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German Pages 374 [376] Year 2008
150 Jahre Wissen für die Zukunft Oldenbourg Verlag
Produktionsmanagement von Universitätsprofessor
Dr. Richard Vahrenkamp unter Mitarbeit von
Dr. Christoph Sieperm arm
6., überarbeitete Auflage
Oldenbourg Verlag München
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
© 2008 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH Rosenheimer Straße 145, D-81671 München Telefon: (089) 45051-0 oldenbourg.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Lektorat: Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, [email protected] Herstellung: Anna Grosser Coverentwurf: Kochan & Partner, München Gedruckt auf säure- und chlorfreiem Papier Druck: Grafik + Druck, München Bindung: Thomas Buchbinderei GmbH, Augsburg ISBN 978-3-486-58784-5
Vorwort zur 6. Auflage
Die rasche Aufnahme der 5. Auflage machte nun eine Neubearbeitung fur die 6. Auflage erforderlich. Wesentlich überarbeitet wurden die Kapitel zur Losgrößenplanung, zu Lean Production und zu Kanban Systemen. Das Kapitel zur Termin- und Kapazitätssteuerung wurde um das Thema Kapazitätsglättung mit den Ansatz der Linearen Optimierung erweitert und das Kapitel zum Qualitätsmanagement um den Aspekt von Six Sigma. Die Kapitel zu Arbeitszeitmodellen, Organisation und Materialfluss in der Produktion sowie zur Organisation von Montagelinien wurden zu einem neuen Abschnitt "Taktisches Produktionsmanagement" zusammengefasst. Ebenso wurden die Ausführungen zu PPS- und SCM-Software zu einem Kapitel "Softwarelösungen für die Produktionsplanung und -Steuerung" zusammengeführt. Des weiteren wurden die Literatur und die Texte zur Managementpraxis aktualisiert. Schließlich wurden am Ende eines jeden Kapitels Fragen zur Lernkontrolle eingefugt. Ich danke Herrn Dr. Christoph Siepermann für Unterstützung bei der Gestaltung der Texte. Frau Jutta Quanz danke ich für die Erledigung der Sekretariatsarbeiten und die Einarbeitung der Korrekturen. Schließlich danke ich dem Oldenbourg-Verlag für die problemlose Abwicklung der 6. Auflage.
Kassel, im Mai 2008
Richard Vahrenkamp
Inhaltsübersicht I 1 2 3 4
Strategisches Produktionsmanagement Grundlagen des Produktionsmanagements Produktion als Wettbewerbsfaktor Forschung und Entwicklung Ökologisches Produktionsmanagement
II 5 6 7
Taktisches Produktionsmanagement Arbeitszeitmodelle Organisation und Materialfluss in der Produktion Die Organisation von Montagelinien
1 18 35 54
68 79 101
III Operatives Produktionsmanagement: Die hierarchische Produktionsplanung und -Steuerung 8 Das Konzept der hierarchischen Produktionsplanung 9 Die Programmplanung 10 Die programmgesteuerte Bedarfsplanung 11 Die verbrauchsgesteuerte Bedarfsplanung 12 Die Losgrößenplanung 13 Die Termin- und Kapazitätsplanung 14 Die Ablaufsteuerung 15 Softwarelösungen für die Produktionsplanung und -Steuerung: PPS-, ERP- und SCM-Software 16 Das Projektmanagement
235
IV 17 18 19 20 21 22 23 24
246 252 265 288 313 324 335 341
Steuerungs- und Integrationskonzepte Die Grenzen der hierarchischen Produktionsplanung und-Steuerung Das Toyota Produktionssystem - Lean Production Total Quality und das Qualitätsmanagement Die Lieferantenintegration der Just-In-Time-Beschaffung Die Kanban- und CONWIP-Steuerung Die belastungsorientierte Auftragsfreigabe Das Fortschrittszahlenkonzept Die retrograde Terminierung
Literatur Stichwortverzeichnis
110 118 128 139 153 181 195 215
355 360
Inhaltsverzeichnis Abschnitt I: Strategisches Produktionsmanagement 1 1.1 1.2 1.3
Grundlagen des Produktionsmanagements Systematisierung industrieller Produktionsprozesse Das Zielsystem der industriellen Produktion und das Umweltmodell der Unternehmung Das Konzept der Wertschöpfungsketten und der Geschäftsprozesse
1 1 5 10
2 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5
Produktion als Wettbewerbsfaktor Make-or-Buy-Entscheidungen Marktfeldstrategien Das Konzept des Produkt-Lebenszyklus Das Erfahrungskurvenkonzept Die Wettbewerbsstrategien nach Porter
18 18 20 25 28 31
3 3.1 3.2 3.3
Forschung und Entwicklung Grundlegende Begriffe und institutionelle Aspekte Methoden des Innovationsmanagements Methoden der Standardisierung Management Praxis: Philips schreibt das Geschäft mit Bildröhren ab
35 35 39 48 52
4 4.1 4.2 4.3 4.4
Ökologisches Produktionsmanagement Umweltwirkungen der industriellen Produktion Rechtliche Vorschriften zum Umweltschutz Aufgaben des ökologischen Produktionsmanagements Instrumente des Öko-Controlling Management Praxis: Mode mit Ökosiegel
54 54 57 59 63 66
Abschnitt II: Taktisches Produktionsmanagement 5 5.1 5.2
Arbeitszeitmodelle Flexible Arbeitszeitmodelle Bewertung von Arbeitszeitmodellen Management Praxis: Variable Arbeitszeit bei VW-Tochter 5.000 GmbH
68 68 74 77
6 6.1 6.2 6.3 6.4
Organisation und Materialfluss in der Produktion Grundtypen der Arbeitsorganisation Das Layout der Prozess-Industrie Die Prinzipien des Materialflusses Das Warteschlangenmodell der Werkstatt
79 79 86 88 91
7 7.1 7.2 7.3
Die Organisation von Montagelinien Die Abstimmung von Fließbändern Verfahren zur Ausbalancierung des Bandes Das Warenkorbkonzept und FTS-Montagesysteme
101 101 104 107
χ
Inhaltsverzeichnis
Abschnitt III: Operatives Produktionsmanagement: Die hierarchische Produktionsplanung und -Steuerung 8 8.1 8.2 8.2.1 8.2.2
Das Konzept der hierarchischen Produktionsplanung Struktur der hierarchischen Produktionsplanung Exkurs: Verfahren zur Segmentierung des Materialbedarfs Die ABC-Analyse Die XYZ-Analyse
110 110 115 115 116
9 9.1 9.2 9.3 9.4
Die Programmplanung Begriff und Arten der Programmplanung Die marktbezogene Programmbildung Die Darstellung des allgemeinen Modellansatzes Verfahren der Kapazitätsglättung
118 118 120 122 125
10 10.1 10.2 10.3 10.4
Die programmgesteuerte Bedarfsplanung Grundlagen und Überblick Die Stücklistenauflösung Die Herleitung des Nettosekundärbedarfs Die Grunddatenverwaltung
128 128 129 132 135
11 11.1 11.2 11.3
Die verbrauchsgesteuerte Bedarfsplanung Grundlagen Methoden der Datenfortschreibung Exkurs: Lineare Regressionsrechnung mit Microsoft Excel
139 139 141 148
12 12.1 12.2 12.3 12.4 12.5 12.6 12.6.1 12.6.2
Die Losgrößenplanung Grundlagen und Überblick Durchlaufzeitminimalen Lose Flussorientierte Lose auf einer Engpassmaschine Kostenminimale Lose Die Andler'sche Losgröße Losgrößensansätze bei einstufigem, variablen Bedarf Überblick Das Verfahren von Wagner/Whitin Das Kostenausgleichsverfahren als Heuristik für das Wagner/WhitinVerfahren Die gleitende Losgröße als Heuristik für das Wagner/Whitin-Verfahren Die Heuristiken von Groff und Silver/Meal Abschließende Bewertung der Heuristiken zum Wagner/WhitinVerfahren Losbildung unter Kapazitätsrestriktionen
153 153 154 155 158 158 165 165 166
Die Termin- und Kapazitätsplanung Die Durchlaufterminierung Die Kapazitätsterminierung Die Anpassung der Produktion an eine saisonale Nachfrage mit dem Ansatz der Linearen Optimierung
181 181 185
12.6.3 12.6.4 12.6.5 12.6.6 12.7 13 13.1 13.2 13.3
170 171 175 174 174
190
Inhaltsverzeichnis
14 14.1 14.2 14.2.1 14.2.2 14.2.3 14.3 14.4
XI
Die Ablaufsteuerung Das Zielsystem auf Werkstattebene Methoden der Reihenfolgeplanung im Flow Shop Die einstufige Planung auf einer Maschine (m = 1) Die mehrstufige Planung im Flow Shop (m > 1) Der Johnson-Algorithmus und Erweiterungen Die Maschinenbelegung im Job Shop Die Auftragsfreigabe und Steuerung mit Fertigungsleitständen Management Praxis: Steuerungsstrategien in PPS-Systemen
195 195 197 198 201 206 209 211 212
15 15.1 15.2 15.3 15.4 15.4.1 15.4.2 15.4.3
Softwarelösungen für die Produktionsplanung und -Steuerung: PPS-, ERP- und SCM-Software Von PPS- zu SCM-Software Softwarelösungen für das Supply Chain Management im Überblick SCM-Software - Der Anbieter i2 Technologies SCM-Software - Der Anbieter SAP Advanced Planner & Optimizer (APO) SAP Logistics Execution System (LES) Die zwischenbetriebliche Kommunikation am Beispiel mySAP.com Management Praxis: ERP-/PPS-Systeme
215 215 220 221 224 224 225 226 232
16 16.1 16.2 16.3 16.4 16.5 16.6 16.7
Das Projektmanagement Gegenstand des Projektmanagement Strukturanalyse Terminplanung Kapazitätsplanung Kosten-und Finanzplanung Netzplantechniken Projektmanagement-Systeme
235 235 236 238 239 240 242 244
Abschnitt IV: Steuerungs- und Integrationskonzepte 17
Die Grenzen der hierarchischen Produktionsplanung und -Steuerung
246
18 18.1 18.2
Das Toyota Produktionssystem - Lean Production Überblick zu den Konzepten von Lean Production Methoden der Fertigungssegmentierung
252 252 259
19 19.1 19.2 19.3
Total Quality und das Qualitätsmanagement Problemstellung Methoden des Qualitätsmanagements im Überblick Entkopplung des Materialflusses durch Puffer Verbesserung der Qualität durch Kommunikations- und Gruppenprozesse Personaltraining und Gruppenkommunikation Kontinuierliche Verbesserung von Prozessen: Kaizen und Six Sigma Das Benchmarking Dokumentierte Qualitätsmanagement-Systeme Methoden der Fehlerdarstellung und Analyse Das Ursache-Wirkungs-Diagramm
265 265 267 268
19.4 19.4.1 19.4.2 19.4.3 19.5 19.6 19.6.1
268 268 269 272 273 276 276
XII
Inhaltsverzeichnis
19.6.2 19.6.3 19.7 19.7.1 19.7.2 19.7.3 19.7.4 19.7.5
Die ABC-Fehler-DarStellung (Pareto-Chart) Die FMEA-Methode Die statistische Prozeßkontrolle Die Lagekarte, x-Chart Die Streukarte, R-Chart p-Charts c-Charts Weitergehende Interpretationen
276 277 278 279 281 283 285 285
20 20.1 20.2 20.3 20.4 20.5
Die Lieferantenintegration der Just-In-Time-Beschaffung Das Just-In-Time-Grundmodell Make or buy: Die Reduktion der Fertigungstiefe und Outsourcing Ausgestaltung von Just-In-Time-Kooperationen Die Grenzen von Just-In-Time Die Entstehung von Just-In-Time in Japan Management Praxis 1: Das Standard-Auto Management Praxis 2: Das neue Porsche Werk bei Leipzig
288 288 292 299 308 310 311 312
21 21.1 21.2
Die Kanban- und CONWIP-Steuerung Die Kanbansteuerung Die CONWIP-Steuerung Management Praxis: Kanbansteuerung bei Montblanc
313 313 320 322
22 22.1 22.2 22.3
324 324 328 330
22.4
Die belastungsorientierte Auftragsfreigabe Allgemeine Beschreibung des Verfahrens Die praktischen Regeln fur die Freigabe in der Werkstatt Erläuterung der Vorgehensweise anhand eines Beispiels Die Einordnung der belastungsorientierten Auftragsfreigabe in die Warteschlangentheorie
332
23
Das Fortschrittszahlenkonzept
335
24 24.1 24.2
Die retrograde Terminierung Idee und grundsätzliche Vorgehensweise Verfahren der retrograden Terminierung bei Identical Routing Verfahren der retrograden Terminierung bei Different Routing oder vernetzten Produktionsstrukturen Verfahren der retrograden Terminierung mit flexibler Personalzuordnung Die Steuerparameter der retrograden Terminierung Einordnung der retrograden Terminierung in den Gesamtkontext der Produktionsplanung und -Steuerung
341 341 343
24.3 24.4 24.5 24.6
Literatur Stichwortverzeichnis
346 352 353 354
355 360
1
Grundlagen des Produktionsmanagements
1.1
Systematisierung industrieller Produktionsprozesse
An dieser Stelle sollen die grundlegenden Begriffe der Produktion angesprochen und erläutert werden, auf denen die folgenden Kapitel aufbauen. In einer funktionalen Betrachtungsweise der Industrieunternehmung lässt sich die Funktion der Produktion von den Funktionen Beschaffung und Absatz unterscheiden. Das Verständnis der Produktion als Prozess beruht auf dem Input-Output-Modell (vgl. Abbildung 1.1). Der Produktionsprozess wird als ein Vorgang verstanden, der die im Zeitablauf in den Prozess eingehenden Güter (Input-Güter) umformt und zu Output-Gütern werden lässt. In einem einstufigen Produktionsprozess werden die Input-Güter auf dem Beschaffungsmarkt beschafft und die Output-Güter auf dem Absatzmarkt abgesetzt. Hingegen werden bei einem mehrstufigen Produktionsprozess die Output-Güter der einen Stufe als InputGüter der Folgestufe verwendet. Man spricht von Zwischenprodukten. Input
Throughput
Output
Einsatzgüter (Produktionsfaktoren)
Transformations-/ Kombinationsprozeß (Produktion)
Ausbringungsgüter (Produkte/Absatzleistungen)
Abbildung 1.1: Input-Output-Modell
Das Input-Output-Modell wird auch zur Modellierung von Geschäftsprozessen herangezogen (siehe unten). Bei dem Umformungsprozess von Input-Gütem zu OutputGütern spielen eine ganze Reihe von Produktionsfaktoren eine Rolle. Man unterscheidet Repetierfaktoren und Potenzialfaktoren. Repetierfaktoren sind Produktionsfaktoren, die im Produktionsprozess verbraucht werden und umfassen • • • •
Rohstoffe, Hilfsstoffe, Betriebsstoffe sowie Vorprodukte wie Halbzeuge, Normteile, Baugruppen.
Roh- und Hilfsstoffe unterscheiden sich dadurch, dass erstere als Hauptbestandteile in das zu fertigende Produkt eingehen, während Hilfsstoffe mengen- oder wertmäßig nur eine untergeordnete Rolle spielen. Häufig angeführte Beispiele fur Hilfsstoffe sind Leim oder Schrauben bei der Möbelherstellung. Betriebsstoffe gehen im Unterschied zu den übrigen Repetierfaktoren nicht in die Produkte ein, sondern werden zum Betrieb der Fertigungsanlagen benötigt (z.B. Schmierstoffe, Hydrauliköle, Energie). Im Unterschied zu den Stoffen, die verbraucht werden, stellen die Potenzialfaktoren Eingangsgrößen für die Produktion dar, welche nicht aufgezehrt bzw. umgeformt werden, sondern dem Produktionsprozess langfristig ein Leistungsvermögen zur Verfügung stellen. Potenzialfaktoren unterliegen aber einem Verschleiß, ζ. B. Abnutzung von Maschinen und Alterung von Gebäuden. Sie lassen sich gliedern als: Menschliche Arbeitsleistungen, Grundstücke,
2
Kapitel 1 * Grundlagen des Produktionsmanagements
• Gebäude und • Maschinen und sonstige Anlagen. Bei den menschlichen Arbeitsleistungen ist zwischen ausführender, am Fertigungsobjekt vollzogener Arbeit und der Ausübung von Management-Aktivitäten der Planung, Steuerung und Kontrolle der betrieblichen Abläufe (sog. dispositiver Faktor) zu unterscheiden. Über die bislang erläuterten, von Gutenberg unterschiedenen Produktionsfaktoren (vgl. Abbildung 1.2) hinaus werden in der moderneren Betriebswirtschaftslehre auch finanzielle Mittel, Rechte (z.B. Patente, Lizenzen), Informationen/Wissen (z.B. ProduktionsKnow-how), (Dienst-) Leistungen von Staat, Kommunen, Verbänden, Kreditinstituten, Versicherungen und Beratungs-/Serviceleistungen sonstiger Dienstleistungsunternehmen (sog. "Zusatzfaktoren") sowie die natürliche Umwelt (insbesondere Wasser und Luft) als Produktionsfaktoren angesehen. Produktionsfaktoren nach Gutenberg Menschliche Arbeit Betriebsmittel dispositive Arbeit (Management)
objektbezogene (ausführende) Arbeit
• • • •
Dispositiver Faktor
Grundstücke Gebäude Maschinen Werkzeuge
Werkstoffe/Material • Rohstoffe . Hilfsstoffe • Betriebsstoffe • Bezogene Teile (Vorprodukte)
Elementarfaktoren Potential-/Gebrauchsfaktoren
Repetier-/ Verbrauchsfaktoren
Abbildung 1.2: Systematik der Produktionsfaktoren nach Gutenberg
Der Produktionsprozess ist damit als eine Kombination unterschiedlicher Produktionsfaktoren vorstellbar. Um einen gegebenen Output zu erzielen, sind im allgemeinen keine bestimmten Kombinationen der Produktionsfaktoren ausschließlich zu verfolgen. Vielmehr können unterschiedliche Kombinationsvorgänge zu dem gleichen Output fuhren, sofern er nicht technologisch, wie etwa bei der Halbleiterindustrie, determiniert ist. Die Frage der Faktorkombination berührt auch die weitergehenden Fragen von Effizienz und Wirtschaftlichkeit von Produktionsprozessen. Hierauf soll im folgenden Abschnitt eingegangen werden. Die Versuche, die Produktion zu charakterisieren, gehen auf eine ganze Reihe von verschiedenen Kriterien zurück 1 . Wegen der gegebenen Vielfalt industrieller Produktionsprozesse lässt sich keine - von der Wissenschaft eigentlich angestrebte - einheitliche Systematik angeben. Vielmehr wird eine Vielzahl von Kriterien angewandt, um die Produktion zu betrachten: 1. Einerseits kann von den verschiedenen Stufen der Volkswirtschaft ausgegangen werden. Unterschieden werden: • Urproduktion, wie z.B. Landwirtschaft, Kohle und andere Bergbauprodukte, • Produktionsgüterindustrie, wie z.B. chemische Produkte und Stahl, 1
Wenn im folgenden von Produktion die Rede ist, wird die industrielle Produktion angesprochen. Eine Abgrenzung zur Produktion des Handwerks ist wegen vieler Überschneidungen nicht konsistent durchführbar und soll daher nicht vorgenommen werden.
3
Kapitel 1 • Grundlagen des Produktionsmanagements
• Investitionsgüterindustrie, wie z.B. elektrotechnische Produkte und Produkte des Maschinenbaus sowie • Konsumgüterindustrie, welche Produkte erzeugt, die vom Verbraucher konsumiert werden. 2. Wird von den verarbeiteten Rohstoffeil ausgegangen, Gliederungspunkte wie die Holzindustrie oder der Stahlbau.
so
ergeben
sich
3. Wenn nach dem Endprodukt gefragt wird, so erhalten wir ein Schema, das etwa die Automobilindustrie von der Bekleidungsindustrie unterscheidet. 4. Wird die Menge des industriellen Outputs zur Grundlage genommen, so unterscheidet man Massen-, Sorten-, Serien und Einzelfertigung. Unter Massenproduktion versteht man die zeitlich unbegrenzte Herstellung eines Produktes in großen Mengen. Werden verschiedene Produktarten hergestellt, so erfolgt die Produktion auf unterschiedlichen Anlagen. Die Sortenfertigung stellt einen Spezialfall der Massenfertigung dar, bei der mehrere eng miteinander verwandte Varianten eines Grundprodukts (z.B. verschiedene Biersorten) wiederum in großen Mengen, jedoch nun abwechselnd auf denselben Produktionsanlagen hergestellt werden. Die Serienfertigung unterscheidet sich von der Massen- und Sortenfertigung dadurch, dass die Erzeugnisse lediglich in einer begrenzten, vorher festgelegten Anzahl (z.B. 5.000 Stück) hergestellt werden. Die Produktion der verschiedenen Produktarten erfolgt wie bei der Sortenproduktion auf denselben Anlagen. Unterschieden werden die Groß- und die Kleinserie. Der Übergang von der Großserien- zur Massen- bzw. Sortenproduktion ist allerdings fließend. Unter Einzelfertigung versteht man schleißlich die Herstellung von Unikaten augfrund individueller Kundenaufträge. 5. Ebenso ist es möglich, die angewandte Produktionstechnologie als ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal zu sehen. Hierbei wird die Fertigungstechnik von der Verfahrenstechnik unterschieden. In der Fertigungstechnik werden • Halbzeuge erzeugt, wie z.B. Bleche, Drähte und Gewebe, • Halbfabrikate erstellt, wie z.B. Gussteile oder Schmiederohlinge, • Teile gefertigt, wie z.B. Gehäuse, Motorenteile oder Karosserieelemente sowie • fertige Baugruppen oder Enderzeugnisse aus Einzelteilen montiert. Der Montageprozess besitzt einen konvergierenden Charakter, da aus vielen Einzelteilen, die auf vorhergehenden Produktionsstufen erzeugt werden, nun Endprodukte hervorgehen. Die Verfahrenstechnik ist im Bereich der chemischen Technologie angesiedelt. Die Prozessindustrie kann nicht als einzelne Industrie betrachtet werden, sondern umfasst einen Querschnitt über viele Branchen. Kernbranchen sind die • Chemische Industrie, • Pharmazeutische Industrie und • Lebensmittelherstellung.
4
Kapitel 1 · Grundlagen des Produktionsmanagements
Teilbereiche und weitere Sektoren sind: • • • •
Glas-, Keramik- und Baustoffproduktion, Öle und Feinchemie, Eisenhüttenwesen und Metallurgie, Farben und Lacke.
Bei der Verfahrenstechnik geht es weniger um die Bearbeitung von einzelnen Teilen, als vielmehr um die Gewinnung von chemischen Grund- und Spezialstoffen, wie auch von Metallen. Neben der Abfolge der chemischen Reaktionen in Reaktionsgefaßen sind als wesentliche Produktionsschritte der Verfahrenstechnik das Zerkleinern, das Trennen und das Mischen zu nennen (vgl. Kapitel 6). Die Verfahrenstechnik ist häufig von energieintensiven Prozessen gekennzeichnet, wie z.B. bei der Herstellung von Stahl oder Aluminium. Im Unterschied zur Fertigungstechnik besitzt die Verfahrenstechnik stark divergierende Produktionsstrukturen. So wird aus dem Grundstoff Öl eine große Zahl von Endprodukten in der Chemie und Pharmazie erzeugt. 6. Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal von Produktionstechnologien besteht in der Untersuchung der Stetigkeit des Produktionsflusses. Zu den kontinuierlichen Verfahren in der Verfahrenstechnik werden z.B. die Elektrizitätsproduktion, die Fließglasproduktion und das Stranggießen gerechnet. In der Fertigungstechnik wird die Fließbandmontage zu den kontinuierlichen Verfahren gezählt. Diskontinuierliche Produktionsverfahren werden z.B. bei der chargenweisen Produktion in der chemischen Industrie angewandt, etwa bei der Erzeugung von synthetischen Farben. 7. Die Produktionstechnologien der Fertigungstechnik werden nach den Organisationsformen der Produktion unterschieden. Man spricht einerseits von der Werkstattfertigung, wenn die Arbeitsmaschinen gruppenweise aufgestellt werden. Von der Produktionsplanung kann die Reihenfolge der Bearbeitungsschritte unabhängig vom Aufstellungsort der Maschinen gewählt werden. Im Unterschied dazu stellt das Organisationsprinzip der Fließfertigung die Bearbeitungsmaschinen in der Reihenfolge auf, die durch den Produktionsprozess technologisch gegeben sind (vgl. Kapitel 6). Man kann die Merkmale zur Systematisierung von Produktionsstrukturen in der Tabelle 1.1 in Form eines „morphologischen Kastens" zusammenfassen (zum morphologischen Kasten vgl. Kapitel 3).
5
Kapitel 1 · Grundlagen des Produktionsmanagements
Merkmal
Merkmalsausprägungen Erzeugnisse nach Kundenspezifikation
Typisierte Erzeugnisse mit kundenspezifischen Varianten Mehrteilige Erzeugnisse mit einfacher Struktur Produktion auf Bestellung mit Rahmenaufträgen Disposition überwiegend kundenauftragsorientiert
1.
Erzeugnisspektrum
2.
Erzeugnisstruktur
3.
Auftragsauslösungsart
4.
Dispositionsart
Disposition kundenauftragsorientiert
5.
Beschaffungsart
Fremdbezug unbedeutend
Fremdbezug in größerem Umfang
Weitestgehender Fremdbezug
6.
Fertigungsart
Einmalfertigung
Einzel- und Kleinserienfertigung
Serienfertigung
Massenfertigung
7.
Fertigungsablaufart
Baustellenfertigung
Werkstattfertigung
Gruppen-/ Linienfertigung
Fließfertigung
8.
Fertigungsstruktur
Fertigung mit geringer Tiefe
Fertigung mit mittlerer Tiefe
Fertigung mit großer Tiefe
Einteilige Erzeugnisse Produktion auf Bestellung mit Einzelaufträgen
Standarderzeugnisse mit Varianten
Standarderzeugnisse ohne Varianten
Mehrteilige Erzeugnisse mit komplexer Struktur Produktion auf Lager Disposition überwiegend programmorientiert
Disposition programmorientiert
Tabelle 1.1: Systematisierung von Produktionsstrukturen (Quelle: Hackstein 1989, S. 22)
1.2
Das Zielsystem der industriellen Produktion und das Umweltmodell der Unternehmung
Neben den Fragen der Produktionstechnologie und den Betriebstypologien beschäftigt sich die Betriebswirtschaftslehre insbesondere mit den Aspekten der Planbarkeit und der Rationalität des industriellen Produktionsprozesses. Der Aspekt der Planbarkeit meint, dass die Kombination der Produktionsfaktoren im Produktionsprozess nicht zufallig oder willkürlich vor sich geht, sondern einer vorausgegangenen Planung unterliegt, die Gegenstand der Unternehmensplanung ist, welche die strategische Ausrichtung der Unternehmung am Markt, die Standorte und Kapazitäten der Werke, das Produktionsprogramm sowie die Bereitstellung der Produktionsfaktoren zum Gegenstand hat. Ferner erfolgt eine Planung der Gestaltung und der Konstruktion der Produkte. Schließlich erstreckt sich die Planung auf die technische und organisatorische Durchführung des Produktionsprozesses selbst. Die eingangs erwähnte Abgrenzung der Funktionen Beschaffung und Produktion unterliegt selbst der strategischen Planung (vgl. Kapitel 2). Mit Make-Or-BuyEntscheidungen ist festzulegen, welcher Anteil an der Wertschöpftmg selbsterstellt und welcher fremdbeschafft werden soll. Die Summe der in einer Periode beschafften und monetär bewerteten Güter bezeichnet man als den Materialaufwand. Als Fertigungstiefe wird der Anteil an der Wertschöpftmg bezeichnet, der in einer Periode im eigenen Unternehmen erbracht wird. Sie ist definiert als (Perioden-Umsatz - Materialaufwand)/Perioden-Umsatz. Die Planung und die Steuerung des Produktionsprozesses unterliegen einem vielschichtigen betrieblichen Zielsystem, das eine Reihe von ökonomischen und sozialen Zielen
6
Kapitel 1 * Grundlagen des Produktionsmanagements
umfasst. Hinsichtlich der Produktion diskutieren wir hier einige grundlegende Zielbegriffe. Unter der Produktivität eines Produktionsfaktors verstehen wir das Verhältnis von Outputmenge zur eingesetzten Menge des Faktors. . . Outputmenge Produktivität = ——— Inputmenge
Hierbei sind die Mengen auf eine Periode bezogen. Vielfach wird die Arbeitsproduktivität als Maßstab für den internationalen Vergleich, etwa in der Automobilindustrie, herangezogen. Dieser Produktivitätsbegriff bezieht sich auf den Faktor der eingesetzten Arbeitskraft und mißt, wie viele Autos in einer Periode pro Mitarbeiter produziert werden. Die Tabelle 1.2 zeigt die Arbeitsproduktivität von fünf Autowerken in Europa des Jahres 2001 auf. Die Arbeitsproduktivität der Werke ist nicht direkt vergleichbar, da erst ein Bezug auf die Fertigungstiefe der einzelnen Werke die Vergleichbarkeit herstellen kann. Bei einem Werk mit niedriger Fertigungstiefe können wenige Arbeiter viele Autos herstellen, da die Vorprodukte bei Zulieferern hergestellt werden. Hersteller Nissan Ford Toyota Fiat GM
Werk Sunderland Saarlouis Bumaston Melfi Eisenach
Land Großbritannien Deutschland Großbritannien Italien Deutschland
Produzierte Fahrzeuge 296489 408405 156000 350756 137272
Arbeitsproduktivität 95 87 87 82 77
T a b e l l e 1.2: A r b e i t s p r o d u k t i v i t ä t v o n A u t o w e r k e n in E u r o p a d e s J a h r e s 2 0 0 1 ( Q u e l l e : A u t o m o b i l p r o d u k t i o n O k t o b e r 2 0 0 2 , S. 120)
Die Produktivität ist stets als eine Teilproduktivität nur auf einen einzelnen Faktor bezogen. Aussagekräftiger ist die monetäre Bewertung des Outputs im Verhältnis zur Summe der monetär bewerteten Inputfaktoren. Wir erhalten als Maßstab den Begriff der Wirtschaftlichkeit, der definiert ist als Output in Geldeinheiten (GE) dividiert durch Input in Geldeinheiten. Output in GE Wirtschaftlichkeit = — :——— Input in GE Das Prinzip der Wirtschaftlichkeit fordert, den Produktionsprozess so zu organisieren und die Faktorkombinationen in derartiger Weise vorzunehmen, dass die Wirtschaftlichkeit maximiert wird. Auf das Zielsystem des Produktionsmanagements gehen wir in dem Kapitel 8 näher ein. Das Ziel der Wirtschaftlichkeit meint insbesondere, dass nur effiziente Faktorkombinationen in Betracht kommen. Faktorkombinationen heißen dann effizient, wenn der Einsatz eines Faktors nicht vermindert werden kann, ohne den Einsatz eines anderen Faktors zu erhöhen. Die Faktorsubstitution ist im historischen Verlauf von einem deutlichen Trend gekennzeichnet, den Faktor Arbeit immer mehr durch Anlageinvestitionen im Maschinenpark zu ersetzen. Die pro Arbeitskraft getätigten Kapitalanlagen im Maschinenpark werden auch als Kapitalintensität bezeichnet. Tabelle 1.3 gibt ausgewählte Kapitalintensitäten einiger Industriezweige der Bundesrepublik Deutschland in den Jahren 1991 bis 2001
7
Kapitel 1 · Grundlagen des Produktionsmanagements
wieder. Das starke Wachstum der Kapitalintensität in diesem Zeitraum wird in allen Branchen deutlich. Der industrielle Produktionsprozess lässt sich ferner durch einen Trend der zunehmenden Automatisierung kennzeichnen. Von verschiedenen Autoren sind Hierarchiestufen entwickelt worden, um den historischen Übergang von der einfachen Handarbeit zu hochautomatisierten Produktionssystemen in den vergangenen 200 Jahren schrittweise darzustellen. Eine Übersicht über die Stufen der modernen, flexiblen Automatisierung gibt Hammer in Abbildung 1.3. Produzierendes Gewerbe ohne Baugewerbe Jahr
Insgesamt
1
Land- und Forstwirtschaft, Fischerei
zusammen
2
3
Handel. Gastgewerbe und Verkehr
darunter: Verarbeitendes Gewerbe
Baugewerbe
4
5
Finanzierung. Vermietung Öffentliche darunter und Unter- und private Handel. Reparatur Verkehr und nehmens- Dienstleister von Kfz u. Nachrichten- dienstleister Gebrauchs- übermittlung 1) qütem
zusammen
6
7
β
9
10
1000 EUR je Erwerbstätigen 1991
208
165
110
84
20
80
35
204
174
167
1992
218
193
122
93
21
84
37
216
176
169
1993
228
208
134
102
21
87
39
230
179
173
1994
235
216
142
108
22
91
41
245
180
174
1995
241
227
146
110
23
93
42
259
182
176
1996
247
250
150
113
24
95
43
272
183
177
1997
253
253
153
115
25
97
44
287
164
180
1998
257
251
154
114
26
98
45
289
183
181
1999
259
256
157
116
26
98
46
293
179
182
2000
261
257
157
116
27
98
46
293
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2001
266
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158
116
28
100
48
296
178
185
Tabelle 1.3: Kapitalintensität der Wirtschaftszweige in der BRD (Quelle: Statistisches Bundesamt)
Verbund von Fertigungsinseln, Fertigungszellen. Einzelmaschinen und Fertigungsinselsystem Integration zu einer computerintegrierten Fertigung
Stufen der flexiblen Automatisierung Fkxibles FenigungsvertHin}-
Automatische Werkstückkomplettbcarbeitung mit sich ersetzenden oder sich ergänzenden Maschinen durch flexible Materialflussverkettung, Werkzeugversorgung und integrierte Rechnerstellung
Flexible Fertigungs-
Automatische Werkstückbearbeitung auf mehreren gleichartigen. sich ersetzenden Maschinen durch flexible Materialflussketten, Werkzeugvereorgung und integrierte Rechnersteuerung
Flexible Fertigungszelle
Automatische Werkstückbearbeitung mit selbstständigem Werkzeug- und Werkstückwechsel
Automatische Werkstückbearbeitung auf Einzelmaschinen
NC-
NCMaschine
Flexible Einzelmaschinen
Flexible Fertigungssysteme
Abbildung 1.3: Flexible Automatisierung (Quelle: Hammer 1991, S. 346)
Der Produktionsprozess eines Unternehmens ist als ein Austauschprozess des Unternehmens mit seiner Umwelt zu begreifen. Folgt man dieser Auffassung, so ergibt sich
8
Kapitel 1 · Grundlagen des Produktionsmanagements
das Umweltmodell der Unternehmung, die mit der Umwelt einen Austausch von Leistungen, Interessen und Wertauffassungen vollzieht (Anspruchsgruppenmodell). Eine ganze Reihe von verschiedenen Umweltsegmenten ist zu identifizieren: Die Lieferanten versorgen das Unternehmen mit Vorprodukten und Rohstoffen, die Kunden nehmen die erstellten Produkte ab. Die folgende Abbildung 1.4 veranschaulicht den Austauschprozess der Unternehmung.
Abbildung 1.4: Umweltmodell der Unternehmung
Über den Arbeitsmarkt erhält das Unternehmen Zugriff auf den Faktor Arbeit, und über das Bankensystem unterhält es einen Austausch von Liquidität. Für die strategische Analyse ist darüber hinaus noch die Beobachtung der wissenschaftlich-technischen Entwicklung und der mittelbaren, sowie unmittelbaren konkurrierenden Unternehmungen auf gleichen und auch benachbarten Märkten von Bedeutung. Als weiteres Segment ist das politische und soziale System zu nennen. Hierin eingebettet unterliegt das Unternehmen einer Vielzahl von expliziten und impliziten Restriktionen. Sie resultieren aus der Art der Unternehmensführung, der Entrichtung von Steuern und Abgaben, der Formen der Vertragsgestaltung, der Standards der Produktentwicklung und aus dem Umgang mit gefahrlichen Stoffen und Abfall. Der Einfluss von sozialen Wertsystemen auf die Gestaltung der Arbeits-, Produktionsund Austauschbeziehungen ist von der Betriebswirtschaftslehre lange Zeit weitgehend vernachlässigt worden. Erst die jüngeren Diskussionen um die Untemehmenskultur und um die Effizienz japanischer Unternehmen haben diesen Faktor in das Bewußtsein gebracht. Bereits Max Weber hat in seiner grundlegenden Analyse der Gesellschaft hervorgehoben, dass das gesellschaftliche Zusammenleben nicht ausschließlich dem Prinzip der einzelwirtschaftlichen Vorteilhaftigkeit folgt (formale Rationalität), sondern dass dieses Prinzip seine Grenzen in den von der Gesellschaft akzeptierten Wertsystemen findet (materiale Rationalität) (Weber 1922, S. 44). Die Wertsysteme betreffen die Gestaltung von Lebens-, Arbeits-, Politik- und Kulturbereichen, wie z.B. Auffassungen zur Länge der täglichen Arbeitszeit, von Feiertagsregelungen, Präferenzen im Konsumverhalten, Festsetzungen für Verfahren der Konfliktregelung und der Einschränkung von Gefahrenpotenzialen. Den Wandel der Wertsysteme zu verfolgen, ist eine wichtige Aufgabe für das Marketing, um den Kontakt zum Marktgeschehen auf-
Kapitel 1 · Grundlagen des Produktionsmanagements
9
recht zu erhalten und die Werthaltigkeit von Konsumenten-Entscheidungen zu erkennen. In der jüngeren Diskussion um die Integration des Umweltschutzes in das betriebliche Zielsystem und in die ökologische Rechtfertigung des individuellen Konsumentenverhaltens tritt die Wertesteuerung wirtschaftlichen Handelns deutlich hervor. Diese Fragen werden in Kapitel 4 eingehender behandelt.
Abbildung 1.5: Produktion, Verwaltung und Umwelt im Zwiebelmodell
Betrachten wir das Umweltmodell der Unternehmung näher, so ist der Produktionsprozess im Zentrum der Unternehmung aufzufinden, der durch eine Schale von der Umwelt der Unternehmung abgepuffert ist. Damit steht der Produktionsprozess nicht unmittelbar mit der Umwelt in Kontakt, sondern der Austausch mit dieser wird von den Kommunikations-, Planungs- und Steuerungsinstanzen der Unternehmung geführt, die als Zentralbereiche organisiert sind. In diesem Zusammenhang wird auch der Begriff der Industrieverwaltung gebraucht. Diese besitzt Verantwortung für die Finanzierung, den Absatz, die Beschaffung, die Forschung und Entwicklung, Personalwirtschaft und die Produktionsplanung und -Steuerung. Abbildung 1.5 veranschaulicht die Beziehungen zwischen Produktion und Industrieverwaltung (Zentralbereich) in einem Zwiebelmodell. Die hier erkennbare Arbeitsteilung zwischen Produktion einerseits und Austauschbeziehung andererseits hat zur Folge, dass der Produktionsprozess relativ ungestört von äußeren Einflüssen ablaufen kann. Diese Abschirmung des Produktionsprozesses impliziert eine stärkere Stetigkeit und Planbarkeit des Prozesses, der nicht auf jede Schwankung der möglicherweise sogar turbulenten Umwelt reagieren muss. Eigenständige produktionswirtschaftliche Planungs- und Rationalitätsprinzipien sind damit durchsetzbar. Das eigentliche Flexibilitätspotential wird von der Industrieverwaltung gestellt. Neuere Diskussionen um die Automatisierung von Verwaltungsarbeiten gehen häufig von der Vorstellung aus, die Verwaltung nach ähnlichen Prinzipien zu automatisieren, wie sie in der industriellen Produktion aufzufinden sind. Folgt man aber der obigen Unterscheidung zwischen stetiger Industrieproduktion und Abfederung von Umweltstörungen durch die Industrieverwaltung, so ist eine umstandslose Identifizierung von "Büro" und "Fabrik" nur mit Zurückhaltung zu beurteilen. Diese These wird auch dadurch gestützt, dass die Versuche, die Industrieverwaltungen wie auch die öffentlichen Verwaltungen nach den Vorgaben der industriellen Produktion zu rationalisieren, keine Erfolge gezeigt haben.
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Kapitel 1 · Grundlagen des Produktionsmanagements
Das obige Zwiebelmodell der Produktion birgt aber auch die Gefahr der Marktferne durch die strenge Isolierung von der Umwelt. Der heutigen Forderung nach marktnaher Produktion, welche aus der hohen Intensität der Konkurrenz auf den Märkten resultiert, kann diese klassische Organisationsform nicht mehr gerecht werden. Auf Fragen der Wettbewerbsstrategien gehen wir besonders im folgenden Kapitel 2 ein.
1.3
Das Konzept der Wertschöpfungsketten und Geschäftsprozesse
Mit Hilfe von kleinen, selbständig handelnden Produktionseinheiten wird versucht, die bürokratische Inflexibilität der Zentralbereiche abzubauen und Selbstorganisation und marktähnliche Aushandlungsprozesse in die dezentralen, operativen Bereiche der Auftragsabwicklung einzuführen. Man spricht von Wertschöpfungsketten, Segmenten und Geschäftsprozessen. Geschäftsprozesse orientieren sich an dem Modell von Kunden und Lieferanten. Ein Geschäftsprozess soll einen Kunden zufrieden stellen. Er erhält vom Kunden einen Auftrag zur Erstellung einer Dienstleistung oder eines physischen Gutes. Während aus der Sicht eines Unternehmens die Beziehungen zu Kunden und Lieferanten normal sind, geht der Begriff des Geschäftsprozesses noch einen Schritt weiter, indem die internen Abläufe im Unternehmen als Geschäftsprozesse aufgefaßt werden. Um den Kunden Nutzen zu stiften, benötigt der Geschäftsprozess andere Güter oder Dienstleitungen. Diese werden ihm von Lieferanten geliefert und stellen den Input des Geschäftsprozesses dar. Die Modellierung von Geschäftsprozessen greift also auf das Input-Output-Modell zurück. Die Zentralbereiche werden entmachtet, indem deren Aufgaben auf die operative Ebene der Auftragsabwicklung verlagert werden (vgl. Kapitel 18). Nach Porter (1986) wird diese Ebene mit Wertschöpfungsketten beschrieben, welche durchgehende Material- und Informationsströme vom Lieferanten bis zum Kunden darstellen. Die Abbildung 1.6 veranschaulicht diese Beziehungen.
Abbildung 1.6: Wertschöpfungsketten und Zentralbereiche
Das Konzept der Wertschöpfiingsketten und dessen Realisierung kann im Extrem zur weitgehenden Auflösung der Unternehmung als klar identifizierbarer Einheit führen. Die Grenzen zur Umwelt werden fließend. Man spricht daher auch von virtuellen Unternehmen. Das Unternehmen geht in einem weltweiten Netzwerk von Marktpartnern auf. In der modernen Organisationstheorie wird daher der Unternehmensbegriff um den Netzwerkbegriff erweitert. Das virtuelle Unternehmen ist von kurzfristig wechselnden Kooperationen und Allianzen zwischen Kunden, Lieferanten und sogar direkten Wettbewerbern gekennzeichnet, wie dies bereits seit langem von Bauprojekten und auch von Bergungsprojekten bekannt ist. Die Grenzen zwischen Unternehmen und Umwelt wer-
Kapitel 1 « Grundlagen des Produktionsmanagements
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den durch Selbstorganisation stets neu bestimmt. Das Konzept des virtuellen Unternehmens lässt sich daher in die Theorie selbstorganisierender Systeme der modernen Systemtheorie einordnen. Das Netzwerk umfaßt weltweite Zuliefererketten und weltweite Distributionskanäle und fuhrt zu einer Integration von Produktion und Logistik. Die Schnelligkeit des technischen Fortschritts und des Wandels auf den Märkten macht diese Organisationsform erforderlich, da nur durch sie eine rasche Produktentwicklung sowie ein rascher Marktzugang über etablierte Distributionskanäle ermöglicht wird. So kooperierte der Computerhersteller Apple mit seinem Mitbewerber Sony, da Apple sein Notebookmodell PowerBook alleine nicht rasch genug auf den Markt bringen konnte. Die besonderen Stärken beider Unternehmen - Apple's ausgereifte Software und Sony's Fähigkeit zur Miniaturisierung - wurden in die Kooperation eingebracht. Als nach einem Jahr über 100.000 Stück der von Sony produzierten PowerBooks verkauft waren, wurde die Kooperation beendet, und Apple produzierte die Geräte selbst. Mit der Forderung nach marktnaher Produktion ist der Bedeutungsverlust der klassischen Massenproduktion auf den Konsumgütermärkten verbunden, welche das Ziel hatte, einen einfachen und genormten Gebrauchsnutzen zu niedrigem Preis nahezu jedem Konsumenten zur Verfügung zu stellen. Berühmte Beispiele sind hierfür das Automobil Modell Τ von Henry Ford aus den 1920er Jahren und der Volkswagen aus den 1950er Jahren. Seit dem Wechsel vom Verkäufer- zum Käufermarkt vor 30 Jahren und der damit intensivierten Konkurrenz um die Gunst der Kunden, werden die Konsumgütermärkte mit dem widersprüchlichen Begriff der Massenindividualisierung (Masscustomization) gekennzeichnet. Deren zugrunde liegendes Paradigma kann damit beschrieben werden, dass eine derart große Vielfalt von preiswerten und im Design variierten Gütern anzubieten ist, dass nahezu jeder Konsument genau das findet, was er sich gerade wünscht. Wir sprechen daher auch vom Ende der Massenproduktion. Die Individualisierung der Produkte, die bislang ein Kennzeichen der Investitionsgütermärkte gewesen war, erfasst nun auch die Konsumgütermärkte, auf denen die Kunden mit ihren individuellen Wünschen als Koproduzenten auftreten. Auf dem Automarkt beobachten wir eine bis heute anwachsende Typenvielfalt. So stieg die Zahl der angebotenen Modelle in der EU von 238 im Jahre 1992 auf 28lim Jahre 2002 2 . Zu fragen ist jedoch, ob die Steigerung der Variantenvielfalt der Masscustomization nicht auch zu einer Gegenbewegung fuhren könnte. Die Reduktion auf das Wesentliche wird von Brandes (2001) als neuer Management-Ansatz propagiert. Die Management Praxis 1 von Kapitel 20 konkretisiert diese Frage am Beispiel des Standardautos. Eine Güterproduktion gemäß den Anforderungen der Massenindividualisierung stellt aber hohe Anforderungen an die Kontrolle über die Varianten in der Produktentwicklung, an individualisierte Sequenzen kleiner Serien im Produktionsprozess und an die kundengerechte Verteilung im Distributionssystem. Abstrakt lassen sich die erhöhten Anforderungen beschreiben als einen immensen Zuwachs von Informationen, die zur Steuerung der Auftragsabwicklung erforderlich werden. Anstatt das frühere Massenprodukt nur mit einer Größe, nämlich der Menge, zu kennzeichnen, sind heute computergestützte Informationssysteme in Konstruktion, Produktion und Verteilung unabdingbar, um die Varianten zu beherrschen.
2
VDA (Hrsg.): Jahresbericht Auto 2003, S. 85
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Kapitel 1 · Grundlagen des Produktionsmanagements
Produktion und Logistik werden wegen tiefgestaffelter Zuliefererketten und wegen wesentlich verkürzter Antwortzeiten im Zusammenhang von Logistikketten gesehen und nicht, wie in der klassischen Materialwirtschaft, in den Grenzen der Funktionstrennung (vgl. Kapitel 9). Der Wettbewerb auf den Märkten findet nicht mehr allein zwischen einzelnen Unternehmen statt sondern wird von Netzwerken und Unternehmenskooperationen ausgetragen. Die Einbeziehung von Zulieferern bei der Just-In-TimeKooperation oder die Beschleunigung und bessere Abstimmung von Güterströmen zwischen Herstellern und Handel verbessert die Reaktionszeiten im zeitbasierten Wettbewerb und ermöglicht, Kosten verursachende Vorräte zu senken und damit die Strategie der Kostenführerschaft anzustreben. Dieses wird möglich, indem moderne Konzepte der Logistik zur Anwendung kommen. Dazu stellen wir zunächst das Konzept der Logistikkette und die damit verbundenen Wettbewerbsstrategien vor. Bei der Beschaffung von Material für die Produktion und bei der Verteilung von Gütern an den Konsumenten durchlaufen Rohstoffe, Halbfertigwaren und Fertigwaren eine ganze Reihe von Stationen in einem logistischen Netzwerk. Diese sind: • • • • • • •
Zulieferer, Produzenten, Großhändler, Speditionen, Lagerhäuser und Warenverteilzentren, Logistik-Dienstleister und Filialen des Einzelhandels.
In den klassischen Ansätzen der Betriebswirtschaftslehre und der Logistik werden die Teilnehmer im logistischen Netzwerk isoliert ohne Systemzusammenhang begriffen. Bei jedem einzelnen Teilnehmer werden einzelwirtschaftliche Entscheidungskalküle, die Beschaffung, Leistungserstellung und Absatz betreffen, angenommen, ohne eine Koordination im gesamten Netzwerk anzustreben. Erst seit Mitte der 1980er Jahre des vergangenen Jahrhunderts wird mit der Arbeit von Houlihan das Netzwerk als Ganzes unter dem Begriff Supply Chain thematisiert - ein Begriff, der beispielsweise in dem klassischen Logistikwerk von Ballou in der dritten Auflage von 1992 noch gar nicht auftaucht3. In der deutschsprachigen Literatur wird mit dem Begriff Supply Chain auch eine Logistikkette, eine Lieferkette, eine Absatzpartnerschaft oder eine Wertschöpfungskette beschrieben. Abbildung 1.7 gibt hierzu eine Veranschaulichung.
3
Der Begriff Supply Chain ist insofern irreführend, als die Logistikkette nicht von Lieferanten, sondern von der Nachfrage gesteuert wird. Die Bezeichnung Demand Chain wäre korrekter.
Kapitel 1 · Grundlagen des Produktionsmanagements
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Abbildung 1.7: Modell einer Logistikkette
Die ganzheitliche Betrachtung der Logistikkette geht über die Wahrnehmung ihrer einzelnen Teilnehmer hinaus und zielt auf eine Abstimmung der Güterströme im gesamten Netz ab. Eine derartige Koordination wird auch als Supply Chain Management (SCM) bezeichnet. In der Literatur findet man zahlreiche Definitionen von SCM. In nachfolgender Tabelle 1.4 werden einige Definitionen aufgeführt, die einen Einblick in die Bandbreite der Beschreibungsversuche geben. Autor Christopher(1992)
Cooper/Lambert/Pagh (1997) The Global Supply Chain Forum (1998)
Vahrenkamp(1998)
Buscher (1999)
Bowersosx/Closs/Stank (1999)
Definition von Supply Chain Management Network of organizations that are involved, through upstream and downstream linkages, in the different processes and activities that produce value in the form of products and services in the hands of the ultimate consumer The integration of all key business processes across the supply chain is what we are calling supply chain management Supply Chain Management deals with the management of materials, information and financial flows in a network consisting of suppliers, manufacturers, distributors and customers. The coordination and integration of these flows within and across companies are critical in effective supply chain management. Die ganzheitliche Betrachtung der Logistikkette zielt auf die Abstimmung der Güterströme im gesamten Netz ab und wird als Supply Chain Management bezeichnet. Beim Supply Chain Management handelt e s sich um ein strategisches Unternehmensführungskonzept, das darauf abzielt, die Geschäftsprozesse, die entlang der Versorgungskette (Supply Chain) vom ersten Rohstofflieferanten bis z u m Endverbraucher auftreten, zur Kundenzufriedenheit z u gestalten Supply Chain Management can be defined as a collaborative-based strategy to link interorganizational business operations to achieve a shared marfcet opportunity. Supply Chain M a n a g e m e n t . . . is a ... concept concerned with activities to plan, implement, and control the efficient and effective sourcing, manufacturing, and delivery process for products, service, and related information from the point of material origin to the point of ultimate consumption for the purpose of conforming to end-customer requirements.
Tabelle 1.4: Definitionen von Supply Chain Management in der Literatur 4
Hier soll mit SCM eine Optimierung des Gesamtsystems verstanden werden, die folgenden Zielsetzungen verfolgt: • Orientierung am Nutzen des Endkunden, • Steigerung der Kundenzufriedenheit durch bedarfsgerechte Anlieferung, • Senkung der Bestände in der Logistikkette und eine damit verbundene Senkung der Kosten für das Vorhalten von Beständen, • Verstetigung des Güterstromes und der damit möglichen Vereinfachung der Steuerung,
4
V g l . Pfohl, H.-Chr.: Supply C h a i n Management: Konzept, Trends, Strategien, B e r l i n 2000, S. 5
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Kapitel 1 · Grundlagen des Produktionsmanagements
• Höhere Effizienz der unternehmensübergreifenden Produktionssteuerung und der Kapazitätsplanung, • Raschere Anpassung an Änderungen des Marktes, • Verkürzung der Auftragsdurchlaufzeiten im Zeitwettbewerb, • Vermeidung von „Out-Of-Stock"-Situationen. Eine weitere wesentliche Aufgabe des Managements von Supply Chains besteht in der Kontrolle der ihnen innewohnenden Dynamik, die besonders bei Produkten mit kurzen Lebenszyklen und auf Märkten mit starken Nachfrageschwankungen, wie denen für elektronische Komponenten und modischen Textilartikeln, zum Ausdruck kommt. Dieser Aspekt wurde erstmals von Forrester (1958) untersucht und ist als Peitschenschlageffekt oder Bullwip-Effekt bekannt sind (Alicke 2003). Nach dem Ansatz von Cooper, Lambert und Pagh wird das lineare Modell der Lieferkette zu einem Liefernetzwerk erweitert (vgl. Abbildung 1.8):
Das im Zentrum stehenden Unternehmen wird insofern als fokal bezeichnet, als angenommen wird, dass es durch seine starke Stellung das Netzwerk kontrollieren kann. Vorbild dafür sind die Hersteller von Automobilen (OEMs - Original Equipment Manufacturer). Die Lieferanten werden aufgefächert in die 1. und 2. Stufe („Tier"), ebenso wie die Abnehmer. Die Relationen im Netzwerk werden danach gewichtet, wie wichtig sie für die Aufrechterhaltung des Netzwerkes sind. Das Management muss besondere Sorgfalt auf Relationen von höchster Priorität aufwenden, etwa auf die Versorgung des Montagebandes mit Teilen und Systemkomponenten. Damit übernimmt dieser Ansatz die aus der Beschaffungslogistik bekannte Klassifikation von Lieferanten. Für die Zulieferer bedeutet die enge datentechnische und logistische Verknüpfung mit den OEMs, dass sie sich in mehreren Zulieferketten wieder finden und für jeden OEM dessen vorgegebene Schnittstelle bedienen müssen. Insofern führt der SCM-Ansatz zu hohen Kosten fur die Zulieferer. Als Beispiel gibt Tabelle 1.5 die Lieferungen in Pro-
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Kapitel 1 · Grundlagen des Produktionsmanagements
zent des Umsatzes des britischen Zulieferers Wagon pc vom Werk in Fontaine bei Mühlhausen an die OEMs wieder 5 . Renault First Tier Audi Peugeot, Citroen Ford Andere GM
25 17 12 12 6 5 5
Jaquar, Land Rover, Volvo VW M G Rover Daimler Chrysler Fiat Jaguar, Land Rover, Volvo
5 4 3 3 3 5
Tabelle 1.5: Lieferbeziehungen von Wagon pc
Neben der Autoindustrie werden auch Hersteller von Markenartikeln, wie Textilien und Artikeln der Consumer Electronic, und Hersteller von Investitionsgütern als Original Equipment Manufacturer (OEM) bezeichnet. Der OEM ist als ein wichtiges Glied in der Lieferkette. Der Kunde verbindet alle erbrachten Leistungen mit dem OEM und weist ihm damit eine Schlüsselrolle zu, da er in der Lieferkette für deren Koordination verantwortlich ist. Der Produkt- oder Markenname ist direkt mit diesem OEM verbunden, und das Gelingen der Koordinationsaufgabe bestimmt zugleich den Erfolg der Marke und den Absatz des Leistungsbündels. Die Logistikkette ist in einem Wettbewerbskontext zu begreifen. Der Wettbewerb findet nach diesem Ansatz nicht mehr zwischen einzelnen Unternehmen sondern zwischen verschiedenen Logistikketten statt. Der Kunde wählt unter Produkten verschiedener Logistikketten das Produkt aus, das seinen Nutzen maximiert. Die Logistikkette ist damit am Nutzen des Endkunden ausgerichtet. Die Mitglieder der Logistikkette tragen durch Abstimmung ihrer Aktivitäten zum Kundennutzen bei, indem sie Kostenvorteile erzielen oder die Produktqualität verbessern. Das traditionelle Wettbewerbsverhalten von Unternehmen, durch antagonistisches Verhalten Vorteile zu Lasten von vor- oder nachgelagerten Unternehmen in der Logistikkette zu erlangen, ist keine angemessene Strategie, da diese nicht den Kundennutzen erhöht. Dieser kann vielmehr nur durch kooperatives Verhalten der Mitglieder einer Logistikkette vermehrt werden. Von der Logistikkette ist zunächst die Wertschöpfungskette nach Porter (1986) zu unterscheiden. Diese bezieht sich auf ein Unternehmen der gesamten Logistikkette und beschreibt fünf Kategorien von primären Aktivitäten, welche zur Wertschöpfung beitragen und die besonderen Wettbewerbsvorteile eines Unternehmens herbeiführen: • Inbound Logistics, • Operations, • Outbound Logistics, • Marketing and Sales, • Service. Eine Verbindung der Wertschöpfungskette zur Logistikkette mit vor- oder nachgelagerten Unternehmen wird von den primären Aktivitäten Beschaffung (inbound logistics) und Distribution (outbound logistics) sowie durch eine Kooperation im Marketing und der Produktentwicklung hergestellt. Damit erweitert Porter den Ansatz der Wertschöp5
Automobilproduktion, Heft 1, 2004, S. 53
16
Kapitel 1 · Grundlagen des Produktionsmanagements
fungskette auf die gesamte Logistikkette. Diese Verbindung fuhrt letztlich zu einer Gleichsetzung von der Wertschöpfungskette mit der Logistikkette. Porter hat somit zur gleichen Zeit wie Hulihan die ganzheitliche Sichtweise der Logistikkette entwickelt. Auf dem Ansatz der Wertschöpftingskette von Porter beruhen die in den letzten Jahren entwickelten Methoden der Optimierung von Geschäftsprozessen, die mit ähnlichen Zielsetzungen die Durchlaufzeiten vermindern und den Kundennutzen erhöhen. Die strategische Ausrichtung der Unternehmung besitzt für die Produktentwicklung, für die Arbeitsorganisation und für die Auftragsabwicklung unmittelbare Konsequenzen für das Produktionsmanagement und ist Thema von Abschnitt I, welcher die Grundlagen für die folgenden Abschnitte legt. Hier beschränken wir uns auf eine Auswahl von Fragen, die für das Produktionsmanagement von Interesse sind, verzichten aber auf die Darstellung der strategischen Unternehmensführung in ihrer ganzen Breite. In Abschnitt II dieses Bandes gehen wir auf Fragen der Gestaltung des Produktionssystems ein, die im Allgemeinen der taktischen Planungsebene zugeordnet werden. In Abschnitt III werden die der operativen Planungsebene zuzuordnenden Phasen der hierarchischen Planung und Steuerung des Produktionsprozesses behandelt. In Abschnitt IV werden die über die klassische Produktionsplanung und -Steuerung hinausgehenden neueren Ansätze der Steuerung und Integration, wie Lean Production, Fertigungssegmentierung, Qualitätsmanagement, Just-In-Time, Kanban und Conwip, belastungsorientierte Auftragsfreigabe, Fortschrittszahlen und retrograde Terminierung diskutiert. Die einzelnen Kapitel werden - soweit wie möglich - von Fallstudien zu Lösungen aus der Unternehmenspraxis ergänzt. Diese schließen sich als Management Praxis an die einzelnen Kapitel an. Sie sollen zur praktischen Umsetzung der vorgestellten Konzepte dienen und so den Lesern Möglichkeiten bieten, mit dem Material Übungen vorzunehmen.
Ergänzende Literatur: Ahlrichs, Frank: Controlling von Geschäftsprozessen. Prozessorientierte Untemehmenssteuerang umsetzen, Stuttgart 2006 Brandes, Dieter: Einfach Managen. Klarheit und Verzicht - Der Weg zum Wesentlichen, Frankfurt 2001 Chopra, S. ,P. Meindl: Supply Chain Management. Strategy, Planning, and Operation, New York 2006 Gutenberg, :E.: Grundlagen der Betriebswirtschaftlehre, Band 1, Die Produktion, Berlin, 24. Aufl. 1983 Heizer, J. und Berry Render: Operations Management, New Jersey 2007 Kummer, Sebastian, Oskar Grün und Werner Jammernegg [Hrsg.]: Grundzüge der Beschaffung, Produktion und Logistik, München 2006 Parry, Glenn und Andrew Graves: Build To Order: The Road to the 5 Day Car, London 2008 Seuring, S.: Supply Chain Costing, München 2001 Sydow, Jörg und Möllering, Guido: Produktion in Netzwerken: make, buy & cooperate, München, 2004 Vahrenkamp, Richard und Siepermann, Christoph (Hrsg.): Risikomanagement in Supply Chains, Berlin 2007
Kapitel 1 · Grundlagen des Produktionsmanagements
17
Kontrollfragen: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
Unterscheiden Sie die Potentialfaktoren von den Repetierfaktoren. Unterscheiden Sie die Begriffe "Serienproduktion" und "Massenproduktion". Worin besteht der Unterschied zwischen der Fertigungstechnik und der Verfahrenstechnik? Grenzen Sie die Begriffe "Produktivität" und "Wirtschaftlichkeit" ab. Wie ist der Begriff der Fertigungstiefe definiert? Erläutern Sie das Umweltmodell der Unternehmung. Was versteht man unter Massenindividualisierung?
18
Kapitel 2 « Produktion als Wettbewerbsfaktor
2
Produktion als Wettbewerbsfaktor
In diesem Kapitel sollen einige ausgewählte und fiir das Produktionsmanagement bedeutsame Konzepte der strategischen Unternehmensfiihrung aufgegriffen und erörtert werden. Zunächst werden einige Vorgehensweisen der strategischen Planung behandelt und anschließend einige speziellere Strategien, welche sich an den Größen Kosten, Qualität, Flexibilität und Zeit ausrichten, eingehender betrachtet. Die Reaktionsfähigkeit des Unternehmens im Produktionssektor ist zunehmend zu einem bedeutsamen Wettbewerbsfaktor geworden. Die japanischen Hersteller haben Europa und den USA den hohen Stellenwert von kostengünstiger und zugleich qualitativ hochwertiger Produktion vor Augen geführt. Das Produktionsmanagement muss heute, im Zeitalter der Massenindividualisierung, marktorientiert ausgerichtet sein, während in der klassischen Aufbauorganisation der Unternehmung die Produktion und der Absatz als zwei funktional getrennte Bereiche nebeneinander standen.
2.1
Make-or-Buy-Entscheidungen
Zu den produktionsorientierten Wettbewerbsstrategien zählen insbesondere Entscheidungen über Eigenerstellung oder Fremdbezug von Produkten. Man spricht auch von Make-or-Buy-Entscheidungen. Indem ein Teil der Produktion an Zulieferer verlagert wird, kann die Wettbewerbsfähigkeit des eigenen Unternehmens steigen, indem insbesondere zwei Faktoren zur Geltung kommen: •
•
Senkung der Kosten. Zulieferer können Normteile in großen Stückzahlen zu niedrigen Kosten herstellen. Sie können niedrigere Lohnkosten aufweisen, da sie einem anderen Tarifvertrag unterliegen oder im Ausland produzieren. Bessere Nutzung des technischen Fortschritts. Zulieferer können auf bestimmte Produkte spezialisiert sein und auf diesem Feld mit eigenen Entwicklungsaktivitäten den technischen Fortschritt intensiver, umfangreicher und schneller nutzen als es das eigene Unternehmen könnte. Die Vergabe an Zulieferer kann daher zu Produkten mit höherer technologischen Qualität fuhren und eine schnellere Produktentwicklung ermöglichen (vgl. Kapitel 3 und 20).
Zur Identifikation von Leistungen, die für ein Buy in Betracht kommen, bieten sich insbesondere die Stärken-Schwächen-Analyse und die Portfolio-Technik an. Die StärkenSchwächen-Analyse ist ein Instrument zur Beurteilung der Leistungsfähigkeit des eigenen Unternehmens im Vergleich zu einem Zulieferer. Dabei werden die Kompetenzen des Unternehmens bei der Erstellung der fur die Buy-Entscheidung relevanten Leistungsprozesse im Vergleich zum Zulieferer beurteilt und so die Stärken und Schwächen des Unternehmens auf dem jeweiligen Entscheidungsfeld herausgearbeitet. Beherrscht der Zulieferer die untersuchten Prozesse überwiegend oder sogar durchgehend besser als das eigene Unternehmen, sollte ein Buy erwogen werden. Ein Beispiel fur eine Stärken-Schwächen-Analyse zeigt die Tabelle 2.1.
19
Kapitel 2 · Produktion als Wettbewerbsfaktor
Kriterium
Schlecht
Kosten der Produkte
Bewertung Mittel
Flexibilität bei Auftragsänderungen Qualität der Produkte
•
•
Nutzung des technischen Fortschritts
· • •
•
•
Zulieferer
•
Eigenes Unternehmen
Gut
•
•
Tabelle 2.1: Beispiel einer Stärken-Schwächen-Anlayse
Die Portfolio-Technik ist ein anschauliches Instrument zur Beurteilung der Position, in der sich ein Unternehmen in Bezug auf die aktuelle Entscheidungssituation gerade befindet, anhand von zwei Kriterien, wobei die Ausprägung des einen Kriteriums in der Regel vom Unternehmen beeinflussbar ist, während das andere Kriterium das Unternehmensumfeld repräsentiert und sich daher im Allgemeinen einer Beeinflussung entzieht. Auf diese Weise entsteht eine Matrix, deren Feldern Normstrategien zugeordnet sind. Ein Beispiel zur Unterstützung einer Make-or-Buy-Entscheidung mit Hilfe der Portfolio-Technik zeigt Abbildung 2.1.
Ά -ω j
hoch
?
Make
niedrig
Buy
Seil?
X .
j
\
/
/
£
/
/
/ N.
\
s
\
Abbildung 7.5: Unterschiedlichen Routen in drei Montagezonen zu je vier Arbeitsplätzen
Ergänzende Literatur: Domschke, W.; Scholl, Α.; Voß, S.: Produktionsplanung, Berlin 2005 Heizer, J. und Berry Render: Operations Management, New Jersey 2007 Kummer, Sebastian, Oskar Grün und Werner Jammernegg [Hrsg.]: Grundzüge der Beschaffung, Produktion und Logistik, München 2006 Helber, S.: Performance Analysis of Flow Lines, Berlin 1999 Zäpfel, G.: Taktisches Produktions-Management, München 2000
110
8
Kapitel 8 · Das Konzept der hierarchischen Produktionsplanung
Das Konzept der hierarchischen Produktionsplanung
In diesem Kapitel werden verschiedene Konzepte der Produktionsplanung diskutiert und die zugeordneten Module der Software zur Produktionsplanung und -Steuerung (PPS) in das Enterprise Resource Planning (ERP) und Supply Chain Management (SCM) eingeordnet. Die Zielsysteme auf den verschiedenen Stufen der Planung werden behandelt. Die Planung der Produktion in sachlicher und zeitlicher Hinsicht macht es erforderlich, eine Vielzahl von Größen zu koordinieren. In der theoretischen Betriebswirtschaftslehre wird die Frage nach einer umfassenden Planung mit Hilfe eines Totalmodells aufgeworfen, das alle Beziehungen korrekt abbildet. Wegen der sich ergebenden unüberschaubar hohen Komplexität ist der Anspruch auf ein Totalmodell weder theoretisch noch praktisch einlösbar. Theoretisch nicht, da zukünftige Entwicklungen nicht vollständig antizipiert und in das Modell aufgenommen und nicht alle Konsequenzen wirtschaftlichen Handelns erkannt werden können. Praktisch nicht, da die Modellgröße nicht mehr beherrschbar bleibt. In der Betriebswirtschaftslehre wird daher das Planungsproblem zeitlich und sachlich disaggregiert und in ein Stufenmodell der Sukzessivplanung umgeformt, das als hierarchische Produktionsplanung bezeichnet wird. Hierarchisch wird dieser Ansatz deswegen genannt, da Planungsergebnisse der oberen Stufen als Ausgangspunkt für die Planung der folgenden Stufen genommen werden. Damit ergibt sich bereits eine zeitliche Gliederung: die Planung der unteren Stufen folgt nach der Planung der oberen Stufen. Die Disaggregation erfolgt nach zwei Dimensionen: •
sachlich: Auf oberer Ebene werden Produktgruppen oder pauschale Mengenangaben von Endprodukten geplant, auf unterer Ebene aber einzelne Produkte und Einzelteile. • zeitlich: Auf oberer Ebene ist die Planung Vorgabe für die unteren Ebenen und hat daher den unteren Ebenen zeitlich vorauszugehen. Oben ist das Zeitraster gröber (z.B. Quartale) als unten (Tage oder Stunden).
8.1
Struktur der hierarchischen Produktionsplanung
Das stufenweise Vorgehen der Produktionsplanung geht von einer Grobplanung aus und verfeinert diese schrittweise in sachlicher und zeitlicher Hinsicht. Die erste Stufe behandelt die Auftragseinwerbung bei der Auftragsproduktion und die Produktionsprogrammplanung bei der Großserienproduktion, welche pauschale Mengenangaben von Endprodukten in einem mittelfristigen Zeitraum von einem Jahr mit der Absatzprognose abstimmt. Die Planung ist rollierend, d.h. vierteljährlich oder jeden Monat wird die Planung erneut für den vorausliegenden Zeitraum aufgrund neuer Prognosen von einem Jahr revidiert. Auf diese Weise werden die Komplexität und die Ungewissheit in der zeitlichen Dimension durch Konsekutivschritte abgearbeitet. Die folgende Tabelle 8.1 gibt ein Beispiel für die monatliche Revision der Planung für den Monat 6/2009 in den Planungsmonaten 1/2009 bis 6/2009, wobei zugleich der Absatz im jeweiligen Pia-
111
Kapitel 8 » Das Konzept der hierarchischen Produktionsplanung
nungsmonat mitgeführt wird. Man erkennt, dass im Planungsmonat 6/2009 der Absatz von 610 Tsd. Stück die letzte Planung von 450 Tsd. deutlich übertrifft. Diese Abweichung des Absatzes von der Planung in der Größenordnung von 50% ist jedoch nicht ungewöhnlich. Planungsmonat 1/2009 2/2009 3/2009 4/2009 5/2009 6/2009
Absatz 360 350 390 480 330 610
Planung für den Monat 6/2006 440 430 425 420 440 450
Tabelle 8.1: Beispiel einer rollierenden Planung fur den Monat 6/2009, Angaben in tausend Stück.
Für die heutigen Anforderungen der Massenindividualisierung Grossrechner-PPS-Pakete in der rollierenden Planung als zu monatliche Revision der Planung kann nicht mehr den raschen folgen. In diese Lücke treten die Softwarelösungen fur Supply Kapitel 15).
haben sich allerdings die unflexibel erwiesen. Die Nachfrageschwankungen Chain Management (vgl.
In einer zweiten Stufe der Materialbedarfs- oder Mengenplanung werden die Mengen an Einzelteilen ermittelt, die fur die Realisierung des Programms zur Verfügung stehen müssen. Das Zeitraster beträgt hier eine Woche. Die wochengenaue Planung erfordert bereits die Berücksichtigung von Lieferzeiten (Vorlaufzeiten). Man unterscheidet zwei verschiedene Arten der Materialbedarfsplanung: • die programmgesteuerte Bedarfsermittlung und • die verbrauchsgesteuerte oder erwartungsbezogene Bedarfsermittlung. Bei der programmorientierten Bedarfsermittlung gehen wir von einer Stücklistenstruktur aus, die zeigt, welche Bestandteile in welchen Mengen in ein Endprodukt eingehen. Wir unterstellen damit eine konvergierende Produktionsstruktur, die aus einer Vielzahl von Einzelteilen Endprodukte fertigt. Diese Situation ist typisch für die Produktionsstrukturen in der Auto- und Elektroindustrie sowie für den Maschinenbau. Diese Industrien werden auch als diskrete, stücklistenorientierte Fertigungsindustrien bezeichnet. Die hiervon abweichende divergierende Struktur der Chemischen Industrie, welche aus wenigen Grundstoffen eine Vielzahl von Endprodukten herstellt, wird hier nicht behandelt. Bei der verbrauchsgesteuerten Bedarfsermittlung wird der zukünftige Materialbedarf mit Hilfe von Prognoseverfahren aus den Verbrauchen der Vergangenheit abgeleitet. Um zu entscheiden, für welche Materialarten welches Verfahren zur Anwendung kommen soll, klassifiziert man die Materialarten mit Hilfe der ABC-Analyse (siehe folgender Abschnitt dieses Kapitels). Für A- und B-Teile kommt dann die programmgesteuerte und für C-Teile die verbrauchsgesteuerte Bedarfsplanung zum Einsatz. Die Mengenplanung kann mit der Losgrößenplanung verknüpft werden. Diese fasst die Wochenbedarfe zu wirtschaftlichen Losen auf den verschiedenen Ebenen der Stücklistenauflösung zusammen. Dazu werden bei Fertigungsaufträgen die Kosten der Losauflage den Lagerkosten gegenübergestellt und eine Losgröße aufgesucht, die ein Mi-
112
Kapitel 8 · Das Konzept der hierarchischen Produktionsplanung
nimum der Gesamtkosten ergibt. Bei Beschaffungsaufträgen werden Lose gebildet, welche Lagerkosten und fixe Bestellkosten ausgleichen. Die Termin- und Kapazitätsplanung als dritte Stufe gibt Schätzungen fur die Durchlaufzeiten der Aufträge ab und beschreibt die frühesten und spätesten Termine für den Produktionsbeginn bei Einzelfertigung. Diese Planung wird auch als die Zeitwirtschaft bezeichnet. Sie nimmt unter den um Kapazitäten konkurrierenden Aufträgen den Kapazitätsausgleich der verschiedenen Produktionsmittel vor. Diese Planungsstufe geht von einem Vorgangsgraphen aus, welcher einen einzelnen Auftrag beschreibt, indem die jeweiligen erforderlichen Arbeitsoperationen an den verschiedenen Fertigungsmaschinen und deren Vorgänger- und Nachfolgerbeziehungen in Fertigung und Montage abgebildet werden. Die Vorgänger- und Nachfolgerbeziehungen sind durch Organisation und Fertigungstechnologien bestimmt. Der Vorgangsgraph stellt das Grundgerüst eines Netzplans dar, der zusätzliche Zeitinformationen beinhaltet (vgl. Kapitel 26 ). Die Abbildung 8.1 zeigt einen Vorgangsgraphen mit acht Arbeitsoperationen in Fertigung und Montage.
Abbildung 8.1: Vorgangsgraph mit acht Arbeitsoperationen
Die Arbeitsoperation 5 besitzt die beiden Teilzweige 1 und 2 sowie 3 und 4 als Vorgänger. Diese Teilzweige können wiederum als Teilaufträge verstanden werden. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von Auftragsnetzen. Die Arbeitsoperation 8 kann als Montagestufe aufgefasst werden, bei der alle Teilaufträge der Teilefertigung zusammenkommen und zu einem Endprodukt zusammengefügt werden. An der Abbildung kommt sehr anschaulich die Konvergenz der Fertigungsstruktur zum Ausdruck. Die vierte Stufe der Auftragsfreigabe und Reihenfolgeplanung wird auch als Steuerung der Produktion im engeren Sinne oder als Werkstattsteuerung bezeichnet. Diese Stufe koordiniert die einzelnen Aufträge und Ressourcen mit einer Feinplanung auf der Zeitbasis von Stunden und Minuten. Streng genommen zählt diese Stufe nicht mehr zur Produktionsplanung, sondern zur Produktionssteuerung. Die Abbildung 8.2 stellt die fünf Stufen der hierarchischen Produktionsplanung noch einmal dar.
113
Kapitel 8 ' Das Konzept der hierarchischen Produktionsplanung
Auftrags- und Programmplanung
Mengenplanung
Losgrößenplanung
Termin- und Kapazitätsplanung
Werkstattsteuerung
A b b i l d u n g 8.2: S t u f e n d e r h i e r a r c h i s c h e n P r o d u k t i o n s p l a n u n g
In der Literatur werden die Planungsstufen unterschiedlich gegliedert. Süssenguth (1991) z.B. unterscheidet die verschiedenen Ebenen der Planung als Produktionsprogrammplanung, Fertigungsprogrammplanung sowie Werkstattsteuerung und charakterisiert diese wie folgt: Steuerungsstufe Steuerungsmodul Hauptziele Genauigkeit Planungshorizont Planungszyklus Auflösungsgrad Auflösungseinheit Auflösungsobjekt
langfristig Produktionsprogrammplanung Lieferfcereitschaft Investitionen Personal grob 1-5 Jahre Quartal Monat Betriebsbereich Produkt
mittelfristig Fertigungsprogrammplanung
kurzfristig Werkstattsteuerung
Liefertermintreue Beständeminimum
Kapazitätsausnutzung
mittel 3-12 Monate Monat Woche Kapazitätsgruppen Einzelteil
fein 4-12 Wochen permanent Stunde/Tag Kapazitätsstelle Arbeitsvorgang
T a b e l l e 8.2: D i e v e r s c h i e d e n e n E b e n e n d e r P l a n u n g n a c h S ü s s e n g u t h
Im Laufe der Planung entlang der einzelnen Stufen ändern sich die betrieblichen Zielsysteme. Auf der obersten Stufe der Programmplanung stehen ertragswirtschaftliche Größen im Vordergrund. Zumeist wird hier der Deckungsbeitrag als Zielgröße gewählt, den es zu maximieren gilt (vgl. Kapitel 9). Auf mittlerer Ebene wird nicht mehr von Erträgen gesprochen, stattdessen werden Kostengrößen betrachtet. Die Zielsetzung besteht in der Kostenminimierung. Auf der unteren Ebene der Produktionssteuerung treten Kostengrößen wiederum zurück. Als Ersatz für die nur schwer quantifizierbaren Kostengrößen werden hier direkt messbare Leistungsgrößen (Output pro Zeiteinheit oder pro Beschäftigtem, Kapazitätsauslastung) oder Zeitgrößen gewählt. Bei den letzteren gilt es, bestimmte Fertigstellungstermine zu sichern, Wartezeiten zu minimieren oder den Materialfluss zu beschleunigen. Eine Diskussion der Zielbeziehungen findet sich bei Mattheis (1993). Auf der unteren Ebene der Fertigungssteuerung finden wir damit ein Zielsystem vor, das als magisches Viereck 17 beschrieben werden kann:
17
In A n l e h n u n g a n d i e v i e r Z i e l e d e r W i r t s c h a f t s p o l i t i k n a c h d e m S t a b i l i t ä t s g e s e t z .
114 • • • •
Kapitel 8 · Das Konzept der hierarchischen Produktionsplanung
hohe Auslastung der Kapazität, hohe Termintreue bei der Fertigstellung der Aufträge, niedrige Bestände an halbfertigem Material und schnelle Durchlaufzeiten der Aufträge.
Magisch ist das Viereck, weil die Ziele nicht gleichmäßig erreichbar sind. Zum Beispiel kann das Ziel der hohen Kapazitätsauslastung in einer Werkstatt mit Einzelmaschinen nur bei großen Losen erreicht werden, die wenig Umrüsten erfordern. Hierdurch sind aber große Bestände und damit lange Durchlaufzeiten in Kauf zu nehmen. Die hier angesprochene Zielkonkurrenz wird von Gutenberg mit der klassischen Formulierung des Dilemmas der Ablaufplanung beschrieben. Über Ergebnisse von empirischer Forschung zur Zielhierarchie im Unternehmen ist wenig bekannt. Das Konzept der hierarchischen Produktionsplanung stellt einen Forschungsbereich der theoretischen Betriebswirtschaftslehre dar. Gefragt wird beispielsweise, wie die Konsistenz der Größen bei der Aggregation und Disaggregation über die einzelnen Stufen erhalten bleiben kann. Als ein Hauptproblem wird dabei untersucht, wie die Konsistenz der oben angesprochenen unterschiedlichen Zielsysteme auf den drei Ebenen herbeigeführt werden kann. Bisher ist es nicht gelungen, diese Zielsysteme überzeugend zu integrieren - eine Situation, welche für die theoretische Betriebswirtschaftslehre letztlich unbefriedigend bleibt. Ansätze zur hierarchischen Produktionsplanung wurden erstmals in den 70er Jahren von Hax und Meal vorgetragen (1975). Sie untersuchten das Planungsproblem eines Reifenherstellers und stellten dazu folgende drei Stufen auf: • Die erste Stufe betrachtet Produktgruppen, die Produktfamilien zusammenfassen, die Übereinstimmung in ihren saisonalen Nachfrageverläufen sowie in Kapazitätsnutzung und Kostenstrukturen zeigen. • Die zweite Stufe betrachtet Produktfamilien, die Produkte zusammenfassen, die auf gleichen Maschinen ohne größere Umrüstung gefertigt werden können. • Auf der dritten Stufe werden die Losgrößen der einzelnen Artikel bestimmt, die sich nur geringfügig unterscheiden. Anstelle eines Totalmodells geben Hax und Meal auf den beiden oberen Stufen Modellansätze der Linearen Optimierung an. Die zweite Stufe arbeitet dann mit den Planungsergebnissen der ersten Stufe. Der in den späteren Kapiteln besonders hervorgehobene Aspekt des stochastischen Charakters der Auftragsdurchlaufprozesse kann in der unteren Stufe der hierarchischen Produktionsplanung Berücksichtigung finden, während für die oberen Stufen eine Grobplanung mit deterministischen Modellansätzen der Linearen Optimierung ausreicht. Obwohl der Ansatz von Hax und Meal fur die Prozessindustrie entwickelt worden ist, kann er auf die diskrete, stücklistenorientierte Fertigungsindustrie übertragen werden.
115
Kapitel 8 · Das Konzept der hierarchischen Produktionsplanung
8.2
Exkurs: Verfahren zur Segmentierung des Materialbedarfs
8.2.1 Die ABC-Analyse Mit Hilfe dieses Verfahrens der ABC-Klassifikation werden „wichtige" von „unwichtigen" Materialien unterschieden. Die Vielzahl der Teile erfordert eine Klassifikation. Als Erfahrungsregel gilt, dass nur ein kleiner Teil (ca. 5 %) aller beschafften Materialarten zu einem großen Teil (ca. 80 %) der Materialkosten beitragen. Diese werden als A-Teile bezeichnet. Umgekehrt lässt sich ebenfalls beobachten, dass ein großer Teil (ca. 80 %) der beschafften Materialarten nur zu einem kleinen Teil (ca. 5 %) an den Materialkosten beiträgt. Diese werden als C-Teile bezeichnet. Wenn man A- und C-Teile mit diesen Regeln einigermaßen genau bestimmen kann, entziehen sich die B-Teile einer direkten Beschreibung. Sie können als Restmenge von A- und C-Teilen gelten. Ein Beispiel für das Verfahren der ABC-Analyse liefern Tabelle 8.3 und Tabelle 8.4. In Tabelle 8.3 ist die Beschaffung von 7 verschiedenen Teilen dargestellt, mit Teilenummern, zu beschaffenden Mengen, Einkaufspreis pro Stück und Einkaufswert (Menge * Einkaufspreis). In der Tabelle 8.4 sind diese Daten absteigend nach der Kategorie Einkaufswert sortiert. Teile-Nr K10002 P3307 L4586 H28667 K44374 M73953 P45228 Summe
Menge 5.000 1.500 20.000 700 2.000 20.000 1.200 50.400
EK-Preis € 2,37 152,20 6,98 350,40 12,55 6,89 839,00
EK-Wert € 11.850 228.300 139.600 245.280 25.100 137.800 1.006.800 1.794.730
T a b e l l e 8.3: B e i s p i e l f ü r e i n e A B C - A n a l y s e ( T e i l 1) Teile-Nr P45228 H28667 P3307 L4586 M73953 K44374 Κ10002
Menge 1.200 700 1.500 20.000 20.000 2.000 5.000
EK-Preis € 839,00 350,40 152,20 6,98 6,89 12,55 2,37
EK-Wert € 1.006.800 245.280 228.300 139.600 137.800 25.100 11.850
EK-Wert kum. 1.006.800 1.252.080 1.480.380 1.619.980 1.757.780 1.782.880 1.794.730
In % 56 69 82 90 97 99 100
Menge kum. 1.200 1.900 3.400 23.400 43.400 45.400 50.400
In % 2 3 6 46 86 90 100
T a b e l l e 8.4: B e i s p i e l f ü r e i n e A B C - A n a l y s e ( T e i l 2 )
In der folgenden Spalte werden die Einkaufswerte kumuliert und dann als Prozentsatz des gesamten Einkaufswertes dargestellt. Wir erkennen an der Tabelle 8.4, dass die ersten 3 Artikel 82 % des Einkaufswertes ausmachen, wenn man sie dagegen in der Menge kumuliert, nur 6 % der beschafften Menge darstellen. Man kann demnach die ersten 3 Artikel als A-Artikel bezeichnen. Hingegen können die letzten 4 Artikel als C-Artikel gelten, da sie beim kumulierten Einkaufswert lediglich 10 % ausmachen, nämlich den Sprung von 90 auf 100 %, aber in der kumulierten Menge 54 % darstellen, nämlich den Sprung von 46 auf 100 %. Wenn man für eine große Artikelzahl die Wertentwicklung der Mengenentwicklung in einer ABC-Analyse gegenüberstellt, so ergibt sich eine stark ausgebauchte Kurve. In der Abbildung 8.3 stellen wir diese Kurve anhand eines Ersatzteillagers von 60 Tsd.
116
Kapitel 8 » Das Konzept der hierarchischen Produktionsplanung
Artikeln eines Autohersteilers vor. Wenn wir an dieser Kurve die A-Artikel identifizieren, erkennt man, dass der Umsatzanteil von 80 % bei ca. 6 % der Teile abgewickelt wird. Umgekehrt sieht man, dass die Teile im Bereich 20 bis 100 % lediglich knapp 5 % des kumulierten Umsatzanteiles ausmachen. Diese entsprechen damit den C-Teilen. Die B-Teile sind dann die Restmenge zwischen A- und C-Teilen. In der US-Literatur wird die in Abbildung 8.3 dargestellte Kurve als Pareto-Chart bezeichnet, während die Wirtschaftsstatistik von einer Konzentrationskurve oder Lorenzkurve spricht.
Abbildung 8.3: Lorenzkurve der ABC-Anlayse
Das Verfahren der ABC-Analyse lässt sich nicht nur anwenden, um die beschafften Mengen dem Einkaufswert gegenüber zu stellen. Mit dem gleichen Ansatz kann man auch wichtige von unwichtigen Lieferanten unterscheiden (siehe unten) oder wichtige von unwichtigen Produkten in der Absatzstruktur der Unternehmung (vgl. Kapitel 10).
8.2.2
Die XYZ-Analyse
Die ABC-Analyse wird von der XYZ-Analyse ergänzt, welche die Regelmäßigkeit des Verbrauchs der verschiedenen Materialarten ausdrückt. Die XYZ-Analyse untersucht die Schwankungen im Bedarf. X-Teile zeichnen sich durch einen stetigen Verbrauch und geringe Schwankungen aus. Bei Y-Teilen treten stärkere Schwankungen auf. Die Prognosesicherheit liegt nur bei knapp 70% wöchentlich, und die Verbrauchsschwankungen können monatlich zwischen 20% und 50% betragen. Diese Schwankungen treten in den kurzzyklischen Märkten der Elektronikindustrie und der Modebranche auf. ZTeile weisen noch größere Schwankungen im Verbrauch auf. Man spricht von einem sporadischen Bedarf, so dass bloß eine fallweise Beschaffung in Frage kommt. Diese Bedarfsart spielt in der Versorgung von langsam drehenden Ersatzteilen eine große Rolle. Stellt man die Vorhersagegenauigkeit der Wertigkeit gegenüber, so ergibt sich in der Tabelle 8.5 ein grau unterlegter Bereich, der für die Beschaffung auf Abruf (vgl. Kapitel 20) geeignet ist.
117
Kapitel 8 * Das Konzept der hierarchischen Produktionsplanung
Wertigkeit -> Vorhersagegenauigkeit 4 X
Y
ζ
A
Β
C
hoher Verbrauchswert hohe Vorhersagegenauigkeit stetiger Verbrauch hoher Verbrauchswert mittlere Vorhersagegenauigkeit halbstetiger Verbrauch
mittlerer Verbrauchswert hohe Vorhersagegenauigkeit stetiger Verbrauch mittlerer Verbrauchswert mittlere Vorhersagegenauigkeit halbstetiger Verbrauch
niedriger Verbrauchswert hohe Vorhersagegenauigkeit stetiger Verbrauch
hoher Verbrauchswert niedrige Vorhersagegenauigkeit stochastischer Verbrauch
mittlerer Verbrauchswert niedrige Vorhersagegenauigkeit stochastischer Verbrauch
niedriger Verbrauchswert niedrige Vorhersagegenauigkeit stochastischer Verbrauch
niedriger Verbrauchswert mittlere Vorhersagegenauigkeit halbstetiger erbrauch
T a b e l l e 8.5: K o m b i n a t i o n v o n A B C - u n d X Y Z - A n a l y s e
Neben dieser vorgestellten Klassifikation nach ABC und XYZ gibt es jedoch noch eine Reihe anderer wichtiger Klassifizierungsmöglichkeiten für die Teile im Rahmen der Überprüfung der Versorgungssicherheit im Supply Chain Management. Hierbei geht es um die Funktionen der Teile und deren Bedeutung in einer Fehlerbaumanalyse für das Endprodukt, was die Sicherheit, die Gesundheit und das Leben der Verbraucher anbetrifft. Im Rahmen von Supply Chain Management werden auch Informationen über die Austauschbarkeit der Teile bei Lieferproblemen erforderlich. Hier geht es um die Austauschbarkeit mit anderen Teilen, aber auch um den Wechsel von Lieferanten.
Ergänzende Literatur: H e i z e r , J. u n d B e r r y R e n d e r : O p e r a t i o n s M a n a g e m e n t , N e w J e r s e y 2 0 0 7 Kistner, K.-P., Steven, M.: Produktionsplanung, Heidelberg 2001 K u m m e r , Sebastian, Oskar Grün und W e r n e r J a m m e r n e g g [Hrsg.]: G r u n d z ü g e der B e s c h a f f u n g , Produktion und Logistik, M ü n c h e n 2006
Kontrollfragen 1. Nennen Sie die 5 Stufen der hierarchischen Produktionsplanung und skizzieren Sie deren Aufgaben und Ziele. 2. Warum ist ein Totalmodell für die Produktionsplanung nicht realisierbar? 3. Erläutern Sie den zeitlichen und sachlichen Zusammenhang zwischen den einzelnen Stufen der Produktionsplanung. 4. Wodurch unterscheidet sich die programmgesteuerte Bedarfsermittlung von der verbrauchsgesteuerten Bedarfsermittlung? 5. Worin bestehen die vier Ziele der Werkstattsteuerung? 6. Unterscheiden Sie Α-Güter von C-Gütem.
118
9
Kapitel 9 · Die Programmplanung
Die Programmplanung
In diesem Kapitel werden die Verfahren der Programmplanung erläutert. Die auftragsgebundene und die marktbezogene Programmplanung werden unterschieden. Der Ansatz, mit Hilfe der Linearen Optimierung die Zielgröße des Deckungsbeitrags zu maximieren, wird diskutiert, und dessen betriebswirtschaftlichen Implikationen werden aufgezeigt.
9.1
Begriff und Arten der Programmplanung
Die Programmplanung hat die Festlegung von Produkten, Mengen, Kapazitäten und Produktionstechnologien zum Gegenstand. Geplant wird mit einer mittelfristigen Perspektive von 12 bis 18 Monaten, wobei sich die Planung auf aggregierte Größen von Produktgruppen und auf Zeitblöcke bezieht, deren kleinste Einheit einen Monat beträgt. Die Entscheidungen über die zu bedienenden Märkte und über die Kapazitätsgrenzen liegen weitgehend fest, da sie innerhalb dieser Planungsstufe auch kaum revidierbar sind. In der Programmplanung werden die Planungen für die Produktion mit dem Absatz verknüpft. Dazu werden die Schätzungen über das Absatzvolumen aus Prognoseansätzen gewonnen. Eine engere Verknüpfung von Produktionsplanung und Absatz erfolgt mit der Funktion Available-To-Promise innerhalb des Supply Chain Managements (Kapitel 15). Im SAP-System mySAP ERP wird die Programmplanung mit dem Modul Sales and Operations (SOP) unterstützt. Die Arten der Programmbildung hängen von der Struktur der Absatzmärkte und den Möglichkeiten ab, die Produktion vom Absatz über Zwischenlager zu entkoppeln. Wir unterscheiden deswegen: • Die marktbezogene Programmbildung. Sie zielt auf hohe Stückzahlen in Produktion und Absatz für die einzelnen Produktgruppen ab und ist von den folgenden Merkmalen gekennzeichnet: standardisierte, normierte Produkte, Produktion auf Lager in großer Serie, Entkoppelung von Produktion und Absatz durch Lagerprozesse, kurze Lieferzeiten durch Belieferung aus dem Lager. Erfahrungswerte aus der Vergangenheit bilden die Basis für die mittelfristige Planung von Absatzzahlen für die einzelnen Produktgruppen. Beispiele: Haushaltsgeräte, Reifen, Baustoffe, Waschmittel. Für Produkte mit extrem kurzen Lebenszyklen, wie Computer, ist die Programmplanung wegen ihres 12-18-monatigen Horizonts ungeeignet. • Die auftragsbezogene Einzel- und Kleinserienfertigung ohne Vorfertigung. Die Zusammensetzung des Produktionsprogramms wird unmittelbar von den eingehenden Kundenaufträgen determiniert. Nur die bereits bestellten Produkte werden produziert. Diese Art der Programmbildung ohne Vorfertigung führt zu langen Lieferzeiten, da alle Komponenten gefertigt werden müssen. Beispiel: auftragsbezogene Fertigung im Maschinenbau. • Die auftragsbezogene Einzel- und Kleinserienfertigung mit Vorfertigung. Die Fertigung verläuft zweistufig: In der ersten Stufe erfolgt die Vorfertigung von Einzelteilen und Baugruppen ohne konkreten Bezug zu Kundenaufträgen. Die in
119
Kapitel 9 · Die Programmplanung
dieser Stufe produzierten Einzelteile und Baugruppen werden auf Lager genommen. In der zweiten Stufe werden einzelne Elemente und Baugruppen aus dem Lager gemäß der Kundenbestellung endgültig bearbeitet und montiert. Dadurch, dass der kundenbezogene Fertigungsprozess auf sofort verfügbare Teile aus dem Lager zurückgreift, ergeben sich kurze Lieferzeiten nach dem Zeitpunkt der Kundenbestellung. Ebenso wird eine Produktion nach dem Baukastensystem möglich. Die Programmbildung fiir die Vorfertigung geschieht indirekt über Prognosen aus Vergangenheitswerten, für die Montage direkt aus den Kundenaufträgen. Das Lager der vorgefertigten Teile spielt die Rolle einer Schnittstelle zwischen beiden Stufen und wird auch als Bevorratungsebene bezeichnet (vgl. Kapitel 6). Eine geeignete Wahl der Bevorratungsebene ist von strategischer Bedeutung, wenn die Ziele der Minimierung der Kapitalbindung durch geringe Vorräte und der Minimierung der Lieferzeiten abgewogen werden sollen. Wenn man das Absatzprogramm mit der ABC-XYZ-Analyse (vgl. Kapitel 8) untersucht, kann man die wichtigen Umsatzbringer (A- oder B-Artikel) identifizieren, die eine stetige Ausprägung des Absatzes bedeuten (X- oder Y-Artikel). Diese Artikel sind gut planbar, und hierauf ist dann die Planung des Produktionsprogramms zu konzentrieren. Die folgende Abbildung 9.1 zeigt diese Analyse am Beispiel des Schreibwarenherstellers Montblanc auf, wo sich herausstellt, dass von den 392 Artikelgruppen die gut planbaren 121 bereits einen Umsatzanteil von 66% ausmachen. Vorhersage genauigkeit
Wertigkeit
C
Β
A
X J "1
66% Umsatz 121 Artikel-G.
\
/ 29% \ J Umsatz I Γ1 78 Artikel- Γ \ G. /
Y
Ζ
( V
1% Umsatz 19 Artikel-G.
Λ )
( Umsatz \ V 174 / Wikel-G/
Abbildung 9.1: ABC-Analyse am Beispiel des Schreibwarenherstellers Montblanc (Quelle: Logistik Heute, Heft 3, 2004, S. 15)
In der integrierten Planung von Programm und Absatz besitzt die Produktion auf Lager Vorteile. Insbesondere wird eine Abkoppelung von den Marktschwankungen möglich, wodurch sich die Chance ergibt, die Produktion zu verstetigen und eigenständige produktionswirtschaftliche Ziele zu verfolgen. Vielfach liefert erst die Produktion auf Lager die Möglichkeit, einen Ausgleich von Saisonschwankungen herzustellen. Bei der auftragsbezogenen Einzelfertigung wird das Produktionsprogramm mit der Bestimmung der Produkte und Mengen sowie der Belegung der Kapazitäten von den eingehenden Kundenaufträgen festgelegt und stellt deswegen keinen eigenständigen Entscheidungsbereich dar. Dafür entsteht ein hoher Aquisitionsaufwand in der Vorphase. Angebotskonstruktionen und überschlägige Kostenkalkulationen, deren Basis Erfah-
120
Kapitel 9 · Die Programmplanung
rungswerte und Datenbanken über zuvor abgewickelte Projekte mit Kosteninformationen zu Arbeitsgängen und Fertigungsverfahren bilden, sind die wesentlichen Schritte der Angebotserstellung aufgrund von Kundenanfragen. Das Verhältnis von abgegebenen Angeboten zu erteilten Aufträgen beträgt im Maschinenbau ungefähr 10:1 und zeigt sowohl den hohen Akquisitionsaufwand, wie auch die Konkurrenzintensität auf diesen Märkten an.
9.2
Die marktbezogene Programmbildung
Im Folgenden erfolgt eine ausfuhrliche Behandlung der marktbezogenen Programmbildung. Diese setzt zunächst eine Prognose der möglichen Absatzmengen voraus. Durch die Ansätze des Supply Chain Management erfahren heute Prognoseverfahren für den Absatz eine neue Beachtung, da mit ihnen eine bessere Abstimmung in der Lieferkette möglich wird. Die Aufgabe der Absatzprognose ist die Vorhersage des zukünftigen Absatzes unter Berücksichtigung zahlreicher Informationen, wie historische Nachfrageverläufe, Marketingaktivitäten und Informationen über das Verhalten von Wettbewerbern (Georg 2006). Da die Planungsschritte der Produktionsplanung auf der Absatzprognose basieren, hat ihre Qualität entscheidenden Einfluss auf den wirtschaftlichen Erfolg von Unternehmen. Sie wirkt sich unter anderem über Sicherheitsbestände, Optimierung von Produktionslosen, Überstunden und Engpässe beziehungsweise Lieferschwierigkeiten direkt auf die Kosten und den Servicegrad aus. Gelingt es einem Unternehmen, die Auswirkungen von Nachfrageschwankungen innerhalb einer Wertschöpfungskette schneller und zuverlässiger vorherzusagen, als dies dem Wettbewerber gelingt, so kann hierdurch ein Wettbewerbsvorteil erlangt werden. Zur Erfassung unterschiedlicher Absatzentwicklungen im Zeitablauf sind die zukünftigen Nachfrageentwicklungen mit Prognosetechniken abzuschätzen, die dann unmittelbare Konsequenzen für die Programmplanung und den Materialbedarf besitzen. Prognoseverfahren kommen jedoch nicht nur im Rahmen der Programmplanung, sondern auch bei der verbrauchsgesteuerten Bedarfsplanung uns darüber hinaus in vielen weiteren Bereichen der Unternehmensführung zur Anwendung. Wir werden einige ausgewählte Verfahren im Kontext der verbrauchsgesteuerten Materialbedarfsplanung behandeln (vgl. Kapitel 11). Bei der marktbezogenen Programmbildung ist die Auswahl aus den von den Märkten und Fertigungskapazitäten vorgegebenen Programmalternativen und deren endgültige Festlegung als eigenständiger Entscheidungsbereich möglich. Die endgültige Festlegung der marktbezogenen Programmbildung erfolgt über die Betrachtung betrieblicher Erfolgsziele. Zumeist wird hier die Größe des Deckungsbeitrags herangezogen, den es in der Planung zu maximieren gilt und der als Differenz von Absatzpreis und zugehörigen variablen Stückkosten definiert ist. Wenn jeder Produktgruppe des Programms diese Größe zugeordnet wird, kann abgeschätzt werden, in welchem Umfang die Produktgruppe die Fixkosten "trägt". Produktgruppen mit zu niedrigem Deckungsbeitrag können aus dem Programm gestrichen werden. Das Entscheidungsproblem hat damit die Fixkosten lediglich indirekt zum Gegenstand. Da die Fixkosten in der mittelfristigen Planungsperiode ohnehin kaum beeinflussbar sind, ist deren Ausklammerung über das Erfolgsziel Deckungsbeitrag auch gerechtfertigt.
121
Kapitel 9 · Die Programmplanung
Den Deckungsbeiträgen der einzelnen Produktgruppen ist jedoch die unterschiedliche Inanspruchnahme von Kapazitäten und Ressourcen gegenüberzustellen. Das Auswahlproblem besteht also darin, einerseits die Kapazitäten soweit wie möglich auszuschöpfen, aber andererseits Produktgruppen mit hohen Deckungsbeiträgen auszuwählen. Dieses Auswahlproblem stellt eine zentrale Fragestellung in der theoretischen Betriebswirtschaftslehre dar, wofür als Lösungsansatz die Methoden der Linearen Optimierung herangezogen werden. Als Einfuhrung in diese Fragestellung wird hier die Produktion von Fernsehgeräten diskutiert. Wir betrachten zwei Gerätetypen, s/w (schwarz/weiß) und color. Das s/w-Gerät ist weniger aufwendig in der Produktion, erwirtschaftet aber einen geringeren Dekkungsbeitrag. Die Produktionstechnologie ist von zwei Größen bestimmt: Montagezeit in Minuten und Komponenten in Stück. Folgende Inputgrößen gehen in die Produktion eines Gerätes ein: s/w Montagezeit (Minuten) Komponenten (Stück)
9 7
color 12 14
Tabelle 9.1: Inputgrößen für die Produktion eines Fernsehgerätes
Die täglichen Kapazitätsbeschränkungen sind wie folgt zu beachten: Es stehen nicht mehr als 1.080 Minuten Montagezeit zur Verfügung. Ferner sind maximal 980 Komponenten bestückbar. Als Absatzbeschränkungen sind täglich nicht mehr als 90 s/w- oder 50 color-Geräte absetzbar. Die Deckungsbeiträge betragen 60 € für ein s/w- und 100 € für ein color-Gerät. Die Fragestellung lautet nun, wie das Programm gestaltet werden soll, um die zu erwirtschaftenden Deckungsbeiträge zu maximieren. Sollen nur s/w-Geräte hergestellt werden? In den Kapazitätsrestriktionen sind 90 Stück pro Tag möglich. Dies ergäbe einen Deckungsbeitrag von 5400 € pro Tag. Oder sollte ausschließlich die Produktion von color-Geräten erfolgen? Die Kapazitätsrestriktionen lassen dann täglich 50 Stück zu, was zu einem Deckungsbeitrag von 5000 € pro Tag führen würde. Oder soll gar eine Produktmischung produziert werden: χ s/w- und y color-Geräte? Zur Beantwortung derartiger Fragen ist es sinnvoll, Standardsoftware einzusetzen, so dass im folgenden auf die Darstellung des Simplexalgorithmus - der als Grundlage der Linearen Optimierung die Basis der angewandten Software darstellt - verzichtet wird. Statt dessen kann Software zur Linearen Optimierung eingesetzt werden, wie LINDO oder der Solver von Excel. Die Optimierung mit Hilfe der Software LINDO liefert fur das Fernsehgeräteproblem folgende Lösung: Es sind 80 s/w-Geräte und 30 color-Geräte zu produzieren, die zusammen einen Deckungsbeitrag von 7800 € erwirtschaften. An diesem Beispiel tritt modellhaft hervor, wie die Optimierung des Produktionsprogramms die Deckungsbeiträge den Restriktionen von Ressourcen sowie Absatz gegenüberstellt und in einem optimalen Punkt bündelt.
122
Kapitel 9 · Die Programmplanung
Das Lösungsprotokoll der eingesetzten Software enthält aber noch weitere, betriebswirtschaftlich relevante Informationen. So erfahrt jede der Restriktionen eine Überprüfung, ob sie von der optimalen Lösung vollständig ausgeschöpft wird. Ist dies der Fall, stellt die Restriktion einen tatsächlichen Engpass dar. Diesen Engpässen im Produktionsprozess ist besondere Aufmerksamkeit des Produktionsmanagements zu schenken, damit etwa in bezug auf die Versorgung mit Material und Werkzeugen ein reibungsloser Ablauf gewährleistet werden kann. Bei Nicht-Engpass-Maschinen sind beispielsweise Fragen mangelnder Auslastung oder auftretende Verzögerungen nachrangig. Diese Idee des Engpassmanagements wird im OPT-Ansatz der Produktionssteuerung weiter verfolgt und systematisch ausgebaut. Im Modell der Linearen Optimierung wird einer Engpassressource ein "Schattenpreis" zugeordnet, welcher die Ressource bewertet und angibt, um wie viele Einheiten die Summe der Deckungsbeiträge anstiege, wenn die Restriktion um eine Einheit heraufgesetzt, d.h. der Engpass gemildert würde. Der Schattenpreis repräsentiert damit eine Größe, die als "Grenzgewinn" interpretiert werden kann. Diese Information ist für die strategische Planung wertvoll, da sie den Rückfluss an Finanzmitteln bei Erweiterungsinvestitionen anzeigt. Am Beispiel der Fernsehgeräte-Produktion lauten die Schattenpreise im Ergebnisprotokoll des Optimierungslaufes 3,30 € für die Arbeitszeitrestriktion und 4,20 € für die Komponentenrestriktion. Natürlich ist das hier vorgestellte Beispiel mit zwei Produkten und vier Restriktionen vergleichsweise einfach. Die Leistungsfähigkeit des Lösungsverfahrens wird bei großen Planungsproblemen, welche einige hundert Produkte, Zeitperioden und Restriktionen aufweisen, um so überzeugender. Der Einsatz von Lösungsverfahren der Linearen Optimierung für die Produktionsprogrammplanung ist besonders in der Mineralöl-, Stahlund Chemischen Industrie verbreitet. In der Fertigungsindustrie konnte sich dieser Ansatz bisher nur langsam durchsetzen und zeigt den Vorlauf der theoretischen Betriebswirtschaftslehre vor der praktischen Umsetzung an, wie er auch auf anderen Gebieten, beispielsweise der Kostenrechnung und der Losgrößenplanung, zu beobachten ist. Beispiele bietet die Autoindustrie, etwa Mercedes oder BMW.
9.3
Die Darstellung des allgemeinen Modellansatzes
Der allgemeine Modellansatz zur Planung des optimalen Produktionsprogramms sieht wie folgt aus: • Ausgewählt wird unter η verschiedenen Produktgruppen P; • Entscheidungsvariable sind die Mengen Xj, die angeben, in welchem Ausmaß Pj produziert werden soll (xj > 0) • Jedes Produkt erwirtschaftet einen Deckungsbeitrag d; • Das Formalziel ist die Maximierung der Summe der Deckungsbeiträge, d.h. η X d j · Xj => max. i=l
• Zur Verfügung stehen m Produktionsfaktoren. Gegeben sind hierzu Restriktionen in den Produktionskapazitäten. Die Nutzung der m Produktionsfaktoren durch die
123
Kapitel 9 · Die Programmplanung
Produktion der η Produkte darf aggregiert nicht die Kapazitätsgrenzen c, überschreiten, d.h.
In der Aggregation beschreiben die Koeffizienten ay die Einsatzmenge des Produktionsfaktors j zur Herstellung einer Einheit von Pj. • Hinzu treten noch η Restriktionen im Absatzbereich. Für jedes Produkt Pj stellt Aj die Obergrenze des Absatzes dar, die von den geplanten Mengen x; nicht überschritten werden darf, da die Annahme eines beliebig hohen Absatzes unrealistisch ist. xj < Aj Die Koeffizienten des Optimierungsproblems werden in einer als Tableau bezeichneten Tabelle folgendermaßen systematisch zusammengefasst: Entscheidungsvariable χι I X2 I ... I
Restriktionen CL CZ
AS
CM A, A2
d,
| d2 | ... | d„ Deckungsbeiträge
Κ
Tabelle 9.2: Grundstmktur eines Tableaus
In dem bisher vorgetragenen Ansatz der Linearen Optimierung ist die Zeit als explizite Planungsgröße nicht vorhanden. Damit liegt eigentlich ein 1-Perioden-Modell vor, in dem der Absatz mit der Höhe der Produktion identisch ist. Bei stark schwankender Nachfrage oder Saisonschwankungen stellt die Einbeziehung der Zeitdimension und der damit verbundenen ausgleichenden Lagerhaltungsprozesse eine präzisere Modellabbildung der realen Welt dar. Wir wollen nun diesen Zusammenhang erläutern. Wir zerlegen die gesamte Zeitperiode in Teilperioden, in denen der Absatz schwankt. Wenn wir diesem schwankenden Absatz wie im statischen Modell eine konstante Produktion gegenüberstellen, so stellt die Höhe der Produktion den Durchschnitt der Absätze der Teilperioden dar, und wir haben wie im statischen Modell wieder die Identität von Produktion und Absatz in der Gesamtperiode. Wir betrachten in Abbildung 9.2 als Beispiel 4 Teilperioden, in denen der Absatz von 4 auf 10 Einheiten ansteigt. Dem stellen wir die konstante Produktion von 7 gegenüber (7 = (4 + 6 + 8 + 10) / 4). In der ersten Teilperiode 1 wird mehr produziert als abgesetzt. Die Differenz von 3 Einheiten geht in den Aufbau eines Lagers. Auch in der Teilperiode 2 wird noch mehr produziert als abgesetzt. In den Teilperioden 3 und 4 kehrt sich dieses Verhältnis um; der Absatz übersteigt die Produktion, und die Differenz wird aus dem nun bestehenden Lagerinhalt bedient. Zu vermuten ist, dass die konstante Produktion nicht die beste Antwort auf das Problem des schwankenden Absatzes ist, da Lagerkosten auftreten, die im Optimierungsmodell mit zu berücksichtigen wären.
124
Kapitel 9 * Die Programmplanung
Steigende N a c h f r a g e bei konstanter Produktion
Teilperiode I
Teilperiode 2
Teilperiode 3
Zeit "Produktion
|
Abbildung 9.2: Steigende Nachfrage bei konstanter Produktion
Wenn bereits ungerechtfertigte Lagerhaltungskosten wegen schlechter Anpassung der Produktion an den zeitlichen Verlauf des Absatzes ein Problem darstellt, so ist die Situation aus der Sicht der marktorientierten Untemehmensfiihrung jedoch schlimmer, wenn der potentielle Absatz wegen unzureichender Produktion gar nicht gedeckt werden kann. Dies ist der Fall, wenn der Absatz sinkt, wie in Abbildung 9.3 dargestellt ist. Wenn hier der Ansatz des 1-Perioden-Modells mit konstanter, durchschnittlicher Produktion angewendet wird, kann in den ersten beiden Teilperioden der geforderte Absatz gar nicht aus der Produktion befriedigt werden. Es kommt zu einer Unterdeckung des Absatzes (Fehlmengen). Die unbefriedigte Nachfrage aus Teilperioden 1 und 2 kann erst später aus den Überschüssen der Teilperioden 3 und 4 bedient werden. Fallende N a c h f r a g e bei konstanter Produktion
8
6
4 3
m,
Teilperiode 1
1 0 Teilperiode 2
Teilperiode 3
0 Teilperiode 4
Zeit [ CH Absatz
t Z i hohlmc-nge
Produktion |
Abbildung 9.3: Fallende Nachfrage bei konstanter Produktion
Aus diesen Überlegungen ist zu folgern, dass ein Modellansatz für einen ungleichmäßigen Absatz die Identität von Produktion und Absatz des statischen Modells aufgibt, die Größen Produktion und Absatz trennen muss und beim Absatz den tatsächlichen vom potentiellen oder geplanten Absatz unterscheiden muss. Beispielsweise ist im Szenario von Abbildung 9.3 in der Teilperiode 1 der geplante Absatz 10, der tatsächliche 7 und
125
Kapitel 9 * Die Programmplanung
die Produktion ist gleich 7, während in Teilperiode 3 die Produktion 7 beträgt und der tatsächliche wie der geplante Absatz 6. Werden die Schwankungen des Absatzes in den Ansatz der Linearen Optimierung integriert, so sind neben den Variablen für die Produktionsmengen zusätzliche Variablen fur den geplanten und tatsächlichen Absatz und fur die Lagerhaltung fur alle Perioden in das Modell mit aufzunehmen. Wie die Programmplanung auf saisonale Nachfrageschwankungen reagieren soll, wird nun dargestellt.
9.4
Verfahren der Kapazitätsglättung
In der Programmplanung sind Fragen der Kapazitätsgestaltung bei saisonalen Nachftageschwankungen zu berücksichtigen. Werden saisonale Nachfrageschwankungen angenommen und diesen Schwankungen eine konstante Kapazität (wie im nachfolgenden Beispiel) von 100 Mengeneinheiten (ME) pro Periode gegenübergestellt, so sind diese Schwankungen nur um den Preis eines Lageraufbaus abzugleichen, wenn die Nachfrage stets mit Lieferungen befriedigt werden soll. Fragen der Kapazitätsglättung beschäftigen sich damit, wie Elemente der Kapazität auf andere Zeitperioden verschoben werden können, um den erforderlichen Lageraufbau zur Saisonglättung so klein wie möglich zu halten. Perioden der Unterkapazität stehen dann solchen mit Überkapazität gegenüber. An dem folgenden Beispiel studieren wir die Wirkung der Kapazitätsglättung auf den Lageraufbau. Einem unregelmäßigen Bedarf über 6 Perioden (bei einer saisonalen Glättung über ein Jahr entspricht eine Periode 2 Monate) stellen wir zunächst eine Produktionskapazität von 100 ME gegenüber. In Tabelle 9.3 sind die Daten beispielhaft präsentiert. Der Lageraufbau ergibt sich als Summe von Lagerendbestand der Vorperiode plus Produktion minus Bedarf: Lj = L^.j + X{ - b t . Diese Beziehungen sind sehr einfach mit einer Tabellenkalkulation programmierbar. Periode t -» Kapazität C Bedarf b Produktion χ Lager L
1 100 90 100 10
2 100 60 100 50
3 100 120 100 30
4 100 80 100 50
5 100 120 100 30
s 100 130 100 0
Tabelle 9.3: Schwankender Bedarf und Lageraufbau über 6 Perioden
Abbildung 9.4 veranschaulicht den Zusammenhang zwischen den Größen Bedarf, Kapazität, Produktion und Lagerbestand. In allen Perioden, die einen positiven Lagerbestand aufweisen, können wir die Kapazität absenken. Wir nehmen an, dass wir die Kapazität lediglich um maximal 10 ME herabsetzen. Senken wir in der ersten Periode die Kapazität von 100 ME auf 90 ME ab, so können wir diese Kapazitätselemente auf eine der Perioden 2 bis 6 verteilen. Da gegen Ende des Planungszyklus der Bedarf recht hoch wird, ist es günstig, die frei gewordene Kapazität auf die Periode 6 zu verlegen. Wir haben mit dieser Verlegung 10 ME Lageraufbau in den Perioden 1 bis 5 eingespart. Tabelle 9.4 mit Diagramm (Abbildung 9.5) zeigt die Verschiebung an.
126
Kapitel 9 · Die Programmplanung
Kapazitäts glättung 140r
Τ|ΤΠΤΤ1 iljjj}j> : l|
120
μ loo· · e 80 1 1 π 6 0 illis g e
40
·
|! 11
20- ||! 0I liiiill
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ΙϋΤΠΠΙ
· mnn,
||i|||
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(jlM.
ji nji
ι . i'iiiiill— . I^i^l— ι l'Hi!il— ι li!"iiil— ι 1IIIIH-
1
2
3
CHI] Bedarf
4 Periode - · - Produkt.
5 •
6
Lager
Abbildung 9.4: Schwankender Bedarf und Lageraufbau über 6 Perioden Periode t -»
1
2
3
4
5
6
Kapazität C Bedarf b Produktion χ Lager L
90 90 90 0
100 60 100 40
100 120 100 20
100 80 100 40
100 120 100 20
110 130 110 0
Tabelle 9.4: Kapazitätsausgleich von Periode 1 und 6
Kapazitäts glättung
DU Bedarf
Produkt.
Ο
Lager
Abbildung 9.5: Kapazitätsausgleich von Periode 1 und 6
Im zweiten Schritt erkennen wir, dass in Periode 2 der Lagerbestand positiv ist. Wir können also auch in Periode 2 die Produktion von 100 ME auf 90 ME senken. Die Kapazitätselemente von 10 ME piazieren wir nun alternativ auf Periode 6. Wir können hierdurch ebenfalls 10 ME Lageraufbau in den Perioden 2 bis 5 einsparen. Zweifellos ist es betriebswirtschaftlich wenig sinnvoll, in einer Periode beliebig hohe Kapazitätszuwächse einzuplanen. Ist die Normalkapazität gleich 100 ME, so wird man kaum über 20%, d.h. auf 120 ME gehen können, ohne dass die Zusatzkosten fiir die Kapazitätserhöhung zu stark ansteigen. Ist dies der Fall, so wird der Vorteil der Lagerkostenreduktion aufgezehrt. Sowohl Kapazitätsabsenkung wie auch Kapazitätserhöhung sind also pro Periode nur in einem begrenzten Rahmen möglich. Tabelle 9.5 und Abbildung 9.6 stellen als Beispiel die geglättete Produktion vor, die in den Perioden 1 bis 4 auf 90 ME liegt, um dann um 30 ME auf 120 ME anzusteigen. Der Lageraufbau ist nur noch minimal und beträgt höchstens 30 ME. Die Fragen der Kapazitätsglättung lassen sich systematisch in einem Transportmodell diskutieren. Die einzelnen Perioden werden dabei als kapazitätsabgebend und kapazi-
127
Kapitel 9 » Die Programmplanung
tätsaufnehmend gekennzeichnet. In einem Tableau werden die Kostenreduktionen einer Kapazitätsverschiebung aufgelistet, und auf diese Weise optimale Lösungen erarbeitet. 1 90 90 90 0
Periode t - » Kapazität C Bedarf b Produktion χ Lager L
2 90 60 90 30
3 90 120 90 0
4 90 80 90 10
5 120 120 120 10
6 120 130 120 0
Tabelle 9.5: Kapazitätsglättung über 6 Perioden
Kap azitäts glättung 140r
II lilll 1
Ί
, im!MI inli 2
I , IIIIIIIII 3
,
llllllllI 4
, IIIIIIIII 5
I
, llllllll 6
Periode DU Bedarf
·
Produkt
•
Lager
Abbildung 9.6: Kapazitätsglättung über 6 Perioden
Das Ergebnis der gesamten Termin- und Kapazitätsplanung ist eine wochengenaue Einteilung, wann - unter Berücksichtigung von Kapazitätsrestriktionen - welcher Auftrag auf welchem Arbeitsplatz gefertigt werden soll. Ein weiteres Beispiel für die Anpassung der Produktion an eine saisonal verlaufende Nachfragekurve wird in Kapitel 13 der Termin- und Kapazitätsplanung gegeben.
Ergänzende Literatur: Corsten, H.: Produktionswirtschaft, München 2007 Heizer, J. und Berry Render: Operations Management, New Jersey 2007 Günther, H.-O., H. Tempelmeier: Produktion und Logistik, Berlin 2007 Kummer, Sebastian, Oskar Grün und Wemer Jammernegg [Hrsg.]: Grandzüge der Beschaffung, Produktion und Logistik, München 2006
Kontrollfragen: 1. 2. 3. 4. 5.
Welche Arten der Programmbildung kennen Sie, und durch welche Merkmale unterscheiden sich die einzelnen Arten? Welche Vorteile besitzt die Produktion auf Lager? Wie ist der Deckungsbeitrag definiert, und welche Rolle spielt er im Rahmen der marktbezogenen Programmbildung? Skizzieren Sie den allgemeinen Modellansatz der marktbezogenen Programmbildung in Bezug auf Zielfunktion und Restriktionen.
128
Kapitel 10 * Die programmgesteuerte Bedarfsplanung
10 Die programmgesteuerte Bedarfsplanung In diesem Kapitel wird dargelegt, wie aus der Zeitreihe des Primärbedarfs die Bedarfe auf den untergeordneten Ebenen von Baugruppen und Einzelteilen hergeleitet werden. Außerdem werden die verschiedenen Dateien der Grunddatenverwaltung in der Produktionsplanung und -Steuerung behandelt.
10.1 Grundlagen und Überblick Die Planung des Produktionsprogramms ist der Ausgangspunkt fur die sich anschließende Planung der Bedarfe an Material und Einzelteilen zur Produktion des geplanten Primärbedarfs. Es wird dabei auch von Mengen- und Materialbedarfsplanung gesprochen. In diesem Kapitel soll die programmgesteuerte Bedarfsermittlung behandelt werden. Das Produktionsprogramm enthält nach Produktgruppen aggregiert die quantitative Planung der Enderzeugnisse. Die Mengenplanung hat hier anzusetzen und die Programmplanung in Pläne des Materialbedarfs auf der Ebene der Einzelteile und der Aggregate umzusetzen. Dabei sind Verfeinerungen der Produktgruppenplanung zu den einzelnen Produkten sowie eine Verknüpfung mit der Zeitdimension erforderlich. Die Zeitachse in der Planung ergibt den Fabrikkalender, bei dem jeder Arbeitstag fortlaufend numeriert ist, Feiertage jedoch ausgelassen werden. Die Mengenplanung verbindet nun jeweils auf den verschiedenen Stufen der Stücklistenauflösung den Mengenaspekt mit dem Zeitaspekt. Hierdurch gewinnt dieser Planungsschritt an besonderer Komplexität und an Problemgehalt. In der amerikanischen Literatur werden die Themen der Mengenplanung als Material Requirement Planning (MRP) bezeichnet. Wird der Primärbedarf aus der Programmplanung zeitlich und typenmäßig disaggregiert, so ergibt dies den disaggregierten Primärbedarf. Nun erfolgt eine Betrachtung der aus Einzelteilen zusammengesetzten Struktur der Enderzeugnisse. Man spricht auch von Erzeugnisstrukturen, die über Stücklistenauflösungen dargestellt werden können. Aus dem disaggregierten Primärbedarf werden über verschiedene Schritte der Stücklistenauflösung die Netto-Sekundärbedarfe auf der Einzelteil- und Komponentenebene hergeleitet, die zu Losen zusammengefasst und als Aufträge fur die Fertigung oder die Beschaffung auf den externen Beschaffungsmärkten vergeben werden. Die Entscheidung, selbst zu fertigen oder extern einzukaufen, ist ein eigenständiger betriebswirtschaftlicher Entscheidungskomplex, der häufig mit der Formel Make or Buy gekennzeichnet wird. Diese Frage ist im Zusammenhang mit der Fertigungstiefe zu diskutieren und daher größtenteils strategischer Natur. In der deutschen Automobilindustrie ist derzeit ein starker Trend zu beobachten, die Fertigungstiefe zugunsten des "Buy" zu senken. Die Entscheidung "Make or Buy" auf der Teileebene ist in der Elektronik-GeräteIndustrie ein nahezu vollständiges "Buy". Leiterplatten und Bauelemente werden von Vorlieferanten beschafft. Die Montage der Geräte ist dann die eigenständige produktionswirtschaftliche Leistung. Die folgende Abbildung 10.1 stellt die Planungsschritte der Mengen- und Terminplanung in ihrem Zusammenhang dar.
129
Kapitel 10 · Die programmgesteuerte Bedarfsplanung
jumtstmss! Primärbedarf
[[
ί
Stücklistenauflösung VorlaufVerschiebung
Β ruttosekundärbedarf Lagerabgleich
Nettosekundärbedarf / Los-Bildung
Make
Buy
Abbildung 10.1: Planungsschritte der Mengen- und Terminplanung
10.2 Die Stücklistenauflösung Die Stücklistenauflösung dient der Ermittlung des Brutto-Sekundärbedarfs aus dem disaggregierten Primärbedarf. Eine Stückliste stellt die auf den verschiedenen Stufen der Fertigung (Produktionsstufen) in ein Endprodukt eingehenden Einzelteile, Baugruppen und Aggregate zusammen.
Abbildung 10.2: Erzeugnisbaum und Gozintograph eines Enderzeugnisses Ε
Die Zusammensetzung des Endprodukts wird mit einem Graphen dargestellt, der zugleich die logischen Beziehungen der Produktionsstufen zum Ausdruck bringt. Der linke Teil von Abbildung 10.2 zeigt in Form eines Erzeugnisbaums, wie ein Enderzeugnis Ε aus Baugruppen Bl,..., B3 und Einzelteilen ΤΙ,..., T4 auf den vier Fertigungsstufen zusammengefügt wird. In dem Erzeugnisbaum kommen die Teile T1 und T3 mehrfach vor, die Darstellung weist somit Redundanzen auf. Eine redundanzfreie Darstellung von Erzeugnisstrukturen, d.h. eine Darstellung, in der jedes Element nur einmal
130
Kapitel 10 · Die programmgesteuerte Bedarfsplanung
vorkommt, wird als Gozintograph bezeichnet („the part that goes into"). Der rechte Teil von Abbildung 10.2 zeigt den zum Erzeugnisbaum gehörenden Gozintographen. Die Zahlen auf den Kanten des Erzeugnisbaums und des Gozintographen repräsentieren jeweils die Produktionskoeffizienten, die angeben, in welcher Menge ein untergeordnetes Objekt in das unmittelbar übergeordnete Objekt eingeht. Es werden mehrere Arten von Stücklisten unterschieden, je nachdem, wie die Stufen der Fertigung Berücksichtigung finden: • • • •
Mengen-Stücklisten, Baukasten-Stücklisten, Struktur-Stücklisten und Dispositions-Stücklisten.
Stücklisten, im ERP-Kontext auch als Erzeugnisstrukturen bezeichnet, spielen in der Fertigungsindustrie eine große Rolle, da sie eine Form der Informationsaufbereitung darstellen, die in vielen Funktionsbereichen benötigt wird: • •
in der Konstruktion für die Definition und Auslegung eines Produktes in der Produktionssteuerung für die Verwaltung des Materials und der Auswahl und Programmierung von Fertigungstechnologien • in der Beschaffung von Vorprodukten sowie • in der Angebots- und Nachkalkulation als Grundlage für die Kostenrechnung. Im folgenden werden wir die vier unterschiedlichen Stücklistendarstellungen anhand des selben Beispiels kennenlernen. Die Mengen-Stückliste: Sie ist die einfachste Art der Darstellung. Sie stellt nur Mengen zusammen, ohne die Beziehungen der Fertigungsstufen zu berücksichtigen. Die Mengen-Stückliste für das Endprodukt Ε der Abbildung 10.2 sieht dann so aus: Nr. B1 B2 B3 T1 T2 T3 T4
Endprodukt Ε Bezeichnung Baugruppe Baugruppe Baugruppe Bauteil Bauteil Bauteil Bauteil
Menge 1 2 1 8 3 9 2
Tabelle 10.1: Mengen-Stückliste für das Endprodukt Ε
Die Baukasten-Stückliste: Hier werden - für das Enderzeugnis und für alle zusammengesetzten Baugruppen und Aggregate einzeln - sämtliche Teile aufgeführt, die unmittelbar eingehen. Damit erfolgt eine Verknüpfung von jeweils zwei Produktionsstufen. Diese Darstellungsart ist an die Logik von EDV-gestützten Stücklistenprozessoren der 70er Jahre angepasst. Diese Stücklistenform findet sich in mySAP ERP. Die BaukastenStücklisten für das Endprodukt Ε und die Baugruppe B1 der Abbildung 10.2 sehen wie folgt aus (fur die Baugruppen B2 und B3 analog):
131
K a p i t e l 10 · D i e p r o g r a m m g e s t e u e r t e B e d a r f s p l a n u n g
Nr. T1 B1 B2
Endprodukt Ε Bezeichnung Bauteil Baugruppe Baugruppe
Menge 2 1 2
Nr. T2 B3
Baugruppe B1 Bezeichnung Bauteil Baugruppe
Menge 3 1
T a b e l l e 10.2: B a u k a s t e n - S t ü c k l i s t e n f u r d a s E n d p r o d u k t Ε u n d B a u g r u p p e Β 1
Die Struktur-Stückliste: Die Darstellung erfolgt stufenweise. Alle Einzelteile, Aggregate oder Baugruppen, die in das Endprodukt oder eine Baugruppe auf einer Produktionsstufe unmittelbar eingehen, werden eine Produktionsstufe tiefer angesiedelt. Damit wird die Beziehung "geht unmittelbar ein" ausgedrückt. Die Struktur-Stückliste für das Endprodukt Ε der Abbildung 10.2 sieht folgendermaßen aus: Endprodukt Ε Produktionsstufe 1 2 2 3 3 4 4 4 2 3 3
Nr.
Bezeichnung
Menge
Ε τϊ B1 T2 Β3 T1 Τ3 Τ4 Β2 Τ1 Τ3
Endprodukt Bauteil Baugruppe Bauteil Baugruppe Bauteil Bauteil Bauteil Baugruppe Bauteil Bauteil
1 2 1 3" 1 2 1 2 2 2 4
T a b e l l e 10.3: S t r u k t u r - S t ü c k l i s t e f ü r d a s E n d p r o d u k t Ε
Die Dispositions-Stückliste: Sie stellt eine Weiterentwicklung der Struktur-Stückliste dar. Ausgehend von der Struktur-Stückliste werden alle gleichen Teile auf einer gemeinsamen - und zwar der jeweils tiefsten - Produktionsstufe der Fertigung zusammengefasst. Diese Art der Darstellung besitzt den Vorzug, dass gleiche Teile durch die Zusammenfassung gemeinsam disponiert werden können. Die Dispositions-Stückliste liefert daher auch die verschiedenen Ebenen der Disposition. Die Dispositions-Stückliste für das Endprodukt Ε der Abbildung 10.2 sieht entsprechend so aus: Endprodukt Ε Dispositionsstufe 1 2 2 3 3 4 4 4
Nr.
Bezeichnung
Menge
Ε Βΐ B2 1.' B3 T1 T3 Ϊ4
Endprodukt Baugruppe Baugruppe Bauteil Baugruppe Bauteil Bauteil Bauteil
1 1 2 3 1 8 9 2
T a b e l l e 10.4: D i s p o s i t i o n s - S t ü c k l i s t e fiirdas E n d p r o d u k t Ε
Ein besonderes Problem in der Planung der Erzeugnisstruktur stellt die Massenindividualisierung dar, welche eine Vielzahl von Varianten hervorbringt. Gefragt werden muss, ob für jede Variante eine eigene Stückliste zu verwalten ist. Wenn die Zahl der Varianten in die Millionen geht, wie in der Automobilindustrie, so ist eine derartige Verwaltung nur schwer möglich. Aus diesem Grund werden besondere Varianten-
132
Kapitel 10 · Die programmgesteuerte Bedarfsplanung
Stücklisten für die Planung herangezogen, welche den Aufwand fur die Erfassung und Pflege der Variantendaten senken und eine Mehrfacherfassung der Daten fur die Varianten vermeiden. Das Variantenproblem tritt ebenso bei der Aufarbeitung von Motoren in Recyclingkreisläufen auf. Die Darstellung in Variantenstücklisten vermindert die Redundanz. Die nun hier dargestellte Methodik der Mengenplanung geht von der Programmplanung aus, bezieht daraus die Daten des Primärbedarfs und heißt daher auch programmgesteuerte Bedarfsermittlung. Davon ist die verbrauchsgesteuerte Bedarfsermittlung zu unterscheiden, die für die Planung des Lagervorrats der Bevorratungsebene bei auftragsbezogener Einzelproduktion und bei geringwertigen Normteilen (Schrauben etc.) Anwendung findet. Man geht statistisch vor und ermittelt Prognosen des Verbrauchs für die Planungsperioden der Zukunft. Dabei stützt man sich auf Daten aus den Vorperioden (vgl. Kapitel 11). Bei geringwertigem Kleinmaterial ist dieses Vorgehen einfacher, als eine aufwendige Stücklistenauflösung vorzunehmen. Die verbrauchsgesteuerte Bedarfsermittlung ist auch in den Fällen von Bedeutung, in denen bei langer Beschaffungszeit schon vor dem Eintreffen von Aufträgen Vormaterialien geordert werden müssen.
10.3 Die Herleitung des Netto-Sekundärbedarfs Wir erläutern nun die Herleitung der verschiedenen Bedarfsarten aus dem Primärbedarf im einzelnen. Zum gegebenen Primärbedarf (oder Bedarf auf einer übergeordneten Dispositionsstufe) wird ein Zusatzbedarf an Einheiten für Reparatur und Service hinzugerechnet. Dem aus dem Primärbedarf über die Stücklistenauflösung hergeleiteten BruttoSekundärbedarf ist ein Mehrverbrauch zuzuschlagen (z.B. 10%). Bei der Herleitung des Brutto-Sekundärbedarfs geht es nicht allein um Mengenaspekte, sondern zugleich um die Berücksichtigung der Zeitstruktur. Der Bedarf auf der übergeordneten Produktionsstufe liegt gegliedert nach Wochen vor. Der daraus abgeleitete Brutto-Sekundärbedarf hat die Fertigungs- bzw. Beschaffungszeiten für die Materialien des Brutto-Sekundärbedarfs zu berücksichtigen. Dies geschieht mit der VorlaufVerschiebung. Die VorlaufVerschiebung ist definiert als die Zeitspanne, die während der Bereitstellung einer Materialsorte verstreicht. Um diese Zeitspanne zu berücksichtigen, wird der Bedarf an Vorprodukten nicht in der gleichen Woche gebucht, in welcher der Primärbedarf (oder der Bedarf der übergeordneten Produktionsstufe) anfallt, sondern um die Bereitstellungszeit in Richtung Vergangenheit auf der Zeitachse verschoben. Dies ergibt eine Größe, die hier als Brutto-Sekundärbedarf2 bezeichnet wird. Für die einzelnen Vorprodukte sind die Vorlaufverschiebungen unterschiedlich. Die durch die VorlaufVerschiebung auftretende zusätzliche Komplexität des Planungsproblems lässt die Zeitstruktur des Primärbedarfs und des Brutto-Sekundärbedarfs2 weit auseinander treten. Wie die Beispiele unten zeigen, erscheinen Primärbedarf und BruttoSekundärbedarf2 als scheinbar voneinander unabhängige Größen.
133
K a p i t e l 10 · D i e p r o g r a m m g e s t e u e r t e B e d a r f s p l a n u n g
In den ERP-Systemen kann auf unterschiedliche Weise die Vorlaufverschiebung für die Vorprodukte verwaltet werden. Gespeichert werden kann die VorlaufVerschiebung wie folgt: •
als Teilestammdaten. Hierbei ist die Vorlaufzeit unabhängig von der Verwendung der Teile • in der Stückliste. Hierbei ist die Vorlaufzeit davon abhängig, in welchem Zweig der Stückliste das Vorprodukt aufgeführt ist • im Arbeitsplan. Hierbei wird die Vorlaufzeit aus dem Arbeitsplan des übergeordneten Teils abgeleitet und • als Funktion der Losgröße. Hier wird beachtet, dass die Vorlaufzeit mit der Losgröße anwächst. Wir betrachten ein einfaches Beispiel der Brutto-Sekundärbedarfsermittlung für ein Endprodukt E, das aus zwei Einheiten von T1 und drei Einheiten von T2 besteht (Abbildung 10.3).
In der folgenden Tabelle 10.5 wird aus einer angenommenen Zeitreihe des Primärbedarfs über die Kalenderwochen 1 bis 6 für das Endprodukt Ε der BruttoSekundärbedarf2 von T1 hergeleitet. Nimmt man einen Zuschlag für Mehrverbrauch von 10 Teilen pro Woche sowie eine Vorlaufverschiebung von 2 Wochen an, so ergibt sich für die Wochen 1 bis 4 der folgende Brutto-Sekundärbedarf2: Kalenderwoche -> Primärbedarf Brutto-Sekundärbedarf für Teil 1 Zuschlag Brutto-Sekundärbedarf2 mit Vorlauf-Verschiebung von 2 Wochen Körperlicher Bestand Offene Aufträge Sicherheitsbestand Vormerkbestand Verfügbarer Bestand Netto-Sekundärbedarf
1 0
2 0
170 120 0 20 0 100 70
250 20 0 20 0 0 250
3 80 160 10 130 20 190 20 0 190 0
4 120 240 10 190 80 0 20 10 50 140
5 60 120 10
6 90 180 10
T a b e l l e 10.5: N e t t o - S e k u n d ä r b e d a r f
Nach dieser Ermittlung des Brutto-Sekundärbedarfs2 wird der Netto-Sekundärbedarf hergeleitet. Diese Größe bringt den auf Beschaffung oder Teilefertigung gerichteten Bedarf zum Ausdruck, indem der Brutto-Sekundärbedarf2 an Einzelteilen mit dem eventuell vorhandenen Lagerbestand dieser Teile verglichen wird. Hierbei spielt die Überlegung eine Rolle, dass bei einem großen Lagerbestand gar kein aktueller Anlass für die Beschaffung oder Eigenfertigung von Teilen besteht. Diese Überlegung ist zu präzisieren. Ist der Lagerbestand größer als der Brutto-Sekundärbedarf2, so ist der Netto-Sekundärbedarf null. Der Brutto-Sekundärbedarf2 kann vollständig aus dem Lager
134
Kapitel 10 · Die programmgesteuerte Bedarfsplanung
gedeckt werden. Es braucht daher kein Auftrag für Beschaffung oder Fertigung erteilt zu werden. Der Sachverhalt ändert sich, wenn der Lagerbestand kleiner als der BruttoSekundärbedarf2 ist. Dann ist die Differenz als Netto-Sekundärbedarf termingerecht über die Wege der Beschaffung oder Eigenfertigung bereitzustellen. Bei der Ermittlung des Netto-Sekundärbedarfs ist jedoch nicht vom Lagerbestand schlechthin (dem körperlichen Bestand) auszugehen, sondern dieser ist um den Sicherheitsbestand sowie den Vormerkbestand nach unten und um eingehende Bestellungen nach oben zu korrigieren. Diese neue Rechengröße wird nun als verfügbarer Bestand bezeichnet. Der Vormerkbestand stellt die Reservierungen für andere Aufträge fest, die dann nicht mehr für die laufende Planung verfügbar sind. In Tabelle 10.5 wird in Woche 4 ein Vormerkbestand von 10 Teilen reserviert. Der Sicherheitsbestand ist vorab festzulegen und stellt eine "eiserne Reserve" dar, die als Flexibilitätspuffer unvorhersehbaren Bedarfsspitzen Rechnung tragen soll. In Tabelle 10.5 wurde der Sicherheitsbestand auf 20 Stück festgelegt. Je höher der Sicherheitsbestand, desto seltener wird das Lager nicht lieferfahig sein und so eine Fehlmenge aufweisen. Bei der Entscheidung über die Höhe des Sicherheitsbestandes sind die Kosten der Kapitalbindung für einen hohen Sicherheitsbestand den Verlusten gegenüberzustellen, die bei Fehlmengen auftreten, wenn der Sicherheitsbestand klein gewählt würde. Die Größe verfügbarer Bestand setzt sich wie folgt zusammen: verfügbarer Bestand = körperlicher Bestand + offene Aufträge (Eigenfertigung oder Beschaffung) - Sicherheitsbestand - Vormerkbestand Der verfugbare Bestand stellt - im Gegensatz zur alleinigen Betrachtung des körperlichen Lagerbestandes - eine für die Planung geeignete Größe dar. Betrachtet man den Netto-Sekundärbedarf in der letzten Zeile in Tabelle 10.5, so fallt die starke Schwankung der Größe Netto-Sekundärbedarf auf. Von 250 Stück in Woche 2 fallt der NettoSekundärbedarf auf 0 in Woche 3, um dann wieder auf 140 in Woche 4 anzusteigen. Demgegenüber verhält sich die Zeitreihe des Primärbedarfs wesentlich ruhiger. Die folgende Tabelle 10.6 drückt diesen Unterschied aus: Die Zeitreihe des Primärbedarfs über die Wochen 3 bis 6 besitzt eine Standardabweichung von 21,65 gegenüber der fünffachen Standardabweichung von 106 der Zeitreihe des Netto-Sekundärbedarfs über die Wochen 1 bis 4. Normalisiert man die Standardabweichung auf den Mittelwert, so erhält man den Variationskoeffizienten18 als besseres Maß der Unruhe. Auch hier besitzt die Zeitreihe des Netto-Sekundärbedarfs mit 0,92 den mehr als dreifachen Variationskoeffizienten der Zeitreihe des Primärbedarfs. Mittelwert Primärbedarf Netto-Sekundärbedarf
87,5 115
Standardabweichung 21,65 106
Variationskoeffizient 0,25 0,92
Tabelle 10.6: Unruhiger Netto-Sekundärbedarf
Variationskoeffizient = Standardabweichung/Mittelwert
Kapitel 10 · Die programmgesteuerte Bedarfsplanung
135
Der Grund für die größere Unruhe des Netto-Sekundärbedarfs liegt im Abgleich mit dem verfügbaren Bestand. Ist dieser hinreichend groß, so sinkt der NettoSekundärbedarf auf null, wie in Woche 3. Kaskadiert man den Stücklistenbaum von der Endproduktebene hinunter zur Einzelteilebene, so verstärkt sich die Unruhe der Zeitreihen immer mehr. Man spricht auch von der "Nervosität" der ERP-Systeme (Vollmann u.a. 1991, S. 515). Diese Unruhe widerspricht modernen Ansätzen von Logistiksystemen, die von einem möglichst stetigen Fluss von Gütern ausgehen und so die Steuerung vereinfachen. Aus dieser Sicht basiert die Mengenplanung im PPS auf veralteten Ideen aus den 70er Jahren. Die Tabelle zur Ermittlung des Netto-Sekundärbedarfs kann sehr gut als ein Kalkulationsblatt in der Tabellenkalkulation auf dem PC dargestellt werden. A 1 2 3 4 5 6 7 8
Kalenderwoche
Β
C
D
Ε
F
G
1
2
3
4
5
6
Brutto-Sekundärbedarf 2 Körperlicher Bestand Offene Aufträge Sicherheitsbestand Vormerkbestand Verfügbarer Bestand Netto-Sekundärbedarf
Tabelle 10.7: Netto-Sekundärbedarf mittels Tabellenkalkulation
Die Formeln für die Größen körperlicher Bestand, verfügbarer Bestand und NettoSekundärbedarf in der Kalenderwoche 2 lauten für einen Sicherheitsbestand von 20 Stück: körperlicher Bestand C3 verfugbarer Bestand C7 Netto-Sekundärbedarf C8
= = = = = =
B7 - B2, falls B7 - B2 > 20 20, sonst C3 + C4 - 20 - C6, falls C3 + C4 - 20 - C6 > 0 0, sonst 0, falls C7 > C2 C2 - C7, sonst.
Die Formeln für die übrigen Kalenderwochen lassen sich mit Hilfe eines Kopiervorgangs bequem einfügen.
10.4 Die Grunddatenverwaltung Die in der Grunddatenverwaltung von der PPS gepflegten Dateien können systematisiert werden als: • • •
Stammdateien, Strukturdateien und Zuordnungsdateien.
136
Kapitel 10 · Die programmgesteuerte Bedarfsplanung
Stammdaten werden gehalten und gepflegt fur: • • • • • • •
Kunden, Lieferanten, Einzelteile, Betriebsmittel, Werkzeuge und Vorrichtungen, Arbeitsplätze sowie Fertigungsverfahren.
Die Pflege dieser Stammdaten ist von hoher Bedeutung, da ohne sie das Planungspotential von der PPS nicht genutzt werden kann. Wir betrachten hier die ausgewählten Stammdaten der Teile und der Arbeitsplätze sowie die Zuordnungsdatei der Arbeitsgangstrukturen. Die Erzeugnisstrukturdaten wurden bereits oben als Stücklistenauflösungen behandelt. Wenn im folgenden von der Datei der Teilestammdaten die Rede ist, so bezieht sich der Teilebegriff auf jede Aggregationsebene der Erzeugnisstruktur. Die Datei der Teilestammdaten enthält eine Vielzahl von Attributen (bis zu 100) pro Teil, die sich auf verschiedene Planungsprobleme und Planungsphasen in der Auftragsabwicklung beziehen. Diese Attribute lassen sich gliedern in: • Identifikationsdaten, wie Datensatzadresse, Sachnummer, Zeichnungsnummer, Teilenummer und Adressverweise auf Dateien von Stücklisten und Arbeitsplänen; • Ordnungsdaten, wie technische Klassifikation, Teileart, Teilebenennung, ABCKlassifikationen, Statusart; • Konstruktionsdaten, wie Funktion, Form, Werkstoff, Gewicht, Abmessungen, Oberflächengüten und Maßeinheiten; • Dispositionsdaten, wie Dispositionsart, Beschaffungsart, Beschaffungszeiten, Ersatzteilart, Ausschussfaktor und Losgrößen; • Bedarfsarten, wie akkumulierter Bedarf, akkumulierter gedeckter Bedarf; • Bestandsdaten, wie Lagerbestand, reservierte Bestände, Sicherheitsbestand; • Absatzdaten, wie Verkaufspreis, Rabatte, Mindestverkaufsmenge, Verpackungsmenge; • Beschaffungsdaten, wie Einstandspreise, Wiederbeschaffungsfrist, Bestellmengengrenzen; • Produktionsdaten, wie Vorlauffristen, Verfahrensvarianten, Teilefamilienkennung, Durchlaufzeiten; • Kalkulationsdaten, wie Maschinenkosten, Lagerkostensatz, Auftragswiederholkosten, Lohnkosten, Materialkosten. Um die Vielzahl der Materialarten und Teile zu verwalten, sind Nummerierungssysteme von Bedeutung. Man unterscheidet identifizierende Schlüssel von klassifizierenden Schlüsseln. Die identifizierenden Nummerierungssysteme vergeben für jede Teile- und Materialart genau eine Teile- oder Materialnummer, die in der Regel 5 bis 20 Stellen umfassen kann. Hiermit ist eine eindeutige Identifikation der gewünschten Teile oder Materialart möglich. Diese Art der Identifikation ist besonders gut geeignet für die
137
Kapitel 10 · Die programmgesteuerte Bedarfsplanung
Verwaltung der Materialien in EDV-Systemen. Klassifizierende Nummerierungssysteme bilden hingegen fiir jede einzelne Materialart einen hierarchischen Schlüssel, der sich aus Ober- und Unterbegriffen zusammensetzt, etwa in der Weise Produktfamilie, Produkt, Baugruppe, Untergruppe. Man kann über diese klassifizierenden Schlüssel zwar leichter eine inhaltliche Zuordnung der Materialart vornehmen, eine Unterscheidung zwischen einzelnen Materialarten aber ist weniger leicht herbeizufuhren als bei identifizierenden Schlüsseln. Zur Vereinfachung der Lieferbeziehungen entlang der Supply Chain ist eine Abstimmung der Identifikationssysteme in den einzelnen Unternehmen hilfreich. Im Normalfall hat der Lieferant für seine angebotenen Materialien ein anderes Nummerierungsund Klassifikationssystem als das beziehende Unternehmen. Die folgende Abbildung 10.4 verdeutlicht diesen Abstimmungsbedarf. In der Regel liefert ein Lieferant an mehrere Abnehmer, vielleicht sogar an eine Vielzahl von Abnehmern. Hieran lässt sich die Komplexität der Schnittstellenverwaltung ermessen.
Hersteller
Käufer
Katalog von Waren
Materialwirtschaft
Artikel-Nr.
Ident-Nr.
Nummern-Integration in der Supply Chain
Abbildung 10.4: Abstimmungsbedarf der Identifikationssysteme in der Supply Chain
Die Stammdaten der Arbeitsplätze beziehen sich auf einzelne Maschinen und auf Maschinengruppen und beinhalten: • Identifikationsdaten wie logische Adressen und Arbeitsplatznummem, • Angaben zur Kapazitätsplanung, wie Leistung, Rüstzeiten, Übergangszeiten, Arbeitskräftebedarf und Qualifikationserfordernisse, • Angaben zur Fertigungstechnologie und Qualitätsparametern, • Daten zur Wartung und Instandhaltung, wie Datum der letzten Wartung und Dauer von Wartungsarbeiten sowie • Kostengrößen wie Rüstkosten und Maschinenstundensätze. Die Datei der Arbeitsgangstrukturen enthält für jeden Fertigungsauftrag eines Teils die einzelnen dazu erforderlichen Arbeitsgänge. Diese Datei verknüpft die Daten aus dem Teilestamm mit den Daten aus der Arbeitsplatzstammdatei. Die einzelnen Technologie-, Rüst- und Bearbeitungsparameter sind für jeden Arbeitsgang in der Datei der Arbeitsgangstrukturen festgehalten. Ein Fertigungsauftrag wird dann als eine verkettete Liste von Arbeitsgängen dargestellt, welche die Nutzung von unterschiedlichen Maschinen abbildet. Die ERP-Systeme fiir Großserienfertiger setzen voraus, dass zur Stücklisten-Planung eines Auftrags die Daten für alle Teile spezifiziert sind und vorliegen. Die Eingabe von
138
Kapitel 10 · Die programmgesteuerte Bedarfsplanung
Teilen mit nur teilweise spezifizierten Daten wird zurückgewiesen. Hingegen erfordern ERP-Systeme für Kleinserienfertiger auf der Datenebene gerade ein iteratives Vorgehen. Die Planung der Erzeugnisstruktur muss bereits anlaufen, bevor alle Teile spezifiziert sind. Zu diesem Zweck wurde in den vergangenen Jahren amerikanische ERPSoftware, welche eine vollständige Spezifikation voraussetzt, an die Bedürfnisse des deutschen Maschinenbaus mit seiner typischen Kleinserienfertigung angepasst oder sogar entsprechende ERP-Software neu entwickelt. Die Auflösung des Primärbedarfs in Sekundärbedarfe auf den einzelnen Produktionsstufen der Disposition ist eine sehr datenintensive Aufgabe. Dafür wurden bereits in den 1970er Jahren EDV-Programme entwickelt, die auch als Stücklistenprozessoren bekannt sind. Sie stellen das Zentrum von klassischen PPS-Systemen dar, die durch Anreicherung von Zusatzfiinktionen aus den Stücklistenprozessoren entwickelt wurden. Die Stücklistenprozessoren basieren auf den Datenstrukturen von Input-OutputVerflechtungsmatrizen oder von Binärbäumen, die festhalten, in welche übergeordneten Baugruppen ein Teil eingeht. Die in der Mengenplanung zu bewältigende Planungsmenge lässt sich an folgendem Beispiel des Auftragseingangs einer Maschinenfabrik abschätzen: 1000 Aufträge pro Jahr gehen ein. Pro Auftrag ergeben sich 3 Dispositionsstufen zu je 10 Teilen. Dies ergibt 1000 Teile auf 3 Produktionsstufen je Auftrag oder 1 Mio. Teile pro Jahr. Werden dagegen 5 Dispositionsstufen zu je 10 Teilen angenommen, so ergeben sich bereits 100 Mio. Teile pro Jahr, die hinsichtlich Mengen und Terminen zu planen sind. Dabei werden pro Teil zwischen 10 und 100 Daten im Teilestamm verwaltet. Diese Größen geben einen Eindruck von der Dimension des Datenverwaltungsproblems, welches nur über leistungsfähige Datenbanksysteme gelöst werden kann. Die Auflösung in Stücklisten und die Herstellung eines Mengenplanes ist demnach außerordentlich rechenintensiv. Auf Mainframe-ERP-Systemen sind mehrstündige Läufe durchaus üblich.
Ergänzende Literatur: Günther, H.-O., H. Tempelmeier: Produktion und Logistik, Berlin 2007 Kummer, S. u.a.: Grundzüge der Beschaffung, Produktion und Logistik, München 2006 Zäpfel, G.: Grundzüge des Produktions- und Logistikmanagements, München 2001
Kontrollfragen: 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Unterscheiden Sie die Mengenstückliste von der Baukastenstückliste. Erläutern Sie die Herleitung des Brutto-Sekundärbedarfs aus dem Primärbedarf. Was versteht man unter der VorlaufVerschiebung? Erläutern Sie den Begriff des verfügbaren Bestands und leiten Sie ihn aus dem körperlichen Bestand her. Nennen Sie drei Attribute von Teilestammdaten. Unterscheiden Sie identifizierende Nummerierungs-Systeme von klassifizierenden.
Kapitel 11 · Die verbrauchsgesteuerte Bedarfsplanung
139
11 Die verbrauchsgesteuerte Bedarfsplanung In diesem Kapitel werden Methoden vorgestellt, die dazu dienen, mit Hilfe der Zeitreihenfortschreibung den Materialbedarf vorherzusagen. Verschiedene Typen von Zeitreihen, die Konstanz, Wachstum oder zyklische Bewegungen ausdrücken, werden behandelt.
11.1 Grundlagen Im Unterschied zur programmbezogenen Bedarfsplanung, die den Bedarf an Einzelteilen aus dem Produktionsprogramm über Stücklistenauflösungen herleitet, wird der Bedarf von Einzelteilen in der Stufe der Vorfertigung sowie von geringwertigen Kleinteilen und Verbrauchsmaterial (sog. C-Teilen) mit Hilfe von Prognosemethoden geplant. Dies geschieht fur C-Teile selbst dann, wenn der Primärbedarf programmbezogen bestimmt wird. Somit erübrigt sich eine zu detaillierte Auflösung des Enderzeugnisses nach letzten Einzelteilen, die keinen Nutzen mehr stiften würde. Die Bestimmung des Materials erfolgt statt dessen verbrauchsbezogen. Man spricht daher von einer verbrauchsbezogenen oder erwartungsbezogenen Bedarfsplanung und zieht hierfür statistische Verfahren der Prognose heran. In diesem Kapitel sollen einige Verfahren vorgestellt werden. Mit der Anwendung einer Prognose ist stets das Problem der Unsicherheit verknüpft. Planung beschäftigt sich mit der Abbildung zukünftiger Entwicklungen und versucht das Unternehmen darauf vorzubereiten. Dabei werden Prognosedaten verwendet, die auf Erfahrungswerten basieren und Erwartungen abbilden. Ob diese Erwartungen eintreffen, ist ungewiss. Zudem weisen diese Prognosen Fehler auf, weil Erwartungen subjektiv sind und damit nicht ausschließlich auf Fakten prognostiziert wird, sondern ein Großteil an Intuition berücksichtigt wird. Die Abbildung der Vergangenheit (historische Daten) und Fortführung dieser Werte in die Zukunft zur Ableitung einer Prognose ist zwar grundsätzlich möglich, aber die Voraussetzungen (Umwelteinflüsse, Witterung, Wirtschaftswachstum, Wettbewerb u.a.) der zurückliegenden Perioden müssen in der Zukunft so nicht eintreffen. Darin liegen Unsicherheit und Fehler von Prognosen. Je kürzer der Planungshorizont ist, um so exaktere Zahlen liegen vor. Mit der rollierenden Planung (vgl. Kapitel 10) wird ein einmal erstellter Plan überarbeitet, und der zeitnahe Planungshorizont ergibt neue Erkenntnisse für den weiteren Verlauf der Planung. Soll ein Zeitraum von 12 Monaten geplant werden, dann kann die Planung z.B. monatlich erfolgen und neue Erkenntnisse einbeziehen. Die Genauigkeit nimmt dann zu, je näher der geplante Monat an dem Planungszeitpunkt liegt. Ereignisgesteuerte Planung löst einen Planungsvorgang aus, wenn unerwartete Ereignisse eintreten. Dies können ζ. B. unerwartete Umsatzveränderungen (Stornierungen, Sonderaufträge) oder Wegfall von Produktionsressourcen durch Maschinenschaden sein. In diesem Fall muss umfassend geprüft werden, welche Maßnahmen einzuleiten sind. Die in der Software fur Supply Chain Management integrierten Planungsfunktionen geben darüber Auskunft und erstellen als Krisenreaktionsmechanismus Alternativen.
140
Kapitel 11 · Die verbrauchsgesteuerte Bedarfsplanung
Allgemein können Prognoseverfahren nach verschiedenen Kriterien klassifiziert werden, beispielsweise nach: • der Fristigkeit (kurzfristige oder langfristige Prognose). Die kurzfristige Prognose spielt etwa bei der Absatzplanung oder der hier zu diskutierenden verbrauchsgesteuerten Materialbedarfsplanung eine Rolle, während die langfristige Prognose bei der strategischen Unternehmensplanung eingesetzt wird, wofür eigene Verfahren - wie die Portfolio-Technik, der Erfahrungskurvenansatz oder die SzenarioTechnik - entwickelt worden sind. • der Methode. Quantitativer bzw. qualitativer Modellansatz oder subjektive Einschätzung. Als Beispiel fur die subjektive Einschätzung ist die Delphi-Methode zu nennen (vgl. Kapitel 3). • dem Gegenstand der Vorhersage. Subjektive Meinungen oder objektive Tatbestände. Die statistischen Verfahren der erwartungsbezogenen Bedarfsplanung kombinieren die kurzfristige Vorausschau von einem Monat bis zu einem Jahr mit dem quantitativen Modellansatz und prognostizieren den Materialverbrauch als objektiv meßbare Größe. Hierzu unterscheidet man folgende Verfahren: • die Fortschreibung von Zeitreihen (Zeitreihenanalyse). Eine Zeitreihe von beobachteten Werten einer Größe, wie z.B. des Materialverbrauchs, in der Vergangenheit liege vor. Die Zeitreihenanalyse gewinnt einen Prognosewert aus den beobachteten Vergangenheitswerten. Sie wird auch als univariates Verfahren bezeichnet, da die Zeit monokausal als einzige erklärende Variable eingesetzt wird. • der multifaktorelle Ansatz. Die Prognose wird durch Vorhersage anderer erklärender Größen in einem quantitativen Modell gewonnen. Wird nur eine Größe als erklärende Variable benutzt, spricht man auch von einer linearen Regression. • die Querschnittsprognose als Vergleich verschiedener Zustände zur gleichen Zeit. Unter der Vielzahl der Verfahren sind in der betrieblichen Praxis die Fortschreibungen von Zeitreihen weit verbreitet. Es handelt sich dabei um 1. Chart-Analysen von Aktienkursen. 2. Verfahren, die auf der Analyse der Korrelation der beobachteten Vergangenheitswerte basieren und als Box-Jenkins-Verfahren bekannt sind. Sie werden z.B. fur die kurzfristige Absatzprognose eingesetzt. 3. Schätzungen von Sättigungskurven (Logistische Kurve), um Marktpotentiale zu bestimmen. 4. Datenfortschreibungen durch gleitende Mittelwerte und die exponentielle Glättung.
Kapitel 11 · Die verbrauchsgesteuerte Bedarfsplanung
141
11.2 Methoden der Datenfortschreibung An dieser Stelle sollen die Methoden der Datenfortschreibung mit Hilfe des gleitenden Mittelwerts, der exponentiellen Glättung und der linearen Regression behandelt werden. Diese werden fur die kurzfristige Prognose eingesetzt, sind in PPS- und ERP-Systemen implementiert und stehen auch in der Tabellenkalkulationssoftware Excel zur Verfügung. Die Reichweite der kurzfristigen Prognose kann dabei zwischen 1 und 12 Monaten schwanken. Die Methoden der Datenfortschreibung basieren auf beobachteten einzelnen Werten des Materialverbrauchs in der Vergangenheit, aus denen ersichtlich werden kann, wie sich die Daten bewegen. Dabei sind folgende Grundsituationen zu unterscheiden: 1. Es liegt ein konstantes Modell vor, wobei sich zufallige Schwankungen um einen Mittelwert ohne eine erkennbare Entwicklungsrichtung ergeben (vgl. Abbildung 11.1). 2. Die Schwankungen gruppieren sich um einen Wachstumstrend. Wir nehmen zunächst einen linearen Trend an (vgl. Abbildung 11.2). 3. Die Schwankungen sind um einen Mittelwert saisonal ausgeprägt. Das konstante Modell ist damit um Saisonschwankungen angereichert worden. Saisonschwankungen können beispielsweise durch Jahreszeiten, Ferien oder Feiertage (Ostern, Weihnachten) auftreten (vgl. Abbildung 11.3).
Abbildung 11.1: Konstantes Modell
142
Kapitel 11 « Die verbrauchsgesteuerte Bedarfsplanung
Abbildung 11.2: Linearer Trend
Abbildung 11.3: Konstantes Modell mit saisonalen Schwankungen
Wir erörtern zunächst das konstante Modell. Das Modell geht von der Annahme aus, dass die Welt konstant ist und sich nichts ändert. Tatsächlich beobachtete Abweichungen von der Konstanz sind nur kleine, zufällige Störungen, die sich aber gegenseitig aufwiegen und die Konstanz nicht in Frage stellen. Ausgangspunkt stellen die als Zeitreihe vorliegenden Daten des Materialverbrauchs aus der Vergangenheit dar. Die Zeitreihe bezieht sich auf ein bestimmtes Zeitraster, wie Tag, Woche, Monat oder Quartal. Man spricht auch von (Zeit-) Perioden. Die Variable X; bezeichnet den beobachteten Wert des Materialverbrauchs zu einem Vergangenheitszeitpunkt i. Dabei wird angenommen, dass alle Werte der jüngsten Vergangenheit bekannt sind und als Zufallsvariable um einen noch unbekannten Mittelwert streuen. Die grundlegende Idee des konstanten Modells besteht darin, diesen Mittelwert zu schätzen und als Prognosewert für die nächste zukünftige Periode zu verwenden. Ein in der Praxis weit verbreiteter und intuitiv einleuchtender Ansatz stellt die Berechnung des Mittelwertes der letzten Ν beobachteten Werte dar, wobei Ν in der Regel einen
143
Kapitel 11 · Die verbrauchsgesteuerte Bedarfsplanung
Wert von 2 bis 10 annimmt. Auch vom Standpunkt der statistischen Theorie her gesehen ist dieser Ansatz insofern gerechtfertigt, als der Mittelwert als Prognose die Summe der quadrierten Abweichungen der Beobachtungen vom konstanten Modell minimiert.
1
W
Zeit
Τ w Vergangenheit
Abbildung 11.4: Vergangenheitszeitraum für die Prognose in Τ
Der Prognosezeitpunkt Τ stellt den ersten Zeitpunkt in der Zukunft dar (vgl. Abbildung 11.4). Davon werden die Vergangenheitszeitpunkte mit den vorliegenden beobachteten Werten Xj unterschieden. Die zeitlich vor Τ vergangenen Ν Zeitpunkte seien i = T-N, Τ-Ν+Ι,...,Τ-l. Der Prognosewert P T zum Zeitpunkt Τ wird dann als das arithmetische Mittel der Werte X; der vergangenen Ν Zeitpunkte i = T-N, T-N+l, ...,T-1 berechnet: 1
r
"'
PT=—· YXi Ν i=T-N Zu jedem neuen Prognosezeitpunkt Τ kann der Mittelwert erneut berechnet werden. Man spricht daher auch von einem gleitenden Mittelwert. Wenn der als konstant angenommene Wert sich doch einmal ändern sollte, so können Veränderungen mit neuen Werten von P T erkannt werden. Ein logischer Widerspruch ist in diesem Modellansatz leider enthalten, da er einerseits von einem konstanten Modell ausgeht und aus den Streuungen der Vergangenheitswerte den Mittelwert P T bestimmen möchte. Andererseits werden mögliche Änderungen des zunächst als konstant angenommenen Wertes zugelassen, die es mit Neuberechnungen von P T zu erfassen gilt. Dieser Widerspruch wird mit der Hilfsüberlegung überbrückt, dass Änderungen selten seien und zwischen zwei Änderungen das konstante Modell Gültigkeit besäße. Die Reaktionen des konstanten Modells auf Änderungen des konstanten Wertes in Abhängigkeit von Ν ergeben sich wie folgt: Ein großes Ν bedeutet eine geringe Reaktion und eine langsame Anpassung an den neuen Wert, ein kleines Ν dagegen eine starke Reaktion mit schneller Anpassung an den neuen Wert. Betrachtet man die Prognose mit gleitendem Mittelwert zu fortlaufenden Prognosezeitpunkten und rechnet laufend zu den Zeitpunkten T, T+l, T+2 den gleitenden Mittelwert der letzten Ν beobachteten Werte hinzu, so wird bei der neuen Prognose P j + ] der letzte Wert Xj_n gegen den neuesten Wert X T ausgetauscht. Daher errechnet sich der neue Prognosewert P T + 1 aus dem alten Prognosewert P T wie folgt: P T + 1 = P x + (X T - XT-N)/N
144
Kapitel 11 · Die verbrauchsgesteuerte Bedarfsplanung
Diese Formel lässt sich so interpretieren, dass die "alte" Prognose P T mit dem Ausdruck (X T - XT_N)/N korrigiert wird, um zur "neuen" Prognose P T + 1 zu gelangen: Neue Prognose = alte Prognose + Korrektur. Wir betrachten hierzu ein Beispiel. Die folgenden Zahlenwerte des Materialverbrauchs von März bis Juni liegen vor: Monat Materialverbrauch
März 690
April 740
Mai 660
Juni 710
Tabelle 11.1: Materialverbrauch fur die Monate März bis Juni
Die Prognose für Juli, PJuÜ , wird als gleitender Mittelwert über die vergangenen 4 Monate errechnet. Pjuli
= '/< (690 + 740 + 660 + 710) = % * 2800 = 700
Nach Bekanntwerden des realen Materialverbrauchs im Juli von XJUI, = 630, also nach Fortschreiten der Zeitreihe um einen Monat, kann die neue Prognose für August berechnet werden. PAugust
=
Pjuli
+ '/< (XMi - ΧΝΜΓΖ) = 700 + % (630 - 690) = 700 - 15 = 685.
Dadurch, dass der Materialverbrauch von Juli mit 630 unter dem Märzwert von 690 liegt, wird der alte Prognosewert von 700 um 15 nach unten auf 685 korrigiert. Umgekehrt wird die Prognose nach oben korrigiert, wenn der Märzwert unter dem Juliwert liegt, selbst dann, wenn die Prognose für Juli über dem Juliwert XJuH liegt. Die folgende Tabelle 11.2 gibt dafür ein Beispiel. Monat Materialverbrauch
März 590
April 740
Mai 660
Juni 710
Tabelle 11.2: Geänderte Daten fiir den Materialverbrauch fur die Monate März bis Juni
Die Prognose für Juli, Pj u n, wird errechnet als: Pjuli
= '/< (590 + 740 + 660 + 710) = % * 2700 = 675
Mit dem tatsächlichen Materialverbrauch im Juli von XJUH = 630 kann die neue Prognose für August berechnet werden als: PAugust =
Pjuli
+ '/< (ΧΜ - XMSTZ) = 675 + % (630 - 590) = 675 + 10 = 685.
Das heißt, obwohl bereits die Prognose für Juli zu hoch lag, wird die Augustprognose noch einmal angehoben. Die exponentielle Glättung 1. Ordnung ist ein ähnliches Verfahren wie der gleitende Mittelwert und geht ebenso von der Annahme eines konstanten Modells aus. Wie beim
145
Kapitel 11 · Die verbrauchsgesteuerte Bedarfsplanung
gleitenden Mittelwert ist der Ansatz der exponentiellen Glättung insofern gerechtfertigt, als die exponentielle Glättung als Prognose die Summe der gewichteten quadrierten Abweichungen der Beobachtungen vom konstanten Modell minimiert. Bei der exponentiellen Glättung wird der Prognosewert zum Zeitpunkt Τ üblicherweise mit E T bezeichnet. Eine "neue" Prognose zum Zeitpunkt T+l wird dann analog zum Fall des gleitenden Mittelwertes aus der "alten" Prognose Εχ mittels einer Korrektur hergeleitet. Die Formel fur die neue Prognose zum Zeitpunkt T+l lautet dann: E T + 1 = E T + α (X T - E T )
(0 < α < 1)
Neue Prognose = alte Prognose + Korrektur. Die Korrektur stellt die mit α gewichtete Abweichung des prognostizierten Wertes E-j· vom tatsächlich eingetretenen Wert X T dar. Den Faktor α bezeichnet man als Glättungsfaktor. Wird dieser klein gewählt, so erfolgt eine geringe Reaktion auf Änderungen der Daten. Umgekehrt wird die Reaktion groß, falls α nahe bei 1 liegt (vgl. Abbildung 11.5). Wir geben in nachfolgender Tabelle 11.3 ein Beispiel für eine Prognose für 15 aufeinander folgende Wochen mit einem Glättungsfaktor von α = 0,6. Mit Hilfe der Tabellenkalkulation sind die Formeln für die exponentielle Glättung leicht zu programmieren und über die Grafikausgabe als Diagramm zu visualisieren. Das Verfahren wird mit E j = 46 initialisiert. Die Zeitreihe des Materialverbrauchs weist einen Mittelwert von 75,6 und eine Standardabweichung von 15,2 auf. Dies entspricht 20% des Mittelwertes. Die folgende Abbildung 11.5 zeigt die Prognosen in Abhängigkeit von drei Glättungsfaktoren 0,1, 0,4 und 0,6. Woche 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15
Prognose 46,0 46,0 73,0 64,6 73,8 75,1 79,9 81,1 87,1 72,6 65,6 74,9 64,7 83,5 74,8
Ist-Wert 46 91 59 80 76 83 82 91 63 61 81 58 96 69 99
Tabelle 11.3: Prognose für 15 aufeinander folgende Wochen mit einem Glättungsfaktor von α = 0,6
146
Kapitel 11 · Die verbrauchsgesteuerte Bedarfsplanung
011 -*-
Bedarf alpha 0,4
-o-
alpha 0,1 alpha 0,6
Abbildung 11.5: Prognosen in Abhängigkeit von drei Glättungsfaktoren 0,1, 0,4 und 0,6
Wenn wir nach der Prognosegttte fragen, so kann diese mit der mittleren absoluten Abweichung zwischen der jeweiligen Prognose und dem eingetretenen Ist-Wert gemessen werden. Wird untersucht, welcher Glättungsfaktor die höchste Prognosegüte erzielt, so stellt die folgende Tabelle die Güte für die drei Werte des Glättungsfaktors von 0,1, 0,4 und 0,6 bezogen auf das Beispiel aus Tabelle 11.3 zusammen: Glättungsfaktor α 0,1 0,4 0,6
Mittlere absolute Abweichung 18,4 15,2 15,6
Tabelle 11.4: Abweichungen in Abhängigkeit des Glättungsfaktors α
Es ist zu erkennen, dass die beste Prognose mit α = 0,4 erzielt wird. Die mittlere absolute Abweichung als Maß für die Prognosegüte erreicht die Größenordnung der Standardabweichung von 15,2. Wir ziehen aus der Tabelle der Prognosegüte den Schluss, dass unruhige Daten mit hoher Standardabweichung von 20% des Mittelwertes nicht mit einem kleinen Glättungsfaktor von 0,1 geschätzt werden sollten, da dann die Prognosegüte zu schlecht wird. Werte von 0,3 bis 0,5 bringen eine bessere Reaktionsmöglichkeit. Durch Umformung der obigen Gleichung für die exponentielle Glättung ergibt sich die weit verbreitete Formel Ε τ + ι = α Χγ + (1-a) E T Diese Formel kann als Mittelwert zwischen der Beobachtung X-p und der alten Prognose Ej aufgefasst werden, wobei der Mittelwert mit den Gewichten α und (1-ot) gebildet wird. Die exponentielle Glättung bezieht im Prinzip alle Vergangenheitswerte in die Prognose mit ein, selbst wenn diese gar nicht alle in der Praxis verfügbar sind. Je weiter ein Wert in der Vergangenheit liegt, etwa i Perioden von der Gegenwart entfernt, desto geringer fallt sein Gewicht für die Prognose aus. Das Gewicht wird als i-te Potenz des Faktors
147
Kapitel 11 · Die verbrauchsgesteuerte Bedarfsplanung
(1-a) geführt: (l-a)'. Aus dieser Gewichtung rührt die Bezeichnung exponentielle Glättung. Wir erhalten aus obiger Beziehung für Ef+i durch rekursives Einsetzen den folgenden theoretischen Grenzfall: 00
Ε
τ + 1
= α £ ( 1 - α ) ' χ
τ
_ ί
i=0 Das konstante Modell kann um die Komponenten Trend und Saison erweitert werden. Wir behandeln hier die Erweiterung um den Trend. Diese Erweiterung ist sinnvoll, wenn das Datenmaterial eine solche Bewegung aufweist, da dann bessere Prognosen mit geringeren Prognosefehlem gemacht werden können. Zwar ist das konstante Modell prinzipiell in jeder Situation anwendbar, diese Vereinfachung wird jedoch mit großen Prognosefehlern erkauft, wenn die Daten einem Trend oder einer Saisonbewegung folgen. Abbildung 11.6 zeigt die Prognosefehler, wenn Daten mit einem Trend mit dem Mittelwert in einem konstanten Modell geschätzt werden. Die Summe der quadrierten Abweichungen der beobachteten Daten vom Mittelwert wird auch als gesamte Abweichungsquadratsumme SQT bezeichnet und ist die Basis ( 1 0 0 % ) für das Bestimmtheitsmaß R 2 , das die Abweichung der Regressionsgeraden von den beobachteten Daten in Prozent bemisst. Sowohl SQT wie auch R 2 werden in Excel von der Funktion RGP berechnet (siehe unten).
60 t m » -Q ε £
50 40 -
•
t
.
•
I'
30 20
•
10
2
4
6
10
12
Periode
Abbildung 11.6: Großer Prognosefehler im konstanten Modell bei Daten mit einem Trend
Für Datenreihen mit einem Trend kann das Verfahren der exponentiellen Glättung um die Schätzung des Trends erweitert werden. Man spricht dann von der exponentiellen Glättung 2. Ordnung. Hier soll aber der Ansatz der linearen Regression fur Prognosen von Datenreihen mit einem Trend vorgestellt werden. Dieser Ansatz geht davon aus, dass die beobachteten Werte yt einer linearen Funktion von einer unabhängigen Variablen x, folgen und dabei von einem Stör-Term e t mit Erwartungswert null gestört werden. Der Index t indiziere die Zeitperioden der beobachteten Werte in der Vergangenheit. Als unabhängige Variable xt können auch die Zeitperioden t = 1,2,3... selbst gewählt werden. Die lineare Funktion kann durch zwei Größen a, dem Abschnitt auf der y-Achse, und b, dem Anstieg, beschrieben werden: yt = a + bxt + et
148
Kapitel 11 » Die verbrauchsgesteuerte Bedarfsplanung
Zu fragen ist, wie die Größen a und b gewählt werden sollen, um eine möglichst gute Anpassung an die beobachteten Daten zu erzielen. Der Ansatz der linearen Regression löst dieses Problem, indem er als Kriterium der Anpassung die Summe der Abweichungsquadrate zwischen der linearen Funktion und den beobachteten Daten wählt. Die Abbildung 11.7 zeigt die Abweichungen einer Datenreihe von einer linearen Funktion. Diese Abweichungen sind erheblich geringer als die vom Mittelwert in Abbildung 11.6.
Abbildung 11.7: Abweichungen einer Datenreihe von einer linearen Funktion
Die Größen a und b werden so gewählt, dass sie die Summe der Abweichungsquadrate minimieren, was mit Standardverfahren der Differentialrechung möglich ist. Man erhält fur η beobachtete Wertepaare (xt, yt): η
π
η
η
n ηx
χ Σχ.2i=lΣ^~Σ *Σ^ i=l i=l η
η
η
Z1=1 iy.-Zi=lxiZyi i-1
2 χ f ηχ Λ
η ηχ
f π
Σ ΜΖχ*
πΣ ΜΣ :
Als Prognosefunktion wählt man die lineare Funktion F(x) = a + bx mit den durch die obigen Formeln bestimmten Größen a und b. Man kann, wie im konstanten Modell, in rollierender Weise die letzten 5 oder letzten 10 beobachteten Werte als Basis fur die Bestimmung von a und b wählen und dann die Prognose für den Zeitpunkt Τ als F(T) bestimmen.
11.3 Exkurs: Lineare Regressionsrechnung mit Microsoft Excel Da die Formeln der linearen Regressionsrechnung nur mühsam zu berechnen sind, ist es angebracht, diese Rechnung mit einer Tabellenkalkulation zu unterstützen. Mit Hilfe der Tabellenkalkulation Excel kann man auf drei verschiedene Arten diese Prognose gewinnen. Dazu nehmen wir an, dass die Daten im Kalkulationsblatt im Bereich Al bis K2 wie folgt fur die Perioden 1...10 vorliegen. 1 2
A
Β
c
D
Ε
F
G
Η
1
J
Κ
Zeitperiode Materialverbrauch yt
1 20
2 25
3 22
4 39
5 38
6 45
7 42
8 55
9 52
10 57
Tabelle 11.5: Beispiel zur linearen Regression
Kapitel 11 · Die verbrauchsgesteuerte Bedarfsplanung
149
1) Die Funktion „Trend" bestimmt fur ein beliebiges Argument χ den Funktionswert F(x). Sind die 10 Perioden wie in der Tabelle 11.5 gegeben, dann lautet die Voraussage für Periode 11: =Trend(B2:K2; B1:K1; 11) In der Trendfunktion wird zuerst der Bereich B2:K2 für die y-Werte aufgerufen, dann der Bereich B1:K1 für die x-Werte und schließlich der gewünschte x-Wert als Argument von F(x). Man erhält mit der Trendfunktion nicht explizit die Parameter der a und b der Funktion F(x), sondern nur den Funktionswert. Man kann aber a und b aus der Trendfunktion wie folgt herleiten. a = Trend(B2:K2; B1:K1; 0) b = Trend(B2:K2; Bl.Kl; 1) - Trend(B2:K2; B1:K1; 0) Die Ergebnisse zu den Daten von Tabelle 11.5 lauten: a = 16,067 und b = 4,26. 2) Bei der Diagrammerstellung werden der Graph der Funktion F(x) und die Form y = bx + a zusammen mit dem Bestimmtheitsmaß R2 auf dem Diagramm ausgegeben. Hierzu wird der Bereich Al bis K2 auf dem Tabellenblatt markiert, die Option „Diagramm einfügen" und als Diagrammtyp PunktXY gewählt. Das Diagramm wird fertiggestellt und angeklickt. Dann wird unter der Option „Diagramm Trendlinie hinzufügen" und dort als Typ „linear" gewählt, unter Optionen „Gleichung im Diagramm darstellen" und „Bestimmtheitsmaß" angeklickt. Man erhält zu den Daten von Tabelle 11.5 das in Abbildung 11.8 dargestellte Diagramm.
0
5
10
Periode
Abbildung 11.8: Diagramm zur linearen Regression
150
K a p i t e l 11 · D i e v e r b r a u c h s g e s t e u e r t e B e d a r f s p l a n u n g
Die Regressionsfunktion y = 4,2606x + 16,067 gibt Schätzungen fur die beobachteten Werte yt in Tabelle 11.6. Man erkennt, wie gut die „Prognose" durch diese Funktion die Werte yt annähert. In der letzten Zeile werden die quadrierten Abweichungen von den Werten yt und der Regressionsfunktion aufgeführt, die sich zum Wert 140,897 summieren. Man bezeichnet diesen Wert auch als nicht erklärte Abweichungsquadratsumme oder als Quadratsumme der Residuen SQR. Zeitperiode Materialverbrauch yi Prognose durch die Reqressions-Funktion
1 20
2 25
20,33
24,59
0,11
0,17
Nicht erklärte quadrierte Abweichungen
3 22
4 39
5 38
6 45
7 42
8 55
9 52
10 57
28,85 33,11
37,37
41,63
45,89
50,15
54,41
58,67
46,92
0,40
11,36
15,13
23,52
5,81
2,79
34,69
Summe = 140,89 SQR
T a b e l l e 11.6: V o n d e r R e g r e s s i o n s f u n k t i o n g e l i e f e r t e W e r t e
Man kann diese sehr genaue Prognose durch die Regressionsfunktion der einfacheren Prognose durch den Mittelwert gegenüberstellen, um das Bestimmtheitsmaß R2 zu interpretieren. Die Tabelle 11.7 gibt dazu die Werte. Zeitperiode
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
Materialverbrauch yt
20
25
22
39
38
45
42
55
52
57
Prognose durch den Mittelwert
39,5
39,5
39,5
39,5 39,5
39,5
39,5
39,5
39,5
39,5
210,25
306,25
0,25 2,25
30,2
6,25
240,25
156,25
306,25
Quadrierte Abweichung 380,25
Mittelwert= 39,5
Summe = 1.638,5 SQT
T a b e l l e 11.7: G e g e n ü b e r s t e l l u n g d e r P r o g n o s e n
Wir erkennen, dass die quadrierten Abweichungen des Mittelwertes von den beobachteten Werten yt erheblich größer sind und sich zu 1638,5 addieren. Dieser Wert wird als die gesamte, durch eine Prognosefunktion zu erklärende Abweichungsquadratsumme SQT bezeichnet. Die nicht erklärte Abweichungsquadratsumme SQR ist demnach gleich der gesamten Abweichungsquadratsumme SQT vermindert um die mit der Regressionsfunktion erklärte Abweichungsquadratsumme SQE: SQR = SQT - SQE, oder SQE = SQT - SQR. Wir erhalten mit SQR = 140,89 für SQE den Wert von 1497,6. Anstelle des umständlichen Begriffs der Abweichungsquadratsumme spricht man vereinfacht auch von der Varianz. Das Bestimmtheitsmaß R2 gibt dann den Prozentsatz von erklärter Varianz zur gesamten Varianz an: R 2 = SQE/SQT. Setzt man die Werte ein, so erhalten wir für R2 den Wert von 91,4%, wie auf dem Excel-Diagramm von Abbildung 11.8.
151
Kapitel 11 » Die verbrauchsgesteuerte Bedarfsplanung
Das Bestimmtheitsmaß zeigt, wie gut die lineare Regressionsfunktion die beobachteten Werte yt annähert. Werte von R 2 zwischen 80% und 100% gelten als gute bis sehr gute Prognose. Bei Werten zwischen 60% und 80% wird eine mittlere bis gute Qualität erreicht. Bei einem Anteil von unter 60% der erklärten Varianz ist von einer Prognose mit einer linearen Regressionsfunktion abzuraten. 3) Die Funktion RGP. Diese Funktion gibt in einer 2x5-Matrix neben den Werten von a und b noch 8 verschiedene statistische Größen im Zusammenhang mit der Funktion F(x) an. Diese sind in der Tabelle 11.8 dargestellt. Beschreibung Statistische Größen sfb Ist Standardfehler des Koeffizienten b Sfa Der Standardfehler der Konstanten a Das Bestimmtheitsmaß. Vergleicht die berechneten mit den tatsächlichen y-Werten und kann R2 Werte von 0 bis 1 annehmen. Der Standardfehler des Schätzwertes y (Prognosewert). sfy Die F-Statistik (oder der berechnete F-Wert). Anhand der F-Statistik können Sie entscheiden, ob F die zwischen der abhängigen und der unabhängigen Variablen beobachtete Beziehung zufällig ist oder nicht. Der Freiheitsgrad. Mit diesem Freiheitsgrad können Sie den jeweiligen kritischen F-Wert (Quantil F) aus einer entsprechenden statistischen Tabelle entnehmen. Vergleichen Sie den jeweils auf fg solche Weise ermittelten kritischen F-Wert mit der von R G P gelieferten F-Statistik, um das Konfidenzniveau Ihres Modells zu beurteilen. gsreg Erklärte Varianz S Q E qsresid Die Quadratsumme der Residuen SQR
Tabelle 11.8: Die Funktion RGP
Abweichend von den üblichen Excel-Funktionen ist die Funktion RGP als Matrixfunktion aufzurufen. Für sie ist ein Bereich von 2 Spalten und 5 Zeilen zu markieren. In diesem Bereich werden die Werte wie folgt ausgegeben (mit Ergebnissen zu Daten von Tabelle 11.5): Erklärung der Größen b a
Wert s des Beis piels 16,067 4,26
sfb
sfa
0,462
2,86
R2
sfy
0,914
4,19
F
df
85,03
8
qsreg
qsresid
1497,60
140,9
Tabelle 11.9: Ergebnisse der Funktion RGP im Beispiel
Nach dem Markieren der 2x5-Matrix ist die Funktion RGP ist im Eingabefenster aufzurufen als =RGP(B2:K2;B1:K1 ; 1 ; 1) Der Aufruf ist mit der Tastenkombination Steuerung-Umschalten-Return zu bestätigen. In Tabelle 11.9 sind die Werte R 2 = 91,4%, SQE = 1497,6 und SQR = 140,9 ablesbar.
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Kapitel 11 · Die verbrauchsgesteuerte Bedarfsplanung
Ergänzende Literatur: Bleymüller, J. u.a. (Hrsg.): Statistik für Wirtschaftswissenschaftler, 14. Aufl., München 2004 Georg, Björn: CPFR und Elektronische Marktplätze - Neuausrichtung der kooperativen Beschaf-fung, Wiesbaden 2006 Günther, H.-O., H. Tempelmeier: Produktion und Logistik, Berlin 2007 Heizer, J. und Berry Render: Operations Management, New Jersey 2007 Kummer, Sebastian, Oskar Grün und Wemer Jammemegg [Hrsg.]: Grundzüge der Beschaffung, Produktion und Logistik, München 2006 Meyr, Herbert: Forecast Methods, in: Stadtler, Hartmut und Kilger, Christoph: (Hrsg.): Supply Chain Management and Advanced Planning, Springer, Berlin 2008, S. 57-71. Zäpfel, G.: Grundzüge des Produktions- und Logistikmanagements, München 2001
Kontrollfragen: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.
Skizzieren Sie das konstante Modell und das Modell mit Trend für die Datenfortschreibung. Von welchen Annahmen geht das konstante Modell der Datenfortschreibung aus? Erläutern Sie den Begriff des gleitenden Durchschnitts. Wie reagiert der gleitende Durchschnitt auf ein großes Ν und auf ein kleines N? Kann der gleitende Durchschnitt auf Saisondaten sinnvoll angewendet werden? Erläutern Sie die Vorgehensweise der exponentiellen Glättung 1. Ordnung fur das konstante Modell. Wie reagiert die exponentielle Glättung 1. Ordnung auf ein kleines alpha (z.B. alpha = 0,1) und ein großes alpha (z.B. alpha = 0,9)? Welches Prognoseverfahren wird für Daten mit einem Trend angewandt?
Kapitel 12 · Die Losgrößenplanung
153
12 Die Losgrößenplanung In diesem Kapitel werden die verschiedenen Konzepte der Losgrößenbildung behandelt. Der statische Fall wird dem dynamischen gegenübergestellt. Die Konkurrenz der Aufträge und die Stufen der Produktion kommen als zusätzliche Bedingungen der Losgrößenplanung hinzu. Die durchlaufzeitminimale Losgröße wird von der kostenminimalen unterschieden.
12.1 Grundlagen und Überblick Im hierarchischen Planungsansatz von PPS und ERP entsteht nach der Ermittlung des auf den Periodenbedarf - von z.B. einer Woche - herunter gebrochenen NettoSekundärbedarfs als ein neues betriebswirtschaftliches Entscheidungsproblem die Frage, ob der Wochenbedarf zu größeren Losen zu bündeln ist. Diese Fragen der Losgrößenbildung können unter den beiden Gesichtspunkten der Kostenminimierung und der Flussoptimierung behandelt werden. Das Losgrößenproblem kann in verschiedenen Modellansätzen behandelt werden, die zum Teil auch im Modul Produktionsplanung und -Steuerung von mySAP ERP implementiert sind: •
• •
•
•
Das Wochenlos. Hier erfolgt keine Zusammenfassung zu Losen über eine Woche hinaus. Ein Los entspricht dem Netto-Sekundärbedarf einer Woche, so dass keine Lagerhaltung über eine Woche hinaus entsteht. Diese zunächst als zu einfach erscheinende Entscheidungsregel kann auf Teile der oberen Ebenen des Stücklistenbaums angewendet werden, damit auf diesen Ebenen keine großen Lose auftreten. Kaskadiert man den Stücklistenbaum von der Endproduktebene hinunter zur Einzelteilebene, treten Verstärkungseffekte auf. Große Lose oben im Stücklistenbaum führen vielfach zu großen Losen auf unteren Zweigen. Die Politik, die Lose oben klein zu halten, verringert die Nervosität von PPS- und ERP-Systemen auf der unteren Ebene. Das Richtlos. Dies ist eine bestimmte Menge, die a priori festgelegt wird, z.B. 500 Stück. Das Eindeckzeitlos. Die Deckung des Bedarfs für eine Zeitspanne (z.B. 1 Monat oder 2 Wochen). Die Vorteile bestehen in einer leichteren Planung und der übersichtlichen Zeitstruktur. Wenn die Zeitspanne als eine Woche gewählt wird, entspricht das Eindeckzeitlos dem obigen Wochenlos. Die Andler'sche Losgröße. Sie unterliegt der Voraussetzung, dass ein gleichmäßiger Bedarf über das ganze Jahr vorliegt, so dass ζ. B. der Monatsbedarf gleich einem Zwölftel des Jahresbedarfes ist. Die Andler'sche Losgröße ist ein Optimierungsansatz mit dem Ziel, die Summe von Lagerkosten und Auflagekosten zu minimieren. Gesucht ist die kostenminimale Losgröße. Die dynamische Losgrößenermittlung. Im Unterschied zur Andler'schen Losgröße, die einen konstanten Bedarf pro Periode annimmt, kann bei diesem Ansatz der Bedarf von Periode zu Periode schwanken. Hier wird die dynamische Losgrößenplanung eingesetzt (dynamisch = Einbeziehen der Zeitstruktur). Die Summe von Lagerkosten und Auflagekosten wird wie bei der Andler'schen Losgröße minimiert. Hierzu wurde das Verfahren von Wagner/Whitin entwickelt, das auf dem
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Kapitel 12 · Die Losgrößenplanung
Prinzip der dynamischen Optimierung aufsetzt (Bellman'sches Optimalitätsprinzip). Vereinfachte Rechenverfahren für den Algorithmus von Wagner/Whitin liegen vor. • Die dynamische Losgrößenermittlung unter Kapazitätsbeschränkungen. Hier wird die Planung nicht mehr isoliert für einen Teil vorgenommen, sondern das gesamte Teilespektrum des Nettobedarfs betrachtet. Insbesondere werden die dabei auftretenden Kapazitätsbeschränkungen für Produktion und Lager beachtet. • Die mehrstufige Losgrößenplanung. Im Unterschied zu den bisher aufgeführten Ansätzen, welche die Losgrößenbildung einstufig ermitteln, ist die mehrstufige Losgrößenplanung zu sehen. Einstufige Verfahren betrachten auf einer Dispositionsstufe die Nettobedarfe der eingehenden Teile unabhängig und isoliert voneinander. Kosteninformationen über die Planung auf untergeordneten Stufen bleiben unbeachtet. Die mehrstufigen Ansätze betrachten Kosteninformationen über mehrere Produktionsstufen hinweg. • Flussangepaßte Losgrößen sind Losgrößen, die sich an die Flussorientierung der Produktion anpassen. Wir unterscheiden die durchlaufzeitminimalen Lose von flussorientierten Losen auf einer Engpaßmaschine.
12.2 Durchlaufzeitminimale Lose Bei durchlaufzeitminimalen Losen wird gefragt, welche Losgröße am schnellsten durch die Werkstatt bewegt werden kann. Gegenüber der Frage der Kostenminimierung, welche als klassischer betriebswirtschaftlicher Modellansatz verstanden werden kann, wird heute im Kontext von Lean Production (vgl. Kapitel 18) die Frage nach durchlaufzeitminimalen Losgrößen gestellt. Durchlaufzeit
Losgröße
Abbildung 12.1: Durchlaufzeit in Abhängigkeit von der Losgröße
Das Auffinden von durchlaufzeitminimalen Losgrößen kann mit qualitativen Argumenten wie folgt beschrieben werden: Ist die Losgröße klein, so wird häufig gerüstet. Daher steigt der Anteil der Rüstzeiten an den Durchlaufzeiten. Ein schneller Durchlauf wird demnach durch Rüstzeiten behindert. Die Durchlaufzeit ist aber ebenfalls hoch, wenn das Los einen großen Umfang besitzt, weil dann viel Zeit für die Bearbeitung aufzuwenden ist. Zwischen beiden Extremen ist daher ein Minimum der Durchlaufzeit zu
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Kapitel 12 · Die Losgrößenplanung
vermuten. Jenseits dieser Plausibilitätsbetrachtungen ist auch in einem Warteschlangenmodell der Werkstatt, in dem an der Stelle von deterministischen Beziehungen der Materialfluss mit stochastischen Mitteln beschrieben wird, eine durchlaufzeitminimale Losgröße herleitbar. Simulationsstudien von Werkstätten, welche die Durchlaufzeiten für verschiedene Losgrößen mit warteschlangentheoretischen Modellansätzen berechnen, bestätigen die Existenz von durchlaufzeitminimalen Losgrößen. Die Abbildung 12.1 zeigt den prinzipiellen Verlauf der Durchlaufzeit (mittlere Verweilzeit) in Abhängigkeit von der Losgröße (vgl. Hopp und Spearman 2001, S. 307).
12.3 Flussangepasste Lose auf einer Engpassmaschine Man trifft häufig auf die Situation, dass auf einer Engpassmaschine verschiedene Produkte hintereinander in einem vorgegebenen Produktionszyklus gefertigt werden müssen, wie z.B. bei Stanzmaschinen, Pressmaschinen oder Extrudern. Hier soll nach Bicheno (2004, S. 114) gefragt werden, in welcher Größe die Lose auf der Engpassmaschine aufgelegt werden müssen, damit sie einem vorgegebenen Bedarf nachfolgenden Fertigungssegmente der während der Dauer des Produktionszyklus möglichst genau entsprechen. Mit diesem Ansatz wird die Losgröße auf den Bedarf abgestimmt und so ein Prinzip der flussorientierten Produktion nach der Lean Production Philosophie umgesetzt (vgl. Kapitel 18). Eine Zwischenlagerung von Vorräten, die von großen Losen ausgeht, entfallt mit diesem Ansatz weitgehend. Die flussangepassten Lose sind Lose minimaler Größe, so dass der Bedarf während der Dauer des Produktionszyklusbefriedigt wird. Um den Ansatz, wie die Losgröße auf den Produktionszyklus abgestimmt werden kann, deutlich zu machen, wird hier ein Beispiel für bloß ein Produkt gegeben, von dem gemäß Produktionsplan eine bestimmte Stückzahl herzustellen ist. Durch Division dieser Stückzahl durch die Länge der Planungsperiode in Minuten ergibt sich die pro Minute (mindestens) herzustellende Produktmenge, die im Folgenden mit Β bezeichnet wird. Die Rüstzeit betrage r Minuten und die Bearbeitungszeit pro Stück auf der Maschine ζ Minuten. Die Losgröße betrage L. Die Grundüberlegung zum Ausgleich von Losgröße und Bedarf ist die Formel:
Rüstzeit + ZBearbeitungszeiten = pro Minute zu produzierende Stückzahl * Dauer der Bearbeitung des Loses L.
Die Dauer der Bearbeitung eines Loses hängt von der Losgröße L wie folgt ab: r + z*L . Während dieser Zeitspanne entsteht ein Bedarf, der durch die Rate Β und die Dauer gegeben ist: B*(r + z*L). Damit erhält man als Bestimmungsgleichung fiir L:
L = B*(r + z*L), oder L =
Β Γ * 1-B*z
156
Kapitel 12 · Die Losgrößenplanung
Dieser Ansatz wird nun wie folgt auf einen Produktionszyklus mit η verschiedenen Produkten übertragen, wobei nur wenige Produkte mit 2 < η < 10 betrachtet werden sollen. Die η Produkte Pi,...., P„ sollen hintereinander in einem vorgegebenen Produktionszyklus Pi -» P2 -> ... -» P n gefertigt werden. Der Produktionszyklus wird dann immer wieder neu gestartet. Um während dieses Zyklus die Summe der Rüstzeiten zu minimieren, soll für die Reihenfolge der Produkte zuvor eine Rüstzeitoptimierung vorgeschaltet werden (vgl. Kapitel 14). Für Produkt i seien: • r, die Rüstzeit (in Minuten), • Zj die Fertigungszeit pro Stück (in Minuten), • Bj die pro Minute herzustellende Stückzahl, • Li die zu bestimmende Losgröße. Gefragt wird nach den Losgrößen Li, so dass während der Dauer D des Produktionszyklus die durch die produzierten Lose bereitgestellten Mengen dem Bedarf während der Dauer D entsprechen: Li = D*Bi. Die folgende Abbildung veranschaulicht die Zeitanteile des Produktionszyklus für η = 3:
Los1
1 Rüsten 1
1 Rüsten 1
Produktl
Los2
1 Rüsten 1
Produkt2
Los3 Produkt3
Abbildung 12.2: Zeitstruktur des Produktionszyklus
Zur Lösung der Fragestellung nach flussoptimalen Losgrößen definieren wir folgende Größen: / „
\->
1. Die Taktzeit Τ =
^B, gibt die Anzahl der Minuten an, die im DurchVi=l J schnitt während des Produktionszyklus zwischen zwei fertiggestellten Produkten verstreicht.
2. Die mittlere Bearbeitungszeit ζ als mit B, gewichtetes Mittel über alle Bearbeitungszeiten z;: z = T*Xzi*Bi .
3. Die Zykluszahl C gibt eine Schätzung der Stückzahl über alle Produkte an, die während der Dauer des Produktionszyklusgefertigt werden kann. Mit diesen Größen wird eine Bedingung für die Zykluszahl C formuliert: π C*T=
+C*z i=l
Kapitel 12 · Die Losgrößenplanung
157
Diese Gleichung besagt, dass die Dauer des Produktionszyklus C*T gleich ist der Summe der Rüstzeiten plus der Anzahl C der durchschnittlichen Bearbeitungszeiten z. Aus dieser Gleichung lässt sich C bestimmen als (1)
c = J^-. T-z
Wenn auf diese Weise die Anzahl C der produzierten Teile während des Produktionszyklusbestimmt ist, wird diese Anzahl nun auf die einzelnen Lose nach den Gewichten Bi heruntergebrochen, wobei ganzzahlig gerundet wird: (2)
Li = C*Bi*T.
Die Dauer D des Produktionszyklus kann man dann wie folgt bestimmen: 19 Sie besteht aus der Summe der Rüstzeiten und der Summe der Bearbeitungszeiten: D = Zri i=l
+ZL,*z, i=l
Da C eine lineare Funktion der Summe der Rüstzeiten ist, sinken die Losgrößen Li, wenn durch Optimierungsmethoden die Rüstzeiten gesenkt werden (vgl. Kapitel 18). Mit kleinen Losen nähert man sich dem Ziel der flussoptimierten Produktionssteuerung an. Ideal wäre es, wenn sich die Dauer D des Produktionszyklus der Länge einer Schicht annäherte. Dann stimmten Tagesproduktion und Tagesverbrauch überein, und eine Lagerhaltung für große Lose entfiele. Die Losgrößen Li steigen an, wenn die pro Minute herzustellenden Stückzahlen Bj ansteigen, weil dann Τ abnimmt und damit die Differenz T-z im Nenner von Formel (1). Hieran wird erkennbar, dass ζ eine theoretische Untergrenze für Τ ist und damit für die durch Bi ausgedrückte Belastung des Systems. Wenn sich Τ dem Wert ζ annähert, werden C und die Lösgrößen unendlich groß. Andererseits darf für die Gültigkeit der Formel (1) die Summe der Rüstzeiten nicht zu klein werden, damit Li nicht unter das theoretische Minimum von einem Stück pro Produktionszyklus sinken: Li > 1. Wenn man für C die Formel (2) einsetzt, erhält man als Bedingung für die Rüstzeiten:
^
1
Bk*T
Beispiel für drei Produkte A, B, C: Von Produkt Α seien gemäß Produktionsplan 24 Stück, von Produkt Β 16 Stück und von Produkt C 8 Stück in einer 8-Stunden-Schicht herzustellen. Zur Realisierung des Produktionsplans müssen folglich von Produkt A (mindestens) 1/20 (= 24/480), von Produkt Β 1/30 (= 16/480) und von Produkt C 1/60 (= 8/480) Einheiten pro Minute hergestellt werden. Die Bearbeitungszeiten Zj seien 5 Minuten für alle Produkte. Als Rüstzeiten r, werden 20 Minuten für A, 30 Minuten für Β und 40 Minuten fur C angenommen. Die Taktzeit Τ beträgt (3/60 + 2/60 + 1/60)"1 = 10 Minuten, ζ = 5 Minuten. Dann ist C = 90/(10-5) = 18. Daraus resultiert fur Produkt A eine Losgröße von 18*(1/20)*10 = 9, ftr Produkt Β eine Losgröße von 18*(1/30)*10 = 19
Die Dauer D entspricht dem „replenishment interval" von Gross und Mclnnis (2003, S. 51).
158
Kapitel 12 · Die Losgrößenplanung
6 und für Produkt C eine Losgröße von 18*(1/60)*10 = 3. Die gesamte Dauer des Produktionszyklus beträgt 90 Minuten für das Rüsten plus 18*5 Minuten für die Summe der Bearbeitungszeiten, zusammen also 180 Minuten. Die Formel (1) für die Zykluszahl C ist idealisiert, da sie von der Bruttokapazität der Maschine ausgeht (vgl. Kapitel 6). Wenn im Durchschnitt Μ Minuten pro 8-StundenSchicht an Maschinenstillstandszeiten anfallen, so beträgt ihr Zeitanteil an der Zykluszeit A = M*D/(8*60). ,
Damit ergibt sich die korrigierte Zykluszahl als C =
A+
y
Γ;
.
12.4 Kostenminimale Lose Im folgenden wird der klassische betriebswirtschaftliche Modellansatz behandelt und nach kostenminimalen Losgrößen gefragt. Gehen wir von der Zeitreihe der wöchentlich vorliegenden Netto-Sekundärbedarfe aus, so kann gefragt werden: Sollen mehrere Wochenbedarfe zu einem Fertigungsauftrag (zu einem "Los") zusammengefasst werden, damit auf einmal produziert und während der Bündelungsfrist gelagert werden kann? Dann können mehrere Wochenbedarfe aus dem Lagervorrat befriedigt werden. Die Alternative besteht darin, die Wochenbedarfe nicht zusammenzufassen, und jede Woche den Netto-Sekundärbedarf als Fertigungsauftrag neu zu vergeben. Wöchentliche Fertigungsaufträge bedeuten keine oder bloß geringe Lagerkosten, dafür aber wöchentlich anfallende Auflagekosten für die Maschineneinrichtung. Umgekehrt impliziert die Bildung großer, mehrere Wochenbedarfe zusammenfassender Lose höhere Lagerkosten, aber geringere Auflagekosten. Diese Kosten beinhalten erstens die direkten Rüstkosten, zweitens die indirekten Rüstkosten, die bei Engpassmaschinen dadurch entstehen, dass sie nicht produktiv eingesetzt werden können, und drittens die Kosten für den Maschinenanlauf. Die Entscheidung der Losgrößenbildung tritt ebenfalls bei externen Beschaffungsaufträgen auf. Dabei sind als fixe Kosten die Bestellkosten den Lagerkosten gegenüberzustellen. Die hier diskutierten klassischen Verfahren der Losbildung sind Beispiele für eine lokale Funktionsoptimierung, ohne die logistische Kette und die Kundennachfrage einzubeziehen. Damit genügt die Losbildungspolitik nicht den Erfordernissen eines modernen Supply Chain Managements. Bei den hier vorgestellten Verfahren zur Losgrößenbildung besitzt die Betriebswirtschaftslehre einen theoretischen Vorlauf vor der Praxis. Nach den Erhebungen von Glaser u.a. werden in der Praxis des Produktionsmanagements mittelständischer Betriebe nur Erfahrungswerte als Losgrößenformeln verwendet. Selbst die einfache Andlerformel findet nur geringe Anwendung. Im folgenden sollen die Planungsverfahren zur Losgrößenbestimmung detailliert vorgestellt werden.
Kapitel 12 · Die Losgrößenplanung
159
12.5 Die Andler'sche Losgröße Das Verfahren der Andler'schen Losgröße betrachtet die Kosten für Rüsten, Produktion und Lagerung eines isolierten Teils auf einer Produktionsstufe der Fertigungsindustrie. Diese Losgrößenpolitik geht der Frage nach, ob der Jahresbedarf auf viele kleine Lose verteilt werden soll oder auf wenige große Lose. Im ersten Fall treten dann häufig Rüstkosten auf, während im letzten Fall die durchschnittliche Bestandshöhe von gelagerten Teilen groß ist. Das Verfahren der Andler'schen Losgröße vergleicht die Rüst- mit den Lagerkosten und wählt eine Losgröße, welche die Summe von Rüst- und Lagerkosten minimiert. Diese optimale Losgröße nach Andler ist gleichermaßen auf die Bestimmung von Einkaufslosen in der Beschaffungspolitik anwendbar. Dabei sind die Rüstkosten durch die bestellfixen Kosten zu ersetzen. Zur Einführung in die Fragestellung soll folgendes Beispiel für eine Losbündelung dargestellt werden. Durch einen Vergleich der Produktionskosten von zwei Fertigungslosen mit je 100 Stück auf einer Maschine in zwei aufeinander folgenden Perioden PI und P2, mit den Kosten eines Loses von 200 Stück kann die Vorteilhafiigkeit der Losbündelung an einem Beispiel gezeigt werden. Pro Periode werden 100 Stück eines Teiles benötigt. Pro Los fallen unabhängig von der Losgröße Rüstkosten (oder Auflagekosten) von 300€ an. Pro Stück sind 4 Fertigungsminuten erforderlich mit einem Maschinenminutensatz von 2€ und einem Lohnminutensatz von 0,3€. Wird ein Los von 100 Stück in einer Periode gefertigt, so wird diese Teilemenge in der gleichen Periode verbraucht, ohne Lagerkosten zu verursachen. Wird dagegen ein Los von 200 Stück in Periode PI gefertigt, so entstehen Lagerkosten für den Bedarf von 100 Stück, der bereits in Periode PI gefertigt wird, aber erst in Periode P2 als Bedarf entsteht. Dann fallen Lagerkosten von 0,5 € pro Stück für eine Periode an. Die Produktionskosten für zwei Auflagen eines Loses von 100 betragen dann: 2*(100 Stück*4*(2€+0,3€) + 300€) = 2*1220€ = 2440€ Die Produktions- und Lagerkosten für die Auflage eines Loses von 200 betragen aber: 200 Stück*4*(2€+0,3€) + 3006 + 200 Stück*0,5€ = 2240€ Damit ist die Fertigung eines Loses von 200 Stück um 200€ billiger. Wir erkennen an den Formeln, dass die gleichen Produktionskosten Stückzahl*(4€+0,3€) beim Kostenvergleich beider Lospolitiken auftreten und so aus dem Vergleich herausgenommen werden können. Für den Vergleich ist folgende Abwägung relevant: Lospolitik 2 Lose ä 100: 2*Rüstkosten Lospolitik 1 Los ä 200: 1 *Rüstkosten + Lagerkosten. Kürzt man 1 *Rüstkosten aus dem Vergleich, dann werden tatsächlich 1 *Rüstkosten mit den Lagerkosten verglichen, also 300€ mit 100€ mit einer Vorteilhaftigkeit von 200€ für die Lospolitik ein Los ä 200.
160
Kapitel 12 · Die Losgrößenplanung
Das Herausfallen der eigentlichen Produktionskosten 4*(2€+0,3€) beim Vergleich von zwei Lospolitiken ist typisch fur die Fertigungsindustrie, in der die Produktionskosten mit den Begriffen des Maschinenminutensatzes und des Lohnminutensatzes proportional zur Menge angesetzt werden. In der Prozessindustrie ist dieses Vorgehen nicht möglich, da dort die Produktionskosten von der Prozessdauer eines Reaktors abhängen, die unabhängig von der Füllmenge ist. Damit sind die Produktionskosten von zwei halb vollen Reaktoren doppelt so hoch wie die eines vollen Reaktors. Die Voraussetzungen für das Verfahren der Andler'sehen Losgröße sind: Die Nachfrage (Bedarf) ist konstant, bekannt und zugleich deterministisch. Sie wird auf eine größere Periode bezogen, z.B. ein Jahr. Die Nachfragemenge pro Periode sei Μ (ζ. Β. die Jahresbedarfsmenge). Mit der Annahme einer konstanten Nachfrage ist gemeint, dass in jedem vergleichbaren Zeitintervall ein gleicher und konstanter Bedarf vorliegt, so z.B.: Bedarf pro Jahr Bedarf pro Woche Bedarf pro Tag
=Μ = M/52 = M/250 (bei 250 Fabrikkalendertagen).
Zur Herleitung der Andler'sehen Losgröße gehen wir damit davon aus, dass eine gleichmäßige Rate des Lagerabgangs vorliegt. Ferner nehmen wir an, dass das Lager unmittelbar, ohne Zeitverzug und ohne Zusatzkosten wieder auf die Losgröße χ aufgefüllt wird, sobald der Vorrat aufgebraucht ist. Den Verlauf von Lagerabgang und Wiederauffullung mit der Menge χ verdeutlicht die Abbildung 12.3. Zu erkennen ist der typischen Verlauf eines Sägezahns.
Abbildung 12.3: Verlauf des Lagerbestandes (Sägezahn)
Als Kostengrößen sind folgende Kostenbestandteile zu wählen: Ky
= variable Kosten pro ME des zu fertigenden Teils
Kr L χ
= fixe Kosten pro Rüstvorgang (Rüstkosten oder Auflagekosten) = Lagerhaltungskostensatz (in %) pro Periode und pro Einheit variabler Kosten = Losgröße
Zu unterscheiden sind die variablen Kosten, die bei der Fertigung pro Teil anfallen, von den fixen Rüstkosten, deren Größe unabhängig von der Größe des aufgelegten Loses ist. Der Lagerhaltungskostensatz fasst die Kosten der Lagerhaltung, wie Raum-, Kapital-, Transport- und Personalkosten, zusammen. L bezieht sich auf die Gesamtperiode, hier auf ein Jahr.
161
Kapitel 12 · Die Losgrößenplanung
Zu bestimmen ist eine optimale Losgröße x0, welche die Summe von Lagerkosten und Auflagekosten in der betrachteten Periode minimiert. Das Entscheidungsproblem lautet daher am Beispiel der Periode eines Jahres wie folgt: Soll einmal im Jahr die Menge χ = Μ als Betriebsauftrag veranlasst werden oder soll 52 mal im Jahr der Wochenbedarf von χ = M/52 oder arbeitstäglich der Tagesbedarf χ = M/250 veranlasst werden? Oder gar eine Menge x, die dazwischen liegt? Zur Bestimmung der Kostengrößen nehmen wir eine Losgröße χ an und betrachten χ als eine Variable. Welche Kosten für Lagerung und Auflage über ein Jahr können daraus hergeleitet werden? Zunächst ist y = M/x mal pro Jahr ein Los der Größe χ als Betriebsauftrag zu bestellen. Dann fallen pro Jahr y-mal die Auflagekosten K r an: Auflagekosten = K^*y = K R *M/x Den Auflagekosten stehen Lagerkosten pro Jahr gegenüber. Wegen des gleichmäßigen Lagerabgangs ist bei einer Auffiillpolitik der Höhe χ im Durchschnitt die Menge x/2 auf Lager. Dadurch ergeben sich Lagerkosten = (x/2)*K v *L Die Rüst- und Lagerkosten pro Jahr in Abhängigkeit von der Losgröße χ addieren sich dann zur Gesamtkostenfunktion = K R *M/x + (x/2)* Ky *L Wird in diesem Ausdruck die erste Ableitung gleich Null gesetzt, so ergibt sich als Bedingung für eine kostenminimale Losgröße Xo der Ausdruck: |2-M-KR
Die so bestimmte Größe x 0 ist dann noch auf die nächste ganze Zahl zu runden. In diese Formel, die man auch aus der Gleichsetzung von Lagerkosten und Auflagekosten herleiten kann, wird fur einen Lagerkostensatz L von z.B. 5% der Wert 0,05 eingesetzt. Die Gesamtkostenfunktion in Abhängigkeit von χ besitzt den in Abbildung 12.4 dargestellten Verlauf: Die fixen Auflagekosten K R *M/x fallen mit steigendem x. Die variablen Kosten (x/2)*Kv*L steigen linear mit steigendem x. Der Formel für die optimale Losgröße können folgende Eigenschaften von Xo entnommen werden: Je wertvoller das Gut (hohes Kv) oder je teurer die Lagerung (großes L), desto kleiner wird die Losgröße x0. Aus der Vervierfachung der variablen Kosten K'y = 4*Ky resultiert eine halbe optimale Losgröße Xo. Umgekehrt ist zu erkennen: Je höher die Auflagekosten sind, desto größer ist das Los. Vierfache Auflagekosten K'r = 4*Kr fuhren zur Verdoppelung der optimalen Losgröße x0.
162
Kapitel 12 » Die Losgrößenplanung
Kosten
Gesarmkosterrfunküon 1
'
^ ^
Lagerkosten pro Jahr
Rüstkosten pro Jahr
1 ο
Abbildung 12.4: Kostenstruktur der Losgröße χ
Das Kostenminimum in der Kurve von Abbildung 12.4 verläuft recht flach. Die folgende Tabelle 12.1 gibt an, um wie viel Prozent sich die optimale Losgröße ändert, wenn der Quotient unter der Wurzel prozentual geändert wird. Abweichungen der Eingangsdaten in % +5 +10 +20 +40 -5 -10 -20
Abweichungen vom Optimum in % 2,5 4,9 9,5 18,3 -2,5 ·'· ι -10,6 -22,5
Tabelle 12.1: Sensitivität der Andler'schen Losgröße
Aus der Tabelle kann man ablesen, dass eine Vergrößerung der Eingangsdaten um 20% nur eine Erhöhung der Losgröße um 9.5% nach sich zieht. Wegen des flachen Kostenverlaufs nahe dem Kostenminimum kann die optimale Losgröße auf eine den Lagermöglichkeiten und den Produktionsfluss (oder den Einkaufskonditionen) am besten angepasste Größe ohne großen Fehler verändert werden. Wegen des flachen Kostenverlaufs kann die Andler'sche Losgröße auch auf eine Zeitreihe von Verbrauchswerten angewendet werden, die nicht im strengen Sinne konstante Werte aufweist, sondern geringfügig schwankt. Dieses kann man im Hinblick auf den Schwankungsbereich von +/- 20% in Tabelle 12.1 mit der Forderung an die Zeitreihe ausdrücken, dass deren maximale Abweichung vom Mittelwert weniger als 20% vom Mittelwert beträgt. Aus der Addition des Wochen- oder Monatsverbrauchs der Zeitreihe ist dann der Jahresbedarf Μ zu bestimmen. Anhand der Abbildung 12.4 ist zu erkennen, dass die optimale Losgröße Xo gerade im Schnittpunkt beider Kurven liegt. Dieser Schnittpunkt besitzt drei Eigenschaften, die im dynamischen Fall verallgemeinert werden sollen: 1. Dort sind die Auflagekosten gleich den Lagerkosten. 2. Dort besitzen die Stückkosten des Jahresbedarfs ihr Minimum. 3. Dort entspricht der Anstieg der Lagerkosten der Abnahme der Auflagekosten. Die Identität von Rüst- und Lagerkosten im Optimum wird auch mit folgender Betrachtung klar: Wären im Optimum die Auflagekosten niedriger als die Lagerkosten, wäre es vorteilhafter, kleinere Lose zu fertigen, da dann die teureren Lagerkosten mit niedrige-
Kapitel 12 · Die Losgrößenplanung
163
ren Auflagekosten ersetzt werden könnten. Dies widerspricht aber dem Optimum. Ist das Verhältnis von Rüst- zu Lagerkosten umgekehrt, so greift die analoge Argumentation. Beispiel: Als Beispiel für die Losgrößenbestimmung nach Andler dienen folgende Werte: Kv - 20 € L = 5%
KR = 200 € Μ = 10.000
Die kostenminimale Losgröße x 0 = 2000 ergibt sich als:
Es sind damit im Jahr fünf mal 2000 Stück als Betriebsauftrag zu veranlassen. Da der Quotient xo/M den Prozentsatz ausdrückt, den ein Los am Jahresbedarf abdeckt, kann die Frage beantwortet werden, welche Zeitperiode zwischen zwei Bestellungen der optimalen Losgröße verstreicht. Man spricht von der Reichweite des Loses. Diese kann in Monaten, Wochen oder Tagen wie folgt ausgedrückt werden: • Zeitperiode in Monaten: (Xo/M)*12 • Zeitperiode in Wochen: (x xo und Ki(x R ) < Ko(xo), dann sind die Gesamtkosten, die Menge XR zu beschaffen niedriger als die optimale Losgröße xo zu beschaffen. Dann ist die Menge XR zum Rabattpreis PR. zu beschaffen. 3. Wenn XR > XO und K I ( X R ) > Ko(xo), dann ist die Menge XO zum Preis Ρ zu beschaffen. Über die Einbeziehung von Rabatten hinaus werden in der Literatur vielfaltige weitere Überlegungen angestellt, die Andler'sche Losgrößenformel an die genannten Bedingungen anzupassen und zu verfeinern. Dennoch spielt die einfache Andler'sche Losgrößenformel eine wichtige Rolle in der Praxis. Dort wird sie vielfach angewendet.
12.6 Losgrößenansätze bei einstufigem, variablem Bedarf 12.6.1 Überblick Diese Ansätze gehen nicht von einem Jahr, sondern von mehreren, aufeinander folgenden, kürzeren Perioden, etwa Wochen, aus. Damit wird ein endlicher Zeithorizont angenommen. Was darauf folgt, bleibt ohne Beachtung. Die letzte betrachtete Periode wird als Horizont bezeichnet. Die ausdrückliche Einbeziehung der Zeitdimension fuhrt zur Bezeichnung "dynamisch" für diese Ansätze. Der Bedarf kann - im Unterschied zu Andler - von Periode zu Periode unterschiedlich sein. Als Beispiel ist ein Horizont von 4 Wochen mit folgendem Bedarf zu betrachten:
166
Kapitel 12 · Die Losgrößenplanung
Woche Menge
1 80
2 120
3 100
4 60
Tabelle 12.2: Beispiel zur Losgrößenplanung bei einstufigem, variablen Bedarf
Die Zeitreihe besitzt einen Mittelwert von 90 und eine maximale Abweichung vom Mittelwert von 30. Von dem Verfahren der Andler'schen Losgrößenformel ist hier daher abzuraten und stattdessen die dynamische Losgrößenplanung anzuwenden. Bei den dynamischen Ansätzen werden folgende Größen angegeben: fixe Kosten KR für die Auflage eines Loses, variable Kosten Ky pro Stück und ein konstanter Lagerkostensatz L für die Kosten der Lagerhaltung. Der Lagerkostensatz L bezieht sich hier auf eine Periode, also ζ. B. eine Woche. Die Fragestellung lautet dann: Wie soll der Bedarf der einzelnen Wochen zu Losen zusammengefasst werden? Jede Woche der Bedarf einer Woche, also 80 ME, 120 ME, 100 ME oder 60 ME? Oder jede 2. Woche der Bedarf für 2 Wochen unter Inkaufnahme von Lagerkosten? Oder gar einmal für alle 4 Wochen, also ein Los von 360 ME? Vergleichbar mit der Andler'schen Losgröße sind folgende Annahmen zu treffen: • Das Lager wird unmittelbar, ohne Zeitverzug, und ohne Zusatzkosten wieder auf die jeweilige Losgröße aufgefüllt, sobald der Vorrat aufgebraucht ist. • Das Los kann nur eine Zusammenfassung von aufeinander folgenden Wochenbedarfen ausdrücken. Zwischengrößen sind nicht zulässig. • Lose stehen zu Beginn der Periode zur Verfugung. • Der Bedarf einer Periode wird in der laufenden Periode im Durchschnitt mit dem halben Bestand gelagert. Wie die unterschiedlichen Wochenbedarfe zu Bestellungen gebündelt werden, hängt von den Daten ab. Sind die Lagerkosten hoch, wird nur das Wochenlos bestellt. Sind dagegen die Auflagekosten hoch, wird möglichst viel zu einem Los gebündelt. Zur optimalen Auswertung von Informationen über Lager- und Auflagekosten sind mehrere Verfahren bekannt. Hierzu zählen das vollständige Verfahren von Wagner/Whitin sowie Näherungsverfahren.
12.6.2 Das Verfahren von Wagner/Whitin Das Verfahren von Wagner/Whitin basiert auf dem Ansatz der dynamischen Optimierung mit dem Bellman'schen Optimalitätsprinzip: Wenn eine Bestellpolitik bis zur Endperiode (Horizont) die beste Politik sein soll, d.h. die geringsten Gesamtkosten verursacht, dann muss diese Politik auch in den vorhergehenden Perioden die beste gewesen sein. Das Optimum am Schluss kann nicht erreicht werden, wenn vorher Abweichungen auftreten. Bei dem Verfahren von Wagner/Whitin werden die Zeitpunkte der Auflage eines Loses (Fertigungszeitpunkte) einem laufenden Planungshorizont, der die Losbündelung zum Ausdruck bringt, in einer Tabelle gegenübergestellt. In dieser Tabelle werden die jeweiligen alternativen Politiken, d.h. entweder die Perioden-Bedarfe als Wochenlose einzeln
167
K a p i t e l 12 · D i e L o s g r ö ß e n p l a n u n g
zu befriedigen oder zu Losen zu bündeln, aufgelistet und die kostengünstigste Alternative ausgewählt. Das Verfahren wird anhand der Tabelle 12.3 erläutert. Darin ist die Bedarfsreihe 80, 120, 100, 60 Stück über 4 Perioden gegeben. Am Fuß der Tabelle befinden sich die Kosteninformationen Kv = 30 €, KR = 120 €, L = 3%. In der Tabelle werden die Zeitpunkte der Fertigung den Zeitpunkten des Planungshorizonts gegenübergestellt. Die Einträge mit dem Wert 99999 sind Hilfsgrößen, welche die Bildung des Minimums ermöglichen. Begonnen wird mit dem Fertigungszeitpunkt i = 1. Nacheinander können die Planungszeitpunkte j = 1, 2, 3, 4 durchgegangen und dafür alternative Lose zusammengestellt werden, welche die Bedarfe der Woche(n) 1,2,3 oder 4 zum Fertigungszeitpunkt i=l bündeln. Pro Periode wird ein gleichmäßiger Lagerabgang angenommen, so dass die Lagerkosten des Bedarfs für die laufende Periode durch die Lagerung der Hälfte des Periodenbedarfs eine Periode lang bestimmt werden. Wird nur der Planungszeitpunkt j = 1 betrachtet, so ist das Los für die Fertigung zum Zeitpunkt 1 gleich dem Bedarf in Periode 1, also gleich 80 ME. Kosten fallen dafür als Auflagekosten von 120€ und 80/2*30*0,03 = 36€ als Lagerkosten, die aus der Lagerung von 80/2 eine Periode lang entstehen, also zusammen gleich 156€ an. 1
A
2
Β
C
D
Ε
Tabelle für Wagner/Whitin-Verfahren
3 Bedarf 4 Ranungsperiode
80
120
100
60
1
2
3
4
5 6 Fertigungszeitpunkt 7
1
156
318
543
732
8
2
99999
330
465
600
9
3
99999
99999
438
519
10
4
99999
99999
99999
558
12 Kostenrrinimim
156
318
438
519
13 Variable Kosten K V
30
11
14 Auflagekosten KR 15 Lagerkosten L
120 0,03
T a b e l l e 12.3: B e i s p i e l z u m W a g n e r W h t i n - V e r f a h r e n
Werden dagegen die Planungszeitpunkte j = 2, 3 oder 4 betrachtet, so beträgt das Los für den Fertigungszeitpunkt i = 1 die Summen der Bedarfe bis zum Planungszeitpunkt j, also 200 ME, 300 ME oder 360 ME. Die Lagerkosten entstehen dann wie folgt: Planungszeitpunkt j = 2: Die Menge von 120 wird 1,5 Perioden lang gelagert. Es entstehen zusätzliche Kosten wie folgt: Κ = 1,5 • 120 · Kv · L = 162. Kosten insgesamt = 156 + 162 = 318 €. Planungszeitpunkt j = 3: Die Menge von 100 wird 2,5 Perioden lang gelagert. Kosten dafür zusätzlich = 2,5 · 100 · Kv · L = 225. Kosten insgesamt = 318 + 225 = 543 €.
168
Kapitel 12 · Die Losgrößenplanung
Planungszeitpunkt j = 4: Die Menge von 60 wird 3,5 Perioden lang gelagert. Kosten dafür zusätzlich = 3,5 · 60 · K v · L = 189. Kosten insgesamt = 543 + 189 = 732 €. Diese vier Politiken der Losbündelung stehen für Fertigungsaufträge zum Fertigungszeitpunkt i = 1 grundsätzlich zur Auswahl. Wird zusätzlich zu diesen vier Politiken in Fertigungszeitpunkt i = 2 ein Fertigungsauftrag erteilt, so hat dieser Auftrag auf der günstigsten Politik der Vorgängerperiode zum Planungszeitpunkt i = 1 aufzusetzen, dessen Kosten minimal sind und die mit Kmin,i bezeichnet werden. Da für diesen Zeitpunkt nur eine Politikalternative zur Verfügung steht, ist Kmin.i = 156€. Im Fertigungszeitpunkt i = 2 sind wiederum alle Loskombinationen zur Zusammenfassung der Bedarfe durchzugehen: Bedarf für j = 2, also 120 ME, für j = 2 und 3, also 220 ME, fur j = 2, 3 und 4, also 280 ME. Für diese Bedarfe sind die Auflagekosten von 120 ME und die jeweiligen Lagerkosten, sowie die Kosten für die beste Politik des vorhergehenden Fertigungszeitpunktes i = 1 zusammenzufassen: Planungszeitpunkt j = 2: Die Menge von 120 wird produziert Auflagekosten dafür = KR = 120 €. Lagerkosten = (120/2)*30*0,03 = 54 Kosten insgesamt = Kmjn, ι + 120 + 54 = 330 €. Planungszeitpunkt j = 3: Die Menge von 100 wird 1,5 Perioden lang gelagert. Kosten dafür zusätzlich = 1 · 100 · Kv · L = 135 €. Kosten insgesamt 330 + 135 = 465 €. Planungszeitpunkt j = 4: Die Menge von 60 wird 2,5 Perioden lang gelagert. Kosten dafür zusätzlich = 2,5 · 60 · Ky · L = 135 €. Kosten insgesamt 465 + 135 = 600 €. Die Tabelle stellt die Kosten für verschiedene Politiken dar. Informationen über die optimale Losauflagenpolitik sind aus den Daten des Horizonts Τ = 4 zu erhalten. Hier ist nach der kostengünstigsten Alternative zu suchen. Diese ist dann das Kostenminimum für den gesamten Planungszeitraum. Die Losauflagenpolitiken der vorhergehenden Zeitpunkte sind durch Rückwärtsrekursion zu bestimmen. Dieses Verfahren wird nun anhand der Tabelle 12.3 erläutert. Aus der gewonnenen Tabelle der Kosten der einzelnen Lospolitiken kann nun durch Betrachtung des Endzeitpunkts die kostenminimale Lospolitik hergeleitet werden. Die kostenminimale Politik zum Endzeitpunkt j = 4 ist die Alternative mit den Kosten 519
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Kapitel 12 · Die Losgrößenplanung
€. Diese verweist auf den Fertigungszeitpunkt i = 3. Die Kosten von 519 € entstehen durch die Zusammenfassung des Bedarfs der Perioden 3 und 4 zu einem Los von 160 ME. Damit ist die optimale Politik fur die Perioden 3 und 4 bereits gefunden. Es folgt die Ermittlung der übrigen, d.h. weiter zurückliegenden Perioden. In der Planungsperiode j = 2 betragen die Kosten der besten Politik 318 €. Dieses Kostenminimum weist auf den Fertigungszeitpunkt i = 1 hin. Die Kosten sind durch Zusammenfassung der Perioden 1 und 2 entstanden. Dies bedeutet, dass der Bedarf der Perioden 1 und 2 zu einem optimalen Los von 200 ME zusammenzufassen und dieses Los zum Zeitpunkt i = 1 zu fertigen ist. Bei dem Beispiel von Tabelle 12.3 besteht die optimale Politik darin, den Bedarf zu zwei Losen zusammenzufassen. Steigen aber die Kosten der Lagerhaltung bis zu einer Grenze von ca. L = 8% an, so wird das Lagern teurer als das Auflegen. Dann wird die Bildung von Wochenlosen optimal, wie aus der folgenden Tabelle 12.4 mit Rückwärtsrekursion zu ermitteln ist: 1
Α
2
Β
C
D
Ε
Tabelle für Wagner/Whitin-Verfahren
3 Bedarf 4 Ranungs periode
80
120
100
60
1
2
3
4
5 6 Fertigungszeitpunkt 7
1
216
648
1248
1752
8
2
99999
480
840
1200
9
3
99999
99999
600
816
10
4
99999
99999
99999
720
216
480
600
720
11 12 Kostennininum 13 Variable Kosten KV
30
14 Auflagekosten KR
120
15 Lagerkosten L
0,08
Tabelle 12.4
Umgekehrt wird die Zusammenfassung aller 4 Periodenbedarfe zu einem Los bei Lagerkosten L = 3% dann optimal, wenn die Auflagekosten oberhalb von 290 € liegen (Tabelle 12.5). Interessant ist der Vergleich des Verfahrens von Wagner/Whitin mit der Andler'schen Losgrößenformel bei dem nicht konstanten Bedarf von Tabelle 12.2, dessen maximale Abweichung vom Mittelwert 90 mehr als 20% beträgt. Interpretieren wir mit den Daten von Tabelle 12.3 die 4 Perioden als 4 Quartale eines Jahres und so im Wagner/WhitinKontext den Zinssatz Lw = 3% pro Quartal und im Andler-Kontext den Zins La = 4*3% = 12% pro Jahr, so ergeben sich mit Μ = 360 Stück pro Jahr eine optimale Losgröße xo = 155. Die Gesamtkosten pro Jahr bei Andler addieren sich als durchschnittliche Bestellkosten = (M/x