großbritannien und Frankreich mit einer vergleichbaren Gegenmaßnahme, die im Gegensatz zur napoleonischen Politik ganz offiziell eine Selbstblockade darstellte. Ende des Jahres 1807 verboten sie im Embargo Act vom 17. Dezember praktisch allen Außenhandel.335 Der Gesetzestext wurde 335 Diese Eigenblockade erklärt Eli Heckscher unter anderem mit physiokratischen Überzeugungen Jeffersons, der die Vereinigten Staaten von Amerika als Agrarstaat und damit unabhängig vom Außenhandel verstand. Derartige Vorstellungen fanden sich allerdings in politischen Kreisen um 1800 weit über physiokratische Denker hinaus verbreitet (siehe Kapitel III.1); vgl. Heckscher : The Continental System (wie Anm. 32), 131.
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Kontinentalsperre und Welthandel. Debatten um globale Märkte
in der Folgezeit immer weiter verschärft, was jedoch nicht verhinderte, dass der Handel auf illegalem Wege weitergeführt wurde. Der Abbruch von Rohstoffimporten aus Nordamerika veranlasste die britische Regierung, trotz dahingehender Forderungen der britischen Opposition, nicht zu einer Rücknahme der Maßnahmen gegen die neutralen Staaten in den Orders in Council. Allerdings verschaffte sie durch ein offizielles Lizenzsystem dem Außenhandel eine gewisse Abhilfe, trotz des fortbestehenden Verbots allen Handels mit neutralen Staaten. Auf französischer Seite brachte das Jahr 1808 durch das Dekret von Bayonne vom 17. April eine erneute Verschärfung der Lage. Das Dekret erklärte schlicht alle nordamerikanischen Schiffe zu britischen Schiffen mit falschen Papieren, wodurch diese denselben Strafen, das heißt der Konfiszierung, unterworfen waren. Die Vereinigten Staaten von Amerika reagierten mit einer erneuten Gesetzesinitiative, dem Non Intercourse Act vom 1. März 1809, in dem die Selbstblockade auf die beiden Kriegsparteien Großbritannien und Frankreich beschränkt wurde. Sie öffneten sich damit dem Handel mit den von Spanien mittlerweile unabhängigen Staaten in Südamerika. Angesichts der Gesetze gegen den freien Handel von allen Seiten stellte sich die Lage der neutralen Handelsschifffahrt in diesen Jahren insgesamt als ausgesprochen prekär dar. Fragt man aber nach der tatsächlichen Wirkung, die diese wirtschaftspolitischen Blockademaßnahmen in den einzelnen Ländern zeigten, bestätigt sich die These von Eli Heckscher, dass zwischen Gesetzesregelungen und politischer Umsetzung unterschieden werden muss. 1808 wurden die Maßnahmen der Kontinentalsperre ausgeweitet und erstmals umfassend durchgesetzt. In England verspürte daraufhin die Industrie Einbußen. Allerdings konnten Teile der Exporte auf Südamerika verschoben werden und schwächten somit die Wirkung der Kontinentalsperre auf die britische Exportwirtschaft ab. Der Kontinent bekam die Maßnahmen in erster Linie durch stark anwachsende Rohstoffpreise (besonders Baumwolle) zu spüren.336 Insgesamt müssen die Auswirkungen der Handelssperre auf die Wirtschaft Kontinentaleuropas differenziert betrachtet werden. Während einzelne Gewerbe in einigen Regionen durchaus von dem Ausschluss der britischen Konkurrenz profitierten, litten andere Industriezweige unter den wirtschaftspolitischen Regulierungen. In den Handelsstädten Bordeaux, Hamburg und Livorno waren, wie Silvia Marzagalli zeigen konnte, die Blockademaßnahmen Napoleons aus verschiedenen Gründen ineffektiv. Einerseits besaß der französische Kaiser nicht die Mittel, eine effiziente Kontrolle des Außenhandels durchzusetzen, andererseits wurde seine Politik durch Schmuggel oder von Sabotage und Korruption in den Handelsstädten Norddeutschlands, Italiens und Frankreichs unterlaufen. Die unmittelbare Wiederaufnahme der Handelsverbindungen mit Großbritannien und Nordamerika 336 Vgl. ebd., 173–180 u. Aaslestad: Introduction (wie Anm. 36), 1–22.
Seehandelsrecht
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nach dem Ende der Blockade sei unter anderem ein Zeichen dafür, dass das Kaufmannswesen in diesen Städten während der Sperre nicht wesentlich geschwächt worden war.337 Mit aller gebotenen Vorsicht vor verallgemeinernden Angaben zur Wirksamkeit der Blockadepolitik insgesamt, für die oftmals nur die offiziellen Daten vorliegen, die bestenfalls Tendenzen der tatsächlichen Wirtschaftslage zu geben vermögen, und trotz der Uneinigkeit der Forschung lässt sich festhalten, dass etwa die deutschen Exporte nach und Importe aus Großbritannien 1808 stark zurückgingen und die Kontinentalsperre in den Jahren 1807, 1808, 1811 und 1812 ihre stärkste Wirkung auf den Außenhandel zeigte.338 Für 1809 gilt, dass die Wirkung durch äußere Bedingungen und strukturelle Schwächen eingeschränkt wurde. Napoleons Feldzug gegen Österreich 1809 und der Aufstand in Spanien forderte die Aufmerksamkeit und Truppenreserven des französischen Kaisers und seiner Armee, sodass die Umsetzung der Blockademaßnahmen an personellem Mangel und fehlender Kontrolle litt. Es ist somit ein erneuter Anstieg der Einfuhr aus Großbritannien ins deutschsprachige Mitteleuropa zu verzeichnen.339 Die britische Wirtschaft erlitt in den Jahren 1810 und 1811 den Höhepunkt der Krise, als auch der Export der eigenen Manufakturwaren nach Nordamerika ausfiel. Die Brisanz dieser politischen Situation für die wirtschaftliche Lage wurde den Zeitgenossen in den Auseinandersetzungen um die Seehoheit der Briten im frühen 19. Jahrhundert in ihrer ganzen Tragweite bewusst. Der erste spürbare Einbruch der Handelsverbindungen zwischen dem Kontinent und den Britischen Inseln und damit den meisten anderen Weltteilen führte seit 1808 zu einer Verschärfung in der diskursiven Verarbeitung des Konfliktes. Die Auseinandersetzung zwischen den beiden Kriegsparteien und ihren alliierten Mächten wurde in dieser Debatte zur Handelskonkurrenz verdichtet. Die Feindschaft beider Mächte trat in immer klarer kontrastierten Bildern auf. Frankreich wurde zur »Landmacht«, die sich auf den Großteil des europäischen Kontinents ausdehnte und Großbritannien zur »Seemacht«, die Anspruch auf alle Weltmeere erhob. Die »Interessen dieser beiden Mächte, des Roms und Karthago’s unserer Welt, des militärischen und des merkantilischen Erobererstaates, sind die Achse, um welche sich die Interessen aller übrigen Reiche schwingen, und der Schlüssel der Zeitgeschichte«, beschrieb Heinrich Zschokke 1809 die Lage.340 Die Oppo-
337 Vgl. Marzagalli: Les boulevards de la fraude (wie Anm. 34). 338 Vgl. Dufraisse: Französische Zollpolitik, Kontinentalsperre und Kontinentalsystem (wie Anm. 33), 245–269. 339 Vgl. Wehler, Hans-Ulrich: Wirtschaftlicher Wandel in Deutschland 1789–1815, In: Helmut Berding, Etienne FranÅois; Hans-Peter Ullmann (Hg.): Deutschland und Frankreich im Zeitalter der Französischen Revolution, Frankfurt a. M. 1989, 100–119. 340 Zschokke, Heinrich: Großbrittanniens Nationalreichthum unabhängig vom Handel. Eine
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sition von See- und Landmacht hat David Armitage als fundamentales Charakteristikum der westlichen Geschichtsschreibung identifiziert, dessen Stellenwert in der Historiographie bislang noch kaum Rechnung getragen wurde. An der Wende zum 19. Jahrhundert kam es zu einer Blütezeit imperialer und maritimer Geschichtsschreibung, während der sich ein diskursiver Wandel vollzog, der die Identifikation maritimer mit freiheitlicher Herrschaft auflöste.341 Der Vergleich mit den rivalisierenden Großmächten der Antike durchzieht zahlreiche Artikel zur Kontinentalsperre und zeugt von der fortdauernden Präsenz antiker Topoi in der Moderne:342 »Frankreich und Großbrittanien, in der Größe, wie sie heut einander gegenüber stehen, können nicht neben einander bestehen – der alte, entsetzliche Kampf Roms und Karthago’s um die Weltherrschaft ist erneuert, aber weitumfassender, folgenreicher, als ihn die Menschheit des Alterthums sah. – Rings um den Erdball wehen die Kriegesflammen, und vier Welttheile mit ihren zahllosen Völkern leiden unter der Fehde der Unversöhnlichen. So weit die Kunde der Historie in die Vergangenheit reicht, ist niemals ein solcher Krieg geführt worden, und der größte, welchen das alte Rom je erlebte, ist, neben dem gegenwärtigen, nur eine auf den Raum weniger Länder beschränkte Fehde gewesen.«343
Die Dichotomie von terrestrischem und maritimem Imperium findet sich als ›Überrest‹ in der heutigen Globalgeschichte in der Aufteilung von internationaler und transnationaler Geschichte. Die neuzeitliche Debatte um Seeherrschaft und den maritimen Raum hat somit das Narrativ der Globalisierungsgeschichte vorgeprägt. Es ist die Konzeption der Ozeane als Bühne globaler Auseinandersetzung in ihren verheißungsvollen wie bedrohlichen Komponenten, welche eine zeitgeschichtliche Reflexion der Globalisierung in der Zeit um 1800 erkennbar werden lässt. Die Bedrohungserfahrung speiste sich dabei in erster Linie aus ökonomischen Katastrophenerwartungen, die, wie von Michael Sonenscher herausgearbeitet, bereits im vorrevolutionären Europa virulent wurden.344 Neu an dem ökonomischen Bedrohungsdiskurs des frühen 19. Jahrhunderts war seine Einbettung in den globalen Referenzraum, der es erst erlaubt, im eigentlichen Sinne von einem Globalisierungsbewusstsein zu sprechen, das die lokalen Dynamiken auf den ökonomischen und geopolitischen
341 342 343 344
Doppelansicht, Teil 1, In: Miszellen für die Neueste Weltkunde 3.63 (9. Aug. 1809), 249–252, hier 249 [Herv. im Orig.]. Vgl. Armitage, David: The Elephant and the Wale. Empires and Oceans in World History, In: ders. (Hg.): Foundations of Modern International Thought, New York 2013, 46–56. Vgl. hierzu Elm, Veit; Lottes, Günther ; Senarclens, Vanessa de (Hg.): Die Antike der Moderne. Vom Umgang mit der Antike im Europa des 18. Jahrhunderts, Hannover 2009. Die Kolonien der europäischen Mächte in fremden Weltteilen. Beschluß, Teil 3, In: Miszellen für die neueste Weltkunde 2.47 (11. Juni 1808), 187–188. Vgl. Sonenscher, Michael: Before the Deluge. Public Debt, Inequality, and the Intellectual Origins of the French Revolution, Princeton (New Jersey) 2007.
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Verflechtungskontext bezieht.345 Ein essentielles Element dieser Entwicklung, so die Argumentation dieses Kapitels, war, dass die Regulierung des transnationalen Raumes der Weltmeere mittels rechtlicher Standards als politische Aufgabe bestimmt wurde, um den politisch-ökonomischen Wechselverhältnissen ihr Bedrohungspotential zu nehmen. 2.3
Publizistische Reaktionen
Die gegenseitigen Feindbilder kulminierten in dem Begriff des »Despotismus«. In der britischen Presse erschien die Herrschaft Napoleons beinahe durchgängig als despotisch, nicht nur seinem eigenen Volk gegenüber, sondern besonders in der Unterwerfung der anderen europäischen Länder. Die Politik des französischen Kaisers, der Ende 1807 Portugal einnehmen ließ und 1808 seinen Bruder Joseph in Spanien als König einsetzte, wurde in Großbritannien mit entsetzten bis sarkastischen Tönen kommentiert. Der Verlust des britischen Einflusses auf der Iberischen Halbinsel nach der Flucht des portugiesischen Königshauses nach Brasilien ließ die Bedrohung der Abschottung aller europäischen Häfen konkret werden. In der Quarterly Review heißt es hinsichtlich der Entwicklung 1808: »Napoleon, in his character of ally and mediator, was nearly omnipotent. It depended on himself to occupy the important ports of Cadiz, Carthagena, and Ferrol, and thus to cut off the possibility of a communication with England.«346 In der französischen Presse entwickelte sich die Vorstellung eines Krieges der Briten gegen Europa bzw. die gesamte Welt und zwar in Form ihrer Herrschaft über die Meere. Großbritannien wurde der Widerspruch seiner Selbstdarstellung als Verfechter des Freihandels mit seiner als Monopol gebrandmarkten Handelsübermacht als »Seedespotismus« ausgelegt. Der Krieg wurde in seiner seit über zwei Jahrzehnten währenden Dauer als zunehmend bedrückend wahrgenommen und als »unendlicher Krieg« erlebt,347 dessen Beendigung nicht durch einen bloßen Friedensvertrag, wie es so viele gegeben hatte, gelöst werden könne, sondern auf ein ›abschließendes Urteil der Weltgeschichte‹ hinauslaufen musste. Es ging um die Verhinderung der globalen Durchsetzung eines der Konkurrenten, kurz, die direkte oder indirekte Beherrschung der ganzen Welt stand auf dem Spiel. Es gebe allein die »Wahl zwischen Unterwerfung oder Tod«348, hieß es im Mercure. Aus der Diskussion um die Abwehr von britischen, preiswerter produzierten Manufakturwaren aus Großbritannien war die 345 Diese Zusammenhänge hat Iwan D’Aprile für die europäische Aufklärung im Besonderen im Denken des preußischen Journalisten und Frühliberalen Friedrich Buchholz herausgearbeitet; vgl. D’Aprile: Die Erfindung der Zeitgeschichte (wie Anm. 21), Kap. 5, 155–188. 346 Affaires d’Espagne, In: Quarterly Review 1 (1809), Art. I, 1–19. 347 Vgl. etwa »guerre perpetuelle« in: Mercure de France 4 (1808), 428. 348 Mercure de France 4 (1808), 428.
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Kontinentalsperre und Welthandel. Debatten um globale Märkte
grundsätzliche Frage geworden, welche Macht das »Zepter der Meere«349 an sich zu reißen vermochte und wie die Übermacht des einen oder anderen zu verhindern war. Beide Kriegsparteien warfen sich also eine Form des Despotismus vor und sich selbst als Verteidiger der Freiheit der Meere auf. Während die Regierungen faktisch eine Blockadepolitik verfolgten, gaben sie den Freihandel als letztendliches Ziel ihrer Politik aus: Die eigenen Maßnahmen gegenüber neutralen Schiffen rechtfertigten sich beiderseits gleichermaßen als Reaktion auf den Protektionismus des Gegners. In der Situation weitestgehend unklarer, von allen Parteien, auch der wichtigsten neutralen Macht der Vereinigten Staaten von Amerika, durchgeführter Kontroll-, Konfiskations- und Prisenpolitik blieb der Freihandel stets vorgebliches Ziel für Friedenszeiten. Die zunehmende Einschränkung des Seehandels auch für neutrale Schiffe führte somit während der Blockadepolitik zur Diskussion über das Recht auf freie Schifffahrt zur See. Die offizielle Begründung für die napoleonischen Dekrete war die Abwehr der Alleinherrschaft Englands auf See und die (Wieder-) Herstellung der Freiheit der Meere. Im Berliner Dekret wurde im ersten Paragraph das völkerrechtswidrige Verhalten der Briten zur See als Ursache der Maßnahmen angegeben.350 Damit war der argumentative Rahmen der Debatte um das Recht der Staaten auf Zugang zu und Nutzung der Meere seit Beginn der Kontinentalsperre gesetzt. Folglich spielten diese rechtlichen Fragen in der Publizistik eine herausgehobene Rolle. Auch wenn die Thematik in den Zeitschriften im Einzelfall nicht immer trennscharf behandelt wurde und die Argumentationen ineinanderflossen, soll hier dennoch der Versuch unternommen werden, die rechtliche Diskussion um die Freiheit der Meere von den Fragen des Vorteils und des allgemeinen Nutzens freier Meere für den Handel zu trennen, welche in einem gesonderten Kapitel behandelt werden (Kapitel III.3). Gegenstand zahlreicher Texte war es, die offizielle Linie der Blockade- und Embargopolitik aufseiten der Kriegsparteien zu rechtfertigen, deren Motivation sich aus keiner anerkannten Wirtschafstheorie oder juristischen Begründung herleitete, sondern von politischem Kalkül in Kriegszeiten und vielfach voreingenommenen wirtschaftspolitischen Überzeugungen geleitet war. Dazu stellte die kritische Öffentlichkeit die Positionen in den Kontext allgemeiner rechtlicher Prinzipien. Das Paradoxon, dem sich die verschiedenen Autoren gegenübersahen, war dergestalt, dass einerseits die Freiheit der Meere als hohes völkerrechtliches Ideal von allen beteiligten Regierungen offiziell anerkannt und als verteidigungswürdig erklärt wurde, dass andererseits die Politik auf beiden Seiten das Gegenteil bewirkte und diese Strategie öffentliche Verteidigung fand. 349 Mercure de France 1 (1808), 94. 350 »Que l’Angleterre n’admet point le droit des gens«; D8cret de Berlin 1806, § 1.
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Hier soll herausgearbeitet werden, zu welchen Entwicklungen in der Theorie die Lösung dieser rechtspolitischen Aporien in der Zeit der Kontinentalsperre führte. Bevor auf die seerechtlichen Debatten eigegangen wird, soll jedoch knapp der generelle Diskurs zur Seehandelskonkurrenz zwischen Großbritannien und dem Kontinent wie er in den drei Zeitschriften, Mercure de France, Minerva und Edinburgh Review geführt wurde, dargelegt werden. In der wirtschaftspolitischen Berichterstattung im Mercure de France war der vorherrschende Ton in der zweiten Phase der Kontinentalsperre insgesamt ein triumphaler, der die kritische ökonomische Lage in Großbritannien als Erfolg der Blockadepolitik verbuchte: »[…] voici les avis que les n8gocians de Bilbao, des Asturies, de la Biscaye recoivent de leur correspondans / Londres: ›que le commerce anglais est dans une crise violente; que les banqueroutes se multiplient; que les capitalistes du Continent s’occupent / retirer leur fond de la banque; que les marchandises entr8es / Gothembourg et dans quelques ports de Russie, ne produisent pas le quart des valeurs n8cessaires pour acquitter les traites que les n8gocians tirent sur Londres, pour en retirer leur fonds, voulant se soustraire / la crise qui menace l’Angleterre.‹«351
Dieses Narrativ der kurz vor dem Kollaps stehenden britischen Wirtschaft konstruierte sich aus regelmäßigen Kurzberichten, die als einzelne Bruchstücke ein Gesamtbild des Inselstaates zeichneten, der an überfüllten Warenlagern, verstopften Handelskanälen und der Spekulation geschuldeten Geldentwertung litt und damit an seiner eigenen Raffgier erstickte: »[L]es magasins d’H8ligoland ne trouve plus de d8bouch8s et sont tout-/-fait engorg8s. La quantit8 de marchandises qui se perd est inconcevable. A chaque instant on voit s’8lever de nouveaux magasins; mais tout est plein, et la plus grande partie des ballots reste / d8couvert. Cet exemple est unique et montre jusqu’/ quel point est grande la d8tresse de l’Angleterre.«352
In dieser Phase der Blockade beschreibt die französische Presse Englands Lage als kritisch, während die Wirtschaft auf dem Kontinent prosperiere. Diese Analyse ist in ihrer Tendenz für den genannten Zeitraum auch durchaus zutreffend. Die zwei Jahre nach der Krise von 1810 bedeuteten eine Stagnation der britischen Wirtschaft, Not und Arbeitslosigkeit nahmen ungekannte Maße an und man glaubte Großbritannien vor einer sozialen Revolution und dem politischen Zusammenbruch. Dies war Folge der Exportflaute, die wiederum von der Kontinentalsperre und dem Importstopp der USA ausgelöst wurde.353 Um der 351 Nouvelles politiques, In: Mercure de France 4 (1810), 163. 352 Politique, In: Mercure de France 4 (1810), 444–448, hier 445. Helgoland stand unter britischer Herrschaft und wurde als Zwischendepot für britische Waren genutzt, die auf illegalem Wege auf dem Kontinent abgesetzt werden sollten. 353 Vgl. zu diesem Thema die ausführlichste und trotz einiger Kritik für die meisten Aspekte
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eigenen Berichterstattung ein vermeintlich objektives Gewicht zu verleihen, bediente sich die französische Presse mit Vorliebe der Übernahme kritischer Meinungen aus der britischen Presse. Die freiheitliche englische Pressepolitik ausnutzend, zitierte der oben angeführte Artikel etwa aus dem Political Register.354 Die Edinburgh Review ihrerseits setzte sich 1808 und 1809 in drei ausführlichen Rezensionen mit der Bewertung der Orders in Council auseinander und ging über den gesamten Untersuchungszeitraum in weiteren über zwanzig Artikeln auf die Gesetze ein.355 Mindestens zwei der Rezensionen stammen aus der Feder Henry Broughams, der die Orders nicht grundsätzlich ablehnte, aber ihre Wirkung kritisch hinterfragte. Auf den letzten Seiten seiner Besprechungen entfernt er sich jeweils von der Argumentation des rezensierten Werkes und gibt eine selbständige Bewertung ab. Er tut dies mit dem Gedankenspiel eines fiktiven vorsichtigen Staatsmannes, der wohlüberlegt eine Entscheidung als Reaktion auf Napoleons Dekret trifft. Die einzige vernünftige Entscheidung könne sein, alle neutralen Schiffe weiterhin britische Häfen anlaufen zu lassen, auch und gerade, wenn sie vom Kontinent kämen, um so eine Verbindung zu diesem gegen den Willen Frankreichs aufrechtzuerhalten. Da Handel auf gegenseitigen Vorteilen beruhe, könnte die Blockade des anderen Landes gewissermaßen als Rache sinnvoll sein. Doch darunter leide zwangsläufig dasjenige Land am meisten, welches mehr Handel treibt und auf diesen angewiesen ist. Dieses Argument findet sich auch wiederholt in der deutschsprachigen Presse, so etwa in den Miszellen. Die vehemente Kritik an dem Vorgehen der britischen Regierung drückte Brougham bis 1812 unermüdlich auch in seinen Parlamentsreden gegen die Orders in Council aus, die von der Review immer wieder aufgenommen wurden. Die Haltung gegenüber seehandelsrechtlichen Fragen der Zeitschrift entsprach somit weitestgehend derjenigen des Juristen, Whig-Politikers und Gründungsmitglieds der Zeitschrift. In der Minerva war die Berichterstattung seit der Elbblockade 1803 bereits immer noch gültige Untersuchung von Crouzet: L’8conomie britannique et le blocus continental (wie Anm. 33), Bd. 2, 636–649. 354 Das Political Register von William Cobbett, das zwar zunächst den regierenden Tories zugetan war, war gleichwohl eines der kritischsten britischen Blätter seiner Zeit. 355 Vgl. [Brougham, Henry oder Francis, Jeffrey]: An Inquiry into the Causes and Consequences of the Orders in Council, and an Examination of the Conduct of Great Britain towards the Neutral Commerce of America. By Alex. Baring The Speech of Lord Erskine in the House of Lords (8. March 1808) […] The Speech of Henry Brougham Esq. in the House of Commons, Friday, April 1. 1808 […], In: Edinburgh Review (Apr. 1808), Art. XIII, 225– 246; Brougham, Henry : Orders in Council, or, an Examination of the Justice Legality, and Policy of the New System of Commercial Regulations […], In: Edinburgh Review (Jan. 1808), Art. XIV, 484–498 u. Brougham, Henry : The Orders in Council and the Amercian Embargo beneficial to the Political and Commercial Interest of Great Britain, In: Edinburgh Review (Jul. 1809), Art. XI , 442–482.
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von einer britischfreundlichen auf eine antibritische Resonanz umgeschlagen. So übte besonders Johann Wilhelm von Archenholz lange vor der französischen Besatzung des norddeutschen Raumes und der damit einhergehenden französischen Zensur harsche Kritik an der britischen Handelspolitik. Um seinem Argument größeres Gewicht zu verleihen, überhöhte der Herausgeber die Bedeutung von Preußens Schifffahrt und Außenhandel. Abgesehen von der britischen stehe die preußische Handelsflotte keiner anderen europäischen nach. Diese werde jedoch nun durch Repressalien der Briten gegen Norddeutschland gefährdet. In einem Artikel von 1806 fragte Archenholz rhetorisch: »Ist es die Absicht der Brittischen Machthaber, sich bey allen Nationen und Völkerschaften verhaßt zu machen […?] Will Großbritannien dem Welthandel entsagen? Dies kann es nicht, ohne freiwillig eine Macht vom dritten Range werden zu wollen. Will es ihn fortsetzen, so dürfte eine See-Tyranney, die seit zehn Jahren immer steigend gewesen ist, und leider durch nichts gezügelt werden kann, diesen alles monopolisierenden Handelszweck gewiß nicht befördern.«356
Sodann kritisierte er scharf die Wiederaufnahme der Elbblockade durch die Briten, die der Stadt Hamburg großen Schaden zufügte. Der Vorwurf lautete stets, wie auch in den Streitschriften, auf die rechtswidrige Erweiterung der Blockade auf neutrale Nationen, mit denen sich das norddeutsche Blatt auch nach der Eroberung durch Frankreich identifizierte.357 Zu Beginn der Kontinentalsperre drückte sich in der Minerva noch ein tiefes Vertrauen in die Harmlosigkeit der britischen Handelseinschränkung und das rasche Einlenken der britischen Regierung gegenüber der französischen Gegenmacht aus: »Der Kayser Napoleon verlachte diese läppischen Hindernisse, die für die Sieger blos einige Unbequemlichkeiten erzeugten, wobey dennoch alles ungestört seinen großen Gang fortging.«358 Ein Jahr später war dann bereits von den Folgen der »schrecklichsten Unterbrechungen des Europäischen Seehandels«359 die Rede, denn die Blockadebedingungen der französischen Regierung erwiesen sich für bestimmte Handelszentren des deutschsprachigen Raumes inzwischen als weitaus verheerender als die Übergriffe auf den neutralen Handel von britischer Seite. Diese ließen sich auf die nun greifende Gegenblockade, das heißt die 356 Archenholz, Johann Wilhelm von: Resultate der oben erzählten Ereignisse in Hannover mit Hinsicht auf die neuesten Vorfälle, In: Minerva 2 (1806), 182–190. 357 Vgl. Archenholz, Johann Wilhelm von: Neue Blokade der Engländer der Elbe und der Weser, In: Minerva 2 (1807), 164–171 u. ders.: Ueber Englands Politische Verfahren, In: Minerva 3 (1807), 375–380 u. 535–549: »Die Schiffahrt aller Nationen und auf allen Meeren wurde unsicher gemacht, so daß man ein jedes Schiff, ohne Rücksicht auf Nation und Ladung, als vogelfrey ansah. Auch das Blokade-System wurde erweitert.« 358 Archenholz: Ueber Englands Politische Verfahren (wie Anm. 32), 539. 359 Archenholz, Johann Wilhelm von: Betrachtungen über die Unterbrechung des Europäischen Seehandels, In: Minerva 2 (1808), 482–491.
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napoleonischen Sperre zurückführen und der Herausgeber suchte nach Mitteln und Wegen, seinen Lesern trotz Zensur eine ausgewogene Berichterstattung zu bieten und auch er fand sie in gelegentlich abgedruckten britischen Pressetexten, die – oft der französischen Presse entnommen und dadurch ›legalisiert‹ – eine pluralere Meinungsbildung möglich machten. Es zeigte sich in der Auswahl der Artikel, dass es Archenholz und seinen Nachfolgern nicht um die Affirmation des britischen Standpunktes ging, sondern um die Kenntlichmachung der deutschen, von den beiden Kriegsparteien gleichermaßen bedrängten Interessen. Dies konnte etwa durch eine bewusst ins Groteske gleitende Betonung der französischen offiziellen Linie in den Kommentaren zu einem Bericht in der Evening Post über die Friedensverhandlungen von 1806 geschehen, welche in dem »unseeligsten aller Kriege«, dem »Vertilgungskrieg von 1806« und dem »Unglück der Welt« mündeten.360 Oder die Zeitschrift bediente sich moderater Pressestimmen aus den Vereinigten Staaten von Amerika wie beispielsweise den Auszügen aus einer Rede Joel Barlows von 1809. Der den Text einleitende Abschnitt hebt hervor, dass sich ob der eingeschränkten Situation in Deutschland, der Blick nach Nordamerika lohne. Zudem sei es hilfreich, sich einem Land zu widmen, das sich wechselseitig dem Willen Frankreichs und Englands entgegengestellt habe. Ganz explizit wird dieses Vorgehen damit gepriesen, dass es die Möglichkeit biete, »der Einförmigkeit in den Aufsätzen zu entgehen, die unvermeidlich ist, wenn man in einer Zeitschrift immer von neuem wieder dieselben Gegenstände vor Augen führen muß, zumal wenn man, wie es in unseren Tagen der Fall ist, sie nicht einmal von allen Seiten beleuchten darf und mag«361. Eine deutlichere Kritik an den zensurbehördlichen Vorgaben, denen man sich, wie hier angedeutet, fügen »muß«, ist wohl kaum denkbar. Schließlich wird die Kritik an der Blockadepolitik vonseiten der Minerva in einer Anmerkung Ausdruck verliehen: »Wie vieles Unglück wäre in unsern Tagen vermieden worden, hätten falsch belehrte Theoretiker von der einen, und prätentionsvolle Handelsleute von der andern, nicht den Glauben zu verbreiten gesucht, der Handel sei so wesentlich mit dem Wohl irgend eines Landes verbunden, daß eine gänzliche oder auch nur partielle Hemmung desselben eine Erschütterung des Staatsgebäudes zur Folge haben müßte. Gewisse Regierungen wären dann vielleicht nicht auf die Idee gekommen, ihre Widersacher durch die Sperre gegen ihren Handel zur Nachgiebigkeit zu zwingen; andere nicht auf die Idee, durch Nachsicht in Betreff des Handels ihr politisches Interesse aufzuopfern.«362 360 Vgl. Archenholz, Johann Wilhelm von: Ueber die Aussichten zum Frieden, In: Minerva 3 (1808), 16–34. 361 Barlow, Joel: Rede gehalten in der Versammlung zur Feier des Jahrestages der Stiftung der Union, in Washington den 4ten July 1809, In: Minerva 1 (1810), 72–103 u. 72–75 [Herv. A. W.]. 362 Ebd., 74, Anm.
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Der eigenständige Standpunkt der deutschen Pressorgane drückte sich mit Zuspitzung der wirtschaftlichen Folgeerscheinungen der Sperre zunehmend deutlich aus und fokussierte sich auf generelle seerechtliche Regulierungen. Da beiden Kriegsparteien Willkür auf See vorgeworfen wurde, suchte die Minerva und zwar im Besonderen der neue Herausgeber Alexander Bran, die Zuwiderhandlung gegen internationales Recht künftig auch in Friedenszeiten zu vermeiden, welches eine Bedingung für eine dauerhafte Konfliktlösung sei: »So lange das Kaperrecht in diesem Codex geduldet wird, läuft Europa Gefahr, wieder in die Barbarei der Zeiten des Faustrechts zu versinken. So lange ein zur See vorherrschendes Volk jenes aufrecht zu halten suchen wird, werden die Repressalien, welche die zu Lande vorherrschenden Mächte dagegen zu ergreifen genöthigt sind, sich dieser immer mehr nähern. – Und was haben wir nicht schon von diesen Repressalien erlebt? und was dürfen wir vielleicht in Zukunft noch von ihnen erleben, wenn abermal ein Friede zwischen England und Frankreich geschlossen würde, der die Clausel nicht enthielt, daß das Kaperrecht abolirt sei?«363
2.3.1 Seehandelsfreiheit: Rechte der Neutralen »Das 18. Jahrhundert war dadurch gekennzeichnet, dass immer größere Warenmengen immer schneller transportiert wurden. Die Ozeane schrumpften sozusagen, weil sich die Schiffsreisen durch den Einsatz schnellerer Schiffe verkürzten.«364 Seit dem Ende des Siebenjährigen Krieges hatte sich die Zahl der europäischen Handelsschiffe drastisch erhöht und auch das Fassungsvermögen der einzelnen Schiffe stieg deutlich an.365 Bis 1808 überstiegen die europäischen Exporte nach Amerika diejenigen innerhalb Europas um beinahe die Hälfte.366 Ein Großteil des Handels der kolonialen Mutterländer mit ihren überseeischen Besitzungen verlief über den sogenannten Kommissionshandel auf Schiffen anderer Staaten. Zu den ursprünglichen Seehandelsstaaten waren um 1800 die Vereinigten Staaten von Amerika, Schweden und Russland hinzugekommen und auch dänische, niederländische, norddeutsche und baltische Schiffe fuhren im Auftrag anderer Staaten. Im Kriegsfalle übertrugen Konfliktparteien ihren Handel nur ihren Alliierten oder aber neutralen Staaten. Der massive Anstieg der über die Weltmeere segelnden Schiffe erforderte die Regelung des Umgangs miteinander auf See. Im Laufe des 18. Jahrhunderts wurden daher eine Vielzahl bilateraler Verträge einzelner Staaten über die Rechte der militärischen und 363 Bran, F. Alexander : Stand der gegenwärtigen politischen Verhältnisse, In: Minerva 2 (1810), 356–374, hier 364–365. 364 Rothermund, Dietmar : Seehandel und Kolonialherrschaft, In: Grandner ; Komlosy (Hg.): Vom Weltgeist beseelt (wie Anm. 285), 26–27. 365 Vgl. ebd., 37. 366 Vgl. Morineau, Michel: Trumps, no Trumps, a Handful of Trumps. A New Dealing of Cards, In: Pieter Emmer u. a. (Hg.): A Deus ex Machina Revisited. Atlantic Colonial Trade and European Economic Development, Leiden 2006, 25–42, hier 38.
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Handelsschiffe in den Häfen des jeweils anderen, seinen überseeischen Besitzungen und auf hoher See geschlossen. Die Zergliederung des rechtlichen Raumes der Ozeane in einzelne Partikularbestimmungen führte zu einer juristischen Unübersichtlichkeit, der Herr zu werden zahlreiche rechtswissenschaftliche Überblicksdarstellungen sich anschickten und doch nie mehr als ein Konvolut an Gesetzestexten über verschiedene Anwendungsbereiche und aus verschiedenen Zeiten zustandebrachten. Über diese positivrechtlichen Einzelabkommen hinaus herrschte ein rechtliches Vakuum auf See, das zunehmend über die Frage der Küstenschifffahrt hinaus nach einer übergeordneten Lösung drängte. Die Dringlichkeit rührte neben dem Anwachsen des Kolonialhandels zudem von dem mehr oder minder permanenten Kriegsverhältnis zwischen Frankreich und Großbritannien her. In den Veröffentlichungen zum Seehandelsrecht wurde aus diesem Grund der Ruf nach einer allgemeinverbindlichen Verrechtlichung der Situation neutraler Schiffe sowohl in Friedens- als auch in Kriegszeiten laut. Jacques Peuchet sah schon 1802 den Zeitpunkt als geeignet, eine derartige Lösung tatsächlich zu erreichen: »L’int8ret de la France comme celui de nos voisins, est que l’on puisse pr8venir par de sages dispositions, le retour des fatales querelles sur les droits respectifs des neutres et des bellig8rans en tems de guerre; c’est surtout / l’8poque qui se pr8pare, qu’on peut esp8rer d’en fixer les bases sans blesser, comme quelques personne feignent de le croire, les droits r8els des nations, dont toute la s0ret8 r8side dans une police maritime plus s8vHre que celle de leur voisins.«367
Wohl aus derselben Hoffnung heraus entstanden um 1800 diverse Streitschriften zu den Rechten der Neutralen. Allein im Jahre 1801 gab die von Russland initiierte erneute »Bewaffnete Neutralität« sowie Rechtsstreitigkeiten zwischen Großbritannien und Schweden um militärisch begleitete Handelsschiffe den Anstoß zu einem vielstimmigen Chor von Publikationen zum Thema der Neutralität und ihrer Sicherung, die besonders in den betroffenen Staaten diskutiert wurde: Russland, Schweden, Dänemark, Deutschland, der Schweiz und den Vereinigten Staaten von Amerika. Aber auch in Frankreich und Großbritannien erschienen mehrere Schriften zur rechtlichen Lage der Neutralen. In dieser Debatte lässt sich die grenzüberschreitende Öffentlichkeit detailliert verfolgen. So wurde etwa die Schrift des dänischen Rechtsgelehrten Johan Frederik Vilhelm Schlegel über das Visitationsrecht gegenüber neutralen Schiffen vom Dänischen erst ins Französische und von dort ins Englische übersetzt und in zwei abweichenden Ausgaben sowohl in London als auch in Philadelphia herausgeben. In London reagierten noch im selben Jahr Robert Plumer Ward und Sir Alexander 367 Pr8face du traducteur, In: Lampredi, Giovanni Maria: Du commerce des neutres en temps de guerre (übers. von Jacques Peuchet), Paris: A. Agasse 1802, 6.
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Croke mit eigenen Schriften auf Schlegels Thesen.368 Insgesamt erschienen zwischen 1800 und 1801 in den genannten Ländern weit über dreißig Titel zum Thema.369 Die rechtliche Lage für das Kauffahrtschiff eines Drittstaates, das Handel mit den Kolonien Frankreichs oder Großbritanniens ausführte, war also bereits im Frieden undurchsichtig und im Kriegsfalle gänzlich willkürlich. 1800 beklagte der Hamburger Ökonom Johann Georg Büsch die Willkür der Konfiskationen und Strafen zur See, die etwa dazu führen konnte, dass bei einer französischen Visitation die gesamte Ladung eines Schiffes unter dem Vorwand vorgeblich britischer Kleidung der Besatzung konfisziert wurde.370 Diese Unsicherheit des Handels verschärfte sich mit der Blockadepolitik der beiden Kriegsparteien ab 1806, die in kürzesten Abständen zu gänzlich neuen Rechtslagen führte, auf die 368 Schlegels Schrift erschien 1800 in Kopenhagen unter dem Titel Frimodig prøvelse af den engelske admiralitetsrets dom. Ebenda erschien die französische Übersetzung Sur la visite des vaisseaux neutres sous convoi. Avec quelques additions et corrections par Joh. Fr. Wilh. Schlegel. Traduit du Danois par C. F. L. De Juge. Die englische und amerikanische Übersetzungen folgen beide dem französischen Text: Upon the visitation of neutral vessels under convoy. Or, an impartial examination of a judgment pronounced by the English Court of Admiralty, the 11th June, 1799, in the case of the Swedish Convoy. With some additions and corrections, London: J. Debrett 1801 u. Neutral rights; or, An impartial examination of the right of search of neutral vessels under and of a judgement pronounced by the English Court of Admiralty, the 11th June, 1799, in the case of the Swedish convoy. With some additions and corrections, by J. F. W. Schlegel, translated from the French Philadelphia: Aurora Office 1801. Die Reaktionen, die Schlegels Text hervorrief waren: Croke, Alexander: Remarks on Mr. Schlegel’s work, Upon the visitation of neutral vessels under convoy, London: Wilks and Taylor 1801 sowie Ward, Robert Plumer: A treatise of the relative rights and duties of belligerent and neutral powers in maritime affairs. In which the principles of armed neutralities and the opinions of Hubner and Schlegel are fully discussed, London: J. Butterworth, Fleet-Street, by G. Woodfall, Paternoster-Row 1801. Ward nahm im selben Jahr noch ein weiteres Mal Stellung in der Debatte mit der Schrift: An essay on contraband. Being a continuation of the Treatise of the relative rights and duties of belligerent and neutral nations, in maritime affairs, London: J. Wright 1801. 369 Herausgehoben werden sollen an dieser Stelle beispielhaft nur das in Kopenhagen in dänischer und deutscher Sprache erschienene Werk Über die gebräuchliche Visitation der neutralen Schiffe und über die Konvoi nebst einem Mittel beide durch ein allgemeines garantirtes Seehandelsvölkerrecht zu heben von Mathias Hastrup Bornemann von 1801, bei dem schon im Titel die Forderung nach einer völkerrechtlichen Regelung deutlich wird; außerdem Görtz, Johann Eustach von: M8moire, ou pr8cis historique sur la neutralit8 arm8e et son origine, suivie de piHces justificatives, Basel 1801 und der deutschsprachige Beitrag: Kopetz, Adolph: Kurze Darstellung des durch Rußland im Jahre 1780 gegründeten Sistems der bewaffneten Neutralität. Ein Beitrag zur Aufklärung der gegenwärtigen Angelegenheiten zwischen den nordischen Höfen und Großbrittannien Prag: Widtmann 1801. In den USA meldete sich Thomas Paine zu Wort: Compact maritime, under the following heads, Washington: Samuel Harrison Smith 1801, indem er den englischen »Jakobinismus« zur See anklagte, den Schutz des neutralen Handels und die Freiheit der Meere forderte. 370 Büsch, Johann Georg: Ueber das Bestreben der Völker neuerer Zeit einander in ihrem Seehandel recht wehe zu thun, Hamburg: Benjamin Gottlob Hoffmann 1800.
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die neutralen Schiffe teilweise gar nicht rechtzeitig reagieren konnten, bzw. die diese in Situationen brachte, in denen sie entweder gegen französische oder aber britische Gesetze verstoßen mussten. Nach den Orders von 1807 und dem Bayonne-Dekret 1808 galt ein neurales Schiff, das mit Großbritannien handelte, bei den französischen Behörden als britisches; bei den Briten dagegen alle mit Frankreich handelnden Schiffe als feindlich. Die Zahl der Neutralen hatte sich seit 1806 allerdings drastisch verringert, da Frankreich und Großbritannien Druck auf diese ausübten, in dem Konflikt Position zu beziehen. Einzig Dänemark und die Vereinigten Staaten von Amerika hatten es zunächst noch vermocht, sich aus dem Krieg herauszuhalten, wurden letztlich jedoch auch gezwungen, ihre Neutralität aufzugeben. Im Falle Dänemarks geschah dies in der Folge des Angriffs Großbritanniens auf Kopenhagen und in den Vereinigten Staaten durch die Eigenblockade 1807. Auch wenn es sich im Verlaufe der Kontinentalsperre gegenteilig verhielt, musste Frankreich ein natürliches Interesse an der Aufrechterhaltung des neutralen Handels haben, da er die einzige Möglichkeit darstellte, Großbritannien im Seehandel zu umgehen und Handel mit überseeischen Gebieten aufrechtzuerhalten. Die eigene Seeflotte, Handelsschiffe miteinbegriffen, war praktisch zerstört und selbst, wenn es eigene Schiffe über den Atlantik schickte, liefen diese Gefahr, der absoluten Übermacht der britischen Flotte in die Hände zu fallen. Großbritannien hingegen versuchte mit rechtlichen und praktischen Mitteln, den Welthandel möglichst weitgehend zu kontrollieren und auch fremden Handel an sich zu binden, das heißt über Großbritannien laufen und dort versteuern zu lassen. In Großbritannien wurde immer wieder mit der »Regel von 1756« argumentiert, die während des Siebenjährigen Krieges aufgestellt worden war und besagte, dass jeder Handel mit Neutralen, welche auch mit dem Feind handelten, untersagt sei und dass aller Handel neutraler Staaten, der in Friedenszeiten als illegal gelte auch in Kriegszeiten verboten war (dies betraf besonders den Handel mit den Kolonien). Demzufolge sollte kein Handel mit Staaten betrieben werden, die auch mit Frankreich handelten. Der neutrale Handel, der Frankreich einen Zugang zum Kolonialhandel und womöglich auch zu Waren aus britischen oder von Großbritannien eingenommenen ehemaligen französischen Besitzungen verschaffte, stellte für den Inselstaat einen Nachteil dar, den zu beheben öffentlich gefordert wurde. Auf den Britischen Inseln ebenso wie auf dem Kontinent nahm die Frage nach den Rechten neutraler Staaten im Kriegsfalle einen breiten Raum ein. Im gegebenen Krieg zwischen Frankreich und England betraf dies Nordamerika und in wechselnder Konstellation Dänemark, Schweden, und zunächst auch noch Preußen, Portugal und Spanien. Die Forderung nach verlässlichen Regelungen mündete in eine Debatte um das Werk des britischen Publizisten und Politikers James Stephen. Der auf einen Satz reduzierte Verweis Stephens, dessen Schrift
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War in Disguise die Debatte anfeuerte, ist dafür bezeichnend: »The geographical way itself, indeed, is common to all nations: and we are perpetually told, that the sea is open and free. But a right of carriage may be restrained, in respect of the articles that are carried, and the places to or from which they pass, as well as in respect of the path-way itself.«371 Ebenso, führte Stephen weiter aus, wie das Postoffice exklusive Rechte auf den Transport von Briefen innerhalb von Großbritannien habe, wenngleich der Weg etwa von York nach London ansonsten allen privaten Transporten offenstehe, so könne auch der Transport bestimmter Waren auf dem Weg zwischen den Kolonien und dem Mutterland durchaus eingeschränkt werden. Seine Schrift erschien 1805 anonym und löste in der Presse zahlreiche größtenteils ablehnende Reaktionen aus. Die Diskussion um die Rechte der neutralen Schifffahrt nahm damit kurz vor der Kontinentalsperre ihren Anfang und erstreckte sich über deren gesamten Verlauf. Der wichtigste Schauplatz der publizistischen Auseinandersetzung überspannte bereits in der frühen Phase den Atlantik. Sie beschäftigte zunächst vornehmlich die britische und nordamerikanische Öffentlichkeit und erreichte ihren Höhepunkt auf dem Kontinent in den Folgejahren der ersten spürbaren Einschränkung durch die Blockadepolitik. Im Folgenden sollen drei Hauptbeiträge zur Debatte um die Rechte der Neutralen in den drei Sprachräumen dargelegt und in ihren Diskussionszusammenhang eingeordnet werden, beginnend mit den Thesen von Stephen und der Kritik an diesen.
Grobritannien: Stephen James Stephen (1758–1832) war ein englischer Politiker und Vater von Sir James Stephen, welcher ab den 1830er Jahren viel für die Edinburgh Review schrieb. In Poole in Dorset geboren nahm er in jungen Jahren einen Posten als Anwalt in Saint Christopher Island (heute St. Kitts) in der Karibik an, wo er zu einigem Vermögen gelangte. Zuvor war er journalistisch tätig gewesen und schrieb für die Morning Chronicle. Er ist bekannt als eine der zentralen Figuren der Abolitionsbewegung und unterstützte mit seinen juristischen Kenntnissen sowie den kolonialen Erfahrungen seinen Schwager William Wilberforce beim Abfassen des Slave Trade Act von 1807. In Fragen des Außenhandels vertrat er streng merkantilistische Positionen und seine Argumente wurden von der Opposition als Ausgangspunkt für die Orders in Council angesehen, wenngleich der direkte Einfluss Stephens auf die Regierung zur damaligen Zeit als eher gering einzuschätzen ist. Sein Einfluss auf die Öffentlichkeit durch die Schrift War in Disguise, or Frauds of the Neutral Flags, die in den Jahren 1805 und 1806 in vier 371 Stephen, James: War in disguise. Or the Frauds of the Neutral Flags, London 1806, 159.
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Auflagen herausgegeben wurde (drei davon in London und eine in New York) war dagegen durchschlagend. Stephen stellte in seinem Traktat fest: »[…] not a single merchant ship under a flag inimical to Great Britain, now crosses the equator, or traverses the Atlantic Ocean. […] With exception only of a very small portion of the coasting trade of our enemies, not a mercantile sail of any description, now enters or clears from their ports in any part of the globe, but under neutral colours.«372
Anstatt diese Tatsache aber als Erfolg der britischen Stärke zur See zu feiern, machte Stephen es sich zur Aufgabe, dem britischen Publikum und nicht zuletzt der Regierung, der allein er anfänglich den Text vorzulegen gedachte373, zu erklären, dass hinter der angeblichen Ruhe zur See durch die Verdrängung Frankreichs von den Meeren eigentlich ein »getarnter Krieg« geführt würde. Warum, so fragte der Autor, besitze Frankreich weiterhin die finanziellen Mittel, einen so kostspieligen Krieg zu führen? In Opposition zu der landläufigen Meinung seiner Zeit, die Frankreichs Wohlstand auf seine Binnenwirtschaft zurückführte, befand er, die finanziellen Grundlagen des Feindes könnten nicht allein im Innern des Landes und auch nicht in der Erschließung neuer Ressourcen durch die Eroberungen auf dem Kontinent liegen, sondern seien ohne einen Kolonialhandel, wie er ihm früher offenstand, nicht denkbar. Da Frankreich aber keinerlei Kolonien bzw. keinen Zugang zu ihnen mehr besitze und Großbritannien als »the unresisted master of every sea« den Handel französischer Schiffe dorthin gänzlich unterbinden konnte, gebe es nur eine Erklärung: Der Kontinent sei nur scheinbar von den Kolonien abgeschnitten. Der Rückzug von den Ozeanen sei lediglich eine »ruse de guerre«. Keinesfalls habe Frankreich auf den Überseehandel verzichten müssen. Ja, mehr noch: »The produce of the West Indies, sells cheaper at present, clear of duties, in the ports of our enemies, than in our own.«374 Dies sei ruinös für Großbritannien, dessen Größe sich auf seine Macht zur See und auf den maritimen Handel stütze und werde möglich dadurch, dass sich Frankreich der neutralen Schiffe für seinen Handel bediene: »It appears, then, on the whole, that our enemies carry on their colonial commerce under the neutral flag, cheaply as well as safely ; that they are enabled, not only to elude our hostilities, but to rival our merchants and planter, in the European markets; and 372 Ebd., 71 [Herv. im Orig.]. 373 Stephen setzt sich in seinem Text mit den Thesen Sir William Scotts auseinander. Dieser riet ihm, seine Schrift zu veröffentlichen statt sie lediglich der Regierung vorzulegen; vgl. Thorne R. J.: James Stephen, In: ders. (Hg.): The History of Parliament. The House of Commons 1790–1820, London 1986; online unter : http://www.historyofparliamentonline. org/volume/1790-1820/member/stephen-james-1758-1832. 374 Stephen: War in disguise (wie Anm. 371), 108 [Herv. im Orig.].
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that their comparative, as well as positive advantages, are such, as to injure our manufacturers, and threaten our colonies with ruin.«375
Die Gefahr, der Stephen sein Land gegenübersah, lag für ihn in der Errichtung einer globalen Vorherrschaft Frankreichs (»Universalherrschaft«), das sich indirekt über private Kaufleute neutraler Staaten, die Ressourcen verschaffe, den Krieg endlos fortzuführen, um letztlich Großbritannien und den gesamten Globus zu unterwerfen. In Bezugnahme auf die Regel von 1756 nivellierte seine Argumentation den Unterschied zwischen feindlichem und neutralem Handel und wies die britischen Maßnahmen gegen die Neutralen als Selbstverteidigung aus. »As long as French or Spanish sugar and coffee, can pass from the West Indies, under neutral colours, or even on neutral account, to any market on earth, so long the colonial interests of the planter, and of the state, will be partially, if not wholly, protected from the ruinous effects of war«376. Dies aber müsse Ziel Großbritanniens sein, um auf ein Ende des Krieges hinzuwirken. Sein Land müsse den neutralen Handel als das begreifen, was er tatsächlich sei, nämlich ein illegales Vorgehen im Dienste des Feindes, das es zu bekämpfen gelte. Wie im oben angeführten Zitat bereits gesehen, sah Stephen in der Bekämpfung der Neutralen keinen Verstoß gegen das Prinzip der freien Meere.377 Stephen benutzte also die vorgebliche Gefahr einer globalen Übermacht Frankreichs, um für ein mit Entschiedenheit, militärischer Stärke und kriegsrechtlicher Legitimierung durchgesetztes Vorgehen auch und gerade gegen die private neutrale Schifffahrt zu argumentieren. Mit der Bedienung des Gedankenbildes von der Weltaufteilung in eine Seemacht einerseits und eine Landmacht andererseits entwirft er ein Szenario des Gleichgewichtes, das durch den »getarnten Krieg« der Neutralen im Handelskrieg aufseiten Frankreichs ins Wanken zu geraten drohe. Die Kampfansage an den neutralen Handel wurde damit als Mittel zur Wiederherstellung eines universellen Gleichgewichtes gerechtfertigt. Denn dieser Kampf der Giganten spielte sich vor dem Hintergrund der Aufteilung des gesamten Globus zwischen den beiden stärksten europäischen Mächten ab. Derselben Logik folgend wie einst die Seemächte Portugal und Spanien, die sich die Welt im 15. und 16. Jahrhundert in ausschließliche Handelsbereiche eingeteilt hatten, sollte nun die Einflusssphäre Napoleons auf den europäischen Kontinent und damit aufs Festland beschränkt werden, während Großbritannien die Weltmeere alleine beanspruchte. Für Stephen war kolonialer Handel zwangsläufig Monopolhandel und zwar aus dem Grund, dass er ihn nicht recht eigentlich als Handel begriff, da es sich nicht um Kauf und Verkauf handele,
375 Ebd., 111. 376 Ebd., 174. 377 Vgl. Zitat der Anm. 372.
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sondern die Ware desselben Besitzers lediglich ihren Ort wechsele.378 Er sprach sich daher vehement gegen eine Liberalisierung des Handels aus und erwähnte Schlegel als einen der Vertreter der falschen Freihandelstheorie. Stephens Interpretation des Konfliktes und die damit verbundene Weltsicht stießen in der Publizistik auf harsche Kritik. Es verwundert nicht, dass sich als erstes in den Vereinigten Staaten von Amerika öffentlicher Widerstand dagegen regte, denn der nordamerikanische machte bereits vor der Kontinentalsperre den Großteil des neutralen Handels aus. Im Februar 1806 erschien in New York eine anonyme Gegenschrift unter dem Titel An Answer to War in Disguise, or remarks upon the new Doctrine of England Concerning Neutral Trade.379 Als Autor gilt US-Gründervater Gouverneur Morris, der zu diesem Zeitpunkt bereits von seinen politischen Ämtern zurückgetreten war und sich dem Engagement in der Eriekanal-Kommission zugewandt hatte, deren Vorstand er von 1810 bis 1813 wurde. Aber auch und besonders in Großbritannien selber kritisierten Publizisten die Schrift von Stephen; es erschien die auf Französisch veröffentlichte und damit auch auf ein kontinentales Publikum zielende Schrift La Paix en Apparence.380 Der Autor wählte das Pseudonym Cosmopolis und legte detailliert dar, Herkunft und europäische Erfahrung befähigten ihn zu einem objektiven Standpunkt; er bezog aber seinerseits Position für Großbritannien.381 Zudem wurden Stephens Werk und die beiden Gegenschriften in den Jahren 1805 und 1806 in neun der führenden britischen Zeitschriften besprochen und in rund 40 Artikeln diskutiert. Die überwiegende Mehrzahl der Reaktionen war ablehnender oder besorgter Art. Die offene Affirmation des Alleinherrschaftsanspruches spiele, so die Warnung, dem Feind in die Hände und bestätige die Vorwürfe gegen Großbritannien, die dieser als Kriegsbegründung anführe. Die Kritiker gestanden zu, dass die Einschränkung des illegalen Handels der Neutralen, der direkt zwischen Kolonien und Mutterland des Feindes stattfinde oder Kriegsmaterial betreffe, gerechtfertigt sei. Morris, der Stephens anonym erschienene Schrift als die offizielle Haltung der britischen Regierung inter378 Vgl. Stephen: War in disguise (wie Anm. 371), 168–169. 379 [Morris, Governor]: Answer to War in Disguise. Or Remarks upon the New Doctrine of England Concerning Neutral Trade, New York: Riley & Co. 1806. 380 Cosmopolis: La Paix en Apparence. R8ponse / l’8crit intitul8 La Guerre d8guis8e ou consid8rations politiques sur les v8ritables int8rÞts de la Gande-Bretagne relativement aux Puissances Neutres, London: Cox & Baylis 1806. 381 »Je ne suis n8 ni en France, ni en Angleterre, ni dans aucun pays actuellement soumis / l’une ou l’autre de ces deux puissances. Par mes sentimens je ne suis rien moins que FranÅois, ni ancien, ni moderne. J’ai pass8 ma vie en divers pays de l’Europe et me suis familiaris8 avec l’esprit de toutes les nations; j’ose donc me dire v8ritablement cosmopolite; de plus je ne suis, et ne fus jamais, ni n8gociant ni avocat. Nul int8rÞt pr8sent, pass8 ou futur, ne dirige ma plume. Retir8 des affaires et du monde, je n’8cris que pour rendre hommage / la v8rit8, et servir, s’il se pouvoit, la cause g8n8rale des peuples.«; vgl. ebd., vii.
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pretierte, hielt zunächst fest, dass die Neutralen nicht ihre Rechte zu einem illegalen Kommissionshandel missbrauchen durften; in den meisten Punkten, die er der Struktur des Originals folgend behandelte, widersprach er jedoch Stephen aus Gründen der »Vernunft und Gerechtigkeit«, wie er wiederholt unterstrich. Die Streitschriften prangerten, in Parallelsetzung der beiden Konfliktparteien, das Großmachtstreben Großbritanniens an. Anders als Morris sah Cosmopolis in Stephens Argumenten zwar nicht die offizielle britische Regierungslinie – diesen Standpunkt hielt er für einen Verrat am europäischen Bürgerssinn (»lHse-civisme Europ8en«) –, doch besorgte auch ihn die Publikation derartiger Thesen, über deren Veröffentlichung alle »wahren Freunde Englands« empört gewesen seien. Der Autor ging aus seiner Perspektive eines »Kosmopoliten« heraus auf das Interesse Großbritanniens an einem guten Verhältnis zu den Vereinigten Staaten von Amerika und den noch neutralen Staaten auf dem europäischen Kontinent ein, die durch ein Pochen auf das eigene Vorrecht auf See zu düpieren auf lange Sicht nachteilig wäre.382 Es sei also nicht im britischen Eigeninteresse, seine dominante Haltung durchzusetzen. Morris dagegen ging weniger auf Großbritannien, denn auf das Interesse der anderen Völker ein. Im Namen der Gerechtigkeit rief er die europäischen Mächte an: »Powers of Europe, awake! America is to be plundered, in order that a tribute may be raised from your subjects, by the commercial rapacity of Britain.«383 Großbritannien ginge es nicht um den Ausgleich der Mächte und die Freiheit der Menschheit. »[It] would grasp at all trade, while complaining that, for the protection of what they already possess, the navy of Britain must be spread over every sea.«384 Es würde daher nicht nur Frankreichs Macht zur See als Konkurrenz fürchten, sondern auch ein Erstarken von Amerikas Handel: »To check this envied prosperity of America, blooming on the general felicity of mankind, it is proposed to make war ; not in disguise, but open and flagrant, as it is unprovoked and unjust. [… O]n the principle that Great-Britain can in no other way fasten on the necks of other nations, the yoke of her commercial monopoly.«385
Die kriegstreibende Folge dieser Politik war auch für Cosmopolis ein zentraler Punkt. Wie Stephen äußerte er die Vorstellung eines globalen Mächtegleichgewichtes zwischen dem Kontinent und Großbritannien. Die Stärke des Letzteren setze als Gegengewicht der Übermacht Frankreichs eine Schranke: »DHs mes premiHres 8tudes, j’appris / envisager l’Angleterre, et par sa position topographique, et par ses relations commerciales et politiques, comme le contre-poids 382 383 384 385
Vgl. ebd., 81–82. Morris: Answer to War in Disguise (wie Anm. 379), 54. Ebd., 68. Ebd., 68 [Herv. im Orig.].
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naturel / la grande puissance Continentale qui, de tout temps, a voulu peser sur toutes les autres.«386 Seine Hoffnungen richteten sich auf das Ende der Herrschaft Napoleons in Europa. Allerdings sah er in der Position Stephens die Gefahr, dass Großbritannien dieselbe tyrannische Politik wie Frankreich an den Tag legen mochte. Das Übergewicht im Seehandel zugunsten Großbritanniens würde nicht zum Ausgleich der Mächte führen. Eine Partizipation anderer Länder im Überseehandel sei wünschenswert. In eine etwas andere Richtung ging Morris, indem er dem Hauptargument Stephens widersprach, die Macht Napoleons beruhe auf dem Kolonialhandel: »How weak […] the pretext, opposed to history and experience, that the power of France is dependent on a trade with her colonies: that to cut off the intercourse, maintained by intervention of neutrals, would enfeeble that vast empire; and, therefore, that it is lawful to pursue the doubtful consequence by immediate wrong.«387
Die wahre Stärke ziehe Frankreich aus dem eigenen Boden, aus den geringeren Ausgaben für Luxusgüter, aus der kriegsbedingt geringen Anzahl alter und kranker Menschen sowie aus der Plünderung der eroberten Gebiete in Europa. Der Schaden, der Frankreich durch eine totale Einschränkung allen neutralen Handels mit dem Feind drohe, sei daher im Verhältnis zum Schaden für die Neutralen zu vernachlässigen und somit nicht zielführend und unrechtmäßig. Die Forderungen Stephens, so der Tenor der Publizisten, seien nicht mit dem Völkerrecht vereinbar und hoben die Diskussion damit auf eine rechtliche Ebene. Morris betonte, das Argument der Selbstverteidigung könne nicht über das Abwenden der gänzlichen Vernichtung hinaus ausgedehnt werden und nicht als Verteidigung der eigenen Interessen und gewohnten Vorzüge (Alleinherrschaft zur See) die Rechtfertigung für die Einschränkung der Rechte der Neutralen sein.388 Das Faustrecht auf See dürfe niemals Völkerrecht werden, auch wenn in der Praxis oft der Stärkere dem Schwächeren sein Eigentum streitig mache. Auf den letzten Seiten zog Morris die Argumente von Stephen mit sarkastischem Unterton ins Lächerliche und hob auf die kriegstreibende Logik seiner Lösungsvorschläge ab. Für den Vorwurf, der Feind würde den Handel über die Neutralen zu seinem Vorteil nutzen, hatte Morris nur Häme übrig: Solle, so fragte er rhetorisch, Frankreich aus Altruismus mit den Neutralen handeln? Und tue es dies nicht, sei das eine Rechtfertigung für England, diesen Handel zu verbieten?389 »[Y]our enemy has declared that his war is a general interest: that it is waged to establish a general right: that you are tyrants of the sea, and, in pursuit of gain, violate the first principles of justice. Is this the 386 387 388 389
Cosmopolis: La Paix en Apparence (wie Anm. 380), vii–viii. Morris: Answer to War in Disguise (wie Anm. 379), 56–57. Vgl. ebd., 68–71. Vgl. ebd., 70–75.
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language of truth? If it be, how can you ask the aid of man?«390 Auch Cosmopolis machte deutlich, dass das Völkerrecht weltweit für alle gleichermaßen gelten müsse: »Non, jamais les peuples civilis8s ne courberont leur tÞtes sous le joug honteux des lois que cet auteur voudroit dicter, et les nations ne reconno%tront d’autre droits maritimes, que ceux qui appartiennent 8galement / toutes«391. Am visionärsten formuliert wurde das Thema des globalen Rechts aber in der Edinburgh Review. In der Review widmete sich Francis Jeffrey im April 1806 ausführlich der Schrift von Stephen.392 Auf elf Seiten legte er detailliert die Argumente von Stephen dar und auch er gestand ein, dass Großbritannien tatsächlich ein Interesse habe, den Handel der Neutralen zwischen den Kolonien und Frankreich, der besonders über die Umdeklarierung von Waren in den Vereinigten Staaten von Amerika stattfinde, auszuschalten. Doch auf den verbleibenden 24 Seiten holte Jeffrey zur Gegenrede aus. Die zentrale Frage sei schließlich nicht die des britischen Interesses, sondern eine des Rechts. Dass es im Interesse Großbritanniens liege, den neutralen Handel zu unterbinden, stünde wie zu Anfang der Rezension ausgeführt außer Frage,393 doch müsse untersucht werden, ob es auch das Recht dazu habe. Dies sei zweifellos nicht der Fall: »We cannot annihilate the foreign trade of the rest of the world, in order to diminish the comforts, or cut off the resources of the nation with which we happen to be at war.«394 In das Kalkül seien nicht nur die Rechte der Kriegsparteien und der betroffenen handeltreibenden Neutralen einzubeziehen, sondern die Gesamtheit der Staaten auf der Welt. Während die asiatischen Mächte in der Diskussion um die globalen Rechtsgrundlagen weitestgehend ausgeblendet wurden, da sie keine direkten Interferenzen im Konflikt darstellten und eine Integration der »Neuen Welt« in die direkte Einflusssphäre Europas stattfand, schloss die Edinburgh Review an dieser Stelle den asiatischen Weltteil in ihre rechtspolitischen Überlegungen ein: »[T]he inconveniences and sufferings of China or Japan, may form an essential element in that calculation which is to settle the true proportion between the whole good and evil of the opposite pretensions in this very controversy.«395 Und Jeffrey geht noch weiter, indem er 390 Ebd., 76. 391 Cosmopolis: La Paix en Apparence (wie Anm. 380), 91 [Herv. im Orig.]. 392 Jeffrey, Francis: War in disguise, or the Frauds auf the Neutral Flags, In: The Edinburgh Review (Apr. 1806), Art. I, 1–35. 393 So zweifelsfrei wie Jeffrey es hier darstellt, stellte sich die Lage allerdings nicht dar und die britische Politik zeugt durch ihre systematischen Ausnahmen vom allgemeinen Blockaderecht in den Orders in Council oder Lizenzen von dem Bemühen, den neutralen Handel zum eigenen Vorteil zu nutzen; vgl. Heckscher : The Continental System (wie Anm. 32), 206–209 u. Kim; Su Jin; Oldham, James: Insuring Maritime Trade with the Enemy in the Napoleonic Era, In: Texas International Law Journal 47.3 (2012), 561–586, hier 567. 394 Jeffrey : War in disguise (wie Anm. 392), 13. 395 Ebd., 18.
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zur endgültigen Klärung der Rechtmäßigkeit des Vorgehens sogar ein imaginiertes Stimmrecht jedes einzelnen Staates voraussetzte. Denn das Völkerrecht in der Situation des frühen 19. Jahrhunderts betreffe praktisch jedes Land der Erde und aus diesem Grund müsse auch jedes Land an der Entscheidung beteiligt werden: »In an age like the present, there is scarcely a country on the globe that is not interested in the decisions of that great tribunal which judges of the law of nations; and wherever there is an interest, there ought to be a suffrage in the decision. A true verdict can only be found, in such a question, by a jury de medietate linguae, composed of all the civilized nations of the world.«396
Wenn solcherart die Interessen aller Beteiligten berücksichtigt würden, bestünde kein Zweifel, dass die Einschränkungen des neutralen Handels über bestimmte Fälle hinaus (direkter Handel zwischen Kolonien und Mutterland, sowie Transport kriegswichtiger Waren) unrechtmäßig seien: »In balancing together the good and the evil to be produced by this restriction, the common sense and common equity of mankind has decided, without hesitation, against its adoption; and the trade of neutrals with belligerents has been declared free by the law of nations.«397 Eine Rückkehr zur Regel von 1756 sei damit völkerrechtswidrig: »Upon the whole, then, we conceive that the rule of the war 1756 is not agreeable to the analogy of any rule universally received as part of the law of nations«398. Auch Cosmopolis verteidigte gegen die von Stephen angeführte Regel von 1756 eine weitgefasste Definition von Neutralität: »Elle est la continuation de la paix et d’une amiti8 impartiale de la part d’une nation envers deux ou plusieurs autres, qui sont venues en contestation et en guerre ouverte. Le devoir de la nation neutre est donc de s’abstenir de toute hostilit8 ouverte ou cach8e conte l’une ou l’autre des parties bellig8rantes, par cons8quent aussi de ne fournir / aucune d’elles des moyens directs et imm8diats de nuire / son adversaire. Son droit est de poursuivre, de cultiver, et d’8tendre, avec l’une et l’autre, ses relations d’amiti8 et de commerce qui ne consistent point en moyens imm8diats de nuire / l’adversaire.«399
Von diesem »universalen Recht« könne, so der Autor, keinerlei königliche Proklamation oder Instruktion eine Ausnahme machen.400 Von den völkerrechtlichen Überlegungen ausgehend stellte Jeffrey in der Edinburgh Review generelle Betrachtungen über das Kriegsrecht zur See an: »In 396 397 398 399 400
Ebd., 18. Ebd., 30. Ebd., 31. Cosmopolis: La Paix en Apparence (wie Anm. 380), 24 [Herv. im Orig.]. Er gab als rechtwissenschaftliche Quelle, auf die er sich bezog, Thomas Rutherforths: Institutes of Natural Law Cambridge 1754–1756 an.
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the enlightened policy of modern times, war is not the concern of individuals, but of governments.«401 Es dürfe daher kein Privateigentum des Bürgers eines verfeindeten oder neutralen Staates vom Kriegszustand betroffen werden und der Konfiskation anheimfallen. Was zu Lande gelte, müsse aber auch auf See gelten und nicht der einfachen Durchführung von Prisen geopfert werden: »The wars which have afflicted Europe for the last fifteen years, have not been of a character favourable to the development of such liberal principles, but we still entertain the hope of seeing them universally established; and willingly persuade ourselves that there is nothing chimerical in the idea of confining our maritime wars within the same limits with those which are waged on land, and completing, all over the civilized world, the distinction between an armed enemy and a pacific trader.«402
Das Meer gehöre allen, betont auch Morris, und könne nicht für das Interesse eines einzelnen Staates eingeschränkt werden. Im Krieg könne durchaus das feindliche Eigentum zur See gekapert werden, nicht dagegen das eines befreundeten Staates. Im Falle der Neutralen sei die Konfiskation nur dann erlaubt, wenn die Schiffe ihren eigentlichen neutralen Charakter tatsächlich aufgeben hätten und Position im Krieg bezögen.403 Wir sehen hier, wie die wesentlich britischen Partikularinteressen das Wort redenden Thesen Stephens eine Diskussion entflammten, die sich um Fragen globaler Gerechtigkeit und transnationaler Rechtsnormen drehte. Die offensichtlich ungerechten Übergriffe Großbritanniens auf neutrales Privateigentum und deren öffentliche Verteidigung wurden eingebettet in den Rahmen globaler Rechtsprinzipien, auf deren Auslotung die Gegenschriften abzielten und die bis zur Vorstellung eines säkularen ›Weltgerichtes‹, das in einer paritätisch besetzten Jury aller, auch der nicht direkt betroffenen asiatischen, Staaten reichte. Es war ein Aushandeln, ein öffentliches Nachdenken über das Zusammenleben der Menschen der verschiedenen Länder auf dem Globus und seiner juridischen Grundlagen. Frankreich: Lesur Die leitende Streitschrift von französischer Seite erschien 1810 anonym unter dem Titel M8moire sur la conduite de la France et de l’Angleterre / l’8gard des neutres.404 Der Autor Charles-Louis Lesur aus einer niederen Beamtenfamilie, profitierte von der Französischen Revolution und arbeitete im Finanz-, später unter Talleyrand im Außenministerium und veröffentlichte vorwiegend histo401 402 403 404
Jeffrey : War in disguise (wie Anm. 392), 13. Ebd., 15. Vgl. Morris: Answer to War in Disguise (wie Anm. 379), 31. Lesur, Charles-Louis: M8moire sur la conduite de la France et de l’Angleterre / l’8gard des neutres, Paris: A. Galland 1810.
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rische Werke; unter der Restauration bekannte er sich zur konstitutionellen Monarchie. Hervorgetreten ist er besonders durch die Gründung der Zeitschrift Annuaire historique universel (1819–1839). Zuvor hatte er an der antibritischen Zeitschrift The Argus, or London review’d in Paris (1802–1810) mitgearbeitet. Die harsche Kritik an Großbritannien drückte sich auch in seinem Beitrag zur Debatte um die Neutralen aus. Wie auch Morris, dessen Schrift ihm bekannt war, hielt er Stephens Schrift für ein Auftragswerk der britischen Regierung,405 dessen Autor zu diesem Zeitpunkt der Debatte noch nicht öffentlich identifiziert war und von Lesur einem britischen Richter zugeschrieben wurde.406 »Ce qu’il y a de bien 8trange et de bien remarquable ici, c’est que le moyen indiqu8 par le juge Rogers est litt8ralement le mÞme que sa Majest8 britannique a daign8 adopter dans son ordre du conseil du 21 novembre 1807.«407 Lesur sah sich berufen, den – wie er es bezeichnete – siebenjährigen Krieges zwischen Großbritannien und Frankreich, der auf beiden Seiten zu gewaltsamen Übertritten und illegalen Handlungen geführt habe, einzig aber auf französischer Seite durch höhere Ziele zum Wohle der Menschheit gerechtfertigt sei, auf Grundlage der Geschichte des Seerechts zu interpretieren. Dazu teilte er die Geschichte in vier Phasen ein, von denen die erste die Zeit von der Antike bis 1763 umfasste, die zweite den Unabhängigkeitskrieg der Vereinigten Staaten von Amerika, die dritte die Französische Revolution bis zum Frieden von Amiens und die vierte schließlich die acht Jahre seitdem bis zur Gegenwart der Streitschrift. In der ersten Periode, so Lesur, habe es noch keinen Begriff von maritimem Recht außer dem Recht des Stärkeren gegeben und so habe auf den Meeren Piraterie und Gewalt geherrscht. Trotz der chronologischen Narration seiner Abhandlung deutet er diskursiv eine Ähnlichkeit des britischen Machtverhaltens mit demjenigen Karthagos an. Dieser habituelle Vergleich erlangt aufgrund seines rechtsgeschichtlichen Fortschrittsnarrativs an dieser Stelle allerdings eine erweiterte Signifikanz: Die britische Politik wird auf diese Weise als altertümlich, rückständig und unzeitgemäß gekennzeichnet. Ohne Großbritannien beim Namen zu nennen, überlässt er es seinem Leser, die Schlüsse zu ziehen: »Dans le mÞme temps, s’8levait une puissance plus ambitieuse dans ses pr8tentions, plus dangereuse dans sa politique et plus puissante dans ses moyens, c’est-/-dire, Carthage. On ne peut penser / l’immensit8 de son commerce, / l’8tendue de ses colonies, / la puissance de sa marine, / son insolence envers les faibles, / sa politique 405 »Un am8ricain r8pondit / ce libelle par un 8crit«. Den Titel gibt er, wie andere Autoren auch, fälschlicherweise mit »Reply to War & c« und als Jahr 1805 an; vgl. ebd., 149. 406 »Il parut / cette 8poque / Londre, sous l’influence ou la dict8e du ministHre anglais un pamphlet intitutl8 War in disguise (la Guerre d8guis8e) g8n8ralment attribu8 au juge Rogers.«; vgl. ebd., 147. 407 Ebd., 148–149.
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astucieuse avec les forts, aux guerres sanglantes que son orgueil excita, / l’esprit mercantile qui la dirigeait mÞme au milieu des illusions de la victoire, et / l’apog8e de sa grandeur, sans tourner involontairement ses regards sur une nation qui semble avoir h8rit8 de sa puissance et de sa politique.«408
Im Laufe der ersten Periode zeichnete sich in Lesurs Beschreibung nach und nach das rechtlose Verhalten Großbritanniens ab, bis in der Regel von 1756 die britische Missachtung der Neutralität und des Prinzips, dass das Schiff die Ladung schütze (das heißt freie Schiffe, freies Gut bedeuteten, welches auf diesen nicht konfisziert werden dürfte), deutlich geworden sei.409 In der zweiten Periode vor der Französischen Revolution bildeten sich im Zusammenhang der ersten Bewaffneten Neutralität und auf Betreiben der kontinentalen Staaten Russland, Frankreich und Niederlande erstmalig allgemeine seerechtliche Regelungen heraus, die einen völkerrechtlichen Charakter hatten, da sie von den meisten Staaten und teilweise auch von Großbritannien angenommen wurden.410 Seit der Französischen Revolution und damit, nach Lesurs Einteilung, der dritten Periode habe Großbritannien dann offen die politische Situation in Frankreich dazu genutzt, seinem Gegner systematisch das Völkerrecht zu verwehren, und begonnen, unter Vorwänden seine maritime Macht auszubauen sowie entgegen vorhandener Verträge Durchsuchungen feindlicher und neutraler Schiffe, Konfiskationen und Blockaden durchzuführen. Im Abschnitt zur vierten Periode behandelt Lesur die Zeit seit dem Frieden von Amiens bis zur aktuellen Phase der Kontinentalsperre, welche er als notwendige Schutzmaßnahme gegen die Orders in Council der britischen Regierung interpretiert. Im Anschluss an ein Zitat von Stephens heißt es: »On voit d’aprHs ce paragraphe que le conseil britannique n’avait pas besoin de d8crets de Berlin et de Milan pour la conception de ses ordres[…]«411. In seinem Fazit macht er zwei Unterschiede auf: Erstens sei das Vorgehen der französischen Regierung gegen die Neutralen bloß aus Selbstschutz geboren, während die britische Regierung dadurch ihre Herrschaft der Meere sichern wollte. Zweitens – und hier kommt der Konflikt mit den Vereinigten Staaten von Amerika seit der Verhängung des Non Intercourse Acts ins Spiel – sei die vorgeblich gleiche Bedingung der Vereinigten Staaten von Amerika gegenüber den beiden Kriegsparteien, nämlich die, dass der Handel wieder aufgenommen werde, sobald die jeweiligen Dekrete (Orders in Council und Berliner Dekret) aufgehoben würden, in Wirklichkeit keinesfalls gleichwertig. Während die Aufhebung der Orders zum Allgemeinwohl aller Beteiligten beitrüge, würde, sollte Frankreich die Bedingung akzeptieren, seine 408 409 410 411
Ebd., 7–8. Vgl. ebd., 45–47. Vgl. ebd., 81–82. Vgl. ebd., 149.
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Dekrete aufzuheben, der dominanten Stellung Großbritanniens nur weiter Tür und Tor geöffnet. Lesurs klar strukturierter und trotz detailreicher Schilderungen flüssiger Text zeichnet den Autor als journalistisch treffsicheren Publizisten aus. Gleich in den ersten Sätzen hebt er auf die globale Bedeutung des Konfliktes ab: »La guerre qui s’est rallum8e depuis sept ans entre la France et l’Angleterre, enveloppe les int8rÞts du monde entier. Il n’y a point de nation neutre qui n’en ait 8t8 victime.«412 Seine schematisierende Argumentationslinie bleibt im Verlauf der Abhandlung stets erkenntlich: Frankreich habe das Wohl der gesamten Menschheit im Blick, während Großbritannien nur seinen eigenen Interessen gemäß handele: »Enfin l’opinion de l’une [Frankreich] est commune / toutes les nations commerÅantes; et il est impossible de ne pas reconna%tre dans le systHme de l’autre [England] une volont8 toute contraire au systHme g8n8ral.«413 Auf diesem ideologischen Boden konstruierte er eine stringente rechtsgeschichtliche Entwicklung, indem er sich auf die Vorväter des internationalen Rechts Hugo Grotius, John Selden sowie Christian Wolff beruft.414 Besonders ging es ihm um die Anerkennung des Rechtsprinzips, dass »frei Schiff auch freie Ware« bedeute, welche von Großbritannien systematisch missachtet würde. Diese Forderung dominierte den französischen Diskurs zu Freihandel und Neutralen. Die Debatte in Frankreich war ihrerseits von dem Ideal eines globalen Rechtsrahmens belebt. Allerdings wurde in manichäischer Weise die Trieb- und Blockadekraft den beiden Streitparteien zugeordnet. Die universalistischen Ziele des freien Seehandels und den Neutralitätsrechten verfolgte dieser Deutung zufolge allein die französische Seite, während Großbritannien nach bloßem, macht- und profitgesteuertem Eigeninteresse handele. Die repressiven Maßnahmen der französischen Regierung konnten somit als widerwillig ergriffener, doch notwendiger Verteidigungsakt gerechtfertigt werden. Deutschland: Lüders Den deutschsprachigen Hauptbeitrag zur Problematik der Neutralen beschäftigte unter anderen seerechtlichen Fragen in erster Linie die des freien Gutes auf freien Schiffen. Dieser stammte von Ludwig Lüders, Kammersekretär zu Altenburg (1776–1822), welcher zu Anfang seiner Karriere einige Romane und Aphorismen zur (Bildungs-) Geschichte und später politische und Verwaltungsschriften schrieb. Seine Veröffentlichungen zeugen von einem starken Interesse an Europa, am Tagesgeschehen und an sozialen Fragen wie der des 412 Ebd., 1. 413 Ebd., 197. 414 Vgl. ebd., 18, 25 u. 130, Anm. 1. Zu den völkerrechtlichen Positionen von Grotius und Selden vgl. Kapitel III.2.3.2.
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Armenwesens, für das er in Altenburg zeitweilig politisch zuständig war. Er schrieb unter anderem in den Feuerbränden.415 1812 veröffentlichte er eine Schrift mit dem Titel Das Continental-System.416 Lüders positionierte sich in der öffentlichen Debatte aufseiten Frankreichs und erklärte wie Lesur, dass dessen Haltung dem allgemeinen Völkerrecht, der Freiheit der Meere diene, während die britische Position lediglich dem Eigeninteresse des Staates entspringe. Allerdings ist seine Abhandlung weniger polemisch als die seines französischen Vorgängers. Auch Lüders hielt dafür, dass der Streit über die Rechte der neutralen Flaggen zwischen England und dem Kontinent nur vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung verstanden werden könne:417 »Man sieht seit vielen Jahren Europa’s Continent in unaufhörlichem Kampfe – man erzählt sich wohl von gelieferten Seeschlachten, genommenen Kolonien, blokirten Küsten und auch von Nordamerika’s Streitigkeiten mit dem Mutterlande, von den Englischen Kabinetsbefehlen wider Frankreich, dessen Alliirten und selbst die Neutralen; von Frankreichs Dekreten aus Berlin, Mailand und Trianon – man sieht die Fabrikate Englands, wo sie nur gefunden werden, wie Scheiterhaufen verlodern und die Erzeugnisse der Kolonien hohen Abgaben unterliegen […] auch erkennt man darin wohl die Folgen des ungeheuern Kampfes des Continents mit Großbritanniens kühn widerstrebender Macht: – allein die Basis des Prozesses, der eigentliche deutliche Inhalt seiner Akten ist wohl im Allgemeinen so dunkel, die Streitfragen an und für sich sind noch so wenig mit klaren unumwundenen Worten ausgesprochen worden […].«418
Auch für Lüders war es aus der rechtshistorischen Entwicklung klar erkenntlich, dass Frankreich sich immer in den Dienst der Verteidigung der Freiheit der Meere und der »Heiligkeit der neutralen Flagge«, der Verbannung der Kaperei und Respektierung des Privateigentums zu Wasser wie zu Lande gestellt habe.419 Sosehr jedoch Frankreich für die Anerkennung des »völkerrechtliche[n] Princip[s]« kämpfte, zeige es sich, dass seine Bemühungen an Großbritanniens »Felsenküste scheiterten«. Und auch bei ihm steht der Vergleich mit der antiken Handelsmacht an exponierter, nämlich abschließender, Stelle im Text. Zu Eingang der Abhandlung hatte er festgehalten, dass die Antike noch gar kein Seevölkerrecht kannte und so führt auch bei Lüders die Parallelsetzung von Zitaten 415 Er schreibt unter anderem in den Neuen Feuerbränden über das »Wesen der Geschichte« sowie den Aufsatz »Stimme eines Kosmopoliten an die Brüder aller…[Logen]«, In: Neue Feuerbrände 18 (1808), 126–132. 416 Lüders, Ludwig: Das Continental-System, Leipzig: Kunst- und Industrie-Comptoir von Amsterdam 1812. 417 Vgl. ebd., 9. 418 Ebd., 2–3 [Herv. im Orig.]. Als Lüders seine Abhandlung veröffentlichte, war bereits die Verordnung zur Verbrennung aller britischen Waren im Dekret von Fontainebleau vom Oktober 1810 in Kraft getreten. 419 Vgl. ebd., 96–98.
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Lord Chathams (»Ohne Britanniens Erlaubniß, darf keine Kanone auf dem Meere gelöset werden!«) mit denen von Karthagos Feldherr Hanno (»nie werde ich dulden, daß ein Römer in Siciliens Gewässern sich die Hände wasche.«) zu einer diskursiven Gleichsetzung des britischen Verhaltens mit Rechtswillkür. Auf knapp hundert Seiten behandelt Lüders folgende Fragen: ob frei Schiff, frei Gut mache; unter welchen Bedingungen ein Platz als blockiert angesehen werden könne; und ob den Neutralen ein Handel, welcher ihnen in Friedenszeiten verboten war, in Kriegszeiten erlaubt sein dürfe.420 Neben der Klärung der seevölkerrechtlichen Sachverhalte machte es sich der Text zur Aufgabe, auch die politischen Positionen zu klären: »Was will der Continent von England? Was will England überhaupt?« Aus der Beantwortung dieser werde unzweifelhaft hervorgehen, dass nicht nur das Schicksal der europäischen Fürsten, sondern auch der Fortschritt der Kultur überhaupt vom Gelingen des »Continental-Systems« abhinge.421 Lüders argumentierte weniger unter Rückgriff auf universelle Prinzipien des internationalen Rechts, sondern anhand der existierenden positivrechtlichen Verträge: »Allein auch hier ist es nicht das natürliche Völkerrecht, sondern die Völker-Praxis, welche allein eine befriedigende Antwort ertheilen kann.«422 Er kam also auf Grundlage der Erörterung des neueren Völkergewohnheitsrechts zu dem Schluss, dass der Streit über die drei eingangs genannten Fragen (ob frei Schiff, frei Gut mache; wann eine Blockade rechtmäßig sei; und ob der neutrale Handel in Kriegszeiten Sonderrechten unterlag) zwischen den kontinentalen Mächten und Großbritannien der Grund für den aktuellen Krieg sei. Das übergeordnete Fazit Lüders war also, dass der Mangel an Einigkeit in internationalen Seerechtsfragen den andauernden Kriegszustand, unter dem die verschiedensten Länder und ihre gesamte Bevölkerung litten, erklärte. Freilich stand auch für ihn außer Frage, bei wem die Hauptschuld für den anhaltenden Konflikt zu suchen sei: »Gegen diese Gründe der Engländer lassen sich wichtige Gegengründe anführen. Ihrer ganzen Darstellung liegt überhaupt große Einseitigkeit zum Grunde, und es ist daher ihre sogenannte Kriegsregel von 1756 nie als völkerrechtliches Princip anerkannt worden. – Durch sie wurde das unbestreitbare Recht jeder Nation für ihren innern Handel Verfügungen zu treffen, im Wesentlichen angegriffen.«423
Doch lag der Fokus stets darauf, welches Rechtsprinzip sich durch die Anerkennung aller Staaten durchsetzen lasse. Letztlich musste es ihm und seiner Leserschaft darum gehen, von welcher Kriegspartei die Interessen der Drittstaaten und also auch des dort ansässigen privaten Handels am besten gewahrt 420 421 422 423
Vgl. ebd., 10, 26 u. 29. Vgl. ebd., 4. Ebd., 10. Ebd., 34.
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wurden. Die Entscheidungen der jeweiligen Regierungen und die Abfolge der Dekrete schilderte er weitestgehend objektiv und ließ auch den britischen Standpunkt erkenntlich werden. Im Vergleich mit seinem französischen Vorgänger, dessen Schrift er aller Wahrscheinlichkeit nach kannte, formulierte Lüders die Problematik relativ moderat. Deutlicher als Lesur ließ Lüders den universalen Charakter des Konfliktes hervortreten. Früher hätten Streitigkeiten zwischen Fürsten allenfalls Auswirkungen auf die eigenen Staaten oder ihre Nachbarn gehabt und eventuell das Interesse der Politiker und Zeitungsleser entfernter Gegenden geweckt. Dagegen sehe man »bei den Ereignissen unserer Tage, vom Staatsmanne an bis zum Krämer und der kleinsten Wirthschaft herab, eine Revolution aller Verhältnisse durchgeführt, welche die innersten Details der Lebensgewohnheiten in gleichem Maße trifft, als sie den ganzen Zusammenhang der Staaten-Systeme erschüttert.« Die Bewohner des Kontinents und die »edlen Bewohner des Nordamerikanischen Bundes« seien Entbehrungen unterworfen und von überall höre man das Klagen über einen Kampf »der von einem Pole bis zum andern noch nie gekannte Kräfte in Bewegung setzt«. Hier zeigt sich die Position der deutschsprachigen Öffentlichkeit deutlich geprägt von den im ersten Kapitel dargelegten Entbehrungsdiskursen während der Kontinentalsperre. Lüders versuchte aber auch, diesen »Klagen« mit einem Erklärungsversuch, der sie in ihren größeren historischen Kontext verortete, zu begegnen. Nur wenige begriffen die »eigentliche wahre Ursache all’ dieser revoltirenden Bewegungen«, noch durchschauten sie den »Zusammenhang des Gewebes […], in welchem jetzt die Interessen zweier Welttheile verwickelt sind.«424 Doch einem jeden offensichtlich sei, dass »in dem gegenwärtigen Augenblicke auf allen Punkten des Continents unermeßliche Kräfte sich entwickeln, wie, gleichsam im Drange einer Völkerwanderung, sonst einander fremde Nationen und ihre theuersten Angelegenheiten in Ein großes Ganzes verschmolzen, nur Einem erhabenen Ziele entgegengeführt werden, bewegt, wie die Figuren des Schachbretes, durch Eine schaffende Intelligenz«425
Einmal mehr zeigt sich der öffentliche Diskurs in der deutschen Publizistik als Mittelposition zwischen der französischen offiziellen Linie und der britischen Position der Opposition und damit eine eigenständige Meinungsbildung auslotend.
424 Ebd., 1–2. 425 Ebd., 3 [Herv. im Orig.]. Die Minerva druckte den gesamten Text 1811 über mehrere Ausgaben verteilt vollständig, doch ohne Lesurs Einleitung und auch ohne jedwede Anmerkung durch Bran ab; vgl. Lesur, C. L.: Ueber Frankreichs und Englands Betragen gegen die Neutralen, In: Minerva 1 (1811), 1–43, 237–289, 445–474, Forts. im Bd. 2, 77–114.
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2.3.2 Seevölkerrecht: Freiheit der Meere Den Seehandelsdebatten ging eine lange Tradition zum Seevölkerrecht voraus, die sich auf die griechische und römische Rechtsphilosophie zurückverfolgen lässt, welche aber in den naturrechtlichen Theorien des 17. Jahrhunderts ihre modernen Grundlagen erhielt. Zwei grundlegende Positionen stehen sich in diesem Zusammenhang gegenüber : Die eine argumentiert für die Freiheit der Meere, die andere geht von nach den Herrschaftssphären der Seemächte aufgeteilten Ozeane aus. Hauptvertreter dieser juristischen Richtungen waren Hugo Grotius und John Selden. Andere Stimmen trugen im 17. Jahrhundert zur Debatte bei und die Diskussion wurde im 18. Jahrhundert weiter- und ausgeführt. Im Rahmen dieser Arbeit sind aber vor allem die Grundpositionen von Belang, insofern sie als Vorgeschichte der Debatte im frühen 19. Jahrhundert eine Rolle spielten. Die seerechtlichen Streitfragen flammten in der Presse während der Kontinentalsperre auf und der Rückbezug auf die Theoretiker des 17. Jahrhunderts war dabei meist implizit, oft verwiesen die Autoren jedoch auch ausdrücklich auf Grotius oder Selden. In den Neuen Feuerbränden von Georg Friedrich von Cölln findet sich 1808 ein kurzer Text unter dem Titel »Mare liberum – Mare clausum«.426 »Der Erstere [Grotius], Recht und gesunde Vernunft offenbar für sich habend, bejahte, Letzterer [Selden], wie es scheint, um seiner, nach Alleinhandel schon damals nicht wenig angelnden Nation das Wort zu reden, verneinte sie.«427 Getreu dem Profil der zeitgeschichtlich orientierten Zeitschrift, ging es in dem Text nicht eigentlich um den historischen Streit zwischen beiden Rechtsgelehrten, sondern um die tagespolitische Frage der Freiheit der Meere. Selden habe zwar nicht die ausschließliche Nutzung der Meere und Monopolisierung des Handels durch England vertreten, doch sei seine These in Großbritannien im Laufe der Jahre dahingehend interpretiert und von den anderen Seehandelsnationen nicht rechtzeitig erwidert worden: »Und da ward denn, nach und nach, die bei weitem größeste, schönste, gesegneteste Strecke Asiens der Raub einer Londoner Kaufmannsgilde« und warf somit »unlöschbare Feuerbrände unter die Nationen«.428 Zur Schlichtung dieser Auseinandersetzung müsse die Macht Großbritanniens eingeschränkt werden, indem ihm seine wirtschaftliche »Fundgrube«, das heißt Indien weggenommen werde, »wofern nicht ewige Zwietracht, vom Osten bis zum Westen, vom Süden bis zum Norden, herrschend verbleien soll.«429 Die Befreiung Indiens werde durch Napoleon, dem »mächtigen Genius« unter Mithilfe von Russland und den lokalen Eliten, die unter dem 426 Mare liberum – Mare clausum, In: Neue Feuerbrände 11 (1808), 91–95. 427 Ebd., 92. 428 Ebd., 92–93. Hier wird auch die Verwendung der titelgebenden Metapher in der Zeitschrift deutlich: Sie bezeichnet Konfliktpunkte des aktuellen Tagesgeschehens. 429 Ebd., 92–93.
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britischen Despotismus litten, ohne große Schwierigkeiten vonstattengehen. »Dann stürzt Großbritannien von seiner Höhe herab.«430 Es werde gezwungen, sich zurückzuziehen, seine Flotte zurückzufahren und Frieden zu schließen. Diese Vorbedingung für den Frieden mit England mag auf den ersten Blick befremden, lag damit doch der Schlüssel für die Beendigung des Krieges nicht in den Händen der europäischen Staaten und auch nicht wirklich bei Frankreich, sondern hing von möglichen indischen Aufständen und dem Abbruch des britischen Handelsreichtums ab. Gleichzeitig zeigt sich darin die fundamentale Überzeugung der französischen und deutschsprachigen Presse, dass ein Friede mit Großbritannien zwingend mit der Einschränkung der Macht Großbritanniens zur See verbunden sein müsse. Die Annahme zeugt auch von der diskursiven Parallelsetzung des Kolonialbesitzes mit der Wirtschaftskraft und der angenommenen Bedeutung des Kolonialhandels für Großbritannien. Die Prämisse, dass Großbritanniens Größe von der Beherrschung der Meere durch seine alle anderen in den Schatten stellende Flotte abhing, war ein Grundbaustein des Kontinentalsystems und der Blockadepolitik. Abgesehen von den politischen Versuchen, gegen diese Macht zur See »gewaltsam« vorzugehen, wie der Artikel der Feuerbrände zu legitimieren bemüht war431, wurde die Rechtmäßigkeit der britischen Dominanz in der Schifffahrt und dem Kolonialhandel aus juristischer Sicht infragegestellt. Im Folgenden werden die beiden grundsätzlichen Gegenpositionen im Seevölkerrecht der Frühen Neuzeit, wie sie sich Grotius und Selden zuordnen lassen, skizziert und anschließend deren Diskussion in den einzelnen Sprachräumen rekonstruiert. Grotius Rechtshistorischer Ausgangspunkt in Diskussionen um das Seevölkerrecht ist bis heute Hugo Grotius mit seinen 1609 in De Mare liberum niedergelegten Thesen. Dabei war seine Theorie nicht grundlegend neu, sondern speiste sich aus früheren Abhandlungen zu seerechtlichen Aspekten des Naturrechts.432 Doch wurden seine Schriften europaweit wahrgenommen und erfuhren auch im Laufe des 18. Jahrhunderts viel Aufmerksamkeit durch zahlreiche Neueditionen.433 Vor dem Hintergrund der Konkurrenzsituation der Holländischen Re430 Ebd., 94. 431 Die Rechtfertigung verläuft über das Argument des Wunsches der Inder selber nach Befreiung vom britischen »Despotismus« und ihren »Sklavenketten«; vgl. ebd., 93–94. 432 Neben den römischen Rechtslehren waren die Hauptquellen von Grotius’ Schrift Francisco de Vitoria und Fernando V#zquez de Menchaca. 433 Vgl. Introduction, In: Grotius, Hugo: The Rights of War and Peace, hrsgg. von Richard Tuck, Bd. 1, Indianapolis 2005. Die Literatur zu Grotius ist beinahe unüberschaubar. Die meisten Studien befassen sich allerdings mit seinem Werk De Iure Belli ac Pacis, seiner politischen
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publik mit den etablierten Seemächten Spanien und Portugal legte Grotius eine naturrechtliche Begründung der Freiheit der Meere und damit der Schifffahrt wie des Seehandels dar. Grotius’ Argumentation leitete sich aus den Grundannahmen der (Natur-) Religion ab, der zufolge das Land und das Meer der ganzen Menschheit von Gott gegeben und also Gemeingut sei. Der Unterschied zwischen beiden ergebe sich daraus, dass Ersteres eine feste Größe darstelle und durch Besitz (-ergreifung) (possessio) und Gebrauch (usus) dem Status des universellen Gemeingutes entrissen und zum Eigentum (dominium) gemacht werden könne, während Letzteres flüchtig und unerschöpflich und damit der Transformation in Eigentum entzogen sei (res nullius). Die Weltmeere blieben also rechtlich für den Zugriff aller Menschen offen: »The sea therefore cannot be altogether proper unto any because nature doth not permit but commandeth it should be common«434. Damit war der Besitz der Meere durch eine staatliche oder private Macht ausgeschlossen. Die Herrschaft über Meere (imperium), die anderen Staaten den Zugriff verweigerte, schloss Grotius in einem zweiten Schritt auf der Grundlage griechischer und römischer Rechtsphilosophie aus, indem er die Handelsfreiheit als ein fundamentales Völkerrecht interpretierte (primario gentium).435 Zu Beginn seiner Abhandlung macht Grotius seine Argumente bereits in komprimierter Form deutlich und verknüpft das Recht auf freie Schifffahrt mit der Evidenz der göttlichen Vorhersehung, die – diese Vorstellung tauchte bereits im Kontext der Isolationismusdebatte auf (vgl. Kapitel III.1) – für die globale Distribution der natürlichen Grundlagen gesorgt habe: »It is lawful for any nation to go to any other and to trade with it. […] They, therefore, that take away this, take away that most laudable society of mankind; they take away the mutual occasions of doing good and, to conclude, violate nature herself. For even that ocean wherewith God hath compassed the Earth is navigable on every side round about, and the settled or extraordinary blasts of wind, not always blowing from the same quarter, and sometimes from every quarter, do they not sufficiently signify that nature hath granted a passage from all nations unto all? This Seneca thinketh the greatest benefit of nature, that even by the wind she hath mingled nations scattered in regard of place and hath so divided all her goods into countries that mortal men must needs traffic among themselves.«436 Theorie und seinem Einfluss auf die Naturrechtslehre. Im juristischen Kontext wird er allerdings bis heute als Vater des internationalen Rechts und besonders durch seinen Beitrag De mare liberum als Vordenker des Seevölkerrechts angesehen. Zur Bedeutung von Grotius im Rahmen des internationalen Rechts vgl. etwa Haskell, John D.: Hugo Grotius in the Contemporary Memory of International Law. Secularism, Liberalism, and the Politics of Restatement and Denial, In: Emory International Law 25 (2011), 269–298. 434 Grotius: The Free Sea (Übers. von Richard Hakluyt), hrsgg. von David Armitage, Indianapolis 2004, chap. 5, 37. 435 Vgl. ebd., chap. 8, 56–57. 436 Ebd., chap. 1, 23.
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Grotius zufolge war damit sowohl der Besitz als auch die Herrschaft der Meere, das heißt der Alleinanspruch auf bestimmte Fischgründe und Handelsrouten rechtswidrig. Auf diese Weise setzte er den Grundstein für die völkerrechtliche Diskussion der folgenden Jahrhunderte. Selden Auch wenn Grotius’ Mare liberum sich explizit nur mit den Rechtsbrüchen der Portugiesen und Spanier auseinandersetzte, so sah sich auch die aufsteigende Seemacht Britannien von der Kritik getroffen und Jakob I. beauftragte John Selden, eine Gegenschrift zu verfassen. Dieser veröffentlichte 1635 Mare clausum, das bereits im Titel deutlich als Antwort auf Grotius erkenntlich wurde und 1652 in englischer Übersetzung (Of the Dominion or Ownership of the Sea) erschien. Auch Seldens Werk ist nicht die erste Erwiderung auf die These der Freiheit der Meere, doch ist sie zur damaligen Zeit und bis heute die bekannteste Gegenschrift zu Grotius.437 Selden stellte von Beginn an klar, dass er die Unterscheidung zwischen Land und Meer, wie Grotius sie hinsichtlich ihrer Überführbarkeit in rechtmäßiges Eigentum getroffen hatte, für nicht gerechtfertigt hielt. Es ließe sich nicht rechtfertigen, dass das Meer anders als das Land im Status des gottgegebenen Allgemeingutes verbleiben müsse. Er argumentierte, dass das Meer durchaus von einem Staat als Eigentum beansprucht werden könne: »[T]he Sea, by the Law of Nature and Nations, is not common to all men, but capable of private Dominion or proprietie as well as the Land.«438 Und es ließen sich auch genügend historische und gegenwärtige Beispiele finden, die belegten, dass das Meer 437 Früher als Selden argumentierte Serafim de Freitas in seinem De iusto imperio Lusitanorum Asiatico von 1625 gegen die Sichtweisen von Grotius. Vgl. zu dieser in der Forschung weitestgehend vernachlässigten Gegenschrift Brito Vieira, Mjnica: Mare Liberum vs. Mare Clausum. Grotius, Freitas, and Selden’s Debate on Diminion over the Seas, In: Journal of the History of Ideas 64.3 (2003), 361–377. Insgesamt wird Selden in der Forschung im Zusammenhang zum internationalen Recht sehr viel weniger zur Kenntnis genommen als sein niederländischer Gegenspieler. Dabei ist sein theoretischer Beitrag ins heute gültige Seerecht eingeflossen, in dem sich beide Positionen in Teilen wiederfinden. So wird zwischen den küstennahen Zonen, auf die die Küstenstaaten gewisse Sonderrechte haben, und der offenen See unterschieden, was auch Grotius in Kenntnisnahme der Gegenargumente in späteren Schriften zugestand. Zur rechtsgeschichtlichen Rezeption Seldens vgl. Ziskind, Jonathan: International Law and Ancient Sources. Grotius and Selden, In: The Review of Politics 35 (1973), 537–559. Zu Seldens Leben und Werk ist 2009 eine neue Monographie erschienen: Toomer, Gerald J.: John Selden. A Life in Scholarship, Oxford 2009; zu »Mare Clausum« vgl. besonders Kap. 12, 388–440. Seldens Studien jüdischer Gesetzestexte hat in den letzten Jahren dagegen ungleich stärkere Aufmerksamkeit erfahren; vgl. etwa Rosenblatt, Jason Philip: Renaissance England’s Chief Rabbi: John Selden, Oxford 2009. 438 The Author’s Preface, In: Selden, John: Of the Dominion or Ownership of the Sea, London: William Du-Gard 1652, (ohne Paginierung) 4.
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durchaus zum Besitz erklärt werden könne.439 Dies betreffe besonders die Meereszonen in Küstennähe, die zum Eigentum des angrenzenden Staates würden und unter anderem wegen ihrer Fischgründe den Alleinanspruch erforderten.440 Die Vorstellung der Handels- und Navigationsfreiheit als allgemeines Völkerrecht wies Selden zurück und stellte demgegenüber das Recht eines Staates heraus, seine Macht zur See zu sichern.441 Daraus ergab sich weniger die Frage nach generellen, für alle Menschen gültigen Handels- und Schifffahrtsrechten, sondern diejenige nach der Macht eines bestimmten Staates und ihrer Durchsetzung. Und nicht nur sei die Besitzergreifung bestimmter Meeresgegenden gerechtfertigt, sondern ein Staat könne auch die Herrschaft über die Meere (»command of the sea«) beanspruchen. Die Stärke eines Staates in der Schifffahrt und dem Handel sei nicht zu trennen von der Herrschaft über die Meere: »But for any person to bee Lord of Navigation and Traffick by Sea, without Dominion over that Sea, is all one, as to use, and enjoy a piece of Land, to have right to prohibit all other from doing the like, and yet not to bee, owner thereof.«442 Die auch auf offener See gültige Herrschaft, die mit militärischen Mitteln durgesetzt werden könne und kommerzielle Stärke ermögliche, beanspruchte er für Großbritannien: »That the King of Great Britain is Lord of the Sea flowing about as an inseparable and perpetual Appendant of the British Empire.«443 Freilich sollte Handelsschiffen die freie Durch- und Zufahrt gewährt werden, solange sie nicht unter militärischem Schutz verfeindeter Mächte stünden, doch sei die Gewährung dieser Freiheit allein vom Willen des britischen Königs abhängig und kein Völkerrecht, auf das sich die Schiffe berufen könnten, Handelsfreiheit also nur auf der Grundlage temporärer Abkommen zwischen Staaten garantiert.444 Diese Unklarheiten hinsichtlich der Rechte von Drittstaaten und die Ausübung der Macht auf See aber stellten, wie im vorigen Abschnitt 439 Im Kapitel XXVI von Buch I setzt sich Selden explizit mit der Negierung des Meeres als Eigentum bei Grotius auseinander ; vgl. ebd., 168–179. 440 Diese Auffassung findet sich heute im internationalen Seerecht in Form der Regelungen der Ausschließlichen Wirtschaftszone wieder. 441 Zur Unterscheidung der verschiedenen Rechtsformen bei Selden vgl. Selden: Of the Dominion or Ownership of the Sea (wie Anm. 438), 11–16. 442 Ebd., 107–108. 443 The Author’s Preface, In: ebd., (ohne Paginierung) 4. 444 Nach heutigen Rechtsnormen werden die Argumente Grotius’ für die Freiheit der Meere nicht mehr anerkannt. Es gibt nicht eigentlich ein Recht auf freien Zugang und Gebrauch des Meeres, sondern die Abwesenheit von Rechten auf das Meer. Die Freiheit der Meere ist klassisches Beispiel für das Völkergewohnheitsrecht und wurde in mehreren Abkommen im Laufe des 20. Jahrhunderts als positives Recht festgeschrieben (Genfer Seerechtskonvention von 1958 und UNO-Seerechtsübereinkommen von 1982). Sie ist also, im Gegensatz zur Auffassung von Grotius und in gewisser Übereinstimmung mit Seldens Thesen, kein Völkerrecht.
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gesehen, im Rahmen der Auseinandersetzung zwischen Großbritannien und Frankreich im frühen 19. Jahrhundert die wesentlichen Konfliktpunkte dar. Frankreich 1811 erschien Joseph-Matthias de Raynevals detailliertes Werk De la libert8 des mers. Rayneval war unter Ludwig XVI. als Diplomat tätig gewesen und zeichnete für das Freihandelsabkommen zwischen Frankreich und England verantwortlich, auch bekannt unter dem Namen Eden-Rayneval-Vertrag. Mit der Revolution verlor er seine politische Stellung und widmete sich rechts- und politikwissenschaftlichen Arbeiten. Ungewöhlich deutlich für eine französische Abhandlungen dieser Zeit heißt es auf der ersten Seite: »Ce vaste 8l8ment qui entoure, et, par ses ramifications, divise le continent, est libre; la jouissance en appartient / tous; il est la propri8t8 du genre humain.«445 Seine Grundthese war identisch mit der von Grotius, indem er argumentierte, das Meer sei wie die Erde ursprünglich frei und nicht wie letztere durch die Aneignung bestimmter Abschnitte durch den Anspruch auf die Produkte der eigenen landwirtschaftlichen Arbeit in Eigentum zu verwandeln, sondern bleibe wie die Luft allen zugänglich.446 Raynevals Schrift richtete sich im Wesentlichen gegen die Argumente von Selden. Die Freiheit der Meere als Völkerrecht leite sich aus allgemeinen Prinzipien, nicht aus dem Völkergewohnheitsrecht ab, das von zu vielen undurchsichtigen und willkürlichen Gesetzen zum Seehandelsrecht durchzogen und dadurch nicht zu einem generellen Völkerrecht verallgemeinerbar sei. Die Freiheit der Meere gründete er auf das fundamentale völkerrechtliche Prinzip der nationalen Unabhängigkeit, welche er naturrechtlich herleitete: »L’ind8pendance dont chaque nation jouit en dedans de ses limites, elle la conserve sur l’oc8an, parce que cet 8l8ment est libre. L’effet de cette libert8 est: que la mer n’est le domaine de personne; qu’elle est commune / toutes les nations; que toutes y ont un droit 8gal; que toutes peuvent en user avec une pleine et absolue libert8, et que cette libert8 ne saurait Þtre gÞn8e sans porter atteinte / leur ind8pendance.«447
445 Rayneval, Mathias-Joseph G8rard de: De la libert8 des mers, Paris: Treuttel & Wurtz 1811. 446 Raynevals Abhandlung ist von dem Bemühen um einen objektiven Standpunkt geprägt, der gleichzeitig klare Stellung gegen die britische Position, die, da übereinstimmend mit den Thesen Seldens und Jenkinsons, widerlegt werden solle. Und er bezieht auch klare Position für Frankreich im Konflikt: Frankreich habe sich stets für die Durchsetzung des allgemeinen Prinzips der freien Meere eingesetzt und es wäre die Krönung der Karriere Napoleons, gelänge es ihm, auch einen »code maritime« durchzusetzen, »qui pose sur des bases justes et immuables la libert8 des mers, et assure la navigation et les relations commerciales dans les quatre parties du monde.«; vgl. ebd., xxiv. Und dennoch ist Raynevals Beitrag ein ausgesprochen ausgeglichener Text ohne kriegsrhetorische Einseitigkeiten. 447 Ebd., 61 [Herv. im Orig.].
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Für die Schiffe der seefahrenden Nationen bedeutete dies, dass sie rechtlich immer dem Heimatstaat unterstünden, unabhängig davon, wo auf dem Meer sie sich befänden: »Le vaisseau […] est hors de toute jurisdiction 8trangHre; il a la jouissance absolue et exclusive de la place qu’il occupe; il est la maison de l’8quipage qui le monte; personne n’a le droit d’y p8n8trer; en un mot, le lieu oF il s’arrÞte, est cens8 Þtre transitoirement le domaine du souverain dont il porte les couleurs; et la police s’y fait en son nom.«448
Die Freiheit der Meere kennt Rayneval zufolge lediglich zwei legitime Einschränkungen: Die erste Ausnahme betrifft die Gegner im Krieg, in dem sich die kriegerischen Parteien auf dem Meer bekämpfen und die zweite bezieht sich auf die neutralen Mächte, insofern ihr Handel eine Gefahr darstellte. Das Werk wurde durch eine Rezension im Mercure de France, die die Hauptpunkte des Autors getreu zusammenfasste, von einem breiten Publikum rezipiert und auch in der deutschsprachigen Presse besprochen.449 Den Anhang diplomatischer Schriftstücke interpretierte der Rezensent als Bemühung, die rechtswidrige Position Großbritanniens, die sich auf das Völkergewohnheitsrecht, nicht aber auf völkerrechtliche Vernunftprinzipien berufe, allgemein bekannt zu machen.450 Raynevals Werk wurde auch in der Minerva mehrfach besprochen bzw. seine Thesen in Auszügen abgedruckt.451 So legte die offizielle französische Linie die britische Politik als Bruch hergebrachter allgemeiner Rechtsnormen aus. Im Mercure wird 1808 aus dem Expos8 des Innenministers Emmanuel Cr8tet zitiert: »Mais la l8gislation anglaise, 8gar8e d8j/ par l’ambition du monopole universel, a renvers8 les antiques barriHres du droit des gens, foul8 aux pieds l’ind8pendance des nations et proclam8 les principes d’un nouveau droit maritime.«452 Die Einschränkungen, die sich daraus für den Handel im Französischen Reich ergäben, seien also auf die unrechtmäßige Handelspolitik der Briten zurückzuführen und die Maßnahmen Frankreichs in dieser Hinsicht nur die Abwehr des britischen Alleinanspruches auf die Meere (»possession exclusive des mers«). Hier tauchen die Begrifflichkeiten der juristischen Debatten des 17. Jahrhunderts wieder auf: Der Besitz (possessio) des Meeres wird grundsätzlich ausgeschlossen und als völkerrechtswidrig verstanden. Er wird gleichgesetzt mit einem Dominanzstreben und der »Unterwerfung der Welt«. Die Dominanz zur See wird diskursiv zum welt448 Ebd., 62. 449 D.: La libert8 des mers, par M. de Rayneval, In: Mercure de France 3 (1811), 447–450, hier 449–450. 450 Vgl. ebd., 447–450. 451 Vgl. Rayneval, J. M.: Die Seeherrschaft, In: Minerva 4 (1811), 324–328 u. Auf welche Ansprüche gründet Großbritannien seine Seeherrschaft?, In: Minerva 3 (1812), 18–44. 452 Expos8 de la situation de l’Empire, pr8sent8 par S. Exc. le ministre de l’int8rieur, In: Mercure de France 4 (1808), 383–384 u. 426–431, hier 383.
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weiten »Handelsmonopol« verdichtet und – wie bereits gesehen – in rhetorischer Transposition zum »Despotismus« erklärt; ein Bild das mit begrifflichen Attributen wie »tyrannisch« oder dem »Zepter der Meere« ausgeschmückt wird und so die parlamentarische Staatsverfassung des Gegners diskursiv ins despotische Gegenteil verkehrt. Großbritannien erscheint auf diese Weise nicht allein als Feind Frankreichs oder des Kontinents, sondern als Feind der gesamten Menschheit, als »ennemie du Monde«, dessen selbsterwählte »Isolation« in letzter Konsequenz einer – und hier bedient sich Cr8tet eines christlichen Vokabulars – »Exkommunikation« aus der Staatengemeinschaft gleichkomme.453 Ein derartiger Ausschluss Großbritanniens aus der Weltgemeinschaft habe den Verlust aller seiner Rechte und der rechtmäßigen Behandlung zur Folge. Auf diese Weise ließ sich erklären, weshalb die Völkerrechte auf freie Schifffahrt und freien Handel zur See allen britischen Schiffen abgesprochen werden sollten. Der Kampf gegen die Briten diene letztlich dem allgemeinen Zwecke der Freiheit zur See: Der Krieg mit England »peut aujourd’hui amener un r8sultat d’un int8rÞt encore plus g8n8ral, la libert8 du commerce et celle des mers, si toutes les puissances qui doivent y pr8tendre ont l’8nergie de la r8clamer et la volont8 ferme de la reconqu8rir.«454 In der Auswertung des Mercure de France zeigt sich, wie die freiheitlichen Institutionen Großbritanniens in der Kriegsrhetorik in ihr Gegenteil verkehrt wurden. In der Parallelisierung von Pressefreiheit, die als Meinungsdespotismus diskreditiert wurde, und Seehandel, der in der französischen Presse zum Seedespotismus degradierte, enthüllt sich die Suche nach der Legitimierung der repressiven Wirtschafts- und Pressepolitik auf dem Kontinent. Die Freiheit der Meere beanspruchten die Briten für sich alleine und pervertierten somit das Völkerrecht, das die Freiheit zur See für alle Mächte garantiere. Napoleon wurde in dieser Auseinandersetzung als Retter stilisiert, dessen Aufgabe es sei »les droits des nations, la libert8 des mers et la paix g8n8rale« wiederzuerobern.455 Die »tyrannie des mers« wird zum rekurrenten Topos für die britische Politik der Orders in Council, die als Auslöser für die Dekrete von Berlin und Mailand genannt werden. Großbritannien Die britische Öffentlichkeit kannte in dieser Zeit keine ausführliche Auseinandersetzung mit der Theorie der freien Meere als solche. Die unterschiedlichen Orders in Council, deren Bekanntmachung in der Presse nicht annähernd dem Rang gleichkam, den die napoleonischen Dekrete in der Öffentlichkeit er453 Vgl. ebd., 429–430. 454 Politique, In: Mercure de France 4 (1809), 438–439. 455 Mercure de France 1 (1811), 569–571, hier 571.
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reichten, regten selbst die oppositionelle Presse nicht zu einer rechtstheoretischen Debatte an. Die Kabinettsbeschlüsse der britischen Majestät selber wurden, anders als die napoleonischen Dekrete, auch nicht mit der Verteidigung des allgemeinen Völkerrechts begründet. Der Sprachduktus unterstrich durchgehend den reaktiven Charakter der Gesetze, welche zur Abwehr einer Bedrohung der Sicherheit und des Wohlstandes des Vereinigten Königreiches dienten. In der Order vom 7. Januar 1807 war die Rede von einer »violation of the usages of war, purport to prohibit the Commerce of all Neutral Nations with his majesty’s dominions«, worauf die britische Regierung zu reagieren habe, um »the rights and interests of his poeple« zu verteidigen. Im wichtigsten Order in Council vom 11. November 1807 wurden erneut die ungerechte Kriegsführung Frankreichs als Anlass für die Gesetzesmaßnahme angeführt, ohne weitere Erörterungen des Völkerrechts, vor dessen Hintergrund die Kriegsführung als unrechtmäßig hätte eingestuft werden können. Gesetzt wird lediglich, dass Großbritannien sein legitimes Recht (»just right«) sowie seine Seemacht verteidige, welche die Sicherheit und den Wohlstand der königlichen Besitzungen, die noch unabhängigen Staaten und letztlich auch den allgemeinen Austausch und das Glück der ganzen Menschheit sichere. Derlei Formulierungen entzogen sich aber der eigentlich völkerrechtlichen Argumentation. Die Begründung für die Maßnahmen folgte in Großbritannien pragmatischen Gesichtspunkten und lud sich weniger mit dem Gewicht allgemeiner rechtlicher Prinzipien auf. Durch ihre dominante Stellung erübrigte sich die Frage des Rechts auf die Meere für die britische Kauffahrt- und Kriegsflotten weitestgehend. Die britische Seite argumentierte in der Frage der Freiheit der Meere allenfalls mit dem Völkergewohnheitsrecht. Während sich die Presse im französischen Machtbereich den Umgang der Briten mit den neutralen Schiffen zunutze machte und die eigene Position als Versuch der Herstellung des Seevölkerrechts darstellte, war die britische Öffentlichkeit in dieser Frage durch eine pragmatische Argumentation geprägt. Insgesamt ließe sich in der Frage der Freiheit der Meere auf britischer Seite von einem »negativen Diskurs«456sprechen: Welches Recht ein Staat zur Seeherrschaft habe und ob die Weltmeere allen Staaten frei zugänglich zu sein habe, wurde weder in der Edinburgh Review noch in der Quarterly Review erörtert, noch erschien im fraglichen Zeitraum eine Abhandlung über das Thema. Angesichts der ausführlichen Debatte um das Thema auf dem Kontinent kann dieses Schweigen als stiller Kommentar gedeutet werden: Seldens Position mochten die britischen Autoren sich nicht mehr zu eigen machen, aber auch Grotius’ Theorie konnte von offizieller Seite nicht verteidigt werden, widersprach sie doch dem ausge456 Vgl. zum Begriff des »negativen Diskurses« Vogel, Christine: Der Untergang der Gesellschaft Jesu als europäisches Medienereignis 1758–1773. Publizistische Debatten im Spannungsfeld von Aufklärung und Gegenaufklärung, Mainz 2006, 92.
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dehnten Machtanspruch der britischen Seeflotte und die Presse argumentierte in dieser Frage ebenfalls weitgehend pragmatisch. John Aikin, der Herausgeber des Monthly Magazine veröffentlichte 1812 eine Doppelbiographie zu John Selden und James Ussher, in der er nicht umhinkam auch auf Mare Clausum näher einzugehen. Er blieb in seinem Urteil diplomatisch: »In such a controversy, the philosopher will perhaps find that precedents have been made to serve instead of principles, and that acts of power have been represented as assertions of right; the jurist will be unwilling to admit into the code of national law any article that militates against the fundamental principle of equality and reciprocity between nations; while the politician will be inclined to smile at the importance attached to argumentative justifications of claims, which can never be made good in practice but by such a preponderance of force as would give them effect without any argument. It is certain, that the more able Great Britain has become to assert her maritime empire by force of arms, the less solicitous she has been to avail herself of supposed rights derived from remote antiquity, which, if disputed, could not be established without compulsory means.«457
Der Machtanspruch wurde in der britischen Öffentlichkeit also gemeinhin auf das Gewohnheitsrecht gestützt: »that maritime power which the exertions and valour of his people have, under the blessing of Providence, enabled him to establish and maintain«458. Die oppositionelle britische Presse ihrerseits focht andere Kämpfe aus. Sie drang, wie gesehen, durchaus auf die Rücknahme der Orders in Council, berief sich dafür aber nicht auf völkerrechtliche Prinzipien. Deutschsprachige Länder 1806 war in der deutschsprachigen Presse noch die Bedrohung durch zweierlei Formen der Unterdrückung deutlich formuliert worden. So stand in der Minerva das »militärische Uebergewicht« dem »dauerhaften Alleinhandel« gegenüber, welche beides Wege seien, sich »auf Kosten anderer Völker zu bereichern«; und beide Wege würden zu einer nach »weltbürgerlichen Principien« ungerechten »Weltherrschaft« führen.459 Ein Jahr und die Eroberung weiter Teile des deutschsprachigen Europas durch Napoleon später, erschien die Seemacht England als deutlich größere Bedrohung: »Du prahlst mit deiner Freyheit? Bist du nicht dein eigner Sclave, und der Tyrann anderer? Kommt die Welle des Meeres blos zu deinen Küsten? Wogt sie nicht auch an andern?« Meist wurden derartige Anrufungen mit dem Argument des Eigennutzes Großbritanniens 457 Aikin, John: The Lives of John Selden, Esq. and Archbishop Usher, London: Mathews and Leigh 1812, 96–97. 458 Order in Council vom 11. Nov. 1807. 459 Vgl. Erörterung zur unbefangenen Würdigung Frankreichs und Englands, nach ihrem Einfluß auf Gewerbsamkeit und auf die politische Ordnung der Welt, In: Minerva 2 (1806), 90–111.
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untermauert, in dessen Interesse es schließlich liege, auch andere an ihrem Handel teilhaben zu lassen, da der britische sonst eines Tages keine Partner mehr finden werde. Doch es rückt auch immer wieder die Frage der Rechtmäßigkeit der britischen Politik ins Blickfeld: »Welches Recht hast du, sie dir allein gehorsam zu machen, und die Meere der Welt den Völkern, welche deinem Scepter nicht gehorchen, zu verschließen? O besinne dich, Britannia!«460 Die deutschsprachige Presse orientierte sich in ihrer rechtlichen Auffassung der Freiheit der Meere weitestgehend an der Linie Raynevals. Die Begründung mochte im Detail anders klingen, wenn es beispielsweise hieß: »[D]as Meer soll […] für den Menschen so frei seyn, wie die Luft für den Vogel: so will es die Moral.«, hier also moralische statt naturrechtlicher Begründungen angeführt wurden. Die Besitzergreifung des Meeres wurde grundsätzlich und damit in Raynevalscher Überspitzung der Position Grotius’ dementiert, den ephemeren da flüssigen Charakter dieses Elementes als Hinderung der Aneignung anführend.461 Der deutschsprachige Hauptbeitrag zur Freiheit der Meere in diesen Jahren kam von Georg Christian Otto, der unter dem Pseudonym Georgius 1810 die Handels- und Finanz-Pandora veröffentlichte und auch in mehreren Zeitschriften Stellung zu diesem Thema nahm. Der aus Hof an der Saale stammende Otto war kurzzeitig Privatsekretär Friedrich Wilhelms von Preußen, widmete sich aber vorwiegend ökonomischen und historischen Studien und nach dem Tod seines Jugendfreundes Jean Paul kümmerte er sich um dessen Nachlass. Die Pandora behandelte in zwei Teilen erstens den Handel auf internationaler Ebene und zweitens das moderne Finanzsystem der europäischen Staaten. Beide Wirtschaftsfelder seien, so Otto, von der Konkurrenz zwischen Großbritannien und Frankreich geprägt und die Freiheit der Meere stehe in dieser Konkurrenz auf dem Spiel: »Es soll nemlich, mit oder ohne den Untergang Englands, die Handelsherrschaft desselben gebrochen, die Freiheit der Meere hergesetellt, und dieselben ein Gemeineigenthum aller Völker werden. Eben darum hat der Krieg den Charakter eines Handelskrieges angenommen, und alle Staaten- und Völker-Umwandlungen, alle neue Ereigniße und neue Verfassungen scheinen nur die Hülfsmittel zu sein, um diesen Grundsaz eines neuen billigern See-Völkerrechts aufzustellen oder gleichsam dieses gleiche Recht unter alle Völker, nach den Verhältnissen ihrer Macht, gleich zu vertheilen. Eine neue und überraschende Erscheinung ist es, daß, um dieses hohe Ziel zu erreichen, das neue Völkerrecht, durch tausend neue und unerhörte Anstalten, zu einem alten Ziele zurückführen muß.«462 460 Teutonia an Britannia. Am Napoleons-Tage 1807, In: Minerva 3 (1807), 407–413, hier 411. 461 Vgl. Auf welche Ansprüche (wie Anm. 451), 18–44. 462 Georgius [Otto, Georg Christian]: Handels- und Finanz-Pandora der neuesten Zeit, Nürnberg 1810, 18 [Herv. im Orig.].
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Auch in dieser Interpretation wird also das Verhalten Großbritanniens zur See als völkerrechtswidrig erklärt. Eine der Grundbedingungen für Frieden müsse somit die Regelung des freien Handelsverkehrs zur See sein. Es lässt sich hier in gewissem Sinne eine Zwischenposition zwischen derjenigen von Grotius und der von Selden ausmachen: Das Recht auf Seehandel kann nicht einem einzigen Staat zufallen, sondern allen je nach Maßgabe ihrer Macht. Otto war der Überzeugung, dass Handel stets seine Wege finde und verglich ihn mit einem starken Fluss, der zwar ein ödes Flussbett hinterlasse, wenn er in seinem Lauf gestört werde, sich aber unweigerlich einen neuen Weg bahne.463 Das Vorgehen Großbritanniens wurde als Verstoß gegen diesen natürlichen Gang betrachtet und die Forderung erhoben, privates Eigentum aus dem staatlichen Konflikt herauszuhalten. »Demnach sind die Rechte der neutralen Flagge […] nichts als Schleichwege gegen das klare fürchterlich harte, aber dennoch überall stillschweigend anerkannte Völkerrecht, daß zur See Krieg gegen alles Privateigenthum statt finde.«464 Dieses rechtliche Vakuum harre einer verbindlichen Regelung, ohne die ein dauerhafter Friede nicht erreichbar sei. Und da diese Schlacht nicht zur See zu gewinnen war, habe der Handelskrieg auch aufs Land übergegriffen und sei in allen Lebensbereichen spürbar geworden: »Darum ist es dahin gekommen, daß, wo die bewafnete Macht zur See nicht hinreicht, der Landkrieg hülfreiche Hand bieten muß; daß der Landkrieg zum Handelskrieg geworden ist, der gegen Alles geführt wird, was aus Englischen Händen kommt. Daher sind die Waaren […], sollten sie auch schon das Privateigenthum eines Einwohners des Kontinents geworden oder seit Jahren gewesen sein, – wenn auch nicht immer der Vernichtung – doch gewiß der Konfiskazion unterworfen, damit jeder durch schmerzliche Erfahrung vor Leichtsinn gewarnet werde, und wisse und immer bedenke, daß der Krieg des Kontinents gegen England ein persönlicher Krieg jedes Individuums Handelsfreiheit sei.«465
An Beispielen wie diesen zeigt sich – wie bereits im Kapitel III.1 gesehen – die Veränderung in der Öffentlichkeitskonzeption, die mit der Kontinentalsperre einherging. Jeder Bürger wurde in die Kriegsverantwortung gezogen und zwar nicht nur in Form des militärischen Diensts, sondern bis hinein in seine alltäglichen Lebensgewohnheiten, denn der Handelskrieg ging über die Auseinandersetzung zwischen zwei verfeindeten Staaten weit hinaus. Er werde von Großbritannien selbst gegen das private Eigentum ziviler Bürger verfeindeter und neutraler Staaten geführt und müsse somit entsprechend beantwortet werden. Dieses Argument des Krieges gegen das Privateigentum ist eines der zentralen Motive der kontinentaleuropäischen Presse. Alles wurde zum Politi463 Vgl. ebd., 21. 464 Ebd., 39 [Herv. im Orig.]. 465 Ebd., 41.
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kum, besonders aber der Konsum, Handel und die Produktion. Diesen Übergriff des Ökonomischen auf das Tagesgeschehen, das Unterworfensein der geschichtlichen Entwicklung unter wirtschaftliche Zwänge fasst Otto in einem eindrücklichen Bild zusammen: »Was mit Dunkelheit der langsame Gang der Zeit umgiebt, wenn diese nicht zuweilen, obwohl sehr selten, sich vorschnell verkündet durch außerordentliche Ereignisse – die dennoch nur Wenigen ihr eigentliches Beginnen und Ziel enträthseln den meisten aber verhüllen, – das verkündiget öfter der steigende und fallende Wechselkours und der Kours der Staatspapiere. Der Weltlauf (La Course) hat nemlich einen weiblichen Charakter angenommen und ist mit dem Wechselkours (Le Cours) vermählt; des letztern gehorchende Frau ist jene Männin, und an ihr ist der Fluch der Bibel erfülllet worden: ›Dein Wille soll deinem Manne unterworfen und er soll dein Herr sein!‹«466
Gegen diese Entwicklung sich aufzulehnen, verlangte er im Tone des tobenden Richters von seinen deutschen Mitbürgern und hielt ihnen ihre Schuld am eigenen Elend entgegen, das aus dem kurzsichtigen und damit ökonomisch auf lange Sicht für Deutschlands Industrie nachteiligen Verhalten gegenüber England entstanden sei. Das Übel liege im blühenden Schleichhandel, dem sich die Deutschen gegen ihr tatsächliches Eigeninteresse widmeten statt die britischen Waren, wie verlangt, zu verbrennen.467 Die französische Politik interpretierte er so als weltbürgerliche Weitsicht, deren Handeln allein das Völkerrecht wiederherzustellen vermöchte: »Wer also nicht blos der neutralen Flagge, sondern allem feindlichen, freundlichen und neutralen Privateigenthum, das sich unter eigener Flagge auf den Meeren befindet, im Kriege seinen Schuz verleihet; […] der wird das Recht selber mit der höchsten Gewalt ausstatten und zum Stifter von der Freiheit der Meere werden. Diese Hofnung ist mit dem höchsten Vertrauen auf Napoleon zu sezzen, welcher seine Heilighaltung des Privateigenthums überall erklären läßt, und seinen entschiedenen, unwiderstehlichen Willen überall zu erkennen giebt, alle Meere zum gemeinschaftlichen Eigenthum der großen Völkerrepublik zu machen.«468
In der Auseinandersetzung mit den Thesen Raynevals in der Minerva steht ebenfalls die Neutralität der Drittstaaten im Mittelpunkt, welche auch im Kriegsfall respektiert werden und der Transport von Waren einer der Kriegsparteien auf neutralen Schiffen möglich sein müsse. Der Auftakt zu einem Ar466 Ebd., 96–97 [Herv. im Orig.]. 467 »Dürfen englische Waaren nicht in Deutschland eingeführt werden: so dürft Ihr sie weder besitzen, noch aufheben, weder an Euch tragen, noch verkaufen. Lieber verbrennet und zerstöhret sie; und führt so einen Krieg mit Ehre«; Georgius [Otto, Georg Christian]: Ueber das Verderbniß im deutschen Charakter, nachgewiesen am Verfall des nationalen Gewerbfleißes, In: Vaterländisches Museum 1 (1810), 45–72, hier 61. 468 Otto: Handels- und Finanz-Pandora (wie Anm. 462), 71–72.
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tikel über Großbritanniens Seeherrschaft von 1812 betont die Bedeutung des Meeres als völkerverbindendes Element: »Die See soll von keiner Nation ausschließend benutzt werden, wie sie die Verbindung der Völker unter einander befördert, welche ein kräftiges Mittel zu ihrer Ausbildung ist, zu der alle Nationen der Erde berufen sind. Durch den Verkehr werden die Kenntnisse ausgebreitet und der Reiz zu einem steten Fortschreiten in der Cultur erhöhet. Aber nicht bloß zur Ausbreitung der Einsicht trägt er bei, sondern er bildet die Menschen auch zur Humanität aus, welche der eigenthümliche Charakter aller Völker sein soll. Alle sollen die Rechte der Menschheit an einander achten, und keines soll das Andere in seinen Rechten beeinträchtigen. Zur Bildung und Verbreitung dieser Denkart trägt nun der Verkehr zwischen den verschiedenen Nationen der Erde bei […].«469
Wie auch für Otto darf in dem Artikel der Minerva der Handel von Privatpersonen vom Krieg zwischen zwei Staaten nicht angetastet werden, denn diese führten Krieg gegeneinander und dürften nicht gegen einzelne Personen Krieg führen. Und dies betreffe nicht nur die Einfuhr von Lebensmitteln, sondern alle Waren. »Das Meer ist aber auch ein Gegenstand, der von keiner Nation weder durch Bemächtigung noch durch Vertrag in Besitz genommen werden kann.«470 Während die Position zur Freiheit der Meere in der Minerva weitestgehend der Argumentation von Rayneval folgt und hauptsächlich französische Werke zum Thema rezipiert, so konnten sich deutschsprachige Leser gleichwohl über Zeitschriften wie die Biene, die von August von Kotzebue in Reval (heute Tallinn) herausgegeben wurde, Zugang zu einer kritischen Analyse der Thematik verschaffen. Kotzebue reagierte 1810 auf eine Anmerkung der Minerva, Frankreich mache eventuell den Besitz einer Marine, die ihm die Seeherrschaft ermögliche, zur Bedingung eines Friedens mit Großbritannien.471 In seinem Kommentar betont er die Problematik eines derartigen Zieles und die Fragwürdigkeit eines nachträglichen Verzichts auf die Seeherrschaft zugunsten einer allgemeinen Freiheit der Meere, angesichts des Bestehens Napoleons auf der Macht zulande.472 Völkerrechtliche Grundfragen spielen hier allerdings keine Rolle und so heißt es lapidar : »Das Element der Erde gehört eben so wohl allen Völkern, als das Element des Wassers.«473 Kotzebue führt aber ebenfalls die für die deutschsprachige Presse symptomatische Kritik an der Einbeziehung des Pri469 Auf welche Ansprüche (wie Anm. 451), 18–19. 470 Ebd., 19; vgl. auch 37. 471 Vgl. Bran, Friedrich Alexander : Uber die nächsten Folgen des Friedens zwischen Frankreich und Oesterreich, In: Minerva 4 (1809), 173–182. Kotzebue hält Archenholz für den Autor des Textes, da Bran zu dieser Zeit noch nicht offiziell als Herausgeber der Minerva fungierte. 472 Vgl. [Kotzebue, August von], In: Die Biene 7 (1810), 346–351. 473 Ebd., 349.
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vatmannes in den Krieg der Staaten an, der die Geschäfte des einzelnen nicht beeinträchtigen sollte. Englands und Frankreichs Positionen werden in seiner Interpretation gleichermaßen in ihrem Machtstreben entblößt: »Denn was kümmert es am Ende neun und dreiviertel Zehnteile jeder Nation, welche Macht auf der See die herrschende ist […]?«474 Auch andere politische Zeitschriften der Zeit zeugen von dem Ausschöpfen der Möglichkeiten kritischen Journalismus im napoleonischen Machtbereich. Die hohe Abstraktionsebene der theoretischen Diskussion um das Seevölkerrecht ermöglichte auch in der Minerva eine Distanzierung von den Positionen beider Kriegsparteien, ohne die konkreten Konfliktlinien außer Acht zu lassen und somit auch die französische Linie von der Warte allgemeiner Rechtsprinzipien kritisch zu hinterfragen. In der Diskussion um das Seevölkerrecht wird deutlich, dass die Kontinentalsperre als Versuch gedeutet wurde, ein transnationales Rechtsprinzip mithilfe ökonomischer Druckmittel durchzusetzen, eine Auffassung, die jeder Embargopolitik zugrundeliegt. Im Bemühen, der merkantilistischen Wirtschaftspolitik der damals führenden Exportnation Einhalt zu gebieten, wurde das Fehlen verbindlicher rechtlicher Standards auf internationaler Ebene und seine Konsequenzen für den privaten Handel auch am Krieg unbeteiligter Mächte deutlich. Die Argumentation wurde daher im Namen und zum Schutz privaten Eigentums geführt. Die Debatte stellt den Versuch dar, ein internationales Seehandelsrecht zu erwirken, welches erst über hundertfünfzig Jahre später seinen verbindlichen Ausdruck fand.475 Dabei standen sich in groben Zügen zwei Rechtsauffassungen gegenüber : Die von französischer universalistischer Politikauffassung beeinflusste Seite strebte nach der allgemeinverbindlichen Anerkennung transnationaler Völkerrechts474 Der matte Tröster, In: Die Biene. 7 (1810), 262–285, hier 274. 475 Das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen wurde 1982 getroffen, in dessen Präambel die völkerrechtlichen Ideale festgehalten wurden, nach denen sich der Umgang der Staaten auf See gestalten sollte: »[I]n dem Wunsch, durch dieses Übereinkommen die in der Resolution 2749 (XXV) vom 17. Dezember 1970 enthaltenen Grundsätze weiterzuentwickeln, in der die Generalversammlung der Vereinten Nationen feierlich unter anderem erklärte, dass das Gebiet des Meeresbodens und des Meeresuntergrunds jenseits der Grenzen des Bereichs nationaler Hoheitsbefugnisse sowie seine Ressourcen gemeinsames Erbe der Menschheit sind, deren Erforschung und Ausbeutung zum Nutzen der gesamten Menschheit ungeachtet der geographischen Lage der Staaten durchgeführt werden; – überzeugt, dass die in diesem Übereinkommen verwirklichte Kodifizierung und fortschreitende Entwicklung des Seerechts zur Festigung des Friedens, der Sicherheit, der Zusammenarbeit und der freundschaftlichen Beziehungen zwischen allen Nationen in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Gerechtigkeit und Gleichberechtigung beitragen und den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt aller Völker der Welt in Übereinstimmung mit den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen fördern werden, wie sie in deren Satzung verkündet sind.«; vgl. http://www.admin.ch/opc/de/classified-compila tion/20040579/index.html [Stand Juli 2015].
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prinzipien, während die britische Rechtsauffassung dem Völkergewohnheitsrecht und pragmatischen, auf die eigene Sicherheit bedachten Lösungen nahestand. Die britische oppositionelle Presse beteiligte sich an der Kritik und diente dadurch den Journalisten auf dem Kontinent als willkommene Vorlagen, sowohl zur Untermauerung der eigenen antibritischen Haltung als auch zur subtilen Kritik an den politischen Entscheidungen Napoleons. Hier lassen sich das Wechselspiel der europäischen Pressedebatten und die semantischen Transformationen im Kulturtransfer verfolgen. Die deutschsprachigen Debattenbeiträge erreichten auf indirektem Wege die Etablierung einer Zwischenposition. Die Debatten um global verbindliche rechtliche Regelungen fanden zu einer Zeit statt, da derartige Regelungen möglich schienen, weil die britische Vormachtstellung auf See noch umkehrbar und ein Gleichgewicht zwischen Land- und Seemacht durch rechtliche Regelungen als möglich begriffen wurde. Ab 1815 sollte die dominante Stellung des Britischen Empires zur See für ein knappes Jahrhundert nicht mehr ernsthaft bestritten werden können. 2.3.3 Motivgestaltung der Seehandelskonkurrenz: Die Bildpublizistik Wie bereits im Kapitel III.1 gesehen, war auch der Konkurrenzdiskurs zwischen Großbritannien und Frankreich, zwischen Land- und Seemacht mit- und vorgeprägt durch ikonographische Motive. Die rechtlichen Fragen waren in dem Sinne in den Bildkommentaren schlecht darstellbar und spielten höchstens in Andeutungen auf Verträge eine Rolle. Dagegen drückte sich in der projizierten Auswirkung der Blockadepolitik auf den Feind, eine Anklage aus, die die Handelspolitik als Weltbeherrschungsstrategie und Ausdruck übersteigerter Besitzansprüche diffamierte und diese als unrechtmäßig und auf Dauer unhaltbar interpretierte. Diese Motivgestaltung lässt sich auf die Zeit unmittelbar vor der Kontinentalsperre zurückführen, in der sich feste Klischees herausbildeten. Auf französischer Seite entstand um 1800 das Motiv des geldgierigen, auf materielle Freuden fixierten oder seinen Reichtum ostentativ zu Schau stellenden Briten. In Karikaturen der Zeit lässt sich die Herstellung eines stereotypen Britenbildes nachverfolgen.476 So wurde häufig in szenischer Gegenüberstellung die britische Liebe als käufliche im Vergleich zur romantischen französischen karikiert; dem stereotypen Charakterbild zufolge vermeinte der Brite, alles durch seinen Reichtum erreichen zu können.477 Das Motiv der britischen Liebe zu materiellen Dingen und die Raffgier des Engländers wurde im Laufe des 476 Diese Entwicklung lässt sich etwa in Sammlungen wie der von Carl de Vinck zusammengetragen nachverfolgen: Collection de Vinck. Die gesamte Sammlung ist in der BibliothHque nationale de France inzwischen digitalisiert zugänglich. 477 Collection de Vinck 7693. Das Motiv blieb auch später beliebt, wobei die britische Liebe teilweise als Liebe zu bloß dinglichen oder leiblichen Freuden erscheint; vgl. Collection de Vinck 7692 u. 7694.
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erneut ausbrechenden Krieges dann auf das gesamte Land des Feindes übertragen und fand über textuelle Metaphern auch Eingang in die deutschsprachige Publizistik, in der die Kunst der druckgraphischen Karikaturen noch weniger fortgeschritten war als bei seinen westeuropäischen Nachbarn. »du, o nur du, Britannia! wolltest am Ende eines langen, langen Blutweges die Krone der Plutocratie mit tändelnder Mühe deinem Haupte aufsetzen. Denn Habsucht ist die faule Quelle, in der sich deine Seele badet. Die Reichthümer der Erde willst du in deinem Schooße aufhäufen, durch ihren betäubenden Zauber die Welt dir unterwerfen […]. Völkern, deren Thaten die Geschichte schon während deiner Kindheit erzählte, entrissest du dort die friedlichen Besitzungen, beladest die Zwietracht mit dem erbeuteten Golde, und schickst sie unter Europas mächtigste Völker, um sicher und ungestört deiner Raubgier huldigen zu können.«478
Diese textuellen Zerrbilder lassen sich auf französische Karikaturen zurückverfolgen, die sich nach dem Bruch des Friedens von Amiens, der Großbritannien nachteilig gewesen war und nun von diesem aufgekündigt wurde, häuften. So wurde in Anspielung auf den gebrochenen Frieden von Amien (Paix d’Amien) den britischen Ministern etwa bei einem ausgelassenen Gelage im Freien eine »P.t8 Damiens« serviert, die als beliebtes Motiv verschiedene Karikaturen durchzog.479 Während in britischen Karikaturen die Figur des John Bull vorherrschte, kam diese in französischen Karikaturen nur äußerst selten zum Einsatz. Die unersättliche Raffgier oder der rücksichtslose Ehrgeiz fand sich in diesen Bildern entweder in der Allegorie der Britannia, als König Georg III. oder auch als Meeresgott Neptun personifiziert; so auch in einer kolorierten Radierung, die wie die überwiegende Mehrzahl der Karikaturen aus der Buchhandlung Martinet in der Rue du Coq Saint-Honor8 in Paris stammte, die mit ihren Karikaturen im Schaufenster ihr Publikum anzulocken wusste.480 1803 oder 1804 muss dort die Karikatur mit dem Titel »La Grande Bretagne a son petit couvert, au comencement du 19e Siecle« gedruckt worden sein (Abb. 6).481 Links im Bild thront die gekrönte und schmuckbehangene Personifizierung Englands in leichtem weißem Unterkleid und ruft mit schmerzverzerrtem Gesichtsausdruck: »Geben Sie mir mehr, meinem Appetit nach, könnte ich den ganzen Globus essen.« Darauf antwortet ihr Henry Addington, Premierminister von 1801 bis 478 Teutonia an Britannia (wie Anm. 460), hier 409. 479 Vgl. Collection de Vinck 7593, 7594 u. 7595. 480 Verbreitung fanden die Karikaturen auch über das an die Buchhandlung von Aaron Martinet angeschlossene Lesekabinett. Dargestellt ist das Publikum in der Lithographie »Die Bummler der Rue du Coq« des Künstlers Pierre-Nolasque Bergeret von 1804 als illustre Menschenansammlung vor der Buchhandlung. Der Anschlag »Recueil de Caricatures« als Außenwerbung des Geschäftes bildet den optischen Fluchtpunkt der Bildkomposition; vgl. Collection Michel Hennin. Estampes relatives / l’Histoire de France. Bd. 146, Stücke 12779– 12866, Periode 1802–1803, hier 12827. 481 Collection de Vinck 7596.
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1804: »Dabei ist es nicht sehr schmackhaft« und reicht ihr auf einem goldenen Teller »Malthe« zur Mahlzeit dar. Auf dem Hocker neben ihr stehen bereits zwei leere Teller mit den Bezeichnungen »Gibraltar« und »Typoo Sa"b« und die Abendkarte enthält das Menü »Gibraltar, Inde, Jama"que«. Gibraltar und Jamaika waren im Laufe der Kolonisierung im 17. und 18. Jahrhundert den Briten zugefallen, doch wurde der Besitz in den letzten zwei Jahrzehnten des Jahrhunderts von den Franzosen mehrfach angefochten und auch in Indien erhob Frankreich Ansprüche auf die Kolonien unter Großbritanniens Herrschaft, auf deren rücksichtslose Aspekte mit dem Namen des indischen Herrschers und letztlich erfolglosen Gegners der Briten in Südindien, Tipu Sahib, angespielt wird.482 Auf Malta hatten die Briten laut des Vertrages von Amiens zugunsten des unabhängigen Malteserordens verzichten müssen; diese Forderung wurde aber, wie auf beiden Seiten praktisch alle Bestimmungen des Vertrages, nicht eingehalten. In der Karikatur tritt Addington mit einem Fuß auf eine Fahne, die im Motiv des Handschlags den ehrlichen Vertragsabschluss symbolisiert (»Treu und Glauben – Hier wird gehandelt.«). Aus dem Hintergrund, durch einen Vorhang hervorschauend, schiebt ihn William Pitt in die Szene hinein mit den Worten: »Das sind die Früchte meiner Arbeit.« (frz. »plat de mon m8tier«), womit suggeriert wird, dass der in Frankreich verhasste und für die kriegstreibende Politik verantwortlich gemachte Pitt in Großbritannien noch immer die Fäden ziehe. Es wird in dieser Karikatur also ein Bild Großbritanniens gezeichnet, dass unter Missachtung getroffener Verträge, ohne Rücksicht auf die Bevölkerung in ihren Kolonien und nur um ihren unstillbaren Geldhunger besorgt, sich letztlich den gesamten Globus ›einverleiben‹ möchte. Auf dem einem Warenbündel ähnelnden Hocker ist das Wort »Casuel« erkennbar, was ein Hinweis auf das feudale Droit Casuel sein mag, das dem Herren Sonderrechte auf sein Lehen gewährte und rückt so die kolonialen Ambitionen Großbritanniens in die diskursive Nähe zu dem vormodernen Rechtsverständnis des Ancien R8gime. Um den Unterleib der Britannia windet sich ein grünes Schlangenwesen, das als »Ver Rongeur« bezeichnet ist und die Aufschriften »Schatzpapiere« und »Staatsschuld« trägt. Durch sie erhält die Graphik eine Aussage, die sich auch durch viele andere Karikaturen zieht: Der Weltbeherrschungsanspruch der Briten sei letztlich selbstzerstörerisch und schon würde das Land von Staatsschulden und seinem nagenden Gewissen (ver rongeur) ›zerfressen‹. Dasselbe Motiv des Zerfressens- oder Bestraftwerdens für seinen unbändigen Herrschaftsanspruch findet sich in weiteren Varianten. Bei der Anklage der Habgier und der Beherrschung des Handels bzw. der gesamten Welt, schwingt in der französischen Bildpublizistik stets die von Frankreich erhoffte Perspektive mit, dieses Verhalten werde letztlich zum Untergang Großbritanniens führen. 482 Vgl. Kapitel III.1.3.4.
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Abb. 6: [Anonym], La Grande Bretagne / son petit couvert au commencement du 19e SiHcle, kolorierte Radierung, 29,2 x 41,9 cm, Paris: Martinet, [1803/1804] , Collection de Vinck 7535, BnF Estampes, Reserve QB- 370 (56) -FT 4.
1803 erscheint ebenfalls bei Martinet die Karikatur »L’Ambition devorant l’Angleterre«.483 Auf einem angedeuteten Hafendock, die Wellen des Meeres im Hintergrund, steht eine Allegorie des Ehrgeizes, mit einer Krone auf dem Kopf, die in einem halben Globus mündet. Als Zepter trägt sie Neptuns Dreizack und hält eine um die Hälfte kleinere nackte männliche Gestalt im Arm gepackt, in deren Bauch sie hineinbeißt. Die Aussage erschließt sich zusammen mit dem Titel: Das nackte England, das durch die Beherrschung der Meere (Dreizack) Anspruch auf den gesamten Globus erhebt, wird von seinem eigenen Ehrgeiz zerstört. Auf andere Art kommt dieses Motiv in der Karikatur »L’ambition le domine« (Abb. 7) zum Ausdruck.484 Hier sieht man, zentral im Bild, einen zu Boden gezwungenen Tiger, der an seinem roten Generalsmantel unschwer als Georg III. erkennbar ist485 und den ein abstoßendes androgynes Geschöpf mit Medusen483 Collection de Vinck 7598. 484 Collection de Vinck 8250. 485 Die Darstellung Georgs III. geht auf ein Gemälde Johann Zoffanys von 1771 zurück, auf dem der König in roter Prachtuniform mit blauer Schärpe und einer weißen Perücke mit seitlichen Haarrollen gezeigt wird. Das Bild muss über Vervielfältigungen in Mezzotinti oder
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haupt und Krallennägeln am Ohr packt und zu schlagen droht. »Oh! Sie tun mir weh!«, klagt der König und die Personifizierung des »Ehrgeizes«, der ihn beherrscht, antwortet ihm, dies sei erst der Vorgeschmack (frz. »Anzahlung«), mit dem kaufmännischen Vokabular auf das Objekt des Ehrgeizes verweisend. Rechts neben Georg liegen gefüllte Goldsäcke und im Hintergrund versucht der Götterbote Merkur, Schutzgott der Händler und Diebe, den Zar Alexander zu umwerben, indem er ihm Gold verspricht. Dieser zögert, das Angebot anzunehmen, angesichts des preußischen Königs, den der Handel teuer zu stehen gekommen ist (»Seine Guineen haben mir die Nase gebrochen.«). Damit wird suggeriert, dass im Handel mit den Briten die anderen Staaten nur verlieren konnten, da die günstigen Fabrikprodukte der eigenen Industrie schadeten.
Abb. 7: [Anonym], L’Ambition le domine, kolorierte Radierung, 16,9 x 23,8 cm, Paris: Martinet [o. J.], Collection de Vinck 8250, BnF Estampes, Reserve QB- 370 (62) -FT 4.
Der baldige Untergang Großbritanniens wird auch in einer allegorischen Darstellung heraufbeschworen und dieses Mal deutlich in den Zusammenhang der Abhängigkeit von Frankreich gestellt, was sie in den Kontext der in Kriegszeiten anderen Reproduktionsverfahren auf dem Kontinent das bekannteste des britischen Monarchen gewesen sein und prägte die Dar- und Vorstellung von ihm.
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von beiden Seiten verfolgten Blockadepolitik einordnet. »Le Commencement de la Fin« ist sie unheilbeschwörend betitelt.486 Eine Parze sitzt auf den zertrümmertem ›Mobiliar‹ des Krieges (Kanonen, Bajonette, Schiffsmasten und Gebäudetrümmer) auf der englischen Insel und droht den Lebensfaden des Landes zu durchtrennen, dessen Ende sich bereits der über der Szene schwebende Tod gegriffen hat, welcher nach der Durchtrennung zwangsläufig mit Feuerfackel und Sichel auf das Land niederfahren wird. Der Lebensfaden entspringt einer Jakobinermütze und symbolisiert damit die vollständige Abhängigkeit des Schicksals Großbritanniens von Frankreich. Eine etwas kryptische Karikatur mit dem Titel »Le Calculateur ou N8goÅiant Anglois« stellt die missliche Schuldenlage des Inselstaates dar (Abb. 8).487 Der Betrachter blickt in ein aufgeräumtes Warenlager ; im Vordergrund ist der titelgebende Buchführer oder Händler auf einem Hocker vor seinen Rechnungsbüchern eingenickt, ein Papier in den Rock gesteckt mit der Aufschrift »Defizit des Jahres 1803«. Auf dem Ladentisch liegen Papiere mit den Ausgaben und einer Liste der entlassenen Manufakturarbeiter. Ihm zu Füßen liegt ein Band über den »Fortschritt der französischen Industrie« und Hefte über den Zustand des Handwerkes in Frankreich. Während in Frankreich die Wirtschaft mithilfe der »Prix d’Encouragement« prosperiert, ›schläft‹ die britische Politik angesichts der schlechten Wirtschaftslage. Der Bildhintergrund liefert satirisch die Erklärung für die wirtschaftliche Depression. Eine Gestalt mit Affenkopf betrachtet sich im blauen Gehrock im Spiegel. An seinem Metallgürtel ist er durch eine Kette mit einem großen Steinblock verbunden, auf dem »Moden und Neuheiten« zu lesen ist. Links im Bild ist auf einer Warenkiste ein Hautstück mit zwei Brüsten geheftet. Die schlechte Rechnungslage, so die Botschaft, kommt also vom narzisstischen und an die neusten Moden geketteten Verhalten der Engländer, das durch die Tierkarikatur ins Lächerliche gezogen wird.488 Andere Graphiken zeigen Szenen, auf denen die Folgen der Politik Großbritanniens für die britische Bevölkerung thematisiert werden. Mag man der Überlieferungslage trauen, so waren auch zu Beginn des 19. Jahrhunderts Charaktertafeln beliebt, die an die Bilderbögen erinnern, wie sie seit den Anfängen des Druckzeitalters in Mode kamen und etwa auf Jahrmärkten auch einem leseunkundigen Publikum dargebracht wurden. Mit oft derbem Humor werden in diesen antibritischen Karikaturen personale Typen gezeichnet, die ihre Niederlage gegenüber Frankreich beklagen mit Bildunterschriften wie »In 486 Collection de Vinck 8283. 487 Collection de Vinck 8282. 488 Über die an einer der Warenkisten angebrachten Brüste lässt sich nur spekulieren, zumal sie die einzige Darstellung von Waren im Lager sind; sie reihen sich aber womöglich in den Diskurs der ›käuflichen Liebe‹ der Briten ein, wie er bereits angesprochen wurde; vgl. Anm. 152.
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Abb. 8: [Anonym], Le Calculateur ou le N8goÅiant Anglois, kolorierte Radierung, 17,6 x 25 cm, [o. O.] ca. 1800, Collection de Vinck 8282, BnF Estampes, Reserve QB- 370 (62) -FT 4.
Mexiko, in China verlieren unsere Scheißer den Handel.« oder »Franzosen, eure schnellen Siege, fliegen über die flüssigen Ebenen.«489 In diesen wenig subtilen und vereinfachenden Bildtextbotschaften, drückte sich der Anspruch Frankreichs aus, England seine Stellung als Beherrscher der Weltmeere streitig zu machen. Eine weitere interessante Graphik karikiert den Prozess, der auch in Großbritannien kritisierten Verarmung im Lande. Die Krise um 1810 führte zur Arbeitslosigkeit zahlreicher Fabrikarbeiter und die Angst vor Aufständen in Großbritannien selbst war groß. Dies drückte sich in der Sorge um die Ernährung der wachsenden Bevölkerung aus und wurde von der Opposition gegen die Regierung ins Feld geführt und als Abhängigkeit vom Ausland kritisiert (vgl. Kapitel III.1). In der französischen Presse wurden diese Vorwürfe willkommen aufgenommen. Der Raubzug der britischen Regierung, so die Botschaft, richtete sich nicht allein gegen den Kontinent, sondern auch gegen die eigene Bevölkerung (Abb. 9). Die Szene auf der kolorierten Radierung teilt sich in zwei ungleiche Bildhälften, getrennt durch einen Telegraphen. Die Fäden der Maschine hält Pitt in der Hand und verbreitet darüber derart beängstigende Nachrichten 489 Collection de Vinck 7628.
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unter der Bevölkerung, dass diese bereitwillig ihr letztes Geld und zuletzt selbst ihre Kleider als Steuern an die Regierung abgibt, deren Minister sich raffgierig damit die Taschen füllen. Zusammen mit den armen Briten auf der rechten Bildhälfte ist der profranzösische Charles James Fox zu sehen, wie er über den Ärmelkanal den Franzosen zuruft, sie sollten sich beeilen, wenn sie noch etwas von den Guineen finden wollten, die sich Pitt und seine »Clique« unter den Nagel rissen.490 Auch die Metaphern, welche den Diskurs in der periodischen Presse durchziehen, finden sich als Bildmotive in den Karikaturen veranschaulicht. Das »Zepter der Meere« taucht in verschiedenen Variationen als Dreizack in den antibritischen Karikaturen auf und seit der Zeit der bewaffneten Neutralität war auch die Vorstellung der Bedrohung der Freiheit der Meere durch Großbritannien durch ikonographische Darstellungen vorgeprägt. So erschien anlässlich der zweiten Bewaffneten Neutralität die Karikatur »La Quadruple Alliance« (Abb. 10).491 Zu sehen ist Georg III. auf einem Warenbündel sitzend, das die Aufschrift »Profit aus den Durchsuchungen und Visitationen zur See« trägt. Um ihn herum auf der Insel stehen der russische Zar sowie die Könige von Dänemark, Schweden und Preußen. Sie fesseln ihn mit einem Banner auf dem zu lesen ist: »So fesseln wir den verheerenden Tyrannen der Meere.« Die Monarchen deklarieren die Forderungen der Bewaffneten Neutralität: »Jedem, der meine Schiffe visitiert, erkläre ich den Krieg.« und »Man wird nun endlich die Neutralität respektieren.« Im Hintergrund sieht man Schiffe auf dem Meer und im linken hinteren Bildteil stehen dankend die Allegorien der vier Erdteile. Über ihnen verkündet eine Fama den »Code Maritime«, in dem die »Libert8 des Mers« festgeschrieben ist. Zu Füßen Georgs liegt das »Embargo aller russischen, dänischen und schwedischen Schiffe«, das Großbritannien als Reaktion auf die neutrale Liga erließ. Der britische König schaut zu Pitt auf, der neben ihm steht, und ruft: »Ah, Pitt, in welches Embargo hast du mich gebracht… Und wenn wir Malta zurückgeben müssen…« Pitt seinerseits nimmt die Schuld auf sich, dass die Brotpreise auf den britischen Inseln am Weihnachtstag überteuert sind. Einmal mehr wird Großbritannien als Ausbeuterstaat auch der eigenen Bevölkerung und Georg als schwacher, von Pitt beeinflusster König dargestellt. Er ist an Händen und Füßen an den »Anker der Barmherzigkeit« gefesselt und ihm rutscht die Krone vom Haupt. Wie auf beinahe ausnahmslos allen Karikaturen ist er mit einer geschwollenen Hose dargestellt, welche als Wortspiel auf die Gefahr einer »descente« (Verdauungsstörung/Landung) der französischen Flotte in Großbritannien verweist. Auch die britische Publizistik thematisierte an der Jahrhundertwende die 490 Collection de Vinck 7681. 491 Collection de Vinck 7533.
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Abb. 9: [Anonym], Mr Pitt fabriquant des nouvelles T8l8graphiques, kolorierte Radierung, 10,5 x 14,6 cm, [o. O.] 1804, Collection de Vinck 7681, BnF Estampes, Reserve QB- 370 (56) -FT 4.
Bedrängnisse der eigenen Bevölkerung während des langanhaltenden Kriegszustands mit Frankreich. So wird etwa in der Karikatur »John Bull at the sign. The case is altered«492 der Mangel in Großbritannien und der Wohlstand unter dem ersten Konsul in Frankreich thematisiert. In zwei Ansichten auf je einer Bildhälfte sitzen sich links ein gutgenährter Franzose in Uniform mit Zweispitz und rechts ein hagerer, glatzköpfiger Brite mit zerschlissenen Kniebundhosen und Gehrock gegenüber. Vor dem Franzosen türmen sich fette Fleischstücke auf 492 BM 1868,0612.1257.
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Abb. 10: [Anonym], La Quadruple-Alliance, Radierung, 18,8 x 32,4 cm, Paris: Loyse 1801, Collection de Vinck 7533, BnF Estampes, Reserve QB- 370 (55) -FT 4.
dem Tisch; das Mahl des Briten fällt dagegen mager aus. Als Erklärung rollen sich von den Tischen jeweils eine Papierfahne mit den Nahrungspreisen aus, die in Frankreich lächerlich gering, in Großbritannien aber überteuert sind. »Na sowas Monsieur Jack Bull«, ruft der Franzose, »Sie werden mir verhungern!!!«, worauf dieser resigniert beigibt: »Wer hätte das gedacht!«. An der Wand hinter ihnen hängen Bildnisse aus dem Jahre 1788, als die Situation sich umgekehrt darstellte: Der damalige »French man«, im vorrevolutionären Aufputz mit gepuderter Perücke ruft dem damals feisten John Bull zu: »Sie sind ein Tier«. Dieser antwortet ihm »You [will] be D[amne]d«. 1788 war Frankreich in den Unabhängigkeitskrieg der Vereinigten Staaten von Amerika gegen Großbritannien eingetreten. Nach Revolution und zahlreichen Kriegen hatte sich, so die Botschaft, die Lage der beiden Länder in ihr Gegen- und zum Nachteil Englands verkehrt. In Parallele zur Karikierung der britischen Ambitionen in der französischen Ikonographie, wurde in der britischen Öffentlichkeit seinerseits Napoleon früh als maßlos ehrgeizig und damit letztlich selbstzerstörerisch gezeichnet. Dabei griff die Bildpublizistik in Großbritannien weniger auf allegorische Darstellungen zurück, wie sie insgesamt weitaus stärker konkrete politische Persönlichkeiten in Szene setzte denn Sinnbilder. Einzig die Personifizierung der Nation als John Bull ist omnipräsent und steht an der Stelle, an der in französischen Karikaturen meist Georg III. auftaucht. Nur selten wird sie von anderen Indi-
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vidual- oder Tiersatiren abgelöst. Das Bild des auf dem Kontinent wütenden Napoleon, der sich letztlich gegen Großbritannien richtet und daran kläglich scheitern muss, entsteht spätestens mit dem Widererstarken des britischen Selbstbewusstseins um den Bruch des Friedens von Amiens. Ein besonders eindrückliches Exemplar dieser Napoleondarstellung ist »Boney und Talley« (Abb. 11)493 von James Gillray, dem begnadeten Karikaturisten und Hauptautor der bildpublizistischen Kommentare zur Kontinentalsperre in England. Zu sehen ist eine blutrünstige Szene im Schlachthaus, in dem der wütende »Schlachter« Napoleon bereits alle ›fetten‹ Länder, dargestellt als Schlachtvieh, ausgenommen hat oder für spätere Zeiten mästet. Durch das Schlachthaustor schaut verängstigt der russische Bär herein, aber der Furor des Schlachters richtet sich auf den fetten Bullen, der von der Insel auf der anderen Seite des Kanals hinüberschaut und von einer großen Flotte geschützt wird. Von Hinten packt Talleyrand den Wüterich und versucht ihn zurückzuhalten. In der britischen Öffentlichkeit war bekannt, dass Talleyrand einer Invasion Großbritanniens skeptisch gegenüberstand und dieser Streit findet sich in Dialogform auch in dem gemeinsam mit der Karikatur abgedruckten Spottgedicht verarbeitet. Darin versucht Talleyrand erfolglos Napoleon davon zu überzeugen, dass für einen Angriff auf den britischen Bullen ein Boot nötig sei. In der vierten Strophe heißt es: »My ambition unsated, my fury unquench’d,/ Let Europe now shake to her bases;/ For, my banner unfurl’d/ I’ll defy all the world«. Der Weltbeherrschungsanspruch wird in diesem ikonotextuellen Ensemble auf Grundlage des Machtungleichgewichtes zur See zwischen beiden Ländern ins Lächerliche gezogen. Nicht so sehr die Selbstzerstörung als vielmehr die Hoffnungslosigkeit der französischen Weltbeherrschung wird in der britischen Publizistik somit karikiert. Die Drohung, wie sie in den französischen Karikaturen stets in der Gefahr einer Landung (descente) französischer Truppen in Großbritannien angedeutet wird, verhöhnt die britische satirische Publizistik ausgedehnt. In der Karikatur »A Senatus Consultum or Bonaparte making his Will over his Invasion of England and Conquest of the World«494 von 1808 wird gar der nahe Tod des Kaisers selbst prophezeit. Napoleon, in Uniform und – dies war zum durchgängigen Motiv der britischen Bildsatiren geworden – überdimensioniertem Zweispitz sitzt an einem Amtstisch und tritt auf das Papier »Law of Nations«. Hinter dem Tisch waltet der Teufel als haariges, geflügeltes Ungeheuer, den Napoleon nach seinem Schicksal befragt, bevor er zur Eroberung Englands 493 BM 1866,0407.988. Sie erschien in zwei Auflagen 1803 und wurde noch 1830 und 1851 wiederaufgelegt; vgl. George, Mary Dorothy : Catalogue of Prints and Drawings in the British Museum, Bd. 8, London 1947. 494 BM 1868,0808.7680.
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Abb. 11: James Gillray, Boney & Talley. The Corsican carcase-butcher’s reckoning day, kolorierte Radierung, 31,5 x 32,5 [61,0 x 48,5] cm, London: Humphrey 1803, BM Satires 10091, BM 1866,0407.988.
schreiten möchte. Zweideutig antwortet das ziegenfüßige Geschöpf, er solle sich nicht sorgen, die Engländer erwarteten ihn bereits, seine Zeit sei gekommen und sein Schicksal liege dort. Für den Kaiser nicht sichtbar, wird in seinem Rücken die Zweideutigkeit aufgelöst: Der Tod als Skelett stößt ihm einen Pfeil in den Rücken, dessen Federn beschrieben sind mit: »British Navy, Volunteers, Army of Reserve, Militia regulars«, vom Auge der »Vorsehung« beschaut. Im Stil neuzeitlicher pietistischer Graphiken fährt vom rechten oberen Rand ein flammenumstandenes Schild ins Bild mit der Aufschrift »Death Bonaparte Death«; darüber bricht aus dem Wolken das Licht der »wiedereingesetzten Bourbonen« hervor. In einer Karikatur von 1809 findet sich eine deutliche Bezugnahme auf die französische Ikonographie zum Thema der Landung. Französische Schiffe
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schwimmen zerstört im Kanal zwischen England und dem Kontinent. Auf der linken Uferseite steht in der Ferne Napoleon und schaut mit erhobenen Armen machtlos der Niederlage zu. Getroffen werden die Schiffe von »John Bulls explosion Bum (Bomb)«495 (Abb. 12), einem Sturm, den dieser mit heruntergelassener Hose und nacktem Hintern auf die Schiffe hinabschickt. Den Anlass gaben Nachrichten vom April, dass die französische Flotte bei Rochefort mit Kanonenschiffen komplett zerstört werden sollte. Die Anspielung auf die Gefahr der »Descente« Georgs III. als Personifizierung Großbritanniens ist nicht zu übersehen. Die Bedrohung kehrte sich in dieser Bildsprache gegen den Angreifer, und genau dies war die Absicht hinter der Attacke auf die französische Flotte in der Bucht von Rochefort. Im oberen linken Bildviertel steht als Bildlegende ein Gedicht, in dem unter anderem Napoleons Ambitionen auf Seehandel und Kolonien in den Kontext der geplanten Invasion der Britischen Inseln gestellt wird: »Commerce (cried he) I want & Colonies/ These Ships obedient to my wise decrees/ Shall wave the Flag of Triumph on the Seas / Blow then propitious Winds! impart your aid / This gallant Fleet soon England shall Invade.«496 Die satirische Ikonographie wie die schriftliche Publizistik im Inselstaat war durchzogen von der Referenz auf die Behauptung Napoleons in einer Adresse an die besiegten Österreicher nach der Schlacht von Ulm 1805.497 Die Aussage, keinerlei Interesse an weiteren Eroberung auf dem Kontinent zu haben, sondern bloß an »Schiffen, Kolonien und Handel«, musste in Großbritannien als Bedrohung aufgefasst werden und entwickelte in der Publizistik eine weitgehende Eigendynamik, im Rahmen derer der Gegner entweder als tatsächliche Gefahr dargestellt, meist aber in seiner Selbstüberschätzung lächerlich gemacht wurde.498 Der Anspruch auf Wiederherstellung einstiger Größe zur See und im Überseehandel, wird so als starkes Motiv der britischen Publizistik erkenntlich und über ikonographische Darstellung in die breite Öffentlichkeit getragen. Im Zuge der Auseinandersetzung zwischen Großbritannien und den Vereinigten Staaten von Amerika entstanden um 1812 mehrere Karikaturen, die die Blockadesituation zwischen Kontinent und Inselstaat in das Bild des Ersäufens 495 Collection de Vinck 7688. 496 Herv. im Orig. 497 Vgl. Ashton, John: English Caricature and Satire on Napoleon I. London 1968 [Orig. 1888], 261. Napoleon wird mit den Worten zitiert: »C’est le moment de rappeler que je ne veux rien sur le continent. Ce sont des vaisseaux, des colonies, du commerce que je veux, et cela vous est avantageux comme / nous.« Das Zitat fand ausgehend von der Veröffentlichung des Bulletin de la Grande Armee, das mit der Großzahl der offiziellen Periodika in Europa versandt wurde, Verbreitung und wurde in England immer wieder publiziert; vgl. beispielsweise Goldsmith, Lewis (Hg.): Requeil des manifestations, proclamations, discours et decrets de Napoleon Bonaparte, Bd. 3, London: J. Booth 1810, 61. 498 Vgl. etwa auch die Karikatur von Isaac Cruikshank »Boney stark mad or more ships colonies & commerce«,BM 1868,0808.7613.
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Abb. 12: [Anonym], John Bulls Explosion Bum (Bomb) or a Ducking for the French Fleet in Basque Roads, kolorierte Radierung, 33,6 x 22,9 cm, London: Walker Cornhill 1809, Collection de Vinck 7688, BnF Estampes, Reserve QB- 370 (56) -FT 4.
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fassten. George Rose, Handelsexperte der Regierung und Vizepräsident des Board of Trade, hatte in einer Parlamentsrede die Situation beider Länder mit der von Männern in einem Wassereimer verglichen. »A Rosey Picture of the Times«499 (Abb. 13) setzt diesen Vergleich graphisch getreu um. In der unteren Bildhälfte steht ein Wasserbottich mit der Aufschrift »Ertrinken«, in dem von links Napoleon vornübergebeugt den Kopf unter Wasser hält, von rechts rückwärtsgebeugt hängt John Bull mit dem Kopf im Wasser. Napoleon hält ein Papier »Berliner Dekret« fest in der Hand und John Bull entgleitet sein Schriftstück »Orders in Council«. Im Eimer steht in Schottenrock und barbeinig Henry Dundas, Viscount von Melville, ehemaliger Schatzmeister der Navy und in Schottland gebürtiger ›ungekrönter König‹.500 Er trägt eine riesige Rose am Hut, die deutlich macht, dass er Rose zitiert. Er erklärt der ins Zimmer drängenden Gesandtschaft: »Gentlemen – meine Meinung ist – dass England und Frankreich wie zwei Männer sind, deren Köpfe in einem Wasserbottich hängen und der Kampf besteht darin, wer von beiden die Situation am längsten aushält, ohne zu ertrinken.« Die Gesandtschaft besteht aus Männern in kaputten Kleidern und kommt aus Birmingham, einem Industriezentrum, das vom Handel mit dem Kontinent abhing; 1812 war von dort eine Petition gegen die Orders in Council ausgegangen. Das Bild der im Eimer ertrinkenden Männer bot selbstredend eine Steilvorlage für Karikaturisten wie auch in »Which drowns first or Boneys improved Bucket«501 zu sehen ist. Man sieht diesmal zwei große Bottiche nebeneinander auf einer Wiese stehen; auf dem linken ist »Treasury Bucket« geschrieben und er steht auf den »Orders in Council«; der rechte trägt die Aufschrift »Seau de la Grande Nation« und steht auf den »Dekreten von Berlin und Mailand«. Im linken steckt kopfüber Rose. Über dem anderen Eimer lehnt gebeugt Napoleon; er hat einen geöffneten Abfluss mit der Aufschrift »British Licences«. Hinter Rose steht Sir Charles Mordaunt und hält eine Mausefalle und einen Rasierer in den Händen. Hinter Napoleon steht ein Amerikaner in Quäkerkluft mit einer Maus im Bart. Mordaunt sagt: »Du bekommst weder Mausefallen noch Rasierer« und erhält zur Antwort: »Du bekommst kein Getreide.« Der Abgeordnete Mordaunt hatte im Parlament behauptet, dass die Amerikaner nicht ohne die britischen Manufakturwaren auskämen und sich nicht einmal rasieren oder Mäuse fangen könnten. Diese Bedrohung erscheint in der Satire als lächerlich angesichts des Ausweges aus der misslichen Lage für Frankreich und Amerika über die Lizenzen, die es den Kontinentalmächten erlaubten, über neutrale Schiffe mit den 499 BM 1868,0808.8013. 500 Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung war Melville bereits gestorben. Dass er mit nackten Beinen im Bottich dargestellt ist, spielt auf den Ausdruck »Scotch Washing« (Walken) an. 501 BM 1868,0808.8012.
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Abb. 13: William Elmes, A rosey picture of the times, kolorierte Radierung, 23,9 x 33,3 cm, London: Tegg 1812, BM Satires 11880, BM 1868,0808.8013.
Amerikanern zu handeln. Die Zahl der britischen Lizenzen war von 1 600 im Jahre 1807 auf mehr als 18 000 im Jahr 1810 gestiegen. Die Lizenzen erlaubten es den Briten trotz des generellen Verbots des Handels mit dem Feind in Kriegszeiten, ihren Kommerz aufrechtzuerhalten und so stellten nicht nur das Board of Trade oder der Privy Council sondern auch lokale Autoritäten im Britischen Empire in Übersee zuhauf Sonderlizenzen zunächst für britische und später zunehmend auch für neutrale oder sogar feindliche Schiffe aus. Das Mitführen gefälschter Papiere zum Schutz vor französischen Kontrollen wurde von den Marinegerichten toleriert und vom Versicherungssystem sogar richtiggehend gefördert. In der Karikatur erscheint diese Praxis als Verbesserung der Situation Frankreichs und damit als ruinös für die britische Wirtschaft und Nachteil im Krieg gegen Frankreich, während sie tatsächlich der ökonomischen Notwendigkeit für den britischen Handel entsprang und der britischen Seehandelsnation trotz offizieller Handelsverbote die Weiterführung ihrer Geschäfte ermöglichte.502
502 Vgl. Kim; Oldham: Insuring Maritime Trade (wie Anm. 393); 584: »Commercial revenues from international trade, protected and facilitated by marine insurance coverage, were essential to the British economy, especially while funding the war effort in the Napoleonic era.« Diese Einschätzung erklärt auch die zahlreichen, detailliert aufgeführten Ausnahmen
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Am Umgang mit der Seehandelskonkurrenz in ikonographischen Quellen zeigt sich die Herausbildung bestimmter diskursiver Motive, die die Debatte um das Seehandelsrecht prägten. Deutlich erscheint in den Bildern, wie der Weltbeherrschungsanspruch dem jeweiligen Gegner zugesprochen und gleichzeitig als widerrechtlich gedeutet wurde. Da in der Bildsprache zum Verständnis und als (Wieder-) Erkennungswert die Prägung festgelegter ikonographischer Bausteine essentiell ist, boten sich dieselben für eine erzählerische Übertragung in den textpublizistischen Beiträgen an. Die Bildpublizistik drückte damit eine bestimmte öffentliche Wahrnehmung des Konfliktes zwischen Großbritannien und Frankreich aus und beeinflusste das Bewusstsein und die Interpretation der schriftlichen Auseinandersetzung. In der deutschsprachigen Öffentlichkeit wurde diese Motivbildung im Rahmen der Auseinandersetzung um den Seehandel trotz des Fehlens eines eigenständigen Karikaturenmarktes gleichwohl wahrgenommen und teilweise in Textsatiren übertragen. Beispiel für den ikonotextuellen Transfer bestimmter diskursiver Bilder ist die Erwähnung einer zum Andenken der Niederlage der spanischen Armada in London geprägten Medaille, auf der drei in Sturm geratene Schiffe abgebildet waren begleitet von Inschrift »Afflavit deus et disspantur« (Gott blies und sie wurden zerstreut), die in einer Anmerkung von Lesur, den Briten als Warnung gelten sollte und die von der Minerva gleichfalls abgedruckt wurde.503 Es war allerdings auch eine 1797 in London geprägte Münze im Umlauf, die selbiges Motiv und die Inschrift auf die Zerstreuung der französischen Flotte auf dem Weg nach Irland zur Unterstützung der dortigen Aufstände buchstäblich ummünzte. Diese Umdeutung wurde weder von Lesur noch von der Minerva angesprochen, doch zeugt sie neben der Verflechtung von Text- und Bildmotiven in der Publizistik der Zeit, von dem Fortleben vorgeprägter ikonotextueller Metaphern über einen langen Zeitraum hinweg. Die Möglichkeit zur satirischen Überspitzungen der aktuellen politischen Konstellation bot auch das Medium der Literatur. Im ersten deutschsprachigen Science Fiction von Julius von Voß interpretiert und entwickelt dieser – der Darstellung erhoffter Zustände in den Karikaturen nicht unähnlich – ein Szenario des Ausgangs des Konfliktes zwischen der Land- und der Seemacht. Der Roman ist ein Musterbeispiel für die Überlagerung von Gegenwarts- und Zukunftsvorstellungen durch der Antikengeschichtsschreibung entlehnte Interpretationsmuster. Die Gegenwart und nahe Zukunft wird aus der Perspektive des imaginierten 21. Jahrhunderts als Geschichtserzählung gedeutet:
von der generellen Blockade gegen französische und alliierte Schiffe, die den Text der Orders auszeichnen. 503 Vgl. Minerva 1(1811).
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»Im achtzehnten Jahrhundert […] ereignete sich in der Provinz Frankreich jene bekannte Staatsveränderung, welche das Schicksal bestimmt hatte, nach und nach allen Reichen am Erdboden eine neue Gestalt zu geben. Nach langen blutigen Kriegen, die bis tief ins neunzehnte Jahrhundert geführt wurden, kam der größte Theil von Europa unter eine Obergewalt, welche aber die Unterregierung mehrerer Könige feststellte. Man nannte dies Reich, das erneute römisch-abendländische und Rom wurde, wie es jetzt noch ist, der Wohnsitz des Kaisers. Der schwerste Kampf war gegen die Albionen, damals in Schiffahrt und Seekrieg berühmt, welche ungeheure, wenn gleich meistens eingebildete, Reichthümer gehäuft und den gigantischen Entwurf gemacht hatten, die Handlung des ganzen Erdballs an sich zu bringen. Doch nach einer gelungenen Landung flohen die Vornehmen mit ihren klingenden Schätzen nach dem Indien am Ganges, und Calcutta ward die Hauptstadt ihres neuen Reiches. Das Volk blieb verarmt zurück und mußte unter fremder Regierung seinem Kunstfleiß eine andere Richtung geben.«504
Die Flucht der britischen Oberschicht nach der geglückten Landung der Franzosen auf den Inseln, ist im Kontext der Flucht des portugiesischen Königshauses 1807 nach Brasilien infolge der Eroberung des Landes durch französische Truppen zu lesen. In Parallele dazu wird hier erzählerisch nun auch Großbritanniens Führung in seine Kolonie vertrieben, nachdem sie das eigene Volk, wie auch in den französischen Karikaturen behandelt, ausgebeutet hatte. Das Motiv der Verstoßung des Feindes in die koloniale und damit unschädliche Ferne, hatte sich auch der zweite große britische Karikaturist, Isaac Cruikshank, zu eigen gemacht. Die Szene stellt die Flucht der portugiesischen Königsfamilie aus Lissabon unter Begleitung des Schwadrons von Sidney Smith dar. Am Ufer stehen Napoleon und Talleyrand, denen Smith zuruft: »Bon Jour Monsieur, wenn Sie eine Fahrt nach Brasilien möchten, fahre ich Sie mit großem Vergnügen dorthin.«505
2.4
Zusammenfassung
Die Karikaturen führten im Falle der Seehandelskonkurrenz ein relatives Eigenleben, weisen aber gleichwohl Bezüge zum Diskurs über das Seerecht und die Freiheit der Meere in Form von Sprachkonzepten auf. In der Bildmotivik zeigt sich in besonders anschaulicher Weise das wachsende Gespür der Bevölkerung für international fragwürdige politische Strategien, aus deren Kritik schließlich das Bedürfnis nach transnationalen Lösungsansätzen erwuchs. Die Freiheit der Meere hatte in der Debatte als völkerrechtliches Prinzip in der Öffentlichkeit allgemein Anerkennung gefunden und die Violationen dieses 504 Voß, Julius von: Ini. Ein Roman aus dem ein und zwanzigsten Jahrhundert, Berlin: Karl Friedrich Amelang 1810, 41–42. 505 Vgl. BM 1868,0808.7613.
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Prinzips durch beide Kriegsparteien wurden demgegenüber nicht juristisch, sondern als politische Ausnahmesituationen gerechtfertigt. Die Auslegung, was ein Verstoß gegen dieses Recht bedeutete und von wem es in dem Konflikt missachtet wurde, rankte sich im Detail um die Frage, wie mit den Schiffen neutraler Staaten verfahren werden sollte. Dass im Kriegsfall für die Konfliktparteien andere Gesetze galten, schien in der Diskussion unhinterfragt. Die Frage aber, welche Regeln für neutrale Militär- und private Handelsschiffe allgemein gelten sollten, löste eine umfangreiche publizistische Debatte um die Rechte der Neutralen und die Pflichten der Kriegsparteien aus. Die Entwicklung rechtlicher Prinzipien ging somit von den Interessen privater Akteure aus und richtete sich gegen den Zugriff von bzw. die Beeinflussung durch den Konflikt zwischen staatlichen Akteuren. In der Debatte um die Macht zur See drückt sich damit das vergessene frühmoderne Bemühen um transnationales Recht aus, auf das David Armitage verwiesen hat und an das im 20. Jahrhundert wiederangeknüpft werden sollte. Die Freiheit der Meere war auf diese Weise mehr als eine bloß theoretische Fragestellung juristischer Fachgelehrter, sondern Gegenstand der Reflexion einer gelehrten Öffentlichkeit, für die das Denken in globalen Maßstäben sich aus der konkreten Alltagserfahrung ergab, weil sich die Auswirkungen globaler Zusammenhänge selbst in ihrer kleinräumigen gesellschaftlichen Umgebung manifestierten. Dies erklärt die, im Verhältnis zu früheren Diskussionen zum Seevölkerrecht, besondere Fokussierung der kontinentalen Publizistik auf die Aspekte der Transgression des Konfliktes zwischen zwei Staaten auf privates Eigentum. Das Ringen um die Anerkennung rechtlich verbindlicher Prinzipien wie dem des freien Gutes auf freien Schiffen auch im Kriegszustand verweist auf die in dieser Zeit erstmalig an Greifbarkeit gewinnenden Vorstellungen eines globalen Raumes des transnationalen Rechts. Die Betonung der Freiheit der Meere als uneingeschränktes Völkerrecht stand dabei in den französischen Debattenbeiträgen im Mittelpunkt, während in Großbritannien eine eher pragmatische Argumentation im Sinne völkergewohnheitsrechtlicher Standards vertreten wurde. Die deutschsprachige Publizistik lässt in der seerechtlichen Diskussion eine eigenständige, zwischen den Konfliktparteien stehende, Position erkennen. Die Debatte um das Seehandelsrecht in ihren länderspezifischen Ausformungen hat als Gesamtdebatte eines gezeigt: Die rechtspolitische Auseinandersetzung um das Meer machte dieses in der öffentlichen Wahrnehmung zu einem Raum, auf dem sich die rechtliche Architektur des globalen Zusammenlebens der verschiedenen Nationen entschied. Der legale Status dieses Raumes hatte dabei ganz konkrete Auswirkungen auf das alltägliche Leben der Menschen in Europa und erlangte auf diese Weise Bedeutsamkeit für jeden Einzelnen. Die »plastischen Konturen« und die »Überschaubarkeit des Plane-
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ten«, die Iris Schröder für das geographische Wissen des 19. Jahrhunderts herausgearbeitet hat, lassen sich also auch an den juristischen Diskursen nachvollziehen.506 Die Ozeane wurden zur miterlebbaren und erfahrbaren Fläche des Planeten und damit zum Medium der Verbindung oder Konfrontation der Nationen und ihrer Bewohner untereinander.
Kapitel 3: Doux Commerce 3.
»Der Handel, das mächtige Band«507: Die Debatte um die Wirkung internationalen Handels »Die Handlung in einem Staat ist gleich einem schönen, jungen lüsternen Weibe, die einen eifersüchtigen Mann hat, jemehr dieser sie einschränkt und bewacht, desto mehr denkt sie darauf, ihren Mann zu hintergehen. Die verbotenen Freuden sind die süßesten, und der eingeschränkte Handel bringt mehr dem fremden Kaufmann Nutzen, als dem inländischen.«508
3.1
Einleitung
1814 erschien in Hannover die erste Edition eines Werkes, das wie kein anderes die Veränderung im wirtschaftspolitischen Denken, wie sie während der Kontinentalsperre stattgefunden hatte, ausdrückt: De l’esprit de la concquÞte et de l’usurpation von Benjamin Constant.509 Constant entwirft darin eine Dichotomie der alten gegen die neue Ordnung. Die »alte Welt« sei durch Krieg geprägt gewesen, die »neue Welt« durch Handel. Beide würden zum selben Ziel führen: der Besitzsteigerung. Die Epoche des Handels habe notwendigerweise diejenige des Krieges ersetzen müssen, denn das Verlangen der modernen Nationen sei Ruhe und Frieden und mittels Handel könnten ökonomische Ziele auf sichere und sanfte Weise (»moyen plus doux«) erreicht werden. Der Krieg habe somit seinen »Nutzen« verloren und Interesse und Leidenschaft (int8rÞt et passion) würden die Menschen in der Moderne von gewaltsamen Bereicherungsversuchen abhalten. Die Schrift ist eine Streitschrift gegen Napoleons Kriegspolitik, 506 Vgl. Schröder: Das Wissen von der ganzen Welt (wie Anm. 187), 9. 507 Graf von B.: Ueber die Bewirkung eines dauerhaften Friedens, In: Minerva 1 (1813), 374– 391 [Zitat aus Gründen der grammatischen Anpassung leicht verändert]. 508 Graf von B.: Aphorismen über das Papiergeld, besonders in Hinsicht des Oesterreichischen Papiergeldes, In: Minerva 3 (1806), 530–539. 509 Hier zitiert in der 3. Auflage: Constant, Benjamin: De l’esprit de la conquHte et de l’usurpation. Dans leur rapports avec la civilisation europ8enne, Paris: Le Normand & H. Nicolle 1814. Zwischenzeitlich war in London bei J. Murray die zweite Auflage gedruckt worden.
Doux Commerce
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welche die Logik der alten Ordnung durch Eroberung und Usurpation in die neue Zeit hineinzutragen versucht habe. Doch die Nationen hätten von dieser gewaltsamen Wohlstandssteigerung nichts zu erwarten: »Les nations commerÅantes de l’Europe moderne, industrieuse, civilis8es, plac8es sur un sol assez 8tendu pour leur besoins, ayant avec les autres peuples des relations dont l’interruption devient un d8sastre, n’ont rien / esp8rer des conquÞtes.«510 Und die Handelsepoche, in der die Bevölkerung ihren privaten Wohlstand steigern könne, baue grundsätzlich eine Barriere gegen die Willkür eines Herrschers auf, sie befreie die Individuen und setze der Autorität Grenzen:511 »[L]’existence individuelle est moins englob8e dans l’existence politique. Les individus transplantent au loin leur tr8sors; ils portent avec eux toutes les jouissances de la vie priv8e; le commerce a rapproch8 les nations, et leur a donn8 des mœurs et des habitudes / peu prHs pareilles; […] les peuples sont compatriotes, l’expatriation […] est facile aux modernes; et loin de leur Þtre p8nible, elle leur est souvent agr8able.«512
Dieses Werk, das auf knapp zweihundert Seiten die positiven Effekte des internationalen Handels in den schönsten Bildern malt und die »Befreiung« des Individuums von politischen Beschränkungen durch die Steigerung privaten Wohlstandes sowie die Abstraktion der handeltreibenden Völker zu sittlich und sozial homogenen Kosmopoliten propagiert, erschien nicht zufällig nach einem Jahrzehnt, in dem sich die zwei wichtigsten europäischen Volkswirtschaften durch Handelsrestriktionen zu schaden versucht hatten und auch neutrale Länder in diesen Konflikt mithineingezogen hatten. In diesem Kapitel soll es darum gehen, die Wahrnehmung der Rolle und politischen Funktion des Welthandels in der Öffentlichkeit des frühen 19. Jahrhunderts einzuschätzen und neu zu interpretieren. Gegen Ende der Kontinentalsperre entfaltete sich eine publizistische Debatte zur Wirkung des internationalen Handels, die explizit auf aufklärerische Wirtschaftstheorien zurückgriff. Angesichts der misslichen ökonomischen Lage in Teilen der Industrie auf dem Kontinent sowie in Großbritannien wandte sich der ökonomische Journalismus von isolationistischen Theorien ab und richtete seine Hoffnungen auf einen zukünftig zu realisierenden internationalen Freihandel. Der Konflikt zwischen Großbritannien und dem Kontinent wurde im Verlauf der Kontinentalsperre – in kompletter Umkehrung der Argumentation in der Frühphase – als Beweis für die Notwendigkeit der Ausbreitung kapitalistischer Abhängigkeiten zum Zwecke eines tragfähigen internationalen Friedens angeführt. Diese Phase der Entwicklung liberaler ökonomischer Theorien ist unter globalisierungshistorischen Aspekten bislang nicht berücksichtigt und ideen510 Ebd., 63. 511 Vgl. ebd., 181. 512 Ebd., 182–183.
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Kontinentalsperre und Welthandel. Debatten um globale Märkte
geschichtlich oftmals losgelöst vom konkret ereignishistorischen Zusammenhang interpretiert worden. Einerseits sind Freihandelstheorien in der Ideengeschichte, in dem Streben nach vermeintlich Ursprünglichem, in ihren frühen Entwicklungen im 18. Jahrhundert in Betracht gezogen worden. Andererseits erscheint die Freihandelstheorie in den Überblicksdarstellungen genereller ideengeschichtlicher Entwicklungslinien als sozial-politisch wirkmächtiges intellektuelles Konzept erst ab etwa den 1840er Jahren und wurde in diesem Zusammenhang erläutert.513 Die Zwischen- oder Übergangsphasen fallen damit einmal mehr aus dem Rahmen der Aufmerksamkeit, wodurch die Dissonanzen und Ambivalenzen der ideologischen Konzepte übergangen werden. Wenn man die Zeit bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts außenvorlässt und somit die theoretische Verteidigung des Freihandels mit seiner mählichen politischen Umsetzung auf eine Linie bringt, wird die Nutzbarmachung des theoretischen Gebäudes, das mit Freihandel verbunden wurde, zu politisch oft fragwürdigen und bisweilen dem Kern der Theorie zuwiderlaufenden Zwecken ausgeklammert. Ideologische Dimensionen treten aber gerade in Momenten besonders offen zutage, in denen Wirtschaftspolitik und Wirtschaftstheorie nicht in Einklang miteinander standen, sondern divergierenden Logiken folgten. Dies ist zur Zeit der Kontinentalsperre der Fall, deren Untersuchung daher auch Divergenzen zwischen der neumerkantilistischen Praxis der damaligen Zeit und einer dem Freihandel verpflichteten Theorie zu erhellen vermag. Was Kindleberger etwa für die Mitte des 19. Jahrhunderts zu den ideologischen Gründen für eine Freihandelspolitik herausgearbeitet hat, die nicht so sehr auf ökonomische Interessen, denn auf eine anerkannte Doktrin der Freihandelsbewegung zurückzuführen ist514, kann in gewisser Weise auf das frühe 19. Jahrhundert angewandt werden, als sich die politisch interessierte Öffentlichkeit von den unmittelbaren politischen Zielen zu lösen begann: Die protektionistische Wirtschaftspolitik stand einer zunehmend liberalen Theoriebildung gegenüber, welche von ihrer politischen Umsetzung erst Jahrzehnte später eingeholt werden sollte. Nicht ohne Grund bekamen liberale Theorien im frühen 19. Jahrhundert Aufwind und radikalisierten sich in Reaktion auf gegenläufige politische Entscheidungen. Angesichts der protektionistischen Wirtschaftspolitik, die aus der Konfliktsituation beider Hauptakteure hervorging, gewannen bei den Publizisten aufklärerische Konzepte des freien Welthandels als verbindendes Element im globalen Zusammenleben wieder und in profilierter Form an Glaubwürdigkeit. Die konflikttreibenden Mechanismen einer Handelsgesellschaft wurden zunehmend 513 Vgl. Klump, Rainer ; Vec, Milosˇ (Hg.): Völkerrecht und Weltwirtschaft im 19. Jahrhundert, Baden-Baden 2001. 514 Vgl. Kindleberger, Charles P.: The Rise of Free Trade in Western Europe 1820–1875, In: The Journal of Economic History 35.1 (1975), 22–55, hier 49–51.
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unterschlagen. Handel wurde mit Wohlstand, Frieden, Gleichheit und Zivilisierung in Verbindung gebracht. Die Forschung zur Wirtschaftstheorie der Aufklärung ist bis heute geprägt von der These des doux commerce, wie sie Albert O. Hirschman in seiner Studie The Passion and the Interests entwickelt hat.515 Hirschman zeichnet darin eine ideengeschichtliche Entwicklung vom 17. Jahrhundert, in welchem Handel vorwiegend als Kampfplatz unterschiedlicher nationaler Interessen angesehen wurde, zum 18. Jahrhundert, in dem ökonomische Interessen als rationales Sedativ gegen politische Leidenschaften ins Feld geführt wurden. Hirschman ging es darum, die Verharmlosung kapitalistischer Strukturen noch vor deren weltweitem Siegeszug aufzuzeigen und hob dabei besonders ab auf die Assoziation von Handel mit einem Vokabular der Sanftheit als »doux« in Frankreich und »calm« in England sowie dem Verständnis des »Geldmachens« als »unschuldig«. Unter »doux commerce« verstand er also vorwiegend die verharmlosende Bewertung des Handels in einem kapitalistischen Austausch auf individueller Ebene. Es wird zu zeigen sein, wie erstens die These des doux commerce für das 18. Jahrhundert relativiert werden muss und zweitens, wie sie in der Öffentlichkeit um 1810 auf neue Art wirkmächtig wurde. In den folgenden Kapiteln soll die Debatte um den Welthandel in vier Schritten aufgefächert werden. Nach der näheren Definierung des Diskussionszusammenhangs von Isolationismuskritik und Verflechtungsdiskurs (3.2), wird zunächst die Theorie des doux commerce des 18. Jahrhunderts anhand vier ihrer wichtigsten Vertreter erläutert (3.3). Anschließend werden die publizistischen Reaktionen auf die Blockadepolitik in den Jahren 1810 bis 1813 untersucht. Dabei wird einerseits die Thematisierung der wirtschaftlichen Depression und die darauf aufbauende Kritik am Isolationismus veranschaulicht sowie die daraus folgende Einschätzung des Außenhandels als wohlstandsfördernd (3.3.1) und anderseits wird der Diskurs zur globalen Annäherung der Weltteile herausgearbeitet (3.3.2). Anschließend wird dann wieder ein Blick in die Bildpublizistik geworfen, die die wirtschaftliche Krise thematisierte (3.3.3). 3.2
Thema: Die Kritik an der Kontinentalsperre und der Verflechtungsdiskurs
Die Kontinentalsperre wurde nicht durch einen offiziellen rechtskräftigen Widerruf Napoleons beendet. Zwar kündigte der französische Kaiser mehrfach das Außerkraftsetzen seiner Dekrete an und beschloss 1810 die Rücknahme – dies jedoch lediglich als Ankündigung der Rücknahme unter der Bedingung der 515 Hirschman, Albert O.: The Passions and the Interests. Political Arguments for Captialism Before Its Triumph, Princeton (New Jersey) 1977.
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Aufhebung der Orders in Council durch das britische Parlament. Offiziell wurde die Politik der Dekrete von Berlin und Mailand bis zu Napoleons Sturz fortgeführt. Das Kontinentalsystem und die rechtlichen Grundlagen für die Abschottungspolitik fanden erst mit der napoleonischen Herrschaft ein Ende. Das faktische Ende der Sperre begann allerdings spätestens mit der Bindung des militärischen Aufgebots im Russlandfeldzug ab 1812. Eli Heckscher macht eine Veränderung der wirtschaftspolitischen Ausrichtung sogar noch früher aus, als sich Napoleon in internen Schreiben für eine Ausweitung des Lizenzsystems für Kolonialwaren in einem derartigen Umfang aussprach, der eine grundsätzliche Abkehr vom Prinzip der Kontinentalsperre bedeutete.516 Die Orders in Council wurden von Großbritannien 1812 zurückgenommen, vorwiegend im Bestreben, das angespannte Verhältnis mit den Vereinigten Staaten von Amerika zu verbessern, die, wie im Kapitel III.2 gesehen, als neutraler Hauptakteur im internationalen Handel besonders unter der Restriktionspolitik litten. Den Krieg zwischen Großbritannien und den Vereinigten Staaten von Amerika konnte diese Maßnahme jedoch nicht verhindern, traf die Nachricht von der Rücknahme doch erst nach der amerikanischen Kriegserklärung auf der anderen Seite des Atlantiks ein. Die britische Wirtschaft war auf Importe von Holz und Getreide angewiesen und die Lage des Inselstaates wurde um 1810 bedrohlich, endete aber nicht im Zusammenbruch. Die Kontinentalsperre hatte zur Teuerung vieler Waren und unter Fabrikarbeitern zu sozialem Elend geführt, woraufhin es in einigen Landesteilen zu heftigen Unruhen kam, die von der Regierung gewaltsam niedergeschlagen wurden.517 Für den Kontinent ergaben sich mehrere Probleme: Exportorientierte Wirtschaftsbranchen (Agrargüter, Holz, Textilien) wurden von ihren Märkten abgeschnitten und Seehandelsstädte wurden gefährdet (Bordeaux, Nantes, Marseilles, Amsterdam, Antwerpen); die Leinenindustrie war besonders betroffen, da sie von den Exporten in die Kolonien abhing. Die Baumwollindustrie profitierte dagegen von dem Ausschluss der britischen Konkurrenz, doch brachten die Importschwierigkeiten des Rohstoffes auch Nachteile mit sich. Außerdem vermissten die Konsumenten Lebens- und Genussmittel (Kaffee, Zucker, Reis, Tabak), die Substitution durch Getreidekaffee und Rübenzucker konnte diese Bedürfnisse nicht mindern.518 Katherine Aaslestad hat darauf hingewiesen, dass in den von Napoleon besetzten Gebieten klare ökonomische Motive zur Abwehr der französischen Herrschaft führten, 516 Heckscher spricht an dieser Stelle von der »Selbstzerstörung des Systems«; vgl. Heckscher : The Continental System (wie Anm. 32), 248–254. 517 Vgl. Winkler : Geschichte des Westens (wie Anm. 34), 411–412. 518 Vgl. Marzagalli: Les boulevards de la fraude (wie Anm. 34); Weber : The Atlantic Coast of German Trade (wie Anm. 214), 99–119 u. Fehrenbach, Elisabeth: Vom Ancien R8gime zum Wiener Kongress, München 2001, 96–97.
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die sich zunächst hauptsächlich gegen die Steuerbeamten richtete, weniger gegen das französische Militär. Anstatt die langfristigen Folgen des Kontinentalsystems zu betrachten – eine Perspektive, die die Wirkung der Sperre insgesamt relativiert – gelte es die unmittelbaren Folgen für die Bevölkerung in den Blick zu nehmen. Ungeachtet aller regionalen und sozialen Unterschiede erfuhren die meisten Europäer durch die Anpassung an die napoleonische Wirtschaftspolitik einen Niedergang ihrer traditionellen Lebensumstände.519 Erst ab 1813 erholte sich die wirtschaftliche Lage zu beiden Seiten des Ärmelkanals wieder. Die hoffnungsvolle bis kämpferische Presseberichterstattung zu Beginn der Kontinentalsperre wich mit zunehmender Zuspitzung der Blockadepolitik dem Eingeständnis, dass die erwarteten positiven Effekte für die eigene Wirtschaft sich nicht oder nicht mit der erwünschten Geschwindigkeit einstellten. In der Presse auf beiden Seiten der Konfliktlinie erschienen anonym verfasste Pamphlete, die dem Publikum die »wahre« ökonomische Lage seit der Handelsunterbrechung aufzuzeigen versuchten. 1809 fasste Johann Reimarus (1729–1814) die »Klagen der Völker des Continents« in einer kleinen Broschüre zusammen, die er auf Deutsch und Französisch anonym drucken ließ520 und schickte sie an die Fürsten von Holland, Westphalen, Bayern, Sachsen, Württemberg, Preußen und Dänemark. Die französische Übersetzung in Amsterdam wurde unterdrückt, aber in London im Courrier de Londres am 16. März 1810 veröffentlicht.521 Reimarus stellt darin die missliche Lage der Kontinentalwirtschaft gegen die angebliche Prosperität Großbritanniens. Der Ausschluss vom Seehandel ruiniere den Kontinent, da dessen gesamtes Sozialgefüge vom Seehandel abhinge, die Beschränkungen beeinträchtigten nicht nur einzelne Personen, sondern das Glück und die Gewerbetätigkeit der gesamten Bevölkerung. Der Handel habe einen grenzenlos belebenden Einfluss auf die soziale Ordnung und der Kontinent könne die Stagnation durch die Handelsunterbrechung nicht länger ertragen. Auch Johann Nepomuk Zizius, österreichischer Professor für Rechts- und Staatskunde, benannte das »größte Unglück« seiner Zeit beim Namen: Es liege in der »Universal-Herrschaft« Napoleons, die das Gleichgewicht auf staatlicher 519 Vgl. Aaslestad: Revisiting the Continental System. Exploitation to Self-Destruction (wie Anm. 36), 114–132. In Einzelstudien konnte dagegen die positive Wirkung auf die Wirtschaft bestimmter Regionen aufgezeigt werden; vgl. beispielsweise für das Elsass: Ellis: Napoleon’s Continental Blocade (wie Anm. 34). 520 Reimarus, Johann Albert Heinrich: Klagen der Völker des Continents von Europa über die Handelssperre, Hamburg 1809 u. ders.: Dol8ances des peuples du continent de l’Europe au sujet de l’interrruption de leur comerce. Adress8es / tous les Princes de cette partie du monde Hamburg/ Amsterdam: Kothes/ Bureau de Litt8rature 1809. 521 Vgl. Reimarus, Johann Albert Heinrich: Lebensbeschreibungen von ihm selbst aufgesetzt, Hamburg: August Campe 1814, 52–54.
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und internationaler Ebene zerstöre und »das schwere Joch der Gravitation mit dem steifen Continentalsystem« anstelle des dynamischen Gleichgewichtes zwischen den europäischen Staaten setze.522 Und auch 1811 gab er den aufmerksamen Leser bereits zu verstehen, dass er im Grunde beide Mächte für ihre Blockadepolitik verurteilte und für die Missverhältnisse verantwortlich hielt. »Die Welt staunte, und schreckte sich zugleich über die neue Art, sich wechselweise zu schaden, indem man durch den individuellen Angriff auf das Eigenthum der Einzelnen, und durch Gewalt gegen einen Dritten den Feind zu zerstören versuchte.«523 : Englands Orders in Council und Frankreichs Dekrete.524 Zizius sah im freien internationalen Handel das Mittel zur Wohlstandssteigerung, die Handelsblockaden in der Logik merkantilistischer Wirtschaftspolitik müssten überwunden werden. Gefahren drohten Zizius zufolge der Weltwirtschaft also von Seiten einzelner Staatsregierungen, die mit Blockademaßnahmen gegen das Gemeinwohl und letztlich auch gegen die eignen Interessen agierten. Zur Mäßigung einzelner Herrscher und ihres wachstumshinderlichen Merkantilismus bedürfe es des Freihandels. Zur Garantie der Aufrechterhaltung eines ausgewogenen Verhältnisses, das die wechselseitige Annäherung ermögliche und den Schutz des privaten Eigentums garantiere, war im Denken Zizius’ aber eine höhere politische Instanz als die Staaten nötig, deren Machtstreben die positive Wirkung freien Handels unmöglich machte. Mit dieser Interpretation der wirtschaftspolitischen Lage Europas sind bereits die Kerngedanken der öffentlichen Debatte um Freihandel und seinem Verhältnis zum Staat umrissen. In Großbritannien regte sich ebenfalls zunehmend öffentlicher Widerstand gegen die Regierungspolitik, die die Effekte der Blockade auf das Inland herunterspielte und die Orders in Council verteidigte. In London wurde 1811 eine anonyme Flugschrift gedruckt, die die »Embarrassments« Großbritanniens im Handel schildert: Händler und Kaufleute hätten einen derartigen Vorrat an Gütern angehäuft, die allein durch die Wiedereröffnung des europäischen Marktes abgesetzt werden könnten.525 Die Vorstellung, der britische Handel könne trotz aller gesetzlichen Widerstände Napoleons florieren, sei in den ersten Jahren nach den Dekreten durchaus richtig gewesen. Inzwischen habe sich 522 Vgl. Zizius, Johann Nepomuk: Uiber das Princip des politischen Gleichgewichts auf die innere Staatsordnung angewandt, Wien/Triest: Geistinger 1814. 523 Zizius, Johann: Oekonomisch-politische Betrachtungen über die Handels-Bilanz, Wien/ Triest: Geistinger 1811, 130. 524 Vgl. ebd., 129–131. 525 Zum Aufkommen des Begriffes »Embarassment« zur Umschreibung wirtschaftlicher Schwierigkeiten vgl. Besomi, Daniele: Naming Crisis. A Note on Semantic and Chronology, In: dies. (Hg.): Crises and Cycles in Economic Dictionaries and Encyclopaedias, Abingdon/ New York 2012, 54–132, hier 60–62.
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dessen Macht auf dem Kontinent aber derart ausgebreitet und die Kontinentalsperre werde so strikt eingehalten, dass ein »vollständiger Abbruch unseres Handels« erreicht sei. Die Regierung wird daher aufgefordert, von ihrer eigenen prohibitiven Politik abzulassen, welche als Auslöser, nicht als Folge der Dekrete verstanden wird: »we must either open all the continental commerce, or submit to such laws, as [France] may please to dictate and impose; or give up our commerce with the continent altogether.«526 Die Vorteile durch die fortschrittliche Industrietechnik sei den Briten nicht auf ewig gegeben und diese könnten durchaus in andere Länder verlagert werden: »The whole face of the commerical world has been altered, […] and we have lost our privilege.«527 Um diese Sichtweise zu untermauern wird als Schlussfolgerung der Schrift ein Auszug aus dem Moniteur Universel zitiert, in dem es heißt, die Wohlstandsbilanz stehe zugunsten der französischen Wirtschaft und gegen Großbritannien.528 An diesen Beispielen wird deutlich, dass die Blockadepolitik in der Presse besonders aufgrund ihrer negativen Effekte auf den Frieden und Wohlstand unter den Völkern als wirtschaftspolitische Fehlentscheidung erkenntlich gemacht wurde, die die Bevölkerung unmittelbar und mittelbar zu spüren bekam und die zu hinterfragen die Presse ihren Lesern ermöglichte. Zu welchen theoretischen Überlegungen zum Welthandel diese zunehmende Kritik an der Kontinentalsperre und den Orders in Council in der Öffentlichkeit führte, soll in diesem Kapitel eingehender untersucht werden. Zunächst gilt es aber die Vorgeschichte der theoretischen Symbiose von Friedfertigkeit und Handel nachzuvollziehen.
3.3
Publizistische Reaktionen
Mit der Kontinentalsperre standen sich zwei Wohlstandsmodelle gegenüber, die spätestens seit den Physiokraten ausführlich wirtschaftstheoretisch diskutiert wurden: Gründet sich der Wohlstand auf die Landwirtschaft und damit auf die Schätze des Bodens im eigenen Land oder auf den Handel und damit auch auf den Austausch mit anderen Ländern? Frankreich stand für ersteres, Großbritannien für letzteres Modell. Im Kapitel III.1 wurde deutlich, wie die politischen Maßnahmen der wirtschaftlichen Isolation unter Rückbezug auf physiokratische Ansätze theoretisch begründet wurden. Hier nun wird untersucht, wie sich die Theorien zum Handel in den Debatten entwickelten und liberalen Theorien der Aufklärung ein größerer Stellenwert eingeräumt wurde. Dabei wird zunächst 526 A Merchant of the Old School: Considerations on the Causes Which Have Produced our Present Commercial Embarrassments, London: T. Rutt 1811, 15–16. 527 Ebd., 14. 528 Vgl. Moniteur Universel (11. Feb. 1811), 162.
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geklärt werden müssen, welche Positionen zur Wirkung internationalen, freien Handels sich bei den fraglichen Denkern der Aufklärung finden lassen. Hirschmans These ist hinsichtlich der Bewertung der kapitalistischen Marktordnung im weiteren Verlauf der Ideengeschichte tatsächlich aufschlussreich. Denn die Vorstellung, dass wirtschaftliche Verflechtung zu friedlichen politischen Beziehungen zwischen Staaten führt, gehört zu den mehr oder weniger impliziten Grundannahmen, die eine Vielzahl von Theorien zur Organisation des internationalen Zusammenlebens der letzten 200 Jahre prägen. Der Glaube an die Konfliktreduzierung der kapitalistischen Weltordnung hat sich somit seit dem 18. Jahrhundert, trotz stetiger Kritik und offensichtlich entgegengesetzter Realitäten behaupten können.529 Hirschmans Verdienst ist es, die Wurzeln der Annahme einer solchen intrinsischen Verbindung von ökonomischem Profitstreben mit politischer Friedfertigkeit und gesellschaftlicher Zivilisierung bis in die Aufklärungsphilosophie und somit die lange Aus- und Einprägung dieser diskursiven Komposition zurückverfolgt zu haben. Seine verallgemeinernde und eine grobe Entwicklungslinie vorzeichnende These erweist sich aber in mindestens zweierlei Hinsicht als problematisch. Erstens belegt er die für eine gesamteuropäische Geistesbewegung angenommene Entwicklung nicht ausreichend, das heißt die These des doux commerce, der leidenschaftsbändigenden Funktion des kapitalistischen Strebens nach Wohlstand, weist er letztendlich nur im Falle von Montesquieu und Sir James Steuard hinreichend nach. Montesquieu und Steuard, an deren Schriften Hirschman seine These des doux commerce hauptsächlich belegt, sahen den Handel als Gegengewicht gegen die korrupte Machtpolitik eines Einzelnen, indem sich die Vielen durch kaufmännische Tätigkeit der Abhängigkeit von der fürstlichen Macht zu entziehen vermochten. Die korrumpierende Macht des Handels selber hätten sie, so Hirschman, nicht erkannt, sondern ihm einzig schlichtende und rationalisierende Qualitäten zugemessen. Dabei wurden die kritischen Töne gegenüber dieser Auffassung im Verlaufe des 18. Jahrhunderts, wie er im Übrigen selber zeigt, durchaus deutlich formuliert.530 Ein Sammelband unter der Leitung von Olaf Asbach hat sich jüngst die Aufgabe der Überprüfung der These des doux commerce gestellt und kommt zu dem Resultat, dass die Theoretiker 529 Dabei wird nicht zuletzt vergessen, dass der Erste Weltkrieg nach einem langen weitestgehend friedlichen Jahrhundert nach dem Wiener Kongress zu einem Zeitpunkt ausbrach, an dem die globale Wirtschaft auf einem Höchstmaß wirtschaftlicher Verflechtung angelangt war. 530 Im Schlusskapitel gibt Hirschman auch kritische Stimmen wieder (Ferguson, Tocqueville, Rousseau), doch sei der angenommenen Harmlosigkeit des kapitalistischen Gewinnstrebens erst im 19. Jahrhundert widersprochen worden: »But the idea that men pursuing their interests would be forever harmless was decisively given up only when the reality of capitalist development was in full view.«; vgl. Hirschman: The Passions and the Interests (wie Anm. 515), 117–128.
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der Aufklärung ein klares Bewusstsein für die gegenläufigen Tendenzen des Handels hatten.531 Das zweite Problem von Hirschmans These ist, dass bei ihm die Frage nach der Wirkung des Außenhandels auf das internationale politische Gefüge praktisch keine Rolle spielt, dieser Aspekt ist allerdings für das Verständnis einer Verknüpfung des Profitstrebens einer Handelsgesellschaft mit ihrem vorgeblich friedfertigen Charakter nach außen absolut grundlegend, sowohl in der Argumentation ökonomischer Schriften des 18. Jahrhunderts als auch später. Der Austausch zwischen Staaten und die Annäherung der Nationen untereinander fällt weitgehend aus Hirschmans Überlegungen hinaus. Das Verständnis von Handel als global friedensstiftendes Moment in der Wirtschaftstheorie der Aufklärung taucht allenfalls am Rande auf. Einzig im Abschnitt über Montesquieu bringt er die Auswirkung des doux commerce auf internationaler Ebene zur Sprache: »But international commerce, being a transaction between nations, could conceivably have also a direct impact on the likelihood of peace and war : once again the interests might overcome the passions, specifically the passion for conquest.«532 Und damit ergibt sich ein drittes, grundsätzliches Problem der These Hirschmans, die in diesem Kapitel einer Überprüfung unterzogen werden soll: Die Theorie des doux commerce habe sich auf das 18. Jahrhundert beschränkt und sich vor der historischen Entwicklung gleichsam als obsolet erwiesen: »The disappearance from the view of the Montesquieu-Steuart speculations must also be traced to more general historical factors: it is hardly surprising that their optimistic ideas on the political effects of expanding commerce and industry did not survive the age of the French Revolution and the Napoleonic Wars.«533
Hirschman deutet auf diese Art beiläufig ein historisches ›Ablaufdatum‹ der doux commerce-Theorie an, ohne freilich auszuführen, worin die Hindernisse für das Fortbestehen derartiger Standpunkte bestünden, noch zu schauen, ob sie nicht doch weiterhin Bestand hatten, zumal sein Anliegen ja gerade ist, die ideenhistorischen Anfänge eines aktuellen Diskurses aufzudecken. Hirschmans These ist in Studien zu einzelnen Autoren inzwischen relativiert worden534, die Grundannahme über eine positive Bewertung von marktwirt531 Der Band stellt eine fundierte Analyse der doux commerce-These und ihre Einbettung in die politische Diskussion und Praxis des 18. Jahrhunderts dar, die ausgesprochen überzeugend ausgeführt ist und lange überfällig war; vgl. Asbach, Olaf: Einleitung. Politik, Handel und internationale Ordnung im Denken der Aufklärung, In: ders. (Hg.): Der moderne Staat und »le doux commerce« (wie Anm. 25), 13–36. 532 Hirschman: The Passions and the Interests (wie Anm. 515), 79. Zu seiner an Montesquieu und Steuard entwickelten Kernthese vgl. 70–86. 533 Ebd., 113. 534 Besonders zwei Studien, die sich mit der Histoire des deux Indes von Raynal befassen, haben hier eine grundlegende Neuinterpretation vorgenommen, die hoffentlich Studien zu wei-
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schaftlichen Strukturen auf den nationalen und internationalen gesellschaftlichen Zusammenhalt im 18. Jahrhundert hält sich gleichwohl hartnäckig. Am grundlegendsten hat sich Istvan Hont teilweise im Anschluss, teilweise in Abgrenzung zu Hirschman mit den Wirkmechanismen von Staat und Handel in der Wirtschaftstheorie der Frühen Neuzeit auseinandergesetzt. In seiner Studie Jealousy of Trade untersucht er den Begriff der Handelseifersucht als Ausdruck für ein Missverhältnis zwischen Politik und Wirtschaft, durch welches der gesamte Globus in ständigen Handelskrieg gestürzt wurde. Hume und Smith hätten zwar angenommen, dass Krieg und Handel gänzlich unterschiedlichen Logiken folgten und Handel grundsätzlich reziprok sei und auf gegenseitigem Vorteil beruhte, doch spekulierten sie nicht über einen möglichen Handel, der in Frieden und Harmonie geführt wurde. Es ging ihnen um das Wechselverhältnis von beiden und Handel wurde keinesfalls als kriegsbezähmend verstanden, sondern konnte durchaus zu neuen grausamen Kriegsformen führen.535 »Eighteenth-century political economists frequently chose to study those intersections of politics and commerce that they saw as the proximate causes of the modern civilizing process.«536 Fragen des Handels und des Krieges standen bei der Untersuchung der modernen Staatsformen an herausgehobener Stelle. Einige schrieben dem Handel friedensstiftende Funktion zu, andere fürchteten, dass eine Handelsrepublik noch kriegerischer sein würde. Kaum einer ging jedoch davon aus, dass Handelsstaaten ihre Handelseifersucht gänzlich aufgeben würden; diese Möglichkeit wurde nur im »geschlossenen Handelsstaat« für möglich gehalten.537 Den Denkern der Politischen Ökonomie des 18. Jahrhunderts zufolge, war im Laufe des 17. Jahrhunderts der Handel eine »Staatsaffäre« geworden (Affair of state, Hume). Statt eine klare Antithese zur Kriegsführung und ein friedliches Band zwischen allen Staaten darzustellen, konnte Handel zu ebenso intensiven Rivalitäten führen wie andere menschliche Interaktionsformen.538 Die Wirtschaftstheorie des 18. Jahrhunderts widmete sich zunehmend Fragen der »politischen Ökonomie«, also der staatlichen Förderung nationalen Wohl-
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teren Autoren anregen hilft: Festa, Lynn: Sentimental Figures of Empire in EighteenthCentury Britain and France, Baltimore 2006 u. Terjanian, Anoush Fraser : Commerce and its Discontents in Eighteenth-century French Political Thought, Cambridge 2013. Das Verhältnis, so argumentiert Hont, sei allzu oft in der Vorstellung von Vorherrschaft eines der beiden gedacht worden und drücke sich bis in die Gegenwart in der Dichotomie von Realpolitik und Liberalismus/Idealismus in der politischen Theorie aus. Dabei müsse es darum gehen, nicht die Dominanz des einen oder anderen zu beweisen, sondern ihr Interagieren, ihre gegenseitige Beeinflussung zu verstehen; vgl. Hont: Jealousy of trade (wie Anm. 256), 6–7. Ebd., 7. Vgl. ebd., 6–7. Vgl. ebd., 186–187.
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standes. Zur Beantwortung dieser Fragen wurden Theorien über die Basis des Wirtschaftswesens, die eigentlichen Ursprünge der Wertschöpfung entwickelt und debattiert. Figuren wie Colbert in Frankreich oder John Law in England bildeten die Schnittstelle zwischen wissenschaftlicher Ökonomie und praktischer Wirtschaftspolitik. Das, was später Nationalökonomie genannt werden sollte, griff sich in geheimen Kabinetten und öffentlichen Debatten Raum. Überlegungen, wie die nationale Wirtschaft durch gezielte politische Maßnahmen gesteuert und gefördert werden konnte, standen dabei im Zentrum. Schwerpunkte in der theoretischen Auseinandersetzung lagen auf der Wertschöpfung durch landwirtschaftliche Produktion und die damit verbundene Abwertung der nichtproduktiven Teile der Bevölkerung – die in der Französischen Revolution kumulierende Kritik an Adel und Klerus war in erster Linie ökonomisch begründet. Die wachsende Bedeutung des Außenhandels konnte aber in einer historischen Lage, in der alle großen europäischen Staaten überseeische Besitzungen unterhielten, der wirtschaftheoretischen Diskussion nicht verborgen bleiben. Die Rolle der gewerblichen Produktion und des Handels mit den Produkten des ersten und zweiten Wirtschaftssektors wurden zunehmend in den Blick genommen und Möglichkeiten zu seiner Förderung zugunsten der nationalen Wirtschaft kontrovers debattiert. Die Positionen reichten dabei von absoluter Konzentrierung der Wirtschaftsanstrengungen auf die inländische Produktion bis zu Überlegungen des gegenseitigen Nutzens von Außenhandelsbeziehungen für alle darin eingebundenen Länder. Freihandel wurde ein Schlagwort dieser wie jener Richtung, je nachdem ob darunter der freie Güterverkehr innerhalb eines Landes oder zwischen mehreren Ländern verstanden wurde: Auch die Physiokraten waren Freihandelstheoretiker. Alle mussten sie sich angesichts des wachsenden globalen Marktes jedoch mit der Frage des Nutzens und der Wirkung von auswärtigem Handel befassen. Im Folgenden sollen die Positionen derjenigen Aufklärungstheoretiker vorgestellt werden, die am häufigsten mit liberalen Wirtschaftstheorien in Verbindung gebracht werden. Montesquieu Montesquieu ging es darum, ein Mittel gegen den politischen Machtmissbrauch von (absolutistischen) Fürsten zu finden, die ihre Privatinteressen über das Gemeinwohl stellten und das Land aus Ruhmsucht in Kriege verwickelten. Den Handel sah er als Gegengewicht gegen die korrupte Machtpolitik eines Einzelnen, mit dessen Hilfe sich viele durch Handelstätigkeit der Macht des Einzelnen zu entziehen vermochten. Im Buch xx des Esprit des loix heißt es: »Le commerce gu8rit des pr8jug8s destructeurs et c’est presque une rHgle g8n8rale que, partout oF il y a des mœurs douces, il y a du commerce; et que partout oF il y a du commerce, il y a des mœurs douces.
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Qu’on ne s’8tonne donc point si nos mœurs sont moins f8roces qu’elles ne l’8taient autrefois. Le commerce a fait que la connaissance des mœurs de toutes les nations a p8n8tr8 par-tout: on les a compar8es entre elles, et il en a r8sult8 de grand biens.«539
Es ist diese dem Handel in der Frühen Neuzeit zugeschriebene besänftigende Funktion auf die Leidenschaften, auf die Hirschman in seiner Studie verwiesen hat. Anders als es bei diesem erscheint, nimmt den größten Raum in Montesquieus Betrachtung allerdings die friedenstiftende Funktion des Handels ein. Basierend auf dem Prinzip der gegenseitigen Abhängigkeit stellt sich dem Esprit des loix zufolge zwischen Handelsnationen strukturell ein friedliches Verhältnis ein: »L’effet naturel du commerce est de porter / la paix. Deux nations qui n8gocient ensemble se rendent r8ciproquement d8pendantes: si l’une a l’int8rÞt d’acheter, l’autre a int8rÞt de vendre; et toutes les unions sont fond8es sur de besoins mutuels.«540 Die negative Seite des Handels, so Hirschman, hätten Montesquieu und andere Aufklärer nicht erkannt. Doch gerade der Einfluss des Handels auf die Verhältnisse zwischen den Menschen auf individueller Ebene, der Hirschman besonders interessiert, ist für Montesquieu durchaus problematisch.541 Während der Handel, so Montesquieu, Nationen verbinde, gelte dies nicht in gleichem Maße für Privatpersonen, bei denen eine entfremdende Monetarisierung auf alle Lebensbereiche übergegriffen habe: »Nous voyons que dans les pays oF l’on n’est affect8 que de l’esprit de commerce, on trafique de toutes les actions humaines, & de toutes les vertus morales: les plus petites choses, celle que l’humanit8 demande, s’y font ou s’y donnent pour de l’argent.«542 Die ökonomischen Interessen wirken nicht zwangsläufig zivilisierend und besänftigend auf die zwischenmenschlichen Verhältnisse in einer Gesellschaft. Und auch auf internationaler Ebene, zeigt sich, dass Montesquieu bei der Friedensherstellung im Handel zwischen Nationen keinen Automatismus unterstellte. Hirschman hatte in seiner Analyse lediglich einen Analogieschluss vermutet: »It was difficult to maintain that domestically such expansion would lead to constraints on the behavior of the rulers while internationally it would cause wars when these were increasingly viewed as motivated by dynastic ambition and folly […] rather 539 Montesquieu: De l’Esprit des Lois, Bd. 2, London 1757, livre XX, chap. I. 540 Montesquieu: De l’Esprit des Lois, livre XX, chap II. 541 Vgl. zu Ansätzen in Montesquieus Werk, die Idee des doux commerce kritisch zu prüfen: Platania, Marco: Montesquieu und der »doux commerce«. Wie der Handel Gesellschaft und Politik verwandelt, In: Asbach (Hg.): Der moderne Staat und »le doux commerce« (wie Anm. 25), 69–89. 542 Montesquieu: De l’Esprit des Lois, livre XX, chap II. Dieser Aspekt ist an anderer Stelle bereits aufgegriffen und Hirschmans These entgegengehalten worden; vgl. Cheney, Paul: Revolutionary Commerce. Globalization and the French Monarchy, Cambridge (Mass.) 2010, 59–65.
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than by ›true interest‹.«543 Für Montesquieu war im Gegenteil die Handelsgeschichte durchaus von Gewalt gekennzeichnet, nicht für jeden Staat war der Handel zudem vorteilhaft und so konnten etwa afrikanische Länder, die kaum etwas auf dem Weltmarkt anzubieten hatten, von europäischen Handelspartnern ausgebeutet werden und waren eher gut beraten, auf Außenhandel gänzlich zu verzichten. Montesquieu unterschied den Wohlstand einer Nation in Grund und Boden einerseits und »bewegliche Güter« (effets mobiliers) andererseits. Ersterer stand durch Gesetze geschützt, ausschließlich den Staatsangehörigen zur Verfügung, während letzterer Wohlstand über den gesamten Globus verteilbar potentiell auf der ganzen Welt genutzt werden konnte und gerade aus diesem Grund zu besonderer Handelseifersucht zwischen den Nationen führte, die darum bemüht waren, sich diesen Wohlstand anzueignen: »L’avarice des nations se dispute les meubles de tout l’univers.«544 Hume Der Aufklärer, der dem Handel und explizit auch dem Außenhandel am eindeutigsten eine positive Wirkung auf das Verhältnis zwischen Individuen und Nationen zugestand, war David Hume. Mit seinen wirtschaftstheoretischen Essays versuchte er seine Leser auf die fehlgeleitete Wirtschaftspolitik aufmerksam zu machen, die sich in ruinösem Konkurrenzdenken verlor. In Of Commerce hebt er etwa die Vorteile des Außenhandels für ein Land hervor: »[A] kingdom, that has a large import and export, is […] more powerful, as well as richer and happier.«545 Der kommerzielle Austausch mit anderen Ländern fördere die inländische Produktion und somit den Wohlstand einer Nation: »The profit is also very great, in exporting what is superfluous at home, and what bears no price, to foreign nations, whose soil or climate is not favourable to that commodity. Thus men become acquainted with the pleasures of luxury and the profits of commerce; and their delicacy and industry, being once awakened, carry them on to farther improvements, in every branch of domestic as well as foreign trade. And this perhaps is the chief advantage which arises from a commerce with strangers.«546
Im Essay Of the Jealousy of Trade argumentiert er noch eindringlicher für ein Verständnis des Handels als gegenseitig vorteilhaft und schließt mit den Worten: 543 Hirschman: The Passions and the Interests (wie Anm. 515), 80. 544 Montesquieu: De l’Esprit des Lois, livre XX, chap XXIII. Zur Handelsgeschichte insgesamt vgl. Livre XXI, chap. V: »L’histoire du commerce est celle de la communication des peuples. Leurs destructions diverses, & de certains flux & reflux de populations & de d8vastations, en forment les plus grands 8v8nemens.«; zu den afrikanischen Ländern vgl. livre XXI, chap. II. 545 Of Commerce, In: David Hume. Essays Moral, Political, Literary, hrsgg. von Eugene F. Miller, Indianapolis 1987 [1777], 263. 546 Ebd., 264.
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»[N]ot only as a man, but as a British subject, I pray for the flourishing commerce of Germany, Spain, Italy, and even France itself.«547 Letztlich lief ein freier wirtschaftlicher Austausch zwischen den Staaten im Denken Humes auf einen Ausgleich hinaus, sodass sich arme und reiche Länder auf Dauer in ihrem Wohlstand durch Verlagerung von Industriezweigen in Länder mit niedrigerem Lohn anglichen:548 »Manufactures, therefore gradually shift their places […] flying to others, whither they are allured by the cheapness of provisions and labour ; till they have enriched these also«.549 Hume wirft somit den Politikern vor, das Interesse des Staates fehlzuinterpretieren, indem sie den ökonomischen Vorteil des eigenen Landes im Ruin ihrer Nachbarn suchten, während ein Land im Umkreis von verarmten Nachbarn auf seine eigenen Ressourcen und Marktkapazitäten zurückgeworfen selbst auf Dauer verarmen müsste. Hume war damit wohl der Aufklärer, dessen Denkkategorien sich hinsichtlich wirtschaftlicher Sachverhalte am stärksten in globalen Zusammenhängen bewegten. Mochte eine Verlagerung von Manufakturen aus einem reichen Handelsstaat wie England seinen Landsleuten durchaus als bedrohliche Entwicklung erscheinen, so nahm Hume diesem Phänomen seinen Schrecken, indem er die Perspektive nonchalant auf die höhere Ebene des internationalen ökonomischen Ausgleichs hebt: »There seems to be a happy concurrence of causes in human affairs, which checks the growth of trade and riches, and hinders them from being confined entirely to one people«.550 Für Hume ist die Herausbildung der Merkmale einer zivilisierten Gesellschaft an die vorausgegangene Verfeinerung von Industrie und Handel gebunden: »Laws, order, police, discipline, these can never be carried to any degree of perfection, before human reason has refined itself by exercise, and by an application to the more vulgar arts, at least, of commerce and manufacture.«551 Die höheren Künste und Wissenschaften sind somit ein Zeichen für Wohlstand und der Luxus führt nicht zum Niedergang, sondern gereicht der Wirtschaft und den guten Sitten zum Stimulus. Was die friedensfördernde Wirkung des Handels betrifft, so sind Humes Texte relativ ausweichend. Es scheint, als müsste der Frieden durch eine gezielte Politik erst hergestellt werden, um Handel frei prosperieren zu lassen. Da die europäischen Länder aber in einer Kriegslogik verfangen waren, konnte der internationale Handel seine wohltätige Wirkung 547 Jealousy of Trade, In: ebd., 331. 548 Vgl. Of Money, In: ebd., 281–294. Vgl. zur Thematik des internationalen wirtschaftlichen Ausgleichs auch: Hont: The »Rich Country – Poor Country« Debate in the Scottish Enlightenment, In: ders.: Jealousy of Trade (wie Anm. 256), 267–322. 549 Of Money, In: David Hume. Essays (wie Anm. 545), 283. 550 Ebd., 283. Vgl. zum globalen Denken Humes: Rothschild: The Atlantic Worlds of David Hume (wie Anm. 25) 405–448. 551 Of Refinement in the Arts, In: David Hume. Essays (wie Anm. 545), 273.
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nicht entfalten. Dieses Verhältnis von Krieg und Handel ist von Istvan Hont detailliert untersucht worden. Hont interpretiert die Vorstellung der »Handelseifersucht« bei Hume richtigerweise als Hauptproblem. In seiner auf Humes gleichnamigen Essay zurückgehenden Studie, Jealousy of Trade, hat er dessen Darstellung des Missverhältnisses zwischen Krieg und Handel untersucht, durch welches der gesamte Globus in ständige Konflikte gestürzt wurde. Hont zufolge führte Hume den korrumpierenden Einfluss der Kriegslogik an, um zu erklären, dass es in modernen Handelsgesellschaften zu Handelseifersucht kam. Es ging ihm um das Wechselverhältnis von beiden, durch welches die positiven Eigenschaften des Handels gewissermaßen untergraben wurden und sogar zu neuen Kriegsformen führen konnten. Frieden, Ordnung, Sicherheit und individuelle Freiheit wird auch in Humes Denken auf militärische Stärke zurückgeführt und nicht allein in den schrankenlosen ökonomischen Austausch auf individueller Ebene verlagert.552 Im Zusammenhang der Finanzwirtschaft, das heißt mit der Staatsverschuldung verweist Hume auf die destruktive Komponente einer durch Profitstreben angeheizten, kreditfinanzierten Kriegswirtschaft. Die durch das Kriegsstreben des Staates entstandene politische Kapitulation vor den privaten Aktionären liest sich als Charakterbild einer globalen Finanzelite und wird als »unnatürlicher gesellschaftlicher Zustand« beschrieben: »These are men, who have no connexions with the state, who can enjoy their revenue in any part of the globe in which they chuse to reside [… ]. The stocks can be transferred in an instant, and being in such a fluctuating state, will seldom be transmitted during three generations«.553
Dieses Übel erwachse aus zu hohen Staatsschulden und dem Versuch, diese durch höhere Besteuerung der produktiven Wirtschaftszweige abzubauen. Eine solche Politik führe letztlich zur Entmachtung der vom Souverän unabhängigen Eliten und der Etablierung einer tyrannischen Herrschaft. Die Lösung müsse in der Eindämmung des Staatschuldensystems liegen, von dem lediglich einige Finanzeliten profitierten, um auf lange Sicht die hohen Steuern für den Handel und die Industrie zu verhindern.554
552 Vgl. Buchan, Bruce: Untertanen und Herrscher. Hobbes und Hume über die Geschichte der Sicherheit, In: Asbach (Hg.): Der moderne Staat und »le doux commerce« (wie Anm. 25), 91–114. 553 Of Public Credit, In: David Hume. Essays (wie Anm. 545), 357–358. 554 »Though a resolution should be formed by the legislature never to impose any tax which hurts commerce and discourages industry«; vgl. ebd., 357–358.
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Smith Dass für Adam Smith der Schlüssel zu nationalem Wohlstand innerhalb eines Staates im Handel lag, braucht an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt werden, zumal er sich in diesen Fragen auf die Theorien seines Freundes David Hume stützte. Diskutiert werden sollen hier dagegen die Fragen der Gleichheit, Zivilisierung, des Friedens und Wohlstandes auf internationaler Ebene. Im Gegensatz zu Humes Äußerungen zur Angleichung der Völker durch Handel kommt es für Smith durch den Kontakt zwischen Gesellschaften verschiedener Zivilisationsstufen555 und besonders den wirtschaftlichen Austausch zwischen denselben nicht notwendig zu einer sozial-kulturellen globalen Angleichung. Für Smith sind zwei Faktoren notwendig für die Entwicklung von modernen Gesellschaftsformen. Der Übergang einer Gesellschaft zur höchsten Entwicklungsstufe, der Handelsgesellschaft, kann in Smiths Denken einerseits aus dem anthropologischen Streben nach Fortschritt erklärt werden.556 Aus einer anderen Perspektive dagegen kommt auch den externen Zusammenhängen zentrale Bedeutung zu: Um eine Gesellschaft des Handels aufzubauen, bedarf es notwendigerweise des Kontaktes zwischen Menschen. In seinen Lectures on Jurisprudence und im Wealth of Nations beschreibt Smith tatsächliche Handelsbeziehungen zwischen wilden und zivilisierten Gesellschaften, das heißt zwischen Gesellschaften verschiedener »historischer Stadien«.557 Um zu einem höheren Zivilisationsstadium fortzuschreiten, musste eine Gesellschaft aber nicht nur die Praxis des Güteraustausches übernehmen, sondern ebenso die beiden anderen 555 Zur Stufentheorie der Geschichte in der Aufklärung vgl. Meek, Ronald L.: Social Science and the Ignoble Savage, Cambridge [u. a.] 1976 u. ders.: Smith, Turgot, and the »Four Stages« Theory, In: History of Political Economy 3.1 (1971), 9–27. Nachdem sie mit dem christlichen Konzept der Geschichte gebrochen hatte, war die Geschichtsschreibung der Aufklärung darum bemüht, die strukturierenden Elemente der Menschheitsgeschichte herauszuarbeiten. Seit spätestens der Mitte des 18. Jahrhunderts entwickelten vorwiegend französische und schottische Denker der Aufklärung eine Theorie der Menschheitsgeschichte, die sich in verschiedene Gesellschaftsformen einteilte. Dieser gemeinsame historiographische Ansatz der Aufklärungshistoriographie wird von Meek als »Vier-StufenTheorie« bezeichnet. 556 Vgl. Marouby, Christian: Adam Smith and the Anthropology of the Enlightenment. The »Ethnographic« Sources of Economic Progress, In: Larry Wolff; Marco Copolloni (Hg.): The Anthropology of the Enlightenment, Stanford (CA) 2007, 85–102. Marouby betont noch stärker als Meek die Verbindung zwischen Smiths Anthropologie und seiner Wirtschafstheorie: Eine seiner Hauptschlussfolgerungen ist, dass Smith, indem er die historische Entwicklung der Natur des Menschen auf sozioökonomische Prinzipien gründet, die Wirtschaftstätigkeit zur natürlichen Eigenschaft der Menschheit verallgemeinert und Wachstum als Selbstzweck betrachtet; vgl. Marouby, Christian: L’8conomie de la nature. Essai sur Adam Smith et l’anthropologie de la croissance, Paris 2004, 13 u. 30. 557 Vgl. Smith, Adam: Lectures on Justice, Police, Revenue and Arms, hrsgg. v. Edwin Cannan, Oxford 1869 [im Folgenden: Lectures on Jurisprudence], vi, § 15, 336 u. ders.: An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, 2 Bde. hrsgg. v. Edwin Cannan, London 1904.
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Haupttechniken des Handelszeitalters: Arbeitsteilung und Kapitalakkumulation.558 Diese Erfindungen des Kapitalismus können also nicht einfach durch Handelsaustausch in ursprünglich nichthandelnden Gesellschaften implantiert werden. Und der europäische Handel brachte den anderen Weltteilen keineswegs die Errungenschaften der Zivilisation, die mit dem Handelszeitalter verbunden waren (unter anderem Regierung, Rechtssystem). Und doch vertritt Smith eine Vorstellung von Fortschritt durch wirtschaftliche Verflechtung. In seinem Werk drückt sich die Hoffnung aus, die gesamte Menschheit werde durch den Austausch von Wissen, den Handelsbeziehungen natürlicherweise mit sich bringen, auf ein gleiches Niveau gehoben. In einer der eindrücklichsten Passagen des Wealth of Nations, in denen er auf die Entdeckung Amerikas und des Seewegs nach Indien eingeht, heißt es: »Hereafter, perhaps, the natives of those countries may grow stronger, or those of Europe may grow weaker, and the inhabitants of all the different quarters of the world may arrive at that equality of courage and force which, by inspiring mutual fear, can alone overawe the injustice of independent nations into some sort of respect for the rights of one another. But nothing seems more likely to establish this equality of force than that mutual communication of knowledge and of all sorts of improvements which an extensive commerce from all countries to all countries naturally, or rather necessarily, carries along with it.«559
Hier kann man sehen, dass die Weiterentwicklung einer Gesellschaft nicht allein in den Bedingungen der menschlichen Natur begründet liegt, sondern auch in den äußeren Verhältnissen des spezifischen historischen Kontextes, der im 18. Jahrhundert der einer zunehmend vernetzten Wirtschaft war. Auf diese Weise versteht Smith den globalen Handel als Abhilfe für die grausamen Aspekte der Menschheitsgeschichte, vorausgesetzt selbstverständlich der Handel ist frei und begünstigt nicht nur einige Kaufmannsgruppen. »We’re all nations to follow the liberal system of free exportation and free importation, the different states into which a great continent was divided would so far resemble the different
558 »This is one great cause of the slow progress of opulence in every country ; till some stock be produced there can be no division of labour, and before a division of labour take place there can be very little accumulation of stock.« Dieser Aussage geht die Beschreibung der Schwierigkeiten des Fortschrittes in einer unzivilisierten Gesellschaft voraus: »A rude and barbarous people are ignorant of the effects of the division of labour, and it is long before one person, by continualy working at different things, can produce any more than is necessary for his daily subsistence. Before labour can be divided some accumulation of stock is necessary. […] Agreably to this, in a nation of hunters or shepherds no person can quit the common trade in which he is employed, and which affords him daily subsistence, till he have some stock to maintain him and begin the new trade.«; Smith, Lectures on Jurisprudence (wie Anm. 557), Report dated 1766, part II, § 286, 521. 559 Smith: Wealth of Nations (wie Anm. 557), IV.vii.c, § 80, 626–627.
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provinces of a great empire.«560 Diese Vision einer globalisierten Welt könnte in vier Stufen der Angleichung erreicht werden. Es ließe sich die folgende mögliche Entwicklung aus Smiths Argumentation ableiten. Ebenso wenig wie die VierStadien-Theorie ist dieses Muster systematisch im Wealth of Nations ausgeführt. In einem ersten Schritt würden die indigenen Völker an militärischer Stärke gewinnen und somit durch Gewalt den Europäern Respekt abringen. Nachfolgend würde durch die Kommunikation im Rahmen von Handelsbeziehungen zwischen den verschiedenen Gesellschaften das Wissen über moderne Institutionen und »all sorts of improvements« verbreitet. Drittens würde der Freihandel, der zwischen allen Kontinenten einen »von Tag zu Tag wachsenden« Markt schafft, allen an diesem Austausch Beteiligten Wohlstand bringen. Und schließlich, da der Wohlstand ein zivilisiertes Verhalten und die »openness of friends« zwischen den Ländern fördert, wäre der gegenseitige Respekt nicht länger auf das Gleichgewicht der Stärke, sondern auf Freundschaft gegründet. Sind sie auch nicht der wichtigste oder gar einzige Faktor für sozialen Fortschritt, so kann in Smiths Werk also durchaus die Idee ausgemacht werden, dass Handelsbeziehungen die gesamte Menschheit auf eine einheitliche Stufe der Zivilisation zu heben vermögen. Anders formuliert: Smith zufolge ist eine zunehmende weltweite Marktintegration zu verzeichnen, die – wenngleich nicht zwangsläufig – die Möglichkeit in sich birgt, die verschiedenen Völker in ihrer Sozialstruktur, ihrer politischen Verfassung, ihren Sitten und Bräuchen einander anzugleichen.561 Dieser vorsichtige Optimismus macht Smith allerdings keinesfalls zum Vertreter der Idee des doux commerce.562 Denn Smith ist, wie in einigen neueren Studien mit Recht hervorgehoben wurde, weniger davon überzeugt, dass der freie Handel die wirtschaftlichen Probleme, vor die ein Land sich gestellt sieht, zu lösen vermag und gewissermaßen unweigerlich zum Wohlstand aller führe.563 560 Smith: Wealth of Nations, IV.v.b, § 39, 538. 561 Das Bild von der Aufklärungshistoriographie, die die Wilden aus der Geschichte der Menschheit ausschließt und ihnen damit die Eigenschaft als Menschen abspreche, das J. G. A. Pocock in seiner Studie Barbarism and Religion so anschaulich diskutiert hat, scheint durchaus komplexer als angenommen; vgl. Pocock, J. G. A.: Barbarism and Religion. Barbarians, Savages and Empires, Cambridge (UK) 2005. Zum Ausblenden der globalen Perspektive bei Pocock vgl. die Rezension von Sankar Muthu: The Politics of Enlightened Histories. Barbarism and Religion by J. G. A Pocock, In: Political Theory 31.2 (2003), 302–314. 562 Hirschman sieht das Ende dieser Idee mit Smith gekommen; vgl. Hirschman: The Passions and the Interests (wie Anm. 515). Hinsichtlich der ambivalenten Äußerungen anderer Aufklärer zu den Konsequenzen des weltweiten Handels vgl. Paul Cheneys Studie, in der er ebenfalls das Konzept des doux commerce bei Montesquieu behandelt: Cheney : Revolutionary Commerce (wie Anm. 20), 65. 563 Die Vorstellung eines durch die Privatinteressen jedes Einzelnen hervorgerufenen segensreichen Automatismus, ausgedrückt in der vielzitierten Metapher der »unsichtbaren
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Ein überzeugendes Beispiel einer solchen Annäherung an Smith leistet Sankar Muthu, indem er das zutiefst gespaltene Urteil über den Welthandel bei Smith vor dem Hintergrund dessen Nachdenkens über die Auswirkungen und Möglichkeiten von Globalisierung erklärt: »Thus, even in his sole optimistic prognosis about the future of global relations, one in which companies and states will begin to offer ›some sort of respect‹ for others, Smith remained deeply ambivalent about the effects of globalization upon human welfare.«564 Dies drückt sich deutlich in den Passagen zu den Handelskompanien aus, deren Rolle in den Überseebesitzungen Smith scharf verurteilt. Das Problem für Smith liegt dabei weniger in einem Zuviel an staatlicher Kontrolle als in der Praxis der privaten Unternehmen, Regierungsfunktionen zu übernehmen, was weder im allgemeinen Interesse einer Nation, noch zum Wohle der einheimischen Bevölkerung sein konnte. In der Forschungsliteratur wurde vielfach hervorgehoben – und doch hält sich dieses Bild hartnäckig –, dass Smith keineswegs einen »laissez-faire«- oder Minimalstaat vertritt, sondern für eine scharfe Trennung zwischen den Aufgaben des Staates und denen privater Unternehmen plädiert. So wie staatliche Intervention in private Wirtschaftsprojekte nicht zum Wohlstandswachstum der gesamten Nation führt, übt Handel keinen regulierenden Einfluss auf die »violence and injustice of the rulers of mankind« aus.565 Demensprechend können die Errungenschaften einer Handelsgesellschaft nicht durch Handel auf andere Gesellschaften übertragen werden, noch auch wird die Menschheit zwangsläufig gerechter durch den Handel der Gesellschaften untereinander. Er ist davon überzeugt, dass die Eingriffe in die Wirtschaft, die Versuche, den Nationalreichtum zu vermehren oder zu schützen, wie sie in der Geschichte allenthalben unternommen wurden, nicht zielführend seien und daher abgeschafft werden müssen: »All the different regulations of the mercantile system, necessarily derange more or less this natural Hand«, ließe sich auf ein ironisches ›Augenzwinkern‹ Adam Smiths reduzieren, wie es Emma Rothschild in ihrem Buch über Adam Smith und Condorcet ausgedrückt. Es spielt keine Vorsehung in den Prozess hinein und das einzige Glaubensbekenntnis, das sich in diesem Gedanken ausdrückt, ist vielleicht die aufklärerische Überzeugung von der rationalen Entscheidungsfähigkeit der Menschen, die zumindest ihre eigenen Vorteile vernünftig einzuschätzen vermögen. Rothschild spricht von »mildly ironic joke«; vgl. Rothschild, Emma: Economic Sentiments. Adam Smith, Condorcet, and the Enlightenment, Cambridge (Mass.)/ London 2002, 116. Der einzige Glaube, auf den sich Rothschild zufolge die Hoffnung auf die Wohltätigkeit des liberalen Systems stützt, ist derjenige in die Milde und Besonnenheit der meisten Menschen. Dies sei eine fromme Hoffnung und ein Mangel des liberalen Wirtschaftdenkens; vgl. ebd., 156. 564 Muthu, Sankar : Adam Smith’s Critique of International Trading Companies. Theorizing »Globalization« in the Age of Enlightenment, In: Political Theory 36, April (2008), 185–212, hier 207. 565 Vgl. das Kapitel über Smith im zweiten Teil des Buches von Hirschman: The Passions and the Interest (wie Anm. 515). Das Zitat findet sich in Smith: Wealth of Nations (wie Anm. 557), IV.iii.c, § 9, 457.
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and most advantageous distribution of stock.«566 Dies implizierte für ihn jedoch nicht, dass jedwede politische Regulierung ökonomischer Strukturen einer Gesellschaft abzulehnen sei. Vom liberalen Optimismus bleibt nach der Relektüre der Werke seiner historischen Galionsfigur also wenig übrig.567 Es geht aus Smiths Schriften nicht hervor, dass das Freihandelssystem auf globaler Ebene zwangsläufig für die Allgemeinheit zu mehr Wohlstand, einem friedlicheren und ›zivilisierteren‹ Austausch führe. Raynal Wohlbekannt ist inzwischen die Lobrede auf die positive Wirkung des Handels im lange vergessen gewesenen Bestseller des 18. Jahrhunderts: der Histoire des deux Indes. Der Handel stellte wie auch in der schottischen ›Schule‹ Raynal und seinen Mitstreitern zufolge die zentrale Triebkraft der historischen Entwicklung dar, welche seit dem »interessantesten Ereignis der Menschheitsgeschichte«, der Entdeckung Amerikas und des Seewegs nach Indien, globale Wirkmacht entfaltete. Die immensen Veränderungen seither zeigten sich in Wissenschaft, Künsten, Technik, Industrie und Sitten, kurz in der Zivilisierung der Völker und sie ließen sich auf eine Ursache zurückführen: Der Auftakt auf den ersten Seiten des immensen Werkes kulminiert in der rhetorischen Gemination »c’est le commerce, c’est le commerce«.568 Die erste Lektüre lässt die Histoire somit als Paradebeispiel für die Theorie des doux commerce erscheinen und über die gesamten 19 Bücher569 erstrecken sich Beispiele für die wohltätige Wirkung des Handels. So findet sich die Idee vertreten, dass internationale Handelskonkurrenz zum größtmöglichen Vorteil aller führe, dass Handelsnationen vom Austausch mit und vom Wohlstand anderer Nationen profitieren570 und immer wieder, dass sich Wissen und Techniken via kommerziellen Austausch über den ganzen Globus verbreiten.571 Aus einigen Textpassagen lässt sich also das Bild 566 Smith: Wealth of Nations (wie Anm. 557), IV.vii.c, § 89, 630. Vgl. für eine differenzierte Analyse der doux commerce-These bei Smith: Bohlender, Matthias: Adam Smith. Oder von der Kritik der Staatsvernunft zum ›utopischen Kapitalismus‹, In: Asbach: Der moderne Staat und »le doux commerce« (wie Anm. 25), 157–180. 567 Zur eher pessimistischen Weltsicht von Smith vgl. Harkin, Maureen: Adam Smith’s Missing History. Primitives, Progress, and Problems of Genre, In: ELH. Journal of English Literary History 72 (2005), 429–451. 568 Hier wird die in Genf bei Pellet gedruckte Ausgabe der Histoire des deux Indes (im Folgenden: HDI) von 1780 in 10 Bänden zugrundgelegt, livre I, 5. 569 Ab der Ausgabe von 1774 kommt das XIX. als einziges nach Themen gegliedertes Buch hinzu. 570 Vgl. HDI 1780 (wie Anm. 568), livre XIX, 276–277. 571 »Le commerce a h.t8 les progrHs de l’art par le luxe des richesses. Tous les efforts de l’esprit & de la main se sont r8unis pour embellir & perfectionner la condition de l’espHce humaine. L’industrie & l’invention, avec les jouissances du Nouveau-Monde, ont p8n8tr8 jusqu’au
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einer »sanften Globalisierung« herauslesen und diese ist ohne Zweifel das Ziel des Aufklärungsprojekts, welches die Histoire darstellt:572 »Mais il est encore plus doux & plus beau, peut-Þtre, de voir toute l’Europe peupl8e de nation laborieuses, qui roulent sans cesse autour du globe, pour la d8fricher & l’approprier / l’homme; […] 8tablir entre les deux h8misphHres, par les progrHs heureux de l’art de naviguer, comme des ponts volans de communication, qui rejoignent un continent / l’autre; suivre toutes les routes du soleil, franchir les barriHres annuelles, & passer des tropiques aux piles sous les ailes des vents; ouvrir en un mot, toutes les sources de la population & de la volupt8, pour les verser par mille canaux sur la face du monde. […] Telle est l’image du commerce. Admirez ici le g8nie du n8gociant. […I]l embrasse les deux mondes dans son coup-d’œil, & dirige ses op8rations sur une infinit8 de rapports, qu’il n’est donn8 que rarement / l’homme d’8tat, ou mÞme aux philosophes, de saisir & d’appr8cier.«573 cercles polaire, & les beaux-arts t.chent de forcer la nature / Petersbourg.«; vgl. ebd., livre XIX, chap. XII »Beaux-arts et belles-lettres«, 424–425. 572 Zur appellativen Funktion des Werkes vgl. Ette, Ottmar : »Le tout de l’univers sur notre parquet«. Lecteurs et lectures dans l’Histoire des deux Indes, In: Gilles Bancarel; Gianluigi Goggi (Hg.): Raynal. De la pol8mique / l’histoire, Oxford 2000, 255–272. Hinsichtlich der Globalisierung, die mit einer »sanften Kolonisierung« einhergeht vgl. Agnani, Sunil: »Doux Commerce, Douce Colonisation«. Diderot and the Two Indies of the French Enlightenment, In: Larry Wolff;; Marco Cipolloni(Hg.): The Anthropology of the Enlightenment. Stanford (Ca.) 2007, 64–84. Wie auch für schottische Aufklärer wurde das Denken in globalen Zusammenhängen dieser ersten Geschichte des Welthandels in den vergangenen zwei Jahrzehnten ausführlich untersucht; vgl. Bancarel, Gilles: L’Histoire des deux Indes ou la d8couverte de la mondialisation, In: HiN. Alexander von Humboldt im Netz XII.22 (2011), 23–34; Ette, Ottmar : R8flexions europ8ennes sur deux phases de mondialisation acc8l8r8e chez Cornelius de Pauw, Georg Foster, Guillaume-Thomas Raynal et Alexandre de Humboldt, In: Gilles Bancarel (Hg.): Raynal et ses R8seaux, Paris: Honor8 Champion, 183–225, hier 208; Lüsebrink, Hans-Jürgen; Strugnell, Anthony (Hg.): L’Histoire des deux Indes. R88criture et polygraphie, Oxford 1995; Lüsebrink, Hans-Jürgen; Tietz, Manfred (Hg.): Lectures de Raynal. L’Histoire des deux Indes en Europe et en Am8rique au XVIIIe siHcle, Oxford 1991. In Darntons »Bestseller-Liste« rangiert die Histoire des deux Indes in der Zeit von 1769 bis 1789 auf Platz 5; vgl. Darnton, Robert: The Forbidden Best-Sellers of PreRevolutionary France, New York 1995, 63. 573 HDI 1780 (wie Anm. 568), livre XIX, chap. VI, 245–247. In der direkt anschließenden Passage zum Beruf des Kaufmannes drückt sich noch deutlicher die Vorstellung der ökonomischen Seite der Globalisierung und das Wechselspiel zwischen Handel und Staat aus: »Rien ne doit 8chapper / sa vue. Il doit pr8voir l’influence des saisons, sur l’abondance, la disette, la qualit8 des denr8es, sur le d8part ou le retour des vaisseaux; l’influence des affaires politiques sur celles du commerce; les r8volutions que la guerre ou la paix doivent op8rer dans le prix & le cours des marchandises, dans la masse & le chois des approvisionnemens, dans la fortune des places & est des ports du monde entier ; les suites que peu avoir sous la Zone-Torride l’alliance de deux nations du Nord; les progrHs, soit de grandeur ou de d8cadence, des diff8rentes compagnies de commerce; le contre-coup que portera sur l’Afrique & sur l’Am8rique la ch0te d’une puissance d’Europe dans l’Inde; les stagnations que produira dans certain pays, l’engorgement de quelques canaux d’industrie; la d8pendance r8ciproque entre la plupart des branches de commerce, & le secours qu’elles se prÞtent par les torts passagers qu’elles semblent se faire; le moment de commencer, & celui
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Es war das Verdienst unter anderem der Histoire des deux Indes, auf die Gefahren des Isolationismus frühzeitig verwiesen und das Gewicht der eigenen Stimme in Form des gedruckten Wortes eingesetzt zu haben, um diesen Missständen Einhalt zu gebieten, indem sie den Gesellschaften, gedacht als Gemeinschaften von Individuen mit gleichen Rechten, ihr ureigenes Interesse aufzuzeigen sich bemühte. Als Kritik an der merkantilistischen Politik formulierte Raynal: »La manie des impositions, des prohibitions, r8duisoit chaque 8tat / cultiver des denr8es que son sol, que son climat repoussoient, & qui n’8toient jamais ni bonnes, ni abondantes.«574 Denn trotz der vernünftigen Verteilung der Rohstoffe auf die entferntesten Landstriche, aus deren Austausch jedes Land seinen Nutzen ziehen könnte, seien einige Staaten bemüht, diesen freien Austausch zwischen den Ländern zu unterbinden. »L’ardeur de se nuire r8ciproquement s’8tend d’un pole / l’autre. [… Les nations] ont, comme de concert, d8rang8 ce plan d’une bienveillance universelle, au d8triment de toutes. Leur ambition les a port8es / s’isoler ; & cette situation solitaire leur a fait d8sirer une prosp8rit8 exclusive.«575 Während die staatlichen Entscheidungsträger den Mechanismus des kommerziellen Austausches noch nicht erkannt hätten, sei er für die global agierenden Kaufleute seit jeher Grundlage ihres Handelns: »Il n’est pas ainsi de ceux dont les sp8culation embrassent toutes les contr8es de la terre; dont les op8rations compliqu8es lient les nations les plus 8loign8es; par qui l’univers entier devient une famille. Ces hommes peuvent avoir une id8e noble de leur profession; & il est presque inutile de dire / la plupart d’entre eux: ayez de la bonne-foi; parce que la mauvaise-foi, en vous nuisant / vous-mÞme, nuiroit aussi / vos concitoyens & calomnieroit votre nation.«576
Handel wird bei Raynal fast ausschließlich als Außenhandel begriffen, was in den ökonomischen Theorien im 18. Jahrhundert keineswegs selbstverständlich war. Und vor dem Hintergrund der beschriebenen Ressourcenverteilung auf der Erde fungiert er als Mittel zur Nutzung der potentiellen Reichtümer : »Par son ministHre, une ville, une province, une nation, une partie du globe sont d8barrass8es de ce qui leur est inutile; par son ministHre, elles reÅoivent ce qui leur manque. […] En parcourant la terre, en franchissant les mers, en levant les obstacles qui s’opposoient / la communication des peuples, en 8tendant la sphHre des besoins &
de s’arrÞter dans toutes les entreprises nouvelles: en un mot, l’art de rendre toutes les nations tributaires de la sienne, & de faire sa fortune avec celle de sa patrie, ou plutit de s’enrichir, en 8tendant la prosp8rit8 g8n8rale des hommes. Tels sont les objets qu’embrasse la profession du n8gociant; & ce n’est pas toute son 8tendue.« 574 Ebd., livre 19, chap. VI, 275. 575 Ebd., livre 19, chap. VI, 273. 576 Ebd., chap. VI, 251.
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de desir des jouissances, il multiplie les travaux; il encourage l’industrie; il devient en quelque sorte le moteur du monde.«577
In der Histoire des deux Indes ist die wohlstandfördernde, zivilisierende und zur Freiheit ermächtigende Funktion des Handels jedoch nur eine Seite. Internationaler Handel könne ebenso zerstörerisch wirken. Dass die Anlage der Histoire des deux Indes die Struktur dieser Ambivalenz des Handels ausdrückt, lässt sich bereits in der Einleitung des Werkes erkennen. Ganz explizit fragt Raynal, nachdem er die »Revolution im Handel« angesprochen hat : »Mais ces r8volutions pass8es & celles qui doivent suivre, ont-elles 8t8, seront-elles utile / la nature humaine?«578 Diese Frage zu beantworten, sei Aufgabe der Histoire. Und die Antwort ist alles andere als eindeutig.579 Er verbindet einerseits alle Menschen durch die Gegenseitigkeit ihrer Bedürfnisse, gleichzeitig ist er von individuellen Interessen angetrieben, die auch zur Ausbeutung und Unterdrückung Anderer führen können. Deshalb ruft Raynal seine Leser zum Mitgefühl auf, das ein Band der Humanität zwischen den Weltteilen herstellen solle, wo der Handel in dieser Funktion versage. Wir sehen hier also nicht den rationalisierenden Mechanismus der (ökonomischen) Interessen, wie sie von Hirschman beschrieben wurden. Raynal entwirft zwar eine klare Opposition zwischen Handel und Krieg, doch gibt es in der Histoire durchaus die Vorstellung eines Handelskrieges im eigentlichen Sinne: »Le commerce peut bien enfanter & nourrir la guerre […]. Les guerres de commerce sont d’autant plus funestes, que par l’influence actuelle de la mer sur la terre, & de l’Europe sur les trois autres parties du monde, l’embr.sement devient g8n8ral; & que les dissensions des deux peuples maritimes r8pandent la discorde chez tous leurs alli8s, & l’inertie dans le parti mÞme de la neutralit8.«580
Auch bei Raynal wird das Verhältnis von Handel und Frieden also nicht als Automatismus gedacht. Die positive Wirkkraft des Handels kann immer auch in ihr Gegenteil umkippen und es bedarf daher einer politischen und gesell577 Ebd., livre XIX, chap. VI, 231. 578 Ebd., livre I, Introduction, 3. 579 Diese ambivalente Wirkung kommerzieller Beziehungen ist in der Forschung bis vor kurzem kaum thematisiert worden. Es ist das Verdienst der Studie von Lynn Festa zur emotionalen Verarbeitung kolonialer Erfahrungen im Französischen und Britischen Reich, diese Ambivalenz des Handels bei Raynal herausgearbeitet zu haben; vgl. Festa: Sentimental Figures (wie Anm. 534), 205–232. Hans-Jürgen Lüsebrink hatte in seinen Studien zu Raynal bereits auf die uneindeutige Bewertung des Handels in der Histoire hingewiesen; vgl. Lüsebrink, Hans-Jürgen; Strugnell, Anthony : Introduction, In: dies. (Hg.): L’Histoire des deux Indes (wie Anm. 572), 1–8. Auch Pocock verweist in seiner Studie Barbarism and Religion auf diese Ambivalenz in der Histoire; vgl. Pocock: Barbarism and Religion (wie Anm. 561), 229–245. 580 HDI 1780 (wie Anm. 568), livre XIX, chap. VI, 267–268.
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schaftlichen Regulierung. Die Exzesse, Ungerechtigkeiten und Heuchelei der Europäer im globalen Kommerz werden in der Histoire klar benannt, um ihnen in Zukunft entgegenwirken zu können. Der Autor formuliert Verhaltensregeln (»maximes«) für den international handelnden Kaufmann und appelliert erneut in der Figur einer akzentuierenden Gemination an seine Leser : »Je ne cesserai de vous crier, de l’ordre, de l’ordre. Sans ordre, tout devient incertain. Rien ne se fait, ou tout se fait / la h.te & mal. La n8gligence & la pr8cipitation rendent 8galement les entreprises ruineuses. […] Ruinez-vous pour votre pays, mais ne ruinez que vous. L’amour de la patrie doit Þtre subordonn8 aux loix de l’honneur & de la justice.«581
Systematisch hat Anoush Fraser Terjanian diese Ambivalenz im wirtschaftspolitischen Denken des 18. Jahrhunderts für Frankreich untersucht und ihrer Studie die Histoire des Deux Indes als Hauptquelle zugrundegelegt.582 Sie zeigt an vier Themenfeldern auf, wie neben der Vorstellung eines doux commerce im wirtschaftspolitischen Denken der Aufklärung auch die negative Seite bestimmter Handelspraktiken erkannt und problematisiert wurde und nennt dies die Theorie des commerce odieux.583 Ihre Grundthese, dass die Aufklärer den positiven Aspekten des Handels immer auch eine negative Spielart gegenüberstellten, ist ein wichtiger Beitrag zum besseren Verständnis der wirtschaftlichen Ideengeschichte und lässt sich – wie gesehen – auch auf die Schottische Aufklärung anwenden. Die Frage, die Terjanian allerdings nicht stellt, ist diejenige nach der befriedenden Wirkung des Handels auf die Politik und das politische Verhältnis zwischen den Nationen. Die Wechselwirkung von Handel und Staat, sowie den besänftigenden Einfluss des ersten auf die irrationalen Leidenschaften von Individuen hatte Hirschman in dem Konzept des doux commmerce gefasst. Istv#n Hont hat dieses Verhältnis auf dasjenige zwischen Handel und Krieg heruntergebrochen und unterstrich dabei den korrumpierenden Einfluss des Krieges auf den Handel. Gerade das Verhältnis von Handel und Frieden ist für die Aufklärungsphilosophen keineswegs linear. Im dialektischen Denken der Aufklärung schwingt bei der Bewertung der Wirkung von Handelsbeziehungen auf internationaler Ebene immer eine deutliche Skepsis mit. 581 Ebd., livre XIX, chap. VI, 252–257, hier 253. Es handelt sich beim Autor dieser Passage um Deleyre, der laut Yves B8not zumindest die erste Version des 19. Buches verfasst hat; vgl. B8not, Yves: Deleyre de l’Histoire des Voyages (t. XIX) / l’Histoire des deux Indes, In: DixhuitiHme siHcle 25 (1993), 369–386. 582 Vgl. Terjanian: Commerce and its Discontents (wie Anm. 534). 583 Die vier negativen Handelsformen, die sie herausarbeitet sind »schlechter« Luxus, Sklavenhandel, Piraterie und Monopole. Auch wenn die Wahl der Themen nicht in allen Details nachvollziehbar ist, gelingt es Terjanian in ihrer Studie, zentrale Debatten zum Welthandel im 18. Jahrhundert herauszuarbeiten, deren Bedeutung wie die der Piraterie und des Monopols in dieser Systematik bislang wenig Beachtung gefunden haben.
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Die Vorgeschichte der Theorie des doux commerce ist somit komplexer als sie in der schematischen Darstellung in Hinweisen auf die Wirtschaftstheorie der Aufklärung erscheint. Eine ausschließlich positive, das heißt wohlstandsfördernde, ausgleichende, befriedende und zivilisierende Wirkung wurde dem Handel im 18. Jahrhundert von keinem Theoretiker unterstellt, selbst Montesquieu, der nicht nur von Hirschman als Kronzeuge für den sanften Handel angeführt wird, äußerte Bedenken. Die Beurteilung des Handels im 18. Jahrhundert war schlechterdings ambivalent. So kontrovers diese Themen debattiert wurden, so langanhaltend war ihre Resonanz. Im frühen 19. Jahrhundert stellten sich die gleichen Fragen, freilich vor dem Hintergrund eines veränderten historischen Panoramas. Die Überlegungen zentraler Wortführer der Wirtschaftstheorie des 18. Jahrhunderts hatten an Bedeutung keineswegs eingebüßt. Angesichts der Weiterentwicklung ökonomischer Theorien hin zur sich institutionalisierenden Wirtschaftswissenschaft, tauchen in den Zeitschriften des frühen 19. Jahrhunderts fraglos auch Autoren aktueller wirtschaftheoretischer Werke auf. Das frühe 19. Jahrhundert hat zahlreiche prominente Vertreter der Ökonomie hervorgebracht und Namen wie David Ricardo, Thomas Robert Malthus, Jean-Baptiste Say und Jean-Charles-L8onard Sismonde de Sismondi tauchen selbstverständlich in den Zeitschriften auf. Schaut man sich jedoch die beiden britischen Zeitschriften, die sich in besonderem Maße mit wirtschaftlichen Fragen befassten, auf die Häufigkeit der erwähnten Namen an, so fällt auf, dass keiner der zeitgenössischen Autoren an die Popularität von Adam Smith heranreichte.584 Die Rückbindung der Pressedebatten des 19. Jahrhunderts an diejenigen der Aufklärung ist offensichtlich. Wandel in der Interpretation von ökonomischer Isolation und internationaler Abhängigkeit Um 1810 wurden – wie dargelegt – zunehmend Stimmen laut, die einer isolationistischen Wirtschaftspolitik skeptisch bis ablehnend gegenüberstanden. Auf dem Kontinent waren während der gesamten Zeit der Kontinentalsperre bereits die ökonomischen Nachteile der Handelsunterbrechung allerdings lediglich für Großbritannien herausgestrichen und besonders die Folgen für die britische Industrie skizziert worden. Die Projektion negativer Folgen für den Feind hat sich besonders in der Bildpublizistik gezeigt. Das Porträtieren negativer Auswirkungen der Blockadehaltung, wie sie im Zusammenhang des Isolationismus 584 In der Edinburgh Review finden sich zwischen 1802 und 1830 in insgesamt 101 Artikeln Bezugnahmen auf Adam Smith, die praktisch ohne Ausnahme seine ökonomische Theorie betreffen; Ricardo wird in 31 Artikeln erwähnt, Malthus in 58, Say in 7 und Sismondi in 23 (davon nur 5 bezüglich seiner ökonomischen Schriften, die restlichen 18 zu seinen historischen und literarischen Werken).
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und der Seehandelskonkurrenz auftauchte, bereitete dem Interpretationswandel somit ein Stück weit den Boden. So hatte von Archenholz in einem ausführlichen Aufsatz zur Frage der Politik Englands 1807 seinen Lesern die Vision der wirtschaftlichen Autarkie eher als Bedrohung denn als Lösung beschrieben. Die britischen Minister arbeiteten gegen ihr eigenes Volk, die britische Wirtschaft leide zusehends und die Regierung werde daher auf lange Sicht ihre Haltung aufgeben müssen. Eine Zahl von 1 800 000 Fabrik- und Manufakturarbeitern sei vom Außenhandel abhängig.585 Angesichts einer drohenden Verelendung dieser Bevölkerungsschichten äußerte Archenholz die Hoffnung auf einen Volksaufstand in England, um die aussichtslose Lage für ganz Europa zu beenden.586 Ein derartiger Kommentar mochte noch in die offizielle Argumentationslinie der französischen Herrschaft fallen, der zufolge allein die britische Wirtschaft vom Außenhandel abhing, die kontinentale Wirtschaft dagegen autark sei; ein Umstand, auf den das Prinzip der Kontinentalsperre aufbaute: Unter der Handelsunterbrechung würde allein Großbritannien leiden. Die Politik der Orders in Council sei demnach der britischen Wirtschaft selbst schädlich. Ab 1810 wurde dann aber auch die Lage auf dem Kontinent, wie sie sich durch die Kontinentalsperre darstellte, zunehmend kritisch bewertet. In den Miszellen zeichnete sich mit insistierender Regelmäßigkeit eine Berichterstattung über globale Wirtschaftsvernetzung ab, in der auf die Vorteile dieses Austauschs verwiesen wurde und die den Handel nach Asien wie selbstverständlich einschloss. Die Zeitschrift gab sich besorgt ob der Isolationspolitik, die auf lange Sicht zu einer wirklichen Isolation und damit Entfremdung und Entfernung in allen Bereichen zwischen Großbritannien und dem Kontinent führen musste: »Bald werden, wenn es so fortgeht, das brittische Reich und die Staaten des festen Landes zwei so getrennte Welten bilden, daß die Bürger der einen und der andern von sich fast nicht mehr, als die Lebenden von den Verstobenen erfahren.«587 In den Miszellen gab der Rücknahmebeschluss der Dekrete von Berlin und Mailand 1810 zur offenen Darlegung der negativen Folgen der Kontinentalsperre Anlass:
585 Vgl. Archenholz, Johann Wilhelm von: Zur neuesten Geschichte Englands, In: Minerva 4 (1807), 355–366, 540–550, sowie Minerva 1 (1808), 152–161, hier 541–542. Crouzet schätzt die Zahl der britischen Beschäftigten in Industrie, Seefahrt und Handel für 1811 auf 7 072 000, worunter hier alle auch für den Binnenmarkt bestimmten Industrien fallen; für die Beschäftigten in den vom Außenhandel am stärksten abhängigen Industrien nennt Crouzet die Zahl von 1 130 000, womit die Angabe von Archenholz etwas übertrieben erscheint, jedoch nicht gänzlich aus der Luft gegriffen ist; vgl. Crouzet: L’8conomie britannique, (wie Anm. 33), Bd. 1, 53 u. 55. 586 Vgl. Archenholz: Zur neuesten Geschichte Englands (wie Anm. 585), 158. 587 Varietäten. Aus England, In: Miszellen für die Neueste Weltkunde 5.27 (1811), 108.
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»Man scheint es wenigstens, nach einem eben so ungeheuern als fruchtlosen Experiment, einzusehen, daß die allgemeine Sperre des Handels, ausgedehnt sogar auf die Urstoffe und Kolonialprodukte, den Frieden weder beschleunigen noch entfernen könne, daß sie aber für Frankreich, wie für England, Amerika und andere Staaten, einen unbeschreiblichen schädlichen Einfluß auf die Finanzen haben müsse«.588
Das »Experiment« habe also erwiesen, dass die Handelsunterbrechung zumindest nicht friedensfördernd und in jedem Fall wohlstandsschädigend für alle beteiligten Volkswirtschaften sei: »Ein solcher Zustand [nach dem Erlass der Dekrete] konnte nicht lange dauern, ohne die schmerzhaftesten Wirkungen über alle Welttheile und über Millionen ehemals glücklicher Familien zu verbreiten. Den Fabriken des festen Landes mußten endlich die unentbehrlichen Urstoffe fehlen; im Handel der Britten entstanden durch den Verlust aller Kontinentalverbindungen ungeheure Lücken; den fernen Indien konnten, trotz der unermeßlichen Macht und Thätigkeit Großbrittaniens, die nöthigen Bedürfnisse alle nicht mehr geliefert werden«.589
Die Rücknahme der Sperre, deren bloß formalen Charakter die Miszellen durchaus erfassten, sei eine notwendige aber eben doch nicht hinreichende Bedingung für die Wiederherstellung des »Weltfriedens«. Die »ungerheuren Revolutionen«, die in Südamerika »aufgähren«, der Staatsbildungsprozess der neuen Länder in den Amerikas und der ungewisse Ausgang der Konflikte innerhalb Europas verhinderten bislang die Rückkehr zum Frieden. Die entscheidende Sicherungsapparatur für den Frieden mussten aber Handelsabkommen spielen: »Handelsverträge zwischen den europäischen Staaten selbst, wie zwischen den alten und neuen Staaten Europa’s und Amerika’s, erwarten noch ihre ersten Entwürfe.«590 Die Kritik am Isolationismus wurde auch in der britischen oppositionellen Presse zunehmend lauter. Dies spiegelt sich unter anderem in der Auseinandersetzung mit der Abhandlung von Spence wider. Malthus hatte bereits 1808 Spences Forderung nach Verzicht auf bestimmte Produkte zum angeblichen Nationalwohl süffisant zurückgewiesen: »He then instances the cases of the consumers of tea and ale; and intimates, that if they were to substitute for them the wholesome beverage of water, they would not only have the same, but a much greater power of contributing to the state on taxes. We would recommend to Mr Spence to improve this hint, and to suggest to his Majesty’s ministers the propriety of obliging all people, by law, to confine themselves to mere necessaries, that what they now spend in conveniences and luxuries may be at the disposal of the 588 Ub.: Bemerkungen bei Gelegenheit der Aufhebung der Dekrete Napoleons von Berlin und Mailand in Rücksicht des Handels, In: Miszellen für die Neueste Weltkunde 4. 75 (1810), 297–299, hier 298 [Herv. im Orig.]. 589 Ebd., 297. 590 Ebd., 299.
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government. As this is at present a prodigiously large sum, it might answer their purpose completely, and enable them to carry on the war with vigour ad infinitum.«591
Die Kritik forderte nicht zuletzt in der Neubewertung der ökonomischen Wertetheorie ihren Niederschlag: Die Trennung in Luxusgüter einerseits und notwendige Bedürfnisse andererseits hatte dem Versuch gedient, die Wirtschaftsblockade als nationalwirtschaftlich sinnvoll darzustellen, indem erstere ausgeschlossen wurden, da ihnen kein ökonomischer Mehrwert zuerkannt wurde, während letztere fast ausschließlich aus heimischer Produktion befriedigt werden sollten. Unter anderem diese Trennung wurde von vielen Autoren infragegestellt, die sich dafür direkt oder indirekt auf Aufklärungstheorien beziehen konnten. Es liege nicht in der Natur des Produktes, sondern in seiner Verfügbarkeit, ob es sich um ein Luxusgut handele oder nicht, heißt es im August 1809 in der Quarterly Review. Auch Zucker habe durchaus Nährwert und werde, wenn auch sparsam, selbst von den »most needy of the labouring poor« konsumiert. Auf der anderen Seite könne Weizen ebenfalls zum Luxusgut werden, obgleich er zweifellos zur Ernährung notwendig sei: »[W]heat also is, at this hour, a luxury in many parts of Europe, as it once was with us. [… and], thanks to our liberty, to our laws, and to our consequent opulence, is no longer a luxury in Britain«.592 Dass hier die Weizenversorgung in Großbritannien als gesichert und gegenüber dem Festland als opulent bezeichnet wird, entbehrt angesichts der im zweiten Jahr in Folge schlechten britischen Ernte von 1809 nicht einer gewissen Ironie: Einen Monat später sollte die britische Regierung Getreideeinfuhren aus europäischen Ländern unter napoleonischem Einfluss zulassen, um die in die Höhe schießenden Getreidepreise zu dämpfen. Auf dem Kontinent gab es einen Getreideüberschuss, während die Versorgung der britischen Bevölkerung von Einfuhren abhing.593 Die Schlussfolgerung der Quarterly Review, die »Freiheit« Großbritanniens ermöglichte es diesem, seine notwendige Versorgung zu sichern, nicht aber sein eigener Boden, bestätigt sich also letztlich. Die Edinburgh Review hatte sich von Beginn an gegen die Orders in Council ausgesprochen. Im Sommer 1812 schien sich der Druck der Öffentlichkeit und der Opposition im Parlament auszuzahlen – doch die Ereignisse Überschlugen sich. Eine nicht unwesentliche Rolle bei der Frage um die Orders in der politischen Arena spielte der Redakteur und Whig-Politiker Henry Brougham: Er erreichte im Juli 1812 die Rücknahme der Orders. Ausschlag für diese Kursänderung der Regierung gab das sich zuspitzende Verhältnis mit den Vereinigten Staaten von Amerika, deren Non-Intercourse-Act die eigene, aber zunehmend 591 Malthus: Britain independent of Commerce (wie Anm. 98), 443. 592 The Radical Cause of the Present Distresses of the West India Planters, In: Quarterly Review (Aug. 1809), Art. I, 1–24, hier 9. 593 Vgl. Crouzet: L’8conomie britannique (wie Anm. 585), Bd. 2, 561–674.
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auch die britische Wirtschaft belastete, deren Absatzmärkte für Industriewaren schrumpften. Nach einer Rede Broughams im Parlament am 16. Juni 1812 beschloss dieses, die Orders zurückzunehmen. Die Edinburgh Review erläuterte daraufhin in ihrer Juliausgabe die negativen Folgen der vorangegangenen Prohibitionspolitik und zitierte längere Passagen aus Broughams Rede. Englands Abhängigkeit vom Handel bildete die Grundlage für eine Argumentation der gegenteiligen Vorteile durch Handelsbeziehungen: Dass diese Abhängigkeit bestehe, zeige sich aus einer Befragung Industrieller, welche deutlich den Rückgang der Wirtschaft seit der Einführung der Orders belegten.594 Die nordamerikanische und britische Wirtschaft stünden in unmittelbarem Wechselverhältnis. Keine Axt käme im amerikanischen Wald zum Einsatz, ohne dass sich in Englands Manufakturen ein Pendel, ein Hammer oder ein Rad in Bewegung setze.595 Dies zeige, »how dangerous it is to tamper with the accustomed channels of trade, and how ruinous to put regulations upon an intercourse which can never be profitable any longer than it is free.«596 Die Zeitschrift feierte daher in ihrem Artikel die Rücknahme der Orders als »großen Erfolg«, der für die »unwiderstehliche Kraft der öffentlichen Meinung« stehe.597 Was die Öffentlichkeit und so auch die Edinburgh Review nicht wissen konnte, war, dass die Vereinigten Staaten von Amerika zwei Tage nach Rücknahme der Orders Großbritannien den Krieg erklärt hatten. Die Nachricht von der Rücknahme traf erst Mitte August in Washington ein; von der amerikanischen Kriegserklärung erfuhr London Ende Juli. So überkreuzten sich die Beschlüsse und die Rücknahme der Orders wurde ausgesetzt. Es folgte ein fast dreijähriger Krieg zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und Großbritannien. Die Hoffnungen der Öffentlichkeit auf ein Ende der Handelsblockade verpufften also in Kürze und das Hindernis schienen erneut die »Vorurteile« und »Arroganz« der Regierung zu sein, die zu Krieg statt zu friedlichem Handelsaustausch führten. Auch auf dem Kontinent wurde die Behauptung der Autarkie als wohlstandsförderndes Prinzip vermehrt infrage gestellt. In einer Rezension von C. L. Cadet im Mercure 1808 geschah dies durch die Unterscheidung der konjunkturellen Praxis von generellen ökonomischen Prinzipien. In der spezifischen Situation des aktuellen Krieges, in der eine »feindliche Macht« den Austausch verweigere, sei es im öffentlichen Interesse ratsam, die Möglichkeiten der hei-
594 Erinnert sei auch an die Petitionen aus Birmingham, die in der Karikatur im Kapitel III.2 beschrieben wurde (Abb. 13). 595 Vgl. Loch, James; Jeffrey, Francis: The Speech of Henry Brougham Esq. M. P. in the House of Commons, on Tuesday the 16th of June 1812, upon the present State of Commerce and Manufactures, In: Edinburgh Review (Jul. 1812), Art. XIII, 234–248, hier 242. 596 Ebd., 240. 597 Vgl. ebd., 247 [Herv. im Orig.].
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mischen Produktion auszuschöpfen.598 Die wissenschaftliche Suche nach Ersatzstoffen und neuen Anbaumethoden sei somit begrüßenswert, indem sie Frankreich von den »schändlichen Tributzahlungen« an die »Habgier« der Britischen Inseln befreien würde. Cadet reiht sich damit ein in den Chor der Anklagen eines britischen »Feudalismus«, dem zu unterwerfen sich die kontinentalen Staaten weigern sollten.599 Gleichzeitig macht er deutlich, dass dieser »Gemeinsinn« nicht in einen »Nationalegoismus« ausarten dürfe. Letzteren beschreibt Cadet ironisch: »Quelques 8trangers pr8tendent qu’il n’y a point d’esprit public en France. Si par esprit public, ils entendent cet 8go"sme national qui donne une pr8f8rence exclusive / tout ce qui est du pays; cet entÞtement mercantile qui attache plus de prix aux grossiers produits indigHnes, qu’aux plus utiles productions exotiques; cet orgueil aveugle qui s’astreint aux privations par m8pris pour l’industrie 8trangHre; cette morgue inhospitaliHre repoussant tout ce qui n’est plus n8 dans le mÞme climat; cette sotte pr8vention traitant de barbares les hommes lettr8s qui parlent une autre langue; la France assur8ment est d8pourvue d’esprit public.«600
Die gänzliche Einschränkung des Konsums auf heimische Produkte ist, in dieser Darstellung, nurmehr der kontingenten Situation geschuldet, wird jedoch nicht als allgemeines ökonomisches Prinzip verstanden. Es sei vielmehr im öffentlichen Interesse des Nationalstaates, den Austausch mit anderen Staaten, fremden Kulturen und ausländischen Produkten zu fördern. Die globale Abhängigkeit wird affirmativ umgedeutet und mangels politischer Instrumentarien als Rückversicherung zum friedlichen Zusammenleben interpretiert: »Naturzwecke sind heilig und unwandelbar, und was hatte die Natur für einen Zweck, daß sie Erzeugnisse in so fernen und in so verschiedenen Ländern wachsen ließ, welche für den Menschen entweder von großem Vortheile oder höchst nothwendig sind? Alle Menschen sollen eine Brüderfamilie ausmachen. Die Natur will daher die Menschen durch den Eigennutz an einander ketten, bis sie so weit ausgebildet sind, daß sie aus Humanität mit einander in den engsten Verkehr treten. Der Handel ist dazu das große Mittel, dessen sich die Vorsehung zum Anbau der Erde und zur Ausbildung des Menschengeschlechtes bedient.«601
Der Eigennutz, die »egoistischen Interessen« im Handel gereichen hier zum ›Ersatz‹ für einen in die Zukunft verlagerten globalen Zivilisationszustand der allgemeinen Menschlichkeit. Die Skepsis, die sich bei Raynal angesichts eines bloß auf ökonomische Interessen gestützten Austauschs zwischen den Weltge598 Vgl. Cadet, C. L.: Instruction sur les moyens de suppl8er le sucre dans les principaux usages qu’on en fait pour la m8decine et l’8conomie domestique, par M. Parmentier [Rezension], In: Mercure de France 3 (1808), 326–329. 599 Vgl. Kap. III.1. 600 Cadet: Instruction sur les moyens de suppl8er le sucre (wie Anm. 598) 326–327. 601 Aussichten für den Handel mit Colonialwaaren, In: Minerva 4 (1813), 487–491.
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genden geäußert hatte, wird somit umgekehrt: Der Mangel an Empfindsamkeit im Verhältnis der Völker untereinander werde mittels des ökonomischen Eigeninteresses ausgeglichen und führe über den Welthandel zu Wohlstand (Anbau der Erde) und Zivilisierung (Ausbildung des Menschengeschlechts). Es handelte sich in den Zeitschriften des Kontinents freilich häufig weniger um die Verhandlung ökonomischer Theorien denn um die Auseinandersetzung über konkrete Erfahrungen mit den Folgen der Isolationspolitik. Es war nicht das Prinzip der Handelsblockade, sondern ihre Wirkung, die auch auf ihre mangelhafte Umsetzung zurückzuführen war, welche letztlich dazu führte, dass die Zustimmung zur napoleonischen Herrschaft schwand. Die Niederringung der britischen Wirtschaft nahm mehr Zeit in Anspruch als erwartet und der positive Effekt für das heimische Gewerbe fiel nicht so eindeutig aus wie erhofft. Die Annahme positiver Effekte der Unabhängigkeit verblasste in der öffentlichen Wahrnehmung nach und nach angesichts der drückenden Folgen, die hinsichtlich mancher Produkte und Industrien sowie für weite Teile des Handelsbürgertums in den Städten damit verbunden waren. Ganz offensichtlich war die Abschottung gegen England der Industrie des Kontinents nicht allgemein zuträglich, wie die Kriegsrhetorik glauben machen wollte. Die Miszellen fragten auf dem Höhepunkt der Krise: »Aber liessen sich denn die Interessen der Kontinentalindustrie mit dem Kriege Frankreichs gegen Großbrittanien gar nicht vereinigen?«602 Sie wiesen damit implizit darauf hin, dass die wirtschaftlichen Interessen zumindest bis dato nicht mit dem Krieg und damit der Abschottung vereinbar waren. Die Wirkung der Sperre war zweischneidig und schwächte nicht allein die britische Wirtschaft; die angekündigte Kehrtwende nach anfänglichen Entbehrungserscheinungen vollzog sich nicht überall und nicht eindeutig. Dies hatte unterschiedliche Gründe, hing von den spezifischen regionalen Bedingungen ab und war auch dem florierenden Schleichhandel geschuldet. Das Fehlen einer konsequenten Vereinheitlichung der Wirtschaftszone innerhalb der napoleonischen Einflusssphäre trug das Seine dazu bei, die Stimmung kippen zu lassen. Den Journalisten wurde der negative Einfluss auf die eigene Wirtschaft zunehmend bewusst. Die Miszellen berichteten 1810 von der Besorgnis in der Schweiz über die Folgen der Kontinentalsperre: »Auch zur Schweiz gelangte das Ansinnen der französischen Regierung, die Kolonialwaaren, wie es schon im übrigen abendländischen Europa geschehen, durch große Auflagen niederzudrücken, und ihren Umlauf und Gebrauch zu erschweren. […] Der Handel und die Industrie der Schweiz wurden tief erschüttert«.603 Napoleon hatte nicht nur den Kontinent gegen Importe abgeschirmt, sondern regelte trotz 602 Ub.: Ueber Verbot und Konfiskation der Kolonialwaaren, mit besonderer Rücksicht auf die Schweiz, In: Miszellen für die Neueste Weltkunde, 4.88 (1810), 349–351, hier 350. 603 Varietäten. Aus der Schweiz, In: Miszellen für die Neueste Weltkunde, 4.84 (1810), 336.
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des Abbaus von Binnenzöllen auch den Markt des Kaiserreiches durch Ein- und Ausfuhrverbote zwischen den einzelnen Ländern. Der französische Markt wurde durch die Wirtschaftspolitik Napoleons gegenüber den anderen Teilen des Reiches favorisiert. Die Problematik dieser merkantilistischen Maßnahmen wurde den Lesern der Presse auf dem Kontinent durchaus bewusstgemacht und nährte letztendlich die Überzeugung, dass ein Anschluss ans Kontinentalsystem für die eroberten und alliierten Länder weniger Vorteile brachte, als von einem Handel mit Großbritannien zu erwarten war. Es waren nicht zuletzt die bisweilen willkürlichen Maßnahmen, zwischen den Ländern unter napoleonischem Einfluss Handelsbarrieren zu erheben, die in den besetzten und alliierten Regionen einer antifranzösischen Stimmung Auftrieb verliehen. Napoleons Politik des Kontinentalsystems untergrub gewissermaßen seine Politik der Kontinentalsperre.604 Besonders zeigten sich die negativen Implikationen der napoleonischen Handelspolitik für die Zeitgenossen an den Gewerbezweigen, die auf den Import von Rohstoffen angewiesen waren. Denn die Handelssperre bedrohte in der Vorstellung der Zeitgenossen nicht nur die Versorgung mit konsumfertigen Fabrikaten aus dem Ausland, sondern auch die Arbeitsplätze in der industriellen Verarbeitung im Inland, die vom Import der Rohstoffe abhingen. Dies traf in Teilen auf die Weiterverarbeitung, das heißt Raffinierung, von Zucker zu, die im frühen 19. Jahrhundert für den deutschen Markt unter anderem auch in Hamburgs zahlreichen Zuckersiedereien geleistet wurde. Die Zuckerindustrie war der zweitgrößte Gewerbezweig, der auf Rohstoffimporte angewiesen war.605 Der Rohstoff, an dem sich für die Zeitgenossen am deutlichsten die Abhängigkeit der heimischen Gewerbe von internationalen Importen zeigte, aber war, wie bereits dargestellt, die Baumwolle. Baumwolle nahm deshalb eine herausgehobene Stellung ein, weil ihre Weiterverarbeitung zum Großteil in Europa stattfand und der Gewerbezweig der Textilindustrie in manchen Bereichen von der ursprünglichen Flachs- und Hanfverarbeitung zur Herstellung von Baumwolltuchen übergegangen war. Im baumwollverarbei604 Auch wenn in der Forschung nicht systematisch zwischen beiden Begriffen unterschieden wird, so kann man doch die Blockadepolitik der Kontinentalsperre gegenüber Großbritannien von der Integration der kontinentalen Wirtschaft unter napoleonischem Einfluss im Kontinentalsystem trennen; inwieweit letzteres tatsächlich eine europäische Marktintegration zur Folge hatte, ist umstritten; vgl. Dufraisse, Roger : Die »hegemoniale« Integration Europas unter Napoleon I., In: Geschichte und Gesellschaft. Sonderheft 10: Wirtschafliche und politische Integration in Europa im 19. und 20. Jahrhundert (1984), 34–44; Dufraisse: Französische Zollpolitik (wie Anm. 33), zur Unterscheidung zwischen Kontinentalsystem und Kontinentalsperre vgl. besonders 245. Vgl. auch Aaslestad: Introduction (wie Anm. 36), 11 u. Fehrenbach: Vom Ancien R8gime zum Wiener Kongress (wie Anm. 518), 100. Zur antifranzösischen Stimmung in den besetzten Gebieten vgl. Greiling: Das »Sündenregister der Franzosen in Teutschland« (wie Anm. 84). 605 Vgl. Weber, Klaus: Deutsche Kaufleute im Atlantikhandel 1680–1830. Unternehmen und Familien in Hamburg, C#diz und Bordeaux, München 2004, Kap. IV, 225–259.
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tenden Gewerbe war eine zunehmende Anzahl Menschen beschäftigt und so schien deren Existenz auf dem Festland von der Einfuhr des Rohstoffes, in England von der Ausfuhr der Textilien abhängig. In den Miszellen heißt es dazu: »am meisten ist man wegen des Schicksals zahlloser Familien besorgt, die sich nur durch Baumwollenspinnerei ernährten.«606 Hier drückt sich nicht die Sorge um die Versorgung mit bestimmten Genussgütern aus, sondern diejenige um die Auswirkungen des Importstopps auf die Textilindustrie und also das Auskommen bestimmter Bevölkerungsgruppen und damit letztlich auf die nationale Wirtschaft. In Wirklichkeit kam die Kontinentalsperre der Baumwollindustrie – zum Nachteil der traditionellen Leinentextilindustrie – eher zugute.607 Die Leinenindustrie, die um 1800 noch den Großteil der Textilproduktion ausgemacht hatte, verlor in den ersten beiden Jahrzehnten des neuen Jahrhunderts stetig an Bedeutung. Das Baumwollgewerbe profitierte demgegenüber von der Abschottung. Die Baumwollspinnerei war am weitesten mechanisiert und die Produktion verzwölffachte sich in der Zeit der Sperre. Der durch die britische Konkurrenz verursachte Rückgang nach der Sperre wurde zudem schnell wieder aufgeholt. Der Bedarf an Rohbaumwolle konnte weitestgehend aus levantischem Import gedeckt werden.608 Der Pressediskurs der Zeit dagegen sah gerade die Baumwollindustrie durch die Sperre gefährdet. Der öffentliche Diskurs über das Baumwollgewerbe verläuft somit konträr zu der tatsächlichen Entwicklung in der Textilindustrie von 1806 bis 1813. Ohne die Einfuhr von Baumwollgarn würden »tausend und tausend Familien brodlos und in namenloses Elend versetzt sein.«609 Denn in erster Linie die Arbeiter im Baumwolltextilgewerbe seien auf Zufuhr aus dem Ausland angewiesen: »l’existence de deux cent mille ouvrier en d8pend, et […] il faut leur procurer cette matiHre premiHre, sans que nos ennemis puissent en fixer le prix.«610 Die Lösung über die Akklimatisierung von Pflanzen, wie sie noch in der Frühphase der Sperre angepriesen worden war, wurde dabei aber vermehrt in Zweifel gezogen. Gegenüber den fleißigen Agronomen führen einige Autoren nüchtern die eingangs erwähnte Grundbeobachtung zur biologischen Vielfalt seit dem 18. Jahrhundert ins Feld: »Chaque production de la nature a un sol et un climat qui lui sont particuliHrement assign8s; et toutes les compositions possibles ne pourront jamais suppl8er aux 606 Varietäten. Aus der Schweiz, In: Miszellen für die Neueste Weltkunde 4.84 (1810), 336. 607 Vgl. Dufraisse: Französische Zollpolitik (wie Anm. 33), 245–269; Fehrenbach: Vom Ancien R8gime zum Wiener Kongress (wie Anm. 518), 102. 608 Vgl. Kaufhold, Karl Heinrich: Handwerk und Industrie 1800–1850, In: Hermann Aubin; Wolfgang Zorn (Hg.): Handbuch der deutschen Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Bd. 2, Stuttgart 1976, 331–368. 609 Ub.: Ueber Verbot und Konfiskation der Kolonialwaaren (wie Anm. 602), 350. 610 Cadet, C. L.: Du cotonnier et de sa culture, ou Trait8 sur les diverses espHces du Cotonnier, sur la possibilit8 et les moyens d’acclimater cet arbuste en France, par C. Ph. de Lasteyrie, In: Mercure de France 2 (1808), 272–276, hier 275.
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produits de la nature.«611 Konsequenterweise wird die Überwindung dieser Depression in der Aufhebung der Blockaden gesucht: »Aber das Opfer wird gering geachtet, in der Hoffnung eines nahen und allgemeinen Friedens, der mit der Freiheit der Meere das Aufblühen des Kontinentalhandels wieder herbeiführen soll.«612 Nicht immer wurde die Handelsblockade als Grund für die Not des europäischen Baumwollgewerbes angesehen. Im Falle Englands war die Baumwollindustrie von den Rohstoffimporten nicht abgeschnitten und in einer Beilage zu den Miszellen wurde für die britische Wirtschaft treffend eine andere Ursache für die missliche Lage des Gewerbes identifiziert: »Die Noth, welche sich im Handel äussert, trifft vorzüglich die Baumwollen-Fabrikanten, und wird den beträchtlichen Spekulationen zugeschrieben, welche die englischen Kaufleute machten, als die Märkte von Brasilien und andern Theilen des südlichen Amerika anfingen, ihnen geöffnet zu werden, welche sehr unglücklich ausfielen.«613
Tatsächlich war die britische Krise von 1810 zu einem großen Teil dem Zusammenbruch der Spekulationsgeschäfte auf Exportkredite nach Lateinamerika und Kontinentaleuropa geschuldet. Doch war die britische Wirtschaft auch nicht von der Einfuhr abgeschnitten, so zeigte sich ihre Abhängigkeit vom Außenhandel in den Absatzschwierigkeiten für ihre Waren. Die Kontinentalsperre war denn auch neben der Inflation der zweite Hauptgrund für die britische Wirtschaftskrise.614 Von der Gefahr der Abhängigkeit vom Ausland verschiebt sich der Diskurs hin zur Problematisierung der Handelsblockade selbst, die in der Unterbindung britischer Kolonialwarenimporte nach Europa eine Bedrohung für die Wirtschaft darstelle: »Bei dem allen aber können sich unter dem Drucke des Kriegs die Fabriken durchaus nicht zu ihrer Vollkommenheit erheben. Die Verbindung mit den Kolonien ist unterbrochen, und die Produkte derselben liegen in den Magazinen jenseits des Ozeans als todte Schätze aufgehäuft«.615
Wem die Schuld an den negativen Folgen der Blockadepolitik zugeschrieben wurde, hing nicht zuletzt von der pressepolitischen Situation im jeweiligen Verlagsort ab. An dieser Stelle genügt es festzuhalten, dass die Handelssperren 611 Botanique. Du cotonnier par Charles Philibert de Lasteyrie, In: Magasin encyclop8dique 2.4 (1808), 418–421, hier 419. 612 Varietäten. Aus der Schweiz, In: Miszellen für die Neueste Weltkunde 4.84 (1810), 336. 613 England, In: Summarium der neuesten Politischen Tagesereignisse. Beilage zu den Miszellen für neueste Weltkunde 5.27 (1811), ohne Paginierung. 614 Vgl. Crouzet: L’8conomie britannique (wie Anm. 33), Bd. 2, 632 u. 635. 615 Blick auf den gegenwärtigen Zustand der Industrie und des Handels von Frankreich. Aus einem Schreiben an den Herausgeber, In: Miszellen für die Neueste Weltkunde 3.78 (1809), 309–311.
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zunehmend seltener als Lösung, denn als Teil des Problems angesehen wurden. Wie im oben wiedergegebenen Zitat von Malthus wird der erzwungene Verzicht auf den Außenhandel als Blankoschein für das Fortschreiben des Krieges verstanden.616 Denn wenn die Regierungen ihre Bevölkerung erst an die unfreiwilligen Entbehrungen gewöhnt haben werden, so fiele der Grund für die Wiedereröffnung der Handelswege zum Import von ausländischen Gütern und dem Export eigener Waren weg und Europa werde auf unbestimmte Zeit im permanenten Kriegszustand versinken. Während diesem Diskurs zufolge die Isolationstendenz einzelner Staaten letztlich kriegsfördernd wirkte, so stellte sich die gegenseitige Abhängigkeit also als potentiell friedensstiftend dar. Die Gefahr, die in der Abhängigkeit liegen mochte, wurde in dieser Interpretation als lediglich konjunkturelles Problem betrachtet, das in der gegebenen Kriegssituation sein negatives Potential entwickelte. Daraus konnte aber keineswegs abgeleitet werden, dass wirtschaftliche Interdependenzen generell für eine Volkswirtschaft nachteilig waren. In der Abhängigkeit lag im Gegenteil das Potential der Beendigung des Krieges, da vom Austausch letztlich alle beteiligten Länder profitierten. Die wirtschaftliche Autarkie wurde, anders als bei ihren Verfechtern, deren erklärtes Ziel ja die Herstellung des Weltfriedens gewesen war, in dieser Diskussion also nicht als Bedingung für Frieden verstanden, vielmehr beinhaltete die gegenseitige Abhängigkeit die Möglichkeit der Motivation aller Kriegsparteien zum Frieden. In der Folge des wachsenden Bewusstseins für die problematischen Aspekte des anhaltenden Handelskrieges, entfaltete sich in den europäischen Zeitschriften ein Diskurs, der den Welthandel in der einen Traditionslinie aufklärerischer Wirtschaftstheorien in ein positives Licht stellte. Die vier Grundannahmen dieses Diskurses gingen zurück auf die Aspekte der doux-commerceTheorie und wurden weitestgehend der problematischen Reflexionen, wie sie im 18. Jahrhundert stets mitgedacht wurden, enthoben: Handel wurde in der positiven Konnotation konkurrenzieller Kontexte als wohlstandsfördernd betrachtet. Durch internationalen Handel vollziehe sich, so die Vorstellung, langfristig ein Ausgleich im weltweiten Wohlstandsniveau. Dies gehe vonstatten, wie es bei den Aufklärern vorgedacht wurde, durch eine Verbreitung der zivilisatorischen Fortschritte, soziale Globalisierungsprozesse wurden als Folge und Begleiterscheinung wirtschaftlichen Aspirationsstrebens und wirtschaftlicher Verflechtung beschrieben. Darüber hinaus, und im Unterschied zu den liberalen Denkern des 18. Jahrhunderts, bekam der Gedanke der Friedensförderung bzw. Friedenskonsolidierung durch kommerziellen Austausch einen ungekannten Auftrieb in der Debatte. All diese Vorgänge wurden als direkte Folgen des freien internationalen Handels verstanden: Wohlstand, Gleichheit, Zivilisierung, 616 Vgl. Zitat der Anm. 591.
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Frieden. Die Themen um den Handel wurden im Kontext globaler Prozesse reflektiert und zeugen von einem ausgeprägten Globalbewusstsein in der Verhandlung ökonomischer Fragen im frühen 19. Jahrhundert. 3.3.1 Vorteile des Außenhandels: Die Streitschriften Trotz Blockade und Krieg hatte sich in den Druckschriften ein europaweiter Austausch von Sichtweisen etabliert, der in den drei Debatten auch zeigt, dass die Diskurse sich stark beeinflussten und gemeinsame Wendungen vollzogen wurden, auch wenn die Perspektive darauf lagegebunden leicht unterschiedlich ausfiel. Es waren zwei Streitschriften, die in den Jahren 1810 bis 1813 am stärksten die öffentliche Meinung gegen das Kontinentalsystem beeinflussten. Die erste Schrift richtete sich von Großbritannien aus an die europäische Leserschaft und wurde von dem nach England ausgewanderten Schweizer FranÅois d’Ivernois verfasst. Die Zweite schrieb August Wilhelm Schlegel aus dem dänischen Exil. Weder Ivernois’ noch Schlegels Beiträge zur Kontinentalsperre sind in der Forschung bislang beachtet worden.617 Zur Zeit ihrer Publikation waren sie in der Öffentlichkeit neben Spences Abhandlungen die meistbeachtetsten Schriften zum Handelskrieg zwischen den europäischen Großmächten. Ivernois FranÅois d’Ivernois (1757–1842)618 war zunächst in Genf Anwalt und Buchhändler. Er engagierte sich politisch gegen den Einmarsch der Franzosen 1781– 1782 und wurde 1792 in den Rat der Zweihundert gewählt. 1794 musste er vor einem Todesurteil des Revolutionstribunals nach Großbritannien fliehen und verbrachte dort zwanzig Jahre als Publizist und in diplomatischen Diensten, die ihm die Ehre der britischen Ritterschaft einbrachten. 1814 kehrte er nach Genf zurück und widmete sich als Staatsrat wirtschafts- und bevölkerungspolitischen Fragen.619 Archenholz schrieb 1805: »von den jetzt in London lebenden Franzosen ist keiner berühmter, als der Ritter Ivernois«.620 Zeit seines Lebens ein Kritiker der Revolution und Frankreichs, schrieb er frühzeitig Werke zur französischen Politik, zur Geschichte Genfs und zur Wirtschaftspolitik. Während 617 Heckscher zieht einzig Stephens Text heran und bespricht ihn außerordentlich positiv. Ivernois taucht bei ihm nur als Autor der Epistel auf, die dieser an den Beginn seines Werkes stellt. Das heißt Heckscher hat mutmaßlich das Werk gekannt, ihm jedoch keine Bedeutung beigemessen. 618 Einige Quellen geben 1758 als Geburtsjahr an. 619 Bis heute einzige Monographie zu Ivernois ist: Karmin, Otto: Sir Francis d’Ivernois 1757– 1842. Sa vie, son oeuvre, son temps, Genf 1920. Der Autor publizierte in London unter dem anglisierten Vornamen Francis. 620 Archenholz: Der Ritter Ivernois und sein Deficit, In: Minerva 2 (1805), 65–71, hier 65. Friedrich von Gentz übersetzte und ergänzte seine Histoire de l’administration des finances de la R8publique FranÅaise, London: Spilsbury 1796.
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der Kontinentalsperre veröffentlichte er 1809 von Großbritannien aus auf Französisch das Werk Effets du blocus continental, das umgehend ins Englische, Schwedische und Deutsche übersetzt wurde und europaweit Verbreitung fand.621 Ivernois wandte sich also an ein europäisches Publikum, das er von authentischen Informationen über die Lage Großbritanniens und damit über die tatsächlichen Auswirkungen der Kontinentalsperre abgeschnitten glaubte. Seine Abhandlung ist als Brief an einen Freund in Riga verfasst und perspektiviert auf diese Weise besonders die Situation Russlands, damit aber gleichzeitig auch die aller anderen mit Frankreich im Kontinentalsystem alliierten Staaten. Russland war auf Druck Napoleons 1807 dem Kontinentalsystem beigetreten, verließ es aber 1810 wieder, was letztendlich ab 1812 zum Krieg führte. Genau in diese Kerbe unterschiedlicher Interessen der Grande Nation und ihrer Alliierten versucht Ivernois mit seinem Text zu stoßen, um so die Koalition im Handelskrieg gegen Großbritannien zu spalten. Napoleons widersprüchliche Haltung diente ihm dabei als Angriffsfläche: Der französische Kaiser propagiere Liberalismus und diktiere gleichzeitig seinen Alliierten Prohibition, während er durch Exportlizenzen die heimischen Überschüsse an England abführte.622 In den Effets machte Ivernois deutlich, dass die Blockadepolitik für alle Betroffenen zerstörerisch wirke und legte zur Bekräftigung dessen detailliert die falschen wirtschaftspolitischen Grundannah621 Ivernois, Francis d’: Effets du blocus continental. Sur le commerce, les finances, le cr8dit et la prosp8rit8 des Isles britanniques London: Vogel 1809; Ivernois, Francis d’: Effects of the Continental blockade upon commerce, finances, credit and prosperity of the British Islands, London: J. Hatchard and J. Richardson 1810; Duvernois, Franz: Die Sperre des festen Landes und ihr Einfluß auf den Handel, die Finanzen, den Kredit und das Wohl der Brittischen Inseln. Frei nach dem Französischen bearbeitet und mit vielen berichtigenden Erklärungen und Anmerkungen versehen von Dr. Julius Schmidt, [o. O.] 1810. Die schwedische Übersetzung legt die gekürzte deutsche Fassung zugrunde und überträgt einige Kommentare von Julius Schmidt; Ivernois, Frans: Blockadsystemet, eller huruwida kan Englands Handel ännu ega bestand? Stockholm: Olof Grahn 1811. 1810 wurde bereits die 5. Auflage auf Französisch gedruckt. 1811 folgte eine Geschichte der napoleonischen Dekrete gegen Großbritannien: Ivernois, Francis: Histoire de d8crets commerciaux de Bonaparte et leurs effets, London: Vogel & Schulze 1811. 622 Vgl. Ivernois: Effets du blocus (wie Anm. 621), 99–101. Tatsächlich war das Lizenzsystem seit 1810 umfangreich erweitert worden; vgl. Heckscher : Continental System (wie Anm. 32), 205–220. Heckscher schreibt: »Despite the fact that both the Berlin and Milan decrees strictly forbade all intercourse with England and all calling at English ports, Napoleon now went so far as to make it a point of honour that French vessels should visit English waters, and go to London, even though they were under a neutral flag.«, 215. Auf britischer Seite erlaubten die Marinegerichte gezielt falsche Papiere, zunächst nur bei britischen Händlern, ab 1810 auch bei auländischen, um den Handel des Königreiches aufrechtzuerhalten: »Though the papers were ostensibly illegal, courts protected merchants by allowing them to recover under insurance policies, as long as those policies expressly allowed the use of simulated papers. The rationale was that this was necessary to protect British commerce.«; vgl. Kim; Oldham: Insuring Maritime Trade (wie Anm. 393), 561–586.
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men der Handelsbilanz dar. Argumentativ schließt seine Positionen an Adam Smith an: Er setzte Arbeit als Wertmaßstab und interpretierte die Handelspolitik der europäischen Staaten als merkantilistischen Irrglauben: »Combien de fausses notion! que de conflits! combien de guerres on aurait 8vit8es et l’on 8viterait encore, s’il 8tait possible aux Etats Europ8ens d’8carter de leur bilans commerciaux la formule qui pr8sente la balance des 8change en argent, pour la ramener / une balance exprim8e en journ8es! Avec ce nouveau d8nominateur, le commerce du dehors se pr8senterait / eux tel qu’il est, r8ciproquement profitable / toutes les nations qui y participent et croient n’y rien gagner.«623
Der Abbruch des Handels zwischen den Britischen Inseln und dem Kontinent sei beiden Seiten nachteilig: Großbritanniens Wirtschaft stagniere unter der Blockade, die des Kontinents befinde sich in einer Rezession. Napoleon schade mit seiner wirtschaftspolitischen »Chimäre« der gesamten Menschheit: »Verkaufen, ohne zu kaufen ist der Stein der Weisen für den Handel.«624 Aber auch in der »Heimat Adam Smiths« habe diese antikommerzielle Haltung, wie das Beispiel Spence zeigte, Raum gegriffen.625 Und so visiert Ivernois auch die isolationistischen Theorien in Großbritannien selbst. »Voil/ […] comment les extrÞmes se touchent.«626 Ausgehend von Napoleon hätten alle europäischen Staatsführer die Grundprinzipien einer gemeinwohlorientierten Wirtschaftspolitik aufgeben: »L’histoire dira que ce fut sous la maligne influence de son rHgne, oF par un oubli de tous les principes qui multiplient les commodit8s de la vie, et conduisent / la civilisation; les soci8t8s Europ8ennes arrivHrent / un tel excHs de d8mence qu’elles pr8tendirent se passer les unes des autres, et que leur souverains se disputHrent l’honneur d’offrir leur sujets en victimes pour donner l’exemple, / qui d’entr’eux, supporteraient le mieux et le plus long-temps les innombrables sacrifices attach8s / cet 8tat d’isolation.«627
Ivernois argumentiert detailliert, dass und warum Außenhandel für alle beteiligten Nationen Vorteile bringe, auch wenn er relativ gesehen einem der beiden Handelspartner mehr nutzen könne als dem anderen. Außenhandel hat ihm 623 Ivernois: Effets du blocus (wie Anm. 621), 6 [Herv. im Orig.]. 624 Ivernois: Die Sperre des festen Landes (wie Anm. 621), 85. Die im Original darauf folgende Passage ist in der deutschen Ausgabe von der Zensur gestrichen worden: »Pour le malheur de l’espHce humaine, il a paru, tout / coup, sur la scHne du monde, un grand et puissant personnage qui s’est entich8 de cette vieille chimHre / laquelle il sacrifiera, jusqu’au bout et sans le moindre scrupule, le bien-Þtre de ses sujets et / plus forte raison celui de ses alli8s. En s’acharnant ainsi / pure perte contre le commerce maritime, il a perdu de vue que si la population des Isles Britanniques est la plus exportatrice, elle est aussi la plus consommatrice qui ait jamais exist8.«; vgl. Ivernois: Effets du blocus (wie Anm. 621), 40–41. 625 Ivernois spricht von einer »Sekte«, an deren Spitze Spence stehe; vgl. Ivernois: Effets du blocus (wie Anm. 621), 11. 626 Ebd., 12, Anm. 1. Diese Anmerkung fehlt in der deutschen Übersetzung. 627 Ebd., 102–103.
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zufolge drei positive Effekte: Erstens erhöhe er den Wohlstand aller Nationen, indem er den potentiellen Markt für die eigenen Produkte und Bedürfnisse erweitere; zweitens fördere er im Inland die Produktion, auch in den nicht direkt am Außenhandel beteiligten Industrien; drittens erhöhe er letztlich das Staatseinkommen.628 Am Beispiel des freien Handels zwischen England und Irland seit dem Act of Union setzt Ivernois seinen Lesern auseinander, dass ein Land trotz negativer Außenhandelsbilanz vom selbigen profitiere, wirke sich dieser doch positiv auf die heimische Produktion und somit auf den Wohlstand aus.629 Gleiches würde somit auch für einen freien Handel zwischen Russland und England gelten und eigentlich »unvorstellbar« sei, dass sich die Käufer weigerten, beim günstigsten Anbieter auf dem Weltmarkt einzukaufen, wenn nicht die aktuelle Lage im »zivlisierten Europa« gerade ein Beispiel dafür geben würde:630 »Je ne vais pas n8anmoins jusqu’/ dire que le commerce ext8rieur soit 8galement profitable / toutes les nations; car ce profit d8pend, entr’autres, du degr8 comparatif auquel elles ont abr8g8 et perfectionn8 les proc8d8s du travail dont elles exportent les produits.«631 Diese Überlegungen gehen auf die Analyse der relativen Preissteigerung von Rohstoffen gegenüber Manufakturwaren bei Smith zurück und Ivernois kontextualisiert diese als relativen Marktvorteil der ärmeren Länder im Bereich bestimmter Exportwaren und deutet damit voraus auf David Ricardos Theorie des komparativen Kostenvorteils in seinem On the Principles of Political Economy and Taxation von 1817. Wenngleich der Außenhandel einigen Ländern von größerem Nutzen sei als anderen, könnten dennoch auch die industriell weniger entwickelten Länder davon profitieren. Es sei daher im Interesse der europäischen Kontinentalstaaten, den Handel mit Großbritannien wieder aufzunehmen. Ja, sie hätten sogar ein weitaus dringenderes Interesse am kommerziellen Austausch mit den Briten als umgekehrt. Der Inselstaat dagegen sei vom Handel mit einzelnen Ländern weniger abhängig und werde somit von der Kontinentalsperre auch weniger getroffen als die Kontinentalstaaten. Durch seine geographische Lage sowie die Überlegenheit seiner Marine könne es mit Leichtigkeit einen Markt durch einem anderen auf der Welt ersetzen. Seit der Sperre exportiere England seinen Zucker aus Jamaika nach St. Domingue, das die Zuckerplantagen aufgegeben habe und nur noch Kaffee anbaue. Der amerikanische Archipel konsumiere nun acht- bis neunmal so viel wie einstmals Frankreich von den Manufakturwaren Großbritanniens oder vertreibe sie als Zwischenhändler nach Afrika. Britische Fabriken exportierten inzwischen Musseline nach Indien und Fayencen nach China.632 Diese Zahlen 628 629 630 631 632
Vgl. ebd., 14–19. Vgl. ebd., 63–65. Vgl. ebd., 6–7. Ebd., 6. Vgl. ebd., 30–31.
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sind maßlos übertrieben und offenbaren die manipulative Suggestion der Streitschrift. Ivernois, der im Text seiner Identifikation als Brite Ausdruck verlieh, suchte somit die Unabhängigkeit Großbritanniens vom Kontinent zu propagieren, ohne darum in den Spenceschen Isolationsreflex zu verfallen. Ihm ging es darum, an das Eigeninteresse der Länder unter französischer Herrschaft zu appellieren, die sich im Gefüge des Welthandels, parallel zum Smithschen Eigennutz der Individuen, zum Zwecke einer nationalen Wertschöpfung vereinen sollten: »En faisant ainsi participer les quatre parties du monde aux productions et / la prosp8rit8 des trois autres, le commerce les unit par le lien puissant de l’int8rÞt et les civilise de plus en plus, en leur rendant commune toutes d8couverte que font les arts utiles pour ajouter aux aisances, aux commodit8s et au bien-Þtre de la vie.«633
Mit pamphletärer Vehemenz wird von Ivernois die Theorie Smith konsequent auf die internationale Ebene gehoben, um so die Integration aller europäischen Staaten in den Welthandel zu erreichen. Der doux commerce mit seiner zivilisierenden Wirkung durch ökonomische Interessen schlägt hier, übertragen auf die internationale Ebene, zu Buche. Die deutsche Übersetzung der Effets du Blocus von Julius Schmidt ist eher ein Kommentar zu dessen Thesen, der insgesamt umfangreicher ist als der Originaltext selbst. Schmidt stellt in seiner Einleitung Ivernois und Spence einander gegenüber und gibt beide als Bespiele dafür an, »daß man in England alles debitiren, und wie weit man aller Wahrheit und Wahrscheinlichkeit Hohn sprechen, zu welchen Extremen man sich verirren darf«634. Schmidt ist bemüht, in erster Linie die These Ivernois’ zu entkräften, Großbritanniens Wirtschaft habe unter der Handelssperre kaum zu leiden.635 Seine Anmerkungen zeugen von einem scharfen Verständnis ökonomischer Zusammenhänge, wenngleich sich sein Urteil letztendlich aus der politischen Konfrontationslinie im Sinne der Abschottungspolitik ergibt. In seinen zahlreichen Kommentaren widerspricht er besonders der Theorie des gegenseitigen Vorteils eines Handels zwischen ungleich entwickelten Ländern.636 In Großbritannien stieß die Schrift von Ivernois erwartungsgemäß auf breite Zustimmung. In der Quarterly Review wird die Argumentation des Autors detailliert aufgenommen. Die globale Arbeitsteilung aufgrund der biologischen und gesellschaftlichen Diversität wird von der Zeitschrift noch expliziter aufgenommen: Auch in der »great society of Nations« sei die Arbeitsteilung für alle 633 Ebd., 15. 634 Duvernois: Die Sperre des festen Landes (wie Anm. 621), III–IV. 635 Er entkräftet die Zunahme des Handels durch detaillierte Gegenrechnung mit Verlusten in anderen Handelszweigen; vgl. ebd., 45, Anm. 636 Vgl. ebd., 34, Anm.
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von Vorteil und Freihandel führe zu unbegrenztem Wachstum aller Länder.637 In der britischen Öffentlichkeit spielten die Passagen in Ivernois’ Werk eine größere Rolle, in denen er Zahlen für den gesteigerten Wohlstand der Inseln seit dem Act of Union mit Irland vorlegt und mit Erleichterung wird zur Kenntnis genommen, dass die Sperre dem Wohlstand Großbritanniens nicht, wie vom Gegner behauptet, viel Schaden zufügte und zwar nicht etwa – wie Spence behauptet hatte – weil der Außenhandel unbedeutend sei, sondern im Gegenteil weil britischer Handel sich auch auf andere Teile des Globus erstreckte. Schlegel August Wilhelm Schlegel (1767–1845), der ältere der beiden Schlegelbrüder, die die literarische Strömung der Romantik mitprägten, ist besonders bekannt für sein literaturkritisches, philologisches und Übersetzungsengagement. Die Etappe seines Lebens, in der er in Schweden in diplomatischem Dienst stand, findet dagegen seltener Beachtung.638 1812 war Schlegel aufgrund seiner Verbannung aus dem gesamten französischen Einflussgebiet nach Schweden geflüchtet und vom dortigen Kronprinzen Jean-Baptiste Bernadotte zum Regierungsrat ernannt worden. Aus dieser Zeit stammt seine erste explizit politische Abhandlung zur Situation in Europa und zwar handelt es sich hierbei um eine Bewertung des napoleonischen Kontinentalsystems. Er schrieb sie gegen Ende des Blockadezustands und rechnete darin deutlich mit der napoleonischen Dominanz in Europa ab. Zu diesem Zweck betrachtete er den Einfluss der Handelspolitik des französischen Herrschers auf Europa und wie der Titel hervorhebt, die möglichen Gefahren für vormals neutrale Länder wie Schweden. Sie wurde 1813 von Schlegel mit dem Titel Sur le SystHme continental et sur ses rapports avec la SuHde auf Französisch verfasst und im selben Jahr auch auf Schwedisch, Deutsch, Niederländisch und Englisch gedruckt.639 Das letzte Drittel der rund hundertseitigen Broschüre ist der Situation Schwedens ge637 Vgl. Effets du blocus continental sur le Commerce, par Francis d’Ivernois, In: Quarterly Review 3.5 (1810), Art. IV, 50–63. Siehe auch die sehr positive Besprechung in der Critical Review : Effects of the Continental Blockade upon the Commerce, Finances, Credit, and Prosperity of the British Islands, In: The Critical Review, or, Annals of Literature 20.1 (1810), 83–89. 638 So ist etwa ein kürzlich erschienener Sammelband zu Schlegel als Europäer gänzlich auf seine literaturpolitische Tätigkeit beschränkt: Mix, York-Gothart; Strobel, Jochen: Der Europäer August Wilhelm Schlegel. Romantischer Kulturtransfer – romantische Wissenswelten, Berlin 2010. 639 Schlegel, August Wilhelm: Ueber das Continentalsystem und den Einfluß desselben auf Schweden, [o. O.] 1813; ders: Sur le SystHme continental et sur ses rapports avec la SuHde, Hamburg 1813; ders: The Continental System and its Relations with Sweden, translated from the French, London: J. J. Stockdale 1813; ders: Om continental-systemet och desz inflytande p, Swerige Stockholm: Carl Del8n 1813; ders: Over Napoleon’s (zoogenaamd) stetsel van het vaste land, of continentaal-systema, Leyden: Honkoop 1814.
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widmet und schildert die Vorteile, die diesem aus einer Verbindung mit Großbritannien und dem Zugang zum Seehandel erwachsen würden. Schlegel beabsichtigte, der napoleonfreundlichen Stimmung in Schweden entgegenzuwirken, die Wahl des Französischen als Publikationssprache und die umgehenden Übersetzungen in vier andere Sprachen lassen aber erkennen, dass er sich gleichzeitig an das europäische Publikum allgemein richtete.640 Und so war auch das Hauptthema des Textes eher die Situation Gesamteuropas und die der französisch dominierten Staaten. Im Klima der heraufziehenden Befreiungskriege bezog diese Schrift klar Stellung gegen Napoleons Herrschaft und schlug stark probritische Töne an. Das Kontinentalsystem wird in dem auf manichäische Weise beschriebenen Konflikt zwischen Großbritannien und Frankreich als egoistisches Machtmittel des französischen Herrschers, als »negativer Krieg«641 beschrieben. Diese Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln verstoße gegen internationale Rechtsnormen, indem Napoleon keinerlei neutrale Mächte anerkenne und seit 1806 mächtig genug sei, auch die Neutralen in eines der beiden Lager zu zwingen. Englands Rolle im Konflikt wird dagegen durchweg positiv beschrieben und alle Reden von Seedespotismus als unbegründet abgetan. Die tatsächliche Gefahr, so der den ganzen Text durchziehende Tenor, gehe von Napoleon aus, welcher – ebenso wenig wie vor der Unterdrückung des Kontinents – auch nicht davor zurückschrecken würde, den »Ocean zu unterjochen«.642 Die Forderung Frankreichs nach der Freiheit der Meere sei daher nur strategisches »Feldgeschrey« und die Bezeichnung der Engländer als »Tyrannen der Meere und die ewigen Feinde des Continents« sei kein begründbares Argument, sondern gerate im Mühlrad der durch Zensur beschnittenen Presse zum »Glaubensartikel«643. Schlegels Auffassungen vom internationalen Handel lassen Bezüge zu Humes Theorie erkennen.644 Wie aus der Auseinandersetzung mit der britischen Politik deutlich werde, führe Handel zwischen den Nationen zum Frieden und wirt640 Zur europäischen Ausrichtung der Schriften Schlegels vgl. Dieterle, Bernhard: Jenseits des Rheins. Germaine de Sta[l und August Wilhelm Schlegel, In: Michael Knoche; Lea RitterSantini (Hg.): Die europäische R8publique des Lettres in der Zeit der Weimarer Klassik, Göttingen 2007, 175–192, hier 182. 641 Schlegel: Ueber das Continentalsystem (wie Anm. 639), 29. 642 Ebd., 65. 643 Ebd., 71. 644 Humes ökonomische Schriften fanden eine unmittelbare Verbreitung im deutschen Sprachraum über Übersetzungen und Rezensionen seiner Werke: Herrn David Humes Vermischte Schriften über die Handlung, die Manufacturen und die andern Quellen des Reichthums und der Macht eines Staats, Hamburg und Leipzig: Grund & Holle 1754. Friedrich Buchholz legte 1805 in seinem Neuen Leviathan eine Neuübersetzung fast des gesamten Essays On Public Credit von Hume vor; vgl. D’Aprile, Iwan-Michelangelo: Die Erfindung der Zeitgeschichte. Geschichtsschreibung und Journalismus zwischen Aufklärung und Vormärz, Berlin 2013, 171.
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schaftlichen Ausgleich, da ein Handelsvolk immer auch Interesse an kaufkräftigen Handelspartnern haben müsse. Die wahre Motivation Napoleons dagegen sei keineswegs das wirtschaftliche Wohl seiner Untertanen und Bundesgenossen, sondern seine Eitelkeit: »Indessen ist nach seinem eigenen Geständnis sein einziger Beweggungsgrund [für den Krieg mit Russland] die Zulassung Englischer Schiffe und Englischer Waaren in die Häfen Rußlands; dieser verheerende Krieg, der die Jugend des westlichen Europa nach den Gränzen Asiens reißt, dieser heilige Bund – wird die Nachwelt es glauben? – kündigt sich der Welt als einen Kreuzzug gegen den Zucker und Kaffee, Perkane, und Musline an. Kann man sich so über das menschliche Geschlecht lustig machen?«645
Ironisch zog Schlegel die Interpretation der Gefahr durch die über Großbritannien kommenden Kolonialwaren, wie sie die Debatte der frühen Jahre geprägt hatte, ins Lächerliche. Könne aber von einer Handelsnation wirkliche Gefahr ausgehen? Einem einzelnen Kaufmann möge bisweilen durchaus ein egoistisches Streben nach unangemessenem Gewinn nachgesagt werden, in einer aufgeklärten Nation wie England sei dieses jedoch nicht anzutreffen. Denn Frieden und Freiheit lägen im ureigenen Interesse einer Handelsnation, da das eigene wirtschaftliche Wachstum auch von dem Wohlstand in anderen Ländern abhinge. Schlegel sah in protektionistischen Maßnahmen durchaus einen Nutzen, doch »in den Handelsbeziehungen der Staaten sowohl als der Einzelnen ist nur das, was im ganzen Umfange des Wortes freywillig und auf gegenseitige Vortheile gegründet ist, von Dauer.«646 Dies könnte mithin der verwundbare Punkt einer Handelsnation wie England sein und das erklärte Ziel der Kontinentalsperre sei es schließlich auch gewesen, diesen Punkt zu treffen: »Seit vielen Jahren hatten die Schreyer im Solde Bonapartes als nahes Resultat der Verbotsmaßregeln gegen England die Stockung seines Handels, den Untergang seiner Manufacturen, das Elend des Volks, den öffentlichen Bankerott, die Empörung und den Umsturz des Staates angekündigt. Nichts von dem Allen bestätigte sich.«647 Wenn England als Handelsvolk tatsächlich von europäischen Märkten abhinge, müsste es, von diesen abgeschnitten, empfindliche Einbußen verzeichnen. Doch die »Erfahrung mehrerer Jahre scheint zu beweisen, daß England im Nothfall Europa’s überhoben seyn kann […]. Die drey andern Welttheile sind seine Handelsberechnungen, seine Niederlassungen, selbst seinen Eroberungen […] offner als je. […] Wir wollen nicht läugnen, daß die Europäischen Verbindungen nicht auch sehr wichtig für England sind, aber sie sind es nur so lange Europa bleibt, was es bis jetzt gewesen ist«.648 645 646 647 648
Schlegel: Ueber das Continentalsystem (wie Anm. 639), 63–64. Ebd., 74. Ebd., 62. Ebd., 75.
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Europa drohe aber, seine Rolle als wirtschaftlich und geistig starkes Zentrum der Welt zu verlieren. Seine Wirtschaftszweige litten unter der strengen Handelsblockade, da diese sich nicht auf die Einfuhr beschränke, sondern auch die Ausfuhr betreffe und beides nur sinnvoll sei, um eine bereits wachsende Wirtschaft durch protektionistische Maßnahmen zu schützen, nicht jedoch zu einem Zeitpunkt, da Gewerbezweige noch im Entstehen seien.649 Das Kontinentalsystem führe daher zum Untergang sowohl des Handels als auch der Industrie in den europäischen Staaten unter napoleonischem Einfluss. Großbritannien hingegen könne seinen Handel auf andere Weltregionen konzentrieren und es »würde große Entschädigungen finden, wenn es seine Anstrengungen auf die großen und herrlichen Länder Asiens richtete, wo die Bildung durch ihr Alter stehend geworden ist; auf andere noch jungfräuliche Gegenden in Afrika, Amerika und im stillen Ocean, wo die verschwenderische Natur nur die ordnende Hand des Menschen erwartet.«650 Letztlich sei Europa also in der Weltwirtschaft ersetzbar, andere Kontinente könnten sich zu wirtschaftlichen, künstlerischen und geistigen Kraftzentren entwickeln, wie dies in einigen Teilen der Neuen Welt bereits geschehen sei: »Wir müssen nicht vergessen, daß schon ein Europa jenseits des Oceans vorhanden ist; unsere Sprachen, unsere Sitten, unsre Aufklärung sind dorthin getragen: dieses amerikanische Europa ist nur erst im Werden, weil es vernachlässigt oder schlecht verwaltet ist; der Theil, der sich unabhängig gemacht hat, hat sich mit einer bewunderungswürdigen Schnelligkeit entwickelt. Giebt es keine glücklichere Zukunft für uns Europäer, so wird bald die kräftige Jugend des neuen Europa die Abgelebtheit des Mutterlandes beschämen.«651
Das Ziel, die Herrschaft Napoleons in Europa abzuschütteln, wird in dieser Schrift Schlegels also nicht mit nationaler Ehre oder staatlicher Selbstbestimmung begründet, sondern in erster Linie als Akt der ökonomischen Selbsterhaltung eines ganzen Kontinents beschrieben.652 Sowohl Schlegel als auch Ivernois beharren in ihrer Argumentation darauf, dass der kontinentale Markt für Großbritannien letztlich entbehrlich sei und sich, wenn noch nicht gleich, so doch in naher Zukunft die britischen Handelsbeziehungen nach Übersee als reiche Quelle des nationalen Wohlstandes entwickeln werden. Entgegen der frühen Isolationismusvertreter stellt sich Großbritannien damit nicht grundsätzlich unabhängig vom Handel dar – sondern als Handelsnation im Gegenteil durchaus angewiesen auf Handelskontakte, 649 650 651 652
Vgl. ebd., 78–79. Ebd., 76. Ebd., 76. Vgl. zur ökonomischen Grundlage der Befreiungsbewegung: Aaslestad: Revisiting the Continental System (wie Anm. 36).
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die aber durch die Erschließung neuer außereuropäischer Märkte gegeben seien. Handel fördert beiden Autoren zufolge den Wohlstand durch die Impulse für die heimische Industrie und Zivilisation. Europa, so die Aussage der kritischen Streitschriften, müsse sich entscheiden, ob es sich den Wohltaten des freien internationalen Handels anschließen wolle oder in Isolation und damit in der Entbehrung und dem Elend verharren möchte. In dieser polemischen Zuspitzung verlieren sich die skeptischen Töne und dialogischen Ansätze der Aufklärungstheorien und freier Handel wird gleichsam zum politisch-ökonomischen Allheilmittel. Handel wird grundsätzlich eine befriedende Funktion auf Grundlage der Eigeninteressen der Handelsnationen unterstellt. 3.3.2 »Verschmelzung« der Völker: Annäherung durch Handel Frankreich Ab 1810 lässt sich auch in der offiziellen Position der französischen Regierung eine Abkehr von dem Versuch eines absoluten Isolationismus erkennen. Diese steht im Zusammenhang mit der Isolationspolitik der Vereinigten Staaten von Amerika, die den Zugang des europäischen Kontinents zu kolonialen Waren weiter erschwerte. Der Mercure gab ein Schreiben wieder, in dem der französische Kaiser die Anwendung des amerikanischen Embargos auch auf französische Schiffe kritisierte: »Les Am8ricains ne peuvent pas h8siter sur le parti qu’ils ont / prendre. Ils doivent ou briser l’acte de leur ind8pendance […] ou prendre des mesures telles que leur commerce et leur industrie ne soient pas tarif8s par les Anglais; ce qui les rend plus d8pendans«.653 Napoleon wirbt um die Wiederaufnahme der Handelsbeziehungen, indem er versichert, dass Frankreich von dem Handel mit den Vereinigten Staaten von Amerika profitiere und die Konkurrenz des prosperierenden Amerikas keineswegs fürchte, sondern sich im Gegenteil seine Landwirtschaft und Industrie durch den Export an die Neutralen entwickelten. Eine Besonderheit des französischen Diskurses zur ökonomischen Vernetzung der Weltgegenden in der Presse gegen Ende der Kontinentalsperre war seine Einbettung in ein Projekt der wissenschaftlich-technischen Appropriation und Nutzbarmachung. Hierfür steht etwa das Beispiel eines frühmodernen Werbeprojektes zur Beteiligung an der Entwicklung eines neuen Schiffsbautyps, durch welchen dem Autor zufolge die Übermacht der britischen Flotte mühelos überwunden und durch Wendig- und Schnelligkeit außer Konkurrenz gesetzt werden könnte. Diese Innovation, heißt es in der Einleitung des Nouveau SystHme de Navigation654, würde im Handel aller Völker eine noch größere Revo653 Mercure de France, 1 (1810), 502–508, hier 504. 654 Ducrest, Charles-Louis: Nouveau systHme de navigation. Ayant pour objet la libert8 des
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lution bedeuten als es die Entdeckung Amerikas und des Seewegs nach Indien vor einigen Jahrhunderten war. Alle Versuche, die Navigation in irgendeiner Weise zu blockieren, würden mit einem Schlag hinfällig. Auf diese Weise werde zu guter Letzt die Freiheit des Handels weltweit hergestellt. Die Handelsbeziehungen nach Amerika könnten wieder aufgenommen, neue nach China, Indien und in den Persischen Golf etabliert werden. Die Hoffnung des wirtschaftlichen Austauschs wird hier gleichsam als Folge wissenschaftlicher Kooperation gesehen und die Globalisierungsdebatten laufen auch in den französischen Zeitschriften über die wissenschaftlich-technische Konzeptualisierung, wie sie sich etwa in dem Zeitschriftenprojekt Millins, im Magasin encyclop8dique, ausdrückt, welche als Vektor und Beschleuniger der ökonomischen Globalisierung verstanden und praktiziert wurde.655 Auch für die Berichterstattung des Mercure de France war die Zusammenschau der verschiedenen zivilisatorischen Errungenschaften durch den globalen Austausch symptomatisch. Im Mercure drückte sich der Globalisierungsdiskurs zu den Vorzügen des Handels vorwiegend in einer Serie von Rezensionen aus, die Jacques-Barth8lemy Salgues (1760–1830) in den Jahren von 1809 bis 1811 verfasste. Salgues’ Interessengebiete galten ebenfalls naturwissenschaftlichen Erkenntnissen sowie Reiseberichten und streiften in diesem Kontext regelmäßig wirtschaftliche Themen und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft. Sein Hauptthema war die Vernetzung des gesamten Globus durch die Verbreitung von Wissen und Techniken sowie durch den Handel. Er würdigte aus dieser Perspektive heraus wiederholt Reisebeschreibungen französischer und britischer Autoren. Salgues’ Rezensionen eröffneten dem Leser oftmals Einblicke in die Literatur außerhalb Frankreichs und bisweilen auch außerhalb Europas. So ergab etwa die Besprechung der Beschreibung eines indischen Europareisenden eine interessante mediale Spiegelung im globalen Kontext, in der der Blick des Fremden für die eigene Perspektive fruchtbar gemacht wurde. In gewisser Weise wurde die Analyse zur ethnoliterarischen Studie über den Anderen anhand seiner eigenen Analyseperspektive.656 Die diskursive Überlagerung der vermers pour toutes les nations et la restauration imm8diate de notre commerce maritime, Paris: Dentu 1811. 655 »Le principal et l’immense avantage de la marche actuelle des sciences, consiste dans la cessation de cet isolement. Les divers chemins se sont rencontr8es; ceux qui les parcouroient se sont cr88 un langage commun; leurs doctrines particuliHres, / force de s’8tendre, sont parvenues / se toucher ; et, se prÞtant un mutuel appui, marchant sur une grande ligne, elle embrassent les existences dans toute leur g8n8ralit8.«; vgl. Sciences. R8flexions sur la Marche actuelle des Sciences, et sur leurs Rapports avec la Soci8t8, par M. le Chevalier Cuvier, In: Magasin encyclop8dique 2 (1816), 313–338. 656 Salgues: Voyages de Mirza Abu Taleb Khan, en Asie, en Afrique et en Europe. Traduit du Persan en Anglais par M. Charles Steward, In: Mercure de France 3 (1811), 110–116. Wie in den Briefromanen der Aufklärung, etwa den Lettres Persanes (1721) von Montesquieu, in denen die Exotisierung über den Blick des fiktiven Anderen eine Kritik an der eigenen
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schiedenen Effekte der Globalisierung geht auch aus den Rezensionen der Annales des Voyages von Conrad Malte-Brun hervor. Salgues steigt in die Besprechung ein mit einer längeren Überlegung zur Geschichte der Entdeckungen und des Wissens über den Globus, das ein Wissen der Moderne sei, da die Griechen und Römer nur die Küstenschifffahrt praktizierten. Erst technische Errungenschaften hätten es dem Menschen ermöglicht, die Welt zu bereisen und noch immer gelte es, zahlreiche Gegenden, Räume und Regionen auf der Erdoberfläche zu erschließen. In einem sich potenzierenden Interdependenzeffekt förderten ebendiese Entdeckungen wiederum die zivilisatorischen Errungenschaften. Die Seefahrt habe der Menschheit zur Entwicklung verholfen und die Zivilisation gefördert: »Ce n’est que dans les siHcles 8clair8s, quand les hommes sentent la n8cessit8 d’8tablir entr’eux des liens de commerce ou d’amiti8, quand ils aspirent / ne former, en quelque sorte, qu’une seule et unique famille«.657 Dieses Projekt einer globalisierten Moderne vollzog sich mittels der Sicherung, Aufbereitung und Diffusion des Wissens über verschiedene Medien und in unterschiedlichen Sprachen. Es zielte auf die Aufbereitung für zukünftige Generationen und stand damit im Zeichen einer immanent zukunftsgerichteten Aufklärung.658 In dieser Perspektive stellt die Publikation von Malte-Brun für Salgues einen Versuch dar, diese Aufklärungsarbeit zu leisten:659 »Supposez un peuple s8par8 de toutes les nations, abandonn8 aux forces isol8es de sa propre intelligence, quels progrHs pensez-vous qu’il fasse? Ne sera-t-il pas condamn8 / languir dans une 8ternelle enfance?«660 In der Isolation sei Fortschritt ausgeschlossen und China galt ihm als Beispiel eines derartig entwicklungslosen geschlossenen Staates:661 »La raison et l’industrie humaine ont besoin de s’enrichir par le commerce. L’homme qui voyage s’8claire de tous les rayons 8pars autour de lui, rassemble en sa pens8e, comme dans un foyer commun, toutes les pens8es
657 658 659 660 661
Gesellschaft ermöglichte, wird hier die tatsächliche Reisebeschreibung eines Außereuropäers perspektiviert. Abu Taleb Khan hatte 1803 seine Reiseberichte aus den Jahren 1799– 1803 veröffentlicht. Charles Steward übersetzte sie 1810, wodurch sie seinerzeit eine große Aufmerksamkeit in der europäischen Öffentlichkeit erlangten; vgl. u. a. Abu Talib Ibn Muhammad Khan: Schilderung der Franzosen und Beschreibung von Paris. Von einem Asiaten, In: Minerva 2 (1811), 517–527. Annales des Voyages, de la G8ographie et de l’Histoire, par M. Malte-Brun, In: Mercure de France 4 (1810), 460–466, hier 460. Vgl. zur zeitlichen Eigenverortung und historischen Teleologie der Aufklärung: Rohbeck, Johannes: Aufklärung und Geschichte. Über eine praktische Geschichtsphilosophie der Zukunft, Berlin 2010. Vgl. Salgues: Annales des Voyages, par M. Malte-Brun, In: Mercure de France 4 (1809), 523– 528 u. ders: Annales des Voyages (wie Anm. 657). Salgues: Annales des Voyages, par M. Malte-Brun, In: Mercure de France 3 (1810), 80–85, hier 81–82. Vgl. Salgues: Voyage dans la peninsule occidentale de l’Inde et dans l’%le de Ceylan, par M. J. Haafner, In: Mercure de France 2 (1811), 537–544.
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des autres.«662 Der Handel erscheint eingebunden in einen größeren Zusammenhang globaler Vernetzungsprozesse und ist wesentlich mit zivilisatorischen Anpassungsvorgängen verbunden. Schaut man sich im Weiteren an, welche Effekte dem Welthandel im Mercure zugesprochen wurden, so begegnet man der Dichotomie zwischen stabiler Agrarwirtschaft einerseits und krisenanfälligem Außenhandel andererseits. Und dennoch ist Handel notwendige Bedingung für wirtschaftlichen, aber eben auch kulturellen Fortschritt. Handelsaustausch im globalen Kontext ist in die komplexe Konstellation globaler Vernetzungsbemühungen eingebunden, die Bedeutung und Triebkraft durch die informationelle Globalisierung in der Presse erlangten. Großbritannien Deutlich lässt sich die allmähliche Verschiebung im Diskus an der auf William Spences Thesen folgenden Debatte nachvollziehen. Spences Streitschrift löste heftige Gegenreaktionen in der europäischen Presse aus. Es ist vielleicht das umstrittenste Werk der Blockadezeit und fand auf diese Weise eine weite Verbreitung. Allen voran veröffentlichte James Mill (1773–1836), ein Jeremy Bentham nahestehender Utilitarist und Vater des bekannteren John Stuart Mill, seine Gegenschrift unter dem Titel Commerce defended, die er den »absurden« neophysiokratischen Theorien jüngster Zeit entgegensetzen wollte. Spence und William Cobbett, Herausgeber des konservativen Political Register, hatten Mill zufolge in ihrer Argumentation der Unsicherheit des Außenhandels gemeine Ängste der Bevölkerung aufgegriffen und somit ein Publikum für abwegige ökonomische Reflexionen geschaffen, die unabhängig von der aktuellen politischen Lage jedermann als lächerlich abtäte. Wie auch Ivernois und Schlegel erachtete Mill den Einfluss der Kontinentalsperre auf Großbritanniens Wirtschaft für gering. Die Gefahr, der britische Außenhandel könne durch die Politik Napoleons zerstört werden, verliere an Kraft, wenn sie global kontextualisiert würde: »Let us only contemplate for one moment the vast extent of the habitable globe, and consider how small in comparison is that portion of coast over which the sway of Bonaparte extends, and we shall probably conclude with considerable confidence, that in the wide world channels will be found for all the commerce, to which this little island can administer.«663 662 Salgues: Annales des Voyages, par M. Malte-Brun, In: Mercure de France 3 (1810), 80–85, hier 81–82. 663 Mill, James: Commerce defended. An Answer to the Arguments by which Mr. Spence, Mr. Cobbett and others have attempted to prove that Commerce is not a source of National Wealth, London: C. & R. Baldwin 1808, 8–9. Auch andere später wichtig werdende wirtschaftsliberale Denker legten in der Auseinandersetzung mit Spence den Grundstein für ihr schriftstellerisches Schaffen, so Robert Torrens, der wie David Ricardo eine Theorie des
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Mill entwirft eine globale Umschau, die das Versprechen zukünftiger Wirtschaftsverbindungen mit allen außereuropäischen Teilen der Erde enthält, von Nord- und Südamerika, über Afrika, Indien und China, welche in der Masse ihrer Bevölkerung um ein Vielfaches die europäische aufzuwiegen vermöchten. Bemerkenswert ist – wie auch in den Streitschriften – die gleichwertige Einbindung selbst des afrikanischen Kontinents in das weltweite Handelssystem, welche sich in den Theorien globalen Handels des 18. Jahrhunderts allenfalls andeutete.664 Handel sei »entirely innocent« und der Krieg auf politische Verfehlungen zurückzuführen. Er weist den korrumpierenden Einfluss des Handels auf die Regierung zurück und greift auf die seit Montesquieu einsetzende Identifikation von Handelsgesellschaft und freiheitlicher, wohlstandsfördernder Staatsführung zurück.665 Obgleich Mill zufolge die verhältnismäßige Bedeutung des Handels für den Nationalwohlstand gegenüber der Landwirtschaft und dem Gewerbe nicht überschätzt werden sollte, zeige sich doch dessen Wirkung eindeutig am Kontrast mit dem Kontinent: »All over Europe, where the population has chiefly consisted of landholders and peasants, arbitrary power and poverty have invariably reigned. In Great Britain, where commerce has been established, much more freedom and opulence have been enjoyed.«666 Spence reagierte auf die Angriffe mit einer erneuten Schrift, in der er seine Argumente gegen die Kritik der Edinburgh Review und James Mills zu verteidigen suchte.667 Diese Verteidigung wiederum rezensierte Buchanan668 in der Edinburgh Review und unterzog sie einer Kritik, die weit über die Anmerkungen Malthus’ ein Jahr zuvor hinausging. Zielscheibe war, wie auch schon bei Mill und anderen, die Rückführung aller Wertschöpfung auf die Landwirtschaft. Auch Buchanan erklärte die wohlstandssteigernde Funktion des Handels nach der Theorie der Produktionssteigerung durch Arbeitsteilung von Adam Smith.669 Er
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komparativen Kostenvorteils entwickelte; vgl. Torrens, Robert: The Economists Refuted. Being a Reply to Mr. Spence’s »Britain Independent of Commerce », London 1808. Vgl. zur Entstehung der Theorie des komparativen Kostenvorteils: Aldrich, John: The Discovery of Comparative Advantage, In: Journal of the History of Economic Thought 26.3 (2004), 379– 399. 1788 wurde in London die African Association gegründet, deren Berichte regelmäßig in den britischen Zeitschriften eingerückt oder besprochen wurden. Der afrikanische Kontinent rückte somit um 1800 zunehmend in die öffentliche Wahrnehmung; vgl. auch Schröder : Das Wissen von der ganzen Welt (wie Anm. 187). Vgl. Mill: Commerce defended (wie Anm. 663), 111–115. Ebd., 114–115. Spence, William: Agriculture, the Source of the Wealth of Britain. A Reply to the Objections urged by Mr. Mill, the Edinburgh Reviewers, and Others against the Doctrines of the Pamphlet, entitled »Britain independent of Commerce«, London 1808. Bei dem Redakteur handelt es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um David Buchanan. »The joint labour of a thousand individuals will produce a much greater quantity of commodities, than if each was endeavouring to supply his wants by his own separate efforts. In the same manner, the inhabitants of a great country will derive much greater advantages
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spielte diesen Gedanken noch weiter als dieser, indem er den Akzent deutlich auf die Arbeitsteilung zwischen den Nationen setzte: »Upon the same principle, a variety of nations joined together in one great mercantile confederacy, ministering to each other’s enjoyments by a free and liberal intercourse, will be enabled to arrange their industry upon a still more enlarged scale of convenience.«670 Sei ein Land dagegen auf die eigenen Rohstoffe und den inländischen Konsum beschränkt, gingen auch seine Wirtschaftsproduktion und damit sein Wohlstand nicht über ein bestimmtes Maß hinaus: »On the other hand, a country shut up from all intercourse with the rest of the world, and, consequently, depending on its own internal resources for the supply of its necessities, will be forced to prosecute certain modes of industry, in spite of every disadvantage of situation of soil; and its commerce being confined to the market of its own territory, the quantity of any commodity which can be either produced or manufactured, can never exceed what is sufficient to supply its internal consumption. Its manufactures, therefore, can never grow to that extent to which they would soon expand, if they were allowed to adapt themselves to a wider market«.671
Der Überschuss wäre also nicht vom Potential der Produktion abhängig, sondern müsste sich darauf beschränken, was mit möglicher Wahrscheinlichkeit im Land selbst konsumiert würde. Nur durch Außenhandel könnten die Grenzen der Produktion durch den Binnenmarkt überwunden werden: »In this, then, consists the great and peculiar benefit of commerce, that it allows a nation to make the best possible use, both of its soil and of its wants.«672 Ein Land wie China mit seinen unterschiedlichen Klimazonen und Reichtümern hinge weniger vom Außenhandel ab als ein Land mit einem kleineren Territorium, das nicht alle Bedürfnisse seiner Bewohner selber befriedigen könne und daher die Produktion von Manufakturwaren zur Ausfuhr fördern sollte, um die Güter des Bedarfs mit anderen Nationen zu handeln. An dieser Stelle schließt Buchanans Analyse an Humes Essay Of Commerce an. Ironischerweise hatte Spence selber seiner ersten Streitschrift ein Zitat des schottischen Aufklärers vorangestellt, der am bedingungslosesten die positive Wirkung des Handels verteidigte: »When the affairs of the society are once brought to this situation, a nation may lose most of its foreign trade, and yet continue a great an powerful people.«673 Als Beispiel für ein solches Land hatte Hume China genannt. Spence verallgemei-
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from their combined exertions, than if they were divided into a variety of independent communities, each pursuing its own separate plans of industry and improvement.«; vgl. [Buchanan, David;Jeffrey, Francis?]: Agriculture the Source of the Wealth of Britain. By W. Spence, In: Edinburgh Review (Apr. 1809), Art. IV, 50–60, 55–56. Ebd., 55–56. Ebd., 55–56 [Herv.: A. W.]. Ebd., 57. Of Commerce; In: David Hume. Essays (wie Anm. 545), 264.
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nerte dieses Prinzip und übertrug es auch auf Großbritannien. Abgeschnitten vom Außenhandel, so argumentierte dagegen Buchanan, würde die Wirtschaft eines Landes wie England jedoch empfindlich leiden, Kaufleute und Arbeiter würden ruiniert und es käme zu einem deutlichen Kapitalschwund: »Such must infallibly be the consequences, if the commerce of Britain, which has now extended itself over the whole extent of the globe, were suddenly forced back, and pent up by unnatural violence, within her own territory.«674 Buchanan macht also deutlich, dass der britische Wohlstand durchaus vom Außenhandel abhängig sei und ein Land sich durch den Außenhandel von der Gebundenheit an seinen Boden befreie. Hier kehrt sich der Topoi der Abhängigkeit in sein Gegenteil. Das Gefahrenpotenzial wird nicht mehr in der Instabilität der Auslandsimporte, sondern in dem Ungenügen der inländischen Landwirtschaft gesehen: Ohne Handel ist ein Land von seinen beschränkten inländischen Ressourcen »abhängig«. Das 1809 gerade gegründete Konkurrenzblatt der Edinburgh Review in London nahm einen anderen Titel675 von Spence zum Anlass, dessen Theorie der britischen Unabhängigkeit zu hinterfragen. Die Quarterly Review widersprach in erster Linie der Behauptung Spences, der britische Wohlstand sei gänzlich unabhängig von den Kolonialimporten aus Westindien. Der Artikel ist neben der Auseinandersetzung mit Spences Behauptungen auch eine Replik auf einen Artikel Broughams zu den westindischen Zuckerkolonien in der Oktoberausgabe der Edinburgh Review 1807. In einer ihrer ersten Nummern tritt die Quarterly Review somit an, die Schwäche der Edinburgh Review in der Analyse aktueller ökonomischer Fragen aufzuzeigen. Es sei nicht die Überproduktion, sondern die napoleonische Blockade, die den Westindischen Inseln die Absatzschwierigkeiten für Zucker und Kaffee bereite. Brougham hatte behauptet: »The radical evil is a general glut of produce, at least of the great staple, sugar and rum, in the whole market of the world; that the West Indian colonies grow much more than the whole world can consume; and that consequently, the prices must fall, and a large portion of the commodity remain unsaleable at any price, until the supply shall be contracted.«676
Diese Ansicht zitierte die Quarterly Review und hielt dagegen, dass von Überproduktion nicht die Rede sein könne, sondern dass vielmehr die Absatzmärkte durch die Blockadepolitik Napoleons abgeschnitten seien. Die Nachfrage nach 674 Agriculture the Source of the Wealth of Britain (wie Anm. 669), 58. 675 Spence, William: The Radical Cause of the Present Distresses of the West-India Planters, London 1807. 676 Brougham, Henry : The West India Common Place Book, compiled from Parliamentary and Official Documents; showing the Interest of Great Britain in the Sugar Colonies etc. By Sir William Young, In: Edinburgh Review (Okt. 1807), Art. IX, 145–167, hier 156.
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britischem Zucker hatte bis 1805 zugenommen und war nur durch die französischen Dekrete, die Orders in Council und das amerikanische Embargo gefallen. Zu dieser Zeit kam praktisch über keinen anderen Kanal als über Großbritannien Zucker auf den Kontinent. Es könne also nicht von Überschuss, sondern von mangelndem Absatz aufgrund politischer Maßnahmen die Rede sein: »We sincerely wish to believe that the power and malice of Napoleon have been ineffectually exerted against us; but we cannot help thinking, […], that the nations of the continent, far from being satiated with an excess of sugar and coffee, are very unwillingly submitted to a privation of comforts to which they have been accustomed.«677
Die heraufziehende und bis 1810 sich verschärfende Krise in Großbritannien war tatsächlich nicht eigentlich durch Überproduktion entstanden, sondern, abgesehen von den fehlgeschlagenen Spekulationsgeschäften, durch das Überangebot an Rohstoffen und Kolonialwaren, für die plötzlich die europäischen Absatzmärkte fehlten. Die Industriezweige, die vom Export abhingen, waren deutlich von der Exportflaute getroffen und stagnierten. Dass die Krise nicht so schlimm ausfiel, wie sie angesichts des fehlenden Absatzes hätte sein können, lag an dem Umstand, dass viele Produzenten auf eine baldige Aufhebung der Orders in Council und eine Wiederöffnung des nordamerikanischen Marktes setzten und auf Vorrat produzierten, was sich einerseits durch Schmuggel, andererseits nach dem Ende der Sperre tatsächlich auszahlte. Außerdem waren die Gewerbe, die nicht direkt von Im- oder Exporten abhingen, selbstverständlich weit geringer von der Krise betroffen.678 Die Quarterly Review resümierte, dass sich in den niedrigen Zuckerpreisen sowohl die Abhängigkeit der britischen Kolonien vom Export, die Abhängigkeit der britischen Wirtschaft vom Überseehandel und ausländischen Märkten als auch die Angewiesenheit der europäischen Konsumenten auf internationale Importe zeige. Diese Abhängigkeit habe sich, so der Rezensent, in den letzten Jahren entwickelt und zeige sich nun an den Auswirkungen der Blockadepolitik, die noch ein paar Jahrzehnte früher kaum spürbare Folgen gehabt hätte: »the interruption of trade by the decrees of the enemy which, had it taken place 35 yeas ago, would have had scarcely any effect on our market«.679 Mit diesem Umschwung in der Argumentation, schlägt sich die veränderte Situation der Wirtschaftskrise in Großbritannien im Pressediskurs zur internationalen ökonomischen Dependenz nieder. Nicht nur die Vielfalt der weltweiten Produkte, in deren Genuss ein europäisches Land dank des Handels 677 The Radical Cause of the Present Distresses [Rezension], (wie Anm. 592), 5. 678 Vgl. Crouzet: L’8conomie britannique (wie Anm. 33), Bd. 2, 632 u. 767–769. 679 The Radical Cause of the Present Distresses [Rezension] (wie Anm. 592), 11.
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gelange, war also ausschlaggebend; darüber hinaus wurde durch den globalen Austausch ein gesteigerter nationaler Wohlstand möglich. In der Edinburgh Review dominierten hinsichtlich der Welthandelsthematik die Analysen Henry Broughams, obgleich es unter den Redakteuren durchaus andere, ökonomisch bewandertere Persönlichkeiten gegeben hätte.680 In den ersten Jahren standen die wirtschaftlichen Reflexionen im Zusammenhang mit seinem politischen Wahlthema, dem er sich zusammen mit Wilberforce widmete: dem Sklavenhandel. Demensprechend düster zeichnete sich das Bild der Auswirkungen des Welthandels in der Tradition eines Raynal, ohne darum dessen sentimentale Argumente in den Vordergrund zu stellen. Er versuchte, ähnlich wie Smith, aufzuzeigen, dass der Sklavenhandel letztlich unwirtschaftlich sei. Und er argumentierte, wie oben gesehen, der britische Markt werde vom durch Sklavenarbeit billigen karibischen Zucker überschwemmt und zerstöre die Preise im Inland, was der Quarterly Review zum gefundenen Fressen wurde. Brougham lenkte also anfänglich die Aufmerksamkeit des Publikums auf diese Spielart des commerce odieux, wie er auch von Aufklärungsschriftstellern kritisiert worden war. Nachdem Brougham im März 1807 die Abschaffung des Sklavenhandels durch das britische Parlament feiern konnte, wandte auch er sich angesichts der sich dramatisch ankündigenden Folgen der Handelsunterbrechung mit dem Kontinent den positiven Effekten des Außenhandels zu. Broughams Überlegungen sind wirtschaftstheoretisch insgesamt kaum innovativ. Sein Verdienst ist es, wie das seiner Journalistenkollegen, die Entwicklung der Politischen Ökonomie aufbereitet und einer breiten Leserschaft zugänglich gemacht zu haben; die Theorie stand dabei immer im Dienst einer politischen Sache und zielte nicht allein auf Erkenntnis, so wie die Review insgesamt von Anfang an ein Organ politischer Meinungsbildung war. Sie sorgte für die Diffusion besonders der Theorie Adam Smiths, mit einer stärkeren Gewichtung der internationalen Dimensionen in der wohlstandsteigernden Arbeitsteilung. Anlässlich der Auswanderung des portugiesischen Hofes nach Brasilien behandelte Brougham die Frage nach der künftigen wirtschaftlichen Eingebundenheit der ehemaligen Kolonie in den Welthandel. Durch das Vertrauen auf die natürliche Überlegenheit seiner Manufakturwaren und seines Handels werde Großbritannien für Brasiliens Handel eine herausgehobene Rolle; Brasilien sehe einer Zukunft in Wohlstand entgegen: »The progress of wealth will be attended with proportionate improvement of its customers.«681 Ungeachtet des zuvor bestehenden portugiesischen Monopols hatte schon damals ein blühender Schleichhandel 680 Zu denken wäre etwa an John Ramsay McCulloch; vgl. Teil II. 681 Brougham, Henry : A Sketch of the Causes and Consequences of the late Emigration to the Brazils. By Ralph Rylance, In: Edinburgh Review (Apr 1808), Art. XIV, 257.
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zwischen Europa, Südamerika und Westindien mit britischen Waren stattgefunden. Im südamerikanischen »Schmuggler-Entrepot« seien diese teilweise billiger angeboten worden als in London selbst. Die Auswanderung des portugiesischen Hofes könne nun also aus einer prekären Lage eine reguläre machen.682 Allerdings könne es nicht um den direkten Handel zwischen Brasilien und Großbritannien gehen. Dieser sei nur im Zusammenhang eines den europäischen Kontinent einbeziehenden Dreieckshandels gewinnbringend, da der Inselstaat der brasilianischen Exportprodukte Zucker und Baumwolle nur im Zwischenhandel bedürfe. Brougham, der die britische Regierung zu einem umgehenden Friedenschluss drängte, stellte klar, dass die Hoffnungen auf die Vorteile der Verbindung mit Brasilien die Nachteile nicht aufwogen, die es durch die Verluste in anderen Teilen des Erdballs erfahren musste; dass der Handel mit Brasilien höchstens auf längere Sicht nützlich werden könne und die Leser nicht der Illusion verfallen sollten, Großbritannien könne sich durch die Kompensation der Verbindungen mit Amerika eine harte, kriegerische Haltung gegenüber Europa leisten: »and that the consummation of public folly will be that of this nation, if it shall assume a more haughty and warlike posture towards other powers, from a reliance on the benefits of its new American connexions.«683 James Mill beteiligte sich ebenfalls an der Edinburgh Review und widersprach dort der Ansicht Broughams. Suche man nach Abflüssen und Zuläufen, die die herkömmliche Versorgung ersetzen könnten, so fiele das Auge auf Südamerika: »A country far surpassing the whole of Europe in extent, and still more, perhaps, in natural fertility, which has been hitherto unfortunately excluded from the beneficent intercourse of nations, is after a few prudent steps on our part, ready to open to us the immense resources of her territory, of a population at present great, and likely to increase with most extraordinary celerity, and of a position unparalleled on the face of the globe for the astonishing combination of commercial advantages which it appears to unite.«684
So wie die Vereinigten Staaten von Amerika nach der Unabhängigkeit durch ihren Wohlstand den Handel Großbritanniens befördert und mehr britische Güter importiert hätten als ganz Europa, übertreibt Mill die Bedeutung des Atlantikhandels maßlos, so werde Südamerika ein noch reicherer Markt für britische Produkte werden. Derartige Behauptungen wurden von der britischen Öffentlichkeit und auch auf dem Kontinent seit langem angezweifelt.685 Umso 682 Vgl. ebd., 257–258. 683 Ebd., 261. 684 Mill, James (aided by Francisco de Miranda): Lettre aux Espagnols-Americains, In: Edinburgh Review (Jan. 1809), Art. II, 277–311 u. 279–280. 685 Die Minerva hatte bereits 1807 die Hoffnungen auf die Erschließung des Marktes in Brasilien nach der Auswanderung des portugiesischen Hofes dorthin als unbegründet verworfen, da der Handel mit dem südamerikanischen Land in keinem Fall denjenigen mit
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mehr zeigt sich hier der unverbrüchliche Glaube an die zukünftigen Vorteile eines Freihandels, der sich noch nicht in der Realität hatte bewähren müssen.686 Die durch Napoleon abgeschnittenen Handelskanäle würden um ein Vielfaches ersetzt allein durch den Handel mit den Vereinigten Staaten von Amerika.687 Nicht vergessen werden sollte, dass Mill dies zu einer Zeit schrieb, als noch der Embargo-Act der Vereinigten Staaten galt, der jeglichen Außenhandel unterband und erst im März 1809 durch den Non-Intercourse-Act ersetzt wurde, der zumindest wieder den Handel mit Drittstaaten ermöglichte. Die ausgleichenden Folgen des globalen Handels wurden in einem utopistischen Narrativ in die Zukunft extrapoliert. Der Panamakanal, für den bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts Pläne zirkulierten, wurde zum Zeichen der Weltvernetzung: Er bringe die asiatischen Besitzungen näher und führe zu wirtschaftlichem Aufschwung in Südamerika: »It is not merely the immense commerce of the western shores of America, extending almost from pole to pole, that is brought, as it were, to our door ; […] the whole of those immense interests which we hold deposited in the regions in Asia, become augmented in value, to a degree which, at present, is not easy to conceive, by obtaining direct access to them across the Pacific Ocean. It is the same thing as if, by some great revolution of the globe, our Eastern possessions were brought nearer to us. […] Immense would be the traffic which would immediately begin to cover that ocean, by denomination Pacific. All the riches of India and of China would move towards America. The riches of Europe and of America would move towards Asia.«688
China und Japan – im Kontakt mit der europäischen Zivilisation – würden bald einen wesentlichen intellektuellen, wissenschaftlichen, moralischen und institutionellen Wandel erleben und mit großer Wahrscheinlichkeit den »halbbarbarischen« Zustand unter despotischen Herrschern überwinden, in dem sich ganz Asien seit Jahrhunderten befinde.689 Darüber hinaus reflektiert Mill über eine mögliche Migration von Arbeitskräften aus China nach Südamerika: »One thing, this at least, is certain, that South America, which stands so much in need of industrious inhabitants, would receive myriads of laborious Chinese, who already swarm in all parts of the Eastern Archipelago in quest of employment and of food. This, to her, would be an acquisition of incredible importance: and the connexion thus
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Europa ersetzen könne; vgl. Archenholz: Zur neuesten Geschichte Englands (wie Anm. 585), 541–542. Vgl. zur von politischer Umsetzung weitgehend losgelösten Entwicklung der Freihandelstheorie bei Kindleberger : The Rise of Free Trade (wie Anm. 514). »With this magnificent source of industry and wealth, the channels which Bonaparte can shut against us hardly deserve to be named, – since that even of the United States surpasses them all.«; Mill: Lettre aux Espagnols-Americains (wie Anm. 684), 281. Ebd., 283–284. Vgl. ebd., 283.
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formed between the two countries, would still further tend to accelerate the acquisition if enlightened views and civilized manners in China herself.«690
Hier erscheint das Bild einer von Europa ausgehenden, durch wirtschaftlichen Austausch vorangetriebenen sozialen und kulturellen Globalisierung. Die radikalen Konsequenzen einer derartigen Konzeption des Welthandels zeigten sich wenige Jahre später in der Politik des Britischen Empires gegenüber Chinas Abschottungspolitik und kulminierten in den beiden Opiumkriegen. Die Diskussion in der britischen Presse drehte sich um die Einbindung der außereuropäischen Gegenden in Amerika, Asien (und Afrika) in das kommerzielle System Großbritanniens. Die Abkömmlichkeit des europäischen Marktes wurde unterschiedlich bewertet. Deutlich zeigte sich allerdings, unabhängig von der Beantwortung dieser Frage, die Bedeutung, die dem globalen Wirtschaftszusammenhang für die Gegenwart und die Zukunft beigemessen wurde. Soziale und kulturelle Mobilität und Ausgleich gingen mit den wirtschaftlichen Prozessen einher bzw. mussten als Anpassung an die europäischen Standards hergestellt werden. Die Frage des Friedens wird in beiden Argumentationssträngen ähnlich eingeschätzt: Handelsinteressen eines Staates seien friedfertig und harmlos, Handelsbeziehungen führten zu Frieden. Deutschsprachige Länder Der Fall der britischen Wirtschaft führte auch in den deutschsprachigen Zeitschriften zunehmend zum Nachdenken über die Haltbarkeit der isolationistischen ökonomischen Annahmen. Anstoß zur Auseinandersetzung mit dem Thema bot wiederum die Schrift von Spence. Britain independent of Commerce war 1809 ins Deutsche übersetzt worden und wurde in zahlreichen Zeitschriften kritisch besprochen.691 Heinrich Zschokke äußerte sich zu den Thesen von Spence und widmete ihnen einen über drei Nummern sich erstreckenden Artikel. Er gab ihm den Untertitel »eine Doppelansicht« und attestierte beiden Gesichtspunkten ihre Berechtigung: demjenigen Spences zur Unabhängigkeit Großbritanniens als auch dem Standpunkt, der britische Reichtum beruhe »zuletzt auf der unbeschränkten Ausdehnung seines Handels«692. Er führte Beispiele an, die deutlich machten, dass Handel durchaus auch zur Wohlstandsteigerung beitragen könne, wobei seine ökonomische Argumentation auf einem recht unausgereiften Niveau verbleibt. Zentral ist die Abwendung von der 690 Ebd., 285. 691 Spence, William: Britannien unabhängig vom Handel. Oder Beweis, daß National-Reichthum und National-Wohlstand nicht aus äußern, sondern innern Quellen abgeleitet werden müssen, übersetzt von Friedrich Wolff, Berlin: Johann Friedrich Weiß 1809. 692 Zschokke, Heinrich: Spence, William. Großbrittanniens Nationalreichthum unabhängig vom Handel. Eine Doppelansicht, Teil 1, In: Miszellen für die Neueste Weltkunde 3.63 (1809), 249–252, hier 249.
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negativen Bewertung des europäischen Handels mit Großbritannien, die sich in der kontinentalen Presse während der Jahre 1808 bis 1813 vollzog. Während in der französischen Presse die wissenschaftliche Vernetzung im Vordergrund stand oder aber noch die Betonung der schlechten Wirtschaftslage Großbritanniens durch Autoren wie Montgaillard vorherrschte, der nach wie vor das nahe Ende der britischen Wirtschaftsmacht heraufbeschwor und dessen Schriften auch in der deutschen Presse abgedruckt wurden,693 war im deutschen Sprachraum immer deutlicher ein Drängen auf die Öffnung des Handels zu vernehmen. In der Minerva zeichnete sich, wie bereits dargestellt, die Entwicklung hin zu einer kritischen Berichterstattung im Zusammenhang der Blockadepolitik ab. Ausgehend von Überlegungen zu den Voraussetzungen für Friedensherstellung und -erhaltung konzentrierte sich die Debatte auf die Wirkung des Handels innerhalb der zwischenstaatlichen Verhältnisse. Zunehmend wurde infragegestellt, dass die Blockaden zwischen Großbritannien und Frankreich im Interesse der eigenen Wirtschaft liegen und die verfolgte Strategie der gewaltsamen Durchsetzung exklusiver Einflussgebiete dem ökonomischen Wohlstand dienlich sei. Friedrich Alexander Bran entwickelte schon früh eine diskursive Strategie, durch vorsichtige Ausgewogenheit nicht nur dem französischen sondern auch dem britischen Standpunkt Rechnung zu tragen. Dabei erschien der Handelsaustausch einerseits als derart profitabel, dass ihm politische Beschränkungen wenig anhaben könnten. Andererseits argumentierte Bran dafür, dass internationale Konkurrenz im Handel letztlich zu einem gerechteren und für den Einzelnen gewinnbringenderen Austausch führen würde. Englands dominanter Handel erstrecke sich auf zweierlei Warensorten: Kolonialwaren und eigene Manufakturwaren: »Die erstern war man, da die andern Seestaaten von ihren Colonien abgeschnitten waren, genöthigt von ihm zu nehmen, und wenn einst jedes Mutterland die Erzeugnisse seiner entfernten Besitzungen selbst wird feilbieten, dann erst muß es sich [zeigen], wo am besten einzukaufen seyn wird. Das Monopol wird alsdann wohl von selbst wegfallen […] .«694
Dem qualitativen und preislichen Vorteil, den die Engländer durch technische Entwicklung und unterstützt durch die modebedingte Nachfrage nach ihren Fabrikaten in der Herstellung von Manufakturwaren erlangt hätten, sei mit politischen Restriktionen nicht zu begegnen: 693 Montgaillard, J. G. M. Rocques Comte de: Englands Zustand im Jahre 1811, In: Minerva 4 (1811), 1–99, 250–323 u. 463–519 sowie Minerva 1 (1812), 124–164. 694 Bran, F. Alexander: Ueber das Resultat des gegenwärtigen Kriegs, In: Minerva 1 (1809), 1– 28, hier 10.
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»So lange nun diese Mode währt, und so lange andere Nationen, die im Bestitz von Urstoffen sind, thöricht genug bleiben, bey eigenem Kunstfleiß, das Gewand, womit sie sich bekleiden, den Stuhl, auf dem sie sitzen, und das Messer, womit sie ihr Brodt schneiden, von fremden Völkern zu kaufen, wird der Kaufmann immer den Weg dahin zu finden wissen, wo er die begehrten Gegenstände am schönsten und wohlfeilsten wird haben können.«695
Die Macht der sich globalisierten Märkte drängt den politischen Einfluss zurück: Das ›freie Spiel der Kräfte‹ kann in dieser Vorstellung von politischen Maßnahmen gar nicht eingeschränkt werden (der Kaufmann wird seinen Weg finden). Diese Marktmacht und Dominanz ökonomischer Logik gegenüber politischen Regulierungen nahmen die Publizisten als fundamentale Entwicklung ihrer Zeit wahr. Die Kontinentalsperre wurde ihren Zeitgenossen so zum letzten Beweis für die Vergeblichkeit politischer Interventionen in ein sich selbst zum allgemeinen Vorteil entwickelten weltweiten Wirtschaftssystem: »Der Handel an sich selbst, der thätige Kaufmann, werden überhaupt den Regierungen beym eintretenden und einigermaßen anhaltenden Frieden zeigen, wie schwer es für diese ist, jenen eine bestimmte Bahn vorzuzeichnen. Auch in diesem Stande, wie in allen andern, ist in den letzten zwanzig Jahren eine bedeutende Veränderung vorgegangen. Die vielen Beschränkungen haben ihn gewandter, thätiger und muthiger gemacht. Er hat sich selbst Begriffe von Recht und Unrecht geschaffen, die oft von dem, was der Staat als solches angesehen wissen will, sehr verschieden sind. Auch der Kaufmann ist seiner Erschlaffung entrissen worden […]. Er wird Länder und Meere durchstreifen und durchstreifen müssen, um sich zu erhalten und zu bereichern. Dann erst wird es sich zeigen, welches Volk, welche Stadt die thätigsten und unterrichtesten [sic!] Kaufleute haben wird, und dieses Volk, und diese Stadt, wird das Uebergewicht in der Handlung erlangen.«696
Ökonomische Regulierung hielt die Minerva also für effizienter als politische Ordnungsversuche und zwar bis hin zu einer legislativen Funktion des Marktes. Diese radikale Freihandelstheorie konzeptualisiert Handel in der Weise, dass staatliche Gewährleistung desselben obsolet erscheint und dass Freihandel selbst eine essenzielle Ordnungsfunktion des globalen Zusammenlebens garantiere. Napoleons Motive für die Kontinentalsperre könnten daher letztlich nur politischer Natur sein, nicht aber den wirtschaftliche Ruin Großbritanniens bezwecken: »Man kann ihm aber die Absicht nicht zutrauen, England als Handelsstaat zu Grunde richten zu wollen, weil dieses dem Welthandel überhaupt, und folglich auch dem von Frankreich, den empfindlichsten Stoß beybringen würde.«697 Wirtschaftliche Interessen führten also zu Frieden, da dann freiheitlich vonstattengehe, was sich im Krieg nur auf illegalem Wege, aber 695 Ebd., 10–11. 696 Ebd., 13–14. 697 Ebd., 21.
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unvermeidbar durchsetze. Handelsverbindungen werden gewissermaßen als kleinster gemeinsamer Nenner in der friedlichen Völkerverständigung und gleichsam als Ersatz oder Vorstufe von kultureller Annäherung und rechtlicher Stabilität verstanden: »Soll ein Friede von Dauer seyn, so muß in allen Verhältnissen, welche zwischen Nationen eintreten, das Recht entscheiden; der Verkehr muß frei seyn, und wenn sich Handel und Gewerbe zwischen den Nationen in einem blühenden Zustande befinden, so scheuet sich jede Nation, diesen aufs Spiel zu setzen […]. So lange die Humanität unter den Völkern noch nicht zu einem hohen Grade ausgebildet ist, und so lange man nicht das Recht der Völker als etwas Unverletzliches und Heiliges ansieht, ist der Handel das mächtige Band, das Nationen an einander kettet, und dem Friedenszustande zwischen ihnen Dauer und Festigkeit verschafft.«698
Die ökonomische Konkurrenz der europäischen Staaten untereinander im Hinblick auf die globalen Versorgungsströme wurde von vielen Autoren zunehmend positiv bewertet. Das Privatinteresse der Bevölkerung wurde gegenüber dem vorgeblichen Staatsinteresse starkgemacht bzw. beide als deckungsgleich eingeführt. Die vormalige Aufspaltung beider Bereiche hatte dazu geführt, dass das private Interesse einzelner Produzenten, Kaufleute und Industrien zum Wohle der nationalen Wirtschaft zumindest vorübergehend geopfert werden sollte. Dagegen hob die Pressedebatte zum Freihandel nun die Vorteile der internationalen Konkurrenz und damit der Arbeitsteilung sowohl für den Privatmann als auch für die gesamtstaatliche Wirtschaft hervor. In den Miszellen setzte sich Julius von Soden ausführlich mit dem Zusammenhang von nationalem Wohlstand und Freihandel auseinander. Aus rein ökonomischer Betrachtung in Absehung aller rechtlichen, politischen und philosophischen Überlegungen sei eine zu starke Dominanz des Welthandels durch die Briten letztlich ihrem eigenen Interesse nachteilig: »Mag ein anderer das brittische System aus politischen Gründen vertheidigen, für den brittischen Nationalreichthum wird es nie vortheilhaft erscheinen können. […] Daß, wenn anders der Zustand der Zivilisation als Menschheitszweck angenommen werden darf, man auch Natur- und Völkerrecht annehmen müsse, daß also See-Despotismus und Kommerz-Monopol sich vor diesen nicht rechtfertigen lassen – gehört nicht hierher. Hier genügt, zu untersuchen: ob denn jenes System dem brittischen Nationalwohl zusage? Und das muß man verneinen.«699
Den Briten schreibt er ins Stammbuch, dass internationale Konkurrenz auf den Weltmärkten dem eigenen Staat selbst förderlich sei: »Mögen die Schiffe aller Nationen, kraft ihres angebornen Naturrechts, die Weltmeere befahren; mag die 698 Ueber die Bewirkung eines dauerhaften Friedens (wie Anm. 507), 374–391. 699 Varietäten. Aus Asien, In: Miscellen für die neueste Weltkunde 6.40 (1812), 160 [alle Herv. auch in den folgenden Zitaten im Orig.].
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Konkurrenz im Handel noch so groß sein: die Britten können dadurch nicht ärmer, sie können nur reicher werden.«700 Gleiches gelte im Umkehrschluss für den Kontinent. »Denn welcher Herrscher auch da gebieten mag, nur der Wohlstand seiner Völker kann sein Zweck sein. Er kann also nur Interesse haben, die allgemeine Freiheit des Handels, als auch die mit Brittanien zu bewahren.«701 Freihandel führe dazu, so Soden, dass jedes Land seine Rohstoffe nur dann selbst verarbeite, wenn es dies »mit geringerm Aufwand an industrieller und kommerzieller Produktivkraft selbst« tun könne, andernfalls würde es die Weiterverarbeitung anderen Ländern überlassen. Ein Land könne dagegen nicht auf Dauer ausschließlich seine Waren in andere Länder vertreiben, »es wird deren Produkte dagegen nehmen, oder dem Handel entsagen müssen; denn nur Produktionstausch kann den Handel ernähren, und Passivhandel ist ein Unding, ist Nichtssinn. Auf Jahrmärkten mag der Krämer die Konkurrenz fürchten, nicht Brittannien auf dem großen Weltmarkte.«702 Der freie Handel führe qua Selbstregulierung zu einem angemessenen Preisniveau. Soden machte damit einen Schritt weg von der Smithschen Arbeitswerttheorie hin zur reinen Tauschwerttheorie: Selbst der Wert eines Produktes bestimme sich allein im Handel: »Die Völker des Kontinents werden allerdings bei diesem Kommerz auch ihr Interesse gewahrt wissen wollen. Sie werden also den Britten weder andere Produkte abnehmen, als welche sie bedürfen, noch sie auch in höhern Preisen bezahlen, als sie der ökonomische Werth (allgemeine Weltwerth) setzt. In dem Tausche selbst aber werden sie an sich beide ihren Gewinn finden, weil der Tausch nicht blos den Preis, sondern oft selbst den Werth eines Produktes bestimmt«.703
Der »allgemeine Weltwert« deutet auf eine Warenwertkonvergenz auf weltweiter Ebene hin und dieser Gedanke scheint in dieser Zeit in der Presse vermehrt auf. Wenngleich globale Preiskonvergenz durchaus noch nicht gegeben war, so gab es zumindest die Vorstellung dieses Ideals einer globalen Angleichung der Preise durch internationale Konkurrenz.704 Die globalen Preisunterschiede ließen sich immer weniger auf die gegebenen Transportkosten zurückführen, sondern wurden künstlich von dem »alle Nationen empörenden, das Vertrauen aller 700 Ebd., 160. 701 Soden, Julius von: Der gegenwärtige Seekrieg der Britten, aus dem Gesichtspunkt der Nationalökonomie betrachtet, In: Miszellen für die Neueste Weltkunde 6. 94 (1812), 373– 376, hier 375. Vgl. zu Soden die Biographie: Hanke, Peter : Ein Bürger von Adel. Leben und Werk des Julius von Soden 1754–1831, Würzburg 1988. 702 Soden: Der gegenwärtige Seekrieg der Britten (wie Anm. 701), 375–376. 703 Ebd., 375. 704 Dieses Kriterium für die wirtschaftliche Globalisierung wird von Kevin H. O’Rourke und Jeffrey G. Williamson angeführt, vgl.: When Did Globalization Begin?, In: National Bureau of Economic Research (NBER), Working Paper 7632 (2000), 7.
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handelnden Völker entfremdenden Monopol-Systems« erzeugt, womit dieses und mit ihm die letzten staatlichen Handelskompagnien immer stärker ins Blickfeld der öffentlichen Kritik gerieten, weil sie zu ungerechtfertigten Preisverzerrungen führten. Die Diskussion um die Handelskompanien wurde besonders in der britischen Öffentlichkeit geführt, deren Ostindienkompanie weiterhin ihre Rechte aufrechterhielt und ihren wirtschaftlichen wie politischen Einfluss in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts sogar noch auszubauen wusste. Doch über die britische Presse oder die Auseinandersetzung mit Großbritanniens Handel drang die Kritik an Handelsmonopolen auch in die kontinentale Öffentlichkeit. »Die Dazwischenkunft der Kompagnie macht den Handel so überaus kostbar, daß wir den Thee […] zu vierzig Schillingen bezahlen müssen, während in allen Städten des amerikanischen Bundesvereins die nämliche Qualität für fünf Schillinge verkauft wird, obschon die Waare tausend Meilen Weges mehr zurücklegen mußte.«705
Die Monopole hielten die Preise für die Verbraucher künstlich hoch, was in der Konsequenz auch das Staatseinkommen negativ beeinflusste; Freihandel mache Waren günstiger und führe zu gesteigerten Konsum und damit letztlich zu höheren Staatseinnahmen. Der »Verfall des Handels« wurde als die eigentliche Bedrohung ausgemacht und internationaler Wettstreit ökonomisch ins Positive umgedeutet: »Concurrenz kann für das allgemeine Wohl nicht genug befördert werden. Sie verschafft einer jeden darauf arbeitenden Nation einen überaus großen Vortheil in vielen Zweigen ihrer innern Administration, ihrer Gewerbe und Industrie, und giebt auf diese Weise, durch die Mittel des Unterhalts, die eine solche Concurrenz vervielfältigt, die größten Aufmunterungen zur Bevölkerung, zum Ackerbau und zur Europäischen Industrie.«706
Dabei müsse ein Land sehen, in welchem Bereich es konkurrenzfähig produzieren könne und sich auf diesen Bereich spezialisieren, nicht aber versuchen gegen die ökonomische Vernunft alles im Inland herzustellen. Ohne falschen Nationalstolz, den zu wecken andere Journalisten den deutschen Bauern hinter seinem Flug kriechend zeichneten, der für die »Fabrickstadt« England ackere, sollte man ganz nüchtern abwägen, welche Produkte Deutschlands den größeren Markt fänden. Es könne daher unter Umständen auch wichtiger sein, die Landwirtschaft zu fördern als Fabriken, um den Überschuss im Ausland gegen Industriewaren zu veräußern: »Als Landwirth suchte ich möglichst viel Producte zu erzielen, mir ists aber ganz gleichgültig, ob der Franke, Britte, oder der 705 Ueber die Handelsverhältnisse der Britten mit China, In: Miszellen für die Neueste Weltkunde 7.55 (1813) 219–220, hier 220. 706 T.: Ueber die vornehmsten Ursachen des Verfalls des Holländischen Handels, In: Minerva 2 (1809), 1–10.
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Bewohner der Südsee-Inseln, sie verzehrt, wenn er sie nur gut bezahlt.«707 Durchaus könnte mit Ein- und Ausfuhrzöllen eine gewisse Steuerung erreicht werden, doch wesentlicher sei es, sich auf die Produktion international konkurrenzfähiger Güter zu spezialisieren: »Wir können mit ihnen rivalisiren, wenn wir in unserer Sphäre bleiben, die uns angewiesen ist. […] Gern wollen wir den Britten das Vorrecht gönnen, die Haupt-Fuhrleute der Welt zu seyn. Wir wollen ihnen ihre Schulden, ihren Luxus lassen. Und stürzt einst der Koloß durch seine eigne Größe über den Haufen, so wollen wir nicht fehlen, etwas Theil von seinem Welthandel zu erhalten.«708
In den Artikeln der Minerva verblasst nach und nach auch diese Schuldzuweisung an Großbritannien zugunsten der eigenständigen Position eines Drittstaates, dessen Interessen weder mit der einen noch mit der anderen europäischen Großmacht identisch seien und einer Identifikation mit anderen Ländern, die dem Alliierungszwang mit einer der beiden nicht hatten entgehen können. So öffneten die Herausgeber des Blattes dem dänischen Sekretär und späteren königlichen Kammerrat Johann Nikolai Gloyer (1781–1841) für eine Reihe von Artikeln zu Handels- und Kolonialthemen die Seiten der Minerva. Gloyers Texte lassen keinen Zweifel an dem gemeinwohlschädlichen Verhalten beider Kriegsparteien: »England blokiert die See und Frankreich den Continent; das Meer, das in ungetrennter Verbindung um alle Küsten der Erde wogt, trägt auch allen Küsten mehr oder minder die Wohlthaten der wechselseitigen ProductenAustauschung zu«. Wird durch Handelsblockaden »irgend ein Land ganz oder in gewissen Rücksichten gehindert, seine Schiffe und Waaren über das Meer zu senden, so ist es als ob ein Theil dieses unermeßlichen Fluidums starrt«. Die Geschäfte »in ihrem Kreislauf durch den Welthandel« könnten nicht mehr weitergeführt werden und die »Stockung wird durch alle Theile des Ganzen fühlbar«. Das »System der Handelsrestrictionen« erweise sich angesichts der Vernetzung der Handelsgeschäfte als zweckwidrig.709 Auch Gloyer betont die Vergeblichkeit der Einschränkungen eines profitablen Handels und legt diese These detailreich und bemerkenswert offen anhand von illegalen Umgehungsversuchen der Kaufleute und Behörden dar. Zielscheibe seiner Abhandlung zur Blockadepolitik Englands und Frankreichs war die schädliche Wirkung der Prisengerichte auf die neutralen Staaten, die letztlich auch auf Großbritannien selbst zurückfalle, da er den Handel verstand als »gegenseitiges Verdienen« der 707 Vgl. Kulenkamp, B. J.: Bemerkungen über Deutschlands Handel mit England, In: Minerva 1 (1809), 354–369, hier 360. 708 Ebd., 369. 709 Vgl. Gloyer, Johann Nikolai: Historische Nachrichten und Bemerkungen über die in England und Frankreich wechselseitig unternommenen Beschränkungen des Verkehrs, In: Minerva 2 (1808), 390–428, hier 399–401.
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Vertragspartner und nicht als Nullsummenspiel. Das »Capitale« gehe durch »alle die unendlichen Verschlingungen der Handels-Verbindungen« fort und durch die »unmerklich feinen Fäden« des Verdiensts werden »alle Theile der handelnden Erde so miteinander verbunden«.710 In der Konsequenz bedeutete dies, dass der abrupte Abbruch der Außenhandelsverbindungen neben den involvierten Hafenstädten auch die Zuliefererindustrie und Agrarproduktion beeinträchtigte und damit tief in den »Wohlstand der Nationen« eingreife.711 »Unbeschreibliches Elend« bringe das »schreckliche System« für beide Kriegsparteien, für die Neutralen und damit für die ganze Welt: »Alles was die Handelsverbindungen zwischen den cultivirten Völkern der Erde seit Jahrhunderten wohthätiges bewirkt haben, wird durch dieses System heruntergerissen; allen Früchten des Welthandels für die intellectuelle und industrielle Verbesserung der Menschheit, dem beständigen Verkehr und der beständigen Mittheilung und Austauschung von Erfahrungen, Erfindungen und Ideen zum Wohl der Menschheit zwischen den entferntesten Länder, der Verbreitung und Veredlung humaner Gesinnungen, der allmähligen Ausdehnung der Cultur über rohe Völker, der vervollkommneten Gewerbsthätigkeit, der vermehrten Production aus dem erhöhten Wohlstand der Nationen, diesem allen wird von diesem furchtbaren System der Untergang gedroht.«712
Die Bedrohung wurde in der Einschränkung des Handels gesehen, dem freien Handel maß die Minerva dagegen die Förderung zivilisatorischer Fortschritte zu: »Es ist keinem Zweifel unterworfen, und die Erfahrung aller Jahrhunderte beweist es, so wie Vernunftgründe es bestätigen, daß der Handel das erste Band der Gesellschaft, sowohl im Besondern als Allgemeinen, sei; daß man dem Handel die Veredlung des ganzen Europa, die Fortpflanzung der Aufklärung, die Feinheit und Höflichkeit gegen Fremde, die gegenseitige Verbindung ganz verschiedener Völker verdankt, und daß wir ihm endlich die meisten Vortheile, die wir von weniger policirten Zeitaltern haben, ganz oder theilweise schuldig sind.«713
Johann Reimarus, ebenfalls Beiträger der Minerva, formulierte es 1808 in seiner Schrift Der Kaufmann so: »Endlich ist auch der äußere Wohlstand nicht der einzige Gewinn, den der Handel zuwege gebracht hat, sondern eben durch den Umgang und das [sic!] Verkehr von Völkern mit Völkern sind ja die Sitten
710 Gloyer: Beschränkungen des Handels-Verkehrs zwischen England und Frankreich. Fortsetzung, In: Minerva 3 (1808), 257–287, hier 269–270. 711 Vgl. Gloyer: Beschränkungen des Handels-Verkehrs zwischen England und Frankreich. Beschluß, In: Minerva 4 (1808), 307–331, hier 317–321. 712 Ebd., 327–328. 713 Ueber Hollands Handel, In: Minerva. 4 (1810), 147–163, hier 148.
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abgeschliffen, die Lebensart verfeinert, und überhaupt Kenntnisse und Aufklärung verbreitet worden.«714 In einer zweiten Beitragsreihe beschrieb Gloyer ausführlich den Handel Südamerikas. Er argumentierte, dass die spanische Kolonialpolitik bisher weder dem Mutterland noch der dortigen Bevölkerung diente. Er zeigte aber für jedes einzelne Land sehr kenntnisreich die Potenziale für die Entwicklung der örtlichen Wirtschaft wie auch für den Außenhandel auf. Er bescheinigte den spanischen Kolonien eine ebenso positive Zukunft wie den ehemaligen britischen Kolonien, bezeichnenderweise ohne auf die politische Situation nach der Einsetzung Joseph Bonapartes als König von Spanien zu verweisen. Gloyer brach wie auch die britischen Journalisten die Europazentriertheit des globalen Handelsnetzwerkes auf und setzte Amerika und Asien gedanklich in direkten Austausch. Er hob hervor, dass, wenn einige Industriezweige gezielt gefördert würden, Südamerika seine Waren günstiger direkt mit China, Indien und auch Europa handeln könnte, als europäische Kaufleute, die von Europa aus agierten, um südamerikanische Waren zu handeln. Er diskutierte die Möglichkeiten des Handels von Lateinamerika nach Asien über pazifische Archipele: »Die große Menge Chineser, welche sich über den ganzen Ostindischen Archipel und auch in den Philippinen ausgebreitet hat, würde mit ihren Verbindungen den Kaufleuten von Manilla leicht Eingang zu Canton verschaffen«.715 Selbst die europäischen Handelskompanien ihrerseits hätten eher daran Interesse, diesen Handel zu begünstigen als ihn zu verhindern. Der Vorzug dieser Inselgruppen liege in ihrer Nähe zu stark frequentierten Handelspunkten in Ostindien, wohin dann Gelegenheitsfahrten unternommen werden könnten, um »an den beliebigen Oertern ihren Markt« zu machen: »Indem man auf diese Weise von beyden Seiten, in Ostindien und America im Allgemeinen darauf rechnen kann, daß die Nachfrage […] Vorrath, und der Vorrath Nachfrage finden wird, wird von beyden Seiten eine fortwährende regulaire Zufuhr entstehn, für America ein großer, stets offener Canal zum Absatz seiner Producte und Zufluß eines wichtigen Theils seiner ausländischen Consumtion.«716
In der Debatte um die Wirkungen des Handels in der Minerva zeichnet sich ein Bewusstsein dafür ab, dass auf dem Wege der kommerziellen Verbindungen auch eine soziale Mobilität angestoßen werde und sich Kulturpraktiken global ausbreiteten. Die Beschreibung geht über Vorstellungen einer Verbreitung der europäischen Zivilisation über die ganze Welt als Vermittlung von europäischem 714 Reimarus, Johann Albert Heinrich: Der Kaufmann, Hamburg: Friedrich Perthes 1808, 11– 12. 715 Gloyer, Johann Nikolai: Blicke auf das Spanische Amerika, In: Minerva 1 (1809), 252–274, hier 264. 716 Ebd., 268.
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Wissen, Sittlichkeit und Wertvorstellungen hinaus, und umfasst selbst Kleidungs-, Ernährungs-, Regierungs- und Wirtschaftspraktiken. In Reiseberichten finden sich zahlreiche Hinweise auf die Ausbreitung und Übernahme europäischer Kultur; eine Entwicklung, die in den Presseberichten ausnahmslos affirmiert wurden: »Zu Otaheite herrscht die größte Vorliebe für Europäische Kleidung; keiner darf an Festtagen vor dem Könige erscheinen, ohne Rock und Hemd anzuhaben, und mit einer Flinte nebst Pulver versehen zu seyn.«717 Beschrieben wird hier, was die Globalgeschichte gemeinhin erst für das Ende des 19. Jahrhunderts festhält: Kulturelle Globalisierung als Europäisierung.718 Die Journalisten sahen sich nicht nur als Aufklärer für ein gelehrtes Publikum, sondern gleichzeitig als Mahner und Wächter der wahren Interessen des Staates. Sie bildeten das Zeitgeschehen nicht nur ab, sondern begriffen ihre Arbeit auch als direktes Eingreifen in das politische Geschehen. Nicht Wenige bekleideten oder übernahmen später politische Ämter.719 Dies galt zur Zeit der Kontinentalsperre zuallererst in ökonomischen Fragen, in denen sie die Machthaber als missintentioniert oder über die wahren Interessen des eigenen Landes missinformiert wahrnahmen. Dabei verfiel ein Großteil unter ihnen selbst einer unkritischen Befürwortung liberaler Wirtschaftstheorie, die sie radikalisierten, indem sie dem Freihandel durchweg positive Effekte unterstellten – die negative Seite globaler Handelsbeziehungen und -konkurrenz blendeten sie dabei weitgehend aus. Neben dem Diskurs um die Regulierungskräfte des Freihandels wurde in der Debatte zum doux commerce auch der Ruf nach politischer Absicherung des internationalen Handels laut. Dem Vertrauen auf die Einsicht der auf Expansion ausgerichteten Regierungen in ihre »wahren« Interessen, schlossen sich nicht alle Autoren an. Es sei offensichtlich, »daß keine Nationen eifersüchtiger auf einander sind, als Handelsnationen«.720 Da aber alle Staaten ein »Interesse am freien ungehinderten Seehandel« hätten, »weil er Gold, Muth, Unterschrockenheit und Gewerbfleiß zu den Nationen des festen Landes bringt«, müsse 717 Vgl. Gegenwärtiger Zustand der Südsee-Inseln nach den neuesten Berichten, In: Minerva 2 (1811), 132–136, hier 132. »Die Inseln haben große Fortschritte in der Civilisation gemacht. Der König regiert nach Grundsätzen, und jeder Unterthan zahlt einen regelmäßigen Tribut […] an die Regierung […]. Der König besitzt 12000 Piaster und außerdem viele andre Vorräthe etc., die in Magazinen niedergelegt werden. Diese Schätze hat er durch den Handel mit den dort ankommenden Schiffen gewonnen.«; ebd., 135–136. 718 Wie heute die kulturelle Globalisierung oftmals (von ihren Gegnern) als Amerikanisierung bezeichnet wird, so bedeutete vor 200 Jahren die Globalisierung (ihren Befürwortern) eine Europäisierung, die sich im Laufe des 19. Jahrhunderts verfestigen sollte. Vgl. zur Globalisierung und Europäisierung: Conrad, Sebastian u. a. (Hg.): Globalgeschichte. Theorien, Ansätze, Themen, Frankfurt a. M./ New York (NY) 2007. 719 Vgl. Kapitel II.3.2. 720 Das System des politischen Gleichgewichts, In: Minerva 3 (1811), 1–14.
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dafür gesorgt werden, dass auf politischer Ebene ein Ausgleich geschaffen werde, um den gleichberechtigten Zugang zum Welthandel zu unterstützen. Dabei griffen viele Schriftsteller auf das Konzept des »politischen Gleichgewichts« zurück, das im 18. Jahrhundert das Credo der politischen Staatsräson im europäischen Kontext gespielt hatte und nun, auf den globalen Einflussbereich europäischer Staaten übertragen, ein Teil der Lösung für die Handelseifersucht zu sein versprach. Die Forderungen liefen infolge dieser Analyse – wie im Zusammenhang des Seehandelsrechts – auf die Schaffung transnationaler Institutionen hinaus: »Die Staaten sollen sich immer näher mit einander verbinden, und einen großen Bundesverein auf den Grundsätzen der Freiheit und Gleichheit bilden«.721 Auch hier konnten die Publizisten auf Vordenker der Aufklärung wie den Abb8 de Saint Pierre oder Kant zurückgreifen. Die wirtschaftlich gleichmäßige Wohlstandssteigerung versprach man sich von der Annäherung durch Angleichung der politischen Systeme. Die Faszination der kontinentalen Staaten für England (welche mit der Diskussion um die britische Staatsverschuldung bereits deutlich nachgelassen hatte) rührte von dessen Reichtum her, der unter anderem auf das Regierungssystem (Repräsentativsystem) zurückgeführt wurde. Die Vorliebe für England werde genau dann enden, heißt es 1812 in der Minerva, wenn in ganz Europa das Repräsentativsystem eingeführt sei: »Das wahre Gleichgewicht von Europa ist von dem Augenblick an da, wo sich ein und derselbe gesellschaftliche Zustand in allen Reichen wiederfindet; dies Gleichgewicht aber ist ein ganz anderes, als jenes Blendwerk, wodurch England die europäischen Mächte zu seinen privativen Zwecken leitete.«722 Der frankreichkritische Journalist Johann Adam Bergk veröffentlichte unter Pseudonym eine Lobeshymne auf das Gleichgewicht der politischen Mächte in Europa, das nun nach der Besatzung durch Frankreich wiederhergestellt sei. Der von Kant beeinflusste Bergk beschreibt Europa – auch wenn er den politischen Staatenbund erst noch kommen sieht – bereits als »großen Bundesstaat«723. Das politische Gleichgewicht eröffne den »Uebergang zu einem Völkerbunde, und vertritt einstweilen seine Stelle«724. Letztlich sei aber der prosperierende Handelsaustausch Voraussetzung und Notwendigkeit und somit der Garant für das Gelingen einer friedlichen Koexistenz zwischen den Staaten: »Der Handelsverkehr, wenn er einmal wieder hergestellt ist, wird das Vertrauen und die Verträglichkeit zwischen den Nationen befördern, und nie wird alsdann ein eroberungssüchtiger Regent wagen, sein Volk, das einen einträglichen Handel 721 Einige Betrachtungen über die neuesten Zeitereignisse, In: Minerva 4 (1812), 498–508. 722 Ueber die Vorliebe für England und die mögliche Dauer derselben, In: Minerva 4 (1812), 261–283, hier 269 u. 277 [Herv. im Orig.]. 723 Heinichen, D. [Bergk, Johann Adam]: Ueber das politische Gleichgewicht, In: Minerva 4 (1813), 177–200, hier 181. 724 Ebd., 194.
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treibt, in zwecklose Kriege zu stürzen.«725 Auch andere ehemalige Handelsmächte sollten wieder in diesen Rang aufsteigen, um durch eigene überseeische Kolonien den Bedarf Europas an Kolonialwaren zu sichern und so eine Ausgewogenheit in den Welthandel und auf diese Weise in die politischen Verhältnisse zu bringen.726 Die Hoffnungen richteten sich auf die politische Einigung der europäischen Mächte und die Journalisten äußerten Vorstellungen und Ratschläge für die künftige Situation Europas nach dem Wiener Kongress, auf dem dann aber Fragen des Seerechts und des Kolonialhandels auf Druck Großbritanniens weitestgehend außerhalb der offiziellen Kommiteestrukturen verhandelt werden sollten.727 Politische Stabilisierungsbemühungen dienten in der nun vorrangig gewordenen Interpretation letztlich dem Zweck der Gewährung ökonomischer Privatinteressen, die vor dem egoistischen, wirtschaftsschädigenden Machtstreben einzelner Herrscher geschützt werden sollten. Das politische Gleichgewicht sollte es mithin verhindern, dass eine Macht so viel Einfluss erhielt, dass sie die Interessen von Industrie und Handelsunternehmen gefährden konnte. Der Handel sollte von den einzelnen Staaten dann möglichst unbeeinflusst bleiben. Die Bevölkerung und damit letztlich auch der Staat würden auf diese Weise ohne weiteres Zutun maximalen Gewinn erzielen. Das Verhältnis von Staat und Handel wurde ob der Gefahren des politischen Machtmissbrauchs zugunsten einer Dominanz des letzteren entschieden. 3.3.3 Visualisierte Krise: Die Bildpublizistik Im Januar 1807 erschien in London eine handkolorierte Karikatur von Isaac Cruikshank mit dem Titel »The Giant Commerce Overwelming the Pigmy Blockade!« (Abb. 14).728 Darauf zu erkennen ist eine Personifizierung des Handels, der breitbeinig und mit ausgestreckten Armen auf einem offenen grünen Ufer der Britischen Inseln steht. Sein Körper setzt sich aus verschiedenen Waren zusammen: So besteht sein Rumpf aus »Wolle«, seine Oberschenkel aus »Leder«, die Arme aus »Bedruckter Kaliko«; sein Kopf ist ein Keramiktopf, mit Mund und Augen aus »Porzellan«. Er wirft mit seiner linken Hand eine Fülle an Manufakturprodukten (Fässer mit Alkohol, Zucker, Knöpfe, Besteck und anderes.) über den Ärmelkanal in eine Festungsanlage, hinter deren Mauern Napoleon 725 Ebd., 189. 726 Vgl. Der Friede, In: Minerva 2 (1814), 527–532. 727 Vgl. Durchhardt, Heinz: Der Wiener Kongress. Die Neugestaltung Europas 1814/15, München 2013, 77–78. Durchhardts Einschätzung, dass der Konflikt um das britische Seerecht sich auf die USA und ihr ehemaliges Mutterland beschränkt hätte und »kein Sujet« gewesen sei, »das sich für eine Behandlung durch eine Mehrzahl von Mächtevertretern eignete«, ist allerdings eine weitgehende Verkennung der Brisanz, die das Thema in diesen Jahren für alle europäischen Mächte hatte. 728 BM 1868,0808.7525.
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hervorschaut. Dieser ruft »Bitte, Herr Handel, überschütten Sie mich nicht – ich will auch die Große Blockade vom Alten England aufheben.« Worauf der Handel antwortet: »Blockiere mein Land ruhig! Ich werde dir die Macht des Handels zeigen – nimm dies und das und frühstücke womit es dir beliebt.« Im Hintergrund segelt eine große Handelsflotte in Richtung Kontinent. Die Panoramakarikatur drückt in dieser frühen Phase des Handelskonfliktes zweierlei aus: Einerseits stellt sich das Vertrauen in die Unabkömmlichkeit der eigenen Waren für den kontinentalen Markt dar, das die britische Öffentlichkeit auszeichnete. Andererseits zeichnet sie das Bild eines Handels, der letztlich unausweichlich ist und vor dessen Übermacht sich die anderen Staaten ergeben müssen, da politische Maßnahmen den Handelsinteressen nichts entgegenzusetzen haben. Dieses Bild des übermächtigen Handels wurde auch in den Texten zur Kontinentalsperre übernommen und prägte so zunehmend auch die Wahrnehmung des Verhältnisses von Politik und Handel insgesamt.
Abb. 14: Isaac Cruikshank, The giant commerce overwhelming the pigmy blockade!!, kolorierte Radierung, 25,0 x 34,5 cm, London: Tegg 1807, BM Satires 10699, BM 1868,0808.7525.
In der britischen Bildpublizistik spielte – wie in den Texten auch – der sich verhärtende Konflikt mit den Vereinigten Staaten von Amerika eine Rolle. Cruikshank karikierte 1808 in einem in London erschienenem kolorierten Stich die selbstzerstörerische Wirkung der amerikanischen Blockadepolitik, die in seiner Darstellung von dem von falschen Überzeugungen und französischer
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Beeinflussung verblendeten Präsident Jefferson verantwortet wurde. »The happy effects of that grand systom [sic!] of shutting ports against the English!!«729 (Abb. 15) stellt Jefferson links im Bild hinter seinem von Petitionen bedeckten Schreibtisch dar, vor dem sich in der rechten Bildhälfte dreizehn missmutig dreinschauende Kongressmitglieder drängen. Jefferson breitet entschuldigend die Arme aus und erklärt seinen Mitbürgern, sie nicht an der Entscheidung teilhaben lassen zu können, da es sich um eine »große philosophische Idee« handele. Wenn das »Experiment«, die amerikanischen Häfen gegen die Briten zu schließen, fünfzehn oder zwanzig Jahre durchgeführt werde, so sei anschließend mit »positiven Effekten« zu rechnen. Die unbeschäftigten Seemänner könnten derweil in der Landwirtschaft Arbeit finden und der Schutz des »mächtigen Kaisers & Königs Napoleon« sei dem Land sicher. Hinter dem Präsidentenstuhl schaut Napoleon hervor und verspricht Jefferson, ihn zum König zu machen. Die verärgerten Bürger beklagen sich, dass ihre Warenhäuser überfüllt seien, die Waren verderben und ihre Familien verhungern. John Bull, hier als kleiner Hund karikiert, bellt die beiden paktierenden Staatsoberhäupter an. Die Botschaft ist deutlich: Jefferson handelt unter Einfluss Napoleons gegen die wirtschaftlichen Interessen des eigenen Landes und nach Maßgabe einer spekulativen isolationistischen Wirtschaftspolitik, die ein Heilsversprechen in ungewisser Zukunft gibt und dabei den konkret vonstattengehenden Ruin der Wirtschaft übersieht. In anderen britischen Karikaturen wird die ruinöse Wirkung der Orders in Council auf die eigene Wirtschaft thematisiert.730 Besonders das Jahr 1812 brachte neuen Wind um die Orders in die britische Presse. Im Juni, also in dem Monat, in dem die kurzzeitige Rücknahme der Orders beschlossen wurde, tauchten sie etwa in dem Stich »Worse and Worse« von Charles Williams auf. Die Graphik ist eine komplexe Zustandskarikatur der Missverhältnisse in der britischen Politik, die den Einfluss auf den seit 1811 regierenden Prinzregenten Georg IV. durch seine den Tories nahestehende Geliebte Lady Hertford anprangerte. Ungeachtet dieser in der Graphik detailreich ausgeschmückten innenpolitischen Verwerfungen, ist in diesem Zusammenhang die Folge der als Fehlpolitik kritisierten Darstellung der Orders von Belang. Im Hintergrund der auf offener Wiese sich abspielenden Szenerie um den Prinzregenten, dem seine Mätresse mehr gilt als das Schicksal Britannias, sowie um den Mangel an Nahrungsmitteln dominiert ein Rauch und Lava speiender Vulkan die Bildkomposition. Der Vulkan ist betitelt als »Mount Albion« und seitlich davon lässt sich ein vom Qualm verdecktes »Orde[rs in Counc]il« erkennen. Auf den in der Eruption emporfliegenden Gesteinsbrocken ist zu lesen: »Krieg«, »Staatsverschuldung«, »Steuern«, »geheimer Einfluss« und »Petticoatregierung«. Die Orders in Council 729 BM 1868,0808.7693. 730 So etwa in »A midsummer night’s dream« (1812), vgl. BM 1868,0808.8017.
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Abb. 15: Isaac Cruikshank, The happy effects of that grand systom of shutting ports against the English!!, kolorierte Radierung, 23,3 x 33,7 cm, London: Walker 1808, BM Satires 11039, BM 1868,0808.7693.
haben in dieser Interpretation also zur »Explosion« negativer Entwicklungen in Großbritannien geführt: Staatsschulden und Steuerlasten auf Privathaushalte haben zugenommen und letztlich den Krieg hervorgerufen. Der Vorwurf, die Orders verlängerten den Krieg statt ihn zu beenden war, wie gesehen, auch ein wiederkehrendes Argument in der Textpublizistik. Im Dezember 1813 gab die wiedererlangte Unabhängigkeit der Niederlande Anlass zur bildlichen Affirmation der Überlegenheit eines freien Seehandels in einer Ereignisgraphik, die die Verbrüderung des Königreichs Niederlande unter Prinz Wilhelm Friedrich von Oranien-Nassau und dem Vereinigten Königreich Großbritannien in Szene setzte. Der zweisprachige am 13. Dezember in London bei Rudolph Ackermann gedruckte Stich »The Sea is open. Trade Revives – De Zee is vry. De Koophandel herleevt«731 (Abb. 16) stellt einen Niederländer in Bürgerkostüm und orangener Blüte am Hut dar, der von einem Engländer um die Hüfte gefasst wird. Er hält eine Weinflasche mit der Aufschrift »Holland« in der linken und eine Tabakpfeife in der rechten Hand. Der Engländer schaut zu ihm auf und prostet ihm mit einem vollen Krug »dunklem Starkbier« zu. Hinter ihnen stehen die Flaggen beider Länder. Im Bildhintergrund links sieht man niederländisch beflaggte Schiffe und rechts die Stadt Amsterdam aus der fran731 BM 1868,0808.8104.
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zösische Soldaten von Niederländern hinausgejagt werden. Zur Linken des Holländers liegen zwei Geldsäcke mit den Aufschriften »Dukaten« und »Gulden«. Rechts vom Engländer liegen auf einem Holzfass ein Brotlaib, ein holländischer Käse, eine Tabakschachtel sowie Pfeife, Messer und ein Glas. Mit dem linken Fuß steht der Niederländer auf einer Papierrolle, auf der zu lesen ist »Paris Kaiserliches Dekret Napol[eon]« und am unteren linken Bildrand verbrennen weitere Schriftstücke: »Kontinentalsystem«, »Rheinbund«, »Napoleon«, »Siebzehnte Militärdivision«, »Senatus Consultum«. Über dem Geschehen hängt das Schriftband »Eendragt maakt Magt – Concord makes Power«. Diese Graphik markiert die gemeinsamen Interessen der mit Frankreich bislang alliierten Staaten an einem freien Seehandel mit Großbritannien. Der Ausstieg aus dem Kontinentalsystem und der damit wiedergekehrte Handel versprechen Reichtümer, Kolonialgüter und Frieden. Während der Verbannung Napoleons auf Elba stiegen die Hoffnungen auf eine baldige wirtschaftliche Besserung durch die Wiederanbindung des Kontinents an den Welthandel und damit vor allem die Einfuhr der schmerzlich vermissten Kolonialwaren. In einer satirischen Graphik vom September 1814 drückt sich die Ungeduld der französischen Öffentlichkeit ob der langsamen Importe britischer Kolonialwaren aus. »Chez Martin« erschien der amateurhafte kolorierte Stich »Prompte arriv8e des denr8es coloniales« (Abb. 17)732. Im Bildhintergrund sieht man eine Festung mit dem Namen »Dover« und auf der gegenüberliegenden Kanalseite am rechten Bildrand »Calais«. Im Vordergrund ist ein riesiger Warenkorb auf Rädern zu sehen, der übervoll mit den Paketen »Mocka«, »Pfeffer«, »Indigo« und Zuckerhüten gefüllt ist. Oben auf sitzen zwei Figuren, die französischen Darstellungen englischer Touristen der Zeit entsprechen. Der Wagen wird gezogen von einem Hummer und vier Schildkröten, die die Langsamkeit der Wiederanbindung an den Überseehandel und die Ungeduld der Bevölkerung symbolisieren. In Deutschland erhebt sich die satirische Bildpublizistik, wie bereits erwähnt, mit dem Sturz Napoleons aus dem Schatten. Und auch die wirtschaftlichen Entbehrungen unter dem Kontinentalsystem wurden in diesem Rahmen zur Zielscheibe der ikonographischen Kritik. So etwa im Stich »Hamburgs Knochen Magazin«, die 1815 in Rosmäslers Karikaturenheft erschien (Abb. 18).733 Die graphische Darstellung ist im Vergleich zu den britischen und französischen Drucken auf einem sehr einfachen Niveau und hat, abgesehen von den Menschen- und Tierfiguren den Charakter einer Technik- oder Handwerksgraphik. Zu sehen ist der Innenraum eines Warenlagers, in dessen Hintergrund sich Holzfässer bis zur Decke stapeln, die beschriftet sind mit »von Napoleonshöhe« 732 Collection de Vinck 9515. 733 BM 1868,0808.13406.
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Abb. 16: [Anonym], The Sea is Open. Trade Revives, kolorierte Radierung, 33,0 x 25,1 cm, London: Ackermann 1813, BM Satires 12119, BM 1868,0808.8104.
oder einfach »N. H.«. Rechts im Bild entladen Bürger Knochen von einem Karren auf den Boden, bevor diese von einem Soldaten in einem Kübel zerstoßen werden. In der Bildmitte vor den Fässern sitzt an einem Werktisch der französische Kommissar in Hamburg und nimmt neue Lieferungen entgegen. Aus den
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Abb. 17: [Anonym], Prompte Arriv8e Des Denr8es Coloniale, kolorierte Radierung, 16,8 x 31,5 cm, [o. O.] 1814, Collection de Vinck 9515, BnF Estampes, Reserve QB- 370 (73) -FT 4.
Knochen wird, nach Rosmäslers Kommentar, »Gallert« gekocht, welches ein »herrliches Präservativ gegen Hunger« sei. Durch die Tür kommen ein Soldat und ein Kürassier mit erhobenen Händen herein, links neben der Tür sitzt auf dem Boden bereits ein Soldat, der an einem Knochen nagt. Die Bildunterschrift lautet: »Sold[at] hier giebt es was zu leben/ Com[missai]r ein Center muß es sein./ S[chlächterbursche] da esset euch satt/ D[ouan]ier es ist richtig./ C[ürassie]r willst du furt!« In drastischen Bildern macht sich hier die deutsche Bildpublizistik über die französische Wirtschaftspolitik lustig, die um jeden Preis die Sperre auf den Außenhandel aufrechtzuerhalten suchte, worunter die Stadt Hamburg besonders zu leiden hatte. Die Bildpublizistik hob also indirekt über die Darstellung der negativen Folgen der Blockadepolitik, diesmal nicht für die gegnerische Seite, sondern die eigene Wirtschaft, auf die Wohltätigkeit des Handels ab. Mehr noch aber scheint in den ikonographischen Quellen die Vorstellung der Allmacht des Handels durch, gegen welche den Regierungen letztendlich die Handhabe fehle. 3.4
Zusammenfassung
In der Relektüre klassischer Wirtschaftstheoretiker des 18. Jahrhunderts hat sich gezeigt, dass die These des doux commerce für die Aufklärung insgesamt relativiert werden muss. In der aufklärerischen Wirtschaftstheorie des 18. Jahrhunderts verband sich die Idee globaler Abhängigkeit zwar durchaus mit Konzepten von weltweitem Wohlstand, Zivilisierung und Gleichheit. Kosmo-
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Kontinentalsperre und Welthandel. Debatten um globale Märkte
Abb. 18: Hamburgs Knochen Magazin, in: Carricaturen, 1stes Heft; Sammlung der witzigsten Zerrbilder welche zu Ehren des Herrn Noch Jemand und Consorten erschienen sind, Radierung, 10,5 x 14,1 cm, Hamburg: Rosmäsler 1815, BM 1868,0808.13406.
politische Hoffnungen vermochten die wirtschaftlichen Dependenzen in Visionen universeller Einigkeit aufzulösen. Gleichwohl verwiesen alle Autoren immer auch auf die Gefahren derartiger Abhängigkeitsmechanismen, auf die Kehrseite eines von Europa ausgehenden und dominierten Handels sowie die Grenzen eines lediglich auf kommerzielle Interessen gestützten Austauschs für ein friedliches globales Zusammenleben. Sie sahen keinesfalls einen Automatismus zwischen internationalem Handel und Frieden. Handelsinteressen mochten stets auch korrumpierende Effekte auf Individuen wie Staaten zu haben und Handelseifersucht führte durchaus zu Kriegen. Die Angleichung und Zivilisierung der Völker wurde nicht als notwendige Folge von Handelsverbindungen verstanden. Das dialogische Wahrheitsverständnis aufklärerischer Autoren vermied die einseitig überhöhende Bewertung eines freien Handelsaustauschs zwischen den Völkern und diese Autoren blieben sehr wohl in kritischer Distanzierung zu den beobachtbaren Phänomenen der Ökonomisierung zwischenmenschlicher und zwischenstaatlicher Verhältnisse. Demgegenüber etablierte sich in der gelehrten Publizistik in der späten Phase der Kontinentalsperre eine Repräsentation des Handels, die die positive Wirkung eines freien Austausches hervorhob und, unter anderem in der Bildpu-
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blizistik, die Übermacht des Handels gegenüber politischen Restriktionen propagierte. Das – von den Zeitgenossen teilweise selbst so bezeichnete – »Experiment« absoluter Wirtschaftsprotektion, wurde zum Verhandlungsort grundlegender Fragen zu globalen Wirtschaftszusammenhängen. Die Kritik am Isolationismus stellte die diesem zugrundeliegenden wirtschaftstheoretischen Annahmen infrage. Die Vorstellung, Reichtum generiere sich durch eine positive Handelsbilanz (das heißt durch mehr Exporte als Importe), welche merkantilistische Wirtschaftspolitik leitet, wurde von den Publizisten ausführlich widerlegt. Gino Longhitano hat einen Antimerkantilismus des frühen 19. Jahrhunderts identifiziert, der Colberts Politik, die britischen Corn Laws, Robespierres Preisbindung und Napoleons Kontinentalsperre in einen »boiling pot« warf und der in Ablehnung dessen eine Hinwendung zur »Option« Adam Smiths mit sich brachte.734 Diese Option wurde allerdings ausschließlich in ihrer affirmativen Haltung zum freien Handel rezipiert. Die Streitschriften und Zeitschriften versuchten eine öffentliche Aufmerksamkeit dafür herzustellen, was im eigentlichen Interesse des Staates liege und das hieß nun in erster Linie auch im privat-ökonomischen Interesse seiner Bürger. Handelseifersucht wurde als unbegründet abgetan und in stimulierende internationale Konkurrenz umgedeutet. Die Bildpublizistik untermalte diese Interpretation mit dem Motiv des übermächtigen, alle politischen Kontrollversuche letztlich bezwingenden und den Bedürfnissen der Bevölkerung – im Gegensatz zur Verbohrtheit der Politiker – dienenden freien Handels. Freihandel verstanden die Publizisten rückhaltlos als wohlstandssteigernd und die Abhängigkeit vom Ausland wurde mit der Begründung der globalen Öffnung der Märkte relativiert. Hier zeigt sich ein weiterer Unterschied zur Aufklärungstheorie: Globale Dimensionen des Handels wurden konsequent mitgedacht und die Integration aller Kontinente in den europäischen Welthandel als positive Entwicklung in die Zukunft projiziert. Während die Aufklärer die Einbindung unterschiedlich reicher Länder in einen gemeinsamen Handelszusammenhang in der Mehrzahl skeptisch einschätzten, lag der Akzent in der Presse zur Zeit der Kontinentalsperre auf der weltweiten Wohlstandförderung und dem gegenseitigen Profit aller in den Handel eingebundenen Staaten durch internationale Arbeitsteilung. Durch diese und durch soziale Mobilität gelinge eine Annäherung von Kultur und Sitten der verschiedenen Völker. Problematisch scheinen in dieser Logik folgerichtig die politischen Eingriffe einzelner Regierungen in einen imaginierten freien Handel. Die Kontinental734 Vgl. Longhitano, Gino: Industry, Government and Europe. From the Mercantilists to SaintSimon, In: Manuela Albertone; Antonio de Francesco (Hg.): Rethinking the Atlantic World. Europe and America in the Age of Democratic Revolutions, Hampshire (UK) 2009, 181–200, hier 193.
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Kontinentalsperre und Welthandel. Debatten um globale Märkte
sperre und die Orders in Council wurden als Irrwege der Wirtschaftspolitik identifiziert und ihr Gegenpart, der Freihandel, als Lösung vorgestellt. Zur Garantie des Freihandels bedurfte es einer politischen Kursänderung, welche die prohibitiven Regelungen des Außenhandels zurücknahm. Hierauf versuchten die Publizisten hinzuwirken. Die Debatte führte, ebenso wie beim Seehandel, zu Forderungen einer internationalen politischen Rahmengebung zum Zwecke einer wirtschaftlichen Globalisierung, die die kulturellen und sozialen Aspekte der Weltvernetzung und -angleichung ipso facto mit sich brachte.
IV.
Schlussbemerkungen und Ausblick
Die vorliegende Arbeit untersucht ein bislang wenig beachtetes Kapitel der wirtschaftstheoretischen Ideengeschichte und stellt dieses in den Zusammenhang der längerfristigen Herausbildung ökonomischer Theorien. Es galt zu zeigen, inwieweit im frühen 19. Jahrhundert ein öffentliches Nachdenken über globale Wirtschaftsstrukturen vorhanden, von welchen bestehenden Theorien dieses geprägt war und an welchen Themen es sich festmachte. Um die theoretische Reflexion in der Öffentlichkeit zu erfassen, wurden europäische Pressedebatten während der Zeit der Kontinentalsperre ausgewertet. Dieses wirtschaftspolitische Großereignis veränderte den internationalen Handel stark und gab damit Anlass für vielfältige Fragen rund um die Wirkung und Steuerbarkeit des Welthandels. Die Arbeit wendet sich dabei zum einen gegen ein vereinfachendes Bild des wirtschaftstheoretischen Denkens der Aufklärung. Die Annahme, dass dem Welthandel in der Aufklärung überwiegend bis ausschließlich positive Wirkung zugesprochen wurde, kann in dieser Weise nicht aufrechterhalten werden.735 Zum anderen plädiert sie für eine Ideengeschichte der Globalisierung, die die diskursiven Aushandlungsprozesse um globale Fragen in einer Analyse ihrer informationstechnischen Träger verankert. Die Geschichte der Wirtschaft sollte dabei neben der Untersuchung globaler ökonomischer Verflechtung und Annäherung auch die Fragen und Diskurse der Zeitgenossen umfassen. Es muss mithin ein Zusammendenken der beobachtbaren Phänomene mit ihrer Wahrnehmung und Bewertung geben, die als Reaktion auf die bestehenden sozialen Verhältnisse, Entwicklungen und politischen Projekte sowie als Bewältigungsstrategie der historischen Wirklichkeit verstanden werden können. Die Veränderung in den sozial-ökonomischen Bedingungen rufen Veränderung im Dis735 Die Analyse einer durchaus differenzierten Einschätzung der Wirkung von Handel und Handelsgeist auf nationale und internationale politische Verhältnisse wird geteilt von neueren Veröffentlichungen: Terjanian: Commerce and its Discontents (wie Anm. 534) u. Asbach: Der moderne Staat und »le doux commerce« (wie Anm. 25).
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Schlussbemerkungen und Ausblick
kurs, in Theorie und Argumenten hervor und müssen in einer ideengeschichtlichen Untersuchung folgerichtig mitberücksichtig werden. Gleichzeitig gehen diese Lösungsstrategien nicht gänzlich in ihrer reaktiven Qualität auf, sondern sind ebenso Faktoren der Prozesse und implizieren stets den Versuch, politisch-praktische Wirksamkeit zu entfalten, indem die Wortführer – wie im Teil II gesehen – als Journalisten nicht nur Kommentatoren der Gesellschaftsund Wirtschaftsordnung waren, sondern als Berater oder Akteure auch politischen Einfluss nahmen.736 Die Debatten lassen sich somit als »Denken in praktischer Absicht« in der Aufklärungsbewegung verorten.737 Ob ein wachsendes Bewusstsein über globale ökonomische Zusammenhänge Indikator für den Beginn des Phänomens der Globalisierung selber sein kann, mag letztlich unterschiedlich beantwortet werden; dass es ein Teil der Geschichte ist, sollte in der vorliegenden Arbeit deutlich geworden sein (siehe Kapitel III.2.3 u. III.3.3). Von einer Stille um Fragen des globalen Zusammenlebens in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts kann keine Rede sein. Vor zweihundert Jahren wurde in der Öffentlichkeit bereits um die Deutung der zunehmenden Wirtschaftsvernetzung und ihre Gestaltbarkeit gerungen. Die europäische Publizistik im frühen 19. Jahrhundert konnte in dieser Arbeit in einer doppelten Rolle sichtbar gemacht werden: Sie war einerseits in ihrer informationellen Vernetzung selbst Teil des Globalisierungsprozesses und andererseits fungierte sie als ›Leitungs-Medium‹, das die Verflechtung in anderen gesellschaftlichen Bereichen (wie der Wissenschaft, der Politik, der Kultur und nicht zuletzt der Wirtschaft) ermöglichte und beschleunigte. Das Ineinandergreifen von informationstechnischen und ökonomischen Vernetzungsprozessen wird am Beispiel der publizistischen Debatten im Kontext der Kontinentalsperre anschaulich. Die Presse war Vektor der Verbreitung ökonomischer Information und wirtschaftstheoretischen Wissens und gleichzeitig Forum für den öffentlichen Austausch darüber, wie ein globales Zusammenleben gestaltet, politisch gesteuert, gefördert oder sich selbst überlassen werden sollte. Dieser institutionalisierte Kommunikationsprozess, den die Zeitschriften herstellten und ermöglichten, war ein genuin aufklärerisches Anliegen. Das frühe 19. Jahrhundert stellt sich dabei dar als eine Phase des Übergangs hin zur Schaffung von internationalen Institutionen wie den ersten Wissenschaftskongressen, die sich explizit in die Tradition der Aufklärung stellten und einem aufklärerischen Fortschrittsideal folgten, dessen vorsichtiger, selbstaufklärerischer, weil dialogischer Wahrheitsbegriff sich aber in diesen Institutionen später nach und nach zu-
736 Vgl. Kapitel II.3.2. 737 Vgl. zum Wirkungsanspruch der Aufklärung Vierhaus, Rudolf: Was war Aufklärung?, Göttingen 1995.
Schlussbemerkungen und Ausblick
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gunsten eines absoluten Wahrheitsanspruches verlieren sollte. In den Zeitschriftenprojekten war ersterer noch vorhanden und vorherrschend.738 Ganz bewusst hat diese Studie die Untersuchung publizistischer Debatten nicht auf einen Sprach- oder Kulturkreis eingeschränkt, sondern ist als Vergleich mehrerer europäischer Länder angelegt. Zwischen den Debattenbeiträgen aus Großbritannien, Frankreich und den deutschsprachigen Ländern lassen sich selbstverständlich zu den einzelnen Debattenthemen unterschiedliche Positionen erkennen und besonders der Fall der deutschsprachigen Zeitschriften macht deutlich, wie es den Presseorganen gelang, eine eigenständige Meinungsbildung zwischen den Standpunkten der beiden Konfliktparteien zu entwickeln. Die Zeitschriften und anderen publizistischen Beiträge weisen aber insgesamt eine wachsende kritische Distanz zur offiziellen Linie der jeweiligen Regierung auf und machen so, neben den bestehenden auch zensurpolitisch bedingten Unterschieden in den Möglichkeiten der offenen Meinungsäußerung, die Sicht frei für die diskursiven Gemeinsamkeiten und Transfers zwischen den Sprachräumen. Der Untersuchung liegt somit ein transregionaler Öffentlichkeitsbegriff zugrunde, wobei die Pressedebatten als Ausdruck und Bedingung einer Europäisierung und Globalisierung in anderen Bereichen der Gesellschaft gedeutet werden. Die verschiedenen medialen Formen der Periodika und Streitschriften sowie Karikaturen nahmen Einfluss auf die Wahrnehmung und Bewertung ökonomischer Phänomene und konstituierten über die Gestaltung diskursivimaginativer Muster von Bedrohung, Konkurrenz, Warenmangel, Krise und Freiheit, Verflechtung, Wohlstand und Frieden eine Interpretation der historischen Realität, die in den einzelnen Debattenphasen die Akzeptanz jeweils unterschiedlicher wirtschaftheoretischer Vorschläge beeinflusste. Insgesamt können drei Debattenphasen unterschieden werden, die sich freilich zeitlich zum Teil überlappten. Vor und während der ersten Jahre der Kontinentalsperre wurden auf beiden Seiten des Ärmelkanals Stimmen laut, die eine absolute oder weitgehende Unabhängigkeit national eingegrenzter Wirtschaftsräume behaupteten und affirmativ deuteten. Wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, wurde sowohl auf dem Kontinent als auch auf den Britischen Inseln ein ›Zurück zur heimischen Landwirtschaft‹ gefordert: in 738 Die ersten Wissenschaftskongresse auf nationaler Ebene beginnen in den 1830er und 1840er Jahren und werden zum Teil getragen und mitgeprägt von denselben Personen, die sich zuvor oder parallel in journalistischen Aktivitäten für eine weltweite Vernetzung von Wirtschaft und Wissenschaft eingesetzt hatten. So etwa der Herausgeber der Revue encyclop8dique Marc-Antoine Jullien, der sich auf dem Kongress in Lyon für die Förderung der technischen Kommunikation zur Verbesserung der ökonomischen Globalisierung einsetzte; vgl. Jullien, Marc-Antoine: Quelques consid8rations sur les avantages qui peuvent r8sulter, pour la France, de la navigation transatlantique / la vapeur ; In: CongrHs scientifique de France 9, Bd. II (1841), 278–289.
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Schlussbemerkungen und Ausblick
Großbritannien, weil die Ausweitung des Manufakturwesens für den Unterhalt der Bevölkerung als zu unsicher oder generell unmöglich galt; und auf dem Kontinent, weil das Gewerbe, abgeschnitten von Rohstoffimporten, auf heimischen Anbau angewiesen war. Die Reaktion auf derartige wirtschaftstheoretische Überlegungen fiel, wie gezeigt werden konnte, unterschiedlich aus. Was in Großbritannien als Minderheitenmeinung existierte und harter Kritik ausgesetzt war, wurde auf dem Kontinent unter der napoleonischen Pressepolitik zeitweilig zur offiziellen Linie und gewissermaßen im ›sozialökonomischen Großexperiment‹ der Kontinentalsperre und der einhergehenden Wirtschaftsförderung erprobt. Die Zeitschriftenberichte zur Handelsblockade zeugen davon, dass die wirtschaftspolitischen Maßnahmen in einer allgemeinen Theorie des Isolationismus generalisiert und die ökonomische Autarkie als Garant für nationalen Wohlstand und Weltfrieden gedeutet wurden. Als sich schließlich abzeichnete, dass das »Experiment« nicht die erhofften Ergebnisse zeitigte und zumindest einige Bereiche der Wirtschaft nicht gänzlich vom Außenhandel unabhängig gemacht und auch nicht, wie behauptet, durch die Finten wirtschaftspolitischer Eingriffe ersetzt werden konnten, traten andere wirtschaftstheoretische Thesen in den Vordergrund. Für den britischen Kontext wurde dies in der Krise von 1810 unmissverständlich deutlich. Und es fällt auf, dass, gleich welche Bewertung der Kontinentalsperre die Autoren im Einzelnen vornahmen, sie sich mit der Zeit mehr oder weniger überzeugt zeigten, dass eine Abhängigkeit zumindest der britischen Wirtschaft vom Handel nicht geleugnet werden konnte. Die protektionistische Wirtschaftspolitik hatte damit grundsätzliche ökonomische Fragen aufgeworfen, die angesichts der historischen Konfliktsituationen besondere Brisanz bekamen. Weder britische noch kontinentaleuropäische Journalisten mochten der zuversichtlichen Haltung von Spence, der am Beispiel Großbritanniens die vollständige ökomische Autarkie und deren friedensstiftende Wirkung behauptete, mehr Glauben schenken. Dass die Wirtschaft der einzelnen europäischen Staaten vom Außenhandel nicht unabhängig zu machen war, zeigte sich aber auch auf dem Kontinent. Wenngleich einzelne Gewerbezweige und Regionen durchaus vom Wegfall der ausländischen Konkurrenz profitierten, machte sich der Mangel liebgewonnener Konsumprodukte so deutlich bemerkbar, dass er den Zeitgenossen die Missstände eines Kriegszustands gleichsam auf die Zunge legte. Die zweite Debattenphase hob auf die rechtlichen Rahmenbedingungen für den internationalen Handel ab und brachte dabei ökonomische Privatinteressen gegen unkontrollierte staatliche Machtansprüche in Stellung. Die Abhängigkeit der Handelsunternehmungen neutraler Staaten von der Willkür schifffahrtstechnisch überlegener Nationen ließ den Ruf nach überstaatlichen, verbindlichen Rechtsnormen laut werden. Es verbreitete sich die Vorstellung, dass die Freiheit der Meere von den Regierungen auch im Kriegszustand gewährleistet
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sein müsse. So wurden zunehmend Forderungen nach allgemeingültigen Rechtsnormen für den internationalen Seehandel geäußert, die die Rechte von Handelsschifffahrt und privatem Eigentum sicherstellen sollten. Auf der Basis seiner alltäglichen Erfahrungen wurde für ein breites Publikum in Europa das Ringen um völkerrechtliche Prinzipien persönlich bedeutsam. Damit gewann ein theoretisches Konzept an öffentlicher Aufmerksamkeit, das den globalen Raum der Handelsschifffahrt auf den Weltmeeren in seiner juristischen Ausdehnung umfasste. In der dritten Debattenphase wurde die Frage, ob ökonomische Unabhängigkeit wünschenswert war oder in der Gegenseitigkeit der Abhängigkeitssituation vielmehr eine Chance auf Frieden und Mehrung des Wohlstandes lag, neu gestellt. Sofern die wirtschaftlichen Einbrüche und Rückschläge in ihrem konjunkturellen Charakter begriffen und auf die Blockade und Autarkiepolitik zurückgeführt wurden, musste die Lösung gerade in der internationalen Dependenz und somit in der Aufhebung des Blockadezustands und dem freien Handel gesucht werden. Wenngleich die kontinentaleuropäische Wirtschaft von den protektionistischen Maßnahmen in einigen Teilen eher profitierte, so bewirkte der ökonomische Strukturwandel, der sich aufgrund der Blockade in vielen Bereichen vollzog und besonders den Handelszentren in wichtigen Hafenstädten stark zusetzte, dass die prohibitive Politik eine ›schlechte Presse‹ erhielt und sich die theoretische Reflexion zunehmend gegen staatliche Eingriffe richtete. Gewissermaßen als Reaktion auf das offenbar fehlgeschlagene Experiment der ökonomischen Isolierung brach sich eine radikale Theorie des Wirtschaftsliberalismus Bahn, deren Anhänger glaubten, ökonomische Aktivitäten weitestgehend von staatlichen Regulierungen freimachen zu können und die darin den Schlüssel zu einer globalen Wohlstandssteigerung sahen. Auf zweierlei Weise kam es in den Debatten somit zur Infragestellung staatlicher Autorität: Einerseits geschah dies anlässlich der Seehandelsdebatte gewissermaßen ›von oben‹ durch die Forderung, die Machtansprüche einzelner Länderregierungen sollten durch überstaatliche, völkerrechtliche Regelwerke in die Schranken gewiesen werden – zum Wohle (militärisch) schwächerer Staaten; andererseits ›von unten‹ bei der Freihandelsdebatte, deren Protagonisten Eingriffe staatlicher Akteure in die private Handelstätigkeit zurückdrängen wollten, um einen freien Handels- und Warenverkehr zum Wohle der Allgemeinheit zu garantieren. Unter diesem Gesichtspunkt erweist sich die öffentliche Diskussion um den Welthandel zur Zeit der Kontinentalsperre als liberale Emanzipationsforderung gegenüber staatlichem Machtmissbrauch. Die Autoren sahen ihre Rolle darin, eine egoistische Staatsführung mit öffentlichen Appellen an ihr wirtschaftliches Eigeninteresse, das heißt die positiven Wirkungen eines freien internationalen Handels zu erinnern. Sie registrierten aber auch Grenzen der Einsicht der Regierungen und der Einflussnahme durch die Presse und for-
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Schlussbemerkungen und Ausblick
mulierten, dass es transnationaler Instanzen bedürfe, um das globale Zusammenleben rational zu gestalten.739 Hoffnungen richteten sich daher auf den Wiener Kongress, der zumindest in Europa ein Jahrhundert der sich verdichtenden politischen Zusammenkünfte und transnationaler Organisationen einläuten sollte, welches nach den Kriegen in der Folge der Französischen Revolution auch eine weitgehend friedliche Ära in Europa darstellte. Die sich auf dem Kongress manifestierende Suche nach Koalitionen für die gemeinsame, alle Nationen angehende Sache kündigte sich zuvor bereits in der europäischen Publizistik an. Die Debatten um den internationalen Freihandel und die Freiheit der Meere740 können somit auch als Vorspiel einer späteren politischen Neuordnung des europäischen Festlandes nach der Herrschaft Napoleons gelesen werden. Die Abfolge der Debatten, die in der europäischen Presse in der Zeit der Kontinentalsperre geführt wurden, ist in einen langfristigen diskurs- und ideengeschichtlichen Entwicklungsprozess eingebunden und der ereignisgeschichtliche Hintergrund der Prohibitionspolitik beider Konfliktparteien bot gewissermaßen die Folie für eine Radikalisierung der liberalen Wirtschaftheorie der Aufklärung. Diese anhand der gegebenen politisch-ökonomischen Situation entwickelte und zugespitzte Analyse mündet ideengeschichtlich letztlich in die wirtschaftsliberalen Vorschläge eines Benjamin Constant, Jean-Baptiste Say, David Ricardo oder John Stuart Mill, welche in ihrem Glauben an die wohlstandfördernden, friedlichen, ausgleichenden und zivilisierenden Folgen eines unbeschränkten Handels viel weitergingen als die Freihandelstheoretiker des 18. Jahrhunderts (vgl. Kapitel III.3).741 Um diesen Umbruch in der Wirtschaftstheorie und seinen Bezug zu den ereignishistorischen Vorgängen besser verstehen zu können, muss man sich auf die Ebene der politischen Zeitschriftendebatten begeben, die in der Ideengeschichte der Wirtschaft bis heute weitgehend unbeachtet geblieben sind. Die Rückbindung der Ideengeschichte an die ereignishistorischen Vorgänge über die zeitgenössische Presse erweist sich einmal mehr als unumgänglich. So ist 739 Zur Funktion der europäischen Öffentlichkeit als Appellationsinstanz in modernen Konfliktkonstellationen vgl. Requate; Schulze Wessel: Europäische Öffentlichkeit. (wie Anm. 42). 740 Beispielartikel dafür : Politik, In: Mercure de France 5 (1809), 438–446. 741 Constant: De l’esprit de la conquÞte et de l’usurpation (wie Anm. 509). Say schrieb sein Hauptwerk zwar bereits 1803; vgl. Say, Jean-Baptiste: Trait8 d’8conomie politique, ou simple exposition de la maniHre dont se forment les richesses Paris: Crapelet 1803, doch gibt ihm der Sturz Napoleons erneut Anlass, seine Thesen zum Freihandel in didaktisch aufbereiteter Form als »Katechismus«, ähnlich einer dialogischen Abhandlung aus dem 18. Jahrhundert, zu veröffentlichen ; vgl. ders.: Cat8chisme d’8conomie politique. Ou instruction familiHre Paris: Crapelet 1815. Ricardo, David: On the Principles of Political Economy and Taxation London: John Murray 1817.
Schlussbemerkungen und Ausblick
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diese Studie denn auch ein Argument für die Einbeziehung eines nicht-klassischen Textkorpus als Quellengrundlage für eine Ideengeschichte der Globalisierung und damit auch der Geschichte der Wirtschaftstheorie im Allgemeinen, deren Brüche und Übergänge andernfalls unverbunden im Raum stehen oder allenfalls in biographisch-persönlichen Charakteristika von einzelnen Denkern zu verankern versucht werden. Die wirtschaftstheoretischen Diskurse sind um 1800 noch nicht stabilisiert und es lassen sich meist Aussagen finden, die auf gänzlich gegensätzlichen Grundannahmen beruhen.742 Einige diskursive Elemente haben sich zu diesem Zeitpunkt gleichwohl bereits fest im Vokabular der Debatte etabliert. Es lässt sich eine klare Dichotomie der diskursiven Strategien beobachten, die erst in den 1830er Jahren von neuen Impulsen (sozialistische bzw. kommunistische Wirtschaftstheorien) aufgerüttelt werden in dem Maße, wie sich die Freihandelstheorie auf politischer Ebene mehr und mehr durchzusetzen beginnt. Die Wirtschaftsdebatten in der Presse bereiteten, wenn man so möchte, den Boden für die Durchsetzung der liberalen Wirtschaftstheorien des 19. Jahrhunderts. Vom Nachvollzug der Argumentation, dass Überproduktion nach der Überwindung politischer Handelsblockaden angesichts des globalen Marktes unproblematisch sei, zum Verständnis der These eines Jean-Baptiste Say, dass Überproduktion systemisch unmöglich sei und dass das Angebot unter der Bedingung des freien Handels seine Nachfrage selber schaffe, war es für den Leser dann nur noch ein kleiner Schritt. Die 1803 im Trait8 d’8conomie politique niedergelegte Theorie Says gewann in der Zeit der Kontinentalsperre für viele Zeitgenossen an Überzeugungskraft, da sie sich ex negativo zu bestätigen schien. Ebenso verhält es sich mit der Wegbereitung der Vorstellung des komparativen Kostenvorteils bei Ricardo oder Robert Torrens (vgl. Kapitel III.3.3). Im 18. Jahrhundert hatte sich die nach einer Formulierung von Montesquieu benannte Theorie des doux commerce herausgebildet. Gleichzeitig waren sich die Aufklärer über die Kehrseite der Kommerzialisierung der Gesellschaft und der internationalen Beziehungen bewusst und übersahen nicht die auf Handelsinteressen gegründeten Konflikte ihres Zeitalters, auf die merkantilistische Autoren aufmerksam gemacht hatten. Gegenüber und in Abgrenzung zu diesen betonten die Aufklärer aber die positiven Entwicklungen der Handelsgesellschaft im Verhältnis von Macht und Markt, Staat und Wirtschaft. Die Apologetik wirtschaftsliberaler Glaubenssätze, deren Übereinstimmung mit der Realität sich noch keiner Bewährungsprobe hatte aussetzen müssen, da Freihandel vor Ende des 19. Jahrhunderts noch nirgends durchgesetzt worden war, trat dagegen 742 Vgl. zur Unterscheidung in »logisch stabilisierte« und »nicht-stabilisierte« Diskurse Landwehr, Achim: Geschichte des Sagbaren. Einführung in die Historische Diskursanalyse, Tübingen 2001, 132.
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erst im frühen 19. Jahrhundert auf und zwar – so der Befund dieser Arbeit – in Auseinandersetzung mit den Erfahrungen eines jahrewährenden Handelskonfliktes zwischen den größten europäischen Wirtschaftsmächten und der Interpretation desselben als von politischem Machtstreben motiviert und ökonomischen Interessen der (privaten) Bevölkerung entgegensetzt. Die Transformation des Welthandelsdiskurses schlug sich nieder in der Umkehrung des Verhältnisses von Staat (Politik) und Handel (Ökonomie). Während im 18. Jahrhundert die gesellschaftlichen Bereiche theoretisch nicht systematisch unterschieden wurden und die Wirtschaft als Politische Ökonomie einen Teil der Politik darstellte, beginnt im frühen 19. Jahrhundert die ideengeschichtliche Aufspaltung beider Felder.743 Nun galt es die politischen Rahmenbedingungen für den internationalen Freihandel zu formulieren und zu schaffen, dem in der Konsequenz genuin politische Aufgaben (Garantie einer auskömmlichen Lebensgrundlage für die Bevölkerung, Wohlstandsausgleich, Friedenstiftung sowie die Förderung der Wissenschaft und Kultur) übertragen werden konnten. Der Selbstregulierung der Marktwirtschaft wurde ein rationaleres, da leidenschaftsloseres Wirken zugetraut, als den Regierungen, welche eine wohlstandschädigende Blockadepolitik betrieben hatten. Diese Position eines sich zunehmend durchsetzenden Wirtschaftsliberalismus schien sich tatsächlich in den relativ friedvollen Jahrzehnten nach 1815 zu bestätigen. Die Interessen der global agierenden Finanzwirtschaft und ihr Einfluss auf die politischen Entscheidungen ließen größere Auseinandersetzungen unwahrscheinlich werden.744 In dieser Perspektive endet die Überzeugungskraft der Theorie des doux commerce nicht im frühen 19. Jahrhundert, sondern wird zu diesem Zeitpunkt erst im eigentlichen Sinne wirkmächtig und leitete auf theoretischer Ebene die Etablierung der »klassischen Wirtschaftstheorie« im Liberalismus ein, wie auch einen politisch konkreten Übergang in die Freihandelsära ab der Mitte des Jahrhunderts. Der Boden für die Akzeptanz weitreichender wirtschaftsliberaler Ideen und die Reduktion staatlicher Macht auf einen Garantiehalter ökonomischer Privatinteressen wurde mit vorbereitet durch die öffentlichen Debatten um die Kontinentalsperre und das Versagen protektionistischer Wirtschaftspolitik. Dies bedeutet nicht notwendig, dass sich die späteren liberalen Wirtschaftstheoretiker vom Pressediskurs inspirieren ließen, doch die 743 Gottlieb Hufeland macht 1807 die Trennung einer staatsunabhängigen Wirtschaftssphäre als »Unabhängigkeit der Gütersphäre vom Staat« explizit; vgl. Hufeland, Gottlieb: Neue Grundlegung der Staatswirthschaftskunst, Gießen/ Wetzlar: Tasche u. Müller 1807, 112. 744 Vgl. zur Interpretation der Entwicklung des 19. Jahrhunderts als weitgehend friedliches Mächtegleichgewicht unter Einfluss des internationalen Finanzkapitals Polanyi, Karl: The Great Transformation. Politische und ökonomische Ursprünge von Gesellschaften und Wirtschaftssystemen, Wien 1977.
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Presse schuf ein Klima in der öffentlichen Diskussion, das radikaleren liberalen Ideen eine breite Zustimmung sicherte. In neueren wirtschaftshistorischen Ansätzen konnte der Theorie des staatsunabhängigen Freihandels die historisch-empirische Evidenz abgesprochen werden, indem staatliche Maß- und Vorgaben als Voraussetzung für die Entfaltung eines »freien« Handels und funktionierender Wirtschaftsstrukturen in modernen Gesellschaften aufgezeigt werden.745 Die Selbstregulierung freier Märkte wird auf diese Weise als Illusion erkennbar, da das Funktionieren von Märkten stets auf staatlicher Intervention und institutionellen Regulativen beruhte. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass das idealistische liberale Theoriegerüst vor allem in Zeiten strikter Regulierungen propagiert und etabliert werden konnte. Indem staatliche Wirtschaftspolitik als repressives Eingreifen in einen als ›natürlich‹ begriffenen Wirtschaftszusammenhang konzipiert wurde, bildete sich, gleichsam als utopisches Gegenmodell, das Ideal eines organischen, freien Handels heraus. Die Debatten um ökonomischen Protektionismus, Seehandelsrecht und Freihandel zur Zeit der Kontinentalsperre kann man als Keimzellen moderner kommunikativer Aushandlungsprozesse verstehen, die in den anschließenden zweihundert Jahren bis heute fortgeschrieben wurden und neuen Diskussionen, Konflikten und Lösungsversuchen immer wieder Stoff boten. Angesichts heutiger neomerkantilistischer Wirtschaftsstrategien bei gleichzeitiger neoliberaler Grundüberzeugung und ihrer Popularität in der Öffentlichkeit scheint die Diskussion beinahe auf der Stelle zu stehen und dem Historiker auf seltsame Weise vertraut. Einige Fragen, wie das Seehandelsrecht haben sich positivrechtlich in internationalen Abkommen, weitestgehend lösen lassen. Andere, wie der Status unabhängiger ehemaliger Kolonien, haben im postkolonialen Zeitalter neue Fragen aufgeworfen. Wieder andere, wie die Wirkung internationalen Handels, werden bis heute kaum rationaler verhandelt als vor zweihundert Jahren und sind geprägt von ideologischen Frontlinien. Diese tun sich zum Beispiel im Kontext von Freihandelszonen auf, die viele Staaten umfassen und die stets aufs Neue an der Unklarheit scheitern, welche anderen Faktoren zur friedlichen Koexistenz und zur allseitigen Wirtschaftsentwicklung notwendig sind. Indem ökonomische Theorien in ihren Entstehungskontext eingeordnet und als Bewältigungsstrategien konkreter sozial-ökonomischer Verhältnisse sichtbar gemacht werden, wird die generelle Übertragbarkeit losgelöster Theorieele745 Vgl. Harcourt: The Illusion of Free Markets (wie Anm. 13) sowie die aktuellen Arbeiten von Philipp Robinson Rössner. Dass der moderne Steuerstaat den Aufstieg des Industrie- und Handelskapitalismus ermöglicht und gefördert hat zeigt u. a. die Studie: Ashworth, William J.: Customs and Excise. Trade, Production, and Consumption in England 1640–1845, Oxford 2003.
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Schlussbemerkungen und Ausblick
mente grundsätzlich infragegestellt. Die systematische Trennung von Politik und Wirtschaft sowie der Versuch der weitgehenden Zurückdrängung des politischen Einflusses auf ökonomische Aktivitäten verkennen somit die intrinsische Bezogenheit und gegenseitigen Ermöglichungsmechanismen beider Gesellschaftsbereiche. Die historische Kontextualisierung von ökonomischen Theorien kann dazu beitragen, Einseitigkeiten des Heilsversprechen auf Frieden, Wohlstand, Freiheit und Gleichheit deutlich zu machen und das Wechselspiel zwischen Politik und Ökonomie aufzuzeigen, in dem sich gesellschaftlicher Wohlstand, soziale Gerechtigkeit und ökonomische Stabilität bewegen und stets aufs Neue ausgehandelt werden müssen.
V.
Annex
1743–1812 1769–1834 1767–1831
1778–1868
1768–1848 1756–1826
1773–1850
Archenholz, Johann Wilhelm von
Bergk, Johann Adam Peudonyme: M.A.K. Eisentreter ; Ernst Justus Wahrlieb; Dr. Heinichen
Bran, Friedrich Alexander
Brougham, Henry
Chateaubriand, Ren8 de
Gifford, William
Jeffrey, Francis
Edinburgh, Beamtenfamilie Reisen: Nordamerika
Saint-Malo, Provinzadelsfamilie Reisen: Nordamerika, England Ashburton, Glaser- und Malerfamilie
Rybnitz oder Stralsund, Kaufmannsfamilie Reisen: Europa, besonders Österreichische Niederlande Edinburgh, Adelsfamilie
Danzig, adelige Offiziersfamilie Reisen: Europa, besonders England und Italien Hanichen bei Leipzig
Lebensdaten Herkunft und Reisen
Herausgeber
Tabelle 1
Studium der Rechtswissenschaft (Glasgow, Oxford) Anwalt, Literaturkritiker, Herausgeber, Parlamentsmitglied
Militär Schriftsteller, Beamter, Herausgeber Schusterausbildung, Theologiestudium (Oxford) Hauslehrer, Dichter, Schriftsteller, Journalist, Herausgeber
Studium der Mathematik, Naturwissenschaften und Rechte (Edinburgh), Anwalt, Schriftsteller, Journalist, Politiker
Autodidakt Schriftsteller, Verleger
Doktor der Rechte und Philosophie, Privatgelehrter
Militär Schriftsteller, Verleger
Ausbildung und Beruf
298 Annex
1763–1846 1759–1818 1771–1845 1771–1848
Millin de Grandmaison, Aubin-Louis
Smith, Sidney
Zschokke, Heinrich
Magdeburg, Textilhändlerfamilie Reisen: Deutschland, Frankreich, Schweiz
Edinburgh, Kaufmannsfamilie
Paris, Adelsfamilie Reisen: Deutschland?
Versailles, Tuchhändlerfamilie Reisen: Guyana, Bengalen
Lebensdaten Herkunft und Reisen
Ptienne de Jouy, Joseph
Herausgeber
((Fortsetzung))
Studium der Theologie, Philosophie, Medizin und Chemie Pastor, Schriftsteller, Journalist Autodidakt Schriftsteller, Journalist, Herausgeber, Politiker
Militär Schriftsteller, Herausgeber, Politiker, Bibliothekar Studium der Geschichte und Archäologie, Schriftsteller, Herausgeber, Wissenschaftsjournalist
Ausbildung und Beruf
Annex
299
300
Annex
Tabelle 2 bis 4: Inhalte nach Kontinenten und Themenfeldern Die Einteilung der Artikel nach Themen wurde nach folgenden Kriterien vorgenommen: Jeder Artikel wurde ausschließlich einer geographischen Region (Kontinent) zugeordnet. Anschließend wurde sein Inhalt nach Themenschwerpunkten aufgeteilt, dabei konnte er entweder nur einem Themenblock oder beliebig vielen weiteren zugeordnet werden. Die Tabelle bildet somit nicht das Verhältnis der Artikel untereinander ab, sondern die Häufigkeit des Auftauchens von Themen absolut und im Verhältnis zur Gesamtzahl der Artikel, d. h. es wurde erfasst, in wie vielen Artikeln etwa politische oder wirtschaftliche Themen eine Rolle spielten. Die Bildung der Kategorien folgte dem bei der Auswertung auftauchenden Themenspektrum, bleibt in ihrer Abgrenzung freilich subjektiv und ggf. willkürlich. So ließe sich etwa hinterfragen, ob die Zusammenfassung der geographischen Bezüge in die Gesamtkategorie »Europa« die Divergenzen der für die Untersuchung relevanten Fragestellung übergeht. So wird etwa nicht ersichtlich, wie häufig in den Zeitschriften Großbritannien oder der Kontinent erwähnt werden. Zudem wurden zum Zwecke der Übersichtlichkeit relativ breite Kategorien gewählt, sodass unter »Ökonomisches« Berichte über Statistik, Finanz- und Agrarpolitik ebenso fallen wie Handel und ökonomische Theorie. »Politisches« umfasst Parlamentsdebatten und Friedensverhandlungen genauso wie politische Theorie. Im Falle der politischen Theorie, etwa zur internationalen Politik und Völkerrechtsverträgen, wurde ein Artikel somit den Kategorien »Politisches« und »Philosophisches« zugeordnet. Doppelte Zuordnung fand in den meisten Fällen statt und betraf beispielsweise auch einen Text über die Militärgeschichte Frankreichs, der somit »Europa«, »Historisches« und »Militärisches« zugeordnet wurde. Trotz der unvermeidlichen Subjektivität geben die Tabellen dennoch Tendenzen über die Relevanz bestimmter Themen in den Zeitschriften im Untersuchungszeitraum wieder.
9 – 13 19 1 77 35 14 19 1 13 7 9 181
Asien Australien / Südsee
Welt außer Europa insgesamt
Historisches Religiöses/Theologisches
Philosophisches Politisches
Militärisches Ökonomisches
Literarisches (Kunst) Wissenschaftliches
Ethnographisches/Länderkunde Vermischtes
Pressebezogenes Artikel insgesamt
5,0
7,2 3,9
10,5 0,5
19,3 7,7
42,5
10,5 0,5
7,2
5,0
4 109
7 3
13 4
19 15
37
9 3
16
3 2
2 9
– 4
Afrika Amerika
– 2,2
Anzahl 63
Anzahl 97
Europa
in Prozent 53,6
1810
1807
Minerva
Tabelle 2
3,7
6,4 2,7
11,9 3,7
17,4 13,8
33,9
8,3 2,7
14,7
2,7 1,8
1,8 8,3
in Prozent 57,8
2 120
18 5
8 5
15 17
15 58
10 6
25
6 4
2 13
Anzahl 62
1813
1,7
15,0 4,2
6,7 4,2
12,5 14,2
12,5 48,3
8,3 5,0
20,8
5,0 3,3
1,7 10,8
in Prozent 51,7
Annex
301
6 6 3 15 16 7 4 – 24 3 13 8 12 11 – 2 57
Australien/Südsee Welt außer Europa insgesamt
Europa
Historisches Religiöses/Theologisches
Philosophisches Politisches
Militärisches Ökonomisches
Literarisches (Kunst) Wissenschaftliches
Ethnographisches/Länderkunde Vermischtes
Pressebezogenes Artikel insgesamt
3,5
19,3 –
14,0 21,0
5,3 22,8
– 42,1
12,3 7,0
28,1
5,3 26,3
10,5 10,5
2 47
7 –
9 16
1 7
2 17
4 1
18
– 15
4 7
Anzahl 4
Anzahl
in Prozent –
1810
1807
Amerika Asien
Afrika
Edinburgh Review
Tabelle 3
4,2
14,9 –
19,1 34,0
2,1 14,9
4,2 36,2
8,5 2,1
38,3
– 31,9
8,5 14,9
in Prozent 8,5
1 33
5 –
5 6
1 5
2 11
4 1
17
1 11
– 6
Anzahl 4
1813
3,0
15,1 –
15,1 18,2
3,0 12,1
6,1 33,3
12,1 3,0
51,5
3,0 33,3
– 18,2
in Prozent 12,1
302 Annex
1 9 17 39 13 17 70 1 2 181 29 13 – 1 333
Australien / Südsee Welt außer Europa insgesamt
Europa
Historisches Religiöses/Theologisches
Philosophisches Politisches
Militärisches Ökonomisches
Literarisches (Kunst) Wissenschaftliches
Ethnographisches/Länderkunde Vermischtes
Pressebezogenes Artikel insgesamt
0,3
3,9 –
54,3 8,7
0,3 0,6
5,1 21,0
11,7 3,9
5,1
0,3 2,7
– 397
14 –
186 40
1 5
13 131
21 11
19
– 7
5 2
3 3
Amerika Asien
0,9 0,9
Anzahl –
Anzahl 2
Afrika
in Prozent 0,6
1810
1807
Mercure de France
Tabelle 4
–
3,5 –
46,8 10,1
0,2 1,2
3,3 33,0
5,3 2,8
9,6
– 1,7
1,2 0,5
in Prozent –
– 380
6 –
221 28
– 2
12 63
16 1
5
– 4
2 1
Anzahl 1
1813
–
1,6 –
58,1 7,3
– 0,5
3,1 16,6
0,2
1,3
– 1,0
0,5 0,2
in Prozent 0,2
Annex
303
44 162,5 41 736,7
46 749,9 55 704,0
1801 1802
1803 1804
47 763,5 56 860,5
44 257,8 42 513,4 67 903,8 77 111,7
91 356,3 92 453,8
48 324,9 90 179,1
47 654,4 37 930,7
1799 1800
47 654,5 37 972,4
58 318,8 64 200,5
21 643,3 32 264,5
1797 1798
21 665,9 32 286,6
61 301,5 50 524,5
1795 1796
31 650,5 34 975,9
32 873,8 29 748,1
25 775,4 27 423,2
36 164,1 61 253,7
49 437,1
42 573,4
37 855,5 41 632,7
1793 1794
48 534,9
40 693,4
1789 1790
1791 1792
36 065,4 40 018,8
76 434,0 85 234,3
97 049,2 101 130,2
53 411,9 96 452,2
61 327,4 68 237,5
67 139,3 55 516,0
38 335,9 64 610,9
35 532,4 40 397,3
34 962,3 32 823,7
27 857,9 29 848,9
mit Rußland
ohne Rußland
mit Rußland
ohne Rußland
1787 1788
Jahr
zusammen aus Großbritannien
zusammen aus Frankreich
12 430,8 31 613,3
26 103,9 18 106,4
29 273,4 19 198,2
14 384,9 31 016,5
14 483,3 14 261,3
2 708,9 5 989,5
639,5 1 674,2
717,2
ohne Rußland
12 430,8 31 613,3
26 117,6 18 217,0
29 342,4 19 198,2
14 390,2 31 107,6
14 587,1 14 332,4
2 717,6 6 125,1
644,9 1 681,2
717,2
mit Rußland
zusammen aus USA
Tabelle 5 Die Einfuhr Zentraleuropas aus Frankreich, Großbritannien und den USA in 1 000 Tlr preuß. cour.
127 084,5 164 429,0
161 622,7 152 296,9
125 252,7 147 308,8
94 338,8 127 481,5
75 784,8 64 785,8
38 873,0 67 243,2
32 290,0 85 185,0
73 567,2 29 748,1
61 831,9 67 442,0
136 628,3 173 808,1
167 424,8 161 860,6
130 408,8 153 622,8
97 383,5 131 721,7
81 726,4 69 848,4
41 053,5 70 736,0
36 177,3 91 515,6
77 535,7 32 823,7
65 713,4 71 481,6
aus allen drei Ländern zusammen ohne Rußland mit Rußland
304 Annex
60 161,3 59 839,3
58 440,0 51 689,3
37 972,3 45 316,6
24 917,7 34 376,0
43 951,6 44 260,6
1807 1808
1809 1810
1811 1812
1813 1814
1815 1816
45 213,7 45 523,6
24 917,7 35 524,2
38 028,3 45 355,8
59 528,3 51 910,1
60 264,8 60 055,9
62 479,9 69 601,3
122 369,1 112 651,4
Keine Daten 142 148,4
7 478,1 9 108,3
62 711,3 37 051,5
47 788,8 13 406,6
77 137,4 58 663,5
133 968,8 129 124,2
156 798,7
12 426,1 21 339,0
68 661,5 42 989,5
59 294,4 16 083,5
87 347,2 70 119,0
10 501,8 13 926,8
63,5 41,4
824,7 220,6
11 696,1 18 415,9
31 130,0 4 485,3
33 424,5 39 995,2
ohne Rußland
11 363,6 14 987,2
140,3 41,6
10 031,3 2 836,0
12 959,6 24 379,5
31 797,8 4 485,3
33 531,6 40 013,8
mit Rußland
zusammen aus USA
176 822,5 170 844,2
(24 981,2) 176 565,8
46 275,1 54 645,5
128 161,8 107 156,7
139 080,1 77 731,2
172 077,1 167 839,2
190 546,1 189 635,0
(25 068,0) 192 364,5
60 485,9 69 530,8
135 200,3 119 279,1
151 357,0 80 624,7
183 358,7 179 734,1
aus allen drei Ländern zusammen ohne Rußland mit Rußland
1817 31 381,6 32 945,1 94 629,0 118 627,9 12 429,4 13 390,0 138 440,0 164 969,0 Quellen: Die Originalzahlen sind folgenden Quellen entnommen: Für USA: A. Seybert, Statistical Annals: Embracing views of the population, comemrce, navigation, fisheries‘, public lands, post office establishment, revenues, mint, military and naval establishments, expenditures, public debt and sinking fund of the USA, Philadelphia 1818, Zahlen für Dänemark und Niederlande vor 1798 sind nur zusammengefaßt mit den jeweiligen Kolonien vorhanden, deshalb hier weggelassen. Für Großbritannien: C.Moreau, State of the Trade of Great Britain with all Parts of the World, o.O. o. J. (1823). Für Frankreich: A. Chabert, Essai sur les mouvemenets des revenues et de l’activit8 economique en France de 1798 a 1820, Paris 1949. aus: Kutz, Martin: Die Entwicklung des Außenhandels Mitteleuropas zwischen Französischer Revolution und Wiener Kongreß, In: Geschichte und Gesellschaft 6 (1980), 538–558, hier 541.
61 515,2 69 180,5
mit Rußland
ohne Rußland
mit Rußland
ohne Rußland
1805 1806
Jahr
zusammen aus Großbritannien
zusammen aus Frankreich
((Fortsetzung))
Annex
305
VI.
Quellen- und Literaturverzeichnis
Im Verzeichnis der Sekundärliteratur sind Verlagsnamen lediglich aufgeführt, wenn der Verlagsort Paris ist.
1.
Quellen
Periodika Annuaire de la Soci8t8 des antiquaires de France, Paris: Soci8t8 des antiquaires de France 1848–1855. Die Biene. Eine Monatsschrift, Königsberg: Friedrich Nicolovius 1808–1810. Edinburgh Review or Critical Journal, Edinburgh: Archibald Constable/ London: Longman & Co, 1802–1929. Gazette nationale ou le moniteur universel, Paris: Leriche 1789–1810. Magasin encyclop8dique, Paris: J. B. Sajou, 1795–1816. Magazin der Handels- und Gewerbskunst, Weimar : Landes-Industrie-Comptoir 1803– 1805. Mercure de France. Journal litt8raire et politique, Paris: Le Norman; Arthus-Bertrand, 1799–1818. Minerva. Ein Journal Historischen und politischen Inhalts, Paris/Hamburg: Archenholz/ Leipzig: Bran, 1792–1858. Minerve franÅaise, Paris: Bureau de la Minerve franÅaise 1818–1820. Miszellen für die neueste Weltkunde, Aarau: Sauerländer 1807–1813. Moniteur Universel, Paris 1811–1901. Neue Feuerbrände zum Brennen und Leuchten, [o. O.]: Hammer 1807–1808. Nordische Miszellen, Hamburg: Hoffmann 1804–1811. Quarterly Review, London: J. Murray 1809–1905. Revue encyclop8dique, ou analyse raisonn8e des productions les plus remarquables dans la politique des sciences, l’industrie et les beaux-arts, Paris: Bureau de la Revue encyclop8dique 1819–1835. The annual register, or a view of the history, politics and literature, London: Longman 1760–1837.
308
Quellen- und Literaturverzeichnis
The Critical Review, or, Annals of Literature, London 1804–1811. The European Magazine, and London Review, London: Fielding, Debrett & Sewell 1782– 1826. Unterhaltungsblätter für Welt- und Menschenkunde, Aarau: Sauerländer 1824–1827. Vaterländisches Museum, Hamburg: Perthes 1810–1811.
Druckschriften [Anonym] A Merchant of the Old School: Considerations on the Causes Which Have Produced our Present Commercial Embarrassments, London: T. Rutt 1811. Adelon u. a. (Hg.): Dictionnaire de m8decine, Paris: B8chet jeune 1821–1828. Aikin, John: The Lives of John Selden, Esq. and Archbishop Usher, London: Mathews and Leigh 1812. Antibarbaro, Amadeo: Ueber die Handelspolitik von Großbritannien. Den Verehrern des Vaterlandes gewidmet (aus dem Spanischen übersetzt), 2 Bde., Madrid 1811. Beckmann, Johann: Vorbereitung zur Waarenkunde. Oder Kenntniß der vornehmsten ausländischen Waaren, Göttingen: Vandehöck und Ruprecht 1793. Bornemann, Mathias Hastrup: Über die gebräuchliche Visitation der neutralen Schiffe und über die Konvoi nebst einem Mittel beide durch ein allgemeines garantirtes Seehandelsvölkerrecht zu heben, Kopenhagen 1801. Brougham, Henry : An Inquiry Into the Colonial Policy of the European Powers, Edinburgh 1803. Büsch, Johann Georg: Ueber das Bestreben der Völker neuerer Zeit einander in ihrem Seehandel recht wehe zu thun, Hamburg: Benjamin Gottlob Hoffmann 1800. Chateaubriand, FranÅois-Ren8 de: M8langes litt8raires. Pr8face, In: ders.: Ptudes ou discours historiques, Paris: Penaud 1850, 469. Chateaubriand, FranÅois-Ren8 de: Ptudes ou discours historiques, Paris: Penaud 1850. Constant, Benjamin: De l’esprit de la conquHte et de l’usurpation. Dans leur rapports avec la civilisation europ8enne, Paris: Le Normand & H. Nicolle 1814. Cosmopolis: La Paix en Apparence. R8ponse / l’8crit intitul8 La Guerre d8guis8e ou consid8rations politiques sur les v8ritables int8rÞts de la Gande-Bretagne relativement aux Puissances Neutres, London: Cox & Baylis 1806. Croke, Alexander : Remarks on Mr. Schlegel’s work Upon the visitation of neutral vessels under convoy, London: Wilks and Taylor 1801. Ducrest, Charles-Louis: Nouveau systHme de navigation. Ayant pour objet la libert8 des mers pour toutes les nations et la restauration imm8diate de notre commerce maritime, Paris: Dentu 1811. [Duverger de Forbonnais, FranÅois V8ron]: »Commerce«, In: Jean d’Alembert; Denis Diderot (Hg.): Encyclop8die, ou Dictionnaire raisonn8 des sciences, des arts et des m8tiers, Bd. 3 (1753), 690. Duvernois, Franz [Francis d’Ivernois]: Die Sperre des festen Landes und ihr Einfluß auf den Handel, die Finanzen, den Kredit und das Wohl der Brittischen Inseln. Frei nach dem Französischen bearbeitet und mit vielen berichtigenden Erklärungen und Anmerkungen versehen von Dr. Julius Schmidt, [o. O.] 1810.Fichte, Johann Gottlieb: Der
Quellen
309
geschloßne Handelsstaat. Ein philosophischer Entwurf als Anhang zur Rechtslehre, Tübingen: Cotta 1800. Ganilh, Charles: Des systHmes d’8conomie politique. De leurs inconv8niens, de leur avantages, et de la doctrine la plus favorable aux progrHs de la richesse des nations, Paris: Xhrouet [u. a.] 1809. Gay, Jean Antoine: Dissertation sur les propri8t8s du sucre. Dans laquelle on montre que son usage est nuisible, Paris: Mame frHres 1810. Gentz, Friedrich: Das Continentalsystem und dessen Wirkung auf die Handelsverbindungen mit England, 1814, 20 S., 8-o, Otto Wolf Sammlung, Universitäts- und Stadtbibliothek Köln, Sig. WOLF.N224. Georgius [Otto, Georg Christian]: Handels- und Finanz-Pandora der neuesten Zeit, Nürnberg 1810. Goldsmith, Lewis (Hg.): Requeil des manifestations, proclamations, discours et decrets de Napoleon Bonaparte, Bd. 3, London: J. Booth 1810. Gondon, J. J. B.: Du droit public et du droit des gens, 3 Bde., Pairs: Brasseur ain8 1807. Görtz, Johann Eustach von: M8moire, ou pr8cis historique sur la neutralit8 arm8e et son origine, suivie de piHces justificatives, Basel 1801. Grotius: The Free Sea (übers. von Richard Hakluyt), hrsgg. von David Armitage, Indianapolis 2004. Grotius, Hugo: The Rights of War and Peace, hrsgg. von Richard Tuck, Bd. 1, Indianapolis 2005. Hufeland, Gottlieb: Neue Grundlegung der Staatswirthschaftskunst, Gießen/ Wetzlar : Tasche u. Müller 1807. Hume, David: Of Commerce, In: David Hume. Essays Moral, Political, Literary. hrsgg. von Eugene F. Miller, Indianapolis 1987 [1777], 253–267. Hume, David: Of Public Credit, In: David Hume. Essays Moral, Political, Literary. hrsgg. von Eugene F. Miller, Indianapolis 1987 [1777], 349–365. Hume, David. Essays Moral, Political, Literary, hrsgg. von Eugene F. Miller, Indianapolis 1987 [1777]. [Hume, David]: Herrn David Humes Vermischte Schriften über die Handlung, die Manufacturen und die andern Quellen des Reichthums und der Macht eines Staats, Hamburg/ Leipzig: Grund & Holle 1754. Inglis, John: Commerce as it was, is, and Ought to be, London: J. Hatchard & J. Richardson 1811. Ivernois, Francis d’: Effects of the Continental blockade upon commerce, finances, credit and prosperity of the British Islands, London: J. Hatchard and J. Richardson 1810. Ivernois, Francis d’: Effets du blocus continental. Sur le commerce, les finances, le cr8dit et la prosp8rit8 des Isles britanniques, London: Vogel 1809. Ivernois, Francis d’: Histoire de decrets commerciaux de Bonaparte et leurs effets, London: Vogel & Schulze 1811. Ivernois, Francis d’: Histoire de l’administration des finances de la R8publique FranÅaise, London: Spilsbury 1796. Ivernois, Frans [Francis] d’: Blockadsystemet, eller huruwida kan Englands Handel ännu ega bestand?, Stockholm: Olof Grahn 1811. Jouy, Ptienne: Tippo-Sa[b. Trag8die en cinq actes et en vers, Paris: Didot l’ain8 1813.
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Schriften des Frühneuzeitzentrums Potsdam Herausgegeben von Iwan-Michelangelo D’Aprile, Cornelia Klettke, Andreas Köstler, Ralf Pröve, Stefanie Stockhorst und Dirk Wiemann Im Fokus dieser Schriftenreihe steht die weit gefasste und kulturwissenschaftlich ausgerichtete Frühneuzeitforschung. Grundlage ist dabei ein umfassender Begriff von Kultur, der diese als den Kern aller menschlichen Lebensformen – einschließlich der geisteswissenschaftlichen und naturwissenschaftlichen Entwicklungen – versteht, d. h. als eine Praxis, in der sich die Selbstreflexion von Gesellschaften vollzieht. Von besonderem Interesse ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit, die durch eine Bündelung unterschiedlicher Perspektiven etwa aus der Anglistik/Amerikanistik, der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft, Germanistik, Geschichte, den Jüdischen Studien, der Kunstgeschichte, Philosophie, den Religionswissenschaften und der Romanistik erreicht werden soll. Ziel ist es, Potenziale dieser Disziplinen auszuschöpfen und Synergieeffekte zu schaffen, um ein wirkliches Ineinandergreifen der Fächer zu erreichen. Die Reihe ist am Frühneuzeitzentrum Potsdam verortet. Erscheinen werden sowohl die Ergebnisse der hier verantworteten Workshops und Tagungen als auch Monographien. Weitere Bände dieser Reihe: Band 8: Sebastian Ernst, Ärgerliche Räume und Räume der Ergötzlichkeit. Emotionale Topografien in der Frühen Neuzeit, 2018, 457 Seiten, ISBN 978-3-8471-0860-3. Band 6: Anja Bittner, Eine königliche Mission. Der französisch-jakobitische Invasionsversuch von 1708 im europäischen Kontext, 2017, 277 Seiten, ISBN 978-3-8471-0737-8. Band 5: Hannah Lotte Lund / Ulrike Schneider / Ulrike Wels (Hg.), Die Kommunikations-, Wissens- und Handlungsräume der Henriette Herz (1764–1847), 2017, 308 Seiten, ISBN 978-3-8471-0624-1. Band 4: Dirk Niefanger / Werner Wilhelm Schnabel (Hg.), Positionierungen. Pragmatische Perspektiven auf Literatur und Musik der Frühneuzeit, 2017, 391 Seiten, ISBN 9783-8471-0623-4. Band 3: Mathias Palm, Dialogische Ordnung. Machtdiskurs und Körperbilder in der höfischen Trauerdichtung Johann von Bessers (1654–1729), 2014, 204 Seiten, ISBN 9783-8471-0221-2. Band 2: Stefanie Stockhorst (Hg.), Friedrich Nicolai im Kontext der kritischen Kultur der Aufklärung, 2013, 368 Seiten, ISBN 978-3-89971-909-3. Band 1: Cornelia Klettke / Ralf Pröve (Hg.), Brennpunkte kultureller Begegnungen auf dem Weg zu einem modernen Europa. Identitäten und Alteritäten eines Kontinents, 2011, 277 Seiten, ISBN 978-3-89971-877-5.